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German Pages 520 [522] Year 2021
Andrés F. Parra Das reflexive Absolute
WeißeReihe Klostermann
Über die Bedeutung der Metaphysik in Hegels Wissenschaft der Logik
Andrés F. Parra · Das reflexive Absolute
Herausgegeben von Gerald Hartung und Alexander Schnell in Zusammenarbeit mit Andrea Esser (Jena) Anne Eusterschulte (Berlin) Rahel Jaeggi (Berlin) Rainer Schäfer (Bonn) Philipp Schwab (Freiburg)
KlostermannWeißeReihe
Andrés F. Parra
Das reflexive Absolute Über die Bedeutung der Metaphysik in Hegels Wissenschaft der Logik
KlostermannWeißeReihe
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Die vorliegende Publikation wurde als Dissertation an der Universität Bonn eingereicht. Die Drucklegung erfolgt mit freundlicher Unterstützung des Lehrstuhls für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart der Universität Bonn.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Originalausgabe © 2021 · Vittorio Klostermann GmbH · Frankfurt am Main Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Werk oder Teile in einem photomechanischen oder sonstigen Reproduktionsverfahren oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten, zu vervielfältigen und zu verbreiten. Gedruckt auf EOS Werkdruck von Salzer, alterungsbeständig ISO 9706 und PEFC-zertifiziert. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 2625-8218 ISBN 978-3-465-04541-0
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Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................................................................. 9 A. Forschungsproblem und Fragestellung .................................... 9 B. Grundthese im Vergleich zum heutigen Stand der Forschung ................................................................................ 13 C. Aufriss der vorliegenden Studie ............................................... 54 1. Hegels Logik als Metaphysik im Vorbegriff der Enzyklopädie .................................................................................... 61 Vorbemerkungen ............................................................................. 61 §1. Die Objektivitätsfähigkeitsthese ............................................ 66 A. Das Verhältnis von Logik und Wahrheit ....................... 66 B. Die Paradoxien des formellen Denkens ......................... 69 §2. Denken als Raum der Wahrheit............................................. 81 A. Begrifflichkeit und Wahrnehmung .................................. 81 B. Pippin, McDowell und die konzeptualistische Deutung von Hegel ............................................................ 97 C. Wahrheit als Produkt des Denkens im Common Sense ...................................................................... 107 D. Zwei Argumente gegen das Repräsentationsproblem ................................................. 112 §3. Die Objektivität als metaphysisches Problem ................... 117 A. Die Einheit von Logik und Metaphysik ....................... 117 B. Die Einheit von Logik und Metaphysik in Hegels Begriff der Wahrheit ........................................................ 129 2. Hegels Metaphysikkritik im Vorbegriff der Enzyklopädie...... 139 Vorbemerkungen ........................................................................... 139 §4. Zum Begriff Stellung des Gedankens zur Objektivität ... 142 §5. Hegels Metametaphysik ........................................................ 156 A. Die dialektische Inkonsistenz der „vormaligen Metaphysik“ ....................................................................... 158 B. Metaphysik als inkonsistente Auffassung der Unendlichkeit .................................................................... 178 C. Metaphysik als schlechte Auffassung der Form des Gedankens ......................................................................... 185
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Inhaltsverzeichnis
D. Hegels Auffassung des metaphysischen Dogmatismus .................................................................... 189 §6. Zur Artikulation von Metaphysik und ihrer Kritik .......... 195 3. Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik ......................................................................................... 216 Vorbemerkungen ........................................................................... 216 §7. Das Anfangsdilemma und das voraussetzungslose Denken ................................................................................... 218 §8. Vom reinen Sein zum Dasein .............................................. 236 §9. Hegels Realitätsbegriff und seine implizite Metaphysikkritik ................................................................... 258 A. Dialektik der Qualität....................................................... 258 B. Metaphysikkritische Betrachtung des Begriffes Gottes als positive Realität .............................................. 263 C. Omnis determinatio est negatio? ................................... 268 §10 Das Andere des Anderen und der Begriff der Veränderung .......................................................................... 275 A. Der Dualismus von Etwas und Anderem .................... 275 B. Das Andere des Anderen ................................................ 283 C. Metametaphysik des Ansichseins ................................... 291 §11 Spezifizität als Endlichkeit und Widerspruch ................... 295 A. Bestimmung und Beschaffenheit ................................... 295 §12. Die schlechte Endlichkeit und ihre dialektische Inkonsistenz .......................................................................... 302 §13. Wahre Unendlichkeit und die Kritik des kosmologischen Unendliches ............................................. 312 4. Wesen – Reflexion: Hegels nicht-essentialistische Auffassung des Wesens...................................................................................... 325 Vorbemerkungen ........................................................................... 325 §14. Reflexion als immanente Seinsweise der logischen Prozessualität ......................................................................... 327 A. Sein und Wesen ................................................................ 331 B. Dialektische Inkonsistenz des Gegensatzes von Sein und Wesen ................................................................ 337 C. Subjektive und objektive Reflexion ............................... 358 5. Hegels Konzeption der Wirklichkeit........................................... 378
Inhaltsverzeichnis
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Vorbemerkungen ........................................................................... 378 §15. Das Absolute als Äußerung im endlichen Nicht-Absoluten ................................................................... 381 A. Die identitäre Definition des Absoluten: Problematik und Selbstwiderlegung .............................. 381 §16. Hegels Theorie der Modalitäten ......................................... 393 A. Die Paradoxie des formellen Möglichkeitsbegriffes ... 394 B. Die Zufälligkeit ................................................................. 402 C. Nezessitarismus und relative Notwendigkeit ............... 407 D. Die absolute Notwendigkeit .......................................... 413 §17. Hegels Theorie der Kausalität als Ablehnung des klassischen Monismus und des mechanistischen Weltbildes............................................................................... 419 A. Substantialität und Akzidentalität .................................. 419 B. Hegels Überwindung kausaler Asymmetrie ................. 424 6. Der Übergang von Substanz zum Begriff als Grundlage einer reflexiven Theorie des Absoluten ..................................... 449 Vorbemerkungen ........................................................................... 449 §18. Der Weg der Wechselwirkung zum Begriff ...................... 452 §19. Schlussbemerkung ................................................................. 472 A. Der Begriff des Begriffes ................................................ 472 B. Warum ist das Ich oder das „reine Selbstbewusstsein“ als der Begriff zu konzipieren? ....... 477 C. Warum sind die Begriffe Quelle der Objektivität überhaupt? ......................................................................... 487 Literaturverzeichnis ............................................................................ 501
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Einleitung A. Forschungsproblem und Fragestellung Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist das Verhältnis zwischen Hegels Wissenschaft der Logik und der Metaphysik. Die Abhandlung dieses Problems ist in der Literatur mannigfaltig und erweckt den Eindruck, zu keinem Konsens zu führen. Dies mag daran liegen, dass die Annäherung an die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Logik und der Metaphysik von Anfang an in einem zirkulären Gedankengang gefangen zu sein scheint. Um dieses Werk Hegels richtig zu lesen, muss man über einen Übersetzungsapparat verfügen, in dem die schon genannte Beziehung eine entscheidende Rolle spielt. Zum Beispiel hängt der Status der „Denkbestimmungen“, d.h. die Frage, ob sie als einfache Seinskategorien oder als transzendentale, subjektive Begriffe aufgefasst werden sollten, vollständig davon ab, wie man die Verbindung zwischen der Logik und der Metaphysik deutet. Doch die Textstellen, die darüber Aufschluss geben könnten, sind zweideutig. Hegel behauptet nämlich, dass seine Logik mit der Metaphysik zusammenfiele1 und zugleich, dass sie die „bloße Verstandesansicht der Vernunftgegenstände“ repräsentiere.2 Ist aber der Verstand bei Hegel diejenige Denkweise, die die Bedeutung der Begriffe in analytischen Entgegensetzungen sowohl fixiert als auch trennt und so der hegelschen Philosophie diametral gegenübersteht, dann taucht die „Metaphysik“ als der Kern von Hegels Logik aber zugleich auch gerade als ihr Gegenteil auf. Diese Zweideutigkeit aufzulösen, erfordert folglich ein tieferes Verständnis der Logik. Es scheint so, als müsse man das gesamte Werk interpretieren, um etwas über das hier befragte Verhältnis sagen zu können, während gleichzeitig der Anschein entsteht, als müsse man ein Vorbild dieser Beziehung voraussetzen, um die Logik zu deuten. Die Untersuchung des Verhältnisses zwischen der Logik und der Metaphysik muss aber noch eine Herausforderung annehmen: Die Bedeutung des Terminus „Metaphysik“ ist in der philosophischen G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830 (TWA 8), Frankfurt 2014, §24, S. 81. 2 TWA 8, §27, S. 93. 1
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Einleitung
Tradition keinesfalls univok und dies trifft vor allem auf die Diskussionen um Hegels Theorien zu. Markus Gabriel hat vier Definitionen des Terminus „Metaphysik“ vorgeschlagen. Unter „Metaphysik“ müsse man seiner Ansicht nach Folgendes verstehen: (1) eine allumfassende Theorie des absoluten Ganzen, (2) eine Theorie, die die Unterscheidung zwischen Sein und Schein aufstellt, (3) eine Theorie, die die These verteidigt, dass nicht alles, was es gibt, durch die Physik und die Naturwissenschaft untersucht werden kann, und (4) eine Wesenstheorie, d.h. die Beantwortung der Frage Τίς ή ούσία.3 Auf diese Weise ist der Naturalismus Metaphysik im ersten Sinne, da er das absolute Ganze mit der Natur und der Materie identifiziert. Für den Naturalismus ist alles, was es gibt, durch die Naturwissenschaft und ihre theoretischen und kategorialen Werkzeuge zu untersuchen, weshalb diese Stellung keine Metaphysik laut Gabriels dritter Definition darstellt. Eine philosophische Theorie, die die Existenz einer transzendenten und übersinnlichen Welt vertritt, von der die sinnliche Wirklichkeit nur eine niedrige Abbildung ist, scheint die vier Definitionen der Metaphysik in sich zu beinhalten. Bis zu einem gewissen Grad könnte der Naturalist die Theorie der transzendenten und übersinnlichen Welt beschuldigen, metaphysisch zu sein und gleichzeitig diesen Vorwurf leugnen, da für ihn alles physisch und nichts metaphysisch im Sinne der Existenz jenseits des Bereichs der Physik ist. Nichtsdestoweniger ist es auch legitim, zu behaupten, dass der Naturalismus oder der Physikalismus als metaphysische Stellungen zu betrachten seien, weil diese Theorien der Naturwissenschaft die Fähigkeit beilegen, alles, was es gibt, zu erfassen, da dieses Alles oder dieses Ganze mit der Materie, dem Universum oder der Natur identifiziert werden, wobei diese Identifikationsoperation kein naturwissenschaftlicher Ansatz ist. Doch diese Bedeutungsverschiedenheit des Terminus Metaphysik verschärft sich insofern, als sich die Philosophie – zumindest explizit seit Kant – zur Aufgabe gemacht hat, die Metaphysik zu kritisieren oder zu überwinden. In diesem Zusammenhang ist z.B. in Carnaps 4 Markus Gabriel, Metafisica o Ontologia, in: Epekeina 5 (2015), S. 10. Vgl. Rudolf Carnap, Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache, in: Erkenntnis 2 (1931), S. 219–241, hier S. 220: „Auf 3 4
Forschungsproblem und Fragestellung
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Augen die Philosophie Heideggers reine Metaphysik 5, weil ihre Sätze weder logisch noch empirisch seien, während Letzterer für sich beansprucht, die Metaphysik durch das Explizieren der ontologischen Differenz definitiv überwunden zu haben. Die Lage ist in der Hegel-Diskussion nicht anders. Für Stephen Houlgate beispielweise ist Hegels Logik zwar eine Ontologie, aber keine Metaphysik, weil im Unterschied zu den vorherigen Systemen Hegels Philosophie jede fundationalistische Entgegensetzung zwischen Sein und Wesen oder übersinnlicher Wahrheit und wirklichem Schein aufhebt.6 Daraus könnte man schließen, dass für Houlgate „Metaphysik“ diejenige Theorie bezeichnet, nach der es einen ontologischen Grund gebe, der hinter oder unabhängig vom Begründeten aufgefasst werden könnte. Wenn man aber den Fall von Pinkard, McDowell und Pippin7 in Betracht zieht, für die die Logik weder eine Ontologie und noch weniger eine Metaphysik, sondern vielmehr eine Theorie der transzendentalen Begriffe im kantischen Sinne darstellt, dann impliziert bei ihnen „Metaphysik“ eine vorkantische, dogmatische Untersuchung des Seins, d.h. der Versuch, etwas über die Natur der Welt oder der Wirklichkeit durch reine Analyse der Begriffe zu sagen, ohne die Legitimität, den Umfang und die Grenzen letzterer zu berücksichtigen. Aus dieser Sicht ist Houlgates Deutung trotz seiner gegenteiligen Behauptungen metaphysisch. Zum Schluss gibt es noch einen Umstand, der die Abhandlung der Frage nach dem Verhältnis zwischen der Wissenschaft der Logik und der Metaphysik erschwert, und zwar die hegelsche Konzeption der Kritik und der Widerlegung. In den Vorlesungen über die Geschichte
dem Gebiet der Metaphysik […] führt die logische Analyse zu dem negativen Ergebnis, dass die vorgeblichen Sätze dieses Gebietes gänzlich sinnlos sind.“ 5 Ebd., S. 229–233. 6 Vgl. Stephen Houlgate, Hegel’s Critique of Foundationalism, in: Anthony O’Hear (Hg.), German Philosophy since Kant, Cambridge 1999, S. 25–46. 7 Vgl. Robert Pippin, Hegel’s Idealism. The Satisfactions of Self-Consciousness, Cambridge 1989, S. 7–8; John McDowell, Having the World in View: Essays on Kant, Hegel and Sellars, Cambridge/London 2009, S. 69– 89.
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Einleitung
der Philosophie behauptet Hegel, dass in jedem philosophischen System eine Selbstdarstellung des Denkens enthalten sei. Dies bedeutet konkret, dass z.B. das Denken des Aristoteles, Spinozas oder Kants kein individuelles und persönliches darstellt, sondern es sich vielmehr als Selbstentfaltung des Denkens und der Vernunft zeigt. 8 Aus diesem Grund stellt er fest, dass seine eigene Philosophie anderen Systemen weder entgegengesetzt ist, noch mit diesen konkurrieren möchte, da sein Anspruch vielmehr darin besteht, die vorherigen Philosophien zu einem höheren Punkt zu erheben, in dem die sich angeblich widersprechenden Stellungen versöhnt werden.9 Die hegelsche Widerlegung ist deswegen intern und präsentiert sich als eine immanente Rekonstruktion des zu widerlegenden Systems. Dies birgt eine Rekonstruktion in sich, welche etwas Neues herausfindet und hervorhebt, das von der Perspektive des betrachteten Systems aus nicht denkbar und dennoch schon vorhanden war. Die Widerlegung bedeutet, dasjenige, was im Gedankengang implizit liegt, ans Licht zu bringen, um nicht seine absolute Falschheit, sondern seine konstitutive Begrenzung bezüglich des Ganzen und somit seinen Status als bloßes „Moment“ innerhalb eines Entwicklungsgangs aufzuzeigen. Nun durchdringt dieses spezifische Konzept der Widerlegung, in der die Negation und die Erhebung zusammenfallen, die ganze Abhandlung der Beziehung zwischen der Logik und der Metaphysik, denn wenn es zuträfe, dass sich Hegel von der Metaphysik entfernen würde, beinhaltete eine solche Distanzierung doch immer etwas von dieser Metaphysik. Eine Art und Weise, das Verhältnis zwischen der Logik und der Metaphysik abzuhandeln, ohne die schon genannten Schwierigkeiten außer Acht zu lassen, besteht meiner Meinung nach darin, die Frage zu beantworten, was Hegel genau unter „Metaphysik“ verGenau dies behauptet Hegel, wenn er die These vertritt, dass es in der Philosophie keine Meinungen gibt. Vgl. G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (TWA 18), Frankfurt am Main 2014, S. 30–31. 9 In Hegels Text heißt es: „In Rücksicht auf die Widerlegung eines philosophischen Systems ist anderwärts gleichfalls die allgemeine Bemerkung gemacht worden, dass daraus die schiefe Vorstellung zu verbannen ist, als ob das System als durchaus falsch dargestellt werden solle und als ob das wahre System dagegen dem falschen nur entgegengesetzt sei.“ G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik II (TWA 6), Frankfurt am Main 2014, S. 249. 8
Forschungsproblem und Fragestellung
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steht. Anstatt von einem externen Metaphysikbegriff auszugehen, um sich danach zu fragen, ob die Wissenschaft der Logik mit diesem Konzept übereinstimmt oder nicht, gilt es zu untersuchen, welche Bedeutung Hegel diesem Terminus zuteilwerden lässt und in welchen philosophischen Problemen genau die Behauptungen Hegels zu verorten sind. Von daher entstehen einige Fragen, die der Entwicklung der vorliegenden Studie zugrunde liegen: Verwendet Hegel den Terminus „Metaphysik“ auf univoke Weise? Warum lobt und kritisiert Hegel die Metaphysik? Was heißt genau das Zusammenfallen von Logik und Metaphysik? Ist die Wissenschaft der Logik als Theorie der Denkbestimmungen eine Ontologie, eine Metametaphysik oder eine relationale Theorie der transzendentalen Begriffe?
B. Grundthese im Vergleich zum heutigen Stand der Forschung Die gestellten Fragen sind in der Literatur nicht neu. Wie gesagt, muss jede Deutung der Wissenschaft der Logik sich mit dem Status der Denkbestimmungen beschäftigen und insofern mit der Frage nach dem Verhältnis dieses Werkes zur Metaphysik. Doch die vorliegende Untersuchung geht von einem methodologischen Postulat aus, wodurch sie sich von anderen Interpretationen der Logik und besonders ihrer Relation zur Metaphysik unterscheidet: Es geht nicht darum, sich unter einem vorausgesetzten Metaphysikbegriff zu fragen, ob Hegels Logik metaphysisch oder nicht ist, sondern darum, die entsprechenden Behauptungen Hegels zu rekonstruieren. Vor allem diejenigen, die im Vorbegriff der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften beinhaltet sind, da in diesem Text die Metaphysik als Kern seiner Logik, aber auch als ihr dogmatischer Gegner erscheint. In dieser Hinsicht lautet die Grundthese dieser Studie, dass Hegel eine reflexive Theorie des Absoluten darstellt, welche die Metaphysik gleichzeitig restauriert und eliminiert. Restauriert wird die Metaphysik, weil Hegel – sogar nach Kant – die Absicht hat, eine Theorie des Absoluten aufzustellen. Unter „das Absolute“ ist hier der Horizont oder Bereich zu verstehen, in dem alle spezifischen Inhalte intelligibel und denkbar sind – alternative Namen für das Absolute sind auch der
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Einleitung
„logische Raum“ (Koch10) oder die „Distinktionsdimension“ (Hogrebe11). Eine Theorie des Absoluten ist demnach eine begriffliche und systematische Beschreibung dieses Horizontes. Spinozas Substanz, Parmenides’ Sein, das erste Bewegungsprinzip des Aristoteles oder das absolute Eine des Neuplatonismus sind Kandidaten für das Absolute: es handelt sich um Begriffe, Prinzipien oder Entitäten, die jedem Inhalt, der intelligibel sein kann, zugrunde liegen. Doch Hegel eliminiert zugleich die Metaphysik, und zwar im folgenden Sinne: Die einzige Art und Weise, eine Theorie des Absoluten rational darzustellen, besteht nicht bloß in einer einfachen Beschreibung oder Analyse dieses Horizontes oder Raumes, in dem jeder spezifische Inhalt auftaucht, sondern in einer Wissenschaft des objektiven Denkens. Das bedeutet zweierlei. Erstens: Ist das Absolute der Horizont, vor dem jeder spezifische Inhalt denkbar und intelligibel ist, dann stellt das eigene Denken bezüglich des Absoluten einen Im logischen Raum erscheint alles, was der Fall ist und sein kann. So definiert Anton Koch diesen Begriff. Die Metaphysik ist für ihn im Allgemeinen die Wissenschaft dieses Raumes. Vgl. Anton F. Koch, Die Evolution des logischen Raumes. Ausätze zu Hegels Nichtstandard-Metaphysik, Tübingen 2014, S. 1–2. Koch entscheidet sich für den Terminus logischer Raum und nicht für den Terminus „das Absolute“, weil er der Meinung ist, dass „logischer Raum“ in modalen Termini neutral sei: wenn das Absolute als die gesamte Wirklichkeit gedacht wird, dann hätte er das Mögliche und das Kontrafaktische neben ihm. Ich bin damit einverstanden, dass Hegel eine Theorie des logischen Raumes darstellt. Trotzdem bleibe ich bei der Terminologie des Absoluten und verstehe darunter – ähnlich wie Koch – eine Dimension oder eben einen Raum, in denen alles, was spezifisch und unterscheidbar ist (unabhängig von seinem modalen Status), erscheinen kann. 11 Vgl. W. Hogrebe, Echo des Nichtwissens, Berlin 2006, S. 317. In diesem Zusammenhang folge ich dem Ansatz von Markus Gabriel, der die Dimensionsdistinktion und den logischen Raum für Synonyme hält. Der Grund dafür besteht darin, dass jede Unterscheidung oder Distinktion ein Verhältnis zwischen zumindest zwei Gegenständen voraussetzt und diese Beziehung in einem Raum stattfinden muss. (Dazu ausführlicher: Markus Gabriel, Transcendental Ontology: Essays in German Idealism, New York/London 2011, S. 44–45; Markus Gabriel, Die Welt als konstitutiver Entzug, in: Joachim Bromand, Guido Kreis (Hgg.), Was sich nicht sagen lässt. Das Nicht-Begriffliche in Wissenschaft, Kunst und Religion, Berlin 2010, S. 91.) 10
Grundthese im Vergleich zum heutigen Stand der Forschung
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spezifischen Inhalt dar und muss demnach in der Theorie und Beschreibung des Absoluten auf konsistente Weise einbezogen und inkludiert werden. Somit muss die Theorie des Absoluten unbedingt reflexiv und zweiter Ordnung sein – etwas, das laut Hegels Meinung die vormalige vorkantische Metaphysik nicht genug berücksichtigt. Zweitens: Hegel meint, dass Kant Recht hat, wenn er vorschlägt, dass die Aufgabe der Philosophie darin bestünde, eine reflexive Wissenschaft des Denkens zu sein; jedoch hat er seiner Meinung nach gleichzeitig Unrecht hinsichtlich der Ergebnisse und Konsequenzen, zu denen diese Selbstreflexion des Denkens tatsächlich führt. Aus der Selbstbetrachtung des Denkens folgt nicht, dass es eine Begrenzung für die Vernunft gibt, sondern vielmehr der Ansatz, dass einerseits das Denken und die Vernunft die Selbstdarlegung und das Selbstbewusstsein des Absoluten sind, und andererseits, dass das Absolute selbst nur in dieser Selbstdarlegung und Selbstentfaltung als Denken ontologisches Bestehen hat und seinen Absolutheitscharakter erreichen kann. Die Grundthese dieser Studie erlaubt uns, die Wissenschaft der Logik sowohl von der vorkantischen Metaphysik als auch von der kantischen Transzendentalphilosophie zu trennen. Zwar ist diese Topologie der hegelschen Logik nicht gerade neu in der Literatur, jedoch, wie ich im Folgenden aufzeigen möchte, stellt die These einer reflexiven Theorie des Absoluten einen Forschungsbeitrag dar, um das Verhältnis der Logik zur Metaphysik besser zu verstehen. So möchte ich in dieser Untersuchung argumentieren, dass für Hegel der Mangel der vorkantischen Metaphysik darin liegt, eine nichtreflexive Konzeption des Absoluten zu entwerfen, d.h. eine systematische Beschreibung des Letzteren bloß als Gegenstand des Denkens. Das Eine des Neoplatonismus, Parmenides’ Sein oder Spinozas Substanz sind anders als das Denken, welches diese jeweils als das Absolute definiert und betrachtet. Wie ich in dieser Studie ausführlicher beweisen möchte (insbesondere im zweiten Kapitel), beinhaltet die Definition des Absoluten als bloßer Gegenstand des Denkens einen blinden Fleck, wobei das Absolute aufhört, absolut zu sein. Gibt es nämlich einen Unterschied und ein Äußerlichkeitsverhältnis zwischen dem Denken hinsichtlich des Absoluten und dem Absoluten selbst, dann ist das wahrhafte Absolute gerade die Überwindung bzw. Aufhebung dieses Unterschiedes, d.h. ein reflexiver
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Einleitung
Ansatz des Absoluten. In diesem Zusammenhang erscheint eine geeignete Betrachtung des Absoluten nicht nur als diejenige, die etwas als absolut ohne formelle Widersprüche definieren kann, sondern vielmehr als diejenige, die der Herausforderung der Reflexivität, und zwar das Denken des Absoluten im Absoluten selbst konsistent miteinzubeziehen, gerecht wird. Die Unterscheidung zwischen einem vorkritischen, nicht-reflexiven Absoluten, welches bloß als Gegenstand des Denkens auftaucht, und einem reflexiven Absoluten, in dem das Denken, das es betrachtet und beschreibt nicht als äußere Reflexion, sondern auf konsistente Weise als das eigene Selbstbewusstsein des Absoluten erscheint, ist der Forschungsbeitrag, der aus der Grundthese dieser Untersuchung hervorgeht. Ebenfalls ermöglicht diese Unterscheidung, diejenige Topologie der Wissenschaft der Logik als eine Art dritte Option zwischen vorkantischer Metaphysik und Transzendentalphilosophie zu versichern; dabei handelt es sich jedoch um eine dritte Möglichkeit, die kein Mittelweg zwischen zwei Extremen darstellt, sondern um eine Option, die die Dichotomie überwindet. Dies ist von Wichtigkeit, denn Hegels Logik schlägt für die Metaphysik eine Aufgabe vor, die die Beeinflussung der modernen Subjektivitätsphilosophie berücksichtigt, erhebt und radikalisiert, indem sie darauf besteht, nicht nur das Absolute zu betrachten, sondern auch, dies auf reflexive Weise zu tun. Im Licht dieser Grundthese möchte ich auch den Ansatz vertreten, dass das terminologisch zweideutige Verhältnis zwischen Logik und Metaphysik auf das Projekt einer reflexiven Theorie des Absoluten zurückzuführen ist. Dazu werde ich zeigen, dass die These, laut der die Logik mit der Metaphysik „zusammenfällt“, darauf hinweist, dass eine Wissenschaft des Denkens wie die Logik nicht formell sein kann und sich mit dem Absoluten, d.h. mit der Einheit oder dem ontologischen Kontinuum zwischen Subjekt und Objekt beschäftigen muss; weshalb der Gegenstand der Logik nicht nur die transzendentale Subjektivität oder die Strukturen des der Welt entgegengesetzten Selbstbewusstseins sind. Ebenfalls werde ich argumentieren, dass die Behauptung, derzufolge die vormalige Metaphysik die Verstandesansicht der Vernunftgegenstände ausmacht, bedeutet, dass diese Metaphysik zwar das Absolute, das Kontinuum
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zwischen Sein und Denken in Betracht zieht, aber nur auf nichtreflexive Weise, d.h. nur als Gegenstand des Denkens. Vor dieser Kulisse zielt diese Studie auch darauf ab, zu beweisen, dass der Übergang von der Wesenslehre zur Begriffslehre das Fundament dieser reflexiven Theorie des Absoluten darstellt. Das heißt: dasjenige, was Hegel „Begriff“ nennt, und zwar das dialektische Verhältnis zwischen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, das für die spezifischen Inhalten als immanente, logische Form operiert, die Kriterien einer reflexiven Theorie des Absoluten erfüllt. Dabei trifft es nicht nur zu, dass das subjektive Denken zum Absoluten, zur Wirklichkeit oder zum Sein gehört, sondern auch, dass unser Denken hinsichtlich des Absoluten nichts anders als das Selbstbewusstsein des letzteren ist. Das Denken ist nicht bloß ein spezifischer Inhalt, der im Absoluten enthalten ist, sondern es macht auch die Erhebung des Absoluten zur Modalität seiner Selbstreflexion aus. Das Absolute ist somit nicht nur Einheit zwischen Subjekt und Objekt, sondern muss eine höhere Ebene erreichen, wobei die Subjektivität als die sich-wissende, selbstbewusste Einheit zwischen Subjekt und Objekt erscheint. Die besondere Natur dieser Grundthese und der Forschungsbeitrag, der mit ihr zusammenhängt, kann doch besser im Kontrast zu den vier großen Paradigmen oder Tendenzen eingeschätzt werden, die die Abhandlung des Verhältnisses zwischen der Logik und der Metaphysik in der Literatur ausmachen. Erstens (i) wendet sich diese Studie gegen die Deutung der hegelschen Logik als ein vorkantisches, philosophisches System spinozistischer oder neuplatonischer Natur.12 Wie ich in den folgenden Kapiteln, aber vor allem in Bezug auf verschiedene Abschnitte der Wesenslehre aufzeigen werde, bietet Hegel starke Argumente an, um die ontologischen Hierarchien und asymmetrischen Dualismen, wie Vgl. besonders: John McTaggart, A Commentary on Hegel’s Logic, Cambridge 1910; Charles Taylor, Hegel, Cambridge 1975; Klaus Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzips des Idealismus und zur Dialektik, Hamburg 1995; Frederick Beiser, Hegel, New York/London 2005; Jens Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung, Bonn 1999. 12
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Einleitung
z.B. die Unterscheidung zwischen Schein und Wesen, Identität und Differenz, Form und Inhalt, Substanz und Attribut usw., die der vorkantischen Philosophie und ihrer fundamentalistischen Begründungsstrategie zugrunde liegen, grundsätzlich in Frage zu stellen. Ebenfalls zeigt diese Studie, dass diese vorkantischen Systeme für Hegel mangelhaft sind, da sie eine nicht-reflexive Konzeption des Absoluten darstellen. Aus diesem Grund ist zweitens (ii) meine These zwar dem Ansatz nah, laut dem die Wissenschaft der Logik eine Metaphysikkritik präsentiert, insbesondere eine Kritik an den schon genannten fundationalistischen Unterscheidungen13, doch meine Deutung distanziert sich gleichzeitig von diesen Annahmen. Wie ich in dieser Studie argumentieren werde, kann Hegels Metaphysikkritik nicht exklusiv auf die immanente Dekonstruktion der asymmetrischen Dualismen zwischen dem Grund und dem Begründeten reduziert werden. Hegel wirft der vorkantischen Philosophie einen Mangel an Reflexivität vor, der von Anfang an den Anspruch der vormaligen Philosophie, das Absolute zu denken, unterminiert. Hegel ist der Meinung, dass die vorkantischen, philosophischen Systeme keineswegs in der Lage sind, auf konsistente Weise das Denken, welches das Absolute bedenkt und betrachtet, im Absoluten selbst zu integrieren, da diese Systeme das Absolute bloß als Gegenstand des Denkens vordefinieren. Mit anderen Worten ausgedrückt, erscheint das Denken in den vorkritischen Systemen als „äußere Reflexion“, wenn man die Terminologie der Wesenslehre genau verfolgt, was zu einer selbstwidersprüchlichen Konzeption des Absoluten führt. Vgl. besonders: Herbert Marcuse, Hegels Ontologie und die Grundlegung einer Theorie der Geschichtlichkeit, Frankfurt 1932; Michael Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der hegelschen Logik. Frankfurt, 1978; Rolf-Peter Horstmann, Metaphysikkritik bei Hegel und Nietzsche, in: Hegel-Studien 28 (1993), S. 285–30; Birgit Sandkaulen, Die Ontologie der Substanz, der Begriff der Subjektivität und die Faktizität des Einzelnen. Hegels reflexionslogische Widerlegung der Spinozanischen Metaphysik, in: Jürgen Stolzenberg und Karl Ameriks (Hgg.), Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 5 (2007), S. 235–275; Stephen Houlgate, Hegel’s Critique of Foundationalism, in: Anthony O’Hear (Hgg.), German Philosophy since Kant, Cambridge, 1999, S. 25–46. 13
Grundthese im Vergleich zum heutigen Stand der Forschung
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Drittens (iii): Obwohl meine Lesart die Reflexivität der hegelschen Logik hervorhebt, wendet sie sich doch gegen die These, der zufolge dieses Werk als kantische, transzendentale Logik gedeutet werden sollte.14 Einerseits, wie ich in dieser Studie argumentieren werde, ist Hegels Metaphysikkritik nicht epistemologisch, sondern logisch. Für Hegel ist die Metaphysik nicht dadurch zu kritisieren, über die Grenze dessen, was erkennbar ist, hinauszugehen, sondern vielmehr, da sie das Denken, welches das Absolute bedenkt, nicht auf konsistente Weise integrieren kann, d.h. sie steht vor der Unmöglichkeit, die Position des Denkens als äußere Reflexion zu überwinden. Andererseits beansprucht die hegelsche Logik eine Theorie des Absoluten zu sein, d.h. eine Theorie des Bereiches, in dem alle spezifischen Inhalte erscheinen und intelligibel sein können. Mit anderen Worten: Hegel möchte keine Theorie des transzendentalen Subjektes darstellen, sondern eine Theorie der Dimension, in der Subjekt und Objekt ursprünglich vereint sind. Es geht um eine reflexive Theorie dieser Einheit, wobei das Denken zwar in dieser Dimension oder in diesem Raum vorhanden ist, doch zugleich als das Selbstbewusstsein und Selbstwissen dieser Dimension oder dieses Raumes erscheint: das Denken liegt im Absoluten und zugleich ist es das Absolute als sich-wissende Einheit von Subjekt und Objekt. Viertens (iv) nähert sich aus diesem Grund meine Lesart den aktuellen Deutungen der Wissenschaft der Logik an, die die metaphysische Orientierung des hegelschen Projekts ernst nehmen und den Unterschied zur Transzendentalphilosophie hervorheben.15 Diese Vgl. besonders: Robert Pippin, Hegel’s Idealism. The Satisfactions of Self-Consciousness, Cambridge 1989; Robert Pippin, Hegel’s Real of Shadows. Logic as Metaphysics in the Science of Logic, Chicago 2018; Terry Pinkard, The Logic of Hegel’s Logic, in: Journal of the History of Philosophy 17 (1979), S. 417–435; Klaus Hartmann, Hegel: A Non-metaphysical View, in: A. McIntyre (Hg.), Hegel: A Collection of Critical Essays, Notre Dame/London 1972, S. 101–124; Hegel’s Idealism as Radicalization of Kant, in: Jürgen Stolzenberg und Karl Ameriks (Hgg.), Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus: Metaphysik im Deutschen Idealismus 5 (2007), S. 157–175; Robert Brandom, Tales of the Mighty Dead. Historical Essays in the Metaphysics of Intentionality, London 2002. 15 Paradigmatisch in dieser Hinsicht sind die Beiträge Robert Sterns und James Kreines’. Vgl. besonders: Robert Stern, Hegelian Metaphysics, New 14
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Interpretationen, die vor allem in den Arbeiten von James Kreines und Robert Stern vorhanden sind, besagen, dass die Logik zwar eine metaphysische Theorie präsentiert, jedoch keine Ontotheologie. Das Werk zielt eher darauf ab, einen Realismus der allgemeinen Naturgattungen gegen nominalistische oder positivistische Stellungen zu verteidigen. Obwohl diese Lesarten von der Interpretation der Logik als Transzendentalphilosophie abweichen, scheint es mir, dass ein Realismus der Naturgattungen nicht radikal genug ist, um die von Hegel vorgeschlagene reflexive Theorie des Absoluten zu begreifen, ist es doch genau diese Reflexivität, durch die Hegels Logik sich von der vorkantischen Metaphysik unterscheidet. i. Die Wissenschaft der Logik als vorkantische Metaphysik Während des 19. und 20. Jahrhunderts galt die These, dass Hegels Philosophie als Metaphysik betrachtet werden müsse. Diese Vorstellung war nicht nur im Rahmen des logischen Positivismus und der sogenannten „analytischen Philosophie“ in Mode, sondern auch innerhalb der kontinentalen Tradition. Sogar diejenigen Philosophen, die sich als Schüler oder Nachfolger Hegels bekannt haben, sahen in der Logik ein metaphysisches und totalitäres System, das mystische und ahistorische Ansätze beinhalte, die nicht zu akzeptieren seien. Das wäre z.B. der Fall bei Marx oder bei Gadamer, welche zwar anstreben, „dialektische“ oder relationale Theorien bezüglich der sozialen menschlichen Tätigkeit oder der Natur des Sinnes und der Sprache aufzubauen, jedoch stellen sie den hegelschen Anspruch in Frage, das wirkliche Ganze mit der Bewegung des Denkens zu identifizieren16 oder den Weg und den Prozess der BilYork 2009; James Kreines, Reason in the World. Hegel’s Metaphysics and Its philosophical Appeal, New York 2015. 16Vgl. Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, (MEW 42), Berlin 1983, S. 36: „Für das Bewußtsein daher – und das philosophische Bewußtsein ist so bestimmt –, dem das begreifende Denken der wirkliche Mensch und daher die begriffene Welt als solche erst das Wirkliche ist, erscheint daher die Bewegung der Kategorien als der wirkliche Produktionsakt – der leider nur einen Anstoß von außen erhält –, dessen Resultat die Welt ist; und dies ist – dies ist aber wieder eine Tautologie
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dung und der Erfahrung durch eine wissenschaftliche Selbstthematisierung des Bewusstseins im absoluten Wissen zu Ende zu bringen.17 Hierbei würde Marx unter Metaphysik denjenigen Ansatz eines unabhängig von den materiellen Bedingungen existierenden Denkens verstehen, welches, als mystische Kraft erscheinend, sich unbedingt verwirklicht und so das historische Werden rational herausbilde.18 Für Gadamer hingegen bezeichnet „Metaphysik“ diejenige Theorie einer absoluten Selbsttransparenz des Geistes und des Selbstbewusstseins, in der die Negativität und alle Distanz zu dem Wissensgegenstand getilgt werden würden. Obwohl diese Vorwürfe gegen die hegelsche Philosophie schon beantwortet worden sind und man dazu sagen kann, dass diese keine immanente Kritik am hegelschen System darstellen 19, ist die Identifikation der hegelschen Logik mit einer vorkantischen Metaphysik in der Literatur nicht abwesend. Eine der berühmtesten und weitverbreiteten Deutungen der hegelschen Logik als vorkantische – soweit richtig, als die konkrete Totalität als Gedankentotalität, als ein Gedankenkonkretum, in fact ein Produkt des Denkens, des Begreifens ist; keineswegs aber des außer oder über der Anschauung und Vorstellung denkenden und sich selbst gebärenden Begriffs, sondern der Verarbeitung von Anschauung und Vorstellung in Begriffe.“ 17 H.G. Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer hermeneutischen Philosophie, Tübingen 1990, S. 20: „[F]ür Hegel vollendet sich die Bildung als die Bewegung von Entfremdung und Aneignung in einer vollständigen Bemächtigung der Substanz, in der Auflösung alles gegenständlichen Wesens, die im absoluten Wissen der Philosophie erreicht wird.“ 18 Vgl. Karl Marx, Grundrisse, a.a.O., S. 633: „Das Ganze, wie es im Kopfe als Gedankenganzes erscheint, ist ein Produkt des denkenden Kopfes, der sich die Welt in der ihm einzig möglichen Weise aneignet, einer Weise, die verschieden ist von der künstlerischen, religiösen, praktischgeistigen Aneignung dieser Welt. Das reale Subjekt bleibt nach wie vor außerhalb des Kopfes in seiner Selbständigkeit bestehn; solange sich der Kopf nämlich nur spekulativ verhält, nur theoretisch. Auch bei der theoretischen Methode daher muß das Subjekt, die Gesellschaft, als Voraussetzung stets der Vorstellung vorschweben.“ 19 Dazu ausführlicher: Luis Eduardo Gama, Erfahrung, Erinnerung, Text. Über das Gespräch zwischen Hegel und Gadamer und die Grenzen zwischen Dialektik und Hermeneutik, Würzburg 2006; Oscar Cubo, Actualidad hermenéutica del saber absoluto. Una lectura de la Fenomenología del Espíritu de Hegel, Madrid 2010.
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Metaphysik ist diejenige Charles Taylors. Er vertritt die Auffassung, dass die Wissenschaft der Logik als die Darlegung eines „kosmischen Prinzips“, das jeder Wirklichkeit überhaupt zugrunde liegt, verstanden werden sollte. Dieses kosmische Prinzip sei dasjenige, was Hegel „Begriff“ nennt.20 Nach Taylor ist Begriff der Name für die rationale Notwendigkeit, die die Gesamtheit aller Wesen in einer einzigen substanziellen und kosmischen Totalität artikuliere.21 Der Begriff erscheine in dieser Hinsicht nicht mehr als ein Werkzeug des erkennenden Subjekts, um den durch die Sinne erhaltenen Stoff zu vereinheitlichen, sondern als die notwendige Manifestation der Substanz und als dasjenige Prinzip, aus dem alles, was es gibt, entsteht und emaniert. Demnach sei das subjektive Denken dem wirklichen Gegenstand nicht entgegengesetzt, sondern würde zum Moment der metaphysischen und ontologischen Entfaltung dieses kosmischen Prinzips werden.22 Der Deutung Taylors gehen in gewissem Maße andere Lesarten in englischer Sprache voraus, insbesondere diejenige Interpretation McTaggarts, laut der das in der Logik dargestellte System der Denkbestimmungen mit einer Theorie des Universums als organische Einheit, die alle Individuen und Wesen in sich enthält, gleichbedeutend ist.23 Das Verhältnis von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, das in Hegels Konzeption des Begriffes vorkommt, wird von McTaggart als die harmonische Relation zwischen dem System-Universum und den Teilsystemen des organischen Lebens und der menschlichen Subjektivität gedeutet. Damit wird die Wissenschaft der Logik mit einer Theorie eines kosmologischen Holismus und eines immateriellen Monismus identifiziert, d.h. mit der These, dass einerseits das Universum ein harmonisches und organisches Ganzes darstelle und andererseits der Geist und die Liebe nicht nur die Charles Taylor, Hegel, Cambridge 1975, S. 298. Ebd., S. 299–300. 22 Ebd., S. 300. In diesem Zusammenhang ist auch die Beschreibung der Art und Weise zu erwähnen, auf die laut Taylor ein Hegelianer beten würde: Vgl. Ebd., S. 494: „In short, how does a hegelian philosopher pray? Certainly the prayer of petition has no meaning for him. Nor can he really thank God. What he does is to contemplate his identity with cosmic spirit.” 23 John McTaggart, A Commentary on Hegel’s Logic, Cambridge 1910, S. 107 ff. 20 21
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Hauptwirklichkeit, sondern die einzige, tiefe Wirklichkeit dieses Ganzen seien.24 So kann man die Lesart McTaggarts zusammenfassen: Das Universum existiert in der Form eines harmonischen Ganzen, woraus folgt, dass das Einzige, was wirklich existiert, die Harmonie, die Versöhnung zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelnen, d.h. die Liebe oder der Geist sei. Eine ähnliche Argumentationsweise wird in der These dargestellt, laut der die Logik als Ontotheologie verstanden werden solle, eine Behauptung, die von Klaus Düsing25 vertreten worden ist. Unter „Ontotheologie“ ist der Ansatz zu verstehen, dass die Wissenschaft des Seienden im Ganzen mit der systematischen Darlegung des höchsten Seienden, und zwar Gott, unbedingt koinzidiert. Der Grund dafür, Ontologie und Theologie miteinander zu identifizieren, besteht darin, dass die Welt und alles, was es gibt, Resultat des sich denkenden göttlichen Denkens ist. Gott ist dabei nicht nur causa sui, sondern auch νόησις νοήσεως, insofern die Selbstursächlichkeit Gottes nur als dessen Selbstdenken gegeben sein kann. 26 Wirklichkeit und Intellektualität formen im Gottessein ein einziges Korrelat, da das Selbstdenken das wirkliche und aktive Sein von Gott ist. Die hegelsche Behauptung, laut der sich die Logik mit der Darstellung Gottes vor der Erschaffung der Welt beschäftigt27, bedeutet nach dieser Deutung, dass die Selbstverwirklichung des Begriffes gerade diese Welterschaffung sei. Diese letzte Deutung steht der neuplatonischen Lesart Hegels nahe, die besonders von Jens Halfwassen28 und Herbert Schnädel24
262.
John McTaggart, Studies in Hegelian Cosmology, Cambridge 1918, S.
Vgl. Klaus Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche zum Prinzips des Idealismus und zur Dialektik, Hamburg 1995, S. 232 ff. 26 Klaus Düsing, Noesis Noeseos und absoluter Geist in Hegels Bestimmung der „Philosophie“, in: Hans-Christian Lucas, Burkhard Tuschling und Ulrich Vogel (Hgg.) Hegels enzyklopädisches System der Philosophie. Von der „Wissenschaft der Logik“ zur Philosophie des absoluten Geistes, Stuttgart 2004, S. 443–458. 27 TWA 5, S. 44. 28 Vgl. Jens Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung, Bonn, 1999, besonders S. 273 ff. 25
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bach29 verteidigt wird. Die Darlegung des Absoluten, die in Hegels Logik vorkommt, ziele dieser Interpretation nach darauf ab, den Gegensatz zwischen Begriff und Existenz definitiv zu überwinden. So wird in diesem Kontext das folgende Zitat Hegels hervorgehoben: „Gott allein ist die wahrhafte Übereinstimmung des Begriffs und der Realität; alle endlichen Dinge aber haben eine Unwahrheit an sich, sie haben einen Begriff und eine Existenz, die aber ihrem Begriff unangemessen ist.“30 Gott oder das Absolute ist demnach dasjenige, dessen Begriff und Existenz zusammenfallen. Gegen Kant, der den ontologischen Gottesbeweis dadurch kritisiert, dass aus dem Begriff eines Gegenstandes seine Existenz nicht hervorgehen kann, verteidige Hegel eine Ontotheologie des Absoluten, desjenigen Prinzips, welches seinem Begriff nach existiert, weil es gerade als Begriff vorhanden ist. Das Absolute ist folglich das Wahre-Absolute; das Absolute zu denken, impliziere unbedingt, seine Existenz anzunehmen, denn ein Absolutes, welches nicht existiert, stelle einen Widerspruch in sich dar. In dieser Argumentation bezüglich des Absoluten gebe es Spuren der neuplatonischen Konzeption einerseits des AbsolutenSeienden31 und andererseits des Wahrheitsverständnisses 32, denn die philosophische Darlegung der Wahrheit sei keine Exposition eines epistemologischen Kriteriums, sondern die ontologische Untersuchung und Darstellung eines wahren und höchsten Seienden, aus dem alles, was es gibt, hervorgehe, und welches auch die Geeignetheit unserer Erkenntnis begründet. Genauso wie für Taylor und McTaggart wird in diesen Deutungen die Logik so gelesen, als hätte sie die Darlegung eines ersten Prinzips, dessen modaler Status die absolute Aktualität sei, zum Gegenstand, d.h. ein Seiendes, das im Gegensatz zu den endlichen Dingen keinerlei weiterer Entwicklungen oder Veränderungen un29
1993.
