Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik 9783787333400, 9783787331864

Die Wissenschaft der Logik, von G.W.F. Hegel in drei Bänden von 1812 bis 1816 veröffentlicht, stellt die systematische G

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German Pages 805 [817] Year 2018

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Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik
 9783787333400, 9783787331864

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Meiner

Michael Quante, Nadine Mooren (Hg.)

Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik

HEGEL-STUDIEN BEIHEFT 67

HEGEL-STUDIEN

In Verbindung mit Walter Jaeschke und Ludwig Siep herausgegeben von Michael Quante und Birgit Sandkaulen Beiheft 67

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

KOMMENTAR ZU HEGELS WISSENSCHAFT DER LOGIK Herausgegeben von MICHAEL QUANTE und NADINE MOOREN unter Mitarbeit von THOMAS MEYER und TANJA UEKÖTTER

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978–3-7873–3186-4 ISBN eBook 978–3-7873–3340-0

ISSN 0440 – 5927 © Felix Meiner Verlag Hamburg 2018. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus Nomos, Sinzheim. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

INHALT

Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Brady Bowman Zum Verhältnis von Hegels Wissenschaft der Logik zur Phänomenologie des Geistes in der Gestalt von 1807. Ein Überblick . . .

1

Anton Friedrich Koch Das Sein. Erster Abschnitt. Die Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

Stephen Houlgate Das Sein. Zweyter Abschnitt. Die Quantität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

Pirmin Stekeler-Weithofer Das Sein. Dritter Abschnitt. Das Maass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Michael Quante Die Lehre vom Wesen. Erster Abschnitt. Das Wesen als Reflexion in ihm selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Dietmar H. Heidemann Die Lehre vom Wesen. Zweyter Abschnitt. Die Erscheinung . . . . . . . . . 325

Dina Emundts Die Lehre vom Wesen. Dritter Abschnitt. Die Wirklichkeit . . . . . . . . . . 387

Friedrike Schick Die Lehre vom Begriff. Erster Abschnitt. Die Subjectivität . . . . . . . . . . . 457

Dean Moyar Die Lehre vom Begriff. Zweyter Abschnitt. Die Objectivität . . . . . . . . . 559

VI

Inhalt

Ludwig Siep Die Lehre vom Begriff. Dritter Abschnitt. Die Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . 651

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797 Hinweise zu den Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803

VORWORT DER HERAUSGEBER Vorwort

Die Wissenschaft der Logik, in drei Bänden erstmals im Zeitraum 1812 bis 1816 erschienen, ist eines der Hauptwerke Hegels. Sie kann als systematisches Gerüst seines reifen Systems, das Hegel 1817 dann erstmals in seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse vorgelegt hat, bezeichnet werden. Bis zu seinem Tode hat Hegel an dieser Grundlage seiner Philosophie weitergearbeitet. Hiervon zeugen nicht nur die Überarbeitungen in den drei Auflagen der sogenannten ‚kleinen‘ Logik, die den ersten Teil der enzyklopädischen Gesamtdarstellung seines Systems bildet. Kurz vor seinem Tod hat Hegel selbst noch die zweite Auflage des ersten Bandes seiner Wissenschaft der Logik mit großen, auch systematisch bedeutsamen Modifi kationen zur ersten Fassung der Seinslogik fertigstellen können. Seinem Brief vom 13. November 1831, mit dem er ein Motto für die Neuauflage an die Druckerei geschickt hat, ist von seiner Frau die Anmerkung beigegeben: „Die letztgeschriebenen Worte meines Geliebten“. Diese zweite Auflage des ersten Bandes der ‚großen‘ Logik erschien 1832 in der Cotta’schen Buchhandlung; schon ein Jahr später kam die nächste Auflage der Seinslogik heraus, die Leopold von Henning als dritten Band der sogenannten Freundeskreisausgabe vorlegte. Diesem bei Duncker und Humblot erschienenen Band folgten dann wiederum ein Jahr später die Wesenslogik als vierter und im darauffolgenden Jahr die Begriffslogik als fünfter Band dieser ersten Werkausgabe. Anders als im Fall der Seinslogik hat Hegel für die Wesens- und Begriffslogik keine zweite, überarbeitete Version mehr erstellen können. Angesichts dieser Entstehungsgeschichte wäre es verfehlt, die Wissenschaft der Logik als einen vollendeten oder sogar perfekten Text zu betrachten. Ungeachtet des Anspruchs von Hegel, hier die reine Selbstentfaltung der Grundkategorien des Denkens überhaupt darzulegen, haben wir es mit einem Text zu tun, an dem sein Verfasser selbst sicher noch vieles verändert hätte, wenn ihm der Tod diese Möglichkeit nicht genommen hätte. Jeder Leser, der sich der Wissenschaft der Logik, einem der zentralen Werke nicht nur der Hegelschen, sondern der klassischen deutschen Philosophie insgesamt, zuwendet, sieht sich einem Text gegenüber, der in thematischer Breite, begrifflicher Schärfe und systematischer Tiefe seinesgleichen sucht. Die Distanz von fast zweihundert Jahren, die zwischen uns und diesem Text, seiner Sprache sowie dem damaligen Diskussionskontext Hegels liegen, tun

VIII

Vorwort der Herausgeber

ein übriges, seine Lektüre und die systematische Aneignung der darin von Hegel entfalteten Argumente zu erschweren. Ohne eine solche systematisch orientierte Bezugnahme auf die Logik ist es jedoch nicht möglich, sich den anderen zum Gesamtsystem gehörenden Werken Hegels in systematischer Absicht angemessen zu nähern. Aus diesen Gründen entstand vor mittlerweile zehn Jahren die Idee, diese Lücke durch einen solchen Kommentar in einer gemeinsamen Anstrengung zu schließen. Geplant war, die neun Hauptabschnitte der Wissenschaft der Logik auf der Grundlage der mittlerweile erschienenen kritischen Ausgabe dieses Werkes darzustellen. Darüber hinaus sollte in einem weiteren Kapitel das komplexe und bis heute nicht mit Eindeutigkeit geklärte Verhältnis zwischen der Wissenschaft der Logik und Hegels Phänomenologie des Geistes expliziert werden. Es war von vornherein klar, dass jeder Versuch, die an diesem Kommentar beteiligten Autoren auf eine gemeinsame Lesart und einen Zugang zu Hegels Text festlegen zu wollen, nur zum Scheitern verurteilt sein konnte. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, dem Leser ganz im Gegenteil gerade die Pluralität dieser Zugriffe zu präsentieren. Auf diese Weise kann zwar kein durchlaufender kooperativer Kommentar entstehen, jedoch lässt sich die Komplexität sowohl des Hegelschen Werkes als auch die Vielfalt der systematisch orientierten Hegelforschung sichtbar machen. Wir formulierten daher an die Beiträger die Vorgabe, dass dem Leser in jedem der neun, den Hauptabschnitten gewidmeten Beiträge neben einem detaillierten systematischen Deutungsvorschlag vom jeweiligen Verfasser auch darüber Auskunft gegeben wird, mit welchem Zugriff die Interpretation erfolgt. Außerdem, so eine weitere Vorgabe, sollte in jedem Kapitel dazu Stellung genommen werden, ob (und weshalb) die von Hegel vorgelegten Argumente aus heutiger Sicht noch aktuell sind, weshalb sie dies gegebenenfalls nicht mehr sind, oder aber, für die Behandlung welcher systematischen Fragen sie heute noch relevant sein können. Im Rahmen eines internationalen Workshops, der 2011 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit Unterstützung der DFG durchgeführt werden konnte, haben die (meisten der) beteiligten Autoren erste Versionen ihrer Beiträge vorgestellt und einer wechselseitigen Kritik unterzogen. Wie nicht anders zu erwarten, traten dabei die unterschiedlichen Zugänge klar zu Tage. Zugleich wurde aber auch schnell deutlich, dass alle an diesem Band beteiligten Autoren sich auf die gemeinsamen Rahmenbedingungen verständigen konnten. Die Einigkeit, einen solchen gemeinsamen Kommentar zur Wissenschaft der Logik zu realisieren, wog schwerer als die Einsicht, dass der je eigene Ansatz nicht von allen anderen Beiträgern als angemessen übernommen wurde.

Vorwort der Herausgeber

IX

Von dort an bis zum Erscheinen des Bandes brauchte es noch einmal sieben Jahre; damit wurde das ursprüngliche Ziel, innerhalb des Intervalls des zweihundertjährigen Jubiläums des erstmaligen Erscheinens der Wissenschaft der Logik zu bleiben, verfehlt. Doch das grundlegende Ziel, einen das gesamte Werk einschließenden Kommentar vorzulegen, ist mit der Publikation dieses Bandes erreicht worden. Trotz der Grenzen und verbliebenen Unzulänglichkeiten sind wir davon überzeugt, dass unser gemeinsamer Kommentar eine gute Grundlage dafür ist, in zukünftigen Forschungsbeiträgen an die hier präsentierten Einsichten anzuknüpfen und das Verständnis von Hegels Wissenschaft der Logik weiter zu vertiefen. Zitiert wird in diesem Kommentar nach den Ausgaben der Wissenschaft der Logik Hegels, wie sie im Rahmen der Gesammelten Werke vorliegen, die in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft von der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und dem Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum herausgegeben wurden. Hervorhebungen wurden, es sei denn, dies ist anders vermerkt, nach dem Original wiedergegeben. Dies gilt mit Ausnahme der Textteile im Sperrsatz, die zum Zweck der leichteren Lesbarkeit, kursiv dargestellt werden. Damit bleibt uns nur noch, den Beiträgern für ihren Text und vor allem dafür zu danken, dieses Projekt über ein Jahrzehnt nicht aufgegeben zu haben. Dem Meiner Verlag, insbesondere Horst D. Brandt und Marcel SimonGadhof danken wir für die langjährige Unterstützung und gute Betreuung unseres Bandes; Birgit Sandkaulen sei für ihre Zustimmung gedankt, unseren Kommentar in die Beihefte der Hegel-Studien aufzunehmen, die der ideale Ort für solche grundlegenden Forschungsbeiträge zur Philosophie Hegels sind. Schließlich möchten wir uns bei Tanja Uekötter und Thomas Meyer für ihre Mitarbeit an diesem Band und bei Barbara Gotzes, Carolyn Iselt, Lea Kipper und Tim Rojek für die Mühen des Korrekturlesens bedanken. Münster, im Januar 2018 Michael Quante

Nadine Mooren

ZUM VERHÄLTNIS VON HEGELS Wissenschaft der Logik ZUR Phänomenologie des Geistes IN DER GESTALT VON 1807. EIN ÜBERBLICK Brady Bowman

1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Phänomenologie des Geistes im Kontext der Entstehung von Hegels früher Wissenschaft der Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die entwicklungsgeschichtlichen Leitfragen . . . . . . . . . . . . 2.2 Welche Logik-Konzeption liegt der Phänomenologie des Geistes zugrunde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Wie wurde die Phänomenologie zum ersten Teil des Systems der Wissenschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 6 6 8 15

3. Das systematische Verhältnis von Logik und Phänomenologie . . . 3.1 Die systematischen Leitfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Worin besteht die Entsprechung zwischen Bewusstseinsgestalten und den reinen Bestimmungen der Logik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zur gegenseitigen Voraussetzung von Logik und Phänomenologie: Erscheinung und Wirklichkeit . . . . . . . . 3.3.1 Setzt die Phänomenologie die Logik voraus? . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Setzt die Logik die Phänomenologie voraus? . . . . . . . . . . . .

18 18

24 24 31

4. Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung Die Phänomenologie des Geistes ist Hegels erstes Hauptwerk. Sie ist 1807 im Druck erschienen, einige Monate nachdem Hegel Jena verlassen hat, wo er seit 1801 eine Zeit intensiver philosophischer Entwicklung, teils in enger Zusammenarbeit mit Schelling, durchlebt hatte. Das Werk wurde als Einleitung in sein System der Philosophie und zugleich als dessen erster Teil konzipiert; die Wissenschaft der Logik sollte unmittelbar daran anschließen, gefolgt von Philosophie des Geistes und Naturphilosophie (vgl. GW 9, 447). Diese Konzeption wurde nicht in ihrem vollen Umfang realisiert. Hegel hat Hegel-Studien Beiheft 67 . © Felix Meiner Verlag . ISSN 0440-5927

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Brady Bowman . Zum Verhältnis von Logik und Phänomenologie

sie spätestens 1812 aufgegeben und 1817 durch das in der ersten Auflage der Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften im Grundrisse vorgestellte System ersetzt (vgl. GW 21, 9, Anm.). Dadurch muss sich das Verhältnis der Phänomenologie zur ursprünglich an sie anschließen sollenden Wissenschaft der Logik verändert haben, aber Hegel hat das veränderte Verhältnis leider niemals eindeutig bestimmt. So ist eines der bleibenden Rätsel der Hegel-Forschung entstanden. Das damit verbundene Problem wird durch den Umstand verschärft, dass seit der zweiten Auflage der Enzyklopädie (1827) eine »Phänomenologie des Geistes« genannte, aber dem Werk von 1807 gegenüber deutlich reduzierte Disziplin innerhalb der Philosophie des subjektiven Geistes auft ritt.1 Wie verträgt sich dieser untergeordnete Status mit der Funktion einer Einleitung oder gar einer Voraussetzung der spekulativen Wissenschaft? Ist die gleichnamige enzyklopädische Disziplin überhaupt identisch mit der Phänomenologie des Geistes, wie sie 1807 konzipiert und vorgetragen wurde? Hinzu kommt, dass Hegel seit der zweiten Auflage der Enzyklopädie (1827) eine Betrachtung von drei »Stellungen des Gedankens zur Objektivität« einschaltet als »nähere Einleitung, um die Bedeutung und den Standpunkt, welcher hier der Logik gegeben ist, zu erläutern und herbeizuführen« (GW 19, 50 / ENZ § 25). Wird nicht spätestens dadurch die »Phänomenologie« genannte Disziplin aus ihrer einleitenden Rolle verdrängt?2 Im selben Zusammenhang spricht er auch das 1807 publizierte Werk an und setzt die Gründe auseinander, weshalb die frühere Darstellung »verwickelt« gewesen ist und vermutlich darum hier nicht mehr als Einleitung bevorzugt wird (GW 19, 50 / ENZ § 25, Anm.). In ähnlichem Sinne erwägt er an späterer Stelle den Skeptizismus als eine mögliche Einleitungsmethode. Doch »[d]ie Forderung eines solchen vollbrachten Skepticismus ist dieselbe mit der, daß der Wissenschaft das Zweifeln an Allem, oder vielmehr die Verzweiflung an Allem, d. i. die gänzliche Voraussetzungslosigkeit an Allem vorangehen solle. Sie ist eigentlich in dem Entschluß, rein denken zu wollen, durch die Freiheit vollbracht, welche von Allem abstrahiert und ihre reine

1

Der Sache nach sind dieselben Teile des 1807 veröffentlichten Werkes bereits in der ersten Auflage der Enzyklopädie (1817) in die Lehre vom subjektiven Geist integriert worden, allerdings unter dem Titel »Das Bewusstseyn« (vgl. GW 13, 194–204). Ab der zweiten Auflage (1827) werden dieselben Inhalte nunmehr unter dem Titel »Die Phänomenologie des Geistes« abgehandelt (vgl. GW 19, 316–25). Sie entsprechen dem Stoff der Kapitel 1–4 der Phänomenologie von 1807. Siehe dazu Horstmann (2014), S. 57. 2 Deshalb spricht Fulda (21975, S. 105) von Hegels »Umdeutung der Phänomenologie« in der Systemdarstellung der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Vgl. kritisch dazu Forster (1998), S. 270–81, bes. 280, Fn. 18.

Einleitung

3

Abstraction, die Einfachheit des Denkens, erfaßt« (GW 19, 90–91 / ENZ § 78). Da er in der Einleitung zur Phänomenologie diese als »sich vollbringende[n] Skepticismus« (GW 9, 56) beschrieben hatte, liegt es nahe zu vermuten, Hegel wolle mit dieser Äußerung seine frühere Auffassung revidieren, zur Einleitung bedürfte es eines ausführlichen »Weg[es] des Zweifels« oder gar »der Verzweiflung« (GW 9, 56). Damit konnte es also scheinen, als habe die Phänomenologie jegliche systematische Beziehung zum System im Ganzen und somit auch zur Wissenschaft der Logik eingebüßt. Und dennoch hat Hegel bis zuletzt an der Idee festgehalten, die Phänomenologie sei das »Voraus der Wissenschaft« (GW 9, 448)3. Wie ist das mit seiner veränderten Systemkonzeption zu vereinbaren? Die Frage nach dem Verhältnis der Wissenschaft der Logik zur Phänomenologie des Geistes drängt sich also förmlich auf. Denn einerseits bestimmt Hegel die Phänomenologie in beiden der genannten Werke übereinstimmend als eine Rechtfertigung oder Voraussetzung der spekulativen Wissenschaft.4 Andererseits scheint es, als könne die Phänomenologie diese Rolle unmöglich auch noch in der späteren Konzeption beibehalten haben. Hegel scheint seine frühere Auffassung vom Zweck der Phänomenologie und ihrem Verhältnis zur Logik später revidiert oder gar verworfen zu haben. Zudem gibt der Übergang von der Phänomenologie zur spekulativen Wissenschaft inhaltliche und methodologische Rätsel auf. Die Logik beginnt z. B. mit dem reinen Sein, aber die Phänomenologie führt nicht auf den Gedanken des reinen Seins, sondern zur Idee des absoluten Wissens, die überdies noch mit geschichtlichen und naturphilosophischen Inhalten verflochten ist.5 Sie 3

Vgl. Fulda (21975), S. 105–15. 4 Die Phänomenologie, schreibt Hegel, soll dem »natürlichen«, nicht-spekulativen Bewußtsein eine »Leiter« zum Standpunkt der Wissenschaft reichen, auf der es sich in das eigentlich spekulative Element erheben könne (GW 9, 22–23); insofern stellt die Phänomenologie das »Werden der Wissenschaft überhaupt« dar (GW 9, 24). Sie hat zugleich die Aufgabe, das »wahre Wissen« der Spekulation von dem »unwahren Wissen« als dessen bloßer Erscheinung zu sondern und dadurch den Anspruch der Wissenschaft zu rechtfertigen; insofern ist sie als Darstellung des »erscheinende[n] Wissens« zu bezeichnen (GW 9, 55). In der Logik sagt Hegel, die Phänomenologie habe »den Begriff der Wissenschaft zu [ihrem] Resultate. Dieser Begriff bedarf also […] hier keiner Rechtfertigung, weil er sie daselbst erhalten hat; und er ist keiner andern Rechtfertigung fähig, als nur dieser Hervorbringung desselben durch das Bewußtseyn […]« (GW 21, 32). − In der Einleitung zur Phänomenologie schreibt Hegel, das natürliche Bewusstsein werde sich erweisen, »nur Begriff des Wissens, oder nicht reales Wissen zu seyn«; der in der Phänomenologie darzustellende Weg des Zweifels sei darum »die bewußte Einsicht in die Unwahrheit des erscheinenden Wissens« (GW 9, 56). Demzufolge resultiert aus diesem Weg der gereinigte und ausdrückliche Begriff des Wissens bzw. der Wissenschaft. Hierin stimmen also Hegels spätere Aussagen mit den früheren überein. 5 Vgl. Düsing (1976), S. 207–08.

4

Brady Bowman . Zum Verhältnis von Logik und Phänomenologie

mündet also jedenfalls nicht in die ausdrückliche Anfangsbestimmung der Logik.6 In welchem Sinn genau darf man daher die Phänomenologie als Einoder Überleitung in den Standpunkt der spekulativen Logik verstehen? Auch deutet Hegel an, dass die Wissenschaft lichkeit der Phänomenologie selbst in der spekulativen Logik wurzelt; aber wenn die Logik auch ihrerseits die Phänomenologie zur Voraussetzung hat, entsteht der Eindruck eines circulos vitiosus (vgl. GW 9, 61, 432).7 Es fragt sich abermals, in welchem Sinne die Phänomenologie als Voraussetzung der Logik verstanden werden darf, wenn man Hegel vom Verdacht eines so offenkundigen Fehlers freigesprochen wissen möchte.8 Dennoch ist es weder selbstverständlich noch unschuldig, dergestalt nach dem Verhältnis beider Werke zu fragen. Im Zuge der Begeisterung für den »jungen Hegel«, die auf Wilhelm Diltheys dem Irrationalismus zugewandte Darstellung in Die Jugendgeschichte Hegels (1905) folgte, fanden sich einflussreiche Exegeten ein, die die Phänomenologie ganz von der »Scholastik« der Logik abkoppeln und in eine ihr entgegengesetzte Entwicklungslinie stellen wollten, die in die Zeit vor 1800 zurückreicht. Neben Georg Lukács und dem Hegel-Herausgeber Hermann Glockner sind hier vor allem Hegels französische Ausleger zu nennen: Jean Hyppolite und Alexandre Kojève.9 Sie begreifen das frühe Hauptwerk als das letzte Zeugnis eines lebendigen Philosophierens bei Hegel, ehe er in die Erstarrung »des Systems« verfiel. Der Frage nach dem Verhältnis von Phänomenologie und Logik nachzugehen, könnte so gesehen allenfalls von dem echten philosophischen Gehalt seines Denkens wegführen.10 6

Siehe aber Rosenkranz’ (1844, S. 214) Bericht, demzufolge Hegel in seiner Sommer 1806 gehaltenen Vorlesung über Philosophiam speculativam s. logicam »die Phänomenologie in der Weise mit der Logik« verknüpfte, »daß er jene als Einleitung zu dieser nahm und aus dem Begriff des absoluten Wissens unmittelbar zu dem des Seins überging.« (Zitiert nach Jaeschke (2003), S. 176.) Vgl. dazu auch Kojève (169), S. 155, Fn. 3; Hyppolite (1974), S. 591–95. 7 Der Verdacht, Logik und Phänomenologie setzten sich gegenseitig voraus, wird von Rudolf Haym (1857, S. 252–56), Jean Hyppolite (1974, S. 588) und Jürgen Habermas (1973, S. 33) ausgesprochen. 8 Horstmann (2014, S. 56) sucht den Schein der Zirkularität dadurch zu zerstreuen, dass er den »Standpunkt der Wissenschaft« als solcher deutlicher vom »Standpunkt der Logik« als besonderem Systemteil unterscheidet. 9 Vgl. Wahl (1929), S. v–vii; Koyré (1934), S. 276; Hyppolite (1935); Kojève (1969), S. 133– 34; Lukács (1948); Glockner (1952), Bd. 2, S. 347 ff. Dazu Baugh (1993) sowie ders. (2003). 10 Zur Kritik an dieser Einstellung siehe Fulda (21975), S. 1–3. Insbesondere Pöggeler (1973a, S. 340, 372 ff.) entwirft die Konturen einer einheitlichen, die Zeit vor wie nach Hegels Übersiedlung nach Jena verklammernde Entwicklungsgeschichte, in deren Mittelpunkt die Frage nach der Geschichtlichkeit des spekulativen Denkens steht. Er fasst die Beziehung von Phänomenologie und Logik im Bilde einer »Zwiesel — ein[es] Baum[s] mit zwei Stämmen, die aus einer Wurzel und aus einem Grundstamm erwachsen.« (ebd., S. 359).

Einleitung

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Es wurde damit eine Rezeptionshaltung geprägt, die zumal im englischsprachigem Raum bis heute nachwirkt.11 Danach zu fragen, wie sich die Phänomenologie zur Logik verhalte oder gar danach, wie sie in sich selbst logisch strukturiert sei, impliziert also bereits eine Stellungnahme innerhalb der Hegelforschung. Dieser Beitrag geht entsprechend davon aus, dass eine enge und lebendige Beziehung zwischen den beiden Wissenschaften Phänomenologie und Logik besteht und dass man nicht etwa zwischen einem systematischen und einem anti-systematischen Hegel unterscheiden darf. Spätestens seit der Übersiedlung nach Jena im Jahre 1801 ist Hegels Denken − also auch das der Phänomenologie − durchgehend von der Systematizität, und das besagt näher hin: von der Logizität, geprägt, die auch sein reifes Denken auszeichnet. Dies gehört zu den methodischen Prämissen des entwicklungsgeschichtlichen Ansatzes, der hier verfolgt werden soll. Dieser Zugang ist insbesondere auch deshalb angebracht, weil unser heutiges Verständnis von der Beziehung von Phänomenologie und Logik maßgeblich durch die Einblicke in Hegels Entwicklung beeinflusst worden ist, die erst die in den 1960er Jahren neu einsetzende philologische Forschung gewähren konnte. Im ersten Teil wird deshalb die entwicklungsgeschichtliche Beziehung der beiden Wissenschaften umrissen und die diesbezüglichen Forschungsmeinungen referiert. Hier geht es sachlich um zwei miteinander zusammenhängende Fragen: Welche der verschiedenen Logikkonzeptionen, die Hegel in der Zeit vor und unmittelbar nach Erscheinen der Phänomenologie ausgearbeitet hat, mag dem Werk wohl zugrunde gelegen haben? Und wie kam es im Verlauf der Systementwicklung zur Idee einer in die spekulative Wissenschaft einleitenden Disziplin namens »Phänomenologie des Geistes«? Das Problem hat unterdessen auch an sich selbst systematischen Charakter. Deshalb wird die Methode der systematischen Rekonstruktion angewendet, um den Sinn zu erschließen, in dem die Phänomenologie als Voraussetzung der Logik bzw. die Logik als Voraussetzung der Phänomenologie verstanden werden darf. Im zweiten Teil des Beitrags wird also auf methodologische und inhaltliche Fragen eingegangen, und zwar erstens, in welchem Sinn die Phänomenologie als Einleitung in die Logik verstanden werden soll und zweitens, wie man sich den Übergang von der einen in die andere näher vorzustellen habe. Allerdings werfen beide entwicklungsgeschichtlichen Fragen Probleme auf, die hier nicht endgültig geklärt werden können. Es 11

Mit Hinweis auf die gleichgesinnten Hegel-Interpreten Josiah Royce und H. S. Harris schließt sich z. B. Forster (1998, S. 14, Fn. 6) dem Urteil Diltheys (1959, S. 157) an, die Phänomenologie sei Hegels »gewaltigste Schrift.« Vgl. Hyppolite (1974), S. 55.

6

Brady Bowman . Zum Verhältnis von Logik und Phänomenologie

soll lediglich ein Überblick über die Problematik und die damit zusammenhängende Forschung geboten werden. Der Text wendet sich damit in erster Linie an Leser, die sich der Wissenschaft der Logik bzw. der Phänomenologie zum ersten Mal nähern. Wenn der Leser in den Stand gesetzt wird, zu erkennen, in welchem Grade die Komposition der Phänomenologie und die Entstehungsgeschichte der Hegelschen Logik ineinander verflochten sind und welche systematischen Fragen sich an die Stellung der Phänomenologie zum System der spekulativen Wissenschaft anschließen, hat dieser Beitrag seinen Zweck erfüllt. Die Phänomenologie des Geistes im Kontext der frühen Logik Hegels

2. Die Phänomenologie des Geistes im Kontext der Entstehung von Hegels früher Wissenschaft der Logik 2.1 Die entwicklungsgeschichtlichen Leitfragen Hier soll zunächst ein kurzer Abriss der Entwicklung von Hegels Logik-Konzeption in der Jenaer Zeit (1801–7) vorgestellt werden. Dieser Abriss dient zur Beantwortung von zwei miteinander zusammenhängenden Fragen: (a) Welche Logik liegt der Phänomenologie des Geistes zugrunde? (b) Wie ist es überhaupt dazugekommen, dass die »Phänomenologie des Geistes« − eine bis dahin von Hegel unerwähnte philosophische Disziplin − die Funktion einer Einleitung oder Hinführung zur spekulativen Logik übernehmen konnte? Die erste Frage ist insofern relevant, als Hegel die eindeutige Zuordnung von phänomenologischen Bewusstseinsgestalten zu den »abstracten Momente[n] der Wissenschaft«, d. h. zur Logik, ausdrücklich behauptet (GW 9, 432). Überdies scheint er den Wissenschaftsanspruch der Phänomenologie selbst auf ihre Beziehung zur Wissenschaft der Logik zu gründen: »Diese Bewegung der reinen Wesenheiten [d. h. der reinen Denkbestimmungen der Logik/B.B.] macht die Natur der Wissenschaft lichkeit überhaupt aus. Als der Zusammenhang ihres Inhalts betrachtet, ist sie die Nothwendigkeit und Ausbreitung desselben zum organischen Ganzen. Der Weg, wodurch der Begriff des Wissens erreicht wird, wird durch sie gleichfalls ein nothwendiges und vollständiges Werden« (GW 9, 28).

Allem Anschein nach stellt die Logik also die wissenschaft liche Grundlage der Phänomenologie dar.12 Von daher verspricht die nähere Auskunft über 12

Diese These bezeichnet Forster (1998, S. 272) als »the popular view« und weist sie

Die Phänomenologie des Geistes im Kontext der frühen Logik Hegels

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diese »abstrakten Momente« und ihre Bewegung, den Inhalt und die Methode der Phänomenologie weiter zu erhellen. Aber wie wir wissen, ist Hegels Logik-Konzept in der Jenaer Zeit in stetem Wandel begriffen gewesen. Er selber wird im Brief an Niethammer (20.5.1808) etwa ein Jahr nach der Publikation der Phänomenologie bekennen, er habe zu seiner »Logik, wie sie jetzt zu werden anfängt, […] in Jena kaum den Grund gelegt« (HBr 1: 244). Die logische Wissenschaft, soweit Hegel sie in der Zeit kurz vor bzw. während der Abfassung der Phänomenologie erarbeitet hatte, lässt sich jedoch nur aus aufeinanderfolgenden Entwürfen rekonstruieren, die teils nur in fragmentarischem Zustand überliefert worden, teils aber sogar auch nur aus flüchtigen Skizzen zu erschließen sind. Deshalb ist man auf mitunter recht unsichere Rekonstruktionsversuche angewiesen, wenn man die erhoffte Auskunft einholen will. Die zweite Frage ist unter anderem auch deshalb interessant, weil in der Hegel-Forschung umstritten ist, ob und in welchem Sinn die Phänomenologie überhaupt als Einleitung in die Logik gelten darf.13 Grundsätzlich droht hier eine petitio principii, gegen die man Hegel gern in Schutz nehmen möchte: Wenn die Wissenschaft lichkeit der Phänomenologie auf derjenigen der Logik selber beruht und doch zugleich als eine Voraussetzung der Logik angesprochen wird, scheint der Zirkel unvermeidlich (vgl. GW 21, 54).14 In Anbetracht der unsicheren Stellung der Phänomenologie im reifen System mag man immerhin fragen, wie es am Ende der Jenaer Zeit dazu gekommen ist, dass diese damals scheinbar gänzlich neue Disziplin der »Phänomenologie« als notwendig erster Teil des Systems und als dessen Einleitung aufgefasst werden konnte.

bei verschiedenen einflussreichen Interpreten nach. Er erkennt ihre Plausibilität zwar an, glaubt jedoch letztlich zeigen zu können, dass die Phänomenologie eine ihrem Wissenschaftsanspruch von der Logik völlig unabhängige Disziplin bildet (ebd., S. 270–81). Zwar aus anderen Gründen, aber mit ähnlichem Fazit Horstmann (2014), S. 56. 13 Vgl. GW 21, 54 und GW 20, 68 / ENZ § 25. In den gedruckten Schriften bezeichnet Hegel selbst die Phänomenologie nirgends ausdrücklich als »Einleitung«; vgl. dagegen den Brief an Schelling vom 1.5.1807, in dem er das Wort doch einmal anwendet (HBr 1: 161). 14 Zum Zirkel-Problem vgl. Düsing (1976), S. 92; siehe auch Horstmann (2003) sowie ders. (2014).

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Brady Bowman . Zum Verhältnis von Logik und Phänomenologie

2.2 Welche Logik-Konzeption liegt der Phänomenologie des Geistes zugrunde? Hegels Jenaer Logik-Konzeptionen lassen sich sinnvoll in drei Entwicklungsphasen unterteilen. Anders als in den reifen Werken konzipiert Hegel zu Beginn der Jenaer Zeit (1801–1802/3) Logik und spekulative Wissenschaft oder Metaphysik als zwei voneinander deutlich unterschiedene Disziplinen.15 In dieser ersten Phase übernimmt die Logik eine rein negative Funktion: Sie ist die Darstellung des Endlichen als solchen, aus dessen Vernichtung die negative Erkenntnis des Absoluten hervorgehen soll.16 Als »das Endliche« werden näher die von Kant identifizierten Kategorien der Qualität, Quantität, Relation und Modalität sowie die Formen von Begriff, Urteil und Schluss bezeichnet, in denen der Verstand eine bloß »formelle«, der antinomischen Struktur des wahren Unendlichen entbehrende Identität hervorbringt. Diese Logik, die Hegel mit dem antiken Skeptizismus assoziiert,17 weist dialektische Züge auf, wie man sie aus der späteren Konzeption ebenfalls kennt: Aus der Einheit entgegengesetzter Bestimmungen werden Widersprüche konstruiert, welche die Unfähigkeit solcher Bestimmungen erweist, spekulative Wahrheit zu erfassen. Anders jedoch als in der späteren Logik gilt Hegel zu diesem Zeitpunkt die Dialektik nicht als in den endlichen Formen selbst immanent enthalten, sondern als eine vom betrachtenden Philosophen äußerlich an ihnen herbeigeführte. Erst nach Durchführung der dialektischen Vernichtung des Endlichen wird zur positiven Erkenntnis des Absoluten in der Metaphysik fortgeschritten.18 In den aus der zweiten Entwicklungsphase (1804/05) überlieferten Entwürfen zur Logik kann man bereits eine Tendenz bei Hegel erkennen, diese scharfe Trennung zwischen Logik und Metaphysik aufzuheben. Hier werden positive Bestimmungen aus der spekulativen Wissenschaft (wie z. B. die »wahre Unendlichkeit«) teilweise schon innerhalb der Logik abgehandelt, was als Zeichen dafür zu deuten ist, dass Hegel begonnen hat, der Logik zumindest in eingeschränktem Maße positive Bedeutung zuzuerkennen und 15

Diese Auffassung geht aus einer Vorlesungsankündigung für das Sommersemester 1802 hervor: »Logicam et metaphysicam sive systema reflexionis et rationis secundum librum sub eodem titulo proditurum« − vgl. Kimmerle (1967), S. 53. Zur Frage der Zuordnung der Logik zum »System der Reflexion« als Anzeichen für den wesentlich negativen Charakter der frühen Logik-Konzeption siehe Düsing (1969), S. 95–128. 16 Meine Darstellung schließt sich hier und im Folgenden eng an die Rekonstruktion von Düsing (1976, S. 75–108, bes. S. 79) an. 17 Vgl. GW 4, 207, 215–16; dazu Buchner (1969). 18 Einblick in Hegels Konzeption von Logik und Metaphysik um diese Zeit gewähren die von Düsing (1988) herausgegebenen Vorlesungsnachschriften.

Die Phänomenologie des Geistes im Kontext der frühen Logik Hegels

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entsprechend auch an dem spekulativen Gehalt selbst dialektische Züge zu entdecken. Dennoch wird hier die Logik nach wie vor noch als Einleitung in die von ihr zu unterscheidende Metaphysik aufgefasst. Diese zweite Phase ist also eine des Übergangs. Erst in der dritten Phase (1805/06) finden wir Indizien dafür, dass Hegel Logik und Metaphysik zu einer einzigen, einheitlich verfahrenden Wissenschaft zusammengeführt haben könnte, wie das für sein reifes Denken kennzeichnend ist. Man kann sich in diesem Punkt allerdings nicht mehr auf einen ausgearbeiteten Entwurf berufen; überliefert ist nur eine flüchtige Notiz am Ende des Manuskripts zur Vorlesung über Naturphilosophie und Philosophie des Geistes, in der Hegel den Inhalt der »speculative[n] Philosophie« in knappen Worten umreißt: »absolutes Seyn, das sich andres, (Verhältnis wird) Leben und Erkennen – und wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich« (GW 8, 286). Die Vermutung, dass Hegel hier unter »spekulativer Philosophie« eine inhaltlich-methodologische Einheit von Logik und Metaphysik versteht, wird durch den Vergleich vor allem mit dem Systementwurf 1804/05 bestätigt, in dem Sein, Verhältnis und z. T. das Erkennen zur Logik gehören, während andere Aspekte des Erkennens sowie selbstbewusste Subjektivität und Geist zur Metaphysik gerechnet werden.19 Eindeutig geht es aus der Formulierung jedoch nicht hervor, dass Hegel hier bereits den Schritt zur »reifen« Systemgestalt vollzogen hätte. Denn in seinen Vorlesungsankündigungen erläutert und präzisiert Hegel den Terminus »spekulative Philosophie« mehrfach durch Nennung von Logik und Metaphysik.20 Wenn er also hier einmal implizite die umgekehrte Richtung einschlägt und die für die jeweiligen Teildisziplinen spezifischen inhaltlichen Themen unter dem gemeinsamen Titel »spekulative Philosophie« zusammenfasst, brauchen wir das nicht notwendig als Indiz für eine Wand19

Dazu ausführlich Trede (1975). Vgl. auch neuerdings Schäfer (2001), S. 164–176. Für das Wintersemester 1804/05 kündigt Hegel »Philosophiam speculativam (logicen et metaphysicen)« an; ähnlich für das Sommersemester 1807: »Logicam et Metaphysicam s[ive] philosophiam speculativam.« Eine signifi kante Ausnahme bildet unterdessen die Ankündigung für das Wintersemester 1803/04, in der nicht nur Logik und Metaphysik, die hier zum einzigen Mal mit dem transzendentalen Idealismus identifi ziert werden, sondern auch Natur- und Geistesphilosophie als zum System der spekulativen Philosophie ausgewiesen werden: »Philosophiae speculativae systema, complectens a) logicam et metaphysicam, sive Idealismum transcendentalem, b) philosophiam naturae et c) mentis« (vgl. Kimmerle (1967), S. 55–56). − Hegels Vorlesungsankündigungen sind also trotz ihrer einigermaßen stereotypen Formulierung doch nicht hinreichend einheitlich, um eine zuverlässige Grundlage zu bieten, auf der man die Entwicklung seiner Systemkonzeption beurteilen dürfte. 20

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lung der Systemkonzeption gegenüber den vorangegangenen Entwürfen zu werten. Dass Hegel zu diesem Zeitpunkt Logik und Metaphysik als eine Einheit begreift, mag also zusätzlich durch eine Vorlesungsankündigung für das Sommersemester 1806 belegt werden, in dem von »philosophia speculativa s[ive] logica« die Rede ist. Wenn es richtig ist, das »s« zu »sive« zu vervollständigen, wie Düsing vorschlägt, dann dürfte diese kurze Phrase wohl als Ausdruck der Synonymität der beiden Termini gelesen werden: Logik, in die die vorher zur »Metaphysik« gerechneten affirmativen Momente integriert worden sind, gilt nunmehr als identisch mit spekulativer Philosophie als solcher und im Ganzen.21 Dann muss man es zwar allerdings als irritierend empfinden, wenn Hegel für das darauffolgende Wintersemester 1806/07 wieder »Logicam et Metaphysicam s[ive] philosophiam speculativam, praemissa Phenomenologia mentis ex libri sui: System der Wissenschaft« ankündigt und terminologisch zwischen den beiden Teildisziplinen erneut unterscheidet.22 Aber dafür sei hinwiederum auf einen Passus aus der Vorrede zur Phänomenologie hingewiesen, in dem Hegel erklärt, die Logik unterscheide sich dadurch von der Phänomenologie, dass in jener der Inhalt noch mit dem Gegensatz des Bewusstseins behaftet sei. In der Logik dagegen fallen die »Momente des Geistes […] nicht mehr in den Gegensatz des Seyns und Wissens auseinander, sondern bleiben in der Einfachheit des Wissens, sind das Wahre in der Form des Wahren, und ihre Verschiedenheit ist nur Verschiedenheit des Inhalts. Ihre Bewegung, die sich in diesem Elemente zum Ganzen organisiert,« so beschließt er seine Erklärung, »ist die Logik oder spekulative Philosophie« (GW 9, 30).23 Dieser Passus vermag die Frage zwar nicht letztgültig zu entscheiden, wohl aber spricht sie für die u. a. von

21

Vgl. Düsing (1976), S. 156. Eine prägnante Zusammenfassung der Beweisstücke für die Auffassung, Hegel habe zum Zeitpunkt seiner Arbeit an der Phänomenologie bereits begonnen, Logik und Metaphysik als systematische Einheit zu verstehen, fi ndet sich bei Forster (1998), S. 516–18. Allerdings fi ndet Forster die Zuordnung dieser nunmehr spekulativen Logik zur Skizze aus dem Jahre 1805/06 unplausibel und sieht in ihr eher noch ein Festhalten an der Trennung von Logik und Metaphysik (ebd., S. 518–21). 22 Darum nennt Horstmann (2014, S. 47) diese spätere Ankündigung »äußerst eigenartig,« denn sie erscheint zu einem Zeitpunkt, »von dem wir gemeinhin nicht nur annehmen, dass Hegel die Unterscheidung zwischen Logik und Metaphysik schon längst aufgegeben hat, sondern zu dem er auch schon weit in der Umgestaltung der Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins fortgeschritten sein muss.« 23 Horstmann (2014, S. 49) zitiert diesen Passus zwar auch, aber ohne ihn zur Deutung des von Düsing herangezogenen Ankündigungstextes für das Sommersemester 1806 in Beziehung zu setzen.

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Düsing vertretene Deutung des Ankündigungstextes des Sommersemesters 1806.24 Um die Rekonstruktion der Logik-Konzeption, die zur Zeit der Entstehung der Phänomenologie etwa vorgelegen haben mag, durch weitere Indizien zu stützen, wird man nicht umhin können, auch auf Entwürfe zurückzugreifen, die zwar auf die Zeit nach Vollendung des Werks zu datieren, aber dennoch zeitlich eng benachbart sind. Hegel hat ursprünglich beabsichtigt, auf die Phänomenologie einen zweiten Teil der Wissenschaft folgen zu lassen, der neben der Logik auch die beiden Realphilosophien der Natur und des Geistes enthalten hätte (vgl. GW 21, 8–9). Dieses Vorhaben hat er zwar nicht verwirklicht und später gab er die ihm zugrundeliegende Systemkonzeption auf. Kurz nach seiner Umsiedlung nach Nürnberg trägt er jedoch 1808/09 eine Fassung der Logik vor, die der später veröffentlichten Fassung näher steht als alle vorhergehenden, nämlich die Logik der Nürnberger Propädeutik (GW 10, 1, 62–79). Diese Logik untergliedert sich wie folgt:

24

Horstmann (2014) begründet seine Bestimmung des Verhältnisses der Phänomenologie zur Logik zum Teil durch den Hinweis darauf, dass es keine wirklich eindeutigen Belege dafür gibt, dass Hegel bereits zur Zeit seiner Arbeit an der Phänomenologie die skeptisch-destruktive, einleitende Disziplin der »Logik« zur Einheit mit der affi rmativ-behauptenden, konstruktiven Disziplin der »Metaphysik« zusammengeführt hätte. Denn wenn es der Fall sein sollte, dass Hegel 1806/07 noch an der getrennten Funktion der Logik als skeptischer Einleitung in bzw. Hinführung zur spekulativen Philosophie festgehalten habe, dann gilt folgende Überlegung: »Nun ist es durchaus so, dass Hegel zur Zeit der Abfassung der Phänomenologie über eine Logik verfügt, besser: über etwas verfügt, was er in der Zeit vor der Phänomenologie ›Logik‹ genannt hat. Doch bekanntlich war diese Logik selbst als eine Einleitung, nämlich in die sogenannte ›Metaphysik‹, konzipiert. Hat es Sinn anzunehmen, dass die Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins, also die Rumpf-Phänomenologie, als eine Einleitung in eine Einleitung konzipiert war? Nicht wirklich. Daher gibt man die Ansicht, die Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins/Rumpf-Phänomenologie solle in eine Logik genannte Disziplin einfü hren, besser erst einmal auf, wenn man unter dieser Logik die in die Metaphysik einleitende Disziplin versteht« (Horstmann 2014, S. 46). − Die Gültigkeit von Horstmanns Folgerung wird freilich von derselben philologischen Lage eingeschränkt, wie die Thesen etwa von Düsing.

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Erster Abschnitt: Ontologische Logik I. Sein A. Qualität a. Sein b. Dasein c. Veränderung

B. Quantität a. Fürsichsein (Idealität) b. Quantum

C. Unendlichkeit II. Wesen A. Begriff des Wesens B. Satz C. Grund und Begründetes

III. Wirklichkeit 1. Substanz 2. Ursache 3. Wechselwirkung Zweiter Abschnitt: Subjektive Logik I. Begriff II. Urteil III. Schluß Dritter Abschnitt: Ideenlehre I. Idee des Lebens II. Idee des Erkennens III. Absolute Idee oder das Wissen

1. Ganzes und Teile 2. Kraft und ihre Äußerung 3. Inneres und Äußeres

Eindeutiger noch als in der Skizze 1805/06 liegt hier die vollständige Integration von Logik und Metaphysik offen zutage. Sie kann daher als die erste ausführliche Darlegung von Hegels reifer Logik-Konzeption gelten, auch wenn diese bis zur endgültigen Gestalt noch etliche Modifi kationen erfahren sollte.25 Nun entsteht die Frage, welche der beiden, der Komposition der Phänomenologie zeitlich eng benachbarten Logik-Fassungen jenem Werk zugrunde liegen könnte − falls nicht etwa eine dritte, nicht überlieferte Konzeption für die Phänomenologie leitend gewesen ist, deren Spuren ausschließlich in dem Werk selbst zu finden wären.26 Von einiger Brisanz ist diese Frage deshalb, weil sie mit einem alten, intensiv diskutierten und weiterhin ungelösten Problem der Hegel-Forschung verflochten ist: Beruht die Phänomenologie über-

25

Vgl. zu den Nürnberger Logik-Entwürfen Horstmann (2014, S. 51), der sie vor allem als Indiz dafür versteht, wie sehr Hegels eigene Konzeption der Logik zu diesem Zeitpunkt noch im Flusse ist. An derselben Stelle weist Horstmann ebenfalls an die Psychologie-Nachschrift Meinel (bes. GW 10,2, 524–34), die er als frühen Ansatz wertet, die Gehalte der 1807er Phänomenologie des Geistes »in eine in die Philosophie einleitende Geist-Lehre zu integrieren« (ebd., Fn. 12), was in der ersten Auflage der Enzyklopädie 1817 dann schließlich zumindest teilweise in die Wirklichkeit umgesetzt wird. 26 Vgl. Pöggeler (1973b), bes. S. 257–71; siehe auch ders. (1973a), S. 329–90, bes. S. 365, 382.

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haupt auf einer einheitlichen Konzeption oder ist ihre Gestalt nicht vielleicht noch während ihres Entstehens durch eine einschneidende Änderung im ursprünglichen Plan bestimmt gewesen, die mit diesem nicht mehr vollständig zu vermitteln gewesen ist? Die Vermutung, es liege der Phänomenologie keine einheitliche Konzeption zugrunde, wurde zuerst 1857 von Rudolf Haym aufgestellt.27 Bis in die 1960er Jahre herrschte die Meinung vor, Hegel habe seinen ursprünglichen Plan verworfen und den Bruch nachträglich zu verdecken gesucht, etwa indem er die durchgehende Nummerierung der Kapitel in römischen Zahlen, die man im Text findet, durch eine zweite, durch Großbuchstaben gekennzeichnete Gliederung ergänzt hat, die sich nur in dem als letztes gedruckten Inhaltsverzeichnis findet. In aller Schärfe ausgesprochen findet sich diese These bei Theodor Haering (1934), dem sich weitere Forscher angeschlossen haben, so z. B. der Herausgeber von Hegels Werken, Johannes Hoff meister.28 Die Forschung, die Mitte der 1960er Jahre im Umfeld der historisch-kritischen Ausgabe von Hegels Werken einsetzte, konnte diese Frage jedoch auf der Grundlage einer viel genaueren Datierung und Kenntnis der relevanten Dokumente neu aufrollen. Unter Rückgriff auf die Logik-Entwürfe bzw. -Skizzen der Zeit unmittelbar vor und nach der Komposition der Phänomenologie haben sich vor allem Fulda, Heinrichs und Trede um den Nachweis einer stringent durchgehaltenen Werkeinheit bemüht.29 Mit Einschränkungen zählt auch Pöggeler zu diesem Lager, indem er zwar aus philologischer Perspektive den Bruch in der Komposition des Werkes für unbezweifelbar hält, aber dennoch eine übergreifende konzeptionelle Einheit anerkennt, die in der Frage nach der Geschichtlichkeit spekulativer Wissenschaft gründe und sich bis in Hegels Frankfurter Zeit zurückverfolgen lasse.30 Insbesondere für die Untersuchungen von Fulda und Trede spielt die Skizze 1805/06 eine Hauptrolle, denn sie erlaubt es, die von Hegel scheinbar nachgetragene Buchstabengliederung des Logikgrundrisses eindeutig zuzuordnen:31

27

Vgl. Haym (1857), S. 235–8. Haering (1934), S. 118–38; vgl. ders. (1929), Bd. 2, S. 479–86; siehe auch Hoff meister (1934), V–XLII. Für einen Überblick über die Diskussion über die Einheit der Phänomenologie bis in die 1960er Jahre siehe Fulda (21975), Forster (1998). 29 Neben den oben genannten Texten von Fulda und Trede siehe Heinrichs (1974). 30 Pöggeler (1973a), S. 379–82. Eine mit Einschränkungen ähnliche Auffassung vertritt Horstmann (2014), S. 14. 31 Diese Zuordnung geht auf Trede zurück und weicht in manchen Details von Fulda und Pöggeler ab: Vgl. Trede (1975), S. 195–206. 28

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[1] Absolutes Sein, das sich andres (A) Bewußtsein [Ansichsein des Geistes] (Verhältnis) wird (B) Selbstbewußtsein [Fürsichsein des [2] Leben und Erkennen Geistes] (C) (AA) Vernunft [An- und -Fürsich[3] wissendes Wissen sein des Geistes an sich] (C) (BB) Geist [An- und -Fürsichsein [4] Geist, des Geistes für sich] [5] Wissen des Geistes von sich (C) (CC) Religion und (DD) absolutes Wissen [An- und Fürsichsein des Geistes an und für sich] Diese Zuordnung erlaubt es zum Einen, alle Kapitel des Werkes in eine übergreifende Einheit zu integrieren; sie kann zudem als Basis einer weitergehenden Rekonstruktion der logischen Kategorien dienen, die in den einzelnen Kapiteln wirksam sind.32 Die Plausibilität dieser Rekonstruktionsversuche wird man nicht vollends leugnen können; sie üben auch an sich schon eine starke Anziehungskraft aus, indem sie Einsicht in die Kohärenz eines Werkes versprechen, das seine Einheit überall anzudeuten scheint, ohne sie jemals völlig ans Licht treten zu lassen. Dennoch haben sie die Vertreter der entgegengesetzten Sichtweise nicht dazu zwingen können, das Feld zu räumen. Forsters Rekonstruktionsversuch in Hegel’s Idea of a Phenomenology of Spirit (1998) geht von der Nürnberger Propädeutik aus. Er führt vor, wie sich die Untergliederung dieser späteren Logik schlüssig auf die Phänomenologie abbilden lässt — allerdings nur auf die Kapitel I bis V, also bis zum Schluss des »Vernunft«-Kapitels.33 Forsters Analyse stellt insofern einen echten Fortschritt für das Lager der Einheitsskeptiker dar, als er zum ersten Mal die These des Bruches in voller Kenntnis der Quellen und auf der Grundlage der Entwicklungsgeschichte der Hegelschen Logik vertreten konnte. Neuerdings hat auch Eckart Förster die These wenn nicht eines Bruches, so immerhin einer bedeutenden konzeptionellen Verschiebung noch aus anderen, auf Hegels Rezeption von Goethes Methodologie zurückgehenden Gründen vertreten.34 Förster führt somit einen von der Wissenschaft der Logik unabhängigen Beweis, der insofern als zusätzliche Bestätigung für die These eines Bruches gewertet werden

32

Zu den Einzelheiten der von dieser Zuordnung ausgehenden Rekonstruktionsalternativen vgl. Fulda (1966), Pöggeler (1973a), Trede (1975). 33 Forster (1998), S. 505–35. 34 Siehe Förster (2011), S. 299–366; vgl. ders. (2008).

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mag. Das alte Problem darf man also auch heute nicht als endgültig gelöst betrachten.

2.3 Wie wurde die Phänomenologie zum ersten Teil des Systems der Wissenschaft? Im vorherigen Abschnitt haben wir gesehen, wie Hegel im Verlauf der Jenaer Zeit die systematische Stellung der Logik schrittweise transformierte. Sie stellte zunächst eine negative Einleitung in das von der Logik deutlich zu unterscheidende metaphysische Erkennen dar, die auf dem Wege einer »skeptischen« Destruktion der bloß endlichen Erkenntnisformen zur Einsicht führen sollte, dass wahre Erkenntnis des Absoluten eine andere Form als die des Verstandes verlangt. Wie aber unschwer zu erkennen ist — und wie Hegel selbst ausdrücklich bestätigt — kann die frühe skeptische Logik diesen Zweck nur dann erfüllen, wenn von Seiten des Lesers eine Bekanntschaft mit dem Absoluten, etwa in Form einer »[t]ranscendentale[n] Anschauung«, vorausgesetzt werden darf (vgl. GW 4, 27–28, 207–09). Denn die bloß negative Destruktion oder Aufhebung der endlichen Formen reicht allein nicht hin, um die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit einer alternativen Erkenntnisweise darzutun; eher möchte man vermuten, dass sie für sich genommen einen uneingeschränkten Skeptizismus zur Folge haben müsste. Die skeptische Logik kann ihre Einleitungsfunktion also nur erfüllen, wenn sie die Erkenntnis bereits voraussetzt, in die sie erst einzuführen beansprucht. Sie ist von daher sowohl zirkulär als auch für denjenigen, dem sie nützen sollte, überflüssig.35 Dieses Problem mag die Spannung erzeugt haben, welche Hegel nach und nach dazu antrieb, der Logik eine zugleich destruktive und konstruktive Funktion zuzuschreiben.36 Schließlich wurde sie zur spekulativen Logik in dem präzisen Sinn, dass sie die positiven Gehalte der ehemals von ihr getrennten spekulativen Metaphysik in sich integrierte und somit aufhörte, von dieser wesentlich unterschieden zu sein. Wenn die positiven Gehalte also nunmehr in ein und demselben Gang mit dem kritischen Abbau bloß endlicher Kategorien erzeugt werden, kann man das Problem der Zirkularität im Prinzip als gelöst betrachten. Dafür könnte es aber scheinen, als sei dadurch ein neues Problem entstanden. In ihrer skeptischen Gestalt sollte die Logik 35

Zur Kritik an der frühen Logik-Konzeption in diesem Sinne siehe Düsing (1976), S. 91–92, sowie Horstmann (2003); vgl. Förster (2011), S. 281–84. 36 Vgl. Düsing (1976), S. 150–59.

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eine von der Wissenschaft verschiedene, zu dieser erst hinführende Einleitung darstellen, welche den Standpunkt der spekulativen Wissenschaft auch an diejenigen vermitteln könnte, die ihn von sich aus noch nicht eingenommen haben. Nun stellt sich die Frage: Ist durch die Assimilation von Logik und Metaphysik zu einer einzigen, in sich geschlossenen spekulativen Wissenschaft die Stelle einer Einleitung vakant geworden? Oder hat es sich nicht vielmehr als überflüssig erwiesen, der Einleitung in die Wissenschaft eine gesonderte Stellung zuzuweisen, da der bewusste Abbau von bloß endlichen Voraussetzungen nunmehr in die Wissenschaft selbst integriert worden ist? Diese Alternative bezeichnet m. E. die Hauptursache für Hegels spätere zweideutige Haltung gegenüber der Phänomenologie des Geistes. Denn sie ist es, die 1806 an die — inzwischen womöglich redundant gewordene − Stelle der vormaligen skeptischen Logik getreten ist.37 Eines der Anzeichen dafür, dass Hegel selbst sie so verstanden hat, liegt in seiner Charakterisierung der Phänomenologie als eines »sich vollbringende[n] Skepticismus«, der als »Weg der Verzweiflung« das natürliche Bewusstsein nach und nach zum Standpunkt der Wissenschaft hinführt (GW 9, 56). Zu diesem Zeitpunkt sieht Hegel die Notwendigkeit einer Einleitung nicht mehr dadurch begründet, dass die Formen der Endlichkeit als solche abgebaut werden müssen, denn dieser Erweis gehört ja bereits zum Umfang des positiven Systems der Wissenschaft selbst. Stattdessen werden zwei weitere Überlegungen leitend. Zum einen bedarf die Wissenschaft insofern einer Rechtfertigung, als sie zunächst einmal bloß als ein möglicher Standpunkt unter anderen auftritt: »[I]hr Auft reten ist noch nicht sie in ihrer Wahrheit ausgeführt und ausgebreitet. Es ist hiebey gleichgültig, sich vorzustellen, daß sie die Erscheinung ist, weil sie neben anderem auft ritt, oder jenes andere unwahre Wissen ihr Erscheinen zu nennen. Die Wissenschaft muß sich aber von diesem Scheine befreyen, und sie kann diß nur dadurch, daß sie sich gegen ihn wendet. Denn sie kann ein Wissen, welches nicht wahrhafft ist, weder als eine gemeine Ansicht der Dinge nur verwerfen, und versichern, daß sie eine ganz andere Erkenntniß und jenes Wissen für sie gar nichts ist; noch sich auf die Ahndung eines bessern in ihm selbst beruffen« (GW 9, 55).

Zum anderen erkennt Hegel das natürliche Bewusstsein selbst als eine Erscheinungsweise des Geistes an. Darum ist die Forderung des natürlichen 37

Zur Frage, welche Verschiebungen in der Systemkonzeption dazu geführt haben könnten, die Phänomenologie als Einleitungswissenschaft zu entwerfen, vgl. Pöggeler (1973a), S. 345.

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Bewusstseins unbedingt anzuerkennen, dass ihm der Standpunkt der Wissenschaft einsichtig gemacht werde: »Das reine Selbsterkennen im absoluten Andersseyn, dieser Aether als solcher, ist der Grund und Boden der Wissenschaft oder das Wissen im Allgemeinen. Der Anfang der Philosophie macht die Voraussetzung oder Foderung, daß das Bewußtseyn sich in diesem Elemente befinde. Aber dieses Element hat seine Vollendung und Durchsichtigkeit selbst nur durch die Bewegung seines Werdens. […] Die Wissenschaft verlangt von ihrer Seite an das Selbstbewußtseyn, daß es in diesen Aether sich erhoben habe, um mit ihr und in ihr leben zu können und zu leben. Umgekehrt hat das Individuum das Recht zu fodern, daß die Wissenschaft ihm die Leiter wenigstens zu diesem Standpunkte reiche, ihm in ihm selbst denselben aufzeige. Sein Recht gründet sich auf seine absolute Selbständigkeit, die es in jeder Gestalt seines Wissens zu besitzen weiß […]. Diß Werden der Wissenschaft überhaupt, oder des Wissens, ist es, was diese Phänomenologie des Geistes […] darstellt« (GW 9, 22–24)

Aber führen diese Überlegungen zwingend auf den Gedanken einer Einleitung in die Wissenschaft der Logik? Man könnte fragen, ob nicht die Tatsache, dass das Bewusstsein eben an sich schon der Geist ist, alle gesonderte Einleitung überflüssig mache. Hegel wird später den oben zitierten »Entschluß, rein denken zu wollen« als hinreichend zur Erhebung ins Element der Wissenschaft bezeichnen (vgl. GW 19, 91/ ENZ § 78). Aber bereits im Systementwurf von 1804/05 finden wir eine Bemerkung, die auf die Überflüssigkeit einer der Wissenschaft vorausgehenden Einleitung hinzudeuten scheint: »[D]ie Logik begann mit der Einheit selbst, als dem sich selbstgleichen. Sie rechtfertigte sich [nicht] darüber; was hier erst geschieht; indem das Ansich hier sich setzt, als eine sichselbstgleichheit, in welchem alle Momente vertilgt sind, das [sc. als Ansich/B.B.] von dieser Vertilgung herkommt. Jene anfangende Einheit ist Resultat, aber daß sie Resultat ist, diß war an ihr gar nicht ausgesprochen; sie war ein subjectives Resultat, von welchem zu vermuthen stand, daß ihm viel müsse vorausgegangen seyn, um mit ihm anzufangen. Hier in der absoluten Rükkehr zu sich ist sie als dieses Resultat. Insofern sie nicht als Resultat gesetzt war, war sie ein willkührlicher Anfang, der absolut viele neben sich hatte, ein zufällig erstes; hier erweist sie sich als absoluterstes« (GW 7, 129).

Wie in der Vorrede zur Phänomenologie finden wir hier bereits dieselbe Problematik einer nur erscheinenden Wissenschaft, die ihr unbedingtes Recht

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gegenüber alternativen Standpunkten erweisen soll. In der Phänomenologie wird auf diese Problematik hingewiesen, um die Notwendigkeit einer der Wissenschaft vorausgehenden Einleitung zu begründen. Im Systementwurf wird dagegen behauptet, die Logik selber baue ihre Voraussetzungen im Verlauf der Darstellung ab und realisiere dadurch die Rückkehr des Geistes in sich.38 Man sieht also, wie dieselben Wandlungen in Hegels Jenaer Logik-Konzeption, welche die Stelle einer der Wissenschaft selbst vorausgehenden, »skeptischen« Einleitung gleichsam freiwerden lassen, auch dazu tendieren, diese überflüssig zu machen. Aus entwicklungsgeschichtlicher Perspektive könnte die Phänomenologie von daher als eine Art Zwischenprodukt von tektonischen Verschiebungen in der grundlegenden Konzeption der logischen Wissenschaft erscheinen − ein zurückgelassenes Denkmal, welches in seiner Großartigkeit zwar Bewunderung abnötigt, aber seine Stellung im reifen System letztlich nicht behaupten konnte. Dem steht jedoch die Tatsache entgegen, dass Hegel noch in späteren Auflagen der Logik auf die Phänomenologie als eine Wissenschaft verweist, die der Logik vorausgeht und ihre Voraussetzung bildet. Im zweiten Teil dieses Beitrags wird man sich deshalb nach systematischen Gründen umsehen müssen, weshalb die Phänomenologie nach wie vor in lebendiger Beziehung zur Wissenschaft stehen soll.

3. Das systematische Verhältnis von Logik und Phänomenologie Das systematische Verhältnis von Logik und Phänomenologie 3.1 Die systematischen Leitfragen Es sind vor allem zwei systematische Fragen, die im Folgenden leitend sein werden. (1) Was kann es heißen, dass jeder Bewusstseinsgestalt der Phänomenologie ein abstraktes Moment der Wissenschaft zugeordnet ist? Die Antwort auf diese Frage ist bis zu einem gewissen Grad unabhängig davon, welche der verschiedenen Logik-Konzeptionen man als grundlegend erachtet, und sogar auch davon, ob man glaubt, Hegel habe in der Phänomenologie eine einheitliche Konzeption bruchlos verwirklicht. Sofern man der Frage nach dem Verhältnis zur Logik überhaupt einen Sinn zubilligt, wird

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Vgl. in ähnlichem Sinn Fulda (21975), S. 298–99. Düsing (1976, S. 155) deutet diese Stelle allerdings im entgegengesetzten Sinn: Hegels Hinweis auf jenes »viele«, was dem Anfang mit der reinen Sichselbstgleichheit vorangegangen sein müsse, wertet er als frühen Ansatz zur Phänomenologie des Geistes.

Das systematische Verhältnis von Logik und Phänomenologie

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man genötigt sein, prinzipielle Auskunft darüber zu geben, wie sich die reinen Denkbestimmungen in Bewusstseinsgestalten darstellen sollen. Freilich wird die Entscheidung für die eine oder die andere Logik-Konzeption Einfluss darauf haben, wo man im Text die einzelnen Bestimmungen sucht und wie man sie ausweist; aber in systematischer Perspektive sollte es eine, und zwar höchstens eine Antwort geben. (2) In welchem Sinne darf die Phänomenologie als Einleitung in oder Hinführung zur Wissenschaft der Logik gelten? Klar dürfte immerhin jedem sein, der sich mit dem Werk beschäft igt hat, dass es ganz und gar keine Einleitung im gewöhnlichen Sinne darstellt, die etwa durch Vermittlung von nötigen Vorkenntnissen oder durch Bereitstellung von Lemmata den Zugang zur Wissenschaft erleichtern sollte. Vielmehr stellt sich mit dieser Frage ein zweifaches Problem. Auf der einen Seite würde es einen circulos vitiosus bedeuten, wenn die wissenschaft liche Notwendigkeit der Phänomenologie nur von der Warte der Wissenschaft der Logik aus eingesehen werden könnte, denn dann verfiele sie demselben Verdikt der frühen »skeptischen« Logik, nämlich sowohl zirkulär als auch überflüssig zu sein.39 Auf der anderen Seite verfiele der Anspruch der spekulativen Wissenschaft auf Voraussetzungslosigkeit, wenn sie in der Phänomenologie eben doch eine wesentliche Voraussetzung hätte. Im Folgenden werden Ansätze zur Lösung dieser Fragen umrissen.

3.2 Worin besteht die Entsprechung zwischen Bewusstseinsgestalten und den reinen Bestimmungen der Logik? »Jedem abstrakten Momente der Wissenschaft,« schreibt Hegel, entspreche »eine Gestalt des erscheinenden Geistes überhaupt«, d. h. eine »Bewußtseinsgestalt« im weiten Sinne (GW 9, 432). Was hat es mit diesem Entsprechungsverhältnis auf sich? Woran macht es sich fest? Diese Frage setzt eine Vorverständigung über den spezifischen Unterschied zwischen Phänomenologie und Logik voraus. Denn gemeinsam ist beiden, dass sie den Geist zu ihrem wesentlichen Inhalt haben, der sich im einen wie im anderen Fall in seine gesonderten Momente auseinanderlegt, um sie schließlich wieder in sich zurückzunehmen und in ihrer Einheit zu erkennen. In der Logik geschieht die Synthese in der absoluten Idee (die Hegel in der der Phänomenologie zeitlich benachbarten Nürnberger Propädeutik auch einmal als »absolute[s] Wißen« bezeichnet), indem Form und Inhalt der logischen Wissenschaft zusammenfallen (vgl. GW 10, 1, 79; GW 12, 237). In der Phänomenologie 39

Vgl. Horstmann (2014), S. 53–54.

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des Geistes scheint sich eine analoge Synthese zu vollziehen, indem sich der Geist jene von der Aufeinanderfolge der einzelnen Geistesgestalten dargestellte »Gallerie von Bildern« als die Geschichte seines Werdens verinnerlicht und dadurch zum »sich als Geist wissende[n] Geist« wird (GW 9, 433). Wenn also in beiden Fällen − zumal in den frühen Logik-Entwürfen − das zu-sichselbst-Kommen des Geistes den Inhalt ausmacht, wodurch unterscheiden sich dann die zwei Wissenschaften? Auf diese Frage gibt Hegel eine bündige Antwort. Der Geist kennt zwei verschiedene Elemente seines Daseins: das Element seines reinen Daseins einerseits und das Element seines unmittelbaren Daseins andererseits. Ersteres heißt der Begriff und ist Gegenstand der Wissenschaft der Logik; letzteres heißt Bewusstsein und ist Gegenstand der Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes (vgl. GW 9, 29, 432). Im Begriff ist aller Unterschied von Ich und Gegenstand sowie aller empirische Inhalt getilgt. Darin als dem Element der Wissenschaft »breiten sich nun die Momente des Geistes in der Form der Einfachheit aus, die ihren Gegenstand als sich selbst weiß. Sie fallen nicht mehr in den Gegensatz des Seyns und Wissens auseinander, sondern bleiben in der Einfachheit des Wissens, sind das Wahre in der Form des Wahren, und ihre Verschiedenheit ist nur Verschiedenheit des Inhalts« (GW 9, 30; vgl. GW 21, 54). Das Element der Phänomenologie dagegen ist das unmittelbare Dasein des Geistes, in welchem Ich und Gegenstand, Gewissheit und Wahrheit auseinanderfallen und der Vermittlung bedürfen: »Das Element des unmittelbaren Daseyns ist daher die Bestimmtheit, wodurch sich dieser Theil der Wissenschaft von den andern unterscheidet« (GW 9, 29; vgl. GW 12, 17). Unsere Frage nach der näheren Weise der Entsprechung beider Wissenschaften stellt sich also jetztmehr so: Was bedeutet es für eine sonst reine Begriffsbestimmung, im Element des unmittelbaren Daseins vorhanden zu sein und dadurch eine Gestalt des Bewusstseins auszumachen? Die Antwort: Im Element des unmittelbaren Daseins des Geistes, d. h. im Bewusstsein, erscheint eine Begriffsbestimmung als eine durch das (bloß »erscheinende«) Wissen am Gegenstand gesetzte Wesensbestimmung und deren dialektische Entfaltung. Was dieser Satz bedeutet, soll nun ausbuchstabiert werden. »Bewußtsein« zeichnet sich für Hegel durch eine Struktur aus, die sich zum Teil mit dem deckt, was heute vielerorts unter »Intentionalität« verstanden wird: Das Bewusstsein »[…] unterscheidet nemlich etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht; oder wie diß ausgedrückt wird, es ist etwas für dasselbe; und die bestimmte Seite dieses Beziehens, oder des Seyns von Etwas für ein Bewußtseyn ist das Wissen. Von diesem Seyn für ein Anderes, unterscheiden wir aber, das an sich

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seyn; das auf das Wissen bezogene wird ebenso von ihm unterschieden, und gesetzt als seyend auch ausser dieser Beziehung; die Seite dieses an sich heißt Wahrheit« (GW 9, 58)

Das Entscheidende an dieser Bestimmung und das, wodurch es über heutige Auffassungen von Intentionalität hinausgeht, liegt in der Setzung des aufs Wissen Bezogenen »als seiend auch außer dieser Beziehung« zum Wissen. Denn hierdurch erst weist sich das Wissen als Fürwahrhalten aus. Indem der (wie wir heute sagen würden) intentionale Gegenstand oder Gegenstand meiner Vorstellung von mir so aufgefasst oder gesetzt wird, dass er mit eben den Bestimmungen, die er für meine Vorstellung hat, auch außerhalb dieser und in diesem Sinne absolut existiert, habe ich einen Wahrheitsanspruch erhoben. Nun liegt auch folgender Gedanke nahe: Wenn ich es mit meinen Wahrheitsansprüchen ernst meine, müssen diese ein Kriterium gleichsam in sich einschließen, an dem sich meine Gewissheit festmacht und anhand von dem ihre Wahrheit von dritten überprüft werden kann. Meine Ansprüche sollen in diesem Sinne verifizierbar sein. Einiges Überlegen mag darüber hinaus noch zum weiteren Gedanken führen, das Kriterium allgemein zu setzen. Dadurch wird ein bestimmter Wissenstyp als wissenschaft lich ausgezeichnet; zugleich wird ein ihm entsprechender Gegenstandstyp als das im paradigmatischen Sinn Wissbare oder zu Wissende festgelegt. Dies lässt sich anhand eines konkreten, wenngleich etwas vereinfachten Beispiels veranschaulichen. Ein moderner Wissenschaft ler könnte auf die Idee kommen, als echtes Wissen nur das gelten zu lassen, was sich etwa in der Form einer Zuschreibung von Masse und elektrischer Ladung aussagen und somit überprüfen lässt. Man würde demnach keinen wirklich wahrheitsfähigen Anspruch erhoben haben, ehe man nicht das Dasein von etwas gesetzt hätte, das sich als Gegenstand von Masse m und Ladung u bestimmen lässt − ein Atom etwa. Es entspräche dann aber durchaus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, zu sagen: ›Das Wesentliche sind die Atome und wenn man wirklich etwas Wahres zu wissen beansprucht, dann muss sich das Wissen letztlich als Satz der Atomwissenschaft formulieren lassen.‹ Hegels Rede vom »Wahren«, vom »Ansichsein« oder »Wesen« ist m. E. nach diesem Muster zu verstehen. Eine Gestalt des Bewusstseins zeichnet sich dadurch aus, das sie einen bestimmten Gegenstandstyp als im starken Sinne wissbar festlegt und ihre Form des Wissens danach einrichtet. Mit der Festlegung dieses Gegenstandstyps, welcher dann als »das Wahre«, »das Ansichseiende« oder »das Wesentliche« bezeichnet wird, hat das Wissen eine Wesensbestimmung am Gegenstand gesetzt. Diese Wesensbestimmung ist

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es, wodurch eine bestimmte Gestalt des Bewusstseins spezifiziert wird.40 Nach meinem Verständnis ist es eben diese die jeweilige Bewusstseinsgestalt spezifizierende Wesensbestimmung, die wir mit einem »abstrakten Moment der Wissenschaft« identifizieren sollen. Betrachten wir einen Anwendungsfall aus der Phänomenologie selbst. Dort trägt das zweite Kapitel die Überschrift »Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung« (GW 9, 71). Nun kommt das Ding auch in der Wissenschaft der Logik als reine Gedankenbestimmung vor (vgl. GW 11, 327–340, GW 7, 5–12). Wahrnehmung und Täuschung sind dagegen der reinen Wissenschaft fremde Bestimmungen, da sie Zustände des Bewusstseins sind. Was hat es mit diesen Bestimmungen auf sich? Nach einer knappen Rekapitulation des vorausgehenden Resultats führt uns Hegel in das Kapitel ein: »Dieser [neue/B.B.] Gegenstand ist nun näher zu bestimmen, und diese Bestimmung aus dem Resultate das sich [im vorangehenden Kapitel/B.B.] ergeben, kurz zu entwickeln; die ausgeführtere Entwicklung gehört nicht hierher.« (GW 9, 71/Hervorhebungen von B.B.)

Die »ausgeführtere Entwicklung« ist m. E. als Hinweis auf die Logik zu lesen, so dass Hegels nun folgende Bemerkungen entsprechend als eine abgekürzte logische Bestimmung des »Dings« zu gelten haben. Das Kriterium der Wahrheit wird als »die Sichselbstgleichheit« (GW 9, 74) identifiziert − eine Bestimmung, die eng mit der Bestimmung des Allgemeinen verbunden ist. Wie aus dem ersten Kapitel »Sinnliche Gewißheit« hervorgeht, lässt sich ein einfaches sich selbst gleiches Allgemeines nur durch Negation oder Abstraktion von der Vielheit qualitativer Bestimmtheiten festhalten; darum ist es als ein Vermitteltes anzusprechen (GW 9, 71). Dieses Vermitteltsein an sich hat zur Folge, dass das Sichselbstgleiche zugleich jene zu negierende Vielheit an sich selber aufweisen muss. Als Wesen gesetzt wird daher ein Gegenstand, der die Allgemeinheit in dieser entgegengesetzten Bedeutung der einfachen Sichselbstgleichheit und zugleich der vielfachen Andersheit darstellt. Dieser Gegenstand ist es, den Hegel als »das Ding vieler Eigenschaften« bezeichnet. Einerseits scheint nämlich jede Eigenschaft unter Absehung von allen anderen aufgefasst werden und existieren zu können; insofern bezieht sich jede 40

In der Phänomenologie handelt Hegel freilich nicht nur theoretische Ansprüche ab, sondern auch praktische Einstellungen. Das braucht jedoch die Tragweite obiger Erklärung nicht einzuschränken. Denn auch Handlungen haben einen intentionalen Gehalt, der zumal in den Hegel interessierenden Fällen ein dem Wahren analoges Kriterium fi ndet, und zwar das Gute. Ens, verum et bonum convertuntur.

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nur auf sich selbst und ist darin »das reine Allgemeine selbst« (GW 9, 72). Andererseits unterscheidet sich jede Eigenschaft von jeder anderen und ist dadurch eine ausschließende Einheit oder ein »numerisches Eins«. Hierdurch teilt sich die Bestimmung »Eigenschaft« in die entgegengesetzten Momente Sein (Allgemeines) und Negation (Besonderung). Diese Bestimmungen zusammengenommen und in ihrer inneren Einheit gesetzt, ergeben die Bestimmung »Ding.« Allerdings lässt sich die Bestimmung »Ding« als dieselbe Bestimmung erkennen, die die Eigenschaft ist. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass das »Ding« die Einheit der Momente darstellt, wogegen die »Eigenschaft« die Entzweiung oder Besonderung ausdrückt. Bis hierher haben wir es ausschließlich mit logischen Bestimmungen zu tun und diese knappe Entwicklung lässt bereits erkennen, dass die zwei Pole von Sein und Negation (bzw. Allgemeinheit und Besonderung) voneinander zwar unterschieden, nicht aber reell getrennt werden können. Die Wissenschaft der Logik hätte nun zur Aufgabe, die Entfaltung dieser dialektischen Einheit ausführlich darzustellen und ihr Resultat anzugeben. Dagegen wird in der phänomenologischen Betrachtung diese logische Dialektik mit der oben beschriebenen Bewusstseinsstruktur unterlegt. Das wahrnehmende Bewusstsein fasst das Wesen als Sichselbstgleichheit auf − das ist sein spezifisches Wahrheitskriterium. Zugleich ›weiß‹ es um die am Sichselbstgleichen negierte und es darum vermittelnde Vielheit, denn dies ist das Resultat des vorangehenden Kapitels. Diese der Sichselbstgleichheit entgegengesetzte Vielheit muss ihm nun als das Außerwesentliche oder, wenn man will, als das Falsche und nur scheinbar Wirkliche gelten − als eine die Wahrheit trübende oder verdeckende Täuschung. Auf diese Weise kann man erkennen, wie sich die Bewusstseinsgestalt »Wahrnehmung« als eine letztlich inadäquate epistemische Einstellung zu ansonsten rein logischen Bestimmungen spezifiziert: Sie erfasst die Tatsache, dass Sichselbstgleichheit und Sein-für-Anderes oder Negation insofern zusammengehörige Bestimmungen sind, als man sie ausdrücklich zusammen thematisieren und voneinander unterscheiden muss — dies ist es, was sie ihrer noch ärmeren Vorgängergestalt, der sinnlichen Gewissheit, voraus hat. Sie geht jedoch irre, indem sie diese Zusammengehörigkeit zunächst als bloß äußerliche Verbindung der Bestimmungen auffasst und ihre innere, sie letztlich in den Widerspruch treibende Einheit verkennt. Die »Erfahrung« dieser Bewusstseinsgestalt besteht in einer Reihe vergeblicher Versuche, die irrige Auffassung vor dem Widerspruch und der Auflösung zu bewahren. Vor allem in den ersten drei Kapiteln der Phänomenologie lassen sich nun handfeste Hypothesen darüber aufstellen, welche logischen Bestimmungen im Spiel sein könnten, um auf ihrer Grundlage Hegels Argumentation im

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Einzelnen zu rekonstruieren.41 In den zwei darauffolgenden Kapiteln wird dies schwieriger; vollends ab dem sechsten, »Geist« überschriebenen Kapitel sperrt sich der Text hartnäckig gegen eine solche Analyse. Darin liegt einer der Gründe, weshalb manche Interpreten von einem Bruch in der Konzeption des Werkes ausgehen. Soviel ist immerhin festzuhalten: Das Entsprechungsverhältnis zwischen den abstrakten Momenten der Wissenschaft und den Gestalten des Bewusstseins besteht, sofern jeweils vorhanden, in der Festlegung einer der Logik zugehörigen Wesensbestimmung am Gegenstand, die sodann als Wahrheitskriterium aufgefasst und dadurch als Grundlage für das phänomenologische Prüfverfahren in Dienst genommen werden kann.

3.3 Zur gegenseitigen Voraussetzung von Logik und Phänomenologie: Erscheinung und Wirklichkeit

3.3.1 Setzt die Phänomenologie die Logik voraus? Unter den neueren Hegel-Interpreten hat Michael Forster mit größtem Nachdruck die These vertreten, die Phänomenologie beruhe auf einer von der Logik völlig unabhängigen wissenschaft lichen Grundlage. Forster sieht eine der Hauptaufgaben des Werkes darin, die spekulative Wissenschaft schon im Vorfeld gegen die Möglichkeit skeptischer Angriffe abzusichern und einen Beweis ihrer Gültigkeit zu liefern, der auch von solchen Menschen als zwingend anerkannt werden müsse, die den »Standpunkt der Wissenschaft« noch nicht teilen und die mit eigenen bereits bestehenden Überzeugungen und Kriterien an das Werk herantreten.42 Forster akzeptiert damit die Prämisse, dass die logische Wissenschaft einer externen Rechtfertigung bedarf. Prima 41

Ähnlich die logischen Bestimmungen, die in Kapitel »Kraft und Verstand« zu erkennen sind: Neben den Hauptbestimmungen Kraft und Äußerung selbst macht Hegel die Momente Existenz, Wirklichkeit, Erscheinung, Grund, Inneres und Äußeres sowie Unendlichkeit namhaft (vgl. GW 9, 84, 87, 88, 90 resp.). Das sind ausnahmslos logische Bestimmungen, die Hegel ebenfalls in der Lehre vom Wesen abhandelt (vgl. GW 11, 291–314 (Grund), 324 (Existenz), 341 (Erscheinung), 359 (Kraft, Äußerung), 364 (Unendlichkeit der Kraft ; Inneres, Äußeres), 380 (Wirklichkeit)). Vgl. GW 10, 67–68. — Die Tatsache, dass die im engen Sinn logische Entwicklung jene Bestimmungen in einer abweichenden Reihenfolge abhandelt, bietet Anlass zu der weitergehenden, im Rahmen vorliegenden Textes jedoch nicht mehr angemessen zu behandelnde Frage, ob und inwiefern die Sequenz, in der sie im Werk von 1807 vorkommen, durch die Eigenart der phänomenologischen Betrachtung als solcher bedingt ist. 42 Forster (1998), S. 126.

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facie entsteht dadurch eine Spannung sowohl zum Anspruch der spekulativen Logik auf Voraussetzungslosigkeit als auch zu Hegels Ablehnung der »Tendenz des Erklärens« und zu seiner Empfehlung, den Anfang gleichsam dezisionistisch zu setzen, und zwar durch einen »Entschluß, rein denken zu wollen«.43 Zugleich wird natürlich dadurch der Druck erhöht, die Phänomenologie auf eine eigenständige wissenschaft liche Grundlage zu stellen, da sie ihrer vorgesehenen Aufgabe andernfalls nicht gerecht werden könnte. Forster sucht die scheinbare Spannung zur inhaltlichen Voraussetzungslosigkeit der Logik aufzulösen, indem er auf den skeptischen Topos der Leiter rekurriert, die man wegstößt, nachdem man an ihr hochgestiegen ist.44 Die Phänomenologie vermittelt die Logik nicht in dem Sinne, wie ein Grund das durch ihn Begründete vermittelt, sondern indem sie die der Wissenschaft scheinbar entgegenstehenden Gründe widerlegt und abbaut. Zwar macht sie zu diesem Zweck Gebrauch von Voraussetzungen, aber diese werden erstens aus den zu widerlegenden außerwissenschaft lichen Positionen übernommen − nicht aus der Wissenschaft selbst; und zweitens gehen die Resultate der Phänomenologie nicht positiv in die Wissenschaft ein als ein anderswo Bewiesenes und von außen in sie Hereingenommenes. Die Phänomenologie wird vielmehr in die Wissenschaft der Logik aufgehoben.45 Aber wie ist dann die Entsprechung zwischen Bewusstseinsgestalten und reinen Denkbestimmungen zu erklären? Setzt die Phänomenologie diese nicht von Anfang an voraus und macht von ihnen Gebrauch? Und wie erklärt sich Hegels Inanspruchnahme zweier Perspektiven, einer inadäquaten oder teilweise falschen Perspektive »für das [phänomenologisch zu betrachtende] Bewußtsein« und einer adäquaten oder wahren Perspektive, aus der allein die Notwendigkeit der Aufeinanderfolge von Gestalten sichtbar wird und die nur »für uns« vorhanden ist (vgl. etwa GW 9, 61–62)? − Forster sieht den springenden Punkt darin, dass der Leser der Phänomenologie keine Informationen aus der Wissenschaft der Logik benötigt, um die Dialektik der Bestimmungen und die Notwendigkeit des Fortgangs zu erkennen und nachzuvollziehen.46 Wohl mag sich die Notwendigkeit der Aufeinanderfolge von Gestalten und somit die Wissenschaft lichkeit der Phänomenologie im ganzen aus dem in der Wissenschaft der Logik exponierten Wesen des reinen Begriffs erklären; mit anderen Worten mag die wissenschaft liche Nachvollziehbarkeit des Werkes wohl in der Logik verwurzelt und begründet sein.

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Ebd., S. 285–86. Vgl. GW 4, 68, 85–86; GW 20, 117–118 / ENZ § 78. Ebd., S. 282; vgl. GW 9, 23. Forster (1998), S. 283–86. Ebd., S. 276–77.

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Das heißt aber nicht, dass man diese Quelle bereits kennen müsste, ehe man den notwendigen Fortgang der Phänomenologie mitvollziehen kann. Unter rein epistemischem Gesichtspunkt hängt also ihre Wissenschaft lichkeit nicht von der Logik ab. Aber auf diesen Gesichtspunkt kommt es eben an, wenn die Hauptaufgabe der Phänomenologie epistemischen Charakters ist. Dementsprechend ist nach Forster die Dualität der Perspektiven aufzufassen. Die Kennzeichnung »für uns« referiert nicht notwendig nur auf einen vom Bewusstseinsgegensatz überhaupt gereinigten Standpunkt, d. h. den Standpunkt der Logik. Denn wenn die Perspektive »für das Bewußtsein« nur auf das jeweils zu betrachtende Bewusstsein zu beziehen ist, steht damit eine weitere Alternative offen: »Unter ›uns‹, die wir die notwendige Entstehung der jeweils neuen Bewusstseinsgestalt beobachten, mögen sich nicht-wissenschaft liche Bewusstseine befinden, nämlich solche, die mehr sind als bloße Gegenstände der Betrachtung, da sie es sind, die gerade von der Phänomenologie zur Hegelschen Wissenschaft hingeführt werden […].«47

Mit anderen Worten müssen »wir« nicht notwendig bereits am Ende oder außerhalb des von der Phänomenologie dargestellten Bildungswegs stehen; die Wissenschaft lichkeit der Darstellung ist durchaus auch aus einer Perspektive nachvollziehbar, die sich noch auf jenem Weg und somit auch im Prozess stetiger Veränderung befindet.48 Forster vermag auf diese Weise einen plausiblen Vorschlag zu machen, wie man die »offizielle« Aufgabe der Phänomenologie, in die Wissenschaft der Logik einzuleiten, mit den anderen Äußerungen Hegels vereinbaren kann, welche die Logik doch vielmehr als Voraussetzung der Phänomenologie zu bestimmen scheinen. Sein Vorschlag hat den großen Vorteil, Hegel vom Verdacht der Zirkularität zu befreien und gleichzeitig die Eigenbedeutung und Selbständigkeit des frühen Hauptwerks zu bewahren. Als problematisch mag 47

Ebd., S. 276. Der Sache nach scheint Eckart Förster ähnlicher Meinung zu sein. Er rekonstruiert die Phänomenologie als eine kreative Weiterentwicklung und Anwendung derselben »Methodologie des intuitiven Verstandes«, die Goethe in seiner Morphologie und Farbenlehre anwendet. Demzufolge stellt das Werk eine Reihe einzelner Erfahrungen oder Versuche dar, die an den Übergängen von einer Gestalt zur nächsten gemacht werden und die erst zusammen eine »Erfahrung höherer Art« ermöglichen: Vgl. Förster (2011), S. 258–60, 304 ff.; siehe auch Förster (2002). Wenn ich Försters Gedanken richtig deute, sind »wir« es, die diese Reihe an Erfahrungen machen und schließlich zur höheren Erfahrung der »Wissenschaft« gelangen sollen; d. h. wir werden durch die Phänomenologie gebildet, wir müssen es nicht bereits sein. 48

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es jedoch immerhin empfunden werden, dass ein Text, der zur Widerlegung aller der spekulativen Wissenschaft entgegengesetzten Positionen bestimmt gewesen ist, selber so viele Rätsel aufgibt − und zwar selbst in den noch relativ übersichtlichen Teilen, die Forster zur »Urphänomenologie« rechnet.49 Als Einleitung in diesem Sinn darf man den Erfolg des nichtsdestotrotz achtungsgebietenden Werkes wohl in Frage stellen. Rolf-Peter Horstmann hat in jüngster Zeit einen Vorschlag entwickelt, der Wissenschaft der Logik und Phänomenologie zueinander in Beziehung zu setzen erlaubt, ohne diese als Hinführung zu oder gar als Voraussetzung von jener deuten zu müssen. Sein Ansatz basiert auf der Unterscheidung zwischen dem »Standpunkt der Wissenschaft« einerseits und dem der Logik im engeren Sinne andererseits.50 Als Standpunkt der Wissenschaft bezeichnet Horstmann die Einsicht, »dass alles das, was in irgendeinem Sinne als Gegenstand (oder als Phänomen) aufgefasst werden kann, sich als begrifflich verfasst erwiesen hat. Nur diese Einsicht hat den Status der Wissenschaft.«51 Er zitiert Hegels Worte aus der Einleitung zur ersten Ausgabe der Lehre vom Sein (1812), der zufolge die Wissenschaft dadurch ausgezeichnet ist, dass sie »den Gedanken [enthält], insofern er eben so sehr die Sache an sich selbst ist, oder die Sache an sich selbst, insofern sie eben so sehr der reine Gedanke ist« (GW 11, 21) und erläutert sie folgendermaßen: »Sie (diese wissenschaft liche Einsicht) ist deshalb die Grundlage aller (Hegelschen) Wahrheit und d. h. (wiederum in Hegelscher Manier aufgefasst) aller Realität. Gedanken sind Sachen und umgekehrt – dies das grundlegende metaphysische Credo Hegels, und die Phänomenologie soll dieses Credo ›demonstriert‹ haben.«52

Der Standpunkt der so verstandenen »Wissenschaft« als solcher darf mit dem der Logik als wissenschaft licher Teildisziplin nicht verwechselt werden, so Horstmann, wenn man es vermeiden will, Hegel schwerwiegende Fehler im Systemaufbau zuschreiben zu müssen.53 Denn jedem Interpreten stellen sich folgende drei Fragen:

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Siehe Forster (1998), S. 501–539. Vgl. Horstmann (2014), S. 48–49, 51–52, bes. S. 53. 51 Horstmann (2014), S. 54. 52 Ebd. − Zum Hintergrund vgl. Horstmann (2006). 53 Deshalb kritisiert Horstmann (2014, S. 52–53) die u. a. von Walter Jaeschke vertretene Verhältnisbestimmung der Phänomenologie zur Logik; vgl. Jaeschke (2003), S. 176 –80. 50

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»(1) Was reguliert den phänomenologischen Prozess? (2) Wenn es stimmt, dass – wie in der Überarbeitungsnotiz angedeutet – die ›Logik, hinter dem Bewusstsein‹ steht, wie lässt sich der Verdacht vermeiden, dass die Begründung der Unvermeidlichkeit des Standpunkts der Wissenschaft durch den phänomenologischen Prozess zirkulär ist? (3) Wenn die Phänomenologie ein Beispiel der wissenschaft lichen Methode ›an einem konkreteren Gegenstand‹ (GW 11, 24) ist, wie kann sie dann eine Rechtfertigungsfunktion übernehmen?«54

Unterscheidet man die beiden Standpunkte nicht, so Horstmann, dann wird man zu der Schlussfolgerung genötigt, »dass Hegel letztlich keineswegs eine sehr glückliche Hand gehabt hat mit der Integration der Phänomenologie in ein System der Wissenschaft, das zwar nicht identisch ist mit einer Wissenschaft der Logik, wohl aber mit ihr beginnen muss.«55 Hält man sie dagegen gehörig auseinander, kommt man über die Beantwortung der drei Fragen zu einem weitaus konstruktiveren Fazit. Erstens sind: »[d]ie operativen Mittel, die in der Phänomenologie zum Einsatz kommen, keineswegs der Logik geschuldet, sondern sie sind Mittel, deren Rechtfertigung darin besteht, dass sie so etwas wie (Hegelsche) Wissenschaft allererst ermöglichen. Sie sind insofern weder im Rahmen der Phänomenologie, noch in dem der Logik einer Begründung fähig, sondern sind […] Bedingungen dafür, dass sich Sachverhalte ›im Element der Wissenschaft‹ als Entwicklungsprozesse darstellen lassen können.«56

Zweitens steht die Logik nicht etwa in dem Sinn »hinter« dem phänomenologischen Erfahrungsprozess, dass sie dessen epistemische Notwendigkeit garantierte, sondern sie steht in einem »konsekutiven« Sinne dahinter: »Der ›Standpunkt der Wissenschaft‹, der kein sogenannter ›natü rlicher‹ Standpunkt ist, muss sich erst dem Bewusstsein durch den phänomenologischen Prozess erschließen, und erst dann kann die Darstellung der welt-konstituierenden begrifflichen Prozesse begonnen werden, die den Gegenstand der Logik ausmachen. Die Logik kommt daher hinter dem Bewusstsein […] zu stehen. Ihre Darstellung wird erst durch das Durchlaufen des Bewusstseinsprozesses ermöglicht.«57

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Horstmann (2014), S. 53. Ebd., S. 54. Ebd., S. 56. Hervorhebung vom Verfasser. Ebd. − Mit anderen Worten bildet der phänomenologische Erfahrungsprozess

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Drittens schließlich vermag ein geglücktes Beispiel etwas zu rechtfertigen, ohne das Gerechtfertigte zirkulär schon in Anspruch nehmen zu müssen: »So wie nämlich ein Weg, den man zurücklegt, um ein Ziel zu erreichen, dann wenn man es auf diesem Weg erreicht, ein Beispiel dafür ist, wie dieses Ziel zu erreichen ist, so ist auch das Ziel als ein erreichbares gerechtfertigt durch den zurückgelegten Weg. Ein Beispiel kann daher durchaus eine Rechtfertigungsfunktion haben, ohne bereits das, was gerechtfertigt werden soll, in Anspruch zu nehmen.«58

Die Stärke von Horstmanns Ansatz liegt darin, Hegels Bestimmung der Phänomenologie als »Voraus« der Wissenschaft (GW 9, 448) gerecht zu werden, ohne die beiden Disziplinen in eine direkte und darum verkürzende Beziehung zueinander setzen zu müssen. Nach Horstmann besteht der »direkte Bezug […] nur zwischen Phänomenologie und dem System der Wissenschaft […]. Dass die Logik dessen ersten Teil darstellt, macht sie nicht zum einleitungs- oder hinführungswürdigen Gegenstand – es ist vielmehr ›die Wissenschaft‹, die der Einleitung oder Hinführung bedarf.«59 Aus umgekehrter Perspektive hängt die Wissenschaft der Logik ihrer Existenz nach klarerweise davon ab, dass der Begriff der Wissenschaft als solcher bereits erarbeitet und somit vorhanden ist. In diesem Sinne stellt die Phänomenologie des Geistes das »Voraus, der Wissenschaft« dar: Sie geht der Wissenschaft der Logik in der Weise voraus, dass sie den Begriff der Wissenschaft hervorbringt. »[S]ie hat aber keinen Einfluss auf und ist auch nicht abhängig von der genetischen Exposition dieses Begriffs in der Form des Systems. Die genetische Exposition des Begriffs der Wissenschaft in Systemform, also das, was Hegel auch die (selbst-explikative) Entwicklung des Begriffs der Wissenschaft nennt, ist dann ein ganz neues Unternehmen, dessen erster Teil aus bestimmten Gründen die Wissenschaft der Logik ist, deren interne Struktur und Verlaufsform nichts mit irgendwelchen Ergebnissen phänomenologischer Prozesse zu tun hat.«60

Gleichwohl wird man Horstmanns Vorschlag nicht vorbehaltlos zustimmen können. Denn erstens wird die Geltung eines jeden Ansatzes zur Klärung des Verhältnisses der Phänomenologie zur Wissenschaft der Logik (und keine inhaltliche, sondern eine pragmatische Voraussetzung zur Erzeugung des Begriffs bzw. zur Erhebung in den Standpunkt der Wissenschaft. 58 Ebd., mit Hinweis auf GW 9, 80. 59 Ebd., S. 57. 60 Ebd., 52.

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zwar sowohl im Sinne der verschiedenen unter diesen Titeln veröffentlichten Texte als auch im Sinne der dadurch bezeichneten philosophischen Disziplinen) durch die Unvollständigkeit der philologischen und entwicklungsgeschichtlichen Belege und Zeugnisse eingeschränkt. Auch Horstmanns Beweisführung ist, wie bereits erwähnt, teils auf Indizien angewiesen: Wenn Hegel bis zum Zeitpunkt seiner Arbeit an der Phänomenologie tatsächlich doch schon die Zusammenführung von Logik und Metaphysik zu einer inhaltlich-methodisch einheitlich verfahrenden spekulativen Logik vollzogen hat, entfällt mindestens eines von Horstmanns Argumenten gegen die Identifi kation der »spekulativen Wissenschaft« mit der »Wissenschaft der Logik« und somit auch dagegen, der Phänomenologie in der Gestalt von 1807 eine Einleitungsfunktion in dieselbe zuzuschreiben.61 Die erhaltenen Zeugnisse stützen beide Vermutungen, aber sie stützen beide in gleichem Maße unzureichend. Überdies gibt es außer dem Bericht von Rosenkranz, Hegel habe in seiner Sommersemester 1806 gehaltenen Vorlesung das »absolute Wissen« der Phänomenologie unmittelbar mit dem reinen Sein zu Beginn der Logik verknüpft,62 auch inhaltliche Aussagen Hegels, die nach wie vor dafür sprechen, dass die Phänomenologie direkt in die Logik münden solle. So in der Anmerkung zum § 25 der Enzyklopädie, wo Hegel den Charakter des frühen Werkes und dessen Beziehung zur Logik selbstkritisch bespricht. Dort räumt er zunächst einmal ein, dass, indem der »Standpunkt der philosophischen Wissenschaft« aus der phänomenologischen Darstellung als »Resultat« hervorgeht, er darum bereits auch »die koncreten Gestalten des Bewußtseyns, wie z. B. der Moral, Sittlichkeit, Kunst, Religion voraus[setzt]« (GW 20, 68– 69 / ENZ § 25). Diese Aussage mag soweit mit Horstmanns Deutung harmonieren: Jene reiche, konkrete Geschichte ist notwendig, um den Begriff der Wissenschaft zu erzeugen und in die Existenz zu heben. Des Weiteren aber räumt Hegel ebenfalls ein, dass die »Entwickelung des Gehalts, der Gegenstände eigenthümlicher Theile der philosophischen Wissenschaft, […] daher zugleich in jene zunächst nur auf das Formelle beschränkt scheinende Entwickelung des Bewußtseyns« (GW 20, 69) fällt, »hinter dessen Rücken jene Entwickelung so zu sagen, vorgehen muß« (GW 20, 69, Hervorhebung von B.B.). Hier verwendet Hegel selbst das »hinter« in einem offenkundig nicht bloß »konsekutiven« Sinn, sondern um eine Voraussetzung inhaltlicher Natur kenntlich zu machen. Vollends aber der von Hegel angestellte Vergleich des »Vorbegriffs« der enzyklopädischen Logik-Darstellung mit der Phänomenologie des Geistes, auf 61 62

Siehe oben, Fn. 24; vgl. Horstmann (2014), S. 46. Vgl. Rosenkranz (1844, S. 214); siehe oben, Fn. 6.

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den die eben zitierten Worte hinführen, legt es nahe, dieser eine zumindest sehr ähnliche Funktion zuzuschreiben wie jener: Die »drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität« sollen, heißt es, »vornemlich zu der Einsicht mitwirken, daß die Fragen, die man in der Vorstellung über die Natur des Erkennens, über Glauben und so ferner vor sich hat, und für ganz concret hält, sich in der That auf einfache Gedankenbestimmungen zurückführen, die aber erst in der Logik ihre wahrhafte Erledigung erhalten« (GW 20, 69). Besonders diese letzte Äußerung widerstreitet Horstmanns Interpretation. Denn wenn (1) die Einsicht, zu der der Vorbegriff hinleiten soll, darin besteht, dass das Erkennen auf einfache, d. h. logische Bestimmungen zurückzuführen ist, und wenn (2) diese Einsicht auch Ziel der Phänomenologie gewesen sein soll, dann mündet diese doch auch in die Logik, oder zumindest wenigstens in den Standpunkt der Logik. Aber der oben bereits zitierte Passus aus der Vorrede scheint eben dies zu bestätigen. Dort erklärt Hegel, dass im Resultat der Phänomenologie die »Momente des Geistes […] nicht mehr in den Gegensatz des Seins und Wissens auseinander[fallen], sondern […] in der Einfachheit des Wissens [bleiben], […] das Wahre in der Form des Wahren [sind]« (GW 9, 30). Das deckt sich von der Sache her mit der eben zitierten Aussage der Enzyklopädie, »daß die Fragen, die man in der Vorstellung über die Natur des Erkennens […] sich in der That auf einfache Gedankenbestimmungen zurückführen« (GW 20, 69 / ENZ § 25). Wenn daher diese »erst in der Logik ihre wahrhafte Erledigung erhalten« (ebd.), wodurch soll sich der von Hegel in der Vorrede gemeinte Bezug von eben derselben Wissenschaft der Logik unterscheiden, wenn er dort von der »Logik oder spekulative[n] Philosophie« (GW 9, 30) spricht? Nicht allein der Unvollständigkeit der philologischen und entwicklungsgeschichtlichen Zeugnisse ist es daher geschuldet, wenn sich das Verhältnis beider Disziplinen nicht eindeutig bestimmen lässt. Hegel selbst konnte die Zweideutigkeit ihrer Beziehung nicht in gültiger Form auflösen.

3.3.2 Setzt die Logik die Phänomenologie voraus? Dass die Wissenschaft der Logik durch die Phänomenologie des Geistes »gerechtfertigt« wird, wissen wir, weil Hegel selbst es ausdrücklich sagt (vgl. GW 21, 32). Aber in welchem Sinn und in welcher Weise? Den von Rolf-Peter Horstmann entwickelten Ansatz zur Beantwortung dieser Frage haben wir soeben betrachtet. Hans Friedrich Fulda hat ebenfalls versucht, auf diese Frage eine umfassende Antwort zu geben. Er deutet Hegels spätere Bemerkungen zur Einleitungsproblematik und zur Phänomenologie sowie die mo-

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difizierte Stellung, welche diese ab der ersten Auflage der Enzyklopädie (1817) erhält, als Zeichen dafür, dass Hegel die Phänomenologie einer folgenreichen Umdeutung unterzogen hat. 1807 und (Hegels Bemerkungen in der ersten Auflage der Seinslogik zufolge) wohl noch 1812 hat er die Phänomenologie in einer Weise konzipiert, die sich weitgehend mit der oben besprochenen Interpretation von Forster deckt. Die Phänomenologie hätte demnach in die Wissenschaft einzuleiten, indem sie das unwissenschaft liche Bewusstsein »zur Verzweiflung an sich selbst, zum Ablassen von seinen Selbstverständlichkeiten zu bringen und ihr eigenes Element, in welchem sie das unwissenschaft liche Bewußtsein von seiner Unwahrheit überzeugt, sich selbst in die Wissenschaft aufheben zu lassen […].«63 So verstanden, hat die phänomenologische Einleitung eine wesentliche Beziehung auf den Anfang der Wissenschaft selbst, denn erst durch die geforderte Selbstaufhebung des unwissenschaft lichen Bewusstseins bildet sich das Element, in dem sich die reine Wissenschaft vollziehen kann.64 Durch jene Selbstaufhebung gelangt sie also erst zur wirklichen Existenz und legt den historischen Schein ab, als sei sie »nur eine weitere Gestalt von Philosophie, ein neuer Beitrag zu ihrer Problematik.«65 Spätestens ab der ersten Auflage der Enzyklopädie jedoch, in der Hegel zum ersten Mal in gedruckter Form das vollständige System der Wissenschaft vorstellt, entfällt aus Fuldas Sicht diese Beziehung auf den Anfang und auf das Element der Wissenschaft als solcher. Ihm zufolge sei Hegel inzwischen zur Einsicht gelangt, die spekulative Wissenschaft müsse sich in sich selbst begründen und innerhalb ihrer selbst in ihren Anfang zurückkehren. Also darf sie nicht mehr so verstanden werden, als sei sie auf eine Einleitungsdisziplin angewiesen, die ihr reines Element erst bereiten soll. In streng systematischer Perspektive ist die Wissenschaft also voraussetzungslos und bedarf keiner externen Rechtfertigung. Die Wissenschaft der Logik setzt die Phänomenologie also jedenfalls nicht mehr in dem Sinne voraus, wie sie es nach der ursprünglichen Konzeption getan hat. Aus Fuldas Sicht gilt die Phänomenologie ab 1817 zwar weiterhin als Einleitung in die Wissenschaft, aber sie wird dieser nun nicht mehr vorgeordnet, sondern nur wesentlich zugeordnet.66 Gleichwohl erfüllt sie nach wie vor eine unverzichtbare Funktion in Bezug auf das System. Als Wissenschaft des Systems der reinen Vernunft, sagt Hegel, betrachtet die Logik einen Inhalt, der sich füglich als »die Darstellung Gottes« beschreiben lässt, »wie er in sei-

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Fulda (21975), S. 266–67. Vgl. Hyppolite (1974), S. 595–606; Kojève (1969), S. 173. Ebd., S. 271. Vgl. ebd., S. 53.

Das systematische Verhältnis von Logik und Phänomenologie

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nem ewigen Wesen vor der Erschaff ung der Natur und eines endlichen Geistes ist« (GW 21, 34). Diesem Anspruch widerstreitet jedoch die Tatsache, dass die Wissenschaft zu einem bestimmten, in mancher Hinsicht offenkundig zufälligen geschichtlichen Zeitpunkt auftritt. Sie erscheint daher in Beziehung auf das Subjekt, das die Wissenschaft vollzieht, nicht als ein zeitlos Notwendiges, sondern als geschichtlich Kontingentes. Diese Erscheinung, »die der Wissenschaft vom Anfang her anhafte[t] und die sich erst im Ende als Manifestation ihres Begriffs bestimm[t]«, macht »eine systematische Beglaubigung erforderlich […], durch die die Beziehung vermittelt wird, die der Anfang zwar nicht auf die Wissenschaft als solche, aber auf das Subjekt hat, das sich entschließen will, zu philosophieren.«67 Dieses Erfordernis lässt sich am besten verstehen, wenn wir unseren Ausgang vom systeminternen Aufbau der Wissenschaft der Logik nehmen. Die Logik beginnt mit der unbestimmten Unmittelbarkeit oder dem reinen Sein. Zur Unmittelbarkeit des Seins gehört, dass sein Übergehen in das Nichts als ein Übergang zu einem ihm äußerlich Entgegengesetzten, Indifferenten erscheint. Doch ergibt sich über den ganzen Verlauf der Logik, dass das Sein, das den erscheinenden Anfang der Logik macht, in Wahrheit mit dem realisierten Begriff, der absoluten Idee, identisch ist.68 Es wird sich also erweisen, dass seine unbestimmte Unmittelbarkeit nur die notwendige Erscheinung ist, welche der absolut sich selbst bestimmenden und durch sich selbst vermittelnden Idee von ihrem Anfang her anhaftet. Der anfängliche Schein, als sei das Übergehen ein bloß äußerliches, gleichsam von außen her am Gedanken des Seins gesetztes, wird also abgebaut, indem gezeigt wird, dass es Erscheinung der sich in sich differenzierenden Einheit der Idee ist. Der wahrhaft logische Anfang der Logik ist von daher nicht das Sein, sondern die Idee selbst.69 Indem wir uns diesen Verlauf der Wissenschaft der Logik vergegenwärtigen, dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass er von einem endlichen philosophierenden Subjekt vollzogen wird, das sich Hegels Forderung entsprechend entschlossen hat, rein denken zu wollen. Dieser subjektive, wenn man will: dezisionistische Anfang der Wissenschaft erscheint mithin als ebenso unbestimmt und unvermittelt wie das reine Sein selbst.70 Der Entschluss, vermittels dessen die Wissenschaft ihre Aktualität gewinnt, tritt gleichsam neben anderen möglichen geistigen Stellungen in die Welt ein. Ihm haftet 67

Ebd., S. 273. Vgl. ENZ § 84, wo Hegel das reine Sein mit dem Begriff identifi ziert, aber mit dem Begriff in seinem bloßen Ansichsein (GW 20, 121). 69 Vgl. Fulda (21975), S. 275. 70 Vgl. Arndt (2000). 68

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Brady Bowman . Zum Verhältnis von Logik und Phänomenologie

von daher die Erscheinung geschichtlicher Kontingenz an und sein Anspruch, die Wissenschaft zu sein, hat zunächst keine andere Beglaubigung als jeder andere Wahrheitsanspruch. Die Aufgabe der Phänomenologie wäre es, in Bezug auf das sich entschließende, philosophierende Subjekt zu zeigen, weshalb der wahrhafte, in sich selbst vermittelte Anfang der Wissenschaft zunächst in der Unmittelbarkeit des subjektiven Entschlusses erscheint. Sie müsste zeigen, dass das so erscheinende Wissen die notwendige Art und Weise ist, in der sich die Idee ihrer selbst anfänglich bewusst wird. Oder mit wiederum anderen Worten: Die Aufgabe der Phänomenologie wird nunmehr so bestimmt, dass sie den der Wissenschaft der Logik parallelen Nachweise zu führen hat, dass das erscheinende Wissen tatsächlich die Manifestation der Idee ist.71 Dieser Gedankengang führt auf eine überzeugende Deutung der Schlussabsätze vom Kapitel »Absolutes Wissen.« Dort sagt Hegel, die Wissenschaft enthalte in ihr selbst die »Notwendigkeit, der Form des reinen Begriffs sich zu entäußern und den Übergang des Begriffs ins Bewußtsein«: »Denn der sich selbst wissende Geist, ebendarum daß er seinen Begriff erfaßt, ist er die unmittelbare Gleichheit mit sich selbst, welche in ihrem Unterschiede die Gewißheit vom Unmittelbaren ist, oder das sinnliche Bewusstseyn, — der Anfang, von dem wir ausgegangen; dieses Entlassen seiner aus der Form seines Selbsts ist die höchste Freyheit und Sicherheit seines Wissens von sich.« (GW 9, 432)

Es ist auf den ersten Blick wenig ersichtlich, wie diese Rückkehr in den Anfang mit dem sinnlichen Bewusstsein mit dem Anfang der Wissenschaft der Logik zusammenhängen soll. Fulda vermag das einsichtig zu machen, wenn auch nur aus der Perspektive einer späteren Umdeutung der Phänomenologie. Gerade darum, weil das Bewusstsein oder das erscheinende Wissen an sich Geist ist, tritt es absolut berechtigt mit dem Anspruch auf unbedingte Wahrheit auf. Der am Ende der Phänomenologie zu sich selbst gekommene Geist muss deshalb jenen Anspruch in seiner grundsätzlichen Berechtigung anerkennen. Das heißt aber näher, jenen Anspruch in jeder Gestalt, in der er erhoben wird, auf seinen Berechtigungsgrund hin zu untersuchen und diesen aufzuweisen. Wenn sich also der zu sich selber gekommene Geist auf die Wahrheitsansprüche der Gestalten des Bewusstseins einlässt, hat dies den systematischen Sinn, sich als das Ansichsein einer jeden dieser Gestal71

Vgl. Fulda (21975), S. 284–301.

Das systematische Verhältnis von Logik und Phänomenologie

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ten wirklich zu erweisen; das gehört mit zu seiner Rückkehr in sich dazu. In Fuldas Worten: »Die dem Anfang der Wissenschaft anhaftende und sich erst in ihrem Ende auflösende Erscheinung ist kein unvermeidlicher Mangel, den die Wissenschaft infolge ihrer Herkunft aus den endlichen Wissensformen des absoluten Geistes nicht loswerden kann; sondern dieser endliche, sich der objektiven Vermittlung nach aus jenen mangelhaften Erscheinungen herschreibende Zug an ihr macht in der Einheit mit dem Logischen gerade die Absolutheit, Wahrheit und Freiheit der Wissenschaft aus. Wohl ist die Wissenschaft ebenso wie der absolute Geist im Ganzen noch ein Vollendungsprozeß des Wissens. Aber ein Wissen des absoluten Inhalts, das nicht auch dessen unreines Gewußtsein, − wenn man will: dessen Nichtwissen − wäre, wäre kein absolutes Wissen. Könnte es nicht sein, daß die Wissenschaft, indem sie am Ende nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die Vernunft dieses Nichtwissens erfaßt, sich instand setzt, sich als System zu transzendieren?«72

Die Bewegung ist eine doppelte. In der einen Richtung stellt sie eine Entäußerung des wissenschaft lichen Standpunkts und eine Anerkennung der Wahrheit des Wissens eben auch in den unvollkommenen Formen seines unmittelbaren Daseins (den Bewusstseinsgestalten) dar. In der entgegengesetzten Richtung stellt sie jedoch zugleich die Selbstvermittlung und Rückkehr des wissenschaft lichen Standpunkts aus seiner anfangenden Unmittelbarkeit in sich dar − sie erweist jenes anfängliche Erscheinen der Wissenschaft als eines, welches am selben Berechtigungsgrund teilhat, wie die Gestalten des Bewusstseins. Wenn Fulda Recht hat, ist dies also der Sinn, in dem die Phänomenologie »das Voraus« der Logik bildet. Indem das zum reinen Denken entschlossene Subjekt die Logik anfängt, setzt es als Sinn seiner Tätigkeit voraus, dass es hierdurch zum Wissen der Wahrheit gelangen wird oder zumindest gelangen soll. In der Sprache der Phänomenologie ausgedrückt: Es setzt die innere Zusammengehörigkeit von Gewissheit und Wahrheit voraus, die jeder Wahrheitsanspruch per se impliziert. Nun ist diese innere Zusammengehörigkeit zwar selbst Thema der Wissenschaft der Logik, insofern als sie in der Setzung der Personalität kulminiert, d. h. in der Vertiefung der objektiven Idee in sich zur individuellen Subjektivität (vgl. GW 12, 246).73 Denn darin wurzelt ja letztendlich die Zusammengehörigkeit von Gewissheit und Wahr72 73

Ebd., S. 296. Siehe in kritischer Perspektive Quante (2001).

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Brady Bowman . Zum Verhältnis von Logik und Phänomenologie

heit. Gleichwohl verbleibt am wirklichen, die spekulative Logik vollziehenden philosophierenden Subjekt ein Moment unaufhebbarer Unmittelbarkeit. Es liegt in seinem Entschluss, rein denken zu wollen, denn dieser besagt nichts anderes als die Überzeugung, dass das Denken an sich und ohne Bezug auf von woanders her gegebene Gegenstände die innere Zusammengehörigkeit von Gewissheit und Wahrheit zu aktualisieren vermag. Über diese Voraussetzung muss sich das Subjekt in einer vom System der Wissenschaft unterschiedenen Disziplin verständigen. Das bedeutet näher hin, sich darüber zu verständigen, dass erstens die Erhebung von Wahrheitsansprüchen überhaupt und als solche die unmittelbare Daseinsweise des Geistes oder der Idee ist. Der vorausgesetzte Anspruch auf Wahrheit, mit dem es selber die Logik anfängt, ist mithin selbst bereits eine Daseinsweise des Geistes. Zweitens aber bedeutet es, dass die Tätigkeit des spekulativen Logikers mit jeder Form des Fürwahrhaltens wesentlich identisch ist, denn jede ist eine Weise, Anspruch auf Wahrheit zu erheben. Wenn dem tatsächlich so ist, so muss sie in eine wirkliche Gemeinsamkeit und Auseinandersetzung mit anderen Weisen des Fürwahrhaltens treten können, um diese wesentliche Identität zu erweisen. Dessen versichert sich das wissenschaft liche Subjekt eben auf dem Weg der Phänomenologie des Geistes, indem es sich auf die Erfahrung des Bewusstseins in seiner Mannigfaltigkeit einlässt.

4. Schlusswort Wir haben zuletzt einen Vorschlag kennengelernt, wie man an der Idee festhalten kann, die Logik setze die Phänomenologie voraus, ohne den Anspruch der Wissenschaft der Logik auf Voraussetzungslosigkeit zu unterminieren. Die Phänomenologie ist eine Disziplin, in der der spekulative Logiker sich über den Status seiner eigenen Erkenntnistätigkeit mit Blick auf die Logik wie auch mit Blick auf andere Weisen des Fürwahrhaltens verständigt. Dabei gilt es, die von ihm selbst im Zugang zur Wissenschaft gemachte Voraussetzung, Wissen der Wahrheit sei möglich, in ihrer Universalität als unmittelbare Daseinsweise der Idee durchsichtig zu machen. Diese Voraussetzung gehört in ihrer Unmittelbarkeit jedoch nicht zur Wissenschaft der Logik, denn diese erweist die Identität von Idee und Sein, nicht die der Idee und des Entschlusses, rein denken zu wollen. Der Verdacht auf Zirkularität ist dadurch zerstreut. Hat dieser Ansatz auch Folgen in Bezug auf die anderen beiden hier behandelten Fragen? Im Hinblick auf die Entsprechung zwischen den abstrakten Momenten der Wissenschaft und den Gestalten des Bewusstseins, wäre fol-

Schlusswort

37

gende Konsequenz zu ziehen: Einen wissenschaft lichen Wahrheitsanspruch zu erheben bedeutet, eine Wesensbestimmung am Gegenstand zu setzen und hierdurch einen bestimmten Wissenstyp festzulegen. Wir haben gesehen, dass eben dies den Punkt bezeichnet, in dem eine jeweilige Gestalt des Bewusstseins mit einer reinen Denkbestimmung korrespondieren soll. Aus der Perspektive des zuletzt vorgestellten Ansatzes ist das nur folgerichtig. Denn eben darum soll es in der Phänomenologie gehen: die innere Identität des spekulativen Wahrheitsanspruchs mit den anderen Weisen des Fürwahrhaltens aufzuzeigen. Aber was die Phänomenologie in Bezug auf die subjektive Erhebung von Wahrheitsansprüchen leistet, das leistet die Wissenschaft der Logik in Bezug auf den letzten Grund der in solchen Ansprüchen implizierten Zusammengehörigkeit von Gewissheit und Wahrheit. Wenn daher jede Gestalt des Bewusstseins eine bestimmte Weise ist, die Zusammengehörigkeit von Gewissheit und Wahrheit zu artikulieren, muss es sogar eine Entsprechung geben zwischen ihnen und den Momenten, in denen jene Zugehörigkeit in der Logik entfaltet wird. Setzt die Phänomenologie die Logik voraus? Nach meinem Verständnis von Fuldas Ansatz muss die Frage mit ›ja‹ beantwortet werden. Denn ihr Sinn lässt sich nur aus der Perspektive des Entschlusses, rein denken zu wollen, erschließen. Ohne den Standpunkt der Wissenschaft schon eingenommen zu haben, kann man das Problem gar nicht eigens erfahren, auf das die Phänomenologie antworten soll. Man könnte in ihr allenfalls den Weg der Verzweiflung erblicken, der ja nur den negativen Aspekt des Werkes darstellt. Es geht jedoch wesentlich darum, die innere Gemeinschaft des spekulativen mit dem erscheinenden Wissen zu affi rmieren, und dieser affirmative Aspekt bleibt solange verborgen, bis man nicht das Bedürfnis verspürt, sich als endliches Erkenntnissubjekt mit der in der Wissenschaft der Logik dargestellten absoluten Subjektivität zu vermitteln. Man mag zum Schluss die Frage berühren, inwiefern diese Verhältnisbestimmung von Phänomenologie und Logik für das heutige Denken relevant sei. Zunächst einmal ist grundsätzlich mit Holm Tetens festzuhalten, dass die Philosophie eine Disziplin höherer Ordnung ist: »Die Philosophie zielt nie am Menschen vorbei allein auf die Welt. Die Philosophie befragt alle Dinge in der Welt letztlich darauf hin, was sie für den Menschen und sein Leben bedeuten.«74 Dies gilt im selben Maße von der innerweltlichen Begebenheit, die »Philosophie« heißt; ihr Dasein und Bezug auf das philosophierende Subjekt ist ebenfalls Gegenstand höherstufiger Selbstreflexion. Schon 74

Tetens (2006), S. 17.

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allein in historischer Perspektive aber darf man von der Phänomenologie des Geistes sagen, dass wohl niemals zuvor versucht worden ist, dergestalt umfassend, systematisch und methodisch streng Auskunft darüber zu erteilen, was es für den Menschen bedeutet, zu philosophieren, und den eigenen wissenschaft lichen Ansatz vollständig in die Selbstreflexion des endlichen, geschichtlich spezifizierten Subjekts der Philosophie hineinzubilden. Allein schon hieran bewahrt die Phänomenologie einen nicht zu überschätzenden Wert als Paradigma wissenschaft licher Selbstverständigung, egal wie man sonst über Ansatz und Erfolg des Unternehmens denken mag. Wir erleben heute eine Vermannigfaltigung und damit einhergehende Zersplitterung der Wissenschaften, die Hegel kaum hätte erahnen können. Etliche wissenschaft liche Revolutionen haben uns zudem ein Gespür fürs geschichtlich Bedingte eingeschärft und Bescheidenheit gelehrt, wenn es darum geht, Wissensansprüche mit absoluter Geltung zu erheben. Hegels Einheitsdenken und seine Bereitschaft, absolute Wahrheit für sein System zu reklamieren, liegen uns deshalb fern. Doch gerade auch im Hinblick auf die wissenschaft liche und philosophische Selbstverständigung dürfen wir die Frage nach der grundlegenden Struktur der Realität und unserer Stellung darin nicht verdrängen.75 Hierzu gehört ein Verständnis für die (höherstufige) Frage, weshalb und in welcher Gestalt sich diese Frage für uns hier und heute stellt. Seit den 1970er Jahren hat man wieder begonnen, verstärkt über die Natur des Bewusstseins und dessen Verhältnis zur physikalistisch verstandenen Natur nachzudenken. Wäre es möglich, diese Frage als eine zu begreifen, die nicht kontingenterweise entsteht? Könnte eine Notwendigkeit bestehen, und zwar nicht nur für uns, sondern auch an sich, dass sich die Natur mit dieser Frage auf sich selbst zurückwendet? Vielleicht könnte es sogar der Fall sein, dass die Aporien, in welche diese Frage die heutigen Natur- und Geisteswissenschaften hineinstürzt, ihrerseits eine Systematizität aufweisen, die ihren Grund in der Realität gleichsam im Schattenriss andeutet. Das sind zweifellos sehr spekulative Fragen. Doch sind sie darum keine sinnlosen Fragen. Aber die allgemeine Stimmung in der Mainstream-Philosophie der letzten fünfzig Jahre ist für sie nicht besonders offen gewesen. Darum gebricht es weithin an Mitteln zu ihrer Beantwortung oder sogar zu ihrer sachgerechten Formulierung. Nun brauchen wir zwar Hegel weder der Form noch dem Gehalt nach zu folgen, aber an die von ihm ausgehende philosophische Tradition anzuschließen, ist man dennoch wohlberaten, wenn man als Philosoph sowohl sein eigenes Denken als auch die Tatsache des Denkens als solches wirklich ernstnehmen will. 75

Zur Uneliminierbarkeit der Metaphysik vgl. Lowe (2002), S. 1–20.

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DAS SEIN. ERSTER ABSCHNITT. DIE QUALITÄT Anton Friedrich Koch

1. Der Anfang mit dem reinen Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

2. Die Verneinung als die erste logische Operation . . . . . . . . . . . . . .

53

3. Nichts, Werden, Dasein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

4. Zwischenbetrachtung über spekulatives und mathematisches Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

5. Dasein und Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

6. Das Andere seiner selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

7. Das Endliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

8. Das Unendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

9. Fürsichsein und Idealität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113

10. Eins und Vieles, Repulsion und Attraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120

11. Übergang zur Quantität. Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . .

130

1. Der Anfang mit dem reinen Sein Die Wissenschaft der Logik (fortan kurz die Logik) untersucht das reine Denken oder, genauer gesagt, die voraussetzungslose Theorie.1 Das ist ihre einzige Vorgabe. Wir müssen, um sie zu verstehen, weiter nichts tun als herausfinden, wie eine voraussetzungs- und alternativlose Theorie anzufangen hat und wie sie Schritt für Schritt zu entwickeln ist, bis sie an einem widerspruchsfreien Fixpunkt von selbst zum Abschluss kommt. Hegels Text bräuchten wir dazu gar nicht. Da es den Text aber gibt, als klassisches Werk der Philosophie, wollen wir ihn auch verstehen. Außerdem wäre es Wichtigtuerei und Selbstüberschätzung, einen Entwurf der Logik zu versuchen, ohne Hegels bahnbrechende Arbeit zu konsultieren. Und zudem werden wir, 1

So auch Falk (1983) und Houlgate (2006). Hegel-Studien Beiheft 67 . © Felix Meiner Verlag . ISSN 0440-5927

44

Anton Friedrich Koch . Die Qualität

wenn wir sie konsultieren, unser Vorgehen an ihr überprüfen und sie umgekehrt mittels unserer Entdeckungen interpretieren und gegebenenfalls kritisieren können. Unser Bemühen gilt daher Hegels Text – nicht minder als der Sache. Was aber ist die Sache? Wir können es anfangs nicht wissen. Selbst die Phänomenologie des Geistes, mit der Hegel zur philosophischen Wissenschaft hinführt, hilft uns nicht weiter. Ihr Thema ist das Bewusstsein, der Inbegriff unserer objektiven, daher irrtumsanfälligen und endlichen Wissensansprüche, und ihre Methode folgt ihrem Gegenstand. Im Bewusstsein wird das Ansichsein des Realen von seinem Für-es-Sein (Für-das-Bewusstsein-Sein) unterschieden, eine implizite Proto-Ontologie von einer impliziten Proto-Epistemologie, deren kategoriale Strukturen aber um der Wahrheit willen identisch sein müssten. Wenn beispielsweise in einer gegebenen Bewusstseinsform das Reale in seinem Ansichsein als eine Mannigfaltigkeit vieler getrennte Einzelner angesetzt wird und sich zeigt, dass es dann für das Bewusstsein als eine Mannigfaltigkeit höchst allgemeiner Züge auft reten müsste, so ist die betreffende Bewusstseinsform durch sich selbst falsifi ziert und muss einer Nachfolgeform weichen. Und dies immer wieder aufs Neue, bis die kategoriale Struktur des Für-es-Seins des Realen identisch ist mit der seines Ansichseins. Hegel nennt den hierdurch definierten Fixpunkt der phänomenologischen Entwicklung das absolute Wissen. In ihm ist einerseits der ganze phänomenologische Prozess zusammengefasst und verdichtet, andererseits aber so sehr verdichtet, dass alle Struktur zerstört wird und für die eigentliche und erste philosophische Wissenschaft, die nun einsetzen muss, kein wohlgegliedertes Ergebnis übrigbleibt. Wenn das Ansichsein und das Für-es-Sein dieselbe kategoriale Form annehmen und das Bewusstsein erstmals kategorial wahr sein könnte, entfällt zugleich der Unterschied von Ansichsein und Für-es-Sein und damit das Bewusstsein selbst, und alle Struktur des Seins und des Denkens stürzt in eine bestimmungslose Singularität zusammen, die man »Sein« nennen kann, aber ebenso gut »Blabla« oder »XYZ«. So lässt die Phänomenologie das Desiderat einer Theorie des Seins oder Blabas oder XYZs hervortreten, ohne inhaltliche oder methodische Handreichungen für seine Untersuchung zu gewähren. Unter diesen Umständen können wir dem Desiderat dann aber auch völlig unabhängig abzuhelfen suchen, rein durch den »Entschluß, den man auch für eine Willkühr ansehen kann, nemlich […] das Denken als solches betrachten« zu wollen (GW 21, 56 = TW 5, 68). Und eine reine, apriorische Betrachtung des Denkens als solchen, wohin immer sie uns führen mag, verdient, wenn sie systematisch durchgeführt wird, wohl den Namen einer Wissenschaft der Logik.

