Die Aufgabe der Opposition in unserer Zeit: Zum Besten der deutschen Flüchtlinge [Reprint 2019 ed.] 9783111580784, 9783111207940


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Die Aufgabe der Opposition tu unserer Zeit
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Die Aufgabe der Opposition in unserer Zeit: Zum Besten der deutschen Flüchtlinge [Reprint 2019 ed.]
 9783111580784, 9783111207940

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Die

Aufgabe -er Opposition tu unserer Zeit. Von

Carl Vogt.

Zum Besten der deutschen Flüchtlinge.

----------------- »-O-O-O-O^O-O-O-c-»----------------

Gießen 3. Nick rr'sehr Suchhandlung. October 1849.

In einem Augenblicke wie der jetzige, wo die allge­

meine Verwirrung in Deutschland bei bestimmenden und

bestimmten Personen auf den höchsten Grad gediehen

scheint, dürfte es Pflicht eines Jeden seyn, das Seinige dazu beizutragen, um

die zerstreuten Parteien wieder

unter gemeinsame Fahnen zu sammeln.

verflossenen

Der Kampf des

Jahres hat eine Zersplitterung derjenigen

Partei herbeigeführt, welche früher unter dem Namen

der Opposition in den gesetzgebenden Körpern und in der Tagespresse Deutschlands stritt.

So

nothwendig

diese

Zersplitterung kommen mußte, nachdem einmal eine ein­

zige Schattirung dieser Partei, die dynastisch-constitutio-

nelle Fraktion, sich der Märzrevolution bemächtigt hatte und deren Früchte in ihrer eignen Weise ausbeutete, ebenso nothwendig wird jetzt, wo auch diese Partei ihres Sieges

verlustig gegangen ist, aufs Neue eine Verschmelzung der Parteien, eine Vereinigung derselben zu gewissen ge­

meinsamen Zielen

stattfinden müssen.

Der Absolutis-

1*

4 MUS herrscht unter der durchsichtig

des

Constitutionalismus

gewordenen Maske

unumschränkt

in

Deutschland

durch jene berüchtigte momentane Gesetzgebung, welche

ein nothwendiges geworden ist.

Bedürfniß seines

Regierungssystemes

Das unumschränkte Königthum hat auf

dem Wege der Gewalt gesiegt, und es ist, in diesem

Augenblicke wenigstens, nicht die mindeste Aussicht vor­ handen, daß die unterlegene Partei zum zweiten Male

an die Gewalt provociren könne oder werde.

Sie wird

deßhalb andere Mittel und Wege suchen müssen, um das

fetzt herrschende System in seinen Wurzeln zu untergra­

ben und seine überstolzen Wipfel zu Fall zu bringen. Bei

diesem Bestreben

werden den Demokraten

ohne

Zweifel aufs Neue Bundcsgeuvssen aus den Reihen Der­ jenigen zuströmen, welche die Garantie persönlicher Si­

cherheit in dem offenen Kampfe vermißten und sich deß­ halb von demselben zurückzogen.

Die ganze coustitutio-

nelle Partei will den Absolutismus nicht, wenn sie ihn

gleich durch ihre verkehrte Nachgiebigkeit zur Zeit des Sieges möglich machte; sie will ein gewisses Maß von

Freiheit und Selbstbestimmung des Volkes, dessen die

weiter Gehenden ebenfalls als Grundlage ihrer größeren

Ansprüche bedürfen; je nackter der Absolutismus auftritt,

desto mehr wird er die constitutionelle Partei zurück­ schrecken und zur Annäherung an die demokratische drän­

gen.

So wird meiner Ansicht nach sich von Neuem eine

5 geschlossene Oppositionspartei heranbilden, welche stets

weiter und weiter nach rechts hin sich ausdehnen und mit jedem Gewaltschritte des jetzt herrschenden Systemes neue Bundesgenossen gewinnen wird.

Hat doch die gewalt­

same Octroyirung eines Wahlgesetzes in Preußen sogar

den Herrn von Binke der demokratischen Partei bei der Verweigerung der

Wahlen

zugesellt,

so daß jetzt in

Preußen eine bedeutende Partei gebildet ist, deren ein­ zelne Theile sich zwar im Innern gegenseitig abstoßcn, die aber wenigstens in einem Zielpunkte, in der Nicht­

anerkennung einer gegen das Gesetz gewählten Kammer, Hand in Hand miteinander gehen.

Gleiche Erscheinungen wird man in der nächsten Zeit in allen deutschen

Ländern beobachten können.

Nicht

nur die Aufrichtig-Constitutionellen, sondern auch Dieje­ nigen,

welche aus tiefer

berechnetem

Conservatismus

oder aus angeborener Hofdienerei nur den Schein einer konstitutionellen Regierung wollten, alle diese werden, getäuscht in ihren. Hoffnungen, Gegner eines Systems

werden, welches die Maske jetzt abgewvrfen und seine wahre Gestalt gezeigt hat.

Erfahrungen friiherer Jahre

und anderer Personen fruchten wenig in politischen Din­

gen; die Parteien wollen selbst erfahren an ihren eige­

nen Schicksalen, was ihnen frommen möge; und leider

versäumen sie, bis sie zu solcher Einsicht gelangt sind, sehr oft den richtigen Zeitpunkt zum Handeln.

Die Ge-

6 schichte der Jahre von 1813 an, der schmähliche Bruch

der in der Proklamation von Kalisch gegebenen Ver­

sprechen, die ganze, in der Bundestagsperiode befolgte Politik der deutschen Fürsten hätte hinlänglich belehren

können, daß ein fürstliches Wort nur so lange Geltung hat, als es dem Geber desselben unmittelbaren Vortheil

bringt, und daß die deutsche» Fürsten weit davon entfernt sind,

eine

Stellung

anzunehinen oder zu behaupten,

welche derjenigen eines Königs von England auch nur

entfernt

sich näherte.

rung belehrt,

Man hätte längst, durch Erfah­

wissen müssen, daß ein absoluter Fürst

niemals aufrichtig constitutionell wird.

Die Partei der

Centren in der Nationalversammlung und in dem Volke wollte aber nichts desto

zweiten Male machen.

weniger diese Erfahrung zuin

Ich sollte denken, daß ihnen jetzt

der Wunsch in reichlichem Maße erfüllt sey; und wenn es Niemanden verwundern konnte, daß nach der Ableh­

nung der Kaiserwahl von Seite Preußens ein Schrei der

Entrüstung durch jene Partei flog, welche noch einmal vertraut

hatte,

so

wird

es

auch

jetzt

Niemanden

auffällig seyn, wenn dieselben Personen, welche der Lin­ ken, ihres

offen ausgesprochenen Fürstenhasses

wegen,

sogar mit Erbitterung entgegentrate», jetzt ihr sich wie­ der nähern, und von der Erfolglosigkeit ihrer Bestre­

bungen überzeugt, radikalere Ansichten haltbar zu finden beginnen.

Ein gebildeter Engländer, welcher den deut-

7 schen Zuständen in Frankfurt während der ganzen Dauer

der Nationalversammlung mit großem Interesse gefolgt

war, und als Engländer ein unbedingter Verehrer der konstitutionellen Monarchie und der Frankfurter Kaiser­ partei war, schrieb vor einigen Tagen an einen meiner

Freunde: „er habe sich nun doch durch die Thatsachen

überzeugt, daß die Deutschen niemals

zu

dem

Grade

mit

ihren Fürsten

politischer Freiheit

gelangen könnten, welchen die Engländer unter ei­ nem Könige besäßen."

Der gute Mann hatte vergessen,

daß England einen Karl I. gehabt, und daß in Deutsch­

land freien

vielleicht

dieselbe

Möglichkeit

einer

annähernd

constitutionellen Regierung eristiren könnte, wenn

Deutschlands

neuere Geschichte ein ähnliches Beispiel

aufzuweisen hätte. Die Geschichte dieses Mannes ist die Geschichte vieler unserer Parteien in Deutschland.

Ueberzeugt von der

Macht der Freiheitsbestrebungen, welche im März ge­

siegt hatten, bliydvertrauend auf das gegebene Wort und auf die Zusicherungen, welche ihnen von Regierungen und Fürsten gemacht worden waren, erschreckt durch die

zunehmende Arbeitslosigkeit und die Stockung in Handel und Wandel, welche

die stete Aufregung vermehrten,

suchten diese Parteien um jeden Preis ein Ende der fie­

berhaften Revvlutionsbewegungen, und glaubten es da­ durch zu finden, daß fie die Macht Derjenigen befestigten,

8 welche sie sich untergeben glaubten und auf deren Wort

sie vertrauten.

Es lag dieser Handlungsweise das Ge­

fühl der eignen Schwäche zu

Grunde; man war sich

selbst wohl bewußt, daß man zu ohnmächtig sep, um

auf eignen Füßen wandeln zu können; man wandte sich

mit Zorn und Erbitterung gegen die Parteien, welche die Kraft in sich fühlten, ihren eignen Weg zu gehen, und warf sich unbedingt in

welchem man Nicht besaß.

eine

die Arme des Absolutismus,

Großmuth

zutraute,

die derselbe

Mit berechneter Arglist lieh der Absolutis­

mus seine Waffen, um die Revolution zu Boden zu schlagen; als aber die Ehrlichen in der Partei, die Gut­

müthigen und Vertrauenden nun auch gegen die Reaction sich wenden wollten, da erst fühlten sie, zu ihrem Schre­ cken, daß der Boden unter ihnen gewichen sey und ver­

zweifelnd klammerten sie sich an den Strohhalm, welchen jesuitische Verschmitztheit ihnen in dem Dreikönigsbunde darbot.

Man wollte aus dem Schiffbruche retten, was

noch zu retten wäre, aber man vergaß, daß man nur

der abnehmenden, nicht aber der wachsenden Fluth Ein­ halt thun kann durch den Sand, den sie selber an das

Ufer geschwemmt hat. So ist es denn gekommen, daß sogar in den Ländern, wo nach der Meinung der Mittelpartei die Anwendung

der Gewalt nöthig war, um Ruhe und Ordnung herzu­ stellen, daß sogar in Baden und in der Pfalz die Op-

9 Position unter dem Drucke des Belagerungszustandes durch die zunehmende Brutalität der Unterdrücker zu einer sol­

chen Stärke herangewachsen ist, daß die herrschende Partei

sich zugleich auch als die fürchtende anerkennen muß;

und daß in den Reihen der Radikalen von Tag zu Tag aus der Zahl der Gemäßigten Diejenigen ersetzt werden, welche auf fremdem Boden weilend ihrem Vaterlande

entzogen sind.

Ich bin weit entfernt, solche Bundes­

genossen zurückzuweisen.

Wenn ich es schon früher für

einen Fehler hielt, daß gewisse Parteien sich auf eine bis in's Brutale gehende, waldursprüngliche Abgeschlossen­

heit etwas zu Gute thaten, so

erscheint es mir jetzt,

nachdem unsere Partei im offenen Kampfe unterlegen ist, um so thörichter,

die Mitkämpfer von sich abzustoßen,

welche von freien Stücken sich anbieten.

Die Stellung der Opposition hat sich durch den Sieg des Absolutismus wesentlich verändert : Aus einer

angreifenden ist sie eine vertheidigende geworden.

Wäh­

rend sie früher die alten Formen zu zertrümmern und

Neues an ihre Stelle zu setzen suchte, hat sie jetzt die Aufgabe, auf jede Weise, durch jedes ihr zu Gebote

stehende Mittel den Angriffen des Absolutismus auf die Errungenschaften

der Revolution

entgegenzutreten

diese soweit als möglich zu erhalten.

und

Die Partei der

momentanen Gesetzgebung ist jetzt die zerstörende, die Partei der Opposition die konservative geworden, welche

10

den in Folge der Revolution gewordenen Rechtsboden zu

erhalten strebt.

Wenn aber dies richtig ist,

so muß es

auch jedenfalls den Vertheidigern der Freiheiten,

welche

der März 1848 bringen sollte, von Wichtigkeit seyn, sich die Zielpunkte der Feinde klar zu

machen und nach den

zu erwartenden Angriffen ihre Maßregeln zu treffen. Die innere Politik Deutschlands wird jetzt in erster

Linie durch die beiden Großmächte, Baiern und Würtemberg bestimmt.

in zweiter durch Preußen beherrscht

jetzt ostensibel die kleineren Staaten, Oesterreich influen-

zirt die siid - und mitteldeutschen Königreiche. Abgesehen von der Oppositionspartei, welche sich bei

den Wahlen

in Preußen

nicht betheiligte,

streiten sich

dort jetzt zwei Parteien um den Besitz nicht sowohl der Regierung, Das

als

vielmehr

der bestimmenden Person *).

