Die Wiedergeburt der deutschen Volkskunst: Als wichtigstes Ziel der künstlerischen Bestrebungen unserer Zeit, und die Wege zu seiner Verwirklichung [Reprint 2019 ed.] 9783486748697, 9783486748680


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German Pages 170 [180] Year 1917

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Vorwort
Inhalt
I. Grundlagen der Volkskunst
II. Forderungen der Volkskunst
III. Die Erziehung zur Volkskunst
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Die Wiedergeburt der deutschen Volkskunst: Als wichtigstes Ziel der künstlerischen Bestrebungen unserer Zeit, und die Wege zu seiner Verwirklichung [Reprint 2019 ed.]
 9783486748697, 9783486748680

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Die Wiedergeburt der deutschen Volkskunst Als wichtigstes Ziel der künstlerischen Bestrebungen unserer Zelt, und die Mege zu seiner Verwirklichung von

Ifcarl ©♦ Dartmann

Müncben und Berlin 1917 Druck und Verlag von «. Gldenbourg By

Vorwort. Auf zwei Jahrzehnte erstreckt sich nunmehr jene Bewegung in den angewandten Künsten, welche man als die „moderne" zu bezeichnen pflegt. Don Anfang an entfaltete sie eine außergewöhnliche Kraft. Mit einer bis dahin kaum gekannten Entschiedenheit stellte sie ihre Forderungen, die der höchsten Zweckmäßigkeit in -er Formgebung, einer überzeugenden Sachlichkeit in der Materialbehandlung und einer tadellosen Werk­ arbeit, in den Vordergrund ihres Schaffens. Unverkenn­ bar sind die mit deren Durchführung erzielten Fortschritte. Blühendes Leben erschloß sich in fast allen Gebieten der Veredelung unserer gewerblichen Erzeugnisse. Erheben wir aber, die Gesamtheit der modernen Kunstleistungen überschauend, die Frage: Was ist an ihnen deutsch? Wo sind die einheitlichen Grundzüge, -ie auf eine einheitliche Urheberschaft des deutschen Geistes schließen lassen, so finden wir keine bejahende Ant­ wort. Don der Eigenart unseres Volkstums zeigen sich die modernen Kunstwerke nur wenig oder gar nicht be­ rührt. Nirgends tritt eine Gemeinsamkeit in der Auf­ fassung und Lösung desjenigen Teils der Aufgaben, in welchem das eigentliche Künfüerische zu suchen ist, deutlich zutage, nirgends eine klare, allgemein ver­ ständliche Ausprägung unseres Volkstums. Der im Verlaufe von Jahrtausenden bestätigte Satz, daß die 5kunst ein Abbild des Dolkswesens sei, scheint für die

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Vorwort.

unsrige seine Geltung verloren zu haben. An Stelle der durch die innere völkische Verwandtschaft der Urheber zu erwartenden Einheitlichkeit sehen wir fast nach allen Richtungen hin Spaltungen und Auflösungen, statt Sammlung eine Verzettelung der deutschen Mannes­ kraft mit endlosen Versuchen, die in bezug auf Schaffung von Dauerwerten und Herausbildung des völkischen Gepräges sich bis jetzt als unftuchtbar erwiesen haben. Die ganze Entwicklung unserer angewandten Künste während der letzten zwei Jahrzehnte ist gekennzeichnet als eine Reihe fortgesetzter „Stilwandlungen und Irrungen", deren Ursachen und Verlauf in einer im vorigen Jahre unter diesem Titel im gleichen Verlag erschienenen Schrift des Verfassers eingehend erörtert wurden. Ist nun das die Kunst, von der wir erwarten dürfen, daß sie ihre hohe Aufgabe, das Dasein mit den Ausdrucks­ mitteln der Schönheit zu »erklären, an unserem Volke erfüllt? Liegt ihre Auffassung und Schaffensweise in der Gefühls- und Gedankenrichtung unseres Voltes, so wie sie von den großen Persönlichkeiten, die dasselbe geistig führten und ausbauten, vorgezeichnet wurde? Die Künstler klagen über Gleichgültigkeit und Starr­ heit des Voltes, über dessen mangelndes Verständnis und schwankendes Urteil, und dieses schüttelt den Kopf vor den Werken, die ihnen bisweilen als hochwertige Kunstleistungen vorgesetzt werden. Roch nie war die Entfremdung zwischen Künstler und Volk so groß wie heute. Die Künstler werden nicht mehr vom Volk ver­ standen und dieses nicht mehr von den Künstlern. Dem neuzeitlichen Kunstschaffen ist eben der ursächliche Zu­ sammenhang und die geschlossene Wechselwirkung zwi­ schen den persönlichen Grundkräften und der mit der Volksgemeinschaft gegebenen Einheit in der Auffassung

und Durchführung der tünsüerischen Aufgaben verloren gegangen. So entschwanden auch im Volte die Voraus­ setzungen für ein tieferes Verstehen und innerliches Erleben der Kunst in dem Matze, als diese seiner Eigenart und seinem Empfinden nicht mehr entsprach, als sie nicht national, nicht deutsch war. Wohl wurde auch in den beiden letzten Jahrzehnten der Rus nach einer völkischen, rein deutschen Runft erhoben; er blieb aber leerer Schall. Denn man hat aus ihm die Folgerungen nicht gezogen; insbesondere hat man eine Gemeinsam­ keit des Kunstausdrucks eher umgangen, statt angestrebt. So entstand an Stelle der durch das nationale Band bedingten Einheitlichkeit eine fluchtartige Folge vielge­ staltiger Entwicklungen. Lange genug haben wir zugewartet, bis diese Er­ kenntnis sich von selbst uns ausdrängte. Der große Krieg war es, der uns wie auf dem Gebiete des staat­ lichen und politischen Lebens auch auf dem der Runft mit einem grellen Schlaglicht die schweren Schäden innerer Zerrissenheit und die Notwendigkeit eines in der Nationalgemeinschast begründeten Zusammengehens und Zusammenwirkens vor Augen führte. Wir sind uns darüber klar geworden, daß die nationale Einheit so lange noch nicht erreicht ist, als nicht auch die Kunst­ auffassung im nationalen Boden wurzelt und unsere Kunstschöpfungen nicht die Tiefe und Ursprünglichkeit des kerndeutschen Wesens zu allgemeinverständlicher Ausprägung bringen. Das Denken in die Zukunft, das in unseren Tagen jeden unwiderstehlich in seinen Bann zieht, führt zu Vergleichen mit der Vergangenheit. Schauen wir aus den heutigen Zuständen zurück auf die Blütezeiten unserer nationalen Kunst, so ist es uns, als werfen wir nach langem erfolglosen Suchen nach einer neuen Heimat unsern Blick in ein verlorenes Pa-

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Vorwort.

radies. Mit einer jeden Zweifel ausschließenden Gewiß­ heit werden wir dessen gewahr, daß mit dem Zurück­ drängen oder Preisgeben des der nationalen Eigenart entsprechenden künstlerischen Grundgefühls und mit dem Abstellen der Kunsttätigkeit auf ganz allgemeine, rein sachliche, fast nur vom Verstände geleitete Erwägungen die Kunst ihres inneren Halts verlustig gegangen ist. Sie ist ruhe- und heimatlos geworden. Nur daraus kann ihr wieder Heil erblühen, daß man sie zurückführt auf die echte und wahre, allein fruchtbare Quelle alles künstlerischen Schaffens, auf die Eigenart der unserm Volkstum mit seiner Veranlagung gegebenen Kräfte. Wenn wir dieser Forderung Ausdruck geben, so verhehlen wir uns nicht, daß es ein gänzlich fruchtloses Bemühen wäre, die Zustände ftüherer Zeiten, in denen gewissermaßen alles, was aus den schaffenden Händen hervorging, in seiner Art gut war, wieder herbeizuführen. Ebensowenig möchten wir einer Absperrung von dem geistigen Zusammenhang mit den umwohnenden und auch den ferner stehenden Völkern das Wort reden. Wir wollen aber und können die gleichen Triebkräfte erwecken, aus denen die einstige Kunstblüte hervorging, und können auch die ihrer glücklichen Entfaltung ent­ gegenstehenden Einflüsse in weitgehendem Maße ab­ schwächen oder fernhalten. Durch planmäßige Erziehung vermitteln wir, was unter den einfachen Verhältnissen ftüherer Zeiten sich aus der unmittelbaren Übertragung von Person zu Person von selbst ergab. Die richtigen Ziele hiefür abzustecken und die Wege zu bezeichnen, auf denen sie zu erreichen sind, ist die Aufgabe der vorliegenden Schrift. Sie will die Grundftagen der Volkskunst, ihr Wesen, ihre Quellen, ihre Forderungen, das Verhältnis des Künstlers und der Allgemeinheit zu ihr, sowie die Kunsterziehung in das Licht klarer, durch

Vorwort.

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keine vorgefaßte Meinung getrübter Erkenntnis stellen. Sie will auch die verloren gegangenen Wechselbeziehungen wiederherstellen zwischen dem vaterländischen und dem künstlerischen Geist. Ferne liegt uns aber jede Neigung zu engherziger Deutschtümelei, ebenso auch jeder Gedanke an eine regelsüchtige Shrnft. Nicht einer Erneuerung oder Wiederbelebung längst entschwundener Ausdrucks­ formen suchen wir den Boden zu bereiten, sondern der „Wiedergeburt" der Volkskunst aus den ursprüng­ lichsten, ewig zeugungs- und lebensfähigen Kräften unseres Volkstums. So wendet sich das Buch nun an jeden Künstler und Kunstfteund, nicht minder auch an alle für die öffent­ liche Aufklärung und die Erziehung unseres Volkes berufenen Streife und nicht zuletzt an jeden guten Deut­ schen, dem des Vaterlandes Wohl am Herzen liegt. Möchte doch in voller Würdigung der hohen Bedeutung einer zielbewußten, nationalen Kunstpflege die groß­ zügige Förderung, mit der man der modernen Bewegung die breitesten Entwicklungsmöglichkeiten gab, nunmehr auch unsern, auf ungleich sichererem und erfolgversprechen­ derem Boden stehenden Bestrebungen zur Wiedergeburt der Volkskunst zustatten kommen! Welch reiche Dauer­ frucht würde sie tragen! Wenn wir aber in Verkennung der Zeichen der Zeit durch eigene Schuld die große Stunde versäumen, welche uns die Volkskunst, diese feinste Blüte des deutschen Volkstums, hätte bringen sollen, dann wird einstens die deutsche Geistes- und Kunstge­ schichte unnachsichtig und streng uns zur Verantwortung ziehen. Stuttgart im September 1917.

Karl O. Hartmann.

Inhalt. I. Grundlagen der Volkskunst. Wirkungen des Krieges S. 1. Stärkung des Nationalgefühls S. 3. Auflehnung gegen die Fremdtümelei S. 7. Bestrebungen zur Erneuerung des reinen Deutschtums S. 8. Deutsches Volkstum und Gegenwartskunst S. 11. Wesen und Aufgabe der Volkskunst S. 12. Begriff des Künstlerischen und der Kunst S. 14. Quellen und Wirkungs­ gebiete der Volkskunst S. 16. Eigentümlichkeiten der Volkskunst S. 18. Reinheit des Volkstums als Voraussetzung S. 19. Künstler und Dolksturn, das künstlerische Genie S. 22< Künstlerisches Genie und Talent S. 23. Dorstellungsinhalt und Ausdrucksfähigkeit, Ein­ fluß des Zeitgeistes S. 27. Einflüsse der heutigen Zeit S. 30. Das Volkstum als wichtigste Grundlage der Kunst S. 32.

II. Forderungen der Volkskunst. Fortschreitende Entwicklung S. 35. Freie Entwicklung S. 36. Kunstgesehe als Wirkungsformen gleicher Grundkräfte S. 33. Unveränderlichkeit der Kunstgesetze S. 41. Der Stil als Einheitsausbruck gleichartiger Grundkräfte S. 43. Stilforderungen aus der Wesensart des Deutschtums S. 45. Wesensart des Deutschtums S. 46. Ge­ fährdung des deutschen Wesens S. 54. Kräftigung und Schärfung deutschen Sinnes S. 56. Allgemeine Srundzüge des deutschen Kunst­ schaffens S. 58. Hauptforderung der deutschen Volkskunst S. 67. Wirkung des nationalen Aufschwungs auf die Kunst S. 68. For­ derungen der Gegenwart S. 70.

III. Vie Erziehung zur Volkskunst. Begriff der Kunsterziehung S. 72. Kunsterziehung und nationaler Gedanke S. 73. Wirtschaftlicher Aufschwung und Geistesbildung S. 75. Unser Bildungssystem und nationale Gesinnung S. 78. Unser Bll-

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Inhaltsverzeichnis

dungsfyftem und nationale Kunst S. 80. Notwendigkeit einer natio­ nalen Kunsterziehung S. 83. Erziehung zur Kunstbetätigung, Aus­ lese der Begabten S. 84. Erziehung der zur Kunst Begabten S. 86. Erziehung durch die Werkstattlehre S. 88. Erziehung durch Schulen, Kunstgewerbeschulen S. 91. Die Lehrerfrage S. 91. Einwirkung auf die Schüler S.93. Geistige Verwandtschaft zwischen Lehrer und Schüler S. 95. Anforderungen an die Kunstlehrer S. 97. Die Lehrziele der Kunstgewerbeschulen S. 100. Entwicklung des Schönheitsgefühls und der Kunstertenntnis S. 102. Entwicklung des Formengefühls und -Gedächtnisses S. 105. Kunstformenentwicklung und Wesen des Deutschtums S. 106. Stilgefühl, Kunstgesinnung, Kunstwillen S. 109. Auswahl der Lehrstoffe 6.111. Lehrstoffe aus der Natur S. 112. Lehrstoffe aus der Technik S. 114. Sinn- und Wappenbilder S. 115. Umsetzen von Naturformen in Kunstformen S. 116. Lehrstoffe aus dem Reiche der Kunst S. 117. Lehrstoffe aus der deutschen Kunst S.122. Lehrstoffe aus der Heimatkunst S. 124. Das Lehrvrrfahrrn, psycho­ logische Vorgänge S. 126. Wahrnehmung, Auffassung, Intuition S. 127. Dorstellungsinhalt, Denttätigteit S. 130. Kunstertenntnis, Kunstwille, Phantasie, Ausdrucksfähigteit S. 132. Lehrverfahren, allgemeine Grundsätze S. 133. Lehrton S. 135. Lehrstufen S. 136. Heimat und Kunstertenntnis S. 137. Nationale Gesinnung als Grund­ lage des Kunstunterrichts S. 141. Erziehung des Gesamtvoltes zum Kunstverständnis S. 143. Kunsterziehung an den allgemein bildenden Schulen S. 147. Kunsterziehung an den Universitäten S. 148. Der Zeichenunterricht, Lehrziele und Lehrstoffe S. 150. Lehrerbildung, Zeichenlehrer S. 156. Anforderungen an die Zeichenlehrer S. 159. Hauptziel der allgemeinen Kunsterziehung S. 161. Hauptforderung der Kunsterziehung S. 163.

I. Grundlagen der Volkskunst. Die Zeiten großer weltgeschichtlicher Bewegungen, in denen Dolksstümme und ganze Völker gegenseitig ihre Stärke messen durch Entfaltung und äußerste An­ spannung ihrer Kräfte im Gebrauch der Waffen, in der Anwendung der Wissenschaften und der Technik für den Angriff und die Abwehr, geben ungleich klarer als die Zeiten ruhiger Entwicklung den ursprünglichen Geist und das wahre Wesen der Völker durch sichtbare Taten kund. Nicht nur aus dem eigenen Entschluß zu einer alle Wider­ stände niederbrechenden Verfolgung der ihnen vor­ schwebenden Ziele, sondern auch aus dem innern, dem untersten Naturgesetz entspringenden Drang zur Erhal­ tung der Art und der Gattung sind die kämpfenden Völker gezwungen, in gewissenhafter Selbstprüfung sich richtig zu erkennen und das Beste aus sich herauszuholen, um den Geist ihrer Rasse und die Machtmittel ihrer Ge­ samtheit am stärksten und nachhaltigsten zur Wirkung zu bringen. gn solchen Zeiten erfahren die gesamten Lebens­ kräfte eine großartige Steigerung. Die Erkenntnis der Tragweite dessen, was vom Ausgang der Kampfhand­ lungen zu erwarten steht, drängt zu möglichstem Einsatz von Nerven und Geist, die Vorstellung von der Erreichung der Ziele zu hochgespannten Stimmungen. Große Ge­ danken, ins Weite fliegende Pläne beherrschen das Sinnen Hartmann, Dalkakunst.

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und Trachten. Im Gesichtsfelde verschwindet das Kleine und Kleinliche. Alles, was die Einheit stören und der Sammlung und Ausnutzung der im Volke liegenden Kräfte entgegenstehen könnte, wir- vergessen, übersehen oder aus dem Wege geräumt. Die tiefgehenden Ein­ drücke der die Schicksale von Völkern entscheidenden Er­ eignisse führen zu grundstürzenden Wandlungen und Umwertungen der bisherigen Auffassungen und An­ schauungen. In der Wahrung der großen Interessen der Gesamtheit, an denen alle Volksschichten beteiligt sind, und für welche sie die schwersten, tief ins Dasein ein­ schneidende Opfer bringen, vollzieht sich nicht selten eine Erneuerung -es ganzen Lebens. Seine wichtigste Grund­ lage bildet nunmehr das auf das Wohl der Volkseinheit sich beziehende Empfinden und der aus deren Ziele ge­ richtete Idealismus, seinen Hauptinhalt und seine Haupt­ forderung der hochgesteigerte nationale Sinn und dessen durch die Gebote -er Zeit bedingte Umsetzung in die Tat. Es ist eine allgemeine Erfahrung in der Geschichte der Menschheit: Je größer und je schwerer der Krieg eines Volkes war, um so größer war auch seine nationale Erhebung. Noch nie seit dem vieltausendjährigen Verlauf der Geschichte wurde ein großes Volk vor solch folgenschwere kriegerische Entscheidungen gestellt, wie das deutsche mit dem Ausbruch des Weltkrieges. Aber auch noch nie sah die Menschheit eine einmütigere Entschlossenheit in der Abwehr der in einem übermächtigen Ring gegen Deutsch­ land anstürmenden Feinde. In einer ans Wunderbare grenzenden Weise hat der Krieg im deutschen Volke das Gemeinschaftsgefühl erweckt, dadurch eine erstaunliche Summe von Kräften hervorgezaubert und zu einer fest­ gefügten Einheit zusammengeschweißt. Gab es irgend­ wo ein erhebenderes Bild von einer Volkseinheit als-

Wirkungen des Krieges.

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das, welches der deutsche Schützengraben bietet, wo bei den Schanzarbeiten der hohe Staatsbeamte und Ge­ lehrte neben dem Fabrikarbeiter und Taglöhner, der Aristokrat von Herkunft und Besitz neben dem Prole­ tarier in treuer Kameradschaft für einander einstehen und zusammenhelfen, gleichberechtigt und gleichen Sinnes, die Gedanken und Ziele nur gerichtet auf den Schutz der Heimat, von Haus und Herd! Diese Volkseinheit hat denn auch unerhörte, für unlösbar gehaltene Aufgaben erfolgreich durchgeführt. Die gewaltige nationale Erhebung, die nach außen hin mit elementarer Macht zum Durchbruch kam, den Ring der Feinde sprengte und den Kriegsschauplatz weit hinaustrug in Feindesland, übte aber auch auf das innere Leben des deutschen Volkes eine tiefgehende, gründlich reinigende und dadurch recht heilsame Wirkung aus. Sie lenkte den Blick auf das Große und Bedeutsame, auf das Erhabene. Sie läuterte die Auffassung über die Gemein­ samkeit der Interessen, über das Verhältnis des ein­ zelnen zur Gesamtheit und über die Beziehungen der Menschen zu einander. Und so entspannte sie auch die umstürzlerischen Neigungen, beseitigte die Gegensätze, ver­ stummte die Anfeindungen und überbrückte die bis dahin ost so scharf hervorgetretenen Unterscheidungen von reichen und armen, gebildeten und ungebildeten Mit­ gliedern der Gesellschaft. Das ganze geistige, sittliche und gesellschaftliche Leben wurde unter dem macht­ vollen Antrieb der durch den furchtbaren Kamps auf den Plan gerufenen Kräfte in neue Bahnen geleitet und auf neue, aus dem Gemeinschaftsgefühl herauegebildete Ziele ausgerichtet. Der Einfluß des großen Weltkrieges auf unser deutsches Volk war aber mit der nationalen Einigung aller seiner Glieder und der diesen innewohnenden 1*

Kräfte zu einer nach außen und nach innen festgefügten Gemeinschaft nicht erschöpft. Er äußerte sich auch auf jeden einzelnen von uns in ähnlich tiefgehender Weise. Es ist, als hätte er uns eine andere Einsicht eröffnet in unsere Stellung inmitten der Völker, die uns umgeben und ein anderes Auge gegeben für die Betrachtung dessen, was von diesen kommt und was wir von ihnen zu erwarten hätten. Die Erkenntnis der wahren Ur­ sachen -es Krieges, der Beweggründe und der Ziele unserer Feinde, nicht minder aber auch das Verhalten mancher neutraler Staaten, erhellte mit grellem Schlag­ licht die gähnende .Kluft -wischen den Völkern, die ab­ grundtiefe Verschiedenheit ihrer Geistesart. Unser Ver­ hältnis zu ihnen drängte zu Dergleichen zwischen ihrer Denk- und Gefühlsweise, ihrer Lebensauffassung und Weltanschauung mit der unsrigen. Die Not der Zeit richtete mehr als je einmal unsere Aufmerksamkeit auf unsere eigenen Charakterzüge, aus das mit unserm Volkstum uns Gegebene. Wir kamen zur Besinnung auf uns selbst und zur Erkenntnis dessen, was unserm Wesen zuträglich ist und unser Dasein mit einem unserer Denk- und Empfindungsart entsprechenden Lebensinhalt erfüllt und verschönt. In der Abwägung dessen, was unser Tun und Lassen bestimmt, wurden wir strenger und gewissenhafter. Wir lernten sicherer und schärfer als bisher das Gute und Echte vom Falschen unter­ scheiden, ebenso das Dauernde vom Vergänglichen, das Notwendige vom Entbehrlichen, das Wertvolle vom Geringwertigen und Wertlosen; wir wurden sowohl an anderen als auch an uns selbst gewahr, daß durch den Krieg unser Geist befreit wurde von so manchen ihm bis­ her anhaftenden Schlacken. Überaus tief äußerte sich die Einwirkung des Krieges auf das deutsche Gemüt. Wir sehen die nicht zu über-

Stärkung des Nationalgefühls.

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bietende Pflichterfüllung unserer Feldgrauen, die draußen in den Schützengräben angesichts höllespeienden Ver­ derbens in unzähligen Fällen Laten verrichten, welche alles weitaus in den Schatten stellen, was bisher die Geschichte der Menschheit von Beispielen höchster Tapfer­ keit, Hingabe und Selbstaufopferung zu berichten wußte, und wofür sie den Kranz der Unsterblichkeit verlieh. Diesem über jeden Vergleich erhabenen Bilde, das uns mit Bewunderung, Liebe und höchster Dankbarkeit er­ füllt, steht auf der andern Seite der Gedanke an die furchtbaren Opfer und die Vorstellung des grauenhaften Todes unserer besten Söhne und Brüder, der fürsorg­ lichen Gatten und Väter gegenüber, die in so vielen Tausenden auf dem Schlachtfelde verbluten. Dazu kommt noch -er Anblick des Leidens und der entsetzlichen, kaum in einem Menschenalter zu heilenden Wunden, welcher uns in den Straßen auf Schritt und Tritt be­ gegnet und uns fort und fort an die unfaßbaren Schrecken und Heimsuchungen dieses Sieges erinnert. Immer wieder werden wir durch diese Gedanken und Vor­ stellungen, diese erschütternden Eindrücke vor die Frage gestellt: Wofür haben unsere Lieben ihre Gesundheit, ihre Glieder, ihr blühendes Leben hingegeben? Diese Frage bringt uns mtt einem tief zu Herzen gehenden Fingerzeig zum Bewußtsein, daß wir heute im Dienste einer überaus ernsten, auf Jahrhunderte hinaus die Schicksale unseres Voltes und damit jedes einzelnen von uns bestimmenden Sache stehen, im Entscheidungs­ kampfe um den Bestand unseres Vaterlandes. Der Begriff Vaterland war in den langen Jahren des Friedens so manchem ganz in der Verfolgung mate­ rialistischer Interessen ausgehenden Deutschen wenig mehr gewesen als der geographische Begriff des Landes, in dem er geboren wurde, und wo es ihm gut ging. Nun-

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Grundlagen der Volkskunst.

mehr erhielt er einen ganz andern, über alle Einzel­ interessen hinausgehenden Gehalt, eine übermächtige Be­ deutung. Die Erfahrungen jener Deutschen, die den heimatlichen Boden verlassen hatten, um drauhen in fremden, namentlich in den uns jetzt feindlichen Ländern ihr Glück zu versuchen, gaben uns ernste und überzeugende Lehren. Jetzt erst erschloß sich auch für diejenigen, welche bis dahin den nationalen Fragen gleichgültig gegenüber gestanden waren, das Verständnis für die Mahnungen und Beschwörungen der großen Männer und Führer unseres Volkes, die auf das Vaterland Hinwiesen als der unversieglichen Quelle aller Daseinsfreuden, als Bedingung und Voraussetzung für die Erfüllung eigenen Lebensglücks als des Höchsten, was dem Menschen in der Weltordnung gegeben wurde. Seinen Besitzstand zu wahren und mit Gut, Blut und Leben zu verteidigen, erschien nunmehr als eine jedem einzelnen zugemessene Aufgabe und größte sittliche Pflicht. Mit der Neubelebung und Stärkung des vaterlän­ dischen Gedankens und Emfpindens vollzog sich eine Sammlung und Ausrichtung der geistigen, sitt­ lichen und materiellen Interessen auf das Wohl des Vaterlandes. In dem schweren Kampfe gegen eine ganze Welt von Feinden, die den Neid über das Empor­ kommen des Deutschtums, die Vernichtung desselben und der Daselnsbedingungen jedes einzelnen Deutschen auf ihre Fahnen geschrieben haben, wurde die Heraus­ bildung und Verfolgung gemeinschaftlicher Ziele zu einer zwingenden Notwendigkeit. Aus ihr erwuchs die For­ derung eines tunlichsten Ausbaues unserer inneren Rcäfte. Mit verschärften Sinnen suchten wir nach den Quellen, aus denen wir unsere Kraft und den Willen zur Einig­ keit, Geschlossenheit und Entschlossenheit schöpfen; wir suchten das, was uns allen gemeinsam ist, was unsere

Auflehnung gegen die Fremdtümelei.

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Wesenheit bestimmt, was deutsch ist, deutsch in bezug auf Geist und Gemüt, deutsch auch hinsichtlich der ge­ samten Lebensformen. Hierbei mußten wir unser Augen­ merk nicht nur daraus richten, was wir als urdeutsch fest­ zuhalten, zu pflegen und zu fördern haben, sondern eben­ so auch auf das, was als unserm Wesen fremd aus unserm Volkskörper auszuscheiden ist. In letzterer Hinsicht entwickelte sich vor uns ein nur wenig erfreuliches Bild. Wir wurden gewahr, daß wir in unserm Gedankeninhalt, in unserer Sprache, in den Sitten und Gebräuchen und in fast allem dem, womit wir unser Dasein zu verschönern suchten, so vielem unserer Wesensart Fremdem und Unzuträglichem Ein­ gang gewährt und ihm vielfach sogar noch eine Vorzugs­ stellung eingeräumt hatten. Und dieses Fremde kam fast durchweg von jenen Völkern, die aus den niedrigsten Beweggründen, aus Mißgunst und Habgier, zum Teil unter schmählichem Bruch feierlich beschlossener Ver­ träge, einen Dernichtungskampf gegen uns heraufbe­ schworen hatten und mit den verwerflichsten Mitteln, mit Bestechung, Lug und Betrug, mit Erpressung und Verhetzung friedfertiger und friedebedürftiger Völker durchzuführen suchen. Die Entrüstung über solche Ge­ sinnungsart, solches Trachten, solches Gebaren setzte sich nun in einen starken Widerwillen um gegen alles, was uns an diese Feinde erinnerte und namentlich gegen das, was von ihnen übernommen war. Sie schärfte uns das Gewissen über das Unerwünschte, Unwürdige und Unangebrachte unserer bisherigen Stellungnahme gegen­ über dem Fremden. Wir waren uns nun darüber klar, daß wir uns hierin so manche Vorwürfe machen mußten, daß wir uns schwere Versündigungen gegen das Deutsch­ tum zuschulden kommen ließen. Wir hatten Fremd­ linge, und zwar nicht die besten, in unser Haus und un-

sere Familie ausgenommen und darüber die Erziehung unserer eigenen Kinder vernachlässigt, ga, wir mußten wahrnehmen, daß deren Einfluß auf unsere Kinder kein guter war, daß diese viele Unarten von ihnen an­ genommen hatten. Wir erkannten unsere tiefernste Pflicht, fortan der Erziehung unserer Kinder eine erhöhte Aufmerksamkeit und Sorgfalt zuzuwenden, um das Schädliche, das sie ausgenommen hatten, aus ihnen wieder hinauszubringen und auf eine gedeihliche, eine glückverheißende Entwicklung ihrer Sinnesart und ihrer Gesittung in der von unserm eigenen Wesen vorgezeich­ neten Richtung hinzuwirken. Die Ausscheidung der bisher in unserm Volkstum geduldeten und zum Teil mit Vor­ liebe gehegten und gepflegten Fremdkörper war der erste Schritt auf dem Wege zur Wieder­ gewinnung des reinen Deutschtums. Am frühesten und offensichtlichsten trat diese Ausscheidung in unserm Sprachgebrauch hervor mit einer kraftvoll einsehenden Bewegung gegen die Fremdwörter, mit denen wir unsern mündlichen und schriftlichen Ausdruck ost so sehr verunstaltet hatten. Aber auch auf einem anderen Ge­ biete kam derselbe Geist der Ablehnung des Fremden zur Erscheinung, dem Gebiete der Kunst. Anstoß hierzu gab die für uns Deutsche höchst betrübende Tatsache, daß eine ganze Anzahl solcher Künstler, deren Werke in Deutschland viel höher gewertet wurden, als in ihrem Heimatlande, welche gewissermaßen der in Deutschland gefundenen Anerkennung ihren Wohlstand und Ruhm verdanken, nach Ausbruch des Krieges sich auf die Seite unserer Feinde stellten und uns mit Schmähungen und Haß überschatteten. Überzeugendere Lehren hätten uns nicht erteilt werden können als diejenigen, die aus solchen Erfahrungen zu uns sprachen. Ernst und ein-

Bestrebungen zur Erneuerung des reinen Deutschtums.

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dringlich mahnten sie uns zur Um- und Einkehr. Wir gingen nun darauf aus, alles Fremdartige in unserer Sprache und unserer Shrnft nach Möglichkeit auszu­ merzen und nur das zu suchen und dem zuzusteuern, was deutsch ist. Um dieses zu erkennen und richtig aufzufassen, mußten wir rückwärts schauen in unsere Vergangenheit. Wir näherten uns dem Geiste unserer großen Vorfahren, in denen sich derjenige unseres Volkstums verkörpert; wir vertieften uns in ihre Gedankengänge über die uns als Deutschen obliegenden Pflichten auch in bezug auf unsere Aufgaben auf dem Gebiete der Kunst. Der Blick in die Vergangenheit erschloß uns die geschichtlichen Zu­ sammenhänge der Entwicklung unserer völkischen Gemein­ schaft und mit ihnen auch die Eigenart unseres National­ charakters, so wie er sich auf Grund unserer Uranlagen und des Gemeinschaftslebens herausgebildet hat; er zeigte uns auch in der Art des Schaffens der großen alten Meister die von den ftühesten geschichtlichen Zeiten bis tief noch ins 19. Jahrhundert bestandene Einheit und Harmonie unserer geistigen und materiellen In­ teressen und ein völliges Derwachsensein des Inhalts, Lebens und Strebens der Kunst mit unserm Volks­ tum und den besonderen Verhältnissen unserer deut­ schen Heimat. Die Kunstwerke trugen alle Züge der Einheitlichkeit, Selbständigkeit und der Eigenart von Volk und Landschaft; sie bildeten einen die geistigen Auffassungen und Anschauungen des deutschen Volkes kennzeichnenden allgemein verständlichen und allgemein angewendeten Ausdruck. Deshalb zeigte auch innerhalb des angeführten Zeitraumes die deutsche Kunst, obschon auch im Wechsel der Tageserscheinungen fortwährend Um- und Neubildungen sich vollzogen, doch im großen Ganzen eine durch die Einheit des Volkstums und die

Bodenständigkeit bedingte, deutlich ausgesprochene Stetig­ keit in ihrer Entwicklung. Diese Erkenntnis ist für unsere Betrachtungen be­ sonders wichtig; als Ergebnis entwicklungsgeschichtlicher, über mehr als ein Jahrtausend sich erstreckender Vor­ gänge muß ihr eine Allgemeingültigkeit zukommen. Sie erleichtert uns wesentlich das Verständnis für die Notwendigkeit einer Läuterung der Kunst unserer Gegen­ wart. Nun kam es uns erst recht zum Bewußtsein, daß unsere Neigung zur Fremdtümelei eine verhängnisvolle Entgleisung, eine Abirrung von dem durch unser Volks­ tum, unsere Wesensart und die Bedingungen des deutschen Bodens vorgezeichneten Bahnen bedeutet. Nunmehr ließen wir die aus den geschichtlichen Tatsachen zu fol­ gernde Lehre auf uns wirken, daß die mit dem Volks­ tum gegebene Wesensart die erste und wich­ tigste Grundlage der Kunst bildet. Aus dieser Erkenntnis ergab sich für uns die möglichst scharfe Aus­ prägung unseres Volkstums und Heimatge­ fühls in der Kunst als ein aus dem nationalen Auf­ schwung von selbst sich ergebendes, dringendes Gebot der Zeit. In der Verfolgung der aus ihm sich ergebenden Lehren ruhte unser Augenmerk vor allem auf jenem Zweig der bildenden Künste, der, als int Dienste der Nützlichkeit und der unmittelbaren Verschönerung unseres alltäglichen Daseins stehend, einen Hauptteil unserer Lebenebetätigung einnimmt, nämlich auf unsern Wohn­ räumen und der Art und Weise ihrer Einrichtung und Ausstattung. Wenn wir zurückschauen auf jene Räume, welche unsere Vorfahren in den früheren Zeitläuften, namentlich im Mittelalter sich schufen, auf ihren Hausrat und ihren Schmuck, so sehen wir in ihnen ein treues Abbild der nationalen Charaktereigenschaften

Deutsches Volkstum und Gegenwartskunst.

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ihrer Schöpfer, der geistigen Strömungen und der ge­ samten äußeren Lebensformen ihrer Zeit. Welche Ein­ heitlichkeit in der Gesinnung, Gesittung und Tat sprach sich hier aus l Welchen Eindmck erhalten wir aber, wenn wir die aus den Beziehungen zwischen Volkstum, Boden­ ständigkeit und Kunstausdruck sich ergebenden Maß­ stäbe an unsere Gegenwartskunst anlegen? Wie wenig vermag sie uns hinsichtlich der Ausprägung des Natio­ nalen zu bieten! Wo zeigen sich an ihr sichere Kennzeichen rein deutschen Wesens? Wo die Einheit in der Auf­ fassung dessen, was das eigentlich Künstlerische ausmacht? Wo die Stetigkeit, die sich aus -er Gemeinsamkeit der Grundlagen und der Auffassungen und Ziele ergeben müßte? Je näher wir daraufhin die Erzeugnisse der heutigen Kunst ansehen, je tiefer wir in ihre Bestre­ bungen und ihre Schaffensart eindringen, desto klarer wird es uns, daß wir in einer Zeit fortgesetzter „Stil­ wandlungen und gerungen" leben (z. vgl. die unter diesem Titel 1916 im gleichen Verlag erschienene Schrift des Verfassers), und daß derselben zu einer deutlich erkennbaren und allgemeinverständlichen, zu einer natio­ nalen Ausdrucksweise fast alle Ansätze fehlen. Deshalb bieten die heutigen Kunstzustände ein Bild, das zu unserm durch den Krieg erweckten Gemeinschaftsgefühl und zu der nationalen Einigung aller unserer Dolkskräste in einem auffallenden Gegensatz steht. Aus diesem Grunde läßt die heutige Runft in ihrem Gesamteindruck alle jene Kreise, die höhere, insbesondere auch nationale Forde­ rungen zu stellen gewohnt sind, im höchsten Grade un­ befriedigt Fast überall tritt und zwar vielfach wie eine Art Heimweh eine starke Sehnsucht nach wahrer, echter Kunst hervor. Um unserer ernsten nationalen Aufgaben willen wie auch im gnteresse der Erhebung, Veredelung und Verschönerung unseres Daseins müssen wir alles

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Grundlagen der Volkskunst.

aufbieten, daß wir nach jahrzehntelangem, unsicherem und unstetem Schaffen uns hinüberretten in eine Zeit ruhiger Entwicklung, die aus den Dauerquellen wahrer und echter Kunst ihre Kraft und ihren Inhalt schöpft. Wir müssen zurückkehren zu den Grundlagen derselben, zu dem, was aus unserer Wesensart heraus in unserm Volkstum und in unserer Zeit an bestimmenden Charakterzügen sich eint. Nur aus diesen Grundlagen kann jene Kunst erblühen, die für uns so lange verloren war, und welche wir gerade in unsern Lagen der nationalen Erhebung und des Zusammenschlusses aller VolkskrSste so schmerzlich vermissen, die deutsche Volks­ kunst. Bestrebungen zur Wiederbelebung der Volkskunst sind vereinzelt schon längere Zeit vor Ausbruch des Krieges hervorgetreten. Seit etwa zwei Jahrzehnten haben sich in größerer Zahl Vereinigungen gebildet, die deren Pflege sich zum Ziele setzen. Zum Teil verfolgen sie Kunsterziehungszwecke im Interesse der Verbreitung von Volksbildung und Volkshebung, zum Teil machen sie sich die Erhaltung und Weiterentwicklung besonders in ihrem Bestand gefährdeter Dolkskunstzweige zur Auf­ gabe (heimatliche Bauweisen, Trachtenvereine u. dergl.). Andere betätigen sich mehr in einer kunstgeschichtlichen Richtung, indem sie ftühere Erzeugnisse der Volkskunst sammeln und zum Studium in Museen vereinigen; wieder andere suchen die früheren Errungenschaften der Volkskunst in gewerblichen Betrieben aufs neue aus­ zunutzen und zu beleben. Wir fassen das Wesen und die Ausgabe der Volkskunst in einem andern und zwar erheblich weitergehenden Sinne auf; wir haben mit ihr die „Kunst des Volkes" als Ganzes im Auge. Der Begriff „Volt" bedeutet alsdann für uns nicht etwa eine bestimmte Schichte, sondern die Gesamtheit

Wesen und Aufgabe der Volkskunst.

