Wissen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht: Unter besonderer Berücksichtigung von Anforderungen an die Organisation und Folgen ihrer Verletzung im Rahmen öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit [1 ed.] 9783428533206, 9783428133208

Wissen erweist sich nicht nur als Macht, sondern im Recht vielfach auch als Last. So knüpft eine Vielzahl von Normen an

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Wissen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht: Unter besonderer Berücksichtigung von Anforderungen an die Organisation und Folgen ihrer Verletzung im Rahmen öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit [1 ed.]
 9783428533206, 9783428133208

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1169

Wissen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht Von Markus Reinhardt

Duncker & Humblot · Berlin

MARKUS REINHARDT

Wissen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1169

Wissen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht Unter besonderer Berücksichtigung von Anforderungen an die Organisation und Folgen ihrer Verletzung im Rahmen öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit

Von Markus Reinhardt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13320-8 (Print) ISBN 978-3-428-53320-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-83320-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Eigentlich weiß man nur, wenn man wenig weiß. Mit dem Wissen wächst der Zweifel.“ 1

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Übergangsfeld zwischen wissenschaftlichen Lehrjahren als Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht von Herrn Prof. Dr. Winfried Kluth der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und dem geglückten Berufseinstieg bei der Industrie- und Handelskammer HalleDessau entstanden. Sie wurde vom Juristischen Bereich der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Jahr 2009 als Dissertation angenommen und vor Drucklegung durchgesehen (Rechtsprechung und Literatur mit Stand Dezember 2009). Das Interesse an dieser Arbeit speiste sich aus zwei Quellen. Zum einen aus der Anregung durch Herrn Prof. Dr. Winfried Kluth, dem ich darüber hinaus auch in besonderer Weise für die Betreuung danken möchte. Die durch ihn erfahrenen wertvollen Impulse bis hin zu den weiterführenden Hinweisen im Erstgutachten sowie die mir zuteil gewordene großzügige Unterstützung haben sich als wesentliche Voraussetzung meines Erfolges erwiesen. Zum anderen gewann diese Arbeit ihr Profil vor dem Hintergrund erster Erfahrungen im „Brotberuf“ innerhalb der öffentlichen Verwaltung. In dieser Hinsicht gebührt mein Dank Herrn Prof. Dr. Peter Heimann für die wohlwollende Begleitung meines (neben)beruflichen Tuns. Ebenfalls möchte ich Herrn Prof. Dr. Michael Kilian für die Erstattung des Zweitgutachtens danken. Auch seine Anmerkungen haben mich inspiriert. Den Ausgangspunkt der Arbeit bildete die Beobachtung, dass sich Wissen als von erheblicher Bedeutung für die Verhaltenssteuerung und damit für die Rechtsverwirklichung auch und gerade öffentlich-rechtlicher Organisationen erweist. Ich habe es als teilweise unzulänglich angesehen, wie die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung und Literatur mit der Frage umgeht, wie Wissen und – vereinfacht gesprochen – die öffentliche Verwaltung zueinander finden und welche Konsequenzen Störungen bei diesem Vorgang nach sich ziehen. Damit entstand zunächst die Frage, ob es durch die Entwicklung eines Systems von Anforderungen an die Informationsorganisation gelingen kann, die Aufnahme und Verwendung von Wissen zu optimieren. Im Fortgang der Arbeit rückte jedoch 1

Johann Wolfgang von Goethe: Maximen und Reflexionen, Sämtliche Werke, Münchner Ausgabe (Taschenbuch), München 2006, Bd. 17, S. 771.

6

Vorwort

ein rechtstatsächlicher Befund in den Vordergrund: Nämlich die nicht zuletzt aus der Rechtsprechung zu entnehmende Enttäuschung derjenigen, die sich von Mängeln in der Informationsorganisation nachteilig betroffen sehen. Diese Einschätzung kann in dem Gleichnis eine Veranschaulichung finden, wonach die eine Hand nicht wisse, was die andere tue oder vielmehr: ebenfalls wisse. Dieses Gleichnis lässt die Deutung zu, dass bei einer Einheit – der „Körper“, an dem sich die „Hände“ befinden – offensichtlich erwartet wird, dass die für diese handelnden „Werkzeuge“ so verbunden sind, dass Wissen dieser Einheit insgesamt zur Verfügung steht und zwar unabhängig davon, welche Hand es gerade entgegengenommen hat. Damit konzentrierte sich der Untersuchungsgegenstand auf die Fragestellung, wie Wissen und Verwaltung auf der Grundlage bestimmter Vorschriften, die an Wissenselemente tatbestandlich anknüpfen, besser zusammengeführt werden können. Hier habe ich es für geboten erachtet, von den handelnden Personen in stärkerem Maße zu abstrahieren und einen objektiven Wissensbegriff entwickelt, der jedoch die Verbindung zu seiner personalen Grundlage wahrt. In persönlicher Hinsicht möchte ich die einleitenden Worte mit einer Danksagung an die mir besonders am Herzen liegenden Menschen schließen, ohne die ich und diese Arbeit nicht das geworden wären, was sie sind. So möchte ich meinen Eltern und Großeltern dafür danken, dass sie mich zum Einstieg in eine wissenschaftliche Ausbildung nachhaltig ermuntert und auf diesem Weg vorbehaltlos unterstützt haben. Den größten Dank schulde ich aber insoweit meiner Partnerin Frau Cordula Henke, die mir in dem unerschütterlichen Glauben, dass ich diese Arbeit zu einem guten Ende bringen werde, unermüdlich mit Rat und Tat zur Seite gestanden und mir Halt gegeben hat durch das gelebte Verständnis bezüglich der spezifischen Problemlagen, die die Abfassung einer solchen Arbeit mit sich bringt. Halle (Saale), im April 2010

Markus Reinhardt

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

I.

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

II.

Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

Kapitel 1

I.

II.

Grundlagen

23

Wissen im Rechtssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1. Tatbestandsspezifik des Wissensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

2. Subjektiver oder faktischer Wissensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

3. Erweiterung durch objektive oder normative Elemente . . . . . . . . . . . . . . .

27

4. Erweiterter interdisziplinärer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

a) Daten, Information, Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

b) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

Wissensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

2. Das Funktionssubjekt als Normadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

3. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

a) Fristenlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

b) Nichterwerb von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

c) Verschlechterung der Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

III. Wissenszurechnung bei juristischen Personen und ihren Untergliederungen . .

40

1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

2. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

3. Organschaft und Vertretung – Zurechnung bei juristischen Personen . . . .

41

4. Zurechnung und Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

5. Die Wissensnorm als Zurechnungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

6. Interdependenz von Wissensbegriff und Wissenszurechnung . . . . . . . . . .

44

7. Eigen- und Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

8

Inhaltsverzeichnis 8. Zurechnung in Mehrpersonenverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Handlungsbezogene und personenbezogene Wissenszurechnung . . . . . . . 10. Der Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Organtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wissensvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Gerechtigkeitsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Gleichstellungsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Das Verkehrsschutzargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 46 47 47 47 48 49 50 50 50

Kapitel 2 Der Organisationsansatz zwischen Wissen und Wissenszurechnung

53

I.

Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

II.

Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Deliktsverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wehrdienstbeschädigung: Kenntnisvermittlung durch Leistungsträger I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wehrdienstbeschädigung: Kenntnisvermittlung durch Kompaniefeldwebel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wehrdienstbeschädigung: Kenntnisvermittlung durch Leistungsträger II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Opferentschädigung: Kenntnisvermittlung durch erstbefasste Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Sozialversicherungsbeiträge: Kenntnisvermittlung durch Betriebsprüfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Rückforderung von Sozialhilfe: Kenntnisvermittlung durch Gewährungsamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Ersatz für Ausfuhrzoll: Kenntnisvermittlung durch örtliches Zollamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Unfallversicherung: Kenntnisvermittlung durch Leistungsabteilung I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Unfallversicherung: Kenntnisvermittlung durch Leistungsabteilung II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verschlechterung der Rechtsposition durch Kenntnis . . . . . . . . . . . . . aa) Gemeinde: Kenntnisvermittlung durch ehemaligen Bürgermeister

54 54 55 57 58 59 60 61 62 62 63 64 65 65

Inhaltsverzeichnis

9

bb) Gemeinde: Kenntnisvermittlung durch Sachbearbeiter . . . . . . . .

66

cc) Gemeinde: Kenntnisvermittlung durch Beigeordneten . . . . . . . .

67

c) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

2. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

III. Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

1. Informationsorganisationspflichten / -anforderungen im Zivilrecht . . . . . .

72

2. Wissenszurechnung mittels „Wissensverantwortung“ (Bohrer) . . . . . . . . .

74

a) Gedankengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

b) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

3. Wissenszurechnung mittels Naturalrestitution (Römmer-Collmann) . . . . .

77

a) Gedankengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

b) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

4. Wissenszurechnung mittels Herstellungsanspruchs (Baum) . . . . . . . . . . .

78

a) Gedankengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

b) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

5. Wissensvermittlung über Grundsatz von Treu und Glauben (Buck) . . . . .

81

a) Gedankengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

b) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

6. Fazit: Zunehmende Unschärfe des Wissensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

Kapitel 3

I.

Informationsorganisationsanforderungen im öffentlichen Recht

85

Besonderheiten öffentlich-rechtlicher Informationsorganisation . . . . . . . . . . .

85

1. (Informations)organisationsmodelle der öffentlichen Verwaltung . . . . . . .

85

a) Bürokratie als klassische Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

b) Neues Steuerungsmodell, Good Governance und Outsourcing . . . . . .

87

2. Informationsorganisation und Aktenprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

a) Historischer Hintergrund und aktuelle Situation . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

b) Der Verwaltungsvorgang als Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

3. Datenschutzrechtliche Vorgaben zum Informationsmanagement . . . . . . . .

94

a) Wissen als personenbezogenes Datum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

b) Begriff der öffentlichen Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

c) Übermittlung zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen . . .

96

d) Übermittlung innerhalb einer öffentlichen Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

e) Zweckändernde Übermittlung und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

10

Inhaltsverzeichnis f) Datenverarbeitung im Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Allgemeines Verwaltungsgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Dienstgeheimnis und Pflicht zur Verschwiegenheit . . . . . . . . . . . . . . . 101

II.

Explizite Informationsorganisationspflichten im öffentlichen Recht . . . . . . . . 1. Der Untersuchungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Berücksichtigung aller bedeutsamen Umstände . . . . . . . . . . . . . cc) Entgegennahme von Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Umfang der Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgen der Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgabennormen zur Informationsgewinnung oder -systematisierung . . . a) Aufgaben- und Kompetenznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Heilberufsgesetz von Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufgabennormen zur Informationssystematisierung . . . . . . . . . . . . . . aa) Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflicht zur Weiterleitung von Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 71b VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 23 Abs. 3 GO LSA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aktenbezogene Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pflicht zur schriftlichen und vollständigen Aktenführung . . . . . . . . . . b) Geschäfts- und Aktenordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufbewahrungspflichten und -fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101 102 102 103 104 104 104 104 105 105 106 107 107 107 108 108 108 108 109 109 110 110 110 111 111 112 112

III. Bewältigung der Verletzung von Anforderungen an die Informationsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Amtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Drittbezogene Amtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschränkter Anspruchsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113 113 113 114 114

Inhaltsverzeichnis

11

2. Haftung aus verwaltungsrechtlichem Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Bestehen eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses . . . . . . . . 115 b) Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Vertrauensschutz und Vertrauenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Dogmatische Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 d) Anwendbarkeit – Die Tatbestandsmerkmale im Einzelnen . . . . . . . . . 118 aa) Vertrauenstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 bb) Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 cc) Schutzwürdigkeit des Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 dd) Selbstwiderspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4. Treu und Glauben, Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Dogmatische Verortung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 IV.

Fallgruppen im Lichte der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Die verwaltungsrechtlichen Ausschlussfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Kenntnis der Behörde: Inhalt ihrer Verwaltungsvorgänge . . . . . . . . . . 126 b) Kenntnis der Behörde: „Behörde“ innerhalb der Behörde . . . . . . . . . . 127 c) Kenntnis der Behörde: Intern zuständige Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Verjährungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Verjährung von Regressansprüchen im Beamtenrecht . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Verjährungsbeginn: Kenntnisvermittlung durch erstbefasstes Referat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Verjährungsbeginn: Kenntnisvermittlung durch Gemeinderat . . 131 b) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Nichterwerb von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Kenntnis innerhalb einer Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Kenntnisvermittlung durch Bestand aktiver Akten . . . . . . . . . . . 134 bb) Kenntnisvermittlung zwischen organisatorisch getrennten Dienststellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 cc) Kenntnisvermittlung getrennter Stellen aufgrund von Funktionsnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 dd) Kenntnisvermittlung durch bereichsübergreifende Leitungsperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

12

Inhaltsverzeichnis ee) Kenntnisvermittlung aufgrund von Verletzung der Ermittlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Inhalt ausgelagerter Akten als Kenntnis der Behörde . . . . . . . . . gg) Inhalt archivierter Akten als Kenntnis der Behörde . . . . . . . . . . hh) Kenntnisvermittlung zwischen Veranlagungsstelle und Bewertungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Kenntnisvermittlung durch rechtwidrig handelnden Amtswalter jj) Kenntnisvermittlung zwischen Fahndungs- und Bearbeitungsabteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . kk) Kenntnisvermittlung zwischen Stellen abweichender örtlicher Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll) Kenntnisvermittlung: Begrenzung durch Umfang der Ermittlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . mm) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kenntnis verschiedener Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kenntnisvermittlung durch Wohnsitzfinanzamt . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verschlechterung der Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Amtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wissensvermittlung gegenüber Aufsichtsbehörde durch externen Prüfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerforderungen im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kenntnisvermittlung zwischen Finanzämtern . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung und Gegenüberstellung der Rechtsprechung . . . . . . . . a) Wissen im Zivilrecht (fiskalischer Bereich sowie Leistungsverwaltung) b) Wissen im öffentlichen Recht (hoheitlicher Bereich) . . . . . . . . . . . . . . c) Gegenüberstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Insbesondere: Organisation und Ordnung interner Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V.

Erklärungsansätze im öffentlich-rechtlichen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kenntnisvermittlung über Amtshaftung (Henning) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Informationsorganisationsanforderungen als Verkehrspflichten . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeichnungsvermerk als Anscheinsbeweis für Kenntnis (Knoke) . . . . . . . . a) Gedankengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137 138 139 140 141 142 144 145 145 146 146 146 147 147 147 149 150 150 151 152 152 152 153 154 155 156 156 156 158 160 160 161

Inhaltsverzeichnis

13

Kapitel 4 Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

163

I.

Grundlagen einer Neudefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

II.

Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Die faktische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Organisationsbereich – Zuständigkeitsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) Kompetenz als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Sonderfälle: Erweiterungen des Organisationsbereichs . . . . . . . . . . . . 170 aa) Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 cc) Amtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 dd) Auslagerung an (sonstige) Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 ee) Informationsverbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Die normative Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Fehlender Anlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Fehlende Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 cc) Fehlende Verfügbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 c) Berechtigung der normativen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Auswirkungen auf den Bereich der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Bedeutung der Anforderungen an die Informationsorganisation . 179 d) Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 aa) Bedeutung der Rechtsfähigkeit des Funktionssubjekts . . . . . . . . 180 bb) Behandlung von Rechtswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

III. Gesamtwürdigung dieses Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Vorzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Bewältigung der Organisationsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Überzeugende Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Mögliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Versagen bei Nichtverkörperung von Information? . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Gleichsetzung von Wissen mit Wissenmüssen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Systembruch oder Zurechnung durch die Hintertür? . . . . . . . . . . . . . . 185 IV.

Grundfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

14

V.

Inhaltsverzeichnis 1. Grundfall: „Klassischer Bürokratiefall“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abwandlung 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abwandlung 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundfall: „Moderner“ Fall („Outsourcing“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abwandlung 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abwandlung 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung der Grundfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundfall 1: „Klassischer Bürokratiefall“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abwandlung 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abwandlung 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundfall 2: „Moderner“ Fall („Outsourcing“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abwandlung 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abwandlung 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187 188 188 188 189 189 189 189 191 192 193 193 193

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorschlag zur Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Standort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194 194 197 197 198

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Abkürzungen In der Verwendung von Abkürzungen wird Kirchner, Hildebert (Begr.) unter Mitarbeit von Pannier, Dietrich: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Auflage, Berlin 2008 gefolgt.

Einleitung I. Problemstellung Ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Feld juristischen Schaffens bildet die Vorbereitung und verantwortliche Begleitung der Rechtsverwirklichung durch Rechtsanwendung. Nur die Rechtsanwendung kann der Rechtsnorm als dem gesetzgeberischen Gestaltungsinstrument zur Durchsetzung verhelfen: Das Wesen der Rechtsanwendung besteht darin, die jeweils einschlägigen Rechtsnormen aufzufinden und ihnen die entsprechenden Rechtsfolgen zu entnehmen. 1 Ob sich eine Rechtsnorm als einschlägig erweist, ist anhand der Merkmale ihres Tatbestandes zu prüfen. Tatbestände enthalten regelmäßig deskriptive Elemente 2, also solche, die sich auf vorhandene Umstände in der Lebenswirklichkeit – Tatsachen – beziehen. Jeder Rechtsanwendung liegt damit ein konkreter Lebenssachverhalt, aus dem die Tatbestandsmerkmale gebildet werden, voraus. Nur ein tatsächlich gegebener Lebenssachverhalt kann die Gestaltungsintention des Gesetzgebers zur Entfaltung bringen. Art. 20 Abs. 3 GG bestimmt, dass die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind. Von jeder Rechtsanwendung durch die drei vorgenannten Staatsgewalten 3 muss damit erwartet werden, dass sie zu zutreffenden Rechtsfolgen führt. Die Verwirklichung dieses Grundsatzes gelingt aber nur, soweit der Rechtsanwender den Lebenssachverhalt einschließlich etwaiger Defizite mit einer hinreichenden Sicherheit festgestellt hat und so die Rechtsfolgen der relevanten Norm(en) unmittelbar oder im Falle von bewussten Erkenntnisdefiziten über Beweislastregeln setzen kann. Notwendige Voraussetzung einer zutreffenden Rechtsanwendung ist damit das belastbare Wissen des Rechtsanwenders vom Lebenssachverhalt. Fehlt dieses Wissen ganz oder teilweise, so wird sich die Rechtsanwendung als fehlerhaft, 1 Vgl. nur Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 697. Methodisch besteht hier zunächst kein Unterschied zwischen geschriebenem oder ungeschriebenem Recht sowie zwischen Rechtsnormen mit Konditional- oder Finalprogrammierung. 2 Das gilt für deskriptive Tatbestandsmerkmale ebenso wie für die Tatsachengrundlage normativer Tatbestandsmerkmale einschließlich unbestimmter Rechtsbegriffe. 3 Insoweit die Legislative bei der Gesetzgebung Verfassungsrecht „vollzieht“ wird hier ebenfalls von einer „Rechtsanwendung“ ausgegangen.

16

Einleitung

ihr Ergebnis mithin als rechtswidrig erweisen und die jeweils einschlägige Fehlerfolge von Unbeachtlichkeit über Aufhebbarkeit bis hin zur Nichtigkeit des zu beurteilenden Rechtsaktes nach sich ziehen. Jede Rechtsnorm kann daher – an dieser Stelle noch untechnisch – als Wissensnorm im weiteren Sinne bezeichnet werden. Hierbei ist festzustellen, dass sich fehlendes Wissen grundsätzlich als nachteilig für denjenigen erweist, der aus der angewendeten Rechtsnorm Rechte herleitet. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, welche Maßstäbe an die Generierung des für die Rechtsanwendung erforderlichen Wissens angelegt werden. Diese Fragestellung ist eng mit dem Inhalt des Wissensbegriffs verwoben und hat in den letzten Jahren aus dem soziologischen Bereich interdisziplinäre Impulse erfahren: Wissen wird hiernach im Sinne eines Metawissens – „Wissen über Wissen“ – als systemgebundene sinnstiftende Zusammenführung seiner Bestandteile innerhalb der Möglichkeiten und Grenzen eines Erfahrungskontextes verstanden. 4 Gegenstand dieser Untersuchung ist jedoch eine andere, speziellere Art von Wissensnormen: Eine Vielzahl von Normen setzt Wissen – oft auch unter anderen Bezeichnungen wie etwa Kenntnis, Informationen oder Daten – explizit als Tatbestandsmerkmal voraus und verknüpft also dieses mit bestimmten Rechtsfolgen. Anderen Normen liegt es als subjektives Tatbestandsmerkmal zugrunde, ohne dass dies unmittelbar aus dem Wortlaut hervorgehen muss. Bei all diesen Normen wird von Wissensnormen im engeren Sinne gesprochen. 5 Der Wortlaut dieser Wissensnormen lässt allerdings zumeist offen, wie Wissen begrifflich zu fassen ist. 6 Insbesondere bleibt stets unklar, woran hier als Wissensbasis anzuknüpfen ist, was also die Grundlage des Wissens im Normanwendungsfall bildet und wie dieses zu verorten ist. Bei den Wissensnormen im engeren Sinne kann sich das Nichtvorhandensein tatbestandsspezifischen Wissens zugunsten oder auch zulasten desjenigen auswirken, auf dessen Wissen sich die Norm bezieht. So führt das Fehlen bestimmter subjektiver Tatbestandsmerkmale mit kognitiven Elementen wie Vorsatz oder spezifischen Absichten im Strafrecht dazu, dass eine Strafbarkeit nach der betreffenden Strafnorm nicht gegeben ist. Demgegenüber können im Ergebnis die 4

Hierzu unten S. 28. Ausführlich unten S. 34 ff. Diese können als eigentliche Wissensnormen bezeichnet werden. Wenn im Folgenden nur auf „Wissensnormen“ Bezug genommen wird, sind damit stets solche im engeren Sinne gemeint. 6 Eine Ausnahme scheinen auf den ersten Blick die Normen des öffentlichen Informationsrechts (Datenschutzrecht, Informationsfreiheits- bzw. -zugangsrecht) zu bilden. Indes enthalten diese zwar regelmäßig in einem definitorischen Teil bestimmte Begriffsbestimmungen zum dort verwendeten Informations- oder Datenbegriff. Jedoch stellt sich auch hier die Frage nach der Basis als dem Bezugspunkt. Allerdings werfen diese Normen nicht die hier behandelten Probleme zwischen Wissensbegriff und Zurechnung auf und werden daher insoweit nur vergleichend herangezogen. 5

I. Problemstellung

17

Strafbarkeit ausschließende Rechtfertigungsgründe nach bestimmter Auffassung regelmäßig nur dann greifen, wenn sie vom Bewusstsein ihres Vorliegens desjenigen, der sich auf sie beruft, begleitet werden. Im Zivilrecht aber auch im öffentlichen Recht kann Wissen von einem Sachverhalt dazu führen, dass ein Recht oder seine Durchsetzbarkeit beeinträchtigt wird. So knüpfen bestimmte Verjährungsfristen an Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Berechtigten in Bezug auf seinen Anspruch oder seine Kompetenz an. Entsprechendes gilt für bestimmte Ausschlussfristen, die nach Zeitablauf ein Erlöschen des Anspruchs oder der Kompetenz bewirken. „Wissen selbst ist Macht.“ So bringt es ein auf Francis Bacon 7 zurückgeführtes Sprichwort auf den Punkt. Hinterfragt man dies, so wird deutlich: Wissen schafft Handlungsvermögen, indem es planvolles Vorgehen, eine Differenzierung nach Alternativen und damit erst eine Entscheidung ermöglicht. 8 Den Gegenstand dieser Untersuchung bildet jedoch nicht Wissen in einem philosophischen Sinne, sondern Wissen in seiner Bedeutung als rechtliche Kategorie in Bezug auf die Wissensnormen im engeren Sinne. Wissen ist – wie bereits gezeigt – darüber hinaus die notwendige Grundlage jeder Rechtsanwendung. Wissen ist insoweit Rechtsmacht, denn es ermöglicht als Verhaltenssteuerung die Wahl zwischen Rechtsfolgen in Ansehung der Erfüllung der erforderlichen Tatbestandmerkmale. Die Rechtsordnung kann jedoch eine derartige Rechtsmacht in eine Wahrnehmungsverantwortung einbinden. Damit erlangt Wissen eine ambivalente Bedeutung für seinen Träger. Das mag etwa dazu führen, dass bei bestimmten Wissensnormen im engeren Sinne die Erlangung von Wissen über einen Anspruch und seine Voraussetzungen zugleich eine Verkürzung von dessen Ausübungsmöglichkeiten mit sich bringt. In solchen Fällen kollidiert das Unvermögen des kognitiven Bezugsobjekts der Wissensnorm mit den Erwartungen des Rechtsverkehrs. So mag der Schuldner eines vertraglichen Anspruchs davon ausgehen, dass dem Gläubiger die den Lauf der Verjährungsfrist einleitenden Tatsachen zur Kenntnis gelangt sind. Diese Erwartung findet jedoch ihre Grenze zunächst an der Fragestellung, ob diese Tatsachen überhaupt in das Bewusstsein des Gläubigers gelangt sind. 9 Konkretes Nichtwissen, Wissenkönnen und Wissenmüssen stehen also für ein nicht vorhandenes Handlungsvermögen, das den jeweils relevanten Erwartungen zuwiderlaufen kann. Insofern erweist 7

Brockhaus, Band 24, Eintrag zu „Wissen“ (S. 277). Somek, Rechtliches Wissen, S. 34 in Bezug auf die juristische Expertise. Die Entscheidung kann aber auch in einer Prognoseentscheidung, also hinsichtlich des Eintretens bestimmter Tatsachen für die Zukunft, bestehen. Auch diese bedarf einer bereits gegenwärtigen Tatsachengrundlage. 9 Eine Abhilfemöglichkeit schafft hier zwar das Gesetz selbst, indem es in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB als verjährungseinleitenden Umstand neben der Kenntnis auch die grob fahrlässige Unkenntnis anerkennt. Dies entbindet gleichwohl nicht davon, zunächst das Vorliegen von Kenntnis zu untersuchen. 8

18

Einleitung

sich vor allem Nichtwissen als Last 10 für denjenigen, bei dem Wissen erwartet oder normativ unterstellt (fingiert) wird. Fraglich ist, ob konkretes Nichtwissen damit in Haftungskategorien, als Haftung für die Einschränkung der erwarteten Handlungsmöglichkeit, hinreichend zu erfassen und im Ergebnis wie vorhandenes Wissen zu behandeln ist – als Haftung für enttäuschtes Vertrauen und unerfüllte Erwartungen. Verhaltensmodal betrachtet, liegt hier ein Unterlassen im Gebrauch von erwarteten Handlungsmöglichkeiten vor, indem sich das Rechtssubjekt außer Stande gesetzt hat, relevantes Wissen für sich verfügbar zu machen. Um den Erwartungen des Rechtsverkehrs gleichwohl zur Durchsetzung zu verhelfen, kommen bestimmte Rechtsinstitute mit dem Ergebnis in Betracht, dass Wissen zugerechnet, fingiert oder jedenfalls die aus dem Nichtwissen erwachsenden Nachteile in Gestalt einer „Haftung“ ausgeglichen werden. Kommt als Anknüpfungspunkt von Wissen als Tatbestandselement nur ein einzelner Mensch in Frage, könnte sich das relativ einfach als Bewusstseinszustand erfassen lassen. Es stellen sich allenfalls Fragen hinsichtlich einer sicheren Nachweisführung dieser inneren Tatsache sowie hinsichtlich ihrer weiteren Beurteilung in Bezug auf ein mögliches Vergessen / Nichtwissen. Erste Komplikationen stellen sich ein, wenn es um das rechtliche Wissen einer Personenmehrheit geht. Exemplarisch seien hier Fälle der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung erwähnt. Hier sind u. a. Probleme der Erfassung fragmentarischen, d. h. mehreren Personen zuzuordnenden Teilen eines relevanten Wissens hervorzuheben. Auch stellen sich bereits Fragen einer Zurechnung, wenn ein Handelnder nicht über das normrelevante Wissen verfügt, dieses allerdings bei anderen Personen der Personenmehrheit vorliegt. Noch schwieriger wird es, wenn als Wissensträger Organisationen 11 fungieren. Diese sind darauf angewiesen, dass – untechnisch gesprochen – regelmäßig eine Vielzahl von natürlichen Personen für sie tätig werden können und müssen diese Personen daher funktionell einbinden. Das führt zu einer dezentralen Aufnahme 10

So prägnant Schramm, in: MüKo I 1, § 166 Rn. 29. Der Begriff dient hier nur der Einleitung in deskriptiver Bedeutung als institutionelle Zuordnung von Funktionen zu Personen und deren wechselseitige Zuordnung im Rahmen einer Leitungsordnung zur Erfüllung bestimmter Aufgaben, vgl. Kluth, in: W / B/S III, § 80 Rn. 1 (unter Bezugnahme auf Böckenförde, FS Wolff, S. 292, 298). Also als rechtlich relevantes ausschließlich ideelles Gebilde auf der Grundlage einer Personenmehrheit, das allerdings von dieser abstrahiert ist. Der Begriff wird zum Zwecke dieser Untersuchung allerdings noch schärfer zu fassen sein. Zu den verschiedenen Dimensionen des Organisationsbegriffs in institutioneller und funktioneller Hinsicht MatuscheBeckmann, Organisationsverschulden, S. 6 f. Von Bedeutung ist hier insbesondere die semantische Unterscheidung von Organisation im Sinne eines Vorgangs sowie als Ergebnis dieses Vorgangs. 11

I. Problemstellung

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von Wissen. 12 Hier bestehen in einer nach ihrer Komplexität abgestuften Reihenfolge mehrere Möglichkeiten der Anknüpfung in Bezug auf die Grundlage des relevanten Wissens: die Organisation als Einheit, eine selbstständige Untergliederung der Organisation, eine unselbstständige Binnenuntergliederung der Organisation sowie letztlich die natürliche(n) Person(en) selbst. Hinzu kommt die Frage, wie eine Organisation oder Teile von ihr wissen können. Verlangt man für ein normrelevantes Wissen stets ein personales Substrat insofern, dass nur eine natürliche Person einer Organisation bzw. ihren Teilen Wissen vermitteln kann, kommen angesichts der Wechselfälle des Lebens nahezu unbegrenzte Möglichkeiten zur Differenzierung hinzu. Ausgehend von dem Postulat, wonach Organisationen in Ermangelung der Fähigkeit zur Bewusstseinsbildung eben selbst nicht „wissensfähig“ sein können, haben sich hochkomplexe kasuistische Zurechnungsmodelle herausgebildet, die überwiegend nach Stellung und Funktion des personalen Wissensträgers (Organschaft oder Stellvertretung) und der Art der Kenntniserlangung, also dienstlich oder privat, unterscheiden. Zudem erschwert die Problematik von Teilwissen und seiner Zusammenführung die Herausbildung allgemeiner Grundsätze. Trotz aller Differenzierungen finden jedoch die bisherigen Zurechnungsmodelle ihre gemeinsame Grundlage darin, dass bei einer oder mehreren relevanten natürlichen Personen sich im Bewusstsein „etwas“ befindet, das der Zurechnung fähig ist. Gemeint sind kognitive Elemente im Sinne von Teilwissen. Ist ein derartiger Bewusstseinsinhalt nicht festzustellen, führt das regelmäßig zum Versagen dieser Zurechnungsmodelle, es sei denn, bestimmte systemwidrige Ausnahmen werden zugelassen. Gleichwohl können jedoch auch im Regelfall Umstände außerhalb des Bewusstseins der betreffenden Personen vorliegen, die für ein Wissen der Organisation heranzuziehen sind. Ob für diese Fälle eine allgemeine Lösung bereitsteht oder hier zu entwickeln ist, bildet das Anliegen dieser Untersuchung. Die Untersuchung konzentriert sich auf das öffentliche Recht, denn dieses erlangt sein Gepräge gerade durch „unpersönliche“ Strukturen, nämlich durch die Zweckschöpfung der juristischen Person und ihrer mehr oder minder selbstständigen rechtlichen Untergliederungen. Auch juristische Personen des öffentlichen Rechts und ihre Untergliederungen erscheinen als rechtliches Konstrukt für sich betrachtet weder als handlungsnoch als wissensfähig. Gleichwohl sieht sich der Rechtsanwender auch hier mit Normen konfrontiert, die zur Ausfüllung bestimmter Tatbestandsmerkmale auf eben dieses Wissen Bezug nehmen. Die Relevanz 13 des Wissens von bestimmten Umständen wird im öffentlichen Recht u. a. bei den verwaltungsrechtlichen Regelungen von Ausschlussfristen 12 Vgl. vertiefend zur Notwendigkeit und den Folgen von Aufgabendelegation und -teilung in Bezug auf Informationen Kohler-Gehrig, VBlBW 1998, 212, 213. 13 Detaillierte Ausführungen unten S. 37 ff.

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Einleitung

deutlich, wo das Gesetz z. B. in §§ 48 Abs. 4 S. 1, 49 Abs. 2 und 3 jeweils S. 2 VwVfG für den Fristbeginn auf die behördliche Kenntnis abstellt. Auch hier mag der Adressat der Aufhebung eines ihn begünstigenden Verwaltungsaktes aufgrund bestimmter Umstände zu der Auffassung gelangen, dass die Behörde sich außerhalb der Ausschlussfrist befindet, allerdings diese Umstände keinen Eingang in das Bewusstsein der relevanten Amtswalter gefunden haben. Die Folge ist, dass bei einer nur auf die Bewusstseinsinhalte abstellenden Betrachtung die Ausschlussfrist vorliegend nicht greift und mithin die Ermächtigung zur Aufhebung noch nicht ausgeschlossen ist. Die Frage, nach welchen Kriterien eine juristische Person oder ihre Untergliederungen insoweit als wissend anzusehen ist, stellt sich damit nicht nur im Zivilrecht sondern auch im öffentlichen Recht, insbesondere bei der öffentlichrechtlichen Verwaltungstätigkeit 14 von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Trotz der damit skizzierten Bedeutung von Wissen eines Hoheitsträgers, sind im öffentlichen Recht bisher kaum grundlegende Untersuchungen zu diesem Problem zu verzeichnen 15, während die zivilrechtliche Diskussion einen kaum noch zu überblickenden Umfang erreicht hat. 16 Zwar sind auch juristische Personen des öffentlichen Rechts und ihre Untergliederungen Gegenstand der zivilrechtlichen Debatte um Fragen der Wissenszurechnung, allerdings steht dann nur deren Handeln in der Form des Privatrechts in Rede. Die öffentlich-rechtlichen Wissensnormen werfen im Vergleich zu den zivil- und strafrechtlichen auf den ersten Blick strukturell vergleichbare Fragen auf. Auch hier werden v. a. Wissensbegriff und Zurechnungsnorm problematisiert. Ganz überwiegend wird dabei aber ein subjektiv geprägter, d. h. ein auf den Bewusstseinsinhalt (natürlicher Personen) abstellender Wissensbegriff postuliert und im Hinblick auf die Zurechnungsnorm die analoge oder rechtsgrundsätzliche Anwendung zivilrechtlicher Zurechnungsnormen favorisiert. Teilweise durchdrungen sind die entsprechenden Fragen im Zusammenhang mit bereits erwähnten verwaltungsrechtlichen Ausschlussfristen, was hier aber zunächst nicht vertieft werden soll. 17 Generell scheint das öffentliche Recht aber hinter den zi14 Gemeint ist im Folgenden ein Tätigwerden von Verwaltungseinheiten in Handlungsformen des öffentlichen Rechts entsprechend der Terminologie von § 1 Abs. 1 VwVfG, zum Begriff Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 1 Rn. 138: Wahrnehmung einer im öffentlichen Recht wurzelnden Verwaltungsaufgabe im Gegensatz zu Rechtsetzung und Rechtsprechung. Das entspricht dem Attribut „hoheitlich“ und wird im Folgenden synonym verwendet. Der Begriff der hoheitlichen Verwaltung geht damit über den Bereich der sogenannten Eingriffsverwaltung hinaus, vgl. Stober, in W / B/S / K, VerwR I, § 23 Rn. 73 f. 15 Eine Ausnahme markieren hier die Untersuchungen zu den verwaltungsrechtlichen Ausschlussfristen von Henning, Wissenszurechnung und Knoke, Rechtsfragen. 16 Vgl. den Überblick bei Kohler-Gehrig, VBlBW 1998, 212 ff.; Koller, JZ 1998, 75. 17 Ausführlich unten S. 125 ff.

I. Problemstellung

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vilrechtlichen Entwicklungen quasi „herzuhinken“, da versucht wird, diese eher unreflektiert in das öffentliche Recht zu übertragen. 18 Die Diskussion um Wissen und Zurechnung ist nicht zuletzt belebt worden durch den Blick auf die interne Informationsorganisation. Bisherige Zurechnungsmodelle stoßen bekanntlich dort an ihre Grenzen, wo relevantes Wissen etwa aufgrund von Organisationsmängeln nicht aufgenommen, nicht gespeichert, nicht zu den Entscheidungsträgern weitergeleitet oder nicht abgerufen werden kann. Nichtwissen kann per se nicht zugerechnet werden. Man muss hier nicht den Extremfall – quasi den GAU im Weberschen Bürokratiemodell – einer absichtsvollen Verweigerung, eines „Ich möchte lieber nicht“ wie in der Erzählung Herman Melvilles 19 vor Augen haben, wo ein Rädchen in einem Apparat aufhört zu funktionieren und diesen lahm legt. Es sind vielmehr die organisationsimmanenten Umstände und die Unzulänglichkeiten des Alltags, die einem Informationsfluss entgegenstehen können. Die vom „Rechtsverkehr“ erwarteten Reaktionen treten nicht ein, weil sie in concreto nicht eintreten können. Diese Untersuchung wird allerdings nachweisen, dass der Organisationsansatz die Gelegenheit und zugleich Herausforderung dazu bildet, einen eigenständigen öffentlich-rechtlichen Wissensbegriff zu begründen, der eine Lösung für die bisher im öffentlichen Recht diskutierten Wissens(zurechnungs)probleme aufzeigen kann. Es wird im Rahmen des begrenzten Gegenstandes dieser Untersuchung nachgewiesen, dass die begrifflichen Grundlagen in dem Bereich von Wissen und Wissenszurechnung nicht mehr angemessen sind und den Blick auf die Wissensbasis der Organisation versperren. Denn den Ergebnissen der technologischen und technischen Umgestaltung der Umgebung, in die sich Organisationen heute eingebettet sehen, kann nur durch eine Objektivierung des Begriffs des Wissens selbst Rechnung getragen werden. Hier können insbesondere vom Verwaltungsrecht Impulse ausgehen, die schließlich auch in andere Disziplinen der Rechtswissenschaft ausstrahlen. Gemeint sind damit jedoch keine jeweils für sich stehenden Detailregelungen, die Anforderungen an eine Informationsorganisation sowie Rechtsfolgen ihrer Verletzung bis ins Kleinste festlegen. Denn je stärker der Wissensbegriff objektiviert wird, umso größere Anreize gehen für seine Adressaten selbsttätig aus, ihre Informationsorganisation in einer jeweils für sie passenden Weise zu optimieren. Denn widrigenfalls sehen sie sich dem Risiko ausgesetzt, für Wissen einstehen zu müssen, das nicht in dem Maße verfügbar gemacht worden ist, als dass es eine Nutzung erfahren konnte.

18 Exemplarisch Henning, Wissenszurechnung, S. 139 ff., die diese in analoger Anwendung unreflektiert überträgt. 19 Melville, Bartleby, S. 26.

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Einleitung

Eine Zeit, die für sich den Begriff der Wissens- bzw. Informationsgesellschaft 20 geprägt hat und in der die Verwaltungswissenschaft die Einführung EDV-automatisierter Verwaltungsverfahren 21 ernsthaft in Erwägung zieht und allein aufgrund des Standes der Technik diese Vorstellungen auch in Erwägung ziehen kann, sollte auch in rechtsdogmatischer Hinsicht zu dem ihr gemäßen Wissensbegriff finden. Dieser wird verstärkt in objektiven Umständen statt im Bewusstsein (natürlicher Personen) zu gründen sein.

II. Vorgehensweise Diese Untersuchung widmet sich im Schwerpunkt den in Bezug auf Anforderungen der Informationsorganisation und Rechtsfolgen ihrer Verletzung im Zivilrecht entwickelten Lösungsmöglichkeiten und ihrer Transformation in die Dogmatik des Verwaltungsrechts. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, ob das geltende Recht hinreichende Antworten bereithält. Am Ende steht die Entwicklung eines objektiven Wissensbegriffs. Dieser kann einen bedeutenden Schritt auf dem Weg bedeuten, die Anforderungen der Informationsorganisation im Öffentlichen Recht schärfer zu fassen. Die Untersuchung gliedert sich in vier Hauptabschnitte: Das erste Kapitel behandelt die begrifflichen Grundlagen im semantischen Feld zwischen Wissen und Wissenszurechnung. Das folgende Kapitel stellt den Diskussionsstand zu der zunächst zivilrechtlich geprägten Hinwendung zur Informationsorganisation und ihren Anforderungen dar. Hieran schließt das dritte Kapitel mit der Untersuchung von Informationsorganisationspflichten und möglichen Schlussfolgerungen im öffentlichen Recht an. Nach der Darstellung der Grundlagen und der jeweiligen Diskussionsstände in den vorangegangenen Kapiteln führt das letzte Kapitel schließlich zur Entwicklung eines modifizierten Wissensbegriffs hin. Hierbei werden Anwendungsfälle aus der Rechtsprechung unter Zugrundelegung des schrittweise zu entwickelnden Wissensbegriffs untersucht und eigene Beispielfälle gebildet.

20 Vgl. mit weiteren Nachweisen Fassbender, Wissen, § 76 Rn. 4 zur Abgrenzung von „Arbeitsgesellschaft“ oder „Industriegesellschaft“ sowie folgenden vier Kriterien zu diesem Begriff: Wissenszunahme insgesamt, Wissenszunahme hinsichtlich der Wertschöpfung, wissensbasierte Veränderung der Beschäftigungsstruktur und Dominanz der Informationstechnik. 21 Hierzu nur Eifert, E-Government, S. 127 ff.: „Kein generelles Erfordernis personaler Entscheidungselemente.“

Kapitel 1

Grundlagen Um die Voraussetzungen für eine Diskussion der Fragestellung zu schaffen, gilt es zunächst, die terminologischen Grundlagen zu erschließen. Wie bei jeder Konzentration auf Begriffe soll der damit verbundenen Gefahr einer argumentativen Engführung dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Festlegung an dieser Stelle durch die Einführung von Arbeitsbegriffen vermieden wird. Ausgehend vom Begriff der Wissenszurechnung ergeben sich die Elemente, die im Rahmen dieser Untersuchung zunächst zu erläutern sind, nämlich der Begriff des Wissens als Gegenstand der Zurechnung und der der Zurechnung selbst. Daneben ist zu klären, auf wen sich Wissen und Zurechnung zu beziehen haben, also die Frage aufzuwerfen und zu beantworten, ob sich allgemeine Aussagen zu dem jeweiligen Adressaten 1 einer Wissensnorm machen lassen.

I. Wissen im Rechtssinn Der Zurechnung bedürfen bestimmte Umstände, die rechtlich als Tatbestandsmerkmale in Erscheinung treten und bei dem jeweiligen Normadressaten nicht selbst vorliegen. Als solche Umstände kommt neben rechtlich relevantem Verhalten vor allem auch das Vorhandensein äußerer bzw. innerer Tatsachen in Betracht. Es macht also prinzipiell keinen Unterschied, ob ein Verhalten oder sonstige Umstände bei der Zurechnung in Rede stehen. 2 Im Rahmen dieser Untersuchung soll es aber um Wissen 3 als Zurechnungsgegenstand gehen. Deshalb

1 „Adressat“ meint dabei den Normberechtigten oder -verpflichteten, bei dem die entsprechende Wissensnorm die Kenntnis voraussetzt. 2 Das hat für das öffentliche Recht bereits HansJ. Wolff 1934 herausgearbeitet. Vgl. HansJ. Wolff, Vertretung, S. 141, wonach das Wesen der Zurechnung in der Verknüpfung „eines Tatbestandes überhaupt“ mit „einem Subjekt überhaupt“ bestehe. 3 Keinen Unterschied macht es hierbei, statt von Wissen von Kenntnis zu sprechen. Beide Begriffe werden zumeist und auch hier synonym verwendet. Wenn es um die Weitergabe bzw. Vermittlung von Wissen geht, wird teilweise von „Information“ gesprochen. Denn, wenn „Wissen“ als reiner Bewusstseinszustand verstanden wird, soll dieser als solcher nicht weitergegeben / übertragen werden können, vgl. Henning, Wissenszurechnung,

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Kap. 1: Grundlagen

ist zunächst zu klären, in welchen Fällen dieses rechtlich relevant ist und was unter „Wissen“ verstanden wird. „Wissen“ ist – nicht nur interdisziplinär – ein mehrdimensionaler Begriff. 4 Dies erschwert seine Einordnung. Zu beachten ist hier, dass eine definitorische Erfassung zwar erforderlich ist, diese jedoch den Gang der Untersuchung in einer rein begrifflichen Weise bereits vorprägen und aufgrund dieser Einengung nur zu scheinbaren Lösungen führen könnte. Denn eine zu eng gefasste Bedeutungszuschreibung würde bestimmte Phänomene, wie das des „Wissens einer Organisation“, bereits an dieser Stelle aus der Betrachtung ausschließen mit der Folge, dass innovative Ansätze abgeschnitten würden. Im Folgenden findet daher eine Darstellung des Meinungsstandes verbunden mit einer kritischen Würdigung statt, ohne bereits an dieser Stelle eine eigene begriffliche Erfassung einzuführen.

1. Tatbestandsspezifik des Wissensbegriffs Rechtliche Relevanz erlangt Wissen als Anknüpfungspunkt für Rechtsfolgen, also als Tatbestandsmerkmal. Normen, die dieses Tatbestandsmerkmal enthalten, werden als Wissensnormen – hier im engeren Sinne – bezeichnet. Während im Zivilrecht zahlreiche dieser Normen zu verzeichnen sind, wirkt eine entsprechende Aufzählung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts im Gegensatz dazu zunächst zwar eher bescheiden, ist es jedoch – wie eingangs skizziert – mitnichten. 5 Wissen erfährt als Tatbestandsmerkmal jeweils eine auf die anzuwendende Wissensnorm bezogene Auslegung und Anwendung. Schon vom Wortlaut ergeben sich Unterschiede zwischen den einzelnen Wissensnormen. So setzen manche Wissen als positive Kenntnis voraus, während andere ein Kennenmüssen als grob-fahrlässig herbeigeführte Unkenntnis ausreichen lassen. Je nach der ratio der jeweiligen Wissensnorm mag auch die Auslegung der Begriffe „Kenntnis“ und „Kennenmüssen“ voneinander abweichen. Zudem findet sich die – für die Wissenszurechnung bedeutsame – Unterscheidung zwischen Tatsachen- und Rechtskenntnis. 6 S. 127. Diese Differenzierung führt – wie unten zu zeigen sein wird – indes zu keinem Erkenntnisfortschritt. 4 Hierzu Chou, Wissen und Vergessen, S. 6 ff. 5 Im Einzelnen unten S. 37 ff. 6 Grundlage zur Beurteilung der Rechtskenntnis einer arbeitsteiligen Organisation ist zumeist eine Wissenszusammenrechnung, da Rechtskenntnis – unabhängig von der Auslegung dieses Begriffs im Einzelfall – zunächst einer hinlänglichen Tatsachengrundlage bei mindestens einem Wissensträger bedarf. Vgl. Buck, Wissen und juristische Person, S. 26.

I. Wissen im Rechtssinn

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Von besonderer Bedeutung für diese Untersuchung ist jedoch die Differenzierung hinsichtlich der Normadressaten, also mit anderen Worten bei wem die relevante Kenntnis vorliegen muss, um die entsprechenden Rechtsfolgen auszulösen. Im Zivilrecht mit der überwiegend 7 als tauglich angesehenen Unterscheidung von rechtsfähigen und nichtrechtsfähigen Subjekten mag klar sein, dass Normadressat derjenige ist, der rechtserheblich handelt bzw. der – etwa als juristische Person – als so handelnd gewertet wird. Im öffentlichen Recht besteht diese Klarheit indes nicht. In der Binnenperspektive besteht hier oftmals eine Vielzahl von „Stellen“, die allein oder im Zusammenwirken ein rechtserhebliches Handeln nach außen bewirken. So kann bei öffentlich-rechtlichen Wissensnormen unklar bleiben, auf wessen Kenntnis abzustellen ist. In Betracht kommen in einer die Komplexität kennzeichnenden Reihenfolge der einzelne Amtswalter, das Amt, die Dienststelle, die Behörde, der Verwaltungsträger. Die Tatbestandsspezifik des Wissensbegriffs erschwert damit die Herausbildung allgemeiner Grundsätze in diesem Bereich erheblich, so dass es im Schrifttum nicht an Versuchen fehlt, diese Grundsätze allein auf der Ebene der Zurechnung zu suchen und insoweit den Wissensbegriff nicht weiter zu problematisieren. 8 Insgesamt ist ein wenig konsistentes Begriffsverständnis zu konstatieren. Vor diesem Hintergrund soll hier neutral von einem Funktionssubjekt die Rede sein. Welche allgemeinen Anforderungen an seine Qualität zu stellen sind, wird das die Untersuchung abschließende Kapitel zeigen. Allein diese neutrale Terminologie ermöglicht es, für alle Wissensnormen geltende Grundsätze aufzustellen und zugleich aber ein normspezifisches Abweichen im Einzelfall zu gewährleisten. Hier geht es zunächst darum, die relevanten Begrifflichkeiten schrittweise zu konturieren, bevor der Begriff im letzten Kapitel dieser Untersuchung die hier angestrebte Präzisierung erfahren kann.

7 Auch hier können sich aber bei hinreichend komplexen Organisationen mit rechtsfähigen Untergliederungen – etwa Konzernen – vergleichbare Probleme ergeben. Hierzu Spindler; Unternehmensorganisationspflichten, S. 963 ff., der das Fehlen dogmatischer Grundlagen in diesem Bereich in noch stärkerem Maße als bei Unternehmen ohne rechtsfähige Einheiten hervorhebt (S. 964) und zugleich Lösungen auf der Basis der herkömmlichen zivilrechtlichen Zurechnungslehre, d. h. ohne ein Anknüpfen an Organisationspflichten, entwickelt. 8 Vgl. nur Baum, Wissenszurechnung, S. 29, wonach eine Untersuchung des Wissensbegriffs keine Voraussetzung für die Lösung der Probleme der Wissenszurechnung sei. A. A. aber zu Recht Buck, Wissen und juristische Person, S. 24 ff.: „Interdependenz zwischen Wissens- und Zurechnungsebene“.

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Kap. 1: Grundlagen

2. Subjektiver oder faktischer Wissensbegriff Wissen im Rechtssinne wird unter Rückgriff auf von Thur auch heute noch ganz überwiegend als ein Umstand des menschlichen Gedächtnisses und damit als ein Bewusstseinsinhalt angesehen. 9 Unter Wissen im Rechtssinne wird hiernach die, nicht notwendig von allen Zweifeln freie, Gewissheit der Existenz oder Nichtexistenz eines bestimmten Sachverhalts (Tatbestandes) 10 verstanden, wobei – wie noch zu zeigen sein wird – der jeweilige Tatbestand sowohl tatsächliche als auch rechtliche Elemente aufzuweisen vermag. Mithin geht das Definitionselement des Tatbestandes über den der (deskriptiven) Tatsache hinaus. Allenfalls der Grad der zu fordernden Gewissheit ist umstritten. 11 Das Vorhandensein bzw. das Nicht-Vorhandensein von Wissen wird damit als sogenannte innere Tatsache 12 und mithin stets subjektiv beschrieben. Wissen erscheint dadurch als Inhalt des menschlichen Bewusstseins, der damit nur in Abhängigkeit von natürlichen Personen als Wissensvermittlern existieren kann. Eine Differenzierung hinsichtlich des Wissens natürlicher Personen und das der übrigen Funktionssubjekte findet nach dieser Auffassung nicht statt. Das Postulat der Bewusstseinsabhängigkeit von Wissen wurde bisher nicht ernsthaft in Frage gestellt. Auch vor diesem Hintergrund finden sich keine ausgeprägten Begründungsansätze. So wird allenfalls auf die allgemeine Lebensanschauung verwiesen, wonach Wissen ein Sich-Erinnern als Ergebnis einer Aufnahme über die menschlichen Sinnesorgane, Verarbeitung und Speicherung im Gedächtnis voraussetzen soll. 13 Zudem wird die Parallele zu der fehlenden originären Handlungsfähigkeit betont: Wer nicht selbst handeln kann, könne demnach auch nicht selbst wissen. 14 Schließlich wird davor gewarnt, dass eine undifferenzierte Einbeziehung anderer Speicher als den des menschlichen Gedächtnisses zu unangemessenen Folgen führe, indem die Wissensbasis von

9 Römmer-Collmann, Wissenszurechnung, S. 49 unter Verweis auf von Thur, AT, Bd. II/1, § 49: „Der Wirklichkeit entsprechende Vorstellung von einer Tatsache.“ 10 Vgl. BGHZ 26, 256, 261; sowie den Überblick bei Buck, Wissen und juristische Person, S. 47 f. zugleich mit einem Ausblick auf eine mögliche Erweiterung des Wissensbegriffs durch eine Implementierung von Verhaltensanforderungen in dem Sinne, sich eine mögliche Kenntnis zu verschaffen. 11 Überblick bei Buck, Wissen und juristische Person, S. 53 f. 12 Bei den sog. inneren Tatsachen handelt es sich um einen Begriff aus dem Zivilprozessrecht. In Bezug auf Wissen soll hierdurch verdeutlich werden, dass stets von äußeren Umständen auf das Wissen oder Nichtwissen geschlossen werden müsse. Wissen also einem sicheren Beweis nicht zugänglich sei, vgl. Thiessen, Schuldrechtsreform und Wissenszurechnung, S. 269. 13 Buck, Wissen und juristische Person, S. 47 ff., insbesondere S. 57 (Ablehnung einer Objektivierung in Form von „Aktenwissen“) m.w. N. 14 Chou, Wissen und Vergessen, S. 40: „Wissen ist stets ein abgeleitetes“.

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Organisationen und die damit einhergehende rechtliche Verantwortung unzumutbar erweitert würde. 15

3. Erweiterung durch objektive oder normative Elemente Allerdings kommt selbst der subjektiv verstandene Wissensbegriff der ganz überwiegenden Meinung nicht ohne eine Anreicherung durch objektive Elemente aus. So führt die Einbeziehung normativer Tatbestandselemente in den Gegenstand des Wissens durch das Tatbestandsmerkmal der Rechtskenntnis zu einer Erweiterung des Wissensbegriffs, denn nach einem rein faktischen Wissensbegriff wären nur entsprechend Rechtskundige als Wissensträger hinsichtlich der Rechtskenntnis überhaupt in Frage gekommen, was als nicht hinnehmbar angesehen wird. Bei dem Tatbestandsmerkmal der Rechtskenntnis sind also frühe Erweiterungen durch Aufnahme objektiver, wertender Momente in einen zunächst faktisch verstandenen Wissensbegriffs zu verzeichnen. So findet sich u. a. ein Abstellen auf den Maßstab eines „redlich Denkenden“ oder der Versuch einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“. 16 Darüber hinaus wird angesichts der Entwicklungen der Kommunikationstechnik und der EDV im Hinblick auf die Prägung arbeitsteiliger Strukturen durch diese Umstände – bisher allerdings nur vereinzelt – die Frage nach einem neuen Wissensbegriff aufgeworfen, der den heutigen Umständen Rechnung zu tragen vermag. 17 Vor diesem Hintergrund gab und gibt es Versuche, den Wissensbegriff weiter zu „objektivieren“ 18, also seine Bindung an den entsprechenden Bewusstseinszustand zu lockern, jedoch nicht gänzlich aufzuheben. Eine Objektivierung des Wissensbegriffs setzt bei objektiven Umständen im Geschäftskreis des jeweiligen Funktionssubjekts an. So findet sich zwar vereinzelt eine Berücksichtigung von in künstlichen Speichern vorhandenem Wissen

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Medicus, Karlsruher Forum, S. 7. Hierzu Buck, Wissen und juristische Person, S. 90 ff., die den Maßstab des „redlich Denkenden“ prozessual zum Nachweis von Rechtskenntnis als Beweisanzeichen, das zu einem Anscheinsbeweis führen kann, für anwendbar hält, jedoch den Maßstab der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ im Zivilrecht und damit anders als im Strafrecht wegen der Gefahr der Honorierung eines gestörten Rechtsgefühls mit Blick auf den objektiven Verschuldensmaßstab des Zivilrechts ablehnt. 17 Vgl. Buck, Wissen und juristische Person, S. 55 ff. 18 Man kann hier auch von einer „Entpersonalisierung“ des Wissensbegriffs sprechen, da der Bezug zu einer natürlichen Person aufgelöst wird. Vgl. hierzu zusammenfassend Buck, Wissen und juristische Person, S. 99 ff. 16

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Kap. 1: Grundlagen

als „Aktenwissen“ eines Funktionssubjekts, ohne diesem Umstand jedoch bereits im Rahmen des Wissensbegriffs selbst Geltung zu verschaffen. 19 Weitere – und die Ansätze zum Aktenwissen integrierende – Versuche zur Objektivierung des Wissensbegriffs erfolgen im Rahmen des sogenannten Organisationsansatzes. 20 Hierbei gerät die interne Organisation des Informationsflusses vor dem Hintergrund der Statuierung von informationsbezogenen Organisationspflichten zunehmend in den Blick. Wegen seiner Bedeutung ist dem Organisationsansatz, also dem Zusammenhang von interner Organisation eines Funktionssubjekts und Wissenszurechnung, im Rahmen dieser Untersuchung jedoch ein eigenes Kapitel gewidmet. 21

4. Erweiterter interdisziplinärer Ansatz In neuerer Zeit hat die rechtswissenschaftliche Diskussion um die terminologische Erfassung von Wissen und seiner Elemente eine interdisziplinäre Befruchtung erfahren. Insbesondere haben sich hier soziologische Begriffsinhalte systemtheoretischer Prägung sowie ihre Umsetzung in Managementansätzen der Organisationslehre als teilweise weiterführend erwiesen. 22 Im Ergebnis sind manche Differenzierungen hinsichtlich einzelner Ebenen des Wissensbegriffs gelungen, auf deren Bedeutung für den Gegenstand der Untersuchung einzugehen ist. a) Daten, Information, Wissen Zunächst ist hervorzuheben, dass im soziologischen Kontext die Kategorie eines organisationalen Wissens in Abgrenzung zu einem personalen, d. h. an ein individuelles Bewusstsein gebundenes Wissen, durchaus Anerkennung findet. 23 Gemeint ist damit das Wissen, das den Operationsformen einer Organisation 19 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 130: Element einer „Wissensverantwortung“. Zurückhaltend Medicus, AT, Rn. 904 b: Zusätzliches Erfordernis eines Anlasses zum Datenabruf. Detailliert zur Situation im öffentlichen Recht unten S. 152 ff. 20 Begriff nach Buck, Wissen und juristische Person, S. 57, Fn. 64. Ob der Organisationsansatz nicht eher die Frage der Zurechnung als den Zurechnungsgegenstand selbst betrifft, soll hier noch offen bleiben. 21 Siehe unten S. 53 ff. 22 Vgl. Schreyögg (Hrsg.), Wissen im Unternehmen, passim sowie die unten ab Fn. 23 zitierten Arbeiten von Willke. 23 Vgl. Willke, Wissensmanagement, S. 39 ff., der den Zusammenhang beider Ebenen unter dem Begriff des Wissensmanagements betont: Die Vermittlung und Aufeinanderbeziehung von personalem und organisationalem Wissen als Strategie zur Schaffung einer intelligenten Organisation.

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als eines Systems in personenunabhängigen Regelsystemen zugrunde liegt, also beispielsweise etabliertes Verfahrenswissen für bestimmte Situationen, Routinen, Traditionen, kodiertes Produktions- und Projektwissen und die Merkmale der spezifischen Kultur einer Organisation. 24 In Bezug auf ein Wissensmanagement meint Wissen damit das Wissen zum Umgang mit Wissen. Als wesentlich erscheint vor diesem Hintergrund die Unterscheidung zwischen Daten, Information und Wissen. Die Differenzierung erfolgt hier anhand des Umfangs der Einbettung von kognitiven Elementen, die zunächst als „Umweltreize“ auf eine Organisation einwirken, in einen organisationsspezifischen Kontext: 25 Während bloße Daten für sich genommen als Vorhandensein oder beliebige Kombination von Zeichen in Zahlen, Sprache oder Bildern aufgefasst werden, weist die Information einen eigenen Sinngehalt in der Weise auf, dass hier Daten als „Rohstoffe“ in einen (ersten) Kontext von Relevanzkriterien, die für ein bestimmtes System gelten, eingebunden sind. Information erscheint damit als formelles Verstehen. Demgegenüber findet Information ihre „Veredelung“ im Wissen dergestalt, dass diese in einen weiteren Kontext, nämlich in den der systemspezifischen Erfahrung eingebunden wird. Wissen kann damit als materielles Verstehen („in Erfahrung eingebettete Information“ 26) interpretiert werden, das es ermöglicht, auf Umweltreize adäquat, d. h. ggf. mit einer Anpassungsleistung der Organisation reagieren zu können. Dies wird mit dem Schlagwort der lernenden Organisation bezeichnet. Ansätze einer lernfähigen Organisation werden dabei auch in Bezug auf Verwaltungseinheiten mit ihren „transpersonalen Wissensordnungen“ in Form einer die Ämter verbindenden bürokratischen Aktenordnung innerhalb ihrer traditionellen Aufgabenbereiche gesehen, wobei jedoch die mangelnde Anpassungsfähigkeit kritisiert wird. 27 Der soziologische Ansatz hat nunmehr auch Einzug gehalten in die rechtswissenschaftliche Diskussion. Ermöglicht er doch quasi als Metaebene einen verwaltungsorganisationspolitischen „Adlerblick“ auf das Wissensmanagement des Staates und der ihn bildenden Untergliederungen. In Abweichung von dem bisherigen Begriffsverständnis wird damit der Begriff des Wissens abstrahiert von Fach- und Faktenwissen, das auf die Ebenen der Information (Fachwissen) und der Daten (Faktenwissen) heruntergezont wird, womit eine verbesserte Erschließung der Zusammenhänge von Kontext und Wissensgenerierung verbunden sein kann. 28

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Willke, ZfS 1998, S. 161, 166. Zum Folgenden Willke, Wissensmanagement, S. 7 ff. 26 Willke, Wissensmanagement, S. 12. 27 Willke, Lektionen, S. 87: „... Verwaltung ‚alter‘ Probleme [...] nicht aber die Verwaltung der Probleme der Wissensgesellschaft und schon gar nicht der Politik selbst.“ 28 Kluth, Wissensgenerierung, S. 76. 25

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Kap. 1: Grundlagen

b) Kritische Würdigung Auch innerhalb der Rechtswissenschaft hatte sich zunächst anhand des jeweils einschlägigen Normkontextes das Erfordernis ergeben, bei kognitiven Tatbestandsmerkmalen zwischen Daten (vgl. „Datenschutzrecht“), Information (vgl. „Informationszugangsrecht“) und Kenntnis („Wissen“) zu unterscheiden. Formal betrachtet, wird davon ausgegangen, dass es sich bei „Wissen“ um eine gewisse, d. h. unter einem bestimmten Gesichtspunkt systematisierte und organisierte Informationsmenge 29 handelt, die als Tatbestandsmerkmal rechtliche Relevanz erlangt. Der Begriff der Kenntnis findet insoweit als Entsprechung von „Wissen“ Verwendung. „Information“ bildet demgegenüber im Sinne einer Vorstufe die Grundlage von Wissen: Hierunter soll ein von einem Empfänger aufgenommener Sachverhalt verstanden werden, der geeignet ist, das Verhalten oder den Zustand des Empfängers zu beeinflussen. 30 Insoweit kann ohne Abweichung davon auch von einer geordneten Datenmenge gesprochen werden. 31 Daten schließlich werden als das informationstechnisch relevante Gegebene benannt, das wiederum einer Information in technischer Hinsicht im Falle ihrer Verkörperung vorausliegt. 32 Eine Unterscheidung von „Wissen“ und „Information“ ist auf der Begriffsebene mit Schwierigkeiten verbunden. So wird als Abgrenzungskriterium zwar teilweise die Speicherung herangezogen. 33 Jedoch erweist sich diese Differenzierung jedenfalls dann als zu eng, wenn die Speicherung auf die Nutzung rein technischer Medien abstellt und so das „Wissen“ als Bewusstseinsinhalt nicht erfasst. Festzuhalten ist, dass beiden Begriffen die Systematisierung von Daten immanent ist. Anzunehmen, dass beim „Wissen“ im Gegensatz zur „Information“ der Grad der Systematisierung oder Kontextualisierung zunimmt, erscheint als naheliegend. Eine Unterscheidung für die Zwecke dieser Untersuchung ist jedoch nicht erforderlich, denn hier steht Wissen in einem Sinn in Rede, die das Ergeb29 Kloepfer, Informationsrecht, § 1 Rn. 63: „organisierte und systematisierte Informationsmenge“. Dieses – formale – Begriffsverständnis verhält sich neutral zu den hier wiedergegebenen rechtswissenschaftlichen Begriffsinhalten. 30 Hamer, Informatisierung, S. 39 mit weiteren Nachweisen. 31 Schoch, IFG, § 2 Rn. 17, der zu Recht auf die Mehrdimensionalität der Begrifflichkeiten hinweist und auf den Kontextbezug abstellt. 32 Vgl. die Legaldefinition in § 3 Abs. 2 UIG sowie Hamer, Informatisierung, S. 40: „Zeichen auf einem Datenträger“. 33 So Hamer, Informatisierung, S. 40 allerdings nur in Bezug auf Vorschriften des (technischen) Informationsrechts und damit ohne Auswirkungen auf die Wissensnormen mit Zurechnungsproblemen.

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nis einer Kontextualisierung bildet. Hier kann daher ohne Weiteres der weitere Begriff der Verkörperung im Sinne einer auch immateriell möglichen Bündelung bzw. Zusammenfassung von Daten oder Information Verwendung finden. Wissen kann demnach – an dieser Stelle noch als Arbeitsbegriff – als jede verkörperte Information, die ihrerseits wiederum aus einzelnen Daten gebildet wird, verstanden werden. Ob diese Verkörperung ausschließlich als Bewusstseinsinhalt erfolgen muss, bleibt an dieser Stelle noch offen. Darüber hinaus kann aber das Erfordernis einer Differenzierung von Wissen und Information für den Gang dieser Untersuchung mit Recht angezweifelt werden. Sowohl bei Gebrauch in der Alltagssprache als auch in der juristischen Fachsprache ist hier eine weitgehende Vermischung und Austauschbarkeit dieser Begriffe festzustellen. Lediglich im Interesse eines kohärenten Sprachgebrauchs wäre vor dem Hintergrund der Terminologie der Gesetzessprache hier eine gewisse Differenzierung empfehlenswert, jedoch nicht zwingend, da in den einschlägigen Regelwerken zumeist mit Legaldefinitionen operiert wird. 34 Für die Zwecke dieser Untersuchung genügt es zunächst, diesen Befund festzustellen und sich im weiteren Verlauf um eine Präzisierung dort zu bemühen, wo eine solche sich in Abweichung von der Alltagssprache als erforderlich erweist. Vorausgeschickt werden kann allerdings, dass eine weitere Differenzierung von Wissen und Information nicht erfolgen wird. Zu einem gegenteiligen Ergebnis führt hier auch nicht die Berücksichtigung der skizzierten Erkenntnisse der Organisationssoziologie. Die Anerkennung eines bewusstseinsunabhängigen Wissens läuft zwar im Ansatz – wie sich zeigen wird – mit dem Ergebnis dieser Untersuchung formal parallel, findet jedoch inhaltlich keine Entsprechung und ist daher hier nicht weiter zu verfolgen. Soweit die Erkenntnisse der Organisationssoziologie für die Verwaltungswissenschaft fruchtbar gemacht worden sind und werden können, würde deren Einbeziehung den Rahmen dieser Untersuchung nämlich verlassen. Denn in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand der Wissenszurechnung bewegt sich die Rechtsanwendung durch die Adressaten von Wissensnormen sowie die der zur Kontrolle des Vollzuges berufenen Stellen ebenso wie beteiligter Dritter außerhalb der öffentlichen Verwaltung („Bürger“) in ein und demselben rechtlichen Kontext, der von den Wissensnormen gerade vorausgesetzt wird. Innerhalb dieses Kontextes ist ein gegenseitiges Verstehen normativ gegeben, widrigenfalls wird es erzwungen durch gerichtlichen Rechtsschutz oder eine Nachjustierung von Seiten des Gesetzgebers. Vor diesem Hintergrund fallen insoweit „Information“ und „Wissen“ zusammen. Ein organisationssoziologisch fundierter Wissensbegriff im Sinne eines „Wissens über Wissen“ bewegt sich mithin außerhalb des Anwendungsbereichs der hier gegenständlichen Wissensnormen. Nicht ausgeschlossen werden 34

Vgl. etwa § 2 Ziff. 1 IFG-Bund („amtliche Information“) oder § 3 Abs. 1 BDSG („personenbezogene Daten“).

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Kap. 1: Grundlagen

kann und soll jedoch, dass das Ergebnis dieser Untersuchung organisationssoziologisch betrachtet als „Wissen“ den Umgang mit tatbestandsspezifischem Wissen im jeweiligen Normsinne durchaus beeinflussen kann.