Ministerium Brandenburg schleppt' als

rungenschaft

letzte Er­

der Revolution halb unwillig die deutsche

Frage am Fuße nach sich, während die Leo - Gerlach'sche Partei sich

auch von diesem Traume nationaler Ent­

wicklung gänzlich frei gemacht und nur das reine Preußen-

thum im Auge

hat.

Die bestimmende Person ist durch

*) Ein Ausdruck neuprcußischcr Sprachweise, der vortrefflich in das constitutionelle System paßt und mit der „momentanen Gesetzgebung", dem „worthaltenden Gemüthe des Königs", dem „Bedürfniß der Zeit" und andern Phrasen eine we­ sentliche Bereicherung unseres Sprachschatzes bietet.

11 die Reise nach Teplitz bestimmt worden, sich noch bestinnnter für die letztere Partei zu bestimmen. Das Mini­

sterium Brandenburg - Manteuffel will Preußens über Deutschland; es

die Hegemonie

will sie erringen durch

Gewalt und befestigen durch den Schein einer Consti­ tution, die keine Garantien bietet, aber die Möglichkeit offen läßt, mit Zustimmung einer scheinbaren Majorität nach Willkür zu regieren. Deshalb mußte es die Kaiser­

krone, welche durch die Vertreter des Volkes

geboten

war, zurückweisen, und auf dem undankbaren Wege des

Wvrtbruches und der Gewalt zu erringen suchen, was ihm freiwillig angeboten wurde.

Freilich schloß die Kaiser­

krone das allgemeine Stimmrecht in sich, und hatte somit

ein Gegengewicht gegen die absolutistische Willkür,

mit

welcher

sich eine solche Tendenz

konnte.

Der Zeitpunkt zur Erkämpfung der Manteuffel-

unmöglich vertragen

Radvwitz'schen Plane war vollkommen gut gewählt. Der ungarische Krieg hatte Oesterreichs Kräfte gelähmt, und

trotz der russischen Hülfe war zu erwarten, daß derselbe sich

noch wenigstens den Winter hindurch fortspinnen

und Oesterreichs

nehmen werde.

Aufmerksamkeit

gänzlich in Anspruch

Man war überzeugt in Berlin,

daß

Ungarn nicht siegen werde; man war aber ebenso über­

zeugt , daß Oesterreich während der Zeit, Hegemonie feststellen wollte,

wo man die

überreich durch Ungarn be­

schäftigt seyn werde, und daß auch der Czaar in Ungarn

12 für ein Jahr seine Macht vergraben müsse.

Man hatte

somit Zeit genug, die kleinen Staaten in das Netz

zu

ziehen, Würtemberg zum Beitritte zu zwingen, Baiern zu isoliren, den Reichstag zusammenzuberufen und die

ganze Maschine des deutschen Scheinconstitutionalismus trotz des Widerstandes von Seiten Oesterreichs, Baierns

und Rußlands einzurichtcn. Man wußte wohl, daß weder

Oesterreich noch Rußland es wagen würden, in sich

einem so

abgeschlossenen fertigen politischen Ganzen ent­

gegenzutreten. Der Verrath Görgcy's durchkreuzte diesen

fein angelegten Plan des Herrn von Radowitz.

Ungarn

ist vor der Zeit zu Fall gekommen und in seinen Sturz hat es die Dreikönigsverfassung mit verwickelt. Rußland hat schon die Arme frei und beginnt mit dem ganzen

Gewichte seiner siegreichen Diplomatie nach Westen hin

zu drängen, während es zugleich neue Aushebungen ver­

fügt, deren Maß weit den angegebenen Zweck, Deckung der in Ungarn erlittenen Verluste, übersteigt.

Oesterreich

sucht eine Entschädigung für die Wunde, welche ihm trotz des Sieges in Ungarn durch dieselbe russische Di­

plomatie geschlagen

wurde,

Einflusses in Deutschland.

durch Vermehrung seines Die Lieblingsidee des Herrn

von Radowitz, ein Regieren nach dem Typus von Louis Philipp, wird wohl vor der Hand noch nicht zur Aus­ führung kommen, und es scheint mir, als würde er die

Wohnung in Erfurt ebensowenig beziehen, als die, welche

13 er vor wenigen Monaten kurz vor der Kaiserwahl in Wetzlar miethete. Preußen kann unmöglich, auch wenn die Gerlach'sche Partei an das Nuder kommen sollte, die Bestrebungen nach der Hegemonie in Deutschland aufgeben, und auf der anderen Seite ist es, trotz der Reisen des Prinzen von Preußen zum Studium des constitutionellen Systems in England, undenkbar, daß jemals Mitglieder dieses oder irgend eines andern deutschen Königshauses von absoluten Fürsten, die sie gewesen, zu constitutionellen umgewandelt werden. Die preußische Regierung wird also den einzig richtigen Weg, wodurch sie der wankenden Dynastie noch für einige Zeit das Leben hätte fristen können, nicht betreten. Statt durch schrittweises Ent­ gegenkommen den Wünschen des Volkes Rechnung zu tragen, durch allmähliges Oktroyiren der Märzerrungen­ schaften die Gemüther zu versöhnen und an sich heran­ zuziehen, was ihr auch jetzt noch gelingen könnte, wird diese Regierung fortfahren, durch momentane Gesetzge­ bung den Rechtszustand gänzlich zu untergraben, die Erbitterung gegen Alles, was preußisch heißt, auf's Höchste zu treiben, und so auch Diejenigen von sich weg­ zustoßen, welche bisher die Plane der Hegemonie aus allen Kräften unterstützten. Man wird, nachdem man Volksstämme und Regierungen in ihrem innersten Wesen abstoßend behandelt und sich selbst im eigenen Staate die

14

intensivste Opposition geschaffen hat, nothwendig zu der vollständigen Restauration des in sich abgeschlossenen Preußenthums zurückkehren müssen. Wenn schon die jetzige Tendenz des preußischen Ministeriums eine so ver­ haßte ist, daß im günstigsten Anschläge nur höchstens ein Drittel der Wähler sich bei den Kammerwahlen betheiligte, so wird dieses Verhältniß noch weit größer wer­ den , sobald einmal die angedeutete Fortbildung der preu­ ßischen Verhältnisse von Brandenburg - Manteuffel zu Arnim-Gerlach erfolgt seyn wird. Daß die Regierung eines solchen Ministeriums nur von kurzer Dauer seyn könne, daß ein gewaltiger Rückschlag in das entgegen­ gesetzte Ertrem erfolgen müsse, ist leicht einzusehen; und es geht schon hieraus eine Hauptaufgabe der demokra­ tischen Partei in Preußen hervor, die darin besteht, das Ministerium Brandenburg ebenso kräftig anzugreifen, als es die Kreuzzeitung thut. Für das übrige Deutschland braucht die demokratische Partei Preußens nicht zu sorgen; die jetzige Regierung hat den alten Preußenthumshaß SüddeutschlapdS nicht nur vermehrt, sondern ihm auch den Haß Norddeutschlands zugesellt und ein folgendes Ministerium wird nur dazu beitragen, diesen Haß des Preußenthums in jedes Herz, welches Deutsch schlägt, mit Grundwurzeln einzusenken. Herr von Radowitz wußte sehr wohl, daß bei dem deutschen Volke nichts gefährlicher für die Freiheit wirkt,

15 als die scheinbare» Concessionen, welche man der Freiheit macht.

Er wußte sehr wohl,

daß man Preßfreiheit,

Affociationsrecht, und wie alle die schönen Dinge heißen

mögen, welche wir im März zu erobern gedachten, daß

man all' diese Worte ungefährdet in eine Constitution schreiben darf, wenn man nur Sorge trägt, die prak­

tische Anwendung derselben durch die gehörigen Bestim­

mungen zu verkümmern, und sich durch ein gehörig construirtes Wahlgesetz

eine gefügige Majorität zu sichern.

Herrn von Radowitz würde im Nothfall eine Verfassung genügt haben, wenn sie nur, wie die oktroyirte Preußens,

einen Paragraphen 105 zur Ermöglichung der momen­ tanen Gesetzgebung und

ein Wahlgesetz enthalten haben

würde, welches der Regierung die Majorität sicherte. Er

würde sein Vertrauen darauf gesetzt haben,

Jahre hindurch

daß man

die Wunden der Regierung mit den

schönen Worten der Constitution zudecken und das Ver­ langen des Volkes durch die unabsehbar langen Schleich­ wege der parlamentarischen Entwicklung hätte abschwächen und cinschläfern können.

Er würde gesucht haben, durch

genau abgewogene Concessionen zu rechter Zeit (bei ma­ terieller Noth) die Unzufriedenheit zu beschwichtigen, bei

guten Zeiten die Zügel wieder strammer zu ziehen und die Zugeständnisse

der Regierung so einzurichten,

daß

durch jedes derselben die Majorität wieder der Regierung

gesichert worden wäre.

Dies war Louis Philipps Spiel

16 während

achtzehn Jahren.

Die Partei des reinen Ab­

solutismus, welche jetzt in Preußen an das Ruder zu

kommen sucht,

hat weniger Vertrauen in ihre eigene

Schlauheit, aber desto mehr auf die rohe Gewalt. Durch diese will sie zuerst die Verhältnisse im eignen Lande nach

ihrer Ansicht restauriren, den absoluten König wiederher­

stellen und dann erst erobernd gegen das übrige Deutsch­ land vorgehen.

Sie ist überzeugt, daß das Militär ihr

ergebenes Werkzeug bleiben werde,

und da sie in dem

Staate eigentlich nur eine Nähranstalt für das „herrliche

Kriegsherr" und in den politischen Ansichten eines Garde­

lieutenants das höchste Ziel politischer Entwicklung sieht,

so hält sie sich für unüberwindlich in der Zukunft. Was die eine Partei jetzt auf verstecktem Wege durch den

Scheinconstitutionalismus zu erringen strebt, das wollen diese später durch die Gewalt an sich reißen; das Ziel

beider Parteien bleibt das nämliche:

Deutschland

soll in einem absoluten Preußen ausgehen.

Die Beziehungen Oesterreichs zu dem übrigen Deutsch­

land waren während des Kampfes in Ungarn so gering, als nur irgend

möglich.

Die deutsche Partei in den

österreichischen Provinzen war im October nicht nur be­ siegt, sie war faktisch vernichtet worden und die Politik

des österreichischen Cabinets fand kaum Zeit, hie und da

einen schwachen Seitenblick nach Deutschland zu werfen. Das gewaltige Uebergewicht, welches Preußen plötzlich

17 durch die Besetzung Sachsens erhielt,

merksamkeit, und

weckte die Auf­

seine Fortschritte nach Süd-Deutsch­

land, die Niederwerfung der Revolution in Baden, seine offenbare Verhöhnung des österreichischen Neichsverwesers

mußten den Argwohn nothwendigerweise auf den höchsten Grad bringen.

Die Resultate einer solchen Stimmung

im österreichischen Cabinete treten jetzt hervor.

Es hat

alle Anträge Preußens, die ihm durch den Herrn von Canitz gemacht wurden, schroff zurückgewiesen, es will nur

Herstellung des Bundes von 1815 mit entsprechender Aenderung der Bundesgewalt und zeitgemäßer Erweite­

rung der Polizeibefugnisse derselben.

Daß der Vorsitz

Oesterreichs und die Hegemonie des Kaiserstaates eine Bedingung dieser Restauration sey, versteht sich von selbst; und daß Preußen, sobald die Ansichten des Herrn von

Gerlach obsiegen, diesen Anträgen aus voller Seele zu­

stimmen werde, sichtlich.

ist aus dem Vorhergehenden leicht er­

Für die Freiheiten des Volkes erscheinen die

Absichten der einen Großmacht so verderblich,

als die

der andern. Nur möchten die österreichischen den Vortheil bietey, daß sie sogleich eine weit bedeutendere Opposition auch in der Klaffe Derjenigen finden würden, welchen

unter preußischer Verfassung in einem auch noch so er­

bärmlichen Bolkshause Gelegenheit zur fruchtlosen Selbst­ verherrlichung gegeben würde.

Die ganze Partei der

schönredenden Jämmerlinge, als deren Typus Herr Rieser 2

18 oder Herr Biedermann erscheinen dürsten, würde sich

gegen die österreichischen Vorschläge empören,

während

sie in den Manteuffel'schen Bestrebungen ihre volle Be­ friedigung gefunden hat, — Zeuge, die Gothaer Ver­ sammlung.

Aermlicher als die Lage Baierns gegenüber den großen Fragen, welche in dem Revolutionsjahre vorkamen, war wohl nur die Lage Hannovers. In beiden Staaten zeigte

sich die kindische Lust, Großmacht zu spielen, ohne es nur irgendwie zu können; und alle wohltönenden Phrasen

von deutscher Einheit, welche bis zu der jüngsten Er­ öffnungsrede vor den Kammern in München sich durch­

ziehen, dienten nur dazu, um die Blößen der jämmer­ lichste» Kleinstaaterei nothdürstig zu verdecken. Die Agi­

tation für

die Reichsverfassung war so übermächtig in

Hannover, daß sich Stüve gezwungen sah, zuerst abzu­ treten und später wenigstens zur Beschwichtigung dem Dreikönigsentwurfe seine Zustimmung zu geben, wobei

freilich schon von Anfang an der feste Entschluß des hannoverschen Ministeriums durchleuchtete, diesen Ent­

wurf nie zur Wahrheit werden zu lassen.