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eines Volkstums und zwar in diesem Falle die Gesamt­ heit des deutschen Volkstums. Zu dieser gehört nicht allein der kleine Mann, der Bauer, der Hand­ werker usw.; „zum Volke gehören wir alle, zum Volke gehört auch S. Majestät der Kaiser" (Bismarck im deutschen Reichstag, 16. Juni 1873). Die Kunstbetätigung dieses unseres Volkes wird nach Inhalt und Ausdrucksweise von seiner Wesensart bestimmt. Diese hat sich, wie die Völkerkunde nachweist, seit jener Zeit, in welcher unsere Vorfahren in Mittel­ europa einwanderten, auch gegenüber tiefgreifenden politischen Veränderungen int ganzen ihre Reinheit zu wahren verstanden, dank nicht nur -er starken Aus­ prägung der geistigen Veranlagung, sondern auch der Einhaltung fester Wohnsitze, die von den einzelnen Stämmen besiedelt wurden. So war es den Sachsen, Bayern, Schwaben usw. ermöglicht, innerhalb bestimmter Stammesgrenzen ihre nationalen Eigentümlichkeiten zu pflegen und zur Entfaltung zu bringen. Sie haben sich dieselben gewahrt auch damals, als das alte deutsche Reich nach einem tausendjährigen Bestände zerfiel, und selbst innerhalb jener großen nationalen Einheit, in welche die deutschen Stämme seit einem Menschenalter im neuen Kaiserreiche zusammengeschlossen wurden. Der Wesensart des deutschen Volkes entsprießen die Wurzeltriebe der deutschen ctunft und insbesondere jene Zweige derselben, die wir als „Volkskunst be­ zeichnen. Wenn wir von ihr sprechen, so beziehen- wir unsere Ausführungen stets auf die Shmft aus dem deut­ schen Volke, im deutschen Volke und für das deutsche Volk. Wir denken hierbei immer an die Gesamtheit des­ selben, an das ganze Deutschtum. Die Volkskunst umfaßt also für uns alle jene Arten des künst­ lerischen Schaffens, in welchen die Denkungs-

art und das Gefühlsleben des Deutschtums in seinen charakteristischen Zügen zum Aus­ druck kommt. Der Begriff des Künstlerischen ist durch den Inhalt und die Ausdruckemittel dessen bestimmt, was an dem Geschaffenen den Eindruck des Schönen hervor­ ruft und ihm dadurch einen besonderen, einen höheren Wert verleiht. Schön ist für uns jeder Gegenstand oder Vorgang, der durch seine Erscheinung unmittelbar und ohne Mitwirkung verständlicher Erwägungen unser Wohl­ gefallen erregt. Das Wohlgefallen selbst ist, wie das Gegenteil von ihm, das Mißfallen, die Äußerung einer im Beschauer liegenden geistigen Kraft, die durch die Eindrücke des Auges angeregt wird und zur Wirkung gelangt. Es bezieht sich auf einen bestimmten Gegen­ stand, der im Beschauer die Empfindung des Wohl­ gefallens erweckt. Die Schönheit ist eine objektive, dem Gegenstand zukommende Eigenschaft, die Empfindung des Schönen eine subjektive, von der Veranlagung des Beschauers abhängige Sinnesäußerung. Sie beruht auf der Erweckung anregender und wohltuender Gefühle, die hauptsächlich durch ihre Beziehungen zu dem Vor­ stellungsinhalt des Beschauers sich auswirken. Die Fähigkeit, Gegenstände zu schaffen, die den Eindruck des Schönen Hervorrufen, erfüllt für uns den Inbegriff der Kunst. Das Wort „Zäunst" ist von „Können" abgeleitet und wird in sinngemäßer Übertragung auch aus das Geschaffene, auf die Kunstwerke angewendet, im Gegensatz zu den Erscheinungen der Natur. Die Kunst ist ein Erbgut der ganzen Menschheit. Schon in den frühesten Zeiten, von denen wir die Entwicklungs­ stufen nur ahnen können und bei den entlegensten, noch aus der niedrigsten Stufe stehenden Völkern äußert sich triebartig das Bestreben, Erscheinungen der Umwelt

plastisch oder zeichnerisch nachzubilden und die Ge­ räte zu schmücken. Fast alle älteren und neueren völker­ kundlichen Forschungen weisen darauf hin, daß es kein Volk ohne Kunst gibt, und -atz jedes Volk einen großen Teil seiner Zeit und Kraft -en Rünften widmet.*) Die Kunstbetätigung zeigt sich bei den verschiedenen Völkern so ftüh und so allgemein, daß man sie als kennzeichnende Funktion der menschlichen Natur und des menschlichen Lebens anzusehen hat. Die Kunst bildet zusammen mit der Wissenschaft die wichtigste Erscheinungsform des der menschlichen Natur eigentümlichen höheren geistigen Lebens. In der Kunst kommt aber die Eigenart der Völker deutlicher zum Ausdruck, als in den Wissen­ schaften, weil in jener der Geist sich nach seiner Einbil­ dungskraft und -er Art, Mischung und Stärke der Empfin­ dungen frei betätigt, während er in -er Wissenschaft an Tatsachen gebunden ist. Wollen wir Klarheit haben über den Charakter eines bestimmten Volkes, so gibt uns seine Kunst die wertvollsten Hinweise. Umgekehrt erhält die Runft durch die Eigenart des Geistes- und Gefühls­ lebens des Voltes Inhalt, Ziel und Richtung. Sobald sie infolge irgendwelcher äußerer Einflüsse aus dem durch das Volkstum gegebenen Rahmen heraustritt und so die engen Wechselbeziehungen zur Wesensart desselben aufgibt, so verliert sie den Charakter und die Bedeutung einer wahren und echten Kunst. Sie kommt auf Abwege und verfällt in Fehlentwicklungen und Irrungen. Eine •) Treffend sagt Goethe In seiner Abhandlung „Don deutscher

Baukunst": gn dem Menschen ist.eine bildende Natur, die gleich sich tätig beweist, wenn sein« Existenz gesichert ist.

... So modelt Iver

Wild« mit abenteuerlichenjgügen, gräßlichen Gestalten, rohen Farben sein« Cocos, seine Federn und seinen Körper. And laßt die Bildnerei aus den willkürlichsten Formen bestehen, sie wird ohne sGestaltoverhältnis zusammenstimmen, denn eine Empfindung schuf sie zum charakteristischen Ganzen."

Gesundung kann dann nur erreicht werden durch die Rückkehr zu der Wesensart des Volkstums. Denn in der durch die Zugehörigkeit zu einem be­ stimmten Volkstum bedingten Gleichartigkeit und Gemeinsamkeit der Empfindungen für das Schöne liegen die Quellen wahrer und echter, von der Gesamtheit des Volkes ver­ standener Kunst. Das Ursprungsverhältnis zwischen -er Wesensart eines bestimmten Volkstums und seiner Kunst wird am deutlichsten in jenen künstlerischen Schaffenegebieten offenbar, welche sich in den Dienst der Nützlichkeit stellen; denn diese entwickeln sich in engem Zusammenhalts mit dem menschlichen Leben, hängen von seinen Forde­ rungen und Bedingungen ab und wählen und bilden nach ihnen die Ausdrucksmittel in Form, Zeichnung und Farbe. Wir bezeichnen diese durch den Zweck gebundenen und also „unfreien" Nutz-, Gebrauchs-, Gewerbe- oder Kleinkünste im Gegensatz zu den „freien" oder Hoheit Künsten der Bildnerei und Malerei mit dem Gesamt­ begriff der „angewandten Künste". Sie bestimmen den Hauptinhalt dessen, was wir unter „Volkskunst verstehen. Wir haben in unseren weiteren Ausführungen auch immer die angewandten Künste in ihrer Gesamt­ heit im Auge, wenn wir die Volkskunst zum Gegenstand unserer Betrachtungen nehmen. Ihren Wirkungsgebieten nach ist die Volkskunst außerordentlich reich und vielgestaltig. Sie durchdringt fast alles, was uns beschäftigt, wo wir wohnen, womit wir uns kleiden, was wir zu unserer Verpflegung be­ dürfen, womit wir uns erholen usw. Sie bezieht sich auf unser Haus mit seiner Einrichtung und Ausstattung, auf unsere Tischgeräte und Geschirre, auf die Einrich­ tungen unseres Verkehrs, des Handels und der Gewerbe,

Quellen und Wirkungsgebiete der Volkskunst.

auf unsere Hilfsmittel für die geistige Betätigung, die Bücher, aber auch auf die Kirche und deren Geräte und zuletzt noch auf die Friedhöfe. Die Volkskunst umfaßt auch alle Techniken der Bildnerei, Malerei, Töpferei, Flechttunst, Webe- und Sticktunst u. dgl. mehr. Für die Auffassung und die Schaffensweise ist der sowohl aus der Gesamtheit des Volkstums wie aus der Eigenart der Stämme hervorgehende nationale Ein­ schlag das Wichtigste und Entscheidende. Wenn die aus der Gemeinschaftlichkeit der Veranlagung entsprin­ gende Übereinstimmung und Gleichartigkeit des GesÄhls für das Schöne sich in dem Gefühl gemeinsamer Freude an der gemeinsamen Arbeit durchsetzt, so wird der Zu­ sammenschluß und die innere Organisation des Volks­ tums auch in den Kunstanschauungen mächtig gefördert. Seine Äunft gewinnt allmählich einen nach Inhalt und Form harmonischen, selbsteigenen und für alle voll beftiedigenden Ausdruck, in welchem das Volt wie in einem Spiegelbilde fein Wesen wiedererkennt. Aus ihm strahlt dann die gemeinsame Denk- und Empfindungs­ weise auf das Dolksganze zurück. Innerhalb derselben regt sie aufs neue an, greift die fort und fort in dem ge­ bärenden Zeitgeiste auftauchenden Neuerscheinungen auf, unterwirft sie ihrem Gestaltungswillen und ordnet dann das so entstandene Neue fruchtbringend ein in das durch Volksanlage, Dolkscharakter und Dolkswillen gebildete und wohlgegliederte innere Gefüge der Kunst. In ihrem alle Glieder des Volkes umfassenden großen Rahmen gibt sie dem einzelnen reiche Gelegenheit, sich zu ent­ falten und seine Sonderart zur Geltung zu bringen. Deshalb ist auch die Volkskunst so zeugungskrästig an köstlichen Einfällen und so findig in bezug auf neue Mög­ lichkeiten und neue Weisen der künstlerischen Gestaltung. Denn jeder einzelne Schaffende wird vom andern verHartmann, Volkskunst.

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Grundlagen der Volkskunst.

standen; jeder wirkt auf den andern ein, neue Gedanken bringend und Anreize gebend zu neuem Schaffen. Und immer bleibt die so entwickelte Volkskunst wahr und echt, treffend und überzeugend, einprägsam und bedeutungs­ voll wie das Dolkssprichwort und der Doltswitz. Sie bildet den Niederschlag der Gedanken der Schaffenden, ihrer geistigen und religiösen Vorstellungen, ihrer Lebens­ anschauungen und Neigungen. Sie wird groß, inhalts­ reich und würdevoll unter den Händen der Großen im Volte, der Führer zur Shmft, klein, bunt, oft anmutig zurückhaltend, ost aber auch derb und keck zugreifend bei den kleinen Meistern. Ihre Ausdrucksfähigkeit ist un­ begrenzt. Sie trägt blühendes Leben in sich. Sie schreitet fort mit der Zeit, ja mit dem Tag und den von ihm auf­ geworfenen neuen Interessen, die jeweils eingeslochten und verwertet werden im formenden Schaffen, ihrem Schöpfer und den andern zur Befriedigung, zur Freude und zu genießendem Schauen. Die Werke der Volkskunst zeigen meist eine vor­ treffliche, in liebevoller Hingabe ausgeführte Arbeit, natürliche Formgebung, mannigfaltige dekorative Reize, eine urwüchsige Frische der Erfindung und eine uner­ schöpfliche, immer wieder neu gestaltende Phantasie. Im übrigen ist aber die Volkskunst durchaus konservativ, nicht allein wegen der treibenden Kräfte für das künst­ lerische Schaffen. Denn das Volt selbst ist konservativ in seinen Gewohnheiten, in den überkommenen Sitten und Gebräuchen, in der Ehrfurcht vor den Vätern und deren Erbe, überhaupt vor dem Alten; es ist auch konser­ vativ in bezug auf das Festhalten an den Gestaltungs­ grundsätzen und dem Gestaltungswillen. Die Volkskunst ist nicht Verstandes-, sondern durch­ aus Gefühlskunst. Hervorgegangen aus einer Gefühls­ weise, die nur einem bestimmten Volkstum eigen ist.

Eigentümlichkeiten der Volkskunst.

;g

wird sie auch nur von diesem vollinhaltlich verstanden, ebenso, wie eine Sprache auch nur von den Volksgenossen in allen ihren Feinheiten und Wandlungsfähigkeiten restlos begriffen wird. Die Wirkung der Volkskunst ist deshalb auch nur auf die Volksgenossen eine unmittel­ bare, hier aber auch eine unausbleibliche. Welches an­ heimelnde und freudige Gefühl des Behagens kommt über uns, wenn wir in einer Ausstellung einen Raum be­ treten, in welchem uns eine kernige, unverfälschte Volks­ kunst empfängt! Ja, wir können sagen: Die von einem Kunstwerk ausgehende Liefe und Nachhaltigkeit in der Wirkung des Wohlgefälligen, Anheimelnden, Stimmung­ erzeugenden und auf die Dauer Zusagenden ist ein Maßstab für die Stärke und Größe seines volkstümlichen Einschlags. Aus dem engen ursächlichen Zusammenhang der Volkskunst mit der Wesensart des Volkes ergibt sich als unmittelbare Folgemng, daß wahre und echte Volkskunst auch nur auf dem Boden eines reinen, unverfälschten Volkstums zu voller Blüte gelangen kann. Ein Volk, das aus Elementen von ungleichartiger Abstammung besteht, bildet keinen wachstumgebenden und tragfählgen Untergrund für eine einheitliche Runft, eine Volkskunst. Die Voraus­ setzungen für diese sind in um so geringerem Maße vor­ handen, je fremder die einzelnen Bestandteile ihrer Rassenzugehörigkeit nach einander gegenüberstehen; es sei denn, daß eine an sich besonders lebenskräftige Rasse in einem Dolksganzen so beherrschend sich durchsetzt, daß sie die andern Volksbestandteile nach und nach auf­ saugt. Aber auch in diesem Falle wird eine Einheitlich­ keit in der Kunstauffassung und Runftäbimg erst dann erreicht, wenn eine völlige Einschmelzung der Minder­ heit in den Hauptbestandteil erfolgt ist. Dieser Vorgang 2*

nimmt viele Generationen in Anspruch und vollzieht sich nur dann ohne größere Rückstände, wenn die Volks­ bestandteile schon vor ihrer gegenseitigen Durchdringung und Aufsaugung in einem engeren Verwandtschafts­ verhältnis zu einander gestanden waren. Aus Volks­ elementen, die sich nach ihrer Herkunft völlig wesens­ fremd sind, kann, wenn überhaupt, nur in außerordent­ lich großen, unter Umständen nur nach vielen Jahr­ hunderten und selbst nach Jahrtausenden zu bemessenden Zeiträumen eine in ihrem inneren Gefüge annähernd gleichartige Volkseinheit hervorgehen. Diese entwickelt sich dann meist nur unter der Schweißglut tiefgreifender, alle Kräfte und Mächte umfassender politischer Um­ wälzungen, die einen festen Ring um das Ganze legen, die Lebensinteressen aufs engste verknüpfen, die Beweg­ gründe und Bedingungen zur Kunst vereinheitlichen und das Geistesleben in entscheidender Weise auf gemein­ schaftliche Zielpunkte ausrichten. Die aus einem derart entwickelten Volkstum geborene Shmft wird aber auch nur in bezug auf jene Seite ihres Schaffens eine ge­ wisse Einheitlichkeit gewinnen, die mehr aus äußerlichen Verhältnissen, Lebensbedürfnissen, Gewohnheiten, ge­ meinschaftlichen Sitten und Gebräuchen u. dgl. sich herausbildet. Im übrigen wird auch hier, wenn auch die Blutmischung weit vorangeschritten ist, und der Ver­ schmelzungsprozeß nach außen hin als vollzogen erscheint, in der Äunft doch das völkische Grundgefühl immer wieder zum Durchbruch kommen, und der feinsinnige Kenner wird den stärkeren Einschlag bald des einen, bald des anderen Hauptzweiges der Ursprungsvölker heraus­ fühlen und herausfinden. Lehrreiche Beispiele hiefür bieten sich uns im Ver­ gleich des Volkstums der Vereinigten Staaten von Nord­ amerika mit dem von Deutschland. In Nordamerika

Reinheit des Volkstums als Voraussetzung.

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sind zu den Ureinwohnern, den rothäutigen oder gelb­ braunen Indianern nach und nach Angehörige von ganz verschiedenartigen Dölkerfamilien eingewandert und zwar nicht in geschlossenen einheitlichen Massen, sondern als Einzelwesen in regelloser Folge. Es entstand dort ein Völkergemenge, in welchem aus demselben Boden die Rassen säst gleichmäßig durcheinander gemischt sind. Eine Verschmelzung dieser verschiedenartigen Volks­ bestandteile (hauptsächlich Indianer, Briten, Iren, Deut­ sche, Skandinavier, Franzosen und Chinesen) zu einer Volkseinheit ist in den Vereinigten Staaten nach den durch die geographischen Verhältnisse bedingten Mög­ lichkeiten der politischen Gestaltung auch in ungezählten Generationen nicht zu erwarten. Aus ihrem Völker­ gemisch kann deshalb niemals eine Einheitskunst, eine Volkskunst hervorgehen (vgl. auch Stilwandlungen und Irrungen Seite 33—35). Was dort an Kunstwerken ge­ schaffen wird, sind Einzelleistungen, die einander nach Inhalt, Auffassung und Ausdrucksweise ebenso fremdartig gegenüberstehen wie ihre Urheber, und welche als Ganzes genommen ein ebenso buntes Gemisch bilden wie das Volk selbst in -er Zugehörigkeit seiner Einzelwesen zu den ureingesessenen oder eingewanderten Rassen. Da­ gegen sind in Deutschland die allgemeinen Grund­ lagen und Bedingungen für eine glückliche Entwicklung der Volkskunst besonders günstig. Der deutsche Boden trägt Volksstämme, die in sich ge­ schlossen und gleichzeitig als Volksganzes eingewandert sind, innerhalb bestimmter und festgehaltener Grenzen sich ansiedelten und alsdann ihr Eigenleben entfalteten. Dia einzelnen Stämme waren sich von Urzeiten her als Angehörige der großen germanischen Völtersamilie nahe verwandt. Im ganzen eine durch die Abstammung be­ dingte Einheit bildend, im Innern in Stämme von be-

sonderer Eigenart gegliedert, erfüllt also das deutsche Volkstum in einem sehr weitgehenden Maße die Voraus­ setzungen für eine im Inhalt, in der Grundauffassung und den Hauptzügen völlig einheitliche, in den Einzel­ bildungen überaus vielseitige, mannigfaltige und aus­ baufähige Kunst. Die volle Entwicklung der Kunst eines Volkes zu einer ihren Voraussetzungen und Bedingungen ent­ sprechenden Höhe kann nur erreicht werden, wenn die ihm innewohnenden Grundkräfte des künstlerischen Schaf­ fens in einheitlichem Sinne zur Wirkung gelangen. Die Einheitlichkeit wird dadurch gewahrt, daß die aus dem Volte hervorgegangenen Künstler als die Haupt­ träger der ihm eigentümlichen Veranlagung für die Empfindung und Hervorbringung des Schönen so in der Grundstimmung ihres Volkes arbeiten, daß sich in ihren Werken die Sinnesart und Tatkraft des Volks­ tums verkörpert. Unter den Künstlern sind es vor allem die führenden, mit besonderer Schöpferkraft begabten Persönlichkeiten, denen die Lösung der wichtigeren und bedeutsamen Ausgaben zufällt, und von denen die großen und erhabenen Gedanken ausgehen. Diese werden dann von den weniger Hochstehenden und den Nachstrebenden aufgegriffen, in deren Sinne unter Zugabe von Eige­ nem aus- und umgewertet und dringen hauptsächlich in dieser meist veränderten, abgeschwächten oder mit Zutaten bereicherten Form in die breiteren Schichten des Volkes ein. Es ist nicht unbegründet, unter den Künstlern zwei Stufen des Könnens zu unterscheiden, das mit voller Eigenkrast arbeitende Genie und das in geringerem Grade oder nur ausnahmsweise selbstschöpferisch auf­ tretende, sonst mehr um- und nachbildende Talent. Das künstlerische Genie kann man sich als den Träger

Künstler und Volkstum.

Da» tünstlerische^Genie.

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-er gesammelten Veranlagung und künstlerischen Tat­ kraft -es Volkstums in der unmittelbaren Erfassung seiner Eigenart und der Kundgabe seines Empfindens verstellen. Die Haupteigenschaft des Genies liegt einer­ seits darin, daß es aus vollen Quellen schöpft und Stoff und Technik beherrscht, anderseits aber auch in der Treff­ sicherheit im Maßhalten, indem es dem überströmenden Empfinden an richtiger Stelle einen Damm entgegen­ zusetzen weiß. Die vollständige Beherrschung des Stoffes und -er Mittel führt zu einer außergewöhnlichen Sach­ lichkeit int Inhalt und in der Darstellung; sie ist ein be­ stimmender Charakterzug jeder wahren und hochstehenden Kunst. Das Genie reagiert durch feine gesteigerte Emp­ findungsweise in besonderem Maße auf seine Umwelt, namentlich auf seine Beziehungen zu den Menschen un­ dec Menschen untereinander und zwar sowohl in Stim­ mung und Temperament, wie auch im Urteil. Es er­ lebt das Nationale stärker und gewinnt eine tiefere Ein­ sicht in sein Wesen und seine Lebensäußerungen. In der Konzentration des Augenmerks auf die volle Sach­ lichkeit tritt der Blick für das Unwesentliche und Kleine zurück. Der schöpferische Geist wirkt als Ganzes und durchdringt auch das Ganze; er offenbart sich in einem Bruchstück fast ebenso deutlich wie im ganzen Werke. Denn die Eingebung ist eine das Ganze umfassende; sie setzt sich nicht aus Einzelheiten mühsam zusammen. Der schöpferische Geist kann auch nicht erworben werden. ist eine Gabe der Natur, welche ohne Bevorzugung be­ stimmter Stände dem einzelnen zugeteilt wird; denn das Genie entstammt ebensowohl der Familie eines Bauern, wie der eines Industriellen oder eines Beamten, dem Haufe eines Aristokraten von Geburt oder Besitz, wie einer Mietskaserne. Gerade deshalb ist auch das Genie aufs innigste mit dem Volke verwachsen und berufen.

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Grundlagen der Volkskunst.

dessen Sprecher zu sein. Es empfindet die Bedürfnisse der Allgemeinheit früher als der Durchschnittsmensch; es schaut voraus und wirkt deshalb auf seinem Gebiete als Verkünder neuer Zeitanschauungen. Das Genie ist auch immer das echte Kind seiner Zeit, in derem Sinne und mit deren Mitteln es arbeitet. Wir können uns Erwin von Steinbach, Dürer, Schlüter und Schinkel zu einer andem Zeit und ohne den Unterbau an hoch­ entwickelten Kunstformen gar nicht denken. Die Kraft dieser Meister wäre zwar auch unter andern Zeitum­ ständen nicht verloren gegangen; sie hätte sich aber dann in anderer Weise entwickelt. Jedes Genie spricht die Sprache seiner Zeit; was es aber sagt, hat ewig dauernden Wert und ist vollkommen. Fede Halbheit ist ihm fremd. Der geniale Kunstschöpfer bleibt sich auch selbst treu. Zn der Art und Weise, wie er seinen Vorstellungen Ge­ stalt und Form gibt, bricht oder stumpft er die Eigen­ heiten nicht ab und verwischt auch feine Grenzen nicht. Hierin liegt ein Hauptkennzeichen des wahren Genies. Denn sein Künstlertum beruht aus einer seelischen Anlage, die ihm als Ganzes verliehen wurde, sich nicht verändert und auch nur in der mit ihrer Eigenart gegebenen Rich­ tung zur vollen Entwicklung gelangt. Wo immer in den Werken eines Künstlers, der seine eigentlichen Entwick­ lungsjahre überschritten hat, Änderungen in den Grund­ anschauungen ihres Schöpfers zutage treten, wo die Art und Weise des künstlerischen Gestaltens die Ein­ heitlichkeit und Wesensgleichheit der Schöpferkraft ver­ missen läßt, da haben wir es, wer auch der Arheber sei, nicht mehr mit einem Genie, sondern höchstens mit einem Talent zu tun. Es ist nicht gut möglich, bestimmte Grenzlinien zu ziehen, durch welche die Stellung des künstlerischen Talents unter den Künstlern und insbesondere dem

Künstlerisches Genie und Talent.

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Genie gegenüber deutlich bezeichnet wird. Die Kunst­ werke selbst, die ihren Urhebern den Rang in der Künstler­ schaft zuweisen, lassen zwischen dem Hochstand des Genies und der Mittelmäßigkeit des Talents noch verschiedene Stufen offen. Der wesentliche, das ganze Verhältnis des Talents zu den übrigen Künstlern und der Umwelt, sowie seine Stellung im Kunstleben erklärende Unter­ schied zwischen ihm und dem Genie liegt darin, daß jenem in weit geringerem Maße als dem Genie und nur von Zeit zu Zeit in ost wechselnder Stärke die Quellen der künstlerischen Schöpferkraft fließen. Die Mittelmäßigkeit bedingt eine gewisse Unsicherheit in der Beherrschung des Stoffes. Es fehlt ihr das scharfe Auge für das Erfassen der Vorgänge und Erscheinungen der Umwelt, insbesondere der durchdringende Blick in die verborgenen Tiefen des Gefühlslebens seines Volks­ tums. Was ihm hierin an innern Grundkrästen abgeht, kann nicht durch die äußeren Erfahrungen der Klug­ heit oder durch gelehrte Erkenntnisse ausgeglichen werden. Dem Talent ist, wenn ihm auch unter besonders günstigen Umständen ab und zu hochwertige Leistungen gelingen, in seiner Gesamtentwicklung nach oben eine^ Grenze

gesetzt. Sein in engerem Rahmen befindlicher Dor­ stellungeinhalt schöpft sich auch mit der Zeit aus. Die geringere Bildkrast und Ausdruckssähigkeit zeigt sich namentlich in der im Vergleich zu den Werken des Genies erheblich verminderten Sachlichkeit. Das Schaffen des Talents führt zu einer mehr äußerlichen Kunst, die ost viel Geschicklichkeit bekundet, aber nicht so stark und an­ dauernd unser ästhetisches Interesse zu fesseln vermag. Der unmittelbare Eindruck des leichten, mühelosen Ge­ staltens und Formens, der den Werken des Genies eigen ist, tritt zurück gegen den des mehr zusammentragenden und zusammensetzenden Schaffens. Die Wirkung des

Aberzeugenden und Selbstverständlichen im Inhalt und

Ausdruck wird nur ausnahmsweise erreicht. Dadurch, daß das Talent das Wesen und den Schein der Dinge nicht so scharf zu unterscheiden und insbesondere in die tieferen Grundlagen wahrer Kunst nicht genügend ein­ zudringen vermag, entstehen Unsicherheiten und Mei­ nungsverschiedenheiten in seinen Reihen. Während das Genie ein selbständiges, festes Urteil hat und in allen Werken seinem Kunstgeiste treu bleibt, indem es stets die gleichen Bildungsgrundsätze zur Geltung bringt, sind die auf der Stufe des Talents stehenden Künstler unselbständig und wandelbar in ihren Grundanschau­ ungen und auch in der Art und Weise ihres Schaffens. Hierin liegt wohl das sicherste Kennzeichen, das sie deutlich von der Hochstufe des Genies unterscheidet. Infolge seiner Unselbständigkeit ist das Talent auch leicht lenkbar. Es unterliegt der zergliedernden Verstandes­ tätigkeit falscher Propheten und namentlich auch dem unbewußten Einfluß der Tagesmeinung urteilsloser Massen und ist nicht selten haltlos gegenüber den An­ reizen materieller Güter und sinnlicher Triebe. Das Talent darf von uns nicht das Gefühl der Ehrfurcht er­ warten, das^wir dem genialen Menschen zollen, noch darf es für seine eigenen Leistungen jene Beachtung und Anerkennung in Anspruch nehmen, welche wir den Schöpfungen der Großen im Reiche der Kunst entgegenzubringen pflegen. Und doch dürfen wir seine Stellung und seinen Einfluß im Kunstleben eines Volkes nicht unterschätzen. Dem Volke steht im allgemeinen das Talent näher als das Genie, dessen Auffassungsgabe jene des Volkes in einem zu großen Abstand überragt. Die Talente überwiegen auch in der Zahl der Künstler und ihre Werke in den Massen der Kunstleistungen des Volkes; sie bestimmen gewissermaßen die Höhe seiner

Künstlerisches Genie und Talent.

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Durchschnittsleistungen, die in dem Maße gehoben werden können, als dem Volke geniale, kraftvolle Künstler beschieden sind und es den Talenten gelingt, in den von ihnen erreichbaren Grenzen den Großmeistern nach­ zueifern. Das Genie steht durch die treffsichere Erfassung des Wesentlichen und durch die Klarheit und Bestimmt­ heit des Ausdrucks so sehr über den Durchschnittsleistungen des Volkes, daß seine Schafsensweise als eine ihm allein zukommende erscheint. Man sieht in seinen Werken eine Höchststufe der Kunstentwicklung und in der Eigen­ art ihres künstlerischen Ausdrucks die Ursache für die aus dem allgemeinen Rahmen fallenden Erfolge. Eine solche Eigenart, wie sie dem Genie ohne weiteres mit der Veranlagung gegeben ist, wird deshalb von den weniger begabten Künstlern gesucht. Ja, sie sehen in ihr vielleicht das Hauptziel ihres Strebens. In Zeiten und Kunstrichtungen, in denen das Persönliche stark hervortritt, kann so die möglichste Herausbildung einer den einzelnen Künstler kennzeichnenden Eigenart zu einer Allgemeinforderung für das künstlerische Schaffen werden. Wir werden weiter unten sehen, welche Folgen sich hieraus für die Entwicklung der Kunst, insbesondere der Volkskunst ergeben. Mit der Veranlagung ist dem Künstler nur die Empfänglichkeit für Bildelndrücke, die Wirkungsweise seines Gestaltungsdranges und die Kraft und Fähigkeit für den Ausdruck verliehen. Der Stoff für die künst­ lerische Darstellung kann ihm mit bezug auf die Form­ gebung selbst nur auf dem Wege der tatsächlichen Bild­ eindrücke zufließen. Aus der Art und Weise, wie diese ausgenommen, eingeprägt und untereinander geordnet werden, bildet sich sein auf Intuition, aus der innern Anschauung beruhender Dorstellungsinhalt. Dieser um-

2$

(Grundlagen der Volkskunst.

faßt den Formenkreis, aus dem heraus der Künstler seine Werke schasst. Ohne feste, intuitive Vorstellungen bestimmter Formen als Beweggrund und Auedrucksmittel kann kein Kunstwerk geschaffen werden. Auch alle geistigen Ideen finden, wenn sie künstlerische Gestalt erhalten sollen, in den Elementen dieses Formenkreises ihren Ausdruck. Die Komposition des Künstlers beruht wesentlich darauf, daß diese Elemente treffend auegewählt, zu einander in Beziehung gesetzt, geordnet, im einzelnen je nach der Absicht verstärkt oder abgeschwächt und schließlich so vereinheitlicht werden, daß ein ge­ schlossener, künstlerisch abgeklärter Organismus entsteht. Letzterer ist um so vollkommener, je deutlicher und ein­ prägsamer er die vom Schöpfer gehegten Gedanken aus­ spricht. Die Ausdruckssähigkeit bedingt die künstlerische Wirkung. Sie ist um so stärker und nachhaltiger, je mehr durch den künstlerischen Organismus auch im Beschauer die gleichen Gedanken ausgelöst werden, so daß sich die innern Vorstellungen des Künstlers auf ihn übertragen und der Beschauer durch Nachempfindung des hohen ästhetischen Genusses des Kunstschöpfers an dem Schönen, Erhabenen und Anregenden teilhaftig wird. Die Gedankenübertragung vom Künstler auf den Beschauer eines Kunstwerks vollzieht sich um so leichter und umfassender, je näher sie sich in bezug auf die geistigen Auffassungen und Anschauungen stehen, und je mehr der Formenkreis des Kunstwerks in einem gleichartigen oder ähnlichen Vorstellungsinhalt des Beschauers Anpafsunge- und Verankerungspunkte findet. Nun sind aber die geistigen Auffassungen und Anschauungen so­ wohl des Künstlers wie des Beschauers in hohem Grade vom Geistesleben und den allgemeinen Verhältnissen der Zeit bestimmt, und auch der formale Dorstellungs­ inhalt ist bei beiden von den Erscheinungen der Umwelt

Dorstellungsinhalt u. Ausdrucksfähigkeit. Einfluß des Zeitgeistes. £9

erfüllt. Deshalb steht der Künstler in seinem Schaffen auch unter dem Einfluß des Zeitgeistes und der Zeitverhältnisse. Dieser äußert sich um so mächtiger auf ihn, je stärker die Zeitinteressen ihn in ihren Bann ziehen. Auch die Wirkung der Kunstwerke auf den Be­ schauer ist ganz wesentlich davon abhängig, inwieweit sie seinem eigenen, ebenfalls vom Zeitgeist und den Zeitverhältnissen bedingten Ideenkreis und Dorstellungs­ inhalt Ausdruck geben. Für unser heutiges künstlerisches Schaffen läßt der Geist der Zeit nach Inhalt und Ausdrucksform eine Einheitlichkeit oder das Vorherrschen eines festen Systems, einer bestimmten Richtung vermissen. Die zeitgenössische Philosophie trägt das Gepräge einer Übergangsperiode, einer schwer übersehbaren Mannigfaltigkeit verschieden gerichteter Welt- und Lebensauffassungen, in der fort­ gesetzt neue Anschauungen sich aufdrängen und in einen Wettbewerb und Kampf mit den älteren treten. Unsere geistigen Interessen sind fast ebenso wie die materiellen durchdrungen von dem Einfluß der hohen technischen Errungenschaften, welche die Gegenwart mit einem überquellenden Leben erfüllen. In einem unerhörten Maße haben diese durch Ausdecken aller möglichen, bis dahin kaum geahnten Beziehungen zwischen der Natur und dem Leben zahllose und ungeheure Energien ent­ fesselt, die den Raum und die Zeit besiegten und selbst den höchsten Traum der Menschheit verwirklichten durch die Eroberung der Lüfte. Das Bewußtsein eigener Kraft und außergewöhnlichen Könnens schärfte unsere Sinne, die nun ganz anders und genauer arbeiten, als in ftüheren Zeiten. Eine neue Art von Elastizität kam in unseren geistigen Auffassungen zur Entwicklung, ein schnelleres Zeitmaß der Gedankengänge. Sie versetzten auch die schöpferischen Fähigkeiten künstlerisch veranlagter

Persönlichkeiten in lebhafte Schwingungen. In der unermeßlichen Fülle der Erscheinungen des Zeitalters der Maschinen und der fast unbegrenzten Verkehrs­ möglichkeiten sahen dieselben eine eigene, krasttrunkene Schönheit. Nicht nur bildende Künstler brachten sie unter ihren Gestaltungswillen, sondern auch zahlreiche Dichter verherrlichten sie mit großen und berauschenden Worten. Das an sich so lichtvolle Bild unserer Gegenwart ist aber auch von tiefen Schatten durchsetzt. Die Fort­ schritte der Technik haben unser Leben hauptsächlich nach der materiellen Seite befruchtet. Die durch sie erweckten Energien brachten eine hochgradige Steigerung des rein individuellen Selbstgefühls und damit ein restloses Vorwärtsstürmen, eine Jagd nach Besitz und Macht, in deren Gefolge schroffe Gegensätze entstanden gegenüber den Interessen der andern und insbesondere auch gegen die auf die Gemeinschaft zu nehmenden Rücksichten. Sie verwirrte den Blick und das Verständnis für höhere geistige Werte und drängte die materialistischen Interessen immer mehr in den Vordergrund. Ihre Gefolgschaft war ein anwachsendes Heer von Unzuftledenen, die so manche Unstimmigkeiten und schrille Mißtöne hineintrugen in die Erfüllung der wichtigsten Zeitaufgaben, die Lösung der großen nationalen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen. Von diesem Zeitgeist und diesen Zeitverhältnissen ging auch auf unsere heutige ftunft ein mächtiger Einfluß aus hinsichtlich des Inhalts, der Ziele und der Mittel des künstlerischen Ausdrucks. Neue Stoffe und neue Formen drängten sich in großer Mannigfaltigkeit auf und setzten sich in stark ausgeprägten Widerspruch zu den älteren Auffassungen. Eine aufs äußerste getriebene Ausnutzung aller Gestaltungsmittel und Gestaltungs-

Einflüsse der heutigen Zeit.

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Möglichkeiten trat in -en Dienst der Erringung rein persönlicher Erfolge und der Bereicherung des künst­ lerischen Einzelbesitzes. Die Jagd nach diesem führte zu einem bedenklichen Mangel an Gemeinsinn, zu einer schweren Einbuße an höheren idealen Werten gegen­ über dem Materiellen, zu einer Systemlosigkeit in den Bestrebungen und insbesondere noch zur Entfremdung der Künstler zwischen sich und dem Gesamtvolk. Dazu kam als ein besonders nachteiliger Umstand, daß der auch in das künstlerische Schaffen eindringende platte Wirklichkeits- und Nützlichteitsstandpunkt der Entwicklung wahrer und echter Kunst, die doch stets auf das Schöne an sich ausgeht oder ausgehen sollte, in mancher Hinsicht geradezu entgegenwirkte. Jedoch dürfen die nachteiligen Seiten der Einflußnahme des Zeitgeistes auf die Ent­ wicklung der modemen Kunst, die sich hauptsächlich aus dem übertriebenen Materialismus unserer Zeit ergeben, unsere Einsicht in die allgemeine Bedeutung des Zeit­ geistes und der Zeitverhältnisse als Grundlage der Volkskunst nicht verschleiern. Dem Zeitgeist entspringen die mächtigsten Antriebe für das künstlerische Schaffen. Die Zeiterscheinungen selbst bilden stets einen Haupt­ bestandteil des Darstellungsinhalts jeglicher lebens- und zeugungskrästigen Kunst. Sie sind hierfür um so mehr geeignet, als sie in ihrer Gesamtheit nicht nur das aus dem Tag geborene Neue, sondern auch das von der Vergangenheit übernommene und noch lebenskräftige Alte in sich schließen, in welchem die Grundlagen und Voraussetzungen der neuen Errungenschaften zu suchen sind. Überblicken wir die allgemeinen Grundlagen der

Volkskunst, so wie sie in der Wesensart des Volkstums, in der Veranlagung der Künstler, im Zeitgeist und in den Zeitverhältnissen liegen, so sehen wir, daß dieselben

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Grundlagen der Volkskunst.

in einem engen ursächlichen Zusammenhang stehen. Die Wesensart des Volkstums bestimmt einerseits die Ver­ anlagung der Künstler, anderseits den Grundzug und Grundwillen des Zeitgeistes insofern, als jedes Volk sich bemüht, seine Zeit und die Zeitverhältnisse im Sinne seiner eigenen, durch seine Wesensart bedingten Be­ dürfnisse zu gestalten. Der Zeitgeist ist gewissermaßen die Wirkungsform des Voltswesens oder Volksgeistes hinsichtlich der Art und Weise, wie dieser sich unter dem Einfluß der Erfahrungen, der vorangegangenen Er­ rungenschaften, der Zeitströmungen und Zeitmöglichkeiten durchzusehen sucht. Der Zeitgeist ist seiner ganzen Natur nach fortwährenden Wandlungen unterworfen.

Diese bedingen auch unausgesetzte Veränderungen der aus dem Zeitenlauf heraus auf das Kunstschaffen ein­ wirkenden Kräfte und Einflüsse. Gewinnen diese Kräfte und Einflüsse über diejenigen, welche unmittelbar aus der Wesensart des Volkstums hervorgehen, das Übergewicht,

so daß die letzteren in den Hintergrund gedrängt werden, so verliert die Volkskunst den beständig bleibenden Teil ihrer Grundlagen. Sie verliert damit auch ihren Cha­ rakter als Ausdruck der Wesensart des Volkstums. In den Künstlern selbst kommen diese Vorgänge im einzelnen zur Auswirkung. Solange die mit dem Volkstum gegebenen Rräfte und Beweggründe in ihrem Schaffenswillen und ihrer Schaffensart mächtig und maßgebend find, tragen ihre Werke den Charakter des Volkstümlichen. Erhalten aber die Zeitströmungen und die Rücksichten auf die Zeitverhältnisse in den Künstlern die Oberhand, dann entschwinden ihnen in dem Maße, wie diese von den durch den Dolksgeist vorgezeichneten Zielen und Richtungen abweichen, die wichtigsten Grund­ lagen für volkstümliches Schaffen. Ihre Shinft wird heimatlos und damit ruhelos. Sie verliert sich in jenen

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Das Volkstum als wichtigste Grundlage der Kunst.

Wandel- und Irrgängen, auf welche an anderer Stelle hingewiesen wurde. Soll sich aus solchen Zuständen die Kunst wieder herausfinden und in die Dahnen einer ruhigen, dauernde Erfolge versprechenden Entwicklung gelangen, so mutz sie den Einflutz der Zeitströmungen und Zeitverhältnisse in gemessenen Schranken halten und in ihren maßgebenden Auffassungen und Zielen zurück­ gehen auf die bleibenden Grundlagen jeglicher Volks­ kunst und jeder wahren und echten Runft, auf die Wesens­ art des Volkstums.

Hartmann, DolUtunst.

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II. Forderungen der Volkskunst. Alle Bestrebungen, die auf Hebung der Volks­ kunst abzielen, müssen von der Erkenntnis der Forde­ rungen ausgehen, welche an die Volkskunst zu stellen sind. Als „Kunst des Volkes" in dem von uns früher umschriebenen Sinne (S. 12 u. f.) hat sie zunächst jene Forderungen zu erfüllen, die sich im allgemeinen aus ihrer Bedeutung als „Kunst" ergeben, und dann noch die weiteren, welche sich auf ihre Aufgabe als Äunft „des Volkes" und zwar in unserm Falle „des deutschen Volkes" beziehen. In bezug auf die Bedeutung der Volkskunst als „Shinft" haben wir sie nach unsern vorausgegangenen Darlegungen als eine Erscheinungsform des menschlichen Geistes aufzusassen, aus dem sie als Äußerung eines ihm innewohnenden Tätigkeitsdranges hervorgeht. Sie hält deshalb im allgemeinen gleichen Schritt mit der Ent­ wicklung des Geisteslebens desjenigen Volkes, von dem die Kunst ausgeübt wird. Diese Entwicklung muß im normalen Verlauf, entsprechend dem fortwährenden An­ wachsen und Wiederverwerten der geistigen Errungen­ schaften, in einer aufsteigenden Linie erfolgen. Der auf Erzeugung des Wohlgefälligen gerichtete Gestaltungs­ trieb sucht seiner ganzen Natur nach durch Verbesserungen und Bereicherungen des Schönen sich auszuwirken.

Fortschreitende Entwicklung.