5. Zwischenergebnis Ein rein faktisch verstandener Wissensbegriff hat sich als unzulänglich erwiesen. Er stößt an mehrere Grenzen: So passt dieser nämlich nur auf Rechtssubjekte, die überhaupt der Bewusstseinsbildung fähig sind. Er muss demzufolge bei anderen Funktionssubjekten versagen mit der Folge, dass Wissen insoweit stets Ergebnis einer Zurechnung wäre. Zudem wirft ein ausschließlich subjektiv verstandener Wissensbegriff in prozessualer Hinsicht – wie auch bei anderen inneren Tatsachen – zahlreiche Beweisprobleme 35 auf. Trotz der Anerkennung normativer Elemente des Wissensbegriffs wird eine natürliche Betrachtungsweise aber auch weiterhin allgemein vertreten. So wird – ohne Differenzierung – von einem einheitlichen Wissensbegriff in Bezug auf natürliche Personen und juristische Personen ausgegangen. Nach dem Postulat der Bewusstseinsabhängigkeit jeden Wissens sollen juristische Personen per se nie wissensfähig sein können. Die Begründung dieser allgemeinen Auffassung überzeugt nicht. Die Begriffsbildung ist nicht an die Anschauungen des täglichen Lebens gebunden, sondern das Ergebnis einer wertenden Beurteilung. Dies verkennt zwar auch die Gegenauffassung nicht, indem sie den Wissensbegriff normativ auflädt. Jedoch geht es nicht an, weitere Gleichstellungen hier kategorisch auszuschließen. Insbesondere haben sich – wie soeben gezeigt – andere Disziplinen von einem engen bewusstseinsbasierten Wissensbegriff längst gelöst und betonen, wenn auch im Hinblick auf einen soziologischen Wissensbegriffs auf systemtheoretischer Grundlage mit bedeutsamen inhaltlichen Abweichungen, den eigenständigen Charakter eines „Organisationswissens“. Hierauf wird unten in Kapitel 4 zurückzukommen sein. Zudem lässt sich eine Kongruenz von Wissens- und Handlungsfähigkeit nicht postulieren, denn zum einen ist auch das zugrundeliegende Verständnis von Handlungsfähigkeit das Ergebnis einer naturalistischen Betrachtungsweise. Zum anderen mag dies auch berechtigt sein, da die Handlungsfähigkeit – im Gegensatz zur Wissensfähigkeit – auf die Herbeiführung eines Erfolges, also eine Veränderung in der Außenwelt gerichtet ist. So wird im Allgemeinen unter Handlungsfähigkeit die Möglichkeit verstanden, durch eigenes verantwortliches 35

Man ist gezwungen, sich insoweit auf das unsichere Feld der Indizien, d. h. Hilfstatsachen, zu begeben.

I. Wissen im Rechtssinn

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Handeln Rechtswirkungen hervorzurufen, insbesondere Rechte zu erwerben und Pflichten zu begründen. 36 Die Handlungsfähigkeit bildet damit die tatsächliche Voraussetzung für natürliche Personen, qua Rechtsfähigkeit Rechte und Pflichten zu erwerben. Vor diesem Hintergrund kann schon an dieser Stelle im Ausblick auf die hier noch zu entwickelnde Lösung festgestellt werden, dass die Wortlautbedeutung von „Wissen“ einer weiteren Objektivierung nicht entgegensteht, da sie sich unter dem Eindruck des Entstehens einer „Informationsgesellschaft“ 37 gewandelt haben kann. Zuzugeben ist der Gegenauffassung indes, dass eine undifferenzierte Gleichsetzung von Wissen mit Akten- bzw. allgemein: Speicherwissen zu weit gehen und im Einzelfall der Regelungsintention des Gesetzgebers hinsichtlich der Interpretation der jeweiligen Wissensnorm zuwiderlaufen kann. 38 Zudem würde dadurch das Risiko der Verfügbarkeit einmal akkumulierten Wissens einseitig stets einer arbeitsteiligen Organisation aufgebürdet. 39 Der Minderheitsauffassung von der Relevanz von Speicherwissen ist eine konsistente Anwendung sowie eine dogmatische Einordnung bisher nicht gelungen. Stattdessen setzt sie einzelfallbezogen an der jeweiligen Wissensnorm an und kommt so nicht zu Ergebnissen, die einer allgemeinen Anwendbarkeit zugänglich sind. 40 Darüber hinaus leidet die Debatte um objektive Elemente des Wissensbegriffs an Konturenlosigkeit. So wird die materiell-rechtliche Seite mit der Frage der prozessualen Erweisbarkeit einer materiell-rechtlichen Voraussetzung des Wis36

Creifelds, S. 561 „Handlungsfähigkeit“. Vgl. zum Begriff aus soziologischer Sicht bereits Seif, Daten, S. 25: „Gesellschaft, in der mehr und mehr Menschen im Informationssektor tätig sind, in der die direkte Kommunikation von Angesicht zu Angesicht in überwiegendem Maße der elektronisch vermittelten weicht und in der somit immer mehr Kontakte technisch abgewickelt werden.“ Seif, a. a. O., spricht hier anschaulich von einer „Verdatung“. In Bezug den hiesigen Untersuchungsgegenstand vgl. nur Eifert, E-Government, S. 22 ff.: „Starke Durchdringung auch des Binnenbereichs der Verwaltung mit neuen Informationstechniken.“ Ähnlich Hamer, Informatisierung, S. 26 f., der als entscheidend auf die „rasanten Entwicklungen auf dem Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologien“ und die dadurch bewirkten „qualitativen Veränderungen“ der Gesellschaft abstellt. Kennzeichnend ist mithin der Übergang von rein quantitativen Elementen aus der Anfangszeit dieses Begriffs hin zu einer qualitativen Betrachtung. 38 Ähnlich Buck, Wissen und juristische Person, S. 56 f., die jedoch im Ergebnis die Gleichsetzung von Wissen mit Aktenwissen ablehnt, weil Wissen „grundsätzlich personenbezogen“ zu verstehen sei. 39 Vgl. bereits Medicus, Karlsruher Forum, S. 7. „Vergessen“ wird damit im Gegensatz zu einer natürlichen Person unmöglich. 40 So u. a. Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 642 ff., der zugleich die Verwerfungen herausarbeitet, die eine Fokussierung auf „Aktenwissen“ ausschließlich in Bezug auf juristische Personen mit sich bringt (S. 644). 37

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Kap. 1: Grundlagen

sensbegriffs vermischt und dies einer Normativierung zugeschrieben. 41 Diese Vermengung wird zwar um Einiges verständlicher, wenn man sich in rechtsphilosophischer Hinsicht zum Begriff der Wahrheit den Gegensatz von Korrespondenztheorie und Diskurstheorie vor Augen führt: Während die Korrespondenztheorie von der Erkennbarkeit von Tatsachen als Umstände in der Wirklichkeit ausgeht, betont die Diskurstheorie den Weg als Voraussetzung der Entwicklung von im Vorhinein eben nicht feststehenden „Tatsachen“. 42 Es ist – verkürzt gesagt – der Unterschied zwischen Erkenntnis und Erfindung. Gleichwohl sollten diese Ebenen getrennt behandelt werden. Es stellen sich nämlich jeweils spezielle Probleme, die spezifisch zu lösen sind. Mit anderen Worten: Das materielle Recht schafft erst die Strukturen, die das Prozessrecht (mit)verwirklicht. Diese materiell-rechtliche Ebene ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

II. Wissensnormen Normen, die als Tatbestandsmerkmal Wissen und seinen verwandten Begriff Kenntnis beinhalten, sind bereits als Wissensnormen im engeren Sinne bezeichnet worden. Im Folgenden soll der Begriff der Wissensnorm präzisiert und eine Systematisierung bestehender Wissensnormen versucht werden. In diesem Zusammenhang erfahren weitere Grundbegriffe eine erste Einordnung.

1. Begriff Normen, die nach ihrem Wortlaut kognitive Begriffe wie Wissen und Kenntnis als Tatbestandsmerkmale enthalten, als Wissensnormen zu bezeichnen, liegt auf der Hand. Man könnte diese daher als explizite Wissensnormen bezeichnen. Hierzu sind auch Normen zu zählen, die auf der Tatbestandsseite subjektive Merkmale wie Vorsatz, Fahrlässigkeit oder Abstufungen hiervon enthalten. Insoweit ist zwar ein Wissenselement notwendiger Bestandteil, jedoch kommt dieser Gruppe hier eine Sonderstellung zu. Denn diese sind einer Objektivierung grundsätzlich nicht zugänglich, da zum einen das Element eines personenbezogenen Vorwurfs dominiert und zum anderen die Wertungen des Gesetzgebers zur Differenzierung von Vorsatz und (grober) Fahrlässigkeit einer Objektivierung grundsätzlich entgegenstehen. 43

41 Unklar etwa Medicus, Karlsruher Forum, S. 6: Maßgeblichkeit von Erfahrungsregeln bei der Feststellung von Wissen als ein im Gedächtnis präsenter Umstand. 42 Allgemein zu diesen Auffassungen Alexy, Theorie, S. 134 ff. 43 Hierzu unten S. 46 f.

II. Wissensnormen

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Daneben sind Normen, die als Rechtsfolge – regelmäßig im Sinne einer Fiktion 44 – kognitive Elemente aufweisen, nicht zu den Wissensnormen zu zählen. Hierbei handelt es sich in der Regel um bloße Normbestandteile, da sie selbst unmittelbar keine Rechtsfolgen hervorbringen, sondern ihrerseits auf der Tatbestandsseite von Wissensnormen einfließen können. 45 Vor dem Hintergrund normtheoretischer Überlegungen stellt sich darüber hinaus die Frage, ob nicht jede Norm einen spezifischen Wissenstand des Normanwenders oder des Normbetroffenen im Sinne einer Kenntnis der tatsächlichen Voraussetzungen des Tatbestandes erfordert. Man könnte hier von impliziten Wissensnormen oder Wissensnormen im weiteren Sinne sprechen. Gleichwohl scheint mit diesem Befund ein Erkenntnisfortschritt nicht verbunden zu sein. So mag beispielsweise die sichere Kenntnis der zuständigen „Behörde“ 46 von den tatsächlichen Umständen, die die Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden begründen, Voraussetzung für eine rechtmäßige Entscheidung zur Gewerbeuntersagung gemäß § 35 Absatz 1 Satz 1 GewO sein. Ob diese Kenntnis im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung tatsächlich vorlag, entscheidet jedoch nicht über die Frage der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, da sich die über einen Rechtsbehelf zu entscheidende Stelle insofern ein eigenes Bild von dem zugrunde liegenden Sachverhalt macht, also dass sie das Vorliegen zureichender tatsächlicher Umstände eigenständig beurteilt. Somit konzentriert sich die Fragestellung in diesen Fällen auf das, was objektiv, d. h. erwiesen ist und nicht auf das, was zu einem früheren Zeitpunkt gewusst worden war. Das Vorstehende gilt grundsätzlich entsprechend für Prognoseentscheidungen. Denn insoweit ist in Bezug auf deren erforderliche Tatsachengrundlage auf einen Wissenstand zu einem bestimmten, der Ergebniskontrolle vorausliegenden Zeitpunkt abzustellen. Ob die Rechtmäßigkeit einer Prognoseentscheidung im Lichte der nachfolgenden tatsächlichen Entwicklung gegebenenfalls anders zu beurteilen ist, bleibt demgegenüber eine Frage des maßgeblichen Zeitpunkts hinsichtlich der tatsächlichen Grundlage einer Entscheidung über ein Rechtsmittel. 47

44 Die Fiktion im Sinne der gewollten Gleichsetzung eines tatsächlich Ungleichen stellt hier regelmäßig eine verdeckte Verweisung dar, vgl. Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 83. 45 Als Beispiel kann § 162 Abs. 1 BGB dienen. Hiernach wird der Eintritt einer Bedingung für den Fall fingiert, dass die Partei, zu deren Nachteil er gereichen würde, ihn wider Treu und Glauben verhindert. Sofern diese Bedingung auf kognitiven Umständen fußt, ist hier ein Anwendungsfall gegeben. Vgl. zum Normbegriff im Sinne „vollständiger“ Rechtssätze nur Röhl, Rechtslehre, § 27 IV. 46 Zur Bedeutung der Bezeichnung der Organisationseinheit unten S. 36 f. 47 Auch hier wird in einer Anfechtungssituation, differenzierend nach dem jeweiligen materiellen Recht, überwiegend auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abgestellt, so auch Kopp / Schenke, VwGO, § 113 Rn. 29 m.w. N.

36

Kap. 1: Grundlagen

2. Das Funktionssubjekt als Normadressat Bis zu dieser Stelle war die Rede von Organisationen bzw. juristischen Personen und ihren Untergliederungen. Diese Terminologie bedarf allerdings einer Präzisierung, um die Grundlage für den Fortgang der Untersuchung zu schaffen. Der Begriff der juristischen Person prägt das gesamte Recht nach wie vor, obwohl er in der Rechtswirklichkeit jedenfalls im öffentlich-rechtlichen Bereich seine Bedeutung als Synonym für (Voll)rechtsfähigkeit zunehmend zu verlieren scheint. 48 Ausgangspunkt war hier die Erkenntnis, dass es im öffentlichen Recht, d. h. im hoheitlichen Bereich, angesichts der Ordnung der Zuständigkeiten ein Pendant zur zivilrechtlichen Vollrechtsfähigkeit nicht geben kann, so dass mit dem Attribut der Vollrechtsfähigkeit kein Erkenntnisgewinn verbunden ist. 49 Darüber hinaus können auch Untergliederungen von juristischen Personen mit eigenen oder ihnen zur Wahrnehmung obliegenden Rechtspositionen ausgestaltet sein. Somit kann die Rechtsfähigkeit nur in Bezug auf den – hier nicht interessierenden – (Zivilrechts)verkehr Relevanz erlangen. Folglich erweist sich der Begriff der juristischen Person als zu eng, um die rechtstatsächlichen Phänomene an Organisationsformen und ihrer Untergliederungen beschrieben zu können. Zudem lassen sich aus ihm normative Aussagen nicht zuverlässig gewinnen. Erschwerend kommt hinzu, dass Wissensnormen auf unterschiedliche Normadressaten abstellen können. 50 Vor diesem Hintergrund soll auch im Rahmen dieser Untersuchung auf die Verwendung des Begriffs der juristischen Person grundsätzlich verzichtet werden. Stattdessen wird fortan die Rede von Funktionssubjekten sein, ohne dass damit allerdings eine begriffliche Vorprägung erfolgen soll. Gemeint ist damit ein in beliebiger Form organisiertes (von einer natürlichen Person verschiedenes) Subjekt gemeint. 51 Lediglich bei der Darstellung und Diskussion des zivilrechtli48

Vgl. sowie auch zum Folgenden Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 83 Rn. 22. Es droht eher eine begriffliche Beschränkung des Blickfelds, indem ausschließlich auf abstrakte Rechtsbeziehungen ohne Bezug zur Lebenswirklichkeit abgestellt wird, vgl. Böckenförde, FS Wolff, S. 297 f. der statt dessen den Begriff der Organisation als organisationsrechtlichen Ausgangsbegriff wählt, um organisatorische Gebilde als „Wirkund Handlungseinheiten“ erfassen zu können. Trotz aller Vorzüge soll der Begriff der Organisation hier nicht die Grundlage der Untersuchung bilden. Denn in den „Niederungen“ der Wissensnormen wäre mit der Bezugnahme auf Gesamtorganisationen, Organisationen und (selbstständige) Unterorganisationen nichts gewonnen. Als hinreichend neutral und gleichzeitig aussagekräftige wird sich der Begriff des Funktionssubjekts erweisen. Dieser vereint organisatorischen Bezug, ein Auftreten als gewisse Einheit und die Eigenschaft, Bezugspunkt von wie auch immer gearteten Rechten und Pflichten oder Kompetenzen zu sein. 50 Zur Tatbestandsspezifik des Wissensbegriffs unten S. 24. 51 Vgl. Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 83 Rn. 10 f., der diesen Begriff als Oberbegriff zur Beschreibung von Organisationseinheiten im Bereich der Exekutive verwendet. 49

II. Wissensnormen

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chen Bereichs wird an der überkommenen Terminologie festgehalten. Inhaltlich Vorprägungen sollen jedoch auch damit nicht verbunden sein. Wie zu zeigen sein wird, vermag diese neutrale Terminologie sowohl der Vielzahl der in Betracht kommenden Wissensnormen als auch der Mannigfaltigkeit an Organisationsformen gerecht zu werden.

3. Fallgruppen Im zivilrechtlichen Bereich ist eine anschauliche Systematisierung der Wissensnormen anhand der Bedeutung des kognitiven Tatbestandsmerkmals für das Schicksal eines zivilrechtlichen Anspruchs – Entstehung, Durchsetzbarkeit, Erlöschen – durch die Zuordnung zu bestimmten Fallgruppen gelungen. 52 Hier werden bis zu sechs Fallgruppen angeführt. So erfolgt nach den jeweiligen Rechtsfolgen der Wissensnormen eine Einteilung in die drei Fallgruppen Fristenlauf, Nichterwerb von Rechten und Verschlechterung der Rechtsstellung. Die beiden weiteren Fallgruppen Wissen und Arglist sowie Wissen und Vorsatz knüpfen an den Umfang der erforderlichen Kenntnis und damit die Struktur der Wissensnormen an. Vereinzelt werden zudem Irrtumsfälle als eigene Fallgruppe behandelt. 53 Ob sich eine vergleichbare Systematisierung auch in Bezug auf die Wissensnormen des öffentlichen Rechts aufstellen lässt, ist bezweifelt worden: Hiernach habe die Kenntnis in den verwaltungsrechtlichen Wissensnormen eine zu unterschiedliche Bedeutung, als dass sie zu Gruppen zusammengefügt werden können. 54 Diese Bedenken greifen jedoch nicht durch. Nimmt man allein die Regelung in Bezug auf den verwaltungsrechtlichen Vertrag gemäß §§ 54 ff. VwVfG in den Blick, so zeigt sich, dass über die Verweisungsnorm des § 62 S. 2 VwVfG in der Regel ohnehin die Regelungen des BGB entsprechende Anwendung finden. Folglich ließe sich dieser bedeutsame Bereich innerhalb der verschiedenen Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung problemlos in die bestehende zivilrechtliche Systematik einordnen. Rechtsdogmatisch könnte allerdings eingewendet werden, dass sich die zivilrechtliche Fixierung auf Ansprüche im Sinne subjektiver privater Rechte nicht in das öffentliche Recht in Bezug auf die Rechtspositionen dortiger Funktions52 Zusammenfassend Adler, Wissen, S. 2 f. unter Bezug auf Medicus, Karlsruher Forum, S. 4 f. Ausführliche Aufzählung auch bei Buck, Wissen und juristische Person, S. 20 ff. 53 So Adler, Wissen, S. 2 f. 54 Henning, Wissenszurechnung, S. 17.

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Kap. 1: Grundlagen

subjekte übertragen ließe. Jedoch ist damit keine inhaltliche Gleichsetzung von Kompetenzen mit subjektiven Rechten von Zivilrechtssubjekten verbunden. 55 Eingedenk der bestehenden Unterschiede wird die Bezeichnung „Recht“ oder „Befugnis“ im Folgenden daher im Sinne einer Kompetenz verwendet. Orientiert man sich allein an den Rechtsfolgen, die das Wissen als Tatbestandsmerkmal im Falle seines Vorliegens nach sich zieht, ergibt sich in Anlehnung an die zivilrechtlichen Überlegungen eine Systematisierung in drei Fallgruppen. Eine gesonderte Erfassung der Elemente Arglist und Vorsatz erweist sich dann als überflüssig, da diese Elemente bereits bei der Beschreibung der jeweiligen Wissensnorm als normspezifische Bestandteile des Wissensbegriffs ihre Bedeutung entfalten. Ebenso kann auf die Anführung der „Irrtumsfälle“ als eigene Fallgruppe verzichtet werden. Diese sind schon in den Fallgruppen Nichterwerb von Rechten enthalten: Ein Irrtum kann zu einem Rechtserwerb in Bezug auf Gestaltungsrechte führen, während „Wissen“ einen Irrtum auszuschließen vermag und so dem Rechtserwerb entgegensteht. Im Folgenden sollen drei Fallgruppen unterschieden werden. a) Fristenlauf In dieser Fallgruppe entscheidet das Kennen bestimmter Umstände, wann ein Fristlauf einsetzt. Bei den Fristen kann es sich um Ausschluss- oder Verjährungsfristen handeln. Ausschlussfristen liegen z. B. bei den verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen zur Aufhebung von Verwaltungsakten vor. Exemplarisch soll hier der Hinweis auf die allgemeinen Regelungen der §§ 48 Abs. 4 S. 1 sowie § 49 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 2 VwVfG genügen: Hiernach sind Rücknahme – und in Verbindung mit § 49 Abs. 2 S. 2 VwVfG ein Widerruf – nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erlangt hat, welche die Aufhebung rechtfertigen. 56 Verjährungsfristen sind u. a. im Abgabenrecht in Bezug auf die Festsetzungsund Vollstreckungsverjährung festzustellen.

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Zur Diskussion um subjektive öffentliche Rechte vgl. Stober, in W / B/S / K, VerwR I, § 41 Rn. 9 f. (gegen eine Gleichsetzung) sowie vermittelnd Röhl, Rechtslehre, § 43 IV, der strukturelle Gemeinsamkeiten betont, jedoch auf den unterschiedlichen Blickwinkel („Rechtsschutz von der Pflichtenseite“) hinweist. Zur „Eigenart und Pflichtpriorität organisatorischer und organschaftlicher Befugnisse“ im öffentlichen Recht Böckenförde, FS Wolff, S. 303. 56 Ausführlich sowie zu anderen spezialgesetzlichen, jedoch den allgemeinen grundsätzlich entsprechenden Aufhebungsregelungen Henning, Wissenszurechnung, S. 17 ff.

II. Wissensnormen

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Schließlich unterliegen Ansprüche aus verwaltungsrechtlichen Verträgen regelmäßig den Verjährungsregelungen des BGB. 57 b) Nichterwerb von Rechten Hier führt Kenntnis zum Ausschluss eines Rechtserwerbs. Diese Fallgruppe mag auf den ersten Blick im Gegensatz zum Zivilrecht im öffentlichen Recht weniger stark repräsentiert sein. Indes hat auch sie schon über das Rechtsinstitut des verwaltungsrechtlichen Vertrages einen breiten Anwendungsbereich. Einen wichtigen Anwendungsfall bildet hier die Nichtigkeit eines verwaltungsrechtlichen Vertrages bei Kenntnis der Beteiligten gemäß § 59 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG. Hiernach ist ein verwaltungsrechtlicher Vertrag im Sinne von § 54 S. 2 VwVfG nichtig, wenn ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers nach § 46 VwVfG nichtig wäre und dies den Vertragschließenden bekannt war. Zudem ist an den Verlust von Gestaltungsrechten, wie dem Anfechtungsrecht, zu denken, wenn diese Gestaltungsrechte an eine Irrtumssituation anknüpfen. Auch das Recht zur Anpassung oder Kündigung eines verwaltungsrechtlichen Vertrages bei Änderung der Geschäftsgrundlage gemäß § 60 VwVfG enthält ein Wissensmoment. Umstände, die die Geschäftsgrundlage bilden, jedoch eine Vertragspartei bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses kannte, berechtigen diese grundsätzlich nicht, eine Anpassung des Vertrages durchzusetzen. 58 c) Verschlechterung der Rechtsstellung In dieser Fallgruppe verschlechtert Kenntnis die Rechtsstellung des Kenntnisträgers. Die Bedeutung ergibt sich vor allem im haftungsrechtlichen Bereich. Ein Verhalten kann mit dem Stigma der Pflichtwidrigkeit versehen werden, wenn eine Hinweispflicht verletzt worden ist oder trotz Wissens in gegenteiliger Weise gehandelt oder unterlassen worden ist. Die Verschlechterung der Rechtsstellung korrespondiert hier mit einer entsprechenden Verbesserung auf der „Gegenseite“, indem dort Rechte entstehen oder eine Erweiterung erfahren. Die Fallgruppe Fristenlauf könnte als Untergruppe dieser Fallgruppe aufgefasst werden. Denn mit dem Beginn eines Fristenlaufs geht regelmäßig eine 57 Zu diesen und weiteren Anwendungsfällen zivilrechtlicher Normen im öffentlichen Recht Maurer, VerwR, § 3 Rn. 28. 58 Bernsdorff, in: Obermayer, VwVfG § 60 Rn. 11, 27: Zumindest von einem Vertragsschließenden vorausgesehene Entwicklungen tragen nicht die Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung.

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Kap. 1: Grundlagen

Verschlechterung der Rechtsstellung einher. Nach Fristablauf erlöschen Rechte (Ausschlussfristen) oder können – jedenfalls bei entsprechender Reaktion des Anspruchsverpflichteten – nicht mehr durchgesetzt werden (Verjährungsfristen).

III. Wissenszurechnung bei juristischen Personen und ihren Untergliederungen Obwohl es vor dem Hintergrund anhaltender Diskussionen selbst in der Zivilrechtsdogmatik fraglich ist, inwieweit von gefestigten Grundlagen der Wissenszurechnung bei juristischen Personen und ihren Untergliederungen überhaupt gesprochen werden kann 59, soll hier versucht werden, den bisherigen Stand überblicksartig wiederzugeben. Dabei sollen – jedoch ohne den Blick von vornherein zu beschränken – zunächst die zivilrechtlichen Entwicklungen beschrieben werden, bevor die Frage nach dem Stand der Wissenszurechnung im öffentlichen Recht aufzuwerfen ist. Wie eingangs beschrieben, postuliert die allgemeine Auffassung eine Wissensunfähigkeit juristischer Personen. Gleichwohl stellen Wissensnormen auf das Wissen von solchen Gebilden ab. Daher behilft sich diese Auffassung damit, dass – wie im Bereich der Handlungsfähigkeit juristischer Personen – der bei einer natürlichen Person vorhandene Wissensbestand durch eine juristische Operation auf die juristische Person „übertragen“ wird. Man spricht hier von einer Zurechnung. Diesen gedanklichen Vorgang gilt es daher im Folgenden zu erörtern.

1. Begriff Der Begriff der Zurechnung ist positiv-rechtlich nicht definiert. Es handelt sich hierbei jedoch um eine fest umrissene dogmatische Kategorie. Eine grobe Umschreibung des Begriffs gelingt, wenn synonym von der Herstellung von Verantwortung oder einer normativer Verknüpfung mittels Zuschreibung gesprochen wird. Vereinfacht gesagt handelt es sich bei jeder Zurechnung um einen rechtstechnischen Vorgang, bei dem die von einem Rechtssubjekt, dem Verhaltenssubjekt 60, gesetzten oder bei diesem vorhandenen jeweils rechtlich relevanten 59 Vgl. Buck, Wissen und juristische Person, S. 4, 106, Fn. 12: Es fehle trotz aller Versuche von Literatur und Rechtsprechung an einer umfassenden Durchdringung der Wissenszurechnung bei arbeitsteiligen Organisationen. 60 Präzise wäre, von einem „Umstandssubjekt“ zu sprechen, da nicht nur Verhalten Gegenstand der Zurechnung sein kann. Trotzdem soll die überkommene Terminologie mit der Maßgabe hier beibehalten bleiben, dass „Verhalten“ für jeden zurechenbaren Umstand steht.

III. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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Umstände, der Zurechnungsgegenstand, auf ein Rechtssubjekt, das Zurechnungssubjekt, projiziert werden, so dass das Zurechnungssubjekt die Rechtsfolgen treffen, die an das Vorhandensein der betreffenden Umstände geknüpft sind. 61 Es wird also eine rechtliche Verbindung zwischen dem Verhaltens- und dem Zurechnungssubjekt in Ansehung des jeweiligen Zurechnungsgegenstandes hergestellt, wobei – wie noch zu zeigen sein wird – Verhaltens- und Zurechnungssubjekt durchaus identisch sein können.

2. Bedeutung Abgesehen von der Konstruktion rechtlicher Verantwortlichkeit von natürlichen Personen für ihr Verhalten bzw. einen eingetretenen Erfolg als Veränderung in der Außenwelt auf dem Gebiet des Strafrechts, liegt die besondere Bedeutung der Zurechnung dort, wo bei Rechtssubjekten aufgrund ihrer Besonderheit rechtlich relevante Umstände faktisch bzw. rechtlich nicht selbst entstehen können. Das ist – neben in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkten natürlichen Personen – klassisch bei juristischen Personen der Fall.

3. Organschaft und Vertretung – Zurechnung bei juristischen Personen Vor dem Hintergrund des noch in der Zeit vor Erlass des BGB vehement geführten Theorienstreits um die Rechtsnatur der juristischen Person blieb die Bedeutung der Zurechnung bei juristischen Personen jedoch lange Zeit unklar. Gegenüber standen sich hier grundsätzlich die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit bzw. Organ- oder Genossenschaftstheorie nach von Gierke und die auf von Savigny zurückgehende Fiktions- bzw. Vertretertheorie. Nach der Theorie der realen Verbandspersönlichkeit wurde die juristische Person als organisches Gebilde idealisiert, das durch seine Organe quasi wie ein Lebewesen unmittelbar – d. h. ohne rechtliche Wertung – handelt. Demgegenüber betonte die Fiktionstheorie die Eigenschaft einer juristischen Person als per se handlungsunfähiges rechtliches Konstrukt und ordnete die für dieses Konstrukt rechtsgeschäftlich Handelnden als Vertreter kraft rechtlicher Zuschreibung ein. 62 In der jüngeren Diskussion ist nachgewiesen worden, dass sich selbst bei von Gierke

61 Hierüber besteht trotz verbreiteter terminologischer Unterschiede weitgehend Einigkeit, worauf Henning, Wissenszurechnung, S. 48 f. m.w. N. hinweist. 62 Zusammenfassend Röhl, Rechtslehre, § 56 II, wonach sich die Problematik auf die Frage reduzieren lasse, ob bestimmten Organisationsformen quasi kraft „Natur der Sache“ Rechtspersönlichkeit zugebilligt werden müsse.

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Kap. 1: Grundlagen

Ansätze einer Zurechnung finden lassen und sich seine Apologeten möglicherweise von der bildhaften Sprache von Gierkes haben irritieren lassen. 63 Zunächst wurden unter dem Eindruck einer naturalistisch verstandenen Organtheorie in der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur rechtlich relevante Umstände, die von den Organwaltern gesetzt wurden, unreflektiert mit bei der betreffenden juristischen Person vorhandenen Umständen gleichgesetzt. 64 Jedoch hat HansJ. Wolff bereits 1934 in seiner gebietsübergreifenden Untersuchung „Organschaft und juristische Person“ 65 herausgearbeitet, dass es hier stets auf eine Zurechnung und damit auf einen Vorgang rechtlicher Wertung hinausläuft. 66 Ausgehend von der begrifflichen Trennung von Organschaft und Organwaltung 67 (und entsprechend zwischen einem Vertreter als „Amt“, sowie als Person 68) zeigte Wolff auf, dass die Zurechnung bei juristischen Personen stets über eine Zurechnungskette dergestalt erfolgt, dass ein bei einem Organwalter als natürliche Person vorhandener Umstand über das Organ und ggf. weitere Organe bis hin zur juristischen Person und schließlich zu ihren Mitgliedern als 63 Vgl. Flume, AT I 2, S. 15 ff. zum Theorienstreit des 19. Jahrhunderts und seiner heutigen Bedeutung: Keine praktische Bedeutung mehr (S. 21). Der politische Hintergrund des Theorienstreits lag in dem Kampf um eine nicht regulierte Vereinsbildung, hierzu Flume, AT I 2, S. 21. Man sollte diese Grundsatzdiskussion aber nicht vorschnell für erledigt erklären. In dem hier zu entwickelnden Wissensbegriff können Ansätze eines Wiederauflebens der organischen Lehren durchaus gesehen werden. Eine Organisation ist eben ein „Mehr“ im Verhältnis zu ihrem personalen Substrat und insofern auch zu einem – zumindest rechtlichen – Eigenleben in der Lage. Instruktiv und vermittelnd Mayer, FS Laband, S. 1, 17 f., 27 f., wonach sich die juristische Person als „rechtliche Wirklichkeit“ und damit weder als Fiktion noch ob ihrer rechtlichen Eigenständigkeit gegenüber natürlichen Personen als Abstraktion darstellt. 64 Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 83 Rn. 60. 65 HansJ. Wolff, Vertretung, passim. 66 Vgl. HansJ. Wolff, Vertretung, S. 292 f: „Nur zurechnungsweise, also kraft Rechtsgebots, nicht ‚kraft Denknotwendigkeit‘ oder sonst wie juristisch oder faktisch, ‚ist‘ das – rechtsgeschäftliche wie auch das bloß rechtshandelnde – Organwalterverhalten wie das Stellvertreterverhalten das der Vertretenen.“ Damit kritisierte Wolff v. a. die von ihm als „organische“ Lehren bezeichneten Spielarten der Theorie der realen Verbandspersönlichkeit, also die Lehren, die die juristische Person nicht als rechtliches Konstrukt sondern als organisches Gebilde betrachteten. 67 Vgl. HansJ. Wolff, Vertretung, S. 229: So bleibt denn die Gegenüberstellung von „Organ“ – als dem von der Organisation begründeten und eingerichteten Kompetenzkomplex der mit der Vertretung der organisierten Vielheit betrauten physischen Person – und dem „Organwalter“ als derjenigen physischen Person (des Menschen), die jene Kompetenzen wahrnimmt.“ 68 Vgl. HansJ. Wolff, Vertretung, S. 283 f. Indem Wolff die strukturelle Vergleichbarkeit von Stellvertretung, Organschaft und Repräsentation herausstellte und diese Rechtsfiguren auf Vertretung als Oberbegriff zurückführte, nahm er zugleich Bestrebungen der modernen Zivilrechtsdogmatik zur Angleichung der Bewertung des Einflusses der unterschiedlichen Verhaltenssubjekte speziell bei Fragen der Wissenszurechnung vorweg. Siehe zu diesen Bestrebungen Buck, Wissen und juristische Person, S. 114 ff.

III. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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Trägern stattzufinden hat und dabei grundsätzlich unabhängig vom Wechsel der Organwalter ist. 69

4. Zurechnung und Rechtsfähigkeit Die Rechtsfähigkeit wird zwar als Unterscheidungskriterium für die Bestimmung des Endpunktes von Zurechnungen begriffen. 70 Jedoch zeigt die Unterscheidung zwischen einer transitorischen und einer endgültigen Zurechnung, dass auch nichtrechtsfähige Einheiten quasi als Bindeglied Gegenstand von Zurechnungen sein können. 71 Damit ist die Rechtsfähigkeit einer Organisationseinheit nicht zwingende Voraussetzung dafür, dass diese als Gegenstand von Zurechnungen in Betracht kommt.

5. Die Wissensnorm als Zurechnungsnorm Da es sich bei der Zurechnung um eine Rechtstechnik und nicht etwa um einen faktischen Vorgang handelt, bedarf es stets der Anwendung eines einschlägigen Rechtssatzes, um die Zurechnung herbeizuführen. Die Rechtssätze, die eine Zurechnung – also die beschriebene Projektion des Zurechnungsgegenstandes von einem Verhaltens- auf ein Zurechnungssubjekt – ermöglichen, werden als Zurechnungsnormen bezeichnet. Das Problem der Zurechnung liegt demnach oftmals im Auffinden einer Zurechnungsnorm. Als solche kommen alle geschriebenen und ungeschriebenen Rechtssätze in Betracht. Insbesondere in der zivilrechtlichen Diskussion zur Wissenszurechnung sind zahlreiche Zurechnungsnormen und -grundsätze herausgearbeitet worden. Meist läuft es aber auch hier auf eine analoge bzw. rechtsgrundsätzliche Anwendung der wenigen gesetzlich geregelten Wissenszurechnungsnormen, v. a. §§ 166, 31 BGB 72, hinaus. Die Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte führte in Ver69 Vgl. HansJ. Wolff, Vertretung, S. 252, Fn. 1. Das ist freilich problematisch, wenn man davon ausgeht, dass Zurechnungssubjekte stets rechtsfähig sein müssen, weil Organen generell keine Rechtsfähigkeit zukommt. Allerdings sah Wolff diese Problematik und bezeichnete daher die Zurechnungssubjektivität von Organen als „besondere“, d. h. als nur im Innenverhältnis gegenüber den anderen Organen bestehend. Vgl. HansJ. Wolff, Vertretung, S. 248 f. Heute sind organschaftliche „Rechte“ – man denke nur an Organstreitverfahren – in dieser Form weitgehend anerkannt. 70 Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 83 Rn. 12 unter Bezugnahme auf HansJ. Wolff. 71 Vgl. Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 83 Rn. 27. 72 Während Kenntnisse auf der Organwalterebene nach der Organtheorie (z.T. unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens von § 31 BGB) zugerechnet werden, wird für die übrigen Wissensträger auf § 166 BGB rekurriert, vgl. den Überblick bei Schramm, in: MüKo I 1, § 166 Rn. 20, 41 sowie Vor § 164 Rn. 64.

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Kap. 1: Grundlagen

bindung mit den unterschiedlichen tatbestandlichen Anforderungen der Zurechnungsnormen jedoch bisher zu schwer durchschaubaren Differenzierungen. Allein schon die Unterscheidungen nach der Stellung des jeweiligen Wissensträgers, also des Verhaltenssubjekts i. S. d. Zurechnungstechnik, boten unzählige Möglichkeiten der Argumentation. U. a. werden in diesem Zusammenhang Organwalter eines Leitungsorgans, Organwalter eines vertretungsberechtigten Nichtleitungsorgans, „Repräsentant“ und Mitarbeiter unterhalb der Organebene unterschieden. 73 Zunehmend verwischen jedoch diese Differenzierungen wieder, weil sich der Schwerpunkt in der gegenwärtigen zivilrechtlichen Diskussion zur Wissenszurechnung von der Stellung des jeweiligen Wissensträgers hin zu Fragen der Informationsorganisation verlagert hat. 74

6. Interdependenz von Wissensbegriff und Wissenszurechnung Das, was unter „Wissen“ verstanden wird, markiert als Zurechnungsgegenstand die Grundlage und zugleich die Grenze jeder Wissenszurechnung. Wissen und Zurechnung stehen in einem interdependenten Zusammenhang: Je weiter der Wissensbegriff gefasst wird, umso weniger bedarf es noch einer Zurechnung bzw. Zusammenrechnung und umgekehrt. Aus diesem Grund können Fragen der Wissenszurechnung nicht losgelöst vom Wissensbegriff behandelt werden. Diese Erkenntnis greift in der neueren zivilrechtlichen Diskussion um Fragen der Wissenszurechnung zunehmend Platz und führt zu dem Phänomen, dass durch die aktuellen Erweiterungen des Wissensbegriffs Fragen der Zurechnung in den Hintergrund gedrängt werden. 75

73 Vgl. den Überblick zum Diskussionsstand bei Buck, Wissen und juristische Person, S. 151 ff. (Wissen von Geschäftsgehilfen), S. 194 ff. (Wissen eines Organmitglieds des Leitungsorgans), S. 281 ff. (Wissen von Mitgliedern eines vertretungsberechtigten Nichtleitungsorgans), S. 300 ff. (Wissen von Mitgliedern eines unzuständigen Organs). 74 Gemeinsamkeiten der Verhaltenssubjekte juristischer Personen hat bereits Hans J. Wolff herausgearbeitet, indem er die strukturelle Vergleichbarkeit von Stellvertretung, Organschaft und Repräsentation herausstellte und diese Rechtsfiguren auf Vertretung als Oberbegriff zurückführte, vgl. Hans J: Wolff, Vertretung, S. 283 f. 75 Vgl. zum Vorstehenden ausführlich Buck, Wissen und juristische Person, S. 24 ff., die die Grenze der Erweiterung des Wissensbegriffs jedoch zumindest bei juristischen Personen darin sieht, dass diese unter keinen Umständen selbst wissensfähig sein können, d. h. stets auf die Zurechnung über mindestens ein Verhaltenssubjekt angewiesen sind.

III. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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7. Eigen- und Fremdzurechnung Abhängig davon, bei welchem Rechtssubjekt die zuzurechnenden Umstände ursprünglich vorhanden waren bzw. von welchem Rechtssubjekt sie gesetzt wurden, werden gewöhnlich Eigen- und Fremdzurechnung unterschieden. Bei der Eigenzurechnung wird die Verantwortung eines Rechtssubjekts für ursprünglich bei ihm vorhandene Umstände hergestellt, bei der Fremdzurechnung bestanden die relevanten Umstände ursprünglich bei einem anderen Rechtssubjekt. Anwendungsfälle der Eigenzurechnung scheinen zunächst nicht auf der Hand zu liegen, da es nach allgemeinem Rechtsgefühl eine Selbstverständlichkeit sein dürfte, dass ein Rechtssubjekt für die bei ihm selbst vorliegenden Umstände verantwortlich gemacht werden kann. Klarer wird jedoch die Bedeutung der Eigenzurechnung vor dem Hintergrund der wohl herrschenden Theorie der juristischen Person als rechtliches Konstrukt (Vertretertheorie) – und nicht als reale Verbandspersönlichkeit (Organtheorie) –, das erst durch seine Organe Handlungsfähigkeit im Rechtsverkehr erlangt. 76 Insofern werden Umstände, die bei den Organwaltern vorhanden sind, unter bestimmten Voraussetzungen mit denen der juristischen Person, also einem formal anderen Rechtssubjekt gleichgesetzt. Es ist gebräuchlich, hier von Eigenzurechnung im weiteren Sinne zu sprechen. 77 Die Bedeutung der Unterscheidung von Fremd- und Eigenzurechnung liegt in den diesen jeweils zugrundeliegenden Zurechnungsprinzipien 78: Während für die Eigenzurechnung der Gedanke der Eigenverantwortlichkeit ins Feld geführt oder auf die Benennung eines Zurechnungsgrundes oft verzichtet wird, sollen bei der Fremdzurechnung Belange des Verkehrsschutzes überwiegen. 79 Zudem wird ein Eingehen auf den Zurechnungsgrund nur bei der Fremdzurechnung stets für erforderlich gehalten, da eine Verantwortlichkeit für fremdes Verhalten eben nicht selbstverständlich sei. 80

8. Zurechnung in Mehrpersonenverhältnissen Während das bisher beschriebene Zurechnungsmodell daran denken lässt, dass die lediglich bei einem Rechtssubjekt vorhandenen rechtlich relevanten Umstän76

Zum Theorienstreit und seiner heutigen Bedeutung unten S. 47. So u. a. Henning, Wissenszurechnung, S. 51: „Eigenzurechnung, die sich auf wenigstens zwei tatsächlich voneinander verschiedene Subjekte bezieht.“ Damit sollen – nach dieser Auffassung – die Besonderheiten der Organschaft verdeutlicht werden. 78 Zurechnungsprinzipien werden als Zurechnungsgründe bezeichnet und beinhalten die Rechtfertigung der Zurechnung. Zu den Fallgruppen siehe unten S. 47. 79 Vgl. Buck, Wissen und juristische Person, S. 107 f. 80 Henning, Wissenszurechnung, S. 50. 77

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Kap. 1: Grundlagen

de auf ein anderes Rechtssubjekt bzw. auf dieses selbst projiziert werden, sind in der Rechtswirklichkeit im Hinblick auf die Verbreitung arbeitsteiliger Strukturen häufig Konstellationen anzutreffen, bei denen die zu projizierenden Umstände bei mehreren Verhaltenssubjekten – etwa im Hinblick auf das arbeitsteilige Zusammenwirken von Struktureinheiten juristischer Personen – nur jeweils zu einem Teil vorhanden sind und damit einer „Zusammenrechnung“ bedürfen. Zwar wird einerseits vertreten, dass sich diese „Zusammenrechnung“ auf die erforderliche Anzahl an Einzelzurechnungen zurückführen lasse 81, ohne dass es hierfür der Entwicklung einer neuen Kategorie bedürfe. Während andererseits auch für diese Problematik eine wertende Zusammenschau der relevanten Teilkenntnisse favorisiert wird. 82 Die Problematik derartiger Konstellationen liegt aber oftmals in der Suche nach der für jede Einzelzurechnung anwendbaren Zurechnungsnorm, was gerade dann, wenn die verschiedenen Verhaltenssubjekte in ihrer rechtlichen Qualifikation erheblich voneinander abweichen, mit Schwierigkeiten verbunden ist. 83 Außerdem greift eine bloße „Addition“ der zuzurechnenden Teilelemente auf dem Gebiet der Wissenszurechnung regelmäßig zu kurz. Der Gemeinplatz, wonach das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist, zeitigt nämlich auch insoweit Wirkung. Eine bloße Zusammenrechnung kann nur dann erfolgen, wenn nach der jeweiligen Wissensnorm reine Tatsachenkenntnis ausreicht, denn ansonsten – d. h. im Hinblick auf das Erfordernis der Rechtskenntnis – müssen bei einem Wissensträger die Kenntnisse als Grundlage der rechtlichen Würdigung „zusammenlaufen“, so dass ein Teilwissen jeweils nicht ausreichen würde. 84

9. Handlungsbezogene und personenbezogene Wissenszurechnung Je nach der Verknüpfung von Rechtsfolgen- und Tatbestandsseite von Wissensnormen wird zwischen einer personenbezogenen und einer handlungsbezogenen Wissenszurechnung unterschieden. Hintergrund der handlungsbezogenen Wissenszurechnung ist, dass einem Rechtssubjekt das Wissen einer Person zur 81 So etwa Henning, Wissenszurechnung, S. 50: Die Tatbestandselemente seien auf das Zurechnungssubjekt zu projizieren und dort zu addieren. 82 So Schramm, in: MüKo I 1, § 166 Rn. 31, der hier keine Besonderheiten bei der von ihm präferierten Lösung über die Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation des organisationsinternen Informationsflusses. 83 Instruktiv Buck, Wissen und juristische Person, S. 326 ff. Man denke hier z. B. an Organwalter eines Vertretungsorgans, mit Einzel- oder Gesamtvertretung, Hilfspersonen etc. 84 Vgl. Buck, Wissen und juristische Person, S. 26.

III. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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Bestimmung der Rechtsfolgen eines Verhaltens dieser Person zugerechnet wird. 85 Demgegenüber betrifft die handlungsunabhängige Wissenszurechnung die Konstellation, bei der das Verhalten der Person, deren Wissen zugerechnet werden soll, gerade keine tatbestandliche Relevanz aufweist, entweder, weil das Vorhandensein von Wissen als solches bereits rechtsfolgenbegründend wirkt oder weil eine andere Person das tatbestandlich relevante Verhalten zeitigt. 86 Bei der personenbezogenen Wissenszurechnung handelt es sich allerdings nicht um eine weitere Zurechnungskategorie. Vielmehr soll mit diesem Begriff zum Ausdruck gebracht werden, dass eine Wissenszurechnung stets auf die bei natürlichen Personen vorliegenden Kenntnisse zurückzuführen sein soll. 87 Folglich ist damit ein personales, d. h. subjektives Verständnis des Wissensbegriffs selbst gemeint. Inwieweit sich diese Auffassung als zwingend erweist, werden die Ausführungen in Kapitel 4 zeigen.

10. Der Zurechnungsgrund a) Begriff Der jeweiligen Zurechnungsnorm geht als ratio ein Zurechnungsgrund voraus. Damit ist das jeweilige Kriterium – also die Legitimation – der Zurechnung gemeint. 88 Dem Zurechnungsgrund kommt – wie eben gezeigt bei der Fremdzurechnung – insbesondere dann Bedeutung zu, wenn es um die Analogiefähigkeit von Zurechnungsnormen geht, da dann die Übertragbarkeit des Zurechnungsgrundes problematisch wird. In der aktuellen Diskussion finden sich zur Legitimation der Zurechnung von Wissen bei arbeitsteiligen Strukturen insbesondere die nachstehend skizzierten Begründungsansätze. Diese stehen abgesehen von der Organtheorie nicht im Rang von Theorien, erheben also nicht den Anspruch auf umfassende Erklärung. Ebenso wenig schließen sie sich gegenseitig aus, sondern greifen ineinander. Zur Verdeutlichung ihrer Elemente werden sie hier getrennt erörtert. b) Die Organtheorie Den Ausgangspunkt der Erörterungen bildet zumeist die Organtheorie in ihren verschiedenen Spielarten. Diese lässt sich vergröbernd darauf zurückführen, dass 85

Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 35. Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 36. 87 Siehe Buck, Wissen und juristische Person, S. 75. 88 Vgl. Buck, Wissen und juristische Person, S. 106 ff. Allgemein Canaris, Vertrauenshaftung, S. 473 ff., der drei Zurechnungsprinzipien herausarbeitet: das Veranlassungsprinzip, das Verschuldensprinzip sowie das Risikoprinzip. 86

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Kap. 1: Grundlagen

die Stellung des natürlichen Wissensträgers als entscheidend für die Zurechenbarkeit dieser Umstände angesehen wird. Es gelten hier starre Grundsätze: 89 So soll einer juristischen Person des Privatrechts – einschließlich einer fiskalisch handelnden Gemeinde – jedenfalls das Wissen aller vertretungsberechtigten Organwalter zugerechnet werden. Darauf, dass der jeweilige Organwalter als Wissensträger auch an dem in Rede stehenden Rechtsgeschäft mitgewirkt oder davon Kenntnis hatte, soll es nicht ankommen. Auch stehe das Ausscheiden des Organvertreters aus dem Amt dem Fortdauern einer Wissenszurechnung nicht entgegen. Zur Veranschaulichung erfahren die Grundsätze der Organtheorie zuweilen eine pointierte Zusammenfassung in den Sentenzen „Einmal gewusst, immer gewusst.“ und „Ein faules Ei verdirbt den ganzen Brei.“ 90 Mit der Organtheorie sollen für den Regelfall bereits die Wertungen zum Ausdruck gebracht werden, die in den folgenden Argumenten enthalten sind. Zudem soll die Organtheorie nach ganz überwiegender Auffassung im zivilrechtlichen Bereich eine zumindest ansatzweise normative Verortung in den Vorschriften zur Stellvertretung nach §§ 164 ff. BGB und zur Haftung satzungsmäßiger Vertreter gemäß §§ 31, 89 BGB gefunden haben. 91 Weder die Rechtsprechung noch die Fachliteratur wenden die Organtheorie heute begrifflich stringent an, bedienen sich ihrer jedoch in der Regel als Ausgangspunkt der Begründungskette jedoch in Abhängigkeit davon, welches Element jeweils betont wird, mit unterschiedlichen Ergebnissen. Die Organtheorie ist wegen der Unbilligkeit bestimmter Ergebnisse im Einzelfall in die Kritik geraten und wertungsmäßig unter Berücksichtigung der im Folgenden wiederzugebenden „Gedanken“ abgemildert worden. Insbesondere lässt sich das Phänomen des Organisationsmangels in Bezug auf die Informationsorganisation von Organisationen auf der Grundlage der Organtheorie nicht zureichend erfassen. Hier hat die zivilrechtliche Praxis Lösungen entwickelt, auf die es in Kapitel 3 einzugehen gilt. c) Wissensvertretung 92 Auch eine schematisch angewandte Organtheorie vermochte nicht der Vielfalt der Lebenssachverhalte Rechnung zu tragen. Denn meist stand nicht ein Kenntnisstand von Organwaltern und ihrer Vertreter als Ausgangspunkt einer möglichen Zurechnung, sondern das sonstiger Beauftragter oder Mitarbeiter. Hier 89

Zusammenfassend BGHZ 109, 327, 330 ff. So die einschlägigen plakativen Lehrinhalte juristischer Repetitorien, deren Ursprung sich allerdings – soweit ersichtlich – nicht belegen lässt. Die Organtheorie behandelt derartige Konstellationen zwar differenzierter, jedoch grundsätzlich entsprechend dieser Bonmots. 91 Reuter, in MüKo, I 1, § 26 Rn. 11, § 31 Rn. 4 m.w. N. 92 Vgl. zum Begriff BGH NJW 1985, 2583, 2584 m.w. N. 90

III. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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entwickelte die zivilrechtliche Rechtsprechung Lösungen, indem bestimmte Personen, die Organwalter in concreto jedoch nur in einem faktisch-funktionalen Sinn ersetzen, diesen wertungsmäßig gleichgestellt worden sind. Grundgedanke dieser nach „dem Rechtsgedanken des § 166 BGB“ 93 entwickelten Konstruktion ist, dass derjenige, der – unabhängig von einem Vertretungsverhältnis – einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen zurechnen lassen soll. Voraussetzung einer Wissensvertreterschaft bilden nach der Rechtsprechung des BGH Sachzuständigkeit und eigene Verantwortlichkeit der betreffenden Person in dem jeweiligen Funktionsbereich. Diese Voraussetzungen werden jedoch nicht einschränkend insofern verstanden, als dass eine ausschließliche Sachzuständigkeit und Verantwortlichkeit verlangt werden. Vielmehr soll eine wesentliche Mitbefassung genügen. 94 In der Rechtspraxis hat die Argumentationsfigur der Wissensvertretung eine kaum zu überschätzende Bedeutung erlangt. Ein besonderer Reiz scheint für die Rechtsprechung dabei die Integrierbarkeit dieses wertenden Ansatzes in die Organtheorie gewesen zu sein. 95 d) Das Gerechtigkeitsargument Mit dem Gerechtigkeitsargument wird zum Ausdruck gebracht, dass es als „gerecht“ anzusehen sei, wenn eine Organisationseinheit, die die ihr aus einem arbeitsteiligen Wirken erwachsenden Vorteile genießt, auch mit nachteiligen Folgen eben dieser Arbeitsteilung – wie z. B. Informationsdefiziten des jeweils für diese Organisationseinheit Handelnden – belastet werden soll. 96 Vorteile und Nachteile sollen mithin in Übereinstimmung gebracht werden. Sie sollen korrelieren. Begründet wird dies damit, dass es nur als gerecht anzusehen sei, wenn eine isolierte Inanspruchnahme von Vorteilen nach der Art einer „Rosinentheorie“ verwehrt wird. Dem Gerechtigkeitsargument kann der sogenannte Risikogedanke zugeordnet werden. Hiernach sollen die aus einem „riskanten“, d. h. potentiell gefahrträch93 So oft zur Begründung angeführt, vgl. nur den Rechtsprechungsüberblick bei Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 611 f., der sich dem unter dem Gesichtspunkt einer Repräsentanz (des Organvertreters) im Wissen anschließt, die mit der Berücksichtigung von Organisationsanforderungen verbundenen Weiterungen jedoch ablehnt (S. 649 f.). Prägnant Medicus, AT, Rn. 904 d: „Analoge Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB nach innen“. 94 So BGH NJW 1994, 1150, 1151 m.w. N. 95 Vgl. den Rechtsprechungsüberblick bei Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 610 ff. 96 Vgl. Medicus, Karlsruher Forum, S. 15: Korrelation von Vor- und Nachteilen der arbeitsteiligen Wissensaufnahme und -verarbeitung.

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Kap. 1: Grundlagen

tigen, Verhalten entstehenden nachteiligen Umstände demjenigen aufgebürdet werden, der dieses Risiko beherrschen kann sowie die Vorteile dieses Verhaltens genießt. 97 e) Das Gleichstellungsargument Das Gleichstellungsargument setzt arbeitsteilige Organisationseinheiten hinsichtlich ihrer Teilnahme am Rechtsverkehr wertungsbezogen mit natürlichen Personen gleich und postuliert, dass diesen im Hinblick auf Auswirkungen ihrer Arbeitsteilung weder Vor- nach Nachteile gegenüber natürlichen Personen erwachsen sollen. 98 Dieser Ansatz führt zum einen zu einer Erweiterung der Zurechnung von Wissen gegenüber der Organtheorie, indem die Anforderungen an den Status des personalen Wissensträgers innerhalb der Organisation gelockert werden. Zum anderen sollen Organisationen aber qua „Vergessensfähigkeit“ hinsichtlich der Wissenszurechnung Erleichterungen gegenüber einer Anwendung der Organtheorie erfahren, indem einmal zugerechnetes Wissen infolge bestimmter Umstände, wie Zeitablauf und Wechsel der personalen Wissensträger, wieder entfallen können soll. 99 f) Das Verkehrsschutzargument Im Zusammenhang mit dem Gleichstellungsargument gerät mit dem Verkehrsschutzargument der Schutz des Rechtsverkehrs vor Risiken, die aus arbeitsteiligen Prozessen entstehen, in den Blick. So sollen sämtliche aus der Arbeitsteilung resultierenden Risiken hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Wissensbestand bei der arbeitsteilig organisierten Struktur verbleiben. Mit dem Verkehrsschutzargument soll namentlich den „berechtigten Erwartungen“ des Rechtsverkehrs Rechnung getragen werden und diese somit der arbeitsteilig organisierten Struktur als Verhaltensanweisungen für ihre Mitarbeiter vorgegeben werden. 100 g) Bewertung Die im Zivilrecht diskutierten Zurechnungsgründe ermöglichen im Ergebnis dort überwiegend ausgewogene Lösungen, ohne dass allerdings eine Rechtssi97 Zur Risikozuweisung Taupitz, Karlsruher Forum, S. 26 f. Detailliert Canaris, Vertrauenshaftung, S. 482: Gedanke der Schaffung eines erhöhten Risikos oder der besseren Gefahrenbeherrschung in der eigenen Sphäre. 98 Medicus, Karlsruher Forum, S. 13. 99 Medicus, Karlsruher Forum, S. 15. 100 Vgl. Grunewald, FS Beusch, S. 304 ff.: Sicht des Vertragspartners entscheidend.

III. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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cherheit im Sinne einer Vorhersehbarkeit von Lösungen damit verbunden ist. Zuzugeben ist diesen Auffassungen, dass sich eine Abkehr von einer starren Zurechnung, wie sie mit der alleinigen Anwendung der Organtheorie verbunden ist, flexiblere Lösungen ermöglicht. Eine hinreichende gesetzliche Verortung dieser Erwägungen ist jedoch nicht festzustellen und erschwert die Auseinandersetzung. 101 Zudem sind die einzelnen Diskussionselemente in ihrer Reichweite beschränkt. So hat die Organtheorie keinen eindeutigen Niederschlag in den einschlägigen Regelungen gefunden. Wie bereits erwähnt, lassen sich jedoch bestimmte Vorschriften in ihrem Sinne interpretieren. Zudem ist die Organtheorie gut handhabbar, liefert jedoch nicht immer überzeugende Ergebnisse. Eine griffige Theorie allein genügt daher nicht. Die Kernaussage des Gerechtigkeitsarguments kann zustimmend nachvollzogen werden. Jedoch ist dieses so allgemein gehalten, dass sich konkrete Aussagen hieraus nicht ableiten lassen. Ihm kann daher lediglich eine unterstützende Funktion zukommen. Demgegenüber hängt die Anwendbarkeit des Verkehrsschutzarguments wesentlich davon ab, dass es gelingt, die Anforderungen im Einzelnen zu konkretisieren und diese zu entwickelnden normativen Maßstäben zu unterwerfen. Denn es kann hier nur auf die berechtigten Erwartungen des Rechtsverkehrs ankommen. Hier ist überdies umstritten, wie strikt diese Vorgaben zu fassen sind. Während die einen hier eine „ordnungsgemäße“ Organisation genügen lassen, fordern andere eine „optimale“ bzw. eine „ideale“ Organisation. 102 Jedoch ist zu beachten, dass „der“ Rechtsverkehr zumeist bewusst mit einer arbeitsteilig funktionierenden Organisationseinheit kontrahiert, also seine Schutzwürdigkeit nicht allein mit diesem Umstand begründet werden kann. Dem Gleichstellungsargument ist entgegenzuhalten, dass hier zwei Sachverhalte verglichen werden, die nicht vergleichbar sind. Soweit zur Begründung auf die aus der Arbeitsteilung resultierende Vorteile und die Erwartungen des Rechtsverkehrs abgestellt wird, ist dem entgegenzuhalten, dass diese Aspekte in den übrigen Zurechnungsgründen in Gestalt des Gerechtigkeits- sowie des Verkehrsschutzarguments aufgehen. Daneben bleibt kein Raum für eine Gleichstellung. Organisationen sind in Bezug auf Struktur und Wirken grundverschieden von natürlichen Personen. So ergibt sich das Phänomen der dezentralen und zugleich fragmentierten Wissensaufnahme bei natürlichen Personen nur in Sonderfällen personaler Erweiterungen, 101 Medicus, Karlsruher Forum, S. 13, der im Ansatz eine Verortung bei den Regelungen der Stellvertretung versucht. 102 Canaris, Karlsruher Forum, S. 34: Ideale Organisation. Demgegenüber Taupitz, Karlsruher Forum, S. 26: Ordnungsgemäße Organisation.

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Kap. 1: Grundlagen

wie z. B. bei der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung oder innerhalb von Sorgeverhältnissen, und auch insoweit nur in geringem Umfang. Demgegenüber erweist sich die in Rede stehende Problematik als charakteristisch für Organisationen, denn diese erfahren ihr Gepräge durch eine in der Regel differenziert-funktionale Zusammenfassung einer Vielzahl natürlicher Personen. Zudem existieren Bereiche, in denen nahezu ausschließlich Organisationen tätig werden. 103 Zudem kann dem Gleichstellungsargument entgegengehalten werden, dass hieraus sogar eine Besserstellung des Kontrahenten einer Organisation folgen kann: Eine Organisation verfügt nämlich regelmäßig über Wahrnehmungsmöglichkeiten, die die einer Einzelperson wesentlich übersteigen. Hiergegen kann auch nicht mit Erfolg angeführt werden, dass die Vielzahl der Angelegenheiten, mit denen eine Organisation im Vergleich zu einer natürlichen Person befasst ist, die gesteigerten Wahrnehmungsmöglichkeiten wieder zum Ausgleich und folglich zur Vergleichbarkeit mit einer natürlichen Person bringe. 104 Der mit dem Organisationsgrad verbundene Zuwachs an Wahrnehmungsmöglichkeiten lässt sich eben nicht isoliert auf die zuwachsenden Aufgaben übertragen. Er besteht zunächst, d. h. vorbehaltlich einer internen Zuständigkeitsordnung 105, für sämtliche Aufgabenbereiche.

103 Insbesondere im Bereich hoheitlichen Tätigwerdens, wo diese Organisationsform – bis auf beliehene natürliche Personen – nahezu ausschließlich festzustellen ist. 104 So aber Medicus, Karlsruher Forum, S. 13. 105 Zur beschränkten Rolle dieser Zuständigkeitsordnung unten S. 167 ff.

Kapitel 2

Der Organisationsansatz zwischen Wissen und Wissenszurechnung Gegenstand der aktuellen zivilrechtlichen Diskussion zur Wissenszurechnung ist vor dem Hintergrund einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung ein sogenannter Organisationsansatz. Ziel dieses Ansatzes ist es, Anforderungen an die interne Organisation von juristischen Personen mit Blick auf die Problematik von Wissen und Wissenszurechnung zu formulieren und Auswirkungen der Nichterfüllung dieser Organisationsanforderungen aufzuzeigen. Einige Elemente des Organisationsansatzes sind bereits im ersten Kapitel angerissen worden und sollen nun eine Vertiefung erfahren.

I. Entwicklung Anfang der 1990er Jahre ist die Frage der Wissenszurechnung unter dem Gesichtspunkt der Zusammenführung von Teilen eines einheitlichen normrelevanten Wissens, der sog. Wissenszusammenrechnung, in den Blickpunkt gerückt, da die bisherigen Möglichkeiten der Wissenszurechnung an Grenzen gestoßen waren: Die weit verzweigte Arbeitsteilung insbesondere bei größeren Organisationen hat als strukturelle Besonderheit nämlich zur Folge, dass handelnde und wissende Struktureinheit oftmals auseinanderfallen, wobei Wissen verstärkt bei Mitarbeitern unterhalb der Ebene organschaftlicher oder sonstiger Vertreter verortet ist. Es erfolgt mithin eine „dezentrale Wahrnehmung und Sammlung von Wissen“. 1 Die Praxis, inspiriert und begleitet von Stimmen aus dem Schrifttum 2, reagierte auf diese Herausforderung mit der Einleitung eines Rechtsfortbildungsprozesses, der zum Ziel hat, den Rechtsverkehr vor den Risiken einer Wissensaufspaltung zu schützen. 3 Im Ergebnis erfolgte dann die Statuierung bzw. Ausdehnung informationsbezogener Verkehrs- und Schutzpflichten zur Verbesserung 1

Kohler-Gehrig, VBlBW 1998, 212, 213. Einen Anfang markierte Bohrer, DNotZ 1991, 124 ff. mit Ansätzen zu einer „Lehre von der Wissensverantwortung“. 3 Vgl. Hagen, DRiZ 1997, 157, 158 f. 2

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Kap. 2: Der Organisationsansatz

des Informationsflusses. Die Problematik der Wissenszurechnung wird seitdem verstärkt als Wertungsproblem begriffen und von der Stellung der jeweiligen Wissensträger abstrahiert. 4 Freilich – das wird zu zeigen sein – wurde diese Entwicklung mit einem weiteren Verlust an Rechtssicherheit erkauft.

II. Inhalt 1. Rechtsprechung Der Bundesgerichtshof sieht die Grundlage der Wissenszurechnung – und damit den Zurechnungsgrund – im Zivilrecht jedenfalls im rechtsgeschäftlichen Verkehr nun nicht mehr schematisch allein in der Organstellung oder einer vergleichbaren Position des Wissensträgers, sondern im Gedanken des Verkehrsschutzes und der daran anknüpfenden Pflicht zur „ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation“. 5 Gleichzeitig werden sachliche und zeitliche Grenzen einer derart verstandenen Wissenszurechnung formuliert: So soll tatsächlich nicht vorhandenes Wissen dann als vorhanden anzusehen sein, wenn sowohl ein Anlass zur Speicherung der jeweiligen Information als auch ein Anlass zur Vergewisserung besteht, was sich nach Relevanz der Information, Zumutbarkeit und Bedeutung des Anlasses für den Rechtsverkehr zu richten habe. 6 Zur Begründung dieses Ansatzes dienen Erwägungen wie die Gleichstellung juristischer und natürlicher Personen in diesem Bereich – das sogenannte Gleichstellungsargument –, die Erfüllung berechtigter Erwartungen des Rechts4

Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 115 ff.: Jedoch „keine klare Zurechnungskonzeption“ über § 166 Abs. 1 BGB, vgl. auch S. 119. 5 BGHZ 132, 30, 37 in Anlehnung an Medicus, Probleme der Wissenszurechnung, Karlsruher Forum, S. 4 ff. und Taupitz, Wissenszurechnung nach englischem und deutschem Recht, Karlsruher Forum, S. 16, 25 f. Grundlegend Bohrers Ansätze zu einer Lehre der Wissensverantwortung, DNotZ 1991, 124, 129: „Es bedarf keiner konstruktiven Zurechnung tatsächlichen Wissens einzelner / ehemaliger Organmitglieder; die Kenntnis der juristischen Person ergibt sich vielmehr aus der Verfügbarkeit der Information, deren Erfassung und Nutzung [...] normativen (Verkehrsschutz-) Anforderungen unterliegt.“ S. 130: „Wissensverantwortung schließt ein, Entgegennahme und Verfügbarkeit relevanter Informationen zu organisieren. [...] leitender Orientierungspunkt hierfür ist [...] das erhöhte Informationsbedürfnis des Rechtsverkehrs in einer Umwelt, deren wachsende Komplexität die unmittelbare (sinnenhafte) Wahrnehmung zunehmend entwertet; wer in diesem Umfeld relevante Information nicht verfügbar hält und nutzt, muss sich materiellrechtlich behandeln lassen, als hätte er von ihnen Kenntnis.“ 6 BGHZ 135, 202, 205 f.

