139 66 19MB
German Pages 199 Year 1983
MARTIN HENSSLER
Der Arbeitsvertrag im Konzern
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 70
Der Arbeitsvertrag im Konzern
Von
Dr. Martin Henssler
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Henssler, Martin: Der Arbeitsvertrag im Konzern / von Martin Henssler. Berlin: Duncker und Humblot, 1983. (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd.70) ISBN 3-428-05442-3
NE: GT
Alle Rechte vorbehalten
@ 1983 Duncker & Humblot, Berl1n 41
Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berl1n 61 Printed in Germany ISBN 3 428 05442 3
Vorwort Die vorliegende Untersuchung befaßt sich mit aktuellen Problemen, die sowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxis von Bedeutung sind. Sie richtet sich daher auch an den Personaljuristen im konzernmäßig verbundenen Unternehmen sowie an die Rechtssekretäre der Gewerkschaften. Ihnen sollen Argumentationsmöglichkeiten bei individualarbeitsrechtlichen Problemen in Konzerngesellschaften aufgezeigt werden. Ziel der Arbeit ist es, Anregungen zu einer Neu- bzw. Umorientierung des Arbeitsrechts in verbundenen Unternehmen zu geben, das bislang die dort bestehenden Besonderheiten zu wenig berücksichtigt. Über jeden - auch kritischen - Hinweis aus der Praxis zu meinem Thema, dem auch weiterhin mein Interesse gilt, würde ich mich sehr freuen. Die Arbeit hat der juristischen Fakultät der Universität Konstanz zum Wintersemester 1982/83 als Dissertation vorgelegen. Für die Veröffentlichung wurden Literatur und Rechtsprechung auf den Stand von Anfang 1983 ergänzt. Besonders herzlich zu danken habe ich Herrn Professor Dr. Bernd Rüthers, der die Arbeit betreut und ihre zügige Fertigstellung durch eine Vielzahl von Anregungen stets gefördert hat. Herrn Professor Dr. Hugo Seiter sei für sein Zweitgutachten sowie für manchen kritischen Hinweis ebenfalls gedankt. Herrn Professor Dr. Dr. h. c. J. Broermann danke ich für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Mein herzlicher Dank gilt schließlich dem Arbeitskreis Wirtschaft und Recht für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Ich widme die Arbeit meinen Eltern. Konstanz, im Mai 1983
Martin Henssler
Inhaltsübersicht 1. Kapitel
Das Problem
19
A. Das Konzernarbeitsrecht in der Rechtswissenschaft. .................
19
B. Die arbeitsrechtliche Interessenlage im Konzern
20
C. Gang der Darstellung ..............................................
22
2. Kapitel
Die Grundlagen des Konzemarbeitsrecbts
23
A. Der Konzernbegriff ................................................
23
I. Der Konzernbegriff in den einzelnen Rechtsgebieten ............
23
1. Der Konzernbegriff des Aktiengesetzes ......................
23
2. Der Konzernbegriff außerhalb des Aktiengesetzes ............
25
3. Die Bedeutung des Konzernbegriffs für das Konzernarbeitsrecht 26 H. Das Verhältnis des Konzernbegriffs zu den arbeitsrechtlichen Begriffen des Betriebs und des Unternehmens .................. 27 1. Betriebs- und Unternehmensbegriff ..........................
27
2. Das Verhältnis des arbeitsrechtlichen Betriebsbegriffs zum Konzernbegriff .............................................. 27 3. Das Verhältnis des Unternehmens- zum Konzernbegriff ...... a) Die Wirtschaftswissenschaften ............................ b) Das Gesellschafts- und Handelsrecht.. . .... ....... ... . . . .. c) Das Arbeitsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Ansicht der herrschenden Meinung ........... . . . . . bb) Kritik ................................................ ce) Das Verhältnis des Konzernbegriffs zum Unternehmensbegriff in gesetzlichen Sondervorschriften .. . . . . . . . . . . . . dd) Schlußfolgerungen ....................................
28 28 28 29 29 30 31 33
8
Inhaltsübersicht
B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern ..................................
34
I. Der Konzern als Arbeitgeber ..................................
35
1. Der Begriff des Arbeitgebers in der Rechtswissenschaft... . ..
35
2. Die fehlende Rechtspersönlichkeit des Konzerns ..............
38
11. Konzerndimensionales Arbeitsverhältnis mit sämtlichen Konzerngesellschaften .................................................. 39 1. Die Interessenlage
..........................................
39
2. Die Begründung eines oder mehrerer Arbeitsverhältnisse mit sämtlichen Konzerngesellschaften ............................ 40 111. Die volle ArbeitgebersteIlung einzelner Konzerndrittgesellschaften 42 1. Die Durchgriffshaftung
42
2. Das Vertrauensprinzip ......................................
43
a) Die Begründung von Schuldverhältnissen über das Vertrauensprinzip ............................................ 43 b) Die Voraussetzungen für die Anwendung des Vertrauensprinzips .................................................. 45 c) Die Anwendung des Vertrauensprinzips im Konzernarbeitsrecht .................................................... aal Die anstellende Gesellschaft erweckt den Anschein, dritte Konzerngesellschaften seien in das Vertragsverhältnis mit einbezogen ................................ bb) Eine dritte Konzerngesellschaft erweckt durch ihr eigenes Verhalten den Eindruck, sie wolle neben einer anderen Konzerngesellschaft ebenfalls ein Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer begründen.................... cc) Einheitliches Auftreten mehrerer Konzernglieder ......
47 47
48 50
d) Praktische Auswirkungen der Einbeziehung einer dritten Gesellschaft als Arbeitgeberin ............................ 50 e) Zusammenfassung........................................
51
IV. Die Bestimmung des Arbeitgebers, wenn der Arbeitnehmer für verschiedene Konzerngesellschaften tätig wird .................. 52 1. Die Annahme eines echten Leiharbeitsverhältnisses ..........
52
2. Die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmer und Entleiher im echten Leiharbeitsverhältnis .............................. 53 3. Konzernspezifische Lösungen der Leiharbeit ... ........... ....
54
a) Kurzfristige Abordnungen in dritte Konzerngesellschaften 55
Inhaltsübersicht b) Längerfristige Abordnungen und Versetzungen in dritte Konzerngesellschaften .................................... aa) Die Begründung eines Vertragsverhältnisses durch schlüssiges Verhalten ................................ bb) Die Annahme eines Vertragsbeitritts .................. ce) Die Auflösung des einheitlichen Arbeitsverhältnisses mit Ent- und Verleiher........... .. ........ ... . .... . .... .. dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 55 56 60 61 63
c) Kontrahierungszwang für die entleihende Konzerngesellschaft .................................................... 63 d) Zusammenfassung ........................................
66
4. Arbeitsleistungen für Betriebsführungsgesellschaften ........
67
a) Die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses bei Abschluß eines Betriebsführungsvertrages .......................... 67 b) Die kollektivarbeitsrechtliche Problematik ................
67
c) Die Arbeitgeberstellung der Betriebsführungsgesellschaft im Individualarbeitsrecht .................................... 69
c.
Die Wahrnehmung einzelner Arbeitgeberfunktionen durch Konzernobergesellschaften .................................................. 70 1. Die Aufspaltung von Arbeitgeberfunktionen ....................
1. Die Aufspaltung der Arbeitgeberstellung außerhalb des Kon-
70
zernarbeitsrechts ............................................
70
2. Die Aufspaltung von Arbeitgeberfunktionen im Konzern.. ....
71
3. Ergebnis ....................................................
72
H. Die rechtlichen Auswirkungen der Aufspaltung von Arbeitgeberfunktionen .................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
1. Arbeitsrechtliche Fürsorgepflichten des Teilarbeitgebers ......
73
2. Die Rechtsgrundlagen der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflichten 74 3. Die materiale Wertgrundlage der Fürsorgepflichten ..........
75
4. Fürsorgepflicht und zivilrechtliches Schutzpflichtverhältnis . . . .
77
5. Schutzpflichtverhältnis zwischen einer Konzernobergesellschaft und den Arbeitnehmern der abhängigen Gesellschaften... ... 79 a) Die grundsätzliche Berechtigung außervertraglicher Schutzpflichten einer Konzernobergesellschaft ....... .... ..... ....
79
b) Abstimmung mit der gesetzlichen Wertung................
81
c) Der Umfang der außervertraglichen Schutzpflichten ........
82
10
Inhaltsübersicht 6. Vergleich mit der Rechtslage beim mittelbaren Arbeitsverhältnis ..........................................................
84
a) Die Beurteilung des mittelbaren Arbeitsverhältnisses in Literatur und Rechtsprechung ............................ 85 b) Kritik ....................................................
85
c) Schlußfolgerungen für das Konzernarbeitsrecht ............
86
7. Zusammenfassung
....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
IH. Die Beweislast für das Vorliegen von Konzerndirektiven ........
88
1. Beweisschwierigkeiten des Arbeitnehmers.. ... ........... ....
88
2. Grundsätze des Beweisrechts ................................
88
a) Die allgemeinen Voraussetzungen einer Beweislastumkehr 88 b) Der Wahrscheinlichkeitsgedanke ..........................
89
c) Der Sphärengedanke ......................................
89
3. Die Beweislastumkehr im Konzernarbeitsrecht ..............
90
a) Die Anwendung des Sphärengedankens ..................
90
b) Die Anwendung des Wahrscheinlichkeitsgedankens ........ aa) Vertragskonzern und Eingliederung .................. bb) Faktische Konzerne ..................................
91 91 91
c) Ergebnis
94
D. Konzern und Arbeitsrecht - Parallelen im französischen Recht.. ....
94
3. Kapitel
Individualarbeitsredltlidle Einzelprobleme A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers im Konzernverbund ..........
97 97
I. Die Haftung dritter Konzerngesellschaften für die Lohnansprüche
und sonstigen vermögensrechtlichen Forderungen der Arbeitnehmer im Konzern ............................................ 97 1. Zur Möglichkeit einer konzerneinheitIichen Lösung der Haf-
tungsproblematik ............................................
98
2. Die Haftung der Hauptgesellschaft bei Vorliegen einer Eingliederung nach den §§ 319 ff. AktG ..............................
98
3. Die Haftung der herrschenden Gesellschaft im Vertragskonzern und bei Abschluß eines Gewinnabführungsvertrages .......... 99
Inhaltsübersicht
11
4. Die Haftung der herrschenden Gesellschaft im faktischen Konzern .................................................... 100 a) Der Gläubigerschutz im faktischen Konzern ................ aa) Die gesetzliche Regelung ............... " ............. bb) Die Unzulänglichkeiten der gesetzlichen Regelung ...... ce) Die Nachteilsfeststellung .............................. dd) Die Beweisprobleme bei der Sachverhaltsfeststellung ee) Die Ineffektivität der gesetzlichen Regelung ..........
100 100 100 101 101 102
b) Allgemeine Lösungsversuche .............................. aa) Die entsprechende Anwendung der Vorschriften für den Vertragskonzern ...................................... bb) Die Durchgriffshaftung gegenüber der Konzernobergesellschaft .......................................... ce) Die Haftung der Konzernmutter nach allgemeinen zivilrechtlichen Zurechnungskriterien ......................
102 102 103 104
c) Zwischenergebnis .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104 d) Die Haftung der herrschenden Konzerngesellschaft nach den Grundsätzen des Schutzpflichtverhältnisses ................ 105 5. Haftungsansprüche gegenüber gleich- oder untergeordneten Konzerngesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 106 H. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Konzernarbeitsrecht .................................................... 107 1. Die konzernspezifische Gleichbehandlungsproblematik ........ 107
2. Die Rechtsgrundlage des Gleichbehandlungsgrundsatzes ...... 109 a) Die in der Arbeitsrechtswissenschaft vertretenen Ansichten 109 b) Die Machtposition des Arbeitgebers ...................... 110 c) Die These von der Betriebsbezogenheit des Gleichbehandlungsgebotes .............................................. 111 3. Das Gleichbehandlungsgebot im Konzernarbeitsrecht ........ 112 a) Der Gegner eines konzernbezogenen Gleichbehandlungsanspruches .. '" ......................................... 113 b) Gleichbehandlungsanspruch ohne Vertragsverhältnis? ...... 113 c) Der Umfang des Gleichbehandlungsgebotes im Konzern .... 114 4. Zusammenfassung
116
IH. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht ........................ 116 1. Die konzernbezogene Anwendung der 6-Monatsfrist des § 1
Abs. 1 KSchG ................................................ 117 a) Die Annahme einer Regelungslücke ....... . . . . . . . . . . . . . . . .. 117
12
Inhal tsü bersich t b) Die Ausfüllung der Regelungslücke
119 c) Die Praktikabilität der Einzelfallbeurteilung .............. 121
d) Zusammenfassung ........................................ 122 2. Die konzernbezogene Auslegung der gesetzlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte .......................... 122 a) Die Anwendbarkeit des § 2 AngKSchG bei konzerninternen Versetzungen ............................................ 122 b) Die Anwendbarkeit des § 622 Abs. 2 S.2 BGB bei konzerninternen Versetzungen .............................. , ..... 124 3. Die materiellrechtliche Problematik der Kündigung im Konzern 124 4. Die soziale Rechtfertigung einer Kündigung durch betriebliche Erfordernisse ................................................ 125 a) Das Merkmal der "betrieblichen Erfordernisse" in § 1 Abs.2 S. 1 KSchG .............................................. 125 b) Die justizielle Kontrolle der Unternehmensentscheidung .... 127 c) Zwischenergebnis ........................................ 129 5. Konzernbezogene Weiterbeschäftigungsansprüche ............ 129 a) Die Meinungen im Schrifttum ............................ 130 b) Zur Möglichkeit pauschalierter Lösungswege .............. 131 c) Ansprüche des gekündigten Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber auf Weiterbeschäftigung in einer Tochtergesellschaft des Arbeitgebers .................................. aa) Weiterbeschäftigungspflicht bei Widerspruch des Betriebsrats ............................................ bb) Weiterbeschäftigungspflicht bei fehlendem Widerspruch des Betriebsrats ...................................... ce) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Ansprüche gegen die den kündigenden Arbeitgeber beherrschende Gesellschaft auf Weiterbeschäftigung im Konzernbereich .................................................. aa) Die Rechtsgrundlage des Weiterbeschäftigungsanspruchs bb) Unmittelbar von der Konzernobergesellschaft verursachte Kündigungen .................................. ce) Mittelbar von der Konzernleitung verursachte Kündigungen .............................................. dd) Die Rechtfertigung der auf Weiterbeschäftigung gerichteten Schutzpflichten .................................. ee) Die gesetzliche Wertung des § 1 Abs.2 S.2 KSchG ...... ff) Die gerichtliche Geltendmachung des Weiterbeschäftigungsanspruchs ...................................... gg) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
133 133 136 138 138 138 139 140 141 141 142 143
e) Unmittelbare Weiterbeschäftigungsansprüche gegen Gesellschaften, die dem Arbeitgeber konzernrechtlich gleichgeordnet sind .................................................. 143 f) Die Anwendbarkeit von § 613 a BGB auf konzern interne Organisationsveränderungen .............................. 144
Inhaltsübersicht 6. Betriebsänderung und Sozialplan im Konzern
13 146
7. Zusammenfassende Thesen zum Kündigungsrecht im Konzern 147 IV. Die Arbeitnehmererfindung im Konzern ........................ 148 1. Die Person des Anspruchsgegners bei der Arbeitnehmererfin-
dung im Konzern ............................................ 149
2. Die Berechnung des Erfindungswertes bei der Verwertung einer Diensterfindung durch mehrere Konzerngesellschaften 151 V. Die betriebliche Altersversorgung in Konzerngesellschaften .... 153 1. Die Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung für Konzern-
gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 153
2. Die Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften im Konzern ........................................................ 154 a) Versorgungszusage des Arbeitgebers (§ 1 Abs. 1 BetrAVG) 155 b) Versorgungsleistungen durch Konzernkassen .............. 158 3. Die Höhe der Versorgungsanwartschaften .................... 159 4. Die Anpassung der Versorgungsleistungen .................... 159 5. Der Widerruf betrieblicher Versorgungszusagen wegen einer wirtschaftlichen Notlage des Versorgungsträgers .............. 163 6. Die Haftung des Konzerns für Ruhegeldverpflichtungen eines Konzernunternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 164 a) Die Entschärfung der Problematik durch die Insolvenzsicherung der §§ 7 ff. BetrAVG ............................ 164 b) Die unterschiedlichen Fallkonstellationen .................. 165 aal Die Haftung des herrschenden Unternehmens für Versorgungsansprüche gegen abhängige Gesellschaften .... 165 bb) Die Haftung für Versorgungsansprüche gegen konzernrechtlich übergeordnete Gesellschaften ................ 166 B. Der Einfluß der Konzernzugehörigkeit des Arbeitgebers auf die Pflichtenstellung des Arbeitnehmers ................................ 167 I. Grundsätze .................................................... 167
II. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers zu Arbeitsleistungen in dritten Konzerngesellschaften .................................. 168 1. Die Versetzung des Arbeitnehmers in eine Konzerngesellschaft
an einem anderen Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 169
14
Inhaltsübersicht 2. Die Versetzung des Arbeitnehmers in eine am gleichen Ort befindliche Konzerngesellschaft .............................. 169 a) Die Rechtslage bei unternehmensinternen Versetzungen .... 169 b) Die Rechtslage bei konzerninternen Versetzungen .......... 170 c) Die Rechtsprechung des BAG zur Versetzung eines Arbeitnehmers in ein fremdes Unternehmen .................... 171 111. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Unterlassung von Wettbewerb ........................................................ 173 1. Die Verpflichtung zur Unterlassung von Wettbewerb während
des Arbeitsverhältnisses .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 173
2. Wettbewerbsverbote für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ................................................ 175 a) Wettbewerbsverbote zugunsten anderer Konzerngesellschaften ...................................................... 176 b) Die Auswirkung eines Wettbewerbsverbotes, wenn der Arbeitnehmer in einer Gesellschaft tätig wird, die mit einem Konkurrenzunternehmen des früheren Arbeitgebers konzernmäßig verbunden ist ....................... . . . . . . . . . .. 177 c) Nachträgliche Ausgliederung von Betriebsteilen ............ 179 IV. Die sonstigen Nebenpflichten des Arbeitnehmers
180
V. Zwischenergebnis .............................................. 181 4. Kapitel
Zusammenfassende und weiterführende Thesen zum Konzemarbeitsrecht
182
Literaturverzeichnls
186
Abkürzungsverzeichnis a.A. AcP AG AktG AK AngKSchG AP AR-Blattei ArbG ArbGG ARS AuR
anderer Ansicht Archiv für die civilistische Praxis Aktiengesellschaft Aktiengesetz Alternativkommentar Angestelltenkündigungsschutzgesetz Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Arbeitsrechts-Blattei Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechtssammlung, Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte Arbeit und Recht
BSG BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG
Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, Amtliche Sammlung Der Betriebs-Berater Begründung Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundessozialgericht Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht
Cass. soc.
Cour de cassation - chambre sociale
DB d.h. DRiZ
Der Betrieb das heißt Deutsche Richterzeitung
Entsch. EzA
Entscheidung Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
f.
für Frankfurter Allgemeine Zeitung folgende
BAG BAGE BB Begr. BetrAVG BetrVG BFH BGB BGBl. BGH BGHZ
FAZ
ff.
16
Abkürzungsverzeichnis
GewO GewStG GG GK
Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
GmbH GmbHG GRUR GWB
h.A.
HGB h.L. h.M.
herrschende Ansicht Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung
i. S. d. i. V.m.
im Sinne der(s) in Verbindung mit
JuS JZ
Juristische Schulung Juristen-Zeitung
KG Kölner Komm. z. AktG =
Kommanditgesellschaft Zöllner (Hrsg.). Kölner Kommentar zum Aktiengesetz Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften kritisch Kündigungsschutzgesetz Körperschaftssteuergesetz
KR krit. KSchG KStG LAG LG LM LSG
Landesarbeitsgericht Landgericht Lindenmaier - Möhring. Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Landessozialgericht
m.w.N.
Monatsschrift für Deutsches Recht Mitbestimmungsgesetz Montanmitbestimmungsgesetz Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit weiteren Nachweisen
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
OHG OLG
Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht
RAG RdA RG RGRK RGZ
Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit Reichsgericht Reichsgerichtsräte-Kommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
MDR MitbestG MontanMitbestG Münch-Komm.
Abkürzungsverzeichnis
17
SAE
Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen
TVG
Tarifvertragsgesetz
u.a. UStG usw. UWG
unter anderem Umsatzsteuergesetz und so weiter Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb
VersR
Versicherungsrecht
WPM WuW
Wertpapier-Mitteilungen Wirtschaft und Wettbewerb
ZAS
Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht (Österreich) Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Mietrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik
ZfA ZGR ZGesStw ZHR ZMR ZPO ZRP
Erstes Kapitel
Das Problem A. Das Konzernarbeitsredd in der Remtswissensmaft Die Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 sowie die Diskussion um das Mitbestimmungsgesetz von 1976 führten dazu, daß ein lange vernachlässigtes Randgebiet arbeitsrechtlicher Dogmatik in das Blickfeld geriet: Das Arbeitsrecht im Konzern. Regelungen, wie die §§ 54 ff. BetrVG und § 5 MitbestG, zwangen die Arbeitsrechtswissenschaft, die kollektivrechtliche Seite dieses Problemfeldes vertieft zu behandeln. Der Bereich des Individualarbeitsrechts blieb dagegen weitgehend ausgespart. Martens1 kommt der Verdienst zu, die hier auftauchenden Fragen bislang als einziger angesprochen zu haben. Diese Zurückhaltung der Literatur ist nicht gerechtfertigt. Auch das Arbeitsverhältnis im Konzern bietet eine Fülle von Problemen, deren dogmatisch und methodisch einheitliche Behandlung sich seit langem aufdrängt. Angesichts der zunehmenden Konzentration und internationalen Verflechtung der deutschen Wirtschaft liegt hier ein Problemgebiet, das künftig Literatur und Rechtsprechung verstärkt beschäftigen wird. Genaue Zahlen über den derzeitigen Konzernierungsgrad der deutschen Wirtschaft liegen nicht vorl. Schätzungen gehen aber davon aus, daß bereits weit mehr als zwei Drittel aller Aktiengesellschaften in irgendeiner Weise konzernverbunden sindl •
Martens, BAG-Festschrift, 367 ff. Vgl. das 4. Hauptgutachten 1980/81 der Monopolkommission: BT-Drucks.9/ 1892, S. 115 ff., 124 ff., das die Eigentumsverhältnisse an den 100 größten deutschen Unternehmen untersucht. 3 Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 6; Winter, Die wechselseitige Beteiligung von Aktiengesellschaften, 1 m. w. N. 1
S
20
1. Kap.: B.
Die arbeitsrechtliche Interessenlage im Konzern
B. Die arbeitsremtlime Interessenlage im Konzern Das in einen Konzern eingegliederte Unternehmen verliert durch die Konzernierung einen wesentlichen Teil seiner unternehmerischen Autonomie. Die Planungs- und Entscheidungsgewalt in den wichtigen unternehmerischen Fragen verlagert sich von der abhängigen Gesellschaft zur herrschenden. Insbesondere das konzerninterne Personal- und Sozialwesen ist vielfach durch eine Zentralisierung gekennzeichnet4 • Häufig werden etwa Nachwuchskräfte zunächst in der Konzernobergesellschaft eingestellt und für den späteren Einsatz in der Leitung von Tochtergesellschaften geschult, um sie mit den Grundsätzen der Konzernpolitik vertraut zu machen5 • Trotz der engen wirtschaftlichen Verflechtung der Konzernglieder geht das geltende Recht unbestrittenermaßen von der rechtlichen Selbständigkeit jedes einzelnen Konzernunternehmens aus. So läßt auch das Arbeitsrecht bislang die Konzernverbundenheit eines Arbeitgebers weitgehend unberücksichtigt. Es vernachlässigt die Nachteile und Gefahren, die die Aufspaltung der wirtschaftlichen Funktionseinheit in selbständige Gesellschaften für den Arbeitnehmer mit sich bringt. Allein durch die Aufteilung der wirtschaftlichen Einheit ist der Arbeitnehmer im Konzern vielfach schlechter gestellt als der Arbeitnehmer eines Großunternehmens, in dem die organisatorischen Einheiten lediglich unselbständige Betriebe bilden. So kennt etwa das Kündigungsschutzgesetz keinen über den Unternehmensbereich hinausgehenden Weiterbeschäftigungsanspruch. Eine Reihe arbeitsrechtlicher Vorschriften knüpft Vergünstigungen für Arbeitnehmer etwa die Unverfallbarkeit von Betriebsrentenanwartschaften oder verlängerte Kündigungsfristen - an längere Betriebs- bzw. Unternehmenszugehörigkeit an. Lehnt man eine konzernweite Auslegung dieser Vorschriften ab, so hat die in der Praxis gebräuchliche Versetzung innerhalb eines Konzerns für den Arbeitnehmer die negative Folge, daß die erforderliche längere Betriebs- bzw. Unternehmenszugehörigkeit nicht entsteht. Sie kann dann nur durch spezielle Vereinbarungen erreicht werden, deren Zustandekommen die Bereitschaft des Arbeitgebers voraussetzt. Davon abgesehen birgt die wirtschaftliche Unselbständigkeit eines Arbeitgebers erhöhte Gefahren für die Sicherheit der RechtssteIlung des Arbeitnehmers und seines Arbeitsplatzes.
4 Baum, Gestaltung und Organisation der Führung und Leitung deutscher und britischer Konzerne, 129 ff.; Rehbinder, Konzernaußenrecht, 48. 5 Baum, 129 f.; Harms, Konzerne im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 114.
1. Kap.:
B. Die arbeitsrechtliche Interessenlage im Konzern
21
Das Arbeitsrecht ist auf den typischen Fall des autonomen Arbeitgebers zugeschnitten, dessen unternehmerische Entscheidungen sich an den Interessen des Betriebes und der Belegschaft orientieren6 • Der in einer abhängigen Konzerngesellschaft beschäftigte Arbeitnehmer findet dagegen einen Arbeitgeber vor, der nicht mehr diese Interessen verfolgt, sondern für den die Konzernpolitik ausschließliche Richtschnur ist7 • Die Folge sind wirtschaftliche Gefahren für das beherrschte Unternehmen, auf die weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer Einfluß nehmen können. So kann die Konzernspitze das abhängige Unternehmen zur Abgabe der produzierten Güter gegen ungünstige Konzernverrechnungspreise oder sogar zur Stillegung eines Betriebes zwingen. Die abhängige Gesellschaft kann auf diese Weise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, obwohl der Gesamtkonzern hohe Gewinne erzielt. Ist es in diesen Fällen gerechtfertigt, die sozialen Ansprüche (wie die betriebliche Altersversorgung oder Sozialplanansprüche) der Arbeitnehmer ausschließlich nach der Lage der abhängigen Arbeitgebergesellschaft zu beurteilen? Kann der Arbeitnehmer sich an die herrschende Gesellschaft halten, wenn sein konzernabhängiger Arbeitgeber zur Lohnzahlung nicht mehr in der Lage ist? Wie steht es schließlich mit konzerndimensionalen Weiterbeschäftigungsansprüchen, wenn die herrschende Konzerngesellschaft den Verlust des Arbeitsplatzes durch konzerninterne Umstrukturierungen verursacht hat? Können möglicherweise sogar generell der Konzernobergesellschaft Schutzpflichten gegenüber den Arbeitnehmern der abhängigen Gesellschaften auferlegt werden? All dies sind Grundfragen, mit denen sich das Konzernarbeitsrecht auseinanderzusetzen hat. Es geht darum, die Gestaltungsfreiheit im Recht der Unternehmensformen mit den Sozialgestaltungsideen des Gesetzgebers im Individualarbeitsrecht in Einklang zu bringen8 • Den zumindest teilweise durchaus berechtigten Interessen des Unternehmers an der Aufspaltung seines Unternehmens in rechtlich selbständige Gesellschaften stehen die geschützten Interessen der Arbeitnehmerschaft gegenüber. Keines dieser Interessen muß von vornherein zurückstehen. Radikallösungen, wie etwa das vollständige Ignorieren der rechtlichen Selbständigkeit der Konzernglieder im Arbeitsrecht, sind offenkundig verfehlt. Andererseits können die Ergebnisse der Kautelarjurisprudenz nicht generell die Wertgrundlagen des Arbeitsrechts aus den Angeln heben, so daß auch die Gegenansicht, welche die Konzernverbundenheit 6 Vgl. Fuchs, Der Konzernbetriebsrat, 30; ReuteT, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, 71 f. 7 DäubleT, Arbeitsrecht 2, 349. 8 ReuteT, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen,5.
22
1. Kap.:
C. Gang der Darstellung
des Arbeitgebers für unbeachtlich hält, nicht überzeugt. Thesen, wie die vom Vorrang des Gesellschaftsrechts gegenüber dem Arbeitsrecht, verkennen die spezifischen Schutzinteressen des Arbeitsrechts'. Das Aufgabenfeld des Konzernarbeitsrechts beschränkt sich nicht auf die einseitige Sicherung der Arbeitnehmerrechte. Der KlarsteIlung bedarf außerdem, in welchem Umfang die Pflichten des Arbeitnehmers durch die Konzernzugehörigkeit des Arbeitgebers beeinflußt werden. Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, zumindest vorübergehend Arbeitsleistungen in anderen Konzerngesellschaften zu erbringen? Bezieht sich die Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers auch auf Geschäftsgeheimnisse einer anderen Konzerngesellschaft? Die Konzernarbeitsverhältnisse bieten somit eine Fülle arbeitsrechtlicher Sonderprobleme sowohl aus dem Kreis der Arbeitnehmerrechte als auch aus dem der Arbeitnehmerpflichten. Die besondere arbeitsrechtliche Problematik besteht nicht nur in den nationalen Konzernen. Sie ist teilweise sogar noch verstärkt in internationalen Unternehmensverbindungen anzutreffen10 • Die dort anfallenden Probleme können aber erst untersucht werden, wenn ein nationales Konzernarbeitsrecht in seinen Konturen feststeht 11 • Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, hierzu einen Beitrag zu leisten.
c. Gang der Darstellung Das zweite Kapitel der Untersuchung befaßt sich mit den Grundlagen des Konzernarbeitsrechts. Der Klarstellung bedarf zunächst der Konzernbegriff und sein Verhältnis zu den arbeitsrechtlichen Begriffen des Betriebs und des Unternehmens. Einzelfragen des Konzernarbeitsrechts lassen sich außerdem erst dann beurteilen, wenn feststeht, wer Arbeitgeber im Konzern ist und welche generellen Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitnehmer und den einzelnen Konzerngesellschaften bestehen. Auch diese Fragen sind daher im Grundlagenteil vorab zu erörtern. Auf der Basis dieses Grundkonzeptes werden im dritten Kapitel diejenigen individualarbeitsrechtlichen Einzelfragen angesprochen, bei denen Besonderheiten infolge der Konzernverbundenheit des Arbeitgebers bestehen. , Walz, Multinationale Unternehmen und internationaler Tarifvertrag, 39.
10 Vgl. etwa die Vorgänge um die Schließung der Videocolor GmbH in illm, einer Tochter des französischen Thomson-Brandt Konzerns, FAZ v. 8.2.1982, S. 11; DäubleT, Arbeitsrecht 2, 356 ff. 11 ZäHneT, in: Le droit international prive des groupes de societes, Band 14 Schweizer Beiträge zum Europarecht, 211.
Zweites Kapitel
Die Grundlagen des Konzernarheitsrechts A. Der KonzernbegriH I. Der Konzernbegriff in den einzelnen Rechtsgebieten
Definitionen, so hat Walter Eucken1 einmal gefordert, sollten nicht Prolog, sondern Epilog der Erkenntnisse sein. Von diesem an sich folgerichtigen Postulat soll in der vorliegenden Untersuchung eine Ausnahme gemacht werden. Die Konturen des Konzernbegriffs sind in der deutschen Rechtswissenschaft noch nicht eindeutig geklärt. Bereits die Abgrenzung des Themas verlangt es daher, daß sich eine Untersuchung, deren Zentraltatbestand der Konzern ist, mit diesem Begriff auseinandersetzt. 1. Der Konzernbegriff des Aktiengesetzes
Das Gesellschaftsrecht definiert im Anschluß an den Wirtschaftswissenschaftler Passowl den Konzern als eine Zusammenfassung von "zivilrechtlich selbständig bleibenden" Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und unter einheitlicher Leitung stehenlI. Der Gesetzgeber des Aktiengesetzes hat diesen Begriff weitgehend übernommen. Bereits § 15 Abs. 1 AktG von 1937 kennzeichnete den Konzern als Zusammenfassung rechtlich selbständiger Unternehmen zu wirtschaftlichen Zwecken unter einheitlicher Leitung. In der Neuregelung des AktG 1965 wurde der Begriff des Konzerns weiter konkretisiert. Durch die Hinweise in § 17 sowie § 18 Abs. 2 AktG ist zunächst klargestellt, daß die rechtliche Selbständigkeit der Konzernglieder weiterhin ein Wesensmerkmal des Konzerns ist. § 18 AktG unterscheidet sodann zwischen dem Unterordnungskonzern zwischen abhängigen und herrschenden Unternehmen und dem GleichordnungsKapitaltheoretische Untersuchungen, 1954, 11. Betrieb, Unternehmen, Konzern, 1925, 100; weitere Nachweise bei Rehbinder, Konzernaußenrecht, 34. 3 Würdinger, in: Groß komm. AktG, § 18 Anm.l; Biedenkopf I Koppensteiner, in: Kölner Komm. z. AktG, § 18 Rdnr.1 ff. 1
2
24
2. Kap.: A. Der Konzernbegriff
konzern zwischen voneinander unabhängigen Unternehmen. Kennzeichnendes Merkmal beider Konzerntypen ist die "Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung". Durch dieses Merkmal unterscheidet sich der Konzern insbesondere von dem weiteren Begriff der abhängigen Unternehmen i. S. des § 17 AktG. Für die Annahme der Abhängigkeit genügt die bloße Möglichkeit eines beherrschenden Einflusses. Dagegen muß ein herrschendes Konzernunternehmen von seiner Leitungsmacht auch tatsächlich Gebrauch machen. Nach § 18 Abs.1 S.3 AktG wird allerdings von einem abhängigen Unternehmen (widerleglich) vermutet, daß es mit dem herrschenden Unternehmen zusammen einen Konzern bilde. Der Begriff der einheitlichen Leitung wird im Schrifttum sehr weit ausgelegte. Eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung wird bereits bejaht, wenn die Geschäftspolitik der Gesellschaften und sonstige grundsätzliche Fragen der Geschäftsführung locker aufeinander abgestimmt werdens. Der aktienrechtliche Konzernbegriff vereinigt damit Unternehmenszusammenschlüsse ganz unterschiedlicher Intensität, deren Beurteilung auch ganz unterschiedliche Probleme aufwirft. Die Praxis hat daher die etwas schwer zu handhabende Systematik der §§ 15 ff. AktG ergänzt. Sie unterscheidet nach der Art der Herleitung der Leitungsmacht zwischen Vertragskonzern, Eingliederungskonzern und faktischem Konzern. Das Vorliegen eines Vertragskonzerns setzt stets den Abschluß eines Beherrschungsvertrages i. S. der §§ 291 Abs. 1, 308 AktG voraus8 • Dagegen erfolgt die engste mögliche Form eines konzernmäßigen Zusammenschlusses, die Eingliederung i. S. der §§ 319 ff. AktG, durch einen Beschluß der Hauptversammlung der einzugliedernden Gesellschaft (§ 319 Abs. 1 S. 1 AktG)7. Alle übrigen Konzernformen lassen sich unter den Begriff des faktischen Konzerns einordnen8 • Hierzu gehören insbesondere die Beteiligungskonzerne, bei denen sich die faktische Leitungsmacht der Konzernobergesellschaft aus ihrer Beteiligung an der Untergesellschaft ergibt. Neuerdings unterscheidet die Literatur innerhalb des faktischen Konzerns noch weiter zwischen dem einfachen 4 Vgl. Möhring, in: Festschrift für H. Westermann, 427, 438 ff.; Rasch, Konzernrecht, 57 f.; Kropff, BB 1965, 1281, 1284; Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 63 f. 5 Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 63; Rasch, Konzernrecht, 57 f.; Biedenkopf / Koppensteiner, in: Kölner Komm. z. AktG, § 18 Rdnr. 7 ff. • Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 65,189; Geßler / Hefermehl, AktG, 3. Buch Vorbem. z. 1. Teil, Rdnr. 7. 7 Hierzu Rasch, Konzernrecht, 168 ff.; Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 84 ff.; Biedenkopf / Koppensteiner, in: Kölner Komm. z. AktG, Vorb. § 319 Rdnr. 1 ff. 8 Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 197 ff.; Kellmann, ZGR 1974, 220 ff.; Koppensteiner, ZGR 1973, 1 ff.; Rasch, Konzernrecht, 156 ff.; Würdinger, in: Großkomm. AktG, § 18 Rdnr. 7.
I. Der Konzernbegriff in den einzelnen Rechtsgebieten
25
faktischen Konzern und dem qualifizierten (oder durchgeführten) faktischen Konzern'. 2. Der Konzembegriff außerhalb des Aktiengesetzes
Inzwischen kann man feststellen, daß § 18 AktG über den spezifisch aktienrechtlichen Konzernbegriff hinaus die Umschreibung eines allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Konzerntatbestands enthäWo. Ein Zusammenschluß i. S. des § 18 AktG unter Beteiligung einer GmbH bzw. einer Personenhandelsgesellschaft ist daher ebenfalls als Konzern zu werten. Auch außerhalb des Gesellschaftsrechts hat der Konzernbegriff Geltung erlangt. Das Steuer- und Wirtschaftsrecht nimmt teils mittelbar, teils unmittelbar auf den gesellschaftsrechtlichen Konzernbegriff Bezug11 • Auch das kollektive Arbeitsrecht greift in den §§ 54 ff. BetrVG und § 5 MitbestG auf den Konzernbegriff des AktG zurück, nimmt aber zugleich eine Einschränkung vor. Das kollektive Arbeitsrecht versteht unter einem Konzern nur den Unterordnungskonzern nach § 18 Abs. 1 AktG. In Gleichordnungskonzernen werden die Leitungspositionen vielfach in Personalunion oder durch organschaftliche Verbindung ausgeübt. Bei Vorliegen einer derartigen Konstruktion ist die Bildung eines Konzernbetriebsrats nicht sinnvolll2 • Trotz der Verweisungen in anderen Rechtsgebieten auf den Konzernbegriff des AktG besteht kein völlig identischer Anwendungsbereich dieser konzernrechtlichen Regelungen. Vielmehr ist der Inhalt des Konzernbegriffs jeweils für das spezielle Rechtsgebiet bzw. die konkrete Rechtsnorm gesondert zu prüfen. Angesichts der unterschiedlichen Zielrichtungen der einzelnen Rechtsnormen können sich nämlich, trotz der Orientierung an § 18 AktG, verschiedene Inhalte des Konzernbegriffs ergeben. Während etwa der gesellschaftsrechtliche Konzernbegriff vor allem auf den Gläubiger- und Minderheitenschutz ausgerichtet ist (vgl. §§ 134 Abs. 1 S. 4, 145 Abs. 3, 165 Abs. 4, 168 Abs. 1, 329 ff. AktG), steht bei der Mitbestimmung im Konzern der Interessenausgleich zwischen der Arbeitgeberseite und der Belegschaft und damit die Mitbestimmung der Arbeitnehmer an den unternehmerischen Leitentscheidungen im Vordergrund13• Aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht muß damit beispielsweise die Bildung eines Konzernbetriebsrats bei einer TochterD Vgl. Emmerich, in: Der GmbH-Konzern, 3, 17; Lutter, ZGR 1982, 244, 262 ff.; Arbeitskreis GmbH-Reform, Band 2, 49 ff., 66 ff. 10 Vgl. Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 230 ff. 11 Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG, §§ 22 Abs. 6, 23 Abs. 1 GWB. 1! Kammann / HesB / Schlochauer, BetrVG, § 54 Anm. 5. 13 BAG, DB 1981, 895 ff.
26
2. Kap.: A. Der Konzernbegriff
gesellschaft (sogenannter Konzern im Konzern) möglich sein, wenn von dieser Tochtergesellschaft unternehmerische Entscheidungen für die von ihr abhängigen Gesellschaften getroffen werden14 • Im Gesellschaftsrecht wird demgegenüber die Figur des Konzerns im Konzern überwiegend abgelehnt1•• Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß der Konzernbegriff zwar in seinen Konturen (Zusammenschluß, einheitliche Leitung, rechtlich selbständige Gesellschaften) abgesteckt ist, daß die Ausformung im einzelnen aber je nach Rechtsgebiet differieren kann. 3. Die Bedeutung des Konzernbegriffs für das Konzernarbeitsrecht
Das Individualarbeitsrecht nimmt selbst an keiner Stelle auf den Konzernbegriff Bezug. Die Auseinandersetzung mit dem Konzernbegriff dient in der vorliegenden Untersuchung daher in erster Linie der Information sowie der Abgrenzung des Themas. Grundsätzlich ist auch hier von dem dargestellten gesellschaftsrechtlichen Konzernbegriff auszugehen. Es soll also das Individualarbeitsrecht in allen denjenigen Gesellschaften untersucht werden, die zwar formalrechtlich selbständig, jedoch unter einer einheitlichen Leitung zusammengefaßt sind. Im Gegensatz zur Rechtslage im kollektiven Arbeitsrecht ist es nicht gerechtfertigt, den Gleichordnungskonzern von vornherein von der Beurteilung auszuschließen. Zwar stellt sich im Gleichordnungskonzern nur ein Teil der konzernarbeitsrechtlichen Problematik. So kann der Gleichordnungskonzern keine Folgepflicht der verbundenen Unternehmen für nachteilige Weisungen begrunden16 • Das geschilderte erhöhte Risiko, das sich für den Arbeitnehmer aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit seines Arbeitgebers ergeben kann, besteht daher im Gleichordnungskonzern nicht. Es ist jedoch denkbar, daß allein aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung der Konzernglieder eine gesonderte Betrachtung des Arbeitsrechts auch in Gleichordnungskonzernen geboten ist17 • In Anbetracht der absolut untergeordneten Rolle, die der Gleichordnungskonzern in der gegenwärtigen deutschen Wirtschaftspraxis spieW 8 , ist es jedoch ausreichend, wenn in den wenigen einschlägigen 14 Vgl. BAG, ebd.; Fitting I Auffarth I Kaiser, BetrVG, § 54 Anm.8; GKBetrVG I Fabricius, § 54 Anm. 21; Dietz I Richardi, BetrVG, § 54 Anm. 5. 15 Vgl. Biedenkopf I Koppensteiner, Kölner Komm. z. AktG, § 18 Rdnr.l0; Semler, DB 1977, 805 ff.; Geßler, BB 1977, 1313 ff.; Klinkhammer, DB 1977, 1601 ff. jeweils m. N. 16 Gromann, Der Gleichordnungskonzern im Konzern- und Wettbewerbsrecht, 59 ff. 17 So auch Kemper, Die Unverfallbarkeit betrieblicher Versorgungsanwartschaften von Arbeitnehmern, 140. 18 Rehbinder, Konzernaußenrecht, 36.
11. Betriebs- und Unternehmensbegriff
27
Problembereichen auf die Besonderheiten des Gleichordnungskonzerns hingewiesen wird. 11. Das Verhältnis des Konzernbegriffs zu den arbeitsrechtlichen Begriffen des Betriebs und des Unternehmens 1. Betriebs- und Untemehmensbegriff
Das Individualarbeitsrecht knüpft, wie bereits erwähnt, an keiner Stelle an den Konzernbegriff an. Ansatzpunkte für das Arbeitsrecht bilden insbesondere der "Betrieb" und das "Unternehmen". Das Verhältnis dieser organisatorischen Einheiten zum Konzernbegriff bedarf der Klarstellung. Für das Arbeitsrecht im Konzern ist von Bedeutung, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die gesetzlichen Vorschriften und arbeitsrechtlichen Grundsätze, die an den Betriebs- bzw. Unternehmensbegriff anknüpfen, auch auf den Konzern Anwendung finden. Unter einem Betrieb wird nach einer inzwischen allgemein anerkannten Definition die organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln verstanden, mit deren Hilfe ein bestimmter arbeitstechnischer Zweck verfolgt wirdu. Gegenüber dieser arbeitstechnischen Einheit des Betriebs steht die wirtschaftliche Einheit des Unternehmens. Sie ist die Zusammenfassung von Kapitalgütern und Rechten, einschließlich des sogenannten "good will" (Kundschaft, Ruf, Bezugsquellen, vorteilhafte Lage usw.). Im Arbeitsrecht wird das Unternehmen herkömmlich als die organisatorische Einheit begriffen, die durch den wirtschaftlichen oder ideellen Zweck bestimmt wird, dem ein Betrieb oder mehrere organisatorisch verbundene Betriebe desselben Unternehmens dienen!O. 2. Das Verhältnis des arbeitsreclltlichen Betriebsbegriffs zum Konzernbegriff
Das Verhältnis des Betriebs- zum Konzernbegriff bietet keine Schwierigkeiten. Verschiedene Konzerngesellschaften unterhalten wegen der organisatorischen Trennung notwendigerweise auch unterschiedliche Betriebe. überschneidungen sind in der Regel nicht denkbar. Nur in ganz seltenen Ausnahmefällen können mehrere Unternehmen einen 10 Hueck I Nipperdey I, § 16 11; Nikisch I, 150; Bobrowski I Gaul, Arbeitsrecht I, AV Rz.26; Friedländer, Konzernrecht, 27; BAG AP Nr.1 zu § 88 BetrVG. 20 Hueck I Nipperdey I, § 16 VI; Bobrowski / Gaul, Arbeitsrecht I, A V Rz. 27; BAGE 2, 91, 93.
28
2. Kap.: A. Der Konzernbegriff
Betrieb bilden, z. B. in Form einer sogenannten Arbeitsgemeinschaft für größere Bauvorhaben, die als BGB-Gesellschaft den Betrieb leitetu. Generell läßt sich im Wege der Schlußfolgerung a maiore ad minus feststellen: Knüpft eine Regelung am Betriebsbegriff an, ist sie also betriebs- und nicht unternehmensbezogen, so ist sie erst recht nicht konzernbezogen. Eine generelle Erweiterung der betriebsbezogenen Vorschriften auf den Konzernbereich scheidet daher aus. 3. Das Verhältnis des Untemehmens- zum Konzernbegriff
Schwieriger gestaltet sich das Verhältnis zwischen Unternehmensund Konzernbegriff. Die konzernbezogene Anwendung von arbeitsrechtlichen Vorschriften, die am Unternehmensbegriff anknüpfen (z. B. § 1 Abs.l und 2 KSchG) - und damit eine (vorsichtige) Gleichstellung der beiden Begriffe - setzt voraus, daß sich ein Unternehmen über mehrere Rechtsträger erstrecken kann. Begrenzt man dagegen konsequent die Reichweite eines Unternehmens auf einen Rechtsträger, so kommt die Anwendung einer unternehmensbezogenen Norm in dem mehrere Rechtspersönlichkeiten umfassenden Konzernbereich nicht in Betracht. Für das Verhältnis des Unternehmens- zum Konzernbegriff ist demnach zu klären, ob unserer Rechtsordnung die Annäherung des Konzerns an ein einheitliches Unternehmen bekannt ist oder ob die Rechtsträgerschaft generell auch die Reichweite des Unternehmensbegriffs absteckt. a) Die Wirtschaftswissenschaften
In den Wirtschaftswissenschaften wird der Konzern überwiegend als wirtschaftliche Einheit, d. h. als ein einziges Unternehmen im ökonomischen Sinn verstanden!!. Die Wirtschaftswissenschaften tragen mit dieser Erkenntnis der Tatsache Rechnung, daß im Konzern die unternehmerische Planung ausschließlich aus der Sicht des wirtschaftlichen Ganzen und nicht aus der Sicht der einzelnen Konzernglieder erfolgt23• b) Das GeseHschafts- und Handelsrecht
Im Handels- und Gesellschaftsrecht geht demgegenüber die ganz herrschende Meinung dahin, die Rechtsträgerschaft stecke auch die 21 Vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 47 BetrVG 1972 und AP Nr. 1 zu § 1 BetrVG 1972; Fitting / Aujjarth / Kaiser, BetrVG, § 1 Rdnr. 22; Dietz / Richardi, BetrVG, § 1 Rdnr. B3f. 22 Rehbinder, Konzernaußenrecht, 50 ff.; Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 61. 23 Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 302 ff.