Vgl. Herbert Schnädelbach, Hegels Lehre von der Wahrheit, Berlin,
TWA 8, §24, S. 86. Vgl. Jens Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus, a.a.O., S. 276. 32 Vgl. Herbert Schnädelbach, Hegels Lehre von der Wahrheit, a.a.O., S. 9. 30 31
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terworfen sein kann, denn Gott oder das Absolute stelle einfach dasjenige dar, was immer und unbedingt der Fall ist. So sei das Absolute als absolutes Fundament zu denken: Es bezeichne dasjenige, was alles durch sich selbst begründet, ohne durch etwas Äußerliches begründet zu werden. Daraus folgt, dass die endlichen Dinge nur Erscheinungen und Abbildungen des Absoluten seien, denn jene existieren an und für sich im Unterschied zum Zweiten nicht, sondern vergehen unaufhörlich und verwandeln sich in etwas Anderes.33 Zugunsten der ontotheologischen und neuplatonischen Lesarten gibt es, wie schon gezeigt, nicht nur Textbelege, sondern auch einen tieferen philosophischen Grund. Eines der definitorischen Charakteristika von Hegels Philosophie ist es, sich vehement gegen den modernen Dualismus zwischen Subjekt und Objekt zu wenden, der in der Erkenntnistheorie und der Transzendentalphilosophie vorhanden ist. Diesen Lesarten nach besagt die hegelsche Logik, dass Subjekt und Objekt in der Einheit und absoluten Aktualität des Absoluten-Seienden vereinigt werden, d.h. dass das Sein und das Denken im göttlichen sich denkenden Denken eins sind. Es ist anzumerken, dass sich in diesen Interpretationen eine gemeinsame These finden lässt, und zwar, dass Hegel die Meinung vertrete, dass Kants Metaphysikkritik aufgrund ihrer Verbindung mit dem Subjekt-Objekt-Dualismus im Wesentlichen irrelevant sei und im Gegensatz zur Transzendentalphilosophie eine Rückkehr zur vorkritischen Metaphysik des Absoluten vorschlage. Diese Topografie des Verhältnisses von Kant und Hegel ist besonders von Frederick Beiser vertreten worden.34 In seiner Deutung ist Hegels Philosophie metaphysisch, da sie versucht, das Unbedingte durch Begriffsanalysen zu erkennen. Aber im Gegensatz zur neuplatonischen Deutung behauptet er, dass dieses unbedingte Absolute für Hegel die Substanz Spinozas sei, d.h. diejenige Totalität, welche deswegen unbedingt existiert, weil sie von nichts Äußerlichem abhängt und so als causa sui gedacht werden müsse. Da diese Totalität Jens Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus, a.a.O., S. 276 ff. 34 Frederick Beiser, Introduction: Hegel and the Problem of metaphysics, in: Frederick Beiser (Hg.), The Cambridge Companion to Hegel, Cambridge 1993, S. 1–24. 33
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alles in sich enthalte, habe sie keine Bedingung und so stelle sie sich als Bedingung für alles dar. Ebenso wie bei Taylor oder McTaggart ist bei Beiser die Substanz oder das Absolute das Universum als ein Ganzes, was bedeutet, dass zwar Hegel keine mystischen Entitäten betrachtet, die, wie Marx meint, von der faktischen Realität getrennt seien, aber seine Philosophie besäße ein metaphysisches Charakteristikum, beruhe sie doch auf einer Theorie des Ganzen, weshalb sie als ontologischer Monismus aufgefasst werden müsse. 35 Doch anders als Spinoza, der die teleologischen Aspekte aus seinem Substanzverständnis exkludiert, verteidigt Hegel eine organische Sicht des Absoluten. Das heißt erstens, dass das Absolute nicht der Natur transzendent ist, sondern sich in dieser immanent befindet. Und andererseits, dass Gott nicht nur die Gesamtheit der Dinge ausmacht, sondern die Harmonie und systematische Rationalität ist, die im natürlichen Leben und seiner teleologischen Ordnung erkennbar sind. Eine spinozistische Abhandlung der Wissenschaft der Logik ist ebenfalls von Klaus E. Kaehler vertreten worden. 36 Für ihn sind zahlreiche Behauptungen Hegels bezüglich der spekulativen Natur des Ganzen schon in Spinozas Theorien enthalten. In der Tat zeigt bereits die von Spinoza vorgeschlagene Interaktion zwischen natura naturans und natura naturata eine dynamische Selbstproduktion des Ganzen auf. Die Substanz sei bei ihm mit der Tat ihrer Selbstveränderung identisch. In dieser Hinsicht hat alles, was endlich und einzeln ist, kein ontologisches Bestehen außerhalb dieser Selbsterzeugung der Substanz. Schon darin sieht Kaehler zwei distinktive Merkmale der hegelschen Philosophie: einerseits die These, dass alles Endliche und Individuelle nur ein „Moment“, d.h. ein besonderer Aspekt des Ganzen sei und andererseits der Ansatz der Selbstvermittlung oder Selbsthervorbringung als notwendige Existenzform der Totalität. Auf diese Weise bestehe der Beitrag Hegels darin, der Selbstvermittlung der Substanz einen immanenten, teleologischen Impuls für die Selbsterkenntnis hinzuzufügen. Dieser Trieb Vgl. Frederick Beiser, Hegel, New York/London 2005, S. 64 ff. Klaus E. Kaehler, Hegels Kritik der Substanzmetaphysik als Vollendung des Prinzips neuzeitlicher Philosophie, in: M. Gerhard, A. Sell, L. de Vos, Metaphysik und Metaphysikkritik in der klassischen deutschen Philosophie, Hamburg 2012, S. 133–160. 35 36
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sei nicht zufällig, sondern eine teleologisch unbedingte Entfaltung der Substanz und ihrer Aktuosität. Zusammenfassend lassen sich zumindest drei Annahmen innerhalb der Lesart der Wissenschaft der Logik als vorkantische Metaphysik finden: (1) Eine fundationalistische Betrachtung des Absoluten, d.h. die These, dass es etwas gibt, das Bedingung für alles ist und deshalb selbst durch nichts bedingt wird. Sowohl die kosmologischen Deutungen Taylors und McTaggarts als auch die neuplatonische bei Halfwassen zeichnen sich durch diese gemeinsame Voraussetzung aus. (2). Die Identifikation des Absoluten und der Totalität mit dem Universum und seiner organischen Harmonie. Dieser Ansatz kommt explizit in den kosmologischen Deutungen und in den spinozistischen Lesarten vor, jedoch nicht unbedingt bei der neuplatonischen Auffassung, da weder das Absolute-Seiende noch das Absolute-Eine mit der Materie und ihren Kausalzusammenhängen gleichzusetzen sind. (3) Die These, dass die Wissenschaft der Logik eine Rückkehr zur antiken und vorkantischen Metaphysik als Antwort auf die kantische Herausforderung vorschlägt. Doch diese vorkantischen Lesarten der Logik müssen ein Problem angehen, vor allem was die Annahmen (1) und (3) betrifft. Einerseits, wie ich ausführlicher argumentieren werde, sind die vorkantischen Konzeptionen des Absoluten wie die Substanz Spinozas oder das neuplatonische Eine nicht-reflexiv und somit inkonsistent auf der Reflexivitätsebene. Die Frage, wie der Gedanke hinsichtlich des Absoluten im Absoluten selbst einbezogen wird, wird in der vormaligen Metaphysik nicht berücksichtigt. Andererseits spricht sich Hegel explizit gegen eine fundationalistische Konzeption des Absoluten aus, d.i. gegen die Vorstellung, dass das Absolute als der Grund von allem, welcher jedoch von gar nichts begründet wird, gedacht werden soll. Wie ich in dieser Studie aufzeigen werde, behauptet Hegel in der Wesenslehre, dass diese fundationalistischen Auffassungen des Absoluten nicht thematisierte, kategoriale Dualismen voraussetzt, deren logische Struktur selbstwidersprüchlich ist, wie z.B. die der Dualismen zwischen Schein und Wesen, Substanz und Attribut, Notwendigkeit und Zufälligkeit, Substantialität und Akzidentalität oder Ursache und Wirkung. So erweist sich der Gedanke, dass das Wesen dem Schein logisch entgegengesetzt ist und ihm gegenüber Priorität hat, als selbstzerstörerisch. Der klas-
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sische, fundationalistische Dualismus zwischen Wesen und Schein geht von zwei Prämissen aus: erstens von der These, laut der das Wesen deswegen wesentlich ist, weil es den Schein erklärt und bestimmt. Und zweitens von dem Ansatz, dass der Schein eine niedrigere ontologische Stellung gegenüber dem Wesen hat: Der Schein ist nichts Anderes als eine unreine Manifestation des Wesens, welche dieses (das Wesen) verformt und verfälscht. Hegels Punkt besteht darin, dass diese zwei Prämissen einander widersprechen. Denn wenn der Schein das Wesen verformt und als unreine Manifestation von diesem aufzufassen ist, dann gibt es etwas im Schein, das nicht durch das Wesen bestimmt wird, und zwar die eigene Unreinheit und Negativität des Scheins. Infolgedessen ist das Wesen nur dann wesentlich, wenn es als das Unwesentliche (er)scheint. Was bedeutet, dass das Unwesentliche und der Schein dem Wesen wesentlich sein müssen und sich somit die fundationalistische, asymmetrische Hierarchie auflöst. Solch ein Ansatz liegt einer nicht-fundationalistischen Lesart der Wissenschaft der Logik zugrunde, wobei dieses Werk als Metaphysikkritik auftaucht. Wie bereits angedeutet, favorisiert die vorliegende Arbeit diejenige nicht-fundationalistische Lesart und zielt zudem darauf ab, diese Deutung durch die Rekonstruktion zahlreicher Passagen der Wesenslehre zu verstärken. Zusätzlich hebt jedoch meine Interpretation einen wichtigen Aspekt der hegelschen Metaphysikkritik hervor, den dieser nicht-fundationalistische Ansatz nicht genug berücksichtigt, und zwar der Reflexivitätseinwand als meta-metaphysischer Imperativ für die Theorie des Absoluten. ii. Die Wissenschaft der Logik als Metaphysikkritik Die Arbeit von Herbert Marcuse ist als nicht-fundationalistische Deutung der Logik im 20. Jahrhundert paradigmatisch. In seinem Buch Hegels Ontologie und die Grundlegung einer Theorie der Geschichtlichkeit37 vertritt Marcuse die Ansicht, dass Hegels Beitrag zur Philosophie darin bestehe, die Geschichtlichkeit als Grundbestimmung des Seins zu entdecken. Die Geschichte sei nicht nur ein Bereich oder Herbert Marcuse, Hegels Ontologie und die Grundlegung einer Theorie der Geschichtlichkeit, Frankfurt 1932. 37
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ein partieller Aspekt des Seienden. Sondern alles, was es gibt, sei grundsätzlich Geschichte: das Sein habe keine Geschichte, sondern es sei Geschichte.38 Dieser Lesart zufolge stelle Hegel die Begriffe von Veränderung, Beweglichkeit, Endlichkeit und Wandel nicht auf defizitäre Weise dar. Das bedeutet, dass diese Konzepte nicht die Gegenpartei der stabilen, unendlichen und unveränderlichen Wirklichkeit ausmachen, sondern die eigentlichen Bestimmungen des Seins konstituieren. Mit anderen Worten, um die Endlichkeit zu denken, benötige man keinerlei Unendlichkeit, welche der Endlichkeit gegenüberstehe.39 So überwinde Hegel den paradigmatischen, theologischen Gegensatz zwischen ens creatum und Schöpfer als philosophisches Korrelat der Kategorie der Endlichkeit, denn jede Unendlichkeit, die der Endlichkeit entgegengesetzt oder jenseits dieser lege, gelte als schlechte Unendlichkeit. Ebenfalls deutet Marcuse den hegelschen Begriff der sich auf sich beziehenden Negativität, welche am meisten in der Wesenslehre vorkommt, als unaufhörliche Veränderung und „reines Geschehen“, d.h. als ein substratloses Geschehen. Das reine Geschehen lasse sich in den Metaphern des Lichts und seiner Erscheinung und Manifestation erkennen, enthalten in der Wesenslehre: Das Licht ist nichts Anderes als das Geschehen seiner Erscheinung und es bleibt darin nichts übrig außerhalb des Geschehens und der Erscheinung als Prozess40, da das Licht, das nicht erscheint, kein Licht ist. Geschichtlichkeit, reines Geschehen und Sein seien demnach Synonyme und begriffliche Korrelate in der hegelschen Ontologie. Michael Theunissens Buch Sein und Schein41 bewegt sich in einer Argumentationsrichtung, die ähnlich wie die Marcuses verläuft. Es geht nicht nur um eine anti-fundationalistische Lesart, sondern um eine, die die Konsequenzen der Gedanken der Wissenschaft der Logik im Bereich der kritischen Theorie der Gesellschaft zu ziehen versucht. Denn Hegels Logik habe wie jede Philosophie überhaupt eine „kritische Funktion“:42 Was aber in Hegels Werk kritisiert Ebd., S. 63. Ebd., S. 65. 40 Ebd., S. 118. 41 Michael Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der hegelschen Logik. Frankfurt, 1978. 42 Ebd., S. 15. 38 39
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werde, ist nicht die Gesellschaft als solche, sondern die Metaphysik. Für Theunissen ist Metaphysik jedes Denksystem, das einerseits eine nicht-relationale Ontologie vertrete und andererseits Herrschaftsverhältnisse durch ontologische Hierarchisierungen wie z.B. Schein/Wesen legitimiere.43 Hegels Kritik am nicht-relationalen Denken finde in der Seinslehre statt, welche die Postulate des Positivismus zugleich kritisiert und darstellt, während die Kritik an Herrschaftsbeziehungen zur Wesenslehre gehöre, denn dort stelle Hegel den Ansatz in Frage, die Rationalität der Welt drücke sich in asymmetrischen Relationen zwischen Grund und Begründetem aus. Im Gegensatz zu fundationalistischen, asymmetrischen Hierarchien, welche die logische und ontologische Form der Herrschaftsbeziehungen ausmachten, schlage Hegel in der Begriffslehre eine kommunikative Freiheit vor, wobei das Allgemeine nicht mehr als etwas erscheint, welches das Einzelne dominiert und subsumiert, sondern als Bedingung für die Entwicklung der Freiheit des Individuellen fungiert. Eine anti-fundationalistische Deutung findet man auch in den Arbeiten Ibers und Horstmanns. Iber hebt hervor, dass Hegel in der Seinslehre eine tiefe Kritik an der Substanzontologie übe, denn diese Ontologie hat den Gegensatz zwischen Realität als Negation und somit eine rein identitäre und unmittelbare Konzeption des Seins als Voraussetzung.44 Ähnlich argumentiert Horstmann. Bei ihm heißt es, dass die Wissenschaft der Logik eine Kritik der logischen Form des Urteils darstelle und somit als Metaphysikkritik gedeutet werden solle.45 In der Struktur des Urteils liegt der Gegensatz zwischen Subjekt und Prädikat und demnach die ontologische Annahme, dass alle Wirklichkeit eine basale Entität benötige, der man Bestimmungen und Eigenschaften beilegt. Doch für Hegel sei diese basale Entität keine echte Denkbestimmung, sondern ein Vorstellungskonstrukt, denn das Substrat als absolute Voraussetzung der Prädikation erweise sich als undenkbar. Ebd., S. 23. Vgl. Christian Iber, Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den deutschen Idealismus, Frankfurt 1999, S. 122 ff. 45 Rolf-Peter Horstmann, Metaphysikkritik bei Hegel und Nietzsche, in: Hegel-Studien 28 (1993), S. 285–301. 43 44
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Wie ich, damit übereinstimmend, später argumentieren werde, geht die Distinktion zwischen Subjekt und Prädikat von der Prämisse aus, dass alle Eigenschaften einen Inhalt bezeichnen, der von dem Substrat oder Träger logisch unterscheidbar ist. Ist dies der Fall, dann ist dieser Gedanke mit einer unendlichen Regression konfrontiert. Denn „Träger von Eigenschaften zu sein“ ist auch eine Eigenschaft, und da alle Eigenschaften einen Inhalt bezeichnen, der von dem Substrat unterscheidbar ist, muss es ein zweites Substrat geben, welches die Eigenschaft „Träger zu sein“ trägt. Und so ad infinitum. Es ist in dieser Hinsicht nicht zufällig, dass sowohl Iber als auch Horstmann – jeder auf seine Weise – vorschlagen, dass Hegel eine relationale Ontologie als Alternative gegenüber der Substanzontologie vertrete. So sieht Iber in der Wesenslehre eine „Metaphysik der absoluten Relationalität“, d.h. eine Ontologie der Relationen ohne Relata oder Relationssubstrate46, während Horstmann von einem relationalen Monismus spricht. Das heißt, er verteidigt die These, dass alles, was es gibt, auf ein organologisches – und nicht mechanistisches – Intelligibilitätsmuster zurückzuführen sei.47 Dieses organologische Muster manifestiere sich auf transparente Weise in der Subjektivität und deshalb habe diese einen entscheidenden Platz in der Darstellung der Logik. Die These, dass die Logik auch als Metaphysikkritik zu lesen sei, ist auch von Birgit Sandkaulen vertreten worden.48 Die Autorin, genau wie Jaeschke49, bietet das folgende historische Argument an: Vgl. Christian Iber, Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin 1990, S. 123 ff. 47 Vgl. Rolf-Peter Horstmann, Ontologie und Relationen. Hegel, Bradley, Russell und die Kontroverse über interne und externe Beziehungen, Königstein im Taunus 1984, S. 78 ff. 48 Birgit Sandkaulen, Die Ontologie der Substanz, der Begriff der Subjektivität und die Faktizität des Einzelnen. Hegels reflexionslogische Widerlegung der Spinozanischen Metaphysik, in: Jürgen Stolzenberg und Karl Ameriks (Hgg.), Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 5 (2007), S. 235–275. 49 Walter Jaeschke, Ein Plädoyer für einen historischen Metaphysikbegriff, in M. Gerhard, A. Sell und L. de Vos (Hgg.), Metaphysik und 46
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weder Hegel noch seine Zeitgenossen haben ihre Systeme „Metaphysik“ genannt. Dies weise darauf hin, dass die Überwindung der Metaphysik schon in Hegels Zeitgeist vorhanden war. Das nachmetaphysische Denken, von dem Habermas spricht, beginne in der nachkantischen Philosophie und nicht im 20. Jahrhundert.50 In diesem Zusammenhang laute das Ziel Hegels nicht, zur Metaphysik zurückzukehren, sondern sie zu verändern und durch eine neue Wissenschaft zu ersetzen. Diese Veränderung hat Sandkaulen zufolge zwei Momente: Erstens die schon genannte Urteilskritik, die für sie auch als die Aufhebung der für die fundationalistischen Stellungen charakteristischen Dualismen gilt. Zweitens die Widerlegung der spinozistischen Philosophie, denn dieses System beanspruche, alle Dualismen in der gesamten Perspektive der Substanz aufzulösen.51 Doch laut Sandkaulen gebe es noch einen Dualismus, den Spinoza nicht überwinden könne, nämlich der Gegensatz zwischen Identität und Unterschied, der sich in der logischen Differenzierung zwischen unendlicher Substanz und endlichen Modi ausdrücke. Die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Identität und Unterschied verweise nun unmittelbar auf die Seinsweise der Subjektivität, denn bei ihr erscheine das Andere, d.h. dasjenige, was nicht Subjektivität und Gedanke ist, als Ich, als Subjektivität und demnach als Denken. Damit werde der Spinozismus widerlegt und in der Selbstbeziehung der Subjektivität als Beziehung auf Anderes aufgehoben. Eine ähnliche Argumentationsrichtung, zumindest was die Kritik des Fundationalismus betrifft, lässt sich in englischer Sprache bei Stephen Houlgate52 und Franco Cirulli53 finden. Houlgate weist Metaphysikkritik in der klassischen deutschen Philosophie, Hamburg 2012, S. 11–22. 50 Birgit Sandkaulen, La pensée post-métaphysique de Hegel, in: Archives de Philosophie, 75 (2012), S. 253–265. 51 Vgl. Birgit Sandkaulen, ¿Metafísica o Lógica? La significación de Spinoza para la ciencia de la Lógica de Hegel, in: Studia hegeliana 1 (2015), S. 139–154. 52 Stephen Houlgate, Hegel’s Critique of Foundationalism, in: Anthony O’Hear (Hg.), German Philosophy since Kant, Cambridge, 1999, S. 25–46. 53 Franco Cirulli, Hegel’s Critique of Essence. A Reading of the Wesenslogik, New York 2006.
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darauf hin, dass es bei Hegel eine Einheit zwischen Logik und Ontologie gebe, was sich darin ausdrücke, dass die sogenannten Denkbestimmungen als Seinskategorien verstanden werden sollten. So verweise z.B. der Begriff der Qualität auf die Frage danach, was es bedeute, qualitativ zu sein usw.54 Das hegelsche Projekt stehe zwar der vorkantischen Metaphysik nahe, weil die Denkbestimmungen nicht als geistige oder mentale Strukturen eines transzendentalen Subjektes betrachtet werden, sondern als logische Koordinaten, die dem Sein immanent sind, jedoch sieht Houlgate einen gravierenden Unterschied zwischen Hegels Logik und dieser antiken Metaphysik: Die hegelsche Logik sei keine Wesenstheorie, d.h. keine Theorie, die einen Grund sucht, der unabhängig vom Begründeten ontologisches Bestehen hat. Insofern bestehe Hegels Kritik an der vorkantischen Metaphysik darin, den Grund so zu denken, dass er ontologisches Bestehen im Begründeten besitzt. Auf die Einwände von Marx und Nietzsche, laut denen Hegel einen inakzeptablen Essentialismus vertrete, antwortet Houlgate, dass der Begriff eine dem Sein immanente Bewegung sei und keine Realität hinter dem Seienden. Der Begriff ist die Veränderung, die in allem Wirklichen lebt und immanent operiert, doch Hegel wolle beweisen, dass diese Veränderung eine interne und begrifflich systematische Logik besitze. Houlgate zufolge behauptet Hegel, dass der Grundbegriff des Seins zwar die Selbstbestimmung sei, aber eine solche Selbstbestimmung, die präzisen logischen Koordinaten folgt, weshalb das Sein insgesamt nichts Anderes als die Erscheinung oder Manifestation des Wesens sei. Das Wesen lege nicht hinter dem Sein oder dem Schein, sondern muss darin erscheinen, denn nur so könne man die These vertreten, dass das Wesen die Wahrheit des Seins ausmacht. Sogar in den Fällen, in denen ein Ding scheint, verschieden von seinem Wesen zu sein, müsse dieser abweichende Schein auch durch das Wesen erzeugt werden, sonst könne man nicht behaupten, dass das Wesen die Wahrheit dieses Dinges konstituiere.55 Demnach, argumentiert Houlgate, stellt Hegel die Grundprämisse des Fundationalismus in Frage, und zwar den Gegensatz zwischen Vgl. Stephen Houlgate, Hegel’s Critique of Foundationalism, a.a.O., S. 30 ff. 55 Ebd., S. 36. 54
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Wesen und Unmittelbarkeit, da er zeige, dass letztere die Manifestation und die Erscheinung des Ersten sei. Das heißt aber nicht, dass Hegel den Anti-Fundationalismus Nietzsches oder Rortys aufnehme, sondern eine eigenartige Wesenskonzeption präsentiere, bei der das Wesen ontologisches Bestehen in der Unmittelbarkeit besitze. In diesem Zusammenhang ist auch die Arbeit von Thomas Hoffman bemerkenswert. Die Metaphysikkritik, die in Hegels Logik vorhanden ist, bedeute, dass die vorkantische Philosophie den Gegensatz zwischen Form und Inhalt nicht überwinden könne.56 In der vormaligen Metaphysik, da sie meistens als naiver Realismus oder als direkte, unvermittelte Beschreibung des Seienden auftritt, sei die Objektivität das Andere des Denkens, wobei letzteres nur die formelle Seite des Gegensatzes ausmache.57 Deshalb erscheine die Überwindung der Metaphysik als eine Theorie der „absoluten Form“, welche den Gegenstand der Wissenschaft der Logik darstelle. Die „absolute Form“ präsentiere sich nicht als Gegenstand, Entität oder Seiendes, sondern zunächst als die Einheit, in der alle Gegenstände denkbar und intelligibel seien. Bei Kant sei demnach die absolute Form die Idee der Vernunft, die Einheit der Erfahrung, die jedoch nur als subjektive Konstruktion zu bestimmen sei: Alle Gegenstände der Erfahrung gehören zur Erfahrung, aber diese Einheit, da sie Bedingung für die Konstitution der Erkenntnisgegenstände ist, kann kein Erkenntnisgegenstand sein.58 Somit sei die Einheit der Erfahrung, die absolute Form ideell und nicht wirklich; es sei ein Sollen, kein Sein. Genau darauf antwortet Hegel in seiner Logik. Er plädiere nicht für eine Rückkehr zur vorkantischen Metaphysik, sondern vertrete die Ansicht, dass diese absolute Form die Materie und den Inhalt Thomas S. Hoffman, Totalität und Prädikation. Zur ersten „Stellung des Gedankens zur Objektivität im enzyklopädischen“ „Vorbegriff“ der spekulativen Logik, in: Alfred Denker, Annette Sell (Hgg.), Der „Vorbegriff“ zur Wissenschaft der Logik und der Enzyklopädie von 1830, Freiburg im Breisgau 2010, S. 114–143. 57 Thomas S. Hoffman, Die Absolute Form. Modalität, Individualität und das Prinzip der Philosophie nach Kant und Hegel, Berlin/New York 1991. 58 Ebd., S. 5. 56
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der Wirklichkeit selbst ausmache. 59 Die Überwindung der Dichotomie zwischen Form und Inhalt geht mit der modernen Widerlegung des Subjekt-Objekt-Dualismus, d.h. des Gegensatzes zwischen „verstehender Reflexion“ und „fürsichseiender Sache“ einher.60 Hoffmans Deutung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Der Grund dafür, dass beide Dualismen gleichzeitig aufgehoben werden, besteht darin, dass die absolute Form „Verhältnis“ sei, d.h. das In-Zusammenhang-Stehen jedes Dinges und Wesens. Da aber der Inhalt oder die Sache nur als Verhältnis zum anderen bestimmt werden müssen, ist der Inhalt selbst nichts Anderes als „Verhältnis“, d.i. nichts Anderes als die Form. Wenn dem aber so wäre, dann wäre die Form nicht äußerliche, subjektive Reflexion, sondern sie wäre „Sache und Sage“, d.h. zugleich subjektiv und objektiv. Auch Anton F. Koch sieht in der Wissenschaft der Logik eine kritische Diagnose der Metaphysik. So „versteht Hegel unter einer Metaphysik eine Theorie der allgemeinsten Aspekte der Realität, die a priori herleitbar und insofern denknotwendig, aber gleichwohl einseitig und inkonsistent ist“.61 Einseitig und inkonsistent sei die Metaphysik, weil sie einerseits eine statische Beschreibung des logischen Raumes bzw. des Absoluten anbiete, in der dieser aus diskreten Entitäten62 oder isolierten Dingen63 bestehe, und andererseits den Unterschied zwischen Erscheinung und Welt an sich nicht thematisiere.64 Dagegen stelle Hegels Logik eine dynamische und prozessuale Theorie des logischen Raumes dar, in der sich dieser Raum relational und evolutionär ausdifferenziere.65 Aufgrund dessen sei Ebd., S. 9. Ebd., S. 24 f. 61Anton F. Koch, Die Evolution des logischen Raumes. Ausätze zu Hegels Nichtstandard-Metaphysik, Tübingen 2014, S. 271. 62 Ebd., S. 273. 63 Anton F. Koch, Die schlechte Metaphysik der Dinge. Metaphysik als immanente Metaphysikkritik bei Hegel, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 5 (2007): Metaphysik im Deutschen Idealismus, S. 189–210. 64 Anton F. Koch, Die Evolution des logischen Raumes, a.a.O., S. 273– 274. 65 Ebd., S. 275. 59 60
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der logische Raum keine letzte Realität, die hinter der erscheinenden Welt liegt, sondern vielmehr dasjenige, was erscheint, d.h. Wirklichkeit als Einheit des Inneren (das Ansichsein) und des Äußeren (die Manifestation oder Erscheinung dieses Seins).66 Diese prozesshafte Betrachtung des logischen Raumes nennt Koch „Nichtstandard-Metaphysik“. Man kann nun die dieser Lesarten der hegelschen Logik als Metaphysikkritik zugrunde liegenden Behauptungen in den folgenden Punkten zusammenfassen: (1) Alle Werke dieser Autoren beinhalten einen mehr oder weniger expliziten Versuch, Ontologie bzw. Nichtstandard-Metaphysik und Metaphysik zu trennen. „Metaphysik“ sei dabei der Name für alle fundamentalistischen Theorien des Absoluten, d.h. sie selbst stelle eine Theorie dar, die einen unbedingten Grund suche, der unabhängig vom Begründeten vorhanden sei, oder mit anderen Worten, eine Theorie, die die Distinktion zwischen Sein und Schein etabliere. „Ontologie“ bzw. Nichtstandard-Metaphysik erscheint in diesem Paradigma dagegen als die Theorie des Seins als Prozess, als reine Relationalität oder sogar als reines Geschehen. (2) Damit übereinstimmend, besteht für diese Lesarten die Metaphysikkritik Hegels in einem immanenten Angriff auf die Substanzontologie und die mit ihr zusammenhängende Extrapolation des Urteils auf die logische Struktur des Seienden. Das Sein solle weder als dasjenige Ding, das alles in sich beinhaltet, noch als ein Ens Supremum, aus dem alles hervorgeht, aufgefasst werden. Das Sein lasse sich weder als Ens Supremum noch als Ens überhaupt verstehen, denn es sei keine Entität, sondern vielmehr Verhältnis, Prozess und Geschehen. Dies bedeutet, um ein Beispiel anzuführen, dass ein Lebewesen kein Substrat sei, das die Eigenschaft des Prädikats der Lebendigkeit trägt, sondern dass all seine Leiblichkeit und biologisches Dasein in der Tätigkeit und dem Verhältnis zur Umgebung lege, weshalb seine logische Form nicht die der Entität, sondern die des Geschehens und Auftretens sei. (3) Laut dieser Lesart antwortet Hegel auf die kantische Herausforderung, dass die Metaphysik zwar kritisiert werden müsse, dass aber eine richtige und wahrhafte Metaphysikkritik nicht epistemologisch, sondern ontologisch sei. Die Metaphysik zu kritisieren, heiße nicht, sich zu 66
Ebd., S. 274.
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fragen, ob unsere Begriffe die Natur des Dinges an sich erfassen können, sondern die gewöhnliche Konzeption des Seins in Frage zu stellen. Die Grundthese der vorliegenden Arbeit geht auch davon aus, dass Hegel solch eine Prozessontologie verteidigt und die Betrachtung des Seins als Entität und Substrat kritisiert. Doch im Vergleich zu den vorherigen Lesarten hat die vorliegende Studie einen methodischen Vorteil: sie beruht auf einer expliziten Abhandlung der Behauptungen des Vorbegriffes, in denen die Metaphysik zugleich als Kern und Feind der hegelschen Logik auftaucht. Von der Grundthese dieser Dissertation aus kann man deshalb den Deutungen der Logik als Metaphysikkritik vorwerfen, dass sie eine pejorative Bedeutung des Terminus „Metaphysik“ voraussetzen, wobei der von diesen Interpretationen verwendete Metaphysikbegriff nicht der hegelsche, sondern z.B. der Nietzsches ist, für den die Metaphysik mit dem Platonismus und dem Unterschied zwischen Sein und Schein zu identifizieren ist. Es ist legitim, anzumerken, dass Hegel kein platonischer Philosoph ist und seine Logik nicht demjenigen entspricht, was Nietzsche z.B. als Metaphysik bezeichnet hat. Aber dies geht nicht weit genug und berücksichtigt einen entscheidenden Punkt der hegelschen Metaphysikkritik, nämlich den Reflexivitätseinwand, nicht. Um diesen Punkt einleitend anzusprechen, sollte man darüber reflektieren, warum Logik und Metaphysik bei Hegel koinzidieren. Dies kann mit dem folgenden Zitat veranschaulicht werden: Die Gedanken können nach diesen Bestimmungen objektive Gedanken genannt werden, worunter auch die Formen, die zunächst in der gewöhnlichen Logik betrachtet und nur für Formen des bewussten Denkens genommen zu werden pflegen, zu rechnen sind. Die Logik fällt daher mit der Metaphysik zusammen, der Wissenschaft der Dinge in Gedanken gefasst, welche dafür galten, die Wesenheiten der Dinge auszudrücken.67
Im Prinzip könnte man sagen, diese Behauptung zeige, dass Houlgate Recht hat: Für Hegel drücken die Gedanken die Wesenheit des Seins aus und gelten demnach als Seinskategorien. Doch solch ein Ansatz könnte leicht von Kant attackiert werden. Daher lautet eine 67
TWA 8, §24, S. 81.
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Nebenthese dieser Arbeit, dass Hegels Antwort auf die kantische Herausforderung in einer Verteidigung des Begriffes des objektiven Denkens bzw. Gedankens besteht. Was Hegel damit meint ist, dass das Denken kein Werkzeug eines Subjektes ist, um zu versuchen, die Welt zu erfassen, d.h. es handelt sich nicht um ein Werkzeug, dessen Geeignetheit zur Erkenntnis der Wahrheit in Zweifel zu ziehen ist. Ein allgemeiner Zweifel bezüglich der Fähigkeit des Denkens zur Erkenntnis der Wahrheit ist selbstwidersprüchlich, da dieser Zweifel gegenüber dem Denken legitimiert werden muss, um vernünftig und überzeugend zu sein. Da aber der Skeptiker glaubt, dass seine Zweifel als richtige und korrekte Gedanken und demnach als vernünftig anzusehen sind, setzt er voraus, dass dasjenige, was richtig oder korrekt gedacht wird, Wahrheit ist. Dies nenne ich „Objektivitätsfähigkeitsthese“. Sie weist darauf hin, dass das Verhältnis zwischen Denken und Wahrheit grundsätzlich infallibel ist: Ein korrekter Gedanke über die Dinge erfasst dasjenige, was diese Dinge faktisch und tatsächlich an sich sind. Die Struktur der Objektivitätsfähigkeitsthese ist dem Argument aus der Faktizität ähnlich, das in der Renaissance des Realismus in den letzten Jahren vertreten worden ist68, oder auch dem sogenannten „Selbstaufhebungsargument“69, das in der Debatte über den Relativismus vorkommt: Der Skeptizismus und der Relativismus setzen operativ eine Faktizität voraus, d.h. sie präsupponieren, dass es Tatsachen gibt, die unabhängig von Beobachtern existieren, denn der Relativismus und der Skeptizismus beanspruchen, vernünftige philosophische Stellungen darzustellen, d.i. unabhängig davon wahr zu sein, ob es Beobachter gibt, die den Skeptizismus oder den Relativismus für richtig halten. Doch die schon genannte Objektivitätsfähigkeitsthese fügt eine entscheidende Nuance hinzu: es gibt ja Faktizität und Objektivität, aber das Denken ist der Raum, in dem diese Faktizität und Objektivität erscheinen können müssen. Anders gesagt: wenn wir die Dinge denken, erscheinen sie objektiv und so unabhängig von unseren Wünschen, Meinungen und Vorurteilen. Vgl. Markus Gabriel, Neutraler Realismus, in: Thomas Buchheim (Hg.), Neutraler Realismus, Freiburg/München 2016, S. 11–34, besonders S. 12 ff. 69 Dorothee Schmitt, Das Selbstaufhebungsargument. Der Relativismus in der gegenwärtigen philosophischen Debatte, Berlin 2018. 68
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Die Objektivitätsfähigkeitsthese führt jedenfalls dazu, dass unsere Gedanken die innere Natur der Dinge erfassen können, d.h., dass im Denken die Dinge genau wie sie sind erscheinen können müssen, doch sie bringt auch weitere Konsequenzen für jedwede Philosophie des Absoluten mit sich: da jede Philosophie des Absoluten die Objektivitätsfähigkeitsthese, d.i. das Denken als Raum der Wahrheit und der Faktizität voraussetzt, ist der Philosoph des Absoluten dazu verpflichtet, eine Konzeption des Absoluten entwickeln, in der die selbstbewussten Gedanken des Absoluten auf konsistente Weise inkludiert sind. Diese Studie wird argumentieren, dass Hegel der Meinung ist, dass sich die vorkritischen Philosophen des Absoluten dieses Imperativs nicht bewusst sind, weshalb es notwendig ist, diese klassische Metaphysik von einer höheren Stufe aus zu betrachten. Was wiederum bedeutet, die Theorien des Absoluten nicht nur bezüglich ihrer logisch-formalen Konsistenz zu überprüfen – wie es bei den vorkantischen Diskussionen der Fall war –, sondern auch bezüglich ihrer Konsistenz auf der Ebene der Reflexivität. Und zwar auf der Ebene ihrer Fähigkeit, das Denken, welches das Absolute betrachtet und denkt, im Absoluten selbst zu integrieren. Vor diesem Hintergrund ist es anzumerken, dass Hegels Metaphysikkritik nicht nur als eine alternative Prozess- und Geschehensontologie zu erfassen ist, sondern auch, wie Markus Gabriel behauptet, als Meta-Metaphysik.70 In dieser Studie wird gezeigt werden, dass die Definitionen des Absoluten als die Materie, das Universum, Gott oder die Substanz inkonsistent auf dieser Ebene der Reflexivität sind, denn diese Begriffe bezeichnen nur Gegenstände des Denkens. So erscheint das Denken unbedingt, wie Hegel sagt, als eine dem Absoluten „äußere Reflexion“. Natürlich kann der klassische Metaphysiker behaupten, dass das Denken doch in der Materie inkludiert sei, dass es zum Universum gehöre, dass es von Gott erschaffen worden sei, um ihn zu erkennen, oder sogar, dass das Denken ein Modus der Substanz darstelle. Doch diese Ansprüche sind in Hegels Augen insofern inkonsistent, als die Materie, Gott usw. nur Gegenstände des Denkens sind und sich auf irgendeine Weise von Markus Gabriel, What Kind of Idealist, if any, is Hegel, in: Hegel Bulletin 37 (2016), S. 181–208, besonders S. 185. 70
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ihm unterscheiden. Die Inkonsistenz zeigt sich konkret darin, dass die These oder der Gedanke, alles sei Materie, nicht durch materialistische Wahrheitskriterien überprüfbar ist; ist Gott als das höchste Seiende anders als das Denken, welches ihn betrachtet, dann ist Gott nicht das Absolute, sondern dessen Verbindung mit dem Denken, das ihn bedenkt, wobei diese Verbindung höher als das höchste Seiende ist usw. Es scheint mir, dass diese meta-metaphysische Thematisierung, die aus dem Reflexivitätseinwand folgt, bei den Deutungen der Wissenschaft der Logik als relationale Geschehensontologie abwesend ist, ohne dass das heißt, zu negieren, dass Hegel auch solch eine Ontologie verteidigt. Schon aus diesem Grund muss man die Rolle der modernen Subjektivitätsphilosophie in der hegelschen Logik nicht außer Acht lassen: eine Theorie des Absoluten muss die Würde erklären, die der Subjektivität zukommt und die das Denken vom Rest der spezifischen Inhalte trennt; das Denken kann nicht nur ein Modus neben anderen Modi des Absoluten darstellen – was laut Hegel der Mangel von Spinozas Substanzkonzeption wäre –, sondern es geht um eine Modalität, in der das Absolute eine irreduzible und differenzierte Existenzform erreicht, die nicht in den anderen spezifischen Inhalten vorhanden ist, eine Existenzform, die ohne einen aktiven Beitrag der subjektiven Tätigkeit des Denkens nicht vorkommen würde: Die Erhebung des Absoluten zur Modalität der Selbstreflexion. Dies bedeutet jedoch nicht, zu sagen, dass die Wissenschaft der Logik eine transzendentale Logik sei. Daher wendet sich diese Studie gegen die kantischen Lesarten von Hegel, die vor allem von Pinkard, Pippin, McDowell und Brandom71 verteidigt worden sind. Vgl. besonders: Robert Pippin, Hegel’s Idealism. The Satisfactions of Self-Consciousness, Cambridge 1989; Terry Pinkard, The Logic of Hegel’s Logic, in: Journal of the History of Philosophy 17 (1979), S. 417–435; McDowell, John, Hegel’s Idealism as Radicalization of Kant, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 5 (2007), S. 157–17; Robert Brandom, Tales of the Mighty Dead. Historical Essays in the Metaphysics of Intentionality, London 2002. 71
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iii. Die Wissenschaft der Logik als transzendentale Logik Eine der berühmtesten Interpretationen, die die Nähe zwischen Kant und Hegel akzentuiert, ist die von Robert Pippin, vertreten und dargestellt in seinem Buch von 1989 Hegel’s Idealism: The Satisfactions of Self-Consciousness.72 Pippin zufolge solle man Hegels Logik als transzendentale Logik und kritische Philosophie verstehen.73 Die Philosophie hat immer den Anspruch gehabt, eine systematische Theorie der Totalität anzubieten, aber die kritische Philosophie geht davon aus, dass die Verbindungen und Begriffe, die diese Systeme der Totalität ausmachen, nicht unmittelbar in der Wirklichkeit gegeben sind, sondern vielmehr von der Tätigkeit des Bewusstseins abhängen. Daher müsse man die Legitimität und den Umfang der Begriffe befragen, die die Philosophie verwendet, um das Ganze zu denken, anstatt die Totalität und das Unbedingte naiv zu beschreiben. Gegenstand der Philosophie sei nicht unbedingt die Darstellung der objektiven Totalität, sondern die systematische Darlegung des Bewusstseins. Ausgangspunkt der kritischen und der Transzendentalphilosophie sei laut Pippin die transzendentale Apperzeption. Dieser Begriff besagt, dass eines der wichtigsten und entscheidendsten Merkmale der Erfahrung, und zwar ihr einheitlicher Charakter, nicht aus der sinnlichen Wahrnehmung deduziert werden könne. Die Erfahrung habe einen einheitlichen Charakter, weil alle Gegenstände der Erfahrung so erscheinen, als würden sie zu einer geordneten Gesamtheit gehören, die wir „die Erfahrung“ nennen. Anders formuliert: wenn wir einen Gegenstand wahrnehmen, erscheint dieser in der Erfahrung. Dieser Umstand stellt eine unRobert Pippin, Hegel’s Idealism. The Satisfactions of Self-Consciousness, Cambridge 1989. 73 Ebd., S. 7: „More to the general and more obvious point, however, much of the standard view of how Hegel passes beyond Kant into speculative philosophy makes very puzzling, to the point of unintelligibility, how Hegel could have been the post-Kantian philosopher he understood himself to be; that is, how he could have accepted, as he did, Kant's revelations about the fundamental inadequacies of the metaphysical tradition, could have enthusiastically agreed with Kant that the metaphysics of the beyond, of substance, and of traditional views of God and infinity were forever discredited, and then could have promptly created a systematic metaphysics as if he had never heard of Kant's critical epistemology. “ 72
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abdingbare Bedingung für die Erkenntnis dar, denn sonst könnte man keine allgemeinen Urteile fällen und müsste mit absolut einzelnen Gegenständen beim Wahrnehmen umgehen. Doch laut Pippin argumentiere Kant, dass die Erfahrung als solche nicht sinnlich wahrnehmbar sei:74 Wäre die Erfahrung selbst ein wahrnehmbarer Gegenstand, würde die Erfahrung in der Erfahrung erscheinen, was widersinnig wäre. Deshalb sei die Quelle der Einheit der Erfahrung nicht die sinnliche Wahrnehmung, sondern die Tätigkeit des Denkens insbesondere die Tatsache, dass alle die Wahrnehmungen und Vorstellungen, die ich habe, als meine mentalen Zustände gelten und mein Ich einheitlich ist.75 In dieser Hinsicht argumentiert Pippin, dass die modale Besonderheit der transzendentalen Apperzeption darin liege, dass wir uns dieser Tatsache bewusst sein können müssen: es trifft zwar zu, dass ich mir nicht immer dessen bewusst bin, dass ich derjenige bin, der wahrnimmt oder eine Vorstellung hat, doch jede Vorstellung muss als meine Vorstellung erscheinen können; alle Vorstellungen seien demnach potenziell selbstbewusst.76 74 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1998, B130: „Allein die Verbindung (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt, kann niemals durch Sinne in uns kommen, und kann also auch nicht in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein.“ 75 Kant sagt dahingehend, „dass wir uns nichts, als im Objekt verbunden, vorstellen können, ohne es vorher selbst verbunden zu haben, und unter allen Vorstellungen die Verbindung die einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Actus seiner Selbsttätigkeit ist“ (KrV, B 130 25–30). Dazu auch Pippins Deutung dieser kantischen Idee, Hegel’s Idealism, a.a.O., S. 20: „The mind's ability to attend to its own representing activity is a distinct ability, logically presupposed as a condition of experience. (We couldn't be representing objects unless, in all cases of such representing, we could also become conscious of our representing.) In what I am calling the Cartesian reading, all consciousness, including what Kant is calling experience, is a species of self-consciousness, representing objects as at the same time attending to the mind's activities and objects.“ 76 Kant behauptet genau: „Das: Ich denke, muss alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte“ (KrV, B132). Pippin interpretiert die kantische Aussage wie folgt: „[…] if the claim is that consciousness of
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Pippin behauptet, dass Hegels Philosophie auch von diesem Prinzip ausgehe und deswegen als kritische Philosophie gelte. Jedoch gebe es einen gravierenden Unterschied zwischen Hegel und Kant: während letzterer die These verteidige, dass das Denken die inhaltslose, einheitliche Form und die Sinnlichkeit einen formlosen Inhalt zur Konstitution der Erfahrung beitragen, hebe sich für Hegel die Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Denken oder zwischen Anschauung und Begriff in einer konzeptualistischen Theorie der Wahrnehmung auf.77 Die konzeptualistische Theorie der Wahrnehmung besagt, dass der Inhalt der Wahrnehmung begrifflicher Natur sei, d.h., dass die Menschen in der Lage sind, Autos, Kirchen, Straßen eben als Autos, Kirchen und Straßen wahrzunehmen. Die konzeptualistische Theorie der Wahrnehmung sei die Grundlage von Hegels Kritik an der kantischen Unterscheidung zwischen Phänomen und Ding an sich.78 Pippins Argument sieht im Allgemeinen wie folgt aus: die kantische Distinktion zwischen Verstand und Sinnlichkeit setzt voraus, dass letztere die Rolle spielt, uns mit der Außenwelt zu verknüpfen, während der Verstand nur eine formelle Einheit leistet, durch die wir nicht unbedingt mit der Außenwelt in Verbindung stehen, wobei wir uns nicht sicher sein können, ob die logischen Formen des Denkens mit der Natur der objects could not possess the unity necessary for it to be an experience of an identical subject unless that subject effected that unity, then although it need not follow that such a subject must always be attending to its own judging in experience, it is required that such a subject be making such judgments in a way that permits such an attending. It must make some difference in an account of representing objects that such a representing activity itself be potentially self-conscious [meine Hervorhebung]“ (S. 60). 77 Vgl. Robert Pippin, Hegel’s Idealism, a.a.O., S. 9: „Thus the formula for getting Hegel from Kant would be: Keep the doctrine of pure concepts and the account of apperception that helps justify the necessary presupposition of pure concepts, keep the critical problem of a proof for the objectivity of these concepts, the question that began critical philosophy, but abandon the doctrine of pure sensible intuition, and the very possibility of a clear distinction between concept and intuition, and what is left is much of Hegel's enterprise.“ 78 Diese These wird aber in Pippins neuestem Buch betonnt. Dazu vgl. Robert Pippin, Hegel’s Real of Shadows. Logic as Metaphysics in the Science of Logic, Chicago 2018, S. 47 ff.
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objektiven Welt zu tun haben oder nicht. Hegels konzeptualistische Theorie der Wahrnehmung – so Pippin – besage, dass unsere Sinnlichkeit, d.h. unsere Verbindung mit der Außenwelt, schon begrifflich strukturiert sei, woraus folge, dass die Formen des Denkens doch mit der Natur der objektiven Welt zu tun hätten und letztere im Wesentlichen aus denkbaren Inhalten bestehe.79 Anders formuliert: der Grund dafür, dass unsere Sinnlichkeit begrifflich sei, liege darin, dass die Welt, das Ding an sich konzeptualisierbar sei. Es gehe nicht darum, dass es ein Eins-zu-eins-Verhältnis zwischen jeder logischen Struktur des Denkens und jeder Struktur des Seienden gibt – wie beim vorkritischen Projekt der Darlegung der Seinskategorien –, sondern vielmehr darum, die minimale These zu versichern, dass die Welt an sich so gemacht sei, dass wir sie konzeptualisieren können. Damit antworte man laut Pippin geeignet auf die kantische Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis. Eine sehr ähnliche Deutung findet man bei John McDowell. In der Tat sei für ihn die konzeptualistische Theorie der Wahrnehmung die einzig vernünftige Antwort auf die Frage, wie „der Geist“ und „die Welt“ miteinander verbunden sind.80 Er sieht in Hegel den Pionier dieser Theorie. Das Argument McDowells ist dem von Pippin ähnlich: die begriffliche Natur des Wahrnehmungsinhaltes wiese darauf hin, dass die Welt an sich konzeptualisierbar sei, oder anders gesagt, dass es keine Grenze für das Begriffliche gebe.81 Das bedeutet nicht, dass die Welt etwa ein Begriff sei, d.h. eine Art kosmischer und selbstbewusster Geist oder etwas Ähnliches, sondern, dass die objektive Natur der Welt die Eigenschaft besitze, begriffen und konzeptualisiert werden zu können. Aber die konzeptualistische Theorie stelle einen Vorteil nicht nur deswegen dar, weil sie mit der These kompatibel ist, dass die Welt aus denkbarem Inhalt besteht, sondern gibt es zudem ein kategoriales Argument, auf dem McDowells Ansatz beruht: Wir nehmen häufig an, dass die sinnlichen Wahrnehmungen als Gründe für unsere Urteile fungieren. McDowell nennt diese Annahme „minimalen Empirismus“. Doch 79 80
S. 3. 81
Ebd., S. 82. Vgl. John McDowell, Mind and World, Cambridge/London, 1994, Ebd., S. 2–45.