Man unter­

handelte, um die öffentliche Meinung zu beschwichtigen, man trat bei, um nicht als Störenfried zu gelten, aber

daß Hannover jemals zur Ausführung des Dreibundes

einen Finger gekrümmt haben würde, das konnten nur Mitglieder der Gothaer Versammlung und Schreiber der

19 Deutschen Zeitung glauben.

zur Besiegung

Baiern sah sich genöthigt,

einer zum Widerstände durchaus nicht

gerüsteten Provinz das herrliche Kriegsherr zu Hilfe zu rufen

und nach dem Siege über den Aufruhr seinen

kleinlichen Zorn durch Quälerei

Personen kund zu thun.

einzelner, mißliebiger

Herr Kolb sitzt wahrlich nicht

wegen seiner Betheiligung am pfälzischen Aufstande — die Geschichte des griechischen Anleihens schiebt den Riegel

vor seinen Kerker. Die Lage der altbairischen Provinzen, die enge Ver­

knüpfung

der materiellen Znteressen, der angestammte

Haß der Wittelsbacher gegen die Hohenzollern, alles dies trug dazu bei, wenigstens den Widerstand gegen die

preußischen Forderungen energisch werden zu lassen. Wenn

es indessen hauptsächlich den Intriguen des bairischen Hofes zu danken ist, daß in Süd-Deutschland die preu­

ßischen Bestrebungen unfruchtbar blieben, so erntete doch die Regierung den geringsten Dank davon, da sie es verstand, durch ohnmächtige Verationen einzelner Per­

sonen den Unwillen auch der gemäßigten Parteien stets

von Neuem wieder anzufachen. Die Kaiserpartei war in Baiern unter allen die kleinste, und ihre Repräsentanten

in der Nationalversammlung von so höchst geringen Mit­ teln,

daß

es niemals gelungen wäre,

auch nur die

geringste Manifestation zu Gunsten der Kaiserverfaffung

in Baiern hervorzubringen, wenn nicht die demokratische 2*

20 Partei hier wie überall mit entschiedener Mehrheit sich für die Reichsverfassung bekannt hätte, und zwar aus dem einzigen Grunde, weil sie von den Vertretern des Volkes fcstgestellt, von den Regierungen aber zurückgewiescn wurde. Wir werden später vielleicht noch auf diese Verhältnisse näher eingehen und dann auch die übrigen kleinen Staaten berücksichtige», welche ohne eignen Willen im Gefühle ihrer unzulänglichen Mittel sich heute der Reichsverfassung, morgen dem Dreikönigsbündnisse anschlossen und ebenso treulose Bundesgenossen für die erstere waren, als sie für das zweite seyn werden. Das Verhalten der kleinen Staaten Deutschlands spiegelte sich getreulich ab in derjenigen Partei, welche nach langen Mühen ihre romantische Lieblingsidee durch­ gesetzt und den Kaiser zur Welt gebracht hatte. Es war vielleicht eine geschichtliche Nothwendigkeit, daß diese Frage endlich zur Erledigung kam. Dem offnen Blicke konnte es nicht entgehen, daß eine jede Form der Ein­ heit, sie mochte heißen, wie sie wollte, welche im vorigen Jahre geschaffen wurde, bald wieder zu Grunde gehen müsse, so lange man den Fürsten die physische Gewalt in den Händen ließ; diese ihnen zu entwinden, hatte gerade die Kaiserpartei verabsäumt. Daß ein Kaiser unmöglich sey, so lange die einzelnen Fürsten Deutschlands eristiren, ist jetzt thatsächlich erwiesen; — daß man aber bei einer zweiten Revolution nach der Befreiung Deutschlands von

21 seinen Fürsten einen Kaiser schaffen werde, um die Einheit herzustellen, das wird wohl Niemand im Ernste erwarten können. Ohne diese günstige Lage der Dinge würde es schwer gewesen seyn, die Kaiseridee gänzlich mit der Wurzel auszurotten; der von der Nationalversammlung abgewiesene Kaiser würde stets als Einheitsphantom in den Köpfen einer bedeutenden Anzahl romantischer Bur­ schenschaftler sortgespukt haben, und die constitutionelle Monarchie Deutschlands würde bei jedem auch unver­ meidlichen Fehler einer anderen Regiernngsform als ein­ ziger Rettungsanker gepriesen worden seyn. Dies ist in der Zukunft unmöglich, und während allen anderen Par­ teien die Zukunft noch offen steht, während keine von ihnen vollständigen Schiffbruch erlitten hat, weder die republikanische in ihrer Niederlage, noch die absolutistische in ihrem Siege, so ist es allein diese Kaiserpartei, welche nie vollständig siegte und nie ganz unterlag, die auch für die Zukunft vollständig vernichtet ist. Die Partei verdiente es nicht anders! Sie war von der Revolution an die Spitze gebracht worden, und hatte überall Monate lang die Macht in den Händen gehabt, ohne diese Macht zu etwas Anderem zu benutzen, als zur Untergrabung ihres eigenen Gebäudes. Noch jetzt wie­ derholt sich der Vorwurf täglich von Seite der Gemä­ ßigten und der Constitutionellen gegen die verschiedenen Schattirungen der Linken, als seyen diese es gewesen,

22 welche durch

die Unmäßigkeit

ihrer Forderungen den

völligen Sieg der Reaction möglich gemacht hätten. Mit vollem Rechte aber darf man einwerfen, daß die demo­

kratische Partei nirgends, weder in den Einzelstaaten, noch in dem zu Grunde gegangenen Gesammtstaate jemals irgend zur Herrschaft gelangt sey; und daß es ihr gerade

durch den Widerstand jener Partei,

welche unmittelbar

nach der Revolution die Macht in Händen hatte, un­

möglich wurde, dem Siege der Reaction vorzubeugen. Man betrachte doch die Reihenfolge der Reichsministerien:

Schmerling, Gagern, Grävell, Wittgenstein; man be­ trachte die Ministerien in den Einzelstaaten der Reihe nach; diese Camphausen, Hansemann, Pfuel, Thon-Dittmer,

Pfordten, Römer, Gagern, Bekk, Jaup, Stüve it. — war in irgend einem von ihnen auch nur ein Funke

demokratischen Elementes? Was thaten jene Ministerien

in Oesterreich, in Preußen, bei der Centralgewalt, die sich mit so großem Eifer constitutionelle nannten, um ihr

constitutionelles System auch wirklich auf sichere Grund­ lagen zu basiren? Blind gegen die Reaction, waren sie

die getreuen Helfershelfer derselben, Revolution auszurotten.

um jede Spur der

Sie herrschten durch ihre Er­

gebenen in der Nationalversammlung,

in den gesetzge­

benden Kammern mittelst einer unbedingt zustimmenden Majorität.

Als Minister hatten sie überall die Verwal­

tung im ganzen Deutschlande, sie hatten die Verfügung

23 über das Heer und über die finanziellen Hülfsquellen säinmtlicher Staaten;

statt aber die Zeiten zu benutze»,

in welchen die Fürsten noch gedemüthigt waren, um die Reformen durchzusetzen, welche sie selbst gefordert hatten,

ließen sie in der Ueberzeugung ihrer Unentbehrlichkeit und in dem Vollgefühle der endlich erlangten Herrschaft die Augenblicke vorübergehen, in welchen die Ausführung

dieser Reformen noch möglich war.

Es genügte ihnen,

sich selbst an der Spitze der Gewalt zu sehen; — sie glaubten, in aller Gemächlichkeit dieselbe noch lange ge­ nießen zu können. Man wird behaupten, diese Beurthei­

lung der Partei sey zu hart und noch von der Erbitte­ rung des Kampfes in der Paulskirche dictirt. sie durch ein Beispiel belegen.

Ich will

Da gerade Herr von

Gagern der hervorragendste Repräsentant dieser Partei

war, den sie selbst in ihren Organen vergötterte und, wahrlich unverdienter Weise,

der allein fähig sey,

als den Mann begrüßte,

den revolutionären Gestaltungen

eine festere Form zu verleihen, so mag es hier an dem

Platze seyn, einige Bemerkungen über seine Thätigkeit als Minister im Einzelstaate wie in dem Reiche anzu­

reihen.

Sie werden beweisen, daß der Coryphäe so

wenig als seine ganze Partei im Stande war, auch nur

das Geringste zu schaffen, welches einigen Halt gewähren konnte. Die Märztage hatten den Führer der Opposition in

24 der zweiten Kammer von Hessen-Darmstadt znm Mi­

nister gemacht und seine erste Proklamation enthielt eine Menge von Versprechungen, wie sie eben in den März­

tagen

überall gemacht

Lande war verstummt.

wurden.

Alle Opposition im

Die demokratische Partei erwar­

tete mit Sehnsucht die Durchführung jener Verheißungen;

die Bureaukratie hatte sich ohne Ausnahme dem neuen Gestirne zugewandt, und dieselben Beamten, welche vor einigen Wochen bei dem Namen Gagern verächtlich sich

abwandten, schwärmten jetzt maßlos für den edlen Frei­ heitskämpfer, den neuen Minister.

Die Reaction war entflohen.

Die

Kammern bewilligten, was der Minister wollte.

Das

vollständig

ihre Häupter

gebrochen,

regierende

Haupt unterzeichnete Alles, was man ihm

vorlegte.

Ueberall war tiefe Ruhe im Lande, nur ein

einziges standesherrliches Schloß war demolirt worden. Die

Einen hofften geduldig

Andern

erwarteten

sie

als

auf die Reformen,

etwas

die

Unabwendbares.

Aber nirgendwo geschah auch nur das Mindeste; keine

Umgestaltung der Administration war ersichtlich, keine legislative Thätigkeit

bemerkbar.

Die Aufhebung der

Standesvorrechte war versprochen; — Herr von Gagern

ließ die erste Kammer nach wie vor bestehen. Das ein­ zige legislative Produkt einer dreimonatlichen Thätigkeit war das Wahlgesetz

zur constituirenden Nationalver­

sammlung, welches so spät erschien, daß das Großher-

25 zogthum Hessen der letzte deutsche Staat war, welcher überhaupt wählte.

Die Ernennung zweier Räthe in das

Ministerium, die Pensioniruiig von einem halben Dutzend

Beamten waren die einzigen Veränderungen in der Ad­ ministration.

Es erschien kein Gesetz zur Sicherung der

Märzversprochenschaften und in der Verwaltung schuf

das Ministerium keine Bürgschaft für Ausführung seiner Grundsätze.

Alles blieb

beim Alten, und die Verwal­

tung Gagerns zeichnete sich nur dadurch vor derjenigen seines Vorgängers du Thil aus, daß mit unerhörtem

Aufwande militärischer Kräfte Polizeimaßregeln getroffen

wurden, zu welchen früher einige Gensdarmen genügt hatten.

Richter, von welchen sich ganz Deutschland mit

Abscheu wandte, blieben ruhig in ihren Stellen; Beamte, die in dem ersten Augenblicke der gerechten Entrüstung

des Volkes weichen mußten, wurden sogar befördert;

der abgetretene Minister mit ausgezeichneter

Belobung

seiner Dienste und mit gesetzwidrig erhöhter Pension ent­

lassen.

Statt die Verhältnisse der Standesherren zu ih­

ren gedrückten Unterthanen Vortheilhaft zu regeln, wurde

Geld über Geld von den Kammern verlangt und zu un­ nützen Spaziergängen der Truppen verwendet. Der Befehl

über diese blieb in denselben Händen, denen er früher anvertraut gewesen war.

Die versprochene Bewaffnung

des Volkes, die Organisirung der Bürgerwehr fand nir­

gends statt.

Ich wiederhole es, ein ganzes Vierteljahr,

26 die Monate

März, April, Mai, verstrichen in Hessen

unter diesem Ministerium Gagern, ohne daß eine einzige der versprochenen Reformen

auch nur angebahnt, ohne

daß eine einzige der verheißenen Freiheiten gesetzlich ge­ sichert worden wäre.

Die Preßfreiheit war versprochen,

die Censur aufgehoben, aber die alten Gesetze über die

Presse blieben nach wie vor in Kraft.

Das Associations­

recht war gewährleistet, aber die Strafgesetze über Ver­

sammlungen bestehen noch bis auf den heutigen Tag und

könnten jetzt sogar willkührlich verschärft werden.