Der Anfang mit dem reinen Sein

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Das Denken als solches ist die voraussetzungslose Theorie; in unserer Betrachtung schauen wir ihm (ihr) zu und schreiben auf, wie es (sie) sich unter unseren Händen entwickelt. Wir müssen demnach unterscheiden zwischen dem Denken als solchem und unserem Nachdenken über das Denken, das heißt zwischen der voraussetzungslosen Theorie als unserem Gegenstand und unserer eigenen Theorie über die voraussetzungslose Theorie. Letztere ist unsere Hintergrundtheorie (Hintergrundlogik). Ich hätte auch Metatheorie (Metalogik) sagen können, aber damit wohl den Gedanken eines möglichen Progresses von Metatheorien wachgerufen, der nicht hierhergehört. Unsere Hintergrundlogik soll unsere letzte theoretische Instanz und somit ihre eigene Hintergrundtheorie sein. Das Denken als solches oder das reine Denken ist demgegenüber die voraussetzungslose Vordergrundtheorie (Vordergrundlogik). Man könnte auch sagen: unsere Objekttheorie (Objektlogik), weil sie der Gegenstand unserer Betrachtung ist.2 Aber das Paar aus Objektlogik und Hintergrundlogik würde wohl zur Unzeit Hegels Unterscheidung zwischen objektiver Logik (Lehre vom Sein und vom Wesen) und subjektiver Logik (Lehre vom Begriff ) anklingen lassen, was sachlich nicht ganz unberechtigt, aber anfangs noch irreführend wäre. Denn es wird zwar dahin kommen, ist aber noch längst nicht bewiesen, dass die Hintergrund- und die Vordergrundlogik sich am Ende vereinigen und dass der Begriff bzw. die Idee den Ort ihrer Vereinigung markiert. Wir suchen also das reine Denken oder die voraussetzungslose Theorie: unsere Vordergrundlogik. Für die Suche haben wir nichts weiter in der Hand als unsere hintergrundlogische Arbeitshypothese, die keine Voraussetzung, sondern bloße Annahme ist: dass es die voraussetzungslose Theorie gibt. Wir werden also radikal ergebnisoffen ans Werk gehen und mit unserem Scheitern rechnen müssen. Aus der Phänomenologie, sofern wir ihr Glauben schenken, können wir zwar die Sicherheit gewinnen, dass unsere Suche kein leeres Spiel, sondern ein Folgedesiderat der Untersuchung der Bewusstseinsstruktur ist; mehr aber nicht. Außer der Arbeitshypothese haben wir nichts Nennenswertes an Ausgangsbasis, und das ist gut so. Denn wir wollen, wenn wir die voraussetzungslose Vordergrundlogik entwerfen, auch unsererseits in der Hintergrundlogik so voraussetzungsarm wie möglich vorgehen, um unsere Argumentation elementar und ihre Reichweite unbegrenzt zu halten, damit selbst Pyrrhonische Skeptiker zum Mittun eingeladen bleiben. Ferner rechnen wir ja mit der Möglichkeit, unsere Hintergrundtheorie, wie angedeutet, im Verlauf der Theoriebildung (weit jenseits der Logik der Qualität) 2

So habe ich sie früher bezeichnet, siehe Koch (2014), S. 278.

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in die voraussetzungslose Objektlogik einmünden zu lassen. Wenn wir uns von starken Prämissen abhängig machen, verringern wir die Wahrscheinlichkeit des erwarteten Gelingens. Zum Glück für unser theoretisches Fortkommen ist die Arbeitshypothese selbst schon eine starke – wie sich weisen wird, fast zu starke, fast schon widerspruchsvolle – Behauptung, aus der sich vieles folgern lässt. Wir nehmen also an, es gebe die voraussetzungslose Theorie, und fragen, wie sie anfangen muss. Theorien bestehen aus Theoremen, Sätzen. Wie also könnte der erste Satz der Vordergrundlogik lauten? Bevor wir die Frage beantworten, sei eine wichtige Generalfolgerung aus unserer Arbeitshypothese gezogen. Wir betrachten das reine Denken als die voraussetzungslose Theorie, folglich nicht als bloßes Erfassen von Denkinhalten, sondern als Urteilen oder Behaupten, als Erheben von Wahrheitsansprüchen. Mit der bloßen Arbeitshypothese wenden wir uns schon gegen Freges Lehre vom Primat der Denkinhalte (Gedanken, Propositionen) vor den Urteilen. Die behauptende Kraft kommt nach Frege zu Gedanken erst hinzu; gemäß der Arbeitshypothese aber ist Denken als solches schon Urteilen oder Behaupten oder jedenfalls – wir wollen vorsichtig sein – etwas damit nah Verwandtes. Es geht im Denken nicht um das bloße Erfassen (und Erwägen) von Inhalten, sondern um Wahrheit, sei es um Wahrheits-Ansprüche, im endlichen, objektiven Denken, sei es um schlichtes In-der-WahrheitSein, vielleicht im spekulativ-logischen Denken (das bleibt abzuwarten). Die »Sätze« oder »Theoreme« der Vordergrundlogik werden womöglich keine gewöhnlichen Sätze oder Urteile sein, aber noch viel weniger bloße Denkinhalte, deren Wahrheitswerte keine Rolle spielen. Kurz, die Wahrheit hat Vorrang vor dem Sinn. (Unsere Arbeitshypothese verlangt es so.) Die Logik ist kein leeres Gedankenspiel; was sie aber ist, müssen wir abwarten. Im Voraus sei nur verraten, dass sie sich auch als ein Verfahren entpuppen wird, unsere vortheoretische, alltägliche, implizite »Hintergrundlogik« systematisch Schritt für Schritt in den Vordergrund der Theoriebildung und Brennpunkt der Aufmerksamkeit zu bringen. Mit unserer vortheoretischen Hintergrundlogik meine ich hier nicht unsere ausgefeilte logisch-philosophische Hintergrundtheorie (die Logik selber), sondern das meist unbemerkte, scheinbar naturwüchsige System der Kategorien des Denkens und des Seins, mittels dessen wir uns und die Dinge begreifen. Aristoteles wollte es in Übersicht bringen, indem er darlegte, was die bloßen Formen der Prädikation bedeuten (hosaper sêmainei ta schêmata tês katêgorias)3; Kant, Metaphysik Δ 7, 1017a23. Die Prädikation »x ist ein Pferd« bedeutet dem Inhalt nach, dass x ein Pferd, und der Form nach, dass x eine Substanz ist. 3

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indem er in der metaphysischen Deduktion der Kategorien die syllogistisch relevanten synkategorematischen Aspekte der Urteile in die kategorematische »Tonart« der Termini transponierte und dann in der transzendentalen Deduktion die objektive Gültigkeit der so gewonnenen rein logischen Termini zu beweisen suchte. Bei Aristoteles und bei Kant sind die Kategorien (bzw. logischen Begriffe, reinen Verstandesbegriffe) Prädikate zu möglichen Urteilen, also ungesättigte Allgemeinvorstellungen, deren Zutreffen auf Einzelnes jeweils noch festgestellt werden muss (eine Substanz ist z. B. Sokrates, eine Qualität seine Weisheit usf.). Bei Hegel werden die logischen Inhalte hingegen Wahrheitsansprüche sein, satzwertige Inhalte, denen nichts mehr fehlt an Angewendetheit oder behauptender Kraft. (Die metaphysische und die transzendentale Deduktion fallen hier insofern zusammen.) Doch genug der Vorreden und Vorankündigungen. Kommen wir nunmehr zur Sache, d. h. zum ersten »Satz« der Vordergrundlogik. Er müsste einer Wahrheit Ausdruck geben, der sich kein Skeptiker entziehen und die nicht wirksam verneint werden kann, die wir also in allem, was wir denken und sagen, als einen allgemeinen Kern alles Der-Fall-Seienden mitdenken und mitsagen. Ob es wirklich eine solche Wahrheit gibt oder geben könnte, wissen wir nicht; aber wir müssen sie kraft unserer Arbeitshypothese fordern und setzen. Wieder zeigt sich (wie oben gegen Frege) die Stärke, um nicht zu sagen Brutalität, der Hypothese: Sie fordert und setzt schlicht als eine alternativlose und verneinungsresistente Wahrheit den invarianten Kern oder gemeinsamen Faktor aller möglichen Wahrheitsansprüche, der in jedem von ihnen als ein einfaches Allgemeines gleichförmig mitbeansprucht wird. Ob es dergleichen tatsächlich gibt, ist zweitrangig gegenüber der Forderung, dass es ihn geben muss, wenn eine voraussetzungslose Theorie entwickelt werden soll; also nehmen wir ihn an. Da wir in unseren Wahrheitsansprüchen jeweils etwas als der Fall seiend behaupten, dürfen wir ihren gemeinsamen Kern – gerade so, als wäre er ihre Platonische (oder besser ihre innere Aristotelische) Form – als das Der-Fall-Sein selbst bezeichnen oder kurz als das (reine) Sein.4 Aber wir müssen uns hüten, aus der Bezeichnung oder den vagen Platonischen (oder Aristotelischen) Anklängen inhaltliche Schlussfolgerungen zu ziehen. 4

Hegel schreibt im viertletzten Absatz der Logik insgesamt: Insofern der Anfang einfache Allgemeinheit ist, »braucht [es] nicht deprecirt zu werden, daß man ihn nur provisorisch und hypothetisch gelten lassen möge« (GW 12, 251 = TW 6, 570). Dem soll mit dem hier Ausgeführten nicht widersprochen werden. Der Anfang in seiner einfachen Allgemeinheit ist alternativlos (sowohl der Anfang der Seinslogik als auch später die Anfänge der Wesens- und der Begriffslogik). Nur, ob aus dem alternativlosen Sein eine Theorie hervorgehen kann, bleibt noch abzuwarten.

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Das Sein als der gemeinsame Kern oder Faktor aller Wahrheitsansprüche bringt uns vorübergehend in unerwartete Nähe zu einem Klassiker der analytischen Philosophie. Der frühe Wittgenstein bezeichnet in der Logisch-Philosophischen Abhandlung (LPA) »das, was alle Sätze, ihrer Natur nach, mit einander gemein haben«, als die »Eine logische Konstante« und »die allgemeine Satzform« (LPA 5.47), die »das Wesen des Satzes« (LPA 5.4711) und zugleich »das Wesen der Welt« (LPA 5.4711) sei. Ferner sagt er von der »allgemeine[n] Form des Satzes« (LPA 4.5), sie sei: »Es verhält sich so und so.« Noch früher, LPA 2.18, hatte er die logische Form als das bestimmt, was die Wirklichkeit und das logische Bild (nach LPA 3 also der Gedanke) gemein haben müssen. Die Eine logische Konstante ist demnach die Form der Wirklichkeit und zugleich die logische Form der Abbildung der Wirklichkeit. Fassen wir kurz zusammen: Welt- und denkseitig gibt es etwas strikt Identisches, nämlich das Wesen der Welt und Wesen des Satzes, die logische Form der Wirklichkeit und der Abbildung, die Eine logische Konstante, das »Es verhält sich so und so«. Das Gemeinsame aller Sätze wäre demzufolge weniger ein unwegdenkbarer Inhaltsrest als vielmehr eine Form: die allgemeine Form des Denkens und zugleich der Welt bzw. Wirklichkeit. So weit wollen wir uns hier noch nicht aus dem Fenster lehnen; denn die Form/Inhalt-Unterscheidung wird in der Logik erst in einem fortgeschrittenen Stadium, in der Lehre vom Wesen, entwickelt. Wir könnten in der Hintergrundlogik zwar vorab schon einen naiven Gebrauch von ihr machen (wie von anderen Begriffen und Unterscheidungen auch), aber dazu drängt uns gegenwärtig nichts. Bleiben wir also bei der vorsichtigen Rede vom gemeinsamen Kern oder Faktor aller Wahrheitsansprüche, gleichviel ob er sich als Form oder Inhalt entpuppen wird. (In der Begriffslogik wird sich zeigen, dass er Form ist, nämlich die logische Grundlage der transzendentalen Apperzeption, also des Selbstbewusstseins der stets möglichen Ich-denke-Begleitung.) Um beurteilen zu können, wie weit die Ähnlichkeit von Wittgensteins Ansatz mit dem der Hegelschen Logik am Ende reicht, müssen wir nun letzteren entfalten: Was ist über das Sein als den Kern aller möglichen Wahrheitsansprüche, das (Der-Fall-)Sein in allem (Der-Fall-)Seienden, weiter zu sagen? Weil mit dem Sein nichts vorausgesetzt werden darf, sondern wir es als neutral zwischen allen möglichen Behauptungen begreifen müssen, wird es vollkommen unbestimmt sein. Wir gewinnen es durch gedankliche Weglassung aller inhaltlichen Verschiedenheiten von möglichen Behauptungen, das heißt durch vollständige Abstraktion. Für das reine Denken der Vordergrundlogik aber, das mit dem reinen Sein den Anfang machen soll, ist es nicht auf diese Weise negativ vermittelt, sondern etwas Erstes und Unmit-

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telbares. Für die Vordergrundlogik ist es somit das unbestimmte Unmittelbare. Für uns, für die Hintergrundlogik, hingegen ist es durch Abstraktion vermittelt und bestimmt als erstens unbestimmt und zweitens unmittelbar. Wir erkennen, wie wichtig die Unterscheidung zwischen Vordergrundlogik (reinem Denken) und Hintergrundlogik (äußerer logischer Reflexion) war. Spätestens hier nämlich müssten wir sie ohnehin einführen, um nicht in den Widerspruch zu geraten, dass das reine Sein in ein und derselben Hinsicht sowohl unbestimmt als auch bestimmt, sowohl unmittelbar als auch vermittelt sei. Es ist unbestimmt und unmittelbar in vordergrundlogischer Hinsicht: für das reine Denken, und bestimmt und vermittelt in hintergrundlogischer Hinsicht: für Hegel und uns. Es ist als Ausgangspunkt des reinen Denkens für dieses alternativlos und vollkommen unvergleichlich (»nur sich selbst gleich, und auch nicht ungleich gegen anderes«, GW 21, 68 = TW 5, 82); denn es hat keinerlei Bestimmungen, die es mit anderem teilen oder durch die es sich von anderem unterscheiden könnte. »Es ist die reine Unbestimmtheit und Leere.« (GW 21, 69 = TW 5, 82). Nach Unbestimmtheit, Unmittelbarkeit und Unvergleichlichkeit kann man, wenn man will, die Leere als sein viertes (tendenziell redundantes) Charakteristikum ansetzen. Wie wird nun das Sein gedacht, nicht von uns, sondern vom reinen Denken? Es soll der Inhalt des ersten Theorems oder, vorsichtiger gesprochen, Quasitheorems der Vordergrundlogik sein, ist aber in seiner Unbestimmtheit und Leere ganz ungegliedert, besitzt also auch keine propositionale oder prädikative Form und bleibt insofern unterhalb der Mindestgliederung, die Wittgenstein der allgemeinen Satzform (»Es verhält sich so und so«) immerhin noch zuerkennt. Man mag zwischen der propositionalen als der allgemeinen Satzform und der prädikativen als der besonderen Form des Elementarsatzes bei Bedarf noch einmal unterscheiden, doch vordringlich ist dies nicht, da die Satzform schon von sich aus auf die Prädikation als ihre einfache Grundlage zurückweist. In der Logik wird sie ohnehin für das reine Denken bzw. für die Vordergrundlogik erst im Urteilskapitel der Begriffslogik erreicht. Bis dahin tritt sie nur in verschiedenen Vorformen auf und ist anfangs, im reinen Sein, ganz unterdrückt, da in dessen unbestimmter Leere alle Struktur preisgegeben ist. Natürlich mag man bezweifeln, dass die Prädikation als Grundform des Denkens im Denken unterschritten werden kann. Aber unsere Arbeitshypothese ist stärker als der Zweifel und bringt uns dazu, die Hintergrundlogik im Irrealis oder gar Impossibilis zu eröff nen: Wenn die voraussetzungslose Theorie möglich wäre, würde sie anfangs die Prädikation als Grundform des Denkens unterschreiten. Allerdings sollten und dürfen wir hoffen, dass

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es im Fortgang bei der Unterschreitung nicht bleibt. Das Urteilskapitel der Begriffslogik nährt diese Hoff nung. Da Aristoteles derjenige Philosoph ist, der die Prädikation zu ihrer möglichen Unterschreitung ausdrücklich in Beziehung gesetzt hat, sei ihm ein kurzer Exkurs gewidmet. Die Aussage als die aufzeigende Redeweise (gegenüber der bittenden, fragenden usw.) nennt er den logos apophantikos. Dieser ist entweder eine kataphasis, Zu-Sage, Bejahung, oder eine apophasis, AbSage, Verneinung. In der Bejahung setzen wir Denkinhalte zusammen; sie ist eine synthesis. In der Verneinung trennen wir Denkinhalte; sie ist eine dihairesis. Unsere Aussagesätze, logoi apophantikoi, sind der Ort der Wahrheit-oder-Falschheit (de int. 4, 17a1), also der Zweiwertigkeit. Denn wo es »sowohl das Falsche als auch das Wahre gibt, da gibt es schon ein Zusammensetzen von Denkinhalten als eines seiend [synthesis tis êdê noêmatôn hôsper hen ontôn]« (de an. III 6, 430a27 f.). Das Wahre bzw. Falsche, heißt es im Schlusskapitel des Θ der Metaphysik, liegt »bei den Sachen [epi tôn pragmatôn] durch Zusammensetzung oder Trennung vor, so dass der zwar die Wahrheit besitzt [alêtheuei], der vom Getrennten meint, dass es getrennt, und vom Zusammengesetzten, dass es zusammengesetzt ist, der aber sich geirrt hat [epseustai], der sich [im Meinen] entgegensetzt [enantiôs] verhält wie die Sachen.« (Met. Θ 10, 1051b2–5)

Vor diesem Hintergrund stellt Aristoteles die weiterführende Frage (Met. Θ 10, 1051b17–23): »Aber nun bei dem Unzusammengesetzten – was ist da das Sein oder NichtSein, das Wahre und das Falsche? Denn es ist nicht zusammengesetzt, so dass es der Fall wäre, wenn es verbunden, nicht der Fall wäre, wenn es getrennt wäre, wie [die propositiona len Sachverhalte,] dass das Holz weiß und dass die Diagonale inkommensurabel ist; und so wird auch das Wahre und das Falsche hier nicht in gleicher Weise zutreffen wie bei jenen [Propositionen]. In der Tat wird, wie auch das Wahre bei diesen [Unzusammengesetzten] nicht dasselbe ist, so auch das [Der-Fall-]Sein nicht dasselbe sein […].«

Im Fortgang (1051b23–26) erfahren wir zunächst, dass beim Unzusammengesetzten das Wahre ein Berühren und Sagen, thigein kai phanai, das Nichtwissen (agnoein) hingegen ein Nichtberühren (mê thinganein) sei – wobei das Sagen (die phasis) vom Aussagen (der kataphasis) unterschieden werden müsse – und dass es Täuschung hier nicht gebe. Etwas später heißt es

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(1051b31–1052a4), das Wahre bei den unzusammengesetzten Sachverhalten bestehe darin, sie denkend zu erfassen (to d’ alêthes to noein auta), das Falsche (pseudos) und die Täuschung (apatê) aber gebe es hier gar nicht, sondern nur Nichtwissen, Unwissenheit (agnoia) – »aber eine Unwissenheit nicht wie die Blindheit, denn die Blindheit ist, wie wenn jemand die Denkkraft (to noêtikon) gar nicht hätte«. Vielmehr verhält es sich hier wie im Fall eines Sehenden, der etwas nicht sieht, weil es sich außerhalb seines Gesichtskreises befindet. Im Berühren, thigein bzw. thinganein, wird das Erkennen eins mit dem Erkannten, und zwar sowohl im Fall der sinnlichen Wahrnehmung (aisthêsis) wie im Fall des Denkens (noêsis). »Die Wirklichkeit des Wahrnehmbaren und der Wahrnehmung ist ein und dieselbe, das Sein ist aber für sie nicht dasselbe«, lesen wir de an. III 2, 425b26 f. Indem das Rot der Rose im Vollzug des Sehens seine letzte Vollendung erfährt, werden es und die Sehfähigkeit des Beobachters der Wirklichkeit nach eins, obwohl ihr wesentliches Sein, das in der jeweiligen Definition zum Ausdruck kommt, natürlich verschieden ist und bleibt. Analog gilt für den Fall des Denkens von Unzusammengesetztem, dass sein Vollzug ein Wissen kat’ energeian und mit der erkannten Sache der Wirklichkeit nach identisch ist (vgl. de an. III 7, 431a 1 f.). So weit in Kürze Aristoteles, dessen Wahrheitsauffassung uns Anstöße für einen fruchtbaren Umgang mit dem reinen Sein liefern (und umgekehrt daraus motiviert werden) kann. Wenn das reine Denken, das wir betrachten, nicht etwas völlig Abgehobenes oder Fiktives, sondern ein grundlegender Aspekt unseres wirklichen und gewöhnlichen Denkens ist, so würden wir mit Aristoteles sagen müssen: Indem wir das Sein denken, berühren wir es und wird unser Denken der Wirklichkeit nach eins mit ihm. Aber natürlich sind wir und unser Denken per definitionem (dem Was-Sein nach) etwas Anderes als es, das Sein. Wir sind endliche, leibliche Subjekte und unsere Gedanken mentale Zustände und Akte; das Sein aber ist das unbestimmte Unmittelbare. Doch dem wirklichen Vollzug nach wird das Sein mit unserem Denken, wenn wir es denken, jeweils eins. Wenn wir es denken, berühren wir es und sind mit ihm im Russellschen Sinn »bekannt« (acquainted): Wir erkennen es irrtumsimmun durch Bekanntschaft, nicht propositional vermittelt und irrtumsanfällig durch Beschreibung. Wissen durch Bekanntschaft ist Anschauung, entweder sinnliche (aisthêsis) oder intellektuelle (noêsis). Da die Anschauung (wie wir sie hier betrachten) irrtumsimmun ist, muss sie unterhalb des Bewusstseinsgegensatzes von Ansichsein und Für-es-Sein bzw. von Objektivität und Subjektivität bleiben. (So entspricht es im Übrigen dem Ausgang der Phänomenologie des Geistes.)

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Deswegen hat Aristoteles recht, wenn er sagt, dass im Vollzug des sinnlichen oder intellektuellen Anschauens der Akt und der Gegenstand eins sind. Folglich sind die angeschauten Inhalte keine propositionalen Tatsachen, zu deren jeder es einen kontradiktorisch entgegengesetzten nichtbestehenden propositionalen Sachverhalt gibt, sondern asynthetische, vorpropositionale Sachverhalte, die nicht in kontradiktorischen Paaren auftreten, sondern die schon kraft ihres bloßen Erfasst-Werdens als vorpropositionale Tatsachen bestehen. Ich nenne sie Ursachverhalte (Ur-Sachverhalte). Sie sind satzwertig, weil sie vollständige, wahrheitsfähige und in ihrem Auftreten zugleich wahre Denkinhalte sind, aber nicht satzartig, weil ihnen die prädikative und allgemeiner die propositionale Gliederung fehlt. Das reine Denken als der Vollzug der Vordergrundlogik und das reine Sein als sein erster, unbestimmter, unmittelbarer, unvergleichlicher und leerer – vollkommen asynthetischer – Gegenstand sind demnach, wie wir mit Aristoteles vermuteten, tatsächlich im Vollzug eins. Das reine Denken ist zugleich reine Anschauung, die mit ihrem Gegenstand, dem reinen Sein zusammenfällt. Genau so sagt es Hegel: »Es ist nichts in ihm [dem reinen Sein] anzuschauen, wenn von Anschauen hier gesprochen werden kann; oder es ist nur diß reine, leere Anschauen selbst. Es ist eben so wenig etwas in ihm zu denken, oder es ist nur diß leere Denken.« (GW 21, 69 = TW 5, 82 f.) Das reine Sein ist identisch mit dem reinen Anschauen und dem reinen Denken seiner. Die Vordergrundlogik und ihr Gegenstand sind bis auf weiteres eins; und das ist keine Prämisse, sondern ein Resultat. Wenn wir nun das erste »Theorem« der Vordergrundlogik formulieren wollen, so werden wir in Verlegenheit geraten. Denn es ist kein Theorem im Sinne eines zweiwertigen Satzes in propositionaler Gliederung, sondern ein Akt Russellscher Bekanntschaft mit dem reinen Sein oder eine intellektuelle Anschauung des reinen Seins, die mit ihm völlig amalgamiert ist. Wenn wir irgendeinen sprachlichen Notbehelf zum Ausdruck dieser Anschauung verlangen, bietet sich am ehesten der Ein-Wort-Satz »Sein!« an, und gerade so, mit dem schieren Ausdruck »Sein«, eröffnet Hegel das erste Kapitel der Logik tatsächlich und geht dann sofort zur Kommentierung über: »Seyn, reines Seyn, – ohne alle weitere Bestimmung.« (GW 21, 68 = TW 5, 82) Von den drei Abschnitten: »A. [Seyn]«, »B. Nichts«, »C. Werden«, dieses ersten Kapitels haben wir Abschnitt A jetzt zur Gänze betrachtet. Mit der oben zitierten Hervorhebung des negativen Indefinitpronomens »nichts« an seinem Ende (»Es ist nichts in ihm anzuschauen«) versucht Hegel bereits den Übergang zu Abschnitt B zu motivieren. Entsprechend schließt er A mit dem Satz: »Das Seyn, das unbestimmte Unmittelbare ist in der That Nichts, und nicht mehr noch weniger als Nichts.« (GW 21, 69 = TW 5, 83)

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2. Die Verneinung als die erste logische Operation Argumentativ ist Hegels schneller Übergang vom reinen Sein über das kleingeschriebene Indefinitpronomen »nichts« zu seiner großgeschriebenen Nominalisierung »(das) Nichts« rundweg ungenügend. Der Skeptiker, den wir zum Mittun eingeladen haben, würde uns auslachen, wenn wir ihm so kämen.5 Warum also geht Hegel so vor? Offenbar möchte er selber den Standpunkt des reinen Denkens, also der Vordergrundlogik, so gut es irgend geht, beziehen und im Haupttext (im Unterschied zu den oft sehr ausführlichen Anmerkungen) mit hintergrundlogischen Überlegungen an sich halten. Bemühen wir einen Vergleich. Wie Schausteller sind wir, die für die erwarteten Kirmesgäste eine Achterbahn aufbauen, wenn wir in der Hintergrundlogik die Vordergrundlogik als eine Bahn für das reine Denken konstruieren. Hegel war der erste, dergleichen zu unternehmen. Nun liegt die Aufbauarbeit hinter ihm und auch schon eine Probefahrt. So ist er in der Lage, sich auf den Standpunkt der erhofften Fahrgäste zu versetzen und zu schildern, wie das ist, rein zu denken. Beim unmittelbaren Sein geht die Fahrt los und führt im Handumdrehen zum Nichts und weiter zum Werden, Dasein, Etwas und so fort. Doch bevor wir erwartungsfroh mit Hegel in die Benutzerperspektive wechseln dürfen, müssen wir zunächst den anstrengenden Standpunkt der Konstrukteure beziehen und Aufbauarbeit leisten. Da wird es sich alsbald zeigen, dass wir die zweite Station – das Nichts – in unsere Konstruktion erst einfügen können, wenn wir zuvor die dritte und die vierte Station, das Werden und das Dasein, aufgebaut haben werden. Nachher bei der Probefahrt wird das Nichts dann früher kommen als das Werden und das Dasein. Aber so weit sind wir noch nicht. Eine Theorie, die aus einem einzigen Theorem oder vielmehr nicht einmal einem Theorem, sondern nur dem Ein-Wort-Quasitheorem »Sein!«, bestünde, wäre nichtssagend und unnütz. Wir haben in der Hintergrundlogik das Sein durch Weglassung aller Besonderheiten möglicher Wahrheitsansprüche als deren einförmigen Rest konstruiert. Wir wissen also, dass es mehr an logischer Struktur gibt als den einförmigen Rest, etwa die prädikative Gliederung als Grundlage der propositionalen Form, Wahrheitsfunktionen, Quantoren, Modalitäten usw. Aber wir wollen und dürfen nicht botanisieren, uns nicht irgendeine Liste logischer Strukturmerkmale vorgeben

5

In diesem Sinn formuliert sehr einprägsam Falk (1983), S. 25: »Eine Theorie von derart extrem hohen methodischen Ansprüchen wie die WdL läßt sich ebensowenig auf vagem Etymologisieren aufbauen wie auf der Wortspielerei: Weil im Sein nichts zu entdecken ist, ist das Sein das Nichts.«

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lassen. Der Aufbau einer streng voraussetzungslosen Theorie muss in jedem Schritt alternativlos vonstattengehen. Von unserem hintergrundlogischen Vorgehen her wissen wir, dass wir logisch Relevantes weggelassen haben auf dem Weg zum reinen Sein, und das berechtigt uns, immerhin, zu einer Fortsetzung überhaupt über das reine Sein hinaus, aber noch zu keiner bestimmten. Hier ist freilich ein Einspruch seitens des Parmenideischen Disjunktivismus zu gewärtigen:6 Was wir für Denken halten, ist entweder Denken, im strengen Sinn, und dann stets denkendes Vernehmen reinen Seins, oder nur scheinbares Denken: Doxa, Meinung, bloße Vorstellung.7 Wenn aber letzteres, so wird stets Negativität mitgemeint oder mitvorgestellt, die gar nicht gedacht werden kann, und in der Folge Vielheit, Werden und Schein. Hegel hat dem Parmenideischen Disjunktivismus bekanntlich seinen logischen Konjunktivismus entgegengesetzt: Reines Sein, d. h. Sein ohne Zusatz von Negativität, kann nicht gedacht werden; wir denken unweigerlich stets sowohl Sein als auch Negativität. Aber dieses Resultat müssen wir uns erst erarbeiten; wir dürfen es nicht vorab dogmatisch übernehmen. Noch stehen wir ja auf dem Standpunkt, dass sich das reine Sein – als Inhalt des ersten logischen (Quasi-)Theorems 8 – durchaus denken lässt. Allerdings spricht bisher auch nichts für den Disjunktivismus; denn wir kennen (noch) keinen Grund, warum sich Negativität nicht denken lassen sollte. Wir dürfen daher gegebenenfalls die Negativität probeweise als einen Inhalt reinen Denkens anerkennen. Es bleibt uns, wie wir gleich sehen werden, auf dem Boden unserer Arbeitshypothese auch gar nichts anderes übrig. Wenn dem jedoch so ist, wird durch die Arbeitshypothese der Parmenideische Disjunktivismus bereits abgewiesen, wenn auch noch nicht der Hegelsche Konjunktivismus beglaubigt. Das Argument ist folgendes. Mit dem logischen Denkvollzug »Sein!« wird ein Wahrheitsanspruch erhoben; nicht irgendeiner, sondern der singuläre übermäßige Wahrheitsanspruch in allen Wahrheitsansprüchen. Zu einem zweiten logischen Theorem müssen wir demnach mittels einer Wahrheitsoperation gelangen, und da nur ein einziges Operandum zur Verfügung 6

Den Ausdruck »Parmenideischer Disjunktivismus« übernehme ich von Irad Kimhi aus seinem unveröffentlichten Skript »Th inking and Being«, das an der Universität Chicago zirkuliert. 7 »Irrtum, Trübheit, Meinung, Streben, Willkür und Vergänglichkeit«, mit Hegel zu reden (GW 12, 236 = TW 6, 549). 8 Der Kürze halber wird das modifi zierende »Quasi-« fortan weggelassen. Dass die vordergrundlogischen Denkvollzüge keine eigentlichen Theoreme sind, ist so offenkundig, dass kaum Gefahr der Irreleitung besteht.

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steht, mittels einer einstelligen Wahrheitsoperation. Davon gibt es unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten, die die klassische Aussagenlogik bereitstellt, genau vier: 1) die Identitätsoperation oder Wiederholung, 2) die Wahrmacheroperation, 3) die Falschmacheroperation, 4) die Umkehroperation oder Verneinung. Die Wiederholung liefert bei Eingabe eines Ausgangssatzes α als Ausgabe oder Resultat wiederum α, führt also zu nichts Neuem. Die Wahrmacheroperation liefert für beliebige Eingaben jeweils deren wahre Entsprechungen oder Abwandlungen. Da uns kein weiterer Satz außer dem Theorem »Sein!« zur Verfügung steht, würde sie auf dessen Wiederholung hinauslaufen. Die Falschmacheroperation liefert für beliebigen Eingaben jeweils deren falsche Entsprechungen; ein falscher Satz aber kommt als Theorem gar nicht erst in Frage. So bleibt allein die Verneinung übrig, die uns zu einer wahren (falschen) Eingabe die ihr kontradiktorisch entgegengesetzte falsche (wahre) Ausgabe liefert. Für unser Ausgangstheorem »Sein!« ergibt sie demnach das kontradiktorische Gegentheorem, das wir sprachlich durch »Nicht(Sein)!« anzeigen können. Die alternativlose Fortsetzung der Vordergrundlogik besteht folglich in dem »Theorem«: »Nicht(Sein)!« Wie sollen wir diese Verneinung und wie die Verneinung überhaupt verstehen? Sind – wie Frege formuliert, aber nicht glaubt – »Urteilen und Verneinen […] ein Paar entgegengesetzter Pole, die eben als Paar gleichen Ranges sind«?9 Dann bräuchten wir zwei Weisen des Urteilens, »die behauptende Kraft im Falle des Bejahens« und »die behauptende Kraft im Falle des Verneinens«. So nimmt es Aristoteles für das prädikative Urteil an: Dieses ist entweder eine synthesis und kataphasis (Verbindung und Zu-Sage) oder eine dihairesis und apophasis (Trennung und Ab-Sage). Frege möchte »dagegen nur eine einzige Weise des Urteilens« zulassen und relegiert die Verneinung in den Inhalt, betrachtet sie als Bestandteil des betreffenden Gedankens (Satzsinnes).10 Mit unserer bloßen Arbeitshypothese hatten wir uns oben gegen Freges Lehre vom Primat der Satzsinne (Gedanken, Propositionen) vor den Urteilen gewandt und uns insoweit Aristoteles angeschlossen. Vermutlich werden wir also, auf der Seite des Aristoteles bleibend, die Verneinung als einen Gegenpol zum bejahenden Erfassen einführen müssen. (Aber wir wollen damit nicht ausschließen, dass sie im Fortgang in den Inhalt hinüberwandert.) Eine andere Differenz zwischen Aristoteles und Frege betrifft den Ursprungsort der Verneinung. Für Aristoteles ist Verneinung primär prädika9 10

Frege (1918/19), S. 152. Ebd. S. 154.

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tive Trennung; sie hat ihren Ursprung also in der Prädikation. Für Frege ist sie ein wahrheitsfunktional erklärbarer Teil einer Proposition, gehört also ursprünglich in die Aussagenlogik, die von der prädikativen Binnenstruktur der Sätze abstrahiert. In diesem Punkt drängt uns die Arbeitshypothese zur Neutralität und zu etwas Drittem: Das Denken des reinen Seins ist keines von beiden, weder eine prädikative Synthesis noch ein komplexeres Urteil, sondern ein einfaches Berühren (thigein, thinganein) eines logischen Ursachverhaltes. Wir müssen die Verneinung also von Ursachverhalten her einführen bzw. auf diese zuschneiden. Dafür ist dann allerdings doch wieder Aristoteles der maßgebliche Theoretiker. Wir ließen uns oben von ihm belehren, dass es beim Unzusammengesetzten nur einen einzigen Wahrheitswert, das Wahre, nicht hingegen das Falsche gibt und dass das andere zum Berühren des Wahren das Nichtwissen ist. Ein aktives Verneinen eines Ursachverhaltes wäre also ein Lösen der Berührung und Zurückstoßen des Ursachverhalts in den Bereich des epistemisch Unzugänglichen. Mit Blick zwar nicht auf Ursachverhalte, wohl aber auf basale Repräsentationen, hat Wilfrid Sellars den Begriff der Zurückweisung für ursprünglicher als den Begriff der Verneinung erklärt.11 Die Zurückweisung, so würde ich dies gern modifizieren, ist eine ursprüngliche Form (oder Vorform) der (Urteils-)Verneinung, und die Zurückweisung eines Ursachverhalts ins epistemisch Unzugängliche ist seine Ausstoßung aus dem logischen Raum, d. h. aus dem Bereich dessen, was der Fall sein und gedacht werden kann, und insoweit seine Vernichtung. Vergleichen wir vor diesem Hintergrund noch einmal Ursachverhalte und Propositionen. Unsere Arbeitshypothese legt uns zwar auf den Primat der Urteile gegenüber den Propositionen fest, verlangt aber keineswegs den Verzicht auf letztere, die vielmehr als notwendige Abstraktionsprodukte von ersteren unabdingbar sind, weil objektive, zweiwertige Urteile grundsätzlich im Bewusstsein der eigenen Irrtumsanfälligkeit gefällt werden. Der Urteilsakt schließt also den Gedanken der Möglichkeit seiner De-Objektivierung durch ein Mir-so-Scheinen ein, und im Übergang zum Mir-so-Scheinen lösen wir vom Urteil die entsprechende Proposition als dasjenige ab, was uns jeweils der Fall zu sein scheint. Man braucht kein Realist der Propositionen zu sein, um aus solchen oder ähnlichen Gründen ihre Unverzichtbarkeit als nachgeordnete Entitäten oder zumindest als bequeme Redensarten anzuerkennen. Ihre luft ige »Existenz« ist ihr Bestehen-oder-Nichtbestehen (als Tatsachen), nicht selbständig, sondern an den Dingen, die in ihnen jeweils 11

»The concept of rejection is more basic than the concept of negation«, Sellars (1981), S. 343.

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vorkommen. So hat die singuläre Proposition, dass Sokrates sitzt, ihr Bestehen und die singuläre Proposition, dass Sokrates fliegt, ihr Nichtbestehen – und beide haben ihre Existenz – an Sokrates. Die generelle Proposition, dass es schwarze Hunde gibt, hat ihre Existenz und ihr Bestehen an den Dingen im Wertebereich unserer Variablen, von denen einige schwarz und Hunde sind. Und so weiter. Wesentlich für die Objektivität und die Zweiwertigkeit unserer Urteile ist es, dass es zu jeder bestehenden Proposition eine nicht bestehende Gegenproposition gibt. Urteile, deren Propositionen nicht als Tatsachen bestehen, sind falsch. Aber natürlich gibt es die nichtbestehenden Propositionen, sonst könnten wir nicht falsch urteilen und uns nicht täuschen. Für (einfache) Ursachverhalte hingegen gibt es keine Gegen-Ursachverhalte. Deswegen sind wir im bejahenden Berühren eines Ursachverhaltes nicht irrtumsanfällig. Existenz und Bestehen fallen hier zusammen. Ursachverhalte haben ihre Existenz und ipso facto ihr Bestehen jeweils an ihnen selber; die Verneinung eines Ursachverhaltes muss daher, wie gesagt, seine Vernichtung sein. Eingedenk dessen kehren wir jetzt zu unserem zweiten Theorem, »Nicht(Sein)!«, zurück. Es verwickelt uns sogleich in (mindestens) drei Probleme, die nach ansteigendem Schwierigkeitsgrad wie folgt sortiert werden können: 1. Das Denken ist der Wirklichkeit nach eins mit dem Ursachverhalt, den es berührt (so erfuhren wir von Aristoteles), aber dem wesentlichen Sein und der Definition nach davon verschieden. Zu Beginn der Vordergrundlogik gibt es jedoch keine Möglichkeit, zwischen Wirklichkeit einerseits und Wesen oder Definition andererseits zu unterscheiden; das reine Denken und das reine Sein sind vielmehr schlechtweg eins. Die Vernichtung des letzteren wäre insofern zugleich die Vernichtung des ersteren, also der Vordergrundlogik selber. 2. Das zweite Theorem, »Nicht(Sein)!«, wurde eingeführt als die Verneinung des ersten, »Sein!«. Wir haben also einen Widerspruch zwischen unseren beiden Theoremen, den es zu beheben gilt. 3. Das erste Theorem ist nach Definition nicht wirksam verneinbar, denn es formuliert den gemeinsamen Faktor aller möglichen (außerlogischen und logischen) Theoreme. Mit anderen Worten, das zweite Theorem, das das erste ausdrücklich verneint, impliziert dieses zugleich, widerspricht also sich selber. Den Weg zu einer Lösung des ersten Problems könnte das dritte weisen: Wenn das Sein nicht wirksam verneint werden kann, wird es der vordergrundlogischen Entwicklung bis auf weiteres als ein festes Substrat zu-

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grunde liegen bleiben, und die Wandlungen seiner Zustände werden Wandlungen des reinen Denkens sein. Wenn sich die Probleme 2 und 3 lösen lassen, braucht uns das erste Problem daher nicht allzu sehr zu beunruhigen. Das zweite Problem konfrontiert uns mit einem offenen Widerspruch. Der Satz vom (Nicht-)Widerspruch aber ist, wie Aristoteles lehrt, »das festeste aller Prinzipien« (pasin esti bebaiotatê tôn archôn); das festeste: »denn es ist unmöglich, dass jemand annimmt, dasselbe sei der Fall und nicht der Fall« (adynaton gar hontinoun tauton hypolambanein einai kai mê einai).12 Dieses Prinzip ist eines, über das man nicht getäuscht werden kann (peri hên diapseusthênai adynaton), es ist das offenkundigste (gnôrimôtatê) und voraussetzungslos (anhypothetos) bzw. keine Voraussetzung (ouch hypothesis).13 Wir können nicht annehmen, dasselbe sei der Fall und nicht der Fall; wann immer wir es versuchen, werden wir scheitern; es ist unmöglich. Der Nichtwiderspruchssatz formuliert also keine Norm, gegen die man verstoßen könnte, sondern eine logische Wahrheit, die sich auseinanderlegen lässt in eine notwendige Grundwahrheit a priori der Ontologie und eine notwendige Grundwahrheit a priori der (rationalen, nicht-empirischen) Psychologie.14 In der Hintergrundlogik verpflichten nicht etwa wir uns auf dieses Prinzip als auf eine konsensfähige Basis, sondern sind ihm, ob wir wollen oder nicht, in unserem Denken immer schon unterworfen. In der Vordergrundlogik wird es uns erst viel später ausdrücklich begegnen (im ersten Abschnitt der Wesenslogik, zweites Kapitel, Abschnitt »C. Der Widerspruch«), dann freilich so, dass auch eine wichtige Einschränkung seiner Geltung anerkannt wird, auf die wir in Kürze stoßen werden. Nun ist es freilich kein Geheimnis, wie der Anschein eines Widerspruchs zwischen zwei Sätzen immer dann aufgelöst werden kann, wenn sie keine ewigen, sondern Gelegenheitssätze sind, deren Wahrheitswerte mit den Äußerungsgelegenheiten variieren. »Jetzt regnet es hier« ist an manchen Orten zu manchen Zeiten wahr und an anderen Orten und zu anderen Zeit falsch. Die Indikatoren »hier« und »jetzt« (bzw. schon das Tempus Präsens des Verbs) sind die operativen Ausdrucksmittel, denen sich die Veränderlichkeit Met. Γ 3, 1005b22–24. Ebd. 1005b13–16. 14 Diese Einsicht hat sich mir im Winterquartal 2016 an der Universität Chicago befestigt durch Lektüre von Skripten Irad Kimhis und in Diskussionen mit den Kollegen James Conant und Robert Pippin, denen ich allen sehr zu danken habe. In welchem abgeleiteten Sinn logische Prinzipien doch noch als konstitutive Normen (näher konstitutive Kritikregeln) aufzufassen sind, wird sich im Fortgang weisen (im Zusammenhang mit dem Ideal der Mathematisierung der Weltbeschreibung). 12 13

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des Wahrheitswerts hier verdankt. Allerdings fehlt uns in der Vordergrundlogik, da Raum und Zeit keine Rolle in ihr spielen, noch die Grundlage des Indexikalischen. Doch wir benötigen auch keine unbegrenzte Vielheit von Orten und Zeiten, sondern nur irgendeine bescheidene Stellenmannigfaltigkeit, die uns zu sagen erlaubt, das Theorem »Sein!« gelte an dieser und das Theorem »Nicht(Sein)!« an jener Stelle. Fürs Erste wäre uns also schon mit zwei Stellen gedient, und die stehen trivialerweise auch zur Verfügung, denn »Sein!« definiert qua erstes Theorem eine erste und »Nicht(Sein)!« qua Nachfolgertheorem eine zweite Stelle. Das lässt an den Beginn der Folge der natürlichen Zahlen denken, die Kant in den Prolegomena mit der Zeit als der Form des inneren Sinnes assoziiert. Vielleicht also stoßen wir anlässlich des Übergangs vom ersten zum zweiten Theorem auf eine logische Vorform der Zeit. Allerdings fehlt noch die zeittypische Kontinuität des Übergehens; wir haben vorerst nur zwei diskrete Stellen. Da der zweite Denkvollzug bzw. Ursachverhalt seinem Anspruch nach die Verneinung im Sinn von Vernichtung des ersten ist, kommt er nicht nur für uns (in der Hintergrundlogik), sondern auch an sich (im reinen Denken) später. Die Mannigfaltigkeit ist insofern eine eindimensionale und gerichtete; sie hat einen Pfeil, ist zeitartig, nicht raumartig. Aber sie ist – wie die Indexikalität, die durch sie ermöglicht wird – eine rein logische, prätemporale. Dies wäre der beruhigende Stand der Dinge, wenn nicht auch das dritte Problem noch der Lösung harrte. Da das erste Theorem nicht wirksam verneint werden kann und vom zweiten Theorem impliziert wird, ergibt sich ein Widerspruch an der Stelle 2 zwischen dem Nicht-Sein, das dort behauptet, und dem Sein, das (dort wie überall) impliziert wird. Sobald wir dieser Implikation innewerden, droht sich uns der Inhalt des zweiten Theorems, das Nicht-Sein, ins Undenkbare aufzulösen; Parmenides scheint recht zu behalten: Wir können das Nicht-Sein nicht denken, denn wir können zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzte Behauptungen nicht in einem Bewusstseinsakt vereinigen. Andererseits scheinen die Sachen selbst mitunter dieses unmögliche Kunststück von uns zu verlangen. Zumindest versichern uns dies Dialetheisten wie Graham Priest und verweisen zur Begründung auf den Augenblick des Wandels, wenn etwas noch nicht und doch schon so-und-so ist.15 Verlangen die Sachen Unmögliches von uns? Oder verwandelt sich, wie der Parmenideische Disjunktivismus annimmt, am harten Fels jenes Unmöglichen unser Denken in bloßes Meinen, Irren, Vorstellen, in dem befangen uns sogar entgeht, dass wir nicht mehr denken, sondern nur noch meinen, irren, 15

Vgl. Priest (1987).

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vorstellen (wie uns im Traum meist entgeht, dass wir träumen, während wir im Wachen wissen, dass wir wachen, und im Denken, dass wir denken)? Im Augenblick des Wandels, wenn zum Beispiel eine Billardkugel eine andere anstößt, scheint zu gelten, dass der alte Zustand noch und der unverträgliche neue Zustand schon besteht: Die Billardkugeln berühren einander gerade noch nicht und auch schon: ein Widerspruch, und zwar, wie es scheint, ein wahrer Widerspruch, d. h. eine Dialethie. In unserer alltäglichen Urteilspraxis wissen wir mit derlei Dialethien gut umzugehen, und konstatieren sie mittels Sätzen, die Grenzfälle von zeitlich indexikalischen Gelegenheitssätzen sind; Augenblickssätze können wir sie nennen. Als zur Gattung der Gelegenheitssätze gehörend haben sie variable Wahrheitswerte, und nach ihrer besonderen Logik qua Augenblickssätze unterliegen sie einer charakteristischen Asymmetrie in der Variation der Wahrheitswerte. Der Wahrheitswert Falsch nämlich ist für sie jeweils relativ stabil, der Wahrheitswert Wahr jedoch extrem instabil. Zur inferentiellen Rolle eines Augenblickssatzes gehört, mit anderen Worten, dass wir von ihm auf seine alsbaldige Falschheit schließen dürfen. Der Torwart fängt gerade den Ball. Also fängt er ihn (indem wir weitersprechen) jetzt nicht mehr (sondern hat ihn gefangen). So hebt sich die Wahrheit eines Augenblickssatzes unmittelbar auf. In unserer Alltagssprache nehmen wir daran keinen Anstoß; das Sprachspiel der Augenblickssätze funktioniert reibungslos. Den Nichtwiderspruchssatz können wir nicht preisgeben und brauchen es angesichts der Augenblickssätze auch nicht. Wir müssen dazu nur sehr grundsätzlich zwischen Sein und Werden unterscheiden, und zwar sowohl weltseitig als auch denkseitig, d. h. sowohl metaphysisch als auch psychologisch. (»Ontologisch« dürfen wir den Blick auf das Weltseitige dann wohl nicht mehr nennen; denn die Ontologie ist per definitionem die Lehre vom Sein des Seienden, das wir ja gerade vom Werden des Werdenden abheben wollen.) Platon hat diese Unterscheidung im Parmenides vollzogen. Was wir »Werden« nannten, nennt er dort metaballein, »Umschlagen« (156c). Im zweiten der acht Durchgänge der dialektischen Übung im zweiten Teil des Dialogs fragt er zuerst nach dem Sein des Einen (142b ff.), dann nach seiner Veränderung (in einer relativ stabilen Prozessualität, die er »Werden«, gignesthai, nennt, 154a ff.) und drittens nach dem Umschlagen vom Sein zur Veränderung oder umgekehrt (155e ff.).16 Das Umschlagen fällt aus der Zeit: 16

Die Forschung hat sich mit dem »drittens«, to triton (155e), unnötig schwergetan und entweder (in älterer neuplatonischer Auslegungstradition) gemeint, hier beginne der dritte von dann insgesamt neun Durchgängen, oder (neuer und realistischer), hier beginne ein Exkurs innerhalb des zweiten Durchgangs, eingeleitet durch ein dann freilich unmotiviertes »drittens«. Platon hat aber innerhalb des zweiten Durchgangs ein-

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in das »Plötzlich«, exaiphnês, das zwischen zwei Phasen (etwa der Ruhe und der Bewegung) seinen Sitz hat (156d). Wir weichen von Platon ab, indem wir das Umschlagen als Werden bezeichnen und es zusammen mit der Veränderung (Platons »Werden«) dem Sein kontrastieren. Aber wir folgen ihm darin, dass wir das Werden vom Sein grundsätzlich unterscheiden und den Nichtwiderspruchssatz ganz auf das Sein beziehen: Etwas kann nicht sowohl der Fall sein als auch zugleich nicht der Fall sein. So lässt sich der Konflikt zwischen dem Dialetheismus und dem Nichtwiderspruchssatz zugunsten des letzteren lösen. Die Beschreibung des Umschlagens als eines Augenblicks, in dem etwas so-und-so zugleich ist und nicht ist, ist eine uneigentliche und schiefe. Das Sein im Umschlagen ist kein Sein und die Negativität keine reine Negativität mehr, sondern beide sind nun Formen des Umschlagens als eines Dritten, Momente des Werdens.17 Auf der Seite des Denkens gilt Entsprechendes. In einem einzigen Bewusstseinszustand können zwei einander widersprechende Seiten nicht zusammengedacht werden. Aber im infinitesimal kontinuierlichen Übergehen von einem Bewusstseinszustand zum anderen kann ebensolches weltseitige Übergehen gedacht werden. Natürlich stellt sich die Frage des Disjunktivismus: Ist das denkseitige Übergehen noch Denken oder bereits etwas Anderes? Solange sich für die Annahme eines zweiten Disjunktionsgliedes kein zwingender Grund zeigt, wollen wir den Disjunktivismus vermeiden und nur eine Binnenunterscheidung zwischen stehendem und übergehendem Denken treffen. Die Lösung unseres dritten Problems ist nach alledem folgende: Die spezifische Indexikalität von »Nicht(Sein)!« ist die eines logischen Augenblickssatzes, der seine alsbaldige Falschheit impliziert und seine eigene Verneinung wahrmacht: »Nicht(nicht(Sein))!« bzw. wieder schlicht »Sein!«. Weil die Verneinung eines Augenblickssatzes einen zwar relativ stabilen, gleichwohl aber indexikalischen Satz ergibt, haben wir hier nicht einfach das erste Theorem, das als ewige Wahrheit gelten sollte, wiedergewonnen, sondern eines, das auf dem Boden jener ewigen Wahrheit als eine sonst inhaltsgleiche fach eine Dreiheit von Sein, Prozess und Umschlagen vor Augen (die allerdings nicht genau unserer Dreiheit von ewigen Sätzen, stabilen Gelegenheitssätzen und Augenblickssätzen entspricht). 17 In diesem Sinn schreibt Hegel zu Beginn der Anmerkung 3 zu C. Werden. 1. Einheit des Seins und des Nichts (GW 21, 81): »Die Einheit, deren Momente, Seyn und Nichts, als untrennbare sind, ist von ihnen selbst zugleich verschieden, so ein Drittes gegen sie, welches in seiner eigenthümlichen Form das Werden ist. Uebergehen ist dasselbe als Werden, nur daß in jenem die beyden, von deren einem zum andern übergegangen wird, mehr als aussereinander ruhend und das Uebergehen als zwischen ihnen geschehend vorgestellt wird.«

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logisch indexikalische, also von Negativität berührte, Wahrheit gelten soll. Dieses neue Sein nennt Hegel Dasein.

3. Nichts, Werden, Dasein Wir wollen nun das unseren letzten Überlegungen entsprechende Textstück der Logik (den Haupttext ohne die Anmerkungen) konsultieren und erläutern: vom ersten Kapitel, Sein, die Abschnitte B. Nichts und C. Werden (mit den Unterabschnitten 1. Einheit des Seins und das Nichts, 2. Momente des Werdens, 3. Aufheben des Werdens) sowie vom zweiten Kapitel, Das Dasein, Abschnitt A. Dasein als solches, Unterabschnitt a. Dasein überhaupt. Über »das reine Nichts« sagt Hegel mehr oder weniger dasselbe wie über das reine Sein, was wegen der behaupteten Identität beider auch zu erwarten war: Das Nichts ist unvergleichlich, »vollkommene Leerheit, Bestimmungsund Inhaltlosigkeit«, das leere Anschauen und Denken und »somit dieselbe Bestimmung oder vielmehr Bestimmungslosigkeit, und damit überhaupt dasselbe, was das reine Seyn ist« (GW 21, 69 = TW 5, 83). Warum dann aber zwei verschiedene Bezeichnungen für dieses Selbe, einmal »Sein« und das andere Mal »Nichts«? Hegel gibt seine Antwort sogleich unter C. Werden, Unterabschnitt 1. Zunächst erläutert er die Identität des Seins und des Nichts als ihre »Wahrheit«, die darin bestehe, dass eins ins andere nicht übergehe, sondern übergegangen sei. Man wird also keines von ihnen je für sich zu denken bekommen. Nun verlangt jedes Übergehen oder Übergegangensein einen (verlassenen) Terminus a quo und einen (erreichten) Terminus ad quem, also die Nichtidentität zweier Termini. Entsprechend fährt Hegel fort (GW 21, 69 = TW 5, 83): »Aber eben so sehr ist die Wahrheit nicht ihre Ununterschiedenheit, sondern daß sie nicht dasselbe, daß sie absolut unterschieden, aber eben so ungetrennt und untrennbar sind, und unmittelbar jedes in seinem Gegentheil verschwindet.« (Dass sie, wenn sie unterschieden sind, absolut unterschieden sein müssen, leuchtet ein; denn ihre Inhaltsleere und Bestimmungslosigkeit, bietet keinen Raum für Hinsichten, nach denen sie sich unterscheiden könnten. Aber absolute Unterschiedenheit ist schwer zu verstehen; denn was sich in keiner Hinsicht unterscheidet, ist gemäß der Identität des Ununterscheidbaren schlicht ein und dasselbe.) Das Werden wird sodann eingeführt als jenes wechselseitige Verschwinden ineinander; es ist »eine Bewegung, worin beyde zugleich unterschieden sind, aber durch einen Unterschied, der sich eben so unmittelbar aufgelöst hat« (GW 21, 70 = TW 5, 83). Das Werden, wie wir schon wissen, kollabiert instantan.

Nichts, Werden, Dasein

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Nach vier ausführlichen Anmerkungen (die wir übergehen) benennt Hegel in Unterabschnitt 2 die »Momente des Werdens«. Sein und Nichts sind nicht seine Bausteine oder Module, sondern im Werden selbst Formen des Werdens. Das Werden ist, wie es unseren vorigen Überlegungen entspricht, nicht reduzierbar auf Sein und Verneinung; sondern alles im Werden ist wiederum Werden – bis auf den Grund oder vielmehr bis in den endlosen Abgrund. Nicht das Sein und das Nichts sind daher strenggenommen seine Momente, sondern das stets schon vollzogene Übergehen vom Sein zum Nichts: das Vergehen, und vom Nichts zum Sein: das Entstehen. Wenn sich aber der Unterschied von Sein und Nichts im Werden immer schon aufgelöst hat, so gilt dies auch für den nachgeordneten Unterschied des Vergehens und Entstehens. Die beiden Momente des Werdens »heben sich nicht gegenseitig […] auf, sondern jedes hebt sich an sich selbst auf und ist an ihm selbst das Gegentheil seiner« (GW 21, 93 = TW 5, 112). Das Werden ist daher instabil, ein infinitesimaler logischer Augenblicks-Ursachverhalt, wie wir oben unabhängig festgestellt hatten. Dem trägt Hegel ausdrücklich Rechnung in Unterabschnitt 3 (»Aufheben des Werdens«): Das Werden »widerspricht sich […] in sich selbst, weil es solches in sich vereint, das sich entgegengesetzt ist; eine solche Vereinigung aber zerstört sich« (GW 21, 93 f. = TW 5, 113). Sie »ist eine haltungslose Unruhe, die in ein ruhiges Resultat zusammensinkt« bzw. »in ruhige Einheit« zusammengeht (GW 21, 93 = TW 5, 113), eine »Einheit, welche [anders als die des Werdens] vom Sein und Nichts [d. h. von ihrem Unterschied] abstrahirt« (GW 21, 92 = TW 5, 111 f.). Das Resultat ist wieder ein Sein, diesmal eines, das »die Gestalt der einseitigen unmittelbaren Einheit dieser Momente hat«: das Dasein (GW 21, 94 = TW 5, 113). Dies alles stimmt mit unseren unabhängigen Befunden sehr gut überein: Das Werden enthält Sein und Negativität, ist aber nicht modular aufgebaut und nicht auf seine Ingredienzien reduzierbar, die vielmehr seine unselbständigen Momente sind. Da es in sich widersprüchlich, also selbstzerstörerisch ist, sinkt es sogleich wieder zusammen in sein ruhiges Gegenteil: ein relativ stabiles Sein, genannt Dasein. Unsere einzige Abweichung von Hegel bestand darin, dass wir die Operation der Verneinung eingeführt hatten, um vom Sein zum Werden zu gelangen, während Hegel zu diesem Zweck das Nichts zwischen Sein und Werden einschiebt. Wir konstatierten einen Selbstwiderspruch im Gedanken des Nicht-Seins und interpretierten es als Werden; Hegel diagnostiziert einen Widerspruch im Verhältnis von Sein und Nichts, den er ebenfalls als Werden und näher als dessen Widerspruch diagnostiziert. Wir suchten nach der alternativlosen Operation am Sein und fanden sie in der Verneinung. In der Folge mussten wir eine logische Abfolge und ein

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rein logisches, prätemporales Übergehen annehmen, eine Evolution des logischen Raumes. Der logische Raum als der Inbegriff dessen, was sein und gedacht werden kann, ist demnach entgegen allem, was die Metaphysik in ihren verschiedenen historischen Gestalten unterstellte, einem rein logischen, prätemporalen Wandel ausgesetzt; und ihre historischen Gestalten selbst sind zeitliche Ausformungen und Zeichen dieses Wandels. Im logischen, prätemporalen Sinn beginnt der Wandel am reinen Sein mit dessen Verneinung. Zum reinen Sein muss also ein Zweites hinzukommen: die Differenz zwischen Nicht-Sein und Sein, die Negativität. Doch es kann keine wohlbestimmte logische Stelle geben, an der sie hinzukäme; sie muss folglich immer schon mit im Spiel gewesen sein. Daher liegt auch das Nicht-Sein, interpretiert als das infinitesimal-instabile Werden, immer schon hinter uns. Das Werden war der logische Urknall, mit dem die Evolution des logischen Raumes anhob, der nun in seinem ersten stabilen Zustand Dasein ist. Wir sollten unsere bisherigen logischen »Theoreme« daher neu beziffern: Das vormals erste von ihnen: »Sein!«, fällt als logisch ewiger Satz bzw. Sachverhalt nun unbeziffert aus der Reihe. Das vormals zweite: »Nicht(Sein)!«, welches das Werden ausdrückt, markiert nun den infinitesimalen Ausgangspunkt der logischen Evolution und erhält die Nummer 0. Den Anfangszustand des logischen Raumes drückt das logisch indexikalische Theorem »Nicht(nicht)Sein))!« bzw., indem man durch die doppelte Verneinung kürzt, aber die mit der Verneinung aufgekommene Indexikalität und Negativität anerkennt, das indexikalische Theorem »Sein!« aus und erhält daher die Nummer 1. Wir beginnen demnach mit zwei logisch indexikalischen Theoremen: mit (0) »Nicht(Sein)!« als dem infinitesimal-indexikalischen Theorem des Werdens, (1) »Sein!« als dem stabil-indexikalischen Theorem des Daseins. Da aber die »logische Zeit« anders als die physikalische Zeit keine quantitative (keine abstrakte metrische Entität), sondern eine qualitative »Zeit« und nicht ablösbar vom jeweils konkreten Übergehen ist, ist unsere Nummerierung wohl eher müßig und wird im weiteren Verlauf auch nicht fortgesetzt werden. Ein wenig näher noch, als hier versucht wurde, hat Hans-Peter Falk in seinen hintergrundlogischen Überlegungen den Anfang der Logik an Hegels eigenes Vorgehen herangebracht. Seine Rekonstruktion verstehe ich aber nicht als Konkurrenz, sondern als eine äquivalente Alternative zu meinem Vorschlag. Sie sei zum Vergleich kurz vorgestellt.18 In der Hintergrundlogik 18

Siehe Falk (1983), S. 26 f.

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(Falk spricht von der methodischen Ebene, im Unterschied zur Systemebene als der Vordergrundlogik) muss der Anfang voraussetzungslos spezifiziert werden, und zwar durch eine Satzmenge, in der keine außerlogischen, potentiell kontrovers welthaltigen Zeichen vorkommen. Die Sätze der betreffenden Menge können folglich nur aus logischen Partikeln und andererseits Variablen (statt Namen) und dem Identitätsprädikat als dem einzigen logisch zu nennenden Grundprädikat bestehen.19 Ferner sollte der von der Pyrrhonischen Skepsis behaupteten Isosthenie (Gleichstärke, d. h. Gleichglaubwürdigkeit) eines beliebigen Satzes α und seiner Verneinung ›~α‹ Genüge getan werden.20 Wenn Hegels Behauptungen, das Sein sei (a) identisch mit dem Nichts und (b) ebenso sehr unterschieden von ihm, in diesem Sinne gedeutet werden, erhalten wir zwei offene Sätze mit den Variablen »Sein« und »Nichts«, die wir ebenso gut durch »x« und »y« ersetzen können: »x=y« und »x≠y«. Offene Sätze sind im Allgemeinen nicht wahr oder falsch, sondern werden von Objekten (bzw. Objektfolgen) erfüllt oder nicht erfüllt. Die betreffende Satzmenge {»x=y«, »x≠y«} ist widerspruchsvoll, wird also von keiner Struktur erfüllt oder hat kein Modell. Im kontrapossiblen, infinitesimalen Grenzfall (kein Grund zum Augenverdrehen, denn von kontrapossiblen, infi nitesimalen Grenzfällen handelt auch die Mechanik: vorrelativistisch von Massepunkten, relativistisch von punktförmigen Ereignissen) wäre ihr Modell das Werden. Wenn man ausgehend von diesem Grenzfall die Variablen »x« und »y« mit Objekten (im weitesten Sinn des Wortes) aus der Struktur des Werdens belegen will, so kann man beispielsweise »x« mit dem Moment der Identität (»x=y«) und »y« mit dem Moment der Differenz (»x≠y«) belegen und diese Momente respektive als Sein und als Nichts bezeichnen. Der nächste Schritt in der Hintergrundlogik (bzw. auf Falks Methodenebene) muss dann dahin gehen, die totale Inkonsistenz des Werdens durch Entschärfung so zu steuern, dass vom Nichts als dem Moment der Differenz zunächst abstrahiert und das Sein als das Moment der Identität als Basis zugrunde gelegt wird, an der das Moment der Differenz in der Folge wieder auftreten darf. Dieser Steuerungsmaßnahme entspricht in der Vordergrundlogik (auf Falks Systemebene) der Übergang zum Dasein. 19

Die Theorie der Identität ist wie die Prädikatenlogik (erster Stufe) vollständig axiomatisierbar und gehört insofern eher zur Logik als zur Mengenlehre (Mathematik), die nicht vollständig axiomatisierbar ist. 20 Die einfachen Anführungszeichen fungieren hier wie Quinesche Anführungsekken, bei deren Gebrauch die metasprachlichen Variablen, ausgedrückt durch griechische Buchstaben, von der Anführung ausgenommen sind.

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So weit Falk. Seine Hegel-Rekonstruktion hat den Vorzug, dass das Nichts auf der Systemebene nicht nachträglich interpoliert werden muss als dasjenige, was das Übergegangensein vom Sein ins Werden erklärt, sondern gleich anfangs mit im Blick steht. Andererseits bleibt dann etwas unterbelichtet, dass Hegel dem Sein die erste und dem Nichts bloß die zweite Stelle auf der Systemebene zugewiesen hat. Doch das sind letztlich Divergenzen nur in der Beleuchtung, nicht in der theoretischen Substanz. Auch unser interpolierender Ansatz kann im Übrigen nachträglich noch näher an Hegels Text herangebracht werden. Dazu lädt unabhängig auch die Frage ein, was denn unter dem Nichts zu verstehen ist. Zunächst nur eine Variable, sagt Falk. Aber womit wird diese in der Folge belegt? Mit dem Moment der Differenz und der Negativität. Dieses darf also offenbar für sich betrachtet und zum Zweck dieser Betrachtung nominalisiert und in einem (wenn auch schwachen) Sinn verdinglicht werden – wie auf der anderen Seite auch das Moment der Identität und des Affirmativen: das Sein. Wenn nun gemäß dem interpolierenden Ansatz vor aller Interpolation das Sein zunächst verneint wird, resultiert etwas Neues, das Werden. Zum bloßen Sein scheint also auch hier etwas hinzugekommen zu sein, allerdings fürs Erste nur eine ungesättigte, ergänzungsbedürft ige Wahrheitsoperation. Und nun kann man wie folgt räsonieren: Das Sein als der gemeinsame Faktor alles Der-Fall-Seienden lässt neben sich keinen Raum für anderes Seiendes. Es ist ja selbst das Sein in allem Seienden, hat also immer schon alles Sein an sich gezogen, so dass außerhalb seiner nichts Seiendes, sondern allenfalls Nichtiges übrigbleibt. Nichtiges aber hat, so schien es Parmenides, nicht die Kraft, irgendeinen Unterschied zu machen und das Seiende auszudifferenzieren.21 Also bleibt nach Parmenides ewig alles nur bei dem reinen, homogenen, unbestimmten Sein. Wenn wir jedoch die Phänomene (der Vielheit und des Werdens) vor dem eleatischen Verdikt retten wollen, müssen wir uns Folgendes klarmachen: Was wir bei der Destillation des reinen Seins weggelassen haben, kann zwar zum einen nichts Seiendes und muss doch zum anderen in der Lage sein, über das reine Sein hinaus zu irgendwelchen Differenzierungen zu führen. Wie wir schon wissen, handelt es sich dabei um die Wahrheitsoperation der Verneinung. Operationen aber sind ungesättigte Inhalte; die Verneinung ist der ungesättigte Inhalt, den wir mit »~(…)« andeuten. Wir können uns jedoch Operationen als selbstsättigend denken, wie im Fortgang noch deutlicher werden wird. Im Fall der Verneinung ergäbe die Selbstsättigung einen logischen Ursachverhalt, ν, der als seine eigene Verneinung definiert wäre, für den also gälte: 21

Vgl. Platons Darstellung, Sophistes, 243d-244a.

Nichts, Werden, Dasein

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ν ↔ ~(ν) ↔ ~(~(ν)) ↔ ~(~(~ν))) ↔ … ↔ ~(~(~(…))) Dieser unfundierten, selbstsättigenden Verneinung oder Verneinung-ihrer-selbst werden wir in Kürze wiederbegegnen und sie dann ausführlicher besprechen. Hier, zu Beginn der Logik, muss sie in ihrer Selbstsättigung ferner als zu einfacher Unmittelbarkeit verdichtet gedacht werden; und so gedacht ist sie das Nichts: einfache, unmittelbare, autoaggressive Negativität. Das so verstandene Nichts ist zum Sein immer schon hinzugekommen, und da es im Hinzukommen einen Unterschied macht, beweist es sich als seiend und ist daher mit dem singulären Sein, das nichts außer sich duldet, identisch. Sofern das Nichts aber zum Sein als ein Zweites hinzugekommen sein muss, ist es nicht identisch mit ihm, sondern im Gegenteil bloße, vom Sein absolut unterschiedene Negativität. Eben dieser Widerspruch konstituiert das Werden, das deswegen selbstzerstörerisch sogleich in ruhiges Dasein zusammensinkt. Bleibt noch der Anfang von Hegels zweitem Kapitel kurz zu betrachten. Der Unterabschnitt »a. Dasein überhaupt« beginnt (mit meinen Kommentaren in eckigen Klammern, GW 21, 97 = TW 5, 116): »Aus dem Werden geht das Daseyn hervor. Das Daseyn ist das einfache [einseitige, vom Unterschied abstrahierende; A.K.] Einsseyn des Seyns und des Nichts. Es hat um dieser Einfachheit willen, die Form von einem Unmittelbaren [es tritt in der Vordergrundlogik in der Form eines Unmittelbaren auf, obwohl es vom Standpunkt der Hintergrundlogik durch das Werden und dessen Kollaps vermittelt ist; A.K.]. Seine Vermittlung, das Werden, liegt hinter ihm; sie hat sich aufgehoben [ist für das reine Denken unsichtbar geworden; das Werden hat sich vernichtet, ohne dem reinen Denken Spuren zu hinterlassen; der logische Raum präsentiert sich als gediegenes Dasein; A.K.], und das Daseyn erscheint daher als ein erstes, von dem ausgegangen werde [das Theorem, das es formuliert, hat daher die Nummer 1; A.K.]. Es ist zunächst in der einseitigen Bestimmung des Seyns, die andere, die es [als Negativfolie des Werdens und indexikalischer Sachverhalt; A.K.] enthält, das Nichts, wird sich gleichfalls an ihm hervorthun, gegen jene.«

Diese negative Seite des Daseins ist die Bestimmtheit: »das Daseyn ist bestimmtes Seyn« (GW 21, 98 = TW 5, 117), nicht mehr das Unbestimmte wie das Sein des Anfangs. Hier muss man freilich differenzieren, und indem Hegel es tut, entwickelt er zugleich seine Version des Unterschieds von Vordergrund- und Hintergrundlogik. »Das Nichtseyn«, sagt er, »so in das Seyn aufgenommen, daß das concrete Ganze in der Form des Seyns, der Unmittel-

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barkeit ist, macht die Bestimmtheit als solche aus.« (GW 21, 97 = TW 5, 116) Die Bestimmtheit als solche ist die innere Bestimmtheit des Daseins, die vom reinen Denken, das das Dasein denkt, mitgedacht wird. Das ist die Ebene der Vordergrundlogik. Nach den logischen Ursachverhalten Sein, Nichts, Werden, Vergehen, Entstehen und Dasein haben wir zugleich mit dem Dasein nun auch die Bestimmtheit (als solche) hergeleitet: Sie ist das unterdrückte, dem Sein angeglichene Nichtsein im Dasein. Das Dasein tritt daher anfangs nicht gegliedert auf in Dasein überhaupt und Bestimmtheit als solche, sondern als gediegen seiend, einfach, unmittelbar. Um dies auszudrücken, verwenden wir unsere neu gewonnene vordergrundlogische Denkbestimmung der Bestimmtheit sogleich in der Hintergrundlogik als Terminus technicus und erklären, welche bestimmte Bestimmtheit – neben der Bestimmtheit als solcher – das Dasein hat: Es ist, sagen wir mit Hegel, als Ganzes in der Form oder der Bestimmtheit des Seins. Nicht nur ist die Bestimmtheit als solche dem Dasein als die unterdrückte Negativität immanent, sondern: »Das Ganze [aus Bestimmtheit und Dasein; A.K.] ist gleichfalls in der Form d. i. Bestimmtheit des Seyns […]; aber so ist es für uns in unserer Reflexion [in der Hintergrundlogik; A.K.], noch nicht gesetzt an ihm selbst. Aber die Bestimmtheit des Daseyns als solche [als die ihm immanente Denkbestimmung; A.K.] ist die gesetzte, die auch im Ausdruck Daseyn liegt.« (GW 21, 97 = TW 5, 116)

(Das Da bezieht sich auf das Sein an einem bestimmten Ort, zu dem es, als einem bestimmten, Alternativen gibt; »aber die Raumvorstellung gehört nicht hieher«, schränkt Hegel sogleich ein; ihm kommt es nur auf Bestimmtheit, nicht auf genuin räumliche Bestimmtheit an). »Beydes«, so lesen wir weiter: hier das vordergrundlogisch Gesetzte und dort das Hintergrundlogische, »ist immer sehr wohl voneinander zu unterscheiden; nur das, was gesetzt ist an einem Begriffe, gehört in die entwickelnde Betrachtung desselben, zu seinem [vordergrundlogischen; A.K.] Inhalte. Die noch nicht an ihm selbst gesetzte Bestimmtheit aber gehört unserer [hintergrundlogischen; A.K.] Reflexion, sie betreffe nun die Natur des Begriffes selbst [dann gehört diese Reflexion in den Haupttext der Logik; A.K.], oder sie sey äussere Vergleichung [dann gehört sie in eine Anmerkung; A.K.]« (GW 21, 97 = TW 5, 117).

Hintergrundlogische Reflexionen gibt es in verschiedenen Graden der Äußerlichkeit. Wenn wir das Dasein als bestimmt und unmittelbar charakterisieren, reflektieren wir auf seine Natur. Wenn wir feststellen, dass Parmenides, wann immer er das negationsfreie, reine Sein zu denken glaubte, tatsächlich

Über spekulatives und mathematisches Denken

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das einfache Dasein dachte, wandern wir aus der Hintergrundlogik schon in die Philosophiegeschichte hinüber. Und wenn wir etwa berichten, dass unserem Freund Rudolf Lingens das Dasein die willkommenste unter allen seinslogischen Bestimmungen sei, gleiten wir vollends ins Anekdotische ab.

4. Zwischenbetrachtung über spekulatives und mathematisches Denken Über spekulatives und mathematisches Denken Halten wir kurz inne, um einen besseren Überblick zu gewinnen. Die Logik ist die Theorie a priori des Denkens und Aristoteles ihr erster, maßgeblicher Klassiker. Das Denken aber weist von sich aus über sich hinaus ins Sein, und der Logos (der Hegelsche Begriff ) ist das Band oder Joch, das Denken und Sein vereint. Die Logik kann daher nicht einseitig eine apriorische »Psychologie« bleiben, sondern muss übergreifen auf die Metaphysik, wie Aristoteles wusste und beherzigte, als er den Nichtwiderspruchssatz im Γ der Metaphysik, also in der Ersten Philosophie, zum Thema machte. Kant ging noch etwas weiter, indem er die Kategorien als rein logische Begriffe aus den syllogistisch relevanten Aspekten der Urteile herleitete und in einer transzendentalen Deduktion ihre objektive Gültigkeit zu beweisen unternahm. Dieses Programm einer transzendentalen Logik wird nochmals überboten durch das Hegelsche Nachfolgeprogramm einer spekulativen Logik, die spekulativ gleich anfangs schon darin ist, dass sie Denken und Sein zusammenfallen lässt und sich daher später eine transzendentale Deduktion der Denkbestimmungen zwar ersparen kann, aber nun umgekehrt zeigen muss, wie Denken und Sein aus ihrer Identität heraustreten und sich gegeneinander profi lieren können. (Auch Wittgenstein schreibt eine sowohl logische wie zugleich philosophische Abhandlung und erblickt, wie oben ausgeführt wurde, in der denkseitigen Form der Abbildung und in der weltseitigen Form der Wirklichkeit – im Wesen des Satzes und der Welt – die Eine und selbe logische Konstante.) Dies also ist unbeschadet differenzierender Zusätze wie »transzendental« oder »spekulativ« die Logik ohne Beinamen und, wenn man von ihrer metaphysischen Seite abstrahiert und sich thematisch auf den logos apophantikos, also das Urteil und seine prädikative Grundform, auf Bejahung und Verneinung, auf die syllogistisch relevanten Urteilsformen, die Syllogistik selbst und allgemein die formal gültigen Schlüsse konzentriert, die klassische Logik. Wir setzen heute die mathematische Logik (Aussagen-, Prädikaten- und Identitätslogik) tendenziell mit der klassischen Logik gleich, die in dieser

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Perspektive dann die Gestalt einer vollständig axiomatisierbaren – sei es auch schematischen – Theorie annimmt. Als solche ist sie eine aufzählbare Menge von Satzschemata, zu denen insbesondere die Schemata des Tertium non datur (»p ∨ ~p«) und des Nichtwiderspruchs (»~(p  ∧  ~p)«) sowie in der Identitätstheorie der offene Satz der Identität (»x=x«) und das identitätstheoretische Axiomenschema »~(x = y ∧ (Fx ∧ ~Fy))« gehören. Reden wir vor diesem Hintergrund von anderen »Logiken«, so meinen wir formale Systeme, die als Abwandlungen oder Erweiterungen des Systems der Prädikatenlogik (mit Identität) gewonnen werden können, beispielsweise indem man, in einer mehrwertigen »Logik«, durch Einführung zusätzlicher »Wahrheitswerte« das Prinzip der Zweiwertigkeit oder, in einer Modallogik, durch Einführung nichtextensionaler modaler Operatoren das Prinzip der Extensionalität preisgibt. Und so weiter; dem Experimentieren mit formalen Systemen, abweichenden wie erweiternden, sind keine Grenzen gesetzt. Da nun zumindest die abweichenden unter den alternativen »Logiken« nicht eigentlich mehr von dem handeln, was wir alle immer schon mit »Verneinung«, »Disjunktion«, »Konjunktion« usw. meinen, sondern von irgendwelchen formalen Analoga dieser Operationen, liegt es tatsächlich nahe, die Aussagen- und Prädikatenlogik (mit Identität) als die klassische Logik zu apostrophieren. In Wahrheit ist sie aber eine revisionäre Abstraktion, die nicht mehr unter der defi nierenden Anforderung steht, das Denken und seinen Seinsbezug a priori in einen systematischen Überblick zu bringen, sondern unter der andersartigen Anforderung, einen logischen Aufbau der Mathematik zu ermöglichen, um deren Widerspruchsfreiheit als des universalen Darstellungsmittels der Wissenschaft zu sichern. Gibt es aber überhaupt ein widerspruchsfreies Denken? Das reine Sein frei von Negativität und ebenso das selbstwidersprüchliche reine Nichts frei von Sein haben sich uns bei näherem Zusehen als imaginäre Fluchtpunkte des Denkens entpuppt. Denkend können wir zwar in ihre Richtung zielen, sie »meinen«, wie Hegel sich terminologisch ausdrückt, und sie umreißen in äußerer Reflexion. Aber sie sind Impossibilia, die wir in unserem Denken nicht durchdringen, nicht epistemisch »berühren« und mit denen unsere Denkvollzüge nicht eins werden können. Das berührende und durchdringende Denken aber ist zunächst das lebensweltliche Denken und sodann, ausgefeilt, das spekulative. Seinen logischen, prätemporalen Anfang nimmt es qua reines Denken oder hat ihn immer schon genommen im infinitesimalen Urknall des Werdens, in dem Sein und Negativität bereits untrennbar verbunden sind und der sogleich zum Dasein als dem ersten relativ stabilen Zustand des logischen Raumes zusammensinkt. Das Dasein ist Sein, ist die

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Eine logische Konstante, die wir anfangs im reinen Sein zu finden meinten; aber es ist eben nicht mehr reines, negationsfreies Sein, sondern die seiende Einheit aus dominantem Sein und rezessiver Negativität (während das infinitesimale Werden die umschlagende Einheit war, in der das Sein und die Negativität gleichberechtigt zur Geltung kamen). Die Dualität von Denken und Sein ist jedenfalls von nun an als eine Dualität von Denken und Dasein und die Dualität von Werden und Sein als eine Dualität von Werden und Dasein zu verstehen. Die Logik ohne Beinamen oder die klassische hat sich uns in unserem Theorieaufbau, noch ehe wir mehr von ihr als nur die Kombinatorik einstelliger Wahrheitsoperationen und den Nichtwiderspruchssatz mobilisiert haben, schon sehr deutlich als das einigende Band des Denkens und des Seins gezeigt. Denn die logischen Bestimmungen sind ja logische Ursachverhalte, in denen Denken und Sein, Subjektivität und Objektivität, Psychisches und Metaphysisches, unentwirrbar zusammengehören. Die Logik ist daher ein und dieselbe für jede der beiden hier noch ungetrennten Seiten, dieselbe denkseitig und seinsseitig. Wenn also das Werden unter dem Druck des Nichtwiderspruchssatzes nicht als modulare Einheit des reinen Seins und des reinen Nichts, sondern als irreduzibel Neues gegenüber beiden und diese als seine unselbständigen Momente gefasst werden mussten,22 so wird dies für die Seite des Denkens ebenso gelten müssen. Das denkende Erfassen des Werdens ist mithin selber ein Werden, kein ruhiges Sein, wie andererseits auch das denkende Erfassen des Daseins selber ein Dasein, kein umschlagendes infinitesimales Werden ist. Auf diese Weise haben wir die innere Verfassung des seins- wie auch denkseitigen Werdens der Geltungssphäre des Nichtwiderspruchssatzes entziehen können, ohne ihn zu verletzen, da er für das Sein – Dasein – nach wie vor gilt und da er der Motor selbst noch des Werdens und des Übergehens ist. In äußerer Reflexion können wir freilich auch das Werden wieder als Sein behandeln und dem Nichtwiderspruchssatz direkt unterstellen. Etwas, so sagen wir dann, kann von A nach Nicht-A nicht zugleich und in der gleichen Hinsicht sowohl übergehen als auch nicht übergehen. Hier tritt ein machtvolles Muster unseres »meinenden«, mathematischen Denkens hervor: Die äußere Reflexion kann, wenn sie das spekulative, be22

Dieses Muster der Widerspruchsbehebung durch einen in der jeweiligen Lage alternativlosen Rekurs auf ein außerlogisches, gleichsam phänomenales Interpretament der Logik wird sich zu Beginn jeder weiteren logischen Sphäre wiederholen. Am Anfang der Wesenslogik wird der Schein und am Anfang der Begriffslogik das reine Selbstbewusstsein (die transzendentale Subjektivität) in dieser Rolle auft reten. Für den Anfang der Begriffslogik hat Falk (1983), Kapitel VI, S. 138–163, dies detailliert gezeigt.

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rührende Denken preisgibt und die Form des Meinens annimmt, am reinen Sein bzw. an Einheiten reinen Seins festhalten. Das moderne mathematische Denken konstituiert sich mithin als ein Meinen, dessen sich die Physik oder das sich der Physik bemächtigt hat, und als ein umgekehrter Eleatismus. Es ist Eleatismus, weil ihm das rein und negationsfrei Seiende als das Reale gilt; es ist, wie wir wissen, zugleich dessen Umkehrung, weil das rein Seiende gar nicht denkend erreicht, sondern nur von fern anvisiert, nur gemeint werden kann. Das Denken macht vor ihm Halt und postuliert eine Mannigfaltigkeit rein seiender, ihm äußerlich bleibender Einheiten, die aber gar nicht klein genug gewählt werden können, um dem Werden entnommen zu sein, und die dann ein diskretes, zeitartiges (sowie auch raumartiges) Ersatz-»Kontinuum« infinitesimaler Einzelner von der Mächtigkeit der Menge der reellen Zahlen bilden. Der eleatische (oder Parmenideische) Disjunktivismus besagte: Entweder wir denken, dann aber rein Seiendes; oder wir sind der Negativität, dem Werden, der Vielheit verfallen, dann aber im bloßen Meinen und Scheinen, nicht im Denken. Der Hegelsche Konjunktivismus des Denkens besagt demgegenüber: Denken ist stets Denken sowohl von Seiendem als auch von Negativität – und selber stets ein Fall von beidem. Die Hegelsche Disjunktion von Denken und Meinen fällt demgemäß anders, wie folgt, aus: Entweder wir denken, dann aber stets Seiendes und Negativität in einem; oder wir postulieren Fälle von negationsfreiem Sein, dann aber im bloßen Meinen. Für den Fall, dass der Ausdruck »meinen« hier als zu abwertend empfunden wird, bietet sich als Alternativformulierung an: Entweder wir denken spekulativ, dann stets Seiendes und Negativität in einem; oder wir postulieren Fälle reinen Seins, dann im mathematischen Denken. Aristoteles unterschied bekanntlich drei theoretische Wissenschaften: Metaphysik, Physik und Mathematik.23 Die Metaphysik und die Physik sind inhaltliche Theorien des Seins bzw. Werdens des Seienden (und Werdenden); die Mathematik ist eine abstrahierende Theorie bestimmter formaler Züge des Seienden. In der aristotelischen Tradition waren diese Wissenschaften getrennt, oder wenn und soweit ungetrennt, dann nur die beiden inhaltlichen. In der Neuzeit jedoch – und das definiert die Neuzeit nachgerade – ist die Physik in der Formulierung mathematisch und in der Überprüfung experimentell (und so zu einer reifen Wissenschaft im Sinne Kuhns und zu einer Erfolgsgeschichte) geworden; die Metaphysik, die sich als die erste der theoretischen Wissenschaften nicht von der Physik oder der Mathematik abhängig machen darf, geriet ins Abseits. Sie kann einerseits als schlechte (d. h. 23

Vgl. Aristoteles, Metaphysik E 1, 1025b25 und 1026a18 f.

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schlichte) oder Standard-Metaphysik versuchen, reines Seiendes zu »meinen« und zu beschreiben, und wird dann zu einer ungenauen, halbherzigen und überflüssigen Imitation der theoretischen Physik, deren mathematischer Formulierung und experimenteller Bestätigung sie nichts Gleichwertes an die Seite zu stellen hat. Oder sie besinnt sich auf ihren ursprünglich spekulativen Charakter, d. h. darauf, dass ihr Denken die Sachen selbst berühren und durchdringen muss, und wird – ob zum bloßen Beispiel oder zum krönenden Abschluss – Hegelsche Nichtstandard-Metaphysik und Evolutionstheorie des logischen Raumes. So scheiden sich die beiden inhaltlichen theoretischen Grundwissenschaften in die spekulativ-theoretische Nichtstandard-Metaphysik und die mathematisch-theoretische Physik. Dass die Hegelsche Logik auch mathematische Themen behandelt – Quantität, Quantum, Zahl und das quantitative Verhältnis –, weist auf die Janusköpfigkeit der Mathematik, deren logischer Ursprung einerseits im spekulativen Denken begriffen werden muss und die andererseits unter dem regulativen Ideal der unbeschränkten Geltung des Nichtwiderspruchssatzes ins meinende Denken des reinen Seins hinausstrebt. Zu ihren modernen Großerrungenschaften gehört die Infinitesimalrechnung, die aber zunächst jenem regulativen Ideal gar nicht angemessen war und mit dem Widerspruch behaftet blieb, dass die infinitesimalen Größen allesamt unendlich klein und dennoch voneinander verschieden sind. Hier kann die spekulative Betrachtung ansetzen, wie Hegels Logik der Quantität vor Augen führt. Aber unter dem für die Mathematik definitorischen regulativen Ideal der durchgängigen Herstellung negationsfreien Seins unter der Herrschaft des Nichtwiderspruchssatzes mussten die Mathematiker auf Abhilfe sinnen, die schließlich mit Karl Weierstraß’ Grenzwertbetrachtungen auch eintrat. Dank Weierstraß wurde die zunächst absurde Annahme der Geschwindigkeit eines Teilchens von, sagen wir, zehn Metern pro Sekunde zu einem Zeitpunkt t rekonstruierbar als die Aussage, dass man dem Zehnfachen an zurückgelegten Metern der in Sekunden gemessenen Zeitspanne beliebig nahekommt, wenn man die Zeitspanne um t herum immer kleiner werden lässt.24 Cantor als Begründer der Mengenlehre sowie Frege und Russell als die Pioniere der mathematischen Logik und Tarski und Gödel als ihre einstweiligen Vollender haben ein Übriges getan, um dem theoretisch-mathematischen Denken zur gänzlichen Emanzipation von seinen theoretisch-spekulativen Ursprüngen zu verhelfen. Hegel hat mit der Möglichkeit einer solchen

24

So sinngemäß Quine (1960), S. 248 f.

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Emanzipation wohl nicht gerechnet.25 Ihr Preis ist eine monumentale Abstraktion von Aspekten des Realen und ein Hang zum metaphysischen Revisionismus oder zur revisionären Metaphysik, die zum Beispiel das genuine, kontinuierliche Kontinuum durch das diskrete »Kontinuum« überabzählbar unendlich vieler infinitesimaler Einzelner ersetzt und repräsentiert und die auch mit den phänomenalen Qualitäten der Dinge und den Modi der Zeit nichts anzufangen weiß. Speziell für die mathematische Logik besteht der Preis darin, dass das Denken mit ihren Mitteln grundsätzlich nicht darstellbar ist; denn es ist nur in bescheidenem Umfang wahrheitsfunktional und extensional und lässt sich daher nicht rekursiv charakterisieren oder repräsentieren. Donald Davidson, der in einzig halbwegs aussichtsreicher Weise auf eine rekursive Semantik sann – sie müsste eine rekursive, Tarskische Charakterisierung des Wahrheitsbegriffes der je betreffenden Sprache sein – hat malgré lui durch sein Scheitern gezeigt, dass die Sache aussichtslos ist. Finite Automaten können nicht denken, wie Kripke unabhängig bewiesen hat, nicht einmal multiplizieren.26

5. Dasein und Qualität Unser Thema ist der erste Abschnitt der Seinslogik: Bestimmtheit (Qualität). Von seinen drei Kapiteln: 1. Das Sein, 2. Das Dasein, 3. Das Fürsichsein, haben wir das erste und den Ausgangspunkt des zweiten besprochen. Das zweite hat die Kapitelabschnitte: A. Dasein als solches, B. Die Endlichkeit, C. Die Unendlichkeit. Sie sind wiederum jeweils dreigeteilt, der erste (Dasein als solches) in die Unterabschnitte: a. Dasein überhaupt, b. Qualität, c. Etwas. Indem wir nun den Übergang von: a. Dasein überhaupt, nach: b. Qualität, 25

Hegel kennt und thematisiert das sogenannte Verstandesdenken. Aber er konnte nicht voraussehen, dass aus diesem dank Cantor, Frege, Weierstraß und anderen ein tendenziell autarkes rechnendes Denken hervorgehen würde, wie er andererseits auch nicht voraussah, dass die Erste Philosophie mit Heideggers Sein und Zeit sich von einer theoretischen zu einer hermeneutischen Wissenschaft wandeln würde. (Von den theoretischen Wissenschaften unterschied Aristoteles die praktischen und die poietischen; die praktischen kann man mit einer gewissen Akzentverschiebung als die hermeneutischen fassen; die poietischen sind die technischen.) So sehen wir nun das spekulativ-theoretische Denken Hegels auf der einen Seite vom mathematisch-theoretischen Denken und auf der anderen vom hermeneutischen Denken flankiert und relativiert (in der Philosophie – der deutschen Zwischenkriegsphilosophie – von Carnap und von Heidegger, wenn man Namen nennen will). 26 Vgl. Kripke (1982), S. 36 (Anm. 24). Abstrakte infi nite Automaten wie TuringMaschinen können zwar multiplizieren, aber denken so wenig wie fi nite Automaten.

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vollziehen, kommen wir ganz zur Sache des ersten seinslogischen Hauptabschnitts: Bestimmtheit (Qualität). Was gedacht werden kann, enthält Sein und Nichts (Negativität): das Sein als das Moment der Einheit und Gleichheit, die Negativität als das Moment der Trennung und des Unterschieds. Für das reine Denken ist das Dasein, wie wir oben sahen, zunächst »das einfache Einsseyn des Seyns und Nichts«, das daher »die Form von einem Unmittelbaren« hat und »dessen Vermittlung, da s Werden, […] hinter ihm« liegt (GW 21, 97 = TW 5, 116). Für das reine Denken ist das Werden verschwunden zugunsten seines siegreichen Nachfolgers, eben des Daseins. Für unsere hintergrundlogische Reflexion bilden das Werden und das Dasein hingegen ein kontradiktorisches Paar, ausgedrückt durch die Theoreme: (0) »Nicht(Sein)!« und (1) »Nicht(nicht(Sein))!«. (Die sonst überflüssige Verdopplung der Verneinung deutet hier den logisch-indexikalischen Charakter des Theorems (1) und damit die im Dasein rezessiv vorhandene Negativität an.) Der logische Raum der Hintergrundlogik ist der unbegrenzte Inbegriff dessen, was wir als der Fall seiend denken können; der logische Raum der Vordergrundlogik erschöpft sich bis auf weiteres im einfachen Dasein. Wir in unserer Reflexion sehen, dass das Dasein das Negativ des Werdens ist; dadurch ist es für uns definiert, bestimmt; das reine Denken hingegen geht auf im Erfassen des Daseins; das Werden liegt unsichtbar hinter ihm, ist vernichtet zugunsten des Nachfolger-Ursachverhalts Dasein. Der siegreiche Nachfolger verneint, d. h. vernichtet den Vorgänger, der unterlegene Vorgänger rächt sich, indem er noch im Untergehen den Nachfolger zeichnet, bestimmt. Die asymmetrische Verneinung, die das seinslogische Übergehen qua Vernichten ist, hat zu ihrem Inversen also die Bestimmtheit, die das Vernichtete dem Vernichtenden verleiht. In einer symmetrischen Verneinung, wie wir sie demnächst im Fall des Etwas und Anderen kennenlernen werden, sind Verneinung und Bestimmtheit einander angeglichen und in Reziprozität dasselbe. Auf das seinslogische Übergehen passt im Übrigen sehr genau der Spruch des Anaximander: »Woraus die Seienden ihr Entstehen haben, dahinein geschieht auch ihr Vergehen, wie es in Ordnung ist; denn sie leisten einander Recht und Strafe für das Unrecht [das jeweils der Nachfolger dem Vorgänger antut], gemäß der zeitlichen [bzw. hier der prätemporal logischen] Ordnung.«27

27

Diels (1952), Fragment 12 A 9, B1.

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Am Ende der Seinslogik aber wird dasjenige, woraus die seinslogischen Ursachverhalte ihr Entstehen und wohinein sie ihr Vergehen haben, in einem unauflösbaren Widerspruch stehenbleiben: das ewige Sein selbst als das Anaximandrische apeiron. Den Fixpunkt des vernichtenden Übergehens bildet, mit anderen (Hegels) Worten, der »allseitige Widerspruch« (GW 21, 377 = TW 5, 451) bzw. die »absolute Indifferenz« als »die letzte Bestimmung des Seyns« (GW 21, 381 = TW 5, 456). Dann wird alles, was wir hier behandeln, die ganze Sphäre des Seins, sich als leerer Schein erweisen und eine neue logische Runde, die des Wesens, erforderlich machen. Doch zurück zum Dasein und seiner Bestimmtheit, mit der es eins ist. Das reine Denken erfasst beide (und ist beide) in einem Akt. Was es so erfasst (und ist), ist die Qualität. Dazu Hegel (GW 21, 98 = TW 5, 117 f.): »Um der Unmittelbarkeit willen, in der im Daseyn Seyn und Nichts eins sind, gehen sie nicht übereinander hinaus; so weit das Daseyn seyend ist, so weit ist es Nichtseyn, ist es bestimmt. […] Die Bestimmtheit hat sich noch nicht vom Seyn abgelöst […]. Die Bestimmtheit so für sich isolirt, als seyende Bestimmtheit, ist die Qualität; – ein ganz einfaches, unmittelbares.«

Der etwas herabgewirtschaftete Begriff des Quale, der in der gegenwärtigen Philosophie des Mentalen für Verwirrung sorgt, lässt sich hier einer nützlicheren Neuverwendung zuführen.28 Qualia, so wollen wir sagen, sind an kein logisches Subjekt – keinen Gegenstand – gebundene Qualitäten. Sie gleichen insofern Sellars’ absoluten Prozessen und sind deren relativ statische Entsprechungen; denn weder auf Qualia noch auf absolute Prozesse findet die Unterscheidung von logischem Subjekt und Prädikat Anwendung; sprachlich andeuten lassen sich beide daher nur mittels der Subjektattrappe 28

Er sorgt für Verwirrung, seit die bewusstseinstheoretischen Meinungsführer die Relevanz von Wittgensteins Privatsprachenargument (PU, §§ 243 ff., S. 390 ff.) und Kants Unterscheidung zwischen Empfi ndung und Gefühl (KU, § 3, S. 7–10) nicht mehr kennen. (In der Philosophie halten sich Rückschritt und Fortschritt der Erkenntnis seit alters die Waage.) Wittgenstein wusste noch und zeigte in subtiler Argumentation, dass es keine logisch privaten Objekte geben kann, die und deren Qualitäten nur je mir zugänglich wären: Was es gibt, ist in öffentlicher Sprache beschreibbar. Und auch Kant wusste und erklärte, dass Empfi ndungsgehalte, also nach heutigem Sprachgebrauch Qualia, allesamt objektivierbar sind: Das phänomenale Grün, das mir vorschwebt, ist das Grün der Wiese (»Qualia sind nicht im Kopf«, Byrne 2006). Die Art, wie ein Erlebnis sich subjektiv anfühlt, ist demnach keine phänomenale Qualität, welche stets einem räumlichen Objekt zuzuschreiben ist, sondern das Gefühl der Lust oder Unlust, das mit der Wahrnehmung des Objektes verbunden und nur in einem privatgültigen ästhetischen Urteil artikulierbar, aber in seiner logischen Privatheit eben auch keine reale Entität (sondern bloß Gefühl) ist.

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»es«: »Es regnet« (Prozess), »Es grünt« (Quale). Freilich ist das Regnen noch objektgebunden: ein Fallen von Wassertropfen, also kein absoluter Prozess. Ebenso ist das Grünen noch an grünende Dinge gebunden und daher keine absolute Qualität (kein Quale). Aber als Grenzfälle jenseits dieser lebensweltlichen Beispiele lassen sich absolute Prozesse und Qualitäten ohne weiteres konzipieren. Das Dasein in seiner einfachen Einheit mit seiner Bestimmtheit, die seine Qualität ist, wäre im Sinne dieser Festlegung zwar kein sinnliches Quale unter anderen, wohl aber das Eine logische Quale, Platonisch gesprochen das Quale selbst. Das Dasein ist nicht ein Sein, dem die Bestimmtheit als seine Qualität zukommt, sondern für es gilt: »die Beziehung, in der hier die Bestimmtheit mit dem Seyn steht, ist die unmittelbare Einheit beyder, so daß noch keine Unterscheidung derselben gesetzt ist« (GW 21, 98 =TW 5, 118). Kurz, das Dasein hat keine Qualität, sondern ist die Qualität, ist das logische Quale. Der nächste Schritt in unserem Bemühen um den Aufbau der Vordergrundlogik besteht darin, uns klarzumachen, dass wir unter dem vermeintlich reinen Sein in Wahrheit das Dasein als den einfachen und unmittelbaren Ausgangspunkt des reinen Denkens gefunden hatten. Dadurch verschiebt sich nun die Abfolge der Denkbestimmungen sozusagen um das erste Kapitel nach hinten. Wir glaubten, als Sequenz reiner Denkinhalte zu haben: Sein, Nichts, Werden, Dasein. Wir sehen nun, dass wir stattdessen hatten: Dasein, negatives Dasein, infinitesimales Werden am Dasein, ruhiges Dasein. Das Dasein ist eins mit seiner Bestimmtheit, ist Qualität, und zwar zunächst affirmativ genommene, dann negativ genommene Qualität; in Anlehnung an Kants Kategorientafel daher zunächst Realität (Sachgehalt, affirmative Qualität), dann Negation (Privation, Mangel, negative Qualität). Dasein qua Realität, Dasein qua Negation, infinitesimales Werden am Dasein, wiederum Dasein – dies also war die tatsächliche Reihenfolge, in der das reine Denken seine Inhalte erfasste und jeweils eins mit ihnen wurde.29 Weil es eins mit ihnen wurde, war es selber Dasein, ein Quale, das sich in seinem Übergehen nicht als identisches Substrat durchhalten kann, da ein von seiner Qualität unterschiedenes Substrat gar nicht vorliegt. Aber eine markante Veränderung liegt bisher ebenso wenig vor, kein Übergang von A nach Nicht-A, sondern ein paradoxer »Übergang« von A nach A, vom Dasein

29

Die von Kants Kategorientafel genährte Erwartung, dass als dritte Kategorie der Qualität nach Realität und Negation die Limitation auft reten sollte, wird sich mit etwas Verzögerung im Begriff der Grenze (als der paradoxalen Qualität des Endlichen) erfüllen.

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zum Dasein, in dem alles bleibt, wie es ist. Was sich hier zwischen die glatte Identität des Terminus a quo und des Terminus ad quem schiebt, ist nur ein von der Negation – d. h. dem Dasein in seiner negativen Variante, in der es das Nichts beerbt hat – ausgelöstes infinitesimales Werden, das sogleich wieder in Realität, also Dasein in seiner affirmativen, seienden Variante zusammensinkt, als wäre nichts geschehen. Dasein hat sich in Dasein verwandelt. So trivial diese Verwandlung auch anmutet, zeugt sie doch von interner Gliederung und Prozessualität. Das erste Dasein, Hegels Dasein überhaupt, ging in reinem Werden aus der nur gemeinten Vorgeschichte des Denkens, dem Unterschied und der Identität von reinem Sein und Nichts, hervor. Das zweite Dasein geht aus einem infinitesimalen Auftreten und Wiederzusammensinken des Unterschiedes von Realität und Negation am ersten Dasein hervor. Das zweite Dasein kommt also nicht aus einer nur gemeinten Vorgeschichte, sondern aus einer selbst schon gedachten Geschichte des Denkens. Es kommt aus sich und ist in sich; es ist Daseiendes, Etwas. Schauen wir zur Kontrolle in Hegels Text (mit meinen Erläuterungen in eckigen Klammern): »Das Factische, was also [nunmehr; A.K.] vorhanden ist, ist das Daseyn überhaupt [das erste Dasein; A.K.], Unterschied [von Realität und Negation; A.K.] an ihm, und das Aufheben dieses Unterschiedes [die Bewegung des Werdens am Dasein; A.K.]; das Daseyn nicht als unterschiedlos, wie Anfangs, sondern als wieder sich selbst gleich, durch Aufheben des Unterschieds, die Einfachheit des Daseyns vermittelt durch dieses Aufheben. Diß Aufgehobenseyn des Unterschieds ist die eigene Bestimmtheit des Daseyns; so ist es Insichseyn; das [zweite; A.K.] Daseyn ist Daseyendes, Etwas.« (GW 21, 103 = TW 5, 123)

Eine Reihe Bemerkungen (mindestens vier) sind zu dieser neuen Situation und neuen Gestalt des vordergrundlogischen Raumes zu machen. Erstens ist der logische Raum nicht mehr das einfache, unmittelbare und ruhige logische Quale Dasein, sondern ein sich in sich vermittelndes logisches Quale, das daher jetzt Daseiendes heißt; die alternative Bezeichnung »Etwas« wählt Hegel schon im Vorblick auf eine Zweiteilung des logischen Raumes in Etwas und Anderes, die sich demnächst einstellen wird. Zweitens fällt auf, dass Hegel hoch greift und das Spinozanische Substanzmerkmal des Insichseins heranzieht, um das Daseiende zu charakterisieren. Unter Substanz versteht Spinoza »quod in se est, et per se concipitur«, was in sich ist und durch sich begriffen wird,30 und in diesem schwachen Sinne firmiert das Daseiende dann tatsächlich schon als Substanz. Denn das Da30

Spinoza, Ethica Id3, S. 86.

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sein überhaupt (erstes Dasein) zwar war fremdbestimmt durch das Werden, das ihm vorausging und dessen Negativ es war; das Daseiende (zweites Dasein) aber hat das Werden und dessen Zusammensinken als seine eigene Bestimmtheit; es kommt vermittelt durch dieses Werden aus sich, qua erstem Dasein, ist also und bleibt in sich und begreift sich (qua reines Denken) durch sich. Drittens ist auf die zeitartige Asymmetrie bzw. Indexikalität der Verneinung zu achten, durch die das Daseiende mit sich vermittelt und in sich ist. Zum Vergleich: Es hat aufgehört zu regnen, nachdem aus heiterem Himmel ein Regenschauer kam, doch jetzt scheint wieder die Sonne. Wir können die Situation zurückhaltend beschreiben, indem wir sagen: »Es ist nicht der Fall, dass die Sonne nicht scheint.« Diese doppelte Verneinung hebt sich restlos auf, und wir hätten genauso gut sagen können: »Die Sonne scheint« (und wer weiß wie lange schon). Wenn wir uns aber (zum Kontrast) einer zeitartig indexikalischen, also einer asymmetrischen oder Längs-Verneinung bedienen, wird unsere Mitteilung aussagekräft iger: »Es ist nicht mehr der Fall, dass es nicht mehr der Fall ist, dass die Sonne scheint.« Wollen wir uns hier ohne Verlust an Ausdrucksstärke kürzer fassen, müssen wir sagen: »Die Sonne scheint wieder.« Das »wieder« kodiert die doppelte Längsverneinung; deswegen sperrt Hegel es in der oben zitierten Wendung: »das Daseyn nicht als unterschiedlos, wie Anfangs, sondern als wieder sich selbst gleich« (GW 21, 103 = TW 5, 123). Und deswegen kann er fortfahren (ebd.): »Das Etwas [= das Daseiende; A.K.] ist die erste Negation der Negation als einfache, seyende Beziehung auf sich«. Es ist der erste Fall der Längsverneinung einer Längsverneinung innerhalb der Vordergrundlogik. Viertens erinnert das Etwas oder Daseiende durch seine negative Selbstvermittlung an die Interaktion von philia und neikos, Liebe und Streit, in der Onto-Kosmologie des Empedokles. Die Liebe ist die Energie des paternalistisch unparteiischen Monarchen, der Streit die Energie der demokratischen Partei. Wenn die Liebe zunimmt und zur Herrschaft kommt, sind nicht nur die vier Elemente, Erde, Wasser, Luft und Feuer, sondern auch die Energien der Liebe und des Streites selber in Liebe versöhnt. Wenn dann aber der Streit wieder zur Macht kommt, sorgt er für die Trennung der Elemente und für die Ebenbürtigkeit von Liebe und Streit. Beide zwar sind gleichmacherisch, Liebe und Streit; aber die Liebe herrscht durch Unterdrückung des Streits und kollektiviert in Einheit, der Streit hingegen herrscht, solange er die Gleichberechtigung seiner selbst und der Liebe gewähren kann. Der Streit braucht seinen Widerpart und füttert die Liebe; die Liebe frisst den Streit und birst an seiner Unverdaulichkeit. Die logische Grundform dieses Wechselspiels finden wir in der Identität der Identität und der Nichtidentität

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und in der Nichtidentität der Nichtidentität und der Identität, zu Beginn der Lehre vom Wesen, also in der Reflexionslogik. Doch schon im Etwas ist dieses Wechselspiel in seinslogischer Vorform am Werk. Visualisieren wir das Dasein, das eins mit seiner Bestimmtheit, das Qualität und Realität, ein logisches Quale, ist, als eine Fläche im DIN-Format A0. Weil es die Negativität enthält, teilt es sich in der Mitte in zwei seinesgleichen, in (1) Dasein als Qualität bzw. Realität und (2) Dasein als Bestimmtheit bzw. Negation. So entstehen zwei Flächen im Format A1: A1R und A1N. A1R ist gediegenes Dasein, Qualität, Realität und bleibt ungeteilt. A1N ist Bestimmtheit, Negation und teilt sich sofort weiter in zwei gleiche Flächen vom Format A2: A2R und A2N. Dieser Teilungsprozess geht wie ein Dominoeffekt weiter ins Unendliche, und zwar instantan; er durchläuft eine unendliche Folge von Teilungen im Nu. Dabei vergrößert sich in jedem Teilungsschritt die Fläche der Realität, R, auf Kosten der Fläche der Negation, N. Nach der ersten Teilung ist R = A1 = N; nach zwei Teilungen ist R = A1+A2 = 3N; nach drei Teilungen ist R = A1+A2+A3 = 7N usf. ins Unendliche.31 So geht N im Nu gegen null und R wird zur ganzen Fläche des Daseins, die anschließend wiederum zerfällt und sich sogleich wieder herstellt usf. Das Daseiende oder Etwas ist gleichsam ein stehendes logisches Bild dieses in sich verlaufenden Prozesses des Zerfallens und Wiederherstellens und Hegel so etwas wie der Begründer der Logik der Filmvorführung. Allerdings ist der Film, der im (und als) Etwas abläuft, für den vordergrundlogischen Betrachter von einer einfachen Dia-Projektion nicht zu unterscheiden: Wir erhalten auf der Leinwand in beiden Fällen ein Standbild. Aber im Fall einer Filmvorführung ändert sich die Bestrahlung der Leinwand ständig und periodisch, nur wegen der schnellen Abfolge der Perioden unmerklich für das menschliche Auge; im Fall der Diaprojektion bleibt die Bestrahlung der Leinwand dagegen tatsächlich konstant. In solcher Konstanz, dachten wir zunächst, wurde das Dasein überhaupt als ein Erstes und Unmittelbares vom reinen Denken erfasst. Aber dann entdeckten wir als Hintergrundlogiker, dass ein Film lief, und erkennen jetzt, dass das reine Denken das mit sich in seiner negativen Selbstvermittlung identische Etwas erfasst. Insofern gilt jetzt: »die Vermittlung mit sich ist im Etwas gesetzt, insofern es als einfaches Identisches bestimmt ist« (GW 21, 103 f. = TW 5, 124). Demnächst wird auch noch seine Identität mit sich gesetzt und das einfache Etwas zum ausdrücklich mit sich identischen Etwas werden. Aber dazu bedarf es erst noch einer Teilung des daseinslogischen Raumes, die sich nicht in unendlicher Fortsetzung verliert und sogleich wieder aufhebt, sondern die

31

Allgemein gilt: Nach n Teilungen ist R = A1+…+An = (2n-1)N.

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nach einem Schritt anhält und zwei gleiche Daseiende, das Etwas und ein Anderes, zum stabilen Ergebnis hat. Unterdessen hat, wie wir zurückblickend in der Hintergrundlogik feststellen, der logische Raum des Daseins sich verändert, vom Dasein überhaupt zum Etwas, und sich dabei in sich vertieft und dynamisiert. Das aber heißt, dass der interne Prozess des Etwas, seine negative Selbstvermittlung, zum Etwas nicht nur hinführt, sondern, wie wir sahen, auch von ihm ausgeht, denn das Etwas muss ja von sich selbst herkommen. Es entsteht aus sich und vergeht in sich, und die Momente seines – standbildartigen – Werdens sind nicht mehr Sein und Nichts, auch nicht mehr Dasein und Bestimmtheit (bzw. Realität und Negation), sondern jetzt, dem erreichten Stand entsprechend, ein Daseiendes und ein anderes Daseiendes: Etwas und ein Anderes. »Das Etwas als Werden«, sagt dementsprechend Hegel, »ist ein Uebergehen, dessen Momente selbst Etwas sind und das darum Veränderung ist; – ein bereits concret gewordenes Werden« (GW 21, 104 = TW 5, 124). Gerade noch hatten wir den Begriff der Veränderung naiv gebraucht, nämlich auf den logischen Raum des Daseins angewendet, und schon erhalten wir ihn in terminologischer Fassung zurück. Die Veränderung also, so dürfen wir jetzt sagen, ist das Werden, das den Komplexionsgrad des Etwas und damit zugleich des Anderen erreicht hat. »Das Etwas aber verändert sich zunächst nur in seinem Begriffe [den wir uns hintergrundlogisch von ihm machen]; es ist noch nicht so als vermittelnd und vermittelt gesetzt [in der Vordergrundlogik]« (GW 21, 104 = TW 5, 124). Wir sahen zu Beginn, dass das reine Denken ein negationsfreies Sein nicht denken kann, sondern mit dem Dasein anheben muss. Wir sahen ferner, dass das Dasein qua Daseiendes aus sich selbst herkommt, dass folglich das reine Denken in Wahrheit mit dem Erfassen des Daseienden oder Etwas beginnt. Diese Selbstkorrektur der Hintergrundlogik ist die Veränderung des Etwas »nur in seinem Begriffe«. Das reine vordergrundlogische Denken andererseits denkt (und ist) das stehende Etwas, nicht die Veränderung, und projiziert das Negative seiner nach außen »als ein ebenso qualitatives, nur ein Anderes überhaupt« (ebd.). Ich versuche, diesen wichtigen Hegelschen Gedanken noch einmal ausführlicher und leicht variiert zu formulieren. Die Verneinung war zunächst die Vernichtung eines Ursachverhaltes (des Werdens) durch sich selbst zugunsten eines Nachfolgers (des Daseins überhaupt) oder, wie man genauso gut sagen kann, durch den siegreichen Nachfolger, der im Gegenzug vom unterlegenen Vorgänger bestimmt wurde. Die Vernichtung hat nun die neue, spezifischere Gestalt der Veränderung eines Ursachverhaltes angenommen, der ein logisches Quale ist und seine Veränderung nicht übersteht, sondern in ihr zu einem Anderen wird. Beide Varianten sind Fälle von zeitartiger

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oder Längsverneinung (sie operieren längs der Evolutionslinie des logischen Raumes). Aber die vordergrundlogische Veränderung des Daseins bzw. Daseienden oder Etwas war bislang ein paradoxes Werden, ein infinitesimales Aufbrechen der Negativität zwischen einem Terminus a quo, der mit dem Terminus ad quem identisch war, also eine Art Standfi lm. Wir zwar in der Hintergrundlogik sehen, dass der Terminus ad quem durch sein Herkommen aus sich selbst und sein Insichsein reicher bestimmt ist, als der Terminus a quo es für uns war. Aber für das reine Denken hat sich nichts verändert. Das reine Denken, das mit dem Vollzug des negationsfreien Seins beginnen sollte und mit dem Vollzug des einfachen Daseins begann, beginnt, wie gesagt und wie wir jetzt deutlicher sehen – weil die Veränderung vom einfachen Dasein zum Etwas nur im Begriff, also für uns, stattfand –, de facto mit dem Etwas, das immer schon aus sich herkommt und in sich ist. Auch und besonders das ist (mit-)gemeint, wenn Hegel, wie zitiert, sagt, das Etwas verändere sich zunächst nur in seinem Begriff, nur für uns, und sei noch nicht als sich in der Veränderung mit sich vermittelnd gesetzt; das reine, vordergrundlogische Denken denkt vorerst nur das Etwas selbst in seiner stehenden Veränderung. Wie aber erfährt es die doch auch im Standfi lm wirksame und je vorübergehend aufbrechende Negativität, in der es selbst einen logischen Augenblick lang vernichtet und verschwunden ist? Hegel antwortet: Das Etwas (bzw. das mit ihm zusammenfallende reine Denken des Etwas) denkt dieses Negative als ein ebenso Qualitatives wie es selber, als ein nur Anderes überhaupt. Es denkt, mit anderen Worten, den logischen Raum zweigeteilt in einen ihm zugänglichen und einen ihm unzugänglichen, abgeschatteten Teil und sich selbst als den zugänglichen und das Negative seiner als den abgeschatteten Teil. Das Negative in der stehenden Veränderung, die noch nicht als Veränderung gesetzt ist, wird so aus dem Etwas ausgelagert als ein Anderes unbekannter Natur. In Form einer neuen Variante der Verneinung, diesmal einer raumartigen oder Querverneinung, die keine Vernichtung mehr, sondern eine Auslagerung und Abschattung ist, kommt die qualitative Andersheit ins logische Spiel. Wir in der Hintergrundlogik sehen, dass der logische Raum in zwei ununterscheidbare Regionen geteilt wird, deren jede sich als das Etwas denkt und ihr jeweiliges Duplikat als ihr Negatives auslagert und abschattet. Allerdings bleibt kritisch anzufragen, ob aus dem Bisherigen die Zweiteilung des logischen Raumes in Etwas und ein Anderes wirklich schon zwingend herzuleiten ist oder ob Hegel sie unberechtigt aus der weiteren logischen Entwicklung, der des Anderen seiner selbst, auf den gegenwärtigen Stand zurückprojiziert, weil er aus ihr – dann fehlerhaft zirkulär – für den Fortgang zum Anderen seiner selbst argumentieren möchte. Der Zirkel läge in folgender Überlegung: Weil der logische Raum symmetrisch in ein Etwas

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und ein Anderes geteilt ist, müssen wir das Andere auch für sich, als Anderes seiner selbst, betrachten; und die Entwicklung dieses Anderen seiner selbst verlangt sodann erst die Teilung des logischen Raumes in Etwas und ein Anderes. Bisher, so könnte man kritisch meinen, ist die Differenz von Etwas und Anderem nur die von uns in der Hintergrundlogik gemachte zeitartig zu fassende Dualität eines Etwas, das sich verändert und dann ein Anderes (anderes Etwas) ist; Etwas und Anderes bräuchten dabei nicht gleichzeitig nebeneinander im logischen Raum des Daseins vorzukommen. Also dürfte nicht aus der Zweiteilung des logischen Raumes zum Gedanken des Anderen seiner selbst übergeleitet werden (sondern allenfalls umgekehrt). – Wir werden diese Problematik im Auge behalten müssen.

6. Das Andere seiner selbst Im nächsten Kapitelabschnitt: B. Die Endlichkeit, »entwickelt sich die negative Bestimmung, die im Daseyn liegt, welche […] [im ersten Kapitelabschnitt] nur erst Negation überhaupt, erste Negation war, nun aber zu dem Puncte des In-sichseyns des Etwas, zur Negation der Negation bestimmt ist« (GW 21, 104 f. = TW 5, 125). Realität und Negation haben im vorigen beide den Komplexionsgrad des Etwas und damit das Insichsein erreicht. Die Realität als Insichsein bzw. das Insichsein mit affirmativem Akzent ist schlicht das Etwas; die Negation als Insichsein bzw. das Insichsein mit negativem Akzent ist das Andere. Nun aber ist, wie wir hier erfahren, die Negation, also das Andere, zum Punkt des Insichseins bestimmt, also zu dessen Zuspitzung, die sie als Negation der Negation, konkret als das Andere des Anderen erhalten wird. Gemeint ist damit das Andere nicht nur »in Beziehung auf das Etwas«, sondern isoliert genommen, »in Beziehung auf sich selbst; abstract als das Andere, to heteron, des Plato« (GW 21, 106 = TW 5, 126). Doch Schritt für Schritt. Hegel eröffnet den Abschnitt mit einer Abfolge von drei Feststellungen: Erstens sind Etwas und Anderes beide Daseiende; zweitens ist ebenso jedes ein Anderes; drittens ist, wie zitiert, das Andere auch für sich zu nehmen, abstrakt als das Andere selbst. Er unterstellt also die Zweiteilung des logischen Raumes als voll entwickelt und blickt in der Hintergrundlogik auf zwei wohlbestimmte, ununterscheidbare Daseiende, A und B, die jeweils von ihrem eigenen vordergrundlogischen Standpunkt aus als Etwas auft reten und das jeweils Andere von sich getrennt und im Dunkeln halten, also abschatten. Hegel und wir mit ihm sehen somit, dass die Andersheit keinem der beiden, weder A noch B, insonderheit zugehört, sondern vielmehr von beiden aus sich hinausprojiziert wird. So schwebt sie

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ohne feste Zuordnung zwischen ihnen und muss daher vom reinen vordergrundlogischen Denken auch für sich gedacht werden. Nicht, dass wir dem reinen Denken Vorschriften machen könnten, was es zu denken habe. Wir stellen vielmehr fest, dass es, wenn denn die beschriebene Situation entstehen konnte, die Andersheit oder das Andere immer schon auch rein für sich, abstrakt als »to heteron des Plato«, gedacht haben muss. Wir betreiben also experimentelle logische Archäologie, wenn wir nun eigens dem reinen Denken das abstrakte Andere (noch einmal unsererseits) zu denken geben und interessiert zuschauen, was dabei herauskommen mag. Es wird sich, um so viel vorab zu verraten, erweisen, dass exakt die vorgefundene Situation herauskommt: die Zweiteilung des logischen Raumes zwischen dem Etwas und seinem Anderen. Allerdings will man in (gewöhnlicher, außerlogischer) experimenteller Archäologie, indem man Fundstücke nachbaut, das bestehende Wissen über sie und ihre Bewandtnis nicht nur reproduzieren, sondern erweitern und vertiefen. So auch hier. Unser Wissen von der Zweiteilung des logischen Raumes bleibt vorläufig und vage, solange wir das abstrakte Andere in reinem Denken nicht nachgebaut oder vielmehr nach-gedacht haben. Indem wir uns das eingestehen, nehmen wir zugleich dem angesprochenen Zirkelverdacht seine Spitze. Vor dem logisch-archäologischen Experiment wissen wir folgendes: Indem das Daseiende oder Etwas durch die infinitesimal aufbrechende Negation hindurch nur mit sich zusammengeht, hält es die Negation von sich ab, als wäre sie ein ihm Fremdes. Dies wenige an Wissen genügt, um das Experiment zwingend zu motivieren, und zwar näher auf folgende Weise: Das erwähnte Abhalten ist kein Erkennen des Abgehaltenen, sondern ein Abschatten; das Abgehaltene wird also nur ex negativo erfasst als das Andere überhaupt, was immer es an sich, zu seinen eigenen Konditionen, sein mag. Wir in der Hintergrundlogik wissen zwar, dass es ein Duplikat des abhaltenden und abschattenden Etwas ist, denn die Negation im Dasein ist Qualität nicht minder als die Realität. Aber wir brauchen von diesem weitergehenden Wissen keinen Gebrauch zu machen, sondern nur, Fichtes Worte borgend und sie für unsere Zwecke abwandelnd, berichten: »Das (reine Denken des) Etwas setzt in sich, in dem logischen Raum des Etwas, dem teilbaren logischen Raum des Etwas ein teilbares Nicht-esSelbst, d. h. Anderes, entgegen.«32 Noch einfacher gesagt: Das Etwas schattet seinen logischen Raum teilweise ab und markiert die abgeschattete Region mit dem Etikett »Anderes«, das deswegen das passende ist, weil die Ver32

Bei Fichte (Werke I, S. 110) heißt es: »Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen.«

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neinung inzwischen die Form der Veränderung angenommen hat. Dieses Andere muss daher, gerade weil es noch völlig unbekannt und abgeschattet ist, schlicht als Anderes auch in Isolation gedacht werden; und so wird unser logisch-archäologisches Experiment zirkelfrei als unabweisbares Desiderat nachgewiesen, auch wenn wir nur ein vages Vorwissen von der Teilung des logischen Raumes investieren. Nun also zu dem Experiment selber. Es kommen, wie Hegels Verweis auf to heteron schon vermuten lässt, jetzt die Reflexionsbestimmungen der Identität und des Unterschieds in hintergrundlogischer, noch naiver Verwendung und in Beziehung auf das Dasein zum Tragen (in der Reflexionslogik wird diese Verwendung vordergrundlogisch eingeholt und werden die Reflexionsbestimmungen rein für sich betrachtet). Dies geschieht folgendermaßen: »Das Andere für sich ist das Andere an ihm selbst, hiemit das Andere seiner selbst, so das Andre des Andern, – also das in sich schlechthin Ungleiche, sich negirende, das sich Verändernde. Aber ebenso bleibt es identisch mit sich, denn dasjenige, in welches es sich veränderte, ist das Andre, das sonst weiter keine Bestimmung hat; […] es geht daher in demselben nur mit sich zusammen. So ist es gesetzt als in sich reflectirtes mit Aufheben des Andersseyns; mit sich identisches Etwas, von dem hiemit das Andersseyn, das zugleich Moment desselben ist, ein unterschiedenes, ihm nicht als Etwas selbst zukommendes ist.« (GW 21, 106 = TW 5, 127)

Diese Passage gilt es nun zu verstehen. Zwei Zielpunkte der Rekonstruktion seien vorab markiert. Erstens beginnt Hegel auf der Seite der Negation, bei dem Anderen seiner selbst als dem in sich Ungleichen und sich Verändernden, und geht von dort über zur Seite der Realität, nämlich zu dem nunmehr als mit sich identisch gesetzten Etwas (zuvor war das Etwas nur an sich mit sich identisch). Zweitens ist von diesem neuen Etwas das Anderssein als etwas ihm Äußerliches unterschieden. Für die Rekonstruktion müssen wir zwei Sinne von doppelter Verneinung unterscheiden, einen anspruchslosen iterativen und einen anspruchsvollen reflexiven. Das nur de facto (an sich) mit sich identische Etwas verdankte sich der schlichten Iteration der Längsverneinung: Am Daseienden bricht der Unterschied auf (erste Verneinung) und fällt wieder in sich zusammen (zweite Verneinung); es resultiert das Daseiende, das in sich ist und mit sich identisch ist. Die doppelte Längsverneinung operiert hier an einem gegebenen, unmittelbaren Operandum, dem Daseienden (»p«), und erzeugt in einer infinitesimalen Veränderung zuerst dessen Negativ (»~p«) und dann zweitens wieder es selbst als nun de facto mit sich identisches Etwas (»~~p«). Im anderen –

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reflexiven – Sinn von doppelter Verneinung wird hingegen kein unmittelbar gegebenes Operandum vorausgesetzt; die Verneinung verläuft zwar am Daseienden,33 kommt aber ganz aus sich selbst her. Wir deuten sie an durch die Operation der Verneinung, der einmaligen oder der iterierten – das gilt hier gleichviel –, an einer Leerstelle: »~(…)« oder »~(~(…))«. Diesen zweiten, zutiefst erläuterungsbedürftigen Sinn müssen wir nun theoretisch präzisieren. Zirkuläre Phänomene oder Selbstverhältnisse kennen wir aus der Theorie der Subjektivität wie auch aus der Semantik. Intentionales Bewusstsein etwa ist sich seiner im Gerichtetsein auf Gegenstände stets unthematisch selbst mitbewusst, ist präreflexives Selbstbewusstsein, mit Sartre zu reden, und kann sich spontan erweitern im Vollzug der Ich-denke-Begleitung (von »p« zu »p und ich denke, dass p«). Semantische Selbstverhältnisse auf der anderen Seite kennen wir aus Antinomien, etwa der Antinomie des Lügners. Doch beginnen wir mit einem nicht antinomischen Beispiel: »Was Sie gerade lesen, ergibt keinen sinnvollen Satz.« Wenn das keinen sinnvollen Satz ergibt, ist es wahr, also sinnvoll; also ist es falsch: sinnvoll, aber falsch. Ebenfalls sinnvoll, jedoch antinomisch ist dann der ganz ähnlich konstruierte Lügner: »Was Sie gerade lesen, ergibt einen falschen Satz«: Wenn das stimmt, ist es falsch, und wenn es falsch ist, stimmt es – eine Antinomie, d. h. ein sinnvoller, nicht behebbarer Widerspruch. Indem die Mathematik seit dem späten 19. Jahrhundert durch radikale Abstraktion zu unserem systematischen Mittel der Widerspruchsvermeidung ausgebaut oder vielmehr abgebaut wurde, hat sie sich zugleich vom spekulativen Denken gelöst und emanzipiert. Dennoch lassen sich mit ihrer Hilfe zirkuläre Phänomene auch jetzt noch in äußerer Reflexion gut beschreiben. Hilfreich ist hier insbesondere der mengentheoretische Begriff der Unfundiertheit bzw. die Betrachtung unfundierter Mengen. Um der Einfachheit willen wollen wir uns auf einen sehr reduzierten Ausschnitt der Mengenlehre beschränken, in dem nur die leere Menge und die Operation der Einermengenbildung vorkommen, einen Ausschnitt also, dessen mengentheoretisches Universum nur aus den Mengen 0, {0}, {{0}}, {{{0}}}, … (usw.) besteht. So entspricht es im Übrigen der intendierten Analogie zur spekulativen Logik, die mit einem singulären Unmittelbaren – dem Sein bzw. Dasein – und der einstelligen Operation der Verneinung auskommt. Im nächsten Schritt erweitern wir unser kleines mengentheoretisches Universum durch die Einführung einer neuen Einermenge, der Einermenge-ihrer-selbst, die Peter Aczel in seiner Theorie nicht-wohlfundierter Mengen 33

lauf.

