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German Pages 198 Year 1980
E RFAHRUNG U ND D ENKEN S c h r i f t e n z u r Fö rd e r u n g d e r B e z i e h u n g e n z w i s c h e n Ph i l o s o p h i e u n d Ei n ze l w i s s e n s c h a f t e n
Band 57
Logik als Erfahrungswissenschaft Der Kalkülismus und Wege zu seiner Überwindung
Von
Gabriele Gutzmann
Duncker & Humblot · Berlin
ERFAHRUNG
UND
DENKEN
Schriften zur Förderung der Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften
Herausgeber A l w i n Diemer (Düsseldorf), Helmar Frank (Paderborn), André Mercier (Bern), Karl R. Popper (London), K u r t Schelldorfer (Basel).
Beirat Th. Ballauff (Mainz), H . Coing (Frankfurt), H . v. Einem (Bonn), C. J. Friedrich (Cambridge), H . Hediger (Zürich), H . Heimann (Bern), H . Kühn (Mainz), J. Lohmann (Freiburg), R. M e i l i (Bern), G. Pilleri (Bern), B. Rensch (Münster), H . Schack (Berlin), F. Wagner (München), M . Waldmeier (Zürich), R. Wellek (New Haven, Conn./USA).
Schriftleitung K u r t Schelldorfer
Hinweise 1. Der Zweck der Schriften „Erfahrung und Denken" besteht in der Förderung der Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften unter besonderer Berücksichtigung der „Philosophie der Wissenschaften". 2. Unter „Philosophie der Wissenschaften" w i r d hier die kritische Untersuchung der Einzelwissenschaften unter dem Gesichtspunkt der Logik, Erkenntnistheorie, Metaphysik (Ontologie, Kosmologie, Anthropologie, Theologie) und Axiologie verstanden. 3. Es gehört zur Hauptaufgabe der Philosophie der Gegenwart, die formalen und materialen Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften zu klären. Daraus soll sich einerseits das Verhältnis der Philosophie zu den Einzelwissenschaften und andererseits die Grundlage zu einer umfassenden, wissenschaftlich fundierten und philosophisch begründeten Weltanschauung ergeben. Eine solche ist weder aus einzelwissenschaftlicher Erkenntnis allein noch ohne diese möglich.
GABRIELE
GUTZMANN
Logik als Erfahrungswissenschaft
E R F A H R U N G
UND
D E N K E N
Schriften zur Förderung der Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften
Band 57
L o g i k als Erfahrungswissenschaft
Von Dr. Gabriele Gutzmann
DUNCKER & HUMBLOT/
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 04594 7
Vorwort Logik als Erfahrungswissenschaft, noch dazu nicht etwa als Erfahrungswissenschaft von Sprache — was heute schon wieder, ohne noch allzu großen Anstoß zu erregen, von verschiedener Seite vorgeschlagen w i r d —, sondern als reflexions-empirische Erfahrungswissenschaft von Intentionen. Wozu das? N u n , das gegenwärtige linguistisch-kalkülistische Paradigma in der Logik mit seiner starken Ausstrahlung auf andere Wissenschaften war nicht immer so vorherrschend und ich meine, es gibt sowohl Argumente gegen ein solches Logikverständnis als auch konstruktive Alternativen. Diese Arbeit knüpft an ein gegen Ende des vorigen Jahrhunderts und noch darüber hinaus nach Auffassung von Zeitgenossen wie Husserl oder Jerusalem vorherrschendes empirisches und insbesondere psychologisches Logikverständnis an; Repräsentanten dieser Richtung waren — bei allen Differenzen untereinander — etwa J. S. M i l l , Sigwart, Erdmann, Elsenhans, Jerusalem, Lipps, Störring, Ziehen. D a m i t konvergiert die Arbeit mit der sog. „kognitiven Wende" in der gegenwärtigen Psychologie. I m Zuge der Ablösung von wissenschaftlichen Einzeldisziplinen aus der Philosophie hätte Logik damals zu einem Teilbereich der Psychologie werden können. Doch eine Verbindung von mathematisch-kalkülistischem Denken und philosophisch-aprioristischem Gedankengut scheint dies verhindert zu haben: insbesondere vermutlich die beeindruckenden Konstruktionen von Russells und Whiteheads „Principia Mathematica" (19101913), denen die empirisch-psychologisch orientierte Logik nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hatte, und der aprioristisch gesonnene Gemüter stärkende, aber wenig argumentative Rundumschlag Husserls gegen alles Empirisch-Psychologische in der Logik. Darauf berufen sich K a l k ü listen in ihrer Ablehnung des „Psychologismus" bis heute gern, auch wenn Husserls „Argumente" mit ihrem Standpunkt gar nicht verträglich sind. Durchgesetzt hat sich dann i n der Logik die Kalkülorientierung i n verschiedenen Spielarten, die ich i m ersten Kapitel dieser Arbeit analysiere und kritisiere. Die Motivation zum Apriorismus hingegen erscheint — auch innerhalb des Kalkülismus — gegenwärtig geschwächt: darauf deu-
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Vorwort
ten die in den 60er Jahren sich häufenden Bekenntnisse für ein empirisches Verständnis der Formalwissenschaften von so prominenten Wissenschaftlern wie Bernays, Heyting, Kalmar und Kleene hin, die Lakatos eine „renaissance of empiricism" diagnostizieren ließen. Wenn nun nicht mehr wie i m Kalkülismus Kalküle Zweck von Logik (und Mathematik) sein sollen, sondern allenfalls ein M i t t e l unter anderen für die empirisch orientierte Theoriebildung über Logisches — Kalküle wären im Rahmen von Modelltheorie zu behandeln — : Was ist dann als Gegenstandsbereich von Logik aufzufassen, wie kann er theoretisch erfaßt werden? I n Auseinandersetzung mit einigen neueren Bestimmungen des Logischen und mit Argumenten gegen ein empirisch-psychologisches Logikverständnis gelange ich i m zweiten Kapitel zu dem Vorschlag, Intentionen in ihren Kontexten als Gegenstandsbereich einer auch Introspektion nutzenden, darüber hinaus konstruktiv vorgehenden und sich besonders für Abhängigkeitsbeziehungen interessierenden reflexionsempirischen Logik anzusehen. I m dritten Kapitel w i r d dieser Ansatz in Auseinandersetzung m i t der kalkülistischen Aussagenlogik konkretisiert und Urteile als spezifische I n tentionen, der Handlungskreis, Urteilsverknüpfungen und deren Wahrheit theoretisiert. Ergebnisse dieses Kapitels, so ein Konzept über Geltungsbedingungen von Urteilen und die sog. konnektive Interpretation der aussagenlogischen Wahrheitstafeln, werden sodann i m vierten Kapitel zur Bestimmung von Gesetz und Kausalität eingesetzt. Durch dieses Vorgehen wird, wenn auch hier nur in bescheidenem und noch sehr grundlagenorientierten Maße, eine weitere gegenwärtig paradigmatische Orientierung in Frage gestellt. Diese ist formalistisch i n dem Sinne, als sie davon ausgeht, daß empirische Gegenstandsbereiche nicht hinreichend nur mit formalen Mitteln charakterisiert werden können, womit für Wissenschaftstheorie und Systemwissenschaft eine, wie mir scheint eben bei intentionalem Formverständnis überschreitbare, Grenze gezogen ist. Noch eine stilistische Bemerkung. Manche Leser meiner Arbeit fanden es verwunderlich, daß da ein „Ich" auftaucht; und i n der Tat: gerade in Logiktexten verstecken sich die Autoren gern hinter einem anonymen „man(n)" oder blähen sich auch zum „ w i r " auf, sei es, daß den Lesern vorgespiegelt werden soll, hier spreche aus dem Text eines Autors gleich die ganze Logikergemeinde, sei es, der Autor ist überzeugt, die Leser könnten gar nicht anders, als die vom Autor präsentierte Meinung zu teilen, wie es G. C. Homans so schön offen formulierte:
Vorwort
„Nachdem ich im voraus jeden erdenklichen Einwand entschärft habe, ist es an der Zeit, an die Arbeit zu gehen. An dieser Stelle gebe ich auch das konkurrenzheischende ,Ich' auf, und wir, meine Leser und ich, übernehmen das kollaborative ,Wir'. (G. C. Homans: Elementarformen sozialen Verhaltens, Opladen 1972, S. 14.) Wenn ich mich natürlich auch über Zustimmung — wie auch K r i t i k — freuen würde, so werde ich sie doch nicht auf diese Weise fingieren. Ich bin verantwortlich für das, was ich geschrieben habe, wenn mir audi viel H i l f e zuteil wurde. Herr Prof. D r . Peter Krausser hat nützliche kritische Bemerkungen zu einer früheren Fassung des Manuskripts gemacht. M i t Werner Loh wurden einige grundlegende Gedanken der Arbeit gemeinsam entwickelt, die auch in seine Dissertation „Kombinatorische Systemwissenschaft : Evolution, Geschichte und logisch-mathematischer Grundlagenstreit" (Frankfurt a. M . 1980, i. E.) eingeflossen sind. Er hat dort das intentionale Grundmodell für arithmetische Verhältnisse konkretisiert und einen systemwissenschaftlichen, aber nicht „formalistischen" Ansatz für die Sozialwissenschaften entwickelt, der hier nur programmatisch bleiben konnte. Herr Prof. D r . Wolf-Dieter N a r r hat m i t m i r über die Arbeit diskutiert. Herr D r . Veit Pittioni hat mir brieflich Einwände und Verbesserungsvorschläge mitgeteilt. Herr Prof. D r . Friedrich Rapp gab mir die Möglichkeit, Thesen meiner Arbeit i m philosophischen Forschungscolloquium der Technischen Universität Berlin vorzutragen. Hans Schütte ist der Titel eingefallen, unter dem die Arbeit nun erscheint. Herr Prof. D r . Herbert Stachowiak hat i n seiner Eigenschaft als Leiter des Instituts für Wissenschafts- und Planungstheorie der F E o L L - G m b H Paderborn die Arbeit i m Rahmen von Fachdiskussionen einer früheren Manuskriptfassung gefördert sowie auch sonst brieflich und in Gesprächen den Fortgang der Arbeit unterstützt. M i t Frau Prof. D r . D r . Elfriede Tieisch, die in ihren Schriften insbesondere die empirische Richtung in der griechischen Philosophie zur Geltung gebracht hat, konnte ich über meine Arbeit und Probleme der Geschichte der Logik diskutieren. Ich hatte Gelegenheit, mit Herrn Prof. Henry Veatch, der, wenn auch leider ohne großen Widerhall, schon in den 50er Jahren den Kalkülismus kritisiert und eine intentionale Logik vorgeschlagen hat, über einige Probleme einer intentionalen Logik zu korrespondieren. Ihnen allen danke ich sehr herzlich. Ganz besonders danke ich meinen Eltern für ihre verständnisvolle und auch finanzielle Unterstützung. Berlin, im Juni 1979
Gabriele Gutzmann
Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Der Kalkülismus in der Logik 1. Zur Herausbildung
13
des gegenwärtigen Kalkülismus
13
1.1 Nicht-Empirie
15
1.2 Verdrängung der empirischen Logik
17
2. Kalkülverwendungsweisen
18
2.1 Zum Modellbegriff
18
2.1.1 Urteile und Zielsetzungen
20
2.1.2 Modelle
22
2.1.3 Gegenstandsmodelle und Zeichenmodelle
23
2.2 Formal-analogische Kalkülverwendungsweise
24
2.3 Symbolische Kalkülverwendungsweise
25
3. Drei Gestalten des Kalkülismus in der Logik 3.1 Reiner Kalkülismus
27 28
3.1.1 Kalküle als Gegenstand: P. LORENZEN 3.1.1.1 Handlungskreis und Kalkülhandeln 3.1.1.2 Nicht-empirische Wahrheiten 3.1.1.3 Zum Regelbegriff 3.1.1.4 Ambivalenz zwischen Zeichen und Figuren
28 29 30 32 33
3.1.2 Kalkülstrukturen als Gegenstand: R. CARNAP 3.1.2.1 Formen und Formbegriffe 3.1.2.2. Nicht-Empirie 3.1.2.3 Kalküle als Sprachen
34 35 36 37
3.2 Kalküle und logischer Deutungsbezug
38
3.2.1 Von der Syntax zur Semantik
38
3.2.2 Verwendungsweisen von Kalkülen bei logischem Deutungsbezug
39
3.2.3 Logische Deutungsbezüge von Kalkülen
40
10
Inhaltsverzeichnis
3.2.4 Gedeuteter Kalkülismus 3.2.4.1 Intuitivismus: logische Gesetze 3.2.4.2 Intuitivismus: Zur Beziehung zwischen Kalkülfigur und Bedeutung und Bezeichnetem 3.2.4.3 Weitere Mechanismen, Deutungsbezug und Kalkülismus zu vereinbaren 3.2.4.4 Die VEATCH-COPI-Kontroverse
43
3.2.5 Kalkülismus mit Deutung
56
3.3 Fazit
41 41
48 53
58
Zweites Kapitel Logik als £rfahrungswissensdiaft? 1. Nicht-empirische
Positionen
59 60
1.1 Piatonismus
60
1.2 Nicht-platonistische Nicht-Empirie
62
2. Empirische Positionen
65
2.1 Sprache und Denken
66
2.2 Einige Einwände gegen eine empirisch-psychologische Logik
69
2.2.1 Unmöglichkeit
70
2.2.2 Theoretische Einwände
71
2.2.3 Moral
76
2.3 Intentionen als Gegenstandsbereich einer nicht-kalkülistischen empirischen Logik 3. Zur Relevanz nicht-kalkülistischer schaft
Logik für andere Bereiche der Wissen79
3.1 Systemtheorie und Kybernetik
Drittes
76
81
Kapitel
Intentionale Aussagenlogik 1. Grundannahmen der Aussagenlogik
85 86
2. Einfache Aussagen und Wahrheit 2.1 Behandlung dieses Problems in der kalkülistischen Aussagenlogik
87 87
Inhaltsverzeichnis
2.1.1 Objektivismus
88
2.1.2 Kritik objektivistischer Wahrheitstheorien
89
2.2 Modelle zu einer intentionalen Logik von Aussagen bzw. Urteilen
92
2.2.1 Zur Methode
92
2.2.2 Ergebnisse der Introspektion
94
2.2.3 Modelle 2.2.3.1 Wahrheit und Richtigkeit 2.2.3.2 Modalitäten
95 98 101
2.2.4 Folgeprobleme 2.2.4.1 Geltungsbedingungen 2.2.4.2 Gegenstandsbezug 2.2.4.3 Gegenstände wahrer negativer und unwahrer positiver Urteile 2.2.4.4 Gleiche Sätze als Ausdruck verschiedener ZweckMittel-Beziehungen von Urteilen
103 103 106
3. Aussageverknüpfungen
110 112 113
3.1 Behandlung von Verknüpfungen in der traditionellen Aussagenlogik 113 3.1.1 Verschiedene FunktionsbegrifFe
114
3.1.2 Verschiedene Funktionsbegriffe in der Aussagenlogik
115
3.1.3 Argumente und Argumentwerte
116
3.1.4 Beziehung der Wahrheitswerte von Verknüpfungs- und Bestandteilsaussagen zueinander 118 3.2 Modelle zu einer intentionalen Logik von Aussage- bzw. Urteilsverknüpfungen 119 3.2.1 Ergebnisse der Introspektion
119
3.2.2 Modelle
120
3.2.3 Folgeprobleme 3.2.3.1 Wahrheitsbedingungen
124 125
Viertes
Kapitel
Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität 1. Gesetz 1.1 Möglichkeitsspielräume und Konnektivität
130 130 132
1.1.1 Die Raben-Paradoxie
135
1.2 Allgemeinheit und Transfer
139
12
Inhaltsverzeichnis
1.3 Vorschlag eines Gesetzesbegriffs
144
1.4 Gesetze der Aussagenlogik
147
1.5 Hinweis auf H. REICHENBACH
151
2. Kausalität
152
2.1 Zur Möglichkeit einer formalen Charakterisierung
152
2.2 Verschiedene Auffassungen über Kausalität
156
2.3 Ansätze und Probleme einer formalen Charakterisierung von Kausalität 160 2.3.1 Mögliche Glieder der Kausalrelation
160
2.3.2 Die Kausalrelation
162
2.3.3 Zur Bestimmung von Kausalität mittels konnektiver Urteile und spezifischer Gliedangaben 164 2.3.3.1 Überprüfungsbedingungen von Kausalurteilen . . . . 165 2.3.3.2 Konnektive Beziehungen bei Berücksichtigung von Überprüfungsbedingungen 166 2.4 Glieder von Kausalrelationen als Konstituenten von Konstitutionskomplexen 171 2.4.1 Folgeprobleme
172
2.5 Kausalketten, mehrfache Ursachen, äquivalente Ursachen und Wirkungen 173 2.5.1 Kausalketten
174
2.5.2 Mehrfache Ursachen
175
2.5.3 Äquivalente Ursachen und Wirkungen
176
Literatur Verzeichnis
179 grundlegender
Namenverzeichnis
Termini
192 194
Erstes Kapitel
D e r Kalkülismus i n der Logik I n diesem Kapitel möchte ich das i n der Logik vorherrschende Paradigma des Kalkülismus in seinen Spielarten darstellen und m i d i m i t ihm auseinandersetzen.
1. Zur Herausbildung des gegenwärtigen Kalkülismus Gegenwärtige Logik (und Mathematik) sind m i t Kalkülen befaßt. Ein K a l k ü l w i r d als „ein System von Zeichen mit dazugehörigen Operationsregeln" (/. M. BochenskUA. Menne 1965,13) aufgefaßt. Ein Hauptmotiv für die Konzentration auf Kalküle i n unserem Jahrhundert war der Grundlagenstreit in der Mathematik (s. C. Thiel 1972). Dieser hatte sich durch die Entdeckung von Antinomien, die i n Zusammenhang mit dem Unendlichkeitsproblem standen, entzündet (s. etwa: G. Frege 1962 I I , 253 ff.; H. Meschkowski 1967, 144 ff.). Stellungnahmen zum Grundlagenstreit sind bedingt durch verschiedene Deutungsbezüge des Formelapparates. Deutungsbezüge sind etwa: ein platonistisches Reich von Ideen, unabhängig davon, ob diese gedacht werden (Piatonismus) oder geistige (nicht-sprachliche), intuitive Konstruktionen (Intuitionismus). Dies sind die klassischen Deutungspositionen des Grundlagenstreites, es gibt aber insbesondere in der Logik weitere Deutungsbezüge: etwa nicht platonistisdi aufgefaßtes Gedankliches, die Umgangssprache oder die Außenwelt (zur Diskussion einiger dieser Deutungsbezüge s. Kapitel I I ) . I n dieser Situation sich bekämpfender Parteien schlug (u. a.) R. Carnap 1934 vor, angeregt durch K. Menger (1930/1931), die „müßigen Streitigkeiten" (1968, V ) über Deutungsbezüge aufzugeben und statt dessen Kalküle als Diskussionsbasis der Formwissenschaften Logik und Mathematik anzusehen: „Hier wird die Auffassung vertreten, daß man über die Sprachform in jeder Beziehung vollständig frei verfügen kann (...). Bei dieser Einstellung verschwindet auch ider Streit zwischen den verschiedenen Richtungen im Grundlagenproblem der Mathematik. Man kann die Sprache in ihrem mathemati-
14
I. Kap.: Der Kalkülismus in der Logik
sehen Teil so einrichten, wie die eine, oder so, wie die andere Richtung es vorzieht. Eine Frage der „Berechtigung" gibt es da nicht; sondern nur die Frage der syntaktischen Konsequenzen (...). Die angedeutete Einstellung — wir werden sie als „Toleranzprinzip" formulieren — bezieht sich aber nicht nur auf die Mathematik, sondern auf alle logischen Fragen überhaupt." (R. Carnap 1968, V). Logisch-mathematische Deutungen werden nur noch als „vage V o r bereitungen zur Aufstellung eines Kalküls" (R. Carnap 1968, 42) aufgefaßt, sie werden entwissenschaftlicht, aus der Logik und Mathematik ausgeschlossen, dem persönlichen Belieben anheimgestellt oder den Philosophen überlassen: „ I n der Logik gibt es keine Moral. Jeder mag seine Logik, d. h. seine Sprachform, aufbauen wie er will. Nur muß er, wenn er mit uns diskutieren will, deutlich angeben, wie er es machen will, syntaktische Bestimmungen geben anstatt philosophischer Erörterungen." {R. Carnap 1968, 45). Kalküle gelten als „exakt", Bezüge auf Deutungen als vage: „Durch die Entwicklung der Logik in den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch immer deutlicher herausgestellt, daß sie nur dann exakt betrieben werden kann, wenn sie sich nicht auf (die Urteile (Gedanken oder Gedankeninhalte) bezieht, sondern aiuf die sprachlichen Ausdrücke, insbesondere die Sätze." (R. Carnap 1968, 1). U m durch Kontrastierung das Gemeinte zu verdeutlichen: Der I n tuitionist L. E. Brouwer etwa war hier noch anderer Auffassung; nach ihm „bringt der Intuitionismus die außersprachliche Existenz der reinen Mathematik zum Bewußtsein" (1929, 160) und „Es gibt also auch für die reine Mathematik keine sichere Sprache" (1929, 157). Sprache ist für Brouwer nur ein M i t t e l der Verständigung und der Gedächtnisunterstützung (1929, 157), für Carnap ist sie hingegen Zweck der Formwissenschaften. Aber auch der Intuitionismus paßte sich der Kalkülorientierung an, wie etwa die folgende Äußerung des Intuitionisten A. Heyting nahelegt: „As soon as w>e give any interpretation to the signs, we introduce metaphysical or at least philosophical notions." (A. Hey ting 1972, 43). Kalkülismus soll hier jene Konzeption genannt werden, die A u f stellung oder auch Untersuchung von Kalkülen als Zweck von Formwissenschaften, insbesondere Logik oder Mathematik, ansieht. Dem steht nicht i m Wege, daß logisch-mathematische Kalküle für andere Bereiche, etwa die Naturwissenschaften, als M i t t e l aufgefaßt werden können. Der Kalkülismus ist gegenwärtig i n verschiedenen Gestalten vorherrschendes
1. Zur Herausbildung des gegenwärtigen Kalkülismus
15
Paradigma i n Logik und Mathematik. Dabei verwende ich den Paradigmabegriff i m Verständnis T. S. Kuhns (1967). 1.1 Nicht-Empirie Wenn es nun ein dem Kalkülismus zugrunde liegendes M o t i v ist, deutungsbezogenen Streitigkeiten zu entgehen, so ist zu fragen, warum diese gemieden werden sollen. Ist nicht Auseinandersetzung für Wissenschaft unentbehrlich? Für nicht-empirische, sich gewiß und sicher dünkende „Wissenschaft" ist Auseinandersetzung krisenhaft und sinnlos. Die Deutungspositionen verstanden und verstehen sich ζ. T . immer noch vorwiegend nicht-empirisch. So behauptete der Piatonist G. Frege „unbedingte, ewige Geltung" der logischen Gesetze (1962 I , X V I ) . Der Piatonist E. Husserl schrieb: „Was wahr ist, ist absolut, ist ,an sich' wahr" (1968 I , 117). Der I n t u i tionist Hey ting ließ einen Intuitionisten i m Gespräch reden: „ I n fact all mathematicians and even intuitionists are convinced that i n some sense mathematics bear upon eternal truths" (1966, 3). Die Stellung des Begründers des neueren Intuitionismus, Brouwer, i n dieser Frage ist umstritten (s. G. GutzmannIW. Loh 1975, 325). Brouwer scheint sich in (1964) für eine nicht-empirische Auffassung auszusprechen: Intuitionism „has recovered by abandoning Kant's apriority of space but adhering the more resolutely to the apriority of time" (L. / . Brouwer 1964, 69). W i r d angenommen, daß die Deutungen absolut gewiß, apriorisch, sind, so ist eine lernbereite Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen nicht möglich. Ein Streit über Deutungsbezüge ist dann unentscheidbar, wie Carnap meinte (1964, 219), weil jeweils schon entschieden ist. Hätte man in dieser Situation nicht auf Auseinandersetzung verzichten können und jeder die seiner Deutung entsprechende Mathematik und Logik treiben können? Durch das Auftreten von Antinomien in platonistischen Systemen und die auch dadurch bedingte Existenz mehrerer Deutungspositionen wurde der Apriorismus, der Glaube an die eine y sichere Logik bzw. Mathematik enttäuscht. Dies w i r d etwa in der Einschätzung A. A. Fraenkels deutlich. Für ihn sind die Antinomien nur der Anlaß der Grundlagenkrise. Vor allem krisenhaft sei es, daß so unterschiedliche Meinungen über die Grundlagen der Mathematik bestünden: „Die dritte Grundlagenkrise der Mathematik, ist historisch zweifellos ausgelöst worden durch die Antinomien (...). Doch sind diese Antinomien keines-
16
I. Kap. : Der Kalkülismus in der Logik
wegs die Ursache der auch heute noch andauernden Krise. Weit nachhaltiger wirkte die Erkenntnis, daß die jahrzehntelang fortgeführten Versuche einer Ausschaltung der Antinomien eine unerwartete und erschreckende Divergenz der Meinungen über die Grundbegriffe der Mathematik und den logischen Charakter ihrer Methode enthüllten." (Α. A. Fraenkel 1959, 335/336). Die Enttäuschung des Glaubens an die eine Logik spricht H. Schmidt an:
A.
„Diese Vorstellung, der logische Bereich des Definierens, Satzbildens und Schließens liege von vorneherein unanfechtbar eindeutig fest, ist nun aber bei der neueren Entwicklung der exakten Wissenschaften (...) ins Wanken geraten, ja, man kann sagen: zusammengebrochen. Die derivate und die intuitionistische Logik z. B. (...) vermögen bereits in ihrer Abweichung von der altemären Logik die prinzipielle Unbestimmtheit dessen zu vermitteln, was an logischen Schlüssen und was an logischen Definitionen jeweils als zulässig anzusprechen ist." (H. A. Schmidt 1960, 130). Wollte oder konnte man das Sicherheitsverlangen für Logik und Mathematik nicht i n Frage stellen, so mußte für diese ein anderer Sicherheit ermöglichender Gegenstand gefunden werden: Kalküle. Die dieses Sicherheitsverlangen enttäuschenden Deutungskonzeptionen mußten zurückgedrängt werden. Für diesen neuen kalkülistischen Apriorismus sprechen etwa die Äußerungen des Formalisten D. Hilbert und des Operationalisten P. Lorenzen. Hilbert wollte „der Mathematik den alten R u f der unanfechtbaren Wahrheit ( . . . ) wiederherstellen" (1967, 15). Lorenzen strebt danach, „die absolute Sicherheit und Verbindlichkeit der Mathematik wiederherzustellen" (1968, 103). W. Stegmüller schätzt die Hinwendung zu Kalkülen ähnlich ein: „Streben nach einer Ersetzung der Umgangssprache durch eine präzise, allen Exaktheitsforderungen genügende Wissenschaftssprache ist nur «die typisch moderne Form, in «der sich das alte Absolutheitsideal äußert: an die Stelle absoluten Wissens soll absolute Exaktheit treten." {W. Stegmüller 1965, X X X V I I ) . Ich fasse zusammen: Der Streit auf der Deutungsebene mußte vermutlich ausgeschaltet werden, weil man an diese ein besonderes Gewißheitsverlangen richtete, das durch die Existenz mehrerer Deutungskonzeptionen und das Auftreten von Antinomien erschüttert wurde. Dieses Gewißheitsverlangen machte Auseinandersetzungen über die Deutungsebene sinnlos und erforderte — hatte man den Glauben an die Apriorität des Deutungsbezuges verloren — einen neuen Gegenstand für Logik und Mathematik und die Verdrängung des alten.
1. Zur Herausbildung des gegenwärtigen Kalkülismus
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Aber auch diejenigen, die an nicht-empirischen Deutungen festhielten, wie auch Autoren, die zu durch den Kalkülismus verdrängten empirischen Positionen tendierten, unterwarfen sich dem Kalkülismus, indem sie Kalküle als etwas betrachteten, dem sie ihre jeweiligen Deutungen zugrunde legen konnten. Diese Motivlage, die formuliert werden könnte: Kalküle sind exakt, Deutungen inexakt, ist für den Kalkülismus möglicherweise auswechselbar. Eine neue oder zumindest zusätzliche Legitimation kündigt sich in Arbeiten an, die an G. Günther anschließen. So schrieb P. Hejl: „,Ausbruch' aus dem Logozentrismus aber soll heißen, daß nicht mehr das Denken die Sprache und diese die Schrift dominiert, sondern daß eine ,Schrift' zu entwickeln ist, die von höherer Komplexiität als Sprache und Denken ist. Eine solche »Schrift' ist jedoch nur als mathematischer Kalkül möglich." (P. Hejl 1974, 233). Diese Legitimation von Kalkülismus besagte etwa: je mehr Komplexität, desto besser. Kalküle sind komplex, Deutungen weniger. 1.2 Verdrängung der empirischen Logik Insbesondere die Logik war mit einer Alternative zum Kalkülismus konfrontiert. Diese bestand in der Aufgabe des absoluten Sicherheitsstrebens, Logik wäre zur empirischen Wissenschaft geworden. Diese Position wurde gegen Ende des vorigen Jahrhunderts und darüber hinaus insbesondere vom sogenannten „Psychologismus" — eine Zeitlang sogar vorherrschend — vertreten. Diesem hatten nun Frege und Husserl den Garaus gemacht, wie in der Literatur immer wieder zu lesen ist, er gilt als „abgetan" (G. Patzig 1970, 7). Husserl war platonistisch orientiert (s. etwa: 1968 I I , T. 1, 107) und kein Kalkülist. Sein Hauptargument gegen einen empirischen Logikansatz war, daß dieser eben keine abloute Gewißheit liefern könne, Logik aber absolut gewiß, apodiktisch sein müsse (s. etwa: 1968 I , 62 f., 78). Husserl appellierte an das Sicherheitsverlangen. Er war damit zwar in der Logik erfolgreich, aber nicht in dem von ihm angestrebten Sinne einer phänomenologisch begründeten „reinen Logik" (s. etwa: 1968 I , 242 - 257; 1968 I I , T. 1, 2 f.), sondern er beförderte den Kalkülismus. Diese Problemlage wäre weiter wissenschaftssoziologisch und »psychologisch zu untersuchen. Es wäre etwa auch zu fragen, warum sich die empirisch-psychologische Logik damals nicht durchsetzte. Ob es etwa auch daran lag, daß ihre Theorieentwürfe nicht paradigmafähig waren. 2
Gutzmann
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I. Kap.: Der Kalkülismus in der Logik
2. Kalkülverwendungsweisen Es lassen sich verschiedene Gestalten des Kalkülismus in der Logik unterscheiden, einmal danach, ob das primär Logische ein Deutungsbezug oder Kalküle sind, zum anderen nach dem Verhältnis zwischen logischem Deutungsbezug und Kalkül. V o r einer Untersuchung dieser Gestalten des Kalkülismus in der Logik möchte ich als Voraussetzung dazu auf das Problem der Kalkülverwendung überhaupt eingehen. Dies ist auch für die Untersuchungen über die Weiterverwendung von Produkten der Logik i n anderen wissenschaftlichen Bereichen (s. Kap. I I , 3) wichtig. 2 Λ Zum Modellbegriff Kalküle können als Modelle genutzt werden. Was mag den Modellbegriff charakterisieren lassen? Ich möchte auf zwei Strategien zur Bestimmung des Modellbegriffs eingehen. Einmal w i r d alles das, was Erkenntnis oder auch Zielsetzung ist und auch das, was diesen dient y als Modell in bezug auf ein Original bezeichnet, das erkannt oder angestrebt werden soll. Z u m anderen könnte man auch nur eine bestimmte Auswahl hieraus Modell nennen. Den ersten Weg hat H. Stacbowiak eingeschlagen. Stachowiak schreibt: Es „ist alle Erkenntnis Erkenntnis in Modellen oder durch Modelle, und jegliche menschliche Weltbegegnung überhaupt bedarf des Mediums ,Modell': indem sie auf das — passive oder aktive — Erfassen von etwas aus ist, vollzieht sie sich relativ zu bestimmten Subjekten, ferner selektiv — intentional selektierend und zentrierend — und in je zeitlicher Begrenzung ihres OriginalBezuges." (H. Stachowiak 1973, 56). Stachowiak (1973, 131 - 133) gibt „drei Hauptmerkmale des allgemeinen Modellbegriffs" an (die er später — 1973, 322/323 — weiter expliziert). 1. Modelle seien „Abbildungen" von Originalen; dabei legt Stachowiak einen mengentheoretischen Abbildungsbegriff zugrunde. 2. Modelle verkürzten i m allgemeinen ihre Originale. 3. Modelle seien „ihren Originalen nicht per se eindeutig zugeordnet. Sie erfüllen ihre Ersetzungsfunktion a) für bestimmte — erkennende und/oder handelnde, modellbenutzende — Subjekte, b) innerhalb bestimmter Zeitintervalle und c) unter Einschränkung auf bestimmte gedankliche oder tatsächliche Operationen" (1973, 132/133). Bei diesem weiten Modellbegriff sind „perzeptiv-kogitative Gebilde" (d. h. nicht-sprachliche, „psychische Prozesse und Zuständlidikeiten" [1973, 136]) ebenso Modelle (1973, 210-214) wie Photographien (1973, 160), ein Globus (1973, 176) oder „formal-linguistische Darstellungsmodelle" (1973, 244).
