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German Pages 298 Year 2000
WOLFGANG SCHÜLER
Die Wissenszurechnung im Konzern
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 128
Die Wissenszurechnung im Konzern Von Wolfgang Schüler
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schüler, Wolfgang: Die Wissenszurechnung im Konzern / von Wolfgang Schüler. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Wirtschaftsrecht ; Bd. 128) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09668-1
Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-09668-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Meinen Eltern
Vorwort
Diese Arbeit lag der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Sommersemester 1998 als Dissertation vor. Für die Veröffentlichung sind Rechtsprechung und Literatur bis Anfang 1999 berücksichtigt worden. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Marcus Lutter, der die Arbeit angeregt, kritisch begleitet und in jeglicher Weise gefördert hat. Herrn Professor Dr. Ulrich Huber danke ich fur die sorgfältige und zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dank schulde ich auch meinen ehemaligen Kollegen am Institut fur Handels- und Wirtschaftsrecht für die zahlreichen Gespräche, in denen ich Kritik und Anregungen erhalten habe, vor allem Herrn Dr. Frank Ochsenfeld und Herrn Dr. Carsten Rodemann. Zu danken habe ich ebenfalls dem „Arbeitskreis Wirtschaft und Recht" im Stifterverband fur die Deutsche Wissenschaft, der das Entstehen dieser Arbeit durch ein Promotionsstipendium gefördert hat. Dem Verlag danke ich fur die Aufnahme der Arbeit in die „Schriften zum Wirtschaftsrecht". Ferner möchte ich mich auch bei all meinen Freunden bedanken, die für die notwendige Abwechslung während der Erstellung der Arbeit gesorgt haben. Mein herzlichster Dank gilt meiner Freundin Sabine Krämer. Widmen möchte ich die Arbeit meinen Eltern, die mich während meiner gesamten Ausbildung unterstützt haben.
Düsseldorf, im Juli 1999
Wolfgang Schüler
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung
21
Α. Problemstellung
21
Β. Gang der Untersuchung
24
§ 2 Allgemeine Grundlagen
27
A. Die Zurechnung
27
I. Zurechnung als Kausalität
27
II. Zurechnung „fremder" Tatbestände
28
1. Zurechnungszweck
29
2. Zurechnungsgrund
30
a) Allgemeine Zurechnungsnormen
31
b) Spezielle Zurechnungsnormen
32
c) Soziologische Betrachtung
33
III. Die Zurechnung als Rechtsanwendungstechnik
34
IV. Zusammenfassung
35
B. Das Wissen I. Rechtserheblichkeit 1. Fristenlauf
36 37 37
10
Inhaltsverzeichnis
2. Verschlechterung der Rechtsstellung
38
3. Wissen und Arglist
38
4. Wissen und Vorsatz
38
II. Konsequenzen für die Untersuchung
38
III. Sinn und Zweck der Wissensnormen
40
1. Möglichkeit des Selbstschutzes
41
2. Drittinteresse
44
3. Verschulden;
44
C. Wissenszurechnung
48
I. Wissen als Zurechnungsobjekt
48
II. Wissenszurechnungsnormen
49
1. Die Vorschrift des § 166 BGB
49
a) § 166 BGB als „logische Konsequenz" der Stellvertretung
50
b) § 166 BGB als Ausdruck einer wertenden Wissenszurechnung
52
aa) Anpassung an die arbeitsteilige Persönlichkeitserweiterung
55
bb) Entscheidungsfindung
55
2. Zwischenergebnis D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
56 57
I. Der Theorienstreit
58
II. Wissen der Organmitglieder
59
1. Wissensvermittlung kraft Natur der Sache
61
2. Wissensvermittlung durch Zurechnung
62
Inhaltsverzeichnis
a) Anwendung des § 166 BGB
62
b) Anwendung der Vorschriften über die Passivvertretung
68
c) Anwendung des § 31 BGB
70
d) Anwendung allgemein wertender Zurechnungskriterien
71
aa) Entscheidungsfindung
74
bb) Anpassung an die arbeitsteilige Persönlichkeitserweiterung
75
(1) Kriterium der allgemeinen Lebenserfahrung
76
(2) Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation
77
(a) Wesentlichkeit der Information
79
(b) Zeitpunkt der Informationserlangung
80
(c) Bedeutung der von der Information betroffenen Geschäfte
80
(d) Anlaß zur Abfragung von Wissensspeichern
81
(3) Schutz des Vertragspartners cc) Zwischenergebnis
82 82
III. Wissensvertreter
83
IV. Zwischenergebnis
84
V. Wissen der Gesellschafter...,
84
1. Das Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft
.85
a) Das rechtliche Trennungsprinzip
85
b) §§ 130 Abs. 3, 131 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 138Abs.2InsO
86
c) Vergleich mit der Stellung des Gesellschafters in der oHG
87
d) Die Lehren vom „Durchgriff 4
88
aa) Die subjektive Mißbrauchslehre
90
bb) Die objektiv-institutionelle Mißbrauchslehre
92
cc) Die Normzwecklehre
93
dd) Die Mischtheorien
95
ee) Die Auffassung von Wilhelm
96
12
Inhaltsverzeichnis
ff) Zwischenergebnis 2. Wissenszurechnung aufgrund mitgliedschaftlicher Verbundenheit
97 97
a) Verbundenheit des (einfachen) Gesellschafters
97
b) Verbundenheit des Mehrheits- oder Alleingesellschafters
98
c) Pflicht zur Entscheidungsbeteiligung
99
d) Zwischenergebnis 3. Beteiligung an der Entscheidungsfindung
101 101
a) Stellvertretung im Sinne der §§164 ff. BGB
101
b) Entscheidungsbeteiligung in der GmbH
102
aa) Analoge Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB
104
bb) Analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB
105
cc) Analoge Anwendung der §§ 31, 278 BGB
107
dd) Analoge Anwendung des § 164 Abs. 3 BGB..
109
ee) Wertende Zurechnung
109
(1) Die Gesellschafterversammlung als faktisches Geschäftsfuhrungs-Organ
109
(2) Entscheidungsfindung im arbeitsteiligen Prozeß
110
(a) Wissen der Gesellschafterversammlung
111
(b) Schutzbedürftigkeit
111
(c) Zustimmung des wissenden Gesellschafters
113
(d) Stellung des Gesellschafters
114
(e) Zwischenergebnis
114
ff) Rechtsfolgen
115
gg) Keine Differenzierung zwischen Kenntnis und (grob) fahrlässiger Nichtkenntnis
116
hh) Zeitpunkt der Wissenszurechnung
117
ii) Umfang der Wissenszurechnung
118
(1) Inhalt des Weisungsbeschlusses (a) „Einmalige" Weisungsbeschlüsse
119 119
Inhaltsverzeichnis
(b) „Längerfristige Führungsbeschlüsse"
120
(c) „Allgemein strategische Führungsbeschlüsse"
121
(2) Zwischenergebnis
122
(jj) Beweisfragen
122
kk) Ergebnis
123
c) Entscheidungsfindung in der AG
123
àa) Rechtliche Einflußnahmemöglichkeiten
123
bb) Faktische Einflußnahme
125
cc) Ergebnis
127
VI. Zusammenfassung
127
§ 3 Wissenszurechnung im Konzern bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
128
A. Einheit und Vielheit im Konzern
128
I. Einheitstheorie
129
II. Der Konzern als „polykorporatives Netzwerk"
130
III. Der Konzern als BGB-Gesellschaft
132
IV. Ergebnis
132
B. Konzern rechtliche Zurechnungsnormen
135
I. Aktienrechtliche Zurechnungsnormen
135
1. § 16 Abs. 4 AktG
136
2. §§ 56 Abs. 2 und 71 d AktG
136
3. § 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG
137
II. Sonstige konzernrechtliche Zurechnungsvorschriften
138
14
Inhaltsverzeichnis
1. §5MitbestG
138
2. §23 GWB a.F
139
3. § 22 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 WpHG
139
III. Folgerungen für die Wissenszurechnung
140
IV. Konzernrechtliche Haftung
142
1. Gesetzliche Haftungsnormen
143
2. Sonstige konzernrechtliche Haftungsfälle
144
3. Steuerrechtliche Organschaft
144
V. Zwischenergebnis
145
C. Wissenszurechnung im Vertragskonzern
145
I. Konzernrechtliche Risiko Verbundenheit
146
II. Einflußnahmemöglichkeiten
147
III. Entscheidungsfindung
149
1. Bevollmächtigung
149
2. Organisationsrechtlicher Charakter
150
a) Theorie der originären Leitungsmacht
150
b) Übergang der Leitungsbefugnis
151
c) Der Konzern vorstand als „Quasi-Organ" der abhängigen Gesellschaft .152 d) Konsequenzen für die Wissenszurechnung
154
e) Zwischenergebnis
154
3. Auslegung des Weisungsbegriffs
155
4. Entscheidungsbeteiligung bei bloßer Kenntnis von der Vornahme des Rechtsgeschäfts
156
Inhaltsverzeichnis
IV. Umfang und Zeitpunkt der Wissenszurechnung
157
1. Zeitpunkt
157
2. Umfang
158
a) Bereits konkretisierte Weisungsbeschlüsse
158
b) „Unbestimmte" Weisungsbeschlüsse mit Auswirkungen auf das operative Geschäft
158
c) Allgemein strategische Führungsbeschlüsse
159
3. Auswirkungen der Wissenszurechnung auf die Konzernorganisation
160
4. Geltung für alle Wissensnormen
163
5. Datenschutz
163
V. Rechtsfolgen 1. Anspruch gegen den Konzernvorstand
164 164
a) Pflichtwidrigkeit
164
b) Schaden
166
c) Zwischenergebnis
168
2. Anspruch gegen die Obergesellschaft 3. Anspruch der Obergesellschaft gegen ihren eigenen Vorstand VI. Ergebnis D. Wissenszurechnung im Eingliederungskonzern
.....168 170 171 172
I. Besonderheiten im Eingliederungskonzern
172
II. Konsequenzen für die Wissenszurechnung
173
III. Bevollmächtigung
174
IV. Ergebnis
175
16
Inhaltsverzeichnis
E. Wissenszurechnung im faktischen AG-Konzern
175
I. Allgemeines
175
II. Einflußnahmemöglichkeiten
177
III. Tatsächliche Einflußnahme
179
1. Prüfungspflicht des Tochtervorstands
180
2. Prüfungsmaßstab
182
3. Entscheidungsfindung
183
a) Verantwortliche Beteiligung an der Willensbildung
183
b) Informationspflicht
185
c) Verschwiegenheitspflicht
188
IV. Umfang der Wissenszurechnung
190
V. Rechtsfolgen
190
VI. Beweisfragen
191
1. Beweiserleichterungen im Bereich der Haftung (§§311,317 AktG)
192
2. Beweiserleichterungen bei der Wissenszurechnung
195
VII. Personelle Verflechtungen 1. Vorstands-Doppelmandate von „unten nach oben"
196 197
a) Führungs-Holding
198
b) Stammhauskonzern
199
c) Konsequenzen
199
2. Vorstands-Doppelmandate von „oben nach unten"
200
3. Ergebnis
202
VIII. Zusammenfassung
202
Inhaltsverzeichnis
F. Wissenszurechnung im faktischen GmbH-Konzern
203
I. Einflußnahme mittels Gesellschafterbeschlusses
203
II. Sonstige Einflußnahme
205
1. Entscheidungsfindung
205
2. Verantwortliche Beteiligung an der Willensbildung
206
3. Rechtsfolgen
209
III. Ergebnis
209
G. Zusammenfassung
210
§ 4 Wissenszurechnung im Konzern ohne konkrete Beteiligung an der Entscheidungsfindung
211
A. Wissenszurechnung im Vertragskonzern
211
I. Das herrschende Unternehmen als „Quasi-Organ" 1. Leitungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft
211 212
a) Die Ansicht Schneiders
213
b) Herrschende Ansicht
214
c) Vermittelnde Ansicht
215
d) Stellungnahme
216
e) Zwischenergebnis
218
2. Wissensweiterleitungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft
218
a) Entscheidung im Konzern interesse
219
b) Pflicht zu konzernfreundlichem Verhalten
222
c) Wissensweiterleitungspflicht im zentralisierten Konzern
223
aa) Die regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht durch den Konzernvorstand als Begründung einer Wissensweiterleitungspflicht ..225 2 Schüler
18
Inhaltsverzeichnis
(1) Wahrnehmung der originären Führungsentscheidungen in der Tochtergesellschaft
227
(2) Wahrnehmung der originären Konzernfiihrungsaufgaben
230
(3) Regelmäßigkeit der Einflußnahme
231
(4) Zwischenergebnis
232
bb) Umfang der Wissensweiterleitungspflicht d) Zwischenergebnis 3. Weisungspflicht gegenüber der eigenen, herrschenden Gesellschaft
232 234 235
a) Herleitung einer Konzernleitungspflicht
237
b) Umfang der Konzernleitungspflicht
238
aa) Die These Hommelhoffs
238
bb) Die herrschende Ansicht
240
cc) Stellungnahme
241
dd) Zwischenergebnis
242
c) Konsequenzen
242
d) Zwischenergebnis
243
II. Rechtsfolgen
243
III. Beweisfragen
245
1. Beweiserleichterungen im Bereich der Haftung (§ 309 AktG)
245
2. Beweiserleichterungen bei der Wissenszurechnung
246
IV. Ergebnis
248
V. Wissenszurechnung aufgrund besonderen Vertrauens
248
1. Beispielsfall
249
2. Objektiver Maßstab
250
3. Konzernunabhängigkeit
251
Inhaltsverzeichnis
19
Β. Wissenszurechnung im Eingliederungskonzern
251
I. Weisungspflicht gegenüber der eingegliederten Gesellschaft
251
II. Wissensweiterleitungspflicht gegenüber der eingegliederten Gesellschaft
252
III. Weisungspflicht gegenüber der eigenen, herrschenden Gesellschaft
253
IV. Ergebnis
254
C. Wissenszurechnung im faktischen AG-Konzern
254
I. Wissensweiterleitungspflicht
254
II. Konzernleitungspflicht
256
III. Ergebnis
257
D. Wissenszurechnung im faktischen GmbH-Konzern
258
I. „Einfach" faktischer GmbH-Konzern
258
II. Der „qualifiziert faktische Konzern"
259
III. Regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht
260
1. Regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht durch Weisungsbeschlüsse....260 a) Der Konzernvorstand als „Quasi-Willensbildungsorgan"
261
b) Wissensweiterleitungspflicht
261
c) Zwischenergebnis
262
2. Regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht durch sonstige Einflußnahmen IV. Ergebnis..
2*
263 263
20
Inhaltsverzeichnis
§ 5 Schlußfolgerungen und Auswirkungen auf die Kommunikationsstruktur im Konzern
265
A. Umgekehrte Zurechnung (von unten nach oben)
265
I. Informationsrechte
266
II. Informationspflichten
267
III. Ergebnis
269
B. Konsequenzen für die Kommunikationsstruktur
269
§ 6 Zusammenfassung der Ergebnisse
272
Literaturverzeichnis
275
Sachregister
296
§ 1 Einleitung Α. Problemstellung Das Konzernrecht oder, allgemeiner formuliert, das Recht der verbundenen Unternehmen, enthält auch heute noch eine Vielzahl von ungelösten oder umstrittenen Problemkreisen. Schon Hachenburg bezeichnete das Wesen des Konzerns als etwas „unbestimmt Schillerndes" 1 und diese Aussage hat immer noch ihre Gültigkeit. Es verwundert daher nicht, daß zur Beschreibung des Konzerns und seiner Struktur Vergleiche aus dem Familienrecht 2 oder aus der Biologie 3 herangezogen werden. Die rechtlichen Schwierigkeiten, die dieses „unbestimmt schillernde Wesen" aufgrund seiner verschiedenen, tatsächlichen Ausformungen mit sich bringt, haben eine nahezu unüberschaubare Vielfalt an Literatur nach sich gezogen. Eine Vielzahl der Arbeiten hat sich mit der konzerninternen Überwachung, mit der Konzernhaftung, insbesondere im qualifiziert faktischen Konzern, mit den Weisungsrechten und -pflichten oder mit der Konzernorganisation beschäftigt. Trotz dieser Vielfalt ist die „Wissenszurechnung im Konzern" lange Zeit unbearbeitet geblieben4. Dafür lassen sich mehrere Gründe finden:
1
Hachenburg in Düringer/Hachenburg 3, HGB (1934), Einleitung: Die Aktiengesellschaft im Leben der Wirtschaft, Rn. 138. 2 So Lutter, ZGR 1982, 244, 246: „ ... sie [die Unternehmensgruppe, Anmerkung des Verfassers] besteht also aus mehreren selbständigen Vermögenseinheiten - wie eine Familie, deren Mitglieder durchaus selbständige Vermögensträger sind, innerhalb derer aber bestimmte Vorgänge, wie die Verteilung von Aufgaben, Lasten und Risiken leichter ablaufen als unter Fremden." 3
So beruht die von Teubner entwickelte Vorstellung des Konzerns als „Unitas Multiplex" (Teubner, ZGR 1991, 189 ff.) auf der aus der Biologie stammenden Vorstellung der Selbst-Reproduktion innerhalb eines geschlossenen Systems (Autopoiesis). Teubner versteht den Konzern als eine Organisation von Operationen eines Systems, in dem alle Elemente eines Systems durch die selektive Verknüpfung der Elemente dieses Systems erzeugt werden. 4
Vgl. Schneider in Scholz, GmbHG, § 36 Rn. 88a: „Ungeklärt ist die Wissenszurechnung im Konzern."
§ 1 Einleitung
22
Zunächst ist festzustellen, daß es sich nicht um ein spezifisch konzernrechtliches Thema handelt. Vielmehr geht es „nur" um die Anwendungsprobleme rein zivilrechtlicher Normen. Es geht darum, ob beispielsweise eine rechtlich selbständige Gesellschaft ein Grundstück gemäß § 892 BGB gutgläubig erwerben kann, wenn zwar sie selbst gutgläubig ist, nicht aber die sie beherrschende Muttergesellschaft; allgemein formuliert, ob eine Wissensnorm 5 Anwendung findet, wenn das rechtserhebliche Wissen nicht bei dem handelnden Unternehmen, sondern bei einem mit ihm verbundenen Unternehmen vorgelegen hat. Zudem stellt sich im Zusammenhang mit der Wissenszurechnung im Konzern vorweg die Frage, was überhaupt das Wissen einer Gesellschaft ist, denn die Zurechnung im Konzern kann nicht weiter gehen als die Zurechnung innerhalb einer Gesellschaft. Nach wie vor ist aber umstritten, welches Wissen welcher natürlicher Personen auf welcher Grundlage einer Gesellschaft zuzurechnen ist. Schließlich ist das Problem der Wissenszurechnung erst durch Entwicklungen in jüngerer Zeit besonders aktuell geworden. Durch den technischen Fortschritt, „Computerisierung" und Vernetzung der Datenträger, hat der Informationsaustausch innerhalb von Organisationen eine neue qualitative Dimension angenommen. Hinzu kommt, daß sich der Konzern ständig wachsender Beliebtheit erfreut, nicht nur als „die Organisationsform des Multinationalen Unternehmens" 6, sondern auch als Organisationsform für kleinere Einheiten. Diese Entwicklung wird sich wohl insbesondere durch die Vereinfachungen, die sich aus dem neuen Umwandlungsgesetz ergeben, weiter fortsetzen. Daß die Wissenszurechnung im Konzern Fragen aufwirft und daß ein Bedürfnis fur eine solche Wissenszurechnung besteht, wurde indes bereits mehrfach erkannt 7. Das Bestehen eines solchen Bedürfnisses läßt sich sehr einfach anhand von Beispielen verdeutlichen:
Als Wissensnormen werden solche Normen bezeichnet, bei denen das Wissen alleine oder in Verbindung mit anderen Tatbestandsmerkmalen Voraussetzung für den Eintritt der bestimmten Rechtsfolge ist. Vgl. dazu näher unten § 2 B. 6 7
Lutter, FS Stimpel, S. 825, 826.
Bereits frühzeitig hat Schneider, ZHR 143 (1979), 485, 510 dieses Problem angesprochen; ders. auch in Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 88 a. Ebenfalls erkannt wurde dieses Problem von Bork, ZGR 1994, 237, 256; Lutter/Hommelhoff y GmbHG, § 36 Rn. 8; Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 44 Rn. 42 sowie von Drexl, ZHR 161 (1997), 491 ff., der das Problem erstmalig einer näheren Betrachtung unterzogen hat.
Α. Problemstellung
23
1. In einem Vertragskonzern weist der Konzernvorstand den gutgläubigen Tochtervorstand zum Abschluß eines Rechtsgeschäftes mit einem zahlungsunfähigen Dritten an, obwohl der Konzernvorstand die Tatsache der Zahlungseinstellung kannte. Eine wirksame Anfechtung dieses Rechtsgeschäfts durch den Insolvenzverwalter ist gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur möglich, wenn der Tochtergesellschaft das Wissen der Muttergesellschaft zuzurechnen wäre. 2. Der Konzernvorstand weist den gutgläubigen Tochtervorstand zum Kauf eines Grundstücks vom eingetragenen Nichtberechtigten an, obwohl er die Nichtberechtigung des Verkäufers kennt. Ohne eine Zurechnung dieser Kenntnis könnte die Tochtergesellschaft gemäß § 892 BGB das Grundstück gutgläubig erwerben, und der wahre Eigentümer würde sein Eigentum verlieren. 3. Der Konzernvorstand weist den Tochtervorstand an, ein der Tochtergesellschaft gehörendes Grundstück zu veräußern. Dieses Grundstück gehörte früher zum Eigentum der Muttergesellschaft und wurde beispielsweise im Zuge einer Ausgliederung auf die Tochtergesellschaft übertragen, ohne den Tochtervorstand von der produktionsbedingten Bodenverschmutzung in Kenntnis zu setzen. Der ahnungslose Käufer dieses Grundstücks könnte Schadensersatzansprüche gemäß § 463 BGB wegen arglistigem Verschweigen eines Mangels nur geltend machen, wenn sich die Tochtergesellschaft die Kenntnis ihrer Muttergesellschaft zurechnen lassen müßte. Ohne eine Zurechnung der Kenntnisse würden die Ergebnisse in den Beispielsfällen den unserer Rechtsordnung zugrundeliegenden Vorstellungen von „Gerechtigkeit" widersprechen und wären daher abzulehnen. Ob auch in weniger eindeutigen Fällen eine Wissenszurechnung zu erfolgen hat, ist demgegenüber sehr fraglich. Muß sich beispielsweise die abhängige Gesellschaft schon aufgrund der bloßen konzernrechtlichen Verbundenheit das Wissen ihrer herrschenden Muttergesellschaft zurechnen lassen? Schneider 8 hat die Vermutung aufgestellt, daß eine Wissenszurechnung im Vertragskonzern, im qualifiziert faktischen Konzern und bei vollständiger oder teilweiser Organidentität stattfinde. Dagegen sei eine Zurechnung im einfach faktischen Konzern zweifelhaft 9. Bork ]0 hat hingegen die Vermutung geäußert, daß eine Wissenszurechnung allenfalls dann stattfinde, wenn ein Unternehmen 8
Schneider in Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 88a.
9 Auch Marsch-Barner/Diekmann dieser Vermutung angeschlossen. 10
Bork, ZGR 1994,237,256.
in MünchHdb. GmbH, § 44 Rn. 42, haben sich
§ 1 Einleitung
24
im Zuge einer arbeitsteiligen Konzernorgansisation die Möglichkeit der Kenntnisnahme auf ein anderes Unternehmen verlagert und sich dadurch der Kenntniserlangung organisatorisch entzogen habe. Das sich bei der Vielzahl unterschiedlichster Ausformungen konzernrechtlicher Verbundenheit eine so pauschale Antwort auf die Frage der Wissenszurechnung im Konzern finden läßt, erscheint indes sehr zweifelhaft und ist, wie zu zeigen sein wird, letztlich auch abzulehnen11. Erst Drexl hat neuerdings den Versuch einer differenzierteren Betrachtung unternommen 12.
B. Gang der Untersuchung Eine Schwierigkeit der Bearbeitung besteht darin, daß schon für die Wissenszurechnung innerhalb einer Gesellschaft nicht auf dogmatisch gesicherte Grundlagen zurückgegriffen werden kann. Das liegt vor allem daran, daß die Wissenszurechnung nur im Bereich der Stellvertretung (§166 BGB) und auch dort nur sehr unzulänglich positivrechtlich normiert ist 13 . So ist es beispielsweise umstritten, auf welcher dogmatischen Grundlage der juristischen Person das Wissen ihrer Organmitglieder zuzurechnen ist. Darüber hinaus ist nicht nur die dogmatische Herleitung umstritten, sondern auch der Umfang, in dem die Wissenszurechnung stattfinden soll. Muß sich zum Beispiel die Gesellschaft die Kenntnis eines bereits ausgeschiedenen oder verstorbenen früheren Organmitglieds zurechnen lassen?14 Oder ist ζ. B. eine Gesellschaft wissend im Sinne des gutgläubigen Erwerbs (§ 932 BGB), wenn ihr handelnder Filialleiter A in Hamburg gutgläubig, hingegen der unbeteiligte Filialleiter Β in München bösgläubig war? 15 Die Wissenszurechnung innerhalb einer Gesellschaft wirft folglich schon eine Vielzahl von Problemen auf, die allesamt Gegenstand eigenständiger Unter-
Es ging den Autoren wohl auch eher um das Aufwerfen einer Fragestellung als um deren Lösung. 12
Drexl, ZHR 161 (1997), 491 ff. Darauf wird an den gegebenen Stellen zurückzukommen sein. 13
Siehe dazu unten § 2 C. II. 1.
14
Vgl. dazu BGH, ZIP 1995, 1082; vgl. auch BGH, ZIP 1996, 500.
15
Vgl. dazu BGH, NJW 1989, 2879 ff.
Β. Gang der Untersuchung
25
suchungen sein könnten 16 . Die Wissenszurechnung innerhalb einer Gesellschaft ist jedoch Voraussetzung für eine Wissenszurechnung zwischen zwei (konzernverbundenen) Gesellschaften. Zum einen können der einen Gesellschaft nur solche Kenntnisse zugerechnet werden, die bei der anderen Gesellschaft tatsächlich vorhanden sind. Zum anderen kann der Umfang der Wissenszurechnung zwischen den Gesellschaften nicht über den Umfang der Zurechnung innerhalb einer Gesellschaft hinausgehen. Die Bestimmung des Umfangs der Wissenszurechnung innerhalb einer Gesellschaft ist daher für die Bestimmimg des Umfangs der Wissenszurechnung im Konzern von entscheidender Bedeutung. Aufgrund dieser Schwierigkeiten ergibt sich für die Untersuchung folgender Aufbau: Es bedarf zunächst einer Auseinandersetzung mit den für die Wissenszurechnung bedeutsamen grundlegenden Wertungen. Von diesen Erkenntnissen ausgehend, muß die Frage geklärt werden, mit welchen Wertungen die Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person begründet werden kann. Insbesondere ist zu klären, in welchem Umfang sich die juristische Person das Wissen der fur sie handelnden Personen zurechnen lassen muß. Dabei kann es jedoch nicht darum gehen, eine für alle Einzelfälle gültige Antwort zu finden. Vielmehr gilt es, allgemeingültige Kriterien zu finden, anhand derer sich die Lösungen der Einzelfälle zu orientieren haben. Besondere Aufmerksamkeit ist der Frage zu widmen, ob einer Gesellschaft das Wissen ihrer Gesellschafter zuzurechnen ist und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Diese Frage ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil das herrschende Unternehmen regelmäßig zugleich Gesellschafter ist. Ist schon das Wissen eines (einfachen) Gesellschafters der Gesellschaft zuzurechnen, so gilt dies erst recht, wenn es sich bei dem Gesellschafter um das herrschende Unternehmen im Konzern handelt. Um die Arbeit überschaubar zu halten, werden die näheren Untersuchungen auf die GmbH und die Aktiengesellschaft beschränkt, welchen auch als Rechtsformen eines Unternehmens im Konzern die größte Bedeutung zukommt. Im Anschluß an diese allgemeinen Ausführungen gilt es schließlich die Frage der Wissenszurechnung im Konzern anhand der gefundenen Erkenntnisse für die verschiedenen Konzernformen einzeln zu untersuchen. Dabei ist zunächst zu klären, an welche Formen der Konzernverbundenheit die gesetzlichen konzernrechtlichen Zurechnungsnormen für die Begründung der Zurech-
16
Vgl. beispielsweise die Dissertation Faßbenders, Die Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens. Faßbender vertritt dort die These, daß nur das Wissen der unmittelbar für die Gesellschaft handelnden Personen Berücksichtigung finden könne.
26
§ 1 Einleitung
nung anknüpfen, um so Anhaltspunkte für die Voraussetzungen einer Wissenszurechnung zu erhalten. Bei der sich daran anschließenden Untersuchung der Wissenszurechnung innerhalb der verschiedenen Konzernformen bedarf es einer Differenzierung nach der Intensität der tatsächlich ausgeübten Leitungsmacht. Betrachtet werden sollen insbesondere auch die Auswirkungen der Wissenszurechnung auf die jeweilige Konzernorganisation.
§ 2 Allgemeine Grundlagen Α. Die Zurechnung Obwohl der Begriff der Zurechnung in unserer Rechtsordnung nicht definiert ist, findet er doch in fast allen Rechtsgebieten als feste juristische Größe ständige Anwendung. Die mangelnde gesetzliche Definition läßt sich auf die Vielzahl unterschiedlichster Tatbestände zurückführen, die zugerechnet werden können1. Zugerechnet werden können ζ. B. Verhalten (§§ 31, 164, 278 BGB), Wissen (§ 166 BGB), tatsächliche Gewalt (§ 855 BGB), Arbeitnehmer (§ 5 MitbestG), Marktanteile (§ 23 GWB a.F.2), Gesellschaftsanteile (§ 16 Abs. 4 AktG) oder Stimmrechte (§ 22 WpHG). Darüber hinaus wird nicht nur im Zivilrecht (s. o.) von Zurechnung gesprochen, sondern auch im Strafrecht, wo ζ. B. gemäß § 14 StGB die besonderen persönlichen Eigenschaften oder Merkmale des Vertretenen bei der Anwendung eines entsprechenden Gesetzes dem Vertreter zugerechnet werden, und im öffentlichen Recht, wo beispielsweise das Verschulden des Vertreters dem Vertretenen nach § 32 Abs. 1 S. 2 VwVfG zugerechnet wird. Eine Definition der Zurechnung muß, soll sie nicht nur im Zusammenhang mit einer bestimmten Norm verwendbar sein, aufgrund dieser Vielfalt der Anwendungsbereiche zwangsläufig allgemein und abstrakt ausfallen.
I. Zurechnung als Kausalität Im klassischen Sinne wird von Zurechnung im Rahmen der Kausalität gesprochen. „Zurechnung (imputatio) in moralischer Bedeutung ist das Urteil, wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann Tat (factum) heißt und unter Gesetze steht, angesehen wird" 3 . In diesem Sinne 1
Siehe dazu auch Medicus, AT, Rn. 881 ff.
2
Vgl. § 36 Abs. 2 GWB in der Fassung vom 1.1.1999.
3
Kant, Metaphysik der Sitten, S. 31 (zitiert nach Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 60).
§ 2 Allgemeine Grundlagen
28
dient die Zurechnung als Abgrenzung zwischen der eigenen Tat und dem Zufälligen 4. Davon abzugrenzen ist die Zurechnungsfähigkeit, die insbesondere im Bereich der Schuld eine wesentliche Rolle spielt5, der aber in dieser Untersuchung keine weitere Beachtung zugemessen zu werden braucht.
I I . Zurechnung „fremder" Tatbestände Von Zurechnung im rechtlichen Sinne wird über diese klassische Bedeutung (als Kausalität) hinaus auch dann gesprochen, wenn der Tatbestand, der mit einem Rechtssubjekt verknüpft werden soll, von diesem gar nicht verursacht oder bezweckt war 6 . Die rechtliche Zurechnung ist demnach keine kausale oder teleologische Verknüpfung, sondern vielmehr die „Verknüpfung eines Seintatbestandes mit einem bestimmten Rechtssubjekt"7, wobei dieser Seintatbestand auch in dem Verhalten eines anderen Rechtssubjekts oder in einem objektiven Zustand bestehen kann8. Untersuchungsgegenstand soll hier nicht die klassische Zurechnung als kausale Verknüpfung, sondern nur die Zurechnung gerade fremden Verhaltens bzw. eines objektiven Zustande sein. Die Zurechnung erlangt ihre Bedeutung dadurch, daß bei dem Rechtssubjekt, dem ein Tatbestand zugerechnet wird, eine Rechtswirkung herbeigeführt wird, die ohne Zurechnung nicht eintreten würde. Zurechnung erfolgt daher immer nur im Hinblick auf eine Rechtsnorm (die sogenannte Bezugsnorm) und deren Rechtsfolgen 9. Es geht also um die Frage, inwieweit einem Rechtssubjekt, welches den Tatbestand einer Norm nicht selbst (vollständig) erfüllt, der anderweitig erfüllte Tatbestand zugerechnet werden kann mit der Folge, daß dieses Rechtssubjekt die in der Norm angeordneten Rechtsfolgen treffen. Ob das andere Rechtssubjekt den Tatbestand selbst vollständig oder nur teilweise erfüllt, ist unerheblich, 4
Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 60 spricht in diesem Zusammenhang von objektiver Zurechnung. 5
Vgl. dazu §§ 276 Abs. 1 S. 2, 827, 828 BGB; §§ 19, 20, 21 StGB.
6
Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre ( 1911 ), S. 72.
7
Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre ( 1911 ), S. 72.
8
Vgl. Binder, (1925), S. 722 f.; Bork, ZGR 1994, S. 237 f.; Kelsen, (1911), S. 73; Schilken, Wissenszurechnung, S. 4; H.J. Wolff, Organschaft und juristische Person Teil II, S. 141. 9
Canaris , Vertrauenshaftung, S. 468; Oldenbourg , Wissenszurechnung, S. 3.
Α. Die Zurechnung
29
wenn durch die Zusammenrechnung der von beiden Rechtssubjekten erfüllten Voraussetzungen der Tatbestand gänzlich erfüllt wird 10 . Um eine Verwechslung der verschiedenen, an der Zurechnung beteiligten Rechtssubjekte zu verhindern, soll im folgenden das Rechtssubjekt, dem die fremden Tatbestandsmerkmale zugerechnet werden, als Bezugssubjekt bezeichnet werden. Das andere Rechtssubjekt, dessen Tatbestandsmerkmale dem Bezugssubjekt zugerechnet werden, wird als Zurechnungssubjekt bezeichnet.
1. Zurechnungszweck Aus der Tatsache, daß die Zurechnung nur im Hinblick auf eine andere sogenannte Bezugsnorm erfolgt, läßt sich zugleich auf das Bestehen eines Zurechnungszwecks schließen. Zweck der Zurechnung ist stets, die Anwendung der Bezugsnormen vor einer Umgehung zu schützen, damit die darin getroffenen Rechtsfolgen nicht ins Leere laufen 11. So werden beispielsweise einem herrschenden Konzernunternehmen gemäß § 5 MitbestG die Arbeitnehmer verbundener Unternehmen bei der Berechnung der gemäß § 1 MitbestG erforderlichen Anzahl von Arbeitnehmern zugerechnet 12. Ohne die Zurechnung gemäß § 5 MitbestG könnte die in § 1 MitbestG gesetzlich vorgeschriebene Mitbestimmung durch eine Aufspaltung des Unternehmens oder durch Zwischenschaltung einer abhängigen Gesellschaft einfach umgangen werden. Es geht jedoch nicht allein darum, Mißbrauch zu verhindern. Vielfach ist die Zurechnung ein notwendiges und sinnvolles Korrektiv, um die Normanwendung überhaupt zu gewährleisten. Zum Beispiel wird gemäß § 278 BGB dem Geschäftsherrn das Verschulden seines Erfüllungsgehilfen zugerechnet, um so die Anwendung schuldrechtlicher Haftungsregeln zu sichern. Die Bestellung eines Erfüllungsgehilfen erfolgt regelmäßig nicht mit der Absicht, mögliche Haftungsrisiken zu umgehen. Sie dient dazu, die Erfüllung der vertraglichen Verbindlichkeiten zu sichern. Ganz besonders deutlich wird dies im Fall des § 164 BGB. Gemäß § 164 Abs. 1 BGB werden Willenserklärungen eines Stellvertreters dem Geschäftsherrn als eigene zugerechnet. Gleiches gilt gemäß § 164 Abs. 3 BGB auch für den Empfang von Willenserklärungen. Mittels dieser Zurechnungsnorm des § 164 BGB wird ein arbeitsteiliges Handeln über-
10
Vgl. ζ. B. die Regelungen des § 5 MitbestG und des § 23 Abs. 1 S. 2 GWB a.F.
11
Vgl. auch Bork, ZGR 1994, 237, 239.
12
Vgl. dazu auch unten § 3 Β. II. 1.
30
§ 2 Allgemeine Grundlagen
haupt erst ermöglicht 13 . Sie unterscheidet sich insofern von anderen Zurechnungsnormen. Dennoch dient auch sie der Sicherung der Anwendung der bezogenen Normen. Bezugsnormen sind in diesem Zusammenhang die Normen, welche die Abwicklung der durch die Willenserklärung des Vertreters begründeten Rechtsbeziehung regeln. Mit Mißbrauch hat dies alles nichts zu tun. Zurechnungszweck ist die Sicherung der Anwendung der Bezugsnormen 14. Damit ist freilich noch nicht geklärt, unter welchen Umständen eine solche Sicherung überhaupt erforderlich ist. Die Zurechnung darf nicht dazu dienen, die vom Gesetzgeber getroffenen Abgrenzungen und Wertungen einer Norm zu umgehen. Insbesondere ist die Gefahr einer willkürlichen Anwendung der Zurechnung zu verhindern.
2. Zurechnungsgrund Um eine solche Willkür auszuschließen, ist für jede Art der Zurechnung eine Beziehung zwischen dem Bezugssubjekt und dem Zurechnungssubjekt erforderlich 15 . Die Zurechnung darf nicht nur rein formaler Natur sein, sondern bedarf eines vernünftigen Grundes, der die Tatsache rechtfertigt, daß dem Bezugssubjekt Rechtsfolgen auferlegt werden sollen, obwohl es den entsprechenden Tatbestand nicht selbst erfüllt 16 . Fraglich ist, wie die Beziehung zwischen Bezugs- und Zurechnungssubjekt ausgestaltet sein muß, damit die Zurechnung im System des Rechts als gerechtfertigt angesehen werden kann. Aufgrund der Vielfalt der Zurechnungstatbestände kann keine Aussage darüber getroffen werden, daß eine bestimmte Verantwortung für alle Anwendungsbereiche der Zurechnung gleichermaßen als Grund ausreichend ist 17 . Die Bestimmung des erforderlichen Rechtfertigungs-
13
Vgl. dazu auch Medicus, AT, Rn. 881, der diesen Zusammenhang ausfuhrlich am Beispiel eines Warenhauses verdeutlicht. 14
Vgl. Bork, ZGR 1994, 237, 240.
15
Vgl. nur Canaris , Vertrauenshafhmg, S. 468.
16
Vgl. Binder, Philosophie des Rechts ( 1925), S. 722 f.
17
Vgl. dazu Canaris , Vertrauenshaftung, S. 473 ff, der ausfuhrt, daß die heutige Dogmatik vor allem drei Zurechnungsprinzipien enthalte: das Veranlassungsprinzip, das Verschuldensprinzip und das Risikoprinzip. Diese Erkenntnis hilft jedoch bei der Entscheidung im Einzelfall, insbesondere im konzernrechtlichen Zusammenhang, kaum weiter. Auf welches Prinzip sollte ζ. B. im Fall des § 5 MitbestG zurückgegriffen werden? Vgl. dazu unten § 3 Β. II. 1.
Α. Die Zurechnung
31
grunds kann sich aber an den Kriterien orientieren, die den gesetzlichen Zurechnungsnormen gemeinsam zugrunde liegen. Es sollen daher im folgenden die Gemeinsamkeiten der Zurechnungsnormen herausgearbeitet werden, um so einen Anhaltspunkt zur Bestimmung der Rechtfertigungskriterien zu erhalten.
a) Allgemeine Zurechnungsnormen Die Zurechnung wird rechtstechnisch im Regelfall durch sogenannte Zurechnungsnormen angeordnet. Für die hier interessierende Frage sind die Zurechnungsnormen des BGB und dort insbesondere die §§ 31, 164 ff., 278 BGB von entscheidender Bedeutung, da diese nicht auf einen speziellen Sachverhalt (wie ζ. B. § 5 MitbestG) beschränkt sind. Gemäß § 278 BGB wird dem Geschäftsherrn das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen zugerechnet. Hinter dieser Zurechnungsnorm steht der allgemeine Gedanke, daß derjenige, der die Vorteile aus einem arbeitsteiligen Handeln zieht, auch die sich daraus ergebenden Nachteile tragen muß 18 . Die vom Gesetzgeber vorgesehene Risikoverteilung, die auf das Handeln einzelner natürlicher Personen ausgelegt ist, wird durch das arbeitsteilige Handeln ins Ungleichgewicht (zu Lasten beteiligter Dritter) gebracht. Mittels der Zurechnungsnorm des § 278 BGB soll das auf Einzelpersonen ausgerichtete, austarierte Haftungssystem wiederhergestellt bzw. erhalten werden. Dieser allgemeine Gedanke liegt auch den Vorschriften der §§ 31, 164 ff. BGB zugrunde. Gemäß § 31 BGB wird der juristischen Person das Verhalten ihrer Organmitglieder sowie ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter zugerechnet 19. Gemäß § 164 BGB sind dem Vertretenen die Willenserklärungen seines Vertreters zuzurechnen. Auch durch diese Zurechnungsnormen wird eine Anpassung der Risikoverteilung an die sich aus der Arbeitsteilung ergebenden Verschiebungen erzielt. Die Besonderheit liegt darin, daß diese Normen ein arbeitsteiliges Handeln überhaupt erst ermöglichen. Im Bereich dieser allgemeinen Zurechnungsnormen läßt sich demnach feststellen, daß ein Rechtfertigungsgrund immer dann vorliegt, wenn der zuge18
Vgl. ζ. B. Motive in Mugdan, Bd. II, S. 16; BGHZ 62, 119, 124; 95, 128, 132; Battes in Erman, BGB, § 278 Rn. 1; Hanau in MünchKomm. BGB, § 278 Rn. 1; Heinrichs in Palandt, BGB, § 278 Rn. 1; Larenz, AT SchuldR, § 20 VIII, S. 297 f.; Löwisch in Staudinger, BGB, § 278 Rn. 1 ; ausfuhrlich Spiro, Die Haftung des Erfüllungsgehilfen, S. 51 ff., Wolf m Soergel, BGB, § 278 Rn. 1. 19
Zu den Besonderheiten im Zusammenhang mit der Zurechnung von Verhalten, Eigenschaften oder Wissen von Organmitgliedern der juristischen Person siehe unten § 2 D. II.
32
§ 2 Allgemeine Grundlagen
rechnete anderweitig erfüllte Tatbestand zum Geschäftskreis des Bezugssubjekts gehört. Das ist der Fall, wenn das Zurechnungssubjekt, dessen „Verhalten" im weiteren Sinn dem Geschäfitsherrn (Bezugssubjekt) zugerechnet wird, direkt und unmittelbar für diesen tätig ist. Die Zurechnung ist auf dieses für den Geschäftsherrn getätigte Verhalten beschränkt. Darin enthalten ist die Aussage, daß derjenige, der die Vorteile aus der arbeitsteiligen Handlung zieht, auch deren Nachteile tragen muß. Es findet eine Anpassung des arbeitsteiligen Handelns an die für das Handeln einer einzelnen natürlichen Person gesetzlich vorgeschriebene Risikoverteilung statt. Es stellt sich die Frage, ob ohne ein konkretes Tätigwerden im Geschäftskreis des Bezugssubjekts eine Zurechnung begründet werden kann und wie dann die Beziehung zwischen dem Bezugs- und Zurechnungssubjekt ausgestaltet sein muß.
b) Spezielle Zurechnungsnormen Neben diesen „allgemeinen" Zurechnungsnormen findet sich in unserer Rechtsordnung eine Vielzahl speziellerer Zurechnungsnormen. So werden gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 GWB a.F. bei der Berechnung der Umsatzerlöse der am geplanten Zusammenschluß beteiligten Unternehmen die Umsatzerlöse der mit ihnen verbundenen Konzernunternehmen zugerechnet. Eine ähnlich spezielle Norm stellt die bereits erwähnte Vorschrift des § 5 MitbestG dar. Bei § 71d S. 1 AktG handelt es sich um eine spezielle Zurechnungsnorm, wonach der Gesellschaft Aktien, die ein Dritter zwar im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft erworben hat, als eigene Aktien zugerechnet werden; diese Aktien fallen damit unter das Erwerbsverbot des § 71 AktG. Ganz allgemein läßt sich für diese Normen feststellen, daß der anderweitig erfüllte Tatbestand zum erweiterten Geschäftskreis des Bezugssubjekts gehört. Auch in diesen speziellen Zurechnungsfällen ist die Notwendigkeit der Anpassung an ein arbeitsteiliges Handeln als Zurechnungsgrund anzusehen. Unerheblich ist es, daß es sich bei dem Bezugssubjekt bei diesen Normen um eine juristische Person handelt. Zu beachten ist jedoch, daß das den Tatbestand erfüllende Zurechnungssubjekt außerhalb der juristischen Person (Bezugssubjekt) sein muß. Nicht darunter fallen folglich Zurechnungssubjekte (ζ. B. Organmitglieder), deren „Verhalten" allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur juristischen Person dieser zugerechnet werden 20. Im § 23 Abs. 1 S. 2 GWB a.F. und im § 5 MitbestG wird eine konzernrechtliche Verbundenheit zwischen dem Zurechnungs- und dem Bezugssubjekt als ausreichend erachtet, um den Zu20
Vgl. dazu unten § 2 D. II.
Α. Die Zurechnung
33
rechnungstatbestand zum erweiterten Geschäftskreis des Bezugssubjekts zu zählen. Die Konzernverbundenheit ist damit als Zurechnungsgrund anzusehen. Diese Vorschriften sind daher noch einer näheren Betrachtung zu unterziehen 21. Vor allem bedarf es dann einer genauen Untersuchung der Frage, wie intensiv die Konzernverbundenheit ausgestaltet sein muß, damit eine Zurechnung gerechtfertigt werden kann. Feststellen läßt sich aber schon an dieser Stelle, daß im Gegensatz zu den allgemeinen, die spezielleren Zurechnungsnormen als Rechtfertigungsgrund schon an „weniger" als das konkrete unmittelbare Tätigwerden des Zurechnungssubjekts für den Geschäftsherrn (Bezugssubjekt) anknüpfen.
c) Soziologische Betrachtung Der allgemeine Gedanke, daß die Zugehörigkeit zum Geschäftskreis des Bezugssubjekts als Zurechnungsgrund anzusehen ist, erklärt jedoch nicht in letzter Konsequenz, warum gerade das Bezugssubjekt die sich aus der Zurechnung ergebenden Nachteile tragen soll. Denkbar wäre es ebenfalls, nicht das Bezugssubjekt, sondern den Dritten das Risiko tragen zu lassen. Beispielsweise hat auch der Dritte ein Interesse daran, daß der Geschäftsherr Gehilfen zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten einsetzt, da überwiegend nur mittels der Gehilfenbestellung die Bedürfnisse des Dritten letztlich gedeckt werden können 22 . In älteren Abhandlungen über die Zurechnung wird daher auf eine soziologische Betrachtung zurückgegriffen, aus der sich ergebe, daß die Zurechnung eine Anpassung an die „arbeitsteilige Persönlichkeitserweiterung" des Handelnden darstelle 23. Dann wäre die sich aus der Zugehörigkeit des Zurechnungssubjekts zum Geschäftskreis des Bezugssubjekts ergebende Verantwortung des Bezugssubjekts gerade nicht nur die Rechtsfolge der Zurechnungsnormen 24, sondern würde vielmehr als deren Legitimation dienen. Auf diese soziologische Betrachtungsweise braucht allerdings nicht näher eingegangen werden, da jedenfalls das Gesetz die Zugehörigkeit zum Geschäftskreis des Bezugssubjekts als ausreichenden Zurechnungsgrund angesehen hat.
21
Siehe unten § 3 B.
22
So Oldenbourg, t Wissenszurechnung, S. 42.
23
Vgl. dazu die ausfuhrlichen Abhandlungen bei Brodmann, Iherings Jahrbuch 58 (1911), S. 187 ff., 221 ff. und v. Gierke , Genossenschaftstheorie (1887), S. 803 f. Siehe dazu auch Oldenbourg , Wissenszurechnung, S. 42 f. 24
3 Schüler
So aber Bork, ZGR 1994, 237, 239.
34
§ 2 Allgemeine Grundlagen
Ι Π . Die Zurechnung als Rechtsanwendungstechnik Die Frage nach der Zurechnung von Tatbestandsmerkmalen stellt sich nur im Zusammenhang mit der Anwendung einer bestimmten Norm (Bezugsnorm) 25 . Bei der Zurechnung handelt es sich daher um eine Rechtsanwendungstechnik, die ihre systematische Stellung nach der Auslegung der Norm hat 26 . Findet eine Norm aufgrund eines fehlenden bzw. defizitären Tatbestandsmerkmals keine Anwendung und handelt es sich dabei um eine Regelungslükke, so stellt sich zunächst die Frage, ob dieses Problem nicht durch die Auslegung einzelner Tatbestände überwunden werden kann. Der Auslegung einer Norm sind jedoch, insbesondere durch den Wortlaut enge Grenzen gesetzt27. Ist eine Norm trotz Auslegung nicht anwendbar, so ist dann danach zu fragen, ob der defizitäre Tatbestand nicht durch eine Zurechnung „geheilt" werden kann. Die Zurechnung hat die Vervollständigung des defizitären Tatbestands zum Ergebnis, mit der Folge, daß die bezogene Norm unmittelbare Anwendung findet. Zum Beispiel: Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 5.12.198328 ausgesprochen, daß derjenige einem gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbsverbot (§112 HGB) unterliege, der als Muttergesellschaft eines Gesellschafters beherrschenden Einfluß auf die Gesellschaft nehmen könne. Zunächst stellt sich die Frage, ob ein solches (sachgerechtes) Ergebnis nicht durch eine extensive Auslegung der entsprechenden Norm (§112 HGB) erreicht werden könnte (Gesellschafter im Sinne des § 112 HGB ist auch derjenige, der ... .) 29 . Es ist jedoch sehr zweifelhaft, ob sich eine solche Auslegung mit dem Wortlaut vereinbaren ließe. Daher ist weiter danach zu fragen, ob nicht der Muttergesellschaft die ihr fehlende Gesellschaftereigenschaft zugerechnet werden kann, und zwar dadurch, daß sie sich die Gesellschaftereigenschaft der von ihr beherrschten Tochter zurechnen lassen muß 30 . Darüber hinaus wäre eine analoge
25
Siehe oben § 2 Α. II.
26
Ausführlich dazu Bork, ZGR 1994, 237, 241 f.
27
Larenz, Methodenlehre, S. 343.
28
BGHZ 89, 162 ff.
29
Siehe als Beispiel für eine solche Auslegung BGHZ 102, 95, 102 ff.
30
So Paschke, AG 1988, 196, 197 und Wiedemann! Hirte, ZGR 1986, 163, 165.
Α. Die Zurechnung
35
Anwendung der Vorschrift auf Nichtgesellschafter denkbar, welche die Gesellschaft über einen von ihnen beherrschten Gesellschafter beherrschen 31. Da die Analogie aber regelmäßig einen defizitären Tatbestand voraussetzt 32, geht ihr die Zurechnung systematisch vor, da der defizitäre Tatbestand gerade durch die Zurechnung vervollständigt wird 33 . Es gilt zu beachten, daß sich im Rahmen der Zurechnung die Frage nach einer analogen Anwendung bestimmter Zurechnungsnormen stellen kann. Die Frage der analogen Anwendung einer Zurechnungsnorm ist dabei streng von der Frage der (analogen) Anwendbarkeit der Bezugsnormen zu unterscheiden. Beispiel: Im Rahmen der Wissenszurechnung stellt sich die Frage der Anwendbarkeit der jeweiligen Wissensnorm als Bezugsnorm, ζ. B. § 932 BGB. Hat eine Hilfsperson des Geschäftsherrn beim Empfang einer Sache Kenntnis von der Nichtberechtigung des Veräußerers, der erwerbende Geschäftsherr hingegen nicht, so ist fraglich, ob dieser die Sache gemäß § 932 BGB gutgläubig erwerben konnte. Eine Auslegung der Norm des § 932 BGB fuhrt zu keinem Ergebnis 34. Auch die Zurechnungsnorm des § 166 BGB bringt kein Ergebnis, weil diese unmittelbar nur im Bereich der rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen Anwendung findet. Fraglich ist, ob diese Zurechnungsnorm des § 166 BGB nicht analog angewendet werden kann 35 . Diese Analogie ist von der Frage nach einer möglichen analogen Anwendung des § 932 BGB als Bezugsnorm zu trennen.
IV. Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Zurechnung dazu dient, das Recht an die sich aus einer Arbeitsteilung im weitesten Sinne ergebenden Veränderung anzupassen, um so zu billigen Ergebnissen zu gelangen, indem ver-
31
So Immenga, JZ 1984, 578 f.; Löffler,
32
Zur Analogie siehe Larenz, Methodenlehre, S. 383 ff.
33
So auch Bork,, ZGR 1994, 237, 241.
NJW 1986, 223, 225.
34
Anders aber ζ. B., wenn es sich beim Veräußerer um einen Alleingesellschafter der erwerbenden Gesellschaft handelt. In diesen Fällen findet eine teleologische Reduktion der Wissensnorm auf tatsächliche Verkehrsgeschäfte statt, so jedenfalls die ganz herrschende Meinung. Vgl. nur Bassenge in Palandt, BGB, § 892 Rn. 5 ff. m.w.N. A.A. aber Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 266 ff. 35
Dafür die ganz herrschende Meinung, vgl. nur Schramm in MüKo, BGB, § 166 Rn. 26,31 m.w.N. 3*
§ 2 Allgemeine Grundlagen
36
gleichbare Sachverhalte tatsächlich gleich behandelt werden. Eine Rechtfertigung der Zurechnung kann nicht allgemein, sondern immer nur im Hinblick auf die konkret anzuwendende Bezugsnorm bestimmt werden. Im Zusammenhang mit der hier zu untersuchenden Wissenszurechnung bedarf es daher einer genaueren Betrachtung der bezogenen Wissensnormen.
B. Das Wissen Das Wissen oder die Kenntnis 36 wird an vielen Stellen unserer Rechtsordnung für rechtserheblich erklärt. Als rechtserheblich wird etwas dann bezeichnet, wenn es alleine oder zusammen mit anderen Umständen eine Rechtswirkung herbeifuhrt 37. Dies gilt sowohl fur das Privatrecht als auch fur das öffentliche Recht und das Strafrecht. Solche gesetzliche Normen, bei denen der Eintritt der Rechtsfolge von dem Vorliegen oder NichtVorliegen bestimmter Kenntnisse abhängig ist, werden als Wissensnormen bezeichnet. Dem Wissen wird vielfach das „Wissenmüssen" gleichgestellt, worunter die fahrlässige bzw. grob fahrlässige Nichtkenntnis der rechtserheblichen Tatsachen zu verstehen ist 38 . Ausgehend von dieser Tatsache stellt sich die Frage, was überhaupt das Wissen oder die Kenntnis einer Person ist 39 . V. Thür hat das Wissen als „die Vorstellung einer Tatsache als einer sicher vorhandenen" definiert 40 . Andere bezeichnen das Wissen als eine psychologische Funktion, die auf Wahrheit oder Wirklichkeit eines Sachverhaltes gerichtet ist 41 . Sie kann sowohl durch äußere Ereignisse als auch durch geistige Vorgänge hergestellt werden. Die Problematik der Wissenserfassung liegt darin, daß das Wissen als ein Bewußtseinszustand der juristischen Erfassung nicht unmittelbar zugänglich
36
Diese Begriffe sind synonym, ebenso die Begriffe „Wissenmüssen" und „Kennenmüssen". Vgl. Oldenbourg , Wissenszurechnung, S. 1. 37
Vgl. nur Enneccerus/Nipperdey,
Allg. Teil des BGB, Bd. I 2, § 136 II, S. 860.
38
Soweit im Rahmen der Untersuchung nicht ausdrücklich eine Differenzierung vorgenommen wird, werden das „Wissen" und das „Wissenmüssen" unter dem Begriff „Wissen" zusammengefaßt. 39
Vgl. dazu auch Faßbender,
Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens,
S. 14 ff. 40
V. Thür,, Allgemeiner Teil des BGB, Bd. II 1 (1914), § 49 S. 130.
41
So die von Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 8 verwendete Definition.
Β. Das Wissen
37
ist 42 . Es bedarf hierzu eines Rückgriffs auf die allgemeinen Erfahrungsregeln Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten sowie die Frage, ob die verwandten Definitionen den Erfordernissen der Praxis genügen, können jedoch hier unberücksichtigt bleiben 44 .
I. Rechtserheblichkeit Interessant ist demgegenüber die Frage, in welcher Form das Wissen in unserer Rechtsordnung rechtserheblich wird. Bei der Untersuchung dieser Frage ist festzustellen, daß das Wissen teilweise für sich genommen ausreicht, zum Teil die Verbindung mit anderen Tatbestandsmerkmalen notwendig ist, um eine entsprechende Rechtsfolge auszulösen. Festzustellen ist ebenfalls, daß die einzelnen Wissensnormen unterschiedliche Rechtsfolgen an die Kenntnis knüpfen. Es bietet sich daher eine Einteilung 45 der Wissensnormen in Fallgruppen
1. Fristenlauf Bei den Normen dieser Fallgruppe ist die Kenntnis eines bestimmten Umstands ausreichend, um eine Verjährungsfrist in Gang zu setzen. So beispielsweise in den Fällen der §§ 121 Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 2 S. 1, 626 Abs. 2 S. 2, 852 Abs. 1, 2082 Abs. 2, 2283 Abs. 2 BGB, in den Fällen der §§ 6 Abs. 1 S. 2, 20 Abs. 1, 24 Abs. 2, 27 Abs. 2, 70 Abs. 2 S. 2 W G , oder beim § 586 Abs. 2 S. 1 ZPO, oder im öffentlichen Recht bei §§ 48 Abs. 2, 51 Abs. 3 VwVfG und im Strafrecht ζ. B. bei § 77 b Abs. 2 S. 1 StGB.
42
Siehe Bohrer, DNotZ 1991, 124, 127; vgl. dazu auch die Ausführungen Faßbenders, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 140 ff. 43
Vgl. Bohrer, DNotz 1991, 124, 127; Medicus, Karlsruher Forum 1994, S. 4, 6.
44
Siehe dazu Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 5 ff., der sich ausführlich mit diesen Problemen auseinandersetzt. Das Wissen wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung als vorhanden (nach welcher Definition auch immer) vorausgesetzt. 45
Als Grundlage dient dabei eine bereits von Medicus, Karlsruher Forum 1994, S. 4 f. getroffene Einteilung. 46
Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll nur die Vielzahl der Wissensnormen verdeutlichen.
43
.
38
§ 2 Allgemeine Grundlagen
2. Verschlechterung der Rechtsstellung Bei den Normen dieser zweiten Fallgruppe tritt eine unmittelbare Verschlechterung der Rechtsstellung aufgrund der Kenntnis ein, so ζ. B. bei den §§ 819 Abs. 1, 990 BGB. Hierzu gehören die Fälle der §§ 16 ff. W G . Gleichfalls zu dieser Fallgruppe zu rechnen ist die Norm des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Auch solche Normen gehören dazu, bei denen die Verschlechterung der Rechtsstellung darin liegt, daß der Betroffene aufgrund seiner Kenntnis ein Recht nicht erwirbt, das ihm sonst zustünde: So beispielsweise in den Fällen des Gutglaubenserwerbs §§ 892 Abs. 1, 932 ff., 2366 BGB, § 366 HGB oder in den Fällen der §§ 439 Abs. 1, 460, 539, 640 Abs. 2 BGB, in denen der Betroffene keine Gewährleistungsrechte erwirbt. In diese Fallgruppe gehören die sogenannten Vertrauenstatbestände, wie z. B. § 173 BGB, § 15 HGB, sowie die Fälle der Duldungs- und Anscheinsvollmacht, wonach dem Betroffenen ein Vertrauen voraussetzendes Recht aufgrund seiner Kenntnis von der Nichtberechtigung nicht gewährt wird.
3. Wissen und Arglist Anders liegen die Fälle der dritten Gruppe, bei denen die Kenntnis nur ein Bestandteil der Arglist ist, wie z. B. bei §§ 123, 443, 463 S. 2, 476, 477 Abs. 1, 540, 637, 638 Abs. 1 S.l BGB. Insbesondere beim „arglistigen Verschweigen" ist regelmäßig die Kenntnis des verschwiegenen Umstands erforderlich, so daß diese Normen zu den Wissensnormen gezählt werden können. Rechtsfolgen der Arglist sind eine Schadensersatzhaftung, die Unwirksamkeit von Hafhingsausschlüssen oder der Ausschluß verkürzter Verjährungsfristen.
4. Wissen und Vorsatz Auch in der letzten Fallgruppe ist das Wissen nur ein Bestandteil des Vorsatzes, wie z. B. bei § 826 BGB. Hierunter fallen auch die Strafnormen (mit Ausnahme der Fahrlässigkeitsdelikte), denn der Vorsatz setzt die Kenntnis der tatbestandsverwirklichenden Umstände voraus.
Π . Konsequenzen für die Untersuchung Bei der Untersuchung der Wissenszurechnung ergeben sich für die beiden letzten Fallgruppen besondere Schwierigkeiten. So stellt sich gerade in den Zurechnungsfallen die Frage, inwieweit die verschiedenen Komponenten des Tatbestands, nämlich das Wissen auf der einen und das der Arglist und dem
Β. Das Wissen
39
Vorsatz immanente voluntative Element auf der anderen Seite, in einer Person vorliegen müssen. Kann eine Wissenszurechnung ζ. B. im Fall des § 463 S. 2 BGB auch dann erfolgen, wenn der rechtsgeschäftlich handelnde Vertreter keine Kenntnis von der Mangelhaftigkeit und der wissende Geschäftsherr keine Kenntnis von der Vornahme des Rechtsgeschäfts hatte?47 In einem solchen Fall läge bei keiner der beiden Personen ein arglistiges Verhalten vor. Vielfach wird daher die Ansicht vertreten, daß in diesen Fällen das Vorliegen der Arglist abzulehnen sei 48 . Nach anderer Ansicht könne bei einer solchen Fallkonstellation auf das Motivierungselement verzichtet werden, so daß die Vorschrift des § 463 S. 2 BGB Anwendung finde. Diese Auffassung wird damit begründet, daß die Täuschung vermieden worden wäre, wenn der Käufer nicht mit einem gutgläubigen Vertreter, sondern mit dem wissenden Geschäftsherrn verhandelt hätte49. Diese Auffassung überzeugt allerdings nicht. Auch im Fall arbeitsteiligen Handelns kann nicht einfach auf bestimmte Tatbestandsmerkmale einer Norm verzichtet werden. Die Normen der beiden letzten Fallgruppen finden in einer solchen Fallkonstellation daher nur Anwendung, wenn sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind, wenn der wissenden Person noch ein arglistiges oder vorsätzliches Verhalten vorzuwerfen ist 50 . In dem Beispielsfall wäre dies gegeben, wenn der wissende Geschäftsherr Kenntnis von der Vornahme des Rechtsgeschäfts gehabt hätte bzw. hätte haben müssen51. Bei der Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person bestehen diese Schwierigkeiten aber regelmäßig nicht, da die bei verschiedenen Personen vorhandenen Komponenten der Arglist oder des Vorsatzes in der fiktiven
47
Vgl. hierzu BGH, NJW 1995, 2159; BGH, ZIP 1996, 500 sowie LG München, ZIP 1988, 924. Ähnlich auch BGHZ 109, 327 ff; BGH, ZIP 1996, 548. 48
So Flume , AT, § 52 5 d, S. 871 ff.; ders., AcP 197 (1997), 441 ff. Flume führt aus (AcP 197 (1997), 441, 451), daß zwar eine Arglist abzulehnen, jedoch im Wege einer Rechtsfortbildung eine Haftung auf Schadensersatz für Fahrlässigkeit beim Verkauf einer fehlerhaften Sache anzunehmen sei. Reinersdorf,\ WiB 1996, 395, 396; Schilken, Wissenszurechnung, S. 35 f. Auch Waltermann, NJW 1993, 889, 893 hält eine Zurechnung in diesen Fällen nach der bisherigen Gesetzeslage nicht für möglich. Er fordert daher eine gesetzliche Neuregelung. 49
Müller-Freienfels, Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 420. Unbeachtet blieb dieses Problem hingegen im Fall des LG München, ZIP 1988, 924. Vgl. zu dieser Problematik auch die sehr anschauliche Darstellung von Reinking/Kippeis, ZIP 1988, 892 ff., 895. 50 51
So auch Flume , AcP 197 ( 1997), 441,442 ff.
Flume , AcP 197 (1997), 441, 443, hält die Arglist nur dann für gegeben, wenn wirkliche Kenntnis vorliegt, grobe Fahrlässigkeit sei nicht ausreichend.
§ 2 Allgemeine Grundlagen
40
Gestalt der juristischen Person gebündelt und dementsprechend alle Voraussetzungen von einer Person erfüllt werden 52. Beispiel: Organmitglied A kennt die Mangelhaftigkeit, hat aber keine Kenntnis von dem bevorstehenden Verkauf durch das unwissende Organmitglied B. Hinsichtlich des vorzunehmenden Rechtsgeschäfts ist die juristische Person immer als wissend anzusehen. Soweit sich die juristische Person auch noch die Kenntnis des Organmitglieds A von der Mangelhaftigkeit zurechnen lassen muß 53 , liegen die sämtliche Voraussetzungen der Arglist bei der juristischen Person vor. Da sich die Untersuchung auf die juristischen Personen (GmbH und AG) beschränkt, bedarf diese Besonderheit der beiden letzten Fallgruppen bei der Wissenszurechnung letztlich keiner weiteren Beachtung. Die Untersuchung bezieht sich folglich auf alle Wissensnormen gleichermaßen, zumal sich die Frage der Wissenszurechnung im Konzern gerade im Zusammenhang mit der Arglist besonders häufig stellen dürfte.
Π Ι . Sinn und Zweck der Wissensnormen Ausgehend von der Feststellung, daß die Zurechnung den Zweck verfolgt, die Anwendung der Bezugsnormen und deren ratio legis zu erhalten 54, stellt sich die Frage, was der Sinn und Zweck der Wissensnormen ist. Zweifelhaft erscheint, ob sich eine solche ratio legis für alle Wissensnormen einheitlich bestimmen läßt. Sicherlich muß die Formulierung einer gemeinsamen ratio legis aller Wissensnormen sehr allgemein ausfallen. Gemein ist den Wissensnormen, daß sie in einem bestehenden Rechtsverhältnis für eine angemessene Verteilung möglicher Risiken sorgen 55.
52
Vgl. BGHZ 109, 327, 330 f.; BGH, WM 1995, 1145, 1146 f. = NJW 1995, 2159. Dieser Aspekt wird von Flume , AcP 197 (1997), 441 ff., übersehen. 53
Zu den Voraussetzungen einer solchen Zurechnung innerhalb der juristischen Person siehe unten § 2 D. II. 2. d) bb). 54
Siehe oben § 2 Α. II. 1.
55 Die Einbindung des Wissens innerhalb eines bestehenden Rechtsverhältnisses wird insbesondere von Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 18 f., hervorgehoben, der darin den Ansatz für eine Wissensberücksichtigung sieht.
Β. Das Wissen
41
1. Möglichkeit des Selbstschutzes In allen Fällen bewirkt das Vorliegen der rechtserheblichen Kenntnis eine Verschlechterung der Rechtsposition des Betroffenen. Als Betroffener wird derjenige bezeichnet, auf dessen Kenntnis die jeweils anzuwendende Wissensnorm abstellt. Bewirken die Wissensnormen eine Verschlechterung der Rechtsstellung im Fall der Kenntnis, so folgt daraus im Umkehrschluß, daß gerade durch die Wissensnormen dem Betroffenen ein gesetzlicher Schutz bei Nichtkenntnis gewährt wird. Dieser gesetzlich gewährte Schutz kommt dem Betroffenen zugute, wenn er sich aufgrund seiner Gutgläubigkeit bzw. aufgrund fehlender Kenntnis nicht selbst schützen konnte 56 . Die Wissensnormen dienen daher, entgegen dem ersten Eindruck, in erster Linie dem Schutz des Betroffenen. Die durch die Wissensnorm angeordnete Rechtsfolge hängt von der Möglichkeit des Selbstschutzes des Betroffenen ab. Dem wird neuerdings von Faßbender entgegengehalten, daß schon die Annahme, das Wissen als etwas Nachteiliges zu begreifen, allgemeiner Anschauung widerspräche 57. Dabei verkennt Faßbender jedoch, daß es zum einen in diesem Zusammenhang nicht um das Wissen an sich, sondern nur um das im Sinne der Wissensnormen relevante Wissen geht. Zum anderen handelt es sich aber tatsächlich auch nicht einmal bei dem im Sinne der Wissensnormen rechtserheblichen Wissen um etwas Nachteiliges. Denn das rechtserhebliche Wissen beinhaltet zugleich die Fähigkeit, sich gegen mögliche, nicht gewünschte Rechtsfolgen durch entsprechendes Handeln zu schützen. Der Betroffene braucht daher bei Kenntnis nicht durch besondere gesetzliche Normen geschützt zu werden. Zudem dürften die sich durch die Kenntnis ergebenden Schutzmöglichkeiten vielfach gegenüber dem sich aus den Wissensnormen ergebenden Schutz vorteilhafter sein. Da das Gesetz davon ausgeht, daß der Betroffene die rechtserheblichen Kenntnisse nicht zu haben braucht, bedarf es des gesetzlichen Schutzes, wenn er sich gerade aufgrund der fehlenden Kenntnis nicht schützen konnte. Des weiteren ist festzustellen, daß auch Faßbender an anderer Stelle zugibt, daß der Gedanke des Selbstschutzes dem flexiblen Zusammenspiel des § 166 Abs. 1 und Abs. 2 BGB entspreche und das eine solche Betrachtung selbst nach seiner Ansicht zu vertretbaren Ergebnissen führen würde 58 .
56
So auch Richardis AcP 169 (1969), 385, 390 und insbesondere Schilken, Wissenszurechnung, S. 53 ff. 57
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 20 f.
58
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 89.
42
§ 2 Allgemeine Grundlagen
Beispielsweise beginnen die Fristen in den Fällen § 121 Abs. 1 S. 1, § 626 Abs. 2 S. 2 oder § 852 Abs. 1 BGB erst dann zu laufen, wenn der Betroffene Kenntnis von den entsprechenden Umständen bekommen hat. Solange er unwissend ist, wird er geschützt. Danach hat er die Möglichkeit, sich aufgrund der Kenntnis selbst zu schützen und eine Anfechtung (§121 Abs. 1 S. 1 BGB), eine Kündigung (§ 626 Abs. 2 S. 2 BGB) oder einen Schadensersatzanspruch (§ 852 Abs. 1 BGB) geltend zu machen. Er bedarf bei Kenntnis keines gesetzlichen Schutzes. Ebenso verhält es sich im Interessenkonflikt zwischen dem tatsächlichen Eigentümer und dem Erwerber beim Erwerb vom Nichtberechtigten. Gerade diesen Fall des gutgläubigen Erwerbs fuhrt Faßbender als Argument an, um den Gedanken des Selbstschutzes als verfehlt abzulehnen, da dem Nichtberechtigten ein Vorteil zukäme, der dem Wissenden ( Bösgläubigen) versagt bliebe 59 . Wieso Faßbender hierin ein Argument gegen den Gedanken des Selbstschutzes sieht, bleibt unklar 60 . Der wissende Betroffene hätte sich selbst schützen und zum Beispiel vom Kauf Abstand nehmen oder sich die Einwilligung des tatsächlichen Eigentümers einholen können. Das nur der Unwissende den Schutz des möglichen gutgläubigen Erwerbs erfährt, liegt gerade daran, daß er aufgrund seiner Unwissenheit schutzbedürfitig ist und der gutgläubige Erwerb den besten Schutz gewährt. Das dem Unwissenden durch den gesetzlichen Schutz im Einzelfall ein wirtschaftlicher Vorteil zukommen kann, den der Wissende trotz seiner Kenntnisse nicht erzielen kann, ist für die Bestimmung des Sinn und Zwecks der Wissensnormen unerheblich. Gleichfalls stehen dem Betroffenen die Gewährleistungsrechte (§§ 439 Abs. 1, 460, 539, 640 Abs. 2 BGB) nicht zu, wenn er bereits Kenntnis von dem Vorliegen des entsprechenden Mangels gehabt hat. In diesem Fall verdient das Interesse des Vertragspartners den Vorzug, denn der Betroffene hätte sich selbst vor einem Verlust der Gewährleistungsrechte schützen können. Soweit es um die Verschlechterung der Rechtsstellung geht (§§819 Abs. 1, 990 BGB), ist festzustellen, daß den Betroffenen aufgrund der Kenntnis seiner „fehlerhaften" Rechtsstellung eine erhöhte Sorgfaltspflicht und ein erhöhtes Risiko treffen. Hatte er diese Kenntnis nicht, wird er durch das Gesetz geschützt.
59 60
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 21.
Jedenfalls kann es nicht daran liegen, daß der Gedanke des Selbstschutzes, wie Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 20, meint, „schwer verständlich" ist.
Β. Das Wissen
43
Diesem Aspekt des Selbstschutzes ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes immanent61. In den Fällen des Gutglaubenserwerbs wird der Zweck, das Vertrauen des Betroffenen in den Erwerb des Eigentums zu schützen, offensichtlich. Ist der Rechtsscheintatbestand des Veräußerers nur auf bloßem Besitz begründet (§ 932 BGB), so verliert der betroffene Erwerber seinen Schutz schon dann, wenn er die Nichtberechtigung grob fahrlässig nicht kannte. Beruht der Rechtsscheintatbestand auf einer Eintragung im Grundbuch (§ 892 BGB), so verliert er seinen Schutz erst bei positiver Kenntnis der Nichtberechtigung. Sein Vertrauen bedarf aufgrund der amtlichen Eintragung in einem solchen Fall eines verstärkten Schutzes. Genauso liegt das Prinzip des Vertrauensschutzes den Fällen des Ausschlusses der Gewährleistungsrechte zugrunde, denn auch hier ist der Betroffene in seinem Vertrauen auf die Mangelfreiheit der Sachen geschützt62. Der Vertrauensschutz als entscheidender Grundgedanke des Bürgerlichen Rechts ist bereits vielfach behandelt worden und zudem eine höchst umfassende sowie umstrittene Materie. Insbesondere wird der Gedanke des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit dem Haftungsrecht unter dem Stichwort der Vertrauenshaftung diskutiert 63 . Es ist daher sinnvoll, im Zusammenhang mit dem Zweck der Wissensnormen nur vom Selbstschutz als dem entscheidenden Grundgedanken zu sprechen, um möglichen Verwechslungen vorzubeugen 64, wobei der Vertrauensschutz von diesem Gedanken mit erfaßt sein soll. Bei den Zurechnungsfragen geht es gerade (noch) nicht um eine Haftung, da die Frage der Zurechnung unabhängig von der Schuldfrage zu beantworten ist. Zudem führt der Verlust des Schutzes und, damit einhergehend, die Verschlechterung der Rechtsstellung nicht zwangsläufig zu einem tatsächlichen Vermögensnachteil. Hat beispielsweise der (bösgläubige) Betroffene ein Grundstück vom Nichtberechtigten erworben, so wäre es möglich, daß er im Fall der Rückabwicklung den vollen Kaufpreis zurückerhielte und sich dafür ein gleichwertiges, anderes Grundstück kaufen könnte. Der Betroffene würde in einem solchen Fall also nur das Insolvenzrisiko des nichtberechtigten Verkäufers tragen.
61
So auch v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens, S. 23 f.; Wetzel , Die Zurechnung des Verhaltens, S. 48; allgemein zum Vertrauensschutz Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, S. 92 ff. 62
Unverständlicherweise ist Schilken, Wissenszurechnung, S. 53 der Ansicht, daß diese Fälle nicht auf dem Grundsatz des Vertrauensschutzes beruhen. 63
Grundlegend hierzu Canaris , Vertrauenshaftung, passim.
64
Im Ergebnis ebenso Schilken, Wissenszurechnung, S. 54.
§ 2 Allgemeine Grundlagen
44
2. Drittinteresse Dem Schutz des Betroffenen steht im Rahmen der angemessenen Risikoverteilung der Schutz der beteiligten Dritten gegenüber. Im Einzelfall, je nach Wissensnorm, kann es dabei um den Schutz des Geschäftspartners (ζ. B. im Fall des Ausschlusses der Gewährleistungsrechte gemäß §§ 439, 460, 539, 640 Abs. 2 BGB), um den Schutz eines Dritten (ζ. B. beim gutgläubigen Erwerb §§ 892, 932 ff. BGB) oder sogar um den Schutz der Allgemeinheit gehen (ζ. B. im Fall der Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO) 65 . Es kann aufgrund dieser Unterschiedlichkeit der betroffenen Interessen nicht von einem einheitlichen Schutzinteresse gesprochen werden. Das ändert aber nichts an dem Grundsatz, daß das von Norm zu Norm unterschiedliche Interesse der beteiligten Dritten nur bei fehlender oder eingeschränkter Selbstschutzmöglichkeit des Betroffenen zurückzustehen hat. Festzustellen ist daher, daß der Gesetzgeber mittels der Wissensnormen eine Risikoabwägung getroffen hat, die sich primär an der Schutzbedürftigkeit des Betroffenen orientiert. In diesem Zusammenhang erklärt sich auch die Gleichstellung der „Kenntnis" mit dem „Kennenmüssen". Der Betroffene ist aufgrund seiner (grob) fahrlässigen Nichtkenntnis genausowenig schutzwürdig wie bei positiver Kenntnis.
3. Verschulden Vielfach wird aufgrund der Gleichstellung der Kenntnis mit dem Kennenmüssen, insbesondere im Zusammenhang mit der Bösgläubigkeit beim Eigentumserwerb (§§ 932 ff. BGB) und beim unrechtmäßigen Besitzerwerb (§ 990 BGB), die Ansicht vertreten, daß es sich bei den Wissensnormen um eine Sanktion für eine Form schuldhaften Verhaltens handle66. Ein solcher Gedanke liegt vor allem deshalb nahe, weil das Kennenmüssen an den Vorwurf der Fahrlässigkeit 67 geknüpft ist. Teilweise wird in diesem Zusammenhang daher auch von einer „Nachforschungspflicht" des Betroffenen gesprochen 68.
65
Vgl. Schilken, Wissenszurechnung, S. 52.
66
Vgl. die Ausführungen von Oldenbourg , Wissenszurechnung, S. 14 ff; Rabe, Bösgläubigkeit des Besitzdieners, S. 84 ff; Schilken, Wissenszurechnung, S. 54 ff; Wetzel , Die Zurechnung des Verhaltens, S. 46 ff. 67
Die Unterscheidung zwischen grobfahrlässiger und nur fahrlässiger Nichtkenntnis kann in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden. 68
So ζ. B. Mühl in Soergel, BGB, § 932 Rn. 17; Weyer, NJW 1966, 959.
Β. Das Wissen
45
Träfe diese Auffassung zu, so hätte dies konkrete Auswirkungen auf die Frage der Zurechnung. Würde es sich tatsächlich um eine Sanktion für eine Form schuldhaften Verhaltens handeln, so wäre eine unmittelbare Anwendung der §§ 31, 278 BGB, nach denen das Verhalten einer Person einer anderen zugerechnet werden kann, durchaus denkbar. Einer solchen Auffassung liegen jedoch falsche Annahmen zugrunde. Auszugehen ist von der Überlegung, daß es sich beim Wissen zunächst nur um einen reinen Bewußtseinszustand handelt69. Der Bewußtseinszustand als solcher kann jedoch nach keiner der bestehenden Rechtswidrigkeitslehren selbst Gegenstand eines Schuldvorwurfs sein70. Vielmehr bedarf es dafür noch eines nach außen hin wirkenden Verhaltens, sei es in Form einer Handlung oder auch in Form einer pflichtwidrigen Unterlassung. Bewirkt die Kenntnis für sich genommen schon eine Verschlechterung der Rechtsposition bzw. wird allein durch die Kenntnis ein vorgesehener Rechtsvorteil ausgeschlossen, so kann man schwerlich von einem Verschulden sprechen71. Dem wird teilweise entgegengehalten, daß es in diesen Fällen um eine Obliegenheitsverletzung gehen könnte 72 . „Die Obliegenheit ist dadurch gekennzeichnet, daß an ein tatbestandlich bestimmtes Verhalten des Obliegenheitsbelasteten eine diesem rechtlich nachteilige Rechtsfolge geknüpft ist, die nicht in einem Erföllungsanspruch oder einem Schadensersatzanspruch wegen Obliegenheitsverletzung besteht" 73. R. Schmidt spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „analog rechtswidrigen Verhalten", auf das die Wertungen des Gesetzgebers auszudehnen wären 74. Beim Wissen oder Wissenmüssen handelt es sich jedoch gerade nicht um ein Verhalten, sondern lediglich um einen Bewußtseinszustand. Es bedürfte daher noch einer weiteren Konstruktion, um diesen Einwand umgehen zu können. So hat Oldenbourg die Auffassung vertreten, daß nicht auf das Wissen als Zustand abzustellen sei, sondern auf den zum Wissen führenden Akt der Kenntniserlangung 75. Würde man diese sehr
69
Siehe oben § 2 B.
70
Rabey Bösgläubigkeit des Besitzdieners, S. 88 f.
71
Vgl. Schilken, Wissenszurechnung, S. 54.
72
So tatsächlich Rabe, Bösgläubigkeit des Besitzdieners, S. 89 ff.
73
R. Schmidt, Die Obliegenheiten, S. 315.
74 So R. Schmidt, Die Obliegenheiten, S. 206, 318; vgl. auch schon Möller, WiuRdVers 1938, 5, 6; ders., Verantwortlichkeit, S. 12. 75
Oldenbourg, Wissenszurechnung, S. 15.
46
§ 2 Allgemeine Grundlagen
zweifelhafte Konstruktion anerkennen 76, so könnte tatsächlich von einem Verhalten gesprochen werden. Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß dieser Akt der Kenntniserlangung zeitlich weit zurückliegen kann. Für die eventuelle Obliegenheitsverletzung kommt es aber allein auf die im Augenblick der Tatbestandsverwirklichung bestehende subjektive Situation an. Unerheblich ist, wie es zu diesem subjektiven Zustand gekommen ist 77 . Dies zeigt sich besonders deutlich im Fall der Zurechnung: Worin sollte die Obliegenheitspflicht bestehen, wenn die Kenntnis schon längst vorliegt? Es könnte dann lediglich eine Pflicht bestehen, aufgrund der Kenntnis bestimmte Handlungen vorzunehmen bzw. zu unterlassen; es besteht aber keine Pflicht zur Kenntniserlangung an sich 78 . Etwas anders könnte sich für den Fall des Wissenmüssens ergeben, wenn die Kenntnis zwar nicht vorhanden ist, aber hätte vorhanden sein müssen. Gegen die Qualifizierung des Kennenmüssens als Verhalten spricht deren gesetzliche Gleichstellung mit der positiven Kenntnis 79 . Dafür, daß zwischen beiden „Zuständen" eine Differenzierung erfolgen sollte, lassen sich im Gesetz keine Anhaltspunkte finden. Hinter dem Tatbestand des Kennenmüssens steht eine dem Verkehrsschutz dienende Interessenabwägung, bei der es ebensowenig um ein Verschulden geht wie im Fall positiver Kenntnis 80 . Gegen eine Qualifizierung als schuldhaftes Verhalten oder Verletzung einer „Nachforschungspflicht" spricht auch die Tatsache, daß keine Haftungsfolgen an eine Verletzung geknüpft werden, wie das sonst regelmäßig im Gesetz der Fall ist 81 . Hat beispielsweise der Betroffene (grob) fahrlässig Nichtkenntnis von der Nichtberechtigung des Verkäufers gehabt, so ist er nicht zum Schadensersatz verpflichtet, sondern verliert nur die Möglichkeit des Eigentumserwerbs
76
Ablehnend mit ausfuhrlicher Begründung Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 19 f. 77
So schon Wetzel , Die Zurechnung des Verhaltens, S. 47; vgl. auch Schilken, Wissenszurechnung, S. 55. 78
Vgl. Wetzel , Die Zurechnung des Verhaltens, S. 48; auch Möller, WiuRdVers 1938, 5, 10; Oldenbourg , Wissenszurechnung, S. 56 f.; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 388; Schilken, Wissenszurechnung, S. 55. 79
Siehe Wetzel , Die Zurechnung des Verhaltens, S. 48; vgl auch Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 111 ff. 80
Schilken, Wissenszurechnung, S. 56 f.; Wetzel , Die Zurechnung des Verhaltens,
S. 49. 81
Ähnlich auch Faßbender, S. 111 ff., 115.
Berücksichtigung innerbetrieblichen
Wissens,
Β. Das Wissen
47
gemäß § 932 BGB. Oder hat der Betroffene im Sinne des § 122 BGB fahrlässig Nichtkenntnis von dem Vorliegen eines Anfechtungsgrunds gehabt, so muß er nicht dafür haften, sondern verliert nur seinerseits die Möglichkeit, gemäß §122 Abs. 1 BGB einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Es tritt nur eine Verschlechterung der Rechtsstellung, aber keine Haftungsfolge für den Betroffenen ein. Eine Pflicht gegenüber Dritten besteht demnach gerade nicht. Es kann auch nicht von einer Nachforschungspflicht gesprochen werden 82. Eine „Pflicht" besteht für den Betroffenen nicht einmal gegenüber sich selbst. Es bleibt bei der Feststellung, daß es sich sowohl bei der positiven Kenntnis als auch beim Kennenmüssen um einen Bewußtseinszustand handelt und die Wissensnormen dazu dienen, eine am Selbstschutz orientierte Risikoverteilung vorzunehmen, um so zu einem interessengerechten Ergebnis zu gelangen. Sie sind, wie schon die Zurechnungsnormen, Teil eines austarierten Rechtssystems. Bei den Wissensnormen der ersten beiden Fallgruppen handelt es sich demnach nicht um eine Sanktion für schuldhaftes Verhalten, so daß auch eine unmittelbare Anwendung gemäß §§31, 278 BGB für die Zurechnung des Wissens nicht in Betracht kommt. Lediglich bezüglich der Wissensnormen der beiden letzten Fallgruppen 83 könnte von einem schuldhaften Verhalten gesprochen werden. Bei den zu diesen Fallgruppen zählenden Wissensnormen ist das Wissen Bestandteil der Arglist oder des Vorsatzes, welche ein Handeln rechtswidrig werden lassen. Bei diesen Wissensnormen ist es aber erst das Zusammenspiel des Wissens mit dem, der Arglist und dem Vorsatz immanenten voluntativen Element, die ein schuldhaftes Verhalten begründen. Soweit es daher ausschließlich um die Zurechnung des Wissens geht, kann nicht von einer Zurechnung schuldhaften Verhaltens gesprochen werden. Ebenfalls begründen diese Normen keine Nachforschungspflicht. Erst die positive Kenntnis im Zusammenhang mit einer weiteren Handlung kann zu einer Pflichtverletzung führen 84. Im Ergebnis ist festzustellen, daß es sich bei den Wissensnormen, jedenfalls hinsichtlich des Wissens an sich, nicht um eine Sanktion für schuldhaftes Verhalten handelt.
Mit ausfuhrlicher Begründung ebenso Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 111 ff., 115. 83
Siehe oben § 2 Β. I. 3. und 4.
84
Vgl. Flume , AcP 197(1997), 441, 449.
48
§ 2 Allgemeine Grundlagen
C. Wissenszurechnung Wurden in den vorstehenden Abschnitten die Zurechnung und das Wissen jeweils getrennt voneinander untersucht, so gilt es nun diese beiden Komponenten der „Wissens" - „Zurechnung" in Zusammenhang zu bringen und das Wissen als Zurechnungsgegenstand zu betrachten. Im Zusammenhang mit der Anwendung der Wissensnormen stellt sich die Frage, auf wessen Wissen bei der Beurteilung der rechtserheblichen Wissensumstände abzustellen ist. Die Wissensnormen geben keine Auskunft darüber, ob neben dem Wissen des Betroffenen noch das Wissen weiterer Personen Berücksichtigung findet. Vor allen Dingen geben sie keine Auskunft darüber, wie das Verhältnis zwischen diesen Personen ausgestaltet sein muß, wie stark ihre Verbundenheit sein muß, damit eine Zurechnung gerechtfertigt ist und der durch die Wissensnormen gewährte Schutz für den Betroffenen eingeschränkt werden kann. Sie stellen, dem System des Bürgerlichen Rechts entsprechend, nur auf das Handeln einer einzelnen natürlichen Person ab. In diesen,Ausgangsfällen" ergeben sich keine Schwierigkeiten 85; es ist nur das Wissen dieser handelnden Person zu berücksichtigen. Schwierigkeiten ergeben sich erst dann, wenn mehrere Personen an den entsprechenden Handlungen beteiligt sind. So geht beispielsweise aus § 932 BGB nicht hervor, ob sich die Beurteilung der Bösgläubigkeit nach dem Kenntnisstand des handelnden Vertreters oder des Geschäftsherrn oder sogar nach beiden richtet.
I. Wissen als Zurechnungsobjekt Keine Schwierigkeiten bereitet zunächst die Feststellung, daß die Kenntnis als solche überhaupt Gegenstand einer Zurechnung sein kann. Zweifel könnten sich höchstens daraus ergeben, daß die allgemeinen Zurechnungsnormen §§31, 164, 278 BGB ausschließlich an das menschliche Verhalten anknüpfen und sogar im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 166 BGB vereinzelt bezweifelt wird, daß es sich um eine tatsächliche Wissenszurechnungsnorm handelt86. Auch Oldenbourg 87 spricht nur von der Zurechnung menschlichen Verhaltens Von möglichen Beweisschwierigkeiten einmal abgesehen. Siehe dazu schon oben § 2 B. 86
So insbesondere Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 26 ff. und Wilhelm, AcP 183 (1983), 1, 19. Vgl. dazu die Ausführungen zum § 166 BGB, §2C. II. 1. 87
Oldenbourg , Wissenszurechnung, S. 9.