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die Natur eines Grundes überhaupt bestehe darin, im Raum der Gründe zu erscheinen, d.h. in Inferenzverhältnissen zu anderen Überzeugungen, Glauben und Gründe zu stehen. Daraus folgt, dass ein Grund wesentlich und ausschließlich aus begrifflichen Verknüpfungen besteht. Ein Grund hat keine begrifflichen Verknüpfungen, sondern ist diese Verknüpfung. Es ist aber selbstverständlich, dass dasjenige, was allein aus begrifflichen Verknüpfungen besteht, begriffliche Natur besitzt. Daraus lasse sich elegant konkludieren, dass die sinnlichen Wahrnehmungen begrifflicher Natur sein müssen, falls wir sie als Gründe für unsere Urteile behandeln möchten. Nur die konzeptualistische Theorie der Wahrnehmung ist mit dem minimalen Empirismus kompatibel. Dieser Ansatz macht für McDowell eine „domestizierte“ Interpretation des hegelschen Idealismus als Radikalisierung des kantischen Projektes aus. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Deutung Terry Pinkards. Diese besagt, dass Hegels Logik als „konzeptualistische Ontologie“ aufgefasst werden sollte.82 Unter diesem Terminus versteht Pinkard eine Beschreibung des Seins, wie es durch die Vermittlung unserer Begriffe erscheint.83 Die „konzeptualistische Ontologie“ sei keine vorkritische Metaphysik, sondern falle mit dem kantischen Projekt der transzendentalen Logik zusammen, obwohl die Transzendentalphilosophie eine neue Richtung in Hegels Gedankengang finde. Die transzendentale Wendung innerhalb der Logik und der Ontologie beruhe darauf, dass es nichts gibt, das unmittelbar in der Erfahrung gegeben ist: Aufgrund dessen, dass alles, was in ihr erscheint, durch a-priori Begriffe, die nicht aus der Erfahrung hervorgehen, vermittelt wird, entscheide sich Hegel dafür, eine Analyse dieser transzendentalen Apriori-Begriffe vorzunehmen. Die Logik präsentiere keine Theorie des kosmischen Geistes oder des Universums, sondern eine Analyse der Prinzipien der reinen Vernunft oder unseres epistemischen Rahmens (epistemic framework).84 Doch Pinkard zufolge bestehe der hegelsche Beitrag zum kantischen Projekt darin, zu entdecken, dass die Grundsätze der Vgl. Terry Pinkard, The Logic of Hegel’s Logic, in: Journal of the History of Philosophy 17 (1979), S. 417–435. 83 Ebd., S. 428. 84 Ebd., S. 419. 82
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reinen Vernunft relational seien und ein einheitliches und selbständiges Regelsystem ausmachen. Hegels Logik ziele darauf ab, dass das System der Grundsätze der reinen Vernunft ähnlich wie das Schachspiel strukturiert sei: Jede Schachfigur sei nichts Anderes als eine Regel, welche gewisse Schachzüge erlaubt oder verbietet, doch am Ende ist jede Figur ausschließlich durch ihre Verhältnisse zu den anderen konstituiert, was im logischen Bereich bedeute, jeder Begriff der Vernunft stelle eine Regel dar, die insofern Gültigkeit und Legitimität habe, als sie normativ auf andere Begriffe verweist. Sowohl das Schachspiel als auch die Rationalität erscheinen demnach als holistische Regelsysteme, aber die Rationalität sei absolut selbständig. Daher wäre die Darstellung der Grundsätze der Vernunft oder die Kategorientheorie nicht bloß deskriptiv, sondern auch, wie Klaus Hartmann behauptete, normativ und „rekonstruktiv“85, denn es gehe darum, die Legitimität der Begriffe durch den Beweis ihrer Relationalität und ihrer Zugehörigkeit zu einem selbständigen System zu versichern. Es fällt auf, dass diese Interpretation Begriffe mit Regeln gleichsetzt: Ein Begriff sei eine Art Regel, die uns erlaubt oder verbietet, auf gewisse Weise zu denken, d.h. andere Begriffe zu verwenden. Die Begriffe seien demnach Inferenzregeln. Dies setzt ein holistisches Verständnis der Rationalität voraus, wobei jeder Begriff nur in seinem normativen Verweis auf andere Bestand hätte.86 All dies wird Klaus Hartmann, Hegel: A non-metaphysical view, in: A. McIntyre (Hg.), Hegel: A Collection of Critical Essays, Notre Dame/London 1972, S. 105. Genauer heißt „Rekonstruktion“, dass die neuen Kategorien zwar aus den vorherigen zu deduzieren sind, doch gleichzeitig werden diese vorherigen Denkbestimmungen durch die neuen Kategorien radikalisiert und vertieft, d.h., rekonstruiert. Wenn ich verstehe, dass aus dem Begriff A die Kategorie B folgt, dann betrachte ich A anders als vorher und habe darüber etwas entdeckt. 86 Die Tätigkeiten, die die Entfaltung der Rationalität darstellen, seien nach Auffassung von Brandom das Urteilen (judgement) und das Handeln (action). Diese Tätigkeiten lassen sich jedoch als normative Aktivitäten verstehen, da beim Urteilen und Handeln die Menschen notwendigerweise verschiedene Regeln einhalten. Vgl. Robert Brandom, Tales of the mighty Dead. Historical Essays in the Metaphysics of intentionality, London 2002, S. 212: „So the genus of which both judgement and action are species is 85
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in der Lesart von Robert Brandom paradigmatisch hervorgehoben, aber anders als im Vergleich zu Pippin, McDowell und Pinkard liegt für Brandom der Ursprung des holistischen Systems der Rationalität in der sozialen Praxis und in den Anerkennungsverhältnissen.87 Denn jeder Begriff unserer Rationalität würde zwar durch normative Zusammenhänge zu anderen Begriffen konstituiert werden, doch beruhen diese normativen Beziehungen auf Anerkennungsverhältnissen zwischen den Individuen. Einen Begriff zu verstehen, d.h., die ihm zugrunde liegende Regel zu befolgen, heißt, zu anderen Menschen eine Beziehung durch ihre Anerkennung zu knüpfen. Rationalität und soziale Interaktion seien zwei Seiten derselben Medaille, woraus folge, dass Idealismus und Pragmatismus als zwei komplementäre Perspektiven desselben Phänomens verstanden werden sollten. In der Tat besagt der Pragmatismus, dass die Bedeutung der Begriffe in ihrer sozialen Verwendung liege88, während der Idealismus die Meinung vertritt, dass einerseits die Begriffe ein selbständiges System darstellen würden und dass andererseits dieses selbständige System mit dem Ich zu identifizieren sei. Was Brandom dazu behauptet ist, dass das Ich sich innerhalb der Gesellschaft und der Anerkennungsverhältnisse herausbilde: Das Ich sei keine Substanz, sondern Resultat dieser Verhältnisse. Um Ich zu werden, muss man die Autorität der Anderen akzeptieren und somit die in einer Gemeinschaft vorhandenen Inferenzregeln einhalten. Wenn aber das System der Begriffe für den Idealismus das Ich sei und sich letzteres innerhalb der Anerkennungsverhältnisse herausbilde, dann koinzidiere unsere Rationalität mit der sozialen Praxis, und unsere Vernunft wäre nicht statisch, sondern befände sich ständig im hisunderstood as the activity of applying concepts: producing acts the correctness or incorrectness of which is determined by the rule or the norm by which one has implicitly bound oneself in performing that act.“ 87 Vgl. Robert Brandom, Tales of the Mighty Dead, a.a.O., S. 216: „The practical attitude of taking or treating something as able to undertake commitments and be responsible for its doings – in the sense articulated by concepts, that is, in the sense in which at least part of what one is committed or responsible for is being able to give reasons – Hegel calls recognition [Anerkennung].“ 88 Ebd., S. 210: „The pragmatist thesis […] is that the use of concepts determines their content, that is, that concepts can have no content apart from that conferred on them by their use.“
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torischen Prozess der Selbstkritik.89 Kurzum: Ist das Ich gesellschaftlich zu erklären, dann kann unsere Rationalität durch eine pragmatistisch-idealistische Theorie erläutert werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Annahmen dieses dritten Paradigmas die Folgenden sind: (1) „Metaphysik“ bedeutet für diese Lesart eine nicht-transzendentale Untersuchung der Denkbestimmungen, d.h. eine Analyse, die im Voraus annimmt, dass diese Begriffe objektive Seinskategorien seien. (2) Aus diesem Grund erscheint die Metaphysikkritik für diese Deutung als die Rekonstruktion der Denkbestimmungen innerhalb einer systematischen Theorie des Bewusstseins. Indem man die systematische Verknüpfung zwischen den Denkbestimmungen zeigt, erweisen sich viele der Meinungen, Urteile und Probleme der Metaphysik als sinnlos, denn diese metaphysischen Ansätze würden aus nicht-autorisierten Schlussfolgerungen entstehen. (3) Die Art und Weise, wie Hegel auf die kantische Herausforderung antwortet, bestehe in einer Radikalisierung des transzendentalen Idealismus, nämlich in der These, dass die Welt an sich konzeptualisierbar sei, ohne dass dies bedeuten würde, dass es eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen den Denkbestimmungen und den ontologischen Strukturen der Wirklichkeit geben muss. Ich werde in dieser Studie argumentieren, dass diese Lesart nicht berücksichtigt, dass Hegel doch den Anspruch hat, eine Theorie des Absoluten darzustellen. Anders formuliert: Die Logik ist gerade nicht eine Logik der transzendentalen Subjektivität, oder eine semantische Beschäftigung mit Bedeutungsbedingungen, sondern eine Logik der Einheit zwischen Subjekt und Objekt, eine Logik desjenigen Raumes oder Bereiches, in denen das Subjekt und Objekt ursprünglich auftauchen und in denen beide sogar unterschieden werden können. Wie ich später aufzeigen werde, besteht genau Dieser Prozess ist für Brandom dem englischen Common Law ähnlich. Ebd., S. 13: „Common law differs from statutory law in that all there is to settle the boundaries of applicability of the concepts it employs is the record of actually decided cases that can serve as precedents. […] A judge justifies her decision in a particular case by rationalizing it in the light of a reading of that tradition, by so selecting and emphasizing particular prior decisions as precedential that a norm emerges as an implicit lesson.“ 89
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darin Hegels Argument gegen jede Entgegensetzung von Subjektivität und Objektivität: Die dualistische Aussage, laut der es einen Hiatus zwischen Subjekt und Objekt gebe, setzt doch unabdingbar eine Behauptung bezüglich des logischen Raums voraus, in dem Subjekt und Objekt erscheinen. Der Dualismus präsupponiert seine eigene Überwindung und der Gedanke der Trennung zwischen Subjekt und Objekt ist selbstwidersprüchlich, denn diese Idee verlangt es, etwas Objektives über die Natur der Gegenstände zu sagen. Gerade diese Selbstwidersprüchlichkeit des Dualismus zwischen Subjektivität und Objektivität, erlaubt uns laut Hegel, eine Philosophie des Absoluten zu entwickeln. Doch, wie schon angedeutet, muss diese Philosophie des Absoluten reflexiv sein, was bedeutet, dass das Absolute nicht nur als Einheit zwischen Subjekt und Objekt aufzufassen ist, sondern als sich-wissende Einheit zwischen Subjekt und Objekt. Die reflexive Philosophie des Absoluten ist zwar eine Philosophie des Denkens und der Subjektivität, jedoch wird dabei die Subjektivität nicht der objektiven Welt gegenübergestellt, sondern wird eine sich-wissende Einheit von Subjekt und Objekt konzipiert, d.h. eine reine Selbstdarlegung des Absoluten im irreduziblen Modus seiner Selbstreflexion. Meiner Meinung nach wird das Problem der reflexiven Theorie des Absoluten auch nicht in den neuesten Arbeiten berücksichtigt, die den metaphysischen Charakter Hegels Logik verteidigen, ohne diese unbedingt als vorkantische Ontotheologie abzustempeln. Ich beziehe mich insbesondere auf Robert Sterns und James Kreines‘ Beiträge. Ich bin zwar mit diesen Deutungen teilweise einverstanden, vor allem was die Absicht anbelangt, Hegels Logik sowohl von Kant als auch von der vorkritischen Metaphysik zu trennen, allerdings scheint es mir, dass diese Lesarten manche Argumente außer Acht lassen, um diese Trennung erfolgreich zu etablieren. iv. Die Wissenschaft der Logik als nicht-ontotheologische Metaphysik Eine der unbestreitbaren Stärken von Robert Sterns90 Deutung ist meines Erachtens, dass diese ein Plädoyer für den metaphysischen 90
Robert Stern, Hegelian Metaphysics, New York 2009.
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Charakter der Logik Hegels beinhaltet, ohne dabei zu behaupten, dass die hegelsche Philosophie bloß vorkantische Metaphysik sei. Sterns Strategie besteht darin, die kantischen Einwände gegen die Metaphysik zu relativieren: Kants Vorwürfe beträfen nur gewisse Aspekte der Metaphysik und nicht das metaphysische Projekt im Allgemeinen.91 Zum Beispiel stimme Hegel mit der kritischen Aussage überein, dass die angeblich rationalen Argumente zugunsten der Existenz der unsterblichen Seele keinen Wert hätten, da sie eine Betrachtung der Seele als ein Ding voraussetzen.92 Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir die Metaphysik, d.h. die Erkenntnis des Seins als solchen, im Ganzen beiseitelassen müssen. Der Grund dafür, behauptet Stern, ist, dass für Hegel jede Aussage oder jeder Gedanke metaphysische Annahmen aller Arten implizieren.93 Sogar, so argumentiert Stern, sei selbst die kantische Distinktion zwischen Phänomen und Ding an sich eine metaphysische Stellung, die eine weitere Verdeutlichung verlange.94 Doch jeder Ansatz dazu sei für die kantische Philosophie ein Widerspruch, denn dies setze voraus, über die Grenze der Vernunft hinauszugehen. Folglich präsupponiert die Etablierung der Grenze der Vernunft durch den Unterschied von Phänomen und Ding an sich die operative Überwindung dieser Grenze. Daher gebe es keinen Unterschied zwischen den Strukturen des Seins und denen der Intelligibilität.95 Nun verteidigt Stern die These, dass Hegel einen holistischen Idealismus basierend auf einer realistischen Lehre der Allgemeinheiten verfechte, eine Lehre, die den Begriff der Substanz-Allgemeinheit vorschlage und demnach besage, dass die Allgemeinheit die Substanz des Einzelnen ausmache.96 So bezeichnet der holistische Idealismus die Ansicht, dass die endlichen Dinge kein ontologisches Bestehen in sich, sondern nur in seiner Zugehörigkeit zu einem Ganzen haben. Feind des so verstandenen Idealismus sei nicht gerade der Realismus, sondern vielmehr der Atomismus und Ebd., S. 13 f. TWA 8, § 34, S. 100. 93 Vgl. Robert Stern, Hegelian Metaphysics, a.a.O., S. 4. 94 Vgl. ebd., S. 17. 95 Ebd., S. 35 ff. 96 Vgl. Robert Stern, Hegel, Kant and the structure of the Object, London/New York 1990, S. 73 ff. 91 92
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der Nominalismus. Für den holistischen Idealismus existiere kein Ding, das unabhängig von anderen wäre, sondern alle Dinge formen durch reziproke Verhältnisse eine allgemeine, organische Einheit. Doch laut Stern sei diese Einheit nicht unbedingt die Substanz Spinozas, sondern vielmehr die Naturgattungen. Diese Gattungen innerhalb der Natur kommen als Substanz-Allgemeinheiten oder als konkrete Allgemeinheiten vor. Es handele sich um „SubstanzAllgemeinheiten“97, denn, wenn man z.B. behauptet, ein Hund sei ein Tier und somit die Animalität, stellt das Tier-Sein kein Prädikat dar, das man einem unbestimmten Substrat beilegt, sondern eben dasjenige bezeichnet, was der Hund sei. Der Hund sei kein gleichgültiges Substrat, welches die Eigenschaft trägt, Tier zu sein, sondern er sei Animalität. Die Animalität als organische Einheit ist Subjekt, Substanz, das Sein des Hundes. Demnach sei die Allgemeinheit keine mentale, subjektive Konstruktion, sondern man sollte sie, der Tradition bei Aristoteles und Duns Scotus folgend, als Allgemeinheit in re verstehen.98 Die Substanz-Allgemeinheit präsentiere keine platonische Allgemeinheit, die unabhängig von den einzelnen Dingen ontologisches Bestehen hat, sondern sie bezeichne vielmehr eine organische Einheit, in der sich diese einzelnen Dinge zueinander verhalten und miteinander interagieren. Auf diese Weise besteht laut Stern die metaphysische These Hegels darin, das Sein als Substanz-Allgemeinheiten oder konkrete Universale aufzufassen. Gerade diese konkreten und substanziellen Allgemeinheiten seien die Garantie dafür, dass unsere Begriffe rational und in der Lage sind, das Sein der Wirklichkeit an sich zu erfassen. Ähnlich wie Stern deutet James Kreines in seinem Buch Reason in the World das Projekt der Wissenschaft der Logik.99 Genauso wie Stern, setzt sich Kreines für einen metaphysischen Hegel ein, der jedoch kein dogmatischer Vorkantianer sei. Dieser Lesart zufolge Robert Stern, Hegel, British Idealism and the Curious Case of the Concrete Universal, in: British Journal for the History of Philosophy 15 (2007), S. 115–153, hier S. 132. 98 Dazu vgl. Paniel Reyes Cárdenas, Contemporary hegelian Scholarship: On Robert Stern’s holistic reading of Hegel, in: Tópicos, Revista de Filosofía 50 (2016), S. 123–149. 99 James Kreines, Reason in the World. Hegel’s Metaphysics and Its philosophical Appeal, New York 2015. 97
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stelle die Logik eine Metaphysik der Erklärung dar und beinhalte somit die Antwort auf die Frage, warum die Dinge so sind, wie sie sind.100 Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass andere wissenschaftliche und empirische Antworten auf diese Frage keinen Wert hätten. Das Ziel der Metaphysik der Erklärung sei es nicht, mit der empirischen Wissenschaft auf derselben Ebene zu konkurrieren, sondern sich von einer philosophischen Perspektive aus danach zu fragen, ob die wissenschaftlichen Explikationen eigentlich die Daseinsberechtigung der Dinge ans Licht bringen.101 Diesbezüglich lautet Kreines These, dass dasjenige, was das Sein der Dinge erklärt, ihr Begriff sei.102 Weder das Naturgesetz noch die Mechanismen und noch weniger die vorkritische Hypothese des ontologischen Monismus, welche ein alles in sich beinhaltendes Substrat postuliert, gälten als richtige Erklärungen für das Sein der Dinge. In der Tat sei der Mechanismus ein den Dingen äußerliches Verhältnis, d.h. die Dinge existieren dabei vor und unabhängig vom mechanistischen Zusammenhang. Zum Beispiel können die Uhrenteile unabhängig von ihren mechanischen Verknüpfungen zu anderen Teilen bestehen. Das mechanistische Weltbild impliziere, dass alles gegenüber allem gleichgültig ist und es keinen Grund in der Welt gebe, da letztere nur ein Aggregat von unabhängigen und indifferenten Gegenständen sei.103 Kreines behauptet, dass Hegel den Mechanismus nicht gänzlich beiseitelasse, sondern vielmehr seinen Gültigkeitsbereich begrenze, indem er zeige, dass ein absolutes, mechanistisches Weltbild unmöglich sei, denn sogar die Naturwissenschaft selbst setze voraus, dass es z.B. Partikel als allgemeine Gattungen und Arten von Gegenständen gibt.104 Die Wissenschaft gibt folglich zu, Ebd., S. 2 f. Ebd., S. 7. 102 Ebd., S. 22. 103 Ebd., S. 46. 104 Ebd., S. 39. „It is true that we can now explain the dissolution of salt in water in terms of electrons and protons and the underlying structure. So we do not for this purpose need to recognize salt and water as natural kinds, with inherent natures characterized by powers and dispositions. But note that the burden in such explanation is now being undertaken entirely by the underlying parts; we are still carving out a kind or concept (kinds or concepts of particles, or charges) in terms of what that kind of thing does (attracting opposites and repelling likes).“ 100 101
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dass wirkliche Begriffe, d.h. inkarnierte Allgemeinheit existieren, die als Gründe dafür fungieren, warum die Dinge so sind, wie sie sind und das tun, was sie tun. Kreines zufolge entdecke Hegel, dass der inkarnierte Begriff eine logische Voraussetzung des Mechanismus sei: Ohne Begriffe gebe es weder mechanistische Erklärungen noch die Möglichkeit, Naturgesetze zu etablieren. Dementsprechend sei die Kausalität nicht der einzige Grund der Dinge, sondern man kann Platz für teleologische Erklärungen schaffen, d.h. für die Aussagen, dass ein Ding so ist, wie es ist aufgrund eines allgemeinen Begriffes, der dem Ding innewohnt. Genauso wie Stern vertritt Kreines die Lesart einen ontologischen Realismus der Begriffe, nicht platonisch, sondern aristotelisch. Doch Kreines verteidigt anhand dieses ontologischen Realismus der Begriffe die These, dass der Mensch oder die Subjektivität der vollkommenste Grund seien. Die Subjektivität sei auch eine Naturgattung, jedoch eine, deren Allgemeinheit darin bestehe, sich selbst als Gattung zu wissen.105 Der Grund der Subjektivität ist auch ein Begriff, eine inkarnierte Allgemeinheit, aber ein Begriff für sich, d.h. Freiheit. Damit reformuliere Hegel die Absicht der vorkritischen Metaphysik: es gehe nicht darum, den Grund der Welt zu suchen, sondern die Existenz der Vernunft, d.h. der Allgemeinheit in der Welt erklären zu können. Anders gesagt: es gehe nicht darum, ein Prinzip herauszufinden, aus dem alles, was es gibt, hervorgeht. Sondern darum, zu beweisen, dass die Begriffe und Naturgattungen als wirkliche und konsistente Explanans fungieren können, und zudem, dass eine dieser Naturgattungen die Verwirklichung eines selbständigen Grundes darstelle, da sie sich als sich-wissende Gattung erweist. In diesem Zusammenhang kann man nun die Annahmen dieser Lesart explizit machen: (1) Unter „Metaphysik“ im positiven und nicht pejorativen Sinne wird die These eines aristotelischen Realismus der Begriffe verstanden, die die Existenz der in den einzelnen Dingen inkarnierten Begriffe verteidigt. (2) Hegels Metaphysikkritik ist punktuell, richte sich gegen gewisse Ansätze oder Systeme der vorkantischen Metaphysik, nicht aber gegen die Metaphysik im Allgemeinen als philosophisches Projekt der Beschreibung des Seins 105
Ebd., S. 221.
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als solches. (3) Hegels Antwort auf die kantische Herausforderung bestehe darin, den kritischen Umfang der Kritik Kants an der Metaphysik einzuschränken und so eine Untersuchung des Seins mit einem robusteren Begriffsrahmen zu ermöglichen. Diese Untersuchung bietet bessere Lösungen für die Probleme an, die Kant selbst durch die Transzendentalphilosophie abhandeln möchte, wie z.B. die Einheit des Gegenstandes (Stern) oder die selbstbedingenden Gründe und das Konzept der Freiheit (Kreines). Trotz einiger punktueller Meinungsverschiedenheiten, die ich in dieser Studie darlegen werde, ist meine Grundthese nicht mit dem Ansatz inkompatibel, dass Hegel einen Realismus der Begriffe verteidige, allerdings geht sie darüber hinaus, da sie die Logik als reflexive Theorie des Absoluten betrachtet. Ich stimme vor allem nicht der dritten (3) Annahme zu, denn die Grundthese dieser Arbeit lautet, dass Hegels Antwort auf die kantische Herausforderung darin besteht, das Problem der Reflexivität in die Theorie des Absoluten einzuführen. Wie ich noch genauer in dieser Studie zeigen werde, sollte sich eine reflexive Theorie des Absoluten nicht nur mit der Frage des Realismus der Begriffe beschäftigen, sondern grundsätzlich mit der Frage, wie man ein ontologisches Kontinuum zwischen Sein und Denken verteidigt, ohne in den Naturalismus oder in Spinozas Monismus zu verfallen. Denn diese Optionen für Hegel präsentieren keine erfolgreiche Lösung für das Problem und die Herausforderung der Reflexivität.
C. Aufriss der vorliegenden Studie Diese Arbeit besteht aus sechs Kapiteln. Im ersten Kapitel werden die Fragen beantwortet, was genau Hegel unter „Metaphysik“ versteht und warum diese mit der Logik „zusammenfällt“. Dazu werden die §§19–24 des Vorbegriffs der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften rekonstruiert. Doch im Unterschied zu den gewöhnlichen Herangehensweisen, die die Literatur der Hegel-Forschung dominieren, werde ich mich weder mit dem Platz des Vorbegriffs im hegelschen System noch mit seiner Rolle als Einleitung beschäftigen, sondern vielmehr damit, die Bedeutung des Terminus Metaphysik zu ergründen. Ich verteidige darin die folgende These: die Ko-
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inzidenz zwischen Logik und Metaphysik ist das notwendige Ergebnis einer nicht-formalen Konzeption des Denkens, die Hegel in §§19–24 des Vorbegriffs rechtfertigt. Eine nicht-formale Konzeption des Denkens drückt sich in der schon genannten „Objektivitätsfähigkeitsthese“ aus, d.i. im Ansatz, dass das Denken, anstatt das Vermögen eines der Welt entgegengesetzten Subjektes zu bezeichnen, derjenige Raum ist, in dem die Gegenstände in ihrer Objektivität und Faktizität erscheinen können müssen. Wenn das der Fall ist, dann ist der Subjekt-Objekt-Dualismus eine inkonsistente, philosophische Stellung. Im Licht des Kontinuums zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Sein und Denken muss uns eine Wissenschaft des Denkens – wie die Logik – etwas über die Natur der Dinge sagen können, die keine Gedanken sind, und insofern fällt sie mit der Metaphysik zusammen. Im zweiten Kapitel wird die Frage beantwortet, warum Hegel die Metaphysik kritisiert, obwohl er behauptet, dass seine Logik mit ihr zusammenfällt. Dort verteidige ich die folgende Ansicht: Aufgrund der „Objektivitätsfähigkeitsthese“ entwickelt Hegel einen meta-metaphysischen Imperativ der Reflexivität. Jede Theorie des Absoluten ist verpflichtet, das Denken, welches das Absolute betrachtet, in diesem auf konsistente Weise zu inkludieren, d.h., die Theorie muss reflexiv sein. Diesen Imperativ der Reflexivität zu ignorieren, ist für Hegel der Irrtum der vorkantischen Metaphysik. Um dies zu erläutern, beschäftige ich mich mit dem Text der Metaphysik als „erste Stellung des Gedankens zur Objektivität“. Im Zusammenhang damit behaupte ich, dass Hegel der vorkantischen Metaphysik vorwirft, das Absolute nur als ein Gegenstand des Denkens abzuhandeln und eine nicht-reflexive Theorie des Absoluten zu sein, die drei unlösbare Probleme angehen muss. Erstens das Problem der Externalität des Denkens bezüglich des Absoluten: Ist das Absolute einfach ein Gegenstand des Denkens, dann ist ersteres per definitionem vom zweiten verschieden, was zu Schwierigkeiten in Bezug auf den Imperativ der Reflexivität führt. Zweitens das Problem der inkonsistenten Auffassung der Unendlichkeit: Die Definition des Absoluten als Gegenstand des Denkens hat zur Folge, dass das Absolute qua Gegenstand des Denkens sich von ihm unterscheidet, d.h., dass sich das Absolute auf der reflexiven Beobachtungsebene doch als endlich erweist. Drittens das Problem des Teufelskreises beim
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prädikativen Denken des Absoluten: Da für die Metaphysik das Absolute nur ein Gegenstand des Denkens ist, beruft sie sich akritisch auf die logische Form des Urteils, nämlich auf die Vorstellung eines Substrates, dem man verschiedene Eigenschaften beilegt, um seinen absoluten Charakter zu versichern. Dieses Verfahren ist jedoch inkonsistent: Vor der Prädikation weiß man nicht, was das Absolute ist, aber gleichzeitig präsupponieren alle Prädikationen das Vorhandensein eines Substrates. Die Prädikation verlangt es, im Voraus zu definieren, auf welches Substrat wir uns beziehen, doch ohne die Prädikationen können wir nichts von diesem Substrat erfahren oder gar etwas von ihm wissen. In den folgenden vier Kapiteln setze ich mich mit ausgewählten Abschnitten der Wissenschaft der Logik auseinander, um zu zeigen, wie Hegel eine Metaphysik darstellt, die mit dem meta-metaphysischen Imperativ der Reflexivität kompatibel ist. Die Grundthese, die ich in diesen Kapiteln verteidige, lautet, dass Hegel ein logischontologisches Kontinuum zwischen Sein und Denken verteidigt, ohne in den Naturalismus oder in Spinozas Monismus zu verfallen, da diese Stellungen den meta-metaphysischen Imperativ der Reflexivität ignorieren würden. Diese Grundthese entfaltet sich wie folgt: Im dritten Kapitel rekonstruiere ich entsprechende Abschnitte der Seinslehre (bis zum Begriff der wahren Unendlichkeit). Darin berücksichtige ich die Argumente, anhand derer Hegel eine relationale Theorie der Spezifizität aufstellt, die nicht mit Substraten oder identitären Annahmen rechnet. Dies erlaubt die Kritik an verschiedenen in der vorkantischen Metaphysik vorhandenen Konzeptionen des Absoluten und ermöglicht es ebenfalls, die These zu verteidigen, dass die „wahrhafte Unendlichkeit“ als Grundbestimmung des Absoluten auf eine logisch-prozesshafte Form referiert, die sich in jedem endlichen Inhalt manifestiert und nur in dieser Manifestation im Endlichen ontologisches Bestehen hat.106 Diese logisch-prozesshafte Form bezeichnet genau die Form der Beziehung auf Anderes als Quelle der Spezifizität und Identität der endlichen Inhalte. So ist Wie schon erläutert, verteidigt Thomas S. Hoffman auch die These der Logik als eine Wissenschaft der „absoluten Form“, die als logisches Individuationsprinzip auftritt und so auf kein besonderes Ding oder keine besondere Entität verweist. Vgl., Thomas S. Hoffmann, Die Absolute Form, a.a.O. 106
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die wahrhafte Unendlichkeit kein Substrat noch ein „Etwas“, dem man das Prädikat der Endlichkeit zukommen lässt; es geht nicht um eine kosmologische oder theologische Unendlichkeit, in der das Universum oder Gott als unendliche Wesen erscheinen. Vielmehr soll man unter „wahrhafter Unendlichkeit“ die logische Form der Beziehung auf Anderes als Quelle der Spezifizität überhaupt verstehen. Alle endlichen Inhalte tragen demnach diese Form in sich, wobei die Form unendlich ist, aber gleichzeitig ist sie nicht unabhängig von den endlichen Dingen, weshalb die unendliche Form der Endlichkeit nicht gegenübersteht. Diese Konzeption versöhnt das Endliche und das Unendliche, die Identität mit dem Unterschied. Im vierten Kapitel konzentriere ich mich auf das erste Kapitel der Wesenslehre, und zwar „der Schein“, um die These zu verteidigen, dass der Ansatz der logischen Form, laut dem die Bestimmung jedes Inhaltes auf der Beziehung auf Anderes beruht, sowohl die fundamentalistischen Hierarchien zwischen Schein und Wesen, als auch den ontologischen Dualismus von Subjekt und Objekt widerlegt. In der Tat ist zwar die logische Form Fundament der spezifischen Inhalte überhaupt, aber stellt sie kein Wesen dar, welches hinter oder jenseits dieser Inhalte liegt. Es handelt sich vielmehr um eine Form, deren Formalität darin besteht, sich zur Existenz zu machen und als Inhalt zu erscheinen. Denn jeder spezifische Inhalt ist Beziehung auf Anderes und deshalb ist die Beziehung auf Anderes als solches, als logische Form in jedem Inhalt immanent vorhanden und hat nur darin ontologisches Bestehen. Demzufolge ist jede Unterscheidung zwischen Inhalten – oder jede Bestimmtheit – nichts Anderes als der Verlauf eines logischen Prozesses oder die Tätigkeit einer logischen Form, deren operationale Struktur die selbstbezügliche Negativität ist. Anders ausgedrückt: In den Inhalten A und B ist die logische Form anwesend, denn sowohl A als auch B sind das, was sie sind, aufgrund der Beziehung auf Anderes; A und B sind beide Beziehung auf Anderes. Doch die Beziehung auf Anderes, als logische Form der Spezifizität verstanden, erscheint auf differenzierte Weise jeweils als A und B. Wir haben deswegen mit einer Struktur zu tun, die sich zwar in A und B wiederholt, aber deren Repetition und Iteration ständige Selbstausdifferenzierung ist. Dies ist der Sinn der „sich auf sich beziehenden Negativität“. Was jedoch den Dualismus von Subjekt und Objekt angeht, zeigt dieser
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Gedanke, dass jede Einschränkung der Gültigkeit der logischen Form selbstwidersprüchlich ist, weil dabei dieselbe Form als Bedingung der Möglichkeit für jeden Unterschied und somit für jede Einschränkungsoperation vorausgesetzt wird. Der schon genannte Dualismus wäre ein Versuch, die logische Form einzuschränken, wobei ihm eine inkonsistente Stellung innewohnt. Im fünften Kapitel rekonstruiere ich den dritten Abschnitt der Wesenslehre, und zwar die Wirklichkeit. Dabei vertrete ich die Ansicht, dass Hegel die logische Form, d.h., die Beziehung auf Anderes als Fundament der Spezifizität, mit der Wirklichkeit identifiziert: Was wirklich ist, wird durch die logische Form belebt und so wird diese Form zum Absoluten. Die logische Form ist das Wesen und Fundament der Spezifizität, aber es handelt sich um ein Wesen, das erscheinen und zur Existenz werden muss. Die Existenz, die mit der wirkenden Entfaltung der logischen Form koinzidiert oder deren lebendiger und aktueller Inhalt als Beziehung auf Anderes gedacht werden muss, ist demnach die Wirklichkeit. Doch diese Idee muss auf drei philosophische Gedankengänge eingehen, für welche die Quelle der Spezifizität und der Wirklichkeit nicht die Beziehung auf Anderes ist: Erstens die Substanz Spinozas, zweitens die modalen Gegensätze zwischen Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit und drittens die Auffassung der Welt als Ensemble aus Kausalzusammenhängen. Aus der Sicht der Substanz Spinozas beruht die Spezifizität auf der reinen Identität und Positivität der Substanz, denn es gibt nichts Anderes als diese; von den modalen Gegensätzen zwischen Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit aus bezeichnet die logische Form nur dasjenige, was möglich ist, und könnte demnach nicht mit der Wirklichkeit identifiziert werden; von der Auffassung der Welt als Ensemble aus Kausalitätsverhältnissen ausgehend, entstammt die Identität der Inhalte entweder einer ersten absoluten Selbstursache, deren Spezifizität nicht auf die Beziehung auf Anderes als logische Form zurückführbar ist, oder einem externen Verhältnis zwischen Substraten, die unabhängig von der Beziehung auf Anderes identifizierbar und bestimmbar sind. Auf diese drei philosophischen Konzeptionen antwortend, beweist Hegel, dass die Begriffe, die diese philosophischen Auffassungen durchdringen, schon relational zu denken sind. Deshalb führt
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die Abwesenheit einer relationalen Perspektive in diesen Gedankengängen zu unlösbaren Widersprüchen nicht nur auf der analytischen, sondern auch auf der meta-metaphysischen Ebene des Imperativs der Reflexivität. Weder die spinozistische Substanz noch die kausale Weltauffassung sind in der Lage, das Denken des Absoluten im Absoluten wirklich zu inkludieren: Laut Hegel erscheint die Distinktion zwischen Substanz und Attribut, die im Wesentlichen zum Gedanken des Absoluten gehört, als eine der Substanz äußere Reflexion, denn die Substanz selbst kann diesen Unterschied weder erzeugen noch erkennen, da dieser vielmehr dadurch entsteht, dass die mens humana das Unendliche nicht wirklich auffassen kann. Ebenfalls lässt die These, dass alles kausal sei, den Gedanken der Kausalität außer Acht, denn die Verknüpfungen zwischen den Begriffen von Ursache und Wirkung, die diesen Gedanken der Kausalität ausmachen, sind nicht kausaler, sondern logischer Natur, weshalb das Denken hinsichtlich der Kausalität erneut als äußere Reflexion auftritt. Im sechsten Kapitel möchte ich den Übergang von der Wesenslehre zur Begriffslehre darlegen und damit die Auffassung vertreten, dass in dieser Transition die Grundstruktur einer reflexiven Theorie des Absoluten präsentiert wird. Indem Hegel immanent die logischen Voraussetzungen des Kausalitätsverhältnisses untersucht und abbaut, findet er heraus, dass der asymmetrische Gegensatz zwischen dem Fundament und dem Begründeten (also in hegelscher Sprache zwischen der „Ursprünglichkeit“ und dem „Gesetztsein“) selbstwidersprüchlich ist. Die Natur der Kausalzusammenhänge ist demnach nicht asymmetrisch, sondern besteht in der „Wechselwirkung“, was zweierlei bedeutet: einerseits existieren die Pole des Kausalitätsverhältnisses nicht unabhängig von ihrer Beziehung auf andere Inhalte, d.h. sie sind keineswegs als Substrate zu erfassen, und andererseits ist jeder Pol des Kausalitätsverhältnisses gleichzeitig aktiv und passiv. Er wird insofern verändert und affiziert, als er seine Macht auf den anderen ausübt. Damit beweist Hegel, dass die Beziehung auf Anderes nicht nur die Quelle jedes spezifischen Inhaltes ist, sondern auch, dass diese Beziehung auf Anderes mit der Selbstveränderung, nämlich mit der Selbstbeziehung logisch koinzidiert. Daher ist die Wirklichkeit, der Dynamismus und der Wandel, die jener charakteristisch sind, die Erscheinung und Entfaltung
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der logischen Form als Wechselwirkung. Die logische Form, und zwar diese notwendige Identität zwischen Beziehung auf Anderes und Selbstbeziehung, die die Wechselwirkung durchdringend, in den wirklichen Inhalten fortbesteht, ist demnach allgemein, denn sie ist jeder Inhalt. Es geht dabei um ein Allgemeines, dessen Allgemeinheit in seiner Singularisierung besteht, d.i. in seinem differenzierten Iterationsprozess, sich zu einem einzelnen Inhalt zu machen. In diesem Zusammenhang möchte ich des Weiteren zeigen, dass für Hegel diese Auffassung des Absoluten als dialektisches Verhältnis zwischen Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes oder zwischen Allgemeinheit und Einzelheit die Voraussetzung einer reflexiven Theorie des Absoluten erfolgreich erfüllt. Denn dabei ist der Gedanke des Absoluten der logischen, absoluten Form nicht extern, sondern kann nur als das Selbstbewusstsein des Absoluten verstanden werden: Das Denken und seine begreifende Tätigkeit ist nicht nur ein spezifischer Inhalt, der von dem dialektischen Verhältnis zwischen allgemeiner absoluten, logischen Form und ihrer Singularisierung durchdrungen ist, sondern auch die sich-wissende logische, absolute Form darstellt. Die Art und Weise, wie die logische Form objektiv operiert, und zwar durch die Hervorhebung und Herausbildung des Einzelnen durch Universalisierung und die Singularisierung des Allgemeinen, koinzidiert mit dem Modus, wie die begreifende, selbstbewusste Tätigkeit der Subjektivität agiert. Dies ist der Fall, weil sich einen Begriff zu machen, bedeutet, das Einzelne durch Universalisierung erscheinen zu lassen und so das Allgemeine als Medium für das Auftreten der Singularität zu bestimmen. Diese Koinzidenz ist laut Hegel weder in Spinozas Werk noch im Falle der Kausalität vorhanden. Unser Denken gehört nicht nur zur Entfaltung der logischen Form, sondern es ist die logische Form in der irreduziblen Modalität ihrer Selbstreflexion.
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1. Hegels Logik als Metaphysik im Vorbegriff der Enzyklopädie Vorbemerkungen Für die Entfaltung des Problems dieser Dissertation ist der Vorbegriff zur Logik der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften von äußerster Wichtigkeit. Der Text beinhaltet nämlich eine terminologische Zweideutigkeit, die auf ein tiefes philosophisches und hermeneutisches Problem hinweist, und zwar auf die Frage, wie eine kritische Diagnose der Metaphysik in Hegels Logik innerhalb eines Systems möglich ist, das sich selbst explizit einen metaphysischen Charakter gibt. Diese Zweideutigkeit könnte im Allgemeinen folgendermaßen rekonstruiert werden: Folgt man der Darstellung der Metaphysik als „erste Stellung des Gedankens zur Objektivität“ 1, besitzt das Wort eine deutlich pejorative Konnotation. Gleichgesetzt mit der Betrachtung der Gegenstände der Sphäre der Vernunft aus der „Verstandesansicht“2, wird sie aus diesem Grund für „dogmatisch“ 3 gehalten. Für Hegel ist der Verstand an dieser Stelle kein Vermögen des menschlichen Geistes4, sondern vielmehr eine Denkweise, die besagt, dass die Eignung und Richtigkeit der Begriffe nur durch das Festhalten von Klassifizierungen und die Aufstellung von fixierten Unterscheidungen zu erreichen sei: Für den Verstand ist ein Begriff TWA 8, §§26–78, S. 93–168. 2 TWA 8, §27, S. 93. 3 TWA 8, §32, S. 98. 4 Zum Unterschied zwischen Verstand und Vernunft in Bezug auf die hegelsche Logik und somit auf das hier erläuterte Thema vgl. Rainer Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik, Hamburg 2001, S. 217 „Verstand und Vernunft sollen im Rahmen dieses Theorems nicht zum Ausdruck bringen, dass die Logik in einer Vermögenspsychologie begründet ist. Verstand und Vernunft sind nach Hegel vielmehr in der Geistlehre als zwei „Tätigkeitsweisen des Geistes“ zu verorten. Der Verstand soll in der Logik vielmehr verdeutlichen, dass logische Bestimmungen zunächst abstrakt und trennend einander gegenüberstellt werden.“ 1
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nur dann präzis, wenn er isoliert und von anderen unterscheidbar ist. Dies, was man fast immer als ein Zeichen der Klarheit des Denkens angesehen hat, ist bei Hegel ziemlich problematisch, da diese Fixierung der Begriffe – um die Grundideen bloß oberflächlich zu skizzieren – zu unlösbaren Paradoxien führt, weil sie den relationalen Hintergrund der Begriffe ohne ausreichende Rechtfertigung ignoriert. Also lässt die Identifikation des Verstandes mit der Metaphysik keinen Raum für Zweifel am pejorativen Gebrauch dieses Terminus innerhalb des Vorbegriffes. Allerdings ist es auch wahr (und das hebt selbst Hegel ohne größeres Zögern hervor), dass seine reife Logik als Denksystem eine metaphysische Berufung hatte. Man kennt schon die Behauptungen der Wissenschaft der Logik, in denen Hegel darauf hinweist, dass die Metaphysik das Allerheiligste des Tempels des Gedankens sei und dass sich die Logik mit den Gedanken Gottes vor der Erschaffung der Welt auseinandersetzen muss.5 Diese Art von Affirmationen befindet sich auch im Vorbegriff der Enzyklopädie: in der Auflage von 1817 lässt sich lesen, dass die Logik „in der wesentlichen Bedeutung spekulativer Philosophie, an die Stelle dessen, was sonst Metaphysik genannt [wurde]“6, trete. Seinerseits besagt der §24 in der Auflage von 1830 sogar auf kategorische Weise, dass die Metaphysik mit der Logik „zusammenfällt“.7 Diese terminologische Zweideutigkeit, die wegen des dazu gehörenden, philosophischen Problems Interesse erregt, hat aber in der zum Vorbegriff vorhandenen Literatur kaum Beachtung gefunden, obwohl die Beziehung Hegels auf die Metaphysik ein sehr 5 „Die Logik ist
sonach als das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen ausdrücken, dass dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist.“ (TWA 6, S. 44). Auch liest man: „Die objektive Logik tritt damit vielmehr an die Stelle der vormaligen Metaphysik, als welche das wissenschaftliche Gebäude über die Welt war, das nur durch Gedanken aufgeführt werden sollte“ (TWA 6, S. 61). In Bezug darauf spricht auch Hegel in der ersten Vorrede von der „logische Wissenschaft, welche die eigentliche Metaphysik oder reine spekulative Philosophie ausmacht“ (TWA 6, S. 16). 6 GW 13, §18, S. 26. 7 TWA 8, §24, S. 81.
Vorbemerkungen
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diskutiertes Thema in der Hegel-Forschung ist.8 Das Interesse der Autoren hat sich weithin nur darauf ausgerichtet, eine mögliche historische Hauptverbindung zwischen den drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität zu ergründen. Diese Weise, auf den Text näher einzugehen, scheint mir jedoch kritisierbar. Nach einem streng historischen Zusammenhang zu suchen, ist in gewissen Maß unfruchtbar, da man damit den Vorbegriff mit einem bloßen Handbuch verwechselt. Rosenkranz 9, der Hegel beschuldigte, dieses propädeutische Ziel nicht erreicht zu haben, nimmt an, dass im Fragment der drei Stellungen eine chronologische Reihe bestehen muss. Dagegen spricht jedoch Hegel selbst, weil er zwischen historischer Dimension und philosophischer Bedeutung der Stellungen des Gedankens zur Objektivität sehr wohl unterscheidet.10 Folglich wird damit zum Ausdruck gebracht, dass diese In seinem Kommentar zum Vorbegriff begreift Andreas Arndt dieses Problem durchaus, fragt sich jedoch nicht nach der zweideutigen Verwendung des Terminus Metaphysik in Hegels Logik. Vgl. Andreas Arndt, Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs, Hamburg 1994. Sein Punkt lautet genau: „Dieses Argumentationsziel ist nicht weniger delikat als das andere, die Kritik der Metaphysik als Rückkehr zu deren Prinzip einsichtig zu machen. In der Konzeption der konkretisierend wiederhergestellten, vermittelten Unmittelbarkeit absoluter Reflexion laufen Kritik der Metaphysik und der Romantik zusammen und konvergieren in der Affirmation ihrer Prinzipien als Resultat des sich begreifenden Denkens.“ (S. 160) 9 Vgl. Karl Rosenkranz, Erläuterungen zu Hegels Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Berlin 1870, S. 9–10. 10 Das wird von Hegel in Bezug auf die erste Stelle des Gedankens zur Objektivität (Metaphysik) besonders betont: „Die Metaphysik ist jedoch nur in Beziehung auf die Geschichte der Philosophie etwas Vormaliges; für sich ist sie überhaupt immer vorhanden, die bloße Verstandesansicht der Vernunftgegenstände“ (TWA 8, §27, S. 93, meine Hervorhebungen). Auch in der Auflage von 1817 behauptet Hegel genau dasselbe, und zwar im §18. Für den Unterschied zwischen philosophischer Bedeutung und einer bloß geschichtlichen Dimension der Stellungen des Gedankens zur Objektivität spricht auch, dass Hegel keine propädeutisch-geschichtliche Einführung in die Philosophie anbieten, sondern den Standpunkt der Logik betrachten möchte, d.h. die ungelösten, philosophischen Probleme darstellen, die man bei anderen Philosophen finden kann, deren Antwort und Klärung die 8
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Hegels Logik als Metaphysik im Vorbegriff der Enzyklopädie
Stellungen des Gedankens einfach deswegen zur Betrachtung kommen, weil sie in jeder Zeit (sogar in der Gegenwart) zu finden sind. In einem Wort: das, was die Stellung des Gedankens ausmacht, ist nicht ihre historische Zugehörigkeit, sondern ihr philosophischer Inhalt und die darauf bezogenen Probleme und Aporien. Wichtiger als die chronologische Folge ist die philosophische Verbindung, um den Text verstehen zu können. In Bezug auf den Vorbegriff befindet sich in der Literatur auch eine Diskussion über den Status des Textes als Einleitung zu Hegels Logik und zu seinem ganzen System, innerhalb dessen die schon genannte Zweideutigkeit keine Erwähnung oder Entwicklung findet.11 hegelsche Logik sein müsste. So heißt es bei Hegel: „Die dem Denken zur Objektivität gegebenen Stellungen sollen als nähere Einleitung, um die Bedeutung und den Standpunkt, welche hier der Logik gegeben ist, zu erläutern und herbeizuführen, nun betrachtet werden.“ (TWA 8, §25, S. 91) 11 Von dieser Perspektive ausgehend, stellt sich die Frage, ob ein Buch wie die Enzyklopädie, welches die Darstellung des ganzen Systems Hegels beinhaltet, einer Einleitung bedarf, wie es in der Phänomenologie des Geistes der Fall ist, d.h. nicht nur eine propädeutische Einleitung, sondern eine, in der die Philosophie und das Denken bereits entfaltet ist. Diese Frage entsteht weithin aus der Arbeit von Hans F. Fulda, der auf diese eine negative Antwort geben würde. Vgl. H. F. Fulda, Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, Frankfurt 1965. Ihm zufolge hat der Vorbegriff keine einleitende Funktion im philosophischen Sinne, da Hegel darin nur eine Menge von historischen Räsonnements gesehen habe und betrachtet hätte (so Fulda), dass die logische Wissenschaft durch die Phänomenologie zu rechtfertigen sei. Dagegen bestehen aber textuelle Beweise, die in der Entwicklung der Diskussion schon gesammelt wurden. Dazu vgl. Sell, Anette, „Der „Vorbegriff“ zu Hegels enzyklopädischer Logik in den Vorlesungsnachschriften“, in: Der „Vorbegriff“ zur Wissenschaft der Logik in der Enzyklopädie von 1830, Freiburg im Breisgau 2010, S. 65–83. Im Briefwechsel mit Karl Daub sagt Hegel z.B., er habe große Schwierigkeiten hinsichtlich des Aufbaus des Vorbegriffes, weil er die Zweideutigkeit besitzt, eine philosophische Einleitung zu sein, die jedoch nicht zur systematischen Philosophie gehört. Da ein solches Problem überhaupt nicht in einer gewöhnlichen, propädeutischen Einleitung vorkommen würde, ist also in diesem Text nicht nur ein propädeutischer Sinn vorhanden, sondern auch die philosophische Aufgabe, die Denkweise des Menschenverstandes zu dem richtigen An-
Vorbemerkungen
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Im Unterschied zu der geschichtlichen Richtung und der Frage nach dem Status des Vorbegriffes im hegelschen System möchte ich hier eine nähere Betrachtung des Textes in Bezug auf die schon genannte terminologische Zweideutigkeit anbieten. Unabhängig davon, ob der Text als Einleitung eine propädeutische oder systematische Rolle spielt, scheint es mir, dass das Ziel des Textes eine Rechtfertigung der Logik als Wissenschaft der Wahrheit ist. Was genau „Logik als Wissenschaft der Wahrheit“ bedeutet, worauf die Plausibilität und die Radikalität dieses Projektes beruht und welcher Sinn des Wortes „Metaphysik“ dabei zugegen ist, darum geht es im ersten Kapitel dieser Dissertation. Im ersten Teil des Kapitels (§1) stelle ich die Argumente dar, anhand derer Hegel die gewöhnliche Definition der Logik als Betrachtung über die Formen der Gültigkeit in Frage stellt. Daraus ergibt sich dasjenige, was ich Objektivitätsfähigkeitsthese nennen möchte, und zwar der Ansatz, dass das Verhältnis von Denken und Wahrheit infallibel ist. Im zweiten Teil (§2) werden die Hinweise Hegels auf die Natur des Denkens rekonstruiert, wobei ich die These vertrete, dass für Hegel das Denken kein subjektives Vermögen, sondern derjenige rationale Sinnraum ist, in dem die Wahrheit erscheinen können muss. Im dritten und letzten Teil (§3) interpretiere ich ausführlicher die Einheit von Logik und Metaphysik, und zwar als Resultat und Konsequenz der schon genannten Objektivitätsfähigkeitsthese.
fangspunkt zu bringen, um zu denken zu beginnen und so ohne Weiteres philosophieren zu können. Dazu ausführlicher: Angelica Nuzzo, Das Problem eines „Vorbegriffes“ in Hegels spekulativer Logik, in: Der „Vorbegriff“ zur Wissenschaft der Logik in der Enzyklopädie von 1830, Freiburg im Breisgau 2010, S. 84–113.