11. Betriebs- und Unternehmensbegriff
29
Grenzen des Unternehmens abu. Ein die juristische Person übergreifendes Unternehmen wird daher abgelehnt. Das Unternehmen muß stets eine eigene Rechtspersönlichkeit sein. Die Folge dieser Auffassung ist, daß der Gesamtkonzern kein Unternehmen im Rechtssinne bilden kann. Eine neuere Auffassung will auch im Gesellschaftsrecht den Konzern als ein Unternehmen verstehen25 • Schwierigkeiten ergeben sich für diese Ansicht bei der Feststellung des Rechtsträgers dieses weitgefaßten Unternehmens. Man behilft sich, indem man die Konzernmuttergesellschaft als Trägerin des sämtliche Konzernglieder umfassenden Unternehmens ansieht. Unbefriedigend bleibt, daß nach dieser Auffassung der rechtliche Umfang des Rechtsträgers mit dem des Unternehmens nicht übereinstimmt. c) Das Arbeitsrecht
Aber selbst wenn man im Gesellschaftsrecht die Identität von Unternehmen und Rechtsträger fordern will, so ergeben sich daraus keine notwendigen Konsequenzen für das Arbeitsrecht. Wie jeder Rechtsbegriff, so ist auch der Begriff des Unternehmens vom Zweck der gesetzlichen Regelung her zu bestimmen2'. Es gibt keinen allgemein verbindlichen Unternehmensbegriff für die gesamte Rechtsordnung27 • aal Die Ansicht der herrschenden Meinung Die Arbeitsrechtswissenschaft hat sich bisher weitgehend unkritisch der im Gesellschaftsrecht vertretenen These angeschlossen. Auch nach der im Arbeitsrecht ganz herrschenden Meinung setzt die Einheit des Unternehmens stets die Identität des Unternehmensinhabers voraus2S • Das BAG2u erkennt zwar an, daß es keinen einheitlichen Unternehmensbegriff gibt. Der Unternehmensbegriff wird seiner Ansicht nach jedoch weitgehend durch die in den Gesetzen für das Unternehmen vorgesehenen Rechts- und Organisationsformen bestimmt30 • Diese Gesetze (AktG, GmbHG, HGB) seien durchweg zwingend.
24 Ulmer, Der Unternehmensbegriff im Vertrag der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 40; vgl. auch Schneider, ZGR 1975, 253, 259; Bälz, in: Festschrift für Raiser, 287, 320 ff. 25 Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 62; Raiser, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 33, 51 ff. 28 Rasch, Konzernrecht, 37; BAG, NJW 1976, 870. 27 BGHZ 31, 105; Kropff, BB 1965, 1282. 28 Hueck / Nipperdey I, § 16 VI; Nikisch I, 157; Dietz / Richardi, BetrVG, § 1 Rdnr.56. 2U BAG AP Nr. 1 zu § 47 BetrVG mit Anm. Wiedemann / Strohn. 30 BAG AP Nr. 1 zu § 1 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 1 zu § 47.BetrVG 1972.
30
2. Kap.: A. Der Konzernbegriff
bb) Kritik Die Aussage des BAG ist unklar. Da es darum geht, den Unternehmensbegriff erst zu definieren, stehen die Gesetze, die den Umfang des Unternehmens bestimmen, gerade noch nicht fest. Das Gesellschaftsrecht schreibt zwar in abschließender Weise vor, in welchen rechtlichen Formen juristische Personen bzw. diesen angenäherte rechtliche Gebilde (OHG, KG) gegründet werden können. Zu der Frage, ob sich ein vom Gesellschaftsrecht nicht definiertes - Unternehmen auf mehrere Rechtsträger erstrecken kann, enthält es dagegen keine Aussage. Die Feststellung, das Gesellschaftsrecht schreibe zwingend Formen für Rechtsgebilde und damit auch den Umfang des Unternehmens vor, ist kein zwingend logischer Schluß. Der Unternehmensbegriff ist primär ein wirtschaftlicher Begriff, da er an wirtschaftliche Sachverhalte anknüpft. Die rechtswissenschaftliche Begriffsbildung sollte sich nicht unnötig weit von der sozialen Wirklichkeit entfernen, an die ja auch sie anknüpfen muß. In der sozialen Wirklichkeit sind aber zumindest einzelne Konzernformen als gegliederte Unternehmen anzusehen31 • Es zeigt sich, daß der Grundsatz, die Rechtsträgerschaft stecke die Grenzen des Unternehmens ab, zu einem unreflektierten Dogma erstarrt ist32 • Die Erkenntnis, der Unternehmensbegriff sei dem Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift entsprechend auszulegen, bleibt ein bloßes Lippenbekenntnis. Letztendlich werden ohne tragfähige Begründung die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften auch für das Arbeitsrecht als ausschlaggebend erachtet33 • Eine Ausnahme von ihrem Grundsatz konzediert die Arbeitsrechtswissenschaft84 - in Anlehnung an die herrschende Meinung im Gesellschafts- und Handelsrecht35 - lediglich bei Betriebsüberlassungsverträgen oder bei der Verpachtung eines Betriebes. Hier führe der Pächter den Betrieb im eigenen Namen und werde damit Inhaber des Betriebes. Die besondere enge Intensität der wirtschaftlichen Verflechtung wird damit im Ergebnis doch als ausreichend angesehen, um die rechtliche Selbständigkeit der Einzelunternehmen zu durchbrechen. Dann besteht aber kein wesentlicher Grund mehr, die Eingliederung nach den §§ 319 ff. AktG oder die vollkommene faktische Eingliederung einer 1000f0igen Tochtergesellschaft anders zu behandeln. Festzuhalten bleibt, daß die h. M. weder eine Begründung für ihre These, die Einheit des 11 Vgl. Wetzling, Der Konzernbetriebsrat, 58; Rehbinder, Konzernaußenrecht, 74. 32 Rehbinder, Konzernaußenrecht, 58. 33 Weder Hueck I Nipperdey (I, § 16 VI) noch Nikisch (I, 157) führen eine Begründung an. 84 Hueck I Nipperdell I, § 16 VI; Nikisch I, 157. 35 Vgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht, 73 m. w. N. in Fn. 196.
H. Betriebs- und Unternehmensbegriff
31
Unternehmens setze die Identität des Unternehmensinhabers voraus, noch eine dogmatische Rechtfertigung für die konzedierten Ausnahmen von diesem Grundsatz zu liefern vermag. cc) Das Verhältnis des Konzernbegriffs zum Unternehmensbegriff in gesetzlichen Sondervorschriften Ein Blick in andere Rechtsdisziplinen zeigt, daß für den Gesetzgeber die genannte These längst kein unüberwindbares Dogma mehr ist. Das Wirtschaftsrecht etwa erkennt den Konzern als Unternehmen im Rechtssinn an und durchbricht dabei die rechtliche Selbständigkeit der Konzernglieder. So verweist § 22 Abs. 6 GWB zwar auf den Konzernbegriff in § 18 AktG, macht zugleich aber deutlich, daß das Wettbewerbsrecht den Konzern zumindest in Teilbereichen als einheitliches Unternehmen betrachtet. Allein die marktbeherrschende Stellung des Konzerns reicht bereits für Maßnahmen der Kartellbehörde gegenüber den einzelnen Konzernunternehmen aus. Mit der Anerkennung der Marktherrschaft des Konzerns respektiert das GWB den Konzern als eine durch einen einheitlichen Willen gekennzeichnete Markteinheit (Unternehmen)38. Die Summierung der Marktanteile der Konzernglieder könnte für sich allein noch keine Marktmacht der Gesamtheit Konzern begründen. Überwiegend wird daher der Konzern als Unternehmen L S. des GWB verstanden37• Auch die Regelung des § 23 Abs. 1 S. 2 GWB paßt in das geschilderte Verhältnis des Wettbewerbs rechts zum Unternehmensbegriff. § 23 Abs. 1 S. 2 GWB geht so weit, den Konzern ausdrücklich als einheitliches Unternehmen zu bezeichnen. Das Steuerrecht hat sich mit der Anerkennung der Organschaft für die Qualifizierung bestimmter Konzernformen als wirtschaftliche und rechtliche Einheiten entschieden. Der Begriff der steuerrechtlichen Organschaft umfaßt nicht sämtliche Konzerntatbestände. Neben der finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger ist für die Annahme einer Organschaft im Gewerbe- und Körperschaftssteuerrecht vielmehr der Abschluß eines Gewinnabführungsvertrages wichtige Voraussetzung 38 • Mit der Organschaft erkennt das Steuerrecht aber die Unternehmenseinheit des Konzerns für einen Grundtypus an. Nach § 2 Abs.2 Nr.2 S.2 GewStG wird der Konzern im Gewerbesteuerrecht als Einheit behandelt. Die eingegliederte Organgesellschaft ae Fuchs, Der Konzernbetriebsrat, 27. v. Gamm, Kartellrecht, § 1 GWB Rdnr. 10; MülleT / GießleT / Scholz, GWB,
17
§ 22 Rdnr. 4 a. as Vgl. EmmeTich / Sonnenschein, Konzernrecht, 27.
32
2. Kap.: A. Der Konzernbegriff
ist nur mehr eine unselbständige Betriebsabteilung. Sie verliert ihre Eigenschaft als Steuersubjekt3u • Nach dem UStG (§ 2 Abs.2 Nr.2) sind bei Vorliegen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft die Umsätze zwischen dem herrschenden Unternehmen und den Tochtergesellschaften sowie die Umsätze zwischen den Tochtergesellschaften von der Umsatzsteuer befreit40 • Auch im Körperschaftssteuerrecht werden Organgesellschaft und Organträger weitgehend als ein Unternehmen behandeltu . Das Einkommen der abhängigen Organgesellschaft wird nach § 14 KStG dem Organträger zugerechnet42 • Für das Steuerrecht ist folglich der Konzern in Teilbereichen nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im rechtlichen Sinn eine Einheit mit eigener wirtschaftlicher Zielsetzung, erfüllt damit alle Merkmale eines Unternehmens. Der vorstehende, notwendigerweise oberflächliche Blick in andere Rechtsdisziplinen hat gezeigt, daß es einen unverrückbaren Grundsatz, nach dem sich ein Unternehmen nicht über mehrere Rechtssubjekte erstrecken kann, in unserer Rechtsordnung nicht gibt. Auch das Arbeitsrecht kennt zwei Sondervorschriften, in denen eine einheitliche Betrachtung des Konzerns ungeachtet der rechtlichen Selbständigkeit seiner Glieder vorgesehen ist. Nach § 92 a Abs. 1 S. 1 HGB kann durch Rechtsverordnung für Handelsvertreter eine untere Leistungsgrenze des Unternehmers, für den ein Handelsvertreter tätig ist, festgesetzt werden. Voraussetzung ist, daß dem Handelsvertreter aufgrund vertraglicher Absprache die Tätigkeit für andere Unternehmen untersagt ist (sog. Einfirmenvertrag)4s. Das gilt gemäß § 92 a Abs. 2 HGB auch dann, wenn der Handelsvertreter nicht nur für ein Unternehmen, sondern für mehrere in einem Versicherungskonzern zusammengeschlossene Unternehmen tätig ist. Die Konzerngesellsch.aften werden damit als einheitliches Unternehmen betrachtet. Nachteile, die sich aus der Konzernierung ergeben könnten, sollen auf diese Weise vermieden werden. Nach § 12 a Abs.2 TVG sind arbeitnehmerähnliche Personen, die überwiegend für konzernmäßig zusammengefaßte Unternehmen tätig werden, denjenigen gleichgestellt, die überwiegend für eine einzige juristische Person arbeiten. Der gesetzlichen Regelung liegt ebenfalls se FG Schleswig-Holstein, EFG 1976, 204; SchwaTZ I Dumke, AO, § 78 Anm.
9 ff.
40 Hierzu HaTtmann I MetzenmacheT, UStG, E § 2 Rdnr. 239 f.; zur Problematik der Organschaft s. Weiß, UStR 1979, 101. 41 Felix I StTeck, KStG, Anm. 1 zu § 14. 42 Hierzu FTotscheT I Maas, KStG, § 14 Rdnr. 3. 43 Hierzu SchlegelbeTgeT I SchTödeT, HGB, § 92 a Rdnr. 1.
H. Betriebs- und Unternehmensbegriff
33
die Vorstellung zugrunde, daß sich die untypische Aufspaltung des wirtschaftlich einheitlichen Konzerns nicht zum Nachteil der arbeitnehmerähnlichen Personen auswirken soll44. dd) Schlußfolgerungen Für den Bereich des Arbeitsrechts ist demnach, ebenso wie für andere Rechtsgebiete zu fordern, daß sich der Begriff des Unternehmens ohne zwingende Reduzierung auf die Grenzen der Rechtsträgerschaft nach dem Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift richtet. Je nach der gesetzlichen Wertung können daher auch Konzerntatbestände unter den Unternehmensbegriff subsumiert werden. In der praktischen Rechtsanwendung wird es oft schwerfallen nachzuweisen, daß der Gesetzgeber bei der Normsetzung bewußt auch Konzerntatbestände unter den Unternehmensbegriff fassen wollte. Für das Konzernarbeitsrecht bedeutsamer ist daher die Erkenntnis, daß zumindest die entsprechende Anwendung einer unternehmensbezogenen Vorschrift im Konzernbereich möglich, ja oft wegen der ähnlichen Interessenlage geboten ist. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß zumindest bestimmte besonders enge Konzernverbindungen einem einheitlichen Unternehmen gleichkommen. Grundsätzlich ist damit die Analogiefähigkeit beider Begriffe zu bejahen. Voraussetzung für die entsprechende Anwendung einer unternehmensbezogenen Regelung ist, wie bei jeder Analogie, das Vorliegen einer Regelungslücke i. S. einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes45 • Hat der Gesetzgeber bewußt eine Vorschrift auf den Unternehmensbereich im engen Sinn beschränkt, so ist eine konzerndimensionale Erweiterung der gesetzlichen Regelung aus methodischen Gründen unzulässig, selbst wenn sie dem Rechtsanwender vom Normzweck her auch im Konzernbereich geboten erscheint. Er ist an die gesetzliche Wertung gebunden. Für das Arbeitsrecht ist von Bedeutung, daß innerhalb des Konzerns gerade für die personal- und sozialpolitischen Entscheidungen nicht mehr das eingegliederte Unternehmen, sondern die Konzernspitze als Repräsentant des Gesamtkonzerns Entscheidungsträger ist. Da sich eine Reihe von arbeitsrechtlichen Normen an den Unternehmer (Arbeitgeber) als Träger der Personalentscheidungen richtet46 , muß das Arbeitsrecht eine konzerndimensionale Interpretation von solchen Vorschriften Vgl. Wiedemann I Stumpf, TVG, § 12 a. Zum Lückenproblem vgl. LaTenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 354 ff.; Koch I Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 254 f. 48 Vgl. etwa § 1 KSchG, § 112 BetrVG. 44
45
3 Henssler
34
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
in Betracht ziehen47 • Zu berücksichtigen ist dabei, daß die rechtliche Selbständigkeit der Konzernunternehmen nicht als Selbstzweck eingeführt bzw. beibehalten wird. Hinter ihr stehen berechtigte Interessen der einzelnen Konzernglieder. Wichtige Gründe für die Aufrechterhaltung der rechtlichen Selbständigkeit der Konzerngesellschaften sind die Begrenzung der Haftung48 , die Erhaltung der Marktgeltung des Konzernunternehmens und ihres Warenzeichens48 sowie Kostengründe~o. Neben steuerlichen Vorteilen können auch die organisatorische Planung (Möglichkeit leichterer Trennung und Umgruppierung der Organisationseinheiten zu optimalen Kombinationen) und personalpolitische Erwägungen (Qualifizierte Kräfte können auf der Geschäftsleitungsebene eingesetzt werden, während sie ohne die Aufspaltung der Unternehmenseinheit lediglich die Position eines Abteilungsleiters innehätten) eine Rolle spielen. Werden diese berechtigten Interessen im Einzelfall nicht tangiert oder treten sie zumindest hinter dem Normzweck der arbeitsrechtlichen Vorschrift zurück, so steht einer konzernbezogenen Auslegung des Unternehmensbegriffs im Arbeitsrecht nichts im Wege. Ergibt die Auslegung einer arbeitsrechtlichen Norm bzw. eines arbeitsrechtlichen Grundsatzes, daß ausnahmsweise der Konzern als einheitliches Unternehmen im Rechtssinne anzuerkennen oder ihm gleichzustellen ist, so muß sich diese Schlußfolgerung nicht notwendigerweise auf jede Form der Konzernbildung erstrecken. Vielmehr ist denkbar, daß nur für besonders enge Verbindungen eine entsprechende Anwendung der Vorschrift in Betracht kommt, nicht dagegen für Unternehmensverbindungen, in denen die wirtschaftliche Selbständigkeit der Gesellschaften weitgehend erhalten geblieben ist. Das ergibt sich aus einer konsequenten Loslösung von begrifflichen Denkstrukturen und der Notwendigkeit einer interessenorientierten Gesetzesauslegung.
B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern Ausgangspunkt aller Überlegungen, die sich auf das Arbeitsverhältnis im Konzern beziehen, ist die Frage nach dem Arbeitgeber des in einer Konzerngesellschaft beschäftigten Arbeitnehmers1 • Erst wenn der bzw. Hierzu Tomicic, Interessenausgleich und Sozialplan im Konzern, 39 ff. EmmeTich / Sonnenschein, Konzernrecht 1. Aufl., 5; Zusammenstellung der Gründe bei, Lenel, Ursachen der Konzentration unter besonderer Be47
48
rücksichtigung der deutschen Verhältnisse. '0 Harms, Konzerne im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 18 m. w. N. ~o Vgl. Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 7. Außerdem ist die Konzernierung gegenüber der Fusionierung wesentlich billiger. 1 So auch für das französische Arbeitsrecht Vacaire, Droit social 1975, 23,
I. Der Konzern als Arbeitgeber
35
u. U. die Arbeitgeber feststehen, lassen sich die arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen dem Arbeitnehmer und den einzelnen Konzernunternehmen ermitteln!. An der ArbeitgebersteIlung derjenig·en Konzerngesellschaft, mit der ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde, bestehen keine Zweifels. Für das Konzernarbeitsrecht ist aber von Bedeutung, ob wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtung der Konzernglieder darüber hinaus auch der Gesamtkonzern oder zumindest einzelne weitere Konzerngesellschaften als Arbeitgeber angesehen werden können. In diesem Fall würden zwischen dem Arbeitnehmer und den betroffenen Konzerngesellschaften ebenfalls unmittelbare arbeitsrechtliche Beziehungen bestehen, so daß auch den dritten Konzerngesellschaften die volle PflichtensteIlung eines weisungsberechtigtt!n Arbeitsvertragspartners zukommen würde. Der Arbeitnehmerschutz wäre umfassend gewährleistet. I. Der Konzern als Arbeitgeber 1. Der Begriff des Arbeitgebers in der Rechtswissenschaft
Der Begriff des Arbeitgebers hat in der Arbeitsrechtswissenschaft nicht zu ähnlich intensiven Kontroversen geführt wie der ihm gegenüberstehende Arbeitnehmerbegriff'. Dennoch ergeben sich auch bei der Definition des Arbeitgebers immer wieder Ungenauigkeiten und Unklarheiten. Diese Unklarheiten sind insbesondere darauf zurückzuführen, daß mit dem Arbeitgeberbegriff ganz unterschiedliche rechtliche Phänomene erfaßt werden und die Ergebnisse daher notwendigerweise divergieren. Wer etwa wie Ramms der Ansicht ist, der Arbeitgeber könne nur vom sozialen Schutzgedanken aus ermittelt werden, der will mit diesem Arbeitgeberbegriff offensichtlich nicht die umfassende Rechtsposition eines Arbeitsvertragspartners erfassen, die von anderen dem Arbeitgeber zugeordnet wirdG• Ramm hat eine rein historische Perspektive 24 f.; Despax, Droit social 1961, 596 f.; Knapp, in: Le droit international prive des groupes de societes, 147, 155 ff. 2 v. GTaffenTied, Über die Notwendigkeit einer Konzerngesetzgebung, 52. 3 KR / Wolf, Grundsätze Rdnr.93; vgl. auch MaTtens, in: Der GmbH-Konzern, 112 f. , Vgl. zum Arbeitgeberbegriff: Hueck / NippeTdey I, § 15; Nikisch I, 142 ff.; BobTowski / Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb Bd. 1, A V, 1 ff.; zur derzeit heftig umstrittenen Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und freien Mitarbeitern, BVerfG NJW 1982, 1447; Ossenbühl, Rechtsprobleme der freien Mitarbeiter im Rundfunk, 11 ff.; RütheTs, DB 1982, 1869. S ZfA 1973, 263, 276.
36
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
(19. Jh.), die den vielseitigen Regelungsaufgaben des Arbeitsrechts in einer entwickelten Industriegesellschaft nicht mehr gerecht wird.
Der Begriff des Arbeitgebers entscheidet zusammen mit dem des Arbeitnehmers über den Geltungsbereich des Arbeitsrechts. Trotz seiner Funktion als Zentralbegriff des Arbeitsrechts ist er vom Gesetz nicht definiert. Seine Bestimmung ist ein Akt richterlicher Rechtsschöpfung. Wie jede juristische Begriffsbildung setzt die Definition des Arbeitgeberbegriffs zunächst Klarheit darüber voraus, welches konkrete Rechtsphänomen durch die Begriffsbildung erfaßt und in welchem Gebiet sie angewendet werden soll. Eine Definition ist nur dann sinnvoll und gerechtfertigt, wenn sich bei jeder Anwendung des festgelegten Begriffs im Rahmen einer konkreten Rechtsnorm auch stets die gleichen rechtlichen Konsequenzen ergeben. Mit dem Arbeitgeberbegriff können in dem hier relevanten Bereich des Individualarbeitsrechts verschiedene Personen erfaßt werden, etwa -
der Partner des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis, d. h. der Gegner der umfassenden Rechts- und Pflichtenstellung des Arbeitnehmers
-
der Inhaber der arbeitsrechtlichen Leitungsmacht
-
ganz allgemein derjenige, der auch nur einzelne Befugnisse und Rechtspositionen ausübt, die im Regelfall dem weisungsberechtigten Partner des Arbeitsvertrages im Arbeitsverhältnis zustehen.
Für das Individualarbeitsrecht praktikabel ist der Arbeitgeberbegriff nur, wenn er die umfassende Rechts- und Pflichtenstellung einer Arbeitsvertragspartei umfaßt. Nur diese Person kann im gesamten Bereich des Individualarbeitsrechts als Arbeitgeber bezeichnet werden. Eine ganz andere Frage ist, welche rechtlichen Konsequenzen die Wahrnehmung einzelner Arbeitgeberpositionen nach sich zieht. Sie kann nur im Einzelfall beantwortet werden. Würde man auch denjenigen, der lediglich einzelne Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt, als Arbeitgeber bezeichnen7 , so hätte dies einen konturlosen Begriff zur Folge, der für die juristische Tätigkeit unbrauchbar wäre. Zu erheblichen Unsicherheiten führt in diesem Zusammenhang häufig der Begriff des funktionellen Arbeitgebers. Die Lehre vom funktionellen Arbeitgeber ist vor allem von Nikischs und A. Hueck9 entwickelt I
7
Nikisch 1,142 f.; BAG AP Nr. 1 zu § 705 BGB. So offensichtlich Ramm, ZfA 1973, 263, 276; unklar auch Fabricius, Rechts-
probleme gespaltener Arbeitsverhältnisse im Konzern, 49 ff. S Arbeitsrecht I, 142 ff.
I. Der Konzern als Arbeitgeber
37
worden. Beide Autoren gehen davon aus, daß die Arbeitgeberfunktionen auf verschiedene Personen aufgeteilt sind, wenn der Arbeitgeber eine juristische Person ist oder eine Person, der das Recht zur persönlichen Leitung des Betriebes nicht zusteht. Die für das Arbeitsverhältnis konstitutive Abhängigkeit des Arbeitnehmers könne nur gegenüber geschäftsfähigen natürlichen Personen bestehenlO • Der Begriff des funktionellen Arbeitgebers ist als überflüssig und rechtlich bedeutungslos abzulehnenl1 • Die Begriffsbildung löst keine Rechtsprobleme, gibt insbesondere keine Antwort auf die Frage, welche Rechtsfolgen die Eigenschaft als funktioneller Arbeitgeber nach sich zieht. Sie ist die Umschreibung einer Selbstverständlichkeit, nämlich des in jedem Rechtsgebiet anzutreffenden Umstands, daß eine juristische Person ihren Willen nur durch Organe bilden oder betätigen kann12 • Derjenige, der die Leitungsbefugnis ausübt, nimmt diese als Repräsentant des Arbeitgebers wahr. Seine Leitungsakte werden dem Arbeitgeber zugerechnet, weil dieser die Ermächtigung für ihre Vornahme erteilt hat13• Die Vorstellung, der Inhaber des Weisungsrechts müsse stets als Arbeitgeber bezeichnet werden, beruht auf einer Überbetonung der arbeitsrechtlichen Leitungsmachtu. Sie trifft vielfach mit der Auffassung des Arbeitsverhältnisses als eines personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammen, die inzwischen mit guten Gründen als überholt bezeichnet werden kannls • Fraglich ist auch der Vorschlag von Birku , der für die Vertragsstellung und die Inhaberschaft der Leitungsmacht zwei unterschiedliche Arbeitgeberbegriffe anerkennen will. Arbeitgeber im Sinne des Individualarbeitsrechts ist allein der jeweilige Gläubiger des Anspruchs auf die Arbeitsleistung und zugleich der o Hueck / Nipperdey I, § 15, 88 ff. 10 Hueck / Nipperdey I, 88 f.; vgl.
auch Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, 139 ff., der den Begriff des funktionellen Arbeitgebers aufgegriffen hat. 11 So auch Zöllner, Arbeitsrecht, 38; Heinze, AuR 1976, 33 sowie insbesondere Fabricius, Gesellschaftsrechtliche Unternehmensverbindungen und Arbeitgeberbegriff, 58 ff. sowie neuerdings Rechtsprobleme gespaltener Arbeitsverhältnisse im Konzern, 30 ff. 12 Zöllner, Arbeitsrecht, 38. 13 Gast, Arbeitsvertrag und Direktion, 50. 14 So Fabricius, Gesellschaftsrechtliche Unternehmensverbindungen und Arbeitgeberbegriff, 58 ff. lS E. Wolf, Arbeitsverhältnis, Personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis oder Schuldverhältnis?; Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch und Gemeinschaftsverhältnis, 36 ff.; Fenn, AuR 1971, 321. 18 Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, 141.
38
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
jeweilige Schuldner des Arbeitsentgeltes17• Einen darüber hinausgehenden für das gesamte Arbeitsrecht geltenden Arbeitgeberbegriff kann es nicht gebenl8 • Den Begriffen des Arbeitgebers im Prozeßrecht (vgl. § 22 Abs. 1 ArbGG), im Betriebsverfassungsrecht (§ 5 Abs. 3, § 76 Abs. 1 BetrVG) und im SozialversicherungsrechtU liegen jeweils unterschiedliche gesetzliche Zielrichtungen zugrunde. 2. Die fehlende Rechtspersönlichkeit des Konzerns
Bereits der hier dargestellte Begriff des Arbeitgebers macht deutlich, daß der Bestimmung des Arbeitgebers im Konzern von vornherein enge Grenzen gesetzt sind. Gläubiger bzw. Schuldner eines Anspruchs kann nur eine Rechtspersönlichkeit sein. Der Konzern als solcher verfügt jedoch generell über keine eigene Rechtspersönlichkeit. Rechtssubjekte sind nur die einzelnen Konzernglieder 20 • Dennoch wird in der Literatur die Auffassung vertreten, auch der Konzern nehme teilweise Arbeitgeberfunktionen wahrZl • Ausgangspunkt solcher Erwägungen sind die §§ 54 ff. BetrVG. Die Anerkennung des Konzernbetriebsrats, so wird argumentiert, sei nur dann sinnvoll, wenn diesem auch ein qualifizierter Regelungspartner gegenüberstehe. Im Rahmen des § 58 BetrVG sei damit eine Rechtsfähigkeit des Konzerns begründet22 • Dieser Ansicht ist zuzugestehen, daß der Gesetzgeber, wie die Formulierung des § 76 BetrVG zeigt, von der Existenz eines Konzernarbeitgebers ausgegangen ist. Besonders deutlich wird dies in § 76 Abs. 1 BetrVG. Nach dieser Vorschrift kann bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem "Arbeitgeber" einerseits und dem Konzernbetriebsrat andererseits die Einigungsstelle eingeschaltet werden23 • Da der Konzern als solcher aber keine eigenen Organe hat, seine Interessen vielmehr durch das herrschende Konzernunternehmen wahrgenommen werden, kann dies nur dahin verstanden werden, daß der herrschenden Gesellschaft gewisse Arbeitgeberfunktionen auch gegenüber den Arbeitnehmern der abhängigen Gesellschaften zuerkannt werden24 • 17 BAG AP Nr.1 zu § 705 BGB; Nikisch I, 142 f.; Müllner, Aufgespaltene Arbeitgeberstellung und Betriebsverfassungsrecht, 16. 18 Bobrowski I Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, A V, 20 f. 18 Hierzu im einzelnen Dersch, AR-Blattei Arbeitgeber I Begriff; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 284 d, 306 h I, 368 d; Grüner, Sozialgesetzbuch, 4. Buch § 7 Anm. II 7, § 23 Anm. III 2. 20 Vgl. Emmerich I Sonnenschein, Konzernrecht, 62; Martens, BAG-Festschrüt, 367 f.; Fabricius, Gesellschaftsrechtliche Unternehmensverbindungen, 93 ff. 21 GK I Fabricius, Rdnr. 55 ff. vor § 54, Rdnr. 12 f. zu § 58. U GK I Fabricius, Rdnr. 12 f. zu § 58. n s. hierzu Biedenkopf, in: Festschrift für Sanders, 8.
11. Konzerndimensionales Arbeitsverhältnis
39
Der Wille des Konzerns entspricht dem Willen der herrschenden Gesellschaft. Eine spezifisch arbeitsrechtliche Teilrechtsfähigkeit des Konzerns auch nur für den Bereich des BetrVG besteht damit nicht25 • Einer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsfähigkeit des Konzerns könnten zudem keine Schlußfolgerungen für das Individualarbeitsrecht entnommen werden. Der Begriff des Arbeitgebers wird in unterschiedlichen Beziehungen gebraucht26 • Während der Arbeitgeber in Normen des Betriebsverfassungsrechts teilweise als Organ der Betriebsverfassung angesprochen wird 27 , geht es im Individualarbeitsrecht um die Funktion des Arbeitgebers als Partner des Arbeitsvertrages, also um seine Rechts- und Pflichtenstellung gegenüber den Arbeitnehmern. Eine Rechtsnorm, die die Rechtsfähigkeit des Konzerns in dieser Hinsicht begründet, besteht nicht. Ein Arbeitsverhältnis mit dem Gesamtkonzern scheidet damit aus. 11. Konzerndimensionales Arbeitsverhältnis mit sämtlichen Konzerngesellschaften Ein auf den gesamten Konzernbereich bezogenes Arbeitsverhältnis ließe sich folglich nur in der Form eines Arbeitsverhältnisses mit sämtlichen Konzerngesellschaften konstruieren. 1. Die Interessenlage
Aus der Sicht der Arbeitnehmerinteressen wäre ein derartiges Konzernarbeitsverhältnis durchaus wünschenswert. Auf diese Weise könnten jegliche für den Arbeitnehmer nachteilige Auswirkungen der Konzernverbindung vermieden werden. Der Konzern bildete aus arbeitsrechtlicher Sicht ein einheitliches Unternehmen. Es gäbe keine dogmatischen Schwierigkeiten, die Haftung der Konzerndrittgesellschaften für die vermögensrechtlichen Ansprüche der Konzernarbeitnehmer oder die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung in anderen Konzerngesellschaften zu bejahen. Das Arbeitsverhältnis wäre konzerndimensional. Der Einwand von Martens28 , eine solche Lösung sei auch für die Arbeitnehmer ambivalent, weil diese dann in Krisenzeiten zu einer U Vgl. auch Walz, Multinationale Unternehmen und internationaler Tarifvertrag, 31 f. 25 Ablehnend auch Wetzling, Der Konzernbetriebsrat, 196 ff. 26 Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 1 Rdnr.30; Brecht, BetrVG, § 1 Rdnr.15 ff. 27 Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 1 Rdnr. 30. 28 Martens, BAG-Festschrift, 368 Fn. 5.
40
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
Schicksalsgemeinschaft zusammengefaßt würden, überzeugt nicht. Auch bei einer Gesamtbetrachtung ist es für die Arbeitnehmer im Falle der Stillegung einer Konzerngesellschaft günstiger, wenn versucht wird, die in der aufgelösten Gesellschaft beschäftigten Arbeitnehmer auf alle Gesellschaften zu verteilen. Können mangels freier Arbeitsplätze nicht alle Arbeitnehmer untergebracht werden, so kann, da es sich hier um eine betriebsbedingte Kündigung handelt, eine Entlassung ohnehin nur die Arbeitnehmer des stillgelegten Betriebes treffen. Wesentliche Nachteile für die Arbeitnehmer der übrigen Gesellschaften sind nicht ersichtlichzD • Grundsätzlich würde sich damit die ArbeitgebersteIlung aller Konzerngesellschaften für die Arbeitnehmer positiv auswirken. Fraglich ist lediglich, ob eine solche generelle ArbeitgebersteIlung mit unserer Rechtsordnung im Einklang steht. 2. Die Begründung eines oder mehrerer Arbeitsverhältnisse mit sämtlichen Konzerngesellschaften
Zunächst ist es durchaus denkbar und rechtlich zulässig, daß mehrere Arbeitsverhältnisse nebeneinander begründet werden30 • Es besteht auch die Möglichkeit, ein einziges Arbeitsverhältnis mit mehreren Arbeitgebern einzugehen31 • So sind etwa bei einem Arbeitsverhältnis mit einer BGB-Gesellschaft sämtliche Gesellschafter Arbeitgeber3!. Die volle ArbeitgebersteIlung einer Konzerngesellschaft kann jedoch nur über einen Arbeitsvertrag mit dieser Gesellschaft entstehen33 • Nach der inzwischen völlig herrschenden Vertragstheorie34 wird das Arbeitsverhältnis als Rechtsverhältnis durch einen Arbeitsvertrag begründet. Lediglich einzelne arbeitsrechtliche Schutzpflichten lassen sich unter Umständen aus andenm Erwägungen herleiten36• Die umfassende 28 Im weiteren Sinn stehen ohnehin sämtliche Arbeitnehmer in einer Art Schicksalsgemeinschaft, wenn man der herkömmlichen Betriebsrisikolehre folgt, vgl. BAG AP Nr.2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko, Hueck I Nipperdey I, § 44 IV. Die neuere Rechtsprechung verfährt hier jedoch stark einschränkend und argumentiert nicht mehr mit dem Solidaritätsgedanken, sondern mit dem Grundsatz der Kampfparität, BAG DB 1981, 321 ff.; hierzu Seiter, DB 1981, 578 ff. 30 KR / Becker, § 1 KSchG Rdnr. 317; Sturn, BB 1969, 1436, 1439. 31 Neuerdings grundlegend BAG DB 1982, 1569. a! Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 17 1; BAG AP Nr.l zu § 705 BGB. 38 Bzw. beim faktischen Arbeitsverhältnis durch einen fehlerhaften Arbeitsvertrag. 34 Hueck I Nipperdey I, § 21 H; BAG AP Nr.3 zu § 611 BGB mittelbares Arbeitsverhältnis. 35 Hierzu s. unten 2. Kap., C. H.
11. Konzerndimensionales Arbeitsverhältnis
41
Rechtsposition des Arbeitgebers erfordert dagegen ein vertragliches Rechtsverhältnis. Ein ausdrücklicher Vertragsschluß erfolgt regelmäßig nur mit der anstellenden Konzerngesellschaft. Für einen generellen Vertragsschluß mit sämtlichen Konzerndrittgesellschaften durch schlüssiges Verhalten bestehen in der Regel keine Anhaltspunkte. Der Arbeitnehmer kommt mit den übrigen Konzerngesellschaften überhaupt nicht in Berührung; oft weiß er nicht einmal von ihrer Existenz. Die Begründung eines Vertragsverhältnisses mit den übrigen Konzerngesellschaften bedarf eines besonderen Zurechnungsgrundes. Denkbar wäre, daß die anstellende Gesellschaft stets als Vertreter der andel'en Unternehmen einen Gesamtarbeitsvertrag abschließt. Schwierigkeiten bestehen bei der Herleitung der Vertretungsmacht dieses Konzernglieds. Die Verpflichtung dritter Konzerngesellschaften über die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht entfällt aber bereits deshalb, weil das anstellende Unternehmen die übrigen Konzerngesellschaften überhaupt nicht verpflichten will. Auch Anscheins- oder Duldungsvollmacht setzen, wie jedes Vertreterhandeln, voraus, daß der Vertreter den Willen zur Vertretung hat oder daß zumindest ein Wille, in fremdem Namen zu handeln, nach allgemeinen Auslegungskriterien ermittelt werden kann38 • Der Rechtsscheintatbestand ersetzt nur das fehlende Erklärungsbewußtsein und den fehlenden Geschäftswillen, nicht jedoch sonstige Erfordernisse des Rechtsgeschäfts. Vom objektiven Erklärungswert her enthält der Arbeitsvertrag mit einer Konzerngesellschaft in der Regel keinen Hinweis auf den Willen zur Vertretung aller Konzerngesellschaften. Auch die Konstruktion eines generellen Vertragsbeitritts aller Konzernunternehmen ist rechtlich nicht haltbar. Da die übrigen Konzernglieder einen derartigen Vertragsbeitritt nicht ausdrücklich erklären, wäre allenfalls wieder an einen konkludenten Beitritt durch schlüssiges Verhalten zu denken. Allein aus der wirtschaftlichen Verbundenheit der Konzernglieder ist ein konkludent auf eine bestimmte Rechtsfolge gerichtetes Verhalten aber nicht ableitbar37• Mit den in unserer Rechtsordnung bekannten Rechtsprinzipien läßt sich also ein konzerndimensionales Arbeitsverhältnis nicht erklären38 • Eine Radikallösung der Probleme des Konzernarbeitsrechts scheidet aus. 38 Str. Vgl. Münch-Komm. / ThieZe, Rdnr.58 zu § 164; Staudinger / Coing, § 167 Anm. 9 f.; Enneccerus / Nipperdey, § 184 11 3 c; Fikentscher, AcP 154 (1955), 13 ff. m. w. N. 37 Vgl. zum Vertragsschluß durch schlüssiges Verhalten Larenz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 19 IV b; Rüthers, Allgemeiner Teil des
BGB, Rdnr. 193. 38 So auch Martens, BAG-Festschrift, 371.
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
42
Das Arbeitsrecht kann trotz seiner spezifischen Schutzfunktion für den Arbeitnehmer die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts nicht generell, sondern allenfalls in atypischen Einzelfällen durchbrechen. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung beansprucht auch für den Bereich des Arbeitsrechts seine Gültigkeit. Insbesondere in Großkonzernen würde zudem das generelle konzernweite Arbeitsverhältnis zu einer außerordentlichen Schwerfälligkeit der Personalpolitik führen. Personalentscheidungen, wie etwa Kündigungen, könnten nur noch durch eine Zentralstelle, die Daten aus allen Konzerngesellschaften sammelt, getroffen werden. Die vielfach berechtigten Interessen an der organisatorischen Trennung der Konzernglieder würden auf diese Weise nicht gewahrt. III. Die volle Arbeitgeberstellung einzelner Konzerndrittgesellsmaften Will man das Arbeitsverhältnis im Konzern korrekt erfassen, ist eine Einzelfallbeurteilung geboten. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob nach dem rechtlich relevanten Willen der Beteiligten neben dem ausdrücklich vereinbarten Vertragsverhältnis ein zusätzliches Arbeitsverhältnis mit weiteren Konzerngesellschaften zu befürworten ist. Ausgangspunkt derartiger Überlegungen ist stets die Ausgestaltung des Arbeitsvertrages und der Ablauf der Vertragsverhandlungen. Nur in Ausnahmefällen werden bereits im Arbeitsvertrag ausdrücklich weitere Konzerngesellschaften als Arbeitgeber festgehalten 39 • In der Regel sind dritte Konzernunternehmen weder an den Vertragsverhandlungen noch am Vertragsschluß beteiligt. An diesem Punkt beginnt die Problematik des Konzernarbeitsrechts: Unter welchen Voraussetzungen darf der Arbeitnehmer davon ausgehen, daß ein Arbeitsverhältnis mit weiteren Konzerngliedern begründet wird? 1. Die Durcltgriffshaftung
Die Rechtslehre hat versucht, die Probleme des Konzernaußenrechts über Durchgriffslösungen40 zu bewältigen. Im allgemeinen KonzernVgl. Martens, BAG-Festschrift, 368. Hierzu Rehbinder, Konzernaußenrecht, 85 ff.; allgemein zur Durchgriffsproblematik vgl. ferner Rehbinder, in: Festschrift für Robert Fischer, 583 ff.; Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 6 ff., 49 ff.; Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 334 ff. Überblick bei Kraft, in Kölner Komm. zum AktG, § 1 Rdnr. 60 ff.; Haberlandt, BB 1980, 847; Schneider, BB 1980, 1057, 1063; Münch-Komm. / Reuter, vor § 21 Rdnr. 12 ff.; BGHZ 29, 386. 30 40
III. Einzelne Konzemgesellschaften als Arbeitgeber
43
außenrecht mag die Konstruktion des Haftungsdurchgriffs ausreichen, da es dort in erster Linie um die Sicherung der vermögensrechtlichen Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger geht. Im Arbeitsrecht wird die rein vermögensrechtliche Problematik überlagert von den sozialen Schutzbedürfnissen des Arbeitnehmers, besonders von seiner Sorge um die Sicherheit seines Arbeitsplatzes. Nur in seltenen Ausnahmefällen ist es nämlich denkbar, daß ein Arbeitgeber mit seinen Lohnzahlungen über mehrere Monate hinweg in Rückstand gerät und der Arbeitnehmer daher schwerwiegende vermögensrechtliche Nachteile erleidet. Aber selbst in diesen Fällen ist es für den Arbeitnehmer bedeutsamer, ob sein Arbeitsplatz für die Zukunft gesichert ist. Nicht über den Haftungsdurchgriff, sondern primär über die Begründung von vollständigen Vertragsverhältnissen mit weiteren Konzerngesellschaften sind daher die spezifisch arbeitsrechtlichen Probleme des Konzernaußenrechts zu lösen. Die Möglichkeit einer Durchgriffslösung ist in ihren dogmatischen Konturen weitgehend abgeklärt. Rechtsprechung und Literatur stellen sehr strenge Anforderungen an die Durchgriffshaftung 41 • Die Durchgriffshaftung wird bei § 242 BGB angesiedelt und auf Fälle des Rechtsmißbrauchs beschränktu. Sie hilft daher nur in Extremfällen. Eine befriedigende Lösung der vielfältigen konzernarbeitsrechtlichen Probleme läßt sich über dieses dogmatisch weitgehend festgefahrene Rechtsinstitut nicht erzielen. 2. Das Vertrauensprinzip
Rechtsgeschäftliche Verpflichtungen lassen sich bei Fehlen eines ausdrücklichen Vertragsschlusses über das Vertrauensprinzip begründen4S• Das Vertrauensprinzip als direkt in unserer Rechtsordnung angelegter Grundsatz bietet möglicherweise aufgrund seiner Ausrichtung auf den konkreten Einzelfall den geeigneten Ansatz zur Lösung der arbeitsvertraglichen Probleme im Konzern.
a) Die Begründung von SchuZdverhältnissen über das Vertrauensprinzip Fehlt einer Konzerngesellschaft das Erklärungsbewußtsein, sich rechtsgeschäftlich zu binden, so kann dieser fehlende Rechtsbindungs41 BGHZ 26, 32; 61, 383; 68, 312; BAG DB 1975, 308; Schulte, WPM 1979, Beilage 1, 6 ff.; Emmerich, NJW 1977, 2163. 42 Vgl. BGH NJW 1972, 1418; BGHZ 68, 312. 43 Grundlegend hierzu Wellspacher, Das Vertrauen auf äußere Tatbestände im bürgerlichen Recht; Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen; Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht; übersicht bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 97 ff.
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
wille u. U. über das Vertrauensprinzip überbrückt werden. Die lange Zeit herrschende Meinung sah zwar das Erklärungsbewußtsein als notwendigen Bestandteil einer Willenserklärung an44 • Immer stärker setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, daß das in § 119 Abs. 1 BGB enthaltene Prinzip der Verantwortung für die zurechenbare Bedeutung des Erklärten auch bei fehlendem Erklärungsbewußtsein zu gelten hat45 • Hätte sich daher der Erklärende bewußt sein müssen, daß seinem Verhalten eine bestimmte Bedeutung zugesprochen wird, so muß er sich an seinem Verhalten wie an einer mit Rechtsbindungswillen geäußerten Erklärung festhalten lassen. Das Vertrauensprinzip ist folglich nicht nur zur Ausfüllung bzw. Modifikation von bereits bestehenden Schuldverhältnissen heranzuziehen. Es dient auch zur Begründung von selbständigen Schuldverhältnissen48 • Die Verursachung eines Vertrauenstatbestands führt nicht nur zur Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens analog den §§ 118, 122 BGB 47 • Vielmehr lassen sich über das Vertrauensprinzip originäre Erfüllungsansprüche konstruieren 48 • So führen etwa die Rechtsscheinsvollmachten nicht lediglich zur Verpflichtung zum Ersatz des negativen Interesses. Der Verpflichtete ist in konsequenter Anwendung der oben dargestellten Grundsätze vielmehr so zu behandeln, als hätte er mit Rechtsbindungswillen Vollmacht erteiW9 • Die gegenteilige Ansicht50 ist inkonsequent. Sie bejaht einerseits eine Willenserklärung bei fehlendem Erklärungsbewußtsein selbst dann, wenn der "Erklärende" die Bedeutung seines Verhaltens schuldhaft nicht kannte, verneint andererseits eine wirksame Vollmacht mit der Begründung, der "Vertretene" habe (schuldhaft) nichts von dem durch den Vertreter geschaffenen Sachverhalt gewußt. Aus der Sicht des betroffenen Vertragspartners kommt dem Vertreterhandeln die gleiche Bedeutung wie dem eigenen Verhalten des Kontrahenten zu. Diejenigen Stimmen in der Literatur, die Erfüllungsansprüche kraft Rechtsscheins ablehnen, machen teilweise eine Ausnahme für den Be44 Enneccerus I Nipperdey, § 145 U A 4; Lehmann I Hübner, § 34 UI 1 b; Wieacker, JZ 1967, 385, 389; Thiele, JZ 1969, 405, 407; Canaris, Vertrauens-
haftung, 427 f. . 45 Gegen das Erfordernis des Erklärungsbewußtseins, Larenz, Der allgemeine Teil des Bürgerlichen Rechts, § 19 IU; Soergell Hefermehl, BGB, Rdnr. 24 vor § 116; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 231; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 130; Bydlinsky, JZ 1975, 1 ff.; Rüthers, Allgemeiner Teil des BGB, Rdnr. 201 ff. 46 H. Hübner (Nipperdey-Festschrift I, 397) spricht insoweit von einer Begründungs funktion. 47 Vgl. Larenz, Allgemeiner Teil, § 19 IU; a. A. Canaris, Vertrauenshaftung, 548 f. 48 Vgl. Hohloch, NJW 1979, 2369, 2374; Stall, Festschrift für Duden, 641 ff. 48 So im Ergebnis auch BGH NJW 1966, 1915 ff. 50 Larenz, Allgemeiner Teil, § 33 I a; Flume, Allgemeiner Teil, § 49 4.