C. Wissenszurechnung
49
und hilft sich für die Wissenszurechnung damit, daß er das Wissen dem menschlichen Verhalten zuordnet. Abgesehen davon, daß eine solche Zuordnung abzulehnen ist, da es sich beim Wissen nur um einen Bewußtseinstatbestand handelt und gerade nicht um ein Verhalten 88, können neben dem menschlichen Verhalten beispielsweise Marktanteile (§ 23 Abs. 1 S. 2 GWB a.F.), Gesellschaftsanteile (§ 16 Abs. 4 AktG) oder Arbeitnehmer (§ 5 MitbestG) zugerechnet werden 89. Die Zurechnung ist demnach keineswegs auf menschliches Verhalten als Zurechnungsobjekt beschränkt 90. Es kann daher nicht ernsthaft in Frage stehen, daß auch das Wissen an sich als Zurechnungsobjekt taugt.
I I . Wissenszurechnungsnormen Als gesetzliche Wissenszurechnungsnorm kommt (im wesentlichen) die Vorschrift des § 166 BGB in Betracht. Die Rechtsordnung enthält noch an anderer Stelle Vorschriften (z. B. im § 19 W G 9 1 ) , die eine Aussage darüber enthalten, auf wessen Wissen es für die Beurteilung der rechtserheblichen Umstände ankommt. Beim § 166 BGB handelt es sich jedoch um die wichtigste Wissenszurechnungsnorm, da sie, anders als z. B. § 19 W G , der sich auf das Versicherungsvertragsrecht beschränkt, nicht auf einen bestimmten Sachverhalt beschränkt, sondern von allgemeiner zivilrechtlicher Bedeutung ist. Es bedarf an dieser Stelle einer genaueren Untersuchung der Wissenszurechnungsnorm des § 166 BGB daraufhin, ob sich neben dem bereits festgestellten allgemeinen Zurechnungsgrund, Anpassung an eine arbeitsteilige Persönlichkeitserweiterung 92 , noch weitere Kriterien zur Rechtfertigung der Wissenszurechnung finden lassen.
1. Die Vorschrift des § 166 BGB Als Zurechnungsnorm dient auch die Vorschrift des § 166 BGB dem Zweck, die Anwendung der bezogenen Normen zu sichern 93. Konkret bedeutet das die 88
Siehe oben § 2 B. III.
89
Siehe oben § 2 A.
90
Schilken, Wissenszurechnung, S. 6 hält dieses Problem daher für die Wissenszurechnung auch fur unerheblich. 91
Ausfuhrlich dazu, wenn auch unter anderem Vorzeichen Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 66 ff. 92
Siehe oben § 2 A. II. 2.
93
Vgl. dazu oben § 2 A. II. 1.
4 Schüler
§ 2 Allgemeine Grundlagen
50
Sicherung der Anwendung der Wissensnormen, welche ihrerseits wiederum dem Selbstschutz des Betroffenen mit dem Ziel einer angemessenen Risikoverteilung in einem schon bestehenden Rechtsverhältnis dienen. Die Wissenszurechnung fuhrt demnach gleich zu einer zweifachen vom Gesetz vorgenommenen Interessenabwägung. Die Vorschrift des § 166 BGB hat ihre systematische Stellung im Recht der Stellvertretung, §§ 164 ff. BGB. Durch die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit der Stellvertretung wird der Handlungsspielraum der am Rechtsverkehr teilnehmenden Personen erheblich erweitert. Überhaupt wird erst durch das Instrument der Stellvertretung ein modernes Wirtschaftsleben ermöglicht. Um diesem Wirtschaftsleben gerecht zu werden, bedarf es gewisser gesetzlicher Anpassungen an die auf das Handeln von einzelnen natürlichen Personen ausgerichteten Normen.
a) § 166 BGB als „logische Konsequenz" der Stellvertretung Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist die Regelung des § 166 BGB eine „logische Konsequenz" aus der Anerkennung der Repräsentationstheorie 94. Nach der Repräsentationstheorie 95 ist, im Gegensatz zur Geschäftsherrntheorie96, der Vertreter als der rechtsgeschäftlich Handelnde anzusehen. Der Vertreter repräsentiere den Vertretenen im Rahmen der ihm erteilten Vollmacht, und seine Willenserklärungen werden als Willenserklärungen des Vertretenen behandelt97. Dieser Theorie folgend, wird gemäß der gesetzlichen Regelung der 94
Motive in Mugdan, Bd. I, S. 226. Dem folgend auch Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des BGB, Bd. I 2, § 182 II 1 oder v. Thür, Allgemeiner Teil BGB, Bd. II 2, § 84 II. Vgl. auch Schramm in MüKo, BGB, § 166 Rn. 1, der von einer „Frucht der Repräsentationstheorie" spricht. 95
Zu deren Vertretern gehörten vor allem Buchka, Die Lehre von der Stellvertretung bei der Eingehung von Verträgen (1852); Curtius , AcP 58 (1875), 69, 86 ff.; Hupka, Die Vollmacht (1900), S. 38 ff.; Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, (1867), § 73; vgl. dazu auch Müller-Freienfels, Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 15 ff.; Roth, FS Gaul, S. 585 f. und Schilken, Wissenszurechnung, S. 9 ff. 96
Die Vertreter der Geschäftsherrntheorie, als deren Begründer v. Savigny, Obligationenrecht II (1853), §§ 54 ff. sowie System des heutigen Römischen Rechts (1840), § 113, S. 90 ff. gilt, sahen den Vertretenen als den rechtsgeschäftlich Handelnden an, der sich des Vertreters dabei nur als Vermittler bediene. 97
Neben diesen beiden Theorien wurde auch noch eine vermittelnde Theorie vertreten (vgl. insbesondere Mitteis, Die Lehre von der Stellvertretung (1885), S. 109 ff), nach der das Rechtsgeschäft in Zusammenwirkung von Vertreter und Vertretenem vollzogen wird.
C. Wissenszurechnung
51
§§164 ff. BGB das Rechtsgeschäft allein vom Vertreter vorgenommen, die Rechtsfolgen betreffen aber allein den Vertretenen 98. § 166 BGB nur als logische Konsequenz der Repräsentationstheorie anzusehen, hätte zur Folge, daß § 166 BGB keine über die Stellvertretung hinausgehenden Wertungen entnommen werden könnten. Die Vorschrift entspräche dem allgemeinen System des bürgerlichen Rechts, das auf das Handeln einer einzelnen natürlichen Person angelegt ist, hier des Vertreters. In eine ähnliche Richtung gehen auch die Ausführungen Wilhelms und neuerdings Faßbenders. Wilhelm 99 und Faßbender 100 behaupten, daß es sich bei §166 BGB nicht einmal um eine Wissenszurechnungsnorm handle. Es werde nur das Rechtsgeschäft des Vertreters dem Vertretenen zugerechnet, nicht aber das Wissen an sich. Faßbender führt in seiner umfangreichen Auseinandersetzung mit der Norm aus, daß sich der Regelungsauftrag des § 166 BGB auf eine bloße deklaratorische Feststellung beschränke 101. Von dieser Annahme ausgehend hat Faßbender 102 einen ganz eigenen Ansatz entwickelt. So vertritt Faßbender die Ansicht, daß die Rechtsordnung gar keine isolierte Wissenszurechnung vorgesehen habe. Das Wissen finde lediglich als Begleitumstand des Verhaltens Berücksichtigung. Ein Geschäftsherr müsse sich demnach nur das Wissen der tatsächlich für ihn handelnden Personen gemäß der Vorschriften über die Verhaltenszurechnung (insbesondere §§ 31, 164, 278 BGB) „zurechnen" lassen103. Es ist gilt daher an dieser Stelle zu klären, ob es sich bei § 166 BGB nur um eine rein deklaratorische Norm handelt oder, ob die Norm nicht doch die Zurechnung von Wissen eigenständig anordnet.
98 Soweit heute noch bzw. wieder über die Repräsentationstheorie diskutiert wird, so geht es im Anschluß an die von Müller-Freienfels, Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 202 ff. gemachten Ausführungen vor allem darum, ob die Bevollmächtigung nicht doch entgegen der Repräsentationstheorie ein essentielles Element des Vertretergeschäfts ist. Vgl. dazu den Überblick bei Leptien in Soergel, BGB, Vor § 164 Rn. 11 ff.
4*
99
Wilhelm, AcP 183 (1983), 1,19.
100
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 26 ff., 34, 47.
101
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 34.
102
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, passim.
103
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, passim.
§ 2 Allgemeine Grundlagen
52
b) § 166 BGB als Ausdruck einer wertenden Wissenszurechnung Zunehmend wird die Ansicht vertreten, die Vorschrift des § 166 BGB sei nicht nur die logische Konsequenz der Repräsentationstheorie bzw. eine rein deklaratorische Norm, sondern vielmehr Ausdruck einer umfassenden wertenden Wissenszurechnung 104. In seiner Analyse der Norm fuhrt Faßbender aus, daß schon der Wortlaut der Norm gegen die Qualifizierung als Zurechnungsbestimmung spreche 105. Auffällig sei zunächst, daß in der Norm selbst das Wort „Zurechnung" nicht verwendet werde. Jedoch gibt er selbst zu, daß daraus keine Schlüsse gezogen werden könnten, da das Gesetz auch an anderer Stelle (ζ. B. bei §§ 31, 164, 278 BGB) das Wort „Zurechnung" vermieden habe 106 . Des weiteren fuhrt Faßbender aus, daß § 166 Abs. 1 BGB vom Wortlaut her keine Zurechnungsbestimmung, sondern eine strikte Beibehaltung des Trennungsprinzips enthalte, da Abs. 1 zugleich bestimme, daß das Wissen des Vertretenen unberücksichtigt bleibe 107 . Faßbender verkennt bei dieser Betrachtung allerdings, daß es einer Zurechnung nicht widerspricht, wenn der vom Bezugssubjekt selbst erfüllte Zurechnungstatbestand aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung nicht zu berücksichtigen ist und statt dessen ihm der vom Zurechnungssubjekt erfüllte Zurechnungstatbestand zugerechnet wird. Aus welchem Grund der Tatbestand beim Bezugssubjekt unvollständig im Sinne der Bezugsnormen ist, bleibt unerheblich. Entscheidend ist allein die Tatsache, daß dem Bezugssubjekt entsprechend § 166 Abs. 1 BGB das Wissen des Vertreters zuzurechnen ist. Die Negativbestimmung des Abs. 1, wonach das Wissen des Vertretenen unberücksichtigt zu bleiben hat, wird zudem durch § 166 Abs. 2 BGB durchbrochen. Abs. 2 wäre als eine der logischen Konsequenz widersprechende Ausnahmeregelung anzusehen, die erforderlich wäre, um wertungswidrige Widersprüche zu verhindern. Faßbender verweist diesbezüglich auf den Wortlaut des Abs. 2, wonach sich der Vertretene im Fall der Weisungserteilung und eigener Kenntnis nicht auf die Unkenntnis des Vertreters „berufen" kann. Diese Formulierung deute darauf hin, daß es sich bei Abs. 2 nicht um eine materielle Durchbrechung des Trennungsprinzips handle, sondern dieses „nur vorsichtig
104
So ausdrücklich Leptien in Soergel, BGB, § 166 Rn. 1; Müller-Freienfels, Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 392; Richardis AcP 169 (1969), 385, 387,395 ff.; Schilken, Wissenszurechnung, S. 11; ders. in Staudinger, BGB, § 166 Rn. 1; Schramm in MüKo,, BGB, § 166 Rn. 2; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 197. 105
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 27 ff, 32.
106
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 28.
107
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 29.
C. Wissenszurechnung
53
mit Blick auf eine prozessuale Situation zurücknimmt" 108 . Faßbender selbst gibt jedoch zu Bedenken, daß allein aus der verwendeten Formulierung „sich berufen können" nicht auf eine rein prozessuale Bestimmung geschlossen werden kann 109 . Verfehlt ist auch die Annahme Faßbenders, daß Wissen des Vollmachtgebers trete im Fall der Weisungserteilung im Sinne des Abs. 2 an die Stelle des Vertreterwissens 110. Das Wissen des Vertreters ist dem Vollmachtgeber unabhängig von der Weisungserteilung in jedem Fall zuzurechnen, da dem Vertreter nach wie vor die Entscheidung über das „ob" des betreffenden Rechtsgeschäfts obliegt 111 . Zuzugeben ist den Ausführungen Faßbenders zwar, daß es sich bei der Vorschrift des § 166 BGB um eine zu § 164 BGB akzessorische Norm handelt, da sie mit dem Recht der Stellvertretung verhaftet ist 112 . Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß es sich bei § 166 BGB nicht um eine echte Wissenszurechnungsnorm handelt. So widerspricht sich Faßbender auch selbst, wenn er zum einen aussagt, daß die Zurechnung der Willenserklärung gemäß § 164 BGB bereits die Zurechnung der Bewußtseinslage, sprich des Wissens mit umfasse, auf der anderen Seite aber davon spricht, daß die Vorschrift des § 166 BGB die Zurechnung gemäß § 164 BGB ergänze 113. Zudem ist es mehr als zweifelhaft, daß der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 166 eine rein deklaratorische Norm schaffen wollte. Vielmehr ist festzustellen, daß gemäß § 166 BGB die Zurechnung gerade über das Rechtsgeschäft hinaus, auf die die Willenserklärung begleitenden Umstände, erweitert wird 1 1 4 . Insbesondere Richardi 115 hat ausführlich dargelegt, daß es keineswegs zwingend sei, daß die Übertragung der rechtlichen Wirkungen des vom Vertreter abgeschlossenen Rechtsgeschäfts auf den Vertretenen auch hinsichtlich der Begleitumstände, wie Willensmängel und Kenntnisse, erfolgen muß und daß die Willensmängel und Kenntnisse des Ver108
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 32.
109
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 32.
110
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 46 f.
111
Vgl. nur Brox in Erman, BGB, § 166 Rn. 14; Schilken in Staudinger, BGB, § 166 Rn. 35. 112
So schon Oldenbourg , Wissenszurechnung, S. 10 ff.; vgl. auch Richardi, AcP 169 (1969), 385, 387; Wilhelm, AcP 183 (1983), 1, 19. 113
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 33.
114
Vgl. auch Westerhoff
115
Richardi, AcP 169 (1969), 385, 395 ff.
y Organ und (gesetzlicher) Vertreter, S. 51.
54
§ 2 Allgemeine Grundlagen
tretenen unberücksichtigt bleiben sollen. Wenn der Vertreter beispielsweise eine bestimmte Ware für den Geschäftsherrn kauft und sich dabei über eine wesentliche Eigenschaft dieser Ware im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB irrt, der Geschäftsherr aber nicht, so ist es gerade nicht selbstverständlich, daß nur auf die Kenntnis des Vertreters abzustellen ist und dem Geschäftsherrn somit die Möglichkeit der Anfechtung einzuräumen ist. Festzustellen ist somit, daß die Vorschrift des § 166 BGB nicht nur die logische Konsequenz der Repräsentationstheorie ist. Das wird auch von Faßbender selbst eingeräumt 116. Nicht richtig ist allerdings seine Annahme, daß der Gesetzgeber erst durch die Anerkennung der direkten Stellvertretung die Möglichkeit geschaffen habe, die Kenntnisse des Vertreters zu berücksichtigen 117. Es wäre ebenfalls denkbar, auch die Kenntnisse eines einfachen Vermittlers dem Geschäftsherrn zuzurechnen. Des weiteren ist festzuhalten, daß es sich bei der Vorschrift des § 166 BGB um eine echte Wissenszurechnungsnorm mit einer materiellen Zurechnungsfolge handelt. Die Vorschrift ist das Ergebnis einer umfassenden Wertung unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen 118, wobei die einzelnen Wertungen im folgenden näher betrachtet werden sollen. Damit ist zugleich die Ausgangsthese Faßbenders widerlegt, daß es eine rechtliche Verankerung der Wissenszurechnung nicht gibt. Die Feststellung, daß die Wissenszurechnung immer im Zusammenhang mit einem bestimmten Verhalten stehen muß, ergibt sich schon aus dem Erfordernis einer jeden Zurechnung nach einem Rechtfertigungsgrund 119. Desertieren ist auch die Aussage Faßbenders no als unzutreffend abzulehnen, wonach es kein Bedürfnis für eine isolierte Wissenszurechnung gebe. Darauf wird noch später einzugehen sein 121 .
116
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 37.
117
So aber Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 39.
118 Vgl. Leptien in Soergel, BGB, § 166 BGB Rn. 1; Müller-Freienfels, Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 392; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 395 ff.; Schilken, Wissenszurechnung, S. 11; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 197. 119
Siehe oben § 2 Α. II. 2.
120
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 75 ff.
121
Siehe unten § 2 D. II. 2 d).
C. Wissenszurechnung
55
aa) Anpassung an die arbeitsteilige Persönlichkeitserweiterung Der Vertretene, der sich als Verantwortlicher über den Vertreter am Rechtsverkehr beteiligt und dem somit die Vorteile der Arbeitsteilung zugute kommen, muß die mit Willensmängeln und Kenntnissen verbundenen möglichen Nachteile tragen 122 . Dies entspricht der oben bereits getroffenen Feststellung, daß die Zurechnung regelmäßig eines Rechtfertigungsgrunds bedarf. Die Zurechnung kann eben nicht nur rein formaler Natur oder nur eine „logische Konsequenz" sein. Dem § 166 Abs. 1 BGB liegt die allgemeine Rechtfertigung zugrunde, eine Anpassung an die arbeitsteilige Persönlichkeitserweiterung zu gewährleisten und dadurch eine angemessene Risikoverteilung herzustellen. Dem Vertretenen wird das erhöhte Risiko zugewiesen, welches er durch die Einschaltung eines Vertreters geschaffen hat: Er entzieht sich durch die Einschaltung des Vertreters selbst der Möglichkeit der Kenntnisnahme, wodurch sich das Risiko erhöht, daß sein durch die Wissensnormen gewährter Schutz versagt. Er hat es aber in der Hand, das ihm zufallende vermehrte Risiko zu beherrschen 123. Dem stehen das Risiko und die Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners gegenüber 124. Dieser kommt in der Regel nur mit dem Vertreter in Kontakt und muß sich daher auf dessen Kenntnisstand verlassen können 125 . Kannte der Vertreter beispielsweise einen Mangel einer gekauften Sache, so muß der Verkäufer darauf vertrauen dürfen, daß er keinen Gewährleistungsforderungen ausgesetzt wird (§ 460 S. 1 BGB). Das Risiko hat der Vertretene zu tragen, da er den Vertreter zu sorgfältiger und ordnungsgemäßer Ausführung seiner Vollmachtsrechte hätte anhalten bzw. sich einen fähigen Vertreter hätte suchen müssen.
bb) Entscheidungsfindung Aus der negativen Regelung des § 166 Abs. 1 BGB und dem Abs. 2 läßt sich über diesen allgemeinen Zurechnungsgedanken hinaus noch eine weitere, wissensspezifische Wertung entnehmen:
122
Vgl. dazu oben § 2 Α. II. 2.
123
Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 197 bezeichnet die Riskozuweisung als den maßgeblichen Wertungsgesichtspunkt. 124 125
Darauf abstellend insbesondere Grunewald, FS Beusch, S. 301, 304 ff.
Demgegenüber bleibt dieser Aspekt bei der Irrtumszurechnung unberücksichtigt, vgl. ausführlich dazu Roth, FS Gaul, S. 585, 589 f.
§ 2 Allgemeine Grundlagen
56
Dem negativen Regelungsinhalt des Abs. 1 entsprechend ist ausschließlich das Wissen des Vertreters für die Beurteilung der rechtserheblichen Umstände entscheidend, wenn dieser eigenverantwortlich und selbständig über den Abschluß des Rechtsgeschäfts bestimmt. Die Norm wird nach ganz überwiegender Ansicht unter diesem Gesichtspunkt der selbständigen Entscheidungsfindung auf vertreterähnliche Personen analog angewandt126. Den Vertretenen treffen zwar die Rechtsfolgen, er hat aber mit der eigentlichen Entscheidungsfindung nichts zu tun. Er ist deshalb im Sinne der Wissensnormen in vollem Umfang schutzwürdig, da er sich aufgrund der mangelnden Kenntnis vom konkreten Rechtsgeschäft nicht selbst schützen konnte. Das Vertrauen des beteiligten Vertragspartners erfordert auch keinen weitergehenden Schutz, da sich dieser nur auf den Kenntnisstand des mit ihm in Kontakt stehenden Vertreters verlassen durfte. Gemäß Abs. 2 ändert sich das dann, wenn der Vertretene seinerseits durch die Erteilung von Weisungen auf die Entscheidungsfindung des Vertreters Einfluß nimmt. In diesem Fall hat der Vertretene sehr wohl Kenntnis davon, daß sein Wissen rechtserheblich ist. Er ist daher nicht mehr schutzbedürftig. Unerheblich ist dabei, ob der beteiligte Vertragspartner von der erteilten Weisung und damit von dem Umstand, der die Berücksichtigung des Wissens des Vertretenen erst begründet, Kenntnis hatte. Darüber hinaus muß das Wissen des Vertretenen selbst dann berücksichtigt werden, wenn er zwar keine direkte Weisung erteilt hat, jedoch von der Vornahme des entsprechenden Rechtsgeschäfts Kenntnis erlangt und trotz zumutbarer Möglichkeit den Vertreter nicht aufgeklärt bzw. das Rechtsgeschäft nicht verhindert hat 127 . Denn auch in einem solchen Fall ist die Schutzbedürftigkeit des Vertretenen abzulehnen.
2. Zwischenergebnis Festzuhalten gilt die Erkenntnis, daß es sich bei der Vorschrift des § 166 BGB nicht um eine rein deklaratorische Norm handelt. Vielmehr enthält die Vorschrift eine eigene Zurechnungsanordnung, die die Zurechnung gemäß § 164 BGB auf die Wissensumstände erweitert. § 166 BGB stellt sich auch
126
Vgl. ζ. B. BGHZ 83, 293, 296; BGH, NJW 1985, 2583; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 397; Schultz, NJW 1990,477,478. 127
Vgl. BGHZ 51, 141, 145; Brox in Erman, BGB, § 166 Rn. 12; Lehmann/Hübner, § 36 IV 3 b; Leptien in Soergel, BGB, § 166 Rn. 28; Schilken, Wissenszurechnung, S. 66 ff; ders. in Staudinger, BGB, § 166 Rn. 33; Schramm in MüKomm, BGB, § 166 Rn. 40;
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
57
nicht als logische Konsequenz der Repräsentationstheorie dar, sondern als das Ergebnis einer umfassenden Wertung: Zum einen soll gemäß § 166 BGB, entsprechend dem allen Zurechnungsnormen zugrundeliegenden Rechtfertigungsgrund, eine Anpassung an das arbeitsteilige Handeln erzielt werden, um so eine systemgerechte Interessenabwägung zu gewährleisten. Zum anderen läßt sich aus dem Zusammenwirken der Abs. 1 und 2 die wissensspezifische Wertung entnehmen, daß es für die Beurteilung der rechtserheblichen Umstände in einem arbeitsteiligen Prozeß immer auf denjenigen ankommt, der tatsächlich die Entscheidung trifft bzw. an der Entscheidungsfindung beteiligt ist. Dieser an sich selbstverständliche Grundsatz hat über die Stellvertretung hinaus seine Geltung. Allerdings ist damit noch nicht geklärt, in welchem Verhältnis der Handelnde und der Wissende stehen müssen, damit eine Zurechnung tatsächlich gerechtfertigt ist. Es gilt festzuhalten, daß der Prozeß der Entscheidungsfindung ein entscheidendes Kriterium der Wissenszurechnung ist.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person Vor der Behandlung der Zurechnung im Konzern gilt es zunächst zu klären, was überhaupt das Wissen der einzelnen Konzerngesellschaften ist. Liegt das rechtserhebliche Wissen schon bei der handelnden Gesellschaft selbst vor, so stellt sich das Problem der Zurechnung nicht. Die nach wie vor umstrittene Frage der Zurechnung innerhalb einer juristischen Person ist insbesondere in letzter Zeit Gegenstand von Rechtsprechung 128 und Literatur 129 gewesen. Diese Frage stellt sich, da die juristische Person als
128
Vgl. BGH, NJW 1989, 2879 ff.; BGHZ 109, 327 ff.; 117, 104 ff. = NJW 1992, 1099; BGH, AG 1994, 224; BGH, NJW 1995, 2159 = GmbHR 1995, 522 = WM 1995, 1145 ff. = ZIP 1995, 1082 = DB 1995, 1556; BGH, ZIP 1996, 500 ff. = BB 1996, 606 ff. = GmbHR 1996, 294; BGH, ZIP 1996, 548 ff. = NJW 1996, 1339 ff. = BB 1996, 924 ff.; BGH, ZIP 1996, 878 ff. 129
Siehe Bohrer, DNotZ 1991, 122, 124 ff.; Brink, EWiR 1989, 965 f.; Emmerich, JuS 1990, 229 f.; ders., JuS 1990, 667; ders., JuS 1996, 747 f.; Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, passim; Flume , JZ 1990, 548, 550 ff; Grunewald, FS Beusch, S. 301 ff.; dies., WuB IV A. § 852 2. 94; Leptien, WuB IV A. § 166 BGB 1.92; Medicus, Karlsruher Forum 1994, S. 4 ff.; Meyer-Reim! Testorf, VersR 1994, 1137 ff.; Obermüller, WuB IV A. § 166 BGB 1.89; Rehbein, EWiR 1993, 489 f.; Reinersdorf; WiB 1996, 395 f.; Scheuch, GmbHR 1996, 828 ff.; K. Schmidt, GesR, S. 292 ff; M. Schultz, NJW 1990, 477 ff.; W. Schultz, NJW 1996, 1392 ff.; ders., NJW 1997,
58
§ 2 Allgemeine Grundlagen
rechtstechnischer Kunstgriff 130 weder handlungs-, noch wissens- oder willensfähig ist. Es bedarf vielmehr eines Rückgriffs auf natürliche Personen, um die Handlungs- und Wissensfähigkeit der juristischen Person zu begründen. 131
I. Der Theorienstreit Die Vertreter der überholten „Theorie der realen Verbandspersönlichkeit" 132 gingen demgegenüber sehr wohl davon aus, daß die Körperschaft als reale Verbandsperson nicht bloß rechtsfähig, sondern auch willens- und handlungsfähig sei 133 . Es handelt sich aber insoweit nur um eine rein dogmatische Konstruktion, die an dem grundsätzlichen Befund nichts ändert. Denn auch nach dieser Theorie wird die Handlungs- und Wissensfähigkeit der juristischen Person nur durch ihre Organe vermittelt, d. h. durch natürliche Personen 134. Dieser Theorie stand im großen Theorienstreit um die juristische Person, der vor allem im 19. Jahrhundert ausgetragen wurde, die sogenannte Fiktionstheorie 1 3 5 gegenüber, nach der die juristische Person gerade keine Handlungs- oder Wissensfähigkeit besitzt, sondern nur durch Dritte, ihre Vertreter, die Möglichkeit hat, am Rechtsverkehr teilzunehmen. Daß diese Konstruktionstheorien der juristischen Person ihre Bedeutung verloren haben, liegt zum einen an der positiv-rechtlichen Regelung der juristi-
2093 ff.; Taupitz, JZ 1996, 734 ff.; ders., Karlsruher Forum 1994, S. 16 ff; ders., EWiR 1996, 585 f.; Waltermann, AcP 192 (1992), 181 ff.; Wolf, LM zu § 166 Nr. 34. 130
So Ihering, Geist des Römischen Rechts, Bd. III/l (1888), § 55, S. 225.
131 Aber auch im Recht der Personengesellschaften ergeben sich im Zusammenhang mit der Wissenszurechnung einige nach wie vor umstrittene Probleme, vgl. dazu jüngst Scheuch, FS Brandner, S. 121 ff. 132
Diese Theorie ist vor allem mit dem Namen Otto v. Gierke verbunden, der sich auf die Arbeiten von Beseler, Weiske, Bluntschli, Kuntze, Baron und Salkowski gestützt hat. Vgl. dazu die Ausführungen von Flume , Juristische Person, S. 15, 17 f. mit allen Nachweisen. 133
So v. Gierke, Genossenschaftstheorie (1887), S. 603.
134
Vgl. auch K. Schmidt, GesR, S. 260 ff.
135
Die Fiktionstheorie ist mit dem Namen Friedrich Carl v. Savigny verbunden, der als ihr Begründer gilt. Vgl. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts II (1840), S. 282, wo dieser klarstellt: „Allein Handlungen setzen ein denkendes und wollendes Wesen, einen einzelnen Menschen, voraus, was eben die juristischen Personen als Fiktionen nicht sind."
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
59
sehen Person im BGB, wobei sich der Gesetzgeber einer Stellungnahme im Theorienstreit enthalten hat: „Die Entscheidung der Konstruktionsfrage, ob die juristische Person ein handlungsfähiges Wesen sei und sich durch ihre Organe im Verkehre bethätige oder ob sie handlungs(un)fähig 136 sei und deshalb der Vertretung bedürfe, sollte der Wissenschaft überlassen bleiben" 137 . Zum anderen liegt dies aber auch an der fortgeschrittenen „Ausreifung" dieser Rechtsfigur 138. Ein Großteil der die juristische Person betreffenden Fragenbereiche ist heute durch Rechtsprechung und Literatur hinreichend geklärt, auch wenn es sicherlich hinsichtlich einzelner Abgrenzungen noch Meinungsverschiedenheiten gibt. Daher bedarf es zur Lösung der meisten Fälle keines Rückgriffs auf die Ausführungen zur Organ- und Fiktionstheorie mehr.
I I . Wissen der Organmitglieder Eine Wissenszurechnung innerhalb der juristischen Person erscheint unproblematisch, wenn das rechtserhebliche Wissen bei einem Organmitglied vorhanden ist. Daß beispielsweise das Wissen eines mit Einzelvertretungsmacht versehenen Organmitglieds, das für die juristische Person tätig ist, dieser vermittelt werden muß, ist im Ergebnis unstreitig 139 . Streitig ist hingegen die dogmatische Begründung dieses Ergebnisses. Die Schwierigkeit einer Begründung 136
In der Begründung heißt es aufgrund eines offensichtlichen Versehens „handlungsfähig". 137
Protokolle in Mugdan, Bd. I., S. 609.
138
So Κ Schmidt, GesR, S. 193 f. und S. 258 ff.
139
Vgl. RG, JW 1914, 399, 401; RG, Seufferts Archiv 77 (1923), 110; RG, JW 1927, 1675; RG, JW 1935, 2044; BGH, WM 1955, 830; BGH, WM 1959, 81, 84 = ZGenW 9 (1959), 320 m. Anm. Paulick; BGHZ 20, 149, 153; BGHZ 41, 282, 287; BGH, DNotZ 1991, 122 = BGH, NJW 1992, 1099, 1100 = BGHZ 109, 327, 331; Baumann, ZGR 1973, 284 ff.; Bohrer, DNotZ 1991, 122, 124 ff.; Canaris in GroßKomm. HGB, Bankvertragsrecht, Rn. 800 a; Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 178 f.; Flume , JZ 1990, 548, 550 ff; Grunewald, FS Beusch, S. 301 ff.; Hefermehl in Geßler/Hefermehl, AktG, § 78 Rn. 69; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 35 Rn. 51 ff.; Leptien in Soergel, BGB, § 166 Rn. 5; Lutter!H ommelhoff, GmbHG, § 36 Rn. 4; Mertens in Hachenburg, GmbHG, § 35 Rn. 123; ders. in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 63; Meyer-Landrut in GroßKomm. AktG 3 , § 78 Anm 15, 21; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 388; Schneider in Scholz, GmbHG, §35 Rn. 83; Schramm im MüKo, BGB, § 166 Rn. 19; differenzierend aber im Ergebnis zustimmend auch Schilken, Wissenszurechnung, S. 127 ff, 138 f.; ders. in Staudinger, BGB, § 166 Rn. 31; Κ Schmidt, GesR, S. 293; Schultz, NJW 1990, 477 ff.; Waltermann, AcP 192 (1992), 181 ff.; Wiedemann , WM 1975, Sonderbeilage Nr. 4, S. 15 f.
60
§ 2 Allgemeine Grundlagen
besteht, weil der Gesetzgeber es unterlassen hat, dieses Problem positivrechtlich zu regeln. Normen, die eine Wissensvermittlung in bestimmten Fällen anordnen, fehlen. Die dogmatische Begründung ist nicht nur um ihrer selbst Willen von Bedeutung, sondern vor allem für die Frage, ob über das Wissen der beteiligten Organmitglieder hinaus auch das Wissen anderer Personen, ζ. B. von ausgeschiedenen Organmitgliedern 140 oder von Gesellschaftern, Berücksichtigung finden kann. Somit dient die dogmatische Konstruktion der Wissensberücksichtigung auch als Grundlage für die hier zu untersuchende Frage der Wissenszurechnung im Konzern. Denn ist schon das Wissen eines unbeteiligten Organmitglieds der Gesellschaft nicht zuzurechnen 141, so kann ihr erst recht nicht das Wissen einer anderen Konzerngesellschaft zugerechnet werden, wenn diese nicht gerade eine konkrete Weisung erteilt hat. Demgegenüber wird die Auffassung vertreten, daß das Wissen von Organmitgliedern unabhängig davon zuzurechnen sei, ob das wissende Organmitglied an dem entsprechenden Rechtsgeschäft mitgewirkt hat bzw. Kenntnis von der Vornahme hatte oder bereits aus der Gesellschaft ausgeschieden ist 142 . Als unerheblich wird es ebenfalls vielfach angesehen, ob das Organmitglied sein Wissen privat oder in Ausübung seiner Tätigkeit für die Gesellschaft erlangt habe 143 . Das Problem bei der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Auffassungen liegt darin, daß gewöhnlich keine dogmatischen Begründungen mitgeliefert werden. Es wird, wenn überhaupt 144, von einer „wertenden Zurechnung" 145 , dem § 31 BGB zugrundeliegenden Rechtsgedanken146 oder einfach davon gesprochen, daß das Wissen eines Organmitglieds „kraft Natur der Sache" das Wissen der juristischen Person sei 147 . Welche Wertungen bzw. welche Rechtsgedanken das aber konkret sein sollen, wird nicht gesagt. Auch wird davon
140
Siehe ζ. B. BGHZ 109, 327 ff.
141
So z. B. Baumann, ZGR 1973, 284, 294; Mertens in KölnKomm. AktG, § 76
Rn. 64. 142
So RG, JW 1935, 2044; BGH, WM 1959, 81, 84.
143
BGH, WM 1955, 830, 832; Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 67.
144
Vgl. ζ. B. Schramm in MüKo, BGB, § 166 Rn. 19 der ausführt, daß die dogmatische Anknüpfung ohne Belang sei. 145
So insbesondere Schilken, Wissenszurechnung, S. 138; vgl. aber auch BGHZ 109, 327, 331; BGH, ZIP 1996, 500 ff.; BGH, ZIP 1996, 548 ff. 146
K. Schmidt, GesR, S. 295.
147
BGHZ 41, 282, 287; Leptien in Soergel, BGB, § 166 Rn. 5.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
61
gesprochen, daß es eine Wissenszurechnung gar nicht gebe, sondern das Wissen nur als Begleitumstand des Verhaltens Berücksichtigung finde 148.
1. Wissensvermittlung kraft Natur der Sache Soweit ausgeführt wird, daß das Wissen der Organmitglieder kraft Natur der Sache das Wissen der juristischen Person sei 149 , liegt darin ein Rückgriff auf die Organtheorie 150. Der Rückgriff auf eine durchaus umstrittene Theorie als Begründung für die Wissenszurechnung ist schon für sich genommen sehr zweifelhaft 151 . Zudem hat Baumann152 zutreffend dargelegt, daß die Organtheorie die unbeschränkte Berücksichtigung der Bewußtseinsumstände aller Organmitglieder gar nicht verlange. So sei rechtstheoretisch nur ein einziges Organmitglied für die Handlungs- und Wissensfähigkeit der juristischen Person erforderlich. Ob darüber hinaus die Bewußtseinsumstände anderer, unbeteiligter Organmitglieder zu berücksichtigen seien, lasse sich nicht aus der Organtheorie folgern 153 . Dementsprechend kann die Organtheorie auch nicht als Rechtfertigung für eine pauschale Gleichsetzung des Wissens aller Organmitglieder mit dem Wissen der juristischen Person dienen 154 . Flume spricht in diesem Zusam148
So Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, passim.
149 RG, Seufferts Archiv 77 (1923), 110, 112; RG, JW 1914, 349, 401; BGHZ 41, 282, 287; Hefermehl in Geßler/Hefermehl, AktG, § 78 Rn. 69; Leptien in Soergel, BGB, § 166 Rn. 5; Oldenbourg , Wissenszurechnung, S. 9; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 388. 150
Flume , Juristische Person, S. 401 spricht insofern von der absoluten Wissenstheorie. 151
Ablehnend BGHZ 131, 30; Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 503; Grunewald, FS Beusch, S. 301, 303 f., vgl. dazu auch oben § 2 D. I. 152 153
Baumann, ZGR 1973, 284, 287 ff.
So auch Tintelnot, JZ 1987, 795, 799 f. ; Waltermann, 218; Westerhoff,\ Organ und (gesetzlicher) Vertreter, S 69. 154
AcP 192 (1992), 181,
Diese Auffassung wird schon teilweise mit dem Argument abgelehnt, daß die juristische Person mehrere Organe besitze (ζ. B. in der AG Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung) und daß einsichtigerweise nicht das Wissen eines jeden Aktionärs als Mitglied der Hauptversammlung zugerechnet werden könne (vgl. Westerhoff, Organ und (gesetzlicher) Vertreter, S. 65). Diese Kritik kann aber deshalb nicht überzeugen, da sich die Ausführungen in diesem Zusammenhang nur auf die Geschäftsfuhrungs- und Vertretungsorgane beziehen und soweit nicht ausrücklich etwas anderes gesagt wird, auch hier in diesem Sinne begrenzt sind. Dies räumt schließlich Westerhoff, ebenda, selbst ein.
62
§ 2 Allgemeine Grundlagen
menhang wiederholt von einer „Mystifikation der Organtheorie" 155 . Zudem ließe die Wissensvermittlung kraft Natur der Sache die Frage offen, ob das Wissen bereits ausgeschiedener Organmitglieder Berücksichtigung finden kann. Eine generelle Ablehnung der Vermittlung des Wissens ausgeschiedener Organmitglieder würde aber im Einzelfall zu ebenso unbefriedigenden Ergebnissen fuhren, wie die Vermittlung sämtlicher Kenntnisse sämtlicher jemals für die Gesellschaft tätiger Organmitglieder.
2. Wissensvermittlung durch Zurechnung Ist das Wissen der Organmitglieder nicht schon kraft Natur der Sache als das Wissen der juristischen Person anzusehen, so bleibt die Frage bestehen, wie und unter welchen Bedingungen ihr das Wissen ihrer Organmitglieder vermittelt werden soll. Nach der heute ganz überwiegenden Ansicht wird der juristischen Person das Wissen der Organmitglieder im Wege der Zurechnung vermittelt 156 . Umstritten ist in diesem Zusammenhang aber, auf welche Grundlagen bzw. Wertungen für die Begründung der Zurechnung zurückgegriffen werden soll.
a) Anwendung des §166 BGB Für die Begründung der Wissenszurechnung ist es am naheliegendsten, an die gesetzliche Wissenszurechnungsnorm des § 166 BGB anzuknüpfen und zu klären, ob diese Norm auch bei organschaftlicher Vertretung Anwendung finden kann.
155
Flume , Juristische Person, S. 401, 404; ders., JZ 1990, 550; zustimmend Medicus, Karlsruher Forum 1994, S. 4, 15. Vgl. auch Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 125, der ausfuhrt, daß der Grundsatz - das Wissen der Organmitglieder sei das Wissen der juristischen Person - eine „nichtssagende Floskel" sei. 156
Vgl. BGHZ 109, 327, 331; BGH, ZIP 1996, 500, 501; BGH, ZIP 1996, 548, 550; Baumann, ZGR 1973, 284, 290 ff.; Flume , Juristische Person, S. 398 ff.; Grunewald, FS Beusch, S. 301, 304 ff; LutterlHommelhoff, GmbHG, § 36 Rn. 2; MarschBarnerl Diekmann in Münchhdb. GmbH, § 44 Rn. 39 f.; Mertens in KölnKomm. AktG, §76 Rn. 63 ff.; Meyer-Landrut in GroßKomm. AktG 3 , §78 Anm. 15; Scheuch, GmbHR 1996, 828 ff.; Schilken, Wissenszurechnung, S. 138 ff.; ders. in Staudinger, BGB, § 166 Rn. 31; K. Schmidt, GesR, S. 293 ff.; Schneider in Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 80 ff.; W. Schultz, NJW 1996, 1392 ff.; Taupitz, JZ 1996, 734 ff.; ders., EWiR 1996, 585 f.; Tintelnot, JZ 1987, 795, 799 f.; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 224; Westerhoff, Organ und (gesetzlicher) Vertreter, S. 75 ff.; Wolf, LM zu § 166 BGB, Nr. 34; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 35 Rn. 85 f.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
3
Insbesondere Baumann hat aus der Vorschrift des § 26 Abs. 2 S. 1,2. Hs. BGB gefolgert, daß auf die Fälle der organschaftlichen Vertretung das Vertretungsrecht samt der Vorschrift des § 166 BGB anwendbar sei 157 . Die prinzipielle Anwendbarkeit des Vertretungsrechts, insbesondere des § 166 Abs. 1 BGB, auf juristische Personen ergebe sich auch schon aus den Gesetzesmaterialien158. Gemäß § 26 Abs. 2 S. 1,2. Hs. BGB hat das Vertretungsorgan der juristischen Person (bei der AG der Vorstand gemäß § 78 AktG und bei der GmbH der Geschäftsführer gemäß § 35 GmbHG) die Stellung eines gesetzlichen Vertreters 159. In der Tat kommt der Regelungsinhalt des § 166 Abs. 1 BGB dem Fall sehr nahe, in dem ein mit Einzelvertretungsmacht versehenes Organmitglied in der entsprechenden Sache für die Gesellschaft rechtsgeschäftlich tätig ist. Gemäß § 166 Abs. 1 BGB kommt, soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflußt werden, nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht. Jedenfalls was den positiven Regelungsinhalt dieser Norm anbelangt, käme man bei Anwendung dieser Norm zu einem angemessenen Ergebnis, wenn ein wissendes Organmitglied rechtsgeschäftlich für die juristische Person tätig wird. Die Anwendung der Vorschrift des § 166 BGB auf die organschaftliche Vertretung stößt jedoch auf erhebliche Bedenken. Gegen die Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB könnte zunächst eingewandt werden, daß die Vorschrift nur den Fall betrifft, daß die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch die Kenntnis beeinflußt werden. In einer Vielzahl von Fällen wird das Wissen aber gerade außerhalb des rechtsgeschäftlichen Bereichs rechtserheblich, so ζ. B. bei §§ 626 Abs. 2 S. 2, 852 Abs. 1, 892, 932
157 Baumann, ZGR 1973, 284, 290 ff Im Anschluß an Baumann auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 35 Rn. 77; Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb. GmbH, §44 Rn. 39 f.; W. Schultz, NJW 1996, 1392, 1393; ders., NJW 1997, 2093, 2094; Tintelnot, JZ 1987, 795, 800; wohl auch Schneider in Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 82. Grunewald, FS Beusch, S. 301, 302, 304 hält § 166 Abs. 1 BGB anscheinend für anwendbar, nicht hingegen die Regelung des Abs. 2. Vgl. auch Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 35 Rn. 85 ff, der aber die Anwendung des § 166 BGB nur auf die Zurechnung von Kenntnissen anwendet, soweit es um die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung geht. Im übrigen will Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 35 Rn. 88 die Zurechnung nach den jeweils fur die konkrete Rechtsfrage maßgebenden Grundsätzen beurteilen. 158 159
Baumann, ZGR 1973, 284, 291.
Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, daß er sich einer Stellungnahme im Streit um das Wesen der juristischen Person enthalten wollte, vgl. Protokolle in Mugdan, Bd. I., S. 609. Siehe auch oben § 2 D. I.
§
Allgemeine Grundlagen
BGB. Diesem Einwand kann jedoch damit begegnet werden, daß die herrschende Meinung die Vorschrift über den rechtsgeschäftlichen Bereich hinaus auf solche Fälle analog anwendet160. Gegen eine unmittelbare Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB spricht aber die Tatsache, daß § 166 Abs. 1 BGB auch einen negativen Regelungsgehalt enthält, nämlich daß es gerade nicht auf das Wissen des Vertretenen ankommt. Die Norm setzt demnach voraus, daß der Vertretene selbst handlungs- und wissensfähig ist, was auf die juristische Person nicht zutrifft 161 . Das sich aus dieser Abweichung ergebende Anwendungshindernis ließe sich jedoch noch durch eine analoge Anwendung der Norm bei ansonsten bestehender Vergleichbarkeit überwinden. Gegen eine Gleichstellung des Organmitglieds mit dem Stellvertreter und der damit verbundenen möglichen analogen Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB ist aber die Regelung des § 31 BGB anzuführen. Wie Schilken richtig ausführt, hat sich im § 31 BGB die Wertung manifestiert, daß das Organmitglied gerade mehr ist als ein reiner Stellvertreter 162. Soweit Baumann diesbezüglich auf die Gesetzesmaterialien verweist 163 , aus denen die Anwendbarkeit von § 166 BGB auf die Organe einer juristischen Person klar hervorgehe, kann dem nicht gefolgt werden. Baumann übersieht bei seinem Verweis auf die Formulierung des ersten Entwurfs die Tatsache, daß diesem noch die Vertretertheorie zugrunde lag und demnach die Anwendung des § 166 BGB zwingend war 164 . In seiner endgültigen Fassung ist der Gesetzgeber jedoch wieder von der Vertretertheorie abgerückt und hat statt dessen den Theorienstreit offen gelassen165. Daher kann die früher geäußerte Auffassung im Rahmen der historischen Interpretation nicht mehr für eine unbeschränkte Anwendimg der
160 Vgl. Flume , AT, § 52 6; Lorenz, JZ 1994, 549 ff.; Richardi, AcP 169 (1969), 392, 402; Schilken, Wissenszurechnung, S. 269 ff. m.w.N.; ders. in Staudinger, BGB, § 166 Rn. 7 ff.; Schramm in MüKo, BGB, § 166 Rn. 24 ff. A.A. aber beispielsweise für das Wissen des Besitzdieners Baur/Stürner, Sachenrecht, § 5 II 1 c, S. 37; Medicus, AT, Rn. 903; Wilhelm, AcP 183 (1983), 1, 24 ff. 161
So auch Grunewald, FS Beusch, S. 301, 302; Schilken, Wissenszurechnung, S.
132. 162
Schilken, Wissenszurechnung, S. 133.
163
Baumann, ZGR 1973, 284, 291.
164
Vgl. Motive in Mugdan, Bd. I., S. 404: Die juristische Person als „künstlich geschaffene, willenlose Trägerin von Rechten" bedürfe der Vertretung und könne „nur durch Vertreter am Verkehre teilnehmen". 165
Protokolle in Mugdan, Bd. I., S. 609.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
§§ 164 ff. BGB herangezogen werden 166 . Schilken 167 ist sogar der Ansicht, daß trotz der Zurückhaltung des Gesetzgebers die Rechtsentwicklung in die Richtung der Organtheorie gegangen sei, indem sie das Organ vom Stellvertreter abgehoben habe. Weitere Schlußfolgerungen zieht jedoch auch Schilken selbst daraus nicht 168 . Gegen eine entsprechende Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB spricht des weiteren die Tatsache, daß eine mögliche Anwendbarkeit auf den Fall beschränkt wäre, in dem das wissende Organmitglied rechtsgeschäftlich für die Gesellschaft tätig wird. Daß das Wissen anderer, nicht beteiligter Organwalter, welches diese bereits bei einem früheren Handeln für die Gesellschaft erlangt haben, nicht berücksichtigt werden soll, hält auch Baumann für „unbefriedigend" 169 . Aus diesem Grund befürwortet er einen Rückgriff auf die Regelung des § 166 Abs. 2 BGB, die den Grundsatz des Abs. 1 durchbreche. Gemäß Abs. 2 ist die Kenntnis des Vertretenen neben der des Vertreters nur dann erheblich, wenn der Vertretene im Rahmen einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt hat. Baumann hält die Beschränkung auf diese rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht für eine „Fehlleistung der Redaktoren des BGB", wodurch der Grundgedanke der Vorschrift nur unvollständig zum Ausdruck gekommen sei 170 . So sei noch im ersten Entwurf die Norm auf die Fälle beschränkt gewesen, in denen der Vertreter aufgrund einer „auf ein bestimmtes Rechtsgeschäft" bezogenen Vollmacht gehandelt habe 171 . Dieses Merkmal sei später als zu eng erkannt und durch das geringere Erfordernis der „bestimmten Weisungen" ersetzt worden 172 . Die Beschränkung auf die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht sei damit eigentlich schon hinfällig gewesen, vielmehr sei die aktive Einflußnahme auf den konkreten Geschäftsabschluß ausreichend 173. § 166 Abs. 2 BGB sei daher auch auf die organschaftlichen Vertretungsfälle anwendbar, mit der Folge, daß das Wissen eines nicht am Rechtsgeschäft beteiligten Organmitglieds dann der juristi-
166
Vgl. auch Schilken, Wissenszurechnung, S. 130 f. und Westerhoff, (gesetzlicher) Vertreter, S. 70. 167
Schilken, Wissenszurechnung, S. 132.
168
Vgl. Westerhoff,
169
Baumann, ZGR 1973, 284, 292.
170
Baumann, ZGR 1973, 284, 292.
171
So in der Tat § 118 des 1. Entwurfes.
172
Baumann, ZGR 1973, 284, 293.
173
Baumann, ZGR 1973, 284, 293.
5 Schiilcr
Organ und (gesetzlicher) Vertreter, S. 71.
Organ und
§ 2 Allgemeine Grundlagen
sehen Person zugerechnet werden könne, wenn dieses das handelnde Organmitglied zu dem entsprechenden Rechtsgeschäft angewiesen habe 174 . Allerdings seien die durch die entsprechende Anwendung des § 166 BGB, insbesondere des Abs. 2 1 7 5 , gezogenen Grenzen sehr eng. Der durch § 166 BGB abgesteckte Rahmen könne aber im Wege einer offenen richterlichen Rechtsfortbildung erweitert werden 176 . So sei die Kenntnis eines nicht beteiligten Organmitglieds nicht nur dann zuzurechnen, wenn dieses den Kollegen willentlich zu einer Maßnahme (ζ. B. Geschäftsabschluß) veranlaßt habe, sondern auch dann, wenn das Organmitglied mit dem entsprechenden Geschäftsabschuß rechnete, es aber unterließ einzugreifen. Eine solche Zurechnung lasse sich mit dem in § 166 Abs. 1 BGB und § 31 BGB verankerten Grundsatz der VorteilsNachteils-Korrelation rechtfertigen. Daneben könnten sich modifizierte Lösungen durch die Anwendung des Vertrauensschutzprinzips ergeben 177. So sei unter besonderen Umständen sogar die Kenntnis eines bereits ausgeschiedenen Organmitglieds zuzurechnen. Wann aber solche Umstände vorliegen, wird von Baumann nicht näher ausgeführt. Gegen die von Baumann vorgeschlagene Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB auf die nicht beteiligten, aber das Rechtsgeschäft veranlassenden Organmitglieder spricht schon der Wortlaut dieser Norm. Die wörtlich-historische Interpretation, es handle sich bei Abs. 2 um eine Fehlleistung, wird durch die Begründung des Gesetzgebers widerlegt. Dieser hat sich vielmehr bewußt für eine Beschränkung auf die rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht entschieden178: „Die Vorschrift auf alle Vollmachtsfälle bz. alle Vertretungsfälle auszudehnen, in welcher der Vertretene Kenntnis von der Vornahme eines Rechtsgeschäfts in seinem Namen hat, ist bedenklich, und praktisch liegt kein Bedürfnis dazu vor". 1 7 9 Der Entscheidung des Gesetzgebers läßt sich allerdings nicht entnehmen, daß eine Anwendung außerhalb der rechtsgeschäftlichen Vollmacht gänzlich
174
Zustimmend Marsch-Barnerl Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 44 Rn. 40; Schneider in Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 82; Tintelnot, JZ 1987, 795, 800; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 35 Rn. 85 f. 175
Die Fälle, daß ein Organmitglied einem anderen Weisungen erteilt, dürften ohnehin wohl nur selten vorkommen, so auch Grunewald, FS Beusch, S. 301, 304. 176
Baumann, ZGR 1973, 284, 293 f.
177
Baumann, ZGR 1973, 284, 294 f.
178
So auch Schilken, Wissenszurechnung, S. 131 f.
179
Motive in Mugdan, Bd. I., S. 478.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
ausgeschlossen wäre 180 . So ist zuzugeben, daß die Beschränkung auf die rechtsgeschäftliche Vollmacht vor allem deshalb besteht, weil dem gesetzlich Vertretenen in der Regel kein Weisungsrecht gegenüber seinem Vertreter zusteht und ihm daher die Beeinflussungsmöglichkeit fehlt. Für die Fälle, in denen eine solche Einflußmöglichkeit auch bei der gesetzlichen Vertretung besteht, wird daher die Ansicht vertreten, daß die Vorschrift analog anzuwenden sei 181 . Ausschlaggebend ist daher ein weiterer Gesichtspunkt methodischer Art, der gegen die Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB spricht. Abs. 2 setzt eine Weisungsbefugnis bzw. eine Einflußnahmemöglichkeit des Vertretenen voraus, welche zwischen Organmitgliedern bei der juristischen Person aber nicht besteht 182 . Aus diesem Grund ist eine entsprechende Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB auf die organschaftliche Vertretung abzulehnen. Schilken XZ2 > führt in seiner Auseinandersetzung mit der Auffassung Baumanns, dazu noch weiter aus, daß sich dieser Widerspruch durch eine analoge Anwendung des Abs. 2 eventuell auflösen ließe. Dann müsse das Organmitglied aber mit dem Vertretenen (der juristischen Person) gleichgesetzt werden. Eine solche Gleichsetzung würde jedoch dazu führen, daß das Organ im Rahmen des Abs. 1 und im Abs. 2, soweit dort vom Vertreter die Rede ist, einmal als Vertreter der juristischen Person (im Sinne der Vertretertheorie) anzusehen wäre und zum anderen, soweit es im Rahmen des Abs. 2 um den Vollmachtgeber geht, mit der juristischen Person (im Sinne der Organtheorie) gleichgestellt wird 1 8 4 . Auch bei einer sehr weit gefaßten analogen Anwendung blieben daher methodische Wertungswidersprüche bestehen.
180
Vgl. ζ. B. BGHZ 38, 65, 70, wo ein Ergänzungspfleger ein Geschäft mit dem Vater des Kindes, auf dessen Betreiben, in Unkenntnis der Gläubigerbenachteilgungsabsicht des Vaters abschloß. In diesem Fall hatte der BGH eine entsprechende Anwendung des § 166 BGB befürwortet. Zustimmend Brox in Ermann, BGB, § 166 Rn. 13; Larenz, AT, § 30 II c; Leptien in Soergel, BGB, § 166 Rn. 31; Schilken in Staudinger, BGB, § 166 Rn. 30 m.w.N.; Schramm in MüKo,, BGB, § 166 Rn. 39. Ablehnend allerdings Steffen in RGRK, BGB, § 166 Rn. 23; Paulus, FS Michaelis, S. 215, 223 ff. 181
So auch Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 392 ff., der die Anwendung generell auch auf den Minderjährigen ausdehnen will; sowie vorherige Fn. 182
Vgl. Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 221.
183
Schilken, Wissenszurechnung, S. 136 f.
184
Grunewald, FS Beusch, S. 301, 304; Reischl, JuS 1997, 783, 787; Schilken, Wissenszurechnung, S. 136 f.; K. Schmidt, GesR, S. 295; Waltermann, AcP 192 (1992), 5*
§ 2 Allgemeine Grundlagen
Kommt dementsprechend eine direkte oder analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB aufgrund der dogmatischen Widersprüche nicht in Betracht, so blieben die von Baumann selbst erkannten „unbefriedigenden" Ergebnisse im Rahmen einer analogen Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB bestehen. Dann aber ist es wenig sinnvoll, in einigen Fällen die Zurechnung über eine dogmatisch sehr zweifelhafte (mehrfach) analoge Anwendung des § 166 BGB zu begründen, wenn im übrigen ohnehin auf andere Wertungsgesichtspunkte zurückgegriffen werden muß. Eine Anwendung des § 166 BGB (direkt oder analog) auf die organschaftliche Vertretung muß aus diesen Gründen abgelehnt werden.
b) Anwendung der Vorschriften
über die Passiwertretung
Denkbar wäre, die Zurechnung des Wissens von Organwaltern über eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Passivvertretung (vgl. § 28 Abs. 2, § 164 Abs. 3 BGB sowie die inhaltsgleichen Vorschriften § 78 Abs. 2 S. 2 AktG und § 35 Abs. 2 S. 3 GmbHG) zu begründen. So hat insbesondere Flume185 ausgeführt, daß die Vorschrift des § 28 Abs. 2 BGB nicht nur für die Willenserklärungen, sondern auch für die Wrssertserklärungen sowie darüber hinaus allgemein für das Erlangen von Wissen beim Handeln für die juristische Person gelte 186 . Ebenso hält das BAG 1 8 7 die Vorschrift des § 28 Abs. 2 BGB für anwendbar: „Wenn gemäß § 28 Abs. 2 BGB bei der Passivvertretung die Möglichkeit der Kenntnisnahme von einer Willenserklärung durch ein Vorstandsmitglied dem Verein als Zugang mit allen Rechtsfolgen zugerechnet wird, dann ist es sachlich nicht zu begründen, weshalb die positive Kenntnis von reinen Tatsachen bei einem Vorstandsmitglied nicht dem Verein als Kenntnis zuzurechnen sein soll". Flume führt dazu weiter aus, daß auch die Entscheidungen des BGH 1 8 8 auf einer Anwendung des § 28 Abs. 2 BGB begründet seien. Der § 28 Abs. 2 BGB gelte in den entschiedenen Fällen mit „Selbstverständlichkeit" 1 8 9 . Zu Unrecht würden diese Entscheidungen auf die „Mystifikation der
181, 221. Im Ergebnis ebenfalls ablehnend Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 64; ders. in Hachenburg, GmbHG, § 35 Rn. 123. 185
Flume , Juristische Person, S. 398 ff., 404 f.
186
So auch Lüders, BB 1990, 790, 793 ff; Wiesner, BB 1981, 1533, 1536.
187
BAG, DB 1985,237,238.
188
BGH, WM 1959, 81 ff.; BGHZ 20, 149 ff. und BGHZ 41, 281 ff.
189
Flume , Juristische Person, S. 402.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
Organtheorie" zurückgeführt. Nähere Ausführungen zu dieser Selbstverständlichkeit werden indes von Flume nicht gemacht. Die „Selbstverständlichkeit" der Anwendung des § 28 Abs. 2 BGB auch auf die Fälle der Wissenserklärung sowie allgemein für das Erlangen von Wissen durch die Organmitglieder kann der Norm aber nicht entnommen werden. Gemäß § 28 Abs. 2 BGB ist es genügend, wenn eine Willenserklärung, die gegenüber dem Verein abzugeben ist, nur gegenüber einem Vorstandsmitglied abgegeben wird. Soweit auf diese normierte Beschränkung auf die Willenserklärung mit „Selbstverständlichkeit" verzichtet werden soll, müßte dies begründet werden. Eine derartige Begründung wird von den Vertretern dieser Ansicht nicht gegeben. Vielmehr läßt sich aus den Gesetzesmaterialien erkennen, daß der Gesetzgeber diese beschränkte Fassung ganz bewußt gewählt hat. Es sollte den Schwierigkeiten vorgebeugt werden, „welche entstehen würden, wenn Willenserklärungen, die gegenüber einer Körperschaft abzugeben sind, bei dem Vorhandensein mehrerer Mitglieder des Vorstandes gegenüber einem jeden Mitglied abgegeben werden müßten" 190 . Dahinter stand der Gedanke des Verkehrsschutzes, wie er im damaligen § 157 Abs. 3 ZPO (heute § 171 Abs. 3 ZPO) zum Ausdruck kam. Der Dritte sollte nicht erst alle Vorstandsmitglieder ausfindig machen müssen, um eine Willenserklärung abgeben zu können. Dies könnte bei größeren Vorständen zu einem unüberwindlichen Zustellungshindernis führen 191 . Diese Begründung trägt aber gerade nicht den Schluß, daß die Regelung auch für die bloße Kenntniserlangung durch ein Organmitglied gelten sollte. Eine solche Analogie ginge über den Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes hinaus. Vielmehr ließe sie sich nur durch die Organtheorie begründen, die aber insbesondere von Flume vehement abgelehnt wird 1 9 2 . Zudem würde sich die Frage stellen, wie eine Wissenszurechnung zu begrenzen wäre. Es käme, wie bei der absoluten Wissenstheorie, nicht mehr darauf an, ob das Organmitglied die Kenntnis privat oder in Ausübung seiner Tätigkeit erlangt hätte, ob es an dem entsprechenden Rechtsgeschäft beteiligt gewesen wäre bzw. Kenntnis von der Vornahme gehabt hätte oder sogar schon ausgeschieden wäre. Flume hält es schlicht für abwegig, daß das Wissen des Organmitglieds auch nach dessen
190
Motive in Mugdan, Bd. I , S. 407.
191
Vgl. Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 222.
192
So auch Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 223 f.; Westerhof^ setzlicher) Vertreter, S. 74.
Organ und (ge-
0
§ 2 Allgemeine Grundlagen
Ausscheiden noch der Gesellschaft zuzurechnen sei 193 . Es dürfte entgegen der Äußerung Flume s kaum zweifelhaft sein, daß sich eine Gesellschaft gerade nicht durch das ständige Auswechseln von Organmitgliedern stets gutgläubig halten kann 194 . Weiterhin soll nach Flume dann keine Wissenszurechnung erfolgen, wenn das wissende Organmitglied mit dem fraglichen Handeln nichts zu tun hat. Dabei soll als Beteiligung schon das bewußte Geschehenlassen ausreichend sein 195 . Dagegen ist einzuwenden, daß sich die Gesellschaft durch eine entsprechende Umorganisation stets gutgläubig halten könnte. Zudem käme es zu einer Ungleichbehandlung zwischen dem Alleinvorstand und einem mehrköpfigen Vorstand 196 . Soweit Flume entgegnet, daß keine andere Rechtslage gegeben sei als bei der Vertretung, kann dem nicht gefolgt werden 197 . Das Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter ist mit der Gleichordnung zwischen den Organmitgliedern nicht zu vergleichen. Die analoge Anwendung der Vorschriften über die Passivvertretung führt aus den genannten Gründen zu keinen befriedigenden Ergebnissen und vermag als Zurechnungsgrundlage nicht zu überzeugen.
c) Anwendung des § 31 BGB Vereinzelt wird die Ansicht vertreten, daß der in § 31 BGB enthaltene Rechtsgedanke als Grundlage der Zurechnung dienen könne 198 . Gemäß § 31 BGB haftet die juristische Person für Schäden, die ein Organmitglied in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen durch zum Schadensersatz verpflichtende Handlungen einem Dritten zugefügt hat. Entscheidend gegen eine analoge Anwendung spricht die im § 31 BGB enthaltene Beschränkung auf die Handlungen, die in Ausführung der dem Organ-
193
Flume , Juristische Person, S. 403, der aber auch für diese Aussage keine inhaltliche Begründung mitliefert. 194
So auch Westerhoff,
195
Flume , Juristische Person, S. 404.
196
Vgl. Westerhoff,
197
Westerhoff,
198
Organ und (gesetzlicher) Vertreter, S. 74.
Organ und (gesetzlicher) Vertreter, S. 74.
Organ und (gesetzlicher) Vertreter, S. 74.
So K. Schmidt, GesR, S. 295: „Die Zurechnung organschaftlichen Wissens sollte ... aus dem in § 31 BGB zum Ausdruck gelangten allgemeinen Rechtsgedanken hergeleitet werden...". Nähere Begründungen werden von K. Schmidt hierzu allerdings nicht gegeben.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
1
mitglied zustehenden Verrichtungen begangen werden 199 . Eine solche Beschränkung würde dazu führen, daß das privat erlangte Wissen der Organmitglieder nicht mehr zugerechnet würde. Diese Trennung ist aber, insbesondere beim Einzelgeschäftsführer der GmbH, kaum sinnvoll durchführbar und ist im Ergebnis meines Erachtens auch nicht zu vertreten. Gegen die analoge Anwendung spricht weiterhin die Tatsache, daß die Zurechnung nach § 31 BGB auf zum Schadensersatz verpflichtende Handlungen beschränkt ist. Es handelt sich bei § 31 BGB um eine Haftungszurechnungsnorm. Ob der Fall der Haftungszurechnung mit dem der Wissenszurechnung hinreichend vergleichbar ist, ist sehr zweifelhaft 200 , da es sich beim Wissen zunächst nur um einen Bewußtseinszustand handelt, der nicht unbedingt einem Haftungstatbestand unterfällt. Insbesondere auch Faßbender hat ausführlich dargelegt, daß die Vorschrift des § 31 BGB eine isolierte Wissenszurechnung nicht stützen könne 201 . Festzustellen ist demnach, daß auch eine analoge Anwendung des § 31 BGB zu nicht befriedigenden Ergebnissen führt und daher als Zurechnungsgrundlage abzulehnen ist.
d) Anwendung allgemein wertender Zurechnungskriterien Kommt also weder eine Zurechnung „kraft Natur der Sache" noch eine Zurechnung in analoger Anwendung einer einzelnen gesetzlichen Zurechnungsnormen in Betracht, so stellt sich die Frage einer Zurechnung im Wege einer allgemein wertenden Betrachtung 202. Dabei gilt es zunächst die Frage zu klären, ob eine solche Zurechnung im Wege einer allgemein wertenden Betrachtung überhaupt zulässig ist. So wird von Waltermann bezweifelt, daß im BGB sowie im Gesellschaftsrecht ausreichend ausgeformte Maßstäbe vorhanden seien, an denen sich eine interessengerechte wertende Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern
199
So auch Westerhoff,
200
Ablehnend ζ. B. Wiesner, BB 1981, 1533, 1536.
Organ und (gesetzlicher) Vertreter, S. 79.
201 Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 56 ff. Zu beachten ist allerdings, daß Faßbender mit seinen Ausführungen eine ganz andere Intention verfolgt. 202 „Allgemein" meint in diesem Zusammenhang, daß sich die wertende Zurechnung nicht auf eine bestimmte Zurechnungsnorm beschränkt, sondern sich an einer umfassenden Interessenabwägung orientiert.
§ 2 Allgemeine Grundlagen
orientieren könne 203 . Seiner Ansicht nach würde eine solche wertende Zurechnung die Grenzen der offenen Rechtsfortbildung sprengen. Schließlich ist aber auch Waltermann unabhängig von seiner Kritik der Auffassung, daß die Wissenszurechnung im Wege einer allgemein wertenden Betrachtung zu erfolgen hat, da nur so interessengerechte Ergebnisse gewährleistet seien 204 . Eine ganz eigene Konsequenz zieht Faßbender 205 aus der fehlenden Anwendbarkeit einzelner Zurechnungsnormen im Bereich der Wissenszurechnung. So kommt Faßbender zu der Auffassung, daß das Gesetz eine isolierte Wissenszurechnung gar nicht vorgesehen habe. Daher könne es auch keine Wissenszurechnung im Wege einer allgemein wertenden Betrachtung geben, da es schon an der dafür erforderlichen Regelungslücke fehle 206 . Dem kann nicht gefolgt werden. Richtig ist zwar, daß die Zurechnung im Wege allgemein wertender Betrachtung als Form der Gesamtanalogie analogiefähige Rechtsgedanken voraussetzt, doch ist diese Voraussetzung entgegen der Auffassung Faßbenders gegeben. So wurde bereits oben festgestellt 207, daß schon die Ausgangsthese Faßbenders fehlt geht, wonach es sich bei der Vorschrift des § 166 BGB um eine rein deklaratorische Norm handle. Vielmehr wurde festgestellt, daß § 166 BGB eine eigenständige Zurechnungsanordnung enthält und als Ausdruck einer wertenden Wissenszurechnung anzusehen ist. Die Vorschrift des § 166 BGB soll, dem allen Zurechnungsnormen innewohnenden Rechtfertigungsgrund entsprechend, eine optimale Anpassung an die arbeitsteilige Persönlichkeitserweiterung bewirken. Dabei hat sich die Zurechnungsnorm an den Bezugsnormen zu orientieren, die sich im Fall der Wissensnormen nach der Möglichkeit zum Selbstschutz ausrichten. Daher stellt die Vorschrift des § 166 BGB bei der Frage, welches Wissen für die Beurteilung im Sinne der Wissensnormen rechtserheblich ist, insbesondere auf das Kriterium der Entscheidungsfindung ab. Diese wissensspezifische Wertung ist somit auch im Rahmen einer wertenden Zurechnung als Kriterium heranzuziehen 208.
203
Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 224 f. Ähnlich, wenn auch vorsichtiger Roth y FS Gaul, S. 585, 587. 204
Waltermann y AcP 192 ( 1992), 181, 224. Die Aussage Waltermanns ist daher vor allem wohl als eine Aufforderung an den Gesetzgeber zu verstehen, den Problembereich der Wissenszurechnung endlich positiv-rechtlich zu regeln, um so im Zusammenhang mit der juristischen Person für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. 205
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, passim.
206
Faßbender y Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 74.
207
Siehe oben § 2 C. II. 1.
208
Vgl. auch Scheuchy GmbHR 1996, 828, 829.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
3
Die Vorschrift des § 166 BGB enthält demnach im Zusammenspiel mit den anderen Zurechnungsnormen (insbesondere §§ 31, 164, 278 BGB) analogiefähige Rechtsgedanken, die eine Zurechnung im Wege einer allgemein wertenden Betrachtung als zulässig erachten lassen209. Zudem hat schon insbesondere Schilken 210 dargelegt, daß sich nur im Wege der allgemein wertenden Betrachtung die ansonsten bestehenden gesetzlichen Regelungslücken für alle Fälle interessengerecht schließen lassen. So vermag die von Faßbender vertretene Lösung der Berücksichtigung des Wissens im Zusammenhang mit der Verhaltenszurechnung nicht alle Fälle interessengerecht zu lösen. Das hat auch Faßbender selbst erkannt und plädiert daher in diesen Fällen für eine Lösung über den Grundsatz von Treu und Glauben 211 und über die Grundsätze der Beweiserleichterung 212. Das läßt sich am einfachsten anhand eines Beispiels verdeutlichen: Ein Organmitglied hat Kenntnis von der Bodenverschmutzung eines gesellschaftseigenen Grundstücks und scheidet aus der Gesellschaft aus, ohne diese Kenntnis den übrigen Organmitgliedern mitzuteilen. Verkauft nun ein unwissendes Organmitglied das Grundstück, so kommt ein Schadensersatzanspruch wegen arglistigem Verschweigen gemäß § 463 S. 2 BGB nicht in Betracht. Der Versuch Faßbenders, solche Fälle über das Beweisrecht zu lösen 213 , kann nur im Einzelfall noch ein interessengerechtes Ergebnis bewirken und ändert insbesondere nichts an der materiellen „Ungerechtigkeit". Insgesamt können mit dem von Faßbender gewählten Ansatz die Konstellationen nicht interessengerecht gelöst werden, in denen die verantwortlichen Mitarbeiter der Gesellschaft häufig ausgetauscht werden. Dieser Austausch muß dabei nicht einmal mit einer rechtsmißbräuchlichen Absicht erfolgen, denn auch ohne Mißbrauchsabsicht widerspricht es einer angemessenen Risikoverteilung, wenn die Gesellschaft durch den ständigen Austausch stets als gutgläubig anzusehen wäre. Darüber hinaus ist unklar, ob und auf welcher Zurechnungsgrundlage nach Faßbender das im Rahmen dieser Arbeit besonders interessante Wissen der Gesellschafter Berücksichtigung finden könnte. Die Ausführungen Faßbenders sind vor allem wohl vor dem Hintergrund seines Untersuchungsgegenstandes, der bankenrechtlichen Aufklärungspflichten, zu sehen. Denn in vielen Fällen bankenrechtlicher Aufklärungspflichten, so 209
Vgl. auch Schilken, Wissenszurechnung, S. 302.
210
Schilken, Wissenszurechnung, S. 138 ff.
211
Z. B. Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 102 ff., 107.
212
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 126 ff.
213
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 126 ff.
§ 2 Allgemeine Grundlagen
Faßbender, obliege dem beratenden Mitarbeiter die Pflicht, sich ordnungsgemäß zu informieren, so daß schon die bloße Unkenntnis eine Pflichtverletzung darstelle und damit den Haftungstatbestand erfülle 214 , ohne das es hierfür einer Zurechnung bedürfe. Festzustellen ist, daß sich die Zulässigkeit einer allgemein wertenden Zurechnung aus dem Bestehen analogiefähiger Rechtsgedanken des § 166 BGB im Zusammenspiel mit den anderen Zurechnungsnormen und aus der Notwendigkeit ergibt, die bestehenden gesetzlichen Regelungslücken zu schließen. Im Anschluß an die Ausführungen Schilkens 215 vertreten daher auch die Rechtsprechung 216 und immer zahlreichere Stimmen im Schrifttum 217 die Ansicht, daß es einer wertenden Zurechnung unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen im jeweiligen Einzelfall bedarf, da nur so Wertungswidersprüche verhindert werden könnten. Eine starre Einheitslösung für die Problematik der Wissenszurechnung im Bereich der juristischen Person kann es nicht geben. Vielmehr muß anhand festgelegter Kriterien einzeln über eine Zurechnung entschieden werden. Es stellt sich somit die weitergehende Frage, nach welchen Kriterien sich die Rechtfertigung der Wissenszurechnung zu richten hat.
aa) Entscheidungsfindung Aus der Regelung des § 166 BGB ergibt sich, daß es für die Beurteilung der rechtserheblichen Wissensumstände im Rahmen eines arbeitsteiligen Prozesses immer auf denjenigen ankommt, der die tatsächlichen Entscheidungen trifft 218 . Daraus ergibt sich für die juristische Person, daß jedenfalls immer das Wissen des konkret handelnden Organmitglieds unabhängig von seiner Vertretungsbefugnis (Einzel- oder Gesamtvertretungsmacht) zuzurechnen ist 219 . Wird die 214
Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 166 ff.
215
Schilken, Wissenszurechnung, S. 138 ff.
216
Vgl. BGHZ 109, 327, 331; BGH, ZIP 1996, 500, 501; BGH, ZIP 1996, 548,
550. 217
Vgl. nur Grunewald, FS Beusch, S. 301, 304 ff.; Scheuch, GmbHR 1996, 828, 830 ff; Wester hoff, Organ und (gesetzlicher) Vertreter, S. 75 ff. Auch Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 35 Rn. 88 für den Bereich außerhalb rechtsgeschäftslicher Willenserklärungen. 218
Siehe oben § 2 C. II. l.b).
219
Nachweise siehe oben Fn. 139.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
Entscheidung ζ. B. im Fall der Gesamtvertretung von mehreren Organmitgliedem gemeinschaftlich getroffen, so ist das Wissen jedes einzelnen an der Entscheidung beteiligten Organmitglieds zuzurechnen. Die Gesellschaft ist auch dann als wissend anzusehen, wenn die Kenntnis bei nur einem von mehreren Organmitgliedern vorlag. Für die Beurteilung des rechtserheblichen Wissens ist nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidungsfindung der Organmitglieder abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Durchführung der betreffenden Maßnahme. Erlangt ein an der Entscheidung beteiligtes Organmitglied nachträglich Kenntnis von einer rechtserheblichen Tatsache, so muß sich die Gesellschaft diese Kenntnis zurechnen lassen, wenn das wissende Organmitglied noch in der Lage war, auf das handelnde Organmitglied Einfluß zu nehmen. Eine Schutzbedürftigkeit der Gesellschaft ist in diesen Fällen abzulehnen 220 . Unerheblich ist es zudem, ob das Organmitglied die rechtserhebliche Kenntnis privat oder in Ausübung seiner Tätigkeit erlangt hat 221 . Erst recht gilt dies, wenn ein mit Einzelvertretungsmacht versehenes wissendes Organmitglied für die Gesellschaft handelt. Ob sich aber die Gesellschaft das Wissen nicht beteiligter, eventuell sogar ausgeschiedener Organmitglieder zurechnen lassen muß, läßt sich mit diesem Kriterium der Entscheidungsfindung als spezifischer Wertung der Wissenszurechnungsnorm des § 166 BGB nicht lösen.
bb) Anpassung an die arbeitsteilige Persönlichkeitserweiterung Es ist daher auf den allgemeinen Zweck der Zurechnung zurückzugreifen: die Sicherung des Anwendungsbereichs der Bezugsnormen, um so eine Anpassung an die arbeitsteilige Persönlichkeitserweiterung bei der juristischen Person zu erreichen. Die juristische Person soll der natürlichen Person weitestgehend gleichgestellt werden, ihr sollen aus der arbeitsteiligen Organisation weder Vor- noch Nachteile entstehen222. Ansonsten würde die vom Gesetzgeber ge-
220
Ausführlich zur Bestimmung des für die Wissenszurechnung maßgeblichen Zeitpunkts siehe unten § 2 D. V. 3. b) hh). 221
Eine Wissenszurechnung wäre allerdings dann abzulehnen, wenn das Organmitglied seine Kenntnisse beispielsweise als Aufsichtsratsmitglied einer anderen Gesellschaft erworben hat. Dieses Wissen unterliegt der strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht (§ 404 AktG). So auch Canaris in GroßKomm. HGB, Bankvertragsrecht, Rn. 106; Werner, ZHR 145 (1981), 252, 265. 222
So ausdrücklich BGH, BB 1996, 924, 925 f.; BGH, NJW 1997, 1917; Emmerich, JuS 1996, 747; Medicus, Karlsruher Forum 1994, S. 4, 15 f.; Scheuch, GmbHR
§ 2 Allgemeine Grundlagen
troffene Risikoverteilung, die sich an der Schutzbedürftigkeit des Betroffenen orientiert, ungerechtfertigterweise verschoben. Es bedarf daher zunächst der Betrachtung der Situation bei der natürlichen Person.
(1) Kriterium
der allgemeinen Lebenserfahrung
Bei natürlichen Personen stellt sich die Frage, ob sie bezüglich sämtlicher Informationen als wissend anzusehen sind, die sie bereits früher erlangt haben. Diese Frage stellt sich, da das Wissen als Bewußtseinszustand der juristischen Erfassung nicht unmittelbar zugänglich ist 223 und natürliche Personen im Laufe der Zeit „leider" viele einmal erlangte Informationen wieder vergessen. Fraglich ist zudem, ob eine natürliche Person sämtliche verfügbaren Wissensspeicher zur Entscheidungsfindung heranziehen muß und ob sie dementsprechend hinsichtlich der darin enthaltenen Informationen als wissend anzusehen ist 224 . Bei der natürlichen Person wird zur Beantwortung dieser Fragen das Kriterium der allgemeinen Lebenserfahrung herangezogen 225. Eine natürliche Person ist folglich als wissend im Sinne der Wissensnormen anzusehen, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung damit zu rechnen ist, daß sie die einmal erlangte Information noch nicht wieder vergessen hat. Das beurteilt sich wiederum nach (1) der Wesentlichkeit der Information, nach (2) dem Zeitpunkt der Informationserlangung und nach (3) der Bedeutung der von der Information betroffenen Geschäfte. Welche Wissensspeicher die natürliche Person bei ihrer Entscheidungsfindung hätte heranziehen müssen, beurteilt sich danach, was von dieser natürlichen Person an Sorgfalt üblicherweise verlangt werden kann 226 . Von diesen Überlegungen ausgehend, ergibt sich der Lösungsansatz für die Rechtfertigung der Wissenszurechnung innerhalb der juristischen Person. 1996, 828, 830; ähnlich auch schon BGHZ 109, 327, 331 f. Dagegen unter Verkennung des Sinn und Zwecks der Zurechnung Koller, JZ 1998, 75 ff. 223
Siehe dazu schon oben § 2 B.
224
Diese Frage stellt sich insbesondere im Bereich des Versicherungsrechts, wo der Versicherungsnehmer regelmäßig verpflichtet ist, den Versicherern sämtliche Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, um sich seinen Versicherungsschutz zu erhalten. Vgl. Medicus, Karlsruher Forum 1994, S. 4, 6 ff. 225
Vgl. Bohrer, DNotZ 1991, 124, 127; Medicus, Karlsruher Forum 1994, S. 4, 6. Dies wird insbesondere von Koller, JZ 1998, 75 ff. 226
Siehe dazu Medicus, Karlsruher Forum 1994, S. 4, 7 f.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
(2) Kriterium
der ordnungsgemäßen Organisation
Für die Beurteilung des Wissens der juristischen Person ist ebenfalls danach zu fragen, ob sie nach allgemeiner Lebenserfahrung als schutzbedürftig im Sinne der Wissensnormen anzusehen ist. Schutzbedürftig ist die juristische Person nicht, wenn die im Sinne der Wissensnorm rechtserhebliche Information nach allgemeiner Erfahrung beim handelnden Organmitglied hätte vorhanden sein müssen. Als allgemeiner Erfahrungswert ist dabei auf das Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation zurückzugreifen 227. Konkret bedeutet das, daß sich die juristische Person die Kenntnisse ihrer nicht am Geschäft beteiligten Organmitglieder zurechnen lassen muß, die bei ordnungsgemäßer Organisation dem tatsächlich handelnden Organmitglied hätten vorliegen müssen. Beispiel: Ein Organmitglied will das gesellschaftseigene Grundstück verkaufen, welches aufgrund einer früheren Produktion erheblich verschmutzt ist. Die Kenntnis eines nicht am Verkauf beteiligten, eventuell sogar ausgeschiedenen Organmitglieds von dieser Verschmutzung muß sich die Gesellschaft zurechnen lassen, wenn diese Information in einer ordnungsgemäß organisierten Gesellschaft dem handelnden Organmitglied vorgelegen hätte 228 . Die Beurteilung, ob eine Information hätte vorliegen müssen, richtet sich zum einen nach der Bedeutung der Information selbst und zum anderen nach den tatsächlichen Möglichkeiten der Kommunikationsorganisation innerhalb der jeweiligen Gesellschaft. Es geht in diesem Zusammenhang nicht um die Schaffung eines objektiv möglichen Kommunikationsstandards 229. Die Begründung einer Wissenszurechnung kann nicht dazu führen, daß eine Gesellschaft zur Verhinderung von Nachteilen aus der Zurechnung gezwungen ist, sich dem jeweils neuesten technischen Standard der Kommunikationstechnik anzupassen. Auch ist der Gesellschaft weitestgehend freigestellt, den Umfang des Informationsaustausches innerhalb der Gesellschaft individuell zu bestimmen 230 . Die Gesellschaft hat demnach die Möglichkeit einen Informationsaustausch zwischen bestimmten Abteilungen zu unterbinden. Je besser jedoch die Voraussetzungen
227
Vgl. BGHZ 109, 327, 331; BGH, ZIP 1995, 1082; BGH, ZIP 1996, 500, 502; BGH, ZIP 1996, 548, 550 = NJW 1996, 1339, 1340; BGH, NJW 1997, 1917, Bohrer, DNotZ 1991, 122, 129; Emmerich, JuS 1996, 747 f.; ders., JuS 1997, 845; Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 503 ff.; Grunewald, FS Beusch, S. 301, 304 f.; Hagen, DRiZ 1997, 157 ff.; Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 36 Rn. 5; Medicus, Karlsruher Forum 1994, S. 4, 15 f.; Scheuch, GmbHR 1996, 828, 830 f.; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, S. 16, 26 ff.; ders., JZ 1996, 734 f. 228
Siehe BGH, BB 1996, 924 ff.
229
Vgl. auch Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 84.
230
Vgl. dazu auch unten § 3 C. IV. 5.
§ 2 Allgemeine Grundlagen
für die Weiterleitung von Informationen innerhalb der Gesellschaft ausgebaut sind, um so mehr Wissen muß sich die Gesellschaft zurechnen lassen. Ist beispielsweise grundsätzlich ein Informationsaustausch zwischen einem handelnden Organmitglied und dem wissenden Organmitglied vorgesehen bzw. nicht ausdrücklich ausgeschlossen und möglich, so ist es für die Begründung der Wissenszurechnung unerheblich, wenn diese Informationsmöglichkeiten aufgrund schlampiger Organisation sogar regelmäßig unberücksichtigt bleiben. Etwas anderes gilt erst dann, wenn die Gesellschaft ein Unterbleiben des Informationsaustausches ausdrücklich angeordnet bzw. die Voraussetzungen hierfür nicht geschaffen hat. Das Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation ist demnach als ein objektiver Maßstab unter Berücksichtigung der subjektiven Verhältnisse zu verstehen. Mit dem Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation können auch die Fälle angemessen berücksichtigt werden, in denen die anzuwendende Wissensnorm nicht an das positive Wissen anknüpft, sondern schon (grob) fahrlässige Nichtkenntnis ausreichen läßt 231 . Es ist danach zu fragen, ob das entscheidende Organmitglied bei ordnungsgemäßer Organisation Kenntnis hätte haben können. Das ist aber nicht nur dann der Fall, wenn die positive Kenntnis dem handelnden Organmitglied hätte vorliegen müssen, sondern auch, wenn dem entscheidenden Organmitglied die Bewußtseinsumstände hätten vorliegen müssen, die den Zustand der (grob) fahrlässigen Nichtkenntnis begründen. Diese Bewußtseinszustände sind Gegenstand der Zurechnung, nicht das Wissen an sich. Wenn diese Bewußtseinszustände bei ordnungsgemäßer Organisation bei der Entscheidungsfindung hätten Berücksichtigung finden müssen, so gilt das auch, wenn es sich nur um einen Fall (grob) fahrlässiger Nichtkenntnis handelt, da die Schutzbedürftigkeit der Gesellschaft im Sinne der Wissensnorm bereits durch die (grob) fahrlässige Nichtkenntnis eingeschränkt ist. Es geht in den Fällen der (grob) fahrlässigen Nichtkenntnis gerade nicht um die Begründung einer Nachforschungspflicht 232. Es sollte vermieden werden, im Zusammenhang mit dem Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation von einem Organisationsverschulden zu sprechen 233 , da es bei den Wissensnormen nicht um ein Verschulden geht 234 . Das
231
A.A. allerdings Scheuch, GmbHR 1996, 828, 832.
232
Siehe oben § 2 B. III. 3.
233
So aber Scheuch, GmbHR 1996, 828, 831. Noch weiter scheinen Meyer-Reim! Testdorf, VersR 1994, 1137, 1141 zu gehen, die eine Zurechnung wegen Organisationsverschulden nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) vorschlagen.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation dient lediglich der Bestimmung der Schutzbedürftigkeit der Gesellschaft und findet sich in ähnlicher Form schon bei der natürlichen Person 235. Die Schwierigkeit der wertenden Zurechnung liegt darin, das Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation der juristischen Person so auszugestalten, daß Abgrenzungen möglich und Rechtsunsicherheiten verhindert werden. Es geht hier nicht darum, eine Lösung für sämtliche denkbaren Fallgestaltungen zu finden. Vielmehr sollen an dieser Stelle nur allgemeine Kriterien aufgezeigt werden, an denen sich die Lösung der Einzelfälle zu orientieren hat.
(a) Wesentlichkeit der Information Auszugehen ist von der im Sinne der anzuwendenden Wissensnorm rechtserheblichen Information selbst. Klar ist, daß die Gesellschaft nicht jedes einmal erlangte Wissen über Jahrzehnte hinweg gespeichert lassen muß 236 . Eine solche Wissensspeicherung wäre praktisch selbst mit modernster Datenverarbeitung nicht zu bewältigen. Es ist vielmehr danach zu fragen, ob es sich bei dieser Information um „typischerweise aktenmäßig festgehaltenes " Wissen handelt 237 . Je wesentlicher die Informationen sind, um so länger müssen sie gespeichert werden. Beispiel: Die Kenntnis von der erheblichen Verschmutzung des gesellschaftseigenen Grundstücks muß nahezu unbegrenzt gespeichert zu werden. Die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit (im Sinne des § 460 BGB) einer von der Gesellschaft bezogenen Ware von geringem Wert braucht demgegenüber in der Regel überhaupt nicht gespeichert werden. Kauft die Gesellschaft diese Ware später durch ein unwissendes Organmitglied erneut ein, so wäre sie nicht als wissend im Sinne des § 460 BGB anzusehen.
234
Ebenfalls ausdrücklich ablehnend Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 504; ausführlich dazu schon oben § 2 B. III. 3. 235
Auch die natürliche Person ist verpflichtet, sich so zu organisieren, wie das von einer sorgfältigen Person erwartet werden kann. So ist beispielsweise ein Versicherungsnehmer verpflichtet, bei der Beantwortung der Frage nach Vorschäden in einer Kaskoschadensanzeige sämtliche verfügbaren Wissensspeicher heranzuziehen, vgl. Knappmann in Prölss/Martin, VVG, § 7 AKB Anm. 2 m.w.N. 236 237
So auch BGH, BB 1996, 924, 926.
BGHZ 109, 327, 332; BGH, ZIP 1995, 1082; BGH, ZIP 1996, 500, 502; BGH, ZIP 1996, 548, 550 = NJW 1996, 1339, 1340; Bohrer, DNotZ 1991, 122, 129; Emmerich, JuS 1996, 747 f.; Grunewald, FS Beusch, S. 301, 304 f.; Lutter/ Hommelhoff GmbHG, § 36 Rn. 5; Medicus, Karlsruher Forum 1994, S. 4, 15 f.; Scheuch, GmbHR 1996, 828, 830 f.; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, S. 16, 26 ff.; ders., JZ 1996, 734 f.
0
§ 2 Allgemeine Grundlagen
Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit der Information sind die jeweiligen Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft zu berücksichtigen, denn Informationen, die aufgrund unzureichender technischer Möglichkeiten ohnehin nicht an die entscheidenden Stellen weitergeleitet werden könnten, brauchen folglich nicht zu diesem Zweck gespeichert werden. Die Wissensnormen begründen keine Nachforschungspflicht, sondern sollen nur für eine an der Schutzbedürftigkeit des Betroffenen (hier der Gesellschaft) orientierte Risikoverteilung sorgen.