II. Inhalt

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verkehrs – das Verkehrsschutzargument – sowie das Gerechtigkeitserfordernis einer Korrelation von Vorteilen und Nachteilen der Arbeitsteilung bzw. der Gedanke der Risikoschaffung durch Etablierung arbeitsteiliger Strukturen – das Gerechtigkeits- bzw. Risiko- oder Verantwortlichkeitsargument. 7 Somit sind neben die Organtheorie weitere Zurechnungsgründe 8 getreten. Die einschlägige Rechtsprechung soll ohne Anspruch auf Vollständigkeit im Folgenden zusammengefasst dargestellt werden. Das besondere Augenmerk dieser Zusammenfassung gilt juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit der Einschränkung, dass insoweit deren Tätigwerden im privatrechtlichen Bereich in Rede steht. Die Rechtsprechung lässt sich überblicksartig zwei Fallgruppen zuordnen, nämlich zum einen der Feststellung des Beginns von Verjährungsfristen in Bezug auf Schadensersatzansprüche (deliktischer Bereich) und zum anderen der Feststellung des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen arglistigen Verschweigens (rechtsgeschäftlicher Bereich). Bei dieser Differenzierung ist zu beachten, dass im deliktischen Bereich zwar ein Verwaltungshandeln in der Handlungsform des Privatrechts erfolgt, materiell hier jedoch unmittelbar öffentliche Aufgaben (Geltendmachung von Regressansprüchen als Kehrseite der Gewährung von Leistungen an den Geschädigten) zur Erfüllung gelangen. Gleichwohl ist dies nicht dem hoheitlichen Bereich, der klassischen Eingriffsverwaltung, zuzuordnen. Es handelt sich nämlich um einen kraft Gesetzes erfolgenden Übergang von (privatrechtlichen) Ansprüchen, die dem Geschädigten zustehen. a) Deliktsverjährung In dieser Fallgruppe ist regelmäßig zu klären, unter welchen Voraussetzungen – namentlich: wann – ein Funktionssubjekt von dem den Anspruch tragenden Sachverhalt Kenntnis erlangt. Ausschlaggebende Bedeutung hat der Zeitpunkt der Kenntniserlangung für den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB, der in Verbindung mit § 199 Abs. 1 BGB nunmehr eine entsprechende Regelung auch für den außerdeliktischen Bereich allerdings mit der Erweiterung trifft, wonach die grob-fahrlässige Unkenntnis einem Wissen gleichzustellen ist. 9 Kenntnis in diesem Sinne bedeutet allerdings abweichend von 7 Zu letzterem vgl. BGHZ 132, 30, 37. Gemeint ist v. a. das Risiko von Informationsdefiziten und -verlusten. 8 Zu den Zurechnungsgründen oben S. 47 ff. 9 Die Neugestaltung des Verjährungsrechts erfolgte zum 1. Januar 2002 als Bestandteil des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138). Die skizzierte Rechtsprechung ist noch auf der Grundlage von § 852 BGB a. F. ergangen, der ausschließlich auf positive Kenntnis abgestellt hatte und ist in ihrem Abgrenzungsbemühen hin zum Bereich einer fahrlässigen Unkenntnis daher kritisch zu

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Kap. 2: Der Organisationsansatz

der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu den öffentlich-rechtlichen Ausschlussfristen 10 nicht die vollumfängliche Kenntnis vom Anspruch in Bezug auf seine tatsächlichen Grundlagen sowie rechtlichen Schlussfolgerungen. Es soll hier vielmehr ein Überblickswissen in Bezug auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs, mithin die Person des Schädigers sowie des grundsätzlichen Ablaufs des schädigenden Ereignisses, genügen. 11 Nach der Art des Schadensersatzanspruchs im Hinblick auf seine Entstehung können die deliktischen Ansprüche weiter nach originären sowie im Wege der Legalzession von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erworbenen Ansprüchen unterschieden werden. Gewährungen der Leistungsverwaltung im Rahmen der Daseinsvorsorge aus Anlass einer Schädigung des Anspruchsinhabers durch einen Dritten führen hier regelmäßig dazu, dass die Ansprüche des Geschädigten von Gesetzes wegen auf den Verwaltungsträger übergehen, soweit er an den Geschädigten Leistungen aus Anlass des Schadensfalles erbracht hat. Da die rechtliche Beurteilung bezüglich der hier interessierenden Kenntniserlangung jedoch in der wiederzugebenden Rechtsprechung insoweit keine Besonderheiten aufweist, wird auf eine Unterscheidung nach dem Kriterium der Anspruchsentstehung im Folgenden verzichtet. Erklärend sei vorangestellt, dass „Kenntnis“ im Falle einer Legalzession bezüglich eines Schadensersatzanspruchs die tatsächlichen Umstände dieser Legalzession des Geschädigten meint, für den ein anderer im Rahmen der Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben zunächst Leistungen erbringt, mithin Kenntnis von dem Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen. Das betrifft auch hier ein Wissen von der Person des Schädigers und des grundsätzlichen Ablaufs des schädigenden Ereignisses. Denn bereits im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses, d. h. mit der Entstehung des Anspruchs beim Geschädigten geht dieser Anspruch nach den einschlägigen Vorschriften dem Grunde nach auf den Träger öffentlicher Leistungen über, soweit dieser Leistungen aus Anlass des schädigenden Ereignisses zu erbringen hat. Innerhalb der Fallgruppe der Legalzession in Bezug auf juristische Personen des öffentlichen Rechts betont der BGH in ständiger Rechtsprechung die Bedeutung der rechtlichen Vorgaben zur Organisation und zur Zuständigkeit. So soll es für die Frage der Kenntniserlangung des öffentlich-rechtlichen Leistungsträgers zunächst ausschließlich auf seine zuständigen Bediensteten ankommen, die

sehen. Das Abgrenzungsproblem stellt sich jedoch weiterhin, weshalb diese Rechtsprechung insoweit nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt hat. 10 Hierzu unten S. 125 ff. 11 Es kommt auf die Kenntniserlangung durch den Anspruchsinhaber, nicht durch den Verletzten an, da Verletzter und Anspruchsinhaber durch die mit dem schadenstiftenden Ereignis „zeitgleiche“ Legalzession insoweit dauerhaft auseinander fallen.

II. Inhalt

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ihm diese Kenntnis vermitteln können. 12 Später erweiterte der BGH seine Betrachtung zum Teil auf die zuständige „Arbeitseinheit“ oder „Behörde“. 13 Eine Änderung der Entscheidungspraxis war jedoch auch unter diesem Aspekt nicht zu verzeichnen. 14 Gegensätzliche Wertungsgesichtspunkte sollen nur in dem Ausnahmefall Platz greifen, dass ein rechtsmissbräuchliches Sichverschließen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis festzustellen ist. 15 aa) Wehrdienstbeschädigung: Kenntnisvermittlung durch Leistungsträger I 16 Einen ersten Anlass zu Gedanken der Beurteilung möglicher Informationsdefizite vor dem Hintergrund einer gesetzlichen Zuständigkeitsordnung bot ein im Jahre 1973 zur Revisionsentscheidung stehender Sachverhalt. Bundeswehrangehörige waren durch einen Verkehrsunfall zu Schaden gekommen. Noch innerhalb der deliktischen Verjährungsfrist hatte das für bestimmte Leistungen aus Anlass einer Wehrdienstbeschädigung zuständige Versorgungsamt die erforderliche Kenntnis unstreitig erlangt. Der klagende Landschaftsverband wollte nun in seiner Eigenschaft als Hauptfürsorgestelle weitere Versorgungsansprüche aus übergegangenem Recht gegenüber dem beklagten Schädiger fast 16 Jahre nach dem betreffenden Unfall geltend machen. Die Berufungsinstanz hatte diese bereits auf die von dem Beklagten erhobene Verjährungseinrede hin abgewiesen. Sie war davon ausgegangen, dass die Kenntnis des Versorgungsamtes auch für die von dem nunmehrigen Kläger die Verjährungsfrist in Lauf gesetzt habe. Zur Begründung wurde ausgeführt: 17 Der Grundsatz der Einheitlichkeit der öffentlichen Hand und die befriedende Aufgabe des Instituts der Verjährung verböten es, dass infolge der gesetzlichen Zuständigkeitszersplitterung im Versorgungswesen für jede zuständige Behörde eine für ihren Leistungsbereich gesonderte Verjährung gelte. Der Bund, für dessen Rechnung und in dessen Auftrag sämtliche Leistungen erbracht würden, müsse sich vielmehr die Kenntnis einer eigenen oder einer in seinem Auftrag 12

BGH VersR 1962, 615. Vgl. BGH NJW 1985, 2022, 2023; 1986, 2315, 2316. 14 Möglicherweise solle aber abweichend zu entscheiden sein, wenn ein nach der internen Geschäftsverteilung an sich unzuständigen Sachbearbeiter innerhalb der zuständigen Arbeitseinheit die betreffende Kenntnis erlangt, vgl. BGH NJW 1986, 2315, 2316 (obiter dictum). Das deutet darauf hin, dass der BGH die Zuständigkeit der „Behörde“ nach außen hier doch als vorrangig werten könnte. 15 BGH NJW 1985, 2022, 2023 mit weiteren Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung, wonach ein Kennenkönnen oder ein Kennenmüssen positiver Kenntnis nicht gleichgestellt werden könne. 16 BGH 6. Zivilsenat vom 20. November 1973 (BGH NJW 1974, 319). 17 OLG Hamm, zitiert nach BGH NJW 1974, 319. 13

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tätigen Behörde mit Wirksamkeit auch für alle anderen mit dem Versorgungsfall befassten Behörden anrechnen lassen. Der BGH folgte dem Berufungsgericht nicht. Er stellte isoliert auf die Kenntniserlangung durch Mitarbeiter des Klägers ab. Als Hauptargument betonte der BGH die organisatorische und verfahrenstechnische Verselbstständigung der streitigen Versorgungsansprüche. Demgegenüber müsse der Schuldnerschutz zurücktreten. In der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung waren hier unterschiedliche sachliche Zuständigkeiten festgelegt. 18 Vor diesem Hintergrund lehnte der BGH auch eine Zurechnung des Kenntnisstandes des Versorgungsamtes im Verhältnis zum Bund mit Wirkung auf den Kläger ab. Im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Auftragsverwaltung nach Art. 85 GG nehme das jeweilige Bundesland oder – wie hier die von ihm damit betraute Selbstverwaltungskörperschaft – Zuständigkeiten zur selbstständigen und eigenverantwortlichen Erledigung aufgrund eigener Organisation wahr. Die beauftragten Bundesländer als Organe des Bundes anzusehen, scheide mithin aus. Dies gelte darüber hinaus in gleicher Weise für das Verhältnis des Landes zur Selbstverwaltungskörperschaft des Landschaftsverbandes. Vorstellung von einer „Einheitlichkeit der öffentlichen Hand“ könnten sich weder über eine solche Zuständigkeitsregelung hinwegsetzen noch sie modifizieren. 19 bb) Wehrdienstbeschädigung: Kenntnisvermittlung durch Kompaniefeldwebel 20 In einem 1985 letztinstanzlich zu entscheidenden Fall nahm der Fiskus den Schädiger bzw. seinen Haftpflichtversicherer aus übergegangenem Recht aus Anlass der Verletzung von Angehörigen der Bundeswehr bei einem Verkehrsunfall in Anspruch. Die für die Schadensabwicklung zuständige Wehrbereichsverwaltung erlangte von dem Verkehrsunfall, der bereits im Jahre 1974 stattgefunden hatte, erst im Jahre 1981 Kenntnis und erhob im darauf folgenden Jahr Klage. Der Kompaniechef der Geschädigten war nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen spätestens in dem auf den Unfall folgenden Jahr über den Unfallhergang und die Person des Schädigers informiert gewesen. Vor diesem Hintergrund hatte die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Während die Vorinstanzen die Kenntnis des Kompaniechefs unter dem Gesichtspunkt einer „Wissensvertretung“ 21 als auslösendes Moment für den Beginn der Verjährungsfrist werteten und somit zur Klageabweisung gelangten, lehnte 18 19 20 21

Diese sollen aus Vereinfachungsgründen hier nicht wiedergegeben werden. BGH NJW 1974, 319, 320. BGH 6. Zivilsenat vom 19. März 1985 (BGH NJW 1985, 2583). Zum Begriff oben S. 48.

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der BGH unter Hinweis auf seine langjährige Judikatur eine Zurechnung des Wissens des Kompaniechefs ab: Maßgeblich für die Kenntnis sei, wer nach der Zuständigkeitsordnung zu einer abschließenden Bearbeitung von Schadensfällen berufen ist. Unter Heranziehung der einschlägigen Verwaltungsvorschriften der Klägerin stellte der BGH fest, dass die Wehrbereichsverwaltung hier zuständig ist und also auf die Kenntnis der dortigen Mitarbeiter abzustellen sei. Abschließend lehnte der BGH auch eine Wissenszurechnung im Rahmen einer „Gesamtwürdigung“ ab: Die verbiete die verfassungsrechtlich fundierte Kompetenzordnung hinsichtlich der funktionalen Trennung von Streitkräften und Wehrbereichsverwaltung. cc) Wehrdienstbeschädigung: Kenntnisvermittlung durch Leistungsträger II 22 Im Jahre 1985 hatte der BGH Gelegenheit, seine Rechtsprechung zur Kenntniserlangung bei Wehrdienstbeschädigungen zu überprüfen. Wie in dem am 20. November 1973 entschiedenen Rechtsstreit 23 stand auch hier der Beginn der maßgeblichen Verjährungsfrist in Bezug auf Regressansprüche aus Anlass eines bei einem Verkehrsunfall verletzten damaligen Angehörigen der Bundeswehr in Streit. Das zuständige Versorgungsamt hatte als Behörde des klagenden Landes rechtzeitig von dem Schädiger und dem Verkehrsunfall Kenntnis erlangt. Nunmehr machte eine weitere Behörde des klagenden Landes, die Hauptfürsorgestelle, mehr als zehn Jahre nach dem Verkehrsunfall weitere Regressansprüche geltend. Stellte man mit den Vorinstanzen allein auf die Kenntniserlangung durch das Versorgungsamt als Anknüpfungszeitpunkt für den Beginn der Verjährungsfrist ab, gelangte man zur Klageabweisung wegen Durchgreifens der Verjährungseinrede, da die in Frage stehenden weiteren Regressansprüche bereits zu diesem Zeitpunkt zumindest dem Grunde nach hätten geltend gemacht werden können. Im Anschluss an seine Entscheidung vom 20. November 1973 orientierte sich der BGH jedoch strikt an der Zuständigkeit der beteiligten Leistungsträger: Wegen der unterschiedlichen sachlichen Zuständigkeit der in Rede stehenden Behörden des klagenden Landes lehnte er hier erneut eine Zurechnung der Kenntnis der erstbetroffenen Behörde im Verhältnis zu der anderen sowie im Verhältnis zu dem betreffenden Bundesland, ihrem Rechtsträger, ab. Hieran vermochte in Bezug auf eine Zurechnung der Kenntnis unter den betroffenen Behörden nach Auffassung des BGH die von dem Berufungsgericht vertretende Auffassung nichts zu ändern, wonach für die Zuständigkeitsabgrenzung 22 23

BGH 6. Zivilsenat vom 24. September 1985 (BGH VersR 1986, 163). Vgl. oben S. 57 zu BGH NJW 1985, 2583, 2584.

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der beiden Behörden sachliche Gründe nicht erkennbar waren und im Übrigen angesichts der eng zusammenhängenden Verwaltungsaufgaben ein Informationsaustausch habe sichergestellt werden können. 24 Für diese Wertungsfrage sah der BGH keinen Raum: Die behördliche Zuständigkeitsregelung genieße in jedem Falle Vorrang, so dass selbst Informationsdefizite, die auf einem vorwerfbaren Organisationsfehler beruhen, unbeachtlich seien. 25 Schließlich schied nach Auffassung des BGH auch eine Zurechnung der relevanten Kenntnisse im Verhältnis der erstbefassten Behörde zum Rechtsträger, dem betreffenden Bundesland, aus. Dies setze voraus, dass die der einen Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit bekannt gewordene Tatsache dem Anspruchsinhaber ausreichende Kenntnis für die Geltendmachung und Durchsetzung der Ansprüche verschaffen würde, die der anderen Behörde übertragen sind. Dies sei vorliegend nicht ersichtlich gewesen. dd) Opferentschädigung: Kenntnisvermittlung durch erstbefasste Behörde 26 Zu klären war die Frage der Kenntnis des Trägers der Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz für den Beginn der Verjährungsfrist eines im Wege der Legalzession auf ihn übergegangen Schadensersatzanspruchs. Das klagende Land nahm den sich auf Verjährung berufenden Schädiger aus übergegangenem Recht in Anspruch. In Bezug auf Kenntniserlangung durch die zur Entscheidung zuständige Abteilung des Landesversorgungsamtes des Klägers war die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen, anders jedoch in Bezug auf das zuvor damit befassten örtliche Versorgungsamt sowie einer anderen Abteilung des Landesversorgungsamtes, dem das örtliche Versorgungsamt eine Durchschrift seines in der Sache ergangenen Leistungsbescheids als Aktenvermerk übermittelt hatte. Das Berufungsgericht 27 hatte als Vorinstanz zur Kenntniserlangung des Landesversorgungsamtes noch auf den Zeitpunkt des Eingangs des Aktenvermerks des örtlichen Versorgungsamtes abgestellt und zur Begründung ausgeführt: Auf die behördeninterne Zuständigkeitsverteilung innerhalb des Landesversorgungsamtes komme es nicht an, weil für alle in die Zuständigkeit des Landesversorgungsamtes fallenden Aufgaben auch der für die Sachbearbeitung nicht zuständige Bedienstete dieses Amtes Wissensvertreter des Beklagten sei. Denn jeder 24 Vgl. OLG Köln, zitiert nach BGH VersR 1986, 163, 164: „... nur dort gelten, wo von der Sache her eine Zuständigkeitsbegrenzung der einzelnen Dienststellen geboten ist. ... Im Interesse des Schädigers darf eine sachlich nicht gebotene Zuständigkeitsregelungen der Lauf der Verjährung nicht aufgehalten werden.“ 25 BGH VersR 1986, 163, 165. 26 BGH 6. Zivilsenat vom 22. April 1986 (BGH NJW 1986, 2315). 27 Vgl. OLG Düsseldorf, zitiert nach BGH NJW 1986, 2315.

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Bedienstete dieses Amtes stehe in der Pflicht, einen Vorgang, für den er nicht zuständig ist, dem zuständigen Dezernenten zuzuleiten. Der BGH 28 traf eine abweichende Entscheidung: Die Kenntniserlangung durch unzuständige Bedienstete können keine Wissenszurechnung rechtfertigen. Diese stellten mangels Sachzuständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zur Entscheidung in Regressangelegenheiten gerade keine Wissensvertreter dar. Etwas anderes folge auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verpflichtung zur Information der zuständigen Abteilung: Zum einen existiere eine derartige Pflicht nicht explizit in den einschlägigen Verwaltungsvorschriften. Zum anderen wären selbst vorwerfbare Organisationsfehler seitens des Klägers insofern ohne Bedeutung, da der Schädiger keinen Anspruch darauf habe, dass eine Organisationsform geschaffen werde, die eine relevante Kenntnis zum frühestem möglichen Zeitpunkt eintreten lässt. ee) Sozialversicherungsbeiträge: Kenntnisvermittlung durch Betriebsprüfer 29 Dass mit der Rechtsfigur des Wissensvertreters auch abteilungsübergreifende Gesichtspunkte Berücksichtigung finden können, zeigte der BGH mit seiner Entscheidung vom 18. Januar 1994: Die Klägerin, eine Trägerin der Sozialversicherung, nahm den Beklagten wegen unerlaubter Handlung unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen Verkürzung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch. Mehr als drei Jahre vor der erstmaligen Geltendmachung des Streitgegenstandes im gerichtlichen Mahnverfahren hatte ein Betriebsprüfer der Klägerin aus der mit Fragen der Beitragsüberwachung befassten Abteilung nachweislich die erforderliche Kenntnis erlangt. Die für die Rückstandssachbearbeitung zuständige Rechtsabteilung war erst zu einem späteren Zeitpunkt informiert worden. Auf die Verjährungseinrede des Beklagten hatte die Vorinstanz die Klage unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH zur Wissensvertretung bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts abgewiesen. Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Kenntniserlangung durch die Klägerin wurde der Wissenstand des Betriebsprüfers als Wissensvertreter der Klägerin angesehen. Dem schloss sich der BGH an. Als tragendes Argument führte er aus, nach den Besonderheiten des streitgegenständlichen Sachverhalts sei zumindest auch die Abteilung, der der die Kenntnis zuerst aufweisende Betriebsprüfer angehörte, zur Geltendmachung des in Frage stehenden Anspruchs insoweit zuständig gewesen, als sie eigenverantwortlich mit der Vorprüfung derartiger Ansprüche betraut worden war und somit insbesondere den Sachverhalt aufzuklären und eine Entschließung über die Einschaltung der Rechtsabteilung zu treffen hatte. 28 29

Im Folgenden BGH NJW 1986, 2315, 2316. BGH 6. Zivilsenat vom 18. Januar 1994 (BGH NJW 1994, 1150).

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Dem möglichen Einwand, von seiner bisherigen Rechtsprechung, nach der unter dem Gesichtspunkt der Wissensvertretung allein die Zuständigkeit der jeweiligen Arbeitseinheit sowie ihrer Bediensteten im Sinne einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung der betreffenden Aufgabe maßgeblich sein soll, abzuweichen, trat der BGH entgegen: Im vorliegenden Fall könnten die Zuständigkeiten innerhalb des Anspruchsträgers nicht hinreichend klar abgegrenzt werden. Insbesondere könne nicht allein auf die Zuständigkeit zur Geltendmachung des Anspruchs nach außen („Verfahrenszuständigkeit“), also in Vertretung der Klägerin, abgestellt werden. Auch die Vorbereitung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht – wie vorliegend durch den mit dieser Funktion betrauten Betriebsprüfer – sei zu berücksichtigen. ff) Rückforderung von Sozialhilfe: Kenntnisvermittlung durch Gewährungsamt 30 Hier war die Frage der Kenntnis eines Sozialhilfeträgers für den Beginn der Verjährungsfrist eines im Wege der Legalzession auf ihn übergegangen Schadensersatzanspruchs zu klären: Die klagende Trägerin der Sozialhilfe nahm die sich auf Verjährung berufende Beklagte aus übergegangenem Recht in Anspruch. In Bezug auf Kenntniserlangung durch Mitarbeiter der zuständigen Regressabteilung der Klägerin war die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen, jedoch in Bezug auf ihre zuvor in der Sache befassten Ämter. Der BGH 31 stellt unter Anknüpfung an seine bisherige Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der Wissensvertretung ausschließlich auf die Kenntniserlangung durch Mitarbeiter der Regressabteilung der Klägerin als Ausdruck der Einbindung in den relevanten Aufgabenkreis ab. Eine Erweiterung der Zurechnung von Wissen aus Gründen des Verkehrsschutzes – wie im Bereich rechtsgeschäftlichen Handelns von Unternehmen – träfen im deliktischen Bereich nicht zu. gg) Ersatz für Ausfuhrzoll: Kenntnisvermittlung durch örtliches Zollamt 32 Der Bund nahm den Beklagten auf Ersatz des ihm durch vom Beklagten manipulierte Ausfuhrzollbescheinigungen entstandenen Schadens in Anspruch, wogegen der Beklagte die Einrede der Verjährung erhob. Das die strafrechtlichen Ermittlungen führende Zollamt des Klägers verfügte im Jahre 1988 über 30

BGH 6. Zivilsenat vom 25. Juni 1996 (BGHZ 133, 129). BGHZ 133, 129, 139. 32 BGH 6. Zivilsenat vom 4. Februar 1997 (BGHZ 134, 343 –352 = NJW 1997, 1584 – 1586). 31

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relevante Kenntnisse vom Sachverhalt sowie der Person des Beklagten. Das Hauptzollamt machte den in Rede stehenden Streitgegenstand im Wege des Mahnverfahrens jedoch erst ca. fünf Jahre später anhängig. Das Berufungsgericht 33 wertete – neben einer Hilfsbegründung bezüglich weiterer hier nicht interessierender Besonderheiten des Falles – unter dem Gesichtspunkt der Wissensvertretung bereits die Kenntniserlangung durch das Zollamt als maßgeblich für den Beginn der Verjährungsfrist. Damit griff die Verjährungseinrede durch. Dem trat der BGH entgegen: Da mit der Entscheidung über die Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche ausschließlich das Hauptzollamt von dem Kläger per Rechtsverordnung 34 betraut war, könne es auch nur auf dessen Kenntniserlangung ankommen. Auch etwaige Informationspflichten des Zollamtes seien dach BGH-Auffassung unerheblich, denn entscheidend sei hiernach nicht, ob eine Behörde ihrem Rechtsträger ein bestimmtes Wissen zu verschaffen habe, sondern ob sich dieser das Wissen bestimmter natürlicher Personen – hier als Wissensvertreter – zurechnen lassen müsse. Dies sei vorliegend in Ermangelung der erforderlichen Verfügungsberechtigung des Zollamtes gerade nicht der Fall. hh) Unfallversicherung: Kenntnisvermittlung durch Leistungsabteilung I 35 Die Klägerin, eine Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, machte aus übergegangenem Recht einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Beklagten aus Anlass eines Verkehrsunfalls, der sich ungefähr vier Jahre vor Klageerhebung ereignete, geltend. Kurze Zeit nach dem Verkehrsunfall gewährte die Leistungsabteilung der Klägerin der Geschädigten Leistungen und erlangte so die auch für die Geltendmachung von Regressansprüchen erforderliche Kenntnis. Die Regressabteilung erlangte diese Kenntnis jedoch erst drei Jahre nach dem Verkehrsunfall durch Aktenvorlage der Leistungsabteilung. Bei der Klägerin bestand die Dienstanweisung, die Regressabteilung über eine entsprechende von den übrigen Abteilungen durchzuführende Vorprüfung frühzeitig einzubinden, wenn sich im Rahmen der Gewährung von Leistungen entsprechende Anhaltspunkte für einen möglichen Regressanspruch ergeben. Über die Geltendmachung von Regressansprüchen hatte die Regressabteilung sodann abschließend zu befinden. Das Berufungsgericht wertete die betreffenden Mitarbeiter der Leistungsabteilung im Hinblick auf ihre Befassung mit Regressfragen im Sinne einer Vorprü33

OLG Hamburg zitiert nach BGHZ 134, 343 – 352. Vgl. § 9 Abs. 5 Ziff. 3 Hauptzollamtszuständigkeitsverordnung vom 7. August 1991 (BGBl. I S. 1776) sowie die entsprechenden Vorläufer, hierzu BGHZ 134, 343, 346 ff. 35 BGH 3. Zivilsenat vom 9. März 2000 (BGH VersR 2000, 1277). 34

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fung als Wissensvertreter der Klägerin und ließ somit die Einrede der Verjährung durchgreifen. Dem folgte der BGH nicht. Abermals erfuhr das Rechtsinstitut der Wissensvertretung vor dem Hintergrund der beabsichtigten Gewährleistung der behördlichen Zuständigkeitsverteilung eine Engführung: Betraut worden von der Klägerin im Sinne der Wissensvertretung sei nur die Regressabteilung, denn nur ihr Aufgabenbestand zielte auf die eigenverantwortliche Verfolgung von Regressansprüchen ab. Daneben komme einer Vorprüfung durch die Leistungsabteilung kein entscheidendes Gewicht zu, denn es handele sich nicht um eine eigenverantwortliche Entscheidung, sondern nur um die Veranlassung zur Befassung der Regressabteilung mit dem der Leistungsgewährung zugrundeliegenden Fall. Allein die entgegenstehende interne Verteilung der Verantwortlichkeit bei der Ermittlung und Verfolgung von Regressansprüchen sei maßgeblich. 36 Hiernach habe die Leistungsabteilung gerade keine ihre Eigenverantwortlichkeit begründende weitere Aufklärung des Sachverhalts allein unter dem Aspekt eines möglichen Regresses vorzunehmen. ii) Unfallversicherung: Kenntnisvermittlung durch Leistungsabteilung II 37 Die Klägerin nahm als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung die Beklagte aus übergegangenem Recht anlässlich eines Verkehrsunfalls in Anspruch. Auch hier hatten Mitarbeiter der Leistungsabteilung im Vergleich zu der Regressabteilung der Klägerin zu einem früheren, d. h. grundsätzlich verjährungsbegründenden Zeitpunkt Kenntnis erlangt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Berufungsgericht 38 war dem mit der Begründung gefolgt, dass der Lauf der Verjährungsfrist bereits mit Eingang des einschlägigen Unfallberichts – obwohl dieser nicht alle relevanten Angaben enthalten hatte – bei der Leistungsabteilung der Klägerin einsetzte. Denn diesen hätten die Mitarbeiter der Klägerin zum Anlass eigener Nachforschungen und zur Weiterleitung an die Regressabteilung nehmen müssen. Daher sei von einem Organisationsmangel auszugehen, auf den sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen könne. Auch hier stellte der BGH 39 entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ausschließlich auf die Kenntniserlangung durch Mitarbeiter der Regressabteilung der Klägerin ab. 36 37 38 39

BGH VersR 2000, 1277, 1279. BGH 6. Zivilsenat vom 28. November 2006 (BGH VersR 2007, 513). OLG Oldenburg, zitiert nach BGH VersR 2007, 513, 514. BGH VersR 2007, 513, 514.

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Selbst für die Frage nach den Folgen eines etwaigen Organisationsmangels unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs komme es nur auf die Betrachtung der Verhältnisse innerhalb der zur Sachentscheidung berufenen Regressabteilung an. Hier habe sich jedoch kein Mitarbeiter missbräuchlich einer sich aufdrängenden Kenntnis verschlossen. Die für den rechtsgeschäftlichen Bereich entwickelten Grundsätze lässt der BGH auch hier außer Anwendung. b) Verschlechterung der Rechtsposition durch Kenntnis Bei dieser Fallgruppe wird erörtert, ob eine juristische Person des öffentlichen Rechts im Rahmen eines fiskalischen Tätigwerdens über die Kenntnis relevanter Umstände verfügte, die ihr zur Verschlechterung ihrer Rechtsposition – sei es aus Gründen einer Verlängerung der an sich einschlägigen Verjährungsfrist bei Vorliegen von Arglist, sei es als Grundlage von Schadensersatzansprüchen – gereichen. Heftig umstritten ist hier, ob Kenntnis zur Bejahung von Arglist überhaupt ausreichend ist, oder ob als soziales Unwerturteil vielmehr eine gewisse „List“ der rechtsgeschäftlich handelnden Personen hinzutreten muss. Dieser Meinungsstreit spielt indes in Bezug auf Fragen von Wissen und Wissenszurechnung eine so untergeordnete Rolle, dass er hier vernachlässigt werden darf. 40 Vorab ist anzumerken, dass die Rechtsprechung hier im Gegensatz zum unter a) referierten deliktischen Bereich verstärkt Wertungsgesichtspunkte einfließen lässt und sich zunehmend von rein schematischen Erwägungen löst. aa) Gemeinde: Kenntnisvermittlung durch ehemaligen Bürgermeister 41 Diese Entscheidung bildet den Ausgangspunkt für die Erweiterung einer Wissenszurechnung unter dem Gesichtspunkt einer Wissensverantwortung. 42 Problematisch war hier das Wissensmoment der Arglist bei einer Gemeinde, mithin einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Klägerin nahm die beklagte Gemeinde wegen arglistigen Verschweigens der Mangelhaftigkeit des durch die Klägerin erworbenen Schlachthofs in Anspruch. Bei der Beklagten war aufgrund einer fast 20 Jahre zurückliegenden Verfügung des bauaufsichtsführenden Landkreises aktenkundig, dass die Tragfähigkeit einer Geschossdecke erheblich gefährdet ist. Hiervon hatte der im Zeitpunkt der Vornahme des in Rede stehen-

40 41 42

Weiterführend Waltermann NJW 1993, 889, 990 f. mit weiteren Nachweisen. BGH 5. Zivilsenat vom 8. Dezember 1989 (BGHZ 109, 327). Allerdings noch nicht unter diesem Stichwort, vgl. Hagen, DRiZ 1997, 157, 158.

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den Rechtsgeschäfts amtierende Bürgermeister der Beklagten keine Kenntnis, jedoch ein mit der Gemeindeverwaltung nicht mehr befasster Amtsvorgänger. Der BGH bejahte das Vorhandensein der relevanten Kenntnis bei der beklagten Gemeinde unter schematischer Bezugnahme auf die Organtheorie: Hierzu stellt er zunächst fest, dass bei keinem der Organvertreter der Beklagten sämtliche Voraussetzung der Arglist vorlägen. Jedoch müsse sich die Beklagte das Wissen eines früheren Organvertreters von der Mangelhaftigkeit so wie das Wissen des aktuellen Organvertreters von dem Kaufvertragsschluss zurechnen lassen. Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung kommt der BGH zu dem Schluss, dass auch das Ausscheiden eines Organvertreters dem Fortdauern der Wissenszurechnung nicht entgegenstehe. Allerdings – und das war hier das Neue – will der BGH nun die Frage der Wissenszurechnung von Organvertretern nicht mehr mit „logisch-begrifflicher Stringenz“, sondern in „wertender Beurteilung“ entscheiden. Hiernach komme es entscheidend auf eine an den Schutzinteressen des Rechtsverkehrs ausgerichtete Risikoverteilung an. Insoweit erscheine es geboten, der Beklagten das ihr „durch Organvertreter einmal vermittelte, typischerweise aktenmäßig festgehaltene Wissen“ zuzurechnen. bb) Gemeinde: Kenntnisvermittlung durch Sachbearbeiter 43 Hier nahm die Klägerin die beklagte Gemeinde wegen arglistigen Verschweigens der Mangelhaftigkeit des durch die Klägerin erworbenen Baugrunds in Anspruch. Bei der Übertragung des Grundstücks hatte sich die beklagte Gemeinde durch einen vom Oberbürgermeister gesondert bevollmächtigten Mitarbeiter vertreten lassen, der in Person ebenso wie der Oberbürgermeister keine Kenntnis von der Beschaffenheit des Baugrunds aufgewiesen hatte. Jedoch war die Mangelhaftigkeit einem Sachbearbeiter des Baurechtsamtes der Beklagten bekannt gewesen. Der BGH wies die Klage mit der Begründung ab, die beklagte Gemeinde müsse sich das unterhalb der Organ- oder Vertreterebene vorhandene Wissen in dem nicht mit dem Verkauf befassten Baurechtsamt nicht zurechnen lassen. So schließe bereits die Stellung des Sachbearbeiters eine Wissenszurechnung aus. Eine andere Bewertung sei auch nicht vor dem Hintergrund einer in der Literatur 44 diskutierten Wissensverantwortung zu treffen. Denn die Beklagte sei jedenfalls allgemein nicht zur Organisation eines Informationsaustausches zwischen dem Liegenschafts- und dem Baurechtsamt verpflichtet gewesen. Darüber hinaus sei das Aktenwissen des am Rechtsgeschäft nicht beteiligten Amtes auch nicht ausnahmsweise der beklagten Gemeinde zuzurechnen, da der sachliche Zu43

BGH 5. Zivilsenat vom 24. Januar 1992 (BGHZ 117, 104, 106 ff). An dieser Stelle nimmt der BGH Bezug auf Bohrer, DNotZ 1991, 124. Im Einzelnen unten S. 74 ff. 44

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sammenhang der in verschiedenen Ämtern angefallenen Vorgänge nicht bekannt war. Ein „ämterübergreifender Informationsaustausch“ sei daher weder „möglich noch nahe liegend“ gewesen. cc) Gemeinde: Kenntnisvermittlung durch Beigeordneten 45 Zu klären war im Rahmen eines Amtshaftungsprozesses die Kenntnis von einem laufenden Beweissicherungsverfahren zulasten der beklagten Gemeinde. Der Bauhof der Beklagten hatte den vormaligen Straßenbelag beseitigt und damit die behauptete Gefahrenträchtigkeit abgestellt, so dass die Klägerin in Beweisnot geriet. Die Mitarbeiter des Bauhofs wiesen in Bezug auf das laufende Beweissicherungsverfahren keine Kenntnis auf, jedoch der Technische Beigeordnete der Gemeindeverwaltung. Der BGH stellte fest, dass mit Kenntnis des Technischen Beigeordneten, der als Vertreter des Stadtdirektors gehandelt hatte, grundsätzlich sämtliche untergeordnete Dienststellen der Stadtverwaltung wussten, jedenfalls soweit sie nach den Regeln ordnungsgemäßer Verwaltung mit Rücksicht auf die verwaltungsinterne Aufgabenverteilung mit der Sache befasst werden mussten. So hätte der Technische Beigeordnete seine Kenntnis von dem laufenden Beweissicherungsverfahren unverzüglich an die Mitarbeiter des Bauhofs weiterleiten müssen, damit dort die Beweissicherung nicht durch voreilige Maßnahmen verhindert werden würde. c) Kritische Würdigung Es fällt auf, dass sich in der höchstrichterlichen zivilrechtlichen Praxis bezüglich der Grundsätze der Wissenszurechnung bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts eine Differenzierung von rechtsgeschäftlicher und deliktischer Ebene findet. Verbindendes Element ist jedoch das in beiden Bereichen als Topos herangezogene Rechtsinstitut der Wissensvertretung, hier allerdings speziell vor dem Hintergrund, dass jeweils Vermögensverfügungen in Rede stehen: Im deliktischen Bereich ist die Vermögensverfügung in der Nichtgeltendmachung von Ansprüchen innerhalb der Verjährungsfrist zu sehen, im rechtsgeschäftlichen Bereich ist es die Vermögensverfügung selbst, die gerade durch arglistiges Verschweigen ermöglicht wird. So stellt der BGH maßgeblich auf die Zuständigkeit des betreffenden Mitarbeiters der verfügungsbefugten Behörde ab. 46 Dem soll wertungsmäßig unter bestimmten eingeschränkten Voraussetzungen die Kenntnis der zur Sachentscheidung nicht unmittelbar berufenen Bediens45 BGH 3. Zivilsenat vom 11. März 1993 (Wiedergabe in BGHR BGB § 166 Abs. 1 Wissenszurechnung 5.) 46 BGH NJW 1986, 2315, 2316.

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teten gleichstehen. Das ist dann der Fall, wenn diese ausweislich der – auch nur internen (Geschäftsverteilungsplan) – Zuständigkeitsordnung dazu berufen sind, entscheidungserhebliche Umstände im Sinne einer Vorprüfung oder Nachprüfung (Fachaufsicht) verbindlich zu klären und im Rahmen einer wertenden Entscheidung zu beurteilen. 47 Darüber hinaus scheint im rechtsgeschäftlichen Bereich die Heranziehung weiterer Zurechnungsgründe neben der Organtheorie und ihrer Spielarten möglich. Insbesondere sollen hier Erwägungen des Verkehrsschutzes durchgreifen. Währenddessen findet im deliktischen Bereich eine Orientierung an der organisatorischen Stellung des Wissensträgers statt, indem maßgeblich auf die Rechtsfigur des „Wissensvertreters“ abgestellt wird. In Bezug auf die Bedeutung der Zuständigkeitsordnung hat der BGH dies bereits in seiner Entscheidung vom 20. November 1973 48 formuliert: Eine Heranziehung unzuständiger Bearbeiter würde in unzulässiger Weise in die durch Organisationsnormen konstituierte Verwaltungsorganisation eingreifen. Weitere Gesichtspunkte, wie der des Schuldnerschutzes oder Vorstellungen von der Einheitlichkeit der öffentlichen Verwaltung könnten gegenüber dem Bedürfnis „nach klarer Zuständigkeitsregelung im öffentlichen Recht“ keine ausschlaggebende Bedeutung entfalten. 49 Die im Schrifttum geäußerte Kritik bezieht sich nicht auf die von der Rechtsprechung praktizierten Zurechnungsgrundsätze im rechtsgeschäftlichen Bereich, sondern auf die Ungleichbehandlung in Bezug auf die deliktische Ebene. Nach einer Auffassung 50 überzeuge eine Differenzierung zwischen rechtsgeschäftlichem und deliktischem Bereich hinsichtlich der einschlägigen Zurechnungsgründe nicht. Auch sei problematisch, die aus dem Recht der Stellvertretung übernommenen Grundsätze auf den Kenntnisstand von Verwaltungsträgern zu erstrecken. 51 Behörden seien gerade nicht Vertreter, sondern Instrumente der juristischen Person des öffentlichen Rechts, die nach außen als Einheit auftrete. Auch unter dem Gesichtspunkt eines Organisationsverschuldens und bei einer haftungsrechtlichen Einstandspflicht entsprechend den Grundsätzen der Erfüllungsgehilfenhaftung nach § 278 BGB könne einem Behördenversagen innerhalb eines Verwaltungsträgers keine Entlastungswirkung zukommen. Schließlich wi47

BGH NJW 1985, 2583: Eigene Sachzuständigkeit und Verantwortlichkeit, bloße Hilfstätigkeit genüge nicht. 48 BGH NJW 1974, 319. 49 BGH NJW 1974, 319, 320. 50 Voit, WuB IV A. § 852 BGB 1.97 (S. 671, 673 f.) der stattdessen das Gleichstellungsargument unter Anknüpfung an die Stellung des Wissensträgers innerhalb der Organisation stärker zu entfalten gedenkt und auf Widersprüche hinsichtlich der Nichtheranziehung dieser Erwägung im deliktischen Bereich durch die Rechtsprechung aufmerksam macht. 51 Hierzu und zum Folgenden Eichenhofer, SGb 2001, 41, 42.

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derstreite die Rechtsprechung zum Beginn der Deliktsverjährung dem Interesse der Rechtssicherheit, indem der Verjährungsbeginn letztlich von Umständen und von möglichen Defiziten abhänge, die im Belieben des Gläubigers stünden. 52 Die Gegenauffassung rechtfertigt eine Differenzierung von rechtsgeschäftlichem und deliktischem Bereich. So könne es einen Schädiger nicht entlasten, dass eine Behörde nicht für eine frühestmögliche Anspruchsverfolgung sorge. 53 Eine abschließende Stellungnahme zu den Grundsätzen der Rechtsprechung erfolgt an anderer Stelle 54. Hier soll lediglich vorausgeschickt werden, dass der von der abweichenden Literaturansicht geäußerte Gesichtspunkt der Einheit der öffentlichen Verwaltung nicht durchgreifen wird. Er verwechselt Binnen- und Außenperspektive und verkennt die rechtlichen Vorgaben zur Zuständigkeitsordnung. 55 Zudem wird er der organisatorischen Vielfalt der Verwaltungsstrukturen und damit dem mit einer „segmentierten Verwaltung“ 56 verbundenen Effizienzgewinn nicht gerecht. Die Frage wird sich mithin darauf konzentrieren, ob jede interne Zuständigkeitsregelung bereits eine hinreichende funktionale Trennung nach sich zieht. Das wird im Ergebnis zu verneinen sein. So genügt eine Regelung per Verwaltungsvorschrift nicht dem Gebot der Rechtssicherheit. Nicht jede abstrakt-generelle Vorgabe ist hinreichend transparent und demokratisch legitimiert. Zudem dürfen die Besonderheiten der in Frage stehenden Rechtsprechung des BGH nicht außer Betracht gelassen werden. Diese stehen einer unkritischen Übernahme in den Bereich des hoheitlichen Tätigwerdens von Funktionssubjekten entgegen. 57 Schließlich ist zu bedenken, dass der unter a) wiedergegebene 52

Eichenhofer, SGb 2001, 41, 42; Grunewald, FS Beusch, S. 314, 315. Waltermann, NJW 1993, 889, 992. Differenzierend Medicus, Karlsruher Forum, S. 13: Zumindest angemessene Bearbeitungsfrist nach Akteneingang. 54 Hierzu unten S. 152 ff. 55 Der Ursprung des Arguments der „Einheit der öffentlichen Verwaltung“ dürfte dann auch eher in überkommenen Ableitungen aus dem Begriff der juristischen Person als Zurechnungseinheit unter Ausblendung der rechtstatsächlichen Dimension der (Binnen)gliederung denn in der tatsächlichen Anschauung liegen, vgl. hierzu Böckenförde, FS Wolff, S. 296 f. mit Kritik in Bezug auf die Erfassung des Staates als juristische Person. 56 Britz, Reaktionen, S. 239, 252, die zutreffend darauf hinweist, dass die Binnendifferenzierung der öffentlichen Verwaltung eine Antwort auf die Vielfalt der Lebenssachverhalte darstelle und darin zugleich ihre Berechtigung finde. Freilich steht der faktische Befund an Binnendifferenzierung einer Bündelung im Außenverhältnis nicht entgegen, vgl. Eifert, EGovernment, S. 255 f.; auch Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 221 zum „grundgesetzlichen Bild gegliederter Verwaltung (...) als Gebot rationaler Entscheidungsfindung und effizienter Entscheidungsumsetzung“. Entscheidend ist jedoch, wie sich dieser Umstand dann nach außen darstellt, vgl. zur Bedeutung einer Regelung durch Außenrechtssatz unten S. 167 ff. 57 Vgl. unten S. 153 ff. 53

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Kap. 2: Der Organisationsansatz

deliktische Bereich von weiteren Besonderheiten geprägt ist, soweit es darum geht, einen Schädiger nicht unverhältnismäßig zu entlasten und also die Folgen eines schadensträchtigen Verhaltens in diesem Sinne angemessen zu verteilen.

2. Literatur Die Tendenz der Rechtsprechung hin zu einer allgemeinen Berücksichtigung von Zurechnungsgründen im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung fand im zivilrechtlichen Schrifttum Wegbereitung und Fortentwicklung zugleich. Einen Ausgangspunkt bildeten die Überlegungen von Bohrer 58. Dieser hatte, angeregt von der Schlachthofentscheidung des BGH 59, Grundsätze einer Lehre von der Wissensverantwortung zur Lösung der Zurechnungsproblematik entwickelt. So stießen die von der Rechtsprechung entwickelten Lösungen im Schrifttum auch überwiegend auf Zustimmung. Sie wurden begrüßt als weiterer Schritt auf dem Weg zu einer zivilrechtlichen Organisationslehre, da nicht mehr Wissen sondern Umstände, aus denen Wissen normativ gefolgert werden müsste, zugerechnet würden. 60 Auch wurde ihre Wirkung als Haftungsrestriktion für eine als zu weit gehend angesehene Organtheorie betont. 61 Kritische Stimmen beanstandeten jedoch vor allem, dass materiell-rechtlich der Begriff der positiven Kenntnis durch Gleichstellung verfügbarer Kenntnis mit aktueller Kenntnis so erweitert würde, dass die Grenze zum Kennenmüssen nicht mehr zu ziehen sei: Pflichtenkonzepte seien systemwidrig mit Kenntnis gleichgesetzt. 62 Es würde nicht mehr zwischen Wissen und Wissenszurechnung differenziert. 63 Zudem drohe eine Uferlosigkeit der Zurechnung, da der Inhalt von Informationsorganisationspflichten unklar und einzelfallbezogen bleibe, wodurch die Gefahr des Eingriffs in die Organisationsautonomie durch Missachtung unternehmensinterner Zuständigkeiten bestehe. 64 Organisationspflichten könnten allenfalls als Fortbildung deliktischer Verhaltens- und Organisationsanforderun58 59 60

Bohrer, DNotZ 1991, 124. Im Einzelnen unten S. 74 ff. Oben S. 65 ff. Kohler-Gehrig, VBlBW 1998, 212, 215 in Anlehnung an Bohrer, DNotZ 1991, 124,

131. 61 Reischl, JuS 1997, 783, 785. Der Wertungsansatz erlaubt nämlich die im Sinne eines „Einmal gewusst, immer gewusst“ verstandene Organtheorie insofern anzupassen, als eine „Vergessensfähigkeit“ juristischer Personen im Ergebnis möglich wird. 62 Altmeppen, BB 1999, 749, 754; vgl. auch Buck, Wissen und juristische Person, S. 439 f.; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 659. 63 Buck, Wissen und juristische Person, S. 3 u. 25. 64 Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 659; Koller, JZ 1998, 75, 80.

III. Dogmatische Einordnung

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gen, nicht jedoch als Lösung von Wissenszurechnungsproblemen statuiert werden. 65 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Statuierung und Begründung von Anforderungen an die sogenannte Informationsorganisation mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist.

III. Dogmatische Einordnung Eine befriedigende Einordnung des Zusammenhangs von interner Organisation einer juristischen Person und Wissenszurechnung – des Organisationsansatzes – ist der Zivilrechtsdogmatik bisher nicht gelungen. 66 Und genau darin liegt ihre wesentliche Schwäche. Denn wahrscheinliche Ergebnisse lassen sich so nur schwerlich prognostizieren. Die Schwierigkeiten beginnen bereits mit der Frage der Rechtsnatur der konstituierten Organisationsanforderungen. Fraglich ist, ob es sich hierbei in Anlehnung an Verkehrssicherungspflichten um „echte“ Rechtspflichten oder vielmehr lediglich um Obliegenheiten, also Gebote des eigenen Interesses 67 handelt. Weiterhin ist unklar, ob der Organisationsansatz in den Wissensbegriff selbst integriert werden kann und diesen erweitert: 68 So etwa in Form analoger Anwendung der jeweiligen Wissensnorm. 69 Eine andere Auffassung setzt auf der Wissensebene an, indem sie versucht, den Organisationsansatz als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu erklären. 70 Zugleich kann der Organisationsansatz den Wissensbegriff jedoch auch begrenzen, etwa im Hinblick auf das Postulat einer „Vergessensfähigkeit“ juristischer Personen. 71 65

Buck, Wissen und juristische Person, S. 445. Buck, Wissen und juristische Person, S. 433 ff., 438 f. 67 Vgl. zum Begriff der Obliegenheit nur Röhl, Rechtslehre, § 27 II: „Indirekt sanktionierte Verhaltensanforderungen, indem die eigentlichen Anspruchsnormen eingeschränkt werden.“ 68 Etwa in Form analoger Anwendung der jeweiligen Wissensnorm, vgl. Lang, FS Odersky, S. 583, 586 für einen Fall des § 638 S. 1 BGB (Organisationsverschulden als arglistiges Verschweigen eines Mangels im Werkvertragsrecht). Auch Buck, Wissen und juristische Person, S. 453 („Korrektur der Wissenszurechnung“) setzt auf der Wissensebene an, indem sie versucht, den Organisationsansatz als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu erklären. 69 Vgl. Lang, FS Odersky, S. 583, 586. 70 Buck, Wissen und juristische Person, S. 448 ff.: „nicht ... ein Element, das eine Wissenszurechnung ermöglicht, sondern [...] das die Berufung auf Nichtwissen unmöglich macht und somit um eine Beeinflussung des Wissenselements.“ 71 Medicus, Karlsruher Forum, S. 15. 66

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Kap. 2: Der Organisationsansatz

Nach einer anderen Auffassung soll die Zurechnungsebene betroffen sein, also der Organisationsansatz eine weitere Möglichkeit der Wissenszurechnung eröffnen. 72 Wie diese Zurechnung zu begründen ist, also die Frage nach der Zurechnungsnorm, ist dann allerdings auch strittig. Als solche werden im Wesentlichen zwar Schadensersatzansprüche – auf der Grundlage der Verletzung rechtsgeschäftlicher bzw. rechtsgeschäftsähnlicher 73 oder deliktischer Pflichten – bzw. eine analoge Anwendung von § 166 Abs. 2 BGB in Betracht gezogen, jedoch weisen diese Vorschläge Schwachpunkte auf. 74

1. Informationsorganisationspflichten / -anforderungen im Zivilrecht Die Erfassung und Einordnung der Tendenzen in der Rechtsprechung wird erschwert durch die Terminologie der (Organisations)anforderungen in Bezug auf die Organisation von Wissen. Hier ist nicht der Ort, sich mit den Einzelheiten der in diesem speziellen Bereich zu verzeichnenden zivilrechtlichen Diskussion zu befassen. Jedoch sollen diese Argumentationsmuster insoweit skizziert werden, wie sie für den Fortgang der Untersuchung von Bedeutung sind. So werden zwar unter Organisationspflichten allgemein Pflichten verstanden, die es dem Verpflichteten auferlegen, seine Rechtssphäre intern in einer bestimmten Weise zu gestalten. 75 Auf das hier interessierende „Wissen“ bezogen, bedeutet das, Anforderungen an die Aufnahme, Speicherung und Weiterleitung von Informationen zu beschreiben oder – wo nicht vorhanden – zu statuieren. Jedoch besteht mangels gesetzlicher Regelungen die Schwierigkeit bereits darin, solche Anforderungen zu gewinnen und sodann aus ihrer Verletzung Rechtsfolgen herzuleiten. Unklar ist bereits, ob es sich dann um echte Rechtspflichten oder vielmehr um Obliegenheiten handelt. 76 Ungeachtet dieser Einordnung ist der haftungsrechtliche Hintergrund 77 dieser Anforderungen zu betonen: Organi-

72 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 130: Zurechnung von tatsächlichen Umständen in Bezug auf den Begriff der Kenntnis. Vgl. (teilweise zustimmend in Bezug auf ein Ansetzen bereits auf der Wissensebene) Buck, Wissen und juristische Person, S. 403 ff. 73 Gemeint sind Sonderbeziehungen im Vorfeld oder nach Beendigung einer rechtgeschäftlichen Verbindung, z. B. das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo. 74 Zu diesen zusammenfassend Buck, Wissen und juristische Person, S. 434 ff. 75 Matusche-Beckmann, Organisationsverschulden, S. 9: Organisationsfehler, -mangel oder Verletzung von Organisationspflichten betrifft mithin den Fall, dass der Pflichtige diesen Anforderungen nicht oder nicht in gehöriger Weise nachgekommen ist. 76 Allgemein zum Begriff der Obliegenheit als Gebot des eigenen Interesses („Mitwirkungspflicht ohne eigentlichen Schuldcharakter“) in Abgrenzung zu Rechtspflichten, die Gegenstand einer Zwangsvollstreckung sein können Creifelds, S. 836 („Obliegenheit“).

III. Dogmatische Einordnung

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sationsanforderungen sind in der Rechtsprechung aus Verkehrspflichten entwickelt worden, um als unbillig empfundene Folgen der deliktsrechtlichen Entlastungsmöglichkeit – v. a. über § 831 BGB – in Bezug auf ein Verschulden von Hilfspersonen zu vermeiden, und haben dann eine gewisse Verselbständigung erfahren. 78 Die Entwicklung von Verkehrspflichten wird wiederum darauf zurückgeführt, einem Unterlassen im System des deliktischen Rechtsgüterschutzes rechtliche Relevanz zu verleihen. 79 Ist zwar eine gewisse Verselbstständigung des Rechtsinstituts der Organisationspflichten zu verzeichnen, so kann das nicht dazu führen, den haftungsrechtlichen Hintergrund vollständig auszublenden: Für den Gang der Untersuchung ist deshalb voranzustellen, dass „Wissen“, „Zurechnung“ und „Haftung“ verschiedene Kategorien bilden. 80 „Haftung“ bedeutet in diesem Zusammenhang das Einstehenmüssen für einen Umstand in Bezug auf eine Verletzung von rechtlich geschützten Interessen eines Dritten, wobei sich – v. a. im Deliktsrecht – diese Interessen zu Rechtsgütern verdichtet haben können: Die Rechtsfolge einer „Haftung“ ist demnach die Begründung einer Pflicht, eines Anspruchs. 81 „Zurechnung“ meint demgegenüber einen rechtstechnischen Vorgang, bei dem Umstände, die bei einem Rechtssubjekt 82 vorliegen, auf ein anderes projiziert werden, so dass sie wertungsmäßig bei diesem vorliegen. 83

77 D. h. Schutz von Rechtsgütern (absoluten Rechten im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB wie Eigentum, etc., sowie das Vermögen als solches in einzelnen Aspekten), Canaris, FS Larenz, S. 27, 30 f. 78 Matusche-Beckmann, Organisationsverschulden, S. 9. 79 Canaris, FS Larenz, S. 27, 77; Larenz / Canaris, SR II, § 76 III 2 (S. 403 ff.). 80 So auch Buck, Wissen und juristische Person, S. 439 f., 442, die nachweist, dass eine haftungsrechtliche Erfassung weder Zurechnungs- noch wissensbegriffliche Relevanz entfalten kann und sich somit als einer dogmatischen Einordnung entzieht. Ebenso Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 636. Das findet nicht immer Beachtung. So billigt etwa Matusche-Beckmann, Organisationsverschulden, S. 326 eine Tendenz in der Rechtsprechung, über die Verletzung von Organisationsanforderungen bezüglich des Umgangs mit Informationen zu einer „Kenntniszurechnung“ (hier: Nichtweiterleitung) zu gelangen mit der Begründung, es sei nicht einzusehen, dass für diese Zurechnung anderes gelten solle als für die Zurechnung fremden Verhaltens. Hierbei wird jedoch verkannt, dass Wissen einem Verhalten wertungsmäßig nicht gleichzusetzen ist. 81 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 3. 82 Hier nicht im Sinne von Rechtsfähigkeit gemeint. Zurechnung setzt eine solche nicht voraus. Vgl. zur transitorischen Zurechnung Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 83 Rn. 27. 83 In Bezug auf die Rechtskategorie der Haftung stellt die Zurechnung damit eine nachgelagerte Frage im Sinne einer Passivlegitimation dar. Während sich also aus dem Haftungstatbestand ergibt, ob ein Anspruch besteht, ergibt sich aus dem Zurechnungstatbestand, wer ihn zu erfüllen hat, d. h., verantwortlich ist. Hierzu Canaris, Vertrauenshaftung, S. 468 ff.

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Kap. 2: Der Organisationsansatz

„Wissen“ schließlich bedeutet schlicht einen Umstand, der der Zurechnung fähig, aber dann nicht bedürftig ist, wenn es auf das Rechtssubjekt allein ankommt, bei dem er vorliegt. 84 Mit der Statuierung von Organisationsanforderungen sind demgegenüber unmittelbar weder Auswirkungen auf den Begriff des Wissens, die Zurechnung von Kenntnissen noch die Haftung unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung dieser Anforderungen verbunden. Organisationsanforderungen betreffen nur die innere Ordnung einer Rechtssphäre. In Bezug auf Dritte, d. h. Außenstehende, erlangen sie unter dem Gesichtspunkt der Haftung nur dann Bedeutung, wenn – deliktisch – eine Rechtsgutsverletzung oder – im Bereich einer Sonderverbindung wie Vertrag, etc. – eine Verletzung sonstiger rechtlich geschützter Interessen – hinzutritt, die zugleich in innerer Verbindung mit der Verletzung der Organisationsanforderung, d. h. in haftungsbegründender Kausalität steht. 85 Ein Abstellen auf die Verletzung postulierter Organisationspflichten stellt in diesen Fällen also eine Scheinzurechnung dar. Denn aus der Verletzung der Organisationsanforderungen an sich folgt keine Haftung. Eine Rechtsgutsverletzung muss hinzutreten, wobei das Vermögen als solches grundsätzlich nicht in Betracht kommen kann. 86 Im Ergebnis verwischt hier bei der Rechtsanwendung jede Abgrenzung zwischen positiver Kenntnis und (grob)fahrlässiger Unkenntnis („Kennenmüssen“), wobei der Ausgangspunkt – die postulierten aber normativ unklaren Organisationsanforderungen – zu einer Beeinträchtigung der rechtlichen Gestaltungsmacht von Organisationen hinsichtlich ihrer internen Ordnung führen können. 87

2. Wissenszurechnung mittels „Wissensverantwortung“ (Bohrer) a) Gedankengang Einen wesentlichen Ausgangspunkt für den noch nicht abgeschlossenen Bewältigungsprozess hinsichtlich des Organisationsansatzes bei der Wissenszurechnung bildeten die Überlegungen von Bohrer 88.

84 Buck, Wissen und juristische Person, S. 24 ff.: „Interdependenz zwischen Wissensund Zurechnungsebene“. 85 So auch Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 642 ff. 86 Ausnahme: Schutzgesetzcharakter der Organisationsanforderungen im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Vgl. hierzu Canaris, FS Larenz, S. 27, 45 ff. Das ist jedoch regelmäßig nicht der Fall mangels Schutzgesetzes im Normsinne. 87 So schon Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 636. 88 Bohrer, DNotZ 1991, 124.

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Bohrer hatte, angeregt von der Schlachthofentscheidung des BGH 89, Grundsätze einer Lehre von der Wissensverantwortung zur Lösung der Zurechnungsproblematik in diesem Bereich entwickelt. Zunächst kritisierte er die Lösung der bis dahin herrschenden Meinung über die Organtheorie als Zurechnungsgrund als zu schematische und zudem dogmatisch unklare Lösung. 90 An die Stelle der konstruktiven Zurechnung tatsächlichen Wissens einzelner gegenwärtiger oder ehemaliger Organmitglieder in Bezug auf die Kenntnis der juristischen Person im Rechtssinne will Bohrer den Begriff einer Kenntnis setzen, deren Umfang sich nach den Grundsätzen einer „Wissensverantwortung“ bestimmen soll. Hiermit will Bohrer das Wissen einer juristischen Person im Rechtssinne in zeitlicher, inhaltlicher und personeller Hinsicht ohne Rückgriff auf Zurechnungskonstruktionen bestimmen. Aus dem Verkehrsschutzargument folgert Bohrer, dass auch der Umgang mit Informationen normativen Anforderungen unterliegen müsse. Diese normativen Anforderungen seien noch im Einzelnen zu entwickeln. Hier will Bohrer einen dritten Weg zwischen der (deliktischen) Haftung wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten sowie der (rechtsgeschäftlichen) Vertrauenshaftung einschlagen. Demnach solle es sich bei der Wissensverantwortung um ein selbstständiges Strukturprinzip handeln. Zugerechnet würde nicht Wissen, sondern die Umstände, aus denen Kenntnis gefolgert werden müsse. Als vollintegrierbar in dieses Konzept erscheint Bohrer die Rechtsfigur des „Wissensvertreters“. Die Kenntnis der juristischen Person soll sich demnach ergeben aus der „Verfügbarkeit der Information, deren Erfassung und Nutzung normativen (Verkehrsschutz-) Anforderungen unterliegt“. 91 Wissensverantwortung schließt nach Bohrer ein, Entgegennahme und Verfügbarkeit relevanter Informationen zu organisieren, wobei Orientierungspunkt hierfür das „erhöhte Informationsbedürfnis des Rechtsverkehrs in einer Umwelt, deren wachsende Komplexität die unmittelbare (sinnenhafte) Wahrnehmung zunehmend entwertet“ sein soll. Allerdings bestehe unter dem Gesichtspunkt der Wissensverantwortung keine Verpflichtung zur Verschaffung externer Informationen: Dies könne nur ein Haftungsinstitut wie die culpa in contrahendo leisten. 92 Anknüpfungspunkt soll danach insgesamt das Nicht-Verfügbar-Halten und Nicht-Nutzen relevanter Information als Verstoß gegen eine so verstandene Wis-

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Oben S. 65. Vgl. oben S. 67 (Urteilskritik). 91 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 130. 92 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 130 (Fn. 28). Zu den Abweichungen im öffentlichen Recht unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Amtsermittlung siehe unten S. 102 ff. 90

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sensverantwortung sein. Rechtsfolge soll die Gleichsetzung normativ verfügbarer Kenntnis mit aktueller Kenntnis der juristischen Person im Rechtssinne bilden. 93 b) Kritische Würdigung Bohrer arbeitet überzeugend die Grenzen einer schematischen Wissenszurechnung heraus, die ihren Anknüpfungspunkt allein in der Stellung des Wissensträgers findet. Er erkennt zudem, dass eine Lösung über eine Neubestimmung des Wissensbegriffs erfolgen kann, bleibt jedoch am Anfang des so eröffneten Weges stehen. Bohrers Überlegungen zur Bestimmung eines neuen Kenntnisbegriffs können nicht geteilt werden: Durch Schaffung eines neuen Rechtsinstituts in Gestalt der „Wissensverantwortung“ vermeidet Bohrer zwar auf den ersten Blick die Widersprüche, denen andere Autoren bei ihren Versuchen auf dem Weg zur dogmatischen Bewältigung des in Frage stehenden Problems, unterliegen. Jedoch gelingt es Bohrer nicht einmal im Ansatz, das von ihm betonte neue Strukturprinzip hinreichend scharf zu fassen. Insbesondere verwischt die Gleichsetzung von verfügbarem mit aktuellem Wissen jegliche Unterscheidung von positiver Kenntnis und (grob)fahrlässiger Unkenntnis. Bohrer selbst sieht dieses Problem und betont zwar die aus seiner Sicht strengeren Voraussetzungen einer Kenntnis qua Wissensverantwortung. 94 Diese Voraussetzungen sind dann aber wegen ihres allgemeinen Inhalts nicht praktikabel. Bloßes verfügbares Wissen kann – selbst im Rechtssinne – kein Wissen darstellen. Auch eine Fiktion bedarf einer rechtlichen Grundlage. 95 Bohrer skizziert nur allgemeine Anforderungen an die Informationsorganisation. Er bewegt sich damit im haftungsrechtlichen Bereich, verschleiert dies jedoch. Haftungsrechtlich kann – wie sogleich zu zeigen sein wird – diese Problematik indes nicht bewältigt werden. Bohrer gelingt es damit nicht, die Lücke, die sich auf dem Weg von der Verletzung von Organisationsanforderungen hin zu einem Wissen der juristischen Person auftut, deren Organisationsbereich in Frage steht, zu schließen.

93 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 130: „Muss sich materiell-rechtlich behandeln lassen, als hätte er Kenntnis“. 94 Vgl. Bohrer, DNotZ 1991, 124, 130: Orientierungspunkt sei der erweiterte Informationsstand und das erhöhte Informationsbedürfnis des Rechtsverkehrs. 95 Ansonsten läuft eine Fiktion auf eine Scheinbegründung heraus, vgl. nur Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 85.

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3. Wissenszurechnung mittels Naturalrestitution (Römmer-Collmann) a) Gedankengang Römmer-Collmann sucht unter Bezugnahme auf die Gleichstellungsthese sowie den Vertrauensgrundsatz die Begründung für die Existenz von Anforderungen an die Informationsorganisation juristischer Personen in einer Parallele zu Verkehrssicherungspflichten als deliktsrechtlich relevanten Organisationsanforderungen. So wie bei der Haftung für das Setzen eines besonderen Risikos, müsse der juristischen Person im Ergebnis ein dem handelnden Organmitglied aus organisationsbedingten Gründen tatsächlich nicht zur Verfügung stehendes Wissen zugerechnet werden, da sich das in der Arbeitsteilung begründete Risiko insoweit realisiere. 96 Derartige Organisationspflichten entsprächen den berechtigten Erwartungen des Rechtsverkehrs, dem kein Nachteil daraus erwachsen dürfe, dass ihm an Stelle einer natürlichen Person eine juristische gegenüberstehe. 97 Als konkrete Anforderungen an die Informationsorganisation formuliert Römmer-Collmann zunächst die Gewährleistung eines Austauschs aller für die Organmitglieder entscheidungsrelevanten Informationen zwischen den Mitgliedern eines Organs sowie zwischen den Organen selbst. Darüber hinaus müsse eine zum Informationsaustausch hinreichende Organisationsdichte gewährleistet sein, indem alle für einen ordnungsgemäßen – nicht unbedingt idealen – Informationsaustausch innerhalb der Körperschaft notwendigen Maßnahmen zu ergreifen seien, um so der Gefahr des Informationsdefizits bzw. -verlusts hinreichend vorzubeugen. 98 Vor diesem Hintergrund sieht Römmer-Collmann die Bedeutung „künstlicher Wissensspeicher“ in der Verfügbarmachung und -haltung von Informationen, wobei die entsprechenden Anforderungen nach Wertungsgesichtspunkten – wie etwa der Wahrscheinlichkeit späterer Relevanz der Information – zu gestalten seien. 99 Relevanz erlange das gespeicherte Wissen im Falle unterbliebener Kenntnisnahme durch Organmitglieder allerdings nur mit der Maßgabe, dass diesen Organmitgliedern der Vorwurf fahrlässiger Unkenntnis zu machen und diese der Körperschaft zuzurechnen sei. 100 Hier folgt Römmer-Collmann also einem rein subjektiven Wissensbegriff. Als Rechtsfolge der Verletzung von Anforderungen an die Informationsorganisation sieht Römmer-Collmann die Zurechnung des bei ordnungsgemäßer Organisation (hypothetisch) vorhandenen Wissens nach dem Rechtsgedanken der 96

Vgl. Römmer-Collmann, Wissenszurechnung, S. 168 f. Vgl. Römmer-Collmann, Wissenszurechnung, S. 170. 98 Vgl. Römmer-Collmann, Wissenszurechnung, S. 172 ff. 99 Vgl. Römmer-Collmann, Wissenszurechnung, S. 176 f. 100 Vgl. Römmer-Collmann, Wissenszurechnung, S. 177.

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schadensersatzrechtlichen Naturalrestitution. Es müsse für den Rechtsverkehr der Zustand hergestellt werden, der in Bezug auf das Wissen der Organmitglieder bestünde, hätte die Körperschaft ihre Pflicht zur Organisation des Informationsaustausches nicht verletzt. 101 b) Kritische Würdigung Anders als Bohrer zeigt Römmer-Collmann, dass eine Anknüpfung an die Verletzung von Organisationspflichten zunächst in den haftungsrechtlichen Bereich führt. Allerdings lässt sich hier – entgegen Römmer-Collmann – die Wissensproblematik gerade nicht bewältigen. Zunächst ist – unabhängig von der Frage nach der Übertragbarkeit des Ansatzes von Römmer-Collmann in das öffentliche Recht – zu kritisieren, dass Römmer-Collmann die Haftung für ein Organisationsverschulden (Haftung für das Setzen eines Risikos) zum Zurechnungsprinzip in Bezug auf Wissen erhebt. Wissen selbst ist jedoch unmittelbar kein Haftungstatbestand. Bei der Statuierung deliktsrechtlicher Verkehrssicherungspflichten steht stets der Schutz konkreter Rechtsgüter – Leben, Gesundheit, Eigentum – vor Gefahren in Rede, die der Pflichtige veranlasst oder besser als ein Dritter beherrschen kann. Es handelt sich mithin lediglich um eine Ausprägung des Prinzips des neminem laedere. 102 Bei der Frage nach dem Vorhandensein von tatbestandsrelevantem Wissen erlangt der Rechtsgüterschutz jedoch allenfalls mittelbare Bedeutung in Bezug auf einzelne Bestandteile des Vermögens des der Informationsorganisation einer juristischen Person ausgesetzten Rechtsverkehrs. Wissen bzw. fahrlässiges Nichtwissen selbst kann per se kein (rechtsgüterschädigendes) Verhalten darstellen, sondern vermag ein solches lediglich zu begleiten.

4. Wissenszurechnung mittels Herstellungsanspruchs (Baum) a) Gedankengang Auch Baum befürwortet im Ergebnis ähnlich wie Römmer-Collmann eine an Verkehrspflichten angelehnte Erfassung der Nichterfüllung von Anforderungen an die Informationsorganisation. Er führt dies im Hinblick auf juristische Personen auf den „Gedanken der Verantwortung für die Schaffung eines Risikos“ 103 zurück, nämlich des Risikos eines Informationsverlustes durch „Wissensaufspaltung“ 104 innerhalb einer durch Arbeitsteilung geprägten Organisation. Aus der 101 102 103 104

Vgl. Römmer-Collmann, Wissenszurechnung, S. 181. Hierzu bereits oben S. 72. Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 249 f. Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 250.