111. Einzelne Konzerngesellschaften als Arbeitgeber
45
reich des Handelsrechts51 • Ähnlich wie dort besteht auch im Arbeitsrecht eine besondere Interessenlage, die es erforderlich macht, Erfüllungsansprüche kraft Rechtsscheins zu bejahen, selbst wenn man die hier vertretene generelle Lösung ablehnt. Es wurde bereits dargelegt, daß es im Bereich des Arbeitsrechts nicht in erster Linie um die Sicherung der vermögensrechtlichen Ansprüche der Arbeitnehmer, sondern um ihren Arbeitsplatz geht. Richtet sich das Vertrauen eines Arbeitnehmers daher auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses, so ist der Rückgriff auf § 122 BGB unzureichend. Befriedigende Lösungen lassen sich nur erreichen, wenn man dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Erfüllung des Arbeitsvertrages gibt. Der nach Vertrauensgesichtspunkten ermittelte Arbeitgeber kann sich im Rahmen der gesetzlichen Regelungen durch Kündigung von dem Arbeitnehmer lösen, wenn ihm dessen Beschäftigung unzumutbar ist. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang insbesondere auf die betriebliche Übung als Hauptbeispiel der "Erwirkung" aus dem Bereich des Arbeitsrechts52 • Zwar besteht im Anwendungsbereich der betrieblichen Übung bereits ein Vertragsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Auch hier werden aber aufgrund eines Vertrauenstatbestands neue - vertraglich nicht vereinbarte - Ansprüche des Arbeitnehmers angenommen. Der außerrechtsgeschäftliche Grund für die Bindung des Arbeitgebers liegt im Vertrauen des Arbeitnehmers auf die Fortsetzung der bisherigen Übung 53 • b) Die Voraussetzungen für die Anwendung
des Vertrauensprinzips
Über das Vertrauensprinzip haben Rechtsprechung und Lehre eine Vielzahl von Rechtsinstituten entwickelt. Zu nennen sind insbesondere culpa in contrahendo, die Rechtsscheinsvollmachten, die Verwirkung, die Haftung aus Auskunft sowie die Grundsätze der Haftung des Scheinkaufmanns54 • In diesen Fällen geht es in der Regel darum, das fehlende Erklärungsbewußtsein des zu Verpflichtenden durch das Vertrauensprinzip zu überbrücken55 • 51 s. Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr.l0l; Canaris, Vertrauens haftung, 188 ff., 230 f. 52 Hierzu grundlegend Seiter, Die Betriebsübung, 92 ff., 108 ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, 387 ff.; G. Hueck, AR-Blattei, Betriebsübung I, A II 1; Säcker, Gruppenautonomie und übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, 473 ff.; aus der Rechtsprechung vgl. BAG AP Nr. 1, 5 und 7 zu § 242 BGB Betriebliche übung. 58 So Seiter, Die Betriebsübung, 92 ff., 108; Zöllner, Arbeitsrecht, 58 f.; kritisch Säcker, Gruppenautonomie und übermachtkontrolle, 477 ff. 54 Weitere Beispiele bei H. Hübner, Festschrift für Nipperdey 1,373,381 ff. 55 In der Lehrbuchliteratur wird dieser Zusammenhang zwischen den an-
46
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
Die Auswirkungen des Vertrauensprinzips im Konzernarbeitsrecht sind bislang noch völlig ungeprüft56 • Unstreitig dürfte sein, daß allein die wirtschaftliche Verbundenheit der Konzernglieder nicht für die Annahme eines Vertrauenstatbestands ausreicht. Allein die wirtschaftliche Verflechtung kann somit kein Arbeitsverhältnis begründen57 • Möglicherweise sind aber an die Einbeziehung einer Konzerngesellschaft in ein Vertragsverhältnis geringere Anforderungen zu stellen, als an die Einbeziehung einer völlig selbständigen Gesellschaft. Im folgenden soll untersucht werden, ob sich aus den bisher anerkannten Rechtsinstituten Grundsätze ergeben, die die Anwendung des Vertrauensprinzips reChtfertigen. Diese Grundsätze sind anschließend auf das Konzernarbeitsrecht zu übertragen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Vertrauensprinzips ist zunächst ein äußerer Vertrauenstatbestand58 • Derjenige, der über das Vertrauensprinzip in Anspruch genommen werden soll, muß objektiv den Eindruck erweckt haben, er wolle sich in einer bestimmten Weise rechtsgeschäftlich binden. Auf das Konzernarbeitsrecht übertragen bedeutet dies: Für den Arbeitnehmer muß der Anschein erweckt worden sein, eine dritte Konzerngesellschaft sei als Arbeitgeberin mit in das verhandelte Arbeitsverhältnis einbezogen, bzw. es solle ein selbständiges Arbeitsverhältnis mit jener Gesellschaft begründet werden. Der Vertrauenstatbestand muß dem Verpflichteten ferner zurechenbar sein. Das bedeutet, der Vertrauensträger muß das Vertrauen ent-
weder selbst erzeugt58 oder die Begründung eines Vertrauenstatbestands durch eine dritte Person schuldhaft nicht verhindert haben, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre60 • Die zu verpflichtende Konzerngesellschaft muß daher entweder durch das Verhalten ihrer Organe bei den Vertragsverhandlungen den Eindruck ihrer ArbeitgebersteIlung selbst veranlaßt haben. Daneben besteht die Möglichkeit, daß sie die Begründung eines Vertrauenstatbestands durch die anstellende Konzerngesellschaft schuldhaft nicht verhindert hat, obwohl der Arbeitnehmer erkennbar auf ihre Verpflichtung als Arbeitgeberin vertraut hat.
gesprochenen Rechtsinstituten und den Anforderungen an eine Willenserklärung oft vernachlässigt. 58 Vgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht, 312. 57 BAG AP Nr. 19 zu § 611 BGB Abhängigkeit, Gründe II 2 b. 58 Wellspacher, 115, 267; Canaris, Vertrauenshaftung, 491 ff.; H. Hübner, 386; Larenz, Allgemeiner Teil, § 33; vgl. auch BAG NJW 1962, 463. 58 H. Hübner, 388 f.; s. auch CanaTis, Vertrauenshaftung, 517 f. 60 So etwa die Voraussetzung bei der Duldungsvollmacht, vgl. MünchKomm. / Thiele, § 167 Rdnr. 44 m. w. N.
111. Einzelne Konzerngesellschaften als Arbeitgeber
47
Diederichsen81 verlangt außerdem, daß der Vertrauensträger die Möglichkeit gehabt haben muß, den Vertrauenstatbestand zu zerstören. Insoweit wird es bei der Anwendung des Vertrauensprinzips im Konzern kaum Probleme geben. Die Konzerngesellschaft, die durch ihre Teilnahme an den Vertragsverhandlungen einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, ist auch dazu imstande, den Anschein ihres Rechtsbindungswillens zu zerstören. Das Gleiche gilt, wenn sie das Verhalten des anstellenden Konzernglieds kennt bzw. kennen muß. Schließlich ist zu fordern, daß der Begünstigte, hier also der Arbeitnehmer, auf die Verpflichtung der Arbeitsvertragspartei tatsächlich vertraut hat und auch bei Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt vertrauen durfte62 • Er muß anders ausgedrückt überhaupt schutzwürdig sein. c) Die Anwendung des Vertrauensprinzips im Konzernarbeitsrecht
Eine Untersuchung über die Anwendbarkeit des Vertrauensprinzips im Konzernarbeitsrecht stößt zunächst auf den Umstand, daß bislang keine veröffentlichte Entscheidung der Arbeitsgerichtsbarkeit zu dieser Problematik vorliegt. Die Rechtsprechung zum Konzernarbeitsrecht hat bislang den Vertrauensgedanken nur zur Begründung einzelner Rechtspflichten herangezogen. So wurden etwa im Zusammenhang mit der Haftung für Vergütungsansprüche gegen dritte Konzerngesellschaften63 oder der Verpflichtung, für die Versorgungszusage einer Konzernmutter einzustehen6" Vertrauensüberlegungen angestellt. Die selbständige Begründung eines Vertragsverhältnisses über den Vertrauensgedanken ist schwieriger. Gemäß den eingangs erarbeiteten Grundsätzen ist zwischen zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: aal Die anstellende Gesellschaft erweckt den Anschein, dritte Konzerngesellschaften seien in das Vertragsverhältnis mit einbezogen Wirbt etwa das anstellende Konzernglied mit der Größe und Sicherheit des Konzerns oder wird der Arbeitsplatz als Dauerstellung im Konzernbereich angepriesen65 , so mag je nach den Umständen des EinDie Haftung des Warenherstellers, 309. Das übersieht Rehbinder, Konzernaußenrecht, 332; wie hier etwa Larenz, Allgemeiner Teil, § 33 I; Canaris, Vertrauenshaftung, 503 ff. 83 BAG AP Nr. 2 zu § 13 GmbHG. 84 BAG AP Nr. 1 zu § 242 BGB Ruhegehalt Konzern. 85 Hierzu Rehbinder, Konzernaußenrecht, 333. 81
82
48
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
zelfalls der Arbeitnehmer darauf vertrauen, daß sich sein Arbeitsverhältnis auf den gesamten Konzernbereich erstreckt. Den anderen Konzernunternehmen ist dieser Vertrauenstatbestand aber nur dann zurechenbar, wenn sie das Verhalten der anstellenden Gesellschaft kannten oder kennen mußten und dennoch nichts unternommen haben, um den Vertrauenstatbestand zu beseitigen. Im übrigen gilt auch hier das Verbot eines Vertrages zu Lasten Dritter66 • Häufig ist in Arbeitsverträgen mit Konzerngesellschaften eine Klausel enthalten, nach der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, Arbeitsleistungen in Drittbetrieben zu erbringen67 • Bei einer derartigen Vertragsgestaltung erfährt aus der Sicht des Arbeitnehmers der Arbeitsvertrag eine "konzernbezogene Erweiterung". Da solche Klauseln meist einheitlich in sämtlichen Konzerngesellschaften verwendet werden, wird diese Vertragsgestaltung i. d. R. auch den übrigen Konzerngliedern bekannt sein. Zur Begründung eines Vertragsverhältnisses reicht eine derartige Vertragsbestimmung aber auch bei großzügigster Auslegung an dem nach Vertrauensgrundsätzen bestimmten Empfängerhorizont nicht aus. Es fehlt hier ein Hinweis auf eine Verpflichtung der übrigen Gesellschaften. Allein die Tatsache, daß der Arbeitnehmer seine arbeitsrechtliche Hauptpflicht auch einer dritten Person gegenüber zu erbringen hat, begründet trotz des Schutzcharakters des Arbeitsrechts nicht ohne weiteres auch Ansprüche gegen diese Personen. Etwas anderes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Versetzungsklausel tatsächlich Arbeitsleistungen für dritte Konzernunternehmen erbringt68 • bb) Eine dritte Konzerngesellschaft erweckt durch ihr eigenes Verhalten den Eindruck, sie wolle neben einer anderen Konzerngesellschaft ebenfalls ein Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer begründen Es ist denkbar, daß sich eine dritte (insbesondere eine übergeordnete) Konzerngesellschaft intensiv in die Vertragsverhandlungen eingeschaltet und den Eindruck erweckt hat, sie selbst sei ebenfalls Partnerin des abgeschlossenen Arbeitsvertrages. In der Praxis wird ein derartiger Sachverhalt hauptsächlich bei Verträgen mit Führungskräften der abhängigen Gesellschaften in Betracht kommen. Hier werden die Vertragsverhandlungen nicht selten unter aktiver Beteiligung der herrschenden Konzerngesellschaft geführt. Insbesondere in engen Unternehmensverbindung'en entscheidet oft die Konzernspitze über die Per66 Vgl. Fikentscher, Schuldrecht, 152; Münch-Komm. / GottwaZd, § 328 Rdnr. 97 ff.; RGRK / BaUhaus, § 328 Rdnr. 13; BGHZ 54,145,147; 58, 216, 219. 67 So etwa die Arbeitsverträge mit Unternehmen des Salzgitter-Konzerns; s. auch Martens, BAG-Festschrift, 369. 68 Hierzu s. unten 2. Kap., B. IV.
111. Einzelne Konzerngesellschaften als Arbeitgeber
49
son der einzustellenden Führungskraft. Wird der leitende Angestellte überdies direkt den Weisungen der Konzernobergesellschaft unterstellt, so kann ihm der Eindruck vermittelt werden, er stehe in einem Vertragsverhältnis zur herrschenden Konzerngesellschaft. Die Konzernobergesellschaft hat hier erkennbar ein starkes eigenes Interesse an dem Inhalt und der Ausführung des Arbeitsvertrages. Sie hat daher, wenn sie an den Vertragsverhandlungen teilnimmt, die Pflicht, den Einzustellenden genau über die rechtliche Trennung der Konzerngesellschaften sowie über die Person des Vertragspartners aufzuklären68 • Zweifelsfälle gehen daher zu ihren Lasten. Die Konzernobergesellschaft tritt in den Vertragsverhandlungen zwar nicht als Bevollmächtigte des einstellenden Konzernglieds auf. Die von der Rechtsprechung und Literatur für die Aufklärungspflicht des Vertreters entwickelten Grundsätze können aber entsprechend angewendet werden70 • Bereits durch die Teilnahme an den Vertragsverhandlungen und aufgrund ihres erkennbaren Eigeninteresses nimmt die Konzernobergesellschaft ein besonderes Maß an Vertrauen in Anspruch. Sie ist zu erhöhter Sorgfalt bei der Wahrung der Interessen des einzustellenden Arbeitnehmers verpflichtet71 • Trotz erfolgter Aufklärung über die rechtliche Trennung der Konzerngesellschaften kann ein Vertragsschluß in Betracht kommen, wenn sich ein diesbezüglicher Wille aus dem Verhalten der Beteiligten (nach Vertrauensgesichtspunkten) entnehmen läßt. In der Literatur wird aus den vorstehenden Gründen vereinzelt die Ansicht vertreten, für das leitende Personal der abhängigen Gesellschaften müsse generell die Konzernmuttergesellschaft als Arbeitgeberin angesehen werden72 • Diese undifferenzierte Ansicht überzeugt nicht. Sie wird den vielfältigen vertraglichen Gestaltungsrilöglichkeiten, die bei Anstellungsverträgen mit Führungskräften bestehen, nicht gerecht. Den korrekten Ansatzpunkt bildet die hier vertretene verstärkte Anwendung des Vertrauensprinzips. Sie läßt Raum für die erforderliche Einzelfallbeurteilung.
Vgl. RehbindeT, Konzernaußenrecht, 336 ff. Vgl. LaTenz, Allgemeiner Teil, § 30 111; BGH LM Nr.4 und 14 zu § 276 BGB. 71 Vgl. LaTenz, Allgemeiner Teil, § 30 111. 72 So v. GTaffenTied (Über die Notwendigkeit einer Konzerngesetzgebung, 52), der insoweit sicherlich unzutreffenderweise sogar von einer herrschendeQ Meinung spricht; s. auch Knapp, in: Le droit international prive des groupes de societes, 155 ff., 197. 89
70
4 Henssler
2.
50
Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
ce) Einheitliches Auftreten mehrerer Konzernglieder Einer Erörterung unter Vertrauensgesichtspunkten bedarf schließlich der Fall, daß der Konzern oder zumindest mehrere Konzernglieder dem Arbeitnehmer gegenüber als Einheit auftreten. Das kommt in Betracht, wenn Vertreter von verschiedenen Konzerngesellschaften an den Vertragsverhandlungen teilnehmen und dem Arbeitnehmer gegenüber die rechtliche Trennung der Gesellschaften nicht offenlegen73• Dem berechtigten Vertrauen des Arbeitnehmers auf die rechtliche Einheit der beteiligten Konzernglieder ist durch eine gesamtschuldnerische Verpflichtung dieser Gesellschaften Rechnung zu tragen. Sämtliche an den Vertragsverhandlungen beteiligten Unternehmen. sind Partner des Arbei tsvertrages. In der Regel wird aber der Arbeitnehmer im Verlauf des Arbeitsverhältnisses von der rechtlichen Trennung Kenntnis erhalten. Führt er danach das Arbeitsverhältnis mit nur einem Konzernglied fort, so ist sein Vertrauen auf den Bestand eines "Gesamtarbeitsvertrages" nicht mehr schutzwürdig. Die übrigen Vertragsverhältnisse müssen daher als einverständlich aufgelöst angesehen werden. d) Praktische Auswirkungen der Einbeziehung
einer dritten Gesellschaft als Arbeitgeberin
Wird über die Anwendung des Vertrauensprinzips eine dritte Gesellschaft als Arbeitgeberin in das Vertragsverhältnis miteinbezogen, so entsteht in der Regel ein einheitliches Arbeitsverhältnis mit den beteiligten Konzerngesellschaften74 • Der enge tatsächliche und rechtliche Zusammenhang zwischen den Beziehungen zu den verschiedenen Arbeitgebern spricht gegen die Annahme eines Doppelarbeitsverhältnisses. In der Praxis können hier insbesondere bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses Probleme entstehen, zu deren Beurteilung im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur einige Anregungen gegeben werden können. Nach den vom BAG aufgestellten Grundsätzen muß im einheitlichen Arbeitsverhältnis eine Kündigung gegenüber allen auf einer Seite beteiligten Personen erfolgen75 • Dem Arbeitnehmer werden diese rechtlichen Konsequenzen vielfach nicht bewußt sein. Es widerspräche aber der Intention des Vertrauensprinzips, wenn über seine Anwendung die Stellung des Arbeitnehmers verschlechtert würde. Es muß daher regelmäßig ausreichen, wenn er seine Kündigung gegenüber einem ArbeitsVgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht, 157. n Zu dieser Möglichkeit vgl. BAG DB 1982, 1569. 76 Vgl. BAG DB 1982, 1569, 1572.
71
IH. Einzelne Konzerngesellschaften als Arbeitgeber
51
vertragspartner erklärt. Der nach Vertrauensgesichtspunkten bestimmte Arbeitgeber kann sich redlicherweise ni~t darauf berufen, daß eine Kündigung auch ihm gegenüber ausgesprochen werden muß. Da es hier ausschließlich um den Schutz des Vertrauens des Arbeitnehmers geht, ließe sich ein gegenteiliges Ergebnis mit dem Grundgedanken des Vertrauensprinzips nicht vereinbaren. Dagegen muß eine Kündigung der Arbeitgeberseite grundsätzlich von sämtlichen beteiligten Gesellschaften ausgesprochen werden. Kündigt lediglich ein Arbeitgeber, so besteht nicht nur das Arbeitsverhältnis mit den übrigen Konzerngliedern fort. Vielmehr ist die Kündigung insgesamt als unwirksam zu betrachten. e) Zusammenfassung
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß sich aus der Anwendung des Vertrauensprinzips vertragliche Beziehungen zu Konzerngesellschaften ergeben können, mit denen der Arbeitnehmer keinen ausdrücklichen Arbeitsvertrag vereinbart hat. Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Vertrauensgrundsatzes im Konzern, nämlich a) ein objektiver Vertrauenstatbestand, der für die Verpflichtung einer dritten Konzerngesellschaft spricht b) die Zurechenbarkeit des Vertrauenstatbestands c) die Möglichkeit der zu verpflichtenden Konzerngesellschaft, den Vertrauenstatbestand zu zerstören d) das berechtigte Vertrauen des begünstigten Arbeitnehmers auf die Verpflichtung der dritten Konzerngesellschaft sind jeweils im Einzelfall zu prüfen. In aller Regel wird aber der Vertragspartner des Arbeitnehmers im schriftlichen Arbeitsvertrag klar festgehalten. Der Inhalt des Arbeitsvertrages beeinflußt jedoch auch die Anwendbarkeit des Vertrauensgrundsatzes. Die Einbeziehung einer dritten Konzerngesellschaft wird daher nur in Ausnahmefällen - insbesondere bei nicht eindeutiger Vertragsgestaltung - in Betracht kommen.
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
52
IV. Die Bestimmung des Arbeitgebers, wenn der Arbeitnehmer für verschiedene Konzerngesellschaften tätig wird Beispiel:
Der Arbeitnehmer A wurde 1970 von der Konzerntochtergesellschaft TGmbH eingestellt, deren Stammkapital sich ausschließlich in Händen der M-GmbH befindet. Sein Arbeitsvertrag enthält eine Versetzungsklausel, nach der T berechtigt ist, A in andere Konzernunternehmen zu versetzen. 1980 wird A aufgrund dieser Versetzungsbestimmung zur Konzernmutter, der M-GmbH, abgeordnet76 , weil er dort als Spezialist benötigt wird. Nach einer mehr als sechsmonatigen Beschäftigung bei der M-GmbH fragt A an, ob er inzwischen in einem Arbeitsverhältnis mit der M-GmbH stehe oder ob er zumindest den Abschluß eines Arbeitsvertrages verlangen könne.
Typische Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Arbeitgebers ergeben sich, wenn der Arbeitnehmer für verschiedene Konzerngesellschaften tätig wird, jedoch nur mit einer Gesellschaft einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Solche Fallgestaltungen sind häufig in Konzernunternehmen anzutreffen, die den gleichen oder sich ergänzenden Produktionssparten (bzw. Wirtschaftszweigen) angehören. Oftmals handelt es sich hierbei um Spezialisten, die dem Konzern nicht in unbegrenzter Zahl zur Verfügung stehen. 1. Die Annahme eines echten Leiharbeitsverhältnisses
Der Arbeitnehmer kann in eine andere Konzerngesellschaft versetzt werden, wenn er sich bereits im Arbeitsvertrag einem Versetzungsrecht seines Arbeitgebers unterworfen77 oder der Versetzung im Einzelfall zugestimmt hat78 • Bei der Versetzung eines Arbeitnehmers in eine andere Konzerngesellschaft wird vielfach ein sogenanntes echtes Leiharbeitsverhältnis vorliegen79 • Mit diesem Begriff werden in der Literatur diejenigen Rechtsverhältnisse umschrieben, in denen der Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag mit dem Verleiher abgeschlossen hat und in der Regel 76 Eine einheitliche Terminologie der Begriffe "Abordnung, Versetzung, Umsetzung und überweisung" gibt es im Individualarbeitsrecht nicht (vgl. Hueck I Nipperdey I, § 33, 201, 205; zum weiten Versetzungsbegriff auch Neumann, AR-Blattei (D), Versetzung des Arbeitnehmers I, I Übersicht A). Anders als im Beamtenrecht (vgl. die Legaldefinitionen in den §§ 26 und 27 Bundesbeamtengesetz) und im Betriebsverfassungsrecht (vgl. die Legaldefinition in § 95 Abs. 3 BetrVG; hierzu Bobrowski I Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb I, D I, 188) werden die Begriffe im Individualarbeitsrecht weitgehend synonym verwendet. Im folgenden werden die Begriffe ebenfalls als gleichberechtigte Umschreibung der Zuweisung eines neuen Tätigkeitsbereiches verstanden. 77 Hierzu Martens, BAG-Festschrift, 369. 78 Zum Versetzungsrecht des Arbeitgebers s. unten 3. Kap., B. H. 78 Hierzu Bobrowski I Gaul, Arbeitsrecht I, C V; grundlegend Hueck / Nipperdey 1,521 ff.; Nikisch I, 241 ff.; Monjau, AuR 1968, 257.
IV. Tätigkeit für verschiedene Konzerngesellschaften
53
auch für diesen arbeitet. Nur vorübergehend wird er in den Betrieb eines anderen Arbeitgebers entsandt80 • Den Gegensatz bilden die "unechten Leiharbeitsverhältnisse" , bei denen ein Unternehmer gewerbsmäßig seine Arbeitnehmer Dritten zur Verfügung stellt. Auf diese Leiharbeitsverhältnisse ist das AÜG anwendbar. Die Abordnungen auf der Konzernebene unterliegen grundsätzlich nicht dem AÜG81 • Gegenstimmen in der Literatur weisen darauf hin, daß eine dem AÜG entsprechende Sicherung des Arbeitnehmers innerhalb des Konzerns nicht bestehe82 • Dieser Ansicht ist zuzugestehen, daß der Arbeitnehmer auch bei Versetzungen innerhalb des Konzerns vielfältigen Gefahren ausgesetzt ist und daß die Einbeziehung der sogenannten Konzernleihe in das AÜG deshalb vielfach als wünschenswert erscheinen kann. Die Anwendung des AÜG auf Abordnungen im Konzern widerspricht aber dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers. Nach der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf des AÜG8a. soll das Überlassen von Arbeitnehmern zwischen Betrieben, die wirtschaftlich unter einheitlicher Leitung stehen, nicht erlaubnispflichtig sein und daher auch nicht dem AÜG unterliegen. Eine Lösung der Arbeitnehmerüberlassung im Konzern muß somit über die Anwendung allgemeiner arbeitsrechtlicher Grundsätze gefunden werden. 2. Die Remtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmer und Entleiher im echten Leiharbeitsverhältnis
Die Rechtsstruktur des echten Leiharbeitsverhältnisses ist noch weitgehend ungeklärt84 • Während überwiegend Einigkeit darüber besteht, daß das Arbeitsverhältnis zum Verleiher auch während der Überlassung an den Entleiher fortbesteht85 , gehen bei der Beurteilung der Rechtsbeziehungen zwischen Entleiher und Arbeitnehmer die Ansichten in Literatur und Rechtsprechung weit auseinander. Die Rechtsprechung hat bislang keine klare Linie gefunden88 • Sie begründet ihre Ergebnisse teilweise in Anlehnung an die Eingliederungstheorie von Nikisch87 , weist andererseits aber auf eine Aufspaltung Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 120 I 1; Heinze, ZfA 1976, 183. So auch Becker I Wulfgram, AüG, Art. 1 § 1 Rdnr. 34; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 120 I 4, 629. 82 Franßen I Haesen, Kommentar zum AüG, Art. 1 § 1 Rdnr. 54 ff.; Sandmann I Marschall, Kommentar zum AüG, Art. 1 § 1 Rdnr. 4. 83 BT-Drucksache VI/2303 S. 10. 84 Mayer-Maly, ZfA 1972, 1, 21 ff. 85 Heinze, ZfA 1976, 195; Nikisch I, 244 f.; Hueck I Nipperdey I, 523. 86 s. die Übersicht bei Heinze, ZfA 1976, 186 ff. 87 BGHZ 21, 207 ff. 80
81
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
54
der ArbeitgebersteIlung zwischen Verleiher und Entleiher hin88 • Das BVerfG hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 4.4.196788 ein Arbeitsverhältnis i. S. des früheren § 37 Abs. 1 A V A VG angenommen, wenn der Leiharbeitnehmer wie ein eigener Arbeitnehmer in den Betrieb des Entleihers eingegliedert wurde. Die oberste Rechtsprechung der einzelnen Gerichtsbarkeiten sah sich bislang jedoch nicht veranlaßt, den Gedanken eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer aufzugreifen. Die Literatur nimmt dagegen vielfach ein eigenes Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Arbeitnehmer an". Aus diesem Arbeitsverhältnis werden aber nur einzelne Pflichten der beteiligten Personen abgeleitetD1 • Die volle ArbeitgebersteIlung des Entleihers wird mangels vertraglicher Beziehung-en zum Arbeitnehmer abgelehnt'2. Die Literatur bejaht somit zwar die Möglichkeit von Arbeitsverhältnissen ohne auch nur konkludenten - Vertragsschluß. Sie knüpft aber an diese Arbeitsverhältnisse nicht die gleichen Rechtsfolgen, die ein Arbeitsvertragsverhältnis nach sich zieht. überwiegend wird von den Befürwortern eines Arbeitsverhältnisses dieses als Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen zwischen Verleiher und Entleiher verstanden". Andere Lösungsmöglichkeiten bieten die Figur eines funktionellen ArbeitgebersD', die Annahme eines Doppelarbeitsvertrages'& oder die Konstruktion eines Vertragsbeitritts8s • Als überholt kann die früher vertretene AnsichtD7 bezeichnet werden, nach der überhaupt keine arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen Entleiher und Arbeitnehmer entstehen. 3. Konzernspezifische Lösungen der Leiharbeit
Der allgemeine Streit über die rechtliche Struktur der Beziehungen zwischen Entleiher und Arbeitnehmer ist an dieser Stelle nicht zu ent88 88 00
BAG AP Nr. 3 zu § 611 BGB Leiharbeitsverhältnis. BB 1967, 463. Mayer-Maly, ZfA 1972, 1, 23; Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht,
143; Hueck / Nipperdey I, 523. 81 Mayer-Maly, ZfA 1972, 1, 23. 82 Heinze, ZfA 1976, 189; Mayer-Maly, ZfA 1972, 1, 23; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 634. 83 Ramm, ZfA 1973, 295; Mittmann, Rechtliche Probleme der Leiharbeit, 65; Nikisch I, 242; Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 5 Rdnr. 7. " Vgl. Ramm, ZfA 1973, 265. 85 So insbesondere Hessel, BB 1970, 308. 8S Heinze, ZfA 1976, 201. 87 Mundhenk, Der Dienstverschaffungsvertrag, 18; weitere Nachweise bei Mittmann, 61.
IV. Tätigkeit für verschiedene Konzerngesellschaften
55
scheiden. Für die vorliegende Arbeit geht es ausschließlich darum, eine der Konzernproblematik adäquate Lösung der Leiharbeit zu finden. Zu klären ist, unter welchen Voraussetzungen das entleihende Konzernunternehmen als Arbeitgeber angesehen werden kann. Die ArbeitgebersteIlung der verleihenden Konzerngesellschaft wird durch die Versetzung nicht berührt. Der versetzte Arbeitnehmer will seinen Arbeitsplatz bei "seinem" Arbeitgeber weiterhin erhalten und gesichert wissen's. Die Beendigung des Vertragsverhältnisses würde einen dahingehenden, klar geäußerten Willen einer Vertragspartei erfordern89 • Hinsichtlich der Beziehungen zwischen dem Arbeitnehmer und der entleihenden Konzerngesellschaft ist danach zu unterscheiden, ob der Arbeitnehmer nur für einen ganz kurzen Zeitraum oder für längere bzw. unbestimmte Zeit in den Entleiherbetrieb entsandt wird1oo•
a) Kurzfristige Abordnungen in dritte KonzerngeseZlschaften Wird der Arbeitnehmer nur für einen ganz kurzen Zeitraum in eine andere Konzerngesellschaft entsandt, so bleibt das bisherige Arbeitsverhältnis der wesentliche Bezugspunkt des Arbeitnehmers. Der Wille der Parteien geht in diesen Fällen regelmäßig nicht dahin, ein neues eigenständiges Arbeitsverhältnis zum Entleiher zu begründen. Auch der Arbeitnehmer selbst wird diese Möglichkeit i. d. R. nicht in Betracht ziehen. Es besteht keine Notwendigkeit aus spezifisch arbeitsrechtlichen Gründen, etwa aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes, ein selbständiges Arbeitsverhältnis zum Entleiher zu konstruieren. Bei derartigen kurzzeitigen Versetzungen ist der Arbeitnehmer durch den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit dem Verleiher ausreichend geschützt. Ist im Einzelfall ein gesondertes Arbeitsverhältnis zum Entleiher gewünscht, so muß dies ausdrücklich vereinbart werden. b) Längerfristige Abordnungen und Versetzungen in dritte KonzerngeselZschaften
Anders ist die Situation, wenn von vornherein feststeht, daß der Arbeitnehmer für längere oder unbestimmte Zeit in eine andere Konzerngesellschaft entsandt wird. Auch in diesen Fällen kann es vorkommen, daß keine vertragliche Abreden, die über das Bestehen oder Nicht8S
Heinze, ZfA 1976,195.
Zum Rechtsklarheitsgebot bei Gestaltungserklärungen vgl. Rüthers, Der allgemeine Teil des BGB, Rdnr. 71; Hueck / Nipperdey I, 548. 100 Ohne diese Differenzierung: LAG Baden-Württemberg, DB 1967,48. Zum Problem der Konzernleihe vgl. auch Konzen, ZfA 1982, 259, 267 f., 304 f. 9t
56
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
bestehen eines Vertragsverhältnisses zum Entleiher entscheiden, getroffen werden. Der verfestigten Einbindung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Entleihers muß hier durch die Annahme eines umfassenden Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher Rechnung getragen werden101 • Eine verfestigte Einbindung in den Entleiherbetrieb ist in der Regel bei einer zumindest dreimonatigen Beschäftigung anzunehmen. Letztlich entscheiden die Umstände des Einzelfalls. Die hier vertretene Lösung bedeutet keinen Rückgriff auf die überholte Eingliederungstheorie, die sich inzwischen weitgehend der Vertragstheorie angenähert hat102 • Ein vollständiges Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Entleiher läßt sich auch bei Anwendung der Vertragstheorie begründen. Den richtigen, auf die Besonderheiten der Konzernproblematik abgestimmten Ansatzpunkt bietet der Vertragsbeitritt. Die Möglichkeit des Beitritts eines Dritten zu einem bereits bestehenden Vertrag ist anerkannt103• aal Die Begründung eines Vertragsverhältnisses durch schlüssiges Verhalten Der Vertragsbeitritt vollzieht sich im Konzernbereich schlüssig durch die längerfristige Einordnung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Entleihers und durch die Entgegennahme der Arbeitsleistung. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen bedeutet die Entgegennahme einer Leistung oder die "In-Gebrauch-Nahme" eines übersandten Gegenstandes ein schlüssiges auf einen Vertragsschluß gerichtetes Verhalten104 • Bietet daher der Arbeitnehmer seine Leistung an und akzeptiert der Arbeitgeber diese widerspruchslos, so entsteht nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen ein Vertragsverhältnis, wenn sich nicht aus den besonderen Umständen etwas anderes ergibt. Maßgebend ist insoweit nicht der innere Wille des Entleihers. Entscheidend ist vielmehr, welcher Erklärungsinhalt bei einer am objektiven Empfängerhorizont105 orientierten Auslegung der längerfristigen Übernahme des Arbeitneh101 So auch, allerdings erst ab einem Zeitraum von 6 Monaten, Mittmann, 22; a. A. LAG Baden-Württemberg, DB 1967, 48; RAG ARS 36, 385; kritisch zur Entscheidung des RAG: Ramm, ZfA 1973, 263. 102 Auch Nipperdey (Hueck / Nipperdey I, Vorwort VIII) mißt dem Streit nur noch historische Bedeutung zu; zur Kritik an der Eingliederungstheorie vgl. Hueck I Nipperdey I, § 21 II m. w. N.; Metzmaier, Die Eingliederungstheorie und die Lehre vom Arbeitsverhältnis. 103 Esser / Schmidt, Schuldrecht I, § 37 IV, 268; Pieper, Vertragsübernahme und Vertragsbeitritt, 217 ff. 104 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, § 53 b; Larenz, Allgem:einer Teil, § 19 IV b. 105 Vgl. BGHZ 36, 30, 33; Rüthers, Der allgemeine Teil des BGB, Rdnr.232; Heck, AcP 112, 143; Münch-Komm. / Mayer-Maly, § 133 Rdnr. 10 f.; Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, 76 f.
IV. Tätigkeit für verschiedene Konzerngesellschaften
57
mers beizumessen ist. Die Folgerungen, die aus einer schlüssigen Verhaltensweise gezogen werden, beruhen auf der Annahme einer folgerichtigen und redlichen Denk- und Handlungsweise desjenigen, dessen Rechtsfolge aus seinem Verhalten erschlossen wird106• Entscheidend für das Konzernarbeitsverhältnis ist, ob sich hier aus den besonderen Umständen, nämlich daraus, daß der Arbeitnehmer ausdrücklich von einer anderen Gesellschaft nur "entliehen" bzw. übernommen wird, ein gegen einen Vertragsschluß gerichteter Wille entnehmen läßt. Bei der Feststellung der objektiven Erklärungsbedeutung ist wiederum dem Vertrauensprinzip l07 Rechnung zu tragen. Darf der Arbeitnehmer dem Verhalten des Entleihers einen rechtsgeschäftlichen Bindungswillen entnehmen, so kommt durch die Arbeitsleistung und ihre Annahme stillschweigend ein Arbeitsvertrag zustande. Der Entleiher bringt durch die längerfristige übernahme des "fremden" Arbeitnehmers und durch die Ausübung des Direktionsrechts objektiv gesehen zum Ausdruck, daß er diesen fremden Arbeitnehmer wie einen eigenen behandeln will. Ebenso schließt aus der Sicht eines objektiven Betrachters der Leiharbeitnehmer, der sich dem Betrieb des Entleihers zuweisen läßt, stillschweigend einen Arbeitsvertrag108 • Anders als bei den typischen Leiharbeitsverträgen, in denen Verleiher und Entleiher zwei voneinander völlig unabhängige Rechtssubjekte sind, besteht innerhalb von Konzerngesellschaften keine allgemeine Vermutung, daß der Entleiher an das überlassende Unternehmen bereits eine ausreichende Vergütung für die Leiharbeit geleistet hat. Nur in diesem Fall könnte der Entleiher u. U. davon ausgehen, daß er nicht zusätzlich noch mit vermögensrechtlichen Pflichten gegenüber dem überlassenen Arbeitnehmer konfrontiert wird. Im Konzernbereich erfolgt die überlassung von Arbeitnehmern üblicherweise gegen die interne Verpflichtung zur übernahme der Lohnzahlung an den Arbeitnehmer, wenn nicht überhaupt wegen der wirtschaftlichen Einheit der Konzernglieder ein interner Ausgleich unterbleibt. Die entleihende Konzerngesellschaft darf bei dieser Sachlage nicht davon ausgehen, daß für den Leiharbeitnehmer die Ablehnung eines Vertragsschlusses trotz langfristiger Annahme der Arbeitsleistung erkennbar ist. Sie muß vielmehr ihren gegen einen Vertragsschluß gerichteten Willen deutlich zum Ausdruck bringen. LaTenz, Allgemeiner Teil, § 19 IV b. Hierzu s. oben 2. Kap., B. II!. 2. 108 So auch Hessel, BB 1970, 307, 308, der allerdings im Ergebnis ein Doppelarbeitsverhältnis bejaht. 106
107
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
58
Entscheidend ist weiterhin, daß dem Entleiher der gesamte Erfolg der Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers zugute kommt. Aus dem Gebot der sozialen Gerechtigkeit, dem insoweit wesentliche Bedeutung zukommt109 , folgt, daß derj-enige, der den unmittelbaren Nutzen aus der Arbeitsleistung zieht, auch die allgemeinen Arbeitgeberpflichten übernehmen 8011110 • Die Rechtsfolgen, die an die Inanspruchnahme der menschlichen Arbeitsleistung geknüpft werden müssen, gehen über die rechtlichen Konsequenren hinaus, die aus der Annahme einer Ware gezogen werden können. Die Entgegennahme weisungsgebundener Arbeit begründet in der Regel eine besondere Pflichtenstellung des Annehmenden. Das folgt aus dem arbeitsrechtlichen Schutzprinzip. Sofern keine ausdrücklichen entgegenstehenden Vereinbarungen111 vorliegen, ist daher grundsätzlich davon auszugehen, daß der vollen Abhängigkeit des Arbeitnehmers, also seiner vollen Pflichtenstellung, auch die umfassende Rechtsstellung des Arbeitnehmers gegenüber dem weisungsberechtigten Arbeitgeber entspricht. Im Betriebsverfassungsrecht besteht kein Zweifel daran, daß der (echte) Leiharbeitnehmer Belegschaftsmitglied des Entleiherbetriebes i'st und daher die Rechte aus dem BetrVG, wie etwa das Wahlrecht aus § 7 BetrVG, hat112 • Betrachtet man die soziale Realität, so ist der Leiharbeitnehmer, der in den Betrieb des Entleihers eingegliedert und dessen Weisungen unterworfen ist, Arbeitnehmer des Entleihers. Das Arbeitsrecht sollte sich von dieser sozialen Wirklichkeit nicht weiter als notwendig entfernen. Die Ansicht von Martens118, Versetzungen innerhalb eines Konzerns seien typische Organisationsmaßnahmen und könnten daher nicht schon per se irgendwelche Vertrauenserwartungen auslösen, überzeugt nicht. Zunächst bilden rein tatsächlich die Versetzungen innerhalb eines Konzerns durchweg die Ausnahme. Die Zulässigkeit von konzernweiten Versetzungsklauseln wird in der Literatur teilweise nur sehr eingeschränkt bejahtl14 • Außerdem geht es im Rahmen der vorliegenden Problematik nicht um die üblichkeit der Versetzungsanordnungen. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitnehmer berechtigterweise davon ausgehen kann, daß der umfassenden Rechtsstellung des ihm gegenüber als weisungsberechtigt Auftretenden auch dessen umfassende lot 110 111
zen.
So Hueck / Nipperdey I, 523. Vgl. zu diesem Gedanken: BAGE 4, 93, 98; Ramm, ZfA 1973, 263, 274. Die Zulässigkeit derartiger Vereinbarungen bewegt sich in engen Gren-
112 Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 7 Rdnr.7; Heinze, ZfA 1976, 183, 192 f.; Mittmann, Rechtliche Probleme der Leiharbeit, 148. 113 Martens, BAG-Festschrift, 371. 114 Bobrowski / Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, Band 1, D 11 Rdnr. 11.
IV. Tätigkeit für verschiedene Konzerngesellschaften
59
Pflichtenstellung als Arbeitgeber entspricht. Das ist mit der oben dargelegten Begründung zu bejahen. Ein wichtiges Argument für die Arbeitgeberstellung des entleihenden Konzernunternehmens bilden die andernfalls aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung bestehenden Umgehungs- und Mißbrauchsmöglichkeiten. Die Konzernobergesellschaft hat die Möglichkeit, ihre abhängigen Gesellschaften anzuweisen, Arbeitnehmer für ein bestimmtes Projekt zur Verfügung zu stellen. Das herrschende Konzernunternehmen hätte es daher in der Hand, Arbeitsleistungen in Anspruch zu nehmen, ohne sich selbst in irgendeiner Weise gegenüber dem Arbeitnehmer zu verpflichten. Angesichts der naheliegenden Möglichkeit, abhängige Gesellschaften mit einer schmalen Kapitaldecke auszustatten, bestünde die Gefahr, daß der Arbeitnehmer einem nicht zahlungsfähigen Arbeitgeber gegenüberstünde, obwohl er an sich für einen zahlungskräftigen arbeitet. Der verleihenden Gesellschaft kommt in diesem Fall nur untergeordnete Bedeutung zu. über die Art des Arbeitseinsatzes entscheidet allein die entleihende Konzerngesellschaft. Ihr muß daher zugleich die volle PflichtensteIlung eines Arbeitgebers zukommen. Auch unter kündigungsschutzrechtlichen Gesichtspunkten ist jedes andere Ergebnis interessenwidrig. Hat der Arbeitnehmer längere Zeit in einer dritten Gesellschaft gearbeitet, so ist es sachfremd, die Berechtigung einer betriebsbedingten Kündigung nur nach den Verhältnissen im Verleiherbetrieb zu beurteilen. Die entleihende Gesellschaft verwendet hier seit längerer Zeit die Arbeitskraft des Leiharbeitnehmers zur Verfolgung ihrer eigenen wirtschaftlichen Zielsetzungen. Sie hat ihm daher nach kündigungsschutzrechtlichen Grundsätzen auch einen "gesicherten" Arbeitsplatz zu bieten. Allein der Haftungsdurchgriff im Krisenfall (Konkurs der verleihenden Tochtergesellschaft) genügt daher zur Bewältigung der Problematik der Leiharbeit im Konzern nicht. Ein ausreichender Arbeitnehmerschutz läßt sich bei längerfristigen Abordnungen nur über die ArbeitgebersteIlung der entleihenden Konzerngesellschaft erreichen. Entsprechend den Grundsätzen eines einheitlichen Arbeitsverhältnisses ist eine betriebsbedingte Kündigung nur dann als gerechtfertigt anzusehen, wenn weder Ent- noch Verleiher den Arbeitnehmer voll beschäftigen können115 • Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß zumindest in der Regel keine schutzwürdigen Interessen des entleihenden Konzernunternehmens erkennbar sind, die gegen eine arbeitsvertragliche Verpflichtung sprechen. Der Leiharbeitnehmer kann deshalb berechtigterweise darauf 115
Vgl. BAG DB 1982, 1569, 1572.
60
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
vertrauen, daß die ihn beschäftigende Konzerngesellschaft mit der Annahme der Arbeitsleistung und der Ausübung des Direktionsrechts ihren Willen zur übernahme von arbeitsvertraglichen Verpflichtungen bekundet. bb) Die Annahme eines Vertragsbeitritts Bejaht man mit der hier vertretenen Ansicht ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher, so bieten sich als Lösungsmöglichkeiten das Doppelarbeitsverhältnis und der Vertragsbeitritt an. Während bei der Annahme eines DoppelarbeitsverhältnisseslU zwei selbständige Arbeitsverhältnisse zur Entstehung gelangen, begründet der Vertragsbeitritt ein einheitliches Arbeitsverhältnis mit zwei Arbeitgebern117• Im Konzernbereich wird die Problematik der längerfristigen Leiharbeit über den Vertragsbeitritt interessengerecht gelöst. Für das Arbeitsverhältnis zum Entleiher sollen nach dem Willen der Beteiligten die gleichen Bedingungen gelten, die auch das Rechtsverhältnis zum Verleiher bestimmen118• Angesichts der engen wirtschaftlichen Verbindung zwischen Ver- und Entleiher ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte im Grundsatz zu vermuten, daß die übernehmende Gesellschaft den Arbeitnehmer zu denselben Bedingungen beschäftigen will, die auch die verleihende Gesellschaft gewährt. Auf diese Weise wird zugleich ein Schritt hin zur generell wünschenswerten Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen im Konzernbereich getan. Nur wenn und soweit die Arbeitsbedingungen der entleihenden Gesellschaft für den Arbeitnehmer günstiger sind, gestalten sie den Inhalt des Vertragsverhältnisses. Diese Einschränkung gebietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz119, an den der Entleiher als Arbeitgeber gebunden ist. Bereits im allgemeinen Leiharbeitsverhältnis gilt, daß der Entleiher an dem Vertragsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Verleiher beteiligt sein will, d. h. im Rahmen dieses bestehenden Arbeitsverhältnisses die Arbeitskraft des Arbeitnehmers nutzen möchte120 • Die entleihende Konzerngesellschaft tritt somit durch die übernahme des Arbeitnehmers stillschweigend dem bestehenden Arbeitsvertrag bei. Dem Leiharbeitnehmer stehen nunmehr zwei Arbeitgeber gegenüber. Die beiden Arbeitgeber teilen für die Dauer des Leiharbeitsverhältnisses Vgl. Hessel, BB 1970,308; Sturn, BB 1969, 1436. Zu dieser Möglichkeit vgl. BAG DB 1982, 1569 sowie oben 2. Kap., B. Ir. 2. 118 Vgl. Heinze, ZfA 1976, 203 ff. 110 Hierzu im einzelnen unten 3. Kap. A. H. 120 Theuersbacher, Das Leiharbeitsverhältnis, 7; Trieschmann, DB 1956, Beilage 16 IH 1 a; Müller, ZAS 1968, 78; vgl. auch Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, 185 f. 118
117
IV. Tätigkeit für verschiedene Konzerngesellschaften
61
die Ausübung des Direktionsrechts untereinander aufl21 • Der entleihenden Konzerngesellschaft steht das Direktionsrecht bezüglich der unmittelbaren Arbeitsausführung zu122 • Dem Verleiher bleibt insbesondere die Direktionsgewalt für die Festsetzung der Dauer der Abordnung l23 • Der Vertragsbeitritt führt nicht zwingend zum vollständigen und gleichberechtigten Direktionsrecht beider Arbeitgeber124 • Vielmehr kann der Vertragsbeitritt sinnvollerweise nur so verstanden werden, daß Ent- und Verleiher ihre Befugnisse intern in dem oben genannten Sinn aufteilen. Die volle Direktionsgewalt beider Arbeitgeber mit der Folge, daß sich der Leiharbeitnehmer aussuchen könnte, wessen Weisungen er befolgt1!5, entspricht nicht dem Willen der Beteiligten und würde zu völlig praxisfernen Ergebnissen führen. Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, nach dem notwendigerweise allen Personen, die an einem Vertragsverhältnis auf einer Seite beteiligt sind, die gleichen Rechte zustehen müssen128 • Das Prinzip der Vertragsfreiheit gilt auch insoweit unbeschränkt. Die beiden beteiligten Konzerngesellschaften haften dem Leiharbeitnehmer für dessen Rechte aus dem Arbeitsverhältnis als Gesamtschuldner1!7. Der Arbeitnehmer kann daher, sofern die abordnende Gesellschaft ihrer Lohnzahlungspflicht nicht nachkommt, das entleihende Konzernunternehmen in Anspruch nehmen. Diese Verdoppelung der Sicherung des Arbeitnehmers ist für alle Beteiligten sachgerecht. Der Arbeitnehmer folgt mit der Versetzung dem Wunsch des Verleihers, kann daher berechtigterweise darauf vertrauen, daß dieser ihm als Lohnschuldner erhalten bleibt. Der Entleiher erhält andererseits den Nutzen aus der Arbeitsleistung. Auch seine Verpflichtung entspricht daher der Interessenlage. ce) Die Auflösung des einheitlichen Arbeitsverhältnisses mit Ent- und Verleiher Eine dogmatische Verarbeitung der Konstruktion des einheitlichen Arbeitsverhältnisses mit mehreren Arbeitgebern ist bislang noch nicht 121
MolitOT, DB 1960, 29; Mittmann, Rechtliche Probleme der Leiharbeit, 81
m.w.N.