In der Reflexionslogik wird sie an nichts verlaufen, ganz für sich, im reinen Leer-

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(auf die wir uns hier stützen) »Ω« nennt.34 Für die Einermenge-ihrer-selbst, Ω, gilt: Ω = {Ω}. Diese Gleichung kann ins Unendliche entwickelt werden: Ω = {Ω} = {{Ω}} = {{{Ω}} = … = {{{…}}}, wobei der ganz rechts angedeutete Ausdruck kein wohlgeformter sprachlicher Ausdruck unserer endlichen Sprache mehr ist, weil er aus unendlich vielen Paaren geschweifter Klammern bestehen müsste. Die Menge Ω ist unfundiert, weil sie eine unendliche absteigende Elementschaft skette besitzt: Sie hat (genau) ein Element, das (genau) ein Element hat, das (genau) ein Element hat, das … (usf. ins Unendliche). Aber dieser unendliche Regress ist harmlos, weil er nur die äußerliche Darstellungsform des für Ω charakteristischen Zirkels ist: Die unendliche absteigende Elementschaftskette von Ω reduziert sich schlicht auf Ω selbst; keine weitere Menge ist beteiligt. Entsprechend gilt für das Bewusstsein, wenn wir von seinen reichhaltigen Objektbezügen abstrahieren und es als reines präreflexives Selbstbewusstsein ganz für sich betrachten, dass es das Bewusstsein eines Bewusstseins eines Bewusstseins … (usf. ins Unendliche) ist, ohne dass dieser scheinbare Regress seiner Einfachheit Abbruch täte. Das reine Selbstbewusstsein ist in schlichter Zirkularität nur das Bewusstsein seiner selbst. In seiner ungegliederten Einfachheit würde es dann freilich in das reine Sein des logischen Anfangs bzw. das unmittelbare Dasein kollabieren. Auch von dieser Seite sehen wir also, dass das Sein des Anfangs zugleich das Denken seiner selbst sein muss, dies aber in völlig strukturloser Gleichheit nur mit sich. Erst mit dem Hegelschen Begriff wird in der Logik ein entfaltetes, wohlgegliedertes Selbstbewusstsein erreicht, das (1) Allgemeines ist, das sich (2) besondert, d. h. sich auf sich als Besonderes bezieht, und (3) als Einzelnes wieder aus seiner Selbstbesonderung in sich zurückkehrt. Die Begriffslogik entwickelt den logischen Inhalt dieses Selbstbewusstseins bzw., richtiger, des Begriffs, bevor mit dem Übergang zur Philosophie der Natur und des Geistes auch die Seite des Bezugs auf eine raumzeitliche Mannigfaltigkeit, von der wir soeben abstrahiert hatten, wieder in den Blick kommt und sich das reine Selbstbewusstsein zu einem Bewusstsein von äußeren Gegenständen anreichern und realisieren kann. Die innere Artikulation des reinen Selbstbewusstseins verdankt sich der Negativität, die erstens in der Selbstbesonderung und zweitens in deren Überwindung, also doppelt, virulent wird. Aber die Negativität muss über den Gang der Logik hinweg sich erst zum Begriff und zu den Begriffsmo34

Aczel (1988).

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menten des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen entfaltet haben, um das Selbstbewusstsein (bzw. den Begriff als dessen logische Grundform) in seiner Gliederung zu erhalten. Sehen wir ab von den Begriffsmomenten, so bleibt nur die reine, unmittelbar selbstbezügliche und zur Strukturlosigkeit verdichtete Negativität, also das einfache Nichts übrig, das mit dem reinen Sein identisch und zugleich von ihm unterschieden sein müsste. Auch durch die Negativität werden wir also an den Anfang der Logik zurückverwiesen, den wir nun im Nachhinein besser zu verstehen lernen. Auf dem gegenwärtigen Stand der Theoriebildung stehen uns die Begriffsmomente des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen allerdings noch nicht zur Verfügung. Wir kennen nur die Operation der Verneinung – näher der Längsverneinung und höchstens ansatzweise schon die Querverneinung der Abschattung – in Beziehung auf das unmittelbare Dasein (bzw. Etwas), die im Verein mit diesem aus sich heraus für eine rudimentäre Struktur sorgen müsste. Dem daseinslogischen Theoriestand zufolge ist diese Form der Verneinung als Andersheit zu fassen. Sie soll näher als das Andere seiner selbst, somit als unfundiert, d. h. rein für sich und ohne Inanspruchnahme des Daseins oder Daseienden als eines unmittelbaren Operandums gedacht werden. Die Parallelität zur Einermenge-ihrer-selbst ergibt folgende Entwicklung der daseinslogischen Verneinung-ihrer-selbst, wobei an die Stelle der Identität hier das Bikonditional tritt, weil die Verneinung-ihrer-selbst nicht primär ein (abstrakter) Gegenstand, wie Ω, sondern satzwertig ist. (Da freilich die logischen Inhalte Ursachverhalte, also hybride Entitäten zwischen Sachverhalten und Gegenständen sind, ließe sich andererseits das Identitätszeichen letztlich mit gleichem Recht verwenden.) ν ↔ ~(ν) ↔ ~(~ν)) ↔ ~(~(~(ν))) ↔ … ↔ ~(~(~(…))) Wenn wir die Klammern weglassen, was möglich ist, weil der Operationsbereich der Verneinungen jeweils eindeutig feststeht, erhalten wir kürzer: ν ↔ ~ν ↔ ~~ν ↔ ~~~ν ↔ … ↔ ~~~… Es bliebe hier auf der rechten Seite nur eine unendliche Folge von Negationszeichen stehen, die kein wohlgeformter (und kein möglicher) Ausdruck unserer endlichen Sprache ist. Für eine umgangssprachliche Formulierung der Verneinung-ihrer-selbst behelfen wir uns daher mit einem semantischen Aufstieg, indem wir einen Satz so verneinen, dass wir mittels seiner auf ihn Bezug nehmen und seine Falschheit von ihm prädizieren: »Was Sie gerade lesen, ergibt einen falschen Satz« – die oben erwähnte Antinomie des Lügners. Allerdings haben wir es gegenwärtig nicht mit der propositionalen, sondern mit der daseinslogischen Verneinung zu tun, also damit, dass ein Dasei-

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endes sich zugunsten eines anderen Daseienden vernichtet oder verändert (die Differenz zwischen Vernichtung und Veränderung spielt für logische Qualia keine Rolle), und dies sozusagen im Leerlauf, d. h. ohne eine unmittelbare Ersteingabe in die Operation der Verneinung. Mit anderen Worten, wir geben kein unmittelbares Daseiendes in die Verneinungsoperation ein, sondern erhalten Daseiende – jeweils andere und doch wieder gleiche – allererst als Resultate der Operation; wie auch die Einermenge-ihrer-selbst das Resultat der Operation der Einermengenbildung im Leerlauf war. Allerdings ist das Andere seiner selbst oder die daseinslogische Verneinung-ihrer-selbst ein in sich widerspruchsvoller, und zwar heillos widerspruchsvoller, d. h. antinomischer Inhalt, der nicht zugunsten seines Gegenteils verneint werden kann, weil er seiner Verneinung äquivalent und selbst schon sein Gegenteil ist, wie wir mittels der (oben bloß erwogenen) Ersetzung des Bikonditionals durch Identität verdeutlichen können: ν = ~ν = ~~ν = ~~~ν = … = ~~~… Ein Widerspruch aber kann nicht in einem Akt des Denkens statisch zusammengedacht, sondern allenfalls kinetisch in einem übergehenden Denken so unterteilt werden, dass sich seine entgegengesetzten Seiten nur im infinitesimalen Umschlagen noch berühren.35 Die Antinomie der Verneinung-ihrer-selbst bzw. das Andere seiner selbst erfordert also ein übergehendes Denken, in dem die Verneinung bzw. das Andere von sich selbst getrennt und in dem von einem Trennprodukt zum anderen übergegangen wird, alles in ein und demselben Akt des Denkens, der sich demnach ipso facto von sich selber trennt und seine Einheit allein in der Schwebe wahrt. So ist nunmehr also die Veränderung gesetzt, als eine vordergrundlogische. Sie verläuft sich im Endlosen, da ~ν genauso widersprüchlich ist wie zuvor ν war, und ~~ν genauso widersprüchlich wie zuvor ~ν (usw.). Das Andere seiner selbst ist, wie oben zitiert, »also das in sich schlechthin Ungleiche, sich negirende, das sich Verändernde« (21, 106 = TW 5, 127). Der zweite Zielpunkt unserer Rekonstruktion war die affirmative Seite des Anderen seiner selbst: »Aber ebenso bleibt es [das Andere seiner selbst] mit sich identisch […]«, denn es geht im jeweils Anderen »nur mit sich zusam35

Im mathematischen Denken fällt die Berührung hingegen ganz weg: »Das formelle Denken aber macht sich die Identität [bzw. den im eleatischen Geist angenommenen Nichtwiderspruch des Seins] zum Gesetze, läßt den widersprechenden Inhalt, den es vor sich hat, in die Sphäre der Vorstellung, in Raum und Zeit herab fallen, worin das Widersprechende im Neben- und Nach-einander ausser einander gehalten wird und so ohne die gegenseitige Berührung vor das Bewußtseyn tritt.« (GW 12, 246 = TW 6, 562 f.).

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men« (ebd.). In diesem Zusammengehen ist es das – nunmehr terminologisch zu fassende – mit sich identische Etwas (fortan kurz: msi-Etwas), dessen Mit-sich-identisch-Sein gesetzt ist. Wie es zu dieser doppelten Gestalt des Anderen-seiner-selbst, zu (a) dem sich Verändernden und (b) dem msi-Etwas – den Trennprodukten des übergehenden Denkens –, kommt, kann man sich ausgehend von der Verneinung-ihrer-selbst wie folgt klarmachen. Voll entwickelt ließe sich die Verneinung-ihrer-selbst als eine nach rechts unendliche Folge von Verneinungen ausdrücken: »~~~…«, und diese widerspruchsvolle Formel ist daseinslogisch gelesen die der Veränderung, später dann des Endlichen. Reflexionslogisch gelesen wird sie die Formel des Scheins werden als des Resultates der absoluten Indifferenz und dann des Grundes, begriffslogisch die der Auflösung der Wechselwirkung und dann die des Einzelnen, propositional die des Lügners: »Was Sie gerade lesen, ist nicht wahr«. Wenn man aber in der unendlichen Folge der Verneinungen jeweils zwei zusammenfasst, erhält man, da die doppelte Verneinung eine Bejahung (im Fall der Längsverneinung eine Wiederbejahung) ist, die widerspruchsfreie Bejahung-ihrer-selbst: ~~(~~(~~(…))) Daseinslogisch gelesen ist dies die Formel des msi-Etwas, reflexionslogisch die der Identität, begriffslogisch die des Allgemeinen, propositional die des sogenannten Wahrsagers: »Was Sie gerade lesen, ist wahr«. Und nun müssen wir noch eine weitere, dritte (Folge-)Gestalt des Anderen-seiner-selbst ins Spiel bringen; denn gemessen an der Verneinung-ihrer-selbst, ist die Formel des msi-Etwas einseitig, weil unendlich viele Verneinungen eben nicht geradzahlig viele sind, die man paarweise zusammenfassen könnte. Also muss man der Bejahung-ihrer-selbst zum Ausgleich und als Ergänzung noch ihre eigene, für sich ebenfalls widerspruchsfreie Verneinung zur Seite stellen: ~[~~(~~(~~(…)))] Daseinslogisch gelesen ist dies die Formel des Anderen, reflexionslogisch die des Unterschieds, begriffslogisch die des Besonderen, propositional die der Verneinung des Wahrsagers: »Der Satz ›Was Sie gerade lesen, ist wahr‹ ist nicht wahr«. Die beiden prima facie widerspruchsfreien, aber einseitigen Resultate der widerspruchsvollen Veränderung sind also das msi-Etwas und das Andere; der logische Raum enthält das Etwas und das Andere nicht mehr nur (prätemporal) diachron, sondern jetzt auch synchron; er hat sich, wie wir

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jetzt als Ergebnis unseres logisch-archäologischen Experimentes gesichert erkennen und verstehen, zweigeteilt in das msi-Etwas und das Andere. Jedes der beiden ist sowohl Etwas wie auch Anderes: an sich das Etwas und für das je Andere das Andere; es ist Etwas nach seinem Ansichsein und Anderes nach seinem Sein-für-Anderes, wie Hegel die Situation terminologisch fasst (GW 21, 106 f. = TW 5, 127 f.). Nennen wir die beiden Hälften des daseinslogischen Raumes A und B. Für uns sind sie ununterscheidbar, also an sich identisch. Beide sind jeweils das Etwas und das Andere in völliger Symmetrie. Aber von A’s Standpunkt ist nur A das Etwas und ist A’s Anderssein, das wir von außen an ihm konstatieren, nur sein Sein-für-B. Allein von B’s Standpunkt ist A das Andere. B selbst ist von A’s Standpunkt aus gar nicht sichtbar, sondern abgeschattet; denn A ist ein Ursachverhalt, der mit seinem Erfasstwerden zusammenfällt, das also nicht über ihn hinausgeht zu B. Immerhin sind A und B eins im anderen indirekt bemerkbar – irgendwie repräsentiert und »aufgehoben« – unbeschadet ihres qualitativen Unterschieds, durch den sie voneinander abgeschattet als Selbständige im logischen Raum da sind. Aufheben im Sinn von Verneinen-und-als-verneint-Aufbewahren ist eine neue Form der Negation, die wir nun nach Vernichtung, Veränderung und Abschattung ebenfalls einführen müssen. Im diskursiven, propositionalen Denken ist das Aufheben eine Trivialität, denn diskursives Denken ist auf die Präsenz seines Gegenstandes nicht angewiesen, sondern möglich auch als ein Denken in Abwesenheit. Doch das Erfassen von Ursachverhalten ist wesentlich Denken in Anwesenheit des zu Denkenden. Sätze verstehen wir unabhängig von ihrem (gegenwärtigen) Wahrheitswert, für Ursachverhalte hingegen fallen Inhalt und Wahrheit, fallen Existenz als Sachverhalt und Bestehen als Tatsache in eins. Deswegen kann Vergangenes zwar in unserer propositionalen Erinnerung ohne weiteres aufgehoben – als gegenwärtig der Fall seiend verneint und zugleich unvergessen – sein. Im logischen Ursachverhalt Dasein überhaupt hingegen war sein Vorgänger Werden spurlos ausgelöscht, und die Bestimmtheit, die dieser ihm verliehen hatte, als solche unkenntlich und eins mit ihm als seine Qualität (so war das Dasein ein einfaches logisches Quale). Es bedarf also einigen theoretischen Aufwandes, um Ursachverhalte so weit zu entwickeln, dass ihre logischen Vorgänger oder logischen »Zeit«-Genossen in ihnen nicht nur negativ aufgehoben (vernichtet), sondern auch affirmativ aufgehoben (als negierte anwesend) sein können. Im einfachen Etwas war die Möglichkeit der Aufhebung bereits keimhaft angelegt, denn es verhielt sich aus sich heraus negierend zu einem abgeschatteten, anderen Teil des logischen Raumes. Jetzt, im msi-Etwas, tritt dieser andere Teil indirekt aus der Abschattung heraus in Form eines Momentes im

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msi-Etwas selber, wie sich anhand unserer negationslogischen Darstellung gut illustrieren lässt. Im Fall des msi-Etwas hatten wir die Negationszeichen ins Unendliche paarweise zusammengefasst: [~~(~~(~~(…)))] und im Fall des zugehörigen Anderen noch ein äußeres Negationszeichen hinzugefügt: ~[~~(~~(~~(…)))] Wenn wir hier links ein weiteres Negationszeichen hinzufügen, erhalten wir wieder den Ausdruck des msi-Etwas, und wenn noch eines, erneut den des Anderen. Wir sehen also, dass die negationslogischen Entwicklungen des msi-Etwas und seines Anderen einander im wörtlichen Sinn als negierte enthalten. Das msi-Etwas resultiert aus der nochmaligen Negation seines Anderen und das Andere aus der nochmaligen Negation des msi-Etwas. So also machen sich beide, A und B, obgleich im logischen Raum voneinander getrennt, doch eins im anderen bemerkbar. Jedes hat Sein-für-das-Andere im je Anderen als in diesem und durch es negiert: B hat Sein-für-A in A als von A intern negiert, und A hat Sein-für-B in B als von B intern negiert. A’s eigenes Sein ist dann »Beziehung auf sich gegen seine Beziehung auf Anderes, […] Gleichheit mit sich gegen seine Ungleichheit. Ein solches Seyn ist Ansichseyn« (GW 21, 107 = TW 5, 128). Und von B’s Standpunkt verhält sich alles in spiegelbildlicher Symmetrie ebenso. Sein-für-Anderes und Ansichsein sind so die beiden wesentlichen Momente des msi-Etwas und zugleich auch seines Anderen, die Nachfolger der Momente Negation bzw. Realität des logischen Quale Dasein. Von außen, hintergrundlogisch betrachtet sind A und B folglich ununterscheidbar und fallen nach dem logischen Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren in eins zusammen – als das Endliche. In vordergrundlogischer Binnenbetrachtung prävaliert aber jeweils einer der beiden möglichen Standpunkte und damit der Anschein ihrer Unterscheidbarkeit: Von A aus gesehen ist nur A das Etwas, von B aus gesehen nur B. Die weitere Entwicklung hin zum Endlichen wird darin bestehen, dass auch in der Vordergrundlogik sich die Identität von A und B über Zwischenschritte allmählich herstellt, als das Endliche. Damit wird dann auch die Antinomie wieder von der Peripherie ins Zentrum zurückkehren.

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7. Das Endliche Vom Kapitelabschnitt: B. Die Endlichkeit, haben wir Unterabschnitt: a. Etwas und ein Anderes, behandelt. In Unterabschnitt: b. Bestimmung, Beschaffenheit und Grenze, werden die drei Titelbegriffe, die ersten beiden als Nachfolger des Ansichseins bzw. des Seins-für-Anderes, der dritte als der Begriff ihres Zusammenfallens, und dann – in Unterabschnitt: c. Die Endlichkeit – (α) das Endliche, (β) sein Prozess von Schranke und Sollen und (γ) sein Übergang in das Unendliche untersucht. Es kann zwar in die Irre führen, ist aber bei vorsichtigem Vorgehen aufschlussreich, die hier zu betrachtenden einfachen daseinslogischen Verhältnisse durch Beispiele zu beleuchten, die jenseits der Logik ihren Ort haben. Ziehen wir also zur Illustration einmal das Verhältnis der primären und der sekundären Qualitäten der Dinge heran. Jene machen das Ansichsein einer Sache aus, diese sind – ursprünglich – Kräfte der Sache, im Betrachter bestimmte Vorstellungsinhalte hervorzurufen, zweitens aber abgeleiteter (und gewöhnlicher) Weise auch diese Vorstellungsinhalte selbst, also das, was heute Qualia genannt wird: die phänomenalen Qualitäten, mittels deren eine Sache vom Betrachter vorgestellt wird. In diesem abgeleiteten Sinn machen die sekundären Qualitäten das Sein-für-Anderes (Sein-für-den-Betrachter) der Sache aus. An sich hat diese zum Beispiel eine bestimmte physikalische Oberflächenstruktur, und für den Betrachter erscheint sie in der Folge in phänomenaler Röte. Wenn wir nun die phänomenale Röte nicht im Bewusstsein des Betrachters verorten, sondern mit Byrne und Tye sagen, Qualia seien nicht im Kopf,36 sondern an den Sachen selbst, verlagern wir das Sein-für-Anderes wieder vom Betrachter weg in oder an die Sache. Die Sachen sind dann – ganz im Sinne der Phänomenologen und besonders Heideggers – an ihnen selbst Phänomene; sie haben, heißt das, ihr Sein-für-Anderes (ihre Phänomenalität, Offenbarkeit, epistemische Zugänglichkeit) an ihnen selbst. Eben diese Verlagerung vollzieht in abstracto Hegel, und zwar mit der Begründung, dass im Etwas das Ansichsein und das Sein-für-Anderes identisch seien (weil, so ergänzen wir, das Etwas und sein Anderes ununterscheidbar sind): »Das Seyn-für-anderes ist in der Einheit des Etwas mit sich, identisch mit seinem Ansich; das Seyn-für-anderes ist so am Etwas. Die so in sich reflectirte Bestimmtheit ist damit wieder einfache seyende, somit wieder Qualität, – die Bestimmung.« (GW 21, 110 = TW 5, 131) 36

Byrne (2006).

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Die Bestimmtheit wird einer Sache im Allgemeinen von außen verliehen. Das untergehende Werden etwa bestimmte das nachfolgende Dasein als sein Negativ; Etwas und Anderes bestimmen (und verneinen) einander wechselseitig als das je Andere. Wenn das Bestimmende vernichtet ist, wie im Fall des Werdens, erscheint die Bestimmtheit als eine einfache, seiende, als Qualität. So verhielt es sich im Fall des ersten Daseins (Dasein überhaupt). Doch nun sind Etwas und Anderes gleichzeitig im logischen Raum, teilen sich ihn. Deswegen ist die Bestimmtheit hier zunächst im jeweils Anderen, als Sein-für-Anderes. (Die Bestimmtheit von A ist nicht an A, sondern in B als das Sein-für-B von A.) Wenn sie wieder an das Etwas kommt, dann kraft der Identität des Seins-für-Anderes mit dem Ansichsein und in letzter Analyse kraft der Ununterscheidbarkeit des Etwas und des Anderen. Die Bestimmtheit ist damit als diejenige des Ansichseins in sich reflektiert und wieder einfache, ansichseiende, nicht fremdinduzierte Qualität: die Bestimmung. Dass aber das Ansichsein und das Sein-für-Anderes im msi-Etwas identisch sind, folgt, wie angedeutet, aus der vollkommenen Ununterscheidbarkeit und Spiegelbildlichkeit im Außenverhältnis des Etwas zum Anderen, die eine entsprechende Spiegelbildlichkeit zwischen dem Ansichsein und dem Sein-für-Anderes im Binnenverhältnis der Momente des Etwas zur Folge hat. Im Binnenverhältnis kollabiert die Spiegelbildlichkeit für das vordergrundlogische reine Denken in Ununterscheidbarkeit und Identität, wie für uns in der Hintergrundlogik schon vorher im Außenverhältnis. Im Außenverhältnis ist sie für das reine Denken jedoch noch nicht kollabiert. Vielmehr trennt sich das Sein-für-Anderes auf in ein solches, das mit dem Ansichsein identisch und Bestimmung wird, und ein anderes, das außerhalb des Ansichseins am Etwas bleibt: die Beschaffenheit. Solange das Außenverhältnis der Andersheit fortbesteht, ist auch die Identität im Binnenverhältnis des Etwas unvollständig. Zur Erläuterung: Die Dinge sind an ihnen selbst Phänomene (sagen Heidegger und andere Phänomenologen), aber eben auch für uns. Ihr An-ihnen-selbst-Phänomen-Sein ist eins mit ihrem Ansichsein, ersichtlich dann, wenn sie ihre Bestimmung erreichen, wenn zum Beispiel aus der Eichel – der Eiche an sich – eine als Eiche gesetzte Eiche wird und das Ansichsein der Eiche sich mit ihrem An-ihr-selbst-Phänomen-Sein erfüllt. Das Für-uns-Phänomen-Sein, das die Dinge ebenfalls an ihnen haben, ist ihre Beschaffenheit. Dass Hegel hier Verhältnisse, die eigentlich in die Wesenslogik gehören (wie das des Dings zu seinen Eigenschaften oder das des Inneren und des Äußeren) daseinslogisch präfiguriert, mag überraschen, da der Gedanke des Etwas als eines logischen Quale dies zunächst auszuschließen scheint. Ein Quale, das sich verändert, beharrt nicht, sondern wird zu einem an-

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deren Quale. Lebensweltliche Dinge und Personen hingegen beharren in ihren Veränderungen und bleiben, was oder wer sie sind. Wenn Sokrates sich erhebt, so sitzt er zuerst und steht sodann und ist trotz veränderter Körperhaltung derselbe geblieben – ein Widerspruch in unserem manifesten Weltbild, der nach theoretischer Behandlung verlangt. Eine traditionelle, innerlebensweltliche Behandlung ist die des Essentialismus. Das Wesen ist das mit sich Identische (wie nach der Daseinslogik das msi-Etwas), von dem die Akzidentien als Vorübergehende zu unterscheiden sind, so auch vom mit sich identischen Wesen des Sokrates seine Körperhaltungen, die ihm zufallen und wieder verschwinden, ohne seine Identität zu berühren. Eine außerlebensweltliche Behandlung hingegen schlägt David Lewis vor, nämlich eine mathematisch-theoretische Revision unseres manifesten Weltbildes, der zufolge die Dinge nicht nur räumliche, sondern auch zeitliche Teile besitzen und die zeitlichen Teile die eigentlichen logischen Subjekte der basalen Prädikationen sind. Sokrates’ zeitliche Teile wären es demnach, die liegen, sitzen oder stehen.37 Wenn Sokrates sich erhebt, so sitzen frühere und stehen spätere seiner Zeitteile, und den vielen Augenblicken des Wandels dazwischen muss man beikommen mit infinitesimalen Zeitteilen, Weierstraßschen Grenzwertbetrachtungen und Cantors diskretem mengentheoretischem Ersatz-Kontinuum. Den Essentialismus in seinen verschiedenen Varianten thematisiert die Logik und überbietet ihn kritisch in der Lehre vom Wesen; eine Revision unseres manifesten Weltbildes hingegen ist für sie kein Thema, allenfalls quantitätslogische, essentialistische oder andere Vertiefungen, die im manifesten Weltbild selbst angelegt sind. Weierstraß, Cantor und Frege/Russell liegen außerhalb ihres spekulativen Gesichtskreises; es sei denn, selbst deren Arbeit an der Emanzipation vom spekulativen Denken bliebe letztlich unvollkommen und ließe einen von ihnen unbeachteten Rest für die spekulativ-logische Durchdringung übrig (was hier nicht zu untersuchen ist). Wie eine Sache gegenüber ihrer Bestimmtheit und deren Veränderungen gleichgültig bestehen kann, untersucht die Logik zunächst im Abschnitt über die Quantität. In der Maßlogik wird sodann die quantitative Fundierung von Qualitäten betrachtet, was zur Folge hat, dass eine Sache selbst gegenüber ihren Qualitäten (als quantitativ fundierten) gleichgültig bleiben kann. Darauf wird dann der Wechsel zur Sphäre des Wesens fällig, die neue – essentialistische  – Gestalten der Differenz von Sache und Bestimmtheit bereithält. Vor diesem breiten logischen Hintergrund also dürfte es, wie gesagt, überraschen, dass schon im Abschnitt »Qualität« einfache Gestalten der 37

Vgl. Lewis (1986), S. 202–204.

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umrissenen Differenz eine Rolle spielen. Aber die logische Entwicklung verlangt es so. Das logische Quale hat sich inzwischen für uns (in der Hintergrundlogik, »in seinem Begriffe«) verändert und erstens die Gestalt des über das Aufbrechen der Negation hinweg mit sich identischen und insofern schon entfernt wesensartigen Etwas sowie ferner die Gestalt desjenigen Etwas gewonnen, dessen Ansichsein sich mit Sein-für-Anderes erfüllt hat und nun als Bestimmung von der Beschaffenheit unterschieden werden muss. Nach wie vor teilt es sich den logischen Raum mit einem hintergrundlogisch ununterscheidbaren Anderen, an dem also die Veränderung in genau gleicher Weise stattgefunden hat. Beide logischen Qualia, A und B, haben ununterscheidbare Bestimmungen und sind kraft ihrer ebenfalls ununterscheidbaren Beschaffenheiten auf das je andere bezogen und der Veränderung ausgesetzt. Dadurch, dass überhaupt Bestimmung und Beschaffenheit unterschieden werden, ist das wesenslogische Verhältnis von Innerem und Äußerem an ihnen vorgezeichnet. Das Wesen ist das, was im Wandel der Äußerlichkeiten (Akzidentien) identisch bleibt; und identisch bleibt in der Veränderung – auch der vordergrundlogischen, »gesetzten« Veränderung über das infi nitesimale Aufbrechen der Negation hinweg – ebenso das deswegen so genannte mit sich identische Etwas. Inhaltlich aber lässt sich kein Unterschied zwischen Bestimmung und Beschaffenheit fi xieren und die Identität-mit-sich des Etwas nicht stabilisieren; die wesenslogische Vorzeichnung bleibt leer und folgenlos. A bestimmt B in derselben Weise, wie es umgekehrt von B bestimmt wird; A’s Verhältnis zu B gehört also in A’s (und in B’s) Bestimmung gerade so, wie B’s Verhältnis zu A in B’s (und in A’s) Bestimmung gehört. So verschwindet der Unterschied zwischen unveränderlicher Bestimmung und veränderlicher Beschaffenheit; die Bestimmung setzt sich zur Beschaffenheit herab und die Beschaffenheit wird Bestimmung (GW 21, 112 = TW 5, 134); und übrigbleibt als Einheit beider die gemeinsame Grenze zwischen A und B, durch die sie getrennt und zugleich verbunden sind. Damit ändert sich das Etwas nun nicht mehr bloß nach seinem Sein-für-Anderes (und seinem Sein-für-uns in der Hintergrundlogik) und gehört sein Verhältnis zum Anderen nicht mehr bloß unserer Vergleichung an, sondern auch dem vordergrundlogischen Denken selber. Im Vollzug des Gedankens des Etwas mit seiner Grenze wird jetzt das Andere mitgedacht: »Etwas verhält sich so aus sich selbst zum Andern, weil das Andersseyn als sein [nunmehr nicht mehr äußerliches, sondern; A.K.] eigenes Moment in ihm gesetzt ist, sein Insichseyn befaßt die Negation in sich, vermittelst deren überhaupt es nun sein affirmatives Daseyn hat. Aber von diesem ist das Andre auch qua-

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litativ [d. h. als ein getrenntes Anderes mit eigener Qualität; A.K.] unterschieden, es ist hiermit auch ausser dem Etwas gesetzt.« (GW 21, 113 = TW 5, 135)

Für ein logisches Quale gilt der Satz des Parmenides: Es ist, als ein und dasselbe, sowohl Denken als auch Sein. Das begrenzte Etwas ist daher endliches Denken und endliches Sein in einem: unmittelbare endliche Selbstanschauung. An ihm qua endlichem Sein sind, wie wir sahen, quantitäts- und wesenslogische Verhältnisse vorgezeichnet und an ihm qua endlichem Denken, wie wir nun sehen werden, Verhältnisse des endlichen Erkennens, insbesondere das Grundverhältnis des Bewusstseins, das nach Reinholds entsprechendem Grundsatz darin besteht, »dass die Vorstellung im Bewusstseyn durch das Subjekt vom Objekt und Subjekt unterschieden und auf beyde bezogen werde«.38 Hegel spielt darauf an, wenn er in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes seinen eigenen Satz des Bewusstseins als Variation des Reinholdschen formuliert: »Dieses [das Bewußtsein] unterscheidet […] etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht; oder wie diß ausgedrückt wird, es ist etwas für dasselbe; und die bestimmte Seite [die abhängige Variable; A.K.] dieses Beziehens, oder des Seyns von Etwas für ein Bewußtseyn ist das Wissen [das durch das jeweils Gewusste bestimmt wird; A.K.]. Von diesem Seyn [des Gewussten; A.K.] für ein anderes [das Bewusstsein; A.K.], unterscheiden wir aber, das an sich seyn [die unabhängige Variable, das Gewusste unabhängig von seinem Gewusstwerden; A.K.]; das auf das Wissen [man ergänze: wesentlich; A.K.] bezogene wird eben so von ihm unterschieden, und gesetzt als seyend auch ausser dieser Beziehung; die Seite dieses an sich heißt Wahrheit [veritatives Sein, Der-FallSein; A.K.].« (GW 9, 58 = TW 3, 76)

Es muss sogleich auffallen, dass hier nicht nur vom Etwas, sondern auch von dessen Sein für ein anderes, nämlich für das Bewusstsein, sowie andererseits von seinem Ansichsein die Rede ist. Hegel bestimmt die Verfassung des Bewusstseins also zu guten Teilen mittels daseinslogischer Begriffe, was insofern auch angemessen erscheint, als die Logik des Daseins die Logik der Endlichkeit und das Bewusstsein endliches Denken und Erkennen ist. Das endliche Denken ist das Denken des Realismus, der in Reinholds und in Hegels Satz des Bewusstseins denn auch als Prinzip unseres Alltagsdenkens ausgesprochen wird. Die Philosophie hingegen, jede Philosophie, so wird Hegel in der Folge behaupten, sei »wesentlich Idealismus« und als solcher 38

Reinhold (1791), S. 78.

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auf den Satz festgelegt, »daß das Endliche ideell ist« (GW 21, 142 = TW 5, 172). Wir werden darauf in Kürze zu sprechen kommen; doch gegenwärtig steht das reine Denken noch auf dem Standpunkt der Endlichkeit und des Realismus, der – wie ontologisch das Beharren in der Veränderung – epistemologisch im Dasein vorgezeichnet ist. Den locus classicus des Realismus finden wir, lange vor Hegel oder Reinhold, im Kontext oben schon zitierter wahrheitstheoretischer Positionen, die Aristoteles im Schlusskapitel des Θ der Metaphysik entwickelt: »Nicht nämlich weil wir wahrheitskonform [alêthôs] meinen, du seiest bleich [se leukon einai], bist du bleich; sondern weil du bleich bist, bringen wir, die wir dies sagen, Wahres ans Licht [alêtheuomen].« (Θ 10, 1051b6–9) Dies ist eine Absage an die pragmatische Wahrheitskonzeption avant la lettre. Der Pragmatismus fasst Wahrheit als ein Meinen fruchtbringender Art, spezifischer als ein durch Verifikations- und Falsifikationsregeln verbürgtes Meinen oder kohärentes oder konsensuelles oder aus herrschaftsfreier Diskussion hervorgegangenes Meinen (usw.). Demgegenüber besagt unser dem manifesten Weltbild eingezeichneter und in unseren alltäglichen Wahrheitsansprüchen unterstellter Realismus, den Aristoteles hier (wie später Reinhold und Hegel in ihren respektiven Sätzen des Bewusstseins) in Worte fasst, dass etwas, was wir behaupten, sich unseres Erachtens so und so verhält ganz unabhängig davon, dass wir es behaupten. Nicht unser alêthôs oiesthai (unser auf wahrheitsförderliche Weise Meinen), dass p, macht es den Fall, dass p; sondern die Tatsache, dass p, macht, dass wir Wahres denken und sagen, wenn wir urteilen, dass p. Dies ist unser eigener Generalanspruch im Urteilen als einem Erheben von objektiven (daher irrtumsanfälligen) Wahrheitsansprüchen und der Standpunkt der Fehlbarkeit und Endlichkeit, der zum philosophischen Realismus und in letzter Konsequenz zu der transmetaphysischen Ersten Philosophie des hermeneutischen Realismus führt – die die anzustrebende ist,39 sofern nicht Hegel recht behält und die Philosophie als solche Idealismus zu sein hat. (In letzterem Fall wäre der hermeneutische Realismus nur ein besonders herausforderndes Basislager für den Aufstieg zum Gipfel der Idee; auf einer neuen, unerprobten Route, versteht sich, denn die klassische Route ist die Wissenschaft der Logik.) Doch halten wir uns an Hegels Satz des Bewusstseins und fragen, was von ihm im kargen Kontext der Daseinslogik übrig bleibt. Eine erste Teilantwort lautet: sehr viel weniger als nachher im Kontext der Reflexionslogik. Das Bewusstsein, so lasen wir, unterscheidet etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht. Das unterschiedene Andere ist also einerseits für das Bewusstsein, 39

Für die Begründung des hermeneutischen Realismus vgl. Koch (2016).

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wird vom Bewusstsein gesetzt (um einen reflexionslogischen Terminus ins Spiel zu bringen), aber andererseits gesetzt als der Fall seiend auch außerhalb des Für-es-Seins bzw. Gesetztwerdens, nämlich als an sich der Fall seiend. Mittels der reflexionslogischen Unterscheidungen zwischen setzender, voraussetzender, äußerer und bestimmender Reflexion kann das Grundverhältnis des Bewusstseins schon recht konkret vorgezeichnet werden; denn die reflexionslogische Operation des Setzens, lateinisch ponere (bekannt vom Modus ponens her) stellt sich im Bewusstsein als das Erheben von Wahrheitsansprüchen dar. Ein Wahrheitsanspruch aber schließt dem Realismus zufolge (in den grundlegenden Fällen, abgesehen etwa von ästhetischen Urteilen im Sinne Kants) einen Objektivitätsanspruch ein, nämlich den Anspruch auf die Unabhängigkeit des Gesetzten vom setzenden Akt: Nicht, weil wir setzen, du seiest bleich, bist du bleich, sondern indem wir dies setzen, setzen wir es als unabhängig von unserem Setzen der Fall seiend. Wir setzen es, mit anderen Worten, als nicht gesetzt, sondern als an sich der Fall seiend; das heißt, nach Hegels reflexionslogischem Sprachgebrauch, wir setzen es voraus und beziehen uns sodann auf das Vorausgesetzte in äußerer Reflexion, von der zunächst unklar bleibt, wie sie je ihren vorausgesetzten Gegenstand erreichen und ihn seinem Ansichsein gemäß bestimmen können soll. Ontisches Bestimmtsein und epistemisches Bestimmen scheinen vielmehr in unüberbrückbarer Dualität auseinanderzuklaffen. Aber die Wesenslogik ist in ihren drei Abschnitten (Schein/Reflexion – Erscheinung – Wirklichkeit) selbst der Aufweis, dass und wie wir ausgehend vom Schein als bloß setzender Reflexion über die voraussetzende und äußere, also dualistische Reflexion schließlich zur bestimmenden Reflexion oder Selbstauslegung des Absoluten gelangen. Von alledem kann in der Daseinslogik noch keine Rede sein. Anstelle des objektivierenden Bewusstseins oder immerhin der distanzierenden logischen Reflexion haben wir hier die distanzlose intellektuelle Selbstanschauung eines logischen Quale. Nur andeutungsweise öffnet sich ein feiner Spalt zwischen dem selbstanschauenden Etwas und seinem mitangeschauten Anderen. Oder vielmehr wird das Andere gar nicht mitangeschaut, sondern als ein unzugängliches Anderswo des logischen Raumes ausgegrenzt, das nicht selbst, sondern von dem zunächst nur sein Sein-für-Anderes im Etwas mitangeschaut werden kann. Aber es gibt im zweigeteilten logischen Raum keine Grundlage für eine gehaltvolle Unterscheidung zwischen dem Etwas (=A) und dem Anderen (=B). A und B sind vielmehr strikt ununterscheidbar und insofern identisch; die Zweiteilung des daseinslogischen Raumes ist daher haltlos. Nur vom jeweiligen Standpunkt des A bzw. des B zeigt sich der Anschein eines Unterschiedes: Von A aus gesehen ist A das Etwas, hier im epistemisch zugänglichen Teil des logischen Raumes, und B das Andere, dort

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im abgeschatteten Teil des logischen Raumes, und von B aus gesehen verhält es sich umgekehrt. Solange wir uns auf den Standpunkt des A oder des B stellen, bleibt der Anschein des Unterschiedes also vorerst gewahrt; doch wenn wir uns in Gedanken über A und B erheben, kollabiert er und kollabiert der zweigeteilte logische Raum des Daseins zu dem einen, singulären Endlichen.40 Der Kollaps auch auf den ununterscheidbaren Binnenstandpunkten des A und des B kann freilich nicht mehr lange ausbleiben. Gedacht in reiner Selbstanschauung wird im A qua Etwas das B nur als das Andere überhaupt, und zwar als die ihrerseits verneinte Negation des Etwas. Das Etwas ist noch kein Subjekt, das Andere noch kein Objekt; es zeichnet sich gegenüber dem Etwas nur durch die abstrakte Verneinung (also gar nicht) aus, die im Insichsein, im Ansichsein und in der Bestimmung des Etwas ihrerseits verneint ist. So verhält sich das Etwas in doppelter Verneinung affirmativ gegen sich und zugleich in einfacher Verneinung negativ gegen das im logischen Raum unzugängliche und in ihm, dem Etwas selbst, aufgehobene Andere. Im Etwas ist letzteres aufgehoben, außer dem Etwas besteht es in synchroner qualitativer Verneinung fort. »Aufgehoben« aber hat hier, wie wir inzwischen wissen, nicht mehr bloß die negative, sondern die volle Bedeutung, für die im ersten, einfachen Dasein noch kein Raum war: Das, was im Etwas aufgehoben im Sinne von verneint ist, ist als Verneintes zugleich aufgehoben im Sinn von eingebettet und als unselbständiges Moment aufbewahrt: ein im weiten Sinn Ideelles. Die Idealität ist damit die einfache, daseinslogische Vorform des Seins-für-ein-Bewusstsein und die Realität bzw. das Ansichsein zugleich die daseinslogische Vorform des Unabhängig-vom-Bewusstsein-der-Fall-Seins. (Ideell im engen und strengen Sinn ist das, was ausschließlich als Aufgehobenes, nicht außerdem noch als Selbständiges, Ansichseiendes vorkommt. Das Endliche wird sich als ideell im strengen Sinn erweisen.) Die Crux des Bewusstseins, wie die Phänomenologie gezeigt hat, ist es, dass diese differenten Seiten über viele Bewusstseinsstufen und -gestalten hinweg nicht zur Deckung kommen und dass, wenn sie im absoluten Wissen schließlich doch noch zur Deckung kommen, das Bewusstsein selbst sich auflöst, weil 40

Der Sache nach illustriert wird der zweigeteilte logische Raum des Daseins durch Max Blacks imaginatives Szenarium einer Welt, die aus zwei ununterscheidbaren Kugeln im sonst homogenen (physischen) Raum besteht (Black 1952). Die Subjektivitätsthese, der zufolge endliche, leibliche Subjektivität notwendig zum Raum-Zeit-System gehört, die in Koch (2016), Kapitel 3, begründet wird, könnte durch den Kollaps des logischen Raums des Daseins zum singulären Endlichen also entkräftet erscheinen. Aber dem ist nicht so. Der daseinslogische Raum enthält keine Ressourcen für gehaltvolle, unhintergehbare Alterität und Jemeinigkeit. Die daseinslogische Andersheit ist abstrakt und haltlos, nicht jedoch die konkrete Alterität endlicher Subjekte im physischen Raum-Zeit-System.

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es durch das Bestehen der Differenz ebenso sehr definiert ist wie durch ihr Nicht-bestehen-Sollen. Dieser Widerspruch des Bewusstseins hat seine daseinslogische Grund- und Vorform als der Widerspruch des Endlichen, das sich endlich doch zum Unendlichen erhebt wie das Bewusstsein zum absoluten Wissen. Nur wird der daseinslogische Kollaps samt der nachfolgenden Erhebung von Hegel in sehr viel weniger Schritten nachvollzogen als der bewusstseinslogische, dessen Darstellung die ganze Phänomenologie des Geistes in Anspruch nimmt, weil das Bewusstsein (und nach ihm, in seiner Fluchtlinie, der Geist) ungleich konkreter, reicher und verwickelter strukturiert ist als das endliche Etwas. Außen und Innen, Realität und Idealität, Ansichsein und Aufgehobensein sind im Etwas von Anfang an als identisch erkennbar, zumindest in der Hintergrundlogik, und die Frage ist nur, wie zügig das vordergrundlogische Denken diesen hintergrundlogischen Entwicklungsstand ebenfalls erreicht. Vermutlich ist es vor allem eine Frage der darstellerischen Detailtiefe, wie viele Zwischenstufen eingeschaltet werden. Hegel entscheidet sich in der Seinslogik von 1832 für das msi-Etwas mit (1) seinen Momenten des Ansichseins und des Seins-für-Anderes, (2) den Nachfolgermomenten der Bestimmung und Beschaffenheit, (3) der Grenze, in der beide Momente zusammenfallen, (4) dem Endlichen in seinem Prozess von Sollen und Schranke und (5) der Erhebung des Endlichen zum Unendlichen. Dass die Entwicklung auch kürzer – und mit abweichender Begriffsfolge – skizziert werden kann, zeigen andere Versionen der Logik (die erste Auflage der Seinslogik von 1812 sowie die enzyklopädischen Varianten), und dass es andererseits ausführlicher ginge, darf man ohne weiteres vermuten. Wichtig für die Entwicklung der Vordergrundlogik ist nur, dass alle Wege, die abkürzenden und die längeren, zum gleichen Resultat, nämlich zum Unendlichen führen. Dass die Analysetiefe sich hier als wählbar erweist, lässt erwarten, dass es sich anderswo ähnlich verhält, etwa mit der logischen Form des Urteils, die im Urteilskapitel der Begriffslogik zu konventionell gemäß der Struktur der Kantischen Urteilstafel abgehandelt wird, als dass man nicht mit der Möglichkeit weiterer Einteilungen rechnen sollte.41 So werden wir davor gewarnt, uns das Logische zu starr und zu schematisch vorzustellen oder anzunehmen, es ließe sich durch eine kanonische Ausdrucksweise wie die der mathematischen Logik in eine allgemeinverbindliche und luzide Form 41

Es geht dort ja darum, dass nach dem Selbstverlust des Begriffs bzw. seiner Ur-Teilung in zwei Termini als deren Kopula zunächst wieder das ganz einfache Dasein, dann die Reflexion, dann die Substanz und schließlich der wiedergefundene Begriff fungiert. Die Logik selber ist also der Fundus, aus dem beliebig viele Zwischenstufen der Kopula auf dem Weg vom Dasein zum Begriff geschöpft werden könnten.

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bringen. Schon die Vorstellung der prädikativen Form oder des Elementarsatzes dürfte an der Komplexion der logischen Phänomene weit vorbeigehen. Wittgenstein hat in allmählicher Abwendung von seiner Frühphilosophie unablässig auf diesen Punkt gewiesen. Aber aus dem Gesagten folgt nicht, dass sich die logische Grammatik der Sprache nur durch mühsames Botanisieren, geduldiges Beschreiben von vielerlei miteinander verwobenen Sprachspielen in Überblick bringen ließe. Wenn Hegel recht hat, geht es auch a priori, und dies im strengsten Sinn des Wortes, nämlich in einem reinen, voraussetzungslosen Denken, dessen Darstellung man beinahe beliebig fein ziselieren kann. Was also, nach alledem, ist das Endliche, im logisch-terminologischen Sinn des Wortes? Es ist, zunächst ganz vage und allgemein gesprochen, der logische Raum auf einer bestimmten Entwicklungsstufe, und zwar näher derjenigen, auf der er durch sich selbst dem Vergehen anheimgegeben ist, aber in seinem tatsächlichen Vergehen neu als ein Endliches derselben Stufe entsteht, immer wieder, wie ein logisches Stehaufmännchen, so dass das Vergehen des Endlichen seinerseits unvergänglich und unendlich zu sein scheint. Der endliche logische Raum weist ständig über sich hinaus und wird doch ständig wieder auf sich zurückgeworfen – in einer endlosen Dialektik; derjenigen von Sollen und Schranke, um die operativen Hegelschen Termini ins Spiel zu bringen. Das Sein-für-Anderes als identisch mit dem Ansichsein ergab die Bestimmung, von der es sich als Beschaffenheit erneut abtrennte. Im Etwas oder A ist das Andere oder B aufgehoben, ein bloßes Moment, hat B also kein Ansichsein, sondern nur ein Sein-für-A; zugleich hat B dieses In-A-aufgehoben-Sein oder Sein-für-A auch an ihm selbst als seine Beschaffenheit. (Die Beschaffenheit einer Sache, um es noch einmal eigens zu betonen, ist ihr Sein-für-Anderes, sofern dieses nicht in einem Anderen, sondern an ihr selbst vorkommt, also zum Beispiel das phänomenale Grün einer Wiese, das wir ihr selber zuschreiben, im Unterschied zu dem – selben – phänomenalen Grün, das wir einem Subjekt, das die Wiese wahrnimmt, als seinen sensorischen Zustand zuschreiben. Letzteres wäre das Sein-für-Anderes der grünen Wiese.) Wie B in A, so ist auch umgekehrt A in B aufgehoben und hat, sofern es Moment in B ist, kein Ansichsein, sondern nur Sein-für-B, das zugleich an A als dessen Beschaffenheit vorkommt. Auch ihrem Ansichsein bzw. ihrer Bestimmung nach sind A und B ununterscheidbar. Es ist also nur die eine, gemeinsame Grenze, die sie jeweils als Beschaffenheit an ihnen selbst haben und kraft deren sie jeweils für das je andere sind; und diese Grenze ist dem logischen Inhalt nach von ihrer beider einen und gleichen Bestimmung nicht zu unterscheiden. So ist die Grenze, die zunächst A und B trennt und zu-

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gleich verbindet, die neue Qualität des einen Endlichen, zu dem A und B nun zusammengefallen sind. Etwas und Anderes stehen nicht mehr synchron im logischen Raum nebeneinander, sondern das endliche Etwas verändert sich bzw. vergeht (für ein Quale läuft dies auf dasselbe hinaus) und wird zu einem anderen Endlichen, das seinerseits vergeht, und so weiter ins Endlose. Die Grenze des Endlichen, seine paradoxale Qualität, wird in seinem Vergehen von seinem Nachfolger-Endlichen überschritten und heißt – als so überschrittene und verneinte – seine Schranke. Die Überschreitung erfolgt auf die wahre Bestimmung des Endlichen hin, der zufolge es nicht nur als Einzelfall, sondern auch als Endliches vergehen müsste; sie erfolgt, heißt das, mit Blick auf das Unendliche. Aber statt des Unendlichen stellt sich nur ein neuer Einzelfall des Endlichen ein, die wahre Bestimmung des Endlichen wird nicht erreicht, sondern bleibt ein Jenseits und – aus diesseitiger Perspektive – ein Sollen. Wie das Werden und das Endliche wird auch das Sollen durch die offene Kontradiktion von Sein und Nichtsein konstituiert. Der Widerspruch des Werdens hatte zur Folge, dass der »Satz« (in Wahrheit Ursachverhalt) des Werdens als Augenblickssatz und das Werden als instantan selbstzerstörerisch zu denken war, als am Dasein qua stabilem Nachfolger zerschellend. Das Endliche zerschellt auch, aber als logisches Stehaufmännchen in einem permanenten Sollen, in welchem das Denken nicht zur Ruhe kommt, weil der stets reaktivierte Widerspruch weitertreibt, ohne dass ein konsistentes und stabiles Negativ (das Un-Endliche) erreicht würde. Hegel macht sich ein Vergnügen daraus, den für Kants deontische Ethik und Postulatenlehre und für Fichtes frühe Wissenschaftslehre zentralen und weitgehend affirmativ besetzten Begriff des Sollens als selbstwidersprüchlich zu entlarven. In der Kinetik des Sollens, könnte man zugunsten Kants und Fichtes versucht sein zu sagen, liegt das affirmative Andere zum Widerspruch des Endlichen. Aber ungerührt würde Hegel antworten, dass die Kinetik des Sollens gerade Ausdruck des Widerspruchs – unruhiges, übergehendes, nie ankommendes Denken – ist; und so, wie sich die Lage in logischer Abstraktion darstellt, hat er recht. Allerdings bewegen sich Kant und Fichte nicht in der Sphäre der reinen, logischen Abstraktion, sondern in der Theorie der praktischen Subjektivität. Für die Kritik ihrer konkreteren Resultate ist daher mit dem Nachweis der Inkonsistenz der abstrakt-logischen Bestimmung des Sollens noch nichts Endgültiges gewonnen; wie auch mit der zutreffenden Bemerkung, dass keine Philosophie sich mit dem abstrakt-logischen Endlichen wird abfinden können, noch nichts Endgültiges für eine Kritik der Philosophie der Endlichkeit (etwa des hermeneutischen Realismus) gewonnen ist. Davon, dass sich außerhalb des Abstrakt-Logischen neue, konkretere Möglichkei-

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ten der Steuerung der logikintern erzeugten Inkonsistenz ergeben, zeugt im Übrigen Hegels eigene Realphilosophie. Diese lässt auch, gleich anfangs bei der Behandlung von Zeit, Ort und Bewegung, erkennen, dass, wie zuvor im Werden und in der Veränderung, so abermals im endlosen Prozess des Sollens und der Schranke ein Wesenszug der Zeit logisch vorgezeichnet wird (Enzyklopädie, GW 20, §§ 257–261). In der unendlichen Folge nämlich der eins das andere verneinenden Endlichen hat jedes von ihnen einmal das flüchtige Privileg, das triumphierende, gerade noch nicht verneinte zu sein, bevor auch es verneint und als Schranke überschritten wird – das logische Urbild der Flüchtigkeit des Jetzt in der Abfolge der Zeitpunkte. Zeitpunkte sind Grenzen und, sofern sie überschritten werden, Schranken zwischen den Zeiten, das Jetzt die Grenze und Schranke der Vergangenheit hin zur Zukunft und zu deren offenem Sollen. Aber das jedesmalige Jetzt hat keinen Bestand und kein Verweilen und kann sich nicht zur Gegenwart dehnen, sondern wird, indem es seinen Vorgänger überschreitet, selbst schon wieder von seinem Nachfolger überschritten. Gleichsam orthogonal zu der Zeitlinie dieses rastlosen Vergehens mit ihrer in das Sollen und die Zukunft stetig weiterwandernden Jetzt-Schranke müsste sozusagen von oben die Gegenwart als Sprössling des Unendlichen und Ewigen hereinbrechen, wenn es denn je zu einer Gegenwart auf der Zeitlinie sollte kommen können. Dass es de facto immer schon zu so etwas wie einer Gegenwart gekommen ist im rastlosen Fluss der Zeit, wissen wir; wie dies aber möglich ist, ist mindestens so schwer zu begreifen wie die Möglichkeit des Übergangs des Endlichen ins Unendliche. Letzterer findet letztlich doch noch statt, und zwar wie folgt. In der endlosen Folge der immer gleichen Endlichen hat jedes einen Nachfolger, bleibt mithin keines unverneint. Wenn wir die unendlich vielen Einzelverneinungen in Gedanken zu einer Generalverneinung sammeln, erhalten wir die unendlichstellige Entsprechung der multigraden Verneinung (-----W)(ξ,….), kürzer: N(ξ,….), die Wittgenstein im Tractatus als einzige Wahrheitsoperation an Elementarsätzen einführt: »Diese Operation verneint sämtliche Sätze in der rechten Klammer, und ich nenne sie die Negation dieser Sätze« (LPA 5.5 und 5.502). Ihre Steigerung ins Unendlichstellige ist im gegebenen Fall erlaubt, weil die unendlich vielen Operanda hier ebenso sehr nur ein einziges Operandum sind, so dass die Generalverneinung der unendlich vielen Endlichen von einer Einzelverneinung des singulären Endlichen gar nicht sachlich zu unterscheiden ist. Denn der Widerspruch des Endlichen besteht ja darin, dass das Endliche mit seiner Verneinung logisch äquivalent und qua Ursachverhalt identisch ist, dass also gilt: »e ↔ ~e«, und zugleich: »e = ~e«. In der unendlichen Folge: e 0, e1, e2 , e3, …, in der jeder Nachfolger sowohl die

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Verneinung seines Vorgängers als auch mit diesem äquivalent bzw. identisch ist, ist also auch die Verneinung jedes Gliedes identisch mit der Verneinung jedes anderen. Die Generalverneinung, N(…), der vielen Endlichen, nennen wir sie die unendliche Verneinung, ist daher nur virtuell unendlichstellig, in der Sache aber einstellig, und führt (auch aus diesem Grunde schon) zu einem einheitlichen, wohlbestimmten Resultat, dem singulären Unendlichen, U, für das gilt: U ↔ N(e 0, e1, e2 , e3, …) ↔ N(e, ~e, ~~e, ~~~e, …), bzw., da U ein Ursachverhalt ist, ebenso: U = N(e 0, e1, e2 , e3, …) = N(e, ~e, ~~e, ~~~e, …). So werden die vielen Endlichen nachträglich durch ihre unendliche Verneinung zu dem singulären Endlichen als einem einheitlichen Gegensachverhalt des Unendlichen zusammengezogen, wodurch das Unendliche im Gegenzug allerdings zum bloßen Anderen des Endlichen herabgesetzt und wieder verendlicht wird. Darüber mehr im nächsten Abschnitt. Die Logik ist permanente logische Gefahrenabwendung und Katastrophenbewältigung; kaum hat sie den Widerspruch mühsam besiegt, erwächst er ihr in anderer Gestalt aufs Neue. Sie gleicht darin übersteigerten Actionfi lmen, die ihrem Helden im Kampf gegen das Böse keine Erholung gönnen, wohl, weil die verantwortlichen Filmemacher das Konzentrationsvermögen des Publikums oder ihre eigene narrative Kompetenz oder beides sehr gering veranschlagen. Der große Homer hingegen sang für anspruchsvolle Rezipienten und durfte, ohne um ihre Aufmerksamkeit fürchten zu müssen, seinen Helden nach überstandenen Abenteuern Zeit zum Feiern gewähren. Die Vordergrundlogik, wie gesagt, entwickelt sich wie ein Actionfi lm und gibt dem Denken keine Ruhe. Aber in der Hintergrundlogik haben wir die Freiheit, nach einer geglückten Widerspruchsbewältigung auch einmal innezuhalten und das Gelingen zu genießen. Auch zurückzublicken auf frühere Widerfahrnisse: etwa den virulenten Widerspruch des Nicht-Seins, dem wir mit der Einführung der logischen Augenblickswahrheit des Werdens beikamen, und den schleichenden Widerspruch des Daseins, der schließlich doch wieder virulent wurde und sich im Anderen seiner selbst zu einer unfundierten, zirkulären Verneinung von der Art der Lügnerantinomie aufbaute und verdichtete. Wir behalfen uns, indem wir ihn in doppelter Einseitigkeit in die unfundierte, zirkuläre Affirmation: das msi-Etwas, und dessen einfache Verneinung: das Andere, zerlegten und ihn selber, unzerlegt, als fortwährendes Verändern und Außersichkommen an den äußersten Rand des Etwas (und seines Anderen) relegierten. Von dort

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Anton Friedrich Koch . Die Qualität

kehrte er über wenige Zwischenschritte ins Zentrum zurück in Gestalt des Endlichen, dessen Qualität seine Grenze war und dessen Vergehen nicht vergehen wollte. Doch wie Achilles die Schildkröte eigentlich nicht überholen kann, weil ihr Vorsprung in unendlich vielen immer kleiner werdenden Zeitintervallen nicht auszugleichen ist, und sie trotzdem überholt, so sprang das reine Denken über den endlosen Prozess von Sollen und Schranke eben doch hinaus, und das scheinbar immerwährende Vergehen des Endlichen verging; »das Andere des Endlichen« wurde erreicht, und »jenes Andere ist das Unendliche« (GW 21, 124 = TW 5, 149). – Zeit also, um mit Hegel zu feiern: »Das Unendliche kann […] als eine neue Definition des Absoluten angesehen werden; es ist als die bestimmungslose Beziehung auf sich gesetzt als Seyn und Werden. Die Formen des Daseyns fallen aus in der Reihe der Bestimmungen, die für Definitionen des Absoluten angesehen werden können, da die Formen jener Sphäre für sich unmittelbar nur als Bestimmtheiten, als endliche überhaupt, gesetzt sind.« (GW 21, 124 = TW 5, 149)

Die Denkbestimmungen sind zwar Ursachverhalte, keine Prädikate. Aber es ist ein Kinderspiel, sie aus der logischen Tonart der Ursachverhalte in die der Prädikate zu transponieren – wie ja auch nach Platon jeder gediegen vollständigen Idee ein ungesättigtes Prädikat gleichen Inhalts entsprechen soll, etwa dem Guten selbst das Prädikat »(…) ist gut«. In der Rolle ungesättigter Prädikate fehlt den Denkbestimmungen dann freilich ein logisches Subjekt zum vollständigen Gedanken. Es findet sich an der Subjektattrappe »das Absolute«, und daher darf man sagen, die Denkbestimmungen seien – konkurrierende, sukzessiv auftretende – Definientia des Absoluten. Das unmittelbare Sein war so gemeint, und das Werden war der zweite Definitionsvorschlag. Im Dasein verendlichte sich dann der logische Raum, und ein endlicher logischer Raum weist über sich hinaus und kann nicht für das Absolute gelten. Jetzt aber ist dieser Mangel geheilt: Der absolute logische Raum ist das Unendliche. Und so stimmen wir in Hegels verhaltenen Jubel ein: »Das Unendliche ist, [und ist sogar gesetzt als Sein – wie auch als Werden, siehe oben; A.K.] und in intensiverem Sinn als das erste unmittelbare Seyn; es ist das wahrhafte Seyn; die Erhebung aus der Schranke. Bey dem Nahmen des Unendlichen geht dem Gemüth und dem Geiste sein Licht auf, denn er ist darin nicht nur abstract bey sich, sondern erhebt sich zu sich selbst, zum Lichte seines Denkens, seiner Allgemeinheit, seiner Freyheit.« (GW 21, 125 = TW 5, 150)

Das Unendliche

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Die Selbsterhebung und das Licht des Denkens, seine Allgemeinheit und Freiheit weisen weit voraus in die Begriffslogik, und auf dem Weg dorthin sind noch viele logische Abenteuer zu bestehen. Der Jubel über die Erhebung des Denkens zum Unendlichen währt denn auch nicht lange; denn alsbald droht neues Ungemach.

8. Das Unendliche Das Unendliche, kaum erreicht, fällt »in die Kategorie des Etwas mit einer Grenze« zurück, weil es als seiend das »Nichtseyn eines Andern«, also ein bestimmtes Etwas ist, näher ein solches, dessen Bestimmtheit kraft unfundierter Negation aufgehoben und das daher in sich reflektiertes Etwas mit der paradoxalen Qualität der Grenze ist (GW 21, 126 = TW 5, 151): »Das Endliche steht nach dieser Bestimmtheit dem Unendlichen als reales Daseyn gegenüber; so stehen sie in qualitativer Beziehung als aussereinander bleibende; das unmittelbare Seyn des Unendlichen erweckt das Seyn seiner Negation, des Endlichen wieder, das zunächst im Unendlichen verschwunden schien.«

Solche Rückfälle treten im Fortgang der Logik ein, wenn das Profi l einer neu ins Spiel kommenden Form der Verneinung noch unterbestimmt ist. Hier handelt es sich um die unendliche Gesamtverneinung der Endlichen im Prozess von Sollen und Schranke. Zu Beginn der Wesenslogik wird es sich um eine erforderte Generalverneinung des logisch ewigen Seins handeln; und dass selbst der Begriff, kaum gewonnen, sich wieder verliert und sich an den Polen des Urteils als Etwas und Anderes, Subjekt und Prädikat, gegenübertritt, könnte ebenfalls mit einer neuen, diesmal begriffstypischen Form der Verneinung zusammenhängen (was zu prüfen wäre). Im Fall des Unendlichen haben wir als Ausgangsbasis die Endlichen im Prozess von Sollen und Schranke, die in der Schwebe zwischen Einheit und Vielheit bleiben – einerseits sind sie viele, andererseits sind alle einander gleich. Sie bilden daher noch keinen echten, sondern bloß virtuellen Progress ins Unendliche. Durch ihre Gesamtverneinung, in der ihr jeweils eigenes Verneintwerden zusammengefasst wird, löst sich die Schwebe zugunsten der Einheit auf, und indem damit der neue Ursachverhalt des Unendlichen erreicht wird, vereinigen sich ihm gegenüber die vielen Endlichen zum singulären Gegensachverhalt des einen Endlichen. So wird das Unendliche selbst verendlicht und herabgesetzt zum Schlecht-Unendlichen, einem begrenzten

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Anton Friedrich Koch . Die Qualität

Etwas, dem das einfache Endliche als begrenztes Anderes gegenübersteht. Diese beiden Endlichen sind es nun, die in den Prozess von Sollen und Schranke zurückgeraten, doch sind sie, anders als die vielen Endlichen vor ihnen, unterschiedlich bestimmt: zum einen als endliches Unendliches und zum anderen als (endliches) Endliches. So wird der Prozess zu einer endlosen Wechselbestimmung und ob des Wechsels zu einem nunmehr veritablen, und zwar dem (logisch veritablen) Progress ins Unendliche. Halten wir kurz inne und orientieren uns noch einmal, um den hier wichtigen Gedanken der Unfundiertheit präzise zu fassen, an mengentheoretischen Verhältnissen. Jede Menge lässt sich durch einen erreichbaren gerichteten Graphen darstellen.42 Ein solcher Graph besteht aus Knoten und gerichteten Kanten, die die Knoten verbinden und die sich zu längeren Pfaden summieren können, und dies alles so, dass von einem einzigen Ausgangsoder Wurzelknoten aus alle anderen Knoten des Graphen über Kanten und Pfade erreichbar sind. Solche Graphen können bei geeigneter Etikettierung (der Knoten durch Mengen) zur Darstellung von Mengen benutzt werden. Von Knoten wollen wir dann sagen, dass sie Mengen vertreten, von Graphen, dass sie Mengen darstellen, nämlich ihren Aufbau nachzeichnen. In einer mengentheoretischen Etikettierung vertritt der Wurzelknoten eines erreichbaren gerichteten Graphen die von dem Graphen dargestellte Menge, die Kanten stehen für die Elementschafts-Beziehung und die übrigen Knoten vertreten die Mengen in der ∈-Nachkommenschaft der Ausgangsmenge. Die leere Menge wird diesen Vereinbarungen zufolge durch einen Graphen dargestellt, der aus einem einzigen Knoten besteht, der die leere Menge zugleich auch vertritt und von dem daher keine Kanten abführen.



0

Ein Graph, der aus zwei Knoten und einer Kante besteht, stellt die Einermenge der leeren Menge dar; vom Wurzelknoten wird sie hier vertreten, der Endknoten der Kante vertritt die leere Menge. In entsprechender Weise lässt sich auch die Einermenge der Einermenge der leeren Menge darstellen (usw.):

•→• •→•→• •→•→•→•

{0} {{0}} {{{0}}}

So weit haben wir es mit fundierten Mengen, und zwar in unseren Beispielen ausschließlich mit fundierten Einermengen, zu tun. Nun gehen wir zu einer unfundierten Menge über und betrachten einen Graphen, der einen 42

Vgl. Aczel (1988).

Das Unendliche

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Wurzelknoten hat, von dem ein einziger, unverzweigter, unendlich langer Pfad abführt:

•→•→•→•→… Ersichtlich stellt a) dieser Graph eine Einermenge dar und vertritt b) jeder seiner unendlich vielen Knoten seinerseits eine Einermenge, nämlich stets diejenige selbe, die schon der Wurzelknoten (ganz links) vertritt, also diejenige Einermenge, deren Element diejenige Einermenge ist, deren Element, diejenige Einermenge ist, deren Element (…), und so weiter – was darauf hinausläuft, dass der betreffende Graph die Einermenge ihrer selbst, Ω, darstellt. Eine äquivalente Darstellung von Ω gibt ein unmittelbar zirkulärer Graph, bestehend aus einem einzigen Knoten und einer kurzen Schleife, d. h. einer gekrümmten Kante, die vom Knoten zu ihm zurückführt; unbegrenzt viele äquivalente Zwischenformen der Darstellung durch Graphen mit weiteren und engeren (ein-, zwei-, dreigliedrigen usw.) Schleifen sind möglich, ebenso redundante Verzweigungen. Hier einige Beispiele:

•→•→•→•→… • • Wechselwirkung -> Begriff Objektivität -> Teleologie -> Idee

Die Art und Weise, in der Hegel den Bogen von der Substanz über die Wechselwirkung zum Begriff spannt, kann als Blaupause für die wichtigste Aufgabe dieses Kommentars dienen, nämlich aufzuzeigen, wie Hegel vom anfänglichen Objektivitätsbegriff zur inneren Zweckmäßigkeit der Idee gelangt. Die Beziehung von Ursache und Wirkung lässt sich (und wird oft) in die Sprache der Konditionalaussagen übertragen. So lässt sich Wechselwirkung als eine Beziehung gegenseitiger Bedingung denken. In der Wechselwirkung sind Ursache und Wirkung nicht voneinander unabhängig, sondern die Ursache wird zur Wirkung bzw. »die Aktion einer Ursache wird zur Reaktion« (§ 156 / Werke 8, 301). In der enzyklopädischen Logik führt Hegel zur Erläuterung dieser gegenseitigen Bedingung das Beispiel der Sitten und der Verfassung eines Volkes an: »So wird z. B. bei geschichtlichen Betrachtungen zunächst die Frage verhandelt, ob der Charakter und die Sitten eines Volkes die Ursache seiner Verfassung und seiner Gesetze oder ob dieselben umgekehrt deren Wirkung seien, und es wird dann dazu fortgeschritten, diese beiden, Charakter und Sitten einerseits und Verfassung und Gesetze andererseits, unter dem Gesichtspunkt der Wechselwirkung aufzufassen, dergestalt, dass die Ursache in derselben Beziehung, in der sie Ursache, zugleich Wirkung und dass die Wirkung in derselben Beziehung, in der sie Wirkung, zugleich Ursache ist« (§ 156 Z / Werke 8, 301)

Diese wechselseitige Abhängigkeit lässt sich als ein Paar kontrafaktischer Konditionalaussagen formulieren: »Wenn sie andere Sitten hätten, dann

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Dean Moyar . Die Objectivität

hätten sie eine andere Verfassung« und »Wenn sie eine andere Verfassung hätten, dann hätten sie andere Sitten.« Die Bedingtheit ist beiderseitig und rückt die wechselseitige Abhängigkeit von Ursache und Wirkung in den Vordergrund. Auch wenn er darin einen Fortschritt gegenüber dem Modell interagierender Substanzen sieht, kritisiert Hegel, dass die Beziehung zwischen den beiden Seiten »verborgen«, also unerklärt bleibt. Inwiefern nun ist diese Wechselwirkung ein Fortschritt gegenüber dem Substanz-Modell? Sie bildet den Übergang von der Notwendigkeit kausal interagierender Substanzen zur Freiheit des Begriffs. Der Fortschritt besteht darin, dass die Substanz nicht mehr einfach als ursprünglich gegeben und somit von ihren Wirkungen getrennt betrachtet wird. Wenn die Substanz wirklich Ursache ihrer selbst sein soll, dann muss sie sowohl mit der Ursache als auch mit der Wirkung identifi ziert werden. Dies jedoch scheint der Behauptung, die Substanz sei ursprünglich, zu widersprechen. Hegel argumentiert, dass die Unzulänglichkeit der Spinozistischen Substanz in ihrer »inneren Notwendigkeit« liegt und behauptet, dass der Schritt hin zum Begriff das Innere manifestiere. Hegel beschreibt »die Enthüllung der Substanz« (GW 12, 15) in einer Art und Weise, die den manifesten Charakter der daraus entstehenden Freiheit ebenso betont wie den Holismus der Bestimmungen im gegenseitigen Bedingen. Er schreibt: »Die Einheit der Substanz ist ihr Verhältniß der Nothwendigkeit; aber so ist sie nur innre Nothwendigkeit; indem sie durch das Moment der absoluten Negativität sich setzt, wird sie manifestirte oder gesetzte Identität, und damit die Freyheit, welche die Identität des Begriffs ist. Dieser, die aus der Wechselwirkung resultirende Totalität, ist die Einheit der beyden Substanzen der Wechselwirkung, so daß sie aber nunmehr der Freyheit angehören, indem sie nicht mehr ihre Identität als ein blindes, d. h. innerliches, sondern daß sie wesentlich die Bestimmung haben, als Schein oder Reflexionsmomente zu seyn […].« (GW 12, 15)

Alles wird gesetzt, offenbar gemacht, doch es wird dadurch nicht der resultierenden Totalität äußerlich. Der wichtigste Unterschied zu Spinoza ist somit der Gegensatz von undurchsichtiger Innerlichkeit und manifester Selbstbezüglichkeit des Begriffs. Die Identität ist nicht länger blind, stattdessen sind Ursache und Wirkung nun »Reflexionsmomente«. Die Kategorie der Freiheit ist somit sowohl Funktion der Einheit der Beziehung eines in sich geschlossenen Ganzen als auch Setzung oder Manifestierung dieser Beziehung durch die begriffliche Struktur Allgemeinheit – Bestimmtheit – Einzelheit. Hegel ist der Ansicht, dass Spinozas Anspruch,

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die Substanz sei »Ursache ihrer selbst« nur im Begriff wirklich eingelöst werden kann, denn nur im Begriff wird die Einheit von Ursache und Wirkung verständlich. Dies beschreibt Hegel in der Folge als eine Art Transparenz: »Die Dunkelheit der im Causalverhältnisse stehenden Substanzen für einander ist verschwunden, denn die Ursprünglichkeit ihres Selbstbestehens ist in Gesetztseyn übergegangen und dadurch zur sich selbst durchsichtigen Klarheit geworden; die ursprüngliche Sache ist diß, indem sie nur die Ursache ihrer selbst ist, und diß ist die zum Begriffe befreyte Substanz« (GW 12, 16).

Die Aussage hier ist, dass die »Ursprünglichkeit ihres Selbstbestehens«, die rohe Ursprünglichkeit von Spinozas Substanz, im Begriff gesetzt wird, und zwar in dem Sinne, dass der Begriff eine Reihe von Bestimmungen hervorbringt oder bewirkt, die das konstituieren, was Substanz eigentlich ist. Aus Spinozas »Ursache ihrer selbst« wird Hegels selbstbewegter Begriff, der seinen eigenen Inhalt hervorbringt, also im Durchgang durch Urteil und Schluss seine eigene Objektivität produziert. Insoweit in der gegenseitigen Bedingtheit jede Seite jeweils auf die andere angewiesen ist, gibt es kein ursprüngliches, unbedingtes Element abseits seiner Wirkungen. In seinem Versuch, Freiheit als Selbstbestimmung zu verstehen, wird Hegel den Begriff als zugleich selbstursächlich, selbstveräußerlichend (und damit in der Negierung seiner eigenen Ursprünglichkeit selbstnegierend) und sich mit seinen Wirkungen erneut identifizierend durchdenken müssen. Der Begriff muss in der Lage sein, die Bedingungen seiner eigenen Verwirklichung zu setzen, wobei diese Verwirklichung die Negierung oder Konditionierung seines ursprünglichen Charakters und eine erneute Identifi kation mit sich selbst in seiner veränderten Verwirklichung beinhaltet3. Und genau so beschreibt Hegel, wie wir im dritten Abschnitt sehen werden, innere Zweckmäßigkeit. Doch alle anderen Schritte gehen, wenn auch oft im Dunkeln, ebenfalls in diese Richtung. Hegel beschreibt den Übergang zum Begriff als einen Schritt von der Notwendigkeit zur Freiheit und merkt an, die einzige Veränderung bestehe darin, dass die vormals »dunkle« Notwendigkeit nun verständlich geworden sei. Dies haben einige Kommentatoren zum Anlass genommen, in Hegels 3

Diesen Schritt beschreibt er in der enzyklopädischen Logik folgendermaßen: »Der Verlauf der Substanz durch die Kausalität und Wechselwirkung ist daher nur das Setzen, dass die Selbständigkeit die unendliche negative Beziehung auf sich ist, – negative überhaupt, in der das Unterscheiden und Vermitteln zu einer Ursprünglichkeit gegeneinander selbständiger Wirklichen wird, – unendliche Beziehung auf sich selbst, indem die Selbständigkeit derselben eben nur als ihre Identität ist« (§ 157 / Werke, 8, 302–303).

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Dean Moyar . Die Objectivität

Begriff im Grunde eine Übertragung von Spinozas Substanz in ein subjektiv ausgerichtetes Wissen zu sehen. Diese Behauptung mag auf den ersten Blick plausibel erscheinen, einer genaueren Untersuchung aber hält sie, wie zu sehen sein wird, nicht stand. Zwar glaubt Hegel tatsächlich, dass Notwendigkeit und Freiheit vereinbar sind, doch im entscheidenden Schritt − wenn nämlich die Notwendigkeit des Mechanismus in der Freiheit der Teleologie aufgegriffen wird − verteidigt Hegel die Überlegenheit des Zwecks über den Mechanismus und widerspricht somit einer Spinozistischen Grundannahme. In der Vorlesungsmitschrift zum Übergang illustriert Hegel seine Version der Notwendigkeit und ihre Verknüpfung mit dem Inferentialismus im Hinblick auf Verbrechen und Strafe4. Das Einzelne (ob Person oder Ding) unterliegt der Notwendigkeit, aber in der Transparenz des Begriffs wird diese Notwendigkeit zu einer Art Freiheit. Im »Prozess der Notwendigkeit« erfuhr man, dass die aufeinander bezogenen Gegenstände »nur Momente eines Ganzen sind, deren jedes in der Beziehung auf das andere bei sich selbst ist und mit sich selbst zusammengeht« (§ 158 Z / Werke 8, 303). Die Freiheit dieses »bei sich selbst«-Seins wird am deutlichsten in der Notwendigkeit und Freiheit von Strafe: »Ein Verbrecher, welcher bestraft wird, mag die Strafe, die ihn trifft, als eine Beschränkung seiner Freiheit betrachten; in der Tat ist jedoch die Strafe nicht eine fremde Gewalt, der er unterworfen wird, sondern nur die Manifestation seines eignen Tuns, und indem er dies anerkennt, so verhält er sich hiermit als ein Freier« (§ 158 Z / Werke 8, 304).

Im Wissen um Folgendes ist der Einzelne frei: Wenn ich die Handlung X ausführe, unterliege ich der Bestrafung Y gemäß dem Gesetz Z. Die Handlung ist also in ein System gesetzlich definierter und gerichtlich beurteilter Straftaten und Strafen eingebettet. Dieses ganze System ist gewissermaßen in meinem Willen, einem innerhalb dieses rechtlichen Zusammenhangs freien Willen, enthalten. Als freier Einzelner zu handeln ist also ein Handeln im Kontext eines gesamten Netzwerks von Konditionalaussagen, deren Verbindlichkeit der der Notwendigkeit entspricht. Meine eigene Allgemeinheit ist (wenn auch nicht allein) dasjenige, das mir in diesem System beheimatet zu sein erlaubt, es mir ermöglicht, in ihm Bewahrer und Ausdruck meiner Freiheit zu sehen. So wie im Begriff des freien Willens die Quelle seiner eige4

Dieses Beispiel taucht auch an einer anderen prominenten Stelle auf, nämlich in der »Verkehrte Welt«-Episode der Phänomenologie des Geistes.

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nen Bestrafung liegt, ist der Begriff allgemein Quelle seiner eigenen Bedingungen5. Schlüsse besitzen Notwendigkeit, sei es dank der Gesetze der Natur oder dank der von Menschen gemachten. Die Welt ist in ihrer Gesetzmäßigkeit frei, insofern Gesetze sich in und durch Objekte manifestieren. Auch die Teleologie hat innere Gesetze oder Prinzipien, aber die zweckmäßige Handlung eines einzelnen freien Willens ist so angelegt, dass sie den Gesetzen selbst zuwiderlaufen kann (ein Punkt, den Hegel in seiner Diskussion von »Schicksal« in »Der Mechanismus« thematisiert). Am Schluss der »Objektivität« kommt dieses dynamische Element des hegelschen Inferentialismus endlich in den Blick, aber sein Verweis auf den Verbrecher legt schon gleich zu Anfang nahe, dass (und wie) freie Handlung und Notwendigkeit vereinbar sind und dass im dynamischen Zusammenspiel von Allgemeinem und Einzelnem der Schlüssel zu seinem Inferentialismus zu finden sein wird.

1.1.2 Kantische Objektivität und logische Wahrheit Ohne den Rückgriff auf Fichtes Weiterentwicklung des kantischen Idealismus ist Hegels plötzlicher Wechsel von einer Spinoza-Kritik zu einer Besprechung des Selbstbewusstseins bei Kant nur schwer nachvollziehbar6. Fichte hatte die Wechselbestimmung (eine allgemeinere Struktur wechselseitiger Bedingung als die Wechselwirkung) zu seinem wichtigsten dialektischen Instrument gemacht und zu zeigen versucht, dass im System der Freiheit des transzendentalen Idealismus die Ableitungen mit größerer Strenge ausgeführt würden als in Spinozas Ethik. Es gab zwar schon in der Kritik der reinen Vernunft verdeckte Hinweise auf eine solche Ableitung, aber erst Fichte, aufbauend auf Reinhold, setzte das Projekt der Ableitung des Ich ausführlich auseinander. Bei Hegel wird der Einfluss Fichtes deutlich, wenn er sich, unmittelbar nach einer Würdigung des »ursprünglich-synthetische[n]« Charakters der Einheit der Apperzeption als »Wesen des Begriffs«, Kants Diskussion der Konstituierung von Objekt und »objektiver Gültigkeit« 5

Im § 160 Z verteidigt Hegel seine Verwendung des »Begriffs« mit einem Beispiel gegen den Vorwurf, er weiche von der gewöhnlichen Auffassung des »bloßen Begriffs« ab. Das Beispiel ist der Begriff des Eigentums: Das systematische Eigentumsrecht folgt aus dem Eigentumsbegriff. Zwar ist es nicht ganz so, als beinhalte Eigentum quasi-analytisch die zu seiner Sicherung nötigen Gesetze, dennoch kann sich der Begriff ohne diese Gesetze nicht verwirklichen. 6 Die Bedeutung der Kantischen Apperzeption und Fichtes Ausarbeitung dieses Themas ist von Pippin (1989) überzeugend dargestellt worden. Der hier gewählte Ansatz knüpft insbesondere an Pippins Betonung des Hegelschen Bestehens auf der Autonomie des Denkens an. Vgl. Pippin (1989), S. 232 f.

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Dean Moyar . Die Objectivität

mittels der der Mannigfaltigkeit durch den Begriff auferlegten Einheit zuwendet. »Folglich ist diese Einheit des Bewußtseyns dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objective Gültigkeit ausmacht, und worauf selbst die Möglichkeit des Verstands beruht. Kant unterscheidet die subjective Einheit des Bewußtseyns hievon, die Einheit der Vorstellung, ob ich mir eines Mannichfaltigen als zugleich oder nach einander bewußt bin, was von empirischen Bedingungen abhänge. Die Principien dagegen der objectiven Bestimmung der Vorstellungen seyen allein aus dem Grundsatze der transcendentalen Einheit der Apperception abzuleiten. Durch die Categorien, welche diese objectiven Bestimmungen sind, werde das Mannichfaltige gegebener Vorstellungen so bestimmt, daß es zur Einheit des Bewußtseyns gebracht werde. − Nach dieser Darstellung ist die Einheit des Begriffs dasjenige, wodurch etwas nicht blosse Gefühlsbestimmung, Anschauung oder auch blosse Vorstellung, sondern Object ist, welche objective Einheit, die Einheit des Ich mit sich selbst ist.« (GW 12, 18)

Im Gegensatz zur subjektiven Einheit von Gleichzeitigkeit und Abfolge wird die objektive Einheit durch reine Begriffe – in Kants System sind das die Kategorien – sichergestellt. Mit der Behauptung, »Principien« seien einzig und allein aus dem »Grundsatz« der transzendentalen Einheit des Ich abzuleiten, befinden wir uns bereits auf dem Gebiet des fichteschen Idealismus. Am frappierendsten ist hier die letzte Behauptung, der zufolge »objective Einheit« ganz einfach »die Einheit des Ich mit sich selbst« sei. Dies ergibt dann Sinn, wenn wir uns Fichtes Sicht auf die Objekte überhaupt erst ermöglichende Synthese vergegenwärtigen. Diese ist bei Fichte eine Art Wechselwirkung des Ich mit dem Nicht-Ich, das es sich gegenüber gesetzt hat7. Ist diese Verbindung zu Fichte hergestellt wird ersichtlich, dass in der hier von Hegel beschriebenen kantischen Position das Selbstbewusstsein, das Ich, die Bedingungen dafür festlegt, was als objektiv gilt8. Der Rest des Dialogs mit Kant dreht sich größtenteils darum, dass Kant diese Einsicht nicht weit 7

Fichte schreibt: »Das Ich kann sich nicht anders setzen, als, dass es durch das NichtIch bestimmt sey (kein Object, kein Subject). Insofern setzt es sich als bestimmt. Zugleich setzt es sich auch als bestimmend; weil das begrenzende im Nicht-Ich sein eigenes Product ist (kein Subject, kein Object). — Nicht nur die geforderte Wechselwirkung ist möglich, sondern auch das, was durch das aufgestellte Postulat gefordert wird, ist ohne eine solche Wechselwirkung gar nicht denkbar.« (Fichte, SW I, 218) 8 Fichte zufolge ist die Bedingtheit des Begriffs durch Ableitung aus dem Ich ganz einfach der bestimmte Inhalt des Begriffs; der begriffl iche Inhalt wird also innerhalb des dialektischen Prozesses selbst hervorgebracht.

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genug getrieben habe und nicht ausreichend auf der dem Mannigfaltigen von den reinen Begriffen verliehenen Wahrheit der Objektivität bestanden habe. Hegel ist ebenso der Ansicht, auch Fichte habe diese Einsicht nicht weit genug verfolgt, denn dieser habe einem äußerlichen Anstoß bzw. NichtIch weiterhin eine Rolle zugedacht, während Hegel überzeugt ist, die Logik könne ihre eigenen Gegensätze entwickeln, ohne auf eine solche Äußerlichkeit angewiesen zu sein, d. h. sie könne sich von dem in Fichtes Darstellung fortbestehenden subjektiven idealistischen Element befreien. Bei Hegel ist die logische Bestimmung der Objektivität durch begriffliche Form nicht auf das Feld der Erscheinungen beschränkt und sollte auch weder einem Ding an sich entgegengesetzt noch als leere subjektive Form gedacht werden, die zu ihrer Objektivierung auf sinnliche Inhalte wartet. Hegel fährt mit seiner weiterhin recht fichteschen Beschreibung der Kantischen Position fort, wobei er wiederum die für ihn attraktivsten Aspekte hervorhebt: »Wie er [der Gegenstand] aber im Denken ist, so ist er erst an und für sich; wie er in der Anschauung oder Vorstellung ist, ist er Erscheinung; das Denken hebt seine Unmittelbarkeit, mit der er zunächst vor uns kommt, auf, und macht so ein Gesetztseyn aus ihm; diß sein Gesetztseyn aber ist sein An- und Fürsichseyn, oder seine Objectivität. Diese Objectivität hat der Gegenstand somit im Begriffe, und dieser ist die Einheit des Selbstbewußtseyns, in die er aufgenommen worden; seine Objectivität oder der Begriff ist daher selbst nichts anderes, als die Natur des Selbstbewußtseyns, hat keine anderen Momente oder Bestimmungen als das Ich selbst.« (GW 12, 18-19)

Der Gegenstand − womit Hegel die neutrale Version des Objekts meint, das, was dem denkenden Subjekt entgegensteht − ist wahrhaft er selbst, wenn er begriffen oder gesetzt wird. Die sprachliche Nähe von Gesetz und Gesetztheit ist kein Zufall. Denken, Begriffe und Gesetz setzen die Bedingungen einer in sich vollendeten Objektivität. Hegels Ansicht nach verrät Kants Bestehen auf der Notwendigkeit von Anschauungen, dass dieser die Autonomie von Begriffen nicht begriffen hat. So heißt es: »Vors erste sind der Stuffe des Verstands die Stuffen des Gefühls und der Anschauung vorausgeschickt, und es ist ein wesentlicher Satz der Kantischen Transcendental-Philosophie, daß die Begriffe ohne Anschauung leer sind, und allein als Beziehungen des durch die Anschauung gegebenen Mannichfaltigen Gültigkeit haben. Zweytens ist der Begriff als das Objective der Erkenntniß angegeben worden, somit als die Wahrheit. Aber auf der andern Seite wird derselbe als etwas bloß subjectives genommen, aus dem sich die Realität, un-

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Dean Moyar . Die Objectivität

ter welcher, da sie der Subjektivität gegenübergestellt wird, die Objectivität zu verstehen ist, nicht herausklauben lasse; und überhaupt wird der Begriff und das Logische für etwas nur Formelles erklärt, das, weil es von dem Inhalt abstrahire, die Wahrheit nicht enthalte.« (GW 12, 19)

Hegel betont den zwiespältigen Status des Begrifflichen bei Kant. Einerseits bestimmt das Begriffliche das Objektive, andererseits sind aber die Kategorien für Kant lediglich subjektiv und eröffnen das Wirkliche oder die Wahrheit nicht unbedingt. Während Hegel also Kants Projekt der Verortung der Objektivität im Bereich des Begrifflichen unterstützt, weist er die Behauptung zurück, diese begriffliche Aktivität hänge von einem gegebenen Material, der unabhängigen Wirklichkeit der gegebenen Welt, ab. Es mag so aussehen, als glaube Hegel an das positive kantische Projekt, lehne aber das negative ab (die Einschränkung auf Erscheinungen im Gegensatz zu Dingen an sich). Damit würde er sich nicht allzu weit von Fichtes eigenem Idealismus entfernen. Doch auch wenn Hegel sich m. E. weit umfangreicher bei Fichte bedient als er jemals zugegeben hat, so hebt sich sein absoluter Idealismus doch in noch grundlegenderer Weise von Kants Programm ab, als dies bei Fichte der Fall ist. Hegel folgt Fichte in der Ansicht, das Denken könne sein eigenes Mannigfaltiges hervorbringen, doch gelingt ihm dies, ohne dass er dabei zum subjektiven Idealisten würde. Schließlich bedeutet die Ablehnung des Dings an sich allein noch nicht, dass kantische Kategorien in der Lage wären, die Wirklichkeit zu konstituieren, ganz als ob man sich aller Bedenken bezüglich der Kategorien (als bloß unsere Kategorien) einfach entledigen könnte. Und dann ist da noch das Problem, dass wenn die sinnliche Anschauung keine Rolle zu spielen hat, unsere Spekulationen Gefahr laufen, aus dem Gleichgewicht zu geraten und zu eben jener Art rationalistischer Ausschweifungen zu führen, die Kant solche Sorgen bereiteten. Hegel muss zeigen, dass und wie das Begriffliche sich selbst begrenzt und somit zur Sicherung der Objektivität nicht auf äußerliche Kontrolle angewiesen ist, und er muss zeigen, wie wir sichergehen können, dass unsere logischen Bestimmungen tatsächlich die Bestimmungen der Objektivität sind und wir somit sicher sein können, dass die skeptische Begrenzung des Dings an sich nicht zum Tragen kommt. Ein oft übersehener Aspekt von Hegels Plädoyer für logische Realität oder Objektivität in der »Einleitung« ist die Betonung der Tatsache, dass jedes Philosophieren einer Orientierungsverschiebung bedarf. Sein Rationalismus fi ndet zwar erst in der Vollendung der Darstellung seine Begründung, er spricht sich aber im weiteren Sinne schon hier für eine Unterwerfung des Sinnlichen unter die Realität des Begriffs aus. Im folgenden Zitat geht es

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ihm, in eindeutig wertender Sprache, um die Berichtigung der weit verbreiteten Idee, das Begriffliche sei der konkreten Vorstellungswelt unterlegen. Er schreibt: »Denn die Realität, die er sich gibt, darf nicht als ein äusserliches aufgenommen, sondern muß nach wissenschaft licher Foderung aus ihm selbst abgeleitet werden. Aber es ist wahrhaft ig nicht jener durch die Anschauung und die Vorstellung gegebene Stoff, welcher gegen den Begriff als das Reale geltend gemacht werden darf. ›Es ist nur ein Begriff‹, pflegt man zu sagen, indem man nicht nur die Idee, sondern das sinnliche, räumliche und zeitliche handgreiffliche Daseyn als etwas gegenüberstellt, das vortreflicher sey, als der Begriff. Das Abstracte hält man dann darum für geringer, als das Concrete, weil aus jenem so viel dergleichen Stoff weggelassen worden sey. Das Abstrahiren hat in dieser Meynung die Bedeutung, daß aus dem Concreten nur zu unserem subjektiven Behuf, ein oder das andere Merkmahl so herausgenommen werden, daß mit dem Weglassen so vieler anderer Eigenschaften und Beschaffenheiten des Gegenstandes, denselben an ihrem Werthe und ihrer Würde nichts benommen seyn solle; sondern sie als das Reelle, nur auf der andern Seite drüben, noch immer als völlig geltendes gelassen werden, so daß es nur das Unvermögen des Verstandes sey, solchen Reichthum nicht aufzunehmen und sich mit der dürft igen Abstraction begnügen zu müssen.« (GW 12, 20-21, Hervorhebung D.M.)

Ziel ist die Ableitung der Wirklichkeit aus dem Begriff, und dazu gilt es zunächst zu vermeiden, dem »gegebene[n] Stoff« von Anschauung und Vorstellung Realität zuzusprechen. Dieser Stoff dürfe nicht als selbst »Geltende[r]« dem Begriff entgegengesetzt werden9. Anstatt also dem Stoff zu gestatten, selbst »geltend« zu sein, soll der Begriff zum eigentlichen Wesen vorstoßen und somit den bloßen Stoff nicht nur beiseitelassen, sondern ihn herabstufen. Hegel verwendet die offensichtlich wertenden Ausdrücke »vortrefflicher« und »Werthe und ihrer Würde« um herauszustreichen, dass ›Realität‹ nicht einfach eine neutrale Beschreibung meint. Die Herausforderung besteht darin zu verstehen, wie die hier von Hegel verwendete wertende Sprache über »unsere[n] subjektiven Behuf« hinausgeht. Er fährt fort:

9

Das immanente Argument gegen Sinnesanschauung dient in der Phänomenologie des Geistes dazu, die Anschauung als Grundlage von Erkenntnis skeptisch zu untergraben und dazu zu zeigen, dass die Dialektik der Erkenntnis zum Begriff führt. Vgl. Moyar (2016) für eine Darstellung der Funktionsweise dieses Arguments.

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Dean Moyar . Die Objectivität

»Das abstrahirende Denken ist daher nicht als blosses Auf die Seite-Stellen des sinnlichen Stoffes zu betrachten, welcher dadurch in seiner Realität keinen Eintrag leide, sondern es ist vielmehr das Aufheben und die Reduction desselben als blosser Erscheinung auf das Wesentliche, welches nur im Begriff sich manifestirt.« (GW 12, 21)

Auch für Hegel ist Anschauung und sinnliches Bewusstsein in gewisser Hinsicht Bedingung des Verstandes, doch ist dies für ihn eine Bedingung nur in dem Sinn, dass ihre Unzulänglichkeit auf den Begriff hinweist, nicht in dem Sinn, dass die Realität des Begriffs auf das Sinnliche angewiesen wäre. Im letzten Satz gibt Hegel zu erkennen, dass das Sinnliche auf das im Begriff erfasste »Wesentliche« ›reduziert‹ sei. Hegel meint, diese Reduktion bereits in der Phänomenologie des Geistes geleistet zu haben, und auf logischer Ebene in der »Seins-« und der »Wesenslogik«. Ziel in der »Begriffslogik« ist es auszuweisen, wie der Begriff aus der eigenen inneren Struktur von Allgemeinheit – Besonderheit – Einzelheit heraus sein eigenes Mannigfaltiges, seine eigene Objektivität hervorbringen kann. Hegels positive Argumente für die Autonomie des Begrifflichen hängen in nicht unerheblichen Maß von seinem Schritt vom Urteil zum Schluss ab. Kant zufolge konstituieren Vernunftschlüsse keine Objekte, und zwar deswegen, weil sie keine eigene Beziehung zur Anschauung haben, zu den einzelnen Dingen in Raum und Zeit, die das Rohmaterial für unsere Urteile liefern. In der »Begriffslogik« vertritt Hegel eine logische Konzeption von Einzelheit und räumt Einzelurteilen eine prominente Rolle ein. So hat etwa Paul Redding geschrieben: »But the stark heterogeneity of these two types of representations for Kant had made the question of this ›synthesis‹ difficult, if not impossible, to answer. Part of Hegel’s answer involves treating what Kant thought of as a non-conceptual representation, intuition, as conceptual, or, more accurately, as the concept in one of its determinate forms – that of singularity – and as playing a role in a judgement by being copulated with another, different, conceptual determination.«10

Hegel zufolge bringen wir eine Anzahl von Urteilen hervor, die dann als das in Schlüssen zu einende Mannigfaltige aufgefasst werden können. Die vollständige Darstellung der Schlüsse soll dann in »Objektivität« bzw. (wie es in der Überschrift in der Enzyklopädie heißt) im »Objekt« münden. Wie 10

Redding (2014), S. 9.

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Redding betont, kommt es in einer solchen Darstellung auf eine »redetermination« von Ausdrücken und Urteilen in den späteren Schlüssen an, in die sie aufgenommen werden11. Ein wichtiger Hinweis auf die Gesamtstrategie findet sich in Hegels wohlwollender Anführung einer Wahrheitsdefinition, die Kant für wenig hilfreich erachtete: »Uebereinstimmung der Erkenntniß mit ihrem Gegenstand sey; – eine Definition, die von grossem, ja von dem höchsten Werthe ist« (GW 12, 26). Man muss vorsichtig sein mit Hegels Wahrheitsformulierungen, denn die Übereinstimmung, die Hegel zwischen Begriff und Realität, Erkenntnis und Gegenstand ansetzt, ist nicht die gleiche wie die Übereinstimmung von bildähnlichen Ideen und sinnlichen Objekten. Stattdessen findet, wie im nächsten Abschnitt zu sehen sein wird, die Konstituierung des Objekts innerhalb eines inferentiellen Ganzen, einer inferentiellen Totalität von Beziehungen statt. Diese Beziehungen sind logisch, aber noch nicht in dem Sinn formal, in dem formale Syllogismen formal sind, die jedweder empirische Inhalt wahr werden lassen kann. Hegels Form besteht demgegenüber aus einer Anzahl von Bedingungen dafür, welche Objekte als wahre Objekte zählen können, und er führt regelmäßig Beispiele für diejenigen Arten von Dingen an, die dem von den Bedingungen gesetzten Wirklichkeitsmaßstab entsprechen. An diesen Maßstab denkt er, wenn er sich mit Blick auf die Definition der Wahrheit auf Kants intuitiven Verstand beruft: »Wenn Kant die Idee eines anschauenden Verstandes an jene Definition der Wahrheit gehalten hätte, so würde er diese Idee, welche die geforderte Uebereinstimmung ausdrückt, nicht als ein Gedankending, sondern vielmehr als Wahrheit behandelt haben.« (GW 12, 26)

Hegel zufolge verdammt uns Kant zum Verharren in einer skeptischen Position, wenn er die Möglichkeit verneint, wir könnten zu einem intuitiven, die notwendige Beziehung von Ganzem und Teil bzw. von Allgemeinem und Einzelnem erfassenden Verständnis gelangen. Kant lässt die Wahrheit für uns unerreichbar werden, obwohl sie diejenige Wahrheit ist, die die kantische Philosophie »als Wahrheit erkannte und wovon sie den bestimmten Begriff aufstellte« (GW 12, 25). Hegel geht es hier nicht nur darum, die Realität teleologischer Urteile gegen den Mechanismus zu behaupten, sondern auch darum, die Möglichkeit der Erkenntnis der Wahrheit selbst zu bekräft igen. Methodologisch geht Hegel so vor, dass er Wahrheitsbedingungen für die Urteils- und Schlussfolgerungsformen bereitstellt, und diese Methode 11

Ebd., S. 7.

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kann nur verneint werden, wenn verneint werden soll, dass die Urteils- und Schlussfolgerungsformen jemals wahr sein können. Es ist oft angemerkt worden, dass Hegel einen Unterschied zwischen Wahrheit und Richtigkeit macht. Wahrheit ist erreicht, wenn eine Sache ihr Wesen erreicht. Hegel sagt also, dass das Wesen des Denkens Wahrheit, vollständige Verständlichkeit ist. Seiner Ansicht nach beraubt Kant das Denken seines Ziels, wenn er die Erkenntnis endlicher, sinnlicher Objekte zur besten uns möglichen Erkenntnis erklärt. Nehmen wir die Definition der Wahrheit als »Übereinstimmung zwischen der Erkenntnis und ihrem Objekt« ernst und betonen dabei die Erkenntnis, so verfügen wir über eine Formel, die es uns auf Grundlage unserer diesbezüglichen Erkenntnisse erlaubt, gesetzmäßig zu bestimmen, was die Objekte sind. Der Wahrheitsmaßstab ist somit ein Maßstab für die Gesamtheit derjenigen inferentiellen Beziehungen, in denen die Erkenntnis mit ihrem Objekt »übereinstimmt«, denn es war die Form der Erkenntnis, durch die sich die Objektivität entwickelt hat. Wir entwickeln die Gesamtheit der Wechselbeziehungen von Einzelnen, Besonderen, und Allgemeinheiten aus dem Begriff, und zwar durch die Formen von Urteilen und Schlüssen. Wahrheit ist das Ziel logischer Untersuchungen. Das bedeutet, dass Logik auf die Entwicklung einer der Objektivität adäquaten Erkenntnisform abzielt, die aufzeigt, was Objektivität zu sein hat, um durch Erkenntnis verständlich sein zu können. Es sollte nun klargeworden sein, dass Hegel m.E. Kants Projekt in einer Weise fortschreibt, die die Grenzen zwischen unseren Begriffen und der Realität beseitigt. In der jüngeren Hegel-Forschung stehen sich metaphysische und nicht-metaphysische Auslegungen gegenüber, wobei die metaphysischen Leser die Betonung auf Hegels Kontinuität mit der klassischen metaphysischen Tradition und die nicht-metaphysischen Leser den Schwerpunkt auf das kantische Motiv der transzendentalen Apperzeption als Basis der Objektivität legen. Die im Folgenden explizierte Interpretation erkennt an, dass es Hegel um die Darstellung der Realität ging, dessen, was wirklich ist, oder wie immer man es auch nennen möchte. Jedwede begriffliche Trennung von Schema und Inhalt steht ganz offenbar in Widerspruch zu seinem Projekt12. 12

Der von Pippin (1989) entwickelten Darstellung des Hegelschen Idealismus ist mehrfach vorgeworfen worden, eine Aufspaltung in Schema und Inhalt einzuführen. Mag auch die Verwendung des Begriffs eines »conceptual scheme« diesen Verdacht nahelegen, stellt Pippin klar, dass Hegel seiner Ansicht nach auf eine Darstellung der Wirklichkeit abzielt. Zumindest in jenem Buch hegt Pippin beträchtliche Zweifel, ob Hegels Darstellung von Mechanismus, Chemismus und Teleologie in der Welt gelingt (s. insbes. S. 243), weshalb Pippin sein Hauptaugenmerk auf die übergeordnete Diskussion des selbstbestimmten Charakters von Denken legt. Letzten Endes ist es eine Frage

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Zugleich wird hier aber betont, dass die Formen des Urteils und des Schlusses tatsächlich Realität konstituieren, und sie Formen unserer Erkenntnis sind; in gewissem Sinn sind also Objektivität und Realität durch Erkenntnis bestimmt. Hegels wichtigster Punkt in den hier besprochenen Passagen ist, dass unserer Erkenntnis nach Erreichen der Objektivität keinerlei Subjektivität mehr anhaftet, die sie als Erkenntnis der Wirklichkeit einschränken könnte.

1.2 Urteilsformen und Schlussformen Hegels »Objektivität« folgt aus der Entwicklung der Urteils- und Schlussfolgerungsformen aus der Wechselbeziehung der drei Begriffsmomente Einzelheit, Besonderheit und Allgemeinheit. Ein nicht unerheblicher Teil der Arbeit in dieser Entwicklung wird von konditionalen Urteilen und Schlüssen geleistet, wobei das Ziel in einer vollständigen Beschreibung der Bedingungen für selbst- und eigenständige Objekte besteht. In dieser kurzen Präsentation liegt der Fokus auf der Art und Weise, wie Hegels Darstellungen von Urteil und Schluss dazu dienen sollen, zwei begriffliche Modelle miteinander zu verbinden. Das eine dieser Modelle ist die Beziehung zwischen Bedingung und Bedingtem in hypothetischen Urteilen und Schlüssen, in der das Einzelne als Ergebnis einer Gesamtheit von Bedingungen gedacht wird. Das andere Modell ist die Beziehung von Gattung und Art im Falle der Substanzuniversalien, in der das Einzelne als Mitglied einer spezifischen Art einer allgemeinen Gattung bestimmt wird. Hegels Versuche, diese beiden Modelle zu kombinieren, wirken oft etwas angestrengt. Er gibt dem Gattung-Art-Modell der Substanzuniversalien den Vorzug13, aber der Preis dafür scheint zu sein, dass einige der wichtigsten Einsichten des Konditional-Modells nicht mehr berücksichtigt werden. Letzteres ist darüber hinaus das Modell kausaler Regelmäßigkeit, und somit hängt viel davon ab, wie genau Hegel glaubt, das Gattung-Art-Modell als Überwindung und Übernahme des Konditional-Modells etablieren zu können14. von zentraler Bedeutung, ob sich die beiden Ebenen (Logik der Welt und Logik des Denkens) tatsächlich trennen lassen. 13 Robert Stern ist eine hilfreiche Darstellung des hegelschen Fokus auf den Begriff als »Gattung« vor dem Hintergrund der Aristotelischen Substanzuniversalien zu verdanken; vgl. Stern (2009). 14 Redding (2014) thematisiert Hegels Unterscheidung zwischen Inhärenz- und Subsumtionsbeziehungen, wobei erstere für die Zwecke dieses Kommentars dem GattungArt-Modell und letztere dem Konditional-Modell zuzuordnen sind.

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Der Fokus auf diese problematische Kombination von Modellen erlaubt es uns im Fortgang, Licht auf ein zentrales Rätsel in der Struktur der »Begriffslogik« zu werfen. Schon ein kurzer Blick auf das Inhaltsverzeichnis derselben offenbart eine grundsätzliche Unvollständigkeit oder zumindest Asymmetrie in der »Subjektivität«. Es gibt vier Hauptarten des Urteils, bei den Schlussarten listet Hegel jedoch nur drei auf, die den ersten drei Urteilsformen entsprechen. Während es also ein »Urteil des Begriffs« gibt, findet sich kein »Schluss des Begriffs«. Dies ist deshalb problematisch, weil die »Urteile des Begriffs« zur Auflösung der Spannung zwischen Konditional- und Substanzmodellen von Bestimmtheit im Urteil notwendig waren. Hegel geht direkt vom disjunktiven Schluss zur »Objektivität« über, ohne diesen entscheidenden Unterschied zu den Urteilsformen zu erläutern. Im »Teleologie«-Abschnitt der »Objektivität« jedoch identifi ziert Hegel die Teleologie mit »de[m] Schluß des selbständigen freyen Begriffs« (GW 12, 159). In diesem Abschnitt des Kommentars geht es darum zu zeigen, dass die Auflösung der Spannung zwischen konditionaler und substantieller Bestimmung, wie sie sich im »Urteil des Begriffs« findet, in den »Schlüssen der Notwendigkeit« fehlt und dass darin der Grund dafür zu suchen ist, dass der Übergang vom »Schluss« zur »Objektivität« so unbefriedigend ist. Erst im »Teleologie«-Kapitel werden die Schlussfolgerungsformen vervollständigt, erst dort präsentiert Hegel die gesamte formale Basis seiner Darstellung in ihrer endgültigen Form.

1.2.1 Urteil Ein Alleinstellungsmerkmal von Hegels logischem Ansatz ist die Aufmerksamkeit, die er Einzelheiten widmet. Die Wichtigkeit des logischen Einzelnen für die von Hegel beabsichtigte Überwindung der Notwendigkeit sinnlicher Anschauung zur Bereitstellung von Inhalten für objektive Urteile ist oben bereits erörtert worden. Hier sei nur angemerkt, dass Hegel den Übergang zum Urteil durch eine Diskussion der Einzelheit bewerkstelligt. Einzelheit hat ihm zufolge einen doppelten Charakter: Sie ist sowohl das »bloße Einzelne« als auch das vollständig bestimmte Einzelne15. Diese Zweiheit zeichnet auch Hegels Konzeption von »Objektivität« aus (wie unten in Abschn. 1.3, zu zeigen sein wird), denn dort findet sich eine der Subjektivität unterlegene Art ›bloßer Objektivität‹ ebenso wie eine ›volle Objektivität‹ jen15

Zur Vorgeschichte der hegelschen Konzeption des Einzelnen bei Kant und Aristoteles, vgl. Redding (2007).

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seits der Widersprüche und Unbeständigkeiten der Subjektivität. Hegel feiert die volle Objektivität als den Schritt, mit dem er über Spinozas Metaphysik hinausgelangt. Dieser Auffassung nach kann das Einzelne sozusagen innerhalb der Gesamtheit von Beziehungen bestehen, die es zu einem bloßen Knotenpunkt in einem Kausalzusammenhang zu reduzieren drohten. Einzelheit ist jedoch noch in einem weiteren Sinn aufzufassen, nämlich als Verlust des Begriffs, als »ein qualitatives Eins oder Dieses« (GW 12, 51). Auch wenn die Stichhaltigkeit dieses Schritts hinterfragt worden ist, so ist die Motivation dafür doch eindeutig: der Übergang vom Begriff zum logischen Subjekt des Urteils. Das bloße Einzelne wird zum Subjekt des Urteils. Das Einzelne beginnt das »Urteils«-Kapitel als das »Dies« oder »Es« des logischen Subjekts und entwickelt sich dann zu vollständig bestimmten Varianten wie »dieser Mensch Sokrates« mit all seinen Eigenschaften. Das Urteil betritt die Bühne als eine Abtrennung des logischen Einzelnen von seinen Bestimmungen, die dem Subjekt nur als Prädikate gegenübergestellt werden. Die Abfolge der Urteilsformen soll diese Trennung überwinden und in der vollständigen Vereinigung von Subjekt und Prädikat zur Einheit des Begriffs zurückkehren. Die beiden Modelle von Bestimmtheit, das Konditional- und das Substanz-Modell, stellen zwei Wege für eine solche Rückkehr zur Einheit dar.

1.2.1.1 Urteile der Notwendigkeit16 Hegels Spagat zwischen zwei Modellen begrifflicher Bestimmtheit tritt in den »Urteilen der Notwendigkeit« klar zu Tage. Dort schreibt Hegel, dass das kategorische Urteil objektive Allgemeinheit erreicht habe, er wendet sich also der Gattung-Art-Beziehung zu, die die Kapitel »Urteil« und »Schluß« hindurch im Mittelpunkt stehen wird. In der »Wesenslehre« entspricht dieser objektiven Allgemeinheit die Substanzialität, wobei die Notwendigkeit der Beziehung nun gesetzt wird und nicht mehr nur bloß innere Notwendigkeit ist; der Unterschied ist nicht länger akzidentell, sondern immanent (vgl. GW 12, 77). Was hier notwendig ist, ist die »substantielle Identität« von Subjekt und Prädikat. Im kategorischen Urteil kommt an dieser Notwendigkeit ein Mangel zum Vorschein, den Hegel schon in seiner Kritik der Substanz dargelegt hatte: Die Verbindung von Subjekt und Prädikat wird in der Gattung-Art-Beziehung nicht buchstabiert oder artikuliert, sondern lediglich vorausgesetzt. Hegels Einführung des Konditional-Modells soll 16

Eine ausgezeichnete Darstellung der ersten beiden Urteilsformen fi ndet sich bei Paul Redding (2014).

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diesem Mangel abhelfen, um im nächsten Schritt in einer Rückkehr zum Gattung-Art-Modell die Vereinigung beider Modelle im disjunktiven Urteil vorzubereiten. Als Beispiel für ein kategoriales Urteil dient Hegel der Satz, »die Rose ist eine Pflanze«. Im Gegensatz zu einer »äusserliche[n] Eigenschaft« wie der Farbe der Rose ist ihre »vegetabilische[] Natur« ein das objektive Allgemeine, die Gattung verkörperndes Prädikat. Die »Bedeutung« der Kopula sei hier »Nothwendigkeit«, so Hegel, wohingegen ihre Bedeutung im bloß positiven Urteil »abstrakte[s], unmittelbare[s] Sein« sei (GW 12, 78). Diese Bemerkung legt nahe, dass im Rest des Kapitels die Kopula und die einfache Form von Subjekt-Prädikat-Urteilen nicht unproblematisch sind, denn ihre Bedeutung hängt jeweils von einer bestimmten, d. h. je einem bestimmten Inhalt angemessenen Urteilsart ab. Der Progression zur Notwendigkeit ungeachtet bleibt das kategorische Urteil mit einem Mangel behaftet. Hegel schreibt: »Die Bestimmtheit des Subjects, wodurch es ein Besonderes gegen das Prädicat ist, ist zunächst noch ein zufälliges; Subject und Prädicat sind nicht durch die Form oder Bestimmtheit als nothwendig bezogen; die Nothwendigkeit ist daher noch als innre« (GW 12, 78).

Der Schlüssel liegt hier im Ausdruck »durch die Form oder Bestimmtheit«. Die Notwendigkeit ist eine »innre«, weil der bestimmte Inhalt, der die Gattung-Art-Beziehung spezifiziert, noch nicht zum Ausdruck gekommen bzw. noch nicht gesetzt worden ist. Natürlich wissen wir alle, dass die Rose eine Pflanze ist. Warum genau aber ist sie eine Pflanze? Die Merkmale, die sie als Pflanze bestimmen, sind nicht Teil des kategorischen Urteils. Die Forderung nach der fehlenden Formbestimmung ist eine Forderung nach den Bedingungen, unter denen etwas als Art der Gattung Pflanze gilt. Die dem kategorischen Urteil fehlende Formbestimmung findet Hegel, indem er sich dem hypothetischen Urteil zuwendet. Dieser Schritt ist ein wichtiger Hinweis auf die enge Verbindung, die zwischen seiner Formlehre und Konditionalaussagen besteht. Hegels Muster-Konditionalurteil ist, »Wenn A ist, so ist B« (GW 12, 79). Den erzielten Fortschritt beschreibt Hegel so: »Was in diesem Urtheil gesetzt ist, ist der nothwendige Zusammenhang von unmittelbaren Bestimmtheiten, welcher im kategorischen Urtheile noch nicht gesetzt ist.« (GW 12, 79) Gesetzt ist hier nur der »notwendige Zusammenhang« der »unmittelbaren Bestimmheiten«, denn aus diesem Urteil folgt nicht, dass A zutrifft. Hegel stellt diesem Urteil den Identitätssatz entgegen: »[I]m hypothetischen Urtheil ist dagegen das Seyn der endlichen Dinge nach ihrer formellen Wahrheit durch den Begriff gesetzt, dass nemlich das Endliche

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sein eigenes Seyn, aber ebensosehr nicht das seinige, sondern das Seyn eines Andern ist.« (GW 12, 79) Zudem beschreibt Hegel das hypothetische Urteil als allgemeine Urteilsform von »Grund und Folge, Bedingung und Bedingtem, Caussalität u.s.f.« (ebd.). Das kategorische Urteil ist also die Begriffsform der Substanzialität und das hypothetische Urteil die Begriffsform von Ursache und Wirkung. Hegel schreibt: »Was in Wahrheit daher in diesem Urtheile gesetzt ist, ist die Allgemeinheit, als die concrete Identität des Begriffs, dessen Bestimmungen kein Bestehen für sich haben, sondern nur in ihr gesetzte Besonderheiten sind.« (GW 12, 80) Hypothetische Annahmen bzw. Konditionale bilden die Grundlage eines Holismus, in dem bestimmte Dinge durch ihre Abhängigkeit voneinander bestehen. Hegel zufolge vervollständigt das disjunktive Urteil die »Urteile der Notwendigkeit«, indem es die wechselseitige Abhängigkeit der Bestimmungen in hypothetischen Urteilen mit der objektiven Allgemeinheit kategorischer Urteile vereint. Das kategorische Urteil liefert die Gattung-Art-Beziehung, das hypothetische die Abhängigkeit der Einzelnen (der Bedingten) von etwas, das sie nicht sind (den Bedingungen). Die beiden Hauptformen des disjunktiven Urteils sind die des Entweder–Oder und die des Sowohl–Als auch. Letztere bietet eine anschaulichere Variante der Gattungsallgemeinheit A, denn wenn B und C die Arten sind, so ist z. B. der Mensch (Allgemeines A) sowohl Mann (B) als auch Frau (C). Das Entweder-Oder-Urteil trifft intuitiv am ehesten in Fällen zu, in denen A ein Einzelnes ist. Jeder einzelne Mensch A ist entweder ein Mann oder eine Frau. Hegel stellt dem eigentlichen disjunktiven Urteil ein »empirisches disjunktives Urteil« gegenüber, dem deshalb keine Notwendigkeit zuzuschreiben ist, weil die möglichen Bestimmungen von A empirisch gegeben sind, anstatt im Allgemeinen selbst enthalten zu sein: »A ist entweder B oder C oder D u.s.f., weil die Arten B, C, D u.s.f. sich vorgefunden haben; es kann eigentlich kein Entweder Oder dadurch ausgesprochen werden; denn solche Arten machen nur etwa eine subjective Vollständigkeit aus« (GW 12, 81). Ein echtes Entweder–Oder »schließt eine totale Sphäre in sich ab« (GW 12, 81), weil das »Prinzip des Unterschieds« in der objektiven Allgemeinheit (der Gattung) selbst liegt, weil es eine »immanente Bestimmtheit« ist (GW 12, 81). Hegel zufolge weist dieses Urteil sowohl die objektive Allgemeinheit der Gattung-Art-Beziehung als auch eine »negative Einheit« auf. Die Kopula ist nun »der Begriff selbst, und zwar als gesetzt«, weil das ›ist‹ der Disjunktion sowohl das Allgemeine als auch die bestimmten Unterschiede innerhalb des Allgemeinen identifiziert hat. Eine solche Disjunktion ist zweifelsohne von höchster Wichtigkeit für Hegels Projekt insgesamt, die Konditionalität des hypothetischen Urteils erfasst sie jedoch nur ungenügend. Die wahre Integration der beiden Modelle,

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des substantiellen und des konditionalen, findet erst im Urteil des Begriffs statt.

1.2.1.2 Urteile des Begriffs Die Urteile des Begriffs stellen Hegel zufolge die erste objektive Urteilsform dar, im Unterschied zur Subjektivität der vorgehenden Urteilsformen eine »wahrhafte Beurtheilung« und »das objective« (GW 12, 84). Was im disjunktiven Urteil fehlte, wird hier in der Sprache der Einzelheit zum Ausdruck gebracht: »Der Mangel des Resultats kann bestimmter auch so ausgedrückt werden, daß im disjunctiven Urtheile die objective Allgemeinheit zwar in ihrer Besonderung vollkommen geworden ist, daß aber die negative Einheit der letztern nur in jene zurückgeht und noch nicht zum Dritten, zur Einzelnheit, sich bestimmt hat.« (GW 12, 85, Hervorhebung D.M.)

Dieser Mangel ist m.E. als das Eingeständnis auszulegen, dass die Einzelnen, die im konditionalen, hypothetischen Urteil in Erscheinung traten, in der Bewegung hin zum disjunktiven Urteil nicht berücksichtigt wurden, da letzteres wirklich nur die Beziehung von Allgemeinem und Besonderem erfasst. Dieser Mangel ist von Bedeutung für das weiter unten zu erläuternde Argument, dass der disjunktive Schluss am gleichen Mangel leidet und dass die Schlussfolgerungsformen dementsprechend erst im »Teleologie«-Abschnitt vervollständigt werden, wo Hegel die Schlüsse des Begriffs darlegt. Subjekt des assertorischen Urteils ist »ein konkretes Einzelnes« in »seiner Wirklichkeit, Bestimmtheit oder Beschaffenheit«, also genau die Variante des Einzelnen, die im disjunktiven Urteil außen vor blieb. Hegels Beispiele sind hier: »Diß Haus ist schlecht, diese Handlung ist gut« (GW 12, 85). Das Urteil besagt nicht nur, dass ein Einzelnes unter ein Allgemeines fällt, sondern ob dieses Einzelne dem Maßstab eines Dings seiner Art entspricht oder nicht. Es ist ein Urteil des Begriffs in seiner Objektivität oder Wahrheit, weil der Begriff die Angemessenheit des Einzelnen dem Allgemeinen gegenüber miteinbezieht. Hegel sagt ausdrücklich, dass diese Urteile bloß subjektiv sind; ihre Subjektivität besteht jedoch nicht in ihrer Verbindung zum Geist eines denkenden Subjekts, sondern darin, dass der bestimmte Zusammenhang von Einzelnem und Allgemeinem im Urteil nicht objektiv gesetzt wird. Das, was das Einzelne zu einem guten Fall dieser Art macht, ist im assertorischen Urteil nicht enthalten, weshalb den in einem solchen Urteil gemachten Versi-

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cherungen mit einer ebenso gut begründeten gegenteiligen Aussage begegnet werden kann. Während das assertorische Urteil das Substanz-Modell der Bestimmung verwendet und dergestalt abwandelt, dass es nunmehr Gattung und Einzelnes statt Gattung und besondere Art in Beziehung setzt, kehrt Hegel im problematischen Urteil zum Konditional-Modell zurück. Die Negativität dieses Urteils ist ihm zufolge mit der des hypothetischen (und des besonderen) Urteils vergleichbar, denn alle diese Urteile haben damit zu tun, dass ein Ding durch etwas konstituiert wird, das es selbst nicht unmittelbar ist. Im hypothetischen Urteil war diese Negativität die in der Bedingung – B ist unter der Bedingung, dass A ist – ausgedrückte Abhängigkeit. Hier kommen Konditionalität und Negativität zwischen der Unmittelbarkeit des einzelnen Dings und dem allgemeinen bzw. objektiven Begriff des Dings (die Gutheit dieses Dings) zum Zuge. Das problematische Urteil beinhaltet eine Charakterisierung des Einzelnen in seiner Bestimmtheit und beteuert, dieses Ding sei in seiner Bestimmtheit gut oder schlecht. Interessant und zugleich schwierig bei diesem Typ Urteil ist, dass Hegel nicht sagt, das Einzelne könne (oder könne nicht) einem im Voraus bestimmten Katalog gut-machender Eigenschaften entsprechen. Stattdessen trifft das problematische Urteil die Aussage, dieses auf diese Weise konstituierte Einzelne könnte als guter Fall dieser Art gelten, wobei die Pointe ist, dass seine Qualifi kation als guter Fall offenbleibt. Hegel konzentriert sich wiederum auf das Einzelne: »Ferner aber ist darum nicht von der Einzelnheit des Subjects zu abstrahiren; von dieser überhaupt gereinigt, wäre es nur ein allgemeines; das Prädicat enthält eben diß, daß der Begriff des Subjects in Beziehung auf seine Einzelnheit gesetzt seyn soll. − Es kann nicht gesagt werden: das Haus oder ein Haus ist gut, sondern: je nachdem es beschaffen ist. − Das Problematische des Subjects an ihm selbst macht seine Zufälligkeit als Moment aus, die Subjectivität der Sache, ihrer objectiven Natur oder ihrem Begriffe gegenüber gestellt, die blosse Art und Weise oder die Beschaffenheit.« (GW 12, 86-87)

Hegel sagt nicht, dass die Zufälligkeit im Urteil dieses in irgendeiner Weise unzuverlässig machen würde, so als hätte die gemachte Behauptung keine solide Grundlage mehr. Was er stattdessen sagt ist, dass diese Urteilsform die Kontingenz des Einzelnen als ein Moment seiner Konstitution insgesamt miteinbezieht. Man solle nicht von der Einzelheit abstrahieren, denn dann »wäre es nur ein Allgemeines«. Dies besagt auch, dass das konkrete Allgemeine nicht rein ist, sondern Kontingenz miteinbeziehen muss, um nicht das bloß abstrakte Allgemeine zu sein. Die aus diesem Urteil zu ziehende Lehre

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ist nicht bloß, dass Einzelne spezifiziert werden müssen, um als Fall des Allgemeinen gelten zu können, sondern auch, dass das Allgemeine selbst sich der Bestimmung und Zufälligkeit unterwerfen muss, um wirklich, um »die Sache selbst« zu sein, wie Hegel es nennt. »Die Sache selbst ist eben diß, daß ihr Begriff als die negative Einheit seiner selbst, seine Allgemeinheit negirt und in die Aeusserlichkeit der Einzelnheit sich heraussetzt.« (GW 12, 87) Der Begriff der Sache negiert sich teilweise, indem er seine eigene abstrakte Allgemeinheit negiert. In dieser Hinsicht soll der Begriff die Bedingungen seiner eigenen Wirklichkeit bestimmen, wobei diese Bedingungen das Allgemeine der Kontingenz der Äußerlichkeit aussetzen. Wie wir sehen werden, kommt diese Dynamik erst in der »Teleologie« richtig in Gang. Der letzte Typus Urteil, das apodiktische Urteil, definiert endgültig sowohl welche die gut-machenden Eigenschaften sind als auch, dass das in Frage stehende Einzelne diese Eigenschaften besitzt. Hegel schreibt: »Das Subject des apodiktischen Urtheils (das Haus so und so beschaffen ist gut, die Handlung so und so beschaffen ist recht) hat an ihm erstens das Allgemeine, was es seyn soll, zweytens seine Beschaffenheit; diese enthält den Grund, warum dem ganzen Subject ein Prädicat des Begriffs-Urtheils zukommt oder nicht, d. i. ob das Subject seinem Begriffe entspricht oder nicht. − Dieses Urtheil ist nun wahrhaft objectiv; oder es ist die Wahrheit des Urtheils überhaupt. Subject und Prädicat entsprechen sich, und haben denselben Inhalt, und dieser Inhalt ist selbst die gesetzte concrete Allgemeinheit; er enthält nämlich die zwey Momente, das objective Allgemeine oder die Gattung, und das Vereinzelnte. Es ist hier also das Allgemeine, welches es selbst ist und durch sein Gegentheil sich continuirt, und als Einheit mit diesem erst Allgemeines ist.« (GW 12, 87-88)

Der Inhalt ist auf beiden Seiten der Kopula der gleiche: Das Prädikat (›gut‹, ›recht‹, usw.) ist die »Entsprechung« des Einzelnen und des Begriffs, und das »ganze Subjekt« ist sowohl das »objektive Allgemeine« als auch das »Vereinzelte« in ihrer Entsprechung. Beide stellen die Einheit dar von dem, was sein soll, mit dem, was ist. Das apodiktische Urteil vereint das Substanz- und das Konditional-Modell der Bestimmung. Das Vereinzelte soll offensichtlich das Einzelne in all seiner Spezifizität sein, das objektive Allgemeine hingegen die sich in den Einzelnen verwirklichende Gattung. Am Ende der Passage weist Hegel darauf hin, dass die Gattung nur insofern ein genuin Allgemeines ist, als dass es innerhalb der vereinzelten Bedingungen seiner Verwirklichung es selbst bleibt. Hegel scheint somit seine Konzeption eines konkreten Allgemeinen

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abzuschließen. Was fehlt also noch? Was macht den Schritt zum Schluss nötig?