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Auferlegung von Verkehrspflichten lasse sich nämlich per Induktion das allgemeine Prinzip ableiten, dass, wer Risiken schaffe, Dritte auch mit zumutbarem Aufwand vor deren Realisierung schützen müsse. 105 So gelangt Baum zur Ableitung einer „Pflicht, Wissen verfügbar zu machen“ 106 und einer darauf gegründeten „Pflicht, Wissen verfügbar zu halten“ 107. Zur Konkretisierung des Inhalts dieser „Pflichten“ präferiert Baum jeweils ein bewegliches System, innerhalb dessen es in Anlehnung an die Bestimmung der Gefahrverhinderungspflicht im Bereich der Verkehrssicherungspflichten jeweils zur Berücksichtigung des Grades der Gefahr des Schadenseintritts und Zumutbarkeit bzw. Aufwand ihrer Beseitigung kommt. Hierbei seien in concreto im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise ex ante vor allem die Beherrschbarkeit des Risikos, die Kosten der Beherrschung, die Größe und Art des möglichen Nachteils für den Dritten sowie die Größe des Risikos einer etwaigen Wissensaufspaltung zu berücksichtigen, wobei es bei letzterem im Rahmen der Konkretisierung der „Pflicht, Wissen verfügbar zu machen“ auch darum gehe, den Vorteil einer möglichen Wissensvermehrung infolge der Organisation quasi gegenzurechnen. 108 Hinsichtlich der Bedeutung von Wissen in Wissensspeichern differenziert Baum. So komme „Aktenwissen“ bei der arbeitsteiligen Struktur im Allgemeinen keine über die Grundsätze der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung hinausreichende Bedeutung zu, wobei jedoch im Falle des arbeitsteiligen Einsatzes von Wissensspeichern, also beim Einsatz zum dienstlichen Erwerb von Wissen und nicht nur zur Speicherung, dieser Wissensspeicher als eine „Hilfsperson“ des Geschäftsherren angesehen werden und den entsprechenden Zurechnungsregeln unterworfen werden könne. 109 Im Übrigen erfolge eine Zurechnung „dienstlichen Wissens“, das in Wissensspeichern enthalten ist, wenn den Geschäftsherren die

105

Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 252. Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 267 ff. 107 Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 279 ff. 108 Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 267 ff. sowie S. 284 f., insbesondere S. 273 f.: Wenn eine Einzelperson nicht in der betreffenden Rechtsbeziehung stehen könnte, sei zwar kein Fall der „reinen Wissensaufspaltung“ gegeben. Man könne dann jedoch anhand des Kriteriums, ob die arbeitsteilige Struktur „notwendig über bestimmtes Wissen verfügt“, beurteilen, ob eher ein Fall der „Wissensaufspaltung“ oder der „Wissensvermehrung“ vorliege. Problematisch seien die Fälle von „Wissenssynergien“ zwischen verschiedenen Aufgaben. Hier entscheide der Grad an Wahrscheinlichkeit im Zeitpunkt der Kenntniserlangung, dass die betreffende Information an einer anderen Stelle der arbeitsteiligen Struktur relevant werde. An einer gewissen Wahrscheinlichkeit sei damit von einem Fall „eher der Wissensaufspaltung“ auszugehen. 109 Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 467 ff., insbesondere S. 469: „Der Computer tritt also an die Stelle des Geschäftsherrn oder einer Hilfsperson und erwirb so dienstlich Wissen.“ 106

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Pflicht treffe, die Verfügbarkeit dieses Wissens zu organisieren, und diese Pflicht schuldhaft verletzt worden sei. 110 Demgegenüber sieht Baum die Reichweite des Vertrauensgedankens sowie des Gleichstellungsarguments zur Begründung eines Konzepts von Anforderungen an die Informationsorganisation als begrenzt an. Zum einen könne hier nicht von einem ausgeprägten, konkreten Vertrauenstatbestand des Rechtsverkehrs hinsichtlich einer funktionierenden Informationsorganisation einer arbeitsteiligen Struktur gesprochen werden und der Vertrauensgedanke erfasse allenfalls den rechtsgeschäftlichen Bereich. 111 Zum anderen trage das Gleichstellungsargument dem Umstand nicht hinreichend Rechnung, dass als Folge der Arbeitsteilung nicht nur eine Wissensaufspaltung sondern je nach den Umständen der in Rede stehenden Organisation auch eine Wissensvermehrung festzustellen sei. 112 Als Rechtsfolge einer Nichterfüllung der „Pflicht, Wissen verfügbar zu machen“ und der darauf gegründeten „Pflicht, Wissen verfügbar zu halten“ befürwortet Baum über das Prinzip der schadensersatzrechtlichen Naturalrestitution hinausgehend eine Art Herstellungsanspruch, also die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes durch Zurechnung des in Rede stehenden Wissens. 113 Dieses Vorgehen beruhe auf einem Unterschied zu den Rechtsfolgen bei der Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten, denn bei diesen sei eine Rechtsgutsverletzung bereits irreparabel eingetreten, während im Falle der Verletzung der „Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten“, die Rechtsstellung des Dritten noch nicht irreparabel verschlechtert sei, so dass ex post im Prozess mit Wirkung ex ante entschieden werden könne, ob der, der Wissen verfügbar machen und halten musste, das relevante Wissen besaß. 114 b) Kritische Würdigung Der Ansatz Baums zur Wissenszurechnung aufgrund von Risikoschaffung erhellt Kriterien, nach denen Anforderungen an die Informationsorganisation arbeitsteiliger Strukturen im Rahmen einer wertenden Betrachtung formuliert werden können. Hierauf wird an anderer Stelle vor dem Hintergrund der Übertragbarkeit derartiger Erwägungen in die öffentlich-rechtliche Betrachtung noch 110

Baum, Wissenszurechnung, S. 469: Bestehen und Inhalt dieser Pflicht bestimme sich über die Kriterien des beweglichen Systems. Damit betont Baum den Risikogedanken, vgl. a. a. O. S. 225 ff. 111 Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 210 ff. 112 Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 204 ff., insbesondere S. 208. 113 Vgl. Baum, Wissenszurechnung, S. 291 f. Ob das Gewollte das Ergebnis einer „Zurechnung“ ist, erscheint zweifelhaft. Diese Zuschreibung dürfte eine bloße Fiktion darstellen. 114 Baum, Wissenszurechnung, S. 292.

III. Dogmatische Einordnung

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zurückzukommen sein. Im Übrigen teilt der Ansatz von Baum jedoch die Kritik, die bereits an den Ausführungen Römmer-Collmanns geäußert wurde. Denn auch Baum überträgt Haftungsgrund und Rechtsfolgen aus dem Bereich der Haftung wegen Verkehrspflichtverletzung auf Fragen der Informationsorganisation und -zurechnung. Zwar versucht Baum hinsichtlich der Rechtsfolgen der Nichterfüllung von Anforderungen an die Informationsorganisation über den von ihm insoweit als unzulänglich angesehenen Grundsatz des Schadensersatzes hinauszugehen, indem er einem Herstellungsanspruch – und nicht einem Wiederherstellungsanspruch (Restitution) – das Wort redet. Jedoch zeigt er damit auch, dass bei der Nichterfüllung von Anforderungen an die Informationsorganisation gerade keine Rechtsgutsverletzung in Rede steht, ein Umstand also, der zugleich geeignet ist, die dogmatische Richtigkeit des Ansatzes von Baum, also der Herleitung über den Risikogedanken aus dem Bereich der Verkehrspflichtverletzungen in Frage zu stellen.

5. Wissensvermittlung über Grundsatz von Treu und Glauben (Buck) a) Gedankengang Ausgehend von durchgreifender Kritik an bisherigen Erklärungs- und Einordnungsversuchen 115 schlägt Buck vor, die Nichterfüllung von Anforderungen an die Informationsorganisation arbeitsteiliger Strukturen immer dort, wo – wie es zumeist der Fall sei – Organisationspflichten aus Gesetz oder Vertrag fehlen, unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB durch eine „Korrektur der Wissenszurechnung“ 116 einer Lösung zuzuführen. Sie unterwirft damit auch das „Verhalten“ 117 von Organisationen dem Grundsatz von Treu und Glauben. Hier setzt Buck bereits auf der Wissensebene an, indem sie als Rechtsfolge einer „kenntnisverhindernden Organisation“ postuliert, dass es der arbeitsteiligen Struktur verwehrt sei, sich auf ihre – mangels Wissenszurechnung – tatsächlich vorhandene Unkenntnis zu berufen. 118 Eine durch ein widersprüchliches oder unredliches Verhalten erlangte Rechtsstellung genieße nämlich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben keinen Schutz. 119 Ob ein 115

Vgl. hierzu bereits oben S. 67 f. Buck, Wissen und juristische Person, S. 453. 117 Buck, Wissen und juristische Person, S. 455: „Damit wird in Parallele zum Wissen einer Einzelperson auf der Wissensebene [...] auch in Bezug auf Organisationen auf missbräuchliches Verhalten abgestellt.“ 118 Vgl. Buck, Wissen und juristische Person, S. 452 f.: „Nähe zur Wissensfeststellungsebene“ (S. 453). Auf eine Zurechnung kommt es also insoweit nicht mehr an. 119 Buck, Wissen und juristische Person, S. 452 f. Vgl. auch S. 454 f.: Es gehe hier um den Schutz des Vertrauenden und nicht um eine Sanktion gegen den Handelnden 116

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Kap. 2: Der Organisationsansatz

widersprüchliches oder unredliches Verhalten vorliege, bestimme sich dabei nach den Kriterien eines beweglichen Systems unter maßgeblicher Berücksichtigung des Normzwecks der jeweiligen Wissensnorm, der der Anwendung der an sich einschlägigen Norm bei seiner Missachtung entgegenstehe. 120 Überwiegende Bedeutung komme in diesem Zusammenhang dem Umstand eines „Sich-Verschließens vor Kenntnis“ durch entsprechende organisations-betriebswirtschaftliche Aufteilung einer Organisationseinheit, also einer kenntnisverhindernden Organisation zu. 121 Im Übrigen schließt sich Buck jedoch den Grundsätzen einer personalen Wissenszurechnung, d. h. einer Orientierung am Status des jeweiligen personalen Wissensträgers an. 122 Die Vorteile ihres Lösungsmodells sieht Buck v. a. in der dogmatischen Stringenz, denn weder werde der Wissensbegriff verwässert, noch werde eine weitere Zurechnungsfigur geschaffen, sondern es gehe allein um die Frage, ob einer juristischen Person eine Berufung auf ein tatsächlich bestehendes Nichtwissen mangels Wissenszurechnung möglich sei. 123 Außerdem sei es bei Heranziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben – im Gegensatz zu einer Theorie von der ordnungsgemäßen Organisation – gerade nicht erforderlich, konkrete Anforderungen hinsichtlich des Organisationsgrades einer arbeitsteiligen Struktur zu formulieren und somit in das Organisationsgefüge einzugreifen bzw. eine Rechtsunsicherheit hervorzurufen, da nur solche Fälle ausscheiden sollen, in denen es unter Missbrauchsgesichtspunkten nicht mehr gerechtfertigt sein kann, dass sich eine Organisationseinheit auf die tatsächlich gegebene Unkenntnis berufen könne. 124 b) Kritische Würdigung Der Vorzug an dem Ansatz von Buck liegt zunächst in der Anwendung des rechtsgebietsübergreifenden Grundsatzes von Treu und Glauben. Dieser durchwirkt auch das öffentliche Recht. 125 wegen der Verletzung von Organisationspflichten. Damit werde eine „personenbezogene Zurechnung“ beibehalten und der Kenntnisbegriff bleibe unangetastet. 120 Buck, Wissen und juristische Person, S. 452, 456 ff. 121 Buck, Wissen und juristische Person, S. 458. 122 Buck, Wissen und juristische Person, insbesondere in Bezug auf die Bewältigung von Teilwissen in analoger Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB S. 392. Kritisch insoweit Ott, NJW 2002, 3607, 3608: Rechtsfigur der Wissensvertretung werde den technischen Gegebenheiten, die von einer zunehmenden Anonymität und Austauschbarkeit der Wissensträger gekennzeichnet sind, nicht mehr gerecht. 123 Buck, Wissen und juristische Person, S. 454. 124 Buck, Wissen und juristische Person, S. 458. 125 Vgl. de Wall, Anwendbarkeit, S. 238. Hierzu detailliert unten S. 123 ff.

III. Dogmatische Einordnung

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Gegen die alleinige Lösung der Problematik der Nichterfüllung von Anforderungen an die Informationsorganisation über diesen Ansatz spricht jedoch, dass nur in Extremfällen das einer juristischen Person über die für sie Handelnden zuzurechnende Verhalten als widersprüchlich bzw. unredlich zu bewerten sein wird. Außerdem bleiben die Kriterien des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens hinsichtlich einer „kenntnisverhindernden Organisation“ bei Buck unklar. Insbesondere gelingt es ihr nicht, ohne jegliche Anforderung an die betreffende Organisation auszukommen, denn die Frage des Rechtsmissbrauchs dürfte sich bei arbeitsteiligen Strukturen gerade nicht ohne diesen Hintergrund beantworten lassen. Wegen der Orientierung an dem Extremfall einer „kenntnisverhindernden Organisation“ vermag Buck nicht die Fälle einer – um an die Terminologie von Buck anzuknüpfen – kenntniserschwerenden Organisation zu erfassen, obschon gerade diese den Bereich der Organisationsproblematik dominieren dürften. Alles jenseits einer „vorsätzlichen Kenntnisverhinderung innerhalb arbeitsteiliger Organisationen“ 126 liegende, bleibt somit diffus und kann daher entgegen Buck nicht als Vorteil im Sinne der Rechtssicherheit 127 gewertet werden. Außerdem verlässt Buck entgegen ihrer Auffassung 128 die Grenze einer personenbezogenen Zurechnung, wenn sie auf ein rechtsmissbräuchliches „Verhalten“ von Organisationen abstellt, denn hierbei stellt sie v. a. auf die Hinnehmbarkeit des Erfolgs der fehlenden Zurechnung für den Rechtsverkehr vor dem Hintergrund der Organisiertheit der arbeitsteiligen Struktur ab. Mithin abstrahiert sie gerade von den einzelnen Funktionsträgern und verdeckt so, dass es dabei an sich um das Verhalten der für die juristische Person handelnden natürlichen Personen – sei es in der Gründungsphase, sei es danach – geht.

6. Fazit: Zunehmende Unschärfe des Wissensbegriffs Die neueren Entwicklungen der Wissenszurechnung in der privatrechtlichen Diskussion – namentlich in Gestalt des sogenannten Organisationsansatzes – führen jedoch auch dazu, dass die hauptsächlich im Zivilrecht bedeutsame Unterscheidung zwischen Wissen und Wissenmüssen verschwimmt, indem Fahrlässigkeitselemente in den Wissensbegriff Einzug halten. Dies kann mit Buck 129 als nicht unbedenkliche Rechtsfortbildung contra legem kritisiert werden und 126

Buck, Wissen und juristische Person, S. 457. So aber Buck, Wissen und juristische Person, S. 458: Da es insoweit nicht mehr um eine „ordnungsgemäße Organisation“ gehe, werde der damit verbundenen Rechtsunsicherheit für die Organisationseinheiten hinsichtlich derartiger Pflichten entgegengewirkt. 128 Vgl. Buck, Wissen und juristische Person, S. 454: Es bleibe eine personenbezogene Zurechnung beibehalten, da eine Wissenszurechnung nur im Hinblick auf ein bei einer Person konkret vorhandenes Wissen erfolge. 129 Buck, Wissen und juristische Person, S. 53 ff. 127

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Kap. 2: Der Organisationsansatz

erschwert die Bildung eines Systems der Wissenszurechnung, da – wie bereits beschrieben – sich ein allgemeingültiger Wissensbegriff wegen der tatbestandlichen Unterschiede der einzelnen Wissensnormen nicht ohne weiteres bilden lässt. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts scheint auf den ersten Blick die Unterscheidung von Wissen und Wissenmüssen weniger bedeutsam, da hier die vorhandenen Wissensnormen auf positive Kenntnis abstellen. Gleichwohl stellt sich das Problem auch hier, da bei Inkorporierung von Fahrlässigkeitselementen der Wissensbegriff eine Erweiterung hin zu einem – vom Gesetzgeber nach dem Wortlaut hier gerade nicht genügendem – Wissenmüssen mit sich bringen könnte. Bei jeder Objektivierung des Wissensbegriffs fällt es aber regelmäßig schwer zu unterscheiden, ob noch eine Modifizierung des Wissensbegriffs als Zurechnungsgegenstand vorliegt, oder ob bereits die Zurechnungsebene selbst betroffen ist. Wissen und Zurechnung stehen – wie gezeigt – zueinander nämlich in einem Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit.

Kapitel 3

Informationsorganisationsanforderungen im öffentlichen Recht Bisher stand das Bemühen der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur im Mittelpunkt, den Organisationsansatz über die Statuierung von Pflichten hinsichtlich der Informationsorganisation handhabbar zu machen. Dabei ist gezeigt worden, dass solche Pflichten – da explizit nicht normiert – nur langsam konturiert werden. Nun soll die Situation im öffentlichen Recht untersucht werden.

I. Besonderheiten öffentlich-rechtlicher Informationsorganisation Die Problematik des Wissens von Funktionssubjekten kann ohne eine Betrachtung organisatorischer Zusammenhänge nicht sinnvoll erörtert werden. Hier soll eine Übersicht den Blick für die Unterschiede zwischen zivilrechtlichem und öffentlich-rechtlichem (hoheitlichen) Bereich schärfen. Juristische Personen des Privatrechts und solche des öffentlichen Rechts (Funktionssubjekte) können sich u. a. in Aufbau- und Ablauforganisation unterscheiden. Um hier anzuknüpfen, sind zunächst Grundzüge der Informationsorganisation im Zusammenhang mit dem die öffentliche Verwaltung tragenden Prinzip der Aktenführung zu vergegenwärtigen. Gemeint ist damit das Festhalten aller Verwaltungsvorgänge in Akten. 1

1. (Informations)organisationsmodelle der öffentlichen Verwaltung Als Grundmuster der Verwaltungsorganisation können für den Zweck dieser Untersuchung unter Ausblendung weiterer Unterdifferenzierungen zwei Modelle festgehalten werden. Es handelt sich hier auf der einen Seite um das Bürokratiemodell als klassische Struktur und auf der anderen Seite um die Verwaltungs1

Vgl. Püttner, Verwaltungslehre, § 17 III 1.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

strukturen, die seit einigen Jahren im Zuge der Bemühungen um eine Verwaltungsmodernisierung im Sinne einer Anpassung an tatsächliche oder auch nur postulierte neue Herausforderungen in den Blick genommen werden. a) Bürokratie als klassische Struktur Der Begriff der Bürokratie 2, der in seinem Wortsinne ohne jegliche negative Konnotation lediglich Herrschaft durch Büros, d. h. quasi vom Schreibtisch aus bedeutet, wurde in rechtssoziologischer Hinsicht bereits von Max Weber eingehend umschrieben. Nach Weber ist eine bürokratisch organisierte Verwaltung Kennzeichen der rationalen, d. h. an festen formalen Regeln orientierten Herrschaft. 3 Hiernach erfährt das Idealbild „rationaler bürokratischer Herrschaft“ seine Prägung durch folgende Elemente: Amtswalter, die als Einzelbeamte in fester Amtshierarchie, mit festen Amtskompetenzen einer strengen einheitlichen Amtsdisziplin und Kontrolle unterliegen und innerhalb schematischer Laufbahnen abhängig vom Urteil der Vorgesetzten „aufrücken“. 4 Es erfolge eine Herrschaft durch (Fach)wissen sowie im Dienstverkehr erlangte Kenntnis dergestalt, dass in Aktenkundigkeit festgehaltene Tatsachenkenntnisse sowie eine Entpersönlichung der Amtsführung gerade eine Überlegenheit in Bezug auf andere gesellschaftliche Bereiche bedinge. 5 Hinzu komme die Tendenz, diese Überlegenheit durch das Mittel der Geheimhaltung zu sichern, also jegliche Öffentlichkeit auszuschließen. 6 Die Vorteile der bürokratischen Struktur sah Weber des Weiteren in der Berechenbarkeit, Diszipliniertheit und Stetigkeit der Abläufe, was andererseits jedoch die universelle Einsetzbarkeit des Verwaltungsstabes für die jeweilige Herrschaft mit sich bringe. 7 Das von Weber entworfene Bürokratiemodell ist v. a. in der Organisationssoziologie auf erhebliche Kritik gestoßen, wobei jedoch zumeist verkannt wird, dass es Weber nicht darum ging, den Idealtypus einer wünschenswerten Herrschaftsstruktur als normativen Endpunkt zu entwer-

2 Der Begriff „bureaucratie“ geht auf den französischen Nationalökonom und Handelsminister Vincent de Gournay (1712 – 1759) zurück, vgl. Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 80 Rn. 37. 3 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 128 ff. sowie S. 551 ff. 4 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 126 f. Mit dem Begriff des „Einzelbeamten“ meinte Weber die monokratische Herrschaftsstruktur im Gegensatz zu kollegial zusammengesetzten Entscheidungsgremien. 5 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 129 u. 576. Vgl. auch S. 552: Die moderne Amtsführung beruhe auf Schriftstücken (Akten), welche in Urschrift oder Konzept aufbewahrt werden und auf einem Stab von Subalternbeamten und Schreibern aller Art. Die Gesamtheit der bei einer Behörde tätigen Beamten mit dem entsprechenden Sachgüter- und Aktenapparat bilde ein „Büro“. 6 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 572. 7 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 128.

I. Besonderheiten öffentlich-rechtlicher Informationsorganisation

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fen, sondern eine Analyse des Funktionierens politischer Herrschaft mittels eines Verwaltungsstabes das Ziel seiner Untersuchung bildete. 8 Das klassische Bürokratiemodell ist par exellence ein Beispiel für eine arbeitsteilige Organisationsstruktur. Denn hierbei werden die Leitungsbefugnisse kaskadenförmig innerhalb der Hierarchie nach unten weitergegeben, wodurch eine Machthierarchie entsteht, die sich in einem viele Entscheidungsstufen (Mitzeichnungsbefugnisse) einbeziehenden Entscheidungsprozess niederschlägt. 9 Kritisiert wird in dieser Hinsicht, dass eine zu starke Arbeitsteilung negative Effekte für die Verwaltung selbst sowie auch für den Bürger habe, indem Informationsund Reibungsverluste zwischen den an der jeweiligen Entscheidung beteiligten Fachressorts zu verzeichnen seien. 10 Übertragen in die gebräuchliche Terminologie des Verwaltungsorganisationsrechts werden im Rahmen dieser Untersuchung die unterschiedlichen „traditionellen“ Formen der Organisation der öffentlichen Verwaltung verstanden. Es handelt sich hierbei um die Ministerialverwaltung und – mit Abstufungen – auch um die kommunale sowie die funktionale Selbstverwaltung. 11 b) Neues Steuerungsmodell, Good Governance und Outsourcing Schon seit Jahrzehnten wird das klassische Bürokratiemodell nicht zuletzt vor dem Hintergrund der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte zunehmend kritisch betrachtet. Als Hauptpunkte der Kritik werden mangelnde Anreize für die Verbesserung der Leistungserbringung, eine nicht ausreichende „Kunden“orientierung, die Schwerfälligkeit von Entscheidungsprozessen wegen langer Entscheidungswege und hohe Blockadepotentiale mit der Folge einer grundsätzlichen Innovationsfeindlichkeit genannt. 12 Zudem greift eine grundle-

8

Vgl. Derlien, VerwArch. Bd. 80 (1989), S. 319, 320, 328. Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 85 Rn. 39 in Bezug auf die „Klassische Ministerialverwaltung“. 10 Hierzu Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 80 Rn. 299. 11 Vgl. zu diesen Formen Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 81 Rn. 261 ff. Die Zusammenfassung rechtfertigt sich hier anhand der gemeinsamen Wesensmerkmale der Ausführung hoheitlicher Aufgaben durch Träger der öffentlichen Verwaltung, die einen binnenhierarchischen Aufbau (d. h. Weisungsgebundenheit nachgeordneter Ebenen) aufweisen und als rechtliche Einheit nach Außen (untergeordnete Ebenen ohne rechtlich vollständige Verselbständigung) Rechtsakte setzen. In Bezug auf die Eigenschaft als Verwaltungsträger können die verschiedenen Formen der Selbstverwaltung trotz einiger Besonderheiten der internen Willensbildung auch hier zugeordnet werden. 12 Überblick bei Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 80 Rn. 43 (auch in Bezug auf die Aufgabenkritik). 9

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

gende Aufgabenkritik Platz, in der es um eine Neudefinition der Rolle des Staates in Gesellschaft und Wirtschaft geht. Im Zuge verschiedener Anstrengungen zur Umgestaltung der öffentlichen Verwaltung traten aus der Betriebswirtschaftlehre entlehnte Überlegungen in den Vordergrund. Aus dem angloamerikanischen Raum stammende Begriffe wie New Public Management („Neues Steuerungsmodell“) und Good Governance wurden eingeführt. Während mit dem Neuen Steuerungsmodell der Schwerpunkt der Umgestaltung verwaltungsinterner Strukturen hin zu einer Verantwortungsabgrenzung von Politik und (Leistungs)Verwaltung gesetzt wurde 13, betrifft das New Public Management die Außenbeziehungen der Verwaltung, indem die öffentliche Verwaltung in ein staatliche und private Akteure gleichermaßen umfassendes Netzwerk einbezogen werden soll, deren Kontrolle durch ein GovernanceModell zu erfolgen habe. 14 Das Governance-Konzept meint in der Staats- und Verwaltungssphäre ein Ordnungs- und Steuerungskonzept, nach dem der Staat nicht nur ordnungspolitische Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Wirtschaftsprozess schafft, sondern auch Einflüsse auf wirtschaftliche Abläufe nimmt. 15 Der Effizienzgedanke trug vor diesem Hintergrund Früchte in Gestalt von Vorhaben zur Privatisierung, d. h. zur Erledigung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung durch Private. Hier findet sich der Begriff des „Outsourcing“, der allgemein für eine Fremdvergabe von zuvor selbst wahrgenommenen Funktionen steht. Dabei kann weiterhin zwischen formeller, materieller, funktionaler und Verfahrensprivatisierung unterschieden werden. 16 Formelle Privatisierung bezeichnet die Erledigung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung durch diese selbst in Rechtsformen, die das Privatrecht zur Verfügung stellt. Im Gegensatz dazu erfolgt bei der materiellen Privatisierung eine Auslagerung der betreffenden Aufgaben an private Dienstanbieter, die zugleich die volle Verantwortung für die Aufgabenerledigung übernehmen. Eine Zwischenstellung nimmt die funktionale Privatisierung ein, da hierbei die zu einer öffentlich-rechtlichen Aufgabenerfüllung notwendigen Realhandlungen an Private übertragen werden, ohne dass die Aufgabenträgerschaft und -verantwortung wechselt. Der Private erbringt also lediglich einen vorbereitenden oder durchführenden Teilbetrag mit funktionalem Bezug zu einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe. Besteht der von Privaten zu erbringende Teilbetrag in der Durchführung von Verfahrensschritten eines Verwaltungsverfahrens, wird von einer Verfahrensprivatisierung gesprochen. 13 König, DÖV 2001, 617, 618. Vgl. in diesem Zusammenhang zum Steuerungsinstrument der Zielvereinbarung Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 85 Rn. 41. 14 Vgl. Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 80 Rn. 48. 15 König, DÖV 2001, 617, 621. 16 Vgl. zu diesen Begriffen und zum Folgenden Stober, in: W / B/S VerwR III, Vor § 90 Rn. 11 ff.

I. Besonderheiten öffentlich-rechtlicher Informationsorganisation

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Da namentlich eine materielle Privatisierung, aber auch eine Verfahrensprivatisierung zu einer Auflösung zentraler Strukturen führt, sind damit im Hinblick auf die Informationsorganisation die einer Zunahme der Arbeitsteilung bei juristischen Personen des Privatrechts entsprechenden Probleme zu erwarten. Aus rechtsstaatlicher Sicht sind bestimmte klassische Staatsaufgaben einer (vollständigen) Privatisierung allerdings nur in beschränktem Umfang zugänglich. 17 Daher wird sich diese Untersuchung vor dem Hintergrund ihrer Befassung mit dem hoheitlichen Tätigkeitsfeld öffentlich-rechtlicher Funktionssubjekte auf Fragen der Teilprivatisierung, also einer funktionalen Privatisierung bzw. Verfahrensprivatisierung, beschränken. Eine Auflösung zentraler Strukturen kann jedoch nicht nur im Zuge der Durchführung von Privatisierungsmaßnahmen, sondern auch im Falle der Schaffung von Unterstrukturen innerhalb eines Organisationsbereichs zu verzeichnen sein. So kann eine Übertragung bestimmter – meist vorbereitender – Aufgaben von Kollegialorganen an Unterorgane, die in den meisten Fällen als Ausschüsse bezeichnet werden, im Wege der Delegation erfolgen. 18

2. Informationsorganisation und Aktenprinzip Der Informationsfluss innerhalb und zwischen Strukturen der öffentlichen Verwaltung ist eng mit dem Prinzip der Aktenführung verknüpft. Die Akte ist Konzentrationspunkt der wesentlichen Gesichtspunkte eines Falles und Grundlage des behördlichen Entscheidungsvorgangs sowie eine Dokumentation des Entscheidungsablaufs. 19 Akten vermitteln grundsätzlich ein umfassendes Bild der Verwaltungstätigkeit. 20 Behörden regeln grundsätzlich den internen Dienstbetrieb per Geschäftsordnung. Als Maßnahmen der Geschäftsleitung von Funktionssubjekten werden hierbei auch konkrete Vorgaben zur Aktenordnung getroffen. Neben klassischen Grundsätzen der Aktenordnung, die Vorgaben für die Bearbeitung von Vorgängen vermitteln, erlangt in größeren Organisationseinheiten zunehmend auch die Steuerung des Informationsflusses im Rahmen der Informationsordnung große Bedeutung. In diesem Zusammenhang geht es sowohl um die Weitergabe dezentral angefallener Informationen an andere Stellen, für die die Information von Bedeutung ist, als auch umgekehrt um die Beschränkung des Informa-

17 18 19 20

Vgl. Stober, in: W / B/S, VerwR III, § 93 Rn. 12. Weiterführend Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 83 Rn. 166. Palm, Akteneinsicht, S. 52. Eifert, E-Government, S. 145.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

tionszugangs und der Informationsweitergabe aus datenschutzrechtlichen oder sicherheitsrechtlichen Gründen. 21 a) Historischer Hintergrund und aktuelle Situation Eine historische Betrachtung zeigt, dass im 16. Jahrhundert in Mitteleuropa eine umfangreiche, z.T. systematische Verschriftlichung des alltäglichen administrativen und justiziellen Handelns, verbunden mit dem Organisieren und Aufbewahren des gespeicherten Wissens einsetzte. 22 Es galt, den erwachenden „Informationshunger“ obrigkeitsstaatlicher Strukturen zu stillen, denn (Fach)wissen bezüglich der Untertanen stellte sich als Voraussetzung für die Realisierung des auf die Erfassung gesellschaftlicher Strukturen gerichteten politischen Gestaltungswillens dar: Nach und nach bildete sich so ein von den Mitgliedern einer Organisation gelöstes Wissen, das wiederum mit dem personalisierten Wissen in Interaktion trat. 23 Auch im sogenannten EDV-Zeitalter haben Verfahrensakten ihren Status als wichtigste Informationsquelle für Sachbearbeiter sowie die Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens keineswegs eingebüßt: Sie fungieren nach wie vor als Konzentrationspunkt der Daten, als Grundlage der Überpersönlichkeit des Entscheidungsvorgangs und als Dokumentation des Entscheidungsablaufs. 24 Gleichwohl ist eine zunehmende „Ausgliederung“ von entscheidungserheblichen Informationen zu verzeichnen, indem vermehrt auf externe Informationsquellen, wie Intraund Internet zugegriffen wird, worin eine Gefährdung der hinter dem Prinzip der Aktenkundigkeit stehenden Zwecke gesehen wird. 25 Daneben ist weiterhin eine schrittweise Öffnung der Gestaltung von Verfahrensakten durch neue Medien und elektronische Zugriffe zu verzeichnen, deren weitere Entwicklung noch nicht abzusehen ist. 26 Das Prinzip der Aktenführung ist also weiterhin ein ganz wesentliches Attribut der Bürokratie, weil es nicht nur der jederzeitigen Überprüfbarkeit der Verwaltungsarbeit dient, sondern auch das Verfahren insoweit objektiviert, als dass der Verwaltungsvorgang von der Person des Bearbeiters gelöst und somit 21

Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 84 Rn. 164. Gottschalk, in: Collin / Horstmann (Hrsg.), Wissen des Staates, S. 159 f.: „Aktenzeitalter“. 23 Vgl. Fassbender, Wissen, § 76 Rn. 16 ff., 59. 24 Hufen, Fehler, Rn. 233. 25 Hufen, Fehler, Rn. 243. 26 Vgl. Britz, Reaktionen, S. 257 ff., die nachweist, dass eine vollständig elektronische Aktenführung bei Einhaltung einer Funktionsäquivalenz gegenüber der Papierakte in Bezug auf die Erfordernisse Vollständigkeit, Verständlichkeit und Beständigkeit zulässig wäre. 22

I. Besonderheiten öffentlich-rechtlicher Informationsorganisation

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an beliebiger Stelle unabhängig von dem Erstbearbeiter und ohne Rücksprache mit diesem weiterbearbeitet werden kann. 27 Akten werden entsprechend der Verwaltungsgliederung geführt und zur Ermöglichung des Zugriffs in einer Aktensystematik festgehalten, wobei vielfach Sach- oder Verfahrensakten parallel zu Namensakten existieren. 28 Einzelheiten der Aktenführung pflegen in Geschäftsbzw. Aktenordnungen sowie sonstigen Dienstanweisungen festgehalten zu werden, so dass hier nur ein allgemeiner Überblick erfolgen kann. b) Der Verwaltungsvorgang als Akte Dem Begriff der Akte kommt im Rahmen dieser Untersuchung eine zentrale Bedeutung zu. Deshalb ist es erforderlich, ihn möglichst genau zu beschreiben. Ein bestimmter Aktenbegriff wird u. a. in § 29 VwVfG und § 100 VwGO vorausgesetzt, denn das Recht der Einsichtnahme hat Akten zum Gegenstand. Eine Definition findet sich jedoch in diesen Vorschriften nicht. Vereinzelt enthalten Landesdatenschutz- und Landesinformationsgesetze Legaldefinitionen des Begriffs der Akte. Gemäß § 3 Abs. 7 des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten im Land Brandenburg 29 ist eine Akte jede sonstige amtlichen oder dienstlichen Zwecken dienende Unterlage; dazu zählen auch Bild- und Tonträger, soweit sie nicht Dateien im Sinne von Absatz 6 sind; nicht hierunter fallen Vorentwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollen und alsbald vernichtet werden. Zu Dateien heißt es in § 3 Abs. 6 des genannten Gesetzes: Soweit bereichsspezifische Gesetze den Dateibegriff verwenden, ist eine Datei eine Sammlung personenbezogener Daten, die durch automatisierte Verfahren ausgewertet werden kann (automatisierte Datei), oder jede sonstige Sammlung personenbezogener Daten, die gleichartig aufgebaut ist und nach bestimmten Merkmalen geordnet, umgeordnet und ausgewertet werden kann (nicht-automatisierte Datei). Darüber hinaus ist gewissen technischen Neuerungen durch eine Erweiterung des Aktenbegriffs im Rahmen der Informationszugangsgesetze 30 Rechnung getragen worden. So bestimmt beispielsweise § 3 des brandenburgischen Ak27

Püttner, Verwaltungslehre, § 17 III 1. Püttner, Verwaltungslehre, § 17 III 1. 29 Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten im Land Brandenburg in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. März 1999 (GVBl. I S. 66) zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Mai 2004 (GVBl. I S. 194). 30 Überblick zur Entwicklung vom Prinzip der beschränkten Aktenöffentlichkeit zum nunmehr voraussetzungslosen Informationszugang Schoch, IFG, Einl. Rn. 12 f. Auch das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes vom 5. September 2005 (BGBl. I S. 2722) verwendet ohne konkrete Benennung einen weiten, d. h. auch elektronische Medien umfassenden 28

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

teneinsichts- und Informationszugangsgesetzes 31, dass Akten im Sinne dieses Gesetzes alle schriftlich, elektronisch, optisch, akustisch oder auf andere Weise aufgezeichnete Unterlagen sind, soweit diese ausschließlich amtlichen oder dienstlichen Zwecken dienen. Nicht hierunter fallen Vorentwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil des Vorgangs sind und spätestens nach dessen Abschluss vernichtet werden. Eine entsprechende Regelung findet sich in § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin 32, wonach Akten im Sinne dieses Gesetzes alle schriftlich, elektronisch, optisch, akustisch oder auf andere Weise festgehaltenen Gedankenverkörperungen und sonstige Aufzeichnungen, insbesondere Schriftstücke, Magnetbänder, Disketten, Filme, Fotos, Tonbänder, Pläne, Diagramme, Bilder und Karten sind, soweit sie amtlichen Zwecken dienen. In § 1 heißt es, dass es der Zweck dieses Gesetzes ist, durch ein umfassendes Informationsrecht das in Akten festgehaltene Wissen und Handeln öffentlicher Stellen unter Wahrung des Schutzes personenbezogener Daten unmittelbar der Allgemeinheit zugänglich zu machen, um über die bestehenden Informationsmöglichkeiten hinaus die demokratische Meinungs- und Willensbildung zu fördern und eine Kontrolle des staatlichen Handelns zu ermöglichen. Allgemeiner formuliert das Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Schleswig-Holstein 33 in § 2: Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Informationen aller in Schrift-, Bild-, Ton- oder DV-Form oder auf sonstigen Informationsträgern bei Behörden vorhandene Informationen; 2. Informationsträger alle Medien, die Informationen in Schrift-, Bild-, Ton- oder Datenverarbeitungsform oder in sonstiger Form speichern können. Gemäß § 1 ist Zweck dieses Gesetzes, den freien Zugang zu den bei den Behörden vorhandenen Informationen sowie die Verbreitung dieser Informationen zu gewährleisten und die grundlegenden Voraussetzungen festzulegen, unter denen derartige Informationen zugänglich gemacht werden sollen. Nach § 3 des Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen 34 sind Informationen im Sinne dieses Gesetzes, Informationsbegriff in § 2. Ebenso nunmehr § 2 Informationszugangsgesetz Sachsen-Anhalt vom 19. Juni 2008 (GVBl. LSA S. 242). 31 Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz (AIG) vom 10. März 1998 (GVBl. I S. 46), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Juni 2005 (GVBl. I S. 210, 211). Zu den Möglichkeiten von Akteneinsicht auf elektronischem Wege bereits Roßnagel, DÖV 2001, 221, 228 f. 32 Berliner Informationsfreiheitsgesetz (IFG) vom 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. Juli 2006 (GVBl. S. 819). 33 Informationsfreiheitsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (IFG) vom 9. Februar 2000 (GVBl. S. 166), geändert durch Gesetz vom 18. März 2003 (GVBl. S. 154). 34 Informationsfreiheitsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (IFG) vom 27. November 2001 (GVBl. S. 806).

I. Besonderheiten öffentlich-rechtlicher Informationsorganisation

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alle in Schrift-, Bild-, Ton- oder Datenverarbeitungsform oder auf sonstigen Informationsträgern vorhandenen Informationen, die im dienstlichen Zusammenhang erlangt wurden. Informationsträger sind alle Medien, die Informationen in Schrift-, Bild-, Ton- oder Datenverarbeitungsform oder in sonstiger Form speichern können. Den Gesetzeszweck konkretisiert § 1: Zweck dieses Gesetzes ist es, den freien Zugang zu den bei den öffentlichen Stellen vorhandenen Informationen zu gewährleisten und die grundlegenden Voraussetzungen festzulegen, unter denen derartige Informationen zugänglich gemacht werden sollen. Auch die Altfassung des Bundesdatenschutzgesetzes 35 enthielt im Gegensatz zu seiner aktuellen Fassung 36 in § 3 eine Legaldefinition des Aktenbegriffs, wonach eine Akte jede sonstige amtlichen oder dienstlichen Zwecken dienende Unterlage ist; dazu zählen auch Bild- und Tonträger. Nicht hierunter fallen Vorentwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollen. In der Literatur findet sich die Unterscheidung zwischen einem formellen und einem materiellen Aktenbegriff. 37 Hierbei geht es darum, den Umfang dessen, was dem Aktenbegriff unterfällt, anhand der Art und Weise der Aufbewahrung zu markieren. So wird zum einen zwischen der formellen. d. h. der angelegten Verfahrensakte und zum anderen darüber hinaus auf andere Ordner oder Ablagestellen verteilte vorhandene Informationen und Gegenstände, die sich inhaltlich auf das konkrete Verfahren beziehen, unterschieden. 38 Dieser Unterscheidung kommt vorliegend jedoch keine Bedeutung zu, vielmehr wird in Anlehnung an die vorgenannten Legaldefinitionen allein auf den materiellen Aktenbegriff abgestellt. Denn dieser trägt in der Außenperspektive dem Interesse an Rechtssicherheit in besonderem Maße Rechnung. 39 Problematisiert wird des Weiteren im Hinblick auf die Zunahme EDV-basierter Verwaltung, ob auch Dateien dem Aktenbegriff unterfallen. Dies soll jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn die Datei eine Verkörperung erfahren hat, also ein elektronisches Dokument darstellt. 40 Darüber hinaus spielt es jedoch für den hier favorisierten Aktenbegriff keine Rolle, ob die entsprechenden Dateien personenbezogene Daten im Sinne des 35

Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954). Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954) neugefasst durch Bekanntmachung vom 14. Januar 2003 (BGBl. I S. 66.), zuletzt geändert durch Artikel 15 Abs. 53 des Gesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160). 37 Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29 Rn. 12. 38 Palm, Akteneinsicht, S. 60. 39 Zur Bedeutung der Außenperspektive vor dem Hintergrund rechtsstaatlicher Transparenz unten S. 167 ff. 40 Vgl. Palm, Akteneinsicht, S. 57. Darüber hinaus sieht Trantas, Akteneinsicht, S. 454 jede EDV-gestützte Datei als Bestandteil des Aktenbegriffs an. 36

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

Datenschutzrechts 41 beinhalten, da dieser Umstand zwar für etwaige Einschränkungen allgemeiner Akteneinsichtsrechte Relevanz erlangen kann, jedoch nicht bereits den Aktenbegriff einschränkt. 42 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Begriff der Akte nunmehr so umfassend zu verstehen ist, als alle das konkrete Verfahren betreffenden Unterlagen in Form von beschriebenem und bedrucktem Papier (Schriftsätze, Gutachten, Vermerke, Randbemerkungen) sowie Fotos, Karten, Pläne, Filme, Magnet-, Ton-, Videobänder, Computerdisketten, CD-Roms, Mikrofiches und Mikrofilme, gleichgültig, ob sie in einem Ordner zusammengefasst oder auf andere Vorgänge oder Ablagestellen verteilt sind. 43

3. Datenschutzrechtliche Vorgaben zum Informationsmanagement In rechtlicher Hinsicht begrenzen Aspekte des Datenschutzrechts den Informationsfluss innerhalb und zwischen arbeitsteiligen Funktionssubjekten. Es ist daher zunächst allgemein auf Vorgaben des Datenschutzes sowie – im nächsten Abschnitt – daneben auf Aspekte des sogenannten Geheimnisschutzes als besondere Ausprägung des Datenschutzes 44 einzugehen. Zusammenfassend kann hier von einem Informationsrecht 45 gesprochen werden. a) Wissen als personenbezogenes Datum Das Bundesdatenschutzgesetz sowie die Datenschutzgesetze der Länder treffen Regelungen zu personenbezogenen Daten. Diese Daten werden im Ergebnis einer Zweckbindung unterworfen. Personenbezogene Daten sind nach den einschlägigen Legaldefinitionen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person, die als Betroffener bezeichnet wird. 46 Gemeint sind damit jegliche einer Personen zuordenbare Angaben zu ihren Verhältnissen in Bezug auf andere Personen, in 41

Hierzu sogleich unten S. 94 ff. Vgl. Trantas, Akteneinsicht, S. 454 f. 43 Palm, Akteneinsicht, S. 56 f. 44 In Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten bei der Ermittlung des Sachverhalts gehen die allgemeinen Bestimmungen der Datenschutzgesetze in der Regel vor, vgl. § 1 Abs. 4 BDSG. 45 Zum Begriff Germann, in: Kluth, Staats- und VerwR, 3. Abschn. Rn. 1 f. Hier ist allerdings der Begriff in einem engeren Sinne, nämlich als limitierende Vorgaben zum Umgang mit Informationen und damit unter Ausschluss des Informationszugangsrechts, gemeint. 46 Vgl. § 3 Abs. 1 BDSG sowie exemplarisch § 2 Abs. 1 DSG-LSA. 42

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Ansehung von Sachen sowie zu ihrem Verhalten. 47 Die Weite dieses Datenbegriffs mit Personenbezug weist zugleich auf die Relevanz datenschutzrechtlicher Regelungen für den Gegenstand dieser Untersuchung hin. Denn es werden zumeist die einer bestimmten Person zumindest zuordenbaren persönlichen oder sachlichen Umstände in Rede stehen. Damit ist vom Gegenstand her der Anwendungsbereich des allgemeinen Datenschutzes als eröffnet anzusehen. b) Begriff der öffentlichen Stelle Die Datenschutzgesetze unterscheiden hinsichtlich des Normadressaten zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen, obwohl sich die Regelungen in materieller Hinsicht teilweise 48 entsprechen. In Bezug auf den jeweiligen Normadressaten einer Wissensnorm wird der neutrale Begriff des Funktionssubjekts im Rahmen dieser Untersuchung verwendet. Daher ist es angezeigt, den Begriff der öffentlichen Stelle in Relation zu dem des Funktionssubjekts zu setzen und damit den limitierenden Anwendungsbereich des allgemeinen Datenschutzrechts zu untersuchen. Der Begriff der öffentlichen Stelle ist weit gefasst, um das grundrechtlich geprägte Datenschutz-Regime möglichst breit zu entfalten. 49 So gelten nicht nur öffentlich-rechtlich organisierte Einrichtungen des Bundes bzw. der Länder sowie juristische Personen, die der Aufsicht des Bundes bzw. der Länder unterstehen, sondern auch nicht-öffentliche Stellen, die hoheitliche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, als öffentliche Stellen. 50 Nach den Legaldefinitionen 51 sind unter öffentlichen Stellen des Bundes u. a. die Behörden, die Organe der Rechtspflege und andere öffentlich-rechtlich organisierte Einrichtungen des Bundes, die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie deren Vereinigungen ungeachtet ihrer Rechtsform zu verstehen sowie als öffentliche Stellen der Länder die Behörden, die Organe der Rechtspflege und andere öffentlich-rechtlich organisierte Einrichtungen eines Landes, einer Gemeinde, eines Gemeindeverbandes und sonstiger der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie deren Vereinigungen ungeachtet der Rechtsform. Der Begriff der öffentlichen Stelle konzentriert sich zur Klarstellung im Rahmen dieser Untersuchung im Wesentlichen auf den der Behörde. Dieser soll nach 47

Vgl. nur Gola / Schomerus, § 3, Rn. 2 ff. Der wesentliche Unterschied finden sich in Bezug auf den Umgang mit personenbezogenen Daten außerhalb von nichtautomatisierten Dateien, soweit es sich nicht um personenbezogene Daten handelt, die offensichtlich aus einer automatisierten Verarbeitung entnommen worden sind, § 27 Abs. 2 BDSG. Insoweit gelten dann die Anforderungen für private Stellen nicht. 49 Vgl. Kloepfer, Informationsrecht, § 8 Rn. 53. 50 Vgl. § 2 Abs. 4 S. 2 BDSG sowie § 3 Abs. 1 S. 2 DSG-LSA. 51 Vgl. § 2 Abs. 1 BDSG. 48

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überwiegender Auffassung dem der Legaldefinition in § 1 Abs. 4 VwVfG Bund entsprechen, also funktional an der Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung nach außen bestehen und damit organisationsrechtlich zugleich auf die Außenzuständigkeit abstellen. 52 Daneben ist noch auf den Begriff der öffentlich-organisierten Einrichtung einzugehen. Hiermit sollen Stellen erfasst werden, denen die Behördeneigenschaft fehlt, so z. B. von Organen der genannten juristischen Personen. 53 c) Übermittlung zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen Vor dem Hintergrund der Informationsorganisation sind insbesondere die datenschutzrechtlichen Anforderungen im Zusammenhang mit der Übermittlung personenbezogener Daten von Bedeutung. Unter Übermittlung wird das Bekanntgeben gespeicherter oder durch Datenverarbeitung gewonnener personenbezogener Daten an einen Dritten verstanden. 54 Voraussetzung der Übermittlung ist damit das Vorhandensein eines „Dritten“ als Datenempfänger. Dritter ist entsprechend den datenschutzgesetzlichen Legaldefinitionen jede Person oder Stelle außerhalb der verantwortlichen Stelle, wobei verantwortliche Stelle jede Person oder Stelle meint, die personenbezogene Daten für sich selbst erhebt, verarbeitet, nutzt oder dies durch andere im Auftrag vornehmen lässt. 55 Entscheidend dafür, ob eine Datenübermittlung vorliegt, ist mithin, ob eine andere „Stelle“ als die, bei der die Daten vorliegen, diese erhält. Die begriffliche Erfassung der öffentlichen Stelle ist damit Voraussetzung für die Differenzierung, ob eine Datenübermittlung noch innerhalb einer oder zwischen Stellen erfolgt. Je nach dem Charakter der Übermittlung gelten nämlich unterschiedliche Anforderungen. Dabei unterscheidet das Datenschutzrecht zwischen der Datenübermittlung an öffentliche und an nicht-öffentliche Stellen. 56 So ist die Übermittlung personenbezogener Daten an öffentliche Stellen zulässig, wenn sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der übermittelnden Stelle oder des Dritten, an den die Daten 52

Gola / Schomerus, § 2, Rn. 6 ff. m.w. N. mit Nachweisen zu der als „Atomisierung der öffentlichen Verwaltung“ abgelehnten Gegenauffassung, die auch sonstige Verwaltungseinheiten (organisatorisch unselbstständige Teile einer Organisationseinheit) als „Behörde“ ansieht. So auch Eifert, E-Government, S. 259 f. 53 Vgl. Gola / Schomerus, § 2, Rn. 14. 54 Vgl. § 3 Abs. 4 S. 2 Ziff. 3 BDSG sowie § 2 Abs. 5 S. 2 Ziff. 3 DSG-LSA. 55 Vgl. § 3 Abs. 8 S. 2 und Abs. 7 BDSG sowie § 2 Abs. 9 S. 1 und Abs. 8 DSG-LSA. 56 Zu weiteren Differenzierungen siehe Germann, in: Kluth, Staats- und VerwR LSA, 3. Abschn. Rn. 116.

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übermittelt werden, liegenden Aufgaben erforderlich ist und die Voraussetzungen vorliegen, die eine Nutzung zulassen würden, also insbesondere grundsätzlich nur für die Zwecke erfolgt, für die die Daten erhoben oder – falls keine Erhebung vorausgegangen ist – gespeichert worden sind. 57 Demgegenüber wird bei der Übermittlung personenbezogener Daten an nicht-öffentliche Stellen auf den Zweck der Aufgabenerfüllung der übermittelnden (öffentlichen) Stelle abgestellt, wobei aber auch hier grundsätzlich die Voraussetzungen vorliegen müssen, die eine Nutzung zulassen würden. 58 d) Übermittlung innerhalb einer öffentlichen Stelle Innerhalb einer öffentlichen Stelle stößt die Übermittlung personenbezogener Daten nach dem allgemeinen Datenschutzrecht nur auf geringe Restriktionen. Zu erwähnen sind hier die §§ 5 und 15 Abs. 6 BDSG. Die Regelung des § 5 S. 1 BDSG formuliert das Datengeheimnis für die bei der Datenverarbeitung beschäftigten Personen. Diesen ist es untersagt, personenbezogene Daten unbefugt zu erheben, zu verarbeiten oder zu nutzen. Da die Verarbeitung gemäß § 3 Abs. 4 S. 1 BDSG auch die Übermittlung umfasst, konzentriert sich die Problematik einer internen Übermittlung auf die Frage der Befugnis. Diese beurteilt sich extern nach dem Vorliegen entgegenstehender rechtlicher Vorgaben im übrigen Datenschutzrecht oder in anderen Bereichen sowie intern nach der Zugriffsberechtigung der beschäftigten Person. 59 Eine gewisse Sonderstellung nimmt die Regelung in § 15 Abs. 6 BDSG ein. Die Vorschrift regelt insgesamt die Datenübermittlung an (andere) öffentliche Stellen. Soweit eine derartige Übermittlung zulässig ist, bestimmt Abs. 5, dass an sich nicht vom Zweck der Übermittlung erfasste Begleitdaten zwar mit übermittelt, jedoch nicht genutzt werden dürfen, falls eine Trennung dieser Daten von den zweckentsprechenden nicht oder nur mit einem unvertretbaren Aufwand möglich ist (Vereinfachungsgedanke). Nun bestimmt allerdings Abs. 6, dass der vorstehende Grundsatz entsprechend gelten solle, wenn personenbezogene Daten innerhalb einer öffentlichen Stelle weitergegeben werden. Mit dieser Regelung sollen Aktenbewegungen innerhalb einer Stelle durch Erstreckung der Regelung zur Verwaltungsvereinfachung nach Abs. 5 erleichtert werden. 60 Da die Weiterga57

Vgl. § 15 Abs. 1 BDSG i. V m. § 14 BDSG sowie § 11 Abs. 1 DSG-LSA i.V. m. § 10 DSG-LSA. 58 Vgl. § 16 Abs. 1 Ziff. 1 BDSG sowie § 12 Abs. 1 Ziff. 1 DSG-LSA. Vgl. zu weiteren Möglichkeiten der Datenübermittlung an nicht-öffentliche Stellen auch § 16 Abs. 1 Ziff. 2 BDSG sowie § 12 Abs. 1 Ziff. 2 DSG-LSA (Fall des berechtigten Interesses des Dritten an der Datenübermittlung). 59 Vgl. Gola / Schomerus, § 5, Rn. 5 f. 60 Gola / Schomerus, § 15, Rn. 31.

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be personenbezogener Daten innerhalb einer öffentlichen Stelle keine Übermittlung im Sinne des BDSG darstellt, ist aber fraglich, welchen Regelungsgehalt Abs. 6 aufweist. Sie dürfte jedenfalls nicht als Ausdruck einer Beschränkung aufzufassen sein. e) Zweckändernde Übermittlung und Nutzung Neben dem Grundsatz der Datenvermeidung und -sparsamkeit gemäß § 3a BDSG ist das Datenschutzrecht vom Grundsatz der Zweckbindung der personenbezogenen Daten geprägt. Dieser ist – wie gezeigt – bei einer externen Übermittlung, d. h. zwischen Stellen im Sinne des Datenschutzrechts als mögliche Beschränkung zu beachten. Einschränkungen erfährt der datenschutzrechtliche Grundsatz der Zweckbindung jedoch, indem bei einer beabsichtigten Zweckänderung u. a. auf eine Einwilligung des Betroffenen in die Datenspeicherung, -veränderung und -nutzung abgestellt wird. Insoweit genügt auch eine mutmaßliche Einwilligung, nämlich, wenn es „offensichtlich ist, dass der betreffende datenbezogene Vorgang im Interesse des Betroffenen liegt, und kein Grund zu der Annahme besteht, dass er in Kenntnis des anderen Zwecks seine Einwilligung verweigern würde“. 61 f) Datenverarbeitung im Auftrag Eine Besonderheit regeln die Datenschutzgesetze in Bezug auf die Verarbeitung im Auftrag einer anderen Stelle. 62 Unter bestimmten Voraussetzungen – u. a. der schriftlichen Erteilung eines Auftrags – wird hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Anforderungen zur Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten dann nur auf den Auftraggeber abgestellt. Folglich fingiert das Datenschutzrecht hier eine einheitliche Stelle in Bezug auf Auftraggeber und Auftragnehmer und bindet sie an die Steuerungsmöglichkeiten des Auftraggebers. 63

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So § 14 Abs. 2 Ziff. 3 BDSG sowie § 10 Abs. 2 Ziff. 3 DSG-LSA. Diese mutmaßliche Einwilligung stellt eine Sonderreglung zu § 4a BDSG dar, wonach die erklärte, d. h. tatsächliche Einwilligung grundsätzlich der Schriftform bedarf. 62 Exemplarisch: § 11 BDSG, § 8 DSG-LSA. 63 Eifert, E-Government, S. 260. Ungeschriebene Voraussetzung soll allerdings sein, dass die beauftragte Stelle hier auf eine unselbstständige Tätigkeit dergestalt beschränkt ist, dass der Datenverarbeitung zugrunde liegende Aufgaben durch sie nicht erfüllt werden dürfen. Andernfalls ist von verschiedenen Stellen auszugehen, vgl. Eifert, E-Government, S. 260; Gola / Schomerus, § 11, Rn. 3 f.

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g) Zwischenergebnis Auf den Gegenstand der Untersuchung angewandt, folgt aus den soeben skizzierten Grundzügen des Datenschutzrechts, dass sich eine Limitierung des Informationsflusses in bestimmten Fällen ergeben kann, jedoch nicht überschätzt werden sollte. Zwar dürfte – wie eingangs erwähnt – der Anwendungsbereich des jeweils einschlägigen Datenschutzgesetzes im Hinblick auf die Weite des Begriffs der personenbezogenen Daten zumeist eröffnet sein. Jedoch ist eine Übermittlung zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der übermittelnden Stelle liegenden Aufgaben möglich und scheitert auch nicht am Kriterium einer möglichen Zweckänderung, da hier die Zweckänderung offensichtlich im Interesse des Betroffenen liegen wird. Denn eine „Wissenszurechnung“ wirkt sich insoweit zu seinen Gunsten 64 aus.

4. Geheimnisschutz Neben datenschutzrechtlichen Vorgaben können auch solche des Geheimnisschutzes von Einfluss auf die Informationsorganisation innerhalb der öffentlichen Verwaltung sein. Das Recht des Geheimnisschutzes, das eine Schnittmenge mit dem Datenschutzrecht bildet, es aber zugleich übersteigt, erfolgt durch eine Kombination von materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen. 65 Im Hinblick auf den Gegenstand der Untersuchung sind die materiell-rechtlichen Vorgaben von besonderem Interesse. a) Allgemeines Verwaltungsgeheimnis 66 Das in § 30 VwVfG verkörperte Verwaltungsgeheimnis dient nicht nur den Geheimhaltungsinteressen der Beteiligten, sondern soll gleichzeitig ein Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Behörde herstellen, das zur Effizienz des Verwaltungshandelns beitragen kann. 67 Nach § 30 VwVfG haben die Beteiligten 64 Siehe zum Untersuchungsgegenstand oben S. 37 ff. Dieser Grundsatz muss jedoch dann eingeschränkt werden, wenn eine Auswirkung zum Nachteil des Betroffenen festzustellen ist. Dieser eher theoretische Fall ist bei den hier diskutierten Fallgruppen jedoch nicht ersichtlich. Bei der Einschaltung Dritter sind zudem besondere Anforderungen der Datenübermittlung zu beachten, sofern wegen des Anteils des Dritten an der betreffenden Sachentscheidung ein Auftragsverhältnis im Sinne von § 11 BDSG oder entsprechender Regelungen der Länder ausscheidet. 65 Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 103 Rn. 14 f. 66 Zum Begriff Kloepfer, Informationsrecht, § 9 Rn. 37 ff. Dort auch zu Sonderformen wie dem Steuergeheimnis nach § 30 AO. 67 Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 30 Rn. 1.

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Anspruch darauf, dass ihre Geheimnisse, insbesondere die zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnisse sowie die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, von der Behörde nicht unbefugt offenbart werden. Wie der Wortlaut dieser Vorschrift zeigt, kommt zunächst dem Begriff des Offenbarens zentrale Bedeutung zu. Der Begriff des Offenbarens setzt die ausdrückliche oder sinngemäße, gezielte oder ungezielte, gewollte oder ungewollte Information oder sonstige Bekanntgabe an einen Dritten voraus, dem das Geheimnis noch nicht sicher (legal) bekannt war. 68 Dritte in diesem Sinne sind auch alle diejenigen Bediensteten ein und derselben Behörde, die für die Erledigung der Verwaltungsaufgabe örtlich oder sachlich nicht zuständig sind, da die ein Geheimnis begründenden Tatsachen einer Behörde nur im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung anvertraut sind. 69 Schließlich ist zu untersuchen, welche Umstände als Geheimnis i. S.v. § 30 VwVfG anzusehen sind. Bei der Begriffsbestimmung ist eine gewisse Anlehnung an den im Datenschutzrecht entwickelten Begriffsinhalt für personenbezogene Informationen zu beobachten. Begründet wird dieses Vorgehen damit, dass sich der Datenschutz für aktenmäßig entstandene Geheimnisse gemäß § 30 VwVfG und EDV-gestützte personenbezogene Informationen weitgehend decken soll. 70 Damit gehören zum Begriff des Geheimnisses alle sich auf ein bestimmtes privates Rechtssubjekt und dessen Lebens- oder Betriebsverhältnisse beziehenden Tatsachen, die bisher nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind, einen Bezug zum auch verfassungsrechtlich geschützten unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung haben, in einem engen Zusammenhang zum Geheimnisträger stehen und an deren Nichtverbreitung das Rechtssubjekt deshalb ein berechtigtes Interesse hat. 71 Anhand dieses Definitionsansatzes wird deutlich, dass das Fehlen eines berechtigten Interesses des Geheimnisträgers an der Nichtweitergabe der betreffenden Information dieser die Geheimniseigenschaft nehmen kann. Insoweit wird maßgeblich auf das mutmaßliche verobjektivierte Interesse des Beteiligten an der Geheimhaltung abgestellt. 72 Entsprechend den Ausführungen zu datenschutzrechtlichen Vorgaben ist auch hier davon auszugehen, dass bestimmte Formen der Weitergabe von Informationen an bestimmte Stellen zu bestimmten Zwecken im mutmaßlichen Interesse des Informationsträgers liegen, so dass insoweit schon nicht von einem Geheimnis i. S.v. § 30 VwVfG auszugehen ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich der Umgang mit Informationen in der öffentlichen Verwaltung ohnehin in einem Prozess der Neuorientierung befindet, der einem Transparenzgebot gegenüber 68 69 70 71 72

Bonk / Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 30 Rn. 15. Bonk / Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 30 Rn. 22. Vgl. Bonk / Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 30 Rn. 9. Bonk / Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 30 Rn. 9. Vgl. Bonk / Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 30 Rn. 8.

II. Explizite Informationsorganisationspflichten

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Erwägungen des Geheimnisschutzes mehr Raum gibt. 73 In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand stellt das sogenannte Verwaltungsgeheimnis also keine Limitierung des Informationsflusses dar. b) Dienstgeheimnis und Pflicht zur Verschwiegenheit Das Dienstgeheimnis, das den ungestörten Verwaltungsablauf, das Vertrauen der Allgemeinheit darin sowie den Amtswalter selbst schützt, bezieht sich auf die einem Amtswalter bei seiner amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Umstände und verpflichtet ihn insoweit zur Verschwiegenheit. 74 Zudem kann eine Verschwiegenheitspflicht auch in besonderen Fällen anhand der Sachmaterie bestehen. 75 Da das Dienstgeheimnis für einen dienstbezogenen Informationsaustausch jedoch in der Regel kein rechtliches Hindernis bildet, kann es in Bezug auf den Gegenstand dieser Untersuchung vernachlässigt werden. Lediglich Regelungen, die einen Informationsaustausch innerhalb eines Funktionssubjekts untersagen, sind zu berücksichtigen. 76 Denn sie können zu einer fehlenden Verfügbarkeit von Information führen. 77

II. Explizite Informationsorganisationspflichten im öffentlichen Recht Die Frage nach der Existenz von Informationsorganisationspflichten bildete bisher im Zivilrecht ein zentrales Problem der Bewältigung der Informationsor73

Hierzu Jochum, Konnexität, S. 484 ff. mit Einzelheiten zu der Ausweitung von Informationsansprüchen im Zuge des Erlasses allgemeiner Informationszugangsgesetze. 74 Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 103 Rn. 16. Geltungsgrund dieser Pflichtenlage bilden die Beamtengesetze. Für Angestellte des öffentlichen Dienstes enthielt § 9 BAT eine entsprechende Regelung. Nachdem der BAT nicht mehr fortentwickelt wird, kann auf die Regelung in TV-L / TvÖD abgestellt werden. § 3 Abs. 1 TVöD bzw. § 3 Abs. 2 TV-L verpflichtet die Beschäftigten zur Verschwiegenheit über alle Vorgänge, die durch Gesetz oder Einzelweisung der Geheimhaltung unterworfen werden. Sofern – wie in weiten Bereichen der funktionalen Selbstverwaltung – keine Tarifgebundenheit besteht, sind entsprechende Regelungen in den Einzelarbeitsverträgen üblich. 75 Z. B. § 11a Abs. 8 GewO (bearbeiterbezogene Beschränkung im Umgang mit personenbezogenen Daten von Versicherungsvermittlern und -beratern auch innerhalb eines Funktionssubjekts) als Ausprägung des Berufsgeheimnisses. 76 Informationssperren innerhalb einer Organisation stellen insbesondere in der Finanzwirtschaft unter dem Begriff „Chinese Walls“ vor dem Hintergrund der Wahrung des sog. Finanzgeheimnisses ein verbreitetes Phänomen dar. Hierzu umfassend Buck, Wissen und juristische Person, S. 499 ff. 77 Näheres unten S. 175 f.

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ganisationsproblematik, da explizite Anforderungen an die Informationsorganisation hier zumeist nicht festzustellen waren. 78 Zunächst gilt es daher herauszuarbeiten, ob im öffentlichen Recht explizite Informationsorganisationspflichten normiert sind, die ein unmittelbares Anknüpfen zur Lösung der Organisationsproblematik ermöglichen. Problematisch ist dabei, wie die Anforderung, Informationen an entscheidender Stelle verfügbar zu machen und zu halten, konkret ausgestaltet, d. h. durch Verhaltenspflichten konkretisiert werden kann.

1. Der Untersuchungsgrundsatz Möglichweise kann der verwaltungsverfahrensrechtliche Untersuchungsgrundsatz nach § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG, wonach die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt, hierbei Art und Umfang der Ermittlungen bestimmt und alle bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen hat, einen Anhaltspunkt bieten. Vorab ist einschränkend zu berücksichtigen, dass sich § 24 VwVfG nach seiner systematischen Stellung unmittelbar nur auf ein laufendes Verwaltungsverfahren bezieht, also entsprechend § 9 VwVfG auf die von einem Funktionssubjekt entfaltete Tätigkeit, die auf den Erlass eines Verwaltungsakts oder den Abschluss eines Verwaltungsvertrages gerichtet ist. a) Allgemeines Der Untersuchungsgrundsatz bringt zum Ausdruck, dass die öffentliche Verwaltung zur Durchführung von Verwaltungsverfahren nicht an die Beibringung von Tatsachen durch die übrigen Beteiligten gebunden ist. Er kontrastiert damit in prozessrechtlicher Hinsicht den Verhandlungsgrundsatz im sogenannten Parteiprozess, wo es den Beteiligten obliegt, den Sachverhalt zusammenzustellen und diese sich bereits einer formellen Beweislast als Beibringungslast ausgesetzt sehen. 79 Der Untersuchungsgrundsatz prägt sämtliche öffentlich-rechtlichen Verfahrens- und Prozessordnungen. Er findet, abgesehen von § 24 VwVfG, seine normative Verortung mit den jeweils bereichsspezifischen Besonderheiten in § 88 Abs. 1 AO, § 76 Abs. 1 FGO, § 20 Abs. 1 SGB X, § 103 SGG, § 86 Abs. 1 VwGO.

78 Vgl. zur mangelnden Konkretisierung wissensbezogener Organisationspflichten im Zivilrecht Buck, Wissen und juristische Person, S. 409. 79 Vgl. Röhl, Rechtslehre, § 62 II 4.

II. Explizite Informationsorganisationspflichten

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b) Historischer Hintergrund 80 Der Untersuchungsgrundsatz im Sinne einer Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts durch objektive, d. h. prozessual nichtbeteiligte Dritte hat seine Wurzeln im Inquisitionsverfahren. Die Einführung des Inquisitionsverfahrens wird hier auf das Wirken von Papst Innocenz III. (1161 – 1216) zurückgeführt und weist damit einen Hintergrund aus dem kanonischen Recht auf. Sie war anfangs keineswegs mit der Etablierung eines gewaltsam durchgesetzten Bekundungs- bzw. Geständniszwangs („Folter“) als Mittel der Beweiserhebung verbunden gewesen. Die Inquisition bildete zunächst ein prozessuales Vorverfahren, mit dem ein Gerichtshof oder Richter selbst eine Untersuchung einleitete, ohne die Klage einer Prozesspartei bereits zu verhandeln. Die Inquisition ist schließlich genutzt geworden bei den sogenannten Ketzerprozessen. Diese späteren Entwicklungen sind Ursache der Verknüpfung von Umständen der Folter mit diesem Begriff. Über den Strafprozess hielt das Inquisitionsverfahren ab dem 13. Jahrhundert schließlich Einzug in die weltliche Gerichtsbarkeit. Daneben prägte die Verhandlungsmaxime teilweise das gemeine Prozessrecht. 81 Neben der strafprozessualen Ebene haben aber auch Ansätze zu einem Untersuchungsgrundsatz das gemeine Recht geprägt. So sind Ursprünge im preußischen Prozessrecht des 18. Jahrhunderts zu verzeichnen: 82 So bestimmte § 7 Einleitung AGO 1793: Der Richter habe „den Grund oder Ungrund der in einem Prozess vorkommenden Thatsachen selbst und unmittelbar zu untersuchen, und soweit es zur richtigen Anwendung der Gesetze auf den vorliegenden Fall erforderlich ist, ins Licht zu setzen“. Im 19. Jahrhundert setzte die Herausdifferenzierung einer öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit und zwar zunächst als Administrativjustiz (z. B. die gerichtliche Tätigkeit des Geheimen Rates in Württemberg) ein. Schließlich kam es gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den meisten dt. Staaten zur Einrichtung von Verwaltungsgerichten im heutigen Verständnis. 83 Mit der Einführung der Staatsanwaltschaft im 19. Jahrhundert blieb zwar die Inquisitionsmaxime im Strafprozess erhalten. Mit der Trennung von Anklagebehörde und Gericht trat jedoch das moderne Akkusationsprinzip (der Anklagegrundsatz) dazu. 84 80

Zum Folgenden Schmidt, Einführung, S. 86 ff., insbesondere S. 93. Kaufmann, Untersuchungsrundsatz, S. 21 ff. mit einem Überblick über die historische prozessrechtliche Literatur. 82 Im Einzelnen Kaufmann, Untersuchungsrundsatz, S. 26 ff. 83 Kaufmann, Untersuchungsrundsatz, S. 62 ff. 84 Zu den Hintergründen Schmidt, Einführung, S. 330 f. (Schaffung eines Mittlers zwischen Polizei und Gerichten). 81

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c) Inhalt Im Folgenden soll der Inhalt des Untersuchungsgrundsatzes allgemein am Grundtatbestand des § 24 VwVfG erläutert werden. aa) Sachverhaltsermittlung Ziel der Sachverhaltsermittlung ist die Feststellung der für die Verwaltungsentscheidung (Erlass eines Verwaltungsakts bzw. Abschluss eines Verwaltungsvertrages) relevanten Tatsachen. 85 Die Ermittlung des Sachverhalts bedeutet damit in erster Linie eine Verpflichtung „der Behörde“ zur Aufnahme relevanter Informationen und kann als Beispiel der Normierung einer Pflicht zum Verfügbarmachen relevanter Informationen angesehen werden. Jedoch ist damit noch nichts über ein Verfügbarhalten bzw. Weiterleiten von Informationen gesagt. bb) Berücksichtigung aller bedeutsamen Umstände Die für den Einzelfall bedeutsamen Umstände i. S.v. § 24 Abs. 2 VwVfG können freilich im Entscheidungszeitpunkt nur dann berücksichtigt werden, wenn sie entsprechend dokumentiert sind und der die Entscheidung treffenden Stelle zur Verfügung stehen. Mithin kann der Pflicht zur Berücksichtigung aller bedeutsamen Umstände zugleich eine Pflicht zum Verfügbarhalten von Information bzw. deren Weiterleitung zu der entscheidungstragenden Stelle entnommen werden. Zu berücksichtigen bleibt indes, dass damit noch keine Vorgaben über die Dauer und die näheren Umstände des Verfügbarhaltens von Informationen getroffen sind. cc) Entgegennahme von Erklärungen Gemäß § 24 Abs. 3 VwVfG darf die Behörde die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält. Die Pflicht zur Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen ist als verfahrensrechtliche Nebenpflicht ausgestaltet. 86 Da die Behörde erst nach Entgegennahme der Erklärung über deren Zulässigkeit, d. h. namentlich auch ihre Zuständigkeit, und Begründetheit entscheiden darf, bedeutet das eine allgemeine Pflicht zur Entgegennahme.