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Seinen Stoss entnimmt er dem Vorstellungsinhalt, der sich nicht nur im einzelnen Künstler, sondern auch im gesamten Volke unausgesetzt durch den Wechsel der Zeit­ erscheinungen erweitert und erneuert. Mit -er Übung im Kunstschaffen und der an jeder neuen Arbeit erfol­ genden Nutzanwendung der früher gemachten Erfah­ rungen erhöht sich auch die Fähigkeit in der künstlerischen Darstellung. Die Hilfsmittel derselben werden durch die Fortschritte der Technik stets bereichert, ihre Beherrschung wirkt anregend und fördernd zurück auf die künstlerische Betätigung. Aus diesen Gründen geht die erste und wich­ tigste, auch durch die Geschichte bestätigte Forderung hervor, die wir auch für unsere Betrachtung voranstellen wollen, die fortschreitende Entwicklung der Kunst. Sie ergibt sich auch allgemein aus dem in ständigem Fluß befindlichen Walten der Kräfte der Zeit. So wenig als die schaffenden Kräfte eines zu höherer Stufe fort­ geschrittenen Volkes stille stehen und aus die Hervor­ bringung gesteigerter und neuer geistiger Werte zur Be­ fruchtung seines inneren Lebens verzichten können, so wenig kann auch die Kunst ohne Fortentwicklung sein, weder in ihrem Inhalt noch in ihrer Ausdrucksweise. Sie ist ein Organismus, der nur dadurch Leben erhält, daß er wächst. Im Wachstum verändern sich aber fort­ während alle Glieder nach dem ihm innewohnenden Gesetze. In gleicher Weise wie im Wachstum der Natur vollzieht sich auch im Leben der Kunst aller dauernde Fortschritt nur auf dem Wege einer langsamen Ent­ wicklung. Hervvrgegangen aus einer an sich unver­ änderlichen Grundkraft, aus der Veranlagung und dem Drange zur Erzeugung des Schönen, ist ihr jede sprung­ hafte Am- und Fortbildung ftemd. Wo dennoch eine solche zur Erscheinung kommt, so liegen ihr andere, nicht 3*

durch den regelrechten Verlauf der Entwicklung ge­ gebene Ursachen zugrunde. Bisweilen ist sie dann die Wirkung einer in ihrer Selbständigkeit lange verhal­ tenen und deshalb bei der Entfesselung um so stärker zum Ausschlag kommenden Schaffenskraft, die sich in ihrer Elastizität überspringt und erst nach einigen Schwin­ gungen zu einer normalen Lage und Wirkungsweise ge­ langt. Nicht selten geben auch unvermittelt austretende, starke äußere Anregungen und Reize oder rein ver­ ständliche Erwägungen, die einen weniger scharf aus­ geprägten und gefestigten Kunstwillen umstimmen, den Anlaß zum Heraustreten aus den bis dahin eingehal­ tenen Geleisen und zum Einschlagen einer neuen Richtung. Zn fast allen diesen Fällen werden aber geläuterte, hochwertige Werke immer erst von dem Zeitpunkte an erzeugt, in dem die Kunst wieder einlenkt in die Bahnen einer ruhigen und stetigen Entwicklung. Sie allein bietet dem Künstler die nötige Weile und Muse, um die ihm aus dem lebendigen Organismus des Volkslebens und den Ereignissen der Zeit zuströmenden Eindrücke nach ihrer schönheitlichen Wirkung zu sichten und für seine Schöp­ fungen zu verwerten. In der Art rmd Weise, wie der Künstler seine Werte bildet, muß er frei sein. Das Gedeihen jeder wahren und echten Shmft ist in hohem Grade abhängig von der Möglichkeit der freien Entwicklung. Allerdings ist die Freiheit, die wir für die Kunst fordern müssen, nicht etwa gleichbedeutend mit Willkür; sie ist vielmehr an die Erfüllung jener Voraussetzungen und Bedingungen gebunden, von denen die vollbeftiedigende ästhetische Wirkung einer Schöpfung als Kunstwerk abhängig ist. Das Wesen der für das Kunstschaffen notwendigen Frei­ heit richtig zu verstehen, ist für die ernst strebenden Künstler von hoher Bedeutung. Denn weit mehr als sonst im

Freie Entwicklung.

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menschlichen Leben und Streben bewahrheitet sich in ihrem Schassen Schillers Wort: „Mm sich greift der Mensch, nicht darf man ihn der eignen Mäßigung anvertrau>n. Ihn hält in Schranken nur das deutliche Gesetz und der Gebräuche tiefgetretne Spur". Jeder mit einer stark ausgeprägten Schaffenskraft begabte Künstler brennt darauf, frei, nach eigenem Antrieb schalten und walten zu dürfen; er stemmt sich geradezu gegen jede Beengung seiner Freiheit. Wahrhaft frei ist aber nur ein solcher Künstler, in dem nicht nur das ganze Empfinden und höchste Streben darauf gerichtet ist, alles zu tun, was das Künstlerische fördert, und alles zu vermeiden, was ihm abträglich ist, sondern welcher auch -en Stoff, die Mittel und die Technik für den künstlerischen Ausdruck zur folgerichtigen Durchführung seines Kunstwillens restlos beherrscht. Diese Voraus­ setzungen für die künstlerische Freiheit sind allerdings fast nur beim Genie in vollem Maße erfüllt. Künstler von geringerer Begabung und Willensstärke stehen ihren Aufgaben um so weniger frei gegenüber, je mehr es ihnen an -er treffsicheren Erfassung und Beherrschung des Stoffes und der Mittel und Techniken für das Kunst­ schaffen, sowie an der Halte- und Durchschlagskraft ihres Wollens fehlt. Sie sind unselbständig und schwankend in ihren Zielen und in der Einhaltung bestimmter Richt­ linien, schwach gegenüber äußerlichen Sinnesreizen und leicht zugänglich für ftemde Einflüsse. Auch sonst im Leben pflegt man Menschen von geringer Begabung, die keine Selbstzucht üben, ihre Leidenschaften nicht im Zaume haben und leicht lenksam sind, für unfrei zu halten. Es ist nun kein Zufall, daß gerade solche Menschen infolge ihrer mangelhaften Einsicht und Willensstärke sich am meisten beengt fühlen durch die aus höher ge­ richtete Ziele und außerpersönliche Interessen zu neh-

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Forderungen der Volkskunst.

menden Rücksichten und durch die aus ihnen hervor­ gehenden Gebote. Sie sind es, die am lautesten nach Freiheit rufen. „Sie streiten sich um Freiheitsrechte; genau besehn sind's Knechte gegen Knechte'"). Eine Freiheit, die der Beschränktheit und der ungezähmten Leidenschaftlichkeit frönen würde, wäre gleichbedeutend mit Zügellosigkeit, und auf diese folgt stets die Knecht­ schaft wie auf den Rausch der Katzenjammer. Ein Volk, ein Staatswesen, das seinen Gliedern eine solche Frei­ heit geben würde, mühte unrettbar entarten in innere Auslösung und Zerfall. Eine Kunst, in der die künst­ lerische Freiheit zur Gesetzlosigkeit wird, muh aus ganz ähnlichen inneren Gründen dem Schicksal rascher Ver­ gänglichkeit und völligen Untergangs entgegentreiben. Es könnte als ungereimt erscheinen, einerseits völlige Freiheit für die Runft zu verlangen, anderseits von Kunstgesetzen zu sprechen. Der scheinbare Widerspruch klärt sich auf, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Kunstgesetze nicht etwa bestimmte, mit mehr oder weniger Scharfsinn und Berechtigung aufgestellte Regeln geben sollen, nach denen der Künstler sich in seinem Schaffen zu richten habe, sondern daß sie nur die in der Gleichartigkeit der Erscheinungen sich äußernden Wirkungsweisen und Wirkungsformen jener Grund­ kräfte bilden, aus welchen der Kunsttrieb hervorgeht. Wo immer irgend eine Kraft zur Wirkung gelangt, da äußert sich diese auch stets in einer ganz bestimmten Weise. Die freie Entfaltung der Grundkraft ist davon abhängig, ob sie in dieser ihrer Wirkungsweise nicht irgendwie be­ hindert wird. Die Natur gibt uns hierfür unzählige, lehrreiche Beispiele. Jeder lebendige Organismus er­ freut sich dann einer völligen Freiheit in seinem Wachsz) Mephisto in Goethes Faust.

Kunstgesetze als Wirkungsformen gleicher Erundkräfte.

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tum, wenn er sich ungehemmt nach den diesen zugrunde liegenden Gesetzen entwickeln kann. Jede allgemeine oder einseitige Unterbindung wichtiger Entwicklungs­ gesetze führt zu Mihwachs oder Mißbildungen. Die Gesetze selbst sind nichts anderes als die Wirkungsarten oder Wirkungsformen der Kräfte, die das Wachstum anregen und bestimmen. Diele von ihnen sind uns be­ kannt durch die Erfahrung, insbesondere die Gleich­ artigkeit -er Erscheinungen. So wissen wir beispiels­ weise, wie die Eiche den Stamm, die Rinde, Äste, Blätter und Früchte bildet, ihren Entwicklungsgesetzen folgend, die sich im Verlaufe von Jahrtausenden nicht ändern. Es kommt niemand in den Sinn, das Vorhandensein dieser Entwicklungsgesetze -er Eiche anzuzweifeln oder gar deren Entwicklungsfteiheit als beengt anzusehen, wenn sie, auf günstigem Boden wurzeln-, in freiem Raum und stetem Licht sich ungehemmt, aber streng im Rahmen der für ihr Wachstum maßgebenden Ge­ setze entfalten kann. Es wird auch niemand verkennen wollen, -aß die Entwicklungsgesetze den in seiner Wachs­ tumseigenart so scharf ausgeprägten Baum irgendwie behindern, sich besonderen Boden- und klimatischen Ver­ hältnissen und den Bedingungen der Jahreszeit anzu­ passen (europäische, aftikanische, amerikanische Eiche, Sommereiche, Wintereiche) und selbst unbegrenzte Neu­ bildungen zu formen; denn für keine einzige Eiche wird irgendwo auf dem weiten Erdenrund eine andere zu finden sein, die jener völlig gleichen würde. Die Ent­ wicklungsgesetze der Eiche haben teils eine allgemeine, für das ganze Pflanzenreich maßgebende Geltung, teils kommen sie nur einer bestimmten Gattung, den Bäumen zu, teils bestimmen sie die Sonderart des Organismus, der Eiche. Ein ähnliches Walten und Abstufen allge­ meiner und für die einzelnen Gattungen und Orga-

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Forderungen der Volkskunst,

nismen maßgebenden Kräfte zeigt sich im ganzen Reiche der Natur. Auch jene Grundkräste, welche der Kunst ihr Leben geben und deren Entwicklung bestimmen, haben, wie ihre Wirkungsweisen und ihre Wirkungssormen bei allen Dölkem und zu allen Zeiten dartun, teils eine allgemeine, über das ganze menschliche Geschlecht sich erstreckende Gültigkeit, teils beziehen sie sich auf die großen Urstämme der Menschheit, zum Teil auch nur auf einzelne Völker und besondere Zweige derselben und schließlich auf das Einzelwesen. Die Eigenart dieser Grund­ kräfte bestimmt das Leben der Kunst und die Gesetz­ mäßigkeit ihrer Entwicklung. Zn der Möglichkeit der vollen Auswirkung derselben liegt die künstlerische Frei­ heit. Sie wird beengt, wenn das gesetzmäßige Walten der Grundkräste int ganzen oder zum Teil unterbunden wird. Der wahre Künstler schasst mit einer gewissen Selbstverständlichkeit im Rahmen der künstlerischen Ge­ setzmäßigkeit. Sein Wille folgt damit, ohne es zu emp­ finden und meist auch unbewußt, lediglich -en ihm inne­ wohnenden künstlerischen Antrieben. Für ihn sind deshalb „Kunstgesetze" völlig entbehrlich, denn er kennt, dank seiner überragenden Befähigung für das Künstlerische, kein Schwanken in der Wahl des dem Schönen Dien­ lichen und keine Unsicherheit in der technischen Aus­ führung. Er findet, trifft und formt das Richtige. Wenn man bisweilen sagen hört, „das Genie schafft sich seine Kunstgesetze selbst," so ist das so zu verstehen, daß eben in ihm die künstlerischen Grundkräste so folgerichtig und vollständig sich betätigen können, daß seine Schöpfungen Erscheinungen von höchster künstlerischer Gesetzmäßig­ keit bilden. Für den weniger begabten, weniger selb­ ständigen und weniger willensstarten Künstler bilden aber die Kunstgesetze als Inbegriff der Grundsätze und

AnverSnderlichteit der Kunstgefehe.

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Forderungen, an welche jede Art vollbefriedigenden künstlerischen Schaffens gebunden ist, höchst wertvolle Gesichtspunkte für die Kunsterkenntnis. Sie geben ihm einen Maßstab für das Kunsturteil an die Hand, der immer dann sich als besonders nützlich erweist, wenn er in seinem Schaffen unsicher wird oder zwischen ver­ schiedenen Gestaltungsmöglichkeiten sich zu entscheiden hat, und wenn Mängel in der Begabung und im Können, int unbewußten gefühlsmäßigen Schaffen durch die Er­ kenntnis -es Wahren und Schönen zu mildern oder zu beheben sind. Die Anwendung richtiger und richtig er­ faßter Kunstgefehe bedeutet dann stets eine Annähe­ rung an eine Schaffensweise, die im Sinne derjenigen Grundkräste liegt, aus denen die Kunstgesetze selbst her­ vorgegangen sind. Da die künstlerischen Grundkräste, so wie sie durch die Veranlagung gegeben sind, ihrer ganzen Natur nach beständig bleiben, sind auch ihre Wirkungsformen, die sich in -en Kunstgesehen aussprechen, in ihren Wesens­ zügen unveränderlich. Sie überdauern Raum und Zeit und sind unabhängig von dem durch die Veränderlichkeit der Zeitverhältnisse und des Zeitgeistes bedingten Wechsel in den Kunstmeinungen. Infolge des Waltens gleich­ bleibender, einheitlicher Gesetze muß die Entwicklung der Kunst grundlegende innere Zusammenhänge aus­ weisen und gewisse gleichartige und einheitliche Züge be­ wahren und zwar selbst dann, wenn in ihr weit auseinander­ gehende, durch räumliche oder zeitliche Abstände be­ dingte Verschiedenheiten in die Erscheinung treten. Die Gleichartigkeit und Einheitlichkeit spricht sich um so deut­ licher aus, je näher sich die Urheber der Kunstwerke hin­ sichtlich ihrer durch die Abstammung bedingten Ver­ anlagung zur Kunst stehen. Wir finden sie, wenn auch unter Beschränkung aus die Hauptpunkte, an den Kunst-

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Forderungen der Volkskunst.

schöpsungen und Kunstformen aller Völker und Zeiten und in zunehmendem Maße in jenen immer enger wer­ denden Kreisen, in denen sich die Gliederung des Menschen­ geschlechtes bis herab zur einzelnen Künstlerfamilie ab­ stuft. So zeigt sie sich mit einer geradezu die Abstammung kennzeichnenden Deutlichkeit als ein Gemeingut zu­ nächst der großen Urvölter der Menschheit (z. B. der Arier, Mongolen), dann bei den einzelnen Volksstämmen (z. B. den Germanen und Romanen, bzw. den Chinesen und Turkmenen), im weiteren bei den besonderen Zwei­ gen derselben (wie -em der Deutschen und Italiener) und schließlich im engsten Rahmen und deshalb am aus­ gesprochensten bei den Angehörigen einer bestimmten Künstlersamilie (der Holbein, der Caracci usw.). Dem­ nach können wir die Gesetze der Runft in einer ähnlichen Weise ordnen und abstufen wie die Entwicklungsgesetze der Sprachen, die sich ja auch als Ausdrucksformen des Geisteslebens der Menschen herausgebildet, im Zu­ sammenleben verselbständigt und Allgemeingültigkeit er­ langt haben. Wir können also ganz allgemeine oder ele­ mentare Kunstgesetze unterscheiden und solche, welche sich auf einzelne Völker- oder selbst auf einzelne Künstler­ familien beziehen. Die Erkenntnis -er Kunstgefetze ge­ winnen wir am sichersten durch die Kunstvergleichung, wie auch die heutigen Sprachwissenschaften und die von ihnen festgestellten Sprachgesetze saft ganz aus der Sprachvergleichung beruhen. Die Kunstvergleichung geht von den Kunstwerken selbst als den Ergebnissen der künstlerischen Rrofta>itkungen aus. Sie sucht jene Ausdrucksformen zu er­ mitteln, welche durch übereinstimmende Merkmale auf das Walten einheitlicher und gleichartiger Grundkräfte schließen lassen und setzt dann dieselben zu einander in folgerichtige Beziehungen, um ein Gesamtbild dessen zu

Der Stil als Einheitsausdruck gleichartiger Grundträfte.

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erhalten, was sich als Wirtungsform dieser Grund­ kräfte erweist. Die Einheitlichkeit und Gleichartigkeit, welche sich aus dem Walten einheitlicher und gleichartiger Grundkräste und Grundgesetze den Werten der Kunst ausprägt, bilden den Inbegriff dessen, was wir unter Stil verstehen. Wir sprechen davon, daß ein Kunstwerk „Stil" habe, wenn es die Forderungen der allgemeinen Kunstgesetze erfüllt, und daß es den „Stil eines Volkes" ausweise, wenn es den für dieses nach der Eigentümlichkeit seiner Veranlagung maßgebenden Kunstgesetzen entspricht. Den Stil eines Voltes in einer bestimmten Zeit trägt ein Kunstwerk dann, wenn es jene gemeinschaftlichen Züge aufweist, die sich bei diesem Volte unter dem Einfluß des Zeitgeistes und der Zeitverhältnisse herausgebildet habens. Der Stil eines Volkes prägt sich in seinem Kunstschaffen um so deutlicher aus, je mehr es sich seine völkische Reinheit zu wahren verstanden hat. Durch die Beimischung ftemden Blutes werden die untersten Voraussetzungen, die Anlagen zur Runft verändert. Wird es im Übermaß zugeführt, so gefährdet es selbst den Bestand des eigenen Blutes und seiner Lebenskraft. Im Leben der Kunst wiederholt sich dann gewissermaßen der physiologische Vorgang, daß die Einpumpung ftemden Blutes in unsere Adern wohl eine augenbliMche Gefahr abwenden kann, dem eigenen Blut aber nur Stockung und dem Leibe unter Umständen Lähmung bringt. Aber auch aus einem an sich unverfälschten Volts­ körper kann sich ein Stil nur dann zu seiner vollen Höhe *) über das Wesen de» Stil», historische Stile, Ieitstil, Stil eine» Volke» und Eigenstil vgl. K. O. Hartmann „Stilwandlungen und Irrungen" Seite 32 u. f.

und Klarheit entwickeln, wenn seine Grundträfte nicht in ihrem freien Walten unterbunden werden und dadurch Störungen in der Stilausbildung eintreten. Solche Störungen sind namentlich dann zu befürchten, wenn das mehr gefühlsmäßige, den eigenen Antrieben fol­ gende Schaffen durch von außen kommende Anregungen und Einwirkungen aus seinen Geleisen gebracht wird. Insbesondere ist es der Wille, der unter dem Einfluß rein verständlicher Erwägungen das freie Walten der künstlerischen Grundträfte unterbindet. Vorgänge dieser Art zeitigt die Vorherrschaft des Verstandes über das Gefühl auch sonst im menschlichen Leben. Wir müssen beispielsweise oft genug die Erfahrung machen, daß selbst so starke Grundtriebe der menschlichen Natur, wie die Heimat- und Vaterlandsliebe, unter der Beein­ flussung des Willens nicht nur sehr weit in ihrer Wirkung zurückgedrängt, sondern selbst ertötet werden können. Für die Kunst kann die mit dem Gefühl nicht überein­ stimmende oder sogar entgegengesetzte Wirkung der Derstandestätigkeit geradezu zum Verhängnis werden. Am leichtesten unterliegen ihr die mit geringer Schöpferkraft begabten Künstler, die durch ihre Mehrheit meist die Durchschnittehöhe und den Gesamteindruck der Kunst­ leistungen eines Volkes bestimmen. In Zeiten, in denen das Geistesleben eines Volkstums mehr durch die Kräfte des Verstandes als des Gefühls bestimmt wird, ist es deshalb für die Entwicklung der Kunst eine Lebensfrage, daß ihr Wesen klar erkannt und ihre Bedeutung für das Volkswohl gewürdigt werde. Alle Maßnahmen zu ihrer Förderung müssen darauf abzielen, für das Kunst­ schaffen auch die Kräfte des Verstandes in dem Sinne auszurichten, in welchem das künstlerische Grundgesühl nach seiner völkischen Eigenart zu wirken sucht. Unsere ftüheren Ausführungen über die Zeitverhältnisse und

Stilforderungen aus der Wesensart des Deutschtums.

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den Zeitgeist lassen in uns keinen Zweifel darüber aus­ kommen, daß das ganze Leben unserer Gegenwart in ausschlaggebendem Maße unter dem Einfluß -er Wissen­ schaften und der Technik, also der Verstandestätigkeit steht. Wir müssen deshalb darauf ausgehen, in unserer Volkskunst wieder mehr das Gefühl sprechen zu lassen, wenn sie die Forderungen, die an sie als „Kunst" zu stellen sind, erfüllen soll. In bezug auf die Bedeutung der Volkskunst als „Kunst des Volkes" ergeben sich für sie jene Forderungen, welche sich auf die Ausprägung der Wesensart des Volks­ tums beziehen. Um über die deutsche Volkskunst Klarheit zu gewinnen, müssen wir also zurückgehen auf die Grund­ lagen des deutschen Gefühls- und Geisteslebens. Wir müssen uns nach Möglichkeit vertiefen in die Wesens­ art des Deutschtums, in das, was uns von andern unterscheidet und was uns als Deutsche eint. Nur aus diese Weise erschließt sich uns ein Einblick in die Eigenart der deutschen Kunstauffassung, des deutschen Verstehens und Schaffens, in den Hauptinhalt dessen, was dem Deutschen als „schön" erscheint. Wenn wir die Charaktereigentümlichkeiten eines Menschen kennen lernen wollen, so fassen wir seine Lebensweise und seine Taten, also seine Vergangenheit näher ins Auge; wollen wir sie von einer Familie er­ forschen, so schauen wir zurück aus die durch die Erinne­ rung und die Ermittelung erreichbare Vergangenheit ihrer Glieder. Den Charakter eines Volkes lernen wir aus seiner Geschichte kennen. Sie ist ein offenes Buch, das uns die ganze Weisheit des Volkes, seine Sinnesart, seine Wünsche, Prophezeiungen, seine Sagen, Sprich­ wörter und Lieder offenbart. Je tiefer wir in sie ein­ dringen, desto mehr erleichtert sich uns das Verständnis der Kräfte, die seine Entwicklung in der Vergangenheit

bestimmten und auch dem Leben und Streben in der Gegenwart Ziel und Richtung geben. Handelt es sich hierbei um unser eigenes Volk, so werden wir nicht nur in eine besonders gewissenhafte Selbstprüfung ein­ zutreten haben, sondern auch, um möglichst objektiv zu sein, in Vergleich ziehen müssen, wie die andern Völker und die in deren Reihen stehenden, mit fteiem Blick und scharfer Beobachtungsgabe um sich schauenden Zeitgenossen unserer Vorfahren von diesen dachten und sprachen. Eine uralte, vielverbreitete griechische Sage erzählt von -en Bewohnern eines Nordlandes, die in einer ans Übermenschliche grenzenden göttlichen Weisheit und Gerechtigkeit glückselig dahinlebten, und von denen der Gott Apollo kam, welcher den südöstlichen Völkern Europas, insbesondere den Griechen das Licht der Kultur brachte. Wohl dürfen wir einer solchen Volkssage nicht etwa eine geschichtliche Beweiskraft zuertennen. Wir wissen aber aus zahlreichen Ergebnissen neuzeitlicher wissenschaftlicher Untersuchungen, daß dieselben, nament­ lich wenn sie sich auf die Vergangenheit von Völkern beziehen, fast durchweg mit bestimmten Tatsachen oder Begebenheiten in ursächlichem Zusammenhang stehen, von denen die Kunde für viele Menschengeschlechter ver­ loren gegangen war und ost erst nach Jahrtausenden durch die Forschungsarbeiten -er Altertumskunde wieder in das Licht geschichtlicher Erkenntnis gebracht wurden. Diese griechische Sage lenkt unsern Blick auf die Küsten­ länder rings um die Ostsee und auf deren Bewohner, welche schon in sehr ftüher Zeit, lange vor -er sogenannten germanischen Völkerwanderung, eine entwickelte, reife Kunstübung und eine hohe Stufe der Geistesbildung erlangt hatten. Die Zeugnisse ihres Shmft- und Geistes­ lebens, welche sie in außerordentlicher Mannigfaltigkeit

ihren Verstorbenen ins Grab mitgaben, reichen zurück bis ins dritte Jahrtausend, also in eine Zeit, die um ein Jahrtausend der Zeit vorausging, in welcher das Griechen­ tum sich aus dem Völkergeschiebe der dorischen Wande­ rung herauszubilden begann. Von dem nächst den Griechen am meisten genannten Volke der Men Welt auf dem europäischen Boden, den Römern, war zu jener Zeit noch nichts bekannt. Die Urheber dieser Kunst­ erzeugnisse, die Bewohner des Nordlandes, welche sich zu einer so großen Höhe der Bildung des Geistes und der Sitten ausgeschwungen hatten, waren unsere Vor­ fahren, die alten Germanen. Ein germanischer Volks­ stamm war es auch, der nach Überschreitung des Hellesponts und nach seiner Durchdringung mit dem alten Mykenertum diesem das Leben und den Antrieb zu dem Aufschwung zum Griechentum gab *). Die Verwandt­ schaft des Griechentums, mit dem ihm in der Entwicklung vorausgegangenen Germanentum gibt auch der grie­ chischen Sage ihre Bedeutung für das Verhältnis unserer Urvorfahren zu dem auf künstlerischem Gebiete am höchsten stehenden Volke der Alten Welt und für die Beurteilung ihrer Geistes-, Sinnes- und Wesensart durch dieses Volk, die Griechen. Nachdem die alten Germanen durch ihre Berührung mit dem Römerreiche in das Licht' der beglaubigten Ge­ schichte eingetreten waren, gab der scharf beobachtende und vielgereiste Geschichtsschreiber der Römer, Tacitus, *) Die Angaben der Überlieferung von der Urverwandtschaft

de» Griechentum» mit dem Germanentum werden durch ethno­ logische Vergleiche bestätigt. Der Typus der griechischen und ger­ manischen Frauen sind sich, wie feder feinfühlige Künstler weih, zum Verwechseln ähnlich, und di« Übereinstimmung der griechischen

Männergestalt mit der deutschen wmde auf der Stuttgarter Ge­ sundheitsausstellung v. g. 1914 durch ausfallende Beispiele dargetan.

von ihnen ein treffendes und anziehendes Bild. Doll Hochachtung spricht er davon, wie weise und klug sie waren im Frieden wie im Krieg, wie einfach und natür­ lich, keusch und sittenrein sie lebten, wie frei sie sich fühlten, wie kühn und gerecht sie waren und namentlich auch, wie sie das Gold verachteten, dessen tückischer Wert ihnen bekannt war (z. vgl. die Nibelungensage). Ebenso wie Tacitus bringt auch Cäsar seine Bewunderung der Germanen zum Ausdruck. Während in Rom der Reich­ tum der unterworfenen Völker zusammenströmte, wo er in Wohlleben und rohen Schaustellungen zur Be­ friedigung der Pöbellust und namentlich auch zur Er­ werbung der Dolksgunst behufs Erlangung politischer Vorteile verschwendet wurde, saßen die Germanen ab­ seits und pflegten ihr Familienleben, ohne sich um Welt­ macht und Gelderwerb zu kümmem. So wuchs das gegenseitige Vertrauen auf, die Treue zur Familie, zur Dlutsbrüderschast, der Sinn für Wahrheit und Ge­ rechtigkeit, Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit, für Anterordnung und Bescheidenheit, für das Aufgehen des ein­ zelnen im großen Ganzen seiner Familie und des Fami­ lienverbands. So entwickelte sich auch das reiche Innen­ leben der Germanen. Es wurde zur Eigentümlichkeit ihrer Gemütsanlage, die hauptsächlich innere Befriedigung sucht, nach außen bescheiden zurücktritt und darauf verzichtet, glänzend hervorzutreten. Fremd war den Germanen insbesondere die niemals sich besriedigende Gier nach immer neuem Besitz und neuem Ge­ nuß. Ein Zeugnis dafür aus dem Mittelalter haben wir von dem gelehrten Antonius Maginus von Padua aus dem Jahre 1480. Dieser weist daraus hin, daß die Deutschen seiner Zeitsich die Wesensart der alten Germa­ nen unverändert bewahrt haben, ihre Würde und ihre Tugend. Er rühmt die Beständigkeit ihres Charakters,

Wesensart des Deutschtums.

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ihre kriegerische Entschlossenheit und Tüchtigkeit, ihre Kühnheit und Tapferkeit. Dabei nennt er sie arbeitsam, treu, mildtätig und stark in ihren Sitten. Im Verkehr mit andern Völkern sei ihre Geistesbildung immer schöner hervorgetreten. In jeder Art Wissenschaft schreiten sie voran, pflegen aufs beste die griechische und hebräische Sprache und zeigen sich erstaunlich klug und erfinderisch. So haben sie nicht nur vor kurzem die Buchdruckerkunst erfunden, sondern auch die Erz-, Eisen- und Metall­ künste zu einer bewunderungswürdigen Höhe gehoben. Ein Jahrhundert später schrieb ein anderer geistreicher italienischer Gelehrter, der Philosoph Giordano Bruno, nachdem er die Deutschen näher kennen gelernt hatte: „Gib o Jupiter den Deutschen, daß sie ihrer Kraft sich bewußt werden und daß sie sich höhere Ziele stecken, und sie werden nicht Menschen, sondern Götter sein". Daß auch in der späteren Zeit bis in unsere Gegen­ wart der Charakter des deutschen Volkes sich im ganzen unverändert erhalten hat, dafür gibt uns die große nationale Erhebung im August des Jahres 1914 ein sprechendes Zeugnis. Zn der Art und Weise, wie die deutschen Stämme sich einmütig erhoben, um die von drei Seiten in gefährlicher Übermacht anstürmenden mißgünstigen und beutegierigen Feinde abzuwehren, wie sie sich um ihr staatliches Oberhaupt scharten, ihren Führern vertrauten und folgten, offenbart sich ein Wiederaufflammen urgermanischen Wesens wie in der Teutoburger Schlacht, in der Völkerwanderung und in den Freiheitskriegen. Ihm entquoll mit einem Schlage die Begeisterung des Volkes, das Zusammenwirken aller seiner Kräfte und die selbstlose Hingabe aller Volksglieder an das große Ganze. Das Bild, welches das deutsche Volk im Verlaufe des Krieges an Heldentaten der Vater­ landsliebe und der Aufopferung entrollte, ist ein so Hartmann, Daltakunst.

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glänzendes, -aß es auch durch weniger erfreuliche, aus dem allgemeinen Rahmen fallende Einzelerschei­ nungen nicht getrübt werden kann. „In Fährden und in Nöten zeigt erst das Volk sich echt," sagt unser schwäbischer Dichter Uhland; in -en Fährden und Nöten dieses furchtbaren Daseinskampfes des deutschen Volkes tritt auch für unsere Gegenwart mit überzeu­ gender Klarheit zutage, was deutsches Wesen, deutsche Art ist. Deutsch ist vor allem die Ausrichtung der geistigen Entwicklung aus das Hochstehende und Höchste. Sio zeigt sich am deutlichsten in der Dichtkunst, deren Werke zum Erhabensten dessen gehören, was je der menschliche Geist ersonnen hat. Die dem Deutschtum entsprechende Geistesbildung wendet sich aber nicht lediglich an den Verstand, sondern auch an das Gemüt. Ihm entspringt der Idealismus, der eine Reihe kennzeichnender Charakter­ eigenschaften des Deutschtums bedingt: Ehrfurcht vor dem Alten, vor großen Ausgaben, dem Unerkennbaren, dem Göttlichen; Abneigung gegen alle Neuerungssucht, gegen Oberflächlichkeit, den falschen Schein, das Unechte und Unheilige. In engem Zusammenhang mit diesen Lharakterzügen steht -er hochentwickelte Sinn für Wahr­ haftigkeit und für strenge, uneigennützige Sachlichkeit und Rechtlichkeit. Diese greift weit hinaus über das engere Interessengebiet -es Deutschtums. Es ist von jeher deutsche Art gewesen, den Menschen und Dingen auch außerhalb des deutschen Dolkskreises nach bestem Willen gerecht zu werden und sich für die bedrohten oder ver­ gewaltigten Lebensinteressen anderer Völker mit größter Selbstlosigkeit, ja sogar mit Selbstaufopferung einzu­ setzens. Ein hervorstechender Charakterzug des Deutschx) Beispiele hierfür bietet die Geschichte in so vielen Fällen,

-aß der gedankentiefe Wilh. Raabe in di« bewegliche Klage aus-

tums ist das tiefe Mitleid mit den Leidenden, mit der verfolgten Unschuld, mit der durch Unglück heimgesuchten Menschheit. Dieses Mitleid, ein Ausfluß der tiefen, dem ganzen germanischen und in besonders hohem Maße dem deutschen Volkstum eigenen Gemütsanlage, hat sich auch in der neuesten Zeit in einer für andere Völker geradezu unverständlichen Opferwilligkeit betätigt. Wir brauchen nur an die nach dem letzten großen sizilianischen Erdbeben von deutschen Spargeldern nach Italien ge­ schickten Millionen zu denken, von welchen dort, wenn dies überhaupt der Fall war, nur ein verschwindend kleiner Teil in die Hände der Betroffenen gelangte. Man denke ferner an die reiche, nach Paris bei der dor­ tigen Seineüberschwemmung geflossene Geldspende und an die mit höchster Lebensgefahr ausgeführte Rettung belgischer Bergarbeiter durch deutsche Hilfsmannschasten, deren selbstlosem Liebeswerk die eigenenLandsleute der Verunglückten, die Belgier, taten- und fast teilnahmslos gegenüberstanden. Und dann vergegenwärtige man sich noch die Unterschiede in der Behandlung der Kriegs­ gefangenen bei uns und in den feindlichen Ländern! Wir haben vielfach Undank und zum Teil sogar Hohn für unsere Beweise edler Menschenfreundlichkeit ge­ erntet Trotzdem haben uns bisher auch solche Erfah­ rungen in der Folge nicht abgehalten, derartige Taten bei der nächsten Gelegenheit zu wiederholen. Denn darin liegt das wahre Deutschtum, daß es den Hilfs- und opferbereiten Beistand auch über die engeren Grenzen der Volksgemeinschaft hinaus als eine selbstverständliche und gebotene Erfüllung der allgemeinen Menschheits­ ideale und Menschenrechte empfindet. brechen konnte: »Da» deutsche Doll war, wie gewöhnlich, von der Vorsehung

auserkoren, für das Heil der Menschheit ans Kreuz

geschlagen zu werden."

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Forderungen der Volkskunst.

Der dem deutschen Volte als urgermanisches Erbgut eigene tiefe rechtliche Sinn äußert sich auch in der Auf­ richtigkeit der Gesinnung, in -er Treue gegenüber der Familie, dem Freund, dem Herrscher, dem Vaterlande, in der Unterordnung und Einfügung in den jedem ein­ zelnen zutommenden Wirkungskreis. „Vernunft, reine Humanität, Einfalt, Treue und Wahrheit," sagt Herder, „das ist der Charakter der deutschen Nation". Deshalb ist dem Deutschen auch der Heuchler und Schwätzer zu­ wider, desgleichen jede lärmende Selbstüberhebung ins­ besondere in Wort und Schrift. Innerlichkeit, Selbst­ beschränkung und geräuschlose Arbeitsamkeit bestimmen seine Lebensrichtung. Schaffenslust und Schaffensdrang sind dem Deutschen angeboren. Schon ein altes latei­ nisches Sprichwort sagt, -aß die Deutschen lieber wirken als schreiben wollten. Die Hingabe an die Arbeit führt zur Vertiefung in ihre Sonderausgabe und diese zur Gründlichkeit im Erkennen und im Schaffen. In engem Zusammenhang mit ihr steht eine außerordentliche Erfindungskraft, die auf allen Gebieten des Geistes­ und Wirtschaftslebens als eine geschichtliche Tatsache in Erscheinung tritt. Sie gibt dem Deutschtum zu der schon durch seine völkische Zusammensetzung bedingten Mannigfaltigkeit in der Ausgestaltung des politischen und bürgerlichen Lebens noch eine große Vielseitigkeit in der Ausdrucksfähigkeit der Formen. „So lange die Deutschen dichteten, hatte sich ihnen die schöne Form immer aus dem reichen Inhalt ergeben", sagt Treitschke; es gilt dies auch von allen andern Gebieten des deutschen Schaffens. Eine ergiebige Kraftquelle wertvoller Anregungen und Einwirkungen auf das Gemüt bildet für den Deutschen von jeher die hingebungsvolle Pflege des Familien­ lebens und die Liebe zur Heimat, zu Haus, Garten,

Wesensart des Deutschtums.

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Baum und Strauch, zu den heimischen Feldern und Wäldern, überhaupt zur Natur, aber auch zu den hei­ mischen Sitten und heimischen Trachten. Die Anhäng­ lichkeit an die eigene Familie und an die Heimat überträgt sich auf den Familienverband und aus das heimatliche Land. Auch in diesem größeren Rahmen, der durch die Stammeszugehörigkeit gegeben ist, offenbart sich im Gemeinschaftsleben das Festhalten des Deutschen an seiner Sonderart, an den Lebensanschauungen, den Ge­ wohnheiten, der Arbeitsweise, an dem Maßstab, mit dem er andere mißt und an allem, was sein Inneres, sein Tun und Lassen bestimmt. Schon von alten Zeiten her ging jeder Stamm gern seinen eigenen Weg. Ein großer Selbständigkeitsdrang sprach sich hierin aus. Aber auch viel Uneinigkeit war die Folge. Der Deutsche war eben immer ein Eigenbrödler. Sobald aber Haus und Hof in Gefahr gerieten und es galt, fremde Ein­ dringlinge und Eroberer abzuwehren, so war es deutsche Art, sich zusammenzuschließen und mit vereinter Kraft die Feinde niederzuschlagen. Diese Kraft erwies sich immer als unerstlckbar. Während andere Völker nach einer Blütezeit meist herabsanken auf eine Stufe des völligen Stillstandes oder Niederganges, hat das deutsche Volk auch bei dem sehr wechselvollen Verlauf seiner Ge­ schichte eine stetige Emporentwicklung auszuweisen. Mit seiner gegenwärtigen Stufe hat es einen Hochstand ohne gleichen erreicht. In der Weltgeschichte gibt es kein zweites Beispiel dafür, daß eine Nation durch harmonisches Ent­ falten, Disziplinieren und Organisieren sämtlicher geistigen, moralischen und materiellen Kräfte sich auf jene Höhe der Macht und Tatkraft emporgeschwungen hätte, über welche das heutige Deutschland verfügt. Diesen Hoch>stand verdankt Deutschland nicht nur der Erhaltung und fortgesetzten Steigerung der seinem Volkstum ange-

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Forderungen der Volkskunst,

borenen geistigen und sittlichen Eigenschaften und Fähig­ keiten, sondern auch der außerordentlichen Gesamt­ summe der seinen Gliedern innewohnenden nationalen Kräfte. Auch andere Völker zählen ausgezeichnete Köpfe in ihren Reihen, zuzeiten vielleicht mehr als unser Volkstum; aber die geistige und sittliche Höhe des all­ gemeinen Doltsdurchschnitts wird sonst nirgends erreicht. Einer weiteren für die Entwicklung der Kunst wich­ tigen Eigenart des deutschen Wesens haben wir noch zu gedenken. Der deutsche Geist sucht in seinem ernsten Streben, der Kunst und Wissenschaft zu dienen und in seinem treuen Forschen nach Wahrheit und ewigen Ge­ setzen alles in der ganzen Welt zu umfassen und zu ver­ stehen. Er vertieft sich deshalb mit liebevoller Hingabe in die Wesensart anderer Völker und in deren Geistes­ leben, Kunst, Technik usw. Dieser großen Aufnahme­ fähigkeit für das Fremde verdankt das Deutschtum eine hohe Summe von Anregungen und von geistigen und materiellen Werten, mit deren Eingliederung und Fort­ bildung es seinen eigenen Besitzstand stets in außer­ ordentlichem Maße zu bereichern verstand. Die Hin­ neigung zum Fremden birgt aber auch schwere Gefahren in sich. Sie liegen in der Zurückdrängung des dem Deutsch­ tum Ureigenen, in -er Vermischung von Angestammtem und Fremdem, in -er Verdunkelung der Ziele und Wege des reinen Deutschtums auf allen Gebieten des Schaffens. Es wäre nämlich ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, die Kraft unseres Volkstums ringe sich unter allen Umständen durch und sei völlig unverwundbar. Goethe sagt: „Für eine Nation ist nur das gut, was aus ihrem eigenen Kern und ihrem eigenen allgemeinen Be­ dürfnis hervvrgegangen ist, ohne Nachäffung eines andern; denn was dem einen Volke auf einer gewissen Altersstufe eine wohltätige Nahrung sein kann, erweist

Gefährdung des deutschen Wesens.