Die

Kammer, deren sofortige Auflösung der Minister Gagern mehrmals

versprochen hatte, blieb sogar noch über ein

Jahr zusammen und jetzt erst werden die Wahlen zu neuen verfassungsrevidirenden Kammern ausgeschrieben. Dies waren die Früchte des Gagern'schen Ministe­ riums in seinem engeren Vaterlande.

Sind die, welche

er als Reichsminister sammelte, etwa besser? Schmerling war abgetreten unter den Verwünschungen der Partei,

die ihn gestützt hatte, Gagern übernahm seine Erbschaft unter den glänzendsten Verhältnissen.

Man hatte sich

endlich überzeugt, daß Schmerling aus bösem Willen die

Centralgewalt erniedrigt, die Nationalversammlung un­ terwühlt, die Dyuastieen gestützt hatte; man erwartete

von dem Manne mit den olympischen Augenbrauen energi­ sches Handeln, Kräftigung der Centralgewalt, entschiedene Hebung des

Einheitsinomenteö in Deutschland.

Man

27 bemerkte aber keine Veränderung weder.in dem Gang,

noch in dem Geiste des Ministeriums.

Die Partei, an

deren Spitze Gagern stand, siegte überall, wo sie nur wollte; sie gab dem Ministerium ein Vertrauensvotum

in der österreichischen Frage; sie brachte die Verfassung vollkommen nach ihrem Wunsche zu Stande; sogar den

erblichen Kaiser erhielt sie nach unsäglichen Anstrengungen und erlitt nur bei dem Wahlgesetze eine vollständige par­

lamentarische Niederlage, die aber für den Bestand deö Ministeriums keine Folge hatte.

fung nahte heran.

Die Stunde der Prü­

Die Verfassung war vollendet; es

handelte sich darum, sie zur Geltung zu bringen.

Mit

überraschender Schnelligkeit nahmen die kleinen Staaten

die Reichsverfassung an, und ebenso leicht, leider nur

zu leicht, gelang es in Württemberg den Widerstand des Königs zu brechen.

Ueberall hatte sich das Volk erhoben,

um das Werk der Nationalversammlung durchzuführen,

und noch war es Zeit, den Widerstand der Regierungen

zu brechen, und mit der Macht, welche man in Händen hatte, den tönenden Phrasen Nachdruck zu geben.

Wel­

cher Boden für eine energische Erecutivgewalt!

Man

hatte zur Disposition die ganze Bourgeoisie und alle de­ mokratischen Parteien; für sich die enorme Mehrheit der

Nationalversammlung; man konnte über Truppen und Geld, über Arme und Credit verfügen.

Die Gegner

standen in den eigenen Landen nicht fest; der Boden, den

28 ihr zum Angriff schreitender Fuß verließ, erhob sich, um ihnen den Rückweg zu versperren. Die legale Executive der Nationalversammlung hatte Deutschland in der Hand, wenn sie diese Hand nur öffnen wollte! Das Reichs­ ministerium aber blieb thatlos : statt die ihm zu Gebote stehenden Kräfte zu sammeln und unter sich zu concentriren, fürchtete es nur, eine Bewegung anzufachen, die es nicht bemeistern könnte, und es begnügte sich, einige Gesandte nach den größten Höfen zu schicken, welche vor­ aussichtlich nichts ausrichten konnten. Es war in jenen Zeiten, unmittelbar nach der Rückkehr der Kaiserdeputation, wo Bassermann zum zweiten Male nach Berlin ging, als ich mich, wenn gleich ungern, entschloß, mit Raveaur und Fröbel den Ministerpräsidenten direkt an­ zufragen, welche Stellung er in dem bevorstehenden Kampfe für die Rcichsvcrfassung einzunehmen gesonnen sey. Wir versicherten ihm, daß wir und unsere Freunde fest entschlossen seyen, ihm und dem Ministerium zu al­ len energischen Maßregeln unsere Unterstützung zu leihen. Auf seine Frage, ob wir auch entschlossen seyen, mit ihm die Oberhauptsfrage in seinem Sinne dnrchzusetzen, ant­ worteten wir, daß dies allerdings unsere Absicht sey. Wir stellten ihm die ganze Lage der damaligen Verhältnisse von unserem Standpunkte aus vor, zeigten ihm die Kräfte, welche im Volke zu uns standen; wir sagten ihm geradezu, daß längeres Schwanken nur dazu dienen

29 könne,

die

gänzlich

Verfassung

von

Regierungen

verbündeten

wieder abzulösen und seinem

zu

der

vernichten,

Reichsverfassung

Ministerium ein

sungsfeindliches zum Nachfolger zu geben. die

Richtigkeit

dieser

Auffassung

die

zu,

verfas­

Er gestand

kam

nochmals

darauf zurück, .daß wir unsere Unterstützung auch in der

Oberhauptsfrage

ihm

angedeihen

lassen

müßten

und sagte uns endlich zum Schlüsse : „Es ist in dem

Ministerrathe die Frage aufgeworfen worden : Resigna­ tion oder Revolution?

Ich habe mich

zu

Ersterem

nicht entschließen können; Sie wissen nun meine Mei­ nung."

Als aber am anderen Tage einige andere Mit­

glieder der Linken, welche für den Kaiser gestimmt hat­ ten, ihn aufs Neue zu energischem Vorgehen drängten,

gestand er Diesen, er fühle wohl den Willen, aber nicht die Kraft dazu in sich, und manchmal zweifle er auch an seinem Willen. — Ist

es zu verwundern, wenn die

Partei mit solchem Führer ihr Spiel verlor und sich später dennoch zur Resignation entschloß?

Was das eine Beispiel dargethan hat, dürfte sich überall zeigen; an allen Orten waren die Märzminister unfähig, die Revolution für die Feststellung ihres Sy­

stems auszubeuten, und man muß Herrn von Gerlach vollkommen

beistimmen,

wenn er in der preußischen

Kammer sagte: jene Partei müsse jedem Ministerium ihre Zustimmung unbedingt ertheilen, da sie zur Zeit,



30 —

als sie am Ruder gewesen, ihre totale Unfähigkeit zum

Regieren dokumentirt habe.

Wenn es also irgend einer Partei zum Vorwurf ge­

macht werden kann, daß die im März momentan er­ rungenen Freiheiten nicht festgestellt wurden, so ist es ohne Zweifel Diejenige,

welche nach dem März das

Ruder in den Händen hatte, aber die Kraft nicht besaß,

es zu führen, und es deßhalb andern Steuerern wieder

überlassen mußte.

An einigen Orten, wie in Württem­

berg und Hessen, sind freilich die Märzminister noch im Besitze der Gewalt, aber um den Preis der Verläugnung

ihrer Principien.

Die demokratische Partei war nur in

Baden eine Zeitlang im Besitze der Gewalt; — warum ist es ihr dort nicht gelungen, so könnte man fragen, die Früchte der Revolution sicher zu stellen? Ich will auf die Fehler, welche in Baden gemacht

wurden, nicht weiter eingehen; — die Geier und Aas­

vögel der Revolution sind schon am Werke, aus den

zerfleischten Eingeweiden ihrer eigenen Partei die Todes­ wunden, welche sie sich selbst schlug, für einige Gulden

Honorar dem staunenden Publikum zu zeigen.

Es sind

viele Fehler gemacht worden; man schlägt sie aber zu hoch an, wenn man ihnen allein das Mißlingen der badisch-pfälzischen Bewegung zuschreiben wollte.

Man

muß bedenken, daß eine Revolution nothwendig verun­

glücken mußte, der ein so kleines Gebiet und so wenig

31 Zeit zu Gebote stand.

Es war unmöglich, vor dem

Kampfe oder während des Kampfes selbst hinreichend aufs Neue zu organisiren.

Die Revolution löst noth­

wendig die bisher bestandenen Banden der Gesellschaft

und des Staates auf, und ehe neue Formen geschaffen sind, finden wir überall eine Periode, in welcher die un»

organisirte Masse dem Angriffe organisirter Kräfte nicht zu widerstehen vermag,

zumal wenn diese mit solcher

Ueberlegenheit hereinbrechen, als es in Baden und der

Pfalz der Fall war.

Im Anfänge der französischen

Revolution flohen die französischen Truppen unter Du-

mouriez überall bei den ersten Kanonenschüssen, und die­ selben Ungarn,

welche später

allerorts siegreich dem

Feinde gegenüberstanden, mußten sich hinter die Theiß

zurückziehen und ihre Hauptstadt dem Feinde überlassen.

Aber hinter der Theiß, hinter Valmy lag noch ein wei­ tes Land, in welchem während des Kainpfes neue Streit­

kräfte organisirt wurden, wo jeder Verlust nur zu er­ höhter Thätigkeit anspornte und jede aufgelöste Heeres­

abtheilung durch neue Regimenter ersetzt werden konnte. Der Feldzug des Prinzen von Preußen würde vielleicht

ähnlich dem Feldzuge des Herzogs

von Braunschweig

oder des Fürsten Windischgrätz geendigt haben,

wenn

Baden die Größe von Frankreich oder Ungarn gehabt hätte.

Da man aber im Anfänge versäumt hatte, die

Revolution weiter auszudehnen, so war es später, wäh-

32

rend des Kampfes, unmöglich, politische Fehler gut zu mache» und der Uebermacht zu widerstehen. Man konnte noch auf den Sieg hoffen, so lange die Revolution nicht innerhalb der badischen Gränzen gebannt war; ihre Sache war von dem Augenblick an verloren, wo sie in diesem engen Kreise stehen blieb. Der Ausgang ist leider so gewesen, wie man ihn erwarten konnte, und ein großer Theil der demokratischen Partei, die meisten Führer und Häupter derselben be­ finden sich im Auslande, wo, wie es scheint, die Hetze auf die Flüchtigen von Seiten der Sieger nun fortgesetzt werden soll. In die kleine Schweiz hat sich eine große Menge von Individuen gerettet, die mehrentheils außer dem herben Loose der Verbannung auch noch dasjenige des physischen Mangels tragen müssen, und sich außer­ dem des Asylrechtes nicht erfreuen können, da in jedem Augenblicke ihnen die'Ausweisung über das Meer hin­ über droht. Die Verhältnisse der deutschen Emigration gegenüber der italienischen, polnischen, ungarischen sind eigenthümlicher Art. Dort ist der Kampf mißlungen gegen fremde Unterdrückung, ein Kampf, an dem sich auch die begüterten Elemente der Nation um so wesent­ licher betheiligten, als sie sich nach Vertreibung der fremden Unterdrücker am ersten zur Herrschaft berufen glauben konnten. In Deutschland hingegen ist cs der Kampf gegen die Unterdrücker des eigenen Stammes,

33 dessen unglücklicher Ausgang die Flüchtlinge aus ihrem

Vaterlande verjagt und so meistens Besitzlose oder solche, deren Erwerb an ihren Aufenthaltsort gebunden war, in die Fremde verstoßen hat. Die aus anderen Völkern

hervorgegangenen Einigrationen sind deshalb wohlhabend

zu nennen im Vergleich zu der deutschen.

Es wird ihr

daraus kein Vorwurf zu machen seyn, da sie sich an

anderen Eigenschaften wohl mit jeder Emigration aus andern Ländern messen kann.

Man irrt sich, wenn man glaubt, daß die Flücht­

linge in irgend bedeutender Weise in das politische Leben Deutschlands eingreifen könnten.

Der enge Zusammen­

hang mit dem Volksleben selbst, mit den Begebenheiten

des Tages und deren Wirkungen entgeht ihnen; sie blei­

ben gleichsam auf dem politischen Boden stehen,

der in

dem Augenblicke eristirte, wo sie das Vaterland verlie­

ßen und befinden sich deshalb, je länger ihr Erik dauert,

auf um so falscherem Standpunkte.

Zudem ist es ihnen

nicht möglich, anders als auf literarischem Wege auf die Heimath eiuzuwirken, und daß dieser Weg stets nur ei» unvollkommener ist, läßt sich wohl nicht absprechen. Die

Verfolgungen der politischen Flüchtlinge haben deshalb nicht einmal hinreichenden Grund und sind heute noch,

wie sie es früher waren, das Merkmal niedrig denkender

Herrscher. Ich weiß wohl, daß von Zeit zu Zeit von Seiten

3

34 der Flüchtlinge Einfälle in das Gebiet benachbarter Staa­ ten

versucht wurden,

Beispiele

als

Grund

und daß die Regierungen diese für

ihre Verfolgung anführen

Wenn man aber bedenkt, daß diese Versuche

könnten.

stets nur von

einer geringen Zahl gemacht und auch

von den crtremsten Parteien im Vaterlande mit entschie­

dener Ungunst ausgenommen wurden, so wird man mir

wohl Recht geben, wenn ich behaupte, daß unter den Tausenden von Deutschen, welche sich setzt in der Schweiz befinden, keine zehn zu finden seyn dürften, welche solche Gedanken in fich trügen.