85 86

Martens, Verwaltungsverfahren, Rn. 120 zu § 24 Abs. 1 VwVfG. Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 71.

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Fraglich ist aber, ob im Falle der Unzuständigkeit der adressierten Behörde darüber hinaus auch eine Pflicht zur Weiterleitung an die im Einzelfall zuständige Behörde besteht. Dies wird ganz überwiegend verneint. 87 dd) Umfang der Ermittlungen Der Umfang des zu entfaltenden Ermittlungsaufwandes lässt sich mit abstrakter Gültigkeit nicht bestimmen. Nach der Rechtslage findet er jedenfalls in den Mitwirkungslasten der übrigen Beteiligten des Verwaltungsverfahrens seine Grenze. 88 Darüber hinaus ergibt sich die erforderliche Ermittlungsintensität aus der Abwägung verschiedener Faktoren, die in einer Nähe zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gesehen werden. 89 d) Folgen der Verletzung Die Herleitung von Informationsorganisationspflichten aus dem Untersuchungsgrundsatz erlaubt für sich gesehen noch keine Bewältigung der Informationsorganisationsproblematik. Vielmehr ist das Augenmerk auf die Rechtsfolgen der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes zu richten. Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei § 24 VwVfG nicht um eine Zurechnungsnorm handelt. Demnach ist eine Wissenszurechnung bzw. Berücksichtigung von Nichtwissen aus einer Verletzung von Informationsorganisationspflichten, die dem Untersuchungsgrundsatz entnommen werden können, aus dem Untersuchungsgrundsatz unmittelbar nicht möglich. Der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes begründet darüber hinaus keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition und ist als Verfahrenshandlung i. S.v. § 44a VwGO grundsätzlich nicht selbständig anfechtbar. 90 Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich bei Fehlern in Bezug auf die Ermittlung des Sachverhalts jedoch um Verfahrensfehler, die die Rechtswidrigkeit des nachfolgenden Verwaltungsakts und mithin seine Anfechtbarkeit zur Folge haben. 91 Im Übrigen kann die unrichtige Ermittlung des Sachverhalts 87 Für das allgemeine Verwaltungsrecht Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 87 mit weiteren Nachweisen. Ebenso Engelhardt, in: Obermayer, VwVfG, § 24 Rn. 195: Weiterleitung wäre „erlaubtes Entgegenkommen“. 88 Dass solche bestehen, ist aus § 26 Abs. 2 S. 1 VwVfG als allgemeine Mitwirkungslast in Bezug auf die Angabe von Tatsachen und Beweismitteln durch die übrigen Beteiligten abzuleiten. Weitergehende Anforderungen bedürfen einer gesonderten Rechtsgrundlage, Clausen, in: Knack, VwVfG, § 26 Rn. 36. 89 Es soll v. a. auf die Bedeutung der vorzubereitenden Entscheidung für den Betroffenen sowie die Allgemeinheit anhand der Rechtsfolgen, die Verfügbarkeit der Erkenntnismittel sowie die Eilbedürftigkeit der Entscheidung ankommen, vgl. Berg, Die Verwaltung 1976, 161, 171 ff. 90 Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 58.

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einen Grund zum Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG darstellen, wenn neue Beweismittel im Sinne dieser Vorschrift vorliegen. 92 Ein materiell-rechtlicher Fehler muss jedoch im Ergebnis nicht zwingend die Aufhebung der fehlerhaften Entscheidung im Rahmen nach sich ziehen. Das kann neben einer etwaigen Heilung nach § 45 VwVfG – hier insbesondere Abs. 1 Nr. 3 – auch wegen der möglichen Unbeachtlichkeit des Fehlers nach § 46 VwVfG der Fall sein, der aber grundsätzlich bei Abwägungs- und Ermessensentscheidungen keine Anwendung finden soll. 93 Hier stellt sich indes in prozessualer Hinsicht bereits die Frage nach der Möglichkeit der Verletzung des Rechtsbehelfsführers in einem subjektiven Recht als Voraussetzung seiner Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis. Neben der möglichen Aufhebung der verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Entscheidung ergeben sich auch mögliche Amtshaftungskonsequenzen. 94 Jedoch führen auch diese in Bezug auf die hier zu behandelnde Fragestellung nicht weiter, da diese Regelungen weder unmittelbar für die Konturierung des Wissensbegriffs herangezogen werden können noch eine Wissenszurechnung ermöglichen. 95

2. Aufgabennormen zur Informationsgewinnung oder -systematisierung Zu prüfen ist, ob Aufgaben- bzw. Kompetenznormen sowie sonstigen pflichtenstatuierenden Vorgaben zur Informationsgewinnung oder zum Umgang mit Informationen die organisatorisch umzusetzende Verpflichtung zum Verfügbarmachen der relevanten Informationen entnommen werden können. Das soll an den folgenden Beispielen untersucht werden.

91 Hufen, Fehler, Rn. 136. Das gilt freilich nur insoweit, wie der sodann vom Gericht nach § 86 VwGO festgestellte Sachverhalt das Ergebnis nicht trägt, Clausen, in: Knack, VwVfG, § 24 Rn. 24. Ebenso Engelhardt, in: Obermayer, VwVfG, § 24 Rn. 284. 92 Hierzu Martens, Verwaltungsverfahren, Rn. 437 ff. 93 Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 58. A. A. aber unzutreffend Pestalozza, Untersuchungsgrundsatz, S. 199, wonach es sich bei den gesetzlichen Vorgaben zur Sachverhaltsermittlung weder um Verfahrensrecht, noch um materielles Recht sondern „eine Frage der Methode“ handele, so dass der Anwendungsbereich von § 46 VwVfG schon nicht eröffnet sei. 94 Vgl. Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 24 Rn. 38. 95 Hierzu unten S. 113 f.

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a) Aufgaben- und Kompetenznormen aa) Heilberufsgesetz von Nordrhein-Westfalen Beispielsweise 96 bestimmt das Heilberufsgesetz von NRW in § 29 Abs. 5 S. 1, dass die Heilberufskammern berechtigt sind, wenn hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Berufspflichtverletzung vorliegen, die zu deren Aufklärung erforderlichen personenbezogenen Daten bei öffentlichen Stellen zu erheben und zu verarbeiten. Hiermit einhergehend wird man grundsätzlich auch eine Verpflichtung anzunehmen haben, die erforderlichen Informationen zu erheben, falls die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. 97 Zu den Folgen einer Verletzung dieser Pflicht schweigt das Gesetz jedoch. bb) Bewertung Für eine Bedeutung im Sinne des Informationsmanagements spricht bei den soeben exemplarisch behandelten Befugnis- bzw. Aufgabennormen, dass diesen grundsätzlich eine Pflicht zum Vollzug immanent ist. Sie stellen kein „Recht“ in dem Sinne dar, dass ein Gebrauchmachen in das Belieben des zuständigen Funktionssubjekts gestellt ist und damit – entsprechend der zivilrechtlichen Dogmatik zum Anspruch – ein Verzicht möglich wäre. Vielmehr obliegt dem mit dem Vollzug betrauten Funktionssubjekt die Prüfung der Voraussetzungen dieser Normen einschließlich der Ausfüllung gegebenenfalls vorliegender Beurteilungsspielräume und – je nach Normstruktur – der Vornahme des Ermessensgebrauchs. Insofern korrespondiert einer Befugnis oder Aufgabe in der Regel auch eine Pflicht. Jedoch selbst im Falle der Verletzung dieser Pflichten zum Umgang mit Informationen, kann daraus vorliegend nichts hergeleitet werden. Es gelten vielmehr die Ausführungen zur Frage der Verletzung von öffentlich-rechtlichen Pflichten entsprechend. 98 Damit ermöglichen auch die einschlägigen Aufgaben- und Kompetenznormen zu entnehmenden Informationsorganisationspflichten keine Zurechnung von Wissen bzw. Berücksichtigung von Nichtwissen, so dass auch sie als unmittelbarer Anknüpfungspunkt vorliegend ausscheiden müssen.

96 Hier nur als eine exemplarische Skizze stellvertretend für mannigfache Kompetenznormen. Aus dem Polizei- und Ordnungsrecht der Bundesländer (Befugnisse der Polizeiund Ordnungsbehörden) ließen sich weitere Beispiele bilden, wovon hier abgesehen wird. 97 Zur primären Einordnung von Befugnissen von Funktionssubjekten als Handlungspflichten vgl. Böckenförde, FS Wolff, S. 303 unter Bezugnahme auf Vorarbeiten HansJ. Wolffs in Fn. 112. 98 Vgl. zur Amtspflichtverletzung im Einzelnen unten S. 113 f.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

b) Aufgabennormen zur Informationssystematisierung aa) Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG) 99 Das IFG regelt die Voraussetzungen des allgemeinen Zugangs zu amtlichen Informationen. Amtliche Informationen sind gemäß § 2 Ziffer 1 IFG jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung, wobei Entwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil des Vorgangs werden sollen, nicht dazu gehören. Aus § 11 IFG ergeben sich Veröffentlichungspflichten zu vorhandenen Informationssammlungen. Hiernach sollen die Behörden Verzeichnisse führen, aus denen sich die vorhandenen Informationssammlungen und -zwecke erkennen lassen (Abs. 1). Organisations- und Aktenpläne ohne Angabe personenbezogener Daten sind nach Maßgabe des IFG allgemein zugänglich zu machen (Abs. 2). bb) Ergebnis Die Pflicht zur Verzeichnisführung kann zwar als Pflicht, vorhandene Informationen zu systematisieren und so den Zugriff zu ermöglichen, verstanden werden. Für die Frage des Wissens von Funktionssubjekten gilt es jedoch zweierlei zu beachten: Zum einen richtet sich das IFG hinsichtlich der Anspruchsberechtigung nicht an Funktionssubjekte, sondern an den Bürger. 100 Zum anderen enthält das IFG keine Rechtsfolgen für die Verletzung von Informationspflichten oder der im Vorfeld angesiedelten Pflicht zur Veröffentlichung. Vielmehr gelten hier die allgemeinen Grundsätze, die sich regelmäßig auf einen möglichen Amtshaftungsanspruch konzentrieren dürften. 101

3. Pflicht zur Weiterleitung von Erklärungen Jedes von einem Dritten mit Anträgen, Anliegen u. ä. in Bezug auf die öffentliche Verwaltung angegangene Funktionssubjekt soll die Pflicht treffen, auf eine etwaige Unzuständigkeit in Bezug auf das betreffende Anliegen aufmerksam zu machen. Falls zumutbar soll zudem eine Weiterleitung an das zuständige 99

Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes vom 5. September 2005, BGBl. I 2005, 2722. In gleicher Weise nunmehr § 11 Informationszugangsgesetz Sachsen-Anhalt vom 19. Juni 2008, GVBl. LSA S. 242. 100 In Bezug auf Funktionssubjekte untereinander ist bei Informationsgesuchen grundsätzlich zumindest dann ein Fall der Amtshilfe gegeben, wenn die Weitergabe von Informationen in den Aufgabenbereich der ersuchten Behörde fällt, vgl. Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 4 Rn. 18: „Informationshilfe“. Bei personenbezogenen Daten gelten zudem die Beschränkungen der Datenschutzgesetze. 101 Dieser erweist sich hier aber als nicht weiterführend, vgl. unten S. 158.

II. Explizite Informationsorganisationspflichten

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Funktionssubjekt erfolgen. Diese Aussage wird – soweit spezialgesetzliche Regelungen nicht existieren – überwiegend aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, der auch das öffentliche Recht prägt, als Amtspflicht entnommen. 102 Normative Ausprägungen dieses Grundsatzes finden sich u. a. in den Gemeindeordnungen. a) § 71b VwVfG In Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie RL 2006/123 haben nunmehr 103 Regelungen zum Verfahren der „einheitlichen Stelle“ Eingang in das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes gefunden. Gemäß § 71b Abs. 1 nimmt die einheitliche Stelle Anzeigen, Anträge, Willenserklärungen und Unterlagen entgegen und leitet sie unverzüglich an die zuständigen Behörden weiter. Zudem regelt Abs. 2 dieser Vorschrift, dass Anzeigen, Anträge, Willenserklärungen und Unterlagen am dritten Tag nach Eingang bei der einheitlichen Stelle als bei der zuständigen Behörde eingegangen gelten und Fristen mit Eingang bei der einheitlichen Stelle gewahrt werden. Hiermit wird zum einen eine Weiterleitungspflicht und zum anderen eine Zugangsfiktion begründet. In Bezug auf die Weiterleitungspflicht wird zwar eine Pflicht in Bezug auf den behördlichen Umgang mit Information begründet. Eine Auswirkungen auf die hier zu untersuchende Problematik von Wissen und Zurechnung ist damit aber bis auf Haftungsgesichtspunkte bei Verletzung dieser Pflicht unmittelbar 104 nicht verbunden. Die Zugangsfiktion führt zudem nicht dazu, dass tatsächlich nicht vorhandene Unterlagen als der zuständigen Stelle inhaltlich bekannt gelten, sondern markiert lediglich den Beginn der einschlägigen Fristen (subsidiär gegenüber der Frist zum Eintritt der Genehmigungsfiktion gemäß § 42a Abs. 2 S. 1 VwVfG). b) § 23 Abs. 3 GO LSA So bestimmt beispielsweise § 23 Abs. 3 S. 1 der sachsen-anhaltischen Gemeindeordnung, dass die Gemeinde Anträge, die beim Landkreis oder bei dem Landesverwaltungsamt einzureichen sind, entgegenzunehmen und unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten hat. Zudem fingiert S. 2 dieser Vorschrift, 102 Papier, in: MüKo, Band V, § 839 Rn. 191, 216: Prüfung der Zuständigkeit sowie (ungeschriebene Auskunfts- und Belehrungspflicht mit der Maßgabe, dass der Amtswalter nicht sehenden Auges zulässt, dass der bei ihm vorstellig werdende Bürger einen Nachteil erleidet). Zu den spezialgesetzlichen Weiterleitungspflichten, aus denen jedoch noch nicht der entsprechende allgemeine Rechtsgedanke abzuleiten sein soll Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 87. 103 Änderung des VwVfG durch Art. 10 Gesetz v. 17. Dezember 2008 (BGBl. I 2586). 104 Gleichwohl hat diese Regelung unter dem Gesichtspunkt eines Informationsverbundes Auswirkungen auf den Zuschnitt des Organisationsbereichs und damit für die faktische Komponente des hier zu entwickelnden Wissensbegriffs, siehe unten S. 172.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

dass die Einreichung bei der zuständigen Behörde als vorgenommen gilt, soweit Bundesrecht nicht entgegensteht. Diese Regelungen werden als Ausprägung des von Verfassungs wegen bestehenden Anspruchs auf bürgerfreundliches Verhalten gewertet. 105 Eine Regelung des Umgangs mit Informationen in Bezug auf Wissen und Zurechnung ist damit nicht verbunden. c) Ergebnis Eine Pflicht zur Weiterleitung von Informationen kann allgemein weder für den Begriff des Wissens noch für Zurechnungsfragen fruchtbar gemacht werden. Unter dem Gesichtspunkt einer Amtspflichtverletzung gilt das dort Gesagte. 106

4. Aktenbezogene Pflichten a) Pflicht zur schriftlichen und vollständigen Aktenführung Nach allgemeiner Auffassung unterliegen Behörden einer Pflicht zur schriftlichen und vollständigen Aktenführung, wobei sich die Aktenaufbewahrung nach allgemeinem Organisationsrecht richtet. 107 Eine normative Verortung erfährt diese Pflicht in § 29 VwVfG, dem die Vermutung zugrunde liegt, dass die Beteiligte durch Akteneinsicht alle wesentlichen Informationen über das Verfahren erhalten können sollen. 108 Zwar regelt § 29 VwVfG nach seinem Wortlaut lediglich die Akteneinsicht durch Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens, jedoch werden daraus auch Anforderungen hinsichtlich der Grundlage der Akteneinsicht, also der Akten selbst entnommen. Denn Akteneinsicht ist nur dann wirksam, wenn die Akten vollständig sind und mithin alle Informationen enthalten, die für das Verfahren von Bedeutung sind. 109 In diesem Zusammenhang wird die Frage der Vollständigkeit der Akten umfassend verstanden, so dass alle schriftlichen Ausgangsdaten, die die Verwaltung dem jeweiligen Verfahren zugrunde legt, einschließlich der beigezogenen Akten anderer Behörden und etwaiger Nebenakten umfasst sind. 110 Aus der Pflicht zu einer ordnungsgemäßen Aktenführung 105

Wiegand / Grimberg, GO LSA, § 23 Rn. 2 f. Vgl. unten S. 113 f. 107 Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 9 Rn. 53 f. 108 Vgl. Hufen, Fehler, Rn. 241 ff. Palm, Akteneinsicht, S. 59 ff. leitet dies darüber hinaus aus rechtsstaatlichen Grundsätzen ab, die den Hintergrund der Regelung in § 29 VwVfG bilden. So diene die Akteneinsicht u. a. der Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, vgl. Palm, a. a. O., S. 44 f. 109 Hufen, Fehler, Rn. 241. 110 Hufen, Fehler, Rn. 241; vgl. auch Rn. 243 zu Problemen beim Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. Die „Zweiteilung von Verwaltungsakten 106

II. Explizite Informationsorganisationspflichten

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wird zugleich das Verbot der nachträglichen Entfernung oder Verfälschung von Akten und das Verbot der Vernichtung von Akten abgeleitet, so dass Akten und Aktenteile grundsätzlich so lange aufzubewahren sind, wie sie der Dokumentationsfunktion im Einzelfall gerecht werden. 111 Jedoch zeitigt auch die Verletzung dieser Pflicht keine unmittelbaren Rechtsfolgen. Vielmehr gilt das zur Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes Gesagte entsprechend. So kann eine unvollständig geführte Akte mittelbare Folgen für den Verfahrensablauf und die Rechtsmäßigkeit des Ergebnisses bei Planungsoder Ermessenentscheidungen haben. 112 Denkbar sind auch hier Amtshaftungsansprüche, etwa infolge des Nichtgebrauchmachens von Rechtsbehelfen durch einen Beteiligten im Vertrauen auf die Vollständigkeit des Verwaltungsvorgangs. b) Geschäfts- und Aktenordnungen Von der allgemeinen Pflicht zur schriftlichen und vollständigen Aktenführung zu unterscheiden sind Geschäfts- bzw. Aktenordnungen. 113 Sofern diese Regelungen Dokumentations- sowie Informationsweiterleitungspflichten (Wahrung interner Zuständigkeiten, Geschäftsverteilung) statuieren, stellt sich die Frage nach ihrer Relevanz für die Informationsorganisationsproblematik. Es ist davon auszugehen, dass sie als reines Innenrecht keine Rechtsposition des Bürgers unmittelbar zu begründen vermögen. 114 Daher kommen sie unmittelbar als Anknüpfungspunkt einer Wissenszurechnung bzw. einer Berücksichtigung von Nichtwissen nicht in Betracht und können allenfalls unter Haftungsgesichtspunkten Relevanz erlangen. Hierzu sogleich unter „Amtshaftung“. c) Aufbewahrungspflichten und -fristen Häufig anzutreffen sind normative Vorgaben zur Aufbewahrung verkörperter Informationen sowie deren Mindest- oder Höchstdauer. Während die Regelungsdichte für Adressaten des Verwaltungshandelns im hoheitlichen Bereich als deutlich ausgeprägt erscheint, gilt Entsprechendes nicht durchweg für die betreffenden Funktionssubjekte. 115 Gleichwohl sind auch hier Rechtsquellen zu und eigentlicher (d. h. erst bei Bedarf durch Sachbearbeiter abzurufender, Anm. d. Verf.) Information“ entwerte das Recht auf Akteneinsicht. 111 Palm, Akteneinsicht, S. 62 mit weiteren Nachweisen. 112 Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 9 Rn. 55. 113 Als verwaltungsinterne Vorgaben zum Umgang mit insoweit verkörperter Information. 114 Vgl. zum Organisationsrecht S. 167 ff. 115 So trifft bspw. § 147 AO („Ordnungsvorschriften für die Aufbewahrung von Unterlagen“) dezidierte Vorgaben, welche Unterlagen vom Steuerpflichtigen wie lange aufzubewahren sind.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

verzeichnen, denen zumindest in der Zusammenschau mit Rechtsprechung und Fachliteratur einschlägige Vorgaben zu entnehmen sind. Ein hervorzuhebendes Beispiel für eine Mindestvorgabe aus dem Verfahrensrecht der Träger der Sozialversicherung stellt § 110a SGB IV dar. Hiernach bewahrt die Behörde Unterlagen, die für ihre öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit, insbesondere für die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens oder für die Feststellung einer Leistung, erforderlich sind, nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Aufbewahrung auf. Auch Höchstfristen – zumeist mit datenschutzrechtlichem Hintergrund (Löschung bei Zweckfortfall) – können entsprechend vorgegeben werden. 116 Hinsichtlich des Charakters der einschlägigen Rechtsquelle kann hier zwischen solchen des Außenrechts, also durch oder aufgrund formellen Gesetzes, und solchen des Innenrechts, z. B. durch Aktenordnungen, unterschieden werden. Unabhängig von dieser Einordnung stellt sich die Frage nach der Relevanz dieser Vorgaben im Rahmen der Untersuchung. Hier wird an anderer Stelle 117 zu zeigen sein, dass Erkenntnisse für eine Neukonturierung des Wissensbegriffs gewonnen werden können, indem die Möglichkeit eines Entfallens von Informationsbeständen – bei natürlichen Personen: „Vergessen“ – auf dieser Grundlage entwickelt werden kann. d) Bewertung Auf aktenbezogene Pflichten kann als Wertungselement bei der Neukonturierung des Wissensbegriffs in wertender Hinsicht zurückgegriffen werden.

5. Zusammenfassung Im Gegensatz zum Zivilrecht existieren im öffentlichen Recht zahlreiche Anforderungen an die Informationsorganisation. Diese ermöglichen zwar aus sich heraus keine Bewältigung der Informationsorganisationsproblematik, können jedoch den Ausgangspunkt für weiterführende Überlegungen bilden. Anforderungen zum Verfügbarmachen von Informationen, d. h. zur Informationsaufnahme und zur Weiterleitung an entscheidungszuständige Stellen innerhalb einer Organisation ergeben sich u. a. aus dem Untersuchungsgrundsatz gemäß § 24 VwVfG, aus bestimmten Aufgaben- und Kompetenznormen zur Informationsaufnahme sowie aus Geschäftsordnungen. Anforderungen zum Verfügbarhalten von Infor116 Z. B. § 4 Abs. 1 S. 1 Verordnung über die Führung des Personalakten der ungedienten Wehrpflichtigen (WPersAV), wonach die Personalakte des Wehrpflichtigen so lange aufzubewahren ist, wie dies zur Erfüllung der Wehrpflicht erforderlich ist, längstens bis zum Ablauf des Jahres, in dem der Wehrpflichtige das 45. Lebensjahr vollendet. 117 Vgl. unten S. 175 ff.

III. Verletzung von Anforderungen

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mationen können sich u. a. aus Geschäftsordnungen sowie mittelbar aus dem Recht auf Akteneinsicht aus § 29 VwVfG ergeben.

III. Bewältigung der Verletzung von Anforderungen an die Informationsorganisation Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, erweisen sich die untersuchten Anforderungen an die Informationsorganisation im hoheitlichen Bereich im Hinblick auf die normative Bewältigung einer Verletzung als wenig ergiebig. In Bezug auf Wissen und Wissenszurechnung gaben sie nichts her. Daher sollen im Folgenden allgemeine Rechtsinstitute auf ihre Lösungstauglichkeit von der Rechtsfolgenseite her untersucht werden.

1. Amtshaftung Die Verletzung der soeben unter II skizzierten Pflichten könnte unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung gemäß § 839 Abs. 1 BGB i.V. m. Art. 34 S. 1 GG dazu führen, dass als Rechtsfolge der Geschädigte so zu stellen ist, wie wenn die in Rede stehende Pflicht ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Im Ergebnis erscheint es damit zunächst als denkbar, dass der Geschädigte damit so zu stellen wäre, als ob das Funktionssubjekt die relevante Kenntnis aufwiese. Diese Lösung begegnet zumindest zwei gewichtigen Bedenken, zum einen in Bezug auf die Anspruchsvoraussetzungen (a), zum anderen in Bezug auf den Umfang des möglichen Schadensersatzanspruchs als Rechtsfolge (b). a) Drittbezogene Amtspflicht Als notwendige Voraussetzung für einen Amtshaftungsanspruch muss zunächst eine gegenüber dem Geschädigten bestehende Amtspflicht verletzt worden sein. Hierunter sind die persönlichen Verhaltenspflichten eines Amtswalters in Bezug auf seine Amtsführung zu verstehen, die eine besondere Beziehung zu dem Geschädigten aufweisen. 118 Hier ist schon zweifelhaft, ob bestehende 118 Papier, in MüKo, § 839 Rn. 189, 224 ff. mit Rechtsprechungsüberblick: Drittbezogenheit insbesondere bei der Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte des Geschädigten. Soweit zwischen relativen und absoluten Amtspflichten differenziert wird, hierzu D / W/S, Staatshaftungsrecht, § 9 Rn. 111 ff., folgt daraus für diese Untersuchung kein Erkenntnisfortschritt. Denn die absoluten Amtspflichten gehen auf im Schutz der hier nicht einschlägigen Rechtsgüter entsprechend § 823 Abs. 1 BGB. Die relativen Amtspflichten setzen eine Sonderverbindung voraus, so dass das sogleich zum verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnis Gesagte gilt.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

Pflichten mit Informationsbezug als drittbezogen anzusehen sind. Zudem bestehen diese Pflichten nur partiell und bilden damit kein System einer wie auch immer gearteten öffentlich-rechtlichen Informationsordnung. Keinesfalls kann jedoch auf die allgemeinen Amtspflichten in Form der Pflicht zu rechtmäßiger Amtsführung oder in Gestalt der Verkehrssicherungspflichten abgestellt werden. Denn diesen ist gerade kein Informationsbezug zu Eigen, sondern betrifft die Sachentscheidung selbst (rechtmäßige Amtsführung) oder schützt nur die hier nicht in Betracht kommenden sogenannten absoluten Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Eigentum. 119 b) Beschränkter Anspruchsumfang Die Heranziehung des Rechtsinstituts der Amtshaftung in dem vorliegenden Kontext scheitert jedoch letztlich an dem beschränkten Anspruchsumfang. Nach insoweit zutreffender allgemeiner Auffassung kommt hier nämlich keine Naturalrestitution sondern nur ein Anspruch auf Geldleistung in Betracht: Aus der Konstruktion der Amtshaftung als auf Funktionssubjekte übergeleitete Haftung, die bei dem Amtswalter entsteht, wird geschlussfolgert, dass zur Erfüllung auch nur die Mittel rechtlich zur Verfügung stehen, die dem originär haftenden Amtswalter als Privatperson möglich sind. 120 c) Zwischenergebnis Das Rechtsinstitut der Amtshaftung ermöglicht keine Gleichsetzung von Mängeln im Umgang mit Informationen mit positiver Kenntnis.

2. Haftung aus verwaltungsrechtlichem Schuldverhältnis Scheitert ein Anspruch aus Amtshaftung zumindest an seinem beschränkten Anspruchsumfang, könnte ein Anspruch aus Pflichtverletzung aus einem verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnis analog §§ 280, 249 BGB sich insoweit als weiterführend erweisen.

119 Zu den öffentlich-rechtlichen Verkehrssicherungspflichten Papier, in MüKo, § 839 Rn. 266. 120 Maurer, VerwR, § 26 Rn. 44; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 11. Auch die neuere Ansicht, die die Haftungsgrundlage unmittelbar in Art. 34 GG selbst verortet, erfordert keine Neubeurteilung des Anspruchsumfangs. Denn auch dann wird der Anspruchsumfang nach Maßgabe des einfachen Rechts, hier also § 839 BGB, bestimmt, vgl. Wieland, in: Dreier, GG Art. 34 Rn. 36 f.

III. Verletzung von Anforderungen

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a) Bestehen eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses Das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis ist als Zweckschöpfung zur Ergänzung des Rechts der öffentlichen Ersatzleistungen im Hinblick auf als unbillig empfundene Ergebnisse, insbesondere bei Verjährung und Haftungsumfang, in die verwaltungsrechtliche Dogmatik eingeführt worden, ohne dass es bisher gelungen ist, seinen Anwendungsbereich allgemein zu bestimmen. 121 Neben den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Fallgruppen besteht nur insoweit Übereinstimmung, dass das allgemeine Staat-Bürger-Verhältnis sowie das allgemeine Verwaltungsrechtsverhältnis aus Antrag auf und Erlass eines Verwaltungsakts als Anknüpfungspunkt eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses nicht genügen. 122 Im hier interessierenden hoheitlichen Bereich stellt der verwaltungsrechtliche Vertrag ein solches Schuldverhältnis dar. Weitere einschlägige Fallgruppen sind nicht ersichtlich. b) Pflichtverletzung Hinsichtlich der erforderlichen Pflichtverletzung stellt sich hier das gleich Problem wie bei der Amtshaftung. Die oben unter II. herausgearbeiteten Anforderungen ergeben gerade keine Informationsordnung. Aus bestehenden anderweitigen Anforderungen abgeleitete Pflichten sind nicht ersichtlich. Ein Anknüpfen an Verkehrssicherungspflichten verbietet sich auch hier. 123 c) Zwischenergebnis Wegen seines eingeschränkten Anwendungsbereichs sowie mangels relevanter Pflichten zur Informationsorganisation kann auch die Haftung aus verwaltungsrechtlichem Schuldverhältnis vorliegend keine tragfähige Lösung bilden. Zudem sieht sich diese Lösung dem prinzipiellen Einwand ausgesetzt, dass Wissen und Zurechnung Rechtskategorien bilden, die von der der Haftung zu trennen sind. Soweit es im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses 121 De Wall, Anwendbarkeit, S. 326 ff. mit erschöpfendem Überblick zum Meinungsstand, insbesondere den von de Wall nicht geteilten Vorbehalten in der Literatur, im hoheitlichen Bereich grundsätzlich keinen Gebrauch von diesem Rechtsinstitut zu machen. 122 D / W/S, Staatshaftungsrecht, § 19 Rn. 25 sowie in Rn. 24 mit der weiten Begriffsbestimmung, wonach ein öffentlich-rechtliches (d. h. hier verwaltungsrechtliches) Schuldverhältnis eine Rechtsbeziehung darstelle, die primär von öffentlich-rechtlichen Normen geprägt sei, zwischen mindestens zwei Personen – in der Regel unter Beteiligung eines Verwaltungsträgers auf mindestens einer Seite –, kraft derer die eine von der anderen Seite eine Leistung zu fordern berechtigt ist und aus der Nebenpflichten hervorgehen. 123 Hierzu bereits oben S. 72.

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auf positive Kenntnis ankommt, 124 kann zu deren Bestimmung die Frage einer (verschuldeten) Pflichtverletzung nicht beitragen, denn ein Verschuldenselement kann nicht Bestandteil des Kenntnisbegriffs bilden 125 und die Grundlage einer verschuldensunabhängigen Haftung („Gefährdungshaftung“) ist nicht ersichtlich.

3. Vertrauensschutz und Vertrauenshaftung Es stellt sich die Frage, ob die Nichterfüllung von Anforderungen an die Informationsorganisation von Funktionssubjekten des öffentlichen Rechts durch das Rechtsinstitut des Vertrauensschutzes adäquat erfasst werden kann. In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob dieser Risikogedanke speziell im öffentlichen Recht als Ausprägung eines mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG im Zusammenhang stehenden allgemeinen Vertrauensschutzes angesehen werden kann. Dabei kann jedoch der Gedanke der Risikoschaffung durch Etablierung dezentraler Strukturen durchaus fruchtbar gemacht werden, denn in Umsetzung des sogenannten Neuen Steuerungsmodells sind zunehmend Kooperationsmodelle zwischen Staat und Kommunen auf der einen Seite und Wirtschaft bzw. Bürgern auf der anderen Seite zu verzeichnen. Demgegenüber vermögen jedoch Erwägungen, wie die aus der zivilrechtlichen Diskussion bekannte Gleichstellung juristischer und natürlicher Personen bzw. das Gerechtigkeitserfordernis einer Korrelation von Vor- und Nachteilen der Arbeitsteilung wohl nicht durchzudringen, denn es ist regelmäßig ausgeschlossen, dass das öffentlich-rechtliche Tätigwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts von (natürlichen) Einzelpersonen vorgenommen werden kann, so dass es insoweit an der Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte fehlt. Als Ausnahme ist allenfalls an das Rechtsinstitut der Beleihung zu denken, wo natürlichen Personen Hoheitsrechte zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung – und damit als „Behörde“ im funktionalen Sinn – übertragen werden. Diese Ausnahmekonstellation rechtfertigt jedoch keine Grundsatzbildung in diesem Bereich. Festzuhalten ist daher, dass die Unterschiede zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts und Einzelpersonen so gravierend sind, dass sich wertungsmäßig jegliche Gleichstellung verbietet.

124 Namentlich bei einem verwaltungsrechtlichen Vertrag zur Klärung der Frage seiner Nichtigkeit bei positiver Kenntnis der Vertragschließenden im Sinne von § 59 Abs. 2 Ziff. 2 VwVfG. 125 So bereits Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 636. Diese Erwägungen aus dem zivilrechtlichen Bereich lassen sich ohne Weiteres in das öffentliche Recht übertragen, da auch hier mit dem Begriff der positiven Kenntnis operiert wird.

III. Verletzung von Anforderungen

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a) Dogmatische Herleitung Die dogmatische Herleitung und inhaltliche Ausfüllung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes waren lange Zeit umstritten. Während die Rechtsprechung hier relativ unreflektiert auf das Rechtsstaatsprinzip bzw. den die Gesamtrechtsordnung durchziehenden Grundsatz von Treu und Glauben rekurrierte 126, setzte sich in der Literatur die Auffassung durch, die den Grundsatz des Vertrauensschutzes als Ausfluss des Gewährleistungsgehalts einzelner Grundrechte in ihrer leistungsrechtlichen Dimension vor dem Hintergrund des Postulats staatlicher Schutzpflichten sowie des Sozialstaatsgebots begreift. 127 b) Inhalt So schwer die dogmatische Herleitung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes fällt, so schwierig gestaltet sich auch seine Konkretisierung. Im Ergebnis geht es jedoch darum, staatliches Handeln dem Maßstab der Verlässlichkeit, Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit zu unterwerfen, um den Adressaten zu ermöglichen, sich darauf einzustellen, d. h. sein Verhalten entsprechend ausrichten zu können. Um der Gefahr von dezisionistischen Scheinbegründungen entgegenzuwirken, ist man in Literatur und Rechtsprechung bemüht, Kriterien herauszuarbeiten und Fallgruppen zu bilden. Überwiegend wird hier als allgemeiner Unterfall des Vertrauensschutzes trotz verschiedentlicher Abweichung hinsichtlich der Terminologie an die im Zivilrecht entwickelte Vertrauenshaftung für selbstwidersprüchliches Verhalten angeknüpft, die das Hervorrufen eines Vertrauenstatbestandes, ein darauf gerichtetes schutzwürdiges Vertrauen und ein Abweichen von dem gesetzten Vertrauenstatbestand zur Voraussetzung hat. 128 c) Rechtsfolgen Hinsichtlich der Rechtsfolgen soll der Vertrauensschutz – nomen est omen – die Aufrechterhaltung des jeweiligen Vertrauenstatbestandes zum Inhalt haben, also vorliegend das öffentlich-rechtliche Funktionssubjekt zur Vertrauensentsprechung als Schutz des Bestandsinteresses zwingen. 129 Demnach richten sich die 126

In Bezug auf die Aufhebung bestandskräftiger Verwaltungsakte, vgl. BVerwGE 38, 290, 294; 48, 87, 92 jeweils mit weiteren Nachweisen. 127 Maurer, VerwR, § 11 Rn. 22. 128 Vgl. de Wall, Anwendbarkeit, S. 244 ff., insbesondere S. 246: Dieses Institut unterscheide sich inhaltlich insoweit nicht vom privatrechtlichen Verbot des venire contra factum proprium. So auch Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 79 ff. 129 Eine weitere – hier aber zu vernachlässigende – Rechtsfolge eines Anspruchs aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes zielt auf Wertersatz ab und wird insbesondere

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konkreten Rechtsfolgen nach dem Inhalt des jeweils einschlägigen Vertrauenstatbestandes. Für den vorliegend in Betracht zu ziehenden Vertrauenstatbestand einer zu Recht erwarteten Informationsorganisation würde das also bedeuten, dass das Funktionssubjekt hypothetisch so behandelt werden müsste, als würde seine Organisation den schutzwürdigen Erwartungen entsprechen, was also im Ergebnis auf die Möglichkeit einer Wissenszurechnung hinausliefe. d) Anwendbarkeit – Die Tatbestandsmerkmale im Einzelnen Nachdem festgestellt wurde, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes von seinen Rechtsfolgen her bei der Nichterfüllung von Anforderungen an die Informationsorganisation durchaus zu einer Wissenszurechnung qua Wissensentsprechung führen könnte, gilt es nun, seine tatbestandliche Einschlägigkeit im Einzelnen zu untersuchen. aa) Vertrauenstatbestand Die Gewährung von Vertrauensschutz setzt zunächst das Bestehen einer Vertrauensgrundlage, des Vertrauenstatbestands voraus. Worin diese im Hinblick auf die in Rede stehende Organisationsproblematik gesehen werden könnte, ist bereits in der zivilrechtlichen Diskussion heftig umstritten. Es finden sich hinsichtlich der Anforderungen (in abgestufter Reihenfolge) Überlegungen zu einer optimalen, ordnungsgemäßen oder auch nur irgendwie „funktionierenden“ Informationsorganisation bezüglich der Ermöglichung der Aufnahme, Speicherung und Weiterleitung an Entscheidungsträger. 130 Die Problematik, die sich hier stellt, liegt vor allem in der Erkenntnisquelle dieser Organisationsanforderungen. Sofern – wie nahezu ausschließlich – normative, also gesetzliche oder richterrechtliche Anforderungen fehlen, läuft diese Betrachtung auf die Fiktion von Erwartungen des Rechtsverkehrs hinaus. Diese können bei kritischer Betrachtung nach vorzugswürdiger Ansicht jedoch allenfalls in Minimalanforderungen einer irgendwie funktionierenden Organisation gesehen werden. 131 dann in Betracht gezogen, wenn dem geschützten Interesse durch bloße Vertrauensentsprechung wegen irreparabler Verschlechterung nicht mehr zur Durchsetzung verholfen werden kann, vgl. Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 131, 140 ff. Als vorrangig dürfte sich jedoch der Anspruch auf Vertrauensentsprechung erweisen, vgl. für das Zivilrecht Canaris, Vertrauenshaftung, S. 518: „positiver Vertrauensschutz“. 130 Vgl. den Überblick bei Buck, Wissen und juristische Person, S. 410 ff. (Informationsweiterleitungspflicht), S. 424 ff. (Dokumentationspflicht) sowie zusammenfassend S. 409: Pflicht arbeitsteiliger Organisationen, ihre Informationserlangung, -verarbeitung und -weiterleitung so einzurichten, dass alle relevanten Informationen zur rechten Zeit an die richtige Stelle weitergegeben werden.

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Damit ist hier an sich nur von einem Vertrauenstatbestand geringeren Gewichts, also einem schwachen Vertrauenstatbestand, auszugehen. Diese Feststellung bestätigt sich auch dadurch, indem man hinsichtlich der Art der Vertrauensgrundlage weiter differenziert zwischen individuellen, d. h. im Staat-Bürgerverhältnis hinsichtlich eines Einzelrechtsverhältnisses konkretisierten und generellen, d. h. gegenüber einer unbestimmten Personenzahl bestehenden Vertrauensgrundlagen 132, wobei generelle Vertrauensgrundlagen – wie hier bestimmte Organisationserwartungen – im Ergebnis grundsätzlich nur eine geringere Bindung vermitteln sollen. Auf den ersten Blick stellt sich die Lage im öffentlichen Recht jedoch anders dar. Denn hier lassen sich – wie gezeigt 133 – durchaus gewisse Anforderungen an die Informationsorganisation herleiten. Die Frage die sich stellt, betrifft jedoch die Gewichtung dieser Anforderungen, mit anderen Worten also die Erwartungen des Rechtsverkehrs bzw. besser: der Allgemeinheit. Kaum Beachtung fanden in dieser Diskussion jedoch bisher Ansätze zu Anforderungen hinsichtlich der Entgegennahme von vorzugsweise verkörperten Informationen und ihrer Fixierung in Datenträgern. Gerade vor dem Hintergrund des der öffentlichen Verwaltung immanenten Prinzips der Aktenkundigkeit 134, kann sich diesbezüglich jedoch ein Vertrauenstatbestand manifestieren. So kann als Fazit dieser Organisationsanforderungen davon ausgegangen werden, dass als Minimalanforderung der Grundsatz formuliert werden kann, dass einem Funktionssubjekt zugeleitete – relevante – Informationen dem entsprechenden vorhandenen oder anzulegenden Verwaltungsvorgang zugeordnet und damit dem zuständigen Entscheidungsträger zugeleitet werden. Das gilt gleichermaßen für mündliche als auch verkörperte Informationen, denn bezüglich nicht verkörperter Informationen kann auf die Üblichkeit der Anfertigung von Aktennotizen hingewiesen werden. Gleichwohl dürften auch die soeben geschilderten Organisationserwartungen nicht schon dazu führen, nunmehr von einem ausgeprägten Vertrauenstatbestand auszugehen, denn es bleibt zu beachten, dass es sich wiederum um eine nur generelle Vertrauensgrundlage handelt, so dass das hierzu bereits Ausgeführte entsprechend gilt.

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So in Bezug auf die zivilrechtliche Dimension auch Buck, Wissen und juristische Person, S. 458 f. Alles andere liefe auf einen Eingriff in die interne Organisationsgewalt und eine reine Fiktion der Erwartungen des Rechtsverkehrs hinaus, hierzu auch Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 642 ff. 132 So Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 84 f.; auch S. 133 f.: Eingeschränkte Bindung an generelle Vertrauensgrundlagen. 133 Siehe oben S. 101 ff. 134 Hierzu bereits Weber, Staat und Gesellschaft, S. 126, 552 sowie oben S. 89 ff.

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bb) Vertrauen Weiterhin müsste sich konkret ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen auf den Vertrauenstatbestand beziehen. Hier kommt es – um den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht zu einer bloßen Fiktion werden zu lassen – auf die Vorstellungen an, die der Betroffene aufweist, wobei im Allgemeinen zumindest die Kenntnis vom Vertrauenstatbestand gefordert wird. 135 Nun werden aber konkrete Vorstellungen zu Organisationsabläufen eines Funktionssubjekts der öffentlichen Verwaltung bzw. entsprechenden normativen Vorgaben bei den Betroffenen zumeist nicht vorliegen. Es könnte allenfalls von einer Art sachgedanklichen Mitbewusstseins dergestalt ausgegangen werden, dass der Betroffene der Annahme unterliege, es werde alles „seine Ordnung“ haben, also zur Aufnahme, und, soweit erforderlich, zur Weiterleitung sowie zur Berücksichtigung der betreffenden Informationen kommen. Jedoch bezieht sich dieses Vertrauen wiederum nur auf Minimalanforderungen der Informationsorganisation, so dass auch insoweit nur von einem schwachen Vertrauenstatbestand ausgegangen werden kann. cc) Schutzwürdigkeit des Vertrauens Im Zivilrecht wird zusätzlich zum konkreten Vertrauen im Allgemeinen noch eine Vertrauensbetätigung als zusätzliches Merkmal und zugleich als eine Voraussetzung für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens verlangt. Im öffentlichen Recht ergibt sich nach vorzugswürdiger Auffassung die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Betroffenen erst aus einer Gesamtabwägung des Interesses des Betroffenen an der Verwirklichung des Vertrauenstatbestandes mit dem öffentlichen Interesse an der Nichtberücksichtigung des Vertrauenstatbestandes. 136 Als Abwägungselemente kommen dabei auf der Seite des „dem Staate“ gegenüberstehenden Betroffenen v. a. dem Grad der Schutzwürdigkeit des Vertrauens sowie einer etwaigen Betätigung des Vertrauens in Gestalt einer mit der Vertrauensgrundlage in kausalem Zusammenhang stehenden Disposition maßgebliche Bedeutung zu. Die Abwägung ist damit die Stufe, auf der der jeweilige Vertrauenstatbestand nach Maßgabe seines Gewichts zum Tragen kommt. Dabei soll zunächst das Erfordernis der Schutzwürdigkeit des Vertrauens verhindern, dass rechtlich fehlerhafte bzw. aus Rechtsgründen nicht zu realisie135 So z. B. Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 91: Ein bloß fingiertes Vertrauen verdiene keinen Schutz vor Enttäuschung. 136 Vgl. Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 118 f. mit diversen Präzisierungen dieser Grundaussage. So handele es sich bei den Privatinteressen im Falle ihrer verfassungsrechtlichen Anerkennung in Wahrheit um „mittelbar öffentliche Interessen“.

III. Verletzung von Anforderungen

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rende Erwartungen über das Institut des Vertrauensschutzes quasi perpetuiert werden. 137 Grundsätzlich wird man das Vertrauen in eine bestimmten Mindestanforderungen genügende Informationsorganisation als schutzwürdig einzustufen haben, es sei denn diese Erwartungen begegnen im Einzelfall rechtlichen Grenzen 138, namentlich datenschutzrechtlichen Hürden. 139 So kann ein auf einen datenschutzwidrigen Informationsfluss gerichtetes Vertrauen zumindest objektiv keinen Schutz genießen. Eine andere Frage ist, ob ein „guter Glaube“ des Betroffenen im Falle der Unkenntnis von datenschutzrechtlichen Anforderungen gleichwohl für eine Schutzwürdigkeit des darauf bezogenen Vertrauens sprechen könnte. Im Hinblick auf den Schutzzweck datenschutzrechtlicher Bestimmungen dürfte diese Frage indes zu verneinen sein. Vor der eigentlichen Abwägung ist noch zu erörtern, inwieweit eine abwägungsfähige Rechtsposition desjenigen überhaupt besteht, der auf einen gewissen Grad an Organisiertheit hinsichtlich des Informationsflusses in an sich schutzwürdigem Maße vertraut. Im Zivilrecht wird in diesem Zusammenhang eine Vertrauensbetätigung – eine „Disposition“ – des Vertrauenden gefordert, die zudem kausal auf die Vertrauensgrundlage zurückzugehen habe. 140 Die Disposition kann zwar in jeglichem Verhalten, also auch im Unterlassen gesehen werden. Gleichwohl scheint es nicht unproblematisch zu sein, beim Vertrauen in einen Organisationsgrad eine derartige Disposition festzustellen. Denkbar sind Fälle, in denen es sich darum handelt, dass jemand im Vertrauen auf die Weiterleitung von Informationen, eine nochmalige Mitteilung unterlässt. Oftmals werden jedoch rein interne Defizite der Informationsorganisation zu einer Verschlechterung der Position des Betroffenen führen, ohne dass eine Disposition in Rede steht. Selbst bei der – im Unterschied zum Zivilrecht im öffentlichen Recht vertretenen – Ableitung des Vertrauensschutzes aus dem Gewährleistungsgehalt der Grundrechte kommt es hinsichtlich der Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf die Grundrechtsausübung bzw. das Vorliegen grundrechtlicher Schutzgüter an. Bei der hier interessierenden Problematik der Informationsorganisation wird zumeist kein spezielles Grundrecht in seiner Schutzdimension einschlägig sein, 137

Vgl. aber zu weitgehend Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 91 ff.: Der gute Glaube des Betroffenen könne die objektive Fehlerhaftigkeit der Vertrauensgrundlage überwinden. 138 Grenzen im tatsächlichen Bereich wird man im Hinblick auf Minimalanforderungen angesichts der Informationstechnologie vernachlässigen können. 139 Vgl. hierzu oben S. 94 ff. 140 Hierzu und zum Folgenden Canaris, Vertrauenshaftung, S. 510 f.: „Vertrauensinvestition“.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

so dass hinsichtlich der erforderlichen Disposition als Vertrauensbetätigung nur der Rückgriff auf die von Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit bleibt. 141 Diese dürfte in ihrer Schutzdimension jedoch nur einen „Kernbereich an Vertrauensdispositionen“ 142 umfassen, so dass der Schutzumfang auch in dieser Hinsicht als eher gering einzuschätzen ist. dd) Selbstwiderspruch Schließlich wird z.T. – wie im Zivilrecht – verlangt, dass sich das öffentlichrechtliche Funktionssubjekt durch das in Rede stehende Verhalten in Widerspruch zu dem ihm zuzurechnenden Vertrauenstatbestand setzt. Dieser Widerspruch kann aber nicht bereits darin gesehen werden, dass ein Funktionssubjekt Rechtsakte setzt, obwohl seine Informationsorganisation nicht den Vorstellungen seines Gegenübers entspricht. 143 Vielmehr soll es eines konkretisierenden Akts nach außen bedürfen, dass dem Vertrauenstatbestand entsprochen werde, was – abgesehen von extrem liegenden Ausnahmefällen – regelmäßig nicht der Fall sein dürfte. Davon abgesehen, ist fraglich, ob dem Kriterium des Selbstwiderspruchs im öffentlichen Recht im Rahmen eines allgemeinen Vertrauensschutzes neben der Interessenabwägung noch eine Bedeutung verbleiben kann. Der Umstand, dass dem Vertrauenstatbestand nicht entsprochen werde, fließt nämlich spätestens im Rahmen der Interessenabwägung bei der Frage ein, inwieweit sich eine schutzwürdige Position des Betroffenen durch das in Rede stehende staatliche Handeln reduziert habe. e) Ergebnis Wie gezeigt, ermöglicht die Heranziehung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes keine befriedigende Lösung der Organisationsproblematik. Zum einen gewährleistet ein auf eine irgendwie funktionierende Organisation bezogener Vertrauenstatbestand nur ein geringes Schutzniveau. Zum anderen lässt sich ein 141 Art. 14 GG gewährleistet nämlich nach allgemeiner Auffassung keinen allgemeinen Vermögensschutz, vgl. Jarass, in Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 7, während Art. 3 I GG ein abweichende Verwaltungspraxis desselben Hoheitsträgers voraussetzt. 142 Blanke, Vertrauensschutz, S. 122. 143 So auch Henning, Wissenszurechnung, S. 122 f. unter Bezugnahme auf Canaris, Vertrauenshaftung, S. 266 ff. für den wegen des tatsachenbezogenen Vertrauenstatbestands hier relevanten Fall der „Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit“, den Canaris, a a. O., S. 271 von der Vertrauenshaftung kraft Rechtsscheins abgrenzt: So solle letztere in Erfordernissen des (rechtsgeschäftlichen) Verkehrsschutzes wurzeln, während erstere auf das Gebot von Treu und Glauben als „traditionelle Maxime der Rechtsethik“ zurückzuführen sei.

III. Verletzung von Anforderungen

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hierauf bezogenes individuelles Vertrauen kaum in Rechtspositionen materialisieren, die in eine Interessenabwägung eingestellt werden könnten. Im Übrigen würde dem Erfordernis des Selbstwiderspruchs – sofern man daran festhalten will – nur in Extremfällen Genüge getan.

4. Treu und Glauben, Rechtsmissbrauch Es wurde nachgewiesen, dass sich die Heranziehung der wesentlichen Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben, nämlich der Vertrauenshaftung bzw. des Vertrauensschutzes, nicht als weiterführend erwies. Folglich bleibt zu erörtern, ob sich eine Lösung der Organisationsproblematik unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes von Treu und Glauben im Allgemeinen ergeben kann. a) Dogmatische Verortung und Inhalt Dass der Grundsatz von Treu und Glauben als allgemeines Rechtsprinzip die Gesamtrechtsordnung und mithin auch das öffentliche Recht durchwirkt, kann als juristischer Gemeinplatz bezeichnet werden. Wie bereits bei der Erörterung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes dargestellt, wurde zur dogmatischen Verortung auch des Prinzips von Treu und Glauben im öffentlichen Recht lange Zeit unreflektiert auf eine analoge Anwendung von § 242 BGB abgestellt, während in neuerer Zeit die Herleitung objektiv-rechtlich als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3 GG erfolgt bzw. subjektiv-rechtlich auf den Gewährleistungsgehalt der Grundrechte rekurriert wird. 144 Obwohl die materiellen Kriterien des Grundsatzes von Treu und Glauben im öffentlichen Recht höchst unklar bleiben, kann festgehalten werden, dass es sich letztlich darum handelt, die mit einem herrschenden Rechtsgefühl nicht in Einklang zu bringenden Ergebnisse der Rechtsanwendung in Extremfällen gewissen Billigkeitserwägungen zu unterziehen. Im Vordergrund steht dabei also die „Neutralisierung“ eines als rechtsmissbräuchlich und damit für den Rechtsanwender als unerträglich empfundenen Ergebnisses einer an sich methodengerechten Rechtsanwendung. Ein Einfallstor für allgemeine Billigkeitserwägungen soll dem Grundsatz von Treu und Glauben jedoch nicht zukommen. Dies würde dem Gebot der Rechtssicherheit zuwiderlaufen, so dass insoweit eine Abwägung zu treffen ist zwischen den verschiedenen Elementen des Rechtsstaatsprinzips, nämlich der Einzelfallgerechtigkeit auf der einen und der Rechtssicherheit auf der anderen Seite. 145 Mithin kann für einen richtig – d. h. restriktiv – verstan144

De Wall, Anwendbarkeit, S. 238. Allgemein zu diesen Elementen des Rechtsstaatsprinzips Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 147. 145

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

denen Grundsatz von Treu und Glauben nur ein schmaler Anwendungsbereich verbleiben. b) Anwendbarkeit Wegen der geringen Reichweite des Grundsatzes von Treu und Glauben im Hinblick auf die in Frage kommenden Fallkonstellationen ist davon auszugehen, dass er zur Lösung der Organisationsproblematik – abgesehen von Extremfällen – wenig beitragen kann. 146 Denn es bedarf eines gesteigerten Vorwurfs der Nichterfüllung berechtigter Erwartungen hinsichtlich der Informationsorganisation, so dass nur ein enger Bereich der Organisationsproblematik abgedeckt würde. Immerhin kann dieser Bereich aber mit Hilfe des Grundsatzes von Treu und Glauben einer befriedigenden Lösung zugeführt werden. Es dürfte sich hierbei in erster Linie um die in der Praxis eher seltenen Fälle eklatanten Selbstwiderspruchs handeln. 147

IV. Fallgruppen im Lichte der Rechtsprechung Die öffentlich-rechtlichen Wissensnormen werfen in Relation zu den zivilrechtlichen auf den ersten Blick strukturell vergleichbare Fragen auf. Auch hier werden v. a. in der Literatur Wissensbegriff und Zurechnungsnorm problematisiert. Ganz überwiegend wird dabei aber ein subjektiver Wissensbegriff beibehalten und im Hinblick auf die Zurechnungsnorm die analoge oder rechtsgrundsätzliche Anwendung zivilrechtlicher Zurechnungsnormen favorisiert. Dogmatisch annähernd durchdrungen sind die entsprechenden Fragen im Zusammenhang mit verwaltungsrechtlichen Ausschlussfristen. 148 Generell scheint das öffentliche Recht aber den zivilrechtlichen Entwicklungen quasi „hinterherzuhinken“, indem versucht wird, diese in das öffentliche Recht zu übertragen. 149 Soweit die Zivilrechtsprechung das Handeln von Funktionssubjekten des öffentlichen Rechts im Hinblick auf Organisationsanforderungen zum Gegenstand hatte, bezog sich dies wegen der Zuständigkeitsordnung nur auf deren – hier 146

A. A. Buck, Wissen und juristische Person, S. 454 ff., die zwar die Systemgerechtigkeit ihrer Lösung zu Recht hervorhebt, sich jedoch der berechtigten Kritik ausgesetzt sieht, hierdurch nur einen Teilbereich der Anwendungsfälle des Organisationsansatzes bewältigt zu haben, vgl. oben S. 82. 147 Vgl. hierzu oben S. 123 f. 148 Dazu sogleich unten S. 125 ff. 149 Vgl. die Vorgehensweise von Henning, Wissenszurechnung, S. 139 ff. in Bezug auf die verwaltungsverfahrensrechtlichen Ausschlussfristen.

IV. Fallgruppen im Lichte der Rechtsprechung

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nicht interessierende – rechtsgeschäftliche Betätigung oder das Recht der staatlichen Ersatzleistungen. Inwieweit jedoch Funktionssubjekte des öffentlichen Rechts im Rahmen hoheitlichen Tätigwerdens Anforderungen hinsichtlich der „Informationsorganisation“ unterliegen, ist bisher nur ansatzweise in den Blick gekommen. Als völlig ungeklärt kann zudem deren dogmatische Einordnung bezeichnet werden. Im Folgenden sollen möglichst markante Beispiele aus der Rechtsprechung zeigen, welche Fragen an die Rechtspraxis herangetragen und welchen Lösungen diese zugeführt worden sind.

1. Die verwaltungsrechtlichen Ausschlussfristen Bei den verwaltungsrechtlichen Ausschlussfristen handelt es sich um die in der Praxis wohl bedeutsamsten öffentlich-rechtlichen Wissensnormen. Diese werfen auch im Hinblick auf die Wissensproblematik einige Fragen auf, deren Klärung letztlich noch nicht vollständig bewältigt worden ist. 150 Die benannten Ausschlussfristen stellen für den Fristbeginn auf die „Kenntnis der Behörde“ ab. Kenntnis von Behörden im Sinne des Wortlauts kann es jedoch nach einem subjektiv verstandenen Wissensbegriff nicht geben, da mit dem Begriff der Kenntnis nur ein entsprechender Bewusstseinszustand einer natürlichen Person gemeint ist. Damit besteht ein begrifflicher Widerspruch in den betreffenden Vorschriften zwischen Kenntnis und Behörde. Zur Auflösung dieses Widerspruchs werden nun in der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur im Wesentlichen zwei Lösungsansätze vertreten: Zum einen wird der Begriff der Behörde entgegen dem üblichen Sprachgebrauch als der der verwaltungsintern nach der Geschäftsverteilung zuständigen Stelle angehörenden Amtswalter bzw. als diese Struktureinheit selbst verstanden 151, und zum anderen wird der Begriff der Kenntnis erweiternd als Aktenkundigkeit aufgefasst 152. Zudem stellt die herrschende Rechtsprechung hinsichtlich des Fristbeginns der Ausschlussfristen darauf ab, dass es sich jeweils um eine Entscheidungsfrist handelt und begegnet etwaigen Manipulationsmöglichkeiten – wie etwa der Verzögerung der Herbeiführung der Entscheidungsreife durch Behördenmitarbeiter – mit der Anwendung des rechtsübergreifend geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben als Einwand unzulässiger Rechtsausübung. 153 150 151

Hierzu ausführlich sogleich S. 128 f. Vgl. BVerwGE (Großer Senat) 70, 356, 364; OVG Magdeburg LKV 2000, 545,

546. 152 Vgl. Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 213 unter Bezug auf BFHE 185, 568, 570. 153 Vgl. BVerwGE 74, 357, 364.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

a) Kenntnis der Behörde: Inhalt ihrer Verwaltungsvorgänge 154 In seiner Entscheidung vom 29. Oktober 1982 setzt das OVG Berlin erstmals das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis der Behörde mit dem Inhalt der im Zuständigkeitsbereich der betreffenden Behörden geführten Verwaltungsvorgänge – mithin der Aktenkundigkeit – gleich. Der Entscheidung liegt zugrunde, dass sich die Klägerin als Eigentümerin einer mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnung gegen den Rücknahmebescheid des beklagten Landesamtes für Wohnungswesen wandte, womit die Verfügung hinsichtlich des Endes der sogenannten Sozialbindung des betreffenden Wohnraums aufgehoben werden sollte. Zunächst hatte der Beklagte die Klägerin auf ihren Antrag mit Bescheid vom 12. Februar 1976 für die Dauer der Nutzung des betreffenden Wohnraums durch die Klägerin selbst von der Sozialbindung befreit. Zuvor, nämlich mit Schreiben vom 8. Dezember 1975 hatte die Klägerin dem Beklagten die Überlassung der betreffenden Wohnung an einen Mieter angezeigt. Die Tatsache der Vermietung der Wohnung wurde bei dem Beklagten allerdings nur bei den intern für die Bearbeitung von Freistellungen und Bußgeldbescheiden zuständigen Abteilungen und nicht bei der den streitigen Aufhebungsbescheid erlassenden Abteilung geführt. Nachdem die Klägerin die als Darlehen gewährten öffentlichen Mittel zur Schaffung des Wohnraums am 22. Dezember 1975 vorzeitig vollständig zurückgezahlt hatte, bescheinigte ihr der Beklagte mit Bescheid vom 25. März 1976, dass die Sozialbindung mit der Rückzahlung entfallen sei. Mit streitigem Bescheid vom 10. Oktober 1978 hob der Beklagte seinen Bescheid vom 25. März 1976 mit der Begründung auf, dass man bei Erlass des aufzuhebenden Bescheides irrig davon ausgegangen sei, dass die Klägerin die Wohnung Ende 1975 noch selbst genutzt habe, was Voraussetzung für den sofortigen Wegfall der Sozialbindung gewesen sei. Das OVG Berlin hatte sich im Wesentlichen mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Rücknahme vorliegend am Ablauf der Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG scheitert. Zunächst war hierbei zu klären, wann die maßgebliche Frist begann. Zur Frage der Kenntnis der Behörde als der den Fristbeginn auslösende Umstand stellt das OVG Berlin fest, dass als der Behörde bekannt alle diejenigen ihren Zuständigkeitsbereich betreffenden Informationen „zuzurechnen“ 155 seien, die in die bei dieser Behörde geführten Verwaltungsvorgänge gelangen und zwar unabhängig davon, welche der bei der Behörde tätigen Amtswalter hier154 OVG Berlin vom 29. Oktober 1982 (OVG Berlin NJW 1983, 2156). Zustimmend nunmehr Meyer, in: Knack, VwVfG § 48 Rn. 83: Verpflichtung bei Behörden noch stärker, Information so zu organisieren, dass alle wichtigen Informationen aktenmäßig erfasst und zur rechten Zeit an die richtige Stelle weiterzugeben seien. 155 OVG Berlin NJW 1983, 2156.

IV. Fallgruppen im Lichte der Rechtsprechung

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von Kenntnis nehmen oder bei welcher Stelle innerhalb der behördeninternen Gliederung diese Verwaltungsvorgänge geführt werden. Zur Begründung dieser Auslegung führt das OVG Berlin aus, dass es nach dem Wortlaut von § 48 Abs. 4 VwVfG gerade nicht auf den Wissensstand und die Bewusstseinslage einzelner Amtswalter ankomme. 156 Maßgeblich sei nämlich die Kenntnis der zuständigen Behörde, womit ausgehend von der Legaldefinition in § 1 Abs. 4 VwVfG (jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt) nur Struktureinheiten mit einer Außenzuständigkeit und nicht rein interne Untergliederungen maßgeblich seien. Nur diese Auffassung entspreche auch dem Schutzzweck der Regelung, ausgehend vom Rechtsinstitut der Verwirkung dem Vertrauensschutzinteresse der Bürger und der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen, denn der Bürger könne bezüglich der behördeninternen Verteilung der Aktenführung und der organisatorischen Vorkehrungen weder Einblick nehmen noch Einfluss ausüben, dafür dass die entsprechenden Akten auch für die Entscheidung herangezogen werden. 157 Im Ergebnis sah das OVG Berlin also den Beklagten mit Erhalt der Überlassungsanzeige der Klägerin vom 8. Dezember 1975 als wissend an, so dass die Jahresfrist abgelaufen und der Rücknahmebescheid aufzuheben war. b) Kenntnis der Behörde: „Behörde“ innerhalb der Behörde 158 In dieser Verwaltungsstreitsache setzte sich das VG Köln u. a. mit der soeben wiedergegebenen Auffassung des OVG Berlin zur Interpretation des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis einer Behörde auseinander und verwarf diese Auffassung. 159 So sei als Behörde die Stelle innerhalb der Behörde zu verstehen, die nach der internen Gliederung der Gesamtbehörde und ihrer Aufgaben- und Geschäftsverteilung über die Rücknahme zu entscheiden habe. Das VG Köln begründet seine Auffassung mit der Praktikabilität: Bei großen Behördenorganisationen würden eine Vielzahl von Informationen unter verschiedenen Gesichtspunkten gesammelt, wobei in der Regel die jeweilige Sammlung nur der Stelle innerhalb der Behörde bekannt werde, die sie für ihren internen Aufgabenbereich benötige. Zudem könne nur diese einschränkende Auslegung den Begriff der Kenntnis konturieren. Ein Abstellen auf die Kenntnis der Behörde insgesamt, etwa über den Aktenbestand, verkenne, dass eine schuldhafte Unkenntnis gerade nicht genügt. Überdies könnten so Fälle nicht erfasst werden, wenn einer anderen Stelle innerhalb der Behörde Tatsachen zwar bekannt sind, sie aber durch Vorschriften über den Datenschutz oder eine besondere Geheimhaltung gehindert ist, diese behördenintern weiterzugeben. 156 157 158 159

Vgl. OVG Berlin NJW 1983, 2156 f. Vgl. OVG Berlin NJW 1983, 2156 f. VG Köln vom 16. August 1983 (VG Köln NVwZ 1984, 537). Hierzu und zum Folgenden VG Köln NVwZ 1984, 537, 538 f.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

c) Kenntnis der Behörde: Intern zuständige Stelle 160 Die Auffassung des OVG Berlin zum Begriff der Kenntnis der Behörde als Aktenkundigkeit konnte sich auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht durchsetzen. So ist das BVerwG in seiner Entscheidung vom 19. Dezember 1984 dem nicht gefolgt. In dieser Entscheidung hatte sich das BVerwG vorrangig mit der Frage zu befassen, ob die Ausschlussfrist hinsichtlich der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts auch für den Fall einer fehlerhaften Rechtsanwendung greift. Neben dieser – im Ergebnis bejahten – Problemstellung, wurden die bisher praktizierten Grundsätze zum Verständnis des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis einer Behörde zusammengefasst: Hiernach beginnt der Lauf der Jahresfrist, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahme erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. 161 Eine Behörde erlangt nach dieser Rechtsprechung Kenntnis, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Sachentscheidung berufene Amtswalter die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen feststellt, was ihre vollständige, uneingeschränkte und zweifelsfreie Ermittlung zur Voraussetzung habe. Damit könne die Jahresfrist nicht schon mit dem Erlass des unter fehlerhafter Rechtsanwendung zustande gekommenen Verwaltungsakts beginnen, was selbst im Falle einer bewussten und gewollten Fehlentscheidung des Amtswalters zu gelten habe. Schließlich genüge es nicht, wenn die entscheidungsrelevante Tatsachen aus den bei der zuständigen Stelle geführten Akten ersichtlich sind: Diese Anschauung werde dem Charakter der Jahresfrist nicht gerecht, die der Behörde zur sachgerechten Entscheidung eingeräumt sei und damit nicht in Lauf gesetzt werde, bevor sich die Behörde der Notwendigkeit, angesichts der Tatsachenlage über die Rücknahme zu entscheiden, bewusst geworden sei. 162 d) Kritische Würdigung Die Auffassung des OVG Berlin zum Begriff der Kenntnis der Behörde als Aktenkundigkeit konnte sich – wie aufgezeigt – in der Rechtsprechung nicht durchsetzen. 163 Insbesondere wurde kritisiert, dass die Meinung des OVG Berlin 160

BVerwG Großer Senat vom 19. Dezember 1984 (BVerwGE 70, 356). Hierzu und zum Folgenden BVerwGE 70, 356, 362 ff. Der im Einzelnen zu fordernde Umfang der Kenntnis ist str. (wie hier Entscheidungs- statt Aufklärungsfrist, vgl. sowie zum Streitstand Meyer, in: Knack, VwVfG § 48 Rn. 82 f.) 162 BVerwGE 70, 356, 364. 163 Vgl. BVerwGE 70, 356, 364 m.w. N. 161

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dazu zwinge, den Begriff der Kenntnis contra legem im Sinne eines KennenMüssens zu verstehen, obschon § 48 Abs. 4 VwVfG als Ausnahmevorschrift eng auszulegen sei. 164 Einige Stimmen aus dem Schrifttum zollten ihr jedoch Beifall. So wurde darauf hingewiesen, dass nur dieser Kenntnisbegriff neben dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes auch den Gegebenheiten der Bürokratie Rechnung trage, da in Anbetracht einer gewissen Personalfluktuation das Abstellen auf den Bewusstseinsinhalt eines Amtswalters die Behörde einer nicht zu erfüllenden Verantwortlichkeit aussetzen würde. 165 Einer Objektivierung des Wissensbegriffs durch Gleichsetzung mit dem Inhalt des betreffenden Verwaltungsvorgangs, also der Aktenlage, kann zunächst zu Gute gehalten werden, dass damit eine Erhöhung der Rechtssicherheit verbunden sein dürfte, da allein der Akteninhalt auch im Hinblick auf die Beweislage im Verwaltungsprozess zum entscheidenden Maßstab erhoben wird. Somit wird auch das Organisationsrisiko der Aktenführung bzw. der Umstand, dass die erforderlichen Verwaltungsvorgänge an die intern zuständigen Amtswalter geleitet werden, der „Behörde“, also der Organisation angelastet. Ohne dies zu begründen sprach das OVG Berlin in der vorliegenden Entscheidung jedoch von einer Zurechnung des Akteninhalts gegenüber der Behörde, so dass unklar bleibt, wie dies rechtstechnisch, d h. nach welchem Zurechnungsgrundsatz und nach welcher Zurechnungsnorm dies erfolgen soll. Es vermag zudem nicht zu überzeugen, wenn völlig von dem Bewusstseinsinhalt der jeweiligen Amtswalter abstrahiert wird und hierbei sonstigen (auch einer Weiterleitung entgegenstehenden) Anforderungen an die Informationsorganisation ausgeblendet werden.