1.2.2 Schlüsse der Notwendigkeit In der Einleitung zu »Der Schluss« forciert Hegel die Frage, wie sich unsere Denkprozesse und die Rationalität der Welt kreuzen. Er fragt, ob der Schluss lediglich ein menschliches Vermögen formalen Denkens ist oder ob er darüber hinaus Objekte, Gesetze, usw. konstituiert. Mit Kant unterscheidet er zwischen Verstand und Vernunft, hebt sich aber von ihm ab, wenn er es ablehnt, eine Lücke zwischen dem Denken in Schlüssen und den Bestimmungen der Welt als notwendig anzusetzen. »Der Verstand wird als das Vermögen des bestimmten Begriffes genommen, welcher durch die Abstraction und Form der Allgemeinheit für sich festgehalten wird. In der Vernunft aber sind die bestimmten Begriffe in ihrer Totalität und Einheit gesetzt. Der Schluß ist daher nicht nur vernünft ig, sondern Alles Vernünftige ist ein Schluß. Das Schließen ist von langer Zeit her der Vernunft zugeschrieben worden; auf der andern Seite aber wird von der Vernunft an und für sich, vernünft igen Grundsätzen und Gesetzen so gesprochen, daß nicht erhellt, wie jene Vernunft, welche schließt, und diese Vernunft, welche die Quelle von Gesetzen und sonstigen ewigen Wahrheiten und absoluten Gedanken ist, mit einander zusammenhängen. Wenn jene nur die formale Vernunft seyn, diese aber Inhalt erzeugen soll, so müßte nach diesem Unterschiede an der letztern gerade die Form der Vernunft, der Schluß, nicht fehlen können. Dessen ungeachtet pflegen beyde so auseinander gehalten und bey keiner der andern erwähnt zu werden, daß die Vernunft absoluter Gedanken gleichsam sich der Vernunft des Schlusses zu schämen, und der Schluß fast nur hergebrachtermaßen auch als ein Thun der Vernunft aufgeführt zu werden scheint. Es muß aber, wie so eben bemerkt worden, offenbar die logische Vernunft, wenn sie als die formelle betrachtet wird, wesentlich auch in der Vernunft, die es mit einem Inhalte zu thun hat, zu erkennen seyn; ja vielmehr kann aller Inhalt, nur durch die vernünft ige Form, vernünft ig seyn.« (GW 12, 90)

Die Rationalität des Schlusses kann sich nicht grundsätzlich von der Rationalität von Prinzipien und Naturgesetzen (den »ewigen Wahrheiten«) unterscheiden. Hegel stellt die einfache Frage, wie die beiden denn getrennt sein können, wo sie doch beide das Vernünft ige erfassen sollen. Wie können wir von vernünftigem Inhalt sprechen, wenn die Form der Vernunft, des

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Schließens, fehlt? Hegels Ziel ist es aufzuzeigen, dass die Logik des Denkens als absolute Form die wesentlichen Strukturen dessen, was als vernünft iger Inhalt in der Welt gelten kann, zur Verfügung stellt. Dies ist keine subjektive idealistische These, sondern eine Erläuterung der Idee, dass das Rationale in der Welt die Maßstäbe der Rationalität im reinen Denken erfüllen muss. Die Kontingenz der endlichen Welt ist keine absolute Hürde auf diesem Weg, denn in Hegels Auffassung bezieht der Maßstab Kontingenz mit ein (wie wir oben in der Darstellung des problematischen Urteils sahen). Dies zu würdigen ist nicht ganz einfach, unter anderem weil Hegel seine Darstellung des Schlusses nicht mit den Schlüssen des Begriffs, sondern mit den »Schlüssen der Notwendigkeit« beschließt. Diese Schlüsse der Notwendigkeit sind die einzigen, die den Urteilsformen direkt vergleichbar sind. Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass Hegel vom disjunktiven Schluss direkt zur »Objektivität« übergeht, anstatt im nächsten Schritt Schlüsse zu entwickeln, die in den Urteilen des Begriffes ihr Pendant hätten. Wie wir oben (1.2.1) gesehen haben, lag der Mangel des disjunktiven Urteils darin, die Einzelheit außer Acht zu lassen, und der hier vertretenen These zufolge gelingt es Hegel im disjunktiven Schluss nicht, das substantielle (Art-Gattung-) Modell mit dem Bedingung-Bedingtes-Modell des hypothetischen Schlusses zu vereinen. In diesem Abschnitt soll dies mit Hilfe von McTaggarts Kritik der hegelschen Schlüsse der Notwendigkeit verdeutlicht werden. Während McTaggart jedoch seine Aufmerksamkeit auf den kategorischen und den disjunktiven Schluss richtet, glaube ich, dass der für die Überleitung zur Darstellung der Objektivität wichtigste Schluss der hypothetische ist. Dort nämlich bringt Hegel Einzelheit und Totalität zum ersten Mal zusammen, und zwar in einer Weise, die die Darstellung des Mechanismus vorbereitet, welche zu Anfang fast völlig ohne das Gattung-Art-Modell auskommt. Wie das kategoriale Urteil beginnt auch der kategoriale Schluss mit der Gattung-Art-Beziehung. Unsere Frage ist nun, welchen Vorteil die Betrachtung dieser Beziehung als Schluss und nicht nur als Urteil bringt. Im Schluss wird die wesentliche Eigenschaft einer Gattung spezifiziert und einem Einzelnen zugeschrieben. Damit sind wir schon weiter als das einfache »Die Rose ist eine Pflanze«-Modell des kategorischen Urteils. Nehmen wir als Beispiel des kategorischen Schlusses: Sokrates ist ein Mensch Alle Menschen sind vernünft ig. Sokrates ist vernünft ig.

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Hier werden die drei Elemente des Begriffs, das allgemeine, besondere und einzelne, als Einheit gesetzt. Es handelt sich also um zwei Urteile, die gemeinsam ein drittes bilden. Hegel schreibt, die Einheit dieser Schlussfolgerung sei eine Vorform der Objektivität. So heißt es bei ihm: »Der kategorische Schluß ist daher insofern nicht mehr subjectiv; in jener Identität fängt die Objectivität an; die Mitte ist die inhaltsvolle Identität ihrer Extreme, welche in derselben nach ihrer Selbstständigkeit enthalten sind, denn ihre Selbstständigkeit ist jene substantielle Allgemeinheit, die Gattung.« (GW 12, 120)

Dies ist der Ort, an dem die Objektivität ihren Anfang nimmt, denn hier trifft man auf die Selbständigkeit, die den gesamten Bereich der »Objektivität« defi niert. In gewissem Sinne brauchen wir nicht mehr zu sagen, um zum Wesen des Einzelnen, Sokrates, zu gelangen. Aber natürlich ist dies nur der Anfang, und tatsächlich wird in diesem einfachen Schluss noch vieles, was über Menschen und über Sokrates zu sagen wäre, ausgelassen. Hauptargument der Kritik am Übergang ist, dass Sokrates neben dem wesentlichen, Mensch zu sein, noch viele andere Aspekte hat. Hegel schreibt: »[I]ndem das Subject ein unmittelbares Einzelnes ist, enthält es Bestimmungen, welche nicht in der Mitte, als der allgemeinen Natur enthalten sind« (GW 12, 12021). Der kategorische Schluss mag die wichtigste Bestimmung des Sokrates beinhalten, aber diese allein reicht kaum aus, ihn zu dem zu machen, was er ist. Bestimmend für den Übergang zum hypothetischen Schluss, in dessen Darstellung Hegel die Rede von Gattung und Art zugunsten der Sprache von Bedingungen fallen lässt, ist die nicht ausreichende Erfassung von Einzelheit bzw. unmittelbarer Wirklichkeit im kategorischen Schluss. Hegel legt das Hauptaugenmerk auf den Kontrast zwischen hypothetischem Urteil und hypothetischem Schluss und besonders auf den entscheidenden Unterschied, ob ein konditionales Urteil gefällt oder ein konditionaler Schluss gezogen wird. Das Urteil, »Wenn A ist, dann ist B« sagt nichts darüber aus, ob A tatsächlich ist, oder ob B ist. Bei Hegel heißt es, es gebe zwar eine »nothwendige Beziehung«, doch fehle »die Unmittelbarkeit der Bezogenen«. Im Schluss hingegen gilt: »Wenn A ist, so ist B. Nun ist A. Also ist B.« (GW 12, 121) In seiner Darstellung des Schlusses konzentriert sich Hegel auf den Untersatz (»A ist«) und die Unzulässigkeit, diesen als Behauptung bloßer Unmittelbarkeit zu lesen. Zunächst erörtert er jedoch das Urteil des Obersatzes. Er spricht von der Notwendigkeit bzw. der »innere[n] substantielle[n] Identität« (ebd.) von A und B im Urteil, wo A als die Bedingungen, unter denen Einzelne existieren, artikuliert werden kann. A ist nicht einfach, indem das All-

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gemeine diesen Bedingungen innewohnt, sondern es resultiert daraus, dass alle diese Bedingungen zur gleichen Zeit erfüllt sind. Deswegen bedient sich Hegel (verwirrender Weise) zur Erläuterung der »Totalität« der Sprache der Allgemeinheit. Inhalt bezeichnet hier sowohl die »Totalität der Bedingungen« als auch das Bedingte, die einzelne »Wirklichkeit«. Jede dieser beiden Versionen von Inhalt kann als »allgemein« oder als »einzeln« beschrieben werden. Er schreibt: »Insofern nemlich die Bedingungen noch das Innre, abstracte einer Wirklichkeit sind, sind sie das Allgemeine, und es ist das Zusammengefaßtseyn derselben in eine Einzelnheit, wodurch sie in Wirklichkeit getreten sind. Umgekehrt sind die Bedingungen, eine vereinzelnte, zerstreute Erscheinung, welche erst in der Wirklichkeit, Einheit und Bedeutung, und ein allgemeingültiges Daseyn gewinnt.« (GW 12, 122)

Seine Neubeschreibung des Urteils in der ersten Prämisse fortschreibend merkt Hegel an, dass die Beziehung Bedingung – Bedingtes als Ursache – Wirkung, Grund – Folge, gedacht werden kann, betont aber auch, dass die Beziehung von Bedingung und Bedingtem diesem Niveau angemessener ist, denn während Ursache und Wirkung in ihr Gegenteil »übergehend« seien, sei »die Bedingung wesentlich als eine gleichgültige Existenz« (GW 12, 122). Man kann also die Totalität der Bedingung als ›Zustand‹ denken, als einen Zustand der Welt, der prinzipiell von dem, was aus ihm folgt, unabhängig ist (wohingegen eine Ursache immer Ursache einer Wirkung ist). Doch genau diese Unabhängigkeit wird im nächsten Schritt des Schlusses in Frage gestellt. Wenn sich Hegel dem Untersatz, »Nun ist A«, zuwendet, beschreibt er ihn zunächst als Aussage über das Sein von A, geht dann aber wieder dazu über, von Bedingungen zu sprechen. Er schreibt: »A ist nun das vermittelnde Sein, insofern es erstens ein unmittelbares Seyn, eine gleichgültige Wirklichkeit, aber zweytens insofern es ebensosehr als ein an sich selbst zufälliges, sich aufhebendes Seyn ist.« (GW 12, 122) A wird als das eingeführt, was zu etwas anderem führt, als das, was zwischen unmittelbarem Sein und einem anderen Inhalt (B) vermittelt. Erläutern wir das an einem Beispiel, in dem eine Anzahl von Bedingungen in der Umwelt einen Zustand herbeiführen (und ich sage ausdrücklich nicht »verursachen«, auch wenn das in diesem Zusammenhang ganz natürlich wäre), der sich deutlich vom Ursprungszustand unterscheidet. Man stelle sich eine an der Außenseite eines Hauses verlegte Wasserleitung vor. Das Rohr steht unter Druck, und in dem Maße, in dem die Außentemperatur unter den Gefrierpunkt fällt, sinkt auch die Temperatur im Rohr auf den Nullpunkt. Unter diesen Bedingungen gefriert

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das Wasser im Rohr, und die der Dichteanomalie des Wassers geschuldete Ausdehnung führt, in Kombination mit dem im Rohr vorhandenen Druck, zum Bersten des Rohres und zu einem Wasserschaden. Nehmen wir die Bedingungen, die zum Rohrbruch führen, als A und den Rohrbruch als B, dann ist A eine »gleichgültige Wirklichkeit« in dem Sinn, dass sie einfach ein Zustand ist. Sie ist jedoch ein Zustand, der das Potenzial hat, B herbeizuführen, und einer, der »sich aufhebt«, indem die Unversehrtheit der Leitung sowie der Wasserdruck im Rohr durch die Erfüllung der Bedingung (dem Bersten der Rohrleitung) negiert werden. Somit trifft das Konditionalurteil des Hauptsatzes eine allgemeine Aussage: ›Wenn sich eine mit unter Druck stehendem Wasser gefüllte Rohrleitung an einem Ort befi ndet, an dem die Temperatur niedrig genug ist, das Wasser gefrieren zu lassen, dann birst das Rohr.‹ Wenn wir A bejahen, dann führen wir einen Einzelfall an, in dem die Bedingungen erfüllt sind, und zwar so erfüllt, dass alle anderen Bedingungen negiert werden, die den Rohrbruch verhindern könnten. So hätte der Hausbesitzer vor dem ersten Frost den Zulauf abstellen und den Hahn öff nen können. Hegel spricht vom »Übersetzen« der Bedingungen in eine neue Gestalt B, welches sie als Bedingungen definiert. Indem es dieses Vermögen zum Übersetzen von einem Zustand in einen anderen beinhaltet, ist A somit schon »die Einzelnheit, als sich auf sich beziehende negative Einheit« (GW 12, 122). Wenn diese Art der Rede, die Hegel regelmäßig zur Beschreibung der vollständigen Struktur des Begriffes (von Selbstbewusstsein und freiem Willen) gebraucht, auch über die uns hier beschäft igende Darstellung von Bedingungen hinausgehen mag, so passt sie m.E. doch mit der Art und Weise zusammen, in der man über Situationen wie die des Rohrbruchs spricht. Man sagt Dinge wie »Die niedrigen Temperaturen und das Nicht-Abstellen des Wassers waren für den Rohrbruch und den Wasserschaden verantwortlich.« Die Einzelheit ist die des spezifischen Ereignisses, welches unter anderem deswegen negativ bzw. ausschließlich ist, weil es alle anderen den totalen Zustand der Welt beschreibenden Bedingung ausschließt, um eine Anzahl für dieses Ereignis zureichender lokaler Bedingungen zu identifizieren. Diesen Selbstbezug hält Hegel im Vokabular der Bedingungen fest: »Die Bedingungen sind ein zerstreutes, seine Verwendung erwartendes und foderndes Material; diese Negativität ist das Vermittelnde, die freye Einheit des Begriffes. Sie bestimmt sich als Thätigkeit, da diese Mitte der Widerspruch der objectiven Allgemeinheit oder der Totalität des identischen Inhalts, und der gleichgültigen Unmittelbarkeit ist. − Diese Mitte ist daher nicht mehr bloß innere, sondern seyende Nothwendigkeit; die objective Allgemeinheit enthält die Beziehung auf sich selbst, als einfache Unmittelbarkeit, als Seyn« (GW 12, 122)

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Es gibt eine »Totalität des identischen Inhalts«, die einfach die zureichenden Bedingungen für ein Ereignis darstellt; der Gegensatz besteht gegenüber den Bedingungen, die eine Momentaufnahme der Welt darstellen. Die »Totalität« zureichender Bedingungen ist das Moment der Allgemeinheit, das Ereignis B, das Bersten des Rohrs, ist das Einzelne (wenn dies auch, wie Hegel anmerkt, umgekehrt werden könnte); und die spezifischen Umstände, die das Ereignis definieren (Temperatur, Wasserdruck, das Material des Rohrs) sind die Besonderheit. Vom Schlusssatz, »Also ist B«, sagt Hegel, dass A und B den gleichen »absolute[n] Inhalt« haben. A steht für die zureichenden Bedingungen und B für das Resultat dieser Bedingungen, jedoch haben diese zwei Seiten den gleichen Inhalt, den nur die »Vorstellung« auseinanderhält. Hegel zufolge ist »der Unterschied des A und B ein leerer Name«, weil B ganz einfach von der Totalität der Bedingungen A konstituiert wird. Es liegt ein Ereignis vor – »Das Rohr zerbarst« – das genauso gut durch eine Darstellung davon beschrieben werden könnte, wie die Leitung verlegt war, warum wir es versäumt haben, das Wasser abzustellen, wie der Installateur es hat versäumen können, uns zu warnen, usw. Die Bedingungen sind für das Ereignis »verantwortlich«, und in eben dieser Verantwortlichkeit besteht die Vereinzelung des Ereignisses. Die »sich auf sich beziehende Negativität« der Einheit der Bedingungen macht das Ereignis zum eigenständigen Einzelnen, es ›zieht sich in sich zusammen‹, wie Hegel es nennt, und hebt sich vom Rest der Bedingungen der Welt ab. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass die Notwendigkeit dieses Schlusses der der Kausalgesetze insofern ähnelt, als dass diese Gesetze Konditionale der Form, »Wenn Wasser gefriert, dann dehnt es sich aus«, absichern. Der hypothetische Schluss beschreibt eine Situation, in der eine solche Kausalität für ein einzelnes Ereignis geltend gemacht wird. Der einzige noch bis zum Erreichen der eigentlichen »Objektivität« verbleibende Schritt ist der »disjunktive Schluss«. Es ist jedoch schwierig, diesen Schritt vom »hypothetischen Schluss« aus zu tun, und er stiftet Verwirrung darüber, was genau Hegel mit »Objektivität« eigentlich meint. McTaggarts Kommentar zu den »Schlüssen der Notwendigkeit« arbeitet diese Schwierigkeiten überzeugend heraus. Der disjunktive Schluss soll das BedingungBedingtes-Modell des hypothetischen mit dem Gattung-Art-Modell des kategorischen Schlusses vereinen, anscheinend privilegiert er jedoch das substantielle Modell des letzteren. Hegel schematisiert den disjunktiven Schluss folgendermaßen: »A ist entweder B oder C oder D, A ist aber B; Also ist A nicht C noch D.

A ist entweder B oder C oder D, A ist aber nicht C noch D; also ist es B.« (GW 12, 124)

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Man erinnere sich, dass im disjunktiven Urteil das Entweder – Oder eine Totalität mit einer »immanenten Bestimmung« implizierte. McTaggarts Beispiel einer solchen immanenten Bestimmung ist die Universalie »finite spirits«. Er schreibt: »Let us, for example, assume that it is true that all finite spirits must be either angels, men, or brutes. Then if the connexion between the terms is not external, but intrinsic, and not derivative but ultimate, the Notion of a finite spirit would be one which was said to differentiate itself into angels, men, and brutes«17.

Engel, Menschen und Tiere sind die Besonderen (Art) des Allgemeinen (Gattung) der »endlichen Geister«. Zusammengenommen sind sie die »totale Besonderung«. Der Untersatz dieses Schlusses ist: »dieser endliche Geist ist ein Mensch« oder »dieser endliche Geist ist kein Engel oder Tier.« McTaggarts Kritik läuft auf die Behauptung hinaus, Hegel hätte direkt vom kategorischen zum disjunktiven Schluss übergehen können. McTaggart zufolge lässt sich der kategorische Schluss in der Aussage »Jedes X ist Y« zusammenfassen, für die er, als Alternative zu ›Syllogismus‹, den Namen »ultimate laws« vorschlägt. Von solch einem ultimativen Gesetz gelingt der Übergang zum disjunktiven Schluss, aber McTaggart kann nicht erkennen, wie man vom kategorischen zum hypothetischen Schluss gelangt oder wozu der hypothetische Schluss überhaupt benötigt wird, wenn man doch auch ohne ihn zum disjunktiven gelangen kann. Er schreibt: »And how are we to pass from ›all A are B,‹ where the same Individuals are A and B, and ›are‹ is only a copula, to ›if A is, B is,‹ where A and B are different Individuals, and ›is‹ seems to be an assertion of existence? Hegel does not tell us how this can be done—he does not seem indeed to realise the greatness of the difference—and I fail to see how such a transition is to be demonstrated. Nor do I see how we could make the further transition from it to ›A is either B, C, or D‹ of the Disjunctive Syllogism, since that takes us back again to the same type of proposition as we found in Categorical Syllogism«18.

Das grundsätzliche Problem dieser Auffassung liegt darin, dass sie Hegels Konzeption der Einzelheit nicht ernst nimmt. So steht bei McTaggart A für »alle A«, was es ihm unmöglich macht, Hegels wichtigsten Punkt in der 17 18

McTaggart (1910), S. 238. Ebd., S. 236.

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Darlegung des disjunktiven Schlusses zu würdigen, nämlich dass A sowohl für jegliches A als auch für dieses einzelne A stehen kann. Wir wollen wissen, wie etwas ein Einzelnes einer Gattung sein kann. Wir wollen die Gesamtbedingungen in Erfahrung bringen, die ein Einzelnes zu einem seiner Art und einzig in seiner Art machen. McTaggart scheint keine Ahnung zu haben, wie die Totalität der Bedingungen im hypothetischen Schluss dazu in der Lage wäre. Und doch liegt McTaggart mit seiner Beschwerde nicht ganz falsch. Wie ist es möglich, dass wir uns aufgrund des Bildes, in dem Einzelne mit Substanzuniversalien und Substanzuniversalien mit ihren wesentlichen Eigenschaften identifiziert werden, ein Bild einer für Existenz zureichenden Konditionalität machen? Wie unser Beispiel gezeigt hat, eignet sich der hypothetische Schluss viel eher zur Charakterisierung von Ereigniskausalität als zur Wesensbezeichnung verschiedener Typen von Objekten. Der Schritt vom hypothetischen Schluss zum disjunktiven Schluss bringt Negativität in die Gattung-Art-Beziehungen, erklärt aber nicht, wie der hypothetische Schluss die Einzelheit berücksichtigt. In der zweiten Prämisse soll es zwar ein Einzelnes der Gattung geben, da aber das Einzelne nur als eines der bestimmten Art identifiziert wird, ist es schwer einzusehen, wie die »Totalität der Bedingungen« des hypothetischen Schlusses noch zum Zug kommen könnte. In anderen Worten, der disjunktive Schluss ist der gleichen Kritik ausgesetzt, die Hegel schon am disjunktiven Urteil übte. Die eigentliche Vereinigung der beiden Modelle (Bedingung – Bedingtes und Gattung – Art) findet erst in der »Teleologie« mit ihrer Darlegung des »Schlusses des Begriffs« statt. Dies bedeutet meiner Ansicht nach, dass die ersten beiden Schritte in der »Objektivität«, der »Mechanismus« und der »Chemismus«, sich ihren Weg durch die Spannungen zwischen dem hypothetischen und dem disjunktiven Objektivitätsmodell und zwischen dem konditionalen und dem substantiellen Bestimmtheitsmodell bahnen, dabei aber deshalb keine stabile Einheit herstellen können, weil sie den Schluss des Begriffs noch nicht erreicht haben.

1.3 Die Bedeutung der Objektivität Offi ziell vollzieht sich der Übergang zur »Objektivität« im Abschluss der Vermittlung des disjunktiven Schlusses. Wenn ein Subjekt die volle Bestimmtheit des Begriffs erlangt hat und es somit nichts mehr gibt, das es in sich aufnehmen könnte, dann stellt es sich Hegel zufolge anderen Subjekten mit denselben Eigenschaften als ein Äußeres, etwas Hartes und Festes,

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dar. Man stelle sich eine Flüssigkeit vor, in der sich ein Granulat bis zu dem Punkt lösen lässt, an dem die Flüssigkeit gesättigt ist und kein Granulat mehr aufnehmen kann. Für Hegel ist das logische Subjekt des Urteils vollständig gesättigt, wenn es durch die Schlüsse der Notwendigkeit bestimmt worden ist. Beschleunigen wir den Prozess in unserer Metapher und nehmen an, die Lösung bleibe nicht flüssig, sondern verfestige sich, kristallisiere in der harten Form eines Festkörpers, der den Sättigungsprozess abgeschlossen hat. Obwohl Hegel behauptet, es sei der disjunktive Schluss, der den Übergang bewirke, ist der logische Schritt im hypothetischen Schluss einfacher nachzuvollziehen, denn im hypothetischen Schluss haben wir die Idee einer Totalität von Bedingungen dafür, dass ein Einzelnes ist, was es ist. Im disjunktiven Schluss kommt die Idee einer Begrenzung solcher Bedingungen hinzu, dergestalt, dass sie beschreiben, wie ein Einzelnes durch das die Art bestimmende Prinzip ein Einzelnes seiner Art ist. Trotz der Spannungen zwischen diesen beiden Modellen ist der Grundgedanke von Hegels Übergang leicht auszumachen: Vollständige inferentielle Bestimmung ist die notwendige Existenz eines Objekts, das den Bestimmungsgrund für alles, was es ist, in sich selbst trägt.

1.3.1 Der Schluss vom Begriff auf die Objektivität Nachdem er bereits mehrfach Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises verurteilt hat, verkündet Hegel nun, dass der Schritt von der Subjektivität zur Objektivität seine eigene Version dieses Beweises sei. Diese Behauptung ist charakteristisch für Hegels Beziehung zur metaphysischen Tradition, denn er bejaht sowohl einen angeblich von Kant widerlegten metaphysischen Satz und situiert ihn zugleich innerhalb eines nach-kantischen Rahmens, der die Bedeutung des Satzes radikal umformuliert. Hegel beschreibt das ontologische Argument als einen »Schluss« vom Begriff Gottes auf die Existenz Gottes und erwähnt in diesem Zusammenhang Descartes’ Version des Beweises als ein Gottesverständnis, dessen Begriff Sein »in sich schließt«. Er glaubt jedoch, dass Descartes’ Darstellung zu dem Zeitpunkt, an dem Kant ihn sich vorknöpfte, bereits zu einem formalen Beweis »herabgesunken« war19. Um Hegels Schritt hier nachvollziehen zu können, ist es hilf19

Er bezieht sich auf den Scheinsyllogismus, vor dem schon Descartes in der »Fünften Meditation« und seinen Antworten gewarnt hatte: »Alles, wessen Begriff das Prädikat Existenz beinhaltet, muss existieren. Der Begriff Gottes beinhaltet Existenz. Also muss Gott existieren.« In diesem Fall ist Gott einfach eine Instanz innerhalb des formalen Syllogismus.

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reich, sich die oben (1.1) getroffenen Aussagen zum Übergang von Spinozas Substanz zu Hegels Begriff in Erinnerung zu rufen. Hegel hat die zweiteilige Wechselwirkungs-Struktur durch die Drei-Momente-Struktur des Begriffs ersetzt. Zu Beginn der »Begriffslogik« in seiner Unmittelbarkeit eingeführt, hat der Begriff nun das Stadium erreicht, in dem er eine Welt konstituiert. Dies geschieht, wie dargelegt, dadurch, dass das konditionale und das substanzielle Bestimmtheitsmodell so entwickelt werden, dass sie zu den notwendigen und zureichenden Bedingungen Einzelner führen. Hegel identifiziert Einzelne als Wirklichkeitsmomente des Begriffs, und die Pointe des Bezugs auf den ontologischen Gottesbeweis liegt in der Aussage, dass der Begriff in seiner eigenen Entwicklung ein vom Begriff verschiedenes Wirklichkeitselement hervorbringt, wobei ›hervorbringen‹ eine logische Demonstration von Wirklichkeit oder Objektivität aus der Struktur des Begriffs heraus bezeichnet. Der Abschnitt »Objektivität« beginnt als Hegels eigene Version der Spinozistischen Substanz, und der Schritt zur Objektivität gleicht dem in der »Wesenslogik« getanen Schritt von der Substanz zur Wechselwirkung. Die anfängliche mechanistische Sicht der Objektivität beinhaltet eine unvollständige Vermittlung, ein unzureichendes Erfassen von Universalien und Einzelnen, und sie ist insofern mit Spinozas einer Substanz verwandt, als dass sie allumfassend ist und sich nicht um das spezifische Sein Einzelner kümmert. Hegel warnt sowohl davor zu glauben, dass mit diesem Schritt Gott gleichsam als in einer räumlichen und zeitlichen Welt existierend heraufbeschworen werde, als auch davor, in der Engführung von Gott und Objektivität eine Ungerechtigkeit Gott gegenüber zu sehen. Er betont, dass philosophisches Denken zu Beginn in »Gott« nur einen Namen sieht, ein Satzsubjekt, das »erst in seinem Prädicate Bestimmtheit und Inhalt erhält« (GW 12, 128). Und es ist in der Tat möglich, Gott als das in den bisher untersuchten Urteils- und Schlussfolgerungsformen bestimmte Urteilssubjekt zu denken. In der »Objektivität« sind wir beim Schritt vom mechanistischen zum zweckorientierten Gott angelangt, selbst wenn Hegel die Idee eines übernatürlichen Zweckes erst in der Einleitung zum »Teleologie«-Kapitel explizit mit Gott verknüpfen wird. Hegel bringt diese Sicht Gottes erneut mit traditionellen theologischen Anliegen in Verbindung und gibt einen Hinweis auf den Ablauf der Darstellung: »Gott als lebendiger Gott, und noch mehr als absoluter Geist wird nur in seinem Thun erkannt. Früh ist der Mensch angewiesen worden, ihn in seinen Werken zu erkennen; aus diesen können erst die Bestimmungen hervorgehen, welche seine Eigenschaften genannt werden; so wie darin auch sein Seyn ent-

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halten ist. So faßt das begreiffende Erkennen seines Wirkens, d. i. seiner selbst, den Begriff Gottes in seinem Seyn, und sein Seyn in seinem Begriffe. Das Seyn für sich oder gar das Daseyn ist eine so arme und beschränkte Bestimmung, daß die Schwierigkeit, sie im Begriffe zu finden, wohl nur daher hat kommen können, daß nicht betrachtet worden ist, was denn das Seyn oder Daseyn selbst ist.« (GW 12, 128)

Statt die Bestimmungen Gottes abstrakt zu denken, sollte man sie also in seinen Werken erkennen. Diese Passage legt nahe, dass die weiter entwickelten Gestalten der Logik die früheren, einfacheren Gestalten beinhalten, aber auch, dass die früheren Bestimmungen »arme und beschränkte« sind. Dies ist auch eine Warnung, nicht bei der Frage des Seins oder bestimmten Seins hängenzubleiben (wie es manchen metaphysischen Interpreten von Hegels Darstellung widerfährt). Stattdessen sollte Gott letztendlich als selbstverwirklichende Tätigkeit gedacht werden, wozu auch der Ausdruck »lebendiger Gott« und die Konzeption seines »Tuns« auffordern. Die »reale« Grundlage einer solchen Tätigkeit ist eben die mechanistische Welt der ersten, unmittelbaren Gestalt der Objektivität. Erst in der »Teleologie« ergibt sich das vollständige Bild der logischen Objektivität Gottes, und erst im dritten Abschnitt, der »Idee«, ergibt sich das volle Bild des göttlichen Begriffs auf logischer Ebene. Dies kündigt Hegel im Laufe seines Arguments für die Identität von Gott und Logik an, von der er anmerkt, man könne sie anfänglich und fälschlicherweise für eine Anwendung der Logik auf dem Gebiet des Göttlichen halten. In der folgenden Passage identifiziert er deutlich den Begriff mit dem Göttlichen und besteht darauf, dass göttliche Existenz nur in der Idee zu finden sei. Darüber hinaus betont er, dass der Objektivitätsbeweis eine Realität ergibt, die viel reicher ist als das Sein des traditionellen ontologischen Beweises. Er schreibt: »Allein bey der Exposition des reinen Begriffes ist noch weiter angedeutet worden, daß derselbe der absolute, göttliche Begriff selbst ist, so daß in Wahrheit nicht das Verhältniß einer Anwendung Statt finden würde, sondern jener logische Verlauf die unmittelbare Darstellung der Selbstbestimmung Gottes zum Seyn wäre. Es ist aber hierüber zu bemerken, daß, indem der Begriff als der Begriff Gottes dargestellt werden soll, er aufzufassen ist, wie er schon in die Idee aufgenommen ist. Jener reine Begriff durchläuft die endlichen Formen des Urtheils und des Schlusses darum, weil er noch nicht als an und für sich eins mit der Objectivität gesetzt, sondern erst im Werden zu ihr, begriffen ist. So ist auch diese Objectivität noch nicht die göttliche Existenz, noch nicht die in der Idee scheinende Realität. Doch ist die Objectivität gerade um so

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viel reicher und höher als das Seyn oder Daseyn des ontologischen Beweises, als der reine Begriff reicher und höher ist, als jene metaphysische Leere des Inbegriffs aller Realität.« (GW 12, 129)

Das Schließen auf die Existenz des Cartesianischen Gottes muss als eine Frage von weit größerer Tragweite erscheinen als das Schließen der logischen Form auf mechanische Objekte. Für Hegel aber sind die Kategorien Sein, Dasein und Existenz Begriffe mit je eigenem, bereits im Begriff enthaltenen Inhalt (sie sind keine raum-zeitlichen Kategorien). In ihrer begriffl ichen Reichhaltigkeit rangieren diese Kategorien weit unter dem Mechanismus (von der Teleologie ganz zu schweigen), gehören aber insofern zum Mechanismus, als dass mechanische Objekte so beschaffen sind, dass ihre begriffliche Struktur zu ihrer tatsächlichen Existenz ausreicht. Hegels Strategie lässt sich mit Blick auf die Kritik, die er hier und bereits in der »Seinslogik« an Kants Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises übt, verdeutlichen. In Hegels Interpretation behauptet Kant, »daß die Existenz oder das Seyn (was hier für gleichbedeutend gilt) keine Eigenschaft oder kein reales Prädikat sey, das heisse, nicht ein Begriff von etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne.« (GW 21, 73) Für Kant ändert sich am Begriff von hundert Talern nichts, wenn diese wirklich und nicht bloß möglich sind. Was sich im wirklich-Werden ändert ist, dass die hundert Taler Objekt der Wahrnehmung werden, was sich offensichtlich auf meine finanzielle Situation auswirkt. In gleicher Weise soll die Existenz Gottes nichts am Begriff Gottes ändern, weshalb sich aus dem Begriff wirkliche Existenz nicht ableiten lässt. Hegel beschreibt Kants Abtrennung des Seins vom Gottesbegriff in der gleichen Weise, in der er schon Kants fehlgeleitete Fixierung auf raum-zeitliche Anschauung kritisiert hatte: »Unüberwindlich aber wird allerdings die Schwierigkeit, im Begriffe überhaupt, und eben so im Begriffe Gottes das Seyn zu finden, wenn es ein solches seyn soll, das im Contexte der äussern Erfahrung oder in der Form der sinnlichen Wahrnehmung, wie die hundert Thaler in meinem Vermögenszustande, nur als ein mit der Hand, nicht mit dem Geiste Begriffenes, wesentlich dem äussern, nicht dem innern Auge sichtbares vorkommen soll; − wenn dasjenige, Seyn, Realität, Wahrheit genannt wird, was die Dinge als sinnliche, zeitliche und vergängliche haben.« (GW 12, 129)

Einerseits verneint Hegel, dass der Gedanke von »hundert Thaler[n]« ein Begriff im umfassenden Sinn sei, denn »die Form der einfachen Beziehung auf sich« (GW 21, 75) ist nicht Bestandteil einer solchen »Vorstellung«, die

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lediglich ein vom Subjekt zusammengehaltener Gedanke ist. »Wenn es nun allerdings seine Richtigkeit hat, daß Begriff vom Seyn verschieden ist, so ist noch mehr Gott verschieden von den hundert Thalern und den andern endlichen Dingen.« (GW 21, 77) Es sei absurd zu versuchen, Gott, und den Begriff, am Maßstab der Existenz endlicher Dinge messen zu wollen, die ›wirklicher‹ erscheinen, weil ihnen die Unmittelbarkeit raum-zeitlicher Anschauung zu eigen ist. Kants Fehler habe wiederum darin gelegen, im Begriff eine leere Form zu sehen, der es an der Singularität der Anschauung mangele. Wie wir gesehen haben, besteht Hegels Strategie darin, die Notwendigkeit der unmittelbaren Einzelheit der kantischen raum-zeitlichen Anschauung durch die Einsetzung des logischen Einzelnen als Moment des Begriffs selbst zu umgehen. Hegel betont die Verbindung von Objektivität und Einzelheit an gleich zwei Stellen in der Einleitung der »Objektivität« und besteht auf der »Selbst-Bestimmung« des Begriffes zu einem Einzelnem im Übergang zum Urteil: »Der Begriff ist als absolut mit sich identische Negativität, das sich selbst bestimmende; es ist bemerkt worden, daß er schon, indem er sich in der Einzelnheit zum Urtheil entschließt, sich als reales, seyendes setzt; diese noch abstracte Realität vollendet sich in der Objektivität.« (GW 12, 128)

Als Subjekt des Urteils ist das Einzelne noch immer eine »abstrakte Realität«. Die Realität des Begriffs entwickelt sich so weit, dass jeder Term des Schlusses alle drei Momente des Begriffs beinhaltet, was zu einer zumindest anfänglich ebenfalls unmittelbaren und abstrakten Konzeption von Objektivität führt. Schon auf der nächsten Seite besteht er dann nicht auf der bloßen Verbindung von Einzelheit und dem »Reale[n], Seinde[n]«, sondern auf der Überlegenheit der Einzelheit über das Sein: »Das Seyn, als die ganz abstracte, unmittelbare Beziehung auf sich selbst […]. Der Begriff, auch als formaler, enthält schon unmittelbar das Seyn in einer wahrern und reichern Form, indem er als sich auf sich beziehende Negativität, Einzelnheit ist.« (GW 12, 128–129)

Die Komparative »wahrern« und »reichern« weisen auf die Art und Weise hin, in der Hegel in einer Reichhaltigkeit von Bestimmungen einen Maßstab des Wahren sieht. Es fällt uns schwer zu akzeptieren, dass Sein und Existenz für sich genommen nicht sonderlich bedeutsam sind und dass der Sinn von Philosophie darin liegt, zu einer Wirklichkeit zu gelangen, die viel bedeutsamer ist als bloße Existenz. Diese ideale Wirklichkeit wird notwendig exis-

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tieren, weshalb man sich nicht auf Sein oder auf Existenz zu fi xieren braucht, als stellten sie eine getrennte Frage dar.

1.3.2 Bloße und vollständige Objektivität Die zwei Bedeutungen von Einzelheit, von denen Hegel ausgeht − das blanke Einzelne und die vollständige Integration der drei Momente des Begriffs − sind eng verwandt mit den zwei Bedeutungen von Objektivität, die Hegel in der Einführung zum gleichnamigen Abschnitt vorstellt. Die niedrigstehendere Bedeutung, die dem blanken Einzelnen entspricht, kontrastiert mit der Subjektivität. Dieser Kontrast stellt sich nirgends so deutlich dar wie in Fichtes sogenanntem subjektiven Idealismus, dessen Gesamtprojekt durchaus als »unendliche[r] Kampf« des absoluten Subjekts mit dem Objektiven erscheinen kann20: »Indem das Object in jenem Sinne dem im subjectiven Idealismus als das absolute Wahre ausgesprochenen Ich = Ich gegenübersteht, ist es die mannichfaltige Welt in ihrem unmittelbaren Daseyn, mit welcher Ich oder der Begriff sich nur in den unendlichen Kampf setzt, um durch die Negation dieses an sich nichtigen Andern ,der ersten Gewißheit seiner selbst die wirkliche Wahrheit seiner Gleichheit mit sich zu geben. − In unbestimmterem Sinne bedeutet es so einen Gegenstand überhaupt für irgend ein Interesse und Thätigkeit des Subjects.« (GW 12, 131)

Das Subjekt kann entweder die Negierung dieser Objektivität anstreben (Fichte) oder sie sich für sein eigenes Interesse und seine eigene Tätigkeit zu Nutze machen. In diesen Passagen geht es Hegel nicht einfach um eine Kritik des fichteschen Projekts, und im Vorlesungsmanuskript scheint Hegel gar bemüht, mit Fichte auf die Gefahren des objektiven Standpunkts hinzuweisen. Dort lobt er Fichte dafür, darauf bestanden zu haben, dass wir uns auf einen niederen »Standpunkt des Aberglaubens und der knechtischen Furcht« (§ 194 Z / Werke 8, 351) begeben, wenn wir Gott in diesem Sinne als ein Objekt behandeln. Der anderen Bedeutung von Objektivität zufolge zeichnet sich das Objekt dadurch aus, dass es das Anundfürsichseiende ist. Objekte sind »ohne Be20

Dieses Objekt schließt unsere eigene Körperlichkeit mit ein, welche wir Fichte zufolge überwinden sollen, um zum »Vehiculum« des Sittengesetzes werden zu können (SW IV, S. 216).

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schränkung« sowie »ohne subjectiven Ursprung und keiner Willkühr und ihre Nothwendigkeit verkehrenden Behandlung fähig« (GW 12, 131). In diesem Zusammenhang erwähnt Hegel von der Besonderheit des Künstlers unberührte vollkommene Kunstwerke; sein wichtigstes Beispiel jedoch ist ein politisches: »Obschon vernünft ige, theoretische oder sittliche Grundsätze nur dem Subjectiven, dem Bewußtseyn angehören, so wird das an und für sichseyende desselben doch objectiv genannt; die Erkenntniß der Wahrheit wird darein gesetzt, das Object, wie es als Object frey von Zuthat subjectiver Reflexion [ist], zu erkennen, und das Rechtthun in Befolgung von objectiven Gesetzen, die ohne subjectiven Ursprung und keiner Willkühr und ihre Nothwendigkeit verkehrenden Behandlung fähig sind.« (GW 12, 131)

Im letzten Teil liegt der Schwerpunkt auf der Stabilität des Gesetzes, seiner Unanfälligkeit dafür, durch Willkür verletzt und verkehrt zu werden. Diese Immunität ist mit der Verbindung von Gesetz und Strafe verknüpft, was aus anderen Bezugnahmen hervorgeht, in denen Hegel Strafe als dasjenige auffasst, das Gesetz und Einzelne in ein stabiles Gleichgewicht zurückführt21. Sieht man in der Verletzung des Gesetzes die Erfüllung eines hypothetischen Schlusses (Wenn du X tust, dann wird dir Y widerfahren; du tust X; Y [die Strafe] widerfährt dir), stellt sich diese Objektivität als eine inferentielle dar, in der Objektivität und Notwendigkeit eng verwandt sind. Hegel nimmt hier aber spätere Schritte vorweg, denn das Gesetz betritt offiziell erst an späterer Stelle im »Mechanismus«-Kapitel die Bühne. Die Doppeldeutigkeit der Objektivität birgt den Schlüssel zu einem Verständnis des Entwicklungsablaufs des Kapitels. Den Anfang macht die unmittelbare Objektivität der harten, mechanistischen Welt, am Ende steht eine sich selbst bestimmende, durch Negierung und Aneignung der bloßen Objektivität des Mechanismus erreichte, teleologische Objektivität: »Auf dem gegenwärtigen Standpuncte unserer Abhandlung hat zunächst die Objectivität die Bedeutung des an und für sichseyenden Seyns des Begriffes, des Begriffes, der die in seiner Selbstbestimmung gesetzte Vermittlung zur unmittelbaren Beziehung auf sich selbst, aufgehoben hat. Diese Unmittelbarkeit ist dadurch selbst unmittelbar und ganz vom Begriffe durchdrungen, so wie seine Totalität unmittelbar mit seinem Seyn identisch ist. Aber indem ferner der Begriff ebensosehr das freye Fürsichseyn seiner Subjectivität herzustellen 21

Vgl. insbes. PhG, 159; GW 9, 97-98.

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hat, so tritt ein Verhältniß desselben als Zwecks zur Objectivität ein, worin deren Unmittelbarkeit das gegen ihn Negative, und durch seine Thätigkeit zu bestimmende wird, hiemit die andere Bedeutung, das an und für sich Nichtige, insofern es dem Begriff gegenübersteht, zu seyn, erhält.« (GW 12, 131).

Der Begriff hat die Vermittlung aufgehoben und eine unmittelbare Beziehung zu sich erlangt. Das führt uns jedoch nicht auf den Ausgangspunkt zurück, denn diese Unmittelbarkeit ist »ganz vom Begriffe durchdrungen«. Die nunmehr in Unmittelbarkeit eingetauchte begriffliche Vermittlung muss erneut hervorbrechen und das »freie Fürsichsein« hervorbringen. Das Zweckverhältnis tritt also schon im mechanischen Prozess auf den Plan und stellt das eigentliche Ziel der »Objektivität« dar. Letztendlich geht es Hegel um die Subjektivität des Begriffs, sowohl weil sie die Dimension eines andauernden Prozesses umfasst, als auch weil sie die Freiheit der Selbstbestimmung zum Ausdruck bringt.

2. Vom Mechanismus zur Teleologie Am Anfang des »Mechanismus«-Kapitels beschreibt Hegel die unmittelbare Totalität des mechanischen Objekts als die Stufe, auf der Objektivität »noch nicht als Urtheil gesetzt« ist (GW 12, 133). Obwohl das Mechanische sozusagen über eine eingebaute inferentielle Struktur verfügt, ist die Vollständigkeit seiner Bestimmung unmittelbar. Objekte gehen untereinander nicht die Art bestimmter Beziehungen ein, die für Urteilsbeziehungen kennzeichnend sind. Die Objekte stehen nur in äußerlicher Beziehung zueinander, betont Hegel, sodass die Beziehungen den Objekten selbst fremd sind bzw. die Natur der Objekte selbst nicht beeinflussen. Erst wenn wir den »Chemismus« erreichen, nimmt die Sphäre der Objektivität Urteilscharakter an. In der »Teleologie« wird Objektivität schließlich als Schluss gesetzt, d. h. die Objekte selbst sind inferentiell konstituiert, sie besitzen innere inferentielle Beziehungen. In der Objektivität wiederholt Hegel also offensichtlich den Fortschritt in der Subjektivität. Schematisch stellt sich diese Wiederholung folgendermaßen dar: Begriff -> Urteil -> Schluss Mechanismus -> Chemismus -> Teleologie Die Wiederholung wird dadurch kompliziert, dass inferentielle Strukturen von Anfang an in der Objektivität präsent sind und dass Hegel sie im »Mechanismus« als auch im »Chemismus« mehrfach thematisiert. Eine noch

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größere Herausforderung stellt die zunehmend bedeutendere Rolle dar, die die Darstellung von Schlüssen für den Fortgang der Objektivität zurück zur Selbstbestimmung und damit zur Subjektivität spielt, führte doch in der »Subjektivität« eben dieser Fortgang zur Objektivität. In den zwei Fällen führt also die Parallelbewegung zu entgegengesetzten Resultaten: Begriff -> Urteil -> Schluss -> Objektivität Mechanismus -> Chemismus -> Teleologie -> Subjektivität (Idee) Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich m.E. dank der hier vertretenen These auflösen, dass die Teleologie mit dem »Schluss des Begriffs« eine neue Form der Schlussfolgerung einführt. Dieser Schluss vereint in der Tat die Konditionalität des Mechanismus mit der Gattung-Art-Beziehung des Zwecks und mündet in der Idee. In gewissem Sinn ist die Entwicklung vom Mechanismus zur Teleologie recht unkompliziert. Legt man den Maßstab der Selbstbestimmung von Einzelnen an, wird teleologische Aktivität offensichtlich höher einzuschätzen sein als bloß mechanische Objekte und Erklärungen. Hegel ermuntert seine Leser, die Entwicklung mit Blick auf menschliche Tätigkeit zu verstehen, wenn er vom geistigen Mechanismus spricht, in dem die Elemente einander äußerlich bleiben. »Eine mechanische Vorstellungsweise, ein mechanisches Gedächtniß, die Gewohnheit, eine mechanische Handlungsweise bedeuten, daß die eigenthümliche Durchdringung und Gegenwart des Geistes bey demjenigen fehlt, was er auffaßt oder thut« (GW 12, 133). Wenn er auch betont, dass sich im Mechanismus Tätigkeit sowohl auf theoretischem als auch auf praktischem Gebiet finden lässt, »so fehlt darin doch die Freyheit der Individualität« (GW 12, 133). Auf Seiten der Theorie bedeutet dies, dass das, was Objekte tun, wie sie aufeinander einwirken, durch nichts als die spezifische Natur des Objekts bestimmt wird, denn Objekte sind in sich geschlossene Entitäten, die »blind« mechanischen Gesetzen gehorchen. In der enzyklopädischen Logik hebt Hegel die praktische Seite noch mehr hervor, wenn er schreibt: »Das Handeln, Frömmigkeit u.s.f. ist ebenso mechanisch, in sofern dem Menschen durch Ceremonial-Gesetze, einen Gewissensrath u.s.f. bestimmt wird, was er thut, und sein eigener Geist und Wille nicht in seinen Handlungen ist, sie in ihm selbst somit äußerliche sind« (GW 20, 205).

Diese Äußerlichkeit zu sich selbst ist ein treffender Ausdruck für Entfremdung, die Art und Weise, in der man von seiner Tätigkeit entfremdet werden kann. Auf praktischem Gebiet soll die Entwicklung der »Objektivität« diese Entfremdung überwinden, und zwar nicht, indem man das Mechanische

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vollständig verwirft, sondern indem man versteht, wie das Mechanische in eine Sichtweise umgewandelt wird, in der die Tätigkeiten der Einzelnen ihre eigenen Tätigkeiten, ihre Zwecke selbstbestimmt sein können.

2.1 Das mechanische Objekt Hegel fordert uns auf, das mechanische Objekt als eines zu denken, das seinem zweifachen Interesse an Totalität und Einzelheit Rechnung trägt. Die Idee der Totalität scheint (wie beim hypothetischen Schluss) die Idee eines vollständig bestimmten Einzelnen mit sich zu führen, der Mechanismus hingegen behandelt die Totalität der Beziehungen als Beziehungen unbestimmter Einzelner. Die Leitidee ist die des Objekts als einer »unbestimmte[n] Bestimmtheit« (GW 12, 134), eines Einzelnen, welches eine Totalität von Bestimmungen trägt, aber nicht wesentlich durch diese Beziehungen konstituiert wird. Insofern es wesentlich unbestimmt und unmittelbar ist, ist das mechanische Objekt »gegen die Bestimmungen als einzelne, an und für sich bestimmte, so wie diese selbst gegeneinander gleichgültig. Diese sind daher nicht aus ihm, noch auseinander begreifl ich; seine Totalität ist die Form des allgemeinen Reflectirtseyns seiner Mannichfaltigkeit in die an sich selbst nicht bestimmte Einzelnheit überhaupt« (GW 12, 135). Das Objekt, so die Grundaussage, kann den Unterschied zwischen Einzelnen untereinander nicht erfassen, und in der Tat ist es von einer solchen Feindseligkeit dem bestimmten Einzelnen gegenüber gekennzeichnet. Die Idee eines unbestimmten Einzelnen ist ihm jedoch konstitutiv, und deshalb besteht Hegel darauf, es als »ein gewisses Arrangement von Theilen und Seiten« (GW 12, 135) zu denken, in dem diese Teile und Seiten jedoch einander gleichgültig sind. Von James Kreines stammt eine einleuchtende Darstellung des Mechanismus als Erklärung. Er beginnt mit der von Kant in der Kritik der Urteilskraft vertretenen These, ein mechanistisches Objekt sei ein Ganzes, dessen Teile und Kräfte in der Lage sind, »sich von selbst zu verbinden«22. Der Mechanismus geht davon aus, diese Teile und Kräfte seien für zufriedenstellende Erklärungen ausreichend, sodass ein »explanatory appeal« an ein Ganzes und seine Bestimmtheit »superfluous« 23 sei. Um erklären zu können, wie sich Gebilde in der Welt verhalten, braucht man sich auf nicht mehr zu berufen als auf interagierende Grundbausteine. Diese Behauptung hängt, wie Kreines unterstreicht, eng damit zusammen, dass mechanische Objekte sind, 22 23

KU 5:408; das Zitat fi ndet sich auch in Kreines (2015), S. 44. Kreines (2015), S. 44.

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was sie sind, ohne dass ein Ganzes in Betracht gezogen werden muss. Kreines zielt, in anderen Worten, darauf ab, Hegels Sicht auf Erklärungen und seine Ansichten zur Konstitution von Objekten in der Welt, als deckungsgleich darzustellen. Er betont, dass diese Objekte einander »gleichgültig« sind und in dieser Hinsicht nicht auf andere Objekte angewiesen sind, um zu sein, was sie sind. Und doch soll das einzelne Objekt durch die Totalität der es umgebenden Bedingungen bestimmt sein: »We might imagine proceeding to the limit here, and characterizing everything there is in every possible level of detail. But the problem is that none of these innumerably many ways of characterizing this can be of any more explanatory relevance than any other«24.

Objekte müssen das, was sie sind, sein durch das, was sie anderen Objekten antun; infolge der identischen Unbestimmtheit aller Objekte jedoch können ihre wechselseitigen Beziehungen faktisch wenig zur Bestimmung dessen, was die Objekte sind, beitragen. Um dem Argument Nachdruck zu verleihen, die Kette der Beziehungen fi nde kein Ende, weil keine der Beziehungen das Objekt bestimmt konstituiert, beschwört Hegel das Gespenst der »schlechten Unendlichkeit« im formalen Mechanismus herauf. Er spricht vom Mangel eines »Prinzip[s] der Selbstbestimmung« im mechanischen Objekt und führt hilfreicher Weise den »Determinismus« als denjenigen Erkenntnismodus ein, der zutrifft, wenn das Objekt das »Wahre« ist: »[D]er Determinismus […] gibt für jede Bestimmung desselben die eines andern Objects an; aber dieses andere ist gleichfalls indifferent, sowohl gegen sein Bestimmtseyn, als gegen sein actives Verhalten. − Der Determinismus ist darum selbst auch so unbestimmt, ins unendliche fortzugehen; er kann beliebig allenthalben stehen bleiben, und befriedigt seyn, weil das Object, zu welchem er übergegangen, als eine formale Totalität in sich beschlossen und gleichgültig gegen das Bestimmtseyn durch ein anderes ist. Darum ist das Erklären der Bestimmung eines Objects, und das zu diesem Behuffe gemachte Fortgehen dieser Vorstellung nur ein leeres Wort, weil in dem andern Object, zu dem sie fortgeht, keine Selbstbestimmung liegt.« (GW 12, 135)

Hegel beginnt mit einem Hinweis auf den Modus, in dem Objekte dem Determinismus gemäß bestimmt sein sollen. Objekte (und Akteure) sollen 24

Ebd., S. 46.

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passiv, von anderen Objekten bestimmt sein, diese anderen Objekte jedoch sind selbst dieser Bestimmungstätigkeit gegenüber gleichgültig und darüber hinaus jeweils noch von anderen Objekten bestimmt. Diese sogenannte Bestimmung findet kein Ende, was aber den Deterministen nicht davon abhält, sich mit irgendeinem Endpunkt ›zufrieden‹ zu geben; schließlich geht es ja nur um die abstrakte Behauptung, dass alles durch etwas ihm Äußerliches bestimmt wird. Als »eine formale Totalität« ist das Objekt so »in sich beschlossen«, wie es der formale Begriff vor dem Übergang zum Urteil war. Der entscheidende Punkt am Ende des Zitats ist, dass diese Äußerlichkeit echte Konsequenzen in Bezug auf die Art Erklärung hat, die man zu geben behaupten kann. Hegel nennt diese Erklärung ein »leeres Wort« und deutet an, dass eine nicht-leere Erklärungsform in irgendeiner Form mit »Selbstbestimmung« wird zu tun haben müssen. Mit Kreines ist Hegels Kritik dieses leeren Erklärungsbegriffs als Argument für die Selbstzerstörung des formalen Mechanismus aufzufassen. Sich in Abwesenheit einer inneren Bestimmtheit zur Erklärung eines Objektes allein auf disparate Teile zu berufen erklärt eben nichts wirklich. Kreines argumentiert, dass Hegel sich auf den formalen Mechanismus einlässt und ihn nicht ihm fremden, äußerlichen Maßstäben unterwirft. Denn der formale Mechanismus erhebt den Anspruch, Erklärungen bereitzustellen. Seine wichtigste Operation jedoch ist die Reduktion erklärender Ganzer auf elementare Teile, womit er sich aller Mittel beraubt, irgendetwas unterscheiden zu können, das zu echter Erklärung fähig wäre. So schreibt Kreines: »But the problem is that none of these innumerably many ways of characterizing things can be of any more explanatory relevance than any other. If no way of redescribing can be privileged over or better than any other, and all are equally arbitrary or a matter of subjective preference, then there can be no distinction between those that explain and those that merely describe without explaining«25

Die Tendenz geht dementsprechend dahin, sich auf eine Reihe unbestimmter Länge von Erklärungen zu berufen, da jedwedes Ende der Erklärungskette willkürlich, eine Sache persönlicher Präferenz sein wird. In seiner Kritik des Determinismus geht es Hegel eindeutig darum, dem Regress Einhalt zu gebieten, und der allgemeine Begriff »Selbstbestimmung« dient zur Beschreibung dessen, was ein solches Ende zu sein hätte. Für Kreines übernehmen »immanent concepts« diese Aufgabe, die ungefähr die gleiche Rolle 25

Ebd., S. 46–47.

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spielen wie die allgemeine Gattung im Gattung-Art-Modell von Bestimmtheit26. Diese immanenten Begriffe sind zuallererst elementare Dispositionseigenschaften, im Falle des Mechanismus also an erster Stelle der Begriff des »Stoffs« und seiner konstitutiven Kräfte. Es wird darum gehen, dass es, wenn es wahrhaft erklärende mechanische Erklärungen geben soll, dem Objekt immanente Grundmechanismen geben muss.

2.2 Der mechanische Prozess Der mechanische Prozess wird von Hegel mittels eines nicht aufgelösten Widerspruchs in der wechselseitigen Beziehung zueinander eingeführt. Zwei miteinander in Kontakt tretende indifferente Objekte stehen in keiner echten bestimmten Relation zueinander; sie sind somit in ihrer Beziehung identisch. Der Widerspruch besteht darin, dass sie in ihrer Identität einander äußerlich sind. Hegel schreibt: »Es ist hiemit der Widerspruch vorhanden, zwischen der vollkommenen Gleichgültigkeit der Objecte gegen einander, und zwischen der Identität der Bestimmtheit derselben, oder ihrer vollkommenen Aeusserlichkeit in der Identität ihrer Bestimmtheit. Dieser Widerspruch ist somit die negative Einheit mehrerer sich in ihr schlechthin abstossender Objecte, − der mechanische Proceß« (GW 12, 136)

Der Prozess ergibt sich aus der Auseinandersetzung mit diesem Widerspruch innerhalb des Objekts selbst. Die Einführung der im mechanischen Objekt fehlenden »negative[n] Einheit« stellt insofern einen Fortschritt dar, als dass nunmehr eine bestimmte bzw. ausschließliche Identität an die Stelle der kompletten Unbestimmtheit des alleinstehenden Objekts tritt. Das mechanische Objekt soll nicht durch seine Beziehungen zu anderen Objekten konstituiert werden. Stattdessen zeigt sich im Prozess des Mechanismus, dass und wie es so konstituiert ist, was in der Vereinzelung des Objekts durch den »realen Prozess« des Widerstandes der Objekte gegeneinander mündet.

26

Vgl. insbes. S. 59 ff. Diese Rolle übernehmen in Sterns Darstellung die Substanzuniversalien, was jedoch nicht über signifi kante Unterschiede zwischen den beiden Autoren hinwegtäuschen sollte; vgl. Kreines (2015), Kap. 6.

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2.2.1 Kausalität und Mitteilung Als allgemeiner Name für die Interaktion mechanischer Objekte dient Hegel die Rede von der »Mitteilung« und nicht von ›Kausalität‹ (die er streng genommen in der Wesenslogik hinter sich lässt). Der erste Prozess des Mechanismus ist in dem Sinn »formal«, dass Objekte einer Kommunikation mit anderen gegenüber zwar offen sind, ihre Gleichgültigkeit jedoch beibehalten. Hegels Grundgedanke besteht hier darin zu belegen, wie Mitteilung zwischen gleichgültigen Objekten stattfinden kann, ohne dass irgendeinem der Objekte eine eigene, mit den anderen Objekten kontrastierende Identität zukommen würde. Anfänglich zeigt die Mitteilung, wie die Gleichgültigkeit der Objekte mit der Passivität der Einzelnen angesichts einer allgemeinen Mitteilung einhergeht. Diese Passivität wird später einer asymmetrischen Bestimmung einiger Objekte durch andere und letztlich einem das Feld des Mechanischen vervollständigenden Bestimmungszentrum Platz machen. Hegels Wortwahl ermöglicht einen Vergleich zwischen der materiellen Kommunikation zwischen Körpern und der geistigen zwischen Personen. Von der geistigen Mitteilung in der allgemeinen Form der Sprache sagt er, sie »verallgemeinert« sich »continuirt, und ohne alle Veränderung« (GW 12, 138), so, wie sich ein Duft in der Luft verbreitet. Er betont zunächst die Ähnlichkeit von Personen und Objekten (welche er als elementare Dinge ansieht und den Personen gegenüberstellt), wenn er behauptet, in beiden mache »sich ihre Bestimmtheit auf eine ebenso ideelle Weise so zu sagen, breit« (GW 12, 138), um dann darauf hinzuweisen, dass das, was wir unter festen stofflichen Objekten verstehen, tatsächlich durchlässiger bzw. Mitteilungen gegenüber offener ist als Personen es sind. Diesen kontraintuitiven Weg geht Hegel einen Schritt weiter mit der Anmerkung, Persönlichkeit sei »eine unendlich intensivere Härte« (GW 12, 138) als stoffliche Objekte, wobei er wahrscheinlich die menschliche Fähigkeit im Sinn hat, sich sämtlichen Bestimmungen zu verschließen. (Es kann sich hier gut um ein Echo des am Ende des »Geist«-Kapitels der Phänomenologie besprochenen »harten Herzens« handeln.) Was die Momente des Begriffs anbelangt, betont Hegel den Mangel an Vermittlung zwischen den als »blanke Einzelne« verstandenen Objekten und der als allgemein verstandenen Mitteilung. Wenn auch die verschiedenen Arten von Mitteilung eine gewisse Bestimmtheit haben, so bleibt doch jede dieser allgemeinen Bestimmtheiten im Durchdringen der Einzelnen die gleiche. In diesem formalen Prozess haben wir es mit »einer ungehinderten Continuirung der Bestimmtheit des einen in dem andern« (GW 12, 138) zu

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tun. Hegel konkretisiert diese Aussage mit Beispielen aus beiden Teilen der Realphilosophie. »Im Geistigen ist es nun ein unendlich mannichfaltiger Inhalt, der mittheilungsfähig ist, indem er in die Intelligenz aufgenommen, diese Form der Allgemeinheit erhält, in der er ein mittheilbares wird. Aber das nicht nur durch die Form, sondern an und für sich Allgemeine ist das Objective als solches, sowohl im Geistigen als im Körperlichen, wogegen die Einzelnheit der äussern Objecte, wie auch der Personen ein unwesentliches ist, das ihm keinen Widerstand leisten kann. Die Gesetze, Sitten, vernünft ige Vorstellungen überhaupt, sind im Geistigen solche Mittheilbare, welche die Individuen auf eine bewußtlose Weise durchdringen, und sich in ihnen geltend machen. Im Körperlichen sind es Bewegung, Wärme, Magnetismus, Electricität und dergleichen − die, wenn man sie auch als Stoffe oder Materien sich vorstellen will, als imponderable Agentien bestimmt werden müssen, − Agentien, die dasjenige der Materialität nicht haben, was ihre Vereinzelung begründet.« (GW 12, 138)

Hegel kontrastiert das Mitteilbare als dasjenige, dem in einem subjektiven Geistesakt eine objektive allgemeine Form gegeben wird, einerseits, mit dem »an und für sich Allgemeine[n]« als einem objektiven Inhalt, der den Einzelnen mitgeteilt wird, ob sie das wollen oder nicht, andererseits. Einzelne Personen sind unwesentlich angesichts von Gesetzen und Sitten, die »auf eine bewußtlose Weise« das einzelne Bewusstsein durchdringen. Die Erwähnung des Gesetzes ist voreilig, und im Fall der Naturphänomene – »Bewegung, Wärme, Magnetismus, Electricität und dergleichen« – scheint Hegel die Naturgesetze absichtlich nicht zu thematisieren. Hier sagt er, wir stellten uns diese Naturbausteine als »imponderable Agentien« vor, weil sie weder die stofflichen Eigenschaften aufweisen, die Objekte vereinzeln könnten, noch sich in ihrer Durchdringung stoffl icher Körper verändern. Der Mechanismus hat noch nicht den Punkt erreicht, an dem die Gesetze einen eigenen Status innehätten und dementsprechend nicht mehr als Imponderabilien dargestellt werden brauchten. Hegel arbeitet die Tätigkeit des Prozesses der Objektivität in der Diskussion des Prozesses als Aktion, Reaktion und Rückkehr zur »Ruhe« weiter aus. Diese Diskussion stellt Hegels erste echte Erklärung eines objektiven inferentiellen Prozesses dar und rechtfertigt daher eine eingehende Betrachtung. Der Anfangszustand ist ein solcher, in welchem es mehrere einander gleichgültige einzelne Objekte gibt, die jedoch alle für Mitteilungen durch »Allgemeine« wie Bewegung oder Magnetismus empfänglich sind. Nehmen

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wir den einfachsten Fall, den der Bewegung, und stellen uns die Aktion eines Körpers A vor, der sich auf einen anderen Körper B zubewegt. Das Allgemeine – Bewegung – wird in seiner Verteilung auf den Körper A spezifisch, und zugleich wird der Körper A als sich bewegender Körper allgemein. Wenn eine Billardkugel eine andere trifft, wird der ruhenden Kugel B Bewegung von der sich bewegenden Kugel A mitgeteilt. B nimmt nun das Allgemeine – Bewegung – als Reaktion auf bzw. als Konsequenz des Aufpralls. Hegel schreibt: »das Allgemeine specificirt sich somit zugleich in ihnen« (GW 12, 139). Schließlich stellt jedes Objekt seine Einzelheit im Abstoßen vom anderen unter Beweis, indem es »durch die Elasticität seiner Selbstständigkeit das Gesetztseyn eines andern in ihm ausstößt, und seine Beziehung auf sich erhält.« (GW 12, 139) Das Resultat ist eine Rückkehr zur Ruhe, einem Zustand, in dem beide Objekte wiederum einzelne einander gleichgültige und für Mitteilung empfängliche Dinge sind. Das Objekt hat sich behauptet, seine Einzelheit anderen gegenüber erhalten, aber es hat sich ebenso in diesem Prozess als eine Funktion seiner Beziehungen zu anderen Körpern durch allgemeine Kräfte erwiesen. Das heißt, das einzelne Objekt definiert sich nun über die besonderen Folgen der Bedingungen, unter denen es mit anderen Objekten durch Allgemeine (Bewegung, Magnetismus usw.) interagiert. Das meint Hegels Aussage, der Prozess zeige, dass die Vermittlung im Objekt selbst enthalten ist. Im sich so ergebenden Gesamtbild sind mehrere mechanische Kräfte am Werk, und das Objekt stellt sich als Potential dar, von der Mitteilung solcher Kräfte durch andere Objekte affiziert zu werden. In seiner Zusammenfassung betont Hegel, dass die Relationalität des formalen Prozesses das explizit mache, was im Objekt zunächst implizit geblieben sei: Die statische Totalität des am Anfang stehenden Objekts wird durch eine dynamische Konzeption ersetzt, in der mitteilbare Universalien ein Objekt als den Ort des Wechselspiels von Kräften und Objekten definieren. Im folgenden Zitat unterstreicht Hegel dieses ›Gesetztsein‹ und vergleicht die Dynamik von Anfang – Prozess – Produkt mit der späteren teleologischen Konzeption. »Sonach ist das Product dasselbe, was das in den Proceß erst eingehende Object. Aber zugleich ist es erst durch diese Bewegung bestimmt; das mechanische Object ist überhaupt nur Object als Product, weil das, was es ist, erst durch Vermittlung eines Andern an ihm ist. So als Product ist es, was es an und für sich seyn sollte, ein zusammengesetztes, vermischtes, eine gewisse Ordnung und Arrangement der Theile, überhaupt ein solches, dessen Bestimmtheit nicht Selbstbestimmung, sondern ein gesetztes ist.

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Auf der andern Seite ist ebensosehr das Resultat des mechanischen Processes nicht schon vor ihm selbst vorhanden; sein Ende ist nicht in seinem Anfang, wie beym Zwecke. Das Product ist eine Bestimmtheit am Object als äusserlich gesetzte. Dem Begriffe nach ist daher diß Product wohl dasselbe, was das Object schon von Anfang ist. Aber im Anfange ist die äusserliche Bestimmtheit noch nicht als gesetzte. Das Resultat ist insofern ein ganz anderes, als das erste Daseyn des Objects, und ist als etwas schlechthin für dasselbe zufälliges« (GW 12, 139-140).

Erst im Prozess als Produkt wird ersichtlich, wie das Objekt die vom Schluss erreichte vollständige Vermittlung in sich trägt. Von Hegel hier im abwertenden Sinn gebraucht, bezeichnet »Gesetztes« die Willkürlichkeit sowohl des Objekts als Produkt, als auch der »Vermittlung eines Anderen«. Dieser Willkürlichkeit stellt er die »Selbstbestimmung« gegenüber, um zu zeigen, dass das Objekt keine eigene bestimmte Wesensart besitzt. Es ist bloß eine Verbindung und Vermischung von beweglichen Teilen. Diese Willkür ist dafür verantwortlich, dass wir nicht (wie das in der »Teleologie« möglich sein wird) davon sprechen können, das Ende (das Produkt) sei das gleiche wie der Anfang (das Objekt). Weil die Bestimmtheit eine »äußerlich gesetzte« ist, ist auch das Resultat ein »ganz anderes« als die anfängliche Bestimmtheit des Objekts. Der Begriff des Objekts wird im Resultat vervollständigt; da aber der Begriff des Objekts selbst diese Kontingenz der Vermittlung beinhaltet, hat das gesetzte Resultat keine wesentliche Beziehung zum Anfang. Wo im Zweck ein Prozess der Ausführung stattfindet, führt die unbestimmte Bestimmtheit des mechanischen Objekts dazu, dass der mechanische Prozess das Objekt in einer Weise artikuliert, die in den Anfangsbedingungen lediglich äußerlich enthalten ist.

2.2.2 Der reale mechanische Prozess und das Schicksal Die grundlegende Verschiebung, die sich in Hegels Diskussion des »reale[n] mechanische[n] Proceß[es]« vollzieht, besteht darin, dass nun eine »reale« Differenz zwischen kommunizierenden Objekten besteht, die sich eine gewisse Unabhängigkeit als Bestimmungszentren verschafft haben. Sie »sind nicht bloß verschiedene, sondern bestimmt unterschiedene gegen einander« (GW 12, 140). Diese Differenz lässt sich am einfachsten als Stärke bzw. Schwäche fassen; so spricht Hegel z. B. von Körpern größerer oder geringerer Masse. Um diese Unabhängigkeit des Objekts zum Ausdruck zu bringen, bedient Hegel sich eines Begriffs von entscheidender Wichtigkeit, dem der

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Reflektion-in-sich: »Indem nun ferner die Bestimmtheit eine gesetzte, und der Begriff des Objects durch die Vermittlung hindurch zu sich selbst zurückgegangen ist, so hat das Object die Bestimmtheit als eine in sich reflectirte an ihm.« (GW 12, 140) Mithilfe der Reflektion-in-sich lassen sich äußerliche Beziehungen als für das einzelne Objekt konstitutiv denken; »in sich reflektiert« bezeichnet also eine Einbindung der Beziehung zu anderen in ein einzelnes Gebilde. Auf dem Gebiet menschlichen Handelns ist die Übernahme von Verantwortung paradigmatisch; Hegel aber möchte die Beziehung allgemeiner anwenden, um aufzuzeigen, wie die Identität eines Objekts nunmehr durch eine Vermittlung konstituiert wird. Das war oben im Zusammenhang des hypothetischen Schlusses gemeint, als davon die Rede war, das eingefrorene Rohr sei für den Wasserschaden verantwortlich. Im »realen mechanischen Prozess« wird die Beziehung zu anderen Objekten als asymmetrisch, als stärker oder schwächer gedacht, und davon ausgehend wird die im Urteil und Schluss so prominente Art-Gattung-Beziehung nunmehr auf dem Feld der Objektivität zu entfalten sein. Ein realer mechanischer Prozess kann nur stattfinden, wenn zwei Objekte »eine Sphäre« (GW 12, 140) bilden. Ein zu schwaches Objekt wird die Kraft eines stärkeren nicht einmal angreifen, weshalb kein Prozess stattfi nden wird. Dafür führt Hegel als Beispiele ein freihängendes Leinentuch an, das eine Flintenkugel nicht wird durchschießen können, sowie die Schwierigkeiten, die eine intelligente Person dabei hat, sich argumentativ gegen einen Dummkopf durchzusetzen. Sobald jedoch die Beziehung des schwächeren Objekts zum stärkeren eine des Widerstands ist, kann es gegen dessen Allgemeinheit nicht bestehen und wird von ihm zerstört. Nehmen wir ein glühend heißes Eisen, das an eine Wachskerze gehalten wird, als Beispiel. Die Hitze im Eisen ist die »objektive Allgemeinheit«, und anfänglich widersteht die Kerze der Wärme. Bald aber schmilzt das Wachs und die Kerze hört auf, Kerze zu sein und wird stattdessen zu einem Wachsfleck mit einem Docht darin. Die »relative Unselbstständigkeit« des Objekts zeige sich, so Hegel, darin, dass es sich »an diesem Allgemeinen nicht als Subject constituiren, dasselbe nicht zu seinem Prädicate machen kann.« (GW 12, 141) Wären die Stärken der Objekte näher an einem Gleichgewicht, würden wir einfach sagen: »Die Kerze ist heiß«. Die Hitze wäre ein Prädikat der Kerze, würde sie aber nicht zerstören. Hegels nächster Schritt besteht darin, die Macht eines Objekts über andere von einer Beziehung der Gewalt abzuheben. Im ersten Fall lässt sich die Beziehung als »wesentliche Unterordnung«, wie sie in »Der absolute Mechanismus« entwickelt wird, auffassen. Der zweite Fall ist genuiner Bestandteil des realen mechanischen Prozesses, der wesentlich die Überwindung und der

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Verschleiß eines Objekts durch eine anderes ist. Das Einzelne geht zugrunde, weil es die Allgemeinheit nicht in sich aufnehmen, nicht in sich reflektieren kann. Hegel schreibt: »Die Macht wird dadurch zur Gewalt, daß sie, eine objective Allgemeinheit, mit der Natur des Objects identisch ist, aber ihre Bestimmtheit oder Negativität nicht dessen eigene negative Reflexion in sich ist, nach welcher es ein Einzelnes ist. Insofern die Negativität des Objects nicht an der Macht sich in sich reflectirt, die Macht nicht dessen eigene Beziehung auf sich ist, ist sie gegen dieselbe nur abstracte Negativität, deren Manifestation der Untergang ist.« (GW 12, 141)

Somit besteht die Natur beider Objekte in der mitzuteilenden »objective[n] Allgemeinheit«. Die Bestimmtheit der objektiven Allgemeinheit fällt jedoch nicht mit der »negative[n] Reflexion in sich« zusammen, die das schwächere Einzelne zu dem Einzelnen macht, das es ist. In unserem Kerzenbeispiel besteht die »negative Reflexion in sich« der Kerze in den Identitätsbedingungen der Kerze, wobei diese insofern negativ sind, als dass sie bestimmte äußere Einflüsse und Charakterisierungen ausschließen, und in sich reflektiert sind, als dass diese Bedingungen in dieser einzelnen Kerze vereint sind. Die Kerze kann die Wärmemenge im Eisen nicht in sich reflektieren, d. h. die Bedingungen dafür, festes Wachs zu bleiben, werden von der Hitze des Eisens verletzt. Die Macht der objektiven Allgemeinheit (der Wärme im Eisen) wird zur Gewalt der mechanischen Beziehung und der Zerstörung des Objekts. Wenn er dann diesen realen Mechanismus mit dem Schicksalsbegriff in Beziehung setzt, verbindet Hegel das Konditional-Modell der Bestimmung mit dem Substanz (Gattung-Art)-Modell. Er tut dies anhand einer Unterscheidung zwischen drei Klassen von Objekten: bloß endliche äußere Objekte; Pflanzen und nicht-menschliche Tiere; und Menschen. Er schreibt: »Die Macht, als die objective Allgemeinheit und als Gewalt gegen das Object, ist, was Schicksal genannt wird; − ein Begriff, der innerhalb des Mechanismus fällt, insofern es blind genannt, d. h. dessen objective Allgemeinheit vom Subjecte in seiner specifischen Eigenheit nicht erkannt wird.« (GW 12, 141)

War in der Unterscheidung von Macht und Gewalt die Beziehung zunächst spekulativ als »Reflexion in sich« gefasst worden, spricht Hegel hier von einer Unfähigkeit des Subjekts, die objektive Allgemeinheit »in seiner spezifischen Eigenheit« zu erkennen. Die Aussage ist in beiden Fällen im Wesentlichen die gleiche, wird aber durch Hegels Verwendung des kognitiven Ausdrucks

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»erkannt« zur Definition der Blindheit der Notwendigkeit auf wichtige Weise kompliziert. Als Nächstes unterscheidet er das Schicksal von Lebewesen von dem, was bloßen Objekten im Allgemeinen zustößt: »Um einiges Weniges hierüber zu bemerken, so ist das Schicksal des Lebendigen überhaupt die Gattung, welche sich durch die Vergänglichkeit der lebendigen Individuen, die sie in ihrer wirklichen Einzelnheit nicht als Gattung haben, manifestirt. Als bloße Objecte haben die nur lebendigen Naturen wie die übrigen Dinge von niedrigerer Stuffe kein Schicksal; was ihnen widerfährt, ist eine Zufälligkeit; aber sie sind in ihrem Begriffe als Objecte sich äusserliche; die fremde Macht des Schicksals ist daher ganz nur ihre eigene unmittelbare Natur, die Aeusserlichkeit und Zufälligkeit selbst.« (GW 12, 141)

Das Schicksal von Lebewesen ist ihre Gattung. Auf den ersten Blick erscheint dies als eigenartige Behauptung, würde man doch von der Gattung denken, sie sei eben jene Macht, die mit den Einzelnen zusammenfällt und deshalb nicht zur Gewalt wird. Es geht Hegel hier jedoch lediglich darum, dass ein von der Gattung selbst bestimmtes Zugrundegehen Teil des Lebendig-Seins ist. Dies ist kein Fall eigentlichen Schicksals, weil es von lebendigen (nicht-menschlichen) Einzelnen nicht als blind erfahren wird, weil ihnen in ihrer »wirklichen Einzelheit« ganz einfach das Bewusstsein fehlt, einer Gattung anzugehören. In dieser Passage geht es um den Kontrast zu »bloßen Objekten«, die »kein Schicksal« haben, weil sie ganz einfach die Kontingenz der endlichen Welt erfahren. Betrachten wir »lebendige Naturen« als bloße Objekte, so sind sie sich selbst äußerlich und erleiden »die fremde Macht des Schicksals« ganz einfach wegen ihrer Unmittelbarkeit als endliche Objekte. Die »Blindheit« des Schicksals kommt in der Behauptung zum Vorschein, dass Schicksal streng genommen ein nur freien, selbstbewussten Wesen zuzuordnender Begriff ist. Der naheliegendste Grund dafür ist, dass nur ein selbstbewusstes Wesen in der Lage ist, zwischen der Blindheit mechanischer Notwendigkeit und der intelligiblen Welt ethischer Notwendigkeit zu unterscheiden. Schicksal ist deshalb mit dem Begriff der Entfremdung verbunden: In der Entfremdung ist man in eine fremde Notwendigkeit verstrickt, der man keinen Sinn abgewinnen kann. Hegel schreibt: »Ein eigentliches Schicksal hat nur das Selbstbewußtseyn; weil es frey, in der Einzelnheit seines Ich daher schlechthin an und für sich ist, und seiner objectiven Allgemeinheit sich gegenüberstellen, und sich gegen sie entfremden kann. Aber durch diese Trennung selbst erregt es gegen sich das mechanische Verhältniß eines Schicksals. Damit also ein solches Gewalt über dasselbe haben

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könne, muß es irgend eine Bestimmtheit gegen die wesentliche Allgemeinheit sich gegeben, eine That begangen haben. Hiedurch hat es sich zu einem besondern gemacht, und diß Daseyn ist als die abstracte Allgemeinheit zugleich die für die Mittheilung seines ihm entfremdeten Wesens offene Seite; an dieser wird es in den Proceß gerissen. Das Thatlose Volk ist Tadellos; es ist in die objective, sittliche Allgemeinheit eingehüllt und darin aufgelöst, ohne die Individualität, welche das Unbewegte bewegt, sich eine Bestimmtheit nach Aussen, und eine von der objectiven abgetrennte abstracte Allgemeinheit gibt, womit aber auch das Subject zu einem seines Wesens entäusserten, einem Objecte wird und in das Verhältniß der Aeusserlichkeit gegen seine Natur und des Mechanismus getreten ist.« (GW 12, 141-142)

Es steckt viel in diesem Zitat, angefangen mit der Behauptung, ein freies Wesen sei »in der Einzelnheit seines Ich daher schlechthin an und für sich«, d. h. ein freier Mensch könne sich seinem, hier als »objective Allgemeinheit« (eine weiter gefasste Version der kurz darauf erwähnten »sittliche[n] Allgemeinheit«) aufzufassenden, Menschsein gegenüberstellen. Man kann sich vom Menschsein entfremden, weil die eigene Einzelheit einen besonderen Status hat. Die »Tat« eröff net dem Einzelnen das Schicksal, denn in der Tat tut man etwas, das aus dem normalen Gang des quasi-natürlichen sittlichen Lebens herausragt. Die hier in Frage stehende »Bestimmtheit« bzw. abstrakte Allgemeinheit ist ein transgressives, gegen soziale Normen verstoßendes Handeln. Ganz so hatte Hegel schon in der Phänomenologie über Faust geschrieben, und zwar unmittelbar nachdem er dort ein »glückliches Volk« beschrieben hatte, dessen Glück keinen Bestand haben kann und das zur Verwirklichung seiner Freiheit Entfremdung erleiden muss27. Hier geht es um das in sittliche Allgemeinheit »eingehüllt[e]« »[t]hatlose Volk«. Es ist offensichtlich, dass für Hegel einem Volk, in dem Einzelheit noch nicht als Kraft in Erscheinung getreten ist, in dem es weder Taten noch Tadel gibt, ein Mangel anhaftet. Auch ohne die Frage weiter zu verfolgen, warum sich daraus ein mechanischer Prozess ergibt, wird ersichtlich, dass Hegel hier das Argument für ein gesetzmäßiges sittliches Leben als absoluter Mechanismus im nächsten Abschnitt vorbereitet. Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass diese Tat nicht die gesamte Struktur der Teleologie trägt. Wiederum handelt es sich nicht um die Verwirklichung eines Zwecks in seiner Ausführung, 27

Die Phänomenologie des Geistes vermittelt einen besseren Eindruck des Fortschritts, den die Notwendigkeit des Schicksals, das Gebundensein des Menschen durch notwendige (wenn auch blinde) Konsequenzen, darstellt. Dies ist die Vorform des Verbrechers, dessen Beziehung zum Gesetz und zur Strafe eine so wichtige Rolle in Hegels Beschreibung seines inferentiellen Holismus spielt.

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Dean Moyar . Die Objectivität

sondern um eine normverletzende Tat mit notwendigem aber unverständlichem Ergebnis.

2.3 Absoluter Mechanismus und inferentielles System Die Bedeutung des das »Mechanismus«-Kapitel abschließenden Abschnitts liegt darin, dass hier Hegels zwei Themen, Einzelheit und Systematizität bzw. Totalität, (erstmals) voll zum Tragen kommen. Das Zusammenfließen bestimmender Kräfte in einem »Zentrum« und die Idee eines Systems von Schlussfolgerungen sind gleichzeitig Gegenstand der Darstellung. Hegel setzt dieses Schlussfolgerungssystem mit einer Gesetzeskonzeption in Beziehung und verknüpft es so mit dem vertrautesten Aspekt sowohl wissenschaft licher als auch sittlicher Praxis. Objekte werden durch ihre inferentiellen Beziehungen zueinander konstituiert, soweit wir uns aber weiterhin auf dem Gebiet des Mechanismus befinden, bleiben diese Beziehungen von einer gewissen Äußerlichkeit gekennzeichnet. Kehren wir zunächst zu Kreines’ Darstellung zurück, zum einen, weil die Grundlinien seiner Interpretation der hegelschen Darstellung von Erklärung m.E. in die richtige Richtung gehen, zum anderen aber auch, weil Kreines der inferentiellen Dimension dieser Darstellung nicht gerecht wird. Kreines zufolge ist der »absolute mechanism«, im Gegensatz zum mechanischen Objekt und zum mechanischen Prozess, ein »reasonable mechanism«, in welchem Hegel zeigt, wie die Probleme der früheren Stufen durch eine Theorie von »immanent concepts« überwunden werden. Diese Begriffe sind grundlegende Bestimmungen der Dinge, die erklären, warum diese Dinge das tun, was sie tun; sie sind »a primitive case of reason in the world«28. Er fährt fort: »In what cases are there immanent concepts for things? The answer is simple: in those cases where things fall under a concept, or belong to a kind, towards which what they do is not indifferent«. Der Kontrast ist der zwischen diesen natürlichen Arten und »gerrymandered classifications«,29 denen die charakteristische Notwendigkeit fehlt. Zu Hegels einzelnen Behauptungen in diesem Abschnitt schreibt Kreines: »The example Hegel focuses on in ›Mechanism‹ is the rotation of matter around a center of gravity. We can explain this in terms of a nature of the underlying matter, in virtue of which it does what it does. Or, we can explain 28 29

Kreines (2015), S. 60. Ebd., S. 61.

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this in terms of a law, although only in the sense that the statement of a law is just a description of what is required by the nature or concept of things.«30

In dieser Sichtweise sind es die Eigenschaften der Materie, die selbst die Erklärung des Kreisens der Planeten um die Sonne erklären. Für Kreines ist das Gesetz »just a description« des bereits in »the nature or concept of things« Vorhandenen; Hegels Fortschreiten vom absoluten Mechanismus zum Gesetz legt jedoch nahe, dass hier mehr vor sich geht. Kreines’ Darstellung der »immanenten Begriffe« fi ndet ohne Zweifel Rückhalt in den ersten Schritten des »absoluten Mechanismus«. Als Resultat des realen mechanischen Prozesses, so Hegel, wird das stärkere Objekt zur »wahrhafte[n] Einzelheit«, die er nun »das Zentrum« nennt und als »einfachen selbstbestimmenden Mittelpunkt« bzw. »die wesentliche Bestimmtheit« beschreibt, eine »objektive Allgemeinheit«, die nunmehr »das durchdringende, immanente Wesen der Objecte« ist (GW 12, 143). Der deutlichste Beleg für Kreines’ Sichtweise findet sich in folgender Passage: »Er kann deßwegen als ein Individuum angesehen werden. Seine Bestimmtheit ist wesentlich von einer blossen Ordnung oder Arrangement und äusserlichem Zusammenhang von Theilen verschieden; sie ist als an und für sich seyende Bestimmtheit eine immanente Form, selbstbestimmendes Princip, welchem die Objecte inhäriren, und wodurch sie zu einem wahrhaften Eins verbunden sind.« (GW 12, 144)

Im Kontrast zu einer bloßen Anordnung von Teilen wird am deutlichsten, dass Hegel hier auf eine Alternative zur Erklärung durch wechselseitig agierende autarke Teile aus ist. So ist z. B. die »immanente Form« der Materie ein selbstbestimmendes Prinzip, indem sie nämlich die inhärente Disposition, die »elementare Vernunft in der Welt« ist, dank derer Objekte aufeinander bezogen sind. Hegel bedient sich des Beispiels des »Zentralkörpers«, weil es ihm offensichtlich zu sein scheint, dass in diesem Fall die Beziehung des Körpers im Zentrum zu den untergeordneten Objekten nicht länger eine bloß äußerliche Beziehung darstellt, sondern dass stattdessen das zwischen ihnen bestehende Gleichgewicht den Zentralkörper zum Wesen der Objekte macht. Wir haben es also nicht mehr mit Objekten in willkürlichen Aktionen und Reaktionen zu tun, sondern mit einem Zentrum, dass die Objekte durch vernünft ige Beziehungen zu ihnen bestimmt. Hegel beschreibt dies als ein »Streben«, weil die Objekte nunmehr durch die Anziehung anderer 30

Ebd., S. 60.

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Objekte, durch ihren Hang zum (stärksten) Schwerezentrum bedingt sind; die Tatsache jedoch, dass sie getrennt sind, weist auf die Unvollständigkeit der Einheit hin. Besteht man allerdings zu sehr auf den immanenten Begriffen, läuft man Gefahr, den Blick auf die wichtige Rolle zu verstellen, die den Schlüssen in der Entwicklung eben jener Begriffe als Darstellung der Wirklichkeit zukommt. In der oben zitierten Passage behauptet Kreines, Gesetze seien lediglich eine Beschreibung der zugrundeliegenden Begriffe oder Dispositionen. Dies weist auf einen Vorzug hin, den er dem, was »basic« ist, gegenüber der weiterentwickelten Version des Begriffs in Gesetzen und Schlüssen gewährt. Ohne die Verbindung von Wesen und Schluss bliebe es jedoch rätselhaft , warum Hegel sich unmittelbar vom Zentrum zunächst der Beschreibung eines Systems von Schlüssen und dann dem Gesetz zuwendet. Von der einfachen anfänglichen Idee eines Objekte im Gleichgewicht haltenden Zentrums geht Hegel zu einem komplexen Gefüge von inferentiellen Bezügen zwischen dem unabhängigen Zentrum, den abhängigen einzelnen Objekten, und den äußerlichen Beziehungen dieser Objekte über. Er schildert diese Struktur mithilfe einer inferentiellen Beschreibung der verschiedenen Gruppen innerhalb des Staats, die alle jeweils als Mittelbegriff des Schlusses fungieren können. Somit ergibt sich ein System dreier ineinandergreifender Schlüsse: »So sind auch die Regierung, die Bürgerindividuen und die Bedürfnisse oder das äusserliche Leben der Einzelnen drey Termini, deren jeder die Mitte der zwey andern ist. Die Regierung ist das absolute Centrum, worin das Extrem der Einzelnen mit ihrem äusserlichen Bestehen zusammengeschlossen wird; eben so sind die Einzelnen Mitte, welche jenes allgemeine Individuum zur äusserlichen Existenz bethätigen, und ihr sittliches Wesen in das Extrem der Wirklichkeit übersetzen. Der dritte Schluß ist der formale, der Schluß des Scheins, daß die Einzelnen durch ihre Bedürfnisse und das äusserliche Daseyn an diese allgemeine absolute Individualität geknüpft sind; ein Schluß, der als der bloß subjective in die andern übergeht, und in ihnen seine Wahrheit hat. Diese Totalität, deren Momente selbst die vollständigen Verhältnisse des Begriffes, die Schlüsse, sind, worin jedes der drey unterschiedenen Objecte, die Bestimmung der Mitte und der Extreme durchläuft, macht den freyen Mechanismus aus. In ihm haben die unterschiedenen Objecte die objective Allgemeinheit, die durchdringende, in der Besonderung sich identisch erhaltende Schwere zu ihrer Grundbestimmung.« (GW 12, 144-145)

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Mag diese Beschreibung als Darstellung der hegelschen Staatsauffassung auch mehr Fragen aufwerfen als sie beantwortet31, sie zeichnet ein hilfreiches und anschauliches Bild eines Systems von Schlüssen. Dieses Drei-Schlüsse-System, in dem sich die drei Momente des Begriffs in der mittleren oder vermittelnden Position ablösen, ist von äußerster Wichtigkeit für Hegels Vernunft konzeption. Das Modell zeigt, warum die wesentliche Bestimmung der Besonderen und Einzelnen durch die allgemeine Gattung nicht ausreicht. Doch warum genau ist es nicht genug, das Allgemeine als zwischen Einzelnem und Besonderen vermittelnden Mittelbegriff einzusetzen? Warum müssen die beiden anderen Momente des Begriffs ebenfalls an die Reihe kommen? In dem vom Substanz-Modell der Bestimmtheit gezeichneten Bild erscheinen Besondere und Einzelne als Akzidenzien der allgemeinen Substanz. Hegels Staatsauffassung wird offensichtlich nicht selten als eine solche substantielle Ansicht ausgelegt. Damit wäre aber nur der erste der drei Schlüsse ernstgenommen, in welchem Einzelne und Besondere durch die substantielle Macht des Staates vereint werden. Was die beiden anderen Schlüsse angeht, so schildert Hegel den letzten eindeutig als einen untergeordneten Schluss, weil er eine instrumentelle Sicht der Beziehung der Einzelnen zum Staat nahelegt. (Als ein »bloß subjektive[s]« Element vergleicht Hegel es mit dem Anziehen und Abstoßen äußerlicher Körper.) Bedürfnisse fungieren insofern als Mittelbegriff, als dass der Einzelne sich zur Regierung als zu einem diese Bedürfnisse befriedigenden Dienstleister verhält, der die Bedingungen für sein äußerliches Leben sichert. Die »Grundbestimmung« der allgemeinen Autorität scheint nur schwach auf in diesem zweiten Schluss, der sich gefährlich dem Kardinalfehler der modernen politischen Philosophie annähert, der darin besteht, den Staat durch die Zivilgesellschaft zu ersetzen. Der zweite Schluss, in welchem der Mittelbegriff von den Einzelnen gebildet wird, ist am Schwersten verständlich, aber auch am Wichtigsten für die Korrektur des Substanz-Akzidens-Modells. Er zeigt, auf welche Weise die Einzelnen für den Staat wesentlich sind, der ohne sie kein Staat mit »äußerliche[r] Existenz« oder »Wirklichkeit« wäre. Die Funktion der Einzelnen besteht im Aktivieren des Staates, eine Funktion, die sie sowohl als Beamte innerhalb des Staats als auch als gewöhnliche Einzelpersonen erfüllen. Das sittliche Wesen − Freiheit oder Recht − kommt hier ins Spiel, weil dieses We31

Die wichtigste Frage dabei ist, warum der Staat überhaupt in den »Mechanismus« gehört, beruht er doch auf dem Guten, das Hegel erst am Ende der Begriffslogik einführt. Es muss sich also um eine äußerliche Sicht des Staates handeln, die viele der Kernpunkte − darunter viel Teleologisches − der von Hegel in der Rechtsphilosophie auseinandergesetzten Sicht des Staats auslässt.

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sen des Staates ohne die Einzelnen und ihre Bedürfnisse nicht verwirklicht wäre. Die Bedingungen der Verwirklichung des sittlichen Wesens bestehen in den äußerlichen Bedürfnissen, wie sie von selbstbewussten Einzelnen aktiviert werden. Es dürfte inzwischen klargeworden sein, dass Hegel sich hier ganz nah an die Teleologie heranbewegt, in der die Mittel-Zweck-Struktur dominiert. Die Rolle, die das Mittel und damit die besonderen Bedürfnisse spielen, wird sich dort wesentlich einfacher anhand der Darstellung der Zweckmäßgkeit erläutern lassen. Um das von Hegel entworfene Gesamtbild zu verstehen, ist es wichtig, in seiner Hinwendung zum Gesetz eine Erläuterung der inferentiellen Struktur im »Zentrum« zu sehen und nicht (bloß) eine Neubeschreibung des »immanenten Begriffs« des Zentrums, wie Kreines vorschlägt. Ich stimme zu, dass die Phänomene in den beiden Abschnitten identische sein sollen, das Gesetz also dem Zentrum gegenüber eine Modusverschiebung und keinen vollständig neuen Inhalt darstellt. Diese zweite Modalität hat jedoch bereits mit den Wechselbeziehungen verschiedener Termini des Begriffs in ihrer Wirklichkeit als inferentielles System (und nicht bloß im allgemeinen Wesen des Zentrums als eines immanenten Begriffs) zu tun. Das Gesetz ist hier »die immanente und objective Bestimmung« (GW 12, 145) der Ordnung der Objekte in der Totalität. Dies verleiht sowohl Naturgesetzen als auch den Gesetzen des Staates Sinn, wenn auch zu diesem Zeitpunkt nur der Staat ein gänzlich systematisches Beispiel liefert. Hegel zufolge bestimmt das Gesetz Objektivität als Ideal. Aber ideal in welchem Sinn? Hegel erwähnt das hypothetische Urteil und den hypothetischen Schluss hier nicht ausdrücklich, sie sind aber der beste Weg zu einem Verständnis der Idealität, die er hier im Sinn hat. Die Gegenwartsphilosophie bringt das Gesetz oft mit kontrafaktischen Konditionalen in Verbindung. Das Gesetz bestimmt, wie Objekte sich verhalten würden, wenn die angegebenen Bedingungen erfüllt wären. Die Konjunktivform weist auf Konditionalität und Idealität hin, sagt aber auch etwas über die reale Welt aus. Die spezifischen äußerlichen Beziehungen der Objekte sind in dieser Lesart nur eine Manifestation bzw. ein Ausdruck des Gesetzes. Hegel greift auf sein Beispiel des staatsbezogenen inferentiellen Systems zurück, wenn er schreibt: »Diese reelle Idealität ist die Seele der vorhin entwickelten, objectiven Totalität, die an und für sich bestimmte Identität des Systems.« (GW 12, 146) Das Gesetz ist die »Seele« der »objectiven Totalität«, weil durch Gesetze Einzelne mit der Kraft der Notwendigkeit an den Staat gebunden werden, der Staat durch die (gesetzestreuen) Einzelnen aktiviert wird und das Bedürfnissystem (die Zivilgesellschaft) reguliert wird. Die Identität von einzelnen Objekten und Äußerlichkeit lässt sich nur mit anhand von Gesetzen gesicherten »modally

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robust« Beziehungen denken32. Dies gilt für die Naturgesetze ebenso wie für die Gesetze der Menschen, die eine »reelle Identität« in dem Sinn darstellen, dass sie die Äußerlichkeit durch das Ideal binden, dadurch die notwendigen Beziehungen zwischen Objekten definieren und so diese Objekte konstituieren. Noch erstaunlicher als die eben besprochenen Aussagen ist Hegels Behauptung, das Gesetz sei »Selbstbewegung«. Eine solche Aussage kann aber inferentiell verstanden werden, wenn wir sie mit der Idee des Gesetzes als der vom Staat veranschaulichten inferentiellen Totalität verknüpfen. »Diese selbstbestimmende, die äusserliche Objectivität in die Idealität absolut zurückführende Einheit ist Princip von Selbstbewegung; die Bestimmtheit dieses Beseelenden, welche der Unterschied des Begriffes selbst ist, ist das Gesetz.« (GW 12, 146) Es gibt eine Bewegung von Prämisse zu Prämisse zu Schlusssatz, die sich als Schließen oder Auflösen innerhalb der objektiven Ordnung selbst denken lässt. Das Gravitationsgesetz sagt uns, was mit einzelnen Objekten unter spezifischen Bedingungen geschehen wird. Auf der grundlegendsten Ebene können wir ausgehend von einer bestimmten Anzahl von Objekten anhand des Abstandsgesetzes auf das Verhalten der Einzelnen schließen. Im Gesetz ist dies eine Selbstbewegung, weil alle Terme der verschiedenen Prämissen im Gesetz selbst enthalten sind. Hegel schreibt: »Der todte Mechanismus war der betrachtete mechanische Proceß von Objecten, die unmittelbar als selbstständig erschienen, aber eben deßwegen in Wahrheit unselbstständig sind, und ihr Centrum ausser ihnen haben; dieser Proceß, der in Ruhe übergeht, zeigt entweder Zufälligkeit und unbestimmte Ungleichheit oder formale Gleichförmigkeit. Diese Gleichförmigkeit ist wohl eine Regel, aber nicht Gesetz. Nur der freye Mechanismus hat ein Gesetz, die eigene Bestimmung der reinen Individualität oder des für sich seienden Begriffes; es ist, als Unterschied an sich selbst unvergängliche Quelle sich selbst entzündender Bewegung, indem es in der Idealität seines Unterschiedes sich nur auf sich bezieht, freye Nothwendigkeit.« (GW 12, 146)

Die Unterscheidung von Regel und Gesetz dient Hegel dazu, die »formale Gleichförmigkeit« des »todte[n] Mechanismus« vom freien Mechanismus des Gesetzes abzuheben. In der stofflichen Welt lässt sich sagen, dass die Er32

Ich schließe mich Brandoms Kommentar zum Ende des »Kraft und Verstand«-Kapitels in der Phänomenologie an: »relations of determinate negation allow the defi nition of consequence relations that are modally robust in the sense of supporting counterfactual inferences – what show up at the end of »Consciousness« in the form of laws«, Brandom (2002), S. 180.

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kenntnis bloßer Gleichförmigkeit sich von der Erkenntnis des Gesetzes unterscheidet. Tatsächlich ist genau dies die Pointe von Humes berühmter Verneinung einer Erkenntnis der Notwendigkeit. Wiederum in Anlehnung an Kreines lässt sich sagen, dass die elementare Darstellung des Mechanismus nicht in der Lage ist, die humesche Darstellung zu überwinden, und deshalb ist sie nicht in der Lage, eine Erkenntnis von Notwendigkeit bereitzustellen. Hegel glaubt aber, dass es Notwendigkeit in der Welt gibt und dass wir diese Notwendigkeit in der Erkenntnis der Gesetze der Natur und des Geistes erkennen können. Der letzte Satz enthält den wesentlichen Punkt: »in der Idealität seines Unterschiedes sich nur auf sich bezieht« heißt, es gibt einen spezifischen Unterschied innerhalb der Welt, die notwendig zusammengehalten wird vom Selbstbezug, der aus einem einzelnen Ereignis eine Einheit macht. Es verdient betont zu werden, dass an dieser Stelle vieles am Gesetz unbestimmt bleibt. Es wird sich entwickeln müssen, zunächst durch den Chemismus und dann, auf viel dramatischere Weise, in der »Teleologie«. Der Schlüssel zu letzterer Bewegung liegt darin, dass das Gesetz der Teleologie im Zweck, und insbesondere in der inneren Zweckmäßigkeit, die Bedingungen seiner eigenen Anwendung setzt. In eingeschränktem Sinn gilt dies vom Gesetz im Allgemeinen, aber erst in der Teleologie fi ndet sich eine Notwendigkeit, die die Kontingenz der Bedingungen der Anwendungen des Gesetzes in sich aufnimmt und damit diese Kontingenz durch sich selbst bestimmt.

2.4 Der Chemismus Der Unterschied zwischen Mechanismus und Chemismus ist im Vergleich zum Unterschied zwischen diesen und der Teleologie relativ gering, was Hegel dadurch andeutet, dass er in seiner Diskussion der Überlegenheit der Teleologie Chemismus und Mechanismus in einen Topf wirft . Wenn der Chemismus auch nur eine Übergangsgestalt ist, spielt in der Gesamtstruktur der »Objektivität« doch eine wichtige Rolle. Hegel zufolge repräsentiert er in der »Objektivität« die Ebene des Urteils; er hält also eindeutig daran fest, in der Entwicklung Mechanismus – Chemismus – Teleologie eine Instanziierung des Fortschreitens Begriff – Urteil – Schluss zu sehen. Die andere Rolle des Chemismus besteht darin, die Darstellung bis zum fehlenden, erst in der »Teleologie« auf den Plan tretenden »Schluss des Begriffs« zu gestalten. Hegel führt diese Aufgabe des Chemismus nicht weiter aus, die Betonung jedoch, die er gegen Ende des Abschnitts auf den disjunktiven Schluss legt, lässt es sinnvoll erscheinen, in seiner Darstellung der Unzulänglichkeiten dieses Schlusses eine Vorbereitung des Schlusses des Begriffs zu sehen.

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Der Übergang vom Mechanismus zum Chemismus vollzieht sich im Schritt von Beziehungen innerhalb eines homogene Objekte regelnden Gesetzes zu Beziehungen zwischen Objekten, die sich spezifisch voneinander unterscheiden. Im Gegensatz zu »gleichgültigen« mechanischen Objekten gehört »bei dem chemischen […] die Bestimmtheit, somit die Beziehung auf anderes, und die Art und Weise dieser Beziehung, seiner Natur an.« (GW 12, 148) Objekte sind wesentlich durch ein allgemeines Prinzip miteinander verbunden. Wenn Hegel von der Verbindung eines Objekts mit einem anderen sagt: »Sonach ist ein chemisches Object nicht aus ihm selbst begreiflich, und das Seyn des Einen ist das Seyn eines Andern« (GW 12, 149), dann hat er offensichtlich das hypothetische Urteil und den hypothetischen Schluss im Sinn. Erneut auf den Begriff des »Strebens« zurückgreifend, führt Hegel den Prozess als einen Widerspruch zwischen Bezüglichkeit einerseits und der substanziellen Form als »reale[r] Gattung« andererseits ein: »Das chemische Object, hiemit der Widerspruch seines unmittelbaren Gesetztseyns und seines immanenten individuellen Begriffs, ist ein Streben, die Bestimmtheit seines Daseyns aufzuheben, und der objectiven Totalität des Begriffes die Existenz zu geben.« (GW 12, 149)

Aus dem »immanenten individuellen Begriff« ergibt sich eine gewisse Tendenz bzw. Disposition, eine spezifische Qualität, die es von anderen chemischen Objekten unterscheidet, es aber auch in ihre Richtung lenkt. Die »objektive Totalität des Begriffes« ist eine im Begriff des Chemismus enthaltene Wechselbeziehung von Allgemeinem, Besonderem, und Einzelnem, die im unmittelbaren chemischen Objekt aber nur implizit präsent ist. Der »Chemismus« steht in einem Spannungsverhältnis zur Idee der Objektivität selbst als einer Totalität oder In-sich-Geschlossenheit. Als Objekt auf der Urteilsebene ist das chemische eine Totalität nur in seiner Trennung von anderen Objekten. Es kann das, was es ist, nur in Einheit mit anderen sein; verbindet es sich jedoch mit anderen, verliert das Objekt die es als getrenntes Objekt auszeichnende Eigenschaft. In den drei voneinander unterschiedenen Prozessen des Chemismus betrachtet Hegel die Art und Weise, in der unterschiedliche chemische Elemente sich in chemischen Reaktionen verbinden und durch Analyse und Differenzierung voneinander unterschieden werden, was ihn zu einer Darstellung der chemischen Beziehung als einer Beziehung der Selbstdifferenzierung führt. Der erste Prozess beginnt mit der »Voraussetzung« einer »Verwandtschaft« (GW 12, 149) der Objekte und mit dem »Streben« des Objekts, seinen Begriff durch Aufhebung des anderen Objekts zu verwirklichen. Weil sie in ihrer ur-

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sprünglichen Bestimmtheit existieren, ist ihre Einheit die einer »Mitteilung« durch eine neutrale Mitte hindurch, die Hegel »das theoretische Element der Existenz« des Chemismus nennt. Er schreibt: »[I]m Körperlichen hat das Wasser die Function dieses Mediums; im Geistigen, insofern in ihm das Analogon eines solchen Verhältnisses Statt findet, ist das Zeichen überhaupt, und näher die Sprache dafür anzusehen.« (GW 12, 150) Der Prozess lässt sich am einfachsten fassen, wenn man ihn sich so vorstellt, dass zwei in Wasser getauchte Elemente reagieren und zu einer »ruhige[n] Neutralität« (GW 12, 150) gelangen. In der Einheit verwirklichen sie ihren Begriff, ihr Gegensatz ist dadurch allerdings auch ausgelöscht. Was die Sprache angeht, denke man sich ein versöhnliches Abschlussdokument, das aus intensiven und emotionalen Verhandlungen hervorgegangen ist. Solche Produkte, merkt Hegel an, bestehen aus »Ingredientien, die nicht mehr Objecte genannt werden können« (GW 12, 150), und das Resultat dieses ersten Prozess kann als ein Defekt angesehen werden, weil der Prozess in einem bloßen neutralen Medium endet33. Hegel gibt sich alle nur erdenkliche Mühe, die Rolle des disjunktiven Schlusses im zweiten Prozess des Chemismus hervorzuheben. In diesem trennt eine Reduktion oder Analyse die im Resultat des ersten Prozesses vereinten Elemente voneinander. Dies kommt einer Darstellung des eigentlichen disjunktiven Schlusses recht nahe; da aber der Mittelbegriff lediglich das besondere Produkt des vorhergehenden Prozesses ist, ist der zweite Prozess keine Selbstbestimmung des Allgemeinen. In diesem Sinn schreibt Burbidge: »it would be the universal that, as mediator, divides itself into the pure activity and the broken up pieces. That would represent a disjunctive syllogism, in which a comprehensive operation mediates by both distinguishing a concept into disjuncts and recognizing that they exhaust its full description«34

Dieser Schluss kommt deswegen nicht zustande, weil der Mittelbegriff lediglich das auf die Analyse wartende neutrale Produkt und nicht das seine eigenen Teile unterscheidende Allgemeine ist. Im dritten Prozess setzt Hegel die chemische Tätigkeit auf den Platz der allgemeinen Mitte und erklärt, der Chemismus bewerkstellige den disjunktiven Schluss. Burbidge beschreibt dieses Prozess folgendermaßen: 33

Dazu merkt Burbidge (1996, S. 85) an: »What was to resolve the basic incoherence in the notion of chemism has done too much. For the neutral product lacks any orientation towards another, and so the process itself is extinguished«. 34 Burbidge (1996), S. 88.

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»In this new inference, the notion of chemism is a universal that has spelled out its own internal components; these have been distinguished from each other as particulars; and they exhaust all that is needed for a single, complete, and coherent concept. This pattern represents what Hegel calls the third syllogistic form: a universal mediates between a particular and a singular; but in such a way that it takes the initiative and by particularizing constructs a full, concrete totality. We now have a legitimate disjunctive inference.«35

Dieser »konkreten Totalität« haftet unzweifelhaft etwas Künstliches an, denn sie ergibt sich nicht aus einem sich selbst reproduzierenden andauernden Prozess. Sie »ergreift die Initiative« nur in äußerst abgemilderter Form, denn damit der dritte Prozess wie geplant ablaufen kann, wird viel aus den ersten beiden vorausgesetzt. Im Übergang zur »Teleologie« kombiniert Hegel das Ziel, die »Voraussetzung« des Prozesses zu setzen, mit dem Ziel, einen echten disjunktiven Schluss aufzustellen. Er führt das Beispiel eines Objekts an, das sich chemisch verändert, um eine chemische Beziehung zu einem äußerlichen Objekt aufbauen zu können, für das es zuvor nicht »empfänglich« gewesen ist. Das Beispiel soll zeigen, wie das anscheinend von anderen unabhängige Objekt, dessen Voraussetzung dementsprechend in einer gewissen Gleichgültigkeit allem Äußerlichen gegenüber zu liegen scheint, diese Äußerlichkeit vielmehr durch Änderung seiner selbst und somit auch durch Änderung der Voraussetzung aufhebt. Hegel schreibt: »Was hier geschieht, ist, daß sich das Object nicht nach einer unmittelbaren, einseitigen Bestimmtheit auf ein anderes bezieht, sondern nach der innern Totalität eines ursprünglichen Verhältnisses die Voraussetzung, deren es zu einer realen Beziehung bedarf, setzt, und dadurch sich eine Mitte gibt, durch welche es seinen Begriff mit seiner Realität zusammenschließt; es ist die an und für sich bestimmte Einzelnheit, der concrete Begriff als Princip der Disjunction in Extreme, deren Wiedervereinigung die Thätigkeit desselben negativen Princips ist, das dadurch zu seiner ersten Bestimmung, aber objectiviert zurückkehrt.« (GW 12, 152)

Der prototeleologische Charakter dieser Beschreibung zeigt sich im Hinweis auf die Rückkehr zur ursprünglichen Bestimmung durch Tätigkeit. Die Schwierigkeit dieses Zitats liegt darin herauszufi nden, wie genau die »Disjunction in Extreme« mit dem Begriff und mit der Wirklichkeit zusam35

Ebd., S. 90.

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mengehen soll. Die Totalität der chemischen Beziehungen besteht bereits, sie muss aber durch Aktivität gesetzt werden, wobei diese Aktivität eine durch Rezeptivität, durch ein sich der Wechselbeziehung mit dem chemischen Gegenstück Öff nen des Objekts gekennzeichnete Selbstdifferenzierung ist. Diese beiden besonderen Gegenstücke, die im Ergebnis der Wechselbeziehung Einzelne sind, sind dann die Totalität des Allgemeinen. Dieser Gedanke eines Setzens der Voraussetzung wird in der folgenden Verhandlung der Teleologie von höchster Wichtigkeit sein, denn dort geht es eben genau darum, wie der Zweck einer Handlung sich dergestalt selbst bestimmt, dass er die Bedingungen, unter denen er die eigene Ausführung unternimmt, bestimmen kann. Im »Chemismus« wird diese Aktivität im Prozess erzwungen; die verschiedenen Elemente der drei Schlüsse gehören offensichtlich nicht zu einem Ganzen, nicht einmal im Sinn eines absoluten Mechanismus. Um die Zusammenhanglosigkeit der drei Prozesse und ihrer Schlüsse zum Ausdruck zu bringen, bedient sich Hegel der Sprache der Bedingungen, die zur Ingangsetzung und Aufrechterhaltung der Prozesse zu erfüllen sind: »Um der Unmittelbarkeit und Aeusserlichkeit willen jedoch, in deren Bestimmung die chemische Objectivität steht, fallen diese Schlüsse noch auseinander. Der erste Proceß, dessen Product die Neutralität der gespannten Objecte ist, erlischt in seinem Producte, und es ist eine äusserlich hinzukommende Differentiirung, welche ihn wieder anfacht; bedingt durch eine unmittelbare Voraussetzung, erschöpft er sich in ihr. – Eben so muß die Ausscheidung der differenten Extreme aus dem Neutralen, ingleichen ihre Zerlegung in ihre abstracten Elemente, von äusserlich hinzukommenden Bedingungen und Erregungen der Thätigkeit ausgehen.« (GW 12, 152-53)

Was die Schlussfolgerungsformen angeht, so beschreibt Hegel hier die Art und Weise, in der die drei chemischen Prozesse Formen des hypothetischen Schlusses, der Konditionalität, sind, in welchen die Bedingungen des jeweiligen Schlusses nicht vom Prozess selbst gesetzt werden. Dem Begriff des »Chemismus« selbst wohnt eine gewisse Äußerlichkeit oder Bedingtheit inne, sodass sein kompletter Verlust eine Bewegung hin zu einer anderen Form von Erklärung und Objektivität bedeuten würde. Da Hegel gerade die beiden letzten Prozesse mit Blick auf den disjunktiven Schluss dargestellt hat, ist die Betonung dieses Mangels an Konditionalität besonders auff ällig. »Der Chemismus« zeigt auf, wie der disjunktive Schluss praktisch nicht in der Lage ist, die Bedingtheit des hypothetischen Schlusses aufzunehmen. Der disjunktive Schluss plagt sich mit dem gleichen Problem wie das disjunktive

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Urteil, damit nämlich, dass er eine zur Erklärung von Einzelnen unfähige Beziehung von Allgemeinen und Besonderen, von Gattung und Art ist. Diese Unfähigkeit des Chemismus, begrifflich gefasste Einzelne zu erfassen, ist mit ein Hauptgrund dafür, dass er mit dem Mechanismus zusammengruppiert werden kann, und darüber hinaus ein Beleg dafür, dass die »Teleologie« nicht einfach eine neue objektive Gestalt bereits abgehandelter Schlüsse liefert, sondern stattdessen eine neue Schlussform präsentiert.

3. Teleologie und Schlussfolgerung Das »Teleologie«-Kapitel erfüllt vier systematische Aufgaben: 1) Es weist die Überlegenheit der Teleologie über den Mechanismus (und den Chemismus)36 nach und zeigt, wie die Teleologie das Mechanische in sich aufnimmt. 2) Es vollendet die Demonstration der als Einheit von Subjektivität und Objektivität bzw. Begriff und Objektivität definierten logischen Wahrheit. Ein Grundbaustein dieser Demonstration ist der Nachweis, dass die Teleologie dieses Ziel durch das »Setzen der Voraussetzung« der Tätigkeit und damit der Bedingungen seiner eigenen Anwendung bzw. Verwirklichung erreicht. 3) Es vervollständigt die Wiederholung des Fortgangs Begriff – Urteil – Schluss innerhalb der »Objektivität«. Das beinhaltet die Vervollständigung der Schlussformen durch eine Entwicklung der »Teleologie« als Schlüsse des Begriffs, die ungefähr den Urteilen des Begriffs entsprechen. Dieser Schritt führt zur vervollständigten Vermittlung eines inferentiellen Ganzen und wiederholt damit auf der Ebene des Begriffs den Schritt hin zur Wechselwirkung in der »Wesenslogik«. 4) Es vereint die beiden Bestimmtheits-Modelle, das konditionale und substantielle (Gattung – Art). Dies geht einher mit der Fähigkeit der Teleologie, Einzelne auf eine Art und Weise zu erfassen, die den Formen der Objektivität überlegen ist. In diesem Abschnitt geht es darum zu zeigen, wie genau die »Teleologie« diese Aufgaben erfüllt. Es soll aber gleich zu Beginn auf eine entscheidende Einschränkung hingewiesen werden. Hegels Diskussion der Teleologie innerhalb der »Objektivität« beschäftigt sich fast ausschließlich mit »äußerlicher Zweckmäßigkeit«, ein Begriff, der deshalb innerhalb der Objektivität 36

Im Rest dieses Kommentars wird »Mechanismus« im weiten, den Chemismus einschließenden Sinn gebraucht.

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verbleibt, weil seine Bedingungen nicht vollständig in der Zweckmäßigkeit enthalten sind. Die Darstellung soll also begründen, warum äußerliche Zweckmäßigkeit notwendig zu innerer Zweckmäßigkeit führt, welche allerdings erst im nächsten Abschnitt, »Die Idee«, tatsächlich erörtert wird37. In der »Teleologie« ist zu beobachten, wie die teleologischen Schlüsse den Mechanismus überwinden und in sich aufnehmen; die volle systematische Verwirklichung der Teleologie wird jedoch erst in der »Idee« unternommen und liegt damit weit außerhalb dessen, was hier geleistet werden kann.

3.1 Die Wahrheit der Teleologie und der Mechanismus Die ausführlichen Anmerkungen Hegels zu Beginn des »Teleologie«-Kapitels bilden ein Gegenstück zur oben (1.1) diskutierten Einleitung der »Begriffslogik« als ganzer. Wie auch Kant erklärt Hegel, frühere Metaphysiker hätten die Teleologie allzu unkritisch akzeptiert. Anders als Kant jedoch behauptet Hegel eine überlegene Objektivität der Teleologie. Die Frage ist nun, wie er diese Behauptung aufrechterhalten kann, ohne den Geist der kritischen Philosophie zu verraten. Die Herausforderung besteht im Wesentlichen darin, die überlegene Objektivität der Teleologie zu begründen, ohne dabei einfach eine Zweckmäßigkeit beinhaltende Welt anzunehmen. Denn letzteres ist älteren metaphysischen Versuchen vorzuwerfen, die »theils eine Weltvorstellung vorausgesetzt, und sich bemüht [hatten] zu zeigen, daß der eine oder der andere Begriff auf sie passe, und der entgegengesetzte mangelhaft sey, weil sie sich nicht aus ihm erklären lasse« (GW 12, 154). Eben dieses Voraussetzen führt zu einer verfahrenen Situation bzw. zu gegenseitigen Vorwürfen, unzulässige Annahmen zu machen, die nicht nur die Auseinandersetzung zwischen Spinoza und Leibniz sondern z. B. auch die zwischen Spinozisten und Fichte über die Frage der Freiheit charakterisieren. Mechanismus und Teleologie scheinen inkompatibel zu sein und ganz einfach nach einer Entscheidung zu verlangen, welche von beiden grundlegender ist. Hegel besteht darauf, dass man dem Mechanismus und der 37

Folgende Bemerkung in der Einleitung zur »Teleologie« weckt die Erwartung, schneller zur inneren Zweckmäßigkeit zu gelangen: »Eines der grossen Verdienste Kants um die Philosophie besteht in der Unterscheidung, die er zwischen relativer oder äusserer und zwischen innerer Zweckmässigkeit aufgestellt hat; in letzterer hat er den Begriff des Lebens, die Idee, aufgeschlossen und damit die Philosophie, was die Kritik der Vernunft nur unvollkommen, in einer sehr schieffen Wendung und nur negativ thut, positiv über die Reflexionsbestimmungen und die relative Welt der Metaphysik erhoben.« (GW 12, 157)

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Teleologie nicht einfach verschiedene Wirklichkeiten zuordnen kann, so als seien sie komplett verschiedene, einander indifferente Erklärungsansätze. Die Wahrheit des Mechanismus (einschließlich des Chemismus), so glaubt er nachgewiesen zu haben, sei in der Teleologie zu finden; eine Ansicht, die sowohl dem Selbstverständnis der mechanistischen Naturwissenschaften als auch der weitverbreiteten frommen Idee, die die Teleologie mit dem Begriff eines »außerweltlichen Verstandes« (GW 12, 150) verknüpft, widerspricht. Der Gedanke dabei ist, dass die Teleologie etwas besser tut, was auch der Mechanismus zu tun bestrebt ist, und dass sie es zumindest teilweise auf der gleichen Grundlage wie der Mechanismus tut. Teleologie scheint im Widerspruch zu den Naturwissenschaften zu stehen, weil sie sich scheinbar auf eine andere als eine »weltliche« Instanz zu verlassen scheint. Die Wissenschaften hingegen wollen »die Eigenschaften der Natur nicht als fremdartige, sondern als immanente Bestimmtheiten erkennen« und lassen »nur solches Erkennen als ein Begreiffen gelten« (GW 12, 155). Die Teleologie muss ihre Überlegenheit über den Mechanismus auf dem »immanenten«, innerweltlichen Gebiet der Naturwissenschaften unter Beweis stellen. In einem gewissen Sinn von Immanenz könnte Teleologie dem Mechanismus offensichtlich überlegen scheinen. Hegel schreibt: »Da der Zweck der Begriff selbst in seiner Existenz ist, so kann es sonderbar scheinen, daß das Erkennen der Objecte aus ihrem Begriffe vielmehr als ein unberechtigter Ueberschritt in ein heterogenes Element erscheint, der Mechanismus dagegen, welchem die Bestimmtheit eines Objects als eine äusserlich an ihm und durch ein Anderes gesetzte Bestimmtheit ist, für eine immanentere Ansicht gilt, als die Teleologie.« (GW 12, 155)

Für gewöhnlich betrachten wir den Mechanismus nicht als ein solches Äußerliches, weil er sich normalerweise nicht anschickt, »ein Objekt«, sondern die Welt, das Universum als Ganzes zu erklären. Dank seiner »abstrakten Allgemeinheit« und allgemeinen Gleichförmigkeit kann der Mechanismus eine totale, allein durch den Begriff des Mechanismus verständliche Erklärung für sich in Anspruch nehmen. (Dieser Anspruch wird oft unter der Bezeichnung causal closure of the physical diskutiert.) Hegel zufolge erfasst der Mechanismus nur »die blosse Form der Nothwendigkeit« (GW 12, 156), der spezifische Inhalt des mechanistisch Erklärten bleibt jedoch außen vor. Die Immanenz der Teleologie ist eine solche, in der der Inhalt des Objekts zum Vorschein kommt. Hegel schreibt:

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»In der Teleologie dagegen wird der Inhalt wichtig, weil sie einen Begriff, ein an und für sich bestimmtes und damit selbstbestimmendes voraussetzt, also von der Beziehung der Unterschiede und ihres Bestimmtseyns durcheinander, von der Form, die in sich reflectirte Einheit, ein an und für sich bestimmtes, somit einen Inhalt unterschieden hat.« (GW 12, 156)

Die Konzeption eines »an und für sich bestimmte[n]« ist die Konzeption eines Objekts, das mehr ist als ein System äußerlich bezogener, wesentlich ununterscheidbarer Knotenpunkte in einer Matrix atomarer Bausteine. Hegel merkt zwar an, dieser Inhalt könne ein »unbedeutender« sein, aber dies würde der Natur des Zwecks als »eine in sich unendliche Totalität« (GW 12, 156) widersprechen. Ein Großteil der Schwierigkeiten in der Beurteilung des Mechanischen und des Teleologischen ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass zwar der Zweck mit verkommenem oder trivialem Inhalt in Verbindung gebracht werden kann (denn auf dieser Ebene wird er [lediglich] »vorausgesetzt«), der Mechanismus hingegen seiner Natur nach die rein formale Notwendigkeit beibehält und somit dem Verstandesbegehren weiter entgegenkommt. Der Mechanismus vermeidet den Eindruck, das Objekt sei »nur unendlich beengt, und selbst eckelhaft« (GW 12, 156), der sich ergibt, wenn die Teleologie einen endlichen Inhalt als Absolutes setzt. Im Fortgang vom formalen zum absoluten Mechanismus ließ sich bereits eine Spielart des hegelschen Arguments für die Notwendigkeit des Übergangs von bloßer Form zu bestimmten Inhalt beobachten. Erinnern wir uns an Kreines’ Interpretation von Hegels Beweisführung gegen den Mechanismus: Es muss »immanente«, als Grundbausteine wissenschaft licher Erklärung fungierende Begriffe geben, denn ohne solche grundlegenden Dispositionen in der Natur der Dinge findet die Erklärung nirgendwo sicheren Halt. Kreines zufolge beruht der aus dem mechanischen Prozess resultierende vernünft ige Mechanismus auf solchen immanenten Begriffen (obgleich Kreines ebenso der Ansicht ist, dass die Ebene des Mechanismus substanzlos bleibt). Eine gleich zu Anfang an die Teleologie zu richtende Frage ist, was genau sie erklärt. Hegel schreitet nicht unmittelbar zum Organischen und zum Leben fort, sondern sucht innerhalb der äußerlichen Zweckmäßigkeit eine Überlegenheit über das Mechanische. Der Gedanke dabei ist, die Ausführung des Zwecks, seine Objektivität und Vollendung durch ihn selbst zu erklären. Darin liegt der Grund dafür, dass Hegel erneut auf der logischen Wahrheitskonzeption (im Gegensatz zu Aussagen über raum-zeitliche Existenz) als Kriterium oder Maßstab der Wahrheit besteht. Er wiederholt außerdem seine Behauptung, dass andere Philosophen die Begriffe des Mechanismus und der Teleologie an sich weder erforscht noch verglichen haben, und

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schreibt: »[S]o mag die objective Welt mechanische und Endursachen darbieten; ihre Existenz ist nicht der Maßstab des Wahren, sondern das Wahre vielmehr das Kriterium, welche von diesen Existenzen ihre wahrhafte sey.« (GW 12, 154) In gewissem Sinn wiederholt Hegel lediglich seine frühere Aussage, wir sollten uns nicht an äußerlicher, raum-zeitlicher Existenz orientieren. Es sind die Logik, das Denken und der Begriff, die den Maßstab der Wahrheit bestimmen und damit auch, wann das Existierende als Wahres gilt. Nur wenn das Objekt seinem spezifischen Begriff sowie dem Begriff adäquat ist, wird es auch der Erkenntnis entsprechen und somit wahr sein. Hegels These über die Wahrheit findet ihren provokantesten Ausdruck in einer Besprechung von Kants dritter Antinomie. In seiner Zusammenfassung der kantischen Darstellung der beiden Seiten der Antinomie wiederholt Hegel im Wesentlichen seine Überlegungen zur Voraussetzung eines bestimmten Verständnisses der Welt als entweder einer Welt der Freiheit oder als einer Welt der Ursachen. Ausdrücklich weist er darauf hin, dass sich diese Antinomie auch in der Kritik der teleologischen Urteilskraft findet, und zwar mit Blick auf die Frage, ob Lebewesen das Produkt bloß mechanischer Gesetze sein können. Sodann wiederholt er, dass die logische Bedeutung dieser Positionen ununtersucht geblieben sei und schreibt mit Bezug auf den Gesichtspunkt der Logik: »[F]ür diesen Gesichtspunkt aber macht es keinen Unterschied, ob die Principien als objective, das heißt hier, äusserlich existirende Bestimmungen der Natur, oder als blosse Maximen eines subjectiven Erkennens betrachtet werden sollen; − es ist vielmehr diß ein subjectives, d. h. zufälliges Erkennen, welches auf gelegentliche Veranlassung die eine oder andere Maxime anwendet, je nachdem es sie für gegebene Objecte für passend hält, übrigens [aber] nach der Wahrheit dieser Bestimmungen selbst, sie seyen beyde Bestimmungen der Objecte oder des Erkennens, nicht fragt.« (GW 12, 158)

Aus der Perspektive ihres logischen Gehalts können die Konzeptionen von Mechanismus und Teleologie unabhängig von der Frage beurteilt werden, ob sie Bestimmungen der Natur oder bloße Maximen subjektiver Erkenntnis sind. Selten äußert sich Hegel in so deutlicher Weise zum logischen Gehalt. Auf der hier in Frage stehenden Ebene braucht es uns weder zu kümmern, wie und wann diese Bestimmungen in der äußerlichen Natur verkörpert werden, noch dass sie vielleicht bloß unsere Begriffe sein könnten. Was wir zu tun haben ist, uns auf die logische Wahrheit als Übereinstimmung des in der »Subjektivität« entwickelten Begriffs mit der in den zwei ersten Gestalten der »Objektivität« entwickelten Objektivität zu konzentrieren.