(b) Zeitpunkt der Informationserlangung Die Frage, ob es sich um eine wesentliche Information handelt, die typischerweise aktenmäßig festgehalten wird, ist nach dem Zeitpunkt der Informationserlangung zu beurteilen 238 . War beispielsweise im Zeitpunkt der Erlangung der Kenntnis von der Bodenverschmutzung noch nicht bekannt, daß diese Verschmutzung tatsächlich eine erhebliche Beeinträchtigung der Bodenqualität darstellt, so handelt es sich nicht um eine wesentliche Information, die typischerweise hätte festgehalten werden müssen. Stellt sich erst später die Bedeutung der Verschmutzung heraus, ist aber das um die Verschmutzung wissende Organmitglied bereits ausgeschieden, so muß sich die Gesellschaft diese Kenntnis demnach nicht zurechnen lassen. Die Wesentlichkeit der Information hängt demzufolge davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie später rechtserheblich werden könnte 239 . Beispiel: Sollte das Fahrzeug der Gesellschaft bis zur Verschrottung im Besitz der Gesellschaft bleiben, so braucht die Kenntnis, daß es sich um ein Unfallfahrzeug handelt, nicht gespeichert werden. Ist demgegenüber mit der Möglichkeit zu rechnen gewesen, daß das Fahrzeug einmal verkauft werden soll, so muß diese Kenntnis gespeichert werden.
(c) Bedeutung der von der Information betroffenen Geschäfte Entscheidend für die Beurteilung der Wesentlichkeit der Information ist zudem die Bedeutung für das von ihr betroffene Geschäft, jedenfalls soweit dieses im Zeitpunkt der Informationserlangung bereits bekannt ist 240 . Hat das Geschäft, bei dem die Information rechtserheblich ist, für die Gesellschaft eine 238
So ausdrücklich auch BGH, BB 1996, 924, 926.
239
Siehe BGH, BB 1996, 924, 926.
240
Vgl. auch BGH, NJW 1997, 1917.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
1
erhebliche Bedeutung (hängt ζ. B. die Existenz von diesem Geschäft ab), so muß auch eine an sich unbedeutende Information gespeichert bzw. an die entscheidungserheblichen Stellen weitergeleitet werden. Beispiel: Ein Organmitglied erlangt Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit (im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO) eines Kunden der Gesellschaft. Handelt es sich bei diesem Kunden lediglich um einen kleinen unbedeutenden Kunden, so bedarf es keiner Weiterleitung dieser Information an die entscheidenden Stellen innerhalb der Gesellschaft, die die Geschäfte mit diesem Kunden abschließen. Handelt es sich demgegenüber um einen Großkunden der Gesellschaft, kommt dieser Information eine ganz andere Bedeutung zu, so daß sie auch weitergeleitet werden muß.
(d) Anlaß zur Abfragung von Wissensspeichern Ergibt sich schon nach den vorstehenden Kriterien, daß die rechtserhebliche Kenntnis bei ordnungsgemäßer Organisation der Gesellschaft dem handelnden Organmitglied hätte vorliegen müssen, muß sich die Gesellschaft diese Kenntnis unabhängig davon zurechnen lassen, ob das handelnde Organmitglied einen Anlaß hatte, diese Kenntnis abzufragen 241. Besteht demgegenüber ein konkreter Anlaß bestimmte Informationen abzufragen, so kann sich dadurch eine Erweiterung der Wissenszurechnung ergeben 242. Ein solcher Anlaß kann ζ. B. dann vorliegen, wenn das handelnde Organmitglied erfährt, daß seine Gesellschaft mit dem ihm unbekannten künftigen Vertragspartner bereits in früheren Jahren Geschäfte getätigt hat und es dabei Schwierigkeiten gab, weil der Vertragspartner mangelhafte Ware lieferte oder sich von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht vertreten ließ. Besteht ein Anlaß zur Abfragung, so beschränkt sich der Informationsfluß innerhalb einer ordnungsgemäß organisierten Gesellschaft nicht nur auf die typischerweise aktenmäßig festgehaltenen Kenntnisse, sondern auf sämtliche Informationen, die für die betreffenden Maßnahme von rechtserheblicher Bedeutung sein könnten.
241
A.A. wohl W. Schultz, NJW 1996, 1392, 1393, der stets einen solchen Anlaß
verlangt. 242
6 Schülcr
Vgl. dazu BGH, NJW 1989, 2879 ff.
§ 2 Allgemeine Grundlagen
(3) Schutz des Vertragspartners Abzulehnen ist indes die Auffassung, die die Problematik aus der Sicht des Vertragspartners zu lösen versucht 243 . Auch nach dieser Auffassung ist darauf abzustellen, ob das Wissen typischerweise aktenmäßig festgehalten wird und üblicherweise eine Weiterleitung zu erwarten ist. Diese Kriterien ergeben sich nach dieser Ansicht aber aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes des Vertragspartners. Der Vertragspartner dürfe darauf vertrauen, daß es sich bei seinem Gegenüber um eine ordnungsgemäß organisierte juristische Person handle. Mit diesem Ansatzpunkt lassen sich zwar die richtigen Kriterien entwickeln, er greift jedoch zu kurz. So läßt sich ζ. B. in den Fällen des Gutglaubenserwerbs oder der Konkursanfechtung nur schwer mit dem Vertrauen des Vertragspartners argumentieren 244. Zudem könnte dieses Kriterium zur Beurteilung der ordnungsgemäßen Organisation nach den technisch neuesten Kommunikationsstandards ohne Berücksichtigung der tatsächlichen, insbesondere technischen Möglichkeiten der jeweiligen Gesellschaft führen 245 . Auch eine Gesellschaft, die ihre Verwaltung noch nicht auf modernste EDV umgestellt hat, kann ordnungsgemäß organisiert sein, selbst wenn die Vertragspartner eine moderne Kommunikationsstruktur mit der sich daraus ergebenden erweiterten Wissensweiterleitung erwarten. Bei der Anwendung der Wissensnormen steht vielmehr der Gesichtspunkt des Selbstschutzes des Betroffenen, der Gesellschaft, im Vordergrund.
cc) Zwischenergebnis Die Rechtfertigung der Zurechnung hängt zunächst entscheidend davon ab, ob das wissende Organmitglied an der Entscheidungsfindung beteiligt war. Fehlt es an einer solchen Beteiligung, ist weitergehend darauf abzustellen, ob das rechtserhebliche Wissen typischerweise aktenmäßig festgehalten wird und eine Weiterleitung in einer ordnungsgemäß organisierten juristischen Person zu erwarten gewesen wäre. Nur so wird eine angemessene Anpassung an die ar-
243
So aber Grunewald, FS Beusch, S. 301, 304 ff. Eine ähnliche Argumentation findet sich auch bei Scheuch, GmbHR 1996, 828, 831 und Taupitz, JZ 1996, 734, 735. 244
So auch Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 85; siehe ausfuhrlich schon oben § 2 B. III. 1. und 2. 245
Vgl. auch Faßbender, Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, S. 84 sowie Koller, JZ 1998, 75, 80.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
beitsteilige Persönlichkeitserweiterung bei der Anwendung der verschiedenen Wissensnormen erzielt 246 .
I I I . Wissensvertreter Das Kriterium des typischerweise aktenmäßig festgehaltenen Wissens und der Weiterleitung im Rahmen der ordnungsgemäß organisierten juristischen Person findet nicht nur bei der Rechtfertigung der Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern Anwendung. Auch das Wissen von Stellvertretern oder Wissensvertretern 247, die gerade nicht in der betreffenden Sache für die Gesellschaft tätig sind, wird der Gesellschaft nach diesem Kriterium im Wege einer wertenden Betrachtung zugerechnet 248. Denn es stellt sich über die Zurechnung gemäß § 166 Abs. 1 BGB hinaus die Frage, ob der Gesellschaft die Kenntnisse eines Vertreters zuzurechnen sind, die dieser bei früheren Vertretungen bereits erlangt hat 249 . Zum einen kann der Gesellschaft nicht das gesamte Wissen sämtlicher Vertreter bzw. Wissensvertreter vom Zeitpunkt der Vertretung an sozusagen beständig anhaften 250. Zum anderen kann sich die Gesellschaft aber nicht durch ständiges Auswechseln ihrer Vertreter stets gutgläubig halten. Es gelten insoweit die gleichen Überlegungen wie für die Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern 251. Einer näheren Auseinandersetzung mit den sich im einzelnen stellenden Problemkonstellationen bedarf es jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht. Das Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation ermöglicht in jedem Einzelfall eine optimale Anpassung an das arbeitsteilige Handeln.
246
Es bedarf folglich auch keiner Differenzierung zwischen den verschiedenen Wissensnormen, so aber Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 35 Rn. 88. 247
Im Anschluß an Richardis AcP 169 (1969), 385 ff., werden solche Hilfspersonen als „Wissensvertreter" bezeichnet, die ihre Tätigkeit für den Geschäftsheim in gewisser Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit ausüben. Vgl. auch BGHZ 83, 293, 296; BGH, NJW 1985, 2583; BGHZ 117, 104, 106 f.; Scheuch, GmbHR 1996, 828, 829; M. Schultz, NJW 1990, 477, 478; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 198 ff. 248
So auch BGH, NJW 1989, 2879 ff.; BGH, ZIP 1996, 500 ff.; Donle, FS Klaka, S. 6, 8; Grunewald, FS Beusch, S. 301, 310 ff.; dies., WuB IV A. § 852 2.94; Medicus, Karlsruher Forum 1994, S. 4, 11 ff.; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, S. 16, 26 ff.; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 209.
6*
249
Vgl. auch Waltermann, AcP 192 (1992), 1818, 208.
250
Vgl. dazu BGH, NJW 1984, 1953, 1954.
251
Siehe oben § 2 D. II. 2. d) bb).
§ 2 Allgemeine Grundlagen
IV. Zwischenergebnis 1. Als Zwischenergebnis dieser allgemeinen Ausführungen ist festzuhalten, daß die juristische Person überhaupt nur aufgrund der Zurechnung des Wissens der für sie handelnden natürlichen Personen als wissend im Sinne der Wissensnormen angesehen werden kann. 2. Die Zurechnung des Wissens der Organmitglieder erfolgt im Wege einer allgemein wertenden Betrachtung. Die Zulässigkeit einer solchen allgemein wertenden Zurechnung ergibt sich zum einen aus der fehlenden (analogen) Anwendbarkeit einzelner Zurechnungsnormen. Zum anderen enthält die Vorschrift des § 166 BGB als echte Wissenszurechnungsnorm analogiefähige Rechtsgedanken, die im Zusammenspiel mit den übrigen Zurechnungsnormen eine allgemein wertende Zurechnung als Form der Gesamtanalogie begründen, da nur so die ansonsten bestehenden Regelungslücken interessengerecht geschlossen werden können. 3. Für die Beurteilung der rechtserheblichen Wissensumstände innerhalb der juristischen Person ist zunächst immer auf das Wissen desjenigen abzustellen, der die tatsächliche Entscheidung getroffen hat, unabhängig davon, welche Position er innerhalb der juristischen Person einnimmt. 4. Im Rahmen der wertenden Betrachtung kommt es daneben darauf an, ob bei einer ordnungsgemäßen Organisation das typischerweise aktenmäßig festgehaltene rechtserhebliche Wissen an die entsprechenden Entscheidungsstellen weiterzuleiten gewesen wäre. Das richtet sich aufgrund des entscheidenden Kriteriums der Schutzbedürftigkeit nach den jeweiligen Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb der betreffenden Gesellschaft. Dieses Wissen wird der Gesellschaft unabhängig von der Stellung der wissenden Person wertend zugerechnet, um so eine angemessene Risikoverteilung und Anpassung an die arbeitsteilige Persönlichkeitserweiterung zu erzielen.
V. Wissen der Gesellschafter Im vorstehenden Teil ist festgestellt worden, daß der juristischen Person das Wissen ihrer Organmitglieder und Wissensvertreter im Wege der wertenden Betrachtung zuzurechnen ist. Wichtig war in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, auf welcher dogmatischen Grundlage die Wissenszurechnung beruht, welche Wertungen dabei zu berücksichtigen sind und in welchem Umfang die Zurechnung erfolgt. Besonders interessant für die Klärung der Wissenszurechnung im Konzern ist indes die Frage, ob der juristischen Person daneben auch das Wissen ihrer Mitglieder zugerechnet werden muß und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Denn das herrschende Unternehmen ist zugleich Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft. Muß sich die Gesellschaft schon das
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
Wissen ihrer Gesellschafter zurechnen lassen, so muß dies erst recht gelten, wenn es sich bei dem Gesellschafter um ein herrschendes Unternehmen handelt. Daß ein Bedürfnis besteht, auch das Wissen eines Gesellschafters der Gesellschaft zuzurechnen, läßt sich leicht verdeutlichen: Weist beispielsweise der Alleingesellschafter einer GmbH seinen gutgläubigen Geschäftsführer zum Kauf eines Grundstücks vom eingetragenen Nichtberechtigten trotz Kenntnis der Nichtberechtigung an, so kann es für die Beurteilung des gutgläubigen Erwerbs im Sinne des § 892 BGB nicht allein auf den Kenntnisstand des Geschäftsführers als dem Vertretungsorgan ankommen. Vielmehr ist eine Berücksichtigung des Wissens des Alleingesellschafters in einem solchen Fall geboten.
1. Das Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft Es stellt sich, wie schon bei den Organmitgliedern, die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Gesellschaftern. Dabei soll zunächst die Konstellation betrachtet werden, daß es sich bei der Gesellschaft um eine nicht verbundene Gesellschaft handelt, der wissende Gesellschafter mithin kein Unternehmer im Sinne der §§ 15 ff. AktG ist.
a) Das rechtliche Trennungsprinzip Auszugehen ist von der Tatsache, daß die Rechtsordnung das Kunstgebilde der juristischen Person als selbständiges Rechtssubjekt anerkannt hat. Die juristische Person wird durch Verleihung zu einer rechtlich eigenständigen Zuordnungs- und Zurechnungseinheit 252. Sie ist Träger von eigenen Rechten und Pflichten, ihr Vermögen ist nicht das Vermögen ihrer Gesellschafter und Eigenschaften, Kenntnisse, Verhaltensweisen oder Erklärungen der Gesellschafter, soweit sie nicht unmittelbar für die Gesellschaft abgegeben werden, sind auch nicht als solche der Gesellschaft zu werten 253 . Insbesondere kommt der Gesellschaft ein von ihren Gesellschaftern zu trennendes eigenes schutzwürdiges Interesse zu 2 5 4 .
252
Vgl. nur Wiedemann , GesR I, S. 204 f. m.w.N.
253
So schon RG, Das Recht 1929, 263 Nr. 1065; Schilling, JZ 1953, 161 f.
254
Zu den Besonderheiten im Fall der Einmann-GmbH siehe unten § 2 D. V. 2. b).
§ 2 Allgemeine Grundlagen
Entgegen einiger Äußerungen in der Literatur 255 gibt es jedoch keine spezifischen Normen, die eine strikte Trennung von Gesellschaft und Gesellschaftern anordnen, bzw. die den Zuordnungs- oder Zurechnungsumfang bei der typischen juristischen Person in der Art und Weise festlegen, daß die juristische Person von ihren Mitgliedern losgelöst zu betrachten oder die Zugehörigkeit zur juristischen Person unbeachtlich wäre 256 . Festgeschriebenen ist lediglich die gesetzliche Haftungsbeschränkung (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 AktG und § 13 Abs. 2 GmbHG), die, wie schon aus den Vorschriften zur KGaA deutlich wird, keine zwingende Folge der Rechtspersönlichkeit ist 257 . Vielmehr ist festzustellen, daß die Gesellschafter nicht von der juristischen Person separiert sind, sondern mit dieser durch besondere Rechtsbeziehungen in Verbindung stehen258.
b) §§ 130 Abs. 3, 131 Abs. 2 S. 2 i. V.m. § 138 Abs. 2 InsO Eine Besonderheit stellt die Vorschrift des § 130 Abs. 3 i.V.m. § 138 InsO dar 259 . Gemäß § 130 Abs. 3 InsO wird gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), vermutet, daß sie die Zahlungsfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Nach § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO sind solche Personen nahestehend, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners (der juristischen Person) beteiligt sind. Bei dieser Vorschrift handelt es sich zwar nicht um eine Zurechnungsnorm im eigentlichen Sinne, sondern nur um eine Vermutungsregel. Aber aufgrund der damit verbundenen Umkehr der Darlegungs- und Beweislast kommt dieser Vermutungsregel eine starke Bedeutung zu. Dem Gesellschafter wird alleine aufgrund seiner kapitalmäßigen Beteiligung eine Kenntnis unterstellt. Insoweit könnte
255 Vgl. Rehbinder, FS Fischer, S. 579, 580. Rehbinder führt dort im Zusammenhang mit der sogenannten Durchgriffsproblematik aus: „Durchgriff ist die Nichtanwendung einer Norm, die dem Zuordnungs- oder Zurechnungsumfang bei der typischen juristischen Person festlegt. Methodisch handelt es sich dabei um eine Restriktion der Trennungsnorm unter Ausfüllung durch eine andere Norm" [Hervorhebung durch den Verfasser]. 256 Vgl. Brändel in GroßKomm. AktG, § 1 Rn. 59; Flume , Die juristische Person, S. 68; Wiedemann , GesR I, S. 214 ff.; Wilhelm, Rechtform und Haftung, S. 13. 257
Vgl. nur Brändel in GroßKomm. AktG, § 1 Rn. 91. Aber auch umgekehrt folgt aus der gesetzlich vorgeschriebenen Haftungsbeschränkung noch keine vollrechtsfahige Rechtspersönlichkeit, wie sich aus der Existenz einer GmbH & Co. KG ergibt. 258
So ausdrücklich Flume , Juristische Person, S. 63 ff.; auch Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 13. 259
Gleiches gilt gemäß § 131 Abs. 2 S. 2 InsO.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
man bei dieser Vermutungsregel von einer Durchbrechung des Trennungsprinzips sprechen. Dagegen spricht jedoch zum einen, daß es sich bei der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft um eine ganz besondere Kenntnis handelt, nämlich der Kenntnis von dem bevorstehenden Ende der Gesellschaft. Zum anderen hat sich der mit Sperrminorität beteiligte Gesellschafter nicht nur passiv verhalten, sondern hat noch selbst Geschäfte mit der Gesellschaft getätigt. Das in einer solchen Konstellation der mit mehr als einem Viertel am Kapital beteiligte Gesellschafter tatsächlich auch Kenntnis hat, entspricht lediglich dem Regelfall. Diesen tatsächlichen Gegebenheiten hat der Gesetzgeber in Form der Beweislastregel Rechnung getragen 260. In dieser Anpassung der Beweislastregelung an die tatsächlichen Gegebenheiten kann somit keine Durchbrechung des Trennungsprinzips gesehen werden.
c) Vergleich mit der Stellung des Gesellschafters
in der oHG
Um zu erkennen, was das genau bedeutet, ist ein Blick auf die oHG als nicht juristische Person hilfreich. Für die oHG gilt, daß es, soweit es für die Rechtswirkungen von Geschäften der Gesellschaft auf die persönlichen Verhältnisse, Verhaltensweisen, Beziehungen oder Kenntnisse ankommt, genügt, wenn diese Umstände in der Person eines einzelnen Gesellschafters vorliegen 261 . Dies gilt allerdings nicht für den von der Vertretung ausgeschlossenen Gesellschafter 262. Beispielsweise kann das für die Anwendung des § 31 KO relevante Wissen eines nichtvertretungsberechtigten Gesellschafters nicht als das Wissen der Gesellschaft angesehen werden 263 . Die Gleichstellung in der oHG beruht demnach nicht auf der Mitgliedschaft in der Gesellschaft, sondern vielmehr auf der in der Gesellschaft eingenommen Stellung, mit der eine bestimmte Vertretungsmacht verbunden sein muß. Eine solche Vertretungsmacht steht aber den Gesellschaftern in der GmbH und erst recht in der AG gerade nicht zu, da hier die Vertretung ausschließlich den Geschäftsführungsorganen - dem Geschäftsführer gemäß § 35 GmbHG bzw. dem Vorstand gemäß § 78 AktG - obliegt. Des weiteren ist zu bemerken, 260
Vgl. dazu Begr. RegE in Balz!Landfermann,
S. 242 f.
261
Vgl. RGZ 43, 104 ff.; 118, 295, 298; BGHZ 23, 302 ff.; 26, 330 ff.; 34, 293, 296; 62, 166, 173; Baumbach/Hopt, HGB, § 124 Rn. 23 m.w.N.; Emmerich in Heymann, HGB, § 125 Rn. 40 f.; A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, S. 274; K. Schmidt in Schlegelberger, HGB, § 125 Rn. 50. 262
So Fischer in Großkomm. HGB^, § 125 Anm. 25; A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, S. 274. 263
So schon RG, LZ 1915, 290 f.
§ 2 Allgemeine Grundlagen
daß die AG und auch die GmbH 2 6 4 für eine größere Anzahl von Gesellschaftern als die geeignete Gesellschaftsform konzipiert worden sind. Diesem Zweck kann aber nur Rechnung getragen werden, wenn die Gesellschafter hinter der Gesellschaft zurücktreten.
d) Die Lehren vom „Durchgriff" In Rechtsprechung und Literatur wird vielfach versucht, die grundsätzliche Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern im Wege eines sogenannten „Durchgriffs" zu überwinden. Zu prüfen ist daher, ob die zum Durchgriff entwickelten Lehren geeignet sind, um das Problem der Wissenszurechnung angemessen zu lösen. Schon früh wurde das Bedürfnis erkannt, daß der Gesellschafter entgegen der gesetzlichen Vermögenstrennung in einigen Ausnahmefällen für die Verbindlichkeiten seiner Gesellschaft auch mit seinem eigenen Privatvermögen haften muß 265 . Doch hat das Reichsgericht die Begründung der Haftung der Gesellschafter nur auf § 242 und insbesondere § 826 BGB gestützt. Als erster hat Serick den Versuch unternommen, diese Fälle systematisch zu erfassen und den „Durchgriff 4 als eigenes Rechtsinstitut zu entwickeln 266 . Dieser Versuch ist allerdings nicht unumstritten geblieben. Auch heute wird noch darüber gestritten, welches der richtige dogmatische Ansatz für die Begründung eines Durchgriffsinstituts ist und ob überhaupt ein Bedürfnis für ein solches Rechtsinstitut besteht bzw. ob ein solches Rechtsinstitut überhaupt existiert. „Durchgriff 4 ist dabei zunächst als ein Sammelbegriff zu verstehen, der die verschiedenen Möglichkeiten der Durchbrechung des juristischen Trennungsprinzips umfaßt 267 . Zu unterscheiden ist zwischen dem sogenannten Zurechnungsdurchgriff und dem Haftungsdurchgriff 268, da in beiden Durchgriffs264
Siehe dazu Deutscher Handelstag, Entwurf eines GmbHG ( 1892), S. 35 ff.
265
Vgl. zur älteren Rspr. ζ. Β. RGZ 99, 232, 234; 103,64,66; 129,50,54; 156, 271,277; 169,240,248. 266
Serick, Rechtsform, passim.
267
Zum „Durchgriff 4 als Sammelbegriff vgl. Hueck in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 1 Rn. 56; Mertens in Hachenburg, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 1. 268
Auf diese Unterscheidung hat insbesondere Wiedemann , Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, S. 21 ff., 33; ders., GesR I, S. 219 ff. hingewiesen. Ebenso ausdrücklich Brändel in GroßKomm. AktG, § 1 Rn. 97; Raiser, KapGesR, §29 Rn 1. Ähnlich, wenn auch insgesamt vorsichtiger Mertens in Hachenburg, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 37 f.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
bereichen ganz unterschiedliche Interessen betroffen sind und es für die Frage der Wissenszurechnung nur auf den Bereich des Zurechnungsdurchgriffs ankommt. Unter einem Zurechnungsdurchgriff ist die Identifizierung der Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern zu verstehen, mit der Folge, daß Eigenschaften, Kenntnisse, Erklärungen oder Verhaltensweisen der Gesellschafter der Gesellschaft als bei dieser vorhanden zugerechnet werden und auch umgekehrt. Der defizitäre Tatbestand einer bezogenen Norm wird durch eine solche Zurechnung komplettiert, so daß die Norm unmittelbare Anwendung finden kann 269 . Der Zurechnungsdurchgriff findet demnach auf der Tatbestandsseite Anwendung. Der Interessenkonflikt besteht im Falle des Zurechnungsdurchgriffs nur zwischen der Gesellschaft und dem außenstehenden Dritten. Durch die Zurechnung von Erklärungen, Verhaltensweisen oder Kenntnissen wird das Verhältnis zwischen dem Dritten und der Gesellschaft erst begründet, beendet oder verändert. Demgegenüber findet der Haftungsdurchgriff auf der Rechtsfolgenseite Anwendung. Ein Haftungsdurchgriff liegt vor, wenn der bei der Gesellschaft bereits erfüllte Haftungstatbestand auf den Gesellschafter ausgedehnt wird und umgekehrt 270 . Beim Haftungsdurchgriff stehen sich im Gegensatz zum Zurechnungsdurchgriff das Interesse der Gläubiger und der Gesellschaft an der Befriedigung ihrer Forderung und das Interesse des Gesellschafters an der Beibehaltung der Vermögenstrennung gegenüber. Das Verhältnis zwischen Gläubiger und Gesellschaft ist unproblematisch, da die Gesellschaft unabhängig davon Schuldner bleibt, ob neben ihr auch der Gesellschafter haftet. Der Interessenkonflikt besteht beim Haftungsdurchgriff zwischen dem Gläubiger bzw. der Gesellschaft auf der einen und dem Gesellschafter auf der anderen Seite.
269 270
Siehe oben § 2 A. III.
Neben der Frage der Haftungsgrundlage ist die Frage der Durchgriffsfolgen höchst umstritten und noch wenig geklärt. Es stellt sich die Frage, ob die Gesellschafter direkt gegenüber den Gläubigem haften (Außenhaftung), oder nur von der Gesellschaft in Anspruch genommen werden können (Innenhaftung). Offen ist femer, ob die Gesellschafter, die im Wege des Durchgriffs in Anspruch genommen werden, primär oder nur subsidiär haften. Bork, ZGR 1994, 237, 241 Fn. 11 unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen einem Haftungsdurchgriff und einer Durchgriffshaftung, als einem über die bestehenden Haftungsnormen (insbesondere § 826 BGB) hinausgehenden eigenständigen Anspruch. Eine solche begriffliche Unterscheidung ist jedoch eher verwirrend, als das sie nutzen könnte. Offen ist weiterhin die Frage des Verjährungsbeginns. Zu dieser Problematik der Durchgriffsfolgen siehe Brändel in Großkomm. AktG, § 1 Rn. 96; Nirk, FS Stimpel, S. 443 ff.
0
§ 2 Allgemeine Grundlagen
Die wohl größte Schwierigkeit bei der Beschäftigung mit der Durchgriffsproblematik besteht darin, die Vielzahl an Rechtsprechung 271 und Literatur 272 zu ordnen, zumal sich die zu berücksichtigenden Lehren und Ansichten weniger im Ergebnis des Einzelfalls, als vielmehr durch ihre dogmatischen Grundlagen und die damit verbundenen terminologischen Differenzierungen unterscheiden. Zudem orientieren sich die einzelnen Lehren vor allem an den bisher von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen. Fälle der Wissenszurechnung in dem hier zu untersuchenden Sinne standen jedoch noch nicht zur Entscheidung an. In den bisher entschiedenen ähnlichen Fällen ging es nur um die Frage, ob die Gesellschaft eine Sache gutgläubig vom nichtberechtigten Gesellschafter erwerben könne und umgekehrt 273 . Bei der Lösung dieser Fälle aber kommen die Rechtsprechung und die ganz überwiegende Ansicht im Schrifttum erst gar nicht zur Frage der Wissenszurechnung, da eine Anwendung der Gutglaubensvorschriften schon an dem Erfordernis des Verkehrsgeschäfts scheitere 274. Vielfach wird unter dem Begriff des Durchgriffs auch nur die Frage einer möglichen Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten ihrer Gesellschaft behandelt. Bei der nachfolgenden Untersuchung der verschiedenen Lehren stellt sich daher die Frage, ob diese überhaupt eine Lösimg für die Frage der Wissenszurechnung geben können. Auf diese Frage soll sich die Untersuchung auch beschränken. Einer umfassenden Auseinandersetzung mit der Durchgriffsproblematik bedarf es somit an dieser Stelle nicht. Sie wäre auch im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten.
aa) Die subjektive Mißbrauchslehre Der von Serick entwickelte Ansatz geht davon aus, daß die Rechtsform der juristischen Person dann mißachtet werden muß, wenn sie zu unlauteren Zwekken mißbraucht wird 2 7 5 . In diesen Fällen würde eine Berufung auf die Trennung gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen. Ein solcher Mißbrauch liege vor, wenn mit Hilfe der Rechtsform der juristischen Person ein 271
Vgl. ζ. B. BGHZ 20, 4, 13; 22, 226, 230; 26, 31, 33 ff.; 29, 385, 392; 31, 258, 271; 68,312,315; 78,318,333; 102,95,101. 272
Vgl. ζ. B. das bei Brändel in GroßKomm. AktG, § 1 (unter IV.) aufgeführte Schrifttum. 273 Vgl. RGZ 119, 126, 129; 126, 46, 49; 130, 390, 392; 143, 202, 207; BGHZ 78, 318, 325; siehe auch die Auflistung der Fragestellungen bei K. Schmidt, GesR, S.
226. 274
Ausführlich siehe unten § 2 D. V. 1. d) cc).
275
Serick, Rechtsform, passim.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
1
Gesetz umgangen, vertragliche Verpflichtungen verletzt oder Dritte fraudulös geschädigt werden sollten. Voraussetzung sei also der subjektive Mißbrauch der Rechtsform 276. Mißbrauch setze allerdings in der Regel weiterhin voraus, daß derjenige, der die juristische Person mißbraucht, dieser seinen Willen aufzwingen könne. Ausreichend sei aber jede Beeinflußungsmöglichkeit, ζ. B. eine bloß wirtschaftliche Machtstellung 277 . Diesen Ansatz konsequent auf den Zurechnungsdurchgriff angewandt würde bedeuten, daß eine Wissenszurechnung erst dann gerechtfertigt wäre, wenn der Gesellschafter nicht nur konkret Einfluß auf die Gesellschaft genommen, sondern darüber hinaus noch eine Mißbrauchsabsicht gehabt hätte. Würde also beispielsweise ein wissender Alleingesellschafter den gutgläubigen Geschäftsführer einer GmbH zum Erwerb eines Grundstücks vom Nichtberechtigten anweisen, so hinge der gutgläubige Erwerb der Gesellschaft gemäß § 892 BGB davon ab, ob dem (bösgläubige) Alleingesellschafter eine Mißbrauchsabsicht vorzuwerfen wäre. Zu einem angemessenen Ergebnis gelangt diese Lehre demnach nur in den Fällen, in denen die Mißbrauchsabsicht des wissenden Gesellschafters offensichtlich ist. Eine solche, ausschließlich auf die Fälle des subjektiven Mißbrauchs beschränkte Zurechnung ist als unzureichend abzulehnen. Dagegen sprechen schon zum einen die damit verbundenen Beweisschwierigkeiten. Serick 21% weist ausdrücklich daraufhin, daß die Beweislast demjenigen obliege, der das Vorliegen eines subjektiven Mißbrauchs behauptet, mithin dem außerhalb der Gesellschaft stehenden Dritten. Eine solche Beweisführung dürfte aber selbst unter Zuhilfenahme der Grundsätze der Beweiserleichterung nur schwer zu führen sein 279 . Zum anderen ist das Kriterium der Mißbrauchsabsicht den meisten Wissensnormen gerade fremd 280 , insbesondere in dem viel zitierten Beispielsfall des gutgläubigen Erwerbs.
276 Dem weitgehend folgend auch Bauschke, BB 1975, 1322, 1324; Dempewolf, DB 1961, 969, 972; Drobnig, Haftungsdurchgriff, S. 20, 94 ff.; Kamm, Gesellschafterdarlehen an Kapitalgesellschaften, S. 102, 153 ff.; Stauder, GmbHR 1968, 72, 74; Unger, KTS 1959, 32, 37. Mit Einschränkungen Kleinertz, Mißbrauch der Haftungsbeschränkung, S. 53 ff., 86 f.; Kreifels, GmbHR 1956, 81, 82. Ähnlich auch noch der BGH, WM 1958, 460,467. 277
Serick, Rechtsform, S. 206.
278
Serick, Rechtsform, S. 221.
279
So auch z. B. BGHZ 20, 4, 13.
280
Die Normen der letzten beiden Fallgruppen (Wissen und Arglist bzw. Vorsatz) einmal ausgenommen.
§ 2 Allgemeine Grundlagen
bb) Die objektiv-institutionelle Mißbrauchslehre Neben der subjektiven Mißbrauchslehre hat sich eine verobjektivierte Lehre herausgebildet, die sogenannte objektiv-institutionelle Mißbrauchslehre 281. Danach findet ein Durchgriff statt, wenn die Verwendung der Rechtsform mit der damit verbundenen Trennung zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft dem Zweck der Rechtsordnung widerspricht. Die objektivinstitutionelle Lehre wird vor allem damit begründet, daß das Erfordernis eines subjektiven Mißbrauchs viel zu eng sei 282 . Zudem seien die mit der Mißbrauchsabsicht zu lösenden Fälle hinsichtlich der Haftung ohnehin schon von der Haftung gemäß § 826 BGB erfaßt 283. Gelöst werden mit der objektivinstitutionellen Mißbrauchslehre vor allem die Fälle des sogenannten Institutsmißbrauchs 284. Anhaltspunkte dafür, wann nach der objektiv-institutionellen Mißbrauchslehre eine Zurechnung des Wissens der Gesellschafter begründet sein könnte, werden von ihrer Vertretern hingegen nicht gegeben. Ohnehin ist fraglich, wann nach dieser Auffassung ein Verstoß gegen den Zweck der Rechtsordnung vorliegen soll. Es ist daher festzustellen, daß diese Lehre, unabhängig von der Frage, ob sie überhaupt dem Erfordernis der Rechtssicherheit genügt 285 , jedenfalls für die Lösung der Zurechnungsproblematik als konzeptioneller Ansatz nicht wirklich weiterführend ist.
281 So insbesondere die Rechtsprechung, vgl. BGHZ 20, 4, 13; 22, 226, 231; 31, 258, 271; 68, 312, 315; Vgl. auch Erlinghagen, GmbHR 1962, 169, 171; Erman, KTS 1959, 129, 131; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, S. 405 ff; Kuhn, Strohmanngründung, S. 196 ff.; Ott, Recht und Realität, S. 49; Reinhardt, FS Lehmann, S. 576, 579 ff.; Siebert, BB 1954, 417 f.; ähnlich wohl auch Stimpel, FS Goerdeler, S. 601, 612 ff. 282
So ausdrücklich BGHZ 20, 4, 13.
283
Vgl. Erman, KTS 1959, 129, 130; vgl. auch Hofman, NJW 1966, 1941, der daraus allerdings folgert, daß gar kein Bedürfnis für einen Durchgriff bestehe, da es schon an der erforderlichen Regelungslücke fehle. 284
So auch Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rn. 15.
285
Zweifelnd Hüffer,
AktG, § 1 Rn. 18.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
3
cc) Die Normzwecklehre Neben diesen beiden Lehren hat sich im Anschluß an die Ausführungen von Müller-Freienfels 286 die sogenannte Normzwecklehre mit ihren verschiedenen Ausprägungen entwickelt 287 . Nach dieser Lehre wird das Problem nicht als ein generalisierbares Problem der juristischen Person bzw. der Nichtanwendung der für sie geltenden Normen gewertet, sondern vielmehr als ein Problem der Normanwendung. Die juristische Person wird als eine funktionsgebundene Rechtsfigur angesehen, die nur so weit Berücksichtigung finden könne, wie der Sinn und Zweck der entsprechenden, meist außergesellschaftsrechtlichen Vertrags· oder Gesetzesnormen dies zulasse. Diese Lehre unterscheidet sich bei genauer Betrachtung von der institutionellen Lehre nur in ihrem Verständnis von der juristischen Person 288. Ohnehin stellt sich die Frage, ob man hier überhaupt noch von einer Durchgriffslehre sprechen kann, denn die Normanwendung ist ein umfassendes, nicht auf die juristische Person beschränktes Prinzip. Soweit sich diese Lehre aber konkret mit dem Trennungsprinzip und seinen Grenzen auseinandersetzt, wird man sie noch unter den als Sammelbezeichnung zu verstehenden Begriff des Durchgriffs fassen können. Fraglich ist, zu welchen Ergebnissen die Normanwendungslehre in den Fällen der Wissenszurechnung kommt. Als Beispiel für die Anwendung der Normzwecklehre wird zumeist auf den Fall verwiesen, in dem die Gesellschaft ein Grundstück von ihrem nichtberechtigten Gesellschafter erwerben soll bzw. will 2 8 9 . Der in diesem Fall nach ganz überwiegender Meinung abzulehnende Gutglaubenserwerb durch die Gesellschaft wird vor allem damit begründet, daß es jedenfalls in den Fällen der vollständigen Identität zwischen dem/den verfü-
286
Müller-Freienfels,
AcP 156(1957), 522 ff.
287
Vgl. Coing, , NJW 1977, 1793 ff.; Hadding in Soergel, BGB, Vor § 21 Rn. 38; Kubier, Gesellschaftsrecht, S. 298 ff.; Rittner, Die werdende juristische Person, S. 222, 271 ff.; Schanze, Einmanngesellschaft, S. 114, ders., AG 1982, 42 ff.; Weick in Staudinger, BGB, Einl. zu §§ 21 ff. Rn. 43 ff. 288 289
Vgl. dazu näher Κ Schmidt, GesR, S. 230.
Siehe RGZ 119, 126, 129; 126,46,49; 130,390,392; 143,202,207; RG, Η RR 1931, Nr. 1047; BGHZ 78, 318, 325; Bassenge in Palandt, BGB, § 892 Rn. 7; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 23 III d; Brändel in Großkomm. AktG, § 1 Rn. 60; Heinsheimer, Gruch. Bd. 72, S. 174, 193; Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 13 Rn. 23; Mertens in Hachenburg, GmbHG. Anh. § 13 Rn. 65; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 466; Reinhardt, FS Lehmann, S. 576, 581; Rittner, Die werdende juristische Person, S. 274 f.; Serick, Rechtsform, S. 193 ff. m.w.N. zur älteren Literatur; Κ Schmidt, GesR, S. 237; Stürner in Soergel, BGB, § 892 Rn. 21; Wacke in MüKo, BGB, § 892 Rn. 42; Wiedemann, GesR I, S. 216.
§
Allgemeine Grundlagen
genden (nichtberechtigten) Gesellschaftern auf der einen und der Gesellschaftergesamtheit auf der anderen Seite an dem Erfordernis des Verkehrsgeschäfts fehlen würde. Im Wege einer teleologischen Reduktion ergebe sich für die Gutglaubensvorschriften, daß es einer tatsächlichen Personenverschiedenheit zwischen Veräußerer und Erwerber bedürfe. Andernfalls würden dem Rechtsmißbrauch alle Türen und Tore geöffnet 290 . Es handelt sich dann jedoch gerade nicht mehr um einen Fall der Zurechnung. Soweit es aber darum geht, daß die Gesellschaft von einem unbeteiligten Dritten erwirbt, es sich mithin um ein echtes Verkehrsgeschäft handelt, beinhaltet auch die Normzwecklehre keine weiterführenden Lösungsansätze. Denn weitere, über das Merkmal des Nichtverkehrsgeschäfts hinausgehende Einschränkungen des § 892 BGB, insbesondere unter Berufung auf unbestimmte Rechtsbegriffe wie Billigkeit oder Generalklauseln wie § 826 BGB 2 9 1 , sind als mit dem Erfordernis der Rechtssicherheit nicht vereinbar abzulehnen292. Die 290
Siehe vorherige Fn. Dem hat Heck, Sachenrecht, S. 184 jedoch für den Fall widersprochen, daß der Gesellschafter das Grundstück von der Gesellschaft erwirbt. Heck stellt dabei auf die Möglichkeit ab, daß der erwerbende Gesellschafter auch ein Entgelt zahlen könnte. Denn bei der Nichtanwendung des § 892 BGB würde der Gesellschafter Gefahr laufen, zum einen das Grundstück und zum anderen im Konkurs der Gesellschaft auch den gezahlten Kaufpreis zu verlieren. Davor aber solle gerade der § 892 BGB den gutgläubigen Erwerber schützen und es sei kein Grund dafür ersichtlich, warum der Gesellschafter anders behandelt werden solle als ein beliebiger Dritter. Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 266 ff, der sich dieser Ansicht anschließt und sie auch auf den umgekehrten Fall anwendet, führt dazu weiter aus, daß insbesondere aus den Motiven ein deutlicher Anhaltspunkt dafür hervorgehe, daß es nicht um den Begriff des Verkehrsgeschäfts gehe, sondern vielmehr um den Schutz entgeltlicher Geschäfte. Der Begriff des Verkehrsgeschäfts sei mit dem Begriff des entgeltlichen Rechtsgeschäfts deckungsgleich. Auch Flume , Die juristische Person, S. 71 f. stimmt Wilhelm für den Fall zu, daß die Gesellschaft von dem Gesellschafter erwerbe. Die juristische Person verdiene den Schutz des redlichen Erwerbs zum einen im Hinblick auf die Gläubiger und zum anderen auch als selbständig am Rechtsverkehr teilnehmende Wirkungseinheit. Anders als Heck und Wilhelm hält Flume den möglichen Erwerb aber dann nicht für sachgerecht, wenn der Gesellschafter von der Gesellschaft erwirbt. Das von Heck angeführte Konkursargument sei nicht überzeugend und zudem stelle es keine Mißachtung der Gesellschaft dar, wenn der Schutz nicht beim Erwerb durch den Alleingesellschafter gelte. Schon bei dieser Auseinandersetzung zeigen sich die mit einer Normanwendungslehre verbundenen Schwierigkeiten. 291 292
So die Überlegung von Augustin in RGRK, BGB, § 892 Rn. 8 a.E.
Vgl. nur Wacke in MüKo,, BGB, § 892 Rn. 43 m.w.N. So ist beispielsweise auch in den Fällen der mittelbaren Stellvertretung der gutgläubige Erwerb des mittelbaren Vertreters nicht dadurch ausgeschlossen, daß dieser von dem bösgläubigen Vertretenen zum Erwerb angewiesen wurde. Eine teleologische Reduktion der Gutglaubensvorschrift findet in diesen Fällen nicht statt. So die ganz herrschende Meinung, vgl. nur
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
Vorschriften des gutgläubigen Erwerbs enthalten ebensowenig wie die übrigen Wissensnormen Anhaltspunkte dafür, wann eine Zurechnung gerechtfertigt ist. Als Lösungsansatz für die Frage der Wissenszurechnung kommt demnach auch die Normanwendungslehre zu keinen ausreichend befriedigenden Ergebnissen.
dd) Die Mischtheorien Neben diesen drei grundlegenden dogmatischen Ansätzen werden noch eine Reihe von Mischtheorien vertreten 293, deren systematische Einordnung allerdings kaum mehr möglich ist. Zumeist beschränken sich deren Vertreter auf die Aufzählung von Fallgruppen, in denen ein Durchgriff erfolge, ohne aber den Versuch zu unternehmen, diese Fälle zu systematisieren 294. So haben sich hinsichtlich des Haftungsdurchgriffs insbesondere folgende Fallgruppen herausgebildet: die Unterkapitalisierung 295, die Vermögensvermischung 296, die Sphärenvermischung 297 sowie der Institutsmißbrauch 298.
Stürner in Soergel, BGB, § 892 Rn. 19 m.w.N.; a.A. allerdings Schwark, JuS 1980, III, 779. 293
Vgl. ζ. B. Geißler, GmbHR 1993, 71 ff.; Raiser , KapGesR, S. 326 ff.; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 103 ff., 492 ff.; ders., FS Fischer, S. 579 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rn. 10. Auch Serick, Rechtsform, S. 191 ff. könnte als Vertreter einer Mischtheorie angesehen werden, der nämlich ausführt, daß in Einzelfällen die juristische Person auch dann mißachtet werden könne, wenn die zur Anwendung stehenden Normen nicht von einer rechtlichen, sondern von einer tatsächlichen Personenverschiedenheit oder -einheit der Beteiligten ausgehen würden und die an der Rechtshandlung beteiligten Personen tatsächlich identisch sind. Neben dem subjektiven Mißbrauch kommen bei ihm also auch Aspekte der Normanwendungslehre zur Begründung des Durchgriffs in Betracht. So auch Κ Schmidt, GesR, S. 231. 294
Vgl. ζ. B. Boujong, FS Odersky, S. 739, 742 ff.; Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 13 Rn. 11 ff.; Kraft in KölnKomm. AktG, § 1 Rn. 53 ff.; Mertens in Hachenburg, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 5 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rn. 15. 295
Vgl. zu der umfangreichen Literatur ζ. B. Emmerich in Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 89 ff.; Hüffer, AktG, § 1 Rn. 19; Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 13 Rn. 12 ff.; Raiser, KapGesR, § 29 Rn. 31 ff.; Wiedemann , GesR I, S. 224 ff., je m.w.N. 296
Vgl. BGH, ZIP 1985, 31; Emmerich in Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 88; Kraft in KölnKomm. AktG, § 1 Rn. 55 f.; Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 13 Rn. 15, je m.w.N. 297
Siehe Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 13 Rn. 16; Mertens GmbHG, Anh. § 13 Rn. 49 ff.; Wiedemann, GesR I,S. 224, je m.w.N.
in Hachenburg,
§ 2 Allgemeine Grundlagen
Die Aufstellung dieser Fallgruppen einer Durchgriffshaftung bringt jedoch für die Klärung der Frage nach der Rechtfertigung der Wissenszurechnung keinen Erkenntnisgewinn.
ee) Die Auffassung von Wilhelm Den verschiedenen Durchgriffslehren gegenüber steht die Auffassung von Wilhelm, der die Existenz eines Durchgriffsinstituts grundsätzlich ablehnt 299 . Vielmehr geht Wilhelm vom Trennungsprinzip zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern aus und sieht es als geboten an, die juristische Person als Rechts- und Pflichtsubjekt mit allen Konsequenzen ernstzunehmen. Wilhelm begründet seine Auffassung damit, daß das von der ganz herrschenden Meinung vorgenommene Regel - Ausnahmeverhältnis zwischen Trennungsprinzip und Durchgriff zu einer kaum erträglichen Unsicherheit und Maßstabslosigkeit führe. Dies finde am deutlichsten seinen Ausdruck in den bestehenden Orientierungsgesichtspunkten wie Wirklichkeit des Lebens, Normzweck, Zweck der Rechtsordnung, ordre public, Treu und Glauben, Rechts- oder Institutsmißbrauch einerseits und in der Flucht in die Fallgruppen andererseits. Diese Rechtsunsicherheit könne dadurch verhindert werden, daß der Durchgriff beseitigt und die juristische Person konsequent ernstgenommen würde. Dafür spräche zunächst einmal die Tatsache, daß die Rechtsordnung die Konstruktion der juristischen Person anerkenne. Aufgrund der anerkannten Rechtssubjektivität sei das Handeln der hinter der juristischen Person stehenden Rechtssubjekte im Rechtssinne nicht als ein Handeln unter der Rechtsform der juristischen Person zu verstehen, sondern entweder als Handeln der juristischen Person selbst oder als Handeln gegenüber der juristischen Person. Darüber dürfe jedoch nicht vergessen werden, daß die Gesellschafter mit der Gesellschaft durch besondere Rechtsbeziehungen verbunden seien 300 . Auf dieser Grundlage führt Wilhelm weiter aus, daß die üblicherweise mittels Durchgriffslehre gewonnen Ergebnisse erst richtig, d. h. rechtlich fundiert, zu lösen seien, wenn sie unter Berücksichtigung dieser zwischen den Rechtssubjekten bestehenden Beziehungen entschieden würden. Eine Lösung des Problems der
298 Vgl. OLG München, WiB 1996, 490; LutterlHommelhoff, GmbHG, § 13 Rn. 17; Wiedemann , GesR, S. 227 f.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rn. 15, je m.w.N. 299
Wilhelm, Rechtsform und Haftung, passim.
300
So ausdrücklich auch Flume , Die juristische Person, S. 63 ff.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
Wissenszurechnung mittels eines Durchgriffs kommt dementsprechend nach Wilhelm nicht in Betracht 301 .
ff) Zwischenergebnis Betrachtet man die verschiedenen Ansätze zur Begründung eines Durchgriffsinstituts, so ist festzustellen, daß keiner dieser Ansätze für die Frage der Wissenszurechnung eine umfassend praktikable und befriedigende Lösung bietet. Für den Rückgriff auf ein Rechtsinstitut des Durchgriffs besteht für die hier zu untersuchende Frage der Wissenszurechnung daher kein Bedürfnis 302 .
2. Wissenszurechnung aufgrund mitgliedschaftlicher Verbundenheit Können die Durchgriffslehren zur Begründung einer Wissenszurechnung nicht herangezogen werden, so bleibt die Frage weiterhin bestehen, ob der Gesellschaft das Wissen ihrer Gesellschafter schon aufgrund der mitgliedschaftlichen Verbundenheit zugerechnet werden kann. Zur Klärung dieser Frage ist an die oben getroffene Feststellung anzuknüpfen 303, wonach die Gesellschaft nicht losgelöst von ihren Gesellschaftern zu betrachten ist.
a) Verbundenheit des (einfachen) Gesellschafters Grundsätzlich steht einer Wissenszurechnung die bestehende Eigenständigkeit der juristischen Person und ihrer damit verbundenen, vom Gesellschafter zu trennenden Schutzbedürftigkeit entgegen. Die Eigenständigkeit der juristischen Person steht auch generellen Überlegungen entgegen, die sich aus dem Gedanken der arbeitsteiligen Persönlichkeitserweiterung ergeben könnten. Die Gesellschaft (bzw. deren Vertreter) arbeitet/handelt gerade nicht für die Gesell-
301
Zu der von Wilhelm stattdessen vorgeschlagenen Lösung des Problems der Wissenszurechnung siehe unten § 2 V. 3. b) aa) und bb). 302
Ähnlich auch K. Schmidt, GesR, S. 232 f. Ein Durchgriffsinstitut generell ablehnend neben Wilhelm, a.a.O., auch Emmerich in Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 84 a, 92 f.; Fleck, GmbHR 1993, 550, 552; Hüffer, AktG, § 1 Rn. 18; K. Schmidt, ZIP 1986, 146, 148; auch Brändel in GroßKomm. AktG, § 1 Rn. 99 f., der allerdings die konzernrechtlichen Einzelnormen zu den Durchgriffsfällen zählt. Hofmann, NJW 1966, 1941 ff. hält die Regelung des § 826 BGB für ausreichend bzw. für allein anwendbar. Es fehle daher an einer Regelungslücke. Er bezieht das jedoch nur auf die unterkapitalisierte GmbH. 303
7 Schüler
Siehe oben § 2 D. V. l.a).
§ 2 Allgemeine Grundlagen
schafter. Zwar profitieren diese vom Erfolg der Gesellschaft; die bloße kapitalmäßige Beteiligung und die damit einhergehende wirtschaftliche Risikoverbundenheit reicht jedoch nicht dazu aus, um die Gesellschaft als Persönlichkeitserweiterung ihrer Gesellschafter anzusehen. Die grundsätzliche Trennung des Wissens ergibt sich auch aus der Wertung des § 166 BGB 3 0 4 . Selbst im Fall der Stellvertretung findet trotz der dadurch begründeten arbeitsteiligen Persönlichkeitserweiterung und einer unmittelbaren wirtschaftlichen Betroffenheit des Vertretenen eine Berücksichtigung seines Wissens erst statt, wenn er sich an der Entscheidungsfindung im Sinne des § 166 Abs. 2 BGB beteiligt hat. Erst dann fehlt es an einer Rechtfertigung finden von den Wissensnormen gewährten Schutz des Vertretenen. Insbesondere wenn neben dem wissenden Gesellschafter noch weitere, aufgrund fehlenden Wissens schutzbedürftige Gesellschafter vorhanden sind, bedarf es zur Begründung der Zurechnung einer besonderen Qualifikation. Auch in der Personengesellschaft reicht die bloße Stellung als Gesellschafter trotz der unmittelbaren Risikoverbundenheit noch nicht zur Begründung der Wissenszurechnung aus, allerdings reicht als Qualifikation die gemäß §§ 114, 125 HGB gesetzlich vorgesehene Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis 305.
b) Verbundenheit des Mehrheits- oder Alleingesellschafter Auch die Verbundenheit des Mehrheits- oder Alleingesellschafters reicht zur Begründung einer Wissenszurechnung alleine nicht aus, denn es bleibt bei der grundsätzlichen rechtlichen Eigenständigkeit der Gesellschaft 306. Allerdings könnte man im Fall des Alleingesellschafters einer GmbH fragen, ob überhaupt ein vom Gesellschafter zu unterscheidendes, schützenwertes Interesse der Gesellschaft besteht. Insbesondere nach Rechtsprechung und „klassischer" 307 Lehre, wird das Bestehen eines Eigeninteresses der EinmannGmbH bislang abgelehnt, da der Wille des Alleingesellschafters mit dem Willen der Gesellschaft identisch sei 308 .
304
Siehe oben § 2 C. II. b).
305
Siehe oben § 2 D. V. 1. d).
306
Unstreitig. Vgl. ζ. B. BGHZ 10, 205, 207, 26, 31, 33; 68, 312; Emmerich in Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 50; Hueck in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 1 Rn. 50, 55; Kraft in KölnKomm. AktG, § 1 Rn. 69, 77. 307 308
So die Bezeichnung von Winter, ZGR 1994, 570, 578.
Vgl. BGHZ 119, 257, 259 ff.; 122, 333, 336, jedenfalls soweit nicht die Existenz der GmbH gefährdet sei. Vgl. auch Hueck in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rn.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
Voraussetzung für eine solche Interessenidentität ist jedoch, daß sich der Wille bzw. das Interesse des Gesellschafters überhaupt artikuliert hat. Daraus folgt, daß sowohl nach der „klassischen" Ansicht als auch nach der Gegenansicht 309 ein eigenständiges Interesse jedenfalls dann zu bejahen ist, wenn sich der Alleingesellschafter vollständig aus der Geschäftsführung seiner Gesellschaft heraushält. Eine Wissenszurechnung alleine aufgrund der mitgliedschaftlichen Verbundenheit, ohne tatsächliche Einflußnahme auf die Geschäftsführung, kommt daher auch beim Alleingesellschafter nicht in Betracht. Das gilt gleichermaßen für die Aktiengesellschaft.
c) Pflicht zur Entscheidungsbeteiligung Fraglich ist, ob nicht eine Zurechnung in den Fällen gerechtfertigt sein könnte, in denen der wissende Gesellschafter rechtlich verpflichtet gewesen wäre, sich an der Entscheidungsfindung der Gesellschaft zu beteiligen 310 . Betrachtet werden sollen hier nur die Verpflichtungen, die sich aus der Stellung als Gesellschafter - unabhängig ob einfacher oder Alleingesellschafter - selbst ergeben können 311 . Bestünde eine solche Verpflichtung, hätte sich der Gesellschafter aber pflichtwidrig nicht an der Entscheidungsfindung beteiligt und wäre dementsprechend sein Wissen unberücksichtigt geblieben, so könnte
21; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 43 Rn. 60; Lutter, ZIP 1985, 1425, 1428; Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 13 Rn. 22; Rehbinder, AG 1986, 85, 90; Reuter in MünchKomm. BGB, Vor § 21 Rn. 44; Röhricht, WPg 1992, 766, 784 f.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Anh. KonzernR Rn. 53; ders., Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 21 ff. 309
Nach einer insbesondere in der jüngeren Literatur vertretenen Ansicht wird das Bestehen eines vom Gesellschafter getrennten Eigeninteresses dagegen unabhängig von der Einflußnahme bejaht, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen und unterschiedlicher Intensität. Vgl. Assmann, JZ 1986, 928, 931; Fleck, ZHR 149 (1985), 393 ff., 418; Priester, ZGR 1993, 512 ff.; Κ Schmidt, GesR, S. 1217 f.; ders., ZIP 1988, 1497, 1505; Schneider in Scholz, GmbHG, § 37 Rn. 52; Schulze-Osterloh, ZGR 1983, 123, 157 f.; Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 418 f.; ders. in Hachenburg, GmbHG, Anh. § 77 Rn. 75; M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen, S. 190 ff., 202 ff.; ders., ZGR 1994, 570, 580 ff.; ohne Einschränkungen Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 330 ff; Ziemons, Haftung der Gesellschafter, S. 97 ff. m.w.N. auch zur Gegenmeinung (S. 95). 310
Zu der Frage, ob die Beteiligung an der Entscheidungsfindung tatsächlich eine Wissenszurechnung begründet, siehe unten § 2 V. 3. 311
Besonders vertraglich vereinbarte Zusatzpflichten der Gesellschafter bleiben demnach außer Betracht. 7
100
§ 2 Allgemeine Grundlagen
dadurch die Schutzwürdigkeit der Gesellschaft eingeschränkt und eine Zurechnung als angemessener Interessenausgleich gerechtfertigt sein. Festzustellen ist jedoch, daß der Gesellschafter grundsätzlich nicht verpflichtet ist, sich an der Entscheidungsfindung der Gesellschaft in Geschäftsführungsangelegenheiten zu beteiligen 312 . Den Gesellschaftern steht ein Recht auf Desinteresse zu 313 . Lediglich in besonderen Ausnahmefällen können die Gesellschafter - insbesondere in der GmbH - aufgrund der ihnen obliegenden Treuebindung verpflichtet sein, sich an einer Abstimmung zu beteiligen oder noch weitergehend, ihre Stimme in einem bestimmten Sinn - in der Regel als Zustimmung - abzugeben314. Eine solche Pflicht besteht dann, wenn eine Entscheidung mit erheblicher Bedeutung für die Gesellschaft - meist bei sonst drohender Existenzgefährdung - nur unter Teilnahme bzw. Zustimmung des betreffenden Gesellschafters beschlossen werden kann 315 . Es handelt sich demnach um eine ausschließlich im Innenverhältnis zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern bestehende Pflicht. Diese kann aber keinen Einfluß auf die Zurechnung im Außenverhältnis haben, da im Fall der Pflichtverletzung keine wirksamen Veränderungen im Außenverhältnis entstehen. Abweichungen von diesem Grundsatz könnten sich eventuell dann ergeben, wenn ein Gesellschafter dauerhaft und umfassend Weisungen erteilt und faktisch die Geschäftsführung der Gesellschaft bestimmt. In diesem Fall wäre es denkbar, daß diesem Gesellschafter umfassende Tätigkeits- und Überwachungspflichten erwachsen 316, wie diese für den Geschäftsführer allgemein 312
Ohnehin sind die Möglichkeiten für Aktionäre sich an der Entscheidung ihrer Gesellschaft in Geschäftsfuhrungsangelegenheiten zu beteiligen, sehr begrenzt. Siehe dazu näher unten § 2 D. V. 3. c) aa). 313
Das Recht auf Desinteresse ergibt sich im Umkehrschluß aus der Bestimmung der dem Gesellschafter obliegenden Pflichten, vgl. dazu Hommelhoff ZIP 1983, 383 ff., 390; Lutter in KölnKomm. AktG, Vor § 53 a Rn. 13 ff.; Raiser in Hachenburg, GmbHG, § 14 Rn. 50; K. Schmidt, GesR, S. 615 f.; Wiedemann , GesR I, S. 392 ff. Winter in Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 14 ff.; Ziemons, Haftung der Gesellschafter, S. 152, 158 f. 314
Vgl. BGHZ 98, 276; BGH, BB 1987, 1200; OLG Hamm, GmbHR 1992, 612; Hueck in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rn. 30; ders., ZGR 1972, 237, 253; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 14 Rn. 16; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13 Rn. 61 ff.; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, § 47 Rn. 31 m.w.N.; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, S. 88 f.; Winter in Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 60; M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen, S. 167 ff.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 353 f. 315
Vgl. nur Winter in Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 60.
316
So ζ. B. Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 330 ff.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
101
anerkannt sind 317 . Darauf wird im konzernrechtlichen Teil näher einzugehen sein.
d) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist daher festzustellen, daß das Wissen des Gesellschafters, unabhängig ob einfacher, Mehrheits- oder Alleingesellschafter, der Gesellschaft jedenfalls nicht alleine aufgrund seiner mitgliedschaftlichen Verbundenheit zugerechnet werden kann.
3. Beteiligung an der Entscheidungsfindung Reicht die mitgliedschaftliche Verbundenheit alleine nicht zur Begründung einer Wissenszurechnung aus, so ist weitergehend zu fragen, ob sich an diesem Befund etwas ändert, wenn sich der Gesellschafter an der Entscheidungsfindung innerhalb der Gesellschaft beteiligt hat. Bei der Entscheidungsfindung handelt es sich, wie bereits festgestellt 318, um ein entscheidendes Kriterium für die Begründung der Wissenszurechnung.
a) Stellvertretung
im Sinne der §§ 164ff. BGB
Handelt der Gesellschafter als bevollmächtigter Stellvertreter im Sinne der §§164 ff. BGB für seine Gesellschaft, so finden die Vorschriften der §§164 ff., einschließlich des § 166 BGB unmittelbare Anwendung. Das Wissen des Gesellschafters wird der Gesellschaft gemäß § 166 Abs. 1 BGB zugerechnet und auch Willenserklärungen, die gegenüber dem stellvertretenden Gesellschafter abgegeben werden, sind dieser gemäß § 164 Abs. 3 BGB zuzurechnen. Es handelt sich dann um den konkret geregelten Anwendungsfall dieser Normen. Die Stellung des Gesellschafters als Mitglied der juristischen Person weist insofern keine Besonderheiten auf. Auf diese Konstellation braucht daher hier nicht weiter eingegangen zu werden.
317
Siehe dazu Schneider in Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 42 ff. m.w.N.
318
Siehe oben § 2 C. II. l.b)bb).
§ 2 Allgemeine Grundlagen
10
b) Entscheidungsbeteiligung
in der GmbH
Da sich die Möglichkeiten der Gesellschafter, sich an der Entscheidungsfindung innerhalb der Gesellschaft zu beteiligen, in der AG und der GmbH unterscheiden, bedarf es einer Differenzierung zwischen diesen beiden Gesellschaftsformen. Die GmbH wird gemäß §§ 35, 37 GmbHG durch ihren Geschäftsführer vertreten und auch gefuhrt. Der Geschäftsführer ist das einzige und zugleich notwendige Vertretungsorgan, wodurch es der GmbH erst möglich wird, am Rechtsverkehr teilzunehmen319. Der Geschäftsführer ist daneben auch das zur Geschäftsführung 320 berufene Organ 321 . Der Geschäftsführer ist daher nicht nur rechtsgeschäftlicher, sondern zugleich organschaftlicher Vertreter der Gesellschaft 322 . In der GmbH kann aber die Gesellschafterversammlung 323 sowohl generelle, auf die langfristige Geschäftspolitik abzielende Weisungen erteilen als auch solche, die einzelne Maßnahmen des laufenden Tagesgeschäfts betreffen 324. Fraglich ist in diesem Zusammenhang allerdings, ob die Gesellschafter die Erteilung von Weisungen derart intensivieren dürfen, daß der Geschäftsführer
319
Siehe Schneider in Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 21 ff. m.w.N.
320
Darunter ist die im Innenverhältnis wirkende Befugnis zu verstehen, die Gesellschaft zu verwalten und zu leiten. 321
Schneider in Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 10 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 35 Rn. 3. 322
Vgl. zu dieser Unterscheidung ausfuhrlich Κ Schmidt, GesR, S. 255 ff.
323 Das Weisungsrecht steht ausschließlich nur der Gesellschafterversammlung, nicht den einzelnen Gesellschafter zu, einschließlich des Mehrheitsgesellschafters und ist mittels Gesellschafterbeschlusses auszuüben, vgl. Schneider in Scholz, GmbHG, §37 Rn. 31. Zu den Besonderheiten, die sich in der Einmann-GmbH ergeben, siehe BGHZ 31, 258, 278; allgemein LutterlHommelhoff, GmbHG, § 48 Rn. 17. 324
Vgl. OLG Düsseldorf, ZIP 1984, 1476, 1478; Eisenhardt, FS Pfeiffer, S. 839 ff; Lutter/Hommelhoff y GmbHG, § 37 Rn. 17; Konzen, NJW 1989, 2977, 2979; Schneider in Scholz, GmbHG, § 37 Rn. 30; Ziemons, Haftung der Gesellschafter, S. 11 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 37 Rn. 10; a.A. allerdings Wiedemann , GesR I, S. 336: Die Gesellschafterversammlung könne nur dann über einzelne Geschäftsführungsfragen entscheiden, wenn der Geschäftsführer diese an sie herantragen würde. Eine solche Beschränkung läßt sich jedoch mit der Allzuständigkeit der Gesellschafterversammlung nicht vereinbaren und ist daher abzulehnen.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
103
zu einem reinen Exekutivorgan degradiert wird 3 2 5 . Als zulässig sind aber jedenfalls solche Weisungen zu erachten, die in Übereinstimmung mit Gesetz und Gesellschaftsvertrag erteilt werden 326 . Aufgrund der weitgehenden Satzungsautonomie im Recht der GmbH sind eine Vielzahl von Gestaltungmöglichkeiten zulässig 327 , wobei aber im folgenden vom gesetzlichen Regelfall (ohne besondere Satzungsgestaltungen) ausgegangen werden soll. Korrespondierend zum Weisungsrecht der Gesellschafter besteht eine Folgepflicht des Geschäftsführers. Der Geschäftsführer ist an die Weisungen der Gesellschafterversammlung gebunden328. Er ist nicht berechtigt, die Ausführung inhaltlich unzweckmäßiger Weisungen zu verweigern. Das gilt selbst für schädigende Weisungen, beispielsweise wenn der Geschäftsführer willkürlich Zahlungen aus dem freien Vermögen der Gesellschaft leisten soll 329 . Unter
325
Ablehnend Hommelhoff ZGR 1978, 118, 129; Lutterl Hommelhoff GmbHG, § 37 Rn. 18; Wiedemann , GesR I, S. 336; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 37 Rn. 11; a.A. aber Eisenhardt, FS Peiffer, S. 839, 846; Ingerì in MünchHdb. GmbH, § 37 Rn. 7; Konzen, NJW 1989, 2977, 2979; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 37 Rn. 22; Mertens in Hachenburg, GmbHG, § 37 Rn. 8 f.; Miller in Meyer-Landrut, GmbHG, § 37 Rn. 83; Schneider in Scholz, GmbHG, § 37 Rn. 38; ders., BB 1973, 1464, 1469; Sudhoff,\ Rechte und Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH, S. 69; Wank, GmbHR 1980, 121, 123; Ziemons, Haftung der Gesellschafter, S. 21 f. 326
Vgl. nur BGHZ 31, 258, 278; Schneider in Scholz, GmbHG, §37 Rn. 50 m.w.N. Zu den Problemen und Schwierigkeiten die bestehen, wenn die Weisungsbeschlüsse nicht nichtig (keine Folgepflicht), sondern nur anfechtbar sind, siehe Schneider in Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 97 ff. m.w.N. 327
So kann das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung in zwei Richtungen verändert werden: Zum einen kann die autonome Stellung des Geschäftsführers noch über § 76 Abs. 1 AktG hinaus erweitert werden, zum anderen kann der Geschäftsführer weitestgehend auf die Funktionen eines Ausführungsorgan beschränkt werden. Vgl. nur Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 37 Rn. 1 und 25 f. 328
Vgl. z. B. BGHZ 31, 258, 278; OLG Düsseldorf, ZIP 1984, 1476,1478; Boesebeck,, GmbHR 1960, 118 ff.; Fleck, GmbHR 1974, 224, 226; Immenga, GmbHR 1973, 5, 6; ders., Die personalistische Kapitalgesellschaft, S. 89, 278 ff.; Konzen, NJW 1989, 2977 ff.; Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 37 Rn. 1 und 17 ff.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 37 Rn. 3; K. Schmidt, GesR, S. 1069; Schneider in Scholz, GmbHG, § 37 Rn. 30 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 37 Rn. 10 ff. Die Bindung der Geschäftsführer gilt grundsätzlich auch in der mitbestimmten GmbH, vgl. BVerfGE 50, 290, 323; BGHZ 89, 48, 57. Zu den Besonderheiten im einzelnen siehe Hommelhoff, ZGR 1978, 118 ff.; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 37 Rn. 23; Schneider in Scholz, GmbHG, § 37 Rn. 39 ff., je m.w.N. 329
BGHZ 31, 258, 278; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, S. 271; Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 408; Mertens in Hachenburg, GmbHG, § 43 Rn. 67 ff.; Schneider in
10
§ 2 Allgemeine Grundlagen
besonderen Umständen könnte der Geschäftsführer aber dazu verpflichtet sein, seine Bedenken gegenüber der Gesellschafterversammlung vorzutragen 330. Ausgehend von dieser Erkenntnis ist zu fragen, wie der Gesellschaft das Wissen ihrer Gesellschafterversammlung 331 zuzurechnen ist, wenn diese den Geschäftsführer zur Durchführung der betreffenden Maßnahme 332 angewiesen hat. Es würde dem gesetzlichen Wertungssystem widersprechen, wenn der Gesellschaft bei vorhandenem Wissen und ausgeübter Weisungsmacht ihrer Gesellschafter der gesetzliche Schutz der Wissensnormen zukäme. Daher bedarf es der Schließung dieser gesetzlichen Regelungslücke. Das Bestehen einer solchen Regelungslücke verwundert nicht weiter, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es schon für die Zurechnung des Wissens der handelnden Vertretungsorganmitglieder an einer gesetzlichen Zurechnungsnorm fehlt.
aa) Analoge Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB Wilhelm 333 vertritt die Ansicht, daß das Wissen eines Alleingesellschafters einer GmbH analog § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen sei, wenn dieser den Geschäftsführer zum Abschluß des entsprechenden Rechtsgeschäfts angewiesen habe. Der Alleingesellschafter habe in einem solchen Fall aufgrund seiner organschaftlichen Macht 334 über den konkreten Geschäftsabschluß bestimmt und sei daher einem Vertreter gleichzustellen. Ob die Möglichkeit der analogen Anwendung nur auf den Alleingesellschafter beschränkt oder auch für die Mehr-Personen-GmbH gelten soll, geht aus den Ausführungen Wilhelms allerdings nicht hervor.
Scholz, GmbHG, §43 Rn. 95; Semler, FS Goerdeler, S. 551, 556; Ulmer, AG 1986, 123, 127 ff. 330
Siehe LutterlHommelhoff,
GmbHG, § 37 Rn. 23.
331
Es wird zunächst unterstellt, daß das in Frage stehende rechtserhebliche Wissen bei allen Gesellschaftern vorlag bzw. daß es sich um einen wissenden Alleingesellschafter handelt. 332
Eine Maßnahme kann auch in dem Unterlassen eines Rechtsgeschäfts liegen.
333
Wilhelm, Rechtsform u. Haftung, S. 47, der sich damit zu seiner Äußerung (in AcP 183 (1983), 1, 19), es handle sich bei § 166 BGB nicht um eine Wissenszurechnungsnorm, in Widerspruch setzt. 334
Organschaftliche Macht insofern, da das Weisungsrecht gegenüber dem Geschäftsführer nur von der Gesellschafterversammlung bzw. dem Alleingesellschafter als einem Organ der Gesellschaft ausgeübt werden kann.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
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Diese Ansicht verkennt jedoch, daß der Prozeß der Willensbildung und Entscheidungsfindung fur die Bestimmung der Person des Vertreters unerheblich ist. Entscheidend ist nur, wer letztendlich die Willenserklärung gegenüber dem Vertragspartner abgibt und das ist im Fall der GmbH allein der Geschäftsführer. Ob der „Vertreter" aufgrund einer konkreten Weisung des Vertretenen handelt oder selbständige Entscheidungen trifft, kann keine Rolle spielen, wie sich auch schon aus der Regelung des § 166 Abs. 2 BGB ergibt. Zudem setzt die von Wilhelm gegebene Begründimg voraus, daß dem anweisenden Gesellschafter die Stellung eines faktischen Geschäftsführungsorgans zukommt. Unabhängig von der Richtigkeit dieser Annahme ist jedoch, wie oben bereits festgestellt 335, das Geschäftsführungsorgan gerade nicht mit einem einfachen Vertreter gleichzusetzen. Auf die Vorschrift des § 166 Abs. 1 BGB kann daher die Begründung der Zurechnung des Wissens der Gesellschafter nicht gestützt werden.
bb) Analoge Anwendimg des § 166 Abs. 2 BGB Nach einer stark vertretenen Ansicht soll jedoch eine analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB in Betracht kommen, wobei sich die meisten Autoren aber nur auf den Fall der Weisung durch einen Alleingesellschafter beziehen336. Das Wissen des Alleingesellschafters bzw. der Gesamtheit der Gesellschafter sei der Gesellschaft entsprechend § 166 Abs. 2 BGB zuzurechnen. Für eine analoge Anwendung spricht, daß der Geschäftsführer, ebenso wie der Vertreter im Fall des Abs. 2, auf Weisung der Gesellschafterversammlung tätig wird. Dieses Weisungsverhältnis enthält die für die Vertretung typische Über- und Unterordnung 337 . Unter Hinweis auf das Fehlen eines solchen Stufenverhältnisses ist die analoge Anwendung des Abs. 2 für die Fälle abzulehnen, in denen es um die Zurechnung des Wissens eines unbeteiligten Organmitglieds geht 338 .
335
Siehe oben § 2 D. II. 2. a).
336
So insbesondere Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG § 35 Rn. 78; Baumann, ZGR 1973, 284, 297 f.; Emmerich in Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 71; Mertens in Hachenburg, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 70; wohl auch Müller-Freienfels, AcP 156 (1957), 522, 534 Fn. 61; Reuter in MüKo,, BGB, Vor § 21 Rn. 29; ebenfalls Wilhelm, Rechtsform u. Haftung, S. 47 f., der eine gleichzeitige Anwendung von § 166 Abs. 1 und 2 BGB für gegeben hält. 337
Zustimmend auch Schilken, Wissenszurechnung, S. 143.
338
Siehe oben § 2 D. II. 2. a).
§ 2 Allgemeine Grundlagen
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Aber ebenso wie eine analoge Anwendung im Fall der Wissenszurechnung von Organmitgliedern nicht in Betracht kommt, ist auch im Fall der Weisung durch den Alleingesellschafter eine entsprechende Anwendung abzulehnen339. Dagegen spricht schon, daß der Geschäftsführer gerade nicht die Gesellschafter, sondern ausschließlich die Gesellschaft vertritt. Eine Gleichstellung der Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern ist jedoch entsprechend dem rechtlichen Trennungsprinzip grundsätzlich abzulehnen. Nun ließe sich dagegen einwenden, daß im Fall des Alleingesellschafters (bzw. bei Einstimmigkeit des Gesellschafterbeschlusses) das Gesellschaftsinteresse vielfach mit dem Interesse des Gesellschafters als identisch angesehen wird 3 4 0 . Von dieser Annahme ausgehend, wäre eine Gleichsetzung des Gesellschafters mit der Gesellschaft durchaus denkbar. Eine solche Gleichstellung wäre aber auf den Fall der Einmann-GmbH bzw. auf den Fall des einstimmigen Gesellschafterbeschlusses begrenzt. Der Alleingesellschafter bzw. die Gesellschafter könnten beispielsweise durch die Aufnahme eines weiteren Gesellschafters oder durch einen scheinhalber opponierenden Gesellschafter eine Zurechnung analog § 166 Abs. 2 BGB verhindern, da jedenfalls dann der Gesellschaft ein Eigeninteresse zukäme und eine Gleichsetzung damit ausgeschlossen wäre. Dieses Beispiel verdeutlicht, daß die analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB nicht in allen Fällen zu einem befriedigenden Ergebnis führen würde 341 . Entscheidend ist zudem, daß es sich bei dem Geschäftsführer nicht um einen rechtsgeschäftlichen Vertreter der Gesellschaft handelt und die Vorschrift des § 166 BGB nicht auf dieses Verhältnis anwendbar ist 342 . Ganz abgesehen davon, kämen noch die allgemeinen - schon im Stellvertretungsrecht bestehenden - Anwendungsdefizite der Vorschrift des § 166 BGB hinzu 343 . Eine so begrenzte Wissenszurechnung würde zu Wertungswidersprüchen führen, die es aber gerade mittels der Zurechnung als Rechtsanwendungstechnik zu verhindern gilt.
339
So auch Brändel in GroßKomm. AktG, § 1 Rn. 58 f., 60; Broicher, ArchBürglR 24 (1904), 192, 210 Fn. 50; Flume, , Die juristische Person, S. 74; Kraft in KölnKomm., AktG, § 1 Rn. 42 ff., 45; Pawlowski, AT, Rn. 781 ; Reinhardt, FS Lehmann, S. 576, 580 ff.; Schilken, Wissenszurechnung, S. 143 f.; Schilling, JZ 1953, 161, 163; Serick, Rechtsform, S. 124 Fn. 3; Siebert, BB 1954, 417,418; Wiedemann, GesR I, S. 216. 340 Vgl. nur BGHZ 119, 257 ff. sowie LutterlHommelhoff, weitere Nachweise siehe oben § 2 D. V. 2. b). 341
So auch Schilken, Wissenszurechnung, S. 143 f.
342
Siehe oben § 2 D. II. 2. a).
343
Vgl. dazu oben § 2 D. II. 2. a).
GmbHG, § 13 Rn. 22;
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
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Eine analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB für die Wissenszurechnung von Gesellschaftern ist daher als unzureichend abzulehnen.
cc) Analoge Anwendung der §§ 31, 278 BGB Eine analoge Anwendung des § 31 oder § 278 BGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Vorschrift des § 31 BGB ist ausdrücklich auf die Vertretungsorgane sowie die verfassungsmäßig berufenen Vertreter der juristischen Person beschränkt. Der Gesellschafter selbst ist kein Organ, sondern nur Teil eines Organs, der Gesellschafterversammlung. Die Gesellschafterversammlung ist jedoch nicht das zur Vertretung berufene Organ, das ist einzig der Geschäftsführer. Im Zusammenhang mit der Frage nach einer Haftung der Gesellschafter für Einflußnahmen im Bereich der Geschäftsführung wird allerdings vielfach die Ansicht vertreten, daß ein Allein- oder Mehrheitsgesellschafter, der dauerhaft und umfassend auf die Geschäftsführung Einfluß nimmt, als ein faktisches (Geschäftsführungs-)Organ anzusehen sei 344 . Vereinzelt wird sogar die Ansicht vertreten, daß der Allein- oder Mehrheitsgesellschafter schon bei einzelnen Weisungen an den Geschäftsführer als faktisches (Geschäftsführungs-)Organ anzusehen sei 345 . Dementsprechend könnte eine analoge Anwendung des § 31 BGB durchaus in Betracht kommen.
344
Zu berücksichtigen ist allerdings, daß diese Frage zumeist im Zusammenhang mit der Konzernhaftung erörtert wird, d. h., daß noch eine Unternehmenseigenschaft beim herrschenden Gesellschafter voraussgesetzt wird. Vgl. Geitzhaus, GmbHR 1989, 397, 403 f.; Immenga, GmbHR 1973, 5, 8 f.; Konzen, NJW 1989, 2977, 2985 f.; Martens, GmbHR 1984, 265, 268; Rehbinder, ZGR 1977, 581, 640 f.; Schilling, FS Hefermehl, S. 383, 385 f.; Κ Schmidt, ZGR 1981, 455, 475; Schneider in Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 18; Schulze-Osterloh, ZGR 1983, 123, 158; ausführlich dazu Stein, Das faktische Organ, S. 33 ff. m.w.N.; Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 253, 336 ff.; ders., DB 1986, 2113, 2117 ff.; ähnlich auch Krebs, Geschäftsführungshaftung, S. 230 ff., der ausführt, daß im Fall der Weisungserteilung die Gesellschafterversammlung an die Stelle des leitenden Geschäftsführers trete. 345
So Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 355 Fn. 257; Thöni, GmbHR 1989, 187, 190 ff., allerdings bei analoger des § 708 BGB. Nach herrschender Meinung reicht jedoch die Erteilung einzelner Weisungen zur Begründung einer faktischen Organstellung noch nicht aus, vgl. BGHZ 93, 146, 150; Flume, ZHR 144 (1980), 18, 31; ders., Die juristische Person, S. 88; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 43 Rn. 57; LutterlHommelhoff, GmbHG, §43 Rn. 46; Schneider in Scholz, GmbHG, §43 Rn. 16; Mertens, FS Fischer, S. 461, 464; Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 413 ff.; M Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen, S. 119.
10
§ 2 Allgemeine Grundlagen
Die Begründung einer Organhaftung der Gesellschafter für Weisungen in Geschäftsführungsangelegenheiten entsprechend § 43 GmbHG stößt jedoch auf Bedenken 346 . Eine solche Haftung widerspricht dem gesetzlichen Wertungssystem, wonach die Gesellschafterversammlung gerade befugt sein soll, Weisungen zu erteilen 347 . Die Qualifizierung als faktisches Organ hätte zudem die Folge, daß die Gesellschafter dem sehr umfassenden Pflichtenkatalog des Geschäftsführers entsprechend § 43 Abs. 1 GmbHG unterliegen würden 348 . Die den Gesellschaftern obliegenden Pflichten stehen nicht im Einklang mit den Pflichten der Geschäftsführer. Auch im Fall der Ausübung der zulässigen Weisungsrechte erweitert sich der den Gesellschaftern obliegende Pflichtenkatalog nicht dahingehend, daß ihnen dieselben Pflichten wie dem Geschäftsführer obliegen 349 . Das gilt erst recht, wenn die Gesellschafter nur vereinzelt in die Geschäftsführung eingreifen 350 . Zudem würden sich bei einer analogen Anwendung des § 31 BGB die gleichen wertungswidrigen Anwendungsbeschränkungen wie bei der Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern ergeben 351. Da es sich beim Wissen um einen Bewußtseinszustand und nicht um ein Verhalten handelt 352 , kommt auch eine Anwendung des § 278 BGB nicht in Betracht.
346
Vgl. ζ. B. LutterlHommelhoff y GmbHG, Anh. § 13 Rn. 12; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 43 Rn. 57; Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 413 ff.; Paschke, AG 1988, 196, 202 f.; M. Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen, S. 117 ff.; ausführlich Ziemons, Haftung der Gesellschafter, S. 58 ff, 74. 347
LutterlHommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 13; Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 413 ff.; M. Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen, S. 117 ff; Ziemons, Haftung der Gesellschafter, S. 58 ff., 74. 348
Zu den Pflichten des Geschäftsführers siehe nur Schneider in Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 42 ff. m.w.N. 349
Zu den Besonderheiten, die sich im Fall konzernrechtlicher Verbundenheit ergeben, siehe unten § 3 F. I. 350
Vgl. BGHZ 93, 146, 150; Mertens, FS Fischer, S. 461, 464; Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 416; M Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen, S. 119. Überwiegend wird daher auf die Verletzung der Treuepflicht als Haftungsgrundlage zurückgegriffen. Für eine sehr umfassende Haftung wegen Treuepflichtverletzung Ziemons, Haftung der Gesellschafter, S. 75 ff., 181. Von diesem Problem zu trennen ist die Frage des Verschuldensmaßstabs. Fraglich ist, ob sich der Verschuldensmaßstab nach § 43 GmbHG, § 708 BGB oder § 276 BGB richtet. Das braucht hier jedoch nicht weiter zu interessieren. 351
Siehe oben § 2 D. II. 2. c).
352
Siehe oben § 2 B. III. 3.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
10
dd) Analoge Anwendung des § 164 Abs. 3 BGB Eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Passivvertretung, insbesondere des § 164 Abs. 3 BGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 BGB sowie die inhaltsgleichen Vorschriften § 78 Abs. 2 S. 2 AktG und § 35 Abs. 2 S. 3 GmbHG sind, wie § 31 BGB, auf die Vertretungsorgane beschränkt und kommen daher für eine Anwendung nicht in Frage. Auch die analoge Anwendung des § 164 Abs. 3 BGB ist abzulehnen. Der Gesellschafter ist weder ein Vertreter der Gesellschaft, noch hat er eine stellvertreterähnliche Stellung, welche aber für eine entsprechende Anwendung Voraussetzung wäre. Desertieren würden die mit § 164 Abs. 3 BGB verbundenen Beschränkungen 353 zu nicht vertretbaren Ergebnissen führen.
ee) Wertende Zurechnung Festzustellen ist somit, daß sich die Zurechnung des Wissens der Gesellschafter mittels einer (analogen) Anwendung der gesetzlichen Zurechnungsnormen nicht befriedigend lösen läßt. Es ist daher weitergehend danach zu fragen, ob eine Wissenszurechnung im Wege einer allgemein wertenden Betrachtung erfolgen könnte. Die Zulässigkeit einer solchen allgemein wertenden Betrachtung wurde bereits im Zusammenhang mit der Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern hinreichend erörtert 354. Es ist daher zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen die dort gefundenen Wertungskriterien eine Zurechnung des Wissens von Gesellschaftern rechtfertigen können.
(1) Die Gesellschafterversammlung
als faktisches Geschäftsführungs-Organ
Würde man der Ansicht folgen, wonach ein Gesellschafter bzw. die Gesellschafterversammlung im Fall der Weisungserteilung in die Stellung eines Geschäftsführungs-Organs wächst, könnte an dieser Stelle auf die im Zusammenhang mit der Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern gewonnenen Ergebnisse verwiesen werden 355 . Neben den grundsätzlichen Bedenken gegen diese, insbesondere für die Frage der Haftung entwickelte Ansicht, ist festzustellen, daß sie ohnehin nur in der von Wilhelm vertretenen Konsequenz für den Fall einer einzelnen Weisungser353
Vgl. dazu oben § 2 D. II. 2. b).
354
Siehe oben § 2 D. II. 2. d).
355
Vgl. dazu oben § 2. D. V. 3. b) cc).
10
§ 2 Allgemeine Grundlagen
teilung eine Antwort bezüglich der Wissenszurechnung enthält. Nur nach Wilhelm wäre das Wissen aller Gesellschafter der Gesellschaft auch schon bei vereinzelter Weisungserteilung zuzurechnen 356. Wilhelm hat die Frage der Wissenszurechnung allerdings nur für den Alleingesellschafter beantwortet. Ob auch das Wissen eines Minderheitsgesellschafters, der sich an dem Weisungsbeschluß beteiligt hat, zugerechnet werden soll, während die übrigen Gesellschafter unwissend sind, hat Wilhelm scheinbar unbeantwortet gelassen357. Entsprechend den oben gemachten Ausführungen zur Zurechnung von Wissen der Organmitglieder wäre das Wissen des Minderheitsgesellschafters als Mitglied des faktischen Geschäftsführungs-Organs aber zuzurechnen. Eine pauschale Qualifizierung der Gesellschafterversammlung als faktisches Geschäftsführungs-Organ im Fall einer einzelnen Weisungserteilung mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen ist jedoch, wie bereits ausgeführt, abzulehnen.
(2) Entscheidungsfindung
im arbeitsteiligen
Prozeß
Für die Begründung der Wissenszurechnung ist vom entscheidenden wissensspezifischen Wertungskriterium, der Entscheidungsfindung, auszugehen. Wie bereits festgestellt, trifft die Gesellschafterversammlung durch Erlaß eines Weisungsbeschlusses an den Geschäftsführer eine für diesen bindende Entscheidung. Der zulässige Weisungsbeschluß befreit den Geschäftsführer von seiner Verantwortung und dementsprechend von seiner Haftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG 358 . Der Geschäftsführer ist an diese Entscheidung gebunden. Ihm steht kein Prüfungsrecht im Sinne einer Zweckmäßigkeitskontrolle zu, sondern ihm obliegt lediglich eine inhaltlich stark begrenzte Überprüfungspflicht im Sinne einer Rechtmäßigkeitskontrolle. Die Entscheidungsfindung in Geschäftsführungsangelegenheiten durch die Gesellschafterversammlung erfolgt ausschließlich für die Gesellschaft. Die 356
Dabei sei nochmal erwähnt, daß nach Wilhelm allerdings keine wertende Zurechnung, sondern eine Zurechnung analog § 166 BGB erfolgen soll. 357
Dies dürfte aber wohl von ihm verneint werden, da sich seine Ausführungen ausdrücklich nur auf den Alleingesellschafter beziehen. 358
Unstreitig. Vgl. BGHZ 31, 278; 122, 336; Schneider in Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 95; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 22. Dementsprechend sah auch § 75 Abs. 4 RegE GmbHG 1971 für diesen Fall vor: „Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn die Handlung in Übereinstimmung mit Gesetz und Gesellschaftsvertrag auf einem Beschluß der Gesellschafter oder einer für die Geschäftsführung verbindlichen Weisung beruht."
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
1
Gesellschafterversammlung ist daher als das Willensbildungsorgan der Gesellschaft anzusehen. Sie ist im Fall der Weisungserteilung Teil eines arbeitsteiligen Prozesses innerhalb der Gesellschaft. Aufgrund der oben bereits gewonnenen Erkenntnis 359 ist in einem arbeitsteiligen Prozeß fur die Beurteilung der rechtserheblichen Wissensumstände immer das Wissen desjenigen zu berücksichtigen, der über die für die Maßnahme rechtserheblichen Einzelheiten verbindlich entscheidet. Das ist im Fall des Weisungsbeschlusses die Gesellschafterversammlung. Das Wissen der Gesellschafterversammlung ist dementsprechend der Gesellschaft im Wege wertender Betrachtung zuzurechnen.
(a) Wissen der Gesellschafterversammlung Es stellt sich in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, wie sich das Wissen der Gesellschafterversammlung bestimmt. Keine Probleme bereitet der Fall, bei dem das rechtserhebliche Wissen bei sämtlichen Gesellschaftern vorhanden war bzw. im Fall der Einmann-GmbH. Ohnehin wäre in diesen Fällen nach der „klassischen Lehre" 360 schon ein durch die Wissensnormen zu schützendes Eigeninteresse der Gesellschaft zu verneinen. Problematisch sind daher nur die Fälle, in denen neben dem wissenden Gesellschafter noch weitere, unwissende und damit schutzbedürftige Gesellschafter an der Beschlußfassung teilgenommen haben.
(b) Schutzbedürftigkeit Zur Klärung dieser Frage bedarf es eines Rückgriffs auf den Sinn und Zweck der Wissensnormen, deren Anwendung schließlich durch die Zurechnung gesichert werden soll. Es ist danach zu fragen, inwieweit die Gesellschaft als schutzbedürftig angesehen werden kann, wenn nur einer der anweisenden Gesellschafter wissend im Sinne der Wissensnormen war. Ist ein Organ in seiner Gesamtheit, d. h. mit allen Mitgliedern für die Willensbildung verantwortlich, so muß das rechtserhebliche Wissen nicht bei allen Mitgliedern vorgelegen haben. Unstreitig ist dies im Fall des Geschäftsführungsorgans. Sind mehrere Geschäftsführer mit Gesamtvertretungsmacht versehen, so ist es für die Begründung der Wissenszurechnung schon ausreichend,
359
Siehe oben § 2 C. II. l.b).
360
Siehe oben § 2 D. V. 2. b).