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sich einem andern vielleicht als ein ©ist". Dieser Sah enthält für uns, namentlich in der Gegenwart, die ernste Mahnung, der Frage der Reinerhaltung unseres Volks­ tums und den Machenschaften, die ihm schädlich sind, nicht etwa gleichgültig gegenüber zu stehen und allenfalls -em Glauben Raum zu geben, als könnte man darauf verzichten, sie für die Zukunft sicher zu stellen. Wir sahen, wie kurz vor dem Kriege ein zu unserer ange­ stammten Sinnesart int Widerspruch stehendes Streben wie ein Fieber große Teile unseres Volkes ergriffen hatte, ein Streben, das nur auf Geld und Gut um jeden Preis ausging, und welches dafür Gesundheit, Seelenftieden, Nächstenliebe und bisweilen selbst die Ehren­ haftigkeit mit in den Kauf gab, ein Streben nach dem Genuß, dem „Sichausleben", das sogar in ganz bedenk­ lichem Maße die unreife Fugend erfaßte. Während des Krieges zeigten sich mit erschreckender Deutlichkeit die Nachwirkungen dieses Geistes. Wir mußten einen Mangel an Gemeinsinn erfahren, der sich in der Habsucht und Profitgier und in der gewissenlosen Ausbeutung der Notlage anderer so breit machte, daß tiefeinschneidende Gesehesmaßnahmen zur Einschränkung der aus ihr sich ergebenden allgemeinen Schäden notwendig wurden. Diese Erscheinungen sind in ihren Anfängen sicher nicht aus dem reinen Deutschtum hervorgegangen; sie sind vielmehr die Folgen des Eindringens eines ftemden Geistes, dessen böses Beispiel verheerend auf unsere Dolksmoral wirkte und die Tieserblickenden und Un­

sichtigeren mit der ernsten Sorge erfüllen mußte, daß -er Glaube und das Vertrauen in des Volkes Art und Wesen unterzugehen droht. Glücklicherweise werden diese Schattenseiten unseres heutigen Volkslebens weit überstrahlt von dem glän­ zenden Licht einer wunderbaren nationalen Erhebung

-er besten Männer und Frauen unseres Volkes. Von ihnen ist eine mächtige Welle erhabenen Idealismus ausgegangen und über ganz Deutschland dahingeflutet. Sie hat einen starken sozialen Geist und einen uner­ schöpflichen Opsersinn gezeitigt und unendlich Großes und Schönes im Sinne des reinen Deutschtums erzeugt. Von diesen Männern und Frauen darf man auch erwarten, daß sie, wenn einmal die Zeiten der Not, die kein Gebot kennt, glücklich überwunden sein werden, ihren Idealis­ mus einsetzen zur Kräftigung und Schärfung -es deutschen Sinnes, so daß das wahre Wesen unseres Volkstums richtig erkannt wird, und daß es nach Möglichkeit bewahrt bleibt vor verhängnisvollen Entgleisungen und Irrungen. Sie werden ein wachsames Auge darauf richten, daß künftighin von Fremdem nur das ausgenommen wird, was sich als nützlich und wertvoll erweist und ohne Wider­ sprüche eingliedern läßt in unser angestammtes Erbgut. Ein gesunder Realismus, der sich schon in unserer Schaf­ fenslust und Schassensart verkörpert und auch im Kriege sich so glänzend bewährte, muß mit dem Idealismus eine fruchtbare Verbindung eingehen. In keinem Falle dürfen wir daran denken, unserm Volke den so stark aus­ geprägten Drang in die Ferne, in ftemde Länder, in ungemessene Weiten der Welt zu verkümmern und die Aneignung solcher fremder Errungenschaften, die uns nützlich sind, zu unterbinden; am allerwenigsten sollen vor der freien, ungehemmten, aus alle Gebiete des Lebens und die Erscheinungen der Welt und ihrer Dinge sich er­ streckenden Forschung nationale Schranken errichtet wer­ den. Auch der Drang ins Weite ist eine jener Kräfte, denen wir den Sieg der deutschen Sache zu verdanken haben; er darf aber nicht dazu verleiten, über die eigene Stammesart, über die hohen Werte deutschen Schaffens, deutscher Wissenschaft, Technik und Kunst, deutscher Er-

Kräftigung und Schärfung deutschen Sinnes.

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findungskaft, Rührigkeit und Betriebsamkeit, wie sie seit vielen Hunderten von Jahren in stets wachsender Fülle hervorgebracht worden sind, mit Geringschätzung hinwegzusehen. Die gründliche Kenntnis des eigenen Dolles ist immer und unter allen Umständen das in erster Linie Wichtige und Notwendige; aus ihr allein kann der richtige Maßstab für die Beurteilung fremder Wesensart und dafür gewonnen werden, was von dieser als uns selbst zuträglich und wertvoll übernommen werden kann. Auf -er Eigenart unseres Volkstums beruht unsere hohe Stellung im Kreise der Völker. Nur wenn wir sie un­ geschwächt bewahren dadurch, daß wir uns von dem ver­ giftenden und zersetzenden Treiben wesensfremder Ein­ flüsse frei halten und unsern eigenen Dolksgeist pflegen, sichern wir uns auch für die Zukunft jene hohe Stellung und eine glückliche Entwicklung. Unser Dolksgeist wird am besten gepflegt durch die Hingabe an ein glückliches Familienleben und durch die Versenkung in die Geistesschätze unseres Volkes, so wie sie sich in den Werken unserer alten Denker, Dichter und Künstler offenbaren. Mit ihr erhalten und stärken wir die tiefsten Wurzeln unserer Kraft, den Glauben an das deutsche Volk, die Liebe zu ihm und die feste Zuversicht, daß wir, wie nach außenhin, so auch im Innern siegen werden über das, was der Entfaltung unseres nationalen Geisteslebens entgegensteht. Auch der Krieg wird hierin seine heilsamen Wirkungen auf uns ausüben. Der un­ geheuere Kraftaufwand wird eine allgemeine Ermüdung, ein Erholungsbedürfnis des in schwerstem Daseinskampfs der Todesnot entronnenen Volkes, eine Sehnsucht nach Ruhe zur Folge haben. Unter dem Druck der Zeitverhältnisse, insbesondere der Lasten des Krieges, werden wie vor hundert Jahren die Gebote der Beschränkung auf das Wesentliche und das Notwendige unser Volk

zurückführen auf die alten bürgerlichen und echt deut­ schen Tugenden der Enthaltsamkeit und Sparsam­ keit, des weitgehenden Verzichts auf entnervenden Lebensgenuß und auf leichten Erwerb von Geld und Gut. Sie werden unsere Gedanken ausrichten auf die Anteilnahme an den Aufgaben des höheren geistigen Lebens und insbesondere auf die unser Dasein vor allem verklärende Kunst. Und zwar wird es die aus unserm Volkstum, unserer Wesensart geborene deutsche Kunst sein, die am unmittelbarsten zu uns spricht. Ihre Schön­ heit, ihren tiefen Sinn empfänglichen und bildungs­ eifrigen Gemütern näher zu bringen wird dann eine besonders dankbare Aufgabe für zahlreiche Kräfte sein, die heute am Gemeinwohl im Dienste der Stärkung unserer Macht nach außen tätig sind und sich nach dem Kriege dem Ausbau unseres Volkslebens im Innern zuwenden. Die Erfolge im Sinne einer Hebung des Volks­ lebens durch Anteilnahme des Gesamtvolkes an den Segnungen der Kunst werden davon abhängig sein, in welchem Maße es gelingt, das Verständnis für die Eigenart unserer deutschen Kunst, für ihren reichen Inhalt und ihre besonderen Vorzüge und Reize in den breitesten Massen zu erschließen, zu entwickeln und zu pflegen. Alle darauf abzielenden Maßnahmen müssen vom Verständnis des Charakters unseres Volkes ausgehen, da wir nur aus ihm volle Klarheit über -en Charakter unserer Kunst gewinnen können. Eine nähere Begriffsbestimmung oder Umschreibung dessen, was an den Werken der Kunst selbst das eigentlich Deutsche aus­ macht, kann aber nur in bezug auf gewisse allgemeine Grundzüge des deutschen Schaffens gegeben werden. Diese kamen stets, auch während der stilistischen Wandlungen der Jahrhunderte, überall da zum Durch­ bruch, wo das Deutschtum einen bestimmenden Einfluß

Allgemeine Erundzilge des deutschen Kunstschaffens.

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auf das Geistesleben ausgeübt hatte. Am besten werden diese Grundzüge durch Vergleichen von Kunstwerken deutscher Eigenart mit denen von andern Völkern er­ kannt und zwar besonders dann, wenn man auch Werke aus den Gebieten der hohen Stunft einbezieht, da diese in ihrem freien Schassen Inhalt, Absicht und Form vielfach deutlicher zum Ausdruck bringen, als die durch die Rücksichten auf die Gebrauchszwecke gebundenen angewandten Künste. Als erster und bedeutsamster Grundzug der deutschen Kunst tritt schon in jener Zeit, in der die machtvolle Eigenentwicklung des Deutschtums anhebt, d. i. mit Beginn des 2. Jahrtausends n. Chr., in den großen mittel­ alterlichen Domen zutage: Die Ausrichtung der Kunstgedanten auf das Große und Erhabene, das Hochstehende und Höchste, aus das Göttliche. Wohl sind auch bei den Romanen diese Dome bisweilen in ebenso riesigen, zum Teil noch größeren Abmessungen angelegt wie bei uns. Während bei jenen aber die Raumgestaltung mehr in die Breite geht, zeigt sie an den deutschen Domen einen auffallenden, mit der wei­ teren Fortbildung der mittelalterlichen Baukunst immer noch wachsenden Höhendrang. In ihren späteren Schöp­ fungen, an den Domen der gotischen Blüte- und Spät­ zeit, spricht sich das Himmelanstrebende selbst in allen einzelnen Baugliedern durchgreifend und überzeugend aus. Das ganze Bauwesen erscheint als ein geschlossener Organismus, von dem kein wichtiges Glied der Kon­ struktion losgelöst werden kann, ohne daß die Konstruk­ tion verletzt oder zerfallen würde. Kein einziger Bauteil hat eine so selbständige, in sich abgeschlossene Stellung und ästhetische Eigenart wie z. B. die Säule in der italienischen Shmft, die vielfach ohne Gefahr für den Bestand des Ganzen aus diesem! herausgenommen,

durch eine andere Form ersetzt oder anderweitig ver­ wendet werden könnte. Wir sehen hierin ein Spiegel­ bild des deutschen Grundgesühls der Stammeszuge­ hörigkeit, des Gebundenseins jedes einzelnen an die Gesamtheit, der strengen Ein- und Unterordnung in die von dieser gestellten Aufgabe. Im weiteren wird an den deutschen Domen der Grundzug der Wahrhaftigkeit deutlich offenbar. Alle Bauglieder, vom Sockel bis zum Gesimskranz, von den Strebepfeilern und Strebebogen bis zu der Kreuz­ blume, von den innern Wanddiensten bis zum Schluß­ stein der Gewölberippen, tragen ihre Aufgabe mit einer nicht zu übertreffenden Wahrhaftigkeit zur Schau. In gleich eindrucksvoller Weise zeigt sie sich an den malerischen und plastischen Darstellungen. In der Art, wie diese die Vorgänge erzählen und die Personen und deren Umgebung bezeichnen, offenbart sich uns im Gegensatz zu den meisten zeitgenössischen Werken der italienischen und ftanzösischen Kunst ein völliger Verzicht aus den äußerlichen Schein, auf die gefallsüchtige Stellung, die schöne Gebärde. Aufrichtigkeit in der Gesinnung und im Ausdruck, Treue und strenge, uneigennützige Sachlichkeit geben auch den bildlichen Darstellungen das Gepräge. Das Individualistische tritt im Schaffen fast ganz zurück; der Künstler geht auf in der Hingabe an die Sache um ihrer selbst willen, an seine hauptsächlich aus das Göttliche gerichteten Ideale. In enger Verbindung mit dem Idealismus steht ein Hauptzug des deutschen Denkens und Schaffens, die auf das tiefste Wesen einer Sache eingehende Gründ­ lichkeit. Wir sehen sie schon aus den bildlichen Dar­ stellungen in der Art und Weise, wie alle Einzelheiten selbst an Nebensächlichem, wie z. V. an Trachten, Rü­ stungen, Inneneinrichtungen, Hintergründen usw. be-

Allgemeine Grundzüge des deutschen Kunstschaffens.

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obachtet und mit liebevoller Sorgfalt wiedergegeben wurden, am überzeugendsten aber in den Hauptwerken der Baukunst. Ohne sie wäre eine so vollkommene Ver­ wirklichung der von dem späteren Mittelalter an die großen Kirchenbauten gestellten unerhörten Aufgaben, die nur mit einer aufs höchste gesteigerten Ausbildung der Theorie und Konstruktion gelöst werden konnten, nicht denkbar gewesen. Die Massen sind hier nach Quer­ schnitt und Form bis zur äußersten Grenze der Tragund Widerstandsfähigkeit so aufgelöst, daß man geradezu von einer Vergeistigung der Materie sprechen kann. Die deutschen Meister erreichten deshalb in den großen Turmbauten der Haupttirchen das höchste Maß künst­ lerischer und folgerichtiger Ausgestaltung, deren die Gotik überhaupt fähig war. Sie waren dafür auch im Auslande bekannt. Wir weisen nur darauf hin, wie wiederholt deutsche Meister an den Dombau nach Mai­ land gerufen wurden, wenn die Italiener den an ihm auftretenden konstruktiven Schwierigkeiten ratlos gegen­ überstanden, wie ein deutscher Meister auch das Haupt­ stück der Gotik in Spanien baute, die Westtürme der Kathedrale in Burgos. Auf der gründlichen Beherr­ schung der Massen im ganzen wie im einzelnen beruht die Unmittelbarkeit, das Fesselnde und Überwältigende des Eindrucks ihrer Werke. Wie nahm doch das Straß­ burger Münster, das Werk des Meisters Erwin von Steinbach, den jungen Goethe in seinen Bann, der von Hause aus ganz gewiß nicht im mittelalterlichen Geiste und in dessen Lebensauffassung befangen war: „Als ich auf Deinem Grabe herumwandelte, edler Erwin, und den Stein suchte, der mir deuten sollte: Anno domini 1318. XVI. Kal. Febr. obiit Magister Ervinus... Was braucht's Dir ein Denkmal! Du hast Dir das herrlichste errichtet... Ein ganzer, großer Eindruck füllte meine Seele, den,

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Forderungen der Volkskunst.

weil er aus tausend harmonierenden Einzelheiten be­ stand, ich wohl schmecken und genießen, keineswegs aber erkennen und erklären konnte. Sie sagen, daß es also mit den Freuden des Himmels sey. Wie ost bin ich zurückgekehrt, diese himmlisch irdische Freude zu genießen, den Riesengeist unserer älteren Brüder in ihren Werken zu umfassen. Wie oft bin ich zurückgekehrt, von allen Seiten, aus allen (Entfernungen, in jedem Lichte des Tages zu schauen seine Würde und Herrlichkeit. Schwer ist's dem Menschengeist, wenn seines Bruders Werk so hoch erhaben ist, daß er nur beugen und anbeten muß... Und nun soll ich nicht ergrimmen, heiliger Erwin, wenn der deutsche Kunstgelehrte, auf Hörensagen neidischer Nachbarn, seinen Vorzug verkennt, Dein Werk mit dem unverstandenen Worte Gothisch verkleinert, da er Gott danken sollte, laut verkündigen zu können, das ist deutsche Baukunst, unsere Baukunst, da der gtaliäner sich keiner eige­ nen rühmen darf, noch weniger der Franzos...'"). Es war von jeher ein besonderer Vorzug der deutschen Kunst, tiefen Problemen auf den Grund zu gehen, da wo die *) Der etwa erhobene Einwand, der gotische StU dürfe nicht oder wenigstens nicht in erster Linie als Errungenschaft des deutschen, des germanischen Daugeiste» angesehen werden, da seine Entstehung nach Frankreich weist und von dort aus nach Deutschland verpflamt wurde, ist nicht haltbar. Wohl ist der gotische Stil dem Boden Frankreichs entsprossen, jedoch nicht als eine wesentliche Frucht de» ftanz. Volkstums. Er erscheint zuerst im Norden Frankreichs, da wo da» romanische Blut am stärksten von dem germanischen der Kelten, Franken und Normannen durchsetzt war, al» eine, wenn auch nicht ausschließliche Schöpfung germanischen Geistes. Er fand auch in den germanischen Ländern seine höchste Aus­ bildung, während die in ihrer ganzen Kunstauffassung der Antike zuneigenden rein romanischen Völkerschaften sich nur in geringem Matze an seiner Entwicklung beteiligten, gu vgl. K O. Hartmann, Die Baukunst in ihrer Entwicklung von der Urzeit bi» zur Gegen­ wart, Band II Seite 75 u. f., Leipzig 1911.

Allgemeine Grundzüge des deutschen Kunstschaffens.

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romanischen Völker sich mit einer anscheinend klaren, in Wirklichkeit aber nur bequemen Formulierung begnügten. Die deutsche Gründlichkeit wird auch in der scharfen Kennzeichnung des Charakteristischen offenbar, wie sie besonders klar in den Werken Dürers, des größten und vielseitigsten unter den darstellenden Künstlern Deutschlands, zur Erscheinung kommt. Während die Romanen hauptsächlich aus die äußere Formschönheit ausgehen und deshalb die Naturformen vereinfachen und vereinheitlichen, um Schönheitstypen zu bilden, läßt den Deutschen das rein Formale, Gefällige, Glatte und Abgerundete unbefriedigt, da es für ihn die Aus­ drucksfähigkeit beeinträchtigt. In seinen Werken sollen vor allem Kraft und Charakter zum Worte kommen; deshalb liegt ihm das Herbe, Eckige, Zackige und Winkelige näher, als die sorgfältig gerundete und geglättete Form. Im Formalen sieht er nur das Mittel für den großen, nach Ausdruck ringenden Inhalt. Am auffälligsten ist dieser Unterschied in der Musik, jenem Zweige der all­ gemeinen Künste, -er am tiefsten dem Innern des Menschen entquillt und am unmittelbarsten seine Wir­ kung aueübt. In bezug auf den Inhalt liegen dem deutschen Künstler die Wirkungen auf das Gemüt besonders nahe. Wir sehen an den Werten der großen deutschen Künstler, wie neben der Tiefe und Ursprünglichkeit der Auffassung des Stoffes an sich der Blick für den Ausdruck der Gemütsbewegungen auf die feinste Beobachtung geschult ist. Die Deutschen gehen vor allem aus die Erzeugung von Stimmungen aus, solche der Frömmigkeit, Andacht und Erbauung, der Teilnahme an traurigen, aber auch fteudigen Anlässen in größter Mannigfaltigkeit. Deshalb wenden sie sich hauptsächlich den religiösen Stoffen zu, den Bildern aus der Bibel.

und heiligen Legenoe, aber auch und zwar mit Vorliebe den Bildern aus dem deutschen Sagenkreis, aus dem Leben, aus Dorf und Stadt, aus der Familie. Im Interesse des verstärkteil Stimmungsausdrucks ziehen die deutschen Künstler auch weitergreifende stoffliche und künstlerische Mittel heran, als die Romanen. Diese lenken in ihren bildlichen Darstellungen das Augenmerk vor allem aus die menschlichen Gestalten selbst. Die Deutschen schildern aber die handelnden Menschen inmitten ihrer Umgebung, mit dem Raum, in den sie gestellt sind, mit den Vorder- und Hintergründen, durch welche die Umstände der Handlung näher und oft mit sehr be­ zeichnenden Einzelheiten angedeutet sind. So sehen wir auf ihren Bildern das Innere von Kirchen und Kapellen mit den Altären und kirchlichen Geräten, aber auch das behagliche Zimmer des Bürgerhauses mit dem ganzen Reichtum seiner Einrichtung. Durch die Fenster eröffnet sich uns — bei Darstellungen im Freien aus den Hinter­ gründen — ein Blick auf das Haus, den Garten, die Straßen, die Stadt mit ihren Türmen, Kirchen und Giebeln, auf Felder mit ihren gewundenen Wegen und Flüssen, auf Berge mit krönenden Burgen. Wir sehen an diesen Bildern, wie sehr das Heimatgesühl die deutschen Künstler leitet, im weiteren aber auch ihre große Liebe zur Natur, in deren Schönheiten sie sich mit voller Hingabe versenken. An künstlerischen Mitteln wird von den Deutschen auch eine reiche Far­ bengebung für die Erzeugung von Stimmungen heran­ gezogen. Im Innern der Kirchen verstärkt geheimnis­ volles, durch die buntfarbigen Glasfenster gebrochenes Dämmerlicht die Wirkung auf die Stimmung der zur Erbauung, Erhebung und Andacht versammelten Ge­ meinde. In der Malerei tritt bis in die neueste Zeit hinein — man denke nur an die Werke der kerndeutschen

Allgemeine Grundzüge des deutschen Kunstschaffen».

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Meister Böcklin und Uhde — eine besondere Vorliebe für tiefe und leuchtende oder auch für verschwommene, dämmerige, nach dem Licht- und Lusteindruck eines Raumes, einer Landschaft, einer Jahres- oder Tageszeit usw. sorgfältig abgestimmte Farben. Richt selten liegt gerade an der eigentümlichen Farbenstimmung der Haupt­ grund für die unmittelbare und tiefgehende Wirkung der Bilder im Sinne der von den deutschen Künstlern vor allem angestrebten Darstellung von Gemütsbe­ wegungen und der seelischen Erregung. Auch die Romanen wenden sich dem Ausdruck seelischer Er­ regungen zu. Ihr Ziel ist aber mehr die Darstellung der formalen Schönheit im Schmerze oder in der Freude, als des Schmerzes oder der Freude an sich. Die Deutschen gehen hierin in ihrer strengen Wahrhaftigkeit und scharfen Charakteristik viel weiter, namentlich auch in den Ausdrucksmitteln. Sie stellen die Farbe in einem bei den Romanen nicht anzutreffenden Maße selbst in den Dienst der Plastik, indem die in Stein und insbesondere in Holz, dem Hauptmaterial der deutschen Bildnerei, äusgeführten Figuren zur Erhöhung des Eindrucks des blühenden Lebens oder des Todes, der Gesundheit oder Krankheit, der Jugend oder des Alters, der Freude oder Trauer, des Wohlbehagens oder Schmerzes, der Nieder­ geschlagenheit oder Begeisterung u. dgl. farbig behandel werden. Dadurch, daß die deutschen Künstler die Stoffe und die Figuren selbst gerne aus dem Volke heraus­ greifen und dieses in seiner Tracht und mit seiner Um­ gebung vorführen, erhalten ihre Werke eine ganz außer­ ordentliche Überzeugungskraft. Oft genug machen die von ihnen geschaffenen plastischen oder gemalten Figuren, wenn man sie näher betrachtet, den Eindruck, als ob sie wirkliche Menschen aus unserer Mitte wären, die mitein­ ander handelten und redeten. Unübertrefflich ist die in Hartmann, Volkskunst.

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de» Werken der deutschen Künstler so ost wiederkehrende Darstellung des Mitleids. Die Art und Weise, wie sie z. D. das Mitgefühl mit den Leiden des Erlösers aus­ sprechen, ist nicht selten geradezu ergreifend. Sie offenbart besonders deutlich den auffallenden Gegensatz zu der Auf­ fassung der Romanen, die ihr Hauptaugenmerk auf die Wiedergabe des schönen Körpere als solchen richten. Noch eines wichtigen Grundzugs des deutschen Schaffens haben wir zu gedenken, des großen Ver­ ständnisses für fremde Kunst und der Neigung, sich mit ihr zu befassen, in ihre besonderen Eigentüm­ lichkeiten und Schönheiten einzudringen und dieselben nutzbar zu machen. Es bedarf kaum eines Hinweises darauf, wie seit dem Aufkommen der Renaissance in Italien ein fast unüberwindlicher Drang die deutschen Künstler über die Alpen zog — auch Dürer war zweimal in Italien — später auch nach Frankreich und England. Oft genug ist dieser Zug so mächtig und in seinen Fol­ gerungen auf das deutsche Schaffen so ausschlaggebend geworden, daß in den weniger starken Künstlernaturen die deutsche Wesensart zurückgedrängt wurde, bisweilen sogar unterzugehen drohte. Um so glänzendere Früchte ergaben sich aber immer dann, wenn der deutsche Kunst­ geist die stemden Anregungen meisterte, sie in seinem Sinne sichtete, umarbeitete und verwertete, so daß der deutsche Gestaltungewille, bereichert durch die stemden Anregungen, aber unverändert in seiner Wesensart und ganz dem eigenen Empfinden folgend, Stofs und Form bestimmten. Wir sehen das nicht nur in den Werten einzelner Künstler — man denke nur an Dürer, der von seinem jahrelangen Aufenthalt in der Fremde und von allen seinen Reisen innerlich unberührt zurückgekommen war, — sondern auch an die Entwicklung der gesamten deutschen Kunst in ihren bedeutsamsten Abschnitten.

So ist die ganze, überaus großartige Kunst des roma­ nischen Mittelalters hervorgegangen aus der Durch­ dringung und Erfüllung der Kunst des Altertums mit dem germanischen und — in ihren besten Leistungen — mit dem deutschen Geiste. Durch diesen erfuhr die antike Kunst eine so durchgreifende nationale Umarbeitung, daß als Endergebnis ein neuer Stil zur Ausprägung kam. Derselbe trägt, wenn er auch im einzelnen den Einschlag der Antike keineswegs verleugnet, doch alle Züge eines kernigen, unverfälschten Deutschtums, so wie wir sie in den oben angestellten Betrachtungen ge­ kennzeichnet haben. Auch die italienische Renaissance wurde in ähnlicher Weise durch den deutschen Geist in seinem Sinne gewertet und umgearbeitet. Aus diesen Erfahrungen der Geschichte ergibt sich für uns eine gerade für die treffsichere Erkenntnis der Forderungen unserer Volkskunst wichtige Lehre: Stär­ ken wir zielbewußt, entschlossen und tatkräftig unsern deutschen Geist, so daß er unentwegt die Schaffenden leitet; kräftigen und schärfen wir den deutschen Sinn, so daß dieser die Art derBefriedigung derKunstbedürsnisse im großen Publikum bestimmt, und wir werden jederzeit sieghaft über dem Fremden stehen, das uns Unzuträgliche ablehnen oder ausscheiden und das Brauchbare organisch und in deutscher Umprägung eingliedern in unsern eigenen Besitz­ stand. Auf diese Weise erfüllt sich für uns am günstigsten Jakob Burckardts Wort: „Ein wahrhaft reiches Volk wird dadurch reich, daß es vieles von andem übernimmt und weiterbildet." Der deutsche Geist, -en wir stärken wollen, und in welchem wir unsern Sinn zu kräftigen und zu schärfen haben, ist kein anderer als derjenige, welcher aus den 5*

großen Geschehnissen unserer Zeit spricht. Er ist nicht etwa einer durch den Krieg entstandenen, leidenschaft­ lichen Aufwallung unseres Volkstums entsprungen. Er lebt in ihm, kann zeitweilig schlummern oder zurück­ gedrängt werden, aber nie untergehen. Wir stärken diesen deutschen Geist, wenn wir ihm einerseits auf Grund ein­ gehender und umfassender Erkenntnis seiner Wesensart die ihm entsprechenden Stoffe zuführen, anderseits schäd­ liche Einflüsse fernhalten, und wenn wir ihm Aufgaben stellen, an denen er sich entwickeln kann. Wir kräftigen und schärfen aus ihm heraus unfern Sinn, indem wir die Größe seiner Urkraft, seinen unerschöpflich reichen Inhalt, seinen ungeheueren, das Weltall umspannenden Wirkungsbereich ermessen und auch seine Erhabenheit über den Geist und die Sinnesart anderer Völker auf uns wirken lassens. Keine Zeit hat für die Stärkung des deutschen Geistes und Schärfung des deutschen Sinnes geeig­ netere Gelegenheit und eindringlichere Lehren gegeben, als unsere Gegenwart. Unter den grundstürzenden Wir­ kungen des Kriegs brechen von allen Seiten die Quellen der Erkenntnis hervor, daß Deutschland einer durchgreifen­ den Neugestaltung seines nationalen Lebens bedarf; ins­ besondere sind so manche ihm wesensftemde und schäd­ liche Triebe auszuscheiden und andere mehr zu ent­ wickeln, zu hegen und zu pflegen. Selbst die eifrigsten Verherrlicher der jüngsten Vergangenheit und die hart­ näckigsten Verfechter der Unübertrefflichkeit des in ihr Geleisteten verspüren einen Drang zur Nachprüfung der Ziele, die wir uns in Zukunft zu stellen haben, ebenso der Wege, die behufs ihrer sicheren Erreichung zu bel) Daß das Deutschtum auch hinsichtlich der gahl den stärksten Prozentsatz an genialen Führem auf dem Gebiete de» Geistes­

leben» aufzuweisen hat, ist längst einwandfrei nachgewiesen.

Wirkung des nationalen Aufschwungs auf die Kunst.

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schreiten sind. Die Zeit selbst gab uns mit der Not, die sie über uns brachte, manchen nachdrücklichen Anlaß hierzu. Sie schärfte unsern Blick für die Unterscheidung des Vergänglichen und -es dauernd Wertvollen; sie entfachte aufs neue in uns die Liebe zu den wichtigsten und bedeutsamsten Gütern, die dem deutschen Volte vor dem Kriege zum Teil zu entschwinden drohten. Mit einer alles durchdringenden Macht hat sie uns zum Bewußtsein dessen gebracht, was die VolkskrSste sind, die sich für die Bewahrung dieser Güter vor Feindeslist und Feindeswut einsetzen. Ihre Behauptung während einer beispiellosen Kraftprobe mit -er stärksten Mächtezusammenziehung der Welt und die siegreiche Zurückwersung des Feindes tief in seine eigenen Besitzungen hinein, ließ in uns ein Vollgefühl der eigenen Macht, einen be­ rechtigten Nationalstolz erstehen, der durch wohlbedachte Pflege immer mehr erstarken wird. „Zeiten eines großen politischen Aufschwungs gehören dazu, um die geistigen Anlagen eines Volkes zu hoher Blüte zu bringen" (Richard Wagner). Größer als in unsern Tagen könnte der Aufschwung des deutschen Volkes, soweit er in der Erregung der Volksseele, in dem gusammenraffen und Einsetzen der VolkskrSste und in den Wafsentaten zu Lande und auf dem Meere sich äußert, nicht gedacht werden. Seine Auswirkung kann deshalb auch gerade beim deutschen Volke nicht ausbleiben. An den Fragen nach der Steigerung von Deutschlands Kraft und Größe wird mehr als je einmal das gesamte Volkstum teil­ nehmen. Im Geistesleben wird aber der ihm in hohem Maße angeborene Idealismus einen neuen Antrieb er­ halten; er wird über den in der Theorie und Praxis viel zu stark hervorgetretenen Materialismus die Ober­ hand gewinnen und das Sinnen und Trachten in dem unserer Wesensart entsprechenden Maße wieder aus-

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Forderungen der Volkskunst.

richten auf die erhabenen Güter des Geistes und Gemüts, auf die Freude an allem Schönen, was die Menschen­ brust erhebt, auf die Pflege alles Edlen, was das Menschen­ herz bewegt. Dieser durch den hohen nationalen Auf­ schwung wiederbelebte Idealismus wird auch den mäch­ tigsten Antrieb geben zur Stärkung des deutschen Geistes und zur Läuterung und Schärfung des deutschen Sinnes. Er wird damit die Hauptforderung erfüllen für die Wiedergeburt und die lebenskräftige Entwicklung einer im besten Sinne des Wortes nationalen und dadurch zukunftsreichen deutschen Volkskunst. Wir sind in unsern Darlegungen über die Grund­ forderungen der Volkskunst von den allgemeinen Grund­ lagen und untersten Voraussetzungen für das künst­ lerische Schaffen ausgegangen und haben uns dann der Wesensart des deutschen Volkstums zugewendet, um die Art und Wirkungsweise der unserm Volke inne­ wohnenden Kräfte auf dem Gebiete der Kunst zu er­ kennen. Am hierin klar zu sehen, mußten wir unsere Blicke zurückwenden auf unsere Vergangenheit. Wir haben Urteile und Zeugen über das deutsche Wesen und den deutschen Geist herangezogen von den fernsten Zeiten bis auf die Gegenwart; wir versuchten festzustellen, was der deutschen Äunft der Vergangenheit in der Aus­ wirkung des deutschen Geistes an einheitlichen Grund­ zügen wesenseigentümlich war. Unsere auf die Wieder­ erstarkung der deutschen Volkskunst gerichteten Be­ strebungen verfolgen aber keine zurückschauende, sondern eine vorausschauende Absicht. Sie suchen insbesondere nicht etwa tote Formen vergangener Zeiten zu beleben. Unsere Gestaltungskraft soll sich vielmehr, wie schon aus -em ftüher Gesagten heryorgeht, aus dem vielseitigen, reichen und triebkrästigen Inhalt unserer Gegenwart selbständig und frei betätigen, ohne Bindung an die

Ausdrucksmöglichkeiten der Kunst entschwundener Zeiten, freilich auch ohne die unzähligen und starken Fäden zu durchschneiden, mit denen unsere Gegenwart in der Ver­ gangenheit verankert ist. Der Geist des heutigen deutschen Volkstums soll in unserer Kunst wirksam sein, der sich in unsern Tagen durch seine geschlossene Ausrichtung aus das Nationale, durch seine Sammlung und Tatkraft so wunderbar entfaltete und so unendlich Großes und Schönes im Sinne des natio­ nalen Idealismus erzeugt hat. Unsere Aufgabe wird es nun sein, die Zeichen der Zeit zu verstehen und zu erwägen und zu tun, was sie zu ihrer Erfüllung auch im Rahmen der Kunst von uns fordert.

III. Die Erziehung zur Volkskunst. Wo immer die Entwicklung geistiger Fähigkeiten in einem bestimmten Sinne angestrebt wird, ist eine ihm entsprechende Erziehung der sicherste und oft auch der einzige Weg zur Erreichung der vorgesteckten Fiele. Auch die auf die Wiedererweckung und Belebung der Volkskunst abzielenden Bestrebungen führen uns auf den Gedanken einer planmäßig geleiteten, auf die Förderung der Volkskunst ausgerichteten Erziehung. Wenn wir der Erörterung dieses Gedankens näher treten, so haben wir uns als erstes zwei Hauptfragen vorzulegen: Ist eine planmäßige Kunsterziehung notwendig und, im Falle sie zu bejahen ist: Welche Aufgaben hat die Kunsterziehung zu erfüllen, und wie sind dieselben durchzufahren? Soweit es sich lediglich um die Ausbildung zur Kunstbetätigung selbst handelt, ist die Frage der Kunst­ erziehung in deren engerem Sinne, der Anleitung -um Kunstschaffen, fast so alt wie die Kunstpflege selbst, jedenfalls so alt wie der Eintritt der Kunst in den Dienst wirtschaftlicher Interessen. Anders liegt die Sache hin­ sichtlich der Erziehung des Gesamtvolkes zur Entwicklung der ihm innewohnenden Kräfte behufs seiner allgemeinen Anteilnahme an den Anliegen der Kunst und an den von ihr ausgehenden, das Dasein verklärenden Wir­ kungen. Dahingehende Anregungen wurden schon in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gegeben.

Sie drangen bald in weitere Kreise ein und führten all­ mählich zu einem lebhaften Meinungsaustausch, welcher auf dem Kunsterziehungetag in Dresden i. g. 1901 einen die damalige Auffassung kennzeichnenden Ausdruck sand. Die Kunsterziehung wurde daselbst als ein wich­ tiger Bestandteil der Gesamterziehung gefordert und zwar hauptsächlich mit der Absicht, „den bei allen Menschen im Keime vorhandenen Kunstsinn soweit zu wecken und auszubilden, wie es innerhalb -er bescheidenen Grenzen des Richttünftlertums und innerhalb -er übrigen Er­ ziehungsziele möglich ist". Unsere Betrachtungen gehen von einem andern Standpunkte aus und fassen im ganzen auch andere Ziele ins Auge. Wir sehen unsere Aufgabe nicht mit der „Erziehung des Kindes zur äfchetifchen Genußfähig­ keit" behufs Erweckung seines Interesses an den hohen oder freien Künsten, namentlich der Malerei, erfüllt. Wir denken vielmehr in erster Linie an die Volkskunst in -em ftüher umschriebenen Rahmen der angewandten Künste. Deshalb beziehen sich unsere Erörterungen auch nicht aus jene ganz allgemein gehaltenen äschetischen Gesichtspunkte und auf die Fragen der Ausgestaltung des Zeichen- und Modellierunterrichts an den allgemein bildenden Schulen, mit denen der Kunsterziehungstag sich hauptsächlich beschäftigte. Wir konzentrieren unser Augenmerk aus die Bedeutung der Volkskunst als Wesens­ ausdruck des Volkstums und seiner Geistesbildung und beurteilen die betreffenden Bestrebungen auf dem Ge­ biete des Unterrichte- und Erziehungswesens haupt­ sächlich daraufhin, wie sie geeignet sind, dem natio­ nalen Kunstleben eine ersprießliche, dauernd frucht­ bare Grundlage zu geben. Die Förderung unserer deutschen, unserer nationalen Kunst wurde auch aus dem Kunsterziehungstag in der

einleitenden Aussprache als eine Hauptaufgabe der Be­ ratungen bezeichnet. Man ist aber in der Folge über den bloßen Hinweis auf dieselbe nicht hinausgetommen und nicht weiter auf die Frage eingegangen, auf welche Weise gerade der nationale Sinn und das nationale Gefühl in dem einschlägigen Unterricht entwickelt und gepflegt werden soll. Damals standen eben die nationalen For­ derungen nicht im Vordergrund der öffentlichen Inter­ essen, und auch der Begriff des Nationalen hatte nicht den schwerwiegenden Inhalt wie heute. Erst unter den weltbewegenden Ereignissen der Kriegsjahre ist uns die Bedeutung der Nationalität und -er mit ihr gegebenen Grundlagen für unser Gemeinschaftsleben, wie für das Dasein und Wirken jedes einzelnen von uns aufs nachdrücklichste -um Bewußtsein gekommen. Wir sehen nunmehr mit einer jeden Zweifel ausschließenden Deut­ lichkeit, daß jeder von uns, ob er will oder nicht, unab­ änderlich dem Schicksal des Eesamtvoltes unterliegt, und daß er mit diesem einer höheren und festen Weltord­ nung untersteht, gegen deren Gliederung in Völker und Rassen sich der einzelne Menschenwille nicht etwa nach Anschauung, Wunsch und Belieben aufbäumen kann. Wir sehen aber auch, wie viel während der letzten Jahr­ zehnte vor dem Kriege in der Erweckung, Erhaltung und Entwicklung der mit dem Nationalbewußtsein gegebenen Kräfte versäumt worden ist, wie wenig man sich von ihm bestimmen ließ und insbesondere, wie gleichgültig man vielfach solchen Anregungen gegenüberstand, welche die nationale Gedankenrichtung in den Vordergrund unserer öffentlichen Erziehungsmaßnahmen zu stellen suchten. Noch mehr als in unserm allgemeinen Bildungs­ system äußerte sich in unserer Kunst die Unentschieden­ heit unserer Stellungnahme gegenüber den für sie zu

Kunsterziehung und nationaler Gedanke.

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erhebenden nationalen Forderungen. Wohl erkennen wir in dem stillen Wirken einer Reihe von Künstlern, dank der ihrer genialen Veranlagung entspringenden Stärke -es künstlerischen Empfindens und der Höhe der künst­ lerischen Erkenntnis, einen deutlich ausgesprochenen Ein­ schlag nationaler, volkstümlicher Gesinnung. Das Ge­ samtbild der Kunstzustände unserer Zeit wird aber nicht durch diese Künstler bestimmt. Ihrem tieferen Eingreifen fehlt in der ganzen Richtung der Geistesbildung und der herrschenden Zeit- und Weltanschauung der nötige Raum; es fehlen meist auch die Angriffsstellen für ein erfolgreiches und nachhaltiges Einsetzen der vom nationalen Gedanken getragenen künstlerischen Überzeugung. Mit zunehmender Sorge mußten tieferblickende, von ernstem, vaterlän­ dischem Geiste erfüllte Persönlichkeiten wahrnehmen, wie in der breiten Strömung der Tagesinteressen das Ver­ ständnis und Gefühl für wahre und echte Kunst, ins­ besondere für die deutsche Runft immer mehr zu ver­ sinken drohte. Die mangelnde Anteilnahme des Gesamtvolkes an den Werken der deutschen Kunst war aber nicht etwa eine aus dem allgemeinen geitbilde herausfallende Er­ scheinung. Sie ergab sich zum Teil als eine Folge des Einflusses der wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Geistes­ bildung weiter, für die Auffassung der Aufgaben unseres Gemeinschaftslebens vielfach maßgebender Volkskreise, zum Teil aber auch als eine allerdings ungewollte Folge unseres allgemeinen Bildungssystems. Es ist bekannt, wie der schon bald nach -en siebenziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einsetzende große wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland zu einem ungewöhnlichen Reichtum breiter Schichten führte, welcher nicht immer in derjenigen Frist, innerhalb deren er sich ansammelte, eine entsprechende Vertiefung und Erweiterung der Bit-

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Die Erziehung zur Volkskunst.

düng seiner Träger nach sich zog. Zn den Kreis jener Industriellen, die wahrhafte Bildung, vornehmen Geist und Familienüberlieferung oft im besten und höchsten Sinne pflegten, traten nun auch Emporkömmlinge, welche die Vorteile des Besitzes empfanden, ohne daß damit immer das Gefühl für die aus ihm sich ergebenden Pflich­ ten der Öffentlichkeit gegenüber zur Entwicklung und allgemeinen Anerkennung gekommen wäre. Eine durch­ aus materialistische, auf den Geldgewinn berechnete Lebensauffassung tauchte in ihnen auf, verbreitete sich unter der Ausnützung der dem Reichtum zur Verfügung stehenden Mittel und kam auch immer mehr in der ge­ sellschaftlichen Gliederung zum Durchbruch. Der Reich­ tum nahm für sich das Recht auf Achtung und Ansehen auch dann in Anspruch, wenn seinen Vertretern Bildung und Opferwilligkeit für ideale Zwecke nicht eigen waren. Oft genug geißelte die Satire diese Zustände mit beißendem Spott. Man wurde sich bald darüber klar, daß mit Bezug auf höhere geistige, insbesondere auf künstlerische Interessen dem gehobenen Mittelstand im Durchschnitt eine größere Bedeutung zukam, als den oberen Schichten der Gesellschaft. Aus diesen ging aber hauptsächlich jener für unsere Zeit so charakteristische Typus des „modernen Menschen" hervor, dessen Lebens- und Welt­ anschauung allmählich auch in den breiteren Volksschichten Einfluß gewann. Was war dieser moderne Mensch un­ mittelbar vor dem Kriege, was die Gesellschaft, soweit sie sich von ihm beherrschen ließ? Frei wollte er sein von allen Schranken, unbehindert seine Individualität zur Geltung bringen, sich ausleben, entsprechend den per­ sönlichen Neigungen und den ihm zur Verfügung stehen­ den Mitteln. Die Familie empfand er als Beengung, ost als Knebelung. Die Heimat war ihm ein längst über­ wundener Begriff. Ebenso das Vaterland. Wer vater-

Wirtschaftlicher Aufschwung und Geistesbildung.