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Warum sollte man also glauben, die Teleologie werde auf der Wahrheitsebene dem Mechanismus überlegen sein? In gewissem Sinn ist es gar nicht so schwer zu sehen, warum der Zweckbegriff Hegels Wahrheitskriterium entsprechen würde. Ein Zweck ist etwas, das darauf angelegt ist, sich selbst zu verwirklichen oder auszuführen. Denkt man sich den anfänglichen Zweck als das Subjektive oder den Begriff und das Mittel der Ausführung als das Objektive, so besteht die Ausführung des Zwecks in einer Identität von Begriff und Objekt, also der Wahrheit. Dazu kommt, dass der Zweck den Ursprung seiner Objektivität in sich trägt und somit selbstbestimmend sein kann, d. h. der Zweck ist in der Lage, das Element der Freiheit oder Selbstbestimmung zu erfassen. In inferentieller Hinsicht spricht Hegel vom sogenannten praktischen Schluss, in dem der Obersatz den anfänglichen Zweck, der Untersatz das Mittel zu diesem Zweck, und die Schlussfolgerung die Handlung, die zu diesem Zweck unternommen wird, enthält. Ebenso lässt sich dem Obersatz die Allgemeinheit, dem Untersatz die Besonderheit und der Schlussfolgerung die Einzelheit zuordnen. Die Passage ist jedoch darauf angelegt zu zeigen, dass diese drei Momente letztendlich verknüpft sein müssen, und in dieser holistischen Verknüpfung werden die innere Zweckmäßigkeit und der Übergang zur Idee erreicht. Hegel behauptet zwar, dass es auf der logischen Ebene keinen Unterschied macht, was man von der Teleologie hält, argumentiert dann aber gegen Kants Auffassung, das teleologische Prinzip sei bloß der reflektierenden Urteilskraft zuzuschreiben. In dieser Auseinandersetzung zwischen Kant und Hegel geht es, wenig überraschend, im Wesentlichen um das Verhältnis von Universalien zu Besonderheit und Einzelheit. Sie stimmen darin überein, dass ein bestimmendes Urteil als die Fassung eines Besonderen unter ein Allgemeines zur Erfassung des begriffl ichen Charakters von Zwecken unzureichend ist. So schreibt Hegel: »Solches Allgemeine, welches nur subsumirend ist, ist ein abstractes, welches erst an einem andern, am Besondern, concret wird.« (GW 12, 159) Dann aber trennen sich ihre Wege: »Der Zweck dagegen ist das concrete Allgemeine, das in ihm selbst das Moment der Besonderheit und Aeusserlichkeit hat, daher thätig, und der Trieb ist, sich von sich selbst abzustossen.« (GW 12, 159) Hegel bedient sich des fichteschen Triebgedankens zur Beschreibung der Art und Weise, in der der Zweck und der spekulative Begriff Differenz und Äußerlichkeit in sich tragen. Es bedarf also nicht, wie beim fichteschen Anstoß, einer äußerlichen Einschränkung; der Zweck stößt sich durch seine eigene Unvollständigkeit von sich selbst ab. Wir beurteilen nicht einfach die Objektivität als zweckbestimmt, der Zweck selbst bestimmt die Objektivität. Hegel fährt deshalb fort:

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»Aber die Zweckbeziehung ist darum nicht ein reflectirendes Urtheilen, das die äusserlichen Objecte nur nach einer Einheit betrachtet, als ob ein Verstand sie zum Behuf unseres Erkenntnißvermögens gegeben hätte, sondern sie ist das an und für sich seyende Wahre, das objectiv urtheilt, und die äusserliche Objectivität absolut bestimmt. Die Zweckbeziehung ist dadurch mehr als Urtheil, sie ist der Schluß des selbstständigen freyen Begriffs, der sich durch die Objectivität mit sich selbst zusammenschließt.« (GW 12, 159)

Am provokantesten ist in diesem Zitat die Identifi kation der Zweckbeziehung mit dem »Schluß des selbständigen freyen Begriffs, der sich durch die Objectivität mit sich selbst zusammenschließt« im letzten Satz38. Wir sind also, wie zu zeigen war, auf neuem Gebiet angelangt, denn wir haben das inferentielle Äquivalent des »Urteils des Begriffs« erreicht. In der Identifikation mit dem Schluss des »selbständigen freien Begriffs« hebt Hegel m.E. diesen Schluss von anderen Erscheinungsformen des Schlusses in der »Objektivität« ab. In den Schlüssen, die im »Mechanismus« und im »Chemismus« auftraten, gab es zwar Beziehungen zwischen Objekten, die Objekte selbst wurden jedoch nicht wesentlich durch die Schlüsse konstituiert. Die von Hegel an früherer Stelle präsentierten Schlüsse waren also vom äußerlichen Material abhängig. Die hier vertretene These, dass der teleologische Schluss die vierte Form des Schlusses darstellt, wird durch die Tatsache bestätigt, dass sich die drei Urteile des Begriffs mit den drei Teilen der »Teleologie« parallelisieren lassen39. Die drei Urteile, wir erinnern uns, sind das assertorische, das problematische und das apodiktische Urteil. Hegels wichtigstes Beispiel in diesem Zusammenhang war die wertende Beurteilung eines Hauses. Ein assertorisches Urteil besagt: »Das Haus ist gut.« Das problematische Urteil unter38

Die allgemeine Aussage, die Zweckbeziehung sei »die äußerliche Objektivität absolut bestimmt«, steht im Einklang mit Hegels Diskussion der reflektierenden Urteilskraft im Zusammenhang der bestimmenden Reflexion in der Wesenslogik. Dort ging es ihm darum zu zeigen, wie das reflektierende Urteil das Unmittelbare wesentlich bestimmt und somit die Wahrheit dieser Unmittelbarkeit ist: »[D]enn das Allgemeine, das Princip oder Regel und Gesetz, zu dem sie in ihrem Bestimmen fortgeht, gilt als das Wesen jenes Unmittelbaren, von dem angefangen wird, somit dieses als ein Nichtiges, und die Rückkehr aus demselben, das Bestimmen der Reflexion, erst als das Setzen des Unmittelbaren nach seinem wahrhaften Seyn; also das, was die Reflexion an ihm thut, und die Bestimmungen, die von ihr herkommen, nicht als ein jenem Unmittelbaren äusserliches, sondern als dessen eigentliches Seyn.« (GW 11, 254) In der »Teleologie« stellen die »Mittel« das Unmittelbare dar, und der Zweck wird Hegel zufolge zum »eigentlichen Sein« des Mittels. 39 Es ist darüber hinaus vielsagend, dass Hegel in der »Teleologie« nicht auf den disjunktiven Schluss eingeht.

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streicht das kontingente und konditionale Element und sagt: »Das Haus ist gut, je nachdem es beschaffen ist.« Das apodiktische Urteil schließlich macht das Allgemeine zum Subjekt und liefert definitive Kriterien dafür, wann ein Haus als gut gelten kann: »Das Haus so und so beschaffen ist gut.« Nun ist es so, dass die Handlung des Hausbaus recht gut zur Teleologie passt: Sie beinhaltet einen Zweck, die Mittel zur Ausführung dieses Zwecks, und das vollendete einzelne Haus. Und tatsächlich greift Hegel das Beispiel in der »Teleologie« wieder auf40. Die Mittel zum Hausbau sind eindeutig mechanisch, und die Frage besteht nun darin, wie sie dem Zweck untergeordnet und als Ausführung des Zwecks verstanden werden können, anstatt bloß eine Anzahl von Anwendungsfällen mechanischer Gesetze zu sein. Schließlich ist einleitend noch anzumerken, dass sich Hegels Verhandlung des Zwecks auch im Hinblick auf die Vereinigung der konditionalen und substantiellen Bestimmtheitsmodelle lesen lässt. Seine Kritik an der Teleologie des »außerweltlichen Verstandes« kann auch als Kritik an einer unbegründeten Gattung-Art-Beziehung gesehen werden. In diesem Fall wäre die Gattung so etwas wie »der Wille Gottes« und die Arten wären die verschiedenen Ereignisse oder Zwecke in der Welt, die man dem Willen Gottes zuordnete. Das Problem dabei ist natürlich, dass die Verbindung zwischen Art und Gattung nur in willkürlichen subjektiven Urteilen hergestellt wird. Man mag zwar Gründe für das Urteil finden können, die Außerweltlichkeit des göttlichen Willens schreibt jedoch sowohl die Unmöglichkeit eines Gegenbeweises also auch die unzulängliche Begründung des Urteils fest. Hegels Argument für eine andere Art Teleologie besagt, dass der die Stelle der Gattung einnehmende Zweck in dieser Welt einen spezifischen Inhalt haben kann und dass die Ausführung dieses Zwecks für eine immanente und gut begründete Gattung-Art-Beziehung ausreichend eng mit dem ursprünglichen Zweck verknüpft ist. Der wichtigste Schritt besteht in der Identifi kation des Mittels, dem zwischen Gattung und Art Vermittelnden, mit dem mechanischen Prozess der Konditionalität. Die formale Notwendigkeit mechanischer Gesetze wird, wir erinnern uns, für gewöhnlich konditional artikuliert. Die Notwendigkeit innerhalb des Mechanismus wird für den Zweck in Dienst genommen und von ihm abhängig gemacht, womit die Vereinigung der Gattung-Art-Beziehung mit der modal robusten Konditionalität mechanischer Gesetze vollzogen ist.

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Allerdings ist das Beispiel nicht in jeder Hinsicht ideal, denn das Haus eignet sich nicht zur Illustration der »inneren Zweckmäßigkeit«, die die Wahrheit der »Teleologie« darstellt. Ein guter Mensch würde sich besser eignen, denn von dort ließe sich der Schritt zum Leben und den fortgeschritteneren Stadien der Idee tun.

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3.2 Der subjektive Zweck Als Modell für die Analyse der Bewegung vom subjektiven Zweck über die Mittel zum ausgeführten Zweck soll uns die absichtliche Handlung dienen, was weitestgehend Hegels eigener Vorgehensweise und Beispielen entspricht. Wir müssen uns allerdings im Klaren darüber sein, dass dieses Heranziehen von Beispielen der vollen, äußerst komplexen und damit den Rahmen der Wissenschaft der Logik sprengenden normativen Bedeutung solcher Handlungen nicht gerecht werden kann. Denken wir also den subjektiven Zweck in den Kategorien des bekannten belief-desire-Modells intentionalen Handelns41. In einer, den bestehenden Sachverhalt verändernden, Handlung verbinden sich eine kognitive und eine bewertende Komponente. Letztere lässt sich als Urteil denken: Es wäre gut, fände die beabsichtigte Handlung statt. So gesehen entspricht der subjektive Zweck auf deutliche Weise dem assertorischen Urteil (»Das Haus ist gut«), da er eine kognitive Begutachtung der beabsichtigten Handlung mit einer Bewertung der auszuführenden Handlung miteinander verknüpft. Wie das assertorische Urteil sagt auch der subjektive Zweck nicht genug darüber aus, warum diese Handlung gut ist. Schon allein weil er eine Handlung ist, verfügt der subjektive Zweck über eine inferentielle Struktur und geht damit weit über das Urteilsmodell hinaus. Dennoch wirft er die gleichen Fragen auf wie das assertorische Urteil, denn auch er beruht auf der Idee eines einzigen Falles einer Gattung (das Haus), der dieser Fall mehr oder weniger genügt. Die Aussage des Obersatzes wäre etwa: »Ich möchte ein gutes Haus kaufen.« Das bewertende Prädikat (»gut«) bringt den Erfolg des Zwecks zum Ausdruck ohne festzustellen, was als erfolgreiche Ausführung des Zwecks gelten würde. Hegel unterscheidet den Zweck von Begriffen wie »Kraft« oder »Ursache«. Im Gegensatz zu diesen impliziert der Zweck kein Anderes, zu dem er übergehen würde. Hegel gesteht eine Verbindung zwischen den Ausdrücken zu, argumentiert aber zugleich dafür, dass der Zweck in seiner vollen Bedeutung zur Selbstzerstörung dieser anderen Begriffe führen würde: »Der Zweck kann wohl auch als Kraft und Ursache bestimmt werden, aber diese Ausdrucke erfüllen nur eine unvollkommene Seite seiner Bedeutung; wenn sie von ihm nach seiner Wahrheit ausgesprochen werden sollen, so können sie es nur auf eine Weise, welche ihren Begriff aufhebt; als eine Kraft,

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Die Darstellung hier folgt deVries (1991).

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welche sich selbst zur Aeusserung sollicitirt, als eine Ursache, welche Ursache ihrer selbst, oder deren Wirkung unmittelbar die Ursache ist.« (GW 12, 160)

Dies führt uns zurück zum Anfang der »Begriffslogik« und zum Begriff der Wechselwirkung, der sich aus der Dialektik der Substanz ergeben hatte. Dort war zu sehen, wie Ursache und Wirkung voneinander abhängen. (Hegels Beispiel waren die Verfassung und die Sitten eines Landes, die beide je als Ursache und Wirkung der anderen aufgefasst werden können.) Diese wechselseitige Abhängigkeit lässt sich nun verdeutlichen: Der Zweck ist Ursache seiner selbst in dem Sinn, dass er die Bedingungen seiner Ausführung in sich beinhaltet. In ihrer ursprünglichen Form bleibt diese Identität von Ursache und Wirkung unentwickelt. Ziel der Darstellung ist es jedoch, nachzuvollziehen, wie die anscheinend dem Zweck widerstehenden Bedingungen in den Zweck eingebracht werden und der Zweck dadurch nicht länger subjektiv ist. Der Schluss des subjektiven Zwecks erfasst eigentlich nur das erste Moment der dreiteiligen Struktur des praktischen Schlusses, dessen andere Momente die Mittel und der ausgeführte Zweck sind. Im Schluss des subjektiven Zwecks, der Mittel und des ausgeführten Zwecks sind alle drei Elemente vorhanden. Jeder Schluss baut jedoch auf die vorherigen auf, und als Erster ist der subjektive Zweck auf sich allein gestellt, sein Verhältnis zu den Mitteln und damit auch zur beabsichtigten Ausführung des Zwecks ist ein äußerliches. Der subjektive Zweck projiziert sich auf eine äußerliche, widerspenstige oder bloß objektive Welt. In dieser Anfangsphase ist die spezifische Bestimmtheit bzw. Besonderheit des Zwecks dem Zweck äußerlich, ist eher mechanische oder chemische Objektivität. So schreibt Hegel: »[…], weil seine Bestimmtheit die Form objectiver Gleichgültigkeit hat, hat sie die Gestalt einer Voraussetzung, und seine Endlichkeit besteht nach dieser Seite darin, daß er eine objective, mechanische und chemische Welt vor sich hat, auf welche sich seine Thätigkeit, als auf ein Vorhandenes bezieht, seine selbstbestimmende Thätigkeit ist so in ihrer Identität unmittelbar sich selbst äusserlich und sosehr als Reflexion in sich, so sehr Reflexion nach Aussen.« (GW 12, 161)

Die Voraussetzung besteht aus der Gruppe der bestimmten Bedingungen für die Ausführung eines abstrakt konzipierten Zwecks. Diese Bedingungen werden vom Mechanismus und Chemismus bereitgestellt, sie sind bloß ein »Vorhandenes«. Der subjektive Zweck bestimmt sich durch die Auswahl der Mittel, aber an diesem Punkt sind diese Mittel dem Zweck selbst äußerlich. Ich befi nde mich in einer mir neuen Stadt und verlasse das Hotel in der

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Absicht, ein Restaurant zu finden; ich schlage eine bestimmte Richtung in der Hoffnung ein, meinen Zweck auszuführen; aber ich weiß noch nicht, ob dieses Mittel dasjenige ist, das meinen Zweck ausführen wird. Der letzte Teil des Satzes, der innere und äußere Reflexion vereint, unterstreicht inwiefern das Einbringen der Bedingungen in den Zweck (als Mittel zu diesem Zweck) zugleich damit einhergeht, äußerliche Umstände bestimmen zu lassen, wie der Zweck ausgeführt wird. Ich glaube, mich auf dem Weg zur Ausführung meines Zwecks zu befi nden, meine Handlung zu steuern, indem ich eine bestimmte Richtung einschlage, aber in eben dieser Handlung öff ne ich mich auch den Äußerlichkeiten eines Wegs, der sich als Sackgasse erweisen könnte. Erst im ausgeführten Zweck wird diese Voraussetzung entschieden überwunden und der Übergang zur inneren Zweckmäßigkeit und zur Idee gemacht werden. Im Übergang zu den »Mitteln« konzentriert sich Hegel auf die Art und Weise, in der der abstrakte bzw. subjektive Zweck seine Bestimmung in eben der Handlung findet, in der er sich zu verlieren scheint. Die vorausgesetzte Äußerlichkeit kann durch eine Stabilisierung der Beziehung zwischen dem subjektiven Zweck und den Mitteln überwunden werden. Zu seiner Ausführung bedarf der Zweck einer Differenz, eines Moments, das Hegel als »Abstoßen von sich selbst«, also als einen Selbst-Abstoß anstelle von Fichtes äußerlichem Anstoß, beschreibt: »Der Zweck ist in ihm selbst der Trieb seiner Realisirung; die Bestimmtheit der Begriffsmomente ist die Aeusserlichkeit; die Einfachheit derselben in der Einheit des Begriffes ist aber dem, was sie ist, unangemessen, und der Begriff stößt sich daher von sich selbst ab. Diß Abstossen ist der Entschluß überhaupt, der Beziehung der negativen Einheit auf sich, wodurch sie ausschliessende Einzelnheit ist; aber durch diß Ausschliessen entschließt sie sich, oder schließt sich auf, weil es Selbstbestimmen, Setzen seiner selbst ist.« (GW 12, 162)

In dieser wichtigen Passage setzt Hegel die Grundstruktur des Zwecks als »Trieb« (auch dies ist ein von Fichte übernommener Terminus) auseinander. In der Handlung »stößt sich« der Begriff »von sich selbst ab«, weil die Äußerlichkeit der beabsichtigten Handlung in der Welt der einfachen Einheit des subjektiven Zwecks »unangemessen« ist. Der zweite Satz spielt mit verschiedenen Varianten des Schließens, um zum hier wirksamen Schluss zu gelangen. Hegel identifiziert den »Entschluss […] der Beziehung der negativen Einheit auf sich« als ein Werden der »ausschließende[n] Einzelheit«. Der Gedanke des Entschließens als Aufschließen weist darauf hin, dass das Ausschließen und das Aufschließen zwei Seiten der gleichen Medaille sind.

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Das Ausgrenzen ist zugleich ein Abgrenzen, das andere Bestimmungen abstößt und sich somit selbst bestimmt. In der Handlungstheorie besteht dieses Element in der durch die Handlung stattfindenden Öff nung des Handelnden zur Kontingenz, die zuallererst im Ergreifen spezifischer Mittel zum Erreichen eines Zwecks zum Vorschein kommt42. Diese Dynamik bezieht sich implizit auch auf die zwei Dimensionen von Einzelheit, denn im selben Prozess, in dem man sich zum exklusiven Subjekt zu machen sucht, öff net man sich weiteren Bestimmungen. Die Zielsetzung der Festigung der eigenen Einzelheit bewirkt eine größere Durchlässigkeit für äußere Einflüsse.

3.3 Die Mittel Hegel führt die Mittel als dasjenige Element ein, dass die Voraussetzung einer bloß objektiven, dem Zweck gegenüber »gleichgültigen« Welt überwindet. Die Teleologie beweist ihre Überlegenheit über den Mechanismus in der Vereinnahmung der Mittel, denn Hegel denkt den Mechanismus als Mittel. Insoweit das Mittel als solches nur durch Bezug auf den Zweck, zu dem es das Mittel ist, gedacht werden kann, verliert es seinen Primärcharakter als Mechanismus (und hört in der »Idee« insgesamt auf, als Mechanismus gedacht zu werden). Es wird uns leicht gemacht, den Zusammenhang zwischen der Diskussion des Mittels und Hegels Inferentialismus herzustellen, denn Hegel beeilt sich darauf hinzuweisen, dass das Mittel die Mitte des Schlusses bildet: »Der Zweck schließt sich durch ein Mittel mit der Objectivität und in dieser mit sich selbst zusammen. Das Mittel ist die Mitte des Schlusses. Der Zweck bedarf eines Mittels zu seiner Ausführung, weil er endlich ist; − eines Mittels, das heißt, einer Mitte, welche zugleich die Gestalt eines äusserlichen, gegen den Zweck selbst und dessen Ausführung gleichgültigen Daseyns hat.« (GW 12, 162-63)

Es ist etwas irreführend, wenn Hegel davon spricht, der Zweck benötige ein Mittel, weil er endlich sei, denn was er eigentlich sagen will ist, dass das Mittel dem Zweck äußerlich ist, weil der Zweck endlich ist. Dies bedeutet auch, dass allein schon der Gedanke eines Mittels eine gewisse Äußerlichkeit mit sich bringt, denn bei bestimmten zweckmäßigen Tätigkeiten (insbesondere jenen, die Hegel als »unendlich« gelten) gehen wir direkt vom subjektiven 42

Vgl. Yeomans’ Gedanken zur »absoluten Modalität« in Yeomans (2012), bes. S. 166.

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Zweck zu Ausführungen des Zwecks über, die Rede von Mitteln ist dort unangemessen. Man sagt nicht: Ich helfe meinem Freund als Mittel zum Erreichen des Zwecks der Freundschaft; man sagt: Ich helfe meinem Freund als Ausführung oder Ausdruck dieser Freundschaft. Auf der Ebene der äußerlichen Zweckmäßigkeit sind jedoch der Zweck und das Mittel getrennt; der Zweck ist ein innerer und das Mittel ihm äußerlich. Wir haben es hier mit einem neuen Schluss zu tun, dessen Differenz vom Schluss des subjektiven Zwecks deutlich wird, wenn man auf die Gutheit des in Frage stehenden Schlusses blickt. Im Schluss des subjektiven Zwecks wurde die Gutheit des Schlusses lediglich behauptet. Er hatte noch nicht erkannt, dass er zu seiner Ausführung seine Abstraktion bzw. Subjektivität würde aufgeben müssen. Er projizierte einen neuen Zustand nach der Ausführung des Zwecks, beinhaltete aber noch nicht alle zur Verwirklichung des Zwecks notwendigen Schritte. Dies wird besonders in Handlungen deutlich, die nur über einen gewissen Zeitraum stattfinden können. Nehmen wir als subjektiven Zweck »eine Gründerzeitvilla restaurieren«. Ich kann mir vom vollendeten Projekt ein Bild machen, weil ich bereits restaurierte Häuser gesehen habe. Wenn ich aber noch nie ein Haus restauriert habe, habe ich keine klare Vorstellung von all den einzelnen zu diesem Ziel führenden Schritten. Dies wird deutlich, wenn wir die wertende Komponente miteinbeziehen. Aus der Perspektive des subjektiven Zwecks ließe sich über die Ausführung des (beabsichtigten) Zwecks sagen: »Es wäre gut, diese Gründerzeitvilla restauriert zu haben.« Jedoch ist mehr als eine Ehe im Laufe einer solchen Restaurierung in die Brüche gegangen, und wer sich erstmals der Aufgabe stellt, läuft oft Gefahr, sich zu übernehmen. Die Hinwendung zum »Mittel« bringt die Schritte zum Vorschein, die zum Erreichen des Zwecks getan werden müssen, und das Verhältnis zur mechanischen Welt wird weniger naiv. Auch diese Schritte kann man sich getrennt von ihrer Aktivierung in der Ausführung des Zwecks vorstellen, all die mechanischen Zimmerei-, Klempnerei-, Verputz-, Malerei- usw. Operationen, die für eine komplette Renovierung ins Werk gesetzt werden würden. Versuchen wir nun, Hegels Beschreibung des Schlusses des Mittels mit der des problematischen Urteils (der zweite Schritt in den Urteilen des Begriffs) in Einklang zu bringen. Erinnern wir uns, dass das problematische Urteil ein Einzelnes aufgrund seiner spezifischen, kontingenten Beschaffenheit als gut ausweist. Das Urteil war problematisch, weil noch immer bestimmte Kriterien dafür fehlten, was das Objekt zu einem guten Objekt seiner Art macht (diese werden im letzten, dem apodiktischen Urteil benannt). Der Schwerpunkt lag auf der Tatsache, dass die Gutheit des Objekts von der Gutheit seiner spezifischen Beschaffenheit abhängt. Eine ähnliche Betonung von

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Kontingenz findet sich auch in der Diskussion des Mittels, namentlich in der Kontingenz der Mittel als dem Erreichen des Zwecks zu- oder abträgliche. Es kann sein, dass dieses Mittel dazu führt, dass die ausgeführte Handlung das ursprüngliche Ziel gut erfüllt. Es kann aber auch sein, dass das nicht so ist. Weil die Sphäre des Objektiven als dem subjektiven Zweck gegenüber gleichgültig vorausgesetzt wird, kann die anfängliche Auswahl der Mittel nur in einem problematischen Verhältnis zum Zweck stehen. Das lässt sich auch anhand der Konditionalität des Mittels zum Ausdruck bringen: »Wenn ich die richtigen Mittel anwende, dann wird das Ergebnis gut sein.« Ich weiß, welches die möglichen Mittel sind: Sie sind soundso viele Mechanismen zum Wiederaufbau des Hauses. Ich kann mir also vorstellen, dass mit dem Wissen um solche Mechanismen die Ausführung der Restaurierung durch ein Wissen um die Mittel im Voraus denkbar ist. (Ich kann mir ebenso − korrekter aber dennoch nicht unproblematischer Weise − vorstellen, dass es lediglich genug Geldes bedarf.) Im nächsten Abschnitt (über den ausgeführten Zweck) wird Hegel diese Sicht des Mittels als dem subjektiven Zweck äußerlich hinter sich lassen. Im »Mittel«-Abschnitt geht es ihm vorrangig darum zu zeigen, wie das mechanische Mittel dem Zweck untergeordnet wird. Durch das Mittel nimmt der Zweck den Mechanismus in sich auf und übernimmt damit sozusagen die Sphäre der Objektivität vom Mechanismus. Hegel gibt zu, dass das mechanische Objekt dem Zweck gegenüber eine gewisse Allgemeinheit aufweist: »Umgekehrt hat das Mittel gegen den subjectiven Zweck, als unmittelbare Objectivität, Allgemeinheit des Daseyns, welches die subjective Einzelnheit des Zweckes noch entbehrt.« (GW 12, 163) Diese Allgemeinheit ist natürlich das, was den aus notwendigen kausalen Verbindungen in der Sphäre der »unmittelbaren Objektivität« bestehenden Mechanismus so attraktiv macht. Hegel setzt an dieser Stelle den Zweck mit »subjektiver Einzelheit« gleich, was ihn mit dem einzelnen Subjekt des problematischen Urteils (»Dieses Haus ist gut, je nachdem es beschaffen ist«) in Einklang bringt. Wie er im nächsten Abschnitt ausdrücklich sagen wird, kann das Mittel als »höher« als der Zweck gelten, der hinsichtlich seiner subjektiven Einzelheit in den Blick genommen wird. Nimmt man den Zweck als subjektives Einzelnes und das Mittel als mechanisches Allgemeines, ist es gar nicht so einfach zu verstehen, wie die Zweckbeziehung sich durchsetzen bzw. das Mechanische als ein Moment eines zweckgesteuerten Ganzen in sich aufnehmen kann. Doch genau darauf arbeitet Hegel hin. Er erreicht dieses Ziel, indem er dem Zweck eine Struktur zuspricht, die ihm die Aufnahme von Unterschieden ermöglicht, und das Mechanische für dem Zweck gegenüber hilflos erklärt:

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»Das Mittel ist Object, an sich die Totalität des Begriffs; es hat keine Kraft des Widerstands gegen den Zweck, wie es zunächst gegen ein anderes unmittelbares Object hat. Dem Zweck, welcher der gesetzte Begriff ist, ist es daher schlechthin durchdringlich, und dieser Mittheilung empfänglich, weil es an sich identisch mit ihm ist. Es ist aber nunmehr auch gesetzt als das dem Begriffe durchdringliche, denn in der Centralität ist es ein Strebendes nach der negativen Einheit; ebenso im Chemismus ist es als Neutrales so wie als differentes ein unselbstständiges geworden. − Seine Unselbstständigkeit besteht eben darin, daß es nur an sich die Totalität des Begriffs ist; dieser aber ist das Fürsichseyn. Das Object hat daher gegen den Zweck den Character, machtlos zu seyn, und ihm zu dienen; er ist dessen Subjectivität oder Seele, die an ihm ihre äusserliche Seite hat.« (GW 12, 164)

Hegel wiederholt das Argument, schon im Zentrum und im Chemismus lasse sich eine Bewegung hin zum Teleologischen ausmachen, und betont, in diesen Gestalten seien es die Objekte selbst, die einer von ihnen selbst verschiedenen Einheit zustreben. Damit wird die Sphäre des Mechanischen als »unselbständig« gesetzt, den mechanischen und chemischen Objekten die vollständige Selbstbestimmung abgesprochen. Diese Objekte sind die Totalität des Begriffs nur »an sich«, nicht aber das »Fürsichsein« des Begriffs.43 Diese Objekte sind an sich der Begriff in dem Sinn, dass sie potentielle Bestandteile in einem inferentiellen Ganzen sind. Sie sind zusammengesetzt aus notwendigen Verbindungen von Ursache und Wirkung, die sich als Gesetz und Konditionale artikulieren lassen. Es gibt keinen Widerstand, denn mechanisch zu sein, bedeutet ein zur Verwendung für einen Zweck bereites Material zu sein. Als Mittel werden Mechanismen zur äußeren Seite eines sie für seine Ausführung einsetzenden Zwecks. Was am Fürsichsein des Zwecks ermöglicht es ihm, den bloß konditionalen Charakter des Mechanismus zu übersteigen? Hegels abstrakte Beschreibung des Fürsichseins hilft nur beschränkt weiter. Da ist es hilfreicher sich vorzustellen, was im Verfolgen eines Zwecks geschieht, insbesondere die Art und Weise, in der man sich im Verfolgen des Zwecks immer wieder mit diesem identifiziert. Ich mache mich also an die Restaurierung der Villa. Ich schreibe mir diesen Zweck zu und schreibe mir dann fortlaufend die Schritte zu, die ich zum Erreichen des Zwecks unternehme. Der Zweck beinhaltet somit einen Selbstbezug, den man sich als einen Akt des eigenen Willens denken kann, auch wenn er sich abstrakter ebenso als der Zweck selbst zu43

Die Diskussion des Fürsichseins in der »Seinslogik« lässt keinen Zweifel daran, dass es für Hegel die Differenz bzw. das Andere in sich aufnimmt (vgl. GW 21, 145).

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sammen mit allen ihm untergeordneten Schritten denken lässt. In jeder von mir, und den von mir dafür Bezahlten, ausgeführten mechanischen Tätigkeit bleibt der Zweck bestehen, bleibt er in seiner Ausführung identisch, obgleich er sich natürlich auch entwickelt und als Reaktion auf unerwartete Ergebnisse und einen sich verfeinernden Sinn für das Machbare (und Bezahlbare) verändert. Die Schritte sind solche für den Zweck in dem Sinn, dass sie der anfänglichen subjektiven Unmittelbarkeit des Zwecks entgegenstehen und dann erneut mit ihm identifiziert werden. Aus der Perspektive der Mittel kann man sich das Restaurationsprojekt als von einem Neuling ausgeführt vorstellen, der zwar um die Mittel weiß, aber nicht um all die Fragen und Probleme, die sich im Verlauf des Projekts stellen können. Die Perspektive des ausgeführten Zwecks hingegen ist die des alten Profis, der mit jeder Menge Erfahrung ausgestattet ist und über ein Wissen darüber verfügt, wie sich das vollendete Projekt aus den Mitteln ergibt und wie der Zweck im Verlauf desselben eventuell angepasst werden muss.

3.4 Der ausgeführte Zweck Im abschließenden, in seiner Wichtigkeit kaum zu überschätzenden Abschnitt der »Objektivität« über den »ausgeführte[n] Zweck« reformuliert Hegel die Zweck-Mittel-Beziehung aus der Perspektive der erfolgreichen Ausführung des Zwecks. Er greift sowohl den subjektiven Zweck als auch das Mittel wieder auf, um zeigen zu können, dass Zweckmäßigkeit nicht nur anhand der Objektivität von Mechanismus und Chemismus sondern als Objektivität gedacht werden kann44. Der Zweck hat das mechanische Mittel in sich aufgenommen und sich mit ihm identifiziert, die Setzung der objektiven Bedingungen der Ausführung durch den Zweck jedoch steht noch aus. Den in der bisherigen Darstellung noch bestehenden Mangel verdeutlicht Hegel anhand der bekannten schlechten Unendlichkeit bzw. unendlichen Abfolge von Mitteln: »Insofern die Thätigkeit wieder bloß darin bestünde, die unmittelbare Objectivität zu bestimmen, so würde das Product wieder nur ein Mittel seyn und so fort ins unendliche; es käme nur ein zweckmässiges Mittel heraus, aber nicht die Objectivität des Zweckes selbst.« (GW 12, 165) Dieses Problem bestimmt das Programm des Abschnitts, der die Mängel der »äußerlichen Zweckmäßigkeit« hervorhebt, aufzeigt, dass Äußerlichkeit 44

Er beginnt mit dem Satz: »Der Zweck ist in seiner Beziehung auf das Mittel schon in sich reflectirt; aber es ist seine objective Rückkehr in sich noch nicht gesetzt.« (GW 12, 165)

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vollständig in die Zweckmäßigkeit aufgenommen ist, und das Argument für die »innere Zweckmäßigkeit« des Lebens und der Idee vorbereitet.

3.4.1 Teleologische Tätigkeit Kehren wir zu den Urteilen des Begriffs zurück und vergleichen wir Hegels dritten Schritt in der »Teleologie« mit dem »apodiktischen Urteil«. Dieses stellt fest: »Das nach diesen Kriterien gebaute Haus ist gut.« Auf der Ebene des ausgeführten Zwecks entspricht dies dem Schluss: Der Zweck wird erfolgreich ausgeführt, wenn er diesen Mitteln gemäß ausgeführt wird. Diese Mittel werden in der Veränderung der Welt eingesetzt. Die Veränderung der Welt ist eine erfolgreiche Ausführung des Zwecks. In diesem Schluss steht an der Stelle des »gut« die »erfolgreiche Ausführung« und die Mittel dienen als Kriterium für den Erfolg des Zwecks. Wir sind nun in der Lage, die richtigen Mittel zu benennen, weil wir das Ganze aus der Perspektive der erfolgreichen Ausführung überblicken. In der Diskussion von Urteil und Schluss, wir erinnern uns, war die Struktur des Begriffs in die Struktur allgemeine Gattung – besondere Art – Einzelnes gefasst worden. Auf den noch verbleibenden Seiten der »Teleologie« besteht Hegels Strategie darin, diese Matrix des praktischen Urteils aufzugreifen und in ihr die wesentliche Struktur der Selbstverwirklichung des Begriffs aufzuzeigen, in der der Zweck das Allgemeine, die Mittel die spezifischen Bedingungen für die Ausführung des Allgemeinen und der ausgeführte Zweck das Einzelne ist. Zu beachten ist der in diesem Schluss neu eingeführte Term »die Welt«, der auf die zusätzliche Komplexität bzw. Vermittlung im »ausgeführten Zweck« hinweist. Er stellt ein wesentliches Element in der Etablierung der Objektivität des Zwecks selbst dar. In seiner Analyse der Aktivität der Teleologie konzentriert sich Hegel auf die »zweite Prämisse« des Schlusses insgesamt, nämlich die, in der das Mittel in einer äußerlichen Welt tätig wird. Hegel beginnt mit einem Vorschlag, wie diese Tätigkeit als sowohl mechanisch als auch zweckgebunden gedacht werden kann. Er denkt sich den Schluss so, dass er zuerst eine Beziehung des Zwecks zum Mittel, dann eine des Mittels zur Welt und schließlich den Zustand der Welt nach Abschluss der Tätigkeit beinhaltet: »Wenn also zunächst die Beziehung des Mittels auf das zu bearbeitende äussere Object eine unmittelbare ist, so hat sie sich schon früher als ein Schluß dargestellt, indem sich der Zweck als ihre wahrhafte Mitte und Einheit erwie-

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sen hat. Indem das Mittel also das Object ist, welches auf der Seite des Zwecks steht und dessen Thätigkeit in sich hat, so ist der Mechanismus, der hier Statt findet, zugleich die Rückkehr der Objectivität in sich selbst, in den Begriff, der aber schon als der Zweck vorausgesetzt ist; das negative Verhalten der zweckmässigen Thätigkeit gegen das Object ist insofern nicht ein äusserliches, sondern die Veränderung und der Uebergang der Objectivität an ihr selbst in ihn.« (GW 12, 165)

Es mag den Anschein haben, als sei die Mittel-Welt-Beziehung eine unmittelbare, doch wie wir bereits gesehen haben, hat sich der Zweck die mechanische Beziehung angeeignet. In der Sprache des von Hegel herangezogenen landwirtschaft lichen Beispiels: Ich setze meinen Pflug in Bewegung, um Weizen ernten zu können. Die mechanische Bewegung des Pflugs ist eine Verlängerung meines Zwecks, nicht einfach eine bloß mechanische Beziehung. Die Mittel-Welt-Beziehung ist eine wesentlich zweckmäßige, sie vervollständigt die Ausführung des Zwecks in der objektiven Welt. Auch wenn er in einer Nebenbemerkung zur »List der Vernunft« den mechanischen Charakter des Mittels betont, liegt Hegels Hauptaugenmerk im Eröff nungsabschnitt auf der Überlegenheit des Mittels über den endlichen subjektiven Zweck. Denkt man den Zweck als eine endliche, einzelne und im Gegensatz zur bereits vorhandenen Welt stehende Absicht, so ist das verlässliche Mittel vernünftiger. Weil es eine vermittelnde Position einnimmt und sich in seiner Äußerlichkeit erhält, weist das Mittel Rationalität auf. »Insofern ist das Mittel ein höheres als die endlichen Zwecke der äussern Zweckmässigkeit; − der Pflug ist ehrenvoller, als unmittelbar die Genüsse sind, welche durch ihn bereitet werden und die Zwecke sind. Das Werkzeug erhält sich, während die unmittelbaren Genüsse vergehen und vergessen werden. An seinen Werkzeugen besitzt der Mensch die Macht über die äusserliche Natur, wenn er auch nach seinen Zwecken ihr vielmehr unterworfen ist.« (GW 12, 166)

Die hier besprochenen Genüsse stellen das subjektive Ziel dar, während dem Mittel zu diesen Genüssen (das Werkzeug) ein höherer Status eingeräumt wird. Hegel bestimmt mit großer Genauigkeit »die endlichen Zwecke der äußeren Zweckmäßigkeit« als die dem sich erhaltenden Mittel unterlegenen. Das Mittel steht höher, ist ehren- oder wertvoller, nicht soweit es mechanisch, sondern soweit es Ausdruck einer sich erhaltenden Macht über die äußerliche Natur ist. Die Passage endet damit, dass Hegel den Spieß umdreht und anmerkt, in der Tatsache, dass unsere Zwecke subjektiv bzw. auf die

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Überwindung der äußerlichen Natur angelegt sind, liege gerade der Grund für unsere Unterlegenheit im Verhältnis zur äußerlichen Natur. Hegel leitet den Übergang zur inneren Zweckmäßigkeit in einer detaillierten Erläuterung der Art und Weise ein, in der der Zweck den mechanischen Prozess bestimmt und darin mit dem mechanischen Mittel identisch ist: »Der Zweck hält sich aber nicht nur ausserhalb dem mechanischen Processe, sondern erhält sich in demselben, und ist dessen Bestimmung.« (GW 12, 166) Wenn wir im oben angeführten Pflug-Beispiel den Zweck des Genießens (von Brot) durch den des Lebensunterhalt-Bestreitens ersetzen, so sehen wir, dass der Zweck des Lebensunterhalts in der Arbeit des Pflugs ausgeführt wird, dass er das ist, wofür der Pflug da ist. Die mechanischen Beziehungen des Pflugs werden vom Zweck vereinnahmt. Im folgenden Zitat stellt Hegel der Idee eines in zweierlei Weise sich bekundenden Inhalts die zweckmäßige Tätigkeit entgegen, in der die Trennung der subjektiven und objektiven Seiten endgültig überwunden wird. »Die Macht des Zwecks über das Object ist diese für sich seyende Identität; und seine Thätigkeit ist die Manifestation derselben. Der Zweck als Inhalt ist die an und für sich seyende Bestimmtheit, welche am Objekt als gleichgültige und äusserliche ist, die Thätigkeit desselben aber ist einerseits die Wahrheit des Processes und als negative Einheit das Aufheben des Scheins der Aeusserlichkeit.« (GW 12, 166)

Um die Art und Weise, in der sich die Macht des Zwecks über das Objekt im Mittel ausdrückt, zu beschreiben, bedient sich Hegel der Beziehung der »Manifestation«. Es mag den Anschein haben, als sei der Zweck (das Bestreiten des Lebensunterhalts) ein der Aktivität des Pflügens äußerlicher Inhalt, da ja das Pflügen ohne weiteres mechanisch, ohne Bezug auf diesen Zweck beschrieben werden kann. Wenn man aber fragt, warum das Pflügen stattfindet, dann wird nach einer Erklärung der Tätigkeit gefragt. Eine befriedigende Erklärung braucht keine mechanische Beschreibung der Funktionsweise des Traktors zu beinhalten, sie wird sich stattdessen auf die Mittel-Zweck-Beziehung berufen, die das charakterisiert, was zum Bestreiten des Lebensunterhalts unternommen wird. Konditional lässt sich das so ausdrücken, dass ohne jenen Zweck die Tätigkeit nicht stattfinden würde und ebenso, dass diese Art und Weise, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten (also durch landwirtschaft liche Tätigkeit) nicht ohne das mechanische Mittel des Pflügens stattfinden würde. In dieser Manifestation, die eine »negative Einheit« ist, weil sich der Zweck auf etwas bezieht, das er nicht selbst ist (auf eine zu verändernde Welt), wird die Welt zu einem dem Zweck Inneren, sie wird

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zu einem Ensemble von Bedingungen für den Zweck – und dadurch wird der »Schein der Äußerlichkeit« aufgehoben. Im ausgeführten oder erfolgreich erfüllten Zweck sind die Mittel die besonderen Schritte, die zu dieser Erfüllung unternommen werden, und die durch diese Erfüllung veränderte Welt ist ganz einfach der erfolgreich ausgeführte Zweck. Man mag versucht sein, sich das Ergebnis als Wirkung der anfänglichen Ursache zu denken, aber Hegel besteht darauf, dass der Zweck die Ursache-Wirkung-Beziehung dadurch verändert, dass er selbst alles in sich enthält, was er braucht. Darum geht es Hegel, wenn er im Folgenden vom Zweck sagt, er sei frei und enthalte das Äußerliche in sich: »In allem Uebergehen erhält sich der Begriff, z. B. indem die Ursache zur Wirkung wird, ist es die Ursache, die in der Wirkung nur mit sich selbst zusammengeht; im teleologischen Uebergehen ist es aber der Begriff, der als solcher schon als Ursache existirt, als die absolute, gegen die Objectivität und ihre äusserliche Bestimmbarkeit freye conkcrete Einheit. Die Aeusserlichkeit, in welche sich der Zweck übersetzt, ist, wie wir gesehen, schon selbst als Moment des Begriffs, als Form seiner Unterscheidung in sich, gesetzt. Der Zweck hat daher an der Aeusserlichkeit sein eigenes Moment; und der Inhalt, als Inhalt der concreten Einheit, ist seine einfache Form, welche sich in den unterschiedenen Momenten des Zwecks, als subjectiver Zweck, als Mittel und vermittelte Thätigkeit, und als objectiver, sich nicht nur an sich gleich bleibt, sondern auch als das sich gleichbleibende existirt.« (GW 12, 167)

Der Zweck muss im Mittel eine äußerliche Form annehmen; da aber die Mittel die Bedingung für die Ausführung des Zwecks sind, haben sie denselben Inhalt wie der Zweck selbst. Erinnern wir uns erneut an den elementaren praktischen Schluss mit Zweck, Mittel, Welt und ausgeführtem Zweck. Die vollständige Beschreibung des Zwecks, die dessen Inhalt feststellt, beinhaltet die Bedingung für seine Ausführung. Die objektive Ausführung ist ganz einfach die Vervollständigung des bereits Vorhandenen. Der Zweck selbst legt diejenigen Bedingungen für die Äußerlichkeit fest, die für die Erreichung des Zwecks relevant sind. In diesem Sinne ließe sich sagen, »die Welt«, als das vom Zweck zu verwandelnde Objekt, werde selbst in den Zweck eingebracht, indem sie nämlich zum Kontext der Ausführung des Zwecks wird. (Dieser Punkt wird von Hegel im unten besprochenen Schlussabschnitt entwickelt.) Was die Spannung zwischen den beiden Bestimmtheitsmodellen angeht, so ist nun ersichtlich, wie der teleologische Schluss das Konditional- und das Substanzmodell vereinen soll. Das Konditionalmodell beinhaltet hypothetische Schlüsse und (in Erweiterung des problematischen Urteils) die auf den

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Mitteln basierenden Schlüsse, denen zufolge die Ausführung des Zwecks von der mechanischen Tätigkeit der Mittel in der Welt abhängt (d. h. der Zweck kann nur in Abhängigkeit von seiner Konstitution durch die Mittel als erfolgreich beurteilt werden). Im substantiellen Gattung-Art-Modell ist der Zweck ein Allgemeines (die Gattung) und die zu seiner Erfüllung unternommenen Schritte die Art. Die auf der Gattung basierenden Schlüsse beinhalten somit den Gedanken, ihre eigene Spezifizität, d. h. die Bedingungen zu bestimmen, unter denen etwas tatsächlich als bestimmter Fall des Begriffs gilt. Hegels Schritt zum ausgeführten Zweck ist ein Schritt zur Feststellung, was genau als erfolgreiche Ausführung eines Zwecks gilt, in dem der bedingende Charakter der mechanischen, äußerlichen Welt selbst Teil des Zwecks ist. Der springende Punkt ist dieser: Was als Ausführung oder Spezifizierung der Gattung gilt, wird nicht im Vorhinein bestimmt, sondern erst in der tatsächlichen Verwirklichung festgestellt, unter den kontingenten Bedingungen, unter denen das Mittel operiert. Das Mittel steht nicht nur für die mechanischen Bedingungen der Ausführung, sondern für die Bedingungen der tatsächlichen Einzelheit des ausgeführten Zwecks insgesamt.

3.4.2 Das wechselseitige Bedingen von Zweck und Mittel Eines der vielen verwirrenden Elemente der hegelschen Darstellung der »Teleologie« ist das Fehlen einer Übersicht über die Gesamtheit der teleologischen Schlüsse, die der in »Der absolute Mechanismus« entworfenen entspräche. Die Darstellung legt insgesamt drei Schlüsse nahe, in denen jeweils einer der drei Terme (subjektiver Zweck, Mittel, ausgeführter Zweck) die Mittlerrolle übernimmt; sucht man aber nach einer Veranschaulichung eines solchen Systems, muss man den Blick jenseits der »Objektivität« aufs Leben richten. Was Hegel auf den letzten Seiten der »Teleologie« sonst noch leistet dient dazu, das Mittel mit dem ausgeführten Zweck zu identifizieren und vor einer Anzahl von falscher Auffassungen dieser Identität zu warnen. Der Grundfehler liege darin, in auch nur einem der Momente des gesamten praktischen Schlusses eine vom Zweck isolierte objektive Äußerlichkeit zu sehen. Sind wir erst einmal in der Lage, die Objektivität in all ihren Formen als dem Zweck untergeordnet zu verstehen, so erscheint uns auch der Schluss als ganzer als eine Art Wechselwirkung von Zwecken und Mitteln, und wir erkennen in einer solchen Wechselwirkung den Weg, der zur inneren Zweckmäßigkeit und zum Leben führen wird. Im letzten Abschnitt von »Der ausgeführte Zweck« nennt Hegel zwei Konsequenzen aus dem vorausgegangenen Argument: dass erstens die äußerli-

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che Zweckmäßigkeit nur das Mittel erreicht und dass zweitens der Übergang zur inneren Zweckmäßigkeit in der Analyse dieser Äußerlichkeit bereits gemacht ist. Das scheint auf die Aussage hinauszulaufen, dass wir lediglich die in der Zweckmäßigkeit enthaltene Beziehung zur Äußerlichkeit neu denken brauchen. Wir sahen bereits, wie der Inhalt des Zwecks die Mittel und den Zusammenhang des Zwecks mitsamt seiner Ausführung miteinschließt. Hegel greift nun sein Argument für einen dem Mittel immanenten und seinen eigenen Anwendungszusammenhang bestimmenden Zweck wieder auf: »Die gegen den Begriff selbstständige Aeusserlichkeit des Objects, welche der Zweck sich voraussetzt, ist in dieser Voraussetzung als ein unwesentlicher Schein gesetzt, und auch an und für sich schon aufgehoben; die Tätigkeit des Zwecks ist daher eigentlich nur Darstellung dieses Scheins, und Aufheben desselben. […] Es bedarf für den subjectiven Zweck daher keiner Gewalt, oder sonstigen Bekräft igung gegen dasselbe, als der Bekräft igung seiner selbst, um es zum Mittel zu machen; der Entschluß, Aufschluß, diese Bestimmung seiner selbst ist die nur gesetzte Aeusserlichkeit des Objects, […].« (GW 12, 169-170)

Was Hegel hier beschreibt, ist die Konzeption der äußerlichen Objektivität innerhalb der Absicht bzw. des Aktionsplans. Das Äußerliche ist hier nicht ein dem Zweck entgegenstehendes äußerliches Objekt, sondern ein Kontext für das Handeln. Es ist die Voraussetzung des Zwecks, aber eine Voraussetzung innerhalb des beabsichtigten Zwecks, die somit nicht anderer Natur ist als der subjektive Zweck selbst. Bevor wir uns dem letzten Absatz der »Objektivität« zuwenden, soll uns Christopher Yeomans’ hervorragende Darstellung der Handlung dabei helfen, die Tragweite von Hegels Argument zu erfassen. Wenn die teleologische Darstellung auch auf andere Fälle als absichtliche menschliche Handlungen anwendbar sein soll, so stellen diese doch den weitaus wichtigsten Fall dar und werfen noch am meisten Licht auf den logischen Fortgang im »Teleologie«-Kapitel. Yeomans sieht in Hegels Übergang von einem äußerlichen zu einem inneren Verständnis von Zweckmäßigkeit einen Schritt in Richtung einer wechselseitigen Bestimmung von Zwecken und Mitteln, in der der Handlungszusammenhang nicht einfach vorausgesetzt, sondern in der Ausführung des beabsichtigten Zwecks aktiv gestaltet wird. Die Schwierigkeit liegt darin zu verstehen, wie die von Hegel im dritten Teil von »Der ausgeführte Zweck« geforderte Identifi kation des Mittels mit dem ausgeführten Zweck möglich sein kann, ohne dass sich das auf den Status der Ausführung auswirken würde. So schreibt Yeomans:

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»The identification of the means with the realized end brings the latter into the process of its own production. With respect to the complex of production, this move on Hegel’s part is fascinating precisely because of the way it works to find conditioning within self-determination […]. In Hegel’s expressive way of framing the problem, to identify the means with the end is to insist that the best realization of the end is precisely in virtue of the active shaping of the conditions that constitute the external influences of self-determination.«45

Die Bedingungen sind die Voraussetzung des Handelns in der äußerlichen Welt. Yeomans konzentriert sich auf die Art und Weise, in der unsere Zwecke sich in Erwartung der äußerlichen Ausführungsbedingungen artikulieren, und darauf, wie wir unsere Zwecke und die gewählten Mittel im Zuge der Ausführung des Zwecks revidieren können. Er zeigt, wie beides ein »active shaping« der Bedingungen sein kann, und er zeigt damit auch, wie Äußerlichkeit in das zweckmäßige Ganze eingebracht wird.46 Einer der für unsere Zwecke wichtigsten Aspekte von Yeomans’ Kommentar ist seine Verteidigung der hegelschen Teleologie gegen den Vorwurf, Einzelnes nicht zu fassen zu bekommen. Seine Wichtigkeit verdankt sich zum Teil der Tatsache, dass Hegel im Schlussteil der »Teleologie« recht wenig über Einzelheit sagt, auch wenn sie aus systematischen Gründen eindeutig eines seiner Hauptanliegen sein muss. Der subjektive Zweck kann als abstraktes Allgemeines, der Zweck als Besonderes und der ausgeführte Zweck als Einzelnes gedacht werden. Gegen Abraham Roths Argument, kausale Darstellungen eigneten sich besser zum Erfassen der Einzelheit des Handelns, führt Yeomans an: »Hegel holds that teleology promises a better articulation of the singular individuality of its relata than mechanism does […].«47 Sein Argument gegen den Mechanismus beruht zumindest teilweise auf der Behauptung, dass das Gesetz sich weniger verwirklicht als dass es sich instantiiert48. Ein Gesetz kann sich naturgemäß nur in einer festgelegten Weise instantiieren, alle anderen Umstände in der Anwendung des Gesetzes fallen nicht unter das Gesetz selbst. Im Gegensatz dazu kann sich der Zweck 45

Yeomans (2012), S. 245. So schreibt Hegel: »So ist die ursprüngliche innere Aeusserlichkeit des Begriffs, durch welche er die sich von sich abstossende Einheit, Zweck und dessen Hinausstreben zur Objektivirung ist, das unmittelbare Setzen, oder die Voraussetzung eines äusserlichen Objects; die Selbstbestimmung ist auch Bestimmung eines als nicht durch den Begriff bestimmten, äusserlichen Objects; und umgekehrt ist sie Selbstbestimmung, d. i. die aufgehobene, als innere gesetzte Aeusserlichkeit; − oder die Gewißheit der Unwesentlichkeit des äussern Objects.« (GW 12, 171) 47 Yeomans (2012), S. 248. 48 Ebd., S. 232 u. S. 243. 46

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mit einer ganzen Reihe von kausalen Prozessen verknüpfen und doch in seiner Ausführung Zweck bleiben. Yeomans schreibt: »[T]he intensive interaction between goal and causal context effectively rebuts the charge that purposes can only explain general facts instead of specific events, since the explanatory purposes evolve to be quite specifically related to the action they explain during the process of its production. The problem of explaining particular actions arises only if we treat such purposes as what Hegel would term abstract universals. But on Hegel’s view, this is a conception more appropriate to the covering laws of purportedly singular causal connections than to internal purposiveness.«49

Diese Darstellung vermittelt überzeugend einen Eindruck dessen, was Hegel im Hinblick auf Einzelheit im »Teleologie«-Kapitel zu erreichen suchte. Der Kontrast zwischen Teleologie und mechanistischen Gesetzen ist ein Kontrast zwischen einer Gestalt, die der Erfassung der Einzelheit fähig ist, und einer, die dies nur eingeschränkt zu leisten in der Lage ist. Hegels erklärtes Ziel ist es zu zeigen, wie Subjektivität oder Fürsichsein erneut aus der Objektivität heraus entsteht (wobei gesagt werden muss, dass er in den hier in Frage stehenden Passagen diese Entwicklung in einer Art und Weise beschreibt, die nur wenig über die Entstehung der Einzelheit aussagt). Zum Abschluss seiner Darstellung weist Hegel darauf hin, dass aus der Perspektive des (noch) nicht ausgeführten Zwecks die Identifi kation von Zweck und Mittel bedenklich erscheinen könne, wenn man z. B. den eigenen Zweck für zu nobel erachtet, als dass er mit einem profanen Mittel identifiziert werden könne. Hegel warnt, dass eine solche Verachtung des Mittels die Aufrechterhaltung des Status quo sicherstellt: »Letzteres ist, wie bemerkt worden, wieder im ausgeführten Zwecke die Hervorbringung nur eines Mittels; indem die Subjectivität des endlichen Begriffs das Mittel verächtlich wegwirft, hat sie in ihrem Ziel nichts besseres erreicht. Diese Reflexion aber, daß der Zweck in dem Mittel erreicht und im erfüllten Zwecke das Mittel und die Vermittlung erhalten ist, ist das letzte Resultat der äusserlichen Zweckbeziehung, worin sie selbst sich aufgehoben und das sie als ihre Wahrheit dargestellt hat. – Der zuletzt betrachtete dritte Schluß ist dadurch unterschieden, daß er erstens die subjective Zweckthätigkeit der vorhergehende Schlüsse, aber auch die Aufhebung der äusserlichen Objecti-

49

Ebd., S. 251.

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vität, und damit der Aeusserlichkeit überhaupt, durch sich selbst, hiemit die Totalität in ihrem Gesetztseyn ist.« (GW 12, 171–72)

Anstatt mich für einen Handelnden zu halten, der sich und seinen Zweck einer widerspenstigen, äußerlichen Welt gegenüber sieht, in der kein besonderes Mittel meinem Ziel entsprechen könnte, sollte ich stattdessen einsehen, dass jedes Allgemeine auf besondere Art und Weise verwirklicht werden muss, nicht durch, sondern als ein besonderes Mittel50. Dies verlangt sowohl dem subjektiven Zweck (und im konkreten Fall dem handelnden Menschen) als auch der Äußerlichkeit etwas ab. Deswegen schreibt Hegel kurz darauf, dass »das Moment der Aeusserlichkeit nicht nur im Begriff gesetzt, er nicht nur ein Sollen und Streben, sondern als concrete Totalität identisch mit der unmittelbaren Objectivität ist.« (GW 12, 172) Das »Sollen und Streben« ist nicht mehr angemessen, denn das Äußerliche ist nun durch den Begriff bestimmt, ist voll und ganz dazu bestimmt, das Mittel zum Zweck zu sein. Hegels Konzeption einer Totalität im letzten längeren Zitat ist ein Ganzes von Zwecken und Mitteln zu ihrer Ausführung. In der Sprache der Handlungstheorie lässt sich solch eine Totalität am besten als ein die Agierenden selbst einschließender Handlungszusammenhang beschreiben. Yeomans zufolge geht es Hegel mit der Totalität nicht um »exhaustiveness of scope«, sondern um »depth of individual realization«51. Einer anschaulichen Darstellung dieser Totalität kommt er am nächsten, wenn er schreibt: »In Hegel’s theory, context plays the role of the condition of the development of intentions, but this development is recursive, and occurs just as much through the influence of the context on the realization of the intention as in its influence on the initial formation of the intention (if this latter process is considered to be something contrastively internal and subjective). It is a model of productivity that therefore embeds the agent in her context as the medium of the self-development of her own goals, and thus embeds the context in the agent as a system of means for self-expression«52.

Dieser Gedanke eines Einbettens in einen Zusammenhang, und des Einbettens eines Zusammenhangs in der Agierenden, streicht auf nützliche Weise 50

Die bekannteste von Hegels Varianten dieses Arguments ist die Konfrontation von Richter und Handelndem gegen Ende des »Geist«-Kapitels in der Phänomenologie des Geistes. Der Fehler des Richters liegt in der Annahme, der Zweck (das Gute) ließe sich auf irgendeine andere Art und Weise als mit endlichen Mitteln ausführen. 51 Yeomans (2012), S. 230. 52 Ebd., S. 257.

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heraus, wie alle verschiedenen Elemente des ursprünglichen praktischen Syllogismus in jedem der angeblich trennbaren Terme enthalten sind. Wir wissen, dass die Mittel die Ausführung des Zwecks sind, weil wir diesen oder einen verwandten Zweck früher schon ausprobiert haben. Es ergibt sich das dynamische Gesamtbild einer »plastischen« Totalität und einer »elastischen« Handlungsfähigkeit im Sinne einer Flexibilität gegenüber den Veränderungen in den zur Zweckerfüllung verfügbaren Mitteln. Mit dem andauernden Prozess der Zweckerfüllung innerhalb einer Umwelt, in dem ausgeführte Zwecke nicht als Handlungen erfahrener Agierender (Experten), sondern als sich selbst fortführend gedacht werden, sind wir zu dem Modell gelangt, das Hegel im ersten Kapitel des nächsten Abschnitts unter dem Titel »Das Leben« erschließt.

Schluss In diesem Kommentar lag die Betonung auf der Rolle des Schlusses in Hegels Begriffslogik, und im dritten Abschnitt wurde gezeigt, wie der praktische Schluss Hegels Darstellung der Schlussformen vervollständigt. Die Philosophie der Gegenwart beschäftigt sich mit Schlüssen hauptsächlich in Bedeutungstheorien, mit dem praktischen Schluss hingegen in Ethik und Handlungstheorien. Man könnte sich also sorgen, dass die Konzeption von Objektivität, die am Ende des gleichnamigen Abschnitts übrigbleibt, allzu sehr auf Sprache und/oder unsere Interessen als Handelnde angewiesen sei. In anderen Worten, man könnte sich denken, Hegel hätte im Fortgang vom Mechanismus und seinen physikalischen Gesetzen zur Teleologie einfach das Thema gewechselt. Er hatte aber doch versprochen, gerade dies nicht zu tun, als er die Idee verwarf, Mechanismus und Teleologie könnten nebeneinander als selbständige Sphären bestehen. Hegel behauptet, der Mechanismus selbst müsse inferentiell – und prototeleologisch – werden, wenn er über die reine Formalität des Gesetzes hinausgeht. Ein Argument, das der vorliegende Kommentar nahelegt, besagt, dass die Objekte der Teleologie denen des Mechanismus überlegen sind, weil sie selbstbestimmt und damit bedeutsamer sind. In dieser Hinsicht würden sich die Verbindung von Schluss und Bedeutung und die Vervollständigung der Schlüsse in der Teleologie miteinander decken. Die Frage wäre dann, ob die Darstellung auf inakzeptable Weise von der Welt in eine bloß subjektive Sphäre ausweicht. Hegels Ansicht nach bekommt die Teleologie einzelne Ereignisse wesentlich besser zu fassen als der Mechanismus. Wo der Mechanismus covering laws von Ursache und Wirkung bereithält, breiten sich diese über die Phänomene aus. Ihre schablo-

Literatur

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nenartige Gleichförmigkeit macht sie für viele attraktiv, ihre Beschränkung auf nur einen, unterschiedslos anwendbaren Erklärungsansatz aber ist nur eine Last für all jene, die menschliches Handeln (und Hegel zufolge selbst menschliche Erkenntnis) verstehen wollen. In Hegels Auseinandersetzung mit diesen Fragen erkennt man eine wirkliche Neuorientierung, und zwar ein anti-reduktionistisches Element, dass komplexere teleologische Ereignisse für realer und besser bestimmt hält als elementare Mechanismen. Das ist weniger eine These über den Primat des Praktischen als über dessen Endgültigkeit. Für Hegel ist es eine Tugend, wenn etwas eine mehr oder weniger gute Ausführung darstellt, anstatt bloß die Instantiierung eines einfach gültigen und befolgten Gesetzes zu sein. Diese Kausalgesetze helfen bei der Strukturierung der Welt des Handelns, und es bedarf nichts Übernatürlichen, um die Realität von Zwecken zu sichern. Selbst wenn man zugestände (was Hegel selbst nicht zu tun bereit ist), dass sich organische Phänomene auf einfache Mechanismen reduzieren lassen, so wäre man immer noch mit Absichtshandlungen und der gesamten, sich jeder Reduktion widersetzenden Sphäre der Werte konfrontiert. Dann wären es die Mechanisten, die einer Unterscheidung von Tatsache und Handlung das Wort redeten und somit eine Antwort schuldig blieben, wohingegen Hegel versucht, die Perspektiven im Dienste einer Erkenntnis von Wirklichkeit und Einzelheit zu vereinen. Seine Gegner wären wie ein Rechtssystem ohne Richter, in dem es keine Fälle gibt, weil noch nie jemand etwas von Gesetzesverletzungen oder Konflikten zwischen zwei Gesetzen gehört hat. Mag sein, dass es eine solche Welt gibt, aber unsere ist es nicht.

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DIE LEHRE VOM BEGRIFF. DRITTER ABSCHNITT. DIE IDEE Ludwig Siep

1. Einleitung: Exposition der leitenden Fragestellungen . . . . . . . .

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2. Ausgangspunkt: Das letzte Kapitel (»Die absolute Idee«) als Resümee der Logik und des Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Die Bedeutung von »Idee« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Leben und Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Erkennen: Subjekt, Wahrheit, Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5.1 Die Idee des Wahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Das analytische Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Das synthetische Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2.1 Die Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2.2 Die Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2.3 Der Lehrsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

694 697 700 702 705 709

5.2 Handeln und die Idee des Guten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 1: Natur und Zwecksetzung im Abschnitt „Teleologie“ des Kapitels „Objektivität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

720 722

6. »Absolute Idee«: Theologische Dimension, Systemcharakter und wissenschaftlicher Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6.1 Absolute Methode und Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Persönlichkeit und freier Entschluss – wie göttlich ist die absolute Idee? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Die Persönlichkeit der absoluten Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 2: Die Persönlichkeit Gottes in Hegels Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Entschluss, Befreiung, Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. 3 Idee, Natur und Erfahrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 3: Systematische Totalität und Erfahrung . . . . . . . . . . .

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Hegel-Studien Beiheft 67 . © Felix Meiner Verlag . ISSN 0440-5927

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1. Einleitung: Exposition der leitenden Fragestellungen Der letzte Abschnitt der Hegelschen Logik gehört, was die Verständlichkeit des Textes betrifft, vielleicht nicht zu den schwierigsten Passagen des Buches. Abschnitte wie das Maß oder die Wesenslogik mögen hermetischere Passagen enthalten. Was allerdings die Bedeutung der Grundthesen angeht, so herrscht von Hegels Tod bis heute keine Übereinstimmung – obwohl oder gerade weil sich hier für die Kontroversen, etwa über den Theismus oder den absoluten Idealismus, entscheidende Aussagen finden. Der folgende Kommentar bemüht sich um eine eng am Text orientierte Aufhellung der inneren Struktur des Gedankenganges und seiner zentralen Aussagen. Sie folgt ganz überwiegend hermeneutischen Prinzipien und beansprucht weder, eine systematische Rekonstruktion zu sein, noch die einzig mögliche kohärente Interpretation zu präsentieren. Den angedeuteten Kontroversen wird aber nicht ausgewichen. Sie sollen in Form von Fragen formuliert werden, die dem Kommentator als Teilnehmer heutiger philosophischer Diskurse nahe liegen. Soweit es die Beschränkung auf diesen Text – mit einigen Exkursen – gestattet, soll am Schluss zumindest zwischen den wesentlichen Alternativen, sie zu beantworten, abgewogen werden. Dass solche Fragen dem Text nicht aufgezwungen werden, legt sich schon aufgrund einer groben Angabe der Inhalte des dritten Abschnitts nahe: Die »Idee des Lebens« hat es mit den begrifflichen Strukturen der lebendigen Natur zu tun, vor allem der inneren Funktionalität des Körpers und der Lebensprozesse der Tiere. Die »Idee des Erkennens« erörtert und kritisiert die Methoden und das Gegenstandsverständnis der Wissenschaften, der nicht-philosophischen wie der philosophischen, vor allem der neuzeitlichen Metaphysik. Hier geht es – unter anderem – um das Verhältnis der Philosophie zu den empirischen Wissenschaften. Das letzte Kapitel, die »absolute Idee«, thematisiert die Selbsterkenntnis der Idee, ihre Subjektivität und »Persönlichkeit«, sowie die Vollendung der Logik und des philosophischen Systems als Ganzes. Da auf die Logik in diesem System die Naturphilosophie folgen muss, geht es in den Schlussabschnitten des gesamten Buches um das Verhältnis der absoluten Idee zur Natur und der Logik zur Naturphilosophie. Die folgenden beiden Leitfragen und ihre Untergliederungen leiten die Kommentierung des Abschnitts über die Idee: (I) Die erste Frage betrifft primär das letzte Kapitel der Logik der Idee, nämlich das Kapitel »absolute Idee« und deren Verhältnis zur philosophischen Theologie und den ›gewöhnlichen‹ Gottesbegriffen. Sie richtet sich aber darüber hinaus an den Sinn der Logik als Ganze. Insofern gehören zu ihr zwei Teilfragen:

Einleitung

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(I.1) In welchem Sinne ist Hegels Ideenlehre, vor allem das letzte Kapitel Metaphysik? Hegel hat seine frühere (Jenaer) Unterscheidung zwischen Logik und Metaphysik spätestens seit der Phänomenologie des Geistes aufgegeben.1 Er kritisiert vor allem die rationale Theologie der nachantiken und vorkantischen Tradition, deren Vergegenständlichung Gottes und das falsche Verständnis der Gottesbeweise und Gottesprädikate. Trotzdem sieht er die Logik, wie vor allem Vorrede und Einleitung zeigen,2 als Weiterführung der metaphysischen Thematik und Methodik. Er will die Tradition der Metaphysik des Geistes (nous) des Aristoteles und des Platonismus3 mit den Mitteln der Subjektivitätsphilosophie seit Kant erneuern. Dazu gehört auch die Verwandlung der Dialektik Platons, Kants und der negativen Theologie in die »absolute Methode«, die Selbstentfaltung der absoluten Idee.4 (I.2) Die absolute Idee wird nicht nur als Subjektivität – die freilich ebenso sehr Substanz oder durch sich selbst begründete Wirklichkeit ist – begriffen, sondern auch als Person und Persönlichkeit. Damit soll auch der christlichen Gottesvorstellung Rechnung getragen werden, indem sie philosophisch »aufgehoben« wird. Zugleich lehnt Hegel aber seit seinen philosophischen Anfängen die Transzendenz dieses Gottes, seine ontologische und epistemologische Trennung von der Welt und vor allem dem Menschen, ab. Das muss aber von allem traditionellen Pantheismus oder Panentheismus unterschieden werden. Es beansprucht eine philosophische Deutung der christlichen Idee der Schöpfung, Menschwerdung und Erlösung. Das Absolute verendlicht sich zwar selber – und hat daher am Endlichen keine Grenze. Aber es bleibt dabei von der Natur und der – von dieser abhängigen – endlichen Seite des Menschen unabhängig. Was heißt dann, dass die absolute Idee Persönlichkeit ist und Hegel ihr Verhältnis zur Natur am Ende mit voluntativen Ausdrücken kennzeichnet (Entschluss, freies Sich-Entlassen etc.)? 1

Vgl. zu dieser Entwicklung Düsing (1976). GW 11, 5, 6–6, 12; 7, 11–12 (»die logische Wissenschaft, welche die eigentliche Metaphysik oder reine speculative Philosophie ausmacht«). Zu den Gottesbeweisen schreibt er im Kapitel »Objektivität« der Begriffslogik, er wolle bei anderer Gelegenheit »durch Herstellen ihrer wahren Bedeutung die dabey zu Grunde liegenden Gedanken in ihren Werth und Würde zurückführen« (GW 12, 129, 38–39). Vgl. dazu u. Anm. 137. Hegel hat seinen Berliner Logikvorlesungen auch nach wie vor den Titel »Logik und Metaphysik« gegeben (vgl. GW 23,1, 157, 211, 413). 3 Zur Anknüpfung an die »ältere Metaphysik« vgl. GW 11, 17, 9–19; 21, 22–22, 3 sowie Jaeschke (1981), S. 404. 4 Vgl. GW 11, 26, 22–29 (»platonische Dialektik«). Das Verhältnis zur negativen Theologie erörtert Jens Halfwassen (2003). Hegels Aneignung der negativen Theologie kann allerdings nach Halfwassen nicht als deren immanente Aufhebung überzeugen (ebd., S. 44–46). – Philosophiegeschichtlichen Bezügen werde ich im Folgenden nur dann nachgehen, wenn Hegel sie selber explizit macht. 2

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Ludwig Siep . Die Idee

(II) Die zweite Leitfrage betrifft das Verhältnis der Idee und des Systems der Logik zur Natur, den »nicht-philosophischen« Wissenschaften5 und den historischen Erfahrungen. Sie untergliedert sich in die folgenden Teilfragen: (II.1) Was bedeutet der Anspruch der Logik, in sich und als Grundlage der anderen Teile der hegelschen Philosophie ein vollständiges System zu sein (»System der Totalität«)? Dazu gehört, der Idee eine Methode der Selbstentfaltung und -erkenntnis zuzuschreiben, die alle Implikationen des Anfangs (»Sein«) erschöpft und am Ende notwendig zu ihm zurückkehrt. Ist ein solches denknotwendiges System offen für wissenschaft liche Weiterentwicklungen, sei es ein Fortschritt der Theorien oder seien es auch Folgen von »Grundlagenkrisen« oder »Paradigmenwechseln«? Ist es offen für kollektive Erfahrungen, Wertewandel und grundlegende Änderungen in den Sitten und Institutionen? Wie verhält sich das zum Anspruch der Logik, von zeitlichen Veränderungen, von Zufall und von externen Bedingungen unabhängig zu sein? (II.2) Wie verhält sich der Naturbegriff des Kapitels über die Idee, wie er dem Kapitel über das Leben und dem Übergang der Idee zur Natur zugrunde liegt, zu demjenigen der in diesem Sinne offenen wissenschaft lichen Entwicklung? Ist der hegelsche »Realismus« der Einheit von Begriff und Realität vereinbar mit einem wissenschaft lichen Realismus, der eine unabgeschlossene Annäherung an die richtige Erklärung einer theorie-unabhängigen Realität impliziert? Kann Hegels in der Logik grundgelegte Naturphilosophie aus zeitlosen Prinzipien einer Natur gemäß sein, die einer zeitlichen, evolutionären oder auch technischen Entwicklung ausgesetzt ist? Wie verhält sie sich zu evaluativen Erfahrungen mit der Natur, die dieser Selbstzweckhaftigkeit zugestehen? Da die Verwendung der Begriffe »Metaphysik«, »Ontologie« und »rationale Theologie« in Bezug auf die Logik auch unter bedeutenden Interpreten umstritten ist,6 seien hier vorab einige Bemerkungen zu Hegels eigenem Begriffs5

Zu Hegels Verwendung des Begriffs »Wissenschaft« und zur Unterscheidung der nicht-philosophischen Wissenschaften von den philosophischen in Hegels System vgl. Mooren/Rojek (2015). 6 So behauptet etwa H. F. Fulda, dass die Hegelsche Logik »weder als ganze noch in einem ihrer Teile Ontologie« (2003, S. 135) sei, und er bestreitet, dass die Logik des Begriffs »als ganze oder in einem ihrer Teile eine rationale Theologie« sei (ebd., S. 136). Andere bedeutende Hegel-Interpreten wie Klaus Düsing oder Jens Halfwassen benutzen die Begriffe »Ontologie«, »Metaphysik« und »philosophische Theologie« dagegen ohne Bedenken in ihren Interpretationen der Logik; vgl. Düsing (2007). Sicher ist Fulda (2003, S. 138) zuzustimmen, dass mit Blick auf Hegels absolute Idee nicht »von einem höchsten Seienden mit seinem vollkommenen Verstand und Willen« die Rede ist – obgleich Hegel auch das analytische Erkennen und das Wollen des Guten in die Idee »aufhebt«. Dass die absolute Idee »durch und durch prozessual« begriffen werden muss

Einleitung

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gebrauch am Ende der Einleitung und am Schluss der Logik angefügt. Nach der Einleitung (GW 11, 32, 5–25) tritt die objektive Logik (des Seins und des Wesens) »an die Stelle der vormaligen Metaphysik« (GW 11, 32, 5–6). Dabei unterscheidet Hegel zwischen der traditionellen metaphysica generalis oder »Ontologie«, die »die Natur des Ens überhaupt darstellen sollte« (GW 11, 32, 6–7) und der metaphysica specialis. Die objektive Logik begreift »auch die übrige Metaphysik in sich, insofern als diese die reinen Denkformen auf besondere, zunächst aus der Vorstellung genommene Substrate, die Seele, die Welt, Gott, angewendet enthielt« (GW 11, 32, 10–12). Die objektive Logik behandelt diese Denkformen »frey von jenen Substraten« (GW 11, 32, 14). Sie übernimmt aber zugleich die Aufgabe der kantischen Kritik und untersucht die Denkformen bzw. Bestimmungen »selbst in ihrem besondern Inhalte« (GW 11, 32, 21). In der Kritik der sich selber aufhebenden Beschränktheit dieser Formen erweist sie gegen Kant, dass sie Momente einer absoluten Subjektivität, eines sich selber denkenden »Ding[s]-an-sich« sind. Dieses »freye selbstständige Subjective, oder vielmehr das Subject selbst« (GW 11, 32, 24–25) ist Gegenstand der subjektiven Logik oder der »Logik des Begriffs« (GW 11, 32, 22). Es ist nicht mehr ein von der Objektivität unterschiedenes, durch ihre Formen nur eine Erscheinungswelt konstituierendes Subjekt, sondern ein in den Formen der Objektivität sich selber darstellendes »absolutes« Subjekt. Die Metaphysik, die durch die Logik ersetzt werden soll, ist offenbar die scholastische und die Schulmetaphysik des 17. und 18. Jahrhunderts.7 Die Intentionen der ›älteren‹ Metaphysik führt Hegel in viel positiverer Weise fort. Die Anknüpfung an die Idee des Göttlichen als sich selber denkender Geist, seine Interpretation der aristotelischen noesis noeseos, ist im letzten Kapitel unübersehbar. Dass es darin um den Gehalt und die Intentionen der philosophischen Theologie geht, ist schwer zu bestreiten.8 Hegel nennt die Logik auf ihren letzten Seiten eben auch die »Wissenschaft […] des göttlichen (ebd., S. 136), ist ebenfalls unstrittig. Neuerdings verteidigt James Kreines (2015) einen abgewandelten Begriff von Metaphysik (ohne absolutes Substrat und ohne Theologie) für Hegels Logik. 7 Das gilt auch für die Metaphysik, die Hegel in der Einleitung zur Logik der Enzyklopädie (seit der 2. Auflage) als »Erste Stellung des Gedankens zur Objectivität« behandelt (GW 19, 51–55 – »wie sie vor der Kantischen Philosophie bei uns beschaffen war«, GW 19, 51, 12–13). 8 »Die logische Wissenschaft , welche die eigentliche Metaphysik oder reine speculative Philosophie ausmacht, hat sich bisher noch sehr vernachlässigt gesehen«, schreibt Hegel in der Vorrede der Logik (GW 11, 7, 11–13). Im § 17 der Enzyklopädie von 1817 nennt er die Logik nach ihrem Rückgang in die reine Idee »speculative Theologie« (GW 13, 24–25). Das wird in den späteren Auflagen zwar nicht wiederholt, aber – wie Jaeschke vermutet – weil Hegel dem Missverständnis vorbeugen wollte, dieser Titel käme nur dem Ende und nicht der ganzen Logik zu. Vgl. dazu Jaeschke (1981), S. 399.

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Ludwig Siep . Die Idee

Begriffs« (GW 12, 253, 4–5). Er versteht diesen als »zugeschärfteste Spitze« (GW 12, 251, 10), als Persönlichkeit und als »undurchdringliche, atome Subjectivität« (GW 12, 236, 14–15). Zudem beansprucht er die Logik der Idee für die vernünft ige Rechtfertigung der Gehalte der christlichen Religion, vor allem ihrer zentralen Dogmen. Eine solche Rechtfertigung, wie viel Aufhebung und Entmythologisierung darin auch stecken mögen, ist auch im anspruchsvollsten Sinne »Theologie«. Was für ein Begriff des Göttlichen dahinter steckt, wird zu klären sein. Wenn also im Folgenden gelegentlich die Begriffe »Ontologie«, »Metaphysik« und »rationale Theologie« verwendet werden, dann nicht im Sinne der traditionellen metaphysica generalis und specialis. Es geht in der Logik nicht um allgemeinste Kategorien von »Seiendem«, das durch ausschließende Bestimmungen abgrenzbar und als solches vollständig identifizierbar wäre – also etwa durch »unum« und »quidditas« im Sinne der scholastischen Transzendentalienlehre.9 Wohl aber kann man die Suche nach der systematischen Einheit der Bedeutungen von »Sein« und nach der höchsten Seinsweise (ontos on) »Ontologie« nennen. Ebenso ist die Frage nach dem Absoluten, der absoluten Erkenntnis, dem vollendeten Guten und der absoluten Persönlichkeit in einem die Logik nicht von vornherein missverstehenden Sinn als philosophische »Theologie« zu bezeichnen. Was bei Hegel nach der kantischen Metaphysikkritik und der hegelschen Antikritik (vgl. etwa GW 12, 229, 4–230, 10) noch unter den genannten Disziplinen und ihren Gegenständen zu verstehen ist, soll im Folgenden, einem Kommentar entsprechend möglichst eng am Text, erörtert werden. Da die gesamte Entwicklung der Logik, vor allem aber der Abschnitt über die Idee, auf das Ende ausgerichtet ist, beginne ich mit einer vorläufigen, antizipierenden Interpretation von Anfang und Schluss des Kapitels »Die absolute Idee« (2). Sie soll auch weiter belegen, dass die umrissenen Fragen nicht willkürlich an Hegels Text gestellt werden. Im darauffolgenden Abschnitt (3.) kehre ich zum Anfang des Abschnitts »Die Idee« zurück und erörtere Hegels allgemeine Bemerkungen zur Bedeutung von Idee. Im 4. Abschnitt steht die Kommentierung der Idee des Lebens und im 5. die des Erkennens unter der Leitfrage nach dem Verhältnis der autonomen Idee zur Natur und den Wissenschaften. Dann wird das darauffolgende letzte Kapitel (»Die absolute Idee«) noch einmal ausführlicher kommentiert (6.). Bei der Deutung der »absoluten Methode« und 9

Auch nicht im modernen Sinne des »no entity without identity«, selbst wenn für Hegel unterscheidende und ausschließende Identität zu einem insgesamt holistischen »Bestimmen« gehören.

»Die absolute Idee« als Resümee der Logik und des Systems

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ihrer »Erweiterung« zum System (6.1) stehen beide Fragen im Hintergrund, nicht nur die nach dem Verhältnis der Logik zu Natur und Naturwissenschaft, sondern auch die nach der dialektischen Selbstbeziehung der Idee als Persönlichkeit. In den beiden letzten Abschnitten dieses Kommentars (6.2 und 6.3) soll dann der Versuch einer Abwägung der Alternativen zur Beantwortung beider Leitfragen unternommen werden (s. u. S. 765–779, 783–790). »Die absolute Idee« als Resümee der Logik und des Systems

2. Ausgangspunkt: Das letzte Kapitel (»Die absolute Idee«) als Resümee der Logik und des Systems (GW 12, 236, 1–237, 24) Zu Beginn des Schlusskapitels wird die absolute Idee zunächst als Resultat der vorherigen Kapitel des Abschnitts »die Idee«, nämlich der Idee des Lebens und des Erkennens mit ihren beiden Unterkapiteln der Idee des Wahren und des Guten, sowie der Hauptteile des Systems neben der Logik, also der Philosophie der Natur und des Geistes dargestellt. Die beiden vorhergehenden Kapitel der Idee werden, gemäß der später explizit erörterten, aber in der ganzen Logik bereits befolgten Methode als eine dialektische Entwicklung dargestellt: Die Idee des Lebens ist eine unmittelbare Form der Einheit von »Begriff« und »Realität« – in welchem Sinne wird uns noch beschäft igen. In den beiden Teilen der Idee des Erkennens erscheint die Idee dagegen nur »als ein gesuchtes Jenseits«, also nicht völlig mit der Realität übereinstimmend. Es handelt sich bei beiden um eine »Synthese des Strebens« (GW 12, 236, 5–6): Die Idee schwebt dem Erkennen als Wahrheit und dem Wollen als Gutes vor, zugleich gilt sie aber als unerreichbar. Das ist freilich eine einseitige Perspektive, die in der Entwicklung der Idee des Erkennens selber überwunden wird. Hegel greift in beiden Teilen, der Idee des Wahren und der des Guten, auf seine stets wiederholte Kritik an der kantischen und fichteschen Konzeption der regulativen und der praktischen Idee zurück. Er hat die immanenten Widersprüche dieser »Synthesen«, die jede »die Idee sowohl in sich hat als auch nicht hat, von einem zum andern übergeht, aber beyde Gedanken nicht zusammenbringt« (GW 12, 236, 6–7), bereits in den beiden Teilen des Kapitels aufgezeigt und »aufgehoben«. Die absolute Idee ist in dieser Hinsicht der Prozess, aus der unmittelbaren Einheit von Begriff und Realität im Leben durch den Gegensatz beider im Erkennen und Handeln zu einer neuen unmittelbaren Einheit sich zu entwickeln, die nach Hegel »Persönlichkeit hat« (GW 12, 236, 13) – es heißt nicht »ist«. Was das bedeutet und was es mit einer eventuellen Persönlichkeit Gottes

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Ludwig Siep . Die Idee

oder des Absoluten zu tun hat, wird uns noch beschäftigen (u. 6.2). Zunächst ist nur wichtig, dass die von der »Seele« als dem einfachen Prinzip des Lebens zur »Persönlichkeit« entwickelte Idee »in seinem Andern seine eigene Objectivität zum Gegenstande hat« (GW 12, 236, 17). Diese Formulierung und der folgende Satz scheinen keinerlei Raum für eine Realität außerhalb der Idee zu lassen: »Alles Uebrige ist Irrthum, Trübheit, Meynung, Streben, Willkühr und Vergänglichkeit; die absolute Idee allein ist Seyn, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit, und ist alle Wahrheit« (GW 12, 236, 17–20). Um der Frage näher zu kommen, ob das einen Monismus des Begrifflichen, Gedanklichen, Geistigen bedeutet, muss man den nächsten Abschnitt zum Verhältnis der Logik oder des »Logische[n] der absoluten Idee« (GW 12, 236, 33) zu Natur und Geist hinzunehmen. Beide sind Weisen, das »Daseyn« der Idee darzustellen (GW 12, 236, 25), die allerdings erst im Falle des absoluten Geistes ein angemessenes Dasein (in Kunst und Religion) erlangt, das sich schließlich in der Philosophie selbst erfasst. Dabei ist die philosophische Weise der Erfassung in Begriffen »die höchste« (GW 12, 236, 29). Man muss sich erinnern, dass sogar in den anscheinend begriffsfernsten Formen von Raum und Zeit für Hegel eine bestimmte Relation (»Daseyn« als Bestimmtheit im Sinne der Seinslogik), nämlich das Außereinander, vorliegt, die nur als Vorform höherer begrifflicher Verhältnisse (Selbstverhältnisse, Selbstreflexion) verstanden werden kann. Diese Formen, die etwas außerhalb ihrer selbst haben, sind begrenzt oder endlich (»Endlichkeit«). Bereits die Kunst und die Religion haben es aber mit Weisen der Darstellung und Vorstellung eines Absoluten, sich nur selbst Bestimmenden (immanent Verendlichenden) zu tun – mit Hegel »der Unendlichkeit und Heiligkeit« (GW 12, 236, 30–31). Die Philosophie hat die Aufgabe, diese Vorformen der absoluten Idee zu erkennen und sie auf den Begriff zu bringen. Das aber sind nur die »besondern philosophischen Wissenschaften« (GW 12, 236, 32–33). Daneben scheint auch die Wissenschaft der Logik eine »besondere« philosophische Wissenschaft zu sein. Aber das Logische hat in der allgemeinen Form seiner reinen Begriffe zugleich »alle besondern aufgehoben und eingehüllt« (GW 12, 237, 3) in sich. So hat ja die objektive und subjektive Logik die Begriffe der philosophischen Wissenschaften von der Natur und dem Geist schon in einer allgemeineren Form behandelt – und diese sind ihrerseits schon allgemeinere Begriffe als die in den nicht-philosophischen Wissenschaften selber benutzten. »Allgemeiner« nicht im Sinne der Abstraktionsebene, sondern als die systematisch-zweckmäßige (teleologische) Weise, in den Formen und Stufen der Natur immer komplexere und zunehmend selbstreflexive Verhältnisse zu sehen.

»Die absolute Idee« als Resümee der Logik und des Systems

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Die »logische Idee« hat aber darüber hinaus eine von ihrem »Scheinen in einer Formbestimmtheit« (der Natur oder des Geistes) unterscheidbare Weise der Darstellung »in ihrem reinen Wesen, wie sie in einfacher Identität in ihren Begriff eingeschlossen« ist (GW 12, 237, 3–5). An der Idee, wie sie in der Logik entwickelt wird, unterscheidet Hegel die »Bestimmtheit« (GW 12, 237, 19) der Idee und ihre »Formbestimmung« (GW 12, 237, 18).10 Die erstere, d. h. die innere Differenzierung der Idee ist der »ganze Verlauf« und der »Gegenstand der logischen Wissenschaft« (GW 12, 237, 20). Dieser ist zwar als entfalteter und zusammengefasster in ihr enthalten, aber er muss am Ende nicht noch einmal thematisiert werden. Stattdessen kann er als die »Formbestimmung«, d. h. die Struktur der Bewegung der Entfaltung der logischen Bestimmungen, selber noch einmal artikuliert werden. Das ist es, was Hegel im Abschnitt über die absolute Methode tut. Verständlich macht er sie zunächst (GW 12, 237, 27–238, 5) im Vergleich zu dem, was sie an Methode im gewöhnlichen Sinne überwindet und ersetzt. Diese Methode bzw. die grundsätzlichen Methoden der gewöhnlichen Wissenschaften werden im Kapitel über die Idee des Erkennens erörtert, kritisiert und »aufgehoben«. In der völligen Immanenz und Unabhängigkeit von jedem außerbegriffl ichen Inhalt nennt Hegel die absolute Idee – in Anspielung sowohl auf den Begriff »Logik« wie auf den Prolog des Johannes-Evangeliums – das »ursprüngliche Wort« (GW 12, 237, 7). Es ist die »Selbstbewegung der absoluten Idee« und zugleich eine »Aeusserung [ist], aber eine solche, die als Aeusseres unmittelbar wieder verschwunden ist, indem sie ist« (GW 12, 237, 7). Alles Sprachliche – noch mehr alles Gesprochene – ist nur »durchsichtig[er]« (GW 12, 237, 11) Träger des Inhalts. Das Wort ist hier auch nicht Kommunikation nach außen, sondern nur eine Weise der Idee »sich zu vernehmen« (GW 12, 237, 9). Stärker betonen kann man die reine Gedanklichkeit und in sich Geschlossenheit der Idee kaum – und es fällt auch schwer, nicht an den trinitätstheoretischen Hintergrund und die Kommunikation Gottes mit sich selbst zu denken. Das soll im letzten Abschnitt dieses Kommentars genauer erörtert werden (s. u. 6.2). Auf die absolute Methode komme ich ebenfalls noch einmal ausführlicher zurück (6.1). Hegel erörtert sie nach zwei Seiten: einmal in ihrer Bedeutung für die Konstitution des Systems, sowohl der Logik wie des Gesamtsystems; zum anderen sozusagen als Kern der absoluten Idee selber. In der ersten Hinsicht ist sie »absolut«, weil sie nicht mehr von externen Inhalten abhängig ist und sich zu einem System vollendet. Dass sie sich »selbst erweitert […] 10

Diese Formbestimmung ist nicht zu verwechseln mit der »Formbestimmtheit« (GW 12, 237, 5), in der die Idee in Natur und Geist erscheint.

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Ludwig Siep . Die Idee

zu einem Systeme« (GW 12, 249, 10), gehört selbst zur Methode. Es handelt sich um ein »System der Totalität« (GW 12, 250, 24), weil es durch die notwendige Rückkehr in den Anfang die Vollständigkeit und Alternativlosigkeit garantiert – Hegel benutzt die Metapher des Kreises und des Kreises von Kreisen. Das gilt nicht nur für die Logik, sondern vermittelt über sie auch für die besonderen philosophischen Wissenschaften. In ihnen verweist Hegel ja auf die Logik als den Ort, in dem auch die Notwendigkeit des Fortgangs dieser Wissenschaften begründet wird.11 Damit scheint aber auch die Unabhängigkeit von Erfahrungswissenschaften betroffen, deren Gegenstände sich in der Zeit verändern und deren Theorien ebenfalls einem Wandel – einer »Grundlagenkrise« oder einem »Paradigmenwechsel« – unterworfen sind. Das betrifft die zweite unserer beiden Leitfragen (s. u. 6.3). Die andere Seite ist die Methode als »Seele und Substanz« aller Sachgehalte (GW 12, 238, 15, vgl. 237, 31). Als solche macht sie auch den Kern der absoluten Idee selber aus. Sie ist als Dialektik und absolute selbstbezügliche Negation der »innerste Quell aller Thätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung« (GW 12, 246, 20). Mit anderen Worten, sie ist die absolute Idee selber. Da die gesamte dialektische Bewegung der Logik die Selbstentfaltung eines einzigen Gedankens ist, ist die absolute Idee Einheit von umfassendem Inhalt und einfacher Selbstreflexion. Hegel nennt sie, wie schon zu Beginn des Kapitels (GW 12, 236, 13), »reine Persönlichkeit« (GW 12, 251, 11). Sie erhält weitere ›theologisch‹ anmutende Charakteristika wie die als »höchste zugeschärfteste Spitze«, die »sich zum Freisten macht« (GW 12, 251, 10–12). Auch das Ende des Kapitels, der Rückgang in den Anfang der Logik, das unmittelbare Sein, und darüber hinaus der Übergang in die Natur benutzt theologisch gefärbte Metaphern (s. u. 6.2 und 6.3). Das Schlusskapitel über die absolute Idee zeigt mithin, dass unsere beiden Leitfragen nicht extern an das Ende und Telos der hegelschen Logik herangetragen sind. Sie gehören zum Zentrum dieses Kapitels und damit auch zur dahin führenden Entwicklung in den beiden vorhergehenden Kapiteln. Wenn wir vom Schlusskapitel auf die beiden vorhergehenden, die Idee des Lebens und des Erkennens, zurückblicken, ist dieses Ziel klar: Es ist reine Selbsterkenntnis der gesamten vorhergehenden Gedankenbewegung der Logik, die nicht mehr auf deren Inhalte, sondern nur noch auf ihre Form angewiesen ist. Gleichwohl ist das Resultat keine abstrakte, inhaltlose Methode. 11

Vgl. etwa Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 2 (GW 14,1, 25, 9–10). Hegel hat die Metapher des Kreises bereits in der Phänomenologie gebraucht: »Es [sc. Das Wahre] ist das Werden seiner selbst, der Kreis, der sein Ende als seinen Zweck voraussetzt und zum Anfange hat, und nur durch die Ausführung und sein Ende wirklich ist« (GW 9, 18, 26–28).

Die Bedeutung von »Idee«

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Es ist vielmehr der Inbegriff aller Wirklichkeit, die geistige Selbsttätigkeit und Selbsterkenntnis. Sie kann in bestimmter, am Ende zu erklärender Hinsicht göttlich genannt werden. Und sie steht auch nicht in einer abstrakten Beziehung zur Natur und den Wissenschaften von ihr, denn sie geht am Ende auf eine bestimmte Weise in die Natur über. Auch diese »Selbstentlassung« in die Natur haben wir noch zu erörtern. Ob die rein geistige Selbsterkenntnis an die Wissenschaften von der Natur und ihren Fortgang gebunden bleibt, entscheidet sich aber nicht erst da. Es ist schon Thema, wenn die Idee des Lebens und die des Erkennens behandelt wird. Doch zunächst zu Hegels Bestimmungen der Idee als solcher.

3. Die Bedeutung von »Idee« Der einleitende Teil des dritten Abschnitts, der Ideenlehre, gliedert sich in drei Teile. Zuerst ist vom »allgemeinern Sinn« (GW 12, 176) der Idee die Rede (GW 12, 173, 3–176, 3), dann vom »bestimmtern« (GW 12, 176, 4–177, 3) und schließlich von den »näheren Bestimmungen«, aus denen sich die Einteilung des Abschnitts ergeben (GW 12, 177, 4–178, 14). Im ersten Teil erläutert Hegel »Idee« zunächst vom traditionellen Begriff der Wahrheit her: Sie ist »der adäquate Begriff, das objective Wahre oder das Wahre als solches« (GW 12, 173, 3). Damit nimmt er die traditionelle Doppelbestimmung der adaequatio intellectus ad rem (die heute sog. Korrespondenztheorie der Wahrheit) und der adaequatio rei ad intellectum – mittelalterlich der Angleichung an die Idee als Vorbild im göttlichen Geist − auf. »Wahr« ist dann die ontologische Wahrheit des seiner Bestimmung angemessenen Seins einer Sache.12 Wenn Hegel ausführt: »Etwas hat nur Wahrheit, insofern es Idee ist« (GW 12, 173, 5), dann bedeutet das beides: das »wahre« eigentliche Sein einer Sache besteht nicht nur in der Entsprechung zu ihrer Bestimmung, sondern auch in ihrer vollständigen Erkenntnis. Leitend ist hier offenbar der teleologische Gedanke: Etwas entspricht seiner Bestimmung, die Bestimmung einer Sache entwickelt sich in einem Prozess der internen Gliederung. Nur dadurch ist sie auch erkennbar und der Nachvollzug des Prozesses ist auch ihr »Begreifen«. 12

Zu Hegels ontologischem und epistemischem Wahrheitsbegriff vgl. Horstmann (1990) sowie Halbig (2004). Hegel nennt die Urteilswahrheit zumeist Richtigkeit. Halbig zeigt, dass es sich dabei im modernen Sinne um eine Identitätstheorie, nicht eine Korrespondenztheorie der Wahrheit handelt (ebd., S. 38). Zum ontologischen Wahrheitsbegriff und seiner möglichen Graduierung, auch innerhalb der scala naturae sowie in der Logik zwischen Mechanismus, Chemismus und Teleologie vgl. ebd., S. 40–43.

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Hegel setzt dieses Verständnis gegen drei andere ab: den gewöhnlichen Gebrauch der Idee als ungefährer Vorstellung, den kantischen der regulativen oder praktischen Ideen als Leitvorstellungen abgeschlossener Erkenntnis bzw. unbedingter praktischer Forderungen, und den kritischen der »bloßen« Idee als subjektivem Gedanken ohne Entsprechung in der Wirklichkeit. Da die Kant-Kritik uns noch beschäft igen muss, zunächst einige Bemerkungen zur dritten Unterscheidung. Sie wird durch Hegels eigene Beispiele etwas plastischer. Das eine ist der Vergleich bloßer Gedanken mit »zeitlichen und zufälligen Wirklichkeiten« (GW 12, 174, 7) – beide sind ohne »Werth« (GW 12, 174, 6–8), was wohl auch heißt, sie sind gleich unwirklich. Ob Hegel mit den zeitlichen und zufälligen Wirklichkeiten nur natürliche Ereignisse oder auch etwa historische und lebensweltlich alltägliche meint, ist unklar. Offenbar hat aber alles, was nicht durch einen systematischen begrifflichen Zusammenhang erkennbar ist, keine »eigentliche« Wirklichkeit. Das entspricht der logischen Kategorie der Wirklichkeit und auch dem, was in der Vorrede der Rechtsphilosophie im berühmten Doppelsatz von der Entsprechung von Vernunft und Wirklichkeit gesagt ist. Hegels zweites Beispiel betrifft auch den Staat, aber einen, der »seiner Idee gar nicht angemessen, das heißt, vielmehr gar nicht die Idee des Staates wäre« (GW 12, 175, 29–30) – dabei ist die Gleichsetzung von »der Idee angemessen sein« mit »die Idee sein« ungewöhnlich. Dieses »Sein« der Idee kann nämlich offenbar auch ein sehr inadäquates sein: »Der schlechteste Staat, dessen Realität dem Begriffe am wenigsten entspricht, insofern er noch existirt, ist er noch Idee« (GW 12, 175, 37–176, 2). Dass er existiert, heißt: »die Individuen gehorchen noch einem Macht-habenden Begriffe« (GW 12, 176, 2–3). Ohne sich die Macht des Staates »gefallen zu lassen«, würden sie auch als »selbstbewußte […] Individuen« (GW 12, 175, 31–37) zugrunde gehen. Ob Hegel hier einen hobbesschen Naturzustand im Auge hat, oder an den Verlust der politischen Bestimmung denkt (die »einzelnen Individuen« gibt es ja noch), ist kaum zu entscheiden. Jedenfalls löst der kranke Staat kein Widerstandsrecht aus – nach Stellen aus den Rechtsphilosophie-Nachschriften verdient er vielmehr noch Respekt (also Rechtsgehorsam) wie der kranke Mensch oder »Krüppel« (GW 26,3, 1406, 15–20). Was heißt es aber, dass die Idee der adäquate Begriff ist und doch noch eine innere Differenz von Angemessenheitsstufen zulässt? Solche innere Differenz muss ja von der kantischen Vorstellung der unendlichen Annäherung an die Idee unterschieden werden, die Hegel in den vorherigen Abschnitten und im gesamten Verlauf der Logik als widersprüchlich kritisiert hatte. Gegenstände, die gemäß der aristotelischen Konzeption des eidos nicht durch ihren Begriff konstituiert sind – wie alles Lebendige

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und Geistige –, hören auf, zu existieren. Sie zerfallen als geistige Gebilde oder werden zur toten, anorganischen Natur. Hegel wiederholt die aristotelische Kritik an der prote hyle: »die todte Natur also, wenn sie in ihren Begriff und ihre Realität geschieden wird, ist nichts als die subjective Abstraction einer gedachten Form und einer formlosen Materie« (GW 12, 175, 9–11). Wenn Hegel dennoch von der toten Natur als der »mechanischen und chemischen Welt« spricht, dann ist allerdings kaum von einer ganz formlosen Materie die Rede. Auch ihre mechanische und chemische Form muss aber offenbar von ihrer Eignung für und strukturellen Antizipation von höheren Formen des Lebens und des Geistes her gedacht werden. Der »bestimmtere« Sinn, von dem im zweiten Teil (ab GW 12, 176, 5) die Rede ist, betrifft nicht mehr nur Begriff und Realität im Allgemeinen, sondern die »Einheit […] von subjectivem Begriffe und der Objectivität« (GW 12, 176, 5–6). Er wird verständlich aus dem Prozess der Unterscheidung und Identifizierung beider Seiten. Alle Stufen der Subjektivität (von der Seele bis zum erkennenden Geist) haben es mit einer unmittelbaren Einheit in – und trotz – einer inneren Differenzierung zu tun, die nur Mittel zur Selbsterkenntnis ist. Das Bestehen der Differenten ist ein »Schein, der unmittelbar aufgehoben« ist (GW 12, 176, 12). In der Objektivität, ist der systematische Zusammenhang derselben Begriffe »als unmittelbare Totalität, als äusserliches Ganzes gesetzt« (GW 12, 176, 14–15). Weil die Begriffe der Reflexion und der subjektiven Logik sich aber aus denen des Seins entwickelt haben und die reicheren Begriffe der Objektivität innerhalb der subjektiven Logik aus ihnen hervorgegangen sind – durch Entfaltung ihres semantischen Gehaltes –, ist die Idee »der wieder von der Unmittelbarkeit, in die er im Objecte versenkt ist, zu seiner Subjectivität befreyte Begriff« (GW 12, 176, 15–17). Der Begriff der Freiheit, der uns oben als Kennzeichnung der absoluten Idee schon begegnet ist, kennzeichnet auch hier das ›im Anderssein bei sich selbst sein‹; ob als Sachverhalt oder subjektives Bewusstsein, wird uns noch beschäft igen. Jedenfalls gehört zur Idee als »bestimmter« das Sich-Unterscheiden des »negativen«, einfachen Selbstbezugs »von seiner Objectivität […], welche als Gesetztseyn ihr Bestehen und ihre Form nur als durchdrungen von ihrem Subject hat« (GW 12, 176, 23–29). Das »nur« ist gegen die Transzendentalphilosophie gerichtet, in der dem Anschauungsmaterial, Fichtes »Anstoß« oder Kants »affizierendem« Ding an sich, noch eine eigene Realität verbleibt. Trotzdem formuliert auch Hegel, dass die Idee »ihre Realität in einer Materiatur hat« (GW 12, 176, 39–177, 1) – aber diese hat, wie die Materie des Neuplatonismus, kein »gegen den Begriff für sich bestehendes Seyn« (GW 12, 177, 1–2). Sie hat nur die Funktion des Mittels und Durchganges zu ihrer

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Bestimmtheit »als Werden, durch die Negativität des gleichgültigen Seyns als einfache Bestimmtheit des Begriffes« (GW 12, 177, 2–3). Aus der transzendental- oder auch sprachphilosophischen Theorie, dass nichts für uns unterscheidbar bestimmbar sein kann – erst recht nicht auf der Ebene von Aussagen –, was nicht in Begriffen, Worten, Sätzen artikulierbar ist, scheint doch eine ontologische über Wirklichkeit und »Werth« geworden zu sein. Dies setzt natürlich auch voraus, dass vor-prädikative Weisen des Diskriminierens nur vom prädikativen her zu verstehen sind. Der dritte Teil entwickelt dann »nähere Bestimmungen der Idee« (GW 12, 177, 4), aus denen sich die Einteilung des Abschnitts ergibt. Schwierig ist, dass Hegel dabei zunächst mit einer Zweiteilung (»erstlich«, »[z]weytens«) beginnt, auf die er eine Dreiteilung folgen lässt, der die Kapitelfolge entspricht. Die »näheren Bestimmungen« der Idee geben den »bestimmten Sinn«, der zweiten Stufe der Bestimmung der Idee (ab GW 12, 176, 4), noch einmal mit Blick auf das System und das Verhältnis zur Natur wieder. Dieser Teil enthält aber einige grundsätzliche Formulierungen für unsere zentralen Fragen, die kommentiert werden müssen. Vor allem schreibt Hegel dem subjektiven Begriff jetzt auch »Individualität« (GW 12, 177, 12) und den »Trieb« (GW 12, 176, 25; 177, 10) zu, die Differenz zwischen Begriff und Objektivität aufzuheben – das weist auf Erkennen und Handeln als zwei Weisen voraus, die Differenz von Subjekt und Objekt zu überwinden. Gegenüber dieser Perspektive vom erkennenden und handelnden Individuum her erscheint diese Aufhebung von der Idee her gesehen als »Proceß« der »ewig[en]« Erzeugung und Überwindung des »härtesten Gegensatz[es]« (vgl. GW 12, 177, 12–22) zwischen dem alle Bestimmungen der Objektivität in sich enthaltenden Begriff und der von ihm nur zum »Scheine« (GW 12, 177, 16) unterschiedenen Wirklichkeit. Dieser Schein ist die gewöhnliche Ansicht der »zwecklosen Veränderlichkeit« (GW 12, 177, 16) von Natur und Geschichte und des »an und für sich nichtige[n] Bestehen[s]« (GW 12, 177, 11). Das heißt zumindest, dass es außerhalb des Handelns und Erkennens und seiner Aneignung der »unorganische[n] Natur« (GW 12, 177, 12) nur Schein und Nichtigkeit gibt – was für einen ontologischen Monismus der Idee bzw. des Geistes spricht. Hegel betont zwar stets (wie schon in der Phänomenologie des Geistes) die vom »einfachen« Begriff »unterschiedene[] Objectivität« (GW 12, 177, 9). Aber offenbar handelt es sich dabei um asymmetrische Reflexionsbegriffe: Es gibt diese Unterschiedenheit nur mit Bezug auf den »setzenden« Begriff (vgl. GW 12, 177, 11), als dessen eigene innere Unterscheidung und Besonderung (»dirimiren«, GW 12, 177, 12). Ob die Ausdrücke der ewigen Erzeugung, Überwindung und des Zusammengehens der Idee mit sich selbst (GW 12, 177, 21–22) auch einen on-

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to-theologischen Prozess ansprechen, oder nur als Metaphern für die grundsätzliche Eignung von Natur und Geschichte für Erkennen und Freiheit des Menschen zu verstehen sind, wird uns bis zum Ende dieses Kommentars beschäft igen. Jedenfalls ist diese Transparenz und Freiheitsdienlichkeit eine restlose, sonst wäre die Rede vom mit sich Zusammengehen, von der Freiheit, Identität, »Sicherheit und Gewißheit« (GW 12, 177, 21) unverständlich. Angesichts der Kritik an den kantischen unendlichen Annäherungsprozessen und der Bedeutung von Ewigkeit bei Hegel – als von zeitlichen Prozessen unberührt – ist es auch nicht sehr plausibel, nur von einer grundsätzlichen, unter sich wandelnden Bedingungen immer wieder erneut zu bestätigenden Intelligibilität und Widerstandslosigkeit der »unorganische[n] Natur« (GW 12, 177, 12) auszugehen. Auf diese zwei »näheren Bestimmungen«, der »einfache[n] Wahrheit« (GW 12, 177, 4–5) und des Prozesses (GW 12, 177, 12) ihrer inneren Entgegensetzung und deren Überwindung, folgt dann in den letzten vier Absätzen des einleitenden Teiles die Dreiteilung, die den Inhalt des gesamten Abschnitts begründet: das Leben, die Idee des Erkennens und die absolute Idee. Vor dieser Dreiteilung spricht Hegel von dem, was die Idee als unmittelbare ist, nämlich »Seele« (GW 12, 177, 26). Das ist hier nicht naturphilosophisch oder psychologisch gemeint. Es ist vielmehr als die unmittelbare Form der Angemessenheit der »objective[n] Realität« (vgl. GW 12, 177, 24) zum Begriff zu verstehen, der sich aber noch nicht als solchen erfasst hat. Der Begriff als Seele ist – mit Aristoteles – zugleich einfach wie er als Möglichkeit der Aufnahme aller Formen »gewissermaßen die Gesamtheit der Dinge« enthält (Aristoteles, De anima III, 8 431b 25). Das letztere bedeutet an dieser Stelle der Logik, dass er implizit alle vorherigen Begriffe enthält. Das Explizit-Werden13 dieser unmittelbaren Einheit ist der Prozess des Lebens. In ihm wird die Unmittelbarkeit der Idee als »Einzelnheit« (GW 12, 177, 34) des beseelten Lebens aufgehoben (vgl. GW 12, 177, 35) – wie Hegel es 13

Ich benutze die Ausdrücke »explizit werden« oder »explizit machen« in diesem Text nicht im genauen Sinn des »Making it explicit« von Brandom. Obwohl Brandom damit zweifellos einen wesentlichen Punkt des hegelschen Denkens trifft , ist an vielen Stellen unklar, ob Hegel damit ausschließlich ein Explizieren von Inferenzen meint, die in Äußerungen von selbstbewussten Wesen oder in ihrem Verhalten impliziert sind. Es gibt vielmehr auch Lebensprozesse in der nicht bewussten und sprachfähigen Natur, die nach dieser Struktur erklärbar sind; sie fi ndet sich nicht nur in den Kommunikationsformen menschlicher Wesen. Solche Prozesse sind eigene Instantiierungen begrifflicher und inferentieller Strukturen, die auch die Struktur der menschlichen Kommunikation bestimmen. Vgl. Brandom (1994) sowie seine Hegel-Interpretation in ders. (2002), S. 178–234.

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im Gattungsprozess von Fortpflanzung und Tod in der Naturphilosophie der Enzyklopädie (1817) ebenfalls entwickelt – und umgekehrt die »Aeusserlichkeit« (GW 12, 177, 37) der Voraussetzungen des Lebens zu Mitteln des Selbstzwecks des Lebewesens werden. Wie sich das zum natürlichen, biologischen Leben verhält, wird noch zu erörtern sein. In dieser Explikation begrifflicher Strukturen und Inhalte im Lebensprozess wird aber zunächst wieder eine Art Gegenüberstellung erreicht. Auf der einen Seite steht »der Begriff« oder die in sich schlüssige Verknüpfung der logischen Bestimmungen, auf der anderen die »abstracte Objectivität« (GW 12, 178, 3–4), die Voraussetzung der grundlegenden Erkennbarkeit und Zweckmäßigkeit der Äußerlichkeit. Diese grundsätzliche »Gleichheit mit sich selbst« (GW 12, 177, 7) des Begriffes in »seiner« Realität muss wiederum entfaltet werden zu einer »vollkommene[n] Objectivität« (GW 12, 178, 6) – durch die Explikation dessen, was Erkenntnis des Wahren und Wollen des Guten ist. Hegel skizziert diesen Prozess von zwei »Seiten«, einmal von der logischen Selbstexplikation begrifflicher Strukturen selbst her, zum anderen von der »andern Seite« (GW 12, 178, 6) der endlichen Subjektivität (vgl. GW 12, 178, 7). Diese Seite ist die eigentlich in der Phänomenologie des Geistes schon ›aufgehobene‹ Bewusstseinshaltung der »Voraussetzung einer objectiven Welt« (GW 12, 178, 7–8) – warum sie in der Logik noch kurz vor dem Abschluss wiederkehrt, wird noch zu erörtern sein. Der philosophisch-logische Gesichtspunkt zeigt jedenfalls in einer detaillierten Analyse von Formen des Erkennens und Handelns, dass diese insgesamt als »Tätigkeit« aufgefasst werden müssen, »diese Voraussetzung aufzuheben und sie zu einem Gesetzten zu machen« (GW 12, 178, 9). »Gesetzte[s]« heißt nicht Gemachtes, Konstruiertes, Projiziertes, sondern von Begriffen Strukturiertes, in denen der »endliche, das ist, der subjective Geist« (GW 12, 178, 7) nur seine eigene rationale Struktur wiedererkennt. Das heißt aber, die »objective Welt ist die Idealität, in der er sich selbst erkennt« (GW 12, 178, 10–11). Damit allerdings ist auch die Voraussetzung eines von der Welt getrennten »subjectiven« Geistes selber aufgehoben (im Sinne eines notwendigen Scheins). Die »Wahrheit«, sowohl im Sinne der erreichten Bestimmung (Telos) wie der völligen Selbsttransparenz, ist »absolut« (vgl. GW 12, 178, 12), ohne Gegensatz und »Außen«: »die unendliche Idee, in welcher Erkennen und Thun sich ausgeglichen hat, und die das absolute Wissen ihrer selbst ist« (GW 12, 178, 13–14). Das ist Gegenstand des eingangs (Kap. 2) im Überblick kommentierten Abschnittes über die absolute Idee. Es fällt schwer, diese Formulierungen so zu verstehen, als wäre damit nur ein immer erneuerter kommunikativer Prozess der Aneignung und Rechtfertigung von Erfahrung und der Verwirklichung von Rechten und Freiheiten gemeint. Aber auch das

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Bewusstwerden material-logischer Implikationsverhältnisse im menschlichen Kommunizieren, Erkennen und Handeln scheint gegenüber solchen Ausdrücken zu bescheiden. Sie passen eher zur ›noesis noeseos‹, der aristotelischen Vorstellung des Geistes als Zielpunkt aller Bewegung, und zur Idee aller Ideen in einem absoluten Geist. Gründe dafür, die kommunikativen Prozesse endlicher Subjekte in einem derart metaphysisch ›aufgeladenen‹ Vokabular wiederzugeben, sind schwer erkennbar. Sie passen auch nicht zu Hegels Bekenntnis der Bedeutung der vollendeten Religion des Christentums und ihrer philosophischen Übersetzung.14 »Idee« bedeutet jedenfalls bei Hegel einen Prozess des Erreichens der Bestimmung und der vollständigen Selbsterkenntnis. Sie »braucht« eine scheinbar von ihr unterschiedene Objektivität nur, um sich in ihr – als deren Bestimmung und Erkenntnisgrund – zu entfalten und zu bestätigen.

4. Leben und Natur Das erste und zweite Kapitel des Schlussabschnittes, »Das Leben« und »Die Idee des Erkennens«, stellen einen umfangreichen und komplizierten Text dar, der hier nicht in allen Details kommentiert werden kann. Bevor ich einen selektiven Durchgang unter der Perspektive meiner beiden Leitfragen versuche, soll Hegels eigene Gliederung vorangeschickt werden: Erstes Kapitel. Das Leben (GW 12, 179) A. Das lebendige Individuum (GW 12, 182, 15) B. Der Lebens-Process (GW 12, 187, 1) C. Die Gattung (GW 12, 189, 29) Zweites Kapitel. Die Idee des Erkennens (GW 12, 192, 1) A. Die Idee des Wahren (GW 12, 199, 32) a. Das analytische Erkennen (GW 12, 202, 20) b. Das synthetische Erkennen (GW 12, 209, 1) 1. Die Definition (GW 12, 210, 4) 2. Die Eintheilung (GW 12, 215, 1) 3. Der Lehrsatz (GW 12, 220, 4) B. Die Idee des Guten (GW 12, 231, 1) Drittes Kapitel. Die absolute Idee (GW 12, 236, 1) 14

Vgl. Mooren (2018).

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Über den Gesamtprozess und seinen Sinn gibt Hegel in seinen allgemeinen Erläuterungen zum Leben Auskunft. Das Leben wird hier weder als Voraussetzung des Erkennens (wie die Anthropologie und Psychologie, GW 12, 179, 12), noch als Teil der angewandten Logik (GW 12, 179, 11) behandelt. Die Logik hat es nur mit den reinen Gedankenbestimmungen des »an und für sich Wahre[n]« (GW 12, 180, 1–2), zu tun – das Wahre ist hier wieder ontologisch und epistemologisch zu verstehen: die erfüllte Bestimmung und die adäquate Erkenntnis. Dass die eigentliche Wirklichkeit und die Bestimmung alles Seienden in seiner begriffl ichen Verfassung und Artikulation liegt, haben nicht nur die Natur- und Geistphilosophie gezeigt, sondern innerhalb der Logik auch »die Nothwendigkeit des Begriffes« (GW 12, 180, 1). Dieser Sachverhalt des an und für sich Wahren oder der Idee, muss aber selber noch bestimmt werden nach seinen sozusagen immanenten Differenzierungen. Dafür muss man wieder seiner Entfaltung von der unmittelbaren Einfachheit als Einwicklung oder Implikation aller dieser Differenzen über ihre entgegensetzende Entfaltung bis zu den Gedanken folgen, die die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit dieser inneren Differenzierung für die Erkenntnis des Ganzen zusammenfassen. Die unmittelbare Einfachheit ist die Idee des Lebens (GW 12, 180,3), die Idee des Erkennens ist dagegen der Begriff, »insofern er für sich selbst aber als Subjectives in Beziehung auf Objectives« (GW 12, 179, 28–29) ist. Dieses Objektive ist aber auf der erreichten Stufe der Idee selber ihre eigene Unmittelbarkeit, das Leben. Die Tatsache, dass die Struktur des Objektiven selber die des Lebens ist, wird aber auch hier noch nicht einfach angenommen. Sie wird in der Analyse der allgemeinsten Bestimmungen des Lebensprozesses noch einmal erwiesen. Schwierig für das Verständnis ist, dass Hegel auf der einen Seite das »Leben«, das hier erörtert wird, ausdrücklich vom Naturleben und vom Leben des Geistes unterscheidet (GW 12, 180, 9–181, 7). Die Idee des Lebens wird betrachtet als »frey von jener vorausgesetzten und bedingenden Objectivität«, d. h. der Natur, aber auch von der »Beziehung auf diese Subjectivität« (GW 12, 181, 6–7), d. h. die Seele. Dennoch finden sich bereits alle Strukturen des Lebens, die Hegel im »animalischen Leben« der Naturphilosophie und in der Anthropologie seiner (enzyklopädischen) Philosophie des Geistes behandeln wird. Allein dieser Befund ist Ausweis dafür, dass Hegel auch hier noch einmal zeigen will, dass die Strukturen des Lebens in der Natur nur verständlich sind – und auch letztlich nichts anderes sind – als bestimmte begriffliche Verhältnisse und ihre Entfaltung. Nur wenn es »den Begriff nicht erfaßt, und den Begriff nicht als die Substanz des Lebens« (GW 12, 181, 27–28), gehen dem Denken angesichts des Gegensatzes, ja des »absolute[n] Widerspruch[es]« zwischen der »absolu-

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ten Vielheit der atomistischen Materie« und der »Allgegenwart des Einfachen«, in ihr, »schlechthin alle seine Gedanken aus« (GW 12, 181, 21–24). Die Rede von der »Allgegenwart« scheint für ein Konzept der Allbeseelung oder gar der Weltseele zu sprechen. In der Tat gibt es ja auch am Beginn der Anthropologie bei Hegel so etwas wie ein planetarisches Leben, dem die unbewussten Abhängigkeiten von Klima, Geographie und ethnischer oder »rassischer« Zugehörigkeit auch der Menschen zuzuschreiben sind.15 Aber das Leben muss sich für Hegel individualisieren, die Idee des Lebens hat die »Einzelnheit zur Form ihrer Existenz« (GW 12, 177, 34). Diese Einzelnheit ist nicht die der »atomistischen Materie« (GW 12, 181, 21), sondern bis in die artspezifische Organisation vom Gesamtprozess des Lebens her bestimmt – für den, wie in der modernen Biologie, die »reproductive fitness« ein entscheidender Aspekt ist. In der Logik geht es aber darum, die allgemeinen begrifflichen Strukturen der Allgemeinheit als undifferenzierter Ganzheit, der Besonderung seiner Momente und der Manifestation des Ganzen in einem jeden Moment, in den grundsätzlichen Begriffen der Wissenschaft des Lebendigen und ihren Gegenständen wiederzufinden. Bevor ich auf ausgewählte Textstellen eingehe, sind zunächst einige allgemeine Bemerkungen notwendig, die das Verhältnis dieser Behandlung des Lebens zu derjenigen in der Naturphilosophie – und darüber hinaus zu den Wissenschaften der lebendigen Natur und ihren Gegenständen – betreffen. Obwohl Hegel das Leben als Gegenstand der Logik von dem Naturleben unterscheidet, ist der Bezug zu dessen Strukturen und auch zu den Grundbegriffen der Wissenschaften vom Lebendigen unübersehbar. Die Gliederung in die Idee des individuellen Lebens, des Lebensprozesses und der Gattung steht in deutlicher Entsprechung zu den Grundformen der lebendigen Natur in der Enzyklopädie, dem Prozess der Gestaltung und Reproduktion des einzelnen Lebewesens und dem Gattungsprozess (vgl. GW 13, § 289, 169). Noch deutlicher ist die Entsprechung zu den Formen des »tierischen Organismus«, die Hegel auch in der Naturphilosophie der späteren Auflagen der Enzyklopädie als Schlüsse und als »Ideen« bezeichnet: »a) als die individuelle Idee, die in ihrem Processe sich nur auf sich selbst bezieht und innerhalb ihrer selbst sich mit sich zusammenschließt – die Gestalt; b) als Idee, die sich zu ihrem Andern, ihrer organischen Natur, verhält und sie ideell in sich setzt – die Assimilation; c) die Idee, als sich zum Andern, das selbst lebendiges Individuum ist, und damit im Andern zu sich selbst verhaltend – Gattungsproceß. (GW 20, 353, 18–24) 15

GW 13, §§ 311–313, 185–186.

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Dass Hegel auch in der Naturphilosophie diese drei Prozesse als »Ideen« bezeichnet, macht klar, dass das sich Realisieren einer intelligiblen und zweckmäßigen Struktur auch die Erklärung und das Sein der Natur bestimmt. Umgekehrt bezeugen die Bezeichnungen der Momente des »Begriff [s] des lebendigen Subjects und seines Processes« (GW 12, 185, 6–7), nämlich die Lebenssysteme der Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion, dass Hegel nicht über ein rein ›ideelles‹ Leben spricht, sondern über Erkenntnisse und Systematisierungen in den Wissenschaften seiner Zeit.16 Völlig unabhängig von empirischen Erkenntnissen der Wissenschaften sind die logischen Begriffe also nicht (vgl. u. 6.3). Es kann hier nicht um einen genauen Vergleich zwischen der Behandlung des Lebens in der Naturphilosophie und der Logik gehen. Aber einige Bemerkungen zur Differenz und zur Abhängigkeit beider voneinander, soweit sie sich Textpassagen der Logik entnehmen lassen, sind notwendig. Dabei muss man sich an die Enzyklopädie von 1817 halten, die zeitlich der Logik der Idee (1816) nahesteht. Die Grundzüge des Lebens sind dabei sowohl in der »vegetabilische[n]« Natur (GW 13, 158, 6) wie in der des »thierische[n] Organismu[s]« (GW 13, 160, 10) diejenigen, die Hegel auch in der Logik thematisiert: der Gestaltungsprozess, der Prozess der Reproduktion des Individuums, und der Prozess der Gattung – ausgedrückt in weniger hegelschen Termini: Wachstum und Reifung des Individuums, Selbsterhaltung17 durch Ernährung und Abwehr von Feinden, sowie Fortpflanzung und Tod. Dass diesen Prozessen im Leben der Pflanzen und Tiere dieselbe Struktur zugrunde liegt, bezeugt die begriffliche Struktur auch der Natur: »Insofern aber das Leben wesentlich der Begriff ist, der sich nur durch Selbstentzweyung und Wiedereinung realisirt, so treten die Processe der Pflanze auch auseinander« heißt es in § 269 der sog. Heidelberger Enzyklopädie (GW 13, 158, 25–27). Ein Jahr früher schreibt Hegel in der Wissenschaft der Logik: »Die Bestimmungen des Gegensatzes, sind die allgemeinen Bestimmungen des Begriffs, denn es ist der Begriff, dem die Entzweyung zukommt; aber die Erfüllung derselben ist die Idee« (182, 30–32). Gegenüber der Logik fehlen der Naturphilosophie die Rückblicke auf die Lehre des Begriffs, sowohl auf die Urteils- und Schlusslehre wie auf das Verhältnis des Begriffs zur Objektivität. In der letzteren Hinsicht ist das Leben 16

In der Enzyklopädie von 1817 erwähnt er z. B. ausdrücklich Spallanzani (GW 13, 168) oder Cuvier (GW 13, 171), in der Logik Blumenbach (GW 13, 213, 8). 17 Die individuelle »Reproduction« in der Selbsterhaltung muss von der Fortpflanzung als Erhaltung der Gattung unterschieden werden. Zum Gattungsprozess gehört außer der Fortpflanzung auch der Tod des Individuums.

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der Prozess, in dem ein in sich selbst differenziertes und organisiertes Individuum sich auf eine »Objectivität« bezieht, die es zunächst voraussetzt, aber in seinem Lebensprozess »sich angemessen setzt« (GW 12, 182, 18–20). Die unorganische wie die »äußere« organische Natur sind nichts anderes als Lebensraum und Lebensvoraussetzung der Lebewesen – Hegel versteht die »scala naturae« immer »von oben«, von den Bestimmungen der unteren Stufen zur Aneignung durch die höheren her.18 Das heißt aber nicht einfach, dass Pflanzen Voraussetzung des Lebens der Tiere und beide zusammen für das Leben der Menschen sind. Vielmehr ist die innere Struktur der jeweiligen Lebensstufen eine noch relativ undifferenzierte Vorwegnahme der höheren. Daher darf man bei der Erfassung des Eigenen der höheren Stufe nicht auf die vorherige zurückfallen. Es ist sowohl in der Naturphilosophie wie in der Logik Hegels durchgängiges Ziel, eine Betrachtung der höheren Stufen (Leben, Geist) in den Kategorien der niederen (Mechanismus, Chemismus etc.) als unangemessen nachzuweisen – also einen Gegenentwurf vorzulegen gegen jeden reduktiven Materialismus, Physikalismus, Naturalismus etc., wie er in den modernen Debatten der Naturphilosophie wiederkehrt. Hegel steht rückblickend natürlich auch in der Tradition des Aristotelismus und seiner Kritik am antiken Materialismus. Man kann das Leben zwar von den materiellen Voraussetzungen und ihren Gesetzmäßigkeiten her betrachten, aber damit erfasst man es gerade nicht mehr als lebendig, sondern als in Auflösung begriffen: »Das Mechanische und Chemische des Processes ist ein Beginnen der Auflösung des Lebendigen« (GW 12, 189, 8–9). Auch die Glieder des lebendigen Körpers »sind trennbar, insofern sie äusserliche sind, und an dieser Aeusserlichkeit gefaßt werden können; aber insofern sie getrennt werden, kehren sie unter die mechanischen und chemischen Verhältnisse der gemeinen [! LS] Objectivität zurück« (GW 12, 184, 14–16). Für Krankheit und Tod ist die Perspektive der trennbaren Materialität teilweise berechtigt, aber auch diese Vorgänge lassen sich adäquater vom Gesamtprozess des Lebens her betrachten. Die Zunahme an Manifestation der begriffl ichen Struktur der Natur gegenüber den Stufen des Anorganischen liegt vor allem darin, dass die »Negativität das Selbstbestimmen, die Diremtion seiner in sich als subjective Einzelnheit, und in sich als gleichgültige Allgemeinheit« (GW 12, 182, 21–22) erkennbar wird. Hier benutzt Hegel Begriffe, die vor allem für den modernen Leser die Vorwegnahme der nächst höheren Stufe anzeigen: Von Selbstbestimmen und Subjektivität sprechen wir allenfalls beim Menschen und seinen geistigen Fähigkeiten. Es zeigt sich erneut Hegels Art der »Stu18

Vgl. dazu Siep (2013).