§1. Die Objektivitätsfähigkeitsthese A. Das Verhältnis von Logik und Wahrheit Welcher Zusammenhang besteht zwischen Logik und Wahrheit? Laut gewöhnlicher Betrachtungen, die meist in den Handbüchern der Logik1 vertreten werden, ist das Logische bzw. die formelle Gültigkeit der Argumente vom Wahren zu unterscheiden. Jedoch geht es um einen Unterschied, der nicht verhindert, dass beide Ansichten im spezifischen Fall der schlüssigen Argumentation zusammenlaufen, d.h. wenn ein Argument, auf wahren Prämissen basierend, formal richtig aufgebaut wird. Diese Unterscheidung beruht auf der Idee, dass die Wahrheit eine Eigenschaft der Propositionen, nicht aber der Argumente sei, für deren formelle Struktur die Logik sorgt. Die Argumente sind weder richtig noch falsch, sondern gültig oder ungültig. Folglich gibt es gültige Argumente, die nicht unbedingt schlüssig oder völlig absurd sind, sofern sie auf falschen Propositionen basieren. Gleichzeitig trifft auch das Gegenteil zu: es existieren wahre Aussagen, die zueinander im unrichtigen Verhältnis stehend, ein ungültiges Argument ausmachen. Geht man von solch einer Perspektive aus, scheint die Definition der hegelschen Logik auf den ersten Blick absurd. So erklärt Hegel im ersten Zusatz zu §19, dass der Gegenstand seiner Wissenschaft „die Wahrheit“ sei.2 Bringt Hegel dabei die Wahrheit als Eigenschaft oder Wert der Aussagen, woran die Logik als solche kein Interesse hat, und die Gültigkeit der Argumente, wofür die Logik doch sorgt, durcheinander? In der Entwicklung des Vorbegriffes ist Hegels Antwort auf diesen Einwand wesentlich. Tatsächlich ist gerade die Einbeziehung der Frage, warum die Logik die Wahrheit und nicht nur die Argumentationsgültigkeit als Gegenstand haben muss, der Grund dafür, dass
Vgl. z.B. A. Beckermann, Einführung in die Logik, Berlin/New York, 2011. 2 Vgl. TWA 8, §19, S. 68: „Die erste Frage ist: was ist der Gegenstand unserer Wissenschaft? Die einfachste und verständlichste Antwort auf diese Frage ist die, dass die Wahrheit dieser Gegensand ist.“ 1
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Hegel den Vorbegriff zwischen 1817 und 1830 substanziell modifizierte.3 In der Auflage von 1817 wird in §12 die Logik als Wissenschaft der Wahrheit definiert, in dem Sinne, dass sich der Ausdruck „Gedanke“ nicht auf die logisch-formellen Aspekte der Behauptungen und Argumente bezieht, sondern auf eine Tätigkeit, die fähig ist, sich als die Wahrheit selbst zu erweisen und zu beweisen.4 Anders gesagt: In der hegelschen Logik wird das Denken nicht als die Sphäre der logischen Regeln betrachtet, die weder wahr noch falsch sind, da sie keine Referenz auf Sachverhalte beinhalten. Vielmehr bringt der Gedanke einen Inhalt hervor, der sich schlechthin als Wahrheit zeigt, ohne spätere Anwendung auf empirische Gegenstände. In derselben Auflage bleibt jedoch eine Rechtfertigung für diese Argumentationsweise aus, da die These, dass die Wahrheit den Gegenstand der Logik konstituiert, nur innerhalb der Logik (als Betrachtung des „logischen Ganzen“) zu beweisen sei.5 Danach folgt die schon berühmte Erläuterung der drei Seiten des Logischen in §13–16, und zwar (dies sei nur flüchtig erwähnt) die „abstrakte“ Seite, in der sich die präzise Bedeutung der Denkbestimmungen und Begriffe in ihrer Unterscheidung und ihrer Fixierung befindet, die „dialektische“ Seite, die die Relationalität und gegenseitige Interaktion zwischen diesen Bestimmungen aufzeigt, und die „spekulative“ Seite, die diese Relationalität als eine organische Einheit, als
Die Mehrheit dieser Modifikationen erschien in der Auflage von 1827, die bereits 100 Paragraphen mehr als die Auflage von 1817 hatte. Zur Geschichte dieses Textes vgl. Karen Gloy, Hegels Logik Vorlesung aus dem Jahre 1817, in: Hegel Studien 26 (1991), S. 24–32. 4 „Man kann wohl sagen, dass die Logik die Wissenschaft des Denkens, seiner Bestimmungen und Gesetze sey, aber das Denken ist zunächst die Reine Identität des Wissens mit sich und macht daher nur die allgemeine Bestimmtheit oder das Element aus in der die Idee als logische ist. Idee ist wohl das Denken, aber nicht als formales, sondern als die Totalität seiner eigentümlichen Bestimmungen, die es sich selbst gibt.“ (Enz 1817, GW 13, §12, S. 23.) 5 „Es gilt von den in diesem Vorbegriffe enthaltenen Bestimmungen dasselbe, was von den über der Philosophie überhaupt vorausgeschickten Begriffen gilt, daß sie gleichfalls Anticipationen, oder was dasselbe ist, aus und nach der Uebersicht des Ganzen angegebene Bestimmungen sind.“ (Enz 1817, GW 13, §12, S. 23.) 3
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ein System versteht, wonach jede Bestimmung nur im Verhältnis zum Anderem Inhalt und Bedeutung gewinnt.6 In der Auflage von 1830 steht die These, dass die Logik als Wissenschaft der Wahrheit zu verstehen sei in §19 und die Erläuterung zu den drei Seiten des Logischen erfolgt erst in §79. Das bedeutet, dass Hegel fast 60 Paragraphen hinzugefügt hat, die die erweiterte Passage der „drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität“ (§§26–78)7 und die Erklärung, warum die Logik als Wissenschaft der Wahrheit betrachtet werden muss (§§19–25), beinhalten. Ich verwende den Terminus „Erklärung“ und nicht „Beweis“ im genauen Sinne, denn, wie oben schon erwähnt und wie Hegel selbst behauptet, ist der Beweis dessen, was im Vorbegriff gesagt wird, eine Aufgabe der Wissenschaft der Logik. Unabhängig davon, ob diese Erklärung eine propädeutische oder systematisch-wissenschaftliche Rolle in Bezug auf den Anfangspunkt der Logik spielt, besteht das Ziel dieser Erklärung meiner Meinung nach darin, jemandem, der das Denken für etwas Formelles hält, die Notwendigkeit zu zeigen, die Logik als Wissenschaft der Wahrheit zu konstruieren. Dazu verfolgt Hegel die folgende dreistufige Strategie: Wenn man will, besteht erstens ein Denaturalisierungsprozess der formellen Konzeption des Denkens, welche sowohl die traditionelle Logik als auch den Menschenverstand beherrscht. In dieser ersten Stufe der Strategie weist Hegel darauf hin, dass der Begriff des formellen Denkens zwangsläufig zu unlösbaren Aporien und Paradoxien führt, was Folgendes bedeutet: Dieser Begriff ist weder immun gegen den Skeptizismus noch frei von selbst-zerstörenden Prämissen. Diese Stufe macht also die falschen Voraussetzungen Enz 1817, GW 13, §§13–16. Schon in der Ausgabe von 1817 findet man einen Verweis auf die Metaphysik (§§19–25), den Empirismus (§26) und die kantische Philosophie (§§27–34). Ziel dieser Darstellung ist es, die Notwendigkeit des Aufbaus eines Gedankensystems ohne Voraussetzungen aufzuzeigen. Hegel bezieht sich auf diese Stellungen aus zwei Gründen: 1. Tritt die hegelsche Logik an die Stelle der Metaphysik, muss man zeigen, warum und in welchem Sinne die Metaphysik ersetzt werden soll. 2. Das fordert konsequenterweise eine kritische Betrachtung der vorherigen Versuche, die Metaphysik zu überwinden, d.h., sich zu fragen, ob diese philosophischen Versuche eine wirkliche Kritik an der Metaphysik darstellen und ob die Alternative als eine richtige Aufhebung zu verstehen ist. 6 7
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der gewöhnlichen Betrachtung des Denkens sichtbar. (Dies wird im folgenden Abschnitt (B) behandelt). Zweitens geht es darum, Argumente zugunsten einer Auffassung des Denkens als Raum der Wahrheit zu liefern. Neben der formellen Konzeption des Denkens beherrscht den Common Sense die These, dass der Gedanke nur ein subjektives Vermögen ist, das anderen Vermögen des menschlichen Geistes (wie z.B. der Sinnlichkeit) entgegengesetzt ist. Im Rahmen dieser gewöhnlichen Betrachtung des Denkens stellt sich die Frage, ob dieses die Wahrheit erreichen kann. In dieser zweiten Stufe der hegelschen Strategie der Rechtfertigung der Logik als Wissenschaft der Wahrheit soll gezeigt werden, dass das als subjektives Vermögen vorgestellte Bild des Denkens ein Missverständnis darstellt und auf selbstwidersprüchlichen Annahmen basiert. (Die Entwicklung und Rekonstruktion dieser Argumente machen den §2 aus). Mit dieser doppelten Operation, und zwar die falschen und notwendigen Voraussetzungen der gewöhnlichen Betrachtung des Denkens ans Licht zu bringen, rechtfertigt sich die Notwendigkeit eines metaphysischen (weder epistemologischen noch pragmatischen, noch kantisch-transzendentalen) Zuganges zur Frage der Objektivität, worin die dritte Stufe der Strategie ihrerseits besteht. Damit wird klar, in welchem Sinne Hegel das Wort „Metaphysik“ verwendet, wenn er erklärt, dass diese mit seiner Konzeption der Logik zusammenfällt (dazu §3). B. Die Paradoxien des formellen Denkens Die Leugnung der These, dass die Wahrheit Gegenstand der Logik sei, entsteht aus einer formellen und subjektiven Konzeption des Denkens. Im zweiten Zusatz des §19 übernimmt Hegel es, diese verborgene Voraussetzung der gewöhnlichen Betrachtung des Denkens aufzuzeigen und die diese Annahme begleitende, innere Paradoxie zu enthüllen. Dies kann man der folgenden Behauptung entnehmen: „Dass das Denken der Gegenstand der Logik sei, darüber ist man allgemein einverstanden. Vom Denken aber kann man eine sehr geringe und auch eine sehr hohe Meinung haben.“8 8
TWA 8, §19, S. 69.
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Dieselbe Unterscheidung zwischen den Bedeutungen des Ausdruckes „Gedanken“ gilt auch für die formelle und die hegelsche Logik. Die Logik, die nicht über die Natur des Wahrheitsbegriffes reflektiert, sondern ihn nur als einen gegebenen Inhalt annimmt, und zwar als den Wahrheitswert der Aussagen, den man außerhalb ihres Bereiches schon (voraus)setzt, ist natürlich die Wissenschaft des Denkens als geringes und unbedeutendes Denken. Diese Perspektive des Denkens als etwas Bescheidendes wird von Hegel durch den gewöhnlichen Ausdruck „dies ist nur ein Gedanke“ 9 resümiert. Verwendet jemand diese Expression, so möchte er damit meinen, dass „Gedanke“ auf einen zufälligen Einfall im Kopf eines Menschen verweist, der durch sich selbst keine Realität noch Objektivität besitzt. Genau auf dieser Idee des Gedankens basiere (so Hegel) die traditionelle Logik. Wohl könnte man aber Hegel beschuldigen, das Ziel und die Natur der formellen Logik in solcher Definition karikiert zu haben, besteht doch ein Unterschied zwischen dem Gedanken als „bloß subjektive Tätigkeit“ und demselben in seinem formellen Aspekt. Die Gedanken (erlaubt man hier diesen Ausdruck), für welche die Logik selbst sorgt, sind keine Gedanken, als bloß subjektiver Einfall verstanden, sondern, logische Verbindungen eingehend, sind sie höhere und gehobene Gedanken. Nicht jeder subjektive Einfall ist ein „Gedanke“ innerhalb der Logik, sondern nur diejenige, die durch ein formelles Verfahren schon filtriert worden sind, wodurch sie zumindest gültig sein könnten. Das bedeutet folglich, dass innerhalb der Logik Kriterien für die Legitimität eines Gedankens vorhanden sein müssen, weshalb man wohl zwischen den Gedanken im bloß arbiträren Sinne und den Gedanken, wie sie nach der Logik dargestellt werden, unterscheiden kann. Die Gleichsetzung zwischen formellem und subjektivem Denken jedoch scheint nicht so absurd zu sein, vor allem, wenn man sich nochmal den Unterschied zwischen Gültigkeit und Wahrheit ins Gedächtnis ruft. Ein Argument, welches von den Prämissen (1) alle materiellen Gegenstände werden aus Schokolade gemacht und Vgl. TWA 8, §19, S. 69: „So sagt man einerseits: dies ist nur ein Gedanke, und meint damit, dass der Gedanke nur subjektiv, willkürlich und zufällig, nicht aber die Sache selbst, das Wahre und Wirkliche sei.“ 9
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(2) der Mund ist ja ein materieller Gegenstand ausgehend, konkludiert, dass (3) der Mund aus Schokolade gemacht wird, ist zwar formell gesehen völlig richtig und gültig, jedoch ist es immer noch subjektiv und willkürlich im Sinne des Gedankens als etwas Geringes und Unbedeutendes. Die hegelsche Gleichsetzung zwischen formellem und subjektivem Denken liegt daher darin, dass in beiden Fällen die Wahrheit nicht vom Gedanken selbst abhängt, sondern davon, was außerhalb von ihm steht. Kurzum: sowohl beim formellen als auch im subjektiven Denken ist der Inhalt des Denkens nicht objektiv qua gedachter Inhalt. Gerade dies ist die geringe Bedeutung des Gedankens, die sowohl für den gewöhnlichen Ausdruck „es ist nur ein Gedanke“ als auch für den Begriff des Denkens der formellen Logik gilt: Er ist nicht fähig, die Wahrheit durch sich selbst zu produzieren. An dieser Stelle könnte man zwar die hegelsche Formulierung akzeptieren, laut der das formelle und das subjektive Verständnis des Denkens in Bezug auf die Definition der Wahrheit gleichgesetzt werden, aber nicht mit der Notwendigkeit einverstanden sein, die formelle und subjektive Facette des Gedankens zu überwinden. Den Gedanken von seinem formellen Aspekt zu trennen, das wäre widersinnig! Eine Theorie, die besagt, dass der Gedanke fähig sei, seine Inhalte durch sich selbst objektiv hervorzubringen, würde intuitiv zweierlei bedeuten: (1) dass das Denken in der Lage ist, materielle Gegenstände zu schaffen, was absurd ist und (2) dass alles, was man denkt, unbedingt einfach nur deswegen wahr sein muss, weil man es in der Tat gedacht hat. Dies führt unausweichlich zu der Eliminierung des Unterschiedes zwischen Wahrheit und Falschheit. Selbstverständlich besteht Hegels These nicht darin, dem Denken eine materielle Schaffungsfähigkeit beizulegen, noch jeden subjektiven Einfall schlechthin als Wahrheit zu bezeichnen. Die vorherige Frage bleibt aber immer noch bestehen: Warum ist es notwendig, die formellen Aspekte des Gedankens aufzuheben? Im Texte Hegels lautet die Antwort: „Andererseits kann man aber auch eine hohe Meinung vom Gedanken haben und denselben so fassen, dass nur er allein das Höchste, die Natur Gottes erreicht, und dass mit den Sinnen nichts von Gott zu erkennen sei.“10 10
TWA 8, §19, S. 69–70.
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Interpretiert man diesen Satz ohne detaillierte, hermeneutische Arbeit, dann ist die Antwort auf die Frage, warum wir die formelle Betrachtung des Denkens überwinden müssen, sehr unbefriedigend. Sie wäre nicht mehr als ein theologisches Vorurteil: Mit dem formellen Denken verpassen wir die Gelegenheit, Gott zu erkennen, und deswegen ist es unausweichlich, die Logik in ihrem höheren Sinne zu erfassen. Diese Interpretation erscheint mir unpassend, da sie nicht die philosophische Notwendigkeit aufzeigt, die Logik als Wissenschaft der Wahrheit aufzubauen. Es würde sich um eine Juxtaposition zwischen gewöhnlichem und theologischem Denken handeln, die von der Existenz Gottes als unkritische Voraussetzung ausgeht. Ohne in die alte Debatte zwischen Rechts- und Linkshegelianismus über die Bedeutung Gottes im Werk Hegels zu verfallen, scheint es mir doch, dass das Beispiel Gottes eine ganz andere Rolle im Text spielt, die das mystisch theologische Vorurteil bei weitem übersteigt. Folglich sollte man sich nicht fragen, ob Hegel sich wirklich auf Gott bezieht, sondern vielmehr warum er ihn als Beispiel nimmt. Gott ist hierin wichtig, da „mit den Sinnen nichts von [ihm] zu erkennen sei“.11 Damit hat Hegel also die Absicht, dem Leser zu zeigen, dass in unserem Leben viele bloß gedachte Begriffe bestehen, deren Inhalt nicht durch die Sinne erkennbar und bestimmbar wird, und trotzdem besitzen sie nicht den Status „bloßer Gedanken“, d.h. subjektiv-mentale, willkürliche Einfalle zu sein. Demnach kann man in diesem Bezug das Wort „Gott“ ersetzen und andere Begriffe als Beispiele nehmen, womit man dieselbe Wirkung erzielt und die Existenz eines philosophischen Problems erweisen kann, das wiederum die Entwicklung einer Logik im hegelschen Sinne als einzige mögliche Lösung fordert. Freiheit, Gerechtigkeit, Emanzipation, die Ideen, die wir bezüglich der Würde der Menschen haben, sind nur Begriffe, d.h. etwas nur Gedachtes, und nicht aus diesem Grund betrachten wir ihren Inhalt als etwas Willkürliches und bloß Subjektives. Sogar wenn wir nicht damit einverstanden wären, was Freiheit, Gerechtigkeit oder Gott bedeuten mögen, sieht man in diesen Begriffen doch mehr als einen bloßen und willkürlich subjektiven Ge11
TWA 8, §19, S. 70.
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danken: Wenn sie „nur Gedanken“ wären, würden die darüber stattfindenden Diskussionen zu keiner Polemik führen. Die Auseinandersetzungen über diese Gedanken sind jedoch allgegenwärtig, weil sie Bedeutungen hervorbringen, die auf unser Leben praktische Wirkungen haben und unseren Handlungen häufig erst einen Sinn geben. Auf diese Weise kann sogar die These des moralischen oder politischen Relativismus als mögliche Stellung in die Debatte inkludiert werden, eben weil auch der relativistische Mensch Konzepten wie der Freiheit, der Gerechtigkeit usw. einen begrifflichen Inhalt zuteilwerden lässt, indem er seine These zu rechtfertigen versucht. Auch er nimmt an, um überhaupt darüber debattieren zu können, dass die von ihm vorgeschlagenen Thesen und Argumente akzeptiert werden müssen, weil sie durch das Denken produziert werden. Hegels Punkt ist also, dass in diesen Fällen das Denken sich so darstellt, dass es in der Lage ist, objektive Inhalte hervorzubringen, ohne sich auf empirische Gegenstände oder Tatsachen zu beziehen. Eben diese Interpretation entspricht gerade dem, was Hegel im dritten Zusatz des §19 bezüglich der Notwendigkeit, eine Logik im „höheren Sinne“ zu entwickeln, behauptet: „Das Bedürfnis, die Logik in einem tieferen Sinne als dem der Wissenschaft des bloß formellen Denkens zu erfassen, ist veranlasst durch das Interesse der Religion, des Staats, des Rechts und der Sittlichkeit.“12 Diesem Argument folgend, weist Hegel darauf hin: „[…] indem man so fort dachte, ergab es sich aber, dass die höchsten Verhältnisse im Leben dadurch kompromittiert wurden.“13 Dass durch das Denken der Staat, die Religion und die Institutionen der Gesellschaft kompromittiert werden können, bedeutet aber auch, dass es die Macht besitzt, sie zu rechtfertigen und zu verfechten oder sie zu unterminieren und zu zerstören. Diese „Macht“ heißt in diesem Fall, dass der Gedanke, nur durch sich selbst und von sich selbst ausgehend, objektive Inhalte produziert, die schon weltlich und wirklich sind. Eine Logik „im höheren Sinne“ zu entwickeln, entspricht also der Tatsache, dass ein Bereich in unserem Leben existiert, in dem das Denken die „Macht“ besitzt, objektive Inhalte zu produzieren; eine Tatsache, die in der formellen Konzeption des Denkens igTWA 8, §19, S. 71. 13 Ebd. 12
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noriert wurde und die die Philosophie erklären können muss. Oder besser gesagt: es gibt gewisse Inhalte und Gegenstände in unserem menschlichen Leben, die sich dadurch gestaltet und verändern können, dass wir eine bestimmte Meinung von ihnen haben (z.B. der Staat, das Recht, die Politik, die Freiheit, die Gerechtigkeit usw.). Das, was diese Gegenstände sind, koinzidiert mit dem, was wir über sie denken. Im Bereich dieser Gegenstände fällt die Objektivität des Gegenstandes mit seinem Gedachtsein zusammen. Die formelle Konzeption des Gedankens ist für diesen Bereich blind. Diese Blindheit der formellen Facette des Denkens würde ja genügen, um die Verwirklichung des hegelschen Projektes zu legitimieren, aber Hegel geht noch weiter: die hegelsche Argumentation wäre an dieser Stelle inkomplett, wenn wir die Anmerkungen der ersten Paragraphen der Einleitung zur Wissenschaft der Logik nicht auf diesen Punkt beziehen würden. Vor allem weil es in beiden Texten (der Einleitung und dem Vorbegriff) darum geht, den Unterschied zwischen formeller und spekulativer Logik aufzustellen und die Notwendigkeit der Realisierung letzterer innerhalb der Philosophie ans Licht zu bringen. In den ersten Paragraphen der Einleitung möchte Hegel nicht nur zeigen, dass es einen Bereich in unserem Leben gibt, in dem der Gedanke objektive Inhalte produzieren kann, sondern auch, dass diese Fähigkeit des Gedankens sogar eine notwendige Voraussetzung für die formelle Logik ist. Schon in der Einleitung liest man: „Der bisherige Begriff der Logik beruht auf der im gewöhnlichen Bewusstsein ein für allemal vorausgesetzten Trennung des Inhalts der Erkenntnis und der Form derselben, oder der Wahrheit und der Gewissheit.“14 Was Hegel hier behauptet, ist, dass die Trennung Inhalt/Form, die innerhalb der formellen Logik stattfindet, unbedingt zu einer Separation zwischen Gewissheit und Wahrheit führt. Das hat eine unbequeme, philosophische Stellung zur Folge, leicht durch den Skeptizismus angreifbar, in der man sich zwar einer Sache gewiss sein, aber nicht erklären und beweisen kann, warum das, von dem man Gewissheit hat, in der Tat Wahrheit ist. Gerade dies scheint mit der formellen Logik zu geschehen.
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TWA 6, S. 36.
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Kein Zweifel besteht, dass sich irgendjemand der Gesetze der formellen Logik gewiss ist. Diese Behauptung wird aber oft als Grund dafür angebracht, dass die Grundlagen der Logik wahr seien. Sie seien wahr dadurch, dass jeder sie akzeptiert oder sich ihrer immer gewiss ist. Sogar die raffinierte Argumentation, die darauf hinweist, dass die Grundlagen der Logik nicht zu rechtfertigen seien, sondern nur erklärt werden müssten, da sie eine bestimmte Rolle in unserer Sprache spielen15, setzen immer noch die auf der Gewissheit basierende Antwort auf die Frage nach der Wahrheit voraus: letztere ist das, wovon wir alle Gewissheit haben. Dennoch könnte der Skeptiker diese Stellung leicht scharf attackieren, denn die Tatsache, dass die Personen bislang eine Behauptung als wahr angenommen haben, ist keine Garantie dafür, dass jene Behauptung auch in der Zukunft als wahr angesehen werden wird. Das würde für die
Dieses Argument hat sich z.B. in den Vereinigten Staaten innerhalb der Diskussion der sogenannten „Rechtfertigung der Deduktion“ (Justification of Deduction) entwickelt. Vgl. dazu: Michael Dummett, Truth and other Enigmas, Cambridge 1978. Seiner Meinung nach ist die Frage nach einem Beweis der Deduktion sinnlos, da die Deduktion eine epistemische Rolle in der Bedingung des Denkens spielt. Das bedeutet: auch wenn man nach der Basis und dem Grund der Deduktion fragt, denkt man deduktiv. Deswegen ist die Arbeit der Philosophie, die Deduktion und ihre Rolle im epistemischen Gebrauch zu erklären, nicht sie zu rechtfertigen. Man könnte diesen Unterschied anhand des Beispiels des Lernprozesses von Kindern verdeutlichen: Wenn ein Kind Mathematik lernt, impliziert die Frage „Warum“ nicht die Frage nach dem Fundament der Mathematik oder der Deduktion im Allgemeinen. „Warum“ bedeutet hier vielmehr „Wie“. Mit der Frage „Warum ist 8x4=32?“ möchte das Kind ja nicht das allgemeine Fundament der Mathematik und des deduktiven Denkens finden, sondern nur eine präzise Anwendung der mathematischen Vorgehensweise verstehen. Ein solches Argument wäre eine gute Lösung für dieses Problem allerdings nur unter der Voraussetzung einer anderen Konzeption der Beziehung von Wahrheit und Denken, d.h. nur unter der Idee, dass die Wahrheit vom Gedanken abhängt, da letzterer die Bedingungen der Objektivität überhaupt ermöglicht. Eine bloße Beschreibung dessen, was in unserer Erkenntnis und in unseren gewöhnlichen Argumentation stattfindet, ist diesbezüglich nicht befriedigend. Es setzt nämlich das voraus, was zu beweisen ist; dass die Begriffe und die intellektuellen Werkzeuge, die wir benutzen, um zu erkennen und zu argumentieren, schon gerechtfertigt sind, weshalb die Aufgabe des Philosophen lauten würde, diese Werkzeuge nur zu beschreiben. 15
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Gewissheit der Normalität der Sklaverei, für unsere Konzeption der Ehe und auch für die logischen Gesetze gelten. Unabhängig davon, welche spezifischen Argumente der Skeptiker verwendet, Fakt ist, dass die Strategie, die Wahrheit durch die Gewissheit zu fundamentieren, gegen die Skepsis nicht immun ist. Sie setzt nämlich die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt voraus, die ihrerseits auf die problematische, unüberwindbare Distinktion zwischen Erkenntnis als subjektiver Zustand des Geistes und Wahrheit als objektive Gestaltung der Dinge an sich verweist.16 Genau darin besteht der Grund des Scheiterns der formellen Logik in Bezug auf die Begründung ihrer eigenen Gesetze: Unter der Prämisse, dass der Gedanke nur formell-subjektiv ist und keine Fähigkeit besitzt, objektive Inhalte durch sich selbst zu produzieren, besäßen die logischen Gesetzen keine wahren und objektiven Inhalte, werden sie doch nur durch den Gedanken produziert. Im Raum der formellen Konzeption des Denkens bleiben die logischen Gesetze notwendigerweise von der Wahrheit getrennt. Diese Schwierigkeit sieht man im gescheiterten Versuch, logische Gesetze logisch zu begründen. Es entsteht ein Teufelskreis, da man dasjenige voraussetzt, was zu beweisen ist. Im Prinzip muss man die grundsätzliche Behauptung der formellen Logik (nennen wir sie ‚g‘) die Konklusion eines logisch-gültigen Argumentes ist wahr, wenn und nur wenn die Prämisse desselben wahr sind überhaupt für wahr und richtig halten. Die formelle Logik ist jedoch nicht in der Lage, zu beweisen, dass die Behauptung g tatsächlich wahr ist. Irgendein Argument, das man schon gibt, würde dasjenige, das zu beweisen ist, voraussetzen, und zwar, dass g der Wahrheit entspricht. Da sich jeder Beweis von g um ein Argument handeln würde, kann man die Grundlage jedes Argumentes nicht durch ein Argument fundamentieren.17 Vgl. G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 58–59. Diese Zirkularität gilt nicht nur für ‚g‘, sondern auch für die sogenannten logischen Gesetze wie den Satz des Widerspruches oder das Prinzip der Identität. Jeder Versuch diese zu beweisen, wäre nur eine Umformulierung derselben Gesetze, da die Elemente des Beweises ja von den logischen Prinzipien ausgemacht werden. Ausführlich dazu: Stefan Schick, Contradictio est regula veri. Die Grundsätze des Denkens in der formalen, transzendentalen und spekulativen Logik, Hamburg 2010. 16 17
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Versuchen wir also die Wahrheit durch die Gewissheit zu beweisen und zu erklären, ist dieser Versuch unausweichlich zum Scheitern verurteilt und zeigt sich als selbstzerstörerisch. Diese Zerstörung beleuchtet aber die Gestalt einer neuen Wahrheit, die die vorherige Gewissheit aufwertet. Man könnte sich diese Erhebung im Falle der formellen Logik so vorstellen, dass der Verteidiger der formellen Logik die folgende Lösung für das Problem der Wahrheit von g vorschlägt: der von Hegel gezeigte Paradoxie des FormellLogischen kann man hierin widersprechen, da sich zu fragen, ob g wahr ist oder nicht, keinen Sinn ergibt, denn g ist zumindest partiell ein Maßstab der Wahrheit. Als Maßstab der Wahrheit befindet sich g und die Grundsätze der Logik folglich auf einer höheren Stufe und daher steht ihr Wahrheitswert nicht in Frage. Sich zu fragen, ob g stimme, wäre so, als ob man wissen möchte, ob 1km wirklich 1km misst, was vollkommen absurd wäre. Doch damit hat sich selbst die These, dass das Denken nur formell, „nur ein Gedanke“ sei, widerlegt: die Behauptung g ist Maßstab der Wahrheit und so gehört sie einer anderen vor-propositionalen Stufe an, in der der Wahrheitswert nicht in Frage steht ist auch ein Produkt des Denkens. Sogar die formelle Betrachtung des Denkens selbst, d.h. die These, das Denken ist nicht in der Lage, objektive Inhalte zu produzieren, da es einen äußerlichen Stoff dazu braucht, ist auch ein Produkt des Denkens. Dies behaupten zu können setzt eine nicht-formelle Konzeption des Gedankens voraus. Dieser Umstand führt uns auf den hegelschen Punkt über die Natur des Gedankens, nämlich auf die Objektivitätsfähigkeitsthese, die lautet: Das Verhältnis von Denken und Objektivität ist infallibel, dasjenige, was für das Denken wahr ist, muss ebenfalls als objektive Wahrheit betrachtet werden. Das bedeutet, dass der Aufbau der Logik im „höheren“ Sinne die einzige mögliche Antwort auf die Fragen der Skepsis in Bezug auf den Status des logischen Verfahrens ist. Diese „höhere“ Logik muss uns nämlich zeigen, wie das Denken fähig ist, objektive und wahre Inhalte durch sich selbst hervorzubringen. Hauptfrage dieser „höheren“ Logik lautet auch, wie die Objektivitätsfähigkeit des Gedankens sowohl die gewöhnliche Facette der Wahrheit, d.h. die Übereinstimmung zwischen Urteilen und Tatsachen, als auch die Bedeutung und die Natur der logischen Grundsätze, ermöglicht und begründet. Formelle und inhaltliche Probleme der Wahrheit gehören
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derselben Theorie an und werden bei Hegel durch dasselbe Prinzip (die Objektivitätsfähigkeit des Gedankens) erklärt. Dagegen aber erhebt sich auch ein skeptischer Einwand: steht Hegels Projekt – genau wie die Wahrheit der formellen Logik – nicht im Widerspruch mit sich selbst, wenn er behauptet, dass das Denken Objektivitätsfähigkeit besäße, und als Beweis dafür nur die Objektivitätsfähigkeit selbst anbietet? An dieser Stelle akzeptiert Hegel zwar den Zirkularitätseinwand, doch charakterisiert er den Zirkel als dialektisch-produktiv. Die Produktivität des Zirkels ist die hegelsche Antwort auf die Skepsis.18 Der Zirkel, d.h. die Annahme Genau darauf bezieht sich der berühmte Satz Hegels, laut dem die Philosophie notwendigerweise ein „Kreislauf in sich selbst ist, worin das Erste auch das Letzte und das Letzte auch das Erste wird“ (TWA 5, S. 70). Im „Ersten“ ist das „Letzte“ als implizite Voraussetzung schon enthalten. In den hegelschen Termini der Logik heißt es: der Gedanke (das Letzte) ist die implizite Voraussetzung des unmittelbaren Seins (das Erste). Deswegen zeigt die Entwicklung der Logik eine zunehmend bestimmtere Bedeutung des Seins, indem seine Voraussetzung ans Licht gebracht werden. Wenn man einen Fortschritt in der Logik macht, legt man das Sein (das Erste) nicht beiseite, sondern man vertieft seine Bedeutung und Bestimmungen. Diese Vertiefung macht die Produktivität des Kreislaufes aus. Wenn man entlang des Kreislaufes geht, entstehen neue Bedeutungen und Bestimmungen. Dadurch handelt es sich nicht um eine leere Wiederholung, die keine neue Erkenntnis darstellt. Da der Kreislauf der Logik darin besteht, die implizite Voraussetzung der Begriffe des Denkens darzulegen, ist er produktiv: Diese Darlegung der Voraussetzung ändert unsere Ansicht dessen, was am Anfang des Kreises festgelegt wird. Die Philosophie ist in diesem Sinne ein zirkuläres Wissen, da ihre Aufgabe darin besteht, die Voraussetzungen dessen, was festgelegt wird, explizit zu machen. Zum Thema Zirkularität der Philosophie und Skeptizismus bei Hegel vgl. Luc De Vos, Absolute Wahrheit? Zu Hegels spekulativem Wahrheitsverständnis, in: H.F. Fulda und R.P. Horstmann (Hgg.), Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels, Stuttgart 1996, S. 179–205. (Insbesondere S. 185 ff.). Auf die skeptische Frage, wie man sicher sein kann, dass das Denken einen objektiven Inhalt besitzen kann (das, was in diesem Text „Instantiierungsproblem“ genannt wird), würde die hegelsche Antwort lauten: Dem Denken gehört notwendigerweise eine Instanziierung bzw. ein objektiver Inhalt an, da dies die Voraussetzung dafür ist, dass das Sein der Erscheinung entspricht. Diese Idee lässt sich folgendermaßen übersetzen (meinem Verständnis Hegels nach): Alles, was erscheint, wird bei Hegel 18
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der Objektivitätsfähigkeit, ist eine Bedingung für die Philosophie selbst und für jedwede mögliche Behauptung, die Wahrheitsanspruch hat, sogar für diejenige, laut der die These der Objektivitätsfähigkeit nicht stimmt. Woher der Produktivitätscharakter des Zirkels stammt, lässt sich so beantworten: die Zirkularität ist produktiv, denn wenn das Denken einen Inhalt p setzt, setzt das gleichzeitig eine Vor-Struktur voraus, die besagt, dass p durch das Denken produziert wird und genau daher wahr ist. Jedes p wird notwendigerweise durch diese Objektivitätsfähigkeit des Gedankens implizit begleitet. Anders formuliert: Damit das Denken die politischen Institutionen, die Grenzen der Behauptungen der Naturwissenschaft oder den Wahrheitsanspruch unserer Erkenntnis begründen oder unterminieren kann, muss man ihm die Objektivitätsfähigkeit zuschreiben. Daher ist die These der Objektivitätsfähigkeit des Gedankens keine bloße Tautologie, die da lautet, dass der Gedanke nur deswegen wahr sei, weil es wahr ist. Diese These bezieht sich vielmehr auf die notwendige Voraussetzung, die implizit in jeder möglichen Behauptung mit Wahrheitsanspruch liegt. Die hegelsche Philosophie basiert deswegen auf keiner Tautologie, sondern verweist auf das Verfahren, in dem das Implizite ans Licht gebracht wird. Hier lautet diese notwendige Voraussetzung: das Denken ist die Quelle aller möglichen Objektivität. Diese These ist ein geeigneter Anfangspunkt für die Entwicklung der hegelschen Logik, denn sie zeigt, dass eine Logik „im höheren Sinne“ theoretisch entwickelt werden muss, um dieses Faktum der Objektivitätsfähigkeit zu erklären und die daraus herleitbaren Konsequenzen zu erläutern. Es gilt aber klarzustellen, dass dieser Anfangspunkt eben nur dies ist: ein Anfang; er ist weder ein durch Begriffe bestimmt, da die Begriffe nicht nur als abstrakte Definitionen verstanden werden müssen, sondern als Regeln der Erscheinung dessen, was spezifisch ist. Damit das Sein als das Erscheinende (weder als abstrakte Bestimmung der Gegenstände noch als großes Ding, das alles, was es gibt, in sich enthält) konzipiert wird, ist die ontologische Bedeutung der Begriffe notwendig. Nicht in dem Sinne, dass die Begriffe als fühlbare, existierende Gegenstände zu verstehen seien. Die Erscheinung ist vielmehr die wesentliche Bestimmung des Seins; begrifflich zu erscheinen ist das, worin das Sein besteht (dazu §3A und Kapitel 6).
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Beweis noch eine Begründung des gesamten hegelschen Systems oder aller Behauptungen der Wissenschaft der Logik. Kurzum: wir wissen zwar schon, dass das Denken objektive Inhalte produzieren kann und dass es die Bedingung der Möglichkeit dafür ist, dass irgendein p gesetzt werden kann, vollziehen aber noch nicht nach, wie oder unter welchen Bedingungen dies überhaupt geschieht. Die Beschreibung und der Beweis dessen ist Aufgabe der Logik selbst und nicht des Vorbegriffes. Mit der Argumentation, die dieser gesamte Abschnitt beinhaltet, ist die erste Stufe der Strategie Hegels zustande gekommen, das Projekt einer Logik „im höheren Sinne“ zu rechtfertigen. Diese Strategie zielte darauf ab, jemandem, der den Gedanken und die Logik als formell bezeichnet, zu zeigen, dass seine eigene Definition der Logik schon ein Gedanke ist, der die Objektivitätsfähigkeit des Denkens voraussetzt. Damit haben wir die These der Zirkularität erreicht, d.h. diese Wechselwirkung zwischen der Etablierung jedes p und dem Voraussetzen der Objektivitätsfähigkeit des Gedankens. Das Resultat der ersten Stufe Hegels Strategie führt aber seinerseits zur zweiten Ebene derselben, was meiner Ansicht nach aus den §§20–23 des Vorbegriffes hervorgeht. Es geht nämlich hierbei darum, dem formellen Denken zu beweisen, dass es die Objektivitätsfähigkeit immer noch vorausgesetzt hat, obwohl es sich dessen nicht bewusst war. An dieser Stelle besteht die präzise Argumentationsentwicklung Hegels darin, die Überzeugungen des Common Sense auf die Natur des Denkens, auf die These der Objektivitätsfähigkeit zurückzuführen. Dadurch bereitet man den Grund des Problems der Objektivität als ein metaphysisches Problem vor und somit den Zugang zur Behauptung, dass die Logik mit der Metaphysik zusammenfällt. Die Reduzierbarkeit der Überzeugungen des Common Sense auf die Natur des Denkens, auf die Objektivitätsfähigkeit wird uns zeigen, dass die hegelsche Logik sich nicht auf eine metaphysische zweite Ebenen der Realität, sondern auf eine Vor-Struktur bezieht, die die Bedingung der Möglichkeit der Objektivität ausmacht und in jeder Behauptung p impliziert ist.
§2. Denken als Raum der Wahrheit In §20 präzisiert Hegel, wie die zweite Stufe der Strategie, die Notwendigkeit der Logik „im höheren Sinne“ für das formelle Denken darzustellen, zu verstehen sei: Die hier und in den nächstfolgenden §§ angegebenen Bestimmungen sind nicht als Behauptungen und meine Meinungen über das Denken zu nehmen; jedoch da in dieser vorläufigen Weise keine Ableitung oder Beweis stattfinden kann, mögen sie als Facta gelten, so dass in dem Bewusstsein eines jeden, wenn er Gedanken habe und sie betrachte, es sich empirisch vorfinde, dass der Charakter der Allgemeinheit und so gleichfalls die nachfolgenden Bestimmungen darin vorhanden seien.1
Wenn Hegel anmerkt, dass die Behauptungen, die den Inhalt der §§20–23 ausmachen, sich nicht als seine Meinungen bezeichnen ließen, weist er darauf hin, dass sie vielmehr dem Common Sense angehören. Es handelt sich um dasjenige, was für den Common Sense als Faktum gilt. Die Bestimmungen des Denkens, die hier zur Betrachtung kommen, sind für Hegel „Vorstellungen“, d.h. ein unkritisches Bild dessen, was Denken bedeutet. Aber wie gesagt, besteht die Strategie Hegels nicht bloß darin, diese Vorstellungen zu zensieren, sondern vielmehr ihre implizite Zugehörigkeit zum spekulativen Denken, zum Faktum der Objektivitätsfähigkeit zu beweisen. Ziel ist es, das, was für den gesunden Menschenverstand eindeutig ist, durch das Faktum der Objektivitätsfähigkeit zu erklären und darauf zurückzuführen. In dieser Diskussion kann man sehen, was Hegel selbst unter Denken versteht. A. Begrifflichkeit und Wahrnehmung Auf der Überzeugung, der Gedanke sei nur eine der sogenannten geistigen Tätigkeiten, beruht eine der verbreiteten Vorstellung des Common Sense bezüglich der Natur des Denkens. Dieses erscheint dann „seiner gewöhnlichen subjektiven Bedeutung, als eine der geistigen Tätigkeiten oder Vermögen neben anderen, der Sinnlich1
TWA 8, §20, S. 72.