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ländische Stimmung pflegte und zu erkennen gab, galt als altmodisch, beschränkt oder günstigenfalls als Streber. Auch gegen den Staat lehnte man sich auf; man bedurfte, und wollte keine Bevormundung von ihm. Man fühlte sich dem vaterländischen Boden entwachsen, als ein über die Grenzen der Nationalität frei sich hinwegsetzender Weltbürger. In bezug auf geistige Interessen glaubte man sich der veralteten Hochachtung vor Wissenschaft und Kunst enthoben. Autoritäten wurden nicht mehr anerkannt. Auf die Beziehungen zum Unendlichen sah man herunter. Man glaubte, die Welträtsel gelöst zu haben. Die Kulturformen galten als veraltet; diese waren recht für das niedere Volk, aber für den modernen Menschen mindestens überflüssig. Zum Glück erwiesen sich bei Türs­ bruch des Krieges in eben diesem Volte die guten Keime durch solche Lebensanschauungen noch nicht erstickt. Der Krieg enthüllte uns vielmehr eine unendliche Fülle edler Tugenden, die gerade jenem überwiegend großen Teil -es Volkes eigen waren, das eine sogenannte höhere Bildung nicht aufzuweisen hatte. Ihm verdanken wir unsere Rettung in der Not. Das Heer dieser „Modernen", der Verneiner und Spötter, der ewig Unzufriedenen, nur aus die eigenen Neigungen und Selbstgefälligkeiten, auf den eigenen Vorteil Bedachten, hätte keine Schlacht geschlagen, für den Schützengraben nichts getaugt, uns den Feind nicht vom Leibe gehalten. Wo große Schick­ salsfragen der Völker zur Entscheidung kommen, ver­ sagt der mvdeme Individualismus, versagt vor allem auch der Internationalismus. Diese moderne, der Entwicklung und Haltekrast des nationalen Gefühls und Gedankens höchst unzuträgliche Lebensanschauung hätte in unserer Gesellschaft nicht jenen ausgedehnten Boden finden können, wenn sie nicht durch die Art unserer Erziehung und Bildung in

so mancher Hinsicht eine feste Stütze gefunden hätte. So großartig auch die Organisation des Erziehungs­ und Bildungswesens ist, welche das deutsche Bolt sich geschaffen hat, so dürfen wir uns doch der Einsicht nicht verschließen, -aß ihr in den großen Hauptzügen die nationale Grundlage fehlt. Wir sehen dieses an dem Mangel an Vertrautheit selbst der sogenannten höheren Stände mit den Geistesschätzen unseres Volkstums, mit dem Gedanken- und Dorstellungsinhalt unser großen Denker, Dichter, Schriftsteller und Künstler. Dieser Mangel fällt in Deutschland mehr aus, als bei irgend einem andern hochentwickelten Volke unserer Zeit. Es ist bekannt, daß der gebildete Deutsche im lateinischen, französischen und englischen Schrifttum vielfach besseren Bescheid weiß, als in seinem angestammten, und daß die Bildung, welche durch die Einführung in die Fremdsprachen erworben wird, ungleich höher eingeschätzt wird als jene, welche lediglich aus dem eigenen nationalen Geistes­ leben geschöpft ist. Die Erkenntnis dafür, -aß mit dem tieferen Einblick in unsere Geschichte, mit der liebevollen Versenkung in unser Schrifttum, mit der Hingabe an unsere nationale Kunst die uns angeborenen Kräfte aufs beste erfaßt und aufgeschlossen werden, ist uns noch nicht aufgegangen; insbesondere auch nicht dafür, daß das Nationale niemals ausgeschaltet werden kann, wenn die gestaltenden Kräfte hervorgerufen und ausgedildet werden sollen, da diese ja nur im Nationalen wurzeln. Suchen wir nach den Ursachen der dieser Entwicklung und Betätigung nationaler Gesinnung so wenig günstigen Auffassung, so finden wir sie zum nicht geringen Teile in dem Lehrsystem der höheren Schulen, und -war nicht nur in dem, was diese in ihrem Hauptinhalt der lernenden Jugend bieten, sondern auch in dem, was ihnen an solchen

Unser Dlsdungssystem und nationale Gesinnung.

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Stoffen mangelt, die dem nationalen Fühlen und Wollen förderlich sind. An denjenigen Lehranstalten, welche die am höchsten im Ansehen stehende, für „klassisch" gehaltene Bildung vermitteln sollen, nehmen die fremden, insbesondere die alten Sprachen -en breitesten Raum ein. Ihr Bildungswert ist, so hoch er auch an sich ver­ anschlagt wird, weit mehr ein allgemeiner — man könnte in diesem Zusammenhang sagen ein internationaler — als ein nationaler. Die Art und Weise, wie dieser fremd­ sprachliche Unterricht aufgefaßt und behandelt wird, wirkt nicht selten der ErwecKmg und Pflege des natio­ nalen Gefühls eher entgegen als förderlich. Haben wir nicht oft genug Gelegenheit, an unserer Jugend wahrzunehmen, wie sie geradezu dazu erzogen wird, die weltgeschichtlichen Ereignisse des späteren Altertums sozusagen durch die Brille der Römer zu sehen und zu beurteilen? Werden nicht dem für die Eindrücke großer Geschehnisse und Heldentaten so empfänglichen deutschen Jungen die Kämpfe der Römer mit -en alten Germanen bisweilen so dargestellt, daß seine Sympathien viel mehr aus feiten der Römer, als auf der unserer Vorfahren liegen müssen? Und ist es nicht die bekannte Objektivität des deutschen Gelehrten und Professors, welche der manch­ mal gefühlsmäßig widerstrebenden Jugend gegenüber selbst in solchen Fällen in einer Bewunderung Roms sich gefällt, wo die Tatsachen und insbesondere die Rück­ sichten auf deutsches Empfinden einen anderen Stand­ punkt gefordert hätten? Es hieße die ganze ungeheuere Bedeutung der Schule für das Leben, der Jugend­ bildung für die Gesinnungsweise und den Charakter ver­ kennen, wenn man die Wirkungen eines derart ausge­ faßten Unterrichts auf die Einschätzung der deutschen Geistesgaben gegenüber der römischen, der Eigenwerte unseres Volkstums gegenüber denjenigen der lateinischen

Rassen für belanglos halten wollte. Jenen Bildungs­ stoffen, die nach Inhalt und Form geeignet wären, das nationale Gefühl zu entwickeln und zu stärken, ver­ blieb ein viel zu bescheidener Raum, als daß sie imstande gewesen wären, die ihm nachteiligen Einflüsse des übrigen Unterrichts auszugleichen. Gewiß ist dieses Bildungssystem aus der Art und Weise hervorgegangen, wie die Bedürfnlsse der Zeit aufgefaht wurden, der es seine Entstehung verdankt, aus dem Bestreben, dem einzelnen die für eine möglichst günstige Ausgestaltung feines Lebens erforderliche Ent­ wicklung seiner Fähigkeiten sicherzustellen und der Volks­ gemeinschaft eine tunlichst weitgehende Erschließung der ihr innewohnenden geistigen und sittlichen Rräfte zu verbürgen. Daß die Auffassung dieser Bedürfnisse so sehr auf die Pflege der Fremdsprachen hinauslief auf Kosten der Entfaltung und Stärkung des nationalen Selbstgefühls, hat seine tiefliegenden geschichtlichen Grün­ de. Es fehlt uns hier der Raum, auf den Einfluß näher einzugehen, welchen einerseits der von Italien aus in den Norden eingedrungene Humanismus in seiner damaligen Form, anderseits die innerpolitischen Zu­ stände in den deutschen Ländern und namentlich auch die an den deutschen Höfen allgemein übliche, grenzen­ lose Überschätzung der italienischen und französischen Wissenschaft und Stunft aus das nationale Gefühl des deutschen Volkes ausüben mußten. Man mag heute über die Berechtigung einer solchen Auffassung und Durchführung des Erziehungs- und Bildungssystems des deutschen Volkes und über dessen Einfluß auf seine Geistes-, Welt- und Sittengeschichte im Zweifel sein oder nicht: der Entwicklung und Pflege einer seiner Wesensart entsprechenden, einer nationalen deutschen Kunst war sie nicht günstig.. Immer mehr verlor letztere

Unser Bildungssystem und nationale Kunst.

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in den Kreisen der Gebildeten, namentlich auch durch das von den fürstlichen und kirchlichen Bauherren ge­ gebene Beispiel an Vertrauen und an Boden. Diese glaubten fast allgemein, die Planung, Leitung und Ausführung größerer Dauanlagen nur italienischen oder französischen Architekten anvertrauen zu können. So ging der deutschen Kunst die großzügige Baugesinnung und Bauüberlieferung seiner Hauptmeister, die im voran­ gegangenen Mittelalter ihre alles überragenden Werke schufen, allmählich verloren; nur das schmuckfrohe Heer der Kleinmeister wahrte in der Ausführung flotter Brunnen, prächtiger Tore, reicher Erker, phantastischer Giebel und in den reichen Stuben wohlhabender Bürger noch das heimische Erbe. Don dieser Entwicklung und diesen Verhältnissen müssen wir ausgehen, wenn wir die Aufgabe unserer Gegenwart richtig auffassen und zur Durchführung bringen wollen. Die großen Ereignisse -er Zeit haben uns die Augen darüber geöffnet, daß unserer im Wett­ kampfe der Waffen so glänzend bewährten Dolkgemeinschast das den ganzen Volkskörper umschlingende geistige und künstlerische Band fehlt. Wir wurden uns darüber klar, daß wir in unserm Erziehungsorganismus so manchen Wandel herbeizusühren haben, um ihn nicht nur zum BildungetrSger der geistigen Einheit des Volkes, sondern auch der nationalen Gesinnung zu gestalten. Wir müssen in das vom Humanismus so hoch gepriesene Ziel der Erziehung zum Schönen, Wahren und Guten auch die Entwicklung jener besonderen Gaben einbeziehen, die unserm Volke in so reichem Matze mit seinen Ge­ mütsanlagen verliehen wurden. Wir sehen einen Mangel darin, daß wir so lange die Ausbildung unserer Jugend hauptsächlich auf diejenige des Verstandes und des Denk­ vermögens ausgerichtet haben, und daß diesem gegenHartmann, vsltstunst. 6

über die Erweckung und Stärkung des Nativnalgefühls und der wertvollen ihm entspringenden Kräfte nicht einen ihrer Bedeutung entsprechenden Bestandteil un­ seres allgemeinen Erziehungssystems bildet. Insbe­ sondere hat dieses die auch vom Humanismus geforderte allseitige und harmonische Entwicklung der in uns lie­ genden Kräfte hinsichtlich unserer Veranlagung zur Kunst nicht erfüllt; es hat nicht nur unterlassen, durch ver­ ständnisvolles Eingehen auf die völkische Eigenart der deutschen Kunst dieser den Boden zu bereiten und den­ selben zu befruchten, sondern eher noch durch die un­ ausgesetzte Verherrlichung der ftemden Shmft den Boden abgegraben. In den höheren Aufgaben, welche von den Großen und den Gebildeten an die Zäunst gestellt wurden, diente sie hauptsächlich den Idealen des Humanismus, so wie diese ihn auffaßten, welchem aber die Mehrheit des Volkes ohne tiefergehendes Verständnis gegenüber­ stand. So löste sich die aus ihn sich stützende Kunstpflege immer mehr von den mittleren und unteren Schichten des Volkes los; auch in bezug auf die Kunst vollzog sich allmählich die für unsere geistige, sittliche und gesell­ schaftliche Einigung so nachteilige Scheidung des Ge­ samtvolkes in Gebildete und Ungebildete. Die Kunst hat aber ihre hohe Aufgabe nicht erfüllt, wenn sie lediglich einem durch Bildung, Besitz und ge­ sellschaftliche Stellung bevorzugten Teile des Volkes zugute kommt. Sie entspringt einer dem ganzen Volke eigentümlichen Veranlagung und ist bestimmt, auch den kleinen, den besitzlosen Mann an der hohen Steigerung der Freude am Dasein teilnehmen zu lassen, welche mit der Einführung in die Zäunst und das Shmftoetständnis und mit der Entwicklung des Sehens und Emp­ findens des Schönen verbunden ist. Sie soll auch sein Heim verklären und ihn mit ihren nationalen Erinne-

Notwendigkeit einer nationalen Kunsterziehung.

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rungen und Stimmungen einschließen in den großen Gedanken-, Gefühls- und Interessenzusammenhang der nationalen Gemeinschaft. Der außerordentliche Einsatz an Kraft und Opfern auch des am wenigsten begüterten Teiles unseres Volkes zum Schutze des Vaterlandes und zur Sicherung und Neugestaltung seiner Zukunft stellt die Berechtigung dieser Forderung in ein Helles Licht. Das Volk fühlt sich mündig auch gegenüber den öffentlichen Aufgaben des höheren geistigen Lebens. Ohne Zweifel werden unsere Kämpfer, wenn sie heim­ kommen aus den feindlichen Ländern, ein neues Leben nritbringen, eine neue Wertung der Bildungs- und Kunstfragen in der Denkungsart und Gefühlsweise unseres Volkstums, und sie werden ihre Forderungen stellen. Wir aber haben aus dem Rückblick auf unsere geistige, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung, scwie aus den durch das neuerwachte Nationalgefühl und die unerhörten Kraftproben erhobenen Ansprüchen des Gesomtvolkes hinsichtlich seiner Teilnahme an den geistigen und künstlerischen Interessen der Nation unsere Folgerungcn zu ziehen. Wir können nicht die Zeit abwarten, bis durch allgemeine Bildungsmaßnahmen der nationale Sinn auch in bezug auf das Kunstempfinden so geweckt und gestärkt ist, daß er in der Volkskunst fruchtbar wird. Wir stchen vor der gebieterischen Notwendigkeit einer planmäßigen Erziehung des deutschen Volkes zur Kunst. Diese ist von uns auszugreifen und in eiwr erfolgversprechenden Weise zu verwirklichen, wenn wr eine der wichtigsten Forderungen erfüllen wollen, wrlche die Gegenwart im Interesse der geistigen und sittlichen Einigung der Nation und der vollen Entfaltung dcr ihr innewohnenden Kräfte an uns stellt. In der Verfolgung dieser Erkenntnis haben wir nrnmehr an die Lösung der ftüher schon von uns auf6*

geworfenen Frage heranzutreten: Welche Aufgaben hat die Kunsterziehung zu erfüllen, und wie sind dieselben durchzuführen? Sie gliedert sich wieder in folgende Unterfragen: Wer soll zur Kunst erzogen werden? Welche Erziehungsziele sollen ange­ strebt werden? Wer soll die Kunsterziehung leiten? Welche Wege sollen eingeschlagen werden, um die ge­ steckten Ziele zu erreichen? Wir haben bereits in unseren Darlegungen an­ gedeutet, daß die erste dieser Fragen sich einerseits aus die Erziehung zur Kunstbetätigung, also zum ausübenden Künstler bezieht, anderseits aber auch aus das Gesamt­ volk, behufs Entwicklung seiner Anlagen zur regen Teil­ nahme an den Anliegen der Kunst und an den von ihr ausgehenden Wirkungen. Die Erziehung des Künstlers zur Kunstbetätigung muß jedenfalls, wenn mit einem vollen Erfolg gerechnet werden will, zunächst der Frage ihre Auflnerksamkeit zuwenden, wer zum Künstler erzogen werden soll. In höherem Grade noch als für irgend eine Berufswahl mutz für diejenige -es Künstlers die Veranlagung entscheidend sein. Wer den Berus eines Künstlers wählt, muß, wenn er Erfolg haben und mit den Lichtseiten auch die Schattenseiten der Künstler­ laufbahn willig auf sich nehmen soll, durch besondere Begabung, mit allen seinen Neigungen und seinem ganzen Wesen zu ihr berufen sein. Die Kunsterziehung steht also beim Beginn ihrer Arbeiten vor der sehr wich­ tigen Aufgabe einer zutreffenden Auslese der Be­ gabten. Dieselbe bietet uns, wenn wir sie mit einer gewissen Gründlichkeit vornehmen wollen, große Schwie­ rigkeiten. Denn es ist uns nicht möglich, mit den Hilfs­ mitteln wissenschaftlicher Erkenntnis in die untersten Tiefen jener seelischen Bezirke einzudringen, in denen

Erziehung zur KunstbetStlgung.

Auslese der Begabten.

g^

die Grundkräfte für das künstlerische Schaffen verborgen liegen. Auch in der Äußerung dieser Grundkräste haben wir, so wie sie schon in der frühen Jugend wahrnehm­ bar sind, keinen objektiven Maßstab für die sichere Be­ urteilung der Begabung hinsichtlich der Empfänglichkeit für Bildeindrücke, der Erfassung des künstlerisch Wesen­ hasten, der Bildung intuitiver Vorstellungen, der Kom­ binationsfähigkeit und Einbildungskraft, und insbeson­ dere auch der Stärke des künstlerischen Unternehmungs­ geistes für die Umsetzung des Kunstgedankens und Kunst­ willens in die künstlerische Tat. Wir erfahren die Be­ gabung in der Regel erst dann, wenn sie in eine voran­ geschrittene Stufe eingetreten ist, aber nicht schon in den Anfängen ihrer Entwicklung. Vielleicht gelingt es der experimentellen Pädagogik, sichere Anhaltspunkte für das Erkennen der künstlerischen Einzelbegabungen herauszufinden, aus deren Summe die Befähigung zum Künsüertum hervorgeht. Inzwischen müssen wir haupt­ sächlich darauf ausgehen, die Unbegabten — unter diesen auch solche von erheblichen Rückständen in der Allgemein­ bildung — von dem Künstlertum fernzuhalten; wir müssen unser Auge dafür schärfen, daß wir in jenen, welche die Absicht haben, den Beruf des Künstlers zu ergreifen, die Mängel der Begabung durchschauen, um die unberufenen Elemente abzuwehren. Mit der Zeit werden wir dann auf dem Wege der Erfahrung dazu gelangen, mit einiger Sicherheit die frühen Äußerungen eines in der Entwicklung begriffenen Kunstgeistes zu erkennen, welche auf die Begabung eines Talents oder auch, in besonders günstigen Fällen, eines Genies schließen lassen. Für später aber haben wir, wenn wir unserer Kunst einen Nachwuchs aus den Besten unseres Volkes sichern wollen, auch die ernste, wohlbedachte Mitarbeit der Psychologie in einem bisher auf diesem

Gebiet ganz unbekannten Umfang zur Beratung heran­ zuziehen. Bei allen Maßnahmen im Interesse einer er­ giebigen Tüchtigkeitsauslese dürfen wir nicht übersehen, daß wir im ganzen genommen immer dann am erfolg­ reichsten in ihrem Sinne wirken, wenn wir unserer Kunst ein möglichst triebkrästiges, blühendes Leben geben. Den der Kunstbetätigung dienlichen DolkskrSsten wird dann die beste Möglichkeit für die Entwicklung erschlossen, und für die Begabten und die Tüchtigen wird die Bahn frei für den künstlerischen Aufstieg. Mit diesem letzteren Hinweis ist auch das Haupt­ ziel der Erziehung für die Kunstbetätigung bezeichnet. Es muß darin liegen, das Kunstleben so zu fördern, daß alle im Bolte liegenden Kräfte sich regen und zur Betätigung drängen. Eine solche Entfaltung der Dolkskräste ist nur zu erwarten, wenn die Kunst in ihrer ganzen Auffassung und Schasfensweise so voll­ inhaltlich den Dol^anlagen nach deren Eigenart und

Triebstärke entspricht und sich auch so erschöpfend den Sonderbedürfnissen des Volkes zuwendet, daß eine größt­ mögliche Anteilnahme desselben und aller seiner Glieder erreicht wird. Die Erziehung der zur Kunst Begabten muß also darauf abzielen, die diesen innewohnenden Gestaltungskräfte in tunlichst reichem Maße auszulösen und zu einer für die Volkskunst fruchttragenden Be­ tätigung zu bringen. Diese Kräfte können nur in dem durch das Volkstum gegebenen Rahmen gesucht werden, da in jedem Falle die Einzelbegabung innerhalb der Grenzen liegen muß, welche durch die Gesamtheit be­ stimmt werden. Auch die Entwicklung dieser Kräfte muß alsdann in derjenigen Richtung erfolgen, welche durch die Interessen der Gesamtheit vorgezeichnet ist. Diese decken sich auch mit denen des Künstlers selbst. Denn

Erziehung der zur Kunst Begabten.

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für ihn bietet sich nur im Rahmen seines eigenen Volks­ tums das am meisten ergiebige Betätigungsfeld für seine Entwicklung und sein geistiges Sichausleben in dem seiner Naturanlage entsprechenden Sinne. Er wird auch ein um so wertvolleres, würdigeres und geschätz­ teres Glied seines Volkes werden, je mehr es ihm ge­ lingt, sich in die durch die Gleichartigkeit der Veran­ lagung, der Bedürfnisse und des Geisteslebens gebildete Kunstgemeinschast einzufügen. Die verständnisinnige und folgerichtige Vertretung der von dieser zu wahrenden Interessen führt zur Herausbildung und Einhaltung bestimmter künstlerischer Grundsätze und damit zur Entwicklung charaktervoller Künstlerpersönlich­ keiten. Auch diese muh in die Aufgabe unserer Kunst­ erziehung einbezogen werden, um für unser Kunstleben und Kunststreben zuverlässige Meister, Führer und Lehrer zu gewinnen, welche nicht nur durch überragende Einsicht und gründliches Können, sondern auch durch einen ge­ festigten Charakter berufen sind, einerseits unser Schaffen leitend zu beeinflussen und fortzeugend zu befruchten und anderseits das Erziehungswerk an unserer Jugend in einer erfolgversprechenden Weise durchzuführen. Auf diese Erziehungsziele ist unter allen Umständen so lange unentwegt zuzusteuern, als in den für die Kunst­ betätigung auszubildenden jugendlichen Kräften das Gefühl für das Nationale noch nicht genügend ent­ wickelt und gefestigt und die nötige Einsicht und Ab­ klärung für das wahrhaft Künsllerische noch nicht erreicht ist. Es muh verhütet werden, daß die in ihrer Schaffens­ lust überschäumende, auch für den hohlen Schein und für unkünstlerische Überraschungen empfängliche Jugend durch äußere Einflüsse, insbesondere durch Zufalls­ strömungen und unreife Reformbestrebungen in eine falsche Richtung gedrängt wird. Die besten, durch die

Abstammung und Vererbung bedingten Triebkräfte würden dadurch in ihrer Befruchtung und Auswirkung unterbunden werden. Erst dann, wenn die unmittel­ baren, noch ungeklärten Einfälle durch ein sicheres und fein entwickeltes Gefühl und durch tiefdringende Er­ kenntnis der organischen Voraussetzungen echter Kunst korrigiert und geläutert werden, wenn einmal die eigene Erfahrung verbessernd eingreifen kann und die auf der Grundlage des Nationalen gewonnene Bildungsreise genügend weit vorangeschritten ist, darf allmählich der freien Entwicklung Raum gegeben werden. Alsdann können auch die aus der Verbindung mit andern Völkern zuströmenden Anregungen aufgegriffen und verwertet werden, ohne -atz eine Irreführung zu befürchten wäre; denn das Fremde wird dann durch Anpassung und Um­ formung in den eigenen, früher erworbenen Besitz or­ ganisch einverleibt, in ihn gewissermaßen eingeschmolzen. Im übrigen darf aber bei der Feststellung der Bildungs­ ziele nicht außer acht gelassen werden, daß jede verfrühte Ausrichtung derselben auf die Sonderentwicklung, auf die Ausprägung der Künstlerindividualität, schwere Nach­ teile für einen gedeihlichen Fortschritt des Kunstjüngers mit sich bringt, die unter Umständen für seine Zukunft zum Verhängnis werden können. In jedem Falle müssen die individualistischen Neigungen so lange zurückgehalten werden, bis die allgemeinen, mit dem Volkstum gege­ benen Kräfte so aufgeschlossen sind, daß sie für den Hauptinhalt und die Darstellungeweise den großen und bleibenden Rahmen bestimmen. Die Bildungsarbeit, welche zu diesen Fielen hin­ führen soll, hat im geregelten Verlauf mit der Ein­ führung der Kunstbeflissenen in die Grundbegriffe, Grundregeln und Grundverrichtungen ihres Berufes durch die Werkstattlehre zu beginnen. Diese ent-

spricht dem geschichtlichen Ausbildungsgang, ebenso aber auch rein sachlichen Notwendigkeiten. Überall da, wo es sich nicht nur um Anschauungs- und Denkvorgänge, sondern auch um technisch-handwerkliche Verrichtungen mit stofflichen Darstellungsmitteln handelt, ist die Unter­ weisung durch Vorzeigung und Nachschasfen unerläßlich. Denn die künstlerische Gestaltung erfordert als erstes die Sicherheit und Gewandtheit in der Beherrschung des Stoffes und der Techniken. Diese kann aber nicht etwa aus Büchern oder durch bloßes Zuschauen er­ worben werden. Sie will mit eigenen Händen unter fortgesetzter Verwertung der einzelnen Dersuchsergebnisse erarbeitet fein. Deshalb ist für jede ernst genommene Erziehung zur Volkskunst eine möglichst gründliche Werk­ stattlehre von unschätzbarem Wert. Sie bildet den kür­ zesten Weg, möglichst bald eine gewisse Höhe zu erreichen, indem sie die Erfahrungen des die Lehre leitenden Meisters unmittelbar aus den Lernenden überträgt. Sie gibt auch dem zukünftigen Künstler Gelegenheit, im Gedankenaustausch und in der Interessengemein­ schaft mit seinen Mitarbeitern einen tieferen Einblick in die Volksseele zu gewinnen, den Pulsschlag der Zeit zu spüren und sich in eine größere Gesinnungseinheit einzufügen. Im gemeinsamen Schaffen und Streben mit seinen Mitarbeitern erweitert sich auch der enge persönliche Gesichtskreis des einzelnen Künstlers. Er empfängt Anregungen von denselben und verwertet auch für sich die von ihnen int Verlauf ihrer Arbeiten gemachten und mitbeobachteten Erfahrungen. Aus der Art und Weise, wie die von ihm selbst ausgehenden An­ regungen von den Mitstrebenden ausgenommen, geprüft, berichtigt und bewertet werden, gewinnt er einen zu­ treffenden Maßstab für die Selbsteinfchätzung und für die Möglichkeiten, aber auch für die Grenzen seines eigenen

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Die Erziehung zur Volkskunst.

Könnens. Seine Entwicklung zu einem guten Charakter wird dadurch aufs günstigste beeinflutzt. Eine besonders weittragende Wirkung einer gründlichen Werkstattlehre liegt noch darin, daß sie den Künstler wirtschaftlich auf sich selber stellt und es ihm ermöglicht, sich auf ein bür­ gerliches Handwerk zurückzuziehen, sobald aus irgend­ welchen, entweder in ihm selbst oder außer ihm liegenden Gründen — man denke an die Angunst der Zeiten, namentlich an die durch den Krieg eingetretenen Ver­ hältnisse, — seine freie Kunstbetätigung versagt. Auch im umgekehrten Falle, wenn die Übernahme oder Grün­

dung eines gewerblichen Betriebs auf dem Gebiete der angewandten Künste eine wirtschaftliche Besserstellung verspricht, wird eine der wichtigsten Voraussetzungen hierfür durch eine gute, einschlägige Wertstattlehre er­ füllt. Sie ist nicht nur eine unerläßliche Bedingung für das Hereinwachsen jedes Anfängers in einen der vielen Zweige der Volkskünste; sie ist auch ein Prüfstein dafür, ob er überhaupt zur Kunstbetätigung berufen ist. Wer sich für eine ausreichend bemessene und streng durch­ geführte Werkstattlehre und für die handwerkliche Be­ tätigung zu gut hält, der bleibe der Shinft, zum mindesten der Volkskunst fern. Es ist eine ernste Pflicht der Er­ ziehenden, die ihnen zur Ausbildung anvertraute Jugend hierauf aufmerksam zu machen und nötigenfalls auch die hieraus sich ergebenden Folgerungen zu ziehen. Den weiteren, über die Werkstattlehre hinaus­ greifenden Teil der Erziehung zur Kunstbetätigung haben in der Regel die besonders hierfür errichteten An­ stalten, die Schulen, zu übernehmen. Der Besuch einer Schule ist zwar nicht unbedingtes Erfordernis für den Aufstieg zu einer höheren Stufe der künstlerischen Leistungs­ fähigkeit. Es gibt zahlreiche hervorragende Künstler, die sich aus eigener Kraft ohne Schulbesuch heraufgearbeitet

Erziehung durch Schulen.

Kunstgewerbeschulen.

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haben. Ihre Kraft wäre aber — von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen — schneller und erfolgreicher zur Entfaltung gelangt, und der Ausstieg selbst wäre viel kürzer gewesen und hätte ungleich geringere Opfer erfordert, wenn die Künstler in ihren jungen Jahren, in der Zeit der großen Aufnahme-, Anpassungs- und Begeisterungs­ fähigkeit, die Gelegenheit gehabt oder wahrgenommen hätten, eine gute Schule zu besuchen. Da die Schulen ausschließlich oder zum mindesten in der Hauptsache sich der Erziehungsarbeit widmen, hierfür entsprechend einge­ richtet und ausgestattet sind, und zwar in einem durchweg erheblich reicheren Maße, als die einzelne Wertstätte es sich leisten kann, bieten sie namentlich in unsern Tagen der äußersten Ausnützung von Kraft, Aufwand und Zeit die beste und sicherste Gelegenheit zur möglichst früh­ zeitigen Erwerbung der für die Ausübung des Künstler­ berufs erforderlichen Bildung. Die der Erziehung zur Kunstbetätigung dienenden Lehranstalten schließen sich zum Teil in einer mehr er­ gänzenden Weise an die Werkstattlehre an (gewerbliche Fortbildungsschulen, Gewerbeschulen und Handwerker­ schulen), teils haben sie die vollständige Vorbereitung für die erfolgreiche Ausübung bestimmter Berufe zum Ziel (Fachschulen für die Edelmetallkünste, Textiltünste, Schnitzereischulen u. dgl.). Die wichtigste Stelle nehmen die Kunstgewerbeschulen ein. Ihre Aufgabe ist die Förderung der angewandten Künste durch Heranbildung ihrer Schüler für die schöpferische Tätigkeit in fast allen Zweigen des kunstgewerblichen Schaffens*). Den Runftgewerbeschulen haben wir bei der Verfolgung unserer Bestrebungen hauptsächlich unser Augenmerk zuzuwenden; r) Die Akademien der bildenden Künste können wir hier außer Betracht lassen, da sie in erster Linie für die Pflege der hohen ober steten Künste, insbesondere der freien Malerei und Plastik berufen sind, wenn

denn sie sind die bedeutsamsten Pflanzstätten für die Erziehung zur Kunstbetätigung in -em von uns früher umschriebenen Rahmen der Volkskunst. Unsere Er­ örterungen über die von ihnen zu übernehmende Aus­ bildungsarbeit müssen sich daraus beziehen, auf welche Weise sie in den Stand gesetzt werden, die oben ver­ zeichneten Bildungsziele zu erreichen. Für die Kunstgewerbeschulen wie für alle Schulen ist die erste und wichtigste Frage die Lehrerfrage. Der Lehrer ist die maßgebende Persönlichkeit, die trei­ bende Kraft der Schule. Don seinen Fähigkeiten, sowohl als ausübender Künstler wie auch als Lehrer, und von seiner Tatkraft hängt das Gedeihen der Schule und die Entwicklung der Schüler zu Künstlern und zu charakter­ vollen Persönlichkeiten ab. Es ist deshalb eine besonders wichtige und verantwortungsvolle Angelegenheit, ge­ rade für Kunstgewerbeschulen voll vereigenschastete Lehr­ kräfte zu finden und zu gewinnen. Sie müssen über­ legene Künstlerpersönlichkeiten fein, durch ihre Schöpfer­ kraft, Reife und Erfahrung befähigt, ihre Schüler auf ihrem Fachgebiete in planmäßiger Stufenfolge zu Höchstleistungen zu führen. Sie müssen in ihrer Eigen­ entwicklung sich zu festen künstlerischen Grundsätzen durchgerungen haben, um nicht nur den Schülern, sondern auch willkürlichen Versuchen und unklaren Reform­ bestrebungen gegenüber einen durch überragende Einsicht und Charakterstärke gefestigten Standpunkt zu wahren. Niemals dürste ein Künstler, der seine Grundsätze oder, wo solche nicht zu erkennen sind, seine Kunstmeinungen alle paar Jahre ändert, als Lehrer oder gar als Leiter an eine Kunstgewerbeschule berufen werden. Entweder sie auch in einzelnen Kunstzweigen wie für Dekorationsmaler, Archi­ tekturbildhauer, Metallplastiker, Graphiker Gelegenheit zur Erlangung einer höheren Ausbildung geben.

Die Lehrerfrage.

Einwirkung auf die Schüler.

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hätte er dann die persönliche Reife noch nicht erreicht, oder es würde ihm an jener Höhe und Stärke der Be­ gabung mangeln, die ihn selbständig macht gegen den Wechsel äußerer Einflüsse. In beiden Fällen würden die Voraussetzungen fehlen, welche gefordert werden müssen, wenn einem Künstler die Ausbildung von Schülern anoertraut werden soll. Anderseits darf aber auch nicht übersehen werden, daß eine besonders stark ausgesprochene, ihm allein zukommende Eigenart der erfolgreichen Ausübung eines Lehramtes ebenfalls hin­ derlich wäre, da der Künstler dann weniger nach allgemein gültigen Grundsätzen, als nach dem Gefühl arbeiten würde, dieses aber in der ganz andern Veranlagung der Schüler keinen Widerhall fände. Die Auffassungsweise des Lehrers einer Kunstgewerbeschule muß eine freie, bewegliche und vielseitige sein, damit es ihm möglich ist, ohne Voreingenommenheit in den Gedankenkreis und Vorstellungsinhalt der Schüler einzudringen und die von diesen kommenden Anregungen objektiv auf­ zugreifen und zu verwerten. Außer diesen auf den Künstler als solchen sich be­ ziehenden Eigenschaften und denjenigen, welche all­ gemein für jedes Erzieheramt erforderlich sind (Urteils­ fähigkeit, Gründlichkeit, vorbildlicher Pflichteifer, Pünkt­ lichkeit, Planmäßigkeit, Takt usw.) muß der Kunstlehrer, was für seine erfolgreiche Tätigkeit sehr wichtig ist, noch über jene Fähigkeiten verfügen, die eine sichere und nachhaltige Einwirkung auf die Schüler ge­ währleisten. Dor allem muß ihm Gefühl und Wärme für die Jugend innewohnen. Er muß Verständnis haben für das triebkräftige, ost überschäumende Temperament der Jugend, für ihre Gewohnheit, ohne tiefergehende Erkenntnis mit großen Worten um sich zu werfen, für ihre Neigung, aus den beengenden Fesseln jeglichen

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Die Erziehung zur Volkskunst.

Formalismus herauszutreten. Der Lehrer muß es ver­ stehen, den frohen. Berge versehenden Tatendrang der deutschen Fugend zu erfassen und in eine Richtung zu lenken, die ihre Anlagen voll entwickelt. Und dann muß er den Schülern mit seiner Persönlichkeit ein lebendiges, anregendes Vorbild sein für ihr eigenes Schaffen. Es gibt, nächst den Beziehungen zwischen Vater und Sohn oder Mutter und Tochter, kaum etwas Erhebenderes und Fruchtbringenderes für die Entwicklung des ein­ zelnen Menschen, als die seelische und geistige Wechsel­ wirkung zwischen Lehrer und Schüler, in der die gereiste Kraft mit der noch knospenden sich verbindet zu gemein­ samem Tun und die letztere allmählich hinaufgeführt wird zu den Höhen der Kunst. Die Einwirkung des Lehrers ist nicht nur im allgemeinen, sondern namentlich auch in bezug auf die- Laufbahn des werdenden Künstlers oft entscheidend für sein Lebensschicksal. Die Wechselwirkung zwischen Lehrer und Schüler beruht, wenn es sich um die Erweckung künstlerischer Fähigkeiten handelt, weit weniger auf dem sich Verstehen in mündlichem Gedankenaustausch, als auf der Über­ einstimmung der Gefühle. Denn die Kunst geht, wie wir stüher schon gesehen haben, in ihrer ursprüng­ lichen Äußerung, der Empfindung des Schönen, aus einer Regung des Gefühls hervor. Eine Beeinflussung des­ selben kann nicht immer und nur in beschränktem Maße auf dem Wege der Erkenntnis, durch rein sachliche Er­ klärungen erreicht werden. Das Gefühl ist ja nicht mit­ teilbar; es kann nur erweckt und entwickelt werden. Hierfür ist eine gewisse Gleichartigkeit in der Gemüts­ anlage und der Empfindung des Schönen erforderlich, so daß letztere, durch den gleichen Gegenstand angeregt, vom Lehrer aus den Lernenden überströmen kann. Eine solche Gleichartigkeit ist zwischen Lehrer und Schüler

Geistige Verwandtschaft zwischen Lehrer und Schüler.

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nur dann vorhanden, wenn sie in ihrer Geistes- und Wesensart in einem gewissen Derwandtschastsverhältnis zueinander stehen. Die Forderung der geistigen Verwandtschaft des Lehrers zu den Schülern ist für eine der Kunsterziehung dienende Schule ernster und bedeutungsvoller, als für jede andere Lehranstalt; zum mindesten muß jenes Derwandtschastsverhältnis vorausgesetzt werden, welches durch die Zugehörig­ keit zu demselben Volkstum gegeben ist. Der Begriff „Volkstum" darf hierbei nicht zu weit genommen werden. Wenn beispielsweise an eine Kunstgewerbeschule einer im Herzen Deutschlands liegenden Stadt wie Weimar, ein Ausländer — der Belgier van de Velde — als Leiter und Lehrer berufen wird, so mußte man aus rein psychologischen und pädagogischen Gründen eines Mißerfolgs gewärtig sein. Mochte in demselben das ungestüme Blut eines seiner Vorfahren wie des Jacques Francquart *) kreisen und seine Tätigkeit auf seinem hei­ mischen Boden eine außerordentlich fruchtbringende ge­ wesen fein: Auf den deutschen Boden verpflanzt, war seine Einwirkung als Lehrer auf die ganz anders empfin­ dende deutsche Fugend zur Unfruchtbarkeit verdammt. Nicht nur im Interesse der Schule, sondern auch des Lehrers selbst mußte ein solches, der inneren Verwandt­ schaft zwischen ihm und den Schülern entbehrendes Ver­ hältnis baldmöglichst wieder gelöst werden. Aber auch in einem engeren Rahmen, innerhalb des Deutschtums, dürfen in Kunsterziehungsfragen solche Hemmungen, die der Tätigkeit eines Lehrers aus größeren Stammesverschiedenheiten den Schülern gegen­ über erwachsen, nicht außer acht gelassen werden, wenn man *) gu vergl, St. O. Hartmann: Vie Baukunst, Band III, S. 106.