Erst die fortwährende Ver­

folgung, die Treibhetze von einem Orte zum andern kann Anschläge dieser Art als Produkt der Verzweiflung

hervorbringen. Es scheint die Absicht der verbündeten Regierungen

zu seyn, um jeden Preis das Meer zwischen die Flücht­ linge und das pacificirte Deutschland zu bringen, und

die eidgenössische Behörde zeigt eine überraschende Will­ fährigkeit,

bieten.

zu diesen Bestrebungen hülfreiche Hand zu

Das Asylrecht, auf dessen Besitz die Schweiz so

viel pochte, ist faktisch schon in solcher Weise verkümmert,

daß man

dürfte.

es kaum mehr mit diesem

Namen belegen

Der Bundesrath scheint blos der Vollstrecker

der Proscriptionslisten, welche ihm von Deutschland aus

zugesandt werden, und der Chef des auswärtigen De­ partements im Bundesrathe, Herr Druey, geht beim

35

Vollzug der Maßregeln mit einer Härte zu Werke, als wollte er dadurch seine radikale socialistische Vergangen­ heit vergessen machen. Man würde es der Schweiz, einem so kleinen Lande, dessen Macht in keinem Verhält­ nisse zu seiner politischen Aufgabe steht, nicht verargen können, wenn sie ihre Grenzen allen politischen Flücht­ lingen verschlösse und feinem ein Asyl, sondern höchstens freien Durchpaß gestattete. Es stünde ein solches Be­ nehmen im richtigen Verhältnisse zu der übrigen Neu­ tralitätspolitik, welche die Schweiz seit längerer Zeit befolgt hat. Das ungleiche Maß aber, womit das Asyl­ recht angewandt wird, dies ist es allein, welches die große Unzufriedenheit erzeugt, die sich überall gegen das Verfahren der schweizerischen Bundesbehörde kund gibt. Als vor einem Jahre in Folge des Struve'schen Ein­ falls der Reichsgesandte Raveaur bei dem Bundesrathe nur die Jnternirung der Flüchtlinge, oder, sollte diese nicht möglich seyn, die genaue polizeiliche Uebcrwachung derselben an den Grenzen verlangte, so beantwortete der Bundesrath dieses Verlangen in entschieden ablehnenden Noten, in welchen er gegen diese Verletzung des Asyl­ rechtes, wie er sie nannte, protestirte. Die Linke in Frankfurt unterstützte den Bundesrath und forderte die Zurücknahme der von dem Reichsministerium gestellten Anmuthung. Und damals handelte es sich doch um einen wirklichen Einfall, welcher durch Flüchtlinge von schwei3*

36

zerischem Gebiete aus unternommen worden war. Der­ selbe Bundesrath, welcher das frühere Verlangen des Reichsrninisteriuins als eine Verletzung des Asylrechtes behandelte und damals formell federn Flüchtling Schutz versprach, welcher nicht von der Schweiz aus in die Verhältnisse der Nachbarstaaten störend eingreifen werde, derselbe Bundesrath weist heute ohne anderen Grund, als das Verlangen einer deutschen Regierung oder sein eigenes bon plaisir, einen jeden deutschen Flüchtling aus, dessen Name ihm nur als vorragend bekannt wird, und mißhandelt so dieselbe Partei, welche im Vaterlande für die Rechte der freien Schweiz auftrat und dieselben den Regierungen gegenüber verfocht. Keiner kann wissen, wann das Loos ihn trifft, binnen 5 oder 10 Tagen die Schweiz räumen zu müssen; sein längerer Aufenthalt in diesem Lande hängt einzig und allein von der Gnade oder von der Vergeßlichkeit der deutschen Regierungen oder des Bundesrathes ab. Daß dieses Mißstimmung erzeugen muß, ist leicht ersichtlich und dürfte für die Zukunft der Schweiz von bedeutenden Folgen seyn. Die Schweiz verdankt ihre Eristenz nur der Eifersucht der großen Mächte und ihrer Uneinigkeit, sowie der Gunst, in welcher sie bei der demokratischen Partei aller Länder stand; die ihr feindlichen Regierungen mußten fürchten, bei einem Angriffe auf die Unabhängigkeit der Schweiz in ihrem eignen Lande bedeutende Gährung, ja selbst

37 ernstliche Unruhen zu erwecken. Das unbillige, in keiner

Weise gerechtfertigte Verfahren gegen die Flüchtlinge, welche in ihrem eignen Vaterlande nur dieselben Grund­ sätze zur Geltung bringen wollten, deren staatlicher An­

erkennung die Schweiz sich rühmt, dürfte geeignet seyn, die Sympathien der Oppositionspartei im Auslande für

die Schweiz wesentlich zu erkalten, während man auf der anderen Seite überzeugt seyn kann, daß solche ge­

ringfügige Concessionen, hundert Flüchtlinge,

wie die Verweisung

einiger

den Groll der absoluten Mächte

gegen die Schweiz in keiner Weise zu besänftigen im

Stande ist.

Daß unter solchen Verhältnissen das Fort­

bestehen der Schweiz in ihrer bisherigen Weise ernstlich gefährdet ist, ergibt sich leicht.

Der Weg, auf dem der

Bundesrath mit diesem Fortbestände versöhnen will, ist aber wahrlich nicht der geeignete.

Die Regierungen,

welche den Selbstmord der Schweiz verlangen, können und werden sich nicht mit der Verstümmelung dieses oder jenes Gliedes begnügen.

Die Zerfahrenheit, welche jetzt überall in Deutsch­

land unter den einzelnen Parteien herrscht, ist eine Folge

des unerwarteten Ausgangs,

den das Nevvlutionsjahr

1848 genommen hat. Eine jede Partei ist in ihren Hoff­

nungen getäuscht. Die Siegenden können sich ihres Sieges

nicht freuen, weil sie nicht wissen, wie sie ihn benutzen sollen, und die Unterlegenen haben zwar ihre zersprengten

38 Streitkräfte noch nicht wieder unter gemeinsame Fahnen sammeln können, sind aber nicht so besiegt, daß ihre Kraft gänzlich gebrochen wäre. Daß es so nicht bleiben könne,

wie es jetzt ist, darüber sind alle Parteien einig, obgleich die Mittel und Wege, die Zustände nach ihrem Willen

zu formen, noch nicht gefunden sind. Eine Umgestaltung kann aber nur dann gelingen, wenn sie ein festes Ziel hat.

Befindet man sich in der Unmöglichkeit, ausrei­

chende Mittel zu verschaffen, um das Ziel zu erreichen, so muß man auch die unzulänglichen benutzen,

so weit

Ich glaube deshalb,

daß die

man nur irgend

kann.

Opposition jetzt, wo-die demokratische Partei im offnen Kampfe erlegen ist, sich mit um so größerer Energie in

den Kammern der Einzelstaaten, in der Presse, in dem Vereinswesen geltend machen müsse, und daß sie auch den friedlichen Weg parlamentarischer und literarischer

Agitation nicht verschmähen dürfe, wenn er ihr auch als

unzulänglich erscheinen sollte. Die Einheitsbestrebung vom März in der Weise, wie sie damals und

später von der Nationalversamm­

lung zu Frankfurt aufgefaßt wurde, ist vollkommen ver­

unglückt.

Hunderttausende haben in Adressen Gut und

Blut gelobt, die Rcichsverfassung zur Anerkennung und

Geltung zu bringen

und Hunderttausende vergaßen dies

Versprechen an dem Tage, wo sich die Einschüchterungs­ politik der Gothaer Partei den Regierungen gegenüber

39

fruchtlos erwies und das Versprechen zur That werden sollte. Die Reichsverfaffung ist zu Grunde gegangen und wird nicht wieder auferstehen, — eine spätere Re­ volution wird sie weder zum Ausgangs-, noch zum Ziel­ punkte ihrer Bestrebungen nehmen. Wir dürfen aber in der Reichsverfaffung zwei wesentliche Elemente unter­ scheiden : die staatliche Form, welche sie dem vereinigten Deutschland geben wollte, und die politischen Rechte, welche sie einem jeden Deutschen verlieh. Die Forin ist zu Grunde gegangen und es wird der Opposition wohl nicht daran gelegen seyn, sie wieder zu erwecken; dagegen muß sie an den Rechten, welche diese Reichsverfaffung gab und die in vielen Staaten theilweise auch schon Gesetz geworden sind, festhalten bis auf das Aeußerste, und jeden Punkt derselben unverkümmert zu erhalten und weiter fortzubilden suchen. Ich lege deshalb die größte Bedeutung auf die Wirksamkeit der Volksvertretungen in den Einzelstaaten. So lange als die Nationalversammlung einen vom Volke gewählten Einheitspunkt darstellte, so lange konnte auch die Bedeutung der Volksvertretung in den einzelnen Staaten nur eine sehr untergeordnete seyn. Jetzt ist dieser Einheitspunkt durch die Macht der Bajonette ge­ sprengt, und es treten dadurch die einzelnen Kammern wieder in ihre frühere Bedeutung als Hüter und Be­ wahrer der Volksfreiheiten ein. Es versteht sich von

40 selbst, daß ich hier nur von Kammern rede, welche aus

dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangen sind, und

daß Anstalten moderner Corruption, wie die in Berlin, von

der Opposition gänzlich

unberücksichtigt

gelassen

werden müssen. Unsere Partei hatte das unverbrüchliche Festhalten an

der Reichsverfaffung als

ein gemeinsames Panier auf­

gestellt, um welches sich die Mehrheit des Volkes schaaren sollte. Man hat von vielen Seiten, und namentlich auch

von Seiten der extremen Partei dieses unser Verhalten

als ein Verlassen derjenigen Grundsätze dargestellt, welche

uns bis dahin in unserem parlamentarischen Wirken ge­ leitet hatten.

Es handelte sich damals einfach um die

Frage, ob man den Kampf gegen die vereinten Parteien der Constitutionellen und

der reinen Monarchisten auf­

nehmen, somit die Reichöverfassung ihrer politischen Form wegen zurückweisen könne, ober

ob dies unthunlich sey

und ob man zum Kampf gegen die absolute Monarchie allein sich mit den Constitutionellen verbinden müsse. Die demokratische Partei war bis dahin überall so sehr in

der Minderheit gewesen,

sie hatte durch unberechnete

Aufstände so sehr sich selbst geschadet, daß auch in dieser Krisis sie ganz unbezweifelt den Kürzeren gezogen hätte.

Es war demnach wohl kein Fehler der politischen Be­

rechnung, wenn man ihr noch eine Menge Streiter zu­ führte, welche das Werk der Volksvertretung als Ganzes

41 zur Geltung gebracht wissen wollten.

Nur auf diese

Weise war es möglich, die ganze große Partei im Volke,

welche um jeden Preis eine Herstellung gesicherter Ver­

hältnisse verlangte, Vertheidiger

enthielt.

auch für diejenigen Freiheiten als

aufzustellen, welche

die

Reichsverfaffung

Man sollte denken, die Bewegungen der letzten

Jahre müßten einem Jeden auf

das Ueberzeugendste

dargethan haben, daß eine Revolution, welche gegen die

Sympathie des dritten Standes von dem vierten Stande oder dem Proletariat allein unternommen wird, keine

Aussicht auf Erfolg bieten kann, und daß nur dann diese Aussicht vorhanden ist, wenn der dritte Stand nicht

Opposition gegen die Bewegung von Anfang an ergreift. Eine jede Bewegung zur Durchführung der Reichsverfassung aber besaß die Sympathie der Mittelklassen nur

in dem Falle, wo sie auch die politische Form definitiv im Sinne dseser Verfassung feststellte. Wir haben oben ausgeführt, in welcher Weise Preußen

diesem Verlangen der Bourgeoisie,

zu einer definitiven

politischen Form zu gelangen, nachzukommen trachtete.

Statt des durch die Vertreter des Volkes geschaffenen Einheitspunktes,

der immerhin,

wenn

auch bedeutend

abgeschwächt, den Stempel der Volkssouveränetät an der

Stirne trug, wollten die Regierungen einen Einheitspunkt

schaffen, ein Produkt der Berufung von Gottes Gnaden

oktroyiern.

Die Veränderungen, welche die Frankfurter

42 Verfassung unter den Händen der Dreikönigsbündler er­

hielt, waren diesem veränderten Typus auch durchaus angemessen.

Mit dem Gottes-Gnadenthum ging die

Herstellung der Adelsvorrechte, die Möglichkeit der Auf­ hebung aller Volksfreiheiten Hand in Hand; — im Uebrigen

wurde der Schein gewahrt,

so viel als möglich, das

Wesen aber zerstört.

Ist cs möglich, sich einem solchen Einheitspunkte an­ zuschließen, der durch ein allen Principien der Gerech­

tigkeit widerstreitendes Wahlgesetz eine gefügige Majorität

schafft, welche Alles in die Hände Regierung Preußens legen würde?

der Hegemonischen Unter dem Scheine

der Freiheit würde ein Druck geschaffen werden, ärger als derjenige des alten Bundestags

noch

und keine

Garantie würde geboten seyn, so lange Preußens perfide Politik die Zügel der Regierung in den Händen hätte.