MülleT, ZAS 1968, 78; Mittmann, 81. Mittmann, 83. 124 So aber nicht überzeugend Heinze, ZfA 1976, 207. 125 So Heinze, ZfA 1976, 207. 128 Vgl. LaTenz, Lehrbuch des Schuldrechts I, § 36 I a. 127 Heinze, ZfA 1976, 209 ff.; MaUTeT, AR-Blattei Leiharbeitsverhältnisse I G 11; Nikisch (I, 245) bejaht dies unverständlicherweise nur für das unechte Leiharbeitsverhältnis; a. A. die h. M., etwa Hueck I NippeTdey I, § 54 IV 4 e; 122 123
LAG Düsseldorf BB 1958,665; BB 1959, 338 jeweils m. w. N.
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
62
erfolgt. Das BAG hat in seiner zu dieser Problematik ergangenen Grundsatzentscheidung zwar einige Hinweise gegeben128 • Diese können aber nur als Anhaltspunkte für den Regelfall verstanden werden. Bei Annahme des hier vorgeschlagenen einheitlichen Arbeitsverhältnisses mit Verleiher und Entleiher ergeben sich praxisrelevante Probleme insbesondere im Falle der Kündigung uu . Muß etwa der Arbeitnehmer seine Kündigung stets gegenüber beiden Arbeitgebern aussprechen? Die Schwierigkeit liegt hier darin, daß sich der Arbeitnehmer in manchen Fällen über sein Arbeitsverhältnis zum Verleiher gar nicht im klaren sein wird. Grundsätzlich wird man die Kündigungserklärung gegenüber dem Verleiher als ausreichend erachten müssen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Entleiher dem Leiharbeitnehmer gegenüber die Erweiterung der vertraglichen Beziehungen klargestellt hat. Es erschiene regelmäßig treuwidrig, wenn sich der Entleiher, der mit dem Verleiher nicht nur wirtschaftlich eng verbunden ist, sondern mit ihm - wie die Abordnung des Arbeitnehmers zeigt - auch tatsächlich eng zusammenarbeitet, auf den fehlenden Zugang der Kündigungserklärung berufen könnte. Der Entleiher muß sich die Kenntnis des Verleihers von der Kündigung und den diesem gegenüber erfolgten Zugang der Erklärung zurechnen lassen. Eigene Schutzinteressen des Entleihers werden, auch wenn ihm der Verleiher die Kündigung nicht mitgeteilt hat, nicht verletzt. übernimmt er den Arbeitnehmer im Wege des Leiharbeitsverhältnisses in seinen Betrieb, so ist es seine Aufgabe, die Vertragsbeziehungen für den Arbeitnehmer klar und verständlich darzulegen. Versäumt er dies, so kann er aus der diesbezüglichen Unkenntnis des Arbeitnehmers keine Rechtsfolgen für sich ableiten. Andererseits muß der Arbeitnehmer auch eine Kündigungsschutzklage gegenüber beiden Arbeitgebern erheben. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß eine wirksame Kündigung im einheitlichen Arbeitsverhältnis auch von beiden Arbeitgebern ausgesprochen werden muß130 • Der Arbeitnehmer wird dadurch auf die Notwendigkeit, sowohl den Verleiher wie auch den Entleiher in den Kündigungsstreit einzubeziehen, ausreichend hingewiesen. Kündigt lediglich ein Arbeitgeber und erhebt der Arbeitnehmer seine Kündigungsschutzklage folglich auch nur gegenüber diesem, so entstehen dem Arbeitnehmer dadurch keine Nachteile. Seine Klage wird Erfolg haben, da die von dem einzelnen Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung in jedem Fall unwirksam ist.
BAG DB 1982, 1569. uu Vgl. hierzu auch oben 2. Kap., B. III. 2. d). 180 Vgl. BAG DB 1982, 1569, 1572. 128
IV. Tätigkeit für verschiedene Konzerngesellschaften
63
dd) Ergebnis Wird ein Arbeitnehmer für einen nicht nur ganz kurzen Zeitraum in eine fremde Konzerngesellschaft versetzt, so tritt diese Gesellschaft stillschweigend dem bereits bestehenden Arbeitsvertrag bei. Die entleihende Konzerngesellschaft wird ebenfalls Arbeitgeberin des überlassenen Arbeitnehmers. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Abschluß eines Arbeitsvertrages mit dem Entleiher ausdrücklich ausgeschlossen wird. c) Kontrahierungszwang für die entleihende KonzerngeseUschaft
Lehnt die entleihende Konzerngesellschaft bei übernahme des Arbeitnehmers einen Vertragsschluß ab, so entsteht kein Arbeitsverhältnis. Allein die faktische Eingliederung in den Betrieb des Entleihers reicht nach der herrschenden Vertragstheorie zur Annahme eines Arbeitsvertragsverhältnisses nicht aus131 • Das Verhalten der entleihenden Konzerngesellschaft ist auch nicht als unbeachtliche "protestatio facto contraria"132 zu werten, da die Abordnung im Rahmen des bereits bestehenden Vertragsverhältnisses mit dem Verleiher erfolgt. Es liegt eine Aufspaltung der Arbeitgeberstellung zwischen Entleiher und Verleiher vor133• Die entleihende Konzerngesellschaft trifft nur einzelne Arbeitgeberpflichten, wie etwa die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht, nicht jedoch die Verpflichtung zur Lohnzahlung. In diesen Fällen ist zu überlegen, ob dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Abschluß eines Arbeitsvertrages einzuräumen ist, wenn die Abordnung für längere Zeit geplant ist oder wenn der Arbeitnehmer entgegen der ursprünglichen Absprache längere Zeit in der entleihenden Konzerngesellschaft arbeitetm.
In der deutschen Zivilrechtsordnung stößt die dogmatische Herleitung eines Anspruchs auf den Abschluß eines Vertrages auf Schwierigkeiten. Das Vertragsrecht wird vom Prinzip der Privatautonomie beherrscht1S5 , dem ein derartiger Anspruch zuwiderläuft. Die aus der Privatautonomie folgende Abschlußfreiheit gilt auch für den Bereich des Arbeitsrechts1S8• Einen nicht ausdrücklich durch Gesetz oder aufgrund eines Hierzu Hueck / Nipperdey I, § 21 11 m. w. N. Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 5 5; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 191; Rüthers, Der allgemeine Teil des BGB, Rdnr. 454. 133 Vgl. Hueck / NippeTdey I, § 54 IV 3; Nikisch I, 241. 134 Zur zweiten Alternative vgl. MaTtens, BAG-Festschrift, 371. 135 LaTenz, Allgemeiner Teil, § 2 11 e; Flume, Allgemeiner Teil 11, § 1, 1 ff.; RütheTS, Der allgemeine Teil des BGB, Rdnr. 35 ff. 186 Zöllner, AcP 176, 224 ff.; deTS., Arbeitsrecht, § 11 111; LaTenz, Allgemeiner 131
132
64
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
Gesetzes durch Verwaltungsakt statuierten Kontrahierungszwang erkennt die Rechtswissenschaft nur bei rechtlichen oder tatsächlichen MonopolsteIlungen an137 • Inwieweit darüber hinaus aufgrund besonderer Vertrauensbeziehungen ein Anspruch auf den Abschluß eines Vertrages bestehen kann, ist noch weitgehend ungeklärt138 • Erörtert wird in diesem Zusammenhang ein Kontrahierungszwang aus culpa in contrahendo139 sowie die Pflicht zum Vertragsschluß trotz Formnichtigkeit (§ 125 BGB)140. Für das Konzernarbeitsrecht helfen diese Erwägungen nicht weiter. Der Rechtsgrund für einen Kontrahierungszwang kann hier nur in der tatsächlichen Arbeitsleistung und ihrer Entgegennahme gesehen werden. Soweit ersichtlich gibt es bislang lediglich einen Fall, in dem ein Teil der Literatur einen Anspruch auf Abschluß eines Vertrages auf die tatsächliche Entgegennahme einer Leistung stützt. Heiratet der bei Abschluß eines Mietvertrages noch ledige Mieter nachträglich, so ist der Ehegatte berechtigt, in die Mietwohnung einzuziehenl41 • Der Vermieter hat nach der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur einen Anspruch auf Beitritt des Ehegatten zum Mietvertrag142 . Ähnlich wie der Konzernarbeitnehmer erbringt der Vermieter hier nachträglich seine vertragliche Leistung (Überlassung des Mietobjekts) gegenüber einer dritten Person. Die Sachlage ist jedoch insoweit anders, als der Vermieter zur erbrachten Leistung verpflichtet ist (Schutz der Ehe und Familie durch Art. 6 GG), während der Arbeitnehmer sich freiwillig dem Versetzungsrecht seines Arbeitgebers unterworfen hat. Basis der geschilderten Ansicht ist, daß grundsätzlich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein Anspruch auf einen Vertragsschluß anerkannt werden kann, wenn er durch besondere Umstände gerechtfertigt ist. Die Rechtfertigung ergibt sich bei der Arbeitsleistung für fremde KonzernTeil, § 3 I; vgl. auch Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System, 21 f., 66 ff.; BAG AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, Gründe I 3. 137 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 33 6; Larenz, Schuldrecht I, § 4 I a; Hackl, Vertragsfreiheit und Kontrahierungszwang im deutschen, im österreichischen und im italienischen Recht, 26 ff.; RGZ 143, 24; 148, 326; BGH NJW 1976, 801. 138 Das Rechtsinstitut der Erwirkung ist hier nicht einschlägig. Die Erwirkung führt unmittelbar zum Entstehen eines Schuldverhältnisses, nicht nur zu einem Anspruch auf Vertragsabschluß; vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 386 ff.; Bydlinski, AcP 180 (1980), 1,31 ff. 13U Vgl. BGH NJW 1975,1774; BGH DB 1977, 1548. 140 Vgl. Hackl, 52 m. w. N. 141 Soergel / Kummer, BGB, §§ 535-536 Rdnr. 66. 142 Gelhaar-RGRK, vor § 535 Rdnr.78; Hummel, ZMR 1975, 291, 293; Palandt / Putzo, BGB, § 535 Anm. 1 d bb a. E.; auf eine Herleitung des Anspruchs wird allerdings stets verzichtet. a. A. Soergel / Kummer, BGB, §§ 535-536 Rdnr. 66; AG Köln, NJW 1982, 239.
IV. Tätigkeit für verschiedene Konzerngesellschaften
65
gesellschaften aus den arbeitsrechtlichen Besonderheiten. Zur Auslegung einer Generalklausel wie § 242 BGB sind neben den Grundrechten auch die sonstigen Wertmaßstäbe unserer Rechtsordnung heranzuziehen143• Im Bereich des Arbeitsrechts kommt insoweit dem SozialstaatsgedanZUlU. Er enthält das Gebot einer für alle Beteiligten sozial gerechten Ausgestaltung gesellschaftlicher Beziehungen145• Aus dem Sozialstaatsgebot folgt danach, daß einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer gehende Vertragsgestaltungen vermieden werden müssen. Des weiteren dürfen auch die gesetzlichen Vorschriften, die den Schutz des Arbeitnehmers bezwecken, nicht durch untypische Vertragsgestaltungen umgangen werden. Das gebietet bereits die der Arbeitnehmerschutzgesetzgebung zugrunde liegende Wertung (arbeitsrechtliches Schutzprinzip 148).
ken Bedeutung
Für die vorliegende Streitfrage ist zu beachten, daß gemäß § 1 Abs. 1 KSchG der Arbeitnehmer nach sechsmonatiger Beschäftigung einen (begrenzten) Bestandsschutz genießen soll. Lehnt der Arbeitgeber von vornherein den Abschluß eines Arbeitsvertrages ab, so greift diese Vorschrift nicht ein, da kein Arbeitsverhältnis i. S. v. § 1 Abs.l KSchG vorliegt. Das ist mit der gesetzlichen Wertung nicht zu vereinbaren. Könnte der faktische Arbeitgeber über seine Machtposition vertragliche Beziehungen zu seinem Arbeitnehmer vermeiden, so würde die Schutzfunktion des Kündigungsschutzrechts unterlaufen. Gewisse Parallelen bestehen insoweit zur Problematik der freien Mitarbeiter 47 und der Kettenarbeitsverhältnisse148• In diesem Bereich wird entgegen dem erklärten Willen der Vertragspartner ein (unbefristetes) Arbeitsverhältnis bejaht, wenn ein reines Dienstvertragsverhältnis bzw. ein befristeteS Arbeitsverhältnis dem Normzweck der Kündigungsschutzvorschriften entgegenstünde. Als Folge der gesetzlichen Wertung wird hier also zwar kein arbeitsrechtlicher Kontrahierungszwang, wohl aber ein spezieller arbeitsrechtlicher Rechtsformenzwang angenommen14». Im Konzernbereich ist der Arbeitnehmer nicht notwendigerweise bereits durch das Arbeitsverhältnis zur verleihenden KonzerngesellSoergel/ Lange / Hejermehl, BGB, vor § 145 Rdnr. 28 ff.; Hackl, 27. Vgl. Obermayer, RdA 1979, 8 ff. 145 Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20. VIII 18 ff.; v. Münch, GG, Art. 20 Rdnr. 16 ff.; BVerwGE 27, 360 ff., 363; BVerfGE 27, 253 ff., 283 ff.; 41, 193 ff.; 200 f. 146 Dazu unten 2. Kap., C. II. 2. 147 Vgl. Söhnen, Die Selbständigkeit der freien Mitarbeiter; Rüthers, DB 1982,1869; BVerfGE 59, 321; BAG AP Nr.34-36 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 148 BAG AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Grotheer, Befristetes Arbeitsverhältnis und Kündigungsschutz; Hueck / Nipperdey I, § 55 III 6; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, J IV 1, 219; Söllner, Arbeitsrecht, 225. 14» Rüthers, DB 1982, 1869, 1871; BAG AP Nr.34 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 143
1U
5 Henssler
66
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
schaft ausreichend geschützt. Auf die im Konzernbereich bestehenden Mißbrauchsmöglichkeiten wurde an anderer Stelle ausführlich hingewiesenl50 • Wird der Arbeitnehmer länger als sechs Monate beim Entleiher beschäftigt, so verlagert sich der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses vom Verleiher zum Entleiher. In solchen Fällen ist es sachfremd und interessenwidrig, den Arbeitnehmer auf sein Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher zu verweisen. Es ist daher gerechtfertigt, dem Arbeitnehmer bei einer über sechs Monate hinausgehenden Beschäftigung im Entleiherunternehmen einen Anspruch auf den Abschluß eines Arbeitsvertrages zu gebenl5l • Gegenüber der Annahme eines zwingend aufgrund der längerfristigen Beschäftigung entstehenden Arbeitsverhältnisses enthält der hier vorgeschlagene Lösungsweg zwei wesentliche Vorzüge. Während das "automatische" Entstehen eines Vertragsverhältnisses in unserem Rechtssystem dogmatisch noch kaum erforscht wurde152 , ist der Kontrahierungszwang (§ 242 BGB) als Rechtsinstitut bereits anerkannt. Entscheidend ist aber, daß der Arbeitnehmer nach der hier vertretenen Auffassung selbst entscheiden kann, ob er ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher begründen will. Für die vertragliche Bindung des Arbeitnehmers an den Entleiher gibt es, wenn sie nicht seinem "erklärten" Willen entspricht, keine Rechtfertigung. Prozessual ist der Anspruch im Wege einer Klage auf den Abschluß eines Arbeitsvertrages mit der Möglichkeit der Vollstreckung nach § 894 ZPO durchzusetzen. d) Zusammenfassung
aa) Wird ein Arbeitnehmer nur für einen kurzen Zeitraum in ein fremdes Konzernunternehmen versetzt, so entstehen keine vertraglichen Beziehungen zu dieser Gesellschaft. bb) Bei einer längerfristigen oder zeitlich nicht begrenzten Versetzung in ein anderes Konzernunternehmen entsteht, sofern nicht ausdrücklich ein Vertragsschluß abgelehnt wird, schlüssig im Wege des Vertragsbeitritts ein Arbeitsvertragsverhältnis mit der entleihenden Gesellschaft. ce) Dem Leiharbeitnehmer steht ein Anspruch auf den Abschluß eines Arbeitsvertrages mit der übernehmenden Konzerngesellschaft zu, 150 Vgl. oben 1. Kap., B. Auf die Gefahr einer Umgehung des Arbeitnehmerschutzes bei der Konzernleihe weist auch Konzen, ZfA 1982, 259, 267, 304 hin. 151 So im Ergebnis auch Mittmann, Rechtliche Probleme der Leiharbeit, 22. m Vgl. hierzu Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 97 ff.
IV. Tätigkeit für verschiedene Konzerngesellschaften
67
wenn er länger als sechs Monate bei diesem Unternehmen beschäftigt war. 4. Arbeitsleistungen für Betriebsführungsgesellschaften
Beispiel: Arbeitnehmer A steht in einem Arbeitsvertragsverhältnis zur M-AG. Die M-AG hat ihren gesamten Unternehmensbereich aufgegliedert und auf einzelne Betriebsführungsgesellschaften übertragen. Diese rechtlich selbständigen Gesellschaften, die, abgesehen von ihrem Vorstand, über kein eigenes Personal verfügen, nehmen sämtliche Aufgaben der Betriebsleitung, einschließlich der Führung des Personals der herrschenden Eigentümergesellschaft wahr. A ist daher trotz seines Vertragsverhältnisses zur M-AG dem Weisungs recht einer Betriebsführungsgesellschaft unterstellt. Wen kann A aufgrund der dargestellten Ausgestaltung seines Arbeitsverhältnisses als seine Arbeitgeberin ansehen, und gegen wen kann er eventuelle Lohnforderungs- oder Kündigungsschutzklagen richten?
a) Die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses bei Abschluß eines Betriebsjührungsvertrages
Besondere Probleme der Arbeitnehmerüberlassung ergeben sich, wenn ein Unternehmensträger einer anderen Gesellschaft vertraglich die Führung seines Unternehmens in fremdem Namen und für fremde Rechnung überträgt. Derartige Betriebsführungsverträge kommen in den verschiedensten Formen vor 53• Die Aufspaltung von Unternehmensträgerschaft und tatsächlicher Unternehmensführung kann so weit gehen, daß die Betriebsführungsgesellschaft über keine eigenen Arbeitnehmer verfügt und auch kapitalmäßig lediglich mit dem gesetzlichen Mindestbestand ausgestattet istl54 • Die Arbeitnehmer werden hier von der Betriebsführungsgesellschaft im Namen der Muttergesellschaft und für deren Rechnung eingestellt156• Sie sind aber vollständig dem Weisungsrecht der Betriebsführungsgesellschaft unterstellt. Diese trifft sämtliche Entscheidungen über die Begründung, Ausgestaltung und Beendigung der Arbeitsverhältnisse. b) Die kollektivarbeitsrechtliche Problematik
Auch in diesem Sonderfall der Arbeitnehmerüberlassung stellt sich die Frage nach dem Arbeitgeber der in der Betriebsführungsgesellschaft beschäftigten Arbeitnehmer. 153 Hierzu Veelken, Der Betriebsführungsvertrag im deutschen und amerikanischen Konzernrecht, 16 f.; Loos, BB 1963, 615; Fabricius, Rechtsprobleme gespaltener Arbeitsverhältnisse im Konzern, 6 ff.; Rüthers, DB 1977, 605. 154 Rüthers, DB 1977, 605. 156 Vgl. etwa das Verhältnis der Ruhrkohle AG zu ihren Betriebsführungsgesellschaften (Bergbau-AGs), dargestellt von Fabricius, Rechtsprobleme, 1 ff.
5*
2. Kap.: B. Das Arbeitsverhältnis im Konzern
68
Die arbeitsrechtliche Problematik der Betriebsführungsverträge ist bislang von der Literatur nur unter kollektivrechtlichen Aspekten untersucht worden. Eine einheitliche Meinung ist nicht feststellbar. Während Fabricius156 die Betriebsführungsgesellschaft als Arbeitgeberin (i. S. d. BetrVG) der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer ansieht und auch den Aufsichtsrat dieser Gesellschaft nach dem (Montan-)Mitbestimmungsgesetz besetzen will, kommt Rüthers157 im Bereich der Unternehmensmitbestimmung zu entgegengesetzten Ergebnissen. Veelken 158 deutet lediglich Lösungsmöglichkeiten über den bereits abgelehnten Begriff des funktionellen Arbeitgebers an. Die kollektivarbeitsrechtliche Problematik kann an dieser Stelle nicht vertieft werden. Es sei lediglich angemerkt, daß zumindest unter betriebsverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten die ArbeitgebersteIlung der Betriebsführungsgesellschaft naheliegt. Entscheidet sie in sämtlichen Fragen, die die Arbeitsverhältnisse der ihrem Weisungsrecht unterworfenen Beschäftigten betreffen, so muß sie auch als der geeignete Regelungspartner im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn angesehen werden. Mit der übertragung der gesamten Personalführungsbefugnis hat die Betriebsführungsgesellschaft auch die betriebsverfassungsrechtliche Regelungsbefugnis übertragen bekommen. Nur derjenige, der tatsächlich die Personalentscheidungen fällt, kann sinnvollerweise der Gegenspieler des Betriebsrats in der zweipolig aufgebauten Betriebsverfassung seinlSU • Eine andere Auffassung argumentiert an der sozialen Wirklichkeit vorbei. Anders ist demgegenüber auf der Ebene der Mitbestimmung zu entscheiden. Hier geht es nicht darum, den adäquaten Regelungspartner für die die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse betreffenden Fragen zu finden. Angesprochen sind hier vielmehr die Grundfragen der Unternehmenspolitik, die nur auf der Ebene des Unternehmensträgers entschieden werden und daher auch nur dort mitbestimmt werden können. Bei den Betriebsführungsgesellschaften ohne eigene Arbeitnehmer kommt demnach eine Mitbestimmung in ihren Aufsichtsräten nicht in Betracht160 •
Rechtsprobleme, 56 ff. RütheTs, BB 1977, 605, 612. 158 s. oben Fn. 153, 12. 150 So im Ergebnis auch FabTicius, Rechtsprobleme, 49 ff., 56 f.; Zweifel an der Arbeitgeberstellung der Betriebsführungsgesellschaft hat das BAG (AP Nr. 18 zu § 611 BGB Bergbau mit Anm. von Boldt). 160 RiltheTs, BB 1977, 605, 6ll. 156
157
IV. Tätigkeit für verschiedene Konzemgesellschaften
69
c) Die Arbeitgeberstellung der Betriebsjührungsgesellschajt im Individualarbeitsrecht
Die individualarbeitsrechtliche Problematik der Betriebsführungsverträge ist von der kollektiv rechtlichen zu unterscheiden, da die Regelungsprobleme und die Interessenlagen verschieden sind. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß es keinen einheitlichen Arbeitgeberbegriff für den gesamten Bereich des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts geben kann l61 • Individualarbeitsrechtlich kann der Betriebsführungsgesellschaft keine Arbeitgeberstellung gegenüber den Arbeitnehmern zukommen, die in einem Vertragsverhältnis zur Eigentümergesellschaft stehen. Ihre Arbeitgeberstellung ließe sich mit dem Instrumentarium des Vertragsrechts nicht erfassen. Vertragliche Beziehungen zwischen den Arbeitnehmern der Eigentümergesellschaft und der Betriebsführungsgesellschaft widersprechen dem erkennbaren Willen der Beteiligten. Dem Arbeitnehmer gegenüber wird bereits bei Abschluß des Arbeitsvertrages klargestellt, daß er zwar dem Weisungsrecht der Betriebsführungsgesellschaft unterstellt wird, daß sein Arbeitsvertragspartner aber nur die Eigentümergesellschaft ist. Er erklärt durch den Vertragsschluß sein Einverständnis zu dieser Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer hat in der Regel auch kein Interesse an der vollständigen ArbeitgebersteIlung der Betriebsführungsgesellschaft. Diese ist für ihn lediglich eine juristische Hülle ohne wesentliches EigenkapitaP62 und ohne eigene Arbeitsplätze. Die Betriebsführungsgesellschaft kommt daher als aussichtsreicher Gegner von Lohnforderungsoder Kündigungsschutzprozessen ohnehin nicht in Betracht. Es besteht auch keine Gefahr, daß Arbeitnehmerschutzbestimmungen umgangen werden und damit keine Notwendigkeit, die gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit durch spezifisch arbeitsrechtliche Lösungen zu durchbrechen. Der Arbeitnehmer ist durch die vertragliche Beziehung zur Eigentümergesellschaft umfassend geschützt. Das Arbeitsverhältnis findet seinen Ansatzpunkt bei dem wirtschaftlichen Arbeitgeber, dem auch tatsächlich der Nutz·en aus der Arbeitsleistung zugute kommt. Die Stellung des Arbeitnehmers ist als echtes Leiharbeitsverhältnis zu qualifizieren. Die Arbeitgeberstellung ist zwischen zwei selbständigen 161 s. oben 2. Kap., B. I. 2. 16! Auf das Kapital der Betriebsführungsgesellschaft können die Arbeitnehmer der Eigentümergesellschaft bereits über die Haftung ihres Vertragspartners Zugriff nehmen. Die herrschende Eigentümergesellschaft hält in der Regel die Kapitalanteile der Betriebsführungsgesellschaft.
70
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
Unternehmen163 aufgeteilt. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen der herrschenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung steht dem Weisungsrecht der Betriebsführungsgesellschaft ihre Fürsorgepflicht gegenüber184 • Weitergehende Pflichten, etwa die Pflicht zur Lohnzahlung, bestehen dagegen nicht.
c. Die Wabrnehmung einzelner Arbeitgeberfunktionen durm Konzemobergesellsdtaften
I. Die Aufspaltung von Arbeitgeberfunktionen Nach dem bisher erarbeiteten Ergebnis kommt in der Regel nur der Konzerngesellschaft, mit der ausdrücklich ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde, die umfassende ArbeitgebersteIlung zu. Lediglich in Ausnahmefällen können weitere Konzernunternehmen als Arbeitgeber bezeichnet werden. Unbefriedigend bleibt, daß auf diese Weise die Machtbefugnisse, welche die herrschende Konzerngesellschaft gegenüber den Arbeitnehmern der abhängigen Unternehmen hat, nicht erfaßt werden. Die der faktischen Machtposition eines Arbeitgebers ähnliche Stellung, die diese Gesellschaft aufgrund ihrer konzernrechtlichen Leitungsmacht innehat, wird nicht berücksichtigt. 1. Die Aufspaltung der ArbeitgebersteIlung außerhalb des Konzernarbeitsrechts
Die Rechtsstellung des Arbeitgebers ist vielschichtig. Sie umfaßt eine Vielzahl von Rechts- und PflichtensteIlungen. Die komplizierten Organisationsformen moderner Unternehmensstrukturen bringen es mit sich, daß diese Rechtspositionen auf verschiedene Personen verteilt werden. Insbesondere das Prinzip der Arbeitsteilung führt dazu, daß der Arbeitnehmer in unterschiedliche Betriebsabläufe eingeschaltet wird und unter Umständen auch den Weisungen von Drittpersonen, die nicht unmittelbare Arbeitsvertragspartner sind, unterworfen ist. 163 Zur Unternehmensqualität der Betriebsführungsgesellschaften Fabricius, Rechtsprobleme, 7 ff. 184 Vgl. Hueck / Nipperdey I, § 54 IV, 521 ff.; Nikisch I, 241 f.; Bobrowski / Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb Bd.l, C V, 141 ff.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 634. Auf die etwas anders gelagerte Problematik der abhängigen Personalführungsgesellschaften weist neuerdings Konzen, ZfA 1982, 259, 267 hin.
1.
Die Aufspaltung von Arbeitgeberfunktionen
71
Rechtsprechung und Literatur haben aus diesem Grund bereits seit längerer Zeit die Möglichkeit der Aufspaltung der Arbeitgeberstellung anerkannt1 • Beispielsfälle bieten etwa das mittelbare Arbeitsverhältnis!, der Gesamthafenbetrieb3, Arbeitsverhältnisse mit ausländischen Streitkräften" die Leiharbeitsverhältnisse bzw. ganz allgemein Arbeitsverhältnisse mit Drittbeziehungen, zu denen auch das Konzernarbeitsverhältnis gehört. 2. Die Aufspaltung von Arbeitgeberfunktionen im Konzern
Zu untersuchen ist, ob auch im Konzernarbeitsrecht eine solche Aufspaltung von Arbeitgeberfunktionen vorliegt und welche Schlußfolgerungen daraus zu ziehen sind. Arbeitgeberfunktionen können u. U. auch von den jeweiligen Konzernobergesellschaften wahrgenommen werden, die den Arbeitsvertragspartner des Arbeitnehmers beherrschen. Die herrschenden Konzerngesellschaften haben über ihre anerkannte Weisungsbefugnis die Möglichkeit, die von ihnen abhängigen Unternehmen in bestimmter Weise zu beeinflussen. Der Umfang der Leitungsmacht richtet sich nach der Art der Konzernverbindung. Im Vertragskonzern etwa umfaßt die Leitungsmacht den gesamten Bereich der Geschäftsführung 5 • Die herrschende Gesellschaft kann ihre Tochtergesellschaft anweisen, den Betrieb einzustellen, eine rentable Produktion aufzugeben oder Produkte bzw. Leistungen unter dem Marktpreis an andere Konzernunternehmen abzugeben'. Aber auch bei Fehlen eines Beherrschungsvertrages i. S. der §§ 311 ff. AktG ist die herrschende Konzerngesellschaft zu (für das Tochterunternehmen) nachteiligen Weisungen befugt. Allerdings besteht hier die Pflicht zum Nachteilsausgleich7 • über die geschilderte weitreichende Leitungsmacht der Konzernobergesellschaft, die in allen Konzernverbindungen beobachtet werden kann, wirkt die Konzernspitze teils mittelbar teils unmittelbar auf die Arbeitsverhältnisse der in den abhängigen Gesellschaften Beschäftigten ein8 • Die herrschende Konzerngesellschaft kann das Produktionsgebiet 1 Vgl. hierzu Nikisch I, 143; MüllneT, Aufgespaltene Arbeitgeberstellung und Betriebsverfassungsrecht; Konzen, ZfA 1982, 259, 271 ff.; Maus, Handbuch des Arbeitsrechts I A Anm. 104; Ramm, ZfA 1973, 263 ff.; ZöllneT, Arbeitsrecht, 43; SöllneT, Arbeitsrecht, 28 f.; BAG AP Nr. 1 zu § 1 Gesamthafenbetriebsgesetz. 2 Vgl. MüllneT, 26 f.; unten 2. Kap., C. H. 6. 3 Ramm, ZfA 1973, 263 ff. f Nikisch I, 145. 6 WÜTdingeT, Aktien- und Konzernrecht, 327. ft WÜTdingeT, Aktien- und Konzernrecht, 327. 7 Vgl. WÜTdingeT, Aktien- und Konzernrecht, 341 ff. S So auch DäubleT I Hege, Tarifvertragsrecht, 30.
72
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
der abhängigen Gesellschaften festlegen und so das Arbeitsfeld der Arbeitnehmer der beherrschten Gesellschaften bestimmen. Sie ist ferner dazu in der Lage, auf die personalpolitischen Grundentscheidungen Einfluß zu nehmen und kann schließlich sogar darüber bestimmen, wie das Arbeitsergebnis der in den abhängigen Gesellschaften Beschäftigten verwendet wird. All dies sind Rechtspositionen, die im Regelfall dem Arbeitgeber zustehenD. Zu den Funktionen des Arbeitgebers gehört neben der unmittelbaren Betriebsleitung auch die Entscheidung über soziale, personelle und wirtschaftliche Fragen der Unternehmensführung10• Die herrschende Konzerngesellschaft kann daher durch die Ausübung ihres Weisungsrechts mittelbar Wirkungen für sich herbeiführen, die teilweise einer Arbeitgeberstellung für die Arbeitnehmer der beherrschten Gesellschaften gleichkommen11 • Im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts nimmt die Konzernobergesellschaft Arbeitgeberfunktionen gegenüber den Arbeitnehmern der abhängigen Gesellschaften wahr, wenn sie Betriebsvereinbarungen mit dem Konzernbetriebsrat abschließt. Diese wirken für und gegen die beherrschten Gesellschaften12 • Die sozialgerichtliche Rechtsprechung geht teilweise so weit, die im Rahmen einer Unternehmensverbindung herrschende Gesellschaft als "wirtschaftlichen Arbeitgeber" der Arbeitnehmer der beherrschten Gesellschaften anzusehen13• Das BSG14 lehnt aber zu Recht einen einheitlichen Arbeitgeber ab, wenn zwei rechtlich getrennte juristische Personen wirtschaftlich eng zusammenarbeiten15 • 3. Ergebnis
Im Konzernbereich ist eine Aufspaltung der ArbeitgebersteIlung zu bejahen. Die Konzernobergesellschaft erlangt durch die Ausübung ihres Weisungsrechts zwar nicht die volle ArbeitgebersteIlung gegenüber den Arbeitnehmern der abhängigen Gesellschaften. Sie nimmt gegenüber diesen Personen jedoch faktisch einzelne Arbeitgeberfunktionen wahr1e • o Vgl. auch Fuch.s, Der Konzernbetriebsrat, 104. 10 Bobrowski / Gaul, Arbeitsrecht I, A V Rdnr. 1. 11 Fabricius, Gesellschaftsrechtliche Unternehmensverbindungen und Ar-
beitgeberbegriff in der betrieblichen Krankenversicherung, 139. 12 So die h. M. in der Literatur, Dietz / Richardi, BetrVG, § 58 Rdnr. 31 f. (nur für den Vertragskonzern); Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 58 Rdnr. 8; Monjau, BB 1972, 839, 842; Fuchs, Der Konzernbetriebsrat, 84 ff.; Stege / Weinspach, BetrVG, §§ 54-59, Rdnr.10; Buchner, Die AG 1971,190. 13 SG Darmstadt, Die Betriebskrankenkasse 1958, 157; vgl. auch OVA Speyer, Die Arbeiterversorgung 1943, 142 ff. 14 BSGE 18, 190. 15 Ablehnend auch Fabricius, Arbeitgeberbegriff, 114 ff.
11. Die rechtlichen Auswirkungen
73
Diese Erkenntnis ist allerdings lediglich eine Beschreibung der tatsächlichen Situation. Sie besagt nichts über die Rechtswirkungen, die diese faktische Machtausübung nach sich zieht. 11. Die rechtlichen Auswirkungen der Aufspaltung von Arbeitgeberfunktionen 1. Arbeitsrechtliche Fürsorgepfiichten des Teilarbeitgebers
Während die Möglichkeit der Aufspaltung der Arbeitgeberstellung in der Rechtswissenschaft seit längerem anerkannt ist17 , sind die Rechtsfolgen, die sich aus der Wahrnehmung einzelner Arbeitgeberfunktionen ergeben, weitgehend ungeklärt. Es besteht insbesondere Uneinigkeit über die rechtsdogmatische Begründung für die Pflichten, die einem derartigen Teilarbeitgeber auferlegt werden könnenl8 • Die Aufspaltung von Arbeitgeberfunktionen tritt in vielfältigen, rechtlich und tatsächlich verschiedenen Erscheinungsformen auf. Eine einheitliche Begründung dieses Phänomens gibt es nichtlD• Im Konzernbereich geht es um die Frage, ob und in welchem Umfang der Konzernobergesellschaft auch Rechtspflichten zukommen, wenn sie im Einzelfall Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt. Eine naheliegende Konsequenz der übernahme einzelner Arbeitgeberfunktionen ist es, dem Teilarbeitgeber auch die Schutzpflichten aufzuerlegen, die nach den arbeitsrechtlichen Grundsätzen einem Arbeitgeber zukommen. Diese arbeitsrechtlichen Schutzpflichten werden herkömmlich als Fürsorgepflichten bezeichnet; eine Terminologie, die allerdings zunehmend auf Kritik stößt20 • Die arbeitsrechtlichen Fürsorgepflichten sollen im folgenden nicht eng im Sinne der in § 618 BGB aufgezählten Pflichten zum Schutz von Leben und Eigentum des Arbeitnehmers verstanden werden. Vielmehr wird mit der Fürsorgepflicht die Verpflichtung des Arbeitgebers angesprochen, bei allen Maßnahmen, die sich auf die Sphäre des Arbeitnehmers auswirken, das Wohl der Arbeitnehmer zu berücksichtigen21 • Die so verstandene Fürsorgepflicht kann sogar So auch Fabricius, Arbeitgeberbegriff, 139. Hierzu vgl. oben 2. Kap., C. I. 18 Vgl. MüHner, Aufgespaltene Arbeitgeberstellung und Betriebsverfassungsrecht, 51 ff.; Konzen, ZfA 1982,259,286 ff. 18 So im Ergebnis auch MüHner, 64; Ramm, ZfA 1973, 263 ff. 20 Vgl. Schwerdtner, ZRP 1970, 62; MÜnch-Komm./ Roth, § 242 Rdnr.183. 21 Hueck / Nipperdey I, § 48 I 1, 390, 413; Nikisch I, 471; Sitzler, AR-Blattei Fürsorgepflicht des Arbeitgebers I; BAG AP Nr.85 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht. 18
17
74
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
Ansprüche auf Aufnahme der arbeitsrechtlichen Hauptpflichten begründen. So ist von der Rechtsprechung etwa der Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung aus Gründen der Rehabilitation mit dem Gedanken der Fürsorgepflicht gerechtfertigt worden!!. 2. Die Rechtsgrundlagen der arbeitsrechtlichen FürsorgepOichten
Dem "Teilarbeitgeber", der lediglich einzelne Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt, können Schutzpflichten gegenüber dem Arbeitnehmer auferlegt werden, wenn die Rechtsgrundlage der bereits anerkannten Fürsorgepflicht des ("Voll"-) Arbeitgebers auch ihm gegenüber ihre Annahme rechtfertigt. Das setzt voraus, daß der materiale W ertungsgedanke, der hinter den anerkannten Schutzpflichten des Arbeitgebers steht, auch in aufgespaltenen Arbeitgeberstellungen zum Tragen kommt. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers besteht in der Regel im Rahmen vertraglicher Arbeitsverhältnisse. Ginge man von diesem Regelfall aus, so könnten Fürsorgepflichten der Konzernobergesellschaften gegenüber den Arbeitnehmern der beherrschten Gesellschaften mangels eines Vertragsverhältnisses nicht in Betracht kommen. Es sind aber grundsätzlich auch Fälle denkbar, in denen ohne Abschluß eines Anstellungsvertrages schuldrechtliche Verpflichtungen zwischen dem Beschäftigten und einem Unternehmer bestehen23 • Bereits das RAG hat hervorgehoben, daß auch ohne Vertrag ein Beschäftigungsverhältnis derart begründet werden könne, daß daraus unmittelbare Ansprüche dem Arbeitnehmer zustehen24 • Auch die jüngere Rechtsprechung und Literatur kennt verschiedene Sachverhaltskonstellationen, in denen unabhängig vom Bestand eines wirksamen Arbeitsvertrages Fürsorgepflichten angenommen werden. So bestehen nach ganz einhelliger Ansicht in den sogenannten faktischen Arbeitsverhältnissen Fürsorgepflichten25 • Generell wird der gesamte Bereich des Arbeitsschutzrechts auch dann für anwendbar erklärt, wenn überhaupt kein Arbeitsvertrag - auch kein unwirksamer - vorliegee• Weiterhin werden bereits vor Abschluß eines Arbeitsvertrages Schutzpflichten des künftigen Arbeitgebers angenommen27 • Ebenso ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, daß der Arbeitgeber nach Beendigung des Vertragsverhältnisses gewisse Rechtspflichten zu beachten hat 28 • Schließlich ist insbesondere auf das mittel22 23
!4 25
BAG AP Nr. 3 und 50 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht. Kaujjmann, RdA 1951, 178.
RAG ARS 29, 278 mit zustimmender Anmerkung von Volkmar. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 571; Bobrowski I Gaul, Arbeitsrecht I,
B III Rdnr. 16.
Hueck I Nipperdey I, § 79 III, 805. Zöllner, in: Tomandl (Hrsg.), Treue- und Fürsorgepflichten im Arbeitsrecht, 91, 98 ff.; Hueck I Nipperdey I, § 48 III 7, 415. 26
27
H. Die rechtlichen Auswirkungen
75
bare Arbeitsverhältnis hinzuweisen. Dort werden Fürsorgepflichten des mittelbaren Arbeitgebers bejaht, obwohl kein Vertragsverhältnis zum Arbeitnehmer der Zwischenperson besteht20 • Offensichtlich bildet damit der Arbeitsvertrag nicht das einzige Kriterium für die Annahme von Schutzpflichten des Arbeitgebers. Es ist vielmehr auf die Interessenlage im Einzelfall abzustellen und danach zu fragen, ob diese mit dem Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers bei Vorliegen eines Arbeitsvertrages vergleichbar ist. Trotz der geschilderten Ausnahmen sieht die arbeitsrechtliche Literatur überwiegend die Rechtsgrundlage der Fürsorgepflicht allein im Arbeitsvertrag. Sie geht vom Regelfall aus und bezeichnet die Fürsorgepflicht als Nebenpflicht des Arbeitsvertrages 3o • Das RAG31 hat die Fürsorgepflicht ebenfalls auf die vertragliche Grundlage gestützt. Dagegen befaßt sich das BAG überhaupt nicht mehr explizit mit der Rechtsgrundlage der Fürsorgepflicht. Es begnügt sich damit, die Fürsorgepflicht als anerkannte Grundpflicht des Arbeitgebers zu bezeichnen, die das gesamte Arbeitsverhältnis durchdringe32 • 3. Die materiale Wertgrundlage der Fürsorgepßidlten
Ein Teil der Literaturstimmen, die sich eingehender um eine dogmatische Begründung auch für die untypischen Anwendungsbeispiele der Fürsorgepflicht bemühen, greift auf die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb bzw. den Lebensbereich des Arbeitgebers zurück. So sieht etwa Söllner 33 in der Fürsorgepflicht das rechtliche Korrelat zur persönlichen Eingliederung des Arbeitnehmers. Richtig ist hieran, daß das Rechtsinstitut der Fürsorgepflicht diejenigen Pflichten umfaßt, die sich aus der Unterordnung des Arbeitnehmers unter die Organisationsgewalt des Arbeitgebers ergeben. Diese Eingebundenheit, mit der sich aus ihr ergebenden erhöhten Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers, führte zur Herausbildung des arbeitsrechtlichen Schutzprinzips34. Ursprünglich wurde bei der Begründung des arbeitsrechtlichen Schutzprinzips entscheidendes Gewicht auf die enge persönliche Beziehung 28 BAGE 3, 332, 338; BAG EzA Nr. 15 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Hueck / Nipperdey I, § 48 HI 8, 415 f.; Monjau, AuR 1965, 323. ft Hueck / Nipperdey I, § 78 V; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 951; weitere
Nachweise s. unten 2. Kap., C. 11. 6. 80 Hueck / Nipperdey I, § 481 1, 391 insbesond. Fn. 6; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 571. 81 ARS 41, 145. 32 Vgl. etwa BAG AP Nr. 75 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht. 33 Arbeitsrecht, 216. 34 Vgl. Dersch, Festschrift für Herschel, 71 ff.; Buna, Mitt. d. dt. ArbGverbandes 1957 Nr. 15.
76
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer gelegt. Das bedarf heute aufgrund der gewandelten tatsächlichen Verhältnisse einer überprüfung. Das immer mehr verfeinerte Prinzip der Arbeitsteilung sowie die zunehmende Konzentration im Wirtschaftsleben führten zu einer Veränderung in der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dem Arbeitnehmer ist, insbesondere in Großunternehmen, oft nicht mehr bekannt, wem letztendlich der Ertrag seiner Arbeitsleistung zugute kommt. Der persönliche Kontakt zum Arbeitgeber ist weitgehend geschwunden. In den Vordergrund gerückt ist dagegen ein anderer Aspekt des arbeitsrechtlichen Schutzprinzips: Das Schutzprinzip als Korrektiv für die Machtposition des Arbeitgebers. Die besondere Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers liegt darin, daß er seine Arbeitskraft einem fremden Wirtschaftsorganismus zur Verfügung stellt. Die Auswirkungen der Fremdbestimmtheit des Arbeitnehmers reichen nicht selten bis in die Lebensführung des Arbeitnehmers hinein35 • Die Sicherheit des Arbeitsplatzes bildet seine Existenzgrundlage. Der Arbeitgeber hat damit die Möglichkeit, einen relevanten Teil sogar des privaten Lebensbereiches des Arbeitnehmers zu beeinflussen. Dieser weitgehende Einfluß auf die Sphäre des Arbeitnehmers bedarf eines Korrektivs. Der Arbeitgeber muß stets auf die Belange der Arbeitnehmer Rücksicht nehmen, soweit dies möglich ist. Da der Nutzen aus der Arbeitsleistung zu einem erheblichen Anteil ihm zugute kommt, muß er seine Machtposition in einer Weise ausüben, die den Arbeitnehmer so wenig wie möglich belastet. Dieser Grundgedanke des arbeitsrechtlichen Schutzprinzips kommt als allgemeiner Rechtsgrundsatz in einer Vielzahl arbeitsrechtlicher Normen, wie etwa dem Kündigungsschutzgesetz oder sonstigen Arbeitnehmerschutzvorschriften zum Ausdruck. Das arbeitsrechtliche Schutzprinzip ist ein leitender Grundgedanke des objektiven Rechts36 • Es bildet die Wertgrundlage der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Maßgebend ist für sie nicht ein personenrechtlicher Gemeinschaftscharakter des Arbeitsverhältnisses37 • Die Lehre vom personenrechtlichen Gemeinschaftscharakter des Arbeitsverhältnisses ist angesichts der geschilderten Realität des Wirtschafts- und Arbeitslebens abzulehnen38• Die Fürsorgepflicht ist als Korrelat für die Machtposition des Arbeitgebers ebenfalls auf das arbeitsrechtliche Schutzprinzip zurückzuführen38 • 35
Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschafts-
verhältnis, 14.