Leipzig 1911.

nicht von vornherein den Erfolg in Frage stellen will. Wird beispielsweise an eine rein wissenschaftliche oder wissenschaftlich-technische Lehranstalt in Oberbayern oder in Schwaben (an eine Universität, an eine maschinen­ technische Lehranstalt, an die Oberklassen eines Gym­ nasiums oder einer Oberrealschule) ein Lehrer aus einem anders gearteten Voltsstamm, etwa aus dem weit ab­ liegenden Norden oder Osten berufen und umgekehrt, so ergeben sich für die Ausübung seines Lehramts im gegenseitigen Sichverstehen wohl manche Schwierig­ keiten. Dieselben werden aber durch eine überragende Einsicht und durch sonstige Lehrerqualitäten leicht zu beheben sein, weil es sich hier vorwiegend um die Er­ schließung wissenschaftlicher Fähigkeiten, insbesondere um das Erkennen gegebener äußerer Tatsachen und um das Ziehen von Schlüssen aus diesen, also um das richtige Verstehen und Denken handelt. Sobald sich aber, wie bei der Erziehung zur Kunstbetätigung, der Lehrer vor allem an das Kunstempfinden, an das im Schüler selbst liegende, einzig und allein durch seine Wesensart be­ stimmte Gefühl zu wenden hat, so bleibt ihm der Weg zum Herzen der Schüler, wenn er diesen gefühlsftemd gegenübersteht, so gut wie verschlossen. Hierin liegt die Hauptursache, warum so manche an sich hochbegabte und bedeutende Künstler in ihren Lehrerfolgen ver­ sagen, sobald sie auf einen ihnen ftemden Boden ver­ pflanzt werden, wenn es ihnen dort nicht gelingt, Schule zu machen, begeisterte Kunstjünger um sich zu versammeln, wenn sie vielmehr in ihrer Schaffensweise einsam da­ stehen und die erhoffte Wirkung ihrer Tätigkeit in die Tiefe und Breite ausbleibt. Für den Ausfall an Lehr­ erfolgen an der künstlerischen Befruchtung eines Landes, einer Provinz, einer Stadt bieten dann aber die Einzel­ leistungen einer solchen Künstlerpersönlichkeit, eben des-

Anforderungen an die Kunstlehrer.

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halb, weil sie in dem neuen Boden keine tieferen Wurzeln fassen können, meist keinen Ersatz*). Will ein Künstler ein Lehramt an einer Kunst­ gewerbeschule übernehmen, so muß er sich von vorn­ herein darüber klar fein, daß ihm außer -en aus unsern bisherigen Hinweisen sich ergebenden Anforderungen an seine Persönlichkeit noch ein hochentwickeltes, nie schwankendes Derantwortlichkeitsgefühl für seine ernste Kunsterziehungsaufgabe eigen sein muß. Er ist alsdann Beamter und hat als solcher seine ganze Kraft für den Dienst an der Schule einzusetzen. Solange er nur für sich oder für bestimmte Auftraggeber arbeitet, wäre ihm ein auf die Wahrung eigener Interessen aus­ gehender Egoismus nicht vorzuwerfen. Wenn er sich aber als Lehrer an die Spitze der Jugend stellt, so muß er sich vor allem von den Rücksichten auf die glückliche Entwicklung der ihm anvertrauten Schüler bestimmen lassen, deren ganze Zukunft unter Umständen von seiner persönlichen Einwirkung und der Hingabe an seinen Lehrerberuf abhängt. Er muß bedenken, daß auch einer starken, ergiebigen und vielseitigen Arbeitskraft reiche Gelegenheit zur Entfaltung geboten ist, wenn sie Vor­ bildliches für die Schule und die Schüler schafft, nament­ lich dann, wenn die Interessen des Lehrers mit denen der Schüler in der gleichen Richtung laufen. In allen seinen Erziehungsmaßnahmen muß der Kunstlehrer seiner Be­ rufung bewußt bleiben, als bahnbrechender Führer auf *) Diese Tatsache der engen Zusammenhänge zwischen der Geistesverwandtschaft von Lehrern und Schülern und den Lehr­

erfolgen liehe sich au» der Geschichte der Kunstgewerbe- und auch der Kunstschulen durch eine große Zahl lehrreicher Beispiele belegen, und e» wäre namentlich für di« von einer weisen und weitschauenden Schulpolitik zu ziehenden Folgerungen eine dankenswerte Arbeit,

ihnen auf den Grund zu gehen, würde aber hier zu weit führen.

H-etmann, SQoltotunft.

7

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Die Erziehung zur Volkskunst.

dem Wege zur Volkskunst zu wirken. Und wenn seine Arbeit einen vollen Erfolg erringen soll, so muß sie ge­ tragen und geleitet sein von der Vollkraft der inneren Überzeugung. Der Kunstlehrer muß durchdrungen sein von dem Glauben an die hohe Bedeutung undMission einer wahren und echten Volkskunst für die Blüte unseres nationalen Lebens. Nur unter dieser Voraussetzung wird er imstande sein, begeisterte Jünger der Volkskunst zu erziehen. Es ist eine bekannte pädagogische Erfahrung, daß der Geist des Lehrers der Geist der Klasse ist. Sie bestätigt sich fast ausnahmslos in bezug auf jene Erziehungsziele, welche auf die Entwicklung und Pflege der Gesinnung, namentlich der nationalen Gesinnung hinauslausen. Hier führt kein irgendwie mit äußeren Mitteln gestal­ teter Unterricht zum Ziele, wenn nicht der Lehrer selbst ein charaktervoller, überzeugter und abgeklärter Träger der nationalen Gesinnung ist und diese den Mittel- und Ausgangspunkt für seine Einwirkung auf den Schüler bildet. Wenn Goethe sagte, „daß alles Denken zum Denken nichts hilft, man muh von Natur richtig sein", so trifft dieses insbesondere für den Gesinnungsunterricht zu, und zwar nicht nur für den nationalen, sondern auch für den künstlerischen. Nur von solchen Lehrern, in deren gesamter Erziehungstätigkeit eine geschlossene na­ tionale Kunstgesinnung vorwaltet, ist zu er­ warten, daß sie in der Schule beitragen zur Vertiefung des Deutschtums auch hinsichtlich der ganzen Kunstaufsassung, indem sie stets die deutschen Grundzüge fordern und betonen und dafür Sorge tragen, daß auch die Schüler mit objektiver Gründlichkeit in das Deutschtum sich versenken und alles diesem Widerstrebende ablehnen oder ausscheiden. Nur solche Lehrer werden in ihrer Erziehungsarbeit auch die nötige Festigkeit gegenüber

jenen bisweilen an Kunstanstalten sich geltend machenden Einflüssen bewahren, die in der Verfolgung einer eng­ herzigen Interessenpolitik eine Ablenkung vom ernsten Kunststudium herbeiführen könnten. Diese unsere Hinweise auf die an die Kunstlehrer zu stellenden Anforderungen lassen uns unzweifelhaft erkennen, daß für die Kunsterziehungsanstalten in noch höherem Grade als für die sonstigen Schulen die Frage des Unterrichteerfolges wesentlich eine Lehrerfrage ist. Für die Unterrichtsverwaltungen ist es eine sehr ver­ antwortungsvolle, schwierige und ost geradezu heikle Angelegenheit, die geeigneten Lehrkräfte und namentlich auch die geeigneten Leiter für ihre Kunstanstalten zu gewinnen. Welche Gründe auch bei der Wahl der Leiter und Lehrer gegeneinander abgewogen und schließlich als entscheidend in die Wagschale geworfen werden, die Rücksichten auf die Eigentätigkeit und Erfolge als Künstler, die allgemeinen in der Persönlichkeit liegenden Qualitäten, das Verhältnis zum Volkstum im engeren Sinne und zur Volkskunst oder die nationale und künst­ lerische Gesinnung: Stets müssen die verantwortlichen Stellen dessen eingedenk sein, daß im großen ganzen nur dasjenige, was die Schule unter der Einwirkung der Lehrer auf die Schüler an tatsächlichen Unterrichts­ erfolgen erreicht, für die höheren realpolitischen Inter­ essen des Landes und der Allgemeinheit fruchtbar wird. Sichere, in die Tiefe gehende Erfolge find aber nur von solchen Lehrern und Künstlern zu erwarten, die mit den Schülern geistig verwandt sind und dadurch deren gdeenkreis nahestehen; nur sie vermögen in ihr Inneres zu dringen und ihren Genius zu einer Hellen Dauer­ flamme zu entzünden. Auch vom Standpunkt der Schüler aus ist die Forderung zu billigen, daß man ihnen Lehrer gebe, von welchen sie verstanden werden, die 7*

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Die Erziehung zur Volkskunst.

ihnen also innerlich nahestehen, ihre Anlagen richtig erkennen, sie zu schätzen und. zu der von ihnen erreich­ baren Höhe zu entwickeln vermögen, insbesondere solche Lehrer, die sie nicht entfremden von ihrer Heimat und von allem -em, was ihnen von Kindheit auf lieb war. Die ganze geistige und künstlerische Entfesselung jedes Schülers wie jedes einzelnen Menschen kann sich nur im Rahmen der eigenen Veranlagung vollziehen, also im Rahmen -essen, was ihm durch seine Abstammung als Erbgut verliehen ist. Keinesfalls kann das Ideal, das ihm auf dem eigenen Boden erwächst, überboten werden durch ein solches, welches ihm von fremdher zugetragen wird. Ein sicherer Führer zu diesem Ideal kann ihm aber nur ein Lehrer sein, -er diesen Boden gründlich kennt, der also seinem eigenen Volkstum angehört. Mit einer nach diesen Gesichtspunkten erfolgten Be­ rufung von Künstlern als Lehrer an die Erziehungs­ anstalten für die Volkskunst erhalten auch die Lehrer­ kollegien jene Zusammensetzung, durch welche die er­ forderliche Übereinstimmung der Lehrer im Runftempfinden und ein gegenseitiges Sichverstehen in Grund­ fragen der künstlerischen Auffassung erzielt und eine einheitliche, gleichgerichtete, die Kräfte zusammenfassende Bildungsarbeit gewährleistet wird. Wenn ein Künstler ein Lehramt an einer Schule übernommen hat, so muß seine erste Sorge darin liegen, sich mit den Lehrzielen vertraut zu machen, deren Erreichung die Ausgabe der Schule und seines Unter­ richts bildet. Die Lehrziele erhalten ihren Inhalt und Umfang durch die der Kunsterziehung im allgemeinen zufallenden Ausgaben. Von der Schule mutz in plan­ mäßigem, wohldurchdachtem und folgerichtig durch­ geführtem Unterricht alles geschehen, damit die in den Schülern liegenden künstlerischen Grundkräste so erfaßt

Die Lehrziele der Kunstgewerbeschulen.

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und entwickelt und zugleich in eine solche Richtung ge­ leitet werden, daß durch sie die Volkskunst in einem möglichst ergiebigem Maße befruchtet wird. Behufs dessen ist den zukünftigen Künstlern ein ausreichendes Verständnis für die Aufgaben -er Volkskunst innerhalb desjenigen Berufsgebietes zu erschließen, dem sie sich widmen wollen. Die Schüler müssen wissen, daß die Volkskunst ihren ganzen Inhalt aus dem Leben des Volkes selbst erhält, aus seinen Be­ dürfnissen, Neigungen, Gewohnheiten, aus der Art seiner Beschäftigung, seiner Erholung usw. (»gl. auch Seite 16 und 18). Sie müssen sich darüber klar werden, daß die Volkskunst das Ziel verfolgt, unser Dasein zu verschönern und die Lebenefteude zu erhöhen durch wohl­ gefällige Ausgestaltung -essen, was wir ständig vor uns sehen, also unserer Wohnung und ihrer Umgebung, unserer Aufenthaltsräume, Erholungsstätten, aber auch der Gebrauchsgegenstände aller Art, deren Wert die Volks­ kunst zu steigern sucht durch besonders geeignete Form­ gebung und ansprechende künstlerische Behandlung. Um die Schüler mit -em Inbegriff des Wohlgefälligen und Ansprechenden vertraut zu machen, muß das Auge der Schüler empfänglich gemacht werden für die anregende und belebende Wirkung, welche von der künstlerischen Gestaltung der Gebrauchsgegenstände ausgeht, so daß wir sie gerne in den Dienst nehmen, für welchen sie be­ stimmt sind: man denke nur an einen Sessel, dessen Form und Ausstattung uns einladet, auf ihm Platz zu nehmen, an Räume, in denen es eine Lust ist, zu arbeiten, zu essen, zu trinken, zu ruhen, zu musizieren, die uns in eine Stimmung der Erbauung, der Andacht u. dgl. versehen. Die Schüler müssen aber auch die Grenzen der künstlerischen Gestaltung erkennen; sie müssen wissen, daß dieselbe den Gebrauchszweck zu betonen hat, ihn

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Die Erziehung zur Volkskunst.

niemals beeinträchtigen und auch nie so weit gehen darf, daß sie das Interesse über den Zweck hinaus für sich selbst in Anspruch nimmt und der Anreiz zur Benützung dar­ unter leidet (man denke nur an Stühle, die so geschnitzt oder behandelt sind, daß man sich nicht darauf zu sehen wagt, an sogenannte Klubsessel, die so geformt sind, daß man sich besondere Mühe geben muß, wenn man sich aus denselben erheben will, an Kannen und Geschirre, deren Henkelform das sichere Ansassen und Handhaben erschwert, die zum Ausgießen, Trinken, Reinigen usw. nicht oder nur wenig geeignet sind u.-gl. mehr). Damit die Schüler hierin das Richtige treffen, müssen sie ver­ traut gemacht werden mit den Ansprüchen des ver­ feinerten Lebens, soweit sie sich auf die von ihnen zu fertigenden Kunstgegenstände beziehen. Aus Grund dieser mehr erkenntnismäßig zu ge­ winnenden allgemeinen Voraussetzungen für das künst­ lerische Schaffen muß die Kunsterziehung als aller­ wichtigstes Ziel auf die Entwicklung des feinen Gefühls für das Schöne hinarbeiten. Dieselbe be­ ruht auf dem unmittelbaren persönlichen Aufnehmen, Dergleichen, Abwägen und Auswählen der Eindrücke des Schauens durch den Schüler, sowie auf deren Ver­ tiefung, Sicherung und Festigung. Sie vollzieht sich in jedem Falle und zwax auch bei hochbegabten Schülern in sehr langsamem Werdegang. Die Einwirkung des Lehrers ist hierbei eine ganz unmittelbare, eine solche von Person zu Person, im wesentlichen auf Grund der Übereinstimmung der Empfindungen. Mit den Mitteln der Erkenntnis kann das Gefühl in seinen ursprüng­ lichen Äußerungen, dem Empfinden und Aufnehmen des Schönen, nicht ersaßt werden. Aber das Ver­ gleichen, Abwägen und Auswählen des Empfundenen nach seinen Schönheitswerten, desgleichen die Sicherung

Entwicklung d. Schönheitsgefühls u. der Kunsterkenntnis,

j gZ

und Festigung der schönheitlichen Eindrücke erfolgt unter der maßgebenden Mitwirkung des Erkenntnis­ vermögens. Denn die Empfindung des Schönen ist an die Eindrücke der Formen, des Lichtes und der Farben gebunden, und diese sind in ihren Eigentüm­ lichkeiten, insbesondere auch durch die erfahrungsmäßige Wiederholung der gleichen Wirkungen auf das Schönheitsempfinden, durch die Mittel der Erkennt­ nis bestimmbar. Mit dem Dergleichen der Einzeleindrücke, mit dem erkenntnismäßigen Aussuchen dessen, was unter der Vielheit der Teilerscheinungen das eigentlich Schöne ausmacht, setzt die Denkarbeit ein. Sie bringt die ein­ zelnen Schönheitsmomente zueinander in Beziehungen und in eine folgerichtige Ordnung, mit ihnen auch die Schönheitselemente, von denen jene ausgegangen sind. Das Ergebnis dieser Denkarbeit schlägt sich nieder in der Kunsterkenntnis. Die Entwicklung, Läuterung, Festigung und Bereicherung der Kunsterkenntnis ist deshalb ein weiteres wichtiges Ziel des Kunst­ unterrichts. Sie schließt sich unmittelbar an die zunächst von den Schülern zu erwerbende Einsicht in die For­ derungen der innern Wahrhaftigkeit, der Zweckmäßig­ keit hinsichtlich der Formgebung und Konstruktionsweise, ebenso aber auch in bezug aus die Wahl und Ausnützung des Materials und auf die technisch richtige, d. h. den besonderen Eigentümlichkeiten des Materials entsprechende Behandlung. Diese Forderungen bezeichnen jedoch nur die ganz allgemeinen, in jedem Falle vorauszusetzenden Bedingungen des künstlerischen Schaffens (zu vgl. „Stil­ wandlungen und Irrungen" S. 69 u. f.); die Schüler müssen aber daran gewöhnt werden, erst nach restloser Erfüllung derselben an den eigentlich künstlerischen Teil der Aufgabe heranzutreten.

Das was im einzelnen Fall an einer künstlerischen Aufgabe mit Hilfe der Kunsterkenntnis zu lösen ist, be­ zieht sich im großen ganzen auf die Durcharbeitung derselben nach denjenigen Gesichtspunkten, welche mit den Kunftgesetzen bezeichnet werden. Die Schüler müssen also auch eine ausreichende Einführung in die Kunstgesetze in der früher (S. 38) gegebenen Auf­ fassung erhalten, damit sie in der Entwicklung möglichst rasch und sicher vorwärts kommen und namentlich auch, um fleißige Schüler von noch weniger stark hervor­ tretender Begabung tunlichst zu fördern. Die Kunst­ gesetze bilden den Hauptinhalt dessen, was an der Kunst lehrbar ist. Sie enthalten allgemein gültige Wahrheiten, die aus der gesamten Kunst der Vergangenheit zu uns sprechen, und geben, an guten Beispielen erläutert, uns auch heute noch und wohl für alle Zukunft wertvolle Hinweise auf die wichtigsten Forderungen der künst­ lerischen Grundkräste und auf ein diesen entsprechendes Schäften. Die Kenntnis der Kunstgesetze schärst schon ftühzeitig das Urteil und trägt wesentlich dazu bei, daß Verstöße gegen die Hauptgrundsätze der Äunft vermieden werden. Dem Lehrer bieten sie deshalb auch wertvolle Hilfsmittel dafür, die Schüler über ihre Fehler aufzu­ klären. Niemals dürfen aber die Kunstgefehe als eine Art Rezept betrachtet werden, nach welchem man Kunst­ werke zu erzeugen vermöge; niemals- können sie die Schöpferkraft selbst ersetzen und keinesfalls die Formen darbieten, so wenig als beispielsweise auch die beste Kenntnis der Harmonielehre in der Musik die Melodien -um Komponieren gibt, die Kenntnis des Versmaßes den Gedanken und die Ausdrucksformen für die dich­ terische Betätigung. Die Formen, welche im bildnerischen Schaffen ver­ wertet werden sollen, müssen einzeln erworben werden.

Entwicklung des Formengefühls und -Gedächtnisse».

Aus ihrer Gesamtheit ergibt sich der Vorstellungslnhalt. Dieser ist die Formenquelle für den Kunstausdruck. Je größer, reicher, vielseitiger und mannigfaltiger der Dorstellungsinhalt eines Künstlers ist, desto ergiebiger sind die Mittel und damit auch die Ergebnisse seines Schaffens; je erlesener, reifer, geläuterter und beziehungsreicher die in ihn aufgenommenen Formenelemente sind, desto höher stehen auch hinsichtlich des Formengehalls die aus ihnen herausgebildeten Kunstwerke. Ein weiteres wich­ tiges Lehrziel ist also die Bildung eines an künst­ lerisch fruchttragenden Formen reichen Dor­ stellungsinhalts. Die Bildung des Dorstellungsinhalts ist ganz von der eigenen Arbeit des Schülers und Künsüers ab­ hängig, von der Art des Sehens und der Empfindung des Schönen und von der Einprägung der als schön erfundenen Formenelemente. Das Erziehungswerk muß deshalb auch die Entwicklung eines treffsicheren Formenverständnisses, eines feinen Formen­ gefühls und guten Formengedächtnisses in seine Ziele ausnehmen. Fruchtbar kann diese Seite der Kunsterziehung nur dann werden, wenn sie in der durch die Veranlagung, also durch das Volkstum gegebenen Richtung erfolgt. Sie käme beispielsweise für den Ler­ nenden auf ein totes Geleise, wenn sie behufs Entwick­ lung des Formenverständnisses und Formengefühls von den Kunstwerken wesensfremder Völker wie der Chinesen und gapaner ausgehen wollte. Ebensowenig darf sie sich aber auch an bestimmte Formen binden, welche viel­ leicht der eine oder andere Erzieher als die „deutsche Form der Zukunst" ansieht. Denn eine deutsche, über­ haupt eine nationale Kunstform kann nur zurückschauend in ihren Hauptmerkmalen festgestellt, niemals aber im voraus bestimmt werden. Sie ist nicht etwa nach be-

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Die Erziehung zur Volkskunst.

kannten Regeln hervorgebracht; sie ist in gewissem Sinne ein Naturprodukt, wie eine Frucht heraus­ gewachsen aus den künstlerischen Grundkräften, deren Wirkungsweise wohl streng folgerichtig, in bezug auf die Form aber unerschöpflich ist. Weder ein Künstler, noch ein Philosoph, noch irgend ein weiser Seher hätte beispielsweise im Zeitalter der Hohenstaufen voraus­ sagen können, in welchen Formen eine Kirche, ein Palast, ein Thronsaal, ein Bürgerzimmer, ein Kunstschrein oder Schrank zwei Jahrhunderte später erscheinen werde, so enge völkische und geistige Zusammenhänge zwischen den beiden Perioden der romanischen und gotischen Kunst auch lagen. Ebensowenig wären wir heute imstande, die Kunstformenentwicklung unserer Zukunft im voraus theoretisch zu erfassen. Sind wir doch kaum in der Lage, das Wesen des Deutschtums erkenntnismäßig und er­ schöpfend aufzuklären. Der scharfe, kritische und grüb­ lerische Kopf eines Nietzsche hat sich mit der Frage be­ schäftigt: „Was ist deutsch?" ohne zu einem festen Er­ gebnis zu kommen, und Leopold von Ranke, der objektive Beurteiler und ausgezeichnete Kenner der deutschen Ge­ schichte, stellt diese Frage mit den Worten: „Wer will jemals in den Begriff oder in Worte fassen, was deutsch fei?" Wenn wir in unfern früheren Ausführungen (S. 45 u. f.) auf das Wesen -es Deutschtums näher eingegangen sind, so haben wir damit nur auf einige besondere her­ vorstechende Grundzüge hingewiesen und versucht, die Grundgedanken und Grundstimmungen im Umriß zu zeichnen, die uns erfüllen müssen, wenn es uns gelingen soll, tiefer in den deutschen Geist, insbesondere in den deut­ schen Kunstgeist einzudringen. Die Nationalität ist eine Kraft, die nur teilweise beschrieben, in ihren Früchten jedoch nicht vorausbestimmt werden kann. Sie ist aber da und wirkt und wird an ihrer Eigenart erkannt. Und

Kunstformenentwicklung und Wesen des Deutschtums,

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wenn ihre Werke sowohl in den bildenden Künsten wie in der Dichtkunst und Musik auch frei sind von aller Tra­ dition, so offenbaren sie uns doch in dem heimischen Klang und Laut, in der Art und Weise, wie sie hinein­ passen in die Umwelt, in welche sie gestellt sind, zu den Menschen, zu deren Vergangenheit, Sitten und Ge­ bräuche ihre Herkunft, ihren deutschen Charakter. Fichtes Wort: „Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend", trifft auch für unsere Kunstschöpsungen zu. Der deutsche Charakter kann in ihnen aber nur zum Durchbruch gelangen, wenn und solange die dem Künstler innewohnenden Grundkräste in der ihrer Natur ent­ sprechenden Wirksamkeit nicht durch äußere Einflüsse unterbunden, abgelenkt oder in eine falsche Richtung gedrängt werden. Es ist deshalb auch eine besonders wichtige Ausgabe der Lehrer, von den ihnen anver­ trauten Schülern solche schädlichen Einflüsse fernzuhalten und sie vor Entgleisungen und Irrungen zu bewahren, indem deren Ursachen aufgedeckt und deren Folgen nach­ drücklich vor Augen gestellt werden. Auf diese Weise führen wir die Jugend am sichersten auf jenes breite und ergiebige Feld freier völkischer und persönlicher Entwicklungsmöglichteiten, aus dem dann die deutsche Form der nächsten Zukunft von selbst hervorsprießt, und zwar mit der Folgerichtigkeit eines selbsttätig wirkenden Natur­ gesetzes. Die Ausprägung eines das Volkstum und die Per­ sönlichkeit bezeichnenden Charakters im künstlerischen Schaffen wird wesentlich gefördert durch die Anbahnung eines feinentwickelten Stilgefühls. Ihr wird schon, und zwar in sehr wirksamer Weise, vorgearbeitet durch ein tiefergehendes Eindringen und Einfühlen in die allgemeinen Kunstgesetze, insbesondere in die Gesetze der Einheitlichkeit, Proportionalität und Harmonie, für

die Plastiker auch in die Reliefgesetze, für die Farben­ künstler in die Farbenlehre. Jedoch dürfte eine emst­ genommene und wohlbedachte Kunsterziehung sich mit der aus diesem Wege erreichbaren Entwicklung des Stil­ gefühls nicht zuftieden geben. Der Schüler muß auch in das Wesen des Stils, in feine Gmndlagen, in den Be­ griffsinhalt der historischen Stile, des Zeitstils, des Stils eines Volkes, des Eigenstils (zu vgl. den ll. Abschnitt in „Stilwandlungen und gerungen") einen klaren Ein­ blick erhalten. Er muß vor allem davor bewahrt werden, unter „Stil" eine gewisse Summe rein äußerlicher Merk­ male zu verstehen; bewahrt werden muß er auch weiter­ hin vor jener unheilvollen Zerstreuung und Derwirmng, die durch Aufzählen solcher Merkmale von ganz ent­ legenen und fremdvölkischen Kunstformen in den noch unreifen Köpfen angerichtet wird. Solange die Schüler nach ihrem allgemeinen Dildungsstand und nach der in ihrer künstlerischen Ausbildung erlangten Reife noch nicht imstande sind, die Stile als Ausdmck der Wesens­ art und der Geistesbildung der Kulturvölker zu erfassen, ist eine Sammlung auf die ihrem Empfinden und ihrem Verständnis ungleich näher liegenden Stoffe dringend geboten, gedenfalls muß diese Sammlung auf der Unter- und Mittelstufe der künstlerischen Ausbildung mit aller Strenge und Folgerichtigkeit angestrebt werden. Hier ist die Entwicklung eines reinen und triebkrästigen Gefühls für den Stil des eigenen Volkstums das in erster Linie Notwendige. Erst wenn hierin eine gewisse Sicher­ heit und Festigkeit erreicht ist, kann die Stilkenntnis in konzentrischen Kreisen erweitert werden. Die Einfühmng in den Begriff Stil hat sich aber schon bei Beginn der Ausbildung der Schüler auch noch auf jene Seite des künstlerischen Einheitsausdmcke zu er­ strecken, der durch die Art des Materials und der Technik

Stilgefühl.

Kunstgesinnung.

Kunstwillen.

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bedingt wird und als Materialstil bezw. als Stil einer bestimmten Technik bezeichnet wird. Die Schüler müssen möglichst frühzeitig jene Grundsätze der Formenbildung kennen lernen, welche sich aus den Eigen­ schaften des Materials und aus der Technik der Ver­ arbeitung ergeben, mit den durch diese eröffneten Möglich­ keiten und Grenzen (Holzstil, Marmorstil, Granitstil, Stil -er Schmiedetechnik, der Gußtechnik, Freskotechnik, Teppichstil u.dgl.m.). Die hierfür erforderlichen Kennt­ nisse sind nur auf dem Wege der persönlichen Erfahrung durch eigene handwerkliche Betätigung in ausreichendem Matze zu erwerben. Deshalb ist nicht nur für den praktisch tätigen, sondern auch für den entwerfenden Künstler eine gründliche Einführung in die Techniken, die in sein Fachgebiet einschlagen, eine unerlähliche Forderung. Mit -er Verfolgung dieser hauptsächlich die äutzere Darstellungsform und die Mittel für diese betreffenden Lehr- und Erziehungsziele müssen noch weitere ver­ bunden werden, die für jegliche Geistes- und Persön­ lichkeitsbildung von größter Wichtigkeit sind. Sie liegen in einer durch die Gesamtabsichten der Erziehung be­ stimmten Entwicklung, Leitung und Festigung der Ge­ sinnung und des Willens, für die Kunsterziehung also in einer ihren Zwecken entsprechenden Einwirkung auf die Kunstgesinnung und den Kunstwillen der Schüler. Diese bildet eigentlich den Kernpunkt aller aus eine tiefere und nachhaltige Wirkung berechneten Kunsterziehung. Denn jede selbständige Kunstbetätigung steht unter der unausgesetzten und maßgebenden Leitung der Kunstgesinnung und des durch diese bestimmten Kunst­ willens. Dieser ist der zeugende und entscheidende Fak­ tor für die Kunstschöpfungen. Der Kunstwille verhält sich zum Stoff und zur Technik wie der Geist zur Materie, die er nach seinen Absichten formt; das Kunstwerk selbst

110

Die Erziehung zur Volkskunst.

aber verhält sich zum Kunstwillen wie der ausgesührte Bau zum schöpferischen Baugedanken, der sich als erstes im Bauplan und den Baubedingungen niederschlägt. Nur aus dem Zusammenwirken eines abgeklärten, kraftvollen, zielbewußten Kunstwillens mit einem hoch­ entwickelten technischen Können gehen Schöpfungen von hohem und dauerndem Werte hervor. Die Einwirkung auf die Kunstgesinnung und den Kunstwillen kann nur dann die Kräfte des Schülers voll erfassen und zur Entwicklung bringen, wenn die Kunst­ erziehung in ihren Hauptzügen und damit auch die Aufstellung der Lehrziele durchaus nach na­ tionalen Gesichtspunkten erfolgt. Denn auch die Kräfte des begabtesten Schülers liegen im Rahmen und innerhalb der Grenzen der seinem Volkstum gegebenen Anlagen. Die Jugend muß hierauf besonders nachdrück­ lich aufmerksam gemacht werden) denn sie greift in ihrer Begeisterung, die an sich das schönste Vorrecht der Jugend ist, gerne hinaus über jegliche, auch über die nationalen Grenzen. Die Jugend muß wissen, daß sie mit der Ent­ wicklung eines starken Nationalgefühls sich selbst den triebkräftigsten Boden für erfolgreiches, von den höchsten Idealen getragenes, künstlerisches Schaffen bereitet. Sie muß wissen, daß jeder Mensch seine Bedeutung und seinen Wert nicht in sich selbst trägt, sondern in der Beziehung, die er herzustellen vermag zwischen sich und der Gesamtheit. Und wenn in der lernenden Jugend, die noch keinen Maßstab hat und haben kann für die richtige Selbsteinschätzung und für die Grenzen ihres Könnens, Neigungen auftreten, sich über diese hinweg­ zusetzen, so muß ihr mit allem Nachdruck die Wahrheit des Nietzscheschen Ausspruchs eingeschärft werden, daß derjenige, -er sich über sein Können in eigensinnigem Trotz und in Verkennung der ihm von der Natur ge-

Auswahl der Lehrstoffe.

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steckten Grenzen hinauswill, an dem Beginnen zu Grunde geht. Auch in der Kunst darf das unbeschränkte Herren­ recht nur dem wahrhaften Genie, niemals aber dem Un­ reifen, am wenigsten der noch lernenden Jugend zu­ gebilligt werden. Hat so der Kunstlehrer die Lehrziele hinsichtlich ihres Inhalts, ihrer Höhe und ihrer Grenzen festgestellt, so liegt seine nächstwichtige Aufgabe darin, die Lehrstoffe sachdienlich und treffend auszuwählen und in eine plan­ mäßige Ordnung zu bringen, damit sie einen vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Zusammengesetzten, vom gebundenen zum freieren Schaffen stufenmäßig fortschreitenden Ausbildungsgang darstellen. Die Aus­ wahl der Lehrstoffe muß so getroffen werden, daß mit ihrer sachgemäßen unterrichtlichen Behandlung eine volle Erreichung -er Lehrziele ermöglicht wird. Die Lehr­ stoffe sind also aus dem Aufgabenkreis der Volkskunst herauszugreifen; sie müssen geeignet sein, das Gefühl für das Schöne, das Kunstverständnis und das Formenund Stilgefühl zu entwickeln, einen reichen, als Formen­ quelle für das künstlerische Schaffen ergiebigen Dor­ stellungsinhalt zu bilden und dem Kunstwillen eine ziel­ sichere, durch eine ausgesprochen nationale Gesinnung vorgezeichnete Richtung zu geben. Auch ihrer Bestimmung nach sind die Lehrstoffe, welche der Erziehung zur Volks­ kunst dienen sollen, überaus mannigfaltig. Denn wir sind wie alle nordischen Völker für die Lebensbetätigung in unserm Klima und in unsern Daseinsverhältnissen nicht nur aus eine besonders zweckmäßige und gute Aus­ stattung unserer Wohn- und Aufenthaltsräume, sondern auch auf zahlreiche Gebrauchsgegenstände angewiesen, welche die südlichen Völker nicht bedürfen. Das deutsche Volt erweist sich aber auch schon von Urzeiten her für die Gebrauchstunst, die ja den Hauptinhalt der Volkskunst

ausmacht, als in besonderem Maße begabt. Wir sehen dies an -er unerschöpflichen, namentlich im Dekorativen, im Ornamentalen waltenden Erfindungskraft, die sofort sich entzündet, wenn eine äußere Anregung gegeben wird. Die Erweckung und Befruchtung der künstlerischen Grundkräste erfolgt wesentlich durch die Eindrücke des Schauens. Die im einzelnen vom Lehrer auszuwäh­ lenden Stoffe find deshalb daraufhin zu beurteilen, ob von ihnen jene Wirkungen ausgehen, durch welche das Schönheits- und Formengefühl erschlossen und entwickelt und ein ergiebiger, auch im nationalen Sinne fruchtbarer Vorstellungsinhalt gebildet wird. Die Stoffe müssen jedenfalls die Schönheitselemente darbieten, aus denen der hierauf abzielende Kunstunterricht sich aufbaut. Die Gebiete, denen diese Lehrstoffe entnommen werden können, sind das Reich der Natur, das Reich der Technik und das Reich der Runft Der Entnahme der Stoffe aus der Natur sind wir Deutschen besonders zugeneigt. Denn die Freude an der Natur ist uns angeboren. Sie gehört nach Ranke zu unfern hervorstechendsten Eigenschaften. Kein anderes Volk durchwandert den ihm gehörigen Boden so fleißig und so fteudig, keines pflegt ihn so hingebungsvoll un­ erbaut sich so an seinen Reizen, wie das deutsche Volk. Ein alles durchdringendes Naturgefühl spricht aus den germanischen Sitten und aus allen Einrichtungen des Lebens. Die Natur ist auch in der Tat die reichste Quelle alles Gestaltens. Gerade die schwierigsten Schöpfungen des menschlichen Geistes — es sei nur an den Torpedo und an die Flugzeuge erinnert — gehen in ihren Vorbildern ost unmittelbar auf die Natur zurück. Für das künst­ lerische Schaffen bietet sie Formen von größter Mannig­ faltigkeit und unbegrenzter Ergiebigkeit. Aufgabe des Künstlers und Kunstlehrers ist es, aus ihnen diejenigen

Elemente herauszugreifen und sich und den Schülern zu eigen zu machen, welche durch ihre Art und Erschein nungsweise ein schönheitliches Interesse bieten und einen künstlerischen Ertrag abwerfen. Am dankbarsten erweisen sich hiefür jene Formenelemente, die sich leicht und für dauernd in den Dorstellungsinhalt eingliedern, die also einfache, einprägsame Figuren in klareir Ver­ hältnissen zeigen und welche zugleich für unser Dasein, für unsere Erhaltung, unsere Bedürfnisse und womöglich auch durch ihre Beziehungen zu unserm Geistes- und Gefühlsleben von Bedeutung sind. Im Vordergründe steht die Pflanzenwelt und der tierische und mensch­ liche Organismus. Die Pflanzenwelt bietet dem Künstler für den Organismus seines Schaffens, für die Darstellung tek­ tonischer Kräfte, für die Gliederungen und Verbin­ dungen ausgezeichnete Vorbilder in einem unerschöpf­ lichen Reichtum. Wir sehen an dem Wachstum der Pflanzen, an dem Bau und der Verbreiterung der Wur­ zeln je nach der Dodenbeschaffenheit, an der Abnahme der Stärke von Stamm, Stengel und Zweig nach oben und außen, an der Art der Ansatzbildung, an der wohl­ bemessenen Abstufung und Abwandlung aller Einzel­ heiten bis zur frei endigenden Blüte und Frucht das Walten eines strengen, einheitlichen und folgerichtigen Gestaltungsgesetzes in einer geradezu zwingenden Logik. In einem noch weitergehenden und höheren Sinne bietet die Natur in dem unter ihren Geschöpfen zu höchster Entwicklung fortgeschrittenen tierischen und mensch­ lichen Organismus eine Formenquelle für den künstlerischen Gedankenausdruck. Die strenge Gesetz­ mäßigkeit seiner innern anatomischen Zusammenhänge, die äußerste Zweckmäßigkeit seiner Formenverhältnisse, die unübertreffliche Durchbildung aller Einzelheiten und Hartmann, Doltaknnl«.

8

die fortwährende Veränderlichkeit der Bewegungsbilder führt dem künstlerischen Empfinden für das Organische die reichsten Ausdrucksmöglichkeiten vor Augen. Die Einprägung einer möglichst großen Summe künstlerisch wertvoller Naturbilder in den Dorstellungsinhalt gibt diesem die geeignetsten formalen Mittel an die Hand für die Verständlichkeit, Klarheit und Überzeugungs­ kraft des künstlerischen Gedankenausdrucks. Aus dem Reiche der Technik kommen hauptsächlich diejenigen Formen in Betracht, in denen der Zweck, dem sie zu dienen haben, besonders deutlich sich auespricht. So eignen sich die Geflechte und die textilen Gebilde besonders für die Darstellung der Flächen und ihrer Teilungen und Einsäumungen, für die Veranschaulichung der Ausgaben des Verbindens, Umhüllens, des Be­ deckens, des Schutzes u. dgl. Die konstruktiven Tech­ niken geben durch die Art des Zusammenfügens starrer, tragfähiger Glieder zu einem festen System, durch die Art der Stützenbildung mittelst Pfeilern und Säulen, durch die Wandbildung mittelst übereinandergeschichteten Quadern oder auch mit Stabwerk, durch die Dogenund Gewölbekonstruktionen mit Hilfe von Keilsteinen, von Dachkonstruktionen mit Hilfe von Sparren usw. sehr dankbare Vorbilder für den äußern Aufbau der Kunstwerke. Für die Aufnahme von Grundformen aus der Natur und Technik als Lehrstoffe für die künstlerische Erziehung, ist aber nicht ausschließlich die Rücksicht darauf maßgebend, ob sie zur Darstellung technischer Funktionen und or­ ganischer Gliederung und Durchbildung geeignet sind. Wenn die Kunstwerke eine anregende, belebende und Stimmung erzeugende Wirkung ausüben sollen, so ist die Brauchbarkeit der für sie zu verwendenden Formen­ elemente auch von dem Stimmungsgehalt für den

Lehrstoffe aus der Technik.

Sinn- und WappenbUder.

jeweils ins Auge gefaßten künstlerischen Zweck abhängig. In dieser Hinsicht erscheint die Natur durch die engen Beziehungen des Menschen zu ihr, insbesondere zu der Pflanzen- und Tierwelt, durchweg ergiebiger, als die Technik. Zahlreichen Gebilden aus der Natur ist neben solchen aus der Technik durch die übereinstimmende Art ihrer Verwendung In der Kunst eine Bedeutung unterlegt, die ihnen den Charakter als Sinnbilder gibt. Sie finden sich namentlich auch in den Wappen­ figuren und Wappenbildern, deren Kenntnis für die meisten Jünger der Volkskunst unerläßlich ist. So überaus reich und bedeutsam die Natur als Quelle und Jungbrunnen für das künstlerische Schaffen ist, so können doch die für die Kunsterziehung notwen­ digen Lehrstoffe, auch wenn man die aus der Technik zu entnehmenden Elemente hinzurechnet, nicht voll­ ständig aus ihr bestritten werden. Denn die Natur bildet ihre Formen und Farben nicht in Rücksicht auf die schönheitlichen Wirkungen derselben für unser Auge, sondern lediglich in Erfüllung der das Grundwesen der Natur bestimmenden Gesetze der Erhaltung, des Wachstums und der Fortpflanzung. Diese stimmen wohl in vielen, aber nicht in allen Punkten mit den aus den rein schönheitlichen Wirkungen sich ergebenden Kunstgesetzen über­ ein. Und dann bietet auch die Natur ihre Erscheinungen nicht nach den für das künstlerische Schaffen maßgebenden Bedingungen des Stoffes und der technischen Hilfs­ mittel. Die Einführung von Naturformen in die Kunst ist deshalb fast immer nur mit einer diesen Bedingungen entsprechenden Umbildung der Naturformen möglich. Soll eine solche — man denke beispielsweise an eine Rose, den Rosenzweig, das Rosenblatt — für irgend­ welche künstlerische Zwecke in der dekorativen Blldnerei verwendet werden, so ist sie in der Formgebung für grob8*

körnigen Sandstein anders zu behandeln, als für fein­ körnigen Marmor, für Eichen- oder Birnbaumholz anders, als für Elfenbein. Ebenso müßte die natürliche Rose mit ihren Zweigen und Blättern für die Ausführung in Schmiedearbeit eine andere Umbildung erfahren, als für Gußarbeit, für die Treibearbeit in Eisenblech eine andere, als in Kupfer, Silber oder Gold; sie müßte auch für Holzeinlagen anders aufgefaßt und wiedergegeben werden, als für einen gewirkten oder gewobenen Teppich u.dgl. m. Die für die Einführung in die Kunst notwendige Umbil­ dung der Naturformen nach den Bedingungen des Materials und seiner technischen Bearbeitung verlangt für grobkörnigen Sandstein, Schmiedeisen und andere schwer bearbeitbare Materialien in der Regel eine weit­ gehende Vereinfachung und Vergröberung, für die weichen und zu feinerer Ausbildung geeigneten Stoffe, wie Silber, Gold und Elfenbein dagegen oft noch eine reichere Ausgliederung und Verfeinerung der Natur­ formen. Jedenfalls muß der Bildhauer, der Schmied, Ziselierer usw. das Material, ebenso aber auch die Technik genau kennen, ehe er imstande ist, die Umbildung von Naturformen für künstlerische Zwecke materialgerecht und auch technisch richtig vorzunehmen. Außerdem ver­ langt dieselbe noch ein treffsicheres Gefühl für die schönheitliche Wirkung der einzelnen Formen in den ver­ schiedenen Materialien und Techniken, also eine durch das geistige Auge erschaute (intuitive) Voraussicht des Kunsteindrucks der Fertigformen. Diese Voraussetzungen werden nur im Verlaufe der Ausbildung selbst auf Grund ausreichender Erfahrung erworben. Jedenfalls fehlen sie dem Lernenden auf der Unterstufe vollständig und meist auch noch auf der Mittelstufe. Das Umsetzen von Natursormen in Kunst­ formen ist eben schon ein Teil der rein produktiven Tätig-

Umsetzen von Naturformen in Kunstformen.