2. Kalkülverwendungsweisen
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U m Erkenntnis- und Zielsetzungsvorgänge genauer erfassen zu können, erscheint es m i r wichtig, zwei Modellarten — i n der Sprachgebung des weiten Modellbegriffs — zu unterscheiden. Diese Unterscheidung klingt in dem eben zitierten Abschnitt von Stackowiak i n der Redeweise an: Erkenntnis in Modellen, Erkenntnis durch Modelle. Ein Globus beispielsweise oder Sprachzeichen müssen erst wahrgenommen, erkannt werden, bevor sie dann der Erkenntnis ihrer Originale — der Erde bzw. den Gegenständen, die die Sprachzeichen bezeichnen lassen — dienen können oder auch den Zielsetzungen über diese. Wahrnehmungen, Erkenntnisse oder Zielsetzungen hingegen müssen selbst nicht noch einmal erkannt werden. Es käme sonst zum Regreß, der Erkenntnis nicht erklären ließe. In ihnen vollziehen sich eben Erkenntnisse bzw. Zielsetzungen. Dagegen können ein Globus oder Sprachzeichen nur als Modelle fungieren, durch die Erkenntnisse oder Zielsetzungen stattfinden. A u d i treten Modelle wie ein Globus oder Sprachzeichen nicht in eine direkte Beziehung zu ihren Originalen. Eine solche direkte Beziehung ist zur Uberprüfung dieser Modelle zusätzlich erforderlich. So müssen Modelle, die der Erkenntnis von Originalen dienen sollen, auf ihre Brauchbarkeit überprüft werden. Bewegen sich etwa in einem Planetenmodell die Planeten auf kreisrunden Bahnen, so werden die mittels dieses Modells erstellten Hypothesenurteile über tatsächliche Planetenbewegungen nicht ganz zutreffen. M i t der Korrektur der Hypothesen ist auch das Planetenmodell zu korrigieren, soll es künftig zutreffendere Hypothesen über die Originale erstellen lassen. Die Planeten wirken hier nicht direkt korrigierend auf das Planetenmodell ein, sondern sie beeinflussen — eventuell vermittelt über Meßgeräte — den menschlichen Wahrnehmungsapparat, der sich ihnen aussetzt und vermittelt über diesen etwa auch das Ergebnis der Überprüfung der Wahrheit von Urteilen über die Planeten. Erst über diese (und weitere) Zwischenschritte kann es gegebenenfalls zu einer Korrektur des Planetenmodells kommen. A u d i Modelle, die Zielsetzungen dienen, aber die nicht Zielsetzungen sind, brauchen den direkten Bezug zu ihren Originalbereichen, den sie nicht selbst herstellen können. Ist etwa ein Gesetz in Kraft getreten, daß ein bestimmtes Mitbestimmungsmodell verwirklicht werden soll, so ist hier nicht mehr wie beim Planetenmodell die Angemessenheit des M o dells an das Original zu überprüfen, sondern es ist zu prüfen, ob die Originale — die Mitbestimmungen — tatsächlich in den vom Gesetz betroffenen Betrieben geschaffen werden. A u d i diese Uberprüfung der 2*
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Verwirklichung von Modellen, die den Zielsetzungen dienen, w i r d sich in Wahrnehmungen und deren weiteren gedanklichen Verarbeitungen vollziehen. Ein Modell, das einer Zielsetzung dient, führt auch nicht schon durch seine Existenz zu seiner Verwirklichung i m Originalbereich, sondern zu dieser kommt es erst, wenn in einer gedanklichen Zielsetzung eine solche Verwirklichung angestrebt w i r d und dadurch die entsprechenden Handlungen in Gang kommen. Nach dieser Unterscheidung von Gebilden, in denen sich Erkenntnisse oder Zielsetzungen vollziehen — dies werden die von Stachowiak so genannten „perzeptiv-kogitativen Gebilde" sein — von solchen, die diesen dienen, erscheint es mir zur Markierung dieser für das Verständnis kognitiver Prozesse wichtigen Unterscheidung terminologisch günstiger und auch der Umgangssprache eher entsprechend, nur diejenigen Gebilde als Modelle zu bezeichnen, die in bestimmter, näher anzugebender Weise der Erkenntnis oder den Zielsetzungen dienen. Ähnlich richtete auch K.-D. Wüstneck (1972, 730) — orientiert an der erkenntnistheoretischen Abbildtheorie — seine Terminologie ein. Für ihn müssen Modelle und ihre Objekte erst mittels ideeller Abbilder erkannt werden, die in dieser Referenz keine Modelle sind. Auch stünden die ideellen Abbilder in einer direkten Kausalbeziehung zu ihren Objekten, die Modelle hingegen nicht. Ob man den weiten Modellbegriff Stachowiak s oder den engeren wählt, ist ein Problem der Zweckmäßigkeit der Terminologie. Wenn i m folgenden das W o r t „ M o d e l l " gebraucht wird, so ist stets der engere Modellbegriff gemeint, der somit in dem Modellbegriff Stachowiaks enthalten ist. 2.1.1 Urteile und Zielsetzungen Modelle können auf verschiedene Weise Erkenntnissen oder Zielsetzungen über ihre Originale dienen, und sie können in verschiedenen Beziehungen zu diesen Erkenntnissen oder Zielsetzungen stehen. Zwei dieser Weisen des Modellgebrauchs scheinen mir für die hier interessierende Verwendung von Kalkülen relevant zu sein. Als Voraussetzung der Bestimmung dieser Kalkülverwendungsweisen möchte ich zunächst kurz skizzieren, in welchen Gebilden sich Erkenntnisse und Zielsetzungen vollziehen und dazu einige Festsetzungen treffen. I m dritten Kapitel dieser Arbeit versuche ich ausführlich, Erkenntnisse (Urteile), Zielsetzungen (Sinn) und deren Uberprüfung zu modellieren. Für den hier verfolgten Zweck der Unterscheidung verschiedener Arten des Modellgebrauchs hoffe ich, daß eine kurze und deshalb notgedrungen etwas vage Darstellung ausreicht.
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Ich nehme an, daß Erkenntnisse in Urteilen bestehen. Urteile und Zielsetzungen fasse ich als psychische, gedankliche Gebilde auf. Urteile und Zielsetzungen werden vermutlich dadurch überprüft, daß sie mit ihren Gegenständen — über äußere oder innere Wahrnehmung vermittelt — verbunden werden, d. h. hier: m i t ihnen innerhalb spezifischer Strukturen in Abhängigkeitsbeziehungen treten. Die Überprüfungsergebnisse eines Urteils: Wahrheit/Unwahrheit (vgl. die pragmatische Wahrheitskonzeption in Kap. I I I , 2.2.3.1) und die Ergebnisse der Überprüfung, ob eine bestimmte Zielsetzung verwirklicht ist — diese Ergebnisse möchte i d i Richtigkeit/Falschheit nennen — sind vermutlich sowohl durch das Urteil bzw. die Zielsetzung wie auch durch deren wahrgenommenen Gegenstand bedingt (die Uberprüfung der Verwirklichung von Zielsetzungen kann sich vermutlich auch noch vermittelt über Urteile vollziehen). Zielsetzungen und Urteile haben gleiche Bestandteile. Erst verschiedene Kontexte lassen etwas zu einer Zielsetzung oder einem Urteil werden (vgl. Kap. I I I , 2.2.3.1). So kann ich etwa urteilen: ,dies Veilchen hat eine Blüte*. I d i kann aber auch für ein anderes Veilchen die Zielsetzung haben: ,dies Veilchen soll eine Blüte haben". Das, was dieser Zielsetzung und dem Urteil gemeinsam ist, ist der Gedanke, den man etwa unvollkommen als: „Veilchen ist, Blüte ist" sprachlich ausdrücken könnte. Die Verschiedenheit der Kontexte, in die diese gleichen gedanklichen Etwasse jeweils eingehen und die sprachlich angezeigt werden etwa indem man sagt: „etwas ist/hat etwas" (Urteil), „etwas soll etwas sein/haben" (Zielsetzung) w i r d deutlich, wenn man untersucht, wie U r teile an ihren Gegenständen überprüft werden und wie dies bei Zielsetzungen geschieht. Erweist sich ein Urteil als unwahr, so w i r d es geändert. Ist aber eine Zielsetzung nicht erreicht — ich sage dann, sie ist in Falschheit — , so w i r d zunächst auf ihren Gegenstand eingewirkt; ich dünge beispielsweise das Veilchen, das blühen soll. Erst wenn dies innerhalb eines Zeitbereichs oder auch in Hinblick auf andere Zielsetzungen undurchführbar erscheint, mag es zur Änderung oder Aufgabe der Zielsetzung kommen. Das Etwas, das je nach Kontext eine Zielsetzung oder ein Urteil sein kann, möchte ich Intention nennen. Diese Bestimmung des Wortes „ I n tention" scheint mir in etwa den Gebrauch dieses Wortes in der phänomenologischen Tradition zu explizieren, soweit dort damit gemeint wird, daß ich mich mit H i l f e von etwas auf etwas beziehe. V o n manchen Autoren w i r d das W o r t „Sinn" in gleicher Weise gebraucht. So stellte A. Schütz folgendes als eine A r t der Verwendung von „Sinn"
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I. Kap.: Der Kalkülismus in der Logik
heraus: „ I n dieser Verwendung bedeutet ,Sinn c nichts anderes als Einstellung eines vernünftigen Wesens zu einem Objekt überhaupt" (1960, 30). Ich möchte demgegenüber das W o r t „Sinn" eingeschränkter auffassen, indem ich an M. Weber (1964, 4) anknüpfe. Für Weber war Sinn ein Ziel oder ein Zweck (vgl. H. Girndt 1967, 2 4 - 2 7 ) . M i t dem Wort „Sinn" möchte ich die innerhalb des hier vorgeschlagenen theoretischen Rahmens (s. Kap. I I I , 2.2.3.1) explizierte Zielsetzung bezeichnen. Dieser Sinnbegriff ist auch nicht mit dem Fregesdien Sinnbegriff zu verwechseln. Für G. Frege (1966, 47) war Sinn der Gedanke, der von einem Zeichen ausgedrückt wird. Spezifische Arten von Sinn sind etwa Normen, Regeln oder Zwecke. 2.1.2 Modelle Ich möchte nun einige Bestimmungen zum Modellproblem vorschlagen. Diese Bestimmungen sind nicht nur als terminologische Festsetzungen zu verstehen, sondern sie sollen auch Gegenstände charakterisieren. Ein Etwas ist Modell in bezug auf ein anderes Etwas, das Original, wenn es der Herstellung bzw. Neu-Kombination oder Reproduktion von Intentionen dient, die das Original zum Gegenstand haben. Die Intentionen mögen in diesem Kontext Deutungen heißen. Modelle sind präskriptivy wenn sie dem Aufbau oder der Reproduktion von Sinn dienen. Modelle sind deskriptiv, wenn sie Urteile neu herstellen bzw. kombinieren oder reproduzieren lassen. Dasselbe Etwas kann je nach Kontext als Original oder Modell fungieren. So kann etwa ein Flugzeug als präskriptives Modell zur Herstellung eines kleinen Flugzeuges genutzt werden, und dieses kleine Flugzeug kann wieder — etwa in Windkanalexperimenten — als deskriptives Modell zur Herstellung von Urteilen über das große Flugzeug dienen. Hinweisen möchte ich auf das Problem, ob die Benutzung eines M o dells stets selbst noch einmal sinnhaft intendiert, bezweckt sein muß. Stachowiak (1973, 133) betonte die Relativierung von Modellen auf bestimmte Zwecke. H i e r kann man unterscheiden, inwiefern der Einsatz eines Modells bezweckt, sinnhaft intendiert ist oder inwiefern die Intentionen, zu deren Aufbau oder Reproduktion ein Modell dient, sinnhaft intendiert sind, wobei das Modell zwar in einem Zweckzusammenhang stünde, aber nicht selbst bezweckt zu sein brauchte. Es könnte etwa auch automatisch entstehen. Wollte man den Modellbegriff an das Auftreten zumindest jeweils einer dieser Zweckkonstellationen binden, so wären damit solche Zeichen keine Modelle, die — nicht selbst bezweckt — einen
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obersten Sinn, Endsinn reproduzieren lassen, der selbst nicht mehr sinnhaft intendiert, bezweckt ist, oder die ein nicht bezwecktes Urteil reproduzieren lassen, falls es so etwas gibt. Ich habe in meiner obigen Bestimmung des Modellbegriffs diese Frage offen gelassen. Vermutlich ist der Gebrauch von Modellen zumeist in der einen oder auch anderen Weise zweckhaft. Hier müßten genauere Untersuchungen der Sinnstrukturen einsetzen. 2.1.3 Gegenstandsmodelle und Zeichenmodelle Ich möchte nun auf die schon angekündigten zwei Arten zu sprechen kommen, in denen Modelle wirksam werden können. Dazu frage ich zunächst: Wie kann es zur Neubildung von Intentionen kommen? Ich vermute, daß dies einmal über Wahrnehmungen vorsichgeht. Ergebnisse der durch bestimmte Etwasse bedingten Wahrnehmung können transformiert zu Intentionen i m Gedächtnis behalten werden und später auch, bevor es zu erneuten gleichen Wahrnehmungen kommt, etwa als Erwartungen auf andere Etwasse, die dann als Gegenstände fungieren, angewendet werden. A u f diesen Vorgang bezogen erscheint mir die Behauptung von M. Schlick zutreffend: „Alles Erkennen ist ein Wiedererkennen oder Wiederfinden." (1918, 13). Auch dieselben Etwasse, die zunächst vermittelt über Wahrnehmungen zur Bildung einer Intention führten, können hernach Gegenstände dieser Intention werden, durch diese wiedererkannt werden. Sind bereits bestimmte Intentionen im Gedächtnis gespeichert, so können diese vermutlich auf verschiedene Weise vergegenwärtigt, reproduziert werden. Einmal vermutlich wieder durch Wahrnehmungen von Etwassen, die den Etwassen, die zur Herausbildung der Intentionen führten, in den von den Intentionen erfaßten Aspekten gleichen. Diese zur Reproduktion von Intentionen führenden Etwasse sind dann auch Gegenstände der Intentionen. Ist eine Intention ein (positives) Urteil, so w i r d sie durch einen solchen Gegenstand bewahrheitet. Aber auch unabhängig von der Wahrnehmung ihrer möglichen Gegenstände können Intentionen vergegenwärtigt werden. Dies leisten etwa andere Intentionen, die m i t den fraglichen Intentionen in einem assoziativen Zusammenhang stehen, insbesondere vermutlich Intentionen, deren Gegenstände Zeichen sind, die leichter in großer Vielfalt verfügbar sind als sonstige Gegenstände. Nach diesen Ausführungen könnte man Gegenstandsmodelle von symbolischen Zeichenmodellen unterscheiden. Die Gegenstandsmodelle führen zum Aufbau oder zur Reproduktion von Intentionen, die dann auf
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andere Gegenstände als Originale bezogen werden (sollen), wobei die Gegenstandsmodelle den Originalen relativ zu den fraglichen Intentionen gleichen und selbst als Gegenstände diese Intentionen gegebenenfalls bewahrheiten bzw. in Richtigkeit bringen lassen. Die Zeichenmodelle führen vermittelt über die sie erfassenden Intentionen nur zur Reproduktion, aber auch Neukombinierung von bereits i m Gedächtnis vorhandenen Intentionen. Dies geschieht vermutlich durch einen Assoziationsmechanismus, der näher aufzuklären wäre. 2.2 Formal-analogische
Kalkülverwendungsweise
Kalküle können sowohl als Gegenstandsmodelle wie auch als Zeichenmodelle Verwendung finden. Eine spezifische A r t der Verwendung von Kalkülen als Gegenstandsmodelle oder als Originale von Gegenstandsmodellen ist wohl für Logik und Mathematik von besonderem Interesse, nämlich die formal-analogische Kalkülverwendungsweise. Hierbei ist die A r t der modellbedingten Intentionen dahingehend spezifiziert, daß es sich um gänzlich formale Intentionen handelt. Was ich darunter verstehe, kann ich an dieser Stelle nur andeuten. Ein Gegenstand ist (reflexiv-)formal bestimmt, wenn zu seiner Charakterisierung nur Angaben über formale Erfassungsmittel gemacht werden. Als solche verstehe ich ζ. B. Bejahung, Verneinung, Wahrheit, Unwahrheit, Richtigkeit, Falschheit und Zahlen (s. zum Formbegriff Kap. I I I , 2.2.3). Weiter können zur formalen Charakterisierung noch die Etwasse und ihre Relationen angegeben werden, in deren Kontext diese Formen stehen, wie die Intentionen und ihre Gegenstände, soweit diese beide nicht näher bestimmt werden, so wenn sie nur als „Etwasse" zur Sprache kommen. Gedankliche Inhalte, wie ζ. Β. ,Veilchen', die auch in Intentionen eingehen, werden dabei nicht benutzt (es sei denn reflexiv auf die gedanklichen Formen bezogen) (s. hierzu auch: Kap. I I , 3.1, Kap. I I I , 2.2.1). A n einem Beispiel möchte i d i eine formal-analogische Verwendung eines Kalkülteils grob durchspielen. Ich nutze dazu die folgende, bei Ψ. Stegmüller (1969 I , T. 4, 608) zu findende Figuration: X 0 1 0 1
y 0 0 1 1
ζ 0 1 1 1
Von dieser Figuration her lassen sich etwa die folgenden formalen Urteile aufbauen bzw. reproduzieren: ,Wenn ein Etwas (x) in einem
2. Kalkülverwendungsweisen
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Zustand (0) ist und wenn ein anderes Etwas (y) in dem gleichen Zustand (0) ist, so ist ein wiederum anderes Etwas (z) in dem gleichen Zustand (0). Wenn das Etwas (x) in einem anderen Zustand (1) ist und das Etwas (y) in dem vorigen Zustand (0), so ist das Etwas (z) in dem anderen Zustand ( l ) c , usw. (zur formalen Charakterisierung von Gleichheit s. Kap. I V , 2.5.3, zur formalen Charakterisierung von Zuständen s. Kap. I V , 2.3.3.2). Dieses formale Schema läßt sich nun statt auf Figuren auf verschiedene andere Bereiche beziehen, etwa auf elektrische Schaltungen oder auf Wahrheitsverknüpfungen. Insoweit also hier K a l külteile dem Aufbau formaler Intentionen bzw. ihrer Reproduktion dienten, haben sie als Modelle der Originale fungiert, die sodann mittels dieser Intentionen erfaßt werden sollten. Ebensogut hätten diese Intentionen auch etwa von Schaltungen her aufgebaut bzw. reproduziert werden können, um dann auf Figuren übertragen zu werden. Alle diejenigen Gebilde, die dieselben oder gleichen formalen Intentionen bewahrheiten bzw. in Richtigkeit bringen lassen, möchte ich relativ zu diesen Intentionen isomorph nennen. Der Gebrauch formal-analogischer Modelle ermöglicht es vermutlich, Formbegriffe intuitiv zu benutzen, ohne sie thematisch werden zu lassen. I n dem soeben verwendeten Beispiel wurde nicht völlig formal-analogisch verfahren: Daß etwa 0 als Zustand von χ aufgefaßt wurde, trifft auf die Figuren nicht zu. Dies wurde eher symbolisch (?) der Anordnung der Figuren entnommen und dem Deutungskontext, von dem her die Figuren: „ x " , „ y " , „ z " als eine andere A r t von Figuren erscheinen als die Figuren: „ 1 " , „ 0 " . Für die wenn-dann-Beziehung wurden auch die K a l külregeln berücksichtigt. Zur genaueren Bestimmung des formal-analogischen und des symbolischen Anteils der Modellverwendung und zur Bestimmung ihres Verhältnisses zueinander bedürfte es einer ausgearbeiteten Theorie geistiger Formen und ihrer Anwendung. 2.3 Symbolische Kalkülverwendungsweise Bei der formal-analogischen Verwendungsweise konnten Kalküle und andere Gegenstände miteinander in Original-Modell-Beziehungen stehen auf Grund von relativer Isomorphic, indem dieselben oder gleichen formalen Intentionen auf sie zutrafen. Etwasse können aber auch dadurch in eine Original-Modell-Beziehung treten, daß ein Etwas einem geistigen Gebilde, ζ. B. einem Urteil, symbolisch zugeordnet ist und ein anderes Etwas von diesem Urteil (oder allgemeiner: der Intention) als Gegenstand erfaßt w i r d . Das einem geistigen Gebilde symbolisch zugeordnete Etwas heiße Zeichen, das geistige Gebilde, dem das Zeichen
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symbolisch zugeordnet ist, und dessen Ausdruck es ist, heiße Bedeutung, der Gegenstand, auf den die Bedeutung bezogen ist, heiße Bezeichnetes (der Verwendung von Anführungszeichen in dieser Arbeit liegen u. a. diese Unterschiede zugrunde: „ — * w i r d gebraucht, wenn das Sprachzeichen, die Figur, gemeint ist, bei Zitaten und auch mal bei ironischen Hervorhebungen;,— c soll angeben, daß die Bedeutung gemeint ist — abgesehen von der Verwendung innerhalb von Zitaten). Das geistige Gebilde, das das Bezeichnete erfassen läßt, kann komplex sein, und seine Bestandteile können einzeln durch Zeichen ausgedrückt sein, so daß sich auch ein Zeichenkomplex ergibt. Die Terminologie zur symbolischen Zeichenverwendung ist in der Literatur uneinheitlich (s. etwa: D. Wunderlich 1974, 242), die hier gewählte entspricht den Bestimmungen bei H. E. Brekle (1972, 58), der angibt, sie der traditionellen, auf C. K. Ogden und / . A. Richards (1923) gestützten Semantik zu entnehmen. Auch die Auffassungen des Sachverhalts sind in der Literatur verschieden: so berücksichtigen nominalistisch orientierte Autoren nicht das, was hier „Bedeutung" genannt w i r d (s. etwa: C. W. Morris 1966, 6 und H. Reichenbach 1966, 4 f.). Frege berücksichtigt zwar das hier Angegebene (und noch einiges mehr), jedoch w i r d die Bedeutung — bei ihm Sinn genannt (1966, 41) — für einen Gedanken gehalten (1966, 47), der von Frege platonistisch, als unabhängig von einem Träger aufgefaßt w i r d (1966 b, 43 ff.). Zeichen können als Modelle Aufbau und Reproduktion (subjektiv und intersubjektiv) von Intentionen leisten. Intentionen werden dadurch zu Bedeutungen. Bedeutungen sind i m Modellkontext spezifische Deutungen. Vermutlich führen Zeichenmodelle, anders als etwa formalanalogisch verwendete Modelle, nicht zum Aufbau ganz neuer Intentionen, sondern allenfalls zu neuen Kombinationen. M a n versteht erst, was es bedeutet „etwas ist r o t " , wenn man einmal etwas Rotes gesehen hat. Sprache ließe sich etwa — relativ auf einen oder mehrere Menschen bzw. geistige Einheiten — bestimmen als Menge der Intentionen, die Erzeugung und eventuell Korrektur von Zeichen, ihren Konstellationen und ihren Zuordnungen zu Bedeutungen und eventuell zu Emotionen erhandeln lassen, sowie der diesen Intentionen entsprechend erzeugten, gegebenenfalls korrigierten und verstandenen Zeichen. Z u problematisieren wäre, was die Feinstruktur der symbolischen Zuordnung charakterisiert, auch i m Verlauf von Speicherung und A k t u a l i sierung von Bedeutung und Zeichen.
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Zeichenverwendung ist vermutlich Bedingung komplexerer Denkprozesse. Es wäre onto- und phylogenetisch zu untersuchen, welche Denkprozesse der Zeichen bedürfen und welche nicht. Kalküle, also „Systeme" von Dingen (die erst bei symbolischer Deutung zu Zeichen werden) und Operationsregeln für diese, können als Sprachen verwendet werden, wenn man Regeln angibt, die den Kalküldingen Intentionen (oder Intentionsbestandteile) symbolisch zuordnen lassen, was auch durch Zuordnung zu bereits bestehenden Sprachteilen geschehen kann. Werden Kalküle oder Kalkülteile derart als Sprachen verwendet, so möchte ich von symbolischer Kalkülverwendungsweise sprechen. Das jeweils Bezeichnete bei symbolisch gedeuteten Kalkülen und der Kalkülfiguren isomorphe Gegenstand bei formal-analogischer K a l k ü l verwendungsweise mögen Belegung heißen.
3. Drei Gestalten des Kalkülismus in der Logik Der Kalkülismus in der Logik wurde und w i r d von Logikern getragen, die einen logischen Deutungsbezug annehmen, wie auch von solchen, die Kalküle als einzigen Gegenstand von Logik ansehen. (Ich möchte bei Gebrauch des Wortes „Deutungsbezug" zunächst offen lassen, ob es sich um Deutung oder Belegung, formal-analogische oder symbolische K a l külverwendungsweise handelt). M i t der Annahme eines logischen Deutungsbezuges von Kalkülen entsteht das Problem, was das primär Logische ist: ein Deutungsbezug oder Kalküle. Auch für kalkülistische Logiker ist es oft ein Deutungsbezug: „Nicht jeder K a l k ü l ist ein Logik-Kalkül. Ein solcher ist nur derjenige, dessen Konstruktion dadurch bestimmt ist, daß er der inhaltlichen, semantisdien Logik entspricht" (V. Kraft 1968, 28). H i e r liegt für den Kalkülismus eine Gefahr: wenn Deutungsbezüge das primär Logische sind, wie kann es dann für Logik Zweck sein, K a l küle zu produzieren und zu untersuchen, da läge es näher, daß Logik das Logische untersucht. Dies könnte zum Verlassen des kalkülistischen Paradigmas führen. Wie man bei Annahme eines logischen Deutungsbezuges doch ein K a l külist sein kann, diese Frage beantworten der gedeutete Kalkülismus und der Kalkülismus mit Deutung. Der reine Kalkülismus, für den jedwede Kalküle logisch sind, und der einst logische Deutungen bzw. Belegungen anderen Disziplinen zurechnet, ist eine Strategie zur Vermeidung dieses Problems,
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Gedeuteter Kalkülismus und Kalkülismus mit Deutung unterscheiden sich in der Auffassung der Beziehung zwischen K a l k ü l und logischem Deutungsbezug. Beim gedeuteten Kalkülismus sind logische Kalküle vom logischen Deutungsbezug her zu selektieren. Beim Kalkülismus mit Deutung ergibt sich der logische Deutungsbezug mit dem von externen Anforderungen her zu selektierenden Kalkül. Die drei Gestalten des Kalkülismus in der Logik sollen im folgenden auf ihre Brauchbarkeit untersucht werden. 3.1 Reiner Kalkülismus Die Hinwendung zu Kalkülen und die Abwertung der Deutungsebene erfolgten, wie schon dargelegt, um der Exaktheit willen. Jedoch, wählt man nur Kalküle zum Gegenstandsbereich der Logik, so führt gerade dies, konsequent betrieben, zur Deutungslogik zurück. Damit wäre das M o t i v des Kalkülismus illusorisch. Diese These versuche ich i m folgenden auszuführen. Kalküle allein sind Gegenstand von Logik (und Mathematik) etwa für R. Carnap in seinem Buch: „Logische Syntax der Sprache" und für P. Lorenzen in seiner Konzeption einer operativen Logik und Mathematik. So hat für Lorenzen „die operative Mathematik beliebige Kalküle als ihren Gegenstand" (1955, 3). Als Gegenstand der operativen Logik bestimmt Lorenzen einmal „das schematische Operieren" (1968, 84), sodann ist Logik aber audi eine „Theorie der allgemeinzulässigen Regeln" (1955, 39). Für Carnap bilden nicht Regeln und Operationen die Gegenstände von Logik und Mathematik, sondern eher deren Produkte, die „Strukturen möglicher Reihenordnungen (bestimmter A r t ) beliebiger Elemente" (1968, 6). Ich möchte zunächst auf den operativen Ansatz eingehen und danach auf R. Carnap. 3.1.1 Kalküle als Gegenstand: P. Lorenzen Was unter „ K a l k ü l " zu verstehen ist, bestimmt Lorenzen nicht exakt: einmal ist es „ein System von Regeln zum Operieren mit Figuren" (1955, 4). Dann scheinen auch die Figuren Kalkülbestandteile zu sein: „Jedes solches System von Grundfiguren und Grundregeln — ausgehend von irgendwelchen Atomfiguren — w i r d ein K a l k ü l genannt" (1967, 58), jedoch im nächsten Satz werden wieder nur die Regeln zum K a l k ü l gerechnet: „ E i n K a l k ü l ist also nichts anderes als eine Herstellungsvorschrift für Figuren" (1967, 58).
3. Drei Gestalten des Kalkülismus in der Logik
Das Herstellen von Kalkülfiguren nach Kalkülregeln ist ein Handeln. Ein brauchbarer theoretischer Ansatz auch für das Kalkülhandeln ist das kybernetische Handlungskreiskonzept. Diesem möchte ich zur Verdeutlichung und Einschätzung einige Bestimmungen Loreniens zuordnen. 3.1.1.1 Handlungskreis und Kalkülhandeln Z u m Handeln gehört eine Regelkreisstruktur, bestehend aus Sollgeber, Stellglied, Regelstrecke, Meßglied und Meßvergleichsglied. Den Sollgeber i m Kontext von Handlung, die Zielsetzung, möchte ich Sinn nennen (vgl. Kap. I I I , 2.2.3.1). Sinn sind bei Lorenzen Regeln. Diese sind etwa „bedingte Imperative der Form: ,Wenn die und die Figuren hergestellt sind, dann stelle die folgende Figur her!" 4 (1968, 85). Der Sinn bezieht sich auf einen Gegenstand, die Regelstrecke des Handlungskreises. A u f diese ist einzuwirken, bis sie dem Sinn entspricht. Diese Einwirkung, das Handeln, steht in Stellgliedposition. Gegenstände in Regelstreckenposition sind in Lorenzens operativer Konzeption Beliebiges, etwa Steinchen oder, am bequemsten, Schreibfiguren (1955, 4; 1968, 84). Das Erhandeln von Kalkülfiguren nennt Lorenzen „schematisches Operieren" und „Ableiten" (1968, 84 f.). Zum Funktionieren des Handlungskreises gehört noch mehr (abgesehen von Metaregulationen). Die Regelstrecke, der Gegenstand, muß erfaßt werden in der Wahrnehmung oder auch durch Urteile, bzw. Aussagen als zur Sprache gebrachte Urteile (Meßglied). Spezifische Meßgliedergebnisse sind hier Wahrheit und Unwahrheit. Auch muß festgestellt werden, ob der Gegenstand dem Sinn entspricht (Meßvergleichsglied), so daß die Handlung auf den Gegenstand hin koordiniert werden kann und man weiß, wann mit Handeln aufzuhören ist. Spezifische Ergebnisse des Meßvergleichsgliedes des Handlungskreises sind Richtigkeit und Falschheit (s. auch: Kap. I I I , 2.2.3.1). Meßgliedprozesse des Handlungskreises werden bei Lorenzen, soweit ich sehe, nicht eigens thematisiert. Lorenzen spricht nur pauschal von vielen Vermögen, die zur Kalkülkonstruktion nötig sind, dabei w i r d explizit ein Meßvergleidisvermögen erwähnt, das „Vermögen, Figuren zu vergleichen" (1955, 32), das das in Regeln Geforderte mit dem Erhandelten vergleichen läßt. Glieder eines Handlungskreises können zum Gegenstand von MetaHandlungskreisen werden. So konzipiert Lorenzen einen „Metakalk ü l " , der die Regeln eines anderen Kalküls zum Gegenstand hat (1955, 42), oder einen, der MeßVergleichsbestimmungen betrifft ( „ K a l k ü l der atomaren Gleichheiten und Ungleichheiten") (1955, 86).