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keit, Anschauen, Fantasie usf. Begehren, Wollen usf.“2 Mit „subjektiver Bedeutung“ verweist Hegel auf eine bloß psychologische Auffassung des Gedankens. Darin wird das Denken als eine der zahlreichenden Verwirklichungsformen des Geistes gesehen. Natürlich wendet sich Hegel gegen solche psychologische Auffassung, denn sie bringt negative Konsequenzen für das Projekt der Logik als Wissenschaft der Wahrheit mit sich. Versteht man unter dem Gedanken nur ein Vermögen des menschlichen Geistes, dann wäre die Logik, als Wissenschaft desselben konzipiert, nur eine empirische Wissenschaft mit eingeschränktem Inhalt; das bedeutet, dass sie keine Wissenschaft der Wahrheit wäre, denn die Beschreibung ihres Gegenstandes setzt einen Maßstab der Wahrheit voraus: „Wäre das Denken bloß eine subjektive Tätigkeit und als solche Gegenstand der Logik, so hätte diese wie andere Wissenschaften ihren bestimmten Gegenstand.“3 In diesem Fall ist die „Wissenschaft richtig, wenn sie ihrem Vorausgesetzten Gegenstand entspricht“.4 Demzufolge soll Hegel hierbei eine neue Definition des Denkens entwickeln. Aber das Argumentationsverfahren im §20 des Vorbegriffes besteht nicht darin, zwei Auffassungen des Gedankens bloß einander gegenüberzustellen, nämlich die hegelsche und diejenige des gewöhnlichen Bewusstseins. Es geht vielmehr darum, zu zeigen, dass die gewöhnliche, psychologische Betrachtung des Gedankens ihre eigene Überwindung bzw. „Aufhebung“ enthält. Schon in der gewöhnlichen Meinung ist demnach der Weg zum hegelschen Verständnis des Denkens vorhanden, da Letzteres als Voraussetzung für die Erste auftritt. Der hegelsche Begriff des Gedankens weist darauf hin, dass (wie sich zeigen wird) dieser nicht als ein subjektives Vermögen zu verstehen ist. Vielmehr ist das Denken der rationale Sinnraum, in dem alles, was wahr ist, erscheinen können muss. Als Wissenschaft der Wahrheit beschäftigt sich die hegelsche Logik mit dem Gedanken als Raum der Wahrheit. Und folglich: Die „Objektivitätsfähigkeit“, die dem Gedanken zugrunde liegt, muss nicht mit der These identifiziert werden, es bestehe ein göttlicher Geist, der TWA 8, §20, S. 71. 3 TWA 8, §20, S. 75. 4 Ebd. 2
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die materiellen Gegenstände erschaffe, indem er sich diese vorstellt. Objektivitätsfähigkeit verweist vielmehr auf das Faktum, dass das Denken die Grundlage dessen ist, was objektiv ist und sein kann. Hegel erklärt dies mittels der Problematisierung des Unterschieds zwischen Gedanken, Sinnlichkeit und Vorstellung: Schon in dieser vorläufigen Exposition kommt der Unterschied von Sinnlichem, Vorstellung und Gedanken zur Sprache; er ist durchgreifend für das Fassen der Natur und der Arten des Erkennens; es wird daher zur Erläuterung dienen, diesen Unterschied auch hier schon bemerklich zu machen.5
Die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Unterschied der Vermögen wird uns zeigen, dass die Entgegensetzung des Denkens und nicht-Denkens (in diesem Fall: der Unterschied zwischen Denken und Sinnlichkeit) durch den Gedanken selbst, als rationaler Raum der Entstehung des Objektiven verstanden, ermöglicht wird. Das führt natürlich dazu, eine relationale Auffassung der Vermögen zu vertreten, laut der jedes eine Besonderheit im Gegensatz zum Denken besitzen kann, aber nur dadurch, dass solche Besonderheit in ihrem Besonderssein schon durch den Gedanken durchdrungen ist.6 Aber nicht nur darauf bezieht sich die hegelsche Bemerkung. TWA 8, §20, S. 72. Luca Corti unterscheidet zwischen einer „deskriptiven“ und einer „rekonstruktiven“ Deutung von Hegels Philosophie bezüglich der Vermögen und ihrem Bezug auf das Denken. (Vgl. Luca Corti, Conceptualism, NonConceptualism, and the Method of Hegel’s Psychology, in: Susanne Herrmann-Sinai und Lucia Zigliolo (Hgg.), Hegel’s Philosophical Psychology, New York 2016, S. 228–250.) Die deskriptive Deutung vertritt die These, dass die Vermögen im Prinzip unabhängig voneinander betrachtet werden können. Das bedeutet, dass der Inhalt, der durch ein besonderes Vermögen gegeben ist, z.B. durch die Sinnlichkeit, vom Inhalt des Denkens oder anderer Vermögen trennbar ist. Die „rekonstruktive“ Auffassung vertritt dagegen eine relationale Theorie der Vermögen, in welcher Anschauung, Vorstellung und Denken keine Teile des Geistes sind, sondern durch die Tätigkeit des Denkens vereinigt werden. Die Deutung, die ich hier darstelle, ist diesem Unterschied nach eine rekonstruktive. Da ich mich aber meistens mit dem Vorbegriff beschäftige, beziehe ich mich nur indirekt auf Hegels Argumente innerhalb der Psychologie der Enzyklopädie. Schon im 5 6
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Die Relationalität der Vermögen gilt für Hegel auch als Evidenz dafür, dass der Gedanke als Raum der Erscheinung der Wahrheit – und nicht nur als subjektives Vermögen – betrachtet werden muss. Hegel rekonstruiert nun den Unterschied von Denken und Sinnlichkeit folgendermaßen: Für das Sinnliche wird zunächst sein äußerlicher Ursprung, die Sinne oder Sinneswerkzeuge, zur Erklärung genommen. Allein die Nennung des Werkzeuges gibt keine Bestimmung für das, was damit erfasst wird. Der Unterschied des Sinnlichen vom Gedanken ist darein zu setzen, dass die Bestimmung von jenem die Einzelheit ist, und indem das Einzelne (ganz abstrakt das Atom) auch im Zusammenhange steht, so ist das Sinnliche ein Außereinander, dessen nähere Formen das Neben- und das Nacheinander sind.7
Diese Spezifizität des Sinnlichen kann auf zweierlei Weise gedeutet werden. Zum einen einseitig: Dann sieht man darin die Stellung des Common Sense und mancher Philosophien, die der Sinnlichkeit das Merkmal zuschreiben, nicht auf den Gedanken reduzierbar zu sein. Zum anderen dialektisch: In der Bestimmung der Einzelheit, die wohl der Sinnlichkeit entspricht, ist aber die Gegenwärtigkeit des Gedankens zu sehen. Beim einseitigen Verständnis der Sinnlichkeit geht es demzufolge darum, die Charakteristika der Einzelheit bzw. der Unmittelbarkeit hervorzuheben, welche der Sinnlichkeit entsprechen würden. In manchen nicht-konzeptualistischen Interpretationen von Kant stellt man diese Auffassung des Sinnlichen als dem Gedanken entgegengesetzt und vollkommen heterogen fest.8 Aus dieser PerVorbegriff aber lassen sich textuelle Belege für eine „rekonstruktive“ Deutung finden, weil dort Hegel explizit behauptet, dass die Anschauung im Menschen schon an sich denkend ist. 7 TWA 8, §20, S. 72. 8 Vgl. z.B. Anna Tomaszewska, The Contents of Perceptual Experience: A Kantian Perspective, Berlin 2014, besonders S. 70–86. Die Autorin argumentiert dafür, dass Begriffe und Anschauungen eine differenzierte ontologische Struktur besitzen, wodurch sie zu unterscheiden seien und verschiedene Inhaltssorte anbieten. Während bei den Begriffen die Subsumtion das Entscheidende sei, sind die Anschauungen auf Trennung von Teilen und Ganzem bezogen. Es gebe daher einen nicht-begrifflichen
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spektive findet man sinnlichen und nicht-begrifflichen Inhalt in der Art und Weise, wie wir den Raum und die Zeit als homogene Totalitäten anschauen. Zwar ist es wohl richtig, dass wir beim Erkennen Begriffe benötigen, wobei aber nicht alles erscheint, was wir anschauen können, unmittelbar als Inhalt der Erkenntnis erscheint: die Farbtonalität, die Form, wie wir die Gegenstände im Raum und Zeit anschauen und wahrnehmen seien ja einzelne und unmittelbare Vorstellungen, die zwar wohl begrifflich organisiert werden können, um eine Rolle im Fällen der Urteile zu spielen, nicht deshalb jedoch als begriffliche Vorstellungen an sich gelten. Unabhängig davon, ob diese Interpretation wirklich dem kantischen System der ersten Kritik zukommt, möchte ich aber dieselbe nur als ein Beispiel für das einseitige Verständnis der Unterscheidung von Sinnlichkeit und Gedanken nehmen. Mithilfe einer Illustration bzw. eines Beispiels kann man diese Vorstellung der Nicht-Reduzierbarkeit des Sinnlichen auf den Gedanken genauer betrachten. Nehme ich ein weißes Bücherregal wahr, schaue ich natürlich dasselbe als Bücherregal an, d.h. als etwas Begriffliches. Man kann ja annehmen, dass das Erscheinen des Bücherregals als „Bücherregal“ auf den Begriff „Bücherregal“ zurückzuführen ist. Nichtdestotrotz bleiben die Farbe des Bücherregals und verschiedene Informationen von demselben, die ich durch meine Sinne wahrnehmen kann (seine Textur, sein Geruch, seine Form im Raum usw.), als nichtbegriffliche Vorstellungen. Jemand, der blind ist, kann ja den Begriff des Bücherregals verstehen und er nimmt dasselbe (natürlich nicht visuell) als „Bücherregal“ wahr; aber die Weiße des Regals ist für ihn nicht sichtbar; er hat keine Vorstellung oder Bewusstseinszustand der Weiße, obzwar er Begriffe versteht. Das würde beweisen, dass es nicht-begriffliche Vorstellungen gibt, die wir sehr wahrscheinlich mit den Tieren und ihren Wahrnehmungsapparaten gemeinsam haben. Selbstverständlich wäre nicht nur die nicht-konzeptualistische Deutung von Kant damit einverstanden. Auch Feuerbach, der dem Sinnlichen das Merkmal des Unsagbaren bzw. des Nicht-BegriffliInhalt in unserer Wahrnehmung. Auch: Clinton Tolley, The Non-Conceptuality of the Content of Intuitions: A New Approach, Kantian Review 18 (2013), S. 107–136.
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chen beilegt und so die Rolle, Anfangspunkt der voraussetzungsarmen Philosophie zu sein9, vertritt diese Ansicht. Dasselbe würde gelten für manche zeitgenössischen Philosophen, die die Existenz von nicht-begrifflichen Inhalten in der Wahrnehmung verteidigen.10 Damit möchte ich nicht behaupten, dass der nicht-konzeptualistische Kant, Feuerbach, und diese zeitgenössischen Philosophen genau dasselbe vertreten. Ziel des Rekurses auf diese philosophische Quelle ist es vielmehr, ein relativ vernünftiges Argument darzustellen, nach welchem die nicht-begrifflichen Inhalte in der Tat existieren. Die Arbeit von Ned Block11 kann uns weiterhelfen, die präzisen Fälle zu bestimmen, in denen es nicht-begriffliche Inhalte gibt: In Bezug auf die visuelle Wahrnehmung von Farben, Bewegungen, räumlichen Verhältnissen, Glanz und Textur sei der Inhalt nicht-begrifflich. Solch eine These (unabhängig von den Nuancen der hier schon erwähnten Philosophen) würde sich insofern verstärken, als man an empirische Evidenzen appelliert: Babys, die weder Sprache noch Begriffe besitzen, können sehr wohl Farben unterscheiden, Bewegung wahrnehmen und sogar das Gesicht von ihren Familienangehörigen identifizieren.12 Auch ist es etwas leicht zu sehen, dass sich jene Tiere, die ebenso keine Begriffe verwenden, im Raum orientieren können. Der Sprung einer Katze setzt doch die Möglichkeit voraus, den Abstand zwischen zwei Gegenständen im Raum auf irgendeine (nicht-begriffliche) Weise zu messen. Ebenfalls ist der Hund fähig, jemanden als bekannt oder fremd durch bestimmte sinnliche Informationen zu erkennen, ohne über einen Begriff des Eigenen zu verfügen. In diesen Fällen bietet man
Ludwig Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Frankfurt am Main 1983, §13. Zu Feuerbachs Kritik von Hegel, vgl. Traiton de Souza, Hegel und die Frage nach der Sinnlichkeit, in: Hegel-Jahrbuch 2004, S. 154–159. Mit dieser Kritik werde ich mich nicht ausführlich auseinandersetzen. Ich nehme sie nur als Beispiel dafür, wie man die Sinnlichkeit als etwas denken kann, das sich vom Gedanken getrennt sei. 10 Vgl. z.B. Fred Dretske, Conscious Experience, in: Mind 102 (Apr. 1993), S. 263–283; Tyler Burge, Origins of Objectivity, Oxford 2010, S. 278–281; 538. 11 Ned Block, Seeing-As in the Light of Vision Science, in: Philosophy and Phenomenological Research 89 (2014), S. 560–573. 12 Tyler Burge, Origins of Objectivity, a.a.O., S. 26 9
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vernünftige Evidenz für die Existenz des nicht-begrifflichen Inhaltes. Was würde Hegel gegen diesen Punkt sagen? Würde er nur die Evidenz für die Existenz des nicht-begrifflichen Inhaltes beiseitelassen? Hegels Antwort darauf besteht nicht darin, den Kopf in den Sand zu stecken, alles zu vergessen und weiter zu philosophieren. In der Tat ignoriert Hegel das Vorhandensein der Sinnlichkeit nicht: „Das Gefühl als solches ist überhaupt die Form des Sinnlichen, welches wir mit den Tieren gemein haben.“13 Ich bin der Meinung, dass Hegel dasjenige im Sinn hat, was später der junge Marx als „das Sinnliche“ bei seiner Betrachtung des Menschen als „sinnliches Wesen“ bezeichnet:14 Das Sinnliche ist im Allgemeinen der Kontakt mit der Natur durch die Gattungslebensfunktionen – worunter die Wahrnehmung und der organische Metabolismus fallen. Dies berücksichtigend, kann man sogar den nicht-konzeptualistischen Ansatz verstärken: Nicht nur die visuellen Vorstellungen von Farben, Bewegungen, räumlichen Verhältnissen usf. würden als nicht-begriffliche Inhalte gelten, sondern auch die Vorstellungen oder Bewusstseinszustande bezüglich der organischen Bedürfnisse und des Metabolismus. Das Gefühl von Hunger, Durst, Schläfrigkeit, Geschlechtswunsch und die Notwendigkeit zu atmen seien auf nicht-begriffliche Bewusstseinszustande bezogen: den Begriff des Hungers zu verstehen, sättigt nämlich den Hunger nicht usw. Nun ist es Hegels Absicht, obwohl er das Vorhandensein der Sinnlichkeit nicht übersieht, diese in den Gedanken aufzuheben. Diesbezüglich behauptet er: „diese Form [des Sinnlichen; A.P.] kann dann wohl des konkreten Inhalts sich bemächtigen, aber dieser Inhalt kommt dieser Form nicht zu [Hegel bezieht sich hier auf den Gedankeninhalt; A.P.]; die Form des Gefühls ist die niedrigste Form für den geistigen Inhalt.“15 Im einseitigen Rekurs auf diese Sätze liegt die Versuchung nahe, die hegelsche Philosophie einfach als absolute Verachtung der Sinnlichkeit zu deuten. Letztendlich ist es der reine Gedanke, worum es
13 14
40). 15
TWA 8, §19, S. 70. Vgl. Karl Marx, Ökonomisch-Philosophische Manuskripte (MEW TWA 8, §19, S. 70.
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in der Wissenschaft der Logik geht und natürlich tritt die Einzelheit und Besonderheit des sinnlichen Inhalts als Hindernis für die Abstraktionen auf, die notwendig für die Betrachtung des reinen Denkens sind. Obwohl Hegel sich sehr oft auf diese Weise ausdrückt 16, kongruiert solch eine Schlussfolgerung mit der Radikalität der hegelschen Philosophie nicht. Denn damit bleibt noch ein Dualismus von Denken und Sinnlichkeit bestehen. Zu behaupten, dass der Gedanke höher insofern ist, als er sich von der Sinnlichkeit trennen kann, ist keine richtige Überwindung des Dualismus. Dies bedeutet nämlich nur, zu sagen: der Gedanke ist „höher“ von der Perspektive desselben her; was selbstverständlich erlauben würde, zu behaupten, die Sinnlichkeit sei ebenso „höher“ als der Gedanke im Rahmen der Sinnlichkeit selbst. Mit anderen Worten: Wenn es um Abstraktionen geht, ist das Denken „höher“ und geeigneter; wenn es um Nahrungsaufnahme oder die Wahrnehmung von Farben geht, ist die Sinnlichkeit das richtige Vermögen. Das ist natürlich keine Überwindung des Dualismus, denn damit wird nur gesagt, dass jedem Vermögen ein bestimmter Platz im menschlichen Leben entsprechen würde; es gibt folglich keinen Grund dafür, die Höherwertigkeit des Gedankens gegenüber der Sinnlichkeit im absoluten Verhältnis (und nicht nur im Verhältnis zu dem Gedanken selbst) zu vertreten.17 Z.B. TWA 8, S. 78: „Das Allgemeine ist mit den Sinnen nicht zu erfassen, und dasselbe gilt als das Wesentliche und Wahre. Auch: TWA 8, S. 77: „Das Sinnliche ist ein Einzelnes und Verschwindendes; das Dauernde darin lernen wir durch das Nachdenken kennen.“ Auch: TWA 8, S. 70: „Wenn also die Wissenschaft der Logik das Denken in seiner Tätigkeit und seiner Produktion betrachtet […], so ist der Inhalt überhaupt die übersinnliche Welt.“ Auch: TWA 5, S. 55: „Das System der Logik ist das Reich der Schatten, die Welt der einfachen Wesenheiten, von aller sinnlichen Konkretion befreit.“ 17 Ähnlich argumentieren Markus Gabriel und Rainer Schäfer in Bezug auf Hegels Psychologie in der Enzyklopädie. (Vgl. Markus Gabriel, Hegels Begriff der Vorstellung und das Form-Inhalt-Problem, in: Kazimir Drilo und Axel Hutter (Hgg.), Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischem System, Tübingen 2015, S. 7–28, besonders S. 10–17; Rainer Schäfer, Von der Vorstellung zum Gedanken und zurück? Namen, Gedächtnis und Denken in Hegels Psychologie, in: Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischem System, a.a.O., S. 29–52, besonders S. 31, 39–47.) 16
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Nach dem hier Gesagten beruht Hegels Strategie nicht darauf, die Sinnlichkeit, die organische Beziehung auf die Natur vom menschlichen Leben auszuschließen, um den Menschen als eine abstrakte res ccogitans zu begreifen. Was Hegel demgegenüber vorschlägt ist, dass der Mensch seiner Sinnlichkeit durch den Gedanken einen höheren Sinn gibt. Er ist zwar ein sinnliches Wesen, wie die Tiere, aber die Art und Weise, wie seine Sinnlichkeit sich entfaltet, wird durch Begriffe bestimmt. Und die Erhebung der Sinnlichkeit führt nicht zu Verarmung oder Entfärbung des sinnlichen Inhalts. Da die Begrifflichkeit kein späterer Zusatz der Sinnlichkeit ist, sondern vielmehr die Weise, wie diese im menschlichen Leben geschieht und stattfindet, bereichern der Gedanke und die Begriffe die Sinnlichkeit als solche: Die durch Begriffe vermittelte Sinnlichkeit ist lebhafter, vollkommener als diejenige, die mit Begriffen nichts zu tun hat – wie etwa die tierische. Also besteht kein Zweifel daran: Babys – sogar Tiere – können wohl Gesichter, Farben, Abstände und Leute unterscheiden und identifizieren. Doch die wirklich menschliche Wahrnehmung eines Gesichts ist nicht nur diejenige, die es von anderen Gesichtern unterscheiden und so identifizieren kann, sondern vielmehr jene, der es gelingt, dort begriffliche Gesichtsausdrücke zu sehen, wie z.B. solche der Arroganz, Unsicherheit, Schüchternheit, Verführung usw. Dass die Gesichter „etwas“ sagen können, impliziert, dass unsere Wahrnehmungen durch Begriffe, Sinn und Bedeutungen unzweifelhaft vermittelt sind. Das begriffliche Wahrnehmen ermöglicht das Heucheln, das Simulieren oder das Auftreten im Theater, die literarischen Beschreibungen usw. Der Gedanke ist dementsprechend höherwertig, aber nicht deshalb, weil er die Sinnlichkeit beiseitelässt, sondern vielmehr deswegen, weil er diese Sinnlichkeit sogar sinnlich bereichern kann.18 Das Argument, dass das Denken den Bereich der Sinnlichkeit bereichert, lässt sich auch auf das Verhältnis von Denken, Sprache und Sinnlichkeit zurückführen. Wie Rainer Schäfer behauptet (Von der Vorstellung zum Gedanken und zurück? Namen, Gedächtnis und Denken in Hegels Psychologie, a.a.O., S. 43), stellt sich die Sprache unbedingt als Einheit von sinnlichen Anschauungen und abstrakten Begriffen dar, da jeder Begriff in der Sprache durch anschauliche Zeichen ausgedrückt werden muss und diese Zeichen auf den abstrakten Inhalt des Gedankens verweisen. Das 18
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Dieses Verhältnis des Gedankens zur Sinnlichkeit lässt sich auch in den Grundlinien der Philosophie des Rechts finden, und zwar in Bezug auf das sogenannte „System der Bedürfnisse“. Dabei wird ausgedrückt, dass der Gedanke sogar die Sinnlichkeit im Sinne der organischen Bedürfnisse bestimmt. In § 190 desselben Textes liest man: Das Tier hat einen beschränkten Kreis von Mitteln und Weisen der Befriedigung seiner gleichfalls beschränkten Bedürfnisse. Der Mensch beweist auch in dieser Abhängigkeit zugleich sein Hinausgehen über dieselbe und seine Allgemeinheit, zunächst durch die Vervielfältigung der Bedürfnisse und Mittel und dann durch Zerlegung und Unterscheidung des konkreten Bedürfnisses in einzelne Teile und Seiten, welche verschiedene partikularisierte, damit abstraktere Bedürfnisse werden. […].19
Damit ist der Prozess der Verfeinerung der Bedürfnisse gemeint. Die Mittel und die Weise der Befriedigung der Bedürfnisse sind beim Menschen nicht einseitig, sondern vielfältig. Im menschlichen Leben geht es nicht nur darum, den Hunger zu sättigen, sondern vor allem darum, wie dies geschieht. Die Verschiedenheit des Essens und die strenge Verbindung der Ernährungsgewohnheiten mit der Kultur zeigt deutlich dies auf. Die Bedürfnisse und die darin stattfindende Sinnlichkeit werden durch den Gedanken humanisiert: Beim Menschen sind die Bedürfnisse keine bloß natürliche, tierische Dimension des Verhaltens, die dem intellektuellen, denkenden Handeln gegenübersteht. So wäre es nicht einmal übertrieben, zu behaupten, dass z.B. der menschliche Hunger durch Begriffe vermittelt wird. Beim Hungersgefühl spielen die begrifflichen Vorstellungen eine wichtige Rolle: Es ist tatsächlich so, dass man Hunger auf Pizza, Thai-Food, Schweinschnitzel usw. haben kann. Dass unsere Gattung meistens auf den Kannibalismus verzichtet hat und dass die Vorstellung einer im Kühlschrank des Supermarkts liegenden Babyleiche nicht auf das Hungersgefühl, sondern auf den Ekel bedeutet, dass das Sehen und das Hören in der Sprache vom Verstehen untrennbar ist, wobei der sinnliche Inhalt und die Wahrnehmung notwendigerweise begrifflicher Natur sind. Der Fall der Sprache, obwohl er paradigmatisch für das begriffliche Wahrnehmen ist, gilt nicht nur als isoliertes Beispiel der menschlichen Sinnlichkeit, sondern vielmehr als Indikator dafür, wie sich das Wahrnehmen bei Menschen entwickelt. 19 TWA 7, §190.
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und die Entrüstung bezogen ist, zeigt uns, dass sich unsere sinnlichen Bedürfnisse durch Begriffe erheben und humanisieren lassen. Der Gedanke ist gerade dadurch allgemein, dass er auch in seinem „Anderssein“ bzw. der Sinnlichkeit und den Tätigkeiten vorhanden ist, die nicht unmittelbar mit dem Gedanken verbunden sind.20 Dieser Rekurs auf die Rechtsphilosophie erlaubt uns, das zu betrachten, was Hegel in der Enzyklopädie meint, wenn er darauf hinweist: „Übrigens, wenn für das Sinnliche die Bestimmung der Einzelheit und des Außereinander angegeben worden, so kann noch hinzugefügt werden, dass auch diese selbst wieder Gedanken und Allgemeine sind.“21 Der Topos der Beziehung des Gedankens auf sein „Anderes“, auf die Sinnlichkeit ist in der Rechtsphilosophie und der Enzyklopädie gerade derselbe: Dort, wo die einseitige Beschreibung der Sinnlichkeitsbesonderheiten nur einen Dualismus sieht, geht Hegel dagegen davon aus, dass der Unterschied von Sinnlichkeit und Gedanken durch letzteren ermöglicht und erlaubt wird. Der Gedanke ist die Triebkraft unserer Sinnlichkeit. Damit wird aber nicht gemeint, dass der Hunger durch Begriffe gesättigt werden kann. Hierin soll man das hegelsche Argument nicht mit der einseitigen Reduktion des menschlichen Handelns auf das Denken (etwa: die kartesische Allgemeinheit des Cogitare22) verwechseln. Die InAll dies hat damit zu tun, dass Hegel den Dualismus zwischen der empirischen oder natürlichen Seite der Subjektivität und dem vernünftigen oder intellektuellen Aspekt derselben überwinden muss. Dies gilt sowohl im Bereich der theoretischen als auch der praktischen Philosophie. (Vgl. Sally Sedkwick, Hegel’s Critique of Kant. From Dichotomy to Identity, Oxford 2012, S. 7.) 21 TWA 8, §20, S. 74. 22 Da Descartes das Denken als die subjektive Tätigkeit des Geistes überhaupt bezeichnet, ist irgendwelche subjektive Handlung als „Denken“ zu verstehen. Das gilt auch für das sinnliche Wahrnehmen, den Willen und das Vorstellen im Allgemeinen. Bei Descartes basiert die Identität zwischen dem Denken und anderen Vermögen auf der reziproken Identität der Handlung mit dem Handelnden: „Was ist es, das man von meinem Denken unterscheiden mag? Was ist es, von dem gesagt werden könne, es sei von mir selbst abgetrennt? Denn dass ich selbst es bin, der ich zweifle, der ich einsehe, der ich will: das ist so offenkundig, dass sich nichts findet, durch das es noch evidenter erklärt werden kann. Ich selbst bin aber auch 20
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terpretation, laut der im Vorbegriff betont wird, alles sei einfach Denken23, halte ich dann für einseitig: das Verhältnis Gedanken/Sinnlichkeit lässt sich unter dem Subsumtionsverhältnis nicht erfassen. Für das „dialektische“ Verhältnis (im Gegenteil zum Subsumtionsverhältnis) prägt Hegel den Ausdruck „Identität der Identität und Nicht-Identität“.24 Diese rätselhafte Formulierung kann durch eine Analogie erklärt werden. Das, was mit dem Gedanken und den anderen Vermögen geschieht, ist dem ähnlich, was im Recht auf Glaubensfreiheit in Beziehung zum Recht auf religiöse Verschiedenheit stattfindet. Das Recht auf Glaubensfreiheit ist ein vereinigendes Prinzip, da der Christ, der Muslim, der Atheist und der Jude dasselbe Recht besitzen und alle Staatsbürger genauso sind wie die anderen auch. Dieses Prinzip ist aber gerade das Einzige, das tatsächlich die religiöse Verschiedenheit und die Meinungspluralität in einer Gemeinschaft schützt und ermöglicht. Es geht demnach um derselbe, der vorstellt; denn obwohl vielleicht, wie ich vorausgesetzt habe, schlicht überhaupt kein vorgestelltes Ding wahr ist, existiert die Kraft, vorzustellen tatsächlich und macht einen Teil meines Denkens aus. Und außerdem bin ich dasselbe Ich, der ich sinnlich wahrnehme, bzw. der körperlichen Dinge gleichsam durch die Sinne bemerkt […] Zwar ist das falsch. Ich schlafe nämlich. Sicherlich aber scheine ich zu sehen, zu hören, warm zu werden. Es ist nicht möglich, dass das falsch ist; dies ist in eigentlichem Sinne das, was in mir Sinnliches Wahrnehmen genannt wird; und dies genau so aufgefasst ist nichts anderes als Denken.“ (René Descartes, Meditationen. Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen, Hamburg 2009, S. 32–33.) Bei Hegel ist aber solch eine einseitige Identität zwischen Gedanken und anderen Vermögen nicht zu finden. 23 Vgl. Anette Sell, Der „Vorbegriff“ zu Hegels enzyklopädischer Logik in den Vorlesungsnachschriften, in: Alfred Denker und Anette Sell (Hgg.), Der „Vorbegriff“ zur Wissenschaft der Logik in der Enzyklopädie von 1830, Freiburg im Breisgau 2010, S. 65–83. 24 TWA 8, S. 93. Dort behauptet Hegel, dass das Urteil nicht in der Lage ist, „spekulative Wahrheiten auszudrücken“. Dies kann in Bezug auf das hier erläuterte Thema erklärt werden. Weder das Urteil „das Denken ist den anderen Vermögen gleich“ noch das Dictum „das Denken ist ihnen anders“ drücken die Natur des Verhältnisses vom Denken zu anderen Vermögen aus. Da der Gedanke selbst die Werkzeuge anbietet, durch die die anderen Vermögen sich voneinander abgrenzen und so ihren eigenen Platz und ihre eigene Besonderheit im menschlichen Handeln gewinnen können, erfasst weder der Begriff der Identität noch der der bloßen Unterschiedenheit oder Nicht-Identität das, was zwischen den Vermögen stattfindet.
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eine Einheit, die die Pluralität und Unterschiede unterstützt.25 Von daher behauptet Hegel, „dass der Gedanke und das Allgemeine eben das ist, dass er selbst und sein Anderes ist“.26 Unsere Sinnlichkeit ist eine denkende Sinnlichkeit. Zusätzlich schreibt er: Denkend ist somit der Mensch immer, auch wenn er nur anschaut; betrachtet er irgend etwas, so betrachtet er es immer als ein Allgemeines, fixiert Einzelnes, hebt es heraus, entfernt dadurch seine Aufmerksamkeit von anderem, nimmt es als ein Abstraktes und Allgemeines, wenn auch nur formell Allgemeines.27
Diesbezüglich bringt Hegel das bekannte Argument vor, laut dem es ein inniges Verhältnis von Wahrnehmung, Begriffen und Sprache gibt.28 Die Sprache und ihre Möglichkeit, allgemeine Begriffe durch Wörter aufzubauen, ist das, was das Erscheinen des Einzelnen in der sinnlichen Wahrnehmung im Voraus begründet. In der Tat könnte man sagen, dass unsere sinnliche Wahrnehmung des Einzelnen schon eine begriffliche, durch Bedeutungen vermittelte Wahrnehmung ist: man nimmt z.B. eine Straße, einen Bahnhof, eine Diese Auffassung der Einheit, die sich in der Pluralität manifestiert und nur durch diese Manifestation einheitlich ist (im Fall des Rechtstaats: die Einheit der Freiheit drückt sich in der Meinungsfreiheit, d.h. im Vorhandensein der verschiedenen Perspektiven), sieht Andrew Haas als die hegelsche Lösung für das Problem der Pluralität: „In other words, thinking is a multiplicity of activities (verbs) and an „etc“. The „more“ of definition is always multiple […] Thinking is never alone; rather, it is always in relation to eating, sleeping, drinking, etc.“ (Andrew Haas, Hegel and the Problem of Multiplicity, Evanston 2000, S. 273). 26 TWA 8, §20, S. 74. 27 TWA 8, §24, S. 83. 28 Diesem Argument kommt seine berühmte Formulierung im ersten Kapitel der Phänomenologie des Geistes zu. Dabei heißt es: „Als ein Allgemeines sprechen wir auch das Sinnliche aus; was wir sagen ist: Dieses, das heißt das allgemeine Diese; oder: es ist; das heißt das Sein überhaupt […] Die Sprache aber ist, wie wir sehen das Wahrhaftere.“ (GW 9, S. 71–72.) Im Vorbegriff heißt es: „Indem die Sprache das Werk des Gedankens ist, so kann auch in ihr nichts gesagt werden, was nicht allgemein ist.“ Damit wird gemeint: über unsere sinnlichen Wahrnehmungen zu sprechen ist kein Zusatz, der auf den sinnlichen Inhalt nicht einwirkt. Das ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass die Wahrnehmungen als etwas Wahres gelten können.“ 25
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Kirche usw. wahr. Bei den gewöhnlichen menschlichen Tätigkeiten, wie beim Autofahren, ist auch z.B. eine begriffliche Wahrnehmung notwendig, die das Wahrgenommene begrifflich interpretiert und versteht. Dabei sind das Messen von Abständen, die Farbwahrnehmungen sehr schwer vom begrifflichen Verstandesdenken über Verkehrsregeln und Gegenstände zu trennen. Das menschliche Wahrnehmen ist nicht nur die sinnliche Perzeption von etwas (wie die tierische), sondern ein Wahrnehmen von etwas als etwas.29 Für Hegel kann nun die Erscheinung von Etwas als-Etwas in der Sinnlichen Anschauung nicht durch die Verknüpfung von sinnlicher nicht-begrifflicher Sinnesdaten erklärt werden: Die Möglichkeit selbst, diese sinnlichen Wahrnehmungen zu verknüpfen, setzt schon eine begriffliche Art des Erscheinens des sinnlichen Stoffs voraus. Sogar die Wahrnehmungen von „hier“ und „jetzt“ mit den „von gestern“ zu verbinden, braucht die Gegenwärtigkeit der begrifflichen Abstraktionen „hier“ und „jetzt“, d.h. das Hier und das Jetzt als „hier“ und „jetzt“ anzuerkennen: „[…] wenn ich sage: „das Einzelne“, „dieses Einzelne“, „Hier“, „Jetzt“ sind dies alles Allgemeinheiten; Alles und Jedes ist ein Einzelnes, Dieses, auch wenn es sinnlich ist, Hier, Jetzt.“30 Das heißt: das Als des Erscheinen-Als, welches für die menschliche Wahrnehmung wesentlich und definitorisch ist, tritt immer als begriffliche Vermittlung auf, denn dieses Als impliziert immer eine durch den Gedanken aufgebaute Operation.
Auf ähnliche Weise rekonstruiert Houlgate Hegels Konzeption der sinnlichen Erfahrung bei Hegel, obwohl er die hier genannte Terminologie von „etwas“ und „etwas als etwas“ nicht verwendet. Babys und Tiere können natürlich etwas empfinden, aber reife Menschen nehmen etwas als etwas wahr, nicht nur das Rote, sondern etwas Rotes. Natürlich setzt das Sehen von etwas als etwas das bloße Sehen von etwas voraus, d.h. das Vorhandensein der Sinnesorganen. Aber, wenn man hegelisch reden darf, das Sehen von etwas als etwas, das begriffliche Wahrnehmen setzt das bloße Sehen als aufgehoben voraus, d.h. jedes Wahrnehmen kann nur als Perzeption von etwas als etwas stattfinden. (Vgl. Stephen Houlgate, Hegel, McDowell, and Perceptual Experience: A response to McDowell, in: Susanne Herrmann-Sinai und Lucia Zigliolo (Hgg.), Hegel's Philosophical Psychology, New York 2016, Routledge, S. 57–73). 30 TWA 8, §20, S. 74. 29
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Hegels These lässt sich also letztlich so zusammenfassen: Begrifflichkeit ist die Art des Erscheinens der Einzelheit in der sinnlichen Erfahrung. Was sich als einzeln darstellt, stellt sich auch als allgemein dar: Das Erscheinen-als des Einzelnen ist immer ein Erscheinen-als-allgemein. Trotzdem kann man doch danach fragen, ob es einzelne sinnliche Inhalte gibt, die unsagbar sind und somit sich nicht als allgemein darstellen. Darauf antwortet Hegel: „[…] das Unsagbare, Gefühl, Empfindung, ist nicht das Vortrefflichste, Wahrste, sondern das Unbedeutendste, Unwahrste.“31 Hegel akzeptiert natürlich, dass wir in verschiedenen Situationen nicht in der Lage sind, das genau zu beschreiben, was wir gerade fühlen. Aber das führt nicht dazu, die These des Erscheinens des Einzelnen als Erscheinen des begrifflichen Allgemeinen in Frage zu stellen. Gegenüber einem Arzt einen Schmerz zu beschreiben, ist zwar wohl schwer, dabei tritt aber der Schmerz schon als „Schmerz“ auf – deshalb ist man zum Arzt gegangen! Des Weiteren ist das „Vortrefflichste“ und „Wahrste“ beim Arztbesuch, zu erfahren, ob der Schmerz Symptom einer Krankheit ist. Die Wahrheit des Schmerzes befindet sich nicht im subjektiven und privaten Gefühl, sondern im Wissen und Denken. Diese Fälle stellen demnach keine gute Evidenz dar, die Existenz der einzelnen sinnlichen Inhalte, die absolut unsagbar sind, zu vertreten. Nun behauptet Hegel, das Unsagbare sei das Unwahrste, weil er der Meinung ist, die Gegenstände gewännen Wahrheit im Gedanken – nicht aber umgekehrt. Das klingt auf den ersten Blick absurd, da die Existenz der Gegenstände dem Gedanken nicht zu verdanken ist.32 Aber was Hegel hier meint, ist etwas anderes: damit unsere TWA 8, §20, S. 74. Was dies betrifft, präzisiert Robert Brandom, dass Hegel die These vertritt, dass die Intelligibilität der objektiven Welt vom Geist und dessen Begriffe und Schemata abhängt, nicht dass die Existenz der Welt davon abhängig ist. Nach Brandoms Deutung ist der hegelsche Idealismus ein Idealismus des Sinnes, der Intelligibilität und der Bedeutung und kein Idealismus der Referenz: „[…] we might define something as having the property of being pleasant, in a regimented sense, just insofar as it would tend to produce a subjective state of pleasure in creatures like us who are sensorily exposed to it. Then one cannot understand the concept pleasant 31 32
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empirischen Beschreibungen richtig oder falsch sein können, ist es als Bedingung der Möglichkeit nötig, dass unserer Sinnlichkeit das begriffliche Erscheinen entspricht. Nur unter dieser Voraussetzung können wir unsere Urteile mit der Erfahrung kontrastieren. Wenn wir eine Realität, die sich selbst sinnlich als ein durch Begriffe durchdrungenen Sinnraum darstellt, nicht wahrnehmen würden, könnten wir nichts in unserer Wahrnehmung beschreiben und so keine Urteile fällen. Das ist deswegen möglich, weil der Moment selbst, an dem wir etwas wahrnehmen, schon durch die Triebkraft des Allgemeinen und der Begriffe durchdrungen ist. Dieses Interagieren des Gedankens und der Sinnlichkeit ist aber nicht nur um seiner selbst willen zu betrachten. Dies hat nämlich weitere Konsequenzen für die These der Objektivitätsfähigkeit des Gedankens. Die Hauptkonsequenz lautet: der Gedanke zeigt sich als Objektivitätsquelle und Grundlage auch in Bezug auf die Sinnlichkeit und empirische Urteile. Nicht nur setzen die logisch-abstrakten Postulate der formellen Logik die Objektivitätsfähigkeit des Gedankens voraus, sondern auch die empirischen Behauptungen. unless one understands the concept pleasure. But because of the modal, counterfactual nature of the definition relating the intensions, it still makes perfect sense to talk about there having been pleasant things before there were human beings, and in possible worlds in which there never are human beings.” (Robert Brandom, Tales of the Mighty Dead, Cambridge/London 2002, S. 50–51.) Obwohl Brandom Recht darin hat, dass Hegel keinen subjektiven Idealismus verteidigt, entgeht seiner Deutung das Verhältnis von Denken und Wahrheit und so das Zusammenfallen von Logik und Metaphysik, da für Brandom die Begrifflichkeit, welche die Intelligibilität der objektiven Welt ausmacht, auf die soziale Interaktion der Menschen zurückzuführen ist: Jeder Begriff besteht aus einer Norm, die besagt, wie andere Begriffe verwenden werden müssen, wobei die Begrifflichkeit im Ganzen wie ein Netz aufzufassen ist. Doch der Ursprung dieses Netzes ist der gesellschaftliche Gebrauch der Wörter, der im Zusammenleben entsteht und durch den Bedarf der Anerkennung der Individuen als Gesellschaftsglieder akzeptiert und zur Regel des Austauschs von Gründen erhoben wird. Anerkennung, Intelligibilität, Gebrauch und soziales Zusammenleben konstituieren für Brandon ein und denselben Kreis der Rationalität. (Robert Brandom, Making it Explicit. Reasoning, Representing and Discursive Commitment, Cambridge/London 1994, S. 97–102). Diese Deutung, wie gesagt, lässt die Objektivitätsfähigkeitsthese außer Acht.
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Sogar die Vorstellungen oder Bewusstseinszustande, die nur sinnlich zu sein scheinen (wie die Farbe wahrzunehmen, worin das Licht und der Retina eine bestimmende Rolle spielen, den Geschmack der Lebensmittel zu genießen, wobei die Geschmackspapille als das Wichtigste auftreten würden), erscheinen immer zwangsläufig im Gedanken, verstanden als Sinnraum der Wahrheit. Die Begriffe fungieren auf diese Weise als Medium, als der Ort, wo sich das Sinnliche in seiner durch den Gedanken verstärken Anschaulichkeit manifestieren kann. Begriffe sind deswegen keine abstrakten Entitäten, die das Sinnliche entfärben, sondern die Erscheinbarkeit des Sinnlichen selbst. Schon aus diesem Grund verweist die Idee, dass dem Gedanken die Objektivitätsfähigkeit entspricht, weder auf die These, der Gedanke erschaffe die Weltgegenstände im materiellen Sinne, noch auf den problematischen Punkt, dass alles, was man denkt, deswegen zutrifft, weil man es gedacht hat. B. Pippin, McDowell und die konzeptualistische Deutung von Hegel Die These, dass die Begriffe die Erscheinbarkeit des Sinnlichen konstituieren, scheint zumindest teilweise mit den zeitgenössischen Deutungen Hegels Philosophie zusammen zu passen, insbesondere mit denen von John McDowell und Robert Pippin.33 Die Bedingung, unter welcher wir unsere Urteile mit der Erfahrung kontrastieren können, ist laut McDowell34 nicht, einen direkten nicht-begrifflichen Kontakt mit der Welt zu haben, sondern eine begriffliche Sinnlichkeit zu besitzen. Das Argument McDowells geht von der Prämisse aus, dass der Inhalt der sinnlichen Erfahrung, d.h., dasjenige, was wahrgenommen wird, der Grund dafür ist, ein Urteil zu akzeptieren oder abzulehnen. Diese Prämisse impliziert aber keineswegs eine Verteidigung des Empirismus, denn, damit etwas als Grund erscheinen kann, muss es in begrifflichen Termini intelligibel Vgl. John McDowell, Mind and World, Cambridge/London 1994; John McDowell, Having the World in View. Essays on Kant, Hegel and Sellars, Cambdrige 2009; Robert Pippin, Hegel’s Idealism. The Satisfactions of Self-Consciousness, Cambridge 1989. (Künftig: Hegel’s Idealism). 34 Vgl. McDowell, Mind and World., a.a.O., S. 10–14. 33
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sein, oder wie McDowell, Sellars folgend, behauptet, im „Raum der Gründe“ auftauchen.35 Die Rechtfertigungsverhältnisse, welche einen Grund ausmachen und in diesem implizit liegen, sind nämlich begriffliche Relationen, wobei ein Grund dasjenige ist, was in begrifflichen Zusammenhängen stehen können muss. Der Grund ist seiner Natur nach begrifflicher Inhalt. Daraus folgt deutlich, dass der Inhalt der Wahrnehmung, falls er als Grund für unsere Behauptungen betrachtet wird, unbedingt als begrifflicher Inhalt zu denken ist. McDowells Argument ist demzufolge kategorial, weder empirisch noch psychologisch, da es einfach besagt: Wenn man behauptet, dass der Inhalt der Wahrnehmung ein Grund für unsere Urteile ist, ist man auch verpflichtet, zu sagen, dass der Inhalt der Wahrnehmung begrifflich ist, denn nur so kann dieser Inhalt als Grund des Urteilens auftauchen und bestimmt werden. Das bedeutet, dass wir in der Lage sind, falsche Behauptungen zu identifizieren, aber nicht dadurch, dass wir einen nicht-begrifflichen Zugang zur Welt besitzen, sondern vielmehr deshalb, weil die Begriffe als Medium auftreten, in dem das Sinnliche und das, was der Fall ist, überhaupt einsehbar sind. Die Sorge des nicht-konzeptualistischen Philosophen besteht diesbezüglich darin, eine Begrenzung des Gedankens vorzuschlagen, damit unsere Behauptungen mit etwas Äußerlichem bestätigt werden können. Doch die Bestätigbarkeit selbst und die Rolle der Erfahrung als potenzielles Gegengewicht für unsere Urteile würden ohne Gedanken und Begriffe nicht bestehen, da das Wahrgenommene nur dann als Grund bestimmt werden kann, wenn es als begrifflicher Inhalt betrachtet wird. Eine ähnliche Argumentation findet man in Robert Pippins Deutung. (Um die Diskussion zu entwickeln, behandle ich die zwei Bücher von Pippin getrennt, und zwar Hegel’s Idealism: The Satisfactions of Self-Concsiousness, erschienen im Jahr 1989, und Hegel’s Realm of Shadows: Logic as Metaphysics in the Science of Logic36, 2018 publiziert, da die Argumente und Hauptpunkte beider verschieden sind).
Ebd. 36 Robert Pippin, Hegel’s Realm of Shadows. Logic as Metaphysics in the Science of Logic, Chicago 2018. 35
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Im ersten Buch Hegel’s Idealism hebt Pippin die Kontinuität des hegelschen philosophischen Projekts mit dem kantischen transzendentalen Idealismus hervor. Pippin zufolge sei Hegel ein kantischer Idealist, ein Transzendentalphilosoph, der sich gegen Kant richtet. Kantianer, insofern als er das kantische Projekt der Transzendentalphilosophie wiederaufnimmt, d.h. eine Erklärung davon, wie die Erkenntnis möglich ist, nicht aber die Beschreibung der fundamentalen Strukturen des Seins an sich. Gegen Kant, insofern als die Erklärung der Möglichkeit der Erkenntnis anders als bei Kant angelegt ist. Diese Möglichkeit der Erkenntnis muss nur durch die Spontaneität des Denkens und der Erzeugung von Begriffen erklärt werden und nicht durch die Koordination zwischen dem Spontanen und dem Rezeptiven. Hegel habe demzufolge den in der transzendentalen Deduktion implizit vorhandenen Konzeptualismus bezüglich der Natur der Wahrnehmung verstanden; genau darin bestehe seine Kritik an Kant.37 Pippins Argument lässt sich so zusammenfassen: Da Kant in der transzendentalen Deduktion bewiesen habe, dass die Vorstellungen eines Selbstbewusstseins sich an den Kategorien anpassen müssen, damit sie überhaupt Repräsentationen dieses Selbstbewusstseins sein können, ist nicht mehr deutlich, warum die Anschauungen und der Inhalt der Wahrnehmung (die auch Vorstellungen jedes Selbstbewusstseins sind) von den Begriffen unterschieden werden muss. Muss jede Anschauung zu den Kategorien passen, um überhaupt Anschauung eines Subjekts zu sein, sind die sinnlichen Wahrnehmungen ihrer Natur nach schon begriffliche an sich: Im Rahmen dieser Diskussion werde ich unter „Konzeptualismus“ die These verstehen, dass die sinnlichen Anschauungen begrifflichen strukturiert sind und sich begrifflich uns darstellen. Und unter „Nicht-Konzeptualismus“ verstehe ich die These, dass die Anschauungen keinen begrifflichen Inhalt besitzen, womit sie als nicht-begriffliche Inhalte oder Bewusstseinszustande gelten müssen. Was meine Meinung betrifft, erachte ich für zutreffend, dass Hegel kein bloßer Vertreter des Konzeptualismus war (obwohl er diese Meinung teilt), da seine Philosophie mit einer radikalisierten Frage beschäftigt, die die Definition der Philosophie als Reflexion über das subjektive Inventar der Erkenntniswerkzeuge in Frage stellt. Genau das ist ja die präzise Bedeutung der Überwindung bzw. der „Aufhebung“ der „gewöhnlichen subjektiven Bedeutung“ des Gedankens. Dies werde ich in diesem Abschnitt ausführlich erläutern. 37
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Kant had argued that some pure concepts were necessary conditions of the possibility of experience, since without such pure concepts, if all unification rules were derived from experience, there could not be a unity of apperception. He also wants to prove that such conditions determine the possibility of an intuited manifold; said negatively, there is no possibility that an intuited manifold could fail to conform the categories. To the later idealist, it is this claim that must have looked like a serious blurring of the distinction between concept and intuition.38
Solch eine Deutung scheint mir jedoch kritisierbar. Nicht in Bezug auf die Lesart Kants39, sondern auf die Lesart Hegels. Diesbezüglich behaupte ich, dass die Überwindung des Dualismus des Gedankens und der Sinnlichkeit nicht bloß auf den Triumph der Spontaneität über die Rezeptivität in der Herausbildung der sinnlichen Erfahrung eingeschränkt werden kann, wie auch z.B. John McDowell40 andeutet. Anders gesagt: die Art und Weise, wie Pippin die hegelsche Überwindung des schon hier genannten Dualismus umdeutet, setzt noch das voraus, was Hegel mit seiner Aufhebung des Unterschiedes Gedanken/Sinnlichkeit tatsächlich kritisiert, und zwar die „gewöhnliche und subjektive Bedeutung“ des Denkens. Für Pippin (zumindest im Buch Hegel’s Idealism) ist der Gedanke noch ein Vermögen, mit dem das Subjekt ausgestattet ist; ein Subjekt, das sich jedoch als das definiert, was sich der Welt bzw. der Realität entgegensetzt.41 Das lässt sich klar erkennen, wenn Pippin Robert Pippin, Hegel’s Idealism, S. 29. 39 Vgl. besonders: Lucy Allais, Conceptualism and Non-Conceptualism in Kant: A Survey of the Recent Debate, in: Dennis Schulting (Hgg.), Kantian Nonconceptualism, Basingstoke 2016, S. 1–25. Dabei wird die These vertritt, dass einen Gegenstand wahrzunehmen nicht ein Urteil über diesen Gegenstand zu fällen bedeutet. Das bedeutet, dass die Anschauung selbst nicht zwangsläufig auf die Erkenntnis zu beziehen ist. Auch: Sacha Golob, Kant as Both Conceptualist and Nonconceptualist, in: Kantian Review 21 (2016), S. 367–391. In diesem Text wird argumentiert, dass es bei Kant möglich sei, räumliche Anschauungen ohne Begriffe zu besitzen. Ob diese Deutung Kants Philosophie zukommt, darüber ist hier nicht die Rede. 40 Vgl. John McDowell, Hegel’s Idealism as Radicalization of Kant, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 5 (2007), S. 157–175. 41 Diese Kritik kann man auch wohl gegen McDowell formulieren. Denn bei ihm sind doch Begriffe noch Werkzeuge, die uns einen Zugang 38
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festlegt, die Kontinuität des hegelschen und kantischen Idealismus müsse darin gesehen werden, dass beide Gedankensysteme danach fragen, wie es möglich ist, dass die von der Erfahrung unabhängige Begriffe die Formen und Strukturen dieser Erfahrung in Bezug auf die Erkenntnis bestimmen.42 Damit wird implizit das Bild eines Subjektes vermittelt, welches, sich von der Welt trennend, einen Zugang zur Realität mittels seiner Erkenntniswerkzeuge zu haben versucht. Am Ende scheint es so zu sein, dass die Kontroverse von Hegel und Kant auf die Gestaltung des Inventars der subjektiven Erkenntniswerkzeuge reduziert werden kann: Bei Kant bestehe eine zweideutige Koordination der Werkzeuge (der Sinnlichkeit und des Gedankens); bei Hegel hat eins dieser Werkzeuge (der Gedanke) Priorität gegenüber dem anderen (der Sinnlichkeit). Der Kern der hegelschen Überwindung des Dualismus Denken/Nicht-Denken wird aber in dieser Lesart entstellt. Es trifft zwar zu, dass bei Hegel das Bestehen selbst der sinnlichen Wahrnehmungen durch Begriffe durchdrungen ist. In diesem Punkt haben Pippin und McDowell vollkommen Recht. Was jedoch nicht richtig ist, ist, dass der Gedanke bei Hegel nur ein Erkenntniswerkzeug des Subjekts sei, das der Welt entgegengesetzt ist. Der Grund dafür: Versteht man unter dem Denken den Sinnraum, in dem die Wahrheit erscheinen können muss, nimmt die Trennung zwischen Subjekt und Objekt schon diesen Sinnraum der Erscheinung der zur Wirklichkeit ermöglichen. In der Tat ist die Hauptfrage seiner Philosophie, wie es in den ersten Seiten von Mind and World behauptet wird, die Art und Weise philosophisch zu bestimmen, wie Begriffe das Verhältnis zwischen Geist und Welt vermitteln. (Vgl. Mind and World, a.a.O., S. 3.) McDowell möchte zwar damit den Dualismus von Gedanken und Nichtgedanklichem überwinden; doch sein Überwindungsversuch ist meines Erachtens nicht hinreichend radikal und befindet sich nicht auf der Ebene Hegels. Zu einer Kritik an McDowell in diese Richtung vgl. Markus Gabriel, Transcendental Ontology. Essays in German Idealism, New York 2011. 42 Robert Pippin, Hegel’s Idealism, S. 176: „I believe that these official statements of Hegel's basic position preserve, even while greatly transforming, a Kantian project; that a Notional “foundation” (Grundlage) of actuality refers to the conceptual conditions required for there to be possibly determinate objects of cognition in the first place, prior to empirical specification.“
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Wahrheit als vorhanden an. Dies ist besonders deutlich, wenn Hegel die gewöhnliche Vorstellung des Verhältnisses von Ich und Denken umkehrt: Das Denken gehört nicht zum Ich als ein subjektives Vermögen, sondern das Ich kann nur im Gedanken als Raum der Wahrheit erscheinen und intelligibel sein. So behauptet er: „Darum ist das Ich das Denken als Subjekt, und indem Ich zugleich in allen meinen Empfindungen, Vorstellungen, Zuständen usf. bin, ist der Gedanke allenthalben gegenwärtig und durchzieht als Kategorie alle diese Bestimmungen.“43 Die These, dass all meine Gedanke und Handlungen als meine Taten erscheinen können müssen, die dem kantischen Ansatz der transzendentalen Apperzeption wohl ähnlich ist, impliziert aber für Hegel, dass das Denken die Kategorie des Ichs und der subjektiven Handlung im Allgemeinen ist. Das Argument besteht aus zwei Teilen. Erstens ist die hierin vorhandene Konzeption des Ichs nicht substanziell, sondern performativ. Das Ich ist keine Substanz keine begriffliche Entität, wie z.B. die unsterbliche Seele, sondern es muss nur als Folge der Handlung gedacht werden. Aber zweitens, wenn man die Natur dieser subjektiven Handlung genau beobachtet, erfährt man, dass diese notwendigerweise durch Begriffe vermittelt und durchdrungen ist. Dies ist gerade der Fall beim sinnlichen Wahrnehmen. Die menschliche Sinnlichkeit bzw. die Sinnlichkeit des Subjekts ist an sich begrifflich, da der Mensch nicht nur etwas wahrnimmt, sondern auch etwas als etwas. Ist aber die Handlung des Subjekts von Begriffen konstituiert, dann ist die subjektive Aktion unbedingt Denken. Eben deshalb ist der Gedanke, das Denken die Kategorie der subjektiven Handlung und nicht eine Tat oder ein Vermögen neben anderen. Schon aus diesem Grund erscheint das Ich im Denken und nicht umgekehrt. Doch wenn im Denken nicht nur das Ich, sondern auch der wahrhafte und objektive Inhalt erscheinen – da der Gedanke objektivitätsfähig ist –, dann tauchen sowohl das Ich als auch die Welt im Denken auf und können nur Kraft dieses ursprünglichen Auftretens im Gedanken unterschieden werden. Das Denken ist demnach kein subjektives Vermögen, sondern, als Kategorie des subjektiven Handelns betrachtet, stellt es sich als den Raum oder die 43
TWA 8, §20, S. 75.