§ 2 Allgemeine Grundlagen
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wenn nur bei einem der Geschäftsführer das Wissen vorhanden war 361 . Das ergibt sich daraus, daß in diesen Fällen das wissende Organmitglied verpflichtet ist, seine rechtserheblichen Kenntnisse als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu stellen. Dementsprechend entfällt in diesen Fällen auch die Schutzbedürftigkeit und damit die Voraussetzung für die Anwendung der Wissensnormen. Das zu verteilende Risiko hat dann die Gesellschaft und nicht der außenstehende Dritte zu tragen. Gleiches gilt für die Gesellschafterversammlung 362. Stimmt der wissende Gesellschafter der Erteilung einer Weisung zu, so obliegt ihm dabei eine besondere Sorgfaltspflicht 363. Der Gesellschafter ist aufgrund seiner Treuebindung verpflichtet, bei der Wahrnehmung von Geschäftsführungsangelegenheiten der Gesellschafterversammlung alle rechtserheblichen Wissensumstände mitzuteilen 364 . Nur so ist die Gesellschafterversammlung in der Lage vernünftige und angemessene Geschäftsführungsentscheidungen zu treffen. Er hat sich vor der Abstimmung zu überlegen, ob er einen Beitrag in Form von rechtserheblichen Informationen zur Entscheidungsfindung leisten kann. Wenn der Gesellschafter
361
Allgemeine Ansicht, vgl. RGZ 134, 33, 36; BGHZ 20, 149, 153; 41, 282, 287; BGH, ZIP 1988, 370, 371; BGH, NJW-RR 1990, 1330, 1332; Hefermehl in Geßler/ Hefermehl, AktG, § 78 Rn. 69; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 35 Rn. 50; Leptien in Soergel, BGB, § 166 Rn. 5; Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 36 Rn. 4; Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 63; ders. in Hachenburg, GmbHG, § 35 Rn. 123; Meyer-Landrut in GroßKomm. AktG 3 , § 78 Anm. 15, 21; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 389 f.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 35 Rn. 75; Schilken, Wissenszurechnung, S. 127 ff.; ders. in Staudinger, BGB, § 166 Rn. 23; K. Schmidt, GesR, S. 293; Schneider in Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 81 ; Schramm in MünchKomm. BGB, § 166 Rn. 19; Steffen in RGRK, BGB, § 166 Rn. 5 f.; Wiesner in MünchHdb. AG, § 23 Rn. 21; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 35 Rn. 84. 362 Im Ergebnis ebenso Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 35 Rn 78, der das Wissen des einzelnen Gesellschafters allerdings in analoger Anwendung des § 166 BGB zurechnet. 363
Ausführlich dazu Ziemons, Haftung der Gesellschafter, S. 137 ff., 181, die allerdings den Umfang der Sorgfaltspflicht sehr weit faßt. 364 So ist ein Gesellschafter beispielsweise verpflichtet, seine persönlichen Beziehungen offenzulegen, wenn dies für die Mitgesellschafter erforderlich ist, um über das Bestehen eines Stimm- oder Wettbewerbsverbots zu entscheiden. Vgl. Emmerich in Scholz, GmbHG, Anh. KonzernR Rn. 89; Jestaedt, GmbHR 1994, 442 f.; Lutterl Hommelhoff,; GmbHG, § 51 a Rn. 18; Schilling, FS Hefermehl, S. 383, 385; Wiedemann, FS Heinsius, S. 949, 954; M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen, S. 261; Wolany, Rechte und Pflichten eines Gesellschafters einer GmbH, S. 159. Nach OLG Hamburg, BB 1993, 1030 ist selbst ein Treuhänder zur Offenlegung seines Treuhandverhältnisses verpflichtet.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
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z.B. die Nichtberechtigung eines Verkäufers kennt, mit dem die Gesellschaft ein Geschäft abschließen soll, so hat er die Pflicht, genau diese Kenntnis den anderen Gesellschaftern vor der Abstimmung über das betreffende Geschäft mitzuteilen. Es entfällt somit die Schutzbedürftigkeit des Entscheidungsträgers, der Gesellschafterversammlung. Hat der Gesellschafter seine Kenntnisse nicht mitgeteilt, so ist der Gesellschaft dieses Wissen im Wege der wertenden Betrachtung zuzurechnen, da es bei ordnungsgemäßem Verhalten bei der Entscheidungsfindung hätte vorliegen müssen. Die Pflicht der Weiterleitung rechtserheblicher Kenntnisse an die übrigen Gesellschafter steht in nicht im Widerspruch zu dem Recht auf Desinteresse. Zum einen entspricht die dem Gesellschafter obliegende Sorgfaltspflicht nicht der dem Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG obliegenden Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Geschäftsmannes 365. Die Sorgfaltspflicht geht also nicht soweit, daß sich der an der Beschlußfassung beteiligende Gesellschafter in besonderer Weise über die zu beschließende Maßnahme und deren wirtschaftlichen Folgen kundig machen müßte. Es steht ihm frei, seine Entscheidung nach eigenem „laienhaften" Verständnis spontan zu treffen 366 . Zum anderen ist der Gesellschafter auch nicht verpflichtet 367 , sich überhaupt an der Entscheidung zu beteiligen. Wenn er dies aber tut, so obliegt ihm die besondere Sorgfaltspflicht, seine rechtserheblichen Kenntnisse mitzuteilen.
(c) Zustimmung des wissenden Gesellschafters Eine solche Sorgfaltspflicht in Form der Informationspflicht besteht allerdings nur dann, wenn der Gesellschafter tatsächlich der Erteilung des betreffenden Beschlusses zugestimmt hat. Enthält er sich der Stimme bzw. lehnt er den Beschluß sogar ab, so kann sein Wissen nicht berücksichtigt werden; soweit reicht die Informationspflicht des Gesellschafters nicht. Durch eine solche Beschränkung der Informationspflicht wird der Gesellschafter auch hinreichend in seiner Persönlichkeitssphäre geschützt. Möchte er, aus welchen Gründen auch immer, seine rechtserheblichen Kenntnisse nicht preisgeben, so kann er sich aus der Entscheidungsfindung heraushalten oder den Beschluß ablehnen.
365
So aber wohl Ziemons, Haftung der Gesellschafter, S. 137 ff., 181.
366
Zu den Besonderheiten, wenn es sich bei dem herrschenden Gesellschafter um ein herrschendes Konzernunternemen handelt, siehe unten § 3 F. I. 367
8 Schüler
Siehe oben § 2 D. V. 2. c).
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§ 2 Allgemeine Grundlagen
Voraussetzung ist allerdings, daß sich der wissende Gesellschafter vollständig aus der Entscheidungsfindung heraushält. Hat beispielsweise gerade der wissende Gesellschafter die zur Abstimmung vorliegende Maßnahme vorgeschlagen, so muß dann sein Wissen auch zugerechnet werden, wenn er sich an der eigentlichen Abstimmung nicht mehr beteiligt. Gleiches gilt, wenn sich der Gesellschafter in anderer Weise an der internen Festlegung der Einzelheiten der durchzuführenden Maßnahme beteiligt hat.
(d) Stellung des Gesellschafters Unerheblich für die Begründung der Wissenszurechnung ist es, welche Stellung der wissende Gesellschafter innerhalb der Gesellschaft einnimmt 368 . Es spielt keine Rolle, ob die Stimme des wissenden Gesellschafters für das Zustandekommen des Weisungsbeschlusses kausal war. Selbst wenn der Weisungsbeschluß ohne die Zustimmung des wissenden Gesellschafters zustandegekommen wäre, ist eine Zurechnung begründet. Die dem Gesellschafter obliegende Pflicht, sein rechtserhebliches Wissen mit in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen, besteht gerade vor der Beschlußfassung, sobald der Gesellschafter beschließt, sich an der Entscheidung zu beteiligen. Die Pflicht und die sich daraus ergebende Wissenszurechnung kann nicht dadurch rückwirkend wieder entfallen, daß der Beschluß auch ohne die Stimme des wissenden Gesellschafters zustandegekommen wäre. Es ist demnach irrelevant, ob es sich bei dem wissenden Gesellschafter um einen unbedeutenden Minderheitsoder um den Mehrheitsgesellschafter handelt.
(e) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß das rechtserhebliche Wissen eines Gesellschafters der Gesellschaft immer dann wertend zugerechnet wird, wenn dieser einem entsprechenden Weisungsbeschluß der Gesellschaft zugestimmt hat. Das gilt gleichermaßen für den Allein-, Mehrheits- und auch Minderheitsgesellschafter, also unabhängig von der jeweiligen Beteiligungsquote. Auch macht es keinen Unterschied, ob der Stimmenanteil des wissenden Gesellschafters für die Beschlußfassung erforderlich war, oder ob der Beschluß ohne seine Zustimmung hätte gefaßt werden können. Diese Merkmale sind für die Bestimmung der Schutzbedürftigkeit der Gesellschafterversammlung und damit für die Bestimmung einer interessengerechten Risikoverteilung unerheblich.
368
Im Ergebnis wohl ebenso Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 35 Rn. 78.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
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ff) Rechtsfolgen Muß sich die Gesellschaft das Wissen eines ihrer Gesellschafter zurechnen lassen, so verschlechtert sich dadurch ihre Rechtsstellung im Rechtsverkehr. Der gesetzliche Schutz der Wissensnormen geht ihr verloren. Beispiel: Erwirbt die Gesellschaft infolge des Weisungsbeschlusses eine mangelhafte Ware trotz Kenntnis eines Gesellschafters von der Mangelhaftigkeit, so verliert sie aufgrund der Wissenszurechnung gemäß § 460 S. 2 BGB ihre Gewährleistungsrechte. Ausgehend von der Annahme, daß tatsächlich ein Schaden durch die Wissenszurechnung für die Gesellschaft eingetreten ist, stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft diesen Schaden von dem wissenden Gesellschafter ersetzt verlangen kann. Die unterlassene Aufklärung seiner Mitgesellschafter durch den wissenden Gesellschafters stellt eine Verletzung der ihm obliegenden Treuepflicht dar. Grundsätzlich muß der Gesellschafter für Schäden, die sich aus einer treuwidrigen Stimmrechtsabgabe ergeben, aus p W der Treuepflicht haften 369 . Fraglich ist jedoch, ob ein solcher Treuepflichtverstoß für den Schaden kausal ist. Insbesondere stellt sich diese Frage dann, wenn der Beschluß auch ohne die Stimmen des wissenden Gesellschafters hätte gefaßt werden können. Wie aber allgemein beim Verstoß gegen Informationspflichten im Vorfeld einer Beschlußfassung ist danach zu fragen, ob ein objektiv urteilender Gesellschafter aufgrund der Information eine andere Entscheidung hätte treffen können 370 . Es kann hinsichtlich der jeweils rechtserheblichen Wissensumstände nicht zweifelhaft sein, daß ein objektiv urteilender Gesellschafter dazu in der Lage gewesen wäre. Es kommt dabei im übrigen nicht darauf an, ob die angewiesene Maßnahme an sich einen Sorgfaltspflichtverstoß darstellt 371 . Selbst wenn die angewiesene Maßnahme auch ohne den gesetzlichen Schutz der Wissensnor369
Vgl. LG Düsseldorf, AG 1994, 330, 332; Hüffer in Hachenburg, GmbHG, § 47 Rn. 196; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, § 47 Rn. 33; M Winter, Mitgliedschafltiche Treuebindungen, S.107 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 47 Rn. 75. 370
Siehe dazu LutterlHommelhoff, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 50; Raiser in Hachenburg, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 109; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, § 45 Rn. 103; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 68 a; vgl. zur AG BGHZ 107, 296, 307; 122, 211, 239; Semler in MünchHdb. AG, § 38 Rn. 44. Zu den verschiedenen Ausgangspunkten, insbesondere die sogenannte Lehre von der potentiellen Kausalität und die Relevanzlehre, siehe die Übersicht und Auseinandersetzung bei K. Schmidt in GroßKomm. AktG, § 243 Rn. 23 ff, 34 ff. 371
Es kann daher hier auch offen bleiben, ob der Gesellschafter überhaupt einer sanktionierbaren Pflicht zur sorgfältigen Entscheidung in Geschäftsfuhrungsangelegenheiten unterliegt, so ζ. B. Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 286 ff, 316 ff.; Ziemons, Haftung der Gesellschafter, S. 137 ff. 181. 8*
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§ 2 Allgemeine Grundlagen
men den Anforderungen an eine sorgfältige und gewissenhafte unternehmerische Entscheidung genügt 372 , bleibt für die Haftungsfrage allein der Verstoß gegen die Informationspflicht entscheidend. Als Verschuldensmaßstab greift insoweit die Vorschrift des § 276 BGB 3 7 3 . Dementsprechend muß der Gesellschafter für die durch ihn verursachte Verschlechterung der Rechtsstellung der Gesellschaft interessengerecht aufkommen. Etwas anders ergibt sich allerdings für die Einmann-GmbH und wenn die Kenntnis bei allen Gesellschaftern vorlag. Es fehlt in diesen Fällen, soweit keine Existenzgefährdung besteht, jedenfalls nach der überwiegenden Ansicht an einem ausgleichsbedürftigen Eigeninteresse der Gesellschaft 374.
gg) Keine Differenzierung zwischen Kenntnis und (grob) fahrlässiger Nichtkenntnis Für die Wissenszurechnung unerheblich ist es, ob die anzuwendende Wissensnorm an das Vorliegen positiver Kenntnis oder aber bereits an die (grob) fahrlässige Nichtkenntnis anknüpft. Im Zuge der Ausführung von konkreten Weisungsbeschlüssen geht es zumeist um die Anwendung von Wissensnormen, die eine Verschlechterung der Rechtsstellung bewirken 375 . Diese Wissensnormen knüpfen überwiegend an das Vorliegen positiver Kenntnis oder wenigstens an grob fahrlässige Nichtkenntnis an 376 . Soweit aber dennoch die fahrlässige Nichtkenntnis bereits ausreichend ist 377 , muß auch dieser Bewußtseinszustand der Gesellschafter der Gesellschaft zugerechnet werden. Da grundsätzlich für die Haftung wegen Verletzung der Informationspflicht bereits die Fahrlässigkeit als Verschuldensmaßstab ausreichend ist, bestehen insoweit keine WertungsWidersprüche. Es geht bei dieser Haftung gerade nicht um eine Haf372 Wäre beispielsweise der Erwerb des Grundstücks vom Nichtberechtigten extrem günstig, der Nichtberechtigte solvent und die Chance einer Genehmigung durch den wahren Eigentümer sehr hoch, so entspräche der Erwerb sicherlich den Anforderungen an eine sorgfältige unternehmerische Entscheidung. 373
Vgl. ausführlich M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen, S. 110 f.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 47 Rn. 75. 374
Vgl. dazu schon oben § 2 D. V. 2. b).
375
2. Fallgruppe siehe oben § 2 Β. I. 2.
376
So ζ. B. in den Fällen des gutgläubigen Erwerbs (§§ 892, 932 BGB), im Fall des § 460 BGB oder auch beim § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 377 Ζ. B. bei § 173 BGB, wonach bereits die fahrlässige Nichtkenntnis des Erlöschens einer Vollmacht ausreichend ist.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
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tung für unternehmerische Fehlentscheidungen oder um eine Haftung zum Schutz der Gläubiger. Es gehört aber zu den Pflichten des Gesellschafters, sich bei Teilnahme an unternehmerischen Entscheidungen über die für die Maßnahme rechtserheblichen Umstände Gedanken zu machen und den Bewußtseinszustand, d. h. sowohl die positive Kenntnis als auch die Umstände, die eine fahrlässige Nichtkenntnis begründen, den übrigen Gesellschaftern mitzuteilen. Hat der Gesellschafter an solchen Überlegungen kein Interesse, so kann er sich aus der Entscheidungsfindung heraushalten, wenn er nicht in die Gefahr einer Haftung wegen Treuepflichtverletzung kommen will.
hh) Zeitpunkt der Wissenszurechnung Fraglich ist in diesem Zusammenhang, auf welchen Zeitpunkt für die Wissenszurechnung abzustellen ist. Kommt es auf den in der Wissensnorm festgelegten Zeitpunkt an - in der Regel die Vornahme des Rechtsgeschäftes - oder kommt es nur auf den Zeitpunkt der Weisungserteilung an? Für den Zeitpunkt der Weisungserteilung spricht, daß die konkrete Ausübung der Leitungsmacht als entscheidende Zurechnungsbegründung anzusehen ist. Dementsprechend wäre es angemessen, diesen Zeitpunkt als maßgeblich zu erachten. Würde der Gesellschafter erst nach der Weisungserteilung Kenntnis von den rechtserheblichen Umständen erlangen, so wäre dies folglich unerheblich. Gegen die Begrenzung der Wissenszurechnung auf den Zeitpunkt der Weisungserteilung spricht jedoch der Sinn und Zweck der Wissensnormen, die Schutzbedürftigkeit. Gerade an der Schutzbedüftigkeit fehlt es, wenn der Gesellschafter zwar nach der Weisungserteilung, aber noch vor der tatsächlichen Vornahme Kenntnis erlangt hat und eine Einflußnahme - in Form der Wissensvermittlung - noch ohne größeren Aufwand möglich gewesen wäre. Dem Gesellschafter bzw. der Gesellschafterversammlung obliegt im Fall der Weisungserteilung eine nachwirkende Sorgfaltspflicht. Aufgrund dieser nachwirkenden Sorgfaltspflicht hat der Gesellschafter bei Kenntniserlangung von rechtserheblichen Umständen den Versuch zu unternehmen, die erlangten Kenntnisse noch mit in den Entscheidungsprozeß einfließen zu lassen. Dementsprechend hat er den angewiesenen Geschäftsführer und die Gesellschaftergesamtheit über die rechtserheblichen Umstände zu informieren. Grundsätzlich besteht die Pflicht zur Aufklärung nur gegenüber der Gesellschafterversammlung. Kann aber diese nicht mehr rechtzeitig vor der Vornahme des betreffenden Rechtsgeschäfts einberufen werden, so ist der Gesellschafter zunächst verpflichtet, den Geschäftsführer aufzuklären bzw. ihn von der Vornahme abzuhalten. Das Kriterium der Schutzbedürftigkeit gebietet es allerdings, daß diese Pflicht auf zumutbare Einflußnahmemöglichkeiten beschränkt wird. Es
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§ 2 Allgemeine Grundlagen
handelt sich bei diesen nachwirkenden Sorgfaltspflichten um keine gesellschaftsrechtliche Besonderheit, sondern vielmehr um im Rechtsverkehr allgemeingültige Sorgfaltspflichten bei der Abgabe verbindlicher Erklärungen 378 . Gleiches ergibt sich aus der Betrachtung der Wissenszurechnung im Fall der Stellvertretung. Erteilt der Vertreter dem Vertretenen eine Weisung, so wird die Wissensberücksichtigung des Vertretenen nicht auf den Zeitpunkt der Weisungserteilung beschränkt. Vielmehr ist ebenso die Kenntnis zu berücksichtigen, die der Vertretene nach der Weisungserteilung erlangt hat, wenn er zu diesem Zeitpunkt noch durch zumutbare Maßnahmen auf den Vertreter hätte Einfluß nehmen können 379 . Auch in diesem Bereich ergibt sich das Kriterium der Zumutbarkeit aus der Schutzbedürftigkeit, so daß der gesetzliche Schutz der Wissensnormen gewahrt wird, wenn eine Einflußnahme nur noch mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand zu erreichen ist. Die im Bereich der Stellvertretung geltende Wertung läßt sich auf die Weisung durch die Gesellschafterversammlung übertragen. Festzuhalten ist somit, daß eine Wissenszurechnung bis zu dem Zeitpunkt stattfindet, bis zu dem der Gesellschafter in noch zumutbarer Weise auf den Geschäftsführer Einfluß nehmen, sprich ihn aufklären kann. Das wird aufgrund der heutigen Kommunikationsmöglichkeiten regelmäßig bis zu dem durch die Wissensnormen bestimmten Zeitpunkt der Fall sein.
ii) Umfang der Wissenszurechnung Ist der Gesellschafter verpflichtet, den übrigen Gesellschaftern sein Wissen mitzuteilen, so stellt sich weitergehend die Frage, in welchem Umfang er dieses tun muß. Diese Frage stellt sich vor allem dann, wenn der Geschäftsführer zur Durchführung komplexerer Maßnahmen angewiesen wurde: Der Geschäftsführer wird ζ. B. angewiesen, die für die eigene Produktion benötigten Waren nur noch von einem bestimmten Unternehmen zu beziehen. Nach Erlaß des Weisungsbeschlusses erfährt ein Gesellschafter, daß ein bestimmtes Produkt dieses Unternehmens mangelhaft ist. Fraglich ist folglich, ob sich die Gesellschaft
378
Vgl. ζ. B. Müller-Freienfels, Schilken, Wissenszurechnung, S. 63 f. 379
Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 389 ff;
Vgl. BGHZ 38, 65, 67; 40, 42, 46; 50, 364, 368; 51, 141, 145; Brox in Ermann, BGB, § 166 Rn. 12; Flume , AT, § 52 6., S. 875; Leptien in Soergel, BGB, § 166 Rn. 28; Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 389 ff.; Schilken in Staudinger, BGB, § 166 Rn. 26; ders., Wissenszurechnung, S. 63 f.; Schramm in MüKo, BGB, § 166 Rn. 40.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
1
auch diese Kenntnis zurechnen lassen muß, mit der Folge, daß sie den Schutz der Gewährleistungsrechte gemäß § 460 BGB verlieren würde.
(1) Inhalt des Weisungsbeschlusses Zur Bestimmung des Umfangs der weiterzuleitenden Informationen ist auf den Inhalt des getroffenen Weisungsbeschlusses abzustellen. Konkret bestimmt sich der Umfang des weiterzuleitenden Wissens danach, welche Kenntnisse für die Umsetzung der beschlossenen Maßnahme mit welcher Wahrscheinlichkeit von rechtserheblicher Bedeutung sein könnten. Das gilt auch für den Umfang der nachträglich erlangten Kenntnisse.
(a) „Einmalige" Weisungsbeschlüsse Der Umfang läßt sich daher einfach bestimmen, wenn der Geschäftsführer durch den Weisungsbeschluß angewiesen wird, ein konkret bestimmtes und „einmaliges" Rechtsgeschäft durchzuführen. Beispiel: Die Gesellschafter weisen den Geschäftsführer an, ein genau bezeichnetes Grundstück zu erwerben. In diesem Fall bezieht sich die Wissensweiterleitungspflicht des einzelnen Gesellschafters nur auf solche Kenntnisse, die im Zusammenhang mit diesem Grundstückserwerb von rechtserheblicher Bedeutung sind. Der Gesellschafter ist verpflichtet, seine rechtserheblichen Kenntnisse über die Person des Verkäufers (ζ. B. Berechtigung des Verkäufers) und über das zu erwerbende Grundstück (ζ. B. Mangelhaftigkeit) mitzuteilen. Gleiches gilt umgekehrt, wenn die Gesellschafter den Geschäftsführer anweisen, ein gesellschaftseigenes Grundstück zu veräußern und einer der Gesellschafter die Beeinträchtigung der Bodenqualität kennt 380 . Der Gesellschafter ist dann verpflichtet, seine rechtserhebliche Kenntnis (i.S.d. § 463 BGB) über die Mangelhaftigkeit des Grundstücks mitzuteilen. Ist der konkrete Weisungsbeschluß ausgeführt worden, das Grundstück erworben/verkauft oder der Kauf gescheitert, so obliegen dem Gesellschafter keine weiteren Verpflichtungen mehr. Treffen die Gesellschafter hingegen einen Weisungsbeschluß unbestimmter Natur, so rechtfertigt dieser eine Wissenszurechnung nicht. Beispiel: Die Ge-
380
Beispielsweise weil dieser Gesellschafter das Grundstück mit in die Gesellschaft als Einlage eingebracht hat.
10
§ 2 Allgemeine Grundlagen
sellschafter weisen den Geschäftsführer an, nicht ein bestimmtes, sondern überhaupt ein Grundstück zu erwerben. Mit diesem Beschluß haben die Gesellschafter noch keine Bestimmungen getroffen, hinsichtlich derer das Wissen rechtserheblich werden könnte. Den Gesellschaftern obliegen in diesen Fällen auch keine nachträglichen Sorgfaltspflichten.
(b) „Längerfristige Führungsbeschlüsse" Schwieriger ist der Umfang der Wissenszurechnung in den Fällen zu bestimmen, in denen sich der Weisungsbeschluß nicht nur auf ein konkretes Rechtsgeschäft bezieht, sondern weiterreichende Auswirkungen auf das operative Geschäft der Gesellschaft hat („längerfristige Führungsbeschlüsse"). Beispiel: Die Gesellschafter weisen den Geschäftsführer an, Waren, die für die eigene Produktion benötigt werden, nur noch von einem bestimmten Unternehmen zu beziehen. Dieser Beschluß beinhaltet eine dauerhafte bzw. längerfristige Auswirkung auf das laufende Tagesgeschäft der Gesellschaft. Rechtserheblich sind in diesem Zusammenhang Informationen über das betreffende Unternehmen (ζ. B. Zahlungsfähigkeit im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO) und über die im einzelnen zu beziehenden Waren (ζ. B. Mangelhaftigkeit). Der Umfang des weiterzuleitenden Wissens richtet sich nach dem Umfang der bereits im Weisungsbeschluß getroffenen Bestimmungen. In dem Beispielsfall haben die Gesellschafter bereits eine konkrete Bestimmung hinsichtlich des Unternehmens als Vertragspartner getroffen. Dementsprechend sind die Gesellschafter verpflichtet, sämtliche Informationen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit rechtserheblich werden könnten, an die übrigen Gesellschafter bzw. an den Geschäftsführer 381 weiterzuleiten. Diese Pflicht besteht über den Weisungsbeschluß hinaus für die gesamte Dauer der vertraglichen Beziehung zu diesem Unternehmen. Denn die Gesellschafter sind sich aufgrund ihrer Beteiligung am Weisungsbeschluß über die Rechtserheblichkeit der Kenntnisse hinsichtlich dieses Unternehmens bewußt. Die Verpflichtung zur Weiterleitung stellt somit keine übermäßige Belastung oder einen Verstoß gegen das Recht auf Desinteresse dar.
381
Grundsätzlich besteht die Pflicht zur Wissensweiterleitung zwar nur den Gesellschaftern gegenüber. Wird aber die Kenntnis erst nach dem Weisungsbeschluß erlangt, so kann dieses Wissen bereits im laufenden Geschäft rechtserheblich werden, bevor eine erneute Gesellschafterversammlung einberufen werden kann. In diesen Fällen besteht die Pflicht zur Wissensweiterleitung auch gegenüber dem Geschäftsführer.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
1
Hinsichtlich der Kenntnisse über die zu beziehenden Waren gilt es indes zu unterscheiden: Waren die Gesellschafter im Zeitpunkt der Beschlußfassung über die im einzelnen zu beziehenden Produkte informiert und haben sie die bereits bekannten Informationen mit in ihre Entscheidungsfindung einfließen lassen, so müssen auch später erlangte Kenntnisse über diese Produkte weitergeleitet werden. Sollte mit dem Beschluß demgegenüber nur eine Bestimmung bezüglich des Vertragspartners getroffen werden, wobei die tatsächlich zu beziehenden Produkte für die Entscheidungsfindung unerheblich waren, so begründet ein solcher Beschluß keine Wissensweiterleitungspflicht 382. Die Auswahl der Produkte war in diesem Fall gerade nicht Gegenstand der in dem Beschluß gefaßten Bestimmungen. Es ist nicht einmal erforderlich, daß die Gesellschafter überhaupt Kenntnis über die im einzelnen von der Gesellschaft benötigten Produkte haben oder welche Produkte von dem betreffenden Unternehmen tatsächlich geliefert werden können. Der getroffene Beschluß der Gesellschafter muß noch durch eigenständige Entscheidungen des Geschäftsführers ergänzt werden. Die Gesellschafter sind nicht verpflichtet, sich über die näheren Einzelheiten der tatsächlichen Umsetzung zu informieren. Eine solche Sorgfaltspflicht würde für den einfachen Gesellschafter seinem Recht auf Desinteresse widersprechen 383.
(c) „Allgemein strategische Führungsbeschlüsse" Treffen die Gesellschafter hingegen nur strategische Entscheidungen allgemeiner Natur, so wird dadurch keine Wissenszurechnung begründet 384. Denn weisen die Gesellschafter den Geschäftsführer an, einen bestimmten Bereich auszugliedern oder das Management neu zu strukturieren, so werden keine im Sinne der Wissensnormen rechtserheblichen Bestimmungen getroffen.
382 Denkbar wäre ein solcher Beschluß ζ. B , wenn das betreffende Unternehmen durch persönliche Beziehungen mit den Gesellschaftern besonders verbunden ist. 383
Zu den Besonderheiten für den herrschenden Gesellschafter im Konzern siehe unten § 3 F. I. A.A. wohl Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter, passim. 384
Beschließen die Gesellschafter durch den Kauf eines genau bestimmten Unternehmens einen neuen Geschäftsbereich zu erschließen, so wird man diese Entscheidung zwar als strategische Entscheidung bezeichnen müssen, sie fällt dann aber hinsichtlich der Wissenszurechnung in die Kategorie der „längerfristigen Führungsbeschlüsse".
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§ 2 Allgemeine Grundlagen
(2) Zwischenergebnis Zusammenfassend läßt sich formulieren, daß sich der Umfang der Wissenszurechnung danach richtet, wie konkret in dem Weisungsbeschluß rechtserhebliche Bestimmungen im Sinne der Wissensnormen getroffen wurden.
(jj) Beweisfragen Als besonders schwierig dürfte es sich für den außenstehenden Dritten erweisen, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Begründung der Wissenszurechnung darzulegen. Kann der Dritte schon nachweisen, daß die rechtserhebliche Kenntnis bei einem der Gesellschafter vorlag, so muß er darüber hinaus darlegen und beweisen, daß der Geschäftsführer aufgrund eines Weisungsbeschlusses der Gesellschafterversammlung tätig geworden ist und das der wissende Gesellschafter an der Beschlußfassung beteiligt war. Problematisch ist ein solcher Beweis vor allem deshalb, weil in der GmbH grundsätzlich keine Protokollierungspflicht besteht385. Soweit allerdings die Satzung eine Protokollierung der Gesellschafterversammlungen vorschreibt, kann unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht der nichtbeweisbelasteten Partei 386 die Gesellschaft verpflichtet sein, dieses Protokoll vorzulegen. Andernfalls bleibt es aber dabei, daß der außenstehende Dritte die Beteiligung des wissenden Gesellschafters an der Beschlußfassung bzw. überhaupt die Beschlußfassung darzulegen und zu beweisen hat. Etwas anderes könnte sich allerdings dann ergeben, wenn die Gesellschafterversammlung nicht nur vereinzelt, sondern beständig in die Geschäftsführung der Gesellschaft eingreift. Darauf wird jedoch noch näher bei den Ausführungen zum faktischen GmbH-Konzern einzugehen sein 387 .
kk) Ergebnis Im Ergebnis ist daher festzustellen, daß wie schon bei der Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern eine (analoge) Anwendung der gesetzlichen Zurechnungsnormen auf die Zurechnung des Wissens der Gesellschafter nicht
385 Vgl. Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 48 Rn. 9; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 48 Rn. 13; beachte aber für die Einmann-GmbH § 48 Abs. 3 GmbHG. 386
Vgl. dazu Greger in Zöller, ZPO, Vor § 284 Rn. 34; Prutting in MünchKomm. ZPO, § 286 Rn. 124 f.; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien, S. 92 ff. 387
Siehe unten § 3 F. III. mit Verweis auf § 3 Ε. VI. 2.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
13
in Betracht kommt. Vielmehr ergibt sich aus der bereits oben dargestellten 388 wertenden Betrachtungsweise, daß das Wissen eines Gesellschafters der GmbH zuzurechnen ist, wenn sich dieser an der Entscheidungsfindung der Gesellschaft durch die Erteilung einer Weisung beteiligt hat. Hat der Gesellschafter dem Weisungsbeschluß zugestimmt, so ist die Zurechnung unabhängig von seiner Beteiligungsquote gerechtfertigt. Der Umfang der Wissenszurechnung richtet sich nach dem Umfang der im Beschluß bereits getroffenen rechtserheblichen Bestimmungen. Der Gesellschafter ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der durch die Begründung der Wissenszurechnung entsteht. Eine Darlegungs- und Beweiserleichterung kann dem außenstehenden Dritten nur unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht der nichtbeweisbelasteten Partei zugutekommen, soweit die Gesellschaft ihre Gesellschafterversammlungen protokolliert.
c) Entscheidungsfindung
in der AG
Von diesem Ergebnis ausgehend ist weiterhin zu fragen, ob auch in der Aktiengesellschaft eine Wissenszurechnung im Wege der wertenden Betrachtung gerechtfertigt ist, wenn sich der wissende Aktionär an der Entscheidungsfindung beteiligt hat. Zur Klärung dieser Frage bedarf es zunächst der Untersuchung der Einflußnahmemöglichkeiten eines Aktionärs auf die Geschäftsführung, wobei davon ausgegangen werden soll, daß es sich bei dem einflußnehmenden Aktionär nicht um einen herrschenden, sondern nur um einen „einfachen" (Groß-) Aktionär handelt.
aa) Rechtliche Einflußnahmemöglichkeiten In der AG ist der Vorstand gemäß § 76 Abs. 1 AktG zur eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft verpflichtet. Anders jedoch als in der GmbH sind die übrigen Gesellschaftsorgane, insbesondere die Hauptversammlung, von der Geschäftsleitung ausgeschlossen389. Dieser Ausschluß wird durch die Vorschriften der § 111 Abs. 4 S. 1 sowie § 119 Abs. 2 AktG bestätigt. Nach Maßgabe des § 111 Abs. 4 S. 2 und 3 AktG können Geschäftsführungsmaßnahmen lediglich von der Zustimmung des Aufsichtsrats abhängig gemacht werden. Gemäß § 119 Abs. 2 AktG kann die Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nur dann entscheiden, wenn der Vorstand dies verlangt. Eine 388 389
Siehe oben § 2 D. II. 2. d).
Vgl. nur Hüffer, § 76 Rn. 40 je m.w.N.
AktG, § 76 Rn. 2 und Mertens in KölnKomm. AktG,
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§ 2 Allgemeine Grundlagen
Verpflichtung des Vorstands, Geschäftsfiihrungsangelegenheiten der Hauptversammlung zur Entscheidung vorzulegen, besteht grundsätzlich nicht 390 . Eine solche Pflicht kann auch durch die Satzung nicht vorgeschrieben werden, da die Regelung des § 119 Abs. 2 AktG im Sinne des § 23 Abs. 5 AktG als abschließend anzusehen ist 391 . Vielmehr ist es sogar so, daß der Vorstand gar nicht jede Geschäftsführungsangelegenheit vorlegen darf, da dies im Widerspruch zur gesetzlichen Zuständigkeitsordnung stehen würde 392 . Der Vorstand bestimmt nach seinem eigenverantwortlichen Ermessen über die Vorlage an die Hauptversammlung 393. Etwas anders ergibt sich allerdings in einigen gesetzlich geregelten Fällen, in denen zumeist eine besondere Strukturmaßnahme der qualifizierten Zustimmung der Hauptversammlung bedarf, vgl. z. B. §§ 179a, 293 AktG 3 9 4 . Daneben kann auch bei einigen gesetzlich nicht geregelten Strukturmaßnahmen von herausragender Bedeutung eine Pflicht zur Vorlage an die Hauptversammlung bestehen395. Diese eher seltenen Strukturmaßnahmen (gesetzlich geregelt oder nicht) können im folgenden vernachlässigt werden, zumal es ohnehin nur schwer vorstellbar ist, inwiefern die zivilrechtlichen Wissensnormen bei solchen Maßnahmen zur Anwendung kommen können und daß ein „einfacher" Aktionär über das Wissen des Vorstands (Wirtschaftsprüfer, etc. eingeschlossen) hinausgehende rechtserhebliche Kenntnisse hat. Dies könnte sich allerdings im Fall beteiligter Unternehmen ändern 396. Problematisch könnten jedoch die Fälle sein, in denen der Vorstand gemäß § 119 Abs. 2 AktG die Entscheidungskompetenz in einer Geschäftsführungsangelegenheit auf die Hauptversammlung übertragen hat 397 . In diesen Fällen wird man wohl aufgrund der oben - bei der GmbH - gewonnenen Ergebnisse das Wissen der Hauptversammlung
390
Siehe Eckardt in Geßler/Hefermehl, AktG, § 119 Rn. 16; Hüffen AktG, § 119
Abs. 13. 391
Vgl. nur Eckardt in Geßler/Hefermehl, AktG, § 119 Rn. 17.
392
Siehe ζ. B. Eckardt in Geßler/Hefermehl, AktG, § 119 Rn. 18.
393
Vgl. nur Hüffer,
AktG, § 119 Rn. 13.
394
Vgl. ebenfalls die entsprechenden Vorschriften im neuen UmwG §§13, 125, 176, 193 UmwG. 395
Vgl. BGHZ 83, 122 „Holzmüller"; Hüffen AktG, § 119 Rn. 16 f. m.w.N.; Lutter, FS Westermann, S. 347, 357 ff.; ders., FS Stimpel, S. 825, 843 ff.; ders., FS Fleck, S. 169 ff.; ders., ZHR 151 (1987), 444, 452 f.; Timm, Die AG als Konzernspitze, S. 130 ff., 165 ff. 396
Vgl. dazu unten die Ausführungen zum faktischen AG-Konzern (§ 3 E.).
397
Vgl. dazu OLG München, WM 1996, 1462 ff.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
der Gesellschaft wertend zurechnen müssen. Die Hauptversammlung wäre als Teil der Willensbildung bzw. als in diesem Fall entscheidendes Willensbildungsorgan an der Entscheidungsfindung der Gesellschaft beteiligt. Aufgrund der fehlenden namentlichen Abstimmung dürfte es allerdings sehr schwer sein, die Beteiligung der wissenden Aktionäre an der Entscheidung nachzuweisen. Diese Fälle können aufgrund ihrer geringen Relevanz in der Praxis vernachlässigt werden. Von diesen Ausnahmefällen abgesehen, ergibt sich aus der gesetzlichen Zuständigkeit des Vorstands der AG zur Geschäftsführung zugleich, daß er nicht an die „Weisungen" anderer Gesellschaftsorgane gebunden ist. Auch an die „Weisungen" eines Großaktionärs ist der Vorstand nicht gebunden398. Einem nicht herrschenden Aktionär stehen demzufolge keine rechtlichen Einflußmöglichkeiten zu.
bb) Faktische Einflußnahme Fraglich ist, ob aufgrund tatsächlicher Einflußnahme, zum Beispiel durch eine persönliche Abhängigkeit eines Vorstandsmitglieds vom Aktionär, eine Wissenszurechnung begründet werden kann. Die Einflußnahme eines Aktionärs ändert nichts an der alleinigen Verantwortlichkeit des Vorstands im Sinne der §§ 76, 78 AktG. Dieser hat seine eigene Entscheidung mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters und ausschließlich am Gesellschaftsinteresse orientiert zu treffen. Aufgrund welcher „Anregungen" Außenstehender die Entscheidung zustande gekommen ist, ist für die Beurteilung des rechtserheblichen Wissens unerheblich. Erst wenn die Anregungen von Personen stammen, die als Teil des arbeitsteiligen Willensbildungsprozesses der Gesellschaft anzusehen sind, kann deren Wissen im Wege der Zurechnung berücksichtigt werden 399 . Der Aktionär ist ausdrücklich von der Willensbildung der Gesellschaft in Geschäftsführungsangelegenheiten ausgeschlossen. Selbst wenn er versucht auf die Geschäftsführung Einfluß zu nehmen, wird er dadurch nicht zum Teil des arbeitsteiligen Prozesses der rechtlich eigenständigen Gesellschaft. Daran ändert ebenfalls die Tatsache nichts, daß der Gesellschafter an dem wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft mittelbar partizipiert. Der Aktionär ist als Außenstehender im Sinne der Willensbildung anzusehen. Außenstehende versuchen auf vielfaltig-
398
Unstreitig, vgl. Hefermehl in Geßler/Hefermehl, AktG, §76 Rn. 12; Hüffer, AktG, § 76 Rn. 10; Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 42. 399
Siehe dazu die Ausführungen zum Wissensvertreter, S. 68 f. (§ 2 D. III.). Vgl. auch Schramm in MünchKomm. BGB, § 166 Rn. 23 m.w.N.
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§ 2 Allgemeine Grundlagen
ste Art und Weise auf die Geschäftsführung einer Gesellschaft Einfluß zu nehmen. Insbesondere Kunden, Lieferanten und Banken versuchen mittels ihrer Machtpositionen Einfluß auf die Unternehmensführung zu nehmen 400 . Ein solcher Einfluß kann im Rahmen der Anwendung der Wissensnormen aber keine Berücksichtigung finden. Diese Gruppen stehen außerhalb der organisationsrechtlichen Entscheidungszuständigkeiten. Sie tragen für ihre Einflußnahmen keine Verantwortung 401 und sind erst recht nicht verpflichtet, irgendwelche Informationen an die Gesellschaft weiterzuleiten. Für diese nicht sehr überraschende Erkenntnis spricht auch die gesetzliche Wertung des § 117 Abs. 1 AktG. Gemäß § 117 Abs. 1 S. 1 AktG ist deijenige, der vorsätzlich unter Benutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats, einen Prokuristen oder einen Handlungsbevollmächtigten dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln, der Gesellschaft zum Ersatz des ihr daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Demnach findet erst die vorsätzliche Schädigung der Gesellschaft nach dem Willen des Gesetzgebers in Form der Schadensersatzpflicht Berücksichtigung. Im übrigen aber bleibt es bei der alleinigen Verantwortung des Vorstands. Würde man demgegenüber eine Wissenszurechnung befürworten, müßte der Gesellschafter für den dadurch entfallenden gesetzlichen Schutz der Wissensnormen sowie einen daraus resultierenden eventuellen Schaden der Gesellschaft gegenüber haften 402 . Von einer vorsätzlichen Schädigung kann aber sicherlich nicht gesprochen werden, wenn dem Gesellschafter nur fahrlässige Nichtkenntnis vorgeworfen werden kann. Zudem dürfte der Gesellschafter in den Fällen, in denen es um die Anwendung der Wissensnormen geht, in der Regel sogar in der Absicht handeln, der AG einen Vorteil zu verschaffen, so daß es auch bei positiver Kenntnis an einer Schädigungsabsicht fehlen würde. Die mit einer Wissenszurechnimg verbundene Haftung stände daher im Widerspruch zur gesetzlichen Wertung des § 117 Abs. 1 AktG.
400
Vgl. dazu auch Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 152 ff; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 17 Rn. 50 m.w.N.; Martens, Die existentielle Wirtschaftsabhängigkeit, S. 5 ff; H. Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 140 ff.; Westermann, ZIP 1982, 379, 382 ff. 401 So die ganz überwiegende Ansicht, vgl. BGHZ 90, 381 ff.; Geßler in Geßler/ Hefermehl, AktG, § 17 Rn. 40 f., 54 ff.; Hüjfer, AktG, § 17 Rn. 8; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 17 Rn. 50; Krieger in MünchHdb. AG, § 68 Rn. 40; Martens, Die existentielle Wirtschaftsabhängigkeit, S. 58 ff.; Κ Schmidt, ZGR 1980, 277, 284 ff.; Westermann, ZIP 1982, 379, 383 ff.; alle m.w.N. 402
Siehe zur GmbH oben § 2 D. V. 3. b) ff). Im Ergebnis müßte dies auch für die Aktiengesellschaft gelten, da ansonsten das geschützte Eigeninteresse der AG durch eine Pflichtverletzung des Aktionärs beeinträchigt wäre.
D. Wissenszurechnung innerhalb einer juristischen Person
127
cc) Ergebnis Die faktische Einflußnahme eines nicht herrschenden (Groß-) Aktionärs auf den Vorstand rechtfertigt eine Wissenszurechnung nicht.
VI. Zusammenfassung Für die Klärung der Frage der Wissenszurechnung im Konzern ergeben sich aus der vorstehenden Untersuchung der allgemeinen Grundlagen der Wissenszurechnung innerhalb einer Gesellschaft zusammenfassend folgende Erkenntnisse: 1. Entscheidendes Kriterium für die Begründung der Wissenszurechnung innerhalb einer arbeitsteiligen Organisation ist die verbindliche Beteiligung an der Entscheidungsfindung. Daneben kommt es darauf an, ob das Wissen einer für die Gesellschaft tätigen Person (Organmitglied oder Wissensvertreter) bei ordnungsgemäßer Organisation an die für die Ausführung zuständigen Entscheidungsstellen weiterzuleiten gewesen wäre. 2. Die GmbH muß sich das Wissen ihrer Gesellschafter im Wege der wertenden Betrachtung zurechnen lassen, wenn diese durch die Erteilung einer Weisung auf die Geschäftsführung Einfluß genommen haben. Dem wissenden Gesellschafter obliegt die Pflicht, seine für die Ausführung der Weisung rechtserheblichen Kenntnisse weiterzuleiten. Folglich muß sich auch im GmbH-Konzern die abhängige Gesellschaft das Wissen der herrschenden Gesellschaft wertend zurechnen lassen, wenn diese mittels Weisungsbeschlusses die Geschäftsführung der abhängigen GmbH bestimmt hat. 3. Der Umfang dieser wertenden Wissenszurechnung richtet sich nach dem Umfang der konkret in dem Weisungsbeschluß getroffenen rechtserheblichen Bestimmungen. 4. Entsteht der Gesellschaft durch die Begründung der Wissenszurechnung ein Schaden, hat der wissende Gesellschafter aufgrund seiner Pflichtverletzung für diesen Schaden einzustehen.
§ 3 Wissenszurechnung im Konzern bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht Im vorstehenden Teil wurde festgestellt, daß eine Wissenszurechnung innerhalb einer arbeitsteiligen Organisation immer dann gerechtfertigt ist, wenn die wissende Person die verbindliche Entscheidung für diese Einheit getroffen hat. Die Untersuchung der Wissenszurechnung im Konzern soll daher mit der Konstellation begonnen werden, daß das herrschende Unternehmen tatsächlichen Einfluß auf die abhängige Gesellschaft ausgeübt hat. Für den GmbH-Konzern wurde bereits geklärt, daß sich bei einer solchen Konstellation (Weisungserteilung) die abhängige GmbH das Wissen der herrschenden Gesellschaft schon aufgrund der mitgliedschaftlichen Stellung der Obergesellschaft wertend zurechnen lassen muß, ohne das es einer konzernrechtlichen Betrachtung bedarf. Demgegenüber rechtfertigt die Einflußnahme eines (einfachen) Aktionärs grundsätzlich noch keine Wissenszurechnung. Es gilt daher weitergehend die Frage zu beantworten, ob sich daran etwas ändern könnte, wenn es sich bei dem einflußnehmenden Aktionär um das herrschende Unternehmen im Konzern handelt. Zur Klärung dieser Frage bedarf es zunächst der Betrachtung des Konzerns und seiner grundlegenden Strukturen. Wäre der Konzern als eine Einheit im rechtlichen Sinne anzusehen, so müßte sich diese rechtliche Einheit das Wissen der für sie handelnden Personen, der einzelnen Konzernunternehmen, bereits nach den oben festgestellten Grundsätzen für die Wissenszurechnung innerhalb einer arbeitsteiligen Organisation zurechnen lassen.
A. Einheit und Vielheit im Konzern Auszugehen ist von der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Konzernunternehmen, die schon per gesetzlicher Definition (§§ 15 ff., § 18 AktG) vorausgesetzt ist. Es bleibt jedoch die Frage, ob nicht neben diesen selbständigen Unternehmen auch der Konzern als Ganzheit ein eigenes Rechtssubjekt darstellt. Insbesondere bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtung erscheint eine solche Sichtweise nicht abwegig. Es wird daher gerade in den Wirtschaftswissenschaften der Konzern, aufgrund der Ausübung einheitlicher Leitung und eines einheitlichen unternehmerisch-planerischen Willens, als eine Einheit
Α. Einheit und Vielheit im Konzern
129
angesehen1. Aber auch in der Rechtswissenschaft wurde und wird immer wieder die Frage gestellt, ob nicht die Wirtschaftseinheit Konzern als eine Einheit im Rechtssinne angesehen werden muß.
I. Einheitstheorie Die Lehre von der rechtlichen Einheit des Konzerns wurde und wird auf eine grundlegende Arbeit von Isay, als ihrem vermeintlichen Vertreter, zurückgeführt 2. Hausmann bezeichnete diese Lehre als „Einheitslehre", wonach dem Konzern in allen Rechtsgebieten eine umfassende Rechtssubjektivität zukomme und er somit als eigenes Rechtssubjekt diene3. Eine so strenge und umfassende Einheitstheorie wurde aber von Isay nicht vertreten 4. Es finden sich in seinen Ausführungen keine dahingehenden Aussagen, daß etwa „Mutter- und Tochtergesellschaft kraft ihrer engen Zusammengehörigkeit in Wirklichkeit eine wirtschaftliche Einheit und demgemäß auch rechtlich nichts anderes als Filialen seien"5. Isay hat den Konzern trotz der Verschiedenheit der beteiligten Rechtssubjekte als ein einheitliches, wenn auch zusammengesetztes Unternehmen angesehen, an dem ein einheitliches subjektives Recht bestehe6. Dadurch solle der Konzern vor Störungen geschützt werden 7. Weitergehende rechtliche Konsequenzen hat Isay aber an die Einheitlichkeit nicht geknüpft. Daher ist es zu weitgehend, von einer Einheits- oder Einheitlichkeitstheorie zu sprechen. Es handelt sich eher um einen Einheitsgedanken8. Der Konzernbegriff ist, wie
1 Vgl. dazu die Ausführungen bei v. Nell-Breuning, FG Kronstein, S. 47, 56 ff; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 37, 50, 52 ff; Raiser in Raiser/ Sauermann/ Schneider (Hrsg.), Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, S. 51, 54 ff.; Scheffler, Konzernmanagement, S. 1; Theisen, Der Konzern, S. 20. 2
Isay y Das Recht am Unternehmen (1910).
3
Hausmann, Die Tochtergesellschaft (1923), S. 26 ff; vgl. auch Friedlaender, Steuer und Wirtschaft 1923, 1101 ff.; ders, KartellR 1926, 143, 154. 4
Darauf weist schon Kronstein,
Die abhängige juristische Person (1931), S. 3
hin. 5
So aber Hausmann, Die Tochtergesellschaft ( 1923), S. 26.
6
Isay, Das Recht am Unternehmen ( 1910), S. 104.
7
Isay, Das Recht am Unternehmen ( 1910), S. 105.
8
So schon Friedländer, Konzernrecht1 (1927), S. 42 m.w.N.; ders, KartR 1926, S. 143, 154; ders, Steuer und Wirtschaft 1923, S. 1101 ff. 9 Schüler
130
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
schon Friedländer ausgeführt hat9, nichts Absolutes, sondern nur etwas Relatives, so daß die Zusammenfassung von Unternehmen in gewissen Beziehungen als Einheit gilt 10 . Jedoch ist die rechtliche Entwicklung nicht so weit gediehen, daß schon nach der Natur der Sache der Konzern eine Einheit darstellen würde. Insbesondere in der Rechtsprechung des Reichsgerichts war anfangs noch der Einfluß dieses Einheitsgedanken erkennbar. So hat das Reichsgericht ζ. B. in seinem Urteil vom 18.1.192411 ausgeführt, daß das Vermögen zweier äußerlich selbständiger Gesellschaften „doch in Wahrheit" das Vermögen der in beiden Gesellschaften (fast allein) herrschenden Gesellschaft sei. In späteren Entscheidungen hat sich das Reichsgericht von dieser Entscheidung aber deutlich distanziert 12, und der BGH ist von dieser Linie nicht mehr abgewichen13.
I I . Der Konzern als „polykorporatives Netzwerk" In jüngerer Zeit ist die Diskussion um die Rechtsfähigkeit des Konzerns als Einheit durch einen neuen Ansatz Teubners 14 wieder aktuell geworden. Teubner spricht von dem Konzern als einem „polykorporativen Netzwerk". Dieses Netzwerk könne selbst Träger von Rechten und Pflichten sein. Er spricht dem Konzern als Ganzheit damit eine Teilrechtsfähigkeit zu. Nicht die einzelne Gesellschaft sei als Zurechnungsendpunkt zu sehen, sondern es finde vielmehr eine „simultane Vielfachzurechnung" statt, eben mit der Folge, daß Rechte und Pflichten (insbesondere Haftungsfolgen) zugleich das Netzwerk des Konzerns betreffen würden 15 . Es stellt sich die Frage, ob Teubner seine Konstruktion des „polykorporativen Netzwerks" auch auf die Zurechnung von Eigenschaften und Wissen angewendet sehen möchte, da sich seine Ausführungen nur auf konzernhaftungsrechtliche Problemstellungen beziehen, insbesondere geht es ihm um die Be-
Friedländer,
Konzernrecht 1 (1927), S. 44.
10
Siehe dazu die konzernrechtlichen Zurechnungsnormen, vgl. unten § 3 B.
11
RGZ 108,41,43.
12
Siehe RGZ 115, 246, 253: „Die mit vorstehenden Ausführungen und der angeführten Rspr. teilweise in Widerspruch stehende Auffassung im Urteil des erkennenden Senats in RGZ 108,41 wird nicht mehr aufrechterhalten". 13
Vgl. ζ. B. BGHZ 20,4 ff.; 31, 258 ff.
14
Teubner, ZGR 1991, 189, 203 ff.
15
Teubner, ZGR 1991, 189, 204 f.
Α. Einheit und Vielheit im Konzern
131
gründung eines „sektoralen Haftungsdurchgriffs" 16. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum seine Konstruktion nur auf die haftungsrechtlichen Fragen beschränkt sein sollte. Vielmehr ist davon auszugehen, daß auch das Wissen des einen Unternehmens den anderen, über das Netzwerk verbundenen Unternehmen zugerechnet werden könnte. Nur will Teubner nicht pauschal den Konzern als eine rechtsfähige Einheit ansehen. Vielmehr müsse die Zurechnung einer Einzelfalluntersuchung unterzogen und von den jeweiligen Umständen abhängig gemacht werden 17. Das ergibt sich daraus, daß nach Teubner unter dem rechtsfähigen Subjekt „polykorporatives Netzwerk" nicht einfach der Gesamtkonzern als Summe aller Konzerngesellschaften zu verstehen ist, sondern weniger: „nur die Inter- Organisationsbeziehungen zwischen den einzelnen Konzerneinheiten, die die Koordination leisten" 18 Auch wenn der Ansatz von Teubner einige interessante Wertungsgesichtspunkte enthält19 und im Einzelfall durchaus zu befriedigenden Ergebnissen führen würde, so ist er dennoch als nicht mit dem Gesetz vereinbar abzulehnen. Die Vorstellung, daß dem Konzern neben den einzelnen Konzernunternehmen eine eigene Rechtsfähigkeit zukomme, widerspricht dem „System der Normativbestimmungen" 20 , wonach die Rechtsfähigkeit in jedem Fall ausdrücklich vom Gesetzgeber vorgesehen sein muß 21 . Die gesetzliche Wertung geht von der Trennung der einzelnen Konzernunternehmen aus, die nur im Einzelfall eine Korrektur durch bestimmte Zurechnungsnormen erfährt. Teubners System würde diese gesetzliche Wertung ins Gegenteil verkehren, von der Einheit ausgehen und diese in Einzelfällen trennen. Die bestehenden konzernrechtlichen Zurechnungsnormen (vgl. §§ 16 Abs. 4, 56 Abs. 2, 71 d AktG; § 23 Abs. 1 GWB a.F.; § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG) wären dann aber überflüssig bzw. wären sogar gänzlich verfehlt 22 .
16
Vgl. dazu auch Teubner, FS Steindorff, S. 261 ff.
17
Teubner, ZGR 1991, 189,205.
18
Teubner, ZGR 1991, 189, 205.
19
So läßt ζ. B. Teubners System die konzernrechtliche Verbundenheit alleine zur Begründung der Zurechnung nicht ausreichen. Vielmehr bedarf es dazu einer tatsächlichen Ausübung der Leitungsmacht durch die jeweilige Obergesellschaft.
9*
20
K. Schmidt, GesR, S. 199 f.
21
Vgl. K. Schmidt, GesR, S. 199 ff.
22
So auch Bork, ZGR 1994, 237, 244.
132
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
I I I . Der Konzern als BGB-Gesellschaft Daneben haben Harms 23 und für den faktischen Konzern ihm folgend auch Wilhelm 24 den Versuch einer Subjektivierung des Konzerns unternommen, indem sie von dem Konzern als einer bürgerlich-rechtlichen Innengesellschaft sprechen. Dabei sei es unerheblich, ob es sich um einen Vertragskonzern oder um einen einfach faktischen Konzern handle. Eine solche Betrachtung ist aber abzulehnen, da sich das im Konzern typische Über- und Unterordnungsverhältnis nicht mit dem Gedanken der Gleichstellung der Gesellschafter in der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft vereinbaren läßt 25 . Zudem würde diese Ansicht ohnehin nur dann zu einer (Teil-) Rechtsfähigkeit führen, wenn man mit einigen neueren Stimmen in der Literatur 26 der Gesamthandsgesellschaft eine Teilrechtsfähigkeit zusprechen und darüberhinaus noch die Innengesellschaft als Gesamthandsgesellschaft qualifizieren würde 27 .
IV. Ergebnis Im Ergebnis ist demnach von der Trennung der rechtlich selbständigen Konzernunternehmen auszugehen, wie dies, wie Lutter 28 ausführt, überall auf der Welt der Fall ist 29 . Die Trennung wird allerdings durch eine Vielzahl von geHarms, Konzerne im Recht der Wettbewerbsbeschränkung, S. 147 ff. 24
Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 221 ff., 227, 243 f.
25
Siehe Bälz, FS Raiser, S. 287, 323 ff; Lutter, FS Stimpel, S. 825, 829; mit ausführlicher Begründung dazu Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 77 ff; Schneider, BB 1981, 249, 255. Etwas anderes könnte eventuell im Gleichordnungskonzem gelten, der jedoch hier wegen seiner untergeordneten Rolle keine weitere Berücksichtigung findet. 26
Vgl. ζ. B. Flume , Die Personengesellschaft, S. 68 ff.; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 95; K. Schmidt, GesR, S. 203 ff. m.w.N. 27
Vgl. Steckhan, Die Innengesellschaft, S. 74 ff., 88 f.; Ulmer, Die GbR und Partnerschaftsgesellschaft, § 705 BGB Rn. 233 ff. m.w.N. 28
Lutter in Lutter (Hrsg.), Holdinghandbuch, Rn. F 3.
29 Vgl. zu dieser Diskussion in der amerikanischen Literatur ζ. B. Blumberg, ZGR 1991, 327 ff. (aus dem Englischen übersetzt). Zu der Frage, ob sich die Trennung auch unter Haftungsgesichtspunkten als effizienter erweist, siehe Debus, Haftungsregelungen im Konzernrecht, passim. Im Ergebnis hält Debus die geltende an der Trennung orientierte Lösung für die geeignetere (S. 184). Siehe auch Lehmann, ZGR 1986, 345 ff. und Roth, ZGR 1986,371 ff.
Α. Einheit und Vielheit im Konzern
133
setzlichen Zurechnungs- und Haftungsnormen durchbrochen. Insbesondere die Vorschriften über die Konzernrechnungslegung (§§ 290 ff. HGB) 3 0 und die Konzernmitbestimmung (§ 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG) belegen die vom Gesetzgeber gezogenen rechtlichen Konsequenzen aus der wirtschaftlichen Einheit 31 . Daneben stellt auch die steuerrechtliche Organschaft ein Beispiel fur die (steuer)rechtliche Betrachtung des Konzerns als Einheit dar 32 . Vom Steuerrecht abgesehen, finden sich auch noch in vielen anderen Vorschriften Zurechnungsanordnungen, mittels derer die rechtliche Trennung überwunden wird (vgl. § 16 Abs. 4, § 56 Abs. 2, § 71 d AktG; § 23 Abs. 1 S. 2 GWB a.F.) 33 . Festzustellen ist desweiteren, daß es überwiegend bei der in der Rechtswissenschaft geführten Diskussion über die Einheit und Vielheit im Konzern um die Frage geht, ob es sich bei dem Konzern um eine Unternehmensemheit handelt. An die Annahme der Unternehmenseinheit sind jedoch keine weiteren, nach außen wirkenden rechtlichen Konsequenzen geknüpft 34 , da mit der Unternehmenseigenschaft keine Rechtssubjektivität verbunden ist 35 . Die Frage der Unternehmenseinheit steht im Zusammenhang mit der Suche nach einem umfassenden Ansatz für ein Konzernorganisationsrecht, denn der Unternehmensbegriff stellt einen zentralen Begriff des Konzernrechts dar 36 . Nach überwie-
30 Luiter, ZGR 1987, 324, 336 bezeichnet die Konzemrechnungslegung als Ausformung der Einheitsbetrachtung. 31
Vgl. dazu auch die Ausführungen zu den einzelnen konzernrechtlichen Zurechnungsnormen, unten § 3 B. 32
Zur Organschaft im Steuerrecht siehe Emmerich!Sonnenschein, § 10; Grotherr, BB 1993, 1986 ff.; Wrede in MünchHdb. GmbH, § 74.
Konzernrecht,
33
Aufgrund dieser Vielzahl an Zurechnungsnormen sprechen einige Autoren von einer möglichen zukünftigen Entwicklung hin zur Einheitstheorie, so ζ. B. Emmerich! Sonnenschein, Konzemrecht, S. 81 und Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 82. 34
Vgl. nur Lutter, FS Stimpel, S. 825, 828 Fn. 21.
35
Siehe nur K. Schmidt, JuS 1985, 249, 255; ders., HandelsR, S. 78 ff. m.w.N.
36
Vgl. K. Schmidt, GesR, S. 497. Zum Konzernorganisationsrecht siehe insbesondere die sogenannte „Lwtfer-Schule" (vgl. Lutter, FS Westermann, S. 347 ff.; Schneider, BB 1981, 249 ff.; Timm, AG 1980, 172 ff.; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, passim) sowie jüngst die Ausführungen von Amtstutz, Konzernorganisationsrecht, passim und Ehricke, ZGR 1996, 300 ff, der allerdings ein ausgeprägtes Konzernorganisationsrecht ablehnt und vielmehr eine Orientierung an der sich aus der Privatautonomie ergebenden Handlungsfreiheit der einzelnen Konzemglieder fordert.
134
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
gender Ansicht 37 sind die einzelnen Konzerngesellschaften nicht nur als eine wirtschaftliche Einheit, sondern auch als eine Unternehmenseinheit anzusehen 38 . Es wird in diesem Zusammenhang von dem Konzern als einem „polykorporativen Unternehmen" 39 oder einem „gegliederten Gesamtunternehmen" 40 gesprochen. Die Schwierigkeit liegt vor allem darin, eine Figur zu finden, die gleichzeitig sowohl die Einheit als auch die Vielheit erfassen kann 41 . Zusammenfassend bleibt die von Ballerstedt gemachte, treffende Beobachtung, daß „der Konzern der paradoxe Fall des Unternehmens (ist), das als solches überhaupt keine Rechtsform hat" 4 2 .
37
Zu den verschiedenen Ansichten vgl. die Überblicke bei Hommelhoff in Druey (Hrsg.), Das St. Galler Konzernrechtsgespräch, S. 107 ff.; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 20 ff; Schneider in Mestmäcker/Behrens (Hrsg.), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, S. 563, 566 ff. 38
So Bälz, FS Raiser, S. 287, 320; ders, AG 1992, 277, 301; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 267 ff.; Lutter, FS Stimpel, S. 825, 828; ders, ZGR 1987, 324, 329 ff.; ders. in Lutter (Hrsg.), Holdinghandbuch, Rn. F 1; Mecke, Konzernstruktur und Aktionärsentscheid, S. 60; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 50 ff, 74 ff; Schneider, ZGR 1975, 253, 259; Timm, Die AG als Konzernspitze, S. 1, ders, AG 1980, 172, 181. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob das Unternehmen der beherrschten Gesellschaft durch die einheitliche Leitung, verbunden mit der Eingliederung in das Unternehmen der herrschenden Gesellschaft vernichtet wird (so Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, S. 303 ff.; ders, FG Kronstein, S. 129, 145 f.; wohl auch v. Nell-Breuninig, FG Kronstein, S. 47, 57) oder ob ein solcher Schritt (Vernichtung) nicht erforderlich ist (so Raiser in Raiser/ Sauermann/ Schneider (Hrsg.), Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaften zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, S. 51, 56; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 55 ff, 74 ff.). Nach Raiser , ebenda, können die einzelnen Glieder vielmehr, wie in einem Bundesstaat die Länder, weiterhin wirtschaftliche Subjekte, wenn auch untergeordneter Bedeutung bleiben. Auch nach Rehbinder, ebenda, können die Einzelgesellschaften Träger von Unternehmen niederer Stufung bleiben und die Leitungsgesellschaft kraft ihrer Konzerngewalt darüber hinaus gleichzeitig Träger der übergeordneten Unternehmenseinheit sein. 39
So erstmalig Bälz, FS Raiser, S. 287, 320.
40
Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 50 ff, 74 ff.
41
So werden auch Zweifel erhoben, ob eine solche Figur überhaupt gefunden werden kann und nicht Einheit und Vielheit vielmehr weiterhin nur durch Einzelkorrektive miteinander zu vereinbaren sind, vgl. K. Schmidt, 100 Jahre Verbandstheorie im Privatrecht, S. 33; ders, GesR, S. 500. 42
Ballerstedt in Arndt (Hrsg.), Die Konzentration in der Wirtschaft, S. 603, 630 f.
Β. Konzernrechtliche Zurechnungsnormen
135
Β. Konzernrechtliche Zurechnungsnormen Handelt es sich bei der Einheit Konzern demnach nicht um ein eigenständiges Rechtssubjekt, so gelangt man zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen zwischen den einzelnen, rechtlich selbständigen Konzernunternehmen eine Zurechnung des Wissens zu erfolgen hat. Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es zunächst der Betrachtung der konzernrechtlichen Zurechnungsnormen. Es ist zu prüfen, welche Form bzw. Intensität der Verbundenheit die gesetzlichen Zurechnungsnormen vorschreiben, damit eine Zurechnung gerechtfertigt ist.
I. Aktienrechtliche Zurechnungsnormen Aus den bisher betrachteten Zurechnungsnormen des BGB lassen sich keine konzernrechtlichen Aussagen entnehmen. Neben dem BGB enthält aber insbesondere das Aktienrecht eine Reihe von konzernrechtlichen Zurechnungsnormen, die einer näheren Betrachtung bedürfen.
1. § 16 Abs. 4 AktG Die erste konzernrechtliche Zurechnungsanordnung findet sich im § 16 Abs. 4 AktG. Als Teil der allgemeinen Definitionsnormen für das Recht der verbundenen Unternehmen (§§15 ff. AktG) erlangt § 16 AktG eine entscheidene Bedeutung43. In § 16 AktG wird bestimmt, wann ein Unternehmen im Mehrheitsbesitz eines anderen Unternehmens steht. Entscheidend ist diese Bestimmung vor allem aufgrund der daraus resultierenden Abhängigkeitsvermutung (§ 17 Abs. 2 AktG) und der sich daran anschließenden Konzernvermutung (§18 Abs. 1 S. 3 AktG). Die daran anknüpfenden Verpflichtungen (ζ. B. Erstellung eines Abhängigkeitsberichts gemäß § 312 AktG oder Aufstellung eines Konzernabschlusses gemäß § 290 HGB) könnten durch das herrschende Unternehmen einfach umgangen werden, indem es nicht selbst die Anteile des anderen Unternehmens hält, sondern von einem zwar rechtlich selbständigen Dritten halten läßt, auf dessen Handeln das Unternehmen aber Einfluß nehmen kann. Um eine solche Umgehung zu verhindern, ordnet § 16 Abs. 4 AktG an, daß diese Anteile dem herrschenden Unternehmen zugerechnet werden.
43
Zu der grundlegenden Bedeutung der §§ 15 ff. AktG auch in anderen Gesetzen, vgl. Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, S. 41 ff.
136
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
Die Vorschrift des § 16 Abs. 4 AktG gilt zudem kraft Verweisung in §§ 19 Abs. 1 S. 2; 20 Abs. 1 S. 2; 21 Abs. 1 S. 2; 328 Abs. 1 S. 3 AktG und § 10 Abs. 2 S. 3 KWG. Zurechnungszweck dieser Norm ist, wie generell bei allen Zurechnungsnormen, die Sicherung der Anwendung der Bezugsnormen (z. B. § 312 AktG; § 290 HGB) 4 4 . Als Zurechnungsgrund ist die Einflußnahme des herrschenden Unternehmens anzusehen, wobei schon die bloße Möglichkeit der Einflußnahme ausreichend ist 45 . Es bedarf keiner tatsächlich ausgeübten Einflußnahme, um die Zurechnung zu begründen. In sämtlichen Fällen knüpft die bezogene Norm an die sich aus dem Halten einer bestimmten Beteiligung (konkret Mehrheitsbesitz oder Sperrminorität) ergebenden Möglichkeiten der Einflußnahme an. Die Bezugsnormen begründen die Pflicht ζ. B. zur Mitteilung (§ 20 AktG) oder zur Erstellung von Abhängigkeitsberichten (§312 AktG). Mittels dieser angeordneten Rechtsfolgen sollen die sich aus der Verbundenheit ergebenden Gefahren aufgedeckt werden. Diese Gefahren bestehen aber in gleichem Maße, wenn das betreffende Unternehmen eine von ihm beeinflußbare Person zwischenschaltet. Es werden keine Haftungsfolgen oder Ähnliches an diesen Zustand geknüpft. Die Bezugsnormen enthalten keine nach außen hin, d. h. außerhalb des Verhältnisses zwischen den beiden verbundenen Unternehmen wirkende Rechtsfolgen. Das Außenverhältnis wird durch die Bezugsnormen daher nur mittelbar betroffen. Die Normen dienen ausschließlich der Prävention, was zur Folge hat, daß die Möglichkeit zur Einflußnahme als ausreichend erachtet werden muß. Die Möglichkeit zur Einflußnahme bestimmt sich aber nach den tatsächlichen Verhältnissen und bleibt bei Zwischenschaltung abhängiger Personen bestehen.
2. §§ 56 Abs. 2 und 71d AktG Ähnlich verhält es sich bei § 56 Abs. 2 und § 71d AktG. Im Fall des § 56 AktG ist es der Aktiengesellschaft verwehrt, eigene Aktien zu zeichnen. Dieses Verbot wird gemäß Abs. 2 auf abhängige bzw. in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen ausgedehnt. Ein abhängiges bzw. in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen darf keine Aktien des herrschenden Unternehmens zeichnen. Die Zeichnungshandlung des abhängigen Unternehmens wird dem herrschenden Unternehmen als eigene zugerechnet und fällt daher unter das Zeichnungsverbot.
44
So auch Reg.Begr. in Kropff,
45
Vgl. Bork, ZGR 1994, 237, 246.
S. 30.
Β. Konzernrechtliche Zurechnungsnormen
137
Im Fall des § 71d AktG wird das gemäß § 71 AktG bestehende Verbot des Erwerbs eigener Aktien auf das abhängige oder in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen erweitert. Daß sowohl § 56 Abs. 2 AktG als auch § 71 d AktG zugleich eine Rechtsfolgenanordnung enthalten, ändert an der Qualifizierung als Zurechnungsnormen nichts. Es wird lediglich die schon in § 56 Abs. 1 bzw. in § 71 AktG für die Gesellschaft selbst angeordnete Rechtsfolge wiederholt 46 . Der defizitäre Tatbestand wird durch die Zuordnung zum Bezugssubjekt vervollständigt, und die vorgesehene Rechtsfolge kann zur Anwendung gelangen. Zurechnungszweck ist in beiden Normen gleichermaßen die Sicherung des Normzwecks. Als Zurechnungsgrund fungiert die bloße Möglichkeit der Einflußnahme. Es bedarf keiner weiteren Qualifizierung der Verbundenheit. Das Gesetz läßt allein die Gefahr der beeinträchtigenden Einflußnahme als innere Rechtfertigung ausreichen. Die bezogenen Normen dienen im wesentlichen der Sicherung des Kapitalschutzes47. Die Bezugsnormen begründen auch hier keine unmittelbaren Folgen im Verhältnis zu Außenstehenden, sondern sollen nur möglichen Störungen vorbeugen. Die Gefahren bestehen aber ebenfalls schon dann, wenn beeinflußbare Dritte zwischengeschaltet werden. Die Normen dienen daher der Prävention.
3. § 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG Eine nicht sofort ersichtliche Zurechnungsanordnung ist im § 100 Abs, 2 Nr. 2 AktG enthalten. Das generelle Verbot des § 105 Abs. 2 Nr. 2 AktG, wonach ein Vorstandsmitglied nicht zum Aufsichtsratsmitglied bestellt werden kann, wird durch § 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG auf die Vorstandsmitglieder abhängiger Unternehmen erweitert. Das abhängige Unternehmen wird dem herrschenden Unternehmen zugerechnet, so daß auch die Mitgliedschaft im Vorstand der abhängigen Gesellschaft mit einer Mitgliedschaft im Aufsichtsrat unvereinbar ist. Zurechnungszweck ist wiederum die Sicherung der Bezugsnorm, Zurechnungsgrund die bloße Möglichkeit der Einflußnahme, ohne daß es einer tatsächlichen Ausübung der Machtposition bedürfte.
46 47
So auch Bork, ZGR 1994,237, 247.
Vgl. nur Hüffler, AktG, § 56 Rn. 1 und § 71 Rn. 1. Zu dem ebenfalls enthaltenen Aspekt der Sicherung der Kompetenzordnung siehe die Ausführungen zu § 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG.
138
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
Die bezogene Verbotsnorm dient dem Schutz der Kompetenzordnung innerhalb der AG. Das aktienrechtliche Kontrollsystem soll vor einer möglichen Gefährdung durch Organverflechtungen geschützt werden 48. Eine solche Gefährdung besteht jedoch ebenso bei Zwischenschaltung abhängiger Unternehmen 49 . Auch diese bezogene Norm ist folglich als präventive Schutznorm anzusehen und bestimmt keine unmittelbaren haftungsrechtlichen Folgen gegenüber Dritten.
I I . Sonstige konzernrechtliche Zurechnungsvorschriften Konzernrechtliche Zurechnungsnormen finden sich nicht nur im Aktienrecht. Auch in anderen Gesetzen sind Zurechnungsnormen enthalten, die an die Verbundenheit zweier Unternehmen als Zurechnungsbegründung anknüpfen.
1. § 5 MitbestG So ist z. B. im § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG eine besonders bedeutsame Zurechnungsanordnung getroffen worden 50 . Bei der Feststellung der für die Anwendung des MitbestG gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG erforderlichen Arbeitnehmerzahl werden die in abhängigen Konzernunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer dem herrschenden Unternehmen zugerechnet. Es handelt sich demnach um eine „klassische" Zurechnungsnorm. Würde die Mitbestimmung auf das herrschende Unternehmen ohne Zurechnung der Arbeitnehmer konzernverbundener Unternehmen beschränkt, so könnte die Mitbestimmung ζ. B. durch die Ausgliederung einer Leitungs-Holding, in der dann alle wichtigen Entscheidungen getroffen werden, weitestgehend ausgeschaltet werden. Oder: Durch eine Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Teilunternehmen könnte die Mitbestimmung als von der Arbeitgeberseite ungewünschtes „Übel" sogar ganz umgangen werden. Die Mitbestimmung soll vor allem dort stattfinden, wo die tatsächlichen Entscheidungen getroffen werden, nämlich im herrschenden Unternehmen 51.
48
Vgl. Mertens in KölnKomm. AktG, § 105 Rn. 2.
49
So auch Bork, ZGR 1994, 237, 247 f.
50
Ausführlich dazu Hanau, ZGR 1984,468 ff.
51
Vgl. nur Hanau, ZGR 1984, 468, 476 ff.
Β. Konzernrechtliche Zurechnungsnormen
139
Zurechnungszweck ist die Sicherung der Anwendung der Regelungen des MitbestG. Zurechnungsgrund ist die bloße Möglichkeit der Einflußnahme 52. Auch in diesem Fall dient die bezogene Norm, ähnlich wie im Fall des § 105 Abs. 2 Nr. 2 AktG, der Sicherung der Kompentenzordnung innerhalb der Gesellschaft. Es werden keine unmittelbaren rechtlichen Folgen gegenüber Dritten begründet, sondern die Bezugsnorm dient wiederum der Prävention, so daß schon die bloße Möglichkeit der Einflußnahme als Zurechnungsgrund ausreichend sein muß.
2. § 23 GWB a.F. Ein weiterer Fall konzernrechtlicher Zurechnung findet sich in § 23 Abs. 1 S. 2 GWB a.F. Gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 GWB a.F. müssen Unternehmenszusammenschlüsse angezeigt werden, wenn die Umsatzerlöse der beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr mehr als 500 Mio. D M betragen haben. Für die Berechnung dieser Summe werden den am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen die Umsatzerlöse der mit ihnen verbundenen Konzernunternehmen zugerechnet. Zurechnungszweck ist die Sicherung der Anwendung der Anzeigepflicht. Zurechnungsgrund ist wiederum die schlichte Möglichkeit der Einflußnahme 53. Auch diese Bezugsnorm dient dazu, potentielle Gefahren für den freien Wettbewerb zu verhindern, ohne zugleich rechtliche Folgen gegenüber Außenstehenden zu begründen. Diese Gefahren bestehen gleichermaßen, wenn ein beeinflußbares Drittunternehmen zwischengeschaltet werden kann.
3. § 22 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 WpHG Eine etwas andere konzernrechtliche Zurechnungsregel findet sich in § 22 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 WpHG. Zunächst ist festzustellen, daß es sich sehr wohl um eine „klassische" Zurechnungsnorm handelt. Ähnlich wie im § 16 Abs. 4 AktG werden hier dem im Sinne des § 21 WpHG Meldepflichtigen die Stimmrechte der von ihm „kontrollierten" Unternehmen zugerechnet.
Zur Vermeidung von Verwechselungen sei darauf hingewiesen, daß Einfluß in diesem Zusammenhang nicht die Einflußnahmemöglichkeit der Arbeitnehmervertreter meint, um deren Sicherung geht es ja gerade. Einfluß meint hier den Einfluß, den das herrschende Unternehmen auf die abhängige Tochter ausüben kann. 53
Vgl. auch Bork, ZGR 1994, 237, 263.
140
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
Zurechnungszweck ist die Sicherung der Anwendung der bezogenen Norm des § 21 WpHG. Als Zurechnungsbegründung wird hier jedoch, anders als in den bisher untersuchten Normen, nicht an die in den §§ 15 ff. AktG normierten Definitionen der Verbundenheit (Mehrheitsbeteiligung, Abhängigkeit, Konzern) angeknüpft, sondern vielmehr an das englische „Control-Konzept" 54 . Gemäß § 22 Abs. 3 Nr. 1 WpHG liegt ein kontrolliertes Unternehmen dann vor, wenn sich die Mehrheit der Stimmrechte in der Hand des Meldepflichtigen befindet, was wiederum dem § 16 Abs. 1 AktG entspricht. Letztlich läuft dieser Anknüpfungspunkt also wieder auf die oben schon genannte bloße Möglichkeit der Einflußnahme als Rechtfertigungsgrund hinaus. Der Grund für die fehlende Anknüpfung an das „Abhängigkeits-" oder „Konzern"-Konzept liegt darin, daß meldepflichtig im Sinne des § 21 WpHG nicht nur Unternehmen, sondern jedermann sein kann 55 . Auch hier gilt, daß die bezogene Norm dem präventiven Schutz dient und die Gefahren ebenfalls bestehen, wenn beeinflußbare Dritte zwischengeschaltet werden.
I I I . Folgerungen für die Wissenszurechnung Es stellt sich die Frage, welche verallgemeinerungsfähigen Aussagen sich aus der vorstehenden Untersuchung der konzernrechtlichen Zurechnungsnormen ziehen lassen. Gemein ist allen konzernrechtlichen Zurechnungsnormen, daß sie bereits die Möglichkeit der Einflußnahme als Zurechnungsgrund ausreichen lassen und nicht an die tatsächlich ausgeübte Einflußnahme anknüpfen. Gemeim ist ihnen jedoch auch, daß die bezogenen Normen dem Zweck dienen, die Gesellschaft selbst und die Allgemeinheit 56 vor möglichen Gefahren für die Kompetenzordnung, die Kapitalerhaltung, den Wettbewerb oder die Mitbestimmung zu schützen. Sie dienen der präventiven Gefahrenabwehr. Von diesem Zweck der Bezugsnormen ausgehend, ist es geboten, als Zurechnungsgrund schon die bloße Möglichkeit der Einflußnahme ausreichen zu lassen, da andernfalls die verfolgte ratio legis der Bezugsnorm, um deren Anwendungssicherung es geht, verfehlt würde 57 . Bork 5* führt hierzu treffend aus, daß es sich eigentlich um 54
Vgl. Begr.RegE zu § 22 Abs. 3 (BT-Drs. 12/ 6679, S. 54); Schneider in Assmann/Schneider, WpHG, § 22 Rn. 51 m.w.N. 55
Vgl. Schneider in Assmann/Schneider, WpHG, § 22 Rn. 51.
56
So ζ. B. im Fall des § 23 GWB a.F.
57
Vgl. auch Bork, ZGR 1994, 237, 263; Paschke, AG 1988, 196, 205.
Β. Konzernrechtliche Zurechnungsnormen
141
eine schlichte „Verlegenheitslösung' 4 handle. Denn wäre die tatsächliche Einflußnahme ohne Schwierigkeiten regelmäßig nachweisbar, so bedürfte es keines Rückgriffs auf das Kriterium der möglichen Einflußnahme. Insgesamt ist festzustellen, daß die Konzernverbundenheit als solche keinen absoluten Zurechnungsgrund darstellt. Die Konzernverbundenheit begründet keine Generalzurechnung aller tatbestandsrelevanten Umstände59. Das Gesetz hält grundsätzlich an der juristischen Selbständigkeit der einzelnen Konzernunternehmen fest. Nur in Ausnahmefällen ordnet das Gesetz mittels der Zurechnungsnormen eine Zurechnung an, welche allein an die Verbundenheit (konkret die bloße Abhängigkeit oder noch weniger, die bloße Mehrheitsbeteiligung 60 ) als Zustand anknüpft. Ist die gesetzliche Zurechnung auf diese Ausnahmefälle beschränkt, so liegt die Vermutung nahe, daß darüber hinaus als Begründung für die Zurechnung nicht schon die bloße Abhängigkeit oder Konzernierung ausreichend sein kann; daß vielmehr in den nicht geregelten Fällen weitere Umstände hinzukommen müssen. Wäre schon die bloße Möglichkeit der Einflußnahme als hinreichend anzusehen, so käme das vom Gesetz vorgesehene „austarierte" System der Zurechungsnormen aus dem Gleichgewicht. Dementsprechend wird auch in der Mehrzahl der von der Rechtsprechung entschiedenen, nicht gesetzlich geregelten Zurechnungsfällen eine qualifizierte Abhängigkeit für erforderlich gehalten. Vielfach erfolgt die Zurechnung erst bei einer sehr hohen bzw. 100%-igen Kapitalbeteiligung oder bei konkreter Beeinflussung der Geschäftsführung 61. Andererseits kann aus dieser Erkenntnis, daß das Gesetz nur in bestimmten Fällen die bloße Einflußnahmemöglichkeit hat ausreichen lassen, nicht der Schluß gezogen werden, in allen anderen Fällen bedürfe es zwingend einer „qualifizierten" Verbundenheit. Soweit die bezogene Norm ihrem Zweck nach dem Schutz vor möglichen Gefahren dient, kann es durchaus geboten sein, als Zurechnungsbegründung schon die bloße Einflußnahmemöglichkeit ausreichen zu lassen. Soweit beispielsweise ein Gesellschafter einem Wettbewerbsverbot unterliegt 62, darf er sich diesem Verbot nicht dadurch entziehen, daß er eine 58
Bork, ZGR 1994,237,263.
59
Vgl. Bork, ZGR 1994, 237, 260; Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 508.
60
Hinsichtlich der Einflußnahmemöglichkeit besteht in der Praxis aufgrund der gesetzlichen Vermutungsregeln allerdings zwischen diesen Zuständen kaum ein Unterschied. 61
Vgl. ζ. B. BGHZ 56,47, 53; BGH, NJW 1977, 850, 851 (zu den Stimmverboten); vgl. auch BGHZ 81,311; BGHZ 102, 95, 103. 62
Ob sich das Wettbewerbsverbot der Gesellschafter aus der Satzung, einer analogen Anwendung des § 112 HGB oder allgemein aus der Treuepflicht ergibt, ist in die-
142
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
von ihm abhängige Gesellschaft zwischenschaltet. Der BGH 6 3 hat es in diesem Zusammenhang schon als ausreichend erachtet, wenn der betreffende Gesellschafter in der zwischengeschalteten Gesellschaft eine beherrschende Stellung innehat, also nur die Möglichkeit einer Einflußnahme besteht. Der BGH hat zwar die Frage offengelassen, ob schon die Möglichkeit der Einflußnahme zwingend zur Anwendung des Wettbewerbsverbots fuhrt oder ob nicht dem Gesellschafter das Recht eingeräumt werden soll, zu beweisen, daß er von seinen Einflußnahmemöglichkeiten keinen Gebrauch macht, also nur eine reine Finanzbeteiligung hält 64 . Diese Einschränkung entspricht aber nur den in den §§ 17 Abs. 2 und § 18 Abs. 1 S. 3 AktG zum Ausdruck gebrachten Vermutungsregeln. Für die Wissenszurechnung läßt sich demnach der Schluß ziehen, daß alleine der bloße Mehrheitsbesitz mit der sich daraus ergebenden bzw. vermuteten Möglichkeit der Einflußnahme grundsätzlich noch keinen ausreichenden Zurechnungsgrund darstellt 65. Denn anders als die Normen, auf die sich die konzernrechtlichen Zurechnungsnormen beziehen, beinhalten die Wissensnormen sehr wohl eine unmittelbare Außenwirkung und dienen nicht der präventiven Gefahrenabwehr, sondern der angemessenen Risikoverteilung in bereits bestehenden Rechtsverhältnissen 66. Es läßt sich daher schon an dieser Stelle feststellen, daß es für die Begründung einer Wissenszurechnung noch weiterer Qualifizierungsmerkmale bedarf.
I V . Konzernrechtliche Haftung Im folgenden sollen daher kurz die Fälle konzernrechtlicher Haftungszurechnung auf ihre zurechnungsbegründenden Merkmale hin untersucht werden, da diese ebenfalls eine unmittelbare Außenwirkung beinhalten. Es soll festgesem Zusammenhang unerheblich, vgl. dazu BGHZ 89, 162 ff.; Binnewies, Die Konzerneingangskontrolle, S. 192 ff, 280, der die gesellschafterliche Treuepflicht als Grundlage ansieht; Geiger, Wettbewerbsverbote im Konzernrecht, S. 57 ff; Ivens, Das Konkurrenzverbot des GmbH-Gesellschafters, S. 124 ff m.w.N.; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, Anh. § 52 Rn. 27 f.; Lutter, ZHR 151, (1987), 444, 456 f.; Lutter/Timm, NJW 1982, 409 ff.; Mertens/Cahn, FS Heinsius, S. 545, 546 f.; Raiser , FS Stimpel, S. 855 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. KonzernR Rn. 70. 63
BGHZ 89, 162, 166 f.
64
BGHZ 89, 162, 167; für die Zulässigkeit eines solchen Beweises Raiser , FS Stimpel, S. 855, 862 f. 65
Ebenso Z W , ZHR 161 (1997), 491, 508.
66
Zu den unterschiedlichen Rechtsfolgen siehe oben § 2 Β. I.
Β. Konzernrechtliche Zurechnungsnormen
143
stellt werden, unter welchen Voraussetzungen das Gesetz die grundsätzliche Haftungstrennung aufgehoben hat und dem herrschenden Unternehmen die Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft „zurechnet".
1. Gesetzliche Haftungsnormen Dabei sollen zunächst die gesetzlichen konzernrechtlichen Haftungsnormen, insbesondere die §§ 302 und 322 AktG betrachtet werden. Im Fall des § 302 AktG werden zwar die Verluste der abhängigen Gesellschaft der herrschenden Gesellschaft „zugerechnet". Es handelt sich aber nicht um eine rechtliche Zurechnung 67. Es gibt neben der Vorschrift des § 302 AktG keine weiteren Normen, deren Tatbestand die herrschende Gesellschaft nicht gänzlich vervollständigt hätte und deren Rechtsfolgen erst durch die Anwendung des § 302 AktG eintreten würden. Vielmehr handelt es sich bei § 302 AktG um eine Anspruchsgrundlage. Vergleichbar mit den konzernrechtlichen Zurechnungsnormen ist jedoch, daß mittels dieser Anspruchsnorm die bestehende rechtliche Trennung zwischen den verbundenen Unternehmen eingeschränkt wird. Anders als im Fall der Zurechnungsnormen, die ja bereits an die einfache Mehrheitsbeteiligung und die damit verbundene bloße Möglichkeit der Einflußnahme anknüpfen, wird nach § 302 AktG der qualifizierte Zustand des Vertragskonzerns vorausgesetzt. Etwas anders liegt der Fall bei der gesamtschuldnerischen Haftung gemäß § 322 AktG. Gemäß § 322 AktG werden Forderungen, die gegen die eingegliederte Gesellschaft bestehen, der herrschenden Gesellschaft als eigene Verbindlichkeit „zugerechnet". Dennoch handelt es sich bei dieser Norm nicht um eine echte Zurechnungsnorm 68. Vielmehr ist der Tatbestand der Haftung schon in der Person der eingegliederten Gesellschaft vollständig erfüllt. Es geht also nicht um eine Vervollständigung, sondern es wird eine bereits begründete Forderung auf eine weitere Person erweitert. Die Vorschrift wirkt demnach nicht auf der Tatbestandsseite, sondern allein auf der Rechtsfolgensseite. Wirtschaftlich betrachtet macht diese Differenzierung allerdings keinen Unterschied. Die herrschende Gesellschaft wird durch die gesamtschuldnerische Haftung nach § 322 AktG zwar nicht selbst zur direkten Schuldnerin der Forderung, wird aber wie eine solche verpflichtet 69 . Dogmatisch ist die Haftungsriorm zwar von den echten Zurechnungsnormen zu trennen, es zeigt sich allerdings, daß die
67
Vgl. Bork, ZGR 1994, 237, 248.
68
So auch Bork, ZGR 1994, 237, 248 f.
69
Vgl. Bork, ZGR 1994, 237, 249.
144
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
Zurechnung als Rechtsanwendnungstechnik nicht der einzige Weg ist, die grundsätzliche Trennung zwischen den einzelnen rechtlich selbständigen Konzernunternehmen aufzuheben. Als Begründung für die Aufhebung reicht, wie auch schon bei den übrigen Haftunsnormen, die einfache Abhängigkeit nicht aus. Es bedarf des qualifizierten Zustands in Form der Eingliederung.