Die Mitglieder der Gothaer Versammlung haben gesagt, der Dreikönigsentwurf enthalte die wesentlichsten Bedin­

gungen, welche sie von einer Reichsverfassung verlangt hätten,

nämlich die Vorstandschaft Preußens und ein

Volkshaus. Wer nach den Vorgängen der letzten Monate noch die Vorstandschaft Preußens in irgend einer Bezie­ hung wünschen

kann,

gibt

dadurch den Gegnern das

Recht, ihn zu den reinen Absolutisten zu zählen.

Man

spricht von Demoralisation der unteren Volksklassen, aber solche Demoralisation, wie 'sie von oben her durch die

43

Regierung in Preußen durchfiltrirt, findet sich wahrlich nicht in den niedrigsten Schichten der Gesellschaft. Kein gegebenes Wort, keine Zusage ist in diesem Systeme heilig; heute ist es Bedürfniß der Zeit, ein Versprechen zu geben, morgen ist es Bedürfniß der Zeit, seine Er­ füllung zu verweigern. Mit nackter Schaamlosigkeit ge­ stehen dies die Vertreter des Systemes selber ein und mit ekelhafter Unterwürfigkeit sanktioniren es die soge­ nannten Vertreter des Volkes. Heute gibt dieses System eine Verfassung, morgen bricht es'dieselbe, weil es die Laune der bestimmenden Person so will. Man hat ge­ glaubt, daß die chambre introuvable Alles erschöpfe, was nur irgend gedacht werden könne, an parlamenta­ rischer Erbärmlichkeit. Man konnte nicht glauben, daß sich eines Tages eine sogenannte Volksvertretung finden könnte, welche selbst den Gewalthaber bittet, seine gege­ bene Zusage nicht zu erfüllen und die Gewalt ungeschmä­ lert in Händen zu behalten. Die Kammer bittet den König, das Heer nicht auf die Verfassung zu vereidigen, wie er es doch versprochen hatte, sie ersucht ihn, die physische Gewalt ungeschmälert, unter unverantwortlichem Oberbefehle zu behalten. Wo solche Dinge vorgehen können, da ist keine Ga­ rantie eines politischen Zustandes möglich; die Dreikönigs­ verfassung annehmen und Preußen an die Spitze stellen, heißt jede Spur einer solchen Garantie auch in allen

44 übrigen Staaten vernichten.

Das Heer der kleineren

Staaten, ihre Geldquellen werden einer Macht zur Ver­

fügung gestellt, welche nur zu deutlich gezeigt hat, daß sie nur die Wiederherstellung des unverfälschten Absolutis­ mus will.

den

in

Diese Macht würde dann das Recht haben,

kleineren Staaten jede Freiheitsbestrebung

zu

unterdrücken, und sie würde in dieser Bestrebung stets

von der

servilen

Majorität im Reichstage unterstützt

Resultate

der Durchführung des Dreikönigs-

werden.

Die

bündniffes würden also die seyn, daß auf scheinbar lega­

lem Wege, ohne Anwendung besonderer Gewalt, die Freiheiten, welche das Volk im März errungen, in einer

solchen Weise verkümmert würden, daß der vormärzliche

Zustand Deutschlands werden müßte.

dagegen ein glücklicher genannt

Der Einheitspunkt würde nur im Heere

und in der Polizei gegeben seyn, und was dieses sagen

will, wissen wir jetzt durch Erfahrung am besten. In gleicher Weise verderblich für die Freiheit würde

der Einheitspunkt seyn, den Oesterreich uns bietet, wenn gleich die materiellen Interessen des Volkes dadurch we­ niger verletzt werden würden.

Der Dreikönigsbund legt

die Militäreinheit in Preußens Hände und bürdet da­ durch fast unerschwingliche Lasten den kleineren Staaten auf.

Ueberall würde dasselbe Schauspiel sich wiederho­

len, wie in Preußen, wo der Militärstat in Friedens-

45

zeiten beinahe die Hälfte, in unruhigen Zeiten dagegen sieben Achtel der gesammten Staatseinnahme verschlingt. Oesterreich, es mag nun eine Form der Einheit Vor­ schlägen, welche es wolle, muß dennoch die Militärein­ heit zurückweisen und sich mit Herstellung einer einheit­ lichen Polizei im Bunde begnügen. Die einzigmögliche Rettung der vorhandenen Frei­ heiten liegt setzt im Partikularismus der Einzel­ staaten. Jede Einheit, sie möge Form und Namen haben, welche sie wolle, wird setzt von den Regierungen nur geboten, um desto wirksamer die Freiheit in den Einzelstaaten unterdrücken zu können. Die Stellung der Opposition, gegenüber diesen Bestrebungen, ist klar. Sie müssen mit aller Anstrengung zurückgewiesen werden, und hoffentlich wird sich das öffentliche Bewußtseyn bis zu dem Zusammentritte der Kammern in Württemberg, Baden, Darmstadt, Sachsen, Hannover und Baiern, so weit ermannt haben, daß über diesen Punkt es nur noch eine Stimme der öffentlichen Meinung gibt. Es wird dies um so leichter geschehen können, als setzt schon der Boden unter dem Bau des Dreiköm'gsbundes wankt, und die Zeit vielleicht nicht ferne seyn wird, wo dieselben Maulwürfe, welche diesen ekeln Haufen auf­ warfen, ihn auch wieder zerstören. Man hat vielfach behauptet, die Macht und Größe des einigen Deutschlands und seine einflußreiche Stellung

46 dem Auslande gegenüber werde einen hinlänglichen Er­ satz bieten, selbst für die verlorene Freiheit im Inneren; und um Deutschland eine solche, seiner Größe entspre­ chende Stellung zu geben, wolle man lieber eine Pe­ riode des Absolutismus durchmachen, da man doch sicher sey, die Freiheit später auf parlamentarischem Wege zu erringen. Aber, so fragen wir, ist es möglich, mit einer Macht wie Preußen an der Spitze in irgend einer Weise nationale Selbstständigkeit gegenüber dem Auslande zu erringen? Hat dieses System nicht sogar die Waffen­ ehre seines Heeres, gegenüber den dynastischen Interessen des Auslandes Waffenstillstand des Herrn von und die ganze

in Schleswig-Holstein geopfert? Der von Malmö mit den offiziellen Noten Wildenbruch, der jetzige Waffenstillstand Entwickelung des schleswig-holsteinischen

Kampfes, stehen sie nicht als Brandmale da, als Wahr­ zeichen für die Politik, welche Preußen dem Auslande gegenüber als Hegemon Deutschlands befolgen wird? Hat nicht der Görgey'sche Verrath die deutschen Trup­ pen vor der Schmach gerettet, die ihnen von Herrn von Gagern vorgezeichnete Rolle der Russen in Ungarn übernehmen zu müssen? Die unmittelbare Folge einer Hegemonie Preußens wie Oesterreichs über Deutschland würde nur die seyn, daß die russischen Grenzen in Wahrheit bis an den Rhein vorgeschoben wären, und daß man Macht genug aus dem Norden zöge, um wäh-

47 rend einer gewissen Zeit jede Freiheitöbestrebling in dem einigen Deutschland niederzuhalten und zu unterdrücken, während jetzt in der Zersplitterung Deutschlands auch Vie Kraft, welche ein solches Bündniß entwickeln kann, in nach Innen minder mächtigen Strahlen auseinander gehen muß. Alle Anzeigen deuten darauf hin, daß der Dreikö­ nigsbund, wenngleich noch ungeboren, dennoch schon wieder seinem Verscheiden nahe ist, und daß alle Be­ strebungen der Partei, welche ihn will, an Kabinetsintriguen scheitern werden. Wäre dies aber auch nicht der Fall, käme wirklich die Berufung eines neuen Reichs­ tages zu Stande, käme es wirklich dahin, daß jenes jämmerliche Wahlgesetz angewendet werden sollte, nach welchem man den Reichstag des Dreikönigsbündnisses züsammenberilfen will, so müßte sich die ganze Oppo­ sition zu demselben Schritte einigen, welcher in Preußen so bedeutende Erfolge erzielt hat. Unter keiner Bedin­ gung darf gewählt werden, und alle Anstrengungen müssen dahin vereinigt werden, um auch hier einen Reichstag der Minorität zu erzeugen, wie jetzt in Preu­ ßen eine Minoritätskammer eristirt. Die Ständekam­ mern, in welchen die Opposition die Majorität hätte, dürften unter keiner Bedingung zum Ständehaus wäh­ len oder Candidaten Vorschlägen. Durch alle ihre Or­

gane müßte die Opposition zum Voraus erklären, daß

48

sie in keine Maßregel willigen werde, welche von einem solchen Reichstage beschlossen wird, daß sie, wenn sie einmal zur Regierung käme, keine Auflage, keine Steuer, kein Anlehen, keine Ausgabe anerkennen werde, deren Verwilligung nicht durch einen aus allgemeinem Stimm­ rechte hervorgegangenen Reichstag geschehen sey. Wir können durch die Erfahrung sehen, welche Be­ deutung ein solcher Minoritätsreichstag haben würde. Keine Partei in Preußen kümmert sich um die zweite Kammer, welche nach dem oktroyirten Wahlgesetze zu­ sammenberufen ist; sie stirbt an allgemeiner Interesse­ losigkeit; ihre Beschlüsse haben keine Bedeutung; — man verachtet sie zu sehr, als daß man sich um sie be­ kümmern sollte. Die Regierung hat die Unmöglichkeit eingesehen, mit einer solchen Kammer ein Anlehen zu negoziren, und ist dadurch in die Nothwendigkeit versetzt worden, den nach Magdeburg geretteten Staatsschatz, von dessen Größe Herr Hansemann vielleicht später ein­ mal genauere Angaben machen wird, bis auf die Hefe zu erschöpfen. Ein Minoritätsreichstag würde nicht die mindeste Geltung auf der Börse haben, die als erste Bedingung für ihre Anleihen die Zustimmung der Ma­ jorität betrachtet. Man täusche sich hierüber nicht; — die Banquiers sind Sklaven der Majorität; ein Fürsten­ wort kann ihnen keine Garantie mehr bieten.

49 Ueberhaupt

liegt

in dem Geldpunkte jetzt für die

Opposition der einzige Hebel, welchen sie anwenden kann, um das maßlose Fortschreiten der reactionären Bestre­

bungen zu hemmen.

Auch die Gewalthaber machen sich

darüber keine Illusion, daß der revolutionäre Geist nur

unterdrückt, keineswegs aber vernichtet ist; die Kugeln

aber und die Bajonette, mit welchen sie die Sicherheits­

ventile zur Unterdrückung dieses Geistes beschweren müssen, kosten täglich bedeutendere Summen.

Vergebens ist die

Hoffnung, daß die inländische Industrie sich beleben und der materielle Wohlstand die geistigen Forderungen in

den Hintergrund stellen werde. Was in Frankreich noth­

wendig eintreten mußte, die Hebung der Geschäfte nach anderthalbjähriger Zerrüttung, wird in Deutschland nicht

eintreten, weil die englische Industrie beim Stocken der unsrigen aushilft.

steme,

Es kann also dem herrschenden Sy­

so lange es mit einer kräftigen Opposition im

Inneren,

mit der Stockung in Handel und Wandel zu

kämpfen hat, nun und nimmermehr gelingen, den Geist der Unzufriedenheit

zu dämpfen

und durch materielle

Vortheile seine Forderungen zu übertäuben.

Nicht minder energisch ist im Widerstande gegen die österreichischen Vorschläge einer einheitlichen Reichspolizei

zu verfahren. So lange noch eine einzige Kammer

in Deutschland eristirt, so lange ist es unmöglich, daß die Regierungen von sich aus ohne Zustim-

4

50

inung dieser gesetzgebenden Körper einseitig den

Bundesvertrag von 1815

ändern.

Die Regierungen

konnten den Bund von 1815 einseitig zu Wien schließen,

weil sie damals allein eristirten und keine Repräsentativ -

kammern zur Seite hatten; heute sind sie nicht mehr allein die Herren über die politische Gestaltung Deutsch­

lands — sie müssen

fragen.

die Vertreter ihrer Volksstämme

Zu jeder Aenderung des Bundesvertrages, be­

treffe sie auch

nur die formelle Zusammensetzung der

Executive, zu jeder Erweiterung, oder wie es die öster­ reichischen

Staatsmänner nennen :

Entwicklung seiner

Competenz, gehört nothwendig die Zustimmung

der Kammern

in

den Repräsentativstaaten.

Wäre dies nicht der Fall, so hätten auch zu dem Drei­

königsbündnisse die betreffenden Regierungen nicht der Zustimmung ihrer

Kammern bedurft, welche sie doch

überall einzuholen versuchten.