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Dimension dar, in der das Subjekt und das Objekt überhaupt differenziert werden können. Damit erweist sich jede Dualität von Subjekt und Objekt als eine selbstwidersprüchliche Stellung (dazu ausführlicher später). Pippins Problem in seinem ersten Buch von 1989 ist demzufolge, dass seine Deutung, indem er die Kontinuität von Hegels Philosophie mit dem kantischen Projekt überakzentuiert, noch epistemologisch bleibt; d.h. sie setzt das Ich als ein unmittelbar Gegebenes voraus, das anders als die Welt sei. Sie fragt sich nicht, wo oder unter welchen Bedingungen etwas wie dieses Ich erscheinen und gedacht werden kann. Pippin (oder seine Darlegung von 1989) übersieht den Kern von Hegels Ansatz, der darin besteht, dass die Etablierung des Hiatus von Subjekt und Objekt schon seine Überwindung im Denken als Raum der Wahrheit voraussetzt. Aufgrund dessen bleibt er in einem unkritischen Dilemma eingeschlossen, welches der hegelschen Philosophie tatsächlich nicht entspricht: Entweder sei der Gedanke das Vermögen des endlichen erkennenden Subjekts oder das des kosmischen, metaphysischen Subjekts bzw. Gottes (was vor allem in der Deutung von Charles Taylor 44 vorhanden ist). Insofern, als Pippin sich gegen Taylor wendet und die erste Bedeutung des Gedankens für richtig hält, überlegt jener noch über zwei subjektive Arten, die Natur des Gedankens zu verstehen – als Vermögen entweder des endlichen oder des kosmischen Subjektes.45 Doch in seinem letzten Buch, publiziert 2018, hat Pippin viele der Annahmen seiner Deutung neu dargestellt. Die These der Kontinuität mit der kantischen Transzendentalphilosophie ist nuanciert worden und der Verfasser, insistent, affirmiert, dass Hegel von Charles Taylor, Hegel, Cambridge 1975, besonders S. 494. Glenn Alexander Magee hat Pippins Deutung kritisiert, da sie die Argumentation der metaphysischen Interpretation Hegels karikiert habe. Für Magee bedeutet zu behaupten, dass Hegels Logik metaphysisch sei, nicht, zu glauben, dass es ein kosmisches Bewusstsein gibt, sondern nur zu sagen, dass Hegel eine Theorie des Sein des Ganzen darstellt. (Vgl. Glenn Alexander Magee, Hegel as Metaphysician, in: Allegra de Laurentiis (Hg.), Hegel and Metaphysics: On Logic and Ontology in the System, Berlin/Boston 2016, S. 43–58, besonders S. 55 ff.) Das von Pippin dargestellte Dilemma muss demnach nicht unbedingt akzeptiert werden. 44 45
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irgendeiner Form der subjektiven Idealismus abweicht, sogar von der Art Idealismus, der bei einer traditionellen Lesart von Kant zu finden sei.46 Laut Pippin sei noch Hegels Hauptkritik an Kant, dass Begriffe und Wahrnehmungsinhalten nicht zu trennen sind, aber die Konsequenzen, die sich aus dieser Kritik ergeben, werden in seinem neuen Ansatz jedoch umformuliert. Der Gedanke, dass der Inhalt der Wahrnehmung unbedingt begrifflich ist, impliziert für Pippin, dass die Formen der Intelligibilität im Denken nicht verschieden als die Gestaltung der Realität selbst sind. Denn die These des subjektiven Idealismus und der Lücke von Geist und Welt lässt sich auf die unreflektierten und unkritischen Präsenz eines nichtkonzeptualistischen Szenarios zurückführen. Im nicht-konzeptualistischen Szenario befinden sich einerseits ein Denken, durch begriffliche Fähigkeiten und Operationen durchdrungen, und andererseits eine rezeptive Sinnlichkeit, deren Inhalt nicht-begrifflich ist. Ermangelt aber die Sinnlichkeit begrifflichen Inhaltes und stellt sie sich zudem als die Verbindung zwischen Denken und Welt dar, dann kann man nicht wissen, ob unsere Begriffe und Schemata wirklich mit der Realität übereinstimmen, da unser Zugang zur wirklichen Welt (nämlich: die Sinnlichkeit) nicht begrifflich sei. Die These, dass sich die Begriffe als äußere Auferlegung präsentieren, die mit den Dingen nichts zu tun haben, und die Objekte der Erkenntnis nur „für uns“ und nicht „an sich“ sind, ist nur innerhalb dieses nicht-konzeptualistischen Szenarios denkbar.47 Wenn jedoch die These der nicht-begrifflichen Inhalte der Wahrnehmung keine Berechtigung mehr hat, basiert die Behauptung, dass das Denken
Vgl. Robert Pippin, Hegel’s Realm of Shadows, a.a.O., S. 47: „The distinction between “conditions on the possibility of knowledge of things” and “conditions on the possibility of things themselves,” which some use to characterize Kant’s idealism, should be rejected on the ground that the relevant conditions are inseparably both conditions on thought and conditions on objects, not primarily either the one or the other.“ 47 Vgl. Hegel’s Realm of Shadows, a.a.O., S. 80: „[…] what Hegel believes to be the unfortunate general tendency in the Critique to consider concepts as subjective classifications that we apply to exogenously received content, requiring that we wonder whether they ‘fit’ in individual cases and whether the nonderived classifications of conceptual powers have anything to do with, can rightly be ‘imposed on’ such content.“ 46
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den Gegenständen seine Schemata äußerlich auferlegt, auf einem Missverständnis. Anders ausgedrückt: Wenn dasjenige, was von der Welt kommt, durch die Sinnlichkeit gegeben wird und sich auf nicht-begriffliche Weise darstellt, ist es dann vernünftig, zu meinen, dass das Denken einer schon gegebenen Realität seine Begriffe auferlegt, wobei man niemals mit Sicherheit wissen kann, ob die jeweiligen Schemata zu der Gestaltung der objektiven Welt passen; wenn aber im Gegenteil der Inhalt der Wahrnehmung – d.h. dasjenige, was von der Welt kommt, – begrifflich erscheinen kann, sind die Begriffe keine bloß subjektive Konstruktionen mehr. Das bedeutet nicht, dass die Welt ein Gedanke ist, noch dass wir ihr begriffliche oder selbstbewusste Tätigkeit zuteilwerden lassen müssen. Die Tatsache, dass unsere Sinnlichkeit begrifflichen Inhalt besitzt beinhaltet den Umstand, dass die Welt unbedingt aus denkbarem Inhalt besteht.48 Anhand dieser These, so Pippin, hebt Hegel das kantische Dilemma auf. Die Begriffe haben weder übersinnliches oder metaphysisches Dasein (Stellung des metaphysisch-dogmatischen Rationalismus), noch müssen sie auf nur durch die Erfahrung gegebene, nicht-begriffliche Inhalte bezogen sein (was die Stellung des Empirismus und auf gewisse Weise Kants charakterisiert).49 Der dritte Weg Hegels bestehe darin, das nicht-konzeptualistische Szenario „auszutreiben“: Er zeigt, dass die These des begrifflichen Inhalts der Wahrnehmung zu einer neuen Art und Weise führt, das Verhältnis von Geist und Welt zu erfassen, in der die Fragen und Probleme des subjektiven Idealismus und des epistemologischen Skeptizismus aufgehoben werden. Unzweifelhaft ist das anti-skeptische Programm der Abbau der nicht-konzeptualistischen Theorie der Wahrnehmung mit Hegels Philosophie kompatibel. Nichtsdestotrotz bin ich der Meinung, dass Hegel eine radikalere „Austreibung“ bietet, deren Kern Pippin und McDowell partiell entgeht. Es geht um die Thematisierung der Widersprüche des epistemologischen Szenarios. Pippin und McÄhnlich argumentiert John McDowell mit seiner These der „Unbegrenztheit des Begrifflichen“, die lautet, dass die Welt aus Dingen und Relationen besteht, welche gedacht und erkannt werden können müssen. (Vgl. John McDowell, Mind and World, a.a.O., S. 24–45). 49 Vgl. Hegel’s Realm of Shadows, a.a.O., S. 82. 48
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Dowell präsentieren sehr präzise Argumente zugunsten einer Theorie des Verhältnisses von Geist und Welt, die den subjektiven Idealismus und den Skeptizismus vermeiden. Diesbezüglich soll ihre Arbeit anerkannt und gelobt werden. Doch Hegels Philosophie zielt, wie gezeigt, darauf ab, das Bild, laut welchem Geist und Welt unbedingt entgegengesetzte Entitäten sind, deren Verhältnis man befragen kann, im Keim zu ersticken. Dieser Umstand erlaubt, eine andere Topografie des Verhältnisses von Hegel und Kant vorzuschlagen. Hierbei folge ich Markus Gabriels Aufstellung.50 Laut ihm unterscheidet sich Hegel von Kant nicht dadurch, dass jener zur vorkantischen Metaphysik zurückkehrt, sondern vielmehr dadurch, dass er zeigt, dass die Voraussetzungen und Bedingungen der Möglichkeit der Transzendentalphilosophie ihren Postulaten und eigenen theoretischen Stellungen widersprechen. Hegels Kritik an Kant besteht eben darin, dass die Gegensätze der kantischen Philosophie (und im Allgemeinen der modernen Erkenntnistheorie) arbiträr sind: Diese Gegensätze formulieren zu können, setzt schon die Aufhebung derselben voraus. In jedem Gegensatz, in dem der Gedanke nur als Pol jenes (des Gegensatzes) auftritt, ist das Denken insofern kein Teil des Unterschieds, als er selbst der Ort ist, wo der Gegensatz überhaupt erscheinen kann. Die „subjektive Bedeutung des Gedankens“, die dem Hiatus zwischen Denken und Wirklichkeit der Transzendentalphilosophie und der modernen Erkenntnistheorie zugrunde liegt, kann aber nur intelligibel und denkbar in einem Raum sein, in dem der Hiatus schon aufgehoben wird. Dieser interne Widerspruch der epistemologischen Unterscheidung ist aber auf ein weiteres Problem ontologischer und metaphysischer Natur bezogen. Die Selbstwidersprüchlichkeit der Distinktion von Subjekt und Objekt impliziert die These, dass es ein ontologisches Kontinuum zwischen beiden gibt, denn irgendein ontologischer Dualismus muss aus interner Inkonsistenz scheitern. Insofern stellt sich die Frage: Wie kann man die These verteidigen, dass es ein ontologisches Kontinuum von Denken und Welt gibt, ohne dabei weder den Naturalismus, der dieses Kontinuum mit der Natur identifiziert, noch den metaphysischen Rationalismus, der für Markus Gabriel, Transcendental Ontology. Essays in German Idealism, New York 2011. (Besonders S. 35–48). 50
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die Existenz einer Dimension übersinnlicher Gegenstände und Entitäten plädiert, zu akzeptieren? Dieses Problem, und nicht nur die Diskussion bezüglich des Nicht-Konzeptualismus, ist es, was Hegel in seiner Wissenschaft der Logik behandeln möchte (dazu ausführlicher später). C. Wahrheit als Produkt des Denkens im Common Sense Die bisher rekonstruierten Argumente des Vorbegriffs lassen sich in zwei Thesen zusammenfassen. Die erste besagt, dass eine rein formelle Auffassung des Denkens selbstwidersprüchlich ist. Anders ausgedrückt: Ziel und Rolle des Denkens ist es nicht nur, eine vorgefundene Wahrheit durch Gültigkeitskriterien- und Regeln weiter zu konservieren, sondern unter Denken muss man denjenigen Raum verstehen, in dem die Wahrheit erscheinen können muss. Das Verhältnis von Denken und Wahrheit ist infallibel: derjenige, der richtig denkt, denkt auch unbedingt objektiv. Die zweite, die wir als These der Relationalität der Vermögen bezeichnen können, weist darauf hin, dass der Inhalt der Wahrnehmung begrifflicher Natur ist. Diese These ist entscheidend, da sie diejenige Vorstellung dekonstruiert, dass es verschiedene Objektivitätsquellen gibt, und zwar besonders Denken und Sinnlichkeit. Es trifft zwar zu, dass wir durch die Sinnesorgane Informationen von Gegenständen erhalten, die unabhängig von uns existieren, aber dieser Inhalt erscheint als durch das Denken durchdrungen. Nur vom Denken formiert und bestimmt, kann die sinnliche Information objektiv werden. Diese zwei Behauptungen sind wesentlich miteinander verbunden. Denn die erste These, laut der das Denken ein rationaler Sinnraum ist, in dem die Wahrheit erscheinen können muss, steht mit der Idee im Einklang, dass das Denken kein Vermögen neben anderen ist, noch ein Werkzeug, mit dem das der Welt entgegengesetzte Subjekt ausgestattet wäre. In den zwei vorherigen Abschnitten hat man eine Dekonstruktion zweier philosophischer Annahmen bezüglich der Natur des Denkens präsentiert bekommen, die Hegel überwinden möchte, und zwar die Vorstellung, dass das Denken nur Gültigkeitsformen und keinen wahren Inhalt beschafft, sowie die Absicht, dass das Denken der Welt unbedingt entgegengesetzt sei. In den folgenden
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Paragrafen des Vorbegriffs, die ich nur summarisch rekonstruieren werde, zeigt Hegel, dass diese objektive Auffassung des Denkens als Fundament der Wahrheit, als Raum, in dem diese erscheinen können muss, sich nicht von den Meinungen und gewöhnlichen Behauptungen des Common Sense entfernt, die man meistens für hoch plausibel hält. Die Objektivitätsfähigkeitsthese ist keine philosophische Fremdartigkeit, sondern sie liegt unseren Überzeugungen zugrunde. Wir, so Hegel, gehen davon aus, dass das Ergebnis eines korrekten Denkprozesses die Entdeckung der Wahrheit sein muss: „indem Denken als tätig in Beziehung auf Gegenstände genommen wird, das Nachdenken über etwas, so enthält das Allgemeine als solches Produkt seiner Tätigkeit, den Wert der Sache, das Wesentliche, das Innere, das Wahre.“51 Zu denken bedeutet, das Wahre vom Falschen durch Allgemeinheiten zu unterscheiden. Diese Überzeugung, die auf den ersten Blick trivial zu sein scheint, hat jedoch weitreichende Folgen. Die wichtigste ist, dass die logische Form des Wahren nicht die der unmittelbaren Einzelheit ist, sondern die der Allgemeinheit. Die Wahrheit und das Wahre herauszufinden, heißt nicht, eine angeblich unmittelbare Singularität zu erfassen, die für unsere Rahmenkonzepte und abstrakten Begriffe unzugänglich sein könnte, sondern, das Seiende zur Allgemeinheit zu erheben. Nur in dieser Erhebung kann das wahre Sein des untersuchten Gegenstandes entdeckt werden. Dies nicht deshalb, weil Hegel der Meinung ist, dass die allgemeinen Begriffe sich auf übersinnliche existierende Gegenstände beziehen, sondern vielmehr deswegen, weil man durch die Universalisierung die Relationen, Vermittlungen und Kontexte hervorheben, welche das Sein des untersuchten Objekts konstituieren. Gerade diese Idee hallt in den vier von Hegel angebrachten Beispielen wider. Wenn wir das Sein einer Sprache herausarbeiten wollen, können wir z.B. ihre Grammatik systematisch darstellen. Die Grammatik besteht aus Regeln und allgemeinen Zusammenhängen, die wirklich der Sprache innewohnen. Die Wahrheit einer Sprache zu entdecken, um sie zu begreifen oder zu lernen, erfordert eine Verallgemeinerungsoperation, nämlich die Erkenntnis der Gra51
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mmatik, wobei diese Operation das Sein der Sprache nicht verformt oder verbirgt, sondern es aufklärt und ans Licht bringt. Damit ist nicht gemeint, dass die grammatikalischen Regeln auf einer metaphysischen Dimension als Archetyp wirklich existieren, sondern nur, dass das Leben der Sprache innerhalb dieser Regeln verläuft. Die Allgemeinheit der Grammatik bezeichnet nur die Bewegung und Leben der Sprache, deswegen hat die erste nur in letzterer ontologisches Bestehen. Wenn wir über die Zweckmäßigkeit eines Mittels nachdenken, muss das Letztere in Übereinstimmung mit dem Allgemeinen sein, denn die Zwecke, die wir erreichen möchten, präsentieren sich als ein Allgemeines, woran das Besondere (also: die Mittel) angepasst werden müssen. Gleicherweise werden die moralischen und sittlichen Regeln durch eine Universalisierungsoperation seitens des Denkens identifiziert; Prozess, der auch im Fall der regierenden Regeln der Naturereignisse erfolgt. Die Aufgabe des Nachdenkens lautet hierin also, ein Allgemeines festzustellen, aber nur in der Überzeugung, dass dieses die Wahrheit des untersuchten Gegenstandes bezeichnet. So Hegel: Aus allen diesen Beispielen ist zu entnehmen, wie das Nachdenken immer nach dem Festen, Bleibenden, Insichbestimmten und dem das Besondere Regierenden sucht. Dies Allgemeine ist mit den Sinnen nicht zu erfassen, und dasselbe gilt als das Wesentliche und Wahre.52
Diese Beispiele und die Idee, dass die logische Form des Wahren die Allgemeinheit und nicht die unmittelbare Einzelheit ist, sind nur mit der Objektivitätsfähigkeitsthese kompatibel. Nur die These, dass das Denken derjenige Sinnraum ist, in dem die Wahrheit erscheinen können muss, gilt als Grundlage dieser Überzeugungen, die sogar uns trivial, aber hoch plausibel scheinen. Wenn das Wahre sich als das Allgemeine zeigt und dieses Allgemeine ein Ergebnis des Denkens ist, dann ist die Wahrheit ebenfalls ein Produkt, eine Leistung des Denkens und nur deswegen ist sie objektiv: „[…] dies Allgemeine existiert nicht äußerlich als Allgemeines: die Gattung als solche lässt sich nicht wahrnehmen; die Gesetze der Bewegung der Himmelskörper sind nicht an den Himmel geschrieben. Das Allgemeine also hört man nicht und sieht man nicht, sondern dasselbe 52
TWA 8, §21, S. 77.
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ist nur für den Geist.“53 Wie schon darauf hingewiesen, zu behaupten, dass das Wahre ein Produkt und Leistung des Denkens ist, bedeutet nicht, dass die Wahrheit ein bloß subjektives Konstrukt sei, denn das Ergebnis der Erhebung zur Allgemeinheit, die das Denken aktiv und spontan vollzieht, drückt die immanente Relationalität und das innere Leben aus, welche das Sein des Gegenstandes ausmachen. Die denkenden Wesen sind in der Lage, diese den Gegenstand konstituierenden Vermittlungen und Zusammenhänge zu erfassen und so die Wahrheit selbst, das wahre Sein des Objekts herauszufinden. Auf diese Weise vertritt Hegel zwei Behauptungen, die auf den ersten Blick miteinander widersprüchlich zu sein scheinen: die Wahrheit ist Resultat einer Veränderung, die das Denken tätig ausführt; doch diese Veränderung macht tatsächlich das Wahre sichtbar und gilt als Erkenntnis des wahrhaften Seins des Gegenstandes. So liest man einerseits: Durch das Nachdenken wird an der Art, wie der Inhalt zunächst in der Empfindung, Anschauung, Vorstellung ist, etwas verändert; es ist nur vermittels einer Veränderung, dass die wahre Natur des Gegenstandes zum Bewusstsein kommt.54
Und andererseits: Das andere dagegen ist, dass wir das Allgemeine, die Gesetze, auch als das Gegenteil eines bloß Subjektiven ansehen und darin das Wesentliche, Wahrhafte und Objektive der Dinge erkennen. Um zu erfahren, was das Wahre in den Dingen sei, ist es mit der bloßen Aufmerksamkeit nicht abgetan, sondern es gehört dazu unsere subjektive Tätigkeit, welche das unmittelbar Vorhandene umgestaltet.55
Das Zusammentreffen dieser zwei Behauptungen ist gleichzeitig trivial und skandalös. Trivial, weil wir glauben, dass die Entdeckung der Wahrheit Bemühung, Hingabe und Arbeit seitens des Gedankens erfordert; die Wahrheit erscheint als Resultat und Produkt des Denkprozesses. Dank der Überzeugung, dass das Ergebnis eines TWA 8, §21, S. 78. 54 Ebd. 55 TWA 8, §22, S. 78 f. 53
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richtigen Denkprozesses der Wahrheit entspricht, bewundern wir die größten Genies, Denker und Wissenschaftler, denn wir finden beeindruckend, dass die Geheimnisse des Universums, des Lebens oder der Gesellschaft – oder zumindest ein Teil davon – für einen menschlichen Geist zugänglich sind. So Hegel: „Der natürliche Glaube aber des Menschen ist, dass dieser Gegensatz [von Denken und Wahrheit; A.P.] kein wahrer sei. Im gewöhnlichen Leben denken wir nach, ohne die besondere Reflexion, dass dadurch das Wahre herauskomme; wir denken ohne weiteres, in dem festen Glauben der Überreinstimmung des Gedankens mit der Sache, und dieser Glaube ist von der höchsten Wichtigkeit.“56 Doch ist das alles skandalös, denn es ist nicht klar, wie ein Produkt des subjektiven Denkens mit der Natur des untersuchten Objekts übereinstimmen kann. Eines der Ziele des hegelschen Projekts ist es, eine Diagnose darüber zu stellen, warum man im Bereich der Philosophie die Koinzidenz des Ergebnisses der Denktätigkeit mit der wahrhaften Natur des Gegenstandes für skandalös und sogar dogmatisch hält. Es geht demzufolge darum, die „Krankheit“57 unserer Zeit, d.h. die Trennung und Entgegensetzung von Denken und Wahrheit, welche den epistemologischen Skeptizismus, den subjektiven Idealismus oder den Konstruktivismus durchdringt, zu diagnostizieren. Einige der Hauptargumente dieser Diagnose sind schon in diesem Text entwickelt worden. Doch zwecks einer systematischeren Darlegung werde ich die von Hegel angebrachte Argumente gegen das Repräsentationsproblem, die sich meistens im Vorbegriff finden lassen, aufzählen und ausführlicher betrachten. Im Lichte dieser Argumente kann man zeigen, dass das Repräsentationsproblem (die Frage, ob unsere Gedanken mit dem Sein der äußeren Gegenständen übereinstimmen) auf nicht thematisierten und problematischen ontologischen Annahmen basiert, die ihrer begrifflichen Struktur nach selbstwidersprüchlich sind. Dies ist der Grund dafür, dass das Problem der Objektivität eine metaphysische, und nicht nur epistemologische Lösung verlangt: Die Logik, als Wissenschaft des Denkens betrachtet, muss von der Objektivitätsfähigkeitsthese und so auch vom Ansatz des ontologischen Kontinuums von Sein und TWA 8, §22, S. 79. 57 Ebd. 56
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Denken ausgehen. Nur diejenige Logik, die auf dieser Ebene reflektiert, kann das Problem der Objektivität wirklich auflösen. Demzufolge ist die hegelsche Logik eine Wissenschaft des Denkens, jedoch eines solchen Denkens, welches weder formell noch bloß subjektiv ist, da es, obwohl das Vorhandensein denkender Subjekte zu seiner eigenen Existenz erfordert, in infalliblem Zusammenhang mit der Wahrheit steht und sich nicht als eine Tätigkeit versteht, die der Welt äußerlich ist. Sehen wir uns nun die Argumente gegen das Repräsentationsproblem ausführlicher an. D. Zwei Argumente gegen das Repräsentationsproblem Es scheint mir, dass man im Vorbegriff zwei allgemeine Argumente dafür finden kann, die Separation von Geist und Welt für selbstwidersprüchlich zu halten. Diese zwei Argumente kommen darin überein, dass sie beide zeigen, dass der Dualismus seine eigene Überwindung voraussetzt. Die Lösung dieses Dualismus in der hegelschen Philosophie fungiert demnach als Auflösung desselben. Die Argumente sind: i). Die Umkehrung der Beweislast bezüglich des Skeptizismus; ii). Die Selbst-Widersprüchlichkeit des Dualismus Subjekt-Objekt. i. Argument der Umkehrung der Beweislast Gewöhnlich denkt man, dass jener, der etwas behauptet, und nicht der, der etwas bezweifelt, die Beweislast in einer Diskussion trägt. Diese Verteilung der Rollen innerhalb der Argumentation hat unzweifelhaft nützliche und gesunde Konsequenzen, vor allem z.B. bezüglich des Rechtes auf Unschuldsvermutung (in dubio pro reo). In der Philosophie würde dies bedeuten, dass die Aufgabe des Skeptizismus bloß darin besteht, an der Fähigkeit des Gedankens zu zweifeln, die Wahrheit zu erkennen. In diesem Argument ist dann der Behauptende (in diesem Fall: Hegel) verpflichtet, den Zweifel des Skeptikers zu beantworten. Dieses Szenario ist so beschrieben und herausgebildet, dass keine mögliche Antwort auf den skeptischen Zweifel bestehen kann. Zweifelt der Skeptiker an der Fähigkeit des
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Gedankens, die Wahrheit zu erkennen, dann kann Hegel sich nicht auf denselben berufen, um den Zweifel aufzulösen. An diesem Punkt werden die Voraussetzungen des Repräsentationsproblem sichtbar: Das Denken erscheint hiernach als ein Instrument, welches dazu dient, die Realität zu erkennen und zu repräsentieren, wobei dieses Werkzeug untersucht werden muss, um zu erfahren, ob es seine Aufgabe erfüllen kann. Doch die Untersuchung der Angemessenheit des Erkenntnisinstruments ist schon selbst Erkenntnis in actu. Wie James Kreines und Markus Gabriel anschaulich anmerken58, zeigt Hegel überzeugend, dass das Denken für Untersuchungszwecke nicht objektiviert werden kann, da die jeweilige Untersuchung und Objektivierung schon die Verwendung des Denkens impliziert. Dasjenige, was in Frage gestellt wird, wird notwendigerweise operativ präsupponiert, um die Frage selbst zu beantworten; was klarerweise als selbstwidersprüchliches Verfahren zu bezeichnen ist. Darauf weist Hegel in den Vorlesungen über Logik und Metaphysik im Jahr 1829 hin: Aber wenn das Denken einen solchen Widerspruch darin findet, so liegt auch ein Widerspruch in dem Gesagten dass man das Instrument untersuchen muss, ehe man kenne. Denn untersuchen, das ist eben denken und erkennen. Es heisst (sic) also nicht anders: als man muss erkennen ehe man erkennt.59
Dies hat zur Folge, dass die Beweislast differiert, wenn die Rede vom Gedanken und seiner Beziehung auf die Objektivität ist: Die Wahrheit hängt vom Gedanken ab, was bedeutet, dass er ipso facto fähig ist, sie zu erkennen. Dies lässt sich dadurch beweisen, dass derjenige, der diese Fähigkeit des Gedankens bezweifeln möchte, Vgl. James Kreines, Reason in the World: Hegel’s Metaphysics and its Philosophical Appeal, Oxford 2015, S. 13–15, S. 141: „The flaw in the argument is hidden by a misleading analogy. We can examine a tool, like a hammer, without yet using it. But cognition cannot be like a tool for which we could examine its use without using it.“ Auch: Markus Gabriel, What Kind of Idealist (If Any) Is Hegel, in: Hegel Bulletin 37 (2016), S. 181–208. Ähnlich argumentiert auch Richard Dien Winfeld. (Vgl. Richard Dien Winfeld, Hegel’s Overcoming of the Overcoming of Metaphysics, in: Allegra de Laurentiis (Hgg.), Hegel and Metaphysics: On Logic and Ontology in the System, Berlin/Boston 2016, S. 59–70, besonders S. 60.) 59 GW 23.2, S. 532. 58
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sich gegenüber dem Gedanken selbst rechtfertigen muss. Um an den Gedanken zweifeln zu können, muss der Skeptizismus die nähere Abhängigkeitsbeziehung von Wahrheit und Gedanken voraussetzen. Der Skeptiker muss vernünftige Gründe und Argumente dafür liefern, an der Objektivitätsfähigkeit des Gedankens zu zweifeln. Aber das, wodurch die skeptischen Argumente beurteilt werden, ist ja der Gedanke selbst. Der Ursprung der skeptischen Frage ist demnach ein Missverständnis: Die Beziehung zwischen Wahrheit und Gedanken lässt sich nicht in die Menge der gewöhnlichen Behauptungen gruppieren, an die man wohl zweifeln kann, da sie die operative Voraussetzung jeder Behauptung ist. Diese Auffassung des Gedankens als Voraussetzung jedes Behauptens wird von Hegel so zusammengefasst: In der Logik haben wir es mit dem reinen Gedanken oder den reinen Denkbestimmungen zu tun. […] In der Logik werden die Gedanken so gefasst, dass sie keinen anderen Inhalt haben als einen dem Denken selbst angehörigen und durch dasselbe hervorgebrachten. So sind die Gedanken reine Gedanken.60
ii. Argument der Selbst-Widersprüchlichkeit des Dualismus Diese Schlussfolgerung scheint aber nicht ausreichend zu sein. Sie würde nämlich noch Raum für Zweifel an folgendem Punkt lassen: Unsere vom Gedanken durchdrungene Wahrheit garantiert ja keinen Zugang zum Ansichsein der Gegenstände – es gebe nämlich keinen Grund dafür, da diese Wahrheit unsere ist. Die durch den Gedanken ermöglichte Objektivität ist noch eine Objektivität für uns – die Denkenden – und es besteht keine äußerliche Perspektive, welche die Entsprechung unserer Objektivität und dem Ansichsein der Gegenstände bestätigen kann. Auf diese Weise formuliert, ist die Frage unlösbar. Daher bringt Hegel die Voraussetzungen ans Licht, unter denen solch eine Frage überhaupt erst formulierbar ist. Bei der Frage selbst, ob die Denkbestimmungen dem Ansichsein der Gegenstände entsprechen oder nicht, handelt es sich nicht um einen voraussetzungslosen Zweifel. In diesem Zweifel wird nicht
60
TWA 8, §24, S. 84.
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nur bezweifelt, sondern auch behauptet. Die Frage nach der Entsprechung von Geist und Welt enthält Annahmen und Behauptungen, die erst bewiesen werden müssen. Die Entsprechung zwischen Geist und Welt zu befragen, ist auf das Verständnis von beiden als Regionen der „Welt“ bzw. des „Seins“ zurückzuführen. Da sie als Regionen des Seins auftreten, kann man sich fragen, welche Beziehung diese Regionen aufeinander haben. Nur unter dieser Annahme ist dann die Frage nach der Entsprechung formulierbar. Die Auffassung des Geistes und der Realität als Seinsregionen, die heterogen und unterscheidbar sein könnten, ist von daher die implizite Behauptung, die der Frage nach der Entsprechung zugrunde liegt. Von einem hegelschen Blickwinkel her lässt sich nicht nur sagen, dass die Voraussetzung dieser Frage nicht genügend bewiesen ist. Etwas Radikaleres muss diesbezüglich berücksichtigt werden: Zu behaupten, dass Welt und Gedanke nicht einander entsprechen würden, da durch einen Hiatus getrennte Seinsregionen seien , setzt aber voraus, diesen Hiatus festgestellt zu haben. Es setzt nämlich voraus, den Gedanken und die Realität im Raum, in dem sie existieren, angeschaut und daraus geschlossen zu haben, dass beide einander entgegensetzt sind. Indem aber die Frage nach der Entsprechung dies alles annimmt, macht sie von demjenigen Gebrauch, was sie als die nicht zu erkennende Perspektive erklärt: Sich aus dem Gedanken zu entfernen, um sein Verhältnis zur Realität äußerlich zu betrachten. Genau auf dieses Argument rekurriert Hegel nicht nur gegen Kant (und seinen Unterschied von Phänomen und Ding an sich) sondern gegen jedes „dualistische System“. Diese „Inkonsequenz“ wird im Vorbegriff so dargestellt: Es ist darum die größte Inkonsequenz, einerseits zuzugeben, dass der Verstand nur Erscheinungen erkennt, und andererseits dies Erkennen als etwas Absolutes zu behaupten, indem man sagt, dies Erkennen könne nicht weiter, dies sei die natürliche, absolute Schranke des menschlichen Wissens. […] Als Schranke, Mangel wird etwas nur gewusst, ja empfunden, indem man zugleich darüber hinaus ist. […]. Es ist daher nur Bewusstlosigkeit, nicht einzusehen, dass eben die Bezeichnung von etwas als einem Endlichen oder Beschränkten den Beweis von der wirklichen Gegenwart des Unendlichen,
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Unbeschränkten enthält, dass das Wissen von Grenze nur sein kann, insofern das Unbegrenzte diesseits im Bewusstsein ist.61
Damit löst dann Hegel das Problem der Repräsentation bzw. der Trennung Welt/Geist auf: bevor man sich fragen kann, ob der Gedanke die Gegenstände erfassen kann, muss man das befragen, was die Entstehung dieser Frage ermöglicht, d.h. was uns gestattet, einen Unterschied zwischen Welt und Geist aufzustellen. Und die Antwort darauf lautet: der Gedanke selbst und seine logischen Verhältnisse sind es, worauf es in der Formulierung der Trennung Welt/Geist ankommt. Hegels Auflösung des Repräsentationsproblems besteht dementsprechend darin, die Frage nach der Repräsentation auf ihre operative Voraussetzung zurückzuführen. Mit diesen Argumenten sieht man, wie Hegels Rechtfertigung der Definition der Logik als Wissenschaft der Wahrheit aufgebaut wird. Es geht hierbei, wie in den vorherigen Absätzen erörtert, darum, Argumente zugunsten einer Konzeption des Denkens als Raum der Wahrheit zu liefern. Dass das Denken als Raum der Wahrheit bezeichnet wird, weist darauf hin, dass jenes kein subjektives Vermögen ist, hinsichtlich dessen man fragen kann, ob es in der Lage ist, die Wahrheit zu erkennen. Dieser Umstand ist für die hegelsche Konzeption der Logik entscheidend, denn darin wird deutlich, dass die Betrachtung des Gedankens bezüglich seiner selbst keine Tautologie, sondern ein Selbstbestimmungsprozess ist, in dem das Denken sich als Grundlage der Objektivität und der Wahrheit zeigt. Die hegelsche Logik tritt als eine Selbstbetrachtung des Denkens, als aktives Prinzip und Fundament der Wahrheit auf. In der hegelschen Logik geht das Denken nicht nur mit Propositionen und Regeln um, sondern wesentlich mit sich selbst als Produzent der Bedingungen, unter denen diese Propositionen und Regeln objektiv, sinnvoll und wahr sein können. Die Rolle des Denkens als Fundament und Raum der Wahrheit macht die Radikalisierung der Logik aus, die Hegel vorschlägt.
61
TWA 8, §60, S. 143–144.
§3. Die Objektivität als metaphysisches Problem A. Die Einheit von Logik und Metaphysik Die von Hegel vorgeschlagene Radikalisierung der Logik führt dazu, dass die Gegenstände und Themen, mit denen sich diese Disziplin beschäftigt, „objektive Gedanken“ sind. Ein Gedanke ist im hegelschen Sinn objektiv, wenn er sich als Inhalt darstellt und somit nicht nur eine Form repräsentiert, die sich auf einen bloß äußerlichen Umriss bezieht. Beispiele dieser objektiven Gedanken sind schon erwähnt worden: z.B. der Begriff der Freiheit oder sogar die Objektivitätsfähigkeitsthese selbst. Dass die Gegenstände der Logik objektive Gedanken sind, impliziert nun für Hegel, dass diese Disziplin mit der Metaphysik „zusammenfällt“, da diese Gedanken nicht nur die Argumentations- und Gültigkeitsregel beinhalten, sondern auch darüber Auskunft geben, wie die Welt wirklich ist. So behauptet Hegel: Die Gedanken können nach diesen Bestimmungen objektive Gedanken genannt werden, worunter auch die Formen, die zunächst in der gewöhnlichen Logik betrachtet und nur für Formen des bewussten Denkens genommen zu werden pflegen, zu rechnen sind. Die Logik fällt daher mit der Metaphysik zusammen, der Wissenschaft der Dinge in Gedanken gefasst, welche dafür galten, die Wesenheiten der Dinge auszudrücken.1
Damit betritt man die dritte Stufe von Hegels Strategie. Wie schon erläutert, geht es darum, zu begründen, dass das Objektivitätsproblem grundsätzlich metaphysisch ist. Einer der Gründe für diese Verbindung ist uns schon bekannt: Die Sorgen und Zweifel des Skeptizismus und des subjektiven Idealismus, laut denen das Denken keinen Zugang zur Wahrheit für sich beanspruchen könnte, stützen sich auf ontologische Voraussetzungen, deren logische Struktur selbstwidersprüchlich ist. So lässt sich auch die Behauptung rechtfertigen, dass das Objektivitätsproblem metaphysisch zu betrachten sei: Die Objektivitätsfähigkeitsthese bringt ontologische Konsequenzen mit sich. Die hegelsche Metaphysik, mit der die Logik zusammenfallen muss, be1
TWA 8, §24, S. 81.
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steht gerade in der Entwicklung und Entfaltung dieser ontologischen Schlussfolgerungen. Dass diese Konsequenzen durch die Objektivitätsfähigkeitsthese motiviert werden, d.h. durch eine Reflexion des Denkens, in der dieses sich selbst als Fundament der Wahrheit zeigt, macht den Unterschied zwischen der vorkritischen, dogmatischen Metaphysik und der hegelschen Version derselben aus (dazu ausführlicher in Kapitel 2). Die Objektivitätsfähigkeitsthese oder in ihrer analogen Formulierung der Ansatz, dass das Denken ein rationaler Sinnraum ist, in dem die Wahrheit erscheinen können muss, hat zur Folge, dass das Denken auf irgendeine Weise existiert. Gewissermaßen ist die These, dass es das Denken gibt, selbstverständlich, nicht aber der Gedankengang, dass aufgrund der Objektivitätsfähigkeitsthese jenes nicht als Substanz, als Träger von Eigenschaften und Bestimmungen, sondern als Prozess und Tätigkeit existiert. Das Denken ist grundsätzlich kein denkendes Ding. In der Tat zielt die These, das Denken sei Grundlage und Quelle der Objektivität, auf eine logische Selbstbegründungstruktur ab, die nicht tautologisch betrachtet werden kann. Damit wird auf die Rolle hingewiesen, die das Denken als Legitimationsinstanz jeder Begründung, Beschreibung der Welt und Behauptung mit Objektivitätsanspruch spielt, womit es eben nicht nur die analytische Identität des Gedankens (also: Gedanken = Gedanken) beschreibt. An diesem Punkt sollte man außerdem hinzufügen, dass diese logische Selbstbegründungstruktur selbst ein Gedanke ist. In diesem Umstand liegt jedoch kein Hinweis auf einen Teufelskreis oder einen unendlichen Regress, sondern er gibt vielmehr darüber Auskunft, dass diese logische Selbstbegründungstruktur notwendigerweise performativ ist, d.h., dass das Denken als Identität zwischen dem Begründenden und dem Begründeten im Rahmen seiner eigenen Tätigkeit bestimmt werden muss. Aus diesem Grund ist die Identität des Denkens nicht tautologisch. Sie bezeichnet keinesfalls die Identität irgendeines Gegenstandes, wie z.B. beim Satz Buch = Buch. Ihre Seinsweise ist anders zu betrachten. Die Identität des Buches ist eine logische Bedingung desselben und insofern ein Gedanke; die Identität des Buches ist kein Buch, ist diese doch nur den denkenden Wesen zugänglich. Genau gegenteilig verhält es sich mit dem Denken, da seine Identität eben ein Gedanke ist: In ihm kommen seine Identität, Tätigkeit und
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Existenz zusammen. Kraft dessen, dass Identität, Tätigkeit und Existenz ein und dasselbe im Denken sind, hat dieses keinen substanziellen Charakter, sondern einen performativen; seine Bestimmung ist seine eigene Tätigkeit, wobei das Denken nur als Selbstbestimmung oder „Freiheit“ definiert werden kann: In dem Denken liegt unmittelbar die Freiheit, weil es die Tätigkeit des Allgemeinen, ein hiermit abstraktes Sichaufsichbeziehen, ein nach der Subjektivität bestimmungsloses Beisichsein ist, das nach dem Inhalte zugleich nur in der Sache und deren Bestimmungen ist.2
Daraus folgt deutlich, dass das traditionelle Modell der Substanzontologie nicht auf das Denken angewandt werden kann. Es ist kein denkendes Ding, sondern wird nur als Prozess und sogar als Geschehen intelligibel. Genau wie der Blitz mit seinem eigenen Erscheinen zusammenfällt, ohne dass es ein Substrat hinter den Blitzen gibt, hat das Denken ebenfalls nur in seinem eigenen Tun ontologisches Bestehen: dessen Sein ist nur als Folge einer Handlung zu betrachten, da seine Identität und Existenz nicht von seiner Tätigkeit trennbar ist. Anstatt bloßes Vermögen ist das Denken ein logischer Prozess, was zudem bedeutet, dass „das Logische“, d.h. die Grundbestimmung, die die Denktätigkeit durchläuft, ebenfalls prozesshaft, dynamisch, relational und selbstbestimmend sind. Doch der prozesshafte Charakter des Denkens ist nicht die einzige ontologische Konsequenz der Objektivitätsfähigkeitsthese. Ist das Denken der Raum, in dem die Wahrheit erscheinen können muss, dann können die Grundbestimmungen, die die Denktätigkeit durchläuft, den Dingen nicht fremd sein. Wenn das Denken prozesshaft ist und nur ontologisches Bestehen in ihrem Tun hat, dann muss dieser Rahmen der Prozessontologie auch für die Realität und für die Gegenstände Gültigkeit haben, auf die sich der Gedanke bezieht. Sowohl das Denken als auch die Realität sind eine Art logische Prozessualität. In dieser Hinsicht behauptet Hegel: Das Verhältnis von solchen Formen wie Begriff, Urteil und Schluss zu anderen, wie Kausalität usf., kann sich nur innerhalb der Logik selbst ergeben. Aber so viel ist auch vorläufig einzusehen, dass, indem der Gedanke sich von Dingen einen Begriff zu machen sucht, dieser Begriff (und damit auch 2
TWA 8, §23, S. 80.