2. Sonstige konzernrechtliche Haftungsfölle Neben den gesetzlich angeordneten Fällen der Haftungszurechnung hat sich in Rechtsprechung und Literatur für den nicht geregelten qualifiziert faktischen GmbH-Konzern noch ein weiterer Fall der Haftungszurechnung analog §§ 302, 303 AktG herausgebildet 70. Bis zum umstrittenen „Video"-Urteil 71 hat der BGH vor allem an das Vorliegen einer dauerhaften und umfassenden Ausübung der Leitungsmacht als Haftungsvoraussetzung angeknüpft. Nach dem „TBB"Urteil 72 stellt der BGH nunmehr insbesondere auf die Nachteiligkeit, d. h. auf die Verletzung des Eigeninteresses der abhängigen GmbH durch das herrschende Unternehmen ab, wobei der Einzelausgleich nicht mehr möglich sein darf. Unabhängig von den einzelnen Haftungsvoraussetzungen ist festzustellen, daß in jedem Fall das Vorliegen einer tatsächlichen Einflußnahme durch das herrschende Unternehmen Bedingung dieser Haftung ist 73 .
3. Steuerrechtliche Organschaft Ähnliches gilt auch im Fall der steuerrechtlichen Organschaft. Bei der steuerrechtlichen Organschaft handelt es sich zwar nicht um eine Haftung, sondern vielmehr um eine tatbestandliche Zurechnung. Gemein ist der steuerrechtlichen Organschaft aber mit der Haftung, daß sie sich direkt auf den zu zahlenden Steuerbetrag des Organträgers auswirkt, mithin eine unmittelbare Außenwir-
70
Unstreitig, vgl. nur BGHZ 95, 330.
71
BGHZ 115, 187 ff.
72
BGHZ 122, 123 ff. unter weitestgehender Zustimmung des Schrifttums, vgl. nur Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 18 m.w.N. 73 Zu der desweiteren möglicherweise bestehenden Druchgriffshaftung siehe oben § 2 D. V. 1. d), wobei ebenfalls nach allen Lehren die tatsächliche Einflußnahme als Haftungsbegründung vorausgesetzt wird.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
145
kung entfaltet. Organschaft bedeutet, daß ein abhängiges Unternehmen (Organgesellschaft) wirtschaftlich, finanziell und organisatorisch in ein herrschendes Unternehmen (Organträger) eingegliedert ist 74 . Die Begründung der Organschaft ist nicht an eine bestimmte Konzernform gebunden, sondern bestimmt sich nach der tatsächlichen Intensität der Verbundenheit. Die Wirkungen der Organschaft für die Umsatz- und Gewerbesteuer treten bei Vorliegen der Voraussetzungen unabhängig davon ein, ob die Organschaft geplant war oder nicht. Hinsichtlich der Körperschaftssteuer haben es die Unternehmen hingegen in der Hand, den Eintritt der steuerrechtlichen Wirkungen zu verhindern. Erforderlich ist hier zusätzlich noch das Bestehen eines Gewinnabführungsvertrags 75. Liegen die jeweils erforderlichen Voraussetzungen vor, werden dem Organträger die nach Körperschafts-, Umsatz- und Gewerbesteuer Pflichtigen Erträge der Organgesellschaften zugerechnet. Zurechnungsgrund ist nicht schon die bloße Möglichkeit der Einflußnahme, sondern die tatsächliche Ausübung der einheitlichen Leitung.
V. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzustellen, daß, soweit es darum geht vor möglichen Gefahren zu schützen, eine Durchbrechung der rechtlichen Trennung der Konzernunternehmen schon an die bloße Möglichkeit einer Einflußnahme anknüpft. Soweit aber die Durchbrechung eine unmittelbare Außenwirkung insbesondere in Form einer Haftung - entfaltet, wird eine tatsächlich - im einzelnen unterschiedlich intensiv - ausgeübte Einflußnahme („durchgeführter Konzern") bzw. eine besonders intensive Form der Verbundenheit vorausgesetzt. Da die Intensität der Verbundenheit und damit einhergehend auch die Möglichkeiten der Einflußnahme von Konzernform zu Konzernform verschieden sind, bedarf es bei der folgenden Untersuchung der Wissenszurechnung einer Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Konzernformen.
C. Wissenszurechnung im Vertragskonzern Von diesen Erkenntnissen ausgehend soll nachstehend die Frage untersucht werden, ob eine Wissenszurechnung gerechtfertigt ist, wenn es sich bei dem
74
§ 14 KStG.
75
§14 KStG.
10 Schüler
146
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
einflußnehmenden (wissenden) Aktionär um die herrschende Gesellschaft im Vertragskonzern handelt. Ein Vertragskonzern im engeren Sinne liegt vor, wenn ein herrschendes und ein abhängiges Unternehmen durch einen Beherrschungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. AktG miteinander verbunden sind. Neben dem Beherrschungsvertrag bestehen noch einige andere Formen von Unternehmensverträgen. Diese werden jedoch hier nicht näher dargestellt, da die fur die Wissenszurechnung entscheidenen Vorschriften, insbesondere § 308 AktG, nur an das Bestehen eines Beherrschungsvertrags anknüpfen 76. Das Verhältnis zwischen den so verbundenen Unternehmen ist - anders als im bloß faktischen Konzern - im Gesetz umfassend geregelt (§§ 291 f f , 300 ff. AktG). Es handelt sich um eine vom Gesetz ausdrücklich legitimierte Form der Unternehmensverbundenheit.
I. Konzernrechtliche Risikoverbundenheit Neben der „normalen" anteilsmäßigen Risikoverbundenheit besteht im Vertragskonzern noch eine darüber hinausgehende, wirtschaftliche Verbundenheit. Das herrschende Unternehmen ist gemäß § 302 AktG verpflichtet, Jahresfehlbeträge des abhängigen Unternehmens abzugleichen (sogenannte Verlustausgleichspflicht). Der Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG steht der abhängigen Gesellschaft unmittelbar mit der Feststellung der Jahresfehlbeträge zu. Es handelt sich allerdings nicht um eine Außenhaftung gegenüber den Gläubigern der abhängigen Tochter. Zusammen mit dem Beherrschungsvertrag werden regelmäßig noch Gewinnabführungsverträge zwischen den Unternehmen abgeschlossen77. Solche Verträge werden zumeist in einem sogenannten Organschaftsvertrag zusammengeschlossen, so daß eine vollständige Ergebnisabführung besteht. Im Vertragskonzern ist demnach das herrschende Unternehmen nicht nur mittelbar aufgrund seiner kapitalmäßigen Beteiligung, sondern direkt und unmittelbar an dem wirtschaftlichen Risiko der abhängigen Gesellschaft beteiligt.
76
Zu den verschiedenen Formen von Unternehmensverträgen vgl. die Übersicht bei Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, § 9 u. §§ 11 f. 77
Vgl. Emmerich/Sonnenschein,
Konzernrecht, S. 27; K. Schmidt, GesR, S. 952 f.
C. Wissenszurechnung im Vertragskonzern
147
I I . Einflußnahmemöglichkeiten Der unmittelbaren wirtschaftlichen Risikoverbundenheit steht gemäß § 308 Abs. 1 AktG ein weitgehendes Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens gegenüber. Das herrschende Unternehmen ist sogar berechtigt der abhängigen Gesellschaft Weisungen zu erteilen, die sich auf diese nachteilig auswirken, wenn sie den Belangen des herrschenden Unternehmens oder der mit ihm und der Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmen dienen. Für das herrschende Unternehmen handelt dabei sein Vertretungsorgan 78. Das Weisungsrecht des § 308 Abs. 1 AktG umfaßt den gesamten Bereich der Geschäftsleitung. Der Leitungsbegriff des § 308 Abs. 1 S. 1 entspricht dem Leitungsbegriff des § 76 Abs. 1 AktG und ist ebenso umfassend auszulegen79. Der Konzernvorstand ist berechtigt der abhängigen Tochter Weisungen bis hin zum laufenden Tagesgeschäft zu erteilen 80. Das gilt allerdings nur, soweit der Beherrschungsvertrag keine Einschränkungen des Weisungsrecht enthält81. Das Weisungsrecht erstreckt sich nicht auf den Inhalt des Beherrschungsvertrags und auch nicht auf Angelegenheiten, die in den Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats oder der Hauptversammlung fallen 82 . Ferner sind solche Weisungen unzulässig, deren Ausführung gegen die guten Sitten oder gegen geltendes Recht verstoßen würden 83 . Weisungen, die gegen die Satzung der Gesellschaft verstoßen 84 oder 78
Für die hier zu untersuchenden Gesellschaftsformen sind das also der Vorstand in der AG (§ 78 AktG) und der Geschäftsführer in der GmbH (§ 35 GmbHG). Im folgenden soll jedoch der einfachheitshalber nur von dem Konzernvorstand gesprochen werden. 79 Allgemeine Meinung, siehe Reg.Begr. in Kropffl, S. 403; Baumbach/Hueck, AktG, § 308 Rn. 2; Emmerich/Sonnenschein, Konzemrecht, S. 351; Geßler in Geßler/ Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 39; Hüffler, AktG, § 308 Rn. 12; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 17; Würdinger in GroßKomm. AktG 3 , § 308 Anm. 8. 80
Ausführlich Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 148 ff.
81 Zur Zulässigkeit der Einschränkung des Weisungsrechts durch den Beherrschungsvertrag siehe Emmeriehl Sonnenschein, Konzemrecht, S. 351; Exner, Behrrschungsvertrag und Vertragsfreiheit, S. 83 ff.; Hüffler, AktG, § 308 Rn. 13; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 37 ff. m.w.N.; Krieger in MünchHdb. AG, § 70 Rn. 100. Die vorliegende Untersuchung geht jedoch vom gesetzlichen Normalfall aus, also ohne vertragliche Einschränkungen des Weisungsrechts. 82 OLG Karlsruhe, AG 1991, 144, 146 re. Sp.; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 42; Emmerich/Sonnenschein, Konzernecht, S. 351 f.; Geßler in Geßler/ Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 37; Hüffler, AktG, § 308 Rn. 12; Krieger in Münchhdb. AG, § 70 Rn. 97; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 235; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 330. 83
10*
Vgl. nur Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 19.
148
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
durch die die Existenz der Gesellschaft gefährdet wird 8 5 , sind ebenfalls unzulässig. Ganz überwiegend wird desweiteren verlangt, daß der für die abhängige Gesellschaft entstehende Nachteil im Vergleich zu den für das herrschende Unternehmen oder der verbundenen Unternehmen entstehenden Vorteilen nicht übermäßig groß sein darf 86 . Diesem umfassenden Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens steht gemäß § 308 Abs. 2 S. 1 AktG eine ebenso umfassende Folgepflicht des Vorstands der abhängigen Gesellschaft gegenüber. Die Folgepflicht ist als Spiegelbild des Weisungsrechts auf zulässige Weisungen beschränkt. Rechtswidrige Weisungen dürfen vom Tochtervorstand nicht befolgt werden 87. Gemäß § 308 Abs. 2 S. 2 AktG kann der Tochtervorstand die Ausführung einer Weisung allerdings nicht mit der Begründung verweigern, sie liege nicht im Konzerninteresse. Lediglich wenn die angewiesene Maßnahme ganz offensichtlich nicht im Konzerninteresse liegt, kann die Ausführung verweigert werden. Dementsprechend obliegt dem Tochtervorstand nur eine inhaltlich stark begrenzte Überprüfungspflicht 88. Tatsächlich ist es dem Tochtervorstand daher nicht
84
Vgl. nur Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 36 m.w.N.
85 So die ganz überwiegende Ansicht, siehe OLG Düsseldorf, AG 1990, 490, 492; Clemm, ZHR 141 (1977), 197, 204 ff.; Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, S. 357 f.; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 150; Hüjfer, AktG, § 308 Rn. 19; Immenga, ZHR 140 (1970), 301, 304 ff.; Köhler, ZGR 1985, 307, 318; Krieger in Münchhdb. AG, § 70 Rn. 98; Schatz, Die Sicherung des Gesellschaftsvermögens, S. 23 ff; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 335 f.; Sina , AG 1991, 1, 7 f; Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 408 ff. Demgegenüber hält Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 32 die Existenzfähigkeit der Gesellschaft jedenfalls für keine absolute Grenze, vgl. auch Glaser, Grenzen des Weisungsrechts, S. 11 ff. Nach Geßler, ZHR 140 (1970), 433, 440 findet die Beschränkung auf die Existenzfähigkeit dort ihre Grenzen, wo es um die Existenz des herrschenden Unternehmens geht. 86
So Glaser, Grenzen des Weisungsrechts, S. 117 ff.; Hüffer, AktG, § 308 Rn. 17; Hommelhoff,\ Konzernleitungspflicht, S. 149; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 30; Krieger in MünchHdb. AG, § 70 Rn. 98; Schauß, Das Weisungsrecht, S. 81 ff.; Sina , AG 1991, 1, 7 f.; Würdinger in GroßKomm. AktG 3 , § 308 Anm. 13. A.A. aber Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 53. 87
Vgl. nur Koppensteiner MünchHdb. AG, § 70 Rn. 105.
in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 47; Krieger
in
88 Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, S. 358 f.; Exner, Beherrschungsvertrag und Vertragsfreiheit, S. 129; Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 65; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 45; Krieger in MünchHdb. AG, § 70 Rn. 105; Schauß, Das Weisungsrecht, S. 26; Sina , AG 1991, 1, 8 f.
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ergskonzern
149
möglich, die Weisungen auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen 89. Es findet lediglich eine einfache Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Eine Zweckmäßigkeitskontrolle ist ausschließlich auf ein offensichtlich fehlendes Konzerninteresse beschränkt.
ΠΙ. Entscheidungsfindung Der Tochtervorstand bleibt auch im Vertragskonzern für die Vertretung der abhängigen Gesellschaft bei rechtsverbindlichen Maßnahmen zuständig. Der Tochtervorstand ist das alleinige Vertretungsorgan im Sinne des § 78 AktG.
1. Bevollmächtigung Etwas anderes könnte sich nur dann ergeben, wenn sich der Konzernvorstand anstatt eine Weisung zu erteilen, vom Tochtervorstand zur Geschäftsführung bevollmächtigen ließe. Gegen die Zulässigkeit einer solchen, auf den Einzelfall beschränkten Bevollmächtigung bestehen keine Bedenken. Es handelt sich dann um einen ganz normalen Fall der Stellvertretung im Sinne des §§164 ff. BGB. Die Hauptgesellschaft (bzw. deren Vorstand) handelt im Auftrag und im Namen der abhängigen Gesellschaft. Das Wissen der herrschenden Gesellschaft wäre der Tochtergesellschaft in direkter Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen. Eine solche Konstellation dürfte aber wohl eine Ausnahme darstellen und enthält zudem keine rechtlichen Besonderheiten. Sie ist daher nicht weiter zu berücksichtigen. Unzulässig ist dagegen eine umfassende, nicht auf konkrete Einzelgeschäfte beschränkte Bevollmächtigung. Durch eine solche Bevollmächtigung würde sich der Tochtervorstand jeglicher Kontrollmöglichkeiten entledigen. Zwar ist das Kontrollrecht inhaltlich stark begrenzt, durch die Ausübung des Kontrollrechts sollen aber gerade rechtswidrige und offensichtlich nicht im Konzerninteresse liegende Weisungen verhindert werden. Folglich würde das Kontrollrecht und vor allem die Kontrollpflicht des Tochtervorstands als Schutzmaßnahmen für die abhängige Gesellschaft durch eine umfassende Bevollmächtigung in unzulässiger Weise umgangen90.
89
Vgl. auch Streyl, Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 38 ff, 41 ff. 90
OLG München, AG 1980, 272; Ballerstedt, ZHR 137 (1973), 388, 399 ff.; Berkenbrock, AG 1981, 69, 70 ff; Exner, Beherrschungsvertrag und Vertragsfreiheit, S. 118 ff.; ders. AG 1981, 175, 176 ff.; Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 11; Hüffer, AktG, § 308 Rn. 9; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 15; Krieger
150
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
Ist die umfassende Bevollmächtigung des Konzernvorstands unzulässig, bleibt es bei der alleinigen Vertretungszuständigkeit des Tochtervorstands. Die alleinige Vertretungszuständigkeit läßt jedoch noch keine Rückschlüsse auf den Prozeß der Entscheidungsfindung als dem für die Begründung der Wissenszurechnung entscheidenen Kriterium zu. Entnehmen läßt sich lediglich die wenig überraschende Erkenntnis, daß der abhängigen Gesellschaft das Wissen ihres eigenen Vorstands zuzurechnen ist.
2. Organisationsrechtlicher Charakter Weitergehend ist zu fragen, ob nicht durch den Abschluß des Beherrschungsvertrags die Leitungs- oder Geschäftsführungsbefugnis 91 (§ 76 AktG) des Tochtervorstands auf den Konzernvorstand übergeht oder dieser neben dem Tochtervorstand als ein Leitungsorgan der Gesellschaft angesehen werden muß.
a) Theorie der originären Leitungsmacht Eine generelle Veränderung der Leitungsmacht könnte sich dann ergeben, wenn man der sogenannten Theorie der originären Leitungsmacht des Konzernvorstands folgen würde 92 . Nach dieser Theorie, so wie sie von Homin MünchHdb. AG, § 70 Rn. 103. Umstritten ist in diesem Zusammenhang allerdings, ob ein ohne Vertretungsmacht geschlossenes Rechtsgeschäft gemäß § 177 Abs. 1 BGB nachträglich genehmigt werden kann. Zu Recht ablehnend Berkenbrock, AG 1981, 69, 70 ff.; Hüffer, AktG, 308 Rn. 9; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 16; dafür OLG München, AG 1980, 272, 273; Exner, AG 1981, 175, 178; Krieger in MünchHdb. AG, § 70 Rn. 103. 91
Die unterschiedlichen Bezeichnungen Leitung (vgl. § 76 Abs. 1 AktG) und Geschäftsführung (§ 77 Abs. 1 S. 1 AktG) umfassen inhaltlich dieselben Aufgaben und werden daher nicht weiter differenziert. Ausführlich zum Gleichklang Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 3 ff, 6. 92
Überlegungen zur Theorie der originären Leitungsmacht finden sich bei Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 214 ff.; v. Hoyningen-Huene, ZGR 1978, 515, 528; Lutter, ZGR 1977, 195, 212; Lutterl Schneider, BB 1977, 553, 557 f.; Schilling, ZHR 140 (1976), 528, 534; Sonnenschein, ZGR 1981, 429, 450 f. Zu bemerken ist jedoch, daß es bei diesen Abhandlungen stets um die Frage geht, auf welcher Ebene die Konzernmitbestimmung gemäß § 5 MitbestG stattzufinden hat. Im Hinblick auf diese Frage wird ein „Konzern im Konzern" abgelehnt. Es geht bei dieser Diskussion weniger um das Verhältnis zwischen Konzernmutter und Konzerntochter, als vielmehr um eine Aufteilung der einheitlichen Leitung im Sinne des § 18 AktG. (So auch Bork, ZGR 1994, 237, 253; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 446).
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
151
melhoff 93 weiter gedacht wurde, steht die Leitungsmacht allein dem Konzernvorstand zu. Die Leitungsmacht werde an den Vorstand der abhängigen Gesellschaft nur delegiert. Der Tochtervorstand übe demnach die Leitungsmacht nicht kraft eigener Zuständigkeit, sondern nur kraft Delegation aus. Die Annahme einer solchen Delegation hätte eine umfassende Zurechnung zur Folge. Das Wissen des Konzernvorstandes würde aufgrund der originären Leitungszuständigkeit, wie das Wissen eigener Geschäftsführungsorgane unmittelbar wertend zugerechnet 94. Auch umgekehrt müßte sich die herrschende Gesellschaft alles Handeln und Wissen des Tochtervorstands zurechnen lassen. Eine so weiterentwickelte Theorie der originären Leitungsmacht würde jedoch schon der Vorschrift des § 308 Abs. 1 S. 1 AktG widersprechen, denn das Weisungsrecht ergibt nur dann einen Sinn, wenn dem Tochtervorstand im übrigen eigene Leitungsmacht zusteht95. Eine Theorie der originären Leitungsmacht ist mit den konzernverfassungsrechtlichen Aussagen des Gesetzes in dieser Hinsicht nicht zu vereinbaren 96.
b) Übergang der Leitungsbefugnis Es ist festzustellen, daß der Beherrschungsvertrag für sich alleine genommen noch keine veränderte Organisationsstruktur bewirkt. Der Tochtervorstand bleibt zunächst das allein zur Leitung der Gesellschaft gemäß § 76 AktG zuständige Organ 97. Die Geschäftsführungsbefugnis geht nicht einfach auf das herrschende Unternehmen über, bzw. der Tochtervorstand wird nicht als Ge-
Hommelhoff 94 95
Konzernleitungspflicht, S. 214 ff.
Siehe oben § 2 D. II. 2. a).
Ausführlich dazu Hommelhoff,\ Bork,, ZGR 1994, 237, 253.
Konzernleitungspflicht, S. 215 ff; vgl. auch
96
Ohnehin ist fraglich, ob mit den Ausführungen zum „Konzern im Konzern" eine so weiterführende Theorie der originären Leitungsmacht begründet werden sollte. Wenn Hommelhoff Konzernleitungspflicht, S. 214 ff. dies für die logische Schlußfolgerung aus den Ausführungen zur Mitbestimmung hält, so ist das letztlich als zu weitgehend abzulehnen, wenngleich seine Ausführungen, mit denen er eine solche Theorie ablehnt, sehr überzeugend sind. 97
Vgl. auch Reg.Begr. in Kropjf, S. 403; Bork, ZGR 1994, 237, 253 f.; Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 8; Godin/Wilhelmi y AktG, § 291 Anm. 2; Hommelhoff Konzernleitungspflicht, S. 218 ff.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 48; Krieger in MünchHdb. AG, § 70 Rn. 105; Schauß, Das Weisungsrecht, S. 103 ff.; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 447; Würdinger in GroßKomm. AktG3, § 308 Anm. 2.
152
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
schäftsführungsorgan verdrängt. Der Vorstand ist, wie der Vorstand einer unabhängigen Gesellschaft 98, nicht nur zur Leitung berechtigt, sondern auch verpflichtet und trägt für diese Leitung die alleinige Verantwortung (§ 93 AktG). Die autonome Stellung des Tochtervorstands als eigenverantwortliches Leitungsorgan spiegelt sich auch in der Ausrichtung des Handelns am Gesellschaftsinteresse wieder. Der Tochtervorstand hat im weisungsfreien Raum seine eigenverantwortliche Entscheidung ausschließlich am Interesse der eigenen (abbhängigen) Gesellschaft auszurichten 99.
c) Der Konzernvorstand
als „ Quasi-Organ " der abhängigen Gesellschaft
Auch wenn durch den Beherrschungsvertrag der Tochtervorstand nicht seiner Organstellung enthoben wird, so werden doch die Voraussetzungen für eine veränderte Leitungsbefugnis geschaffen 100. Durch den Abschluß des Beherrschungsvertrags wird dem Tochtervorstand eine weitere „Instanz" übergeordnet. Diese Überordnung findet ihren gesetzlichen Ausdruck im Weisungsrecht des § 308 Abs. 1 AktG. Die durch den Beherrschungsvertrag geschaffenen Voraussetzungen für eine veränderte rechtliche Organisationsstruktur der abhängigen Geselllschaft wird durch die Erteilung einer Weisung aktiviert. Im Fall der Weisungserteilung bestimmt dann nicht mehr der Tochtervorstand die Geschäftsführung der Gesellschaft, sondern der Konzernvorstand 101. Der Tochtervorstand ist nicht einmal berechtigt inhaltlich festzustellen, ob die nachteilige Maßnahme im Konzerninteresse liegt; offensichtliche Fälle ausgenommen. Der Tochtervorstand ist in der Regel auch gar nicht befähigt eine
98
Vgl. dazu nur Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 9
m.w.N. 99
Ausfuhrlich dazu unten § 4 Α. I. 2. a).
100
Allgemein zum organisationsrechtlichen Charakter der Beherrschungsverträge siehe Emmerich!Sonnenschein, Konzernrecht, S. 160 ff.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, Vor § 291 Rn. 68 ff; Prael, Eingliederung und Beherrschungsvertrag als körperschaftliche Rechtsgeschäfte, S. 72 ff, je mit allen Nachweisen. 101
Vgl. Reg.Begr. in Kröpft\ S. 403: „Er [der Tochtervorstand, Anm. d. Verf.] hat die Gesellschaft nur noch in dem Bereich unter eigener Verantwortung zu leiten, für den ihm keine Weisungen erteilt worden sind." Siehe auch Hommelhoff,\ Konzernleitungspflicht, S. 219 der davon spricht, daß bei Wahrnehmung der Weisungsrechte, die Organzuständigkeiten von unten (Tochtervorstand) nach oben auf den Konzernvorstand übergehen; vgl. auch Lutter, Mitbestimmung, S. 45; Schauß, Das Weisungsrecht, S. 26; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 447; Wiedemann , GesR I, S. 347.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
153
solche Feststellung zu treffen, da ihm die dafür erforderlichen Informationen fehlen 102 . Dieses Informationsdefizit braucht - anders als im faktischen Konzern 103 - nicht ausgeglichen zu werden, da der Tochtervorstand nicht berechtigt ist, die Zweckmäßigkeit einer angewiesenen Maßnahme zu beurteilen. Der Beherrschungsvertrag bewirkt eine durch die Weisungserteilung aktivierte Veränderung der Willensbildung. Der Konzernvorstand ist als der entscheidene Leitungs- oder Willensbildungsträger 104 der abhängigen Gesellschaft anzusehen und erlangt die Stellung eines „Quasi-(Willensbildungs-) Organs" der Tochtergesellschaft. Diese Veränderung in der Organisationsstruktur spiegelt sich auch in einer veränderten unternehmerischen Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen wieder 105 . Der Konzernvorstand hat bei der Erteilung von Weisungen gemäß § 309 Abs. 1 AktG die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Ihn treffen also dieselben Sorgfaltspflichten wie gemäß § 93 Abs. 1 AktG bei der Führung einer unabhängigen Gesellschaft 106. Allerdings orientieren sich die Sorgfaltspflichten nicht wie bei einer unabhängigen Gesellschaft nur am Eigeninteresse, sondern am Konzerninteresse. Verletzt der Konzernvorstand die ihm obliegenden Pflichten, so ist er der abhängigen Gesellschaft gemäß § 309 Abs. 2 S. 1 AktG zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Demgegenüber wird der Tochtervorstand, handelt er in Ausführung einer Weisung, von seiner Verantwortung im Sinne des § 93 AktG befreit. Gemäß § 310 Abs. 3 AktG haftet der Tochtervorstand selbst dann nicht, wenn die Ausführung eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellt, die schädigende Handlung aber auf einer Weisung beruht, die nach § 308 Abs. 2 AktG zu befolgen war. Die tatsächlichen Auswirkungen der durchgeführten Weisung werden allein vom Konzernvorstand verantwortet, der auch über die Maßnahme alleine bestimmt hat. Zu trennen ist die Qualifizierung als „Quasi-Organ" im Vertragskonzern von der Qualifizierung des einflußnehmenden, herrschenden Gesellschafters im faktischen GmbH-Konzern als faktischem Organ, mit der eine Haftung analog § 43 GmbHG begründet werden soll 107 . Die Haftung des sorgfaltswidrig anwei102
Reg.Begr. in Kropff,
103
Siehe dazu unten § 3 E. III. 3. b).
S. 403.
104
Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppel-
105
Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-
So auch Streyl, mandaten, S. 29.
Siehe ebenfalls Streyl, Doppelmandaten, S. 45 f. 106
Vgl. Hüffer
y
AktG, § 309 Rn. 1; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 309
Rn. 1. 107
Siehe dazu oben § 2 D. V. 3. b) cc).
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§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
senden Konzernvorstands ist im Gegensatz zum faktischen GmbH-Konzern im Vertragskonzern im § 309 AktG ausdrücklich gesetzlich normiert. Die Bezeichnung als „Quasi-Organ" ist hier auch nicht dahingehend zu verstehen, daß dem Konzernvorstand sämtliche Organbefugnisse und -pflichten obliegen 108 . Der genaue Umfang der sich aus dieser Stellung ergebenden Rechte und Pflichten wird aber noch näher zu bestimmen sein 109 .
d) Konsequenzen fur die Wissenszurechnung In der Funktion als „Quasi-Organ" trifft der Konzernvorstand seine Entscheidung, die durch den Tochtervorstand rechtlich umgesetzt wird, auch als Teil des arbeitsteiligen Prozesses innerhalb der abhängigen Gesellschaft. Die Entscheidungsfindung im Rahmen eines arbeitsteiligen Prozesses ist das für die Begründung einer Wissenszurechnung entscheidene Kriterium. Dementsprechend ist das Wissen des Konzernvorstands der abhängigen Gesellschaft im Fall der Weisungserteilung zuzurechnen. Die Zurechnung des Wissens des „Quasi-Organs" erfolgt, wie schon bei der Zurechnung des Wissens der Gesellschafterversammlung in der GmbH, im Wege einer wertenden Betrachtung. Es fehlt an der Schutzbedürftigkeit der Tochtergesellschaft, da der Schutz durch den wissenden Konzernvorstand hätte gewährleistet werden können. Da der Konzernvorstand keine Informationen zur Beurteilung der Folgen einer Weisung an den Tochtervorstand weiterzugeben braucht, kann es auch zu keiner Verletzung der dem Konzernvorstand gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG gegenüber der eigenen, herrschenden Gesellschaft obliegenden Verschwiegenheitspflicht kommen.
e) Zwischenergebnis Das für die Ausführung einer Weisung rechtserhebliche Wissen der herrschenden Gesellschaft als „Quasi-Organ" ist der abhängigen Gesellschaft im Wege der wertenden Betrachtung zuzurechnen. Es kann insofern auf die Ausführungen zur Zurechnung des Wissens der Organmitglieder einer juristischen
108
Ein so weitgehendes Verständnis ablehnend ζ. B. auch Bork, ZGR 1994, 237, 254; Streyl, Zur konzernrechltichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 29 f. 109
Siehe unten § 4 Α. I.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
155
Person 110 und zur Zurechnung des Wissens der Gesellschafterversammlung in der GmbH verwiesen werden 111 .
3. Auslegung des Weisungsbegriffs Hat der Konzernvorstand positive Kenntnis von der Vornahme eines Rechtsgeschäfts durch den Tochtervorstand, bei dem sein Wissen rechtserheblich wäre, so liegt der Gedanke nahe, die Duldung der Vornahme noch als Weisung im Sinne des § 308 Abs. 1 AktG anzusehen. Nach einhelliger Auffassung ist der Begriff der Weisung im Sinne des § 308 AktG umfassend zu verstehen, um eventuelle Regelungslücken im Schutzsystem zu verhindern 112 . Demnach fallen alle Äußerungen des Konzernvorstands darunter, die eine Verhaltensdirektive enthalten und die der Tochtervorstand als verbindlich ansehen kann. Ob diese Erklärungen als Imperativische Formulierung, als Ratschlag oder nur als Empfehlung geäußert werden, ist unerheblich 1 1 3 . Die Weisung kann eine spezielle, auf ein Einzelgeschäft bezogene sein oder auch nur generell die Befolgung bestimmter Grundsätze vorschreiben 114. Für die Bestimmung einer Weisung ist auf den Empfängerhorizont des Tochtervorstands abzustellen. Wenn dieser ein Verhalten des Konzernvorstands als verbindliche Weisung auffassen konnte, so wird man eine Weisung im Sinne des § 308 Abs. 1 AktG bejahen müssen. Ist also beispielsweise der Konzernvorstand bzw. ein Mitglied dieses Vorstands bei einer Vertragsverhandlung des Tochtervorstands anwesend und meldet sich nicht zu Wort, so wird man dieses Verhalten gleichwohl als eine verbindliche Weisung im Sinne des § 308 Abs. 1 AktG auffassen müssen. Das entspricht auch der ganz überwiegenden Ansicht zur Auslegung der Weisung im Sinne des § 166 Abs. 2 BGB. Die Vorschrift des § 166 Abs. 2 BGB findet im Recht der Stellvertretung selbst dann Anwendung, wenn der
110
Siehe oben § 2 D. II. 2. d).
111
Vgl. oben § 2 D. V. 3. b) ee).
1,2
Vgl. nur Emmerich!Sonnenschein, Konzemrecht, S. 349 f; Geßler in Geßler/ Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 12 f.; Hüffer, AktG, § 308 Rn. 10; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 12 ff.; Würdinger in GroßKomm. AktG 3 , § 308 Anm. 1. 113
Vgl. nur Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 13 f.
114
Vgl. nur Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 13.
156
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
Vertretene zwar keine bestimmte Weisung erteilt hat, aber beim Abschluß des Vertretergeschäfts anwesend war und dennoch nicht eingegriffen hat 115 . Der Auslegung des Weisungsbegriffs sind allerdings Grenzen gesetzt. Insbesondere dann, wenn der Konzernvorstand nur rein zufällig Kenntnis von der Vornahme erlangt oder der Tochtervorstand von der Kenntnis des Konzernvorstands nichts ahnt, wird man kaum mehr von einer Weisung im Sinne des § 308 Abs. 1 AktG sprechen können.
4. Entscheidungsbeteiligung bei bloßer Kenntnis von der Vornahme des Rechtsgeschäfts Fraglich ist, ob nicht auch ohne das Vorliegen einer Weisung im Sinne des § 308 AktG eine Zurechnung begründet ist, wenn der Konzernvorstand Kenntnis von der Vornahme des entsprechenden Rechtsgeschäfts gehabt hat. Für eine Zurechnung in diesem Fall spricht, daß der Konzernvorstand durch eine einfache Information an den Tochtervorstand den erforderlichen Schutz hätte gewährleisten können. Es bedürfte dann keines gesetzlichen Schutzes durch die Wissensnormen mehr. So wird auch im Recht der Stellvertretung nach herrschender Ansicht über die Weisungsauslegung hinaus darauf abgestellt, ob der Vertretene von dem betreffenden Rechtsgeschäfts Kenntnis hatte und noch in zumutbarer Weise hätte eingreifen können 116 . Zweifel an einer so begründeten Zurechnung mit dem damit einhergehenden Verlust des gesetzlichen Schutzes der Wissensnormen ergeben sich zwar deshalb, weil die bloße Kenntniserlangung für den Vertretenen eine Handlungspflicht begründen würde. Dem ist aber zu entgegnen, daß diese Handlungspflicht zum einen durch das Kriterium der Zumutbarkeit begrenzt ist. Dabei ist festzustellen, daß je konkreter die vom Vertretenen gemachten Vorgaben für ein bestimmtes Geschäft sind, desto mehr kann ihm hinsichtlich der Handlungsanforderungen zugemutet werden. Zum andern stehen der Handlungspflicht die sich aus der arbeitsteiligen Handlung ergebenden Vorteile gegenüber. Der Vertreter handelt unmittelbar für den Geschäftsherrn, der ihn zur Vertretung bevollmächtigt hat. Die sich daraus ergebenden Vorteile für den Vertretenen rechtfertigen es, daß dem Vertretenen eine ent-
115
Vgl. nur BGHZ 38, 65, 68; Brox in Ermann, BGB, § 166 Rn. 12; Leptien in Soergel, BGB, § 166 Rn. 28; Schilken in Staudinger, BGB, § 166 Rn. 33; ders., Wissenszurechnung, S. 64 ff. m.w.N.; Schramm in MüKo, BGB, § 166 Rn. 40. 116
Vgl. Brox in Erman, BGB, § 166 Rn. 12; Leptien in Soergel, BGB, § 166 Rn. 28; Schilken, Wissenszurechnung, S. 66 ff; ders. in Staudinger, BGB, § 166 Rn. 34; Schramm in MünchKomm. BGB, § 166 Rn. 40.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
157
sprechende Handlungspflicht aufgebürdet wird, die dazu führt, daß ihm der gesetzliche Schutz der Wissensnormen entzogen wird. Die Wissensnormen dienen schließlich dazu, eine angemessene Risikoverteilung zu gewährleisten. Diese für die Stellvertretung geltenden Wertungen treffen jedoch nicht auf den Konzern zu. Die abhängige Tochter handelt gerade nicht wie ein Vertreter für die herrschende Gesellschaft, sondern der Tochtervorstand wird ausschließlich für die eigene (abhängige) Gesellschaft tätig. Es handelt sich gerade nicht um einen Fall der arbeitsteiligen Persönlichkeitserweiterung. Eine Handlungsbzw. Informationspflicht kann demnach nicht ohne weiteres mit diesem Grundsatz gerechtfertigt werden. Zwar besteht im Vertragskonzern eine über die anteilsmäßige Kapitalbeteiligung hinausgehende wirtschaftliche Risikoverbundenheit, das aber alleine reicht zur Begründung einer Handlungspflicht nicht aus. Entscheidend ist, daß im Vertragskonzern die Eigenständigkeit der abhängigen Gesellschaft bestehen bleibt. Der Grundsatz, daß das Wissen derjenigen Personen dem Bezugssubjekt zugerechnet wird, die im Rahmen einer arbeitsteiligen Persönlichkeitserweiterung für das Bezugssubjekt tätig werden und deren Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation beim Entscheidungsträger vorhanden wäre, greift hier nicht. Allein die Kenntnis von der Vornahme eines bevorstehenden Rechtsgeschäfts kann folglich noch keine Wissenszurechnung begründen 117.
IV. Umfang und Zeitpunkt der Wissenszurechnung Vorstehend wurde festgestellt, daß eine Wissenszurechnung im Vertragskonzern immer dann im Wege wertender Betrachtung begründet ist, wenn der Konzernvorstand der abhängigen Gesellschaft eine Weisung erteilt hat. Daran schließt sich die Frage an, auf welchen Zeitpunkt für die Bestimmung des Wissens abzustellen ist und in welchem Umfang das Wissen zugerechnet wird.
1. Zeitpunkt Für die Wissenszurechnung im Vertragskonzern gilt, wie schon für die Zurechnung des Wissens der Gesellschafterversammlung in der GmbH, daß es für die Bestimmung des Wissens des Konzernvorstands auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Durchführung der angewiesenen Maßnahme ankommt, sofern es
1,7
Dabei bleibt an dieser Stelle offen, ob nicht aus einem anderen Gesichtspunkt heraus eine Wissenszurechnung ohne konkrete Weisungserteilung gerechtfertigt sein könnte. Siehe dazu unten § 4 Α. I.
158
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
dem Konzernvorstand noch möglich und zumutbar war, auf den handelnden Tochtervorstand Einfluß zu nehmen 118 .
2. Umfang Auch hinsichtlich des Umfangs der Wissenszurechnung kann auf die oben gemachten Ausführungen zum Umfang der Zurechnung des Wissens der Gesellschafterversammlung in der GmbH verwiesen werden 119 . Demnach ist für die Bestimmung des Umfangs der Wissenszurechnung auf den Inhalt der konkreten Weisung abzustellen. Das bedeutet:
a) Bereits konkretisierte
Weisungsbeschlüsse
Bei „einmaligen" konkreten Weisungen beschränkt sich der Umfang auf die für die Durchführung der betreffenden Maßnahme rechtserheblichen Informationen. Bei „längerfristigen" konkreten Weisungen richtet sich der Umfang nach den bereits in der Weisung getroffenen Bestimmungen120. Solange sich diese Bestimmungen auf die laufende Geschäftsführung der Tochtergesellschaft auswirken, ist der Konzernvorstand verpflichtet, später erlangte Kenntnisse an die ausführenden Stellen innerhalb der Tochtergesellschaft bzw. wenigstens an den Tochtervorstand selbst weiterzuleiten.
b) „ Unbestimmte " Weisungsbeschlüsse mit Auswirkungen auf das operative Geschäft Etwas anderes ergibt sich jedoch für die noch unbestimmten Weisungsbeschlüsse. Für die Zurechnung des Wissens der Gesellschafterversammlung wurde festgestellt, daß eine Wissenszurechnung nur erfolgt, wenn die im Sinne der Wissensnormen rechtserheblichen Umstände im Weisungsbeschluß bereits hinreichend konkretisiert waren. Eine solche Beschränkung erfolgt demgegenüber im Konzern nicht. Dem Konzernvorstand obliegen, anders als dem einfachen Gesellschafter der GmbH, weitergehende Sorgfaltspflichten bei der Erteilung einer Weisung. So ist der Konzernvorstand für die wirtschaftlichen 118
Siehe oben § 2 D. V. 3. b) hh).
119
Siehe oben § 2 V. 3. b) ii).
120
Vgl. zu den Einzelheiten oben § 2 D. V. 3. b) ii) (1) (b).
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
159
Auswirkungen der betreffenden Weisung im Sinne des § 309 Abs. 2 AktG verantwortlich und zwar auch dann, wenn es sich bei der Weisung um eine noch unbestimmte Führungsentscheidung gehandelt hat. Denn der Konzernvorstand ist verpflichtet, die tatsächliche Ausführung und Umsetzung von Weisungen ins laufende Tagesgeschäft zu kontrollieren. Hat der Konzernvorstand den Tochtervorstand angewiesen, ein (beliebiges) Grundstück zu erwerben 121 , so ist er verpflichtet, die Ausführung dieser Weisung zu überwachen. Er hat sich dementsprechend über die Einzelheiten des tatsächlich geplanten Kaufs informieren zu lassen, so daß er dann seine Kenntnis von der Nichtberechtigung des nun bestimmten Verkäufers an den Tochtervorstand weiterleiten bzw. eine anderweitige Weisung treffen kann. Gleiches gilt auch für „längerfristige", aber noch unbestimmte Führungsbeschlüsse. Beispiel 122 : Der Konzernvorstand weist den Tochtervorstand an, in Zukunft sämtliche benötigten Produkte nur noch von einem bestimmten Unternehmen zu beziehen, ohne tatsächliche Bestimmungen über die einzelnen Produkte getroffen zu haben. Der Konzernvorstand ist auch in einem solchen Fall aufgrund seiner besonderen Sorgfaltspflichten und seiner Verantwortung für Auswirkungen der Weisung verpflichtet (§ 309 AktG), sich über die tatsächliche Ausführung bzw. Umsetzung der Weisung informieren zu lassen. Dann ist er aber auch als verpflichtet anzusehen, seine Kenntnis von der Mangelhaftigkeit eines bestimmten Produktes an den Tochtervorstand weiterzuleiten bzw. durch Weisungen selbst einzugreifen. Erforderlich bleibt jedoch, daß die Führungsbeschlüsse tatsächliche Auswirkungen im Sinne der Wissensnormen beinhalten, daß sie konkreten Einfluß auf das operative Geschäft der Tochtergesellschaft haben müssen. Festzustellen ist demnach, daß schon die einzelne Weisungserteilung in „längerfristigen" Führunsangelegenheiten zu einem erheblichen Informätionsfluß und daraus folgend zu einer umfangreichen Wissenszurechnung zwischen der herrschenden und der abhängigen Gesellschaft führen kann.
c) Allgemein strategische Führungsbeschlüsse Soweit sich der Konzernvorstand darauf beschränkt, nur strategische Entscheidungen zu treffen, die keinen unmittelbaren Einfluß auf den operativen Bereich der Tochtergesellschaft haben, wird keine Wissenszurechnung begründet. Beispiel: Der Konzernvorstand weist den Tochtervorstand an, mehr in den Bereich der Forschung zu investieren oder die Gesellschaft in einer bestimmten Weise umzustrukturieren. Die in diesem Zusammenhang erheblichen Kenntnis121
Siehe dazu auch das Beispiel oben § 2 D. V. 3. b) ii) (1) (a).
122
Siehe oben § 2 D. V. 3. b) ii) (1) (b).
160
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
se und Informationen sind für die Frage der Anwendung der Wissensnormen ohne Bedeutung. Gleiches gilt, wenn der Konzernvorstand sich auf die Wahrnehmung von Konzernführungsaufgaben 123 beschränkt und die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft „nur" durch eine Überprüfung der Bilanzen und Zahlen kontrolliert. Festzustellen ist demnach, daß es in der Regel in einem dezentral strukturierten Vertragskonzern zu keiner, durch die Erteilung einer Weisung begründeten Wissenszurechnung kommt, da der Konzernvorstand keinen Einfluß auf das operative Geschäft der Tochtergesellschaft nimmt, sondern nur allgemein strategische Führungsentscheidungen trifft, die sich auf den inneren Aufbau und die Struktur der Gesellschaft beziehen124.
3. Auswirkungen der Wissenszurechnung auf die Konzernorganisation Die Erteilung „einmaliger" konkreter Weisungen beinhaltet regelmäßig keine Auswirkungen auf den Aufbau der Konzernorganisation. Der Konzernvorstand ist verpflichtet, sich entsprechend der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 309 Abs. 1 AktG) auf die Erteilung der Weisung vorzubereiten und sämtliche für die Entscheidung erheblichen Informationen heranzuziehen. Er hat dabei auf die Wissensspeicher 125 innerhalb der eigenen Gesellschaft 126 zurückzugreifen soweit dies im Rahmen einer ord-
123
Vgl. zu den Konzernführungsaufgaben Scheffler,
Konzernmangement, S. 24,
32 ff. 124
In der Literatur wird die Trennung zwischen operativem Geschäft und strategischer Planung vielfach zur Bestimmung eines dezentralen Konzerns herangezogen, vgl. Holtmann, Personelle Verflechtungen, S. 17; Meiser, Leitungsautonomie, S. 2, 93 ff; siehe auch Schönbrod, Spartenorganisation, S. 29; Strohn, Die Verfassung der AG, S. 134. Eine solch strikte Trennung wird jedoch zu Recht kritisiert, da sie verkennt, daß es für eine relativ eigenständige Leitung des operativen Geschäfts auch einer gewissen strategischen Planung bedarf, so Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, S. 49 ff. m.w.N. 125 Wissensspeicher sind in diesem Zusammenhang nicht nur die tatsächlich in Akten oder elektronisch gespeicherten Daten, sondern insbesondere auch die natürlichen Personen (Mitarbeiter), die aufgrund ihrer Tätigkeit über mögliche rechtserhebliche Informationen verfugen. 126
Selbstverständlich ist der Konzernvorstand im Rahmen der ordnungsgemäßen Geschäftsführung verpflichtet, ebenfalls auf die Wissensspeicher innerhalb der Tochtergesellschaft zurückzugreifen, was ihm aufgrund seines Weisungsrechts auch rechtlich möglich ist, vgl. dazu ausfuhrlich unten § 4 Α. I. 2. c) aa).
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
161
nungsgemäßen Geschäftsführung von ihm verlangt werden kann 127 . Diese Pflicht bleibt solange bestehen, bis die betreffende Maßnahme ausgeführt bzw. gescheitert ist. Dies dürfte bei „einmaligen" Weisungen regelmäßig nur kurze Zeit nach der Weisungserteilung erfolgen, so daß keine größeren Veränderungen der Kommunikationsstruktur erforderlich sind. Beispiel: Der Konzernvorstand weist den Tochtervorstand zum Kauf eines bestimmten Unternehmens an, mit dem die eigene Obergesellschaft Geschäftsbeziehungen unterhält. Der Konzernvorstand ist dann im Rahmen einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung verpflichtet, sich bei den für die Abwicklung dieser Geschäfte zuständigen eigenen Mitarbeitern sämtliche möglicherweise rechtserheblichen Informationen zu verschaffen. Aus dem Kriterium der ordnungsgemäßen Geschäftsführung ergibt sich zugleich, daß der Konzernvorstand nicht bezüglich sämtlicher Kenntnisse der Gesellschaft als wissend anzusehen ist 128 . Dementsprechend bezieht sich auch der Umfang der Wissenszurechnung nicht auf sämtliche bei der Obergesellschaft vorhandenen Kenntnisse. Im Bereich der „längerfristigen" Weisungen ist die Wissenszurechnung hingegen nicht nur auf eine konkrete Maßnahme begrenzt. Sie ist vielmehr solange gerechtfertigt, wie die Auswirkungen der Weisung auf das laufende Tagesgeschäft andauern. Dementsprechend dauert auch die Sorgfaltspflicht des Konzernvorstands, auf die Wissensspeicher innerhalb der eigenen Gesellschaft zurückzugreifen, so lange an, wie die Auswirkungen der Weisung auf die Geschäfte der Tochter anhalten. Es reicht nicht aus, wenn der Konzernvorstand im Rahmen der Vorbereitung der Weisung auf die Wissensspeicher der eigenen Gesellschaft zurückgreift, sondern er ist verpflichtet, dies laufend zu tun und mögliche rechtserhebliche Kenntnisse dann an die ausführenden Stellen innerhalb der Tochtergesellschaft bzw. an den Tochtervorstand weiterzuleiten. Eine laufende Durchsicht der Wissensspeicher durch den Konzernvorstand ist jedoch praktisch nicht durchführbar. Daraus ergibt sich für den Konzernvorstand die Verpflichtung, die Kommunikationswege innerhalb des Konzern so zu organisieren, daß ein ausreichender Informationsfluß gewährleistet ist. Die Informationen sind von dort, wo sie entstehen bzw. erlangt werden ohne den Umweg über den Konzernvorstand direkt an die Tochtergesellschaft weiterzuleiten.
127 Vgl. dazu die aktuelle Diskussion zur „corporate governance". Siehe ζ. B. die Beiträge in Feddersen/Hommelhoff!Schneider (Hrsg.), Corporate Governance. Siehe auch Abeltshauser, Leitungshaftung im Kapitalgesellschaftsrecht, passim. 128
11 Schüler
Vgl. zu den Abgrenzungskriterien oben § 2 D. II. 2. d) bb) (2).
162
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
Beispiel: Der Konzernvorstand weist den Tochtervorstand an, bestimmte Produkte nur noch von dem Lieferanten der Obergesellschaft zu beziehen. Die Tochtergesellschaft muß sich in einem solchen Fall sowohl die Kenntnisse über den Lieferanten als auch über die von ihm gelieferten Produkte zurechnen lassen. Der Konzernvorstand ist verpflichtet die Weisung mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vorzubereiten und die rechtserheblichen Kenntnisse mit in die Entscheidung einfließen zu lassen. Desweiteren ist er verpflichtet eine Informationsorganisation aufzubauen, die gewährleistet, daß später erlangte rechtserhebliche Kenntnisse der Mitarbeiter der Obergesellschaft, ζ. B. über die Mangelhaftigkeit eines dieser Produkte, an die zuständigen Stellen innerhalb der Tochtergesellschaft , ζ. B. an den für den Einkauf zuständigen Abteilungsleiter weitergeleitet werden. Die Pflicht zum Aufbau von Kommunikationswegen ist aber ebenfalls durch das Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation beschränkt. Es müssen nicht sämtliche Informationen, die die Obergesellschaft erlangt, an die Tochtergesellschaft weitergeleitet werden. Es ist hier auf die oben bereits erarbeiteten Abgrenzungskriterien zurückzugreifen, wonach sich die Pflicht, Informationen weiterzuleiten nach (1) der Wesentlichkeit der Informationen, (2) dem Zeitpunkt der Informationserlangung, (3) der Bedeutung der von den Informationen betroffenen Geschäfte und (4) dem Anlaß zur Abfragung von Wissensspeichern richtet. Muß beispielsweise die Kenntnis eines Filialleiters in Hamburg von der Nichtberechtigung des Vertreters des Unternehmens X an den Filialleiter in München weitergeleitet werden 129 , so muß diese Kenntnis auch an den Tochtervorstand 130 weitergeleitet werden, wenn der Konzernvorstand die Tochtergesellschaft angewiesen hatte, mit dem Unternehmen X Geschäfte zu tätigen. Festzustellen ist folglich, daß die Erteilung konkreter Weisungen, die sich längerfristig auf das operative Geschäft der Tochtergesellschaft auswirken, zum Teil erhebliche Auswirkungen auf die Kommunikationsorganisation innerhalb des Konzerns haben können.
129 130
Beispiel in Anlehnung an BGH, NJW 1989, 2879 ff.
Der Tochtervorstand ist dann wiederum nach den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Geschäftsführung verpflichtet diese Kenntnis an die innerhalb seiner Gesellschaft zuständigen Stellen weiterzuleiten. Die Information kann zur Vermeidung von unnötigen Umwegen auch direkt von der Obergesellschaft an diese Stellen der Tochtergesellschaft weitergeleitet werden.
C. Wissenszurechnung im Vertragskonzern
163
4. Geltung für alle Wissensnormen Die Zurechnung des Wissens erfolgt unabhängig davon, ob die Wissensnormen erst an das Vorliegen positiver Kenntnis oder bereits an die (grob) fahrlässige Nichtkenntnis anknüpfen 131. Für eine diesbezügliche Unterscheidung lassen sich keine Anhaltspunkte finden. Hat der Konzernvorstand beispielsweise das Nichtbestehen einer Vollmacht im Sinne des § 170 BGB fahrlässig nicht gekannt und trotzdem den Tochtervorstand angewiesen, mit dem nichtberechtigten Vertreter ein Geschäft abzuschließen, so muß sich die abhängige Gesellschaft diese fahrlässige Nichtkenntnis im Sinne des § 173 BGB zurechnen lassen.
5. Datenschutz Eine Beschränkung des Umfangs der Wissenszurechnung könnte sich in einigen Fällen aus besonderen Datenschutzvorschriften ergeben. Denkbar wäre z. B., daß Kenntnisse über Kunden, die aufgrund der Art und Weise der Zusammenarbeit mit dem Kunden zu dessen Schutz streng vertraulich zu behandeln sind, nicht von konzernverbundenen Unternehmen genutzt werden dürfen. Ähnliche Beschränkungen könnten sich im Banken- und Kapitalmarktbereich aus den sogenannten „chinese-walls" ergeben 132. Soweit tatsächlich besondere Datenschutzvorschriften bestehen, stehen diese der Begründung einer Wissenszurechnung entgegen. Auch sonstige konzerninterne Vertraulichkeitsvorschriften können zu einer Beschränkung des Umfangs der Wissenszurechnung fuhren. Im Fall des Bestehens solcher Vertraulichkeitsvorschriften ist aber schon der Konzernvorstand als unwissend anzusehen, da die entsprechenden Informationen bei ordnungsgemäßer Organisation gerade nicht weitergeleitet werden sollen und dürfen. Es handelt sich demnach nicht um eine konzernrechtliche Besonderheit, sondern um Informationsbeschränkungen, die schon innerhalb einer Gesellschaft ihre Wirkung entfalten 133, wie beispielsweise die sogenannten „Chinese walls". Solche Besonderheiten können aber im Wege der wertenden Zurechnung durch das Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation im Einzelfall genügend berücksichtigt werden.
131
Siehe dazu auch oben § 2 D. V. 3. b) gg).
132
Vgl. dazu Koller in Assmann/Schneider, WpHG, § 31 Rn. 26 und § 33 Rn. 17 ff.; Kümpely Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 14.644 ff. 133
1
Im Ergebnis ebenso Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 512.
164
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
Die Schaffimg solcher Vertraulichkeitsbereiche darf allerdings nicht willkürlich erfolgen, sondern bedarf stets eines gewissen nachvollziehbaren Hintergrunds 134. Die Gesellschaft kann sich also nicht ihrer Kenntnisnahme dadurch entziehen, indem sie an den für sie angenehmen Stellen Vertraulichkeitsbereiche einrichtet.
V. Rechtsfolgen Wird durch die Erteilung einer Weisung eine Wissenszurechnung begründet, so führt dies zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung der abhängigen Tochtergesellschaft. Die Tochter verliert den gesetzlichen Schutz der Wissensnormen. Insbesondere dann, wenn neben dem (wissenden) herrschenden Unternehmen noch weitere Minderheitsaktionäre vorhanden sind, stellt sich die Frage nach einem Ausgleich für diese Verschlechterung der Rechtstellung. Vor allem geht es auch darum, den Konzernvorstand mittels einer Sanktion zu einer pflichtgemäßen Geschäftsführung anhalten zu können.
1. Anspruch gegen den Konzernvorstand a) Pflichtwidrigkeit Gemäß § 309 Abs. 2 S. 1 AktG ist der Konzernvorstand zum Ersatz des aus einer pflichtwidrigen Weisung entstandenen Schadens verpflichtet. Voraussetzung ist also zunächst, daß die Weisung einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters darstellt. Für die Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit kommt es auf den konkreten Inhalt der Weisung an. Erteilt der Vorstand beispielsweise die Weisung zum Erwerb eines Grundstücks trotz Kenntnis der Nichtberechtigung des Veräußerers, so muß darin nicht zwingend eine Sorgfaltspflichtverletzung liegen. Eine solche Weisung kann sich sehr wohl noch im zulässigen unternehmerischen Ermessensspielraum bewegen, wenn es sich bei dem Grundstück um ein besonders günstiges Angebot handelt und das Risiko einer nachteiligen Rückabwicklung äußerst gering ist. Es muß daher im Einzelfall entschieden werden, ob eine Weisung gegen die Sorgfaltspflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters verstößt.
134
Ζ. B. Schutz vor Insider-Handel, vgl. Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 14.644 ff.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
165
Regelmäßig wird man aber davon ausgehen können, daß die Weisungserteilung ohne Berücksichtigung des rechtserheblichen Wissens zugleich einen Sorgfaltspflichtverstoß darstellt. Vielfach wird in diesem Zusammenhang die Ansicht vertreten, daß sorgfaltswidrige Weisungen, die sich in dem Rahmen der durch den Beherrschungsvertrag eingeräumten Leitungsmacht bewegen, nicht zu einer Haftung gemäß § 309 AktG führen könnten 135 . Es fehle andernfalls am Unrechtsmerkmal, welches - abgesehen von den Fällen der Gefährdungshaftung - unabdingbar sei 136 . Dementsprechend handele es sich beim Sorgfaltsmaßstab des § 309 Abs. 1 AktG nur um einen Verschuldensmaßstab. Eine solche Betrachtung der Haftung aus § 309 AktG ist jedoch abzulehnen 137 . Vielmehr läßt sich die Rechtswidrigkeit bereits aus dem Verstoß gegen eine objektiv zu verstehende Sorgfaltspflicht herleiten. Eine Beschränkung der Haftung des Konzernvorstands auf unzulässige Weisungen ist mit dem Normzweck des § 309 AktG nicht zu vereinbaren. Die Bestimmung des maßgeblichen Sorgfaltsmaßstabs hat mit der Zulässigkeit bzw. Verbindlichkeit der Weisung nichts zu tun und ist von ihr zu trennen 138 . Zuzugeben ist zwar, daß auch in der Regierungsbegründung 139 die Haftung nach § 309 AktG mit den nach § 308 AktG (oder nach den Bestimmungen des Beherrschungsvertrags) unzulässigen Weisungen verknüpft wird. Daraus lassen sich jedoch keine zwingenden Schlußfolgerungen ziehen. Für die Ableitung des Rechtswidrigkeitsurteils aus einer objektiv zu verstehenden Sorgfaltspflicht spricht schon die Vergleichbarkeit des § 309 Abs. 1 AktG mit § 93 AktG.
135
Vgl. Baumbach/Hueck, AktG, § 309 Rn. 6; Brachvogel, Leitungsmacht und Verantwortlichkeit, S. 123; Knoblau, Leitungsmacht und Verantwortlichkeit, S. 83; Krieger in MünchHdb. AG, § 70 Rn. 109; Müller, ZGR 1977, 1,3; Schatz, Die Sicherung des Gesellschaftsvermögens, S. 28; auch Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 309 Rn. 8 vertritt diese Ansicht und setzt sich damit in Widerspruch zu seinen Ausführungen beim Eingliederungskonzern. Für eine Differenzierung hinsichtlich der Vorstandshaftung zwischen dem Eingliederungs- und dem Vertragskonzern lassen sich keine Anhaltspunkte finden und werden auch von Koppensteiner nicht vorgetragen. 136
Siehe Koppensteiner, ebenda.
137
In diesem Sinne F. Fischer, Haftung der Verwaltung, S. 50; Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 309 Rn. 20; Hüffen AktG, § 309 Rn. 14; Kantzas, Das Weisungsrecht im Vertragskonzern, S. 166 f.; Krebs, Geschäftsführungshaftung, S. 106 Fn. 208; Mertens, AcP 168 (1968), 225, 229 f; Möhring, FS Schilling, S. 253, 258. 138
So auch Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 323 Rn. 14.
139
Reg.Begr. in Kropff
S. 405.
166
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§ 309 AktG soll nicht nur den Mißbrauch der Leitungsmacht verhindern 140 , sondern soll der veränderten Organverantwortlichkeit Rechnung tragen. Den Konzernvorstand trifft bei allen Weisungen, nicht nur bei den rechtswidrigen, unzulässigen Weisungen die Pflicht zu sorgfältigem und gewissenhaftem Handeln. Der Konzernvorstand ist als an die Stelle des Tochtervorstands gesetzt anzusehen und in dieser Stellung treffen ihn auch die gleichen Sorgfaltspflichten. Nur so läßt sich ein Schadensersatzanspruch begründen, wenn der Konzernvorstand es bei mehreren, gleichermaßen im Konzerninteresse liegenden Maßnahmen unterläßt, die für die abhängige Gesellschaft am wenigsten nachteilige Maßnahme zu wählen, obwohl dies für ihn erkennbar war 141 . Zudem weist Hüjfer 142 zu Recht daraufhin, daß die andere Auffassung nicht zu erklären vermag, warum es gerade gegenüber der abhängigen Gesellschaft „rechtswidrig" sein soll, wenn die nachteilige Maßnahme nicht im Konzerninteresse liegt. Die Haftungsbegründung würde sich andernfalls auch erst nach der Tathandlung (Weisungserteilung) ergeben, denn die Rechtswidrigkeit ergebe sich ja erst aufgrund späterer Ergebnisse. § 309 AktG steht im gleichen Zusammenspiel zwischen den Leitungsaufgaben und deren ordnungsgemäßer Erfüllung, wie es beim Einzelunternehmen durch § 76 und § 93 AktG zum Ausdruck kommt. Festzustellen ist jedoch, daß sich beide Ansichten im Ergebnis wohl kaum unterscheiden. Regelmäßig wird eine sorgfaltswidrige Weisung zugleich auch unzulässig sein. Die unterschiedlichen Ansätze spielen jedoch für die Bestimmung des Schadens eine Rolle.
b) Schaden Voraussetzung für einen Ersatzanspruch nach § 309 AktG ist weiterhin, daß der abhängigen Gesellschaft überhaupt ein Schaden entstanden ist 143 . Dies könnte im Vertragskonzern insbesondere dann fraglich sein, wenn, wie regelmäßig der Fall, neben dem Beherrschungs- noch ein Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. AktG besteht. Ein Verlust der Tochter würde dann nur zu einer Minderung des abzuführenden Gewinns oder umge-
140
So aber Müller, ZGR 1977, 1, 3 Fn. 2.
141
Vgl. Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 309 Rn. 21.
142
Hüffler,
AktG, § 309 Rn. 14.
143 Vgl. dazu den Vorschlag von Langen, Die Haftung eines herrschenden Unternehmens, S. 50; ders, DB 1977, 151 ff, auf diese Haftungsvoraussetzung als falschen Ansatzpunkt des Gesetzgebers ganz zu verzichten.
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kehrt nur zu einer Vergrößerung des gemäß § 302 Abs. 1 AktG auszugleichenden Verlustes fuhren. Letztlich wäre daher nur die herrschende Mutter, nicht aber die Tochtergesellschaft betroffen. A u f der Grundlage der oben vertretenen Ansicht, die den Unrechtstatbestand des § 309 AktG an die Zulässigkeit der Weisimg knüpft, wird konsequenterweise die Ansicht vertreten, daß es in solchen Fällen an einem ausgleichsfähigen Schaden fehle 144 . Dieser Ansicht ist jedoch mit den oben genannten Argumenten zu widersprechen 145. § 309 AktG beinhaltet einen objektiven Sorgfaltsmaßstab, dessen Verletzung einen Ausgleichsanspruch begründet. Eine Einschränkung der Verlustausgleichspflicht des § 302 AktG liegt darin nicht 146 . Die Verlustausgleichspflicht bleibt unabhängig vom Schadensersatzanspruch aus § 309 AktG so lange bestehen, bis dieser tatsächlich erfüllt worden ist 147 . Nicht überzeugend ist indes das Argument, daß der Schaden schon deshalb nicht entfallen könne, weil es an einem adäquaten Verursachungszusammenhang fehle 148 . Eine Abgrenzung der Vorteilsausgleichung nach den Kriterien der adäquaten Kausalität ist als inzwischen überholt abzulehnen149. Entscheidend für eine Ersatzpflicht spricht, daß der Ersatzanspruch unmittelbar mit der Tatvollendung (der sorgfaltswidrigen Weisung) eintritt und nicht erst mit der Feststellung des Jahresergebnisses. Der Anspruch des § 309 AktG würde andernfalls zu einem reinen Zufallsprodukt degradiert, der von den jeweiligen Jahresergebnissen abhinge. Denn auch nach der Gegenauffassung kann ein Schaden beispielsweise dann enstehen, wenn die gesetzliche Rücklage der abhängigen Gesellschaft noch nicht den zehnten, bzw. den in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals erreicht und die Gesellschaft tatsächlich einen Gewinn erwirtschaftet hat 150 . Ein solcher Gewinn könnte aber von 144
So die Vertreter der Ansicht, die den Unrechtstatbestand des § 309 AktG an die Zulässigkeit der Weisung knüpfen. Vgl. Brachvogel, Leitungsmacht und Verantwortlichkeit, S. 124; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 309 Rn. 10 ff.; Krieger in MünchHdb. AG, § 70 Rn. 108 Fn. 342; Schatz, Die Sicherung des Gesellschaftsvermögens, S. 28 f. 145
Vgl. Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 309 Rn. 26; Hüffer, 17 f.; Mertens, AcP 168 (1968), 225, 231 f. 146
So aber Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 309 Rn. 10.
147
Vgl. auch Hüffen AktG, § 309 Rn. 18.
148
So aber noch Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 309 Rn. 26.
AktG, § 309 Rn.
149
Vgl. nur BGHZ 91, 206, 209 f.; Grunsky in MünchKomm. BGB, Vor § 249 Rn. 94 ff. m.w.N. 150
Siehe Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 309 Rn. 10; Schatz, Die Sicherung des Gesellschaftsvermögens, S. 28 f.
168
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
dem (ersatzpflichtigen) Konzernvorstand durch weitere nachteilige Weisungen ganz einfach verhindert werden. Der Konzernvorstand könnte dementsprechend selbst darüber entscheiden, ob ein Schadenserstzanspruch gegen ihn bestünde; er würde damit zum Richter über sich selbst. Ein ausgleichsfähiger Schaden ist aus den genannten Gründen zu bejahen.
c) Zwischenergebnis Im Ergebnis kann daher die Tochtergesellschaft einen durch die Wissenszurechnung enstandenen Schaden vom Konzernvorstand gemäß § 309 AktG ersetzt verlangen, wobei die tatsächliche Durchsetzbarkeit solcher Ansprüche wohl eher zweifelhaft sein dürfte.
2. Anspruch gegen die Obergesellschaft Ein Anspruch gegen das herrschende Unternehmen selbst ist, anders als noch im Referentenentwurf, im Gesetz nicht vorgesehen. Im RefE. zum AktG war eine Schadensersatzpflicht des anderen Vertragsteils, des herrschenden Unternehmens, im § 283 Abs. 2 AktG vorgesehen. Dieser Anspruch sollte gemäß § 283 Abs. 4 RefE. AktG zudem von jedem Aktionär und jedem Gläubiger der Gesellschaft geltend gemacht werden können. § 309 AktG betrifft dagegen ausdrücklich nur die Haftung der gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens, nicht aber dessen eigene Haftung 151 . Die Regierungsbegründung 152 spricht davon, daß das herrschende Unternehmen „nach allgemeinen Grundsätzen aufgrund des Vertrags" hafte, eine besondere aktienrechtliche Regelung sei daher nicht erforderlich. Es ist im Ergebnis unstreitig, daß die herrschende Gesellschaft - neben ihren gesetzlichen Vertretern - ebenfalls für sorgfaltswidrige Weisungen haften muß 153 . Umstritten ist in diesem Zusammenhang allerdings nach wie vor die Frage der Haftungsgrundlage.
151
Den Fall, daß es sich beim herrschenden Unternehmen um einen Einzelkaufmann handelt, einmal ausgenommen. 152 153
Reg.Begr. in Kropff,
S. 404 f.
Vgl. Bachelin, Der konzernrechtliche Minderheitenschutz, S. 56; Baumbach/Hueck, AktG, § 309 Rn. 1; Beuthien, JuS 1970, 53, 55; ders., DB 1969, 1781, 1782 f.; Brachvogel, Leitungsmacht und Verantwortlichkeit, S. 126 f.; Emmerich! Sonnenschein, Konzemrecht, S. 360 f.; Exner, Beherrschungsvertrag und Vertragsfreiheit, S. 85 ff.; v. Falkenhausen, Verfassungsrechtliche Grenzen der Mehrheitsherrschaft, S. 95; Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 309 Rn. 47 ff.; Godin/Wilhelmi, AktG, § 309 Anm. 2; Hüffer, AktG, § 309 Rn. 26 f.; Kantzas, Das Weisungsrecht im Vertrags-
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
169
Teilweise wird der Anspruch aus p W des Beherrschungsvertrags hergeleitet 154 . Der hiergegen vorgebrachte Einwand, daß es sich beim Beherrschungsvertrag nicht um einen gewöhnlichen Schuldvertrag, sondern um einen strukturverändernden Organisationsvertrag 155 handle, könne nicht überzeugen. Aus diesem Befund könne nicht geschlossen werden, daß bei Verletzung des Beherrschungsvertrags trotz des organisationsrechtlichen Charakters die Anwendung schuldrechtlicher Ansprüche ausgeschlossen sei 156 . Unter Hinweis auf den organisationsrechtlichen Charakter des Beherrschungsvertrags wird vielfach die Ansicht vertreten, daß sich der Anspruch gegen die herrschende Gesellschaft als Fall der Organhaftung aus § 309 AktG i.V.m. § 31 BGB ergebe 157. So gelten die Regelungen des § 309 Abs. 3 - 5 AktG unstreitig auch für die Haftung des herrschenden Unternehmens 158. Dann aber spreche auch nichts dagegen, den § 309 AktG als Haftungsgrundlage
konzem, S. 189; Knoblau, Leitungsmacht und Verantwortlichkeit, S. 108 ff; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 309 Rn. 25; Krieger in MünchHdb. AG, § 70 Rn. 110; Luchterhandt, Deutsches Konzernrecht bei grenzüberschreitenden Konzernverbindungen, S. 141; Mertens, AcP 168 (1968), 225, 228 f.; Mestmäcker, FG Kronstein, S. 129, 135 f.; Möhring, FS Schilling, S. 253, 257; Müller, ZGR 1977, 1, 3 f.; Prael, Eingliederung und Beherrschungsvertrag, S. 93 f.; Ulmer, FS Stimpel, S. 705, 712; Vetter, Erwägungen zur Haftung der Konzernobergesellschaft, S. 128 ff; Würdinger in GroßKomm. AktG3, § 309 Anm. 6. 154
So Baumbach/Hueck; Brachvogel·, Emmerich/Sonnenschein; Exner; v. Falken hausen; Godin/Wilhelmi; Geßler; Kantzas; Koppensteiner je a.a.O. Der Theorienstreit, ob die Zurechnung des Verhaltens der gesetzlichen Vertreter in diesen Fällen über § 31 oder § 278 BGB erfolgt, kann in diesem Zusammenhang offenbleiben, vgl. dazu Hadding in Soergel, BGB, § 31 Rn. 4 m.w.N. 155
Zum organisationsrechtlichen Charakter vgl. nur Hüffer,
AktG, § 291 Rn. 17
m.w.N. 156
Siehe nur Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 309 Rn. 47.
157
So Bachelin; Beuthien; Hüffer; Luchterhandt; Mertens; Mestmäcker; Möhring; Müller; Prael; Ulmer, jeweils a.a.O. wohl auch Würdinger, a.a.O., der unscharf von einer Haftung aus § 31 BGB spricht. Wiedemann , GesR I, S. 351 lehnt hingegen beide Ansichten ab und spricht unklar von einer Verantwortung „aus der durch den Beherrschungsvertrag legalisierten Stellung als wirklich „herrschendes" Unternehmen". 158
Vgl. Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, S. 360; Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 309 Rn. 53; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 309 Rn. 39; Mertens, FS Fleck, S. 209, 218.
170
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
anzusehen. Zudem spreche auch die ausdrückliche Erwähnung 159 der Haftung des Einzelunternehmers für die Annahme einer Organhaftung 160. Letztlich ist diese Frage aber wohl ohne praktische Bedeutung 161 . Grundsätzlich steht der abhängigen Gesellschaft neben dem Anspruch gegen den pflichtwidrig handelnden Konzernvorstand jedenfalls auch ein Anspruch gegen die Obergesellschaft selbst zu. Soweit allerdings die Durchsetzung dieses Anspruchs im Fall des Bestehens eines Gewinnabführungsvertrags zu einem sinnlosen Hin- und Herzahlen führen würde, ist die Durchsetzbarkeit gemäß § 242 BGB abzulehnen162. Der Schadensersatzanspruch aus § 309 AktG, sowohl gegen den Vorstand als auch gegen die Obergesellschaft, dürfte aber ohnehin in der Praxis nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.
3. Anspruch der Obergesellschaft gegen ihren eigenen Vorstand Wichtiger ist daher der Anspruch der Obergesellschaft gegen den eigenen (Konzern-) Vorstand, um damit eine angemessene Sanktion für die Pflichtverletzung des Vorstands zu erhalten. Nur so kann der Konzernvorstand zu einer optimalen Informationsausnutzung und Schaffung einer ordnungsgemäßen Organisation angehalten werden. Gegenüber der eigenen Gesellschaft obliegt dem Vorstand gemäß § 93 Abs. 1 AktG die Pflicht, bei der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers anzuwenden. Darunter fällt auch die Pflicht zur ordnungsgemäßen Leitung der abhängigen Tochtergesellschaften 163. Die sorgfaltswidrig erteilte Weisung im Sinne des § 308 Abs. 1 AktG stellt dementsprechend nicht nur gegenüber der Tochtergesellschaft eine Pflichtverletzung dar (§ 309 Abs. 1 AktG), sondern ebenfalls gegenüber der eigenen Gesellschaft. Soweit der Obergesellschaft dadurch ein Schaden entsteht, kann sie diesen gemäß § 93 Abs. 2 AktG gegenüber dem Vorstand geltend machen. Regelmäßig dürfte die pflichtwidrig erteilte Weisung zugleich einen Vermögensschaden bei der Obergesellschaft bewirken. Im Vertragskonzern gilt es zu differenzieren:
159
Reg.Begr. in Kropff,
160
Vgl. Mertens, AcP 168(1968), 225, 228 f.
161
So auch Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 309 Rn. 25.
162
Ähnlich wohl auch Mertens, AcP 168 (1968), 225, 231.
163
Ausführlich dazu siehe unten § 4 Α. I. 1.
S. 404.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
171
Besteht neben dem Beherrschungsvertrag noch ein Gewinnabführungsvertrag (§ 291 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. AktG), so mindert ein Schaden bei der abhängigen Gesellschaft entweder den Gewinn, der an die Obergesellschaft abzuführen ist 164 , oder es vergrößert sich der gemäß § 302 AktG auszugleichende Verlust 165 . Da der Muttergesellschaft der Schaden unabhängig vom tatsächlichen Jahresergebnis entsteht, kann sie diesen daher auch direkt gemäß § 93 Abs. 2 AktG gegenüber ihrem Vorstand geltend machen. Etwas anderes ergibt sich allerdings dann, wenn zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft nur ein isolierter Beherrschungsvertrag geschlossen wurde und die Tochter tatsächlich einen Gewinn erwirtschaftet hat 166 . Der Schaden der abhängigen Gesellschaft realisiert sich zunächst nur dort und nicht auch gleichzeitig bei der Muttergesellschaft. Der Schaden für die Obergesellschaft besteht dann nur in einer Minderung ihrer Beteiligungswerte an der Tochter und wäre zudem nur schwerlich zu berechnen. Hinzu kommt allerdings, daß die Muttergesellschaft neben dem Vorstand aufgrund der sorgfaltswidrigen Weisung ihrer gesetzlichen Vertreter einer Schadensersatzpflicht gegenüber der Tochtergesellschaft ausgesetzt ist. Begleicht sie diesen Anspruch, so ist ihr ein im Sinne des § 93 Abs. 2 AktG ersatzfähiger Schaden entstanden.
VI. Ergebnis Für den Vertragskonzern ist daher festzuhalten, daß sich die Tochtergesellschaft jedenfalls immer dann das Wissen der Obergesellschaft zurechnen lassen muß, wenn der Konzernvorstand von seiner Leitungsmacht Gebrauch gemacht hat. Das im Zusammenhang mit der Durchführung der angewiesenen Maßnahme rechtserhebliche Wissen der herrschenden Gesellschaft wird der Tochter im 164 Ähnlich auch Kowalski, Der Ersatz von Gesellschafts- und Gesellschafterschaden, S. 90 ff, 226. 165
Soweit der Gewinn noch nicht zur vorgeschriebenen Rücklagenbildung reicht, muß diese noch aufgefüllt werden, was dann den Schaden der Gesellschaft ausmacht. 166
Zur Frage der Zulässigkeit einer Weisung, nach der auch bei fehlendem Gewinnabführungsvertrag der festgestellte Jahresgewinn abgeführt werden soll, siehe für eine Zulässigkeit Glaser, Grenzen des Weisungsrechts, S. 49 ff; Schatz, Die Sicherung des Gesellschaftsvermögens, S. 70 ff; Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 426 ff; Würdinger in GroßKomm. AktG3, § 308 Anm. 10; dagegen aber Beierstedt, ZHR 137 (1973), 388, 389 f.; Exner, Beherrschungsvertrag und Vertragsfreiheit, S. 88 ff.; Geßler in Geßler/Hefermehl, AltG, § 308 Rn. 48; ders., FS Beierstedt, S. 219, 221 f.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 23; Veit, Unternehmensverträge und Eingliederung, S. 146 f.
172
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
Wege der wertenden Betrachtung zugerechnet. Das gilt sowohl für die positive Kenntnis als auch für den Fall fahrlässiger Nichtkenntnis. Der Umfang des zuzurechnenden Wissens richtet sich nach den Auswirkungen auf das operative Geschäft der Tochtergesellschaft und ist durch das Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation begrenzt. Für mögliche Nachteile, die der Tochtergesellschaft aufgrund der durch die sorgfaltswidrige Weisung begründeten Wissenszurechnung entstehen, kann der Konzernvorstand haftbar gemacht und so zur Schaffung eines ordnungsgemäßen Informationsflusses angehalten werden.
D. Wissenszurechnung im .Eingliederungskonzern Zur Klärung der Wissenszurechnung im Eingliederungskonzern bedarf es zunächst einer Betrachtung der Besonderheiten dieser Konzernform und ihrer Struktur, insbesondere im Vergleich zum Vertragskonzern.
I. Besonderheiten im Eingliederungskonzern Der Eingliederungskonzern (§§319 ff. AktG) zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß die herrschende Gesellschaft Alleinaktionärin der eingegliederten Gesellschaft ist. Gemäß § 319 Abs. 1 AktG kann eine Eingliederung nur beschlossen werden, wenn sich alle Aktien der Gesellschaft in der Hand der zukünftigen Hauptgesellschaft befinden. Soweit eine Eingliederung gemäß § 320 Abs. 1 AktG auch dann zulässig ist, wenn sich nur 95% der Aktien in der Hand der zukünftigen Hauptgesellschaft befinden, gehen die restlichen 5% der Aktien gemäß § 320 a AktG mit der Eintragung der Eingliederung in das Handelsregister auf die Hauptgesellschaft über. Dementsprechend fehlt es im Eingliederungskonzern an schutzbedürftigen Minderheitsaktionären. Ebenso wie im Vertragskonzern steht dem Konzernvorstand gemäß § 323 Abs. 1 S. 1 AktG ein Weisungsrecht zu. Andererseits ist dieses Weisungsrecht aufgrund der Verweisung des § 323 Abs. 1 S. 2 AktG nur auf § 308 Abs. 2 S. 1 AktG inhaltlich nicht auf Weisungen im Konzerninteresse beschränkt 167. Sittenwidrige und gesetzeswidrige Weisungen bleiben aber unzulässig168. Um167
Unstreitig, vgl. Reg.Begr. in Kropff, S. 427; Hüffer, AktG, § 323 Rn. 3. Nachteilige Weisungen des Konzernvorstands, die nicht vom Konzerninteresse gedeckt sind, dürften jedoch im Verhältnis zur Obergesellschaft pflichtwidrig sein. So auch Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 323 Rn. 2; Semler/Grunewald in Geßler/ Hefermehl, AktG, § 323 Rn. 2; Veit, Unternehmensverträge und Eingliederung, S. 157. 168
Vgl. Hüffer, AktG, § 323 Rn. 3; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 323 Rn. 4; Semler/Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG, § 323 Rn 2.
D. Wissenszurechnung im Eingliederungskonzern
173
stritten ist, ob existenzgefährdende oder -vernichtende Weisungen zulässig sind. Nach überwiegender Ansicht wird dies mit der Begründung bejaht, daß Minderheitsaktionäre nicht existieren und die Gläubiger durch die Vorschrift des § 322 AktG hinreichend geschützt seien 169 . Desweiteren finden die Schutzvorschriften zur Kapitalerhaltung (§§ 57, 58 und 60 AktG) gemäß § 323 Abs. 2 AktG auf Leistungen der eingegliederten Gesellschaft an die Hauptgesellschaft keine Anwendimg. Zum Schutz der Gläubiger haftet die Hauptgesellschaft aber gemäß § 322 AktG direkt gegenüber den Gläubigern der eingegliederten Gesellschaft vom Zeitpunkt der Eingliederung an für sämtliche Verbindlichkeiten, die vor (Abs. 1 S. 1) oder nach (Abs. 1 S. 2) der Eingliederung begründet wurden. Der Eingliederungskonzern stellt demnach die engste Form der Verbundenheit dar, die in ihren Auswirkungen einer Verschmelzung nahekommt, ohne das jedoch auf die Vorteile der rechtlichen Selbständigkeit verzichtet werden muß 170 . Die Regierungsbegründung spricht daher davon, daß die eingegliederte Gesellschaft kaufmännisch betrachtet, eine Betriebsabteilung der Hauptgesellschaft sei 171 .
I I . Konsequenzen für die Wissenszurechnung Ist eine Wissenszurechnung schon im Vertragskonzern bei tatsächlicher Ausübung der Weisungsmacht begründet, so muß dies nach dem Vorstehenden erst recht im Eingliederungskonzern gelten. Ebenso wie im Vertragskonzern wird der Konzernvorstand im Fall der Weisungserteilung zum entscheidenden Willensbildungsorgan. Gemäß § 323 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 309 Abs. 1 AktG hat der Konzernvorstand die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenshaften Geschäftsleiters anzuwenden und er trägt für diese Maßnahme die volle unternehmerische Verantwortung § 323 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 309 Abs. 2 AktG. Demgegenüber ist der Tochtervorstand gemäß § 323 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 310 Abs. 3 AktG von seiner Verantwortung für die auszuführende Maßnahme entbunden. Hinsichtlich der Begründung kann daher in vollem Umfang auf die Ausführungen zum Vertragskonzern verwiesen werden. Auch hinsichtlich des Umfangs der Wissenszurechnung kann auf die obigen Ausführungen verwiesen
169
So Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 323 Rn. 4; Krieger in MünchHdb. AG, § 73 Rn. 27; Semler/Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG, § 323 Rn. 4; Ulmer, ZHR 148(1984), 391,408. 170
Vgl. Hüffer, AktG, § 319 Rn. 2; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, Vorb. § 319 Rn. 3; Semler/Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG, Vorb. § 319 Rn. 2. 171
Reg.Begr. in Kropff
S. 429.
174
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
werden 172 . Soweit der eingegliederten Gesellschaft durch die Wissenszurechnung ein Nachteil entsteht, wirkt sich dieser Nachteil gemäß § 322 AktG unmittelbar auf die Hauptgesellschaft aus. Für die sich aus einer sorgfaltswidrigen Weisung ergebenden Nachteile kann der Konzernvorstand daher direkt gemäß § 93 Abs. 2 AktG zur Verantwortung gezogen werden und somit zur Schaffung der ordnungsgemäßen Konzernorganisation angehalten werden, die einen ausreichenden Informationsfluß gewährleistet.
I I I . Bevollmächtigung Eine Besonderheit besteht im Eingliederungskonzern jedoch darin, daß anders als im Vertragskonzern, der Konzernvorstand berechtigt ist, die einheitliche Leitung nicht nur durch Weisungen auszuüben, sondern sich eine umfassende Bevollmächtigung durch den Tochtervorstand erteilen lassen kann. Eine Zurechnung des Wissens würde in diesem Fall allerdings nicht im Wege einer wertenden Betrachtung, sondern in direkter Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB erfolgen. Im Vertragskonzern wurde eine so umfassende Bevollmächtigung des Konzernvorstands mit dem Argument abgelehnt, daß sie zu einer Umgehimg des Kontrollrechts der abhängigen Gesellschaft führen würde 173 . Im Eingliederungskonzern ist der Tochtervorstand jedoch bis zur Grenze der Rechtswidrigkeit zur Umsetzung der Weisungen verpflichtet. Lediglich die Ausführung von gesetzeswidrigen Weisungen darf der Tochtervorstand verweigern, so daß ihm nur ein minimaler Rest an Prüfungskompetenz verbleibt. Diese Prüfung erfüllt aber im Eingliederungskonzern keine Schutzfunktionen, da es an zu schützenden Minderheitsaktionären fehlt und die Gläubiger durch die Vorschrift des § 322 AktG hinreichend abgesichert sind. Eine Bevollmächtigung der Hauptgesellschaft beinhaltet daher keine zusätzlichen Risiken für die eingegliederte Gesellschaft 174, so daß nach richtiger Ansicht eine solche Bevollmächtigung als Weisungsersatz als zulässig zu erachten ist 175 .
172
Siehe oben § 3 C. IV.
173
Siehe oben § 3 D. III. 1.
174 A.A. allerdings Hüffer, AktG, § 323 Rn. 2, 4; Semler/Grunewald in Geßler/ Hefermehl, AktG, § 323 Rn. 7, die dementsprechend eine Bevollmächtigung für unzulässig halten. 175 Vgl. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 323 Rn. 11 ; Krieger in MünchHdb. AG, § 73 Rn. 27; Würdinger in GroßKomm. AktG 3 , § 323 Anm. 2.
E. Wissenszurechnung im faktischen AG-Konzern
175
Läßt sich der Konzernvorstand eine solche Vollmacht erteilen und bestimmt er mittels dieser Bevollmächtigung die wesentlichen Führungsentscheidungen, so ist sein Wissen der Tochtergesellschaft gemäß § 166 Abs. 1 BGB in dem Rahmen zuzurechnen, in dem auch innerhalb einer Gesellschaft das Wissen zuzurechnen wäre. Eine solche Konstellation enthält allerdings keine konzernspezifischen Besonderheiten und soll daher hier nicht weiter betrachtet werden.
I V . Ergebnis Für den Eingliederungskonzern ist im Ergebnis festzustellen, daß eine Wissenszurechnung immer dann begründet ist, wenn der Konzernvorstand die Geschäftsführung der eingegliederten Gesellschaft durch die Erteilung von Weisungen bestimmt hat. Hinsichtlich der Einzelheiten kann auf die Ergebnisse beim Vertragskonzern verwiesen werden.
E. Wissenszurechnung im faktischen AG-Konzern Begründet die Einflußnahme des herrschenden Unternehmens im Vertragsund im Eingliederungskonzern eine Wissenszurechnung, so ist demgegenüber durch die Einflußnahme eines „einfachen" Aktionärs noch keine Wissenszurechnung gerechtfertigt. Im folgenden Abschnitt gilt es daher zu klären, wie es sich bei der Einflußnahme des herrschenden Unternehmens im lediglich faktischen AG-Konzern verhält 176 .
I. Allgemeines Das Aktiengesetz enthält einige Vorschriften (§§311 - 318 AktG), die die besonderen Rechtsbeziehungen zwischen einem herrschenden und einem abhängigen Unternehmen gesondert regeln. Die getroffenen Regelungen sind jedoch sehr unvollkommen und lassen viele Fragen ungeklärt, was zu einer nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit geführt hat 177 . Die Schwierigkeit liegt zum einen darin, daß die Vorschriften der §§311 - 3 1 8 AktG sowohl für die
176
Die Fälle schlichter Abhängigkeit und faktischer Konzernierung werden, soweit nicht ausdrücklich etwas anders gesagt wird, zusammen unter dem Fall des faktischen Konzems behandelt, was auch der gesetzlichen Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG entspricht. Der Übersichtlichkeit halber soll desweiteren davon ausgegangen werden, daß es sich bei dem herrschenden Unternehmen um eine AG handelt. 177
So Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 1.
176
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
wohl eher seltenen Fälle schlichter Abhängigkeit im Sinne des § 17 AktG, als auch für die häufigen Fälle der faktischen Konzerne im Sinne des § 18 AktG gelten. Zum anderen ist umstritten, ob mit den Vorschriften die Zulässigkeit der einheitlichen Leitung tatsächlich rechtlich anerkannt werden sollte. Vereinzelt wird sogar die Ansicht vertreten, daß die Bildung faktischer Konzerne überhaupt unzulässig sei 178 . A n der grundsätzlichen Zulässigkeit des faktischen Konzerns kann aber aufgrund der Vorschriften der §§ 311 ff. AktG sowie weiterer Vorschriften innerhalb und außerhalb des Aktienrechts, die auf den faktischen Konzern Bezug nehmen, kein ernsthafter Zweifel mehr bestehen179. Zudem ist eine einheitliche Leitung im Sinne des § 18 AktG auch dann noch zu bejahen, wenn die Leitungsmacht im Rahmen der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung und im Interesse der abhängigen Gesellschaft ausgeübt wird 1 8 0 . Es bedarf keiner vollständigen Einverleibung, um eine Konzernverbindung herzustellen 181 . Die erforderliche Leitung kann schon durch eine einfache Besetzung von Aufsichtsrats- oder Vorstandsposten erfolgen 182 . Gestritten wird im Schrifttum darüber, ob das Gesetz durch die Regelungen der §§311 ff. AktG die Ausübung einheitlicher Leitung anerkennen 183 oder aber nur dulden bzw. in 178
So Bälz, FS Raiser, S. 287, 302 ff, 316; Paehler, Die Zulässigkeit des faktischen Konzerns, S. 164; zweifelnd, die Frage aber letztlich offen lassend Mestmäcker, FG Kronstein, S. 129, 143; Würdinger in GroßKomm. AktG 3 , § 311 Anm. 5 a.E. 179
Vgl. OLG Hamm, NJW 1987, 1030 („Banning"); Decker , Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, S. 141; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 256 ff; Emmerich!Sonnenschein, Konzernrecht, S. 376; Flume, Die juristische Person, S. 122; Geßler, FS Westermann, S. 125, 150; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 109 ff; ders., FS Fleck, S. 125, 132; Hüffer, AktG, § 18 Rn. 5; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, Vor § 311 Rn. 6 ff.; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 13; ausführlich dazu Kropff m Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 9 ff.; Luchterhandt, ZHR 133 (1970), 1, 6 ff, 13; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 254; K. Schmidt, GesR, S. 502; Semler, Leitung und Überwachung in der Aktiengesellschaft, Rn. 287 ff; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe, S. 141. 180
Vgl. Semler, Leitung und Überwachung in der Aktiengesellschaft, Rn. 288.