Tomandl, Treue- und Fürsorgepflichten im Arbeitsrecht, 78. So auch AK / Teubner, § 242 Rdnr. 6I. 38 Vgl. hierzu E. Wolf, Arbeitsverhältnis, Personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis oder Schuldverhältnis?; Fenn, AuR 1971, 321 ff.; Schwerdtner, ZfA 1979, 1, 12. 36
37
11. Die rechtlichen Auswirkungen
77
4. Fürsorgepflicht und zivilrechtliches Schutzpflichtverhältnis
Die Erkenntnis, daß hinter den Fürsorgepflichten des Arbeitgebers als Wertgedanke das arbeitsrechtliche Schutzprinzip steht, ermöglicht die Einordnung dieser Schutzpflichten in die allgemeine Zivilrechtsdogmatik. Generell ist zu fordern, daß das Individualarbeitsrecht wieder an die moderne Zivilrechtsdogmatik angepaßt werden muß. Es ist weder wünschenswert noch sachlich geboten, daß sich das Arbeitsrecht (unnötig weit) von den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts entfernt40 • In zahlreichen Teilgebiett!n lassen sich arbeitsrechtliche Probleme auf der Grundlage des allgemeint!n Zivilrechts befriedigend lösen, so daß sich die Entwicklung eigener arbeitsrechtlicher Rechtsinstitute als überflüssig erweist. Den arbeitsrechtlichen Besonderheiten kann jeweils durch arbeitsrechtsspezifische Modifikationen der allgemeinen Rechtsprinzipien ausreichend Rechnung getragen werden. Ein gewichtiger Teil der über die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht erzielten Ergebnisse läßt sich mit dem gesetzlichen Schuldverhältnis (Schutzpflichtverhältnis) in Einklang bringen, das die neuere Zivilrechtslehre entwickelt hat. Sie umfaßt mit diesem Schutzpflichtverhältnis diejt!nigen Anspruche, die herkömmlich mit den Begriffen culpa in contrahendo, positive Forderungsverletzung und nachvertragliche Sorgfaltspflichten umschrieben werden 41 • Das arbeitsrechtliche Schutzprinzip ist eine arbeitsrechtsspezifische Ausprägung des allgemeinen zivilrechtlichen Grundgedankens, nach dem unter bestimmten Voraussetzungen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter eines anderen auch erhöhte gesetzlich begründete Schutzpflichten des Einwirkenden mit sich bringen. Die auf dem arbeitsrechtlicht!n Schutzprinzip beruhenden Fürsorgepflichten sind somit auf die gleiche Rechtsgrundlage wie die allgemeinen zivilrechtlichen Schutzpflichten zurückzuführen. Sie werden durch die arbeitsrechtlichen Besonderheiten, wie der verstärkten Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers, lediglich modifiziert42 • Im Bereich des Arbeitsrechts gelten die se So im Ergebnis auch Dersch, RdA 1949, 325 ff.; ders., Festschrift für Herschel, 74 ff.; Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie im Recht der Arbeitsbedingungen, 90; ders., ZfA 1979, 1, 14; Kramer, Arbeitsrechtliche Verbindlichkeiten neben Lohnzahlung und Dienstleistung, 25 f. 40 So auch Schwerdtner, Fürsorgetheorie, 79 ff.; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, E 10; SöHner, Arbeitsrecht, 216. 41 Vgl. Canaris, JZ 1965, 475; ders., Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 538 f.; Thiele, JZ 1967, 649; Gerhardt, JuS 1970, 597; ZöHner, in: Tomandl (Hrsg.), Treue- und Fürsorgepflichten im Arbeitsverhältnis, 98 ff.; Soergel/ Knopp, BGB, § 242 Rdnr.152; Münch-Komm. / Roth, § 242 Rdnr. 180 ff. Grundsätzliche überlegungen zu einem arbeitsrechtlichen Schutzpflichtverhältnis finden sich neuerdings bei Konzen, ZfA 1982, 259, 285 ff. 42 Vgl. auch Münch-Komm. / Roth, § 242 Rdnr. 138.
78
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
allgemeinen Erwägungen, die zur Herausbildung eines Schutzpflichtverhältnisses geführt haben, wegen der besonders gelagerten Machtposition des Arbeitgebers noch verstärkt. Den arbeitsrechtlichen Fürsorgepflichten wie auch den Sachverhalten, die in der Literatur zur Entwicklung des gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses geführt haben, ist gemeinsam, daß es hier um Rechtsgutgefährdungen geht, denen weder über das Vertragsrecht noch über das Deliktsrecht wirksam begegnet werden kann. Hier wie dort liegt der Ansatzpunkt in einem gesteigerten sozialen Kontakt43 zwischen zwei Rechtssubjekten, der dem einen Einflußmöglichkeiten auf die Rechtssphäre des anderen Teils eröffnet. Canaris44 stellt auf die Gewährung von in Anspruch genommenem Vertrauen ab. Er macht aber zugleich deutlich, daß sich dieses Vertrauensverhältnis aus der besonderen Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechtsgüter des anderen Teils und damit aus den tatsächlichen Beziehungen zwischen den Parteien ergebe. Das Vertrauensprinzip allein bietet keine ausreichende und überzeugende Begründung für die vielfältigen Anwendungsgebiete der Schutzpflichten. In vielen Fällen geht es nicht so sehr darum, ob der zu Schützende tatsächlich auf einen bestimmten Tatbestand vertraut hat, sondern allein um die Frage, ob reale Einwirkungsmöglichkeiten auf fremde Rechtsgüter Schutzpflichten nach sich ziehen sollen". Das richtige Kriterium bietet daher der gesteigerte soziale Kontakt. Die sich hieraus ergebenden Schutzpflichten bestehen nicht nur im Rahmen von Vertragsverhandlungen und ähnlichen geschäftlichen Beziehungen. Der Haftungsgrund ist der soziale Kontakt. Er setzt lediglich voraus, daß jemand in die von einem anderen beherrschte Rechtssphäre eingeschaltet wird und damit sich und seine Rechtsgüter fremder Einflußnahme unterwirft46 • Es reicht daher aus, wenn sich der Rechtsgüterkontakt zumindest mittelbar auf geschäftliche Zwecke richtet, ohne daß konkret ein Vertragsschluß beabsichtigt ist47 • Rein gesellschaftliche Beziehungen genügen dagegen nicht. Damit bestätigt sich die eingangs erarbeitete These, daß auch Schutzpflichten des Arbeitgebers nicht notwendigerweise vom Bestehen eines Arbeitsvertrages abhängen müssen48 • 43 So insbesond. Soergel/ Knopp, BOB, § 242 Rdnr. 156 ff.; Esser / Schmidt, Schuldrecht I, § 4 IV, § 29 I. 44 JZ 1965, 475. 46 Kritisch auch Münch-Komm. / Emmerich, vor § 275 Rdnr. 88; AK / Teubner, § 242 Rdnr. 56. 46 Vgl. Soergel/ Knopp, BOB, § 242 Rdnr. 156; Dälle, ZgstW 103 (1943), 67. 47 Ähnlich Münch-Komm. / Roth, § 242 Rdnr. 200. 48 s. oben 2. Kap., C. 11. 2.
11. Die rechtlichen Auswirkungen
79
5. Schutzpfliclltverhältnis zwischen einer Konzernobergesellschaft und den Arbeitnehmern der abhängigen Gesellschaften
a) Die grundsätzliche Berechtigung außervertraglicher Schutzpflichten einer Konzernobergesellschaft Der hier relevante Teil der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflichten ist auf ein außervertragliches Schutzpflichtverhältnis zurückzuführen, das durch einen besonders intensiven sozialen Kontakt begründet wird. Für die Besonderheiten im Konzern ist zu untersuchen, ob der Konzernobergesellschaft derartige Schutzpflichten auferlegt werden können, wenn sie Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt. Rein gesellschaftliche Beziehungen ohne zumindest geschäftsähnlichen Charakter, insoweit ist den Kritikern der Lehre vom Schutzpflichtverhältnis beizupflichten", können keine Rechtspositionen begründen. Es muß sich vielmehr um einen besonders engen sozialen Kontakt handeln, der verstärkte Einwirkungsmöglichkeiten auf fremde Rechtspositionen und damit zugleich auch erhöhte Gefahren für diese Rechtsgüter mit sich bringt. Teubnero weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Herausbildung von Schutzpflichten in dem Maße notwendig werde, in dem Formen arbeitsteiliger Organisation marktförmige Austauschrelationen überlagern. Die Fortentwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, insbesondere das im Wirtschaftsleben dominierende Prinzip der Arbeitsteilung, läßt sich mit der herkömmlichen zivilrechtlichen Dogmatik, die den sozialen Kontakt nicht als Rechtsgrundlage von Schutzpflichten anerkennt, nicht mehr befriedigend behandeln. Es besteht in vielen Lebensbereichen die Notwendigkeit, das Recht an neue Produktions- und Wirtschaftsformen anzupassen. Neuartigen Rechtsgutgefährdungen ist durch die Entwicklung besonderer Schutzpflichten entgegenzutreten. Ein geradezu typisches Beispiel für eine solche neuartige Rechtsgutgefährdung bietet die durch die künstliche Aufspaltung des wirtschaftlich an sich einheitlichen Unternehmens "Konzern" entstandene Problematik. Der Arbeitnehmer ist hier nicht nur den allgemeinen wirtschaftlichen Gefahren, die jeden Arbeitsplatz bedrohen, ausgesetzt. Sein eigentlicher (vertraglicher) Arbeitgeber ist in seinen wirtschaftlichen Dispositionen nicht mehr frei. Er kann nicht mehr autonom diejenigen Entscheidungen treffen, die für das Unternehmen und damit letztendlich auch für die Arbeitsplätze der von ihm Beschäftigten am günstigsten sind.
48 50
Etwa LaTenz, MDR 1954, 515, 517. AK / Teubner, § 242 Rdnr. 58.
80
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
Der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers in einer abhängigen Konzerngesellschaft ist untypischen Gefahren ausgesetzt, denen mit den herkömmlichen Instituten des Vertrags- und Deliktsrechts nicht mehr wirksam begegnet werden kann. Eine Grundvoraussetzung für die Annahme eines gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses ist damit im Konzernarbeitsrecht erfüllt. Dieses Ergebnis läßt sich auch mit der Rechtsprechung der Zivilgerichtsbarkeit vereinbaren. Die Rechtsprechung erkennt die Möglichkeit von rechtlichen Sonderbeziehungen an, die weder eine vertragliche noch eine deliktische Grundlage haben. So befürwortet etwa der BGH51 die Begründung von Schuldverhältnissen durch sozialtypische Verhaltensweisen. Für den Fall der Produ~entenhaftung lehnt er zwar die Annahme einer durch sozialen Kontakt begründeten Sonderverbindung zwischen Warenhersteller und Abnehmer ab 52 • Dabei verneint er jedoch nicht generell die Möglichkeit solcher Sonderverbindungen. Er ist lediglich der Ansicht, die soziologisch vorhandenen Beziehungen zwischen Hersteller und Abnehmer hätten nicht das Gewicht, daß aus ihnen Haftungsansprüche kraft rechtlicher Sonderbeziehungen folgen könnten53 • Das ist im Konzernarbeitsrecht anders. Der Kontakt zwischen dem Arbeitnehmer der abhängigen Gesellschaft und der Konzernspitze ist kein zufälliger und kurzfristiger, sondern ein dauerhafter "geschäftsähnlicher" Kontakt im weitesten Sinn. Das folgt aus der bereits geschilderten arbeitgeberähnlichen Stellung der Konzernobergesellschaft. Der Kontakt zwischen Arbeitnehmer und Konzernmutter beim Vollzug des Arbeitsverhältnisses ist von der Intensität, die die Annahme besonderer Schutzpflichten rechtfertigt. Nutzt die Konzernobergesellschaft ihre Leitungsmacht dazu aus, um mittelbar auf die Arbeitsverhältnisse der Konzerntöchter einzuwirken, so kommt der Beziehung zu den dort Beschäftigten besonderes Gewicht zu. Die Konzernobergesellschaft greift intensiv in die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer ein. Sie ist sogar dazu in der Lage, über eine Stillegung des abhängigen Betriebs die wirtschaftliche Existenzgrundlage der dort arbeitenden Personen zu beseitigen. Die Konzernobergesellschaft hat also weitreichende Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter der Arbeitnehmer der abhängigen Gesellschaften. Sie beherrscht die Rechtssphäre, in der sich diese Arbeitnehmer während ihres Beschäftigungsverhältnisses befinden. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Annahme eines Schutzpflichtverhältnisses sind aufgrund der aufgespaltenen ArbeitgebersteIlung erfüllt. 61 51 53
BGHZ 21, 319, 333 f.; BGHZ 23, 175, 177 f. BGH JZ 1969, 387, 389. BGH JZ 1969, 389.
II. Die rechtlichen Auswirkungen
81
b) Abstimmung mit der gesetzlichen Wertung
Die Konstruktion eines gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses zwischen einer Konzernmuttergesellschaft und den Arbeitnehmern der beherrschten Unternehmen ist eine Fortentwicklung des Arbeitsrechts. Wie bei jeder anderen - etwa richterlichen - Rechtsfortbildung ist zu fordern, daß sie durch die bereits vorhandenen gesetzlichen Wertungen gestützt wird 54 . Für die Beurteilung des Konzernarbeitsrechts lassen sich insoweit die in den konzernrechtlichen Normen der §§ 302 f., 311,321 f. AktG zutage getretenen gesetzlichen Wertungen heranziehen. In diesen Vorschriften kommt der Grundgedanke des Gesetzgebers zum Ausdruck, daß sich die Machtposition der herrschenden Gesellschaft nicht zum Nachteil der Vertragspartner der abhängigen Gesellschaften auswirken darf. Zwar werden je nach der Art der Unternehmensverbindung innerkonzernrechtlich auch nachteilige Weisungen der Konzernspitze zugelassen (§§ 308, 311 AktG)55. Das Aktiengesetz sucht jedoch, die Gläubiger der abhängigen Konzernunternehmen in mehrfacher Weise gegen die Auswirkungen solcher Weisungen zu schützen56. Zum Schutz der Gläubiger dienen die Vorschriften, die die Bildung von angemessenen Rücklagen verlangen (§ 300 AktG) oder den Betrag, der aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages abgeführt werden darf (§ 301 AktG), begrenzen. Vor allem aber enthält das Aktiengesetz eine Reihe von Vorschriften, die mittelbar - über die Möglichkeit der Vollstreckung in Ausgleichsansprüche der abhängigen Gesellschaft57 - oder unmittelbar (vgl. §§ 321 f. AktG) eine Haftung der Konzernobergesellschaft gegenüber den Gläubigern der abhängigen Gesellschaften begründen. Abgesehen vom Fall der Eingliederung (§§ 319 ff. AktG)58 soll danach die Konzernmutter zwar nicht generell für alle Verpflichtungen ihrer Konzerntöchter einstehen59 • Hat sie jedoch ihren Einfluß zum Nachteil der abhängigen Gesellschaft geltend gemacht, wie dies bei der Erwirtschaftung von Verlusten durch die Tochtergesellschaft zu vermuten ist, so soll sich dies nicht zum Nachteil der Gläubiger der abhängigen Gesellschaften auswirken60 • 54 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 402 f.; Zippelius, Einführung in die juristische Methodenlehre, 77; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 138 ff.; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 253 ff. 55 Vgl. Würdinger, Aktien- und Konzernrecht, 341; Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 191, 204. 58 Rasch, Deutsches Konzernrecht, 234. 57 Hierzu Würdinger, Aktien- und Konzernrecht, 330, 341, s. auch unten 3. Kap., A. I. 3. 58 Im einzelnen s. unten 3. Kap., A. I. 2. 59 Rasch, Deutsches Konzernrecht, 233; zur Haftungsproblematik vgl. auch Geßler, in: Geßler / Hefermehl, AktG, § 309 Rdnr. 45 ff. sowie Kropff, ebd., § 317, Rdnr.l ff. 6 Henssler
82
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
In den angeführten Vorschriften geht es ausschließlich um die Sicherung der vermögensrechtlichen Stellung der Gläubiger. Die hier beabsichtigte Annahme von allgemeinen Schutzpflichten geht über den bloßen Ausgleich von vermögensrechtlichen Nachteilen hinaus. Das Aktienrecht steht jedoch einer erweiterten Pflichtenstellung der herrschenden Konzerngesellschaft nicht entgegen. Es ,enthält keine abschließende Regelung des Konzernrechts. Insbesondere der Bereich des sogenannten Konzernaußenrechts, d. h. die Beziehungen der Konzerngesellschaften zu einzelnen Dritten im Privatrechtsverkehr61 , sind in dem konzernrechtlichen Teil des Aktiengesetzes nur ansatzweise angesprochen. Es besteht insoweit eine "echte" Gesetzeslücke, deren Ausfüllung der Rechtslehre und Rechtsprechung überlassen ist. In übereinstimmung mit der gesetzlichen Wertung des AktG können daher zulässigerweise weitere Rechtspflichten der Konzernobergesellschaften entwikkelt werden. Der dargestellten Regelung des Aktiengesetzes kann der allgemeine Rechtsgedanke entnommen werden, daß sich die Machtposition der Obergesellschaft nicht zum Nachteil derjenigen auswirken soll, die mit den abhängigen Gesellschaften in einem Rechtsverhältnis stehen. Verbindet man diesen Gedanken mit der besonderen arbeitsrechtlichen Problematik, so ergibt sich die rechtliche Zulässigkeit von außervertraglichen Schutzpflichten der herrschenden Konzerngesellschaft. Eine der Besonderheiten der arbeitsrechtlichen Beziehungen liegt darin, daß hier allein durch den Ausgleich von unmittelbaren Vermögensnachteilen dem Arbeitnehmer nur unzureichend geholfen werden kann. Die vielfältig geäußerten Bedenken gegen eine Degenerierung des Kündigungsschutzrechts zu einem Abfindungsrecht haben das deutlich gemacht62 • Insbesondere in Krisenzeiten überwiegt das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes das temporäre Interesse an dem Ausgleich der unmittelbaren Vermögensnachteile . . Auch aus rechtsmethodischer Sicht bestehen damit keine Bedenken gegen die Annahme von Schutzpflichten der Konzernobergesellschaft. c) Der Umfang der außervertragZiehen Schutzpflichten
Außerverlragliche Schutzpflichten der herrschenden Konzerngesellschaft können nicht uneingeschränkt bejaht werden. Zum einen setzt bereits die Annahme eines Schutzpflichtverhältnisses voraus, daß der 80 Vgl. Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 167; Biedenkopf / Koppensteiner, in Kölner Komm. z. AktG, § 317 Rdnr. 6 ff. 81 Hierzu Rehbinder, Konzernaußenrecht, 23 ff. 82 Vgl. Steindl, in: Kündigungsschutztagungen 1977 und 1978, hrsg. von der IG Metall, 385 ff.; Teichmüller, ebd., 194 ff.
H. Die rechtlichen Auswirkungen
83
Arbeitnehmer eines besonderen Schutzes bedarf, also m. a. W. überhaupt schutzwürdig ist. Zum anderen liegt auch den Gläubigerschutzvorschriften des AktG, wie erwähnt, die Wertung zugrunde, die Konzernmutter solle nur dann als Anspruchsgegner in Betracht kommen, wenn sie selbst den Nachteil der Gläubiger zumindest mitverursacht hat. Ein genereller "Durchgriff" auf die Konzernmutter läßt sich mit dieser Regelung nicht vereinbaren. Schutzpflichten können damit nur dann in Betracht kommen, wenn die herrschende Konzerngesellschaft Maßnahmen ergreift, die sich direkt oder mittelbar auf die Rechtssphäre der Arbeitnehmer der abhängigen Gesellschaften auswirken. Nur in diesen Fällen nimmt die Konzernmutter Arbeitgeberfunktionen wahr. Sind die einzelnen Konzerngesellschaften dagegen nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich und organisatorisch weitgehend selbständig und wirkt sich die Leitungsmacht der herrschenden Konzerngesellschaft nicht auf die Sphäre der Arbeitnehmer aus, so lassen sich die hier angesprochenen besonderen Schutzpflichten nicht rechtfertigen. Eine gesteigerte untypische Gefährdung der Rechtsgüter der im Konzern Beschäftigten liegt nicht vor. Die Konzernmutter ist dann auch nicht verpflichtet, von sich aus tätig zu werden, um Nachteile, die durch ein autonomes Verhalten der abhängigen Gesellschaften entstanden sind, auszugleichen. Der Umfang der Schutzpflichten richtet sich nach der Intensität der Einwirkung auf die Rechtssphäre der Arbeitnehmer. Die Schutzpflichten der Obergesellschaft sind also nicht so umfassend wie die allgemeinen Fürsorgepflichten des Arbeitgebers im Rahmen eines vertraglichen Arbeitsverhältnisses. In der Rechtswissenschaft ist anerkannt, daß der Umfang der Fürsorgepflichten je nach dem Grad der Abhängigkeit des Arbeitnehmers unterschiedlich sein kannGs. Je weitergehend der Arbeitgeber auf die Lebensverhältnisse der Arbeitnehmer einwirken kann, desto größer ist auch seine Verpflichtung zur Beachtung der Belange der Arbeitnehmer. Die Einwirkungsmöglichkeit der Konzernobergesellschaft ist in der Regel geringer als die eines vertraglichen Arbeitgebers. Von wesentlicher Bedeutung für die Einwirkungsmöglichkeit und damit auch für den Umfang der Schutzpflichten einer Konzernobergesellschaft ist die Art der Konzernverbindung. So können etwa bei einer Eingliederung i. S. der §§ 319 ff. AktG die Arbeitnehmer direkt den Weisungen der Organe der Hauptgesellschaft unterworfen seinG'. In einfachen fakos Bobrowski I Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb I, F I Rdnr.13; Hueck I Nipperdey I, § 48 I 1, 39l. 04 Zum weitreichenden Weisungsrecht bei der Eingliederung vgl. Rasch, Deutsches Konzernrecht, 168 f. 6'
84
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
tischen Konzernen können die abhängigen Gesellschaften dagegen weitgehend ihre Autonomie behalten haben. Die Schutzpflicht der herrschenden Gesellschaft beschränkt sich im Regelfall auf die Verpflichtung, bei der Ausübung ihres Weisungsrechts die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer angemessen zu berücksichtigen und die Nachteile für diese Personen möglichst gering zu halten. So kann beispielsweise ein herrschendes Konzernunternehmen verpflichtet sein, bei der von ihm veranlaßten Stillegung des Betriebes einer abhängigen Gesellschaft die dort freigesetzten Arbeitnehmer bei sich zu beschäftigen, wenn bei ihm Arbeitsplätze frei sindo 5 • Es kann ferner die Pflicht haben, bei personalpolitischen oder organisatorischen Grundentscheidungen nicht einzelne Konzernarbeitnehmergruppen einseitig zu benachteiligen. Die konkreten Auswirkungen des Schutzpflichtverhältnisses werden detailliert im Rahmen der konzernrechtlichen Einzelprobleme (Kapitel drei der Untersuchung) angesprochen. 6. Vergleich mit der Rechtslage beim mittelbaren Arbeitsverhältnis
Die bisher erzielten Ergebnisse sollen anhand eines Vergleichs mit einem bereits anerkannten Rechtsinstitut auf ihre Systemkongruenz untersucht werden. Hier bietet sich das mittelbare Arbeitsverhältnis an, bei dem ebenfalls der vertragliche Arbeitgeber von einem Hintermann abhängig ist. Ein mittelbares Arbeitsverhältnis liegt vor, wenn jemand von einem Mittelsmann (Zwischenperson), der seinerseits Arbeitnehmer eines Dritten (mittelbarer Arbeitgeber) ist, beschäftigt wird und die Arbeit mit Wissen des Dritten unmittelbar für diesen geleistet wird, ohne daß ein Arbeitsvertrag zwischen dem Dritten (mittelbaren Arbeitgeber) und dem Arbeitnehmer zustande kommt60 • Beispiel:
Orchestermusiker A (Arbeitnehmer) hat einen Anstellungsvertrag mit seinem Dirigenten M (Mittelsperson) abgeschlossen. M arbeitet zu 90 % für den Rundfunksender D (mittelbarer Arbeitgeber), zu dem er seinerseits in einem festen Beschäftigungsverhältnis steht. Zwischen dem Rundfunksender D und A besteht kein Vertragsverhältnis, obwohl A überwiegend für D arbeitet. Das Verhältnis zwischen D und A wird als mittelbares Arbeitsverhältnis bezeichnet.
s. hierzu unten 3. Kap., A. III. 5. c) aa). Zum mittelbaren Arbeitsverhältnis s. Hueck I Nipperdey I, § 78 V; Nikisch I, § 24 III, 232 ff.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 185; Zöllner, Arbeitsrecht, 217; Söllner, Arbeitsrecht, 250; Kauffmann, RdA 1951, 176; Müllner, Aufgespaltene Arbeitgeberstellung und Betriebsverfassungsrecht, 26 f. G5
08
H. Die rechtlichen Auswirkungen
85
a) Die Beurteilung des mittelbaren Arbeitsverhältnisses
in Literatur und Rechtsprechung
Die ganz überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung bejaht Fürsorgepflichten des mittelbaren Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern der Zwischenperson67 • Begründet wird dies mit dem Gedanken, der eigentliche (mittelbare) Arbeitgeber dürfe sich nicht durch Einschaltung einer Zwischenperson seiner Schutz- und Fürsorgepflichten entziehen68 • Über die rechtliche Grundlage dieser Fürsorgepflichten herrscht völlige Unklarheit. Einigkeit besteht lediglich insoweit, als das Fehlen eines Arbeitsvertrages zwischen mittelbarem Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht als entscheidend angesehen wird. Teilweise wird die rechtliche Grundlage in der Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des mittelbaren Arbeitgebers gesehen69 , teilweise in einem Vertrag zugunsten Dritter70 , teilweise wird überhaupt nicht auf die Notwendigkeit einer Rechtsgrundlage eingegang'en71 • b) Kritik
Die Fürsorgepflichten des mittelbaren Arbeitgebers lassen sich nicht überzeugend aus einem Vertrag zugunsten Dritter zwischen der Mittelsperson und dem mittelbaren Arbeitgeber herleiten. Es ist zunächst schon fraglich, ob ein solcher Vertrag mit dem Parteiwillen, insbesondere dem Willen des mittelbaren Arbeitgebers, übereinstimmt. Beide Vertragsparteien haben regelmäßig kein Interesse an der Begründung von unmittelbaren Ansprüchen des Arbeitnehmers gegenüber dem mittelbaren Arbeitgeber. Darüber hinaus vermag diese Ansicht den zwingenden Charakter der Fürsorgepflichten nicht befriedigend zu erklären. Auch beim mittelbaren Arbeitsverhältnis wird die Fürsorgepflicht des mittelbaren Arbeitgebers ganz einhellig als nicht abdingbar bezeichnet72 • Hält man, wie die Vertreter des Vertrages zugunsten Dritter73, für das Entstehen von Fürsorgepflichten eine vertragliche Grundlage für erforderlich, so kann nur ein Arbeitsvertrag mit dem jeweiligen Arbeitnehmer zwingend solche Schutzpflichten nach sich 87 Vgl. BAG AP Nr.2 zu § 611 BGB mittelbares Arbeitsverhältnis; BAG AP Nr. 19 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Hueck I Nipperdey I, § 78 V 3 c) aa), 799; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 951. 88 Nikisch I, 234. 8D Nikisch I, 235. 70 Hueck I Nipperdey I, § 78 V Fn. 43. 71 So Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 951. 72 Hueck I Nipperdey I, § 78 V Fn. 43. 73 Hueck I Nipperdey I, § 78 V Fn. 43.
86
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
ziehen. Ein sonstiger Vertrag, auch ein Vertrag zugunsten Dritter, vermag diese zwingenden Pflichten nicht zu begründen. Will man damit im Rahmen eines allgemeinen Vertrages zugunsten Dritter den Vertragsinhalt zwingend vorschreiben, so sieht man in Wirklichkeit nicht den Vertrag als Rechtsgrundlage der gewünschten Pflichtenstellung an. Man greift vielmehr auf die faktischen Verhältnisse zurück. Mit anderen Worten: Auch hier wird letztendlich aus der Besonderheit der tatsächlichen Beziehung zwischen mittelbarem Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Notwendigkeit von Fürsorgepflichten des "Hintermannes" abgeleitet. Dann ist es aber auch dogmatisch korrekter, die Rechtsgrundlage der Fürsorgepflicht nicht in einem Vertrag zu suchen, sondern in einem besonderen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis. Die Eingliederungstheorie als Begründung für ein solches Schutzpflichtverhältnis ist überholt74 • Sie trifft auch nicht den Kern der Sache. Entscheidend ist, daß hier ein Dritter die Möglichkeit hat, über die Arbeitskraft einer Person zu disponieren und auf deren Rechtssphäre einzuwirken. Diese sozialfaktische Machtposition ist einzugrenzen, indem ihrem Inhaber Schutzpflichten auferlegt werden. Auch beim mittelbaren Arbeitsverhältnis ist die Rechtsgrundlage für die Fürsorgepflichten des mittelbaren Arbeitgebers in dem bereits angesprochenen Schutzpflichtverhältnis zu suchen. c) Schlußfolgerungen für das Konzernarbeitsrecht
Im Ergebnis bejaht die h. M. zu Recht Schutzpflichten des Arbeitgebers75 • Dieser bereits verfestigte Grundgedanke des mittelbaren Arbeitsverhältnisses läßt sich auf ähnliche Tatbestände übertragen. Nicht erforderlich ist, daß in dem Parallelfall ebenfalls ein Arbeitsverhältnis zwischen beherrschendem Hintermann und Mittelsperson besteht, die Mittelsperson also, wie im mittelbaren Arbeitsverhältnis, selbst Arbeitnehmer ist78 • Auch wenn Mittelsperson und "Hintermann" lediglich wirtschaftlich miteinander verflochten sind, lassen sich die Grundgedanken des mittelbaren Arbeitsverhältnisses heranziehen77, weil das Wertungsproblem die gleiche Rechtsfolge gebietet. Für das Konzernarbeitsverhältnis können daher ebenfalls Schlußfolgerungen aus den Grundsätzen des mittelbaren Arbeitsverhältnisses 74 Zur Kritik an der Eingliederungstheorie: Hueck I Nipperdey I, § 21 II m. w. N.; Metzmaier, Die Eingliederungstheorie und die Lehre vom Arbeitsverhältnis. 75 Vgl. hierzu die Hinweise in Fn. 67. 78 Hueck I Nipperdey I, § 78 VI; Nikisch I, 232. 77 So Kauffmann, RdA 1951, 176 und die dort angesprochene Entscheidung des LAG Frankfurt.
11.
Die rechtlichen Auswirkungen
87
gezogen werden. Wenn im mittelbaren Arbeitsverhältnis die Fürsorgepflicht mit dem Hinweis begründet wird, der eigentliche Nutznießer der Arbeitsleistung dürfe sich nicht durch Einschaltung einer Zwischenperson seinen arbeitsrechtlichen Pflichten entziehen78 , so muß im Konzernbereich festgestellt werden, daß derartige Auswirkungen auch nicht durch die künstliche Aufspaltung des wirtschaftlich einheitlichen Arbeitgebers entstehen dürfen. Zwar hat die Konzernobergesellschaft im Regelfall kein direktes Weisungsrecht gegenüber den Arbeitnehmern der abhängigen Unternehmen, wie es der mittelbare Arbeitgeber vielfach haben wird 70 • Die Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Konzernspitze sind nicht derart intensiv wie im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und mittelbarem Arbeitgeber. Es besteht insoweit aber nur ein quantitativer, nicht jedoch ein qualitativer Unterschied. Das Maß der Abhängigkeit des Arbeitnehmers wirkt sich lediglich auf den Umfang der Schutzpflichten des Hintermannes ausB°. Im Grundsatz ist die Rechtslage beim mittelbaren Arbeitsverhältnis mit der beim Konzernarbeitsverhältnis vergleichbar. Die für das mittelbare Arbeitsverhältnis bereits anerkannten Rechtsgrundsätze bestätigen damit die vorstehend für das Konzernarbeitsrecht erzielten Ergebnisse. Auch der herrschenden Konzerngesellschaft kommen Schutzpflichten gegenüber den Arbeitnehmern der abhängigen Unternehmen zu. 7. Zusammenfassung Als Zwischenergebnis läßt sich damit festhalten: Der Konzernobergesellschaft können außervertragliche Schutzpflichten gegenüber den Arbeitnehmern der abhängigen Gesellschaften obliegen. Voraussetzung hierfür ist: a) Die Konzernobergesellschaft muß im konkreten Einzelfall tatsächlich kraft ihrer Leitungsmacht Einfluß auf die Unternehmenspolitik (im weitesten Sinn) der abhängigen Gesellschaft genommen haben. Hat die beherrschte Gesellschaft im zu beurteilenden Einzelfall trotz ihrer konzernmäßigen Verbundenheit eine autonome Entscheidung getroffen, so liegt keine Aufspaltung einer Arbeitgeberfunktion vor. b) Die von der herrschenden Konzerngesellschaft veranlaßte oder selbst durchgeführte Maßnahme muß sich auf die Sphäre (das Arbeitsverhältnis) der Arbeitnehmer der abhängigen Gesellschaft auswirken. 78
Nikisch I, 234. Hueck / Nipperdey I, §
78 V 3, 801; Müllner, Aufgespaltene ArbeitgebersteIlung und Betriebsverfassungsrecht, 32 f. 80 Bobrowski / Gaul, Arbeitsrecht I, F I Rdnr. 13. 70
88
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
111. Die Beweislast für das Vorliegen von Konzerndirektiven 1. Beweissdlwierigkeiten des Arbeitnehmers
Denkt man an die Schwierigkeiten, konzerninterne Maßnahmen zu überprüfen, so stellt sich sogleich die Frage nach der Praktikabilität des bisher erzielten Zwischenergebnisses. Kann auf die geschilderte Weise überhaupt ein effektiver Schutz des Arbeitnehmers vor nachteilhaften Konzerndirektiven erzielt werden? Eine sich auf das Arbeitsverhältnis auswirkende Konzerndirektive bildet ein anspruchsbegründendes Merkmal für die Annahme von außervertraglichen Schutzpflichten der herrschenden Konzerngesellschaft. Nach der allgemeinen ungeschriebenen Grundregel liegt die Beweislast hierfür bei dem Arbeitnehmer, der sich auf eine Schutzpflicht der Konzernobergesellschaft beruft81 • Wird dem Arbeitnehmer aber jemals der Nachweis gelingen, daß etwa der Verlust seines Arbeitsplatzes auf eine Konzerndirektive zurückzuführen ist? In der Regel wird der erforderliche Nachweis daran scheitern, daß der Arbeitnehmer keinen Einblick in die konzerninternen Leitungsbeziehungen hat. Die Ausübung der Leitungsmacht läßt sich vielfach etwa im Fall der personellen Verflechtung auf der Geschäftsführungsebene der Konzernglieder - überhaupt nicht nachkontrollieren. Im Rahmen einer praxisbezogenen Darstellung des Konzernarbeitsrechts ist zu überlegen, ob nicht bei einer besonders engen Verflechtung der einzelnen Konzernunternehmen der Konzernobergesellschaft die Beweislast für das Fehlen einer Konzerndirektive auferlegt werden sollte. Die zu untersuchende Frage lautet also: Hat die Konzernobergesellschaft die Beweislast für das Fehlen einer Konzerndirektive, wenn zwischen ihr und dem Arbeitnehmer einer abhängigen Gesellschaft streitig ist, ob sie über ihre Leitungsmacht Einfluß auf die Rechtssphäre des Arbeitnehmers genommen hat? 2. Grundsätze des Beweisredlts
a) Die allgemeinen Voraussetzungen einer Beweislastumkehr
In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß der Richter zu einer sogenannten Beweislastumkehr (richtiger: Zum Abweichen von 81 Vgl. BGHZ 3, 342, 346; 53, 250; BGH DB 1976, 1020; Baumbach / Lauterbach / Albers /Hartmann, ZPO, Anh. § 286 Anm. 2; Rosenberg, Beweislast, 105; Reinecke, Die Beweislastverteilung im Bürgerlichen Recht und im Arbeits-
recht als rechtspolitische Regelungsaufgabe, 28 m. w. N.
IH. Die Beweislast für das Vorliegen von Konzerndirektiven
89
der allgemeinen Beweislastgrundregel) befugt ist, wenn Sachgründe hierfür vorliegen8!. Er hat dabei diejenigen Erwägungen und Wertungen heranzuziehen, die den gesetzlichen Beweislastsonderregeln zugrunde liegen8s • Den gesetzlichen Beweislastsonderregeln lassen sich insbesondere zwei Grundüberlegungen entnehmen. b) Der Wahrscheinlichkeitsgedanke
Der Gesetzgeber hat die Beweislast in der Regel so verteilt, daß der weniger wahrscheinliche Vorgang bewiesen werden muß". Solche Wahrscheinlichkeitsüberlegungen stehen oftmals hinter Beweislastregeln, die durch ein sprachliches Regel-Ausnahme-Verhältnis ausgedrückt sind85• So ist etwa nach § 130 Abs. 1 S.2 BGB der seltenere Vorgang, nämlich der Widerruf, zu beweisen. Ähnliches gilt für die Nichtigkeit einer Willenserklärung nach § 118 BGB. Derjenige, der sich auf den Mangel der Ernstlichkeit als den weniger wahrscheinlichen Tatbestand beruft, hat ihn zu beweisen. Weitere Beispiele bieten die §§ 121 Abs. 2, 178 S. 1 BGB88 • Das Gesetz geht offensichtlich davon aus, daß es im Falle des "non liquet" gerechter ist, nach dem Wahrscheinlichen zu urteilen als nach dem Unwahrscheinlichen. Der Wertungsgedanke, Fehlurteile auf diese Weise möglichst zu vermeiden, ist überzeugend. c) Der Sphärengedanke
Neben der Wahrscheinlichkeitsüberlegung liegt den gesetzlichen Beweislastregeln in vielen Fällen der Sphärengedanke zugrunde87 • Eine Beweislastverteilung nach Sphären bedeutet, daß derjenigen Partei die Beweislast obliegt, die aufgrund ihrer Nähe zum Beweisgegenstand die besseren Beweismöglichkeiten hat88 • So trägt etwa entgegen der allgemeinen Grundregel der Anspruchsgegner die Beweislast für seine persönlichen Eigenschaften, etwa seine Geschäfts- oder Deliktsfähigkeit (vgl. §§ 105 Abs.1 und 2, 827 S.l, 828 Abs.l und 2 BGB). Auch der Beweislastregel des § 831 Abs. 1 S. 2 BGB liegt ein derartiger Sphären82 Vgl. Reinecke, 95 ff.; BGHZ 6, 226; BGH NJW 1972, 1131; NJW 1969, 269; ZäHer, ZPO, vor § 284 V 3. 83 Reinecke, 95. 8' A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 345; Kegel, Festgabe für Kronstein, 335; Reinecke, 36; a. A. Rosenberg, Beweislast, 125; Lüke, JZ 1966, 589. 85 Hierzu grundlegend Rosenberg, Beweislast, 126 f. 88 Vgl. Reinecke, 41. 87 A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 346; Larenz, Schuldrecht I, § 24 I b, 344; Henle, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts I, Allgemeiner Teil, 347 f. 88 A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 346.
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
90
gedanke zugrunde. Weitere Beispiele bieten etwa die §§ 548, 701, 694, 836 Abs. 1 S.2 BGBsD • Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, daß diejenige Partei, in deren Sphäre sich der streitige Vorgang abgespielt hat und die damit das Beweismaterial beherrscht, zur Aufklärung besser in der Lage ist als der Gegner. Diese beiden Erwägungen werden von der Rechtsprechung herangezogen, um eine nicht im Gesetz vorgesehene Beweislastumkehr zu rechtfertigen. In der Literatur wird sogar eine Beweislastumkehr contra legern für zulässig erachtet, wenn der Sphärengedanke in Verbindung mit der Wahrscheinlichkeitsüberlegung sie nahelegtDo • Bei der hier aufgeworfenen Problematik des Konzernarbeitsrechts handelt es sich nicht um eine Beweislastumkehr contra legern, sondern lediglich um eine Umkehr extra legern. An eine solche sind weniger strenge Anforderungen zu stellen'l. Ein typisches Beispiel für eine richterrechtlich entwickelte Beweislastumkehr aufgrund des Sphärengedankens bildet der Fall der Produzentenhaftung. Die Rechtsprechung verweist hier auf die Schwierigkeiten des Anspruchsstellers. Während es für den außenstehenden Abnehmer nahezu unmöglich ist, Fehler im Produktionsablauf nachzuweisen, hat der Hersteller den erforderlichen Einblick in seine betriebliche Organisation. Ihm fällt damit der Nachweis seines rechtmäßigen Verhaltens leichterD2 • 3. Die Beweislastumkehr im Konzernarbeitsredtt
Wendet man die vorstehend gewonnenen Erkenntnisse auf das Konzernarbeitsrecht an, so ergibt sich ein typischer Fall einer notwendigen Beweislastumkehr. a) Die Anwendung des Sphärengedankens
Allein die Konzernmuttergesellschaft hat Einblicke in die konzerninternen Geschehensabläufe. Trägt sie vor, sie habe die Unternehmenspolitik der abhängigen Gesellschaft im konkreten Einzelfall nicht beeinflußt, so kann dies nur durch sie nachgewiesen werden. Es handelt sich um Vorgänge, die eindeutig ihrer Sphäre zuzuordnen sind. Es erscheint damit nicht nur sachgerecht, sondern aus Rechtsgründen geboten, der Konzernobergesellschaft die Nachweispflicht für das Fehlen einer Konzerndirektive aufzuerlegen. S,
s. Reinecke, 50 f.
Reinecke, 96. 'I Reinecke, 96.
90
'2
BGH NJW 1969, 269, 275.
IH. Die Beweislast für das Vorliegen von Konzerndirektiven
91
b) Die Anwendung des Wahrscheinlichkeitsgedankens
Nicht zu übersehen ist andererseits, daß der Konzernobergesellschaft dieser "Negativbeweis", der in der Praxis stets große Probleme bietet8a , ebenfalls nicht leicht fallen wird. Unter Berücksichtigung des Wahrscheinlichkeitsgedankens ist daher zu fordern, daß bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die intensive Beeinflussung der Unternehmenspolitik der abhängigen Gesellschaft spricht. Die h. A. in der Literatur bejaht die einheitliche Leitungsmacht als Wesensmerkmal eines Konzerns bereits dann, wenn die wichtigsten Fragen der Unternehmenspolitik zweier Gesellschaften locker koordiniert werden84 • In diesen Fällen liegt jedoch die Einflußnahme auf die Sphäre der Arbeitnehmer der abhängigen Gesellschaften noch nicht nahe. Die konzernmäßige Verflechtung, d. h. die tatsächliche Ausübung der Leitungsmacht, muß vielmehr dergestalt sein, daß die beherrschte Gesellschaft ihre Selbständigkeit weitgehend verloren hat. aal Vertragskonzern und Eingliederung Die Einflußnahme auf die Belange der Arbeitnehmer ist zunächst in den sogenannten Vertragskonzernen wahrscheinlich, wenn also zwischen den betroffenen Gesellschaften ein Beherrschungsvertrag 1. S. der §§ 291, 308 ff. AktG abgeschlossen wurde 9s • Hat die Konzernobergesellschaft ihr Weisungsrecht bereits vertraglich abgesichert, so steht zu vermuten, daß sie von ihrer Leitungsmacht auch intensiven Gebrauch machen wird. Die Unselbständigkeit der beherrschten Gesellschaft ist hier institutionell verfestigt. Die gleichen Erwägungen gelten für den Eingliederungskonzern 1. S. der §§ 319 ff. AktG. Das Gesetz behandelt im Konzetnaußenrecht die eingegliederte Gesellschaft wie einen Betrieb der Konzernmutter (vgl. §§ 322 ff. AktG). bb) Faktische Konzerne In den faktischen Konzernverhältnissen ist die Sachlage weniger eindeutig. Nicht bei jeder Mehrheitsbeteiligung einer Muttergesellschaft ist die intensive Einflußnahme auf die Geschäftspolitik der abhängigen Gesellschaft bereits so wahrscheinlich, daß sie eine Umkehr der Beweislast rechtfertigen könnte. Zu bejahen ist eine Beweislastumkehr bei 83
Vgl. Reinecke, 45 ff.
Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 63; Biedenkopf / Koppensteiner, in Kölner Komm. z. AktG, § 18 Rdnr. 6 ff.; Würdinger, in: Großkomm. AktG, § 18 Anm. 4 ff.; Rehbinder, Konzernaußenrecht, 36. 8S Zum Beherrschungsvertrag als notwendige Grundlage eines Vertragskonzerns vgl. Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 65, 128, 189; Geßler, in: Geßler / Hefermehl, AktG, 3. Buch Vorbem. z. 1. Teil Rdnr. 7. 84
2. Kap.: C. Einzelne Arbeitgeberfunktionen
92
einer 1000f0igen Beteiligung der Konzernobergesellschaft am Kapital des beherrschten Unternehmens. Die Leitungsmacht der Konzernspitze unterliegt hier keiner Kontrolle durch Minderheitsgesellschafter. Abzulehnen ist die Beweislastumkehr, wenn die anderen nicht konzernverbundenen Teilhaber (Gesellschafter, Aktionäre) über eine Sperrminorität verfügen. Man versteht darunter einen Aktien- bzw. Anteilbesitz, der ausreicht, um gewisse besonders wichtige Beschlüsse, für deren Zustandekommen das Gesetz eine qualifizierte Mehrheit verlangt, zu verhindern98 • Sie erfordert im Regelfall eine Beteiligung von mehr als 25 (1/0 (vgl. §§ 179 Abs. 2, 202 Abs. 2, 222 Abs. 1, 262 Abs. 1 Ziff. 2 AktG; §§ 53 Abs. 2, 60 Abs. 1 Ziff. 2 GmbHG). Der Besitzer einer Sperrminorität kann die Mehrheit, indem er ihre Absichten zu verhindern droht, unter Umständen zu erheblichen Zugeständnissen in bezug auf die Geschäftspolitik zwingen07 • Die zwischen diesen beiden Beteiligungsquoten liegende Grauzone ist schwer zu beurteilen. In der Literatur wird zu Recht darauf hingewiesen, daß im Interesse der Rechtssicherheit von der allgemeinen Beweisregel nur dann abgewichen werden sollte, wenn sich eine abstrakte Regel für die Beweislastumkehr aufstellen läßt98 • Auch im vorliegenden Fall ist damit eine abstrakte und leicht zu handhabende Regel zu bilden. Die Intensität der Beziehungen im Einzelfall ist als Abgrenzungskriterium abzulehnen. Einen Anhaltspunkt für ein abstraktes Kriterium bieten die Vorschriften des AktG für den Eingliederungskonzern. Sie sehen eine Minderheitsbeteiligung von weniger als 5 0 10 als derart unbedeutend an, daß sich der Mehrheitsaktionär über ein Veto der Minderheit zur Eingliederung hinwegsetzen kann. Er muß lediglich die finanziellen N achteile der Minderheit ausgleichen (vgl. § 320 AktG). In entsprechender Anwendung der hinter dieser Vorschrift stehenden Wertung ist es gerechtfertigt, bei einer Mehrheitsbeteiligung von mindestens 95 (110 der Konzernobergesellschaft die Beweislast für die ihrer Sphäre zugehörenden Maßnahmen aufzuerlegen. Man kann diese Fälle des faktischen Konzerns als faktische Eingliederungen bezeichnen, bei denen eine vorsichtige Gleichstellung mit der Eingliederung nach den §§ 319 ff. AktG geboten ist. Auch das neuere Schrifttum zum Konzernrecht hat erkannt, daß der faktische Konzern Tatbestände mit ganz unterschiedlichen Problemlagen umfaßt. Es differenziert daher teilweise zwischen dem einfachen Rasch, Deutsches Konzernrecht, 45. Rasch, Deutsches Konzernrecht, 45. 98 Reinecke, 88 f.; Kummer, Berner Komm., Anm.123 zu Art.8 ZGB; v. Greyerz, Der Beweis negativer Tatsachen, 41. 98 97
IH. Die Beweislast für das Vorliegen von Konzerndirektiven
93
faktischen und dem qualifizierten (oder durchgeführten) faktischen Konzern8U • Ein qualifizierter faktischer Konzern wird bei einer nachhaltigen Beeinträchtigung des unternehmerischen Eigeninteresses der beherrschten Gesellschaft angenommen100• Auf ihn sollen nach der Vorstellung des Arbeitskreises GmbH-Reform die Regeln über den Vertragskonzern angewendet werden101 • Der vom Arbeitskreis GmbH-Reform eingeführte Begriff des qualifizierten Konzerns war Teil eines Vorschlages de lege ferenda 102 • De lege lata können an ihn keine Rechtsfolgen geknüpft werden. Insoweit bietet der hier angenommene Begriff der faktischen Eingliederung das einzige vom geltenden Recht gestützte Abgrenzungskriterium, das verschärfte Bestimmungen für bestimmte faktische Konzerne rechtfertigt. Insbesondere bei den Konzernen, die nicht dem Aktiengesetz unterliegen, bei denen also ein Vorgehen nach den §§ 319 ff. AktG ausgeschlossen ist, drängt sich eine Sonderbehandlung der faktischen Eingliederung auf. Die Rechtsprechung verwendet den Begriff der Eingliederung auch bei Konzernen, die nicht den §§ 319 ff. AktG unterliegen103 • Sie befürwortet hier - allerdings im Verhältnis zu den Minderheitsgesellschaftern eine Nachweispflicht der herrschenden Gesellschaft für ihr pflichtgemäßes Verhalten104 • Bei der Berechnung der 950f0igen Mehrheitsbeteiligung sind auch mittelbare Beteiligungen der herrschenden Konzerngesellschaft, also etwa Anteile anderer Tochtergesellschaften, zu berücksichtigen. Ist beispielsweise eine Konzernmuttergesellschaft an einer abhängigen Gesellschaft mit 50 f)/o beteiligt und verteilt sich der restliche Anteilsbesitz auf andere Konzerntochtergesellschaften, so muß eine solche mittelbare Beteiligung als ausreichend angesehen werden105 • Hat der Arbeitnehmer genügend Anhaltspunkte für eine Konzerndirektive vorgetragen und bewiesen, so daß für ihr Vorliegen die über88 Vgl. Arbeitskreis GmbH-Reform, Thesen und Vorschläge Bd.2, 49 ff., 66 ff.; Emmerich, in: Der GmbH-Konzern, 1, 16 f.; Schmidt, ZGR 1981, 455, 472; Lutter, ZGR 1982, 244; vgl. auch Kropff, in: Geßler / Hefermehl, AktG, Vorbem. §§ 311-318 Rdnr. 36 ff. 100 Arbeitskreis GmbH-Reform, 59; Schilling, ZHR 140 (1976), 528, 532 f.; GeßZer, DB 1973, 50, 51. 101 Arbeitskreis GmbH-Reform, 49 ff., 66 ff.; Emmerich, in: Der GmbHKonzern, 1, 17. 102 Vgl. Lutter, ZGR 1982, 244, 267 Fn.70; Kropff, in: Geißler / Hefermehl, AktG, Vorbem. §§ 311-318, Rdnr. 36. lOS BGH NJW 1980, 231. lOt BGH NJW 1980, 231; in dem vom BGH entschiedenen Fall lag ein nicht dem AktG unterliegender - Unternehmensvertrag zwischen herrschender und beherrschter Gesellschaft vor. . 105 Vgl. hierzu die Regelung des § 16 Abs. 4 AktG, der der gleiche Rechtsgedanke zugrunde liegt.
94
2. Kap.: D. Parallelen im französischen Recht
wiegende Wahrscheinlichkeit spricht, dann muß auch in einfachen Konzernverbindungen der Konzernobergesellschaft die Beweislast für das Nichtvorliegen einer konzerninternen Weisung obliegen108 • c) Ergebnis
Die Grundgedanken des Beweisrechts rechtfertigen auch im Konzernarbeitsrecht unter bestimmten Voraussetzungen eine Beweislastumkehr. Ist zwischen einer Konzernobergesellschaft und dem Arbeitnehmer einer abhängigen Gesellschaft streitig, ob die herrschende Konzerngesellschaft über ihre konzernrechtliche Leitungsmacht Einfluß auf die Rechtssphäre des Arbeitnehmers genommen hat, so trifft die Konzernobergesellschaft die Beweislast für das Fehlen einer Konzerndirektive, wenn (jeweils alternativ): a) ein Fall der Eingliederung vorliegt. b) ein Vertragskonzern besteht. c) die abhängige Gesellschaft, bei der der Arbeitnehmer beschäftigt ist, zumindest zu 95 % im Mehrheitsbesitz der Konzernmuttergesellschaft steht. d) der Arbeitnehmer genügend Anhaltspunkte für eine Konzerndirektive vorgetragen und bewiesen hat, so daß für ihr Vorliegen die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht.
D. Konzern und ArbeitsredItParal1elen im französischen Remt Für das französische Recht stellt sich der Konflikt zwischen gesellschafts- und arbeitsrechtlichen Regelungen in ähnlicher Weise. Im französischen Recht sind - anders als im deutschen - Konzern und Unternehmensgruppe gesetzlich nicht geregeW. Das französische Gesellschaftsrecht geht daher grundsätzlich von der umfassenden rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Konzernglieder aus. Gesetzliche Anhaltspunkte für eine einheitliche Sicht der Unternehmensgruppe bestehen nicht. Dennoch hat sich die französische Arbeitsrechtswissenschaft und Rechtsprechung gegen den Vorrang des Gesellschaftsrechts und für die Entwicklung eines spezifisch arbeitsrechtlichen Begriffssystems entÄhnlich wie bei der Produktenhaftung vgl. BGH NJW 1969, 269. Vgl. zum französischen Konzernrecht Schmidt, ZGR 1982,276 ff.
100 1
2. Kap.: D. Parallelen im französischen Recht
95
schieden. Sie betrachtet, allerdings nur unter engen Voraussetzungen, verbundene Unternehmen als rechtliche Einheit2• Dementsprechend wird für die Feststellung des Arbeitgebers nicht stets an die formale Arbeitsvertragspartei angeknüpft, sondern an die wirtschaftliche und soziale Einheit von Mutter- und Tochtergesellschaft'. Voraussetzung ist ein identisches, vermischtes oder sich ergänzendes Tätigkeitsfeld der einzelnen Gesellschaften4 • Allein die finanzielle Verflechtung wird für die Berücksichtigung der Konzernzugehörigkeit des Arbeitgebers nicht als ausreichend erachtet, weil hier jedes Unternehmen seine wirtschaftliche Autonomie behäIt6. In den genannten engen Unternehmensverbindungen entscheidet der ursprüngliche Vertragsschluß nicht notwendig über die Arbeitgebereigenschaft. Von Bedeutung ist vielmehr, welche Gesellschaft die Dienste des Arbeitnehmers in Anspruch nimmt6 • Auch schließt die Feststellung eines einzigen Arbeitsvertrages es nicht aus, daß mehrere verbundene Unternehmen als Arbeitgeber bezeichnet werden. Ausschlaggebend ist die wirtschaftliche Einheit der Unternehmensgruppe7 • Der in ein anderes Unternehmen versetzte Arbeitnehmer ist an die übernehmende Gesellschaft gebunden, ohne daß sein ursprünglicher Arbeitsvertrag mit der "verleihenden" Gesellschaft aufgelöst wird. Es liegt ein einheitlicher Arbeitsvertrag mit beiden Konzerngesellschaften vors. Interessant ist die Regelung des Art. L 122 - 14 - 8 Code du travail, die für eine Konzernmutter mit Sitz in Frankreich eine Wiedereinstellungspflicht für in ausländische Tochtergesellschaften entsandte und dort gekündigte Arbeitnehmer vorsieht9 • Die Beschäftigungszeit in der ausländischen Gesellschaft wird bei der Berechnung des Urlaubs und der Kündigungsfrist berücksichtigt. Das Ziel dieser Vorschrift liegt auf der Hand. Die Expansion der französischen Industrie im Ausland soll auch aus der Sicht der Arbeitnehmerinteressen begünstigt werden. Dennoch fragen auch französische Stimmen, ob es berechtigt ist, ein Reintegrationsrecht nur für die von einer ausländischen Konzerngesellschaft gekündigten Arbeitnehmer anzuerkennen1o • Vgl. Despax, Droit socia11961, 596; Vacaire, Droit socia11975, 23. Vgl. Javillier, Droit du Travail, 222 f.; Vacaire, Droit social1975, 23, 25. 4 Cass. soc., Droit social 1969, 513; Cass. soc. Droit social1966, 103; Cass. soc. Droit socia11961, 109. S Vacaire, Droit socia11975, 23, 24. 8 Cass. soc. BuH. civ. V, Nr. 296, 264; Nr. 346, 310. 7 Vacaire, Droit socia11975, 23, 25 f. 8 Vacaire, Droit social 1975, 23, 30; vgl. auch Cass. soc. Droit social 1966 Nr.2, 103; Cass. soc. BuH. civ. IV, Nr. 517, 425. 9 Hierzu Lyon-Caen, Rev. crit. de droit international prive 1974, Nr. 3, 439 ff. 10 Vacaire, Droit social1975, 23, 32. I
3
96
2. Kap.: D. Parallelen im französischen Recht
Dieser kurze rechtsvergleichende Hinweis zeigt, daß in der französischen wie in der deutschen Rechtsordnung der Konflikt zwischen der gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsfreiheit und der Sicherung der Arbeitnehmerrechte durch spezifisch konzernarbeitsrechtliche Lösungen zu bereinigen ist. Soweit sich aus der französischen Rechtslage Rückschlüsse ziehen lassen, bestätigen sie die hier vertretenen Grundsatzüberlegungen.
Drittes Kapitel
Individualarbeitsrechtliche Einzelprobleme Der folgende zweite Teil der Untersuchung befaßt sich mit den arbeitsrechtlichen Problemen, bei denen sich die Konzernzugehörigkeit des Arbeitgebers auf die einzelvertragliche Rechts- und PflichtensteIlung des Arbeitnehmers auswirkt. Basis der Lösungsvorschläge sind jeweils die im zweiten Kapitel erarbeiteten Grundlagen.
A. Die RedltssteUung des Arbeitnehmers im Konzernverbund I. Die Haftung dritter Konzerngesellschaften für die Lohnansprüche und sonstigen vermögensrechtlichen Forderungen der Arbeitnehmer im Konzern Beispiel:
A ist Beschäftigter der T-GmbH, deren Stammkapital sich zu 100 % in Händen der M-AG befindet. Die M-AG ist herrschendes Unternehmen eines Großkonzerns. Im Zuge einer Neuorientierung der Konzernpolitik ergibt sich eine Veränderung der Produktion. Die T-GmbH läßt sich in das neue Produktionskonzept nicht mehr einfügen. Zukunftsorientierte Produkte mit aussichtsreicher Ertragslage werden von der T-GmbH in dritte Konzerngesellschaften verlagert. Als die T-GmbH infolge dieser Produktionsveränderungen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, unternimmt die M-AG nichts zu ihrer Stützung. Die T-GmbH fällt in Konkurs. A überlegt, ob er den Teil seiner offenen Lohnforderungen, der weder durch das Konkursausfallgeld noch durch die Konkursmasse abgedeckt ist, von der M-AG verlangen kann.
Hauptergebnis der bisherigen Untersuchung war die Feststellung, daß auch im Konzernbereich Arbeitgeber grundsätzlich nur diejenige Konzerngesellschaft ist, mit der ausdrücklich oder konkludent ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde. Nur gegenüber diesen Gesellschaften können daher Lohnansprüche bestehen. Gegenüber weiteren Konzerngesellschaften kommen hinsichtlich des Arbeitslohns allenfalls außervertragliche Haftungsansprüche in Betracht.
98
3. Kap.: A. Die Reehtsstellung des Arbeitnehmers 1. Zur Möglichkeit einer konzemeinheitlichen Lösung der Haftungsproblematik
Haftungsansprüche gegenüber Drittgesellschaften sind von Interesse, wenn der eigentliche Partner des Arbeitsvertrages seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Für die Arbeitnehmer ist dann entscheidend, inwieweit sie ihre noch ausstehenden Forderungen gegenüber Drittgesellschaften durchsetzen können. Die Haftungsfrage läßt sich nicht einheitlich für sämtliche Formen der Konzernierung beantworten. Die Haftungsansprüche der Arbeitnehmer richten sich primär nach den allgemeinen Gläubigerschutzvorschriften. Diese differieren aber je nach der Art der Konzernverbindung. Nur wenn sich ergeben sollte, daß die allgemeinen Gläubigerschutzvorschriften keine auch für das Arbeitsrecht befriedigende Lösung anbieten, ist zu überlegen, ob aufgrund arbeitsrechtlicher Besonderheiten eine Ergänzung dieser Vorschriften geboten ist. 2. Die Haftung der Hauptgesellschaft bei Vorliegen einer Eingliederung nach den §§ 319 ff. AktG
Die weitestgehende Absicherung der Gläubiger einer Konzerngesellschaft sieht das Gesetz im Falle der Eingliederung nach den §§ 319 ff. AktG vor1 • Die Eingliederung bezweckt die nahezu umfassende Herrschaft der Hauptgesellschaft über die eingegliederte Gesellschaft. Sie setzt eine Beteiligung der Hauptgesellschaft an der einzugliedernden Gesellschaft in Höhe von mindestens 95 % voraus (§ 320 AktG). Wirtschaftlich gesehen kommt sie der Fusionierung nahe; rechtlich bleibt aber auch hier die eingegliederte Gesellschaft als selbständige juristische Person bestehen. Der umfassenden Einflußmöglichkeit hat das Gesetz zwingend in § 322 AktG die gesamtschuldnerische Mithaftung der Hauptgesellschaft für sämtliche Alt- und Neuschulden der eingegliederten Gesellschaft gegenübergestellt. Beide Gesellschaften schulden damit ohne Rücksicht auf den Inhalt der Leistungspflicht der eingegliederten Gesellschaft die Erfüllung (§ 421 BGB)2. Die Arbeitnehmer der abhängigen Gesellschaft sind als Gesellschaftsgläubiger in bezug auf ihre finanziellen Forderungen umfassend geschützt. 1 Hierzu Emmerich / Sonnenschein, Konzernreeht, § 3; Sonnenschein, BB 1975, 1088 ff.; Veit, Unternehmensverträge und Eingliederung als aktienreeht-
liehe Instrumente der Unternehmensverbindung. ! So die h. M., vgl. Würdinger, in: Großkomm. AktG, § 322 Anm.l; Emmerich / Sonnenschein, Konzernreeht, 92; a. A. Biedenkopf / Koppensteiner, Kölner Komm. zum AktG, § 322 Rdnr. 12 f.
I. Die Haftung für Arbeitnehmerforderungen
99
3. Die Haftung der herrschenden Gesellschaft im Vertragskonzern und bei Abschluß eines Gewinnabführungsvertrages
Auch für den Vertragskonzern kennt das Aktiengesetz in § 302 AktG eine spezielle Gläubigerschutzvorschrift3 • Danach hat die herrschende Gesellschaft bei Abschluß eines Beherrschungs- oder Gewinnabfüh':' rungsvertrages jeden während der Vertragsdauer entstehenden Verlust zu übernehmen. Die Gläubiger der beherrschten Gesellschaft können zwar nicht direkt gegen die Konzernobergesellschaft vorgehen. Werden ihre Ansprüche von der abhängigen Gesellschaft mangels Zahlungsfähigkeit nicht befriedigt, so haben sie aber die Möglichkeit, in den Anspruch der abhängigen Gesellschaft auf Übernahme ihres Verlustes zu vollstrecken. Über die Pfändung und Überweisung dieses Anspruchs nach den §§ 829, 835 f. ZPO erlangen sie damit ebenfalls unmittelbare Rechte gegen die herrschende Konzerngesellschaft. Lediglich die Durchsetzung der Ansprüche gegen die Konzernobergesellschaft gestaltet sich schwieriger als bei Vorliegen einer Eingliederung i. S. der §§ 319 ff. AktG. Die Arbeitnehmer der beherrschten Gesellschaft können als Gesellschaftsgläubiger ihre offenstehenden Forderungen über den geschilderten Umweg gegen das herrschende Konzernunternehmen geltend machen. § 302 AktG statuiert mittelbar eine Haftung der herrschenden Gesellschaft für die Verbindlichkeiten des abhängigen Unternehmens'. Teilweise wird in der Literatur die Auffassung vertreten, die Gläubiger hätten in Analogie zu den §§ 317 Abs. 4, 309 Abs. 4 AktG die Möglichkeit, direkt gegen die herrschende Gesellschaft vorzugehen, wenn sie von dem abhängigen Konzernglied keine Befriedigung erlangen könnens. Diese Analogie ist zu weitgehend. Die §§ 317 Abs.4, 309 Abs.4 AktG erfassen nur die Ansprüche der Aktionäre. Die Annahme, der Gesetzgeber habe auch ohne ausdrückliche Erwähnung die Gesellschaftsgläubiger den Minderheitsaktionären gleichstellen wollen, ist nicht gerechtfertigt. Das Gesetz unterscheidet, wie die Regelung der §§ 291 ff. AktG zeigt, durchaus zwischen dem Schutz der Minderheitsaktionäre und dem Schutz der Gläubiger der abhängigen Gesellschaften. Die unterschiedliche Behandlung der Gläubiger und der Minderheitsaktionäre ist damit vom Gesetz gewollt. Eine Regelungslücke i. S. einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes liegt nicht vor. Für eine Analogie besteht kein Raum. Zudem könnte, worauf Müller6 selbst hinweist, 3
Hierzu Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, 330 ff.;
Lutter, ZGR 1982, 244, 262; Rasch, Deutsches Konzernrecht, 236 f.
, Emmerichl Sonnenschein, Konzernrecht, 170; Würdinger, in: Gtoßkomm. AktG, § 302 Anm.16. 5 Müller, ZGR 1977, 1, 6, 11 m. w. N. 6 Müller, ZGR 1977, 6.
7'
100
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
die herrschende Gesellschaft auch nach Klageerhebung der Gläubiger noch mit befreiender Wirkung an die beherrschte Gesellschaft zahlen und den Ansprüchen der Gläubiger damit die Grundlage t!ntziehen. Auch die praktische Bedeutung eines Anspruchs in Analogie zu den §§ 317 Abs. 4, 309 Abs. 4 AktG wäre somit äußerst gering. 4. Die Haftung der herrschenden Gesellschaft im faktischen Konzern
a) Der GZäubigerschutz im faktischen Konzern aa) Die gesetzliche Regelung Liegt kein Unternehmensvertrag i. S. des § 291 AktG vor, so besteht für den Arbeitnehmer nur eine einzige gesetzlich normierte Möglichkeit, auf das Vermögen der herrschenden Gesellschaft zurückzugreifen: Der Ausgleichsanspruch aus § 317 AktG. Diese Vorschrift sieht eint!n Ersatzanspruch der abhängigen Gesellschaft gegenüber der herrschenden Gesellschaft vor. Die Gläubiger des abhängigen Konzernglieds können nach den §§ 317 Abs.4, 309 Abs.4 AktG dt!n Ausgleichsanspruch selbst geltend machen, sofern sie von der abhängigen Gesellschaft keine Befriedigung erlangen. Der Ersatzanspruch ist gegeben, wenn das herrschende Unternehmen die abhängige Gesellschaft zu einer Maßnahme veranlaßt hat, die für diese nachteilig war. Der Gläubiger, der gegen die herrschende Konzerngesellschaft vorgehen will, muß nachweisen, daß diese schuldhaft eint!n Nachteil der untergeordneten Gesellschaft verursacht hat. Dieser Nachweis stößt in der Praxis auf erhebliche Schwierigkeiten, die im Rahmen der vorliegenden primär arbeitsrechtlich ausgerichteten Untersuchung nur kurz angedeutet werden können7 • bb) Die Unzulänglichkeiten der gesetzlichen Regelung In vielen Fällen muß die Konzernobergesellschaft keine ausdrückliche Konzerndirektive erlassen, um ihre Konzernpolitik zum Nachteil der abhängigen Gesellschaft durchzusetzen. Die Tatbestandsmerkmale des § 317 AktG liegen dann nicht vor, obwohl ein Schutz der Gläubiger und Minderheitsaktionäre dringend geboten wäre. Auch im faktischen Konzern veranlaßt allein die Tatsache der Konzernzugehörigkeit die Organe der abhängigen Gesellschaft, die Inter7 Im einzelnen s. hierzu Biedenkopf / Koppensteiner, Kölner Komm. zum AktG, § 311 Anm. 28 ff., 36; Würdinger, Großkomm. zum AktG, Vorb.2 vor §§ 311-318; Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 208 ff.; Müller, ZGR 1977, 18 ff.
I.
Die Haftung für Arbeitnehmerforderungen
101
essen ihrer Gesellschaft dem Konzerninteresse unterzuordnen. Es bedarf daher oftmals keiner ausdrücklichen Weisung durch die Konzernobergesellschaft, um die Geschäftspolitik des abhängigen Konzernglieds auf das Konzerninteresse auszurichten. Die Organe der Konzerntochtergesellschaften sind faktisch von der Konzernmutter abhängig. Schon im Interesse der Sicherung ihrer Stellung werden sie daher das Konzerninteresse im Auge behalten. In der Konzernpraxis sind darüber hinaus oftmals Angehörige der Geschäftsleitung der herrschenden Gesellschaft zugleich Organmitglieder des beherrschten Unternehmens8 • Bei einer derartigen personellen Verflechtung zwischen beiden Gesellschaften gelten die angeführten überlegungen verstärkt. ce) Die Nachteilsfeststellung Die Feststellung eines "Nachteils" bringt im Konzernbereich erhebliche Probleme mit sich. Insoweit sei besonders auf den Austausch von Leistungen ohne festen Marktwert hingewieseno. Gerade zwischen Konzernunternehmen wird der Austausch von "know how" vielfach praktiziert. Bei der wertmäßigen Beurteilung dieser geistigen Leistungen bestehen ganz erhebliche Spielräume. Der Nachweis eines Nachteils hat hier wenig Aussicht auf Erfolg. Schwierigkeiten bei der Feststellung eines Nachweises gibt es ferner auch bei denjenigen Maßnahmen, die nicht in einem Austauschgeschäft bestehen. Ob etwa die von der Konzernspitze aus konzernorganisatorischen Gründen veranlaßte Produktion eines bestimmten Wirtschaftsgutes vorteilhaft war, läßt sich in den seltensten Fällen eindeutig ermitteln10 • dd) Die Beweisprobleme bei der Sachverhaltsfeststellung Will der Arbeitnehmer seine noch ausstehenden Forderungen gegenüber der Konzernmutter gerichtlich geltend machen, stößt er zudem bei der Sachverhaltsfeststellung auf erhebliche Schwierigkeitenl l • Ohne Einblick in die internen Beziehungen zwischen der Geschäftsführungsebene des herrschenden Unternehmens und der des abhängigen Unternehmens lassen sich die konzerninternen Weisungsströme nicht nachvollziehenl2 • Dieser Einblick steht dem Arbeitnehmer aber, selbst wenn er vom Betriebsrat unterstützt wird, i. d. R. nicht offen. Der Arbeitnehmer erlangt 8
Müller, ZGR 1977, 19. Biedenkopf I Koppensteiner,
Kölner Komm. zum AktG, § 311 Rdnr. 21 m.w.N. 10 Hierzu Bachelin, Der konzernrechtIiche Minderheitenschutz, 44; Luchterhand, ZHR 133, 1, 28 ff. 11 Zu den Beweisfragen bei der Nachteilsveranlassung vgI. Bachelin, 61 ff.; Biedenkopf I Koppensteiner, Kölner Komm. zum AktG, § 317 Rdnr. 8 ff. 12 VgI. hierzu auch BGH NJW 1980, 231. 9
102
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
keine Kenntnisse von den nachteiligen Geschäften, zu denen die Konzernmutter ihre Tochtergesellschaft gezwungen hat. Die Durchsetzung der gesetzlichen Ersatzansprüche scheitert daher, selbst wenn im Einzelfall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 317 AktG vorliegen, oft an den vielfältigen Beweisschwierigkeiten. ee) Die Ineffektivität der gesetzlichen Regelung Die gesetzliche Regelung des faktischen Konzerns muß aus den vorstehenden Gründen als ineffektiv und unbefriedigend bezeichnet werden13• Die §§ 311 bis 318 AktG führen zu einer nicht gerechtfertigten Privilegierung des faktischen Konzerns. Emmerich I Sonnenschein14 ziehen aus der Wirkungslosigkeit der gesetzlichen Regelung den Schluß, derartige nachteilhafte Rechtsgeschäfte und Maßnahmen müßten als unzulässig bezeichnet werden. Damit ist den Gesellschaftsgläubigern aber gerade in den problematischen Fällen nicht geholfen. Deren Schwierigkeiten liegen, wie ausgeführt wurde, darin, daß sie die fraglichen nachteiligen Weisungen der Konzernobergesellschaften nicht feststellen oder nicht nachweisen können. Es geht vielmehr darum, den Arbeitnehmern als den Gläubigern der beherrschten Gesellschaft Ansprüche zu sichern, deren tatbestandsmäßige Voraussetzungen und Beweisbarkeit für den Gläubiger günstiger sind. b) Allgemeine Lösungsversuche
Zur Verstärkung des allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes sind folgende Lösungsmöglichkeiten denkbar: aal Die entsprechende Anwendung der Vorschriften über den Vertragskonzern. bb) Die Durchgriffshaftung. ce) Die Haftung der Konzernmutter nach allgemeinen zivilrechtlichen Zurechnungstatbeständen. aal Die entsprechende Anwendung der Vorschriften für den Vertragskonzern Die überzeugendste Lösung der Probleme des faktischen Konzerns bietet, wenn man vom Ergebnis ausgeht, die entsprechende Anwendung der Regelung des Vertragskonzerns in den §§ 302 ff. AktG16 • Sie wird insbesondere für qualifizierte Konzernverhältnisse befürwortet18 • 13 Biedenkopf / Koppensteiner, Kölner Komm. zum AktG, § 322 Rdnr.28; Emmerich / Sonnenschein, Konzernrecht, 217. 14 Konzernrecht, 217 f.
I. Die Haftung für Arbeitnehmerforderungen
103
Dieser Lösungsweg ist aber nur de lege ferenda begehbar 7 • Mit dem geltenden Recht ist er nicht zu vereinbaren. Der Gesetzgeber hat bewußt zwischen dem Vertragskonzern und dem faktischen Konzern unterschieden und für beide Arten von Konzernverbindungen verschiedene Regelungen geschaffen. Er hat den hier angesprochenen Sachverhalt zwar nicht befriedigend, aber doch bewußt differenziert geregeltl8 . Der Weg einer Rechtsfortbildung i. S. der dargestellten Literaturansicht ist damit verschlossen. bb) Die Durchgriffshaftung der Konzernobergesellschaft Der Gesetzgeber des Aktiengesetzes wollte in den §§ 311 ff. AktG keine abschließende Regelung des Gläubigerschutzes treffen. Beabsichtigt war lediglich eine Verstärkung des Gläubigerschutzes, nicht jedoch der Ausschluß der allgemeinen Haftungsregeln l9 . Neben § 317 AktG sind daher die allgemeinen Grundsätze der Durchgriffshaftung anwendbaro. Der Haftungsdurchgriff durch eine selbständige juristische Person wird in der Rechtswissenschaft dann zugelassen, wenn ohne die Erstreckung der Haftung auf die hinter ihr stehende Gesellschaft ein dem gesetzlichen Haftungssystem widersprechendes Ergebnis eintreten würde!l. Das Hauptanwendungsgebiet der Durchgriffshaftung bilden die Mißbrauchsfälle, in denen die selbständige juristische Person entgegen ihrer vom Gesetzgeber gewollten Funktion eingesetzt wird!2. Ein solcher Rechtsformmißbrauch liegt aber nicht schon dann vor, wenn die juristische Person von einer anderen Gesellschaft beherrscht wird oder organisatorisch in ein herrschendes Unternehmen eingegliedert istZ'. Voraussetzung eines Durchgriffs ist ein mißbilligenswertes Verhalten der beherrschenden Gesellschaft bzw. die Erweckung des Anscheins persönlicher Haftungu . 15 Hierzu Martens, DB 1970, 813, 865, 868 ff. m. w. N.; Paehler, Die Zulässigkeit des faktischen Konzerns, 169 ff.; Emmerich, Die AG 1975, 285, 288 f.; a. A. Geßler, DB 1973, 48, 52; Kropff, in: GeBIer / Hefermehl, AktG, Vorb. 28 ff. vor § 311. 18 Vgl. Emmerich, in: Der GmbH-Konzern, 17; sowie oben 2. Kap., C. IIl. 3. b) bb). 17 So auch Koppensteiner, ZGR 1973, 1, 20 ff. 18 Lutter (ZGR 1982, 244, 267 Fn. 70) bejaht demgegenüber eine Gesetzeslücke, lehnt aber ebenfalls die entsprechende Anwendung der §§ 302 ff. ab. IU Zur Konzeption der §§ 311 ff. Würdinger, DB 1973, 45 f. !O h. M., vgl. Müller, ZGR 1977, 1, 27, m. w. N. 21 Müller-Freienfels, AcP 156, 522 f.; Münch-Komm. / Reuter, vor § 21 Rdnr. 12 ff., insbesond. 24 ff. 2Z Kalbe, Herrschaft und Haftung bei juristischen Personen, 56 ff.; Kraft, Kölner Komm. zum AktG, § 1 Rdnr. 60 ff.; Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 23; Haberlandt, BB 1980, 847; BGHZ 29, 386; BGH NJW 1977, 1449; Münch-Komm. / Roth, § 242 Rdnr. 452. 23 BGH NJW 1977, 1449 mit krit. Anm. Schmidt.
104
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
Der Haftungsdurchgriff, wie ihn die derzeit h. M. in der Rechtswissenschaft anerkennt, hat damit noch strengere Voraussetzungen als die Haftung nach § 317 AktG. Das Vorliegen einer für die abhängige Gesellschaft nachteiligen Weisung reicht allein für die Annahme eines Rechtsformmißbrauchs nicht aus. Nach der gesetzlichen Regelung in § 311 AktG sind nachteilige Weisungen bei Ausgleich des Nachteils zulässig. Sie können daher nicht gleichzeitig rechtsmißbräuchlich sein. Da der Rechtsmißbrauch bei § 242 BGB angesiedelt ist, muß ein Verhalten der herrschenden Gesellschaft hinzukommen, das die Berufung auf die rechtliche Selbständigkeit treuwidrig erscheinen läßt. Auch die übrigen unter dem Stichwort des Haftungsdurchgriffs angesprochenen Fallgruppen, wie die Unterkapitalisierung 25 , die Vermögensvermischung 28 und die Sphärenvermischung27 enthalten enge Tatbestandsvoraussetzungen. Festzuhalten bleibt, daß über die anerkannten Grundsätze einer Durchgriffshaftung kein befriedigender, die Vorschrift des § 317 AktG ergänzender Gläubigerschutz erreicht werden kann. Nur in seltenen, atypischen Einzelfällen hilft die Konstruktion eines Haftungsdurchgriffs weiter. ce) Die Haftung der Konzernmutter nach allgemeinen zivilrechtlichen Zurechnungskriterien Weitere Möglichkeiten einer selbständigen Haftung der Konzernmutter können sich aus einem Schuldbeitritt oder einer Patronatserklärung ergeben28 • Ferner ist auch an eine Vertrauenshaftung der herrschenden Konzerngesellschaft zu denkenlO• Alle diese Haftungstatbestände setzen aber ein besonderes Verhalten der Konzernobergesellschaft voraus, das nur in Ausnahmefällen vorliegen wird. Sie sind daher nicht dazu geeignet, einen effektiven Gläubigerschutz im faktischen Konzern zu bewirken. c) Zwischenergebnis
Als· Zwischenergebnis kann festgestellt werden, daß der derzeit erreichbare allgemeine Gläubigerschutz im faktischen Konzern unzureichend ist. De lege ferenda ist eine Regelung, die zumindest für die Münch-Komm./ Roth, § 242 Rdnr. 452; BGHZ 45, 204. Vgl. Lutter / Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 59 f. 28 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 224. 27 Lutter, ZGR 1982, 244, 251. 18 BGH AP Nr. 2 zu § 13 GmbHG mit Anm. Kraft; Obermüller, ZGR 1975, 1,20 ff. 2' Lutter, ZGR 1982, 244, 255; s. auch oben 2. Kap., B. II!. 2. a). !4
25
I.
Die Haftung für Arbeitnehmerforderungen
105
qualifizierten faktischen Konzerne30 eine Angleichung an die Vorschriften des Vertragskonzerns bringt (§§ 302 ff. AktG), generell zu befürworten31 •
d) Die Haftung der herrschenden Konzerngesellschaft nach den Grundsätzen des SchutzpfZichtverhäZtnisses Es bleibt zu untersuchen, ob für den Sonderfall des Arbeitnehmers als Gesellschaftsgläubiger aus spezifisch arbeitsrechtlichen Gründen ein befriedigender Gläubigerschutz erreicht werden kann. Die Arbeitnehmer können nicht ohne weiteres den übrigen Gesellschaftsgläubigern gleichgestellt werden. Ihr Schutz ist dringlicher, da es bei den. Lohnforderungen um den Gegenwert ihrer gesamten Arbeitskraft und damit in der Regel um ihre Existenzgrundlage geht. Seit der Einführung der weitreichenden Sicherung durch das Konkursausfallgeld (§§ 141 a ff. AFG) stellt sich die Problematik für den Arbeitnehmer nicht mehr in ihrer ursprünglichen schwerwiegenden Form. Die Erörterung des Fragenkomplexes ist dennoch weiterhin von Interesse, da die gesetzliche Regelung nur die Ansprüche aus den der Eröffnung des Konkurses vorangehenden drei Monaten umfaßt (§ 141 b AFG). Auch bestehen etwa für die Vergütungen der Geschäftsführer der abhängigen Gesellschaften keine Sicherungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz. Als Haftungsgrund für die Inanspruchnahme der Konzernobergesellschaft durch die Arbeitnehmer der abhängigen Gesellschaft kommt lediglich das bereits behandelte Schutzpflichtverhältnis zwischen diesen Personen in Betracht32 • Soweit es um die Haftung für vermögensrechtliche Ansprüche der Arbeitnehmer geht, stoßen Ansprüche aus dem Schutzpflichtverhältnis allerdings auf eine Schwierigkeit. Es sei daran erinnert, daß diese außervertraglichen Schutzpflichten aus methodischen Gründen unter Berücksichtigung der bereits vorhandenen vermögensrechtlichen Sicherungen der §§ 291 ff. AktG entwickelt wurden33 • Ziel der Begründung eines Schutzpflichtverhältnisses war es, über diese rein vermögensrechtliche Haftung hinaus allgemeine Schutzpflichten der Konzernobergesellschaften zu entwickeln. Soweit es dagegen lediglich um den Bereich der Haftung der Konzernobergesellschaften für die vermögensrechtlichen 30 Vgl. hierzu Arbeitskreis GmbH-Reform, Thesen und Vorschläge Bd. 2,59. Ein qualifizierter Konzern soll vorliegen, wenn das Eigeninteresse der abhängigen Gesellschaft infolge eines von dem herrschenden Konzernunternehmen ausgeübten Einflusses nachhaltig beeinträchtigt wird. 31 Vgl. auch Emmerich I Sonnenschein, Konzernrecht, 218; Koppensteiner, ZGR 1973, 1, 20 ff. S! s. hierzu oben 2. Kap., C. II. 5. 33 s. hierzu oben 2. Kap., C. II. 5. b).
106
3. Kap.: A. nie Rechtsstellung des Arbeitnehmers
Verpflichtungen der Konzerntöchter geht, lassen sich über das Schutzpflichtverhältnis keine der gesetzlichen Regelung der §§ 311 ff. AktG zuwiderlaufende Ergebnisse erzielen. Eine Schutzpflichtverletzung setzt damit voraus, daß die herrschende Gesellschaft Einfluß auf die Rechtssphäre der Arbeitnehmer genommen und ihnen auf diese Weise Schaden zugefügt hat. Hat die Konzernobergesellschaft durch nachteilige Weisungen die Zahlungsunfähigkeit der abhängigen Gesellschaft verursacht, so gebietet es ihre Schutzpflicht, den betroffenen Arbeitnehmern die entstandenen Vermögensnachteile auszugleichen. Hilfreich sind in diesem Zusammenhang die angesprochenen Beweiserleichterungen zugunsten der Arbeitnehmer. In denjenigen faktischen Konzernverbindungen, in denen nachteilige Weisungen besonders naheliegen (Beteiligungen von 95 Ofo und mehr), geben sie den Arbeitnehmern die Möglichkeit, ihre Ansprüche auch tatsächlich prozessual durchzusetzen. Auch im Konzernarbeitsrecht gilt somit, daß allein die konzernrechtliche Verbindung zweier Unternehmen nicht zu einer generellen Haftung für die Vergütungsansprüche der Beschäftigten des abhängigen Unternehmens führtM. Nur dann, wenn die herrschende Konzerngesellschaft tatsächlich über ihre Leitungsmacht mittelbar die Vermögensinteressen der betroffenen Arbeitnehmer beeinträchtigt hat, muß sie für deren Lohnansprüche einstehen. Über die entwickelten Beweiserleichterungen lassen sich für die bei den abhängigen Gesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer teilweise befriedigende Ergebnisse erzielen. Die verbleibenden Unzulänglichkeiten können nur durch eine neue gesetzliche Regelung ausgeräumt werden. Im Beispielsfall beruht der wirtschaftliche Niedergang der T-GmbH auf einer nachteiligen Konzerndirektive der M-AG. Bei der hier vorgeschlagenen Beweislastverteilung hätte A Aussicht, seine offenstehenden Forderungen gegenüber der M-AG erfolgreich geltend zu machen. 5. Haftungsansprüche gegenüber gleich- oder untergeordneten Konzerngesellschaften
Abgesehen von der Form der Konzernierung ist für die Begründung von Haftungsansprüchen der Arbeitnehmer ausschlaggebend, ob die Konzerngesellschaft, die in Anspruch genommen werden soll, dem Arbeitgeber übergeordnet oder gleich- bzw. untergeordnet ist. a. So auch BAG AP
Nr. 2 zu § 13 GmbHG.
11. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ini Konzern 107 Die Haftung von Konzerngesellschaften, die dem Arbeitgeber gleichbzw. untergeordnet sind, ist nur bei Vorliegen von Durchgriffs- oder Vertrauenstatbeständen denkbar. Diese Gesellschaften haben keinen Einfluß auf die Geschäftspolitik des Arbeitgeberunternehmens. Sie können daher dessen Zahlungsunfähigkeit auch nicht durch nachteilige Maßnahmen verursacht haben. Es fehlt in der Regel bereits an einem Haftungsgrund für die Inanspruchnahme dieser Unternehmen. In Gleichordnungskonzernen85 besteht damit im Regelfall kein Raum für Haftungsansprüche gegenüber Konzerndrittgesellschaften. In Unterordnungskonzernen ist eine Haftung der beherrschten Gesellschaft vielfach aus Sachgründen nicht geboten. Erfolgt die Konzernverbindung über eine Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft, so haftet die herrschende (Arbeitgeber-)Gesellschaft ohnehin mit dem zu ihrem Vermögen gehörenden Anteil am Gesellschaftsvermögen der abhängigen Gesellschaft. Der Zugriff auf diese Vermögenswerte steht den Arbeitnehmern daher offen. Eine Inanspruchnahme der Minderheitsgesellschafter ist sachlich nicht gerechtfertigt. 11. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Konzernarbeitsrecht Beispiel:
Die T-AG ist herrschendes Unternehmen eines stark zentralisierten Konzerns. In der bei ihr eingerichteten zentralen Personalabteilung werden die Grundfragen der Personal- und Sozialpolitik für den gesamten Konzernbereich entschieden. Nach einem für den Konzern ertragreichen Geschäftsjahr entscheidet die T-AG, daß in allen Konzerngesellschaften mit positivem Unternehmensergebnis ein zusätzliches Weihnachtsgeld in Höhe von 250,- DM zu zahlen sei. Zum T-Konzern gehören auch Abschreibungsgesellschaften sowie Unternehmen, in denen aus konzernspezifischen Gründen negative Wirtschaftsergebnisse erzielt wurden. Die Arbeitnehmer dieser Gesellschaften verlangen ebenfalls die Weihnachtsgratifikation in Höhe von 250,~ DM. 1. Die konzernspezifiscbe Gleicbbehandlungsproblematik
Die Aufspaltung der wirtschaftlichen Funktionseinheit in rechtlich selbständige Gesellschaften kann in Konzernen dazu führen, daß für die Arbeitnehmer der einzelnen Unternehmen ganz unterschiedliche Arbeitsbedingungen gelten36 • Teilweise werden diese Unterschiede durch 85 38
Zum Begriff siehe oben 2. Kap., A. 1. 2.
Martens, BAG-Festschrift, 386 ff.
108
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
sachliche Kriterien (etwa verschiedene Infrastruktur, unterschiedliche Umweltbelastung) gerechtfertigt sein. Teilweise werden sie aber auch aus dem Bestreben resultieren, in Gesellschaften mit schlechten Unternehmensergebnissen auch ungünstigere Arbeitsbedingungen zu gewähren. Der Grund für die schlechte Ertragslage, der ja auch konzernbedingt sein kann, wird im Rahmen einer derartigen Personalpolitik nicht immer berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang taucht die Frage auf, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, die Arbeitsbedingungen nicht an der Ertragskraft des Gesamtkonzerns zu orientieren, sondern an der Ertragslage des wirtschaftlich unselbständigen Unternehmens. Rechtspolitisch gesehen erscheint es sachgerecht, alle diej-enigen Arbeitnehmer, die zu dem Erfolg einer wirtschaftlichen Funktionseinheit in gleicher Weise beigetragen haben, auch an diesem Erfolg in gleicher Weise teilhaben zu lassen. Ein bereits praktiziertes kollektivarbeitsrechtliches Instrument zur Erzielung konzerneinheitlicher Arbeitsbedingungen sind die Konzernbetriebsvereinbarungen zwischen Konzernleitung und Konzernbetriebsrat37• Auch aus individualarbeitsrechtlicher Sicht kann eine gewisse Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen im Konzern geboten sein. Als individualarbeitsrechtliches Instrumentarium bietet sich der Gleichbehandlungsgrundsatz an38• Die Anwendung des Gleichbehandlungsprinzips begegnet im Konzern einer grundsätzlichen Schwierigkeit. Nach der zumindest noch herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung ist das Anwendungsgebiet des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebotes auf den Bereich eines Betriebes beschränkt38 • Träfe diese Prämisse von der Betriebsbezogenheit des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu, so müßte im Wege des Schlusses a majore ad minus gefolgert werden: Mangels Unternehmensbezogenheit kann der Gleich37 Hierzu Wetzling, Der Konzernbetriebsrat, 195; GK BetrVG / FabTicius, § 58 Rdnr. 10; Güllich, Die unmittelbare Geltung von Betriebsvereinbarungen
zu Lasten von beherrschten Gesellschaften. 38 Hierzu FTey, Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Arbeitsrecht bei geldlichen Ansprüchen; Bickel, über die Unmöglichkeit eines Grundsatzes der Gleichbehandlung im Arbeitsrecht; EggeT, Gestaltungsrecht und Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitsverhältnis; HellneT, Die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes im überbetrieblichen Bereich des Unternehmens, 7 ff.; Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 58 ff. jeweils m. N. 38 Nikisch I, 507; Hueck / NippeTdey I, 384 f.; FTey, Gleichbehandlung im Arbeitsrecht, 28; Hueck, Anm. zu BAG AP Nr.l0 zu § 242 BGB Ruhegehalt; MayeT-Maly, Anm. zu BAG AP Nr. 43 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; a. A. MülleT, DB 1958, 52; Hellner, 79; neuerdings offengelassen von BAG AP Nr. 43 zu § 242 BGB Gleichbehandlung.
11. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Konzern
109
behandlungsgrundsatz erst recht im Konzernbereich keine Anwendung finden 40 • Die überprüfung von Inhalt und Schranken des Gleichbehandlungsgebotes gebietet einen Blick auf die rechtsdogmatischen Grundlagen dieses Prinzips. 2. Die Rechtsgrundlage des Gleichbehandlungsgrundsatzes
a) Die in der Arbeitsrechtswissenschaft vertretenen Ansichten
über die Rechtsgrundlage des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebotes besteht weitreichende Uneinigkeit in Literatur und Rechtsprechung41 • Die hierzu vertretenen Ansichten sollen im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nur kurz skizziert werden4!. Als überholt dürfen zunächst diejenigen Versuche bezeichnet werden, die den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz unmittelbar aus Art. 3 GG ableiten wollen43 • Es ist grundsätzlich zwischen öffentlichund privatrechtlichem Gleichbehandlungsgrundsatz zu unterscheidenu. Die unmittelbare Drittwirkung von Verfassungsbestimmungen ist nach heute gefestigter Auffassung abzulehnen, soweit sie nicht wie in Art. 9 Abs. 3 GG ausdrücklich vorgesehen ist45 • Die Rechtswissenschaft knüpft vielfach an bereits vorhandene Rechtsgrundsätze des Privatrechts an. Herangezogen wird neben dem sozialen Schutzprinzip 46 und der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers47 insbesondere das Billigkeitsgebot des § 315 BGB 48 • Alle diese Herleitungsversuche leiden darunter, daß sie dem kollektiven Charakter des Gleichbehandlungsgebotes keine Rechnung tragen, sondern ihren Ansatzpunkt nur in der individuellen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer suchen. Vgl. LAG Bremen DB 1961, 507. Bickel, Anm. zu BAG SAE 1981, 127, 132. 4! Siehe die ausführliche übersicht bei MayeT-Maly, AR-Blattei D Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis I, Übersicht C 11. U NippeTdey, RdA 1950, 125; FTey, Gleichbehandlung im Arbeitsrecht, 5 ff.; den., AuR 1961, 234 ff. U BAG AP Nr. 10 zu Art. 3 GG; AP Nr. 34 zu § 242 BGB Gleichbehandlung. 45 BAG AP Nr.34 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 112 I; ZöHneT, Arbeitsrecht, § 17 I; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 355 ff. 46 So DeTsch, RdA 1949, 329. 47 So etwa BAG AP Nr.3 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; AP Nr. 10 zu § 242 BGB Ruhegehalt; Staudinge'TI NippeTdey, BGB, Anm. 13 vor § 617. 48 SöHneT, Einseitige Leistungsbestimmungen im Arbeitsverhältnis, 136; dagegen Hueck, Gedächtnisschrift für Dietz, 241 ff.; vgl. auch BAG AP Nr.2 zu § 305 BGB Billigkeitskontrolle. 40
41
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
110
Andere Begründungsversuche berücksichtigen dieses kollektive Element, indem sie an die konkrete Ordnung des Betriebes und den Betriebszusammenhang 4g bzw. an die Einordnung des Arbeitnehmers in die Betriebsgemeinschaft anknüpfen50• Die Vertreter dieser Ansichten gehen durchweg vom Primat der Betriebsbezogenheit des Gleichbehandlungsgebotes aus und sehen als Folge davon im betrieblichen Bereich das entscheidende Kriterium. Dies wird besonders deutlich bei Zöllner', der andere Rechtsgrundlagen mit der Begründung ablehnt, sie könnten die Betriebsbezogenheit des Gleichbehandlungsgebotes nicht erklären. Die Betriebsbezogenheit wird andererseits wiederum mit der Einordnung des Arbeitsverhältnisses in den Betriebszusammenhang erklärt52 • Es handelt sich hierbei um einen unzulässigen Zirkelschluß. Richtig ist, daß die Gleichbehandlungspflicht aus der gemeinschaftlichen Bindung der betroffenen Arbeitnehmer an den Arbeitgeber folgt. Nicht begründbar ist dagegen, weshalb sich diese Gemeinschaftsbindung gerade aus der Betriebszugehörigkeit ergeben muß und nicht auch aus anderen, übergeordneten Gemeinschaftsbeziehungen folgen kann53 • b) Die Machtposition des Arbeitgebers
Eine im Bereich des Wirtschaftsrechts im Vordringen begriffene Lehre sieht zu Recht den Ansatzpunkt für die Begründung des Gleichbehandlungsgebotes in der Machtposition des zur Gleichbehandlung Verpflichtetenu . Begründer dieser Ansicht ist Ludwig Raiser, der als erster den engen Zusammenhang zwischen dem Prinzip der Privatautonomie und der Gleichbehandlungspflicht herausgearbeitet hat55 • Der Grundsatz der Privatautonomie bedarf einer Begrenzung, wenn eine gerechte Verteilung infolge der übermacht des Verteilenden nicht mehr gewährleistet ist56• Das Prinzip der Privatautonomie setzt gleichstarke Partner voraus. Enthält sich der Staat in Anerkennung dieses Prinzips grundsätzlich der 48 RAG ARS 33, 176; zum rechtstheoretischen Hintergrund der "konkreten Ordnung des Betriebes" als Rechtsgrundlage vgl. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 277, 293 ff. 50 Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 136 f.; Hueck / Nipperdey 1, § 48 a 12,420; Nikisch 1, 500; Zöllner, Arbeitsrecht,
147. 51
Arbeitsrecht, 147.