2. Verjährungsfragen a) Verjährung von Regressansprüchen im Beamtenrecht In Bezug auf die Problematik des Anknüpfungszeitpunkts für den Lauf der Verjährungsfrist stellen sich im öffentlichen Recht Fragen, die denen der im Zivilrechtsweg geltend zu machenden Regressansprüchen von Funktionssubjek164 VG Köln NVwZ 1984, 537, 538 f. A. A. Kopp, DVBl. 1990, 663, 665: Grobe Fahrlässigkeit sei ausweislich des Schutzzwecks sowie der Entstehungsgeschichte der Regelung zur Ausschlussfrist positiver Kenntnis gleichzustellen. Diese Auffassung setzt sich jedoch in Widerspruch zu dem klaren Wortlaut („Kenntnis“) der betreffenden Vorschrift und findet darüber hinaus keine hinreichende Stütze für eine Analogie. 165 Pieroth, NVwZ 1984, 681, 685. Insoweit ebenso Stadie, DÖV 1992, 247, 251 f.: Ein rein subjektives Abstellen auf den Kenntnisstand eines bestimmten Amtswalters widerspreche der Gesetzesbindung der Verwaltung. Es könne jedoch auch nicht genügen, dass sich die relevante Information „irgendwo“ in den Akten verberge. Abzustellen sei daher auf die Information, die von einem durchschnittlichen Amtswalter in jedem Fall herangezogen worden wären, sich ihm quasi aufgedrängt hätten.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

ten entsprechen. 166 Inhaltlich weisen diese Ansprüche große Ähnlichkeit auf. Die Rechtswegdifferenzierung ist Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses der Herausbildung und Differenzierung der öffentlichen Gerichtsbarkeit. 167 So überrascht es nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht hier unter Betonung der Vergleichbarkeit auf die Rechtsprechung des BGH entsprechend zurückgreift. Die folgende exemplarische Übersicht soll zugleich den Blick für die Besonderheiten schärfen. aa) Verjährungsbeginn: Kenntnisvermittlung durch erstbefasstes Referat 168 Der Kläger wandte sich unter Berufung auf die Anspruchsverjährung gegen seine per Leistungsbescheid des Bundes erfolgende Heranziehung zum Schadensersatz wegen Verletzung seiner Pflichten als Beamter des Bundes. Im Rahmen der Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben hatte der Kläger über öffentliche Gelder rechtswidrig verfügt, wodurch dem Bund ein Schaden entstanden war. Dem fachaufsichtsführenden Referat des zuständigen Ministeriums waren die streitgegenständlichen Vorgänge mehr als drei Jahre vor dem Zeitpunkt des Erlasses des Leistungsbescheids gegenüber dem Kläger bekannt geworden. Es hatte dem für die Geltendmachung von Regressforderungen zuständigen Referat des Beklagten einen abschließenden Bericht erst ca. ein Jahr vor dem Erlass des Leistungsbescheids zur Prüfung der Haftungsfrage zugleitet. Die Vorinstanzen hatten der Klage unter dem Gesichtspunkt des Verjährungseintritts stattgegeben, indem sie darauf abstellten, dass die entsprechenden Bediensteten des Fachaufsichtsreferats dem Beklagten die streitgegenständliche Kenntnis vermittelt hätten. Dieser Argumentation schloss sich das BVerwG im Ergebnis an: Hiernach habe der Dienstherr dann Kenntnis mit der Folge, dass die Verjährungsfrist in Lauf gesetzt wird, wenn die Stellen, die nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Heranziehung des Beamten zum Schadensersatz oder die sonst innerbehördlich zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns des Beamten berufen sind, Kenntnis erlangen. Das sei hier bereits mit dem Fachaufsichtsreferat geschehen. Demgegenüber sei es rechtlich nicht vertretbar, allein auf die Kenntnis der Bediensteten abzustellen, die den Regress durchsetzen. Insbesondere bei großen Behörden handele es sich bei diesen Stellen oft nicht um Bedienstete, denen die Fachaufsicht obliegt, sondern um Bedienstete, die – wie vorliegend – auf Grund einer Meldung der Fachauf166 Hierzu ausführlich oben S. 55 ff. Sowie den Überblick bei Battis, BBG, § 78 Rn. 15 ff. zu den Verjährungsfragen bei Ansprüchen des Dienstherrn gegenüber dem Beamten auf Schadensersatz. 167 Bauer, in: Dreier, GG, Art. 34 Rn. 60. 168 BVerwG 2. Senat vom 9. März 1989 (BVerwGE 81, 301, 304 ff.).

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sicht den Rückgriff technisch abwickeln. Im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung sei die Fachaufsicht in die Regressabwicklung insoweit einbezogen, dass sie den Verwaltungsvollzug zu überwachen und auftretenden Missständen auch auf dem Regresswege entgegenzuwirken habe, indem die erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden. bb) Verjährungsbeginn: Kenntnisvermittlung durch Gemeinderat 169 Eine Gemeinde nahm ihren ehemaligen Bürgermeister entsprechend den Grundsätzen des Regresses im Beamtenverhältnis, das auch auf Ehrenamte Anwendung findet, auf Ersatz mehrerer nach ihrem Vortrag durch die Tätigkeit des Beklagten entstandenen Schäden in Anspruch. Neben weiteren, hier nicht interessierenden Besonderheiten des Falles hatte das BVerwG zu klären, wann die Gemeinde von den tatsächlichen Voraussetzungen zur Geltendmachung des Anspruchs Kenntnis erlangt hatte. Das zuvor befasste Berufungsgericht hatte mit der Begründung, wonach der Gemeinderat als zuständiges Organ nur in seinen Sitzungen Kenntnis erlangen könne, hier an die erstmalige Befassung des Gemeinderates angeknüpft. Nach dieser Wertung war die Klageerhebung noch innerhalb der Dreijahresfrist und damit rechtzeitig vor Eintritt der Verjährung erfolgt. Das BVerwG schloss sich insoweit nicht dem Berufungsgericht an. Zunächst betont es seinen in ständiger Rechtsprechung praktizierten Grundsatz, wonach der Dienstherr die erforderliche Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen dann erlange, wenn das Organ oder die Stelle, die nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Heranziehung des Beamten zum Schadensersatz oder sonst innerbehördlich zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns des Beamten berufen ist, aufgrund der ihr bekannten Tatsachen gegen einen bestimmten Beamten eine Schadensersatzklage mit einigermaßen sicherer Aussicht auf Erfolg erheben kann. 170 Ausgehend hiervon und den Feststellungen zur Zuständigkeit des Gemeinderates nach dem irrevisiblen Landeskommunalrecht knüpfte das BVerwG für die Kenntnis des Rates nicht erst an sein Zusammentreffen zur Information sondern bereits an die entsprechende Vorbereitung der Ratssitzung an: 171 Ein Kollegialorgan wie der Gemeinderat müsse nicht in seiner Gesamtheit die erforderliche Kenntnis erlangen. Es genüge vielmehr die Kenntnis desjenigen Amtsträgers, der zuständig und verantwortlich ist, durch Einberufung des Kollegialorgans 169 170 171

BVerwG 2. Senat vom 22. Februar 1996 (BVerwGE 100, 280). BVerwGE 81, 301, 304 f.; 100, 280, 284 f. Zum Folgenden BVerwGE 100, 280, 284 f.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

und Herbeiführung seiner Beschlussfassung die Durchsetzung des Schadensersatzanspruches vorzubereiten und einzuleiten. Seine Vorverlagerung des relevanten Zeitpunkts der Kenntniserlangung rechtfertigte das BVerwG mit Erwägungen zum Schutz des sich Regressansprüchen ausgesetzt sehenden Beamten: Dieser solle wissen, dass er gerechnet von dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung des insoweit verantwortlichen Amtsträgers nach Ablauf von drei Jahren nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen müsse. Demgegenüber könne sich der Zeitpunkt des Zusammentretens des zuständigen Kollegialorgans in ordnungsgemäß geladener Sitzung je nach Lage der Dinge verzögern, obwohl der verantwortliche Amtsträger alles Erforderliche zur Einberufung zwecks Beschlussfassung über den Regressfall getan habe oder hätte tun können. Infolge der Vorverlagerung der Kenntniserlangung war vorliegend Verjährung eingetreten und das BVerwG gelangte insoweit zur Klageabweisung. b) Kritische Würdigung Zunächst ist zu kritisieren, dass auch diese Rechtsprechung die Binnenperspektive – nämlich die interne Zuständigkeitsordnung – ohne Begründung nach außen wendet. Zudem überzeugt die Integration einer Pflicht zur Informationsweiterleitung, indem die Zuständigkeit in Bezug auf die Sachentscheidung quasi vorverlagert wird, nicht. Denn eine Begründung erfolgt abgesehen von Billigkeitserwägungen hierfür nicht. Als ausschlaggebend wird hier eher eine Ausprägung des Fürsorgegedankens 172 des Dienstherrn zu vermuten sein, so dass die Weiterleitung der relevanten Information sowie die unverzügliche Herbeiführung der Regressentscheidung als Nebenpflicht des Beamtenverhältnisses erscheint. Die Kenntnis des Dienstvorgesetzten erfährt im Ergebnis eine Gleichsetzung mit der der Fachaufsicht, um so den als schutzwürdig angesehenen Erwartungen des Betroffenen, der ab dem Zeitpunkt, in dem die Feststellung seines Fehlverhaltens erfolgt, mit der Geltendmachung von Regressansprüchen rechnen kann.

3. Nichterwerb von Rechten Der Nichterwerb von Rechten bei vorheriger Kenntnis spielt in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung eine entscheidende Rolle. Hier geht es zumeist um das Bestehen einer Änderungsbefugnis nach § 173 Abs. 1 Ziff. 1 AO. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, wenn Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen. 172

Zusammenfassend zu den Komponenten der den Dienstherren obliegenden Fürsorgepflicht nur Battis, BBG, § 79 Rn. 1 ff.

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Die Änderungsbefugnis besteht also insoweit nur dann, wenn die relevante Tatsache nicht bereits im Zeitpunkt der abschließenden behördlichen Willensbildung 173 hinsichtlich der Abfassung des ursprünglichen Bescheids bekannt war, mithin „neu“ ist. Demnach können bereits bekannte Tatsachen die Aufhebung oder Änderung nicht rechtfertigen, so dass zu klären ist, wann Tatsachen als bekannt zu gelten haben. Bei dieser Frage kommt es nach der Rechtsprechung des BFH auf die „Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle“ und nicht auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters an. 174 Als der Dienststelle bekannt gilt dabei der Inhalt der dort geführten Akten mit der Maßgabe, dass zur Heranziehung der betreffenden Vorgänge nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung oder der präsenten Akten eine besondere Veranlassung mit der Folge bestand, dass das Unterlassen der Beiziehung eine Verletzung der Ermittlungspflicht nach sich zöge. 175 Der BFH begründet die Heranziehung bestimmter Verwaltungsvorgänge zur Klärung der Frage der Neuheit einer Tatsache mit der Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 88 AO, wonach die Finanzbehörde den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt (Abs. 1) sowie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen hat (Abs. 2). Demnach gilt eine Tatsache dann nicht als neu, wenn sie dem Finanzamt bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre, sofern der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht voll genügt hat. 176 Die Rechtsprechung des BFH differenziert mithin zwischen bekannt sein und bekannt gelten, letzteres über Verletzung von Ermittlungspflichten. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der sogenannten Kellerakten geprägt worden als einen nicht mehr aktiven, ausgelagerten Aktenbestand. Die Einbeziehung dieses Bestandes soll unter besonderen Voraussetzungen über eine Verletzung der Ermittlungspflicht als Fiktion erfolgen. 177 Die Aktenverwertung im Rahmen des Kenntnisbegriffs ist damit ambivalent. Auf das Bewusstsein des Bearbeiters wird dann zumindest noch abstrakt abgestellt. Im Folgenden soll diese Rechtsprechung anhand von Beispielen nachvollzogen werden. Dabei ist zwischen der Kenntnis innerhalb eines Finanzamtes als Behörde sowie zwischen verschiedenen Finanzämtern zu differenzieren. 173 Abschließende Zeichnung des Eingabebogens vor Erlass des Bescheids (str.), so überzeugend BFHE 149, 141, 142; 161, 11, 13. 174 BFHE 90, 485, 492; 138, 313, 315. 175 Vgl. BFHE 161, 11, 14. Vgl. auch BFH NJW 1998, 3295, 3296: „Nicht ohne weiteres als bekannt gilt allerdings der Inhalt älterer, bereits im Keller oder in vergleichbaren Räumen abgelegter Akten.“ 176 BFHE 145, 487, 489. 177 Vgl. BFHE 161, 11, 14.

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a) Kenntnis innerhalb einer Behörde Innerhalb eines Finanzamtes stellt der BFH auf die Kenntnis der sachzuständigen Dienststelle ab: aa) Kenntnisvermittlung durch Bestand aktiver Akten 178 Bei dieser Entscheidung war der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch das Finanzamt zu klären. Hierbei abstrahiert der BFH von einer tatsächlichen Kenntnisnahme hin zu einem „Aktenwissen“. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Bei dem beklagten Finanzamt war die Mitteilung einer externen Prüfungsstelle hinsichtlich eines steuerrelevanten Sachverhalts eingegangen. Im Rahmen allgemeinen Postdurchlaufs erreichte diese Mitteilung auch den Sachgebietsleiter, der zugleich Amtsvorsteher war, der allerdings eine allenfalls flüchtige Kenntnis von diesem Sachverhalt nahm und insofern keine weitere Veranlassung traf. An dem auf diesen Posteingang folgenden Tag zeichnete dieser Sachgebietsleiter einen aus anderen Gründen ergangen Berichtigungsbescheid des Klägers, dessen Postausgang am nächsten Tag erfolgte. Mehr als drei Jahre nach diesem Ereignis setzte das beklagte Finanzamt den steuerrelevanten Sachverhalt, der ihm nunmehr nach dem Ergebnis einer vorangegangenen Betriebsprüfung zur Kenntnis gelangt war, in dem streitigen Berichtigungsbescheid um. Die Vorinstanz kam zu dem Schluss, dass die Berichtigungsbefugnis wegen der Neuheit des relevanten Sachverhalts bestanden habe. Entscheidend sei, dass dem Finanzamt die relevante Kenntnis nicht von seinem Vorsteher und zuständigen Sachgebietsleiter habe vermittelt werden können, da diesem „das etwa Gelesene nicht weiter in das Bewusstsein eingedrungen und dort haften geblieben sei“ 179. Dem trat der BFH mit der These entgegen, wonach dem Finanzamt der gesamte Inhalt der in der zuständigen Veranlagungsdienststelle für den Steuerpflichtigen geführten Akte bekannt sei: 180 Dazu gehörten nicht nur geheftete Vorgänge, sondern auch lose geführte Schriftstücke, die noch nicht eingeheftet sind oder zeitweise ausgeheftet werden. Demnach seien inhaltlich bekannt alle den Steuerfall betreffenden Schriftstücke, soweit sie sich in der Dienststelle befinden oder den Repräsentanten der Dienststelle zugänglich sind. Zugänglich in diesem Sinne seien auch die Schriftstücke, die den Akten zuwachsen und im normalen Geschäftsgang den Sachgebietsleiter oder den Sachbearbeiter erreichen. Nach 178 179 180

BFH 5. Senat vom 5. November 1970 (BFHE 101, 156). Zitiert nach BFHE 101, 156, 158 f. BFHE 101, 156, 162 f.

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diesem Grundsatz verneinte der BFH eine Änderungsbefugnis des beklagten Finanzamtes mangels Neuheit der hier relevanten Tatsache. bb) Kenntnisvermittlung zwischen organisatorisch getrennten Dienststellen 181 Der BFH war mit der Frage befasst, ob das Gebot von Treu und Glauben der Rückforderung bestandskräftig festgesetzter Wohnungsbauprämien entgegenstand. Die in Bezug auf Gewährung und Rückforderung der Prämie intern zuständige Prämienstelle hatte noch zu einem Zeitpunkt eine Prämie gewährt, in dem die Veranlagungsstelle des beklagten Finanzamtes möglicherweise bereits vom Nichtbestehen der Gewährungsvoraussetzungen Kenntnis erlangt hatte. Der BFH bestätigte das als Vorinstanz befasste Finanzgericht, das es mit Blick auf die organisatorische Trennung beider Dienststelle abgelehnt hatte, Kenntnisse der Veranlagungsstelle der Prämienstelle „zuzurechnen“. 182 Zur Begründung führte er unter Bezugnahme auf seine Judikatur aus, in der Regel könnten – wie vorliegend – die Kenntnis oder das Kennenmüssen von Tatsachen nur den Beamten innerhalb derselben Dienststelle zugerechnet werden. 183 Zugleich hob der BFH die Besonderheit des Falles hervor, die darin bestehe, dass die Prämienstelle im Gegensatz zu der Veranlagungsstelle eine gewährende Staatstätigkeit mit eigenen Entscheidungsbefugnissen vollziehe, keine Eingriffe vornehme und sich somit hinsichtlich ihrer Funktion als wesensverschieden darstelle. Allgemein sei nur im Ausnahmefall eine Zurechnung möglich. Zu diesem Ausnahmefall formulierte der BFH den Grundsatz, wonach zwischen Dienststellen desselben Finanzamtes, die organisatorisch, personell und nach ihren sachlichen Aufgaben getrennt arbeiten, eine Zurechnung aktenkundiger Tatsachen nur zulässig sei, wenn ein sachlich begründeter Anlass bestanden habe, diese Tatsache einander mitzuteilen, denn der Steuerpflichtige, der die Verschiedenheit der Dienststellen, die seine Erklärungen und Anträge bescheiden, kenne, könne sich nicht darauf berufen, dass das Finanzamt als Einheit anzusehen sei. 184 Auch eine etwaige Verpflichtung zur Zusammenarbeit der in Rede stehenden Dienststellen führt nach dem BFH nicht zu einer „Zurechnung“, denn das wäre nur dann denkbar, wenn – wie vorliegend gerade nicht – diese Dienststellen auch die Grundlagen ihrer Entscheidungen austauschen müssten. Da der BFH auch Anhaltspunkte für eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das beklagte Finanzamt nicht feststellen konnte, wies er die Klage ab. 181

BFH 6. Senat vom 6. April 1971 (BFHE 102, 343). Vgl. BFHE 102, 343, 345. 183 Vgl. auch BFHE 93, 33, 34 f., wonach der Umstand der Zuordnung zu unterschiedlichen Sachakten einer Kenntnis nicht entgegenstehe. 184 BFHE 102, 343, 345. 182

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cc) Kenntnisvermittlung getrennter Stellen aufgrund von Funktionsnähe 185 Einen „Ausnahmefall“ zu der soeben wiedergegebenen Entscheidung hatte der BFH in seiner Entscheidung vom 23. März 1983 zu beurteilen. In Streit stand die Änderungsbefugnis des beklagten Finanzamtes in Bezug auf einen ebenfalls angefochtenen Bescheid, mit dem der Kläger im Hinblick auf die Veräußerung mehrerer Grundstücke zu einer höheren Einkommensteuer veranlagt worden war. Gegen den ursprünglichen von der Veranlagungsstelle des beklagten Finanzamtes erlassenen Steuerbescheid hatte sich der Kläger mit Einspruch und Klage gewendet. Das Einspruchsverfahren wurde von der Rechtsbehelfsstelle des Beklagten geführt. Währenddessen erlangte die Veranlagungsstelle jedoch Kenntnis von steuererhöhenden Veräußerungen einzelner Grundstücke durch den Kläger. Sie erlies jedoch erst einige Zeit nach der Zurückweisung des Einspruchs durch die Rechtsbehelfsstelle einen Änderungsbescheid zulasten des Klägers. Wie bereits die Vorinstanz versagte der BFH vorliegend eine Änderungsbefugnis des Finanzamts: 186 Im Ergebnis hat nach Auffassung des BFH die „Funktionsnähe“ der beiden in Frage stehenden Dienststellen ausnahmsweise eine Zusammenschau gerechtfertigt. Das Rechtsbehelfsverfahren bezwecke – auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Verböserung – eine umfassende Überprüfung des angefochtenen Bescheids und stelle damit ein verlängertes Veranlagungsverfahren dar. Zudem sind in diesem Verfahrensabschnitt beide in Rede stehende Stellen entscheidungsbefugt mit Wirkung auf die Rechtsstellung des Einspruchsführers in Bezug auf eine Abänderungsentscheidung durch die Veranlagungsstelle oder eine Einspruchsentscheidung durch die Rechtsbehelfsstelle. Die organisatorische Trennung der beiden Dienststellen müsse angesichts dieser im Gesetz vergebenen Zusammenhänge im Interesse der Rechtssicherheit zurücktreten, denn Veranlagungs- und Rechtsbehelfsverfahren seien nicht nur aus Sicht des Betroffenen sondern auch nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung als Einheit zu begreifen. Zur Vorbereitung der Entscheidung über den Einspruch hätte sich die Rechtsbehelfsstelle damit auch der Erkenntnismittel der Veranlagungsstelle bedienen müssen. Damit liege eine Verletzung der Aufklärungspflicht vor, die eine Zurechnung der Kenntnis der Veranlagungsstelle gegenüber der Rechtsbehelfsstelle rechtfertige, mit der Folge, dass die betreffenden Umstände nicht mehr als „neu“ zu werten seien, weil sie bereits zur Einspruchsentscheidung hätten herangezogen werden müssen.

185 186

BFH 1. Senat vom 23. März 1983 (BFHE 138, 313). Zum Folgenden Vgl. BFHE 138, 313, 316 f.

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dd) Kenntnisvermittlung durch bereichsübergreifende Leitungsperson 187 In dieser Entscheidung stellte sich die Frage nach der Änderungsbefugnis und damit der Neuheit einer Tatsache in Bezug auf Umstände, die in der Veranlagungsstelle des erstinstanzlich beklagten Finanzamtes bekannt waren, bevor die gemäß einer internen Organisationsverfügung nach den von den Klägern gemachten Angaben, die sich im Nachhinein als unrichtig erwiesen, zuständige Lohnsteuerstelle den streitigen Änderungsbescheid erlassen hatte. Die Vorinstanz 188 hatte auf die vorherige Kenntniserlangung durch die Veranlagungsstelle abgestellt, diese dem Finanzamt zugerechnet und die Änderungsbefugnis damit verneint. Als wesentlich hatte es dabei den Umstand gewertet, dass der Sachgebietsleiter der Veranlagungsstelle, der zugleich stellvertretender Vorsteher war, von der zugrundeliegenden Mitteilung Kenntnis genommen hatte. Der BFH schloss es hingegen aus, die Kenntnis des Sachgebietsleiters der Veranlagungsstelle der mit der Sache befassten Lohnsteuerstelle zuzurechnen. Eine Zurechnung gegenüber dem Finanzamt erörterte er hingegen nicht. Der BFH betonte unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung, dass es für die Frage der Kenntniserlangung ausschließlich auf die nach dem verwaltungsinternen Organisationsplan betraute Dienststelle des Finanzamtes – vorliegend also die Lohnsteuerstelle – ankomme. Zudem sei auch die Ermittlungspflicht nicht verletzt, da unter den gegebenen Umständen und insbesondere vor dem Hintergrund der unrichtigen Angaben des Klägers kein Anlass für eine Nachfrage bei der Veranlagungsstelle bestanden habe. ee) Kenntnisvermittlung aufgrund von Verletzung der Ermittlungspflicht 189 Einen Ansatz zur dogmatischen Einordnung der Rechtsprechung zur Verknüpfung von Wissenszurechnung und Ermittlungsgrundsatz brachte die Entscheidung vom 13. November 1985. Der BFH gelangte hier zu einer Ablehnung der Änderungsbefugnis des beklagten Finanzamtes wegen der Verletzung der Ermittlungspflicht, wodurch die betreffenden Tatsachen nicht mehr als „neu“ zu werten seien. 190 Die zum Teil den relevanten Angaben des Klägers widersprechenden sonstigen Informationen hätten nach Auffassung des BFH dem beklag-

187

BFH 4. Senat vom 20. Juni 1985 (BFHE 143, 520). Wiedergegeben bei BFHE 143, 520, 521. 189 BFH vom 13. November 1985 (BFHE 145, 487). 190 Dies wirkte sich im Hinblick auf die Vorläufigkeit der Veranlagung jedoch im Ergebnis nicht zugunsten des Klägers aus. 188

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ten Finanzamt Anlass sein müssen, dem Kläger Gelegenheit zur Aufklärung des Widerspruchs zu geben. Der BFH versuchte die Verknüpfung des Wissenstatbestandes in § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO mit der Ermittlungspflicht nach § 88 AO wie folgt zu begründen: 191 Es stelle ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Änderungsbefugnis dar, dass die spätere Kenntnis nicht auf einer Verletzung der der Finanzbehörde obliegenden Ermittlungspflicht beruhe, sofern der Steuerpflichtige seinerseits seine Mitwirkungspflicht genügt hat. Denn der Steuerpflichtige könne sich in diesem Fall darauf verlassen, dass die Steuerfestsetzung erst nach einer abschließenden Prüfung erfolgt sei. Andernfalls hätte die Finanzbehörde im Rahmen ihres Ermessensgebrauchs die materielle Bestandskraft einer Festsetzung offen zu halten, indem sie unter dem Vorbehalt einer Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 S. 1 AO verfügt wird. Eine Änderung zum Nachteil des Steuerpflichtigen sei mangels Anwendbarkeit der §§ 130, 131 AO selbst dann nicht zulässig, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des für ihn günstigen Bescheids sich als nicht schützenswert erweise, weil er – exemplarisch – die Rechtswidrigkeit dieses Bescheids kannte oder kennen musste. 192 ff) Inhalt ausgelagerter Akten als Kenntnis der Behörde 193 In seiner Entscheidung vom 13. Juli 1990 hatte sich der BFH mit der Frage zu befassen, ob die zulasten des Adressaten erfolgte Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids rechtmäßig war. Der Kläger wandte sich gegen eine für ihn nachteilige Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids im Rahmen eines Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahrens für das Streitjahr 1981. Der Kläger hatte hierzu in seinen Anträgen für die Veranlagungsjahre 1979 und 1980 tatsächliche Angaben gemacht, nach denen auch im Streitjahr 1981 eine Berücksichtigung der Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung nach der einschlägigen Rechtsprechung des BFH hätte versagt werden müssen. Gleichwohl hatte das zuständige Finanzamt diese zunächst anerkannt, jedoch nach Mitteilung der sich bereits aus den benannten Anträgen des Klägers ergebenden Informationen hinsichtlich des familiären Aufenthalts den mittlerweile in Bestandskraft erwachsenen Steuerbescheid geändert. Hintergrund der späteren Änderung war, dass die Vorgänge aus den Vorjahren bei der Bearbeitung des streitgegenständlichen Antrags nicht hinzugezogen worden waren, da die Finanzverwaltung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung für diese Verfahrensart zu einem „aktenlosen Verfahren“ insoweit übergegangen war, als dass Akten aus 191 Zum Folgenden: BFHE 145, 487, 489 unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung sowie die zustimmende Literatur. 192 BFHE 145, 487, 489. 193 BFH 6. Senat vom 13. Juli 1990 (BFHE 161, 11).

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den Vorjahren nur dann zur Bearbeitung aktueller Anträge herangezogen worden waren, wenn der Inhalt der aktuellen Erklärung zu weiteren Ermittlungen Anlass geboten habe. Dementsprechend wurden die Akten aus den jeweiligen Vorjahren in den Keller des Dienstgebäudes ausgelagert. Die Tatsache, deren Neuheit hier zur Beurteilung anstand, bezog sich mithin auf den familiären Schwerpunkt des Klägers hinsichtlich der Geltendmachung von Aufwendungen einer doppelten Haushaltsführung im Streitjahr 1981. Das erstinstanzlich befasste Finanzgericht hatte der Klage stattgegeben, indem es davon ausgegangen war, dass die die Änderungsgrundlage bildenden Tatsachen über den Aktenbestand dem Finanzamt bereits bekannt gewesen seien. Dem schloss sich der BFH an: Hierzu führte er aus, dass dem Finanzamt die relevante Information als Aktenbestandteil bereits vorgelegen habe und ihm daher vor Erlass des Änderungsbescheids bekannt gewesen sei, so dass sich in Ermangelung der Neuheit dieser Tatsachen die Änderung als rechtswidrig erweise. Die interessierende Kenntnis sei dem Finanzamt zunächst über seine zuständige Stelle (Lohnsteuer-Stelle) durch die Angaben des Klägers vermittelt worden. Diese sei auch nicht durch Auslagerung der Akten im Rahmen des „aktenlosen Verfahrens“ wieder entfallen. Den Vorgaben zu dieser Verfahrensweise komme vielmehr nur eine innerbehördliche Wirkung zu, indem die Ermittlungspflichten eine Begrenzung erfahren. Das Rechtsinstitut der Bestandskraft mit seiner großen Bedeutung für die Rechtssicherheit könne dadurch keine Beschränkung erfahren. Der Ausgleich zwischen materieller Richtigkeit und Rechtssicherheit müsse dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben. Es falle damit in den Risikobereich der Verwaltung, wenn sie – wie vorliegend – auf die Nutzung ihr leicht zugänglicher Erkenntnismöglichkeiten verzichtet. Ein solcher Verzicht könne nicht zur Folge haben, dass diese Erkenntnisquellen im Außenverhältnis zum Steuerpflichtigen als nicht vorhanden anzusehen wären. gg) Inhalt archivierter Akten als Kenntnis der Behörde 194 In dem am 11. Februar 1998 entschiedenen Fall wandten sich die Kläger gegen eine ihnen nachteilige nachträgliche Änderung ihres bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids im Hinblick auf die Berücksichtigung von Gewinnen aus der Veräußerung eines Gesellschaftsanteils. Bereits Jahre vor der Veräußerung waren bei dem zuständigen Finanzamt Informationen bezüglich der Umwandlung und Haltung des betreffenden Gesellschaftsanteils als sogenannte stille Reserve aktenkundig geworden. Zur Veräußerung selbst erklärten sich jedoch die Kläger selbst auf Nachfrage des Finanzamtes nach einer Außenprüfung nicht. Als das Finanzamt anderweitig von der Veräußerung Kenntnis erlangte, nahm es die streitige Änderung vor. 194

BFH 1. Senat vom 11. Februar 1998 (BFHE 185, 568).

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Das erstinstanzliche Finanzgericht sowie der BFH bestätigten den streitigen Änderungsbescheid. Zur Begründung führte der BFH aus, die maßgebliche Kenntnis der relevanten, d. h. zur Bearbeitung berufenen Dienststelle des Finanzamts habe erst zu der Änderungsentscheidung geführt. Es handele sich somit um neue Tatsachen. Das Finanzamt müsse sich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Ermittlungspflicht auch nicht die Kenntnis zu einem früheren Zeitpunkt entgegenhalten lassen: Die Heranziehung der archivierten Akten sei aus konkreter Veranlassung als nicht geboten zu werten: Zum einen hätten die Erklärungen der Kläger im Veranlagungsverfahren hierzu keinen Anlass gegeben, denn die Veräußerung der streitgegenständlichen Anteile habe hiernach nicht konkret in Rede gestanden, noch sei sie anderweitig zu diesem Zeitpunkt ersichtlich gewesen. Die Kläger hätten insoweit die ihnen mögliche und zumutbare Pflicht zur Mitwirkung nicht erfüllt. Zum anderen habe es keinen Anlass zu einer permanenten Beobachtung der steuerrelevanten Altvorgänge durch die mit der Veranlagung betrauten Dienststelle gegeben. Bei der Bildung der sogenannten stillen Reserven habe es sich nämlich um ein punktuelles Ergebnis und nicht um einen zeitraumübergreifenden Sachverhalt gehandelt. hh) Kenntnisvermittlung zwischen Veranlagungsstelle und Bewertungsstelle 195 Die Klägerin wandte sich gegen einen Änderungsbescheid mit dem der zu versteuernde Wert eines Grundstücks höher als ursprünglich bemessen angesetzt worden ist. Streitig war, ob die Bewertungsstelle des beklagten Finanzamtes die werterhöhenden Umstände, hier die bauplanungsrechtliche Einordnung, bereits kannte, bevor die Veranlagungsstelle den Änderungsbescheids erlassen hat. Die Klägerin hatte eingewendet, jedenfalls hätte das Finanzamt die Kenntnisse anderer Behörden zu den werterhöhenden Umständen heranziehen müssen. Sowohl das erstinstanzliche Finanzgericht als auch der nachfolgend befasste BFH ließen die Argumentation der Klägerin nicht durchgreifen. Der BFH lies dahinstehen, ob die Beamten der Bewertungsstelle über die relevante Kenntnis verfügt hatte, da diese mangels Zuständigkeit zum Erlass einer Entscheidung bedeutungslos sei. Im Hinblick auf die Heranziehung des Informationsstandes anderer Behörden prüft der BFH eine mögliche Verletzung der Ermittlungspflicht. Denn nach dem auch im Steuerrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben sei es dem Finanzamt allerdings versagt, unter Berufung auf das nachträgliche Bekanntwerden von Tatsachen oder Beweismitteln eine Steuerfestsetzung zu ändern, wenn ihm die Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht bekannt gewesen wären, sofern der Steuerpflichtige seinerseits seiner Mitwirkungspflicht genügt habe. 196 195 196

BFH 10. Senat vom 1. April 1998 (BFHE 186, 70). BFHE 186, 70, 74 f.

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Da nach Beurteilung des BFH keine Anhaltspunkte für die Veranlagungsstelle bestanden hätten, weitere Ermittlungen vorzunehmen, habe sich die Veranlagungsstelle eine frühere Kenntnis anderer Stellen nicht entgegenhalten lassen müssen. Der Grundsatz von Treu und Glauben stand nach Auffassung des BFH einer Klageabweisung mithin insoweit nicht entgegen. ii) Kenntnisvermittlung durch rechtwidrig handelnden Amtswalter 197 Die Entscheidung vom 28. April 1998 bot dem BFH Gelegenheit, seine Rechtsprechung zu der Änderungsbefugnis im Lichte des Kenntnisbegriffs zusammenzufassen und zu präzisieren. Das beklagte Finanzamt hatte bestandskräftige Steuerbescheide der Kläger zu deren Nachteil geändert, nachdem bekannt geworden war, dass der zuständige Finanzbeamte in Bezug auf die vorausgegangenen Veranlagungen der Kläger den Straftatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht hatte, indem er unter anderem eigenmächtig von den Klägern vorgelegte Unterlagen manipulierte, um so den Sachverhalt für die Gewährung von steuerlichen Vergünstigungen zu Gunsten der Kläger zu schaffen. Die Vorinstanz 198 hatte die Änderungsbefugnis des Beklagten mit dem Argument bejaht, dass der betreffende Finanzbeamte bei Aufnahme des unrichtigen Sachverhalts außerhalb seiner Amtsbefugnis gehandelt habe. Damit sei sein Wissen als privates anzusehen und dem Beklagten nicht zuzurechnen mit der Folge, dass der zutreffende Sachverhalt hinsichtlich der Veranlagung der Kläger als neu zu bewerten sei. Auf ein (Mit)verschulden der Kläger komme es dabei nicht an. Der BFH schloss sich der rechtlichen Würdigung der Vorinstanz nicht an: 199 Er betonte den Aspekt eines möglichen Vertrauensschutzes in Bezug auf die Kläger. So führe eine fehlerhafte Bearbeitung oder eine Dienstpflichtverletzung nicht bereits von sich aus dazu, dass das Wissen des Beamten der Finanzbehörde unbekannt ist. Vielmehr sei das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die zutreffende Behandlung des offengelegten Sachverhalts durch die Finanzbehörde und in die Bestandskraft des Steuerbescheids insoweit schutzwürdig, es sei denn, der Steuerpflichtige habe die Unterdrückung von Tatsachen oder Beweismitteln veranlasst oder einvernehmlich mit dem sich pflichtwidrig verhaltenden Amtswalter zusammengewirkt. Dann nämlich bezwecke der Steuerpflichtige gerade nicht, dass der Besteuerung ein zutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt wird und dieser weiteren Bediensteten der Finanzbehörde bekannt wird. Der 197 198 199

BFH 9. Senat vom 28. April 1998 (BFHE 185, 370). Schleswig Holsteinisches FG DStRE 1997, 199, 200. Zum Folgenden BFHE 185, 370, 372 ff.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

Amtswalter handele dann nicht mehr als Repräsentant der Behörde, sondern als Vertreter der Interessen des Steuerpflichtigen. Neben der Berücksichtigung der Besonderheiten des zu entscheidenden Falls finden sich allgemeine Erwägungen, mit denen der BFH die Grundsätze der Kenntniserlangung zusammenfasst. 200 Als Ausgangspunkt dient der Aktenbestand: So sei jeder Stelle innerhalb der Finanzverwaltung grundsätzlich das bekannt, was sich aus dem Inhalt der von ihr geführten Akten ergebe, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Bearbeiters ankommen. Erst dann, wenn sich eine Tatsache oder ein Beweismittel nicht aus den Akten ergibt, komme es auf die Kenntnis derjenigen Person oder der Stelle innerhalb der Finanzbehörde an, die für die Bearbeitung des Steuerfalls organisationsmäßig berufen waren bzw. den zu ändernden Bescheid erlassen haben. Hierbei handele es sich in der Regel um den Vorsteher des Finanzamtes, den Sachgebietsleiter und den zeichnungsberechtigten Sachbearbeiter. Zur Begründung führt der BFH aus, dass nur diese Personen die Steuerfestsetzung gegenüber den Steuerpflichtigen verantworteten und insoweit die Finanzbehörde repräsentierten. Daher genüge auch die Kenntnisnahme durch eine Person, diese der Dienststelle auf Dauer, d. h. unabhängig von einem Wechsel des Bearbeiters – zuzurechnen jj) Kenntnisvermittlung zwischen Fahndungs- und Bearbeitungsabteilung 201 In seiner Entscheidung vom 16. Juni 2004 fasste der BFH seine bisherige Rechtsprechung zur tatbestandsmäßigen Kenntniserlangung in Bezug auf die Neuheit von steuerrelevanten Tatsachen zusammen. Der Kläger wandte sich auch hier gegen die Änderung seines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides, vorliegend im Hinblick auf den Wegfall der Gewährung von Wohneigentumsförderung im Streitjahr. Ausschlaggebend für den Erlass des Änderungsbescheides war unmittelbar eine im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für die Folgejahre geleistete Erklärung des Klägers zu seinem bereits im Streitjahr erfolgten Wohnungswechsel. Zu klären war, ob dem zuständigen Finanzamt der Wegfall der Voraussetzungen für die Gewährung der Förderung bereits vor Berücksichtigung im Änderungsbescheid bekannt gewesen war. Denn bereits mehrere Monate vor seiner Erklärung sah sich der Kläger einer Steuerfahndungsprüfung ausgesetzt, die vornehmlich die Kontrolle der vom Kläger erzielten gewerblichen Einkünfte betraf, jedoch auch Feststellungen zur Wohneigentumsförderung traf und dem Finanzamt zum damaligen 200

Vgl. BFHE 185, 370, 374 f. BFH 10. Senat vom 16. Juni 2004 (BFH 10. Senat vom 16. Juni 2004, AZ: X R 56/ 01, zitiert nach juris). 201

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Zeitpunkt zum Erlass eines Änderungsbescheides zur Verringerung der Förderung im Streitjahr Anlass gab. Der BFH folgte dem erstinstanzlich befassten Finanzgericht und wies die Klage ab. Zunächst stellte er fest, das Finanzamt habe mittels seiner zur Bearbeitung des Steuerfalls berufenen Mitarbeiter Kenntnis erst durch die Angaben des Klägers erlangt. Ob ein Mitarbeiter der Steuerfahndung im Rahmen der durchgeführten Überprüfung zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis erlangt haben könnte, lies der BFH mit der Begründung dahinstehen, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung selbst dieses Wissen den zuständigen Veranlagungsbeamten nicht zuzurechnen sei, woran auch die Pflicht der beiden Stellen zur Zusammenarbeit und zum Erfahrungsaustausch nichts zu ändern vermögen. Denn maßgeblich sei allein der Wissensstand der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle des Finanzamts. 202 Schließlich müsse das Finanzamt die streiterhebliche Tatsache des Wohnungswechsels auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben als ihm bereits bei Erlass des ursprünglichen Steuerbescheids gegen sich gelten lassen. Dies setze voraus, dass dem Finanzamt die Tatsache vor dem Erlass des Änderungsbescheids infolge Verletzung der ihm obliegenden Ermittlungspflicht (zunächst) verborgen geblieben ist und der Steuerpflichtige zugleich die ihm obliegende Mitwirkungspflicht in zumutbarer Weise erfüllt habe. Bei der Bestimmung und Begrenzung der Ermittlungspflicht des Finanzamtes komme es wesentlich auf die Angaben des Steuerpflichtigen an, von deren Richtigkeit und Vollständigkeit regelmäßig auszugehen sei. Hiernach verletze das Finanzamt seine Ermittlungspflicht, wenn es ersichtliche Unklarheiten oder Zweifelsfragen, die sich bei einer Prüfung der Steuererklärung sowie der eingereichten Unterlagen ohne weiteres aufdrängen mussten, nicht nachgeht. 203 Eine beiderseitige Pflichtverletzung soll grundsätzlich zulasten des Steuerpflichtigen gewertet werden, es sei denn das Schwergewicht der Vorwerfbarkeit liege bei der Finanzverwaltung. 204 Da der BFH auch in Bezug auf die Bedeutung einer Verletzung von Ermittlungspflichten ausschließlich auf die intern zuständige Dienststelle abstellt, konnte er vorliegend die Frage nach etwaigen Ermittlungspflichten des Außenprüfers dahingestellt bleiben lassen. Unter der Feststellung, dass die zuständige Dienststelle ihrer Ermittlungspflicht vor dem Hintergrund der Angaben des Klägers genügt habe, gelangte der BFH mithin zur Abweisung der Klage.

202 203 204

Unter Verweis auf BFHE 186, 70 mit weiteren Nachweisen. So BFHE 145, 487, 489; 156, 339, 348 f. (ständige Rechtsprechung). Vgl. BFHE 156, 339, 348; 176, 308, 312.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

kk) Kenntnisvermittlung zwischen Stellen abweichender örtlicher Zuständigkeit 205 Einem bei Bearbeitungsschluss noch nicht entschiedenen Revisionsverfahren liegt die Fragestellung zugrunde, ob die Änderungsbefugnis hinsichtlich der Beendigung einer für den Kläger einkommensteuergünstigenden Berücksichtigung („Realsplitting“) der seiner geschiedenen Ehefrau gewährten Unterhaltsleistungen bestand. Hierzu hatte die frühere Ehefrau die für die Gewährung der steuerlichen Besserstellung in dem streitigen Zeitraum der Jahre 2001 und 2002 erforderliche Zustimmung gegenüber dem für Sie zuständigen Finanzamt im Jahre 2000 widerrufen. Dieses Finanzamt ist auch für den Kläger zuständig gewesen, jedoch hatte intern ein anderen Veranlagungsbezirk die Steuersachen des Klägers zu bearbeiten. Dieser erlangte erst im Jahre 2003 durch eine Kontrollmitteilung des für die geschiedene Ehefrau des Klägers intern zuständigen Veranlagungsbezirks Kenntnis von dem Widerruf der Zustimmung und erließ daraufhin den streitigen Änderungsbescheid. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Begründung, dem Finanzamt sei die Tatsache des Widerrufs der Zustimmung bereits mit Zugang im Jahre 2000 bekannt gewesen. Dass der Sachbearbeiter des für die frühere Ehefrau zuständigen Bezirks es versäumt habe, zeitnah eine Kontrollmitteilung zu fertigen, könne nicht zulasten des Klägers gehen. Auch der für die Veranlagung des Klägers zuständige Sachbearbeiter habe – da es sich um einen Dauer-Sachverhalt handele – in jedem Veranlagungszeitraum eine Ermittlungspflicht. Jedenfalls liege ein Organisationsmangel auf Seiten des beklagten Finanzamtes vor, der die Berufung auf eine neue Tatsache gemäß Treu und Glauben ausschließe. Denn die Akten seien getrennt geführt worden, so dass eine Pflicht zur Überprüfung der Angaben des in der Steuererklärung des Klägers bestanden hätten, zumal er nichts von dem Widerruf gewusst habe. Das erstinstanzlich befasste Finanzgericht gelangte zur Klageabweisung: 206 Nach seiner Auffassung kann dem beklagten Finanzamt das Wissen bezüglich des gegenüber dem für die geschiedene Ehefrau des Klägers zuständigen Veranlagungsbezirks nicht zugerechnet werden. Zur Begründung nahm das Finanzgericht Bezug auf die ständige Rechtsprechung des BFH, wonach allein der Wissensstand der zur Bearbeitung des Steuerfalls berufenen Dienststelle maßgeblich sei. Dies gelte auch für die Veranlagungsbezirke. Mangels sich ergebender Anhaltspunkte scheide auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht aus.

205 BFH 11. Senat vom 22. Januar 2007 (BFH vom 22. Januar 2007, AZ: XI R 48/06, Mitteilung der Zulassung der Revision, zitiert nach juris). 206 Finanzgericht Rheinland-Pfalz 6. Senat vom 16. Mai 2006 (DStRE 2007, 326).

IV. Fallgruppen im Lichte der Rechtsprechung

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ll) Kenntnisvermittlung: Begrenzung durch Umfang der Ermittlungspflicht 207 In seiner Entscheidung vom 27. März 2007 konkretisierte der BFH die Reichweite der Ermittlungspflichten als begrenzendes Moment der Annahme eines bestimmten Wissensstandes. Hiernach sei es Sache des Steuerpflichtigen, bei Zweifeln über die rechtliche Bedeutung bestimmter tatsächlicher Umstände die Finanzbehörde auf jene Umstände aufmerksam zu machen und ihr dadurch Anlass zur näheren Prüfung zu geben. Unterlasse der Steuerpflichtige dies jedoch, dürfe die Behörde grundsätzlich davon ausgehen, dass ein der Erklärung entsprechender Sachverhalt verwirklicht worden ist. Anders sei es nur dann, wenn die Behörde konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der ihr gegenüber gemachten Angaben hat. mm) Kritik Die dogmatische Einordnung dieser im Ergebnis nachvollziehbaren und von der Literatur grundsätzlich positiv aufgenommenen Rechtsprechung begegnet erheblichen Schwierigkeiten. Insbesondere bleibt unklar, ob durch die Verknüpfung von Untersuchungsgrundsatz und Umfang der Kenntnis der Wissensbegriff selbst erweitert oder lediglich eine Zurechnungsmöglichkeit angesprochen wird. 208 Letztlich läuft diese Rechtsprechung auf eine Fiktion von Wissen hinaus, denn sie hat gerade die Voraussetzung, dass der Akteninhalt im Entscheidungszeitpunkt nicht Bewusstseinsinhalt der „Dienststelle“ war. Gerade vor dem Hintergrund des vom BFH betonten Grundsatzes der Rechtssicherheit stimmt es zudem nachdenklich, dass der Umfang der mit der Kenntniserlangung nach dieser Rechtsprechung verknüpften Ermittlungspflicht davon abhängen soll, ob Vorgänge bereits eine Auslagerung erfahren haben. Der Zeitpunkt der Archivierung ist in Abhängigkeit von internen Richtlinien oder Gepflogenheiten aber zu unterschiedlich, um hieran anzuknüpfen. 209 207

BFH 1. Senat vom 27. März 2007 (AZ: I B 16/06 zitiert nach juris). Friedl, DStR 1988, 98, 99 f. greift bereits den Ausgangspunkt der betreffenden Rechtsprechung an, indem er einen Zusammenhang zwischen Ermittlungspflicht der Finanzverwaltung und der Frage der Kenntniserlangung mit grammatischen, systematischen und teleologischen Erwägungen zu Recht verneint. Dabei verkennt er jedoch, dass die angegriffene Rechtsprechung hier eine Billigkeit der Ergebnisse hinsichtlich der der Finanzverwaltung vorliegenden Informationen und nicht die Entwicklung einer Bereichsdogmatik im Blick hat, aber damit ihr Weg – und das ist Friedl hier zuzugeben – angreifbar bleibt. 209 So Rößler, BB 1999, 2069, 2070 der zu Recht auf die Verwerfungen, zu denen die Differenzierung hinsichtlich des Aktenbestandes führt, hinweist und unter der Ägide des Untersuchungsgrundsatzes statt dessen den gesamten Aktenbestand ohne weitere Differenzierungen und damit zu weitgehend berücksichtigen will. 208

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

b) Kenntnis verschiedener Behörden War oben die Frage der Kenntnis innerhalb der Dienststellen einer Behörde betroffen, sind gelegentlich Entscheidungen zu verzeichnen, denen die Kenntnis von Dienststellen mehrerer Behörden der Finanzverwaltung zu Grunde liegt. Hier fallen zumeist die örtlichen Zuständigkeiten auseinander. Ein Beispiel soll im Folgenden wiedergegeben werden. aa) Kenntnisvermittlung durch Wohnsitzfinanzamt 210 In diesem Rechtsstreit hatte der BFH zu beurteilen, ob die Änderungsbefugnis hinsichtlich der Beendigung einer für den Kläger einkommensteuergünstigen Berücksichtigung („Realsplitting“) der seiner geschiedenen Ehefrau gewährten Unterhaltsleistungen bestand. Hierzu hatte die frühere Ehefrau die für die Gewährung der steuerlichen Besserstellung in dem streitigen Zeitraum 1995 bis 1998 erforderliche Zustimmung gegenüber dem für Sie anhand ihres Wohnsitzes örtlich zuständigen Finanzamt im Jahre 1994 widerrufen. Das für den Kläger örtlich zuständige Finanzamt ist erst im Jahre 2000 von dem Wohnsitzfinanzamt der geschiedenen Ehefrau informiert worden und hat dies zum Anlass genommen, die entsprechenden Bescheide zu ändern. Hiergegen wandte sich der Kläger. Der BFH gelangte zur Klageabweisung. Nach seiner Auffassung kann dem beklagten Finanzamt das Wissen bezüglich des gegenüber dem anderen Finanzamt erklärten Widerrufs nicht zugerechnet werden. Zur Begründung nahm der BFH Bezug auf seine ständige Rechtsprechung, wonach allein maßgeblich der Wissensstand der zur Bearbeitung des Steuerfalls berufenen Dienststelle sei. bb) Kritik Auch im Falle der Relevanz der Kenntnis verschiedener Behörden (hier: Finanzämter) stellt die Rechtsprechung des BFH als entscheidend auf den Kenntnisstand der zuständigen Dienststelle innerhalb des zuständigen Finanzamtes ab. Eine Wissenszusammenrechnung soll somit nicht stattfinden. Aus der Sicht der Rechtsprechung kann dies nur als folgerichtig eingeschätzt werden, denn, wenn schon innerhalb eines Finanzamtes auf die mit der Erledigung der Aufgabe intern befasste Stelle fokussiert wird, muss dies danach erst recht für externe Stellen gelten. Wie aber noch zu zeigen sein wird, ist der Grundsatz, wonach die Zusammenrechnung von Kenntnissen, die bei verschiedenen Behörden auflaufen, grundsätzlich auszuschließen ist, auch vor dem Hintergrund der hier vertretenen 210

BFH 11. Senat vom 2. Juli 2003 (BStBl. 2003 II S. 803).

IV. Fallgruppen im Lichte der Rechtsprechung

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Auffassung folgerichtig. Denn maßgeblich soll für den objektivierten Wissensbegriff eine aus Rechtsvorschriften zu entnehmende Außenzuständigkeit sein. 211

4. Verschlechterung der Rechtsstellung Auch im öffentlichen Recht kann die Kenntnis eines Verwaltungsträgers eine Verschlechterung der Rechtsstellung bewirken. Das soll am Beispiel der Amtshaftung verdeutlicht werden. Obschon die Geltendmachung dieses Anspruchs von Verfassungs wegen nach Art. 34 GG in der Form einer übergeleiteten Staatshaftung der Ordentlichen Gerichtsbarkeit obliegt, ist sie wegen ihres Haftungsgrundes – soweit die Verletzung von Amtspflichten in Bezug auf hoheitliches Handeln in Frage steht – dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen. Zudem soll ein Beispiel aus der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zeigen, wie die Praxis mit Fragen der Kenntnis verschiedener Finanzämter bei einem insolvenzrechtlichen Sachverhalt verfährt. a) Amtshaftung Eine Amtspflicht zum Tätigwerden kann sich nur dann aktualisieren, das heißt, dem jeweiligen Amtsträger entgegengehalten werden, wenn dieser von einem Sachverhalt Kenntnis genommen oder pflichtwidrig nicht genommen hat, der ein Ergreifen von Maßnahmen erfordert. Die Pflichtenlage erfährt insoweit erst in Ansehung bestimmter tatsächlicher Umstände eine Verdichtung zum Anknüpfungspunkt der haftungsrechtlichen Verantwortung. Dies zeigt nach der Rechtsprechung des BGH das folgende Beispiel eines Amtshaftungsanspruchs wegen Verletzung der Aufsichtspflicht über einen Notar. Vorab ist anzumerken, dass der Anwendungsbereich der Wissensproblematik insoweit nicht frei von Zweifeln ist. Durch eine schärfere Konturierung der in Frage stehenden Amtspflichten, jedoch unter Berücksichtigung des Erfordernisses der Drittbezogenheit, könnte – dies wird im Anschluss im Rahmen einer kritischen Würdigung gezeigt – die Frage der Kenntniserlangung an Bedeutung verlieren. aa) Wissensvermittlung gegenüber Aufsichtsbehörde durch externen Prüfer 212 Der BGH hatte über einen Amtshaftungsanspruch unter dem Gesichtspunkt einer mangelhaft ausgeübten Aufsicht über einen Notar zu entscheiden. Eine Bank nahm das betroffene Bundesland auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin 211 212

Ausführlich unten S. 167 ff. BGH 3. Zivilsenat vom 15. Mai 1997 (BGHZ 135, 354).

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

hatte einem Notar zur treuhänderischen Abwicklung eines Grundstückserwerbs den Kaufpreis zwecks amtlicher Verwahrung überwiesen. Dieser hatte sodann den Betrag abredewidrig für eigene Zwecke verbraucht. Mehr als ein halbes Jahr vor diesem Ereignis war der betreffende Notar auf Anordnung des für die Aufsicht zuständigen Präsidenten des Landgerichts aufgrund einer Mandantenbeschwerde überprüft worden. Der mit der Prüfung betraute Richter am Landgericht hatte eine Vielzahl von schwerwiegenden Verstößen gegen die Pflichten eines ordentlichen Notars festgestellt. Der Prüfer legte den Prüfbericht nach Anmahnung durch den Präsidenten des Landgerichts diesem erst nach dem die Klägerin treffenden Vorfall vor. Ausgehend von der Auffassung, dass die Einleitung und pflichtgemäße Durchführung eines Amtsenthebungsverfahrens gegenüber einem sich fortgesetzt pflichtwidrig verhaltenden Notar ausnahmsweise 213 eine drittschützende Amtspflicht der aufsichtführenden Behörde darzustellen vermag, kam es entscheidend darauf an, ob vorliegend diese aufsichtführende Behörde bereits vor dem die Klägerin schädigenden Ereignis die zur Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens erforderliche Kenntnis aufgewiesen hatte. Nur dann würde sich ihr Unterlassen nach Auffassung des BGH als objektiv pflichtwidrig darstellen. Im Ergebnis bejahte der BGH eine Zurechnung des Wissens des zur Prüfung beauftragten Richters gegenüber dem aufsichtführenden Land: 214 Zunächst stellt der BGH klar, dass die erforderliche Tatsachenkenntnis der Behörde ihr durch die für sie handelnden Organe sowie tätigen Amtswalter vermittelt werden müsse. Sodann problematisierte der BGH die Anforderungen, die an einen wissensvermittelnden Amtswalter zu stellen sind. Ausdrücklich verworfen wird eine direkte oder entsprechende Anwendung der zivilrechtlichen Vertretungsregeln nach § 166 BGB einschließlich ihrer Erweiterungen in Bezug auf die Wissensvertretung: Obschon der BGH diese im rechtsgeschäftlichen Bereich unmittelbar und im deliktischen Bereich nach dem immanenten Rechtsgedanken in Bezug auf Behörden anwende, könne dies nicht – wie vorliegend – im Bereich hoheitlichen Tätigwerdens übernommen werden. Dagegen spreche zum einen, dass sich die Behörde hier nicht auf der Ebene des Privatrechts bewege. Zum anderen setze diese Rechtsprechung im Interesse des von dem Eintritt der Verjährung bedrohten Geschädigten einer Wissenszurechnung bewusst enge Grenzen. Im hoheitlichen Bereich ist nach Auffassung des BGH allein die Funktion des Wissensträgers innerhalb der Behörde unter Berücksichtigung der für den jeweiligen Verwaltungsbereich einschlägigen Verfahrens- und Zuständigkeitsvor213 Nach ständiger Rechtsprechung wird eine staatliche Aufsicht grundsätzlich nur im allgemeinen Interesse an der Rechtmäßigkeit der Erledigung öffentlicher Aufgaben und damit ohne die Vermittlung konkreter subjektiv-rechtlicher Positionen im Sinne des Ergreifens bestimmter Maßnahmen ausgeübt, vgl. BGHZ 35, 44, 46 f. (Notaraufsicht). 214 Vgl. zum Folgenden im Einzelnen BGHZ 135, 354, 359 f.

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schriften entscheidend. Dabei reiche es für eine Zurechnung des Wissens eines Amtswalters aus, wenn „aufgrund der Behördenorganisation bzw. nach den Anforderungen, die an diese Organisation mit Blick auf die sachgerechte Erledigung der der Behörde oder Stelle zugewiesenen Aufgaben zu stellen sind, erwartet werden könne, dass der betreffende Amtswalter entweder selbst die aufgrund seiner Tatsachenkenntnis erforderlichen Maßnahmen ergreift oder aber den zur Entscheidung hierüber berufenen Amtsträgern die notwendige Kenntnis vermittelt“ 215. Vorliegend war der mit der Prüfung befasste Richter zwar nicht zuständig, selbst Maßnahmen gegenüber dem Notar zu ergreifen, und überdies seine organisationsrechtliche Einordnung in die Prüfungsbehörde – die Landesjustizverwaltung mit Landesjustizministerium an der Spitze – zweifelhaft. Jedoch hat es der BGH genügen lassen, dass ihm als Prüfungsbeauftragtem die Pflicht oblegen habe, den Aufsichtsbehörden das für ihre Tätigkeit notwendige Tatsachenwissen zu verschaffen und diese somit in den Stand zu setzen, die erforderlichen Maßnahmen ergreifen zu können. Somit seien die von dem Prüfungsbeauftragten anlässlich einer Geschäftsprüfung gewonnenen Kenntnisse den Aufsichtsbehörden als eigene Kenntnis zuzurechnen und es habe ab diesem Zeitpunkt die Rechtspflicht der Aufsichtsbehörden bestanden, ein Amtsenthebungsverfahren gegenüber dem betreffenden Notar unverzüglich einzuleiten. 216 bb) Kritik Die Entscheidung des BGH hat sowohl in Bezug auf das Ergebnis als auch seine Begründung Zustimmung gefunden. 217 Es wurde betont, dass eine Verwirklichung des einer arbeitsteiligen Behördenorganisation immanenten Risikos von Informationsverlusten durch Kommunikationsschwierigkeiten sich nicht zu Lasten des Bürgers auswirken dürfe, weshalb die zivilrechtlichen Grundsätze der Wissenszurechnung anhand der Rechtsstellung des die relevante Kenntnis erlangenden Amtswalters zu Recht durch den BGH erweitert worden sind. 218 Somit gelte eine Behörde unabhängig von einer tatsächlichen Weitergabe des relevanten Wissens bereits dann als „wissend“, wenn der für die Weiterleitung der Kenntnisse an den Entscheidungsbefugten zuständige Mitarbeiter, der zudem nicht „fest in die Behördenstruktur eingebunden sein muss“, diese erlangt hat, wobei entscheidend sei, dass die Vermittlung von Wissen die Aufgabe dieses Mitarbeiters ist. 219 215 216 217 218 219

BGHZ 135, 354, 360. BGHZ 135, 354, 361. So durch Ossenbühl, JZ 1998, 45. Ossenbühl, JZ 1998, 45,46. Ossenbühl, JZ 1998, 45, 46.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

Bereits der Ausgangspunkt des BGH und der zustimmenden Literaturmeinung ist jedoch zweifelhaft. Indem die Entstehung der in Frage stehenden Amtspflicht allein an die Kenntnis der Behörde geknüpft wird, erfolgt eine Verengung der Betrachtungsweise, die zu der im Folgenden dogmatisch nicht überzeugenden Begründung führt. Als betreffende Amtspflicht wird vom BGH die Pflicht zur Schadensverhütung mittels aufsichtlicher Maßnahmen in Bezug genommen. Knüpft man indes bereits an die Pflicht zur Weiterleitung relevanter Informationen durch den beauftragten Prüfer als Amtspflicht an, so stellt sich die Frage nach dem Kenntnisstand der Aufsichtsbehörde nicht. Allerdings ist dann problematisch, ob der Pflicht zur Weiterleitung der Information in Bezug auf die klagende Bank überhaupt eine drittschützende Wirkung beigemessen werden kann. Da der dienstlichen Tätigkeit des Prüfers nur ein Rechtsverhältnis zu der ihn betrauenden Stelle sowie allenfalls zu dem geprüften Notar korrespondieren dürfte, ist die Konstruktion eines Drittschutzes hier schon im Ansatz zweifelhaft. In Bezug auf die Begründung der wiedergegebenen Entscheidung ist weiterhin zu kritisieren, dass der BGH eine dogmatisch stringente Argumentation vermissen lässt. Unklar bleibt, wie die Verletzung einer Pflicht zur Weiterleitung einer Information zu einer Zurechnung führt. Zudem gelingt es ihm nicht, die Unterschiede konsequent herauszuarbeiten, die eine Abweichung in Bezug auf die in seiner Rechtsprechung zur Wissenszurechnung im rechtsgeschäftlichen sowie dem deliktischen Bereich entwickelten Grundsätze tragen. b) Steuerforderungen im Insolvenzverfahren Der genaue Zeitpunkt der Erlangung von Kenntnis bezüglich der Insolvenzgründe kann für Gläubiger im Insolvenzverfahren einen Rechtsverlust bedeuten, indem erlangte Befriedigungen anfechtbar werden. Auch Behörden können als Gläubiger betroffen sein, so dass sich auch hier die Frage nach der Kenntniserlangung stellt. aa) Kenntnisvermittlung zwischen Finanzämtern 220 Der Antragsteller wandte sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen seine Heranziehung zu in seiner früheren Funktion als Geschäftsführer einer insolventen GmbH nicht erfüllten Steuerforderungen. Hierbei hatte das Finanzgericht vor dem Hintergrund einer insolvenzrechtlichen Problematik zu beurteilen, ob dem antragsgegnerischen Finanzamt die Zahlungsunfähigkeit der betreffenden GmbH zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannt war. Sichere Anhaltspunkte für diesen Umstand lagen jedoch einem anderen, demselben Ministerium nachge220

FG S-H 5. Senat vom 3. August 2006 (EFG 2007, 89, insbesondere S. 90 f.).

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ordneten Finanzamt vor, das für die Einziehung einer anderen Steuerart zuständig war. Das Finanzgericht lehnte eine Zurechnung des zeitlich „früheren“ Wissens eines Finanzsamtes gegenüber dem anderen Finanzamt ab. In der Begründung werden zunächst Parallelen zur Rechtsprechung des BGH in Bezug auf Wertungen einer Wissensverantwortung gezogen, dann jedoch verworfen. So könne der einer juristischen Person, die ihre Aufgaben arbeitsteilig erledigt, Gegenübertretende grundsätzlich davon ausgehen, dass deren Repräsentanten einmal vorhandenes „Aktenwissen“ nutzen können. Dies schließe auch die Verpflichtung ein, seine Verfügbarkeit zu organisieren. Allerdings gelte dies nur in Bezug auf eine Organisationseinheit. Für einen ämterübergreifenden Informationsaustausch bestehe in Fällen wie dem vorliegenden weder eine Pflicht, noch zum Schutz des Steuerpflichtigen eine Notwendigkeit. Ein solcher allgemeiner Informationsaustausch sei zum einen zu aufwendig. Zum anderen spreche gegen eine Informationsweiterleitungspflicht, dass die Relevanz der jeweils bei verschiedenen Ämtern anfallenden Informationen in Bezug auf die jeweils anderen Ämter für die konkret Wissenden nicht ohne weiteres erkennbar sei. Schließlich sei die unterschiedliche Zuständigkeit der Finanzämter auch bekannt gewesen und diese auch nicht im Sinne einer Einheit aufgetreten. bb) Kritik Das Abstellen auf die zuständige Organisationseinheit stellt eine folgerichtige Anknüpfung an die Rechtsprechung des BFH in Bezug auf die Ausübung der Änderungsbefugnis nach § 173 Abs. 1 AO dar. Scheidet dort schon eine Gesamtbetrachtung innerhalb eines Finanzamtes aus, so gilt dies erst Recht, falls ein möglicher Informationsfluss zwischen unterschiedlichen Finanzämtern in Rede steht. Dieses Ergebnis ist – wie noch zu zeigen sein wird – im Falle das Abstellen auf die (außen)zuständige Organisationseinheit zu billigen. Sie stellt eine vermittelnde Lösung zwischen der Anwendung des Gedankens der „Einheit der öffentlichen Verwaltung“ und dem eines Abstellens allein auf die jeweils intern zuständige Funktionseinheit dar. Letztere vermag als atomistische Betrachtung dem Wesen der öffentlichen Verwaltung, aber auch den berechtigten Erwartungen der Betroffenen in Bezug auf das Interesse an Rechtssicherheit nicht zu entsprechen.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

5. Zusammenfassung und Gegenüberstellung der Rechtsprechung 221 Die zuvor ausgewertete Rechtsprechung aus dem zivilrechtlichen und dem öffentlich-rechtlichen Bereich zum Wissen von Funktionssubjekten des öffentlichen Rechts soll nun eine Zusammenfassung und Gegenüberstellung erfahren, um die dogmatisch zu bewältigenden Probleme herauszustellen. a) Wissen im Zivilrecht (fiskalischer Bereich sowie Leistungsverwaltung) Zuvor sind entsprechend dem Befund ein deliktischer Bereich sowie ein rechtsgeschäftlicher Bereich unterschieden worden. In beiden Bereichen sollen sich Funktionssubjekte des öffentlichen Rechts das Wissen der für sie tätigen natürlichen Personen nach den Grundsätzen der §§ 31, 89 und § 166 BGB, also in Ausprägung der Organtheorie 222, zurechnen lassen. Darüber hinaus ist beiden eine Lösung über das Rechtsinstitut der Wissensvertretung gemeinsam: Maßgebend ist hiernach jeweils das Betrautsein mit der eigenverantwortlichen Wahrnehmung der in Rede stehenden Funktion, die grundsätzlich in der eigenverantwortlichen Ausübung der betreffenden Befugnis bzw. in der Geltendmachung des entsprechenden Anspruchs bestehen soll. Im deliktischen Bereich erfolgt dabei grundsätzlich eine Orientierung streng an den innerbehördlichen Zuständigkeiten der Dienststellen. Im rechtsgeschäftlichen Bereich kann eine Fehlorganisation des Informationsflusses über eine Gesamtwürdigung Berücksichtigung finden. Hingegen soll dies im deliktischen Bereich kategorisch ausscheiden. Der Wissensbegriff wird dort mithin stets personal, also als Bewusstseinsinhalt, verstanden. b) Wissen im öffentlichen Recht (hoheitlicher Bereich) Innerhalb der ausgewerteten Rechtsprechung ist im öffentlichen Recht eine inhaltliche Orientierung an dem Rechtsinstitut der Wissensvertretung und damit eine Anlehnung an die Zivilrechtsprechung festzustellen, obgleich der Begriff der Wissensvertretung vermieden wird. Es überwiegt auch hier eine klare Orientierung an innerbehördlichen Zuständigkeiten und damit an der Funktion des die relevante Kenntnis erlangenden Amtswalters. Jedoch wird die Zuständigkeit hier nicht nur als Entscheidungs- bzw. Verfügungsbefugnis verstanden, sondern vereinzelt 223 soll – erweiternd – auch die Pflicht zur Weiterleitung der Information 221 222 223

Vgl. auch den Überblick bei Ossenbühl, JZ 1998, 45, 46. Im Einzelnen str., siehe oben S. 47 f. Vgl. BFHE 138, 313 (oben S. 136 f. zur Rechtsbehelfsstelle eines Finanzamtes).