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dessen unmittelbarste Formen, Urteil und Schluss) nicht aus Bestimmungen und Verhältnissen bestehen kann, welche den Dingen fremd und äußerlich sind.3
Oberflächlich lässt sich dieser Satz nicht lesen. Hegel sagt nicht, dass eine einfache Ähnlichkeit zwischen Begriffen und Dingen existiert. Solch ein Ausdruck würde tatsächlich der dogmatischen Metaphysik angehören und wäre im Übrigen kontraintuitiv: Der Begriff, den man sich beispielsweise von einem Baum macht, besitzt weder Blätter noch Wurzeln und noch weniger betreibt er Fotosynthese. Außerdem ist damit auch nicht gemeint, dass es ein figuratives Einszu-eins-Verhältnis von Dingen und Begriffen gebe, als ob letztere das Ebenbild der ersteren wären. Was Hegel hier behauptet, ist vielmehr, dass die prozesshafte und relationale Ordnung der Intelligibilität, welche sich im Denken ausdrückt, den Dingen nicht fremd und äußerlich ist, da die Dinge selbst prozesshaft, relational und dynamisch zu erfassen sind. Die Relationalität, welche die Denkbestimmungen konstituiert, liegt auch den Dingen zugrunde. Sich einen Begriff von einem Ding zu machen, bedeutet, die im Ding wirklich vorhandenen Vermittlungen und Verhältnisse ans Licht zu bringen. Diese im Ding vorhandenen Vermittlungen und Relationen, die für den ganzen Inhalt desselben verantwortlich sind, machen eine Art „versteinerte Intelligenz“4 aus, die den Dingen innewohnt und mit unserer Intelligenz übereinstimmen können muss. So weist Hegel darauf hin: „Das Logische ist, dem Bisherigen zufolge, als ein System von Denkbestimmungen überhaupt aufzusuchen, bei welchen der Gegensatz des Subjektiven und Objektiven (in seiner gewöhnlichen Bedeutung) hinwegfällt.“5 Dieses System von Denkbestimmungen bezeichnet eine Beweglichkeit und Lebendigkeit, die sowohl in unserem Intelligibilitätsrahmen als auch im Sein der Dinge liegen, da beide Bereiche relational zu verstehen sind. Die genaue Demonstration dieser These erfolgt in der Wissenschaft der Logik, vor allem in der Deduktion der Kategorie der Subjektivität aus dem Begriff der Substanz, was später untersucht wer-
TWA 8, §24, S. 81. 4 Ebd. 5 Ebd. 3
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den wird. Nun kann man jedoch diese These veranschaulichen und plausibilisieren. Die prozesshafte Ordnung der Intelligibilität, die sich in unseren Gedanken manifestiert, besteht für Hegel im dialektischen Verhältnis von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Diese Relation ist es, was Hegel „Begriff“ nennt: Jeder Begriff und das Tun des Begreifens selbst sind nur aufgrund dieses Zusammenhanges möglich. Dass ein Implikationsverhältnis von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit vorhanden ist, scheint auf den ersten Blick kontraintuitiv, da diese Termini einander auszuschließen pflegen: Das Allgemeine ist abstrakt, wiederholbar, diskursiv, während das Einzelne konkret, unwiederholbar, intuitiv und lebhaft ist; ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Hegel ist jedoch der Meinung, dass das Konkrete – seine Lebhaftigkeit und sein Inhaltsreichtum – das Allgemeine erfordert, denn letzteres ermöglicht das Vorhandensein jeder Differenzierung und damit die Inhaltspluralität überhaupt: „Es ist aber gerade die Natur des Allgemeinen, ein solches einfaches zu sein, welches durch die absolute Negativität den höchsten Unterschied und Bestimmtheit in sich enthält.“6 Sehen wir uns dies anhand eines Beispiels an. Sähe ich zwei unterschiedliche Blätter, kann ich prima facie behaupten, dass der allgemeine Begriff „Blatt“ beim Erfassen der Einzelheit und Inhaltspluralität beider Gegenstände nicht weit genug gehe. Sie sind so verschieden, dass die Verwendung des Begriffes „Blatt“, um uns auf sie zu beziehen – wie bereits Nietzsche argumentierte7 – arbiträr wäre. Das erste Blatt ist grün, spiegelt die Herrlichkeit des Frühlings wider und seine gerundeten Ränder scheinen von den Insekten geringfügig zerfressen zu sein; das andere zeigt eine rötlich-goldgelbe Färbung, in der sich die dekadente Ruhe des Herbstes sehen lässt. Eine gewöhnliche Auffassung bezüglich dieser Unterscheidungen wäre dann die Folgende: Viele verschiedene Inhalte werden im abstrakten und vereinfachten Begriff „Blatt“ getilgt! Wie hoch und tief ist die chaotische Pluralität, die der Ordnung des Einen willkürlich unterworfen wird! Doch das Tun selbst der TWA 6, S. 275. 7 Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, in: Werke in drei Bänden, Band 3, München 1954. 6
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Spezifikation und Hervorhebung des Konkreten und seiner Lebhaftigkeit bedarf allgemeiner Begriffe: „Grün“, „Frühling“, „Ruhe“, „Herbst“, „Rand“ usw. sind alle Allgemeinheiten und doch kann man nur durch diese verschiedenen Gegenstände differenzieren und spezifizieren. Je mehr allgemeine Begriffe man gebraucht, um sich auf einen Gegenstand zu beziehen, desto singulärer, konkreter und reicher erscheint dieser. Dies hat zur Folge, dass das Einzelne und Konkrete nur als Allgemeinheiten erscheinen können und dass das Einzelne seine eigene Bewegung der Universalisierung ist, denn das Allgemeine macht das Medium aus, in dem die Singularität als Singularität auftreten kann. Dass die Blätter dank ihres Begriffes als „Blätter“ erscheinen, beinhaltet in der Tat von vornherein eine Spezifikation: Das Blatt ist weder der ganze Baum noch eine Blume etc. Doch das allgemeine „Blatt“ abstrahiert nicht den Inhaltsreichtum, noch reduziert es diesen auf eine einfache Bestimmung, da es den Blättern wesentlich ist, je nach Jahreszeit und Baumart eine Form und Farbe zu haben. Die Blätter sind immer Blätter auf eine bestimmte, besondere Art und Weise und dies gehört wesentlich zu ihrem Begriff. Der allgemeine Begriff „Blatt“ ist demnach keine bloße Abstraktion, kann nicht von seiner Partikularisierung getrennt werden, denn Blatt zu sein (das Allgemeine), impliziert begrifflich (also der Allgemeinheit nach), Blatt auf eine bestimme Art und Weise zu sein (das Besondere). Ebenfalls, sich partikularisierend, manifestiert sich die grüne Farbe als Allgemeinheit auf eine spezifische Art und Weise in den verschiedenen Farbtönen der Blätter im Frühling. Es gibt kein Blatt überhaupt, noch Farbe ohne besonderen Ton, noch Sprache, die nicht auf besondere Weise gesprochen wird, d.h. mit Akzent. Daraus folgt, dass die Partikularisierung die notwendige Existenzform des Allgemeinen ist. Dank dieser Bewegung ist es möglich, die konkrete Einzelheit eines Gegenstandes hervorzuheben, da das Konkrete als das durch seine Partikularisierung instanziierte Allgemeine zu erfassen ist.
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Diesbezüglich hat Robert Stern8 zurecht darauf hingewiesen, dass bei Hegel das konkrete Allgemeine eben dieses gegenseitige Implikationsverhältnis des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen bezeichnet und nicht den Gedanken, dass die Individuen sich aufeinander beziehen, weil sie einer allgemeinen Klasse angehören. Jedoch finde ich die vom Verfasser aufgestellte Unterscheidung zwischen Substanz-Allgemeinheit und Eigenschaft-Allgemeinheit problematisch. In der Behauptung „die Rose ist rot“ differenziert Stern zwei Allgemeinheiten, nämlich ‚Rose‘ und ‚rot‘. Erstere entspricht der Substanz-Allgemeinheit, da sie dasjenige bezeichnet, was der Gegenstand ist: Es geht um eine Rose; die zweite ist ihrerseits als Eigenschaft-Allgemeinheit zu denken, denn sie zielt eben auf eine Eigenschaft ab, die der Gegenstand als Rose hat. Auf den ersten Blick ist die Unterscheidung überzeugend, denn es ist plausibler, zu behaupten, dass die Rose rot ist, weil sie eine Rose ist, als zu sagen, dass etwas Rotes eine Rose ist, weil es rot ist. Anders gesagt: Die Eigenschaft, rot zu sein, kann nur aufgrund gewisser biologischer Prozesse erklärt werden, die der Rose eigen sind, während das Rose-Sein nicht aus der Farbe abgeleitet werden kann. Das Problem dieser Unterscheidung liegt nun m.E. darin, dass sie die dualistische Hierarchie von Wesentlichem und Unwesentlichem implizit voraussetzt und reproduziert, die Hegel – wie es später zu untersuchen ist – innerhalb der Wesenslehre jedoch widerlegt. Für Hegel ist dem Wesen das Unwesentliche wesentlich. Dies kann man präzis in der von Stern vorgeschlagenen Differenzierung betrachten. Ist die Eigenschaft, rot zu sein, auf gewisse biologische Prozesse der Rose zurückzuführen, dann ist das Rot-Sein für diese Rose nicht zufällig, sondern substanziell und wesentlich, da sie (die Rose) nicht von ihrem Lebensprozess unterscheidbar und eben genau aufgrund dessen rot ist. Gleichzeitig ist aber der Lebensprozess gerade ihr Begriff, d.h. dieses Allgemeine, das sich als Entwicklung partikularisiert. Es trifft zwar zu, dass das Allgemeine ‚Rose‘ das Was des Gegenstandes bezeichnet, doch das Allgemeine ‚rot‘ beschreibt das Wie, der notwendige besondere Modus des Was. Dass Vgl. Robert Stern, Hegel, British Idealism and the Curious Case of the Concrete Universal, in: British Journal for the History of Philosophy 15 (2007), S. 115–153. 8
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das Allgemeine nur in seiner eigenen Partikularisierung existieren kann, bedeutet, dass es kein Was ohne ein Wie gibt, d.h., dass es keine Rose ohne Farbe gibt.9 So wird das Was des Gegenstandes nicht durch eine Substanz-Allgemeinheit bezeichnet, sondern durch den logischen Prozess, in dem das Allgemeine, das Besondere und das Einzelne reziprok intelligibel sind. Genau dieser Prozess – und nicht die Substanz-Allgemeinheit, die der EigenschaftAllgemeinheit analytisch entgegensetzt ist – stellt das Blut oder die Seele all dessen dar, was überhaupt individuierbar ist. Der Kern von Hegels Ontologie muss nicht nur in Bezug auf Aristoteles’ Theorie der Gattung als Wesen und Substanz gesehen werden, sondern besteht in einer logischen Theorie der reinen Relationalität als Bedingung der Spezifizität. Die Universalisierung muss demzufolge nicht mit dem gleichgesetzt werden, was man gewöhnlich Abstraktion nennt, d.h. mit dem Beiseitelassen des pluralen und konkreten Inhaltes, um einfache und leere Bestimmungen zu erreichen. Das Allgemeine ist zwar einheitlich, aber jedoch auf eine solche Weise, dass sich die Selbstausdifferenzierung als die notwendige Form seiner Einheit präsentiert. „Das Allgemeine ist daher die freie Macht; es ist es selbst und greift über sein Anderes über; aber nicht als ein Gewaltsames, sondern das vielmehr in demselben ruhig und bei sich selbst ist.“10 Das Allgemeine enthält sein Anderes, das Besondere und das Einzelne, da es nur als seine eigene Partikularisierung denkbar ist und sich auf diese Weise als das Medium darstellt, in dem das Konkrete und Individuelle auftauchen können: das Allgemeine „ist ein Verhalten seiner zu dem Unterschiedenen nur als zu sich selbst.“11
Stern selbst scheint diese Tatsache anzuerkennen, wenn er behauptet: „The substance universals which constitute the nature of the individual qua individual do not exist in the abstract, but only as particularized through property universals“(a.a.O., S. 132). Das heißt, dass die Eigenschaft-Allgemeinheiten für die Substanz-Allgemeinheiten wesentlich und substanziell sind, weshalb die Unterscheidung die These der dialektischen Entwicklung des Begriffes, d.i., den Gedanken, dass das Allgemeine nur in seiner Partikularisierung zu erfassen ist, nicht präzis ausdrückt. 10 TWA 6, S. 277. 11 Ebd. 9
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Diese Implikationsbeziehung von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit bestimmt und durchdringt jedoch nicht nur die Art und Weise, wie das Denken sich auf die Welt bezieht, sondern bezeichnet auch den Prozess, anhand dessen die wirklichen Gegenstände selbst spezifisch und singulär werden. Die Singularisierung oder Vereinzelung durch Allgemeinheit sowie die Partikularisierung letzterer verweisen nicht nur auf eine Operation des subjektiven Denkens, sondern kommen in der Realität selbst vor. Im Satz bzw. Urteil Frau Schmidt hat in Ingenieurwissenschaften promoviert kann man diese logisch-prozessuale Form finden, in der das Allgemeine, das Besondere und das Einzelne sich gegenseitig implizieren. Schmidt ist Einzelheit, sie ist von anderen Gegenständen und Menschen unterscheidbar. Dies jedoch, mit dem Inhalt des Satzes übereinstimmend, aufgrund ihrer Promotion in Ingenieurwissenschaften. „Promotion“, „Ingenieurwissenschaften“ sind aber keineswegs bloße Termini, die einem unbestimmten Substrat beizulegenden Eigenschaften bezeichnen, sondern Institutionen und wirkliche gesellschaftliche Verfahren, in denen die Menschen bzw. die Individuen ihre eigene Persönlichkeit entwickeln und ausbilden können. Die Ingenieurwissenschaft ist tatsächlich eine der Arten, wie die allgemeine menschliche Fähigkeit, einen Beruf oder eine Profession zu haben, sich partikularisiert. In ein und derselben Bewegung kommen die Singularisierung Schmidts und die Partikularisierung einer allgemeinen menschlichen Fähigkeit vor. Diese Bewegung ist nicht nur im Satz oder Urteil „Schmidt hat in Ingenieurwissenschaft promoviert“ impliziert, sondern findet im eigenen Leben all derjenigen statt, die den Doktortitel erwerben. Sowohl der subjektive Prozess, eine Einzelheit zu erfassen und sie im Gedanken auszudrücken, als auch der objektive Prozess des Bildens und Formens dieser Einzelheit besitzen dieselbe logische Struktur. Dasselbe kann man laut Hegel bezüglich der Tiere und des organischen Lebens im Allgemeinen affirmieren: „Tier“ und „Leben“ sind keine Eigenschaften eines Substrates, sondern Prozesse, anhand derer sich das Allgemeine, das Besondere und Einzelne in ihrer reziproken Interaktion bilden. Ein näheres Beispiel ist, dass, wenn wir von einem bestimmten Tiere sprechen, wir sagen, es sei Tier. Das Tier als solches ist nicht zu zeigen, sondern nur immer ein bestimmtes. Das Tier existiert nicht, sondern ist die
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allgemeine Natur der einzelnen Tiere, und jedes existierende Tier ist ein viel konkreter Bestimmtes, ein Besonderes. Aber Tier zu sein, die Gattung als das Allgemeine, gehört dem bestimmten Tier und macht seine bestimmte Wesentlichkeit aus.12
Jedes Tier ist einzeln und unterscheidbar. Das Tier ist insofern singulär, als es die Animalität, die allgemeine Fähigkeit, sich aktiv und durch eigenen Impuls zu bewegen, auf partikuläre Weise verwirklicht. Das Allgemeine „Tier“ hat nur in dieser Partikularisierung ontologisches Bestehen, wobei es weder eine platonische Universalität noch eine bloße gemeinsame Eigenschaft verschiedener Substrate bezeichnet. Diese besonderen Arten der Verwirklichung des TierSeins sind jedoch der Animalität selbst nicht zufällig noch unwesentlich, sondern sie sind die eigene Existenzform des tierischen Lebens. Die Spezifizität des Lebens besteht eben darin, eine differenzierte Entwicklung zu haben, d.h. sich zu vermehren und sich dabei zu pluralisieren und zu verändern. Den Urteilen, die wir bezüglich der Tiere fällen, liegt die logische Interaktionsstruktur von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zugrunde, da wir durch Begriffe die Spezifizität einer jeden Kreatur hervorheben und sie somit individualisieren. Des Weiteren macht diese Struktur aber auch die Form aus, in der sich das Leben des Tieres entwickelt und in der Welt objektiv vorkommt. Der Prozess, welcher sich im Gedanken und in seinen Bedingungen und Koordinaten für die Intelligibilität ausdrückt, ist von dem Prozess, anhand dessen sich die Singularität in der objektiven Sphäre des Seins entwickelt und formt, nicht zu trennen. Beide gelten als spezifische, aber artikulierte Realisierungsformen (Momente) dessen, was Hegel objektives Denken nennt. Dadurch distanziert sich Hegel sowohl von der kantischen Philosophie (zumindest laut ihrer traditionellen Lesart), nach der die Begriffe des Denkens kein notwendiges Korrelat in der Natur der Realität haben, als auch von der dogmatischen Metaphysik, die über das Denken und seine Existenz als konstitutives Element der Objektivität nicht reflektiert. Das Denken macht die Objektivität, oder wie Hegel sagt, „die Substanz der äußerlichen Dinge“ aus, nicht deswegen, weil wir beim Denken den Dingen ein fremdes Intelligibilitätsschema auf12
TWA 8, §24, S. 82.
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erlegen, sondern vielmehr deshalb, weil der Gedanke die in den Gegenständen schon vorhandene, logische Form zum Bereich des Selbstbewusstseins erhebt.13 Demzufolge ist das Denken das Selbstbewusstsein dieser logischen Form, die dem wirklichen Prozess zugrunde liegt, durch den alle Wesen singulär und unterscheidbar werden können. Das ist es gerade, was Hegel bezüglich des Syllogismus bzw. des Schlusses behauptet. Dieser taucht sowohl als Form im subjektiven Sinn als auch in objektiver Hinsicht auf: Nehmen wir z.B. den Schluss (nicht in der Bedeutung der alten, formellen Logik, sondern in seiner Wahrheit), so ist er die Bestimmung, dass das Besondere die Mitte sei, welche die Extreme des Allgemeinen und Einzelnen zusammenschließt. Diese Form des Schließens ist eine allgemeine Form aller Dinge. Alle Dinge sind besondere, die sich als ein Allgemeines mit dem Einzelnen zusammenschließen.14
Damit sieht man, obwohl nur in präliminärer Weise, die ontologischen Konsequenzen der Objektivitätsfähigkeitsthese. Der Ansatz, dass das Denken ein rationaler Sinnraum sei, in dem die Wahrheit erscheinen können muss, ist mit einer Substanzontologie inkompatibel. Nur eine Prozessontologie – und in diesem Falle besonders Terry Pinkard (The Logic of Hegel’s Logic, in: Journal of the History of Philosophy 17 (1979), S. 417–435) definiert Hegels Logik als „konzeptualistische Ontologie“. Darunter versteht er die Beschreibung des Sets unserer Begriffe, die notwendig für die Erkenntnis und die Intelligibilität des Inhaltes sind: „The objective logic is, then, a general ontology, a treatment of the a priori determinations of being. It is ‘metaphysical’ in an obvious sense; it is the study of being ‘at large’. Its transcendentality is not, however, so immediately obvious. The precise nature of its transcendentality must be spelled out later, but this much is obvious: Hegel's ontology is explicitly a purely conceptualist one. The a priori determination of objects is demonstrated through a logic of concepts. In this sense Hegel reconstructs the determinations of things according to the principles of thought; he thereby reconstructs the a priori conditions for thought about objects. Ontology is prosecuted via a reconstruction of how we think about the real.“ (S. 428) Pinkard behauptet richtig, dass die Ontologie bei Hegel durch die Selbstreflexion des Denkens dargestellt wird, doch die Objektivitätsfähigkeit des Denkens wird durch den Verfasser nicht zureichend hervorgehoben, wodurch der Unterschied zur Transzendentalphilosophie nicht deutlich wird. 14 TWA 8, §24, S. 84. 13
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eine Ontologie des Schlusses – kann darüber Auskunft geben, dass Denken und Wirklichkeit ein und dieselbe Prozessualität in sich darstellen, aber auf differenzierte Art und Weise: während die Realität und die Natur die syllogistische Entwicklung in sich tragen, d.h. sie müssen als reine Interaktion von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit aufgefasst werden, sind das Denken und die Subjektivität sich wissende, syllogistische Entwicklung: „Die Natur bringt den νοῦς sich nicht zum Bewusstsein; erst der Mensch verdoppelt sich so, das Allgemeine für das Allgemeine zu sein.“15 Das ist der Kern einer reflexiven Theorie des Absoluten. 16 Das bisher Gesagte legt noch nicht die von Hegel dargestellten Argumente dar, anhand derer er solch eine reflexive Ontologie verteidigt. Es zeigt nur, dass die Objektivitätsfähigkeitsthese ein ontologisches Korrelat hat und deswegen das Objektivitätsproblem auch metaphysisch zu betrachten ist. Dies ist einer der Gründe dafür, dass die Logik mit der Metaphysik zusammenfällt. Ist das DenTWA 8, §24, S. 82. 16 Unlängst hat auch Chong-Fuk Lau argumentiert, dass Hegel eine „deflationäre“ Version der Metaphysik darstelle, in der die vormalige Metaphysik zur Semantik wird. Das bedeute, dass die Logik keine direkte Beschreibung der Welt gebe, sondern sich als Theorie „zweiter Ordnung“ präsentiere, die sich hauptsächlich mit den Begriffen beschäftigt, die wir beim Referieren verwenden. (Vgl. Chong-Fuk Lau, A Deflationary Approach to Hegel’s Metaphysics, in: Allegra de Laurentiis (Hgg.), Hegel and Metaphysics: On Logic and Ontology in the System, Berlin/Boston 2016, S. 27–42.) Es triff zwar zu, dass Hegel eine Theorie „zweiter Ordnung“ aufstellt, allerdings scheint mir die Identifikation der Wissenschaft der Logik mit der Semantik einseitig. Wie ich im nächsten Kapitel argumentieren werde, erscheint die Logik als eine Theorie zweiter Ordnung und sogar als Metametaphysik, aber nicht deswegen, weil sie die antike Metaphysik auf semantische Probleme reduziert, sondern deshalb, weil sie als eine reflexive Konzeption des Absoluten zu deuten ist. Diesbezüglich halte ich die Deutung von Hannah Robert für richtig, die den ontologischen Aspekt der hegelschen Logik hervorhebt: Durch ihre ontologische Einstellung differenziert sich ja Hegels Logik von der formellen Logik. (Dazu: Robert Hanna, From an Ontological Point of View. Hegel’s Critique of the Common Logic. In: The Review of Metaphysics 40.2 (1986), S. 305–338.) Es reicht jedoch nicht, den ontologischen Charakter von Hegels Logik in den Blick zu nehmen; darüber hinaus muss man auch den reflexiven Aspekt hinsichtlich der Auffassung des Absoluten betonen. 15
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ken der Raum, in dem die Objektivität auftaucht, dann impliziert etwas über den Gedanken zu sagen notwendigerweise, etwas über die Gegenstände zu sagen, auf die er sich bezieht. Doch darin lässt sich auch die Koinzidenz der Metaphysik mit der Logik sehen: Die einzige legitime Art, etwas von einem philosophischen (nicht empirischen noch wissenschaftlichen) Blickwinkel aus über die Gegenstände zu sagen, ist die Selbstreflexion des Denkens. Irgendein Versuch, diese Momente des philosophischen Tuns zu trennen, führt entweder zum Dogmatismus oder zu selbstwidersprüchlichen Stellungen, die z.B. mit dem Repräsentationsproblem und demnach (laut Hegel) mit der kantischen Transzendentalphilosophie zu assoziieren sind. B. Die Einheit von Logik und Metaphysik in Hegels Begriff der Wahrheit Die Koinzidenz von Logik und Metaphysik führt, wie gesagt, dazu, dass die Gegenstände der ersten als objektive Gedanken aufzufassen, und nicht nur als Gültigkeits- und Argumentationsregel zu charakterisieren sind. Eine der Bedeutungen des Ausdruckes „objektive Gedanken“ besagt, dass diese Gedanken selbst einen Inhalt darstellen, der nicht nur darüber Auskunft gibt, wie wir denken, sondern auch darüber, wie die Welt ist. Das heißt nicht, dass jeder Gedanke oder Begriff mit den weltlichen Sachverhältnissen eins zu eins übereinstimmen müssen, sondern vielmehr, dass sowohl das Begreifen als subjektives Tun als auch die wirkliche Bildung und Konstitution der Einzelheiten durch die Interaktion von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zustande kommen. Dass die subjektive Tätigkeit des Begreifens und die wirkliche Vereinzelung (also: das objektive Einzelnwerden) der Gegenstände dieselbe logische Struktur besitzen, gewährleistet, dass das subjektive Denken fähig ist, die Singularität der Gegenstände der Welt zu erfassen; all dies liegt dem zugrunde, was wir für gewöhnlich „Wahrheit“ nennen. Was dies betrifft, behauptet Hegel Folgendes: Gewöhnlich nennen wir Wahrheit Übereinstimmung eines Gegenstandes mit unserer Vorstellung. Wir haben dabei als Voraussetzung einen Gegenstand, dem unsere Vorstellung von ihm gemäß sein soll. – Im philo-
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sophischen Sinn dagegen heißt Wahrheit, überhaupt abstrakt ausgedrückt, Übereinstimmung eines Inhalts mit sich selbst. Dies ist also eine ganz andere Bedeutung von Wahrheit als die vorher erwähnte. Übrigens findet sich die tiefere (philosophische) Bedeutung der Wahrheit zum Teil auch schon im gewöhnlichen Sprachgebrauch. So sprich man z.B. von einem wahren Freund und versteht darunter einen solchen, dessen Handlungsweise dem Begriff der Freundschaft gemäß ist; ebenso spricht man von einem wahren Kunstwerk. Unwahr heißt dann soviel als schlecht, in sich selbst unangemessen. In diesem Sinne ist ein schlechter Staat ein unwahrer Staat, und das Schlechte und Unwahre überhaupt besteht in dem Widerspruch, der zwischen der Bestimmung oder dem Begriff und der Existenz eines Gegenstandes stattfindet. Von einem solchen schlechten Gegenstand können wir uns eine richtige Vorstellung machen, aber der Inhalt dieser Vorstellung ist ein in sich Unwahres.17
Diese Aussage wurde meistens auf zwei Weisen in der Literatur interpretiert. Erstens als kohärentistische Auffassung der Wahrheit, denn der Gedanke, dass die Wahrheit in der „Übereinstimmung eines Inhalts mit sich selbst“ liegt, führe dazu, dass die Kohärenz eine wesentliche Eigenschaft des Wahren ist.18 Nicht die Übereinstimmung mit der externen Realität ist für die Wahrheit entscheidend, sondern nur die interne, logische Kohärenz, d.h., die Koinzidenz eines Systems von Aussagen mit sich selbst. Zweitens, vor allem in den Untersuchungen von Herbert Schnädelbach 19 und Jens Halfwassen20, wird sie als eine neuplatonische, meistens ontotheologische Konzeption der Wahrheit verstanden, laut der das Wahre in der Einheit von Begriff und Existenz besteht, Einheit, die nur dem absoluten Einen und der Idee des Guten prädiziert werden kann. Da, wie schon gezeigt, Hegels Konzeption der Logik einen ontologischen Aspekt für sich beansprucht und so einen kohärentistischen
TWA 8, §24, S. 86. Alfred Baum, Wahrheit bei Kant und Hegel, in: Dieter Henrich (Hg.), Kant oder Hegel? Über die Formen der Begründung in der Philosophie, Stuttgart 1983, S. 230–249. 19 Vgl. besonders: Herbert Schnädelbach, Hegels Lehre von der Wahrheit, Berlin 1993. 20 Vgl. Jens Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung, Bonn 1999, besonders S. 273–285. 17 18
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Wahrheitsbegriff bei Weitem übersteigt21, diskutiere ich hierin besonders mit der neuplatonischen Lesart. Dieser Deutung nach sei Hegels Wahrheitsbegriff auf die neoplatonische Beschreibung des Aufstieges zum Eins zurückzuführen.22 Die Entdeckung des Wahren müsse man als philosophisches „Transzendieren“23 durch Begriffsanalyse verstehen. Alle Gegenstände und Wesen würden ihr Sein ihrem eigenen Einheitscharakter verdanken, denn, unabhängig von seiner Besonderheit und seinem Gehalt, muss jedes Seiende einheitlich sein; nur so kann es sein, was es ist: das Wassein von Etwas ist nämlich nur einheitlich zu betrachten. Die Mannigfaltigkeit und Pluralität, die nicht vereinheitlich werden können, verschwinden ins Nichts. Deswegen ist das Eine, welches den reinen Begriff der Übereinstimmung mit sich selbst, d.h., die Idee des Guten bezeichnet, das Wahrhafte und somit absolut; es stellt das Einzige dar, in dem Begriff und Existenz zusammenfallen: Gott.24 Die philosophische Darstellung der Wahrheit Vgl. Rolf-Peter Horstmann, Hegel über Unendlichkeit, Substanz, Subjekt. Eine Fallstudie zur Rolle der Logik in Hegels System, in: Francesca Menegoni und Luca Illetterati (Hgg.), Das Endliche und das Unendliche in Hegels Denken, Stuttgart 2004, S. 83–102. Im Text schlägt Horstmann ein interessantes Gleichnis vor, um das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität (oder von Denken und Wahrheit) zu verstehen: das Enten-Kaninchen-Bild. Beide sind dasselbe, einheitlich, jedoch zugleich differenziert, weshalb Hegels Ansatz weder als Kohärentismus noch als Pragmatismus zu deuten ist. 22 Diese Deutung findet man auch bei Michael Wladika (vgl. Michael Wladika, Wieder Metaphysik. Zu Hegels Proklos-Aufnahmen, in: HegelJahrbuch 2016, S. 176–182). Wladika versucht, im Neuplatonismus eine reflexive Theorie des Absoluten zu sehen, da dabei das Denken als Selbstbewusstsein des Seins auftritt (ebd. S. 176). Dies ist jedoch nicht der Fall, weil das Absolute-Eine und der Gedanke hinsichtlich dieses Absoluten nicht strukturidentisch in logischen Termini sind. Ist das so, dann ist das Denken noch eine äußere Reflexion bezüglich des Absoluten (dazu ausführlicher in Kapitel 2). 23 Vgl. Halfwassen, a.a.O., S. 232. 24 Vgl. Schnädelbach, a.a.O., S. 9: „Dies bedeutet zwar eine Transformation des platonischen òntos ón, aber keine Aufhebung des metaphysischen Wahrheitsbegriffs selber; er bleibt metaphysisch, weil er ein objektiv Wahres meint, von dem alles übrige Wahrsein – auch das unseres Wissens 21
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bestehe demzufolge in der Beschreibung dieses wahren Prinzips der Einheitlichkeit und nicht bloß in der Darlegung eines Kriteriums durch welches die Urteile oder Aussagen wahr sind. Die folgende Behauptung Hegels gilt als Beleg für diese neuplatonische Deutung: Gott allein ist die wahrhafte Übereinstimmung des Begriffs und der Realität; alle endlichen Dinge aber haben eine Unwahrheit an sich, sie haben einen Begriff und eine Existenz, die aber ihrem Begriff unangemessen ist.25
Doch einer der Gründe dafür, diese neuplatonische Interpretation in Frage zu stellen, ist, dass darin die Entgegensetzung von Sein und Schein, vom Absoluten und seiner Manifestation noch vorhanden ist; eine Juxtaposition, die Hegel selbst in der Wesenslogik problematisiert und widerlegt26 (dazu ausführlicher in den Kapiteln 4 und – immer schon abhängt.“ Auch dazu: Halfwassen, a.a.O., S. 279: „Plotin formuliert mit diesem Gedanken des Seins als der uneingeschränkten Fülle, die jeden möglichen Seinsgehalt und jeden Seinsgrad in absoluter Aktualität in sich enthält, also auch die aktuale Existenz, bereits den Grundgedanken des ontologischen Gottesbeweises“ Man muss zugeben, dass die These, dass die Wahrheit in der Übereinstimmung des Inhalts mit sich selbst besteht, schon Platons Wahrheitsauffassung zum Ausdruck bringt, d.h. Wahrheit als „Selbstsein“ (Dazu: Ernst Tugendhat, Zum Verhältnis von Wissenschaft und Wahrheit, in: Collegium Philosophicum. Studien Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Basel 1965, S. 392–394.) Doch der Umstand, dass sowohl Platon als auch Hegel diese Auffassung der Wahrheit als Selbstsein verteidigt haben, bedeutet nicht, dass er alle die Annahmen des Neuplatonismus bezüglich des Absoluten-Einen akzeptiert hat. (Sogar Tugendhat sieht diese Wahrheitsauffassung paradigmatisch bei Husserl, was darauf hinweist, dass es keine notwendige Implikationsbeziehung zwischen dem Platonismus und dem Verständnis der Wahrheit als Selbstsein gibt). Die Antwort auf die Frage nach der logischen Explikation dieses „Selbstseins“ ist bei Hegel und dem Neuplatonismus verschieden: Das Selbstsein wird bei Hegel nicht durch die Transzendenz zum Einen erklärt, sondern durch die dialektische Bewegung der Allgemeinheit, die sich als Einzelheit entwickelt und darin instanziiert ist. 25 TWA 8, §24, S. 86. 26 So behauptet Halfwassen (a.a.O., S. 276): „Darum bedarf es [das Absolute; AP] auch keines externen Grundes, um zu existieren, sondern existiert allein durch sich selbst und ist zugleich der Grund des Seins für alles, was nicht durch sich selbst existiert, sondern bloße Erscheinung des absoluten
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5). Außerdem stellt das neuplatonische Eine keinen reflexiven Ansatz des Absoluten dar (dazu in Kapitel 2), da dieses Eine verschieden vom Denken ist, welches es betrachtet. Des Weiteren ist für Hegel der Begriff – oder die Interaktion von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit – keine metaphysische Struktur oder Entität, die jenseits oder hinter den endlichen und einzelnen Inhalten oder Seienden liegt. Das ontologische Bestehen des Begriffes liegt in seiner eigenen Erscheinung als Einzelnes vor, da, wie gesehen, die Partikularisierung die notwendige Existenzform des Allgemeinen ist. Es gibt das Tier, das Rot oder die Sprache in ihrer abstrakten Reinform nicht; das Sein der Animalität, der Farbe und der Sprache entspringt eben ihrer differenzierten Entwicklung. Daher ist der Begriff des absoluten Einen überhaupt noch nicht genuin spekulativ, geht es dabei nämlich um ein Allgemeines, dem seine eigene Partikularisierung als konstitutive und wesentliche Existenzform fehlt. Genau dies wirft Hegel der platonischen Auffassung der Wahrheit vor: Um dies in die Vorstellung wenigstens aufzunehmen, ist die Meinung auf die Seite zu legen, als ob die Wahrheit etwas Handgreifliches sein müsse. Solche Handgreiflichkeit wird zum Beispiel selbst noch in die platonischen Ideen, die in dem Denken Gottes sind, hineingetragen, als ob sie gleichsam
Seins.“ Diesem Begriff des absoluten Seins gehört keine Besonderung an, da es „durch sich selbst existiert“, d.h. es ist von seiner eigenen Erscheinung innerhalb des untergeordneten Seienden unabhängig – sonst müsste man sagen, dass dieses absolute Sein durch sein Erscheinen existiert. In diesem Sinne bleibt bei diesem Begriff die Trennung zwischen Sein und Schein bestehen, wobei die Erscheinung eine pejorative und niedrige, ontologische Konnotation besitzt. Genau daher spricht hier der Autor von einer „bloßen Erscheinung“ des Absoluten, um die ontologisch untergeordneten Gegenstände zu bezeichnen. Als bloße Erscheinungen des Absoluten sind die gewöhnlichen Gegenstände demgemäß eine spätere und zufällige (nicht konstitutive und notwendige) Instanziierung dessen, was absolut ist. Die Erscheinung macht hier keine Absolutheit des Absoluten aus, was bedeutet, dass diese Erscheinungen des absoluten Seins als verformende Instanziierung zu verstehen sind, da diese nicht einheitlich genug sind. Hegel fasst das Verhältnis des Absoluten zu seiner Manifestation anders auf: Letztere ist für das Erstere konstitutiv und wesentlich; der Unterschied zwischen Sein und Schein wird damit aufgehoben. Später werde ich dieses Verhältnis untersuchen und zeigen, dass darin die Überwindung des Dualismus von Sein und Denken zu sehen ist.
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existierende Dinge, aber in einer anderen Welt oder Region seien, außerhalb welcher die Welt der Wirklichkeit sich befinde und eine von jenen Ideen verschiedene, erst durch diese Verschiedenheit reale Substantialität habe.27
Das Zusammenfallen von Begriff und Existenz, das laut Hegel konstitutiv für den Wahrheitsbegriff ist, soll aus dem Gesagten anders gelesen werden. Unterscheidet sich das Allgemeine von der Partikularisierung nicht, zielt die Einheit von Begriff und Existenz darauf ab, dass das eigene Vorhandensein des Einzelnen und Konkreten selbst die differenzierte Entwicklung des Allgemeinen ist. Das einzelne Leben ist die differenzierte Entwicklung der Gattung und letztere hat nur ontologisches Bestehen in diesem Leben und dessen Verhältnissen zur Umwelt. Die Einheit von Begriff und Existenz, auf die Hegel verweist, ist demzufolge die reziproke Implikationsbeziehung von Allgemeinheit und Einzelheit: Der Begriff liegt nicht jenseits der einzelnen Existenz, sondern existiert nur insofern, als er sich in dieser instanziiert. Daher ist die Wahrheit die Übereinstimmung des Inhaltes und des Begriffes mit sich selbst und nicht gerade die Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit einem Gegenstand.28 Die Existenz des TWA 5, S. 44. Dahingehend formuliert Michael Spieker pointierend: „Die Wirklichkeit der Wahrheit liegt im Ausdruck ihrer Selbstübereinstimmung. Im Erweis dieser Übereinstimmung besteht ihre beständige Tätigkeit. So ist die Wahrheit nicht das Ergebnis eines Abgleichs von Urteil und an sich bestehender Realität, die Wahrheit ist vielmehr als Subjekt zu bestimmen, sie ist selbst etwas.“ (Michael Spieker, Wahres Leben denken: Über Sein, Leben und Wahrheit in Hegels Wissenschaft der Logik, Hamburg 2009, S. 350). Ähnlich argumentiert Theunissen. Er behauptet, dass Wahrheit für Hegel die Entsprechung zwischen Begriff und Realität als wirkliches Geschehen zu definieren ist. (Vgl. Michael Theunissen, Begriff und Realität. Hegels Aufhebung des metaphysischen Wahrheitsbegriffs, in: Rolf-Peter Horstmann (Hg.), Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt am Main 1978, S. 324–359, besonders S. 354.) Doch Theunissen berücksichtigt nicht, dass dieses wirkliche Geschehen verschiedene Ebenen hat: eine logische und eine realphilosophische Ebene. Die logische Ebene bezieht sich auf die Allgemeinheit als Bedingung der Möglichkeit für die Intelligibilität des Einzelnen als spezifisches Einzelne; die realphilosophische Ebene verweist 27 28
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Einzelnen, konzipiert als partikularisierte und differenzierte Entwicklung des Allgemeinen, ist gerade die Übereinstimmung des Allgemeinen mit sich selbst, d.h. die Wahrheit. Diese Übereinstimmung ist jedoch weder analytisch noch tautologisch, denn damit identifiziert man nicht bloß die einfache Identität des Allgemeinen mit sich ohne weitere Bestimmungen, sondern, worauf Hegel bereits hingewiesen hat, die Identität von Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes, die Identität von Einheit und Unterschied, die Identität des Allgemeinen und des Konkreten: Das Allgemeine ist somit die Totalität des Begriffs, es ist Konkretes, nicht ein Leeres, sondern hat vielmehr durch seinen Begriff Inhalt, – einen Inhalt, in dem es sich nicht nur erhält, sondern der ihm eigen und immanent ist.29
Das Allgemeine ist mit sich selbst identisch durch seine differenzierte Entwicklung, durch seine eigene Partikularisierung, weshalb die einfache Bestimmung der einfachen Identität oder des Unterschiedes den eigenen Charakter dieser logischen Bewegung nicht erfassen kann. Anders gesagt: Die Erscheinung und das Vorhandensein eines spezifischen Inhaltes in seiner eigenen Singularität sind der dialektischen Übereinstimmung des Allgemeinen mit sich selbst gleichzusetzen. Diese immanente Logik des Erscheinens der Spezifizität geht jeder Thematisierung des adäquaten Verhältnisses von Vorstellungen und Gegenständen oder von Urteilen und Sachverhalten voraus, da jede Aussage sich auf etwas Spezifisches bezieht.30 Die Erscheinung der Spezifizität, d.h. die Wahrheit im philosophischen Sinn ist demnach eine Voraussetzung des Behauptens und des Urteilens. Die Bedingungen, durch welche die Spezifizität und die Bestimmung überhaupt denkbar sind, haben Vorrang über die Frage, ob unsere Vorstellungen mit den Gegenständen übereinstimmen. In diesem Zusammenhang besteht Hegels These darin, dass jede Spezifizität und Bestimmung nur als die dialektische Übereinihrerseits auf die Realisierung der Vernunft in der Geschichte als Geschehen der Wahrheit. In diesem Abschnitt setzte ich mich ausschließlich mit der logischen Ebene auseinander. 29 TWA 6, S. 277. 30 Ähnlich argumentiert Chong-Fuk Lau (vgl. Chong-Fuk Lau, Hegels Urteilskritik, München 2004, S. 54–57).
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stimmung des Allgemeinen mit sich selbst denkbar sind. Dies berücksichtigend, kann die Frage nach der Wahrheit richtig und legitim formuliert werden und so fällt sie nicht in das Repräsentationsproblem der Korrespondenztheorie.31 Dies ist gerade das, was Hegel mit den Beispielen des wahren Freundes, Kunstwerkes und Staates meint. Wenn es einen wahren Freund, ein wahres Kunstwerk, einen wahren Staat gibt, stimmt der Die Verwendung des Terminus „Übereinstimmung“ besagt nicht, dass Hegel eine Korrespondenztheorie der Wahrheit vertritt. Denn die „Übereinstimmung“ von Begriff und Realität findet objektiv in der eigenen Existenz des Einzelnen und Spezifischen statt. Dahingehend soll man, zumindest partiell, den vor kurzem publizierten Aufsatz von Georg Sans kritisieren, laut dem Hegel eine holistische Korrespondenztheorie verteidige, und zwar, die These, dass alle wahren Aussagen sich auf dieselbe Tatsache (die große Tatsache) beziehen. (Vgl. Georg Sans, Was ist Wahrheit? Hegel, Frege und die große Tatsache, in: Hegel-Jahrbuch 2016, S. 108–113.) So behauptet der Verfasser: „Anders als Davidson, der in der Rede von der Großen Tatsache lediglich „eine redundante Prise Ontologie“ erblickt, erklärt Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes plakativ: „Das Wahre ist das Ganze“ (112); „Deshalb versteht Hegel das konkrete Ganze, auf das sich unsere Begriffe, Urteile und Schlüsse beziehen, seinerseits als etwas, an dem Begriff und Wirklichkeit miteinander in Einklang stehen“ (113). Diesbezüglich ist anzumerken, dass das Ganze für Hegel kein Substrat ist, das alle Tatsachen in sich enthält, noch als die große Tatsache zu denken ist, sondern gerade als die logische Beziehung von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Für Hegel ist die Frage, ob die Aussagen „Köln liegt am Rein“, „A ist der erste Buchstabe des Alphabetes“ und „Cervantes ist der Verfasser von Don Quijote de la Mancha“ auf dieselbe Tatsache referieren, gleichgültig, denn alle diese Aussagen beziehen sich auf etwas, das als Spezifisches erscheint. Hegels These lautet, dass diese spezifischen Inhalte, auf welche die Aussagen verweisen, dieselbe logische Struktur besitzen, nicht dass alle wahren Propositionen dieselbe „große Tatsache“ erfassen. Deshalb halte ich die Deutung von Weimin Shi für richtig, der behauptet, dass die Wahrheit für Hegel als „das Kriterium der Gegenständlichkeit, also die Form, die den Gegenständen in allen Sphären gemeint ist,“ definiert werden muss. (Vgl. Weimin Shi, Hegels Kritik am geometrischen Beweis und sein Holismus, in: Anton F. Koch, F. Schick, K. Vieweg, C. Wirsing (Hgg.), Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik, Hamburg 2014, S. 319). Dieses „Kriterium der Gegenständlichkeit“ kann auch meiner Meinung nach als Kriterium der Erscheinung Spezifizität verstanden werden, da die Gegenstände immer spezifische Inhalte darstellen. 31
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Begriff in seiner Singularisierung dialektisch mit sich selbst überein, wird das Allgemeine zur einzelnen Existenz und geht der Begriff mit seiner Existenz zusammen. Natürlich kann es scheinbare Freunde oder Kunstwerke geben, sagt man doch zurecht in solchen Fällen, dass es sich um einen falschen Freund oder um ein gefälschtes Kunstwerk handelt. All dies besagt deutlich, dass die Begriffe nicht für Repräsentationen gehalten werden müssen, die mit der Realität übereinstimmen können oder nicht, sondern, dass die gegenseitige Implikation von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sowohl unsere Tätigkeit des Begreifens als auch das objektive Erscheinen und Formen des Singulären ermöglicht. Die Rolle der Begriffe ist nicht, die Realität zu repräsentieren oder zu kopieren, sondern diese darzustellen; sie sind das Medium, in dem die eigene Realität objektiv erscheinen kann, d.h. unabhängig von unseren Wünschen, Urteilen und vorherigen Vorstellungen. Die hegelsche Logik, die, wie gesehen, sich als Wissenschaft der Wahrheit darstellt, betrachtet die Bedingungen, die die Existenz und die Herausbildung der einzelnen, spezifischen und unterscheidbaren Inhalte ermöglichen. Die Ebene dieser Reflexion ist, um dies erneut anzumerken, sowohl logisch als auch ontologisch; darin sind Logik und Metaphysik reziprok verständlich und intelligibel. Die Denkbestimmungen, die die Erscheinung der Spezifizität durchdringen, sind „objektive Gedanken“: sie beschreiben nicht nur die Art und Weise, wie wir, die denkenden Wesen, Dinge und Inhalte voneinander unterscheiden können, sondern auch die Bedingungen, die ein Inhalt objektiv erfüllen muss, um spezifisch und unterscheidbar zu sein. Den objektiven Charakter dieser Gedanken in Frage zu stellen, z.B. durch Berufung der These, dass die Denkbestimmungen, aufgrund derer die Spezifizität möglich ist, nur subjektiv seien, ist selbstwidersprüchlich, denn diese These setzt dasjenige voraus, was sie negieren und widerlegen möchte: Sie verlangt eine Distinktion von Subjekt und Objekt, die von bloßen Denkbestimmungen ausgemacht wird und hat dennoch Wahrheits- und Objektivitätsanspruch. Für denjenigen, der die dualistische Unterscheidung von Subjekt und Objekt vertritt – oder für denjenigen, der behauptet, dass sie sich als unüberwindbares Hindernis für den objektiven Charakter der Gedanken präsentiert –, ist der dualistische Hiatus zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven pa-
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radoxerweise ein objektiver Gedanke. Der eigentliche dualistische Unterschied bewegt sich – ohne methodisches Bewusstsein darüber – in der logisch-metaphysischen Dimension von Hegels Logik, in der die Gedanken beschreiben können, wie die Dinge objektiv sind.
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2. Hegels Metaphysikkritik im Vorbegriff der Enzyklopädie Vorbemerkungen Im vorherigen Kapitel habe ich mich damit auseinandergesetzt, die Bedeutung der hegelschen Behauptung zu ergründen, laut der die Logik und die Metaphysik „zusammenfallen“. Von dieser Betrachtungsweise her muss man unter Metaphysik eine Wissenschaft des Denkens verstehen, was der gewöhnlichen Definition der Logik entspricht. Jedoch liegt der Grund dafür, dass die Wissenschaft des Denkens eine metaphysische Orientierung haben muss, im hegelschen Begriff des Gedankens. Dieser ist nicht mit der Menge formaler Regeln zu identifizieren, die der argumentativen Verbindung zwischen Propositionen zugrunde liegt, noch mit dem Vermögen eines der objektiven Welt entgegengesetzten Subjektes. Im Gegensatz zu diesen traditionellen Auffassungen des Gedankens verteidigt Hegel zwei Thesen, die für sein Verständnis der Logik entscheidend sind. Die erste These besagt, dass das Denken keinen bloß formalen Charakter besitzt und demnach nicht nur auf die logische Gültigkeit der Argumente bezogen ist, sondern selbst das Fundament und die Quelle aller Wahrheit und Objektivität konstituiert (sogar der Wahrheit und der Objektivität der Aussagen, die auf die empirische Welt verweisen). Die Beziehung zwischen Gedanken und Objektivität ist folglich infallibel: Derjenige, der richtig denkt, denkt auch notwendigerweise objektiv. Diese Beziehung zwischen Gedanken und Objektivität (die ich „Objektivitätsfähigkeitsthese“ genannt habe) ist ebenso gegen den Skeptizismus immun, da jeder skeptische Zweifel eine Art von Vernünftigkeit voraussetzt, die nur durch den Gedanken geprüft und beurteilt werden kann. Mit anderen Worten: der Skeptiker ist auch dazu verpflichtet, richtig zu denken, um seine Vorwürfe, Zweifel usw. formulieren zu können. Von daher würde sich der Skeptiker in einen performativen Widerspruch verstricken, falls er an der Objektivitätsfähigkeitsthese zweifelt. Die zweite These weist darauf hin, dass das Denken nicht das Vermögen eines Subjektes ist, das sich der objektiven Welt gegenüberstellt. Aufgrund seiner notwendigen Relation zur Objektivität
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ist das Denken bei Hegel eine Art allgemeiner Intelligibilitätsraum, in dem sowohl die objektive Welt als auch das Subjekt erscheinen können. Die Metaphysik soll demnach für Hegel die Wissenschaft dieses Denkens sein, das als allgemeiner Intelligibilitätsraum verstanden werden muss, was wiederum mit seiner Logik koinzidiert. Nun hat diese Wissenschaft des Denkens ontologische Konsequenzen, aber nicht deshalb, weil sie die vorkantische Metaphysik restauriert. Die Logik hat unzweifelhaft den Anspruch, eine ontologische Beschreibung dessen abzugeben, wie die Dinge sind, jedoch ist diese immer explizit durch die Deskription dessen vermittelt, wie wir diese Dinge betrachten und denken. Die Artikulation dieser zwei philosophischen Projekte ist dadurch möglich, dass Hegel den Dualismus zwischen Subjekt und Objekt als vernünftige, philosophische Option beiseitelässt, indem er zeigt, dass dieser Dualismus selbstwidersprüchlich ist. Zu behaupten, dass die Welt und der Gedanke nicht einander entsprechen würden, da sie in einem Hiatus stehende Seinsregionen sind, setzt aber voraus, diesen Hiatus von einer äußeren Perspektive aus festgestellt zu haben. Es wird nämlich präsupponiert, den Gedanken und die Realität im Raum, in dem sie existieren, angeschaut und daraus geschlossen zu haben, dass beide einander entgegengesetzt sind. Doch die Tatsache, dass die Logik eine durch eine Selbstbetrachtung des Denkens vermittelte Beschreibung der Seinsweise der Dinge darstellt, impliziert nicht nur die These, dass unser Gedanke die Natur der Gegenstände adäquat erfassen kann. Es erscheint eine noch radikalere ontologische Konsequenz, aufgrund derer Hegels Logik von einer bloß realistischen Philosophie abweicht, obwohl Hegels Projekt mit diesem Realismus nicht inkompatibel ist. Es ist nämlich nicht möglich, die „Realität“, das „Sein“ oder „das Absolute“ in konsistenter Weise zu begreifen, ohne in diese Realität das Denken zu inkludieren, welches diese betrachtet und darüber selbstbewusst reflektiert; weshalb diejenige fundamentale, voraussetzungslose Wahrheit, deren Herausfindung das Streben der Philosophie gewesen ist, sich nicht von der Tätigkeit dieses objektiven Denkens verschieden sein kann. Im folgenden Kapitel wird diese These angesichts der hegelschen Kritik an der vormaligen Metaphysik als „Stellung des Ge-
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dankens zur Objektivität“ veranschaulicht. Dazu setzte ich mich erstens mit der Bedeutung des Terminus „Stellung des Gedankens zur Objektivität“ auseinander (§4), um mich danach auf Hegels spezifische Metaphysikkritik zu fokussieren (§5) und die Artikulation von Metaphysik und Metaphysikkritik in der Wissenschaft der Logik darzustellen (§6).