181
Die Reg.Begr. in Kropff, S. 33 führt dazu aus, daß es bereits ausreichend sei, wenn die Konzernleitung die grundsätzlichen Fragen der Geschäftsführung der Konzerngesell Schäften aufeinander abstimmt, wobei diese Abstimmung kein Weisungsrecht voraussetze. 182
Vgl. hierzu die ausführlichen Darstellungen bei Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, passim und Streyl, Konzernrecht und Vorstandsdoppelmandate, passim; vgl. auch Semler, Leitung und Überwachung in der Aktiengesellschaft, Rn. 315. 183
So ζ. B. Kropff in Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 27 f.; Luchterhandt, ZHR 133 (1970), 1, 12 f.; vorsichtiger Hüffer, AktG, § 311 Rn. 7.
E. Wissenszurechnung im faktischen AG-Konzern
177
Kauf nehmen wollte 184 . Letztlich kommt einer so gestellten Frage aber keine weitere Bedeutung zu 1 8 5 . Es geht vielmehr darum, ob bei der Anwendung der §§311 ff. AktG vor allem der Schutzfunktion der Außenstehenden186 (Minderheitsaktionäre und Gläubiger) oder aber der Privilegierungsfunktion des herrschenden Unternehmens 187 der Vorrang gegeben werden soll und welche Grenzen sich daraus für eine zulässige Einflußnahme ergeben 188. A u f die Probleme, die sich aus diesem Spannungsverhältnis zwischen der Schutzfunktion und der Privilegierungsfunktion ergeben, wird im folgenden noch näher eingegangen werden. Festzustellen bleibt an dieser Stelle, daß grundsätzlich die Bildung eines faktischen AG-Konzerns durch Ausübung einheitlicher Leitung als zulässig zu erachten ist.
Π . Einflußnahmemöglichkeiten Für die Frage der Wissenszurechnung entscheidend ist, welche rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten dem herrschenden Unternehmen zur Verfügung stehen, um auf das Tochterunternehmen Einfluß auszuüben. Im faktischen AG-Konzern stehen dem herrschenden Unternehmen keine Weisungsrechte oder andere Rechtspositionen zur Durchsetzung der Konzernpolitik gegenüber der Tochtergesellschaft zu 1 8 9 . Der Tochtervorstand ist nicht
184
So z. B. Geßler, FS Westermann, S. 125, 155; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, Vor § 311 Rn. 6 ff; Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, S. 6, 190. 185
Vgl. Hüffer, AktG, § 311 Rn. 7; Semler, Leitung und Überwachung in der Aktiengesellschaft, Rn. 288. H. Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 31 spricht daher von einer „beinahe akademische(n)" Frage. 186
Vgl. Emmerich/Sonnenschein, Konzemrecht, S. 371 ff.; Geßler, FS Westermann, S. 145 ff.; Mestmäcker, FG Kronstein, S, 129, 145 ff.; Sonnenschein, Organschaft, S. 170 ff; Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, S. 6 ff.; Würdinger in GroßKomm. AktG 3 , § 311 Anm. 5. 187
Vgl. Luchterhandt, ZHR 133 (1970), 1, 6 ff., 13; ähnlich auch Kropff 'm Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 27 f.; ders., DB 1967, 2147 ff. 188 189
Siehe dazu Hommelhoff,\ Konzernleitungspflicht, S. 113 ff.
Ganz überwiegende Ansicht, vgl. OLG Karlsruhe, WM 1987, 533, 534; Beuthien, DB 1969, 1781, 1783; Emmerich/Sonnenschein, Konzemrecht, S. 386; Fischer, AG 1982, 85, 92; Flume , Juristische Person, S. 121; Geßler, FS Flume, S. 55, 56; Hommelhoff, Gutachten zum 59. DJT 1992, S. 48; Hüffer, AktG, § 311 Rn. 48; Kellmann, BB 12 Schüler
178
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
verpflichtet, der Einflußnahme durch das herrschende Unternehmen nachzukommen 190 . Das gilt auch, wenn die entsprechend veranlaßte Maßnahme sich für die Gesellschaft durchaus positiv auswirkt 191 . Demgegenüber wird von Luchterhandt 192 die Auffassung vertreten, daß der Tochtervorstand sogar verpflichtet sei, selbst nachteiligen Veranlassungen unter Hinweis auf die Nachteiligkeit nachzukommen. Eine solche Folgepflicht würde jedoch die Schutzfunktion des § 311 AktG vollständig mißachten und ist als mit dem Regelungszweck nicht vereinbar abzulehnen. Das ergibt sich auch schon aus einem Vergleich des Wortlauts von § 308 Abs. 1 und § 311 Abs. 1 AktG. Das Gesetz geht zwar von einer tatsächlichen Einflußnahme aus, hat jedoch hierfür - außerhalb des Vertragskonzerns - keine rechtlichen Möglichkeiten vorgesehen. Dafür spricht ebenfalls, daß für eine entsprechende Nichtbefolgung keine Sanktionen vorgesehen sind 193 . Auch Wilhelm 194 vertritt die Ansicht, daß der Tochtervorstand einer Folgepflicht unterliege. Diese Ansicht fußt auf der Annahme, daß es sich beim faktischen Konzern um eine BGB-Innengesellschaft im Sinne des § 705 BGB 1969, 1504, 1518; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, §311 Rn. 90; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 31; Kropffm Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 29; ders., DB 1967, 2147, 2152. Raiser , KapGesR, § 53 Rn. 7. 190
Es besteht allerdings die Möglichkeit, daß die Einflußnahme durch einen Beschluß der Hauptversammlung ergeht, auf den die Vorschrift des § 311 AktG ebenfalls Anwendung findet. Vgl. Reg.Begr. in Kropff, S. 408; Emmerich/ Sonnenschein, Konzemrecht, S. 378; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 16 f. m.w.N.; Kropff in Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 100 ff.; Würdinger in GroßKomm. AktG 3 , § 311 Anm. 4. Ein solcher Beschluß durch die Hauptversammlung setzt allerdings die Vorlage durch den Vorstand gemäß § 119 Abs. 2 AktG voraus, wodurch er dann für den Vorstand eine bindende Wirkung im Sinne einer Folgepflicht erlangt. Auf diese Ausnahmefälle soll hier aber nicht näher eingegangen werden. Vgl. dazu schon oben § 2 D. V. 3. c) aa). 191 Ob sich in Einzelfällen personeller Verflechtungen etwas anderes ergeben könnte, kann hier nicht näher erörtert werden. Eine Verpflichtung könnte sich für Doppelvorstandsmitglieder aus ihrer Loyalitätspflicht gegenüber dem herrschenden Unternehmen jedenfalls in den Fällen ergeben, in denen die Maßnahme keine nachteiligen Auswirkungen auf die abhängige Gesellschaft hätte. So ζ. B. Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, S. 138 ff, 147 mit ausführlicher Begründung. Darüberhinaus sei das entsprechende Vorstandsmitglied verpflichtet, im Bereich neutraler Entscheidungen sich auch am Konzerninteresse zu orientieren. 192
Luchterhandt, ZHR 133 (1970), 1, 8 ff., 42 ff.
193
Vgl. nur Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 90.
194
Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 227, 243 f.
E. Wissenszurechnung im faktischen AG-Konzern
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handle 195 . Beim faktischen Konzern bestehe zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft nach seiner Auffassung kein Unter-/ Überordnungsverhältnis, sondern ein Gleichordnungsverhältnis 196. Wie oben aber bereits festgestellt, ist dem entgegenzuhalten, daß die Regelungen der §§ 311 ff. AktG gerade ein Unter-/ Überordnungsverhältnis zugrunde legen, so daß die Annahme einer BGB-Innengesellschaft nicht haltbar ist 197 . Rechtliche Einflußnahmemöglichkeiten stehen dem herrschenden Unternehmen demnach nicht zur Verfugung.
Ι Π . Tatsächliche Einflußnahme Unabhängig von dem Problem der rechtlichen Zulässigkeit der Einflußnahme im faktischen AG-Konzern ist festzustellen, daß eine Vielzahl von faktischen Einflußnahmemöglichkeiten besteht. Zum einen hat das herrschende Unternehmen aufgrund der Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung die Möglichkeit, die entscheidenen Machtpositionen in der abhängigen AG zu besetzen. Die Besetzung der Machtpositionen durch eigene Vertrauensleute 198 ist dabei nicht nur auf die Aufsichtsratsmandate beschränkt, sondern kann sich auch auf den Vorstand selbst erstrecken 199. Daneben besteht aufgrund der Machtposition die Möglichkeit, mittels Veranlassungen dem Tochtervorstand Handlungsvorgaben zu machen. Diese Veranlassungen sind zwar für den Vorstand nicht bindend, dieser rechtliche Befund darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß gerade aufgrund der bestehenden tatsächlichen Machtverhältnisse solche Veranlassungen faktisch sehr wohl bindend sind. Möchte der Tochtervorstand auch für die nächste Amtszeit durch den vom herrschenden Unternehmen besetzten Aufsichtsrat bestellt wer195
Siehe oben § 3 A. III.
196
Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 221 ff.
197
So auch Hommelhoffy Konzernleitungspflicht, S. 125 Fn. 62; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 90; Reuter, ZHR 146 (1982), 1, 9 ff.; K. Schmidt, GesR, S. 963 f. 198
In der Regel dürfte es am sichersten sein, wenn es sich bei den Vertrauensleuten um die eigenen Vorstandsmitglieder bzw. untergeordnete Führungskräfte handelt, da diese auch dem Interesse des herrschenden Unternehmens verpflichtet sind. 199
Probleme bei der Besetzung des Vorstands mit ausschließlich eigenen Vertrauensleuten könnten sich allerdings in der mitbestimmten AG ergeben. Aber auch in der mitbestimmten AG ist es der herrschenden AG möglich, über den Aufsichtsrat die Besetzung des Vorstands weitgehend zu bestimmen. 12*
180
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
den, so wird er sich an die Vorgaben des Konzernvorstands halten müssen. Schwierigkeiten könnten sich in der Praxis allerdings bei der Feststellung ergeben, ob tatsächlich eine solche Vorgabe bzw. Veranlassung durch den Konzernvorstand vorgelegen hat 200 . Allgemein läßt sich sagen, daß eine Veranlassung im Sinne des § 311 AktG dann vorliegt, wenn der Tochtervorstand eine bestimmte Verhaltensweise des Konzernvorstands als Handlungsanleitung aufTassen durfte. Unerheblich ist es, ob es sich dabei um einen Ratschlag oder eine direkte Anweisung handelt, ebenso bedarf die Veranlassung keiner besonderen Nachdrücklichkeit 201 . Auch ein konkretes Veranlassungsbewußtsein des Konzernvorstands ist nicht erforderlich 202 , da der Schutzzweck der §§ 311, 317 AktG es erfordert, daß das herrschende Unternehmen schon dann haftet, wenn der objektive Tatbestand einer Veranlassung vorgelegen hat 203 .
1. Prüfungspflicht des Tochtervorstands Fraglich ist, welche Konsequenzen die nur faktische Einflußnahmemöglichkeit auf die Entscheidungsfindung der abhängigen Tochtergesellschaft hat. Wird also die konkrete Entscheidung bei Veranlassung durch den Konzernvorstand tatsächlich auch von diesem getroffen, oder bleibt es letztlich bei der Entscheidung durch den Tochtervorstand? Der faktischen Einflußnahmemöglichkeit steht eine umfassende Kontrolloder Prüfungspflicht des Tochtervorstands gegenüber 204. Der Tochtervorstand hat jede Veranlassung des Konzernvorstands dahingehend zu überprüfen, ob sich das entsprechende Tun oder Unterlassen für die eigene Gesellschaft nachteilig auswirkt oder ob die Veranlassung schon unabhängig davon nicht beach-
200
Siehe dazu ausführlich Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 2 ff.
201
Vgl. Adler!Dürig/ Schmaltz, § 311 AktG Rn. 28; Baumbach/Hueck, AktG, § 311 Rn. 6 f.; Hüffer, AktG, § 311 Rn. 16; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 2; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 61; Kropff in Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 91; Würdinger in GroßKomm. AktG, § 311 Anm. 4. A.A. Leo, AG 1965, 352, 356. 202
A.A Brachvogel, Leitungsmacht und Verantwortlichkeit, S. 36; Kropff ler/ Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 94; Neuhaus, DB 1970, 1913, 1915 f.
in Geß-
203
So auch Hüffer, AktG, §311 Rn. 16; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, §311 Rn. 3. Etwas anderes ergibt sich allerdings bei der Begründung einer Informationspflicht, vgl. dazu unten § 3 E. III. 3. b). 204
Bei zustimmungspflichtigen Vorgängen erstreckt sich diese Prüfungspflicht auch auf den Aufsichtsrat. Näher dazu Rowedder, FS Duden, S. 501, 511 f.
E. Wissenszurechnung im faktischen AG-Konzern
181
tet werden darf 205 . Die Prüfung, die der Vorstand im Rahmen seiner eigenverantwortlichen Leitung im Sinne des § 76 AktG zu leisten hat, hat er mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 1 AktG) durchzuführen 206. Ihm steht dabei das volle unternehmerische Ermessen zur Verfügung. Anders als im Vertragskonzern ist die Prüfungspflicht des Tochtervorstands im faktischen AG-Konzern demnach nicht auf eine bloße Rechtmäßigkeitsprüfimg beschränkt, sondern umfaßt eine vollständige Zweckmäßigkeitskontrolle. Soweit es sich um rechtswidrige Veranlassungen handelt, darf er diesen nicht nachkommen. Darunter fallen auch solche Veranlassungen, die gegen die Satzung, insbesondere gegen den Unternehmensgegenstand verstoßen 207. Das ergibt sich schon daraus, daß die Einflußnahmemöglichkeiten selbstverständlich nicht weiter gehen können als im Fall des Bestehens eines Beherrschungsvertrags. Daraus ergibt sich ebenfalls, daß sowohl existenzgefährdende Veranlassungen als auch nachteilige Veranlassungen, deren Auswirkungen nicht durch das Konzerninteresse gedeckt sind, unzulässig sind und demnach nicht befolgt werden dürfen 208 . Die gegenteilige Auffassung 209 , nach der eine nachteilige Veranlassung nicht im Konzerninteresse liegen muß, wird damit be205
Vgl. OLG Hamburg, WM 1987, 533, 534; Emmerich!Sonnenschein, Konzernrecht, S. 386; Geßler, FS Westermann, S. 145, 156 f.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 91; Kropjf'm Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 37 und 56; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 34; insoweit zustimmend auch Luchterhandt, ZHR 133 (1970), 1, 46; Semler, Leitung und Überwachung in der Aktiengesellschaft, Rn. 451; Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, S. 184. 206
Vgl. auch Flume , Juristische Person, S. 121 f.; Geßler, FS Westermann, S. 145, 156; Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), 570, 579; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 90; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 34; Kropjf 'm Geßler/ Hefermehl, AktG, §311 Rn. 58. 207
Vgl. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 59; Kropjf 'm Geßler/ Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 57; Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, S. 53 f. 208
Vgl. Beuthien, DB 1969, 1781, 1784; Emmerich!Sonnenschein, Konzemrecht, S. 386; Flume, Juristische Person, S. 122; Hüffer, AktG, § 311 Rn. 43; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 61; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 31; Kropff in Geßler/Hefermehl, AktG, §311 Rn. 34; Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 61 ff.; Möhring, FS Schilling, S. 253, 265 f.; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 236; K. Schmidt, GesR, S. 964 f.; Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, S. 63 ff. 209
So Gansweid, Gemeinsame Tochtergesellschaften, S. 177; Linsmann, Der Ausgleichsanspruch nach § 311 Abs. 2 AktG, S. 15 ff.; Neuhaus, Die zivilrechtliche Organhaftung, S. 30 ff.
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§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
gründet, daß die Vorschrift des §311 AktG nur eine Schlechterstellung der abhängigen Gesellschaft verhindern solle. Daher sei eine Beschränkung auf Veranlassungen im Konzerninteresse nicht erforderlich. Diese Ansicht verkennt jedoch die Privilegierungsfunktion des § 311 AktG. Die Privilegierungsfunktion des § 311 AktG kann aber nicht weitergehen als die des § 308 AktG und zudem wird gerade durch die Beschränkung auf das Konzerninteresse der Schutz der abhängigen Geschäft noch erhöht.
2. Prüfungsmaßstab Prüfungsmaßstab für die Feststellung der Auswirkung der veranlaßten Maßnahmen ist ausschließlich das Interesse der eigenen Gesellschaft. Stellt der Tochtervorstand fest, daß es sich um eine nachteilige Maßnahme im Konzerninteresse handelt, so hat er weiterhin festzustellen, ob der entsprechende Nachteil quantifizierbar und damit ausgleichbar ist. Ist die Ausgleichbarkeit der Nachteile gegeben, so hat der Tochtervorstand den Konzernvorstand auf die Nachteiligkeit hinzuweisen und sich von diesem die generelle Bereitschaft zum Nachteilsausgleich im Sinne des § 311 Abs. 2 AktG versichern zu lassen210. Ist die Ausgleichsfähigkeit oder die Ausgleichsbereitschaft der herrschenden Gesellschaft nicht gegeben, so darf der Tochtervorstand der entsprechenden Veranlassung nicht nachkommen211. Liegen die Ausgleichsfähigkeit und Ausgleichsbereitschaft hingegen vor, so entscheidet der Tochtervorstand eigenverantwortlich und am Interesse der Gesellschaft orientiert darüber, ob er der Veranlassung folgen will.
210
Vgl. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 96; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 34; Kropff in Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 61 m.w.N.; auch nach Luchterhandt, ZHR 133 (1970), 1, 8 ff., 42 ff. hat der Tochtervorstand den Konzernvorstand auf das Ergebnis der Prüfung, insbesondere bei drohender Nachteiligkeit hinzuweisen. Einer Vereinbarung über die Art und Weise der Ausgleichszahlungen bedarf es nicht, Koppensteiner, Krieger, Kropff, je a.a.O. Nach Luchterhandt, a.a.O., bedarf es jedoch nicht einmal eines generellen Anerkenntnisses der Ausgleichspflicht, ebenso Pickardt, Die zivilrechtliche Haftung des Vorstands, S. 112. 211
Vgl. Geßler, FS Westermann, S. 145, 157; Hüffer, AktG, § 311 Rn. 48; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 92 f.; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 34; Kropff m Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 57 und 61.
E. Wissenszurechnung im faktischen AG-Konzern
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3. Entscheidungsfindung a) Verantwortliche
Beteiligung an der Willensbildung
Es bleibt demnach bei der gesetzlichen Organzuständigkeit des Tochtervorstands gemäß §§ 76, 93 AktG. Der Tochtervorstand ist als das entscheidene Willensbildungsorgan anzusehen. Der Konzernvorstand trifft nicht, wie z. B. die Gesellschafterversammlung in der GmbH, fur die Tochtergesellschaft verbindliche Entscheidungen. Dem Tochtervorstand obliegt die originäre Leitungsmacht. Die Leitungsmacht wird nicht von der Konzernspitze delegiert 212 . Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis geht auch nicht auf das herrschende Unternehmen über 213 . Kommt aber der Tochtervorstand der Veranlassung durch den Konzernvorstand nach pflichtgemäßer Prüfung berechtigterweise nach, so beinhaltet die Durchführung zugleich eine Veränderung der bestehenden Verantwortlichkeit im Sinne des § 93 AktG. Die Vorschrift des § 311 AktG geht insofern dem § 93 AktG vor 2 1 4 . Der Tochtervorstand ist nach ordnungsgemäßer, umfassender Prüfung der Veranlassung von seiner Haftung gemäß § 93 Abs. 2 AktG für die durchzuführende Maßnahme befreit. Er kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn die Tochtergesellschaft eine nachteilige Maßnahme auf Veranlassung der Obergesellschaft durchführt und sich der Tochtervorstand die generelle Bereitschaft zum Nachteilsausgleich hat zusichern lassen. Das Gesetz hat dadurch der nicht rechtlichen, aber tatsächlichen Einflußnahme Rechnung getragen (Privilegierungsfunktion). Die Verantwortung geht stattdessen auf den Konzernvorstand, der die Maßnahme veranlaßt hat, entsprechend der §§311, 317 AktG über. Dem Konzernvorstand obliegt bei der Erteilung der Veranlassung die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Das ergibt sich als Umkehrschluß aus § 317 Abs. 2 AktG, wonach die Ersatzpflicht des Konzernvorstands für eine nachteilige Veranlassung nicht eintritt, wenn auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer
212
Vgl. Semler, Leitung und Überwachung in der Aktiengesellschaft, Rn. 446 f.
213
Siehe Lutter, Mitbestimmung, S. 45; Schauß, Das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens, S. 26; Semler, Leitung und Überwachung in der Aktiengesellschaft, Rn. 447. 214
So auch Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 113; Hüffer, AktG, § 311 Rn. 48; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 106; Kropjf 'm Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 59 m.w.N.; ders., DB 1967, 2147, 2151 f.; Lutter, ZGR 1982, 244, 259 f.; Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, S. 30 ff. m.w.N.
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§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
unabhängigen Gesellschaft das Rechtsgeschäft vorgenommen oder die Maßnahme getroffen oder unterlassen hätte. Demgegenüber wird teilweise eine Veränderung der bestehenden Verantwortlichkeit mit der Begründung abgelehnt, die Befolgung einer nachteiligen Veranlassung stelle sehr wohl eine Pflichtverletzung des Tochtervorstands im Sinne des § 93 AktG dar 215 . Lediglich die Befolgung vorteilhafter Veranlassungen genüge den Sorgfaltsanforderungen. Diese Ansicht wird jedoch der im §311 AktG enthaltenen Privilegierungsfunktion nicht gerecht. Andernfalls wäre bei uneingeschränkter Geltung der §§ 76, 93 AktG und dementsprechend gesetzestreuem Verhalten des abhängigen Vorstands die Vorschrift des § 311 Abs. 2 AktG völlig bedeutungslos216. Nach § 311 Abs. 2 AktG ist das herrschende Unternehmen am Ende des Geschäftsjahres in dem der abhängigen Gesellschaft ein Nachteil zugefügt wurde verpflichtet zu bestimmen, wann und durch welche Vorteile der Nachteil ausgeglichen werden soll, soweit dieser nicht schon während des Geschäftsjahres tatsächlich ausgeglichen wurde. Bei gesetzestreuem Verhalten gemäß der §§ 76, 93 AktG würde ein solcher Nachteil jedoch erst gar nicht entstehen bzw. müßte schon gemäß § 93 Abs. 2 AktG ausgeglichen werden. Hinzu kommt, daß es im Zusammenhang mit der Bestimmung der Entscheidungsfindung nicht auf eine Differenzierung zwischen nachteiligen und vorteilhaften Maßnahmen ankommt. Vielmehr stellt sich für die Wissenszurechnung die Frage der Entscheidungsfindung auch dann, wenn die veranlaßte Maßnahme grundsätzlich vorteilhaft wäre. Festzustellen ist, daß die Erteilung einer Veranlassung im Sinne des § 311 AktG durch den Konzernvorstand eine Veränderung der bestehenden Verantwortlichkeit innerhalb der Tochtergesellschaft immer dann bewirkt, wenn der Tochtervorstand der Veranlassung nachkommt. Dadurch unterscheidet sich die Veranlassung des herrschenden Unternehmens von der faktischen Einflußnahme Außenstehender, einschließlich einfacher (nicht herrschender) Aktionäre. Auch Kunden und Lieferanten üben mitunter erheblichen Druck auf den Vorstand aus. Dieser faktische Druck kann die Entscheidungsfindung in gleichem Maße bestimmen wie eine Veranlassung des
215 Konsequenterweise so Bälz, FS Raiser, S. 287, 316; Geßler, FS Westermann, S. 145, 152 f.; wohl auch Kronstein, BB 1967, 637, 642; Würdinger in GroßKomm. AktG, §318 Anm. 1. 216 Ausführlich Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, S. 31 m.w.N.
E. Wissenszurechnung im faktischen AG-Konzern
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Konzernvorstands 217. Kunden und Lieferanten, überhaupt alle Außenstehenden tragen aber im Fall der Beeinflußung gerade keine Verantwortung für die Konsequenzen der Veranlassimg 218. Ihre Einflußnahme kann daher nicht als Teil der Entscheidungsfindung innerhalb der Gesellschaft gewertet werden. Die Entscheidung des Konzernvorstands über die Erteilung einer entsprechenden Veranlassung ist hingegen aufgrund der entsprechenden Verantwortung als Teil der Entscheidungsfindung im arbeitsteiligen Prozeß der abhängigen Tochtergesellschaft zu werten. Der veranlassende Konzernvorstand ist zwar nicht das allein entscheidene Willensbildungsorgan der Tochtergesellschaft, wie z. B. im Vertragskonzern, er ist jedoch im Sinne der Wissenszurechnung als ein Teil des Willensbildungsorgans anzusehen. Die rechtserheblichen Kenntnisse der herrschenden Gesellschaft sind als Teil des Willensbildungsorgans der abhängigen Gesellschaft dementsprechend im Wege der wertenden Betrachtung zuzurechnen, wenn diese Kenntnisse bei ordnungsgemäßer Organisation dem letztlich ausführenden Teil des Organs (dem Tochtervorstand) hätten vorliegen müssen.
b) Informationspflicht Für die Begründung der Wissenszurechnung im Wege der wertenden Betrachtung erforderlich ist es demnach, daß die Kenntnis des Konzernvorstands bei ordnungsgemäßer Organisation des Willensbildungsorgans, wozu auch der veranlassende Konzernvorstand gehört, beim letztlich ausführenden Tochtervorstand hätte vorliegen müssen. Festzustellen ist, daß der Tochtervorstand überhaupt in der Lage sein muß, zu beurteilen, ob die veranlaßte Maßnahme vorteilhaft oder nachteilig ist. Aus diesem Zwang heraus, ergibt sich auf der Seite des Konzernvorstands eine gesonderte Informationspflicht 119. Der Konzernvorstand hat dafür Sorge zu 217
Vgl. dazu auch Dierdorf,\ Herrschaft und Abhängigkeit, S. 152 ff; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 17 Rn. 50 m.w.N.; Martens, Die existentielle Wirtschaftsabhängigkeit, S. 5 ff; H. Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 140 ff.; Westermann, ZIP 1982, 379, 382 ff. 218
So die ganz überwiegende Ansicht, vgl. BGHZ 90, 381 ff; Geßler in Geßler/ Hefermehl, AktG, § 17 Rn. 40 f., 54 ff.; Hüjfer, AktG, § 17 Rn. 8; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 17 Rn. 50; Krieger in MünchHdb. AG, § 68 Rn. 40; Martens, Die existentielle Wirtschaftsabhängigkeit, S. 58 ff.; K. Schmidt, ZGR 1980, 277, 284 ff.; Westermann, ZIP 1982, 379, 383 ff.; alle m.w.N. 219 So auch Koppensteiner in KölnKomm. AktG, §311 Rn. 101; Krieger MünchHdb. AG, § 69 Rn. 32; Kropff 'm Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 52.
in
186
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
tragen, daß sämtliche für die Beurteilung der Auswirkungen der Veranlassung relevanten Informationen dem Tochtervorstand zur Verfügung gestellt werden. Denn schließlich darf die abhängige Gesellschaft der nachteiligen Veranlassung nur dann nachkommen, wenn diese - unabhängig von der Ausgleichsfähigkeit - im Interesse der herrschenden Gesellschaft oder eines mit ihr verbundenen Unternehmens liegt 220 . Oftmals dürfte im Konzern aber ein nicht unerhebliches Informationsgefälle zwischen dem Tochtervorstand und dem Konzernvorstand bestehen. Der Konzernvorstand ist, insbesondere wenn er den Tochtervorstand zu bestimmten Maßnahmen veranlaßt, über die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft regelmäßig bestens informiert 221 . Konkret ist er sogar verpflichtet, sich über die für die Konzernführung erheblichen Umstände innerhalb der abhängigen Gesellschaft umfassend zu informieren 222 . Der Tochtervorstand ist schon gemäß § 294 Abs. 3 HGB verpflichtet, dem herrschenden Unternehmen alle Aufklärungen und Nachweise zu geben, welche zur Aufstellung des Konzernabschlusses und Konzernlageberichts erforderlich sind 223 . Des weiteren ist es dem Tochtervorstand auch gemäß §311 AktG entgegen der Verschwiegenheitspflicht aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG gestattet, dem herrschenden Unternehmen sämtliche Informationen zu erteilen, die zur Ausübung einer einheitlichen Leitung erforderlich sind. Die Vorschrift des § 131 Abs. 4 AktG findet in diesem Fall keine Anwendung, denn die herrschende Gesellschaft wird nicht aufgrund ihrer Funktion als Aktionär, sondern aufgrund ihrer Leitungsfunktion informiert 224 . Der Konzernvorstand ist dem-
220
Siehe oben § 3 E. III. 1.
221
Vgl. auch Scheffler, AG 1991, 256, 259; Stein, ZGR 1988, 163 ff, 166; Streyl, Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 122. 222
Ausführlich dazu Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 290 ff.; vgl. auch Streyl, Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 122. 223 224
Vgl. Krieger in MünchHdb. AG. § 69 Rn. 33.
Vgl. Barz in GroßKomm. AktG 3 , § 131 Rn. 27; Decker, , ZHR 158 (1994), 473, 483 f.; Hoffmann-Becking, , FS Rowedder, S. 155, 166 ff. m.w.N.; Hüffer, AktG, § 131 Rn. 38; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 33; Kropff, DB 1967, 2204, 2205; Lutter, Information und Vertraulichkeit, S. 50 f.; Scheffler, Konzernmanagement, S. 16 f.; Seifert, AG 1967, 1, 3; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 290 ff, der sogar eine Pflicht der abhängigen Gesellschaft zur Informationserteilung annimmt; Streyl, Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 122; Werner, AG 1967, 122, 123; Zöllner in KölnKomm. AktG 1 , § 131 Rn. 69. A.A. Kort, ZGR 1987, 45, 60; Eckardt in Geßler/ Hefermehl, AktG, § 131 Rn. 148; diese
. Wissenszurechnung im faktischen
G-Konze
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entsprechend darüber informiert, welche Kenntnisse im Rahmen der Geschäftsführung der Tochtergesellschaft von Bedeutung sein könnten. Demgegenüber ist dem Tochtervorstand die Beurteilung, ob eine entsprechende Veranlassung im Konzerninteresse liegt, nur dann möglich, wenn der Konzernvorstand ihm das dafür erforderliche Wissen zur Verfügung stellt. Die Informationspflicht des Konzernvorstands gegenüber dem Tochtervorstand begründet sich daher aus der Schutzfunktion des §311 AktG. Ohne ausreichende Informationen könnte der Tochtervorstand seiner Prüfungspflicht nicht gerecht werden. Der durch die Prüfungspflicht gewährleistete Schutz der abhängigen Gesellschaft vor möglichen Nachteilen könnte ohne eine Informationspflicht durch den Wissensvorsprung der herrschenden Gesellschaft umgangen werden. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Veranlassung sind auch solche Informationen von Bedeutung, die bei der Anwendung der Wissensnormen erheblich sind. Ist der Konzernvorstand seiner Informationspflicht nicht nachgekommen und der Tochtervorstand dementsprechend bei der Ausführung der Veranlassung gutgläubig gewesen, darf diese Pflichtverletzung nicht zu Lasten des beteiligten Dritten gehen. Zwar besteht die Informationspflicht nur im Innenverhältnis zwischen der abhängigen und der herrschenden Gesellschaft, das spielt aber für die Beurteilung der Schutzbedürftigkeit im Sinne der Wissensnormen keine Rolle. Denn die Schutzbedürftigkeit richtet sich in einem arbeitsteiligen Prozeß danach, welche Informationen bei ordnungsgemäßen Verhalten üblicherweise zur Verfügung stehen müssen225. Eine im Innenverhältnis wirkende Pflicht zur Informationsweiterleitung ist daher für den Ausschluß der Schutzbedürftigkeit ausreichend. Das Wissen der herrschenden Gesellschaft ist als Teil des Willensbildungsorgans der abhängigen Gesellschaft daher im Wege der wertenden Betrachtung zuzurechnen, wenn es bei ordnungsgemäßer Organisation hätte weitergeleitet werden müssen. Zu beachten ist, daß die Verletzung der Informationspflicht von dem Tatbestandsmerkmal der fahrlässigen Nichtkenntnis streng zu unterscheiden ist. Erfordert die anzuwendende Wissensnorm positive Kenntnis und lag diese bei der Obergesellschaft tatsächlich vor, so ist es unerheblich, wenn der Oberge-
Ansicht verkennt jedoch, daß eine erhöhte Information für die zulässige Ausübung einheitlicher Leitung unerläßlich ist. 225
Siehe oben § 2 D. II. 2. d) bb) (2).
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§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
sellschaft nur eine fahrlässige Verletzung der Informationspflicht vorzuwerfen ist. Kommt es für die Begründung der Ausgleichspflicht nach § 311 AktG nicht auf ein subjektives Veranlassungsbewußtsein an 226 , so ist allerdings für die Bewertung als Teil der Entscheidungsfindung ein Veranlassungsbewußtsein seitens des Konzernvorstands unbedingt erforderlich. Nur dann, wenn sich der Konzernvorstand darüber bewußt ist, daß er eine Veranlassung erteilt hat, kann von einer eingeschränkten Schutzbedürftigkeit im Sinne der Wissensnormen ausgegangen werden. Nur dann ist der Konzernvorstand auch verpflichtet, sämtliche für die Veranlassung erheblichen Informationen mit in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen und an den Tochtervorstand weiterzuleiten.
c) Verschwiegenheitspflicht Einer Informationspflicht bzw. daraus folgend einer Wissenszurechnung könnte jedoch im Einzelfall die Verschwiegenheitspflicht des Konzernvorstands entgegenstehen. Zu fragen ist daher, in welchem Umfang der Konzernvorstand berechtigt ist, Informationen an eine abhängige Gesellschaft weiterzuleiten. Grundsätzlich ist der (Konzern-) Vorstand gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG verpflichtet, über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu bewahren. Darunter fallen sämtliche Tatsachen und Sachverhalte, an deren Geheimhaltung das Unternehmen ein objektives Interesse hat 227 . Diesem objektiven Interesse der Gesellschaft an Vertraulichkeit und Geheimhaltung steht aber vielfach ein anderes objektives Interesse der Gesellschaft gegenüber. Der Vorstand ist zugleich dem unternehmerischen Interesse der Gesellschaft verpflichtet, § 76 AktG. U m diesem Interesse gerecht zu werden, ist es oftmals geboten Informationen preiszugeben. Sei es einem Geschäftspartner gegenüber, um auf bestimmten Märkten ein gemeinschaftliches Vorgehen zu koordinieren, oder sei es, um einer abhängigen Gesellschaft zusätzliche Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, von denen die Gesellschaft ebenfalls profitieren könnte 228 . Dem Vorstand obliegt daher die Pflicht zwischen diesen einander widersprechenden Interesssen der Gesellschaft abzuwägen. Er muß entscheiden, ob im Einzelfall
226
Siehe oben § 3 E. III.
227
Eingehend dazu Lutter, Information und Vertraulichkeit, S. 37 f.; v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht, S. 121 ff, 148 ff; vgl. im übrigen Hüjfer, AktG, § 93 Rn. 6 ff.; Mertens in KölnKomm. AktG, § 93 Rn. 6 ff. 228
Vgl. Lutter, ZIP 1997, 613, 617.
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das Interesse an der Geheimhaltung von Informationen oder die sich aus der Preisgabe erhofften Vorteile überwiegen 229 . Aufgrund dieser Interessenabwägung ist es dem Konzernvorstand möglich, Informationen an die abhängige Gesellschaft weiterzugeben, wenn die sich daraus möglicherweise ergebenden Vorteile stärker wiegen als das Interesse an der Geheimhaltung. Bei den für die Anwendung der Wissensnormen rechtserheblichen Informationen dürfte es sich aber nur selten um Informationen handeln, bei denen das Geheimhaltungsinteresses überwiegt. Soweit es um die Ingangsetzung von Fristen geht, handelt es sich um einmalige (vergängliche) Informationen. Ebenso liegt es in den Fällen der Verschlechterung der Rechtsstellung. Etwas anderes könnte sich unter Umständen für die Informationen ergeben, die für die Anwendung der Fallgruppe Wissen und Arglist relevant sind, insbesondere wenn es um die Verletzung von Aufklärungspflichten geht. So wäre es denkbar, daß der Muttergesellschaft Informationen zur Verfügung stehen, die, wären sie der Tochtergesellschaft bekannt, eine Aufklärungspflicht begründen würden. Beispiel: Der Muttergesellschaft ist aufgrund eigener Forschung die Mangelhaftigkeit oder gar Gefährlichkeit eines von der Tochter verwendeten bzw. vertriebenen Stoffes bekannt. Diese Kenntnis würde bei der Tochtergesellschaft eine Aufklärungspflicht oder eine Rückrufaktion begründen. Das Interesse an der Geheimhaltung solcher Forschungsergebnisse könnte jedoch im Einzelfall überwiegen. Diese Überlegungen bzw. diese Abwägung hat der Konzernvorstand jedoch schon im Vorfeld der Veranlassungen anzustellen. Hat er sich für die Ausübung seiner Einflußnahmemöglichkeiten entschieden, so kann er die Weiterleitung von zur Beurteilung erforderlichen Informationen an den Tochtervorstand nicht mehr unter Hinweis auf seine Veschwiegenheitspflicht ablehnen230. Insgesamt ist daher festzustellen, daß die im Einzelfall bestehende Verschwiegenheitspflicht des Konzernvorstands einer Informationspflicht bzw. einer Wissenszurechnung nicht entgegen steht.
229
Vgl. dazu Hefermehl in Geßler/Hefermehl, AktG, § 76 Rn. 19 ff. und § 93 Rn. 21; Hüffer, AktG, § 76 Rn. 10 ff. und § 93 Rn. 8; Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 16 ff und § 93 Rn. 82; Wiesner in MünchHdb. AG, § 25 Rn. 28. 230
Ähnliches gilt im übrigen auch dann, wenn der Vorstand eine Geschäftsführungsangelegenheit der Hauptversammlung zur Entscheidung vorlegt. Er ist dann ebenfalls nicht mehr berechtigt, zur Beurteilung erforderliche Informationen unter Hinweis auf seine Verschwiegenheitspflicht zu verweigern, vgl. OLG München, WM 1996, 1462.
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§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
IV. Umfang der Wissenszurechnung Für den Umfang der Wissenszurechung im Fall der Veranlassung durch den Konzernvorstand gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Zurechnung im Vertragskonzern 231. Demnach richtet sich der Umfang der Wissenszurechnung nach dem Inhalt der Veranlassung und seiner im Sinne der Wissensnormen erheblichen Auswirkungen auf das operative Geschäft der Tochtergesellschaft, wobei er durch das Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation beschränkt ist.
V. Rechtsfolgen Sollte der abhängigen Gesellschaft durch die Nichtgewährung des gesetzlichen Schutzes der Wissensnormen ein Schaden entstehen, so bedarf es eines Ausgleichs durch die herrschende Gesellschaft bzw. deren Vorstand. Es bedarf einer Risikoverlagerung um zu verhindern, daß der Tochtergesellschaft, deren Eigeninteresse durch die Abhängigkeit nicht beeinträchtigt werden soll, aufgrund einer Pflichtverletzung des Konzernvorstands ein Schaden entsteht. Gemäß §§311, 317 AktG haften das herrschende Unternehmen sowie dessen gesetzliche Vertreter (§317 Abs. 3 AktG) der abhängigen Gesellschaft für Schäden, die sich aus der Veranlassung einer nachteiligen Maßnahme ergeben. Ein Nachteil liegt aber nicht schon bei jeder Verschlechterung der Vermögensoder Ertragslage vor 2 3 2 . Vielmehr liegt nach heute ganz überwiegender Ansicht ein Nachteil nur dann vor, wenn dem Konzernvorstand zugleich eine Pflichtverletzung vorzuwerfen ist 233 . Entscheidend ist, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft sich ebenso verhalten hätte. Aber auch wenn der Nachteil nicht an einen Sorgfaltspflichtmaßstab
231
Siehe oben § 3 C. IV.
232 So aber Baumbach/Hueck, AktG, § 311 Rn. 8; Godin/Wilhelmi, AktG, § 311 Anm. 3; Kellmann, ZGR 1974, 220, 222 ff.; ders, BB 1969, 1509, 1512 ff; Müller, ZGR 1977, 1, 14 Fn. 31. 233 Vgl. Bachelin, Der konzemrechtliche Minderheitenschutz, S. 47; Emmerich/ Sonnenschein, Konzemrecht, S. 380; Hommelhoff,\ Konzernleitungspflicht, S. 118 f.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 22; ders., ZGR 1973, 1, 9 f.; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 65; Kropff in Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 28 und 108 f.; Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 233 ff.
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gekoppelt wäre, würde ein Schadensersatzanspruch an § 317 Abs. 2 AktG scheitern 234. Voraussetzung für die Risikoverlagerung bzw. den Schadsensersatzanspruch ist daher, daß dem Konzernvorstand ein Pflichtverstoß vorzuwerfen ist. Pflichtverstoß ist hier die Verletzung der Informationspflicht. Der Pflichtverstoß muß sich nicht auf das Rechtsgeschäft oder die Maßnahme beziehen, zu der der Tochtervorstand veranlaßt wurde, wobei aber zumeist auch diese Maßnahme einen Pflichtverstoß darstellen dürfte. Beispiel: Der Konzernvorstand veranlaßt den Tochtervorstand bei dem Lieferanten der Obergesellschaft ein bestimmtes Produkt einzukaufen, obwohl er den Mangel dieses Produktes kannte. Eine solche Maßnahme stellt zugleich einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters dar, da die Tochtergesellschaft durch die Zurechnung ihren Schutz durch die Gewährleistungsrechte verliert. Unerheblich ist, wenn die Verletzung der Informationspflicht zeitlich erst nach der Erteilung der Veranlassung erfolgt ist. Der Konzernvorstand hätte schon im Zeitpunkt der Veranlassungserteilung für eine ordungsgemäße Konzernorganisation sorgen müssen, so daß ein ausreichender Informationsfluß gewährleistet gewesen wäre. Auch diese Pflicht fällt als Nebenverpflichtung der Veranlassimg unter die Vorschriften der §§311,317 AktG. Ist eine Pflichtverletzung zu bejahen, so hat das herrschende Unternehmen zusammen mit dem Konzernvorstand gemäß §§311, 317 AktG den Schaden der abhängigen Gesellschaft zu ersetzen. Im Verhältnis zur eigenen Gesellschaft hat der Konzernvorstand ebenfalls seine Sorgfaltspflicht im Sinne des § 93 Abs. 1 AktG verletzt, so daß der Konzernvorstand letztlich das Risiko bzw. den entstandenen Schaden wertungsgerecht zu tragen hat.
VI. Beweisfragen Wie schon im Fall des Weisungsbeschlusses der Gesellschafterversammlung in der GmbH liegt auch im faktischen AG-Konzern die Hauptschwierigkeit der Wissenszurechnung in der Beweisbarkeit ihrer Voraussetzungen 235.
234
Aus dieser Vorschrift läßt sich entgegen der Mindermeinung nicht schließen, daß der Nachteil nicht an die Pflichtverletzung geknüpft ist. § 317 Abs. 2 AktG ist vielmehr als eine Beweislastregelung zu interpretieren. Eine Nachteilszufügung auch ohne Pflichtverletzung, für die nach § 317 Abs. 2 AktG ohnehin nicht gehaftet würde, würde dazu fuhren, daß die Vorschrift des § 311 AktG insoweit sinnlos wäre. Ausführlich dazu Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 22 m.w.N. 235
Vgl. oben § 2 D. V. 3. b) jj).
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So ist es für den außenstehenden Dritten schon schwierig genug allein das Vorliegen der rechtserheblichen Kenntnisse zu beweisen. Diese Schwierigkeit erhöht sich bei der Zurechnung im faktischen Konzern noch dadurch, daß nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen der Dritte auch das Vorliegen der entsprechenden Veranlassung darzulegen und zu beweisen hätte. Eine solche Beweisfuhrung dürfte für den außenstehenden Dritten aber regelmäßig unmöglich sein. Ein Insolvenzverwalter kann ζ. B. im Anfechtungsfall gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO eventuell noch die Kenntnis der herrschenden Gesellschaft von der Zahlungsunfähigkeit nachweisen. Es dürfte ihm aber nur schwerlich gelingen, die Veranlassung zum Abschluß des entsprechenden Rechtsgeschäfts durch den Konzernvorstand nachzuweisen. Weitere Schwierigkeiten entstehen dadurch, daß sich der Umfang der Wissenszurechnung nach dem Umfang der Auswirkungen der Veranlassung auf das operative Geschäft bestimmt. Wie aber soll der außenstehende Dritte nachweisen, welchen tatsächlichen Inhalt die Veranlassung hatte? Desweiteren ist es für den Dritten kaum nachweisbar, wenn der Konzernvorstand tatsächlich seiner Informationspflicht nachgekommen ist und dem Tochtervorstand seine rechtserheblichen Kenntnisse mitgeteilt hat; der Tochtervorstand also selbst wissend ist. Denn ob eine Information über Telefon, EDV, Gespräche, informell über Doppelmandatsträger oder im Schriftverkehr weitergeleitet wird, ist grundsätzlich nicht vorgeschrieben 236.
1. Beweiserleichterungen im Bereich der Haftung (§§ 311,317 AktG) Im Bereich der Ansprüche gemäß der §§311, 317 AktG entspricht es ganz überwiegender Meinung, daß die Beweislage der abhängigen Gesellschaft, vor allem aber der Gläubiger und der Minderheitsaktionäre verbessert werden muß 237 . Umstritten ist allerdings, unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen eine Erleichterung der Beweislage zu erfolgen hat.
236
Vgl. Holtmann, Personelle Verflechtungen, S. 189 ff.; Streyl, Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 122. Allgemein zu den verschiedenen Verkehrswegen im Konzern siehe Krähe! Hardback, Konzernorganisation, S. 63 ff. 237 Vgl. Bachelin, Der konzemrechtliche Minderheitenschutz, S. 63 ff.; Emmerich! Sonnenschein, Konzemrecht, S. 378 f.; Hüffer, AktG, § 311 Rn. 20; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 6 f.; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 63; Kronstein, BB 1967, 637, 640; Kropjf 'm Geßler/Hefermehl, AktG, §311 Rn. 97; Würdinger in GroßKomm. AktG 3 , § 317 Anm. 9; zur rechtspolitischen Beurteilung siehe K. Schmidt, ZGR 1981, 455, 464. A.A. aber Haesen, Der Abhängigkeitsbericht im faktischen Konzern, S. 90 f.; Säcker, ZHR 151 (1987), 59, 62 f.
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Teilweise wird die Ansicht vertreten, daß schon alleine die Konzernverbundenheit (§18 AktG) die Vermutung begründe, sämtliche Maßnahmen seien vom Konzernvorstand veranlaßt worden 238 . Das Bestehen einer so weitgehenden Vermutungsregel ist jedoch abzulehnen. Gegen eine generelle Veranlassungsvermutung sprechen schon die Probleme, die ein Negativbeweis mit sich bringt 239 . Dagegen spricht ebenfalls, daß von der Berichtspflicht gemäß § 312 Abs. 1 S. 2 AktG nur bestimmte Rechtsgeschäfte und Maßnahmen erfaßt sind 240 . Auch aus § 18 Abs. 1 S. 3 AktG läßt sich keine umfassende Veranlassungsvermutung herleiten 241 . Denn wie schon oben mehrfach erwähnt, ist der Begriff der einheitlichen Leitung sehr weit auszulegen. Zur Begründung einer einheitlichen Leitung bedarf es keiner umfassenden Veranlassungen, ausreichend ist schon eine einheitliche Finanzplanung242. Daher geht die überwiegende Ansicht zu Recht davon aus, daß eine Veranlassungsvermutung erst dann begründet sei, wenn die abhängige Gesellschaft bei Bestehen eines faktischen Konzerns im Sinne des § 18 AktG zu ihrem Nachteil gehandelt habe 243 . Nicht erforderlich sei es, daß auf Seiten der Obergesellschaft durch die Maßnahme auch ein Vorteil entstanden sei 244 .
238
Für eine umfassende Veranlassungsvermutung Bacheliti , Der konzernrechtliche Minderheitenschutz, S. 63 ff; Kronstein, BB 1967, 637, 640; ähnlich wohl auch Emmerich! Sonnenschein, Konzernrecht, S. 378 f.; Würdinger in GroßKomm. AktG3, §317 Anm. 9. 239
Vgl. auch Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 7.
240
So Haesen, Der Abhängigkeitsbericht im faktischen Konzern, S. 90 f.
241
Vgl. Hüffer,
AktG, § 311 Rn. 21; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311
Rn. 7. 242
Vgl. nur Hüffer, AktG, § 18 Rn. 9 m.w.N.
243 So Cahn, Kapitalerhaltung im Konzern, S. 67 f.; Hüffer, AktG, § 311 Rn. 21; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 6; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 63; Kropff in Geßler/Hefermehl, AktG, §311 Rn. 97. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 6 spricht diesbezüglich allerdings von einem Anscheinsbeweis. Für die Begründung eines Anscheinsbeweises fehlt es jedoch an hinlänglich gesicherten Erfahrungen, so auch Hüffer, AktG, § 311 Rn. 21. 244
A.A. aber Kropff in Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 97, der einen solchen Vorteil der Obergesellschaft für die Begründung der Veranlassungsvermutung für erforderlich hält. 13 Schüler
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Für das Erfordernis einer solchen Veranlassungsvermutung 245 als Form der Beweiserleichterung spricht schon das Prinzip der Tatsachennähe246. Zu berücksichtigen ist, daß für die Verfolgung von Haftungsansprüchen der abhängigen Gesellschaft gegen die Obergesellschaft regelmäßig nicht deren Organe mit der dafür erforderlichen Sachkunde in Betracht kommen, sondern lediglich Minderheitsaktionäre und Gläubiger (vgl. § 317 Abs. 4 i.V.m. § 309 Abs. 4 AktG). Um diesen Gruppen eine Anspruchsverfolgung zu erleichtern, hat der Gesetzgeber die Erstellung eines Abhängigkeitsberichts (§312 AktG) und dessen Prüfung durch den Abschlußprüfer (§313 AktG) vorgeschrieben 247. Unabhängig von den Zweifeln an der Aussagefähigkeit des Berichts 248 ist festzustellen, daß die betroffenen Minderheitsaktionäre und Gläubiger aber keinen Einblick in diesen Bericht erhalten. Ohne eine Beweiserleichterung würde daher die Verfolgung von Ansprüchen gegen die Obergesellschaft und damit der durch die §§311 ff. AktG bezweckte Schutz der abhängigen Gesellschaft ins Leere laufen 249 . Schon der Nachweis eines Nachteils, welcher auf eine konkrete Geschäftsführungsmaßnahme zurückgehen muß, dürfte den außenstehenden Minderheitsaktionären und Gläubigern schwer genug fallen. Die Veranlassungsvermutung kann daher nicht noch davon abhängig gemacht werden, daß bei der Obergesellschaft durch die nachteilige Maßnahme ein Vorteil entstanden ist. Ein solcher Zusammenhang wäre für die Außenstehenden nicht nachzuweisen. Die Veranlassungsvermutung führt auch nicht, wie von Säcker 250 eingewandt, zu einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Haftungseinheit. Vielmehr führt die Veranlassungsvermutung nur zu einer gerechten Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Eine mit der Veranlassungsvermutung einhergehende Beweiserleichterung ist im Recht der Kapitalgesellschaften für die Verfolgung von Ansprüchen von Gesellschaftern in Form der Beweislastumkehr weitgehend anerkannt, vgl. §§ 93 Abs. 2 S. 2, 117 Abs. 2 S. 2 AktG; § 34 Abs.
245 Die Verwendung tatsächlicher Vermutungen wird allerdings in der zivilprozeßrechtlichen Literatur vielfach kritisiert, vgl. Greger in Zöller, ZPO, Vor § 284 Rn. 33; Prütting in MüKo, ZPO, § 292 Rn. 22 f., jeweils m.w.N. Letztlich kann diesem Instrument der Beweiserleichterung aber die Berechtigung nicht abgesprochen werden, so auch Prütting in MüKo, ZPO, § 292 Rn. 23. 246
Vgl. dazu Greger in Zöller, ZPO, Vor § 284 Rn. 34.
247
Siehe Reg.Begr. in Kropff
248
Siehe dazu Geßler, FS Flume II, S. 55, 57.
S. 410.
249 Vgl. Hüffer, AktG, § 311 Rn. 21; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 6; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 63. 250
Säcken ZHR 151 (1987), 59, 62 f.; auch Haesen, Der Abhängigkeitsbericht im faktischen Konzern, S. 90 f., lehnt eine Veranlassungsvermutung generell ab.
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2 S. 2 GenG. Die Beweislastumkehr gilt auch fur die Verfolgung von Ansprüchen der abhängigen Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen hinsichtlich der Pflichtverletzung, vgl. §§ 309 Abs. 2 S. 2 , 317 Abs. 2, 323 Abs. 1 S. 2 AktG. Für die Durchsetzung dieser Ansprüche bedarf es darüberhinaus der Veranlassungsvermutung, die bei faktischer Konzernverbundenheit an das Vorliegen nachteiliger Maßnahmen anzuknüpfen ist.
2. Beweiserleichterungen bei der Wissenszurechnung Auch für die Wissenszurechnung gilt, daß es einer Beweiserleichterung für den außenstehenden Dritten bedarf, wenn die Zurechnung nicht ins Leere laufen soll. Bei der Wissenszurechnung stellt sich jedoch die Frage, ob die Nachteiligkeit der Maßnahme ein sinnvolles Kriterium für die Begründung einer Beweiserleichterung sein kann. Soweit der abhängigen Gesellschaft durch eine Maßnahme tatsächlich ein Nachteil entstanden ist, kann daran auch im Bereich der Wissenszurechnung eine Veranlassungsvermutung geknüpft werden. Anders aber als im Fall der §§311, 317 AktG geht es bei der Wissenszurechnung gerade nicht um eine Haftung für nachteilige Veranlassungen. Die Wissenszurechnung muß nicht einmal unbedingt zu einem Vermögensnachteil bei der abhängigen Gesellschaft führen. Zudem ist es oftmals gerade erst die Wissenszurechnung, um deren Darlegung und Beweisbarkeit es hier geht, die den Nachteil, zumeist in Form der Veschlechterung der Rechtsstellung, begründet. Die Nachteiligkeit stellt demnach kein geeignetes Kriterium für die Begründung einer Beweiserleichterung dar. Ohne eine geeignete Beweiserleichterung würde jedoch der außenstehende Dritte ungerechtfertigter Weise das durch die Wissensnormen verteilte Risiko tragen müssen. Gerade der außenstehende Dritte hat grundsätzlich keinen Einblick in die inneren Angelegenheiten des Konzerns. Es bedarf daher eines weiteren Kriteriums für die Begründung der Beweiserleichterung. Anzuknüpfen ist an das Ausmaß der üblichen Einflußnahme. Hängt die anzuwenden Wissensnorm mit einem rechtsgeschäftlichen Bereich zusammen, in dem eine regelmäßige Einflußnahme durch den Konzernvorstand stattfindet, so spricht eine Konzernvermutung dafür, daß auch das in Frage stehende Rechtsgeschäft bzw. die Maßnahme veranlaßt worden ist. Der Dritte muß folglich nur darlegen und beweisen, daß der Konzernvorstand üblicherweise entsprechenden Einfluß ausübt. Regelmäßig wird dem Dritten aber auch ein solcher Beweis nicht gelingen, da er die Konzerninterna nicht kennt bzw. gar nicht kennen kann. Daher muß es als ausreichend erachtet werden, wenn er gewisse Anhaltspunkte vorträgt, die eine entsprechende Einflußnahme vermuten las1
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sen 251 . Welche Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden müssen, läßt sich allerdings nicht allgemein bestimmen. Vielmehr bedarf es einer Betrachtung des Einzelfalls 252 . Ausreichend zur Begründung der Veranlassungsvermutung wäre es beispielsweise, wenn sich der Dritte auf Äußerungen der Konzernunternehmen beruft, woraus hervorgeht, daß die Tochtergesellschaft unter der Leitung der Konzernspitze stehe. Trägt er solche Anhaltspunkte vor, muß dann die abhängige Gesellschaft den Nachweis führen, daß in dem entscheidenen Fall gerade keine Veranlassung vorlag. Möglich ist auch, daß die abhängige Gesellschaft den Beweis dafür erbringt, daß grundsätzlich in dem entsprechenden Bereich kein Einfluß auf die eigene Geschäftsführung ausgeübt wird bzw. noch weitergehend, daß gar keine konzernrechtliche Verbundenheit besteht. Problematisch könnte in diesem Zusammenhang sein, daß der abhängigen Gesellschaft Nachteile alleine dadurch entstehen könnten, daß sie die gegen sie sprechende Vermutung nicht entkräften kann, obwohl tatsächlich keine Veranlassung vorlag. Ohne eine tatsächliche Veranlassung wäre die herrschende Gesellschaft aber nicht verpflichtet, den sich daraus ergebenden Schaden zu tragen. Gemäß § 312 Abs. 1 S. 2, 3. Alt. AktG ist der Tochtervorstand jedoch verpflichtet, sämtliche Rechtsgeschäfte in einem Abhängigkeitsbericht aufzuführen, die auf einer Veranlassung des Konzernvorstands beruhen. Bei ordnungsgemäßer Führung des Abhängigkeitsberichts dürfte der Tochtervorstand daher in der Lage sein, den Nachweis der fehlenden Veranlassung zu erbringen. Festzustellen ist somit, daß der betroffene Dritte gewisse Anhaltspunkte vortragen muß, die auf eine regelmäßige Einflußnahme schließen lassen. Trägt er solche Anhaltspunkte vor, so ist eine Veranlassung in dem konkreten Fall zu vermuten. Die einfache Abhängigkeit im Sinne des § 17 AktG reicht zur Begründung der Veranlassungsvermutung nicht aus; allerdings greift die Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG.
VII. Personelle Verflechtungen Eine besondere Rolle im faktischen AG-Konzern spielen die personellen Verflechtungen, da die Einflußnahme vielfach über solche personellen Ver-
251
Vgl. dazu Drygala, GmbHR 1993, 317, 327 f.; Lutter/Hommelhoff GmbHG, Anh. § 13 Rn. 27 zur Beweiserleichterung bei der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern. 252
Zur Frage der Auswirkungen personeller Verflechtungen siehe unten § 3 E. VII.
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flechtungen ausgeübt wird. Von besonderem Interesse sind dabei die sogenannten Vorstands-Doppelmandate 253. So stellt sich zum einen die Frage, ob nicht schon durch das Bestehen eines Vorstands-Doppelmandates eine Veranlassungsvermutung begründet sein könnte. Darüberhinaus ist fraglich, ob nicht ein solches VorstandsDoppelmandat sogar unabhängig von dem Vorliegen einer Veranlassung im Sinne des § 311 AktG zu einer umfassenden Wissenszurechnung fuhren könnte. Denn soweit der Doppelmandatsträger als Vorstandsmitglied der herrschenden Gesellschaft Kenntnisse erlangt bzw. bei ordnungsgemäßer Organisation erlangen müßte, würden diese Kenntnisse auch der abhängigen Gesellschaft in seiner Funktion als deren Organmitglied zugerechnet. Zur Klärung dieser Frage gilt es zwischen den verschiedenen Organisationsformen personeller Verflechtung zu unterscheiden. Eine vollständige Erfassung der verschiedenen Organisationsformen kann allerdings an dieser Stelle nicht geleistet werden 254 . Die für die Wissenszurechnung relevanten Aspekte sollen aber anhand der wichtigsten Organisationsformen verdeutlicht werden.
1. Vorstands-Doppelmandate von „unten nach oben" Eine besonders verbreitete Form der personellen Verflechtung sind die soganannten Doppelmandate von „unten nach oben". Von einem Doppelmandat von „unten nach oben" wird gesprochen, wenn Vorstandsmitglieder der wichtigsten Tochtergesellschaften, in der Regel die Vorstandsvorsitzenden, im Vorstand der Obergesellschaft ein für ihre Gesellschaft eingerichtetes Geschäftsbereichsressort vertreten 255. Regelmäßig wird diese Form der personellen Verflechtung in divisional gegliederten Konzernen 256 , insbesondere in Holding-
253
Ausführlich zu den Vorstands-Doppelmandaten und den damit verbundenen rechtlichen Problemen siehe Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzem, passim; Hoffmann-Becking , ZHR 150 (1986), 570 ff.; Semler, FS Stiefel, S. 719 ff.; Streyl, Zur konzemrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, passim. 254
Zu den verschiedenen Formen konzernrechtlicher Organisation siehe Scheffler, Konzernmanagement, passim; Theisen, Der Konzern, passim. 255
Ausführlich Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzem, S. 64 ff, 219; Holtmann, Personelle Verflechtungen, S. 138; Streyl, Zur konzemrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 118 ff. m.w.N. 256
Zur Dominanz von Doppelmandaten in divisionalisierten Kozernen siehe Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzem, S. 69; Holtmann, Personelle Verflechtungen, S. 138.
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§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
konzernen eingesetzt257. Aber auch soweit es sich um einen funktional gegliederten Konzern handelt, kann die Tochtergesellschaft von der funktionalen Linienorganisation ausgenommen sein und der Doppelmandatsträger ein dem Geschäftsbereich der Tochter entsprechendes Ressort wahrnehmen 258. Gemeinsam ist den Doppelmandaten von „unten nach oben" jedoch, daß sie zumeist Ausdruck einer dezentralen Führungsstruktur sind 259 . In der Konzernspitze werden nur die wesentlichen Führungsaufgaben in Form von Strategieentscheidungen wahrgenommen, während das operative Geschäft mit den dafür erforderlichen kurz- und mittelfristigen Strategieentscheidungen den Tochtergesellschaften in eigenverantwortlicher Leitung obliegt 260 .
a) Führungs-Holding Soweit die Konzernobergesellschaft kein eigenes operatives Geschäft betreibt, sondern als „Führungs-Holding" 261 nur mit der strategischen Steuerung und der Konzernkoordination betraut ist, erlangt der Doppelmandatsträger in seiner Funktion als Mitglied des Konzernvorstands keine weiteren, im Sinne der Wissensnormen erheblichen Informationen. Dem Konzernvorstand werden die in anderen Konzernunternehmen anfallenden Kenntnisse nicht zugerechnet, da er auf die operative Geschäftsführung keinen Einfluß nimmt. Soweit der Doppelmandatsträger im Rahmen seiner Tätigkeit tatsächlich doch Kenntnisse erlangen sollte, die für die Geschäftsführung seiner Tochtergesellschaft von Bedeutung sind, werden diese Kenntnisse der Tochter auch zugerechnet. Es handelt sich dann jedoch nicht um eine konzernspezifische Zurechnung, sondern um eine einfache Zurechnimg des Wissens von Organmitgliedern innerhalb einer juristischen Person.
257
Zur Bedeutung der Doppelmandate bei Holdingkonzernen siehe Holtmann, Personelle Verflechtungen, S. 92, 95. 258
So beispielsweise im Fall VW, wo die Audi AG nicht in die funktionale Organisation der Obergesellschaft eingebunden ist und durch ihren früheren Vorstandsvorsitzenden Habbel im Vorstand von VW vertreten war, vgl. Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, S. 67 mit entsprechenden Nachweisen. 259
Ausführlich Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, S. 71 ff; Scheffler, FS Goerdeler, S. 469, 482 f.; Streyl, Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 120 f. m.w.N. 260
Vgl. dazu auch Hommelhoffl,
261
Vgl. dazu ausführlich Lutter in Lutter (Hrsg.), Holding Handbuch, Rn. A 16
m.w.N.
Konzernleitungspflicht, S. 141 ff. m.w.N.
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b) Stammhauskonzern Etwas anderes könnte sich dann ergeben, wenn die Konzernobergesellschaft neben der Konzernleitung noch ein eigenes operatives Geschäft betreibt, sogenannter Stammhauskonzern 262. Im Stammhauskonzern nimmt der Konzernvorstand alle Funktionen, einschließlich des operativen Geschäfts für das Stammhausunternehmen selbst wahr 263 . Fraglich ist daher, ob der Doppelmandatsträger nicht als Mitglied des Konzernvorstands hinsichtlich sämtlicher Kenntnisse als wissend anzusehen ist, die dem Konzernvorstand als Geschäftsführungsorgan des Stammhauses zuzurechnen sind. Der Doppelmandatsträger („von unten nach oben") ist aber im Vorstand der Obergesellschaft regelmäßig nur für sein, dem Geschäftsbereich seiner Tochtergesellschaft entsprechenden Ressort zuständig 264 . Er ist daher in der Regel nicht mit in die Entscheidungen betreffend das operative Geschäft des Stammhauses eingebunden. Es gilt zwar der Grundsatz der Gesamtverantwortung 265 im Vorstand, doch kann daraus keine Verpflichtung hergeleitet werden, daß sich jedes Vorstandsmitglied um sämtliche Bereiche des operativen Geschäfts kümmern und sich umfassend informieren müßte. Der Doppelmandatsträger entscheidet lediglich hinsichtlich der eigentlichen strategischen Konzernführungsaufgaben mit. Dementsprechend erlangt er, wie schon im Fall der Führungs-Holding, regelmäßig keine für die operativen Geschäfte seiner Tochtergesellschaft erheblichen Informationen.
c) Konsequenzen Festzustellen ist daher, daß die Doppelmandatschaft von „unten nach oben" nicht zu einer von dem Vorliegen einer Veranlassung im Sinne des § 311 AktG unabhängigen Wissenszurechnung fuhrt. Der Doppelmandatsträger ist allerdings dann als wissend anzusehen, wenn er tatsächlich Kenntnis von Umständen erlangt hat, die im Rahmen der Geschäftsführung der von ihm geführten Tochtergesellschaft von Bedeutung sein könnten. Er ist aber nicht verpflichtet, sich die möglicherweise erheblichen Kenntnisse der Konzernobergesellschaft
262
Siehe dazu ausführlich Lutter in Lutter (Hrsg.), Holding Handbuch, Rn. A 15
m.w.N. 263
Vgl. nur Scheffler,
Konzernmangement, S. 51.
264
Vgl. Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzem, S. 75. Zur möglichen Struktur aus betriebswirtschaftlicher Sicht siehe Theopold in Hoffmann (Hrsg.), Konzemhandbuch, S. 167 ff. 265
Zu den sich daraus ergebenden rechtlichen Problemen siehe Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzem, S. 205 ff.
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oder sogar noch weitergehend, die Kenntnisse anderer konzernverbundener Gesellschaften zu verschaffen. Festzustellen ist auch, daß von dem Bestehen einer solchen personellen Verflechtung nicht auf eine Veranlassung durch den Konzernvorstand geschlossen werden kann 266 . Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich der Doppelmandatsträger bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben in der abhängigen Gesellschaft nur von den Konzerninteressen leiten läßt. Vielmehr nehmen die Doppelmandatsträger oftmals nur umgekehrt im Konzernvorstand die Interessen „ihrer" Gesellschaft wahr und versuchen für diese eine möglichst günstige Ressourcenverteilung zu erzielen 267 . Es müssen demnach noch weitere Anhaltspunkte dazu kommen, die eine Veranlassungsvermutung rechtfertigen 268.
2. Vorstands-Doppelmandate von „oben nach unten" Etwas anderes könnte sich aber für die sogenannten Doppelmandate von „oben nach unten" ergeben. Von einem Doppelmandat von „oben nach unten" wird gesprochen, wenn ein Vorstandsmitglied der Obergesellschaft in die Tochter entsandt wird und dort für die selben Bereiche oder Sparten zuständig ist, wie in der Obergesellschaft 269. So zum Beispiel, wenn das zuständige Vorstandsmitglied für den Bereich Einkauf auch in der Tochtergesellschaft zum zuständigen Vorstandsmitglied für diesen Bereich benannt wird. Eine solche Konstellation setzt voraus, daß in der Obergesellschaft ein entsprechendes operatives Geschäft betrieben wird oder das weitere Tochtergesellschaften mit entsprechenden Bereichen vorhanden sind. Die Doppelmandate von „oben nach unten" lassen sich weniger einer bestimmten Konzernorganisation zuordnen, als vielmehr bestimmten Unternehmenssituationen 270. Die Unternehmens-
266 Im Ergebnis auch Cahn, Kapitalerhaltung im Konzern, S. 68 ff, 75; Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzem, S 80; Hoffmann-Becking , ZHR 150 (1986), 570, 578; Streyl, Zur konzemrechtlichen Problematik von VorstandsDoppelmandaten, S. 128. 267
Mit Nachweisen dazu siehe Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzem, S. 76 f., der in diesem Zusammenhang den Begriff der „Stammesherzöge" zitiert. 268
Vgl. dazu oben § 3 Ε. VI.
269
Ausführlich Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzem, S. 80 ff, 220; Holtmann, Personelle Verflechtungen, S. 102 ff; Streyl, Zur konzemrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 129 ff. m.w.N. 270
Vgl. Streyl, Zur konzemrechtlichen Problematik von VorstandsDoppelmandaten, S. 129 f. m.w.N. und einer Beschreibung der Fallgruppen: Sanie-
. Wissenszurechnung im faktischen
G-Konzern
201
Situationen zeichnen sich alle dadurch aus, daß sie nur vorübergehender Natur sind und das sie einen hohen Grad an Zentralisation bewirken. Als für einen Bereich bzw. Sparte zuständiges Vorstandsmitglied verfügt der Doppelmandatsträger über sämtliche Kenntnisse der Ober- und Untergesellschaft bzw. anderer Untergesellschaften in diesem Bereich. Dementsprechend werden diese Kenntnisse den Gesellschaften, auch der Obergesellschaft, über seine Funktion als Organmitglied im Wege der wertenden Betrachtung zugerechnet. Die Stellung als Doppelmandatsträger von „oben nach unten" bewirkt folglich eine umfassende Wissenszurechnung innerhalb seines Bereiches zwischen den verbundenen Gesellschaften. Der Doppelmandatsträger ist verpflichtet, eine Kommunikationsstruktur aufzubauen, die einen Informationsfluß zwischen den Gesellschaften gewährleistet, der den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsführung genügt 271 . Beispiel 272 : Die Obergesellschaft muß sich die Kenntnis eines Abteilungsleiters in München von der erloschenen Vertretungsbefugnis des Vertreters der Firma X zurechnen lassen, da es sich bei dieser Firma um eine bedeutende Lieferantin der Gesellschaft handelt. Das für diesen Bereich (Einkauf) zuständige Organmitglied der Gesellschaft hat dann für einen entsprechenden Informationsfluß innerhalb der Gesellschaft zu sorgen, so daß auch ein Abteilungsleiter in Hamburg bei Vertragsschluß mit diesem Vertreter der X als wissend anzusehen ist 273 . Handelt es sich bei der Firma X auch um eine bedeutende Lieferantin der Tochtergesellschaft, so hat der betreffende Doppelmandatsträger dafür zu sorgen, daß die Kenntnis der fehlenden Vollmacht ebenfalls innerhalb der Tochtergesellschaft an die entscheidenen Abteilungsleiter weitergeleitet wird. Die Tochtergesellschaft muß sich dementsprechend diese Kenntnis von der fehlenden Vollmacht zurechnen lassen, so daß auch ein Abteilungsleiter der Tochtergesellschaft beim Vertragsschluß mit dem Vertreter der X als wissend anzusehen ist. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, daß diese Wissenszurechnung unabhängig von dem Vorliegen einer Veranlassung im Sinne des § 311 AktG erfolgt, was zu einer erheblich vereinfachten Beweisführung für den außenstehenden Dritten führt. Das Bestehen der entsprechenden personellen Verflechrungsfälle, Neuerwerb von Tochtergesellschaften und Neugründung von Tochtergesellschaften. 271
Ausführlich dazu oben § 2 D. II. 2. d) (2).
272
Fall in Anlehnung an BGH, NJW 1989, 2879 ff.
273
Rechtsfolge der Kenntnis: Die Gesellschaft kann sich beim Vertragsschluß nicht auf die Unkenntnis der erloschenen Vollmacht gemäß § 173 BGB berufen, so daß kein wirksamer Vertrag zwischen der X und der Gesellschaft zustandegekommen ist.
202
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
tung ist ohne Schwierigkeiten durch einen Blick in die Geschäftsberichte der jeweiligen Gesellschaften zu erkennen und nachzuweisen. Darüberhinaus braucht der Dritte nur darlegen, daß die betreffende rechtserhebliche Information bei der Obergesellschaft vorhanden war. Die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Tatsache, daß diese Information bei ordnungsgemäßer Organisation nicht hätte weitergeleitet werden müssen, obliegt der Gesellschaft 274. Das ergibt sich aus den gesetzlichen Beweislastregeln (§§ 93 Abs. 2 S. 2, 309 Abs. 2 S. 2, 317 Abs. 2 2 7 5 , 323 Abs. 1 S. 2 AktG), wonach die Organmitglieder die Beweislast für die Ausübung ordnungsgemäßer Geschäftsführung tragen. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Bestehen einer solchen personellen Verflechtung eine generelle Veranlassungsvermutung begründet 276 .
3. Ergebnis Im Ergebnis fuhrt die personelle Verflechtung im faktischen Konzern demnach dann zu einer umfassenden Wissenszurechnung, wenn das DoppelVorstandsmitglied sowohl in der Ober- als auch in der Untergesellschaft für den selben Bereich der operativen Geschäftsführung zuständig ist. Der Umfang der Zurechnung richtet sich nach dem Umfang der innerhalb einer Gesellschaft stattfindenden Zurechnung. Die Zurechnung ist in der Stellung des Doppelmandatsträgers begründet, so daß es keiner gesonderten Veranlassung bedarf.
Vin. Zusammenfassung Veranlaßt der Konzernvorstand im faktischen AG-Konzern den Tochtervorstand zur Ausführung einer bestimmten Maßnahme, so ist dem abhängigen Unternehmen das in diesem Zusammenhang rechtserhebliche Wissen der herrschenden Gesellschaft zuzurechnen. Das gilt sowohl für die positive Kenntnis als auch für den Fall fahrlässiger Nichtkenntnis. Einer Unterscheidung zwischen den verschiedenen Wissensnormen bedarf es nicht. Für die Bestimmung des Zeitpunkts und des Umfangs der Wissenszurechnung kann auf die Ausführungen zum Vertragskonzern verwiesen werden. Der Umfang richtet sich folg-
274
So auch Mertens in Hachenburg, GmbHG, § 35 Rn. 123.
275
Für § 317 Abs. 2 AktG ist die Beweislastumkehr unstreitig anerkannt, vgl. nur Hüffen AktG, § 317 Rn. 12 m.w.N. 276 In diese Richtung tendierend Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzem, S. 82 ff., 90; eine Veranlassungsvermutung ablehnend Streyl, Zur konzemrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 131 ff., 138, jeweils m.w.N.
F. Wissenszurechnung im faktischen GmbH-Konzern
203
lieh nach den Auswirkungen des Inhalts der Veranlassung auf das operative Geschäft und ist durch das Kriterium der ordnungsgemäßen Geschäftsführung begrenzt. Übt der Konzernvorstand regelmäßig Einfluß auf die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft aus, so besteht eine Veranlassungsvermutung. Mögliche Nachteile, die der Tochtergesellschaft durch die Begründung einer Wissenszurechnung entstehen, müssen von der Obergesellschaft bzw. dem Konzernvorstand gemäß §§311,317 AktG ersetzt werden.
F. Wissenszurechnung im faktischen GmbH-Konzern Im folgenden Abschnitt gilt es schließlich noch zu klären, ob auch im faktischen GmbH-Konzern eine Zurechnung begründet ist, wenn das herrschende Unternehmen auf die Geschäftsführung der abhängigen GmbH Einfluß nimmt.
I. Einflußnahme mittels Gesellschafterbeschlusses Bei der Untersuchung der Wissenszurechnung innerhalb einer GmbH wurde festgestellt, daß sich diese das Wissen ihrer Gesellschafter zurechnen lassen muß, wenn die Gesellschafter mittels eines Gesellschafterbeschlusses den Geschäftsführer zu einer bestimmten Maßnahme angewiesen haben. Das gilt erst recht, wenn es sich bei einem der anweisenden Gesellschafter um ein herrschendes Unternehmen handelt. Für den faktischen GmbH-Konzern kann insofern grundsätzlich auf die bereits oben gemachten Ausführungen verwiesen werden 277 . Etwas anders ergibt sich allerdings für den Umfang des zuzurechnenden Wissens. Grundsätzlich richtet sich der Umfang der vom einem Gesellschafter weiterzuleitenden Informationen nach dem Umfang der in der betreffenden Weisung bereits konkret festgelegten Bestimmungen im Sinne der Wissensnormen 278 . Diese Beschränkung auf bereits im Weisungsbeschluß festgelegte Bestimmungen beruht darauf, daß dem einfachen Gesellschafter keine weitergehenden Sorgfaltspflichten bei der Erteilung von Weisungen obliegen. Insbesondere obliegt ihm nicht die Pflicht, sich über die tatsächliche Ausführung der Maßnahme zu informieren. Dementsprechend hat er auch keine Kenntnis darüber, welche seiner Informationen im Rahmen der Ausführung rechtserheblich sein könnten.
277
Siehe oben § 2 D. V. 3. b).
278
Ausführlich siehe oben § 2 D. V. 3 b) ii).
204
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
Das gilt jedoch nicht für die herrschende Gesellschaft im Konzern. Der Konzernvorstand, der durch Weisungen die Geschäftsführung der GmbH bestimmt und eine einheitliche Leitung ausübt, kann sich insoweit nicht auf das Recht auf Desinteresse berufen. Vielmehr ist er, wie der Konzernvorstand im Vertragskonzern, verpflichtet, sich über die Ausführung und Umsetzung der Weisungen zu informieren, sie zu kontrollieren und gegebenenfalls durch neue Weisungen einzuschreiten. Der herrschenden Gesellschaft stehen dafür zwar anders als dem Konzernvorstand im Vertragskonzern keine besonderen Informationsrechte gegenüber der Geschäftsführung zu, ihr steht aber schon als Gesellschafterin gemäß § 51 a GmbHG ein weitreichendes Informationsrecht zu. Das Informationsrecht gemäß § 51 a GmbHG umfaßt bereits sämtliche für die Geschäftsführung der GmbH erforderlichen Informationen 279 . Die weitergehenden Pflichten des Konzernvorstands beruhen auf der der herrschenden Gesellschaft obliegenden gesteigerten Treuebindung gegenüber den Minderheitsgesellschaftern. Durch die Ausübung der einheitlichen Leitung durch den Konzernvorstand wird eine am Gesellschaftsinteresse mit dem Sorgfaltsmaßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG orientierte Geschäftsführung durch den Geschäftsführer stark beeinträchtigt, da dieser nicht mehr umfassend mit in die eigentlichen Entscheidungsprozesse eingebunden ist. Dadurch wird aber der durch die Vorschrift des § 43 Abs. 1 GmbHG gewährleistete Schutz der übrigen Minderheitsgesellschafter beeinträchtigt, so daß es zum Ausgleich einer gesteigerten Sorgfaltspflicht der herrschenden Gesellschaft bedarf 280 . Diese gesteigerte Treuepflicht umfaßt auch, daß sich die herrschende Gesellschaft umfassend auf die Erteilung von Führungsentscheidungen vorbereitet
279
Vgl. Hüffer in Hachenburg, GmbHG, § 51 a Rn. 21 f.; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 51 a Rn. 6; LutterlHommelhoff, GmbHG, § 51 a Rn. 2, 4 ff.; Lutter, AG 1985, 117 ff.; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, §51 a Rn. 5 ff.; Schmidt in Scholz, GmbHG, §51 a Rn. 19 f.; Tietze, Informationsrechte des GmbHGesellschafters, S. 9 ff.; Wohlleben, Informationsrechte des Gesellschafters, S. 99 ff; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 51 a Rn. 10. 280
Vgl. auch BGH, NJW 1976, 191, 192 insoweit in BGHZ 65, 15 nicht abgedruckt; Emmerich in Scholz, GmbHG, KonzernR Rn. 182 m.w.N.; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, Anh. nach § 52 Rn. 55; Lutterl Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 13; Lutter, ZGR 1981, 171, 175; Schneider, ZGR 1980, 511, 534; ders, in Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 18 f. Erst recht Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter, S. 137 ff, 181.
F. Wissenszurechnung im faktischen GmbH-Konzern
205
und dementsprechend sämtliche verfügbaren Informationen in die Entscheidungsfindung mit einfließen läßt 281 . Für den Alleingesellschafter gelten diese Überlegungen hingegen nach überwiegender Ansicht nicht, da diesem keine Treuepflichten gegenüber Mitgesellschaftern obliegen und eine Treuepflicht gegenüber der GmbH selbst, mangels Eigeninteresse, nur auf die Erhaltung der Existenzfähigkeit beschränkt ist 282 . Soweit aber das Eigeninteresse der Gesellschaft mit dem des Alleingesellschafters identisch ist, ist eine Wissenszurechnung schon aufgrund fehlender Schutzbedürftigkeit der abhängigen GmbH gerechtfertigt. Der Umfang der Wissenszurechnung beschränkt sich demnach für die herrschende Gesellschaft im Konzern nicht auf die bereits im Weisungsbeschluß konkret bestimmten rechtserheblichen Umstände, sondern richtet sich, wie im Vertragskonzern 283, unabhängig von der Bestimmtheit nach dem Inhalt der Weisung und deren Auswirkung auf das operative Geschäft.
I I . Sonstige Einflußnahme Weitergehend ist noch zu fragen, ob eine Zurechnung auch dann begründet ist, wenn die herrschende Gesellschaft ihren Einfluß nicht mittels eines Gesellschafterbeschlusses, sondern direkt gegenüber dem Geschäftsführer geltend macht.
1. Entscheidungsfindung Der Geschäftsführer wird durch eine solche Einflußnahme nicht von seiner unternehmerischen Verantwortung entbunden284. Er ist rechtlich auch nicht
281 Siehe die vorstehenden Nachweise. Ausführlich zu dem damit verbundenen Konsequenzen oben § 3 C. IV. 3. 282
Vgl. nur BGHZ 119, 257, 259 ff.; 122, 333, 336; Lutter! Hommelhoff, GmbHG, § 13 Rn. 22 sowie oben § 2 D. V. 2. b) m.w.N. Soweit man der Gegenansicht (ζ. B. Priester, ZGR 1993, 512 ff.; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter, S. 97 ff. m.w.N.) folgt, gelten für den Alleingesellschafter keine Besonderheiten. 283 284
Siehe oben § 3 C. IV.
Es soll entsprechend dem gesetzlichen Regelfall davon ausgegangen werden, daß der herrschende Gesellschafter nicht durch die Satzung zur Erteilung von bindenden Weisungen ermächtigt ist. Vgl. zur Zulässigkeit solcher Satzungsklauseln Lutter! Hommelhoff, GmbHG, § 37 Rn. 19 m.w.N.
206
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
verpflichtet, solchen „Weisungen" nachzukommen285. Der Geschäftsführer bleibt vielmehr in vollem Umfang für das gesamte Geschäft im Sinne des § 43 GmbHG verantwortlich 286 . Er hat dementsprechend die wirtschaftlichen Auswirkungen sämtlicher Maßnahmen eigenständig zu beurteilen und unter Ausnutzung sämtlicher Informationen vorzubereiten. Anders als im faktischen AGKonzern besteht im faktischen GmbH-Konzern keine Privilegierung des herrschenden Unternehmens. Die Vorschriften der §§311 ff. AktG sind auf den GmbH-Konzern nicht anwendbar 287. Der Geschäftsführer ist nicht berechtigt, auf Veranlassimg der herrschenden Gesellschaft für die GmbH nachteilige Maßnahmen durchzuführen. Andererseits ist der Geschäftsführer sehr wohl berechtigt einer Veranlassung der herrschenden Gesellschaft nachzukommen, wenn diese sich für die Gesellschaft vorteilhaft auswirken würde. Die Einflußnahme einer herrschenden Gesellschaft auf die Geschäftsführung außerhalb der Weisungsbeschlüsse ist demnach durchaus zulässig. Die für die Ausführung der Maßnahme rechtserheblichen Bestimmungen müssen aber von der Geschäftsführung letztlich beurteilt, entschieden und verantwortet werden.
2. Verantwortliche Beteiligung an der Willensbildung Es stellt sich allerdings die Frage, ob nicht neben der Geschäftsführung auch die herrschende Gesellschaft durch ihre Einflußnahme, wie im faktischen AG-
285
Ausgenommen sind die Weisungen eines Alleingesellschafters, vgl. nur Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 18. 286
Vgl. Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 43 Rn. 28; Lutterl Hommelhoff, GmbHG, §43 Rn. 18; Mertens in Hachenburg, GmbHG, §43 Rn. 71; Schneider in Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 97; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 22. 287
Ganz h.M. Vgl. BGHZ 95, 330, 340; Emmerich/Sonnenschein, Konzemrecht, S. 440 f.; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anh. KonzernR Rn. 141 f. und 181 ff; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 252; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, Anh. § 52 Rn. 53 m.w.N.; Lutterl Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 9, 12; Ulmer in Hachenburg, GmbHG, Anh. § 77 Rn. 56 und 73 m.w.N.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, KonzernR Rn. 56; zweifelnd Decher in MünchHdb. GmbH, § 70 Rn. 23; a.A. Balz, AG 1992, 277, 293. Würde man eine analoge Anwendung der §§ 311 ff. AktG befürworten, so könnte schon an dieser Stelle auf die Ausführungen zum faktischen AG-Konzem verwiesen werden.
F. Wissenszurechnung im faktischen GmbH-Konzern
207
Konzern, als ein Teil des Willensbildungsorgans 288 und damit an der Entscheidungsfindung beteiligt anzusehen ist. Eine im Sinne der Wissenszurechnung erhebliche Beteiligung an der Entscheidungsfindung innerhalb der abhängigen GmbH setzt voraus, daß der herrschenden Gesellschaft eine rechtliche Verantwortung gegenüber der Gesellschaft für die Auswirkungen ihrer Einflußnahme obliegt. Eine gesetzlich vorgeschriebene Verantwortung, wie dies im Vertragskonzern (§ 309 Abs. 2 AKtG) oder im faktischen AG-Konzern (vgl. § 317 Abs. 2 AktG) der Fall ist, besteht nicht. Festzustellen ist jedoch, daß gerade in der GmbH die Geschäftsführung noch viel mehr als in der Aktiengesellschaft von der herrschenden Gesellschaft abhängig ist. De facto kommt die Einflußnahme der herrschenden Gesellschaft einer Weisungserteilung durch die Gesellschafterversammlung gleich. Denn anders als im faktischen AG-Konzern hat die herrschende Gesellschaft jederzeit die Möglichkeit, ihre Einflußnahme mittels eines Gesellschafterbeschlusses für die Geschäftsführung verbindlich werden zu lassen. Durch diese Möglichkeit, die Einflußnahme mittels eines Gesellschafterbeschlusses verbindlich durchzusetzen, unterscheidet sich die Einflußnahme der herrschenden Gesellschaft von der Einflußnahme sonstiger (einfacher) Gesellschafter oder Außenstehender 289. Die überwiegende Ansicht geht daher davon aus, daß der herrschenden Gesellschaft bei der Ausübung ihrer Einflußnahme gesteigerte gesellschaftliche Treuepflichten obliegen, deren (fahrlässige) Verletzung eine Haftung begründet 290 . Diese bestehen nicht nur bei der Ausübung der mitgliedschaftlichen
288
Mit dieser Bezeichnung sind keine über die Berücksichtigung im Rahmen der Wissenszurechnung hinausgehenden Wertungen, insbesondere keine Aussagen über mögliche Haftungsgrundlagen verbunden. 289
Der Hinweis auf eine mögliche Durchsetzbarkeit hat indes keinen Einfluß auf die Verantwortung und Verbindlichkeit für den Geschäftsführer im Sinne des § 43 GmbHG, vgl. Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 43 Rn. 28 m.w.N. 290
Vgl. BGHZ 65, 15, 18 f.; Decher in MünchHdb. GmbH, § 70 Rn. 19 ff.; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anh. KonzernR Rn. 144 ff, 154 ff; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, Anh. nach § 52 Rn. 53; Lutterl Hommelhoff,\ GmbHG, Anh. § 13 Rn. 13; vgl. auch Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter, S. 75 ff, 181 f. mit allen Nachweisen; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, KonzernR Rn. 53. A.A. insbesondere Krebs, Geschäftsführungshaftung, S. 230 ff.; Stein, Das faktische Organ, S. 33 ff.; Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 253, 336 ff, wonach die Haftung entsprechend § 43 GmbHG auf einer faktischen Organschaft beruhe. Die Frage nach der Haftungsgrundlage spielt aber in diesem Zusammenhang keine Rolle. Entscheidend ist hier die sich daraus ergebende Verantwortung für die Einflußnahme.
208
§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
Herrschafts- und Verwaltungsrechte, sondern gerade auch bei sonstiger Einflußnahme der herrschenden Gesellschaft 291. Die herrschende Gesellschaft hat sich bei der Ausübung ihrer Einflußnahme ausschließlich am Gesellschaftsinteresse zu orientieren 292. Verletzt sie bei der Erteilung einer Veranlassung die ihr obliegenden gesteigerten Treuepflichten und entsteht der GmbH dadurch ein Nachteil, so ist sie dieser gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet 293 . Darüberhinaus ist nach heute ganz überwiegender Ansicht die herrschende Gesellschaft analog §§ 302, 303 AktG zum allgemeinen Verlustausgleich verpflichtet, wenn sie durch ihre Einflußnahme die Interessen der abhängigen GmbH verletzt hat, aber ein Einzelausgleich nicht mehr möglich ist 294 . Aufgrund dieser Verantwortung für die Auswirkungen der Einflußnahme ist die herrschende Gesellschaft als ein Teil des Willensbildungsorgans anzusehen, wenn der Geschäftsführer der Veranlassung nachkommt. Dem steht nicht entgegen, daß der Geschäftsführer im Sinne des § 43 GmbHG für die Ausführung der Maßnahme verantwortlich bleibt. Dadurch soll vielmehr nur ein zusätzlicher Schutz vor Benachteiligungen der abhängigen GmbH gewährleistet werden. Nach den oben bereits gewonnenen Erkenntnissen 295 ist demnach auch das Wissen der herrschenden Gesellschaft bei der Beurteilung der im Sinne der Wissensnormen rechtserheblichen Umstände zu berücksichtigen, wenn dieses Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation dem letztlich ausführenden Organträger (dem Geschäftsführer) hätte vorliegen müssen. Ebenso wie im faktischen AG-Konzern obliegt der herrschenden Gesellschaft eine Informationspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft. Auch der Geschäftsführer muß in die Lage versetzt werden, zu beurteilen, ob eine Maßnahme vorteilhaft oder nachteilig ist, denn der Geschäftsführer darf der Veranlassung nur nachkommen, wenn die Maßnahme im Interesse der GmbH liegt. Der Konzernvorstand hat dementsprechend dafür Sorge zu tragen, daß sämtliche für die Beurteilung der Auswirkungen der Veranlassung relevanten Informationen dem Geschäftsführer weitergeleitet werden. Auch schon im Fall des Weisungsbeschlusses ist der Gesellschafter verpflichtet, seinen Mitgesell291
Vgl. Decher in MünchHdb. GmbH, § 70 Rn. 19; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, KonzernR Rn. 53 m.w.N. 292
Ausführlich dazu Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter, S. 137 ff.