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zur Zurechnung genügen. Über den Ermittlungsgrundsatz halten zudem verstärkt normative Elemente Einzug, indem eine Verknüpfung zwischen tatsächlich nicht vorhandener Kenntnis und der Möglichkeit, sich diese zu verschaffen, hergestellt wird. Die herangezogene Rechtsprechung – namentlich die des BFH – zeigt jedoch, dass hier nicht konsequent zwischen Wissen, Wissenszurechnung und einem Ausschluss des Einwandes fehlenden Wissens nach Treu und Glauben unterschieden wird. Es ist in Bezug auf den Aktenbestand jedoch eine teilweise Hinwendung zu objektiven Kriterien bei der Bestimmung, ob relevantes Wissen eines Funktionssubjektes vorliegt, zu verzeichnen. Das kann mit der besonderen „Datenlastigkeit“ der Steuerverwaltung, also ihrem Charakter als Massenverfahren, erklärt werden, denn in diesem Bereich werden große Mengen an steuerrelevanten Daten von den Steuerpflichtigen teilweise bereits auf elektronischem Weg übertragen. 224 Trotz der Bedeutung von Akten dürfte sich auch die BFHRechtsprechung aber noch als Festhalten an einem personalen Wissensbegriff interpretieren lassen. Gelegentlich wird das auch ausgesprochen, etwa dergestalt, dass der aktive Aktenbestand als Kenntnis des betreffenden Funktionssubjekts „gilt“ 225, also auch terminologisch angedeutet wird, dass hier nur Wissen fingiert werden soll. c) Gegenüberstellung Eine Gegenüberstellung der unter a und b wiedergegebenen Grundsätze und ihre Synthese wird durch die Besonderheiten der jeweiligen Rechtsmaterie erschwert. In gewissem Maße ist – wie oben gezeigt 226 – jeder Wissensbegriff, insbesondere in Bezug auf seinen Normadressaten, vom Tatbestandskontext der jeweiligen Wissensnorm bestimmt und mit Zurechnungsgründen, d. h. Wertungsgesichtspunkten, die auch bereits auf der Ebene des Wissensbegriffs Bedeutung entfalten können, verwoben. Im Bewusstsein der Kontextabhängigkeit des Wissensbegriffs verfolgt die Untersuchung das Ziel, normübergreifende Grundsätze herauszuarbeiten. Zunächst gilt es jedoch, die bisher entwickelten Grundlagen zusammenzufassen und den Blick für die Besonderheiten zu schärfen.

224 Entsprechendes gilt für weite Bereiche der Sozialverwaltung, vgl. Eifert, E-Government, S. 72 ff. 225 So BFH 4. Senat vom 5. Dezember 2002, AZ: IV R 58/01, zitiert nach juris. Offen bleibt allerdings vor dem Hintergrund des uneinheitlichen Sprachgebrauchs der zitierten Rechtsprechung, welcher Grundsatz hinsichtlich der Bewertung von „Aktenwissen“ angelegt wird. 226 Vgl. hierzu oben S. 24.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

Geht es im deliktischen Bereich vorwiegend darum, den Schädiger nicht unbillig zu entlasten, ist wiederum in Bezug auf den Regress im Beamtenrecht das Interesse des Schädigers an der durch klare Bestimmung des Beginns der Verjährungsfrist vor dem Hintergrund der den Dienstherren auch insoweit obliegenden Fürsorgepflicht zu berücksichtigen. Demgegenüber greifen im rechtsgeschäftlichen Bereich Erwägungen zum Schutz des Rechtsverkehrs im Hinblick auf dessen typische und berechtigte Erwartungen durch. Dagegen geht es im Steuerrecht um einen Ausgleich des öffentlichen Interesses an der Abgabenerhebung mit dem Interesse des Steuerpflichtigen an der durch Bestandskraft vermittelten Rechtssicherheit im Einzelfall. Bei den Ausschlussfristen schließlich ergibt sich eine den Erwägungen zum Steuerrecht vergleichbare Wertung: Auch hier geht es darum, Anforderungen an eine Einzelfallgerechtigkeit mit solchen an eine Systemgerechtigkeit zum Ausgleich zu bringen. aa) Insbesondere: Organisation und Ordnung interner Zuständigkeiten Des Weiteren ist das Augenmerk auf die Relevanz der (internen) Zuständigkeit des jeweiligen Wissensträgers innerhalb der juristischen Person zu richten: Während die Zivilrechtsprechung diesem Aspekt bei juristischen Personen des Privatrechts im rechtsgeschäftlichen Verkehr nunmehr geringere Bedeutung 227 beimisst, weil sie ohnehin vom personalen Substrat des Wissens abstrahiert, werden die Dinge bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts 228 enger gesehen, wobei zu berücksichtigen ist, dass derartige Entscheidungen zu Fragen des sogenannten Unrechtsverkehrs – im Zusammenhang mit Fragen des Beginns der Verjährung deliktischer Ansprüche – ergangen sind, wo also Verkehrsschutzerwägungen keine Rolle spielen 229. So herrscht hier eine funktionelle Betrachtung dergestalt, dass zur Vornahme einer Zurechnung die Aufgabe des jeweiligen Wissensträgers gerade darin bestehen muss, das relevante Wissen in 227 BGHZ 135, 202, 205 f. (Scheckrecht; Bankorganisation) stellt nur noch auf die Art der Informationen ab, so dass Informationen, deren Relevanz für spätere Geschäftsvorgänge für den konkret wissenden Angestellten erkennbar ist, dokumentiert und über einen gewissen Zeitraum verfügbar gehalten werden müssen, wobei es auf die interne Zuständigkeit des Wissenden nicht ankommen soll (hier: Mitarbeiterwechsel). 228 BGH NJW 1974, 319, 320: Das Bedürfnis nach klarer Zuständigkeit im öffentlichen Recht überwiege das des Verkehrsschutzes. BGH NJW 2000, 1411, 1413: „Ungeachtet dessen ist jedoch unerlässliche Voraussetzung für eine Wissensvertretung, dass der betreffende Bedienstete eigenverantwortlich (zumindest) mit der Vorbereitung von Regressansprüchen betraut ist.“ Vgl. auch BGHZ 133, 129, 138: Es dürfe nicht die Kenntnis eines jeden Bediensteten zugerechnet werden, sondern es sei jeweils zu prüfen, ob es sich bei dem Bediensteten um einen Wissensvertreter handelt. 229 Vgl. BGHZ 133, 129, 139.

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eine Entscheidung umzusetzen oder jedenfalls diese Information an die zuständigen Entscheidungsträger weiterzuleiten. 230 Demgegenüber wurde bei juristischen Personen des Privatrechts vor der Zeit des Organisationsansatzes aber auf die Entscheidungsmacht des Wissensträgers nach außen 231 – also für den Rechtsverkehr – abgestellt. bb) Zusammenfassung Die bisher in der Rechtspraxis entwickelten Grundsätze lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Tatsächlicher Normadressat einer Wissensnorm, d. h. derjenige, bei dem das Vorliegen der tatbestandsrelevanten Kenntnis zu untersuchen ist, ist regelmäßig weder der Verwaltungsträger selbst noch der einzelne Amtswalter. Abgestellt wird hingegen grundsätzlich auf die intern zuständige Funktionseinheit, wobei sich die Zuständigkeit zumeist aus Vorgaben des Innenrechts ergibt. 2. Tatbestandsrelevantes Wissen besteht grundsätzlich in einem Bewusstseinszustand. Funktionssubjekte können daher für sich selbst keine entsprechende Kenntnis aufweisen, sondern bedürfen der Zurechnung von Bewusstseinsinhalten von natürlichen Personen. 3. Das Wissen von aktuellen Organwaltern und sonstigen satzungsmäßigen Vertretungspersonen wird stets zugerechnet. Entsprechendes gilt grundsätzlich auch für ausgeschiedene Amtswalter und satzungsmäßige Vertretungspersonen. 4. Das Wissen sonstiger Personen wird jedenfalls dann zugerechnet, wenn diese über eine gewisse herausgehobene Funktion verfügen. Diese Funktion muss grundsätzlich in der eigenverantwortlichen und maßgeblichen Bearbeitung des Sachverhalts in Bezug auf die jeweilige Wissensnorm bestehen. 5. Eine unzureichende Organisation der Informationsaufnahme, -weiterleitung oder -speicherung („kenntnisverhindernde Organisation“) führt nur unter engen Voraussetzungen dazu, dass als Fiktion eine tatsächlich nicht vorhandene Kenntnis einem Betroffenen nicht entgegengehalten werden kann. Das Funktionssubjekt soll damit als „wissend“ gelten. Jedoch soll gegenüber einem deliktischen Schädiger ohne besonderes Rechtsverhältnis gegenüber der öffentlichen Verwaltung diese Fiktion grundsätzlich nicht greifen.

230 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass derartige Entscheidungen zu Fragen des sogenannten Unrechtsverkehrs – im Zusammenhang mit Fragen des Beginns der Verjährung deliktischer Ansprüche – ergangen sind, wo also Verkehrsschutzerwägungen keine Rolle spielen. Vgl. Medicus, Karlsruher Forum, S. 13. 231 Vgl. Kohler-Gehrig, VBlBW 1998, S. 212, 213.

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

V. Erklärungsansätze im öffentlich-rechtlichen Schrifttum Sind zuvor die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze herausgearbeitet worden, soll nun der Blick der Literatur gelten. Den Schwerpunkt soll hier eine Analyse der gefundenen und entwickelten Lösungen sowie ihre dogmatische Einordnung bilden.

1. Kenntnisvermittlung über Amtshaftung (Henning) In der Literatur hat Henning den Versuch unternommen, den in der zivilrechtlichen Diskussion konturierten Organisationsansatz für das öffentliche Recht – hier vor allem im Hinblick auf die verwaltungsrechtlichen Ausschlussfristen – fruchtbar zu machen. a) Informationsorganisationsanforderungen als Verkehrspflichten Henning 232 führt Anforderungen an die Informationsorganisation in Parallele zu den zivilrechtlichen „Verkehrspflichten“ auch für das öffentliche Recht auf den Rechtsgrundsatz der Verantwortlichkeit für Gefahren – hier bezüglich einer Wissensaufspaltung bei arbeitsteiligen Organisationen – zurück. So könne aus der Existenz inhaltlich übereinstimmender öffentlich-rechtlicher Verkehrspflichten der Schluss gezogen werden, dass es einen mit seinem zivilrechtlichen Pendant inhaltlich übereinstimmenden Rechtsgrundsatz der Verantwortlichkeit für eine Gefahrschaffung und -unterhaltung auch im ungeschriebenen öffentlichen Recht gebe. 233 Aus diesem Grundsatz folge hinsichtlich der Gefahr einer Wissensaufspaltung „die Pflicht, eine Kommunikation mit angemessenem, zumutbaren Aufwand zu organisieren“. 234 Den konkreten Umfang der so gewonnenen kommunikationsbezogenen „Pflicht“ ermittelt Henning nach den für die Präzisierung der zivilrechtlichen Verkehrspflichten herausgearbeiteten Kriterien, nämlich in erster Linie in dem technischen und finanziellen Aufwand zur Verhinderung der Verwirklichung der Gefahr sowie daneben im Grad der Gefahr und der Höhe bzw. Art des mutmaßlichen Schadens. 235

232 233 234 235

Henning, Henning, Henning, Henning,

Wissenszurechnung, Wissenszurechnung, Wissenszurechnung, Wissenszurechnung,

S. 153 ff. S. 155. S. 155 f. S. 158 f.

V. Erklärungsansätze im öffentlich-rechtlichen Schrifttum

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Im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzung der Amtshaftung bejaht Henning u. a. den drittschützenden Charakter der Kommunikationspflicht, da diese – neben dem vornehmlichen Zweck, die Funktionstüchtigkeit der öffentlichen Verwaltung zu gewährleisten – zumindest auch dem Schutze desjenigen, der der Verwaltung gegenüberstehe, diene. Auch sei ein Verschulden des Behördenbediensteten nach dem objektivierten Verschuldensbegriff der Rechtsprechung bei Vorliegen der Pflichtverletzung zu vermuten. Als Rechtsfolge der Verletzung der so postulierten Kommunikationspflicht befürwortet Henning im Ergebnis eine Wissenszurechnung gegenüber dem jeweiligen Verwaltungsträger. Konstruktiv soll dies unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung gemäß § 839 BGB i.V. m. Art. 34 GG erfolgen, indem quasi als Naturalrestitution der Anspruchsgegner als im Besitz der relevanten Kenntnis anzusehen sei. Der „Geschädigte“ sei so zu stellen, als habe der ihm gegenüberstehende Verwaltungsträger das relevante Wissen im Zeitpunkt der Verletzung der Kommunikationspflicht aufgewiesen. 236 Bezüglich des Anspruchsumfangs sieht sich Henning dann gezwungen, einer Naturalrestitution das Wort zu reden. Die Haftung der öffentlichen Hand für das rechtswidrige Verhalten ihrer Amtswalter ist nach dem Wortlaut der entsprechenden Vorschriften in § 839 BGB i.V. m. Art. 34 S. 1 GG nämlich als eine vom Amtsträger auf den Verwaltungsträger übergeleitete Amtshaftung ausgestaltet, weshalb nach allgemeiner Meinung 237 in Rechtsprechung und Literatur unter Ausschluss der Naturalrestitution nur ein auf Schadensersatz in Form von Geldzahlung gerichteter Anspruch besteht, so dass auch eine Wissenszurechnung jedenfalls auf diesem Wege nicht erfolgen könnte. Demgegenüber schlägt Henning vor, Art. 34 GG im Sinne einer primären Staatshaftung in Gestalt der unmittelbaren Verantwortlichkeit eines Verwaltungsträgers für das amtspflichtwidrige Verhalten ihm zugeordneter Bediensteter als anspruchsbegründende Norm auszulegen und § 839 BGB lediglich als konkretisierende Tatbestandsvoraussetzung aufzufassen. 238 Die herrschende Gegenansicht verwirft Henning als historisch überholt. Als weitere Argumente für ihre These führt sie grammatische, systematische sowie teleologische Aspekte an. So spreche weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzessystematik gegen die Auslegung von Art. 34 GG als Anspruchsnorm. Auch würde die ratio legis von § 839 BGB, die Henning u. a. unter Berufung auf Maurer 239 im Schutz des Geschädigten und dem Erhalt 236

Henning, Wissenszurechnung, S. 158. BGHZ (GSZ) 34, 99, 105 ff.; Maurer, VerwR, § 26 Rn. 44. Den Verwaltungsträger könne demnach nur die Schadensersatzpflicht treffen, die zu erfüllen auch der sich amtspflichtwidrig verhaltende Amtswalter und zwar als Privatperson zu erfüllen in der Lage sei, so dass hoheitliches Handeln ausscheide. 238 Hierzu und zum Folgenden Henning, Wissenszurechnung, S. 157 f. 239 Maurer, VerwR, § 26 Rn. 44 weist jedoch zu Recht darauf hin, dass aus der Konstruktion der Amtshaftung de lege lata in Form einer kombinierten Beamtenhaftung / 237

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

der Entscheidungsfreudigkeit des Beamten im haftungsrechtlichen Sinn sieht, durch eine Auslegung im Sinne einer Staatshaftung nicht berührt. Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht 240 in seinem Urteil zum Staatshaftungsgesetz entschieden, dass Art. 34 GG der Einführung einer unmittelbaren Staatshaftung nicht entgegenstehe. Im Ergebnis will Henning also im Falle der Verletzung der „Pflicht, eine Kommunikation mit angemessenem, zumutbaren Aufwand zu organisieren“ zu einer Zurechnung der Kenntnisse der einem Verwaltungsträger zugeordneten Bediensteten als jeweils relevanten Wissensträger gelangen, wobei die Zurechnung unter dem Vorbehalt der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit des Informationsaustauschs stehen soll. 241 b) Kritik Der Versuch, neuere zivilrechtliche Entwicklungen im Hinblick auf die Statuierung von Informationsorganisationspflichten im öffentlichen Recht über Institute des Rechts der staatlichen Ersatzleistungen – hier als „Staatshaftung“ – zu erfassen, ist zwar eine durchaus bedenkenswerte Konstruktion, vermag jedoch dem eigenen Praxisanspruch der Untersuchung Hennings, d. h. der Lösung konkreter Fälle auf der Grundlage der untersuchten Informationsorganisationspflichten, nicht gerecht zu werden. Hennings Konzeption der Wissenszurechnung bei Verletzung von Organisationsanforderungen steht und fällt mit ihrem Verständnis einer primären Staatshaftung. Folgt man aber – mit guten Gründen – der allgemeinen Meinung in Rechtsprechung und Literatur 242, so kann wegen des Ausschlusses der Naturalrestitution bei der Amtshaftung de lege lata eine Wissenszurechnung auf diesem Wege gerade nicht erfolgen. Hennings Ansatz, Anforderungen an die Informationsorganisation dogmatisch als staatshaftungsrechtliches Institut zu erfassen, ist vor diesem Hintergrund zum Scheitern verurteilt. Nicht zu verkennen ist, dass eine Bezugnahme auf die herrschende Ansicht noch keine Argumentation zu ersetzen vermag und auch keine Vermutung für die Richtigkeit dieser herrschenden Meinung ergibt. Jedoch spricht Überwiegendes für die Berechtigung dieser herrschenden Ansicht. So muss Hennig selbst einräumen, dass zwar unter grammatischen, systematischen sowie teleologischen Aspekten nichts gegen ihre Interpretation von Art. 34 GG als Anspruchsgrundlage einer primären, unmittelbaren Staatshaftung zu sprechen scheint. Das beStaatshaftung eine Einschränkung im Gegenstand eines möglichen Schadensersatzanspruchs auf Geldleistung folgt und sich hiernach auch der Rechtsweg interpretieren lasse. 240 BVerfGE 61, 149, 198 f. 241 Henning, Wissenszurechnung, S. 160. 242 BGHZ (GSZ) 34, 99, 105 ff.; Maurer, VerwR, § 26 Rn. 44. Hierzu zustimmend bereits oben S. 113 f.

V. Erklärungsansätze im öffentlich-rechtlichen Schrifttum

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deutet im Gegenzug aber auch, dass eben nichts derart Überwiegendes für ihre Interpretation spricht, das ein Abweichen von der aufgezeigten überwiegenden Meinung zu rechtfertigen vermag. Insbesondere verfängt ihre Berufung auf das Staatshaftungsurteil des Bundesverfassungsgerichts nicht, denn das Gericht hatte darin lediglich festgestellt, dass Art. 34 GG der Einführung einer unmittelbaren Staatshaftung nicht entgegenstehe. Weiter heißt es im Urteil: „Sie [die Vorschrift des Art. 34 GG, d. Verf.] gibt also einer andersartigen und weitergehenden Haftung keine Stütze, behindert sie aber nicht. Denn Art. 34 GG will den durch die Amtspflichtverletzung Geschädigten schützen, nicht aber den Staat gegen weitergehende Konsequenzen seiner Fehler abschirmen“ 243. Mithin geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass Art. 34 GG selbst keine Anspruchsgrundlage darstellt, die Ausgestaltung der Staatshaftung vielmehr dem Gesetzgeber obliegt. Dieser hat jedoch de lege lata die als Amtshaftung ausgestaltete Staatshaftung beibehalten. Auch überzeugen Hennings Gegenargumente letztlich nicht. Schon Wortlaut und Entstehungsgeschichte von § 839 BGB weisen in eine andere Richtung. 244 An dem Ansatz Hennings ist weiterhin auffällig, dass sie die Wissensproblematik im Hinblick auf Organisationsanforderungen ausschließlich als Haftungsfrage erfasst. So fallen bei ihr Zurechnung und Haftung zusammen. Dogmatisch spricht jedoch Überwiegendes dafür, diese Ebenen zu trennen. Bei der Haftung steht nämlich der Ausgleich von unfreiwillig erlittenen Einbußen in Rede, während es bei der Zurechnung um die Projektion von bei einem Verhaltenssubjekt vorhandenen Umständen auf das Zurechnungssubjekt geht. Außerdem trägt der Haftungsansatz speziell bei der Wissensproblematik die Gefahr in sich, Wissen als positive Kenntnis und Wissenmüssen als fahrlässig verursachte Unkenntnis ineinander fallen zu lassen. Weiterhin begegnet es zwar keinen durchgreifenden Bedenken, wenn Henning auf die sich entwickelnde Dogmatik des Zivilrechts zur Wissenszurechnung bei der Nichterfüllung von Organisationsanforderungen zurückgreift. Jedoch erscheint ihr Vorgehen dabei als allzu wenig differenzierend. Hier hätte man auf die Unterschiede der beiden Teilrechtsordnungen eingehen und unter dem Gesichtspunkt der Funktionsdifferenz zivilrechtliche Lösungen modifizieren sollen. Insbesondere bleiben Herleitung und konkreter Umfang informationsbezogener Organisationsanforderungen – wie auch in der Zivilrechtsdogmatik – weiterhin 243

BVerfGE 61, 149, 198 f. Vgl. Henning, Wissenszurechnung, S. 156 f., zur sogenannten Mandatstheorie als Normvorstellung des Gesetzgebers, wonach ein rechtswidrig handelnder Amtswalter als Privatpersonen – „contra mandatum“ – handele und sein Verhalten daher dem ihn anleitenden (anstellenden bzw. betrauenden) Hoheitsträger nicht zugerechnet werden könne. Indes ersetzt entgegen Henning kein Verweis auf die Entstehungsgeschichte einer Vorschrift, den Nachweis, dass sie nunmehr entgegen ihrem Wortlaut zu interpretieren ist, sondern vermag allenfalls einen legislatorischen Änderungsbedarf zu indizieren. 244

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

unklar. Ihre Erfassung unter dem Gesichtspunkt allgemeiner Verkehrspflichten überzeugt nicht, weil auch hier nur einseitig eine mögliche Haftungsdimension angesprochen wird. Ein gefährliches Schlagloch im öffentlichen Straßenraum ist gerade nicht vergleichbar mit einem „Steckenbleiben“ von Informationen aufgrund von Mängeln innerhalb einer arbeitsteilig agierenden Organisation. Außerdem ist zu beachten, dass eine gewisse arbeitsteilige Organisationsstruktur sozusagen in der Natur der Sache bei Funktionssubjekten des öffentlichen Rechts liegt, also im Grunde nicht die Schaffung einer zusätzlichen Gefahr darstellt. Etwas anderes mag freilich da gelten, wo arbeitsteilige Strukturen durch „Auslagerungen“ besonders störanfällig gestaltet werden. Hier wäre dann zwar ein haftungsrechtlicher Bereich eröffnet, der jedoch nur seine bereichsspezifischen Rechtsfolgen – also Schadensersatzansprüche – auszulösen vermag. Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass Henning zwar die Relevanz von Anforderungen an die Informationsorganisation auch im öffentlichen Recht angerissen hat, jedoch insoweit weder eine überzeugende dogmatische Einordnung noch eine Konkretisierung des Inhalts dieser Anforderungen gelungen ist.

2. Zeichnungsvermerk als Anscheinsbeweis für Kenntnis (Knoke) Im Zusammenhang mit Problemen der Rücknahme von Verwaltungsakten geht Knoke im Hinblick auf die Ausschlussfrist nach § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG und das Tatbestandsmerkmal der von der Behörde erlangten Kenntnis als fristauslösendes Moment auch auf Fragen des Wissensbegriffs und der Wissenszurechnung ein. a) Gedankengang Knoke begreift die Frage der Kenntniserlangung durch eine Behörde als Zurechnungsproblem, da die Erlangung von Kenntnis als intellektueller Vorgang stets personenbezogen sei und sich demzufolge die Kenntnis einer Behörde nur aus der Zurechnung von bei bestimmten Personen vorhandener Kenntnis ergeben könne. 245 Als Anknüpfungspunkt der Zurechnung will Knoke dabei – unabhängig von der Ordnung der internen Zuständigkeit – auf die dienstlich erlangte Kenntnis der bzw. des mit der Bearbeitung des konkreten Falls tatsächlich befassten Amtswalter abstellen. 246 Hinsichtlich der Frage, ob sogenanntes Aktenwissen, also die Aktenkundigkeit bestimmter Tatsachen genügt, um eine Kenntnis der Behörde i. S.v. § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG annehmen zu können, differenziert Knoke zwischen Aktenstücken, die von einem mit der Überprüfung des zur 245 246

Knoke, Rechtsfragen, S. 280 f. Vgl. Knoke, Rechtsfragen, S. 281.

V. Erklärungsansätze im öffentlich-rechtlichen Schrifttum

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Rücknahme anstehenden Verwaltungsaktes befassten Amtswalter unterzeichnet bzw. abgezeichnet sind und solchen, die diesen Zeichnungsvermerk nicht aufweisen. 247 Während bei den unterzeichneten bzw. abgezeichneten Aktenstücken nach den Regeln des Anscheinsbeweises davon auszugehen sei, dass deren Inhalt in das Wissen des betreffenden Amtswalters aufgenommen worden sei, könne im Falle des Fehlens von Zeichnungsvermerken, nicht auf Kenntnis geschlossen werden, da „der Weg des Schriftstücks in die Akte“ 248 hier unklar bleibe. In diesem Zusammenhang lehnt es Knoke jedoch ab, den jeweiligen Akteninhalt unmittelbar der Behörde als Organisationseinheit zuzurechnen. 249 Denn zum einen widerspreche diese Auslegung der personalen Natur des Kenntnisbegriffs, wobei Knoke betont, dass bei Kenntnis gerade positives Wissen einer Person in Frage stehe, was durch die Gleichsetzung mit bloßer Aktenkundigkeit mit dem Umstand schuldhafter Unkenntnis als Fahrlässigkeitselement durchdrungen würde. 250 Zum anderen könnte eine konsequente Gleichsetzung von Aktenkundigkeit und Kenntnis einer Behörde zur – im Ergebnis nicht hinnehmbaren – Folge haben, dass bei fehlender Aktenkundigkeit trotz einer bei dem mit der Entscheidung über die Rücknahme des betreffenden Verwaltungsakts befassten Amtswalter vorhandenen tatbestandsrelevanten Kenntnis der Lauf der Ausschlussfrist gesperrt sei. 251 b) Kritik Knoke zeigt, dass eine konsequente, d. h. vollständige und ausschließliche Gleichsetzung von Aktenkundigkeit und Kenntnis einer Behörde zu Verwerfungen führen könnte, wenn damit von personalem Wissen vollständig abstrahiert würde. Zur Lösung der Problematik der Informationsorganisation trägt der Ansatz Knokes indes wenig bei. Ein rein personales Verständnis des Wissensbegriffs erscheint jedenfalls nicht als zwingend. Auch überzeugt es nicht, wenn Knoke die Frage der Aktenkundigkeit auf die prozessuale Ebene verlagert und somit nach den Regeln des Anscheinsbeweises zu lösen vorschlägt. Hier erscheint jedenfalls eine materiell-rechtliche Lösung, die beim Wissensbegriff selbst oder der Zurechnungsproblematik ansetzt, als vorzugswürdig. Hier wird an der Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht festgehalten: Es ist zunächst auf der 247

Vgl. Knoke, Rechtsfragen, S. 282 f. Knoke, Rechtsfragen, S. 283. 249 Ebenso Allesch, BayVBl. 1984, 519, 522, der dieses Problem auch als prozessuales begreift und zur Lösung auf Erfahrungssätze für typische Geschehensabläufe, wie den Anscheinsbeweis, zurückgreifen möchte. 250 Vgl. Knoke, Rechtsfragen, S. 275, 283. 251 Knoke, Rechtsfragen, S. 283. 248

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Kap. 3: Informationsorganisationsanforderungen

materiell rechtlichen Ebene nach überzeugenden Lösungen zu suchen. Lediglich Unwägbarkeiten in der Nachweisführung können dann prozessual ausgeglichen werden. Mängel in der Erfassung des materiellen Rechts können in systemgerechter Weise nicht durch das Prozessrecht kompensiert werden.

Kapitel 4

Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass der im Zivilrecht diskutierte und zunehmend konturierte Organisationsansatz, also die Berücksichtigung des internen Informationsmanagements mit den beschriebenen Komponenten, im öffentlichen Recht zwar teilweise Berücksichtigung, jedoch keine dogmatische Verortung findet. Nachdem in den vorangegangen Kapiteln Ansätze von Rechtsprechung und Literatur zur Bewältigung der Nichterfüllung von Anforderungen an die Informationsorganisation kritisiert und letztlich verworfen werden mussten, soll im Folgenden eine eigene Lösung entwickelt werden. Will man die zivilrechtlichen Erkenntnisse zum Organisationsansatz sinngemäß in das öffentliche Recht übertragen und für die Beurteilung seiner Funktionssubjekte fruchtbar machen, scheint sich hinsichtlich der dogmatischen Verortung von Anforderungen an die Informationsorganisation zunächst die Heranziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben anzubieten, um der öffentlichen Hand eine Berufung auf durch Organisationsmängel hervorgerufene Unkenntnis zu verwehren. 1 Unklar ist aber auch hier, ob davon die Wissensebene oder erst die Zurechnungsebene betroffen ist. Für einen Ansatz auf der Wissensebene, also beim Wissensbegriff selbst, spricht, dass tatsächlich nicht vorhandene Kenntnis eben auch nicht zugerechnet werden kann. 2 Hiergegen kann jedoch vorgebracht werden, dass nicht Nichtwissen zugerechnet würde, sondern tatsächlich vorhandene Umstände, aus denen Kenntnis gefolgert würde. 3 Dieses Argument geht jedoch fehl. Denn aus einer Zurechnung von „Umständen“, die gerade kein Wissen darstellen, kann keine Kenntnis gefolgert werden. 1

So für das Zivilrecht etwa Buck, Wissen und juristische Person, S. 461 f. A. A. Schramm, in MüKo I 1, § 166 Rn. 30, wonach im Zivilrecht über den Organisationsansatz tatsächlich vorhandenes Wissen und nicht das an entscheidender Stelle fehlende Wissen zugerechnet werde. Hierbei wird jedoch zum einen verkannt, dass schon die mangelnde Aufnahme von Information über den Organisationsansatz quasi „geheilt“ werden soll. Zum anderen wird ausgeblendet, dass es nicht gleichgültig sein kann, wo sich eine Information innerhalb einer Organisation befindet, sondern sie vielmehr den nach den Zurechnungsgrundsätzen relevanten Personen zur Verfügung stehen muss. 3 So Bohrer, hierzu oben S. 74 ff. 2

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

Andererseits ist fraglich, ob der Wissensbegriff sich nicht im Vergleich zu einem personalen Wissensträger in Bezug auf ein Funktionssubjekt als möglichen Wissensträger gewandelt haben könnte. Als ein erster Ansatzpunkt kann hier die Ansicht dienen, die die bei den verwaltungsrechtlichen Ausschlussfristen für den Fristbeginn relevante „Kenntnis einer Behörde“ erweiternd als eine gewisse Form von Aktenkundigkeit 4 auffasst. Konsequenz dieser Argumentation ist, dass es auf eine Zurechnung von Wissen insoweit nicht mehr ankommt, da die juristische Person selbst als „wissend“ angesehen werden kann. In diese Richtung zielt auch der hier zu entwickelnde Lösungsansatz. Im Vorangegangenen ist gezeigt worden, dass das öffentliche Recht zwar Informationsorganisationspflichten aufweist. Aus diesen ließen sich aber keine der Bewältigung der aufgeworfenen Fragen dienenden Erkenntnisse gewinnen. Zur Lösung soll als Schlusspunkt der Untersuchung ein neuer Wissensbegriff entwickelt und dieser sogleich in Anwendung gebracht werden, indem seine Tauglichkeit anhand repräsentativer Beispiele zu erproben ist.

I. Grundlagen einer Neudefinition Eine Neudefinition des Wissensbegriffs hat vor allem den Bedingungen der modernen sogenannten Informationsgesellschaft Rechnung zu tragen. Unter diesen Bedingungen ist eine enorme Zunahme von gespeichertem Wissen als Informationen zu verzeichnen, das zugleich nicht mehr (ausschließlich) als Bewusstseinsinhalt natürlicher Personen, sondern daneben besteht. Gerade im Hinblick auf die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung ist dieses Phänomen nicht so neu, wie man zu glauben geneigt sein könnte, zeigte doch bereits die Beschäftigung mit dem Grundsatz der Aktenführung 5, dass hier frühzeitig eine Abstrahierung relevanter Informationen von einzelnen Amtswaltern bzw. Sachbearbeitern praktiziert wurde. Hierin kann der Ausgangspunkt dafür gesehen werden, zwischen Aktenwissen als gespeicherte, d. h. vergegenständlichte Information einerseits und Dienstwissen 6 als persönlicher Kenntnisstand andererseits zu differenzieren. 4

Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 213 unter Bezug auf BFHE 185, 568, 570. 5 Hierzu oben S. 110 ff. 6 Vgl. zum „Dienstwissen“ bereits Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 855, der freilich diesen Begriff anders verstand, nämlich im Gegensatz zum „Fachwissen“ als die nur dem Beamten zugängliche Kenntnis der für sein Verhalten maßgebenden konkreten Tatsachen, also als eine Form von Geheimwissen der Beamten. Insofern können darin bereits Ansätze zu einem Wissen im Sinne von Metawissen in organisationssoziologischer Hinsicht (siehe S. 28) gesehen werden.

II. Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

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„Wissen“ ist somit allgemein zunehmend zu einer Möglichkeit von Kenntniserlangung geworden, mithin zu einer „Kenntnis, wo es steht“, also zu einer Frage seiner Abrufbarkeit. Damit kann indes nicht die unreflektierte Gleichsetzung von Wissen mit einer wie auch immer gearteten „Aktenkundigkeit“ verbunden sein. Die Überlegungen zur Aktenkundigkeit können allerdings als richtungweisender Ansatz für eine Objektivierung des Wissensbegriffs angesehen werden. Jedoch verschleiert der schillernde Begriff der „Aktenkundigkeit“ leicht, dass es sich bei einem objektivierenden Verständnis des Wissensbegriffs durchweg um einen erst unter Heranziehung normativer Kriterien zu sachgerechten Ergebnissen führenden Vorgang handelt. Eine – als in Speichern vorhandene Information weit verstandene – Aktenkundigkeit als faktisches Element kann und muss hierbei der Ausgangspunkt sein, der jeweils der Präzisierung durch wertende Kriterien bedarf.

II. Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage Der im Folgenden zu entwickelnde Wissensbegriff kann als objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage bezeichnet werden. Subjektive Grundlage deshalb, weil eine Zurechnung primär über Bewusstseinsinhalte der einem Funktionssubjekt zugeordneten natürlichen Personen – zunächst unabhängig von den Differenzierungen im Einzelnen – erfolgt und auf objektive Elemente erst beim Scheitern der Zurechnung zurückgegriffen wird. 7 Der Organisationsansatz erweist sich in diesem Zusammenhang als Paradebeispiel des Scheiterns der herkömmlichen Modelle einer Zurechnung mit einem subjektiven Wissensbegriff als Zurechnungsgrundlage. Der Vorrang der Zurechnung ergibt sich – aber nicht ausschließlich – bereits aus der Praktikabilitätserwägung, dass hierfür bereits genaue Kriterien entwickelt worden sind („ausgefeilte“ Dogmatik), die auch nicht vorschnell über Bord geworfen werden sollten. Zweifelhaft und im Einzelfall noch nicht hinreichend geklärt ist jedoch die Frage, inwieweit die im Zivilrecht entwickelten Zurechnungskriterien auch im öffentlichen Recht Anwendung erfahren können. 8 Das soll aber nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein, da sich diese auf den Organisationsansatz beschränkt. Außerdem wird die hier zu entwickelnde Konstruk7 Damit soll nicht die Interdependenz von Wissen und Zurechnung verkannt werden. Denn dem hier entwickelten Begriffsverständnis soll hier nur eine Ergänzungsfunktion für den Fall des Scheiterns einer personenbezogenen Zurechnung zukommen. Allerdings ist die Begriffsschöpfung insoweit entwicklungsoffen für Erweiterungen. 8 Hierzu Henning, Wissenszurechnung, S. 139 ff. für eine entsprechende Anwendung der zivilrechtlichen Institute in Bezug auf Behandlung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Ausschlussfristen.

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

tion der Differenzierung von Akten- und Dienstwissen gerecht, denn bezüglich des Dienstwissens verbleibt es somit bei einer personalisierten Zurechnung. Wissen einer juristischen Person bzw. einer ihrer Funktionseinheiten soll nach dem hier vertretenen Wissensbegriff die jeweils tatbestandsrelevante Informationsmenge (also „Wissen“), die entweder zunächst als Bewusstseinsinhalt einer oder mehrerer der ihr zugeordneten natürlichen Personen vorliegt und nach Zurechnungsgrundsätzen dieser juristischen Person bzw. ihren Funktionseinheiten als „ihr“ Wissen zugerechnet werden kann oder – und das ist das Novum – unter Wertungsgesichtspunkten unmittelbar bei dieser juristischen Person bzw. einer ihrer Funktionseinheiten als vorhanden anzusehen ist. Am Schlusspunkt dieser Untersuchung sollen nun die faktischen und normativen Gesichtspunkte konkretisiert werden, nach denen letzteres, also das unmittelbare Vorhandensein von Wissen bei einem Funktionssubjekt ohne menschliches Bewusstsein, der Fall ist. Hiermit wird im Ergebnis die – wegen des Vorrangs der Zurechnung als solche freilich insoweit beschränkte 9 – Wissensfähigkeit von Funktionssubjekten des öffentlichen Rechts postuliert. Dies geschieht über ein zweistufiges Verfahren. Auf der ersten Stufe (im Folgenden unter 1) kommt es darauf an, ob an der relevanten Stelle eine verkörperte Information vorhanden ist oder zu irgendeinem Zeitpunkt vorhanden war. Eine Korrektur unter Anlegung wertender Kriterien erfolgt in einem zweiten Schritt (im Folgenden unter 2). Hier ist zu klären, ob das auf der ersten Stufe gefundene Zwischenergebnis als wertungsmäßig hinnehmbar erscheint. Daher sind die einzelnen Kriterien auf der Wertungsebene negativ formuliert, d. h. bei ihrem Nichtvorliegen stellt das Zwischenergebnis der ersten Stufe das Endergebnis dar.

1. Die faktische Ebene Die faktische Voraussetzung des objektiven Wissensbegriffs auf subjektiver Grundlage betrifft die Frage, ob und inwieweit Wissen im Organisationsbereich des Funktionssubjekts vorhanden ist oder jemals vorhanden war. a) Gegenstand In sachlicher Hinsicht findet das Wissen eines Funktionssubjektes seine Grundlage im Niederschlag der jeweiligen Informationen in entsprechenden Speichermedien. Der Begriff des Speichermediums soll in diesem Zusammenhang weit 9 Offen bleibt an dieser Stelle, ob nicht die Fortentwicklung der Informationsgesellschaft eine weitere Objektivierung des Wissensbegriffs, also weg von einem konkreten Personenbezug, trägt. Dies kann u. a. durch Automatisierung der Entscheidungsprozesse einschließlich der Informationsaufnahme gestützt werden.

II. Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

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verstanden werden. Nämlich als jedwede technische Möglichkeit, Daten über einen gewissen Zeitraum verfügbar zu halten, indem diese zuvor irgendwie verkörpert wurden. Die Art und Weise dieser Verkörperung ist dabei auf der faktischen Ebene unerheblich, d. h. sie kann schriftlich, elektronisch oder in anderer Form erfolgen. Ebenso unbeachtlich ist auf dieser Ebene der Ursprung der Information oder die Art des Zugangs oder die Art der Behandlung, die diese Information nach Zugang erfährt. So sind selbst eingegangene E-Mails, anonyme Schreiben, Bearbeitervermerke über mündliche und fernmündliche Gespräche usw. zu berücksichtigen. Der hier vertretene Wissensbegriff hat damit als notwendige faktische Bedingung, dass das relevante Wissen irgendwann einmal in einem Speichermedium verkörpert war. Demgegenüber spielt es keine Rolle, ob die einmal erfasste Information zum Zeitpunkt, in dem sie als Wissen tatbestandliche Relevanz erlangt, noch vorhanden ist. Dieser Aspekt findet erst im Anschluss daran auf der Wertungsebene Berücksichtigung. b) Organisationsbereich – Zuständigkeitsordnung Ist soeben erörtert worden, worin in sachlicher Hinsicht das relevante Wissen zu suchen ist, bleibt nun zu klären, wo diese Verkörperung von Information zu suchen ist. Hier – das sei vorausgreifend festgehalten – entscheidet der Organisationsbereich des Funktionssubjekts. Mit dem Begriff des Organisationsbereichs soll dabei an das Zuständigkeitsfeld des Funktionssubjekts in organisatorischer Hinsicht angeknüpft werden. Denn es liegt auf der Hand, dass als Wissen des betreffenden Funktionssubjekts nur die in seiner Sphäre vorhandenen Informationen herangezogen werden können. Diese Sphäre ist von organisationsrechtlicher Dimension und betrifft die abstrakten Zugriffsmöglichkeiten innerhalb der Organisationseinheit des Funktionssubjekts. Hierbei erweist es sich als naheliegend, den Zuständigkeitsbereich weit zu fassen, denn Einschränkungen können unter Wertungsgesichtspunkten dann noch vorgenommen werden. Damit kann auch neueren Entwicklungen hinsichtlich einer gewissen Diffusion 10 der Zuständigkeitsordnung im Zuge der Umsetzung bestimmter E-Government-Konzepte Rechnung getragen werden. Zu berücksichtigen sind allerdings die Vorgaben der jeweils in Betracht zu ziehenden Wis10 So wird teilweise schon das „Ende der Zuständigkeitsordnung“ proklamiert, vgl. Boehme-Neßler, NVwZ 2007, 650, 652, nach dem eine schrittweise „tief greifende Umgestaltung der Verwaltung“ bevorstehe. Zurückhaltend noch Groß, DÖV 2001, 159, 164, der demgegenüber das Prinzip einer „informationellen Gewaltenteilung“ jedenfalls im datenschutzrechtsrelevanten Bereich betont.

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

sensnormen, d. h. ein Abstellen auf Behörde, Amt o. a. 11 Insofern bedarf es noch einer Auslegung dieser Begriffe, um den faktischen Bereich des Speicherwissens abzugrenzen, so dass hier nur Grundsätze dargestellt werden können, die jedoch allgemeine Lösungen erlauben. Als Grundsatz ist festzuhalten, dass der hier relevante Organisationsbereich durch die Zuständigkeitsordnung bestimmt ist. Mit Zuständigkeitsordnung ist – in Abweichung von den Wertungen der Rechtsprechung – allerdings nicht schon die interne Zuständigkeitsordnung von Funktionssubjekten mit Außenzuständigkeit z. B. durch Geschäftsverteilungspläne gemeint. Das ergibt sich aus der Grundlage des neuen Wissensbegriffs, die maßgeblich in dem Gedanken der Rechtssicherheit zu sehen ist. 12 Zuständigkeitsordnung meint hier die durch Außenrechtssatz festgelegte Zuständigkeitsordnung in Abgrenzung zu bloßen Innenrechtssätzen, wie Organisationsanweisungen. Denn nur die erstgenannte Handlungsform ist aufgrund ihrer Transparenz als bekannt vorauszusetzen. Demgegenüber besteht bei Innenrechtssätzen gerade keine Publikationspflicht, sondern nur eine Publikationsmöglichkeit. 13 Dass zum Teil in der Praxis gleichwohl eine Veröffentlichung in Mitteilungsblättern o. ä. erfolgen mag, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung, denn diese Veröffentlichung steht im freien Ermessen des Normgebers, denn sie stellt keine Wirksamkeitsvoraussetzung dar. Eine gewisse Mischform kann demgegenüber in bestimmten Innenrechtssätzen gesehen werden, die aufgrund höherrangigen Rechts förmlich bekanntzugeben sind. 14 Ob auch diese hier als Anknüpfungspunkt in Frage kommen, könnte an sich vor dem Hintergrund der Gewährleistung von Transparenz durch Publikation zu bejahen sein, kann indes dahingestellt bleiben, da es sich hier in der Regel nicht um organisationsrechtliche Vorgaben handeln wird. 15

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Daher auch die Verwendung des neutralen Begriffs des Funktionssubjekts, vgl. oben

S. 36. 12 Die dem Rechtsstaatsprinzip u. a. entnommenen Aspekte Rechtssicherheit und Vertrauensschutz, vgl. zu beiden sowie dem grundsätzlichen Spannungsverhältnis SchulzeFielitz, in Dreier, GG, Art. 20 Rn. 146 f., können so in Bezug auf Rechtssicherheit und Schutz des Vertrauens in die Systemgerechtigkeit in Einklang gebracht werden. 13 Vgl. Stober, in: W / B/S / K, VerwR I, § 24 Rn. 31. 14 Zu diesen Stober, in: W / B/S / K, VerwR I, § 24 Rn. 12 ff.: Verwaltungsrichtlinien als gesetzeskonkretisierende bzw. -ersetzende Vorschriften ohne unmittelbare Rechtsnormqualität. 15 Sondern um solche, die Richtlinien für die Ausübung des gesetzlich eingeräumten Ermessens oder der Konkretisierung von Beurteilungsspielräumen enthalten, vgl. Stober, in: W / B/S / K, VerwR I, § 24 Rn. 31.

II. Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

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c) Kompetenz als Anknüpfungspunkt Anknüpfungspunkt ist in sachlicher Hinsicht die Verbands- sowie die Organkompetenz in Bezug auf Funktionssubjekte. Diese Kompetenzarten sind durch Sätze des Außenrechts hinreichend eingegrenzt und damit transparent gestaltet. 16 Maßgeblich ist allerdings grundsätzlich die Organkompetenz als die am stärksten konkretisierte Außenzuständigkeit. Denn diese betrifft die innerhalb der qua Verbandskompetenz zuständigen organisierten Einheit die ebenfalls nach außen hin zuständige Untereinheit, falls eine solche Untergliederung in einer durch Rechtssätze fundierten Kompetenzzuordnung widergespiegelt wird. 17 Das für die Zuständigkeit in sachlicher Hinsicht Gesagte ist zu übertragen auf die örtliche Begrenzung des Organisationsbereichs. Auch hier ist auf die durch Außenrechtssatz festgelegte örtliche Zuständigkeit abzustellen. Innerhalb des durch die Kompetenzzuordnung festgelegten Organisationsbereichs entscheiden die diesem Organisationsbereich funktional zugeordneten personellen und sächlichen Mittel über die Frage, ob das verkörperte Wissen als solches des betreffenden Funktionssubjekts angesehen werden kann. Als Zuordnungsprinzip ist damit nicht auf eine allein statusbezogene Betrachtung abzustellen. Diese bietet jedoch eine Vororientierung. Hiernach ist zunächst an die dienst- bzw. arbeitsrechtliche Situation (Anstellung) bzw. die Sachherrschaftsverhältnisse (Eigentum, Verfügungsgewalt) anzuknüpfen. Daneben sind funktionale Kriterien heranzuziehen. Es geht hier insbesondere um ein materielles Betrautsein mit der Ausführung der in Rede stehenden Aufgaben, wobei auch der Begriff des Betrautseins denkbar weit zu verstehen ist, d. h. auch untergeordnete Tätigkeiten umfasst. Innerhalb des funktionalen Betrautseins sind dann wiederum statusbezogene Elemente von Bedeutung. 18 Nicht verkannt wird hierbei, dass die funktionale Zuordnung mit Unschärfen verbunden ist, die dazu 16

Die Frage, ob es hier in organisationsrechtlicher Hinsicht stets einer Regelung durch einen Außenrechtssatz oder gar ein Gesetz im formellen Sinn bedarf, soll nicht Gegenstand der Untersuchung sein. Wo eine solche Regelung fehlt, führt das nach der hier vertretenen Auffassung zu einer entsprechenden Erweiterung des Organisationsbereichs, wo relevante Informationen verortet sein können. Nach der Lehre vom institutionellen Gesetzesvorbehalt wird in dem Bereich der Festlegung der Verwaltungsgliederung überwiegend nur gefordert, dass die Grundzüge der Aufbauorganisation durch Gesetz im formellen Sinn determiniert sind, vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 219. Differenzierende Darstellung zum Meinungsstand bei Eifert, E-Government, S. 182 ff, der im Ergebnis „allenfalls ein verfassungsrechtliches Gebot grober gesetzlicher Strukturierung des Verwaltungsaufbaus“ sieht (S. 211) und darüber hinaus grundsätzlich eine Regelung durch – allerdings zu publizierende Verwaltungsvorschriften – für zulässig erachtet. 17 Was freilich nicht stets der Fall sein muss, vgl. Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 83 Rn. 82. Dann ist die Verbandskompetenz allein maßgeblich. 18 Nämlich dann, wenn es sich bei dem „Betrauten“ um ein Funktionssubjekt handelt, dem wiederum eigene personelle und sächliche Mittel zugeordnet sind.

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

führen können, den Organisationsbereich zu weit zu verstehen. Dem ist jedoch auf der normativen Ebene zu begegnen. Mit dem Abstellen auf den Befund bezüglich der funktionalen Zuordnung lassen sich auch Fälle der inhaltlichen Verschiebung der Wahrnehmung von Aufgaben erfassen. Es kommt darauf an, welchem Funktionssubjekt im Außenverhältnis die in Frage stehende Aufgabe obliegt. Bedient sich dieses zur Aufgabenerfüllung Dritter, wie anderer Funktionssubjekte oder Privater, so erstreckt sich sein Organisationsbereich auch auf diese, denn nach außen tritt es insoweit als Einheit auf. 19 Im Folgenden sollen einige Ausführungen zu besonderen Konstellationen in Bezug auf die beiden Ebenen des hier entwickelten Wissensbegriffs in Überlegungen einfließen. Sie dienen in erster Linie einer Präzisierung und zugleich Überprüfungen dieser Postulate. d) Sonderfälle: Erweiterungen des Organisationsbereichs Hinsichtlich der Bestimmung des Organisationsbereichs für die faktische Ebene des neuen Wissensbegriffs wurde eingangs auf eine funktionale Betrachtung abgestellt. Es kommt also darauf an, welchem Funktionssubjekt die in Frage stehende Aufgabe obliegt. Bedient sich dieses zur Aufgabenerfüllung Dritter, wie anderer Funktionssubjekte oder Privater, so erstreckt sich sein Organisationsbereich auch auf diese. Zur Präzisierung dieser Aussage können die Grundkonstellationen einer Erweiterung des Organisationsbereichs herangezogen werden. Es handelt sich hierbei um Mandat, Delegation, Amtshilfe und schließlich (teilweise) Auslagerung an private Dritte. Eine echte Zuständigkeitsverlagerung im Sinne eines Übergangs der externen Zuständigkeit auf ein anderes Funktionssubjekt findet allerdings grundsätzlich nur bei einer Delegation statt. Im Übrigen steht dann eine bloße Erweiterung des eigenen Organisationsbereichs im Sinne einer Wahrnehmungsverschiebung 20 in Rede. aa) Mandat Beim organisationsrechtlichen Mandat erfolgt keine Zuständigkeitsverlagerung, sondern die Wahrnehmung einer Funktion durch ein Funktionssubjekt (dem Mandatar) im Namen des zuständigen Funktionssubjekts (dem Mandan19 Auf der normativen Ebene kann dann gleichwohl eine Zusammenschau scheitern, im Einzelnen unten S. 174 ff. 20 Zum Begriff Eifert, E-Government, S. 218 ff. für Mandat und Organleihe: Rechtstechnisch werde hierdurch die Zurechnung von Handlungen über Organgrenzen hinweg bewirkt, wodurch es zu einer Erweiterung der faktischen Handlungsmöglichkeiten der in Anspruch genommenen Organe komme.

II. Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

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ten). 21 Es handelt sich also um das öffentlich-rechtliche Seitenstück zu der zivilrechtlichen Stellvertretung. Der Organisationsbereich des Mandanten vergrößert sich damit um die Sphäre des Mandatars. bb) Delegation Die Delegation ist durch die Übertragung einer Zuständigkeit, die ein Funktionssubjekt inne hat, auf ein anderes (den Delegatar) mit der Folge gekennzeichnet, dass der Delegatar diese Zuständigkeit nunmehr im eigenen Namen wahrnimmt. 22 Nach dem hier vertretenen Ansatz führt eine Delegation jedenfalls dann nicht zu einer Erweiterung des Organisationsbereichs des ursprünglich zuständigen Funktionssubjekts, wenn diese durch Außenrechtssatz erfolgt. Denn in diesem Falle ist allein der Organisationsbereich des Delegatars Gegenstand der Beurteilung. In anderen Fällen wird weiterhin auf das delegierende Funktionssubjekt abzustellen sein mit der Folge, dass dessen Organisationsbereich sich um den des Delegatars erweitert, da er sich dessen zur Erfüllung ihm obliegender Aufgaben „bedient“. cc) Amtshilfe Bei der Amtshilfe kommt es zur Einschaltung eines anderen Funktionssubjekts im Rahmen von dessen Zuständigkeitsbereich in die Aufgabenerfüllung des darum ersuchenden Funktionssubjekts im Sinne einer Zuarbeit in hoheitlichen Angelegenheiten. 23 Auch hier erweitert sich der Organisationsbereich des Ersuchenden um den des die Amtshilfe leistenden Funktionssubjekts. 24 dd) Auslagerung an (sonstige) Dritte Bei der Auslagerung an Sonstige, d. h. außerhalb der öffentlichen Verwaltung stehende Dritte geht es um die Frage der Privatisierung. Zu deren Grenzen in dem hier in Rede stehenden hoheitlichen Bereich ist an anderer Stelle das Nötige gesagt worden. 25 Soweit eine Auslagerung erfolgt, führt auch dieser Umstand zu 21 Str. vgl. Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 84 Rn. 75 ff. mit weiteren Differenzierungen in innerbehördliches und zwischenbehördliches (externes) Mandat. Das innerbehördliche Mandat lässt schon per se den relevanten Organisationsbereich unberührt, da nach der hier vertretenen Auffassung die Außenzuständigkeit maßgeblich ist. Entsprechendes gilt für das externe Mandat, da auch dieses die Außenzuständigkeit unberührt lässt. 22 Kluth, in: W / B/S, VerwR III, § 84 Rn. 67. 23 Vgl. Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 4 Rn. 10: Ergänzende Hilfe in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht. 24 Auch das ist die Konsequenz der funktionalen Zuordnung auf der faktischen Ebene. 25 Oben S. 87 ff.

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

einer Erweiterung des Organisationsbereichs des Funktionssubjekts, aus dessen gesetzlich zugewiesenem Aufgabenbestand die betreffende Funktion entstammt. Abzustellen ist dann auf diesen erweiterten Organisationsbereich. ee) Informationsverbund Eine Erweiterung des Organisationsbereiches eines Funktionssubjektes kann auch über die bekannten Rechtsfiguren des Verwaltungsorganisationsrechts hinaus rein faktisch in der Begründung und Unterhaltung von Informationsverbünden, z. B. durch Datenbanken und Netzwerke gesehen werden. Zwar sind derartige Informationsverbünde nur teilweise 26 realisiert und erfordern im hoheitlichen Bereich grundsätzlich der Wegbereitung durch den Gesetzgeber, jedoch ist hier mit einer steten Ausweitung zu rechnen. 27 Ein aktuelles Beispiel bilden die Organisationsanforderungen, die aus der Etablierung der Verfahren der einheitlichen Stelle gemäß § 71a VwVfG erwachsen werden. 28 Bei einem Informationsverbund korrespondieren nach der hier vertretenen Auffassung Zugriffsmöglichkeiten mit der Bestimmung des Organisationsbereichs. Dieser erfährt insoweit also eine Erweiterung. Erst auf der normativen Ebene erfolgt dann wieder eine Begrenzung anhand der hier eingeführten Kriterien. Zu beachten ist allerdings, dass eine allgemein zugängliche Quelle, wie sie z. B. das Internet darstellt, nicht allein als einen den Organisationsbereich erweiternden Informationsverbund Berücksichtigung finden kann. Denn ansonsten würde der Organisationsbereich durch die Konturenlosigkeit dieser mittlerweile üblichen Datenanbindung jegliche Bestimmtheit einbüßen. Davon unabhängig kann das Internet jedoch den Zugriff auf spezielle, d. h. nicht allgemein zugängliche Bereiche ermöglichen und so eine besondere Art der Vernetzung und des Informationszugriffs bereithalten. In diesem Zugriff nicht allgemeiner Art kann dann gleichwohl die Erweiterung des Organisationsbereichs gesehen werden. Es muss sich also um einen internen Informationsverbund von Funkti26 Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist das Register nach § 11a GewO, das die IHKn über den DIHK verbindet und den Abruf und Austausch von Informationen in Bezug auf einzelne Merkmale der dort erfassten gewerblich tätigen Versicherungsvermittler und -berater ermöglicht. 27 Vgl. Britz, Reaktionen, S. 269 ff. zur „Neuordnung der Verfügbarkeit verwaltungsinternen Wissens.“ Entsprechend Hamer, Informatisierung, S. 84 ff. in Bezug auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit. 28 Die praktischen Auswirkungen lassen sich derzeit noch nicht absehen. Auf der faktischen Ebene (Ebene 1) der hier vertretenen Auffassung vom Wissensbegriff ist das Verhältnis zwischen einheitlicher Stelle und zuständigen Fachbehörden ohne Weiteres als das eines gemeinsamen Organisationsbereichs zu verstehen. Folge ist, dass vorbehaltlich ausschließender Wertungen von Ebene 2 dieses Verhältnis insgesamt als normativer Informationsverbund erscheint, bei dem die bei der einheitlichen Stelle verkörperte Information zugleich Wissen der zuständigen Fachbehörde und umgekehrt bildet.

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onssubjekten handeln, wobei die Beteiligung privater Dritter keine abweichende Wertung nach sich zieht. 29 Bevor allerdings vorschnell ein Informationsverbund zur Bestimmung des Organisationsbereichs herangezogen wird, sollte geprüft werden, ob es nicht vielmehr lediglich um den Informationsaustausch zwischen Binnenuntergliederungen eines einheitlichen Funktionssubjekts geht. 30 Denn in diesem Fall liefert schon die Orientierung an der Außenzuständigkeit den für die Ausfüllung der faktischen Ebene hinreichenden Befund.

2. Die normative Ebene Die eigentliche Schwierigkeit bei der Präzisierung der objektiven Dimension des Wissensbegriffs liegt in der Herausarbeitung überzeugender und zugleich handhabbarer Wertungsgesichtspunkte, nach denen es im Einzelfall entgegen dem vorliegenden Informationsbestand ausgeschlossen ist, das Speicherwissen wertungsmäßig als eigenes Wissen des Funktionssubjekts zu begreifen. a) Überblick Als einfachgesetzlicher Anknüpfungspunkt für die relevanten Wertungskriterien dient im Folgenden § 24 VwVfG, dessen Regelungsgehalt im Kern zu verallgemeinern ist. Die Kriterien erlangen damit ihren Inhalt durch Abwägungsentscheidungen, wobei sich die Gewährleistung von Objektivität „der“ Verwaltung als ratio legis des § 24 VwVfG als einfachgesetzliche Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG erweist. Die Wertungsgesichtspunkte sind hierbei kumulativ fehlender Anlass (entsprechend § 24 Abs. 1 VwVfG), mangelnde Relevanz (entsprechend § 24 Abs. 2 VwVfG) sowie fehlende Verfügbarkeit (ergänzendes Kriterium). Die ersten beiden Kriterien sind zwar aus der Zivilrechtsdogmatik unter anderem Vorzeichen bekannt 31, hier jedoch funktionsdifferent auszufüllen durch rein objektive Be29 Zum Begriff des internen Informationsverbunds und seinen Entfaltungsmöglichkeit in der Praxis Eifert, E-Government, S. 267 ff. 30 Diese Fälle haben aufgrund einer verstärkten „Kundenorientierung“ der öffentlichen Verwaltung in Umsetzung bestimmter Modernisierungsprozesse, insbesondere der Idee eines sogenannten One-Stop-Government zugenommen. So ist beispielsweise in Bezug auf Kommunalverwaltungen an die Kommunikationsprozesse zwischen den „Bürgerämter“ („Servicecentern“, „Bürgerbüros“ u. ä.) und den jeweiligen „Fachämtern“ zu denken. Zur Organisation der Interaktionsbeziehungen zwischen Verwaltung und Bürger als OneStop-Government Britz, Reaktionen, S. 236 ff. und Eifert, E-Government, S. 169 ff. zum Vordringen gebündelter Verwaltungszugänge über Portale und Bürgerbüros. 31 Hierzu insbesondere Baum, Wissenszurechnung, S. 267 ff. der diese jedoch vor dem Hintergrund einer – hier abgelehnten – haftungsrechtlichen Einordnung entwickelt.

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trachtung und damit nicht bezogen auf den jeweiligen Amtswalter, was auch für Rechtskenntnis gelten muss. Sie können mit der Rechtsfigur des sogenannten beweglichen Systems, besser: eines Systems mit beweglichen Elementen 32 beschrieben werden. Das bedeutet, dass ein „weniger“ bezüglich eines Elements durch ein „mehr“ des anderen kompensiert werden kann, so dass im Ergebnis vom Vorhandensein des relevanten Wissens unter den geschilderten Wertungsgesichtspunkten auszugehen ist. Letztlich geht es darum, dass berechtigte Erwartungen hinsichtlich der Informationsorganisation, die zwar zu schwach ausgeprägt sind, um im Rahmen des Vertrauensschutzes Relevanz zu entfalten, hier durch Inkorporierung in den Wissensbegriff bereits auf der Tatbestandsebene berücksichtigt werden können. b) Kriterien Die folgenden Kriterien sind Ausdruck einer Wissensverantwortung, die sich auf die Gewährleistung der Verfügbarkeit angefallener Informationen bezieht. Damit ist gerade einer organisationsbedingten Wissensaufspaltung zu begegnen. Ist eines der folgenden drei Kriterien gegeben, führt dies dazu, dass Wissen trotz seiner informatorischen Verkörperung nicht zu berücksichtigen ist. Auf dieser Ebene fließen zudem subjektive Elemente in den Wissensbegriff ein, denn hier erfolgt eine Orientierung an dem Leistungsvermögen eines insoweit wiederum objektivierten Entscheidungsträgers in Gestalt eines gedachten persönlich gewissenhaften, in der Sache kundigen und organisatorisch dem Funktionssubjekt zugeordneten Mitarbeiters. Der maßgebliche Zeitpunkt ist dabei grundsätzlich derjenige, auf den sich die Wissensnorm bezieht, also in der Regel der einer möglichen Entscheidung. 33 aa) Fehlender Anlass Dieses erste Korrektiv des deskriptiv auf der ersten Ebene gefundenen Zwischenergebnisses betrifft den Fall, dass bei einer objektiv wertenden Betrachtung es als praktisch ausgeschlossen erscheint, dass auf einen Informationsbestand zurückgegriffen wird. Das ist dann anzunehmen, wenn keinerlei Anlass zum grundsätzlichen Abrufen der Information in der konkreten Situation ersichtlich ist. Nach diesem Kriterium wird eine Gleichsetzung von Informationsbestand und Wissen nur in Ausnahmefällen ausscheiden. Denn der Anlass ist regelmäßig schon in dem in Rede stehenden Vorgang zu sehen. 32

Vgl. hierzu Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 306 ff. Eine Ausnahme ergibt sich bei der Frage, ob sich ein Informationsverlust entlastend auswirkt. Dann ist insoweit auf den Zeitpunkt der Löschung abzustellen, hierzu unten S. 175 f. (Fall der fehlenden technischen Verfügbarkeit). 33

II. Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

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bb) Fehlende Relevanz Ging es soeben bei der anlassbezogenen Betrachtung darum, ob ein Informationszugriff überhaupt naheliegend ist, betrifft die Frage der Relevanz den Umfang des Abrufs, also die „Tiefe“, während der Anlass die „Breite“ betrifft. Hier ist maßgeblich auf die Bedeutung des Anlasses sowie die Erkennbarkeit dieser Bedeutung bei objektiver Betrachtung abzustellen. Die Bedeutung des Anlasses bemisst sich wiederum an der Wahrscheinlichkeit der Rechtserheblichkeit der anlassbezogenen Information. Schließlich spielt auch eine Rolle, ob ein Informationsaustausch möglich und nahe liegend war, namentlich bei der Frage eines funktionssubjektsübergreifenden Informationsaustauschs bei sachlichem Zusammenhang der angefallenen Informationen. cc) Fehlende Verfügbarkeit Bei diesem Korrektiv geht es um die Frage, dass die einmal vorhandene Information doch nicht mehr berücksichtigt werden kann oder darf. Das fehlende Können betrifft einen als berechtigt anzuerkennenden Informationsverlust oder die technische Verhinderung des Zugriffs. Das fehlende Dürfen meint hingegen den Fall, dass der Nutzung der Information rechtliche Hürden entgegenstehen. Eine fehlende tatsächliche oder technische Verfügbarkeit besagt zunächst, dass auf eine zu irgendeinem Zeitpunkt einmal vorhandene Information nicht mehr zugegriffen werden kann oder noch nie zugegriffen werden konnte. Sie kann damit zur Entkräftung des Wissens führen, muss es jedoch nicht. Hierbei könnte zunächst vermutet werden, dass eine objektive Unzumutbarkeit des Informationszugriffs angesichts der gegenwärtigen technischen Möglichkeiten eher im theoretischen Bereich wurzeln dürfte und damit zu vernachlässigen ist. Rein technisch-naturwissenschaftlich betrachtet, mag das so sein. Jedoch ist hier auf die Zumutbarkeit der Rekonstruktion der verlorenen Information abzustellen, wobei einer Kosten-Nutzen-Überlegung indizielle Bedeutung zukommt. Vor dem Hintergrund der beschriebenen intensivierten Kommunikation in elektronischer Form ist hier einer unterschiedlichen Medienkompetenz 34 Rechnung zu tragen: Entscheidend ist, ob der Bürger damit rechnen durfte, dass die in Frage stehende Kommunikation „verstanden“ wird, was sich unter dem Gesichtspunkt der Üblichkeit sowie des kommunizierten Selbstbilds des betreffenden Funktionssubjekts richtet. Als normative Grundlage ist insoweit die allgemeine Regelung des § 3a Abs. 1 VwVfG heranzuziehen, wonach die Übermittlung elektronischer 34 Zu Frage der Medienkompetenz in Bezug auf die Adressaten des Verwaltungshandelns Eifert, E-Government, S. 119 f. Dieser Gesichtspunkt lässt sich jedoch umkehren, denn es ist denkbar, dass die „Medienkompetenz“ dieser Adressaten im Einzelfall höher steht als die des angegangenen Funktionssubjekts.