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Glieder von Handlungskreisen und ihre Beziehungen können aber auch Gegenstand von Aussagen werden, ohne daß diese Aussagen Meßgliedbestandteile in einem Handlungskreis sein müßten. Solche Aussagen dürften bei operativer Konzeption die Ebene von Logik und Mathemat i k bilden, die ja als Theorien über Kalküle konzipiert sind. Solche Aussagen betreffen bei Lorenzen etwa: Beziehungen zwischen Regeln und ihren Gegenständen, den Figuren — eine Beziehung zwischen diesen ist etwa die Ableitbarkeit (1955, 17) — oder sie betreffen Beziehungen zwischen Figuren, etwa Gleichheit (1955, 33), oder auch Beziehungen zwischen regelrecht hergestellten Figuren und anderen Regeln, nach denen sie nicht hergestellt wurden — eine derartige Beziehung ist die Zulässigkeit (1955,19). Lorenzen nimmt also Regeln und deren Beziehungen zu anderem zum Gegenstand von Aussagen. Regeln, als spezifischer Sinn, sind Deutungen (und dies wohl auch für Lorenzen, worauf ich noch eingehe), sie werden sprachlich nur ausgedrückt. Üblicherweise beschränkte sich Deutungslogik auf Urteile oder Aussagen, auf Etwasse, die dem Meßsystem zuzurechnen sind. Demgegenüber betont Lorenzen einen anderen Bereich des Handlungskreises, den Sinn, aber auch dies ist ein Deutungsbezug. 3.1.1.2 Nicht-empirische Wahrheiten Sinnbezogen ist auch Lorenzens Konzeption nicht-empirischer logischmathematischer Wahrheiten. Diese ergeben sidi „allein aus vernünftigen Festsetzungen über die sprachlichen M i t t e l " (1967 b, 189). Lorenzen unterscheidet verschiedene Arten nicht-empirischer Wahrheiten nach der A r t der zu ihrer Verifikation benötigten Regeln (1967 b, 232; 1973, 152). Diese Unterscheidungen treffen, interpretiert man sie vom Handlungskreiskonzept her, Heterogenes. Zum einen können Aussagen bzw. Sätze bei Lorenzen nicht-empirisch sein, insofern sie selbst Gegenstand von Regeln sind und zu ihrer Wahrheit keinen anderen Bezug brauchen. Dieser Fall liegt bei den analytischwahren Aussagen vor. Z u ihnen gehören die (dialog-)logisch-wahren Aussagen, „die als Thesen gegen jeden Opponenten ( . . . ) verteidigt werden können" (1967 b, 207). Z u den analytisch-wahren Aussagen zählen auch die formal-analytisch wahren Aussagen, die über diese beiden Bedingungen hinaus noch Gegenstand von Prädikatorenregeln sind (1967 b, 233). Z u m anderen können Aussagen bei Lorenzen nicht-empirisch wahr sein auch auf Grund dessen, daß sie bestimmte Glieder des Handlungs-
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kreises oder deren Beziehungen zum Gegenstand haben. Dies betrifft die nicht-empirisch synthetischen Wahrheiten bei Lorenzen, für die zusätzlich auch die Bedingungen für analytische Wahrheiten gelten (1967 b, 233). Die nicht-empirischen synthetischen Sätze untergliedert Lorenzen in die formal-synthetischen Sätze der Arithmetik und die material-synthetischen Sätze der Protophysik mit ihrem Teilbereich Geometrie. Er charakterisiert beide folgendermaßen: „ I n der Arithmetik (...) benutzten wir konstruktive Regeln zur Herstellung von Zählzeichen und zum Operieren mit diesen (ζ. B. Addieren). Das waren schon Handlungsnormen, aber bloß zum Konstruieren von Symbolen (Formeln). Die arithmetischen Normen können daher formal-synthetische Bestimmungen heißen. In der Geometrie haben wir es wieder mit Normen zu tun, aber jetzt mit Handlungsnormen, die ein Handeln mit Körpern (also mit ,Material· im Gegensatz zum bloß Formalen) vorschreiben (...). In 'der Geometrie mögen die ideativen Normen (...) daher material-synthetisdie Bestimmungen heißen. Während die Verwendung analytischer Bestimmungen (Definitionen und Prädikatorenregeln) unsere Aussagemöglichkeiten nicht erweitert (allenfalls nur zweckmäßig abkürzt), kommt man ohne die synthetischen Bestimmungen der Arithmetik und Geometrie überhaupt nicht zu Aussagen dieser Wissenschaften. Die synthetischen Bestimmungen konstituieren' erst die Gegenstände ihrer Wissenschaften" (P. Lorenzen 1967 b, 232). Dieses Zitat scheint m i r darauf hinzuweisen, daß hier nicht Sätze als Gegenstände von Sinn (Normen, Regeln) i n Betracht gezogen werden, sondern daß es um Normen geht, deren Gegenstände Formeln oder „Material" sind. D a Lorenzen Wahrheit nicht Normen oder Regeln zurechnet (1967 b, 229), ist anzunehmen, daß es Sätze über Glieder dieser Handlungskreise mit geometrischen (protophysikalischen) oder arithmetischen Gegenständen sind, die nicht-empirisch synthetisch wahr sein können. Aussagen über Normen oder diesen völlig entsprechende fiktive Gegenstände scheint nach Lorenzen die Geometrie zu enthalten: ^Geometrie': sie ist die Theorie von (idealen) Punkten, Geraden, Ebenen und Körpern, wie sie durch ideale Normen für Bearbeitungsverfahren von Dingen ( . . . ) bestimmt werden" (1973,165). Ein arithmetisch-wahrer Satz bezieht sich i n einem Beispiel Lorenzens auf einen Gegenstand, insofern er nach arithmetischen Regeln ableitbar ist (1967 b, 220), dabei sind allerdings die Referenzen zwischen abgeleiteter Aussage, d. h. Figur, und der Aussage über diese undeutlich, wie es häufig bei Lorenzen vorkommt (s. 3.1.1.4).
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Synthetische und analytische Sätze sind also bei Lorenzen nicht-empirisch-wahr auf Grund verschiedener Relationen. Analytische Wahrheiten sind das MeßVergleichsergebnis: Richtigkeit zwischen Sätzen als Gegenständen und auf diese bezogenem Sinn. Synthetisch-nicht-empirische Wahrheiten hingegen sind Ergebnisse der Beziehung Satz/Gegenstand, wobei die Gegenstände der Sätze jedenfalls Glieder von arithmetischen oder protophysikalischen Handlungskreisen sind. Meß Vergleichsergebnisse und Ergebnisse der Beziehung Satz (Aussage)/ Gegenstand beide Wahrheit zu nennen, verschleiert deren strukturelle Verschiedenheit (s. auch Kap. I I I , 2.2.3.1). Ich sehe auch keinen Grund, beides nicht-empirisch zu nennen: Z u Meß Vergleichsergebnissen wie zu Aussagen gehören Gegenstände, ob diese nun etwa Normen, Sätze, Figuren oder Steinchen sind; und auch die nach Lorenzen „idealen" geometrischen Konstruktionen als Gegenstände geometrischer Theorie sind ja empirisch fundiert. Ob Lorenzen bei seinen nicht-empirischen Wahrheiten an absolute Sicherheit dachte, vermag ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls suchte er ja, wie schon erwähnt, „die absolute Sicherheit und Verbindlichkeit der Mathematik wiederherzustellen" (1968, 103), N o r men allerdings sind für Lorenzen „nur ,bis auf weiteres' vorgeschlagen und angenommen" (1973,156). 3.1.1.3 Zum Regelbegriff Ich habe behauptet, Regeln seien Deutungen, jedenfalls nicht nur figürlich. Was versteht nun Lorenzen unter Regeln? Er sagt über Regeln: sie seien „Imperative" (1967 a, 57), „Herstellungsvorschriften" (1967 a, 58). „Das in den Grundregeln auftretende ,wenn, dann' drückt ( . . . ) weder die Subjunktion noch die logische Implikation aus. Zur Symbolisierung der Grundregeln sei deshalb ein neues Zeichen gewählt" (1967 a, 59). Sodann schreibt Lorenzen y daß „ein K a l k ü l nichts Wirkliches ist, sondern nur Regeln für unser eigenes Handeln, für das Operieren mit Figuren, enthält" (1967, 74). Regeln seien auch nichts Psychologisches: Brouwers „Argumentation läßt sich ( . . . ) entpsychologisieren, wenn an die Stelle der ,Anschauung' der unendlichen Zahlenreihe die Konstruktionsregeln für die Zählzeichen (Ziffern) gesetzt werden" (1973, 45). Diesen Zitaten entnehme ich, daß audi für Lorenzen Regeln, Kalküle, nicht Figuren sind, sondern etwas anderes, durch diese ausdrückbares. Lorenzen gelangt nicht zu einer Theorie von Kalkülregeln und des regelgeleiteten Handelns, seine Angaben hierzu bleiben eher intuitiv. Dies wären ja audi Aufgaben für Deutungslogik und Handlungstheorie.
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Lorenzen kommt neben vagen Angaben über Regeln auch zu keinen Bestimmungen über Strukturen und Prozesse des Kalkülhandelns, das Meßsystem des Handlungskreises w i r d vernachlässigt. Für Lorenzen hat Kalkülhandeln, statt Gegenstand von Theoriebildung zu sein, eher M i t telfunktion. Es ist M i t t e l zum Beweisen von Aussagen: „Der Weg, der zur Erlangung der Gewißheit über solche Behauptungen wie die der Zulässigkeit von Regeln führt, dürfte klar geworden sein. Philosophisch zu beachten ist dabei insbesondere, daß die Gewißheit über solche Behauptungen nur ein anderer Ausdruck für .die Gewißheit ist, im Besitze des Vermögens zu gewissen Handlungen (hier der Elimination einer Regel) zu sein. Wir gewinnen hier eine völlige Übersicht über das Verhältnis von Handeln und Erkennen — jedenfalls über die Art und Weise, wie beide hier ineinandergreifen." (P. Lorenzen 1968, 90). 3.1.1.4 Ambivalenz zwischen Zeichen und Figuren Lorenzen behandelt Regeln zum Operieren mit Figuren. Er nimmt auch Ausdrücke von Deutungen — seien es Regeln, Aussagen oder Meßvergleichsergebnisse eines Handlungskreises — zur Regelstrecke von Metakalkülen. Sobald jedoch diese Metakalküle eingeführt sind, w i r d ihnen ihr metatheoretischer Status genommen, indem ihre Gegenstände nicht mehr in ihrem Kontext als Ausdrücke von Bedeutungen gesehen werden, sondern als bedeutungslose Figuren. So führt Lorenzen i n der Konsequenzlogik Metakalküle ein, deren Gegenstände Regeln sind: „Eine zulässige Metaregel von Κ ist also eine Regel über Regeln" (1955, 53). Diese Objektregeln werden aber dann gar nicht mehr als Regeln angesehen, sondern als bedeutungsfreie Figuren: „ D i e Symbole und , - V , die bei den bisherigen Kalkülen zur Mitteilung der zu vollziehenden Operationen dienten, sind jetzt bedeutungsfreie Figuren" (1955, 42). I n der Dialoglogik w i r d ähnlich verfahren; hier w i r d Aussagen der Aussagecharakter genommen: „Ob eine logische Implikation besteht oder nicht, das ist jetzt eine Frage des bloßen Operierens mit Formeln, eines Kalküls, wie man sagt. Man kann alles bisher über materiale Dialoge gesagte vergessen (man vergißt damit dann allerdings auch die Gründe, die die Operationen zu sinnvollen Operationen machen) und sich — gleichsam als Denksport — komplizierte Stellungen (...) ausdenken" (P. Lorenzen 1973, 71) (s. auch: 1973, 135). Auch zwischen „Aussagen" als ableitbaren Kalkülfiguren und Aussagen über diese pendelt Lorenzen hin und her: 3
Gutzmann
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I. Kap.: Der Kalkülismus in der Logik
„Während die Figuren eines Kalküls von uns nur deshalb ,Aussagen' genannt werden, um in Übereinstimmung mit der üblichen Terminologie (,Aussagenlogik') zu bleiben, treten hier zum ersten Male wirkliche Aussagen auf, d. h. sprachliche Gebilde, bei «denen es Sinn hat, sie zu behaupten." (P. Lorenzen 1955, 18). Lorenzen w i n k t einerseits m i t bedeutsamen Zeichen, präsentiert dann aber Kalkülfiguren. Es ist irreführend, wenn er von „Metakalkülen", von „ D i a l o g " , „Aussage" oder gar „Reflexion" (1967, 78) spricht, wodurch sich auch W. Stegmüller (1958,166) verwirrt fühlte. Diese Ambivalenz von bedeutsamen Zeichen und Kalkülfiguren t r i t t auch bei Lorenzens Unterscheidung von formal und material auf, die ja der Einteilung nicht-empirischer Wahrheiten zugrunde liegt, und hier zu Referenzfehlern führt. Geometrie etwa ist material, weil ihre Normen vorschreiben, „wie sich die Materie ,verhalten' soll" (1973, 170), während sich die formalen Bestimmungen von Logik und Arithmetik „nur m i t Symbolreihen beschäftigen" (1973, 170). Zur Verdeutlichung: „Logik und Mathemat i k i m engeren Sinne sind Formalwissenschaf ten: Wissenschaften, die sich allein mit dem Operieren m i t Symbolen befassen — unabhängig von deren Bedeutung, also vom Bezug auf irgendeine Materie." (1975, 261). Formal sollen Etwasse hier i n Hinblick darauf sein, daß sie nicht auf „Materie" bezogen sind, sondern nur als Figuren genommen werden. Diese Bestimmung von „formal" ist vermutlich dadurch bedingt, daß von der Tradition her bei logisch-mathematischen Gegenständen an Deutungen gedacht werden kann, was nun die Benennung: „formal" ausschließen soll. Geometrische oder allgemeiner protophysikalische Gegenstände könnten ebenso formal sein, auch sie werden nicht gedeutet, nur liegt hier von der Tradition her eine Verwendung als Zeichen fern. Ich vermute, daß Lorenzens figurativer Kalkülismus seinen regelbezogenen operativen Kalkülismus (der kein Kalkülismus ist, sondern eine A r t Deontik) hemmt. Ein konsequenter operativer Kalkülismus müßte zur Selbstauflösung i n Handlungstheorie einschließlich Deutungslogik führen. 3.1.2 Kalkülstrukturen als Gegenstand: R. Carnap Carnap w i l l i n der Syntax „ v o n den Strukturen möglicher Reihenordnungen (bestimmter A r t ) beliebiger Elemente" handeln (1968, 6). Ist nun dies ein Ansatz, der ohne Untersuchung von Deutungen auskommen kann?
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Für die so verstandene Syntax kommt es nicht auf konkrete Figuren an: „Für die Syntax ist es gleichgültig, ob etwa die eine von zwei symbolischen Sprachen immer , & ' schreibt wo die andere , . ' schreibt ( . . . ) , falls die Form- und die Umformungsregeln analog sind." (1968, 6). Von Interesse sind allein „formale Strukturen" (1968, 6). Was ist darunter zu verstehen? Zwei Sprachen haben „dieselbe formale Struktur", wenn sie isomorph sind, d. h. wenn ihre Zeichen einander eindeutig zuordbar sind, gibt Carnap an (1968, 6). Formal scheint bei Carnap etwas am Objektbereich und auf der Theorieebene über diesen zu sein. Seine Formbestimmung zum Objektbereich nimmt Bezug auf die Bestimmungsmittel zu dessen Erfassung: „Unter einer (syntaktischen) Form verstehen w i r irgend eine syntaktisch bestimmte A r t von Ausdrücken (also bestimmt nur i n bezug auf Reihenfolge und syntaktische A r t der Zeichen, nicht aber durch außersyntaktische Bestimmungen, wie O r t , Farbe od. dgl.)" (1968, 15). Die Bestimmung der Formalität der Erfassungsebene geschieht durch Hinweis darauf, was am Objektbereich zu be- oder mißachten ist: „Formal soll eine Theorie, eine Regel, eine Definition od. dgl. heißen, wenn in ihr auf die Bedeutung der Zeichen (z. B. der Wörter) und auf den Sinn der Ausdrücke (z. B. der Sätze) nicht Bezug genommen wird, sondern nur auf Art und Reihenfolge der Zeichen, aus denen die Ausdrücke aufgebaut sind." (R. Carnap 1968, 1). 3.1.2.1 Formen und Formbegriffe Formen werden durch Formbegriffe erfaßt, dies deuten auch die eben zitierten Bestimmungen Carnaps an. Formbegriffe werden von Carnap nicht selbst reflektierend untersucht, sondern genutzt. Er setzt die „befolgte Logik unbewußt schon denkpraktisch voraus" (W. Burkamp 1938 I I , 272). Worauf verläßt sich Carnap hier? M a n w i r d nicht davon ausgehen können, daß Formbegriffe zur fixen geistigen Ausrüstung der Menschen gehören. Vielmehr müssen diese erst i m Laufe der historischen Entwicklung erworben werden, das einfachste Zahlensystem ebenso wie die Infinitesimalrechnung (zu den A n fängen des Zählens s.: H. Werner 1970, 217-225). Z u diesem Erwerb von Formbegriffen haben deutungsbezogene Logik und Mathematik beigetragen. Auch von deren Ergebnissen w i r d Carnap Gebrauch machen müssen und tut es audi, etwa in der Rede von Klassen und deren U n endlichkeit (1968, 34). Wenn aber für Bestimmungen formaler Strukturen Produkte von Deutungs-Logik und -Mathematik genutzt werden müssen, so sind da*
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I. Kap. : Der Kalkülismus in der Logik
mit die kontroversen Auffassungen über die Deutungsebene auch für die Syntax relevant, die ja gerade diese Streitigkeiten ausschalten sollte (1968, V). Dieser Streit besteht auch für die Syntax, etwa darüber, ob unendliche Satzklassen anzunehmen sind oder nicht. So wollen etwa D. Hilbert und P. Bernays für die Metamathematik — von Carnap „Syntax der mathematischen Sprache" genannt (1968, 9) — nur finite Überlegungen benutzen (D. Hilbert/P. Bernays 1968, 42 - 44). R. Carnap hingegen nutzt i n der Syntax, sich explizit von Hilbert absetzend, auch indefinite Begriffe: „Der hier angedeutete Widerspruchsfreiheitsbeweis für die Sprache I I , die die klassische Mathematik enthält, verwendet wesentlich indefinite syntaktische Begriffe. Er stellt also keineswegs eine Lösung der Aufgabe dar, die Hilbert sich gestellt hat, nämlich einen derartigen Beweis mit ,finiten Mitteln' zu führen." (R. Carnap 1968, 90). Indem die Erfassungsebene nicht reflektiert w i r d , können hier auch Produkte solcher Deutungsauffassungen verwendet werden, die eigentlich abgelehnt werden, etwa der platonistischen. Carnap wollte nicht wahrhaben, audi nachdem er vom reinen Kalkülismus abgekommen war, daß m i t der Benutzung von Formbegriffen theoretische Konsequenzen verbunden sind: „ I t leads to the absurd consequence, that the position of everybody who accepts the language of physics with its real number variables (as a language of communication, not merely as a calculus) would be called Platonistic, even if he is a strict empiricist who rejects Platonic metaphysics." (1964, 215). Wenn Theorien über Kalküle Produkte von Theorien über Deutungen nutzen müssen, die Hinwendung zum K a l k ü l aber gerade Theorien über die Deutungsebene ausschalten sollte, so behindert der Carnapsdie reine Kalkülismus sich selbst und andere Wissenschaften, die Formbegriffe verwenden, etwa Systemtheorie. Er blockiert die Entwicklung der eigenen Voraussetzungen und der Voraussetzungen Formbegriffe nutzender Wissenschaften generell. 3.1.2.2 Nicht-Empirie Eine weitere Behinderung des reinen Kalkülismus selbst scheint mir Carnaps Auffassung über den theoretischen Status der syntaktischen Untersuchungen zu sein. Die Syntax ist für Carnap nicht-empirisch: „Wenn wir sagen, die reine Syntax spreche über Satzformen, so ist dies ,Sprechen über' im uneigentlichen Sinn gemeint. Ein analytischer Satz spricht
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ja nicht im eigentlichen Sinn jüber' etwas, so wie ein empirischer Satz, denn er ist gehaltleer." (R. Carnap 1968, 7). M a n mag sich hier fragen: wie kann diese Syntax über etwas sprechen, ohne über etwas zu sprechen? Ein logisches Wunder? Carnap erläutert dies so: „ I n der reinen Syntax werden nur Definitionen aufgestellt und Konsequenzen aus ihnen entwickelt; sie ist daher durchweg analytisch." (1968, 7). Definitionen und die Entwicklung ihrer Konsequenzen müssen vermutlich nicht mit Empirielosigkeit einhergehen, Empirie verstanden als bezogen auf einen Gegenstand, welcher A r t auch immer, und nicht absolut gewiß. Definitionen können gegenstandsbedingt sein, indem sie die symbolische Zuordnung zwischen Zeichen und Bedeutungen fixieren, die von Gegenständen her aufgebaut wurden. Die Entwicklung von Konsequenzen aus Definitionen wiederum kann in reflexions-empirischen Behauptungen bestehen, die Bedeutungen zum Gegenstand haben. So faßte auch H. Reichenbach (1966, V I I ) die Metasprache empirisch auf. Können deduktiv-analytische logische Konstellationen zum Gegenstand von Reflexions-Empirie werden, so wäre damit die von Carnap und anderen Autoren (etwa C. G. Hempel 1953, 150) vertretene A u f fassung, Logik (und Mathematik) seien nicht empirisch, weil sie deduktiv-analytisch seien, in Frage gestellt (s. auch über Gesetze der Logik Kap. I V , 1.4). Für eine nicht-empirisch aufgefaßte Syntax besteht die Gefahr spekulativer Bestimmungen, die nicht an den Möglichkeiten ihrer formalen Gegenstände orientiert zu sein brauchen, da ja eine Kontrolle am Gegenstandsbereich, den es „eigentlich" nicht gibt, nicht vorgesehen ist. 3.1.2.3 Kalküle als Sprachen Bisher ergab sich, daß der reine Kalkülismus sich selber hemmt, wenn er auf Theorien über Deutungen verzichtet. Dazu w i r d auch die symbolische Weiterverwendung von Kalkülen hierdurch behindert. Syntaktisch bestimmte Sprachen, also Kalküle (1968, 5), sollen nach Carnap als Wissenschaftssprachen dienen können. I n ihnen sollen etwa „Sätze der klassischen Mathematik und klassischen Physik formuliert werden" (1968, I V ) . Hierbei w i r d es sich um symbolische Verwendungsweise von Kalkülen handeln. Carnap gibt auch an, spezifische inhaltliche Deutungen bei syntaktischen Bestimmungen zu berücksichtigen (1968, 93).
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Wenn meine Einschätzung der symbolischen Kalkülverwendungsweise zutrifft, so gehören zu ihrem Funktionieren (geistige) Bedeutungen, die den Gegenstandsbezug zum Bezeichneten herstellen lassen. Wenn Zeichen Bedeutungen subjektiv und intersubjektiv reproduzierbar machen, so werden Kalküle nur dann optimal symbolisch verwendet werden können, wenn ihre Zeichen und deren Verwendungsregeln auf das Bedeutungssystem und seine Regulationen, noch vor Angabe spezifischer Inhalte, abgestimmt sind. Das kann bei Kunstsprachen nur geschehen, wenn es Theorien der Bedeutungsebene gibt. Diese zu erstellen ist aber gerade die Aufgabe von Deutungslogik und -mathematik, die der Carnap der „Logisdien Syntax" durch reinen Kalkülismus ersetzen zu können meinte. 3.2 Kalküle und logischer Deutungsbezug 3.2.1 V o n der Syntax zur Semantik Machten schon nicht alle Autoren Carnaps Verzicht auf Deutungsbezüge mit (s. etwa die allerdings etwas vagen Ausführungen von B. Russell 1937, X I I ) , so kam auch Carnap dahin, diese als relevant anzusehen, anscheinend aus ähnlichen Überlegungen heraus, wie ich sie eben in 3.1.2.3 angestellt habe. Die Beschränkung auf Kalküle für die Logik kollidierte mit der Absicht zu deren linguistischer Verwendung. Später, 1941, kam Carnap dazu, angeregt durch A. Tarski {Carnap 1968 b, X ) , diese für unzureichend zu halten. So sei etwa die Unterscheidung zwischen logischer und faktischer Wahrheit nicht syntaktisch, sondern semantisch (1968 b l , 247). Die Syntax müsse ergänzt werden durch die Semantik, die „die Bedeutungsbeziehung zwischen Ausdrücken und Gegenständen oder Begriffen" untersuche (1968 [ V o r w o r t zur zweiten Auflage], V I I ) . {Carnap scheint sowohl die Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung als auch die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem als Bedeutungsbeziehung zu bezeichnen. Wenn ich offen lassen möchte, ob es sich um Bedeutung oder Bezeichnetes handelt, werde ich weiterhin von Deutungsbezug sprechen.) M i t der Einbeziehung der Semantik sieht Carnap die Probleme der Deutungsebene wieder heraufziehen, die er ja ursprünglich gerade verbannen wollte: was sind Propositionen, was ist Wahrheit (1968 b I , X I ) ? Der reine Kalkülismus m i t linguistischer Verwendungsabsicht hatte in ein Dilemma geführt: er meinte zunächst, auf Deutungsbezüge in Logik und Mathematik verzichten zu können, diese seien allenfalls meta-
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physisches oder als Sprachen zu so nicht genügt. Konstruktionen sie audi faktisch
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philosophisches Beiwerk, dem Anspruch aber, Kalküle verwenden, die etwas bedeuten und bezeichnen, wurde Das führte dazu, diese semantischen Überlegungen und wieder erklärtermaßen in die Logik einzuführen, wenn wohl immer eine Rolle gespielt haben.
Dies zeigte sich bei Carnap auch in einer neuen, an der Semantik orientierten Bestimmung von Logik: „Logic w i l l then be regarded as represented by a semantical system, and a formalization of logic w i l l consist in the construction of a corresponding calculus (syntactical system)" (1968b I , X I I I ) . Carnap versuchte aber, die Priorität des Sprachlich-Figürlichen und somit den Kalkülismus aufrechtzuerhalten. Er kam zu einem Kalkülismus mit Deutung, während andere den logischen Deutungsbezügen zumindest dem Anspruch nach ein stärkeres Gewicht gaben i m gedeuteten Kalkülismus. 3.2.2 Verwendungsweisen von Kalkülen bei logischem Deutungsbezug Ob die Kalküle bei logischem Deutungsbezug formal-analogisch verwendet werden oder werden sollen, ist oft nicht klar ersichtlich, da diese Unterscheidung i n der Literatur, soweit sie mir bekannt ist, nicht auf den Begriff gebracht ist. Eine Verwirrung beider Verwendungsweisen liegt in der Abbildtheorie der Sprache vor, wenn zur Erklärung des Funktionierens von Sprache Strukturgleichheit, Isomorphic, zwischen B i l d und Abgebildetem herangezogen wird. Dies wurde von L. Wittgenstein i m „Tractatus logicophilosophicus" vorgeschlagen (1964, 2.032, 2.151, 2.161 f., 4.021; s. auch: E. Stenius 1969 und W. Stegmüller 1965). Abbildtheoretisch äußert sich auch H. Schnelle: „Die Ausdrucksmittel bezeichnen etwas anderes als sich selbst, einen Sachverhalt, ein Ding, eine Eigenschaft usw., und die Struktur dessen, was sie bezeichnen, entspricht in einem Sinn ihrer eigenen Struktur." (H. Schnelle 1973,14). G. Frey meint, die Belegung eines Kalküls sei zu diesem stets partiell isomorph (1963, 255) und I. M. Copi nimmt an, daß zwei Belegungen eines Kalküls zueinander isomorph seien (1950/51, 372). Isomorphic zwischen K a l k ü l und Belegung (oder Belegungen untereinander) besteht nur bei formal-analogischer Kalkülverwendungsweise, wenn K a l k ü l und Belegung dieselbe oder die gleiche formale Deutung
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I. Kap. : Der Kalkülismus in der Logik
bewahrheiten oder i n Richtigkeit bringen. Bei symbolischer Zeichenverwendung ist Isomorphic zwischen Zeichen und Bezeichnetem und zwischen verschiedenen Bezeichnetem bei verschiedenen Bedeutungen eines Zeichens zwar möglich, aber nicht erforderlich; ähnlich äußerten sich auch A. J. Ayer (1959, 240 f.) und W. Burkamp (1932,104). So können Zeichen Intentionsbestandteile ausdrücken, die zwar Bedingung der Gegenstandserfassung sind, denen aber am Gegenstand nichts entspricht, wie etwa das Verbindungsergebnis zwischen Aussage und Gegenstand (Kopula) (s. auch Kap. I I I , 2.2.3). Es mag auch Zeichen geben, die nur der Strukturierung von Zeichenfolgen dienen, die also weder etwas bedeuten, noch bezeichnen. Hierzu gehören aber vermutlich nicht die logischen Konstanten, wie etwa W. K. Eßler zu meinen scheint (1972, 203) (s. Kap. I I I , I V ) . Ich vermute, daß Kalküle bei logischem Deutungsbezug vorwiegend symbolisch verwendet werden, zumindest, wenn der Deutungsbezug etwas Gedankliches ist. Hinweis darauf ist, daß Kalküle oft mit Sprache und Symbolisierung in Verbindung gebracht werden (s. z. B.: R. Carnap 1960,103; V. Kraft 1960,149; Κ . Hübner 1963, 97). I d i unterstelle i m folgenden bei Darstellung und Problematisierung kalkülistischer Deutungslogik symbolische K a l k ü l Verwendung; daran hängt jedoch die Argumentation zumeist nicht. Die Ebenen der Bedeutung und des Bezeichneten entsprechen ja den Deutungs- und Belegungsebenen bei formal-analogischer Kalkülverwendung. 3.2.3 Logische Deutungsbezüge von Kalkülen I n diesem Abschnitt sollen kurz logische Deutungsbezüge kalkülistischer Logik dargestellt werden als Voraussetzung für das Folgende, ohne daß schon Bedeutung und Bezeichnetes der Kalküle ausdrücklich unterschieden würden. Als Deutungsbezüge logischer Kalküle werden vorwiegend Sprache oder verschieden aufgefaßtes Gedankliches vorgeschlagen. Umgangssprache als Bezug nehmen wollen etwa: G. Frey (1963, 255 f.), H. Reichenbach (1966, 2 f.) und H. Wessel (1972, 245). Α. A. Sinowjew w i l l sich an der auf Umgangssprache basierenden Wissenschaftssprache orientieren (1970, 28). Dabei w i r d Logik empirisch verstanden von: G. Frey (1963, 251), von Sinowjew (1970, 28) und von Wessel (1972, 245), nicht aber von Reichenbach (1966, V I ) , der die A u f fassung vertritt, „although logic and mathematics are nonempirical sciences, statements about the reliability of logical and mathematical
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statements belong in an empirical metalanguage". Einen zumindest methodischen Nominalismus für die Logik, d. h. Absehen von gedanklichen Bedeutungen, vertreten Reichenbach, (1966, 15), Sinowjew (1970, 29) und Wessel (1972, 240-244), während Frey Bedeutungen annimmt (1965, 24) und einer parallelistischen Auffassung über deren Beziehungen zur Sprache zuneigt (1963, 243). Frey w i l l auch „durch eine Analyse der Sprache Bewußtseinsstrukturen ( . . . ) erschließen" (1965, 12). Gedankliches zum Bezug logischer Kalküle nehmen wollen etwa: H. Scholz y der dieses platonistisch auffaßte (1969, 399), G. Klaus (1966, 7), V. Kraft (1968, 28 f.) und / . Jorgensen (1962 b, 35). Klaus (1966, 3) und Kraft (1970, 7) halten Logik nicht für eine Erfahrungswissenschaft, Jorgensen hingegen versteht sie empirisch-psychologisch (1962 b, 34/36). 3.2.4 Gedeuteter Kalkülismus Es geht mir in diesem Abschnitt darum, den gedeuteten Kalkülismus als eine A n t w o r t auf das Problem darzustellen, wie ein Deutungslogiker, obwohl die Quelle des Logischen für ihn der Deutungsbezug ist, trotzdem ein Kalkülist sein kann. Einmal w i r d dies, so meine These, durch Intuitivismus und Theorielosigkeit der auf einen Deutungsbezug gerichteten Logik erreicht. Logik soll eine systematisierte Wiederholung ihres Gegenstandes i m K a l k ü l ermöglichen oder ihren Gegenstand bereichern lassen, nicht aber sein Funktionieren erklären. Das Untheoretische, Intuitive der gedeuteten kalkülistischen Logik möchte ich darstellen an Auffassungen über logische Wahrheit bzw. logische Gesetze und an den Beziehungen zwischen K a l k ü l und Bedeutung und Bezeichnetem. 3.2.4.1 Intuitivismus: logische Gesetze Für eine theoretische, nicht in Kalkülen sich beschränkende Logik wären logische Gesetze Urteile bzw. Aussagen, die Logisches, also je nach dessen Bestimmung etwa Gedankliches oder Sprachliches, zum Gegenstand hätten. Diese Gesetze können sich bei Überprüfung an ihren Gegenständen als wahr bzw. bestätigt erweisen, analog der Bestätigung von Gesetzen in anderen Wissenschaften. Diese Auffassung vertritt etwa H. B. Veatch (1956, 672), ein K r i t i k e r kalkülistischer Logik; kalkülistische Logiker teilen sie nicht. Kalküle oder sonstige Etwasse könnten bei theoretischer, nicht kalkülistischer Logik als Modelle des Logischen
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fungieren, ihre Deutungen wären die Aussagen der Logik, die Logisches zum Gegenstand haben, und mittels derer die Modelle auch überprüft würden. I n der kalkülistischen Logik w i r d logische Wahrheit nicht solchen Gesetzen zugerechnet, die Logisches zum Gegenstand haben, sondern den gedeuteten oder nicht gedeuteten Kalkülen, linguistisch angewandten Kalkülen oder auch dem Gegenstandsbereich von Deutungslogik. Dies trifft etwa zu auf die „dispositionelle" Auffassung logischer Wahrheit (Reichenbach, Carnap ), wie ich sie nennen möchte, auf den von Ρ. G. Hinman!]. KimlS. P. Stich (1968, 495) als „substitutioneil" bezeichneten Ansatz (W. v. O. Quine) und auf die normative Konzeption {Kraft). So sind bei der dispositionellen Auffassung der logischen Wahrheit Sätze oder Satzformeln logisch-wahr, wenn sie bei jeglicher Anwendung auf Gegenstände stets wahr und nie unwahr werden würden. Die Sätze brauchen dann gar nicht erst auf Gegenstände bezogen zu werden, sie sind schon allemal wahr: „Wir wollen einen Satz L-wahr nennen, wenn er den totalen Spielraum hat, wenn er also in jedem möglichen Fall wahr ist (...). Die Wahrheit eines L-wahren Satzes ist aber nicht von den Fakten abhängig, da er bei jeder möglichen Beschaffenheit der Fakten wahr sein würde." {R. Carnap 1960, 17/18). Deutlich w i r d diese Auffassung auch bei Reichenbad): „We see that a formula containing propositional variables is not true or false, in general, but will beoome so only after specialization. Exception is to be made for formulas that hold for all values of the propositional variables, including the formulas that form the very subject of logic." {H. Reichenbad) 1966,11). Diese logisch-wahren Sätze, zu denen auch Reichenbachs „formulas that form the very subject of logic" zu rechnen sind (1966, 40), bewahrheiten sich also nicht am Gegenstandsbereich einer Deutungslogik, sie brauchen gar keinen Gegenstand zu ihrer Bewahrheitung. Bei der substitutioneilen Auffassung der logischen Wahrheit besteht ein Gegenstandsbezug der logisch-wahren Sätze. H i e r ist ein Satz dann logisch-wahr, wenn man seine „nicht-logischen" Bestandteile beliebig ersetzen kann und er doch stets wieder wahr w i r d : „a logical truth is a statement which is true and remains true under all reinterpretations of its components other than the logical particles." {W. v. O. Quine 1963, 22/23).