Wenn aber schon in den

meisten Staaten es schwierig war, diese Zustimmung mit

geringer Majorität zu erhalten,

und wenn jetzt schon

in manchen deutschen Staaten, gegründete Aussicht vor­

handen ist, daß dieselbe abgelehnt werde, um so

so

ist dieses

sicherer bei den österreichischen Vorschlägen zu

erwarten, als dieselben nur die Herstellung einer ein­

heitlichen Reichspolizei zum Ziele haben, und auch der gemäßigt constitutionellen Partei unmöglich genügen kön­ nen.

Der Dreikönigsbund zerfällt in sich selbst,

er

51 scheitert an dem Widerstände einiger, freilich nur weniger

Regierungen. Die österreichischen Vorschläge werden nur

von der Minderzahl der Regierungen und höchstens von

der preußischen Kainmer und den Bassermännern der

Gothaer Partei angenommen werden. Dadurch ist dann

der Kampf auf sein wahres Gebiet zurückgeführt, näm­ lich auf den Kampf zwischen demAbsolutismus

einerseits und den Repräsentativverfassun­ gen andererseits; und es kann nicht fehlen, daß die enorme Majorität des Volkes

und besonders auch der

Bourgeoisie in diesem Streite gegen die Fürsten und ihre Regierungen sich schaaren wird. Seht da den Verräther der deutschen Einheit! wird

man von vielen Seiten mir entgegenrufen. Die Einheit ist uns immer ein Ziel gewesen, welches wir mit allen Mitteln erstrebt haben, und es ist wahrlich nicht meine

und meiner Freunde Schuld, wenn sie nicht erreicht wurde.

Aber daß man eine scheinbare Einheit erkaufen

sollte um den Preis des Verlustes der Freiheit, des zer­

rütteten Wohlstandes, um den Preis der Knechtung nach

Innen und der Schmach nach Außen, das wird uns Niemand zumuthen können. Das Volk hat in den März­ tagen zum letzten Male die Fürsten großmüthig behan­ delt,

es hat nicht vergessen, daß derselbe König von

Preußen, dessen Versprechungen trotz seines „worthal­ tenden Gemüthes" nur als momentane Ergüsse seines

4*

52 dynastischen Bedürfnisses dargestellt werden, daß derselbe König öffentlich seinem Volke für die Großmuch dankte, mit welcher es ihn behandelt habe.

Nein, das Volk hat

nicht vergessen, daß es treu und redlich die Einheit er­ strebte, und daß die einzigen Hindernisse dieser Einheit dieselben Fürsten waren, welche es damals großmüthig

verschonte.

Es wird sich dieser Thatsachen zu erinnern

wissen. Das Bedürfniß einer wahren Einheit wird durch

die momentane Zerrissenheit nur mehr und mehr genährt

und geweckt werden;

und wenn es endlich sich Bahn

bricht, so wird die Parole nicht, wie im März 1848,

„Einheit mit den Fürsten", sondern „Einheit ohne die Fürsten" seyn.

Ich habe in keinem demokratischen Ver­

eine, in keiner Volksversammlung, in keiner Gesellschaft, selbst der röthesten Republikaner,

solche Ausdrücke der

Verachtung gegen die Dynastien gehört,

als von den

Mitgliedern und Anhängern der Kaiserpartei nach dem Mißlingen ihres Planes.

Bei Vielen mag diese Stim­

mung nicht länger angehalten haben, sondern nur ein

Erguß momentaner Gereiztheit gewesen seyn; — bei den

meisten aber ist sie geblieben; und ich glaube, daß selbst

Herr von Gagern, der mir einst nach einer Aeußerung gegen die Fürsten

mit dem Ausdrucke des tiefsten Be­

dauerns halblaut sagte :

„O! Sie kennen sie nicht!"

selbst dieser wird sich überzeugt haben, daß ich und meine

Partei die Fürsten besser kannten, als er, wenn wir uns

-53-

gleich nicht in ihrem persönlichen Umgänge zu sonnen pflegten. Fassen wir also noch einmal die Aufgabe der Op­ position hinsichtlich der Einheit Deutschlands zusammen, so besteht diese einfach in der Zurückweisung eines jeden Vorschlages, welcher von den Regierun­ gen gemacht werden könnte, in der Nichtbetheiligung an einer jeden Handlung, welche zur Verwirklichung eines solchen Vorschlages sichren könnte, und in dem unab­ änderlichen Festhalten der Grundrechte, welche von der Nationalversammlung festgestellt wurden. In dem Festhalten dieser Grundsätze darf die Opposition keine Drohung, keine Auflösung der Kammern scheuen; — sie muß unbekümmert um alle Folgen ihrer Handlungen fest dabei stehen bleiben und die Negierungen zwingen, entweder nachzugeben oder gegen das Nepräsentativsystem selbst mit Gewaltmaßregeln vorzuschreiten. Nur auf diese Weise kann es ihr gelingen, den Geist in dem Volke wach zu halten und zu stets allgemeinerem Widerstände zu stählen; nur indem die Opposition die Fahne der Einheit unbefleckt für künftige Zeiten erhält, kann sie hoffen, die­ selbe auch triumphiren zu sehen. Eine jede Concession, welche in dieser Beziehung gemacht würde, schiebt die Erreichung des Zieles auf einige Jahre weiter hinaus, denn es gibt stets eine Menge schwacher Geister im Volke/



54



deren Genügsamkeit mit gar schmalen Bissen sich befrie« big en läßt.

Möge die Partei der Opposition bei den Wahlen mit aller Entschiedenheit in diesem Punkte zu Werke gehen und die Ablehnung jeder von den Regierungen gebotenen

Einheitsformel als unausweichliche Bedingung für ihren Candidaten aufstellen.

Man lasse sich unter keiner Be­

dingung durch die Entschuldigung abspeisen:

„Etwas

müsse doch geschaffen werden; wenn man nichts Besseres

haben könne, müsse man sich mit dem Dreikönigsbunde begnügen."

Wer so spricht, stimmt am Ende jeder von

der Regierung ausgehenden Proposition zu,

sobald er

sich überzeugt zu haben glaubt, daß sein Widerstand doch nichts „Besseres" herbeiführen werde.

Die Benutzung

der gegebenen Thatsachen ist eine Zierde des politischen

Mannes; die Unterwürfigkeit unter die vollendeten That­ sachen ist stets das Merkmal feiger und gesinnungsloser

Charaktere gewesen.

Ueberblickt man die Geschichte der früheren Kammern in Deutschland, so springt auf den ersten Blick ein ge­ waltiger Fehler hervor, der sich durch alle Verhandlun­ gen derselben, wie ein rother Faden, hindurchzieht.

Es

ist dieses die Vernachlässigung der Finanzfragen hinsicht­

lich ihres Gebrauches als politisches Zwangsmittel. Die Kammern stellten alle möglichen Forderungen und hiel­ ten ellenlange Reden darüber; — statt aber hartnäckig

55 darauf zu bestehen und jede, auch die unbedingt nöthigste

Ausgabe der Regierung so lange zu verweigern, bis sie auch das kleinste Jota der Forderungen

erfüllt hatte,

begnügte man sich, die einzelnen Posten zu bekritteln,

hie und da einige Gulden abzuzwacken und am Ende

das Budget zu bewilligen — im Vertrauen, daß die Minister die gemachten Forderungen

erfüllen

würden.

Bei solchem Gebühren konnten die schönsten Reden, die

glänzendsten Verhandlungen nichts nützen, sie waren wie

Spreu im Winde,

so lange die Negierung mit dem

Gelde in der Tasche klingen konnte.

Dieses System der

Opposition muß gänzlich geändert werden.

Ich weiß

wohl, daß der Staat Geld braucht, und daß die unsin­

nigste aller Versprechungen die ist, daß man ohne Steu­

ern regieren wolle ; — aber ich weiß auch ebenso wohl, daß bei den jetzigen Zuständen die Regierungen die phy­

sische Gewalt einzig und allein in den Händen haben, und daß sie im Besitze derselben sich kühn über jedes Gesetz hinwegsctzen können, sobald man ihnen die Mög­

lichkeit läßt, diese physische Gewalt nach ihrem Willen

zu ernähren.

Das einzige Mittel, welches die Volks­

vertretung in Händen hat, ist gerade die Verweigerung des Budgets, und dieses muß in weitestem Maße ge­

handhabt werden.

Unbekümmert um die wirklichen Be­

dürfnisse des Staates verweigere man einer Regierung,

welche nicht unbedingt

jede

Forderung der

56 Volks Vertretung augenbli cklich erfüllt, jeg­

liches Budget,

und

die

namentlich

außerordentlichen

Ausgaben, welche sie für auch noch so plausible Zwecke

verlangen sollte. DaS verflossene Jahr hat sämmtliche Negierungen ohne Ausnahme zu außerordentlichen Ausgaben genöthigt, welche entweder noch nicht bewilligt oder noch nicht ge­

deckt sind.

Zur Bestreitung der Kriegskosten in Schles­

wig-Holstein, die mit so vielem Blute nutzlos zur Meh­

rung deutscher Schmach vergeudet wurden, zur Erhaltung

des Militärs im Innern sind (Summen

aufgewendet

worden, vor deren Größe die Zahlenden im Volke noch erschrecken

werden.

Man

verweigere

unbedingt

die

Deckung dieser Ausgaben und führe dieselben als schwe­ bende Schuld überall fort, um stets eine augenblickliche

Handhabe zur Bekämpfung der Regierungen zu haben. In

manchen Staaten läßt die Verfassung eine totale

Verweigerung,

oder eine Verminderung des stehenden

Budgets nicht zu; — aber man bedenke wohl, daß die Regierungen in den nächsten Zeiten ohne außerordent­

liche Ausgaben nicht bestehen können, und daß sie zu diese»

die Zustimmung der Kammern

Selbst durch Aenderungen der

nöthig

Ministerien

haben.

lasse man

sich nicht bewegen, auch nur um ein Jota von der er­ wähnten

Richtschnur abzuweichen.

Das Zutrauen ist

schon zu oft getäuscht worden, als daß man nicht billige

57

Vorsicht anwenden sollte.

Nur zu ost schon ist die Finte

gebraucht worden, daß man ein Ministerium fallen ließ

und ei» anderes ernannte, welches der Opposition in

der Kammer genehm war, nur damit dieses die Geld­ bewilligung

erhalten möchte.

Sobald dieses geschehen

war, ließ man entweder das Ministerium wieder fallen, oder dieses Letztere selbst setzte sich mit der Kammer in

Opposition und verweigerte die Erfüllung ihrer Forde­ rung.

Vor

der Wiederholung

solcher Resultate

der

Vertraucnspolitik hüte man sich strengstens. Wenn

in

der angedeutetcn Weise nur durch den

Partikularismus die Zwecke der

Freiheit einigermaßen

gefördert werden können, so ist es auch nöthig, daß die Kammern sich vorzüglich mit den Reformen im Inneren

beschäftigen, welche zur

wendig

sind.

Sicherung der Freiheit noth­

Da wo constituirende

Landesversamm­

lungen oder mit der Revision der Verfassung beauftragte Stände versammelt sind, hat man vor genmerk darauf

zu richten, daß

Allem sein

Au­

alle Bestimmungen,

welche eine momentane Gesetzgebung oder Erlasse von

Verordnungen, Dekreten und

Kabinctoordren mit Ge­

setzeskraft möglich machen, vollkommen ausgetilgt werden. Der einzige §. 105 in der oktroyirten Verfassung Preus­

sens ist genügend, um diese Verfassung selbst vollkommen

zu vernichte» und zu einem Spielwerke zu machen, wel­

ches man nach Laune aufnimmt oder bei Seite schiebt.

58 Fast alle älteren Verfassungen Deutschlands enthalten ziemlich analoge Paragraphen, die, wie sich von selbst versteht, bis auf die letzte Spur ausgetilgt werden müs­

sen.

Bei der Diskussion solcher Bestimmungen werden

sich auch in den Reihen

der Opposition die falschen

Freunde der Freiheit, welche die Opposition nur benutzen, um durch dieselbe zur Regierung zu gelangen, von den

uninteressirten Kämpfern unterscheiden.

Es ist so bequem

für den Regierenden, wenn er einen legalen Deckmantel für die Willkür besitzt. Die Gleichberechtigung aller Stände, die Aufhebung

aller Standesvortheile und der daraus herfließenden Ein­ richtungen im Staate, wie Adelskammern, Reichsräthe ii. s. w., müssen der Gegenstand unablässiger Angriffe

von Seiten der Opposition seyn, so wie nicht minder

die Tagespresse unaufhörlich auf denselben Punkt losar­

beiten muß.