Hueck / Nipperdey 1, 422; Nikisch 1, 506. 53 Kritisch auch Egger, 21. 54 Vgl. Raiser, ZHR 111, 75, 93 ff.; ders., JZ 1959, 421; Wolf, Festschrift für L. Raiser, 597; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 85 f.; Egger, 21 52
m.w.N. 55
58
Raiser, JZ 1959, 421, 422. Raiser, ZHR 111, 93 ff.
11. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Konzern 111 Einflußnahme auf die privatrechtlichen Beziehungen, so muß er gleichzeitig ein Korrektiv für die Auswirkungen eines potentiellen Ungleichgewichts zur Verfügung steHen. Im Rahmen von Individualbeziehungen erfolgt dieses Korrektiv über die Billigkeitskontrolle des § 315 BGB. In den Beziehungen zwischen dem Inhaber einer wirtschaftlichen Machtposition und der von ihm abhängigen Gruppe tritt als zusätzliches Ausgleichsinstrument der Gleichbehandlungsgrundsatz hinzu. Das Gleichbehandlungsgebot ist damit ein gruppenspezifisches, vom allgemeinen Billigkeitsgebot zu unterscheidendes Korrektiv der Privatautonomie. Beide Grundsätze ergeben sich aus der Notwendigkeit, die übermacht des durch sie verpflichteten Rechtssubjekts einzugrenzen. übermachtpositionen sind nicht nur im Bereich des Wirtschafts- und Wettbewerbsrechts gegeben (vgl. §§ 22, 26 GWB). Sie sind auch für das Arbeitsrecht typisch57• Als Machtbefugnis ist in diesem Fall nicht das Direktionsrecht des Arbeitgebers angesprochen. Das Gleichbehandlungsgebot richtet sich an denjenigen, dessen Machtposition sich aus einer spezifischen Verteilungsgewalt ergibt. Die hier relevante Machtposition des Arbeitgebers beruht darauf, daß er im Rahmen der einzelvertraglichen Gestaltungsspielräume über die Verteilung des Arbeitsergebnisses bestimmen kann. Er hat eine erhebliche Entscheidungsgewalt darüber, in welchem Umfang der einzelne Arbeitnehmer an dem auch von ihm mit erwirtschafteten Unternehmensergebnis teilhaben soll. Der Arbeitgeber darf demnach bei der Verteilung des Wirtschaftsergebnisses, zu dem die Arbeitnehmer mit ihrer Arbeitsleistung beigetragen haben, nicht willkürlich verfahren. Er darf seine Machtposition, die er über die von ihm abhängigen Arbeitnehmer hat, nicht mißbrauchen, indem er willkürlich einzelne bevorzugt und andere benachteiligt. c) Die These von der Betriebsbezogenheit des Gleichbehandlungsgebotes Bei der Begrenzung des gleichzubehandelnden Personenkreises ist darauf abzustellen, welche Personen einer bestimmten Machtposition in gleicher Weise unterworfen sind. Alle diejenigen, die von dem Verpflichteten in gleicher Weise abhängig sind, unterliegen dem Gleichbehandlungsgebot. Die These von der Betriebsbezogenheit des Gleichbehandlungsgrundsatzes läßt sich daher nicht aufrechterhaltens8 • Sie ist lediglich ein VerGrenzen der Tarifautonomie, 86. So auch mit anderer Begründung Hellner, 72; vgl. auch Müller, DB 1958, 52; a. A. s. die Zitate in Fn. 39. 67
68
Biedenkopf,
112
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
such, dem kollektiven Charakter des Gleichbehandlungsgebotes Rechnung zu tragen. Sie hat zwar den Vorteil, ein einfaches Abgrenzungskriterium zu bieten, folgt aber nicht zwingend aus der rechtlichen Grundlage des Gleichbehandlungsgebotes. Werden etwa in getrennten Betrieben verschiedene Einzelteile einer Maschine hergestellt, so haben alle diese Arbeitnehmer zum Produktionsergebnis beigetragen. Sie haben daher ein Anrecht darauf, bei der Verteilung des Produktionsergebnisses nicht willkürlich benachteiligt zu werden. Nicht jede ungleiche Behandlung der Arbeitnehmer verschiedener Betriebe bildet einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot. Vielmehr ist es durchaus denkbar, daß die einzelnen Betriebe Besonderheiten aufweisen, die die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer rechtfertigen. Derartige Besonderheiten können sich aus der betrieblichen Umwelt, etwa regionalen Unterschieden, wie auch aus innerbetrieblichen Gesichtspunkten, etwa der Arbeitsplatzgestaltung, ergeben. Versuche, die die These von der Betriebsbezogenheit mit dem Hinweis auf die vielfältigen Unterschiede in verschiedenen Betrieben stützen wollen60, lenken von der eigentlichen Problematik ab. Die möglichen betrieblichen Unterschiede sollen durch das überbetriebliche Gleichbehandlungsgebot ja gerade nicht überspielt werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet willkürliche Verhaltensweisen, läßt die Berücksichtigung betrieblicher Unterschiede als sachliche Kriterien jedoch zu. Als Zwischenergebnis bleibt damit festzuhalten, daß sich der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz am besten aus der Machtposition des Arbeitgebers in bezug auf die Verteilung des Arbeitsergebnisses erklären läßt. Die These von der Betriebsbezogenheit des Gleichbehandlungsgebotes ist nicht haltbar. 3. Das Gleichbehandlungsgebot im Konzernarbeitsrecht
Auch wenn nach den bisherigen Erkenntnissen das Anwendungsgebiet des Gleichbehandlungsprinzips nicht auf den "Betrieb" beschränkt ist, so stößt doch die Anwendung dieses Grundsatzes im über das Unternehmen hinausgehenden Bereich des Konzerns auf erhebliche konstruktive Schwierigkeiten.
58
Mayer-Maly,
Anm. zu BAG AP Nr. 43 zu § 242 B.GB Gleichbehandlung.
11. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Konzern
113
a) Der Gegner eines konzernbezogenen Gleichbehandlungsanspruchs Als Gegner von Gleichbehandlungsansprüchen kann im Konzernbereich in der Regel nicht mehr der unmittelbare Arbeitgeber in Betracht kommen. Er hat, sofern er abhängiges Konzernglied ist, keine Machtposition über die Arbeitnehmer der gleich- oder übergeordneten Unternehmen. Zur Gleichbehandlung verpflichtet kann aber stets nur derjenige sein, der auf den gesamten betroffenen Personenkreis einwirken kann. Das konzernbezogene Gleichbehandlungsgebot kann sich demnach nur gegen ein herrschendes Konzernunternehmen richten. b) Gleichbehandlungsanspruch ohne Vertragsverhältnis?
Eine weitere konstruktive Besonderheit liegt darin, daß die Konzernspitze keine arbeitsvertraglichen Beziehungen zu den Arbeitnehmern der beherrschten Gesellschaften unterhält. Der konzerndimensionale Gleichbehandlungsanspruch gestaltet damit kein bereits verhandenes Vertragsverhältnis aus. Erkennt man als Rechtsgrundlage des Gleichbehandlungsgebotes die übermachtposition des zur Gleichbehandlung Verpflichteten an, so ist das Bestehen eines Vertragsverhältnisses keine Anwendungsvoraussetzung60 • Der Grundsatz der Privatautonomie bedarf in gleicher Weise dort einer Begrenzung, wo das Ungleichgewicht nicht im Rahmen einer vertraglichen Beziehung besteht. So darf etwa der "marktstarke" Hersteller nicht bestimmte Einzelhändler diskriminieren, indem er mit ihnen keine Lieferungsverträge abschließt (vgL § 26 Abs. 2 GWB)81. Auch hier bestehen keine vertraglichen Beziehungen zwischen Lieferant und Abnehmer. Die Konzernobergesellschaft kann in engen Konzernverbindungen die hier relevante Machtposition gegenüber der Konzernarbeitnehmerschaft haben. Es besteht die Möglichkeit, daß die Konzernmutter über ihre Leitungsmacht Einfluß auf die Arbeitsbedingungen im Konzern, insbesondere im Bereich der freiwilligen Fürsorgeleistungen, nimmt. Sie entscheidet dann über die Verteilung des von allen Arbeitnehmern der FunktionseinheitKonzern erwirtschafteten Produktionsergebnisses. Für die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgebotes reicht somit das bereits bejahte Schutzpflichtverhältnis62 zwischen Arbeitnehmer und a. A. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 112 11 2. Allgemein zur Begrenzung der Abschlußfreiheit bei Monopolstellungen Flume, Allgemeiner Teil des BGB, § 33 6 d; Emmerich, Kartellrecht, 196 ff.; vgl. auch BGHZ 41, 480; 49, 90. 82 Dazu oben 2. Kap., C. H. 5. 60 61
8 Henssler
114
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
herrschender Konzerngesellschaft aus. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Schutzpflichtverhältnisses vor, hat etwa die herrschende Konzerngesellschaft die Konzerngewinne und die Lohn- und Sozialpolitik an sich gezogen, so ist die Machtposition der Konzernspitze der eines Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern gleichzustellen. Die herrschende Konzerngesellschaft hat daher die Pflicht, bei der Ausübung ihrer Leitungsmacht nicht einzelne Arbeitnehmergruppen ohne sachlichen Grund zu benachteiligen. Zu den Schutzpflichten der Konzernobergesellschaft gehört auch die Verpflichtung, die ihrem Machtbereich unterworfenen Arbeitnehmer nicht willkürlich ungleich zu behandeln. c) Der Umfang des Gleichbehandlungsgebotes im Konzern
Sieht man mit der hier vertretenen Ansicht die Rechtsgrundlage des Gleichbehandlungsgebotes in der Kontrolle der Machtposition des Verpflichteten, so sind auch im Konzernbereich Gleichbehandlungsansprüche grundsätzlich denkbar8s • Sie unterliegen jedoch starken Einschränkungen, die sich bereits aus den Tatbestandsmerkmalen des Schutzpflichtverhältnisses ergeben. Die herrschende Konzerngesellschaft ist zur Gleichbehandlung verpflichtet, wenn sie einem bestimmten Personenkreis Vergünstigungen gewährt, die sie anderen Konzernarbeitnehmern vorenthält. Gewährt eine abhängige Konzerngesellschaft dagegen aufgrund einer autonomen Entscheidung ihren Arbeitnehmern freiwillige Leistungen, so kommen Gleichbehandlungsanspruche der Arbeitnehmer der übrigen Konzerngesellschaften nicht in Betracht. Die Ungleichbehandlung beruht hier nicht auf der Machtposition der Konzernobergesellschaft. Eine Verpflichtung der Konzernobergesellschaft, von sich aus gestaltend im Sinne einer Vereinheitlichung der Konzernarbeitsbedingungen tätig zu werden84, steht weder mit der rechtsdogmatischen Grundlage des Gleich,;. behandlungsgebotes noch mit den Grundsätzen des Schutzpflichtverhältnisses im Einklang. Mit anderen Worten: Eine Machtposition bedarf dort keiner Kontrolle, wo sie überhaupt nicht ausgeübt wird. Daraus folgt: Nur dann, wenn die Konzernobergesellschaft die Möglichkeit hat, Einfluß auf die Arbeitsbedingungen im Konzern zu nehmen und sie ihre diesbezügliche Leitungsmacht auch tatsächlich ausübt, ist sie zur Gleichbehandlung verpflichtet. Trifft die Konzernleitung etwa konzernweite Entscheidungen über freiwillige Leistungen im 83 So auch Martens, BAG-Festschrift, 386 ff.; a. A. Hellner, 95; LAG Bremen DB 1961, 507. 84 Etwa durch Weisungen gegenüber den abhängigen Konzerngesellschaften.
H. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Konzern 115 Bereich der betrieblichen Vermögensbildung 65 , so darf sie nicht willkürlich die Arbeitnehmer einzelner Konzerntöchter von dieser Regelung ausnehmen. Sie ist nicht berechtigt, den Konzern bewußt in reiche und arme Konzerngesellschaften aufzuteilenG6 • Im übrigen gibt es im Konzernbereich eine Vielzahl sachlicher Differenzierungsgründe, die unterschiedliche Arbeitsbedingungen in den einzelnen Konzerngesellschaften zulassen. Die diesbezüglichen Erwägungen für den überbetrieblichen BereichG7 gelten verstärkt für den über das einzelne Unternehmen hinausgehenden Konzernbereich68 • Die Hauptschwierigkeiten bei der konzernweiten Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes werden bei der Feststellung eines willkürlichen Verhaltens der Konzernspitze liegen. Für die überprüfung der sachlichen Rechtfertigung einer differenzierenden Behandlung gibt es keine feststehenden Kriterien68 • Erforderlich ist eine Abwägung der gegensätzlichen Interessen. Es ist darauf abzustellen, ob im Einzelfall die Interessen des Konzerns an der Aufspaltung der wirtschaftlichen Funktionseinheit in organisatorisch eigenständige Teile überwiegen oder die Interessen der Konzernarbeitnehmerschaft an einer gerechten Verteilung des Konzernergebnisses. Nur wenn der Zweck, der mit einer Leistung verfolgt wird, auf die Arbeitnehmer einzelner Konzerngesellschaften beschränkt werden kann70 , ist die Differenzierung nach Konzerngesellschaften gerechtfertigt. So kann die Konzernleitung etwa veranlassen, daß in Konzerngesellschaften, in denen die Arbeitnehmer erhöhten Umweltbelastungen ausgesetzt sind (Ruhrgebiet), ein zusätzlicher Urlaubstag gewährt wird. Der Zweck der Leistung (Ausgleich für potentielle Gesundheitsschäden) läßt sich hier auf die Arbeitnehmer einzelner Gesellschaften beschränken. Ist, wie im Beispielsfall, dagegen die schlechte wirtschaftliche Situation eines abhängigen Unternehmens konzernbedingt, so verstößt die Verweigerung einer Weihnachtsgratifikation in diesen Gesellschaften gegen das Gleichbehandlungsgebot.
65 So erhalten in manchen Konzernen die Beschäftigten Aktien der Muttergesellschaft zu Vorzugskursen. 66 MaTtens, BAG-Festschrift, 387. 67 s. oben 3. Kap., A. H. 2. cl. 68 Vgl. BAG AP Nr.13 zu § 242 BGB; SäckeT, in: Recht und Steuer der internationalen Unternehmensverbindungen, hrsg. v. Lutter, 200. 68 Vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 112 H 3; BAG AP Nr.42 zu § 242 BGB Gleichbehandlung. 70 Zur Maßgeblichkeit des Zwecks der Leistung vgl. BAG AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu H 2 der Gründe.
S·
116
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers 4. Zusammenfassung
Zusammenfassend lassen sich folgende Kriterien für die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgebotes im Konzern aufstellen: a) Adressat des Gleichbehandlungsgebotes ist stets die herrschende Konzerngesellschaft, die die Leitungsmacht über alle gleichzubehandelnden Arbeitnehmer -hat. b) Die Konzernverbindung muß derart intensiv sein, daß die Konzernspitze über ihre Leitungsmacht auch auf die personal- und sozialpolitischen Grundentscheidungen (wie etwa die Ausgestaltung eines konzernweiten Sozialleistungssystems) Einfluß nehmen kann; m. a. W., es müssen die Voraussetzungen eines Schutzpflichtverhältnisses vorliegen. c) Die Konzernleitung muß ihren Einfluß willkürlich zugunsten einzelner Arbeitnehmergruppen ausgeübt haben, indem sie diesen Arbeitnehmern Vergünstigungen entweder selbst gewährt oder deren Gewährung durch ihre jeweilige Tochtergesellschaft veranlaßt hat. Beruht die Begünstigung dagegen auf einer autonomen Entscheidung der Konzerntochter, so liegt kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor. d) Bei der Überprüfung der sachlichen Rechtfertigung der Differenzierung sind die Interessen des Gesamtkonzerns an der organisatorischen Eigenständigkeit der Konzernglieder und die Interessen der Konzernarbeitnehmerschaft an der gerechten Verteilung des Konzernergebnisses gegeneinander abzuwägen. III. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht Der Bereich des Kündigungsschutzes im Konzern ist eines der wenigen Gebiete des Konzernarbeitsrechts, die ansatzweise eine Erörterung in der Rechtswissenschaft erfahren haben. Das ist nicht überraschend, denn der Kündigungsschutz betrifft in der Praxis für den Arbeitnehmer eines der dringlichsten Probleme. Es geht unmittelbar um den Bestand seines Arbeitsverhältnisses und damit um die Sicherung seiner Erwerbsmöglichkeit. Aber auch unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten ergeben sich bei der Behandlung des Kündigungsschutzrechts im Konzern interessante Fragen. Hier wird exemplarisch verdeutlicht, daß die allgemeinen Regeln des Individualarbeitsrechts die Sonderprobleme im Konzern oft nur unzureichend lösen können.
III. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
117
Das Kündigungsrecht im Konzern wirft eine Reihe von Einzelproblemen auf, deren getrennte Behandlung geboten ist. 1. Die konzernbezogene Anwendung der 6-Monatsfrist des § 1 Abs. 1 KSchG Beispiel:
Arbeitnehmer A war 5 Jahre bei der konzernverbundenen T-GmbH angestellt. Nach Ablauf dieser Zeit wurde er unter Abschluß eines neuen Arbeitsvertrages in die zum gleichen Konzern gehörende E-GmbH versetzt. Dort wird ihm nach dreimonatiger Betriebszugehörigkeit unter Hinweis auf die 6-Monatsfrist des § 1 Abs. 1 KSchG gekündigt.
Wichtige Grundfragen des Konzernarbeitsrechts lassen sich bereits anhand der Vorfrage nach der Anwendbarkeit des KSchG im Konzern darstellen. Nach § 1 Abs. 1 KSchG ist der Erwerb des Kündigungsschutzes vom sechsmonatigen Bestand eines Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen abhängig. Kann auf diese Wartefrist auch die in anderen Konzernunternehmen abgeleistete Arbeitszeit angerechnet werden?
a) Die Annahme einer Regelungslücke Die Literatur lehnt, soweit sie sich überhaupt mit dieser Frage befaßt, eine konzernbezogene Auslegung des § 1 Abs.l KSchG überwiegend ab 71 • Für diese Ansicht spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift, der an den Betriebs- bzw. Unternehmensbegriff anknüpft. Eine die Erkenntnisse moderner Rechtsmethodik berücksichtigende Interpretation darf aber nicht beim Wortlaut stehen bleiben72 • Sie hat vielmehr danach zu fragen, ob der Gesetzgeber mit dem Wortlaut von § 1 Abs.l KSchG bewußt auf eine Anrechnung der Beschäftigungszeiten in anderen Konzerngesellschaften verzichten wollte. Wurde dagegen während des Gesetzgebungsverfahrens die besonders gelagerte Konzernproblematik nicht erkannt, so läßt sich der gesetzlichen Regelung auch keine Wertung gegen eine Anrechnung der Arbeitszeiten in anderen Konzerngesellschaften entnehmen. Der Gesetzgeber hat in diesem Fall keine Aussage zur Anwendbarkeit des KSchG im Konzern getroffen. Es besteht eine gesetzliche Regelungslücke, die unter Heranziehung des Normzwecks der Vorschrift des § 1 Abs.l KSchG sowie unter Berücksichtigung der in anderen Gesetzen zutage getretenen gesetzgeberischen Wertungen zu schließen ist73 • 71 Vgl. Hueck, KSchG, § 1 Rdnr. 28; Däubler, Die Veränderung in der Struktur, 1058; KR / Becker, § 1 Rdnr.65. 72 Hierzu LaTenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 307 ff.; vgl. auch die grundsätzlichen überlegungen zur extensiven Auslegung des Unternehmensbegriffs oben 2. Kap., A. II. 3.
118
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
Bei Beachtung dieser Grundsätze ergibt sich folgendes: Zunächst bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Anrechnung der Arbeitszeiten in dritten Konzerngesellschaften bewußt unterblieben ist. Im Jahre 1951, als die jetzige Form des § 1 Abs. 1 KSchG mit der 6monatigen Wartefrist in ihren Grundzügen konzipiert wurde7" war die Problematik des Kündigungsschutzes im Konzern in Literatur und Rechtsprechung noch nicht erörtert worden. Das Gesetz selbst geht an keiner Stelle auf die Unterscheidung zwischen Konzern und Unternehmen ein. Auch aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber in der Zwischenzeit keine ausdrückliche konzernbezogene Erweiterung der anrechenbaren Arbeitszeiten vorgenommen hat, können keine Argumente gegen eine Regelungslücke abgeleitet werden. Zum einen ist das Konzernarbeitsrecht auch heute noch weitgehend eine terra incognita75 , zum anderen lassen sich aus der Untätigkeit des Gesetzgebers nur sehr beschränkt Rückschlüsse ziehen. Die Erfahrung zeigt, daß gerade im Arbeitsrecht der Gesetzgeber dazu neigt, zunächst die Rechtsprechung neue Problemlösungen im Wege der Auslegung, Rechtsfortbildung oder gar der Rechtsschöpfung finden zu lassen". Erst wenn diese Lösungswege in erheblichem Widerspruch zu der Auffassung der Parlamentsmehrheit stehen, besteht die Aussicht, das schwerfällige Gesetzgebungsverfahren in Gang zu setzen. Die Annahme einer Regelungslücke ist damit gerechtfertigt. Das BAG hat in ähnlicher Weise eine Gesetzeslücke in einer Entscheidung" angenommen, in der es die für die kaufmännischen Angestellten geltenden Vorschriften der §§ 74, 74 a HGB analog auf Arbeitnehmer jeder Art angewandt hat. Es war dabei der Ansicht, das Recht der Wettbewerbsverbote sei entgegen der ursprünglichen Vorstellung des Gesetzgebers allgemein regelungsbedürftig.
73 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 366 ff.; kritisch Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 345 ff. 74 Die Änderung durch das Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14.8. 1969 (BGBl. I S. 1106) ersetzte lediglich die tatsächliche Beschäftigungsdauer durch den Bestand eines Arbeitsverhältnisses; zur Entstehungsgeschichte des § 1 KSchG s. KR / Becker, § 1 Rdnr. 1 ff. 75 So Wiedemann / Strohn, Anm. zu BAG AP Nr.3 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 76 Vgl. etwa zum Beispiel der gesetzgeberischen Untätigkeit im Arbeitskampfrecht, Rilthers, Anm. zu BAG EzA Nr. 37 zu Art. 9 GG Arbeitskampf A und B 3c. 77 SAE 1971, 106.
III. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
119
b) Die Ausfüllung der Regelungslücke
Eine konzernbezogene Anwendung des § 1 Abs. 1 KSchG ist zu bejahen, wenn nach dem dieser Vorschrift zugrunde liegenden Normzweck die Anrechnung der Konzernbeschäftigungszeiten geboten ist. Das Gesetz stellt in seiner jetzigen Fassung nicht mehr auf die tatsächliche Beschäftigung78 ab, sondern auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses. Der Sinn der Regelung liegt daher nicht mehr in erster Linie darin, dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Erprobung des Arbeitnehmers zu geben79 • Der Arbeitnehmer soll bereits durch die Bindung an den Betrieb oder an ein Unternehmen das Recht auf eine gesicherte Arbeitsstelle erwerben80 • Er soll eine Beziehung zu dem Betrieb oder Unternehmen erreicht haben, die den Erwerb des Kündigungsschutzes rechtfertigt81 • Diese Beziehung muß nicht zu einer bestimmten Betriebsgemeinschaft oder zu einem bestimmten Arbeitsplatz bestehen. Wie das Anknüpfen an die Unternehmenszugehörigkeit zeigt, reicht vielmehr der unpersönliche Bezug zu der dahinterstehenden wirtschaftlichen Organisationseinheit aus. Nur der gänzlich neu Eingestellte, der noch in keiner Verbindung zu dieser Organisationseinheit steht, soll nach der Intention des Gesetzes frei kündbar sein. Die notwendige enge Beziehung zu dem beschäftigenden Unternehmen kann aber durchaus auch bei einer vorangegangenen Tätigkeit in einer anderen Konzerngesellschaft entstanden sein. Sind die Gesellschaften einer einheitlichen Planung unterstellt und außerdem auch äußerlich sichtbar - etwa durch Übereinstimmungen in den Firmennamen82 oder durch örtliche Nähe (zwei Konzerngesellschaften befinden sich im gleichen Gebäude) - miteinander verbunden, so hatte das alte Arbeitsverhältnis bereits den von § 1 Abs. 1 KSchG verlangten Bezug zu dem jetzigen Arbeitgeber. Die beiden Konzerngesellschaften entsprechen hier zwei Betrieben eines einheitlichen Unternehmens i. S. von § 1 Abs. 1 KSchG. Es ist mit dem Schutzzweck von § 1 Abs. 1 KSchG nicht zu vereinbaren, hier den Arbeitnehmer wie einen völlig neu eingestellten zu behandeln, dessen Arbeitsplatz frei kündbar ist. Der Arbeitnehmer kann in solchen Fällen darauf vertrauen, daß der (beschränkte) Bestands78 So die alte Fassung bis zur Änderung durch das Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14.8.1969 (BGBl. I S. 1106). 79 Das war die gesetzgeberische Vorstellung, die der ursprünglichen Gesetzesfassung zugrunde lag, vgl. BT-Drucksache 1/2090 S. 11. 80 Zum veränderten Sinngehalt vgl. BAG EzA § 1 KSchG Nr. 35 und 36. 81 BAG EzA § 1 KSchG Nr. 35 und 36. 82 Beispiel: Grünzweig und Hartmann Montage GmbH und Grünzweig und Hartmann Glasfaser AG.
120
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
schutz seines Arbeitsverhältnisses erhalten bleibt, solange er in diesem engen Unternehmensverbund beschäftigt ist. Für die Anrechnung der Arbeitszeiten in wirtschaftlich und organisatorisch eng miteinander verbundenen Konzerngesellschaften sprechen auch die anderenfalls bestehenden Umgehungsmöglichkeiten83 • Eine Umgehung des Kündigungsschutzes wäre etwa anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer unter Abschluß eines neuen Arbeitsvertrages kurz vor Beendigung der 6-Monatsfrist in ein anderes Konzernunternehmen "versetzt" würde, er in dieser Gesellschaft jedoch aus der Sicht des Gesamtkonzerns die gleiche Funktion ausüben würde, wie im vorangegangenen Arbeitsverhältnis. Nach der objektiven Theorie der Gesetzesumgehung, wie sie von der ganz herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung vertreten wird8" ist der Umgehungsvorsatz kein Merkmal des Umgehungstatbestands. Es geht lediglich um die objektive Reichweite der jeweiligen gesetzlichen Vorschrift. Sie wird durch eine zweckgerechte Gesetzesauslegung ermittelt. Auch für die konzernweite Anwendung des § 1 Abs.l KSchG ist daher nicht erforderlich, daß von der Konzernseite die Umgehung des Kündigungsschutzes bewußt geplant wurde. Entscheidend ist allein, daß der Schutz des § 1 KSchG bei einer gegenteiligen Auslegung nicht erreicht würde, obwohl er vom Normzweck der Vorschrift auch bei einer Tätigkeit für mehrere Konzerngesellschaften geboten ist. Ist trotz Vorliegen eines Konzerntatbestands die Verflechtung zweier Gesellschaften nur gering, gehören etwa die Unternehmen, wie es in Mischkonzernen möglich ist, ganz unterschiedlichen Produktionssparten an, so drängt sich die konzernweite Anrechnung der Arbeitszeiten nicht in gleicher Weise auf. Hier ist es durchaus denkbar, daß ein Arbeitsverhältnis zu einem anderen Konzernunternehmen, dessen betriebs- und personalwirtschaftliche Selbständigkeit erhalten geblieben ist, keinen Bezug hat. Geboten ist damit eine Einzelfallbeurteilung. Die konzernweite Anrechnung der Beschäftigungszeiten kommt nur dann in Betracht, wenn die betroffenen Konzerngesellschaften faktisch wie zwei Betriebe eines einzigen Unternehmens zueinander stehen. In solchen Fällen gebietet eine am Normzweck orientierte Auslegung die Gleichstellung des Konzerns mit dem Unternehmen im Sinn von § 1 Abs. 1 KSchG. Es wurde bereits dargelegt, daß der Begriff des Unternehmens an dem Sinn und Hierzu auch KR ! Becker, § 1 Rdnr. 65. Teichmann, Die Gesetzesumgehung, 69 ff.; Erman! Brox, BGB, § 134 Anm.18; Flume, Allgemeiner Teil I1, § 17 4, 350; einschränkend MünchKomm.! Mayer-Maly, § 134 Rdnr. 12 ff.; BAG (GS) NJW 1961, 798; BGH NJW 1974,50,51; BGHZ 33, 293, 302; Rüthers, DB 1982, 1869, 1871. 83
84
III. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
121
Zweck der jeweiligen Vorschrift gemessen werden muß und daß eine zwingende Beschränkung auf die Grenzen der Rechtsträgerschaft nicht gerechtfertigt ist. Wenn auch die direkte Heranziehung des Unternehmensbegriffs im vorliegenden Fall auf Schwierigkeiten stößt, so ist doch zumindest die analoge Anwendung der am Unternehmensbegriff anknüpfenden Vorschrift auf den Konzernbereich zulässig. c) Die Praktikabilität der Einzeljallbeurteilung
Die Praktikabilität der Einzelfallbeurteilung läßt sich durch eine Reihe von Indizien verbessern, bei deren Vorliegen der erforderliche enge Konzernverbund vermutet werden kann. Zunächst ist im Falle einer Eingliederung (§§ 319 ff. AktG) sowie bei Abschluß eines Beherrschungsvertrages (Vertragskonzern) von der unternehmensähnlichen, betriebs- und personalwirtschaftlichen Einheit der verbundenen Gesellschaften auszugehen. Das Gleiche muß für die "faktische" Eingliederung bei einer über 94 % hinausgehenden Beteiligung der Muttergesellschaft gelten85• Daneben bietet auch ein im Arbeitsvertrag vorbehaltenes Recht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer innerhalb des Konzerns versetzen zu dürfen, einen wichtigen Anhaltspunkt. Das Arbeitsverhältnis hat hier von vornherein einen Bezug zu sämtlichen Konzerngesellschaften. Die Stellung des Konzernarbeitnehmers ähnelt der eines Arbeitnehmers, der in einem alle Konzerngesellschaften umfassenden Unternehmen beschäftigt ist. Generell läßt sich sagen, daß die Verweigerung des Kündigungsschutzes zweckfremd und interessenwidrig ist, wenn der Arbeitnehmer mit seinem Arbeitsplatzwechsel einem Versetzungswunsch des Arbeitgebers entsprochen und die Versetzung im Interesse des Konzerns gelegen hat. In diesen Fällen wird man, selbst wenn man eine (extensive oder) entsprechende Anwendung des Unternehmensbegriffs ablehnt, bereits über die Auslegung der Versetzungsvereinbarung zur Anrechnung der Beschäftigungszeiten in anderen Konzerngesellschaften kommen86 • Die entsprechende (oder unmittelbare) Anwendung des Unternehmensbegriffs bietet aber den Vorzug, den Arbeitnehmer auch gegen eine für ihn (schwer erkennbare) nachteilhafte Ausgestaltung des neuen Arbeitsvertrages zu schützen. Sie ergibt sich zwingend aus der methodisch 85 Siehe hierzu oben 2. Kap., C. III. 3. b) bb); auch Becker (KR, § 1 Rdnr.65) will die bei einer lOOo/()igen Tochtergesellschaft bestehende Betriebszugehörigkeit auf die Wartefrist anrechnen, dehnt diesen Gedanken - insofern inkonsequent - aber nicht auf den Vertragskonzern aus. 88 So auch Hueck, KSchG, § 1 Rdnr. 28.
122
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
korrekten Auslegung der Kündigungsschutzvorschrift des § 1 Abs. 1 KSchG. d) Zusammenfassung aal Die Anrechnung der Beschäftigungszeiten in anderen Konzerngesellschaften auf die Wartefrist des § 1 Abs.l KSchG widerspricht grundsätzlich nicht dem Gesetz. bb) Die Anrechnung kommt in Betracht, welm das vorangegangene Arbeitsverhältnis bereits einen Bezug zu dem jetzigen Arbeitgeber hatte. Das ist insbesondere der Fall, wenn die konzernmäßige Verbindung der betroffenen Konzerngesellschaften derart intensiv ist, daß sie zueinander wie zwei Betriebe eines einheitlichen Unternehmens stehen. Indizien bilden die Art der Konzernverbindung (Eingliederung, Vertragskonzern, mindestens 950f0ige Beteiligung der Muttergesellschaft) sowie die Vereinbarung eines konzernweiten Versetzungsrechts des Arbeitgebers. 2. Die konzernbezogene Auslegung der gesetzlidten Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte
a) Die Anwendbarkeit des § 2 AngKSchG bei konzerninternen Versetzungen Das Problem der Anrechnung von Arbeitszeiten in anderen Konzerngesellschaften stellt sich in ähnlicher Weise bei der Anwendung des § 2 AngKSchG. Danach gelten je nach der Dauer der Beschäftigung bei dem Arbeitgeber bzw. dessen Rechtsvorgänger für die Kündigung eines Angestellten verlängerte Kündigungsfristen. Die Anknüpfung an den Arbeitgeberbegriff schließt nicht bereits zwingend die konzernweite Anwendung dieser Vorschrift aus. Zwar ist, wie dargelegt wurde, der Arbeitgeber grundsätzlich nur diejenige Konzerngesellschaft, mit der ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde. Die Versetzungen innerhalb des Konzerns sprechen aber für eine übergreifende, bei der Konzernobergesellschaft zentralisierte Personalplanung. Arbeitgeberfunktionen werden hier auch von der Konzernobergesellschaft wahrgenommen. Das AngKSchG stammt aus dem Jahre 1929, aus einer Zeit also, in der die besondere arbeitsrechtliche Konzernproblematik noch kaum erörtert wurde. Bemerkenswert ist, daß die erste rechtswissenschaftliche Abhandlung (1931)87, die sich mit der Konzernproblematik auseinander87
Kronstein, Die abhängige juristische Person, 135.
III. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
128
setzte, ohne erkennbaren Widerspruch eine konzernweite Anwendung des § 2 AngKSchG befürwortete. Die Regelung des AngKSchG trägt einerseits den erhöhten Schwierigkeiten Rechnung, die ältere Angestellte bei der Suche eines neuen geeigneten Arbeitsplatzes haben88 • Andererseits soll die Treue des Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber durch die verlängerten Kündigungsfristen belohnt werden89 • Gelten diese rechtspolitischen Erwägungen auch bei längerer Beschäftigung in verschiedenen Konzernunternehmen? Die Literaturstimmen, die sich für eine konzernweite Anwendung des § 2 AngKSchG aussprechen80 , meinen danach unterscheiden zu müssen, auf wessen Wunsch die Versetzung erfolgt ist. Richtig ist an diesem Gedanken folgendes: Entsprach die Versetzung innerhalb des Konzerns dem Wunsch des Arbeitgebers, so hat der Arbeitnehmer seine Treue gegenüber dem Arbeitgeber bzw. gegenüber dem Gesamtkonzern gerade dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er diesem Versetzungswunsch gefolgt ist. Die vorangegangene Tätigkeit muß dann in jedem Fall auf die Beschäftigungszeit i. S. von § 2 AngKSchG angerechnet werden81 • Aber auch dann, wenn der Anstoß für die Versetzung ursprünglich von dem Arbeitnehmer ausging, abgebender und übernehmender Arbeitgeber den Arbeitsplatzwechsel jedoch befürwortet und akzeptiert haben, darf der Arbeitnehmer berechtigterweise davon ausgehen, daß sich der Arbeitsplatzwechsel nicht zu seinem Nachteil auswirkt. Der Ausgangspunkt des Versetzungswunsches bildet kein taugliches Abgrenzungskriterium82 • Von Bedeutung ist insoweit, daß die Einhaltung der besonderen Kündigungsfristen des AngKSchG - auch stillschweigend - vertraglich vereinbart werden kann93 • Zumindest eine derartige stillschweigende Vereinbarung wird man, selbst wenn man einer generellen konzernbezogenen Auslegung des § 2 AngKSchG ablehnend gegenübersteht, im Regelfall anerkennen müssen, weil sie der für beide Seiten erkennbaren Interessenlage entspricht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Arbeitsplatzwechsel eine Kündigung des Arbeitnehmers vorausgegangen ist und die Einstellung bei dem neuen Arbeitgeber ohne Bezug zur bisherigen Tätigkeit im Konzernbereich erfolgt. Hier kann nicht mehr aus dem Aspekt einer Konzernbetriebstreue heraus argumentiert werden. KR / Etzel, §§ 1, 2 AngKSchG Rdnr. 1. Kronstein, Die abhängige juristische Person, 135. DO Rehbinder, Konzernaußenrecht, 474; Rasch, Deutsches Konzernrecht, 186; Kronstein, Die abhängige juristische Person, 135. 81 a. A. KR / Etzel, Rdnr. 25 zu §§ 1, 2 AngKSchG; wie hier das in Fn.90 angegebene Schrifttum sowie Däubler, Die Veränderung in der Struktur, 1058. 82 So auch Hanau, ZFA 1976, 488, bei der vergleichbaren Problematik in § 1 88 88
BetrAVG. 88 BAG NJW 1967, 1152.
124
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers b) Die Anwendbarkeit des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB
bei konzerninternen Versetzungen
Dem Gesetz über die Kündigung von Angestellten vom 9.7.1926 ist die Regelung der verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB nachgebildet94 • Zwar bestehen im Wortlaut und in den Anwendungsvoraussetzungen einzelne Unterschiede zwischen den beiden VorschriftenD6 • Die gesetzlichen Wertungen, die hinter der Regelung des § 622 Abs. 2 BGB stehen, decken sich jedoch mit denen des AngKSchG. Die dargelegten Grundsätze sind daher entsprechend anzuwendenD8 • Es besteht kein Anlaß, die ohnehin sehr problematische Unterscheidung zwischen Angestellten und ArbeiternD7 durch eine unterschiedliche Berechnung der Konzernbeschäftigungszeiten noch zu vertiefen. 3. Die materiellredltlidle Problematik der Kündigung im Konzern
Der Schwerpunkt der kündigungsrechtlichen Konzernproblematik liegt in der Behandlung der betriebsbedingten Kündigung i. S. v. § 1 Abs. 2 S. 1 3. Alt. KSchG. Die personen- oder verhaltensbedingte Kündigung weist im Konzern keine Besonderheiten auf, da sich hier die Abhängigkeit des Arbeitgebers bzw. die wirtschaftliche Verflechtung der Konzernglieder nicht auswirken kann. Bei Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung durch eine Konzerngesellschaft ist demgegenüber nicht auszuschließen, daß sie durch die wirtschaftliche Unfreiheit des Arbeitgebers beeinflußt wurde. Die Kündigung kann etwa auf einer personalpolitischen Grundentscheidung der Konzernspitze oder auf einer VOn der Konzernleitung veranlaßten Änderung des Produktionsprogramms beruhen. Die Besonderheit der konzerninternen Maßnahmen liegt darin, daß die durch sie in die Wege geleiteten organisatorischen Veränderungen zwar aus der Sicht des Gesamtkonzerns notwendig und sinnvoll sein können, nicht jedoch aus der Sicht des abhängigen Unternehmens. Das Arbeitsverhältnis mit der abhängigen Gesellschaft unterliegt hier Gefahren, die über das allgemeine Arbeitsplatzrisiko in einem rechtlich und wirtschaftlich selbstän8f StaudingeT / Neumann, SchweTdtneT, § 622 Rdnr. 30.
BGB, § 622 Rdnr.13; s. auch Münch-Komm. /
Vgl. hierzu ArbG Reutlingen BB 1975, 1016. In der Literatur wird auf diese Wertungsparallelen nicht eingegangen. Das Schrifttum beschäftigt sich, wenn überhaupt, nur mit § 2 AngKSchG. D7 Hierzu Münch-Komm. / SchweTdtneT, § 622 Rdnr.5; Wenzel, MDR 1969, 882; vgl. auch ZöllneT, Arbeitsrecht, 48. Das BVerfG (NJW 1983, 617) hat die unterschiedliche Behandlung der Arbeiter und Angestellten durch § 622 Abs.2 BGB jetzt für verfassungswidrig erklärt. 85 88
III. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
125
digen Unternehmen hinausgehen. Für das Kündigungsschutzrecht stellt sich die Frage, ob und wie der Arbeitnehmer im Konzern gegenüber diesen untypischen Gefahren geschützt werden kann. Denkbar sind hier verschiedene Lösungswege. Zunächst liegt es nahe, die - wenn auch nur mittelbar - durch die Konzernleitung veranlaßte Kündigung, nicht als zulässige betriebsbedingte Kündigung i. S. von § 1 Abs. 2 KSchG einzustufen (hierzu unten 4.). Daneben ist insbesondere an eine Verpflichtung, den Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz in einer anderen Konzerngesellschaft weiterzubeschäftigen, zu den~en (hierzu unten 5.). Schon vorab läßt sich anmerken, daß diese zweite Möglichkeit nur beschränkten Schutz bieten kann. Der Arbeitnehmer wird u. U. kein Interesse daran haben, in eine Konzerngesellschaft an einem anderen Ort überzuwechseln. Die mit dem Ortswechsel einhergehende Veränderung der Lebensumstände wird insbesondere familiär gebundene Arbeitnehmer oft daran hindern, derartige Weiterbeschäftigungsangebote anzunehmen. Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten wird man aber auch den Arbeitnehmern gewisse Opfer abverlangenmüssen. 4. Die soziale Rechtfertigung einer Kündigung durch betriebliche Erfordernisse
Beispiel: Das Stammkapital der T-GmbH wurde 1980 von der konzernverbundenen M-AG aufgekauft. Die T-GmbH hatte bis zu diesem Zeitpunkt in sämtlichen von ihr betriebenen Produktionssparten positive Ergebnisse erzielt. Aufgrund der Konzernierung ergeben sich nunmehr überschneidungen mit den Produktionsgebieten anderer Konzernglieder. Im Zuge der konzerninternen Rationalisierung wird deshalb die T-GmbH von der Konzernleitung angewiesen, bestimmte Produktionssparten aufzugeben. Die Folge ist der Wegfall eines Teils der Arbeitsplätze. Die freigesetzten Arbeitnehmer wehren sich gegen die ausschließlich im Konzerninteresse liegenden Kündigungen.
a) Das Merkmal der "betrieblichen Erfordernisse" in § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG Gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist die sogenannte betriebsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn dringende betriebliche Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in demselben Betrieb entgegenstehen. Das Gesetz knüpft mithin an die Verhältnisse im Betrieb, nicht an die im Unternehmen oder gar im Konzern an. Es gilt der Grundsatz von der Betriebsbezogenheit des Kündigungsschutzes98 • Unter die "betrieb98 Str. vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Krankheit; BAG AP Nr. 19 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; Hueck, KSchG, § 1 Rdnr. 123; in Frage gestellt von BAG AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung.
126
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
lichen Erfordernisse" i. S. d. § 1 KSchG sind alle wirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Umstände zu fassen, die sich auf die Produktivität des Betriebes auswirkenDe. Es kann sich dabei sowohl um innerbetriebliche (Rationalisierungsmaßnahmen) als auch um außerbetriebliche Gründe (Auftragsmangel, Umsatzrückgang) handelnloo . Die Berücksichtigung aller dieser Gründe steht unter einem wichtigen Vorbehalt. Der Arbeitgeber darf nur dann zur Kündigung schreiten, wenn diese im Interesse des Betriebes wirklich notwendig istlO \ Eine von der Konzernleitung aus konzernspezifischen Gründen veranlaßte Maßnahme liegt aber nicht notwendigerweise im Interesse des Betriebes. Konzerninteresse ist grundsätzlich fremdes Interesse102 • Der Konzern nimmt einerseits die Vorteile der rechtlichen Selbständigkeit seiner Glieder in Anspruch. Er muß daher konsequenterweise auch dann an der rechtlichen Selbständigkeit der Einzelunternehmen festgehalten werden, wenn sich diese zu seinem Nachteil auswirkt. Das Konzerninteresse entspricht dem Interesse der herrschenden Gesellschaft und damit dem Interesse eines fremden Rechtssubjekts. Inkonsequent sind daher Wiedemann / Strohnl08, die bei der Prüfung der betrieblichen Erforderlichkeit i. S. v. § 1 Abs.2 KSchG den Konzern zum Nachteil der Arbeitnehmer wie ein einheitliches Unternehmen behandeln, bei der Beurteilung von Weiterbeschäftigungsansprüchen bei konzerninternen Organisationsveränderungen dagegen - wiederum zum Nachteil der Arbeitnehmer - eine solche einheitliche Betrachtungsweise ablehnen. Diese Kombination der Ergebnisse ist unvertretbar. Der Vorstand der abhängigen Gesellschaft kann sich das Konzerninteresse nicht mit der Konsequenz zu eigen machen, daß im Konzerninteresse liegende Maßnahmen betriebliche Erfordernisse i. S. v. § 1 Abs.2 KSchG begründen. Die personelle Entscheidung muß vielmehr unmittelbar dem Vorteil des Betriebes dienen. Andernfalls liegt die vom Gesetz vorausgesetzte betriebliche Notwendigkeit, die allein den Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses aufheben kann, nicht vor. Könnte die Geschäftsleitung der abhängigen Gesellschaft Maßnahmen, die im Konzerninteresse, jedoch ohne betriebliche Notwendigkeit ausgeführt werden, zur Rechtfertigung einer Kündigung heranziehenl04 , so würde dies die Aufgabe des Grundsatzes der Betriebsbezogenheit des Kündigungsschutzes bedeutenlos. Der genannte Grundsatz wäre zu einer 99 KR I Becker, § 1 Rdnr.292. 100 BAG AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969. 101 Hueck, KSchG, § 1 KSchG Rdnr. 103. 102 Rehbinder, Konzernaußenrecht, 474. 108 Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 104 So aber Martens, BAG-Festschrift, 378. . 105 Trotz der teilweisen Durchbrechung des Grundsatzes der Betriebsbezo-
III. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
127
Leerformel degradiert, die jeweils zum Nachteil des Arbeitnehmers mit neuem Inhalt ausgefüllt würde. Die Ausgewogenheit des Gesetzes, das einerseits betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung verlangt und dafür auf der anderen Seite die Weiterbeschäftigungspflicht ebenfalls auf den betrieblichen Bereich beschränken kann - nur im Falle des Widerspruchs des Betriebsrates erfolgt eine Erweiterung auf den Unternehmensbereich - wäre aufgehoben106• Beruht daher die "betriebsbedingte" Kündigung eines Arbeitnehmers auch nur mittelbar auf einer Konzerndirektive, so ist darauf abzustellen, ob die Organisationsveränderung allein im Konzerninteresse oder zumindest auch im Interesse des betroffenen Betriebes erfolgt ist. Nur im zweiten Fall ist die Kündigung des Arbeitnehmers sozial gerechtfertigt 107 • b) Die justizielle Kontrolle der Unternehmensentscheidung
Für die Effektivität des auf diese Weise erreichten Kündigungsschutzes im Konzern ist entscheidend, in welchem Umfang man eine gerichtliche überprüfung der Unternehmensentscheidung des kündigenden Arbeitgebers überhaupt zuläßt. Prozessuale Gegenmaßnahmen des gekündigten Arbeitnehmers haben nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn das Arbeitsgericht die betriebliche Erforderlichkeit der Kündigung im einzelnen nachprüfen kann. Die justizielle Kontrolle von unternehmerischen Entscheidungen wird in der Rechtsprechung und Literatur überwiegend abgelehnt108• Gegen eine überprüfung der Unternehmerentscheidung spricht, daß die Beweggründe, die den Unternehmer bei der Führung seines Unternehmens leiten, von vielfältigen Gesichtspunkten abhängig sind, die sich nicht mit rein rechtlichen Maßstäben messen lassen. Für die Entschließung des Unternehmers ist nicht allein das Streben nach Gewinn maßgeblich. Sie richtet sich nach zahlreichen anderen wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten, die nicht notwendigerweise mit der Maximiegenheit durch § 1 Abs. 1 und § 1 Abs.2 S. 2 Nr. 1 b KSchG ist nach allgemeiner Ansicht bei der Frage der Betriebsbedingtheit allein auf die Verhältnisse im Betrieb abzustellen (vgl. KR I Becker, § 1 Rdnr.301; Hueck, KSchG, § 1 Rdnr. 123). Die Erweiterung auf den Unternehmensbereich in den genannten Vorschriften soll vom Normzweck der Regelungen her nur zugunsten des Arbeitnehmers wirken. 108 Die Literatur lehnt teilweise unter Hinweis auf die Betriebsbezogenheit des Kündigungsschutzes konzerndimensionale Weiterbeschäftigungsansprüche ab; vgl. Hueck, KSchG, § 1 Rdnr.143; im einzelnen unten 3. Kap., A. III. 5. 107 So auch Rehbinder, Konzernaußenrecht, 474; a. A. Martens, BAG-Festschrift, 378; Däubler, Arbeitsrecht 2, 354. 108 Hueck, KSchG, § 1 Rdnr. 104; Meisel, BB 1963, 1058; Schmidt, AR-Blattei Kündigungsschutz IV B IV; BAG AP Nr.2 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; a. A. Schmidt, RdA 1954, 170; LAG Stuttgart BB 1954 806.