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Auch diese logisch-wahren Sätze bewahrheiten sich aber nicht am Gegenstandsbereich einer Deutungslogik, sondern sie können von Beliebigem handeln: „Logische Wahrheiten, ζ. B. Sätze von der Form ,Wenn ρ und q, dann q e , handeln nicht von Sätzen. Sie können von irgend etwas handeln; das hängt davon ab, welche Sätze wir an die Leerstellen ,pc und ,q t setzen." (W. v. O. Quine 1969, 23). Auch bei der normativen Auffassung w i r d logische Wahrheit nicht Aussagen, die Logisches zum Gegenstand haben, zugerechnet. Bei der normativ verstandenen logischen Wahrheit sind logische Aussagen deshalb wahr, weil sie bestimmten Normen entsprechen: „Was logische Aussagen wahr macht, liegt also darin, daß sie den beiden Normen der Ordnung, den Forderungen der Identität und Widerspruchslosigkeit entsprechen; wenn nicht, sind sie falsch. Während die Wahrheit empirischer Aussagen noch erfordert, daß sie mit den Tatsachen übereinstimmen, besteht diese Bedingung für die logischen Aussagen nicht." (V. Kraft 1970, 18). G. Klaus lehnt zwar eine besondere logische Wahrheit (bei ihm „formale Wahrheit" genannt) ab, denn in den logischen Gesetzen „werden Aussagen verknüpft, die entweder wahr oder falsch sind. Die Grundaussagen stehen damit doch i n einer Beziehung zur Wirklichkeit" (1966, 116). Für Klaus sind aber aussagenlogische Tautologien logische Gesetze (1966, 99), also auch keine auf Logisches als ihren Gegenstand bezogenen Aussagen. Bei keinem der hier erörterten Konzepte stellt sich also logische Wahrheit dadurch her, daß logische Gesetze an Logischem als ihrem Gegenstand (also etwa Gedanklichem oder Sprachlichem) überprüft würden. Die logischen Gesetze sind nach dispositioneller und normativer Auffassung wahr, ohne daß sie auf einen Gegenstand bezogen würden, bei substitutioneller Auffassung besteht zwar ein Bezug auf einen Gegenstand, aber dieser ist nicht logisch. Diese Ergebnisse zeigen, daß die derzeitig als solche verstandenen logischen Gesetze keine Gesetze einer Deutungslogik sind. Diese w i r d nicht theoretisch. 3.2.4.2 Intuitivismus: zur Beziehung zwischen Kalkülfigur und Bedeutung und Bezeichnetem Was fungiert nun als Bedeutung und Bezeichnetes bei verschiedenen Konzepten gedeuteter kalkülistischer Logik?
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Bei einer theoretischen, nicht-kalkülbezogenen Logik müßte das, was als ihr Gegenstandsbereich angegeben wird, also etwa Gedankliches oder Sprachliches, als Bezeichnetes fungieren. Bedeutungen wären dazu die der theoretischen Logik angehörigen Aussagen über dieses Bezeichnete. Kalküle als symbolische Modelle zur Unterstützung der Bedeutungsebene würden vermittels dieser überprüft. I n der gedeuteten kalkülistischen Logik, ob empirisch oder nicht, werden entweder Kalkülfiguren mit dem Gegenstandsbereich der deutungsbezogenen Logik direkt symbolisch verbunden (dies ist möglich, wenn der Gegenstandsbereich Gedankliches ist), oder die Bedeutung ist zwar auf Logisches bezogen, jedoch w i r d sie als Mittler ohne Selbständigkeit zwischen K a l k ü l und Bezeichnetem verstanden. Kalküle werden vermutlich direkt Logischem als empirisch verstandenem Gedanklichem zugeordnet bei / . Jorgensen: „logic is the study of the so-called logical relations between the parts (or elements) of the content of consciousness which are called ,concepts' and ,statements'. Such relations can never be altered conventionally and therefore have a character of necessity. I f they are ,formalized', a ,logical language' results, and if the regularities of this language are fixed as norms for the construction of the expressions of this language, it may be called a ,logical calculus'." (/· ]0rgensen 1962 lb, 37) (s. auch: 1962 b, 35) (Jorgensen hat allerdings in [1962 I I I , 209] zumindest die Konzeption einer reflexiven Theorieebene). Auch bei Kraft
werden K a l k ü l und Logisches kurzgeschlossen:
„Die neue symbolische Logik ist wohl ein Zeichensystem, und zwar nicht ein reiner Kalkül ohne Bedeutungen, ein bloßes Zeichenspiel, sondern das Zeichensystem ist zur Darstellung von bestimmten Bedeutungen gebildet, zur Symbolisierung der Logik im herkömmlichen Sinn. Das Zeichensystem der symbolischen Logik kann deshalb wohl als eine Sprache bezeichnet werden. (...). Die Bedeutungen, die sie enthält, sind die formalen Beziehungen zwischen Aussagen und zwischen Klassen. Die Sprache der symbolischen Logik ist darum viel ärmer als die Sprache überhaupt. In ihr ist aus dieser nur ein Teil herausgehoben: die Darstellung der logischen Beziehungen, d. i. der formalen Ordnungsbeziehungen." (V. Kraft 1960, 149). Deutlich bringt D. Wunderlich das nicht-reflexive Vorgehen der Logik — er nennt es „explikativ-empirisch" (1974, 215) — zum Ausdruck: „Syntax und Semantik (und evtl. Pragmatik) dieser Konstruktsprache, wie sie in der zugeordneten Metasprache beschreibbar sind, zeigen — je nach den Zielsetzungen — etwas über die Syntax und Semantik (und evtl. Pragmatik) der natürlichen Sprache; sie stehen aber auf gleicher Stufe mit ihr. Dies heißt
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insbesondere, daß die Bedeutungen der natürlichen Sprache (ζ. B. Begriffe) nicht beschrieben werden, sondern lediglich anders, nämlich in expliziterer Weise, präsentiert werden." (D. Wunderlich 1974, 218). Gerechtfertigt w i r d dieses nicht-reflexive, untheoretische Vorgehen zuweilen damit, daß Reflexion nicht möglich sei. So nahm etwa V. Kraft an, daß die Wahrheit von Aussagen über Gedankliches nicht korrespondenztheoretisch als Beziehung dieser Aussagen zu gedanklichen Gegenständen aufgefaßt werden könne, sondern daß für solche Aussagen Wahrheit nur als Widerspruchsfreiheit i m Kontext anderer Aussagen gemäß der Kohärenztheorie in Betracht käme. Kraft schrieb: „Es gibt zwei Arten von Erkenntnis: Aussagen über reale Sachverhalte und Aussagen über ideelle, rein gedankliche Sachverhalte. Für diese letzteren könnte Wahrheit als Übereinstimmung mit der Wirklichkeit nur in Betracht kommen, wenn man voraussetzen würde, daß es ideelle Wesenheiten gibt, die unabhängig davon, ob sie gedacht werden, an sich vorhanden sind. Das wäre aber eine dogmatische Metaphysik, (die sich nicht in wissenschaftlicher Weise begründen läßt. (...). Deshalb schließt sich die korrespondenztheoretische Definition der Wahrheit für ideelle Aussagen, wie die mathematischen, aus. Für solche kommt nur die kohärenztheoretische Definition in Betracht." (V. Kraft 1973, 58). Dem Zitat ist die Behauptung zu entnehmen, daß das Gedankliche, würde es als Gegenstand von Aussagen genommen, nur platonistisch, als unabhängig vom Gedachtwerden aufgefaßt werden könnte. Hier verwechselt Kraft die Referenzen zwischen Gedachtwerden und Gedachtwerden von einem zweiten Gedanken aus. Wenn ein erster Gedanke gedacht w i r d und auch ein zweiter, der diesen ersten Gedanken zum Gegenstand hat, und an ihm (korrespondenztheoretisch) zu bewahrheiten ist, so kann der erste Gedanke unabhängig vom zweiten Gedanken bestehen, aber nicht unabhängig vom Gedachtwerden überhaupt. Auch für Wunderlich kann Gedankliches zumindest als Bedeutung nicht zum Gegenstand gemacht werden: „Bedeutungen können nur ausgedrückt werden, es sind keine bezeichenbaren Objekte" (1974, 217). Dieser Auffassung Wunderlichs liegt ebenfalls ein Referenzfehler, ein fehlerhaftes Verständnis kontextueller Bestimmungen zugrunde. Ein (gedankliches) Etwas ist zwar i n bezug auf ein Zeichen, das es ausdrückt, eine Bedeutung und kann insofern in dieser Referenz nicht durch das Zeichen bezeichnet werden. Dasselbe gedankliche Etwas kann aber in anderer Referenz Gegenstand etwa einer Aussage werden und somit durch die Zeichen, die diese Aussage ausdrücken, bezeichnet werden. Bei Frey, der Logik auf die Umgangssprache bezieht, scheinen Kalküle dadurch logisch gedeutet zu werden, daß ihren Figuren Bestandteile der
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I. Kap.: Der Kalkülismus in der Logik
Umgangssprache, etwa Aussagen, die Bedeutungen haben, zugeordnet werden: „Wie wird ein formaler Kalkül durch eine inhaltliche Deutung zu einem Logikkalkül? Indem ich etwa festsetze, daß für formale Variable inhaltliche Bedeutungen eingesetzt werden dürfen: ζ. B. für die sogenannten Aussagenvariablen des Aussagenkalküls inhaltliche Aussagen. Entsprechend werden die sogenannten logischen Konstanten inhaltlich durch Copulae gedeutet." (G. Frey 1963, 256). Was Frey als Deutungen ansieht: die Festsetzungen darüber, was für Variable eingesetzt werden kann, die Einsetzungen selber oder beides, vermag ich nicht zu entscheiden. Wenn die Festsetzungen als Deutungen gemeint wären, so wäre dies eine auf Sprache bezogene reflexive Ebene. Aber diese hätte keine Selbständigkeit, es ginge nicht um ihre Fortentwicklung, sie wäre eher nur Mittler zwischen K a l k ü l und Logischem, denn ohne Kalküle, so scheint Frey zu meinen, läßt sich Logisches nicht untersuchen: „ U m logische Strukturen natürlicher Sprachen zu erforschen und darzustellen, müssen w i r sie i n Beziehung zu künstlichen Leibnizsprachen bringen ( . . . ) . Durch sie w i r d dann die logische Struktur dieses Sprachbereiches unmittelbar einsichtig" (1965,119). Für diese Interpretation, daß die „Festsetzungen" bei Frey zumindest auch Deutungen sind, spricht, daß er die Verwendung von Kalkülen zur Modellierung von Sprache analog setzt der Verwendung von Kalkülen zur Modellierung von Naturwirklichkeit (1963, 255). Die N a t u r w i r k lichkeit kann wohl nicht direkt, ohne Vermittlung von Aussagen, die diese zum Gegenstand haben, Kalkülen zugeordnet werden. Kalkülmodelle der Umgangssprache sollen nach Frey dadurch überprüft werden, daß umgangssprachliche Einsetzungen vorgenommen werden und dann festgestellt wird, ob dies ein umgangssprachlich zutreffendes Gebilde ergibt: „ I n welcher Weise sind die Logikkalküle als Modelle an der Sprachwirklichkeit überprüfbar? (...). Wir überprüfen ein Theorem des Kalküls, indem wir eine inhaltliche Einsetzung vornehmen. Wenn die Beziehung der Sätze in der natürlichen Sprache, «die dem Theorem entspricht, umgangssprachlich zutreffend ist, haben wir eine Bestätigung des Theorems und damit des ganzen Kalküls, aus dem das Theorem hergeleitet ist. Wenn dagegen eine aus einem Theorem zu gewinnende inhaltliche Beziehung umgangssprachlich nicht gilt, ist dieses Theorem und der ganze Kalkül in dieser Form ad absurdum geführt." (G. Frey 1963, 256/257). Es geht also nicht darum, Aussagen, die etwas über die Umgangssprache behaupten, zu überprüfen, sondern es werden sprachliche K a i -
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küleinsetzungen (ob als Belegung oder i n ihrem gedanklichen Teil als Deutung aufgefaßt) vom Sprachgefühl her auf ihre Richtigkeit beurteilt. Nach Α. A. Sinowjew, der ebenfalls Logik sprachbezogen auffaßt, dienen logische Kalküle (u. a.) „zur Explikation bestimmter Elemente der Intuition. Hierbei müssen die intuitive Auffassung einer bestimmten A r t von Wissen, der logische K a l k ü l und die Interpretation des K a l küls, die eine Zuordnung zur intuitiven Auffassung herstellt, beachtet werden." (1970, 27). Bei Sinowjew ist die „Interpretation" eine Ebene, die man vielleicht als auf Logisches als ihren Gegenstand bezogen auffassen könnte („Wissen" ist für Sinowjew etwas „Wahrnehmbares" [1970, 29], also vermutlich Sprachliches). Die Interpretation erscheint aber auch wieder nur als M i t t l e r zwischen Logischem und K a l k ü l , nicht als eigenständige Theorieebene. Den Theoriemangel der kalkülistischen Logik stellte schon früh auch O. Külpe fest: „Die mathematische Logik bringt keine Entscheidung über die Auffassung der Begriffe oder der Urteile, sondern wendet bloß Rechniungsregeln unter der Herrschaft bestimmter axiomatischer Annahmen auf einzelne Probleme an. Sie ist somit keine Theorie der logischen Bestimmungen, sondern nur eine Technik logischer Ableitungen und muß darum (durch eine allgemeine oder philosophische Logik ergänzt werden." (O. Külpe 1915, 55). Dadurch, daß die gedeuteten Logiken keine eigenständige Theorieebene haben, die Logisches zum Gegenstand hätte — diese Ebene w i r d wohl genutzt werden müssen, bleibt aber i n t u i t i v — gelingt es diesen Logiken, sich in den Kalkülismus eizufügen. W o sonst Zweck einer Wissenschaft Theorien über ihren Gegenstandsbereich sind, werden es hier durch Logisches gedeutete oder belegte Kalküle. Die Relevanz von Kalkülen w i r d etwa durch die Behauptung begründet, durch sie würde Logik „exakt" : „Was durch die Formelsprache in der Mathematik erreicht wird, das soll auch in der theoretischen Logik durch diese erzielt werden, nämlich eine exakte, wissenschaftliche Behandlung ihres Gegenstandes. Die logischen Sachverhalte, die zwischen Urteilen, Begriffen usw. bestehen, finden ihre Darstellung durch Formeln, »deren Interpretation frei ist von den Unklarheiten, die beim sprachlichen Ausdruck leicht auftreten können." (D. Hilbert/W. Ackermann 1959, 1) (ähnlich äußerten sich etwa: Κ . Hübner 1963, 99 ff.; Jorgensen 1962 I I I , 296; V. Kraft 1960, 372; Α. A. Sinowjew 1970, 26 f.).
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I. Kap. : Der Kalkülismus in der Logik
Auch dieses Zitat zeigt wieder, daß nicht die Herstellung von Auszudrückendem, von Aussagen über Logisches, Problem ist, sondern der Ausdruck allein. „ E x a k t " wurde bereits als Indiz des auf Kalküle transponierten SicherheitsVerlangens analysiert (1.1). Innerhalb des Kalkülismus machen sich allerdings Auflösungserscheinungen dieses Sicherheitsstrebens bemerkbar (s. etwa Carnap 1959, 36; Quine 1973, 115 und so prominente Autoren wie P. Bernays, A. Heyting, L. Kalmar, 5. C. Kleene und I. Lakatos in: I. Lakatos 1972, 187-207) lassen Lakatos (202) schon von „the present empiricist mood" sprechen. Die den Kalkülismus tragende Motivation sieht recht geschwächt aus, was die Wahrscheinlichkeit eines Paradigmawechsels — hoffentlich — erhöht. 3.2.4.3 Weitere Medianismen, Deutungsbezug und Kalkülismus zu vereinbaren Es gibt innerhalb des gedeuteten Kalkülismus verschiedene Auffassungen darüber, was als logischer Deutungsbezug von Kalkülen anzusehen ist. Dies kann sich auf der Kalkülebene dahingehend auswirken, daß Kalküle für eine Deutungsrichtung logisch sind, für eine andere aber nicht — man denke an die Unterschiede in platonistischen und nominalistischen Kalkülen. Auch Differenzen innerhalb einer Deutungsrichtung sind möglich. So hielten G. Frey und H. Reichenbach y die Logik auf Umgangssprache bezogen, zwar beide die „adjunktive" übliche Aussagenlogik der Umgangssprache nicht für angemessen, Reichenbach jedoch hielt allein konnektive Operationen (s. Kap. I I I ) für brauchbar — „reasonable operations are not adjunctive, but connective" (1954, 3) — , während Frey annahm, der intuitionistische K a l k ü l und Kalküle der strikten Implikation seien unter bestimmten Bedingungen gute Sprachmodelle (1965,118). Würde jeder nur die seinen Auffassungen entsprechenden Kalküle als logisch anerkennen, die mit anderen Kalkülen verbundenen Ansprüche auf Logizität aber bestreiten und abwehren, so wären dies Streitigkeiten, die zu beseitigen der Kalkülismus angetreten war. Deutungsbezüge, vermittelt über durch sie selektierte Kalküle, würden nach paradigmatischer Vorherrschaft drängen. Es gibt nun bei etlichen Autoren Mechanismen, die dieses Problem entschärfen und verschiedene Selektionen logischer Kalküle harmonisieren lassen. Streitvermeidend ist zum einen, daß oftmals keine systematische Uberprüfung der Kalküle am Deutungsbezug stattfindet und hierzu auch
3. Drei Gestalten des Kalkülismus in der Logik
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nicht der Anspruch besteht. Dies ist bei den dargestellten Befunden zur Behandlung des Deutungsbezuges nicht verwunderlich. Gibt es keine reflexiv-theoretische Ebene, die Logisches zum Gegenstand hat, so kann es auch nicht zu einer systematischen Erforschung des Logischen kommen, die etwa in Konflikt zu bestehenden Kalkülisierungen geraten könnte. Eine Vernachlässigung des Überprüfungsproblems zeigt etwa der folgende Text K. Hübners an: „Der Aufbau eines logischen Kalküls erfolgt also so, daß man zunächst einige evidente schlichte logische Folgerungen passend auswählt und sie in einer symbolischen Zeichensprache ausdrückt, so daß man nur noch gewisse Figurenkombinationen besitzt; und dann läßt sich hiermit schema tisch operieren. Erst was dabei herauskommt, wird wieder in der inhaltlichen Deutung gelesen und ergibt so irgendeinen aus den Regeln entwickelten abgeleiteten Satz der Logik." [K. Hübner 1963, 97). Was beim schematischen Operieren mit Kalkülfiguren herauskommt, braucht nicht als „Satz der L o g i k " deutbar zu sein, das wäre erst von Fall zu Fall zu prüfen. Es könnten sich auch undeutbare Kombinationen ergeben. Eine Uberprüfung w i r d gar nicht erst benötigt, wen man von logischen Kalkülen fordert, daß sie entweder Logischem entsprechen oder aber nicht. Diese Forderung w i r d in jedem Falle erfüllt sein. So schrieb /. Piaget: „Man kann die Logik (durchaus als Formalisierung von derart abgegrenzten, natürlichen Strukturen (des Verhaltens G. G.) betrachten — wobei die Formalisierung frei darüber hinausgreifen kann." (/. Piaget 1974, 106). Ein freies über den Deutungsbezug Hinausgreifen w i r d zuweilen mit SprachVerbesserung begründet: „die Logik muß das intuitive Verständnis explizieren (...) die spontane Tätigkeit der Menschen beim Erfinden und Verbessern der logischen Mittel der Sprache muß bewußt fortgesetzt werden {...). Es muß die Möglichkeit zugelassen sein, von der Intuition abzuweichen." (Α. A. Sinowjew 1970, 27). Gegen diese Möglichkeit der Sprachverbesserung, die auch zur Entschärfung des Problems, was als Logikkalkül anzuerkennen ist, beitragen kann — so mag ein K a l k ü l für den einen deskriptiv, für den anderen präskriptiv sein — ist prinzipiell nichts einzuwenden. Es w i r d aber die Überprüfung von Logikkalkülen verhindern, wenn de- und präskriptive Auffassungen von Kalkülen nicht deutlich getrennt werden. Eine Vermischung dieser Aspekte und die damit verbundene Über4
Gutzmann
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I. Kap.: Der Kalkülismus in der Logik
prüfungslosigkeit kritisierte / . / . Katz Empirismus":
bei Vertretern des „Logischen
„Bei ihnen läßt sich die Nichtverwenidbarkeit einer Kunstsprache zur Repräsentierung der semantischen Struktur einer natürlichen Sprache entweder auffassen als Unzulänglichkeit der natürlichen Sprache oder als Unzulänglichkeit der künstlichen" (/. / . Katz 1969, 66). Auch Autoren, die Logik und Logisches eigentlich über einen Deutungsbezug bestimmen, mildern diesen Anspruch durch eine Ambivalenz. Einerseits werden nur solche Kalküle als logisch aufgefaßt, die Logisches darstellen lassen, andererseits werden aber audi nicht gedeutete oder nicht vom eigenen Deutungsbezug her deutbare Kalküle als logisch bezeichnet. So bestimmt Kraft die Logik dadurch, daß sie Logisches symbolisiert: „Die neue symbolische Logik ist wohl ein Zeichensystem, und zwar nicht ein reiner Kalkül ohne Bedeutungen, ein bloßes Zeichenspiel, sondern das Zeichensystem ist zur Darstellung von bestimmten Bedeutungen gebildet, zur Symbolisierung der Logik im herkömmlichen Sinn." (V. Kraft 1960, 149). Andererseits spricht Kraft aber von „nicht-aristotelische(n) Systeme(n) der Logik" (1960, 151), es ist ihm jedoch „ v ö l l i g problematisch, wie solche nicht-aristotelische Kalküle interpretiert werden können" (1960, 152). Ähnlich ist es bei G. Frey. Er meint einerseits: „Es gibt keine formale Logik, die nicht ( . . . ) als logisches Modell des umgangssprachlichen Denkens aufgefaßt werden müßte" (1965, 120). Sodann sieht Frey aber als „Aufgabe einer zukünftigen Logikforschung" auch: „Zunächst kann sie formale Kalküle entwickeln, diese sind so wie die Kalküle der Mathematik ,LeerformenV (1965,142). Diese Ambivalenz der gedeuteten kalkülistischen Logik darüber, ob nun das Logische i m Deutungsbezug gründet oder i m K a l k ü l , kehrt wieder in einem ambivalenten Formbegriff. Als formal werden zum einen Kalkülfiguren unter Absehung von ihren möglichen Bedeutungen aufgefaßt: „ i n the method which we call formal (in meaning I I I ) or syntactical, abstraction is made from the meaning of all signs, including the logical ones" {Carnap 1968 b I I , 6). Z u m anderen kann es auch als formal gelten, wenn „ i n using the term ,formal' i n meaning I I , abstraction is made from the meaning of the descriptive signs but not from that of the logical signs" {Carnap 1968 b I I , 6). Eine Vermischung dieser beiden von Carnap erwähnten Formbegriffe liegt z. B. bei G. Klaus vor. Die Kalkülzurechnung von „formal"
3. Drei Gestalten des Kalkülismus in der Logik
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kommt in den folgenden Zitaten zum Ausdruck: „ohne Rüdsicht auf die Bedeutung und den Inhalt der einzelnen Zeichen zu rechnen, d. h., eben formal zu verfahren" (1966, 42) und: „drei Aspekte vorliegen, der syntaktische (der sich auf die formale Seite der Wissenschaft bezieht" (1974, 118). Daß Klaus „ f o r m a l " auch Deutungsbezügen zurechnet, ist folgendem Zitat zu entnehmen: „ D i e formale Logik hat es also nur mit der Extensionalität der Aussagenverbindungen zu tun. Die sogenannte Extensionalitätsthese ist folglich keine These, sondern eine Abgrenzung der formalen Logik." (1966, 121). Extensionen von Aussagen sind ihre Wahrheit oder Falschheit (1966, 120), also Deutungsbezüge (zur Ambivalenz des Formbegriffs in der Mathematik vgl.: H. Stachowiak 1973, 144 f.). Gedeutete kalkülistische Logikauffassungen geben sich bescheiden. Sie streben für ihren jeweiligen Deutungsbezug nicht nach paradigmatischer Vorherrschaft, sie anerkennen auch Kalküle, die anderen Deutungen oder gar keinen entsprechen. Dies stabilisiert den Kalkülismus. Sie hielt etwa A. Heyting platonistische Deutungsbezüge vom intuitionistischen Standpunkt aus für „Aberglaube", jedoch deren Kalküle können anerkannt werden: „durch restlose Formalisierung können diese Theorien für den Intuitionisten akzeptabel gemacht werden" (1959, 135). Sollte jemand diese Bescheidenheit vergessen, wie H. Scholz, wenn er zur Mehrwertigkeit schrieb: „Nach meiner Meinung sollte man bis auf weiteres für n > 2 überhaupt nur von n-wertigen Kalkülen sprechen, nicht von n-wertigen Logikkalkülen" (1957, 3; zitiert nach P. Rutz 1973, 78), so w i r d dies als „dogmatische Haltung der Absolutisten" abgewehrt (.Ρ. Rutz 1973, 37). W. Leinfellner beugte unbescheidenen Ansprüchen gedeuteter Logiken vor und schrieb, ebenfalls anläßlich des Mehrwertigkeitsproblems: „Nun sollte man aber keinesfalls die Freiheit, mögliche logische Theorien zu bilden, durch solche pragmatisch-psychologischen Bevorzugungen oder Bewertungen einschränken, indem man etwa letztere philosophisciHapodiktisch mit ,Denknotwendigkeiten' begründet" (W. Leinf ellner 1966, 209). N u r der Psychologismus, ehedem als Konkurrent des Kalkülismus eine unbescheidene, noch dazu theoretisch-reflexive Deutungslogik, ohne großes Interesse an Kalkülen, läßt sich schlecht als apodiktisch oder dogmatisch abstempeln, gilt er doch als empirisch. Bei seiner Abwehr, die in so vielen Logiktexten wie ein Ritual immer neu vollzogen wird, wie auch D. Horn (1975, 2) feststellte (s. Kap. I I ) , verschanzen sich kal4*
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I. Kap.: Der Kalkülismus in der Logik
külistische Logiker lieber hinter den Argumenten der apodiktisch-platonistischen Logiker Husserl und Frege , wobei zumindest Husserl nicht dem Kalkülismus zuzuredinen ist. W. Lein fellner bezeichnete gar „die Beziehungen zwischen moderner Logik und Psychologie" als „ein Tabu", das seit Frege „ z u m eisernen Bestand der modernen Logik gehört" (1966, 201). Das immer wiederkehrende Bekenntnis zum Antipsychologismus in der Logik mag, seit niditkalkülistische aprioristische Deutungslogiken keine Rolle mehr spielen, als eine Zugehörigkeitsgeste zum Kalkülismus zu verstehen sein. Ich habe den Eindruck, daß allerdings eine psychologisch-empirische Logikkonzeption innerhalb des Kalkülismus in den Schriften von / . Jorgensen überwintert. Daß Jorgensen kalkülistisch orientiert war, ist zu erschließen etwa aus seiner umfassenden kritisch-zustimmenden Beschäftigung mit kalkülistischer Logik (1962 I - I I I ) , aus seiner kritischen Belobigung der „Logistik" (1932/33) und insbesondere aus seiner Äußerung, Logik als Algebra der Logik und in der Form eines logistischen Systems seinen Untersuchungen als „paradigmatic" zugrunde legen zu wollen (1962 I I I , 205). Jorgensen taktierte sehr vorsichtig. I n (1962 I I I , 204) wollte er sich auf keine Diskussion darüber einlassen, welcher A r t Gedanken, als Gegenstände der Logik, seien. I n (1962 b) bemerkte Jorgensen sehr bescheiden in Klammern: „logical relations ( . . . ) exist between my concepts — whatever the nature of concepts may be (they are, in my opinion, a k i n d of mental attitudes)" (1962 b, 34). I n (1962) gab Jorgensen an: „psychology is the science of mental phenomena" (1962 I I I , 209). Wenn man die eben zitierten Äußerungen aus beiden Schriften zusammen sehen kann, so wäre Logik nach Jorgensen als Bereich der Psychologie aufzufassen, als empirisch w i r d sie von Jorgensen sowieso verstanden: „logical connections are empirical, although not sensorial, facts" (1962 b, 36). Jorgensen argumentierte aber auch pragmatisch antipsychologistisch, die Psychologie sei nodi nicht so weit, daß die Logik aus ihr Nutzen ziehen könne (1962 I I I , 217). I n (1962 b) meinte Jorgensen, die logischen Gesetze wären vielleicht analog den gestalttheoretischen Gesetzen der Wahrnehmung, doch auch hier beharrt er nicht darauf: „This, however, being as i t may, I would merely stress that logic is not a conventional calculus but really a science of ,the laws of thought' as Boole said." (1962 b, 35). Jorgensen scheint eher Deutungsbezug überhaupt betonen zu wollen als seinen eigenen empirischpsychologischen Deutungsbezug.
3. Drei Gestalten des Kalkülismus in der Logik
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Ich fasse meine Ausführungen über den gedeuteten Kalkülismus zusammen. Der gedeutete Kalkülismus kann ein Kalkülismus sein durch folgende Bedingungen: 1. Es gibt keine reflexive Theorieebene, die Logisches zum Gegenstand hätte. Der Umgang mit logischen Deutungsbezügen bleibt intuitiv, K a l küle werden Theorieersatz. 2. Es gibt Mechanismen, die das mögliche Problem einer unterschiedlichen Selektion von Kalkülen als Logikkalkülen bei verschiedenem Deutungsbezug oder verschiedenen Deutungsergebnissen entschärfen und dem möglichen Bestreben bestimmter Deutungsrichtungen, sich selber zum Paradigma der Logik zu machen, entgegenwirken. So können Kalküle verschiedene Deutungsrichtungen integrieren. 3.2.4.4 Die
Veatch-Copi-Kontroverse
1950/51 fand in der Zeitschrift: Philosophy and Phenomenological Research zwischen Η. Β. Veatch und / . M. Copi eine Diskussion über die Intentionalität der formalen Logik statt. Ich möchte an dieser Kontroverse meine Bestimmung des gedeuteten Kalkülismus problematisieren und die in dieser Debatte auftretenden Unterschiede zwischen einer kalkülistischen Deutungslogik (Copi) und einer nicht-kalkülistischen theoretischen intentionalen Logik (Veatch) herausarbeiten. Für Veatch, der m i t seinem Beitrag die Diskussion eröffnete, sind Intentionen Gegenstand der Logik (1950/51, 349). Sein Interesse ist es herauszufinden, was diese Intentionen charakterisiert und was sie von Nicht-Intentionalem unterscheidet (1950/51, 349). Er macht dazu den Vorschlag, das Besondere der Intentionalität i n der Spezifität einer nur der menschlichen Kognition eigenen Relation, der von ihm sogenannten Identitätsrelation, zu sehen (1950/51, 355). Das Interesse an der Charakterisierung von Intentionalität vermißt Veatch bei der mathematischen Logik. Diese würde Formen, Relationen überhaupt behandeln, nicht aber spezifisch logische, intentionale Formen: „when the mathematical logician addresses himself to the task of investigating what he calls logical forms or structures or relations, he does not concern himself with whether and how such forms and structures differ from real forms and structures. Rather any formal structure, he would think, provided it be truly formal, in the sense of being abstracted from all content, would fall within the province of logic and/or mathematics" (Η. B. Veatch 1950/51, 349). Die mathematische Logik sei von daher nicht intentional, sondern formalistisch (1950/51, 348).