293
Vgl. Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, Anh. nach § 52 Rn. 53.
294
Vgl. nur BGHZ 122, 123 ff. („TBB") und Lutter/Hommelhoff, § 13 Rn. 16 ff. m.w.N. 295
GmbHG, Anh.
Vgl. die Ausführungen über die Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern S. 63 ff. (§ 2 D. II. 2. d), siehe auch die Ausführungen zum faktischen AG-Konzern S. 198 ff. (§ 3 E. III. 3.).
F. Wissenszurechnung im faktischen GmbH-Konzern
209
schaftern sämtliche relevanten Kenntnisse weiterzuleiten 296 . Die Pflicht zur Information begründet sich aus der der herrschenden Gesellschaft obliegenden Treuebindung. Die einflußnehmende herrschende Gesellschaft ist dem Gesellschaftsinteresse verpflichtet und hat zum Schutz der Gesellschaft vor Benachteiligungen den Geschäftsführer über die betreffenden Maßnahmen aufzuklären. Das rechtserhebliche Wissen der herrschenden Gesellschaft als Teil des Willensbildungsorgans hätte dementsprechend dem letztlich ausführenden Geschäftsführer bei ordnungsgemäßer Organisation vorliegen müssen. Die abhängige GmbH muß sich dieses Wissen folglich im Wege der wertenden Betrachtung zurechnen lassen.
3. Rechtsfolgen Soweit der Gesellschaft durch die Wissenszurechnung ein Nachteil entsteht, ist die herrschende Gesellschaft verpflichtet, der GmbH diesen Nachteil zu ersetzen 297. Ein solcher Anspruch ergibt sich aus der Treuepflicht der herrschenden Gesellschaft. Die Pflichtverletzung liegt darin, daß die herrschende Gesellschaft es unterlassen hat, die Geschäftsführung über die im Rahmen der Veranlassung erheblichen Kenntnisse zu informieren. Für die Haftung wegen Verletzung der Treuepflicht ist bereits ein fahrlässige Verletzung ausreichend, so daß auch kein Wertungswiderspruch zur Zurechnung fahrlässiger Nichtkenntnis besteht.
Π Ι . Ergebnis Im Ergebnis ist daher festzustellen, daß im faktischen GmbH-Konzern eine Wissenszurechnung immer dann begründet ist, wenn das herrschende Unternehmen konkreten Einfluß auf die Geschäftsführung ausgeübt hat. Unerheblich ist es dabei, ob der Einfluß ordnungsgemäß mittels eines Weisungsbeschlusses oder aber unter Umgehung der Minderheitsgesellschafter direkt gegenüber dem Geschäftsführer in Form einer Veranlassung ausgeübt wurde. Der Konzernvorstand haftet für mögliche, durch die Wissenszurechnung begründete Schäden wegen Treuepflichtverletzung. Im übrigen kann auf die Ausführungen zum faktischen AG-Konzern verwiesen werden.
296
Vgl. oben § 2 D. V. 3. b) ee) (2).
297
Siehe dazu schon oben § 2 D. V. 3. b) ff).
1 Schüler
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§ 3 Wissenszurechnung bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht
G. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzustellen, daß eine Wissenszurechnimg im Konzern, unabhängig von der Konzernform, immer dann begründet ist, wenn das herrschende Unternehmen von seiner Leitungsmacht tatsächlichen Gebrauch gemacht und die abhängige Gesellschaft zu einer bestimmten Maßnahme veranlaßt hat. Der Umfang des zuzurechnenden Wissens richtet sich zum einen nach den Auswirkungen des Inhalts der Veranlassung bzw. der Weisung auf das operative Geschäft der Tochtergesellschaft und wird zum anderen durch das Kriterium der ordnungsgemäßen Geschäftsführung begrenzt. Die Obergesellschaft ist ebenfalls unabhängig von der Konzernform zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den die Tochtergesellschaft durch den Verlust des gesetzlichen Schutzes der Wissensnormen erleidet. Im faktischen Konzern 298 besteht für den Dritten eine Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Veranlassungsvermutung, wenn er Anhaltspunkte vorträgt, die auf eine regelmäßige Einflußnahme der Obergesellschaft in dem betreffenden Bereich schließen lassen.
298
Zur Frage der Beweiserleichterung im Vertragskonzern siehe unten § 4 A. III.
§ 4 Wissenszurechnung im Konzern ohne konkrete Beteiligung an der Entscheidungsfindung In den vorstehenden Teilen wurde die Wissenszurechnung für den Fall untersucht, daß der Konzernvorstand konkreten Einfluß auf die Entscheidungsfindung der abhängigen Gesellschaft genommen hat. Desweiteren gilt es daher nun zu klären, ob eine Zurechnung auch dann noch begründet ist, wenn es genau an diesem wissensspezifischen Zurechnungskriterium fehlt. Für den „einfachen" Gesellschafter wurde bereits festgestellt, daß sein Wissen ohne eine Beteiligung an der Entscheidungsfindung nicht zugerechnet werden kann. Etwas anders könnte aber im Konzern aufgrund der besonderen konzernrechtlichen Verbundenheit gelten, woraus sich zugleich wiederum das Erfordernis einer Differenzierung zwischen den verschiedenen Konzernformen ergibt.
A. Wissenszurechnung im Vertragskonzern I. Das herrschende Unternehmen als „Quasi-Organ" Durch die Erteilung einer konkreten Weisung im Sinne des § 308 Abs. 1 AktG erwächst der Konzernvorstand in die Stellung des entscheidenen Willensbildungsorgans der abhängigen Gesellschaft. Der Vorstand der abhängigen Gesellschaft wird von seiner Geschäftsführungsverantwortung teilweise entbunden. In dieser Funktion als „Quasi-Organ" wird das Wissen des herrschenden Unternehmens der Tochter im Wege wertender Betrachtung zugerechnet1. Zu fragen ist, ob der Konzernvorstand nicht auch ohne die Erteilung einer konkreten Weisung als ein „Quasi-Organ" der abhängigen Gesellschaft angesehen werden kann bzw. muß. Insbesondere ist zu klären, welche weitergehenden Pflichten sich für den Konzernvorstand an eine solche Stellung als „QuasiOrgan" knüpfen. Dabei gilt es danach zu unterscheiden, ob diese möglichen Pflichten des Konzernvorstands gegenüber der abhängigen Gesellschaft oder nur intern gegenüber der eigenen, herrschenden Gesellschaft bestehen.
Siehe oben § 3 C. III. 2. 14*
212
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
1. Leitungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft In der Literatur wird die Frage diskutiert, ob der Konzernvorstand verpflichtet ist, die bestehenden rechtlichen Einflußmöglichkeiten gegenüber der Tochtergesellschaft wahrzunehmen und die Geschäfte der abhängigen Gesellschaft durch die Erteilung von Weisungen zu führen. Der Konzernvorstand wäre aufgrund einer solchen, gegenüber der abhängigen Gesellschaft bestehenden Verpflichtung ein Teil im arbeitsteiligen Prozeß der Tochtergesellschaft. Konkret wäre der Konzernvorstand als das entscheidene Willensbildungsorgan anzusehen. Die Pflicht des Tochtervorstands, außerhalb der Weisungserteilung die Leitung der Gesellschaft eigenverantwortlich im Sinne des § 76 AktG wahrzunehmen 2, bliebe demnach auf die Fälle beschränkt, in denen es der Konzernvorstand pflichtwidrig unterlassen hätte, dem Tochtervorstand Weisungen zu erteilen. Im Fall des Bestehens einer solchen Leitungspflicht müßte für die Beurteilung der rechtserheblichen Wissensumstände folglich auf den Konzernvorstand als dem entscheidenen Willensbildungsorgan abgestellt werden und zwar auch dann, wenn er es (pflichtwidrig) unterlassen hätte, eine Weisung zu erteilen. Auch das Wissen eines Organmitglieds, welches nicht an der konkreten Entscheidungsfindung beteiligt ist, es aber bei ordnungsgemäßer Organisation hätte sein müssen, muß der Gesellschaft zugerechnet werden 3. Die Wissenszurechnung könnte nicht einfach dadurch umgangen werden, daß sich der Konzernvorstand seiner Verpflichtungen entledigen, keine Entscheidungen mehr treffen und dementsprechend alleine der Tochtervorstand die Entscheidungen treffen würde. Eine gegenüber der abhängigen Gesellschaft bestehende Weisungspflicht zöge im Ergebnis daher eine ebenso umfassende Wissenszurechnung nach sich, wie sie innerhalb einer Gesellschaft für die Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern besteht. Voraussetzung ist jedoch, daß tatsächlich eine Leitungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft besteht. Der Tochtergesellschaft müßte ein Anspruch auf Leitung durch das herrschende Unternehmen zustehen.
2
Siehe oben § 3 C. III. 2. b).
3
Siehe oben § 2 D. II. 2. d).
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
213
a) Die Ansicht Schneiders Das Bestehen einer solchen Leitungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft wird soweit ersichtlich nur von Schneider 4 befürwortet. Nach Schneider ergibt sich die Leitungspflicht aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Organisationsrechts, der sich wie folgt formulieren lasse: „Wer die Leitung über ein Unternehmen übernimmt, hat sie mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auszuüben"5. Dieser Grundsatz sei in §§ 76, 93 AktG; § 43 GmbHG; §§ 34 6 , 41 GenG für die Mitglieder geschäftsführender Organe ausdrücklich normiert und gelte auch für faktische Geschäftsführer bzw. für fehlerhaft berufene Vorstandsmitglieder. Ebenso gelte dieser Grundsatz für den beherrschenden Gesellschafter einer A G (oder auch einer GmbH oder Personengesellschaft), soweit dieser nicht nur einzelne Maßnahmen veranlasse, sondern „das Unternehmen gleichsam wie ein Organ faktisch leite" 7 . Der regelmäßige Einfluß begründe organisationsrechtliche Rechte und Pflichten zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft. Die Leitungspflicht ergebe sich als Gesamtanalogie zu diesen Vorschriften (§§ 76, 93 AktG; § 43 GmbHG; §§ 34, 41 GenG). Der Umfang dieser Rechte und Pflichten bestimme sich nach dem Umfang der Konzernierung und der Dichte der einheitlichen Leitung: Im zentralisierten Konzern habe der Konzernvorstand in vollem Umfang die unternehmerische Leitung selbst wahrzunehmen und andernfalls die Organe der abhängigen Gesellschaft zu unterrichten 8. Im dezentralisierten Konzern habe der Konzernvorstand nur die Konzernziele und die allgemeine Geschäftspolitik festzulegen. Ihm obliege dann aber eine umfassende Kontroll- und Informationspflicht 9. Diese Auffassung Schneiders hätte zur Folge, daß sich der Konzernvorstand gemäß § 309 Abs. 2 AktG schadensersatzpflichtig machen würde, wenn er
4
Schneider, ZHR 143 (1979), 485, 506 ff. und BB 1981, 249, 256 ff.
5
Schneider, BB 1981, 249, 257.
6
Schneider zitiert allerdings in diesem Zusammenhang nicht die Vorschrift des § 34 GenG, sondern § 43 GenG. Es dürfte sich dabei aber wohl um ein redaktionelles Versehen handeln. 7
Schneider, BB 1981, 249, 257.
8
Schneider, BB 1981, 249, 258.
9
Schneider, BB 1981, 249, 258.
214
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
seiner Weisungspflicht nicht nachkäme und der abhängigen Gesellschaft durch diese pflichtwidrige Unterlassung ein Schaden entstände. Umgekehrt stände der abhängigen Gesellschaft ein Recht auf die Erteilung von Weisungen zu.
b) Herrschende Ansicht Ganz überwiegend wird jedoch das Bestehen einer Leitungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft abgelehnt10. Zum Teil wird dies nur mit dem Hinweis auf den Wortlaut des § 308 Abs. 1 S. 1 AktG begründet 11. § 308 Abs. 1 S. 1 AktG spreche ausdrücklich nur von einem Weisungsrecht, nicht hingegen von einer Weisungspflicht. Zudem wird ausgeführt, daß die grundsätzliche Entscheidungszuständigkeit des Tochtervorstands durch den Beherrschungsvertrag nicht aufgehoben, sondern nur für den Fall der Ausübung des Weisungsrechts eingeschränkt werde. Es bleibe im Fall fehlender Weisungen bei der Eigenverantwortlichkeit des Tochtervorstands 12. Zudem mache die Annahme einer solchen Weisungspflicht im Verhältnis zur Tochtergesellschaft nur dann einen Sinn, wenn sich die Weisungen auch am Interesse der abhängigen Gesellschaft orientieren müßten, was aber gerade nicht der Fall sei 13 .
10
Vgl. Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, S. 351; Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 74; Kantzas, Das Weisungsrecht im Vertragskonzern, S. 74; Knoblau, Leitungsmacht und Verantwortlichkeit, S. 80; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 41; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 32 und § 70 Rn. 104; Prael, Eingliederung und Beherrschungsvertrag, S. 93, 103; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 279; Würdinger in GroßKomm. AktG^, § 308 Rn. 3. Vgl. auch für den Eingliederungskonzern Hüffer, AktG, § 323 Rn. 2; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 323 Rn. 12; Krieger in MünchHdb. AG, § 73 Rn. 27; Semler/Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG, § 323 Rn. 10. 11
So Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 41.
12
Reg.Begr. in Kropff, S. 403; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 48 ff. und § 323 Rn. 8; Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 74; Veit, Unternehmensverträge und Eingliederung, S. 159 f. Umstritten ist in diesem Zusammenhang allerdings, ob der Tochtervorstand sein Handeln am Interesse der eigenen Gesellschaft oder am Konzerninteresse auszurichten hat. Siehe dazu unten § 4 Α. I. 2. a). 13
So Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 41.
. Wissenszurechnung im
c) Vermittelnde
ergskonzern
215
Ansicht
Die vermittelnde Ansicht geht wie die herrschende Ansicht von der Annahme aus, daß grundsätzlich keine Leitungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft bestehe. Allerdings könne sich im Einzelfall etwas anderes ergeben. So ist Geßler 14 der Auffassung, daß etwas anderes insbesondere dann gelte, wenn der Konzernvorstand bereits von seiner Leitungsmacht Gebrauch gemacht habe und der Gesellschaft aufgrund dieser Weisung ein Schaden drohe, den der Konzernvorstand bei seiner Weisungserteilung nicht vorhergesehen habe. In einem solchen Fall sei der Konzernvorstand zum Erlaß einer erneuten Weisung verpflichtet, um weiteren Schaden durch den Vollzug der nachteiligen (alten) Weisimg zu verhindern. In diesem - sehr begrenzten - Rahmen sei eine Weisungspflicht zu befürworten. In eine ähnliche Richtung gehen wohl schon die Überlegungen von Halter 15. Nach Halter obliegt dem Konzernvorstand eine Weisungspflicht, wenn er bereits durch Weisungen die Geschäftsführung der Gesellschaft bestimmt hat und aus der Durchführung dieser Weisung ersichtlich Nachteile für die Gesellschaft entstehen würden. In diesen Fällen würde das Unterlassen der Weisungserteilung eine Ersatzpflicht im Sinne des § 309 Abs. 2 AktG begründen. Ähnlich sind auch die Ausführungen Würdingers 16 zu verstehen. Würdinger vertritt die Auffassung, daß eine Weisungspflicht zwar nicht bestehe, aber wenn der abhängigen Gesellschaft durch Untätigkeit ein Schaden drohe, so habe der Konzernvorstand für diese Untätigkeit gemäß § 309 Abs. 2 AktG einzustehen17. Wenn Würdinger an anderer Stelle18 allerdings eine Weisungspflicht grundsätzlich ablehnt, so erscheint dies inkonsequent. Dieser Grundsatz soll aber wohl nur gelten, soweit der Gesellschaft kein Schaden entstehe. Andernfalls könne sehr wohl von einer Weisungspflicht gesprochen werden.
14
Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 62.
15
Halter, Der Begriff der einheitlichen Leitung im Konzern, S. 177 f.
16
Würdinger
in GroßKomm. AktG 3 , § 308 Anm. 3 und § 309 Anm. 3.
17
Würdinger (in GroßKomm. AktG 3 , § 309 Anm. 3) zitiert zur Untermalung seiner Ausführungen einen Satz Petrarcas an Kaiser Karl IV in Prag: „Es wäre gewiß ohne zu freveln möglich gewesen, sie (= die Herrschaft) nicht zu ergreifen, da sie aber ergriffen ist, ist es ohne zu freveln nicht möglich, sie nachlässig zu führen". 18
Würdinger
in GroßKomm. AktG 3 , § 308 Anm. 3; ders., Aktienrecht, S. 326 f.
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
216
d) Stellungnahme Festzustellen ist zunächst, daß auch nach Schneider eine Leitungspflicht nicht schon aufgrund der bloßen vertraglichen Konzernverbundenheit begründet ist. Vielmehr wird nach Schneider das Bestehen einer Weisungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft erst durch eine tatsächlich regelmäßig ausgeübte Leitungsmacht begründet. Die bereits ausgeübte Leitungsmacht wird folglich von ihm als Voraussetzung für das Bestehen weitergehender Pflichten angesehen. Zutreffend ist die Ausgangsannahme Schneiders, die regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht begründe eine organähnliche Stellung des Konzernvorstands innerhalb der abhängigen Gesellschaft. Aber selbst von dieser Annahme ausgehend ist festzustellen, daß trotz der Stellung als „Quasi-Organ" dem Konzernvorstand selbst im zentralisierten Konzern keine umfassende Weisungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft obliegt. Gegen eine so ausgestaltete Weisungspflicht spricht zunächst der klare Wortlaut des Gesetzes (§ 308 Abs. 1 S. 1 AktG). Festzustellen ist aber, daß die Regelungen der §§ 308 ff. AktG keinen abschließenden Charakter haben. Im § 309 AktG ist zwar eine Haftung des Konzernvorstands gegenüber der abhängigen Tochter nur für den Fall der Weisungserteilung normiert, doch soll durch die Norm nicht der Pflichtenkreis des Konzernvorstands beschränkt, sondern im Gegenteil auf die abhängige Gesellschaft ausgedehnt werden 19. Gegen eine umfassende Weisungspflicht des Konzernvorstands gegenüber der abhängigen Gesellschaft spricht aber insbesondere, daß das Bestehen einer solchen Pflicht widersinnig wäre, weil der Konzernvorstand berechtigt ist, auch nachteilige Weisungen zu erteilen 20. Demnach stände im Vertragskonzern der abhängigen Gesellschaft ein Recht auf Erlaß von möglicherweise nachteiligen Weisungen zu. Zudem würde eine so weitgehende Pflicht zu einer vollständigen Verdrängung des Tochtervorstands führen. Der Konzernvorstand müßte dann für sämtliche Geschehnisse in der abhängigen Gesellschaft einstehen, die nicht auf einer von ihm erlassenen, den strengen Sorgfaltsanforderungen des § 93 Abs. 1 AktG genügenden Weisung beruhen. Die Haftung gemäß § 93 Abs. 2 AktG würde sogar dann noch eingreifen, wenn eine Maßnahme zwar an sich dem Sorgfaltsmaßstab genügt, jedoch nicht vom Konzernvorstand angewiesen wurde und sich letztlich doch als nachteilig erweist 21. Eine so weitgehende Verant19
So zu Recht Schneider, BB 1981,249, 257.
20
Vgl. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 41.
21
Vgl. ausführlich Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 488 ff.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
217
wortung ist mit der gesetzlichen Konzeption der grundsätzlichen Selbständigkeit der Tochtergesellschaften nicht zu vereinbaren. Aus der tatsächlichen Ausübung der gesetzlich eingeräumten Leitungsmacht kann daher ebensowenig eine Leitungspflicht hergeleitet werden, wie aus dem Beherrschungsvertrag 22 selbst. Grundsätzlich obliegt demnach dem Konzernvorstand gegenüber der abhängigen Gesellschaft keine Leitungspflicht. Der vermittelnden Ansicht ist jedoch darin zuzustimmen, daß sich im Einzelfall etwas anderes dann ergibt, wenn eine erteilte Weisimg für sich genommen unvollständig ist und es einer zusätzlichen Weisung bedarf, um einen Schaden für die abhängige Gesellschaft zu verhindern. In diesem Fall ist der Konzernvorstand ausnahmsweise doch gegenüber der abhängigen Tochter verpflichtet, die erforderliche Weisung zu erteilen. Eine solche Verpflichtung läßt sich aus der Vorschrift des § 309 Abs. 1 AktG herleiten, wonach der Konzernvorstand zur ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitung verpflichtet ist. Die Erteilung einer unvollständigen Weisung stellt einen Verstoß gegen diese Pflicht dar 23 . Der dahinter stehende Gedanke einer nachwirkenden Sorgfaltspflicht findet sich auch bei der Feststellung des entsprechenden Zurechnungszeitpunkts und Zurechnungsumfangs 24. Der anweisende Konzernvorstand kann sich nicht allein auf die Erteilung einer Weisung beschränken und sich danach zurückziehen, vielmehr muß er die sich mit der Ausführung der Weisung ergebenden Folgen überwachen und gegebenenfalls eingreifen, sei es, durch die Erteilung einer neuerlichen Weisung, sei es - im Zusammenhang mit der Wissenszurechnung - durch die Weiterleitung der rechtserheblichen Informationen an die ausführenden Personen. In der Praxis dürften solche Fälle aber wohl eher selten vorkommen. Denn entscheidend ist, daß eine solche Weisungspflicht nur dann besteht, wenn der Schaden vom Konzernvorstand zunächst nicht vorhergesehen wurde und wenn er sich anschließend noch verhindern läßt. Der drohende Schaden muß zudem in ganz konkretem Zusammenhang mit einer bereits erteilten Weisung stehen. Beispiel: Weist der Konzernvorstand den Tochtervorstand an, ein bestimmtes Grundstück zu erwerben, und erfährt er später, daß dieses Grundstück kon-
22
So auch Schneider, BB 1981, 249, 257 selbst; vgl. auch Beuthien, DB 1969,
1781. 23
So auch Hüffer, § 309 Rn. 3. 24
AktG, § 309 Rn. 10; Koppensteiner
Siehe oben § 3 C. IV. sowie § 2 D. V. 3. b) hh).
in KölnKomm. AktG,
218
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
taminiert ist, so hat er den Tochtervorstand anzuweisen, dieses Grundstück nicht zu erwerben.
e) Zwischenergebnis Festzustellen ist somit, daß eine Weisungspflicht nur insofern besteht, als der abhängigen Gesellschaft durch eine bereits erteilte, aber unvollständige Weisung ein Schaden droht. Eine weitergehende Leitungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft besteht selbst bei regelmäßiger Ausübung der Leitungsmacht nicht. Der Konzernvorstand unterliegt dementsprechend auch keiner Haftung gemäß § 309 AktG für das Unterlassen von Weisungen. Soweit die Anknüpfung der Haftung des Konzernvorstands an die Erteilung einer Weisung als zu eng empfunden wird 2 5 , kann dem aus rechtspolitischer Sicht durchaus zugestimmt werden. Jedoch ändert dieser Befund nichts an der bestehenden Rechtslage. Die sich aus einer so begrenzten Leitungspflicht ergebende Wissenszurechnung entspricht jedoch nur dem Umfang der Wissenszurechnung, der sich schon im Zusammenhang mit der konkret erfolgten Weisungserteilung ergibt 26 . Die durch die Weisungserteilung begründete Wissenszurechnung ist darüberhinaus nicht auf bereits in der Weisung konkretisierte rechtserhebliche Bestimmungen beschränkt und zudem auch nicht davon abhängig, ob sich die erteilte Weisung unvorhergesehener Weise nachteilig auswirken würde. Sie bestimmt sich vielmehr nach den Auswirkungen der Weisung auf das operative Geschäft unabhängig von der Vor- oder Nachteiligkeit. Dementsprechend spielt die sehr begrenzte Weisungspflicht für die Begründung der Wissenszurechnung keine eigenständige Rolle.
2. Wissensweiterleitungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft Weitergehend stellt sich jedoch die Frage, ob dem Konzernvorstand nicht wenigstens eine umfassende, nicht auf den Inhalt einer konkreten Weisung beschränkte Wissensweiterleitungspflicht gegenüber der Tochtergesellschaft obliegen könnte. Die Wissensweiterleitungspflicht ist als ein Minus zur Weisungspflicht von dieser zu trennen. Aus der Ablehnung der Weisungspflicht kann daher keinesfalls auf das Nichtbestehen einer Wissensweiterleitungspflicht geschlossen werden.
25
So Mertens, AcP 168 (1968), 225, 227 ff.
26
Siehe dazu oben § 3 C. IV.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
219
Wäre der Konzernvorstand tatsächlich gegenüber der Tochtergesellschaft zu einer umfassenden Wissensweiterleitung verpflichtet, so würde dies ebenfalls zu einer umfassenden „Wissens-Zurechnung" führen. Käme der Konzernvorstand seiner Verpflichtung zur Wissensweiterleitung ordnungsgemäß nach, wären die rechtserheblichen Kenntnisse ohnehin schon beim handelnden Tochtervorstand vorhanden. Daher käme eine Zurechnung im eigentlichen Sinne nur dann in Betracht, wenn es der Konzernvorstand unterlassen hätte, seine erheblichen Kenntnisse an die handelnde Tochtergesellschaft weiterzuleiten. Eine Pflicht des Konzernvorstands zur Wissensweiterleitung beinhaltet auf der Seite der Tochtergesellschaft das Recht, die Weiterleitung dieses Wissens zu verlangen. Dementsprechend hätte das Wissen des Konzernvorstands bei ordnungsgemäßer Organisation dem Entscheidungsträger - dem Tochtervorstand - vorliegen müssen. Nach den oben festgestellten Grundsätzen wäre das Wissen der Obergesellschaft der Tochtergesellschaft im Wege wertender Betrachtung zuzurechnen. Als Voraussetzung für die Begründung einer solchen Wissenszurechnung ist daher zu prüfen, ob dem Konzernvorstand tatsächlich eine Wissensweiterleitungspflicht obliegt.
a) Entscheidung im Konzerninteresse Das Bestehen einer solchen Wissensweiterleitungspflicht wäre dann begründet, wenn dem Tochtervorstand die Pflicht obliegen würde, sich bei den von ihm zu treffenden Entscheidungen am Konzerninteresse zu orientieren 27. Eine Entscheidung im Konzerninteresse könnte vom Tochtervorstand nur dann getroffen werden, wenn er über die Konzerninteressen informiert wäre 28 . Der Konzernvorstand müßte an den Tochtervorstand solche Informationen weiterleiten, die für die Bestimmung des Konzerninteresses im Rahmen der Geschäftsführungsentscheidungen von Bedeutung sein könnten. Von den Befürwortern einer Ausrichtung der eigenen Entscheidungen des Tochtervorstands am Konzerninteresse wird angeführt, daß während der AbFür eine solche Ausrichtung am Konzernintersse ausdrücklich Erlinghagen, Der Organschaftsvertrag, S. 16 f.; Halter, Der Begriff der einheitlichen Leitung im Konzern, S. 175 f.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 48 und § 323 Rn. 8; Kort, Der Abschluß von Beherrschungsverträgen, S. 52; Neuhaus, Die zivilrechtliche Organhaftung, S. 110. 28
Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Informationspflicht im faktischen AGKonzern, oben § 3 E. III. 3. b).
220
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
hängigkeit die Vermögensinteressen der Aktionäre nicht mehr mit dem Ertrag der eigenen Gesellschaft, sondern mit dem der Obergesellschaft verknüpft seien29. Das Interesse der abhängigen Gesellschaft werde durch das Interesse der Obergesellschaft ersetzt 30. Zudem mache es keinen Sinn, den Tochtervorstand an unterschiedliche Sorgfaltsmaßstäbe zu binden, je nachdem, ob zufällig eine Weisung erteilt worden sei oder nicht 31 . Vielmehr müsse bei der abhängigen Gesellschaft ein „Konzernbewußtsein" gebildet werden 32. Das überzeugt jedoch nicht 33 . Daß eine Pflicht des Tochtervorstands, sein Handeln am Konzerninteresse auszurichten, nicht bestehen kann, wird deutlich, wenn das Konzerninteresse und das Eigeninteresse der Gesellschaft einander gegenläufig sind 34 . Würde die Verfolgung des Konzerninteresses eine Schädigung der Gesellschaft mit sich bringen, wäre der Tochtervorstand gemäß § 93 Abs. 2 AktG zum Schadensersatz verpflichtet. Ein schädigender Eingriff ist schließlich nur aufgrund einer ausdrücklichen Weisung im Sinne des § 308 AktG zulässig und eine solche liegt ja gerade nicht vor 35 . Aber auch wenn die Maßnahme keine Nachteile für die Gesellschaft bewirkt, so kann es nicht Sache des Tochtervorstands sein, im Konzerninteresse 29
So Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 48.
30
Vgl. Erlinghagen, Der Organschaftsvertrag, S. 17.
31
So Halter, Der Begriff der einheitlichen Leitung im Konzern, S. 175 f.
32
Halter, Der Begriff der einheitlichen Leitung im Konzern, S. 176; Kort, Der Abschluß von Beherrschungsverträgen, S. 52. 33
So auch die überwiegende Ansicht, vgl. Baumbach/Hueck, AktG, § 308 Rn. 7; Beuthien, DB 1969, 1781, 1782; Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 74 ff; Glaser, Grenzen des Weisungsrechts, S. 129; Henn, Handbuch des Aktienrechts, S. 89; Hommelhoff, Konzemleitungspflicht, S. 217 ff; Hüffer, AktG, § 308 Rn. 20; Kantzas, Das Weisungsrecht im Vertragskonzern, S. 76 ff.; Knoblau, Leitungsmacht und Verantwortlichkeit, S. 71; Krieger in MünchHdb. AG, § 70 Rn. 105; Möhring, NJW 1967, 1, 7; Schauß, Das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens, S. 31 ff.; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 455; Sina, AG 1991, 1,4; Veit, Unternehmensverträge und Eingliederung, S. 154; Würdinger in GroßKomm. AktG, § 308 Anm. 2. Vgl. zum Eingliederungskonzern Krieger in MünchHdb. AG, § 73 Rn. 28; Semler/Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG, § 323 Rn. 9. Vermittelnd neuerdings Decher in MünchHdb. GmbH, § 72 Rn. 21, ders., Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, S. 138 ff, 147, wonach sich die Entscheidung sowohl am Eigen-, als auch am Konzerninteresse zu orientieren habe. 34 35
So auch Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 75.
Vgl. Meulenbergh, Die rechtlichen Möglichkeiten der Einflußnahme, S. 63; Schauß, Das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens, S. 32.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
221
zu handeln. Dem Tochtervorstand dürfte regelmäßig aufgrund unzureichender Kenntnisse die erforderliche Kompetenz fehlen, im Konzerninteresse zu entscheiden36. Daher würde ja gerade die Ausrichtung am Konzerninteresse eine Wissensweiterleitungspflicht bedingen. Auch Koppensteiner 37 räumt ein, daß dem Tochtervorstand wohl regelmäßig die erforderlichen Informationen und zureichende Legitimation fehlen dürfte. Die fehlende Kenntnis wurde aber bereits vom Gesetzgeber erkannt. So wird in der Regierungsbegründung 38 zum § 308 Abs. 2 S. 2 AktG ausgeführt, daß der Vorstand häufig gar nicht beurteilen könne, ob eine Maßnahme den Belangen des herrschenden oder eines anderen verbundenen Unternehmens diene. Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis hat der Gesetzgeber gerade das Kontrollrecht bzw. die Kontrollpflicht des Tochtervorstands weitestgehend eingeschränkt. Diese Konsequenz aus der fehlenden Kenntnis würde einer Entscheidungspflicht im Konzerninteresse widersprechen. Denn wenn der Tochtervorstand noch nicht einmal im Konzerninteresse kontrollieren darf, so muß das erst recht für die vom Tochtervorstand zu treffenden Entscheidungen gelten. Zudem wird auch nicht, wie von der Gegenmeinung angeführt, durch den Beherrschungsvertrag das Eigeninteresse der Gesellschaft durch das Konzerninteresse ersetzt, was sich schon aus der im § 308 AktG enthaltenen Beschränkung auf die nicht existenzgefährdenen Weisungen ergibt 39 . Die angeführte Bindung der Vermögensinteressen der Aktionäre an den Ertrag der Obergesellschaft kann für sich alleine eine Handlungspflicht im Konzerninteresse nicht begründen 40. Demnach bleibt es auch im Vertragskonzern dabei, daß sich das eigenständige und selbstverantwortliche Handeln des Tochtervorstands ausschließlich
36
So auch Beuthien, JuS 1970, 53, 55; Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 75; Schauß, Das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens, S. 34; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 455. 37
Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 49.
38
Reg.Begr. in Kröpf],\
39
Siehe nur OLG Düsseldorf, AG 1990, 490, 492; Hüffen
S. 403. AktG, § 308 Rn. 19
m.w.N. 40
Schon die Gleichsetzung des Gesellschaftsinteresses mit den Vermögensinteressen der Aktionäre erscheint höchst fragwürdig. Siehe dazu Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 50 ff. m.w.N. Vgl. auch die aktuelle Diskussion über eine Stärkung des „Shareholder Value" im deutschen Aktienrecht.
222
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
am Interesse der eigenen Gesellschaft zu orientieren hat 41 . Folglich kann die Begründung einer Wissensweiterleitungspflicht nicht auf diesen Gesichtspunkt gestützt werden.
b) Pflicht zu konzernfreundlichem
Verhalten
Aus dieser Erkenntnis kann jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß der Tochtervorstand das Konzerninteresse völlig mißachten darf. Vielmehr obliegt dem Tochtervorstand eine Pflicht zu konzernfreundlichem Verhalten 42. Das bedeutet, daß der Tochtervorstand verpflichtet ist, den Konzernvorstand zu konsultieren, wenn für ihn erkennbar das Konzerninteresse und das Gesellschaftsinteresse auseinanderlaufen. In diesen Fällen muß er dem Konzernvorstand die Möglichkeit geben, lenkend durch Weisungen einzugreifen, um so die Konzernpolitik durchzusetzen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus der durch den Beherrschungsvertrag begründeten engen Verbundenheit der Gesellschaften. Dem Tochtervorstand steht nicht das Recht zu, die der herrschenden Gesellschaft zustehende Leitungsmacht dadurch zu umgehen, daß er den Konzernvorstand vor vollendete Tatsachen stellt 43 . Ein solches Verhalten würde gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen, die auch und gerade im Rechtsverhältnis zwischen den durch Beherrschungsvertrag verbundenen Gesellschaften ihre Geltung haben44. Der Tochtervorstand ist an die sich aus der Verbundenheit ergebenden körperschaftlichen Strukturveränderungen gebunden. Der Versuch, den Verlust von Leitungsmacht durch eigenmächtige Entscheidungen unter Umgehung des Konzernvorstands zu kompensieren, stellt zudem einen Pflichtverstoß gegenüber der eigenen Gesellschaft dar, da die Abhängigkeit mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen von der Hauptversammlung gebilligt und gewünscht wurde.
41
Allerdings dürfte sich in der Praxis eine solche Frage wohl nur selten stellen, da regelmäßig Konzerninteresse und Gesellschaftsinteresse übereinstimmen werden, vgl. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 49. 42
So auch Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rn. 76; Glaser, Grenzen des Weisungsrechts, S. 129 f; Hüffer, AktG, § 308 Rn. 20; Kantzas, Das Weisungsrecht im Vertragskonzern, S. 79; Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 56; Veit, Unternehmensverträge und Eingliederung, S. 159 f. Erst recht Erlinghagen, Der Organschaftsvertrag, S. 16 f. und Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 49. Vgl. zum Eingliederungskonzern Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 323 Rn. 8; Semler/Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG, § 323 Rn. 9. 43
Vgl. auch Sentieri Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG, § 323 Rn. 9 (für den Eingliederungskonzern). 44
So auch Kantzas, Das Weisungsrecht im Vertragskonzern, S. 79.
. Wissenszurechnung im
223
ergskonzern
Die Pflicht zu konzernfreundlichem Verhalten ist nur auf die Fälle beschränkt, in denen der Tochtervorstand das Konzerninteresse ausmachen kann und dieses für ihn erkennbar nicht mit dem eigenen Gesellschaftsinteresse übereinstimmt 45. Bei größeren und gewichtigeren Entscheidungen besteht die Pflicht zur Konsultation allerdings auch schon dann, wenn der Tochtervorstand nicht genau über die Konzerninteressen informiert ist. Aufgrund der Wichtigkeit der Entscheidung muß er den Konzernvorstand informieren, damit dieser entweder eine Weisimg erteilen oder aber dem Tochtervorstand die Entscheidung überlassen kann, welche dann aber wiederum ausschließlich im eigenen Gesellschaftsinteresse zu erfolgen hat. Der Konzernvorstand kann die Pflicht zur Konsultation durch die Festlegung bestimmter Verhaltensmaximen verändern. Er kann beispielsweise dem Tochtervorstand eine solche Konsultationspflicht ganz erlassen und ihn damit ausschließlich auf das Gesellschaftsinteresse festlegen. Anderseits kann er jedoch auch, und das dürfte der wahrscheinlichere Fall sein, die generelle Weisung erteilen, vor sämtlichen Entscheidungen, die ein gewisses Volumen übersteigen und damit von erheblicher Bedeutung für das Konzernergebnis sind, den Konzernvorstand zu konsultieren. Aus der Pflicht zu konzernfreundlichem Verhalten kann indes keine Wissensweiterleitungspflicht hergeleitet werden. Denn die Pflicht zu konzernfreundlichem Verhalten obliegt dem Tochtervorstand immer nur dann, wenn die Pflicht zur Konsultation aus dem Kenntnisstand des Tochtervorstands heraus für ihn erkennbar ist. Der Umfang der Pflicht richtet sich also nach dem jeweiligen Kenntnisstand des Tochtervorstands, so daß dieser Kenntnisstand nicht zur Erfüllung der Pflicht mittels einer Wissensweiterleitung durch den Konzernvorstand erweitert werden muß.
c) Wissensweiterleitungspflicht
im zentralisierten
Konzern
Möglicherweise könnte dem Konzernvorstand aber aufgrund regelmäßiger Ausübung einheitlicher Leitungsmacht eine solche Wissensweiterleitungspflicht obliegen. Mit der Bezeichung des zentralisierten Konzerns soll zum Ausdruck gebracht werden, daß der Konzernvorstand in einem noch näher zu 4
Glaser, Grenzen des Weisungsrechts, S. 130 versteht die Pflicht zum konzernfreundlichen Verhalten sogar soweit, daß dem Tochtervorstand die Pflicht obliegt, bei mehreren, für die Gesellschaft gleich günstigen Maßnahmen diejenige zu wählen, die den größten Vorteil für das herrschende Untemhemen oder für andere verbundene Unternehmen ausweist. Ob die Pflicht allerdings tatsächlich soweit geht, erscheint fraglich. Solche Fälle dürften aber wohl in der Praxis eine vernachlässigbare Rolle spielen.
224
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
bestimmenden Umfang bereits von seinem Recht zur einheitlichen Leitung Gebrauch gemacht hat. Von dem zutreffenden Ansatz Schneiders ausgehend, wonach der Konzernvorstand durch die regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht die Stellung eines „Quasi-Organs" innerhalb der abhängigen Tochtergesellschaft einnimmt, ergeben sich zwischen der abhängigen und der herschenden Gesellschaft weitergehende organisationsrechtliche Rechte und Pflichten. Wie bereits festgestellt 46 , obliegen dem Konzernvorstand jedoch aufgrund dieser besonderen Stellung innerhalb der Tochtergesellschaft nicht die umfangreichen Pflichten des Vorstands einer unabhängigen Gesellschaft. Es obliegt ihm nicht die Pflicht, die Geschäfte der Tochtergesellschaft durch eigene Entscheidungen zu führen. Dem Konzernvorstand könnte aber eine umfassende, über die einzelne Weisung hinausgehende Wissensweiterleitungspflicht obliegen. Konkret hieße das, daß der Konzernvorstand verpflichtet wäre, dem Tochtervorstand die für die von ihm zu treffenden Entscheidungen erheblichen Kenntnisse zukommen zu lassen. Anders als in der Diskussion um die Weisungspflicht, ließe sich gegen das Bestehen einer Wissensweiterleitungspflicht nicht der Wortlaut des § 308 AktG anführen. So verlangt die einfache Weiterleitung von Informationen keine weitergehende Entscheidung in der Sache und ändert auch nichts an der tatsächlichen Zuständigkeit des Tochtervorstands zur eigenständigen Entscheidung. Es trifft daher ebenfalls nicht der gegen die Weisungspflicht vorgebrachte Einwand zu, daß eine solche Pflicht widersinnig sei, da ebenfalls nachteilige Weisungen erteilt werden könnten. Die reine Wissensweiterleitung ist als solche weder nachteilig noch vorteilhaft. Gegen das Bestehen einer Wissensweiterleitungspflicht spräche auch nicht die Verschwiegenheitspflicht des Konzernvorstands gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG. Der Konzernvorstand hätte sich vor der Ausübung der die Wissensweiterleitungspflicht begründenen Leitungsmacht zu überlegen, ob er die rechtserheblichen Informationen weitergeben darf bzw. möchte. Würde er durch die Weiterleitung von Informationen gegen die Verschwiegenheitspflicht verstoßen, so müßte er die entsprechende Entscheidung durch Weisungserteilung selbst treffen 47. Das würde allerdings dazu führen, daß der Konzernvorstand
46 47
Siehe oben § 4 Α. I. 1.
Entscheidet der Konzemvorstand durch Weisungserteilung selbst, so besteht kein Anlaß für eine Wissensweiterleitung.
Α. Wissenszurechnung im Vertragskonzern
225
verpflichtet wäre, die Entscheidungen bis hin zum laufenden Tagesgeschäft der Tochter selbst zu treffen, was vom Konzernvorstand praktisch nicht zu leisten wäre. Tatsächlich dürfte jedoch im Vertragskonzern nur selten die Weitergabe von Informationen an die Tochtergesellschaft einen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht darstellen 48.
aa) Die regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht durch den Konzernvorstand als Begründung einer Wissensweiterleitungspflicht Durch die regelmäßige und umfassende Einflußnahme wird die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft über die einzelne Weisung hinaus vom Konzernvorstand bestimmt. Der Tochtervorstand ist nicht mehr in die wesentlichen Entscheidungsprozesse der eigenen Gesellschaft eingebunden. Er ist bei umfassender regelmäßiger Weisungserteilung nur mit der schlichten Umsetzung der angewiesenen Maßnahmen beschäftigt. Auf Seiten der abhängigen Tochter entsteht deshalb durch die regelmäßige Einflußnahme ein erhebliches Informationsdefizit. Demgegenüber muß sich der Konzernvorstand, um sorgfältige Weisungsentscheidungen im Sinne der §§ 93 Abs. 1, 309 Abs. 1 AktG treffen zu können, umfassend über sämtliche Abläufe innerhalb der Tochtergesellschaft informieren 49 . Das Weisungsrecht des § 308 Abs. 1 AktG umfaßt zugleich das Recht, sich sämtliche Informationen zu beschaffen, die für die Ausübung einheitlicher Leitungsmacht erforderlich sind 50 . Das bedeutet, daß er darüber Kenntnis hat, welche Informationen für die Entscheidungsfindimg bei der Tochtergesellschaft von rechtserheblicher Bedeutung auch für die Umsetzung von Führungsentscheidungen ins laufende Tagesgeschäft sind. Der Konzernvorstand wird zum eigentlichen Wissens- und Willenszentrum der abhängigen Gesellschaft. Im Fall umfassender Leitung übernimmt der Konzernvorstand innerhalb des Konzerns auch die Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg der Tochtergesellschaft. Verantwortung meint in diesem Zusammenhang nicht eine Haftung für sorgfaltswidrige Weisungen, sondern nur die interne Verantwortung
48
Vgl. dazu auch oben § 3 E. III. 3. c).
49
Vgl. Scheffler, AG 1991, 256, 259; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 290 ff.; Stein, ZGR 1988, 163 ff, 166; Streyl, Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 122. 50
Vgl. Decher, ZHR 158 (1994), 473, 480 f.; Eckardt in Geßler/Hefermehl, AktG, § 131 Rn. 147; Hüffer, AktG, § 308 Rn. 12; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 17; Lutter, ZIP 1997, 613, 616 f.; Zöllner m KölnKomm. AktG*, § 131 Rn. 66. 1
Schler
226
4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
gegenüber den Aktionären für den wirtschaftlichen Erfolg der Tochtergesellschaft. Der Konzernvorstand erwächst in eine dauerhafte Stellung als „QuasiOrgan", konkret in die Stellung des eigentlichen Willensbildungsorgans der abhängigen Gesellschaft. Nach den oben festgestellten Grundsätzen ist dementsprechend der abhängigen Gesellschaft das Wissen seines „Quasi-Organs" wertend zuzurechnen, wenn dieses Wissen im Rahmen einer ordnungsgemäßen Organisation auch bei den für die tatsächliche Ausführung zuständigen Stellen (dem Tochtervorstand) hätte vorhanden sein müssen. Soweit der Konzernvorstand dem Tochtervorstand trotz der regelmäßigen Einflußnahme einzelne Entscheidungen überläßt, können diese vom Tochtervorstand nur dann angemessen getroffen werden, wenn er über die verfolgte Geschäftspolitik hinreichend informiert ist. Der Tochtervorstand muß in die Lage versetzt werden, die ihm verbleibenden Entscheidungen im Gesellschaftsinteresse treffen zu können. Um diese Entscheidungsfähigkeit des Tochtervorstands zu gewährleisten, bedarf es in den Grenzen einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung der Wissensweiterleitung. Zu dieser Wissensweiterleitung ist der Konzernvorstand gegenüber der abhängigen Gesellschaft auch verpflichtet. Diese Verpflichtung zur Wissensweiterleitung gegenüber der Tochtergesellschaft begründet sich als Nebenverpflichtung aus der dem Konzernvorstand obliegenden Sorgfaltspflicht des § 309 Abs. 1 AktG. Gemäß § 309 Abs. 1 AktG hat der Konzernvorstand bei der Wahrnehmung der Führungsfunktionen gegenüber der abhängigen Gesellschaft die Verpflichtung, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Diese Sorgfaltspflicht des § 309 AktG beinhaltet, daß sich der Konzernvorstand unter Heranziehung sämtlicher verfügbarer Informationen auf die Erteilung von Führungsentscheidungen vorbereitet 51. Insbesondere umfaßt die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters die Verpflichtung, eine Konzernorganisation zu schaffen, die einen ausreichenden Informationsfluß gewährleistet 52. Aufgrund seiner Weisungsmacht ist der Konzernvorstand in der Lage, eine solche Konzernorganisation aufzubauen und zu kontrollieren. Der Konzernvorstand ist als das entscheidene Willensbildungsorgan verpflichtet, denselben Informationsfluß zu gewährleisten, wie er innerhalb einer Gesellschaft erforderlich wäre. Dieses Wissen ist der abhängigen Gesellschaft bei unterlassener Wissensweiterleitung wertend zuzurechnen.
51 52
Ausführlich dazu schon oben § 3 C. IV. 3.
Ebenso Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 514 f., 516, für den Fall der umgekehrten Zurechnung. Vgl. dazu ebenfalls oben § 3 C. IV. 3.
Α. Wissenszurechnung im Vertragskonzern
227
Dre xl 53 ist demgegenüber der Auffassung, daß die Einflußnahme eine Wissenszurechnung nur in umgekehrter Richtung begründe 54. Nur die Obergesellschaft müsse sich das Wissen ihrer Tochtergesellschaft zurechnen lassen. Soweit in der abhängigen Gesellschaft neben dem herrschenden Unternehmen noch weitere Gesellschafter vorhanden sind, sei eine Zurechnung aufgrund des erforderlichen Schutzes dieser weiteren Gesellschafter nicht zu begründen 55. Dabei verkennt Drexl jedoch, daß die abhängige Gesellschaft samt der übrigen Minderheitsgesellschafter im Vertragskonzern nur bedingt zu schützen ist. Zu ihrem Schutz besteht gerade die allgemeine Verlustausgleichspflicht gemäß § 302 AktG. Vor allem aber verkennt er, daß die Verletzung der Wissensweiterleitungspflicht durch den Konzernvorstand zugleich eine ausgleichsfähige Pflichtverletzung gegenüber der abhängigen Gesellschaft darstellt 56, so daß ein ausreichender Schutz der abhängigen Gesellschaft bzw. der übrigen Gesellschafter gewährleistet ist. Problematisch ist in diesem Zusammenhang allerdings, das erforderliche Ausmaß der Einflußnahme zu bestimmen, welches die Stellung des Konzernvorstands als über die einzelne Weisung hinausgehendes Willensbildungsorgan und die Wissensweiterleitungspflicht begründet. Zur Bestimmung des Umfangs der dafür erforderlichen Einflußnahme ist darauf abzustellen, ob und mit welcher Regelmäßigkeit der Konzernvorstand die einem Vorstand obliegenden originären Führungsaufgaben in der Tochtergesellschaft wahrnimmt.
(1) Wahrnehmung der originären Führungsentscheidungen der Tochtergesellschaft
in
Der Vorstand einer Gesellschaft hat die mittel- und langfristige Festlegung der Unternehmenspolitik bzw. Unternehmensplanung zu treffen, die zur Erreichung der Zielsetzung erforderliche Unternehmensorganisation zu leisten, die Ausführung delegierter Aufgaben zu kontrollieren und die entscheidenen Führungsstellen im Unternehmen zu besetzen57. Ausschlaggebend ist, daß, wenn der Konzernvorstand diese originären Führungsfunktionen in der abhängigen
53
Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 519.
54
Siehe dazu unten § 5.
55
Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 519.
56
Siehe dazu unten § 4 Α. II.
57
So Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 11 f. mit ausfuhrlichen Nachweisen; vgl. auch Hüffer, AktG, § 76 Rn. 8; Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 5. 1
228
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
Gesellschaft wahrnimmt, er auch als das entscheidende Willensbildungsorgan anzusehen ist 58 . Es geht hier dabei nicht um eine abstrakte Bestimmung der Unternehmensleitung 59, sondern es stellt sich die konkrete Frage, ob der Konzernvorstand die Führungsentscheidungen 60 trifft, die der Tochtervorstand treffen müßte, wenn es sich um eine unabhängige Gesellschaft handeln würde. Eine so gestellte Frage erinnert an die bis zum „TBB"-Urteil des BGH geführte Diskussion um das Tatbestandsmerkmal der dauerhaften und umfassenden Ausübimg der Leitungsmacht als Begründung einer Haftung im qualifziert faktischen Konzern 61 . So hat beispielsweise Lutter darauf abgestellt, ob „die Geschäftsführung der abhängigen Gesellschaft in ihrem Kern auf die Muttergesellschaft übergegangen ist" 62 . Diese Definition könnte ihrem Inhalt nach auch im vorliegenden Fall als Abgrenzungskriterium herangezogen werden. Eine Bezugnahme auf die bis zum „TBB"-Urteil geführte Diskussion um die Tatbestandsmerkmale einer Haftung im qualifiziert faktischen Konzern ist jedoch eher hinderlich, da diese Diskussion vor allem vor dem Hintergrund einer befürchteten ausufernden Haftung im GmbH-Konzern geführt wurde, was die Vergleichbarkeit mit der vorliegenden Problematik ausschließt. Zudem wurde letztlich das Kriterium der dauerhaften und umfassenden Ausübung der Leitungsmacht als haftungsbegründendes Tatbestandsmerkmal wieder aufgegeben 63 . Voraussetzung für eine Qualifikation als umfassendes Willensbildungsorgan ist, daß die Führungsfunktionen auch umfassend wahrgenommen werden. Eine umfassende Wahrnehmung der Führungsfunktionen ergibt sich beispielsweise, wenn ein Konzernvorstandsmitglied im Konzernvorstand ausschließlich für die
Wobei die im Sinne der Wissensnormen rechtserhebliche Entscheidung nach wie vor vom Tochtervorstand getroffen wird. 59
Vgl. zu den vielfältigen theoretischen Ansätzen zum Unternehmensverständnis als Gegenstand der Leitung nur Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 6 ff. m.w.N. Vgl. auch Abeltshauser, Leitungshaftung, S. 28 ff, 161 ff. 60
Im Anschluß an Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 13, sind darunter solche Entscheidungen zu verstehen, mit denen die originären Führungsfunktionen ausgeübt werden. 61
Vgl. BGHZ 95, 330 ff. („Autokran"); 107, 7 ff. („Tiefbau"); 115, 187 ff. „(Video") sowie Emmerich in Scholz, GmbHG, Anh. KonzernR Rn. 193 ff. mit Nachweisen zur Literatur. 62 63
Lutter, KG 1990, 179, 183.
Vgl. nur BGHZ 122, 123 ff. („TBB") sowie Lutter/Hommelhoff 13 Rn. 16 ff. m.w.N.
GmbHG, Anh.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
229
Leitung einer oder mehrerer Tochtergesellschaften zuständig ist 64 und dementsprechend seine Vorstellungen der Geschäftsführung bzw. die des Konzernvorstands als Kollegium in der Tochtergesellschaft mittels Weisungen durchzusetzen sucht. Übt demgegenüber der Konzernvorstand die Führungsfunktionen nur in einem bestimmten Bereich innerhalb der Geschäftsführung aus, so ist die Stellung als Willensbildungsorgan auf diesen Bereich begrenzt 65. Unerheblich ist es dabei, ob sich dieser Bereich nach funktionalen, divisionalen oder sonstigen Grundsätzen abgrenzt 66. Trifft der Konzernvorstand beispielsweise für den Bereich Einkauf die entsprechenden Führungsentscheidungen in der Tochtergesellschaft, so ist er nur innerhalb dieses Bereichs als entscheidenes Willensbildungsorgan der abhängigen Gesellschaft anzusehen. Trifft er für ein bestimmtes Absatzgebiet (ζ. B. Absatzgebiet Nordamerika) oder für den Bereich der Großkundenbetreuung die erforderlichen Führungsentscheidungen, so ist er auf diese Bereiche beschränkt als Willensbildungsorgan der abhängigen Gesellschaft zu werten. Für die Qualifizierung als Willensbildungsorgan nicht erforderlich ist es, daß die vom Konzernvorstand getroffenen Führungsentscheidungen bereits tatsächliche Auswirkungen im Sinne der Wissensnormen beinhalten. Überwiegend dürfte es sich bei den vom Konzernvorstand zu treffenden originären Führungsentscheidungen nur um allgemeine Führungsentscheidungen 67 handeln, die keine tatsächlichen Auswirkungen auf das operative Geschäft enthalten. Dementsprechend ist es für die Qualifizierung als Willensbildungsorgan nicht erforderlich, daß der Konzernvorstand Entscheidungen im Rahmen des laufenden Tagesgeschäfts trifft. Die Aufgaben der laufenden Tagesgeschäftsführung müssen nicht zwingend durch den Vorstand einer Gesellschaft wahrgenommen werden 68. Sie können von untergeordneten Führungskräften ausge64
Vgl. Scheffler, Konzernmanagement, S. 25; vgl. auch die Ausführungen zum Vorstands-Doppelmandat von „unten nach oben" im faktischen Konzern S. 210 ff. (§ 3 E. VII. 1.). Zum den rechtlichen Problemen des Vorstands-Doppelmandats im Vertragskonzern siehe Streyl, Zur konzernrechtlichen Problematik von VorstandsDoppelmandaten, S. 31, 63, 69. 65
Im Ergebnis ebenso Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 516.
66 Vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten der Unternehmensorganisation und den damit verbundenen rechtlichen Problemen ausführlich Schießt, ZGR 1992, 64 ff; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 26 ff. Zu den verschiedenen Organisationsformen aus betriebswirtschaftlicher Sicht vgl. Theisen, Der Konzern, S. 19 ff. 67
Siehe oben § 3 C IV. 2.
68
Vgl. nur Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 15.
230
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
übt werden. Unabhängig von der Wahrnehmung der Führungsentscheidungen ist der Konzernvorstand allerdings auch dann als Willensbildungsorgan zu werten, wenn er dem Tochtervorstand in einem bestimmten Bereich des laufenden Tagesgeschäfts regelmäßig Weisungen erteilt. Dabei unberücksichtigt bleibt, daß die Ausführungen des laufenden Tagesgeschäfts bei ordnungsgemäßer Geschäftsführung zunächst die Festsetzung der mittel- und langfristigen Ziele voraussetzen. Eine solche Konstellation ist vor allem wohl bei kleineren Vertragskonzernen denkbar, bei denen es an einer längerfristigen Planung fehlt. Auch hier gilt, daß der Konzernvorstand über sämtliche Geschehnisse in diesem Bereich bei der Tochter informiert sein muß und umgekehrt der Tochtervorstand von der eigentlichen Entscheidungsfindung ausgeschlossen ist.
(2) Wahrnehmung der originären Konzemföhrungsaufgaben Etwas anderes ergibt sich aber dann, wenn der Konzernvorstand nicht mehr die originären Führungsfunktionen innerhalb der Tochtergesellschaft selbst wahrnimmt, sondern sich auf die Wahrnehmung der unabdingbaren Konzernführungsaufgaben, insbesondere die strategische und die finanzielle Konzernführung beschränkt 69. Die strategische Konzernführung beschränkt sich auf die Bestimmung, in welchen strategischen Geschäftsfeldern der Konzern nachhaltig am Markt tätig sein und auf welchen er expandieren oder schrumpfen will 7 0 . Die finanzielle Konzernführung beinhaltet die Aufstellung eines einheitlichen Finanzplans, der für eine optimale Kapitalausstattung sorgt und durch eine entsprechende Ressourcenverteilung die Verwirklichung der strategischen Ziele unterstützt 71. Beschränkt sich der Konzernvorstand auf die Wahrnehmung dieser Konzernführungsentscheidungen, handelt es folglich um einen dezentral geführten Konzern, kann der Konzernvorstand nicht als das entscheidene Willensbildungsorgan der abhängigen Gesellschaft angesehen werden. Nicht ausreichend ist es demnach, die einheitliche Leitung in dem im Sinne der Konzerndefinition des § 18 Abs. 1 S. 1 AktG erforderlichen Mindestmaß auszuüben 72 . Schreibt er der Tochtergesellschaft beispielsweise nur vor, im nächsten Jahr eine Umsatzsteigerung von X % zu erreichen, greift er nicht in die tatsächliche Willensbildung ein. Gleiches gilt, wenn der Konzernvorstand bei69
Vgl. zum Mindestumfang einheitlicher Leitung Scheffler,
Konzernmanagement,
S. 32 f. 70
Siehe Scheffler,
71
Vgl. Scheffler,
72
Konzernmanagement, S. 24. Konzernmanagement, S. 24.
Etwas anders Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 516, der diesbezüglich von einer brauchbaren Orientierungshilfe spricht.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
231
spielsweise nur die konzerninternen Verrechnungspreise festlegt oder über den cash-flow zwischen den Konzernunternehmen bestimmt. In diesen Fällen hat er keinen Überblick über die für die Geschäfte der Tochter mit Dritten rechtserheblichen Informationen. Daran ändert auch die Kontrolle der Bilanzen und der Jahresabschlüsse nichts, welche ohnehin zur Erstellung des Konzernabschlusses an den Konzernvorstand weiterzugeben sind, vgl. §§ 290 ff. HGB. Bleiben die Tochtergesellschaften also weitgehend selbständig, haben sie ihre eigene Produktionsentwicklung, ihre eigenen Vertriebsprogramme, ihre eigene Unternehmensorganisation, etc., wird der Konzernvorstand nicht zum eigentlichen Willensbildungsorgan der Tochtergesellschaft und ihm obliegt keine Wissensweiterleitunspflicht.
(3) Regelmäßigkeit der Einflußnahme Erst wenn der Konzernvorstand regelmäßig die originären Führungsentscheidungen innerhalb der Tochtergesellschaft trifft, kann von einer dauerhaften Stellung als Willensbildungsorgan der Tochter gesprochen werden. Denn nur bei regelmäßiger, nicht zwingend vollständiger Wahrnehmung der Führungsaufgaben, findet die wesentliche Willensbildung beim Konzernvorstand statt. Fraglich ist daher, wann eine ausreichende regelmäßige Einflußnahme auf die Führungsentscheidungen vorliegt. Sicherlich reicht eine vereinzelte Weisung zur Begründimg einer „QuasiOrganschaft" nicht aus. Die Willensbildung der abhängigen Gesellschaft erfolgt dann nahezu unbeeinflußt und allein durch den Tochtervorstand. Durch die Erteilung einer einzelnen Weisung wird kein dauerhafter Einfluß auf die Geschäftspolitik ausgeübt. Die Bestimmung der Geschäftspolitik bleibt in diesem Fall Sache des Tochtervorstands. Dem Tochtervorstand wird durch die Erteilung einer einzelnen Weisung keine Richtung für die Bestimmung der Geschäftsführung vorgegeben. Bei der Erteilung nur vereinzelter Führungsentscheidungen will der Konzernvorstand ebenfalls intern regelmäßig nicht die Verantwortung für das Ergebnis der Tochter tragen. Eine wirtschaftliche Krisensituation in der abhängigen Gesellschaft würde daher auch nur in Ausnahmefällen zu einer Entlassung von Mitgliedern des Konzernvorstands fuhren, nämlich nur dann, wenn diese ihre Konzernkontrollfunktionen nicht ordnugsgemäß wahrgenommen hätten. Lediglich hinsichtlich der Ausführung der einzelnen Führungsentscheidung ist der Konzernvorstand als das entscheidene Willensbildungsorgan anzusehen, was aber, soweit diese Weisung keine rechtserheblichen Auswirkungen im Sinne der Wissensnormen enthält, für die Wissenszurechnung ohne Bedeutung ist. Es ist darauf abzustellen, ob der Konzernvorstand seine Vorstellungen von Geschäftsführung bei der abhängigen Gesellschaft durchsetzen wollte. Ein
232
4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
solches Anliegen erfordert einen so umfassenden Einfluß, daß die Richtung fur die vom Tochtervorstand zu treffenden Entscheidungen auch außerhalb der Weisungen bereits vorgegeben ist. Es kann an dieser Stelle aus juristischer Sicht keine abschließende Definition gegeben werden, ab wann die Richtung für die vom Tochtervorstand zu treffenden Entscheidungen außerhalb der Weisungen vorgegeben ist 73 . Regelmäßig wird dies in einem zentralisierten Konzern der Fall sein. Überwiegend dürften in der Praxis zudem die Konzernstrukturen klar festgelegt sein, um Kompetenzstreitigkeiten zu verhindern. Anhand dieser Konzernstrukturen kann dann im Einzelfall bestimmt werden, ob die Leitungsmacht in ausreichendem Maße ausgeübt wurde, ob es sich um einen zentral oder dezentral geführten Konzern handelt, zumal der Konzernvorstand auch verpflichtet ist, seinen Einfluß mit einer gewissen Kontinuität auszuüben74.
(4) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß dem Konzernvorstand im zentralisierten Konzern, d. h. bei regelmäßiger Wahrnehmimg der originären Führungsentscheidungen in der Tochtergesellschaft, als dem eigentlichen Willensbildungsorgan der Tochter eine umfassende Wissensweiterleitungspflicht obliegt. Beschränkt sich der Konzernvorstand bei der Wahrnehmung der Führungsentscheidungen nur auf bestimmte Bereiche der Geschäftsführung, so ist dementsprechend auch die Wissensweiterleitungspflicht auf diese Bereiche begrenzt. Nach den oben gewonnenen Erkenntnissen muß sich die abhängige Gesellschaft das Wissen des Konzernvorstands als dem eigentlichen Willensbildungsorgan im Wege wertender Betrachtung zurechnen lassen.
bb) Umfang der Wissensweiterleitungspflicht Schon bei der Erteilung „längerfristiger" Weisungen mit Auswirkungen auf das operative Geschäft der Tochtergesellschaft obliegen dem Konzernvorstand weitergehende, nachwirkende Wissensweiterleitungspflichten 75. So ist er verpflichtet, Kenntnisse, die für die Ausführung einer Weisung von Bedeutung
73
Zur genauen Abgrenzung ist auf das betriebswirtschaftliche Schrifttum zu verweisen, siehe z. B. Scheffler, DB 1985, 2005 ff. 74
Vgl. Dierdorf, mung, S. 54. 75
Herrschaft und Abhängigkeit, S. 83 f., 87; Lutter, Mitbestim-
Siehe oben § 3 C. IV.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
233
sein könnten, auch noch nach Weisungserteilung an den ausfuhrenden Tochtervorstand weiterzuleiten 76. Die im Zusammenhang mit einer konkreten Führungsentscheidung stehende „Wissensweiterleitungspflicht" bleibt jedoch inhaltlich hinter der durch die Stellung als dauerhaftes Willensbildungsorgan begründeten Pflicht zurück. Aufgrund der Stellung als dauerhaftes Willensbildungsorgan ist der Konzernvorstand verpflichtet, sämtliche Informationen die für die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft rechtserheblich sein könnten, an die für die tatsächliche Ausführung zuständigen Stellen innerhalb der Tochter weiterzuleiten. Diese Pflicht besteht unabhängig von einer konkreten Führungsentscheidung, also auch dann, wenn für den betreffenden Fall keine Führungsentscheidung vorgelegen hat oder, wenn die Führungsentscheidung keine Auswirkungen auf das operative Geschäft hat 77 . Diese umfassende Wissensweiterleitungspflicht beschränkt sich jedoch auf die Bereiche, in denen dem Konzernvorstand die Stellung als Willensbildungsorgan zukommt. Desweiteren beschränkt sich die Pflicht entsprechend der bereits oben gewonnenen Erkenntnisse für die Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern auf solche Informationen, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung weitergeleitet werden müßten. Das richtet sich wiederum nach der Wesentlichkeit der Informationen, dem Zeitpunkt der Informationserlangung, der Bedeutung der von der Information betroffenen Geschäfte und dem Anlaß zur Abfragung von Wissensspeichern 78. Beispiel: Der Konzernvorstand trifft im Bereich Einkauf die wesentlichen Führungsentscheidungen für die Tochtergesellschaft. Erlangt nun ein für den Einkauf am Standort A zuständiger Abteilungsleiter der Obergesellschaft Kenntnis von der Mangelhaftigkeit eines eingekauften Produktes, muß sich die Obergesellschaft diese Kenntnis zurechnen lassen, wenn sie bei ordnungsgemäßer Organisation an den für den Einkauf am Standort Β zuständigen Abteilungsleiter weiterzuleiten gewesen wäre. Die Gesellschaft wäre dementsprechend beim Kauf dieses Produktes durch den zuständigen Abteilungsleiter in Β als wissend im Sinne des § 460 BGB anzusehen. Kauft auch die Tochtergesellschaft dieses Produkt in einem gewissen Umfang ein, so ist die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit ebenfalls an die zuständigen Stellen in der Tochtergesellschaft weiterzuleiten. Ist hingegen der Einkauf dieses Produktes für die abhängige Gesellschaft von untergeordneter Bedeutung, ergibt sich aus dem Kriteri-
76
Ausführlich siehe oben § 3 C. IV. 2.
77
Zur Unterscheidung siehe oben § 3 C. IV. 2. c).
78
Ausführlich oben § 2 D. II. 2. d) bb) (2).
234
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
um der ordnungsgemäßen Geschäftsführung, daß diese Kenntnis nicht weitergeleitet zu werden braucht. Nur so kann verhindert werden, daß sämtliche Informationen an sämtliche Entscheidungsstellen weiterzuleiten sind, was schon rein praktisch nicht zu bewältigen wäre. Andererseits kann aber auch eine weitergehende Wissensweiterleitung als innerhalb der Obergesellschaft erforderlich sein. Das wäre in dem Beispiel der Fall, wenn die Kenntnis für den Standort Β keine Bedeutung hätte, hingegen für die Tochtergesellschaft von großer Bedeutung wäre. Darüberhinaus ergeben sich für den Umfang der Wissensweiterleitungspflicht Besonderheiten, wenn der Konzernvorstand die Führungsentscheidungen in mehreren, insbesondere branchengleichen Tochtergesellschaften wahrnimmt. In diesem Fall bezieht sich die Wissensweiterleitungspflicht auch auf solche Informationen, die der Konzernvorstand aufgrund seiner Funktion als Willensbildungsorgan in den Tochtergesellschaften erlangt. Die Wahrnehmung der Führungsfunktionen in mehreren Tochtergesellschaften führt damit über die Obergesellschaft zu einer Wissenszurechnung zwischen den einzelnen Tochtergesellschaften. Handelt es sich um branchengleiche Tochtergesellschaften, so kann der im Rahmen einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung erforderliche Informationsfluß erhebliche Ausmaße annehmen.
d) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß der Konzernvorstand durch die regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht in die Stellung des entscheidenen Willensbildungsorgans der abhängigen Tochter erwächst. Aufgrund dieser organisationsrechtlichen Stellung obliegt dem Konzernvorstand gegenüber der abhängigen Gesellschaft die Pflicht, die für den Tochtervorstand rechtserheblichen Kenntnisse zur Umsetzung der Führungsentscheidungen durch die Schaffung einer entsprechenden Konzernorganisation weiterzuleiten. Diese Pflicht bewirkt, daß der Tochtergesellschaft solche Kenntnisse der Obergesellschaft wertend zugerechnet werden, die bei einer ordnungsgemäßen Organisation an den Tochtervorstand hätten weitergeleitet werden müssen. Sie ist allerdings auf die Bereiche der Geschäftsführung beschränkt, in denen der Konzernvorstand seine Leitungsmacht auch tatsächlich mit der erforderlichen Intensität ausübt. Zudem gilt es festzustellen, daß ein Verstoß gegen die Wissensweiterleitungspflicht nicht nur als ein Fall fahrlässiger Nichtkenntnis im Sinne der Wissensnormen anzusehen ist. Hatte der Konzernvorstand positive Kenntnis von einer rechtserheblichen Tatsache, so wird diese Kenntnis der Tochter zugerechnet und zwar auch dann, wenn die Verletzung der Wissensweiterleitung nur auf einer Fahrlässigkeit beruhte.
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3. Weisungspflicht gegenüber der eigenen, herrschenden Gesellschaft Weitergehend läßt sich die Frage stellen, ob sich nicht aus einem anderen Aspekt der vertraglichen Konzernverbundenheit heraus eine umfassende, nicht auf die Bereiche bereits ausgeübter Leitungsmacht beschränkte Wissenszurechnung ergeben könnte. So wird in der konzernrechtlichen Literatur diskutiert 79 , ob dem Konzernvorstand aufgrund der konzernrechtlichen Verbundenheit und der damit einhergehenden erweiterten Risikoverbundenheit im Vertragskonzern eine umfassende Pflicht gegenüber der eigenen, herrschenden Gesellschaft obliegen könnte, der Tochter Weisungen zu erteilen. Wäre der Konzernvorstand gegenüber der eigenen Gesellschaft zur Weisungserteilung an den Tochtervorstand verpflichtet, so könnte dies unter dem Gesichtspunkt der durch die Wissensnormen zu gewährleistenden angemessenen Risikoverteilung auch Auswirkungen auf die Begründung der Wissenszurechnung haben80. Teilweise wird die Konzernleitungspflicht als Begründung für eine Wissenszurechnung schon mit dem Argument abgelehnt, daß die Konzernleitungspflicht nur im Innenverhältnis zwischen den Gesellschaften besteht81. Diese Argumentation greift jedoch zu kurz. Denn wenn der Konzernvorstand einer Weisungspflicht entsprechend umfassenden Einfluß auf die Tochtergesellschaft ausüben würde, würde dies nach den obigen Erkenntnissen zu einer umfassenden Wissenszurechnung führen. Die Tochtergesellschaft würde den gesetzlichen Schutz der Wissensnormen verlieren und müßte das betreffende Risiko tragen, ohne das das Wissen tatsächlich bei ihr vorliegen müßte. Käme der Konzernvorstand seiner Pflicht hingegen nicht nach und lägen die Voraussetzungen einer die Wissensweiterleitungspflicht begründenden Stellung innerhalb der Tochtergesellschaft nicht vor, so bliebe der gesetzli-
79 Vgl. insbesondere Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 43 ff; siehe auch Emmerich, NJW 1983, 269; Emmerich!Sonnenschein, Konzernrecht, S. 351; Götz, AG 1984, 85, 90 f.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, Vor § 291 Rn. 30, § 309 Rn. 41 und § 323 Rn. 12; ders., AG 1983, 230, 231; ders. in Rowedder, GmbHG, Anh. § 52 Rn. 61 ; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 32, § 70 Rn. 104 und § 73 Rn. 27; Kropff, ZGR 1984, 112, 115 f.; Lutter, FS Westermann, 347, 357; Martens, FS Heinsius, S. 523, 531; ders., ZGR 1984, 417, 425 f.; Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 54; Rehbinder, ZHR 147 (1983), 464, 467 f.; Rittner, AcP 183 (1983), 295, 301 ff.; Scheffler, FS Goerdeler, S. 469, 471 ff.; ders, DB 1985, 2005; Schneider, ZHR 143 (1979), 485, 506 ff.; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 275 ff, 406; ders., FS Stiefel, S. 719, 727 f.; Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, S. 95 ff.; ders., AG 1980, 172, 181; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. KonzernR, Rn. 104. 80
Siehe dazu auch Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 510 ff.
81
So Drexl, ZHR 161,(1997), 491, 510 ff.
236
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
che Schutz der Wissensnormen für die Tochtergesellschaft erhalten. Ihr kämen somit Vorteile (Schutz durch die Wissensnormen) zu, die ihr in einem ordnungsgemäß geführten Konzern nicht zukämen, mit der Folge, daß der Dritte das betreffende Risiko tragen müßte. Um die Schlechterstellung des ordnungsgemäß geführten Konzerns gegenüber dem pflichtwidrig geführten Konzern und die damit einhergehende Benachteiligung des Dritten zu verhindern, könnte es daher geboten sein, daß Wissen des Konzernvorstands der abhängigen Gesellschaft zuzurechnen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, ob tatsächlich der abhängigen Tochtergesellschaft dadurch Nachteile entstehen dürfen, daß innerhalb der herrschenden Gesellschaft bestehende Pflichten verletzt werden. Dagegen spricht zunächst die grundsätzliche Trennung und Eigenständigkeit der Konzerngesellschaften. Die Rechtsordnung hat im Vertragskonzern dem herrschenden Unternehmen die rechtliche Möglichkeit eingeräumt, eine abhängige Gesellschaft nach eigenen Vorstellungen zu leiten und vor allem den eigenen Interessen unterzuordnen (§ 308 AktG), ohne das die rechtliche Eigenständigkeit der abhängigen Gesellschaft aufgegeben werden muß. A u f der anderen Seite ist festzustellen, daß durch die besondere Verbundenheit auch die Obergesellschaft zumeist unmittelbar, soweit neben dem Beherrschungs- noch ein Gewinnabführungsvertrag besteht, von den Vorteilen profitiert, die die Tochtergesellschaft durch den Schutz der Wissensnormen erhält. Diese Vorteile ständen der Tochtergesellschaft und damit der Obergesellschaft nicht zu, wenn sich der Konzernvorstand ordnungsgemäß verhalten hätte. Insbesondere hätte nicht der außenstehende Dritte das Risiko zu tragen. Die Wissenszurechnung dient gerade dazu, einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den beteiligten Parteien herzustellen. Grundsätzlich besteht zwar zwischen Konzernmutter und Konzerntochter keine Interessenidentität, es besteht aber sehr wohl eine Interessenverbundenheit 82. Die Vorteile, die sich aus der rechtlichen Selbständigkeit trotz umfassender Weisungsgebundenheit und Abhängigkeit ergeben, können dem Interessenverbund Konzern auf der einen Seite gegenüber dem Dritten auf der anderen Seite nur dann zugestanden werden, wenn sich der Interessenverbund Konzern auch ordnungsgemäß verhalten hat. Die rechtliche Selbständigkeit bedarf einer Korrektur, um einen möglichen „Mißstand" zu verhindern, ohne daß es auf das Vorliegen einer subjektiven Mißbrauchsabsicht ankäme83. Vielmehr geht es nur darum, eine Besserstellung
82 83
Siehe oben § 3 C. I.
Das Erfordernis einer subjektiven Mißbrauchsabsicht ist, wie schon bei der Zurechnung innerhalb einer juristischen Person, als Abgrenzungskriterium unzureichend, siehe oben § 2 D. V. 1. d) aa). Die Korrektur der rechtlichen Selbständigkeit bedarf
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ergskonzern
237
des pflichtwidrig gegenüber dem pflichtgemäß geführten Konzern zu verhindern. Richtig ist, daß eine so begründete Zurechnung eine Schlechterstellung der Tochtergesellschaft aufgrund einer Pflichtverletzung des Konzernvorstands bewirken würde. Jedoch besteht schon von Gesetzes wegen für die abhängige Gesellschaft gegenüber der herrschenden Gesellschaft nur ein eingeschränkter Schutz. Zum Ausgleich solcher Nachteile besteht letztlich die allgemeine Verlustausgleichspflicht des § 302 AktG. Als in diese Richtung gehend könnte auch der von Bork angedachte Ansatz verstanden werden 84. Bork hat ausgeführt, daß eine Wissenszurechnung im Konzern dann begründet sei, „wenn ein Unternehmen im Zuge arbeitsteiliger Konzernorganisation die Möglichkeit zur Kenntnisnahme auf andere Unternehmen verlagert und sich dadurch der Kenntniserlangung organisatorisch „entzogen,, hat". In diesen Fällen sei es gerechtfertigt, den Konzernunternehmen das tatbestandsrelevante Wissen der anderen Gesellschaften zuzurechnen 85 . Allerdings ist offen, welche Fälle sich Bork tatsächlich konkret darunter vorgestellt hat. Bestünde für den Konzernvorstand gegenüber seiner eigenen Obergesellschaft eine umfassende Weisungspflicht, so würde dies eine ebenso umfassende Wissenszurechnung begründen.
a) Herleitung einer Konzernleitungspflicht Im Ergebnis dürfte es heute kaum streitig sein, daß dem Konzernvorstand gegenüber seiner eigenen, herrschenden Gesellschaft eine Pflicht zur Leitung der abhängigen Tochtergesellschaft obliegt 86 . Eine solche Konzernleitungsauch in den Fällen konzernrechtlicher Zurechnungsnormen keiner subjektiven Mißbrauchsabsicht, siehe oben § 3 B. 84
Bork, ZGR 1994,237,256.
85
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß Bork in diesem Zusammenhang von einer Zurechnung analog § 166 BGB spricht. Unklar ist, wie er sich eine solche analoge Anwendung (Abs. 1 oder 2) überhaupt vorstellt. Eine Anwendung der Vorschrift des § 166 BGB ist jedoch schon aus den oben genannten Gründen als unbefriedigend abzulehnen. 86
Vgl. insbesondere Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 43 ff, der das Bestehen einer Konzernleitungspflicht in aller Ausführlichkeit hergeleitet hat. Siehe auch Emmerich, NJW 1983, 269; Emmerich/Sonnenschein, Konzemrecht, S. 351; Götz, AG 1984, 85, 90 f.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, Vor § 291 Rn. 30, § 309 Rn. 41 und § 323 Rn. 12; ders., AG 1983, 230, 231; ders. in Rowedder, GmbHG, Anh. § 52
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§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
pflicht ergibt sich aus dem in § 76 AktG manifestierten allgemeinen Leitungsauftrag des Vorstands. Dieser umfaßt nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Geschäftsführung wahrzunehmen und dadurch den Unternehmenszweck zu verfolgen. § 76 AktG spricht zwar nur von der Leitung der „Gesellschaft", die Konzernleitung ist jedoch im herrschenden Unternehmen ein Teil dieser Leitungsaufgaben. Denn schließlich trägt auch der Erfolg der abhängigen Tochter zum Erfolg der Obergesellschaft bei. Es gehört daher zu den Aufgaben des Konzernvorstands, die in der abhängigen Gesellschaft befindlichen Mittel und Ressourcen zur Erreichung des Unternehmenserfolgs zu nutzen.
b) Umfang der Konzernleitungspflicht Fraglich ist jedoch, in welchem Umfang eine solche Konzernleitungspflicht besteht. Insbesondere stellt sich die Frage, ob dem Konzernvorstand nur die Pflicht obliegt, entsprechend dem für § 18 AktG erforderlichen Mindestumfang strategische und finanzielle Konzernführungsaufgaben auszuüben87 oder, ob er vielmehr verpflichtet ist, sämtliche originären Führungsaufgaben der Tochtergesellschaft zu übernehmen.
aa) Die These Hommelhojfs Hommelhoff vertritt die Ansicht, daß jedenfalls im Eingliederungs- und Vertragskonzern - vorbehaltlich satzungsrechtlicher Reduktion - die Ausübung der Leitungsmacht von Rechts wegen umfassend sein müsse88. Der Konzernvorstand dürfe sich nicht darauf beschränken, nur die grundlegende Geschäftspolitik und die langfristigen Konzernmaßnahmen festzulegen, sondern er müsse das gesamte Konzerngeschehen bis hin zum laufenden Tagesgeschäft durch eigene Vorgaben leiten, deren Durchführung kontrollieren und gegebenenfalls
Rn. 61; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 32, § 70 Rn. 104 und § 73 Rn. 27; Kropff, ZGR 1984, 112, 115 f.; Lutter, FS Westermann, 347, 357; Martens, FS Heinsius, S. 523, 531; ders., ZGR 1984, 417, 425 f.; Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 54; Rehbinder, ZHR 147 (1983), 464, 467 f.; Rittner, AcP 183 (1983), 295, 301 ff.; Scheffler, FS Goerdeler, S. 469, 471 ff.; ders., DB 1985, 2005; Schneider, ZHR 143 (1979), 485, 506 ff.; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 275 ff, 406; ders., FS Stiefel, S. 719, 727 f.; Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, S. 95 ff.; ders, AG 1980, 172, 181; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. KonzernR, Rn. 104. 87
Vgl. Scheffler,
88
Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 179 ff, 419.
Konzernmanagement, S. 24, 32 f.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
239
lenkend eingreifen. Das ergebe sich aus der Pflicht zur eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft, § 76 Abs. 1 AktG. Der Konzernvorstand trage „die umfassende Gesamtverantwortung für das gesamte Konzerngeschehen in der Konzernspitze und in den einzelnen Konzerntochtergesellschaften" 89. Ihn treffe daher die volle Verantwortung dafür, daß innerhalb eines arbeitsteiligen Gesamtsystems sämtliche Vorkehrungen getroffen werden, um den Gesellschaftszweck mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu verwirklichen 90 . Der Konzernvorstand habe ebensowenig wie der Vorstand im Einzelunternehmen die Möglichkeit, seine Verantwortung und seinen Aufgabenbereich eigenständig einzuschränken. Zudem würde eine solche Einschränkung dem „politischen Regierungs- und Verantwortungssystem des Aktiengesetzes"91 widersprechen. Etwas anderes könne sich nur dann ergeben, wenn schon in der Satzung der Hauptgesellschaft die bloße kapitalmäßige Beteiligungsverwaltung als Unternehmenszweck festgelegt sei 92 oder, wenn sich eine solche reine Beteiligungsverwaltung als Annex der eigentlichen unternehmerischen Betätigimg ergebe 93. Letzteres sei ζ. B. bei Banken der Fall, wenn eine Aktienemission fehlgeschlagen ist oder ein Sanierungsbeitrag geleistet werden soll 94 . Hommelhoff führt weiter aus, daß wenn der Konzernvorstand die Verantwortung samt Leitung auf dezentral organisierte Einheiten übertragen könnte, insoweit auch die Überwachungskomptenzen von Aufsichtsrat und Hauptversammlung der Obergesellschaft ins Leere liefen. Die eigenverantwortlich opperierenden Geschäftsleitungen der Tochtergesellschaften seien dann nicht mehr an das Vertrauen von Aufsichtsrat und Hauptversammlung der Muttergesellschaft gebunden95. I m Eingliederungs- und Vertragskonzern stünden der vom Konzernvorstand auszuübenden Leitungsfunktion auch keine wesentlichen Schranken aus dem Recht der Tochtergesellschaft entgegen96. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Beherrschungsvertrag keine besonderen Einschränkungen der Leitungsmacht
89
Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 166.
90
Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 166, 179 ff.
91
Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 194 ff.
92
Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 46 f.
93
Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 48 ff.
94
Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 50 f.
95
Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 175 ff., 213, 262 f.
96
Hommelhoff,
Konzernleitungspflicht, S. 152 f.
240
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
enthalte. Solle der Tochtergesellschaft dennoch ein gewisser Autonomiefreiraum gewährt werden, wie dies in der Praxis häufig der Fall sei, so müsse dieser Freiraum von der Hauptversammlung der Hauptgesellschaft mit qualifizierter Mehrheit genehmigt werden 97. Eine so weitgehende Konzernleitungspflicht hätte zur Folge, daß der Konzernvorstand ein ebenso umfassendes Informationsnetz aufzubauen hätte, wie das innerhalb einer Gesellschaft erforderlich ist. Konkret würde das bedeuten, daß das Wissen der herrschenden Gesellschaft umfassend - entsprechend der für die Wissenszurechnung innerhalb einer Gesellschaft geltenden Grundsätze der Tochtergesellschaft zuzurechnen wäre.
bb) Die herrschende Ansicht Demgegenüber wird jedoch ganz überwiegend eine so weitgehende Konzernleitungspflicht abgelehnt98. Vielmehr bleibe es dem Konzernvorstand überlassen, in welchem Umfang und wie intensiv er die Geschäfte der Tochter leiten wolle 99 . Dem Konzernvorstand stehe insofern ein Ermessensspielraum zu. Ausreichend sei ein Mindestmaß an einheitlicher Leitung. Dieses Mindestmaß müsse eine einheitliche Konzernplanung, Konzernkoordinierung und Konzernkontrolle umfassen 100. Dem Konzernvorstand müsse als Teil seiner
Hommelhoff,
Konzernleitungspflicht, S. 323 f.
98 Emmerich, NJW 1983, 269; Emmerich!Sonnenschein, Konzernrecht, S. 351; Götz, AG 1984, 85, 90 f.; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 32, § 70 Rn. 104 und § 73 Rn. 27; Kropff, ZGR 1984, 112, 115 f.; Lutter, FS Westermann, 347, 357; Martens, FS Heinsius, S. 523, 531 ;ders., ZGR 1984, 417, 425 f.; Scheffler, FS Goerdeler, S. 469, 471 ff.; ders., DB 1985, 2005; Schneider, ZHR 143 (1979), 485, 506 ff.; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 275 ff, 406; ders, FS Stiefel, S. 719, 727 f.; Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, S. 95 ff.; ders, AG 1980, 172, 181. Sehr deutlich Hüffer, AktG, § 76 Rn. 17; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, Vor § 291 Rn. 30, § 309 Rn. 41 und § 323 Rn. 12; ders, AG 1983, 230, 231; ders. in Rowedder, GmbHG, Anh. § 52 Rn. 61; Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 54; Rehbinder, ZHR 147 (1983), 464, 467 f.; Rittner, AcP 183 (1983), 295, 301 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. KonzernR, Rn. 104. 99
Vgl. Kropff, ZGR 1984, 112, 121 f.; Timm, Die AG als Konzernspitze, S. 98; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 277 f. 100
Eine genaue Bestimmung dieses Mindestaufgabenbereichs wird jedoch zumeist nicht vorgenommen. Festzustellen ist lediglich, daß Kropff und Semler, je a.a.O., den Aufgabenbereich wohl tendenziell weiter fassen, während inbesondere Hüffer und Mertens, je a.a.O., diesen Bereich sehr eng fassen.
Α. Wissenszurechnung im Vertragskonzern
241
Geschäftsführungsaufgabe die Entscheidung überlassen bleiben, mit welcher Intensität er die einheitliche Leitung ausüben wolle 101 .
cc) Stellungnahme Gegen die von Hommelhoff vertretene Ansicht spricht, daß das Gesetz, wie sich insbesondere aus den §§ 17, 18 AktG ergibt, aus der Abhängigkeit keine Pflicht zur Konzernbildung herleitet 102 . Die Leitungspflicht braucht gerade nicht in dem Umfang des § 76 AktG ausgeübt zu werden, da die abhängige Gesellschaft noch ihr eigenes, den Anforderungen des § 76 AktG unterliegendes Leitungsorgan hat. Auch die von Hommelhoff vertretene These, daß nur die Hauptversammlung den Umfang und die Intensität der Leitungsausübung durch den Konzernvorstand einschränken könne, vermag nicht zu überzeugen. Eine Vergleichbarkeit einer solchen Entscheidung mit den gesetzlich vorgesehenen Entscheidungen der Hauptversammlung nach § 293 Abs. 2 AktG ist nicht gegeben103. Bei einer Entscheidung über den Dezentralisierungsgrad der Konzernleitung handelt es sich um eine wesentlich komplexere Entscheidung als bei der Entscheidung über den Abschluß eines Beherrschungsvertrags 104. Eine Zustimmungspflicht der Hauptversammlung zur dezentralen Konzernorganisation läßt sich auch nicht auf die Überlegungen zu den sogenannten ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeiten105 stützen. Denn unabhängig davon, ob man das Bestehen solcher Zustimmungspflichten befürwortet, fallen jedenfalls Entscheidungen über die Intensität der Konzernleitung nicht darunter 106 . Zudem würde durch eine solche Zustimmungspflicht der Hauptversammlung das hohe Maß an Flexibilität und Anpassung, welches die Konzernorganisation gerade auszeichnet, zunichte gemacht 107 . Der Konzernvorstand könnte nicht mehr 101
Vgl. Schauß, Das Weisungsrecht, S. 37.
102
Ausführlich Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 55; auch Kropff 1984, 112, 116. 103
So auch Kropff,
ZGR
ZGR 1984, 112, 121 f.; Mertens in KölnKomm. AktG, § 76
Rn. 55. 104
Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 55.
105
Vgl. nur BGHZ 83, 122 („Holzmüller").