117

keit. Mit dieser kann aber keine ernstgenommene Aus­ bildung beginnen. Der Schüler muß vielmehr zunächst in rein ausnehmender Weise tätig sein; er muß sich als erstes mit der Erwerbung der Grundlagen für das pro­ duktive Schaffen befassen. Diese liegen einerseits in der Einführung des Schülers in die Materialienkenntnis und in die Beherrschung der technischen Mittel, ander­ seits in der ästhetischen Schulung derart, daß die schönheitliche Wirkung der für das Kunstwerk verwendeten Naturformen durch entsprechende Umgestaltung derselben von vornherein gesichert wird. Der erste Teil dieser Ausbildung ist hauptsächlich die Aufgabe der praktischen Unterweisung, der zweite Teil die Ausgabe des eigentlichen schulmäßigen Kunstunterrichts. Die Ausbildung wird ein besonders günstiges Ergebnis haben, wenn sie sich nach den beiden Seiten ihrer Ausgabe gleichzeitig und neben­ einander vollzieht. Denn in diesem Falle unterstützen die Erfahrung und Erkenntnis sich gegenseitig; sie ver­ stärken und vertiefen die erzieherischen Eindrücke und erhöhen so den erzieherischen Ertrag. Wenn die ästhetische Schulung des Kunstjüngers in bezug auf die in erster Linie anzustrebende Erfassung und Entwicklung des Schönheitsgesühls sicheren Erfolg haben soll, so müssen die Eindrücke des Schauens, durch die alle Kunsterziehung vermittelt wird, von Erschei­ nungen ausgehen, welche schon die Veredelung durch die Kunst in sich tragen. Diese vereinigen mehr Schönheiteelemente in sich und wirken deshalb auf das zu entwickelnde Schönheitsgefühl viel stärker und nach­ haltiger ein, als die noch unveredelte Form. Die der Entwicklung des Schönheitsgefühls dienenden Lehrstoffe werden deshalb zweckmäßig, insbesondere auf der An­ fangsstufe des Unterrichts, dem Reiche der Kunst selbst, den Kunstwerken entnommen. Damit entspricht der

Lehrer am besten dem allgemeinen Grundsatz für jeg­ liche Art Erziehung, dem Lernenden die Errungen­ schaften der vorangegangenen Zeit durch unmittelbare Einwirkung des Erziehers zuzuführen und nutzbar zu machen, so daß der Lernende die für das Leben und für seinen Beruf nötige Einsicht und Erfahrung sich nicht auf dem unsicheren, zu mancherlei Irrgängen, zu Fehl­ ergebnissen und zur Kraftvergeudung führenden Wege eigenen Suchens erwerben mutz. Durch die sachgemäße unterrichtliche Behandlung geeigneter Kunstwerke nehmen die Schüler das in sich auf, was andere auf dem Gebiete der Kunst besonders Erfolgreiche und Erfahrene schon vor ihnen an Schönheitseindrücken aus Natur, Technik und Leben in sich ausgenommen haben, samt der Art und Weise, wie sie von diesen verwertet wurden. Das Gefühl für das Schöne wird durch den auserlesenen und gesteigerten Gehalt vorbildlicher Kunstschöpfungen an Schönheitselementen und an deren Zusammenwirken zügelnem geschlossenen künstlerischen Organismus mächtig angeregt und in der Entwicklung gefördert. Die Nach­ empfindung lenkt dasselbe in eine schon im vorange­ gangenen Kunstschaffen bewährte und also erfolgver­ sprechende Richtung. Ganz in demselben Sinne vollzieht sich gleichzeitig -le Einwirkung auf das Formenverftändnis, Formengefühl und Formengedächtnis. Der Dorstellungs­ inhalt erfährt eine bedeutsame und ertragreiche Erwei­ terung. Auch für die Ableitung und Einprägung der Kunstgesetze bieten die unter ihrem Einfluß entstandenen Kunstwerke den geeignetsten Lehrstoff. Anschaulicher und überzeugender als mit irgend welchen anderen Hilfs­ mitteln kann an ihnen die Wirkung der Kunstgesetze vor Augen geführt werden. Für die Entwicklung des Stil­ gefühls und Stilverständnisses sind vorbildliche Kunst­ schöpfungen überhaupt nicht als Lehrstoffe zu entbehren,

Lehrstoff« aus dem Reiche der Kunst.

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-a diese Entwicklung nur durch Eindrücke des Schauens angebahnt werden kann und diese von solchen Gegen­ ständen ausgehen müssen, welche das Wesen des Stils erkennen lassen, also stilvoll durchgebildet sind. Die Bedeutung vorbildlicher Kunstwerke als Lehr­ stoff für die Kunsterziehung darf von keinem Kunstlehrer, -er seine Erziehungsaufgabe ernst nimmt, unterschätzt werden. Sie tritt auch in den Erfahrungen der Ver­ gangenheit, sowohl an dem Entwicklungsgang der ein­ zelnen Künstler wie auch der Runft ganzer Völker mit einer jeden Zweifel ausschließenden Klarheit zutage. Fast alle großen Künstler — vergegenwärtigen wir un­ nur die überaus fruchtbare Zeit der Renaissance — haben zunächst an den von ihren Meistern gegebenen Vorbildern deren Kunstauffassung in sich ausgenommen und sind an ihrem Können emporgestiegen, bis ihre eigene Schöpferkraft so weit herangebildet war, daß sie sich zu freiem Fluge erheben konnten. Dieser erst trug sie bei entsprechender Begabung und Willensstärke über die von ihrem Vorbild und Meister erreichte Höhe hinaus. Der Aufstieg war in bezug auf die Kürze der Zelt, die er beanspruchte, und auf seine künstlerische Höhe ost genug ganz wesentlich bedingt durch den Hochstand jener Runftwerke, die den Bildungsstoff für die in der Entwicklung begriffenen Künstler und ganzer Völker abgaben. Der Vorsprung, den die Italiener aus dem Studium der Antike gewannen, deren Werke ihnen noch in großer Zahl vor Augen standen, war so groß, daß er Jahr­ hunderte hindurch nicht von andern Völkern eingeholt werden konnte. Unabsehbar war die fördernde Ein­ wirkung der antiken Vorbilder selbst noch auf die Kunst­ entwicklung der nordischen Völker, insbesondere unseres eigenen Volkes seit jener Zeit, in der unsere Vorfahren mit den hochsteheendn Völkern des Altertums in De-

120

Die Erziehung zur Volkskunst.

rührung kamen. Sie läßt sich auch da noch in aller Deut­ lichkeit verfolgen, wo sich unsere Rasseneigentümlich­ keiten den fremdvölkischen Einflüssen gegenüber mit vollem Erfolg und den Gesamteindruck bestimmend durch­ setzten, wie z. B. in dem überaus fruchtbaren germanisch­ romanischen Mittelalter. Ganz gewiß hätte unsere deutsche Kunst der Vergangenheit viel früher und in einem weit umfassenderen Matze einen Höchststand der Entwicklung erreicht, wenn der zeitliche und geographische Verlaus der Weltkulturgeschichte es unsern Vorfahren gestattet hätte, an den Vorarbeiten teilzunehmen, welche das Altertum durch die formale Ausbildung seiner Kunstwerke den späteren Zeiten leistete. An Begabung und Willenskraft hätte es unsern Künstlern, wie die Werke aus dem hohen Mittelalter, der Renaissance und Barockzeit dartun, sicher nicht gefehlt. Ein etwaiger Mangel an formaler Pose und Glätte wäre reichlich ausgewogen worden durch den tieferen Gedankeninhalt und durch die überzeugende Wahrhaftigkeit und Charak­ teristik des Ausdrucks. Über unsern Dürer, dessen weit­ verbreitete Kupferstiche auch in Raffaels Hände ge­ kommen waren, soll der Grotzmeister der italienischen Kunst ausgerufen haben: „Hätte dieser die Antike ge­ kannt, er überträfe uns alle." Raffael erkannte demnach die hohe Überlegenheit des deutschen Meisters hinsichtlich der Tiefe und Kraft des Gedankenausdrucks; er vermitzte nur die von seinem Standpunkt als Italiener ein­ geschätzte, hauptsächlich durch die Antike geförderte formale Ausbildung. Ob die Wirkung der Antike auf Dürer eine so durchgreifende gewesen wäre, wie auf die italienischen Meister, ist allerdings fraglich. Denn Dürers Empfinden war ein anderes, als das seiner grotzen Zeitgenossen jenseits der Alpen, und er bewahrte sich auch sieghaft gegenüber allen äußern Einflüssen seine

nationale Eigenart und Stärke*). Aber auch Dürer wäre nicht zu seinem staunenswerten Ausdrucksver­ mögen gelangt, wenn er nicht die Erfahrungen der Ver­ gangenheit aus -en Werten seiner großen deutschen Vorgänger in sich ausgenommen und für sein eigenes Schaffen verwertet hätte. Selbst für Dürer wäre die einem Menschenleben zugemessene Zeit zu kurz gewesen, um die für eine erfolgreiche Kunstbetätigung notwendige Erfahrung in völliger Anabhängigkeit vom Alten für sich aufs neue zu erwerben. Aus der Entwicklung unserer Kunst in der Ver­ gangenheit sowohl bei den einzelnen Künstlern wie ganzer Völker ergeben sich also auch für unsere Kunsterziehungs­ aufgaben in der Gegenwart, und zwar gerade hinsichtlich der Wahl der Lehrstoffe für den Anterricht, höchst ein­ dringliche und unabweisliche Folgerungen. Wenn ein Künstler aus unserm heutigen System des Kunstunter­ richts die Verwendung von Kunstwerken der Vergangen­ heit als vorbildliche Lehrstoffe ausgeschaltet wissen wollte, so würde er sich hierzu durch Gründe bewegen lassen, die außerhalb des Wesens und auch außerhalb jeder selbstverständlichen Forderung planmäßiger und ziel­ bewußter Kunsterziehung, ja auch außerhalb der wohl*) Es ist bekannt, bah unser Dürer sich weit in der Welt umgesehen hatte, daß er wiederbolt in Italien weilte und jahrelang

in der Fremde gelebt hatte.

Aber von allen seinen Reisen ist er

innerlich unberührt nach Nürnberg zurückgekehrt, nachdem er glän­ zende Anerbietungen von Venedig und Antwerpen, mit einem gahresgehalt dort zu bleiben, ausgeschlagen hatte.

Zweifellos waren

auch für Dürer die in der Fremde, insbesondere in Italien ge­ wonnenen Eiridrücke von hohem Nutzen.

Er hat sie aber in sein

Erbgut elngeschmolzen, ohne irgend etwas von diesem preiszugeben.

Auch

hierin

ist Dürer

das

erhabenste und leuchtendste Vorbild

eines feine Nattonalität im höchsten Sinne in sich verkörpernden, wahrhaft großen und charaktervollen deutschen Künstlers.

122

Die Erziehung zur Volkskunst.

verstandenen Interessen der Kunstschüler und selbst der Kunstentwicklung liegen würden. Die Durchführung solcher Ansichten müßte unausbleiblich zum Nachteil jedes wahren und dauernden Erziehungserfolges aus­ schlagen. Dem Träger solcher Ansichten würde der Tief­ blick in die inneren Zusammenhänge der Eindrücke des Schauens mit der Erregung und Wirkung der in der menschlichen Natur liegenden künstlerischen Grundträfte fehlen und im weiteren auch jedes Verständnis für die Bedeutung der Erfahrung im gesamten Fortschritt des Geisteslebens, insbesondere in bezug aus das große Erziehungswerk der Menschen und der Völker. Wollte ein solcher Künstler ein Lehramt übernehmen, so müßte ihm von vornherein die Befähigung hierzu abgesprochen werden; wäre er schon in einem Lehramte, so müßte sie ihm, falls er sich einer, besseren Überzeugung und einer entsprechenden Betätigung derselben als unzugänglich erweisen würde, in wohlverstandener Wahrung der Inter­ essen der Schüler und -er Schule diese Befähigung noch nachträglich aberkannt werden. Bei der Auswahl der als Lehrstoff für den Kunst­ unterricht zu verwendenden Runftocrte muß vor allem dem Grundsatz Rechnung getragen werden, daß man sich für keinen Gegenstand, keinen Stoff entscheidet, dessen unterrichtliche Behandlung nicht die Kunst befruchtet, aber auch für kein Wissen, das nicht die Kunsttätigkeit vermehrt. Soweit es immer möglich ist, sind die Lehr­ stoffe der deutschen Kunst zu entnehmen. In jedem Falle müssen wir es vermeiden, den Dorstellungsinhalt der Schüler, so wie es im letzten Drittel des 19. Jahr­ hunderts geschehen ist, mit Formenelementen zu füllen, die aus aller Herren Ländern, von Ägypten bis Irland, von Japan bis Nordamerika, zusammengesucht sind. Mit dieser Forderung möchten wir jedoch für die spätere Kunst-

betätigung, wie schon aus unseren vorangegangenen Betrachtungen hervorgeht, nicht etwa einer engherzigen nationalen Abschließung, insbesondere von der Verbin­ dung mit dem Geistesleben der umwohnenden Völker, das Wort reden. Für den reifen, frei schaffenden Künstler, der auch fremde Einflüsse richtig im Geiste seines Volks­ tums zu verarbeiten und das von ihnen Entnommene in dasselbe einzuschmelzen versteht, wäre eine solche Ab­ schließung völlig unangebracht; er würde sich dadurch nur eine unter Umständen recht ergiebige Quelle der Anregung verstopfen. Unter den Händen des noch un­ entwickelten, unsicheren Schülers entstände aber nur eine Zusammensetzung unter sich fremdartiger Formenele­ mente, die als Ganzes genommen des einheitlichen or­ ganischen Ausdrucks entbehren würde. Für den Ler­ nenden ist also aus psychologischen, erzieherischen und nationalen Gründen eine gewisse Beschränkung in der Auswahl der Lehrstoffe auf das Bildungegut unserer deutschvöltischen Kunst geboten. Die pädagogische Er­ giebigkeit derselben darf ebensowenig, wie die unserer Gesamtkultur, in Zweifel gezogen werden. Nur der enge Anschluß an die Runft des eigenen Volkstums bewahrt den leicht erregbaren, Schönheit suchenden Kunstjünger unter den wechselvollen Strömungen der Zeit vor den Wandlungen, Entgleisungen und Irrungen einer ost genug nach Modeschlagworten sich richtenden Ästhetik. Auch in bezug auf die Heranbildung zur Kunst­ betätigung müssen wir, wie in allen Erziehungsstagen, dessen eingedenk sein, daß das deutsche Geistesgut dem Deutschen immer mehr sagt als das stemde; wird doch auch die Gedanken- und Gefühlswelt der griechischen, römischen, stanzösischen Schriftsteller und Künstler am besten von ihren eigenen Dolksangehörigen verstanden und nachempstmden.

124

Die Erziehung zur Volkskunst.

Als am ertragreichsten erweist sich, namentlich für die Unterstufe des Unterrichts, stets jener Bildungsstoff, der unmittelbar dem engeren Volkstum, dem Geiste und den Werken der Heimatkunst entnommen ist. Er ist für den Anfänger besonders geeignet, die Grundzüge der deutschen Shinft zu erkennen und dieselben durch die immer sich wiederholenden Bildeindrücke sicher, tief und dadurch auch dauernd einzuprägen. Ein Kunst­ studium, das von der Heimatkunst ausgeht, bedingt durch die gründliche Beschäftigung mit derselben im ganzen wie in den Einzelheiten mittelst zeichnerischer und pla­ stischer Aufnahme ein solches Versenken in den Stoff, daß alle späteren Bildeindrücke zu ihnen in Vergleich treten. Die Heimatkunst wird dadurch gewissermaßen zu einem Maßstab für die Beurteilung der Fremdkunst. Weil jene den Grundstock bildet, dringt das Fremdartige nur in demjenigen Verhältnis in den Dorstellungsinhalt des Schülers ein, als es sich durch An- und Einpassung mit dem bereite aus der Heimatkunst erworbenen geistigen Besitz verbinden und in diesen sich eingliedern läßt. Das auf die Kunst bezogene Heimatgefühl wird so in Zu­ sammenwirkung mit der heimatlichen Grundanschauung zu einer fest in den Schoß der mütterlichen Erde ein­ gebetteten Stammwurzel und damit zum Ausgangs­ und Mittelpunkt für die gesamte Auffassung und die Entwicklung des Künstlers. Ilm ihn herum erweitert sich mit dem Fortgang der Ausbildung sein Gesichtsfeld in konzentrischen Kreisen. gm Heimatlichen liegt der Urquell der Volkskraft, in der Heimatkunst der Urquell der Volkskunst. Sie lehrt uns durch unsere Teilnahme an den Heimatinteressen die Spuren des tätigen Lebens verfolgen, des­ gleichen die Bedingungen des erdgebundenen Schaffens. Sie lehrt uns auch das Wesen wahrer Volkskunst er-

fassen, in der sich unser eigenes Wesen wiederspiegelt. Sie beschäftigt sich mit allen jenen Erscheinungen, die den Schülern von ihrer Kindheit an lieb und vertraut sind, und welche ihrer ganzen Natur nach den Anlagen und dem engsten Jnteressentreis der Schüler entsprechen. Deshalb wird die Heimatkunst besonders leicht von ihnen ersaht und in den jugendlichen Kunstwillen umgeseht. Auch auf das spätere Schaffen des reisen Künstlers sind ihre Wirkungen von unschätzbarem Werte. Mit einer tiefverankerten Heimatkunst erwirbt sich der Künstler ein Stammgut, welches ihm gegenüber dem Wechsel der Tagesmeinungen und der oft mit großer Bewegungs­ stärke einsetzenden Tagesströmungen einen festen Halt gibt. Seine Shinft gewinnt den höchsten Vorzug, den die Volkskunst aufweisen kann, den der Bodenständigkeit. Einmal erworben, bleibt sie für ihn eine unverlierbare Errungenschaft. Denn auch aus dem Gebiete der Shmft bricht Landfestigkeit die Wogengewalt. Mit dem Ausgehen von der Heimatkunst und dem Festhalten an ihr werden auch die Forderungen des Nationalen in der Auswahl der Lehrstoffe im höchsten Sinne erfüllt, gn ihr prägen sich die früher besprochenen Grundzüge in der dem heimatlichen Volks­ tum eigenen Weise aus und zwar so, wie sie dem ihm entwachsenen Künstler am verständlichsten erscheinen. Durch das tiefere Eindringen in die Heimatkunst, in den Geist, der sie geschaffen und in die Form, in welcher sie sich aussprach, wahren und mehren wir auch am besten das Erbe unserer Väter. Mit der Erweckung der Ehr­ furcht vor den würdigen Gestalten unserer Vergangen­ heit, vor der Art ihrer Auffassung und ihres Schaffens verpflanzen wir in unsere Schüler den triebkräftigen Samen für alle jene Segnungen, die aus einem hoch­ entwickelten Heimatgefühl für das ganze spätere Leben

und Wirken hervorgehen. Wenn die verehrungsvolle Ge­ sinnung, die Pietät gegen das Sitte fehlt, so fehlt die erziehliche Wirkung jenes Gefühls, das den Sohn zu seinem Vater aufsehen läßt. Welche Erziehungswerte hierdurch verloren gehen, läßt sich kaum ermessen. Daß diese Sünde immer im Leben des einzelnen wie in der Gesamtheit sich rächt, haben wir genugsam auch im Kunst­ leben erfahren. „Ehret Eure deutschen Meister, dann bannt Ihr gute Geister", legt -er große Vorkämpfer für deutsche Kunst, Richard Wagner, seinem Hans Sachs in den Mund, eine Mahnung, die gerade in unsern Tagen volle Beherzigung verdient. Kein gewissenhafter Lehrer sollte sich je eine Gelegenheit entgehen lassen, -en Eifer der Schüler anzuregen zur Beachtung, Schonung, gnstandhaltung, Bewahrung und, soweit angängig, zur Sammlung von Gegenständen seiner Heimatkunst. Für jeden Leiter, Lehrer und Schüler einer Kunsterziehungs­ anstalt sollte es ein besonderes Anliegen, eine besondere Freude sein, möglichst viel beizutragen zur Erwerbung einer tunlichst reichhaltigen Sammlung heimatlicher Kunstwerke im Original, in guten Kopien, Photogra­ phien oder in erschöpfenden zeichnerischen Darstellungen. Diese Sammlungen sollten in unmittelbarer Verbin­ dung mit der Schule stehen und ganz ihren Zwecken, ihrer unterrichtlichen Aufgabe dienen. Solche Schul­ museen bilden die besten Lehrftoffsammlungen für eine tiefgründige, im Erfolg nie versagende Erziehungsarbeit zur Volkskunst. Ist die Beschaffung, Sichtung und Auswahl der Lehrstoffe in einer allen Anforderungen entsprechenden Weise erfüllt, so muß die Sorge des Lehrers darauf gerichtet fein, für feinen Unterricht ein Lehrverfahren zu gewinnen und zur Durchführung zu bringen, durch welches die Erreichung der Lehrziele sichergestellt wird;

Das Lehrverfahrrnz psychologische Vorgänge.

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es muß von ihm alles geschehen, was sie fördert und alles vermieden werden, was ihr hinderlich wäre. Das Lehr­ verfahren besteht demnach in einer wohlbedachten, in den Wirkungen und Erfolgen sorgfältig abgewogenen Einflußnahme des Lehrers auf den Schüler derart, daß die in unfern früheren Ausführungen bezeichneten Lehrziele sicher und voll erreicht werden. Durch die unentwegte Ausrichtung der gesamten Unterrichtstätigkeit auf diese Ziele wird das Lehrverfahren nach seinem Inhalt und seiner Form bestimmt. Es muß in jeder Hinsicht geeignet sein, den Schüler planmäßig zu leiten und so zu beein­ flussen, daß die Geistesvorgänge, welche zu den Zielen hinführen, den für deren Erreichung erforderlichen Ver­ lauf nehmen. Für den gewissenhaften Lehrer ist es des­ halb sehr wichtig, diese Vorgänge selbst in ihren Grund­ lagen und Grundkräften, in ihrer Aufeinanderfolge und in -en Zusammenhängen sich zu vergegenwärtigen, um aus der damit gewonnenen Erkenntnis die Hauptgesichts­ punkte und Richtlinien für sein Lehrverfahren abzuleiten. Angeregt und eingeleitet werden die bei der Kunst­ betätigung sich vollziehenden Geistesvorgänge durch die Eindrücke des Schauens. Sie bilden gewisser­ maßen die Brücke, auf welcher die von der Sinnenwelt ausgehenden Erscheinungen Zugang finden zu -en tief in der menschlichen Natur verborgen liegenden Be­ zirken der geistigen Tätigkeit. Mit der Berührung und Erregung der Geisteskräfte durch die Eindrücke -es Schauens erfolgt die Wahrnehmung der Erscheinung und damit des Gegenstandes, von dem sie ausgeht. Ihre Stärke ist im wesentlichen abhängig von der Stärke und Dauer der Eindrücke des Schauens. Schwache und schnell vorübergehende Eindrücke bleiben ost ohne weitere Nachwirkung. Sobald eine Erscheinung infolge ihrer Stärke und Dauer einen solchen Eindruck hervorrust.

daß sie in ihren wesentlichen Bestandteilen zur Wahr­ nehmung kommt, so überschreitet diese die Schwelle des Bewußtseins; sie wird zum Erlebnis, zur Erfahrung. Die Art und Stärke der Eindrücke des Schauens richtet sich nach der dem Beschauer eigentümlichen Empfänglichkeit für Bildeindrücke. Diese aber entspringt nach den vorausgegangenen Darlegungen der künst­ lerischen Veranlagung und bildet den Hauptinhalt der­ selben. Hieraus erklärt sich die Abhängigkeit der Wahrnehmung von der künstlerischen Ver­ anlagung. Der Lehrer muß deshalb, um die Schüler durch die Eindrücke des Schauens erfolgreich zu beein­ flussen, ihre Veranlagung kennen lernen. Sie offenbart sich in der Art und Weise, wie die Schüler die von dem Lehrer mit Hilfe geeigneter Lehrstoffe hervorgerusenen Eindrücke aufnehmen, wie sie auf seine Einwirkungen reagieren und namentlich auch darin, welche Mittel er anwenden muß, um die Schüler zu einer aufmerk­ samen Beobachtung zu veranlassen. Die Versetzung der Schüler in den Zustand der Aufmerksamkeit für die vom Lehrer beabsichtigten Bildeindrücke ist eine sehr wichtige Aufgabe eines wohlerwogenen Lehrverfahrens. In diesem Zustand sind die Sinnesorgane der Schüler besonders empfänglich für die bewußte Wahrnehmung der Erscheinungen. Der Lehrer muß also die Aufmerk­ samkeit der Schüler so erregen und leiten, daß sie von den ihnen vorgesührten Lehrstoffen das sehen, studieren und sich aneignen, was der Erreichung der Lehrziele dienlich ist. Die Einflußnahme des Kunstlehrers auf die Schüler ist in bezug auf die Erweckung der Aufmerk­ samkeit beispielsweise eins ähnliche, wie die des Musik­ lehrers, wenn dieser auf einzelne Stimmen, z. B. das Fagott, das Violoncello oder die Klarinette, aufmerksam macht, so daß seine Schüler die von diesen Instrumenten

Wahrnehmung.

Auffassung.

j29

Intuition.

wiedergegebenen Motive aus der Klangmasse des Or­ chesters deutlich heraushören. Mit der Erregung der Aufmerksamkeit wird sich der Lehrer nicht begnügen dürfen; er wird sich vielmehr auch davon überzeugen, ob der Schüler in der Tat die­ jenigen Bestandteile der Erscheinungen wahrgenommen und sich angeeignet hat, auf welche im Interesse seiner Erziehung zur Kunstbetätigung Wert zu legen ist. Die Wahrnehmung muh eine solche sein, daß sie zu einer voll­ ständigen, klaren und scharfen Auffassung der künst­ lerischen Wesensbestandteile der Erscheinungen führt. Am vollkommensten ist sie dann erreicht, wenn nach dem Entschwinden der äußeren Erscheinung von dieser eine so lebhafte innere Vorstellung zurückbleibt oder hervor­ gerufen werden kann, als stünde die Erscheinung selbst mit -er Deutlichkeit einer sinnlichen Wahrnehmung vor dem geistigen Auge. In diesem Falle wird die Auffassung einer Erscheinung als die schon in das volle Bewußtsein gchobene Form der Wahrnehmung vollends zur inneren Anschauung, zur Intuition. Diese erst wird für die Kunstbetätigung wahrhaft fruchtbar. Denn wenn ein Künstler irgend ein Kunstwerk in Stoff, Form und Farbe bilden will, so muh dasselbe, schon bevor er es in Angriff nimmt, seinem geistigen Auge so vorschweben, wie wenn es fertig vor ihm stünde. Die Fähigkeit zur Hervor­ bringung von Kunstwerken hängt also ganz wesentlich davon ab, ob der Künstler über eine solche Summe intuitiver Vorstellungen verfügt, welche für die erfolg­ reiche Hervorbringung eines Kunstwerks erforderlich ist. Drren ganze Art und Bedeutung wird vor allem durch dir Intuition bestimmt. Je reicher dieselbe an künstlensch ergiebigen Vorstellungsbildern ist, und je klarer diese in allen Einzelheiten ausgeprägt sind, desto mehr bcherrscht der Künstler geistig den Stoff und die Form. 8«*tm«nn, öoitotunlt

9

Die Summe der intuitiven Dorstellungsbilder schließt den Inbegriff dessen in sich, was wir als Vorstellungs­ inhalt bezeichnen. Seine Entwicklung, Ausbildung und Festigung in der von der Kunsterziehung angestrebten Richtung muß in erster Linie bestimmend sein für das im Kunstunterricht einzuhaltende Lehrverfahren. Die Dorstellungöbilder müssen einzeln erworben werden. Das sicherste Verfahren hiefür bietet das nach­ bildende Zeichnen und Modellieren, soweit es sich um intuitives Aneignen von Formen handelt, sowie das Malen, falls auch die Wiedergabe von Farben be­ absichtigt ist. Das Zeichnen beruht auf der Rückwärts­ projizierung der durch das Auge eingedrungenen und wahrgenommenen Dorstellungsbilder auf die Zeichen­ fläche. Aus der Vergleichung -er zeichnerischen Dar­ stellung mit der Wirklichkeitserscheinung ergibt sich die Richtigkeit und Vollständigkeit des Vorstellungsbildes. Durch die Aufeinanderfolge der zeichnerischen Vor­ gänge, die Feststellung der Verhältnisse und Gliedemngen, durch die Wiedergabe jeder einzelnen Bewegung von Linien oder Kanten mit dem Stift wird auch das Dor­ stellungsbild im ganzen wie in den Einzelheiten ent­ sprechend verfolgt und in seinen Bestandteilen systematisch geordnet. Die Zeichnung gibt also dem Lehrer ein Mittel an die Hand, -en Dorstellungsinhalt des Schülers zu erkennen und zu prüfen. Sie überträgt alle Formen in die auf zwei Ausdehnungen beschränkte Fläche. Beim Modellieren wird auch die -ritte Ausdehnung körper­ hafter Dorbllder entweder voll (in Rundplastik) oder in Verkürzung (Reliefplastit) wiedergegeben, beim Malen die Farbe. Die geistigen Vorgänge sind hier die gleichen, wie beim Zeichnen. Don der Aufmerksamkeit, mit der die Formen und Farben in den Dorstellungsinhalt ein­ geprägt werden, und von der Klarheit, mit der sie erfaßt

Dvrstellungsinhalt.

Denttätigkeit.

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werden, hängt im wesentlichen auch deren Einwirkung aus das Gefühl (das unmittelbare Wohlgefallen an dem Erschauten) und auf das Gedächtnis (die Fähigkeit des menschlichen Geistes zur unwillkürlichen oder will­ kürlichen Erneuerung früher erlebter Eindrücke) ab. Ein wohlgeleiteter Unterricht im Zeichnen, Modellieren, und Malen bietet also das sicherste und vollkommenste Lehr­ verfahren für eine planmäßige Entwicklung des Formenbezw. Farbenverständnisses, -gefühls und -gedächtnisses. Er «füllt zugleich das Formen- und Farbengedächtnis mit klaren, auch in den Einzelheiten treffenden Erinne­ rungsbildern und erwirbt so dem Schüler die wertvollsten Stosse für sein späteres künstlerisches Gestalten. Die Einverleibung neuer Bilder in den Vorstellungs­ inhalt vollzieht sich unter der selbsttätig einsetzenden Wir­ kung der Gedankenverbindung (gdeenassoziation) durch Angliederung der neuen Elemente an die bereits vor­ handenen. Sie erfolgt hauptsächlich nach der Ähnlich­ keit, aber auch nach der Gleichzeitigkeit und zum Teil auch nach der Gegensätzlichkeit (durch Gegenüberstellung) der Erinnerungsbilder. Aus dem unwillkürlichen, un­ geordneten, ost nur ganz lose zusammenhängenden und in weit entlegene Gebiete abschweifenden Verlauf der Gedankenverbindungen werden die einzelnen wichtigeren und wertvollen Vorstellungen herausgehoben und in folgerichtige Reihen gebracht durch die Denktätigkeit. Sie stellt die Fragen: Woher kommt die Erscheinung, wozu dient sie mir? Zn deren Beantwortung treten stühere, ähnliche Erscheinungen und Erfahrungen in den Vordergrund. Das Denken beruht wesentlich auf der Vergleichung mit jenen; es bezieht sich aus das Unter­ scheidende, auf das Verhältnis der Ursache zur Folge, des Ganzen zum Teil und umgekehrt, sowie der Teile zu­ einander. Seine Tätigkeit ist eine gliedemde, eine zer9*

legende, auswählende und zusammenfassende. Die Er­ gebnisse sind der Begriff und das Urteil im einzelnen, und das Verständnis und die Erkenntnis in bezug auf die Gesamtheit von Erscheinungen und Vorgängen. Durch eine wohlbedachte Einflußnahme -es Lehrers auf die Denktätigkeit des Schülers, durch Hervorrufung und Verbindung intuitiver Vorstellungen und Bildung klarer Begriffe und Urtelle gewinnt der Schüler für die rich­ tige Unterscheidung und Bewertung von Eindrücken des Schauens mit -er Zeit jene Fähigkeiten, die man mit Kunstverständnis und Kunsterkenntnis zu bezeichnen pflegt. Zugleich wird, da die Denktätigkeit unter der Leitung des Willens steht, auch der Kunstwille des Schülers in die den Absichten des Lehrers ent­ sprechende Richtung gelenkt. Die bisher verfolgten Gekstesvorgänge ergeben sich unmittelbar aus der Empfänglichkeit für Dildeindrücke. Sie sind wesentlich aufnehmender Natur und voll­ ziehen sich in gewissem Grade von selbst in allen mit normalen Sinnesorganen begabten und zu selbständiger Beobachtung herangereisten Menschen. Die Empfäng­ lichkeit für Bildeindrücke schließt aber nur einen Teil der künstlerischen Veranlagung in sich. Die höhere Stufe derselben äußert sich neben ihr noch in dem auf Eigen­ betätigung gerichteten Gestaltungsdrang und in der Fähigkeit für den künstlerischen Ausdruck (S. 27). Auch der Gestaltungsdrang schöpft seine Gedanken und die Mittel für den künstlerischen Ausdruck aus dem Dor­ stellungsinhalt. Er beschränkt sich nicht auf die Wieder­ erweckung vorangegangener Wahrnehmungen, sondern sucht durch Ausscheidung und Zuwahl, durch eigenartige Anordnung und Verbindung intuitiver Vorstellungen und von Bestandteilen derselben neue Eindrücke hervor­ zurufen. Der Gestaltungsdrang beruht also aus der

Äunftertenntnie. Kunstwille. Phantasie. AusdruckefShigkeit.

Phantasie (Einbildungskraft), jener Fähigkeit, die aus den Elementen von Erinnerungsbildern neuartige Vor­ stellungsreihen erzeugt. In Verbindung mit einem ab­ geklärten Runftoilkn ist die Phantasie die eigentliche schöpferische Geisteskraft. Aus ihrer Umsetzung in die Tat entsteht die künstlerische Komposition. Ihr Ziel und ihr Erfolg liegt in der Wirkung des vollendeten Kunstwerks auf den Beschauer. Die intuitive Voraus­ sicht und Vorausbestimmung dieser Wirkung bildet den Inbegriff dessen, was wir unter der Ausbrucksfähigkeit des Künstlers verstehen. Das Lehrverfahren muß also auch noch dazu geeignet sein, auf die weiter oben schon erwähnten, bei der Komposition und der Bestimmung des künstlerischen Ausdrucks sich vollziehenden Vorgänge (S. 28) einen solchen Einfluß zu gewinnen, daß die­ selben einen den Absichten der Kunsterziehung und der Erreichung der Lehrziele entsprechenden Verlauf nehmen. Außer den bisher erhobenen Anforderungen wird ein gutes Lehrverfahren noch einige weitere zu erfüllen haben, die sich aus Gründen ergeben, welche teils im Wesen der Kunst, teils in allgemeinen unterrichtlichen Erfahrungen liegen. Dor allem wird der Lehrer stets auf die Erweckung der Freude am künstlerischen Schauen ausgehen. Er wird den Schüler anlelten zum Schauen und Beobachten des wahrhaft Schönen, wo es sich zeigt, zum Erkennen seiner Gesetzmäßigkeit und seines künsüerischen Wertes, zur Anregung der Gestaltungs­ kraft und des schöpferischen Willens, aber auch zur Aus­ richtung der ganzen Tätigkeit auf Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit im künstlerischen Sinne behufs Er­ zielung höchster Wirkungen bei geringstem Aufwand. Die Beurteilung des Schönen wird immer die Über­ einstimmung der Form mit dem Inhalt ins Auge zu fassen haben; sie wird vom Ganzen ausgehen und dann

die Formen zergliedern in Rücksicht darauf, aus welchen Grundlagen sie sich entwickelt haben, welche Umstände von Fall zu Fall auf die Form- oder auch Farbengebung von Einfluß waren. Der Lehrer darf hierbei aber auch gewisse Grenzen in der unterrichtlichen Zergliederung des Stoffes nicht überschreiten. Sie liegen da, wo der Schüler der geistigen Arbeit der Denktätigkeit enthoben wird. Diese soll vom Lehrer angeregt, gefördert und erleichtert, aber niemals ausgeschaltet werden. Auch die Organe des künstlerischen Empfindens und Erkennens werden nur durch vollen, selbsttätigen Gebrauch zu möglichst hoher Leistungsfähigkeit entwickelt. Das Streben der Lehrer und Schüler muß unent­ wegt in der strengen Sachlichkeit, sowie darin liegen, das Einfache meisterlich zu gestalten. Stets sollte das Bewährte und Gediegene in den Vordergrund des Inter­ esses gestellt werden. Und dann sind in aller Arbeit die deutschen Tugenden der Gründlichkeit, Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, des Verzichts auf den äußerlichen Schein und der Gewissenhaftigkeit als leitende Grundsätze ein­ zuhalten. Insbesondere wird der Lehrer beim Studium von Kunstwerken durch die Schüler auf große Sorgfalt und Genauigkeit zu achten haben, da der Nachbildende immer die Neigung hat, die Formen zu vergröbern, namentlich wenn er das Vorbild nicht in seinem vollen Wesen erfaßt hat. Stets müssen die vom Schüler ftüher gemachten Erfahrungen sowie die allgemeinen Lehren der Kunstentwicklung zur Verbesserung herangezogen werden. Deshalb ist es auch sehr wichtig, daß nach Vollendung jeder Studienarbeit jeweils das an ihr Gewonnene und Erkannte festgestellt und als Unterrichtsergebnis in den Vorstellungeinhalt und die Kunsterkenntnis elngeprägt wird. Der Lehrer darf hierbei aber nicht vergessen, daß Worte leerer Schall bleiben, wenn sie nicht durch die

Lehrverfahren, allgemeine Grundsätze.

Lehrton.