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I. Kap. : Der Kalkülismus in der Logik
Copi übernimmt es zu zeigen, daß die formale Logik doch intentional sei (1950/51, 366). Die formale Logik sei formal und intentional zugleich: „The intentionality of modern logic pertains to its subject matter. The formalism of modern logic pertains to its method." (1950/51, 371). Träfe diese Einschätzung Copis zu, daß der Formalismus die Methode, die Intentionalität aber den Gegenstand von Logik beträfe, so wäre wohl die gegenwärtige formale Logik, soweit sie deutet, keine gedeutete kalkülistische Logik. Die von mir entwickelte Auffassung, daß derzeit vorwiegend Kalküle und ihre Untersuchung Zwecke von Logik sind, wäre unzutreffend. Die Copisdie Behauptung legt statt dessen nahe, daß die Kalkülorientierung nur die Mittel, nicht die Zwecke von Logik betrifft. Ich möchte nun zunächst versuchen, diese Frage an den weiteren Angaben zu prüfen, die Copi über die formale Logik macht. Copi sieht zwei Arten des Herangehens an die formale Logik, eine direkte und eine indirekte, die beide zu denselben Ergebnissen führen würden (1950/51, 368). Bei der direkten Herangehensweise sei es A u f gabe der Logik „ t o serve as an organon for distinguishing valid arguments from invalid ones" (1950/51, 366). Würde man Argumente in einer natürlichen Sprache formulieren, so könnte man auf Grund von Mängeln der natürlichen Sprachen wie Vagheit, Mehrdeutigkeit u. a. die Gültigkeit von Argumenten oft nur schwer bestimmen. Deshalb würde man von diesen Mängeln freie künstliche Symbolsprachen aufbauen, in die man umgangssprachliche Argumente übersetzen könne, und die man je nach den Argumenten, die man berücksichtigen w i l l (z. B. Aussagen oder Funktionen), einrichten könne (1950/51, 366). Es ließe sich dann allein durch Betrachtung von Argumentformen deren Gültigkeit feststellen. Sodann müßten diese gültigen Argumentformen innerhalb eines deduktiven Systems geordnet werden: „Here we have the subject matter and the method of the mathematical logician; his basic object is the sorting of arguments into the valid and invalid" (1950/51, 367). Die indirekte Herangehensweise an die formale Logik sei von der Mathematik ausgegangen. D o r t hätte das Bedürfnis nach einer Klärung des Begriffs des logischen Beweises bestanden. Ergebnis der so motivierten Untersuchungen seien ebenfalls deduktive Systeme gewesen „ i n which the subject matter is itself deduction, and the basic object again the sorting of arguments into the valid and the invalid" (1950/51, 368). Argumentformen sind für Copi in spezifischer Weise — durch Argumente — zu interpretierende oder interpretierbare Kalkülfiguren, die zwar auch anders, nicht-intentional interpretiert werden könnten (1950/51, 370), deren intentionale Interpretation jedoch für Logik
3. Drei Gestalten des Kalkülismus in der Logik
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die wichtigere sei (1950/51, 372). Wenn es nun nach Copi Aufgabe des mathematischen Logikers ist, Kalkülfiguren — denn das sind ja Argumentformen — , die intentional interpretierbar sind, deduktiv zu ordnen, so weist dies, entgegen Copis Meinung darauf hin, daß Kalküle Untersuchungszweck sind, also gedeuteter Kalkülismus vorliegt. Die intentionalen Interpretationen — Argumente — dienen nach der Beschreibung Copis vorwiegend dazu, zu diesen Kalkülen zu gelangen. Man könnte hier einwenden, daß die formalen deduktiven Systeme ja wieder M i t t e l sein könnten zur Befragung umgangssprachlicher Argumente auf ihre Gültigkeit. Wenn man aber gerade, wie es Copi beschreibt, wegen der Schwierigkeiten, die Gültigkeit umgangssprachlicher Argumente zu bestimmen, auf Kalküle ausweicht, so ist nicht zu erwarten, daß ohne eine Theorie über diese Argumente, die ja gerade durch die Hinwendung zu Kalkülen vermieden wird, eine Anwendung der Kalküle auf umgangssprachliche Argumente gelingt. So schrieb auch W. Stegmüller: Es „sind alle Logiktheorien auf Kunstsprachen bezogen und liefern daher überhaupt keine Kriterien für die Überprüfung von Argumenten, die in einer natürlichen Sprache vollzogen werden." (1973 I V , T.A., 10). Es kann demnach nicht Zweck der Logik sein, Argumente zu untersuchen, denn eine solche Untersuchung müßte ja nach Copi stets vage sein, weswegen Kalküluntersuchungen zu Zwecken werden, wie dies Copi darstellt. Probleme derart, wie zur Erkenntnis von Argumenten zu gelangen ist, was diese charakterisiert, ob sie sprachlich oder nichtsprachlich sind, was sie als Logisches von Nicht-Logischem unterscheiden läßt usw. — also gerade Probleme, wie Veatch sie aufwirft — kommen Copi nicht in den Blick. Dies weist auf den schon diagnostizierten Intuitivismus des gedeuteten Kalkülismus gegenüber logischen Deutungen hin (s. 3.2.4.1, 3.2.4.2). W o r i n liegt nun der Unterschied zwischen den von Veatch und von Copi vertretenen Logikkonzeptionen? K a u m i m Gegenstandsbereich der Logik. Beide meinen, dieser sei intentional. Der Unterschied besteht darin, daß in der formalen Logik, wie sie von Copi beschrieben w i r d , dieser intentionale Gegenstandsbereich (Argumente) zugunsten von Kalkülen verlassen w i r d und gerade diesen Bereich betreffende theoretische Fragestellungen nach den Charakteristiken von Intentionen, wie sie Veatch anschneidet, nicht i n den Blick kommen. Die beiden Logikkonzepte unterscheiden sich durch ihre Zwecksetzungen. Die Fragestellungen von Veatch hingegen kennzeichnen eine nicht-kalkülistische theoretische Logik.
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I. Kap. : Der Kalkülismus in der Logik
Copi verstand den Unterschied zu Veatch nicht. Er glaubte sich mit Veatcb einig, denn dieser meine audi, daß Logik intentional sei, und zwar deswegen, weil ihre Kalküle intentional interpretiert würden (1950/51, 372). Veatch verhielt sich i n seiner A n t w o r t auf Copi, wie es nach dieser Einschätzung des Unterschiedes beider Konzeptionen zu erwarten ist. Für ihn gingen die Ausführungen Copis an den von ihm aufgeworfenen Problemstellungen vorbei. Copi sei gar nicht auf seine Ausführungen darüber, was Intentionalität charakterisieren könne, eingegangen (1950/51 b, 374), statt dessen habe Copi dargelegt, was er gar nicht bestreite, daß die mathematische Logik sich für intentional halte und intentional interpretiert werden könne (1950/51 b, 373). Veatch beharrt auf seinen Problemen und stellt noch einmal das auch von Copi demonstrierte Ungenügen der mathematischen Logik diesen Problemen gegenüber fest: „We do not wish to deny that mathematical logic often makes a profession of intentionality. Our only doubts are as to whether such a logic can make good its profession, in the light of its failure ever to make clear what the distinction is between intentional forms and non-intentional forms." (#. B. Veatch 1950/51 ib, 373). Veatch betonte also gegenüber Copi seine anderen Zwecksetzungen, die dieser nicht aufgenommen hätte. Innerhalb von nicht-kalkülistischen theoretischen Logiken kann es natürlich selbst wiederum unterschiedliche Konzeptionen geben (vgl. zum Unterschied der Konzeption von Veatch und der von mir vorgeschlagenen Kap. I I , 2.3). 3.2.5 Kalkülismus mit Deutung Diese A r t des Kalkülismus, der Kalkülismus mit Deutung, setzt dort an, wo im gedeuteten Kalkülismus eine Gefahr für den Kalkülismus besteht. I m gedeuteten Kalkülismus gibt es verschiedene Deutungsrichtungen, die sich jeweils m i t ihrem Deutungsbezug identifizieren. Hierdurch möglich werdenden Konflikten w i r d i m gedeuteten Kalkülismus durch Zusatzregulative vorgebeugt. Der Kalkülismus mit Deutung verhindert schon die Identifizierung mit bestimmten Deutungsbezügen. Der i m gedeuteten Kalkülismus vorhandene Pluralismus auf K a l k ü l ebene soll auch noch für die Ebene des Deutungsbezuges gelten. Dies w i r d etwa bei Carnap, der, nachdem er den reinen Kalkülismus aufgegeben hatte, dieser Position zuzurechnen ist, dadurch erreicht, daß er die Annahme logisch-mathematischer Entitäten zu einer praktischen
3. Drei Gestalten des Kalkülismus in der Logik
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Frage erklärt (ob diese Entitäten als Bedeutung oder Bezeichnetes von Kalkülen fungieren, läßt Carnap explizit offen [1964, 216]). Die A n nahme dieser logisch-mathematischen Entitäten brauche nur abzuhängen von der Entscheidung für eine praktisch, nicht theoretisch zu rechtfertigende Sprachform. Dies sei möglich, da mit der Akzeptierung von logisch-mathematischen Entitäten kein Glaube an deren „Realität" verbunden sei: „ A r e there properties, classes, numbers, propositions? ( . . . ) I f someone wishes to speak in his language about a new k i n d o f entities, he has to introduce a system of new ways of speaking, subject to new rules; we shall call this procedure the construction o f a linguistic framework for the new entities in
question" (R. Carnap 1964, 206). „ w e take the position that the introduction of the new ways of speaking does not need any theoretical justification because i t does not i m p l y any assertion of reality. We may still speak ( . . . ) of ,the acceptance of the new entities' ( . . . ) but one must keep i n m i n d that this phrase does not mean for us anything more than acceptance of the new framework, i. e., of the new linguistic forms. Above all, i t must not be interpreted as referring to an assumption, belief, or assertion o f ,the reality of the entities'."
(R. Carnap 1964, 214). Antworten auf Fragen wie: „gibt es Zahlen?" oder „was sind Propositionen?" ergeben sich, intern verstanden, aus den Sprachregeln und sind logisch wahr, nicht empirisch (1964, 209 f.). Würden diese Fragen extern oder „ontologisch" verstanden, so wären sie metaphysische Scheinfragen (1964, 219). W. Stegmüller faßte die Position Carnaps wie folgt zusammen: „ F ü r die Denkweise Carnaps gibt es keine ontologischen Probleme. Ontologische Annahmen reduzieren sich für i h n auf die W a h l einer linguistischen Form. Nicht ,gibt es Zahlen?' oder ,gibt es Klassen?' können nach Carnap als sinnvolle Fragen auftreten, sondern nur ,wollen w i r eine Sprache einführen, die Klassen- bzw. Zahlvariable enthält?' Ontologische Aussagen wie ,es gibt Klassen' oder ,es gibt Zahlen' verwandeln sich bei dieser Interpretation i n spezielle Fälle von analytischen Sätzen." (W. Stegmüller 1968, 313).
Auch bei Stegmüller scheinen sich zumindest Anklänge an diese Carnapsche Position zu finden, wenn er schreibt: „Welche Sachverhalte überhaupt möglich sind, hängt davon ab, welche konsistenten Beschreibungen in der zur Verfügung stehenden Sprache ( . . . ) möglich sind." (1969 I, T. 3, 469). Für den Kalkülismus mag Carnaps Vorschlag vorteilhaft sein, nicht aber für eine Deutungslogik. Es können mit den Sprachformen „logisch-
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I. Kap. : Der Kalkülismus in der Logik
mathematische" Phantasmen eingeführt werden, ohne daß diese nodi als solche erkannt werden könnten, da Sätze über diese logisch-wahr wären, also ohne Bezug darauf, ob es diese logisch-mathematischen Entitäten gibt und wie sie beschaffen sind. Ich stimme Quine zu, wenn er schreibt: „ w e must not jump to the conclusion that what there is depends on words. Translatibility of a question i n t o semantical terms is no indication that the question is linguistic" (W. v. O. Quine 1963, 16).
Carnap kapitulierte vor traditionell metaphysischen Problemen. Er beließ diese Probleme der Metaphysik und wollte selbst nichts damit zu tun haben. Ergebnis dieser Haltung war auch der Kalkülismus mit Deutung. Demgegenüber scheint es mir erforderlich zu sein, diese Probleme empirischen Untersuchungen zuzuführen. H i e r i n stimme ich überein mit M. White, der schrieb: „we have come to the point where metaphysical puzzles may be replaced by problems in psychology" (1951, 379). 3.3 Fazit Die Untersuchungen der verschiedenen Gestalten des Kalkülismus haben ergeben: 1. Der reine Kalkülismus bedarf, obwohl er deutungsbezogene Logik (und Mathematik) zu ersetzen gedadite, einer Deutungslogik. Denn Kalkültheorie (wie auch formal-analogische Kalkülverwendung) muß Produkte von deutungsbezogener Logik und Mathematik nutzen, operative Logik und Mathematik haben explizit auch Regeln, also Deutungen, zum Gegenstand. Kalküle, die linguistisch-symbolisch verwendet werden sollen, müssen auf Bedeutungen und ihre Regulationen abgestimmt sein. 2. Deutungsbezüge werden i m gedeuteten Kalkülismus intuitivistisdi und untheoretisch, also ineffizient, behandelt. 3. Der Kalkülismus m i t Deutung kann über die Mängel des gedeuteten Kalkülismus hinaus noch eher als dieser zu unkontrollierbaren, phantastischen Annahmen über Deutungsbezüge führen. Diese Ergebnisse, so meine ich, fordern heraus, nach einem Ansatz für eine theoretische, nicht kalkülistische Logik zu suchen, deren Zweck nicht Kalküle, sondern Theorien über Logisches sind. Modelle, so auch möglicherweise Kalküle, werden von ihr als M i t t e l zu nutzen sein.
Zweites Kapitel
Logik als Erfahrungswissenschaft? I n diesem Kapitel möchte ich, aus den Ergebnissen des vorigen Kapitels die Konsequenzen ziehend, Gegenstandsbereich und A r t des Gegenstandsbezuges für eine nicht-kalkülistische, theoretische Logik zu bestimmen suchen, in Auseinandersetzung mit einigen Ansätzen des gedeuteten Kalkülismus. Sodann w i r d auf Argumente gegen das von mir vorgeschlagene Logikverständnis eingegangen. Auch soll aufgezeigt werden, welche Relevanz eine solche theoretische Logik für andere wissenschaftliche Bereiche haben könnte. Es gab in der Tradition eine Vielzahl divergierender Bestimmungen dessen, was Gegenstand von Logik sei (s. etwa: R. Eisler 1904, 606 - 617; Th. Ziehen 1920). Deren Aufarbeitung, so nötig sie nach Jahrzehnten bornierter Verdrängung wäre, kann hier nicht geleistet werden. Ich beschränke mich auf einige Vorschläge, die innerhalb des gedeuteten K a l külismus bestehen und wohl auch von daher bekannter sind. Die Wahl des Gegenstandsbereiches von Logik ist (u. a.) abhängig von der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Sprache und Gedanklichem und von der Auffassung des Gedanklichen. Der Bezug zum Gegenstand oder der Gegenstandsbereich selbst werden empirisch oder nicht-empirisch aufgefaßt. Manche Autoren entledigen sich auch in Logikbüchern dieser Probleme, indem sie logische Entitäten einfach aufzählen, ohne deren Status und die A r t ihrer Erfassung zu bestimmen (so etwa: D . Hilbert/W. Ackermann 1959, 1; L M. Bochenski/A. Menne 1965, 13). Oft w i r d nicht deutlich, was Autoren unter Nicht-Empirie verstehen. Ich möchte von Nicht-Empirie sprechen, wenn der Gegenstandsbereich von Logik in ein besonderes extern-platonistisches oder intern-transzendentales Sein verlegt ist, oder auch, wenn von einem besondere, apodiktische Sicherheit verbürgenden Zugang zum Gegenstandsbereich ausgegangen w i r d , oder wenn etwa für die logischen Gesetze gar kein Gegenstand angenommen wird. Ich halte mich i m weiteren auch an die diesbezügliche Selbsteinschätzung von Autoren.
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II. Kap.: Logik als Erfahrungswissenschaft?
I d i beginne mit der Thematisierung nicht-empirischer, auf Gedankliches bezogener Ansätze, gehe dann auf empirisch-sprachbezogene A n sätze und das Verhältnis von Sprache und Denken ein.
1. Nicht-empirische Positionen 1.1 Piatonismus Der Piatonismus wurde ehedem etwa vertreten von G. Frege (1966 b, 43), G. Cantor (1967, 258, 262), von E. Husserl (19681, 186) und H. Scholz (1969, 399), aber auch von K. Godei (1951, 137; s. auch: S. F. Barker 1969). Die platonistische Konzeption nimmt die Existenz von Gedanken, Ideen an, unabhängig von sie denkenden Trägern. Frege formulierte dies so: „ E i n drittes Reich muß anerkannt werden. Was zu diesem gehört, stimmt m i t den Vorstellungen darin überein, daß es nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, m i t den Dingen aiber darin, daß es keines Trägers bedarf, zu dessen Bewußtseinsinhalte es gehört. So ist z. B. der Gedanke, den w i r i m pythagoreischen Lehrsatz aussprachen, zeitlos wahr, unabhängig davon wahr, ob irgend jemand ihn für wahr hält. Er bedarf keines Trägers. Er ist wahr nicht erst, seitdem er entdeckt worden ist, wie ein Planet, schon bevor jemand ihn gesehen hat, m i t anderen Planeten i n Wechselwirkung gewesen ist."
(G. Frege 1966 b, 43 f.). Die Existenz dieses „dritten Reiches" scheint mir unaufweisbar zu sein, es wurde denn auch als „Mythologie" (C. Sigwart 1904, 23) oder „Aberglaube" (A. Heyting 1959, 135) abgetan. Selbst wenn die A n nahme dieses Reiches nicht widerlegbar sein sollte, sie ist kein Ersatz für die Untersuchung von Denkprozessen. Deren weitere Erforschung hätte zu zeigen, ob eine platonistische Vermehrung von Seinsweisen zur Erklärung von Denkprozessen überflüssig ist. Frege meinte, ein platonistisch verstandenes Gedankenreich sei notwendig zur Erklärung von Übereinstimmung i m Urteilen unter den Menschen, sonst gäbe es „keine Logik, die berufen wäre, Schiedsrichterin i m Streite der Meinungen zu sein" (1962 I , X I X ) . Übereinstimmung im Urteilen, wie auch Divergenzen scheinen mir eher evolutionstheoretisch, geschichts- und sozialisationstheoretisch erklärbar zu sein. Autoren der platonistischen Richtung waren es, die um die Jahrhundertwende die Weichen stellten für den Kalkülismus und die NichtEmpirie durch ihre K r i t i k empirisch-psychologischer Positionen, des sogenannten „Psychologismus". Noch gegenwärtig finden sich in der Lite-
1. Nicht-empirische Positionen
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ratur häufig Berufungen auf Freges und Husserls Abwehr des Psychologismus von Autoren, die deren Piatonismus keineswegs teilen (so etwa: /. Dopp 1969, 33; V. Kraft 1970, 4; A. Menne 1966, 22 f.; W. Leinfellner 1966, 201; G. Patzig 1970, 7; W. Stegmüller 1965, 82). Dabei ist Freges und Husserls Psychologismuskritik, so nicht allein meine These, nur auf der Grundlage ihres Piatonismus zu akzeptieren. Ein wichtiges Argument Husserls gegen eine empirische Logikkonzeption beruhte auf der Auffassung der Apodiktizität der Logik. Wäre Logik eine empirische Wissenschaft, so wären ihre Gesetze nur „durch Erfahrung und Induktion begründete, mehr oder minder vage Wahrscheinlichkeiten" (1968 I, 78). Jedoch: „Demgegenüber scheint nichts offenkundiger, als daß die ,rein logischen' Gesetze insgesamt a p r i o r i gültig sind. Nicht durch Induktion, sondern durch apodiktische Evidenz finden sie Begründung u n d Rechtfertigung. ( . . . ) Andernfalls müßten w i r ja die Möglichkeit offen halten, daß sich die Vermutung bei Erweiterung unseres allzeit nur begrenzten Erfahrungskreises nicht bestätige"
(E. Husserl 1968 I, 62 f.). Diese Erwägungen führen Husserl dann zu der Auffassung: „Ist aber, was die psychologische Begründung der Logik als Konsequenz verlangt, absurd, so ist sie selbst absurd." (1968 I , 63). Der psychologisch orientierte Logiker W. Jerusalem schätzte Husserls Argumentationsstil ähnlich ein: „Husserl ( . . . ) widerlegt alle anderen Auffassungen ( . . . ) einfach damit, daß jede Ansicht, die sein Dogma leugnet oder m i t diesem sich unvereinbar zeigt, eben deshalb falsch sein miuß. Alles, was Husserl auf ungefähr 200 Seiten gegen den Psychologismus vorbringt, ließe sich etwa i n folgendem Syllogismus zusammenfassen: D i e Theorie, welche die logischen Gesetze für Wahrheiten erklärt, die a priori m i t Evidenz erkannt werden, ist richtig. Die psychologistischen Theorien erklären die logischen Gesetze nicht für solche Wahrheiten. Also: Die psychologistischen Theorien sind nicht richtig. ( . . . ) Seine ganze Polemik gipfelt i n diesem Syllogismus, dessen Obersatz nirgends begründet w i r d , sondern für ihn dogmatisch feststeht."
(W. Jerusalem 1905, 96). Selbst auf solche Argumente stützen sich kalkülistische Logiker gegenüber empirisch-psychologischen Logikkonzeptionen, auch wenn sie sich dabei in Widersprüche verwickeln. So hielt W. Stegmüller „Husserls Argumente gegen den Psychologismus in der L o g i k " für „durchschlagend
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I I . Kap. : Logik als Erfahrungswissensdiaft?
und überzeugend" (1965, 82). Einige Seiten später jedoch, in anderem Diskussionszusammenhang, ist ihm die wichtige Stütze der Antipsychologismusargumentation Husserls, das eben zitierte Apodiktizitätsargument „ i m höchsten Grade fragwürdig" (1965, 85). 1.2 Nicbt-platonistische
Nicht-Empirie
Bei Autoren, die Logik auf nicht-empirisch und nicht platonistisch aufgefaßtes Gedankliches beziehen (und w o h l auch nicht auf ein transzendentales Bewußtsein überhaupt), wie etwa G. Klaus und V. Kraft, treten Unklarheiten und Widersprüche auf. Vermutlich liegt dies schon an der Position. Für Klaus hat es die Logik „ m i t der allgemeinsten Struktur des richtigen Denkens zu t u n " (1966, 7), aber: „Tatsächlich hat es die Logik nicht mit dem Denken zu tun, denn das Denken fällt in den Bereich der Psychologie, der Erkenntnistheorie ( . . . ) . Wäre die Logik eine Lehre vom Denken, d. h. vom tatsächlichen konkreten Denken der Menschen, so müßte sie als Erfahrungswissenschaft betrachtet werden" (1966, 3). Sollte die „allgemeinste Struktur des richtigen Denkens" nicht zum Denken gehören? Das vermag ich nicht einzusehen. Klaus' Bestimmungen erscheinen mir widersprüchlich. Klaus scheint sich, was die Gegenstandsbestimmung der Logik angeht, zu winden. Eine Ursache hierfür macht der eben zitierte Text deutlich: Psychologismus zu vermeiden. Doch es hat nicht geholfen; trotzdem sieht H. Wessel in Klaus y Logikkonzeption „Spuren des Psychologismus" (1972, 238). V. Kraft entwickelte seinen Logikansatz in Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen. Ich möchte hier auf seine Argumente eingehen. Kraft geht davon aus, daß Logik ein „interpretierter K a l k ü l " ist (1970, 3) und er fragt sich: „Wodurch w i r d die Festsetzung der Grundbegriffe und der Regeln eines axiomatischen Systems der Logik bestimmt? Doch nicht rein willkürlich — sondern?" (1970, 3), Kraft erwägt und kritisiert dann mögliche Antworten. Kraft verwirft zunächst die Auffassung über Logik, „daß es evident sei, daß sie absolut gültig ist" (1970, 3), indem er zustimmend A. Schmidt zitiert, der meint, diese Vorstellung sei zusammengebrochen, da es mehrere voneinander abweichende Logiken, ζ. B. die derivate, die intuitionistische und die alternäre, gebe (vgl. Kap. 1,1.1). Sodann wendet sich Kraft gegen zwei empirische Auffassungen, die eine, nach der Logik „eine Abstraktion aus den Naturgesetzen^ sei
1. Nicht-empirische Positionen
63
(1970, 5), die andere, nach der Logik „Naturgesetze des Denkens" enthalte (1970, 7). Er wirft diesen Positionen mit Husserl vor, daß bei ihnen logische Gesetze nur wahrscheinlich wären und daß sie zirkulär wären: „logische ( . . . ) Beziehungen ( . . . ) können nicht aus Naturgesetzen entnommen sein. Denn zur Erkenntnis von Naturgesetzen muß die Logik schon vorausgesetzt werden ( . . . ) . D i e Gesetze der Logik können überhaupt nicht auf Gesetzen v o n Tatsachen beruhen, sonst wären sie Hypothesen und damit nur wahrscheinlich und könnten durch neue Erfahrungen widerlegt oder abgeändert werden. Sie liegen aber doch schon aller Erfahrung zugrunde, sie gelten unabhängig von der Erfahrung, a priori." 1 haben, wären hinsichtlich ihres Möglichkeitsspielraumes nicht hinreichend überprüfbar, wenn der Möglichkeitsspielraum nur zu einer Zeit an einem O r t oder nur zu einer Zeit für ein Etwas bestünde. Wie ist nun Allgemeinheit hinsichtlich der denkbaren Fälle von Zeitund Ortsbereich und Gegenstandsmenge zu bestimmen? Sollte sie überhaupt Kriterium für den Gesetzesbegriff sein? Es ist etwa von Κ . Popper in Abgrenzung von „numerisch-allgemeinen" Sätzen (wie ζ. B.: „ f ü r alle [jetzt auf der Erde] lebenden Menschen gilt, daß ihre Körperlänge immer unter einem gewissen Betrag [etwa 2 Vi Meter] bleibt" [1966, 34]) vorgeschlagen worden, daß ein Gesetz „beansprucht, für jeden beliebigen Orts- und Zeitpunkt richtig zu sein"
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IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
(1966, 34). Auch soll nach Popper ein Gesetz ein „Allsatz, d. h. ( . . . ) eine Aussage über unbegrenzt viele Elemente" sein (1966, 34). Zur Problematisierung dieser Anforderungen möchte ich einen U m weg einschlagen. Was leisten Gesetze? Bei bestimmten Urteilen, die einmal oder einige Male evident wahr waren, nehmen w i r an, daß ihnen gleiche Urteile, zu anderer Gelegenheit gefällt, auch bei Evidenz wahr wären, ohne daß w i r sie schon evidiert hätten. So schreibt etwa H. Stachowiak: Es „beruhen alle erfahrungswissenschaftlichen induktiven Verallgemeinerungen auf der präzisierenden Fortsetzung von Erwartungsgewohnheiten der A r t , wie sie sich bereits i m Bereich des vorwissenschaftlichen — untrennbar m i t zielgerichtetem Handeln verbundenen — Denkens infolge langfristiger Lernprozesse herausbilden." (H. Stachowiak 1965, 136).
Wahrheit als Ergebnis vergangener Evidierungen w i r d für gleiche Urteile in Möglichkeit zur Wahrheitserwartung transferiert. Den Transferierungsbegriff entnehme ich Stachowiak (1965, 139), er ist dem Fortsetzungsbegriff von N. Goodman (1975, 114) verwandt. Die Transferbefähigung ist Bedingung von Voraussage, Retrodiktion, Wissen ohne Evidenz oder Perfektheit und damit Bedingung von Handeln. Wollte ich etwa ein Buch, das i m Bücherbord steht, heraushaben und könnte nicht zumindest das konnektive Urteil transferieren: ,wenn ich an einem (oder diesem) i m Bücherbord stehenden Buche ziehe, dann kommt es heraus", so müßte ich erst probieren, wie das Buch heraus zu bekommen ist. Müßten bei jeder Zielsetzung erst die M i t t e l zur Verwirklichung ausprobiert werden, man käme zu nichts. Konnektive Urteile können als ganze transferiert werden. Ich nehme etwa stets an: ,wenn (unter bestimmten Bedingungen) eine ruhende Kugel von einem bewegten Körper angestoßen wird, so bewegt sich die Kugel, andernfalls nicht". Durch konnektive transferierte Urteile w i r d erreicht, daß die Bestandteilsurteile transferiert werden können. Dabei hängt die Wahrheitsergebniserwartung für ein Bestandteilsurteil ab von den Wahrheitsergebnissen anderer Bestandteilsurteile gemäß dem Schaltungssinn. Das konnektive Urteil gibt die Transferierungsbedingungen für seine Bestandteilsurteile durch seinen Schaltungssinn an. Dies ermöglicht Voraussage, Retrodiktion und Wissen ohne Evidenz um Gegenwärtiges. Unter welchen Bedingungen kann der Transfer von Wahrheit zu Wahrheitserwartung funktionieren? Dieser Transfer ist prinzipiell nicht möglich, wenn ein Möglichkeitsspielraum nur zu einer Zeit bestünde und
1. Gesetz
141
die Welt danach andere Möglichkeitsspielräume hätte. I n den anderen Fällen ist Transfer, zum Teil relativiert auf spezifische Zeiten, Orte oder Etwasse, möglich. Ist es nun günstiger, Urteile als Gesetze durch eine spezifische Verwendung, den Transfer von Wahrheit zu Wahrheitserwartung bei identischen oder gleichen Urteilen, bzw. durch die Annahme einer solchen Verwendbarkeit zu kennzeichnen, wobei die Transferbereiche: Zeit, O r t und Gegenstände variieren können, oder ist es günstiger, mit Popper Gesetze durch Bezug auf unendlich viele Etwasse an jedem O r t zu jeder Zeit zu charakterisieren? M i r scheint die Lösung, Gesetze durch Transferannahmen bei Variation der Transferbereiche zu charakterisieren, die bessere zu sein. N u r sie ist vereinbar mit mehreren Beschaffenheiten der Welt. Die Möglichkeitsspielräume der Welt könnten sich ja einmal ändern oder schon geändert haben, dies ließe sich durch Begrenzung der Transferbereiche erfassen. Die Transferlösung ist auch unabhängig davon, ob es unendlich viele Etwasse gibt. W. Stegmüller (1969 I , T. 2, 305) wandte gegen den Vorschlag, Gesetze als auf unendlich viele Etwasse bezogen aufzufassen, zu Recht ein, daß damit die Gesetzeskonzeption abhinge von einer unsicheren Theorie über Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt und daß es Gesetze über endliche Mengen von Etwassen, etwa biologische Systeme, doch geben könne. Auch trägt die Transferlösung bei Variation der Transferbereiche: Zeit, O r t , Gegenstände möglichen Lernstadien von Gesetzen Rechnung. Transferbereichsbeschränkungen können nicht nur als Grenzen bestimmter Möglichkeitsspielräume der Welt aufgefaßt werden, sie können auch als Lernstadien angesehen werden. Ich kann etwa ein Urteil nur über ein Individuum transferieren. Ich habe beispielsweise einen schwarzen Raben als Haustier und transferiere stets das Urteil: ,schwarz ist' und den Urteilskomplex bzw. das konnektive Urteil: ,dieser Rabe ist schwarz'. Uber die Farbe anderer Raben habe ich noch kein Urteil. Erst später mag es zu einer Erweiterung des Gegenstandsbereichs des transferierbaren Urteils: ,schwarz ist' kommen (bei Deutung des RabenUrteils als Urteilskomplex), bzw. zu einer Erweiterung möglicher positiver bewahrheitender Gegenstände des Urteils: ,Rabe ist' als Bestandteil eines konnektiven Urteils. Ich nehme nun an: ,alle Raben sind schwarz'. I n diesem Fall wurde das zu transferierende Urteil: ,schwarz ist' beibehalten, der Transferierungsbereich aber erweitert.
1 4 2 I V . Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
Eine Transferannahme kann sich auch als zu weit erweisen. Nehme ich etwa an, ein Urteil (oder Urteilskomplex) sei unbeschränkt transferierbar, gelingt der Transfer auch einige Zeit, an einigen Orten für einige Etwasse, versagt dann aber, so sind die Transferannahmen oder auch das zu transferierende Urteil (bzw. der Urteilskomplex) für mögliche weitere Transferierungen zu regulieren. Daß die Transferierung nicht mehr funktioniert, könnte daran liegen, daß bei konnektiven Urteilen der von ihnen behauptete Möglichkeitsspielraum zwar für die zunächst untersuchten Fälle bestand, daß er aber bei den später untersuchten Zeiten, Orten oder Etwassen ein anderer war, als angenommen. I n diesem Falle wäre das konnektive Urteil zunächst wahr gewesen, die Annahme der Transferierungsbereiche wäre aber widerlegt. Diese wäre durch Einschränkungen zu regulieren. Für weitere Transferierungen in Bereichen, i n denen der Transfer nicht funktionierte, wäre das zu transferierende Urteil (bzw. Urteilskomplex) zu ändern. Funktioniert eine Transferierung nach einigen Erfolgen nicht mehr, so w i r d dies, nach bisherigen Erfahrungen mit der Welt, statt an Änderungen der Möglichkeitsspielräume eher an nicht beachteten Randbedingungen, äquivalenten Ursachen oder Wirkungen u. ä. liegen. So hat etwa jemand das Urteil: ,wenn eine ruhende Kugel angestoßen wird, so rollt sie' als konnektive Äquivalenz aufgefaßt mit der Wahrheitstafel: a
b
a
b
1. 2. 3.
w w u
w u w
w u
4.
u
u
w
u
Dieses Verknüpfungsurteil w i r d eine Weile erfolgreich transferiert. Dann aber bemerkt der Urteilende, daß eine ruhende Kugel auch anfängt zu rollen, wenn ihre Unterlage angeschrägt w i r d . Hier war das transferierte konnektive Urteil, schon während der Transfer noch funktionierte, in seiner Behauptung des Möglichkeitsspielraumes potentiell unwahr. Die Transferierbarkeit für mögliche weitere Fälle kann unter Beibehaltung der Annahmen über die Transferbereiche durch verschiedene Änderungen des zu transferierenden Urteils reguliert werden (s. Abschnitt: 2.5). Bevor ein Urteil (oder Urteilskomplex) zur Transferierung genutzt wird, kann es erst Eignungstest, etwa Experimente, durchlaufen haben,
1. Gesetz
143
was das Auftreten unwahrer Transferierungsergebnisse m i t ihren Folgen verringern kann. Es ist auf die Möglichkeit hinzuweisen, daß Ursachen oder Ausgangszustände von Änderungen der Gegenstände eines Urteils, die das Urteil nicht mehr transferieren lassen, hinter Angaben, die die Transferierbarkeit eines Urteils auf bestimmte Zeiten oder audi Orte begrenzen, versteckt werden. Besteht etwa der Urteilskomplex: ,am Dienstag, dem 28. Oktober 1975, w i r d es i n Hamburg von 10 U h r bis 15 U h r regnen 4, so kann das Urteil: ,es regnet' transferiert werden, solange es am Dienstag, dem 28. Oktober 1975, in Hamburg zwischen 10 U h r und 15 U h r ist. Intuit i v würde ich hier das Urteil: ,es regnet' m i t den Orts- und Zeitangaben nur dann als Gesetz bezeichnen wollen, wenn angenommen würde, daß es für Beginn und Ende des Regens keine Ursachen gäbe, sondern die Welt nur plötzlich an diesem O r t zu diesen Zeiten so beschaffen wäre, oder wenn O r t und Zeit als Ursachen aufgefaßt würden. Uberprüfung auf Randbedingungen könnte solche Gesetzesannahmen widerlegen. W i r d hingegen angenommen, daß Beginn und Ende des Regens anderweitig bedingt sind, interessiert aber die Einbeziehung solcher Bedingungen nicht, durch die das Urteil zeitlich und örtlich in seiner Transferierbarkeit erweitert werden könnte, so möchte i d i ,es regnet' mit seinen Transferierung ermöglichenden Einstellungs- und Evidierungsangaben nicht als Gesetz bezeichnen. Der Urteilskomplex des Beispiels kann aber auch als transferierter, etwa prognostisch genutzter und mit Evidierungs- und Einstellungsbedingungen versehener Teil eines Gesetzes aufgefaßt werden, das ungefähr lauten könnte: „wenn bei bestimmter Windstärke eine so und so große Wolke an einem O r t bestimmter Größe ist, so w i r d es dort fünf Stunden regnen". Andere sogenannte „akzidentielle" Aussagen (Stegmüller 1969 I, T. 2, 299), um deren Unterscheidung von Gesetzen man sich i n der Literatur bemüht, sind i n den ihnen unterschobenen Transferannahmen zu widerlegen, so etwa das von Stegmüller (1969 I , T. 2, 313) aufgeführte Beispiel: „alle Gegenstände i n dieser Urne sind r o t " . Mißverstehe ich diesen Satz und meine, den Urteilskomplex: ,ein Gegenstand i n dieser Urne ist rot' stets transferieren zu können, so w i r d etwa durch ein Experiment, bei dem ich einen grünen Gegenstand in die Urne lege, meine Transferierbarkeitsannahme widerlegt.