Die Gleichberechtigung aller Menschen ist

ein so einfacher Satz, daß Jedermann sie auf der Stelle begreift, und da die Bevorzugten stets nur eine unge­

mein kleine Minderzahl ausmachen, so kann man sicher­

seyn, für alle diese Bestrebungen eine ungemeine Majo­

rität hervorzubringen. Die stehenden Heere sind eine Hauptquelle der natio­ nalen Armuth, wie der nationalen Bedrückung.

Sie

abschaffen, würde jetzt unmöglich seyn; wohl aber ist die

Möglichkeit gegeben, ihnen die Quellen der Eristenz ab-

59 zuschneiden, indem man die Bewilligung für ihren Un­ terhalt streicht, oder so karg macht, daß besonders zahl­ reiche Avancements unmöglich sind.

Der Eifer der herr­

lichen Kriegsheere wird dadurch bedeutend abgestumpft werden, und es wird bald an den Tag kommen, daß die

bezahlte und mit Absicht gepflegte Brutalität beim Um­ schläge der Stimmung sich zuerst gegen ihre früheren

Befehlshaber wendet.

Es gibt wohl keine ekelhaftere Er­

scheinung in der Geschichte der Neuzeit, als diese wieder­ holten Ovationen und Danksagungen an das Heer, als

habe es die Gesellschaft vor dem Untergange gerettet.

Der Keim zu dem Prätorianerregimente ist hierdurch ge­

legt, und die Folge wird eine Militäranarchie seyn, deren die Herren selbst nicht mehr Meister werden können.

Daß diese Anarchie herannaht, unterliegt keinem Zweifel. In Oesterreich halten die Generale setzt schon Conserenzen, worin sie ihren unterthänigen Dienern, den Ministern,

vorschreiben was zu thun sey und in dem ganzen übrigen Deutschland gehorchen die Offiziere keinem constitutionellen

Ministerium, sondern nur dem Befehle des Kriegsherren. Welche Früchte kann es aber auch tragen, wenn man

das Gehirn eines Lieutenants als Maßstab politischer

Capacität, und die Ansichten eines Majors als Inbegriff göttlicher und menschlicher Weisheit darzustellen bemüht

ist?

Die Organisation des stehenden Heeres als Ma­

schine, die keine Einsicht haben darf, verträgt sich am

60 wenigsten mit diesen Floskeln von der politischen Befähi­

gung des Heeres.

Sie untergraben die Grundlage, auf

welcher seine ganze Organisation beruht.

Um den Ein­

sturz des Gebäudes zu vollenden, bedarf es von Seiten

der Opposition nur einer einzigen durchgreifenden Maß­ regel, nämlich der Aufhebung des speziellen Ge­ richtsstandes für das Militär.

concentrire man seine ganze Kraft.

Auf diesen Punkt

In dem Augenblicke,

wo diese Aufhebung ausgesprochen wäre, würde auch die

Scheidewand zwischen dem Soldaten und dem Bürger fallen, und der bedeutendste Arthieb an dem Stamme der

Militärhierarchie geschehen seyn.

Man halte die materiellen Interessen besonders wohl

im Auge und suche die zeitgemäßen Aenderungen, welche

in dem Besteuerungssystem nothwendig sind, so schnell und so durchgreifend als möglich in das Werk zu setzen.

Es werden freilich diese Maßregeln vielleicht Spaltungen

in der Opposition selbst erregen, da die Partei, welche sich derselben in nächster Zeit anschließen wird, eine stär­ kere Belastung der Reichen nicht wünschen kann.

Indessen

gelingt es doch schwer, einem allgemein anerkannten Be­

dürfnisse die Zustimmung zn versagen, und es gibt Dinge, denen man sich zu widersetzen nicht wagen darf, wenn man es auch gerne möchte. Die Handelsbeziehungen Deutschlands und die Ver­ hältnisse seiner Binnenstaaten in dieser Hinsicht sind nicht

61 der Art, daß eine baldige Aenderung des gedrückten in­ dustriellen Zustandes wahrscheinlich wäre.

auch nicht sonst der Gründe genug,

Gäbe es aber

so würde auch die

Richtung Preußens in dieser Hinsicht genügen, um die Hegemonie Preußens über Deutschland auf das Kräftigste zurückzuweisen.

Die preußischen

Handelstraktate wett­

eifern an Unvortheilhaftigkeit, und die preußischen Pro­ vinzen wissen größtentheils nur von zunehmendem Sinken ihres Wohlstandes und der Abnahme ihres Handels zu

erzählen.

Den freundschaftlichen Beziehungen zu Rußland

ist Schlesiens und Ostpreußens Wohlstand geopfert wor­

den.

Dänemark zu Liebe liegt der Ostseehandel in den

schwersten Fesseln, und aus zarten politischen Rücksichten für England sind der Rheinschifffahrt unerträgliche Lasten

aufgebürdet.

Der Zollverein hat

den Gewerbfleiß der

meisten deutschen Binnenstaaten vernichtet.

Eine wahre

deutsche Einheit würde die verschiedenen Interessen, welche noch bestehen, sicher versöhnen und eine Handelspolitik

aufkommen lassen, die Jeden befriedigen konnte.

Aber

eine Einheit, welcher die materiellen Interessen des Han­ dels

entzogen

Mecklenburgs

sehe

die Beitrittserklärung

sind

(man

zum

Dreikönigsbunde)

kann

nur

die

Wunden vergrößern, statt sie zu heilen und vergebens

wird man trachten die Interessen von Süd und Nord,

von Ost und West Deutschlands unter preußischer Hege­ monie nutzbringend einander zu nähern.

Die Bureau-

62 kratie, welche das Wesen des preußischen Staates bildet,

ist der Todfeind des Handels, den sie mit ihren Maß­ regeln so lange martert, bis sie ihn an Entkräftung zu

Grunde gehen sieht.

Der Handel schwebt, die Bureau­

kratie sitzt — sie sind natürliche Feinde.

Das Gemeindewesen muß ebenso in dem Sinne um­ gestaltet werden, daß man die Gemeinde dem unmittel­

baren Einflüsse der Regierung entzieht und ihre Selbst­

ständigkeit und Freiheit herstellt.

Das Bestreben der Ab­

solutisten geht nothwendig dahin, die Gemeinden von einem Centralpunkte im Staate abhängig zu machen, und

den Willen der Regierung ohne Widerstand bis in die

entferntesten Orte des Staatskörpers gelangen zu lassen. Das Bestreben der Opposition muß dahin gehen, so viel

Dämme nnd Hindernisse aufzuführen, daß nur das Gesetz, nicht aber die Willkür Geltung erhalten kann. Auf die Aenderung des Gerichtswesens nehme man

die wesentlichste Rücksicht und lasse nicht ab, die freien Institutionen der Schwurgerichte mit allen Garantien zu

umgeben, die sie nur irgend erfordern könnten.

Wie

schon oft, so treten auch jetzt die ungemeinen Vortheile dieser Institute gegenüber dem schändlichen geheimen Ver­

fahren offen an den Tag.

Die Abgeordneten in Stutt­

gart, welche in Altbaiern in hartem Gefängnisse gehalten werden, würden in der Pfalz auf freiem Fuße sich be­ finden.

Ein altpreußischer Gerichtshof würde das Urtheil

63 des Anklagesenates zu Cöln über Bernbach nicht gefällt

haben.

Ich brauche mich über diesen Punkt nicht weiter

auszulassen,

die literarische Periode Deutschlands hat

wenigstens den Vortheil gehabt, daß über diese und ähn­ liche Fragen der Zeit keine Diskussion mehr möglich ist.

Mit vollem Vorbedachte habe ich nur auf die inneren Verhältnisse Deutschlands Rücksicht genommen.

in

den vorstehenden Zeilen

Die Zeit wird hoffentlich vorbei

seyn, wo man in den Einzelkammern lächerliche Anträge

auf Beendigung des Bürgerkrieges

in Spanien oder

Griechenland stellte und von den europäischen Verhält­

nissen große Worte machte.

Ein deutscher Einzelstaat

wiegt nicht mehr in der Wage des europäischen Gleich­ gewichtes — selbst Oesterreich hat nur dadurch wieder

Geltung erlangt, daß es russische Steine in die Tasche nahm, welche ihm jetzt die Schöße abreißen.

Der Ab-

solntismus scheint gesichert wohin man nur blicken mag —

sein Zweck ist, das ganze Festland mit einem einzigen Netze zu uinspinnen und dann England zu demüthigen. Dieses hat, in mißverstandener.Würdigung seiner Lage, seinen Feinden Vorschub geleistet, indem es überall die

constitutionelle Partei begünstigte, die demokratische aber unterdrücken half.

Die Folgen zeigen sich jetzt.

Pb es

aber den russisch influenzirten Regierungen gelingen mag,

mit der einen Hand die gährenden.Elemente in ihrein eigenen Innern niederzuhalten,

während sie mit der

64 andern gegen Großbrittanien

dräuen,

oder gar zum

Schwerte greifen, das ist eine Frage, welche die Zeit

erledigen wird. Der europäische Congreß, von welchem Zeitungen

und Correspondenzen einander in die Ohren munkeln, wird diese, wie überhaupt die Frage von der Neugestal­

tung Europa's und Deutschlands sicher nicht erledigen.

Man darf billig an seinem Zustandekommen

zweifeln;

an sein Gelingen kann kein Vernünftiger glauben.

Aber

daran kann man glauben, daß die Reaction auf dem

Festlande erst dann offen gegen England auftreten wird, wenn sie im eigenen Hause reinen Tisch gemacht und das schwache Bollwerk im Herzen Europa's, die Schweiz, vernichtet haben wird.

Ich fürchte, daß auch dieses sich

wird erfüllen müssen; — daß das französische Volk ruhig zusehen wird,

wenn die österreichisch-preußisch-russische

Diplomatie die Schweiz zwingen wird, ebenfalls den

Rückweg nach 1815 anzutreten, uin aus ihren Händen die republikanische Verfassung zu erhalten, welche ihr zu­ sagt.

Wie aber die Nachwirkung solcher Thaten in Frank­

reich sich gestalten werde, ist vielleicht voraus zu sehen.

Guizot und sein König fielen nicht unmittelbar bei ihrem schmählichen Verhalten im Sonderbundskriege, aber die

Revolution desselben.

vom Februar

Vielleicht

war mit eine Nachwirkung

erwartet

Thiers und seinen Bonaparte.

ein

ähnliches

Schicksal

65 Es ist unmöglich auf weitere Einzelheiten des Kampfes einzugehen, der sich in den nächsten Zeiten auf den kleinen

Theatern Deutschlands, wie auf der europäischen Arena entspinnen muß; sie dürsten zu unerquicklich erscheinen.

Denn langwierig und langweilig wird dieser Kampf seyn

und man darf wohl hoffen, daß er durch plötzliche Er­ eignisse abgeschnittcn werde, aber hierauf rechnen darf man nicht.

Es sind der unerwarteten Ereignisse tut Laufe

der letzten achtzehn Monate so viele gekommen, daß es der klügsten Berechnung unmöglich wäre, in dieser Hin­ sicht etwas Bestimmtes vorauszusagen; und es liegt des Zündstoffes genug in Europa, um vielleicht plötzlich eine

Flamme aus dem Boden zu zaubern, welche mächtiger und unwiderstehlicher ist, als das kaum gedämpfte Feuer

der Märzrevolution.

Dies darf uns indessen meines Er­

achtens nicht verhindern, zu feder Zeit diejenigen Mittel

zu ergreifen, welche der Sache förderlich seyn könnten. Der Verwundete muß so lange auf Krücken gehen, bis

seine Heilung vollständig geworden ist.

Unsere Partei

ist tief verwundet — sollen wir in thörichter Verzweif­ lung die Krücken wcgwerfen und gar nicht versuchen ztt

gehen?

Es wäre freilich traurig, wenn auf's Neue ein

Zustand der Ermattung und des fruchtlosen kleinen Krieges eintreten sollte, wie wir ihn so lange Jahre hindurch gehabt haben.

Wenn aber eine" solche Periode durchge-

macht werden muß, so denke ich, sey es vorzuziehen, lieber

5

66 noch in ihr zu kämpfen, so lange es möglich ist, müssig die Hände in den Schooß zu legen.

als

Eine neue

Erhebung des Volkes wird und muß kommen; — wann

sie aber eintreten wird, darüber mochte ich mir keine Vorhersage anmaßen.

Für eine solche Zeit der Erhe­

bung aber sind die vorhergehenden Worte nicht geschrieben,

sie wird sich andere Zielpunkte stecken und andere Mittel haben, sie zu erreichen; und sie wird hoffentlich, gegen­

über der Verbrüderung des Despotismus in allen Staa­ ten, sich erinnern, daß auch die Freiheitspartei aller Län­ der sich innig verketten und verbrüdern muß, wenn sie

die gemeinsamen Ketten sprengen soll, welche das Jahr 1848 schüttelte, das Jahr 1849 aber nur um so fester

anzog.

Stemmen wir uns, damit sie springen'

Bern den 24. September 1849.