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entsprechenden Eindrücke des Schauens eingegeben oder gestützt werden. Überhaupt muß der Lehrer immer dessen eingedenk sein, daß das Kunstempfinden als eine Regung des Gefühls sich äußert und deshalb die Wirkung von Person zu Person weniger auf dem Verstehen mit dem Wort, als aus der Übereinstimmung der Gefühle beruht. Aus demselben Grunde muß auch der Lehrer in allen seinen einführenden, feststellenden und ab­ schließenden Erklärungen sich auf unmittelbare Eindrücke des Schauens oder auf die Hervorrufung intuitiver Erinnerungsbilder beziehen, um durch Nachempfindung auf die Schüler zu wirten. Keinesfalls dürste aber der Lehrer auf mündliche Erläuterungen verzichten. Ohne sie wäre nur ein Teilerfolg zu erwarten, wovon er sich jederzeit selbst überzeugen kann, wenn er einem Schüler ein Bild, z. D. eine Kirchensassade, mit Erklärung, einem andern in der Veranlagung und Schulung auf gleicher Stufe stehenden Schüler das gleiche Bild ohne Erklärung geben würde, beiden mit dem Auftrag, dasselbe nach einer bestimmten Zeit aus dem Gedächtnis zu zeichnen. Der Lernende muß eben auch in der Beobachtung ge­ führt werden. Hinsichtlich des Lehrtons und der Schüler­ behandlung wird derjenige Lehrer die besten Erfolge auszuweisen haben, welcher der Jugend den von ihm aus­ geübten, ihr Tun und Lassen bestimmenden Einfluß und nötigenfalls auch Zwang möglichst wenig äußerlich empfinden läßt; er wird hauptsächlich auf Weckung des in den Schülern Schlummernden ausgehen, so daß die Anlagen eines jeden Schülers für das Schönheitsempflnden nach seiner Eigenart möglichst aufgeschlossen werden, daß die Entwicklung und Festigung derselben zielbewußt ver­ folgt wird und alle störenden, ablenkenden, zerstreuenden und schädlichen Einflüsse von den Schülern ferngehalten

werden. Damit die dem Lehrer zur Ausbildung anver­ traute Jugend sich seinen Einwirkungen auch möglichst zugänglich erweist, muß er vor allem ihr Vertrauen gewinnen und ihr deshalb selbst Vertrauen entgegen­ bringen, ihrem Temperament, ihrem unbefangenen, unverdorbenen, unverbildeten Sinn. Der Lehrer muß bei seinem Unterricht sich auf den Standpunkt des Schülers stellen, in dessen Anschauungs- und Gedanken­ kreis sich versenken, was ihm um so leichter wird, je weniger er vergessen hat, wie es ihm selbst einstens als SchAer und Lemender zumute war. Wie für das Lehrverfahren, so müssen auch für die Lehrstufen die geistigen, Vorgänge maßgebend sein, auf denen die künstlerische Tätigkeit beruht. Aus ihnen ergibt sich ohne weiteres, daß der Unterricht als erstes auf die Entwicklung und Läuterung des Formenverständnlsses, auf richtiges Wahrnehmen und Einprägen, richtiges Sehen und Empfinden des wahrhaft Schönen und auf die Bildung eines ertragreichen Vorstellungs­ inhalts durch intuitives Aneignen wertvoller Elemente des künstlerischen Schaffens auszugehen hat. Erst wenn der SchAer hierin eine gewisse Höhe erreicht hat, können die Voraussetzungen als erfüllt gelten für den Übergang zur künstlerischen Eigentätigkeit, zur Erzeugung von Kunstwerken unter Verwertung des bis dahin ange­ eigneten intuitiven Formenkreises bei ständiger Mit­ wirkung der erworbenen Kunstertenntnis. Wer sofort mit irgend einer Form der erzeugenden Tätigkeit be­ ginnen wollte, ohne daß die hiefür unerläßliche Schulung vorausgegangen wäre, müßte bedenken, daß man am allerwenigsten auf dem Gebiete der Geistesbildung da emten kann, wo man nicht gesät hat. Feder Ver­ such wäre vergeblich oder könnte im allergünstigsten Falle nur auf den weitesten, für eine planvolle Kunst-

Lehrstufen.

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erziehung unverantwortlichen Umwegen zu einem Ziele gelangen. Der Unterricht für die Erziehung zur Kunstbetä­ tigung hat sich also in zwei Lehrstusen zu vollziehen, I. in einer ausnehmenden (rezeptiven) Tätig­ keit zur Ausbildung des künstlerischen Sehens und Empfindens behufs Entwicklung und Bereicherung des intuitiven und dadurch gestaltungsreifen Vorstellungs­ inhalts, 2. in der erzeugenden (produktiven) Tätigkeit behufs Entwicklung der Fähigkeit zu einer phantasievollen, fruchttragenden Verwertung des Vor­ stellungsinhalts im Sinne einer tunlichsten Steigerung der künstlerischen Ausdruckssähigkeit. Wie im ganzen, so ist auch innerhalb der einzelnen Lehrstufen ein wohlausgeglichener Fortgang vom Ein­ fachen und Leichten zum Zusammengesetzten und Schwie­ rigen geboten. Zunächst ist im Schüler der ursprüng­ lichste und engste Dorstellungsinhalt oder Formenkreis begrifflich zu läutern; alsdann ist derselbe allmählich in konzentrischen Streifen zu erweitern durch Übergang vom Nächstliegenden zum Ferneren und Entfernten. Den Mittel- und Ausgangspunkt des Anschauungsstoffes für die künstlerische Erziehung muß deshalb die Heimat und die Heimatkunst bilden. Liegt dieselbe in einem verhältnismäßig engen Rahmen, so ist dieses bis zu einem gewissen Grade, wenigstens für den Anfangsunterricht, nicht ungünstig, da die Heimat dann in ihrem ganzen Inhalt vom Schüler erfaßt werden kann. Demselben müssen vor allem die Augen geöffnet werden für die Schönheiten der Landschaft, des Stadt- oder Dorf­ bildes, von Gebäudegruppen, Platz- und Straßenbildern, Kirchen, Häusem, Höfen, Brunnen, Hauseingängen, Erkern, Giebeln, Türen, Oberlicht- und anderen Ver­ gitterungen, Beschlägen usw., aber auch für die Schön-

heit der gnnenräume von Kirchen, der Rathaushalle, des Rathaussaals, von beachtenswerten Bürgerhäusern, desgleichen für die Wirkung der innern Ausstattung mit allen ihren Einzelheiten. Der Schüler muß zum Schön­ heitsucher werden, so daß ihm nichts von irgend welchen künstlerischen Gegenstands- oder Anregungswerten entgeht*). Fortwährend soll das Auge des Schülers sich schärfen für das schönheitliche Erkennen und treffsichere Beurteilen von Gegenständen seines Faches; er soll aber auch darüber hinausgehende schönheitliche Ein­ drücke in sich aufnehmen und sie beziehen auf die Mög­ lichkeit ihrer Umwertung für sein Sondergebiet. Für Raumkünstler ist es noch besonders wichtig, daß sie auch die Räume und Raumverhältnisse als solche in den Begriff der Schönheit einbeziehen, ihre Wirkung, ihre Aneinanderreihung unter Berücksichtigung einer Steigerung oder Abschwächung des Raumeindrucks je nach der Bestimmung der Räume u. dgl. mehr. Die für ein erfolgreiches Schaffen der Raumkünftler so bedeut­ same Entwicklung des Gefühls für das Räumliche und die Raumstimmungen.geht zweckmäßig ebenfalls von der Heimat aus, deren Eindrücke dem Schüler von Kind*) An dieser Stelle erinnere ich mich gerne an eine gelegent­ lich des Besuchs einer württembergischen Stadt mittlerer Gröhe von einem angesehenen Handwerksmeister an mich gerichtete Frage: „Wie machen es denn ihre Lehrer an den Gewerbeschulen, daß unsere Lehrlinge auf einmal so offene Augen kriegen? Die machen uns alte Meister ja auf Sachen aufmerkam, an denen wir schon

hundertmal gedankenlos vorbeigegangen sind, ohne sie nur gesehen zu haben." — „Was für Sachen meinen Sie da?" — „Alte Haus­ türen, Oberlichter, Wappen, Beschläge usw.

Es ist werkwürdig i

Meine zwei ältesten Lehrlinge sehen auch alles! Fa, wenn man uns so angelernt hätte!" — Die betreffenden Lehrer hatten ihre Bildungs­

ausgabe richttg ersaht. Ihre Schüler werden es ihnen zeitlebens danken.

Welchen Wert hätte es für die Schüler der allgemein bildenden Schulen, wenn man auch ihnen so die Augen für das Schöne Offnen würde!

Heimat und Kunsterkenntnis.

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heit auf wvhlvertraut und in seinen Vorstellungsinhalt tief eingeprägt sind. Bietet hiezu die eigene Heimat des Schülers nur in unzulänglichem Matze geeignete Ge­ legenheit, so mutz der Schulort an deren Stelle treten. Überhaupt werden wir alles, was wir von der Heimat und Heimatkunst gesagt haben, auch auf den Schulort, die Schulheimat übertragen müssen, die dem Lehrer wie dem Schüler die am besten erreichbaren Gelegen­ heiten zu Dergleichen gibt. Hier lernt der Runftjünget auch die Originale kennen. Was diese ihm bieten, ist durch Abbildungen nicht zu ersetzen. Eine günstige Wahl der Orte für die Errichtung kunstgewerblicher und bau­ technischer Fachschulen ist deshalb auch unmittelbar für die Anterrichtserteilung von hoher Bedeutung. Geht der Lehrer bei der Betrachtung von Runftoerten auch auf die Ortsgeschichte ein, um die zeitlichen und stilistischen Zusammenhänge klarzustellen, so fesselt er in besonderem Matze die Aufmerksamkeit der Schüler und vertieft deren Kunsterkenntnis. Er fördert dadurch auch die Annäherung der Schüler an die Lotalgeifter und die Versenkung in deren Gedankeninhalt. Don diesem strömt namentlich da, wo eine hochentwickelte Kunstindustrie bodenständig ist, im einzelnen unmerklich, aber in den Wirkungen un­ verkennbar so vieles auf das Empfinden des Schülers über, welches für seine Entwicklung von hoher Bedeutung werden kann. Hat ein Schüler die erste Stufe seiner Ausbildung, diejenige der ausnehmenden Tätigkeit hinter sich und der Lehrer sich über deren ausreichenden Erfolg verlässigt, so muß dessen Augenmerk darauf gerichtet fein, das Empfinden und Denken des Schülers allmählich über­ zuleiten in eine selbständige Betrachtung der Methoden des Lebens und der Arbeit mit Bezug auf jene Aufgaben, welche an eine hochstehende Volkskunst zu stellen sind.

Der Lehrer wird eine in vornehmer Einfachheit gehal­ tene bürgerliche Kunst als das von dem Schüler unent­ wegt ins Auge zu fassende Ziel bezeichnen und verfolgen. Er wird in ihm das Bewußtsein und die Überzeugung wach erhalten, daß diese bürgerliche Runft sich nie zu weit von der in der Vergangenheit festgelegten Phy­ siognomie des Volkes entfernen darf; keinesfalls darf sie, wenn sie Dauererfolge haben will, aus dem allge­ meinen deutschen Rahmen herausfallen, gm übrigen wird aber ein besonnener Lehrer sich von jeder Eng­ herzigkeit freihalten und dem Schüler mit Bezug auf seine Entwicklungsmöglichkeiten die größten Freiheiten geben, also auch eigenartige Regungen nicht unterdrücken, sondern solche willig aufgreifen und in fruchtbare Dahnen lenken. Nunmehr wird dem Studium unmittel­ bar nach der Natur, das auf der unteren Stufe der Ausbildung sich noch in gemessenen Grenzen hielt, freier Raum gegeben. Der Grundsatz: Schulung des Ler­ nenden zunächst an guten Werken der Runft und dann Befruchtung der Schöpfergabe durch die Natur, ist nun auch in seinem zweiten Teil voll zur Geltung zu bringen, gedoch wird der Lehrer hiebei die innere Leitung, Klärung und Läuterung des Schülers, die Einwirkung auf sein Empfinden, sein Denken, seine Konzentration keineswegs aus der Hand geben. Er wird fortgesetzt sein Augenmerk auf die Entwicklung und Schärfung des Blickes und Sinnes für das Wesentliche und Eharakteristische richten. Einheitlichkeit und Grundsatzfestigkeit, Sammlung der Kräfte und Indienststellung derselben unter einen starken, folgerichtig geleiteten Kunstwillen muß auch jetzt noch die Hauptforderung der Erziehungs­ arbeit sein. Der Lehrer muß Sorge tragen, daß seine Schüler in ihrem ganzen Streben eine Einheit bilden und daß sie gemeinsame Dildungsziele verfolgen, die ein-

Nationale Gesinnung als Grundlage d. Kunstunterrichts,

gegeben sind von den hohen Idealen einer wahrhaften, von allen verstandenen und deshalb auch von allen freudig aufgegrifsenen und gepflegten Volkskunst. Eine solche Einheit kann nur einem gemeinsamen Boden entwachsen, so wie dieser innerhalb der Grenz­ linien einer bestimmten Volksgemeinschaft gegeben ist; sie kann nur aus einem Unterricht hervorgehen, für dessen Geist, Inhalt und Form (Lehrziele, Lehrstoffe und Lehrverfahren) eine geschlossene nationale Ge­ sinnung die Grundlage bildet. Diese muß maßgebend sein für die ganze Grundaufsassung. Sie muß dem Kunst­ jünger und Künstler einen solchen Halt und eine solche Festigkeit geben, daß auch im Wechsel und Widerstreit der Tagesmeinungen und Tagesströmungen die natio­ nale Gesinnung immer sieghaft durchbricht. Sie muß ihn auch davor bewahren, ftemdartigen Einflüssen in einem solchen Maße zuzuneigen, daß die eigene Ge­ staltungskraft sich diesen nicht über-, sondern unterordnet. Der Kunstjünger muß wissen, daß er andernfalls nicht nur seiner Eigenart untreu werden, sondern sich auch auf unfruchtbare Gefllde begeben würde. Er darf keinen Augenblick vergessen, daß das Nationale ursprüng­ lich und dauernd das Empfinden jedes Künstlers bestimmt, und daß dasselbe infolgedessen auch die natürliche Grund­ lage seiner eigenen Grundausfassung, Kunstwertung und Kunstziele bilden muß. Immer wieder ist dem Schüler vor Augen zu stellen und nötigenfalls einzuschärfen, daß das, was ihm gegeben ist, auch im Wesen seines Voltes liegt, daß es niemals außerhalb desselben liegen kann. Das Volkstum muß also unter allen Umständen den Rahmen bilden, innerhalb dessen sich eine einsichtige und zielbewußte Kunsterziehung bewegt; es kommt von selbst, und zwar um so ftüher und reiner heraus, je weniger sich Lehrer und Schüler bemühen, individuell, anders

als andere zu sein. Don selbst werden sich dann auch an den verschiedenen Schulen künstlerische Einheiten bilden, nicht nur durch die Zugehörigkeit der Lehrer und Schüler zum Ganzen unseres Volkstums, sondern auch zu den einzelnen Stämmen. Damit wird für unser Gesamtvolk auch in der Kunst jener Partikularismus er­ halten, auf dessen wohlverstandener Pflege unsere Eigen­ art, unsere Mannigfaltigkeit, Unerschöpflichkeit, Kraft und Stärke beruht. Wae wir hier vorwiegend von den Kunstgewerbe­ schulen als den im Mittelpunkt der Erziehung für die angewandten Künste und damit für die Volkskunst stehenden Lehranstalten gesagt haben, gilt in sinngemäher Anwendung auch für alle übrigen Fachschulen, soweit deren Ausgabe ganz oder zum Teil in der Heran­ bildung für die Kunstbetätigung liegt. Auch sie haben ihren Unterricht hinsichtlich der Lehrziele, -er Lehrstoffe und des Lehrverfahrens in erster Linie und erschöpfend aus die eigentliche deutsche Kunst zu beziehen, von ihren Grundlagen auszugehen und zu ihren Zielen hinzu­ führen. Wenn in einzelnen Lehrgegenständen, wie z. B. in der Kunstgeschichte, Stilkunde, der Geschichte der kunstgewerblichen Techniken u. dgl., fremdländische Ein­ flüsse zu berücksichtigen sind, so wird deren Behandlung zweckmäßig an denjenigen Stellen der Lehrgänge ein­ geflochten, wo sie im Entwicklungsgang -er Künste, Stile und Techniken zur Geltung kamen, und auch nur in dem ihnen tatsächlich zukommenden Umfang. In jedem Falle muß die nationale Gesinnung, -er nationale Gedanke der Ausgangs-, Mittel- und Schwerpunkt jeglichen Kunstunterrichts bilden. Die hier entwickelten allgemeinen Grundsätze für die Erziehung zur Kunstbetätigung haben wir aus dem Wesen der Kunst, aus ihren Grundlagen und aus den

Erziehung des Gesamtvolkes zum Kunstverständnis.

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geistigen Vorgängen abgeleitet, aus denen das Kunst­ schaffen beruht. Sie weisen uns letzten Endes die Aufgabe zu, die Schüler aller Anstalten zu persönlichen Vertretern der einen nationalen Kunstge­ sinnung zu erziehen. Nur mit der entschlossenen Inangriffnahme und tatkräftigen ErfiUlung dieser Auf­ gabe kann eine höchste Kraftentsaltung erreicht und eine Kunstblüte herbeigesührt werden, die nach Geist, Inhalt und Ausdrucksweise vom Gesamtvolke verstanden wird, da sie seine Vorstellungen und seine Gedankenwelt in seiner eigenen Sprache ausspricht. Nur dadurch geben wir unserer Jugend jene Bildungsgrundlage, welche den uns vorschwebenden Zielen entspricht: Sammlung, Stetigkeit und Zielsicherheit im künstlerischen Schaffen, Ausgleich der den wandelbaren Tages­ strömungen und den sozialen Unterschieden ent­ springenden .Gegensätzlichkeiten und Einigung des ganzen Volkstums und der ihm innewohnen­ den Kräfte in den gemeinschaftlichen Interessen der nationalen Kunstpslege. Wir haben nunmehr zur Frage der Kunsterziehung nur noch darauf einzugehen, was von uns zu geschehen hat, um eine möglichst rege Anteilnahme jedes einzelnen, auch der wenig oder nicht Begüterten, an den Ausgaben der Kunst und damit an deren Segnungen anzubahnen. Diese Frage führt uns auf den zweiten Teil unserer der Kunsterziehung gewidmeten Betrachtungen, auf die Erziehung des Gefamtvolkes zum Kunstinteresse und Kunstverständnis. Schon in unsern vorangegange­ nen Darlegungen (S. 72 bis 84) wurde auf die Not­ wendigkeit hingewiesen, das Bildungswerk an unserm Volke auch auf dessen Anteilnahme an der Kunst aus­ zudehnen. Das für alle unsere allgemein bildenden Schulen so stark betonte humanistische Ideal der Er-

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Die Erziehung zur Volkskunst.

ziehung zum Schönen, Wahren und Guten bleibt so lange unerfüllt, als es nicht auch die bis zu einem gewissen Grade allen Menschen gegebenen Anlagen zur Kunst in sich schließt und so zur Entwicklung und Ausbildung bringt, daß die Empfänglichkeit für die Kunst, das Inter­ esse an der Kunst und das Kunstbedürfnis geweckt und entfaltet werde, soweit dieses int Rahmen der allge­ meinen Erziehung möglich ist. Gerade den humanistischen Forderungen müßte der Kunsterziehungsgedanke be­ sonders nahe liegen. Denn wir können der Jugend kaum etwas Besseres für eine wahre, echte, nie versagende Daseinssreude mitgeben, als wenn wir sie anleiten und befähigen, die Stimmungen des Künstlers nachzu­ empfinden und auf sie einen Teil jenes Glücksgefühls überströmen zu lassen, welches -en Künstler beim An­ blick des Schönen beseelt. Daß diese Erkenntnis auch in unserer Zeit noch nicht Allgemeingut der öffentlichen Meinung geworden ist und sich nur in sehr unzulänglichem Maße in unserem öffentlichen Schulorganismus durchgesetzt hat, ist eine Folge der schon früher besprochenen, insbesondere auch für unsere höheren Schulen maßgebenden Dildungsweise. Durch sie wurde die künstlerische Erziehung vielfach so vernachlässigt, daß sie der Mehrheit der Gebildeten als viel zu gleichgültig und unbedeutend erscheint, um auf eine über den Charakter des Nebensächlichen hinausgehende Beachtung im großen Rahmen der Dildungsarbeit Air­ spruch erheben zu können. Nicht einmal der hohe Wert der mit einem wohlgeleiteten Kunstunterricht gepflegten Sicherheit in der Formenauffassung, des Formenverständnisses und Formengedächtnisses für unsere mate­ riellen Interessen wurde in den Kreisen der Gebildeten, soweit dieselben nicht selbst im gewerblichen Leben stehen, voll erkannt. Es muß das um so mehr auffallen,

Erziehung des Gesamtvolke» zum Kunstverständnis.

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als wir in unserm Zeitalter der hochentwickelten Technik auf Schritt und Tritt dessen gewahr werden, daß fast unsere gesamte technische Tätigkeit im wesentlichen eine formbildende ist. Vergegenwärtigen wir uns noch die früher schon erörterten (S. 1b) Wirtungsgebiete der Volkskunst und deren Bedeutung für unser ganzes äußeres Dasein, so müssen wir uns sagen, daß der Wert einer schnellen und richtigen Erfassung und Bestimmung der Formen, so wie sie durch die Kunsterziehung ent­ wickelt und gepflegt wird, für das Leben nicht etwa bloß eine Frage der besten Schulorganisation und Lehrart ist. Sie bezieht sich vielmehr auf das Leben selbst und zwar in einem Sinne, welcher das Wohlbefinden des Körpers wie des Geistes, der Einzelpersönlichkeit wie der Nation umfaßt. Es handelt sich bei ihr um Grund­ fragen des Lebens, um die Förderung der Daseins­ freude durch die Kunst. Die Kunsterziehung kann aber in der Tat ihre hohe Ausgabe im Dienste der Menschheit nur dann erfüllen, wenn sie auch das Gesamtvolt in ihren Ausgabenkreis einbezieht. Der Boden einer ftuchtbaren Volkskunst ist nicht in den Künstlern zu suchen, sondern im Volke selbst. Gerade das deutsche Volk erweist sich für dieselbe als außerordentlich empfänglich und zeugungskrästig. Es entspricht also nur einer selbstverständlichen Forderung des allgemeinen Erziehungswesens, wenn wir die dem Volke verliehenen Anlagen für die Kunst zur Entwicklung und Ausbildung bringen. Wir erwecken und erschließen damit zugleich die im Volke schlummernden, selbstschöpfe­ rischen Fähigkeiten und so auch seine wirtschaftlichen Kräfte, und zwar nach Gesichtspunkten, die unter den Wirkungen des Krieges als besonders wichtig und be­ deutsam hervorgetreten sind: Erziehung des einzelnen zu möglichster Entfaltung aller seiner Kräfte, Erweckung Hartmann, OeltetunfL

10

der Talente, so daß dem Tüchtigen freie Bahn zu einem seiner Veranlagung entsprechenden Aufstieg eröffnet wird und jeder nach seinen Gaben ein vollwertiges Glied -es Ganzen werden kann. Die Wirkungen einer wohlgeleiteten Kunsterziehung sind aber mit diesen mehr nach außen hin in Erscheinung tretenden Erfolgen und auch mit der schon früher ange­ deuteten Steigerung der Freude am Dasein durch die Entwicklung des Sehens und Empfindens des Schönen nicht erschöpft. Sie äußern sich auch im ganzen Lebens­ gefühl und in der Lebensbetätigung. Denn es ist un­ denkbar, daß jemand, der das Schöne, das Wohlgefallen­ erregende erkannt hat, sich für das Unschöne entscheidet, daß jemand, der eine verfeinerte, aus die Entwicklung des Schönheitssinnes ausgehende Bildung genossen hat, sich mit einer tieferstehenden Lebensauffassung, Be­ schäftigung und Art der Beftiedigung seiner Bedürf­ nisse begnügt. Die besondere Empfänglichkeit des Schön­ heitssinnes für die aus dem Volkstum geborene Kunst und die Ausrichtung der Aufmerksamkeit aus das, was sich derselben aus der Wesenhaftigkeit des Volkstums an gemeinsamen Zügen aufprägt, bedingen eine gewisse Gemeinsamkeit der künstlerischen Empfindungen. Diese schließt in ähnlicher Weise wie die Bodengemeinschaft, die Sprachgemeinschaft und die Erinnerungsgemein­ schaft ein festes Band um ihre Träger; sie bewirkt meist stärker und nachhaltiger, als eine Einflußnahme aus den Verstand, eine Annäherung der Menschen untereinander in so vielen aufs Gemeinwohl gerichteten Fragen und Maßnahmen, eine Überbrückung des Zwiespaltes der Meinungen und eine harmonische Einordnung des ein­ zelnen und der Interessengruppen in das Gemeinschafts­ leben des Voltes. So trägt also die Kunsterziehung durch ihre tiefe Einwirkung auf das Gefühlsleben in

Kunsterziehung an den allgemein bildenden Schulen.

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hohem Grade bei zur Erweckung, Erhaltung und Stär­ kung des Einheitsgefühls, des Nationalbewußtseins. Hierin müssen wir nach allen vorangegangenen Erwä­ gungen und Folgerungen das Hauptziel unserer auf die Erziehung des Gesamtvolkes gerichteten Bestre­ bungen erblicken. Wir müssen aus Gründen, die im Wesen der Kunst selbst, in der Veranlagung des Volkes und des Künstlers, in seiner Stellung zur Allgemeinheit und in der Wirkung seiner Werke liegen, unentwegt daraus ausgehen, daß die Erweckung und Betätigung der im Volke schlummernden Kräfte, die Ent­ wicklung seines Formengefühls und Formen­ verständnisses und seiner Anteilnahme an den Interessen der Kunst durchaus im nationalen Sinne erfolgt. Alle unsere einschlägigen unterricht­ lichen Maßnahmen müssen auf eine solche Gestaltung der Kunsterziehung und eine solche Steigerung und Zusammenfassung ihrer Wirkungen ausgerichtet sein, daß ein größtmöglicher Ertrag für den einzelnen wie für die Gesamtheit zu erwarten steht. Unter denLehranstalten,welche die Kunsterziehung des Gesamtvolkes zu übernehmen haben, steht die all­ gemeine Volksschule an erster Stelle. Es leuchtet ohne weiteres ein, -aß eine kunsterzieherische Einwirkung auf die breitesten Schichten des Volkes nur möglich ist, wenn diese Aufgabe schon von der Volksschule auf­ gegriffen und durchgeführt wird. Allerdings muß sie hier stets auf einen engen Rahmen angewiesen bleiben. Ein größeres Feld der Tätigkeit eröffnet sich an den mittleren und höheren Schulen für Knaben und Mädchen. Infolge der ausgedehnteren Unterrichtszeit und der meist günstigeren Einrichtung dieser Schulen, und namentlich auch infolge der im Alter und im Dildungsstand viel weiter vorangeschrittenen Reife 10*

der Schüler und Schülerinnen können an diesen Schulen, wie für die gesamte Erziehung so auch hinsichtlich der Kunsterziehung erheblich weitere und höhere Ziele ge­ steckt werden. Sie bereiten damit die lernende Jugend im Zeitalter der Technik auch am erfolgversprechendsten für das spätere Leben vor. Denn die Tätigkeit fast aller technischen Berufe ist fast durchweg eine formbildende. Aber auch die Hochschulen, unter ihnen nicht zum wenigsten die der Pflege der Wissenschaften dienenden Universitäten, sollten der künstlerischen Bildung einen nicht zu engen Raum zuweisen. Gerade von denjenigen Persönlichkeiten, die an diesen ihre Bildung suchen und dereinst dazu berufen sind, führende Stellungen im Geistes- und öffentlichen Leben der Nation einzunehmen, sollte man eine harmonische Ergänzung ihres auf der Entwicklung der Berstandeskräste beruhenden Wissens durch verfeinerte Gesühlsbildung und Erschließung einer höheren künstlerischen, hauptsächlich auf das Nationale ausgerichteten Einsicht erwarten dürfen. Bor allem sollte diese sich aus die Volkskunst beziehen. Durch ein tieferes, ein gefühlsmäßiges Eindringen in die Volkskunst, durch ein Miterleben ihrer Wirkungen lernt auch die geistig hochstehende Persönlichkeit die Volksseele in ihren feineren Regungen, Schwingungen und Stimmungen, in ihren innigen Zusammenhängen mit der Geistes- und Willens­ verfassung, den Sitten und Gebräuchen des Volkstums, unmittelbar und darum weit besser und gründlicher kennen, als durch rein philosophische Erwägungen. Da­ mit wird auch die in unsern Tagen oft tiefeinschneidende Kluft zwischen gebildet und ungebildet, zwischen hoch und nieder überbrückt, ein gegenseitiges Verstehen und so auch eine gegenseitige Einflußnahme angebahnt, die sonst unsicher, auf weiten Umwegen und nur auf Grund vielfacher und langjähriger, in ihren wahren Ursachen oft

Kunsterziehung an den Universitäten.

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recht trügerischen Erfahrungen zu erreichen wäre. Welche Bedeutung außerdem noch der künstlerischen Bildung für eine Reihe akademischer Berufe zutommt — man denke nur an den Geschichtsgelehrten, den Sprachwissen­ schaftler und den Theologen —, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Aber auch über das rein ästhetische und volkskundliche Interesse hinaus bietet die durch die künstlerische Bildung erworbene Sicherheit in der Er­ fassung, Einprägung und Feststellung von Raum- und Körperformen und deren Einzelheiten unschätzbare Vor­ teile für die erfolgreiche, mit möglichst geringem Zeit­ aufwand verbundene Tätigkeit akademischer Berufes. l) Hiefür

seien nur zwei Beispiele gegeben: Wie wertvoll

erweist sich das geschärfte Auge und die Fähigkeit der Darstellung des Geschauten für den Rechtsgelehrten, wenn er nach Vornahme

eines Augenscheins das Gesehene und Erkannte zeichnerisch in voller Richtigkeit und Klarheit für seine Akten darzustellen und bei den

Verhandlungen seine Auffassung mit der überzeugenden Anschaulich­

keit intuitiver Vorstellungen zu vertreten vermag, ohne die Mit­ wirkung eines „Sachverständigen" in Anspruch nehmen zu müssen! Wohl noch wichtiger als für den Rechtsgelehrten ist die Sicherheit

und Gewandtheit in der Formenauftassung und Formenfeststellung für den Mediziner. Don mehreren berühmten Vertretern der medizinischen Wissenschaften ist mir bekannt, daß sie ihren Hörern im Operationssaal fast mit den gleichen Worten zuriefen: „Der Mediziner muß zeichnen können, ein guter Zeichner sein, wenn er ein sicherer Operateur werden will." Einer von ihnen pflegt

bei der ärztlichen Hauptprüfung seine Ausgaben so zu geben, daß sie ganz mit Hilfe der zeichnerischen Darstellung gelöst werden können: „Zeichnen sie, Herr Kandidat, hier an die Tafel durch die Brust eines 20 jährigen Mannes einen Querschnitt, der zwischen

der vietten und fünften Rippe durch

das

Brustbein geht!" —

Könnte da der Kandidat tteffender und zweifelsfteier seine Kennt­ nisse über die Lagerung und Form der Organe dartun als durch

eine richtige, ganz aus der Intuition wiedergegebene Zeichnung? Kann der Studierende die intuitive Vorstellung dieser Organe sich leichter und sicherer erwerben als

durch zeichnerische Feststellung

der im Settionssaale gemachten Wahrnehmungen?.

Die mit der Kunsterziehung angeftrebte Einfluß­ nahme des Lehrers auf den Schüler behufs Entwicklung seiner Anlagen hat in der Hauptsache ein guter Zeichen­ unterricht zu übemehmen. Die von demselben zu er­ reichenden Lehrziele beschränken sich an den hier ge­ nannten Lehranstalten, für welche die Erziehung zur Kunstbetätigung nicht in Frage kommt, auf die erste der S. 137 angeführten Lehrstufen, nämlich auf die rein ausnehmende Tätigkeit zur Ausbildung des künstlerischen Sehens und Empfindens behufs Aneignung und Be­ reicherung eines auf das Künstlerische gerichteten in­ tuitiven Vorstellungsinhalts. Sie schließt in sich die Entwicklung einer treffsicheren Formenauffassung, des Formenverständnisses und Formengedächtnisses, des Farbensinns, die Entwicklung des Bevbachtungevermögens und Gefühls für das Schöne und namentlich des Verständnisses für die nationale, die volkstümliche Kunst. Die höheren Stufen des Unterrichts werden noch die Anbahnung einer geläuterten Kunsterkenntnis zum Ziele haben. Durch diese Lehrziele wird die Auswahl der Lehr­ stoffe bestimmt. Sie sind den drei großen, S. 112 u. f. schon bezeichneten Gebieten der Natur, der Technik und der Kunst zu entnehmen. Keines dieser Gebiete darf ausgeschaltet oder hinter die andern zurückgedrängt werden, wenn ein voller Erfolg erreicht werden soll. Insbesondere dürste man nicht etwa daran denken, die Lehrstoffe ausschließlich oder nahezu ausschließlich der Natur zu entnehmen. Es wäre ein Irrtum, wenn man glauben wollte, daß man durch die Einführung in die Natur, in ihren Bau und ihr Leben, durch die alleinige Erfüllung des Vorstellungsinhalts mit Erinnerungsbildern aus ihr auch die beste Einführung in die Kunst, und zwar auch in die Volkskunst erhalte, daß man z. B.

Der Zeichenunterricht.

Lehrziele und Lehrstoffe.

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die Schönheit einer architektonischen oder kunstgewerb­ lichen Schöpfung nur dann richtig empfinden könne, wenn man aus der Anschauung der Natur ein lebendiges Gefühl für die Formen des organischen Lebens erworben habe. endlich dem wahrhaft deutschen Kunst­ schaffen Anerkennung und Erfolg sichern helfen, nachdem der Welt­ krieg bereits die innere Hohlheit ^der anspruchsvollen Auslänberei so

offensichtlich bargelegt hat. «Deutsche Volkskunst- (Leipzig): Mir scheint, daß die Aus­ führungen Hartmanns nicht hoch genug einzuschätzen sind. Über das, was auf den Gebieten der hohen Kunst gesündigt wurde, ist man ja hinreichend orientiert worden; über das, was in dieser Richtung in den angewandten Künsten geschehen ist und wie man sie vergewaltigt hat, fehtte eine solche Schrift. So dürfen wir keine Be­ denken hegen, dieses Buch nicht nur als vortrefflich und überaus wertvoll, sondern vor allem sehr notwendig zu bezeichnen.

«Die Kunst- (München): Hartmanns Stilauffassung ist vater­ ländischer, als wir bisher gedacht. Er sagt treffend: „Alle jene Schöp­ fungen im Bereiche der Kunst, die sich außerhalb des durch das Volks­ tum der Erzeuger und den Geist ihrer Zeit gebundenen Stils stellen.

Hartmann / Stilwanölungen unö Irrungen .... ;;............................................................. ............ ............. sind als Fehlgriffe anzusehen; und alle Bestrebungen, die zur Abwen­ dung von seinen Grundlagen und von den aus ihnen sich ergebenden Folgerungen führen und so der Entwicklung dieses Stils entgegen­ wirken, haben als Irrungen zu gelten." Das ist ein Richtwort, das jede Unterstreichung verdient. Dieses Ziel allein gibt den Hartmannschen Kritiken und Forderungen größtes Gewicht. Dazu kommt, dah Hartmanns Kritik die wirtschaftlichen Schäden, die jede Unstete mit sich bringen muh, besonders scharf ins Auge faßt, vor ihr sehr anschaulich warnt.

«Die Post- (Berlin): Die wesentlichen Grundsätze der Ausführungen verdienen nicht nur Zustimmung, sondern sollten uns als Richtlinien in aller Kunsteinwertung gelten. Es wäre daher zu wünschen, daß die Untersuchung eine große Verbreitung fände; denn sie sollte in jedem Herzen den Wunsch und Sinn für wahrhaft große Kunst auslösen. In seinen Erörterungen über den Stil kommt Hartmann zu maßgebenden Feststellungen, deren ausschlaggebende Bedeutung längst nicht genügend gewürdigt wurden. Sehr richtig sieht Hartmann auch die Mißstände innerhalb der neuzeitlichen Kunst als Folgeerscheinung des Erlahmens jener Triebkraft des künstlerischen Gestaltens, welche der Sonderart des Volkstums entspringt. Man wird aus den letzteren Hinweisen ersehen, wie Hartmann mit seinen Darlegungen ins Schwarze trifft. er­ wirbt sich mit der Arbeit das Verdienst, die Hauptzüge für eine wirklich notwendige, rein deutsche Kunst klar und bündig vorgetragen zu haben. Und das ist in gegenwärtiger Zeit eine dankenswerte Tat. «Gewerbeschule- (Karlsruhe i. B.): Es ist ein Buch, das jeder gelesen haben sollte, dem die Wiedergewinnung einer nationalen Kunst am Herzen liegt. «Norddeutsche Allgemeine Zeitung- (Berlin): Langjährige Wechselbeziehungen zwischen den idealen Höhen des Kunstlebens, der Kunstgeschichte und dem technisch-gewerblichen und kunstgewerblichen Schulwesen des Schwabenlandes, verbunden mit warm vaterlän­ dischem Empfinden für die Größe der gelt des deutschen Volkes geben dem schwerwiegenden Inhalt des Buches eine Bedeu­ tung fürs gesamte deutsche Volkstum.

«Ostdeutsche Dauzeitung- (Breslau): Der Strteg hat uns mehr denn je völkisch zur Besinnung verholfen. Aus dieser Stimmung heraus schöpft H. seine Betrachtungen für unsere Zukunft in jener

Hartmann / Stilwanblungen unb Irrungen 7........ .........t...«........

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meisterhaften Sprache, die ihm eigen ist und in dem Verzicht auf geschwollene Redewendungen den wohltuenden Unterschied zwischen dem berufsmäßigen Kunstkritiker und dem zünftigen Baufachmann darlegt.

»Lechnische Mittelschule- (Leipzig): Besonderen Wert gewinnt die in meisterhafter Sprache gehaltene Schrift durch die Vor­ schläge, die H. macht, um das deutsche Volt einem Einheitsstil zuzu­ führen, der sich aus dem Chaos der letzten Jahrzehnte endlich klar Herauskristallisieren soll, als Zeichen der völkischen Gesinnung nach diesem Zerlege. — Sein neuestes Wert kann als bedeutsame Er­

scheinung der Kriegsliteratur gelten. »Zeitschrift für christl. Kunst- (Köln a. Rh.): Der warme Appell an die Künstler und Kunstfreunde, an das ganze Volk, aus dem der neue Stil als die solide Frucht der neuen Erhebung sich ent­ wickeln soll, als heimisches, echt deutsches Gebilde, möge kräftigen Widerhall finden! »Zeitschrift für gewerblichen Unterricht- (Leipzig): Ein Buch, das Aufschluß gibt über die in den jüngstvergangenen Jahrzehnten einander rasch ablösenden Stilrichtungen in den gewerblichen Künsten, und das die Richtlinien für einen neuen Stil, der unserm Volks­ tum gemäß ist, darlegt, erscheint gerade zur rechten Zeit. Mehr als je haben wir gegenwärttg Veranlassung, den Erzeugnissen unseres Kunstgewerbes ein nationales Gepräge zu geben. Deshalb verdient die mit Wärme, Liebe und vaterländischem Sinn geschriebene, einige achtzig Seiten umfassende Schrift die eingehende Beachtung der Lehrenden und Lernenden unserer gewerblichen Lehranstalten. »Zentralblatt der Darrverwaltung- (Berlin): Hartmann will im vollsten Sinne dem Künstler seine Schaffensfreiheit lassen, aber nur dem Künstler, der von einem Freiheitsbegriff durchdrungen ist, wie er sich aufbaut nicht auf den Launen und Stimmungen des Zufallsglückes, sondern auf der durch Studium der Natur, Geschichte und des Geistes eines Volkes über die alltäglichen Strömungen hinaus­ gewachsenen Schöpferkraft wirklicher Begabung. So mögen diese ernsten, von vaterländischen Empfindungen durchdrungenen Hartmannschen Gedanken fruchtbringend in den berufenen Streifen Ein­ gang finden!

Verlag von R. Glbenbourg, München unö Berlin

Kunsthistorische Aussätze von

Georg Dehio

Professor an der Universität Straßburg

314 Seiten 8°.

Mit 5 Abbildungen im Text und 24 Tafeln

Elegant gebunden Preis M. 7.50

Inhalts-Verzeichnis: 1. Die Kunst des Mittelalters. 2. Über die Grenze der Renaissance gegen die Gotik. 3. Deutsche Kunstgeschichte und Deutsche Geschichte. 4. Historische Betrachtung über die Kunst tm Elsaß. 5. Zu den Skulpturen des Bamberger Dorns. S. Die Kunst Anterltaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II. 7. Aus dem Übergang des Mittel­ alters zur Reuzelt: a) Konrao Witz; b) der Ulmer Apostelmetster. S. Der Meister des Gemmingen-Denkmals tm Mainzer Dom. S. Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert. 10. Bauprojekte Nikolaus' V. und L. B. Alberti. 11. Zu den Kopien nach Llonardos Abendmahl. 12. Zur Geschichte der Buchstadenreform in der Renaissance. 13. Vie Rivalität zwischen Raphael und Michelangelo. 14. AltItalienische Gemälde als Quelle zum Faust. 15. Das Verhältnis der geschichtttchen zu den kunstgeschtchtlichen Studien. 16. Was wird aus dem Heidelberger Schloß «erden? 17. Denkmalschutz und Denkmalpflege. IS. Denkmalpflege und Museen. Zum Gedächtnis: a) von Geymüller; b) Viktor Hehn.

Kunst und Geschichte Herausgegeben von

Dr. H. Luckenbach Direktor des Gymnasiums in Heidelberg Sroße Ausgabe: 1. Dell: Altertum. 10. Auflage. Mit 4 färb. Tafeln u. 31SAbb. Kart. M. 2.20. 2. Teil: Mittelalter und Neuzeit bis zum Ausgang de» 18. Jahrhunderts. 5. ver­ mehrte Auflage. MU 6 farbigen Tafeln und 239 Abbildungen. Kart. M. 2.20. 3. Teil: Neuzeit vom 18. Jahrhundert an. 2. vermehrte Auflage. Mit 4 far­ bigen Tafeln und 111 Abbildungen. Kart. M. 1.80.

Sefamtausgabe -er Teile I di» III. Mit 14 farbigen Tafeln u. S6S Abbildungen. In Pappband M. 5.50. kleine Ausgabe: 2. Auflage. Mit 10 farbigen Tafeln und 339 Abbildungen. Kart. 88. 2.80

Für den beispiellos billigen Preis bietet das vorliegende Buch das Höchste, was auf diesem Gebiete geleistet werden kann, und es ist nur zu wünschen, daß es in die Hände möglichst vieler kommt. (Bayer. Blätter für Gymnastalschulwesen.) Wir geben ihm die allerbeste Empfehlung mit auf den Weg, welche dieses Werk als reife Frucht eines klugen erfahrenen Schulmannes verdient. (Zeitschrift für Christliche Kunst.)