144
IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
1.3 Vorschlag eines Gesetzesbegriffs I d i möchte vorschlagen, einen Urteilskomplex dann ein Gesetz zu nennen, wenn die folgenden Anforderungen erfüllt sind: 1. Der Urteilskomplex hat als Bestandteil ein einfaches Urteil oder ein konnektives Verknüpfungsurteil oder einen Urteilskomplex, also kein adjunktives Verknüpfungsurteil. 2. V o n diesen Urteilen oder Urteilskomplexen w i r d mittels eines weiteren Bestandteils des Gesetzes-Urteilskomplexes angenommen, daß sie transferiert werden können. Die Transferierbarkeit kann eingeschränkt oder uneingeschränkt behauptet werden. 3. Das zu transferierende Urteil, bzw. der zu transferierende Urteilskomplex und die Annahmen über deren Transferierbarkeit und die Bereiche der Transferierbarkeit werden reguliert, d. h. gegebenenfalls korrigiert. Gesetze sind also einmal hinsichtlich der Annahme des Transferierungsbereiches überprüfbar und zum anderen hinsichtlich der Gegenstände, auf die sie richtig gemäß etwaigen Evidierungs- und Einstellungsbedingungen bezogen werden können (abgesehen von Überprüfungsmöglichkeiten durch Inbeziehungsetzen zu anderen Urteilen). Weiter zu untersuchen wären etwa mögliche Regulationen von Gesetzen und deren Evidierungs- und Einstellungsbedingungen auch i m Zusammenhang mit dem Problem der Einbeziehung von Randbedingungen. Der hier vorgeschlagene Gesetzesbegriff umfaßt wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Gesetze. Wissenschaftliche Gesetze werden vermutlich eher planmäßig und systematisch hergestellt und überprüft und tendieren unter den jetzigen Bedingungen der Welt stärker zu unbeschränkten Transferbereichsannahmen. Hinweisen möchte ich hier nur darauf, daß verschiedene Gesetzesprozesse wie Herstellung und Annahme des Gesetzes, Uberprüfung, Transferverwendung und Regulation in einem geistigen System vorkommen können oder aber auf verschiedene miteinander kommunizierende Systeme verteilt sind. Letzterer Fall ist interessant für Sozio-Logik und Wissenschaftsforschung. Die hier vorgeschlagene pragmatische Gesetzesbestimmung hat zur Folge, daß ein Urteilskomplex für ein geistiges System oder für mehrere ein Gesetz sein kann, für andere geistige Systeme aber nicht. Auch kann ein Urteilskomplex für bestimmte geistige Systeme zu bestimmten Zeiten ein Gesetz sein, zu anderen aber nicht.
1. Gesetz
145
Für eine Pragmatisierung des Gesetzesbegriffs sprach sich etwa auch F. ν . Kutschera (1972 I I , 341 f.) aus, wie auch N. Rescher, der meinte: „Lawfulness is not a matter of what the generalizations says but a matter of how i t is to be used" (1969, 185), damit allerdings eine falsche Alternative stellt. Stegmüller (1969 I , T . 2, 312) scheint einen pragmatischen Gesetzesbegriff nicht akzeptabel zu finden. Er sucht nach einem „objektiven K r i t e r i u m " (1969 I , T . 2, 312) und fragt, worin „die rechtmäßige Verwendung für Voraussagezwecke bestehen soll" (1969 I , T. 2, 313). Dieses war nun gerade das Problem von D. Hume (1964, 44). Nach Humes Untersuchungen ist es nicht zu begründen, „vergangener Erfahrung zu vertrauen und sie zum Maßstab unserer künftigen Urteile zu nehmen" (1964, 46), bei Begründungsversuchen würde man sich „ i m Kreise drehen" (1964, 46). Ρ. Krausser (1963, 451) geht von diesem Humeschen Ergebnis aus, nur gibt er dem Begründungszirkel ein „positives Ansehen". „Es handelt sich nun auf einmal nicht mehr um einen sterilen, i n sich verschlossenen Kreis. Jetzt ist er vielmehr ein B i l d der Kreisstruktur des offenen, sich-selbst-regulierenden, m i t der Zeit verlaufenden, realen Forschungsprozes-
ses" (P. Krausser 1963, 467). Folgt man dem Ergebnis Humes und seiner Weiterentwicklung durch Krausser, die dann zur empirischen Analyse von Forschungsprozessen führt (s. etwa: Krausser 1971; 1971 b; 1973) — und ich finde beide i m Grundzug akzeptabel — so erscheint die Suche Stegmüllers nach Kriterien für „rechtmäßige Verwendung für Voraussagezwecke" (1969 I , T. 2, 313) jenseits von Überlegungen zu Strukturen von Gesetzen bzw. gesetzesartigen Urteilen oder Aussagen als illusorisch. Stegmüller knüpfte mit seiner Problemstellung explizit an N. Goodman an. Goodman erfand „das neue Rätsel der Induktion, das in weiterem Sinne das Problem der Unterscheidung zwischen fortsetzbaren und nicht fortsetzbaren Hypothesen ist" (1975, 109). Goodman exemplifizierte dieses Problem an von ihm ersonnenen Kunstprädikaten, wie ζ. B. „ g r o t " , die nicht fortsetzbar seien (1975, 104). Das Prädikat „ g r o t " „trifft auf alle Gegenstände zu, die vor dem Zeitpunkt t untersucht w u r den, wenn sie grün sind, aber auf andere Gegenstände dann, wenn sie rot sind" (1975, 98). Goodmans Problemstellung hatte eine ausgiebige, immer noch andauernde Diskussion zur Folge (s. etwa: Kutschera 19721, Lenzen 1974). Es gibt mehrere Strategien, um m i t dem „Rätsel" fertig zu werden: Zum einen, man akzeptiert Goodmans Problemstellung und sucht nach Kriterien, mit denen sich Goodmans Prädikate als nicht-fortsetzbare 10
Gutzmann
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IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
aussondern lassen. Dieser Mühe unterziehen sich die meisten Autoren dieser Diskussion, um sich dann vorhalten lassen zu müssen, „keiner dieser Ansätze konnte aber einer kritischen Überprüfung standhalten" (Lenzen 1974, 193 ff.). Z u m anderen aber w i r d in einigen neueren A r beiten die gesamte Problemstellung des „neuen Rätsels der Induktion" zurückgewiesen. So stellte P. Kr ausser (1979) fest, daß zwischen Goodmans zunächst provisorischer Formulierung der Fortsetzungsregel und der Definition von „grot" (bzw. auf englisch „grue") ein Widerspruch besteht, der von vornherein solcherart definierte Prädikate als zur Induktion nicht geeignet erscheinen läßt. Die Fortsetzungsregel (Rule of Projection [ R P ] ) , auf die sich Kr ausser bezieht, besagt, „daß innerhalb gewisser Grenzen etwas, das für den engeren Gegenstandsbereich der Datenaussagen gilt, für den gesamten Gegenstandsbereich bestätigt w i r d " (Goodman 1975, 96). Warum nun läßt die Definition von „grue" gar keine Fortsetzung von „grue" gemäß der RP zu? „Simply, because w i t h respect to grue: for any k i n d of things to be what they have been found to be is — b y the definition of grue — restricted to examined things, whereas according to the R P i t should be generalized to all the things of the k i n d and thus to all the unexamined things of the ,universe of discourse'. The definition of grue explicitely says: only the things that ai) have been examined themselves
and a2) have been found green or bi) have not been examined
and b2) are blue are grue. This definition does not permit a generalization i n accord w i t h the R P which w o u l d be a generalization saying that also all the nonexamined things are (or rather: have been, are, and w i l l be) what the examined ones have been found to be." (P. Krausser 1979, 248).
Ähnlich, aber weniger zugespitzt und ohne Bezugnahme darauf, daß der Widerspruch ja bei Goodman selber ausgemacht werden kann, argumentiert auch H. Hoppe (1975, 10), „daß durch die Zulassung Goodman'scher Prädikate, und zwar gerade dadurch, daß sie durch Bezugnahme auf diesen ausgezeichneten Zeitpunkt definiert sind, eigentlich alle Induktion selber aufgehoben w i r d " .
1. Gesetz
147
Eine andere Strategie der Zurückweisung der Paradoxie hat F. Jackson (1975) eingeschlagen. Er gelangte zu der Auffassung: „certain Fs being G supporting other Fs being G does not lead to incompatible predictions when combined w i t h ,grue c and like predicates" (130). Dies scheint zunächst in Widerspruch zu der mir sehr einleuchtenden Argumentation von Krausser zu stehen. Dieser Widerspruch ist aber nur scheinbar, denn Jackson interpretiert die Definition von „grue" anders als Krausser; und zwar behandelt Jackson — neben noch zwei anderen, aber nur beiläufig erwogenen Deutungen, die „grue" ebenfalls fortsetzen lassen — , die Uberprüfung von Hypothesen als eine Bedingung, die deren Gegenstand beeinflußt, so wie es i n der Mikrophysik tatsächlich angenommen wird. Dann sind die Smaragde in dem Goodmansc hen Beispiel zwar nicht grue — diese Annahme läßt sich eben widerlegen — , aber „grue" ist damit doch prinzipiell fortsetzbar, sofern es Objekte gibt, die sich unter dem Einfluß der Untersuchung von grün zu blau färben. Dies erscheint mir plausibel, nur halte ich es für fraglich, ob diese Deutung von „grue" das von Goodman Gemeinte trifft. Goodman ging doch davon aus, daß gleiche Beobachtungen zu zwei widersprüchlichen Koexistenzgesetzen führen können. Der Widerspruch verschwindet in der Tat, wenn die unterschiedlich angenommenen Befunde auf unterschiedliche Randbedingungen (untersucht/nicht untersucht) zurückgeführt werden. N u r hat Goodman dies wohl nicht gemeint, denn er unterstellte, daß ein nach t untersuchter Smaragd, wenn er grot ist, w i r k lich für rot befunden werden müßte, d. h. vor t untersuchte Smaragde müßten grün, nach t untersuchte rot sein (99). Auch Κ . Eichners (1975) Zurückweisung der Paradoxie trifft nicht das von Goodman Gemeinte. Er geht davon aus, daß, wenn ein Smaragd grot ist, dies besagt, daß er immer nur für grün befunden werden kann, da t auf den jeweiligen Zeitpunkt der Untersuchung relativiert ist, so daß eine Fortsetzung von „grün" sowohl als auch von „ g r o t " sachlich miteinander verträglich sind. 1.4 Gesetze der Aussagenlogik Ich bin schon i m ersten Kapitel (3.2.4.1) auf verschiedene Konzeptionen aussagenlogischer Gesetze eingegangen. H i e r geht es mir darum, das Problem aussagenlogischer Gesetze mit H i l f e des bisher über Urteilsverknüpfungen und Gesetze Herausgefundenen zu erörtern. Als logische Gesetze werden i n der Aussagenlogik tautologische Aussageverknüpfungen, die nur wahr sein können, angesehen. Diese sind von dem hier entwickelten Ansatz aus einmal als iterierte Verknüpfungen zu deuten, deren letztes Wahrheitsergebnis bei jedem der möglichen 10*
1 4 8 I V . Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
Gegenstandsbezüge von Bestandteilsaussagen bei Evidenz stets nur wahr sein kann. Eine Gegenstandsverbindung der Bestandteilsurteile muß vorliegen oder vorgelegen haben, sonst kann es gar nicht zu Verknüpfungen von Wahrheitsergebnissen der Bestandteilsurteile kommen, die zu den Wahrheitsergebnissen der Tautologie führen. Diese Deutung dürfte der Quineschen Substitutionstheorie der logischen Wahrheit am nächsten stehen. Die dispositionelle Auffassung logischer Wahrheit, nach der ein logisches Gesetz schon ohne Gegenstandsverbindung wahr ist, ist hiernach unzutreffend. Sie scheint mir Wahrheit und Wissen von der Wahrheit zu verwechseln, denn bei den von ihr als logisch wahr angenommenen Tautologien kann allerdings, noch bevor evidiert wurde, vorausgesehen werden, daß sie bei Evidenz stets nur wahr sein werden. Ich möchte bei diesen Urteilsverknüpfungen mit tautologischen Ergebnissen nicht von logischen Gesetzen sprechen, denn sie haben Logisches nicht zum Gegenstand. Ein Gesetz gehört nur der Logik an, wenn es Logisches als Gegenstand hat. Viele Gesetze der Aussagenlogik lassen sich aber als reflexive konnektive Gesetze umdeuten (s. auch Reichertbach 1966, § 9). Als Beispiel für eine reflexiv-konnektive Umdeutung eines herkömmlichen aussagenlogischen Gesetzes wähle ich die bei Bochenski/Menne (1965, 37) unter dem Titel: „Gesetze der Äuquivalenz" angegebene Zerlegung der Äquivalenz. Ich nutze nur andere, bisher schon für Ä q u i valenz, Implikation und Konjunktion verwendete Zeichen. Zerlegung der Äquivalenz: (Ρ ~
q)
[(p->q)A(q-»p)l·
Als konnektives Gesetz über Logisches wäre dieses Gesetz der traditionellen Aussagenlogik etwa wie folgt umzudeuten: Besteht zwischen zwei Aussagen eine adjunktive Äquivalenzschaltung und bestehen zwischen Aussagen, die diesen beiden gleich sind oder m i t ihnen identisch sind und die auf dieselben (identischen) Gegenstände bezogen sind, einmal eine adjunktive implikative Schaltung und zum anderen eine adjunktive implikative Schaltung bei vertauschter Position der beiden Aussagen, und besteht zwischen diesen beiden Implikationen eine adjunktive konjunktive Schaltung, so sind die Wahrheitsergebnisse der adjunktiven Äquivalenz und der adjunktiven Konjunktion stets gleich. Abkürzen ließe sich dieses Gesetz etwa durch: '(ρ ~
q)c
~'[(p-*q)A(q-*p)]'·
Die Anführungszeichen sollen hier bedeuten, daß es sich um reflexive positive Urteile handelt, die die jeweiligen von ihnen angegebenen Ver-
1. Gesetz
149
knüpfungsaussagen zum Gegenstand haben. Das „ ^ " soll bedeuten, daß es sich um eine konnektive Äquivalenz handelt (das Zeichen für Konnektivität entnehme ich Reichenbach 1966, 41). U m ein solches Gesetz über die Beziehungen von Wahrheitsergebnissen von Verknüpfungsurteilen von Gesetzen über das Bestehen von Verknüpfungsurteilen unterscheiden zu können, wäre allerdings eine genauere Abkürzung des Gesetzes wünschenswert. Wichtig ist, daß der Gegenstandsbezug der Verknüpfungsurteile, die Gegenstand des Gesetzes sind, berücksichtigt wird. I n der Aussagenlogik w i r d dieser zu wenig beachtet. Dabei stimmen die Gesetze auch bei der üblichen aussagenlogischen Deutung nicht, wenn man nicht den in den Formeln auftretenden gleichen Buchstaben Aussagen zuordnet, die gleichzeitig denselben Gegenstand haben. G. H. v. Wright (1963, 23) hat darauf hingewiesen (vgl. Kap. I I I , 3.2.3.1). Die gesetzmäßige konnektive Beziehung zwischen den Wahrheitsergebnissen adjunktiver Verknüpfungsurteile beruht (u. a.) darauf, daß i n den Verknüpfungsurteilen, zwischen deren Wahrheitsergebnissen die Gesetzmäßigkeit besteht, einfache Bestandteilsurteile wiederkehren, die in ihren Wahrheitsergebnissen vom selben Gegenstand abhängig sind. Diese Abhängigkeit vom Gegenstand wäre in logischen Gesetzen explizit zu berücksichtigen. Sowohl Weiterverknüpfungen wie auch reflexive Gesetze unterscheiden sich bei konnektiven Urteilen zumindest teilweise von denen adjunktiver Urteile. Auch konnektive Verknüpfungsurteile lassen sich konnektiv (und adjunktiv) weiterverknüpfen. V o m intentionalen Modell ( M V I I , V I I I ) her wäre es konstruktiv möglich, einmal die Wahrheitszwischenergebnisse der Zeilen konnektiver Urteile konnektiv weiterzu verknüpf en. Damit wäre allerdings die Konnektivität der weiterverknüpften Urteile unterlaufen. Diese A r t der Weiterverknüpfung ist möglicherweise zur Erfassung von Kausalketten brauchbar (s. 2.5.1). Sodann können auch die nach Uberprüfung aller Zeiten entstehenden Wahrheitsendergebnisse konnektiver Urteile konnektiv weiterverknüpft werden. Dies könnte Urteile über Möglichkeitsspielräume von Möglichkeitsspielräumen von Möglichkeitsspielräumen usw. ergeben. Adjunktive Tautologien lassen sich nicht generell bei Ersetzung aller adjunktiven durch konnektive Schaltungen als wahre konnektive Verknüpfungsurteile umdeuten. Dies scheitert etwa bei der Zerlegung der Äquivalenz daran, daß nicht zugleich zwischen den durch „ p " und „ q "
150
IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
bezeichneten Etwassen ein implikativer, ein umgekehrt implikativer und gar noch ein äquivalenter Möglichkeitsspielraum bestehen kann. Eine konnektive Konjunktion zwischen Implikation und umgekehrter I m p l i kation der durch „ p " und „ q " ausgedrückten Urteile wäre, gleichbleibende Möglichkeitsspielräume der Welt und gleichbleibende Randbedingungen unterstellt, stets unwahr. Damit wäre auch eine konnektive Äquivalenz, bestehend aus der konnektiven Konjunktion der beiden I m p l i kationen und der Äquivalenz, unwahr, denn ihre erste Zeile könnte nicht wahr sein. Ob hier etwa durch Einführung von Zeitangaben zu brauchbaren konnektiven Weiterverknüpfungen zu kommen ist, etwa zu zumindest konstruktiv interessanten Urteilen über Wechsel von Möglichkeitsspielräumen der Welt, wäre zu untersuchen. Weiter zu erforschen wären etwa auch: Beziehungen zwischen adjunktiven und konnektiven Urteilen, Verknüpfungsurteile, die aus adjunktiven und konnektiven Urteilen bestehen, und welche konnektiven Weiterverknüpfungen bewahrheitbar sind. Auch bei kalkülistischem Interesse dürfte sich hier ein weites Arbeitsfeld eröffnen. Die eben erwogenen konnektiven Weiterverknüpfungen können ebensowenig wie die Tautologien aus adjunktiven Aussageverknüpfungen logische Gesetze sein. Gesetze einer Logik konnektiver Urteile ergeben sich erst bei Reflexion etwa auf Beziehungen zwischen Wahrheitsergebnissen konnektiver Verknüpfungsurteile. Solche Gesetze können einmal die Wahrheitszwischenergebnisse der Zeilen konnektiver Urteile betreffen oder aber das Wahrheitsendergebnis, das aus der Verknüpfung der Wahrheitsergebnissse der Zeilen hervorgegangen ist. Geht man von den Wahrheitsendergebnissen aus, so können nicht verschiedene konnektive Urteile mit gleichen Bestandteilsurteilen, die zugleich auf dieselben Gegenstände bezogen sind, wahr sein. N u r eine oder keine der konnektiven Verknüpfungen kann unter diesen Umständen wahr sein, denn entweder besteht ein bestimmter Möglichkeitsspielraum zwischen Etwassen oder er besteht nicht; zwei verschiedene Möglichkeitsspielräume zwischen denselben Etwassen zu gleicher Zeit kann es nicht geben. So ergibt sich beispielsweise statt des folgenden reflexiv umgedeuteten Gesetzes der adjunktiven Aussagenlogik (s. etwa, bei anderer Zeichenwahl, Carnap 1960, 27): c (p q) c - - ^ ' ( p - * q ) c f ü r die entsprechenden konnektiven U r teilsverknüpfungen ein konnektives Exklusions-Gesetz: '(p q) f ì c q) . Die Exklusion hat die Wahrheitstafel:
151
1. Gesetz a
b
1.
w
w
2.
w u u
u w u
3. 4.
u w w w
Auch Gesetzmäßigkeiten zwischen konnektiven Urteilen und ihren Wahrheitsergebnissen wären weiter zu erforschen. Bei den Gesetzen der Logik der Urteilsverknüpfungen ist, wie bei allen anderen Gesetzen audi, I r r t u m möglich. Auch für sie bestehen nicht sicherbare Transferierungsannahmen. Sie haben ebenso wie andere Gesetze Gegenstände, nämlich etwa Beziehungen zwischen Urteilen, deren Gegenständen und Wahrheitsergebnissen, auf die sie bezogen sind. Sie sind empirisch. 1.5 Hinweis auf H. Reichenbach Zum Schluß dieses Abschnitts über Gesetze möchte ich darauf hinweisen, daß, sollte sich die Ansicht verbreiten, daß die Konnektivitätskonzeption für die Logik und das Gesetzesproblem fruchtbar ist, eine k r i t i sche Auseinandersetzung mit dem allerdings recht schwierigen Buch Retchenbachs hierzu: „Nomological Statements and Admissible Operations" und m i t seinen früheren Ausführungen in: „Elements of Symbolic Logic" erfolgen sollte (beide Schriften werden in Kürze auf deutsch i m Rahmen der Herausgabe von Reichenbachs Gesamtwerk erscheinen). Reichenbach ging, anders als es hier versucht wurde, für die Logik von einer nominalistischen Position aus (1966, 15, 279 f.). Er behandelt nur Sprache und kommt nicht zu Modellen geistiger Verarbeitungen. I n seinem Buch: „Experience and Prediction" (1970, 32, 36) nahm er zwar gedankliche, nicht-sprachliche Prozesse an und versuchte auch, diese mittels Analogie zu technischen Vorgängen zu modellieren (1970, 282 - 293), für die Logik konnektiver Aussagen w i r d dies jedoch nicht genutzt. Die größtenteils sehr kritischen Besprechungen von „ E l e m e n t s . . . " und „Nomological Statements..." mögen dazu beigetragen haben, daß die Reicbenbachsdie Konzeption der Konnektivität nicht aufgegriffen und weiter diskutiert wurde. M i r sind, wie schon erwähnt, nur zwei Aufsätze bekannt, die sich um eine Wiederbelebung der Diskussion der Reichenbachschen Gesetzeskonzeption bemühen, die Arbeiten von Ε. Κ . Jobe (1967) und Η. A. Lauter (1970) und dazu das Vorwort, das W. C. Salmon, ein Schüler Reichenbachs, für die Neuauflage von „Nomological Statements..." verfaßt hat, die 1976 unter dem Titel
1 5 2 I V . Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
„Laws, Modalities and Counterf actuals" erschien. Die K r i t i k von Quine (1948) an den „ E l e m e n t s . . . " war so feindselig, daß Reichenbach darauf erwiderte: „The review is written i n a tone which, ordinarily, would preclude a reply" (1948, 464). Die Konnektivitätskonzeption und ihre Verwendung zur Charakterisierung von Gesetzen überging Quine. Statt dessen entrüstete er sich über „lapses of rigor" (1948, 162), worauf Reichenbach sarkastisch entgegnete: „The catastrophe is averted by the addition of a circumflex" (1948, 465). Andere Kritiker, G. Ζλ Berry (1949, 52) und C. G. Hempel (1955, 52), haben von einer objektivistischen Wahrheits- und Gesetzesauffassung aus bemängelt, Reichenbach „replaces the customary concept of law as a true statement by an historic-pargmatic one" (Hempel 1955, 52). M i r geht Reichenbachs Pragmatismus nicht weit genug: Vertrat er auch etwa i n dem Aufsatz: „Der physikalische Wahrheitsbegriff" (1931, 161) anscheinend eine verifikationistische Wahrheitsauffassung, so versuchte er in „Nomological Statements..." der K r i t i k Berries explizit Rechnung zu tragen: „ I t has been argued ( . . . ) that there may be laws of nature which w i l l never be discovered by human beings. I n the present investigation I shall show that the latter statement, indeed, can be given a meaning, and that we can define a term verifiably true i n the wider sense which covers this meaning."
( H. Reichenbach 1954, 12; s. auch: S. 85). Hempel (1955, 52) w a r f Reichenbach trotzdem Pragmatismus vor. Jobe (1967, 374 f.) hingegen interpretierte Reichenbach objektivistisch. 2. Kausalität 2Λ Zur Möglichkeit
einer formalen Charakterisierung
Verschiedene Arten von Gesetzen werden in der Literatur unterschieden, hinsichtlich ihrer Gegenstände etwa: Kausalgesetze, Koexistenzgesetze und Sukzessionsgesetze (so etwa: Hempel 1965, 348, 352; s. auch die differenzierteren Bestimmungen bei: M. Bunge 1963, Kap. 10). Sind solche verschiedenen Gegenstände von Gesetzen mittels des hier entwickelten Ansatzes einer intentionalen Logik formal charakterisierbar und damit audi unterscheidbar? Die M i t t e l formaler Charakterisierungen lassen sich etwa klassifizieren nach: Materialien, Strukturen und Prozessen. Materialien zur formalen Charakterisierung sind die Formzustände: positiv, negativ und eventuell unbestimmt, dazu Inhalte und Gegen-
2. Kausalität
153
stände, soweit sie nicht spezifiziert sind, sondern nur Etwasse i m Kontext von Formen sind. Auch Intentionsgegenstände, die selbst Formen sind, und Intentionsinhalte, die zu Inhalten transponierte Formen sind, wie etwa ,Wahrheit", ,Negation', gehören dazu. I n je spezifischen Strukturen, jeweils nach Modalitäten noch einmal verschieden, stehen etwa einfache Urteile, Urteilsverknüpfungen und Urteilskomplexe wie auch entsprechende Sinngebilde und Komplexe aus Urteil und Sinn. Prozesse können in Änderungen dieser Strukturen bestehen, etwa i n der Abfolge der zu den verschiedenen Modalitäten gehörenden Strukturen von Möglichkeits- zu Evidenz- und Perfektionsstrukturen. Aber auch an Zustandsänderungen von Strukturgliedern ist zu denken, wie etwa das korrigierende Negieren der Urteilsform, das dann auch zur Änderung des Wahrheitsergebnisses führt. Werden zur hinreichenden Bestimmung von Etwassen Angaben über Strukturen und Prozesse benutzt, deren Glieder geistige Formen, nichtspezifizierte Gegenstände oder Inhalte oder formale Gegenstände oder Inhalte sind, so möchte ich von reflektierter empirischer Formenanalyse sprechen. Werden zur hinreichenden Bestimmung von Etwassen auch I n halte benutzt, die als Synthese geistiger, formaler Strukturen oder Prozesse zwar analysierbar, aber gegebenenfalls noch nicht so analysiert sind (wie vielleicht: ,Änderung 4 oder ,Kausalität"), so möchte ich dies empirische Formenanalyse nennen (s. auch: Kap. I I , 3.1). Sind nun etwa und gegebenenfalls wie sind Kausalität, Koexistenz, Sukzession und anderes mehr reflektiert formenanalytisch zu charakterisieren? Ich möchte mich hier auf das Kausalitätsproblem beschränken. Formale, logische Bestimmungsversuche von Kausalität, etwa durch Angabe der Form von Kausalaussagen, werden i n der Literatur oft formalistisch aufgefaßt, d. h. sie werden nicht als Lösungen des Kausalproblems angesehen. So schrieb M. Bunge: „The causal problem is an ontological, not a logical, question, for i t is supposed to refer to a trait of reality, and consequently cannot be settled a p r i o r i b y purely logical means; i t can be analyzed w i t h the help of logic, but cannot be reduced to logical terms." (M. Bunge 1959, 239).
Auch etwa D. Davidson (1967, 702) und G. P. Henderson (1954, 517) trennen das Problem einer Analyse von Kausalität von dem Problem der Analyse der logischen Form kausaler Aussagen. Ich vermute demgegenüber, daß Kausalität gerade reflektiert empirisch formenanalytisch, durch Angabe der geistigen intentionalen Verarbeitungsformen, die Kausalbeziehungen erkennen lassen, charakterisiert werden kann. Ich suche diese Auffassung i m folgenden plausibel zu machen.
154
IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
Ich nehme an und gehe hier davon aus, daß Kausalität objektiv, möglichen Gegenständen, zugerechnet werden kann. Lebewesen haben verschiedene A r t e n der Erfassung v o n Kausalität ausgebildet. Z w e i Arten erwähnt K. Lorenz: „ D i e außersubjektive Realität, die der Physiker m i t dem Satz von der Erhaltung der Energie zu erfassen trachtet, ist zweifellos dieselbe, die sich in der Anpassungsform von mindestens zwei verschiedenen kognitiven Apparaten widerspiegelt, erstens in der hier in Rede stehenden Fähigkeit zum Ausbilden bedingter Reaktionen, ja überhaupt schon zum Bilden von Assoziationen, zweitens aber in der menschlichen Denkform der Kausalität." (K. Lorenz 1973, 138).