128
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
rung des Unternehmensergebnisses zusammenhängen109 • Den Gerichten würden mit der überprüfung der unternehmerischen Willensbildung Entscheidungen übertragen, die ihnen nach Funktion und geschichtlicher Entwicklung der modernen Rechtspflege fremd sind. Diese überlegungen dürfen andererseits nicht zu einem vollständigen Leerlauf der gesetzlichen Regelung in § 1 Abs.2 KSchG führen. Bereits aus dem Verbot des Rechtsrnißbrauchs folgt zwingend, daß der Unternehmer nicht willkürlich Entscheidungen zum Nachteil der Arbeitnehmer fällen darf. Zutreffend ist mithin die These von einer beschränkten überprüfbarkeit der Unternehmerentscheidung. Die unternehmerische Entscheidung ist daraufhin zu überprüfen, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist110 • überträgt man diese Grundsätze auf die Rechtslage im Konzern, so wird klar, daß der Arbeitnehmer nur selten Aussicht haben wird, sich gegen eine Kündigung, die ohne betriebliche Notwendigkeit ausgesprochen wurde, erfolgreich zur Wehr zu setzen. Schon rein tatsächlich bilden die Fälle, in denen eine Unternehmerentscheidung als offenbar unsachlich - weil offensichtlich im Konzerninteresse erfolgt - bezeichnet werden kann, die seltene Ausnahme. Selbst wenn eine für die abhängige Gesellschaft nachteilige Konzerndirektive ergangen ist, so hat die Konzernverwaltung (- insbesondere bei lOOOfoigen Beteiligungen, bei denen keine Kontrolle durch eine Aktionärs- oder Gesellschafterminderheit stattfindet -) vielfältige Möglichkeiten, die reale Wirtschaftslage innerhalb des Konzerns zu verschleiern. Konzerninterne Organisationsmaßnahmen zeichnen sich regelmäßig dadurch aus, daß sie für Außenstehende kaum nachkontrollierbar sind. Da der Arbeitgeber die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit seiner Maßnahme nach der Rechtsprechung nicht begründen muß 111 , wird es dem Arbeitnehmer schwerfallen, die Behauptung seines Arbeitgebers, die Kündigung sei Folge eines Anpassungsprozesses an die veränderte Marktlage, substantiiert anzugreifen. Bereits im allgemeinen Kündigungsschutzrecht zeigt die Praxis der Arbeitsgerichte, daß sich die Trennung zwischen der freien Unternehmerentscheidung und den gerichtlich nachprüfbaren Tatsachen, auf denen die Unternehmerentscheidung beruhtl12 , nur in der Theorie proVgl. LAG Mannheim BB 1955, 574. So BAG AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; KR I Becker, § 1 Rdnr. 297; a. A. Schwerdtner, Arbeitsrecht 1,176. 111 Die Darlegungs- und Beweislast für die offensichtliche Unsachlichkeit einer Maßnahme liegt nach BAG AP Nr.22 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung beim Arbeitnehmer. 111 Hierzu KR I Becker, § 1 Rdnr. 298. 109
110
III. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
129
blemlos durchführen läßt. Im Ergebnis werden die Klag,en der Arbeitnehmer gegen betriebsbedingte Kündigungen vielfach mit dem Hinweis auf die Freiheit der Unternehmerentscheidung abgewiesen1l3• Die bestehenden Beweisschwierigkeiten rechtfertigen es jedoch nicht, den Schutz des Arbeitnehmers vor Kündigungen, die ohne betriebliche Notwendigkeit ausgeführt werden, von vornherein abzulehnen114 • Es wäre ein methodisch unzulässiger Schluß, allein aufgrund von Beweisproblemen die Anwendbarkeit einer Norm bereits vom Tatbestand her zu verneinen. Die prozessualen Schwierigkeiten können u. U. die Notwendigkeit einer erweiternden Auslegung oder einer Beweislastumkehr begründen, nicht jedoch das tatbestandsmäßige Vorliegen einer Norm ausschließen. In dem (schmalen) Bereich, in dem sich ungeachtet der Beweissituation praktikable Ergebnisse erzielen lassen, bleibt die Anwendbarkeit der Norm erhalten. Im Beispielsfallliegen die Rationalisierungsmaßnahmen - und damit der Wegfall der Arbeitsplätze - allein im Konzerninteresse. Die Kündigungen sind daher nicht gerechtfertigt. c) Zwischenergebnis
über das Merkmal der "dringenden betrieblichen Erfordernisse" kann ein Schutz des Arbeitnehmers vor offensichtlich ausschließlich im Konzerninteresse liegenden Maßnahmen erreicht werden. In den übrigen Fällen, in denen eine arbeitsplatzvernichtende Maßnahme im Interesse des Konzerns, nicht jedoch des betroffenen Betriebes ausgeführt wurde, wird die Rechtsverfolgung dagegen durch die fehlende überprüfbarkeit der Unternehmerentscheidung erschwert. 5. Konzernbezogene Weiterbeschäftigungsansprüche
Besteht trotz der vom Gesetz verlangten "betrieblichen Erforderlichkeit" einer Kündigung kein ausreichender Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen arbeitsplatzvernichtende Maßnahmen der Konzernspitze, so stellt sich um so dringlicher die Frage, inwieweit ein Recht des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung in anderen Konzerngesellschaften anerkannt werden kann. Berücksichtigt man die Konzeption des Kündigungsschutzgesetzes, so läßt sich vorab feststellen, daß es auch bei dem konzernbezogenen Wei113 Vgl. WolteT, Der Schutz des Arbeitnehmers vor betriebsbedingter Kündigung, 16 ff., 38, 96, 98. 114 So aber MaTtens, BAG-Festschrift, 378; Däubler, Arbeitsrecht 2, 354;
9 Henssler
130
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
terbeschäftigungsanspruch nur darum geht, den Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz im Konzernbereich weiterzubeschäftigen. Eine generelle Pflicht, die in einem Konzernunternehmen freigesetzten Arbeitnehmer auf der Konzernebene weiterzubeschäftigen115 , widerspricht dem geltenden Kündigungsrecht, auch wenn der Arbeitsplatzverlust konzernbedingt ist. Selbst wenn man zugunsten des Arbeitnehmers den Konzern einem einheitlichen Unternehmen gleichstellen wollte, so könnte der Arbeitnehmer innerhalb dieses Unternehmens Weiterbeschäftigung nur dann verlangen, wenn im Unternehmensbereich ein Arbeitsplatz frei wäre (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 b KSchG). Konzernbezogene Erweiterungen des Kündigungsschutzes können aber nicht über den Rechtsschutz des Arbeitnehmers innerhalb eines wirtschaftlich selbständigen Unternehmens hinausgehen, da sich hierfür weder aus der Rechts- noch aus der Interessenlage eine Rechtfertigung ergibt. a) Die Meinungen im Schrifttum
Die Literatur sieht den Ansatzpunkt für die Behandlung des konzernbezogenen Weiterbeschäftigungsanspruchs überwiegend in der Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 1 b KSchG. Danach ist eine Kündigung auch dann sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann und der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hat. Während die wohl noch herrschende Meinung in der Literatur eine konzernweite Auslegung dieser Vorschrift ablehntl18 , mehren sich vor allem in jüngster Zeit die Stimmen, die, wenn auch in unterschiedlichem Umfang und ohne eingehende Begründung, die Weiterbeschäftigungspflicht auf den Konzernbereich ausdehnen111 •
115 1981 verlangten etwa die bei der Firma Triumpf-Adler, einer Tochter des VW-Konzerns, freigesetzten Arbeitnehmer zu Unrecht die generelle übernahme durch die Konzernmuttergesellschaft. 118 Hueck, KSchG, § 1 Rdnr.143; Meisel, Die Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten, 179; H erschel, Anm. zu BAG EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr.5; Wiedemann I Strohn, Anm. zu BAG AP Nr.3 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; sowie die Kommentarliteratur zu § 102 Abs.3 Ziff.3 BetrVG; Dietz I Richardi, BetrVG Bd.2, § 102 Rdnr. 140; Galperin I Löwisch, BetrVG Bd.2, § 102 Rdnr.63; Stege I Weinspach, BetrVG, § 102 Rdnr.136 mit Hinweis auf eine Entsch. des ArbG Hamm; Fitting I Aujjarth I Kaiser, BetrVG, § 102 Rdnr. 16; Kammann I Hess I Schlochauer, BetrVG, § 102 Rdnr. 111. 117 Bösche, Die Rechte des Betriebsrats bei Kündigungen, 120 f.; KR I Becker, § 1 Rdnr. 91; Martens, BAG-Festschrift, 379; ders., ZfA 1973, 316; Rehbinder, Konzernaußenrecht, 472 f. (vor der Änderung des KSchG); Wetzling, Der Konzernbetriebsrat, 178 ff.; Däubler, Die Veränderung in der Struktur, 1057.
III. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
131
Das BAG konnte die Frage bislang offenlassen, neigt aber andeutungsweise dazu, zumindest in Sonderfällen konzernbezogene Weiterbeschäftigungsansprüche in Betracht zu ziehen118 • b) Zur Möglichkeit pauschalierter Lösungswege
Auch diejenigen Literaturstimmen, die sich eingehender mit dem Weiterbeschäftigungsanspruch im Konzern befassen, versuchen, die Problematik durch weitgehend pauschalierte Lösungen in den Griff zu bekommen. Sie unterscheiden zwar vereinzelt nach der Art der Unternehmensverbindung118, fragen jedoch nicht danach, ob die Gesellschaft, in der der Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden will, dem Arbeitgeber gegenüber unter-, gleich- oder gar übergeordnet ist120 • Sie setzen sich auch nicht damit auseinander, gegen welche Konzerngesellschaft sich der Weiterbeschäftigungsanspruch richten soll und ob sich möglicherweise die rechtlichen Konstruktionen je nach der in Anspruch genommenen Gesellschaft (Arbeitgeber oder das Unternehmen, in dem ein freier Arbeitsplatz besteht) unterscheiden. Dieser Lösungsansatz überzeugt nicht. Unabhängig davon, ob und inwieweit ein konzerndimensionaler Weiterbeschäftigungsanspruch bejaht werden kann, unterscheiden sich die Lösungswege je nach der Person, die in Anspruch genommen und nach der Gesellschaft, in der eine Beschäftigung angestrebt wird. Die Rechtslage weicht jeweils sowohl prozessual als auch materiellrechtlich voneinander ab. Ein Rückgriff auf § 1 Abs. 2 KSchG als Kündigungsschutzvorschrift kommt nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer gegen diejenige Gesellschaft, mit der er einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat, vorgeht. Da nur diese Gesellschaft eine Kündigung ausgesprochen hat, kann sich ein Kündigungsschutzprozeß i. S. der §§ 1 ff. (insbesond. § 4) KSchG auch nur gegen sie, nicht jedoch gegen andere Konzernunternehmen richten. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten sind im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses nur insoweit von Bedeutung, als der Arbeitgeber überhaupt die Rechtsmacht hat, die Konzernunternehmen, in denen Arbeitsplätze frei sind, zur Übernahme des Arbeitnehmers anzuweisen. Das ist nur bei eigenen Tochtergesellschaften der Fall. Dagegen ist der Arbeitgeber nicht dazu in der Lage, gleich- oder übergeordnete Gesell118 BAG AP Nr.3 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; in der Interpretation des BAG stimmen mit der hier vertretenen Ansicht Wiedemann I Strohn (Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung) überein. 118 So etwa KR I Becker, § 1 Rdnr. 91; Bösche, 121. 120 Vgl. die Nachweise in Fn. 117.
9*
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
132
schaften zur Beschäftigung des Arbeitnehmers zu verpflichten. Diesbezügliche Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten müssen daher bei der justiziellen Kontrolle der von ihm ausgesprochenen Kündigung außer Betracht bleiben121 • Das zeigt sich schon daran, daß ein Urteil, das den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in einer übergeordneten Gesellschaft verpflichten würde, ihm gegenüber überhaupt nicht vollstreckt werden könnte. Das Urteil wäre auf eine unmögliche Leistung gerichtet und damit wirkungslos122 • Will der Arbeitnehmer in den genannten Gesellschaften weiterbeschäftigt werden, so muß er sich an das herrschende Unternehmen bzw. direkt an die Gesellschaft, in der Kapazitäten frei sind, wenden. Die rechtliche Beurteilung dieser Fälle unterscheidet sich aber grundlegend von der Sachlage, die besteht, wenn der Arbeitgeber in Anspruch genommen wird. In diesem Fall kann sich der Anspruch auf Weiterbeschäftigung aus dem Arbeitsverhältnis ergeben. § 1 Abs. 2 KSchG befaßt sich nur damit, ob dieses bereits bestehende Arbeitsverhältnis zu Recht oder zu Unrecht gekündigt wurde. Bei der Inanspruchnahme einer Konzerndrittgesellschaft muß dagegen auf außervertragliche Kriterien zurückgegriffen werden. Hier geht es um die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses mit dieser Gesellschaft. Eine direkte Anwendung des § 1 Abs. 2 KSchG kommt mangels einer durch die dritte Gesellschaft ausgesprochenen Kündigung nicht in Betracht. Die dieser Vorschrift zugrunde liegenden Wertung'en wirken sich möglicherweise aber auch im Verhältnis des Arbeitnehmers zu Konzerndrittgesellschaften aus. Als Fazit dieser Vorüberlegungen bleibt festzuhalten: Die rechtliche Beurteilung eines konzernbezogenen Weiterbeschäftigungsanspruchs richtet sich danach, ob -
das Unternehmen, das in Anspruch genommen wird, Arbeitgeber des gekündigten Arbeitnehmers oder eine sonstige Gesellschaft ist
-
das Unternehmen, in dem der Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden möchte, dem Arbeitgeber gegenüber unter-, gleich- oder aber übergeordnet ist.
Es ist also eine getrennte Behandlung der verschiedenen Sachverhaltsgruppen geboten.
a. A. Däubler, Das Arbeitsrecht 2, 355. Vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, üb. 3 C vor § 300, Grundz. § 704 3 C. 121
122
111. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
Beispiel:
133
c) Ansprüche des gekündigten Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber auf Weiterbeschäftigung in einer Tochtergesellschaft des Arbeitgebers
Arbeitnehmer A war 5 Jahre bei der Konzernmuttergesellschaft M-AG beschäftigt. Die M-AG hält unter anderem 100 % der Geschäftsanteile der T-GmbH. Diese ist betriebs- und personalwirtschaftlich umfassend in die M-AG eingegliedert. Der Geschäftsführer der T-GmbH ist zugleich Vorstandsmitglied der M-AG. Obwohl bei der T-GmbH noch freie Arbeitsplätze vorhanden sind, kündigt die M-AG dem A aus betrieblichen Gründen. Averlangt Weiterbeschäftigung bei der T-GmbH. aal Weiterbeschäftigungspflicht bei Widerspruch des Betriebsrats
Als Grundlage eines Anspruchs auf Weiterbeschäftigung in Tochtergesellschaften des Arbeitgebers kommt die konzernbezogene Auslegung des § 1 Abs.2 Nr. 1 b KSchG in Betracht. Eine Kündigung wäre bei einer konzerndimensionalen Interpretation dieser Vorschrift sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber nicht bereit ist, seinen Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz bei einer Tochtergesellschaft unterzubringen. Im Rahmen der konzernbezogenen Auslegung des § 1 Abs.2 Nr. 1 b KSchG stellen sich wiederum die bereits angesprochenen allgemeinen Problemel23 • Die analoge Anwendung der Vorschrift auf den Konzernbereich setzt eine diesbezügliche Gesetzeslücke i. S. einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Während im Rahmen der Interpretation des Unternehmensbegriffs in § 1 Abs. 1 KSchG davon ausgegangen werden konnte, daß der Gesetzgeber die besondere Konzernproblematik nicht berücksichtigt hatte, ist bei der Auslegung von § 1 Abs.2 Nr. 1 b KSchG eine andere Betrachtungsweise geboten. Die Rechtsnorm muß im Zusammenhang mit der betriebsverfassungsrechtlichen Regelung in § 102 BetrVG gesehen werden. Die Sätze 2 und 3 des § 1 Abs. 2 KSchG sind im Zuge der Anpassung an das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 in das Kündigungsschutzgesetz aufgenommen worden124 • Bei ihrer Auslegung ist auf die im BetrVG zutage getretene gesetzliche Wertung Rücksicht zu nehmen. Das BetrVG befaßt sich aber eingehend mit der Unterscheidung zwischen Unternehmen und Konzern (vgl. §§ 8 Abs.1 S.2, 54 ff. BetrVG). Hat der Gesetzgeber in § 102 BetrVG und § 1 Abs. 2 Nr. 1 b KSchG, trotz dieses ihm offensichtlich bekannten Unterschieds, an den Unternehmensbegriff angeknüpft, so muß davon ausgegangen werden, daß 123
124
Vgl. oben 3. Kap., A. 111. 1. a). Vgl. § 102 BetrVG sowie BT-Drucksache VI 2729, IV 3 S. 7,30,36.
134
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
die generelle Erstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs auf den Konzernbereich bewußt unterblieben ist. Zwar enthalten auch hier die Gesetzesmaterialien keinen Hinweis auf die Erörterung des konzerndimensionalen Kündigungsschutzes125• Die Wortwahl des Gesetzes bildet angesichts der geschilderten Umstände aber ein wesentliches Indiz, von dem ohne zwingende Anhaltspunkte nicht abgewichen werden kann. Ein genereller konzerndimensionaler Weiterbeschäftigungsanspruch ist damit abzulehnen128 • Ein solcher Anspruch ist auch von der Interessenlage her nicht geboten. Nur dann, wenn die wirtschaftliche und organisatorische Verflechtung des Konzerns der eines einheitlichen Unternehmens gleichkommt, kann der Konzernarbeitnehmer verlangen, wie ein Arbeitnehmer eines einheitlichen Unternehmens behandelt zu werden. Ist die Verbindung der Konzernglieder dagegen nur lose, so besteht kein Anlaß für eine derartige Gleichstellung. Läßt sich demnach ein genereller konzernbezogener Weiterbeschäftigungsanspruch nicht mit § 1 Abs. 2 KSchG vereinbaren, so ist die Lösung in einer differenzierenden Betrachtungsweise zu suchen. Eine partielle auf bestimmte Konzernarten beschränkte Ausdehnung des Weiterbeschäftigungsanspruchs widerspricht nicht dem Gesetz l27 • Aufgrund der Verwendung des Konzernbegriffs im BetrVG ist lediglich eine sämtliche Konzerntatbestände umfassende Gesetzeslücke zu verneinen. Bezüglich einzelner Konzernverbindungen, die sich faktisch stark an ein einheitliches Unternehmen annähern, drängt sich aber die Annahme einer Gesetzeslücke auf. Der weite Konzernbegriff eignet sich nicht zur Erfassung der differenzierten Regelungsmaterie. Es ist daher rechtspolitisch billigenswert, daß der Gesetzgeber eine generelle konzerndimensionale Weiterbeschäftigungspflicht nicht festgeschrieben hat. Die hier vertretene These einer beschränkten Ausdehnung der Weiterbeschäftigungspflicht ergibt sich aus der konsequenten Anwendung der den kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften zugrunde liegenden Wertungen. Mit der Erstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs auf den Unternehmensbereich durch die Änderung des KSchG 1972 hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß alle diejenigen Betriebe, die einer einheitlichen betriebs- und personalwirtschaftlichen Planung unterstehen, auch im Rahmen der sozialen Rechtfertigung einer Kün125 BT-Drucksache VI 1786 S. 32 f., 52, 59; BT-Drucksache VI 2729 IV 3 S.7, 30,36. m Kronstein befürwortete vor dem Inkrafttreten des KSchG einen generellen konzernbezogenen Weiterbeschäftigungsanspruch (Die abhängige juristische Person, 129 ff.). 127 So auch Bösche, Die Rechte des Betriebsrats bei Kündigungen, 121, vgl. ferner - allerdings ohne Begründung - die weiteren Nachweise oben in Fn.1l7.
III. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
135
digung berücksichtigt werden sollen. Demjenigen, der die zentrale Planungskompetenz hat, kann die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers in dem seiner Leitungsmacht unterworfenen Bereich zugemutet werden. Die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung muß angesichts der neuen Gesetzeslage im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Verfügungsgewalt über die in Frage stehenden Arbeitsplätze gesehen werden. Ist die wirtschaftliche Verflechtung mehrerer Unternehmen derart eng, daß auch die Arbeitsplätze des abhängigen Unternehmens mittelbar der Verfügungsgewalt der herrschenden Gesellschaft unterliegen, so muß sich nach der Intention des Gesetzgebers die Weiterbeschäftigungspflicht auf jene Unternehmen erstrecken. Dem abhängigen Unternehmen fehlt hier die betriebs- und personalwirtschaftliche Eigenständigkeit, so daß auch im Arbeitsrecht die Rücksichtnahme auf Sonderinteressen dieser Gesellschaft nicht geboten ist. Die abhängige Konzerngesellschaft ist in kündigungsrechtlicher Sicht dem Betrieb eines Großunternehmens gleichzustellen. Die rechtliche Selbständigkeit der einzelnen Konzernglieder wird aufgrund der besonderen arbeitsrechtlichen Interessenlage durchbrochen128 • Der Hinweis auf die Einheit der Rechtsordnung, die durch die Nichtbeachtung der rechtlichen Selbständigkeit der Konzernglieder verletzt werde l28 , trifft nicht zu. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß auch im Arbeitsrecht die rechtliche Selbständigkeit der Konzernunternehmen kein Grundsatz von unbeschränkter Geltungskraft istl30 • Methodisch gesehen ist der sogenannte Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung oft ein Mittel, rechtspolitisch gewünschte Ergebnisse als gesetzlich gebotene auszugeben. Bestehende Unterschiede der Interessenlagen und der Wertmaßstäbe werden dabei unter Berufung auf die fiktive Einheit der Rechtsordnung verdrängt. Das Gebot der Einheit der Rechtsordnung darf nicht dazu dienen, die Ergebnisse der Kautelarjurisprudenz, die im Gesellschaftsrecht tragbar sein mögen, unbesehen 128 Vgl. zur hier vertretenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise auch OLG Braunschweig BB 1976, 854. Das OLG billigt einen Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB auch dann zu, wenn die Vorteile aus der Tätigkeit des Handelsvertreters nicht dem verpflichteten Unternehmen, sondern einer anderen Konzerngesellschaft zugute kommen. 128 Vgl. Wiedemann I Strohn, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 130 s. oben 2. Kap., A. II. 3. c); auch das kollektive Arbeitsrecht kennt die einheitliche Betrachtung von herrschender und abhängiger Gesellschaft. So wird etwa im Arbeitskampfrecht ein Streik der Arbeitnehmer einer herrschenden Konzerngesellschaft zur Durchsetzung der Forderungen ihrer Kollegen in abhängigen Unternehmen für zulässig erachtet, obwohl hier, rechtlich gesehen, für "fremde Ziele" gekämpft wird (vgl. BAGE 15, 211, 217). Ent... scheidend ist, daß auch das herrschende Unternehmen die Streikforderungen erfüllen kann (Brox I Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 149).
136
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
auch für das Arbeitsrecht zu übernehmen. Die im Arbeitsrecht wirksam werdenden Sozialgestaltungsideen zwingen den Rechtsanwender, die im Recht der Unternehmensformen bestehende Gestaltungsfreiheit in arbeitsrechtlicher Hinsicht nur beschränkt anzuerkennenl31 • Für das Arbeitsrecht können die gesellschaftsrechtlichen Grundprinzipien nicht ausschlaggebend sein132 • Das Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung seiner Beschäftigung genießt, solange dies dem Arbeitgeber zumutbar ist, ebenfalls einen gesetzlich anerkannten Schutz. Der Arbeitgeber wird nicht unzumutbar belastet, wenn er seine Arbeitnehmer auch in den von ihm beherrschten Unternehmen unterbringen muß. Bereits die aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Schutzpflichten des Arbeitgebers gebieten, alles Zumutbare zu unternehmen, um die Existenzsicherung des Arbeitnehmers zu gewährleisten. Je nach der Art der Konzernverbindung kommt daher ein konzerndimensionaler Weiterbeschäftigungsanspruch in Betracht. Die kündig'ende Konzerngesellschaft muß ihren Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz bei ihrer Tochtergesellschaft anbieten, wenn diese Gesellschaft betriebs- und personalwirtschaftlich in ihre Muttergesellschaft eingegliedert ist. Ein derartiges enges Verhältnis liegt stets bei einer Eingliederung i. S. der §§ 319 ff. AktG sowie in einem Vertragskonzern (§ 308 ff. AktG) vor, wenn zugleich ein Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen wurde. Auch bei einer zumindest 950f0igen Beteiligung der Muttergesellschaft wird sie in der Regel gegeben sein, wenngleich sich hier eine generelle Schlußfolgerung verbietetl33 • Prozessual hat der Arbeitnehmer seinen Anspruch im Wege der Kündigungsschutzklage nach den §§ 4 ff. KSchG geg'enüber seinem Arbeitgeber durchzusetzen. Eine direkte Klage gegenüber der abhängigen Gesellschaft kommt nicht in Betracht, da zu dieser Gesellschaft weder eine vertragliche Beziehung noch ein gesetzliches Schutzpflichtverhältnis besteht. bb) Weiterbeschäftigungspflicht bei fehlendem Widerspruch des Betriebsrats Bislang wurde der konzernbezogene Weiterbeschäftigungsanspruch nur im Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 b KSchG i. V. m. § 102 Vgl. hierzu Birk, BB 1976, 1227, 1228. So auch Walz, Multinationale Unternehmen und internationaler Tarifvertrag, 41. 133 Zu ähnlichen Ergebnissen kommen KR I Becker, § 1 Rdnr. 91; Martens, BAG-Festschrift, 379 ff. Bösche, Die Rechte des Betriebsrats bei Kündigungen, 121. 131 182
111. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
137
BetrVG erörtert. Voraussetzung ist danach stets ein Widerspruch des Betriebsrats. Die Arbeitsrechtswissenschaft bejaht teilweise einen unternehmensbezogenen Weiterbeschäftigungsanspruch auch ohne Widerspruch des Betriebsratsl34 • Sie siedelt diesen Anspruch unmittelbar bei der nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG zu erfolgenden Interessenabwägung an. Diese Ansicht überzeugt jedoch nicht. Sie steht nicht im Einklang mit den offen zutage getretenen Zielvorstellungen des Gesetzgebers des Kündigungsschutzgesetzes. Den Gesetzgebungsunterlagen135 läßt sich entnehmen, daß eine generelle Weiterbeschäftigungspflicht auf der Unternehmensebene ausdrücklich abgelehnt wurde. Daran hat sich auch seit der Novellierung des KSchG 1972 nichts geändert. Vielmehr ist ein unternehmensbezogener Weiterbeschäftigungsanspruch nur im Falle eines Widerspruchs des Betriebsrats vorgesehen. Darüber hinausgehende Verbesserungen des bis dahin geltenden Kündigungsschutzes waren bei der Gesetzesänderung nicht beabsichtigt. Ein über den betrieblichen Bereich hinausgehender und vom Widerspruch des Betriebsrats unabhängiger Weiterbeschäftigungsanspruch ist daher nur bei Vorliegen besonderer Umstände anzuerkennen. Solche Umstände liegen etwa vor, wenn der Arbeitgeber sich das Recht vorbehalten hat, den Arbeitnehmer in andere (abhängige) Gesellschaften zu versetzen. In diesem Fall hat das § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG zugrunde liegende Prinzip der Betriebsbezogenheit des Kündigungsschutzes eine vertragliche Erweiterung erfahren. Dem erweiterten Pflichtenumfang des Arbeitnehmers muß auch eine erweiterte Rechtsstellung entsprechen. Die Vertragsgestaltung ist somit bei der umfassenden 136 Interessenabwägung im Rahmen von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG zu berücksichtigen137 • Der Arbeitgeber hat durch die geschilderte Abrede selbst zum Ausdruck gebracht, daß er die Tätigkeit in der abhängigen Gesellschaft als völlig gleichartig ansieht, so daß ihm die Versetzung des Arbeitnehmers in diese Gesellschaft zumutbar ist136 •
134 KR 1 Becker, § 1 Rdnr.306; BAG AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Löwisch, DB 1975, 349; a. A. Hueck, KSchG, § 1 Rdnr. 114. 135 Vgl. BT-Drucksache 1/2090 S. 12. 136 Vgl. BAG AP Nr. 14 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 137 So auch Rehbinder, Konzernaußenrecht, 472. Vgl. auch die Rechtsprechung des BAG (AP Nr. 19 und 22 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung), das in ähnlicher Weise den Weiterbeschäftigungsanspruch bei fehlendem Widerspruch des Betriebsrats auf den Unternehmensbereich ausgedehnt hat. 138 Vgl. BAG AP Nr. 27 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht.
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
138
cc) Ergebnis Eine Konzerngesellschaft ist verpflichtet, dem von ihr gekündigten Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz bei einer Tochtergesellschaft anzubieten, wenn -
-
die Tochtergesellschaft betriebs- und personalwirtschaftlich wie ein unselbständiger Betrieb in die Muttergesellschaft eingegliedert ist und der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hat oder der Arbeitnehmer einem konzernweiten Versetzungsrecht seines Arbeitgebers unterworfen ist. d) Ansprüche gegen die den kündigenden Arbeitgeber beherrschende Gesellschaft auf Weiterbeschäftigung im Konzernbereich
Beispiel: Arbeitnehmer B war bislang bei der T-GmbH beschäftigt, deren Geschäftsanteile von der konzernverbundenen M-AG gehalten werden. Die T-GmbH fungiert lediglich als Zulieferbetrieb für andere Konzernunternehmen. Sie wird betriebs- und personalwirtschaftlich vollständig von ihrer Muttergesellschaft gesteuert. Aufgrund einer Änderung der Geschäftspolitik des M-Konzerns werden Teile der bisherigen Produktion der T-GmbH im Konzern nicht mehr benötigt. B überlegt, ob er im Fall einer betriebsbedingten Kündigung durch die T-GmbH verlangen kann, auf einem freien Arbeitsplatz in der M-AG weiterbeschäftigt zu werden. aa) Die Rechtsgrundlage des Weiterbeschäftigungsanspruchs Von zumindest ebenso großer praktischer Bedeutung wie die soeben geschilderte Problematik ist die umgekehrte Situation, wenn ein Arbeitnehmer, der von einer abhängigen Gesellschaft gekündigt wird, verlangt, bei der herrschenden Konzerngesellschaft bzw. einer von ihr beherrschten dritten Konzerngesellschaft weiterbeschäftigt zu werden. Ein derartiger Sachverhalt lag der bislang einzigen zu diesem Problembereich ergangenen Entscheidung des BAGl3D zugrunde. Das Gericht konnte dort die Entscheidung offenlassen, da der Arbeitgeber von sich aus die Weiterbeschäftigung im herrschenden Konzernunternehmen angeboten hatte. Es tendierte aber dazu, eine Pflicht zur Weiterbeschäftigung zumindest dann anzunehmen, wenn der Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers nur in ein anderes Unternehmen verlagert wurde140• AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. Auch insoweit ablehnend Wiedemann I Strohn, Anm. zu BAG AP Nr.3 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 138
140
IH. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
139
Mangels arbeitsvertraglicher Beziehungen zwischen dem Arbeitnehmer und der herrschenden Konzerngesellschaft läßt sich, anders als in dem unter III. 5. c) erörterten Fall, der Anspruch des Arbeitnehmers nicht auf eine vertragliche Grundlage stützen. Aus § 1 Abs. 2 KSchG lassen sich insoweit nur sehr vorsichtig Rückschlüsse ziehen. Die Vorschrift befaßt sich mit der Rechtfertigung einer Kündigung. Ihre Konzeption ist daher bereits sehr weit von der hier zu behandelnden Sachlage entfernt, in der es nicht mehr um die Beurteilung einer Kündigung, sondern ausschließlich um den Abschluß eines neuen Arbeitsvertrages geht. Es wurde aber bereits dargelegt, daß dem herrschenden Konzernunternehmen unter gewissen Umständen Schutzpflichten gegenüber den Arbeitnehmern der abhängigen Gesellschaften zukommen könnenl41 • Möglicherweise ergeben diese Schutzpflichten in Verbindung mit dem rechtspolitischen Gedanken des § 1 Abs.2 KSchG einen Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers. Voraussetzung für die relevante Schutzpflicht der herrschenden Konzerngesellschaft ist neben einer engen Unternehmensverbindung, daß diese Gesellschaft Einfluß auf die Rechtssphäre des Arbeitnehmers genommen und so den Verlust des Arbeitsplatzes verursacht hat. Nur in diesem Fall läßt sich eine Rechtspflicht der Konzernmutter gegenüber dem Arbeitnehmer rechtfertigen. Der herrschenden Gesellschaft kommt hier aufgrund der faktischen Verhältnisse eine Position zu, die sonst nur der Arbeitsvertragspartner des Arbeitnehmers hat. bb) Unmittelbar von der Konzernobergesellschaft verursachte Kündigungen Eine gewisse Besonderheit besteht nach der hier vertretenen Ansicht darin, daß die unmittelbar durch eine Konzerndirektive der Muttergesellschaft verursachte Kündigung mangels Betriebsbedingtheit nicht sozial gerechtfertigt ist142 • Das Problem der Weiterbeschäftigung stellt sich hier nur dann, wenn die gegen den Arbeitgeber gerichtete Kündigungsschutzklage aufgrund der Freiheit der Unternehmerentscheidung keine Erfolgsaussicht hat. Im Rahmen des konzernbezogenen Weiterbeschäftigungsanspruchs wird der Grundsatz der freien Unternehmerentscheidung nicht tangiert. Es handelt sich um direkte Ansprüche gegen die Konzernmuttergesellschaft, die lediglich die Tatbestandsmerkmale des Schutzpflichtverhältnisses voraussetzen. Ob die (möglicherweise unfreie) Unternehmer141 s. oben 2. Kap., C. H. 5.; vgl. auch Wetzling (Der Konzernbetriebsrat, 181 f.), der allerdings nur für einen Teilbereich des Kündigungsschutzrechts eine derartige Pflicht bejaht. lU s. oben 3. Kap., A.
140
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
entscheidung der abhängigen Gesellschaft (Arbeitgeber), die zur Kündigung geführt hat, sachlich gerechtfertigt war, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. ce) Mittelbar von der Konzernleitung verursachte Kündigungen Bedeutsamer sind konzerndimensionale Weiterbeschäftigungsansprüche bei einer anderen Sachverhaltskonstellation. Neben den unter bb) geschilderten Fällen, in denen die herrschende Konzerngesellschaft direkte Weisungen zur Durchführung nachteiliger Maßnahmen gegeben hat, sind Unternehmensverbindungen denkbar, in denen die untergeordnete Gesellschaft als vollständig abhängiges Unternehmen in den Konzern eingegliedert ist. Beispiele bieten Konzernglieder, deren Produktionsergebnis nur innerhalb des Konzerns sinnvoll verwendet werden kann sowie Unternehmen, die von der Konzernspitze bewußt aus steuerlichen Gründen (Abschreibungsgesellschaften) gegründet wurden. In diesen Konzernverbindungen kann die herrschende Konzerngesellschaft Einfluß auf die Geschäftspolitik des abhängigen Konzernglieds nehmen, ohne unmittelbar ihr Weisungsrecht einzusetzen. Sie kann die wirtschaftlichen Grunddaten für diese Gesellschaften verändern, indem sie etwa die von ihnen hergestellten Produkte nicht mehr abnimmt oder die Konzernverrechnungspreise ändert. Da die Tochtergesellschaft ihre Produkte oder Dienstleistungen wirtschaftlich sinnvoll nur innerhalb des Konzerns absetzen kann, werden auf diese Weise echte "betriebliche Erfordernisse" i. S. v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG geschaffen. Auch eine hierdurch bedingte Kündigung muß als nachteilige Auswirkung der Leitungsmacht der Konzernspitze (i. S. der Tatbestandsvoraussetzungen eines Schutzpflichtverhältnisses) aufgefaßt werden. Dagegen läßt sich nicht einwenden, daß es auch nicht konzerngebundene Unternehmen gibt, die als Zulieferbetriebe von einer Drittgesellschaft faktisch abhängig sind. Der entscheidende Unterschied liegt darin, daß hier die Abhängigkeit von dem Großabnehmer auf einer freien Unternehmerentscheidung beruht und durch die Änderung des Produktionsprogramms wieder rückgängig gemacht werden kann. Dem Großabnehmer kann damit keine Verantwortung für die Arbeitsplätze des Zulieferbetriebes auferlegt werden. Die abhängige Konzerngesellschaft hat dageg-en nicht die Möglichkeit, sich durch rechtzeitige Änderung des Produktionsprogramms von der Muttergesellschaft zu lösen. Die Unternehmerentscheidungen werden hier von der Konzernobergesellschaft gefällt. Ihr obliegt daher auch die soziale Verantwortung für die Arbeitsplätze der abhängigen Gesellschaften.
111. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
141
dd) Die Rechtfertigung der auf Weiterbeschäftigung gerichteten Schutzpflichten Mit den im Arbeitsrecht maßgeblichen Sozialgestaltungszwecken ist es nicht zu vereinbaren, wenn die Konzernarbeitnehmerschaft das dargestellte Risiko der umfassenden Abhängigkeit ihres Arbeitgebers zu tragen hat. Die wirtschaftlichen und unternehmenspolitischen Entscheidungen werden in engen Unternehmensverbindungen von der Konzernmutter gefällt. Sie setzt auch die Arbeitnehmer der abhängigen Gesellschaften ein, um die von ihr konzipierten wirtschaftlichen Ziele zu erreichen. Lassen sich diese nicht verwirklichen, so muß VOn der Konzernleitung verlangt werden, daß sie alles Zumutbare unternimmt, um die Nachteile für die Arbeitnehmer gering zu halten, über deren Arbeitsplätze sie die wirtschaftliche Verfügungsbefugnis hat. Das herrschende Konzernunternehmen wird durch die Verpflichtung, die aufgrund ihrer Fehlplanung freigesetzten Arbeitnehmer innerhalb des Konzerns unterzubringen, nicht belastet. Die Aufspaltung der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns erscheint hier als reine gesellschaftsrechtliche Konstruktion, die sich nicht unbeschränkt zum Nachteil der Arbeitnehmer auswirken darf143 • Vielmehr ist zu fordern, daß mehrere Gesellschaften, die sich zum Nachteil der Arbeitnehmerschaft wie ein einheitliches Unternehmen verhalten, konsequenterweise auch als einheitliches Unternehmen zu behandeln sind. Das gilt besonders dann, wenn sich dies nach der gesetzlichen Wertung zum Vorteil des Arbeitnehmers auswirken würdel44 • ee) Die gesetzliche Wertung des § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG Die danach zu bejahende Schutzpflicht. der Konzernobergesellschaft wird durch den Normzweck des § 1 Abs.2 S.2 KSchG gestützt145 • Nach dieser Vorschrift soll dem Arbeitnehmer das gesamte Arbeitsplatzpotential der wirtschaftlichen Unternehmenseinheit, in der er beschäftigt ist, zur Verfügung stehen. Schwierigkeiten bereitet lediglich der nach dieser Regelung erforderliche Widerspruch des Betriebsrats. Die konzernbezogenen Weiterbeschäftigungsansprüche können aus methodischen Gründen nicht über die entsprechenden Ansprüche innerhalb eines Unternehmens hinausgehen. 143 Das hat bereits Kronstein (Die abhängige juristische Person, 129 f.) erkannt. 144 s. auch Fuchs, Der Konzernbetriebsrat, 130 ff. 145 Die Bedenken, die Rehbinder (Konzernaußenrecht, 472 f.) vor der Aufnahme dieser Vorschrift in das KSchG hatte, sind inzwischen überholt.
142
3. Kap.: A. Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
Da weder der Betriebsrat des kündigenden Betriebs noch derjenige der herrschenden Gesellschaft den nötigen Einblick in die Konzernzusammenhänge haben, muß insoweit der Konzernbetriebsrat als zuständiges Gremium angesehen werden148 • Ein Widerspruch des Konzernbetriebsrats gegen die (möglicherweise gerechtfertigte) Kündigung kommt nicht in Betracht. Vielmehr muß der Konzernbetriebsrat entsprechend dem Grundgedanken des § 1 Abs. 2 Nr. 1 b KSchG die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in einem anderen Betrieb des Konzerns "befürworten". Ferner hat, wie auch bei der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers in einem anderen Betrieb des gleichen Unternehmens, der Betriebsrat des aufnehmenden Betriebs der Versetzung unter dem Gesichtspunkt der Einstellung nach § 99 BetrVG zuzustimmen147• Wird das Weiterbeschäftigungsverlangen eines Arbeitnehmers in entsprechender Anwendung des § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG i. V. m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 b KSchG vom Konzernbetriebsrat unterstützt, so ist die Konzernmuttergesellschaft verpflichtet, den Arbeitnehmer bei sich oder einem sonstigen Konzernunternehmen weiterzubeschäftigen. Voraussetzung ist, wie bereits ausgeführt, daß die Kündigung zumindest mittelbar durch die konzernrechtliche Leitungsmacht der herrschenden Konzerngesellschaft bedingt war. Auf diese Weise wird sowohl den bereits entwickelten Voraussetzungen eines gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses (Kündigung als nachteilige Auswirkung der intensiven Leitungsmacht der Konzernspitze) als auch der § 1 Abs.2 Nr. 1 b KSchG zugrunde liegenden Wertung (Weiterbeschäftigung nur bei entsprechender Stellungnahme des betriebsverfassungsrechtlich zuständigen Organs) Rechnung getragen. Der hier vorgeschlagene Abschlußzwang für die herrschende Konzerngesellschaft ist ausnahmsweise systemgemäß. Er folgt aus der Schutzpflicht der Konzernobergesellschaft und wird gesetzlich durch die im Kündigungsrecht vorgeschriebene Weiterbeschäftigungspflicht gestützt. In der untypisch aufgespaltenen wirtschaftlichen Einheit des Konzerns bildet er das Pendant zum Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 b KSchG. ff) Die gerichtliche Geltendmachung
des Weiterbeschäftigungsanspruchs
Prozessual hat der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung durch eine Klage gegen die Konzernobergesellschaft geltend So im Ergebnis auch Fuchs, Der Konzernbetriebsrat, 133. VgI. Fitting / Aujjarth / Kaiser, BetrVG, § 102 Rdnr.16, § 99 Rdnr. 18 a; GaZperin / Löwisch, BetrVG Bd.2, § 102 Rdnr.67; Dietz / Richardi, BetrVG Bd. 2, §102 Rdnr. 148. 148
147
UI. Die Kündigung im Konzernarbeitsrecht
148
zu machen. Der Klagantrag ist auf den Abschluß eines Arbeitsvertrages bzw. auf die Verpflichtung, dritte Konzerngesellschaften zum Abschluß eines Arbeitsvertrages anzuweisen zu richten. Zuständig ist die Arbeitsgerichtsbarkeit. § 2 Abs. 1 Nr. 3 c ArbGG, der Streitigkeiten aus Schutzpflichtverhältnissen anspricht, ist entsprechend anwendbar. Für die Anrufung des Arbeitsgerichts gilt die Frist des § 4 KSchG. Die Anwendung der Vorschrift folgt zwingend aus dem allgemeinen Grundsatz, daß dem Arbeitnehmer bei der konzernbedingten Kündigung keine Vorteile gegenüber der Rechtslage bei einer unternehmensinternen Kündigung zustehen können. Wendet sich der Arbeitnehmer außerdem gegen die Kündigung durch seinen Arbeitgeber, so ist er berechtigt, die Aussetzung des Verfahrens zu beantragen. Der Rechtsstreit um die sachliche Rechtfertigung der Kündigung durch seinen Arbeitgeber ist für den Prozeß gegen das herrschende Konzernunternehmen vorgreiflich im Sinne des § 148 ZP0 148• Die Vorteile der Aussetzung, die das Gericht sorgfältig gegen etwaige Nachteile abzuwägen hat14U, werden in aller Regel überwiegen. gg) Ergebnis Die den Arbeitgeber des gekündigten Arbeitnehmers beherrschende Konzerngesellschaft ist verpflichtet, den Arbeitnehmer bei sich oder einer sonst von ihr beherrschten Gesellschaft weiterzubeschäftigen, wenn -
-
die Kündigung zumindest mittelbar durch Leitungsmaßnahmen der Konzernobergesellschaft bedingt war und der Konzernbetriebsrat sich für die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Konzern ausgesprochen hat. e) Unmittelbare Weiterbeschäftigungsansprüche gegen Gesellschaften, die dem Arbeitgeber konzernrechtlich gleichgeordnet sind
Direkte Weiterbeschäftigungsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber gleichgeordnete Konzerngesellschaften sind abzulehnen. Es fehlt an einer Rechtsbeziehung zwischen dem Arbeitnehmer und diesen Gesellschaften, die die Grundlage eines derartigen Anspruchs sein könnte. 148 Zu den Voraussetzungen der Vorgreiflichkeit vgl. Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann, ZPO, § 148 Anm. 1. 148 So LAG Mainz NJW 1978, 2263.
-11".4:l1:4-------