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fenteleologie«: Man kann nach ihm die Einheitlichkeit und Unterschiedenheit der Prozesse und Formen des Lebens nur von oben, als Vorstufe geistig subjektiver Prozesse verstehen, nicht von unten. Aus dieser Perspektive sind schon die aristotelischen Unterscheidungen zwischen der pflanzlichen und tierischen Bewegung (kinesis) und Wahrnehmung (aisthesis) als Zunahme an Selbstbestimmung und innerer Differenzierung (»Diremtion«) zu verstehen – mit modernen Begriffen an Autopoiese und Selbstorganisation. Aber Hegel versteht auch die Beziehung des lebendigen Individuums auf die äußere Welt und auf die Artgenossen als interne Beziehungen des Lebens, als Voraussetzen und Aneignen von etwas, das dem Sinn und Zweck nach zum Leben selber gehört. Auch dies nicht nur im Sinne der materiellen Lebensbedingungen, sondern auch der impliziten Vorwegnahme oder der Erkennbarkeit der eigenen Struktur nur von der höheren Stufe her – weshalb in der Enzyklopädie die »geologische Natur« wie das pflanzliche und tierische Leben zur »organische[n] Physik« gehören (GW 13, 156). In der Logik unterscheidet Hegel zwischen diesen Stufen der Naturphilosophie noch nicht. Man kann aber in den Ausführungen der Abschnitte 1. und 2. von »A. Das lebendige Individuum« (GW 12, 182, 15) die Bestimmungen des pflanzlichen Lebens bzw. der »vegetabilischen Natur« erfasst bzw. logisch gedeutet sehen. Vom 3. Abschnitt (»Begriff des lebendigen Subjects und seines Processes« GW 12, 185, 6–7) an ist aber nur noch vom Leben der Tiere bzw. vom »thierischen Organismus«, wie es in der Enzyklopädie heißt, die Rede. Hier geht es um die drei »Begriffsmomente« der Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion, die erst der Organisation des »thierische[n]« (GW 13, 160, 10) Lebens bzw. der »animalische[n] Natur« (GW 13, 160, 15–16) zukommen. Hegel betrachtet sie im letzten Abschnitt von A. vor allem hinsichtlich der inneren Organisation des tierischen Körpers, die allerdings auch von ihren Funktionen im Lebensprozess des Tieres her (systemisch, holistisch) zu verstehen sind. Dieser Lebensprozess ist dann in den Abschnitten B. und C. noch einmal hinsichtlich der Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt und der Reproduktion der Gattung thematisch. Obwohl Hegel sich in der Logik nicht so ausführlich den Details der Tierphysiologie und Verhaltensforschung widmet wie in der Naturphilosophie, entsprechen die Abschnitte und Strukturen einander genau: Abschnitt A. 3. der Logik (GW 12, 185, 6–186, 37) entspricht den §§ 277–282 der Enzyklopädie von 1817, Abschnitt B. den §§ 280–288 und Abschnitt C. den §§ 289–299. Anstatt eine durchlaufende Kommentierung zu versuchen, soll auch hier die Frage im Vordergrund stehen, wie eng das Verhältnis zwischen der logischen Idee des Lebens und der Naturphilosophie ist – und damit auch zwischen der Logik und den Naturwissenschaften und ihren Gegenständen,

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an die Hegels Naturphilosophie letztlich zurückverwiesen ist. In der Enzyklopädie nennt Hegel ausdrücklich auch empirisch arbeitende Naturforscher des 18. Jahrhunderts (z. B. Spallanzani, GW 13, 168, 3) und wissenschaft liche Kontroversen in Physiologie und Medizin, etwa um die Erregungstheorie (GW 13, § 283 A, 163–166).19 Sicher ist gemäß der Stellung beider Abschnitte das Erkenntnis- oder Beweisziel verschieden. In der Naturphilosophie geht es um die Entstehung des Geistes aus der Natur, in der Logik um die Entwicklung der Idee des Lebens zu der des Erkennens. Beide Male müssen von diesem Ziel her die Stufen verstanden werden: Die Organisationsformen und Lebensprozesse des Tieres (»thierischer Organismus«) können nur richtig verstanden und systematisiert werden, wenn man sie vom »geistigen Tier«, dem Menschen her sieht. Seine »Subjectivität«, die Fähigkeit, seine inneren Unterschiede (leibliche, emotionale, bewusstseinsmäßige) in der einfachen, unterschiedslosen Einheit des Selbst oder Ich zusammenzufassen und aus dieser her – als Mittel seiner Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung – zu verstehen, ist im Tierreich angelegt, »vorprogrammiert«, aber in unvollständigen Formen. Beginnen wir mit den Strukturen des animalischen Lebens. Auch da weist Hegel die drei Lebensprozesse des »thierischen Organismus«, die Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion, den Begriffsmomenten der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelnheit zu (GW 13, § 277, 161). Ihre »Realität« haben sie in den drei »Systemen«, dem »Nerven-, Blut und Verdauungssystem« und deren entsprechenden Organ- und Gewebearten (GW 13, § 278, 161, 22). Sie sind, wie Hegel in der Nachfolge der traditionellen, bis auf die Antike zurückgehenden Körperlehren sagt, auf die Körperteile von »Kopf, Brust und Unterleib« verteilt. Die Extremitäten sind dagegen nicht vom inneren Leben des Tieres, sondern von seiner »mechanischen Bewegung und Ergreiff ung« äußerer Gegenstände her zu verstehen als »das Moment der sich nach Aussen unterschieden setzenden Einzelnheit« (GW 13, 161, 28– 162, 2). Hegels »systemische« Betrachtungsweise ist gegen die rein mechanischen oder – im Sinne der Zeit – chemischen Erklärungen gerichtet. Sie ist ein Mehr-Ebenenmodell, von dem zumindest die mittlere Ebene (Nerven-, Blut und Verdauungssystem) auf die modernen Einteilungen der Medizin (Neurologie, Hämatologie, Gastroenterologie etc.) vorausweist. Zu einer triadischen Einteilung nach den »Momenten des Begriffs« wird man die moderne systemische Betrachtung indessen nicht mehr zusammenfassen können, 19

In diesem Zusammenhang nimmt Hegel ausdrücklich gegen die quantitative Methode der Messung von Erregung und Reaktion Stellung (GW 13, 164, 19–165, 8).

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vor allem was die allgemeinste Ebene angeht (Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion). Allerdings ist die funktionale Betrachtung der mittleren Systeme und zugeordneten Organe und Gewebe in der modernen Evolutionstheorie, auch der evolutionären Medizin, ebenfalls weiterentwickelt worden: die Funktionalität von Organen und Lebensweisen für Erhaltung und Fortpflanzung steht in ihrem Zentrum. Unter »Reproduction« als dem Zweck, von dem her Sensibilität (Körperempfindung und durch das Nervensystem vermittelte einheitliche Außenwahrnehmung) und Irritabilität (Reaktion auf diese Wahrnehmung) her verständlich sind, ist aber zunächst noch nicht die Fortpflanzung der Gattung zu verstehen, sondern die Selbsterneuerung des Individuums. Diese Selbsterneuerung ist für Hegel eine Art Reflexiv-Werden des individuellen Tiers: das »Lebendige als wirkliche Individualität« ist unter diesem Zweck betrachtet »ein sich auf sich beziehendes Fürsichseyn« (GW 12, 186, 30–31). Es ist »subjective Totalität« (GW 12, 186, 36), auch wenn es davon noch kein Bewusstsein hat. Damit erscheint aber seine Beziehung auf die »objective Welt« (GW 12, 186, 33) wieder als eine »vorausgesetzte[]«, der Selbstbeziehung des individuellen Lebens äußerliche. Diese Abhängigkeit entspricht der Idee des Lebens nicht und die Betrachtung des »Lebens-Processes« zeigt, dass die mannigfaltigen Verhältnisse des lebendigen Individuums zur Welt auch nicht als eine solche äußere (den Kategorien der Seinslogik entsprechende) Beziehung einheitlich zu begreifen sind. Für Hegel ist das vielmehr nur »dialektisch« im Sinne eines aufgehobenen Widerspruchs nachvollziehbar. Er besteht darin, dass die äußere Natur an sich für das Leben des Individuums notwendig und geeignet ist, sie ist »gut« (GW 12, 187, 28). Aber diese Passung ist nicht von selbst gegeben, im Gegenteil, das permanente Grundgefühl des lebendigen Individuums ist das des Mangels, des Bedürfnisses, des Schmerzes. Der Schmerz ist für Hegel die »wirkliche Existenz« (GW 12, 188, 4) des Widerspruches, dass die äußere Natur und die körperlichen Bedingungen des Lebendigen zu seinem Zweck der Reproduktion zugleich passen und nicht passen. Ohne diesen »Widerspruch« gäbe es weder Gefühl, noch Bedürfnis und Trieb seiner Überwindung. Er ist daher selber eine Bedingung der »Subjectivität« des Tieres. In dieser wird das Äußerliche aber gerade nicht als »gleichgültig« erfasst, sondern als zur Überwindung dieser Mangelsituation bestimmt. Es gibt daher für Hegel weder in der Wahrnehmung noch in der Bedürfnisbefriedigung eine direkte Kausalität der äußeren Natur auf das Individuum. Diese erscheint vielmehr von vornherein in der Perspektive des Bedürft igen, wie Hegel schon in der Phänomenologie des Geistes sagte, des begehrenden Sub-

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jekts.20 Gegen die »Ursachen« setzt Hegel das »Erregtwerden«: Die vorhandene Disposition der Bedürfnisbefriedigung (Nahrungssuche etc.) wird zur Tätigkeit angeregt (vgl. GW 13, § 283, 164, 13–16). Hegel greift auf Kants und Fichtes Überlegungen des »Affizierens«, des »Anstoßes« etc. zurück, nach denen ja ebenfalls die spontane Subjektivität nur einen Anreiz erhält. Er will ihnen aber jede kausale Konnotation nehmen. Im Gegenteil, sowohl die Wahrnehmung im Gefühl wie die Verarbeitung der unmittelbar gegebenen natürlichen Gegenstände in der äußeren (Jagd, Verzehr etc.) und der inneren (Verdauung, Stoff wechsel) Tätigkeit zeigt sozusagen die äußere Zweckmäßigkeit der natürlichen Dinge als ihre innere Bestimmung. Das schließt nicht aus, dass die Bewegungen des Tieres auch mechanische Aspekte haben und bei der Verdauung auch chemische Vorgänge eine Rolle spielen. Aber sie müssen von vornherein von den Intentionen und Dispositionen des Tieres her verstanden werden. Zu den Verhältnissen zwischen Intentionalität oder Zwecktätigkeit und den Gesetzmäßigkeiten mechanischer und chemischer Verhältnisse muss bei der Idee des Guten noch Genaueres gesagt werden (s. u. S. 722–726). In der Enzyklopädie wird dies ausdrücklich als Beweis für den Idealismus angeführt: »Es beginnt darin der Idealismus, daß überhaupt nichts eine positive Beziehung zum Lebendigen haben kann, deren Möglichkeit dieses nicht an und für sich selbst, d. h. die nicht durch den Begriff bestimmt, somit dem Subjecte schlechthin immanent wäre.« (GW 13, 164, 16–19)21

Dass die natürlichen Gegenstände, Stoffe, Klimata etc. Bedingungen des Lebens sind, vom Lebendigen als solche erfahren, tätig angeeignet und in Bestandteile des individuellen, sich fühlenden Körpers verwandelt werden, macht ihre Wirklichkeit aus: »Die äusserliche Zweckmässigkeit, welche durch die Thätigkeit des Subjects in dem gleichgültigen Object zunächst hervorgebracht wird, wird dadurch aufgehoben, daß das Object gegen den Begriff keine Substanz ist, der Begriff 20

Vgl. GW 9, 107, 25–108, 14. Ähnlich hatte Hegel schon in der Phänomenologie des Geistes das Verzehren der Naturgegenstände durch die Tiere als Nachweis ihrer »Wahrheit« bzw. eigentlichen Bestimmung bezeichnet (GW 9, 69, 26–31). Entsprechend heißt es in der »Nachschrift Hotho« der Rechtsphilosophievorlesung von 1822/23: »Auch das Thier schon hat nicht die realistische Philosophie, denn es zehrt die Dinge auf, beweißt, daß die Dinge nicht absolut selbständig sind.« (GW 26,2, 816, 19–21) 21

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daher nicht nur dessen äussere Form werden kann, sondern sich als dessen Wesen und immanente, durchdringende Bestimmung, seiner ursprünglichen Identität gemäß, setzen muß.« (GW 12, 188, 34–39)

Dass das lebendige Subjekt sich die Mittel seiner Selbsterhaltung so assimiliert und zum Mittel macht, dass es ihnen »seine Subjectivität […] zur Substanz gibt« (GW 12, 189, 4), gilt auf den Stufen der Philosophie des Geistes, vor allem des objektiven, auch im Verhältnis des Menschen gegenüber dem Tier. Jedem Tier kann als Eigentum des Menschen sozusagen dessen Seele eingepflanzt werden. Es gibt keine wahrhaften Selbstzwecke in der Natur.22 Das gilt schon für das natürliche Individuum selber, dessen eigentlicher Zweck nicht in der individuellen Selbsterhaltung, sondern der Reproduktion der Gattung liegt. Der Lebensprozess überwindet nicht nur den Widerspruch zwischen einer sowohl feindlichen wie angemessenen Natur, einer dem Lebendigen »zunächst […] als gleichgültig vorausgesetzten Objectivität« (GW 12, 189, 22–23) und einer im Lebensprozess erst zu ihrer Bestimmung (Zweckmäßigkeit) gebrachten. Aus der Aneignung dieser Objektivität in der Selbsterhaltung und -erneuerung leitet Hegel unmittelbar die Struktur und Notwendigkeit der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung als Gattungserhaltung ab. Und zwar sowohl als Selbstnegation der von der Natur getrennten Individualität wie als Selbstvergegenständlichung in einem anderen lebendigen Individuum. Hegel greift dabei ausdrücklich auf die seit der Phänomenologie des Geistes eingeführten Begriffe der Bestätigung der »Gewißheit« in einem selbständigen Anderen als »Wahrheit« wie auf das Vergegenständlichungsmodell zurück, das noch die Philosophie der Linkshegelianer, auch die Philosophie von Karl Marx bestimmt. Durch die Fähigkeit der Aneignung der Natur (Marx wird ausdrücklich vom »Stoff wechsel« sprechen) greift das Lebewesen auf sein Anderes, die Objektivität »über« (GW 12, 189, 11), hebt sich aber auch als von dieser getrenntes auf, wird allgemein. Das man darin auch eine Bestätigung der Naturzugehörigkeit des Lebewesens, einschließlich des menschlichen, sehen könnte, deutet Hegel in der Enzyklopädie selber an: Da der Organismus und sein Lebensprozess »Natur ist« und daher »im Zusammengehen seiner darin mit sich selbst […] das für sich wird, was er an sich ist« (GW 13, 169, 2–5), könnte man den Prozess auch als Selbstvergegenständlichung der Natur betrachten. Daher leitet Hegel als höhere Stufe der natürlichen Selbstobjektivierung des 22

Vgl. dazu auch Hegels Randnotiz »Nichts ist [sc. in der Natur] Selbstzweck – lebendiges nicht – Nicht Blut Juden – nicht Th iere, Indier, Egypten« (GW 14,2, 407, 1–2; vgl. Siep (2013), bes. S. 67–83).

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Lebens das Geschlechtsverhältnis ab, in dem das Individuum sowohl seine Individualität wie seine »Allgemeinheit« (aufgehobene Exklusivität) in einem anderen Mitglied der Gattung erfährt – als Tier zunächst wieder im Gefühl des Mangels (vgl. GW 13, 169, 24). Die Logik betont, weniger konkret, bei diesem Übergang zunächst das Zugleich von Individualisierung (die individuelle Reproduktion verwirklicht erst das Lebewesen gegen Mangel und Hindernisse) und Aufhebung der »Besonderung«: »In diesem Zusammengehen des Individuums mit seiner zunächst ihm als gleichgültig vorausgesetzten Objectivität hat es, so wie es auf einer Seite sich als wirkliche Einzelnheit constituirt, so sehr seine Besonderheit aufgehoben und sich zur Allgemeinheit erhoben« (GW 12, 189, 21–25).

Von dieser Wahrheit des lebendigen Individuums her, sich von einem Anderen (Äußerlichen) zu unterscheiden, diesem seine eigene Bestimmung (als Lebensmittel) zu geben und darin sich selbst als Zweck zu behaupten, ist die »Idee des Individuum[s]« (GW 12, 190, 5) zu verstehen: nämlich als »Besonderung ihrer selbst« (GW 12, 190, 6) und in dieser »Diremtion« (GW 12, 189, 25) zugleich als »Verdopplung des Individuums« (GW 12, 190, 7). Ob man diesen Gedankenschritt mitmachen muss, scheint mir fraglich; so wie viele einzelne Argumentationsschritte der Logik nicht unbedingt alternativlos sind.23 Die Diremtion oder Besonderung der Idee des Individuums, die sich durch die Gegenüberstellung gegen das vorausgesetzte Anderssein der natürlichen Ressourcen und deren Aneignung – nicht nur durch Körperteile als Werkzeuge und Anverwandlung durch innere Organe, sondern vor allem als Entdeckung ihres eigentlichen Sinnes – gezeigt hatte, soll zugleich eine sozusagen doppelte Verdopplung des Individuums sein: »Diese ihre Diremtion ist nach der Totalität, aus der sie hervorgeht [d. h. dem Lebensprozess als ganzem, LS], die Verdopplung des Individuums, – ein Voraussetzen einer Objectivität, welche mit ihm identisch ist, und ein Verhalten des Lebendigen zu sich selbst, als einem andern Lebendigen« (GW 12, 190, 6–9).

Sicher geht es Hegel nicht um eine »Deduktion« der Notwendigkeit des Geschlechterverhältnisses aus der Selbsterhaltung des Individuums. Vielmehr geht es um die Rekonstruktion dieser in der Natur vorgefundenen Verhält23

Vgl. dazu meine Skepsis gegenüber dem »absoluten Wissen« in Siep (4. Aufl. 2014), S. 257.

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nisse aus einer inneren Logik des Lebens, die eine der Differenzierung, Individualisierung, Gegenüberstellung und Aneignung ist. Aber für Hegel besteht die eigentliche Wirklichkeit und »Wahrheit« (wieder im ontologischen und erkenntnistheoretischen Sinne) des Lebens in dieser inneren Logik, die eine begriffliche, denknotwendige sein soll. Jedenfalls unter dem Postulat einer systematischen Erklärung der natürlichen Prozesse und Organisationsformen ist der Aufweis dieser Logik nach innen – in jedem Argumentationsschritt – und nach außen (sozusagen als Gesamtmodell) für Hegel alternativlos. Im Gattungsprozess, dem Gegenstand des dritten Abschnittes (C. Die Gattung) der Idee des Lebens wiederholt sich auf der Ebene der Gegenüberstellung lebendiger Individuen der gleichen Spezies die Struktur der Auseinandersetzung und Identifizierung mit dem Anderen. Sie durchläuft auch wiederum die Phase eines »Widerspruchs«: »Weil nun das Verhältniß der Gattung die Identität des individuellen Selbstgefühls in einem solchen ist, welches zugleich ein Anderes selbstständiges Individuum ist, ist es der Widerspruch« (GW 12, 190, 16–18). Unabhängig von der Frage eines »strengen« Widerspruchs als Verstoß gegen ein logisches Gesetz hat dieses Verhältnis verschiedene widersprüchliche Aspekte: zum einen, dass ein Individuum sich selbst im Anderen – als begehrt, geliebt etc. – fühlt und dieses zugleich als Anderes, Nicht-Selbst empfindet. Dieses für ihn den Verstand übersteigende Verhältnis von Identität und Nicht-Identität hat Hegel in Bezug auf die zwischenmenschliche Liebe (auch als erotisch-emotionale) schon in der Frankfurter und Jenaer Zeit charakterisiert (vgl. GW 2, 97).24 In der Logik verweist er aber noch auf zwei andere Aspekte, die es mit der Gattung und ihrer begrifflichen Struktur zu tun haben: Die Gattung ist nur im Individuum existent, aber in den voneinander unterschiedenen sozusagen in jedem ganz; und schließlich ist auch in der begrifflichen Struktur des Lebens, das sich individualisiert und das Äußerliche vollständig aneignet, keine Stimmigkeit erreicht: Der »von sich unterschiedene Begriff hat zum Gegenstande, mit dem er identisch ist, nicht sich als Begriff, sondern einen Begriff, der als Lebendiges zugleich äusserliche Objectivität für ihn hat« (GW 12, 190, 24–26). Hegel stellt auch die Überwindung dieses Widerspruchs nah an den natürlichen Phänomenen dar: als Trieb und Verlangen der Vereinigung mit dem anderen und als Erzeugung eines die Vereinigung manifestierenden neuen Individuums, zunächst im »Keim eines lebendigen Individuums« (GW 12, 190, 38). In dieser »wirklichen« Erzeugung der Einheit der Eltern – sowohl 24

Mit den entsprechenden Problemen der Nichtinstrumentalisierung des Geliebten; vgl. Siep (22014), S. 89.

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genetisch wie emotional – in einem lebendigen Individuum zeigt sich für Hegel die Differenz zwischen Idee und Begriff: »Sie [die Gattung, LS] ist insofern die Individualität des Lebens selbst, nicht mehr aus seinem Begriffe, sondern aus der wirklichen Idee erzeugt. Zunächst ist sie selbst nur der Begriff, der erst sich zu objectiviren hat, aber der wirkliche Begriff ; – der Keim eines lebendigen Individuums. In ihm ist es für die gemeine Wahrnehmung vorhanden, was der Begriff ist, und daß der subjective Begriff äusserliche Wirklichkeit hat.« (GW 12, 190, 35–191,1)

Entscheidend für diese Art Beweis des »Idealismus« ist die Tatsache, dass im Keim die »vollständige Concretion der Individualität«, ihre »ganze[] Bestimmtheit enthalten« ist – aber nicht etwa im modernen Sinne genetisch, sondern anscheinend im aristotelischen Sinne als »innerliche[] Form«, die zunächst »einfach und nichtsinnlich« ist (GW 12, 191, 2–6). Ob diese Deutung heute noch der »gemeinen Wahrnehmung« offensichtlich ist, scheint fraglich. Die Stelle spricht aber deutlich dafür, dass Hegel nicht nur die begriffliche Struktur des Lebens untersucht, sondern in aristotelischer Tradition auch behauptet, dass die immaterielle Form selber die Kraft der Hervorbringung von raumzeitlich Wahrnehmbarem hat. Im Übrigen kommt er im Schlussabschnitt über die absolute Methode noch einmal auf den »Keim des Lebendigen« zurück (GW 12, 241, 13, s. u. S. 738). Hegel verbindet in der Logik wie in der Naturphilosophie den Fortpflanzungsprozess mit dem Tod. Die Erneuerung der Gattung erfolgt nicht nur durch die Erzeugung neuen Lebens, sondern auch durch das Absterben des alten: »In dem Gattungs-Proceß gehen die abgesonderten Einzelnheiten des individuellen Lebens unter; die negative Identität, in der die Gattung in sich zurückkehrt, ist wie einerseits das Erzeugen der Einzelnheit, so andererseits das Aufheben derselben, ist somit mit sich zusammengehende Gattung, die für sich werdende Allgemeinheit der Idee.« (GW 12, 191, 20–25)

Das heißt aber auch, dass der eigentliche Zweck des Lebens des Individuums, jedenfalls des nicht-menschlichen Tiers, in dieser Erhaltung und Erneuerung der Gattung liegt – womit Hegel wieder modernen Evolutionsbiologen nahekommt. Bei der engen Verbindung von Begattung und Tod denkt Hegel offenbar nicht nur an spezifische Erscheinungsformen des Tierlebens, etwa der Begattung der Gottesanbeterin (mantis religiosa), bei der das männliche Tier stirbt. Es gilt vielmehr generell: »In der Begattung erstirbt die Unmittelbarkeit der Individualität« (GW 12, 191, 25–26). Die Vereinigung mit dem

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Anderen ist die eine Form der Aufgabe der Individualität, der Tod die andere. In der Fortpflanzung und im Tod erreicht das Individuum seine überindividuelle Bestimmung. Auf der höheren geistigen Stufe der sittlichen Gemeinschaft erweist sich der sittliche Tod, der vom und für den Staat gewollt ist, ebenfalls als »höchstes Recht« und »höchste Freiheit« des Individuums.25 Der natürliche Tod ist für Hegel der Anfang des geistigen Lebens: »der Tod dieses Lebens ist das Hervorgehen des Geistes« (GW 12, 191, 26). Auch hier haben wir es mit einem Abschluss auf einer Stufe und dieser als ganzer zu tun. In der »tödlichen« Verschmelzung wird die Gattung im Tierleben vollzogen, aber weder vorgestellt noch vollständig manifestiert. Denn sie ist dem Individuum nicht bewusst und von ihm auch nicht vollständig darstellbar. Nur im Hinblick auf die Manifestation des Allgemeinen in der Negation des Individuums, das sich in der Vereinigung zugleich erhält und vollendet (»aufhebt«), und damit auf den Vorschein des Geistes, kann Hegel daher sagen, dass sich die Idee »zu sich als Idee verhält« (GW 12, 191, 30). In Bezug auf die Manifestation des Allgemeinen (der Gattung) im Einzelnen und für den Einzelnen bleibt das Tier eine mangelhafte Existenz, was sich wiederum für Hegel auch phänomenal in der körperlichen Verfassung und dem Gefühl der Tiere zeigt. Das wird jedenfalls in der Enzyklopädie deutlich (und drastisch) formuliert (vgl. GW 13, § 293, 172). Die inadäquate Verwirklichung der Idee macht das Tier auch auf der Ebene seines ›Gefühlslebens‹ zu einer »unglückliche[n]«, »angstvolle[n]« und »kranke[n]« Existenz (GW 13, 172, 4–5). Diese Schlussfolgerung richtet sich wohl explizit gegen die Vorstellungen des unreflektierten, animalischen Glücks, etwa im französischen Materialismus oder beim frühen Rousseau.26 Ausgehend von heutigen Kenntnissen der Verhaltensforschung und Tierpsychologie muss man ihr aber auch nicht uneingeschränkt zustimmen. Es gibt wohl ebenso viel Evidenz für Lebensfreude und Gedeihen von Tieren wie für das Gegenteil – vor allem, wenn man von der Schädigung von Individuen (Tierzucht) und der Ausrottung von Arten durch den Menschen absieht, die bei Hegel keinen Grund für das Leiden des Tieres darstellt. Die ontologische Defi zienz dieser Stufe ist für Hegel aber auch der Grund der Unvollkommenheit der Gliederung des Tieres in Arten und Unterarten, die nicht wirklich aus einem Begriff folgen, sondern offene Variationen eines Typs darstellen (vgl. ebd.). Bevor ich ein Resümee des Verhältnisses der Idee des Lebens in der Logik zur (enzyklopädischen) Naturphilosophie ziehe – und damit auch zur Natur als dem Gegenstand sowohl der Wahrnehmung, wie der Naturerklärung und 25 26

Siep (2015), S. 67–69. Zu Rousseau vgl. Kohl (2008), S. 122–127.

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ihrer Systematisierung –, sei noch ein Blick auf die beiden unterschiedlichen Übergänge in beiden Büchern bzw. Systemteilen geworfen. In der Logik geht ja die Idee des Lebens zu der des Erkennens über, in der Naturphilosophie wird die Natur selber in den Geist »aufgehoben«: »Die Natur ist hiemit in ihre Wahrheit übergegangen, in die Subjectivität des Begriffs, deren Objectivität selbst die aufgehobene Unmittelbarkeit der Einzelnheit, die concrete Allgemeinheit ist, der Begriff welcher den Begriff zu seinem Daseyn hat, – in den Geist.« (GW 13, § 299, 175, 9–12)

Dass mit dem systematischen Durchlaufen der Prozesse und Bestimmungen des Tierlebens das »letzte Aussersichseyn der Natur aufgehoben« ist (ebd., 8–9), bedeutet, dass das Entstehen von so etwas wie subjektiver Innerlichkeit (im Tier, das sich selbst auch im Anderen fühlt) und der Auflösung der Individualität in die Gattung die eigentliche Bedeutung der Natur enthüllt: Sie liegt nicht in dem raum-zeitlichen »Aussereinander« und in den Vernetzungen und wechselseitigen Reaktionen aller Stoffe und Lebewesen untereinander, ihrem »Aussersichseyn«. Der Sinn und Zweck alles Natürlichen liegt vielmehr darin, in einem Anderen als es selbst seine »Wahrheit« zu haben: im Geist, der die Natur im sittlichen Leben transformiert und in der Erkenntnis sozusagen heimholt in ihre eigentliche begriffliche Struktur. Damit versteht er zwar eigentlich auch erst sich selbst – den »Begriff« als Subjektivität und konkrete, in sich selbst vollständig differenzierte Allgemeinheit –, aber sich selbst zugleich als »Endzweck« der Natur, wie es schon Kant vom moralischen Wesen sagt.27 Wohlgemerkt: Es ist nach dem Wortlaut von § 299 die Natur selbst, die sich dabei »aufhebt« und in sich als wesentlich ohne Selbstzweck und Substanz offenbart – nicht etwa nur Kategorien der Naturbeschreibung und -erklärung oder einer Metaebene der philosophischen Reflexion darüber. Die Natur selbst ist wesentlich »außer sich«, hat ihren Sinn in einem anderen, als dessen Mittel der Selbstaneignung, als »Anderssein« des Geistes. In der Logik ist das am Ende der Idee des Lebens längst vorausgesetzt. Diese enthält ja einerseits die wesentlichen Strukturen des natürlichen Lebens und erweist sich andererseits als »konkretere« bzw. komplexere und weiter differenziertere Formen der logischen Formen von Begriff, Urteil und Schluss sowie deren Übereinstimmung mit der Objektivität. Ihre Genese ist in den beiden ersten Abschnitten der subjektiven Logik entfaltet worden, die nun auch als Grundlage des Lebens aufgewiesen wurde. Daher ist das 27

Kant (1913 [1790]), § 84, S. 434–436.

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im natürlichen Leben noch sichtbare Unvollkommene, die genannten Defizienzen des Tierlebens und überhaupt die noch räumlich getrennte Existenz der lebendigen Individuen, vom schon erreichten Stand der Begriffslogik her eine Art Rückfall (»fällt […] zurück«, GW 12, 191, 10–11). Mit der Aufhebung beginnt der Übergang zur geistigen Existenz der Idee im Erkennen und Wollen (vgl. GW 12, 191, 7–31). Hegel spricht vom Rückfall der Idee in die Wirklichkeit bzw. Unmittelbarkeit auch in Bezug darauf, dass der Gattungsprozess die Form des »unendliche[n] Progreß[es]« (GW 12, 191, 11–12) hat, des Kommens und Gehens der Individuen als Träger des Prozesses. Es ist kein in sich zurückgehender, kreis- oder spiralförmiger Prozess, und es gibt keine vollständige Repräsentation des Ganzen in seinen Gliedern bzw. Repräsentanten. Diese Defizienzen und Rückfälle, die in der Logik immer wieder anzutreffen sind, begründen die »Erhebung« auf eine höhere Stufe der Idee, die Idee des Erkennens. Obwohl es sich in der Logik nicht um die Aufdeckung von Täuschungen und falschem Bewusstsein handelt, wie in der Phänomenologie des Geistes, gibt es in ihr Schwellen, die eine Art »Paradigmenwechsel« notwendig machen: »Aber diese Rückkehr in ihren ersten Begriff [die unmittelbare Wirklichkeit des Entstehens und Untergehens lebendiger Individuen, LS], hat auch die höhere Seite, daß die Idee nicht nur die Vermittlung ihrer Processe innerhalb der Unmittelbarkeit durchlauffen, sondern eben damit diese aufgehoben, und sich dadurch in eine höhere Form ihres Daseyns erhoben hat.« (GW 12, 191, 13–16)

Nur in Bezug auf die Bestätigung des Begriffes in seiner Form der Subjektivität, als Selbstunterscheidung und als Sich-Identifizieren mit dem Anderen seiner selbst, ist die Bewegung »mit sich zusammengehend[]« (GW 12, 191, 24) oder ein angereicherter Kreislauf. Was sich aber vor allem in der Erzeugung des Keims eines wirklichen lebendigen Individuums gezeigt hat, ist die naturgestaltende und erzeugende Kraft der im Wesen nicht-sinnlichen Idee (s. o. S. 679). Damit hat die sinnliche Natur in einem lebendigen Individuum keine selbständige Bedeutung mehr, sie ist nichts, wovon die Idee abhinge, jede Spur eines Nominalismus (Abhängigkeit des Allgemeinen vom sinnlich Einzelnen) ist getilgt. Allenfalls muss die gesamte Sphäre des Sinnlichen und Raumzeitlich-Individuellen noch einmal als von der nicht-sinnlichen Idee erzeugt dargestellt werden. Ob das ein Schlüssel zum Sich-Entlassen der Idee in die Natur am Ende des Kapitels sein kann, werden wir noch sehen (s. u. 6.3).

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Die höhere Form des Daseins, die am Ende der Idee des Lebens erreicht wird, ist die für sich gewordene Allgemeinheit der Gattung. Sie existiert nicht mehr nur in der Unterscheidung der Geschlechter und der Produktion und dem Tod der Individuen. Sie ist selber »einfache Allgemeinheit« (GW 12, 191, 29), die sich zu ihrer sich selbst differenzierenden Allgemeinheit verhält. Damit ist die Idee eine solche geworden, die »sich zu sich als Idee verhält, das Allgemeine, das die Allgemeinheit zu seiner Bestimmtheit und Daseyn hat; – die Idee des Erkennens« (GW 12, 191, 30–31). Das Erkennen hat es mit Allgemeinem im Sinne der Hegelschen »konkreten« Allgemeinheit zu tun. Das sind umfassende Begriffe, die als Implikationen besondere, durch Urteile und Schlüsse zu explizierende Begriffe enthalten. Die gesamte Tätigkeit des analytischen und synthetischen Erkennens, des Definierens, Einteilens, Beweisens etc. bleibt aber selber in einem Element des Allgemeinen, dessen Unterscheidungen sich nur gedanklich, aber nicht räumlich, zeitlich – jedenfalls nicht in der Geltung, wenn auch in der diskursiven Entfaltung – oder gar materiell voneinander unterscheiden. Hegel hat hier den Übergang vom Leben zum Geist auf der Ebene dieser allgemeinen begrifflichen Struktur behandelt. Sie liegt für ihn sicher auch dem Übergang vom Leben zum Selbstbewusstsein in der Phänomenologie des Geistes oder vom Gattungsprozess zur Seele in der Enzyklopädie zugrunde. Hier in der Logik wird sie auf einer gedanklich strukturellen Ebene abgehandelt. Das galt ja bereits für die Idee des Lebens und das Leben in der Naturphilosophie. Wie stellt sich diese, von Hegel bereits am Anfang des Kapitels konstatierte, Differenz jetzt aus dem Rückblick dar? Die Entwicklung der Idee des Lebens hat in Naturphilosophie und subjektiver Logik eine unterschiedliche Funktion: Im einen Fall (Enzyklopädie) ermöglicht sie die Systematisierung der Formen des Naturlebens (Pflanze und Tier) und das Erreichen ihrer Bestimmung im Übergang zum Geist. Im anderen Fall (Logik) stellt sie die Fortführung der inneren Differenzierung des Begriffes dar, der Subjektivität, die alle Denkformen und alle Kategorien des Gedachten umfasst. Es geht in der Logik aber auch um den Nachweis des »Idealismus« der Natur, die in sich begriffl ich strukturiert, von einer Idee geformt (»organisiert«) und Mittel für deren Selbsterkenntnis ist. Entsprechend werden die Lebensprozesse in der Logik mit weniger direkten Bezügen auf die Organisation des pflanzlichen und tierischen Lebens und ihren zweckmäßigen Vollzug im Prozess der Selbsterneuerung des Lebens in seinen verschiedenen Arten dargestellt. Die höhere Allgemeinheit darf aber nicht abstrakt als das abgetrennte »tertium comparationis« verstanden werden. Die Allgemeinheit ist bei Hegel immer zugleich das Telos, das sich aus der Entwicklung der Unterschiede als deren Funktion, Sinn und Bestimmung ergeben muss. Damit ist sie aber auch das

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implizite Prinzip, aus dessen semantischer Analyse sich die Unterschiede entfalten lassen müssen. Das gilt auch für das Verhältnis von Logik und Naturphilosophie: »Leben« ist nicht eine ganz abstrakte Struktur von Selbstorganisation, Selbstbehauptung und Selbsterneuerung. Diese Prozesse nehmen vielmehr Formen an, die denen entsprechen, mit denen man eine Wissenschaft des Lebendigen im Sinne von Artenkunde, Morphologie, vergleichender Anatomie und Physiologie, aber auch Erklärung der unterschiedlichen Ernährungs- und Fortpflanzungsprozesse betreiben kann bzw. muss. Hegels Naturphilosophie ist »systemisch« auf verschiedenen Ebenen, sowohl der Darstellung lebendiger Systeme wie der systematischen Differenzierung von Lebensformen. Die Logik abstrahiert davon nicht einfach die allgemeinste Form der Systeme. Nicht nur Individualisierung, Selbstbehauptung und Fortpflanzung kommen in ihr vor, sondern auch die Systeme bzw. Prozesse der Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion (vgl. GW 12, 185–186), die für Hegel der Schlüssel der typischen Anatomie, Physiologie und damit auch Medizin des tierischen Organismus sind. Sie sind in der Naturphilosophie wie der Logik notwendige Aspekte der »Idee des Lebens« bzw. des »Lebendigen« (GW 12, 181, 187; GW 13, § 279). Damit ist die Verbindung zu den zeitgenössischen Theorien und entdeckten Fakten gegeben, die den Allgemeinheitsanspruch der Hegelschen Naturphilosophie und Logik von heute her »anfällig« machen. Man wird die Morphologie und »vergleichende Anatomie« der Tiere nicht mehr in der Weise systematisieren können, wie Hegel das in § 293 für möglich hält: »Die unterschiedenen Gebilde und Ordnungen der Thiere haben den allgemeinen, durch den Begriff bestimmten Typus des Thieres zu Grunde liegen« (GW 13, 170, 14–16). Auch die Betrachtungsweisen der niederen »Entwicklungsstufen« (ein noch vor-darwinistischer Begriff von Entwicklung) als Vorstufen der »vollendetsten, in welcher sie Werkzeug des Geistes« (GW 13, 170, 17–18) sind, nämlich des Menschen, kann nicht mehr als Leitfaden einer evolutionären Anatomie und Morphologie ausreichen. Das heißt aber nicht, dass die Betrachtung der organischen Biologie sozusagen »top down«, als Vorstufe der menschlichen Leistungen, nicht noch sinnvoll sein könnte.28 Die innere Organisation des Tieres ist ja nicht nur funktional für Wachstum, Erhaltung und Fortpflanzung, sondern auch für innere Selbstwahrnehmung und Gefühl, d. h. Leistungen des Tieres, die sich im menschlichen Tier voll entfalten. Die Betrachtung der Präfiguration der Leistungen höherer Lebewesen auf den Stufen einfacherer Organisationen scheint ebenso fruchtbar, 28

Vgl. u. den Exkurs 1 zur äußeren Teleologie (S. 722–725).

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wie die Unterscheidung niederer von höheren – also eine Art scala naturae – unvermeidbar ist. Problematisch ist aber, dass daraus eine Reduktion der »Vorstufen« menschlichen Lebens auf die praktische und kognitive Aneignung durch den Menschen folgen soll. In der Logik werden die »konkreten« (im gewöhnlichen Sinne) Begriffe der Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion allgemeiner, mit weniger »zoologischen« Bezügen und im Rückblick auf die vorhergehenden Kapitel behandelt. Es geht in dieser Hinsicht um die Weise, wie sich in den Systemen die Einheit von Begriff und Objektivität sowie die Formen des Urteilens und Schließens wiederfinden. So wird die Sensibilität als das »rein nur in sich selbst Erzittern« der Allgemeinheit als Auflösung und ›Einfaltung‹ (Implikation) aller Unterschiede, als »absolute Negativität« begriffen (GW 12, 185, 24). Die Irritabilität dagegen entspricht der »Eröfnung [sic] der Negativität« (GW 12, 185, 37): die unartikulierten Unterschiede werden durch den »Trieb« der »Selbstbestimmung« als Urteil entfaltet, und zwar zunächst in Bezug auf eine äußerliche »vorausgesetzte Objectivität […] und in Wechselwirkung damit« (GW 12, 186, 1–3). Die Reproduktion ist der Zusammenschluss der »Extreme« von Individuum und äußerlichen Lebensmitteln und dann im Gattungsprozess der lebendigen Individuen selber in der konkreten, sich in Individuen, Geschlechter und Arten (vgl. GW 12, 186, 4) unterscheidenden und durch sie erhaltenden Allgemeinheit der Gattung. Der Hintergrund von Begriff, Urteil und Schluss im Sinne Hegels ist deutlich sichtbar. Mit Ausnahme dieses speziellen »Beweisziels« der Logik, dass die Formen des Logischen, die Notwendigkeit verbürgenden Strukturen des Denkens, die eigentliche Realität aller Wirklichkeit sind – und deren Bestimmung und Telos im Erkannt- und Angeeignet-Werden durch eine Subjektivität liegt –, gibt es zwischen dem Naturleben und dem logischen Leben in seinen ersten Stufen aber keine grundsätzliche Differenz. Das bedeutet umgekehrt auch, dass das »Material« der Logik, die wissenschaft liche Erklärung des Lebendigen und seine Gegenstände zu einer solchen Deutung geeignet sind. Für den Philosophen, der wissenschaft liche Erkenntnis als systematische Deutung – letztlich mithilfe eines einzigen Grundgedankens – versteht, heißt das, dass in der »Systematisierbarkeit« die »Wahrheit« sowohl der Erkenntnis wie, im Sinne der teleologischen Bestimmung, ihrer Gegenstände liegt. Wenn diese These nicht nur als Regulativ aller wissenschaft lichen Bemühungen verstanden werden soll, das wäre erneut ein von Hegel kritisierter Kantianismus, dann muss sie aber auch falsifizierbar sein in dem Sinne, dass sich die Wissenschaften und ihre Gegenstände einer solchen Deutung (oder »Vereinnahmung«) sperren können. Ob das bei Hegels Systemgedanken möglich ist, gehört zu unserer zweiten Leitfrage und wird am Ende zu beurteilen sein

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(6. 3). Man kann sich hier schon die Frage stellen, ob die Nicht-Integrierbarkeit wissenschaft licher Erkenntnisse in ein System nach Hegels Muster endgültig zu beweisen ist. Das mag man bezweifeln. Aber wenn man die Möglichkeit von Korrektur und Veränderung im Sinne einer permanenten »Systemskepsis« in Anschlag bringen will, dann sind andere Modelle der philosophischen Deutung wissenschaft licher Erkenntnisse vielleicht plausibler – Systeme im modernen Sinne, Analogien, Netzwerke, die ein höheres Maß an Kontingenz, Partikularismus und Pluralismus der Wissenschaften zulassen.

5. Erkennen: Subjekt, Wahrheit, Wirklichkeit (GW 12, 192–230) Hegel beginnt das zweite Kapitel über die Idee des Erkennens mit einem Hinweis auf die Gesamtstruktur der drei Kapitel als Schluss (GW 12, 192, 3–4). Nach dieser Form der Entwicklung – die selber Hegels Art des Beweisens ist – entspricht die Idee des Lebens dem Begriff und die des Erkennens dem Urteil der Idee: »[i]n ihrem Urtheil ist sie das Erkennen überhaupt« (GW 12, 192, 4). Das heißt natürlich nicht, dass die interne Struktur der Idee des Erkennens, wie bereits die der Idee des Lebens, nur durch Urteile und nicht auch durch Schlüsse strukturiert ist. Das Urteil ist ja selber – nach der Begriffslogik – nur eine Funktion in dem zweckmäßigen Ganzen von Schlüssen. Der vorige Teil, die Idee des Lebens, stand in einer engen Beziehung zur Naturphilosophie. Klar ist, sowohl nach den Bemerkungen am Schluss der Idee des Lebens wie in den Anfangsabschnitten der Idee des Erkennens, dass sich dieses zweite Kapitel auf die Geistphilosophie bezieht. Nicht so klar sind die genaueren Zuordnungen. Hegel erwähnt im Einleitungsabschnitt, nach einer Auseinandersetzung mit der traditionellen rationalen Psychologie oder »Metaphysik des Geistes«, die Beziehung auf die adäquate Behandlung der »endlichen« Form des Geistes in der Anthropologie, Phänomenologie und Psychologie seiner Enzyklopädie, an der er ja gerade arbeitet.29 Er hebt freilich noch einmal die Unterschiede der Behandlung der Idee in den anderen Systemteilen und in der Logik hervor (vgl. GW 12, 198, 20–32). Darauf komme ich zurück. Offenbar stellt der folgende Abschnitt B »Die Idee des Guten« den logischen »Hintergrund« des praktischen Geistes der Psychologie (GW 13, §§ 388–399, 217–223) dar, aber auch wesentliche Aspekte des 29

Zur Entstehung dieser Systematik in den letzten Nürnberger Jahren vgl. Jaeschke (22010), S. 213 f. Jaeschke datiert die Ursprünge der Systematik von Anthropologie, Phänomenologie und Psychologie auf den letzten Nürnberger Enzyklopädie-Kurs (1815/16).

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objektiven Geistes, der es ja ebenfalls mit der Realisierung des Guten zu tun hat. Andere Aspekte des objektiven Geistes sind aber auch in anderen Passagen des Kapitels »Idee« im Blick, etwa der Staat in der Einleitung des Kapitels »Die Idee« (vgl. GW 12, 175, 29–176, 3) sowie im Abschnitt über die »Definition« im synthetischen Erkennen (s. S. 702 ff.). Die angesichts der internen Gliederung des Kapitels über die Idee des Erkennens am stärksten ins Auge springende Frage ist natürlich die folgende: Was bedeutet es, dass die Idee des Guten, in deren Behandlung vom Wollen die Rede ist, ein Teil der Idee des Erkennens ist. Andererseits ist die Idee des Guten ja die höhere Stufe gegenüber der Idee des Wahren. Ist alles Erkennen doch dem Realisieren des Guten oder des Vernünftigen untergeordnet? Damit wäre aber das Erkennen und Wollen ganz im Sinne der »gewöhnlichen« Tätigkeiten des Menschen gedeutet, während die Idee, wie wir gesehen haben, doch eine sich verwirklichende Vernünft igkeit oder gedankliche Struktur der Wirklichkeit ist – und zumindest die absolute Idee ein Erkennen ihrer selbst darstellt. Es wird sich allerdings zeigen, dass die Idee des Wahren und des Guten durchaus Züge eines Strebens nach Unverwirklichtem haben, wie es der gewöhnlichen – und kantischen – Vorstellung des Strebens nach Ideen oder Idealen entspricht. Letztlich besteht darin aber eine Art der Selbsttäuschung, die aufgehoben werden muss. Zunächst ein kurzer Blick auf die Einteilung des Kapitels. Den zwei Unterkapiteln über die Idee des Wahren und des Guten geht eine längere Einleitung voraus (GW 12, 192, 1–199, 31), in der sich Hegel, wie angedeutet, mit der rationalen Psychologie der Metaphysik und Kants Kritik an ihr im Paralogismen-Kapitel der Kritik der reinen Vernunft beschäftigt. Ferner gehört zu dieser Einleitung, wie angedeutet, ein kurzer Abriss der hegelschen Philosophie des subjektiven Geistes, in der es auch um die Differenz zwischen der logischen und »realphilosophischen« Behandlung des Geistes geht. Dann folgt der bei weitem längste Abschnitt »A. Die Idee des Wahren«, mit den beiden Unterabschnitten »a. Das analytische Erkennen« (GW 12, 202, 20–208, 35) und »b. Das synthetische Erkennen« (GW 12, 209–230). Das synthetische Erkennen, der längere der beiden Teilabschnitte ist selber noch einmal untergliedert in »1. Die Definition«, »2. Die Eintheilung«, »3. Der Lehrsatz«. Wesentlich kürzer als diese Unterabschnitte ist der zweite Hauptabschnitt »B. Die Idee des Guten« (GW 12, 231–235). Bei der Kommentierung soll wieder die Suche nach Belegen für Antworten auf unsere zweite Leitfrage zur Orientierung dienen. Hegels eigene Überschriften werden aber im Folgenden in unsere Gliederung integriert. Die Einleitung des Kapitels (GW 12, 192, 1–199, 31), vor dem Abschnitt A (Die Idee des Wahren) sind sozusagen eine »geballte« Auseinandersetzung

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mit der Psychologie der metaphysica specialis, vor allem ihrer Wolffschen Endphase und der Kantischen Kritik. Sie treffen aber, wie die Bemerkungen zum »Cirkel« der Selbstbewusstseinstheorie klar machen, auch neuere Diskussionen über die »Reflexionstheorie« des Selbstbewusstseins oder die Theorien der persönlichen Identität.30 Dagegen lobt Hegel die »wahrhaft speculativen Ideen älterer Philosophen über den Begriff des Geistes« (GW 12, 194, 4), die Kant überhaupt nicht zur Kenntnis genommen habe. Ihm fehle – wie Hegel seit der Jenaer Geistphilosophie ausführt – auch das Verständnis für die »Dialektik« des Geistes und seiner wahren Begriffe. Während er in früheren Schriften vor allem Platon – besonders in den späten Dialogen – für dieses Verständnis gerühmt hatte, nennt er hier nur die »wahrhaft speculative[n] Ideen des Aristoteles« (GW 12, 195, 20). Der Reduktionismus der neueren »Seelenlehre«, aber auch Kants Begriff der transzendentalen Apperzeption, besteht nach Hegel einerseits in diesem Verkennen der dialektischen, den konträren Gegenbegriff in sich enthaltenden Charakter der für das Verständnis »der Seele oder des Denkens« (GW 12, 195, 20) angemessenen Begriffe. Er besteht auch in der Verdinglichung der Seele, ihrer Beschränkung auf raum-zeitliche, an einen materiellen Körper gebundene Gegenstände. Selbst Leibniz’ Konzeption der Monade ist dieser Beschränkung auf ein – wenn auch vorstellendes – »Atom« nicht enthoben (GW 12, 197, 16). Das alles fällt für Hegel unter Verstandesdenken. Es abstrahiert von den seelischen Einzelgegenständen allgemeine Eigenschaften, oder es setzt sie als unexplizierbare Vorstellung (des »Ich denke«) allen Denkinhalten voraus. Den auch heute immer wieder diskutierten Zirkel der Reflexion, »daß Ich mich des Ich schon bedienen müsse, um vom Ich zu urtheilen« (GW 12, 194, 15–16) oder »daß Ich nicht gedacht werden kann, ohne daß es Ich ist, welches denkt« (GW 12, 194, 20–21), nennt Hegel »lächerlich« (GW 12, 194, 19). In Wahrheit zeige sich dadurch »im unmittelbaren empirischen Selbstbewußtseyn, die absolute, ewige Natur desselben und des Begriffes […], weil das Selbstbewußtseyn eben der daseyende, also empirisch wahrnehmbare, reine Begriff, die absolute Beziehung auf sich selbst ist, welche als trennendes Urtheil sich zum Gegenstande macht und allein diß ist, sich dadurch zum Cirkel zu machen« (GW 12, 194, 22–27). Was sich hier wie eine bloße Versicherung anhört, ist natürlich »holistisch« begründet durch das System als Ganzes, durch die wechselseitige Explikation von Subjektivität und Urteils- und Schlusslogik sowie durch die Erklärung der Natur, deren grundlegende Form in der Idee des Lebens diesen Abschnitten ja unmittelbar vorhergeht. Da die Idee des Erkennens aus 30

Vgl. Henrich (1970); ders. (1999); Williams (1978).

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der des Lebens hervorgeht, ist sie nicht mit einer Einzelseele zu verwechseln. Sie ist in der Gesamtnatur wirksam und besitzt die Struktur der Individualisierung, der Gegenüberstellung in wesensgleichen Verschiedenen und der Selbstnegation in einem sie umgreifenden Ganzen (der »Gattung«). Hegel führt das hier noch einmal ausdrücklich aus (GW 12, 196, 30–37). Doch zunächst noch zu einigen Konsequenzen seiner Kant-Kritik. Auf der einen Seite »widerlegt« er geradezu Kants Kritik an Mendelssohns Unsterblichkeitsbeweis,31 auf der anderen steht für ihn auch die vorkantische Metaphysik unter der Herrschaft des Verstandes. Nach seiner Deutung hat Kant Mendelssohns These der qualitativen Einfachheit der Seele die Behauptung der Quantifizierbarkeit ihrer Intensitätsgrade entgegengesetzt, nach der sie auch zum Verlöschen kommen könne (GW 12, 196, 4–10). Auch die Quantität ist aber nach Hegels Seinslogik, dem ersten Teil der Logik, eine Bestimmung von Entitäten, die durch ihre Unterscheidung von anderen Entitäten charakterisierbar sind. »Ding« ist zwar in der Seinslogik nur eine dieser Bestimmungen, aber Hegel spricht hier selber von der Verwechslung der Seele mit einem »Ding« (GW 12, 197, 11). Heißt das, dass die Seele doch unsterblich ist? Sicher gehört sie als subjektive zu den sich von sich selbst unterscheidenden, sich vergegenständlichenden und doch in einer einfachen Einheit mit diesem »anderen ihrer selbst« verbleibenden Phänomenen. Solche Selbstdifferenzierung nennt Hegel unendlich, weil ihre Grenzen nicht von außen kommen, sondern selber »gesetzt« und zugleich »aufgehoben« werden. Heißt das aber, dass in der individuellen Seele diese Unendlichkeit als Unsterblichkeit anzutreffen ist? Oder dass ein unendlicher Geist in ihr nur »Dasein«, Bestimmtheit findet? Hegel betont ja sowohl bei der Idee des Lebens wie bei der Sittlichkeit die (im letzteren Falle freiwillige) Selbstnegation der Einzelheit um der Allgemeinheit willen (vgl. GW 12, 197, 2). Er hat die metaphysischen Unsterblichkeitsbeweise vielfach kritisiert32 und betont in diesem Abschnitt seine Übereinstimmung mit Aristoteles, für den ja auch nur der überindividuelle nous unsterblich ist. Andererseits muss im Geist das Absolute auch vollständig präsent werden können. Das Verhältnis des absoluten Geistes bzw. der absoluten Idee zu einzelnen Personen wird uns im Schlussabschnitt besonders beschäft igen (s. u. Kap. 6.2). Dass Hegel dem Hervorgang der Idee des Erkennens aus der des Lebens in der Natur Notwendigkeit bzw. Beweischarakter zuspricht, könnte dafür 31

Mendelssohn (1997). Zu Hegels »aufhebender« Kritik der kantischen transzendentalen Dialektik vgl. jetzt auch Kreines (2015). 32 Vgl. Jaeschke (22010), S. 12 f., 166 f., 193. Zur sittlichen Befreiung von der Sterblichkeit vgl. Siep (2015), S. 136.

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sprechen, dass seine Thesen über die absolute Subjektivität vom Material der Naturwissenschaften im oben (S. 672 f.) erörterten Sinne abhängen. Der Einleitungsabschnitt enthält aber einige schroffe Gegenüberstellungen des Empirischen zum Metaphysischen, die dagegen zu sprechen scheinen. Die These, dass Kant sich in der transzendentalen Deduktion und in den Paralogismen nur auf die Vorstellung oder die »Erscheinung« des Ich bzw. der Seele beziehe, nimmt Hegel nämlich zu einer Verteidigung der Metaphysik gegen die Beschränkung der Philosophie auf das Empirische und die Vorstellungen des alltäglichen Bewusstseins: »Die Metaphysik, – auch selbst die, welche sich auf fi xe Verstandesbegriffe beschränkte und sich zum Speculativen, und zur Natur des Begriffes und der Idee nicht erhob, hatte zu ihrem Zweck, die Wahrheit zu erkennen, und untersuchte ihre Gegenstände darnach, ob sie ein Wahrhaftes seyen oder nicht, Substanzen oder Phänomene.« (GW 12, 196, 13–17)

»Substanz« wird hier im traditionellen Sinne mit Wesen gleichgesetzt und »Wahrheit« wieder im ontologischen Sinne als wesentliches Sein im Gegensatz zu Akzidentellem, bloß Erscheinendem bestimmt. Die Metaphysik hat also einen eigenen Gegenstandsbereich, allerdings nach dem hegelschen Verständnis nicht »beharrliche« Substanzen, sondern dialektische Prozesse letztlich begrifflicher Natur. Darauf folgt eine heft ige Kritik an Kant: »Der Sieg der Kantischen Kritik über dieselbe [sc. die Verstandesmetaphysik] besteht also vielmehr darin, die Untersuchung, welche das Wahre zum Zwecke hat, und diesen Zweck selbst zu beseitigen; sie macht [sic!] die Frage, die allein Interesse hat, gar nicht, ob ein bestimmtes Subject, hier das abstracte Ich der Vorstellung, an und für sich Wahrheit habe. Es heißt aber auf den Begriff und die Philosophie Verzicht leisten, wenn man bey der Erscheinung, und bey demjenigen stehen bleibt, was sich im alltäglichen Bewußtseyn für die blosse Vorstellung ergibt.« (GW 12, 196, 17–23)

Die Philosophie muss also nach dem an und für sich Wahren hinter den Erscheinungen fragen, wie die gesamte metaphysische Tradition.33

33

Vgl. die Vorrede: »Indem so die Wissenschaft und der gemeine Menschenverstand sich in die Hände arbeiteten, den Untergang der Metaphysik zu bewirken, so schien das sonderbare Schauspiel herbeygeführt zu werden, ein gebildetes Volk ohne Metaphysik zu sehen; – wie einen sonst mannichfaltig ausgeschmückten Tempel ohne Allerheiligstes« (GW 11, 5, 30–6, 1).

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Dass man die Vorstellungen des alltäglichen Bewusstseins nicht für bare Münze nehmen könne, wird nun auch die empirische Wissenschaft behaupten. Aber Hegel relativiert im Folgenden auch deren Ergebnisse. Wenn er als Beleg für die Wahrheit des Geistes die Genese aus der Idee des Lebens, als Struktur der sich selber negierenden und dadurch die Gattung repräsentierenden Einzelheit angibt, heißt es: »Als dieses Resultat hat diese Idee an und für sich selbst ihre Wahrheit, mit der dann auch das Empirische oder die Erscheinung des Geistes verglichen werden mag, wie es damit übereinstimme; das Empirische kann jedoch selbst auch nur durch und aus der Idee gefaßt werden.« (GW 12, 196, 32–35)

Das »mag« legt nahe, dass die »Vergleichung« des Empirischen des Geistes mit der Idee nicht notwendig ist, und das »nur durch und aus« scheint zu bedeuten, dass auch eine Geistphilosophie rein aus der Idee möglich ist. Allerdings geht Hegel dann »beyläufig« auf die »concreten Wissenschaften des Geistes« (GW 12, 197, 5–6) ein, unter denen er die Anthropologie, Phänomenologie und Psychologie in seiner Enzyklopädie versteht. In seiner kurzen Zusammenfassung dieser Systemteile (GW 12, 197, 8–198, 25) kommt er zu dem Ergebnis, dass es darin noch um den »endlichen« Geist geht, der sich stets auf etwas Anderes, wenn auch wesentlich auf ihn selber Bezogenes (»anderes seiner selbst«) bezieht: die Seele bezieht sich auf ihre körperlichen Empfindungen, das Bewusstsein auf seine bewussten Inhalte. Der Geist als erkennender und wollender, wie ihn die Psychologie des »subjektiven Geistes« behandelt, ist zwar »auf Gefühle, Vorstellungen und Gedanken thätig« (GW 12, 198, 15–16), die ihm – auch als Zwecksetzungen – selbst angehören. Er ist insofern bereits »in seiner Form unendlich« (GW 12, 198, 16). Aber da der »Inhalt seiner Bestimmtheit […] ein unmittelbarer gegebener ist« (GW 12, 198, 21), bleibt er sozusagen material noch ein endlicher. Es steht noch aus, dass er sich »von dieser seiner Bestimmtheit befreyt, und zum Erfassen seiner Wahrheit, des unendlichen Geistes, fortgeht« (GW 12, 198, 22–24). In diesem Zusammenhang kommt Hegel auf die »empirische[] Psychologie« zu sprechen, die sich mit dem noch von Inhalten (Gedanken, Gefühlen, Vorstellungen) bestimmten Geist beschäftigt (GW 12, 198, 18). Sie muss aber, »um die Wissenschaft des Geistes zu seyn, nicht empirisch zu Werke gehen, sondern wissenschaft lich gefaßt werden« (GW 12, 198, 19–20). »Wissenschaft« im letzteren Sinne ist offenbar erst die systematisch-holistische Deutung der empirischen Psychologie. Die eigentliche Wissenschaft ist, an diese Terminologie hält sich Hegel schon früh, die Philosophie. Nicht nur »denken« die außerphilosophischen Wissenschaften

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nicht, wie Heidegger später behauptet,34 sie sind nach dieser Stelle auch nicht eigentlich Wissenschaft. Gleichwohl hat Hegel in seine (enzyklopädische) Philosophie des subjektiven Geistes bekanntlich Stoffe der Medizin und Psychologie, auch der Sprachwissenschaft seiner Zeit aufgenommen und gedeutet. Daraus muss man schließen, dass die wahre philosophische Auffassung der Welt nicht einfach vorausgesetzt werden kann, sondern sich als »beste Erklärung« empirischer Wissenschaft (im gewöhnlichen Sinne) zu bewähren hat. Dies allerdings in einem holistischen System, in dem auch die höheren Wahrheiten der Religion und der Kunst mindestens ebenso schwerwiegende »explananda« sind wie die Wissenschaften des Lebendigen und der Psyche. Und innerhalb der philosophischen (holistisch-spekulativen) Wissenschaften unterscheidet Hegel noch einmal zwischen den »concreten« Wissenschaften und der »reinen Wissenschaft« (GW 12, 198, 26) der Logik. In dieser wird letztlich entschieden, was nicht in ein solches holistisches System passt und daher bloße Erscheinung und Phänomen bleibt (vgl. u. 6.3). Der nächste Abschnitt der Idee des Erkennens, die »Idee des Wahren« hat natürlich auch zum Gegenstand, diesen Anspruch gegen andere Erkenntnisarten zu beweisen – in einer holistischen Weise, indem jede als Vereinseitigung dargestellt wird, die nur zusammen mit dem, was sie auszuschließen beansprucht, als »wahr« gelten kann. »Unwahr« sind aber nicht nur bloße Entgegensetzungen, sondern auch die Unterscheidung des Erkennens von Gegenständen, an die es sich angleichen sollte. Der Gegenstand der Erkenntnis muss »selbstreflexiv« verstanden werden, aber, wie wir sehen werden, in einem über moderne Systemtheorien (etwa Luhmanns) deutlich hinausgehenden Sinne. In der Logik geht es aber nicht, wie in der Phänomenologie, primär um diese Kritik des unwahren Wissens. Sie hat es auch nicht mit der Philosophie des endlichen Geistes, sondern mit der »Idee des Geistes […], welche logischer Gegenstand ist« (GW 12, 198, 25) zu tun. Sie setzt die Befreiung des Geistes von seiner Naturgebundenheit in der Geistphilosophie bereits voraus. Diese ist aber erst ganz vollendet, wenn die »letzte Wissenschaft«, die Logik, sich zugleich als die »erste« erwiesen hat, wenn nämlich die absolute Idee am Ende der Logik selber »in die Natur übergeht« (GW 12, 198, 30–31). Das wurde hier im Vorblick auf die absolute Idee schon angesprochen (vgl. S. 657 ff.) und wird am Ende wieder aufgenommen (u. 6.3). Wichtig für die weitere Entwicklung der Idee des Erkennens ist aber, dass wir es zunächst wieder mit einer Art Rückfall zu tun haben. Die Idee des Erkennens tritt 34

Vgl. u. S. 707 mit Anm. 48.

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wieder in ihrer unmittelbaren Form auf und unterscheidet sich von dem, was sie im Erkennen und Wollen zu erreichen hat. Sie ist »der Zweck, der sich realisiren soll, oder es ist die absolute Idee selbst noch in ihrer Erscheinung« (GW 12, 198, 38–199, 1). Hier haben wir es nicht mit dem Kant vorgeworfenen äußerlichen, empirischen Gegenstand der Geistlehre zu tun, sondern mit einer noch unentwickelten Form der Idee, entsprechend dem Erscheinungsbegriff von Hegels Wesenslogik. Solches Herabsetzen bedeutet natürlich auch, dass es noch unexplizierte Formen gibt, die sozusagen in den Gang der Entfaltung der Idee eingeholt werden müssen. Auch darin kann man eine gewisse Abhängigkeit der Wissenschaft der Logik vom Material, in diesem Fall der historisch entwickelten Erkenntnisformen und Handlungstheorien sehen. Jedenfalls befinden wir uns wieder auf einer Stufe der Endlichkeit und haben es wieder mit der »Idee in ihrer Subjectivität, und damit in ihrer Endlichkeit überhaupt« zu tun (GW 12, 198, 37–38) – einer Subjektivität, die nicht mit der absoluten Subjektivität der Struktur des Begriffes verwechselt werden darf. Hegel stellt das Verhältnis der Subjektivität, die nach wahrer Erkenntnis strebt und ihre Zwecke verwirklichen will, zur »Schranke des Subjectiven, die objective Welt« wieder als Schluss mit zwei »Extremen« dar, der »subjectiven Realität« und der »objective[n] Welt« (GW 12, 199, 9–11). Die Einheit beider in der Idee liegt aber auf beiden Seiten schon implizit vor, auf der einen Seite »nur für sich«, auf der anderen nur »an sich« (GW 12, 199, 13). Das Subjekt weiß von der Erkennbarkeit der Welt und ihrer Eignung zur Verwirklichung seiner Zwecke – nicht der Zwecke eines Individuums, sondern der Subjektivität oder des Begriffes »für sich«, d. h. der Vernunft. Darin liegt das implizite Wissen, dass ihre eigentliche Wirklichkeit begrifflich ist und dieselbe Struktur des Differenzierens und Synthetisierens, Urteilens und Schließens hat wie das »Fürsichsein«. Letztlich ist das Erkennen und Wollen dann nur eine Selbsterkenntnis bzw. Selbstentfaltung des Einen, der Idee. Das ist aber erst in der absoluten Idee offenkundig. Das implizite Wissen bzw. die implizite Gewissheit der Begrifflichkeit – im hegelschen, die Objektivität umfassenden Sinne – des Erkennens und Wollens nennt Hegel insgesamt »Idee des Erkennens«. Daher kann er das Wollen des Guten bzw. des Vernünft igen auch als eine Form der Idee des Erkennens behandeln. Aber diese letzte Einsicht muss erst einmal an den Formen des Erkennens und Wollens entwickelt werden, auch wenn diese schon von der »absoluten Gewißheit« (GW 12, 199, 18) der Transparenz der Welt für den Begriff ausgehen. Dafür muss wieder mit einer »Unmittelbarkeit« angefangen werden, oder einer »Erscheinung« der Idee (GW 12, 199, 24–26). In dieser unmittelbaren Form hat das Erkennen auch die objektive Welt wieder unter der »Form der Unmittelbarkeit oder des Seyns« (GW 12, 199, 5–26) zum Gegen-

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stand – dass das »Seyn« selber eine Form einfacher Begriffe ist, weiß man seit Beginn der Seinslogik. Aber auch der (subjektive) Begriff hat eine zunächst einfache Form, nämlich »nur seine einfachen Bestimmungen von Allgemeinheit und Besonderheit; die Einzelnheit aber oder die bestimmte Bestimmtheit, den Inhalt erhält diese Form von Aussen« (GW 12, 199, 28–31). Das erinnert an Fichtes Konzeption, dass die Erkenntnis bestimmter einzelner Fälle außer den Tätigkeiten des Subjekts (Verstand und Einbildungskraft) noch eines »Anstoßes« bedarf. Hegel will aber zeigen, dass das Subjekt selber durch den Nachweis der begrifflichen Struktur des Gegenstandes zum »Einzelnen« wird. Zu Beginn der »Idee des Guten« heißt es: »Indem der Begriff, welcher Gegenstand seiner selbst ist, an und für sich bestimmt ist, ist das Subject sich als Einzelnes bestimmt« (GW 12, 231, 3). Es ist also das Subjekt selber, das sich in der Entfaltung seiner Erkenntnisformen und dem Nachweis der Bestimmtheit der Welt zu ihrer (subjektiven) Aneignung erfüllt und bestimmt.

5.1 Idee des Wahren (GW 12, 199, 32–230, 37) Entsprechend beginnt die Behandlung der Formen des theoretischen Erkennens mit dem »Trieb […], seine eigene Subjectivität aufzuheben, seine erst abstracte Realität zur concreten zu machen, und sie mit dem Inhalte der von seiner Subjectivität vorausgesetzten Welt zu erfüllen« (GW 12, 200, 2–4). Die Aneignung der Welt, die zunächst als »Selbständiges« sozusagen vergessen ist (vgl. GW 12, 199, 35–37), ist keine Anpassung des Subjekts an die Welt, sondern eine Selbsterfüllung. Allerdings eine, die zugleich die Negation der eigenen Isolation und Selbstgewissheit verlangt. Das Subjekt ist keine geschlossene Monade, allenfalls ist »die Seele gewissermaßen die Gesamtheit der Dinge« (Aristoteles, De anima III, 8 431b 25; vgl. ders. (1983) S. 62, Z. 20–S. 63, Z. 12), die ihre eigenen Potentiale durch die Begegnung mit der Welt realisieren muss. Fast wie zu Beginn des Selbstbewusstseinskapitels der Phänomenologie des Geistes beginnt das Subjekt wieder mit der Voraussetzung, dass die Welt gegenüber der »Gewißheit seiner selbst den Werth nur eines Unwesentlichen hat« (GW 12, 200, 7–8). In der Phänomenologie des Geistes war sie zunächst (zu Beginn des Kapitels »Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit des Selbstbewußtseyns; Herrschafft und Knechtschafft«) nur der Stoff seiner Begierde, dann seines Bedürfnisses nach Herrschaft und Anerkennung. Jetzt ist sie der Gegenstand, in dem das Subjekt »die Identität mit sich selbst anzuschauen« (GW 12, 200, 9) sucht – gleichsam der Spiegel seiner selbst. Von adaequatio ad rem oder der Bestimmung des Ichs durch das Nicht-Ich ist in dieser Perspektive auf das Erkennen keine Rede.

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Statt des Verdachtes, dass Hegel das Wollen dem Erkennen unterordnet, gewinnt man hier zunächst den entgegengesetzten Eindruck: der »Trieb der Wahrheit« (GW 12, 200, 15) und zwar gerade der »Wahrheit als theoretischer Idee« (GW 12, 200, 16) scheint nur ein Trieb nach Selbstbestätigung des Subjekts in der Erfüllung mit »Inhalt« (GW 12, 200, 14) zu sein. Hegel geht es in den folgenden Absätzen, bevor er mit den besonderen Erkenntnisformen (a. das analytische Erkennen) beginnt, um das Verhältnis der vorausgesetzten zur angestrebten Einheit von Subjekt und Welt, damit auch von ontologischer zu epistemischer Wahrheit. Die wahre Erkenntnis, insofern sie nur als Errungenschaft des erkennenden Subjekts aufgefasst wird, entspricht noch nicht der Wahrheit der Idee, nachdem die Dinge nur »wahr« sind, wenn sie ihrem Begriff entsprechen. Hegel schreibt hier der Idee die Eigenschaften zu, die nach der traditionellen Metaphysik dem göttlichen Verstand zugehören: Die wahre Existenz der Dinge ist ihre »adaequatio ad intellectum divinum«. Oder wie das traditionelle Naturrecht formulierte: Alle Dinge haben ihre Bestimmung, ihr Telos in ihrem von Gott geschaffenen Begriff und Zweck. Daher kann der Mensch den göttlichen Willen auch im »Buch der Natur« erkennen – eine Position, die noch John Locke teilt. Die Schwierigkeit an Hegels Text liegt hier darin, dass er von verschiedenen Formen von »Unwahrheit« spricht. Es gibt unwahre Erkenntnis im gewöhnlichen Sinne, aber selbst wahre Erkenntnis im Sinne der Übereinstimmung von Begriff und Sache kann noch in doppeltem Sinne Unwahrheit sein: zum einen, weil Sachen ihrem Begriff nicht entsprechen – wie Missbildungen in Natur und Kultur oder auch die generelle Begriffslosigkeit zufälliger Formen der Natur zeigen;35 zum anderen, weil wahre Erkenntnis im Sinne der sachgemäßen Aussage die ontologische Wahrheit der Gegenstände nicht verstanden hat, nämlich dieselbe begriffl iche Struktur und Bestimmung aufzuweisen wie das Subjekt. Für Hegel ist diese Unwahrheit, die den Gegenständen eine letzte Unerkennbarkeit bzw. Begriffslosigkeit zuspricht, »eine unbekannte Dingheit-an-sich hinter dem Erkennen« (GW 12, 201, 6), die wichtigste. Er bezeichnet sie als den »Widerspruch einer Wahrheit, die zugleich nicht Wahrheit seyn soll; – eines Erkennens dessen, was ist, welches zugleich das Ding-an-sich nicht erkennt« (GW 12, 201, 15–18). Man sieht, dass der kantische »Skeptizismus« immer noch der Hintergrund der Entwicklung ist. Das, was das wahre Erkennen erkennt, ist nicht das »an sich« der Dinge, ihre »letzte«, ontologische Wahrheit, ihre eigentliche Existenz 35

Hegel erwähnt später die »67 Arten von Papageyen«, die keine begriffl iche Erfassung mehr ermöglichen (GW 12, 218, 19). In der Enzyklopädie kritisiert er generell den »Reichtum« der Natur als begriffslos (GW 20, § 250). Zur Forderung der Angemessenheit des Objekts mit seinem Begriff vgl. auch GW 12, 174, 30–36.

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und Bestimmung. Oder mit metaphysischen Begriffen: Die Erzeugung und Erkenntnis der Dinge im göttlichen Verstand – als intellectus originarius und intuitivus – ist eine andere als die im menschlichen Verstand. Diese Differenz will Hegel aufheben – oder vielmehr darstellen, dass sie sich aufhebt, wenn man die Erkenntnisformen analysiert. Dann zeigt sich nämlich, dass analytische Erkenntnis oder Begriffsbestimmung und synthetische Erkenntnis, die über solche Analyse hinausgeht und ›erweiternd‹ ist, keine alternativen Methoden, sondern Aspekte einer einzigen sind. Damit fällt auch die Differenz zwischen der Selbsterkenntnis – als transzendentale Analytik – und der des ›An-sich‹ der Gegenstände hinweg: Wenn die wahre Erkenntnis der Gegenstände die ihrer Begriffe ist und diese die Begriffe des Subjekts selber sind, dann erkennt dieses die eigene begriffliche Struktur als das ›An-sich‹ der Gegenstände. Damit ist aber auch die Idee des göttlichen Erkennens im richtig verstandenen und ausgeübten, nämlich dem spekulativen menschlichen Erkennen realisierbar. Ob auch im Sinne des spontanen Erzeugens oder nur der Rekonstruktion, wird uns am Ende noch beschäftigen. Solange aber das »Erkennen noch das endliche, nicht speculative ist, so hat die vorausgesetzte Objectivität noch nicht die Gestalt für dasselbe, daß sie schlechthin nur der Begriff an ihr selbst ist, und nichts besonderes für sich gegen ihn enthält« (GW 12, 201, 29–32). Im Hinblick auf diese letzte, aber erreichbare Bestimmung, sowohl des Erkennens wie seines Gegenstandes, ist eine (»sachlich«) wahre Erkenntnis, die nicht ihre und ihres Gegenstandes Bestimmung erreicht, sondern nur Erscheinungen erkennt, »unwahr«. Das ist der Widerspruch, der sich für Hegel in der begrifflichen Entwicklung dieses Kapitels aufhebt. Die »Idee« des theoretischen Erkennens ist diese vollständige Wahrheit oder die »Wahrheit als theoretische […] Idee« (GW 12, 200, 16). Nach Hegel kann man sie erreichen, wenn man die Einheitlichkeit und Zweckmäßigkeit der grundlegenden und nur scheinbar einander ausschließenden Formen des Erkennens nachweist. Die Hauptunterscheidung dieser Formen ist die zwischen analytischem und synthetischem Erkennen.36 Bei beiden sind die Musterbeispiele der Mathematik – Arithmetik für das analytische Erkennen, Geometrie für das synthetische – entnommen, aber Hegel zielt im Wesentlichen auf philosophische Methoden.

36

Zu Hegels Auseinandersetzung mit der analytischen und synthetischen Methode im Vergleich zu seinen Vorgängern seit Descartes vgl. auch Düsing (1976), S. 296 f., 299 f.

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5.1.1 Das analytische Erkennen (GW 12, 202, 20–208, 35) Hegel befasst sich hier außer mit den mathematischen auch mit begriffsrealistischen und transzendentalphilosophischen Methoden der Analyse. Die ersteren gehen davon aus, »daß die Thätigkeit des subjectiven Begriffs von der einen Seite nur als Entwicklung dessen, was im Objecte schon ist, angesehen werden muß, weil das Object selbst nichts, als die Totalität des Begriffs ist.« (GW 12, 203, 23–25). Der »subjective Idealismus« hingegen nimmt »in der Analyse die Thätigkeit des Erkennens allein für ein einseitiges Setzen […], jenseits dessen das Ding-an-sich verborgen bleibt« (GW 12, 203, 29–31). Die beiden Formen sind aber, genau betrachtet, »nicht zu trennen« (GW 12, 204, 2). Beide setzen einen Gegenstand voraus, dem die analytische Tätigkeit nur äußerlich ist. Der »Realismus« (GW 12, 203, 32) schreibt dem Stoff zwar begriffliche Bestimmungen zu, aber ihre Analyse ist nur die Tätigkeit des Subjekts. Für den »subjective[n] Idealismus« (GW 12, 203, 29) sind die subjektiven Tätigkeiten zwar konstitutiv für das Erkennen, aber der Gegenstand selber existiert noch unabhängig davon (Ding-an-sich). Nicht nur der Gegenstand wird in beiden Arten des analytischen Erkennens von der Tätigkeit getrennt, auch die begrifflichen Bestimmungen bleiben einander äußerlich, werden nicht selber auseinander entwickelt. »Ganzes und Theile, Ursache und Wirkung« und andere Begriffe des rationalistischen Realismus und des transzendentalen Subjektivismus sind »Verhältnisse […], und zwar für dieses formale Erkennen so fertige Verhältnisse, daß die eine Bestimmung an die andere wesentlich geknüpft vorgefunden wird« (GW 12, 204, 26–28). Vorgefunden sind sowohl die Objekte wie auch ihre Bestimmungen, egal ob sie aus einer Analyse der Objekte stammen sollen oder aus den subjektiven Tätigkeiten. Hegel wiederholt hier seine seit Jena vorgetragene Kritik an Kant, wiederum allerdings verbunden mit seinem Lob, dass Kant in der Kritik der reinen Vernunft »die tiefe Bemerkung von synthetischen Grundsätzen à priori aufgestellt und als deren Wurzel die Einheit des Selbstbewußtseyns, also die Identität des Begriffes mit sich, erkannt hat« (GW 12, 204, 37–205, 3). Dass die Einheit des Selbstbewusstseins nichts anderes als die Identität des Begriffs mit sich sei, hat Hegel ja zu Beginn der Begriffslogik zu zeigen versucht. Das Subjekt ist keine jede begriffliche Bestimmung »begleitende« einfache Vorstellung, auch keine »reine« spontane Tätigkeit der Synthese, deren Resultat erst Begriffe sind – um Kants und Fichtes Position umrissweise anzudeuten. Es ist nichts anderes als die Differenzierung und Synthese der Begriffe und – als Selbsterkenntnis – zugleich die Einsicht in die begriffliche Konstitution der Gegenstände. Dass die begriffl ichen Bestimmungen »subjectiv« bzw. »selbstbewegend« (ein schon in der Vorrede der

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Phänomenologie des Geistes gebrauchter Begriff )37 sind, bedeutet, dass sie sich selber von sich unterscheiden, wechselseitig explizieren und gleichwohl in der Ununterschiedenheit einer einfachen Selbstbeziehung (›Ichheit‹) verbleiben. Dies zu zeigen, hat Kant aber in der Kategoriendeduktion nach Hegels Kritik versäumt, weil er »den bestimmten Zusammenhang, die Verhältnißbegriffe und synthetischen Grundsätze selbst, von der formalen Logik als gegeben« aufgenommen habe (GW 12, 205, 3–5). Es ist der bekannte Vorwurf der Abhängigkeit der Kategorientafel von der Urteilstafel. Dass sich die Urteilsformen als immanente Entfaltung aus einem Prinzip darstellen lassen, glaubt Hegel ebenfalls in der Begriffs- bzw. Urteilslogik gezeigt zu haben. Dass sie ihrem Gegenstand in keiner Weise äußerlich sind, war Beweisziel sowohl im Kapitel über die Objektivität wie, auf höherer Komplexitätsstufe, der »Idee des Lebens«. Die beiden voneinander untrennbaren Defi zienzen, die unvollständige Identifizierung des Gegenstandes mit seiner begriffl ichen Entfaltung und die Äußerlichkeit der begrifflichen Bestimmungen untereinander, sind, wie Hegel im Folgenden zu zeigen versucht, auch für den klassischen Fall einer analytischen Erkenntnis charakteristisch, die »Arithmetik und die allgemeinern Wissenschaften der discreten Grösse« (GW 12, 205, 10–11). Hegel diskutiert die mathematischen Erkenntnisformen in der Logik an verschiedenen Stellen. Gegen Ende der Behandlung des analytischen Erkennens weist er ausdrücklich darauf hin: »Ueber die Natur der Analysis, welche sogenannte unendliche Differenzen veränderlicher Grössen betrachtet, der Differential- und Integralrechnung, ist im ersten Theile dieser Logik, ausführlicher gehandelt worden.« (GW 12, 208, 6–7)

Gemeint ist das Kapitel über die Unendlichkeit des Quantums.38 Hegel beruft sich darauf, in diesem Abschnitt gezeigt zu haben, dass dem Rechnen mit »unendliche[n] Differenzen veränderlicher Grössen« eine »qualitative Größenbestimmung zu Grunde« liege (GW 12, 208, 6–9). Wichtig für das Verhältnis zu den Wissenschaften ist die Bemerkung zum »gegenwärtigen Stande der Wissenschaft« (GW 12, 208, 18–19), die sich ähnlich schon in seiner Anmerkung zum mathematischen Begriff der Unendlichkeit findet (GW 11, 154, 1–156, 11). Der Mathematik sei es noch 37

In der Vorrede nennt er die Bestimmungen des Begriffs »reine Selbstbewegungen« bzw. »Seelen« (GW 9, 41, 28). 38 Vgl. die Beiträge von Houlgate und Stekeler-Weithofer in diesem Band.

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nicht gelungen, den Übergang von den endlichen Größenverhältnissen zur Unendlichkeit zu rechtfertigen, er werde vielmehr nur als Resultat »gewöhnlicher analytischer Operationen« (GW 12, 208, 20) vorausgesetzt. An beiden Stellen behauptet Hegel aber auch, dass sich der Begriff der Unendlichkeit prinzipiell der mathematischen Erkenntnis entzieht. An der früheren Stelle hatte er sogar behauptet, die bloß operationale Verwendung von Unendlichkeit sei »unwissenschaft lich« (GW 11, 154, 7–8). Und zwar deshalb, weil die Mathematik sich dadurch metaphysischer Fehldeutungen ihres »Instrumentes« nicht entziehen, »den Umfang seiner Anwendung nicht bestimmen und von Misbräuchen desselben sich nicht sichern kann.« (GW 11, 154, 10–11) Hegel hält, wie er in der Logik der Idee ausführt (vgl. GW 12, 208, 14–17), selbst die leibnizsche Deutung der mathematischen Unendlichkeit für schlechte Metaphysik und zugleich für »unmathematisch« (GW 12, 208, 17). Die adäquate Deutung der Mathematik ist eine Sache der begrifflichen Erkenntnis im Sinne der eigenen (hegelschen) philosophischen Methode – zu der die Entwicklung der Idee des Erkennens hinführt, die aber erst mit der »absoluten Methode« vollständig erreicht ist. Das nicht vollständig reflektierte operationale Umgehen der Mathematik mit ihren »Instrumenten« zeigt sich bei Hegel generell in ihrem Verständnis davon, was ein »Beweis« ist. Mathematische Beweise rechtfertigen die Lösung von Aufgaben durch die Angabe der Prämissen und Regeln (Axiome, Sätze), die dabei verwendet wurden. Diese Sätze sind aber selber nicht in ihrer notwendigen Beziehung aufeinander entwickelt: »Das Analytische bleibt in seiner Thätigkeit bey den Bestimmungen überhaupt stehen, insofern sie sich auf sich selbst beziehen; durch ihre Bestimmtheit aber sind sie wesentlich auch von dieser Natur, daß sie sich auf ein anderes beziehen.« (GW 12, 208, 25–28)

Bei den einfacheren Rechenarten liegt diese Beziehungslosigkeit auch am Gegenstand, den Zahlen als Zusammensetzung »gleichgültiger« Einheiten. Die höheren Rechenarten haben es zwar mit Verhältnissen von Verhältnissen zueinander (z. B. Proportionen) zu tun. Aber diese Verhältnisse bleiben »gegebene« (GW 12, 208, 32), sie sind nicht durch Selbstdifferenzierung eines Begriffs oder einer Regel erzeugt: »Weil aber die abstracte Identität, welche diß Erkennen allein als das seinige weiß, wesentlich Identität des Unterschiedenen ist, so muß sie auch als solche die seinige seyn, und für den subjectiven Begriff auch der Zusammenhang als durch ihn gesetzt und mit ihm identisch werden.« (GW 12, 208, 32–35)

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Hegel bezeichnet daher den Übergang vom analytischen zum synthetischen Erkennen als »Uebergang[] von der Form der Unmittelbarkeit zur Vermittlung, der abstracten Identität zum Unterschiede« (GW 12, 208, 23–25) – natürlich nicht zum »abstracten« Unterschied, sondern dem, in den sich die Identität selbst differenziert, durch den sie sich anreichert (»concret« wird), ohne ihre Identität zu verlieren.

5.1.2 Das synthetische Erkennen (GW 12, 209, 1–230, 37) Auch in diesem Abschnitt behandelt Hegel philosophische und mathematische Methoden und Erkenntnisweisen. Da die neuzeitliche Philosophie dem Modell der Geometrie folgte – formal seit Spinozas Ethica ordine geometrico demonstrata –, liegt diese Verbindung näher als im Abschnitt über das analytische Erkennen. Es geht aber weiter um die »Idee«, also um einen sich differenzierenden und zugleich als Bestimmung (Telos) aller Gegenstände erweisenden Gedanken. »Das synthetische Erkennen geht auf das Begreiffen dessen, was ist, das heißt, die Mannichfaltigkeit von Bestimmungen in ihrer Einheit zu fassen.« (GW 12, 209, 6–9) Es bildet insofern für Hegel die zweite Prämisse eines Schlusses, gegenüber dem analytischen als erste. Denn in diesem wird die begriffliche Struktur des Gegenstandes erkannt, aber in untereinander unverbundenen Bestimmungen. Das Objekt wird als in Wahrheit begrifflich erkannt, seine Identität »als die seinige« (GW 12, 209, 5) des Begriffs. Aber die Mannigfaltigkeit seiner Bestimmungen geht nicht daraus hervor. Auch das synthetische Erkennen, die zweite Prämisse, ist aber noch nicht der Schlusssatz. Hegel konstatiert seinen Mangel gleich zu Anfang. Es konstruiert zwar sein Objekt als eine Einheit mannigfaltiger Bestimmungen, aber noch nicht als ein sich selbst reflektierendes System dieser Bestimmungen. Sie sind im Objekt in »unmittelbarer Einheit« nicht in der sich selbst explizierenden und reflektierenden »wodurch der Begriff als Subject ist« (GW 12, 209, 22–23). Entsprechend ist die Notwendigkeit des Beweisens keine innere der Sache: Das synthetische Erkennen »findet […] Sätze und Gesetze, und beweißt deren Nothwendigkeit, aber nicht als eine Nothwendigkeit der Sache an und für sich selbst, d.i. aus dem Begriffe, sondern des Erkennens, das an den gegebenen Bestimmungen, den Unterschieden der Erscheinung fortgeht« (GW 12, 209, 33–36). Der unvollständigen »inneren« Einheit der Bestimmungen entspricht, wie stets bei Hegel, auch die noch unvollständige bzw. »endliche« (vgl. GW 12, 209, 24–25) Einheit des Erkennens mit seinem Gegenstand:

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»Diß Erkennen verwandelt die objective Welt daher zwar in Begriffe, aber gibt ihr nur die Form nach den Begriffsbestimmungen, und muß das Object nach seiner Einzelnheit, der bestimmten Bestimmtheit finden; es ist noch nicht selbst bestimmend.« (GW 12, 209, 30–33)

Wie das Folgende zeigt, hat Hegel dabei nicht die raumzeitliche und sinnlich wahrnehmbare Einzelnheit vor Augen, sondern einen vollständig durch begriffliche Bestimmungen und ihren systematischen Zusammenhang bestimmten Gegenstand bzw. Sachverhalt. Den Arten des synthetischen Erkennens, die Hegel in Definition, Einteilung und Lehrsatz unterteilt, ist gemeinsam, dass sie aus einfachen Bestimmungen, Definitionen oder Axiomen, Theorien (»Lehrsätze«) ableiten. Der Gegenstand des Wissens wird sozusagen aus seinen theoretischen Elementen zusammengesetzt, er wird nicht in seine begriffl ichen Bestandteile analysiert, wie im vorhergehenden Kapitel. Damit kommen diese Verfahren der Selbsterzeugung eines Systems durch Reflexion auf seine Elemente, wie es die spekulative Logik auf höchster Stufe tut, ein Stück näher. Aber die Wissenschaften und die erörterten philosophischen Methoden bleiben hinter einer solchen vollkommenen Erkenntnis deutlich zurück. Sie bleiben »endlich«, erreichen keine vollständige Denknotwendigkeit ihrer Entwicklung und bleiben mehr oder minder – am wenigsten noch die Geometrie – von ihren Gegenständen abhängig. Es zeigt sich damit aber auch, dass das höchste Erkennen nicht von jedem Gegenstand möglich ist, es gibt eine Hierarchie der Erkenntnisarten und Gegenstandsbereiche – hier folgt Hegel der neuplatonischen Tradition. Vor allem in der Natur gibt es Bereiche, etwa die Artendifferenzierung oder die Mischwesen und Kümmerformen, von denen keine vollständige Erkenntnis möglich ist – sie stellen nicht mehr mit begriffl icher Konsequenz ableitbare Modifi kationen eines Typs dar. Hegels Kritik an den wissenschaft lichen Methoden in diesem Abschnitt hat daher eine mehrfache Funktion. Erstens will sie den Wissenschaften nachweisen, dass sie den höchsten Grad von Wissenschaft lichkeit oder Erkenntnis nicht erreichen. Zweitens will Hegel den Grenzüberschreitungen der Wissenschaften wehren und, ähnlich wie Kant, ihnen den Bereich zuweisen, in denen ihre Methoden zu gültigen Aussagen führen können. Drittens will er den Übertragungen wissenschaft licher Methoden auf die Philosophie entgegentreten, so wie sie in der Orientierung an der geometrischen Methode, etwa bei Spinoza, oder an der synthetischen Methode im skizzierten allgemeineren Sinn, wie in der Wolffschen Metaphysik, vollzogen wurden. In dieser Art der Metaphysikkritik beruft er sich am Ende des dritten Abschnitts auf Kant und

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Jacobi. Und mit Jacobi (nach seinem Verständnis) plädiert er schließlich dafür, dass eine über die Wissenschaften hinausgehende Erkenntnis der Unendlichkeit oder des Absoluten möglich ist. Allerdings einer »wahren« Unendlichkeit der sich selbst erkennenden Einheit absoluter Gegensätze, der coincidentia oppositorum (vgl. GW 12, 227, 5–12 u. u. Kap. 6.2). Trotz dieses Erkenntnisziels jenseits der Wissenschaften enthält das Kapitel Überlegungen zu Problemen der Wissenschaften, die durchaus aktuell sind. Das gilt nicht nur für die Überwindung des Gegensatzes zwischen analytischer und synthetischer Erkenntnis.39 Es gilt auch für Probleme der Definition, der Systematik der Lebewesen oder der Mathematisierung der Naturwissenschaften. Darauf kann hier nur kursorisch hingewiesen werden. Im Vordergrund soll weiter die Frage nach dem Verhältnis der Philosophie zu den fortschreitenden Erkenntnissen und Falsifizierungen in den Wissenschaften stehen – und vermittelt über deren »Realismus« auch zu einer denkunabhängigen Wirklichkeit (s. u. Kap. 6.3).

5.1.2.1 Die Definition (GW 12, 210, 3–214, 39) Dass Hegel die Probleme der Definitionstheorien zum Anlass nimmt, auch diesem ersten Schritt einer systematischen und beweisenden Wissenschaft Abhängigkeit von der zufälligen Beschaffenheit seiner Objekte anzulasten, nimmt in Hinsicht auf sein Erkenntnisziel nicht wunder.40 Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die Realdefinition41: »Das Einzelne ist das Object selbst als unmittelbare Vorstellung, dasjenige, was definirt werden soll« 39

Wie sie – auf weniger spekulative Weise – auch in der modernen Erkenntnistheorie postuliert wird; vgl. Quine (1953). Zum Verhältnis von Hegels Aussagen über die analytische Erkenntnis zur analytischen Philosophie der Gegenwart (am Beispiel Russells) vgl. Gerhard (2015), S. 139–141. 40 Eine Schwierigkeit dieses Textes (vor allem GW 12, 210, 30–211, 5) ist der verschiedene Gebrauch der Begriffe »subjectiv« und »einzeln« in ihrer teils gewöhnlichen, teils ›hegelschen‹ Bedeutung. Dass das Objekt »noch nicht subjectiv« ist, heißt, dass es noch nicht die Einheit der Begriffsmomente (spekulative »Einzelnheit«) besitzt. Mit dem »subjectiven« Erkennen und seinem »äusserlichen Anfang« ist dagegen das von der zufälligen Beschaffenheit des Gegenstandes noch abhängige (nicht objektiv-wissenschaft liche) Erkennen gemeint. In der Rede vom »äusserlichen Anfang[] am Einzelnen« (GW 12, 210, 35–211, 1) ist offenbar die gewöhnliche Bedeutung von »einzeln« gemeint, während kurz zuvor vom Begriffsmoment der »Einzelnheit« als »Reflexion der Begriffsmomente in sich selbst« die Rede war (GW 12, 210, 31–32). 41 So auch Düsing, (1976, S. 300), der die Beziehungen der Realdefi nition zu Hegels Urteils- und Schlusslehre herausarbeitet (ebd., S. 301). Davon zu unterscheiden ist die »vollkommene, reelle Definition« (GW 12, 223, 35), die Hegel erst dem Lehrsatz (an dieser Stelle dem pythagoreischen) zuschreibt.

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(GW 12, 210, 9–10). In diesem Fall ist die Definition aber von den einzelnen Dingen in der Zufälligkeit ihrer Existenz und der Eigenschaften, aus der die definierenden ausgewählt werden, abhängig: »Der concrete Begriff selbst ist damit ein Zufälliges nach der gedoppelten Seite, einmal nach seinem Inhalte überhaupt, das andremal darnach, welche Inhaltsbestimmungen von den mannichfaltigen Qualitäten, die der Gegenstand im äusserlichen Dasein hat, für den Begriff ausgewählt werden, und die Momente desselben ausmachen sollen.« (GW 12, 211, 2–6)

Die antiken Diskussionen über den Menschen als zoon logon echon oder als aufrechtgehendes, zweibeiniges, ungefiedertes Lebewesen etc. sind Illustration genug. Neben den aristotelischen Bestandteilen des genus proximum und der differentia specifica diskutiert Hegel die Methode des einzigartigen charakterisierenden Merkmals und der Aufzählung von Eigenschaften, die mehr oder minder klar bei den zu Definierenden – bzw. unter die Definition zu subsumierenden Eigenschaften – anzutreffen sind. Man kann hier an Wittgensteins Familienähnlichkeit denken, die einer bestimmten Gruppe von Gegenständen in größerer Zahl und in höherem Maße zuzuschreiben sind als anderen Gruppen. Die Schwierigkeiten mit dieser Bestimmung hat Hegel teilweise schon seit den Kapiteln über die Wahrnehmung und die beobachtende Vernunft in der Phänomenologie des Geistes diskutiert: Wie verhalten sich die Eigenschaften untereinander, kann man wesentliche von unwesentlichen unterscheiden, wie lange müssen sie einem Gegenstand angehören und in welchem Grade müssen sie realisiert sein?42 Hegel geht in diesem Zusammenhang auch auf ontologische und normative Aspekte ein. Der Begriff einer Sache ist ja, wie wir schon gesehen haben, zugleich das Telos und die Norm ihrer Entwicklung: »Etwas Wirkliches zeigt daher wohl an sich, was es seyn soll« – eine alte These des Naturrechts –, »aber es kann auch nach dem negativen Begriffsurtheil, ebensosehr zeigen, daß seine Wirklichkeit diesem Begriffe nur unvollständig entspricht, daß sie schlecht ist« (GW 12, 213, 37–214, 1). Das negative Begriffsurteil von der Form »die Rose ist nicht roth« (GW 12, 68, 1–2) verweist nach Hegel indirekt auf eine wesentliche Eigenschaft, in diesem Falle die Farbe oder sogar spezieller die »Rosenfarbe« (GW 12, 68, 30).43 Von den negativen Urteilen 42

Dass dies noch heute Probleme der Defi nition sind, zeigen etwa die Versuche, Phänomene wie »Religion« trennscharf zu definieren; vgl. Alston (1964), S. 88. 43 Hegel spielt hier aber nur auf die übliche Form der negativen Urteile an, nicht auf

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sind hier aber die gemeint, die auf das Fehlen einer wesentlichen Eigenschaft hinweisen. Hegels Beispiele lauten: »In einer schlechten Pflanze, einer schlechten Thiergattung, einem verächtlichen Menschen, einem schlechten Staate sind Seiten der Existenz mangelhaft oder ganz obliterirt, welche sonst für die Definition als das Unterscheidende und die wesentliche Bestimmtheit, in der Existenz eines solchen concreten genommen werden konnten.« (GW 12, 214, 6–10)

Hegel meint mit diesem »schlecht« Verschiedenes: sowohl das schlecht bestimmbare bei Arten, die nicht klar abgrenzbar oder Mischungen sind (»schlechte Tiergattung«) wie »unreife« oder »verkümmerte« Lebewesen, und schließlich Institutionen, die ihren Prinzipien und Zwecken nicht entsprechen. Genannt werden im Text »Mißgeburten« wie Anencephale oder in Hegels damaliger Terminologie »Acephale[]«, aber auch »despotische[] Staaten und tyrannische[] Regierungen«, die ihrer Aufgabe des »Schutzes von Leben und Eigenthum« nicht nachkommen (GW 12, 214, 13–17). Das negative Urteil »dieser Staat ist kein freiheitlicher« würde daher implizit auf das hinweisen, was ein Staat sein soll. Hegel zieht daraus verschiedene Schlüsse: Erstens, die Definition verliert ihre »Beglaubigung […] an der Erscheinung« (GW 12, 214, 18) und erweist sich als gedankliche These über das Wichtige (»Selbstständigkeit des Begriffes«; GW 12, 214, 19). Im Beispiel: Weder die Definition des Staates noch die des Menschen ist von den empirischen Fällen abgelesen. Sie enthält vielmehr eine Norm oder eine Bestimmung, denen solche Fälle in unterschiedlichem Maße entsprechen. Zweitens bleiben auch solche ›Kümmerformen‹ noch innerhalb der definierten Gattung (»noch eine Pflanze, Thier u.s.f.«, GW 12, 214, 10–11). Daraus folgt auch normativ, dass den defizienten Formen des Menschen noch Würde und Respekt zukommt, dem »kranken«, nämlich despotischen Staat noch Gehorsam (s. o. S. 662). Das Letztere ist offenbar eine für Abwehr- und Widerstandsrechte desaströse These.44 Es fragt sich zudem, ob die »schlechte« Existenz von Mischwesen, Missgeburten etc. nicht deren spekulative Deutung als eine Form der Vermittlung der Begriffsmomente von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit (GW 12, 64, 17–69, 21). 44 Vgl. Siep (2015), S. 73–78. Am Anfang des Abschnitts (GW 12, 175, 29–37) hat Hegel ja darauf hingewiesen, dass Staaten, die noch verhindern, dass Individuen »zu Grunde gehen« der Idee noch entsprechen (vgl. o. S. 662). Die Idee des Staates ist nicht, wie bei Kant, ein »Urbild für ein Maximum« (GW 12, 174, 21). Damit ist sie aber auch kein Maßstab für schuldigen Gehorsam, sondern der Grund für eine reale Institution. Auch Kant kennt allerdings nach meiner Deutung kein Widerstandsrecht (Siep (2015), S. 39 f.).

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doch eine zumindest ontologische Wertung (des Abstandes von der wahren Existenz) enthält. Hegels Konsequenzen entsprechen seinem ontologischen Wahrheitsbegriff: Die Adäquationswahrheit (»Uebereinstimmung des in der Definition subjectiv gesetzten Begriffs und eines ausser ihm wirklichen Gegenstandes«, GW 12, 214, 24–25) ist unzureichend. Es kommt auf die Übereinstimmung des Gegenstandes mit seinem begrifflichen Telos an, ob der Inhalt der Definition »an und für sich Wahrheit« über ihn enthält (GW 12, 214, 23). Solange die Definition »aus dem unmittelbaren Daseyn genommen« (GW 12, 214, 27–28) ist, hat sie weder die innere Notwendigkeit eines Prinzips, aus dem seine Bestimmungen folgen, noch trifft sie mit Sicherheit den Gegenstand in seinen wesentlichen Bestimmungen. Bemerkenswert ist aber, dass Hegel der Arteneinteilung der Lebewesen und der Ableitung allgemeiner Bestimmungen aus der Totalität »concreter Objecte der Natur sowohl als auch des Geistes«, doch Brauchbarkeit und einen Vorgriff auf Vernunft einräumt (GW 12, 212, 1–2). Der »Erfindung der Gattungen in der Natur und im Geiste45« (GW 12, 213, 20–21) wohne »ein dunkles Gefühl, ein unbestimmter aber tieferer Sinn, eine Ahndung des Wesentlichen« inne (GW 12, 213, 19–20). Sie dürfen aber nicht bloß »abstrahirend seyn, sondern [sollten] in dem Allgemeinen das Bestimmte des Concreten noch erhalten, dasselbe vereinigen und von der einfachen Gedankenbestimmung abhängig zeigen« (GW 12, 212, 25–27). Man kann daraus vielleicht für das Verhältnis der Logik zu den Wissenschaften entnehmen, dass die Logik deren Begriffe und Einteilung durchaus übernehmen kann, um sie dann weiter zu systematisieren bzw. aus einer einheitlichen Begriffsentwicklung zu »rekonstruieren«. Die letztere hat aber ihr Fundament vor allem in der Erkenntnis der höheren metaphysischen Gegenstände – der wahrhaften Unendlichkeit und der als Subjektivität verstandenen Idee.

5.1.2.2 Die Einteilung (GW 12, 215, 1–220, 3) Im hegelschen Verständnis von »Allgemeinheit«, als unentwickeltes Ganzes von Bestimmungen, und »Besonderem«, als deren explizite Differenzierung, hat es die Definition mit dem Ersteren zu tun. Als Einheit von genus proximum und differentia specifica oder als Aufzählung von charakteristischen 45

Beim letzteren stellt sich die Frage, was Hegel mit der »Erfi ndung der Gattungen […] im Geiste« meint. Ob er damit auf Kunstgattungen oder die Unterscheidung von Volksgeistern anspielt, kann hier nicht genauer untersucht werden.

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Eigenschaften gilt von ihr aber, dass sie »schon selbst mit dem Besondern anfängt« (GW 12, 215, 4–5). Dieses Besondere unterscheidet sich von anderem und daher hat die Definition einen internen Bezug zur Einteilung: Sie enthält etwa die Einteilung in vernunftbegabte und vernunft lose Lebewesen. Während der Vorgang des Definierens aber »zum Extrem der Allgemeinheit aufsteigt« (GW 12, 215, 11), ist die Einteilung eine »Disjunction des Allgemeinen« (GW 12, 215, 13), sie macht die in ihr enthaltenen Unterscheidungen explizit. Sie muss aber, wenn sie »durch die Form des Begriffs bestimmt« (GW 12, 215, 15) ist, nicht von einer einzelnen Definition ausgehen, sondern vom Prinzip eines ganzen Wissensgebietes. Dann ist das Allgemeine »Grundlage und Möglichkeit einer synthetischen Wissenschaft, eines Systems und systematischen Erkennens« (GW 12, 215, 18–19). Man kann dabei an Kants Vorgehen denken, aus der »Idee« eines Sachgebiets die Einteilung seiner philosophischen Behandlung zu entwickeln.46 Hegel verteidigt im Folgenden eine solche im weiteren Sinne deduktive Methode – nicht in dem des Analysierens von Prämissen nach dem Satz vom Widerspruch – gegen eine Induktion, die vom konkreten anschaulichen Gegenstand zu Prinzipien aufsteigt: Das »Anschaubare, also die concrete Wirklichkeit zum Anfang der Wissenschaft zu machen« (GW 12, 215, 29–30), sei für das Erkennen nicht adäquat. Dieses habe sich von Anfang an von der Anschauung zu trennen, »es wird nicht mehr ein naturgemäßer, sondern ein Erkenntnißgemäßer Weg verlangt« (GW 12, 215, 36–37). Ein systematisch-synthetisches Erkennen muss mit einfachen Gedankenbestimmungen beginnen, nicht mit dem »Concrete[n], welches eine vielfache Verknüpfung von solchen Gedankenbestimmungen und deren Verhältnissen ist« (GW 12, 216, 2–3). Hegel benutzt hier offenbar den Terminus »concret« sowohl im gewöhnlichen Sinne wie in seinem eigenen als ›zusammengewachsen‹ aus gedanklichen Bestimmungen. Für den Beginn einer Wissenschaft mit einfachen, aber aus der sinnlichen Erfahrung gewonnenen Elementen gibt Hegel eine Reihe von Beispielen aus der Geometrie, der Physik und der Sprachwissenschaft an. Sogar im Blick auf das »Lesenlernen« (GW 12, 216, 13) plädiert er für die Buchstabenmethode statt der – in der modernen Pädagogik zeitweise bevorzugten – Ganzheitsmethode. Auch für die »Erkenntniß der organischen Natur und der Welt des Geistes« (GW 12, 217, 16) gilt: »allenthalben muß das Abstracte den Anfang und das Element ausmachen, in welchem und von welchem aus sich die Be46

Kant entwickelt die Einteilungen in der Regel am Ende der Einleitungen seiner systematischen Schriften, so etwa in der Metaphysik der Sitten, vgl. Kant (1914 [1797]), S. 218, 236, 239, 242.

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sonderheiten und die reichen Gestalten des Concreten ausbreiten« (GW 12, 217, 17–19). Es genügt aber für Hegel nicht, wenn Wissenschaften mit Prinzipien beginnen. Denn jedes dieser Prinzipien steht selber im Verhältnis der »Einteilung« zu anderen. Dies nicht zu reflektieren, ist ein Topos der philosophischen Wissenschaftskritik bis heute. Fichte hatte daher der Philosophie die Aufgabe zugewiesen, die Grundsätze der Wissenschaften selbst zu abgeleiteten Sätzen im System der Philosophie oder »Wissenschaftslehre« zu machen.47 Noch Martin Heideggers berühmter Satz, »die Wissenschaft denkt nicht«,48 zielt auf den Punkt, dass Wissenschaften mit Voraussetzungen beginnen, die ein Feld ihrer Forschungen abstecken, aber nicht auf das umfassende menschliche Selbst- und Seinsverständnis bezogen werden. Für Hegel führt die unvermittelte Setzung eines Anfangsprinzips sogar in einen unendlichen Begründungsregress: »[D]iß Allgemeine ist schon selbst ein bestimmtes, und damit nur ein Glied der Eintheilung. Es gibt daher ein höheres Allgemeines für dasselbe; für diß aber von neuem ein höheres, und so zunächst fort ins unendliche.« (GW 12, 217, 21–24)

Wenn man diese Reihe abbricht, wie heute etwa in der Naturwissenschaft bei der Physik der Elementarteilchen, dann droht ein Reduktionismus, der oft der emergenten Komplexität höherer Stufen (vom organischen Leben bis zur Kultur) nicht gerecht wird. Wird dies zur umfassenden philosophischen These, so droht ein Physikalismus mit einem überzogenen Anspruch der Wirklichkeitsdeutung (metaphysischer Materialismus). Hegel will demgegenüber in der Naturphilosophie zeigen, dass noch Voraussetzungen wie Materie, Raum und Zeit in einem umfassenden Entwicklungsgang gedanklicher Verhältnisse geklärt werden können. Das lässt eine gegenüber jedem wissenschaft lichen Reduktionismus eigenständige Geltung und Struktur von Wirklichkeitsdimensionen zu. Inwieweit dies in der Logik am Ende zum Beweis eines Geistmonismus mit Zügen einer philosophischen Theologie führt, ist unsere erste Leitfrage. Probleme mit den Setzungen eines Einteilungsgrundes, der zur Gliederung eines Wissenschaftsgebietes und seiner Gegenstände tauglich ist, gibt es aber auch innerhalb der Wissenschaften selber. Hegel diskutiert sie wieder am 47

Bereits in seiner frühen Schrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre, vgl. Fichte (1965a [1794]). 48 Vgl. Heidegger (1954), S. 133.

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Beispiel der biologischen, vor allem zoologischen Arten: »Das Verhältniß der Glieder einer Eintheilung zu einander, der Arten, hat nur diese allgemeine Bestimmung, daß sie nach dem angenommenen Eintheilungsgrund bestimmt gegen einander seyen« (GW 12, 218, 6–8). Dafür stellen die Wissenschaften Regeln auf, von denen Hegel besonders zwei diskutiert: die vollständige Aufzählung aller vorgefundenen Arten, Subspecies und Familien innerhalb einer Gattung einerseits und die Bedeutung der Merkmale für die Erhaltung der Gattung andererseits. Die erste scheint ihm völlig unbrauchbar, der zweiten Methode räumt er mehr Bedeutung ein. Wichtig für unsere Fragen ist die Tatsache, dass nach der ersteren die Einteilung der Arten von der Empirie abhängig bleibt – bei neuen Entdeckungen, seit der Evolutionstheorie auch von neuen Artbildungen, muss der Artbegriff und die Einteilung geändert werden. Hegel sieht darin eine Schwäche der Naturwissenschaften und – sozusagen ontologisch – ihres Gegenstandes: »Die physische Natur bietet von selbst eine solche Zufälligkeit in den Principien der Eintheilung dar« (GW 12, 219, 3–4), dass eine vollständige und bleibende Systematik unmöglich wird. Das mag der für Hegel zeitgenössischen Biologie nicht klar gewesen sein, von der heutigen evolutionären Biologie aus ist es selbstverständlich. Für Hegels Anforderungen an ein wissenschaft liches System liegt darin aber eine Defizienz. Die Unterschiede der Arten sind bloß äußerliche Abgrenzungen und weit entfernt von Vollständigkeit und Endgültigkeit. Eine solche ist nur bei einem Begriff bzw. Prinzip möglich, das sich nicht in »verschieden[e]«, sondern »entgegengesetzt[e]« Bestimmungen entfalten lässt (GW 12, 219, 14). Nur die »negative Einheit des Begriffs«, der sich in ausschließende Gegensätze unterscheidet (»Disjunction«, GW 12, 219, 15–16) und deren Aufhebung sich im hegelschen Sinne als differenzierte, »concrete« Einheit erweist, kann zu einer vollständigen Systematik führen. Eine Vorahnung dieser Begriffsnatur, einen »Instincte der Vernunft« (GW 12, 219, 23) schreibt Hegel der zweiten Methode zu, die Lebewesen nach den Organen ihrer Erhaltung und Verteidigung – »Freßwerkzeuge, Zähne und Klauen« (GW 12, 219, 26) – einzuteilen. Dabei handele es sich um einen »zwar nicht aus-, doch weitreichenden Eintheilungsgrund« (GW 12, 219, 37). Und zwar nicht dadurch, dass »in jenen Organen nicht nur ein Unterscheiden, das einer äussern Reflexion zukommt«, vorliegt, »sondern sie sind der Lebenspunkt der animalischen Individualität, wo sie sich selbst von dem Andern der ihr äusserlichen Natur als sich auf sich beziehende und von der Continuität mit anderem ausscheidende Einzelnheit setzt« (GW 12, 219, 30– 33). Die Bedeutung dieses Einteilungsgrundes liegt nicht nur darin, dass er es mit der Selbstunterscheidung der Art gegen andere zu tun hat. Vielmehr

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haben wir es hier wieder – wie schon beim Keim – mit der realen Existenz eines Begriffsmoments zu tun. In der sich »ausscheidende[n] Einzelnheit« (GW 12, 219, 33) fallen begriffl iche Bestimmung und sinnlich-materielle Existenz zusammen. Durch seine artgemäßen Erhaltungs- und Verteidigungswerkzeuge sondert sich das animalische Individuum von seiner Umgebung, vor allem von den Feinden und Konkurrenten ab. Wir haben ja am Ende der Idee des Lebens gesehen, dass die Selbstnegation in Gestalt der Individualisierung und deren Aufhebung im Prozess der Reproduktion der Gattung die höchste Form der Verwirklichung des Begriffs in der Natur war. Für das Leben der Pflanze ist der »Uebergang in die Geschlechtsdifferenz, und damit in die individuelle Einzelnheit« (GW 12, 219, 35–36) die höchste Form dieser Verwirklichung, auch wenn die Befruchtung nicht aktiv angestrebt, sondern durch Vermittlung der Bestäubung etc. durchgeführt wird. Daher ist für Hegel die Systematik aufgrund der »Befruchtungstheile« die dem Begriff nächste. Das heißt nicht nur, dass diese Systematik für das Erkennen besonders geeignet ist, sondern auch, dass diese Merkmale »real existieren« und den lebenden Individuen zu ihrer Existenz verhelfen. Natürlich ist es nicht das Wort »Klaue«, durch das sie sich verteidigen. Aber die dadurch erfasste Sache ist keine bloß materielle, sondern eine begriffliche – in der Nachfolge der aristotelischen Herrschaft der Form über die Materie.49 Das scheint mir jedenfalls die den Text am wenigsten »verwässernde« Bedeutung.

5.1.2.3. Der Lehrsatz (GW 12, 220, 3–230, 37) Hegel hat den Abschnitt über den Lehrsatz noch einmal zweigeteilt – mittels der Ziffern 1 und 2 (s. GW 12, 220 und 224) –, ohne dass er den Unterabschnitten eigene Überschriften gegeben oder die Zweiteilung erläutert hätte. Im ersten Abschnitt (GW 12, 220–224) geht es zunächst um den Unterschied zwischen den drei Elementen des synthetischen Erkennens (Definition, Einteilung, Lehrsatz) und ihre Zuordnung zu den Begriffsmomenten der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Dann diskutiert Hegel, vor allem am Beispiel Euklids, das Verhältnis zwischen Definition und Lehrsatz sowie das der Lehrsätze untereinander. Der zweite Unterabschnitt (GW 12, 224–230) beginnt mit dem gesperrt (hier kursiv) gedruckten Begriff der Vermittlung. 49

Wie sie heute wieder gegen eine Trennung von Begriff und begriffsloser Materie bzw. Gegebenheit von John McDowell (1996) erneuert wird.

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Hegel behandelt dabei vor allem das Verhältnis zwischen Lehrsatz und Beweis, in der Geometrie auch das zur Konstruktion. Ab der Hälfte des zweiten Teils (GW 12, 227) geht er aber auf die Übertragung der geometrischen Methode auf andere Wissenschaften ein, vor allem am Beispiel von Spinoza und Wolff. Dieser Teil endet mit einer Fortführung der Kritik Kants und Jacobis an der Wolffschen Metaphysik (GW 12, 229, 4–230, 11) und dem Übergang zur praktischen Idee (GW 12, 230, 12–37). (1.) Hegels unter dem Titel »Lehrsatz« behandelte Erkenntnisarten, vor allem in der Geometrie und in der Metaphysik der Frühen Neuzeit, haben es mit dem Begriffsmoment der »Einzelnheit« zu tun. In seiner eigenen Begrifflichkeit ist das die »sich auf sich beziehende Bestimmtheit, der Unterschied des Gegenstands in sich selbst, und die Beziehung der unterschiedenen Bestimmtheiten auf einander« (GW 12, 220, 8–10). »Gegenstand« ist sicher nicht ein sinnlich wahrnehmbares Ding, eher der Gegenstand einer Untersuchung oder ein Sachverhalt. Dessen begrifflich erfassbare Eigenschaften sowie seine internen und externen Relationen sollen vollständig und in ihrer Notwendigkeit erkannt sein. Wenn es etwa in einem Lehrsatz von Spinozas Ethik (Teil I, Satz 11) heißt: »Gott oder die aus unendlichen Attributen bestehende Substanz, von denen ein jedes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt, ist nothwendig da«,50 dann ist der »Gegenstand« Gott vollständig bestimmt und der Satz lässt sich aus den vorausgegangenen Definitionen und Axiomen nach Spinoza zweifelsfrei beweisen. Hegel wird zwar auch Spinozas Prämissen Willkürlichkeit vorwerfen und den Beweis daher anzweifeln, aber als Beispiel für die vollständige interne Bestimmtheit eines Gegenstandes durch einen Lehrsatz erscheint er geeignet. Wesentlich ist dabei die Entfaltung und die innere (Denk-) Notwendigkeit der Bestimmungen: »Die Definition enthält nur Eine Bestimmtheit, die Entheilung die Bestimmtheit gegen andere; in der Vereinzelung ist der Gegenstand in sich selbst aus einander gegangen« (GW 12, 220, 10–13). Diese innere (vollständige) Bestimmtheit macht auch die »Realität« des Gegenstandes aus. Daher ist für Hegel die Einheit von Definition und Lehrsatz zugleich die »Einheit des Begriffes und der Realität«, die eben die Idee ausmacht (GW 12, 220, 16). Realität ist ja für Hegel nicht außerbegriffl iche (sinnlich erfassbare, materielle) Wirklichkeit, sondern vollständige Bestimmung eines Gegenstandes – im obigen Sinne – durch schlüssige Gedanken. Mit Spinoza gesprochen: es handelt sich um durch sich selbst begreifbare Gegenstände (für Spinoza bekanntlich nur ein einziger).

50

Spinoza (1967 [1677]), S. 99.

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In den Wissenschaften, die Hegel hier behandelt, die Geometrie und die rationale Metaphysik, ist eine solche autonome, durch ihre eigenen gedanklichen Bestandteile bestimmte und erkennbare »Realität« aber nicht gegeben: »[D]as hier betrachtete, noch im Suchen begriffene Erkennen kommt zu dieser Darstellung insofern nicht, als die Realität bey demselben nicht aus dem Begriffe hervorgeht« (GW 12, 220, 17–19). Eine aus dem Begriff hervorgehende Realität setzt allerdings auch besondere Bestimmungen voraus, die nicht die »einfachen und unmittelbaren Begriffsbestimmungen zu ihrem Verhältnisse haben« (GW 12, 220, 35–36). Hegel nennt sie »Realitätsbestimmungen« (GW 12, 220, 35). Man kann vermuten, dass es sich um Bestimmungen handelt, wie sie in dem Abschnitt »Objektivität« und dem Kapitel »Idee des Lebens« behandelt wurden. Dann würde verständlich, warum der Begriff in der hier erreichten »Einzelnheit […] zum Andersseyn zur Realität, wodurch er Idee wird, übergegangen« sei (GW 12, 220, 36–37). Über die »Realitätsbestimmungen« würden dann auch wieder Inhalte der Wissenschaften (mit ihrer Abhängigkeit von der Empirie) Eingang finden. Sie müssen aber vollständig durch den Begriff rekonstruierbar sein. Eine Abhängigkeit von Sinnlichkeit und »Vorstellung« darf es auf der Ebene der logischen Rekonstruktion nicht mehr geben, ebenso wenig wie ein »Außerbegriffliches« gegenüber dem Begriff im hegelschen Sinne. Hegel kommt auf die »Bestimmtheiten der Realität des Begriffes« (GW 12, 222, 13–14) zurück, nachdem er zunächst die Unzulänglichkeit der formalen Verhältnisse zwischen Lehrsätzen und Definitionen herausgestellt hat. Er erläutert sie vor allem am Verhältnis zwischen Definitionen, Axiomen und Lehrsätzen in der Geometrie des Euklid, »welcher von jeher als Meister in dieser synthetischen Art des Erkennens mit Recht anerkannt worden« (GW 12, 221, 18–20). Euklid habe Definitionen und Axiome, die nach Hegel »zu derselben Classe« wie die ersteren gehören (GW 12, 221, 36), vorausgesetzt. Das Parallelen-Axiom etwa habe er nicht, wie das für eine philosophisch-begriffliche Erkenntnis notwendig sei, aus dem »Begriffe der Parallel-Linien« abgeleitet bzw. bewiesen (GW 12, 221, 28). Das aber zu Recht, denn weder ein solcher Beweis noch die »Deduction seiner Defi nitionen, Axiome und überhaupt seines Gegenstandes, 51 des Raums selbst und der nächsten Bestimmungen desselben, der Dimensionen« (GW 12, 221, 30–31) gehöre zur Geometrie. Sie sind für diese »nothwendig Voraussetzungen, relative Erste« (GW 12, 221, 34). Damit machen sie eine »Deduction […] nur aus dem Begriffe« (GW 12, 221, 32) in einer Philosophie der Natur notwendig. 51

Dies ist ein Beleg für Hegels Begriff von »Gegenstand«, unter den der Raum als solcher gehört.

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Hegel stellt aber zunächst allgemein fest, dass Axiome, die keine Tautologien sein sollen, aus Sätzen »irgend einer andern Wissenschaft« (GW 12, 222, 2) stammen müssen, also selber abgeleitete Sätze oder Lehrsätze sind. Sie stammen – hier ist nicht klar, ob Hegel nur die Geometrie meint – »meist aus der Logik« (GW 12, 222, 4). Das »Hauptaxiom[]« der Geometrie sei der in Hegels Schlusslogik behandelte »rein quantitative[] Schlu[ß]« (GW 12, 222, 7–8). Hegel bezieht sich dabei offenbar auf die »vierte Figur« (GW 12, 104, 22) des Schlusses des Daseins, den er auch den »mathematische[n] Schluß« (GW 12, 104, 22) nennt. Er hat es mit Größenvergleichen zu tun und hat die für Hegel Arithmetik und Geometrie übergreifende Grundform: »Wenn zwey Dinge oder Bestimmungen einem Dritten gleich sind, so sind sie unter sich gleich« (GW 12, 104, 23–24).52 Ob dies in der Tat das Hauptaxiom der Geometrie darstellt, ist für das Verständnis der Idee des Erkennens weniger wichtig als die Verhältnisse des »Inhaltes der Lehrsätze« (GW 12, 222, 12). Hegel diskutiert sie ebenfalls an der euklidischen Geometrie. Die Folge dieser Lehrsätze in der Art, dass »für jeden Lehrsatz diejenigen Sätze, die zu seiner Construction und Beweis erforderlich sind, sich immer schon als früher bewiesen vorfinden« (GW 12, 222, 36–38), ist für Hegel zwar in der Geometrie »[z]weckmäßig[]« (vgl. GW 12, 223, 1), sie entspricht aber nicht der Idee des Erkennens, die »ein höheres Princip der Nothwendigkeit des Fortgangs« fordert (GW 12, 223, 2–3). Die Definitionen, von denen die Lehrsätze des Euklid ausgehen, »fassen nemlich den sinnlichen Gegenstand als unmittelbar gegeben auf, und bestimmen ihn nach seiner nächsten Gattung und specifischen Differenz« (GW 12, 223, 3–5), also den Bestandteilen der aristotelischen Definitionslehre. Mit »sinnlich« ist hier aber kein einzelner wahrnehmbarer Gegenstand gemeint, denn die euklidischen Lehrsätze haben es mit Punkten, Linien, Winkeln, Mehrecken und Kreisen zu tun, von denen sinnliche Gegenstände allenfalls approximative Instantiierungen sind. Hegel führt später aus, dass die Geometrie den »Raum, – ein unsinnlich sinnliches« (GW 12, 226, 15), behandle. Damit sei sie für ihre Evidenz aber an die Anschauung und dadurch doch an das »Sinnliche überhaupt« (GW 12, 226, 26) gebunden. Dennoch gesteht er (an der früheren Stelle auf S. 224) dem »Fortgang« der euklidischen Lehrsätze zu, dass er eine vollständige Bestimmung des Gegenstandes und damit ein »Uebergang vom Allgemeinen zur Einzelnheit, nemlich zum an und für sich bestimmten oder der Einheit des Gegenstands in sich 52

Innerhalb der Urteils- und Schlusslogik muss die Funktionalität bzw. Zweckmäßigkeit eines Axioms für die vollständige Entwicklung und Synthese eines Systemteils dargestellt werden. In diesem Sinne erhält der Satz dann eine »Begründung«. Vgl. dazu den Beitrag von F. Schick in diesem Band (S. 457–558)

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selbst [ist], insofern dieser in seine wesentlichen reellen Bestimmtheiten aus einander gegangen und unterschieden worden ist« (GW 12, 224, 12–15). Die »reellen« Bestimmtheiten sind also nicht die einer formalen Logik, sondern kommen einem bestimmten Gegenstand, etwa dem Dreieck oder der geometrischen Ebene, selbst zu. Abgesehen davon, dass diese »Gegenstände«, bis hin zum allgemeinsten, dem Raum, vorausgesetzt sind, gibt ihnen die euklidische Geometrie ihre vollständige Bestimmtheit – in der hegelschen Terminologie ihre »Einzelnheit« (GW 12, 224, 13). Bei anderen Wissenschaften ist der Übergang zum Einzelnen dagegen »nur eine Anwendung des Allgemeinen auf anders woher hereinkommenden Stoff […]; das eigentliche Einzelne der Idee ist auf diese Weise eine empirische Zuthat« (GW 12, 224, 18–20). Es wird wieder die Hierarchie der Wissenschaften deutlich, der zufolge der Aufstieg vom Sinnlich-Empirischen zum Gedanklichen ein solcher zu höheren Entitäten und Wissensweisen ist – ein Erbe des Platonismus. Hegel nennt die vollständige Bestimmtheit eines Gegenstandes, etwa des Kreises, durch alle für ihn konstitutiven Lehrsätze seine »zweyte[] Definition« (GW 12, 224, 7). Diese zweite Definition ist, anders als die erste (etwa die des gleichen Abstandes aller Punkte zu einem gegebenen) »des Beweises bedürft ig und fähig« (GW 12, 224, 29). In diesem werden die Lehrsätze in ihrer »Vermittlung« (GW 12, 224, 31) untereinander aufgezeigt. (2.) Das ist Thema des zweiten Unterabschnittes (GW 12, 224, 34–230, 37). Hegel beschäft igt sich darin zunächst mit dem Verhältnis von Lehrsatz zu Beweis und Konstruktion in der Geometrie. Sein Ergebnis ist, dass weder Beweis noch Konstruktion eine wirkliche Entwicklung der inneren Notwendigkeit der Einheit der Lehrsätze bzw. ihrer Elemente zur Bestimmung des Gegenstandes sind. Der Beweis sei keine wirkliche Entfaltung der begrifflichen Verhältnisse in der »zweyten Definition«, sondern nur eine Darstellung ihrer »Verknüpfung« für die »äusserliche Reflexion« bzw. das »subjective[]« Erkennen (GW 12, 225, 18–28). Von diesem äußerlichen Erkennen durch Rekonstruktion einer Schrittfolge muss wieder die wahre »Subjectivität des Begriffes« (GW 12, 225, 19–20) als Selbstunterscheidung seiner wesentlichen Bestandteile unterschieden werden. Der geometrische Beweis sei keine »Genesis des Verhältnisses, welches den Inhalt des Lehrsatzes ausmacht« (GW 12, 225, 25–26). Die Konstruktion stelle nur die »Folge der Natur des Gegenstandes« (GW 12, 225, 30–31) dar, nicht den Grund der Einheit seiner Bestimmungen. Wenn Hegel hier zwischen der »Natur der Sache« und dem »subjective[n] Grund« der Erkenntnis unterscheidet (GW 12, 225, 36–37), dann wird wiederum deutlich, dass er eine Form des Begriffsrealismus vertritt. Diese Kritik der Leistungen von Beweis und Konstruktion für die Darstellung der begrifflichen Bestimmung eines geometrischen Gegenstandes

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ist keine Kritik an einer mangelhaften Geometrie. Sie muss daher auch nicht am Selbstverständnis der euklidischen oder nach-euklidischen Geometrie gemessen werden. Wie es im Text (ab GW 12, 225, 39) deutlich wird, geht es Hegel um Kritik im Sinne der Grenzbestimmung des geometrischen Erkennens. Damit soll sein Anspruch einer letzten Wirklichkeitserkenntnis – auch durch Anwendung in der Physik – getroffen werden. Vor allem aber hat Hegel die Übertragung der geometrischen Methode auf die Philosophie im Visier: »Das glänzende Beyspiel der synthetischen Methode ist die geometrische Wissenschaft, – aber unpassender Weise ist sie auch auf andere Wissenschaften, selbst auf die Philosophie angewendet worden.« (GW 12, 226, 1–3) Die Geometrie ist für ihn eine »Wissenschaft der Grösse« (GW 12, 226, 4), sie hat es mit quantitativen Bestimmungen zu tun, vor allem der Gleichheit von Verhältnissen in den drei Raumdimensionen. Ihr Gegenstand, die »Raumbestimmungen« (GW 12, 226, 8–9), ist schon von allen qualitativen Bestimmungen abstrahiert. Hegel lobt mit rhetorischer Emphase »das Erhabene, daß in diesen leeren stillen Räumen die Farbe ausgelöscht« (GW 12, 226, 12) sei – wobei Farbe offenbar als pars pro toto für alle qualitativen Bestimmungen steht. Aber zugleich kritisiert er scharf ihre »reine Begrifflosigkeit« (GW 12, 226, 18) in seinem Sinne von Begriff. Sie liegt zum einen in der Bindung an die Verhältnisse des Raumes als reines »Aussereinander« (GW 12, 226, 17) von Punkten. Hegel hat ja am Anfang der Naturphilosophie zu zeigen versucht, dass in diesem Außereinander das Gegenteil zu einem in sich differenzierten und reflektierten Verhältnis liegt, wie es alle komplexeren Gegenstände, aufsteigend bis hin zu den geistigen, kennzeichnet. Solche komplexen Selbstverhältnisse, die die Struktur der Subjektivität haben, sind eben in seinem Sinne »Begriff« und müssen in allen gehaltvollen Gedankenbestimmungen der mehr als quantitativen Verhältnisse gefunden werden. ›Begriffslos‹ ist aber auch noch in einem zweiten Sinne verstanden, nämlich in dem des Gegensatzes von Begriff und Anschauung im kantischen Sinne. Der Raum der Geometrie ist nicht nur eine Abstraktion qualitativer räumlicher Verhältnisse, er entspricht auch im Sinne Kants der reinen »Form der Anschauung« (GW 12, 226, 16). Hegel ist es hier nicht um die Frage nach der Subjektivität des Raumes im Kantischen Sinne – als reine Anschauungsform – im Gegensatz zur Realität des Raumes unabhängig vom menschlichen ›Erkenntnisapparat‹ zu tun. Es geht vielmehr darum, dass auch die Form der Anschauung »noch Anschauung« (GW 12, 226, 17) ist. Dadurch bleibt ihre Bindung an die Sinnlichkeit erhalten. In dieser Bindung der Geometrie, in realer oder transzendentaler Deutung, an die Sinnlichkeit im Sinne der möglichen Demonstrierbarkeit für die Anschauung, sei »in neuern Zeiten« (GW 12, 226, 18) ihr Vorzug, ihre »hohe

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Wissenschaft lichkeit« (GW 12, 226, 21) gesehen worden. Hegel setzt in polemischer Schärfe dagegen, dass eben darin ihre niedrige (vgl. GW 12, 226, 28) Form einer Wissenschaft liege, weil »durch das Anschauen keine Wissenschaft zu Stande komme, sondern allein durchs Denken« (GW 12, 226, 23–24). Diese Gegenüberstellung klingt hier dogmatisch, sie kann natürlich nur vor dem Hintergrund des Systems als ganzem gerechtfertigt werden. Sie zeigt jedenfalls erneut eine Art platonischer Hierarchie der Wissenschaften. Hegel bemüht sich trotzdem, eine interne Notwendigkeit des Überganges von der Geometrie zu einer ›begrifflichen‹ Wissenschaft zu demonstrieren – und zwar erneut, wie schon bei der Arithmetik, am Thema der Unendlichkeit. Es ist aber nicht der Begriff der Unendlichkeit, den die Geometrie etwa im Parallelenaxiom benutzt, der diese Notwendigkeit erzeugt, sondern der Begriff der »Incommensurabilität« (GW 12, 227, 5). Er besagt für Hegel, dass die Geometrie mit dem quantitativen Vergleichen an eine Grenze stößt. Sie wird dadurch gezwungen, an Stelle der »positiven Identität« der Messbarkeit an einem gleichen Maß die »negative[]« der Gleichheit von Ungleichen zumindest implizit in Anspruch zu nehmen (GW 12, 227, 11–12). Damit hat sie einen Schritt in Richtung auf die Unendlichkeit des Begriffs getan, die in der Identität Entgegengesetzter, mit den Begriffen der negativen Theologie der coincidentia oppositorum, besteht.53 Zur Einschränkung der Tragweite der synthetischen Methode »more geometrico« gehört für Hegel nicht nur die Kritik ihrer Übertragung in die Philosophie, sondern bereits ihrer Rolle in den »Erfahrungswissenschaften« (GW 12, 227, 21), die er am Beispiel der Physik erläutert (GW 12, 227, 22– 228,15). Seine polemischen Ausführungen sind hier weniger konkret als bei der Geometrie und können nur in einigen allgemeinen Bemerkungen kommentiert werden. Sie gelten allerdings auch nur für eine Physik, die einen alle ihre Gebiete umfassenden systematischen Anspruch erhebt bzw. »sich die Form von synthetischen Wissenschaften geben« will (GW 12, 227, 22). Für Hegel rechtfertigen und erklären sich die Grundannahmen (»einfachen Defi nitionen und Grundsätze«, GW 12, 227, 35–36) der Physik erst durch ihre Anwendung. Damit hebt sich nicht nur die Unterscheidung zwischen analytisch und synthetisch auf – ein Anliegen, das Hegel ja im gesamten Kapitel über die Idee des Erkennens verfolgt. Das ist nur die Kritik eines falschen Selbstverständnisses. Relevanter für gegenwärtige wissenschaft stheoretische (oder wissenschaft spraktische) Probleme ist wohl die damit 53

Es gibt diese Unendlichkeitsbegriffe nicht nur in der christlichen Philosophie (etwa bei Nikolaus von Kues), sondern auch im antiken chinesischen Taoismus (Zhuangzi); vgl. dazu Geldsetzer/Hong (2008), S. 167.