/. Piaget unterschied für den Menschen weitere vier A r t e n kausaler Erfassung, die Stadien ontogenetischer und denkgeschichtlicher Entwicklung der Menschen ausmachten (1973 b, 272). Die Entwicklung besteht nach Piaget i n einem „doppelten Befreiungsprozeß v o m Ich u n d v o n der Erscheinung der D i n g e " (1973 b, 270). Zunächst würde Kausalität nur m i t den eigenen Handlungen verbunden, erst nach einem Entwicklungsprozeß über Zwischenstufen würde sie Objekten zugerechnet (1973 b, 270 f.; s. auch: Piaget/ Inbelder 1973,26 ff.). Definitionen von Kausalität m i t H i l f e des Handlungsbegriffes (Wright 1974, 76; £ . Hisel 1927, 281) könnte man hiernach als Regression auffassen. Solche Befunde verschiedener A r t e n der Erfassung von Kausalität legen die Annahme nahe, daß sich der Inhalt ,Kausalität' nicht allein durch sensorische Eindrücke bildet wie vielleicht der Inhalt ,rot c , daß er auch „eine K o n s t r u k t i o n der Intelligenz ist" (R. Oerter 1973, 360). Auch die Fülle verschiedener i n der Literatur vertretener Kausalbegriffe scheint m i r diese These zu stützen. Verschiedene Vorgehensweisen bei der Bestimmung des Kausalbegriffs lassen sich unterscheiden. Einmal kann versucht werden, als kausal aufgewiesene Gegenstände zu analysieren. A u f dieser Ebene liegen etwa Feststellungen derart, daß es Ereignisse sind, die i n Kausalbeziehung stehen, dabei einander zeitlich abfolgen usw. / . Kim (1973, 221) spricht hier v o n direktem Ansatz. Sodann kann, indirekt ansetzend, versucht werden, die Erfassung v o n Kausalität zu kennzeichnen. A u f dieser Ebene liegt etwa die Äußerung Humes, daß es sich bei der Kausalvorstellung u m „eine gewohnheitsmäßige Verknüpfung i m Denken oder der Einbildung zwischen einem Gegenstand und seiner üblichen Begleitung" handelt (1964, 95). N i m m t man an, daß die Erfassung v o n Kausalität der Entwicklung unterliegt, sei sie phylogenetisch, ontogenetisch oder gesellschaftlich, so
2. Kausalität
155
gibt es nicht nur die Möglichkeit, auf bestehende Erfassungen von Kausalität zu reflektieren, sondern man kann auch eine Verbesserung der Erfassung versuchen, kontrolliert am kausalen Gegenstand und m i t H i l f e einer Theorie der Struktur- und Prozeßmöglichkeiten des Erfassungssystems. Unterschiede der Kausalbegriffe über diese verschiedenen Herangehensweisen hinaus (deren Ergebnisse miteinander vereinbar sein können) können dadurch bedingt sein, daß schon die intuitiv als kausal aufgewiesenen Gegenstände, bedingt durch unterschiedliche Intuitionen, verschieden sind. Dies w i r d zu unterschiedlichen Ergebnissen direkter Analysen führen, und audi indirekte Analysen dürften zu verschiedenen Ergebnissen kommen, wenn die Gegenstände der von ihnen zu untersuchenden geistigen Verarbeitungen sich relevant voneinander unterscheiden. Weiter können sich Kausalbegriffe, direkte oder indirekte, deshalb voneinander unterscheiden, weil es bei zwar gleichen kausalen Gegenstandsbereichen zu unterschiedlichen geistigen Verarbeitungen kommt. Sodann können zwei indirekte Kausalbegriffe verschieden sein, wenn zwar kausale Gegenstände und geistige Verarbeitungen gleich sind, die Ergebnisse der Reflexion auf diese geistigen Verarbeitungen sich aber unterscheiden. Das W o r t : „Kausalität" w i r d also möglicherweise Unterschiedliches bedeuten oder bezeichnen. Ist das Bezeichnete verschieden (oder ζ. T. verschieden), so sind die Kausalbegriffe nicht (oder nur ζ. T.) vergleichbar. M a n kann zwischen ihnen nicht entscheiden. Streit wäre da müßig. I n dieser Situation wäre es nutzlos, weitere Bedeutungen von „Kausalit ä t " , den eigenen Intuitionen gemäß, vorzuschlagen. Werden nun Kausalbeziehungen auch mit H i l f e geistiger Verarbeitungen erfaßt, so kann man bei direkter Charakterisierung nur eben diese Verarbeitungen intuitiv einsetzen. Bei indirektem Vorgehen kann man darüber hinaus zu einer Verbesserung der geistigen Verarbeitungen von Kausalität und damit einer angemesseneren Bestimmung gelangen. Dies hat zur Voraussetzung eine Theorie der Struktur- und Prozeßmöglichkeiten und der Materialien des geistigen Systems. Die intuitiven Kausalinhalte, mit deren H i l f e Kausales zwecks weiterer Untersuchung aufgewiesen w i r d und die den Ausgangspunkt direkter und indirekter Versuche zur Bestimmung von Kausalität bilden, sind nicht sehr präzis und können bei verschiedenen Erkenntnissystemen variieren. Deshalb kann es nicht darum gehen, einen möglichst angemessenen Kausalbegriff zu entwickeln, sondern es ist wohl von einer gewissen Variationsbreite unterschiedlicher Gegenstände auszugehen (so
156
IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
auch / . R. Kantor 1950 I I , 159), deren Unterschiede herauszuarbeiten wären auch durch Untersuchung verschiedener möglicher geistiger Verarbeitungsformen. Welche Gegenstände bei welchen geistigen Verarbeitungen man dann gerade kausal nennen w i l l , ist nur ein untergeordnetes Problem der Normierung des Sprachgebrauchs. Eine hinlängliche Berücksichtigung verschiedener möglicher Gegenstände und ihrer geistigen Verarbeitungen und eine anschließende N o r mierung des Sprachgebrauchs ist mir angesichts der Fülle der Probleme hier nicht möglich, auch angesichts des Standes einer empirischen Logik und Mathematik geistiger Verarbeitungsformen. Ich werde aber versuchen, einige Probleme und Möglichkeiten zur Bestimmung von Kausalität zusammenzustellen. Zuvor möchte ich noch kurz einen Eindruck der Vielfalt der in der Literatur vertretenen Kausalauffassungen geben, von der aus hier argumentiert wurde. 2.2 Verschiedene Auffassungen über Kausalität Was unter Kausalität zu verstehen ist, darüber besteht in der Literatur keine Einigkeit. Es w i r d für Kausalität Wiederholung gefordert (Regularitätstheorie) (D. Hume 1964, 93 ff.; Reichenbach 1968, 180) oder für unnötig gehalten (C. / . Ducasse 1969, 27). D . Davidson (1967, 701 f.) meint, beide Auffassungen verbunden zu haben. / . E. Heyde (1957, 133) nahm an, daß „ i n der Ursächlichkeit selbst ( . . . ) nicht das geringste von Wiederholung gegeben ist", Kausalität träte aber nur gekoppelt m i t Gesetzlichkeit auf. Als Gegenbewegung zur Regularitätstheorie scheinen sich kontrafaktische Ansätze zur Bestimmung von Kausalität zu verstehen, die nicht nur berücksichtigen wollen, was tatsächlich stattfindet, sondern auch andere Möglichkeiten, die statt dessen hätten stattfinden können. Diese Richtung vertritt etwa D. Lewis (1973 b) (zur K r i t i k des Lewissàien Ansatzes s.: B. Berofsky 1973 und / . Kim 1973 b). G. Frey (1964) konzipierte den Kausalbegriff als „inhaltliche Aussagefunktion", ähnlich versuchte es vor ihm A. W. Burks (1951) (zum Problem dieser „kausalen Modalitäten" s. auch: W. Stegmüller 1969 I , T. 3, 446-451). Andere Autoren versuchen Kausalität m i t H i l f e des H a n d lungsbegriffes zu bestimmen (G. H. ν . Wright 1974, 76; E. Hisel 1927, 281) oder m i t H i l f e des Funktionsbegriffes (£. Mach 1968, 278). Manche Autoren charakterisieren Kausalität durch spezifische Funktionen. M. Schlick (1970, 150 f.) nahm erfolgreiche Voraussage zum zusätzlichen Kriterium. E. Hisel (1927, 281, 285) meinte, daß, unter der Bedingung zeitlicher Abfolge, unabhängige und abhängige Variablen der Beeinflussung durch den Menschen unterschiedlich zugänglich seien.
2. Kausalität
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Manche Autoren fordern räumlich-zeitliche Kontiguität zwischen Ursache und Wirkung (D. Hume 1911 I , part I I I , sec. I I [ Z i t a t bei M. Bunge 1959, 58]), andere Autoren möchten dies offen lassen (. M. Bunge 1959, 86; T ê Κ . Oesterreich 1929). Zeitliche Abfolge zwischen Ursache und Wirkung w i r d als Kriterium der Kausalrelation angesehen (.H. Titze 1964, 165; £. Hisel 1927, 281; weitere Angaben bei Bunge 1959, 62 f.), oder aber die zeitliche Beziehung zwischen Ursache und Wirkung w i r d nicht in den Kausalbegriff aufgenommen (Bunge 1959, 63; G. H. v. WrigAî 1974, 76 f.). Wright (1974, 7 7 - 81) meinte sogar, daß die Ursache der Wirkung zeitlich nachfolgen könne. Auch die Erfassung von Kausalität w i r d verschieden beurteilt. Manche Autoren meinen, Kausalität sei wahrnehmbar (C. / . Ducasse 1969, 26; A. Michotte 1966), andere nahmen an, sie sei es nicht ( / . E. Hey de 1957, 123; / . Hessen 1928, 17; H. Titze 1964,164). Kausalität w i r d audi verschieden zugerechnet. Einige Autoren sprechen der Wirklichkeit Kausalität ab (Carnap 1966, 229 f.; H. Dingler 1955, 229; N. R. Hanson 1972, 64; / . König 1949, 29). Andere Autoren behaupten gerade, Kausalität sei eine Realrelation (M. Bunge 1959, 239; W. Burkamp 1922, 8; / . E. Heyde 1957,123). Auch die A r t der Glieder der Kausalrelation bei Wirklichkeitszurechnung von Kausalität ist umstritten. Bei manchen Autoren ist grob von Ereignissen die Rede, was Zustände oder Änderungen umgreift (D. Lewis 1973 b, 558; Wright 1974, 50 spricht gleichbedeutend von Zuständen). Für Z. Vendler (1967, 704) ist nur die Wirkung ein Ereignis („event"), die Ursache hingegen sei ein „fact" und „facts, i n addition to objects and events, form an independent category of our natural ontology". / . E. Heyde (1957, 128) bestimmt die Wirkung als „Veränderung". Die Ursache umfaßt für ihn „nicht nur jenen besonderen, am wirkenden Einzelwesen gegebenen Zustand ( . . . ) , sondern auch den mit ihm nämlich gleichzeitigen Zustand der Veränderung" (1957, 131). H. Korch (1965, 30) stimmt m i t Heyde sachlich überein, er rechnet aber den Ausgangszustand der Veränderung nicht wie Heyde zur Ursache. Ebenso verfährt H. E. Hengstenberg (1973, 239 f.). Unterschiedlich sind ebenfalls die Auffassungen über die Anzahl der Glieder der Kausalrelation und die Stellungnahme zum Bedingungsproblem. / . S. Mill (1973, 332) etwa sah als Ursache „the sum total of the conditions" an. H. Hörz (1962, 146) hingegen und nicht ganz deutlich H. Korch (1965, 127) fassen Kausalität als Relation zwischen zwei Etwassen auf und unterscheiden Ursache und Bedingung.
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IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
Auch die Relevanz des Kausalbegriffs für die Wissenschaft ist umstritten. M. Verworn (1918, 16) wollte ihn aufgeben zugunsten des Bedingungsbegriffs (der für Mill gerade den Ursachenbegriff bestimmen ließ). Für / . Petzoldt (1900, 55) waren die Begriffe von Ursache und Wirkung „ f ü r die genaue Ausdrucksweise der Wissenschaft unbrauchbar"; er ersetzte sie durch die Konzeption „der durchgängigen eindeutigen Bestimmtheit der N a t u r " , die eine „simultane" und eine „succedane" sei. H. Stachowiak (1957, 426) rechnete in einer seiner früheren Arbeiten den Kausalbegriff einer „inhaltlich-anschaulichen und an die Substanzvorstellung gebundenen Betrachtungsweise" zu, die zwar von unbestrittenem heuristischen Wert sei, jedoch in den Erkenntnisgebilden ausgereifterer Wissenschaften zugunsten der strukturellen und funktionalen Behandlungsweise überwunden werden sollte. T. Ziehen (1934, 62) meinte hingegen, „daß die Kausalgesetze keineswegs den Substanzbegriff voraussetzen müssen". B. Russell (1952, 208) hielt den Kausalbegriff für die Naturwissenschaften für irrelevant. Diese sei nur an funktionalen Beziehungen interessiert. Demgegenüber betonte P. Suppes (1970, 5) (Zitat nach Wright 1974, 43) eine häufige Verwendung des Kausalbegriffs „gerade in den fortgeschrittensten physikalischen Arbeiten". E. Nagel (1965, 12) meinte zwar, daß das Wort „Kausalität" in neueren naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen selten vorkäme. Der Gedanke der Kausalität durchdringe aber Laboratoriumsberichte und Interpretationen mathematischer Formalismen durch theoretische Physiker. Ebenso tauche der Kausalitätsgedanke in der Ökonomie, Sozialpsychologie und Geschichtswissenschaft auf. Weiterhin gibt es auch über den Anwendungsbereich des Kausalbegriffs verschiedene Auffassungen. Sind etwa geistige, psychische, soziale, historische und mikrophysikalische Gegenstandsbereiche durchgängig kausal? (Die kontroverse Problemlage i n der Mikrophysik ist dargestellt etwa bei: H. Bergmann 1929; T. Ziehen 1939, § 38. Verschiedene kontroverse Schriften über die Anwendbarkeit des Kausalbegriffs i n der Handlungstheorie, i m Schnittpunkt von Theorien über Geistiges und Soziales, dokumentiert: / . Ritsert (Hrsg.) 1975. Wright 1974 setzt sich mit verschiedenen Auffassungen des Kausalproblems in den Sozial- und Geschichtswissenschaften auseinander. Er verneint die Annahme durchgängiger Kausalität in diesen Bereichen, anders als etwa W. Wundt 1911,660). Die eigene Stellungnahme zu den in diesem Abschnitt aufgeführten Parametern zum Kausalproblem soll z. T . in den folgenden Abschnitten
2. Kausalität
159
erarbeitet werden. I d i konzentriere mich dort auf die Probleme der Charakterisierung der Kausalrelation und ihrer Glieder. Meine Stellungnahme zu anderen Parametern hingegen dient hierfür schon als Selektionsmittel. So geht meiner Problemstellung die Einschätzung voraus, daß Funktionsangaben keine Kausalangaben sind. Funktionsangaben scheinen mir die A r t der Beziehung zwischen Etwassen offen zu lassen. Sie ermöglichen, daß zu bestimmten bekannten Gliedern einer offen gelassenen Relation bestimmte andere Glieder ohne weitere Evidenz ermittelt werden können. Relations- und Funktionsgesetze ergänzen einander (s. auch die in diesem Zusammenhang interessante Konzeption von Gesetzen erster und zweiter Stufe bei: B. Juhos 1950, 81 f.). Die Physik scheint allerdings auf der Ebene der Darstellung ihrer Forschungsergebnisse einseitig Funktionsgesetze zu bevorzugen. Ich gehe auch davon aus, daß die Ursache der Wirkung nicht zeitlich nachfolgt. Beispiele G. H. v. Wrights (1974, 7 7 - 8 1 ) zugunsten einer rückwirkenden Verursachung überzeugen mich nicht. Was nicht ist, kann auch nicht wirken (s. zu diesem Thema etwa: L. T. BeauchampID. N. Robinson 1975; M. Black 1954/56; S. Waterlow 1974). Es scheint mir günstiger zu sein, keine bestimmte räumliche Beziehung zwischen den Gliedern der Kausalrelation i m Kausalbegriff festzulegen. Dadurch bindet man sich nicht an jeweils i n der Physik favorisierte Fern- oder Nahwirkungstheorien und beschränkt nicht möglicherweise den Anwendungsbereich des Kausalbegriffs. Ich nehme an, daß Kausalität objektiv, möglichen Gegenständen, zugeredinet werden kann. Inwieweit Kausalität wahrgenommen werden kann, möchte ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls können solche Wahrnehmungen geistig weiter verarbeitet werden (s. 2.1), darauf kommt es mir hier an. Ich vermute, daß solche Weiterverarbeitungen angemessen in konnektiven Urteilen bestehen können. Daraus ergibt sich für die Regularitätsfrage, daß Kausalität, die nur zu einer Zeit zwischen Etwassen besteht, zwar denkbar, aber nicht völlig überprüfbar ist i m Hinblick auf den angenommenen Möglichkeitsspielraum. Ich folge Heyde (1957, 133) darin, Kausalität begrifflich nicht an Gesetzlichkeit zu binden, ich vermute aber mit ihm, daß Kausalität nach bisheriger menschlicher Erfahrung mit Gesetzlichkeit gekoppelt auftritt, wenn auch Gesetzlichkeit mehr als Kausalität umfaßt.
160
IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
A u f welche Gegenstandsbereiche Kausalbegriffe anwendbar sind, scheint mir erst entscheidbar zu sein, wenn präzise und differenzierte Kausalbegriffe vorliegen und m i t ihnen Analyseversuche gemacht worden sind. Noch w i r d ja in der Literatur das alte Kausalproblem lebhaft diskutiert — wie man bei Durchsicht von philosophischen Zeitschriften der letzten Jahre feststellen kann — und es w i r d auch die Meinung geäußert, daß eine befriedigende Präzisierung des Kausalbegriffs nicht vorliege (/. Kim 1973, 236; W. Stegmüller 1970 I I , T . C, 301). I n diesem Stadium der Begriffsbildung und kausalwissenschaftlicher Analyseversuche schulenbildende Streitigkeiten über den Anwendungsbereich von Kausalbegriffen zu führen, erscheint mir verfrüht. W i r d dabei gar von verschiedenen intuitiven Kausalbegriffen ausgegangen (s. Κ . Achum 1974, 139), so ist man wieder auf Klärung und Diskussion von Kausalbegriffen verwiesen oder man redet nur aneinander vorbei. Die Relevanz von explizit m i t Kausalbegriffen arbeitenden Theorien ist noch schwer abzuschätzen. Ich vermute, daß durch präzise und differenziertere begriffliche M i t t e l zur Erfassung von Kausalität eine präzisere und differenziertere Analyse vieler Gegenstandsbereiche möglich w i r d und daß damit Systemtheorie und Kybernetik für verschiedene wissenschaftliche Bereiche noch fruchtbarer werden können. 2.3 Ansätze und Probleme einer formalen Charakterisierung von Kausalität Bestimmungsversuchen von Kausalität stellt sich einmal das Problem, die kausale Relation zu charakterisieren. Ich vermute, daß dies möglich ist m i t H i l f e bestimmter konnektiver Verknüpfungsurteile. Diese lassen aber vermutlich auch andere Beziehungen, etwa Koexistenz oder Sukzession, erfassen. Erst zusätzliche Angaben über mögliche Glieder der Kausalrelation, Ursache und Wirkung, sind vermutlich zur Charakterisierung von Kausalität hinreichend. 2.3.1 Mögliche Glieder der Kausalrelation Ich beginne m i t Erwägungen, was Glied einer Kausalrelation sein könnte. Dazu nutze ich das i n der Literatur viel verwendete Beispiel zweier Billardkugeln. Ich hoffe, daß es den an diesem Beispiel entwickelten Gedanken nicht schadet, daß ich keine Physikerin bin. Beispiel: Eine Billardkugel Κ 1 ist i n Ruhe. Eine andere Billardkugel Κ 2 bewegt sich i n Richtung auf Κ 1, berührt sie und nun ist Κ 1 i n Bewegung und Κ 2 i n Ruhe.
2. Kausalität
161
Welche Etwasse kommen in diesem Beispiel als Ursache und Wirkung in Betracht? M a n könnte an die beiden Kugeln denken. V o n meinem Vorverständnis von Kausalität ausgehend halte ich das nicht für brauchbar. I n ihrer Existenz sind die beiden Kugeln voneinander unabhängig. Jede kann sein ohne die andere. Sodann sind die erwähnten Eigenschaften (bzw. Relationen) der beiden Kugeln: Ruhe, Bewegung und Änderungen zwischen diesen als mögliche Glieder der Kausalrelation zu erwägen. A u f das Problem, daß diese Eigenschaften nur i m Kontext anderer Etwasse, wie Masse, Gestalt oder Elastizität, bestehen können, die auch Einfluß auf die A r t der Wirkung haben, möchte ich hier nur hinweisen (s. auch: 2.4). Die kombinatorisch möglichen Zurechnungen dieser Eigenschaften zu Ursache und Wirkung möchte ich durch eine Tafel verdeutlichen. Tafel 1: Darstellung kombinatorisch möglicher Ursache-Wirkungs-Konstellationen für das Billardkugelbeispiel ( s. Text). Κ 2 Ursache/Wirkung
K l Wirkung/Ursache
Bewegung Änderung Bewegung/Ruhe
Ruhe Ruhe
Änderung Ruhe/Bewegung Änderung Ruhe/Bewegung
Bewegung Bewegung
Ruhe
Ruhe
Änderung Ruhe/Bewegung
Bewegung
Die Abfolge von Eigenschaften (bzw. Relationen) derselben Kugel möchte ich in die Problematisierung der Zurechnung von Ursache und Wirkung nicht mit einbeziehen, wenn dies auch in der Literatur vorzukommen scheint. C. F. Weizsäcker (1971, 400) ist möglicherweise so zu interpretieren. Ich möchte hier von Sukzession sprechen. Ich versuche nun, unbrauchbare Kombinationen der Tafel herauszuselektieren. Gemäß meinem (und einem auch sonst verbreiteten) Vorverständnis nehme ich an, daß die Ursache nicht später als die Wirkung ist. Damit scheiden sechs der achtzehn möglichen Kombinationen aus. Zwei weitere Kombinationen: Ursache: Bewegung von Κ 2, Wirkung: Ruhe von Κ 1 und Ursache: Ruhe von Κ 1, Wirkung: Bewegung von Κ 2 können ausgeschlossen werden. Die hier als Ursache und Wirkung angenommenen Etwasse sind unabhängig voneinander. Jedes kann sein, ohne daß das andere ist. Vier weitere Kombinationen können mit H i l f e der folgenden Argumentation herausselektiert werden. I n der Situation des Kugelbeispiels kann zwar die Ruhe von Κ 2 nur sein, wenn zuvor Κ 1 in Ruhe war. Das liegt aber nur an der beispielspezifischen Vorgeschichte, liegt daran, daß Κ 2 sich vorher in Richtung auf die ruhende Κ 1 bewegt hat und mit ihr zusammenstieß. Sieht man von dieser Vor11
Gutzmann
162
IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
geschichte, die diese vier Kombinationen, anders als andere, nicht explizit angeben, ab, so kann etwa die Ruhe einer Kugel auch ohne die Ruhe einer anderen Kugel bestehen. Dieses Argument betrifft die Kombinationen: Tafel 2: Konstellationen
von Ursache und Wirkung
mit Hilfe des Vorgescbicbtsarguments
beim Kugelbeispiel,
die
aus den weiteren Erwägungen ausgeschal-
tet werden sollen. Ursache
Wirkung
Bewegung Κ 2 Ruhe Κ 2 Bewegung Κ 1
Bewegung Κ 1 Bewegung Κ 1 Ruhe Κ 2
Ruhe Κ 1
Ruhe Κ 2
Eine Diskussion der verbliebenen sechs Kombinationen von möglichen Gliedern der Kausalrelation hat eine Behandlung des Relationsproblems zur Voraussetzung. 2.3.2 Die Kausalrelation Die Schwierigkeiten, das Relationale an Kausalität zu erfassen, rühren wohl daher, daß außer ihren Gliedern (oder Teilen von diesen) ein besonderes Etwas: Relation nicht wahrgenommen w i r d . Auch H. Titze (1964, 190) meinte: „ D i e Schwierigkeit bei dem kausalen Vorgang bleibt bei aller sonstigen Klärung der Verhältnisse der Begriff der Verknüpfung". Daß ein besonderes Etwas: Relation nicht wahrgenommen w i r d , bestreitet übrigens auch C. / . Ducasse (1969, 8 f.) nicht, der ja annimmt, daß Kausalität wahrnehmbar ist. Für ihn besteht die Wahrnehmung der Kausalität in der Wahrnehmung der Glieder und ihrer Zeit- und Raumbeziehungen und in dem Wissen, daß sonst keine Änderungen i n der Umgebung vorkamen (1969, 4, 9). Es gibt verschiedene Strategien der Behandlung des Problems der Kausalrelation. Einmal w i r d die Relation gar nicht bestimmt, sondern nur ihre Glieder. Dazu werden andere Beziehungen zwischen den Gliedern zur Bestimmung von Kausalität herangezogen: etwa die Zeitbeziehung, räumliche Nähe oder regelmäßiges gemeinsames Auftreten. Die Relation kann auch metaphorisch umschrieben werden. Ein Beispiel hierfür scheint mir die Bestimmung / . Hessens (1962, 121) zu sein: „ D i e Relation selbst ist das Wirken". Metaphorisch sind auch kalkülistische Behandlungen des Kausalproblems, die sich i n der Einführung eines neuen Zeichens, etwa für kausale Implikation, und Manipulationsregeln hierfür erschöpfen.
2. Kausalität
163
Auch geistige Vorgänge oder mögliche geistige Operationen werden zum Kriterium von Kausalität genommen. Beispiel hierfür ist etwa M. Schlicks (1970, 151) Angabe: „Das Kriterium der Kausalität ist erfolgreiche Voraussage." Auch Humes (1964, 93) „Definition der U r sache" als „einen Gegenstand, dem ein anderer folgt, und dessen Erscheinung stets das Denken zu jenem andern führt" gehört teilweise hierher. Hume (1964, 93) meinte, es ließe sich „eine vollkommenere Definition nicht erreichen, die jenen Umstand in der Ursache aufzeigte, der ihr eine Verknüpfung mit ihrer Wirkung gibt". Hume fand, daß, wenn man nur einen einzigen Vorgang untersucht, man nichts Kausales entdecken könne. M a n müsse mehrere gleichartige Vorgänge heranziehen. Hume und gleich ihm viele andere Autoren konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf das als kausal angenommene Vorliegende. M a n kann aber auch das gerade nicht Vorliegende in die Untersuchung mit einbeziehen und nach den Möglichkeiten des Zusammenbestehens und Nicht-Zusammenbestehens der Etwasse fragen, die, wenn sie bestehen, intuitiv als Glieder einer Kausalrelation angenommen werden. Dieser Gedanke ist bei Hume schon angekündigt, bleibt aber insgesamt bei ihm folgenlos; er unterscheidet ihn nicht von dem Regularitätsgedanken : „mögen w i r also eine Ursache definieren als: einen Gegenstand, dem ein anderer folgt, wobei allen Gegenständen, die dem ersten gleichartig sind, Gegenstände folgen, die dem zweiten gleichartig sind. Oder m i t anderen Worten: wobei, wenn der erste Gegenstand nicht bestanden hätte, der zweite nie ins Dasein getreten wäre." (D. Hume 1964, 92 f.).
Neuere modale Ansätze knüpfen hier an. Explizit berief sich D . Lewis (1973 b, 556) auf diesen Gedanken Humes. Auch in den Sozialwissenschaften, schon bei M. Weber (1968, 226-290), gibt es Überlegungen, nicht realisierte Möglichkeiten i n die Kausalanalyse mit einzubeziehen (vgl.: 7. Sarrazin 1974,143 - 149). M a n könnte nun versuchen, die Kausalrelation durch die Angabe spezifischer Möglichkeitsspielräume ihrer Glieder zu charakterisieren. Erfaßt werden können Möglichkeitsspielräume durch Verknüpfungsurteile mit konnektiven Wahrheitsbedingungen. Ich habe dies schon beim Gesetzesproblem (1.1) diskutiert. Welche konnektive Verknüpfungsart könnte nun Kausalität bestimmen lassen? W i l l man dies untersuchen, so sind wiederum die Glieder der Kausalrelation zu berücksichtigen.
1
164
IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
2.3.3 Zur Bestimmung von Kausalität mittels konnektiver Urteile und spezifischer Gliedangaben Nach der Diskussion der Glieder der Kausalrelation i m Abschnitt: 2.3.1 an H a n d des Billardkugel-Beispiels sind noch sechs Kombinationen mit fünf Gliedpaaren (die Fälle 2. und 3. haben dieselben Gliedpaare bei vertauschter Zurechnung zu Ursache/Wirkung) Anwärter für Ursache und Wirkung: Tafel 3: Im folgenden weiter zu diskutierende
Konstellationen
von Ursache
und Wirkung für das Kugelbeispiel.