106
Es fehlt in diesen Fällen an der herausragenden Bedeutung, vgl. nur Hüffer, AktG, § 119 Rn. 16 f. m.w.N. 107
Desweiteren führt Mertens in KölnKomm, § 76 Rn. 55 aus, daß die damit ebenfalls verbundene Konzentrationsforderung wirtschaftsrechtlich äußerst bedenklich sei. 16 Schiller
242
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
kurzfristig dem Tochtervorstand einen Entscheidungsspielraum einräumen, obwohl dies unter Umständen - ζ. B. aufgrund einer erhöhten Sachkenntnis im Einzelfall durchaus sinnvoll wäre. Den Anforderungen des „politischen Regierungs- und Verantwortungssystems" wird im übrigen dadurch genügt, daß dem Konzernvorstand jedenfalls ein Kernbereich von Leitungsaufgaben obliegt, derer er sich nicht entledigen kann. Denn der Konzernvorstand ist nach einhelliger Auffassung nicht berechtigt, eine Einfluß ermöglichende Beteiligung nur als reine Vermögensanlage zu betreiben. Insoweit läuft auch die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats und der Hauptversammlung nicht ins Leere. Grundsätzlich obliegt dem Konzernvorstand demnach keine umfassende Konzernleitungspflicht. Eine Abweichung von diesem Grundsatz ergibt sich jedoch dann, wenn der Konzernvorstand von seinem Ermessen Gebrauch macht und tatsächlich die Führungsentscheidungen der Tochtergesellschaft trifft. Denn nimmt der Konzernvorstand seine Leitungsmacht wahr, so hat er dies mit einer gewissen Kontinuität zu tun 108 . Das ergibt sich schon aus der Verpflichtung, bei der Ausübung der Leitungsmacht die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Eine ordnungsgemäße Ausübung der Leitungsmacht ist nur möglich, wenn der Konzernvorstand laufend über die Geschäfte der Tochtergesellschaft informiert ist und dem Tochtervorstand durch lenkende Weisungen die Richtung vorgibt.
dd) Zwischenergebnis Der Umfang der im Vertragskonzern bestehenden Konzernleitungspflicht des Konzernvorstands gegenüber der eigenen, herrschenden Gesellschaft steht demzufolge bis auf einen Mindestbereich im Ermessen des Konzernvorstands selbst. Soweit aber der Konzernvorstand in einem Bereich die Leitung wahrnimmt, hat er dies mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu tun.
c) Konsequenzen Nimmt der Konzernvorstand nur den Mindestaufgabenbereich einheitlicher Leitung wahr, so führt dies nicht zu einer Einschränkung des Schutzes durch die Wissensnormen bei der Tochtergesellschaft. Denn eine auf die originären Konzernführungsfunktionen beschränkte Leitung ist regelmäßig so unbe-
108
Vgl. Dierdorf Herrschaft und Abhängigkeit, S. 83 f , 87; Lutter, Mitbestimmung im Konzern, S. 54.
Α. Wissenszurechnung im Vertragskonzern
243
stimmt, daß sie keinen Austausch der im Sinne der Wissensnormen tatbestandsrelevanten Informationen erfordert 109. Daher kann auch ein Verstoß gegen eine so beschränkte Konzernleitungspflicht keine Wissenszurechnung begründen. Die durch den Verstoß gegen die Konzernleitungspflicht begründete Wissenszurechnung kann nämlich nicht weitergehen, als die Wissenszurechnung im Fall der tatsächlichen Ausübung der Konzernleitung. Nimmt der Konzernvorstand in einem Bereich der Geschäftsführung oder umfassend die originären Führungsentscheidungen wahr, so besteht für ihn die Verpflichtung, diesen Einfluß regelmäßig auszuüben. Dann aber obliegt ihm, wie oben bereits festgestellt, in diesem Bereich schon eine umfassende Wissensweiterleitungspflicht. Der Umfang der durch die Wissensweiterleitungspflicht begründeten Zurechnung geht jedoch über den im Zusammenhang mit konkreten Weisungen stehenden Umfang hinaus 110 . Denn dieser Umfang ist, anders als der durch eine Weisung begründete Umfang, nicht auf die im Zusammenhang mit dem Inhalt der pflichtgemäß zu erteilenden Weisungen stehenden Informationen beschränkt.
d) Zwischenergebnis Festzustellen ist somit, daß dem Konzernvorstand eine sich aus § 76 Abs. 1 AktG ergebende Pflicht zur Konzernleitung obliegt. Die Entscheidung über den Umfang und die Intensität kann der Konzernvorstand als Teil seiner Geschäftsführungsaufgaben selbst treffen. Er bedarf hierzu nicht der Zustimmung der Hauptversammlung. Soweit er aber von seiner Leitungsmacht tatsächlichen Gebaruch macht, ist er verpflichtet, dies regelmäßig zu tun. Die sich aus der Verletzung einer solchen Konzernleitungspflicht ergebende Wissenszurechnung bleibt jedoch ihrem Umfang nach hinter der sich aus der Wissensweiterleitungspflicht ergebenden Wissenszurechnung zurück.
I I . Rechtsfolgen Soweit die abhängige Gesellschaft aufgrund der Wissenszurechnung den gesetzlichen Schutz durch die Wissensnormen verliert und ihr dadurch ein Schaden entsteht, stellt sich die Frage nach einem Ausgleich für diesen Schaden, da dieser Schaden auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Obergesellschaft bzw. des Konzernvorstands beruht.
16*
109
Ausführlich dazu oben § 3 C. IV. 2.
110
Siehe auch oben § 4 Α. I. 2. c) bb).
244
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
Gemäß § 309 Abs. 2 S. 1 AktG haften der Konzernvorstand und damit auch die Obergesellschaft 111 aber grundsätzlich nur fur die Erteilung sorgfaltswidriger Weisungen 112 . Bei der hier zu betrachtenden Konstellation liegt die Pflichtverletzung jedoch gerade nicht in einer sorgfaltswidrigen Weisungserteilung, sondern darin, daß der Konzernvorstand die ihm obliegende Pflicht, fur eine angemessene Wissensweiterleitung zu sorgen, verletzt hat. Aber auch bei einer solchen Pflichtverletzung bedarf es des Ausgleichs für den bei der abhängigen Gesellschaft eintretenden Schaden. Ein solcher Ausgleich könnte schon in der allgemeinen Verlustausgleichspflicht (§ 302 AktG) zu sehen sein 113 . Diese Sichtweise würde jedoch außer Acht lassen, daß es gerade auch darum geht, eine Sanktionsmöglichkeit für das pflichtwidrige Verhalten des Konzernvorstands zu erlangen. Ohne das Druckmittel der Schadensersatzpflicht könnte der Konzernvorstand nicht dazu angehalten werden, eine ordnungsgemäße Konzernorganisation zu schaffen, die einen ausreichenden Informationsfluß gewährleistet. Bei der Wissensweiterleitungspflicht handelt es sich um eine Nebenverpflichtung der Weisungserteilung. Als eine solche Nebenverpflichtung fällt die Wissensweiterleitungspflicht mit unter die im § 309 Abs. 1 AktG festgelegte Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters 114. Ein Verstoß gegen die Wissensweiterleitungspflicht begründet demnach einen Schadensersatzanspruch der abhängigen Gesellschaft entsprechend § 309 Abs. 2 AktG. Für die Rechtsfolgen der Verletzung der Wissensweiterleitungspflicht gelten daher die gleichen Grundsätze wie bei der Erteilung einer Weisung 115 . Konzernvorstand und Obergesellschaft müssen für den entstandenen Schaden der Tochtergesellschaft einstehen.
111 Zur Anspruchsgrundlage der Haftung der Obergesellschaft § 3 C. V. 2.
siehe oben
112
Vgl. dazu die Diskussion um die Weisungspflicht, siehe auch Geßler in Geßler/ Hefermehl, AktG, § 309 Rn. 17; Hüffer, AktG, § 309 Rn. 10; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 309 Rn. 3; Veelken, Der Betriebsfuhrungsvertrag, S. 203. 113
Vgl. dazu auch die oben gemachten Ausführungen zur Bestimmung des Schadens bei der Haftung gemäß § 309 AktG, § 3 C. V. 1. b). 114
Zur grundsätzlichen Möglichkeit einer erweiterten Anwendung des § 309 AktG siehe Hüffer, AktG, § 309 Rn. 12; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 309 Rn. 5 ff. m.w.N. 115
Siehe oben § 3 C. V.
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
245
III. Beweisfragen Entscheidend für die Bedeutung der Wissenszurechnung ist die Frage der Darlegungs- und Beweislast. Wie bereits mehrfach erwähnt, ist es generell schon schwer, die Kenntnis einer Gesellschaft nachzuweisen. Nahezu unmöglich ist aber für den außenstehenden Dritten darzulegen und zu beweisen, daß der Konzervorstand dem Tochtervorstand eine Weisung erteilt und in welchem Umfang er dabei einzelne Bestimmungen getroffen hat. Fraglich ist auch, wie ein außenstehender Dritter darlegen und beweisen soll, daß der Konzernvorstand in einem bestimmten Bereich der Unternehmensführung regelmäßigen Einfluß auf die Tochtergesellschaft ausübt und ihm dementsprechend eine Wissensweiterleitungspflicht obliegt.
1. Beweiserleichterungen im Bereich der Haftung (§ 309 AktG) Die Frage, wie ein außenstehender Dritte das Vorliegen einer Weisung darlegen und beweisen soll, stellt sich ebenfalls im Bereich der Haftung gemäß § 309 AktG. Ähnlich wie beim faktischen AG-Konzern wird die Ansicht vertreten, daß das Vorliegen einer Weisung zu vermuten sei, wenn sich die betreffende Maßnahme nicht am Gesellschaftsinteresse, sondern ausschließlich am Konzerninteresse orientiere 116 . Dem kann jedoch für den Vertragskonzern nicht gefolgt werden, da die Interessenlage im Vertragskonzern eine andere ist als im faktischen AG-Konzern 117 . Anders als im faktischen AG-Konzern wird die Ersatzpflicht nicht schon durch die nachteilige Einflußnahme an sich begründet. Nachteilige Maßnahmen, die vom Konzerninteresse gedeckt sind, müssen von der abhängigen Gesellschaft hingenommen werden. Einen speziellen Einzelausgleich für diese nachteiligen Maßnahmen gibt es nicht. Als Ausgleich für die Beeinträchtigungen steht der abhängigen Gesellschaft aber die allgemeine Verlustausgleichspflicht des § 302 AktG zu. Es besteht daher kein Erfordernis der Beweiserleichterung um den Schutz der Eigeninteressen der Tochtergesellschaft zu gewährleisten 118. Das Eigeninteresse und damit verbunden die Interessen der Minderheitsaktionäre und Gläubiger ist schon aufgrund der beherr-
116
Vgl. Bacheliti , Der konzernrechtliche Minderheitenschutz, S. 62; Veelken, Der Betriebsführungsvertrag, S. 201. 117
Vgl. Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, § 309 Rn. 29 ff.; Hüffen Rn. 16; wohl auch Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 309 Rn. 13. 118
Rn. 22 f.
AktG, § 309
Vgl. auch die zivilprozeßrechtliche Kritik, ζ. B. Prütting in MüKo, AktG, § 292
246
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
schungsvertraglichen Verbundenheit von Gesetzes wegen eingeschränkt und wird gemäß § 302 AktG weisungsunabhängig ausgeglichen. Soweit der außenstehende Dritte allerdings Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Weisung vorträgt, können sich aus dem Prinzip der Tatsachennähe Beweiserleichterungen ergeben. Trägt der Dritte solche Anhaltspunkte vor, so ist der Konzernvorstand verpflichtet, das NichtVorliegen einer Weisung zu beweisen, denn mehr als Anhaltspunkte kann der Außenstehende nicht beibringen. Als Anhaltspunkt ausreichend wäre zum Beispiel, wenn der Konzernvorstand regelmäßigen und umfassenden Einfluß auf den Tochtervorstand ausübt, denn dann spricht eine Vermutung dafür, daß auch die betreffende Maßnahme durch eine Weisung des Konzernvorstands veranlaßt wurde. Im Bereich der Haftung bleibt es daher aber im Grundsatz bei der allgemeinen Beweislastverteilung, wonach der Kläger Tatsachen behaupten muß, aus denen sich das Vorliegen einer Weisung ergibt. Desweiteren trägt der Außenstehende auch die Darlegungs- und Beweislast für die Kausalität zwischen der Weisung und dem eingetretenen Vermögensnachteil.
2. Beweiserleichterungen bei der Wissenszurechnung Anders sieht die Situation hingegen bei der Wissenszurechnung aus. Ein genereller Schutz für den Außenstehenden besteht im Zusammenhang mit der Wissenszurechnung nicht. Der weisungsunabhängige Schutz durch die Verlustausgleichspflicht des § 302 AktG greift bei der Wissenszurechnung nicht. Beispiel: Ein Unternehmen hat der Tochtergesellschaft eine Ware verkauft und verweigert die Gewährleistungsrechte mit dem Argument, die Obergesellschaft habe die Mangelhaftigkeit entsprechend § 460 BGB gekannt und die Tochtergesellschaft müsse sich diese Kenntnis zurechnen lassen. Die Verlustausgleichspflicht hilft diesem Unternehmen nicht weiter, da es gerade nicht um eine Haftung der abhängigen Gesellschaft geht. Vielmehr wird erst durch den Nachweis der Einflußnahme die Wissenszurechnung begründet, woraus sich dann weitergehende rechtliche Folgen ergeben. Festzustellen ist folglich, daß wie schon im faktischen AG-Konzern, der außenstehende Dritte ohne eine Beweiserleichterung ungerechtfertigter Weise das durch die Wissensnormen verteilte Risiko tragen müßte. Fraglich ist jedoch, ob eine Beweiserleichterung an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen ist oder, ob alleine schon die vertragliche Konzernverbundenheit ausreichend ist, um eine Weisungsvermutung zu begründen. Allein das Bestehen der beherrschungsvertraglichen Verbundenheit kann zur Begründung einer Weisungsvermutung nicht ausreichen. Für eine so umfassende Weisungsvermutung fehlt es an einer erforderlichen rechtlichen Grund-
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
247
läge. Ein Anscheinsbeweis kommt schon mangels hinreichender Erfahrungswerte nicht in Betracht. Auch von einer tatsächlichen Vermutung kann nicht ausgegangen werden, denn es besteht keine Vermutung, daß ein Vertragskonzern stets zentralistisch organisiert ist, mit der Folge einer umfassenden Einflußnahme. Vielmehr dürften gerade größere Vertragskonzerne eine eher dezentrale Struktur aufweisen 119. Eine generelle Weisungsvermutung kann auch nicht mit dem Vertrauen des außenstehenden Dritten begründet werden, daß der Vertragskonzern stets so organisiert sei, daß eine optimale Ausnutzung der Informationen gewährleistet ist. Einem solchen Vertrauen fehlt es an der entsprechenden Grundlage. Denn wie oben bereits festgestellt, besteht im Vertragskonzern gerade keine Pflicht zur Schaffung einer optimalen Informationsausnutzung. Diese besteht erst, wenn der Konzernvorstand bereits tatsächlich auf die Tochtergesellschaft Einfluß genommen hat. Aus diesem Gesichtspunkt ergibt sich aber zugleich der Ansatzpunkt für die Begründung einer Beweiserleichterung. Ausreichend für die Begründung der Wissenszurechnung ist es, wenn der Konzernvorstand regelmäßigen Einfluß auf die Tochtergesellschaft ausübt. Folglich muß der außenstehende Dritte nur solche Tatsachen vortragen, die auf einen regelmäßigen Einfluß schließen lassen. Allerdings dürfte dem Dritten selbst ein solcher Vortrag nur schwer gelingen. Unter dem Gesichtspunkt der Tatsachennähe ist es daher als genügend anzusehen, wenn der Dritte lediglich Anhaltspunkte für eine regelmäßige Einflußnahme vorträgt, wobei die Anforderungen an den Inhalt solcher Anhaltspunkte nur sehr gering sein dürfen. Trägt der Dritte Anhaltspunkte vor, so obliegt es der Tochtergesellschaft zu beweisen, daß kein regelmäßiger Einfluß ausgeübt wurde. Ausreichend wäre es beispielsweise, wenn sich der Dritte auf Äußerungen der Konzernunternehmen beruft, aus denen hervorgeht, daß die Tochtergesellschaft unter der Leitung der Obergesellschaft stehe. Ein Anhaltspunkt könnte auch in der Konzernstruktur zu fmden sein, wenn beispielsweise die oberste Führungsebene der Tochtergesellschaft bei der Muttergesellschaft angesiedelt ist 120 . Solche Anhaltspunkte lassen sich für den außenstehenden Dritten aus Unternehmensberichten und Ähnlichem entnehmen. Der Dritte würde seiner Darlegungs- und Beweislast auch dann genügen, wenn er nur Anhaltspunkte dafür vorträgt, daß eine konkrete Weisung vorliegt, die für die Begründung der Wissenszurechnung schon ausreichend wäre. Eine so konkrete Darlegung ist aber nicht erforderlich, da die Wissenszurechnung
119 Vgl. auch Mertens in KölnKomm. AktG, § 76 Rn. 55; Scheffler, gement, S. 33 f. 120
Zu den personellen Verflechtungen siehe oben § 3 E. VII.
Konzernmana-
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
248
unabhängig von dem Vorliegen einer konkreten Weisung schon aufgrund der regelmäßigen Einflußnahme begründet ist. Festzustellen ist demnach, daß im Vertragskonzern keine auf die konzernrechtliche Verbundenheit begründete Weisungsvermutung besteht, die dem außenstehenden Dritten zugute käme. Dieser ist vielmehr verpflichtet Anhaltspunkte vorzulegen, die auf eine zentralistische Struktur mit einer entsprechenden Einflußnahme schließen lassen. Unter dem Gesichtspunkt der Tatsachennähe ist es als ausreichend zu erachten, wenn es sich dabei um allgemeine Anhaltspunkte handelt.
I V . Ergebnis Für den Vertragskonzern ist im Ergebnis festzustellen, daß eine Wissenszurechnung über die einzelne Weisungserteilung hinaus immer dann begründet ist, wenn der Konzernvorstand in dem betreffenden Unternehmensbereich regelmäßigen Einfluß auf die originären Führungsentscheidungen der Tochtergesellschaft nimmt. Die Wissenszurechnung erfolgt unabhängig davon, ob die anzuwendende Wissensnorm an das Vorliegen positiver Kenntnis anknüpft oder bereits fahrlässige Nichtkenntnis ausreichen läßt. Der Umfang der Wissenszurechnung richtet sich nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Geschäftsführung. Entscheidend kommt es dabei auf die Wesentlichkeit der Information, den Zeitpunkt der Informationserlangung, die Bedeutung der von der Information betroffenen Rechtsgeschäfte sowie den Anlaß zur Abfragung von Wissensspeichern an 121 . Der Dritte genügt seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er Anhaltspunkte vorträgt, die allgemein auf eine Einflußnahme schließen lassen. Soweit der Tochtergesellschaft durch die Begründung der Wissenszurechnung Nachteile entstehen, kann sie diese von der Obergesellschaft bzw. dem Konzernvorstand entsprechend § 309 AktG ersetzt verlangen.
V. Wissenszurechnung aufgrund besonderen Vertrauens Neben der durch die Konzernorganisation begründeten Wissenszurechnung kann sich im Einzelfall eine Wissenszurechnung auch aufgrund eines besonders geschaffenen Vertrauens ergeben.
121
Ausführlich oben § 2 D. II. d) (2).
. Wissenszurechnung im
ergskonzern
249
1. Beispielsfall Beispiel 122 : Ein Versicherungsnehmer Schloß bei der C.-Versicherung eine Risikolebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung ab. In dem seinem Antrag beigefugten ärztlichen Zeugnis war eine 2 Jahre zurückliegende Knieoperation nicht mit angegeben. Der Versicherungsnehmer hatte es auch unterlassen, weitere Ausführungen hierzu zu machen. Statt dessen fügte er nur den Zusatz „CL V " hinzu. Mit der C.-Lebensversicherung („C-LV") hatte der Versicherungsnehmer bereits ein Jahr zuvor eine Lebens- und Krankenversicherung abgeschlossen. Der C.-Lebensversicherung gegenüber hatte der Versicherungsnehmer seine Knieoperation angegeben. Die C.-Lebensversicherung war mit der C.-Versicherung konzernrechtlich verbunden. Die C.-Ver Sicherung verweigerte die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente mit der Begründung, der Versicherungsnehmer habe die Knieoperation arglistig verschwiegen. In seiner Urteilsbegründung führt der BGH aus, daß der C.-Versicherung die bei der C.-Lebensversicherung vorhandenen Daten zuzurechnen seien und sie dementsprechend Kenntnis von der Knieoperation gehabt habe. Entscheidend sei in diesen Zusammenhang, daß sich sowohl die C.-Versicherung, als auch die C.-Lebensversicherung in ihren Antragsformularen die Einwilligung des Versicherungsnehmers haben geben lassen, im Verbund mit dem anderen Versicherer die Daten des Versicherungsnehmers zu sammeln. Daher habe der Versicherungsnehmer seiner Anzeigepflicht dadurch genügen können, daß er in seinem Antragsformular auf die bei dem anderen Versicherer gesammelten Daten verwiesen habe. Die C.-Versicherung habe durch diesen Hinweis genügenden Anlaß gehabt, die in der gemeinsamen Datenbank gesammelten Daten abzurufen. Der Entscheidung ist grundsätzlich zuzustimmen123. Beide Versicherer haben beim Versicherungsnehmer durch die eingeforderte Einwilligung den Eindruck erweckt, es bestehe eine gemeinsame umfassende Datenbank, in der sämtliche Daten über den einzelnen Versicherungsnehmer gespeichert würden. Der Versicherungsnehmer durfte daher darauf vertrauen, daß er seiner Anzeigepflicht genügt, wenn er in dem Antragsformular auf die Vertragsbeziehungen mit dem verbundenen Versicherer verweist. Wenn sich die Versicherer das Recht zusichern lassen, die gesammelten Daten untereinander auszutauschen, müssen sie auch die sich daraus ergebenden Nachteile tragen.
122
So der Fall BGH vom 14.7.1993 - IV ZR 153/92 - in NJW 1993, 2807 = VersR 1993, 1089 = LM zu § 16 VVG Nr. 17 mit Anmerkung Schmidt-Salzer. 123
So auch Schmidt-Salzer, LM zu § 16 VVG, Nr. 17.
250
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
2. Objektiver Maßstab Es kommt nicht darauf an, ob die Unternehmen tatsächlich die Voraussetzungen für einen solchen Datenaustausch geschaffen haben. Dem vom BGH gemachten Vorbehalt 124 , eine Zurechnung erfolge nur, wenn es dem zuständigen Sachbearbeiter tatsächlich möglich war, in die betreffenden Unterlagen einzusehen, kann nicht gefolgt werden 125 . Nach den oben gefundenen Ergebnissen ist eine Zurechnung innerhalb einer Gesellschaft immer dann begründet, wenn es sich um typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen handelt, welches bei ordnungsgemäßer Organisation der Gesellschaft den jeweiligen Entscheidungsträgern hätte vorliegen müssen. Dabei richtet sich der Maßstab für die Beurteilung der ordnungsgemäßen Organisation zwar nicht nur nach dem objektiv möglichen Kommunikationsstandard, sondern auch danach, ob der jeweiligen Gesellschaft die Weiterleitung der betreffenden Informationen beispielsweise technisch möglich war 126 . Etwas anderes ergibt sich jedoch, wenn die Zurechnung sich nicht an dem Kriterium des Selbstschutzes orientiert, sondern auf dem besonderen Vertrauen des Vertragspartners beruht. Haben die Unternehmen durch die vertraglichen Vereinbarungen den Eindruck erweckt, daß ein Informationsaustausch zwischen ihnen stattfinde, so darf der Versicherungsnehmer darauf vertrauen, daß sich die betreffenden Unternehmen auch so organisieren, wie dies nach objektiven Maßstäben möglich und erwartet werden kann. Wollten die Unternehmen eine so umfassende Wissenszurechnung nicht gegen sich gelten lassen, so hätten sie erst gar nicht den entsprechenden Rechtsschein setzen dürfen. Erst durch die zusätzlichen Vereinbarungen mit dem Versicherungsnehmer wurde das Vertrauen in einen so umfassenden Informationsaustausch begründet. Die Unternehmen hätten die Vereinbarungen auch so gestalten können, daß sie den Umfang des für sie möglichen oder gewollten Informationsaustausches festgelegt hätten. Der Versicherungsnehmer kann seinerseits nicht wissen, wieviel Informationen tatsächlich zwischen den Unternehmen ausgetauscht werden können. Hat der Versicherungsnehmer allerdings davon Kenntnis, daß ein Informationsaustausch tatsächlich nicht durchführbar ist, so schließt diese Kenntnis das die Zurechnung begründende Vertrauen aus.
124
BGH, NJW 1993,2807, 2808.
125
So auch Schmidt-Salzer, LM zu § 16 VVG, Nr. 17.
126 Ausführlich siehe oben § 2 D. II. 2. d) bb) (2).
Β. Wissenszurechnung im Eingliederungskonzern
251
3. Konzernunabhängigkeit Bei dieser Art der Wissenszurechnung handelt es sich aber nicht um eine konzernspezifische Zurechnung. Die Tatsache, daß in dem vom BGH entschiedenen Fall die betreffenden Unternehmen konzernrechtlich miteinander verbunden waren, schließt eine solche Zurechnung über den Konzern hinaus nicht aus. Ausreichend wäre beispielsweise jede Form der Zusammenarbeit zwischen zwei Versicherungsunternehmen, wenn sie von dem Versicherungsnehmer die Einwilligung in einen umfassenden Datenaustausch verlangen. Eine Zurechnung kann demnach nicht nur auf gesellschafts- oder konzerninternen Organisationspflichten beruhen, sondern darüberhinaus auch durch schuldrechtliche Verträge mit den außenstehenden Dritten begründet werden. Ebenso können bereits bestehende Informationspflichten dem Vertragspartner gegenüber erweitert oder eingeschränkt werden 127 . Die Erweiterung der Informationspflichten kann ausdrücklich durch Vertrag erfolgen, sie kann aber auch auf einem Rechtsschein beruhen, der durch den betreffenden Vertragspartner gesetzt wurde.
B. Wissenszurechnung im Eingliederungskonzern Im vorstehenden Teil wurde festgestellt, unter welchen Voraussetzungen eine Wissenszurechnung im Vertragskonzern begründet ist. Diese Ergebnisse lassen sich auf den Eingliederungkonzern insofern übertragen, daß jedenfalls immer dann, wenn eine Zurechnung im Vertragskonzern begründet ist, dies erst recht im Eingliederungskonzern gilt. Im Eingliederungskonzern ist jedoch weitergehend zu fragen, ob nicht darüberhinaus eine Zurechnung begründet sein könnte.
I. Weisungspflicht gegenüber der eingegliederten Gesellschaft Eine weitergehende Wissenszurechnung könnte sich ergeben, wenn der Konzernvorstand aufgrund der engeren Verbundenheit, anders als im Vertragskonzern, der eingegliederten Gesellschaft gegenüber verpflichtet wäre, die Leitung umfassend durch die Erteilung von Weisungen auszuüben. Festzustellen ist jedoch, daß, wie schon im Vertragskonzern, das Bestehen einer solchen Weisungspflicht gegenüber der eingegliederten Gesellschaft nach
127
werden.
Auf eine so begründete Zurechnung soll jedoch hier nicht näher eingegangen
252
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
ganz überwiegender Ansicht abgelehnt wird 1 2 8 . In der Begründung wird zumeist nur auf die Ausführungen zum Vertragskonzern verwiesen 129 . Dem kann gefolgt werden. Die Vorschrift § 323 Abs. 1 S. 1 AktG spricht ebenso wie § 308 Abs. 1 AktG nur von einem Weisungsrecht, nicht hingegen von einer Weisungspflicht. Auch wäre das Bestehen einer Weisungspflicht wie im Vertragskonzern widersinnig, da die Obergesellschaft berechtigt ist, nachteilige, ja sogar existenzgefährdende oder existenzvernichtende Weisungen zu erteilen. Der eingegliederten Gesellschaft steht kein Recht auf Erteilung von Weisungen zu. § 323 Abs. 1 S. 2 AktG verweist auf die Vorschrift des § 309 AktG, woraus sich ergibt, daß der Konzernvorstand bei der Erteilung von Weisungen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden hat. Doch kann hieraus, wie im Vertragskonzern, nur im Ausnahmefall eine Pflicht zur Weisungserteilung entnommen werden 130 . Festzustellen ist somit, daß dem Konzernvorstand auch im Eingliederungskonzern keine Weisungspflicht obliegt.
I I . Wissensweiterleitungspflicht gegenüber der eingegliederten Gesellschaft Aus den Besonderheiten des Eingliederungskonzerns gegenüber dem Vertragskonzern lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, daß dem Konzernvorstand eine weitergehende Wissensweiterleitungspflicht als im Vertragskonzern obliegt. Auch im Eingliederungskonzern bleibt es dabei, daß der Tochtervorstand außerhalb der Weisungserteilung seine Entscheidungen ausschließlich am eigenen Gesellschaftsinteresse auszurichten hat 131 . Aus der Tatsache, daß im Eingliederungskonzern keine Minderheitsaktionäre vorhanden sind, kann nicht auf 128
So ausdrücklich für den Eingliederungskonzem Hüffer, AktG, § 323 Rn. 2; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 323 Rn. 12; Krieger in Münchdb. AG, § 73 Rn. 27; Prael, Eingliederung und Beherrschungsvertrag, S. 103; Semler/Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG, § 323 Rn. 10. 129
Vgl. nur Krieger in MünchHdb. AG, § 73 Rn. 27 mit Verweis auf § 70 Rn. 104.
130
Ausführlich dazu oben § 4 Α. I. 1.
131
Vgl. dazu oben § 4 Α. I. 2. a). Siehe auch Baumbach/Hueck, AktG, § 323 Rn. 4; Krieger in MünchHdb. AG, § 73 Rn. 27; Semler/Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG, § 323 Rn. 9; Veit, Unternehmensverträge und Eingliederung, S. 159 f.; Würdinger in GroßKomm. AktG3, § 323 Anm. 11. A.A., wie schon für den Vertragskonzern Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 323 Rn. 8.
Β. Wissenszurechnung im Eingliederungskonzern
253
eine Gleichschaltung der Interessen geschlossen werden. Vielmehr besteht auch im Eingliederungskonzern ein vom Interesse der Hauptgesellschaft zu unterscheidenes Eigeninteresse 132. Es bleibt daher bei den für den Vertragskonzern gefundenen Ergebnissen, daß erst die regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht eine Wissensweiterleitungspflicht gegenüber der eingegliederten Gesellschaft begründet 133.
I I I . Weisungspflicht gegenüber der eigenen, herrschenden Gesellschaft Etwas anderes als im Vertragskonzern könnte sich allerdings bezüglich der gegenüber der eigenen Gesellschaft bestehenden Pflichten ergeben. Für den Vertragskonzern wurde festgestellt, daß dem Konzernvorstand zwar grundsätzlich eine Konzernleitungspflicht obliegt, deren Umfang aber bis auf den Mindestbereich einheitlicher Leitung im Ermessen des Konzernvorstand steht 134 . Im Eingliederungskonzern hingegen haftet die Hauptgesellschaft gemäß § 322 AktG für sämtliche Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft unmittelbar gegenüber den Gläubigern. Eine schlechte Geschäftsführung des Tochtervorstands wirkt sich daher nicht nur mittelbar, in Form einer verminderten Gewinnabführung oder eines vergrößerten Verlustausgleichs auf das Ergebnis der Hauptgesellschaft aus, sondern es entstehen direkte Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern. Es liegt daher die Überlegung nahe, daß der Konzernvorstand schon aufgrund seiner Verpflichtung gemäß § 76 AktG zur Leitung der eigenen Gesellschaft verpflichtet sein könnte, auch die eingegliederte Gesellschaft umfassend zu leiten, da sich aus deren Handeln unmittelbare Konsequenzen für die Hauptgesellschaft ergeben. Das überzeugt jedoch nicht. Die Leitungspflicht braucht gerade nicht im Umfang des § 76 AktG ausgeübt werden, da auch die eingegliederte Gesellschaft noch ihren eigenen, den Anforderungen des § 76 AktG unterliegenden Vorstand hat. Desweiteren wird auch im Eingliederungskonzern dem von Hommelhoff 35 angeführten „politischen Regierungs- und Verantwortungssystem" dadurch genügt, daß dem Konzernvorstand ein Kernbereich von Leitungsaufgaben obliegt, derer er sich nicht entledigen kann 136 . Auch wenn sich 132
Vgl. nur Sentieri Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG, § 323 Rn. 9.
133
Ausführlich dazu oben § 4 Α. I. 2. c).
134
Siehe oben § 4 Α. I. 3.
135
Hommelhoff
136
Ausführlich dazu siehe oben § 4 Α. I. 3. b).
Konzernleitungspflicht, S. 194 ff.
254
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
aus der Geschäftsführung der eingegliederten Gesellschaften unmittelbare Konsequenzen für die Hauptgesellschaft ergeben, so bleibt die Organisation des Konzerns eine Ermessensentscheidung des Konzernvorstands 137. Festzustellen ist, daß im Eingliederungskonzern dem Konzernvorstand keine weitergehende Konzernleitungspflicht gegenüber der eigenen, herrschenden Gesellschaft obliegt als im Vertragskonzern.
I V . Ergebnis Für die Wissenszurechnung im Eingliederungskonzern kann hinsichtlich der Ergebnisse im einzelnen auf die Ausführungen zum Vertragskonzern verwiesen werden.
C. Wissenszurechnung im faktischen AG-Konzern Fraglich ist, ob eine Wissenszurechnimg außerhalb einer konkreten Einflußnahme dann begründet ist, wenn zwischen herrschendem und abhängigem Unternehmen lediglich ein faktisches Konzernverhältnis besteht. Voraussetzung dafür wäre, daß ebenso wie im Vertragskonzern dem Konzernvorstand im faktischen AG-Konzern besondere Organisationspflichten im Verhältnis zur abhängigen Gesellschaft obliegen 138 . Festzustellen ist zunächst, daß der Umfang der dem Konzernvorstand obliegenden Pflichten im faktischen AG-Konzern nicht weiter gehen kann, als im Vertragskonzern. Obliegt dem Konzernvorstand schon im Vertragskonzern keine Weisungspflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft, so muß dies erst recht im faktischen AG-Konzern gelten. Zu prüfen ist daher nur, ob dem Konzernvorstand im faktischen Konzern eine Wissensweiterleitungspflicht bzw. eine gegenüber der eigenen Gesellschaft bestehende Konzernleitungspflicht obliegt.
I. Wissensweiterleitungspflicht Im Vertragskonzern reicht allein das Bestehen des Beherrschungsvertrags mit den sich daraus ergebenden rechtlichen Einflußnahmemöglichkeiten nicht 137
Es kann daher hinsichtlich der Einzelheiten auf die oben bereits geführte Diskussion verwiesen werden. 138
§ 4 Α. I.
Vgl. die Begründung der Wissenszurechnung im Vertragskonzern, oben
. Wissenszurechnung im faktischen
G-Konzern
255
aus, um die Wissensweiterleitungspflicht zu begründen. Erst durch die regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht wird das Bestehen der Wissensweiterleitungspflicht begründet 139. Im Vertragskonzern entsteht durch die regelmäßige Einflußnahme auf Seiten der Tochtergesellschaft ein erhebliches Informationsdefizit. Der Tochtervorstand ist im Vertragskonzern nicht mehr mit in die Entscheidungsprozesse eingebunden und der Konzernvorstand erwächst in die Stellung eines „Quasi-Willensbildungsorgans". In dieser Stellung besteht für ihn aus § 309 Abs. 1 AktG die Verpflichtung gegenüber der abhängigen Gesellschaft, sämtliche für die Umsetzung der Führungsentscheidungen erheblichen Informationen weiterzuleiten. Die im Vertragskonzern zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft bestehende Verbundenheit ist jedoch mit der im faktischen AG-Konzern bestehenden Verbundenheit nicht zu vergleichen. Im faktischen AG-Konzern obliegt dem Tochtervorstand im Fall einer Veranlassung im Sinne des § 311 AktG eine umfassende Kontroll- und Prüfungspflicht 140 . Der Tochtervorstand hat jedwede Veranlassung durch den Konzernvorstand dahingehend zu überprüfen, wie sich das entsprechende Tun oder Unterlassen für die eigene Gesellschaft auswirkt. Die Prüfung, die der Vorstand im Rahmen seiner eigenverantwortlichen Leitung im Sinne des § 76 AktG zu leisten hat, hat er mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Sinne des § 93 Abs. 1 AktG durchzuführen. Ihm steht dabei das volle unternehmerische Ermessen zur Verfügung 141 . Der Konzernvorstand ist daher nicht als das allein entscheidende Willensbildungsorgan der Tochtergesellschaft anzusehen. Er ist lediglich ein Teil der Entscheidungsfindung, wenn der Tochtervorstand seiner Veranlassung nachkommt. Damit der Tochtervorstand seine Kontroll- und Prüfungspflicht überhaupt ausfüllen kann, ist der Konzernvorstand verpflichtet, ein möglicherweise bestehendens Informationsdefizit des Tochtervorstands durch die Weiterleitung von Informationen zu beheben142.
139 Dabei wird hier zunächst die Frage offen gelassen, ob eine so regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht überhaupt dem Regelungssystem der §§311 ff AktG entspricht und daher zulässig ist. Ablehnend ζ. B. Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 109 ff, 146.418. 140
Vgl. auch Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 311 Rn. 91 sowie oben § 3 E. III. 1. m.w.N. 141
Vgl. ζ. B. Krieger
in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 34 sowie oben § 3 E. III. 2.
m.w.N. 142
Vgl. auch Kropff m Geßler/Hefermehl, AktG, § 311 Rn. 52 sowie ausführlich oben § 3 E. III. 3. b) m.w.N.
256
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
Wenn der Konzernvorstand aber schon verpflichtet ist, im Rahmen der Veranlassungen sämtliche, für die Durchführung der Veranlassung rechtserheblichen Informationen weiterzuleiten, so verfügt der Tochtervorstand selbst bei regelmäßiger Ausübung der Leitungsmacht über die zur Entscheidungsfindung bzw. -kontrolle erforderlichen Informationen. Es entsteht auf Seiten des Tochtervorstands durch die regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht kein Informationsdefizit, welches mittels einer gesonderten Wissensweiterleitung durch den Konzernvorstand ausgeglichen werden müßte. Die Informationspflicht bleibt auch bei regelmäßiger Einflußnahme auf die für die Durchführung konkreter Veranlassungen erforderlichen Informationen beschränkt 143. Eine Verletzung dieser Informationspflicht begründet daher nur die Zurechnung des Wissens, welches für die Ausführung der konkret veranlaßten Maßnahme erheblich gewesen wäre. Festzuhalten ist, daß dem Konzernvorstand im nur faktischen AG-Konzern selbst bei regelmäßiger Ausübung der Leitungsmacht keine über die im Zusammenhang mit der Ausführung einer konkreten Veranlassung stehende Informationspflicht hinausgehende Wissensweiterleitungspflicht obliegt.
I I . Konzernleitungspflicht Zu prüfen ist weiterhin, ob dem Konzernvorstand nicht eine Konzernleitungspflicht gegenüber der eigenen herrschenden Gesellschaft obliegen könnte, aus der sich eine weitergehende Wissenszurechnung ergibt. Auch im faktischen AG-Konzern gilt, daß der Konzernvorstand gemäß § 76 AktG verpflichtet ist, die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten. Der Konzernvorstand ist verpflichtet, die bestehenden Ressourcen der Gesellschaft im Sinne der satzungsmäßig festgelegten Unternehmenszwecke zu nutzen. Zu diesen Ressourcen gehören die mit der herrschenden Gesellschaft verbundenen abhängigen Gesellschaften 144. Es steht dem Konzernvorstand ebensowenig wie dem Vorstand einer nicht verbundenen Gesellschaft frei, von seinen Geschäftsführungsaufgaben Gebrauch zu machen oder nicht 145 . Eine Verpflichtung zur umfassenden Konzernleitung ist jedoch selbst bei regelmäßiger Einflußnahme abzulehnen. 143 Der Umfang einer so begründeten Wissenszurechnung kann allerdings bei regelmäßiger Einflußnahme einen erheblichen Umfang erreichen. 144 145
Vgl. nur Semler, Leitung und Überwachung der AG, Rn. 278.
Ausführlich Hommelhoff Α. I. 3. a) dort m.w.N.
Konzernleitungspflicht, S. 43 ff., siehe auch oben § 4
. Wissenszurechnung im faktischen
G-Konzern
257
Dagegen spricht zum einen, daß dem Konzernvorstand im faktischen AGKonzern schon keine rechtlichen Möglichkeiten der Leitung bzw. Einflußname zur Verfugung stehen146. Es handelt sich regelmäßig nur um faktische Einflußnahmemöglichkeiten147. Daher kann dem Konzernvorstand keine rechtlich verbindliche Leitungspflicht obliegen, denn er wäre bei Weigerung des Tochtervorstands nicht in der Lage, seiner Verpflichtung zur einheitlichen Leitung nachzukommen. Der Konzernvorstand könnte zwar gemäß § 76 AktG gehalten sein, seine Einflußnahmemöglichkeiten geltend zu machen, käme er dem aber nicht nach, so können daran keine Sanktionen, insbesondere keine Schadensersatzpflicht im Sinne des § 93 Abs. 2 AktG geknüpft werden. Eine Pflicht zur Konzernleitung im eigentlichen Sinne ist daher abzulehnen. Gegen eine umfassende Konzernleitungspflicht 148 spricht zum anderen auch, daß einer umfassenden Konzernleitung im nur faktischen AG-Konzern die Gegenkräfte aus dem Recht der Tochtergesellschaft entgegenstehen149. Diese Gegenkräfte ergeben sich aus dem Regelungssystem der §§ 311 ff. AktG, die dem Schutz der Tochtergesellschaft vor Beeinträchtigungen dienen. Der Tochtervorstand hat seine Gesellschaft in weitgehender Autonomie zu leiten und insbesondere das laufende Tagesgeschäft ist dem Tochtervorstand zur autonomen Wahrnehmung zu überlassen 150. Die Konzernleitungspflicht beschränkt sich im faktischen Konzern nur auf einen Mindestbereich einheitlicher Leitung. Für die Begründung der Wissenszurechnung kommt einer so begrenzten Konzernleitungspflicht keine eigenständige Bedeutung zu.
I I I . Ergebnis Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß im faktischen AG-Konzern außerhalb einer konkreten Veranlassung keine Wissenszurechnung stattfindet. Es ist aber insofern auf die bestehenden Beweiserleichterungen für den außenstehenden Dritten zu verweisen 151 . Der außenstehende Dritte muß nur Anhaltspunkte 146
So wohl auch Hüffer,
147
Ausfuhrlich siehe oben § 3 Ε. II.
AktG, § 76 Rn. 17.
148
Wobei „Pflicht" nach dem Vorstehenden nicht im eigentlichen Sinne verstanden werden kann. 149
So Hommelhoff.\ Begründung.
Konzernleitungspflicht, S. 109 ff, 146 selbst mit ausfuhrlicher
150
Vgl. Hommelhoff,
151
Siehe oben § 3 Ε. VI. 2.
17 Schüler
Konzernleitungspflicht, S. 109 ff, 146.
258
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
dafür vortragen, daß der Konzernvorstand in dem betreffenden Bereich regelmäßigen Einfluß auf die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft nimmt, was dann eine tatsächliche Veranlassungsvermutung begründet. Sodann obliegt es der abhängigen Gesellschaft darzulegen und zu beweisen, daß in dem konkreten Fall gerade keine Veranlassung vorlag. Ausreichend ist allerdings, wenn die abhängige Gesellschaft nachweist, daß in dem betreffenden Bereich grundsätzlich keine Veranlassungen durch den Konzernvorstand getroffen werden.
D. Wissenszurechnung im faktischen GmbH-Konzern Kommt im faktischen Konzern mit einer AG als abhängiger Tochter eine Zurechnung nur dann in Betracht, wenn der Konzernvorstand den Tochtervorstand zu einer bestimmten Maßnahme veranlaßt hat, so gilt es abschließend zu klären, wie es sich verhält, wenn es sich bei der abhängigen Tochtergesellschaft um eine GmbH handelt. Anders als bei der Aktiengesellschaft handelt es sich bei der GmbH um eine „ideale Konzerntochter" 152 . So ist der Geschäftsführer der GmbH an die Weisungen durch die Gesellschafterversammlung gebunden. Er ist nicht berechtigt, die Ausführungen selbst inhaltlich unzweckmäßiger Weisungen zu verweigern 153 . Dem Geschäftsführer der abhängigen GmbH obliegt nur eine inhaltlich stark begrenzte Überprüfungspflicht. Es liegt daher der Gedanke nahe, daß der Konzernvorstand, wie im Vertragskonzern, bei regelmäßiger Ausübung der Leitungsmacht zum dauerhaften „Quasi-Willensbildungsorgan" der abhängigen GmbH wird und ihm eine umfassende Wissensweiterleitungspflicht obliegt.
I. „Einfach" faktischer GmbH-Konzern Aufgrund der für den Vertragskonzern gefundenen Ergebnisse läßt sich für den „einfach" faktischen Konzern 154 erst recht feststellen, daß dem Konzernvorstand keine Wissensweiterleitungspflicht obliegt. Der Geschäftsführer bleibt bei nur vereinzelter Weisungserteilung das entscheidende Willensbildungsorgan und kann auch ohne gesonderte Informationen durch den Konzernvorstand
152 153
K. Schmidt, GesR, S. 1207.
Vgl. nur Lutterl Hommelhoff, D. V. 3. b). 154
GmbHG, § 37 Rn. 23, ausführlich siehe oben § 2
Unter einem „einfach" faktischen Konzern ist in diesem Zusammenhang der Konzern zu verstehen, in dem sich der Konzernvorstand darauf beschränkt, nur vereinzelt Einfluß auf die Geschäftsführung der abhängigen Tochtergesellschaft zu nehmen.
D. Wissenszurechnung im faktischen GmbH-Konzern
259
im Interesse der abhängigen Gesellschaft entscheiden. Es entstehen über die konkrete Weisungserteilung hinaus keine weiteren organisationsrechtlichen Pflichten zwischen der herrschenden und der abhängigen Gesellschaft.
Π . Der „qualifiziert faktische Konzern" Etwas anderes könnte sich allerdings dann ergeben, wenn der Konzernvorstand regelmäßig Einfluß auf die Geschäftsführung der abhängigen GmbH nimmt. Die Frage, welche Rechtsfolgen die dauerhafte und umfassende Einflußnahme im faktischen GmbH-Konzern bewirkt, ist in unendlicher Breite und Ausführlichkeit in Rechtsprechung und Literatur unter dem Stichwort der „Haftung im qualifiziert faktischen Konzern" diskutiert worden 155 . Das die herrschende Gesellschaft im Ergebnis wie im Vertragskonzern analog §§ 302, 303 AktG haften muß, ist heute wohl unstreitig anerkannt 156. Nach wie vor umstritten sind hingegen die Haftungsvoraussetzungen. Bis zum „Video"-Urteil hat der BGH 1 5 7 insbesondere an die dauerhafte und umfassende Leitung durch das herrschende Unternehmen als entscheidene Voraussetzung angeknüpft. In seinem „TBB"-Urteil hat der BGH 1 5 8 diesen Standpunkt aufgegeben und knüpft nun, unter großer Zustimmung in der Literatur 159 , vor allem an die Verletzung des Eigeninteresses bei gleichzeitig fehlender Isolierbarkeit des Nachteils an. Die zuletzt genannten Voraussetzungen spielen aber im Zusammenhang mit der Wissenszurechnung gerade keine Rolle 160 . Es wurde bereits festgestellt, daß die Zurechnung durch die tatsächliche Einflußnahme begründet wird, wobei es
155 Vgl. dazu beispielsweise die 8 Seiten Literaturverzeichnis bei Emmerich in Scholz, GmbHG, Anh. KonzernR sowie bei Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. KonzernR mit den neuesten Hinweisen. 156 Vgl. nur BGHZ 95, 330; 122, 123 sowie Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. KonzernR Rn. 80. 157
BGHZ 115, 187 ff.
158
BGHZ 122, 123 ff.
159
Vgl. ζ. B. Drygala, GmbHR 1993, 317 ff.; Hommelhoff, ZGR 1994, 395 ff.; Krieger, ZGR 1994, 375 ff.; Lutterl Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 16 ff. m.w.N.; Κ Schmidt, ZIP 1993, 549 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. KonzernR Rn. 80 ff. m.w.N. 160
17·
Im Ergebnis ebenso Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 513.
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
260
unerheblich ist, ob die entsprechende Maßnahme eine Verletzung des Eigeninteresses darstellt. Auch wenn die Maßnahme im Gesellschaftsinteresse läge bzw. der Nachteil quantifizierbar und damit ausgleichbar wäre, würde dies nichts an der Begründung der Wissenszurechnung ändern. Wie sich schon im Zusammenhang mit den Ausführungen zum Vertragskonzern ergeben hat, ist für die Begründung der Wissensweiterleitungspflicht nur der Umfang und die Regelmäßigkeit der Leitungsausübung entscheidend. Daher soll im folgenden nicht von einem „qualifiziert faktischen Konzern", sondern nur von der regelmäßigen Ausübung der Leitungsmacht gesprochen werden, um so Verwechslungen mit dem grundlegend anderen Problem der Haftung zu vermeiden 161 .
III. Regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht Eine über die einzelne Weisung hinausgehende Wissenszurechnung könnte dann begründet sein, wenn der Konzernvorstand, wie im Vertragskonzern, bei regelmäßiger Einflußnahme zum „Quasi-Willensbildungsorgan" wird und ihm damit verbunden eine Wissensweiterleitungspflicht gegenüber der abhängigen GmbH obliegen würde. Zu unterscheiden ist in der GmbH zwischen der Einflußnahme mittels Weisungsbeschlusses und sonstiger faktischer Einflußnahme, da nur im Fall der Weisung die Gesellschafterversammlung und damit der Konzernvorstand als das entscheidende Willensbildungsorgan angesehen werden kann.
1. Regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht durch Weisungsbeschlüsse Die Stellung des Geschäftsführers ist bei Ausübung der Einflußnahme durch Weisungsbeschlüsse mit der Stellung des Tochtervorstands im Vertragskonzern vergleichbar. Wie schon im Vertragskonzern wird der Geschäftsführer im Fall der Weisung durch Gesellschafiterbeschluß aus seiner Funktion als entscheidendes Willensbildungsorgan verdrängt 162 . Der Geschäftsführer ist an die Wei-
161
Auch ist eine Bezugnahme auf die Diskussion um das früher verwandte haftungsbegründende Tatbestandsmerkmal der dauerhaften und umfassenden Ausübung der Leitungsmacht aufgrund der Verschiedenheit der Problematik wenig hilfreich, vgl. dazu schon oben § 4 Α. I. 2. c) aa) (1). 162
Ausführlich siehe oben § 2 D. V. 3. b) ee) (2).
. Wissenszurechnung im faktischen GmbH-Konzern
261
sungen der Gesellschafterversammlung gebunden und ist auch nicht berechtigt, sie auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen 163.
a) Der Konzernvorstand
als „ Quasi-Willensbildungsorgan
"
Bei regelmäßiger und umfassender Einflußnahme wird die Geschäftsführung der GmbH ebenfalls über die einzelne Weisung hinaus vom Konzernvorstand bzw. von der Gesellschafterversammlung bestimmt. Der Geschäftsführer ist nicht mehr in die eigentlichen Entscheidungsprozesse mit eingebunden, sondern nur noch mit der Umsetzung der angewiesenen Maßnahmen in das laufende Tagesgeschäft beschäftigt 164. Der Konzernvorstand bzw. die Gesellschafterversammlung wird demnach zum eigentlichen Willensbildungsorgan der GmbH. Hinsichtlich der Bestimmung des Umfangs der für die Begründung einer dauerhaften Stellung als „Quasi-Willensbildungsorgan" der GmbH erforderlichen Einflußnahme kann auf die Ausführungen zum Vertragskonzern verwiesen werden 165 . Nimmt der Konzernvorstand regelmäßig die originären Führungsentscheidungen der GmbH wahr, so begründet dies die Stellung als „Quasi-Organ", wobei sich die erforderliche Regelmäßigkeit danach bestimmt, ob die Richtung für die von der Geschäftsführung zu treffenden Entscheidungen auch außerhalb der konkreten Weisungen bereits vorgegeben ist. Festzustellen ist somit, daß der Konzernvorstand bei regelmäßiger Ausübung der Führungsentscheidungen in die dauerhafte Stellung als „QuasiWillensbildungsorgan" der GmbH erwächst.
b) Wissensweiterleitungspflicht Fraglich ist indes, ob dem Konzernvorstand auch die Pflicht gegenüber der Gesellschaft obliegt, seine möglicherweise rechtserheblichen Kenntnisse an die letztlich ausführende Geschäftsführung weiterzuleiten. Im Vertragskonzern begründet sich diese Verpflichtung als Nebenverpflichtung aus der dem Konzernvorstand gegenüber der Tochtergesellschaft obliegenden Sorgfaltspflicht des § 309 Abs. 1 AktG. Gemäß § 309 Abs. 1 AktG hat der Konzernvorstand bei der Wahrnehmung der Führungsfunktionen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwen-
163
Vgl. nur Lutterl Hommelhoff, GmbHG, § 37 Rn. 17 ff. m.w.N.
164
Vgl. die Ausführungen zum Vertragskonzern § 4 Α. I. 2. c).
165
Ausführlich § 4 Α. I. 2. c) aa).
262
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
den. Darunter fallt die Pflicht, die fur die Umsetzung von Führungsentscheidungen rechtserheblichen Informationen an den ausführenden Tochtervorstand weiterzuleiten. Im faktischen GmbH-Konzern ergibt sich diese Pflicht bei regelmäßiger Weisungserteilung aus der dem herrschenden Gesellschafter obliegenden gesteigerten Sorgfaltspflicht 166. Auch im faktischen GmbH-Konzern muß die Geschäftsführung in die Lage versetzt werden, die getroffenen Führungsentscheidungen ins laufende Tagesgeschäft umzusetzen. Das ist aber nur dann möglich, wenn die Geschäftsführung über die verfolgte Geschäftspolitik informiert ist. Grundsätzlich besteht die Pflicht zur Wissensweiterleitung im Fall der Weisungserteilung für den wissenden GmbH-Gesellschafter allerdings nur gegenüber den Mitgesellschaftern, nicht aber gegenüber der Geschäftsführung als dem tatsächlich entscheidenen Organträger 167. Diese Unterscheidung spielt jedoch für die Begründimg einer umfassenden Wissenszurechnung letztlich keine Rolle. Zum einen kann der Konzernvorstand seiner umfassenden Wissensweiterleitungspflicht regelmäßig nur dann genügen, wenn die Informationen direkt, ohne den Umweg über die Gesellschafterversammlung zu nehmen, an die tatsächlich ausführenden Stellen in der GmbH weitergeleitet werden. Zum anderen ist festzustellen, daß auch wenn der Konzernvorstand den Umweg über die Gesellschafterversammlung gehen wollte, dies eine Wissenszurechnung begründen würde. Die Gesellschafterversammlung würde in diesem Fall über die einzelne, bereits konkretisierte auszuführende Maßnahme informiert werden und über diese Maßnahme eine konkrete Entscheidung mit der Folge der Wissenszurechnung treffen können.
c) Zwischenergebnis Durch die regelmäßige und umfassende Ausübung der Leitungsmacht durch Weisungsbeschlüsse wird eine ebenso umfassende Wissenszurechnung begründet, wie im Vertragskonzern. Soweit der abhängigen GmbH Nachteile durch die Begründung der Wissenszurechnung entstehen, ist die herrschende Gesellschaft wegen Verletzung der ihr obliegenden Treuepflichten zum Schadensersatz verpflichtet. Hinsichtlich des Umfangs der Zurechnung sowie der Beweisfragen kann auf die Ausführungen zum Vertragskonzern verwiesen werden.
166
Vgl. nur Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, Anh. nach § 52 Rn. 55 m.w.N. sowie oben § 3 F. I. 167
Siehe oben § 2 D. V. 3. b) ee) (2).
. Wissenszurechnung im faktischen GmbH-Konzern
263
2. Regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht durch sonstige Einflußnahmen Etwas anders sieht die Situation hingegen aus, wenn der Konzernvorstand seine Leitungsmacht nicht mittels Gesellschafterbeschlüssen ausübt, sondern dem Geschäftsführer direkt „Weisungen" erteilt. Wie oben bereits festgestellt 168 , sind solche Veranlassungen für den Geschäftsführer nicht bindend. Der Geschäftsführer bleibt im Sinne des § 43 GmbHG für die Ausführung der Maßnahme verantwortlich. Der Konzernvorstand kann dementsprechend nicht als das entscheidende Willensbildungsorgan, sondern nur als ein Teil der Willensbildung der abhängigen Gesellschaft angesehen werden. Aufgrund der dem Konzernvorstand obliegenden Treuebindungen ist er, wie der Konzernvorstand im faktischen AG-Konzern verpflichtet, zum Schutz der Minderheitsgesellschafter dem Geschäftsführer sämtliche, für die Ausführung der veranlaßten Maßnahme rechtserheblichen Informationen weiterzuleiten. Eine solche im Zusammenhang mit der Ausführung konkreter Maßnahmen stehende Informationspflicht führt aber dazu, daß auf Seiten der Geschäftsführung selbst bei regelmäßiger Ausübung der Leitungsmacht kein Informationsdefizit entsteht, welches mittels einer weitergehenden Wissensweiterleitungspflicht ausgeglichen werden müßte. Es kann insofern auf die Ausführungen zum faktischen AG-Konzern verwiesen werden. Die Ausübung der Leitungsmacht durch direkte Veranlassungen gegenüber dem Geschäftsführer begründet demnach keine umfassende Wissensweiterleitungspflicht der herrschenden Gesellschaft. Die Wissenszurechnung bleibt auf die im Zusammenhang mit einer konkreten Veranlassung stehenden Kenntnisse beschränkt. Auch aus dem Gedanken der Konzernleitungspflicht kann keine weitergehende Wissenszurechnung begründet werden. Denn soweit dem Konzernvorstand tatsächlich eine Konzernleitungspflicht obliegen sollte, beschränkt sich diese Pflicht auf das rechtlich vorgesehene Mittel der Einflußnahme, den Weisungsbeschluß. Eine umfassende Einflußnahme durch Weisungen begründet aber schon eine umfassende Wissenszurechnung, so daß der durch eine Konzernleitungspflicht begriindeteten Wissenszurechnung keine eigenständige Bedeutung zukäme.
IV. Ergebnis Im Ergebnis ist daher für den faktischen GmbH-Konzern festzustellen, daß die regelmäßige Ausübung der Leitungsmacht durch Weisungsbeschlüsse zu
168
Siehe oben § 3 F. II.
264
§ 4 Wissenszurechnung ohne konkrete Entscheidungsbeteiligung
einer umfassenden Wissenszurechnung führt. Der Dritte bleibt wie im Vertragskonzern verpflichtet, Anhaltspunkte für die regelmäßige Einflußnahme vorzutragen, wobei unter dem Aspekt der Tatsachennähe Anhaltspunkte allgemeiner Natur als ausreichend zu erachten sind. Übt der Konzernvorstand seine Leitungsmacht nur durch Veranlassungen direkt gegenüber dem Geschäftsführer aus, so bleibt die Wissenszurechnung auf die im Zusammenhang mit der einzelnen Veranlassung stehenden Kenntnisse beschränkt. Trägt der außenstehende Dritte Anhaltspunkte für das Vorliegen einer regelmäßigen Einflußnahme durch Veranlassungen vor, so spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß auch die in Frage stehende Maßnahme vom Konzernvorstand veranlaßt worden ist.
§ 5 Schlußfolgerungen und Auswirkungen auf die Kommunikationsstruktur im Konzern A. Umgekehrte Zurechnung (von unten nach oben) In den vorstehenden Teilen der Untersuchung ging es um die Frage, ob sich die Tochtergesellschaft das Wissen ihrer Muttergesellschaft zurechnen lassen muß. Diese Frage läßt sich natürlich auch umgekehrt stellen, nämlich ob das Wissen der Tochtergesellschaft(en) der Muttergesellschaft zuzurechnen ist. Von Bedeutung ist diese Frage vor allem für den Aufbau einer konzernweiten Kommunikationsorganisation. Denn wenn sich die Konzernobergesellschaft das Wissen ihrer verschiedenen Tochtergesellschaften zurechnen lassen muß, so führt dies - über die Obergesellschaft - zu einer Wissenszurechnung zwischen den einzelnen Tochtergesellschaften und damit zu einem konzernweiten Informationsfluß. Ob sich die Obergesellschaft das Wissen ihrer Tochtergesellschaft zurechnen lassen muß, ist anders als bei der Zurechnung von „oben nach unten" alleine danach zu beurteilen, ob das rechtserhebliche Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation beim Entscheidungsträger, dem Konzernvorstand, hätte vorliegen müssen. Das bestimmt sich zunächst danach, ob dem Konzernvorstand überhaupt die rechtlichen Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung zur Verfügung stehen und desweiteren, ob er auch verpflichtet ist, diese Möglichkeiten zu nutzen1. Die Antwort auf diese Fragen ergibt sich jedoch schon als Konsequenz aus den oben gefundenen Ergebnissen. Schon im Rahmen der vorstehenden Untersuchungen hat sich ergeben, daß in den Bereichen, in denen der Konzernvorstand von seiner Leitungsmacht Gebrauch macht, er unabhängig von der Konzernform berechtigt und verpflichtet ist, sich umfassend über die Auswirkungen dieser Einflußnahmen auf die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft zu informieren 2. Dementsprechend müßten die Kenntnisse der Tochtergesellschaft in diesen Bereichen bei ordnungsgemäßer Organisation beim Konzernvorstand
1 2
Ähnlich auch Drexl, ZHR 161 (1997), 491, 511 ff.
Zum Vertragskonzern siehe insbesondere § 4 Α. I. 2. c) aa), zum faktischen AGKonzern siehe § 3 E. III. 3. b) und zum faktischen GmbH-Konzern siehe § 3 F. I.
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§ 5 Schlußfolgerungen und Auswirkungen auf die Kommunikationsstruktur
vorliegen. Fehlende Kenntnisse sind dem Konzernvorstand dann im Wege wertender Betrachtung zuzurechnen 3. Es sollen daher an dieser Stelle die für die Zurechnung von unten nach oben wesentlichen Gesichtspunkte nur noch einmal kurz zusammengefaßt werden.
I. Informationsrechte Das Weisungsrecht des Konzernvorstands im Vertragskonzern gemäß § 308 Abs. 1 AktG umfaßt zugleich das Recht, sich sämtliche Informationen zu beschaffen, die zur Ausübung einheitlicher Leitungsmacht erforderlich sind4. Im faktischen AG-Konzern steht dem Konzernvorstand kein durchsetzbares Recht zur Erlangung sämtlicher für die Ausübung einheitlicher Leitungsmacht erforderlicher Kenntnisse zu. Die gemäß §§ 294 Abs. 3, 320 Abs. 3 HGB bestehende Informationsrechte beziehen sich nur auf solche Informationen, die zur Aufstellung des Konzernabschlusses und des Konzernlageberichts erforderlich sind5. Umgekehrt ist aber der Tochtervorstand gemäß § 311 AktG entgegen der Verschwiegenheitspflicht des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG berechtigt, der herrschenden Gesellschaft sämtliche Informationen zu erteilen, die zur Ausübung einheitlicher Leitung erforderlich sind. Die Vorschrift des § 131 Abs. 4 AktG findet auf diesen Fall keine Anwendung, denn die herrschende Gesellschaft wird nicht aufgrund ihrer Funktion als Aktionär, sondern aufgrund ihrer Leitungsfunktion informiert 6. Will daher der Tochtervorstand einer Veranlas-
3
Im Ergebnis vergleichbar auch Drexl, ZHR 1616(1997), 491, 511 ff, 519.
4 Vgl. Decher, ZHR 158 (1994), 473, 480 f.; Eckardt in Geßler/Hefermehl, AktG, § 131 Rn. 147; Hüffer, AktG, § 308 Rn. 12; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 308 Rn. 17; Lutter, ZIP 1997, 613, 616 f.; Zöllner in KölnKomm. AktG, § 131 Rn. 66. 5 6
Vgl. Krieger in Münchdb. AG, § 69 Rn. 33.
Vgl. Barz in GroßKomm. AktG3, § 131 Rn. 27; Decher, ZHR 158 (1994), 473, 483 f.; Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S. 155, 166 ff. m.w.N.; Hommelhoff!Timm, AG 1976, 330, 332; Hüffer, AktG, § 131 Rn. 38; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rn. 33; Kropff, DB 1967, 2204, 2205; Lutter, Information und Vertraulichkeit, S. 50 f.; Seifert, AG 1967, 1,3; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 290 ff, der sogar eine Pflicht zur Informationserteilung annimmt; Streyl, Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 122; Werner, AG 1967, 122, 123; Zöllner in KölnKomm. AktG 1 , § 131 Rn. 69; a.A. Eckardt in Geßler/Hefermehl, AktG, § 131 Rn. 148; Kort, ZGR 1987, 45, 60. Diese Ansicht verkennt jedoch, daß eine erhöhte Information für die zulässige Ausübung einheitlicher Leitung unerläßlich ist.
Α. Umgekehrte Zurechnung (von unten nach oben)
267
sung durch den Konzernvorstand nachkommen, so ist er verpflichtet, diesem die erforderlichen Informationen zukommen zu lassen. Im faktischen GmbH-Konzern steht der herrschenden Gesellschaft schon als Gesellschafterin gemäß § 51 a GmbHG ein weitreichendes Informationsrecht zu. Dieses Recht umfaßt sämtliche für die Geschäftsführung erforderliche Informationen 7. Im Einzelfall kann die Weiterleitung von Informationen allerdings von der Zustimmung der übrigen Gesellschafter abhängen8. Demnach ist für sämtliche Konzernformen festzustellen, daß dem Konzernvorstand die rechtlichen Möglichkeiten zur Beschaffung von Informationen zur Verfügung stehen, die für die Ausübung der einheitlichen Leitung erforderlich sind.
Π . Informationspflichten Im Vertragskonzern (§ 309 Abs. 1 AktG) 9 , im faktischen AG-Konzern (vgl. §317 Abs. 2 AktG) 1 0 und im faktischen GmbH-Konzern (aufgrund gesteigerte Treuepflichten) 11 ist der Konzernvorstand verpflichtet, bei der Erteilung von Weisungen bzw. Veranlassungen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Diese Sorgfaltspflicht umfaßt die Verpflichtung, sich vor der Ausübung der Einflußnahme umfassend über die Verhältnisse der Tochtergesellschaft zu informieren. Der Konzernvorstand ist
7 Vgl. Hüffer in Hachenburg, GmbHG, § 51 a Rn. 21 f.; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 51 a Rn. 6; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 51 a Rn. 2, 4 ff.; Κ Schmidt in Scholz, GmbHG, § 51 a Rn. 19 f.; Tietze, Informationsrechte des GmbHGesellschafters, S. 9 ff; Wohlleben, Informationsrechte des Gesellschafters, S. 99 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 51 a Rn. 10. 8
So kann vor allem der Betrieb eines Konkurrenzunternehmens die Befürchtung der gesellschaftsfremden Zweckverwendung und der Nachteilszufügung nahelegen, so daß die Informationserteilung von der Zustimmung der übrigen Gesellschafter abhängig zu machen ist, vgl. dazu ζ. B. OLG Karlsruhe, GmbHR 1985, 362, 363; Ivens, GmbHR 1989, 273 ff.; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, § 51 a Rn. 18. Diese Frage stellt sich jedoch zumeist nur vor der Ausübung einheitlicher Leitungsmacht und damit vor der Begründung einer konzemrechtlichen Abhängigkeit. Zu den Möglichkeiten einer Konzerneingangskontrolle in der abhängigen GmbH siehe Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 133 ff., 192 ff. 9
Siehe oben ζ. B. § 3 C. IV.
10
Siehe oben ζ. B. § 3 E. III. 3. b).
11
Siehe oben ζ. B. § 3 F. I.
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§ 5 Schlußfolgerungen und Auswirkungen auf die Kommunikationsstruktur
verpflichtet, sich die für die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft erforderlichen Kenntnisse in dem Bereich zu verschaffen, in dem er durch die Erteilung der Weisung einheitliche Leitungsmacht ausüben möchte 12 . Die Pflicht zur ordentlichen und sorgfältigen Leitung umfaßt desweiteren die Pflicht, sich auch nach der Weisungserteilung über die tatsächliche Ausführung und Umsetzung der angewiesenen Maßnahmen zu informieren um entsprechend lenkend eingreifen zu können 13 . Noch weiter geht die Informationspflicht, wenn dem Konzernvorstand im zentralisierten Vertragskonzern aufgrund regelmäßiger und umfassender Einflußnahme seinerseits eine Wissensweiterleitungspflicht obliegt. Der Konzernvorstand ist dann verpflichtet, sich sämtliche für die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft erheblichen Informationen zu verschaffen, da er nur so seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Ausübung der Leitungsmacht nachkommen kann 14 . Die Obergesellschaft muß sich sich demnach solche Kenntnisse der Tochtergesellschaft wertend zurechnen lassen, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Organisation bei der tatsächlich handelnden Stelle innerhalb der herrschenden Gesellschaft hätten vorliegen müssen. Weitergehende Informationspflichten obliegen dem Konzernvorstand aber aufgrund der oben gefundenen Erkenntnisse nicht 15 . Es steht vielmehr in seinem Ermessen, den Konzern dezentral zu strukturieren und der Tochtergesellschaft weitgehende Autonomie zu gewähren. Zudem beschränken sich die gesonderten Informationsmöglichkeiten des Konzernvorstands auf die zur Ausübung der einheitlichen Leitung erforderlichen Kenntnisse16.
12
Ausführlich dazu oben § 3 C. IV. 3. zum Vertragskonzern. Diese Ausführungen treffen aber auch auf die übrigen Konzernformen zu. 13
Siehe oben § 3 C. IV. 2. b).
14
Siehe oben § 4 Α. I. 2. c) aa).
15 Siehe dazu die Ausführungen zur Weisungs-, Wissensweiterleitungs- und Konzernleitungspflicht § 4 Α. I. 16
Es handelt sich jedenfalls bei den aktienrechtlichen Informationsmöglichkeiten um funktionale Informationsrechte, die auf die für die Ausübung der einheitlichen Leitungsmacht erforderlichen Kenntnisse beschränkt sind. Vgl. dazu auch Lutter, ZIP 1997, 613, 616 ff, der daraus eine Beschränkung für die Fälle herleitet, in denen der Konzernvorstand Informationen zur Vorbereitung eines Verkaufs von Anteilen („due diligence") verlangt.
Β. Konsequenzen für die Kommunikationsstruktur
269
I I I . Ergebnis Für die Wissenszurechnung von unten nach oben läßt sich daher feststellen, daß eine Wissenszurechnung im Wege wertender Betrachtung immer dann erfolgt, wenn der Konzernvorstand die betreffenden Informationen im Rahmen einer ordnungsgemäßen Ausübung der Leitungsmacht hätte erlangen müssen. In dem Umfang, in dem sich die Tochtergesellschaft die Kenntnisse ihrer Muttergesellschaft zurechnen lassen muß, muß sich umgekehrt auch die Muttergesellschaft die Kenntnisse ihrer Tochtergesellschaft zurechnen lassen. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten, insbesondere der Beweisfragen, kann daher auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden.
B. Konsequenzen für die Kommunikationsstruktur Ausschlaggebendes Kriterium für die Begründung einer Wissenszurechnung im Konzern ist die Ausübung der Leitungsmacht durch den Konzernvorstand. Aus dieser Erkenntis ergibt sich, daß es in einem dezentralisierten Konzern nur in Ausnahmefällen zu einer Wissenszurechnung kommt. Dementsprechend bedarf es im dezentralisierten Konzern auch keiner besonderen Kommunikationsstruktur. Nimmt der Konzernvorstand hingegen konkreten Einfluß auf das operative Geschäft der Tochtergesellschaft, so wird dadurch eine beiderseitige Wissenszurechnung begründet. Beispiel 17 : Der Konzernvorstand weist den Tochtervorstand an, in Zukunft bestimmte Waren nur noch von einem bestimmten Unternehmen zu beziehen. Die Tochtergesellschaft muß sich die Kenntnisse der herrschenden Gesellschaft hinsichtlich der zu beziehenden Waren und hinsichtlich des betreffenden Unternehmens zurechnen lassen. Umgekehrt ist der Konzernvorstand verpflichtet, sich zunächst ordnungsgemäß auf die Weisungserteilung vorzubereiten und deren Auswirkungen auf die Tochtergesellschaft zu überprüfen. Insbesondere hat der Konzernvorstand aber auch die Auswirkungen und die tatsächliche Umsetzung seiner Weisungserteilung zu kontrollieren. Erlangt die Tochtergesellschaft im Zuge der Geschäftsbeziehungen mit dem betreffenden Unternehmen Kenntnis von der Mangelhaftigkeit eines bestimmten Produktes oder der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens, so muß sich die Obergesellschaft diese Kenntnis der Tochtergesellschaft zurechnen lassen. Diese Zurechnung steht allerdings unter der Einschränkung, daß eine Weiterleitung und damit verbun-
17 Vgl. dazu auch schon oben S. 169 f. (§ 3 C. IV. 2. b)) sowie S. 121 ff. ( § 2 D. V. 3. b) ii) (1) (b)).
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§ 5 Schlußfolgerungen und Auswirkungen auf die Kommunikationsstruktur
den eine Zurechnung der typischerweise festgehaltenen Kenntnisse bei ordnungsgemäßer Geschäftsführung erfolgen würde. Durch dieses Kriterium wird gewährleistet, daß nicht jede Information, sondern nur die wesentlichen Informationen im überschaubaren Rahmen zugerechnet werden. Daraus ergeben sich zugleich Konsequenzen für die Kommunikationsstruktur. Denn regelmäßig wird der Konzernvorstand selbst nicht in der Lage sein, die tatsächlichen Auswirkungen seiner Weisungen auf das laufende Tagesgeschäft der Tochtergesellschaft zu kontrollieren. Er ist daher auch nicht in der Lage zu beurteilen, welche Kenntnisse für die Geschäfte der eigenen Gesellschaft von Bedeutung sein könnten. Gleiches gilt für solche Kenntnisse, die die herrschende Gesellschaft erst nach der Weisungserteilung des Konzernvorstands erlangt, die aber für die Ausführung der Weisung von erheblicher Bedeutung sind. Der Konzernvorstand ist jedoch nicht selbst zur Kenntnisnahme und Weiterleitung der Informationen verpflichtet, sondern nur zum Aufbau einer Struktur, die einen ausreichenden Informationsfluß gewährleistet. Beispiel: In dem obigen Beispielsfall bezieht die Muttergesellschaft dieselben Produkte bei dem betreffenden Unternehmen wie die Tochtergesellschaft. Der Konzernvorstand wäre demnach verpflichtet, den Tochtervorstand anzuweisen, Kenntnisse über die Produkte oder über das Unternehmen von einer gewissen Bedeutung an die mit der Ausführung dieser Geschäfte zuständigen Stellen innerhalb der Obergesellschaft direkt weiterzuleiten. Umgekehrt hat er diese zuständigen Stellen dazu zu verpflichten Kenntnisse, die für die Tochtergesellschaft von erheblicher Bedeutung sind, an diese weiterzuleiten. Der erforderliche Informationsfluß könnte beispielsweise durch die Schaffung einer gemeinsamen Datenbank, zu der beide Gesellschaften jederzeit Zugang haben, erreicht werden. Die aktuellsten rechtserheblichen Informationen könnten auch durch die Einrichtung eines elektronischen Verteilernetzes, ζ. B. per e-mail, ohne Schwierigkeiten an die jeweils zuständigen Stellen weltweit sofort weitergeleitet werden. Selbst auf konventionellem Wege könnte ein Informationsaustausch zum Beispiel durch regelmäßige Treffen der zuständigen Abteilungsleiter erzielt werden. Solche Treffen sind jedoch sehr aufwendig und zeitintensiv. Es könnte daher unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchaus kostengünstiger sein, wenn statt solcher Treffen die Nachteile in Kauf genommen würden, die sich aus der Wissenszurechnung ergeben. Einer solchen Abwägung bedarf es jedoch regelmäßig nicht, denn der Umfang der erfordlichen Kommunikation zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft richtet sich nach dem Kriterium der ordnungsgemäßen Geschäftsführung. Sind in einem Konzern die „technischen" Voraussetzungen für einen sofortigen umfassenden Informationsaustausch nicht geschaffen, so beschränkt sich die Weiterleitungspflicht entsprechend den Grundsätzen der ordnungsge-
Β. Konsequenzen fur die Kommunikationsstruktur
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mäßen Geschäftsführung auf das tatsächlich durchführbare Maß, wobei insbesondere auch wirtschaftliche Überlegungen mit einfließen. Der Konzern wäre dementsprechend nicht verpflichtet, solche Treffen abzuhalten. Festzustellen bleibt, daß es im zentralisierten Vertragskonzern des Aufbaus einer umfassenden Kommunikationsstruktur bedarf, wie diese bei ordnungsgemäßer Geschäftsführung auch innerhalb einer Gesellschaft erforderlich wäre. Übt der Konzernvorstand im zentralisierten Vertragskonzern seinen Einfluß gleich in mehreren Tochtergesellschaften aus, so bedarf es nicht nur einer Kommunikation zwischen den Tochtergesellschaften und der Obergesellschaft, sondern in gleichem Maße zwischen den Tochtergesellschaften untereinander. Dies gilt allerdings in der Regel nur, wenn es sich um Tochtergesellschaften derselben Branche handelt, da nur dann damit zu rechnen ist, daß die Kenntnisse der einen Gesellschaft für die andere Gesellschaft relevant werden könnten. Die umfassende Ausübung der Leitungsmacht im zentralisierten Konzern kann auch zu einem umfassenden Informationsfluß zwischen der Muttergesellschaft und einer Enkelgesellschaft führen, wenn nämlich die Tochtergesellschaft ihrerseits umfassenden Einfluß auf die Geschäfte der Enkelgesellschaft ausübt. Im Ergebnis umfaßt die Ausübung einheitlicher Leitungsmacht zugleich die Verpflichtung, für eine ordnungsgemäße Kommunikationsstruktur im Konzern zu sorgen.
§ 6 Zusammenfassung der Ergebnisse 1.
Durch die Wissenszurechnung soll die Anwendung der Wissensnormen gesichert werden, um entsprechend dem allen Zurechnungsnormen zugrundeliegenden Gedanken eine wertungsgerechte Anpassung an das arbeitsteilige Handeln im Rechtsverkehr zu erzielen.
2.
Die Wissensnormen als Bezugsnormen der Zurechnung orientieren sich in erster Linie am Gedanken des Selbstschutzes. Insbesondere handelt es sich bei den Wissensnormen nicht um eine Sanktion für schuldhaftes Verhalten.
3.
Durch die Wissenszurechnungsnorm des § 166 BGB wird die dem Vertretenen gemäß § 164 BGB zuzurechnende Willenserklärung eines Vertreters um die Wissensumstände des Vertreters erweitert, so daß der Norm ein eigenständiger Zurechnungstatbestand entnommen werden kann.
4.
Entgegen einer ersten Annahme finden die gesetzlichen Zurechnungsnormen auf die Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern wegen methodischer Widersprüche und teilweise unzureichender Ergebnisse keine unmittelbare oder analoge Anwendung. An ihre Stelle tritt eine allgemein wertende Zurechnung, deren Zulässigkeit sich aus dem Zusammenspiel wissensspezifischer und für alle Zurechnungsnormen gleichermaßen geltender Zurechnungsgründe sowie aus der Erkenntnis ergibt, daß nur so die bestehenden gesetzlichen Regelungslücken interessengerecht zu schließen sind.
5.
Für die Beurteilung der rechtserheblichen Wissensumstände innerhalb einer juristischen Person ist zunächst immer auf das Wissen desjenigen abzustellen, der die tatsächliche Entscheidung getroffen hat, unabhängig davon, welche Position er innerhalb der juristischen Person einnimmt.
6.
Im Rahmen der wertenden Betrachtung kommt es daneben darauf an, ob innerhalb einer ordnungsgemäßen Organisation das rechtserhebliche Wissen an die entsprechenden Entscheidungsstellen weiterzuleiten gewesen wäre. Das richtet sich aufgrund des Kriteriums der Schutzbedürftigkeit nach der Wesentlichkeit dèr Information, dem Zeitpunkt der Informationserlangung, der Bedeutung der von der Information betroffenen Geschäfte, dem Anlaß zur Abfragung von Wissensspeichern und den jeweiligen Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb der betreffenden Gesellschaft.
7.
Desweiteren ist festgestellt worden, daß die gesetzlichen Zurechnungsnormen auch auf die Zurechnung des Wissens der Gesellschafter keine An-
§ 6 Zusammenfassung der Ergebnisse
273
wendung finden. Es bedarf hier ebenfalls des Rückgriffs auf eine Zurechnung im Wege einer allgemein wertenden Betrachtung. 8.
Aus der wertenden Betrachtung hat sich ergeben, daß sich eine GmbH das Wissen ihrer Gesellschafter immer dann zurechnen lassen muß, wenn die Gesellschafter durch die Erteilung einer Weisung den Geschäftsführer zu einer bestimmten Geschäftsführungsmaßnahme angewiesen haben. Zuzurechnen ist das Wissen eines jeden Gesellschafters, unabhängig von seiner Stellung, der dem Weisungsbeschluß zugestimmt hat. Der Umfang des zuzurechnenden Wissens richtet sich nach dem Umfang der bereits konkret in dem Weisungsbeschluß getroffenen rechtserheblichen Bestimmungen. Entsteht der Gesellschaft durch die Begründung der Wissenszurechnung ein Schaden, so ist der wissende Gesellschafter wegen Verletzung der ihm obliegenden Treuebindungen zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet.
9.
Demgegenüber muß sich eine Aktiengesellschaft das Wissen eines nicht herrschenden Aktionärs aufgrund fehlender Einflußnahmemöglichkeiten nicht zurechnen lassen.
10. Für die Wissenszurechnung im Konzern gilt, daß alleine die konzernrechtliche Verbundenheit eine Wissenszurechnung nicht zu rechtfertigen vermag. 11. Das Wissen einer herrschenden Gesellschaft ist unabhängig von der jeweiligen Konzernform der abhängigen Gesellschaft erst zuzurechnen, wenn der Konzernvorstand die abhängige Gesellschaft zur Durchführung einer bestimmten Maßnahme angewiesen bzw. veranlaßt hat. Durch die tatsächliche Ausübung der Leitungsmacht wird der Konzernvorstand zum entscheidenden Willensbildungsorgan, und aufgrund dieser Stellung ist der abhängigen Gesellschaft das Wissen des Konzernvorstands wertend zuzurechnen. Der Umfang des zuzurechnenden Wissens bestimmt sich nach den tatsächlichen Auswirkungen der Weisung bzw. Veranlassung auf das operative Geschäft der Tochtergesellschaft, wobei es unerheblich ist, ob in der Veranlassung bereits konkrete rechtserhebliche Bestimmungen im Sinne der Wissensnormen getroffen wurden. Zuzurechnen sind allerdings nur solche Kenntnisse, die unter dem Gesichtspunkt der ordnungsgemäßen Geschäftsführung weiterzuleiten sind. 12. Umgekehrt muß sich auch die herrschende Gesellschaft das Wissen der Tochtergesellschaft zurechnen lassen, welches im Zusammenhang mit der veranlaßten Maßnahme rechtserheblich werden könnte und welches die Tochtergesellschaft im Rahmen der Ausführung der veranlaßten Maßnahme erlangt. 13. Dem Konzernvorstand obliegt bei tatsächlicher Ausübung der Leitungsmacht die Pflicht, für eine Kommunikationsstruktur im Konzern zu sorgen, 18 Schüler
274
§ 6 Zusammenfassung der Ergebnisse
die eine Weiterleitung der zuzurechnenden Kenntnisse gewährleistet. Verletzt der Konzernvorstand diese Pflicht und erleidet die Tochtergesellschaft durch die Begründung der Wissenszurechnung einen Schaden, so ist die herrschende Gesellschaft bzw. der Konzernvorstand zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet. 14. Wegen der Schwierigkeiten, die Voraussetzungen der Wissenszurechnung darzulegen und zu beweisen, besteht für einen außenstehenden Dritten eine Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Veranlassungsvermutung, wenn er Anhaltspunkte dafür vorträgt, die auf eine regelmäßige Einflußnahme der Obergesellschaft in dem betreffenden Bereich schließen lassen. 15. Außerhalb der tatsächlichen Weisungs- bzw. Veranlassungserteilung kommt eine wertende Wissenszurechnung im Fall der Organidentität in Betracht, wenn das Doppel-Vorstandsmitglied sowohl in der Ober- als auch in der Untergesellschaft für denselben Bereich der operativen Geschäftsführung zuständig ist. Der Grund für die Zurechnung liegt in der Stellung des Doppelmandatsträgers selbst, so daß es keiner besonderen Veranlassung bedarf. 16. Darüber hinaus begründet die regelmäßige Wahrnehmung der originären Führungsentscheidungen durch den Konzernvorstand im Vertrags- und Eingliederungskonzern eine umfassende, nicht auf den Inhalt einer bestimmten Veranlassung beschränkte Wissenszurechnung. Der Konzernvorstand erwächst in die dauerhafte Stellung des eigentlichen Willensbildungsorgans der Tochtergesellschaft. In dieser Funktion obliegt ihm die Pflicht, für einen umfassenden Informationsaustausch zwischen den verbundenen Gesellschaften zu sorgen, wobei der Umfang durch das Kriterium der ordnungsgemäßen Geschäftsführung begrenzt ist. Gleiches gilt im faktischen GmbH-Konzern, wenn die herrschende Gesellschaft den regelmäßigen Einfluß durch Weisungsbeschlüsse ausübt.
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Sachregister Alleingesellschafter 98f. Arglist 38 Beweislast 122, 191 ff., 245ff. Bezugsnorm 28 Bezugssubjekt 29 BGB-Gesellschaft 132 Datenschutz 163 Drittinteresse 44 Durchgriff 88 Einflußnahme — im faktischer AG-Konzern 179ff. — im faktischen GmbH-Konzern 203ff. — im Vertragskonzern 147ff. — in der AG 123ff. — in der GmbH 109ff. Eingliederungskonzern 172ff., 25Iff. Einheitstheorie 129f. Einmann-GmbH, siehe Alleingesellschafter Faktischer AG-Konzern 175ff., 254ff. Faktischer GmbH-Konzern 203ff., 258ff. Fiktionstheorie 58 Fristenlauf 37 Führungs-Holding 198 Gefahrenabwehr 140 Geschäftsführungsorgan — faktisches 109 Gesellschafterversammlung — Wissen 111 — Schutzbedürftigkeit 11 Iff. Gutgläubiger Erwerb 38ff. Haftung — der Gesellschafter 115f.
— im faktischen AG-Konzern 190 — im faktischen GmbH-Konzern 209 — im Vertragskonzern 164ff., 243f. — konzernrechtliche 142ff. Haftungsdurchgriff 87 Informationsdefizit 225 Informationspflichten 267f. — im faktischen AG-Konzern 185f. — im faktischen GmbH-Konzern 205f. — im Vertragskonzern 223 ff. Informationsrechte 266f. Kausalität 2 7f. Kommunikationsstruktur 269ff. Konzern — Einheit und Vielheit 128ff. — zentralisierter 223ff. Konzern führungsaufgaben — originäre 230 Konzerninteresse 219ff. Konzernleitungspflicht, siehe Leitungspflicht Konzernorganisation 160, 269ff. Leitungsmacht — dauerhafte Ausübung 225ff., 260ff. — originäre 150 — Übergang 151 Leitungspflicht — gegenüber der abhängigen Gesellschaft 212ff., 251, 256 — gegenüber der herrschenden Gesellschaft 235,253 Mischtheorien 95 Mißbrauchslehren — objektiv-institutionelle 92 — subjektive 90
Sachregister
Nachforschungspflicht 44 Normzwecklehre 93 Obliegenheitsverletzung 45 Organschaft, steuerliche 144 Organtheorie 58 Qualifiziert faktischer Konzern 259f. Quasi-Organ 152ff, 21 l f , 219ff, 261 Passivvertretungsvorschriften 68 Persönlichkeitserweiterung 33 — arbeitsteilige 55, 75f. Personelle Verflechtungen 196f. Pflicht — zu konzernfreundlichem Verhalten 222f. — zur Entscheidungsbeteiligung 99 Polykorporatives Netzwerk 13 Of. Risikoverbundenheit — konzernrechtliche 146 Schadensersatz, siehe Haftung Selbstschutz 4 Iff. Stammhauskonzern 199 Stellvertretung 50ff, 101 ff., 149f. Theorie der realen Verbandspersönlichkeit, siehe Organtheorie Trennungsprinzip 85 Treuepflicht — Haftung 115 Unternehmen 132ff. Unternehmensleitung 227f. Veranlassungsbewußtsein 185f. Verschulden 44 Verschwiegenheitspflicht 188f. Vertragskonzern 145ff, 21 Iff. Vertretertheorie, siehe Fiktionstheorie Vertrauensschutz 41, 82, 248ff. Vorsatz 38 Vorstand — Doppelmandate 197ff. Weisungen
297
— der GmbH-Gesellschafter 102 — einmalige 119, 158 — längerfristige 120, 158, 232 — strategische 121, 159 Weisungsbegriff 155 Weisungsgebundenheit — Prüfungsmaßstab 110, 147f, 182 — Prüfungspflicht 110, 147f, 180 Willensbildungsorgan 110 Wissen 36ff. — als Zurechnungsobjekt 48 — Rechtserheblichkeit 37f. Wissenserklärungen 68 Wissensnormen 40ff. Wissensvertreter 83 Wissensweiterleitungspflicht 218ff, 252, 254, 261 — Umfang 232ff. Wissenszurechnung — Umfang 118, 158f, 190, 232ff. — Zeitpunkt 117, 157 Wissenszurechnungsnormen 49f. Zurechnung 27ff. — als Rechtsanwendungstechnik 34 — fremder Tatbestände 28f. Zurechnungsdurchgriff 87 Zurechnungsgrund 3Of. Zurechnungskriterien 7Iff. — Abfragungsanlaß 81 — allgemeine Lebenserfahrung 76 — Aufklärungspflichten 71 — Bedeutung der betroffenen Geschäfte 80 — Entscheidungsfindung 74 — ordnungsgemäße Organisation 77 — Schutz des Vertragspartners 82 — Verhaltenszurechnung 71 — Wesentlichkeit 79 Zurechnungsnormen — aktienrechtliche 135f. — allgemeine 31, 62, 68, 70 — konzernrechtliche 138 — spezielle 32 Zurechnungsobjekt 48f. Zurechnungssubjekt 29 Zurechnungszweck