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verbundene These, dass durch die wechselseitige Bestätigung von Voraussetzungen und Erklärungen »die Widerlegung aus der Erfahrung […] beseitigt« (GW 12, 227, 36) sei. Die Tendenz, die Erfahrung »nicht in ihrer concreten Totalität, sondern als Beyspiel und zwar nach der für die Hypothesen und Theorie brauchbaren Seite« (GW 12, 227, 37–38) zu nehmen, trifft sicher auch noch ›Versuchungen‹ in den gegenwärtigen empirischen Wissenschaften, nicht nur in der Physik. Für unsere zweite Leitfrage wichtig ist dabei, ob Hegel damit für einen empirischen Falsifi kationismus oder für ein ›Reflexionsgleichgewicht‹ plädiert,54 wie man heute die wechselseitige Anpassung von theoretischen Prämissen und Erfahrung nennt. Was Hegel vorschwebt, scheint etwas anderes zu sein: nämlich »die concreten Wahrnehmungen unbefangen für sich zu betrachten« (GW 12, 228, 3) – was für experimentelle Naturwissenschaften, die bestimmte Fragen und Hypothesen durch Experimente beantworten bzw. bestätigen oder falsifizieren wollen, kaum möglich ist. Es gehört eher zu einem Typus von Naturerkenntnis, wie er in der Zeit Goethes und Rousseaus (des Botanikers) propagiert wurde.55 Heute scheint das nur noch in deskriptiven und systematisierenden Beobachtungswissenschaften (bzw. ›-kunden‹) möglich, wie etwa der Ornithologie. Die heute dominierenden experimentellen Naturwissenschaften werden ohne selektive Perspektiven auf Naturphänomene oder technisch erzeugte ›Effekte‹ nicht auskommen. Hegels Kritik an der Ausblendung von experimentellen oder beobachtbaren Phänomenen, die zu den Hypothesen nicht passen, behält aber eine zumindest wissenschaftspraktische Aktualität. Sie spricht auch für seine grundsätzliche Erfahrungsoffenheit – zumindest bei den Wissenschaften der sinnlich erfahrbaren Natur. Über diese Kritik an einer selektiv-experimentellen Naturwissenschaft hinaus geht es Hegel aber erneut darum, die »Bestimmungen von den angenommenen Kräften, Materien und deren hypothetischen Gestaltungen, Richtungen und Drehungen« (GW 12, 228, 12–13) nicht einfach vorauszusetzen und hinzunehmen, sondern selber nach deren »Nothwendigkeit« und »Begriff« zu fragen (GW 12, 228, 13–14). Das aber ist nur möglich, wenn man sie ›holistisch‹ in einem Wissenschaftssystem platziert, das einer naturphilosophischen Grundlagenreflexion zugänglich ist.

54

Das »Reflexionsgleichgewicht« ist bekanntlich von John Rawls als Methode der politischen Philosophie formuliert worden. Er orientiert sich an der wechselseitigen Anpassung von Grundlagen (oder Modellen) und Empirie in den Erfahrungswissenschaften, vgl. Rawls (1975), S. 68–73. 55 Zu Goethes Verständnis von Naturerklärung vgl. Böhme (2016) sowie Schöne (1987). Zu Rousseau Meier (2011), S. 105–134.

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In der Philosophie hat aber eine Methode, die mit Definitionen und Axiomen, Einteilungen, Lehrsätzen und Beweisen arbeitet, für Hegel keinen Platz. Hier kommen ihr nicht einmal die Verdienste zu, die sie in der (euklidischen) Geometrie hat. Hegel unterscheidet zwar zwischen der seriöseren Form dieser Methode bei Spinoza und der von ihm karikierten Anwendung bei Christian Wolff. Dabei ergießt sich sein Spott weniger auf die Grundlagenteile der Wolffschen Metaphysik als deren »Anwendung auf alle mögliche[n] Arten von Kenntnissen« (GW 12, 228, 18). Bei der Anführung in der Tat kurioser Beispiele aus den »Anfangsgründen der Baukunst« bzw. der »Fortification« lässt Hegel es aber bewenden. Auch mit Spinoza, dessen »Beyspiel in Darstellung seiner Philosophie«– vor allem in der Ethica ordine geometrico demonstrata –, »noch lange als ein Muster gegolten« (GW 12, 229, 3–4) habe, setzt Hegel sich nicht selber systematisch auseinander. Zu Beginn der subjektiven Logik hatte er konstatiert: »Die im letzten Buch [sc. der Lehre vom Wesen] enthaltene Exposition der Substanz, welche zum Begriffe überführt, ist daher die einzige und wahrhafte Widerlegung des Spinozismus.« (GW 12, 15, 20–22) Hier, am Ende des Unterabschnittes »Einteilung« der Idee des Erkennens, geht es nur um die Methode – und da schließt sich Hegel der Kritik Kants einerseits und Jacobis andererseits an, welche »die ganze Weise der vormaligen Metaphysik und damit ihre Methode über den Hauffen geworfen« (GW 12, 229, 4–6) hätten. Hegels natürlich nicht unkritische Parteinahme für Kant und Jacobi (GW 12, 229, 4–230, 11) leitet den Übergang zu einer höheren Stufe der Entwicklung der Idee, der Idee des Guten, ein. Die Anknüpfung an Kant ist sowohl positiv wie negativ. Positiv hebt Hegel, wie in seiner Kant-Rezeption seit der Jenaer Zeit, die Antinomienlehre der Kritik der reinen Vernunft hervor. Sie zeigt, dass sich die Metaphysik mit allgemeinen Begriffen, die absolute Gegenstände jenseits von Raum und Zeit (der »Stoff der Metaphysik«, GW 12, 229, 21) erfassen sollen, in Widersprüche verstrickt. Das ist ein Schritt in Richtung auf die »dialektische« Behandlung, in der erkannt wird, dass jeder dieser Begriffe seinen Gegenbegriff sowohl ausschließt wie einschließt. Die skeptische Funktion der Dialektik kann dann durch eine positive, »speculative« überwunden werden, in der dieses Verhältnis als Bedeutungsanreicherung begriffen wird, wie im gesamten Verlauf der Wissenschaft der Logik. Kant hat aber diese Konsequenz für seine Philosophie nicht gezogen, sondern sich weiterhin an einer ›Lehrsatzphilosophie‹ orientiert, wie gerade seine Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften zeigen. In ihr verwendet Kant nämlich selber die Methode der Definitionen – bei Kant »Erklärungen« – und der Lehrsätze. Dadurch hat er nach Hegel »selbst ein Beyspiel gegeben, eine Wissenschaft, welche er auf

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diese Weise der Philosophie zu vindiciren gedachte, als eine Reflexionswissenschaft und in der Methode derselben zu behandeln« (GW 12, 229, 11–13). »Reflexion« gebraucht Hegel hier in derselben kritischen Weise, in der er schon in der frühen Jenaer Zeit von Reflexionsphilosophie sprach. Auch in dieser wird mit unzureichenden, nicht holistischen und spekulativen, Mitteln versucht, ein System auf der Basis evidenter erster Prinzipien zu entwickeln. Während Jacobi in Hegels frühen Schriften – vor allem in Glauben und Wissen – ebenfalls unter das Verdikt der Reflexionsphilosophie fiel, weil er von unvermittelten Setzungen, nämlich des Glaubens an die Realität der Dinge und ihres göttlichen Urhebers, ausging, wird er jetzt in der Logik als der radikale Überwinder der »Methode und ganze[n] Natur des Erkennens« (GW 12, 229, 23) der vorkantischen Metaphysik gefeiert. Jacobi habe nachgewiesen, dass dieses Erkennen »nur einen Zusammenhang der Bedingtheit und Abhängigkeit erfaßt, und daher dem, was an und für sich und das absolut-Wahre ist, sich unangemessen zeigt« (GW 12, 229, 23–25). Hegel setzt dieser »Methode der begrifflosen Endlichkeit« (GW 12, 229, 27–28) die Einsicht entgegen, dass »das Princip der Philosophie der unendliche freye Begriff ist« (GW 12, 229, 26). Freiheit und Unendlichkeit gegenüber Endlichkeit und Begriffslosigkeit bedeutet, wie an dieser Stelle der Entwicklung der Logik erwiesen sein sollte, die »Methode« des sich in sich selber in Entgegensetzungen unterscheidenden und als deren komplexe, systematische Einheit erweisenden Gedankens. Hegel nennt das im Abschnitt über die absolute Idee die »absolute Methode« – wir werden darauf im übernächsten Kapitel (6.1) zurückkommen. »Frey« ist ein solcher Begriff, weil er nicht von externen »Bedingtheiten« abhängt, sondern autonom seiner eigenen internen Logik folgt. Für die bedingte Methode ist dagegen auch das in ihr ›synthetisch‹ Erzeugte »schlechthin ein selbstständig-Verschiedenes und daher Endliches« (GW 12, 230, 4–5). Es bleibt außerhalb der Autopoiese des sich selbst unterscheidenden Begriffs, der wie ein Subjekt die Unterschiede in einfacher Einheit enthält. Um einen solchen Begriff ist es nach Hegel aber in der Philosophie »allein zu thun« (GW 12, 230, 9). Er ist Maßstab alles Erkennens, das hinter dieser seiner Bestimmung zurückbleibt. Auch hier zeigt sich eine Teleologie absoluter epistemischer und ontologischer Wahrheit, die sich allein auf die Kritik aller ihr gegenüber defizienten Modi stützt. Es heißt ja auch ausdrücklich, dass die Idee im synthetischen Erkennen ihren »Zweck« noch nicht vollständig erreicht habe (GW 12, 230, 13). Man könnte an Hegel die Frage stellen, ob nicht auch dieses Vorgehen die Bestätigung einer vorausgesetzten Hypothese ist. Sie gelingt nur, wenn jeder Schritt der Deutung und Kritik des ›Stoffes‹ der Logik als alternativlos überzeugt.

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Die wechselseitige Abhängigkeit der Glieder des synthetischen Erkennens, seiner verschiedenen Ebenen und der ›inhaltlichen‹ Bestandteile der Lehrsätze, stellt eine Art Notwendigkeit dar, wie sie den gedanklichen Verhältnissen der Seins- und Wesenslogik entspricht. Insofern sie aber als vollständige Bestimmung eines Gegenstandes intendiert sind, stellen sie die »höchste Spitze« (GW 12, 230, 25) der Einheit solcher Verhältnisse dar. Hegel parallelisiert den Übergang von der Notwendigkeit zur Freiheit des Begriffs hier mit dem am Ende der Wesenslogik (GW 11, 408, 31–409, 37 u. GW 12, 15, 24–16, 6). Im Unterschied zur »Genesis des Begriffs zu Anfang dieses Buchs« (GW 12, 230, 30), in der sich aus der Notwendigkeit im Sinne des Spinozismus oder der systematisch verstandenen kantischen Kategorienlehre der Begriff als freie Selbstbestimmung des Gedankens selber ergeben hatte, erscheint »derselbe« (GW 12, 230, 33) Übergang »hier« (GW 12, 230, 31) in anderer Form. Wie in der Phänomenologie des Geistes gehört er noch nicht dem betrachteten Gegenstand des synthetischen Erkennens selber an, sondern »liegt noch ausser dem Erkennen in unserer Reflexion« (GW 12, 230, 34). Allerdings nicht als äußere, sondern als eine solche, die die »innere Nothwendigkeit« (GW 12, 230, 35) des Resultates der Kritik des Erkennens explizit macht. Worin besteht er? Zwischen der Notwendigkeit der Theorien des synthetischen Erkennens, und der Natur der Sache bzw. des »Stoff [es]« (GW 12, 230, 21) der Erkenntnis besteht noch eine Diskrepanz. Der »subjective Begriff« ist zwar der einer »Identität, welche Zusammenhang und Abhängigkeit des Verschiedenen ist« (GW 12, 230, 15–16). Aber da der Ausgangspunkt der Definitionen und Einteilungen noch das Gegebene der sinnlichen Anschauung ist, oder die Voraussetzungen, wie im analytischen Erkennen und auch in den Prinzipien der empirischen Wissenschaften, nur aus dem ›Konkreten‹ eines Erkenntnisgebietes sozusagen ›destilliert‹ sind, bleibt der Gegenstand vom subjektiven Begriff noch unterschieden. Weil der Stoff nicht selber ein »durch den Begriff bestimmter« (GW 12, 230, 20–21) ist, also eine immanente gedankliche Systematik aufweist, bleibt er dem Begriff noch fremd, dieser findet sich »nicht als Einheit seiner mit sich selbst in seinem Gegenstande oder seiner Realität« (GW 12, 230, 17–19). Die unterstellte Begriffl ichkeit des Gegenstandes ist daher nur ein noch nicht verwirklichtes Ziel, das »Gute«. Hegels Behandlung der Idee des Erkennens, der Methoden und Systematik der mathematischen und empirischen Wissenschaften, aber auch der an den »exakten« Wissenschaften orientierten Philosophien, hat am Ende wieder zu einer Differenz zwischen der Idee der Wahrheit und dem »Suchen« nach ihr geführt. Diese Idee ist zwar auf dieser Stufe konturiert als eine völlige Entsprechung der systematischen Entwicklungen der Bestimmungen der Sache

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und der subjektiven Erkenntnisformen. Sie ist aber nach Hegel auf beiden Seiten noch nicht erreicht. Daher ist auch die Differenz zwischen Realität und Begriff noch nicht völlig aufgehoben, sie tritt im Handeln wieder auf als die zwischen Plan und Realität, zu verwirklichendem Guten und guter Wirklichkeit. In deren Behandlung wird sie aber am Ende endgültig überwunden und die absolute Idee erreicht, der die Realität als ihre eigene entspricht.

5.2 Handeln und die Idee des Guten (GW 12, 231–235) Der Begriff, der »für sich der an und für sich bestimmte ist, ist die praktische Idee, das Handeln« (GW 12, 230, 36–37). Der vollständig in sich bestimmte subjektive Begriff ist »das Subject […] als Einzelnes« (GW 12, 231, 4), das wieder eine noch nicht völlig angeeignete »objective[] Welt« (GW 12, 231, 6) sich gegenüber hat. Hegel beschäft igt sich also im Unterkapitel B der Theorie des Erkennens mit der Theorie des Handelns und seiner Ziele sowie deren Beziehung zur natürlichen Welt. Deshalb ist dieser Text von besonderem Interesse für die praktische Philosophie. Es ist auch offenkundig, dass Hegel hier moralphilosophische Positionen, vor allem Kants und Fichtes im Auge hat. Er erinnert selber an seine Kritik in der Phänomenologie des Geistes (vgl. GW 12, 233, 12–13). Gerechtfertigt ist diese Nähe, weil an einer bestimmten Stelle der Entwicklung die Idee »in die Gestalt des Selbst-Bewußtseyns« eintritt56 und daher »nach dieser einen Seite mit dessen Darstellung zusammen« fällt (GW 12, 233, 16–17). Man kann den Text in drei Abschnitte unterteilen. Der erste (1), von GW 12, 231 bis GW 12, 232, 17, exponiert die Idee des Guten in ihrem Verhältnis zur Subjektivität und zur »äusserlichen Welt« (GW 12, 231, 33). Der zweite (2), von GW 12, 232, 18 bis GW 12, 233, 17, stellt den Widerspruch dar, in den die Idee durch die »Ausführung« des Guten im zweckmäßigen Handeln gerät – ein Widerspruch, der eine Art Selbsttäuschung darstellt. Der dritte (3), von GW 12, 233, 18 bis 235, 38, führt diesen Mangel auf eine Defizienz der Idee des Guten zurück, durch deren Behebung sie zur absoluten Idee weiterentwickelt wird. Er besteht darin, dass »der praktischen Idee noch das Moment der theoretischen fehlt« (GW 12, 233, 22–23). Die Weiterentwicklung muss in der Logik als interne Entwicklung der Idee verstanden werden: »Sie macht aber diesen Uebergang durch sich selbst« (GW 12, 233, 35). Allerdings auch nicht ganz ohne die Hebammen-Dienste des Philosophen, der 56

Bei Hegel heißt es schlicht »tritt […] in die Gestalt« (GW 12, 233, 16).

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den impliziten Gehalt der Entwicklungsstufe explizit macht und sozusagen zum Selbstbewusstsein der Idee bringt.57 (1) Zum ersten Teilabschnitt: Resultat der Diskussion und Entwicklung der Idee des Erkennens ist ein vollständig in sich bestimmter Begriff. Vollständig bestimmt heißt nach den vorhergehenden Entwicklungen immer auch zweckmäßig – sowie etwa die Systeme eines Organismus für die Reproduktion oder für Hegel auch die Erkenntnisvermögen für das Erreichen des Wahren zweckmäßig sind.58 Zweckmäßig ist der Begriff aber hier durch und für sich selbst – was im letzten Abschnitt auch als seine Freiheit bestimmt wurde. Gleichwohl unterscheidet er von sich noch eine ihm nicht angemessene »Sphäre der Nothwendigkeit« (GW 12, 230, 28). Insofern ist er noch subjektiv, aber als gedanklich bestimmt und sich selbst transparent (»Gegenstand seiner selbst«, GW 12, 231, 3) ist »das Subject sich als Einzelnes bestimmt« (GW 12, 231, 4). »Einzeln« heißt hier sowohl durch seine internen Unterscheidungen vollständig bestimmt wie individuell: Das wollende Subjekt ist Individuum und anders als das theoretische nimmt es seinen Inhalt nicht aus der Welt, sondern aus seinen eigenen Plänen und Absichten. Es geht aber bei der Idee des Guten nicht nur um die Verwirklichung von Zwecken in der Welt, sondern auch darum, dass die rationale Freiheit des Subjekts selber Zweck der Welt ist. An allen Stellen seines Werkes, an denen Hegel die Vorstellung, den Begriff oder die Idee des Guten einführt, sei es in der Phänomenologie des Geistes, dem Abschnitt »Moralität« der Rechtsphilosophie oder dem »praktischen Geist« der enzyklopädischen Psychologie, entstammt das Gute zwar dem Subjekt als moralisch urteilendem oder als Gewissen, wird aber von diesem als allgemeingültiges, für alle und für die Welt Gutes intendiert. In Fichtes Begriffen, die Hegel hier nicht allein, aber doch wesentlich im Auge hat, ist die Welt nur das »Material der Pfl icht«. Ziel allen Strebens ist die Idee einer vollständigen Übereinstimmung aller »objektiven« Verhältnisse mit der Selbstsetzung des Ich. Ohne dieses Streben ist nach Fichte das Bewusstsein der Begrenzung (Behinderung) des Ich durch etwas anderes, ein Nicht-Ich, gar nicht erklärbar. In Hegels positiver Aneignung: Die objektive Welt ist »für sich nichtig« (GW 12, 231, 20) und die Tätigkeit des Willens geht dahin, »sich vermittelst des Aufhebens der Bestimmungen der äusserlichen Welt die Realität in Form äusserlicher Wirklichkeit zu geben« (GW 12, 231, 33–34). Dieses Strebensziel ist aber nicht die Herrschaft eines Individuums über die Welt, sondern die der praktischen 57

Anders als in der Phänomenologie des Geistes braucht er dabei aber nicht auf eine dem »Für-es« des Bewusstseins entzogene Ebene der logischen Gedankenbestimmungen zurückzugreifen (vgl. Siep (2014), S. 74–79). 58 Zu Letzterem vgl. Halbig (2002).

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Vernunft, die eine universale Freiheitsordnung moralischer und rechtlicher Art fordert. Das gilt auch für den Willen zur Realisierung des Guten. Der Wille ist aber gerade als Selbstbestimmung immer auch ein besonderer, ein Wille zu einer bestimmten Handlung. Auch das hat Hegel an allen einschlägigen Stellen betont, vor allem seiner philosophia practica universalis in der Einleitung der Rechtsphilosophie. Es gibt kein Wollen als solches, sondern nur bestimmtes, auf ein Ziel gerichtetes. In der Idee des Guten verbindet er nun die »Endlichkeit« des Wollens »im Sinne des Ausschliessens und des Voraussetzens eines Andern« (GW 12, 232, 1–2) mit der Unausgeführtheit der Zwecke: »Die erwähnte Endlichkeit des Inhaltes in der praktischen Idee ist damit eins und dasselbe, daß sie zunächst noch unausgeführte Idee ist« (GW 12, 232, 5–7). Die Inhaltsbestimmtheit, entweder dies oder etwas anderes Gutes zu wollen, ist nur der Reflex der Formbestimmtheit, das Gute erst noch ausführen zu müssen (vgl. GW 12, 232, 12–15) – eine sicher nicht ganz leicht nachzuvollziehende These. Jedenfalls sind es nicht die Welt und ihre Aufgaben, die hier das Gute mit Inhalt erfüllen. Denn ihre Bestimmung als Feld der vernünftigen Freiheitsordnung des Begriffs ist unabhängig von ihr erkennbar und verbindlich (»ein Absolutes«, GW 12, 232, 10): Das Gute ist zwar »irgend ein besonderer Zweck, der aber durch die Realisirung nicht erst seine Wahrheit erhalten soll, sondern schon für sich das Wahre ist« (GW 12, 232, 15–17). Diese Spannung zwischen Schon-Realisiert- und Zugleich-Unausgeführt-Sein entwickelt sich für Hegel erneut zum Widerspruch. Um das zu zeigen, analysiert er den »Schluß« der Realisierung, der der Form nach dem Schluss der äußeren Zweckmäßigkeit im Abschnitt »Teleologie« entspricht.59 Es soll daher in einem kurzen Exkurs das Ergebnis dieses Schlusses resümiert werden. Exkurs 1: Natur und Zwecksetzung im Kapitel »Teleologie« des Abschnitts »Objektivität« Vor allem der letzte Abschnitt (C.) dieses Kapitels, der den »ausgeführte[n] Zweck« behandelt (GW 12, 165, 2), hat Konsequenzen für die Verwirklichung des Guten, auch wenn es in diesem Abschnitt noch um beliebige Zwecke geht.60 Für die Kommentierung der Idee des Guten kann man Folgendes 59

Vgl. dazu die präzise Analyse im vorausgehenden Kommentar von Dean Moyar. Zum Verhältnis der Zwecktätigkeit des Kapitels der Teleologie zur Idee des Guten vgl. den folgenden Exkurs. 60 Ich greife aus dem Teleologie-Kapitel nur den Handlungsaspekt heraus, auch wenn andere Formen der Verwirklichung von Zwecken oder der Beurteilung von Pro-

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daraus festhalten: Zur Verwirklichung von Zwecken in der äußeren Welt muss sich der Handelnde – Hegel spricht hier gelegentlich ausdrücklich vom »Menschen« – den Gesetzen der Natur, d. h. auch der von seinem Willen nicht abhängigen Gesetzmäßigkeit von »Mechanismus oder Chemismus« (GW 12, 166, 6), unterordnen bzw. sie schon in seine Planung einbeziehen.61 Er kann damit aber umgehen und seine Zwecke in ihr durchsetzen, auch relativ verlässlich und dauerhaft, mithilfe von Werkzeugen: »An seinen Werkzeugen besitzt der Mensch die Macht über die äusserliche Natur, wenn er auch nach seinen Zwecken ihr vielmehr unterworfen ist« (GW 12, 166, 20– 21). Auch die Werkzeuge benutzen ja die Kräfte der Natur, oft indem sie sie »listig« gegen natürliche Hindernisse selber einsetzen.62 Diese Unterwerfung ist aber letztlich ein Schein, denn die Natur insgesamt dient der menschlichen Zwecksetzung und hat auch letztlich ihre Bestimmung darin, den vernünft igen Zwecken des Menschen zu dienen. Das ergibt sich sowohl aus dem Verhältnis von Setzen und Voraussetzen wie aus der »Aufhebung« des Mechanischen und Chemischen, d. h. der Natur als »Sphäre der Nothwendigkeit« (GW 12, 169, 21) in die Selbstbestimmung der freien Vernunft.63 zessen unter dem Zweckverwirklichungsaspekt in diesem Kapitel eingeschlossen sein mögen; vgl. dazu Fulda 2003. 61 In gewisser Weise kann die Zwecksetzung bzw. der Entschluss auch als Ursache in einer Kausalreihe betrachtet werden: »Der Zweck kann wohl auch als Kraft und Ursache bestimmt werden, aber diese Ausdrucke erfüllen nur eine unvollkommene Seite seiner Bedeutung; wenn sie von ihm nach seiner Wahrheit ausgesprochen werden sollen, so können sie es nur auf eine Weise, welche ihren Begriff aufhebt; als eine Kraft , welche sich selbst zur Aeusserung sollicitirt, als eine Ursache, welche Ursache ihrer selbst, oder deren Wirkung unmittelbar die Ursache ist.« (GW 12, 160, 23–28) Der Zweck scheint also sowohl innere Ursache (»sich …sollicitir[en]«) wie causa efficiens und fi nalis der äußeren Handlung zu sein. 62 Hegel hat seit der Jenaer Zeit das Werkzeug als »List«, die Kräfte der Natur gegen sie selber zu wenden, interpretiert (vgl. GW 8, 206). Das spricht für eine Art »weicher« Technik. Dass die Technik der Zwecksetzung des Menschen insgesamt dient, und seinem Willen nicht entgehen kann, scheint er – anders als später Heidegger – nicht in Zweifel zu ziehen; vgl. Heidegger (³1967). 63 In seinem Manuskript zur Religionsphilosophie von 1821 geht Hegel im Zusammenhang der Behandlung der Wunder ausführlich auf die Einwirkung höherer Stufen auf darunterliegende ein (downward causation): »Schon das LEBEN greift in diese sogenannten ewigen Geseze der Natur ein; – Leben verdaut, d. i. hebt die ewigen Geseze des Mechanismus und Chemismus auf – Nahrungsmittel materiell […] Noch mehr wirkt auf Leben – Macht des Geistes UND SEINE SCHWÄCHE – Tod von Schrek, Krank von Kummer – Ebenso Freude – ebenso Zutrauen – Der Magnetismus hat uns solche Macht in nähern Formen aufgeschlossen« (GW 17, 287, 17–24). Daher sei der »UNENDLICHE[] GLAUBE[]« (GW 17, 287, 24) zu jeder Zeit zur Beeinflussung körperlicher Zustände in der Lage gewesen, wie sie Krankenheilungen etc. zugrunde liegen. »Dem Unglauben an solche Erfolge liegt der ABERGLAUBEN AN DIE SOGENANNTE NATURMACHT – Selbstständigkeit derselben gegen den Geist zum Grunde« (GW 17, 288, 1 f.).

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Das kann hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. In der »Voraussetzung« der Natur, deren Kräfte, Ressourcen und Gesetze die menschliche Zwecktätigkeit braucht, ist diese zugleich »als ein unwesentlicher Schein gesetzt« (GW 12, 169, 34). Das heißt sicher nicht, dass sie Chimäre oder Illusion ist. Aber ihre Gesetze gehören nicht der Natur als Gegenmacht gegen das Subjekt an. Wie die ersten beiden Kapitel der Objektivität gezeigt haben – und viel früher schon das Kapitel »Kraft und Verstand« der Phänomenologie des Geistes – sind Gesetze und Kräfte selber mathematische und gedankliche Verhältnisse und daher selber »Begriff«.64 Aus der Perspektive des Zwecke verwirklichenden Willens hat die Natur keine »Wahrheit« und Bestimmung außer ihrer Dienlichkeit für das Subjekt als Erkenntnis- und Selbstzweckwesen. Dass sie die Zwecktätigkeit dieses Wesens ermöglicht und ihr kein prinzipielles Hindernis – wenngleich sicher Hindernisse für einzelne willkürliche Zwecke – entgegenstellt, bedeutet die unmittelbare »Bestimmung des Objects zum Mittel« (GW 12, 170, 2): »Es bedarf für den subjectiven Zweck daher keiner Gewalt, oder sonstigen Bekräftigung gegen dasselbe, als der Bekräftigung seiner selbst, um es zum Mittel zu machen« – das Objekt hat »keine andere Bestimmung gegen ihn […], als die der Nichtigkeit des An- und Fürsichseyns« (GW 12, 170, 3–8). Diese »Bestimmung« ist allerdings insofern ein Teil der »Wahrheit« des Zwecksetzens, als zu diesem seine Realisierung in der Natur gehört – zunächst der mechanischen und chemischen, nach dem nächsten Abschnitt auch der lebendigen. Die Zwecke verfolgende Tätigkeit braucht diese Natur, sie muss aus ihrer Innerlichkeit des Wollens herausgehen und sich auf die Bedingungen der Realisierung einlassen: »die Selbstbestimmung ist auch Bestimmung eines als nicht durch den Begriff bestimmten, äusserlichen Objects« (GW 12, 171, 18–20). Hegel interpretiert den »Entschluß«, der auch am Ende des gesamten Kapitels eine bedeutende Rolle spielt (vgl. u. 6.2) hier als »Aufschluß« (GW 12, 170, 5), als Sich-Von-Sich-»Abstossen« und »Hinausstreben zur Objectivirung« (GW 12, 171, 10 u. 17). Gleichwohl wird dadurch die Hierarchie zwischen dem Wesentlichen und dem Unwesentlichen, dem selbstbestimmten Zweck und dem anzueignenden Äußerlichen nicht verändert. Die Selbstbestimmung ist auch in ihrer Objektivierung die »Gewißheit der Unwesentlichkeit des äussern Objects« (GW 12, 171, 21–22). Hegel nennt diese Gewissheit und ihre Manifestation im zwecktätigen Handeln sogar die »Aufhebung der äusserlichen Objectivität, und damit der Aeusserlichkeit überhaupt, durch sich selbst« (GW 12, 171, 37–172, 1). Die äußerliche Objek64

Vgl. Siep (2014), S. 91–97. Nach Fulda (2003) sind Mechanismus und Chemismus begriffl iche Strukturen, die nicht auf die Natur zu begrenzen sind (ebd., S. 139).

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tivität, vor allem die Natur, zeigt also ihre wahre Bestimmung, in dem sie freies Selbstbestimmen in ihr selber möglich macht. Sie ist insofern nicht nichtig, sondern zweckdienlich. Die mechanischen Gesetze stehen der Freiheit nicht – wie der Determinismus bis heute annimmt – entgegen und entlarven sie als Täuschung. Sie machen das freie Selbstbestimmen erst möglich und durch die »Institutionen« des Werkzeugs, auf höherer Ebene durch die sozialen Institutionen, erst stabil und verlässlich. Die äußerlichen endlichen Zwecke können aber in der Teleologie vor dem Kapitel »Leben«, also vor der inneren Zweckmäßigkeit von Organismen und sich funktional erhaltenden und fortpflanzenden Individuen, nur selber zufällig und äußerlich sein. Sie sind selber Mittel zu neuen Zwecken. Endzweck oder das Gute ist für Hegel das Leben und die Freiheitsordnung selbstbestimmter und sich selbst erkennender Subjekte. (Ende Exkurs) (2) Während es in dem rekapitulierten Kapitel über die äußere Teleologie um die eigentliche Bedeutung der Realisierung von besonderen (»endlichen«) Zwecken ging, die einander wiederum wechselseitig zum Mittel dienen, ist das Gute in dem jetzt zu behandelnden Kapitel der Idee des Guten »zwar auch ein endlicher, aber als solcher zugleich absolut geltender« (GW 12, 232, 22–23) Zweck. Das gilt für den Gegenstand jeder moralisch unbedingt gesollten Handlung. Aber die »Endlichkeit«, die in dem Gegensatz des Sollens gegen die Wirklichkeit, oder in der Unausgeführtheit des Sollens liegt, relativiert auch das ausgeführte Gute. Keine Ausführung ist eine »seiner Idee entsprechende« (GW 12, 232, 34). In der »nichtige[n] Aeusserlichkeit« der natürlichen und sozialen Welt hat jedes Gute ein »zufälliges, zerstörbares Daseyn« (GW 12, 232, 32–33). Es gibt mehrere ausgeführte gute Handlungen, die nicht nur durch die »äusserliche Zufälligkeit« ihrer Realisierungen, durch die Hinfälligkeit natürlicher Erscheinungen und durch »das Böse«, sondern auch durch die »Collision und den Widerstreit des Guten selbst« (GW 12, 232, 36–38) relativiert und zum Mittel reduziert werden. Hegel geht offenbar anders als Kant von Pflichtenkollisionen aus. »Das Böse« ist bei ihm sogar eine Tendenz des Gewissens, seine Selbstgewissheit über alle Regeln zu setzen und Reinheit und Authentizität heuchlerisch zu instrumentalisieren.65 Als Auseinandersetzung mit Kants Idee des höchsten Gutes muss man die These verstehen, dass durch die objektive Welt selbst, die »als eine Andere ihren eigenen Gang geht, […] die Ausführung des Guten Hindernissen, ja sogar der Unmöglichkeit ausgesetzt« ist (GW 12, 232, 39–233, 2). Bei Kant 65

Vgl. GW 9, 355–362 und GW 14,1, § 140 A, 128–136.

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ist es ja die Unangemessenheit der natürlichen Gesetze an die moralischen, die zu einem prinzipiellen Widerstreit zwischen Moral und Glück führen könnte. Um die Einheit der Vernunft zu retten und die Möglichkeit eines absurd-heroischen (prinzipiell nur mit Unglück »belohnten«) moralischen Strebens auszuschließen, wird die Idee des Guten und ihr allmächtig gerechter Garant in der Postulatenlehre eingeführt. Hegel wiederholt seine Kritik seit den Frühschriften: »Die Idee des vollendeten Guten ist zwar ein absolutes Postulat, aber mehr nicht als ein Postulat, d.i. das Absolute mit der Bestimmtheit der Subjectivität behaftet.« (GW 12, 233, 4–6) Er sieht darin, schärfer als die meisten Kant-Kritiker – erst recht im Gegensatz zu den Deutungen eines bloßen Perspektivenunterschieds – eine Zwei-Weltenlehre in geradezu gnostischer Tradition: »die eine ein Reich der Subjectivität in den reinen Räumen des durchsichtigen Gedankens, die andere ein Reich der Objectivität in dem Elemente einer äusserlich mannichfaltigen Wirklichkeit, die ein unaufgeschlossenes Reich der Finsterniß ist.« (GW 12, 233, 7–10)

Dass darin ein Widerspruch enthalten sei zwischen einem als absolut behaupteten Guten und einem ebenso unüberwindlich absoluten Hindernis der Welt, habe die Phänomenologie des Geistes ausführlich entwickelt (GW 12, 233, 12). Hier in der Logik begründet Hegel aber zunächst, warum die Idee, wie schon oben erwähnt, die Gestalt des Selbstbewusstseins angenommen habe: »Indem die Idee das Moment der vollkommenen Bestimmtheit in sich enthält, so hat der andere Begriff, zu dem der Begriff sich in ihr verhält, in seiner Subjectivität zugleich das Moment eines Objects; die Idee tritt daher hier in die Gestalt des Selbst-Bewußtseyns.« (GW 12, 233, 13–16)

Was der »andere Begriff« bedeute, ist unterschiedlicher Auslegung zugänglich. In der Phänomenologie des Geistes ist die Gestalt des Selbstbewusstseins mit der Begegnung (als »Object«) eines anderen selbstbewussten, zur Selbstnegation fähigen Wesens erreicht (GW 9, 108, 21–23 u. 29). Das Kapitel über den moralischen Geist der Phänomenologie des Geistes, auf das Hegel an dieser Stelle der Logik aber selber verweist (GW 12, 233, 12–13), hat es anfangs mit dem Anderen der Natur als »zur eignen Individualität in sich vollendete Welt« bzw. als einem »Wesen, das unbekümmert um das moralische Selbstbewußtseyn ist, wie dieses um sie« (GW 9, 325, 11–15) zu tun. Das ist die kantische Gegenüberstellung einer geschlossenen mechanischen

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Naturgesetzlichkeit und einer Kausalität aus Freiheit. Weil diese »Gleichgültigkeit« die Moral vom Glück trennt, braucht die Moralphilosophie die Postulate des höchsten Gutes. Damit verbleibt das Gute aber im Raum der Subjektivität – also des stets nur Geforderten und nie wirklich ausgeführten. Ein Absolutes (das Gute), das durch ein anderes, in sich nichtiges, aber durch die eigene Selbstständigkeit und Unüberwindlichkeit selber Absolutes (die Natur), zugleich möglich und unmöglich gemacht (gesetzt und negiert) wird, ist für Hegel selbstverständlich ein Widerspruch, der sich dialektisch auflösen muss. Resultat dieser Auflösung ist eine Natur, die nicht als ein geschlossener Raum deterministischer Gesetze der Freiheit gleichgültig oder sogar feindlich gegenübersteht, wie noch in großen Teilen der Gegenwartsphilosophie; zugleich aber auch ein Freiheitsverständnis, das nicht vom ständigen Versuch einer immer wieder fehlschlagenden Verwirklichung des Guten ausgeht. Wenn demgegenüber das Gute als in der Welt schon verwirklicht aufzufassen ist, droht aber die Verherrlichung des Bestehenden, die Hegel seit der Kritik seiner »linken« Schüler und der Kantianer bis heute in Verruf gebracht hat. Hier an dieser Stelle der Logik (GW 12, 233, 18–235, 38) müsste sich eigentlich zeigen, wie berechtigt diese Kritik ist. (3) Es geht an dieser Stelle um die Aufhebung einer Selbsttäuschung: »Der Wille steht daher der Erreichung seines Ziels nur selbst im Wege« – und zwar dadurch, »daß er sich von dem Erkennen trennt, und die äusserliche Wirklichkeit für ihn nicht die Form des Wahrhaft-Seyenden erhält« (GW 12, 233, 31–33). Was kann das unter der Perspektive des Guten bedeuten? Solange die Welt nicht verbessert wird, kann sie doch nicht »wahrhaft« gut sein. Wenn die »Ergänzung« der Idee des Guten »in der Idee des Wahren« (GW 12, 233, 34) aber bedeuten soll, dass die Dinge ihrer ontologischen Bestimmung (adaequatio ad intellectum) schon entsprechen, dann bliebe umkehrt für die Verwirklichung des Guten im Sinne des Verbesserns kein Raum mehr. Die erste Bedeutung des »Wahrhaften« der Objektivität besteht nach Hegel darin, dass »der Zweck ohne allen Widerstand sich der Wirklichkeit mittheilt, und in einfacher, identischer Beziehung mit ihr ist.« (GW 12, 234, 9–11). Die Wirklichkeit, der Natur wie der Geschichte, ist dann für die Verwirklichung der vernünftigen Selbstbestimmung geeignet. Die grundsätzliche Möglichkeit dazu hatten auch Kant (in der Kritik der Urteilskraft) und Fichte (in der Grundlage des Naturrechts) zu zeigen versucht, allerdings nicht als Wirklichkeit »ohne allen Widerstand«. Hegel geht viel weiter in der Eignung der Natur für das Gute. Sie liegt schon in der inneren Zweckmäßigkeit, die Kant nur der reflektierenden Urteilskraft zuschrieb, nach der Idee des Lebens aber die eigentliche Wirklichkeit der lebendigen Natur ausmacht. Von daher kritisiert Hegel auch, wie sich deutlicher in seiner Auseinandersetzung

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mit der kritischen Philosophie im »Vorbegriff« der Wissenschaft der Logik in der zweiten Auflage der Enzyklopädie zeigt, Kants Postulatenlehre. Das, was Kant dem postulierten höchsten Gut und seinem göttlichen Garanten zuschreibt (vgl. GW 19, § 59, 72), ist in der Welt schon wirklich. Ihre organische Zweckmäßigkeit ist der Vorgriff und die Ermöglichung der sittlichen Freiheit. Das Gute ist kein inhaltsleerer subjektiver Begriff (Moralität), sondern konkretisiert sich in der Eignung und Aneignung natürlicher Ordnungen für Freiheitsordnungen (vgl. GW 19, §§ 58, 60, 72–73). Die zweite Bedeutung des Wahrhaften der Wirklichkeit ergibt sich von der Seite des subjektiven Begriffs, der zum einen das an sich Wirkliche selber ist – es geht sozusagen in der Welt nur um die rechtlich-moralische Freiheit des Subjekts – und zum anderen die Tätigkeit des Verwirklichens. Die letztere kann nicht so verstanden werden, als ob jede raum-zeitliche Manifestation der Freiheit sogleich wieder vergehe, sie also permanent im Status des Unausgeführtseins verbliebe. Dies wäre ein »Rückfall des Begriffs in den Standpunkt, den der Begriff vor seiner Thätigkeit hat […]; ein Rückfall, welcher zum Progreß in die schlechte Unendlichkeit wird« (GW 12, 234, 28–31). Hegel nennt dies auch eine »Wiederhohlung der Voraussetzung des nicht ausgeführten Zweckes nach der wirklichen Ausführung des Zweckes« (GW 12, 234, 35–36). Die richtige Auffassung müsste demnach sein, dass die Zweck- bzw. Freiheitsverwirklichung untilgbare Spuren hinterlässt. Sie ist eher eine Manifestation als ein immer wieder vergehender Versuch. Die Verwirklichung ist nicht »immer nur als ein einzelner Act«, sondern ein »allgemeiner« (GW 12, 235, 3–4). Die Spur der Freiheit bestünde dann zumindest in allgemeinen Freiheitsinstitutionen. Jedenfalls soll nach Hegel durch die »Reflexion auf das, was seine Verwirklichung an sich ist«, die Begrenzung des Guten an einer äußeren, widerständigen Wirklichkeit »verschwinde[n]« (GW 12, 235, 7). »[A]ufgehoben« wird darin die »Bestimmung des Guten, als eines bloß subjectiven und seinem Inhalte nach beschränkten Zwecks, die Nothwendigkeit, ihn durch subjective Thätigkeit erst zu realisiren, und diese Thätigkeit selbst« (GW 12, 235, 20–23). »Aufgehoben« heißt natürlich nicht, dass keine subjektiven selbstbestimmten Tätigkeiten mehr stattfänden. Sie müssen aber anders verstanden werden, nämlich als Manifestation von Selbstbestimmung in einer dazu bestimmten Welt. In dem richtigen Verständnis der Verwirklichung wird also sowohl die Subjektivität des Guten wie die Fremdheit der Wirklichkeit aufgehoben. Die Aufhebung des Scheins einer Verwirklichung der subjektiven Vorstellung eines unbedingt Guten in der Logik hat ihre Entsprechung in der Aufhebung der Moralität in die Sittlichkeit in der Rechtsphilosophie (GW 14,1,

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§§ 140, 141, 122–136) und der Enzyklopädie (GW 13, §§ 425–432, 231–233). In diesen Übergängen werden die subjektiven Vorstellungen des Guten im Gewissen in die Allgemeinheit eines freiheitsverwirklichenden allgemeinen Willens, einer vernünftigen Rechts-, Moral- und Sittenordnung überführt. Das steht auch im Hintergrund der Aufhebung der »Einzelnheit des Subjects« und seiner Vorstellung des Guten in diesem Kapitel der Logik (GW 12, 235, 29). Analog zur Vereinigung des praktischen und theoretischen Geistes beim Übergang der Philosophie des subjektiven Geistes zu der des objektiven in der Enzyklopädie (GW 13, § 399, 223) geht es aber auch um die Zusammenführung der Erkenntnis von der immanenten, systematischen Begrifflichkeit der Welt und dem Realisieren der guten Zwecke in ihr: »In diesem Resultate ist hiemit das Erkennen hergestellt, und mit der praktischen Idee vereinigt, die vorgefundene Wirklichkeit ist zugleich als der ausgeführte absolute Zweck bestimmt, aber nicht wie im suchenden Erkennen, bloß als objective Welt ohne die Subjectivität des Begriffes, sondern als objective Welt, deren innerer Grund und wirkliches Bestehen der Begriff ist. Diß ist die absolute Idee.« (GW 12, 235, 33–38)

In der Entwicklung der Idee des Guten wird die Selbsttäuschung des Begriffs als Wille überwunden, indem er die schon erreichte Wahrheit der Idee des Erkennens realisiert. Das vernünft ige Wollen manifestiert die Struktur des Begriffs auf der Seite der subjektiven Tätigkeit ebenso wie auf der der »bearbeiteten« Objektivität. In dieser Hinsicht ist die Idee des Guten eine Entwicklungsstufe der Idee der Erkenntnis – und auf dieser Ebene ist Hegel »Kognitivist«. Bleiben wir zunächst bei den Konsequenzen für die praktische Philosophie. Zunächst müssen die praktischen und ontologischen Seiten dieses Resultats unterschieden werden. Von den beiden Seiten oder »Prämissen« der Objektivität (als implizit dem Guten entsprechend) und der subjektiven Verwirklichung her muss die Welt zum einen geeignet und bestimmt zur Aneignung durch das Gute im Sinne der vernünft igen Freiheitsordnung und -tätigkeit der Subjekte sein. In ihrer Zweckmäßigkeit ist diejenige der zweckmäßigen Organisation des freien Willens vorgeprägt. Das wird in der Logik nicht ausgeführt, zeigt sich aber in Hegels Philosophie des objektiven Geistes. So greift Hegel etwa in der »inneren Staatsverfassung« der Rechtsphilosophie auf die organischen Systeme zurück, die auch in der Naturphilosophie und der Idee des Lebens in der Logik thematisiert wurden. Darin sind nicht nur Metaphern zu sehen, wie sie für die traditionellen mechanistischen oder organizistischen Staatsverfassungen üblich waren. Die Funktionalität und

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die wechselseitige Förderung der Institutionen, vor allem der Staatsgewalten, aber auch der Individuen, Gruppen (Stände) und staatlichen ›Organe‹ sind vielmehr eine Aufhebung der Strukturen des Lebens in die eines Organismus des freien allgemeinen Willens.66 Die sittliche Wirklichkeit des Guten besteht aber auch in einer Aufhebung im Sinne der Aneignung natürlicher Strukturen, vor allem des Lebens, durch das rechtlich-sittliche Handeln und seine Institutionen. Hegel spricht in der Philosophie des objektiven Geistes an verschiedenen Stellen davon, wie die Natur etwa des Tieres,67 aber auch des Menschen selber, in das sittliche Leben aufgehoben werden können. »Aufheben« hat dabei durchaus die Bedeutung der Überwindung (negare) natürlicher Widerstände – etwa, wenn Bedürfnisse und Emotionen zur Verselbstständigung tendieren. Ihr voller Sinn ist aber die Versittlichung in dem Sinne, dass ihre vergänglichen Formen in der Sittlichkeit einen höheren Sinn (conservare und elevare) erhalten. Die Anbindung sittlicher Rollen an die konservierten natürlichen Unterschiede hat aber problematische Konsequenzen.68 Das wird deutlich etwa an Hegels Darstellung der Geschlechterrollen im Familien-Kapitel der Rechtsphilosophie. Die Passung nach beiden Seiten führt zu einer sozialen Festlegung, wie sie aus heutiger Sicht den gleichen Rechten der Geschlechter widerspricht. Ein noch problematischeres Beispiel ist die Aufhebung des natürlichen Todes, der in einem sittlich gewollten Krieg, nicht nur einem defensiven, seine natürliche Zufälligkeit und seinen Zwang gegen den freien Willen verliert.69 Der Grundgedanke, in der Natur keinen zu unterwerfenden Gegner, sondern einen Raum von Potentialen und Dispositionen des Guten zu sehen, erscheint im Zeitalter der Krise des »Bacon-Projekts« durchaus attraktiv. Aber dem »Eigensinn« des Natürlichen müsste eine höhere Bedeutung zukommen als Hegel ihm aufgrund seiner ontologischen Minderwertigkeit gegenüber dem Geist einräumen kann. Der wahre Sinn der Verwirklichung bzw. »Realisirung« (GW 12, 232, 18) des Guten ist, wenn diese Lesart richtig ist, das Folgende: Das Handeln zum Zweck der allgemeinen Freiheit als der Bestimmung des denkenden und wollenden Wesens darf nicht als ständiges Arbeiten an einem unvollendbaren und ständig wieder zerstörten Projekt verstanden werden. Es ist vielmehr 66

Vgl. dazu Wolff (1984) sowie Siep, (1992), S. 256–267. Zum »absolute[n] Zueignungsrecht des Menschen auf alle Sachen« (GW 14,1, § 44, 57, 7) rechnet Hegel nach der ›Nachschrift Hotho‹ der Rechtsphilosophie-Vorlesung von 1822/23 auch die lebendige Sache: »Ich gebe dem Lebendigen als meinem Eigenthum eine andere Seele als es hatte, ich gebe ihm meine Seele« (GW 26,2, 816, 13–14). 68 Vgl. Siep (2013), S. 66–70. 69 Vgl. Siep (2015), S. 136–138. 67

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als Manifestation und Vollzug vernünft iger Freiheit selbst zu verstehen. Darin besteht seine immanente Wirklichkeit.70 Das liegt auch Hegels Geschichtsphilosophie seit seiner Frühzeit zugrunde: Statt die Wirklichkeit mit subjektiven Begriffen und Forderungen zu konfrontieren, denen sie niemals entspricht, muss man ihre vernünft igen Gesetzmäßigkeiten und Institutionen verstehen.71 Es mag auch eine noch bis heute sinnvolle Selbstaufk lärung des Reformismus sein, nicht ständig neue Gesellschaften zu fordern und das Scheitern jeder Innovation zu beklagen. »Sittlich« freies Handeln in stabilen Institutionen ist keine technische Herstellung immer besserer und dennoch unzureichender Produkte. Es fragt sich aber, ob eine solche Sicht auf die immer schon wirkliche Freiheit ohne eine Geschichtsphilosophie des notwendigen Fortschritts zu rechtfertigen ist. Denn zweifellos gibt es ja sozial und historisch – sogar naturgeschichtlich – bessere und schlechtere Bedingungen für die gemeinsame und individuelle Ausübung vernünft iger Freiheit (der Idee des Guten). Sich wiederfinden oder mit sich zusammengehen können Individuen und Gruppen nur in solchen Institutionen, die ihrem eigenen Entwicklungs- und Bewusstseinsstand entsprechen. Dass in der neuen und neuesten Zeit72 ein anderes Freiheitsbewusstsein herrscht als zuvor, leidet bei Hegel keinen Zweifel. Wenn es eine Übereinstimmung subjektiver Freiheitsäußerungen mit der objektiven Welt geben soll, dann muss sich beides in ungefährem Einklang ändern. Das ist nur durch die Voraussetzung einer Fortschrittsgeschichte zu sichern. Mit einer solchen lässt sich die Verwirklichung des Guten auch ein Stück weit von menschlichen Absichten und Realisierungsversuchen abkoppeln – wie es Hegel ja sowohl in den invisible-hand-Prozessen der Marktwirtschaft wie der List der Vernunft in der Benutzung von ›großen Individuen‹ und Massenemotionen thematisiert.73 Ein ganz objektiver oder von einer göttlichen Absicht gesteuerter Prozess ist die Verwirklichung des Guten aber nicht – nicht nur, weil auch der ob70

Einen verwandten Gedanken hat Fichte in der Bestimmung des Menschen entwickelt: Jeder Akt des guten Willens ist seine eigene, unzerstörbare Wirklichkeit (vgl. Siep (1992), S.123–125). Fichte sieht aber dabei von den äußeren Folgen weitgehend ab, während für Hegel gerade die Manifestation des freien Willens in der äußeren Welt seine Wirklichkeit ausmacht. So ist etwa auch der Sinn des Eigentumsrechts im Wesentlichen die Demonstration, dass der persönliche Wille jeden Gegenstand zu seinen Zwecken aneignen kann. Vgl. dazu Mohseni (2014). 71 Vgl. »Kritik der Verfassung Deutschlands«, Fragmente einer Reinschrift (1802/03), GW 5, 163. 72 Diese Ausdrücke gebraucht Hegel häufiger und zentraler als »modern«. Vgl. Siep (2011), S. 11–15. 73 Vgl. GW 14,1, §§ 182–187, 260 (»durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen theils übergehen«, GW 14,1, 208, 8–9), 344.

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jektive Geist für seine »Wirklichkeit« die Betätigung und Bejahung durch bewusste Individuen benötigt, sondern auch, weil Hegel bei der Idee des Guten, wie wir gesehen haben, vom individuellen Wollen ausgeht. Wenn die Wirklichkeit des Guten aber weder von »trial-and-error«-Verfahren abhängt noch von Annäherungen an Ideale, dann muss eine grundsätzliche Eignung sozialer und historischer Prozesse für die Freiheitsordnung der Menschen ebenso angenommen werden wie die der Natur. Das heißt aber auch, dass ihre zeitliche Folge etwas zeitlos Vernünft iges in Stufen auseinanderlegt. Auf dieser Grundlage wird nicht jedes Bestehende »verherrlicht«, aber es wird doch davon ausgegangen, dass das Vernünft ige wirklich wird, wie es in Heinrich Heines Überlieferung des Doppelsatzes aus der Vorrede der Rechtsphilosophie heißt.74 Ob das in Hegels Berliner Rechts- und Geschichtsphilosophie noch grundsätzliche Krisen und Revolutionen einschließen kann, oder der erreichte Vernunftstaat nur noch behutsamen Anpassungen zugänglich ist, kann hier nicht weiter erörtert werden.75 Es müsste seine Entsprechung haben in den Veränderungen des Systems der logischen Kategorien, auf die noch zurückzukommen ist (u. 6.3). Eine noch weitergehend »metaphysische« Lesart der Aufhebung der Vorstellung des immer ausstehenden Guten bestünde darin, die Sichtweise der absoluten Idee als »sub specie dei« zu verstehen: Die Welt ist in ihrer Bestimmung gut, in sich zweckmäßig und zugleich als Stätte des Vollzuges geistiger Freiheit angelegt. Dass die Menschen dazu ebenfalls sowohl natürlich wie in ihrer geistigen Entwicklung in der Lage sind, ist damit gesichert – auf welchen Wegen oder zu welcher Zeit sie ihre und der Welt Bestimmung realisieren, ist von dieser Perspektive nicht festgelegt. Das würde allerdings eine Abkopplung der göttlichen von der menschlichen Sicht, der Schöpfung von der Geschichte bedeuten, die zu Hegels Gesamtsystem schwer passt. Obwohl die lange Geschichte der Hegel-Interpretationen und die Schwierigkeit der Texte es m.E. verbieten, alternative Deutungen schlicht auszuschließen, scheinen mir zwei gegenwärtig vielfach vertretene Interpretationen erhebliche Probleme aufzuwerfen: Die erste geht davon aus, dass die Natur bei Hegel dem Begriff nicht vollständig angemessen ist. Wenn diese Grenzen an den begriffslosen Zufälligkeiten und »Mannichfaltigkeiten« des Natürlichen auf die Geschichte durchschlagen, ist in ihr keine endgültige Verwirklichung der Idee möglich. Dann bekäme die Idee des Guten wieder einen Kant näherstehenden 74 75

Vgl. Henrich (1982), S. 13–17. Vgl. dazu ausführlicher Siep (im Erscheinen).

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Charakter des Kriteriums der Kritik und Annäherung.76 Aber man wird der Radikalität der Interpretation des wahren Sinnes von »Verwirklichung« damit kaum gerecht. Ich sehe nicht, wie man damit der »schlechten Unendlichkeit« einer asymptotischen Annäherung entgeht, die nach Hegel die Wirklichkeit letztlich als unendlich fern vom unerreichbaren Ziel und damit als »nichtig« beurteilt. Schon zu Beginn des Kapitels über die Idee hat er sich in diesem Sinne scharf von Kants praktischen Ideen abgesetzt (GW 12, 174, 14–175, 13). Die zweite Lesart versteht die Verwirklichung der Freiheit als ständige Kommunikation über Normen. Man darf aber zum einen Hegels Deutung der inneren begriffl ichen Verfassung und Bestimmung des natürlichen Raums der Freiheit – des Gegenstandes der Idee des Erkennens – nicht unterschlagen. Die impliziten naturphilosophischen Thesen sind nicht Gegenstand einer ständig veränderlichen Kommunikation. Sie sind Resultat der gesamten Logik und Systematik der spekulativen Philosophie und können nur in einem diesen holistischen Kriterien angemessenen Sinne verändert werden – in welchem Spielraum, wird uns noch beschäft igen (u. 6.3). Außerdem muss die Normativität der Normen, über die da kommuniziert wird, im Lichte von Hegels Sollenskritik verstanden werden. Sie müssen als eine Weiterentwicklung der in der sozialen Welt bereits verwirklichten Institutionen der Freiheit verstanden werden. Es darf nicht wieder zum Missverständnis von Normen als Forderungen gegenüber einer widerständigen Welt und als Gegenstand ständig zu erneuernder Versuche der Verwirklichung des Idealen kommen. Hegel muss damit den Phänomenen des Gewissens als ständigen Gefühls der Unangepasstheit von Forderung und Neigung, oder Freiheitsidee und Widerstand, eine ganz andere Deutung geben als Kant und Fichte. Und er muss den gerade auch modernen Erfahrungen der Fragilität von Freiheitsinstitutionen und der »Collision« von Gütern und Werten seine systematische Gesamtdeutung aller Wirklichkeitsdimensionen und ihrer begrifflichen Erfassung entgegenstellen. Ob das nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und historischer Erfahrung weniger systematischen Denkweisen überlegen ist, wird am Ende zu erörtern sein.

76

Vgl. in dieser Richtung Gerhard (2015), S. 148: »Die Vernunft als Quelle von Gesetzen rückt damit zwar deutlich in die Nähe eines regulativen Prinzips, gewinnt dafür aber ein kritisches Potenzial.«

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6. Absolute Idee: Theologische Dimension, Systemcharakter und wissenschaftlicher Fortschritt (GW 12, 236–253) Beim ersten Blick auf das letzte Kapitel ist der Sinn der absoluten Idee als Ziel der beiden vorhergehenden Kapitel (Leben, Erkennen) exponiert worden (s. o. 2. S. 657–661). Wesentliche Teile des Kapitels wurden aber noch nicht kommentiert – vor allem der Abschnitt über die absolute Methode und das System. Die entscheidenden Stellen für die Fragen nach dem metaphysischen, theologischen oder nach-metaphysischen Charakter der absoluten Idee sind ebenfalls noch genauer zu untersuchen. Das Kapitel kann in drei Abschnitte unterteilt werden. Der erste exponiert die absolute Idee als Resultat der bisherigen Entwicklung des Gesamtabschnitts über die Idee (GW 12, 236, 1–237, 26). Der zweite stellt sie als absolute Methode dar GW 12, 237, 27–253, 3) und der dritte behandelt abschließend ihren Übergang in die Natur (GW 12, 253, 3–34). Theologische Dimension, Systemcharakter, wissenschaft licher Fortschritt

6.1 Absolute Methode und Dialektik (GW 12, 237–249) Auch dieser erste Teil des Kapitels kann noch einmal thematisch eingeteilt werden und Hegel selbst gibt mit den Zahlen in GW 12, 239 und 241 dazu, zumindest für den Mittelteil, Hinweise. Insgesamt gibt es aber vier Gedankengänge: a) Im ersten blickt Hegel noch einmal auf die Methoden des endlichen Erkennens zurück, um sie von der absoluten Methode zu unterscheiden (GW 12, 237, 27–239, 9). b) Der folgende mit »1.« bezeichnete Abschnitt hat es mit dem Anfang der Methode, d. h. der Selbstanalyse des Begriffs zu tun (GW 12, 239, 10–241, 23). c) Der dritte mit »2.« eingeleitete Abschnitt (241, 25–249, 7) enthält das »Weitergehen […]« (GW 12, 241, 29) durch Reflexion und Urteil über die jeweils zunächst unmittelbaren Gedankenbestimmungen. Diese Entwicklung erweist sich als Dialektik. Hegel erörtert daher den Sinn von Dialektik und ihre Bedeutung für die Philosophie überhaupt (GW 12, 242, 14– 249, 7). d) Im folgenden Abschnitt (GW 12, 249, 8–253, 10) geht er von der dialektischen Form zum »Inhalt des Erkennens« (GW 12, 249, 8) über: »Die Methode selbst erweitert sich durch diß Moment zu einem Systeme« (GW 12, 249, 9–10). Die Struktur des wissenschaft lichen Systems erweist sich als ein »Kreis von Kreisen« (GW 12, 252, 19–20). Auf den notwendigen Zusammenhang von Idee, Methode und vollständigem System wurde anfangs schon

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hingewiesen (s. o. S. 659 f.). Durch diesen Nachweis hat die »logische Wissenschaft ihren eigenen Begriff erfaßt« (GW 12, 252, 34–35). Aber zugleich wird die »reine Wahrheit […] als letztes Resultat auch der Anfang einer andern Sphäre und Wissenschaft« (GW 12, 253, 8–9). Ad a) Hegel führt die absolute Methode zunächst im Vergleich mit gewöhnlichen wissenschaft lichen und philosophischen Methoden ein, wie sie grundsätzlich im Abschnitt über die Idee des Erkennens behandelt worden waren. Die Methode im gewöhnlichen Sinne ist eine »blosse Art und Weise des Erkennens« (GW 12, 237, 27). Der Inhalt methodischer Untersuchungen wird in den empirischen, aber auch den mathematischen Wissenschaften von »der Methode als gegeben und als von eigenthümlicher Natur angenommen« (GW 12, 237, 33). Am Ende der Wissenschaft der Logik hat sich aber der Begriff selbst – die Bewegung der gedanklichen Selbstunterscheidung ohne Verlust der ›einfachen‹ Einheit mit sich – als »Seele aller Objectivität« erwiesen (GW 12, 237, 31). Diese Wissenschaft ist selber die Kritik jeder Art von Gegebenheit – ein Vergleich mit modernen Debatten über den »Mythos des Gegebenen« legt sich nahe.77 Im »Verlauf« der Logik sind »alle Gestalten eines gegebenen Inhalts und der Objecte vorgekommen« (GW 12, 237, 36–37) – Hegel spricht von »Gestalten« wie in der Phänomenologie des Geistes, in der es ebenfalls um die Kritik aller Formen der Unterscheidung des Gegebenen ging, aber dort nicht unterschieden vom logischen Begriff, sondern vom Bewusstsein. Wie in der Phänomenologie des Geistes wird auch in der Logik »Uebergang und Unwahrheit« (GW 12, 237, 38) aller Gestalten gezeigt, die von einer solchen Gegebenheit ausgehen. Damit ist aber der Begriff oder die Gedankenbewegung bzw. Methode den Inhalten nicht »äusserlich[]« (GW 12, 237, 39), sondern ihre »absolute Grundlage und letzte Wahrheit« (GW 12, 238, 1–2). Die Methode als »Bewegung des Begriffs selbst« (GW 12, 238, 6–7) ist zugleich die »Substantialität der Dinge« (GW 12, 238, 22), ihre Grundlage und ihre Bestimmung. Wenn der Begriff das Wesen aller Dinge – im aristotelischen Sinne von Form, Substanz und Telos – ist, dann sind diese selber Begriffe, die nur »der Vorstellung und der Reflexion zunächst als Andere erscheinen« (GW 12, 238, 22–23). Daher nennt Hegel die Methode auch »die schlechthin unendliche Kraft […], welcher kein Object, insofern es sich als ein Aeusserliches, der Vernunft fernes und von ihr unabhängiges präsentirt, Widerstand leisten, gegen sie von einer besondern Natur seyn, und von ihr nicht durchdrungen werden könnte« (GW 12, 238, 11–14). Alles ist intel77

Sellars (1956), §§ 10–20; McDowell (1996), bes. S. 13–21, 36–45.

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ligibel und zur Erkenntnis bestimmt, endliche wie absolute Gegenstände. Das heißt nicht, dass die philosophische Erkenntnis die der empirischen Wissenschaften ersetzt, aber sie muss deren Grundlagen und Ergebnisse in einem System logisch auseinander folgender Prinzipien darstellen können. Dass die Methode sich zum System »erweitert«, führt Hegel später eigens aus (GW 12, 249, 10–252, 24). Gleichwohl unterscheidet Hegel in seiner Schlussbetrachtung zur absoluten Methode diese vom Inhalt der Logik. Diesen »Unterschied der Methode von dem Begriffe als solchem, das Besondere derselben« (GW 12, 238, 27–28) erläutert er wiederum zunächst im Vergleich mit dem Methodenverständnis des endlichen (»suchenden«, GW 12, 238, 33) Erkennens. Dieses enthalte die »Bestimmungen der Form […], der Definition, Eintheilung u.s.f. als im Subjecte vorgefundene Thatsachen« (GW 12, 239, 3–4). Hier geht es ihm aber nicht um die gegebenen Inhalte dieser Form, sondern darum, dass die Form des synthetischen oder des im gewöhnlichen Sinne systematischen Erkennens nicht selber begründbar ist – die Methode ist ein »Werkzeug« wissenschaft licher Erkenntnis, an dem seit dem aristotelischen ›Organon‹ gearbeitet wird. Es hat mit der formalen oder transzendentalen Logik als »Thatsachen« (GW 12, 239, 4) des Denkens bzw. der Subjektivität zu tun, vielleicht auch mit den subjektiven Formen der Anschauung, wie bei Kant. Dass »Subject, Methode und Object« (GW 12, 238, 38) getrennt werden, bedeutet, dass es nie zu einer Identität, nicht einmal im Sinne einer vollständigen Adäquation kommen kann. »Im wahrhaften Erkennen« (GW 12, 239, 4) ist diese Trennung aufgehoben, weil der Begriff die drei Glieder vermittelt. Er ist Subjektivität – als Selbstunterscheidung zum Zwecke der Selbsterkenntnis –, hat aber zugleich als die »eigene Methode jeder Sache selbst« (GW 12, 238, 17) auch die »Bedeutung des Objectiven« (GW 12, 239, 7). Diese Allmacht des Begriffs als Methode des Denkens und »jeder« Sache ist im Sinne des hegelschen Wissenschaftsbegriffs dann erwiesen, wenn die Logik alle grundsätzlichen Kategorien des Denkens und Wollens, aber auch die Grundsätze und allgemeinsten Theorien aller Wissenschaften enthält – und zwar nicht in Form von Defi nitionen, Einteilungen und Lehrsätzen, sondern selber in der eines voraussetzungslosen, sich selbst erklärenden Systems. Ad b) Hegel bestimmt im nächsten Abschnitt aber die Methode der Logik selber und zwar in zwei Schritten: Zunächst (»1.«) wird das Problem des Anfangs noch einmal vom Ende der Logik her aufgenommen (GW 12, 239, 10–241, 23). Dann geht es (»2.«) um »Fortgehen« und »Entwicklung« (GW 12, 241, 24–249, 7) – auf das letztere gehen wir im nächsten Abschnitt (c) ein.

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In diesen Überlegungen zum Anfang geht es nicht primär darum »womit« der Anfang der Logik gemacht werden muss, wie zu Beginn der Seinslogik (GW 11, 33–40). Hier geht es nur um den Charakter der Unmittelbarkeit. Allerdings ist er nicht ein »unmittelbares der sinnlichen Anschauung oder der Vorstellung, sondern des Denkens, das man, wegen seiner Unmittelbarkeit auch ein übersinnliches, innerliches Anschauen nennen kann« (GW 12, 239, 22–24). Hegel scheint hier also auch eine Art intellektueller Anschauung zu akzeptieren, wenn sie nicht mit Endgültigkeitsansprüchen auft ritt. Dieser Anfang ist ein undifferenziertes Allgemeines, aber nicht wie in der wissenschaft lichen Definition als Abstraktion von einer gegebenen Mannigfaltigkeit. Es geht vielmehr nur um ein Allgemeines des Denkens als »abstracte Beziehung auf sich«, die in dem Gedanken des »Seyn[s]« enthalten ist (GW 12, 240, 7–8, vgl. ebd., 21–22). Unter diesem Begriff fängt das Denken sozusagen mit sich selbst an, nicht mit dem Sein als Gegenstand allen Denkens wie etwa in der Transzendentalienlehre der mittelalterlichen Metaphysik. Es darf auch noch nicht vom wahren Sein oder der »Realisirung des Begriffs« die Rede sein – etwa im Sinne einer Variante des ontologischen Gottesbeweises.78 Diese Realisierung ist das »Ziel und Geschäfte der ganzen weitern Entwicklung des Erkennens« (GW 12, 240, 12). Nun gibt es in einem holistischen System bekanntlich keinen Anfang, der nicht in einem bestimmten Sinne Resultat einer vorangegangenen Entwicklung ist. So hat etwa in der letzten Jenaer Systemkonzeption die Phänomenologie des Geistes durch Aufhebung aller Gegensätze den Anfang der Logik vorbereitet. Auch in anderen Systemteilen wie der Rechtsphilosophie weist Hegel auf die Genese des Anfangsbegriffs als einzig angemessene »Deduction« oder Rechtfertigung hin (GW 14,1, § 2). Hier wird diese »rückwärts« liegende »Beglaubigung des bestimmten Inhalts, mit dem der Anfang gemacht wird« (GW 12, 240, 17–18) aber als sekundär abgetan. Entscheidend ist das »Vorwartsgehen« (GW 12, 240, 18–19), die Entwicklung des Anfangs als dessen Begründung, durch die seine anfängliche Bedeutung erst erhellt wird. Der von ihm ausgehende Kreisgang ist die eigentliche Rechtfertigung des Anfanges. Der Fortgang muss aber im Anfang selber angelegt sein und ist es insofern, als »das Unmittelbare des Anfangs an ihm selbst das Mangelhafte, und mit dem Triebe begabt seyn [muß], sich weiter zu führen« (GW 12, 240, 27–28). Das ist für Hegel offenbar nicht nur im Rückblick von der Entfaltung her zu 78

Gleichwohl lässt sich die Identifi zierung der absoluten Idee mit dem Sein des Anfangs der Logik als eine Art umgekehrter ontologischer Gottesbeweis lesen. Zum ontologischen Gottesbeweis der Logik vgl. Henrich (1960); Düsing (2009), S. 227–232.

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sagen, sondern stellt eine »objective« – nicht etwa gefühlte oder von einer »äusserliche[n] Reflexion« festgestellte – Negativität dar (GW 12, 240, 26–27). In dem Gedanken der autonomen Negativität, die sich freilich erst mit deren Selbstbezüglichkeit entfaltet, liegt ja in der Tat ein Grundgedanke der hegelschen Methode.79 »Es gibt deswegen auch, es sey in der Wirklichkeit oder im Gedanken, kein so Einfaches und so Abstractes, wie man es sich gewöhnlich vorstellt« (GW 12, 240, 34–36) – bemerkenswerterweise benutzt Hegel an dieser zentralen Stelle den »gewöhnlichen« Begriff von Wirklichkeit. Aber diese Einsicht zeigt sich doch erst dem Begriff bzw. der absoluten Methode, für die es nichts wirklich Einfaches, von aller möglichen Differenzierung Unberührtes gibt. Für sie ist alles Allgemeine »an sich die concrete Totalität, aber die noch nicht gesetzt, noch nicht für sich ist« (GW 12, 240, 30–31). Als ein alles in sich enthaltender Anfang ist das anfängliche Sein schon das »Absolute[]«, mit dem die metaphysische Theologie alles anfangen lässt (GW 12, 241, 1–2). Aber man darf sich den »Fortgang« von solchem Anfang doch nicht als »Ueberfluß« (GW 12, 241, 7) denken. Es handelt sich vielmehr um die Selbstbestimmung bzw. -differenzierung eines Unbestimmten, durch die es erst Allgemeines im Sinne des Umfassenden wird, das »ebensosehr Einzelnes und Subject ist« (GW 12, 241, 9). Wie schon in der Vorrede der Phänomenologie des Geistes gilt: »Nur in seiner Vollendung ist es das Absolute« (GW 12, 241, 10, vgl. GW 9, 19, 12–19). Für Hegel sind der »Keim des Lebendigen« und der »subjective Zweck« ebenfalls »solche Anfänge« und in seiner Terminologie »Triebe« (GW 12, 241, 13–15). Im Sinne der Ausfaltung eines angelegten Ganzen mag das einleuchten. Die Negativität der Entwicklung, die Hegel im Folgenden zeigt, hat aber nur unvollständige Entsprechungen in diesen Anfängen. Es ist wieder nicht ganz eindeutig, ob sie daher nur als Antizipationen des Begriffs so gedeutet werden, oder dessen Dynamik in ihnen selber wirksam ist. Deutlich ist aber, dass mit dem Leben eine entscheidende Zäsur in der »scala naturae« verbunden ist: »Das Nicht-Geistige und Nicht-Lebendige dagegen ist der concrete Begriff nur als reale Möglichkeit« (GW 12, 241, 15–16). Reale Möglichkeiten sind offenbar solche, die durch externe Kräfte und Mechanismen, aber nicht selbsttätig und bewusst realisiert werden. Hegels Beispiel ist die Sonne bzw. das Sonnensystem – als pars pro toto für »alles Nichtlebendige« – »in welchen die reale Möglichkeit, eine innere Totalität bleibt, und die Momente derselben weder in subjectiver Form in ihnen gesetzt sind, und insofern sie sich realisieren, eine Existenz durch andere Körperindividuen erlangen.« (GW 12, 241, 20–24). Hier ist jeder Körper durch externe Kräfte 79

Vgl. den kommenden Abschnitt und Henrich (1976).

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und andere Körper bewegt, erwärmt etc., nicht durch eigene, lebendige oder gar bewusste Selbstbewegung. Ad c) Von der Betrachtung des nächsten Moments der Methode, dem Fortgang durch Bestimmung des Allgemeinen aus, gelangt Hegel zu einer konzentrierten Darstellung der Dialektik. Sie macht den Kern der Methode, aber darüber hinaus das Leben der Idee, ihre Subjektivität, Personalität und Freiheit selbst aus (vgl. GW 12, 246, 27). In dieser Hinsicht muss sie hier noch einmal genau betrachtet werden. Das Entscheidende an der Methode als Fortbewegung der Gedanken ist die Selbstunterscheidung. Hegel geht hier nicht, wie am Anfang der Seinslogik von der Reflexion auf die Bestimmungslosigkeit des Seins als Nichts an Bedeutung aus, sondern von dem Bewusstsein des Mangels und der potentiellen »Concretion« des Anfanges: »[D]ie Methode als das Bewußtseyn desselben [sc. des einfachen Begriffes] weiß, daß die Allgemeinheit nur Moment und der Begriff in ihr noch nicht an und für sich bestimmt ist« (GW 12, 240, 22–24). Offenbar kommt dieses »Wissen« der Methode nicht erst der Entwicklung der Logik selbst zu, sondern ist mit dem Denken des bloßen Seins des Denkens verbunden. »Die concrete Totalität, welche den Anfang macht, hat als solche in ihr selbst den Anfang des Fortgehens und der Entwicklung. Sie ist als Concretes in sich unterschieden« (GW 12, 241, 24–26). Der unmittelbare Selbstbezug unterscheidet die implizite Totalität, verleiht den Bestimmungen aber auch den Charakter der Unmittelbarkeit sowohl des Unterschieds wie der Einheit: »[D]ie ersten Unterschiedenen« sind als unmittelbare »zunächst Verschiedene«, aber der Selbstbezug des Ganzen ist »als Subject […] auch die Einheit dieser Verschiedenen« (GW 12, 241, 26–29). Dass Einheit und Verschiedenheit dem Begriff von Anfang an immanent sind, stellt die entscheidende Differenz der absoluten Methode als Dialektik gegenüber der äußerlichen Reflexion dar. Dass diese Methode selber »immanentes Princip und Seele« der Gegenstände alles Denkens ist, zeichne schon die Dialektik Platons aus (GW 12, 241, 36–37). Hegel charakterisiert die absolute Methode in dieser Hinsicht noch einmal als Einheit von analytischer und synthetischer Erkenntnis: Analytisch ist sie, weil sie die Bestimmungen, die sie entwickelt, »ganz allein« im Ausgangsbegriff, dem unexplizierten Allgemeinen, »findet« (GW 12, 242, 6). Synthetisch, weil dieser Begriff sich durch die Analyse verändert, »als ein Anderes sich zeigt« (GW 12, 242, 9–10). Die Selbstanalyse des Begriffes zeitigt also einen Bedeutungszuwachs. Genau diese Einheit des Analytischen und Synthetischen sei »das Dialektische« (GW 12, 242, 16).

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Im Folgenden unterscheidet Hegel diese synthetisch-produktive Dialektik von den negativen Formen des Eleatismus, des Skeptizismus und auch der kantischen Antinomienlehre. Sie alle teilen das »Grundvorurtheil […], daß die Dialektik nur ein negatives Resultat habe« (GW 12, 243, 32–33). Entscheidend dafür ist das Verständnis des Widerspruchs. Schon in seinen Habilitationsthesen von 1801 hatte Hegel ja behauptet, dass die contradictio »regula veri, non falsi« sei.80 Daraus, dass ein und derselbe Gegenstand oder Begriff nicht in derselben Hinsicht er selbst und seine Verneinung sein könne, wurde aus Sätzen, die »von irgend einem Gegenstande« sowohl eine positive Bestimmung wie »ebenso nothwendig auch die entgegengesetzte« (GW 12, 242, 31, 36) aussagen, auf die »Nichtigkeit der aufgestellten Behauptungen« geschlossen (GW 12, 243, 6–7). Und zwar entweder im ontologischen Sinne der Nicht-Existenz des Gegenstandes oder im epistemologischen, »daß das Erkennen mangelhaft sey« (GW 12, 243, 1–12). Die Dialektik sei entweder als »Kunststück eines falschen Scheines« (GW 12, 243, 13) verstanden worden, das der gesunde Menschenverstand widerlegen könnte wie Diogenes »der Hund« die eleatischen Widersprüche der Bewegung durch Auf- und Abgehen (GW 12, 243, 16–17). Ernster war der Fall bei Relativierungen der Moral, die Sokrates der Sophistik vorwarf, ihm selber aber hinsichtlich seiner dialektischen Befragungen der Jugend »das Leben gekostet hat« (GW 12, 243, 2–23). Die Widerlegung durch den allgemeinen Menschenverstand zeige nur die undiskutable Umkehrung der Hierarchie zwischen Denken und sinnlichem Bewusstsein. Bei der moralischen Dialektik muss man nach Hegel »zur Vernunft das Vertrauen haben«, dass sie das, was sie prüft, am Ende, wenn auch mit Einschränkungen (etwa bezüglich der vorgeblichen ›Natürlichkeit‹ von Normen) »wieder herzustellen wissen werde« (GW 12, 243, 26–28). Am radikalsten ist das negative Verständnis der Dialektik, wenn es wie bei Kant (gegen die Metaphysik) und dem Skeptizismus sich gegen das »Erkennen überhaupt« richtet (GW 12, 243, 31). Kant hat aber zugleich den Durchbruch zur Wiederentdeckung der Dialektik in ihrem positiven Sinne gebracht. Entscheidend dafür ist nach Hegel, dass er die »Betrachtung der Denkbestimmungen an und für sich« wieder zum Gegenstand der Philosophie gemacht habe (GW 12, 244, 2–3). In der traditionellen Philosophie wurden die Denkbestimmungen wie die Kategorien oder die Transzendentalien (ens, unum, aliquid etc.) nur als Prädikate oder Eigenschaften von Gegenständen behandelt, die ein »Dritte[s]«, nämlich das philosophische Denken selber, von den Gegenständen positiv, negativ oder auch beides, also widersprüch80

»Contradictio est regula veri, non contradictio, falsi.« (1. Habilitationsthese, GW 5, 227, 2–3)

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lich aussagte (»in dialektische Verhältnisse und in Widerspruch gesetzt«, GW 12, 244, 14–15). Die Bedeutungen dieser Bestimmungen selber wurden nicht reflektiert. Die Logik hat aber gezeigt, und das seit Hegels Versuchen in der Jenaer Zeit,81 dass die »als fest angenommenen Gegensätze, wie z. B. Endliches und Unendliches, Einzelnes und Allgemeines, nicht etwa durch eine äusserliche Verknüpfung in Widerspruch, sondern […], wie die Betrachtung ihrer Natur gezeigt, vielmehr an und für sich selbst das Uebergehen« (GW 12, 244, 21–24) sind. Daher ist ihr Übergehen keine Auflösung. Die entstandene Negation »enthält überhaupt die Bestimmung des Ersten in sich. Das Erste ist somit wesentlich auch im Andern aufbewahrt und erhalten.« (GW 12, 245, 3–5) Dieses Erhaltensein muss aber mit einer neuen Bestimmung auf den Begriff gebracht werden. An der Trift igkeit dieser dialektischen Methode ist nach Hegel nicht der geringste Zweifel möglich: »[E]s gehört zugleich nur die einfachste Reflexion dazu, um sich von der absoluten Wahrheit und Nothwendigkeit dieses Erfordernisses zu überzeugen, und was die Beyspiele von Beweisen hiezu betrifft, so besteht die ganze Logik darin.« (GW 12, 245, 6–9)

Über den Absolutheitsanspruch dieses Verständnisses von Dialektik muss man sich an dieser Stelle sicher nicht mehr wundern. Merkwürdig ›unholistisch‹ ist aber die Formulierung, der Gang der Logik bestehe in einer Folge von – für sich ›schlagenden‹ – Beweisen für die Trift igkeit dieser Methode. So einfach die Einsicht sein mag, sie erfordert nicht nur ein neues Verständnis der Kategorien des Denkens, sondern auch einen neuen Umgang mit der Aussagen- und Urteilslogik, wie es ja im ersten Teil der Logik des Begriffs erarbeitet wurde. Die Form des Urteils »und am meisten die unmittelbare des positiven Urtheils« ist nicht in der Lage, »das Speculative und die Wahrheit in sich zu fassen« (GW 12, 245, 18–20). Es genügt aber auch nicht, das negative Urteil als jeweilige Verneinung hinzuzufügen, also etwa zu »das Endliche ist unendlich, Eins ist Vieles, das Einzelne ist das Allgemeine« (GW 12, 245, 15–16). Damit kann die positive Bedeutung der Sinnerweiterung der jeweiligen Bestimmungen nicht gefasst werden.82 Entscheidend ist ja, dass jedes der Relata den Sinn seiner Verneinung in sich selber enthält bzw. »eine Beziehung oder Verhältniß« (GW 12, 245, 81

Zur Entwicklung der Dialektik in der Jenaer Zeit vgl. Düsing (1976) sowie Baum (1986). 82 Vgl. zu Hegels spekulativer Urteilslehre den Beitrag von F. Schick in diesem Band.

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29–30) ist. Die negative Beziehung ist nicht einfach die auf ein Anderes, »wogegen sie gleichgültig ist« (GW 12, 245, 31). Jede Bestimmung ist vielmehr »das Andre an sich selbst, das Andre eines Andern; darum schließt sie ihr eigenes Andres in sich, und ist somit als der Widerspruch, die gesetzte Dialektik ihrer selbst« (GW 12, 245, 32–35). Der Widerspruch besteht darin, dass etwas durch es selbst sowohl es selbst wie nicht es selbst ist. Ersetzt man »Andres« durch »Negation«, zeigt sich hier der Gedanke einer absoluten oder »autonomen« Negation, die sich nur gegen sich selber richtet.83 Es ist sicher richtig, dass man hier die Kerneinsicht Hegels vor sich hat, die zugleich als »Methode« der Motor zur Erzeugung der Folge von Gedankenbestimmungen ist, die in der Logik und in den anderen Teilen des Systems vorliegen. Das heißt noch nicht, dass jede dieser Folgen auch als alternativlos einleuchtet. Die Operation der selbstbezüglichen Negation kann aber nicht von ihren ›Beispielen‹ getrennt werden, wenn die Methode sich selber zum System erweitert (vgl. GW 12, 249, 10). Nach Hegel weichen alle Weisen, die innerliche Widersprüchlichkeit der Begriffe zu entschärfen durch Unterscheidung der Hinsichten, wie sie von Aristoteles bis Fichte84 geübt wurden, der Wahrheit aus: »Das formelle Denken aber macht sich die Identität zum Gesetze [d. h. es folgt dem Satz der Identität; LS], läßt den widersprechenden Inhalt, den es vor sich hat, in die Sphäre der Vorstellung, in Raum und Zeit herab fallen, worin das Widersprechende im Neben- und Nach-einander, ausser einander gehalten wird.« (GW 12, 246, 8–12)

Damit verfehlt es das Wesentliche des Denkens, der Wahrheit, der Subjektivität und der Freiheit. Hegels Pathos steigert sich auf der zweiten Hälfte der Seite: Die »betrachtete Negativität« ist der »einfache Punkt der negativen Beziehung auf sich, der innerste Quell aller Thätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele, die alles Wahre an ihm selbst hat, durch die es allein Wahres ist« (GW 12, 246, 18–23). Wahrheit wird dabei durchaus noch im Horizont der Entsprechung von Begriff und Realität verstanden, im doppelten Sinn der wahren Aussagen, die aber in dialektische Beweise eingebunden sein müssen, und im teleologischen Sinn der Selbstverwirklichung eines Begriffs. Alles, was aus dieser Selbstbewegung entwickelt werden kann, ist in seinem Begriff erkannt 83

Vgl. Henrich (1976), S. 215–219. Bei Fichte etwa in der Grundlage der gesammten Wissenschaft slehre, in der der Widerspruch zwischen dem zugleich gesetzten Ich und Nicht-Ich durch Einschränkung vermieden wird (vgl. Fichte (1965b [1794/95]), § 3 B), S. 270–271). 84

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und entspricht seiner Bestimmung. Alles »Wahre« in beiden Bedeutungen ist also sich dialektisch erzeugende geistige Bewegung. Sie ist »das innerste, objectivste Moment des Lebens und Geistes, wodurch ein Subject, Person, Freyes ist.« (GW 12, 246, 26–27). Die drei letzten Begriffe stehen hier durch das Komma nebengeordnet, aber sie können auch als Erläuterung verstanden werden. Ob Hegel hier von individualisierten, verkörperten Personen spricht, wird uns noch beschäft igen (u. 6.2). Die systematische Stelle für den Begriff der freien Person ist die Rechtsphilosophie. In ihr wird sie aus einem Willensbegriff entwickelt, der ebenfalls eine dialektische Einheit von allgemeinem, besonderem und einzelnem Willen enthält. Welche rechtlichen und sittlichen Folgen das für das Verhältnis der Rechte individueller Personen zum souveränen Gemeinwillen und die ihn repräsentierende Persönlichkeit (Monarch) hat, kann hier nicht erörtert werden.85 Obwohl Hegel die eigentliche »Seele« der dialektischen Bewegung als »Punkt« bezeichnet, lassen sich an der Bewegung verschiedene Momente unterscheiden, die er als »Triplicität« oder »Quadruplicität« bezeichnet (GW 12, 247, 16–17). Während er das Schematische des Zählens kritisiert, gibt er vor allem der Dreiheit doch eine wesentliche Bedeutung, die auch mit der Entsprechung zu den Gliedern eines Schlusses und, wie wir aus der Religionsphilosophie wissen, auch mit den Trinitätsvorstellungen zu tun hat. Wenn das erste Glied die Unmittelbarkeit des Anfanges und das zweite die sich selbst produzierende und negierende Entgegensetzung ist, dann kann der aufgehobene Widerspruch oder das »zweyte Unmittelbare« (GW 12, 247, 11) das dritte Glied der dialektischen Methode genannt werden. Es ist das Dritte gegenüber Unmittelbarkeit und Vermittlung, aber auch »zum ersten oder formellen Negativen, und zur absoluten Negativität oder dem zweyten Negativen« (GW 12, 247, 13–14). Inwiefern das »als Dritte gezählte auch als Viertes gezählt« werden kann (GW 12, 247, 15–16), ergibt sich aus folgender Überlegung: Wenn die Unterscheidung des Anfangs in der Bewegung des Anderswerdens schon eine Zweiheit erzeugt – in welchem Grade der Unterschied der beiden stabil wird, ist auf den Stufen der Logik verschieden – dann ist die zweite Unmittelbarkeit das Vierte gegenüber der ersten und dem Paar der Unterschiedenen (GW 12, 247, 15–20). Im Grunde ist aber auf den meisten Stufen der logischen Entwicklung das Mittelglied selber schon eine »Quadruplicität«, weil beide Unterschiedenen je die Einheit ihrer selbst und ihres »Anderen« sind – darauf geht Hegel hier aber nicht ein. Wichtig ist ihm dagegen, dass die Phasen dieser Entwicklung nicht gleichwertig sind, sondern das Resultat ihr Telos und erst »die Wahrheit« (GW 85

Vgl. Siep (2015), S. 59–78.

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12, 248, 10) ist. Das gilt für alle Phasen etwa der Entwicklung der Logik, vor allem aber für ihr Ende. Dieses kann nicht wieder wie eine beliebige »Vermittlung« sich selber unterscheiden, so dass ein endloser dialektischer Prozess entstünde. Wie sich das ›Ruhen‹ (vgl. GW 12, 248, 13) der Resultate bestimmter Systemteile zu ihrer Weiterentwicklung verhält, wird erst im nächsten Abschnitt behandelt. Hier geht es zunächst darum, dass die Stufen der Selbstnegation des Anfangs, seine Unterscheidung und die Einsicht des wechselseitigen Enthaltenseins der Gegensätze, wirklich nur Vorstufen des Resultates, für sich »unwahr« und nur die negative Seite der Dialektik sind: »Die beyden ersten Momente der Triplicität sind die abstracten, unwahren Momente, die eben darum dialektisch sind, und durch diese ihre Negativität sich zum Subjecte machen« (GW 12, 248, 17–19). »Dialektisch« ist hier wohl im negativen, skeptischen Sinne gemeint – so wie Hegel in seiner Jenaer Logik eine negative Auflösung der »festen« Gegensätze als Vorbereitung ihrer spekulativen Synthese im letzten Systemteil, der Metaphysik, dargestellt hat.86 Hier hingegen hat diese Negativität schon ihre positive Bedeutung, weil die Entwicklung ihrer Widersprüchlichkeit sie »zum Subjecte« macht, d. h. das Bewusstsein der Unterschiedenheit in der Einfachheit erzeugt. Ebenso wichtig wie die Unterscheidung zwischen den »skeptischen« Stufen und dem positiven Resultat ist Hegel die Differenz zu einem einseitig »analytischen« Verständnis. Danach wäre das Resultat nur durch seine Herkunft begreiflich, man müsste den »Gang wieder aus einanderlegen […], durch den es entstanden und der betrachtet worden ist« (GW 12, 248, 32–33). Dies wäre nichts anderes als das Auseinanderlegen einer Synthese in ihre Elemente – wobei Hegel hier die selbstbezügliche Negation als Form der Synthese zunächst beiseitelässt. Die wahre Methode zerlegt aber einen Gegenstand nicht nur in seine Bestandteile, sie erzeugt ihn »als Anderer« oder synthetisch (GW 12, 248, 39–249, 1). Das Resultat ist sozusagen mehr als seine Bestandteile – was jedem analytischen Credo der Rekonstruktion aus logischen oder sprachlichen »Atomen« widerspricht.87 Deswegen schreitet sie auch zu einer neuen »Grundlage« fort, deren Inhalt nicht mehr aus den Gegenständen des Wissens »aufgenommen« ist – wie in der Methode der gewöhnlichen synthetischen Erkenntnis –, sondern ein »abgeleitetes und erwiesenes« (GW 12, 249, 4–7) ist. Der dialektische Beweis verwandelt jede Voraussetzung in das Glied eines sich selbst begründenden Systems.

86 87

Düsing (1976), S. 150–208. Vgl. dazu Gerhard (2015).

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Ad d) Hegel erörtert in diesem vierten Abschnitt unmittelbar vor dem Schlussabschnitt zunächst das Verhältnis von Methode und System (GW 12, 249, 8–250, 23) und anschließend noch einmal besonders den Totalitäts- oder Vollständigkeitscharakter des Systems (»System der Totalität«, GW 12, 250, 24–253, 5). Diese Überlegungen sind von zentraler Bedeutung für die Frage, in welcher Weise die Methode damit überhaupt noch vom Inhalt abhängig ist, zunächst dem logischen und über diesen dann evtl. dem der Wissenschaften. Hegel betont nämlich die Autonomie der Methode: »Hier ist es erst, wo der Inhalt des Erkennens als solcher in den Kreis der Betrachtung eintritt, weil er nun als abgeleiteter der Methode angehört. Die Methode selbst erweitert sich durch diß Moment zu einem Systeme.« (GW 12, 249, 8–10) Das System samt seinen Inhalten ist eine »Erweiterung« der Methode. Das könnte bedeuten, dass die dialektische Methode selber das System erzeugt. Die Begriffe der Tätigkeit und die Metaphern von Quelle und Erzeugung werden von Hegel ja in der Tat mit besonderer Emphase gebraucht. Dennoch ist es mit Blick auf die gesamten Inhalte der Logik unwahrscheinlich, dass sie alle sozusagen apriorisch aus reinen Gedankenoperationen gewonnen werden. Sie sind ja vielfach auch Gegenstände von Wissenschaften, auch empirisch arbeitenden. Was mir aber schwer zu bezweifeln scheint, ist die Anforderung, dass die Grundbestimmungen des Systems mittels der dialektischen Methode der autonomen Negation rekonstruierbar sein müssen. Was sich einer solchen systematischen Rekonstruktion entzieht, kann nicht zur »Wahrheit« der Idee gehören. Wie weit die Grundlagen der Quantität und Qualität, des Chemismus oder der Systeme des Lebendigen und seiner Gattungserhaltung durch die Begriffe der nachhegelschen Wissenschaften intakt bleiben oder einer neuen dialektischen Rekonstruktion zugänglich sind, ist daher eine entscheidende Frage für die Offenheit oder Geschlossenheit der Logik. Zunächst muss Hegel die methodische Fortbestimmung des unmittelbaren Anfangs aber gegen die Gefahr eines unendlichen Progresses absichern. Denn der Anfang erscheint durch seine negative Differenzierung, den Übergang in Gegensatz und Widerspruch sowie seine Überwindung ja selber als eine »Bestimmtheit« und ein »Inhalt« (GW 12, 249, 14–15) – nicht mehr als bloße Bestimmungslosigkeit. Man könnte daher eine Genese für ihn fordern, die ihn selber als »Vermitteltes und Abgeleitetes« (GW 12, 249, 24) zeigt. Dies nennt Hegel die »Foderung des unendlichen ruckwarts gehenden Progresses im Beweisen und Ableiten« (GW 12, 249, 25–26). Zugleich ist der Inhalt des Anfangs durch seine dialektische Bestimmung ja selber angereichert, da das, was in ihm angelegt war, entfaltet worden ist. Diese Entfaltung scheint aber

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ebenfalls grenzenlos zu sein, immer mehr Differenzierungen aufzuweisen, so dass der »Fortgang sich eben so vorwarts ins Unendliche fortwälzt« (GW 12, 249, 28). Obwohl Hegel einen solchen »unendliche[n] Progreß« ganz generell als »begrifflosen« abweist (GW 12, 249, 29–30), ist gar nicht leicht zu sehen, wie er mit dem Problem fertig wird. Er scheint sich vor allem auf folgende Argumente zu stützen: Bestimmte Anfänge wie »Seyn, Wesen, Allgemeinheit« (GW 12, 249, 32) haben einen Doppelcharakter. Sie sind zum einen unbestimmt in Bezug auf das Verständnis von Bestimmen, das auf der jeweiligen Stufe herrscht. Im Gedanken des Seins liegen noch keine der abgrenzenden, qualitativen Bestimmungen derart, wie sie die ersten Negationen (z. B. für sich – für anderes) entwickeln, in dem des Wesens noch keinerlei Relationen, die sich im anderen Relatum auf sich selbst beziehen (z. B. positiv – negativ). Das macht sie zu wirklichen Anfängen dieser Entwicklung. Zum anderen sind sie aber bereits Resultate im Sinne »ihrer Negativität, als aufgehobener Vermittlung« (GW 12, 250, 1–2). Das gibt ihnen eine »Besonderheit« (GW 12, 250, 2), durch die sie sich »von einander unterscheiden« (GW 12, 250, 4). Die Negation der in ihnen aufgehobenen Bestimmungen – für das Sein wären das möglicherweise die der Phänomenologie, für das Wesen sind es die Seinsbestimmungen, für den Begriff die Reflexionsbestimmungen – gibt ihnen einen besonderen Charakter, der bei der Analyse zu anderen Resultaten führt, auch wenn die Methode sich nicht grundsätzlich ändert. Ihre »Form« ist die der Unmittelbarkeit, ihr »Inhalt« sozusagen ihre Herkunft und das daher in ihnen schlummernde Potential. Dessen (analytische und synthetische) Entfaltung schöpft sie daher vollständig aus und stellt sie am Ende wiederum als die unmittelbare Einheit ihrer potentiellen Differenzen dar. Diese vollständig ausschöpfende Rückkehr zum Anfang ist die »Totalität«, die den unendlichen Re- oder Progress verhindert. Das alles sind natürlich erhebliche Anforderungen an das, was in einem solchen System entwickelt werden kann. Es handelt sich nicht einfach um eine Methode der Kohärenz oder eines Holismus, der sich sozusagen in Gestalt einer offenen Reihe von Inferenzen entwickeln könnte. Die absolute Methode fordert definitiv ein »System der Totalität« (GW 12, 250, 24). Hegel bestimmt sie daher auf den nächsten Seiten zunächst formal und dann in Bezug auf die Systemteile. Formal heißt aber nicht, abgelöst vom Inhalt zu sein. Vielmehr geht es gerade darum, wie sich Erweiterung des Inhalts und Konzentration, »Aussersichgehen[]« und »In-sich-gehen«, »Ausdehnung« und »Intensität« (GW 12, 251, 6–8), Anreicherung und Verdichtung (vgl. GW 12, 250, 39) zueinander verhalten. Dass Hegel an diesen Stellen Metaphern benutzt, heißt für ihn sicher nicht, dass der Bereich des Begrifflichen verlassen

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würde. Im Gegenteil betont er: »Die Bereicherung geht an der Nothwendigkeit des Begriffes fort« (GW 12, 251, 4–5). Man kann sich aber fragen, ob die Zusammenfassung des ausgedehnten, entfalteten Inhaltes in eine einfache »Intensität« und »Spitze« (ebd., 10) nicht eines umfassenden Blicks einer intellektuellen Anschauung bedürfte, die etwa dem menschlichen diskursiven, durch die Zeit und den Umfang des Gedächtnisses beschränkten, Denken nicht zur Verfügung steht. Es häufen sich an dieser Stelle entsprechend die Superlative, auch wenn Hegel den Ausdruck »göttlich« nicht verwendet: »Das Reichste ist daher das Concreteste und Subjectivste, und das sich in die einfachste Tiefe zurücknehmende, das Mächtigste und Uebergreiffendste. Die höchste zugeschärfteste Spitze ist die reine Persönlichkeit, die allein durch die absolute Dialektik, die ihre Natur ist, ebensosehr Alles in sich befaßt und hält, weil sie sich zum Freisten macht.« (GW 12, 251, 8–12)

Es ist kaum zu sehen, wie eine solche zugleich umfassende und intensive Subjektivität einem Menschen möglich sein sollte, er müsste ja den gesamten Gehalt zumindest der Logik in einem Blick erfassen.88 Zugleich ist hier aber auch nicht von einem »anonymen« Reich der Gedanken die Rede, sondern von einer Subjektivität, die in die »Einfachheit« konzentriert und von der Ausdehnung des Reiches der Gedanken auch frei ist. Ob das der Mensch in den höchsten Momenten der Einsicht vollständig in sich aktualisieren bzw. instantiieren kann, wird noch zu erörtern sein (u. 6.2). Kommen wir zunächst noch einmal zum »System der Totalität« zurück, das Hegel mit dieser höchsten Spitze noch nicht vollständig erläutert hat. Was er noch weiter ausführt, ist der Kreischarakter dieses Systems. Er folgt daraus, dass die Bedeutungsanalyse eines undifferenzierten (unmittelbaren) Begriffs eine Einheit von »Fortgang[]« und »Rückannäherung« oder von »rückwarts gehende[m] Begründen« und »vorwartsgehende[m] Weiterbestimmen« (GW 12, 251, 14–18) darstellt. Hegel unterscheidet diese Bewegung ebenso von einer deduktiven wie von einer hypothetischen, den Anfang nur vorläufig ansetzenden. Da sich alle weitere Entwicklung als Ausschöpfen des ursprünglichen Begriffs erweist, kann dieser als »Grund« der weiteren Entwicklung und der darin auftretenden Bedeutungen bzw. Begriffe bezeichnet werden. Zugleich aber wird er durch das, was aus ihm entwickelt wurde, 88

Nach Düsing (1976, S. 321) ist das Denken seiner selbst, das den Reichtum der logischen Bestimmungen enthält, »anschauender göttlicher Verstand, der den Begriff seiner selbst erfaßt«. Auch Harlander (1969) nimmt für diese Leistung die intellektuelle Anschauung in Anspruch.

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in seinem Bedeutungsgehalt erst offenkundig und in seiner generierenden Funktion selber erwiesen bzw. ›begründet‹. Um ein Beispiel aus der Rechtsphilosophie zu verwenden, in der Hegel selber auf die Methode der Logik verweist: Wenn aus einem anfänglich unbestimmten Begriff des Rechts eine Stufung verschiedener Rechte – als durch Regeln, Kompetenzen etc. bestimmter »Freiheiten« – und eine kohärente und gerechtfertigte Rechtsordnung entwickelt wurde, dann ist dieser Begriff selber erst verstanden und gerechtfertigt. Mit Hegels Worten zur absoluten Methode: »Auch die Methode der Wahrheit weiß den Anfang als ein Unvollkommenes, weil er Anfang ist, aber zugleich diß Unvollkommene überhaupt, als ein Nothwendiges, weil die Wahrheit nur das Zu-sich-selbst-kommen durch die Negativität der Unmittelbarkeit ist.« (GW 12, 251, 36–39)

Dass die Methode etwas »weiß« und die Bedeutungsentwicklung ein »Zusich-selbst-kommen« ist, zeigt, dass auch die Logik als eine Art Bewusstwerdungsprozess zu verstehen ist, wenn auch nicht eines individuellen, sich von anderen und einer »Außenwelt« unterscheidenden Bewusstseins. Hegel dehnt aber den durch die absolute Methode ermöglichten Systemcharakter aus auf die »Wissenschaft« (GW 12, 252, 17) als einer kreisförmigen Kette von »einzelnen Wissenschaften« (GW 12, 252, 22) – also das System der Philosophie.89 Da jede dieser Wissenschaften in sich ein ihren Anfangsbegriff ausschöpfender Kreis ist, aber zugleich ein »Vor und ein Nach hat« (GW 12, 252, 23) aus dem ihr Anfang kommt und zu dem ihr Resultat führt (bzw. in Hegels Worten »zeigt«, GW 12, 252, 24) ist das Gesamtsystem ein »Kreis von Kreisen« (GW 12, 252, 19–20). Die Methode ist dabei das die jeweilige Entwicklung als eine Reflexion auf die impliziten Unterscheidungen (bzw. Schlüsse) auslösende Moment: »denn jedes einzelne Glied, als Beseeltes der Methode, ist die Reflexion in-sich, die, indem sie in den Anfang zurückkehrt, zugleich der Anfang eines neuen Gliedes ist« (GW 12, 252, 20–22). Dass der Rückgang in den Anfang zugleich eine erweiterte und vertiefte Bestimmung ist, die Ausgangspunkt einer neuen »Wissenschaft« ist, erinnert an Fichtes Modell der Wissenschaftslehre in seiner frühen Programmschrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre von 1794. Fichtes Wissenschaften sind aber die außerphilosophischen, die einen eigenen Stoff des in ihnen »Bestimmbaren« sozusagen mitbringen. Bei Hegel dagegen sind es die Teile des philosophischen Systems, die allenfalls die Grundbegriffe der Wissenschaften in 89

Vgl. Mooren/Rojek (2015).

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einen systematischen Zusammenhang bringen und in den Gesamtkreis einordnen. Betrachtet man die Logik als einen solchen Teilkreis, so hat sie sozusagen ein doppeltes Ende: zum einen ihren eigenen Anfang, das Denken seiner selbst als »einfache Beziehung auf sich, welche Seyn ist« (GW 12, 252, 30–31). Zum anderen die Unmittelbarkeit der Natur, deren Grundbestimmungen die Relationen zwischen völlig »gleichgültigen« Relata sind, den Raum- und Zeitpunkten. Diese beiden Resultate unterscheidet Hegel in den letzten Abschnitten des Schlusskapitels (GW 12, 253, 6–34) auf folgende Weise: In der Erkenntnis, dass alle Begriffe der Logik aus dem des Seins gewonnen wurden, das Sein sich also in diesem Prozess sozusagen selbst auslegt, wird die Differenz zwischen dem Begriff des Seins und der »subjective[n] Reflexion« darauf, oder dem Begriff und seinem Inhalt, aufgehoben. Das erreichte »absolute[] Erkennen[]« (GW 12, 252, 36–37) hat nur noch sich selbst zum Inhalt. Die Idee ist »der reine Begriff, der sich zum Gegenstande hat, und der, indem er sich als Gegenstand die Totalität seiner Bestimmungen durchläuft, sich zum Ganzen seiner Realität, zum Systeme der Wissenschaft ausbildet, und damit schließt, diß Begreiffen seiner selbst zu erfassen, somit seine Stellung als Inhalt und Gegenstand aufzuheben, und den Begriff der Wissenschaft zu erkennen« (GW 12, 252, 38–253, 3).90 Hier ist die Anknüpfung an die Modelle des göttlichen Denkens, das, indem es sich selbst denkt, alle Ideen überhaupt denkt (z. B. Augustinus), nicht von der Hand zu weisen. Dass dieses Denken aller Ideen der philosophische Sinn der Schöpfung ist, legt auch das zweite Ende, der Übergang der Idee in die Natur, nahe. Hegel bezieht den Rückgang der Idee in das Sein des Anfanges noch einmal auf den Beweis der »absolute[n] Einheit des reinen Begriffs und seiner Realität« (GW 12, 253, 11–12). Der Begriff ist eins mit dem Sein nicht nur in seiner Unmittelbarkeit, sondern auch mit der Totalität der darin enthaltenen und in der Logik entwickelten Bestimmungen. Die Unmittelbarkeit des Seins ist »als die »Totalität in dieser Form, – Natur« (GW 12, 253, 13). Das zweite Ende der Logik ist also nicht nur die Naturphilosophie als Erkenntnis der Natur, sondern ihr ›Dasein‹ selber. Wenn die Idee alle Realität umfasst, muss sie auch in der Natur als deren eigentliche Realität gefunden werden können. Diese enthält einen großen Teil der Begriffe der Logik in äußerlicher Form des Einander- Ausschließens und organischer und animalischer Selbstver-

90

Auf die neuplatonischen, vor allem bei Proklos anzutreffenden Quellen der Figur des sich differenzierenden Einen (Hen), das in der Selbsterkenntnis zu dieser Einheit zurückkehrt, werde ich im Folgenden nicht eingehen. Vgl. dazu Beierwaltes (1972), S. 154–187; Halfwassen (1999).

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hältnisse – wobei das ›Selbst‹ ein noch unbewusstes Verhältnis (Funktionieren, Empfinden etc.) des Ganzen zu seinen Gliedern darstellt. Bei diesem zweiten Ende steht Hegel aber vor einem Dilemma: auf der einen Seite muss er behaupten, dass auch die Natur zu der von den logischen Begriffen strukturierten Realität und zum Prozess der Selbsterkenntnis der Idee gehört. Zudem muss der Kreis der Logik auch in den der Naturphilosophie zurück-›geschlungen‹ werden, wenn alle Formen ihres Daseins und ihrer Selbsterkenntnis ein System bilden sollen. Zum anderen ist die Natur nach ihrer Bestimmung am Anfang des Kapitels (Idee des Lebens) nur ein endliches Dasein der Idee, während deren reine begriffliche Darstellung die höchste Form der Selbsterkenntnis ihrer Unendlichkeit ist. Ein Unendliches kann ohnehin nicht von außen begrenzt sein, und die Idee kann nichts mehr Unverstandenes, nicht selber von ihr Durchdrungenes – denn sie ist »vollkommen durchsichtig«, (GW 12, 253, 20) – außer ihr haben. Sie kann auch nicht in ein anderes, erst recht nicht in eine Sphäre äußerlicher, endlicher Verhältnisse übergehen. Der Begriff des Werdens und Übergehens ist daher hier in keiner der Logik immanenten Bedeutungen mehr anzuwenden, auch nicht in der innerhalb der subjektiven Logik selber angemessenen (vgl. GW 12, 253, 12–16). Die Rückkehr in die vollständig verstandene Natur muss der Freiheit der reinen Selbsterkenntnis gemäß frei sein: »Das Uebergehen ist also hier vielmehr so zu fassen, daß die Idee sich selbst frey entläßt, ihrer absolut sicher und in sich ruhend« (GW 12, 253, 21–23). Die beiden Abschlüsse der Logik stehen natürlich nicht unverbunden nebeneinander. Der Rückgang zum Sein, aus dessen Implikationen sich die absolute Idee entwickelt hat, ist auch der zu den Bestimmungen, die sich durch einfache Negationen auf ihr »Anderes« beziehen. Diese Bestimmungen sind aber primär die der Natur, vor allem ihrer unorganischen Stufen. Die Einheit des Rückganges in den Anfang der Logik und den Übergang in die Naturphilosophie enthält der folgende Satz, dessen Schluss schon zitiert wurde, der als ganzer aber der Deutung einige Schwierigkeiten bereitet: »Indem die Idee sich nemlich als absolute Einheit des reinen Begriffs und seiner Realität setzt, somit in die Unmittelbarkeit des Seyns zusammennimmt, so ist sie als die Totalität in dieser Form, – Natur« (GW 12, 253, 11–14). Die erste Schwierigkeit liegt in dem Ausdruck des Setzens. Die Hauptbedeutung von Setzen im Kapitel über die Idee ist »Explizieren«. Einfache Begriffe werden durch die Unterscheidung ihrer Bedeutungsgehalte zu Urteilen mit entgegengesetzten Prädikaten, die durch Schlüsse zu komplexeren Einheiten ›synthetisiert‹ werden können. Dabei ist diese Bewegung die dargestellte der dialektischen Selbstnegation. Im hier zu interpretierenden Satz soll die Idee aber mit einer Synthese (»zusammennehmen«) in eine unmit-

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telbare Einheit beginnen. Das »Setzen« kann also allenfalls explizieren, dass die Einheit von Idee und Realität – in allen in der Logik entwickelten Bedeutungen dieses Begriffs – in der unmittelbaren Anfangsbestimmung des Seins schon enthalten war. Setzen ist so einerseits – metaphorisch gesprochen – ein Zusammenfalten des Entfalteten und dadurch andererseits das Erhellen der Bedeutung, die im Anfangsbegriff des Seins schon lag. Dieser Gedanke soll aber zugleich und ohne weiteres Explizieren oder Folgern – »indem« – die Bedeutung der Totalität der Seinsbestimmungen als Natur enthalten. »In dieser Form«, nämlich als unmittelbar ›seiende‹ Einheit von Idee und Realität, ist die Idee selber Natur. Dieses direkte Identisch-Sein scheint auch nicht zur Dialektik von Setzen und Voraussetzen zu passen, mit dem Hegel an anderen Stellen (z. B. der Enzyklopädie von 1830) das Verhältnis von Geist und Natur erklärt.91 Dass dies kein weiterer Schritt innerhalb der logischen Entwicklung ist, diese also nicht in einen unendlichen Progress sozusagen verlängert, sondern ihre »Totalität«, die Erschöpfung ihrer inneren Möglichkeiten beweist, ist offenbar der wichtigste Grund dafür, dass Hegel sich in den letzten 30 Zeilen der Logik der voluntativen Metaphern des Entschlusses, des freien Entlassens etc. bedient: Dass die Idee »sich selbst frey entläßt, ihrer absolut sicher und in sich ruhend« (GW 12, 253, 22–23), ist zugleich ihr »Entschluß […] sich als äusserliche Idee zu bestimmen« (GW 12, 253, 29–30). Wenngleich nicht logisch erzwungen, handelt es sich natürlich auch um keinen Willkürentschluss, nicht einmal im Sinne einer grundlosen »göttlichen« Setzung. Er ist vernünftig zumindest im Sinne der Zweckmäßigkeit: Der Zweck ist allein, die Idee vermittels der Natur und ihrem Begreifen durch den Geist am Ende selbst in ihrer Grenzenlosigkeit zu bestätigen. Die »Freyheit« dieses Schrittes hat einen mehrfachen Sinn: Erstens erfolgt sie frei, von keiner Notwendigkeit, auch keiner logischen, erzwungen. Zweitens ist sie eine »absolute Befreyung« (GW 12, 253, 17). Die Assoziationen der religiösen Vorstellungen der mit der immanenten »Zeugung« des Sohnes verbundenen Schöpfung legen sich sicher nahe. Aber auch die der Befreiung des Göttlichen zur Welt, von der Hegel angesichts der unbedingten Rechtfertigung der weltlichen Sittlichkeit im Protestantismus und dem aus ihm hervorgehenden Staat spricht (z. B. GW 20, 534, 30–32 u. 535, 25–33). Sicher sollen diese Vorstellungen und Begriffe in den freien Entschluss auch ›aufgehoben‹ sein. Es fragt sich aber – seit der Hegel-Schule – wie viel theologisches Erbe sie noch bewahren (u. 6.2 und 6.3).

91

Vgl. Quante (2004).

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Drittens überträgt die Idee ihre Freiheit in gewissem Sinne auf die »Aeusserlichkeit des Raums und der Zeit« (GW 12, 253, 2). Diese ist als »Form ihrer [sc. der Idee] Bestimmtheit eben so schlechthin frey« (GW 12, 253, 23–24) – aber negativ als Freiheit »von«, nämlich der Subjektivität selber. Raum und Zeit als Grundelemente der Natur sind selber »ohne Subjectivität« (GW 12, 253, 24–25), ohne Selbstbeziehung und Selbstverhältnis. Insofern stehen sie auch sozusagen beziehungslos neben der Idee als Subjektivität – Natur ist kein anderes Subjekt, kein Selbstzweck, der mit der Idee in Konkurrenz träte. Aber als ein solches Nebeneinander erscheint das Verhältnis nur für das vergegenständlichende Bewusstsein, das sie als »blosse Objectivität und äusserliches Leben« (GW 12, 253, 27) auffasst. Von diesem Schein muss die »äusserliche Idee« (GW 12, 253, 30) oder der Begriff sich im Durchgang durch die Naturund Geistphilosophie noch einmal befreien – das könnte man die vierte Bedeutung von Freiheit nennen. »[I]n der Wissenschaft des Geistes [ist] seine [sc. des Begriffs] Befreyung durch sich vollendet« (GW 12, 253, 32–33). Die Idee hat sich in ihre »freye aus der Aeusserlichkeit in sich gegangene Existenz« (GW 12, 253, 31–32) erhoben und findet den »höchsten Begriff seiner selbst in der logischen Wissenschaft, als dem sich begreiffenden reinen Begriffe« (GW 12, 253, 34–35). Der Befreiung der Idee von ihrer Eingeschlossenheit in den reinen Gedanken durch das Entlassen ihrer selbst in die oder als die Natur korrespondiert also die Befreiung von dieser äußerlichen Existenz. Die Logik am Ende des Systems ist in dieser Hinsicht eine andere als am Anfang. Auch die Inhalte aus der Natur und den Wissenschaften von ihr, die in der Entwicklung der Logik vorkommen, sind jetzt anderes zu betrachten: Jede Abhängigkeit der Idee von der Natur, vermittelt über diese Gehalte, ist sozusagen widerlegt. Dennoch hat Hegel die Logik in der Enzyklopädie an den Anfang gestellt, wohl um die Berechtigung der Methode der folgenden Teile zu erweisen.92 Da die Idee unendlich und allumfassend ist, bleibt sie auch angesichts der Natur »an und für sich die Totalität des Begriffs, und die Wissenschaft im Verhältnisse des göttlichen Erkennens zur Natur« (GW 12, 253, 28–29). Hier benutzt Hegel bewusst das Prädikat »göttlich«, um ein Erkennen zu bezeichnen, das die Natur versteht als von der »Totalität des Begriffs« umfasst (GW 12, 253, 28). Der Mensch umfasst die Natur nicht völlig, er ist ihr in bestimmten Hinsichten, nämlich als bedürftiger und handelnder, sogar unterworfen, wie Hegel im Teleologie-Kapitel selber betont (s. o. S. 722–725). 92

Die unterschiedlichen möglichen Darstellungsweisen des Systems und die unterschiedliche Abfolge der Teile werden ausführlich erörtert bei Puntel (1973).

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Aber die Einsicht, dass sie nichts anderes ist als eine Form der Idee, ist ihm doch zugänglich. In dieser findet er die Form seiner eigenen Subjektivität wieder und kann das Entlassen der Idee in die Natur auch gedanklich nachvollziehen. In welcher Weise er an der absoluten, unendlichen Subjektivität partizipiert, wird noch zu klären sein (V. B). Was hat sich aus der Kommentierung des gesamten Abschnitts »Die Idee« für die beiden Leitfragen ergeben?

6.2 Persönlichkeit und freier Entschluss – wie göttlich ist die absolute Idee? (GW 12, 236; 246; 251; 253) Angesichts der Themen, die das Kapitel über die absolute Idee behandelt, liegt es nahe, die Logik zumindest auch als neue Fassung der rationalen Theologie auf der Basis einer Subjektivitätstheorie zu verstehen.93 Unübersehbar ist auch die enge begriffliche Verwandtschaft mit Hegels Ausführungen über den Begriff ›Gottes‹ in der vollendeten Religion in seinem Manuskript von 1821 (vgl. GW 17, 205–300). Wie weit die philosophische Aufhebung der religiösen Wahrheiten diese ›entmythologisiert‹, ist seit je umstritten. Das sind Fragen, die nicht nebenbei in einem Kommentar zur absoluten Idee erledigt werden können. Sicher ist auch die Logik nicht der Ort, an dem der volle Gottesbegriff der hegelschen Philosophie entwickelt wird – das ist erst die Philosophie des absoluten Geistes.94 In dieser bringt aber die Philosophie die Gottesvorstellungen der »geoffenbarten Religion« (GW 13, 243, 8) auf den »Begriff« (GW 13, § 472, 245, 26). Dafür ist die absolute Idee als Persönlichkeit und ihr Übergang in die Natur zentral. Angesichts dieser Nähe zum Gottesverständnis der christlichen Religion ist es aber sinnvoll, sich Hegels Kritik an einigen fundamentalen Annahmen der gewöhnlichen christlichen Lehre – jedenfalls außerhalb einer mystischen 93

Zustimmend Jaeschke (1981), S. 404. Hegel hat schon in seiner Nürnberger Zeit die Kantische Kritik an der »natürlichen Theologie« in der Logik sowohl dargestellt wie seinerseits der Kritik unterzogen (vgl. GW 10,2, 825, 22–29). 94 Zur Aufhebung der Religion in Philosophie vgl. jetzt Mooren (2018). Nach Jaeschke (1981) wird »die absolute Idee als die logische Gestalt dessen angesehen […], was man gemeinhin als die Persönlichkeit Gottes bezeichnet« (ebd., S. 404) – allerdings nicht nur im Christentum, sondern auch in Hegels Verständnis bei Aristoteles. Erst der Gottesbegriff des absoluten Geistes sei nicht mehr der aristotelische, sondern der christliche (ebd., S. 406). Nach der jüngsten Untersuchung des Verhältnisses der Logik zur Gottesfrage von E. Plevrakis, (2017) stellt die Logik nur die begriffliche Systematik aller theologischen Aussagen bereit (ebd. S. 389). Gleichwohl ordnet auch er der absoluten Idee die christliche Trinität und die aristotelische noesis noeseos zu (ebd. S. 420) – wobei deren personale Deutung sicher problematisch ist.

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Praxis und Theologie – zu vergegenwärtigen. Sie betrifft vor allem die Trennung von Immanenz und Transzendenz, menschlichem und göttlichem Geist. Diese Kritik prägt schon seine frühesten Schriften und ist im Kapitel über das »unglückliche Bewußtsein« der Phänomenologie des Geistes, auch wenn es primär den mittelalterlichen Katholizismus im Auge hat, zum ersten Mal sozusagen ›gebündelt‹. Die auch in vielen anderen Texten enthaltenen Thesen, die zur traditionellen christlichen Gottesvorstellung nicht passen, kann man hier kurz in Erinnerung rufen: Der Begriff der »wahren« Unendlichkeit schließt eine stabile Unterscheidung zwischen dem endlichen Geist des Menschen und dem unendlichem Geist Gottes aus – der letztere wäre nicht unendlich, wenn er etwas Geistiges außer sich hätte. Ein allgütiger Gott kann kein verborgener, dem Menschen nicht vollständig erkennbarer sein, denn solche »Eifersucht« gegen Erkennbarkeit kann den Menschen nur in Unsicherheit und Unterwerfung bringen. Die Subjektivität, das Modell für ein absolutes, sich selber denkendes Denken – die klassische noesis noeseos des Aristoteles – ist von der menschlichen nicht grundsätzlich unterschieden und lässt sich von deren »anthropologiefreier« Selbstreflexion aus erschließen. Auch die christliche Theologie muss so interpretiert werden, dass sich das Selbstbewusstsein Gottes in der Gemeinde der Gläubigen und im philosophischen Wissen vollendet.95 Nach diesem Umriss sollen nun zunächst (1.) Hegels Ausführungen zur Persönlichkeit der absoluten Idee noch einmal genauer unter die Lupe genommen werden. Danach (2.) gehe ich auch auf die möglichen Deutungen des Entschlusses der Idee noch einmal ein, »sich als äusserliche Idee zu bestimmen« (GW 12, 253, 29–30).

6.2.1 Die Persönlichkeit der absoluten Idee – wie göttlich ist die absolute Idee? (GW 12, 236, 8–237, 19; 246, 18–247, 6; 251, 1–13) Hegel benutzt die Begriffe »Person« und »Persönlichkeit« im Schlusskapitel an drei Stellen (Persönlichkeit: GW 12, 236, 13; GW 12, 251, 11 – Person GW 12, 236, 14; GW 12, 246, 27). Die erste Stelle steht noch im Zusammenhang mit der Idee des Guten, in deren Entwicklung die Idee ja als einzelner und gemeinsamer Wille zur 95

Nach Hegels in der Werkausgabe der Freunde des Verewigten (von Marheineke und Bauer) überlieferten Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes (1829, nicht überliefertes Manuskript 1831) gilt es in dieser Gemeinschaft des göttlichen und des menschlichen Wissens aber »ebenso sehr den Unterschied […] festzuhalten« (GW 18, 302, 13). Vgl. Jaeschke (2010), S. 497.