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Dokumente nur soweit von rechtlicher Relevanz ist, wie hierfür ein Zugang eröffnet wurde. Da damit das Bestimmungsrecht über die technischen Bedingungen elektronischer Kommunikation bei dem Funktionssubjekt als Empfänger angesiedelt ist, 35 muss also auf dessen rechtserhebliches Verhalten abgestellt werden. Weitere Hindernisse können sich zudem aus der technischen Entwicklung selbst ergeben, wenn etwa vom technischen Fortschritt überholte Speichermedien nicht ausgelesen werden können, weil entsprechende Wiedergabeeinrichtungen nicht mehr vorgehalten werden. Oder Medienbrüche durch das Vorhandensein verschiedener Speichermedien auftreten. Sofern dies aber nicht zu einem tatsächlichen Entfallen der Information – dazu sogleich – führt, lassen sich solche Besonderheiten ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit des Informationszugriffs behandeln, denn diese Fälle können wertungsmäßig einem Entfallen der Information gleichgestellt werden, da sie tatsächlich nicht mehr verfügbar sind. Dies wirkt sich indes nur dann entlastend aus, d. h. führt auch zu einem Entfallen des Wissens im Rechtssinne, wenn der Zugriff unzumutbare Aktivitäten abverlangt. Damit bleibt zu erörtern, wie mit einem tatsächlichen Informationsverlust, z. B. durch Löschung der Daten oder Vernichtung der Datenträger umzugehen ist. Bei dieser Frage kommt es zunächst in einer ex-ante-Sicht insbesondere auf die Dauer der Speicherung und das Verfügbarhalten an, was sich nach der Wichtigkeit der Information sowie der Zumutbarkeit der Speicherung nach Aufwand und zu erwartendem Nutzen bemisst. 36 Hier ist im Grundsatz davon auszugehen, dass wo immer Vorgaben des Außenrechts zu Mindestfristen hinsichtlich einer Aufbewahrung bestehen, eine Einhaltung entlastend wirkt, also eine Vernichtung außerhalb dieser Fristen das Band des Wissen durchschneidet, falls nicht aufgrund besonderer Anhaltspunkte eine weitere Aufbewahrung angezeigt war. Fehlen indes derartige Aufbewahrungsfristen, so ist die Frage nach dem Verfügbarhalten von Information allein an dem Wertungskriterium der Zumutbarkeit zu erörtern, wobei rechtsähnlichen Aufbewahrungsfristen oder auch Vorgaben des Innenrechts zur Aufbewahrung indizielle Bedeutung zukommen kann. Ergänzend ist noch auf die Möglichkeit eines Ausschlusses wegen fehlender rechtlicher Verfügbarkeit hinzuweisen. Hierbei ist die relevante Information 35

So bereits Eifert, E-Government, S. 65. Zudem ist hier auch auf die Möglichkeit einer Wiederherstellung der verlorenen Daten zu berücksichtigen. Hierzu auch Chou, Wissen, Rn. 642 f. mit dem vor dem subjektiven Ansatz verständlichen Hinweis, gelöschte Information sei nochmals zu erfassen, sofern sich diese noch im Bewusstsein des zur Organisation gehörenden Wissensvermittlers befinde. Das spielt jedoch hier keine Rolle, da auf die (objektive) Relevanz der betreffenden Information abgestellt wird und ein Verlust insoweit ohne Auswirkungen in rechtlicher Hinsicht bleiben kann. 36

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zwar technisch zugriffsfähig. Der Zugriff ist jedoch aus Rechtsgründen ausgeschlossen. In Gestalt dieses Elements findet die Wertung des Grundsatzes der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung insofern Beachtung, als dass einem Funktionssubjekt nicht rechtlich Unmögliches abverlangt werden darf. Hier geht es um die Fälle, in denen Vorgaben des materiellen Daten- und Geheimnisschutzes einem Zugriff auf einen Informationsbestand entgegenstehen. 37 c) Berechtigung der normativen Kriterien Die Frage nach der Berechtigung der Wertungskriterien ist kein bloßes Gedankenspiel. Denn der hinter den Kriterien stehende Sinn und Zweck erleichtert die Handhabbarkeit im Einzelfall, die auf eine wertende Betrachtung hinausläuft. Gerade die konkrete Gewichtung der Elemente im „beweglichen System“ kann so argumentativ erleichtert werden. Ihre Legitimation finden die genannten Wertungskriterien letztlich im Rechtsstaatsprinzip, dort im Gedanken des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sowie – im grundrechtsrelevanten Bereich – zudem im Gewährleistungsgehalt einschlägiger Grundrechte. Als einfachgesetzliche Ausprägung ist der Untersuchungsgrundsatz nach § 24 VwVfG heranzuziehen. Im zivilrechtlichen Bereich überwiegt demgegenüber ein Abstellen auf den Schutz des Rechtsverkehrs, sofern nicht der sogenannte Unrechtsverkehr betroffen ist, sowie das sogenannte Risikoprinzip, so dass sich die Frage stellt, ob und inwieweit diese Argumentationsmuster überhaupt ins öffentliche Recht übertragen werden können. Als tragfähig kann sich im öffentlichen Recht vor allem der Gedanke des Verkehrsschutzes vor Gefahren einer Wissensaufspaltung erweisen, wobei dies hier als Ausprägung einer mit dem Rechtsstaatsprinzip u. a. aus Art. 20 Abs. 3 GG im Zusammenhang stehenden Gewährleistung von Rechtssicherheit angesehen werden kann. Verkehrsschutz meint damit einschränkend Vertrauensschutz, da der Rechtsverkehr im zivilrechtlichen Sinne im hoheitlichen Bereich im Wesentlichen – bis auf die Handlungsform des Austauschvertrages – nicht berührt ist. Eine Differenzierung nach Rechts- und Unrechtsverkehr entfällt daher. 38 Das Erfordernis der Rechtssicherheit gebietet es, überall dort, wo Rechtsakte mit 37

Hierzu im Einzelnen oben S. 94 ff. und S. 99 f. In krassen Fällen können die hier entwickelten Kriterien des objektiven Wissensbegriffs freilich eine Einschränkung durch das auch hier anwendbare Prinzip von Treu und Glauben erfahren. Das sollte aber auf wirkliche Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Die zivilrechtliche Unterscheidung wirkt zudem widersprüchlich, denn auch die ggf. fehlende Schutzwürdigkeit desjenigen, der von den belastenden Rechtsfolgen einer in Rede stehenden Wissensnorm betroffen ist, kann nicht dazu führen, Organisationsfehler eines Funktionssubjekts zu neutralisieren. 38

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

Verbindlichkeit gesetzt werden, dem Betroffenen möglichst schnell Gewissheit über das für ihn Verbindliche zu verschaffen. 39 Demgegenüber vermögen Erwägungen, wie die Gleichstellung juristischer und natürlicher Personen bzw. das Gerechtigkeitserfordernis einer Korrelation von Vor- und Nachteilen der Arbeitsteilung nicht durchzudringen, denn es ist – sieht man von Einzelfällen der Beleihung einer natürlichen Person ab – grundsätzlich ausgeschlossen, dass das öffentlich-rechtliche Tätigwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts von (natürlichen) Einzelpersonen vorgenommen werden kann, so dass es insoweit an der Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte fehlt. 40 Allerdings kann in diesem Zusammenhang der Gedanke der Risikoschaffung durch Etablierung dezentraler Strukturen durchaus fruchtbar gemacht werden, denn in Umsetzung des sogenannten Neuen Steuerungsmodells sind zunehmend Kooperationsmodelle zwischen Staat und Kommunen auf der einen Seite und Wirtschaft bzw. Bürgern auf der anderen Seite zu erwarten. 41 aa) Auswirkungen auf den Bereich der Zurechnung Wie eingangs 42 dargestellt sind Wissensbegriff und die Problematik der Zurechnung von Wissen insofern aufeinander bezogen, als eine Erweiterung des Wissensbegriffs grundsätzlich zu einer Verringerung des Bereichs einer (erforderlichen) Zurechnung führt. Nach diesem Grundsatz bliebe bei dem hier entwickelten Verständnis des Wissensbegriffs an sich nur noch ein schmaler Bereich für eine personenbezogene Zurechnung von Wissen als Bewusstseinsinhalt von natürlichen Personen. Dem ist jedoch nicht so. Denn die Konturierung, die der Wissensbegriff hier erfährt, ist vor dem Hintergrund der dogmatischen Bewältigung der Anforderungen und Rechtsfolgen in Bezug auf die Informationsorganisation zu sehen. An den Grundsätzen der personalen Zurechnung soll gerade festgehalten werden. Diese gehen dem hier entwickelten Ansatz entsprechend ihrem Anwendungsbereich vor. Eine Verringerung des Bereichs der Zurechnung erfolgt allenfalls in Bezug auf das Rechtsinstitut der Wissensvertretung. 43 Darüber hinaus nicht, 39

BVerfGE 60, 253, 269 ff. zur Funktion der Bestandskraft in Bezug auf die Wahrung verwaltungsrechtlicher Fristen. 40 So bereits Buck, Wissen und juristische Person, S. 318 u. 322. 41 Vgl. Miller, Rechtsprobleme modernen Verwaltungshandelns, LKV 1998, 421, 425 f.: Kommunikation werde zur Staatsaufgabe, da die realen Handlungsformen der Staatspraxis neuen kommunikativen Herausforderungen nicht gewachsen seien. 42 Oben S. 44 f. 43 Allerdings sollte die Rechtsfigur des „Wissensvertreters“, also einer die Zurechnung rechtfertigenden Person unterhalb der Organwalterebene, ihren Anwendungsbereich

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denn die Umstände, die hier in Rede stehen – also als Bewusstseinsinhalt gerade nicht vorhandenes Wissen – konnten auch nach der bisherigen Theorie und Praxis der Wissenszurechnung gerade nicht Zurechnungsgegenstand sein. Die Erweiterung des Wissensbegriffs erfolgt also in Bezug auf den Bereich, in dem bisher eine Zurechnung nicht vorgenommen worden ist. bb) Bedeutung der Anforderungen an die Informationsorganisation Es ist noch zu untersuchen, wo in dem hier dargestellten Ansatz die diskutierten Anforderungen an die Informationsorganisation Eingang gefunden haben. Fraglich und vieldiskutiert ist, ob es sich insoweit überhaupt um „echte“ Rechtspflichten oder vielmehr um Obliegenheiten, also Gebote des eigenen Interesses handelt. Dies kann aber vorliegend dahinstehen, da die Verletzung von Informationsorganisationspflichten nach dieser Lösung keine Haftungsfrage darstellt, sondern bereits Eingang in den Wissensbegriff gefunden hat. Bei dem normativen Wissensbegriff geht es nämlich auch darum, Erwartungen des Rechtsverkehrs bereits auf der Ebene des Wissens – dort im Rahmen der Wertungskriterien – zu berücksichtigen. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich gerade nicht um eine Haftung für die Verletzung von Organisationspflichten handelt, sondern schon im Vorfeld um den Schutz des Rechtsverkehrs und seiner berechtigten Erwartungen hinsichtlich der Informationsorganisation von Funktionssubjekten hier des öffentlichen Rechts. Eine Einordnung der Anforderungen an die Informationsorganisation in einen Haftungskontext verfängt auch deshalb nicht, weil die weitere Voraussetzung einer Haftung zumeist die Verletzung eines konkreten Rechtsguts darstellt. 44 An dieser wird es jedoch bei den Anforderungen an die Informationsorganisation regelmäßig fehlen. Und selbst wenn Wissen als Tatbestandsmerkmal innerhalb des Rechts der staatlichen Ersatzleistungen in Rede steht, ist hiermit keine „Zurechnung“ in dem Sinne verbunden, dass als Rechtsfolge einem Funktionssubjekt versagt wird, sich auf Unkenntnis zu berufen, sondern es geht hier um den Ausgleich von Schäden mittels Gewährung einer Geldleistung. 45 Zudem ist zu erwarten, dass von dem hier entfalteten objektivierten Wissensbegriff faktisch, d. h. ohne dass es der Statuierung jeweils detaillierter Anforderunaus Gründen mangelnder Transparenz / Vorhersehbarkeit der kasuistischen Wertungen der Rechtsprechung zu weiten Teilen einbüßen, sofern verkörperte Information im Sinne des hier entwickelten Ansatzes vorliegt. 44 Das ist bei der Haftung aus Delikt (sogar bei § 823 Abs. 2 BGB als Bruch der Rechtsordnung bezüglich des Schutzgesetzes) offensichtlich, aber auch bei der Haftung für die Verletzung vertraglicher sowie quasivertraglicher Pflichten – hier als Bruch der Vertragstreue in Gestalt der konkreten Pflichtverletzung – anzunehmen. 45 Im Einzelnen oben S. 158.

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gen bedürfte, hinreichende Anreize für Funktionssubjekte und ihre Rechtsträger ausgehen werden, die interne Informationsorganisation „in Ordnung“ zu bringen und zu halten. Widrigenfalls sehen sie sich nämlich der Folge ausgesetzt, per Erweiterung des Wissensbegriffs die Nachteile mangelhafter Organisation zu erfahren. d) Exkurs Ergänzend ist noch auf die Bedeutung der Rechtsfähigkeit des Funktionssubjekts sowie der Behandlung von Rechtswissen im Rahmen der normativen Ebene des hier entwickelten Ansatzes einzugehen. aa) Bedeutung der Rechtsfähigkeit des Funktionssubjekts Die Rechtsfähigkeit eines Funktionssubjekts bildet nicht die Voraussetzung der „Wissensfähigkeit“. Vielmehr steht der Begriff des Funktionssubjekts und seiner Untergliederungen auch für einen organisatorisch verselbstständigten Teilbereich innerhalb einer juristischen Person und trägt damit dem Erfordernis Rechnung, dass als Tatbestandsmerkmal von Wissensnormen oftmals auf eine derartige Struktureinheit abgestellt wird. Damit ermöglicht dieser Wissensbegriff auch die Zuordnung von Wissen bzw. Kenntnis gegenüber „Behörden“ und „Ämtern“. Gemeint ist damit eine Stelle der öffentlichen Verwaltung, der eine gewisse Außenzuständigkeit zukommt. 46 Mittlerweile wird ohnehin dem Begriff der Rechtsfähigkeit in Bezug auf öffentlich-rechtliche Funktionssubjekte nur noch geringe Bedeutung als Differenzierungskriterium beigemessen. 47 „Wissensfähigkeit“ und Rechtsfähigkeit sind mithin unabhängig voneinander zu betrachten. Selbst für eine Zurechnung ist die Rechtsfähigkeit nicht Voraussetzung. Zwar hatte bereits H.J. Wolff den Zusammenhang zwischen Zurechnung und Rechtsfähigkeit aufgezeigt, jedoch kommen auch nach seiner Auffassung nichtrechtsfähige Funktionssubjekte bzw. Struktureinheiten allemal als Zwischenglieder der Zurechnungskette in Betracht 48, so dass in Bezug auf die Wissenszurechnung ohne weiteres von deren Wissen gesprochen werden kann. 46 Dies entspricht dem (weiten) Begriff der Behörde in funktionaler Hinsicht, hierzu Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 1 Rn. 245 ff. Gemeint ist jede Stelle mit nicht ausschließlicher Innenrechtsrelevanz. Jedoch bleiben hinsichtlich des Adressaten auf der Seite der öffentlichen Verwaltung jeweils die Besonderheiten der in Rede stehenden Wissensnorm zu berücksichtigen, hierzu oben S. 36. 47 Oben S. 36. 48 Als Endsubjekt der Zurechnung sah Wolff jedoch grundsätzlich die juristische Person an, HansJ. Wolff, Vertretung, S. 261.

III. Gesamtwürdigung dieses Ansatzes

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Dass letztlich die Rechtsfolgen, die an das Wissen der Struktureinheit geknüpft sind, den Rechtsträger als Zurechnungsendpunkt treffen, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, denn Wissen als Tatbestandsmerkmal kann auf eine Untergliederung der (rechtsfähigen) Funktionseinheit bezogen werden unabhängig davon, ob den jeweiligen Rechtsträger die Folgen des Wissens einer Struktureinheit treffen. bb) Behandlung von Rechtswissen Auch hinsichtlich des Problems der Rechtskenntnis ergibt sich nichts anderes. Auch hier ist eine objektive Betrachtung zu favorisieren. Denn vor dem Hintergrund einer Wissensaufspaltung in arbeitsteilig operierenden Struktureinheiten kann nicht verlangt werden, dass sich sämtliche Kenntnisse bei einem Entscheidungsträger konzentrieren. Das ist zum Schutz dieser Struktureinheiten auch nicht geboten, da die im Folgenden zu erläuternden normativen Kriterien eine hinreichende Schutzfunktion zu entfalten vermögen. Nach dem vorliegenden Ansatz erfolgt hinsichtlich von Wissen in Bezug auf Tatsachen sowie Wissen in Bezug auf rechtliche Wertungen grundsätzlich keine Differenzierung. Aus der jeweils einschlägigen Wissensnorm kann sich Abweichendes ergeben. Prinzipiell ist aber Rechtskenntnis noch in stärkerem Maße für eine Objektivierung geeignet, als das für Tatsachenkenntnis anzunehmen ist. Denn hier ist der Maßstab das Recht selbst, so wie es in Rechtsprechung und Literatur seine Konkretisierung gefunden hat. Es gilt hier der Grundsatz, wonach die Verwaltung – ebenso wie das Gericht – das Recht zu kennen hat. 49

III. Gesamtwürdigung dieses Ansatzes Im Folgenden sollen die Vorzüge dieses Ansatzes zusammenfassend dargestellt werden. Sodann werden auch denkbare Einwände erörtert.

1. Vorzüge a) Bewältigung der Organisationsproblematik Die hier gewählte Konstruktion erlaubt die dogmatische Einordnung des Organisationsansatzes durch Erfassung von Organisationsanforderungen bereits als Dimension des Wissensbegriffs. Wissen wird normativ aufgefasst und als wich49

In Bezug auf diesen Grundsatz bei den verwaltungsrechtlichen Ausschlussfristen schon Stadie, DÖV 1992, S. 247, 252 (entsprechend „iura novit curia“).

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tiger Bestandteil dieses Begriffs in dieser Hinsicht eine Wissensverantwortung gesehen. 50 Diese Auffassung hat gegenüber einer reinen Zurechnungslösung den entscheidenden Vorteil, dass sie deren Unstimmigkeiten vermeidet. Nichtwissen – und das ist noch einmal zu betonen – kann nämlich nicht Gegenstand einer Zurechnung sein. Daneben berücksichtigt der hier vertretene Ansatz auch Folgendes: Jedwede Objektivierung des Wissensbegriffs kann nicht ausblenden, dass es stets natürliche Personen sind, die Wissensquellen erschließen und die entsprechenden Entscheidungen treffen oder dies unterlassen. Daher werden die Grundsätze der personalen Wissenszurechnung hier grundsätzlich nicht in Frage gestellt. 51 Zudem fließen subjektive Elemente auf der Wertungsebene ein, denn hier erfolgt eine Orientierung an dem Leistungsvermögen eines insoweit aber wiederum objektivierten Entscheidungsträgers, der als ein persönlich gewissenhafter und in der Sache kundiger Mitarbeiter abstrahiert wird. Auch wenn versucht wird, die Zurechnungslösung dadurch zu „retten“, dass nicht auf das Nichtwissen als Zurechnungsgegenstand sondern auf die Umstände, aus denen Kenntnis zu folgern sei 52, abgestellt wird, kann dies nicht überzeugen. Denn auch diese Umstände stellen zumeist keine zurechenbaren Bewusstseinsinhalte im Sinne der Wissenszurechnung in Verbindung mit einem subjektiven Wissensbegriff dar, sondern vielmehr Nicht-Inhalte. Richtigerweise ist der Organisationsansatz also eine Frage des Wissensbegriffs und nicht der Wissenszurechnung. Nur diese Lösung erlaubt zudem die zufrieden stellende Einordnung des Organisationsansatzes in die öffentlich-rechtliche Dogmatik. Der haftungsrechtliche Einordnungsversuch scheitert nämlich letztlich zumindest daran, dass nach der derzeitigen als Amtshaftung ausgestalteten Staatshaftung eine Naturalrestitution und somit eine „Wissenszurechnung“ als Rechtsfolge ausgeschlossen ist. Der Versuch der Einordnung über Treu und Glauben erscheint als Verlegenheitslösung ohne Konturen: Zwar sind bisher Elemente, die hier eine Einordnung erfahren, in besonders liegenden Ausnahmefällen einer dem „Gerechtigkeitsgefühl“ entsprechenden Lösung zugeführt worden. 53 Jedoch werden sie nach der hier vertretenen Auffassung in einen dogmatischen Zusammenhang gestellt, der ihre

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Zugleich geht damit von einem so verstandenen Wissensbegriff der Anreiz aus, die interne Informationsorganisation von Funktionssubjekten so zu gestalten, dass die Verfügbarkeit der relevanten Informationen gewährleistet ist. 51 Die Folgerungen im Einzelnen würden allerdings den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. 52 So Bohrer, hierzu oben S. 74 ff. 53 Als Beispiele können die oben referierten finanzgerichtlichen Entscheidungen herangezogen werden, siehe S. 132 ff.

III. Gesamtwürdigung dieses Ansatzes

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Handhabbarkeit erleichtert und Lösungen zugleich nachvollziehbar und damit überprüfbar gestaltet. Gleichwohl verliert der Grundsatz von Treu und Glauben insoweit nicht jeglichen Anwendungsbereich. Es sind Fallkonstellationen denkbar, bei denen es an der faktischen Grundlage des hier entwickelten Wissensbegriffs – dem Speicherwissen – fehlen mag 54 und auch eine Wissenszurechnung wegen fehlender Kenntnis des potentiellen Wissensträgers ausscheidet, aber sich die Kenntnis den potentiellen Wissensträgern quasi „aufdrängen“ musste oder dieser die Kenntniserlangung oder den Zugang verkörperter Informationen durch Errichtung einer Zugangsbarriere bewusst verhindert hat. b) Überzeugende Ergebnisse Der hier vertretene objektive Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage vermeidet zugleich die Schwächen eines rein objektiven Wissensbegriffs, der letztlich eine Fiktion zulasten jedes Funktionssubjekts darstellt. Ein bloßes „Aktenwissen“, d. h. in Speichermedien vorliegende Information, ist nach der hier vertretenen Lösung gerade keine hinreichende Bedingung, um tatbestandlich relevantes Wissen als gegeben anzusehen. Vielmehr erfolgt eine notwendige Korrektur anhand wertender Kriterien. Indem diese wertenden Kriterien als negatives Prüfprogramm formuliert sind, strahlt ihre Wirkung auf die verfahrensrechtliche Ebene aus, wobei hiervon behördliche Kontrollverfahren ebenso wie gerichtliche Verfahren erfasst werden. In Bezug auf die materielle Beweislast (Feststellungslast) 55 liegt es dann nämlich in der verfahrensrechtlichen Sphäre des betreffenden Funktionssubjekts hier eine von der tatsächlichen Seite des Vorliegens der relevanten Information abweichende Wertung durch entsprechenden Vortrag zu rechtfertigen. Damit findet das Organisationsrisiko seine Fortsetzung auf der verfahrensrechlichen Ebene und Wertungswidersprüche werden vermieden.

2. Mögliche Einwände Nach der Erörterung der Vorzüge des hier entwickelten Wissensbegriffs sollen denkbare Einwände diskutiert werden.

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Etwa weil sich dieses im Einzelfall prozessual nicht erweisen ließ. Zur Bedeutung der materiellen Beweislast im Verwaltungsprozess sowie der Ablehnung einer bereits formellen Beweislast als mit dem Untersuchungsgrundsatz unvereinbar, vgl. nur Kopp / Schenke, VwGO, § 108 Rn. 11 ff. 55

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

a) Versagen bei Nichtverkörperung von Information? Der hier entwickelten Lösung mag zunächst entgegengehalten werden, dass sie jedenfalls dann an ihre Grenzen stößt, wenn es materiell-rechtlich an jeglicher Informationsverkörperung fehlt oder sich die Verkörperung prozessual nicht erweisen lässt und jeweils auch eine Zurechnung nach den Grundsätzen der personalen Lehren – über Organwalter oder Wissensvertreter – scheitert. Jedoch können diese Konstellationen als Ausnahmefälle angesehen und im Einzelfall einer Lösung mittels Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben zugeführt werden. Ausnahmesituationen lassen sich mit diesem Grundsatz bewältigen, nicht jedoch der Regelfall. 56 Denn zum einen stellt in der öffentlichen Verwaltung die Verkörperung von Informationen – die Aktenkundigkeit – den Regelfall 57 dar und zum anderen ist die Problematik der Erweislichkeit der Tatsache der Verkörperung der relevanten Information ein prozessuales Problem und damit eine Frage der materiellen Beweis- bzw. Feststellungslast. b) Gleichsetzung von Wissen mit Wissenmüssen? Des Weiteren könnte gegenüber der hier favorisierten Lösung eingewendet werden, dass eine Abgrenzung zur bloßen Wissensfahrlässigkeit dadurch eingeebnet würde, indem Anforderungen an den Umgang mit Informationen in den Wissensbegriff Eingang finden. Dieser Einwand trifft jedoch nicht zu. Er ist auch nur vor dem Hintergrund eines bisher personal geprägten Wissensbegriffs verständlich. Hier geht es jedoch um die Feststellung eines vorliegenden Wissens in einem normativen Sinne, keines Wissenmüssens. Das Wissen, das hier als Wissen eines Funktionssubjekts angesehen wird, liegt angesichts der als Voraussetzung dieser Gleichsetzung formulierten faktischen Ebene auch tatsächlich in dessen Organisationsbereich vor, denn es hat dort seine Verkörperung gefunden. Es ist also vorhanden. Lediglich im Falle eines nicht aktuell vorhandenen Wissens stellt sich die Frage nach der Abgrenzung zur bloßen Wissensfahrlässigkeit, dem Wissenmüssen. Indes stellt sich dieses Problem als eine Frage der Anforderungen an die normativen Kriterien dar. Denn auch in diesem Fall war Wissen ja zu einem Zeitpunkt in dem relevanten Organisationsbereich real vorhanden gewesen. Hierüber hinwegzusehen hieße, die „Vergessensfähigkeit“ eines Funktionssubjekts bei natürlicher Betrachtung zu postulieren. Hier werden jedoch normative Krite56

Hierzu bereits oben S. 82. Der im gemeinen Prozess betonte Grundsatz des „Quod non est in actis, non est in mundo“ mag in seinem Rigorismus zwar nicht der Verwaltungswirklichkeit entsprechen, jedoch bleiben Akten die Grundlage der Wahrnehmung der Aufgaben gerade im hoheitlichen Bereich, vgl. Püttner, Verwaltungslehre, S. 295 sowie oben S. 110 ff. 57

IV. Grundfälle

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rien zur Begrenzung einmal vorhandenen Wissens vorgeschlagen, nach denen zu beurteilen ist, ob ein späterer Informationsverlust entlastend wirkt. Ob bei deren Anwendung eine Grenze zur Wissensfahrlässigkeit zu verwischen droht, ist eine Frage ihrer Handhabung und sollte als Wertung im Auge behalten werden. c) Systembruch oder Zurechnung durch die Hintertür? Schließlich könnte der hier entwickelten Lösung entgegengehalten werden, dass sie das ausdifferenzierte System der personalen Wissenszurechnung entweder durchbreche oder aber dieses unter anderer Bezeichnung lediglich fortführe, ohne also inhaltlich ein Novum darzustellen. Diesem Einwand ist in zwei Punkten zu begegnen: Sofern Wissen als Bewusstseinsinhalt der anhand ihrer Stellung relevanten Personen vorliegt, versagen die bisherigen Grundsätze der Wissenszurechnung nicht. Sie sollten deshalb bei aller Kritik im Grundsätzlichen nicht vorschnell verabschiedet werden. Lediglich eine genauere Konturierung der erforderlichen Stellung, d. h. des organisatorischen und sachlichen Status des jeweiligen Wissensträgers, erscheint erforderlich. 58 Die Neukonturierung des Wissensbegriffs in Bezug auf Funktionssubjekte ist im Spannungsverhältnis zwischen zwei Grundgedanken zu sehen: Zum einen wird ein rein personal verstandener Wissensbegriff den Besonderheiten von Organisationen nicht gerecht. Das verschleiert das feinziselierte System der Zurechnung. Angesichts zahlreicher Systembrüche gelangt die Rechtssicherheit in Bezug auf die Vorhersehbarkeit von Ergebnissen nicht durchweg zur Entfaltung. Wie bereits erläutert, darf eine Objektivierung des Wissensbegriffs aber zum anderen auch nicht ausblenden, dass es stets natürliche Personen sind, die Wissensquellen erschließen und die entsprechenden Entscheidungen treffen oder nicht treffen. Diese Rückkoppelung gelingt über die hier bevorzugten Wertungskriterien auf der normativen Ebene. Der Vorzug liegt dabei darin, dass durch Abstrahierung von konkreten Personen die Wertungsebene eine objektivierte Betrachtung ermöglicht, die auf das rechtlich zu erwartende Maß an personalem Einsatz als Korrektiv zu dem vorhanden verkörperten Wissen abstellt.

IV. Grundfälle Überlegungen zur Problematik von Wissen und Wissenszurechnung in Bezug auf arbeitsteilige Organisationen bewegen sich gemeinhin auf einem hohen Abstraktionsniveau. Hierunter leidet ihre Nachvollziehbarkeit. Dieser Umstand 58

Soll aber hier gleichwohl nicht geleistet werden.

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

kann zuweilen den Blick auf die Realität verstellen. Um dieser Gefahr hier zu begegnen, werden angelehnt an die Ausführungen zu Organisationsmodellen der öffentlichen (Eingriffs)verwaltung nunmehr Grundfälle mit jeweils einer Abwandlung den Abschluss der Untersuchung bilden. Als Rechtsmaterie zur Veranschaulichung ist das mit Wirkung zum 22. Mai 2007 novellierte Recht 59 der gewerblichen Versicherungsvermittlung und -beratung in Bezug auf die Problematik verwaltungsrechtlicher Ausschlussfristen gewählt worden. Als relevantes Funktionssubjekt rücken damit Träger der funktionalen Selbstverwaltung – hier die Industrie- und Handelskammern (IHKn) – in den Blickpunkt. Dass damit keine Veranschaulichung anhand von Funktionssubjekten der Ministerialverwaltung erfolgt, ist für die Zwecke dieser Untersuchung unschädlich, da sich für den Wissensbegriff hiernach keine Besonderheiten ergeben, 60 wie sogleich zu zeigen sein wird. In (verspäteter) Umsetzung europarechtlicher Vorgaben 61 hat der Gesetzgeber das Berufsrecht der gewerblich tätigen Versicherungsvermittler und -berater als grundsätzlich erlaubnispflichtiges Gewerbe ausgestaltet. Zudem sind die tätigen Versicherungsvermittler und -berater in einer öffentlich zugänglichen internetbasierten Datenbank zu erfassen, d. h. zu registrieren. Mit der Aufgabe der Erteilung derartiger Erlaubnisse sowie der Erfassung der Vermittler und Berater sind die Industrie- und Handelskammern betraut worden. Insgesamt müssen gemäß § 34d Abs. 2 GewO die vier Voraussetzungen: persönliche Zuverlässigkeit, geordnete Vermögensverhältnisse, das Bestehen einer Berufshaftpflichtversicherung sowie ein Nachweis der erforderlichen Sachkunde zur Erteilung dieser Erlaubnis vorliegen sowie, unter Ausnahme der letztgenannten Voraussetzung, auch aufrechterhalten bleiben. Die Registrierung hat gemäß § 34 Abs. 7 GewO sodann unverzüglich nach Aufnahme der Vermittlungs- oder Beratungstätigkeit zu erfolgen. Zur Umsetzung der Registrierung bedienen sich die IHKn eines nichtöffentlichen elektronischen Netzwerks, das über den Deutschen Industrieund Handelskammertag e.V. (DIHK) als sogenannte gemeinsame Stelle i. S.v. § 11a Abs. 1 S. 3 GewO geführt wird. Bei einem nach Erteilung der Erlaubnis eintretenden Verlust einer der erforderlichen Voraussetzungen kann die Erlaubnis mangels Vorliegens von Sonderreg59 Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts vom 19. Dezember 2006 (BGBl. I 3232) und Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung vom 15. Mai 2007 (BGBl. I 733). 60 Das folgt bereits aus der Tatbestandsspezifik des Wissensbegriffs, indem auf das jeweilige Funktionssubjekt und seinen Kenntnisstand anhand der hier entwickelten Grundsätze abzustellen ist. Nach dem favorisierten Begriffsverständnis erscheint die funktionale Selbstverwaltung als eine Unterform der hier so bezeichneten klassischen Bürokratie, hierzu oben S. 86. 61 Richtlinie 2002/92/EG vom 9. Dezember 2002 (ABl. EG 2003 Nr. L 9 S. 3). Zu den Hintergründen Herrmann / Wilkens, DZWIR 2006, 309 ff.

IV. Grundfälle

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lungen nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 49 Abs. 1 VwVfG 62 widerrufen werden. Lag indes schon im Erteilungszeitpunkt mindestens eine dieser Voraussetzungen nicht vor, kommt eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 VwVfG in Betracht. In beiden Fällen muss die Aufhebung gemäß §§ 48 Abs. 4 S. 1, 49 Abs. 3 S. 2 VwVfG aber binnen Jahresfrist erfolgen. Im Folgenden ist zu unterstellen, dass sich nach Erteilung der Gewerbeerlaubnis herausstellt, dass die erforderliche Sachkunde aufgrund unvollständiger Angaben des Antragstellers nicht nachgewiesen worden ist und auch nicht nachgewiesen werden kann. Jedoch ist weiterhin zu unterstellen, dass der Antragsteller die Erlaubnis weder durch arglistige Täuschung, noch durch Drohung oder Bestechung erwirkt hatte. 63 Zu prüfen ist, wann der zuständigen Industrie- und Handelskammer die Kenntnis von diesem Umstand vermittelt wird und auf welches Funktionssubjekt hierbei abzustellen ist. Des Weiteren ist zu fragen, was bei der Einschaltung privater Dritter als Dienstleister, etwa im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung, gilt.

1. Grundfall: „Klassischer Bürokratiefall“ Als „klassischer“ Fall soll die Konstruktion dienen, wonach ein Sachbearbeiter / Amtswalter als Entscheidungsträger innerhalb der nach der internen Zuständigkeitsregelung mit der Entscheidungsfindung betrauten Arbeitseinheit innerhalb der IHK-Hierarchie einen in Bezug auf eine zu treffende, d. h. konkrete Entscheidung rechtlich relevanten Umstand in sein Bewusstsein aufgenommen sowie aktenkundig gemacht hat. Auf das Ausgangsbeispiel gewendet bedeutet das, der betreffende Mitarbeit erlangt Kenntnis vom Nichtvorliegen der erforderlichen Sachkunde.

62 Sofern das jeweils einschlägige Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes auf das des Bundes verweist oder – wie im Übrigen – eine gleichlautende eigene Regelung enthält. 63 Diese Einschränkung ist wegen des Ausschlusses nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 VwVfG erforderlich. Das Erfordernis der Sachkunde ist hier nur exemplarisch herangezogen worden, auch die übrigen Voraussetzungen sind insofern darstellbar, z. B. das Vorliegen des erforderlichen Versicherungsschutzes (Bestehen eines Versicherungsvertrages mit dem Erlaubnisinhaber als Versicherungsnehmer als sogenannte Berufshaftpflichtversicherung) entfällt. Die Frage der Maßgeblichkeit eines bloßen Rechtsanwendungsfehlers stellt sich insoweit nicht, da die Tatsachengrundlage der Entscheidung selbst betroffen ist und nicht bei voller Tatsachenkenntnis unrichtig entschieden worden ist. Letzteres ist zwar str., vgl. Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG § 48 Rn. 225 ff., kann wegen der hier favorisierten Gleichbehandlung von Rechts- und Tatsachenkenntnis aber dahinstehen.

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

a) Abwandlung 1 In der Abwandlung zum „klassischen“ Fall stellt sich die Situation so dar, dass der rechtlich relevante Umstand keine Aufnahme in das Bewusstsein des Entscheidungsträgers bzw. des an der Entscheidung maßgeblich Mitwirkenden gefunden hat, sondern sich lediglich im Verwaltungsvorgang etwa in Form einer Aktennotiz etc. niedergeschlagen hat, wobei davon ausgegangen wird, dass dieser Verwaltungsvorgang bei der intern zuständigen Stelle geführt wird. Gemeint ist hier nicht ein schlichtes Vergessen des Mitarbeiters, sondern eine Nichtaufnahme der Information, etwa durch eine außerordentliche oder auch durch eine regelmäßige Personalfluktuation, wie sie z. B. bei Teilzeitbeschäftigung zu verzeichnen ist. b) Abwandlung 2 In einem weiteren Schritt ist noch zu erörtern, welche Auswirkungen der Verbleib dieser „Verkörperung“ von Information an einer organisationstechnisch anderen Stelle innerhalb der in Rede stehenden IHK hat.

2. Grundfall: „Moderner“ Fall („Outsourcing“) Der zweite Grundfall soll den Ergebnissen der Veränderungen der öffentlichen Verwaltung im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung Rechnung tragen. Hierzu ist davon auszugehen, dass die Schaffung der Entscheidungsgrundlage zum Teil ausgegliedert, also in die Hände von privaten Dritten gegeben wurde. 64 Nunmehr stellt sich die Frage, welche Auswirkungen zu verzeichnen sind, wenn sich die rechtlich relevante Kenntnis dann weder im Bewusstsein des behördlichen Entscheidungsträgers, noch im Verwaltungsvorgang selbst, sondern im Bewusstsein des „Privaten“ befindet. Exemplarisch mag hier der obige Vorgang dienen: Ein privat geführtes elektronisches Netzwerk sorgt für einen Informationsfluss zwischen den mit der Gewerbeüberwachung in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen nunmehr betrauten IHKn und sonstigen Stellen (Gewerbebehörden, Versicherungsgesellschaften und Versicherungskunden).

64 Dies betrifft jedoch nicht die Entscheidung selbst, da insoweit eine Privatisierung – wie hier – im Rahmen der Ausübung von Hoheitsgewalt ausscheidet, vgl. zu den Grenzen der Privatisierung oben S. 87 ff.

IV. Grundfälle

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a) Abwandlung 1 In der Abwandlung zum „modernen“ Fall befindet sich die rechtlich relevante Information nicht (mehr) im Bewusstsein des „Privaten“, hat jedoch eine Verkörperung gefunden. Bei dieser Abwandlung wird diese Verkörperung in Bezug auf den Verwaltungsvorgang selbst untersucht, d. h. hier hat sie Eingang in den Verwaltungsvorgang gefunden und ist zu seinem Bestandteil geworden. b) Abwandlung 2 Bei dieser Abwandlung liegt der Sachverhalt wie in Abwandlung 1, jedoch mit dem Unterschied vor, dass diese „Verkörperung“ in der Sphäre des „Privaten“ bleibt, wobei der Einfluss etwaiger Zugriffsmöglichkeiten seitens des behördlichen Entscheidungsträgers in einem weiteren Schritt zu erörtern ist.

3. Lösung der Grundfälle Nach der Entwicklung des objektiven Wissensbegriffs und der abstrakten Darstellung seiner Voraussetzungen ist nun abschließend seine Tauglichkeit anhand des Umgangs mit den beschriebenen Grundfällen zu erweisen. Die Grundfälle behandeln die Aufhebungssituation eines begünstigenden Verwaltungsaktes in mehreren Dimensionen. Zu prüfen ist jeweils, welche Umstände zu dem Beginn der gesetzlichen Rücknahmehöchstfrist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG führen. Im Folgenden ist zu unterstellen, dass nach rechtswidriger Erteilung der Erlaubnis zur gewerblichen Versicherungsvermittlung nach § 34d GewO „bekannt“ wird, dass die erforderliche Sachkunde des Erlaubnisinhabers nicht nachgewiesen worden war und nicht nachgewiesen werden kann. Zu prüfen ist, wann der zuständigen 65 Industrie- und Handelskammer die Kenntnis von diesem Umstand vermittelt wird und auf welches Funktionssubjekt hierbei abzustellen ist. a) Grundfall 1: „Klassischer Bürokratiefall“ Die überwiegende Auffassung würde nach den Grundsätzen der personalen Wissenszurechnung allein auf die Kenntnis der Mitarbeiter der intern zuständi65 Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus den gesetzlichen Vorgaben zur Eingrenzung des Kammerbezirks und knüpft an die Innehabung der Betriebsstätte des Hauptsitzes an, hierzu Meyer, GewArch 2006, 305 f.: Räumliche Konkretisierung der Kammeraufgaben. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus den §§ 11 a, 34 d, e GewO i.V. m. § 1 Abs. 4 IHKG (als übertragene Aufgabe der Selbstverwaltung).

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

gen Stelle fokussieren und hätte somit in dieser Ausgangsvariante keine Schwierigkeit, den Fristbeginn festzustellen. Auch für den hier entwickelten Wissensbegriff gilt nichts Abweichendes, denn eine personale Zurechnung ist als vorrangig zu behandeln. Indes war eine Orientierung an der Stellung des Wissensträgers insofern kritisiert worden, als hier keine organschaftliche Vertretung vorliegt. Daran ist festzuhalten. Somit kommt es auf die Person des gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vertreters an. Ausweislich der Vorgaben des IHKG in § 7 Abs. 2 sowie der entsprechenden Kammersatzungen sind das Präsident und Hauptgeschäftsführer, hier allerdings mit der Modifikation, dass nach Maßgabe der Kammersatzungen 66 grundsätzlich für Geschäfte der laufenden Verwaltung – um solche handelt es sich im Beispielsfall 67 – die Alleinvertretung durch den Hauptgeschäftsführer begründet ist. Dieser dürfte jedoch die betreffende fachspezifische Kenntnis gerade nicht aufweisen. Das Wissen sonstiger Mitarbeiter kann jedoch nicht ohne weiteres über das Organ Hauptgeschäftsführer der Kammer zugerechnet werden. Als sogenannte Wissensvertreter würden diejenigen Personen gewertet, denen es nach der internen Zuständigkeitsregelung obliegt, die Sachmaterie eigenständig zu bearbeiten und Entscheidungen oder Zwischenentscheidungen selbstständig zu treffen. Mit der Kenntnis eines Entscheidungsträgers würde damit vorliegend der Fristlauf einsetzen. Diese Unterscheidung läuft jedoch auf eine Fokussierung auf (interne) Umstände des jeweiligen Einzelfalls hinaus. Eine Erhöhung der Rechtssicherheit stellt sich auch an dieser Stelle ein, wenn bereits insoweit auf den hier entwickelten Wissensbegriff zurückgegriffen würde. Das ist auch unproblematisch möglich, da eine Verkörperung der in Rede stehenden Information erfolgt ist. 68 Dann ergibt sich auch hier ein Ergebnis, wie sogleich in Bezug auf die Abwandlung 1 beschrieben.

66 Vgl. nur § 9 Abs. 1 S. 1 Mustersatzung des DIHK (Stand 16. Mai 2006), wonach der Hauptgeschäftsführer die Geschäfte der IHK führt und den Geschäftsverteilungsplan bestimmt. 67 Zum Begriff Rickert, in: F / J/J, § 7 Rn. 1 ff. dort auch zur Organqualität des Hauptgeschäftsführers. Im hier interessierenden öffentlich-rechtlichen Bereich richtet sich die Vertretung allein nach den Regelungen des Satzungs- oder Innenrechts der IHK mit der Folge, dass jedenfalls die Zuständigkeit des Hauptgeschäftsführers begründet ist, vgl. Rickert, a. a. O., Rn. 16. A. A. zur Organqualität neuerdings Groß, in: Kluth, Kammerrecht, Kap. E Rn. 42 mit dem Argument, es widerspreche der Tradition des Kammerwesens, einen hauptamtlichen Beschäftigten ehrenamtlich besetzten Organen gleichzustellen. Hierbei wird jedoch verkannt, dass zumindest die gesetzliche Vertretungsmacht die Organeigenschaft trägt. Hierzu Diefenbach, GewArch 2006, 313, 351 f. 68 Anderenfalls bliebe hier als Auffangmöglichkeit noch die Figur des Wissensvertreters, deren Voraussetzungen vorliegend ebenfalls erfüllt sind.

IV. Grundfälle

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aa) Abwandlung 1 In der Abwandlung zum „klassischen“ Fall stellt sich die Situation so dar, dass der rechtlich relevante Umstand keine Aufnahme in das Bewusstsein des Entscheidungsträgers bzw. des an der Entscheidung Mitwirkenden gefunden hat, sondern sich lediglich im Verwaltungsvorgang etwa in Form einer Aktennotiz etc. niedergeschlagen hat. Hier versagt eine personale Zurechnung offenkundig. Nach dem hier entwickelten Begriffsverständnis ist zunächst zu prüfen, ob faktisch verkörpertes Wissen des Funktionssubjekts an der organisatorisch relevanten Stelle vorliegt. Die organisatorische Relevanz richtet sich dabei nach der durch Außenrechtssätze begründeten Zuständigkeitsordnung, also der Verbands- sowie der Organkompetenz. Die Verbandskompetenz ist vorliegend mit der örtlich und sachlich zuständigen IHK bestimmt. Die Organkompetenz mit dem hierarchisch gegliederten Hauptamt und dem Organ Hauptgeschäftsführer an der Spitze. 69 Die Informationen, die im räumlich-gegenständlichen Bereich, dem Organisationsbereich des Hauptamtes der IHK Verkörperung erfahren, sind als eigenes Wissen im Rahmen der Betrachtung auf der ersten Stufe (faktische Ebene) anzusehen. Art und Gegenstand der Verkörperung sind dabei unbeachtlich. Auch der Vorgang spielt keine Rolle. Damit zählen schriftliche Informationen, elektronische Informationen dazu unabhängig, ob sie willentlich in Bezug auf irgendeinen Mitarbeiter in den Bestand gelangt sind. Auch eine Differenzierung in einen aktiven oder inaktiven (ausgelagerten, archivierten) Aktenbestand findet nicht statt. Ist festgestellt worden, dass eine entsprechende Information in verkörperter Form vorliegt, bleibt in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob ihre Gleichsetzung mit Wissen des Funktionssubjekts unter Wertungsgesichtspunkten entgegen dem tatsächlichen Befund ausscheidet. Das ist eine Frage eines fehlenden Anlasses, einer fehlenden Relevanz oder einer fehlenden Verfügbarkeit. Mit anderen Worten: War ein Informationszugriff bei einer objektivierten Betrachtung ex-ante

69 Eine dem Kommunalrecht entsprechende direkte Aussage des Gesetzes fehlt hier. Vor dem Hintergrund der Alleinvertretung kann aber auch auf die Organkompetenz für den in Rede stehenden Bereich der Ausführung übertragener Selbstverwaltungsaufgaben der Wirtschaftsverwaltung geschlossen werden. Im Kommunalrecht findet sich die entsprechende Regelung, wonach das Organ Bürgermeister die Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis in eigener Zuständigkeit erledigt, vgl. § 63 Abs. 2 GO LSA. Diese Erwägung kann vorliegend übertragen werden, allerdings mit der Maßgabe dass hier die Geschäfte der laufenden Verwaltung betroffen sind. Ein übertragener Wirkungskreis im Sinne rein staatlicher Aufgaben ist in Bezug auf die in Rede stehende gewerberechtliche Materie nicht eröffnet In Analogie zum Kommunalrecht kann von pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben ausgegangen werden, vgl. im Ergebnis ebenso, jedoch mit abweichender Terminologie Möllering, in F / J/J, § 1 Rn. 227 f.: „Selbstverwaltungsaufgaben im ‚übertragenen Wirkungskreis‘“.

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

nicht naheliegend, in seinem Umfang nicht indiziert oder aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Ein ausreichender Anlass, vorhandene Informationen zu sichten, ist bei in Bearbeitung befindlichen Vorgängen – auch bei einem Bearbeiterwechsel unabhängig von der Ursache, z. B. bei Teilzeitbeschäftigungen, stets gegeben. Aber auch darüber hinaus ist ein Anlass in routinierten Abläufen, wie laufenden Wiedervorlagen u. a. zu sehen. Neben diesen internen Anlässen, stellen auch andere eingehende einschlägige Informationen, z. B. Hinweise und Anzeigen, einen Anlass dar. Die zu fordernde Relevanz des Informationsabrufs betrifft den Umfang der Heranziehung verkörperter Information. Je nach der Bedeutung des Anlasses, bestimmt sich auch die Tiefe der Nachforschung im Rahmen einer objektivierten ex-ante-Betrachtung. Bei als bedeutsam einzustufenden Vorgängen steigen die Anforderungen an dieses Kriterium. In dem hier gegebenen Bereich der gewerberechtlichen Gefahrenabwehr dürfte regelmäßig eine entsprechende Bedeutung zu bejahen sein. Schließlich darf keine fehlende Verfügbarkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen vorliegen. Hierbei ist daran zu erinnern, dass ein unbegründeter Informationsverlust nicht entlastend wirkt. Eine rechtliche Barriere können datenschutzrechtliche Vorgaben hinsichtlich einer Zweckbindung von in anderem Zusammenhang verkörperter Information darstellen. Da diese Bewertung aber zugunsten des Betroffenen wirkt, wird hierin regelmäßig keine Schranke zu sehen sein. 70 bb) Abwandlung 2 In dieser Abwandlung ist zu erörtern, welche Auswirkungen der Verbleib dieser „Verkörperung“ von Information an einer organisationstechnisch anderen Stelle innerhalb der Verwaltungseinheit hat. In diesem Fall ergeben sich gesteigerte Anforderungen an die drei bekannten Wertungskriterien, jedoch im Übrigen keine abweichende Bewertung. Besonderes Augenmerk ist dem Kriterium der fehlenden Verfügbarkeit zu widmen, wenn Vorgaben zur Etablierung informato70 Wie bereits oben, S. 97, gezeigt, gelten die datenschutzrechtlichen Restriktionen grundsätzlich nicht innerhalb einer Verwaltungseinheit mit Außenzuständigkeit, es sei denn, es finden sich besondere Rechtsvorschriften zu abgeschotteten Bereichen. Insofern könnte aber eingewendet werden, dass ein Funktionssubjekt wertungsmäßig als wissend behandelt wird, obschon es diese Kenntnis nach ihrer Zweckbindung gar nicht hätte aufnehmen können. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das Funktionssubjekt selbst im Falle einer fehlenden Ermächtigung zur Zweckänderung der betreffenden Daten, immerhin eigene Ermittlungen, etwa durch Befragung des Betroffenen, hätte anstellen können. Ob hierzu Anlass bestand ist wiederum eine Frage von Anlass und Relevanz, wie im Haupttext erörtert.

IV. Grundfälle

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risch abgeschotteter Bereiche innerhalb eines Funktionssubjekts bestehen (dann fehlende rechtliche Möglichkeit). b) Grundfall 2: „Moderner“ Fall („Outsourcing“) Des Weiteren ist zu fragen, was bei der Einschaltung privater Dritter als Dienstleister, etwa im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung, gilt. Auch hier ergeben sich in Bezug auf den hier favorisierten Wissensbegriff inhaltlich keine Abweichungen zum Ausgangsbeispiel. Allerdings ist zu beachten, dass eine personale Zurechnung ausscheidet, da der Private aufgrund seiner Stellung weder als organschaftlicher Vertreter noch als Wissensvertreter zu werten ist. Insofern kann nun unmittelbar auf die hier entwickelte Lösung zurückgegriffen werden mit dem Ergebnis: Ist der Private als Verwaltungshelfer eingebunden, so zählt er zum eigenen Organisationsbereich des betreffenden Funktionssubjekts, weil er in dessen Kompetenzbereich tätig wird. Ist er hingegen als Beliehener involviert, so ist er selbst Funktionssubjekt und die hier entwickelten Grundsätze gelten dann auch für ihn. Sofern es allerdings an einer Verkörperung der betreffenden Informationen fehlt, bedeutet dies, dass auch eine Kenntnis der Funktionseinheit nicht angenommen werden kann. 71 aa) Abwandlung 1 In der Abwandlung zum „modernen“ Fall befindet sich die rechtlich relevante Information nicht (mehr) im Bewusstsein des „Privaten“, hat jedoch eine Verkörperung gefunden. Bei dieser Abwandlung wird diese Verkörperung in Bezug auf den Verwaltungsvorgang selbst untersucht, d. h. hier hat sie Eingang in den Verwaltungsvorgang gefunden und ist zu seinem Bestandteil geworden. Hier besteht vorbehaltlich des Nichtvorliegens der genannten Wertungskriterien keine Schwierigkeit, den Wissenstatbestand als in Bezug auf das Funktionssubjekt erfüllt anzusehen. bb) Abwandlung 2 Bei dieser Abwandlung liegt der Sachverhalt wie in Abwandlung 1, jedoch mit dem Unterschied vor, dass diese „Verkörperung“ in der Sphäre des „Privaten“ bleibt. 71 Nicht vertieft werden soll hier der weiterführende Gedanke, ob nicht das menschliche Bewusstsein selbst als die hier geforderte Verkörperung von Information und damit als Speicher angesehen werden kann. Das bleibt anderen Untersuchungen vorbehalten, könnte gleichwohl den Weg weisen, eine personale Zurechnungslehre in ihrer jetzigen Form zu verabschieden.

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

Auch insoweit gelten die hier entwickelten Grundsätze. Allerdings verdienen die einer Gleichsetzung der Verkörperung von Information und Wissen des Funktionssubjekts entgegenstehenden Wertungskriterien vertiefender Betrachtung. Hier ist insbesondere der Einfluss etwaiger Zugriffsmöglichkeiten seitens des behördlichen Entscheidungsträgers zu berücksichtigen. Zu den Einzelheiten kann aber auf die bisherigen Ausführungen entsprechend verwiesen werden.

V. Schlussbetrachtung 1. Zusammenfassung Diese Untersuchung bietet eine Bewältigung der Problematik von öffentlichrechtlichen Normen, die als Tatbestandsmerkmal ein Wissen o. ä. voraussetzen, die jedoch auf andere Normadressaten als natürliche Personen Anwendung finden. Nach dem herrschenden Dogma kann rechtlich relevantes Wissen aber nur als Bewusstseinsinhalt und damit als Eigenschaft natürlicher Personen aufgefasst werden. „Wissen“ einer „nicht-natürlichen“ Person stellt sich damit stets als Ergebnis einer Zurechnung dar. Im öffentlichen Recht fehlen jedoch explizite Zurechnungsnormen, so dass ein Rückgriff auf allgemeine Grundsätze, so wie sie ihren Niederschlag im Zivilrecht gefunden haben, festzustellen ist. Kern dieser ist ein Anknüpfen an den Status einer natürlichen Person in Bezug auf deren Bewusstseinsinhalt als Wissensträger. Aus diesem Bereich rührt auch eine Sensibilisierung für einen Topos her, der mit Wissensverantwortung umschrieben wird. Gemeint ist damit die Formulierung von Anforderungen an den Umgang mit Informationen innerhalb einer Organisation und die Bewältigung auftretender Mängel. Im zivilrechtlichen Bereich konnten hier im Ergebnis zwar überwiegend vertretbare, jedoch sehr kasuistisch strukturierte und damit wenig überschaubare Ergebnisse gefunden werden. Indes hat sich erwiesen, dass sie allein mit dem zivilrechtlichen Instrumentarium im öffentlichen Recht nicht handhabbar sind. Trotz aller Wertungen kann ein Nichtwissen gerade keinen tauglichen Zurechnungsgegenstand bilden. Die zur Bewältigung dieser Organisationsproblematik bisher vorgeschlagenen Instrumente haben sich im Laufe der Untersuchung als nicht praktikabel erwiesen: Eine bloße Erweiterung des Wissensbegriffs als Gleichsetzung mit einem Aktenbestand vermag nicht den Besonderheiten der Verwaltungsabläufe gerecht zu werden und ist als zu weitgehend verworfen worden. Denn Folge wäre eine Konturenlosigkeit des Wissensbegriffs, die ohne Bezug zu dem Anwendungsund Anwenderkontext dieses Wissens bliebe.

V. Schlussbetrachtung

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Auch die Zurechnung über eine Haftung für Verkehrssicherungspflichtverletzung i.V. m. § 249 BGB analog – Zurechnung oder Wissensfiktion als Ergebnis einer Naturalrestitution – hat sich als dogmatisch nicht belastbar erwiesen. Die Kategorie der Haftung ist verschieden von der der Zurechnung. Denn bei der Haftung bildet die Verletzung konkreter Schutzgüter den Ausgangspunkt, die bei der Informationsorganisation gerade nicht in Rede stehen. Selbst eine Heranziehung von Verkehrssicherungspflichten führte hier nicht weiter, denn diese wirken nach außen, wobei hier das Internum des Umgangs mit Informationen innerhalb einer „Organisation“ in Rede stand. Schließlich wird die auf wirkliche Ausnahmefälle zu beschränkende Wissensfiktion über den Grundsatz von Treu und Glauben dem in Frage stehenden Standardphänomen nicht gerecht. Über eine Heranziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben sind nur Ausnahmefälle zu erfassen. Als Voraussetzung dient hier die Unerträglichkeit, d. h. Nichthinnehmbarkeit des sich ansonsten darstellenden Ergebnisses im Sinne einer Treuwidrigkeit bzw. des offensichtlichen Selbstwiderspruchs. Auf der Grundlage bestehender Ansätze hin zu einer Objektivierung des Begriffs des Wissens hat diese Untersuchung aber gezeigt, dass eine Lösung bereits auf der Ebene des Wissens selbst zu finden ist. Als argumentative Ausgangsbasis konnte hierfür der die öffentlich-rechtlichen Verfahrens- bzw. Prozessordnungen prägende Untersuchungsgrundsatz als Prinzip einer Zuweisung von Risiken im Zusammenhang mit der Erhebung und Heranziehung von Informationen fruchtbar gemacht werden. Der Untersuchungsgrundsatz bringt zum Ausdruck, dass Funktionssubjekte gerade nicht darauf angewiesen sein sollen, dass Dritte ihnen die zu einer Sachentscheidung erforderlichen Informationen überhaupt oder in schon unmittelbar verwertbarer Form hereinreichen. Hier gilt eine Selbstermittlung freilich vorbehaltlich der jeweils geregelten erforderlichen Mitwirkungshandlungen Dritter. Die Neukonturierung des Wissensbegriffs kann bruchlos in die Rechtsanwendung neben der bestehenden Zurechnungslehre eingefügt werden. 72 Im Ergebnis wurde gezeigt, dass es das Wissen einer juristischen Person „gibt“, und 72 Da aufgrund des (z.T. beredten) Schweigens des Gesetzgebers die Anwendung der Wissensnormen durch ihre Auslegung bestimmt wird und die hier favorisierte Interpretation des Wissensbegriffs sich im Rahmen der auf F. C. v. Savigny beruhenden herrschenden Auslegungsmethoden, vgl. hierzu mit kritischem Überblick nur Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 702 ff., hält, ist ein Aufgreifen der hier entwickelten Grundsätze durch die Rechtspraxis grundsätzlich ohne Friktionen möglich. Abweichungen können sich freilich anhand spezieller Inhalte, des Normkontextes, gesetzgeberischer Vorstellungen oder des Normzwecks ergeben. Für jeden dieser erwartungsgemäß eher seltenen Sonderfälle kann hier natürlich keine allgemeine Lösung aufgezeigt werden. Jedoch ist davon auszugehen, dass der hier entwickelte Wissensbegriff dem jeweiligen Normkontext anhand seiner wertenden Elemente, also seiner normativen Ebene, angepasst werden kann.

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

zwar nicht naturalistisch, sondern normativ. Eine weitere Justierung dieses Verhältnisses in Gestalt einer möglichen Einschränkung des Anwendungsbereichs (personaler) Zurechnung muss jedoch weiteren Untersuchungen anheimgestellt bleiben. Als Weg zur Definition dieses Wissens wird ein zweistufiges Verfahren vorgeschlagen. Zunächst ist deskriptiv festzustellen, ob Wissen seine Verkörperung in der durch den Organisationsbereich bestimmten Sphäre des betreffenden Funktionssubjekts gefunden hat. Mit diesem Zwischenergebnis steht aber noch nicht fest, ob diese verkörperte Information mit dem eigenen Wissen des Funktionssubjekts gleichgesetzt werden kann. Das ergibt erst die Prüfung wertender Kriterien, bei deren Vorliegen – eine weitere Besonderheit – nicht Wissen des Funktionssubjekts zu bejahen, sondern zu verneinen ist. Das Wissen findet damit seine Grenzen in der Unzumutbarkeit eines Zugriffs, die sich auf die Untersuchung von drei Elementen stützt. D. h. das Regel-Ausnahme-Verhältnis ist hier im Verhältnis zur Heranziehung des Prinzips von Treu und Glauben genau umgekehrt worden. Diese Untersuchung hat damit gezeigt, dass sich das Risiko eines Informationsverlustes in Bezug auf die Kenntnis von Funktionssubjekten im öffentlichen Recht nicht adäquat durch eine Übertragung der in der zivilistischen Praxis und Fachliteratur entwickelten Lösungen bewältigen lässt. Abhilfe schafft ein Ansatz auf der Ebene des Wissens selbst: Indem der Begriff des Wissens nämlich von dem Bewusstsein natürlicher Personen gelöst und damit objektiviert wird. Zu einer vollständigen Abkoppelung kann dies aber – wie gezeigt – (noch) nicht führen. Zusammenfassend lässt sich das Wissen eines Funktionssubjekts wie folgt beschreiben: (1) Ein Funktionssubjekt erlangt Kenntnis durch Zurechnung von relevanten Bewusstseinsinhalten von Personen, auf die nach den allgemeinen Grundätzen abzustellen ist. 73 (2) Sofern eine Zurechnung in Ermangelung des relevanten Bewusstseinsinhalts nach (1) nicht möglich oder nicht erweisbar ist, besteht Wissen eines Funktionssubjekts in sämtlichen Informationen, die verkörpert in seinen durch die gesetzliche Kompetenzzuordnung bestimmten Organisationsbereich gelangt. 74 (3) Eine in den Organisationsbereich nach Maßgabe von (2) gelangte Information ist jedoch dann nicht als Wissen anzusehen, wenn aus objektivierter ex73 Gemeint ist hier die herrschende Zurechnungslehre (vgl. Organtheorie usw. oben S. 152 sowie – mit den hier geäußerten Bedenken – auch die Lehre von der Wissensvertretung). 74 Im Einzelnen oben S. 166 ff.

V. Schlussbetrachtung

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ante-Sicht – d. h. aus der Sicht eines persönlich gewissenhaften sowie fachlich kundigen Entscheidungsträgers – weder Anlass noch Relevanz bestehen, auf dieses zuzugreifen oder der Zugriff im zu beurteilenden Zeitpunkt als tatsächlich oder als rechtlich unmöglich anzusehen ist. 75

2. Vorschlag zur Gesetzgebung Das hier gewonnene Ergebnis stellt sich zunächst als Resultat der Auslegung von Wissensnormen auf der Grundlage einer sinngemäßen Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes und des Rückgriffs auf Anforderungen der Rechtssicherheit als Element des verfassungsrechtlich fundierten Rechtsstaatsprinzips dar. Insoweit kann die Rechtspraxis unmittelbar darauf zurückgreifen und ihre Rechtsanwendung hieran ausrichten. Wegen des argumentativen Aufwands und angesichts der Bedeutung für die Rechtspraxis, sollte jedoch eine normative Verortung erfolgen. Abschließend sind daher Standort und Inhalt einer gesetzlichen Regelung als Ausblick de lege ferenda vorzuschlagen. a) Standort In Ermangelung einer allgemeinen Kodifikation 76 zu den Anforderungen hoheitlicher verwaltender Tätigkeit, kann am ehesten eine Verortung in den behördlichen Verfahrensordnungen empfohlen werden. Es handelt sich hier im Wesentlichen um die Dreiteilung 77, wie sie in § 2 Abs. 2 VwVfG zum Ausdruck kommt, nämlich in das VwVfG für die allgemeine Verwaltungstätigkeit, die AO für die Finanzverwaltung sowie das SGB X für die Sozialverwaltung. Hierbei sind zudem die gesetzgeberischen Kompetenzen zu beachten, wobei eine Regelung im VwVfG insofern besondere Bedeutung entfalten könnte als daraus in der Rechtsanwendung Ableitungen auch in sachentsprechenden sowie sachähnlichen Bereichen erfolgen können. 78 Daher soll im Folgenden von einem Vorschlag einer Regelung im VwVfG ausgegangen werden. In systematischer Hinsicht kommt hier eine Einfügung in Teil 2 („Allgemeine Vorschriften über das Verwaltungsverfahren“) und zwar nach § 11 („Beteiligungsfähigkeit“) etwa als § 11a mit der Bezeichnung „Wis75

Im Einzelnen oben S. 174 ff. Schon wegen der zahlreichen Bereichsausnahmen u. a. in § 2 Abs. 2 VwVfG stellt selbst das VwVfG eine solche nicht dar. 77 Zu Hintergründen und Kritik Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 2 Rn. 4. 78 Zur „Leitfunktion“ des VwVfG für die Gesetzgebung der Länder Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 1 Rn. 1, 39 ff. 76

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Kap. 4: Objektiver Wissensbegriff auf subjektiver Grundlage

sensfähigkeit“ in Betracht. 79 Hierdurch würde zugleich die Stellung des Wissens zwischen Beteiligung(sfähigkeit) und Handlung(sfähigkeit) hervorgehoben. b) Inhalt Aus dem Ergebnis dieser Untersuchung stellt sich ein möglicher Inhalt eines § 11a VwVfG in komprimierter Form wie folgt dar: 80 § 11a Wissensfähigkeit (1) Fähig, ein normrelevantes Wissen aufzuweisen, sind insbesondere juristische Personen des öffentlichen Rechts, ihre Behörden und sonstige Funktionssubjekte des öffentlichen Rechts. (2) Das Wissen nach Absatz 1 wird vermittelt durch den Kenntnisstand organschaftlicher Vertreter sowie – im Falle der Zuweisung einer mit dem normrelevanten Wissen im Zusammenhang stehenden Sachaufgabe zur selbstständigen Erledigung 81 – durch deren Vertreter oder Beauftragte. (3) Im Übrigen besteht Wissen nach Absatz 1 in sämtlichen Informationen, die verkörpert in den durch die gesetzliche Kompetenzzuordnung bestimmten Organisationsbereich gelangt sind. Dies gilt jedoch nicht, wenn aus der Sicht eines persönlich gewissenhaften sowie fachlich kundigen durchschnittlichen Entscheidungsträgers weder Anlass noch Relevanz bestand, auf die betreffende Information zuzugreifen oder sich der Zugriff im zu beurteilenden Zeitpunkt als tatsächlich oder rechtlich unmöglich darstellt.

79

Dementsprechend als § 79a AO und § 11a SGB X. Die Terminologie ist dem VwVfG angepasst worden. Jedoch sollte auf den Begriff des im Rahmen dieser Untersuchung präferierten Funktionssubjekts nicht verzichtet werden, um möglichst den vielfältigen Wechselfällen des rechtspraktischen Lebens Rechnung tragen zu können. 81 Insoweit wird eine Konkretisierung der Voraussetzungen des Instituts der Wissensvertretung versucht, um diese, die Rechtsprechung prägenden Figur zu erhalten. Erwogen werden kann jedoch die Aufgabe dieser Rechtsprechung, soweit verkörperte Information im Sinne von Absatz 3 der Empfehlung vorliegt. Denn der objektivierte Wissensbegriff entspricht eher den Anforderungen an Transparenz und Praktikabilität. 80

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Sachverzeichnis Akte 91 Aktenbegriff 91 Aktenführung 85, 89, 91 – Pflicht 110 Aktenkundigkeit 125 – 126, 160 – 161, 164 – 165 Aktenordnung 111 Aktenprinzip 89 Aktenwissen 160 Amtshaftung 113 Amtshilfe 171 Amtspflicht 113 Anscheinsbeweis 27, 161 Arbeitsteilung 49, 87, 89, 116 Außenrechtssatz 168 Außenzuständigkeit 169 Aufbewahrungspflichten 111 Aufgabennormen 106 Auftragsdatenverarbeitung 98 Ausschlussfristen 38, 40, 56, 125

Fremdzurechnung 45 Funktionssubjekt 25, 36 Geheimnisschutz 99 Gerechtigkeitsargument 49 Geschäftsverteilung 111 Geschäftsverteilungsplan 68 Gleichstellungsargument 50 Good Governance 88 Hauptgeschäftsführer – als Wissensträger 190

Daten 28 Datengeheimnis 97 Datenschutz 94 Datenübermittlung 96 Datum, personenbezogenes 94 Delegation 89, 171 DIHK 186

IHK 186 Industrie- und Handelskammer siehe IHK Information 28 Informationsfreiheitsgesetz 108 Informationsorganisation 125 – Anforderungen 112 – Gesichtspunkte 118 – öffentlich-rechtliche Besonderheiten 85 – und Datenschutz 96 – und Vertrauen 121 Informationsorganisationspflichten – im öffentlichen Recht 101 – im Zivilrecht 72 Informationssystematisierung – Aufgabennormen 108 Informationsverbund 172 Innenrechtsatz 168 Interdependenz – Wissensbegriff und -zurechnung 44

Eigenzurechnung 45

Kennenmüssen 24

Beleihung 116, 178 Bürokratie 129 – Begriff 86 Bürokratiemodell 85

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Sachverzeichnis

Kenntnis 24 – grob-fahrlässige Unkenntnis 17 Kenntnisvermittlung – abweichende örtliche Zuständigkeit 144 – aufgrund Funktionsnähe 136 – aufgrund Pflichtverletzung 137 – bei Pflichtverletzung 141 – durch Aktenbestand 134 – durch Beigeordneten 67 – durch Betriebsprüfer 61 – durch ehemaligen Bürgermeister 65 – durch erstbefasste Behörde 60 – durch erstbefasstes Referat 130 – durch Gemeinderat 131 – durch Kompaniefeldwebel 58 – durch Leistungsabteilung 63 – durch Leistungsträger 57 – durch Leitungsperson 137 – durch Sachbearbeiter 66 – durch Wohnsitzfinanzamt 146 – über Amtshaftung 156 – und Amtsermittlung 145 – zwischen Dienststellen 135 – zwischen Fahndungs- und Bearbeitungsabteilung 142 – zwischen Finanzämtern 150 – zwischen Veranlagungs- und Bewertungsstelle 140 Kenntnis siehe auch Wissen Kompetenz 169 Kompetenznorm 107 Kompetenznormen siehe Aufgabennormen Mandat 170 Mehrpersonenverhältnis 45 Neues Steuerungsmodell 88 New Public Management siehe Neues Steuerungsmodell

Nichterwerb von Rechten – als Fallgruppe 39 – Rechtsprechung 132 Organisationsansatz 53 Organisationsanweisung 168 Organisationsbereich 167 Organisationsstruktur, arbeitsteilige 87 Organkompetenz 169 Organtheorie 47 Outsourcing 87 Privatisierung 88 Rechtsfähigkeit 180 Rechtsmissbrauch siehe Treu und Glauben Schuldverhältnis, verwaltungsrechtliches 115 Selbstwiderspruch 122 Stellvertretung 48, 68, 171 Treu und Glauben 123 Unkenntnis siehe Kenntnis Untersuchungsgrundsatz 102, 112, 145, 195 Verbandskompetenz 169 Verjährungsfristen 38, 40, 55 Verkehrspflichten 73, 78, 156 Verkehrsschutzargument 50 Verkehrssicherungspflicht 71, 77 –78, 80, 195, siehe auch Verkehrspflichten Verschlechterung der Rechtsstellung 39 Versicherungsvermittlerregister 186 Vertrauenshaftung 75 Vertrauensschutz 116 Vertrauenstatbestand 118 Verwaltungshelfer 193 Verwaltungsmodernisierung 86

Sachverzeichnis Weiterleitung von Erklärungen 108 Wissen 24 – organisationales 28 – personales 28 Wissenmüssen 83, 184 Wissensaufspaltung 78 Wissensbegriff – eigener Ansatz 165 – interdisziplinärer 28 – Neudefinition 163 – objektiv-normativer 27 – subjektiv-faktischer 26 – Tatbestandsspezifik 25 – Unschärfe 83 Wissensfähigkeit – Gesetzgebungsvorschlag 198 Wissensnormen 34, 37, 43 Wissensorganisationspflichten siehe Informationsorganisationspflichten Wissensträger 68, 82, 148, 154 – 155 Wissensvermehrung 80 Wissensvermittlung 81, siehe auch Kenntnisvermittlung

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Wissensvertretung 148, 152 – im öffentlichen Recht 152 – im Zivilrecht 48 Wissenszurechnung – Begriff 40 – Begründung 47 – handlungsbezogene 46 – Mehrpersonenverhältnisse 46 – mittels Anscheinsbeweis 160 – mittels Herstellungsanspruchs 78 – mittels Naturalrestitution 157 – mittels Wissensverantwortung 74 – personenbezogene 47 – und Wissensbegriff 44 Zeichnungsvermerk 160 Zurechnungsgrund 47 Zurechnungsnorm 43 Zuständigkeit, interne 62, 70, 111, 154 Zuständigkeitsordnung 57, 68, 167 –168 Zweckbindung 94