Ursache
Wirkung
1. Bewegung Κ 2 2. Änderung Bewegung/Ruhe Κ 2
Änderung Ruhe/Bewegung Κ 1 Änderung Ruhe/Bewegung Κ 1
3. Änderung Ruhe/Bewegung Κ 1 4. Änderung Bewegung/Ruhe Κ 2
Änderung Bewegung/Ruhe Κ 2 Bewegung Κ 1
5. Ruhe Κ 1
Änderung Bewegung/Ruhe Κ 2
6. Änderung Ruhe/Bewegung Κ 1
Ruhe Κ 2
Welcher Möglichkeitsspielraum besteht nun jeweils zwischen diesen fünf Paaren von Etwassen? Ich beginne m i t dem ersten Fall, in dem als Ursache die Bewegung der Κ 2 und als Wirkung die Änderung von Ruhe zu Bewegung der Κ 1 angenommen werden und frage zunächst, welche Fälle des kombinatorischen Möglichkeitsspielraums den tatsächlichen Möglichkeitsspielraum bilden. 1. Kann es vorkommen, daß sich eine Kugel in Richtung auf eine andere ruhende Kugel bewegt und diese sich dann von Ruhe zu Bewegung ändert? Ja, das kommt vor. 2. Kann sich eine Kugel i n bestimmte Richtung bewegen, ohne daß sich eine andere Kugel von Ruhe zu Bewegung ändert? Auch das kann vorkommen, wenn etwa eine angestoßene Kugel festgehalten wird, wenn sie nicht elastisch ist oder relativ zur anstoßende Kugel eine sehr große Masse hat oder wenn gar keine Kugel da ist oder sich nicht i m Ausgangszustand der Ruhe befindet. 3. Kann sich eine Kugel von Ruhe zu Bewegung ändern, ohne daß sich zuvor eine andere Kugel auf sie zu bewegt hat? Auch dies kann vorkommen, wenn etwa die ruhende Kugel von einem anderen sich bewegenden Körper statt von einer Kugel angestoßen wurde oder wenn sie magnetisch ist und von einem Magnet angezogen wurde. 4. Kann es sein, daß sich eine Kugel nicht in bestimmte Richtung bewegt und daß sich eine andere Kugel nicht von Ruhe zu Bewegung
2. Kausalität
165
ändert? Auch dieser Fall kann eintreten, wenn etwa zwei Billardkugeln ruhig auf einem Billardtisch liegen. So wie ich gefragt habe, ergibt sich also als Beziehung zwischen der Bewegung einer Kugel in bestimmter Richtung und der Änderung einer anderen Kugel von Ruhe zu Bewegung eine konnektive Tautologie. Der ganze Möglichkeitsspielraum kann vorkommen. Ein konnektives tautologisches Verknüpfungsurteil dürfte aber kaum geeignet sein, Kausalität zu erfassen. Es läßt zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit von Etwassen nicht unterscheiden. Daß sich eine Tautologie ergibt, könnte an den in Betracht gezogenen Gliedern liegen oder aber an fehlenden Überprüfungsbedingungen des Verknüpfungsurteils. A n der Auswahl der beiden Glieder liegt es nicht. Für jedes der anderen vier Gliedpaare, die noch in Betracht kommen, ergibt sich bei analoger Fragestellung und Argumentation ebenfalls eine Tautologie. Es bleiben mögliche Überprüfungsbedingungen von Kausalurteilen zu diskutieren. 2.3.3.1 Überprüfungsbedingungen von Kausalurteilen Ich habe eben bei der Bestimmung des Möglichkeitsspielraumes zwischen der Bewegung einer Kugel Κ 2 in bestimmter Richtung und der Änderung von Ruhe zu Bewegung einer anderen Kugel Κ 1 zugelassen, daß sich die ihren Bewegungszustand ändernde Kugel einmal i m Ausgangszustand der Änderung, der Ruhe, befindet, daß sie ein anderes M a l aber nicht erst in Ruhe ist oder daß gar keine Kugel da ist. Weiter konnte auch ein anderes Etwas auftreten, ζ. B. eine Kugel anderer Masse oder ein nicht-kugelförmiger Körper, ein Festhalten der ruhenden Kugel. All* dies beeinflußt den Möglichkeitsspielraum. M a n könnte nun daran denken, solche zur Tautologisierung des Möglichkeitsspielraums führenden Etwasse auszuschließen. Dies ließe sich etwa dadurch erreichen, daß wahre Urteile, die das Vorliegen solcher Etwasse verneinen, zu Überprüfungsbedingungen des konnektiven Verknüpfungsurteils gemacht werden, das den Möglichkeitsspielraum behauptet. Die Uberprüfungsbedingungen des konnektiven Urteils könnten etwa folgendes annehmen. 1. Der Ausgangszustand der Etwasse, von denen eine Änderung positiv oder negativ ausgesagt w i r d , muß bei Uberprüfung jeder Zeile des Möglichkeitsspielraums vorliegen, soll die Überprüfung gelten. Wenn es also jetzt als zweite Zeile des Möglichkeitsspielraums eintreten kann, daß sich eine Kugel in bestimmter Richtung bewegt und sich dann eine andere Kugel nicht von Ruhe zu Bewegung ändert, so kann dies nicht
1 6 6 I V . Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
mehr daran liegen, daß die sich nicht ändernde Kugel sich gar nicht in Ruhe befand oder daß sie überhaupt nicht vorhanden war. 2. Es dürfen keine zusätzlichen Ursachen auftreten (bei noch intuitivem Kausalbegriff). Eine angestoßene ruhende Kugel darf also etwa nicht festgehalten werden. 3. Es dürfen keine äquivalenten Ursachen oder Wirkungen vorkommen. Mehrere Ursachen sind einander äquivalent, wenn sie die gleichen Wirkungen haben. Mehrere Wirkungen sind einander äquivalent, wenn sie gleiche Ursachen haben. Zwei Etwasse sind einander relativ gleich, wenn sie dasselbe oder gleiche Urteile bewahrheiten lassen. Gleichheit von Ursachen oder Wirkungen ist also relativ zu den diese erfassenden Urteilen zu verstehen. Hiernach kann die dritte Zeile des Möglichkeitsspielraums, nach der sich i m Beispiel eine Kugel nicht in bestimmte Richtung bewegt, während sich aber eine andere Kugel von Ruhe zu Bewegung ändert, nicht deshalb eintreten, weil die ruhende Kugel etwa von einem Windzug angestoßen oder von einem Magneten angezogen wurde. Auch kann es nicht vorkommen, daß die zweite Zeile des Möglichkeitsspielraumes, nach der sich eine Kugel in bestimmte Richtung bewegt, ohne daß sich eine andere Kugel von Ruhe zu Bewegung ändert, deshalb eintritt, weil sich die andere Kugel etwa erwärmt, statt ihren Bewegungszustand zu ändern. 4. Liegt zwischen den i n Betracht gezogenen Gliedern einer Kausalrelation eine Kausalkette, so dürfen die diese Kausalkette vermittelnden Etwasse nicht fehlen. Dies betrifft weniger das Kugelbeispiel, w i r d aber von Bedeutung ζ. B. bei der Untersuchung einer Kausalbeziehung zwischen dem Drehen eines Dynamos und der Änderung von Nicht-Brennen zu Brennen einer Lampe. H i e r ist ζ. B. das Verbindungskabel zu berücksichtigen, über das vermittelnde Kausalketten laufen. 2.3.3.2 Konnektive Beziehungen bei Berücksichtigung von Uberprüfungsbedingungen Ich möchte nun erwägen, welche Möglichkeitsspielräume sich zwischen den fünf Gliedpaaren ergeben, die noch als Anwärter auf Ursache und Wirkung in Betracht gezogen sind, wenn man für die die Möglichkeitsspielräume erfassenden konnektiven Urteile die eben vorgeschlagenen vier Überprüfungsbedingungen annimmt. Ein mögliches kausales konnektives Urteil wäre hiernach nur zu überprüfen, wenn bei ausgesagten Änderungen der Ausgangszustand der Änderung vorliegt, wenn keine möglichen zusätzlichen Ursachen vorliegen, wenn äquivalente Ursachen
2. Kausalität
167
und Wirkungen ausgeschlossen sind und wenn Etwasse vorliegen, die gegebenenfalls Kausalketten vermitteln. Zwischen der Bewegung der Κ 2 als Ursache der Änderung von Ruhe zu Bewegung der K l , dem 1. Fall der Tafel 3, ergibt sich eine Äquivalenz (nur die erste und letzte Zeile des kombinatorischen Möglichkeitsspielraums sind faktisch möglich). Eine Äquivalenz besteht auch zwischen der Ruhe der Κ 1 als Ursache der Änderung von Bewegung zur Ruhe der Κ 2, dem Fall 5 der Tafel 3. Eine Konjunktion ergibt sich im Falle 2 und 3 zwischen den beiden Änderungen der Kugeln (nur die erste Zeile des kombinatorischen Möglichkeitsspielraums ist faktisch möglich). Z u Replikationen (nur die dritte Zeile des kombinatorischen Möglichkeitsspielraums ist faktisch ausgeschlossen) kommt es im 4. Fall, wenn man die Änderung der Κ 2 als Ursache der Bewegung der K l ansieht und auch i m 6. Fall, wenn die Änderung der Κ 1 als Ursache der Ruhe der Κ 2 angenommen w i r d (die mögliche Ursache wurde jeweils als Vorderglied der Replikation genommen). Die gegenüber der Äquivalenz zusätzliche zugelassene zweite Zeile der Replikation ergibt sich hier dadurch, daß die Vorgeschichten der beiden angenommenen Wirkungen nicht fixiert wurden. M i t dem Argument der Offenheit der Vorgeschichte wurden bereits andere Kombinationen von Gliedern ausgeschlossen (2.3.1). Fixiert man aber explizit die Vorgeschichte und fügt bei den als Wirkungen der replikativen Fälle angenommenen Etwassen ihren Ausgangszustand hinzu, so erhält man als Wirkung eine Änderung. Diese Kombination von Gliedern wurde schon berücksichtigt. Sie ergab eine Konjunktion. Äquivalenz und Konjunktion sind symmetrisch. V o n der Stellung ihrer Relationsglieder her läßt sich nicht bestimmen, welches Glied U r sache, welches Wirkung ist. Vorausgesetzt ist dieser Überlegung die Intuition, daß sidh die Bestimmungen: Ursache und Wirkung den Gliedern einer Kausalrelation nicht beliebig zurechnen lassen. Für die beiden Äquivalenzen läßt schon die Zeitbeziehung zwischen ihren beiden Gliedern nur die Lösung zu, die Änderungen der Bewegungszustände der Kugeln als Wirkungen aufzufassen. Darüber hinaus ist es vielleicht möglich, durch Spezifikation der Glieder Ursache und Wirkung zu unterscheiden. Die Ursache könnte vielleicht als Zustand aufgefaßt werden, die Wirkung als Änderung. Reflektierend wäre Änderung etwa dadurch zu bestimmen, daß ein gegenstandsbezogenes, zunächst wahres Urteil bei gleichbleibender Einstellung unwahr wird. Sein Gegenstand hat sich dann geändert. Zustand könnte man den Gegenstand eines Urteils nennen, der dieses bewahr-
1 6 8 I V . Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
heiten läßt. Als einen andauernden Zustand möchte ich einen Gegenstand bezeichnen, der ein Urteil bei mindestens zweimaliger Evidierung bewahrheiten ließe, ohne daß zwischen diesen beiden Evidierungen ein Evidierungsergebnis: ,unwahr' hätte vorkommen können, bei gleicher Einstellung. Was relativ zu einem Urteilsinhalt Zustand ist, kann relativ zu einem anderen Änderung sein. So kann die Bewegung einer Kugel relativ zum Inhalt: ,Bewegung' Zustand sein, relativ zum Inhalt: ,die Kugel ist am O r t a' eine Änderung. Es kann Änderungen von Änderungen geben oder Änderungen von Zuständen zu Änderungen, von Änderungen zu Zuständen oder von Zuständen zu Zuständen. Die Wirkung ist bei der Äquivalenzkonzeption von Kausalität vielleicht als Änderung gegenüber der Ursache als Zustand zu charakterisieren. Dabei wäre, auch wenn Ursache und Wirkung weiter etwa in Ä n derungen analysiert würden, die Wirkung doch stets eine Änderung höherer Ordnung, gleichartige begriffliche Auflösung vorausgesetzt. Die Annahme der Ursache als Zustand und der Wirkung als Änderung stimmt sachlich mit den Angaben Hey de s (1957, 131) überein. N u r daß Heyde den Ausgangszustand der die Wirkung ausmachenden Änderung mit zur Ursache rechnet. Ich würde diesen Ausgangszustand, dessen wahre Behauptung Überprüfungsbedingung des Kausalurteils ist, eher als eine Randbedingung der Kausalrelation bezeichnen wollen. Die Zeitbezeichnung von Ursache und Wirkung kann vermutlich reflektierend charakterisiert werden durch Angabe der gegenstandsbedingten Modalitäten der auf Ursache und Wirkung bezogenen Urteile. Kausalität könnte bei der Äquivalenzkonzeption den Gegenständen der Urteile beider zugelassener Zeilen oder nur je einer Zeile zugerechnet werden. Eine Realrelation scheint mir nur bei den Gegenständen der ersten Zeile vorzuliegen. N u r ein bestimmter vorliegender Zustand kann eine Ursache sein, nur eine vorliegende Änderung eine Wirkung. Damit w i r d Kausalität nur den Gegenständen der ersten Zeile des konnektiven Verknüpfungsurteils zugerechnet, in der die auf Zustand und Änderung positiv bezogenen Urteile wahr sind. Diese Zurechnung von Kausalität ist aber ζ. T. dispositionell, denn sie setzt voraus, daß die letzte Zeile, in der die positiv auf Zustand und Änderung bezogenen einzelnen U r teile unwahr wären, auch eintreten könnte. Dies ist nun bei einem einzelnen kausalen Vorgang nicht zu überprüfen, wenn es auch singuläre Kausalität geben mag. Zur Uberprüfung der Kausalbehauptung hinsichtlich ihres angenommenen Möglichkeitsspielraums ist Transfer des Kau-
2. Kausalität
169
salurteils über die Zeit hin oder über die Etwasse, deren Eigenschaften (bzw. Relationen) in die Kausalbeziehung eingehen, erforderlich. Eine teilweise dispositionelle Bestimmung von Etwassen ist nicht un· gewöhnlich. Sie kann einstellungsbedingt sein, etwa wenn ich ein Etwas für eine Kugel halte, aber nicht die Rückseite sehe oder taste. Die teilweise dispositionelle Bestimmung von Kausalität ist gegenstandsbedingt. Auch wenn ein Etwas (u. a.) durch Angabe von alternativen, stets teilweise in Vergangenheit oder Zukunft liegenden Konstituenten charakterisiert w i r d , ist dies eine gegenstandsbedingte dispositionelle Angabe. K. Popper (1966, 378) meinte, dies betreffe etwa schon Bestimmungen von Wasser und Glas. Ich bin mir nicht sicher, ob Wasser oder Glas nicht doch, jedenfalls für die Belange der Alltagspraxis, gut genug identifiziert werden können ohne Berücksichtigung gegenstandsbedingter Dispositionen (s. zu diesen Problemen auch: V. Kraft 1973 b, 315 ff.). Wenn das Kugelbeispiel hypothetisch verallgemeinert wird, dann gehören bei der Äquivalenzkonzeption von Kausalität zu einem kausalen Vorgang stets zwei Kausalbeziehungen. Die Bewegung der Κ 2 verursacht die Änderung von Ruhe zu Bewegung der K l , die Ruhe der Κ 1 verursacht die Änderung von Bewegung zu Ruhe der Κ 2. Ergibt sich zwischen dem Zustand eines Etwas und der Änderung eines anderen Etwas eine Kausalrelation, so besteht noch eine weitere Kausalrelation, deren Ursache der Ausgangszustand der Wirkung der ersten Kausalrelation ist und deren Wirkung als Ausgangszustand die Ursache der ersten Kausalrelation hat. Die so bei einem Vorgang auftretenden doppelten Kausalbeziehungen möchte ich Wechselwirkung nennen. F. Engels (1971, 366) etwa schien in der N a t u r durchgängig Wechselwirkung und keine einseitigen Kausalbeziehungen anzunehmen: „ A l l e Naturvorgänge sind doppelseitig, beruhen auf dem Verhältnis von mindestens zwei wirkenden Teilen, auf A k t i o n und Reaktion." Werden die beiden Änderungen, die Wirkungen einer Wechselwirkung sind, quantifizierend erfaßt, so w i r d nach dem physikalischen Prinzip von der Erhaltung der Energie die eine Änderung in einer Abnahme, die andere in einer Zunahme bestehen, und die Größen von Abnahme und Zunahme werden gleich sein. Die Wechselwirkung betrifft zwar nur einen Vorgang; die Uberprüfungsbedingungen der Urteile, die die beiden die Wechselwirkung ausmachenden Kausalrelationen erfassen, sind jedoch bei der Äquivalenzkonzeption von Kausalität verschieden. W i l l ich etwa überprüfen, ob die Bewegung der Κ 2 die Änderung von Ruhe zu Bewegung der Κ 1 verursacht, so ist die Ruhe von K l Überprüfungsbedingung, während
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IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
bei Κ 2 versucht wird, einmal eine Bewegung in bestimmte Richtung und dann keine solche Bewegung zu beobachten oder auch experimentell herzustellen. W i l l ich andererseits überprüfen, ob die Änderung von Bewegung zu Ruhe bei Κ 2 durch die Ruhe der Κ 1 verursacht wird, so ist die Bewegung der Κ 2 Überprüfungsbedingung, während versucht wird, die Ruhe der Κ 2 variieren zu lassen. Diese doppelte Überprüfungsart von Wechselwirkungen mag problematisch erscheinen. Dieses Problem w i r d vermieden, wenn man auf die andere noch in Betracht gezogene Kombination von Gliedern der Kausalrelation zurückgreift und die beiden Änderungen als Glieder der Kausalrelation annimmt. Fordert man hier für die Überprüfungsbedingung auch das Vorliegen der Ausgangszustände der Änderungen, so können bei einer Kausalrelation stets nur die beiden Änderungen eintreten. Es ergibt sich also eine konnektive Konjunktion, die zusätzlichen, schon diskutierten Uberprüfungsbedingungen vorausgesetzt. Auch bei dieser Konstellation besteht das Problem, welches Etwas als Ursache, welches als Wirkung zu bestimmen ist. Eine asymmetrische Zeitbeziehung kann hier nicht als Kriterium dienen. M a n könnte etwa Abnahme und Zunahme zu Kriterien machen und als Ursache die mit einer Abnahme verbundene Änderung auffassen und als Wirkung die mit einer Zunahme verbundene Änderung. Für welche Gegenstandsbereiche ein solcher Kausalbegriff fruchtbar angewendet werden kann, wäre zu untersuchen. M a n könnte auch die Äquivalenzkonzeption zur Bestimmung von Kausalität nutzen und die Konjunktion der Änderungen als Bestimmung von Wechselwirkung ansehen. W i l l man beide Änderungen als Glieder der Kausalrelation ansehen, so ließe sich auch mit anderen Überprüfungsbedingungen arbeiten. Man könnte etwa fordern, daß bei der Überprüfung der letzten drei Zeilen des Möglichkeitsspielraumes nur ein Ausgangszustand einer der beiden Änderungen vorliegen darf. Dann ergibt sich eine konnektive Äquivalenz. I n t u i t i v würde ich dem Konzept den Vorzug geben, das Kausalität als konnektive Äquivalenz zwischen Zuständen als Ursache und Änderungen als Wirkung auffaßt. Welche Bestimmung der Glieder von Kausalität, welche Charakterisierung von Wechselwirkung und welche Überprüfungsbedingungen am brauchbarsten sind und welche Interdependenzen zwischen möglichen Bestimmungen bestehen, wäre weiter zu erforschen. Ein Aspekt hierbei wären wohl auch die Anwendungsbereiche
2. Kausalität
171
und die begriffliche Auflösung bei ihrer Erfassung. Es könnte ζ. B. sein, daß bei bestimmten Analyseniveaus keine Wechselwirkung (keine zwei Änderungen) zu erfassen ist. Ich vermute, daß dies für manche sozialwissenschaftlich interessanten Untersuchungsebenen zutrifft. Es betrifft etwa audi das in dieser Arbeit dargestellte Intentions-Modell M I V b (Kap. I I I , 2.2.3.1), nach dem es etwa zur Änderung des Formzustandes: ,unbestimmt" zum Formzustand: ,wahr" kommt durch die Ursachen: positive Verbindungsform und positive Urteilsform, ohne daß eine Änderung der Urteilsform und der Verbindungsform hierdurch erfaßt würde. Ich bin hier so ausführlich auf das Problem der Bestimmung der Glieder der Kausalrelation auch deshalb eingegangen, weil in der mir bekannten Literatur die Glieder entweder nur grob bestimmt werden oder eine Lösung dekretiert wird, ohne daß systematisch andere Möglichkeiten erwogen würden. 2 A Glieder von Kausalrelationen als Konstituenten von Konstitutionskomplexen Glieder von Kausalrelationen sind bestimmte Konstituenten von Konstitutionskomplexen oder sind Relationen eines Konstitutionskomplexes zu anderem. Die Berücksichtigung dieser Kontexte der Glieder von Kausalrelationen eröffnet weitere Probleme. Dieser Problembereich kann hier nicht ausgearbeitet werden, ich möchte ihn aber kurz skizzieren. Ein Konstitutionskomplex kann zum Gegenstandsbereich weiterer ihn analysierender Urteile genommen werden. Dabei lassen sich zwei Arten der Analyse unterscheiden. Einmal werden die Analyse-Urteile dem gesamten Gegenstandsbereich, dem ganzen Konstitutionskomplex, zugerechnet. Beispiel hierfür ist es etwa, wenn ich über einen Konstitutionskomplex: Kugel urteile, sie sei rot, rund, ist 30 Grad warm, bewegt sich usw. Die Gegenstände dieser Urteile, die Konstituenten oder Relationen des Gegenstandsbereiches wie: rot, in Bewegung, sind in diesem Falle bereichsgleich, wie auch die sie erfassenden Urteile. Die Analyse eines Gegenstandsbereiches in bereichsgleiche Konstituenten und Relationen könnte man horizontal nennen. Ein Gegenstandsbereich kann auch vertikal analysiert werden. Die Analyse-Urteile beziehen sich dann nicht auf den gesamten Gegenstandsbereich, sondern auf Teile von ihm, etwa auf eine Hälfte, Moleküle, Atome usw. Es ist denkbar, daß der gesamte Gegenstandsbereich als bestehend aus solchen Teilen und Relationen zwischen ihnen analysiert werden kann. Die Teile des Ausgangsgegenstandsbereiches können zu Unter-Gegenstandsbereichen werden und
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IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
selbst wieder horizontal oder vertikal analysiert werden. Konstituenten eines Unter-Gegenstandsbereichs und Konstituenten von Gegenstandsbereichen höherer oder niederer Ordnung, etwa des Ausgangsgegenstandsbereichs, sind bereichsverschieden, wie auch die diesen Gegenstandsbereichen jeweils entsprechenden horizontalen Urteile. Analyseergebnisse von Gegenstandsbereichen können verschiedenen geistigen Verarbeitungsstufen angehören und unterschiedlich konkret sein. 2.4.1 Folgeprobleme Die soeben skizzierte Konzeption verschiedener Arten der Analyse von Konstitutionskomplexen ermöglicht weitere Problemstellungen, die bei der expliziten Anwendung von Kausalbegriffen in verschiedenen Untersuchungsgebieten zu berücksichtigen wären. 1. Kann Kausalität zwischen verschiedenartigen bereichsgleichen Konstituenten bestehen? Die Annahme der Relativitätstheorie, daß die Masse eines Körpers sich in Abhängigkeit von seiner Geschwindigkeit und seiner Wärme ändert (A. Einstein!L. Infeld 1970, 134), wäre vielleicht ein Beispiel hierfür. 2. Kann es Kausalität geben zwischen gleichartigen oder verschiedenartigen Konstituenten nicht-identischer Gegenstandsbereiche, die nicht Teile voneinander sind? Kausalität zwischen gleichartigen Konstituenten nicht-identischer Konstitutionskomplexe wäre es vielleicht, wenn die Bewegung einer Kugel die Änderung von Ruhe zu Bewegung einer anderen Kugel verursacht. Kausalität zwischen verschiedenartigen Konstituenten wäre es vielleicht, wenn die Bewegung einer Kugel die Erwärmung eines anderen Körpers verursacht. Bewegung der Kugel und Änderung der Wärme des anderen Körpers sind vermutlich nur dann begrifflich gleichartig zu erfassen, wenn die Wärme des einen Körpers bereichstiefer analysiert w i r d als die der Kugel zugerechnete Bewegung. Verschiedenheit von Wirkungen bei gleichen Ausgangszuständen und gleichen Ursachen kann auf zusätzliche Ursachen, wie Festhalten der angestoßenen Kugel, zurückgehen. Sie kann aber auch an anderen, horizontal oder vertikal zu analysierenden Konstituenten der Konstitutionskomplexe liegen, zu denen Ursache und Wirkung gehören, i m Falle des Kugelbeispiels etwa an der unterschiedlichen Elastizität der Kugeln. Die Analyse der Kausalbeziehungen zwischen der Bewegung der Kugel und der Änderung von Ruhe zu Bewegung und der Änderung der Wärme wäre dann aufzulösen in die Analyse von Prozessen etwa i m Bereich
2. Kausalität
173
der Moleküle der zu Ursache und Wirkung gehörenden Konstitutionskomplexe. Dies führt zu dem folgenden Problem: 3. I n welchen Bereichen sind Kausalbeziehungen jeweils zu analysieren? Es kann zu Fehlern kommen, wenn nicht i m angemessenen Bereich analysiert wird. So könnte man etwa annehmen, daß die Änderung vom Fließen eines Stromes zum Nicht-Fließen dadurch verursacht würde, daß eine Stromquelle keinen Strom mehr liefert. W i r d dies i m Bereich der Atome und Elektronen analysiert, so kommt man zu anderen Ursachen. 4. Sodann ist zu fragen, auf welchen geistigen Verarbeitungsebenen die Etwasse, die Ursache und Wirkung sind, erfaßt werden können. Dieses Problem klingt i n der Äußerung von Carnap (1966, 230) an: „einen Momentanzustand w i r d man nicht ,Ursache" nennen wollen, und noch weniger einen Differentialquotienten ,Wirkung c ". Weiter zu problematisieren wäre etwa: 5. Welche Beziehungen können zwischen verschiedenen Bereichen eines Konstitutionskomplexes bestehen? 6. Sind bereichsverschiedene Konstituenten (und Relationen) stets gleichartig oder können sie auch, und bei welchen Vergleichsbereichen, verschiedenartig sein? 7. Welche Sukzessionen von Konstituenten sind innerhalb bestimmter Konstitutionskomplexe bei welchen Kontexten möglich? 8. Welche Beziehungen bestehen überhaupt zwischen bereichsgleichen Konstituenten und Relationen und welche zwischen Konstitutionskomplexen und einzelnen Konstituenten und Relationen? Fragen dieser A r t wären systematischer zu entwickeln auf Grundlage einer differenzierter ausgearbeiteten empirisch-formenanalytischen Konzeption von Konstitutionskomplexen und Arten ihrer Analyse, die auch im Kontext vergleichbarer Ansätze, etwa des Substanzbegriffs, zu diskutieren wäre. 2.5 Kausalketten, mehrfache Ursachen äquivalente Ursachen und Wirkungen Ich habe als Uberprüfungsbedingungen für Kausalurteile Urteile darüber vorgeschlagen, daß keine zusätzlichen Ursachen auftreten, daß keine äquivalenten Ursachen oder Wirkungen vorkommen und daß gegebenenfalls Etwasse, deren Konstituenten oder Relationen in vermittelnde Kausalketten eingehen, vorliegen. Denn die Nichtberücksichtigung dieser Uberprüfungsbedingungen kann zu einer Tautologisierung
174
IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
führen, die Kausalbeziehungen nicht mehr erkennen läßt. U m mehrfache Ursachen und äquivalente Ursachen und Wirkungen i n Überprüfungsbedingungen ausschließen zu können und um Kausalketten vermittelnde bestimmte Etwasse fordern zu können, muß ich diese von Fall zu Fall erkennen können. Es ist zu erwägen, wie diese selbst theoretisch zu erfassen sind. 2.5.1 Kausalketten Eine Kausalkette liegt vor, wenn die Ursache einer Wirkung Endzustand der Wirkung einer anderen Ursache ist usf. So verursacht die Bewegung einer Kugel Κ 1 die Änderung von Ruhe zu Bewegung einer zweiten Kugel Κ 2, und deren Bewegung verursacht wiederum die Ä n derung von Ruhe zu Bewegung einer dritten Kugel Κ 3. Dies kann möglicherweise als konnektive Äquivalenz zwischen zwei Kausalbeziehungen dargestellt werden. Die Kausalbeziehung zwischen der Bewegung der Κ 1 und der Änderung von Ruhe zu Bewegung der Κ 2 stünde in einer konnektiven Äquivalenz zur Kausalbeziehung zwischen der Bewegung der Κ 2 und der Änderung von Ruhe zu Bewegung der Κ 3. Eine konnektive Äquivalenz ergibt sich nur, wenn man die Wahrheitszwischenergebnisse der einzelnen Zeilen der Kausalurteile weiterverknüpft: Tafel 4: Wahrheitstafel für ein Verkettungsurteil. Dies ist ein äquivalentes Urteil mit konnektiver Weiterverknüpfung der Wahrheitszwischenergebnisse der Zeilen konnektiver äquivalenter Kausalurteile. Ein solches Verkettungsurteil läßt möglicherweise Kausalketten erfassen.
K l 'Bewegung'
1.
Κ 2 'Änderung ^
Ruhe/Bewegung'
Κ 2 'Bewegung'
Κ 3 'Änderung Ruhe/Bewegung*
w w
w u
w u
w u
w
2. 3. 4.
u u
u w
w u
u w
u u
w
w u u w
w u w u
Das zeilenverknüpfende konnektive Äquivalenzurteil, dessen Bestandteile Kausalurteile mit den spezifischen, oben angegebenen Gliedbestimmungen sind, möchte ich Verkettungsur teil nennen. Liegt für das Verkettungsurteil eine Transferierbarkeitsannahme vor, so ist es ein Verkettungsgesetz. Inwieweit Verkettungsurteile etwa als Meta-Kausal-
2. Kausalität
175
urteile aufgefaßt werden können, die eine Kausalbeziehung zwischen Kausalbeziehungen behaupten, wäre zu problematisieren. Ebenso wäre zu untersuchen, ob und gegebenenfalls bei welchen Geltungsbedingungen die konstruktiv mögliche Weiterverknüpfung auch der komplexen konnektiven Gesamtwahrheitsergebnisse der Kausalurteile zur Charakterisierung von Beziehungen brauchbar ist.
2.5.2 Mehrfache Ursachen Eine Wirkung kann mehrere Ursachen zugleich haben. Die Änderung einer Kugel von Ruhe zu Bewegung kann etwa durch den Anstoß zweier bewegter Kugeln verursacht werden. Die mehrfachen Ursachen können gleiche oder ungleiche Konstituenten bzw. Relationen sein, die zu mehreren Konstitutionskomplexen gehören. Sie können aber auch Konstituenten oder Relationen eines Konstitutionskomplexes sein. Haben etwa zwei Etwasse zusammen eine Wirkung, so kann es sein, daß 1. jedes dieser Etwasse allein keine Wirkung hat, 2. jedes der Etwasse auch allein eine Wirkung hat, 3. jeweils ein Etwas eine Wirkung allein hat, das andere aber nicht. Es ist zu erwägen, ob die Wirkung, die beide Etwasse zusammen haben und die Wirkungen, die gegebenenfalls je ein Etwas hat, gleich sind, ob sie gleichartige Konstituenten oder Relationen betreffen oder verschiedenartige. Auch ist zu fragen, ob und wann mehrfache Ursachen durch eine Ursache mit gleicher Wirkung ersetzbar sind (Kräfte-Parallelogramm) oder nicht. Ein Spezialfall mehrfacher Ursachen ist die Kompensation: Verursacht ein Zustand gewöhnlich eine bestimmte Änderung, so t r i t t diese Änderung nicht ein bei Anwesenheit eines bestimmten zusätzlichen Etwas. Der erste Zustand bleibt Ursache, seine sonstige Wirkung ist durch das andere Etwas kompensiert worden und hat sich verschoben. So kann etwa die Wirkung einer bewegten Kugel auf eine ruhende Kugel kompensiert werden durch Festhalten der ruhenden Kugel, die sich dann aber erwärmt. Aufhebung einer Kompensation und Schließen einer Kausalkette werden in der Literatur zuweilen, wie aus Beispielen zu ersehen ist, als Auslösung bezeichnet, aber, soweit ich sehe, nicht terminologisch differenziert (etwa bei: H.-J. Flecbtner 1972, 27; A. Mittasd) 1940,143). Die verschiedenen Arten von Kausalität m i t mehrfachen Ursachen können vermutlich auch reflektierend durch spezifische konnektive U r teile charakterisiert werden.
1 7 6 I V . Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
2.5.3 Äquivalente Ursachen und Wirkungen Es ist denkbar, daß verschiedene Ursachen gleiche Wirkungen haben und umgekehrt. Die verschiedenen Ursachen, die gleiche Wirkungen haben, sind einander, relativ zu diesen Wirkungen, äquivalent. Es gibt Strategien, äquivalente Ursachen und Wirkungen zu beseitigen. Für die Angabe solcher Strategien möchte ich die angenommene Verschiedenheit äquivalenter Ursachen bzw. Wirkungen differenzierter erfassen. Ich möchte gleiche und gleichartige Etwasse unterscheiden. Zwei Etwasse sind in Hinblick auf bestimmte Urteile einander gleichartig, wenn sie zumindest ein Urteil beide bewahrheiten lassen. Ein Urteil niederer Abstraktionsstufe braucht sodann nur noch von jeweils einem dieser Etwasse bewahrheitet werden zu können. So ist etwa das Urteil: ,Farbe ist c durch rot und grün bewahrheitbar. Die konkreteren U r teile: ,rot ist c und ,grün ist* sind nur noch entweder durch rot oder durch grün bewahrheitbar. Rot und grün sind gleichartig hinsichtlich des Urteils: ,Farbe ist'. Zwei Etwasse sind hinsichtlich bestimmter U r teile einander gleich, wenn sie jeweils identische oder gleiche Urteile verschiedener Abstraktionsstufe bewahrheiten lassen. Gleich sind also etwa zwei rote Etwasse, relativ auf die Urteile: ,Farbe ist' und ,rot ist'. Gleiche Etwasse sind stets auch gleichartig. Gleichartige Etwasse brauchen aber nicht gleich zu sein. Etwasse, die relativ auf bestimmte Urteile nicht gleichartig sind, sind relativ auf diese Urteile verschiedenartig. Etwasse, die in Hinblick auf bestimmte Urteile nicht gleich sind, sind hinsichtlich dieser Urteile verschieden. Gleichartige Etwasse können hiernach verschieden sein. Verschiedene Etwasse brauchen nicht verschiedenartig zu sein. Tafel 5 (S. 177) soll diese Unterscheidungen auf das Problem äquivalenter Ursachen und Wirkungen anwenden. Sie soll mögliche Kombinationen von Vergleichsergebnissen darstellen, die sich auf zwei Konstituenten bzw. Relationen beziehen, die die äquivalenten Ursachen oder Wirkungen ausmachen, und auf deren zugehörige Konstitutionskomplexe. Die erste Zeile interessiert hier nicht; bei ihr t r i t t das Problem äquivalenter Ursachen oder Wirkungen nicht auf. Die Ursachen bzw. die Wirkungen sind hier gleich. Die vierte und sechste Zeile können nicht vorkommen, da Etwasse, die gleich sind, auch gleichartig sind. Beseitigung äquivalenter Ursachen oder Wirkungen ist zum einen möglich durch Abstraktion. Diese kann einmal i m Falle der zweiten
177
2. Kausalität
Tafel 5: Die Tafel soll mögliche Kombinationen der Vergleichsergebnisse zweier äquivalenter Ursachen oder Wirkungen und der Vergleichsergebnisse ihrer zugehörigen Konstitutionskomplexe angeben. Weiteres im Text. Vergleichsergebnisse zweier äquivalenter Ursachen oder Wirkungen
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Vergleichsergebnisse der zugehörigen Konstitutionskomplexe
gleichartig
gleich
gleich
+ + +
+ +
+
-
+
-
+
+ +
-
-
-
-
+
-
-
-
+
—
—
—
Zeile vorgenommen werden. H i e r w i r d es sich um Abstraktion von Konstituenten oder Relationen der zu den äquivalenten Ursachen bzw. Wirkungen gehörenden Konstitutionskomplexe handeln, die für die Kausalbeziehungen irrelevant sind. So ist i m Kugelbeispiel etwa die Farbe anstoßender Kugeln irrelevant für ihre Wirkungen. I n den anderen Fällen kann erwogen werden, ob nicht die äquivalenten Ursachen bzw. Wirkungen bei größerer Abstraktion gleich sind und vielleicht nur dieses Gleiche oder Gleichartige für die Kausalbeziehungen relevant ist. M. Verworn behauptete, daß äquivalente Bedingungen stets durch A b straktion beseitigt werden könnten. Sie würden sich bei genauerer Analyse immer als gleich erweisen: „Uberall, wo uns eine Bedingung ersetzbar erscheint, da zeigt sich bei genauerem Zusehen immer, daß wir die Bedingung noch nicht genügend präzisiert und aus ihrem Zusammenhange herausgeschält halben. (...) Jeder bedingende Faktor steckt also in einem Komplex, aber nicht der ganze Komplex stellt die Bedingung vor, sondern nur ein Partialmoment desselben bildet den bedingenden Faktor, und daher kann der Komplex, der die Bedingung enthält, durch einen ganz anderen ersetzt werden, wenn in "diesem nur auch der gleiche wirksame Partialfaktor enthalten ist, auf den es eben ankommt. Der bedingende Faktor aber ist selbst nicht ersetzbar." (M. Verworn 1918, 14). Der Fall der dritten Zeile kann vermutlich nur vorkommen, wenn zu den äquivalenten Ursachen oder Wirkungen zusätzliche Ursachen bzw. Wirkungen angenommen werden. 12
Gutzmann
178
IV. Kap.: Verwendung von Aussagenlogik: Gesetz und Kausalität
I m Falle der fünften Zeile sind vermutlich für die Kausalrelation noch andere Konstituenten oder Relationen der zu den äquivalenten U r sachen oder Wirkungen gehörigen Konstitutionskomplexe relevant als nur die als Ursache oder Wirkung angegebenen Etwasse. Diese sind möglicherweise in die Glieder der Kausalrelation einzubeziehen oder durch Wechsel der Analysebereiche zu erfassen. Die Äquivalenz von Ursachen oder Wirkungen kann auch durch Konkretion beseitigt werden. Verschiedene Ursachen oder Wirkungen sind äquivalent, wenn sie gleiche Wirkungen oder Ursachen haben. Sind nun bei konkreterer Analyse diese gleichen Wirkungen oder Ursachen nicht mehr gleich, so sind auch die entsprechenden Ursachen oder Wirkungen nicht mehr äquivalent. Es ist wohl einfacher, äquivalente Ursachen oder Wirkungen zu beseitigen als sie aufzuzählen. Bis heute scheint es aber in den Wissenschaften nicht gelungen zu sein, jegliche äquivalenten Ursachen und W i r k u n gen zum Verschwinden zu bringen, wie Verworn es forderte. Eine A b straktion, die von äquivalenten Ursachen oder Wirkungen nichts weiter übrig läßt, als daß sie eben Ursachen oder Wirkungen von bestimmten Etwassen sind, ist nicht als gelungenes Wegabstrahieren von Äquivalenzen anzusehen, wenn sie auch sonst nützlich sein mag. Beispiel einer solchen Abstraktion ist der Newtons che Kraftbegriff : „eine angebrachte Kraft ist das gegen einen Körper ausgeübte Bestreben, seinen Zustand zu ändern, entweder den der Ruhe oder den der gleichförmigen geradlinigen Bewegung." (/. Newton 1963, 22). Auch zur Entwicklung von Beseitigungsstrategien muß zunächst um verschiedene äquivalente Ursachen oder Wirkungen gewußt werden, auch um Falsifikationen von Kausalurteilen durch äquivalente Ursachen oder Wirkungen hinsichtlich der in Kausalurteilen angenommenen Äquivalenz-Möglichkeitsspielräume minimieren zu können. Äquivalente U r sachen oder Wirkungen könnten etwa, wie auch mehrfache Ursachen, durch konnektive Urteile erfaßt werden, deren Bestandteilsurteile sich auch auf äquivalente Ursachen oder Wirkungen beziehen und nicht nur eine Ursache und ihre Wirkung berücksichtigen. Es ergeben sich dabei wieder spezifisdie Verknüpfungsarten. Es ist auch zu erwägen, ob nicht die äquivalenten Ursachen oder Wirkungen durch adjunktive, kontravalente Verknüpfungsurteile (nur die zweite und dritte Zeile der Wahrheitstafel ergibt: wahr) erfaßt werden können, die dann in konnektive Kausalurteile eingehen. H i e r wäre weiter zu forschen.
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