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Verwirklichung einer für alle vernünft igen Freiheitsordnung verstanden wurde. Wesentlich war dabei, dass ›Verwirklichung‹ den Charakter der Manifestation, nicht der unvollkommenen Annäherung an ein Ideal hatte. Hegel spricht der so verstandenen Idee (bzw. dem Begriff auf dieser Stufe) »Persönlichkeit« zu – wenn auch in der Formulierung, dass der Begriff »die Persönlichkeit hat« (GW 12, 236, 13). Er erläutert dann diesen Zug des Begriffes wieder durch zwei Momente: Erstens durch die Formulierung, dass der »praktische, an und für sich bestimmte, objective Begriff […] als Person undurchdringliche, atome Subjectivität ist« (GW 12, 236, 14–15). Als »praktische«, d. h. wollende und handelnde, sowie als »atome« kommt der absoluten Idee offenbar auch von anderen unterschiedene Individualität zu.96 Ob sie als solche Person auch eine endliche, raum-zeitlich vereinzelte ist, kann aber noch nicht eindeutig entschieden werden. Ein Blick in die Religionsphilosophie wird zeigen, dass Hegel auch rein geistige Personen, die in sich vollständig begrifflich bestimmt und – da die Begriffe ihre eigenen Momente sind – auch selbstbestimmt sind, für individuierbar hält. Zweitens gehört zur Persönlichkeit des Begriffs bzw. der Idee, dass er »ebensosehr nicht ausschliessende Einzelnheit, sondern für sich Allgemeinheit und Erkennen ist, und in seinem Andern seine eigene Objectivität zum Gegenstande hat« (GW 12, 236, 15–17). Das »Andere« umfasst nach der Idee des Erkennens alle Gegenständlichkeit des theoretischen Wissens, nach der Idee des Guten auch die andere Person, die Gruppe, die Institutionen, die Geschichte. In all diesen »Anderen« ist die Freiheit des Lebens nach vernünftigen Ordnungen »gegenständlich« – es gibt nichts der Idee Fremdes mehr. Die Persönlichkeit vereinigt also umfassende Freiheit und Subjektivität nach innen und außen mit Individualität, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit. Ob Hegel an dieser Stelle zwischen Persönlichkeit und Person strikt unterscheidet, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob er unter der letzteren eine natürliche Person als raum-zeitliche Individualität versteht, wie an anderen Stellen seines Systems.97 Dagegen spricht, dass wir hier vor der Entäußerung der absolut freien Idee in eine raum-zeitliche Natur stehen. 96

In der Rechtsphilosophie ist die Person »einfache Beziehung auf sich in seiner Einzelnheit« und zugleich »reine Beziehung auf mich«, in der sich die als »Dieser« individualisierte Person zugleich »als das Unendliche, Allgemeine und Freye weiß« (GW 14,1, § 35, 51, 13–19). Die individualisierte Person wird ausdrücklich als »endliche« bezeichnet; vgl. Quante (2017). 97 In der Rechtsphilosophie gilt die terminologische Unterscheidung zwischen Persönlichkeit und Person zwar für die Manifestation der Persönlichkeit des Staates in einer Person (GW 14, § 279, s. u. Anm. 109), aber nicht eindeutig für das abstrakte Recht (vgl. etwa GW 14, §§ 35, 36). Für die Religionsphilosophie konstatiert dagegen Wagner (1971, S. 259): »Die Person ist die realisierte oder manifeste Persönlichkeit.«

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Die zweite Stelle steht im Zentrum der Behandlung der absoluten Methode als Dialektik. Hegel nennt die Tätigkeit der autonomen, selbstbezüglichen Negation, die in sich das Gegenteil ihrer selbst erzeugt und diesen Widerspruch in eine sowohl differenzierte wie einfache Einheit aufhebt, das »innerste, objectivste Moment des Lebens und Geistes, wodurch ein Subject, Person, Freyes ist« (GW 12, 246, 26–27). Hier ist zwar vom »einfache[n] Punkt der negativen Beziehung« (GW 12, 246, 19–21), aber nicht von der »atomen«, ausschließenden Subjektivität die Rede. Es geht vielmehr um die von allem unabhängige Selbstbeziehung, die zugleich der »innerste Quell aller Thätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung« ist (GW 12, 246, 20), d. h. der ›synthetischen‹ Erzeugung logischer Gedanken. Sicher sind menschliche Personen zumindest zum Nachvollzug dieser Gedanken fähig. Das setzt aber voraus, dass sie von aller persönlichen Besonderheit absehen und sich ganz in die geistige Selbstbewegung der logischen Begriffe versenken. »Person« ist hier die Eigenschaft der Selbsttätigkeit, der völligen Unabhängigkeit und Selbsttransparenz, die durch die Selbstnegation des Begriffes als Subjektivität begründet ist. Dass der Begriff auch als Ich in jedem einzelnen (auch endlichen) Subjekt existiert, ist schon seit der Begriffslogik klar (vgl. GW 12; 23; 36; 51). Auf dieser Stufe ist das einzelne Subjekt aber nicht durch seine qualitative oder quantitative Unterschiedenheit bestimmt, sondern durch das Bewusstsein, sich in anderen »selbständige[n]« und in sich reflektierten Subjekten wiederzufinden (GW 12, 12). Dass sich die Allgemeinheit der Gattung im Prozess der Individualisierung und Aufhebung des leiblich-lebendigen Individuums manifestiert, gilt für die Idee aber seit der Idee des Lebens. Die dritte Erwähnung der Persönlichkeit findet sich bei der Erläuterung der Totalität des Systems und seinem sich Schließen durch den Rückgang zum Anfang (vgl. GW 12, 251, 8–13). Hier geht es um die selbständige Zusammenfassung aller logischen Bestimmungen in eine zugleich »reiche« und konzentrierte »höchste zugeschärfteste Spitze«, die Hegel mit dem vorher nicht verwendeten Prädikat »reine« Persönlichkeit charakterisiert (GW 12, 251, 8–11). Wie an der vorhergehenden Stelle ist es wieder die Konzentration aller internen Unterscheidungen in einer einfachen Selbstbeziehung, die als »Persönlichkeit« bezeichnet wird. Hier gilt sie dem gesamten Prozess der Logik als Entfaltung, »Ausdehnung« und Zurücknahme »in die einfachste Tiefe« (GW 12, 251, 7–9). Diese Überlegungen, vor allem die Häufung der Superlative (»Mächtigste und Uebergreiffendste«, GW 12, 251, 10) scheinen eher zu einer unendlichen, als einer endlichen menschlichen Persönlichkeit zu passen. Es fällt schwer, einer individuellen menschlichen Person oder auch einer Kommunikation zwischen Individuen diese Präsenz und Einfachheit aller Bestimmungen zuzuschreiben – wie sollte man von einem diskursiven

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oder gar dialogischen Denken und Argumentieren sowie einem endlichen Gedächtnis sagen, dass es »Alles in sich befaßt und hält« (GW 12, 251, 12)? Das heißt nicht, dass irgendein Teil dieses Gehaltes dem menschlichen Nachdenken verschlossen wäre. Aber dieses Nachdenken scheint nicht der Ort eines »nunc stans« eines stehenden Jetzt oder einer intellektuellen Anschauung der umfassenden Konkretion der Gedankeninhalte sein zu können (vgl. o. S. 748). Eine solche müsste offenbar über die nur unmittelbare, auf das Sein des Denkens selber gerichtete »innere« Anschauung (GW 12, 239, 24, s. o. S. 737) hinausgehen. Es kann auch nicht eine bloß »intuitive« Manifestation des Gesamt der Begriffe gemeint sein, analog etwa zu der Art, in der der Monarch in seinen institutionell wohlberatenen Entscheidungen den Geist der Staatsverfassung zum Ausdruck bringt. Die Idee als »reine Persönlichkeit«, die »Alles in sich befaßt und hält« (GW 12, 251, 11–12) kann weder bloß die Individualisierung der Gattungsvernunft bedeuten,98 noch in jedem Philosophierenden vollständig präsent sein. Sie ist ja nicht nur der Gesamtprozess der Entfaltung und Konzentration, dem diese prozessualen Charakteristika (nicht: Substrateigenschaften) zukommen, sondern das Moment der höchsten personalen Konzentration selber. Der Blick auf die Textstellen des Abschlusskapitels ergibt noch keine befriedigende Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis der absoluten Persönlichkeit (oder Person), zur ausschließenden Individualität im Sinne endlicher, verkörperter Subjekte in Raum und Zeit. Dass die in sich negative, sich in Bestimmungen unterscheidende und diese in einfache Einheit zusammennehmende Persönlichkeit auch reflektierende und tätige Subjektivität ist, scheint klar. Aber ob diese aus der Notwendigkeit des Gedankens her schon raum-zeitlich identifizierbare Individualität sein muss, ist nicht so eindeutig. Ebenso wenig scheint deutlich zu sein, ob Hegel hier wie in der Rechts- und Religionsphilosophie unterscheidet zwischen »gewöhnlichen« Individuen einerseits, die Personenrechte beanspruchen können und sollen, und Personen andererseits, die in ihrer natürlichen Person die Souveränität des objektiven (Erbmonarch) bzw. des absoluten Geistes (Christus) repräsentieren. Da Hegel sich in den Grundlinien der Philosophie des Rechts und in der Religionsphilosophie bei diesen »absoluten« Personen auf die Logik der

98

Für Kreines (2015) ist die absolute Idee instantiiert in »whatever might think through the argument of the Logic itself«, egal ob es sich um »specifically human beings« handelt (221). Es muss nur ein Individuum mit »freedom as its immanent purpose« sein (220). Hegel hat aber einer Vernunft , die sich, wie Kants praktische Vernunft, in unbestimmt verschiedener Weise instantiieren kann, ein Absolutes entgegengesetzt, das sich nur im Menschen verendlichen kann und muss.

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Idee stützt, liegt ein solcher Unterschied auch für die Logik nahe.99 Aber ob es innerhalb der Logik selber notwendig ist oder nur in ihrer »Inkarnation« in raumzeitlichen Verhältnissen, ist damit nicht entschieden. Weiteren Aufschluss in dieser Frage versprechen die Schlussabschnitte der Logik, die das Verhältnis der absoluten Idee zur Natur zum Gegenstand haben. Zunächst soll aber ein Blick auf die Religionsphilosophie gerichtet werden. In dieser ist sowohl von der Persönlichkeit Gottes und seinem rein geistigen (»innertrinitarischen«) Personsein die Rede wie von seiner Manifestation in sinnlich identifizierbaren Personen, vor allem Christus, aber auch den Mitgliedern der christlichen Gemeinde. Ich bleibe auch bei dieser kurzen Erinnerung eng an Hegels Text, dem zeitlich nächsten Manuskript der Religionsphilosophievorlesung von 1821. Exkurs 2: Persönlichkeit Gottes in Hegels Religionsphilosophie In seinem Manuskript der Vorlesungen zur Religionsphilosophie von 1821 bestimmt Hegel Gott als Idee bzw. Einheit von Begriff und Realität in Anlehnung an Spinoza und den ontologischen Gottesbeweis: »Gott hat Realität, – existirt durch seinen Begriff« (GW 17, 210, 3 f.).100 Die Bedeutung der Einheit von Begriff und Realität wird aber gegenüber der Tradition des ontologischen Gottesbeweises durch Hegels Verständnis der Geistigkeit Gottes verändert. Denn beim Geist gehört zur Realität die Manifestation bzw. Offenbarung. So wird Gott selber bestimmt als Offenbarung seiner »Totalität« für das »endliche Selbstbewußtseyn oder was die menschliche Natur heißt« (GW 17, 210). Diese Offenbarung nennt Hegel wenig später auch die »GESCHICHTE GOTTES – Wirksamkeit Gottes und seine Werke – Welt erschaffen, seinen Sohn, Dreyeinigkeit – Liebe zu den Menschen, Erlösung« (GW 17, 219, 6–8). Das sind aber Termini der religiösen Vorstellung, die die Philosophie übersetzen muss in die Sprache des reinen Denkens.101 Das 99

Zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts vgl. GW 14, § 281: »[J]ede andere Weise der Untersuchung, als die speculative der unendlichen, in sich selbst begründeten Idee, hebt an und für sich die Natur der Majestät auf.« (GW 14,1, 237, 27–29) Zur Christologie vgl. u. S. 760 f. 100 In seiner Zuordnung der Gottesbeweise zu den Stufen der Religion hat Hegel den ontologischen der vollendeten Form, dem Christentum zugewiesen. Vgl. die Nachschriften der Vorlesung von 1831, V 5, 271, 29 (sekundäre Überlieferung) und ebd., 279, 23 (Nachschrift von D.F. Strauss). 101 Das heißt aber nicht unbedingt in der Logik. Nach Jaeschke (1981) gehört das Begreifen der Trinität in die Philosophie des absoluten Geistes, nicht in die Logik (ebd., S. 413). Denkbar ist aber, dass Hegel bei der Persönlichkeit der Idee auch in der Logik auf den Begriff einer rein immateriellen, gleichwohl in einer Pluralität von Instantiierungen vorkommenden Person zurückgreift (vgl. zur innertrinitarischen, »ausschließend[en]«

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Verständnis Gottes als Geist ist in der religiösen Vorstellung wie der Religionsphilosophie die Trinität: »Gott ist Geist, d. i. was wir dreyeinigen Gott heißen; Rein SPEKULATIVER Inhalt […] die absolute Thätigkeit, actus purus – d. i. Subjectivität – unendliche Persönlichkeit – unendliche Unterscheidung seiner von sich selbst – Erzeugung« (GW 17, 221, 18–21). Die »Geschichte« dieser Erzeugung hat, in einem zunächst zeitlosen Sinn, drei Sphären, die des »Vaters« oder des göttlichen Geistes in seiner Immanenz, die des »Sohnes« oder seiner Entäußerung für das endliche Bewusstsein, und die des »Geistes« als der Vereinigung des endlichen mit dem göttlichen Selbstbewusstsein im Leben und Kultus der Gemeinde. In der ersten Sphäre erlangen die Unterschiede der göttlichen Personen zunächst kein Fürsichsein im Sinne der »Undurchdringlichkeit Endlichkeit« (GW 17, 222, 2). Sie bleiben in der Einheit dessen, was in der Sprache der Vorstellung die »ewige Liebe« Gottes zu sich in seinem Sohn bedeutet (GW 17, 222, 6). Zur philosophischen »Aufhebung« dieser religiösen Vorstellung gehört die Entfaltung der Momente des göttlichen Selbstbewusstseins in der für den Verstand widersprüchlichen Form der Einheit sich ausschließender Bestimmungen. Der »absoluten Idee« (GW 17, 225, 22) wird aber zugleich die Auflösung des »härteste[n] Widerspruch[s]« (GW 17, 226, 9 f.) des wechselseitigen Ausschlusses und der Einheit der Unterschiede der »Personen in der Gottheit« (GW 17, 225, 23) zugesprochen. Die spekulative Philosophie zeichnet mit den Mitteln der dialektischen Logik nur nach, was das göttliche Denken selber ausmacht: »Gott, der Geist, ist es eben selbst, der diesen Widerspruch ewig macht [und] aufhebt« (GW 17, 223, 10 f.). Hegel greift dabei zunächst auf die Widersprüchlichkeit des »Eins« zurück, d. h. des ausschließenden Einzelnen, dessen Aufhebung schon in der Seinslogik demonstriert wurde. »Höher« ist aber der Widerspruch der Persönlichkeit: »Persönlichkeit ist die unendliche Subjectivität der Gewißheit seiner selbst – diese Reflexion in sich in dem Unterschiede welche als abstracte Form – zugleich ausschließend ist gegen anderes« (GW 17, 226, 3–6). Dieser Ausschluss ist aber hier nicht als der eines raum-zeitlichen individuierbaren »Atoms« zu denken.102 Erst in der zweiten Sphäre der Gottheit, ihrer Entäußerung in die Welt, nimmt das Urteil, die Selbstunterscheidung Gottes in verschiedene Personen, die »Mannichfaltigkeit von unterschiedenen Thätigkeiten« (GW 17,

Person in der Religionsphilosophie GW 17, 226). Zu den »Sphären« des trinitarischen Gottes vgl. Jaeschke (1981), S. 409. 102 Allerdings ist im »innertrinitarischen Sohn« nach der Deutung von Martin Wendte (2007, S. 258) die »empirisch wahrnehmbare Seite eines besonderen Menschen« bereits »vorgebildet«.

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231, 15) an, wie die Zeugung des Sohnes und die Entäußerung in die Welt.103 Erst in dieser gibt es raum-zeitliche Individuierungen und in dieser Weise getrennte Personen. Sie haben »nur dem endlichen Geiste gegenüber diese Weise der Selbstständigkeit […] – insofern er selbst in seiner Endlichkeit eben diese Art und Weise der Selbstständigkeit ist; in Gott selbst ist dies das verschwindende Moment der Erscheinung« (GW 17, 231, 20–22). »Verschwindend« heißt auch: »Die natürliche Welt ist relativ, ist Erscheinung, d. h. sie ist es nicht nur für uns, sondern an sich, – dieß ist ihre Qualität […] überzugehen, sich in die letzte Idee zurükzunehmen« (GW 17, 232, 29 – 233, 2). Anders als bei Kant ist die Raum-Zeitlichkeit nicht nur eine Form, in der uns die Dinge erscheinen, sondern eine Erscheinungsweise ihres »Ansich« selber: die absolute Idee erscheint in den in sich nicht-absoluten Relationen raum-zeitlicher Verhältnisse. Den Ausdruck »Qualität« benutzt Hegel hier offenbar für die Bestimmung der natürlichen Welt, in ihre eigentliche Wirklichkeit, die Selbstentfaltung und Reflexion ihrer Begriffe (d. h. die Idee) »überzugehen« bzw. sich »zurückzunehmen«. In der Religionsphilosophie geht es aber nicht primär um den Nachweis der Begrifflichkeit der Natur und ihrer Höherentwicklung bis zur Idee. Vielmehr gehört zur Manifestation des göttlichen Geistes auch seine Manifestation in einer individuellen, in Raum und Zeit auftretenden Person: »zum Geist vollendet heißt eben die Subjectivität – als unendlich sich entäussernd; dieser absolute Gegensatz ist aüsserste Spitze geistiger Erscheinung und negative, unendliche Rükkehr – Subjectivität – und eben diese Subjectivität – Individuum – für das anschauende Bewußtseyn« (GW 17, 254, 18–22). Diese Individualität haben der jüdische Monotheismus und die griechische Kunstreligion (z. B. die Darstellung der Götter als vollendete Menschen) noch nicht erreicht. Erst das Christentum hat die unendliche Allgemeinheit des für sich seienden Denkens »im endlichsten Daseyn« (GW 17, 254, 28) vorgestellt – nicht nur als menschliches Individuum überhaupt, sondern »als Individuum zugleich ausschliessend – für sich ein ganz anderes« (GW 17, 255, 2 f.), nämlich in Christus: »Dieß Individuum ist dieß einzige – nicht Einige« (GW 17, 255) – etwa im Sinne einer Reihe von Inkarnationen wie »bey den Indiern« (GW 17, 255, 10). »[A]usschliessend« ist der göttliche Sohn aber nur gegen »andere Endliche« (GW 17, 255, 17), nicht gegen die anderen göttlichen Personen. Dass sich diese endliche Individualität in extremer Form erst im Tod zeigt (»daß der Tod die höchste Spitze der Endlichkeit ist«, GW 17, 264, 16 f.) und 103

Zwar ist die Entäußerung eine göttliche Tätigkeit wie die Erzeugung des Sohnes, aber der »ewige Sohn des Vaters« (GW 17, 231, 2 f.) ist nicht »dasselbe […] als die Welt« (GW 17, 231, 4).

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daher der Tod Christi sowohl die Radikalisierung seiner Endlichkeit wie seine (Wieder-)Vereinigung mit dem Göttlichen ist (GW 17, 265), kann hier nicht weiter erörtert werden. Jedenfalls gehört zur Persönlichkeit Gottes, wie sie dem endlichen Bewusstsein zugänglich wird, sowohl die Inkarnation in einem leiblichen Individuum in Raum und Zeit wie dessen Rückkehr in die nicht-sinnliche Personalität der göttlichen Personen. Die dritte Sphäre der Trinität in der Religionsphilosophie, die Manifestation des göttlichen Geistes in der Gemeinde, hat es mit den interpersonalen Verhältnissen zu tun: »Die Einzelheit der göttlichen Idee, die göttliche Idee als Ein Mensch – vollendet sich erst in der Wirklichkeit – indem sie zunächst zu ihrem Gegenüber – die Vielen Einzelnen hat und diese zur Einheit des Geistes – zur Gemeinde zurükbringt, und darin als wirkliches allgemeines Selbstbewußtseyn ist.« (GW 17, 273, 14–17)104

Die Anwesenheit des Göttlichen in der gläubigen und liebenden Kommunikation der Gemeindemitglieder als einzelner Personen scheint für eine kommunikative Deutung der absoluten Idee zu sprechen. Die Gemeinde wird von Hegel allerdings nicht primär als gemeinsame Moralisierung verstanden, wie Kants moralische Kirche, oder als Kommunikation über das Glaubensbekenntnis (»Symbol«) wie bei Fichte.105 Es geht in ihr vielmehr um die Einheit im Glauben und im Kult, in dem die Geschichte der Verendlichung Gottes in Christus und ihre Aufhebung im »Schmerz« seines Todes nach- und mitvollzogen wird.106 Das einzelne Individuum kommt darin zwar zum Bewusstsein seines absoluten Wertes in der Einheit mit Gott. Aber zugleich gibt es seine besonderen Eigenschaften, Gefühle und Interessen auf: »Es ist alle Unmittelbarkeit hinweg, in der der Mensch Werth hätte, es ist allein die absolute Vermittlung, in der ihm ein solcher – aber als unendlicher, zukommt« (GW 17, 277, 15–17). Die Selbständigkeit des Einzelnen als Mitglied der Gemeinde und seine Kommunikation über verschiedene Auffassungen von Normen und Dogmen sind daher nicht wesentlich. Die Weise, wie sich die Gemeindemitglieder ihrer ausschließenden 104

Vgl. Jaeschke (1986, S. 351): »Die Konstituierung dieser wirklichen, gegenwärtigen Göttlichkeit bedarf allerdings nicht nur einer bloßen Vielheit besonderer Individuen, sondern ihrer als allgemeiner – einer Gemeinde.« 105 Vgl. Siep (2009), S. 51 f. 106 Diese »mystische, und kirchliche« Form der Gemeinde bringt für Hegel »das Speculative – der Natur der Idee« dem Bewusstsein in höherer Weise nahe als Moral und Frömmigkeit (GW 17, 296, 16–18).

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Persönlichkeit entäußern, ist an die Erinnerung der Menschwerdung und den Tod des Gottmenschen zurückgebunden. Allerdings gehört zur ›Realisierung‹ der Gemeinde auch »daß aus dem Schoose der Kirche sich EIN FREYES – aus – den EWIGEN PRINCIPIEN privatrechtliches und politisches Leben sich hervorbilde – [ein] [v]ernünftiges weltliches Reich – der Idee der Freyheit – Absolutheit des Rechts – gemäß« (GW 17, 291, 11–14). Hegel sieht weder die frühchristliche Eigentumslosigkeit noch die des mittelalterlichen Mönchtums als eine solche ›Hervorbildung‹. Erst die protestantische Heiligung von Familie, Beruf und staatlichem Recht führt zur Verwirklichung der Gemeinde in der sozialen Welt. Das wird in der Rechtsphilosophie und Enzyklopädie weiter ausgeführt. Die weltliche Realisierung der wahren, vollendeten christlichen Religion und des philosophischen Begriffs der Freiheit ist nach diesen Texten die konstitutionelle Monarchie mit der monogamen Kleinfamilie und der bürgerlichen Marktgesellschaft.107 Die inneren Krisen dieser Gesellschaft können zwar bis zu einem Verlust der Sittlichkeit führen, aber durch die berufsständische und sozialstaatliche Stabilisierung abgemildert werden. Die »Dialektik« der bürgerlichen Gesellschaft, der der Gegensatz zwischen der Entwicklung der Freiheit persönlicher Interessen und der Vereinigung mit dem sittlichen Ganzen zugrunde liegt, erfordert im sittlichen Staat eine Aufhebung, in der die Grundrechte des Einzelnen keineswegs nur gegeneinander beschränkt werden können.108 Das kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Es sind jedenfalls nicht die republikanischen, demokratischen und frühsozialistischen Traditionen – der Dissenters, Levellers oder Fichtes Staatssozialismus –, an die Hegels Deutung und Legitimation des protestantischen Staates hier anknüpft. Auch dafür gibt es Gründe in seinem Verständnis der Personalität des christlichen Gottes: Der Menschwerdung entspricht die »spekulative« Einsicht in die Verkörperung des Staates in einer natürlichen Person, dem Monarchen.109 Für Hegel 107

Vgl. GW 20, § 552 A, 535. Die Permanenz dieser »Dialektik« (GW 14,1, § 246, 195, 2), nicht ihre Auflösung in einer harmonischen ökonomischen Ordnung, ist notwendig für das soziale Leben im modernen, das Prinzip der persönlichen Freiheit zur Entfaltung bringenden Staat (vgl. GW 14,1, 208, § 260). Die Darstellung der »Entzweyung der bürgerlichen Gesellschaft« und ihre Einbettung in einen keineswegs im heutigen Sinne liberalen Staat ist der »wissenschaftliche Beweis des Begriffs des Staats« (GW 14,1, 199, 25–28, § 256 A). Vgl. dazu auch Siep (2017a). 109 Zum Monarchen und seiner spekulativen Rechtfertigung vgl. GW 14,1, § 279 A: »Die Persönlichkeit, und die Subjectivität überhaupt hat aber ferner, als unendliches sich auf sich beziehendes, schlechthin nur Wahrheit und zwar seine nächste unmittelbare Wahrheit als Person, für sich seyendes Subject, und das für sich seyende ist eben so schlechthin Eines. Die Persönlichkeit des Staates ist nur als eine Person, der Monarch, wirklich.« (GW 14,1, 233, 6–11). In § 280 A heißt es: »Dieser Uebergang vom Begriff der 108

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hat die Philosophie die Übereinstimmung des Vernunftstaates mit dem richtig verstandenen Christentum zu demonstrieren und dadurch Staat und Religion zu versöhnen. Er ist sich aber darüber im Klaren, dass die spekulative Philosophie das Bewusstsein des Volkes nicht erreichen wird.110 Hegel hat in der Religionsphilosophie also unterschiedliche Formen der »Personalisierung« des göttlichen Geistes entwickelt. Zur Selbstunterscheidung des Denkens seiner selbst in Personen, die sich selbst in einem geistimmanenten (innertrinitarischen) Anderen erkennen und sich liebend mit ihm vereinigen, tritt die Manifestation in einer für das endliche Bewusstsein raum-zeitlich individuierten Person (Christus). Dessen »ewige«, von der Manifestation unabhängige Persönlichkeit wird in der Aufhebung der raum-zeitlichen Existenz bewusst. In der Gemeinde wird die endliche Persönlichkeit der Mitglieder auf doppelte Weise – und selbstverständlich in allen drei Aspekten (conservare, tollere, elevare) – aufgehoben: in der liebenden und kultischen Vereinigung mit den Glaubensgenossen (›Brüdern und Schwestern‹) einerseits und dem kultischen Nachvollzug des Selbstopfers des endlich gewordenen Gottes andererseits. Die »Weltlosigkeit« dieser Gemeinde und die eines als jenseitig vorgestellten Gottes muss aber noch einmal in der staatlichen Gemeinschaft überwunden werden.111 Diese verwirklicht allgemein-menschliche Freiheitsprinzipien, aber in einer konkreten, vernünft ig verfassten Gemeinschaft mit einer sie repräsentierenden natürlichen Person. In der Disposition, für diese Gemeinschaft notfalls alle persönlichen, die privaten Interessen schützenden Rechte aufzugeben, vereinigt sich die Person des Staatsbürgers mit dem »Dasein« des Absoluten in der Welt. In der Logik sind diese Konkretionen sozialer und religiöser Verhältnisse aufgehoben in ihre reinen gedanklichen Strukturen. Gleichzeitig dienen diese zu ihrer Rechtfertigung. (Ende Exkurs) Was die Interpretationsanleihe bei der Religionsphilosophie nicht eindeutig entscheidbar macht, ist die Frage, ob Hegel mit der »undurchdringliche[n], atome[n] Subjektivität« als Moment der Persönlichkeit der absoluten Idee die raum-zeitliche individuierbare Person meint. Die göttlichen Personen unterscheiden sich weder untereinander noch vom Menschen so, wie ›endreinen Selbstbestimmung in die Unmittelbarkeit des Seyns und damit in die Natürlichkeit ist rein speculativer Natur, seine Erkenntniß gehört daher der logischen Philosophie an.« (GW 14,1, 236, 8–11). 110 »Aber Philosophie partiell – Priesterstand isolirt – Heiligtum« (GW 17, 300, 11 f.). Die Überwindung dieses Problems hält er nicht für eine Aufgabe der Philosophie. 111 Das Folgende entspricht meiner Lesart der Rechtsphilosophie in Siep (2015).

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liche‹ Personen.112 Die Menschwerdung gehört aber notwendig zu ihrer ›Geschichte‹. Wenn der absoluten Idee in der Logik schon vor ihrer Entlassung in die Natur die endliche Personalität zugehörte, müsste dieses Moment auch zur absoluten Wahrheit gehören. Ob es damit aber an eine einzigartige Person wie in der vollendeten Religion gebunden ist oder an besonders qualifizierte menschliche Personen – oder gar nur ihre interpersonalen, kommunikativen Beziehungen – ist damit noch nicht entschieden. Das wirft aber erneut die Frage des Verhältnisses der absoluten Idee zur raum-zeitlichen Welt oder »Natur« auf. Einerseits steht die Entwicklung der absoluten Idee zur Persönlichkeit vor ihrer freien Entlassung in die Natur. Das spräche für die Entsprechung zur »ersten Sphäre« der Göttlichkeit, der immanenten Persönlichkeit der göttlichen Personen vor der Entäußerung an die Welt. Im Bereich der Logik ist ja auch von der Anschauung und ihren sinnlichen Korrelaten keine Rede mehr. Erst im Entlassen der Idee in die Natur kehrt die Raum-Zeitlichkeit zurück. Andererseits gehen in die Entwicklung der logischen Idee Bestimmungen der Natur, sozusagen ihres logischen Kerns, auf verschiedenen Stufen ein. Dazu gehören noch in der Ideenlogik selber die Bestimmungen des lebendigen und des handelnden Individuums. Außerdem hat Hegel auch in früheren Abschnitten, wie dem über die Objektivität des Begriffes, von der Einheit von Gesetztsein und Realität in einem Sinne gesprochen, die den Einschluss der vollständig bestimmten raum-zeitlichen Individualität erfordert: Gesetztsein bedeutet in diesem Abschnitt, abhängig zu sein von einem syllogistischen System sich selbst artikulierender Gedanken; Realität heißt, unabhängig zu sein von dieser gedanklichen Artikulation, nicht von den Gedanken selber. Begriffe sind nicht nur Ausfaltungen des unmittelbaren Gedankens »Sein«, sondern führen auch auf ein Sein zurück, das sie explizieren. Beim »Realitätsbezug« der absoluten Idee als Persönlichkeit geht es aber um die Konzentration des Reichtums aller logischen Begriffe in eine einfache Einheit, nicht um die Manifestation in einer individuellen menschlichen Person.113

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Offenbar hat Hegel auch in seiner Bemerkung zum Glauben an die Persönlichkeit in der »Dritten Stellung des Gedankens zur Objectivität«, dem Vorbegriff der enzyklopädischen Logik, nur die innertrinitarische Persönlichkeit im Blick: »[V]ornehmlich indem die Persönlichkeit Gottes vor dem Bewußtseyn ist, so ist überhaupt von reiner, d. i. der in sich allgemeinen Persönlichkeit, die Rede; diese Einzelnheit selbst als solche ist Gedanke, und kommt nur dem Denken zu« (GW 19, 78, 27–31). Diese gegen Jacobi gerichtete Wendung muss allerdings nicht bedeuten, dass die göttliche Persönlichkeit dadurch – also ohne ihre Menschwerdung – schon ausgeschöpft ist. 113 Personalität ist für sich nicht unbedingt eine Perfektion. Getrennt von ihren sitt-

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Bislang ergeben sich damit folgende Möglichkeiten der Deutung der Begriffe »Persönlichkeit« und »Person« im Abschnitt über die absolute Idee: (a.) Hegel spricht in diesem Text nicht von endlichen Personen, aber auch nicht von unendlichen »Trägern« oder Erzeugern des Gesamt der Begriffe. Personalität ist nur die völlige Bestimmtheit durch das systematische Gesamt der Begriffe. Da diese durch selbstbezügliche Negation entstehen oder – zumindest – explizit werden, ist diese Bestimmtheit auch Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis. Selbstbestimmung ist auch der Ursprung allen Handelns. (b.) Hegel will an den entsprechenden Stellen sagen, dass die Persönlichkeit als Person existieren muss, als sich selber im Denken und Handeln individualisierende. Das muss noch keine sinnlich wahrnehmbare Person sein. Diese Personalität soll ja auch als Interpretament und Rechtfertigung des Begriffes einer nicht-sinnlich göttlichen Person gelten, wie sie das religiöse Vorstellen in der innertrinitarischen Personalität (»vor Erschaff ung der Welt«) enthält. Das Kapitel absolute Idee spricht nur von solchen Personen. Ihre Existenz bleibt in der Logik offen und wird erst in der Religionsphilosophie erwiesen. (c.) Das System der Gedanken- und Wirklichkeitsbestimmungen muss im endlichen Bewusstsein reflektiert werden, denn das Absolute ist Geist, der im menschlichen Bewusstsein zu sich selbst kommt. Es muss also Menschen geben, die das Gesamt der Gedankenbestimmungen »denken« (und bejahen). Solche Individuen sind mit der Person gemeint, die »atome« und ausschließende Subjektivität ist. (d.) Es kann aber wegen der Begrenztheit und Zeitlichkeit des menschlichen Denkens und Gedächtnisses kein einzelner zu dieser ›Allpräsenz‹ in der Lage sein, sondern allenfalls eine Kommunikationsgemeinschaft. Das sagt das Kapitel über die absolute Idee nicht ausdrücklich. Aber es ist in der Personalität als sich im anderen und der gemeinsamen Vernunft reflektierenden (›anerkennenden‹) Person impliziert. Man kann die Logik gegenüber der Religionsphilosophie auf die Funktion begrenzen, die Kohärenz der religiösen Vorstellungen auf begrifflicher Ebene zu rechtfertigen, ohne über die Existenz eines persönlichen Gottes Aussagen zu machen. Aber zum einen geht es in der Logik um Sein, Dasein, Existenz, Wirklichkeit etc. des Absoluten. Zum anderen muss auch das Verhältnis des endlichen menschlichen Selbstbewusstseins zum Absoluten der Logik geklärt werden. Dafür ist es natürlich von großer Bedeutung, inwieweit die lichen und religiösen Vereinigungen ist die individuelle Person als vereinzelte ›böse‹. Vgl. GW 17, 64 f. und Wendte (2007), S. 245–253.

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Begriffe der Persönlichkeit und auch des Entschlusses der Idee, sich ›als Natur zu setzen‹, nur vor dem Hintergrund theologischer Gehalte verständlich sind. Ich komme auf die vier Möglichkeiten der Bedeutung von Personalität und Person unten in der Zusammenfassung der Antwort auf die erste Leitfrage zurück (u. S. 769). Zuvor soll im Hinblick auf die theologische Dimension auch der Übergang der Logik zur Naturphilosophie noch einmal erörtert werden (vgl. GW 12, 253, 3–24).

6.2.2 Entschluss, Befreiung, Übergang (GW 12, 253, 3–34) Eine vollständige Deutung des Verhältnisses der Logik zur Naturphilosophie würde eine Deutung der drei Schlüsse der Philosophie am Ende der Enzyklopädie (GW 13, §§ 475–477, vgl. GW 20, §§ 575–577) erfordern. Das kann hier nicht geleistet werden.114 Immerhin ist vom »Uebergehen[]« dort auch nur beim ersten Schluss die Rede (GW 13, § 475, 246, 21), in dem die Stellung der logischen Idee zu Natur- und Geistphilosophie derjenigen hier am Ende der Logik entspricht. Für die Deutung des Überganges in der Logik legen sich zwei Alternativen nahe, eine eher rational-theologische (a) und eine holistisch-rekonstruktive (b). (a) Die ›rational-theologische‹ betrachtet die Rede vom Entschluss und vom Sich-Entlassen als Entmythologisierung von Schöpfungsvorstellungen bzw. ihre Aufhebung in den Begriff. In der Tat hat Hegel in der Religionsphilosophie eine Deutung der Selbstentäußerung der im Sich-Denken Gottes (idea idearum, »Reich des Vaters«) entfalteten Gedanken in die Natur entwickelt. Ein Willensakt im Sinne der gewöhnlichen Auffassung der creatio ex nihilo ist das zwar nicht, eher eine Art Emanation, ein Herausgehen aus einer Sphäre reinen Sich-Denkens. Sie entspräche dem, was die Logik den »Trieb« der »in die Subjectivität eingeschlossen[en]« (GW 12, 253, 7) Idee nennt, sich von dieser Beschränkung zu befreien – Trieb allerdings als reine, immer schon erfolgreiche Tätigkeit, nicht als Versuch verstanden (wie Hegel den Terminus im Kapitel über die Idee des Erkennens ja auch gelegentlich noch gebraucht). Diese Lesart entspricht auch der Deutung des Entschlusses im Abschnitt über den ausgeführten Zweck des Teleologie-Kapitels. Dort ist der Entschluss das Sich-Aufschließen und Verlassen der subjektiven Innerlichkeit in die äußere Natur (vgl. GW 12, 170, 5). Ohne diese ist eine 114

Vgl. dazu Heede (1972), S. 269–303.

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Zweckverwirklichung allerdings gar nicht möglich, während die logische Idee auch ohne dieses Sich-Entlassen schon in sich vollständig und frei ist. Die logische Sphäre ist aber ohne die äußere der Natur noch nicht wirklich grenzenlos – jedenfalls dann nicht, wenn man weiß, dass es eine solche Natur und nicht nur ihre begrifflichen Strukturen gibt, die in den Inhalten der Logik (Mechanismus, Leben etc.) schon enthalten sind, sondern auch ihre ›äußere‹, raum-zeitliche materielle Existenz. (b) Allerdings spricht Hegel nicht nur vom Übergang in eine »ander[e] Sphäre«, sondern auch in eine andere »Wissenschaft« (GW 12, 253, 8–9). Das legt eher die alternative Deutung nahe, dass es hier nur um das systematische Verhältnis von Logik und Naturphilosophie geht, das in den Kontext dieser Passagen zur Totalität bzw. Geschlossenheit des Systems gehört. Dass die Idee »sich selbst frey entläßt, ihrer absolut sicher und in sich ruhend« (GW 12, 253, 22–23), würde dann nur bedeuten, dass die Naturphilosophie von vornherein die Logik nicht in Zweifel zieht, sondern den Nachweis erbringt, dass deren Begriffe und ihre explikative Bewegung auch die zentralen Begriffe und Prozesse der Natur ausmachen. Selbst ein »Nachweis« ohne zumindest methodischen Zweifel ist allerdings schwer verständlich. Der Passus bezieht sich, wie die letzten Zeilen über die Folge von logischer Idee (»reine[n] Idee«), Natur (»äusserliche Idee«) und »Wissenschaft des Geistes« zeigen (ebd., GW 12, 253, 29–34), jedenfalls primär auf das hegelsche Systemganze – das »System der Totalität« (GW 12, 250, 24), wie es die Enzyklopädie skizziert. Die wechselseitige Vermittlung der drei Systemteile von Logik, Naturphilosophie und Geistphilosophie nach dem Modell der Hegelschen Schlusslogik am Ende der Enzyklopädie (GW 13, §§ 474–477) wird hier am Ende der Logik zwar nicht thematisiert. Betont wird aber, dass die »Wissenschaft des Geistes« sich mit der »logischen Wissenschaft« bzw. dem »sich begreiffenden, reinen Begriffe« vollendet. Das entscheidende Motiv der Schlussbemerkungen der Logik liegt offenbar darin, ihre absolute Geschlossenheit, die mit der Rückkehr zu ihrem Anfang demonstriert war, mit dem umfassenden System zu verbinden. Dabei darf der Übergang, wie schon gesagt, nicht aus einer ›Defizienz‹ des Endes der Logik und der dadurch begründeten ›äußeren‹ Notwendigkeit resultieren. Die logische Idee ruht in sich selbst, sie ist frei von Abhängigkeiten auch denknotwendiger Art. Wenn es doch noch einen Übergang zu einem weiteren Systemteil geben soll, dann muss er frei, gewissermaßen souverän sein. Das würde Hegel in einer umgekehrten Metaphorisierung mit den schöpfungstheologischen Ausdrücken des Entschlusses, des Sich-Entlassens ohne jeglichen Zwang, zum Ausdruck bringen. Der gedankliche Gehalt wäre aber auch ohne theologische Konnotationen der folgende: Im Anschluss an

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die Logik erweist die Naturphilosophie dieselben Begriffe in einem anderen ›Element‹ (auch das ist freilich eine Metapher), wobei dieses ›Erweisen‹ eigentlich erst Sache der Philosophie des Geistes ist, die die »Befreyung« der logischen Idee sowohl von ihrem Einschluss in das Reich des Gedankens wie von ihrer Entlassung in die Äußerlichkeit »vollendet« (GW 12, 253, 32–33).115 Was diese Entmythologisierung der schöpfungstheologischen Metaphern zu Illustrationen des logischen Verhältnisses der Logik zu den Realphilosophien am Ende doch nicht ganz befriedigend macht, sind folgende Überlegungen: Hegel würde auf die berühmte philosophische Frage, »warum ist überhaupt etwas und nicht viel mehr nichts?«, wohl nicht antworten: weil eben in der Tat etwas ist – nämlich die Natur –, das wir nur immanent rekonstruieren, aber nicht auf einen Grund zurückführen können. Er würde vermutlich doch auf die Allmacht der Idee als sich selber denkender »Persönlichkeit« verweisen, die sich zu einer gedanklichen Welt entfaltet und sich in einer natürlichen Welt manifestiert. Die Idee wäre kaum absolut, wenn es sich dem Zufall verdankte, oder jedenfalls für das Denken grundlos wäre, dass etwas ist und nicht vielmehr nichts. Sicher ist die Idee selber grundlos in dem Sinne, dass es keinen externen Grund für ihre Selbstentfaltung gibt. Aber sie gründet und begründet sich in sich selbst – gemäß dem zugleich Rückwärts- und Vorwärtsgehen, Analysieren und Synthetisieren. Da sie autonome, selbstbezügliche Negation ist, muss sie sich entfalten. Auch das Entlassen in die Natur ist nach Hegels philosophischer Aufhebung des Schöpfungsdogmas – das ja in Vorstellungsform die Wahrheit enthält – kein bloßer grundloser Akt eines voluntaristischen Gottes. Er folgt aus seinem sich selber Denken, aus seiner Natur als absolute Negativität oder Selbstunterscheidung und als Geist, der sich offenbaren bzw. manifestieren muss, in der Natur und für den endlichen Geist.116 Hegel will ausdrücklich keinen Hiatus zwischen einem völlig differenzlosen Eins, dem Hen Plotins 115

Vgl. § 475 der 1. Aufl. der Enzyklopädie: »die Natur [ist] wesentlich nur als Durchgangspunct und negatives Moment bestimmt« (GW 13, 246, 19–20). Allerdings hat die Natur diese Stellung als »Mitte« nur in einem der drei Schlüsse der Philosophie. Im Verlauf der drei als Gesamtschluss zu verstehenden Systemteile kann sie auch als Prämisse (aber vom Geist »vorausgesetzt«) und als Resultat (aber vom Geist »gesetzt«) erscheinen. Zu den drei Schlüssen nach der 3. Aufl. der Enzyklopädie (GW 20) vgl. Jaeschke (2000), S. 478–486. 116 Vgl. GW 17, 235, 3–6: »Die Nothwendigkeit solcher Geschichte liegt erstlich in der göttlichen Idee – daß Gott als Geist – dieser Proceß ist, dessen Momente selbst die Gestalt vollständiger Realität, damit endlichen Selbstbewußtseyns haben, und damit die göttliche Idee an und im endlichen Selbstbewußtseyn sich verwirkliche«. Dass das endliche Selbstbewusstsein zur Vollständigkeit des göttlichen erforderlich ist, scheint allerdings auch vorauszusetzen, dass es das endliche eben gibt.

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oder des späten Fichte, und dem Wissen bzw. Bewusstsein von ihm.117 Er versteht die absolute Einheit von vornherein »aristotelisch« als Sich-Denken und damit in seinem Sinne als Sich-Differenzieren.118 Zwischen dem Sich-Denken als Wort,119 Sohn, Welt und Natur besteht aber ein enger »logischer« Zusammenhang, was hier nicht weiter ausgeführt werden kann. Frei ist dieser Akt nur, weil das Gesamt der Ideen auch unabhängig davon besteht, jedenfalls »an sich« oder in impliziter Form. Als Deutung bzw. Begreifen der Schöpfung ist den Schlussüberlegungen also durchaus Sinn zu entnehmen. Umgekehrt, als Metaphorisierung des Verhältnisses der Logik zu den übrigen Systemteilen enthält er Schwierigkeiten. Wenn die Naturphilosophie nichts zum Verständnis der Idee mehr beitrüge, worin bestünde dann überhaupt ihr systematischer Zusammenhang mit der Logik? Wenn sie aber deren Wahrheit in einer anderen, ontologisch ›niederen‹, Sphäre doch beweist, wieso ist die Idee dann vor diesem Beweis schon vollkommen »ihrer selbst sicher«, sich »vollkommen durchsichtig« (GW 12, 253, 20) usf.? Hegel betont ausdrücklich, dass die »Wissenschaft im Verhältnisse des göttlichen Erkennens zur Natur« bleibt (GW 12, 253, 28–29). Sie verliert also nicht ihre vollständige Unabhängigkeit und ›Selbsterklärung‹, wenn sie letztere unter dem Gesichtspunkt nicht der Äußerlichkeit, sondern der Bestätigung der Idee betrachtet. Der »Entschluß« könnte ohne die theologische Perspektive also nur in der Betonung dessen liegen, dass die Gedankenbewegung der Logik wirklich zu Ende gekommen ist und der Fortgang des Systems in einem völlig anderen Element, der »ohne Subjectivität seyende[n] Aeusserlichkeit des Raums und der Zeit« (GW 12, 253, 24–25), vor sich geht. Wenn das aber nichts mehr zur Bestätigung der Wahrheit der Logik beitrüge, dann handelte es sich bei dieser in der Tat um ein völlig geschlossenes System, das auch von der Weiterentwicklung der Wissenschaften120 – und der Sittlichkeit – in Raum und Zeit unabhängig ist. Das ist der Gegenstand unserer zweiten Leitfrage (s. u. 6.3). Zunächst soll aber die Antwort auf die erste Leitfrage zusammengefasst werden. Ich unterscheide dabei wieder zwischen den beiden Teilfragen: Geht es in der Logik der Idee, vor allem dem letzten Kapitel über die absolute Idee, überhaupt um so etwas wie Metaphysik und rationale Theologie (I.1)? Hat der Begriff der Persönlichkeit und die Metapher des freien Entschlusses etwas mit den traditionellen Gottesbegriffen zu tun (I.2)?121 117 118 119 120 121

Vgl. zu Fichte Rohs (²2007), S. 140; zu Hegel Halfwassen (1999), S. 221–298. Vgl. dazu Düsing (1976), S. 305–327. Vgl. GW 12, 237, 7 u. oben S. 659. Hier sind die nicht-philosophischen Wissenschaften gemeint (vgl. o. Anm. 5). Hegel bestätigt in der ersten Vorlesung über die Beweise vom Dasein Gottes, dass

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(I.1) Es geht in Hegels Logik sicher nicht um traditionelle Gottesbeweise in der vorkantischen Tradition, die in der Gegenwartsphilosophie teilweise erneuert werden, und zwar weder nach der inhaltlichen (I.1.1), noch nach der methodischen Seite (I.1.2). Trotzdem kann man von einer, allerdings subjektphilosophischen und immanentistischen, philosophischen Theologie sprechen. (I.1.1) Inhaltlich: Das Absolute, die oft auch als göttlich bezeichnete absolute Idee, hat es nicht mit Gegenständen zu tun, die jenseits des Physischen (meta ta physika) und des menschlichen Geistes einen eigenen Wirklichkeitsbereich bildeten. Sie sind zwar als unendlich zu bezeichnen, aber nicht jenseits des Endlichen, sondern jenseits des Gegensatzes endlich-unendlich sowie dazu analoger Begriffspaare. Hegel distanziert die Erkenntnisart und die Inhalte der logischen Erkenntnis zwar scharf (und polemisch) von der sinnlichen bzw. dem Sinnlichen. Aber die Idee hat es mit gedanklichen Prozessen und ihrer Manifestation in physischen Prozessen (Leben etc.) zu tun. Dabei gibt es verschiedene Prozessphasen, die man metaphorisch als ›verflüssigende‹, vor allem Gegensätze auflösende, und ›verfestigende‹, bleibende Resultate erzeugende, bezeichnen kann – Hegel selber hat das schon in der Phänomenologie des Geistes getan (GW 9, 28, 24–32). Der in diesem Sinne zu verstehende Prozess der Idee nimmt aber nach Hegel in verwandelter Bedeutung die klassischen metaphysischen Prädikate der Ewigkeit – als Unabhängigkeit von jeder Art von Zeitlichkeit –, der Absolutheit, im Sinne der Unabhängigkeit von jeder nicht selbst erzeugten Relation, und der Perfektion sowie der Vollkommenheit an. Letztere umfasst anders als beim traditionellen philosophischen Gottesbegriff die Negativität und alle daraus hervorgehenden »privativen« Prädikate (Endlichkeit, Tod, Bosheit etc.) – allerdings in einem prozessualen, sie aufhebenden (›erlösenden‹) Sinne.122 Diese Transformation ist aber asymmetrisch: Zeit und Ewigkeit, Zufall und Notwendigkeit etc. sind nicht gleichwertig und gleichursprünglich. Wie in der traditionellen Metaphysik gibt es vielmehr auch bei Hegel einen Primat des Ewigen und Notwendigen – im logischen und geistigen, nicht im »mechanischen« und naturgesetzlichen Sinne. Das Ewige manifestiert sich in Raum und Zeit, aber als davon Unabhängiges. (I.1.2) Methodisch: Auch wenn Hegel selber sich eher auf Platon, die Skepsis und Kants Dialektik beruft, ist die dialektisch-holistisch Methode sicher geschult an der negativen Theologie (vgl. o. Anm. 4). Mit dieser teilt sie den »das Logische nicht bloß die formelle Seite [der Religionslehre, LS] ausmacht, sondern in der That damit zugleich im Mittelpunkte des Inhalts steht«. (GW 18, 228, 24–26) 122 Vgl. Hegels Anmerkung in der Seinslogik, der »Inbegriff aller Realitäten« müsse auch als »Inbegriff aller Negationen« verstanden werden (GW 11, 76, 18 u. 21).

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Versuch, bei der Erkenntnis des Absoluten alle verendlichenden und vergegenständlichenden Gegensätze zu überwinden. Auch der späte Fichte versucht diesen Weg in einer Art transzendentalphilosophischem Neuplatonismus. Aber während Fichte mit diesem und der negativen Theologie in einem überbegrifflichen Eins endet, ist die Dialektik bei Hegel keine Selbstbegrenzung der menschlichen Rationalität gegenüber einem unbegreiflichen Absoluten. Sie beansprucht vielmehr die vollständige Explikation des Rationalen, Inferentiellen, in ›allem‹, auch dem scheinbar A-rationalen und Materiellen. Diese Methode hat bei Hegel selbstverständlich auch Beweischarakter, das gilt für jeden Schritt ebenso wie für das Ganze. Unter den spekulativ transformierten Gottesbeweisen besitzt der ontologische bei Hegel den Primat, er entspricht auch der vollendeten Religion, dem Christentum.123 Das absolute Sein und Denken existiert und subsistiert – mit Spinoza gesprochen – durch sich selbst und wird auch allein durch sich begriffen. Zu seinem Begriff gehört Sein, Existenz, Wirklichkeit, Realität etc. – alle diese Begriffe sind Stufen der Explikation der Idee innerhalb der Logik. Es handelt sich aber weder um einen Nachweis der Existenz einer transzendenten, von der Welt geschiedenen Substanz, noch um die der gleichermaßen materiellen und geistigen ›Welt‹ oder Natur (Spinozas deus sive natura). Hegels ›Gottesbeweis‹, der sein ganzes holistisches System und vor allem die Logik umfasst, ist der Nachweis der Existenz der absoluten Vernunft in der Welt und im Menschen. In diesem Kosmismus hat der physikotheologische Beweis seinen Platz, aber er erweist das Absolute nicht als getrennten Ursprung der zweckmäßig organisierten, sondern als immanente Bestimmung der für den Geist zweckmäßigen Welt. Schon der Anfang der Phänomenologie des Geistes geht davon aus, dass das Absolute ›bei uns‹ ist und nicht jenseits der endlichen Menschenwelt gesucht werden muss.124 Hegel knüpft an einen mystischen Kosmismus, nicht einen A-kosmismus an – aber in Form einer rationalen Rekonstruktion des ›Ganzen‹, nicht einer alle Begriffe übersteigenden Anschauung des Einen, der Fülle, des Leeren, oder auch Formen der Selbstauflösung (›Nirwana‹). Das Absolute ist wirklich und die Wirklichkeit ist nur die Präsenz des Absoluten – mit den Problemen des 123

Vgl. o. S. 758, Anm. 100 u. GW 17, 211, 14 – 217, 15. In der Einleitung der Phänomenologie des Geistes verwirft Hegel die Vorstellung, dass das Erkennen vom Absoluten getrennt sei. Das Absolute umfasst vielmehr das Erkennen und ist implizit von vornherein in ihm – auch dem endlichen – enthalten; vgl. GW 9, 54, 7–55, 6. Diese Auffassung ist auch in den Vorlesungen über die Beweise vom Daseins Gottes leitend; vgl. GW 18, 251–255. Vgl. auch die Schüler-Notizen (Abegg) zu Hegels Gymnasialkurs über Religion; GW 10,2, 800, 5–31. 124

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›Doppelsatzes‹ in der Philosophie des objektiven Geistes und seiner Quelle in der Idee des Guten.125 An die Stelle der Differenz zwischen Gott und Welt tritt die ›aufgehobene‹ zwischen der logischen Idee und der Natur. (I.2) Beim Versuch einer Antwort auf den zweiten Teil der ersten Leitfrage sollen sowohl die Erträge zur Interpretation der Persönlichkeit (I.1) wie zum freien Entschluss (I.1.1) herangezogen werden. (I.2.1) Zur Deutung der Persönlichkeit der absoluten Idee gibt es mehrere Alternativen, zwischen denen jetzt abzuwägen ist: a) Die manifeste theologische Deutung, dass mit der Persönlichkeit der absoluten Idee eben eine absolute Persönlichkeit, ein Gott gemeint ist, an dessen Göttlichkeit Menschen allenfalls unvollkommen partizipieren – wegen der Diskursivität, der Angewiesenheit auf Natur, Gemeinschaft usw. Auch wenn diese Deutung es vermeidet, die göttliche Person als transzendente Individualität mit separatem Selbstbewusstsein und Willen zu konzipieren, droht wieder eine Trennung von Mensch und Gott, eine Art Transzendenz, die Hegel selber überwinden will. b) Das Absolute ist in der einzelnen menschlichen Person vollkommen präsent. Diese Deutung liegt nahe für das Subjekt, das die Logik versteht und nachvollzieht. Es fällt allerdings, wie wir gesehen haben, schwer, diesem die Fähigkeit der Konzentration der gesamten »Ausdehnung« der logischen Begriffe in einer »zugeschärfteste[n] Spitze« zuzutrauen. Dazu fehlt es dem Menschen an einer zeitlosen intellektuellen Anschauung oder einem umfassenden »präsentischen« Gedächtnis. Vor allem aber können dem Menschen als leiblichem, bedürftigem Individuum, das partiell der Natur unterworfen ist, die Prädikate der absoluten Freiheit und Souveränität gegenüber der Natur nicht zugesprochen werden.126 c) Die vollkommene Präsenz des Absoluten als Persönlichkeit und freier Entschluss erfordert ein in der Kommunikation sich vollziehendes »Wir-Subjekt«, eine intersubjektive Subjektivität. Das legt die Fortentwicklung der Anerkennungsbeziehungen des objektiven Geistes in den absoluten Geist der christlichen Gemeinde als Manifestation der liebenden Interpersonalität Gottes nahe. Auch die logischen Beziehungen der Reflexion in Anderes und des Zusammenschlusses der Extreme könnten auf intersubjektive Beziehungen der Anerkennung und Kommunikation verweisen. Wenn man 125

»Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.« GW 14,1, 14, 16–17, vgl. o. S. 732 mit Anm. 74. 126 Diese Bedenken habe ich auch gegen den Vorschlag, die Personalität der Idee als Individualisierung der menschlichen Gattungsvernunft zu verstehen. Wenn alle Abhängigkeiten und Begrenzungen der menschlichen Natur in der Idee überwunden sind, dann bleibt nichts Gattungsspezifisches mehr übrig.

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allerdings von der Ebene der reinen logischen Beziehungen innerhalb der absoluten Idee wieder auf die der Kommunikation endlicher Individuen sozusagen herabsteigt, muss man die von Hegel in den verschiedenen Teilen seines Systems dargestellten Kommunikationsformen – im Sinne der Konkretion begrifflicher Beziehungen – unterscheiden: 1. Im objektiven Geist ist das Absolute präsent, aber nicht vollkommen, in der freien, symmetrischen Anerkennung der Individuen und ihrem von eigenen Überzeugungen und Interessen geprägten Dialog. Einen solchen Dialog setzen heute fast alle Diskurstheorien der Normenbegründung oder der Kommunikation über normative Ansprüche und Verpflichtungen voraus. In Hegels Theorie der Anerkennung wird aber die interpersonale Anerkennung integriert und relativiert durch eine höhere Freiheitsform, deren »Endzweck« nicht die kommunikative Freiheit der Individuen und ihrer normativen Ansprüche – sei es als »claims« auf Rechte oder auf die Richtigkeit gemeinsamer Normen – darstellt.127 Die »vollständige Entwickelung und die Anerkennung ihres Rechts« (GW 14,1, § 260, 208, 6–7) haben Personen erst in sittlichen Vereinigungen und Institutionen. Der »absolute unbewegte Selbstzweck« unter ihnen ist der Staat, der als »Endzweck das höchste Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht es ist, Mitglieder des Staats zu seyn« (GW 14,1, § 258, 201, 21–22, vgl. ebd., § 324). 2. Vom Geist der Gemeinde, vollkommen realisiert erst der christlichen, im absoluten Geist als Religion war schon die Rede (s. o. S. 761 f.). Diese Kommunikation ist wesentlich charakterisiert durch die Gemeinsamkeit im Glauben und im Kult. Dabei müssen die individuellen Ansprüche, Überzeugungen und Deutungen des Glaubens zurückgestellt werden. Es geht um die Negation der Endlichkeit (Abgrenzung, Naturgebundenheit, Eigeninteresse etc.) in der Vereinigung mit dem Opfer des menschgewordenen Gottes. Auch hier dominiert das »Wir« der verfassten Gemeinde (»Kirche«), wie im Gottesbegriff die Einheit über die Verschiedenheit der Personen.128 3. Auf der höchsten Stufe des absoluten Geistes, der Philosophie, ist bei Hegel von Intersubjektivität, Dialog, Kommunikation kaum die Rede. Im Manuskript der Religionsphilosophie-Vorlesung von 1821 ist zwar vom 127

Nach meiner Deutung hat Hegel schon sehr früh die »dialogischen« Ansätze seiner Philosophie, etwa in der Theorie der Anerkennung, einer Dialektik untergeordnet, die der »kommunikativen Freiheit« nur eine sekundäre Rolle lässt; vgl. Siep (22014), S. 269–281. Michael Theunissen (1970, S. 470–474) hat bekanntlich die These vertreten, dass Hegel die Idee kommunikativer Freiheit in der Logik bis zur Urteilslehre entwickele, in der Schlusslehre, erst recht am Ende der Logik und in der Rechtsphilosophie aber aufgebe. Positivere Ansätze der Idee kommunikativer Freiheit in der Rechtsphilosophie sieht Axel Honneth (2001). 128 Vgl. GW 17, 290, 8–13; 290, 25 sowie o. S. 759.

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»Priesterstand« der Philosophen und deren »Besitzthum der Wahrheit« die Rede (GW 17, 300, 12 f.). Aber Hegel hat die wahre, spekulative Philosophie stets scharf von der »Seichtigkeit« des Verstandesdenkens, des Empirismus etc. abgegrenzt, so dass hier von einer Kommunikation Gleicher kaum die Rede sein kann. Innerhalb der spekulativen Philosophie gibt es zwar eine Schule, die hegelsche oder »spekulative«, die sich sogar der Kritik129 verpflichtet weiß. Dabei handelt es sich aber im Wesentlichen um die Kritik an den falschen Philosophen und Schulen. In Anbetracht des Letztbegründungsanspruchs der spekulativen Philosophie kann von »herrschaftsfreier« Kritik unter gleich ernstzunehmenden Positionen kaum die Rede sein. Auch die Autorität des Hauptes der Schule allerdings beruht allein auf der Einsicht der Schüler und kann im Prinzip von jedem rationalen Argument, zumindest innerhalb des dialektisch-holistischen Ansatzes, infrage gestellt werden. Es ändert sich an diesem Ergebnis nichts Wesentliches, wenn man von der wechselseitigen Ergänzung der Kommunikationsformen des objektiven und absoluten Geistes ausgeht. Der Primat des überindividuellen Endzwecks über die Individuen und ihre kommunikative Freiheit charakterisiert beide. Dass (›demokratisch‹) kommunikative Strukturen aus der einen in die andere Sphäre übergreifen, scheint unwahrscheinlich. Hegel geht zum einen von der vollständigen Versöhnung von Staat, Religion und Philosophie durch die spekulative Philosophie aus. Zum anderen besteht durch die Stufenfolge innerhalb der Philosophie des Geistes kein Zweifel daran, dass die eher einsame philosophische Erkenntnis die höchste Selbsterkenntnis und -verwirklichung des Geistes darstellt.130 Auch Hegels Begriff der Philosophiegeschichte passt nicht zu der Vorstellung eines permanenten historischen Diskurses über normative und theoretisch-wissenschaft liche Begriffe. Es ist zwar mit dieser Konzeption vereinbar, die Erzeugung der Begriffe einem historischen Prozess der menschlichen Vernunft zuschreiben, statt einer absoluten (göttlichen) Spontaneität. Aber es gibt nach ihr eine sich in allen Stufen dieser Geschichte durchsetzende Zweckmäßigkeit, deren Resultat eine vollständige Selbsterkenntnis ist. Das gilt zumindest für die absolute Methode, das holistische Gesamtsystem der sich explizierenden Begriffe. Ob sich dieses auch bei wandelnden wissenschaft lichen und sittlichen Begriffen stets erneuern lässt, wird noch zu erörtern sein (s. u. S. 780 ff.). Diese Methode, in Hegels Verständnis der Einheit und der Bestimmung des Denkens und der Sachen, beansprucht Unabhän129

Vgl. Jamme (1994). Hegels Metapher vom Allerheiligsten (GW 21, 5 f.) im Tempel eines Volkes spricht ebenfalls für diese Deutung. 130

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gigkeit von Zeit, Raum und zukünftiger Geschichte. Weder eine kantianisierende Annäherungskonzeption noch gar ein radikaler Paradigmenwechsel passt zur immanenten Zweckmäßigkeit der Selbsterkenntnis der Idee. Es bleibt noch zu erörtern, was das für ihr Verhältnis zur Entwicklung empirischer Wissenschaften bedeutet (u. S. 783–790). Wenn man die Alternativen a–c abwägt, spricht wohl am wenigsten für die erste Lesart (a) – auch deshalb, weil es in der Logik noch nicht um den voll entwickelten Gottesbegriff geht, der erst in der Philosophie des absoluten Geistes Thema ist. Aber auch die beiden anderen Lesarten (b, c) ergeben keine völlig befriedigende Antwort. Dass die endliche Person des Menschen im Durchdenken der Logik, sei es individuell oder kommunikativ, unendlich wird und dadurch die Idee zur Persönlichkeit gelangt, überzeugt deshalb nicht, weil dann die höchste Steigerung der absoluten Idee ihre Verendlichung in den »atomen« Personen endlicher Menschen an einer Raum-Zeitstelle wäre – die außerdem das Defizit haben, sich nicht frei »verendlichen« zu können. Man ist daher versucht, den Ausweg zu wählen, die höchste »Spitze« der Personalität metaphorisch zu verstehen. Dann stünde sie für die Konzentration aller Gedanken in eins, ihr Zusammenpassen und Auseinanderhervorgehen. Man hätte es mit einer ›objektiv konzentrierten‹ Vernunft zu tun, von der die diskursiv und zeitlich denkenden Menschen ein unvollkommenes Abbild wären. Dagegen aber spricht zum einen, dass es nach Hegels Konzeption des absoluten Begriffs keine Metaphern geben kann, die nicht vollständig in Begriffe auflösbar wären. Zum anderen spricht es gegen diese metaphorische Lesart, dass er an verschiedenen Stellen des Systems, vom Monarchen bis zur Einzigkeit des menschgewordenen Gottes, die Manifestation eines Systems von Prinzipien in einem (aber nicht jedem) realen, natürlichen Individuum als gedanklich notwendigen, der spekulativen Philosophie begreifbaren Abschluss versteht. Der Streit um die Persönlichkeit Gottes, der die Hegel-Deutung seit seiner Schule nicht zur Ruhe kommen lässt,131 kann von der Auslegung des Kapitels absolute Idee her nicht endgültig entschieden werden. Ohne die theologischen Vorstellungen, die ja aufgehoben – auch im Sinne des conservare – sein sollen, zum Schlüssel der Deutung zu machen, legt sich am ehesten die Interpretation einer Teilpräsenz der Einheit aller Begriffe im endlichen Selbstbewusstsein und der grundsätzlichen Möglichkeit der Aneignung dieser Einheit durch jedes Individuum nahe.

131

Vgl. Jaeschke (22010), S. 510–515.

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Ludwig Siep . Die Idee

(I.2.2) Auch die möglichen Deutungen des Sich-Entlassens der Idee in die Natur sollen in ihren Konsequenzen für die »theologische Frage« noch einmal resümiert werden. Auch hier kann man – in gut hegelscher Triadik – drei Alternativen unterscheiden: a) Die Rede vom freien Entschluss der Idee, sich zu entlassen in die Bestimmtheit von Raum und Zeit, bedeutet, dass ein Absolutes nicht auf den reinen Gedanken beschränkt sein kann. Es muss erwiesen werden, dass es auch die materielle Natur durchdringt, formt und sich darin wiedererkennt. b) Die Formulierungen des Entschlusses und des Sich-Entlassens beziehen sich nur rekonstruktiv auf den Sachverhalt, dass die Natur nichts ontologisch anderes gegenüber der Idee ist. Das Materielle wäre getrennt von seiner begrifflichen Formung »nur als das Vergängliche und Unwahre« (176, 38–39). Die Idee aber verliert oder vermischt sich nicht mit einem anderen Prinzip, sondern ist »dieser Objectivität ungeachtet, schlechthin einfach, und immateriell« (ebd., 35). c) Die Natur ist aus einem Entäußerungsakt des rein Begrifflichen entstanden, wenn auch nicht einem anthropomorph willentlichen Akt, sondern einem Sich-Aufschließen des Gedanklichen zum Raumzeitlich-Materiellen. Entsprechend heißt es im Vorbegriff der Logik der Enzyklopädie von 1817, die Logik sei vor der Naturphilosophie »rein speculative Philosophie, zunächst die Idee im Denken, oder das Absolute noch in seine Ewigkeit eingeschlossen« (GW 13, 26, 9–11). Nur die dritte Alternative (c) spricht dafür, in der absoluten Idee einen Gottesbegriff der rationalen Theologie zu erkennen, vor allem wenn das Aufschließen ein »vor« und »nach« hat, gemäß welcher Zeitlichkeitsvorstellung auch immer. Nach den beiden ersten Alternativen (a, b) ist die Natur dagegen ebenso ungeschaffen wie die Idee – Hegel würde auch hier auf der Seite des Aristoteles stehen. Die vielen Aktivitätsausdrücke, die er für die Idee verwendet (Quelle, Selbstbewegung, freies Sich-Entlassen etc.), hätten nicht die Bedeutung der Erzeugung bzw. des Erschaffens, jedenfalls nicht der Natur. Die Rede vom Entschluss ›dramatisierte‹ dann nur die ontologische und epistemologische Rangordnung von Begrifflichem und Raumzeitlich-Materiellem.132 Auch das ›Setzen‹ behielte an allen einschlägigen Stellen die Bedeutung des Explizierens bzw. Ausdrücklichmachens – angesichts der Natur ginge es um deren letztlich immaterielle begriffliche Wirklichkeit bzw. Wahrheit. Nicht nur der Geist, auch die absolute Idee verhielte sich zur Natur entsprechend der Dialektik von Setzen und Voraussetzen – was zu Hegels 132

Wobei der Raum für Hegel ja selber schon ein »unsinnlich Sinnliches« ist (vgl. o. S. 712).

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Formulierungen einer unmittelbaren Identität133 aber nur schwer passt. Eher scheint das ›Setzen‹ ein Sich-Herabsetzen (Depotenzieren), denn die Natur als Vorstufe des Geistes und seiner logischen Selbsterkenntnis ist von der Wahrheit und Selbständigkeit der »immateriellen« Idee noch entfernt. Die Metapher vom freien Entschluss bringt dann nur zum Ausdruck, dass es sich um einen folgerichtigen, aber nicht erzwungenen Übergang handelt, durch den die Logik nicht ihre »Totalität«, ihre Vollständigkeit verliert und auch gegenüber der Natur »göttliches« Wissen bleibt. Es stellen sich aber auch dieser Deutung Fragen: Hätte Hegel für dieses Verhältnis nicht auch einen Begriff statt Metaphern geben müssen, die ihren Quellbereich der Gültigkeit im Voluntativen haben – selbst wenn »Entschluß« nicht als Entscheidung, sondern als »Aufschluß« zu verstehen ist? Lässt sich eine absolute Freiheit denken, die zum Beweis ihrer Souveränität doch noch auf etwas Anderes angewiesen ist? Was ist das für ein Grund, der über einen (rein) logischen hinausgeht? Wenn man nicht dafür argumentieren will, dass diese Fragen nur auf dem Hintergrund der Trinitäts- und Schöpfungslehre zu beantworten sind, dann bringt auch die Deutung des freien Entschlusses keine Entscheidung über den göttlichen Charakter der absoluten Idee.134 Wenn »Entschluß« ebenso wie »höchste zugeschärfteste Spitze« aber nur Metaphern sein sollen, dann ist Hegels Rede von der Aufhebung der Vorstellungen in Begriffe, der Religion in Philosophie, problematisch. Meine Deutung der Antwort auf beide Teilfragen der ersten Leitfrage hat allerdings eine Voraussetzung: Sie geht davon aus, dass Hegel die Religion nicht vollständig in Philosophie und sittlichem Staat aufgehen lassen will. Hegels Bemerkungen in den letzten Berliner Vorlesungen zum »Vergehen« der Gemeinde und zur »Flucht« der Religion in den Begriff (GW 17, 298 f.) sind immer wieder in dieser Richtung interpretiert worden.135 Sie stehen aber nach meinem Hegel-Verständnis im Widerspruch zu seiner These der Versöhnung von Religion, Staat und Philosophie (etwa GW 14, § 360 und GW 20, § 552). Hegel hat die Komplementarität von Religion, sittlichem Staat und Philosophie seit seinen Jenaer Schriften behauptet und wohl nie vollständig 133

Etwa am Anfang des Kapitels »Die absolute Idee«: »in seiner Realität nur mit sich selbst zusammengeht«, (236, 9), bzw. zu Beginn des Schlussabschnitts: »so ist sie […] Natur« (253, 13). Zum Setzen und Voraussetzen vgl. Quante (2004). 134 Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Begriff der »absoluten Persönlichkeit« Gottes (als »absolute Freiheit«, etwas anfangen zu können) und dem freien »Entschluß« der Weltschöpfung fi ndet sich in Schellings Philosophie der Offenbarung, Schelling (1966 [1858]), S. 305, 311. 135 Vgl. Jaeschke (22010), S. 474–477.

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aufgegeben. Die Philosophie ist auch nicht in der Lage, die gesamte, Emotionen und Gewohnheiten umfassende »Gesinnung« der breiten Bevölkerung zu durchdringen.136 Für die Interpretation der Persönlichkeit der absoluten Idee würde eine solche Auflösung der Religion in Philosophie aber auch nur bedeuten, dass das ›Vorstellungskorrelat‹ zur Göttlichkeit entfiele, nicht, dass ein philosophischer Begriff der Persönlichkeit Gottes indiskutabel würde. Hegels »Aufhebung« im Sinne der spekulativen Deutung der bleibenden religiösen Gottesbegriffe hat allerdings systematische Probleme. Der hermeneutische Ausgangspunkt beim Absoluten, das »unter uns« und in den natürlichen und geistigen Prozessen präsent ist, schließt (christliche) Religion und spekulative Philosophie in ein wechselseitiges Bestätigungsverhältnis zusammen. Zwischen dieser Präsenz (vor allem in der vollendeten Religion) und ihrer philosophischen Explikation und Rekonstruktion bleibt kein Raum mehr für die Skepsis des Verstandes. Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass die traditionellen Gottesbeweise oft einen ungeklärten oder sogar inkohärenten Gottesbegriff – nach Hegel betrifft dies etwa die Bestimmungen ›transzendent‹ und ›unendlich‹ – implizieren. Aber ohne den Streit um die Gründe für philosophischen und religiösen Theismus ist eine rationale Auseinandersetzung und ein wechselseitiger Respekt zwischen Gläubigen und Skeptikern nur schwer denkbar.137 Traditionell und auch heute gilt solche Skepsis etwa der Notwendigkeit der »Gottes-Hypothese« für die Frage nach der besten Erklärung außerphilosophischer wissenschaft licher Befunde, aber auch der Bedeutung und Vereinbarkeit der Gottesprädikate, etwa in Bezug auf die Theodizee. Wenn diese Prädikate als dialektisch vermittelt und die Präsenz Gottes in der Geschichte, der Gemeinde, dem vernünft igen Staat (zumindest der europäischen »neuesten Zeit«)138 nur expliziert werden muss, was bleibt für ›nicht-spekulative‹ Einwände und Fragen 136

Vgl. Siep (2009), S. 60–62, sowie Siep (2015), S. 134–138, 171–173, 180–186. Vgl. etwa GW 18, 252, 3–16. Hegel behandelt die Gottesbeweise in seiner eigenen spekulativen Transformation in den späten Berliner Vorlesungen und dem – nicht erhaltenen – Manuskript von 1831 nicht vor dem Hintergrund wissenschaft licher Welterklärungen oder moralphilosophischer Überlegungen, wie Kant, sondern als interne Explikation der sowohl christlichen wie spekulativen Wahrheit. Sie stehen auf dem »Boden[] des Christentums« (GW 18, 229, 26), wollen den internen »Zweifel« (GW 18, 229, 28–29), den »inneren Zwiespalt« (GW 18, 229, 35) der Vernunft und des Glaubens überwinden und stellen selber eine »Erhebung des denkenden Geistes zu dem, der selbst der höchste Gedanke ist, zu Gott« dar (GW 18, 234, 35–36, vgl. GW 18, 250, 31). Eine ähnliche Stellung zur philosophischen Gotteserkenntnis als Hermeneutik fi ndet sich heute bei Ch. Taylor (2009), vgl. ebd., S. 17–34, 473, 501, 933. 138 Über die prekäre Stellung von Atheisten angesichts der wechselseitigen Stützung von Religion und spekulativ gerechtfertigtem Staat vgl. Siep (2015), S. 180–184. Walter Jaeschke sieht in der »Pfl icht« des Staates, »von seinen Angehörigen zu fordern, daß sie 137

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dann noch übrig? Aufk lärung und Skeptizismus sollen durch phänomenologische und logische Dialektik – abgekürzt gesagt, das Ineinander-Überführen der sich ausschließenden Begriffe – zu Ende gedacht (»vollbracht«) und integriert sein.139 Das lässt wenig Raum für eine offene philosophische Diskussion über theologische Ansprüche und ihre Kritik. Auch wenn man die Verbindung der logischen Persönlichkeit mit dem christlichen Gottesbegriff löst, bleibt Hegels Anspruch, dass die absolute Methode der Dialektik als Selbstreflexion einer absoluten Subjektivität (Persönlichkeit) zu verstehen ist. Das lässt es nicht zu, sie als negative oder kritische Dialektik Hegel zuzuschreiben – was eine Transformation natürlich nicht ausschließt. Bei Hegel richtet sich die Dialektik nicht nur skeptisch gegen jedes verabsolutierte Prinzip oder jede angeblich vollständige Alternative (›Verstandesgegensätze‹), sondern ist eine Art Denkgesetz, nach dem sich die impliziten Begriffe und Schlüsse entwickeln müssen, wenn man sie philosophisch betrachtet. Aus dieser Sicht sind auch Natur und Geschichte nur Elemente ihrer Selbstverwirklichung. Das betrifft entscheidend die erste Leitfrage nach der Offenheit der Logik gegenüber den Erfahrungswissenschaften und den historischen Erfahrungen.

6.3 Idee, Natur und Erfahrung (GW 12, 250–253) Was ergibt sich aus der Deutung der systematischen Geschlossenheit der Logik und des Überganges der Idee in die Natur für unsere zweite Leitfrage (II, o. S. 654)? Zunächst resümiere ich die Ergebnisse für die erste Teilfrage (II.1) nach dem Verhältnis der Logik zur Offenheit der wissenschaft lichen und sittlichen Entwicklungen und gehe dann auf das Verhältnis der Idee zur Natur ein (II.2). (II.1) Die Frage nach der Notwendigkeit des Überganges der Logik zur Naturphilosophie ist auch für das Verhältnis zu den Wissenschaften, die eine als selbständig angenommene Natur erklären wollen, von großer Bedeutung. Wenn die Idee bei ihrem freien »Entlassen« ganz ihrer selbst sicher bleibt, warum bedarf es dann überhaupt der Vermittlung durch die Natur? Wenn man den »Uebergang« (GW 12, 253, 9) der Idee in die Natur unter dem Ge-

sich zu einer Kirchen-Gemeinde halten« (GW 14,1, § 270 A, 216, 35–37), aber keine Einschränkung des Rechts der Religionsfreiheit; vgl. ders. (42017), S. 259. 139 Der »sich vollbringende Sceptizismus« von dem in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes (GW 9, 56, 12–13) die Rede ist, wird ja vollständig in die interne Negativität des logischen Begriffes aufgehoben.

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sichtspunkt einer rekonstruierenden Bestätigung der Grenzenlosigkeit der Idee erörtert, ergeben sich im Wesentlichen drei Deutungsmöglichkeiten: a) Entweder ist die Logik ein System, das von Grundbegriffen handelt, die Hegel im weiteren Gang der (nicht-philosophischen) Wissenschaften sowie der Geschichte des »Guten« für nicht mehr veränderlich hält. Allenfalls könnte noch von Differenzierung, Anreicherung, Vertiefung der in der Logik erörterten Grundbegriffe bestimmter Wissenschaftsbereiche (Mechanik, Chemismus, animalisches Leben, Mathematik etc.) die Rede sein. b) Oder die Logik hängt substantiell von den Kategorien der Wissenschaft und der historischen Sitten- und Verfassungsentwicklung ab. Diese Entwicklung macht jeweils eine Fortschreibung der Logik, möglicherweise auch mit grundsätzlichen Änderungen, erforderlich. c) Es bleibt noch eine mittlere Position, die ich schon angedeutet habe: Neue Entwicklungen der theoretischen und normativen Erfahrungen140 müssen sich in ein holistisch-dialektisches System ihrer eigenen und der logischen Grundbegriffe einpassen, wenn sie zur »Wahrheit« beitragen sollen. Es käme dann darauf an, wie streng die Bedingungen dieser Methode sind. Bevor darüber entschieden wird, für welche Deutung die besten Belege bei Hegel zu finden sind, lohnt sich auch hier ein kurzer Blick über das kommentierte Kapitel hinaus. Exkurs 3: Systematische Totalität und Erfahrung. Hegel hat sich über den Wert der Erfahrung an vielen Stellen der Logik geäußert, von denen wir einige oben schon erörtert haben. Es gibt aber programmatische Stellen, vor allem in der Einleitung in die Logik der Enzyklopädie, auf die hier kurz eingegangen werden soll. In § 7 der Einleitung und im § 38 der »Zweiten Stellung des Gedankens zur Objektivität«, die seit der zweiten Auflage der Enzyklopädie von 1827 zum Vorbegriff der Logik gehört, bezeichnet Hegel es als das »Princip der Erfahrung«, dem eine »unendlich wichtige Bestimmung« zukomme, dass »für das Annehmen und Fürwahrhalten eines Inhalts der Mensch selbst dabei seyn müsse« (GW 19, § 7 A, 33, 23–24). In der Einleitung wird Erfahrung dabei im weiteren Sinne verstanden als Präsenz des Menschen bei den Inhalten des Wissens »nur mit seinen äußerlichen Sinnen oder aber mit seinem tiefern Geiste, seinem wesentlichen Selbstbewußtseyn« (GW 19, 33, 26–27). Bei seiner Behandlung des Empirismus als erster Stellung des Gedankens zur Objektivität geht es dagegen eindeutig um sinnliche Wahrnehmung. Das »große 140

Zum Begriff der normativen Erfahrung vgl. Siep (2017b).

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Princip« des Empirismus sei es, »daß was wahr ist, in der Wirklichkeit seyn, und für die Wahrnehmung da seyn muß« (GW 19, § 38 A, 56, 20–21). Hegel entnimmt diesem Prinzip zwei positive Züge, die es mit der wahren Philosophie teilt: zum einen die Gegnerschaft gegen die nur im »subjectiven« Verstand anzutreffenden Begriffe, vor allem Sollensbegriffe, an denen die Wirklichkeit gemessen wird; zum anderen die Freiheit des Menschen, das »was er in seinem Wissen gelten lassen soll, selbst sehen, selbst darin sich präsent wissen« (GW 19, 56, 28–29) zu können. Erfahrung allerdings ist mehr als einzelne Wahrnehmung. Vor allem die wissenschaft liche Erfahrung beruht auf dem Vergleich der Wahrnehmungen und ihrer Subsumtion unter »die Bestimmungen der Allgemeinheit und Nothwendigkeit« (GW 19, § 39, 57, 6). Die Wahrnehmung von Gleichem oder von Wiederholungen lässt aber für sich die Bildung solcher Bestimmungen nicht zu. Vergleichsbegriffe bleiben, wie Hegel schon im Kapitel über das synthetische Erkennen (s. o. S. 700–720) gesagt hat, offen für Grenzfälle und unendliche Variationen. Sie liefern keine Prinzipien der Einteilung und der Vollständigkeit. Regelbegriffe für Veränderungen enthalten keinen »Zusammenhang der Nothwendigkeit« (GW 19, 57, 11), sondern nur »eine subjective Zufälligkeit, eine bloße Gewohnheit, deren Inhalt so oder anders beschaffen seyn kann« (GW 19, 57, 13–14). Damit verfehlt der Empirismus die Idee des philosophischen Erkennens. Diese Bemerkungen lassen offen, wie das positive Prinzip der Erfahrung in das wahrhafte philosophische Erkennen aufgenommen werden kann. In dieser Hinsicht scheinen zwei weitere Stellen weiterzuführen. Die erste befindet sich in der Einleitung, und zwar in der Anmerkung zu § 12. Für unsere Fragen ist sie vor allem deswegen wichtig, weil sie das Verhältnis der Philosophie zu den Erfahrungswissenschaften betrifft: »Es hat daher einen richtigen und gründlichern Sinn, daß die Entwicklung der Philosophie, der Erfahrung zu verdanken ist. Die empirischen Wissenschaften bleiben einerseits nicht bei dem Wahrnehmen der Einzelnheiten der Erscheinung stehen, sondern denkend haben sie den Stoff der Philosophie entgegen gearbeitet, indem sie deren allgemeine Bestimmungen, Gattungen und Gesetze finden; sie vorbereiten diesen Inhalt des Bestimmten dazu, so in die Philosophie aufgenommen werden zu können.« (GW 19, 39, 23–30)

Das spricht für eine Wechselwirkung zwischen Philosophie und empirischen Wissenschaften, denn wie eine gegen Kant gerichtete Stelle (§ 59 A) zeigt, sollte die Philosophie auch Einfluss auf die Wissenschaften haben:

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»Ueber das Kantische Resultat vom Erkennen kann noch die Bemerkung angeschlossen werden, daß die Kantische Philosophie auf die Behandlung der Wissenschaften keinen Einfluß hat haben können. Sie läßt die Kategorien und die Methode des gewöhnlichen Erkennens ganz unangefochten.« (GW 19, 74, 30–34)

Offen bleibt aber, ob es an diesen Stellen um den Prozess der »Entstehung« der Philosophie und der Rückwirkung der wahren Philosophie auf die Wissenschaften geht, oder um eine permanente Wechselwirkung. Es geht in den Paragraphen der Einleitung (vor allem § 12 und § 13) um die historische Entstehung der Philosophie, um die »Geschichte dieser Wissenschaft« (GW 19, 40, 5). In dieser wird die Philosophie zwar durch die von den Wissenschaften gefundenen Bestimmungen zur eigenen Entwicklung ›genötigt‹ (vgl. GW 19, 39, 30, § 12 A). Aber die Bestimmungen werden auch umgewandelt141 durch ein »Entwickeln des Denkens aus sich selbst« (GW 19, 39, 33– 34). Dadurch erhalten die Begriffe »die wesentlichste Gestalt der Freiheit (des Apriorischen) des Denkens und die Bewährung der Nothwendigkeit, statt der Beglaubigung des Vorfindens und der erfahrnen Thatsache, daß sie zur Darstellung und Nachbildung der ursprünglichen und vollkommen selbstständigen Thätigkeit des Denkens werden« (GW 19, 39, 35–40, 2). Von einer fortdauernden Wechselwirkung und Anregung des philosophischen Denkens, sich selber durch neue aus der Wissenschaft kommende Theorien, Prinzipien, Paradigmen zu verändern, ist hier nicht die Rede. Eine weitere wichtige Stelle findet sich in der zweiten Vorrede zur Neuauflage der Seinslogik von 1832.142 Sie spricht ebenfalls davon, dass »im Fortschreiten der Bildung überhaupt und insbesondere der Wissenschaften« sich allgemeinere und abstraktere Kategorien herausbilden (GW 21, 11, 23–24). Dieser Fortschritt »fördert nach und nach auch höhere Denkverhältniße zu Tage, oder hebt sie wenigstens zu größerer Allgemeinheit und damit zu näherer Aufmerksamkeit hervor« (GW 21, 11, 26–28). Auch hier haben also die Wissenschaften der Philosophie zugearbeitet, aber auch hier ist nicht davon die Rede, wie sich weitere Fortschritte auf Letztere auswirken. In der Jenaer Phänomenologie des Geistes ist Hegel zwar von radikalen Paradigmenwechseln ausgegangen, die sich aber in eine begriffl iche Entwicklung bringen 141

Wie radikal diese Umwandlung der Grundbegriffe der Wissenschaften ist, zeigt das von Hegel dafür gewählte Beispiel der Verdauung: »[D]as Essen wird freilich in diesem Verhältnisse als undankbar vorgestellt, denn es ist das Verzehren desjenigen, dem es sich selbst verdanken soll. Das Denken ist allerdings in diesem Sinne nicht weniger undankbar.« (GW 19, §12 A, 39, 6–9) 142 Vgl. dazu auch Mooren/Rojek (2015).

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lassen und die in die Entstehung der spekulativen Philosophie eingegangen sind. Einer Abhängigkeit von zukünft igen Wirkungen der Wissenschaften stehen – jedenfalls prima facie – seine Bemerkungen zur »Tilgung« der Zeit durch den Begriff entgegen.143 Wenn die Philosophie sich in ihrer Entwicklung aber ganz auf ihre eigene Denknotwendigkeit in der logischen Entwicklung der Begriffe stützt, wie kann sie dann dem »großen« Prinzip der Erfahrung gerecht werden? Offenbar kann sie es so, dass eine konkrete, alle begrifflichen Differenzen entwickelnde Philosophie die Erfahrungen der Wissenschaften und der Wahrnehmungen rekonstruieren kann. Daher sind die Naturphilosophie und die Logik Hegels voller konkreter (im gewöhnlichen Sinn) Begriffe, die sich auch in den empirischen Wissenschaften finden. Wenn die Wissenschaften der Philosophie folgen, können sie diese Deutung sogar selbst zum Ausdruck bringen. So heißt es in § 10 der 1. Auflage der Enzyklopädie: »Eine sinnige Experimental-Physik, Geschichte u.s.f. würde auf diese Weise die rationelle Wissenschaft der Natur und der menschlichen Begebenheiten und Thaten in einem äußerlichen, den Begriff abspiegelnden Bilde darstellen.« (GW 13, 21, 32–35).

Die »rationelle Wissenschaft« meint an dieser Stelle die Natur- und Geschichtsphilosophie, die »das, was nur Erscheinungen sind, so ordnet, wie die innere Folge des Begriffes ist« (GW 13, 21, 28–29). Für eine solche Abspiegelung müssen die »sinnigen« Erfahrungswissenschaften allerdings die bei ihrer eigenen »Empirie« schon unterstellte Verstandesmetaphysik der Dinge, Kräfte, Mechanismen etc., aufgeben. Eine solche Kritik impliziter »schlechter« Philosophie in den Wissenschaften, mit der sich schon die Phänomenologie des Geistes in den Kapiteln über das Bewusstsein und die beobachtende Vernunft ausführlich beschäft igt, ist sicher bis heute relevant. Ob aber eine offene Entwicklung der Erfahrungswissenschaften mit so viel Unabhängigkeit denknotwendiger philosophisch-holistischer Rekonstruktionen vereinbar ist, wie sie Hegels Philosophie beansprucht, erscheint zweifelhaft. (Ende Exkurs) Damit ergibt sich Folgendes für die alternativen Deutungen (s. o. S. 779) des Verhältnisses der Logik zu den Erfahrungswissenschaften: Gegen eine Abgeschlossenheit der Logik nach der ersten Variante (a) spricht die schon mehrfach betonte Tatsache, dass auch sie selber Bestimmungen 143

Vgl. GW 9, 429 und Siep (2014), S. 250.

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enthält, die in der raumzeitlichen Natur vorkommen und ihre wissenschaftliche Erkenntnis voraussetzen. Wir haben ja bei der Idee des Lebens gesehen, wie nahe ihre Gehalte an den biologischen Wissenschaften der tierischen Wachstums-, Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungssysteme liegen.144 Und selbst bei der Mathematik hatte Hegel darauf hingewiesen, dass bestimmte Theorien noch in der Entwicklung sind (s. o. S. 698 f.).145 Nach der zweiten Variante (b) müsste die Logik nach jedem »Paradigmenwechsel« der Naturwissenschaft und der Sitten neu geschrieben werden. Das ist schwer mit der Freiheit der Idee von Raum und Zeit und von allen externen Abhängigkeiten vereinbar. Denn ein radikaler Paradigmenwechsel kann ja grundsätzliche Annahmen der Logik betreffen, wie die Rekonstruierbarkeit der Gedanken in einer systematisch geschlossenen Entwicklung oder die grundsätzliche Bestimmung der Natur für das menschliche Erkennen und die Verwirklichung der Freiheit. Es scheint mir vom Gesamtverständnis der hegelschen Philosophie her am meisten für die dritte Alternative (c., s. o. S. 780) zu sprechen. Dann stellt sich aber die Frage nach den Bedingungen der Aufnahme empirischer Erkenntnisse bzw. der sie erklärenden allgemeinen Theorien in die Philosophie. Zwei Hinsichten sind dabei zu unterscheiden: Zum einen ist zu überprüfen, wie flexibel, d. h. durch neue Erkenntnisse veränderbar, die Grundbegriffe der Wissenschaften sein können. Bleiben wir etwa beim »wissenschaftsnahen« Begriff des Lebens. Schon wegen des engen Bedeutungszusammenhangs mit dem Begriff der Subjektivität sowie der Formen der Urteils- und Schlusslogik sind den Änderungen enge Grenzen gesetzt: Selbstindividualisierung – wie sie etwa bei heutigen biotechnischen Klonierungsprozessen in Frage gestellt wird – sowie irgendetwas der Trias von Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion Entsprechendes, ist vom System gefordert. Die neuen Begriffe müssten ebenso wie die alten als Schlüssel für die Morphologie, die Pathologie und die Verhaltensbiologie dienen können – sie müssten also über so etwas Allgemeines wie Empfindungsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit und Fortpflanzung hinausgehen.

144

Für die Offenheit der Philosophie gegenüber den Wissenschaften plädieren mit überzeugenden Argumenten auch Mooren/Rojek (2015). Die Komplementarität zwischen Philosophie und nicht-philosophischen Wissenschaften bedeutet nach der hier bevorzugten Lesart der Logik aber nicht, dass sich die Philosophie ebenso sehr nach den Wissenschaften richten muss, wie umgekehrt. Bedingung der philosophischen Relevanz wissenschaft licher Theorien ist ihre Passung in ein holistisch-dialektisches System. 145 Dass Hegel auch in der Logik auf Entwicklungen der Mathematik reagiert, zeigt Michael Wolff (1986).

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Die systemhafte Betrachtung körperlicher Organisationen und Prozesse vermeidet zwar manche Probleme der modernen Medizin – etwa die Unterscheidung der Organe von anderen Geweben ähnlicher Funktion – und der moderne Gedanke der Autopoiese bestätigt manche Überlegungen Hegels. Aber ob evolutionstheoretische und genetische Theorien mit ihrer Infragestellung stabiler Arten, »normaler« heterosexueller Reproduktion usw. in ein hegelsches Schema passen, scheint mir trotz aller Aktualisierungsversuche moderner Hegel-Interpreten offen. Ebenso wenig ist gesichert, dass die Evolution der Natur – mit und ohne menschliche Einwirkung – dauerhaft ein geeigneter Raum für die Verwirklichung menschlicher Freiheitsordnungen ist und bleibt. Die Abhängigkeit dieser Eignung von Bevölkerungswachstum, technischem Ressourcenverbrauch, aber auch biotechnischen Optimierungstendenzen liegt noch außerhalb von Hegels Horizont. Heute scheint es eher, dass die »Güte« der Welt als gemeinsames Ziel und als Maß der Annäherung oder Entfernung für technische Eingriffe in die Natur fungieren kann.146 Das zweite große Problem ist die Dialektik. Dass Begriffe auf ihre Gegensätze bezogen und durch die Einsicht in die zu ihrem Sinn gehörige Einheit mit ihrer bestimmten Negation,147 zu reicheren Begriffen entwickelt werden können, ist entweder eng oder weit zu verstehen. In einem weiten Verständnis kann es vielleicht vielfach gelingen, die Implikationen wissenschaft licher Aussagen systematisch zu rekonstruieren und einander ausschließende Gegensätze miteinander zu einer höheren, komplexeren Einheit zusammenzufassen. In Hegels (engerem) Verständnis der Methode muss das aber eine in sich strenge Argumentfolge sein. Jeder wissenschaft liche Grundbegriff muss in Urteile analysierbar sein, die einander ausschließende Behauptungen enthalten und eine notwendige Folge von Urteilen und Schlüssen generieren. Diese Folge muss die Form eines den Anfangsbegriff vollkommen erschöpfenden und zu ihm zurückführenden »Kreises« bzw. eines Systems der »Totalität« haben. Ob das mit den Begriffen der fortschreitenden Wissenschaften und Lebensformen (»Sittlichkeit«) prinzipiell möglich ist – selbst dann, wenn die Schlussformen sich im Sinne von Hegels Schlusslogik ergänzen – scheint mir keineswegs ausgemacht. Der horrende Missbrauch, der mit der Dialektik nach Hegel getrieben worden ist, sicher meist einer »materialistisch« oder »historisch« missverstandenen, ist in dieser Hinsicht nicht ermutigend. 146

Vgl. in diesem Sinne meinen Versuch einer »Konkreten Ethik«, Siep (2004). Zur bestimmten Negation und Hegels Verständnis von kontradiktorisch und konträr vgl. auch Düsing (1976), S. 247–249. 147

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Zur Dialektik in Hegels Verständnis gehört auch die These der »Aufhebung« der Schritte im Resultat. Das impliziert historisch eine Fortschrittsgeschichte, in der stabile Entwicklungen im Resultat einer Verfassungs- und Sittenordnung, oder auch einer Religionsgeschichte, enthalten bleiben. Für eine bestimmte Phase der modernen Verfassungsgeschichte, etwa die der Menschenrechte, der Gewaltenteilung oder des Rechtsstaates, ist das heute für viele Philosophen und Rechtshistoriker plausibel. Diese Geschichte muss aber anders erzählt werden, als bei Hegel, der eine dem Revolutionszeitalter angehörige Vereinbarung von Individualfreiheiten und nahezu sakraler politischer Identität als vernünftig zu erkennen glaubte; oder auch eine endgültige Synthese der klassischen Staatsformen in Gestalt der konstitutionellen Monarchie.148 Selbst wenn man dies durch Verfassungssynthesen ersetzen würde, die den Erfahrungen des 21. Jahrhunderts angemessener sind, bleibt zweifelhaft, ob man darin noch notwendige Resultate der globalen Staats-, Sitten- und Religionsgeschichte erkennen kann. Erst recht ist es fraglich, ob man von der Macht der Idee über den weiteren Geschichtsverlauf überzeugt sein darf. Man könnte argumentieren, dass die faktische Geschichte ihre Vernünftigkeit auch einbüßen kann. Aber wie steht es dann mit der ihrer selbst auch in ihrem raum-zeitlichen Anderen absolut sicheren Idee? Ob man weiterentwickelte und auch grundlegend geänderte wissenschaftliche und sittliche Begriffe noch nach Hegels Methode als sachlich notwendige Entwicklung darstellen kann, könnte eine Frage des Versuches sein. Eine Erneuerung des hegelschen Verfahrens legt sich vor allem dann nahe, wenn man es nach seinen eigenen Ansprüchen für gelungen hält, also als zwingend notwendige in sich selbst gegründete Begriffsentwicklung. Auch das hängt bei einem holistischen System im Grunde von der Alternativlosigkeit jedes Schritts in der Logik ab. Da die Methode die immanente Bewegung der Sache ist, in diesem Fall der systematischen Rekonstruktion der Grundbegriffe wissenschaft lichen Denkens überhaupt, ist daran auch die Überzeugungskraft ihrer grundlegenden Eigenschaften bzw. Bewegungsstrukturen gebunden, vor allem der Dialektik. 149

148

Vgl. Siep (2015). Zur konstitutionellen Monarchie als historischer und vernünftiger Synthese der Staatsformen als »Werk der neuern Welt, in welcher die substantielle Idee die unendliche Form gewonnen hat« vgl. GW 14,1, § 273 A, 226, 13–14. 149 Eine inhaltsbezogene, grundsätzliche Kritik der entscheidenden Beweise und Thesen der Logik hat Klaus Düsing (1976) unternommen. Einer solchen halten nach seiner kompetenten und dichten Interpretation aber auch entscheidende Schritte wie die »Darstellung der Notwendigkeit des Widerspruches und seines positiven Sinnes« oder »die Entwicklung der konkreten Allgemeinheit« nicht stand (ebd., S. 339).

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Die Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von logischem System und offener Erfahrung lässt sich also folgendermaßen zusammenfassen: Die Logik bzw. das System ist nur im Maße einer holistischen Rekonstruktion mit offenen Prozessen der Wissenschaften und Sitten vereinbar. »Erfahrung« heißt bei Hegel nicht eindeutig, offene, weitergehende Erfahrung. Ob diese Rekonstruierbarkeit gegenwärtig möglich ist, erscheint zweifelhaft. (II.2) Auch die zweite Teilfrage nach dem Verhältnis von Idee und Natur hängt damit eng zusammen. Mit dem Selbstverständnis von Wissenschaften, die ständig nach neuen Erkenntnissen suchen und dabei auch ihre eigenen Grundlagen in Frage stellen, sind bestimmte Begriffe von Natur und Geschichte verbunden. Es fragt sich, ob sie mit der Souveränität der absolut selbständigen Idee über eine Natur und Geschichte, in denen sich ihre Begriffe darstellen, vereinbar sind. Sicher ist der naturwissenschaft liche Naturbegriff nicht der einzige rational ernstzunehmende. Gerade heute sind auch evaluative Naturbegriffe verbreitet, die eine positive Bewertung von Artenmannigfaltigkeit, Formenreichtum und den ›Interessen‹ nicht-menschlicher Lebewesen implizieren.150 Dabei greifen sie aber auf Ergebnisse der empirischen Naturwissenschaften zurück. Wie verhält sich deren Naturbegriff einer permanenten Erfahrungsoffenheit zu Hegels Begriff der Natur? Bei Hegel ist die Natur eine Manifestation der Idee. Ihre »immateriellen« Begriffsmomente strukturieren und ermöglichen sie. Die Idee muss in diesem Element erscheinen, um die Einseitigkeit des rein Gedanklichen zu verlassen. Darin liegt aber keine Abhängigkeit von der Natur – die Idee entschließt sich frei, sie schließt sich souverän und »ihrer absolut sicher und in sich ruhend« (GW 12, 253, 22–23) auf zur Natur. Der Geist, nicht die Idee, stellt eine Art asymmetrischen Reflexionsbegriff zu ihr dar – beide sind sie aufeinander bezogen, der Geist als erkennender und handelnder »setzt« die Natur und setzt sie zugleich voraus.151 Die Natur ist zweifellos real, insofern sie Realität der Idee ist, und zwar auch als sinnlich anschaubare und mechanisch-kausal wirksame. Begriffliche Prozesse in der Logik sind solange abstrakt, wie sie nicht auch in der Natur wirksam und teilweise auch sinnlich erfahrbar sind. Aber die Natur ist im Sinne des ontologischen Wahrheitsbegriffs weder dem Geist noch der Idee gleichwertig und gleich wirklich. Sicher kann nicht von einem Monismus des differenzlosen Einen gesprochen werden. Dass Hegel auch etwas dem Begriff nicht Zugängliches, Zufälliges 150

Diese Begriffe sind inzwischen Grundlage von Naturschutzgesetzen, die bei Genehmigungsverfahren für technische Eingriffe (etwa Bau von Windrädern) berücksichtigt werden müssen. 151 Vgl. dazu Quante (2004).

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oder »Irrationales« in Natur und Geschichte annimmt, scheint mir dagegen nicht gegen einen ontologischen Monismus zu sprechen.152 Hier haben wir es eher mit einem »me on« im Sinne des Neuplatonismus zu tun als mit einem ontologischen Pluralismus. Insoweit vertritt Hegel einen Monismus der Idee. Natur im Sinne Hegels ist, wenn unsere Deutungen des Kapitels richtig sind, nur unter der Perspektive der ›Bestimmung‹ zur Ermöglichung der Freiheit des erkennenden und handelnden Geistes verständlich. Das geht über die These weit hinaus, ohne begriffliche Erfassung bliebe Natur ›nichtige‹, unerkennbare und unaussprechliche formlose Materie – die prote hyle des Aristoteles. Natur erfüllt, selbst als zweckmäßig organisierte lebendige, ihren eigenen Begriff nur in der Selbstaufhebung zum Geist. Dieser kann sich von der Endlichkeit lösen und die Idee der Wahrheit und des Guten vollständig explizieren – in der Logik. Das ist nicht der einzig mögliche Naturbegriff und man kann sich fragen, ob er den offenen empirischen Wissenschaften (die auch auf die Mathematik zurückwirken) und den normativen Erfahrungen der nachhegelschen Geschichte entspricht. Dass Natur dem Menschen nur durch seine eigenen Begriffe und Horizonte zugänglich ist, kann man kaum bestreiten. Aber man kann sagen, dass sie einer prinzipiell unabgeschlossenen Wissenschaft und Erfahrung gegenüber eine andere Realität besitzt als bei Hegel. Wissenschaft, die sich grundsätzlich für unabschließbar und auch ihre Fundamente nicht jeder Kritik entzogen hält, muss ihren Gegenständen, vor allem der Natur, ein ständiges ›Voraus‹ zu ihren Begriffen zuschreiben.153 Natur ist nicht prinzipiell unerkennbar und überbegrifflich, sonst wären auch Medizin und Technik nicht möglich, aber sie scheint immer noch weiter erkennbar, besondere Begriffe und Theorien »sprengend« zu sein. Das geht über ein Kohärenzsystem der Begriffe hinaus und kann jede Kommunikation korrigieren. Mathematisch-experimentelle Naturwissenschaft ist als heute weitgehend kulturunabhängige und universal nachvollziehbare Wissenschaft in einer privilegierten Stellung zur Erklärung und Manipulation von kausal erfassbaren Prozessen. Aber sie hat kein Deutungsmonopol, nicht über die Natur und noch weniger über die kulturelle Welt. Hegels Kritik an den philosophischen Implikationen und Ambitionen der positiven Wissenschaften seiner Zeit besitzt in diesem Zusammenhang eine bleibende Aktualität. Andere Naturbe152

Dieser Monismus lässt unvollständige Stufen der Realität und Erkennbarkeit zu, nicht nur das Zufällige in Natur und Geschichte, sondern auch das »bloß« Mechanische. Das spricht aber eher für eine (neuplatonische) Gradualisierung der monistischen Ontologie als einen ontologischen Pluralismus, wie Kreines (2017), S. 171 argumentiert. Vgl. auch ders. (2015), S. 259. 153 Vgl. Nagel (1992), S. 157–190, bes. S. 182–190.

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griffe werden heute gerade durch die Erfahrungen mit den ›Erfolgen‹ von Naturwissenschaften und Technik plausibel. Sie sind aber unvereinbar mit Hegels Aufhebung der Natur in eine »gesetzte«, nämlich auf die vollständige Erkenntnis und die Verwirklichung vernünftiger Freiheitsordnungen angelegte. Dass Natur erkennbar ist und vernünftigen Freiheitsordnungen nicht grundsätzlich zuwider, wäre unvernünft ig zu bezweifeln. Allerdings kann gerade bei wachsend erfolgreicher Aneignung durch den Menschen (Technisierung, Bevölkerungswachstum) diese Eignung auch abnehmen. Das zeigen Rückschläge gegen die technische Zivilisation (Klima) sowie neue Knappheiten (Ressourcen, Verschmutzungen etc.). Wenn sich der Mensch heute eher von seinem Streben nach absoluter Souveränität über die Natur befreien müsste, dann würde das auch ihre ontologische Abwertung einschließen. Sonst könnte er einem Herrschaftszwang, einer Auslieferung an technische Optimierung und der Anpassung an die Systemerfordernisse derart optimierter Gesellschaften erliegen. In der Widerständigkeit der Natur gegen technische Instrumentalisierung könnte nicht nur ein Hindernis menschlicher Freiheit, sondern auch ein Wert erfahrbar werden. In Hegels Idee, gerade am Ende der Logik, scheint nicht nur die kommunikative Freiheit in symmetrischen Anerkennungsbeziehungen zwischen Menschen relativiert (vgl. o. Anm. 127). Sie lässt auch eine asymmetrische Anerkennung der Natur – die zweifellos, wie Hegel sagt, frei von Subjektivität und daher von Verantwortung ist – durch den Menschen nicht zu. Dafür wäre eine Freigabe natürlicher Selbstzwecke nötig und der Verzicht auf die bei Hegel unbeschränkte Instrumentalisierung. Die Kritik am Verhältnis von Natur und sittlichem Geist betrifft aber auch sein Verständnis natürlich-begriffl icher Formen, die der Versittlichung entgegenkommen sollen, wie etwa der Geschlechterunterschiede oder der Sterblichkeit. Diese beschränken von heute aus gesehen menschliche Freiheit unnötig (s. o. S. 730 u. Anm. 67). Hegels tiefe Einsichten in die Selbstzweckstrukturen des Lebens können für die Freigabe des »Eigensinns« natürlicher Prozesse aber angeeignet werden. Dafür müssen sie von seiner »platonischen« Scala der Wirklichkeit und der Wahrheit getrennt werden. Auf die Selbständigkeit des Geistes und seiner Freiheit muss nicht verzichtet werden, wenn die Natur als sein umfassender Träger anerkannt wird, in dem es vom Menschen identifizierbare, aber nicht auf ihn bezogene Selbstzwecke geben kann. Eine solche Freigabe geht über Hegels Anerkennung der Bereiche des Zufälligen, die dem Begriff entzogen sind, weit hinaus.154 Aber auch die Weise, wie für He154

Denn diese Seite der Natur ist gerade nicht ihre Wirklichkeit: »[D]iejenige Reali-

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gel die Vernunft in der Geschichte der Sitten und Institutionen wirksam und wirklich ist, lässt weder der historischen Entwicklung noch derjenigen der Kultur- und Geisteswissenschaften genügend Raum. Sie ist auch nicht die einzig mögliche kohärente »Erzählung« der globalen historischen Prozesse. Wer die Hegelsche Logik liest, will aber primär hinter den Sinn dieses faszinierenden Gedankengebäudes kommen. Er liest sie also mit hermeneutischem Wohlwollen und nicht mit Skepsis hinsichtlich jeden Schrittes. Das ist zum Verständnis gewiss notwendig, führt aber oft zu immanenten Verteidigungen dieses Werkes, die sich gegen die philosophische und historische Umwelt – Hegels eigene und die heutige – abschotten. Oder zu den Modernisierungen, die über Hegels metaphysische, systematische und letztbegründende Ansprüche allzu leicht hinweggehen. Vielleicht muss man sich eingestehen, dass wir eine holistische Philosophie, die zwischen einer theologischen Welterklärung, den Wissenschaften und einer teleologischen, fortschrittlichen Kulturgeschichte »systematisch« vermittelt, nicht mehr haben können, aber auch nicht mehr brauchen. Auch dann bleibt noch viel kritisches Potential der Logik gegen Absolutheitsansprüche der Wissenschaften und anderer Welterklärungen übrig. Und es bleibt der für die Philosophie vielleicht unaufgebbare Versuch, zwischen den verschiedenen Bereichen der Kultur – den deskriptiv-nomologischen Wissenschaften und den normativen, den Sitten, der Kunst und der Technik, den religiös interpretierten Erfahrungen, dem kollektiven Gedächtnis und der Ethik – Brücken zu schlagen. So elegant und stabil wie die Strebebögen der Kathedrale der Hegelschen Logik werden sie aber vermutlich nicht mehr sein können.

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PERSONENREGISTER

Aczel, Peter 86 f., 108 Alston, William P. 703 Anaximander 75, 237, 262, 266, 268 Anscombe, G.E.M. 310 Aristoteles 46 f., 50–52, 55–58, 69, 72, 74, 98, 124 f., 132, 156, 251, 352, 458 f., 526, 576, 653, 665, 688 f., 694, 742, 753 f., 776, 788 Arndt, Andreas 33 Augustinus 749 Baptist, Gabriella 392 Bauer, Bruno 754 Baugh, Bruce 4 Baum, Manfred 741 Beierwaltes, Werner 749 Berthollet, Claude-Louis 264 Berzelius, Jacob 264 Biard, Joel 191, 201, 334 Black, Max 100, 127 Blumenbach, Johann Friedrich 670 Böhme, Hartmut 717 Bohr, Niels 260 Bonsiepen, Wolfgang 156, 187 Boyer, Carl B. 208, 212, 216 Brandom, Robert 617, 665 Buchner, Hartmut 8 Burbidge, John 187, 193, 423, 426, 463, 620 Byrne, Alex 76, 93 Cantor, Georg 73 f., 95, 264 Carnap, Rudolf 74, 221

Carrier, Martin 249 Cassirer, Ernst 267 Cauchy, Augustin–Louis Cirulli, Franco 335 Conant, James 58 Cuvier, George 670

264

Davidson, Donald 74, 470 Dedekind, Richard 264 Demokrit 268 Della Rocca, Michael 397,406, 414, 453 Descartes, René 254, 290, 407, 591, 696 deVries, Willem 631 Di Giovanni, George 426 Dilthey, Wilhelm 4 f. Doz, André 334 Dummett, Michael 166 Düsing, Klaus 3, 7 f., 10 f., 15, 18, 277, 328 f., 334, 336, 383, 441, 473, 653 f., 696, 702, 737, 741, 744, 747, 769, 785 f. Ebbinghaus, Heinz-Dieter 123 Einstein, Albert 248, 250, 260 Engelhard, Kristina 347 Euklid 227, 709, 711 f. Euler, Leonhard 209 Falk, Hans-Peter 43, 53, 64–66, 71, 433 Fichte, Johann Gottlieb 84, 103, 114–119, 276, 288–290, 297, 313,

798

Personenregister

328, 335, 346–348, 352 f., 380, 562, 567 f., 596, 624, 633, 663, 675, 694, 697, 707, 720 f., 727, 731, 733, 742, 748, 761 f., 769, 771 Fleischmann, Eugène 334, 397 Förster, Eckart 14 f., 26 Forster, Michael 2, 5 f., 10, 13 f., 24–27, 32 Fulda, Hans Friedrich 2–4, 13 f., 18, 31–35, 37, 326, 654, 723 f. Frege, Gottlob 46 f., 55 f., 73 f., 95, 166–169, 222, 224, 235 Gadamer, Hans-Georg 333, 410 Galilei, Galileo 247 f., 256, 260 Garrett, Don 397 Geldsetzer, Lutz 715 Gerhard, Myriam 702, 733, 744 Glockner, Hermann 4 Gödel, Kurt 73 Goethe, Johann Wolfgang von 14, 26, 716 Grünbaum, Adolf 249 Habermas, Jürgen 4 Haering, Theodor 13 Halbig, Christoph 661, 721 Halfwassen, Jens 653 f., 749, 769 Harlander, Klaus 747 Harris, H. S. 5 Hartmann, Klaus 163, 165, 201, 208, 276 Hartnack, Julius 334 Haym, Rudolf 4, 13 Heede, Reinhard 766 Heidegger, Martin 74, 93 f., 226, 692, 707, 723 Heine, Heinrich 732 Heinrichs, Johannes 13 Henrich, Dieter 117, 280, 284, 287,

291, 330, 333–335, 351, 375, 453, 688, 732, 737 f., 742 Hintikka, Jaakko 290 Hölderlin, Friedrich 482 Hösle, Vittorio 250, 459, 520 Hoff meister, Johannes 13 Hong, Han-ding 715 Honneth, Axel 773 Horstmann, Rolf-Peter 326, 448 Houlgate, Stephen 43, 277, 330, 429, 463 Hume, David 246, 267, 463, 500, 618 Hyppolite, Jean 4 f., 32 Iber, Christian 472, 477 Ingram, David 397 Inhetveen, Rüdiger 260 Jaeschke, Walter 4, 27, 653, 655, 686, 689, 753 f., 758 f., 761, 768, 775, 777 f. Jacobi, Friedrich Heinrich 112 f., 339, 409, 418, 702, 710, 717 f., 764 Jamme, Christoph 774 Janich, Peter 252, 260 Kambartel, Friedrich 234, 260 Kant, Immanuel 8, 46 f., 59, 69, 76 f., 99, 101, 103, 108 f., 111, 137, 152, 155 f., 175, 228–236, 246, 249, 253–255, 257, 267, 228–236, 246, 249, 253–255, 257, 267, 270, 292, 327 f., 331, 337–340, 346–365, 375, 382, 388, 390, 394, 397, 404 f., 421, 423 f., 438 f., 444, 458, 460, 468 f., 471, 473, 477, 484–487, 490 f., 497, 499 f., 503, 506–510, 514, 520, 526, 539, 544, 547 f., 554, 560–563, 567–570, 572–574, 576, 583, 591,

Personenregister

594 f., 600, 624, 627 f., 653, 655, 662 f., 675, 681, 685, 687–690, 693, 697 f., 701, 704, 706, 710, 714, 717, 720, 725–728, 732 f., 736, 740, 753, 755, 760 f., 770, 778, 781 f. Kaplan, David 300 Kepler, Johannes 247–251, 256 f., 260, 264 Kimhi, Irad 54, 58 Kimmerle, Heinz 8 f. Knappik, Franz 397 Koch, Anton Friedrich 280, 300, 467, 473 f. Koch, Karen 453 Kohl, Karl-Heinz 680 Kojève, Alexandre 4, 32 Kopernikus, Nikolaus 251 Koyré, Alexandre 4 Kreines, James 453, 559, 600–603, 612–614, 616, 618, 626, 655, 689, 757, 788 Kripke, Saul 74 Krohn, Wolfgang 459, 527 Kuhn, Thomas S. 72 Kusch, Martin 397 Lagrange, Joseph-Louis 204, 212, 215, 256, 264 Lau, Chong-Fuk 489 Leibniz, Gottfried Wilhelm 124, 126, 167, 249, 254, 264, 310, 335, 395–400. 415 f., 420, 424–426, 428–430, 433, 442, 624, 688 Lejeune, Guillaume 375 Leukipp 268 Lewis, David 95, 127 L’Hôpital, Guillaume-Francois Antoine 264 Lingens, Rudolf 69 Longuenesse, Béatrice 459, 485 f.

799

Lorenzen, Paul 250, 252 Lowe, E. J. 38 Luhmann, Niklas 692 Lukács, Georg 4 Manninen, Juha 397 Marheineke, Philipp Konrad 754 Martin, Christian Georg 465, 467 f., 472 f. Marx, Karl 230, 676 McDowell, John 139, 277, 314, 470 f., 709, 735 McTaggart, John M. E. 171, 179, 334, 493, 518, 584, 588–590 Melamed, Yitzhak Y. 418 Mendelssohn, Moses 689 Meyer, Thomas 311 Mohseni, Amir 731 Mooren, Nadine 306, 654, 667, 748, 753, 782, 784 Moyar, Dean 722 Mure, Geoff rey Reginald Gilchris 334 Nagel, Thomas 788 Newton, Isaac 209, 215, 247 f., 254 f., 256–260, 264–266 Nikolaus von Kues 715 Nietzsche, Friedrich 148, 276 Okochi, Taiju

335, 382

Parmenides 59 f., 66, 68, 97, 237 Perry, John 290 Pierini, Tommaso 154, 157, 187, 200, 468 Pinkard, Terry 334, 364 Pippin, Robert 58, 287, 334, 357 f., 468 f., 171, 567, 574 Platon 47, 60, 61, 66, 77, 106, 125,

800

Personenregister

241, 270, 332, 336, 341 f., 367 f., 171, 472, 653, 688, 713, 739, 770 Plevrakis, Ermylos 753 Plotin 768 Pöggeler, Otto 4, 12–14, 16 Priest, Graham 59 Proklos 749 Puntel, Lorenz B. 752 Quante, Michael 35, 755, 777, 787 Quine, Willard Van Orman 65, 73, 702 Rawls, John 716 Redding, Paul 572 f., 575–577 Reichenbach, Hans 249, 290, 300 Reinhold, Karl Leonhard 97 f., 567 Renz, Ursula 453 Rohs, Peter 309, 769 Rojek, Tim 306, 654, 748, 782, 784 Rosenkranz, Karl 4, 30 Roth, Abraham 645 Rousseau, Jean-Jacques 680, 716 Royce, Josiah 5 Russell, Bertrand 51 f., 73, 95, 166, 221, 493, 702 Sans, Georg 459, 482 Sartre, Jean-Paul 86, 231 Schäfer, Rainer 9 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 1, 7, 112 f., 335, 777 Schick, Friedrike 712, 741 Schmidt, Klaus J. 297, 335, 393 Schnepf, Robert 453 Schöne, Albrecht 716 Schulze, Gottlob Ernst 355 Sellars, Wilfrid 56, 76, 388, 470, 735 Sextus Empiricus 352–354

Sokrates 47, 57, 95, 124, 472, 577, 584 f., 740 Spallanzani, Lazzaro 670, 673 Spinoza, Baruch de 78, 149, 156, 222 f., 236 f., 268, 395–400, 403, 405–410, 413–421, 426, 442, 461 f., 562–567, 577, 592, 624, 700 f., 710, 717, 758, 771 Stederoth, Dirk 534, 538 Stekeler-Weithofer, Pirmin 146, 157, 201 f., 211, 447, 698 Stern, Robert 575, 603 Strauss, David Friedrich 758 Tarski, Alfred 73 f. Taylor, Charles 778 Tetens, Holm 37, 260 Theunissen, Michael 326, 449 Thomas von Aquin 132 Trede, Johann Heinrich 9, 13 f. Trisokkas, Ioannis 477 Tye, Michael 93 Vieweg, Klaus

504

Wagner, Falk 755 Wahl, Jean 4 Waibel, Violetta 482 Wallace, Robert M. 446 Wandschneider, Dieter 250, 260 Weierstraß, Karl 264 Weiner, Joan 168 Wendte, Martin 759, 765 Williams, Bernard 688 Winfield, Richard Dien 147, 166, 176, 206, 463, 472 Wirsing, Claudia 291 Wittgenstein, Ludwig 48 f., 69, 76, 102, 104, 220, 226, 232, 287, 301, 318, 703

Personenregister

Wölfle, Gerhard Martin 335, 341 Wolff, Christian 688, 701, 710, 717 Wolff, Michael 199, 201, 211 f., 214 f., 305 f., 460, 492, 730, 784 Yablo, Stephen

127

Yeomans, Christopher 644–647 Zander, Falco 427 Zhuangzi 715

801

321, 634,

AUTORENHINWEISE

Brady Bowman ist Associate Professor of Philosophy an der Pennsylvania State University (USA) und Mitherausgeber des Hegel-Jahrbuchs. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Logik und Metaphysik, Erkenntnisphilosophie und Religionsphilosophie, besonders im Deutschen Idealismus. Einschlägige Publikationen (Auswahl): Sinnliche Gewißheit: Zur systematischen Vorgeschichte eines Problems des Deutschen Idealismus (2003); Hegel and the Metaphysics of Absolute Negativity (2013). Dina Emundts ist Professorin für Geschichte der Philosophie an der Freien Universität Berlin und Präsidentin der Internationalen Hegel-Vereinigung. Sie ist Autorin von Kants Übergangskonzeption im Opus postumum (Berlin 2004) und von Erfahren und Erkennen. Hegels Theorie der Wirklichkeit (Frankfurt 2012). Zusammen mit Sally Sedwick gibt sie das Internationale Jahrbuch des Deutschen Idealismus (de Gruyter) heraus. Dietmar H. Heidemann ist Professor für Philosophie an der Universität Luxemburg und Mitglied der Kant-Kommission der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die klassische Deutsche Philosophie von Kant bis Hegel, Skeptizismus, Metaphysik und Philosophie der Subjektivität. Einschlägige Publikationen in Auswahl: Der Begriff des Skeptizismus. Seine systematischen Formen, die pyrrhonische Skepsis und Hegels Herausforderung (2007), Hegel und die Geschichte der Philosophie (2007, hrsg. mit C. Krijnen), »Hegel und der Empirismus« (2007), »Hegel on the Nature of Scepticism« (2011), »Hegel: Philosophy as a kind of Skepticism« (2018), »Gibt es bei Hegel das Problem des Realismus?« (2018), »Hegel, ein Rationalist?« (2018). Stephen Houlgate ist Professor für Philosophie an der University of Warwick und Präsident der Hegel Society of Great Britain. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Philosophie des Deutschen Idealismus, Metaphysik, Rechtsphilosophie, Ästhetik und Philosophie der Religion. Einschlägige Publikationen (Auswahl): Hegel, Nietzsche and the Criticism of Metaphysics (1986), An Introduction to Hegel: Freedom, Truth and History (1991, 2nd ed. 2005), The Opening of Hegel’s Logic (2006) und Hegel’s Phenomenology of Spirit (2013).

804

Autorenhinweise

Anton Friedrich Koch ist Professor für Philosophie an der Universität Heidelberg und Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Akademie der Wissenschaften des Landes Baden-Württemberg). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Philosophie des Deutschen Idealismus, philosophische Logik und Semantik, Subjektivitätstheorie, Ontologie. Einschlägige Publikationen (Auswahl): Subjektivität in Raum und Zeit (1990), Subjekt und Natur. Zur Rolle des ›Ich denke‹ bei Descartes und Kant (2004), Versuch über Wahrheit und Zeit (2006), Die Evolution des logischen Raumes. Aufsätze zu Hegels Nichtstandard-Metaphysik (2014), Hermeneutischer Realismus (2016). Dean Moyar ist Associate Professor für Philosophie an der Johns Hopkins University. Er ist der Autor von Hegel’s Conscience (2011) sowie zahlreicher Aufsätze über Kant, Fichte und Hegel. Darüber hinaus ist er Herausgeber des Oxford Handbook of Hegel (2017) und des Routledge Companion to Nineteenth Century Philosophy (2010). Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich des Post-Kantischen Idealismus sowie auf gegenwärtigen Debatten über praktische Vernunft und die Grundlagen liberaler politischer Ordnungen. Michael Quante ist Professor für Praktische Philosophie an der Westfälischen-Wilhelms Universität Münster und Mitherausgeber der Hegel-Studien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Philosophie des Deutschen Idealismus, Handlungstheorie, Philosophie der Person und Ethik. Einschlägige Publikationen (Auswahl): Hegels Begriff der Handlung (1993); Die Wirklichkeit des Geistes. Studien zu Hegel (2011); Der unversöhnte Marx (2018); Pragmatistic Anthropology (2018). Friedrike Schick ist außerplanmäßige Professorin für Philosophie und wissenschaft liche Mitarbeiterin in dem von der DFG geförderten Forschungsprojekt »Religionsphilosophie im Spätwerk Hegels und Schellings: vernunfttheologische, epistemologische und sinntheoretische Dimensionen«, beides an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Philosophie des Deutschen Idealismus, Kategorientheorie, Metaphysik und Religionsphilosophie. Einschlägige Veröffentlichungen (Auswahl): »Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?« (1994); »Sache und Notwendigkeit. Studien zum Verhältnis von empirischer und begrifflicher Allgemeinheit« (2005); »Freedom and necessity: the transition to the logic of the concept in Hegel’s Science of Logic« (2014).

Autorenhinweise

805

Ludwig Siep ist Seniorprofessor am Exzellenzcluster »Religion und Politik« der Universität Münster und Vorsitzender der Hegel-Kommission der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Philosophie des Deutschen Idealismus, die politische Philosophie der Neuzeit sowie die allgemeine und angewandte Ethik. Einschlägige Publikationen (Auswahl): Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie (1979, Neuaufl. 2014); Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus (1992); Der Weg der Phänomenologie des Geistes (2000, 4. Aufl. 2014); Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels (2010); Der Staat als irdischer Gott (2015). Pirmin Stekeler-Weithofer ist seit 1992 Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Leipzig, seit 1998 Ordentliches Mitglied, seit 2016 Leiter der Kommission für Wissenschaftsgeschichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, deren Präsident er von 2008 bis 2015 war. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Philosophie der Sprache und der Wissenschaften, der Logik und Mathematik gerade auch in ihren geschichtlichen Entwicklungen. Einschlägige Veröffentlichungen: Philosophie des Selbstbewusstseins. Hegels System als Formanalyse von Wissen und Autonomie (Suhrkamp 2005); Hegels Phänomenologie des Geistes (Meiner 2013), Hegels Wissenschaft der Logik: Die Logik des Seins (Meiner 2018), Kritik der reinen Theorie (Mohr-Siebeck 2018).

Grundlegend neue Interpretation der Seinslogik

Pirmin Stekeler Hegels Wissenschaft der Logik Ein dialogischer Kommentar. Band 1: Die objektive Logik. Die Lehre vom Sein

Pirmin Stekeler-Weithofer Hegels Wissenschaft der Logik Ein dialogischer Kommentar Band 1: Die objektive Logik. Die Lehre vom Sein PhB 690. Ca. 720 Seiten. 978-3-7873-2975-5. Leinen Erscheint im Sommer 2018 Im Abstand von je zwei Jahren folgt der Kommentar zur Wesenslogik (PhB 691) und zur Begriffslogik (PhB 692).

Hegels Wissenschaft der Logik (1812/1816) zählt zu den einflussreichsten philosophischen Schriften der Neuzeit, aber auch zweihundert Jahre nach ihrem Erscheinen liegen bloß partielle Interpretationsansätze vor, die sich obendrein in wesentlichen Punkten notorisch widersprechen. Mit seinem umfassenden dialogischen Gesamtkommentar versucht Pirmin Stekeler dieser Lage abzuhelfen. Seine Verfolgung von Hegels Denkweg, welche diesen textnah rekonstruiert und radikal als Gegenwartsdiskurs erscheinen lässt, macht deutlich, dass es die Unklarheiten im vor- und nachkantischen Empirismus selbst sind, die zu den Widersprüchen der Interpretation und dann auch in den szientistischen Weltanschauungen der Moderne geführt haben. Der Band enthält ineinander verschränkt drei Bücher: 1) eine für sich durchgängig lesbare Abhandlung über den ersten Teil von Hegels Wissenschaft der Logik, 2) Hegels gesamtes Textkorpus der Seinslogik und 3) dessen inhaltliche Einbettung in die bis heute zentralen Debatten der Philosophie. Der dialogische Kommentar zu Hegels ›Phänomenologie des Geistes‹ wurde einhellig gelobt: »Phänomenal.«  Jürgen Kaube (FAZ) »... Stekeler gelingt es, Hegels Werk zugleich frisch und spannend zu machen, indem er die ›Phänomenologie‹ mit ebenso unerschöpflicher Konzentration wie immer neuer Kreativität kommentiert.«  Gert Scobel (Philosophie Magazin)

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