§4 Zum Begriff Stellung des Gedankens zur Objektivität Die explizite Verwendung des Wortes „Stellung des Gedankens zur Objektivität“ erscheint erst in §25: „Die dem Denken zur Objektivität gegebenen Stellungen sollen als nähere Einleitung, um die Bedeutung und den Standpunkt, welcher hier der Logik gegeben ist, zu erläutern und herbeizuführen, nun betrachtet werden.“1 Ziel der Untersuchung der „Stellungen des Gedankens zur Objektivität“ ist es, den „Standpunkt“ der Logik aufzuklären. Das Verständnis dieser Passage fordert dann, die Bedeutung von „Standpunkt“ weiter zu präzisieren. Dieser scheint im Text zwei Definitionen zu haben: einerseits spricht Hegel vom „Standpunkt jetziger Zeit“ 2 und andererseits vom Standpunkt der „philosophischen Wissenschaft“ oder des „Wissens“.3 Meines Erachtens lassen sich diese zwei Gehalte des Terminus als äußerer und innerer Standpunkt der Logik übersetzen. Den „inneren Standpunkt“ machen die philosophischen Erläuterungen aus, von denen her das Projekt der Wissenschaft der Logik Sinn ergibt und in denen es auch eine rationale Rechtfertigung findet. Diese Erläuterungen lassen sich in toto als die Betrachtung des objektiven Gedankens als Raum, in dem alles, was intelligibel ist und sein kann, auftritt, und der Logik als Wissenschaft dieses Gedankens zusammenfassen. Seinerseits bezieht sich der äußere Standpunkt auf die Auffassungen des gewöhnlichen Bewusstseins und anderer philosophischer Systeme über die Natur des Gedankens, mit denen sich Hegel kritisch auseinandersetzen möchte. Doch die zweigliedrige Konnotation des „Standpunktes“ weist auf keine bloß thematische Unterscheidung hin. Beide Konnotationen des Terminus sind vielmehr in der inneren Artikulation des hegelschen Argumentes zu verstehen: Der „innere Standpunkt“ erscheint hierbei zugleich als Ergebnis und Voraussetzung des Äußeren. Jener ist insofern Resultat, als er nach dem Abbau des äußeren Standpunktes präzis festgestellt werden kann und genau deshalb stellt er sich auch als Voraussetzung dar: Das absolute Denken, verstanden als Raum der Intelligibilität überhaupt, ist auch derjenige TWA 8, §25. S. 91. 2 Ebd. 3 TWA 8, §25. S. 92. 1
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Raum, in dem die Auffassungen des gewöhnlichen Bewusstseins und anderer Philosophien über die Natur des Gedankens als einseitige Ansätze erscheinen können. Die gegenseitige Artikulation des inneren und äußeren Standpunktes besteht demnach darin, dass den äußeren Standpunkt abzubauen eben dies bedeutet – wie in der Analyse der §§ 20–24 schon erläutert –, das gewöhnliche Bewusstsein auf den spekulativen Gedanken zurückzuführen, den Letzteren als Voraussetzung für Ersteres aufzuzeigen. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Widerlegung, die vom abstrakten Gegensatz zwischen Wahrheit und Falschheit ausgeht4, sondern um ein AusAm Anfang der Begriffslogik merkt Hegel bezüglich des Begriffes der Widerlegung das Folgende an: „In Rücksicht auf die Widerlegung eines philosophischen Systems ist anderwärts gleichfalls die allgemeine Bemerkung gemacht worden, dass daraus die schiefe Vorstellung zu verbannen ist, als ob das System als durchaus falsch dargestellt werden solle und als ob das wahre System dagegen dem falschen nur entgegengesetzt sei.“ (TWA 6, S. 250.) Obwohl die Bemerkung innerhalb der sogenannten Widerlegung des Spinozismus erscheint, lässt sie sich mit der Widerlegung im Allgemeinen verbinden. Der Aufgabe der Widerlegung ist es zunächst, die unter kritischer Betrachtung stehende Idee zu ihrem maximalen Punkt zu steigern, um ihre implizite Wahrheit hervorzuheben. Jede Meinung, obwohl es sich nur um eine unkritische Vorstellung handelt, ist doch auf den Raum der Wahrheit bezogen, weil das unendliche Denken auch das Medium ist, in dem die einseitigen Meinungen erscheinen und gedacht werden. Diese Hervorhebung der in der zu kritisierenden Perspektive impliziten Wahrheit bedeutet aber auch die „Widerlegung“ derselben: Das Resultat dieser Hervorhebung ist nämlich, dass das, was als wahr und richtig in der kritisierten Betrachtung vorhanden ist, nicht mehr innerhalb dieser Betrachtung selbst verteidigt werden kann, da die Voraussetzungen, von denen diese Auffassung ausgegangen ist, der vertretenen Wahrheit widersprechen. Eine einseitige Betrachtung ist demnach jene, die etwas als Wahrheit erklärt und feststellt, aber zugleich Kriterien der Erkenntnis und Darstellung der Wahrheit voraussetzt, auf denen diese Wahrheit nicht basieren kann. Dieser einseitigen Betrachtungen liegt immer ein Widerspruch zwischen den Kriterien zur Erkenntnis der Wahrheit und der Wahrheit selbst zugrunde. Zu diesem Begriff der Kritik bzw. Widerlegung, vgl. Anton F. Koch, Die schlechte Metaphysik der Dinge. Metaphysik als immanente Metaphysikkritik bei Hegel, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 5 (2007), S. 189–210. Vgl. auch vom selben Verfasser: Die Prüfung des Wissens als Prüfung ihres Maßstabs. Zur Methode der 4
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einandernehmen von philosophisch unkritischen Voraussetzungen, was auch eine konstruktive Bedeutung besitzt: Genauer gesagt geht es um die Radikalisierung des äußeren Standpunktes. „Radikalisierung“ nicht im Sinne von Verstärkung und Intensivierung, sondern der Aufgabe, den inneren Standpunkt als Voraussetzung und Wurzel der Meinungen und Philosophien des äußeren Anfangspunktes der Logik zu betrachten. Der innere Standpunkt rechtfertigt sich demnach als richtiger Standpunkt in einer voraussetzungslosen Theorie (wie der hegelschen), da er sich als absoluten Standpunkt darstellt: Sowohl in Beziehung zu sich selbst, als auch im Verhältnis zu den Umständen und Meinungen, die den äußeren Standpunkt durchdringen, bleibt er (der innere Standpunkt) absolut. Die Objektivitätsfähigkeit – welche, wie gesagt, als innerer Standpunkt der Logik fungiert – verlangt keinerlei Voraussetzungen. Der Beweis ihrer Wahrheit basiert auf sich selbst und daher ist sie in Beziehung zu sich selbst absolut. Das Denken ist dadurch absoluter Hintergrund, dass seine Objektivitätsfähigkeit, sein Sichzeigen als Quelle des Objektiven und des Intelligiblen überhaupt die operative, tätige (nicht kosmisch-transzendente) Voraussetzung jeder Tat des Gedankens ist. Es ist eine Vorstruktur, die sich in jeder Tat des Gedankens entfaltet und die damit jede mögliche Behauptung als Gültigkeits- und Wahrheitsgrund begleitet. Und in Bezug auf den äußeren Standpunkt – also die Meinungen und philosophischen Systeme, die sich anders als die Wissenschaft der Logik verhalten – erscheint die hegelsche Gedankenskonzeption als die Totalität, in der jede partielle Meinung des äußeren Standpunkts überhaupt erst Sinn ergeben kann. Im inneren Standpunkt hat der äußere Standpunkt seine Grundlage, da jener die operative und logische Voraussetzung für diesen ist. Gerade in dieser Beziehung des äußeren zum inneren Standpunkt der Wissenschaft der Logik besteht nicht nur die Besonderheit Phänomenologie des Geistes, in: Anton F. Koch, Die Evolution des logischen Raumes. Aufsätze zu Hegels Nichtstandart-Metaphysik, Tübingen 2014, S. 15–26; auch: Metaphysik und Spekulative Logik, in: Koch, A. Die Evolution des logischen Raumes, a.a.O., S. 271–278. M.E. ist diese Art von Kritik auch im Vorbegriff unter dem Motto „Radikalisierung“ (ein Sichzeigen des unendlichen Denkens als absolute Voraussetzung und Wurzel der einseitigen Meinungen) zu finden.
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des Vorbegriffes, sondern auch des Terminus „Stellung des Gedankens zur Objektivität“. Bezüglich des Status des Vorbegriffes lässt sich demnach behaupten, dieser erscheine als bloß propädeutischer Text – aber nur bezüglich des äußeren Standpunktes: die Wahl der Vorstellungen des gewöhnlichen Bewusstseins und der philosophischen Systeme folgt nicht ausschließlich der argumentativen Reihe der logischen Entfaltung des reinen Gedankens. In dieser Hinsicht halte ich partiell die von Fulda5 vertretene Meinung für richtig: Der Vorbegriff ist nur ein propädeutischer, lesefreundlicher Text, keine Einleitung im richtiggehend philosophischen – d.h. „emphatischen“6 – Sinne; vielmehr müsse man den Text als gewöhnliche Einleitung verstehen. Obwohl richtig in Bezug auf den äußeren Standpunkt, scheint mir diese Meinung doch einseitig hinsichtlich des Ganzen. Denn in der Aufgabe, das gewöhnliche Denken auf das Spekulative zurückzuführen, ist nicht nur ein leserfreundlicher Vergleich von Meinungen und Systemen zu didaktischen Zwecken vorhanden, welcher sich dem reinen Gedanken gegenüberstellt. Vielmehr wird dabei auch eine Entfaltung in actu des reinen Gedankens gefunden, als er (der reine Gedanke, als Raum der Intelligibilität überhaupt verstanden) sich als Grundlage und Ursprung dessen zeigt, was auf den ersten Blick als sein Anderssein, seine Alterität auftritt: des Inhaltes überhaupt, der Sinnlichkeit und des Wirklichen im Allgemeinen, wie schon in der Analyse von §20–24 erläutert. Aus diesem Grund stimme ich den Anmerkungen über den Status des Vorbegriffes von Werner Flach, Hans-Christian Lucas und
Vgl. Hans F. Fulda, Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, Frankfurt am Main 1965, S. 21 f. 6 Vgl. Hans-Christian Lucas, Der „Vorbegriff“ der enzyklopädischen „Logik“ doch als Einleitung im emphatischen“ Sinne? In: Hegel-Studien 26 (1991), S. 218–223. Auch ders.: Zum Problem der Einleitung in Hegels enzyklopädisches System. Vorreden, Einleitung und Vorbegriff der Logik zwischen 1817 und 1830, in: Hans-C. Lucas, B. Tuschling und U. Vogel (Hgg.), Hegels enzyklopädisches System der Philosophie. Von der „Wissenschaft der Logik“ zur Philosophie des absoluten Geistes, Stuttgart/Bad Cannstatt 2004, S. 41–70. Laut Lucas geht es im Vorbegriff um „eine Einleitung im Sinne einer Erhebung ins reine Denken […] die sich nicht darin erschöpft, den bloßen Charakter des Antizipierens aufzuweisen“ (S. 46). 5
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Angelica Nuzzo zu7, für die – unabhängig von Argumentationsnuancen8 – der Vorbegriff eine Einleitung im „emphatischen Sinne“ Vgl. Angelica Nuzzo, Das Problem eines „Vorbegriffes“ in Hegels spekulativer Logik, in: Alfred Denker, Annette Sell und Holger Zaborowski (Hgg.), Der „Vorbegriff“ zur Wissenschaft der Logik in der Enzyklopädie von 1830, Freiburg im Breisgau 2010, S. 84–113; Werner Flach, Zum Vorbegriff der Kleinen Logik Hegels, in: Ute Guzzoni, Bernhard Rang und Ludwig Seip (Hgg.), Der Idealismus und seine Gegenwart, Hamburg 1976, S. 133–146. Flach ist der Meinung, dass der Vorbegriff den Hauptpunkt der spekulativen Logik schon auf philosophische Weise feststellt: „Es geht darum, das Erkennen als etwas zu begreifen, das weder in einseitiger Unmittelbarkeit noch in einseitiger Vermittlung fortgeht.“ (S. 137) Diese Darstellung der Natur des Erkennens bzw. des Wissens koinzidiert dann, laut Flachs Argument, mit der Aufgabe der Phänomenologie des Geistes, die Trennung von Wahrheit (das Unmittelbare-Objektive) und Gewissheit (das Vermittelnde-Subjektive) aufzuheben. In den Worten dieser Arbeit heißt es, dass dem Gedanke Objektivitätsfähigkeit innewohnt, d.h. er ist der Raum, in dem sowohl das erkennende Subjekt als auch der erkannte Gegenstand erscheinen und verstanden werden können. 8 Für Angelica Nuzzo muss man den Vorbegriff mit dem ersten Text der Seinslehre innerhalb der Wissenschaft der Logik identifizieren, nämlich dem Text: Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden? Der Grund dafür besteht für sie darin, dass in beiden Texten das Problem des Anfangs mit Bezug auf dessen unmittelbaren oder vermittelten Charakter thematisiert wird. In beiden Texten gehe es darum, die Möglichkeit zu sichern, ein voraussetzungsloses Denken zu entwickeln. Das bedeutet, dass der Vorbegriff nicht mit der Phänomenologie des Geistes zu vergleichen sei, wie H. Lucas und Flach gemeint hätten, für die der Vorbegriff folglich als eine Art zweiter Phänomenologie des Geistes verstanden werden muss. Für diese Arbeit ist aber die Diskussion, ob der Vorbegriff einen entsprechenden, identischen Text anderswo im hegelschen System finden kann, nicht wichtig, da die Bedeutung des Wortes Metaphysik im Vorbegriff doch unabhängig davon erklärt werden kann, ob er der Phänomenologie oder dem Text über den Anfang in der Logik entspricht. Diesbezüglich behaupte ich nur, dass im Vorbegriff eine Erhebung des gewöhnlichen Denkens zum Standpunkt der Logik zu sehen ist, was nicht heißt, dass diese im Vorbegriff stattfindende Erhebung die der Phänomenologie im hegelschen System ersetzen muss. Anstatt eine formelle und leere Struktur zu sehen, in der ein Text den Platz eines anderen einnehmen kann, soll man meiner Meinung nach die systemische Form der Philosophie Hegels in Verbindung mit der Selbstdisziplinierung des Denkens verstehen. Diese Erhebung des gewöhnlichen Gedankens zur Phi7
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darstellt, d.h. eine Aufgabe des reinen Gedankens, der sich als absolute Voraussetzung seines Andersseins zeigt. Den Dualcharakter des Textes, als Übergang der einseitigen und partiellen Meinungen zum reinen Gedanken, drückt Hegel in §25 des Vorbegriffes so aus: Die hier vorzunehmende Betrachtung hat noch mehr das Unbequeme, nur historisch und räsonierend sich verhalten zu können; sie soll aber vornehmlich zu der Einsicht mitwirken, dass die Fragen, die man in der Vorstellung über die Natur des Erkennens, über Glauben und so ferner vor sich hat und für ganz konkret hält, sich in der Tat auf einfache Gedankenbestimmungen zurückführen, die aber erst in der Logik ihre wahrhafte Erledigung erhalten.9
Im Vorbegriff stellt sich demnach die Unbequemlichkeit dar, „sich nur historisch und räsonierend verhalten zu können“, was Fuldas Meinung entspricht. Zugleich jedoch nimmt sich Hegel vor, die Vorstellungen über die „Natur des Erkennens“ „auf einfache Gedankenbestimmungen zurück[zu]führen“. Diese Zurückführung ist schon an sich eine Entfaltung des reinen Gedankens, die den propädeutischen Zweck – und damit Fuldas Deutung – bei Weitem übersteigt. Von dieser doppelten Konnotation des Ziels des Vorbegriffes aus kann man auch die Bedeutung des Terminus „Stellung des Gedankens zur Objektivität“ weiter präzisieren. Die „Stellungen“ gehören zum äußeren Standpunkt der Logik und die hegelsche Aufgabe besteht darin, diese auf das reine Denken und seine Objektivitätsfähigkeit zurückzuführen. In diesem Sinne ist die Besonderheit des Terminus „Stellung des Gedankens“ ganz anders zu betrachten als in der Literatur der Hegel-Forschung, in der dieses Wort zumindest dreierlei implizierend verstanden wird: An erster Stelle findet man
losophie ist nämlich kein leeres, ersetzbares Verfahren, da die Facetten dieses Gedankens, die auf das unendliche, spekulative Denken zurückgeführt werden müssen, mannigfaltig sind, weswegen die Selbstdisziplinierung des Gedankens auch mannigfaltig sein kann. Man kann diese Selbstdisziplinierung in Bezug auf die Philosophie und ihre impliziten Begriffe der Objektivität erledigen (wie im Vorbegriff), oder auch bezüglich der praktischen, kulturellen und politischen Facetten des Gedankens (wie in der Phänomenologie des Geistes). 9 TWA 8, §25, S. 92.
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die durch die Bemerkungen von Rosenkranz10 zur Enzyklopädie beeinflusste Bedeutung des Wortes. Er versteht nämlich die Darstellung der „drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität“ als eine geschichtlich-chronologische Reihe philosophischer Auffassungen zu propädeutischen Zwecken.11 Unter dem Einfluss dieser Lesart wird unter anderen12 von Herbert Schnädelbach behauptet, dass es sich bei diesem Abschnitt um eine kurze Philosophiegeschichte handle, der die Übereinstimmung von logischer Entwicklung der Begriffe und geschichtlicher philosophischer Evolution zugrunde läge. In dieser Passage sei demnach eine kurze Geschichte der Verwirklichung der Freiheit des Geistes durch die Philosophie vorhanden. Andere deuten die hegelsche Darstellung der Enzyklopädie auf eine abweichende Weise: Es gehe dabei um eine Erklärung der „drei Seiten des Logischen“ (analytisch, dialektisch und spekulativ), in der jede Stellung mit einer Seite zu identifizieren sei.13 An dritter Stelle verstehen weitere Autoren14 den Abschnitt als Erläuterung zu den Vgl. Karl Rosenkranz, Erläuterungen zu Hegels Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften, a.a.O., S. 10. 11 Ebd. 12 Vgl. Herbert Schnädelbach, Philosophie als Spekulative Wissenschaft (§§1–83), in: Hegels „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriss, Frankfurt am Main 2000, S. 22–85 (besonders S. 65); Taiju Okochi, Ontologie und Reflexionsbestimmungen. Zur Genealogie der Wesenslogik Hegels, Würzburg 2008, S. 16; Heinz Röttges, Das Problem der Wissenschaftlichkeit der Philosophie, Würzburg 1999, S. 566. 13 Vgl. Wilhelm Lütterfelds, Das Erklärungsparadigma der Dialektik. Zur Struktur und Aktualität der Denkform Hegels, Würzburg 2006, S. 111– 117. Lütterfelds ist der Auffassung, dass die Dritte Stellung mit Hegels spekulativer Philosophie zu identifizieren sei, was jedoch nicht dem Text entspricht. Gudrun Von Düffel argumentiert ebenfalls so. Vgl. Gudrun Von Düffel, Der Gegensatz des Bewusstseins und seine Überwindung, in: Hegel-Jahrbuch 2014, S. 84–89. 14 Vgl. Stefan Müller, Logik, Widerspruch und Vermittlung. Aspekte der Dialektik in den Sozialwissenschaften, Frankfurt am Main 2010, S. 80 ff. Auch diese Deutung findet man in Thomas S. Hoffmans Text: Totalität und Prädikation. Zur ersten „Stellung des Gedankens zur Objektivität im enzyklopädischen“ „Vorbegriff“ der spekulativen Logik (künftig: Totalität und Prädikation), in: Der „Vorbegriff“ zur Wissenschaft der Logik und der 10
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Arten der Gegenüberstellungen von Gedanken und Objektivität, die es in der Philosophie geben kann. Dieser Meinung zufolge besitze das Wort „Stellung des Gedankens“ eine deutliche pejorative Konnotation, denn die „Stellungen“ porträtieren die Mängel und Probleme des endlichen Denkens, d.h. dasjenige Denken, das die Gegenüberstellung von Gedanken und Wahrheit nicht überwinden kann. Meiner Meinung nach muss man die dritte Deutung für richtig halten. Gehören die „drei Stellungen“ dem äußeren Standpunkt an, dann müssen sie zunächst als gescheiterte Versuche verstanden werden, die Natur des reinen Gedankens zu definieren. Schon im Gebrauch des Wortes „Stellung“ (und nicht „Auffassung“ oder „Betrachtung“) des Gedankens zur Objektivität lässt sich eine Art räumliche Gegenüberstellung von dieser und jenem erkennen: „Stellung“ des Gedankens verweist hierbei auf die Vorstellung, dass dieser sich in einer räumlichen Position der Objektivität gegenüber befindet. Der Gedanke und die Objektivität erscheinen hierbei als Seinsregionen, und zwar in einem Raum, der, verworren, sich weder als geistig noch als objektiv bestimmen lässt. In dieser Vorstellung ist das Problem der Objektivität von Anfang an absolut unlösbar, da jeder Pol des Dualismus die Natur des Raumes nicht bezeichnen kann, in dem die beiden Seiten der Gegenüberstellung erscheinen und einander opponieren. Dass die drei Stellungen des Gedankens als drei Gegenüberstellungen des Gedankens zur Objektivität gelesen werden müssen, scheint auf den ersten Blick nicht sonderlich gut begründet zu sein. Doch diese Hypothese kann sehr wohl durch eine aufmerksame Deutung von §25 des Vorbegriffes, sowie durch Rekurs auf die Vorlesungen über Logik und Metaphysik von 1829 belegt werden. In §25, dort, wo die Rechtfertigung erscheint, warum die drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität zur Betrachtung kommen müssen, greift Hegel explizit auf die Gegenüberstellung von Gedanken und Enzyklopädie von 1830, a.a.O., S. 117–120. Ich bin auch mit Michael Quante einverstanden, der behauptet, dass die Passage der Stellungen des Gedankens zur Objektivität als „Diagnose und Beschreibung […] eines philosophischen Problems, zu dem Hegels System die Lösung darstellen soll“ gelten kann. (Michael Quante, Die Wirklichkeit des Geistes: Studien zu Hegel, Frankfurt am Main 2011, S. 40.)
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Wahrheit zurück, die jeder endlichen Gedankenkonzeption zugrunde liegt. Gerade vor der ersten Erscheinung des hier zu betrachtenden Terminus steht im Text die präzise Analyse dieser zum endlichen Gedankens gehörenden Gegenüberstellung: Das Denken, nur endliche Bestimmungen hervorbringend und in solchen sich bewegend, heißt Verstand (im genaueren Sinne des Wortes). Näher ist die Endlichkeit der Denkbestimmungen auf die gedoppelte Weise aufzufassen: die eine, dass sie nur subjektiv sind und den bleibenden Gegensatz am Objektiven haben, die andere, dass sie, als beschränkten Inhaltes überhaupt, sowohl gegeneinander als noch mehr gegen das Absolute im Gegensatze verharren.15
Wie es im Zitat gezeigt wird, findet man zwei Aspekte in diesem Gegensatz. Einerseits erzeugt sich die Gegenüberstellung dadurch, dass der Gedanke im Subjekt als der Welt, der Realität, dem Objektiven überhaupt entgegengesetzte Seinsregion verstanden, platziert wird; andererseits dadurch, dass die Denkbestimmungen – also die Begriffe, durch die das philosophische Denken die Natur seiner betrachteten Gegenstände bestimmt – nur einen endlichen Inhalt ausdrücken, d.h. sie können nur auf eine beschränkte Sicht dieser Gegenstände bezogen sein. In beiden Fällen bleibt der Gedanke am Ende des Tages dem Absoluten bzw. der Wahrheit entgegengesetzt, weshalb das Absolute nur als etwas Undenkbares und Unerkennbares definiert werden kann. Befindet sich der Gedanke im Subjekt, als vom Objektiven zu unterscheidende Seinsregion verstanden, stimmt das Absolute in diesem Fall mit dem Feld überein, in dem das Subjekt und das Objekt existieren. Doch dieses Feld unterscheidet sich selbst vom Gedanken, ist diesem entgegengesetzt und tritt daher als nicht zu denkendes Absolutes auf, denn in diesem Fall muss es eine äußerliche Perspektive geben, welche die Erkennbarkeit des Absoluten, d.h., die Fähigkeit des Denkens, jenes richtig zu erfassen, fundamentiert. Jedoch kann die Erkennbarkeit dieser äußerlichen Perspektive nicht einfach vorausgesetzt, sondern muss auch bewiesen werden, wobei sich die Rechtfertigung der Erkennbarkeit als unendliche Aufgabe darstellt. 15
TWA 8, §25, S. 91.
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Aber nicht nur bei der Bezeichnung des Gedankens als das dem Objektiven gegenüberstellte Subjektive findet man den Gegensatz von Denken und Wahrheit. Auch wenn das philosophische Denken sich an analytischen Distinktionen festhält und in diesen die unbestreitbare Form der Wahrheit sieht, ist der Gegensatz schon entstanden. An dem Maßstab der Wahrheit orientiert, dem zufolge die Denkbestimmungen nur insofern Präzision und Bedeutung erlangen, als sie voneinander getrennt sind und sich einander ausschließen, fixiert dieses analytische Denken den Sinn seiner eigenen Begriffe. In diesem Vorgehen bleibt es aber von der Wahrheit bzw. dem Absoluten entfernt. Dadurch, dass für diesen analytischen Gedanken die Denkbestimmungen und Begriffe eine feste Bedeutung haben müssen, begreift er das Absolute gerade durch diese fixierten Begriffe, wobei er jedoch nur eine Juxtaposition findet, deren Einheit niemals zu erreichen ist. Auf die Frage, worin die Natur des Absoluten bestünde, antwortet das analytische Denken mit der Entweder-oder-struktur als Voraussetzung: Das Absolute muss entweder A oder B sein (z.B. endlich oder unendlich). Doch in diesem Fall zeigt sich die Wahrheit und das Absolute als dasjenige, was die Pole der Unterscheidungen umfasst – d.h. als Verknüpfung derselben. Beruht aber der Gedanke auf der Distinktion und der festen Bedeutung der Begriffe als letzte Form der Erkenntnis der Wahrheit, – sucht er nämlich das Absolute in einer der von ihm fixierten Denkbestimmungen –, dann entzieht sich ihm die Wahrheit und es muss behauptet werden, er sei nicht in der Lage, das Absolute zu begreifen (zu diesem Hauptpunkt in Hegels Kritik an der Metaphysik ausführlicher später). Da nun der Terminus „Stellung des Gedankens zur Objektivität“ innerhalb der Darlegung der Paradoxie des endlichen Denkens erscheint, ist es vermutlich nicht falsch zu behaupten, dass „die Stellungen des Gedankens“ als Gegensatz (als Gegenüberstellung) zur Objektivität verstanden werden müssen, so dass sie als Typologien des verständigen Denkens – und nicht der Philosophiegeschichte im Allgemeinen – fungieren. Wichtige Hinweise darauf befinden sich in den Vorlesungen über Logik und Metaphysik von 1829, die nun angeführt werden müssen, da sie als definitive Bestätigung meiner Deutung gelten:
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Es sind diese Verhältnisse betrachtet in der Art und Weise wie sie theils in der geschichtlichen theils in der concreten Vorstellung vorhanden sind. […] In dieser ersten auffallenden Gestalt dass das Denken Subjectiv ist; und dass der Gegenstand draussen ist haben wir diese 2 grossen Seiten: Denken oder den Subjectiven Geist; und das Objective oder Gott. In dieser concreten Form stellen wir die beiden Seiten gegeneinander wie sie dem Bewusstsein vorschweben, und wir betrachten die Verhältnisse von beiden zueinander. Dreierlei Stellungen des Gedanken zur Objectivität sind zu betrachten.16
Eine Stellung des Gedankens zur Objektivität verweist dann auf eine Art, das „Verhältnis“ von Denken und Sein als zwei gegeneinanderstehende Seiten vorgestellt, zu konzeptualisieren. Damit zeigt sich, dass der Terminus eine strenge Verbindung mit der Paradoxie des endlichen Gedankens besitzt. Dies sieht man auch in der allgemeinen Beschreibung der drei Stellungen im Text, da diese dort als Fälle des endlichen Denkens erscheinen: A das unbefangene Verfahren: Es ist das was wir selbst immer thun, und was gethan ist ohne dass man eine Reflexion darüber gemacht hätte über die Verschiedenheit des Denkens und des Seyns, und über die Möglichkeit dieser Frage ob das Denken dem Seyn entspreche […]. Dann aber ist eine 2te Stellung welche ausgeht von dem Bewusstsein der Verschiedenheit vom denken und von der Realität […] Die 3te Stellung ist eine mit der 2ten zusammengehende, und zum theil noch in sich hinreichende. Das Resultat der Kantischen Philosophie ist das wahrhafte, die Natur Gottes, die Natur des Geistes und das was wir Natur überhaupt nennen, jenseits bleiben, dass sie nur in Beziehung auf uns sind. Bei diesem Resultat der Kantischen Philosophie bleibt doch das Bedürfnis von der Sache zu wissen und dies ist in der 3ten Stellung erst befriedigt. Dies geschieht aber nicht auf erkennende Weise: es geschieht nicht durch Vermittlung […] sondern durch Offenbarung.17
Das Referenzieren der Vorlesungen über Logik und Metaphysik erlaubt uns, die folgenden Konklusionen zu ziehen: Was im Vorbegriff im Spiel ist, ist weder eine geschichtliche Aufeinanderfolge von philosophischen Systemen, wie es in den Vorlesungen über die Geschichte der
GW 23.2, S. 532. 17 Ebd. 16
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Philosophie18 dargestellt wird, noch die Darlegung der „drei Seiten des Logischen“. Hegel bezieht sich nicht auf eine kurze Philosophiegeschichte in der Passage der „drei Stellungen“. Weder die bloße temporale Reihe von philosophischen Meinungen, noch der Fortschritt in der Verwirklichung der Freiheit des Gedankens innerhalb der Philosophiegeschichte gilt als Erklärung für die Ausarbeitung der Passage. In der Tat zeigt sich die Lesart, laut der Hegel im Vorbegriff eine geschichtliche Progression von der antiken Philosophie an bis zu seinem eigenen Gedankensystem darstelle, als inkompatibel mit dem, was wirklich im Text steht. Z.B. werden sowohl Platon als auch Aristoteles von der „ersten Stellung“ aus-
Um die Ähnlichkeit zwischen dem Vorbegriff und den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie zu zeigen, argumentiert Schnädelbach (Philosophie als Spekulative Wissenschaft (§§1–83), in: Hegels „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriss, Frankfurt am Main 2000, S. 22–85), dass das Resultat des Vorbegriffes und der Geschichte der Philosophie bei Hegel dasselbe sei: die Freiheit des Gedankens. Der Gedanke ist frei aber nicht im Sinne der Willkür, sondern in der Hinsicht, dass er absolute Voraussetzung von jedweder möglichen Wahrheit und damit von sich selbst als Quelle derselben ist. Doch aus diesem Grund kann man den Unterschied zwischen beiden Texten nicht übersehen. In den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie geht es darum, die Philosophie als Manifestation der Allgemeinheit des Denkens zu betrachten. Das bedeutet, dass die Allgemeinheit des Gedankens innerhalb der Philosophie lebendig wird. Das wahre Denken ist demnach nicht nur das Spinozas, Platons oder Aristoteles’ als Individuen, sondern das Denken des Denkens als solches. Dies ist aber nicht deswegen der Fall, weil das Denken eine kosmische Entität sei, auf einer transzendenten Ebene liegend, das sich dazu entscheidet, sich in manche außerordentlichen Gehirne zu inkarnieren, sondern vielmehr dadurch, dass jeder richtige, tiefe und philosophische Akt des Gedankens darin besteht, das ans Licht zu bringen, was in ihm als Voraussetzung für seine Reflexion implizit ist. Da aber die Philosophie in diesem Anslichtbringen besteht, ist ihre Geschichte nicht als bloße Reihe von philosophischen Systeme zu verstehen, sondern als ein rationaler Prozess der Selbstdisziplinierung des Denkens. Obwohl man im Vorbegriff auch etwas wie die Selbstdisziplinierung des Denkens sehen kann, findet diese anders statt. Wie schon erläutert, besteht die Aufgabe des Vorbegriffes darin, den äußeren Standpunkt der Logik auf den inneren zurückzuführen und nicht die Verbindung zwischen der Philosophie und der Allgemeinheit des Denkens als Geschichte derselben darzustellen. 18
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geschlossen19, Descartes steht nach Kant im Laufe der Exposition, und zwar als Verbindung der dritten Vorstellung (das unmittelbare Wissen, die „Unphilosophie“ Jacobis) mit der ersten Stellung (die „vormalige Metaphysik“), da er im Satz Cogito ergo sum sowohl eine unbefangene Einheit von Denken und Sein ausdrückt als auch eine dogmatische Auffassung der Beziehung des Gedankens zur Wahrheit, die man mit der dogmatischen Offenbarung der dritten Stellung assoziieren kann.20 In beiden „Stellungen“ geht es um eine „Platon ist kein solcher Metaphysiker und Aristoteles noch weniger, obgleich man gewöhnlich das Gegenteil glaubt.“ (TWA 8, §36, S. 106.) 20 In §76–78 erläutert Hegel ausführlich diesen Ansatz: „In Beziehung auf den Ausgangspunkt, die oben so genannte unbefangene Metaphysik, das Prinzip des unmittelbaren Wissens betrachtet, so ergibt sich aus der Vergleichung, dass dasselbe zu jenem Anfang, den diese Metaphysik in der neueren Zeit als Cartesische Philosophie genommen hat, zurückgekehrt ist“ (§76, S. 165). Sowohl Descartes als auch die Stellung des unmittelbaren Wissens geben Anlass dazu, ein unmittelbares, völlig axiomatisches Prinzip herauszufinden, auf dem das Erkenntnisgebäude aufgebaut werden kann. Es handelt sich demnach um eine Erkenntnisvoraussetzung, die jedoch keine Erkenntnisleistung sein kann (so gedacht, um das Agrippa-Trilemma zu verhindern). Doch solche Thesen, innerhalb derer die Wahrheitsgrundlage als unbeweisbare Voraussetzung erscheint, müssen immer das Problem angehen, welche unbeweisbare Voraussetzung tatsächlich als Erkenntnisgrundlage genommen werden muss. Obwohl laut Hegel in beiden Fällen diese Voraussetzung die Vorstellung Gottes zu sein scheint, besteht jedoch hierbei ein unlösbarer Widerspruch: Entweder setzt die Vorstellung schon Erkenntnis voraus, um präzis definiert zu werden, oder sie besitzt andernfalls keinen begrifflichen, festen und philosophisch versicherten Inhalt. Setzt die Vorstellung Gottes schon Erkenntnis voraus, dann ist der Agrippa-Einwand vorhanden und gültig: Die Erkenntnisvoraussetzung des unmittelbaren Wissens ist nicht mehr unmittelbar, sondern eine Erkenntnisleistung. Wenn aber der Vorstellung Gottes keine Erkenntnis zugrunde liegt, indem sie nur unmittelbar, durch Offenbarung zugänglich wird, dann hat sie irgendeinen Inhalt als Vorstellung: „Dem Inder gilt nicht aus sogenanntem vermittelten Wissen, aus Räsonnements und Schlüssen, die Kuh, der Affe oder der Brahmane, der Lama als Gott, sondern er glaubt daran.“ (§72, S. 162). Gelten die Unmittelbarkeit, die Offenbarung und das Glauben als Kriterium, hängt damit die Natur und der Gehalt der Erkenntnisvoraussetzung nicht von etwas Festem ab, sondern von dem Glaubenshandeln. Was Hegels Lösung dieses Problems betrifft, bestünde sein Vorschlag 19
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statische Konzeption des Gedankens, der eine strenge Beziehung mit der Vorstellung des Wissens als vertikales Gebäude innewohnt und in der man von (vermeintlich) unbestreitbaren Axiomen und Voraussetzungen ausgeht, auf denen sich das Wissen, als Menge der gezogenen Folgerungen dieser Axiome verstanden, aufbauen lässt. Für Hegel dagegen ist das Absolute kein Dogma, kein Axiom, kein Gedachtes, sondern nur die Tätigkeit des Gedankens selbst, die notwendigen, rationalen Koordinaten, die sich in der Entfaltung dieser Tätigkeit zeigen. Die Stellungen des Gedankens zur Objektivität müssen demzufolge als Gegenüberstellungen zwischen Gedanken und Wahrheit verstanden werden. Man tut gut, diese „philologische“ Folge zu präzisieren, besitzt diese doch philosophische Wichtigkeit. Diese Bedeutung der „Stellungen des Gedankens zur Objektivität“ führt nämlich dazu, den Kern von Hegels Metaphysikkritik richtig zu verstehen: Die Metaphysik ist ein endliches Denken und wird aufgrund ihres (zum Scheitern verurteilten) Begriffes der Objektivität kritisch untersucht. Im Folgenden setze ich mich mit dieser Kritik an der Metaphysik ausführlich auseinander.
nicht darin, einen zero-point zu etablieren, welcher nur als Erkenntnisvoraussetzung (in hegelscher Sprache: unmittelbar) und nicht auch als Erkenntnisleistung (vermittelt) auftritt. Es ginge vielmehr darum, zu zeigen, dass der Skeptiker, der auch die Agrippa-Formel geltend machen möchte, schon das Vorhandensein des Gedankens als Wahrheitslegitimationsinstanz akzeptiert hat, um irgendein Argument bzw. eine Behauptung oder ein Trilemma formulieren zu können. Natürlich lässt sich Hegels Meinung über Descartes Philosophie nicht auf das hier Gesagten reduzieren. Zum ambivalenten Hegel-Descartes-Verhältnis vgl. Detlev Pätzold, Hegels Bild von Descartes, in: Dietmar Heidemann, Christian Kijnen (Hgg.), Hegel und die Geschichte der Philosophie, Darmstadt 2007, S. 84–100. Mit der Frage, ob Hegels Rezensionen von Descartes und Jacobi innerhalb der Erörterung zur „dritten Stellung des Gedankens zur Objektivität“ richtig sind, setzte ich mich nicht auseinander. Ausführlich dazu: Birgit Sandkaulen, Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität: Das unmittelbare Wissen, in: Der „Vorbegriff“ zur Wissenschaft der Logik in der Enzyklopädie von 1830, a.a.O., S. 166–192.
§5. Hegels Metametaphysik Dass die Metaphysik, als „erste Stellung“ zur Objektivität verstanden, ein endliches Denken ist, heißt überhaupt, wie schon gezeigt, dass der metaphysische Gedanke nicht in der Lage ist, die Frage zur Objektivität richtig aufzulösen. Dies bringt weitere und wichtige Konsequenzen für den präzisen Charakter Hegels Kritik an der Metaphysik mit sich. Zieluntersuchung ist es jetzt, explizit und ausführlich diese Konsequenzen zu identifizieren und zum Ausdruck zu bringen. Diese Rekonstruktion hat vier Teile: An erster Stelle (§5A) lege ich die „dialektische Inkonsistenz“ der Metaphysik dar.1 Darunter ist nicht der Widerspruch zwischen Prämissen und Schlüssen innerhalb eines Argumentes zu verstehen, sondern eine andere Art der Inkonsistenz: Ein Ansatz bzw. eine Theorie sind dann „dialektisch inkonsistent“, wenn dasjenige, was ihnen Sinn, Bedeutung und Plausibilität gibt, tatsächlich der Anlass dafür ist, dass sie scheitern und selbstwidersprüchlich sind. Ebenfalls in Verbindung mit der These der dialektischen Inkonsistenz, behaupte ich in diesem ersten Abschnitt, zumindest im folgenden Sinn, dass Hegels Kritik an der Metaphysik meta-metaphysisch orientiert ist: Wenn Hegel über die Metaphysik spricht, d.h. die vormalige Metaphysik bzw. die Metaphysik, „wie sie vor der Kantischen Philosophie bei uns beschaffen war“2, bezieht er sich auf eine 1 Ich nehme den Begriff der
„dialektischen Inkonsistenz“ aus der Arbeit von Markus Gabriel. Vgl. Markus Gabriel, Die metaphysische Wahrheit des Skeptizismus bei Schelling und Hegel, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 5 (2007), S. 126–157. 2 TWA 8, §27, S. 93. Mit dem Zitat bezieht sich Hegel jedoch nicht auf die ganze, vorkantische Philosophie. Was hierbei jedenfalls sicher ist, ist, dass der deutsche Philosoph auf Wolffs Schulmetaphysik verweist, wie es ein weitläufiger Konsensus in der Literatur zeigt. Dafür spricht auch, dass Hegel in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie die „Periode der Metaphysik“ als Teil der Periode des „denkenden Verstandes“ mit Spinoza und der „deutsche[n] Wolffische[n] Metaphysik“ identifiziert (TWA 20, S. 122). Das Problem scheint doch dann aufzutauchen, wenn manche Kommentatoren von Hegels Werk einige Beispiele antiker Philosophen
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Art und Weise, das Absolute zu erfassen, wie sie jedoch in der Philosophie gegenwärtig sei.3 Die Metaphysik als Denkweise zu betrachten und zu kritisieren, führt gewissermaßen dazu, die Metahinzufügen, um den Inhalt dieser „vormaligen Metaphysik“ zu erklären. Rosenkranz hat diesbezüglich schon behauptet, Hegel beziehe sich mit „vormaliger Metaphysik“ nicht nur auf Wolff, sondern auch auf Aristoteles (K. Rosenkranz, a.a.O., S. 10). Auch versichert z.B. Taisu Okochi, dass unter „Metaphysik“ hierbei die vorkritische Philosophie im Ganzen (außer dem Empirismus) zu verstehen sei. (T. Okochi, a.a.O., S. 42.) Dies stimmt auch mit Jaeschkes Meinung überein, der bemerkt, dass die erste Stellung „die Metaphysik von ihren Anfängen bis hin zu Kant“ umfasst (Walter Jaeschke, Hegel Handbuch: Leben-Werk-Wirkung, Stuttgart 2003, S. 264). Ebenfalls ist auch Thomas Hoffman der Auffassung, dass der reflexionslose Charakter der Metaphysik paradigmatisch bei Parmenides, Platon und Descartes zu finden sei, denn bei ihnen sehe man eine naive und unmittelbare Identität zwischen Gedanken und Sein. (Vgl. Thomas Hoffman, Totalität und Prädikation, a.a.O., S. 124–125.) Doch diese Ansätze dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Hegel dagegen behauptet nämlich: „Den Stoff zu dieser Metaphysik gaben die früheren Philosophen und namentlich die Scholastiker. In der spekulativen Philosophie ist der Verstand zwar ein Moment, aber ein Moment, bei welchem nicht stehen geblieben wird. Platon ist kein solcher Metaphysiker und Aristoteles noch weniger, obgleich man gewöhnlich das Gegenteil glaubt.“ (TWA 8, §36, S. 106.) Die Behauptung Hegels scheint demnach die These von Tobias Mangel zu verstärken, laut derer die Distinktion von vorkantischer und kritischer Philosophie für ihn „keine Autorität“ besäße und daher als eine Wiedereinführung der antiken Metaphysik in der hegelschen Philosophie zu sehen sei. (Tobias Mangel, Hegel und die Geistmetaphysik des Aristoteles, Berlin 2013, S. 4.) Meines Erachtens zeigt das Zitat Hegels, dass beide Parteien partiell im Recht sind. In der antiken Philosophie von Platon und Aristoteles gibt es zwar keine endliche Metaphysik des Verstandes als solche, doch der Stoff dazu ist schon vorhanden, weil sowohl Platon als auch Aristoteles keinen reflexiven Ansatz des Absoluten dargestellt haben. Von dieser Perspektive aus kann man das Verhältnis zwischen Hegel und der Antike weder nach dem Bild der unkritischen Wiedereinführung verstehen, noch als totales Verlassen derselbigen. Denn die in der antiken Philosophie liegende Wahrheit sei doch nur durch die Brille Hegels verständlich, d.h. sie muss zu einer reflexiven Theorie des Absoluten erhoben werden, d.h. zu etwas, das in der antiken Philosophie nicht vorhanden war. Dies wird deutlicher im vorliegenden Kapitel. 3„Die Metaphysik ist jedoch nur in Beziehung auf die Geschichte der Philosophie etwas Vormaliges; für sich ist sie überhaupt immer vorhanden, die bloße Verstandesansicht der Vernunftgegenstände.“ (§27, S. 93)
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physik als philosophisches Projekt in Frage zu stellen und ihre rationale Legitimität zu hinterfragen. Hegels meta-metaphysische These4 ist auf diese Weise nur eine weitere Entwicklung dessen, was ich Objektivitätsfähigkeitsthese schon genannt habe: Ist das Denken Grundlage und Quelle der Wahrheit und der Objektivität, dann ist jede Philosophie, die das Absolute in etwas anderem als dem Denken und seiner Tätigkeit zu identifizieren versucht (wie in obersten ontologischen bzw. kosmologischen Substraten, Substanzen oder Entitäten, die die Gestalt der „Absolutheit“ tragen), dazu verurteilt, in die Trennung zwischen Sein und Denken zu fallen und so die dialektische Inkonsistenz angehen zu müssen. In den weiteren Teilen dieses Abschnittes rekonstruiere ich die drei wesentlichen Merkmale, die laut Hegel dieser Denkweise des Absoluten (d.h. der Metaphysik) zuzuschreiben sind: ein implizit verendlichter (und somit selbstwidersprüchlicher) Begriff der Unendlichkeit, was dazu führt, dass das Absolute nicht als Unendlichkeit konzeptualisiert werden kann, die sich der Endlichkeit gegenüberstellt (§5B); die unkritische Verwendung der Urteilsform, um das Absolute zu begreifen, was zur Folge hat, dass das Absolute kein Subjekt oder Substanz sein kann, welches die Eigenschaft der Absolutheit trägt (§5C); die ebenso unkritische Aufnahme dieser Urteilsform als Grund für den dogmatischen Charakter der Metaphysik (§5D). A. Die dialektische Inkonsistenz der „vormaligen Metaphysik“ Externe Widerlegungen oder Angriffe konstituieren für Hegel keine richtige Kritik an der Metaphysik. Nur eine Reflexion zweiter Ordnung bezüglich der Voraussetzungen dieser Philosophie gilt als kritischer Ansatz. Insofern als die hegelsche Kritik die nicht-thematisierten Voraussetzungen der Metaphysik explizit macht, kann sie schon als „Meta-metaphysik“ betrachtet werden, doch nicht gänzlich im zeitgenössischen Sinne. Den meta-metaphysischen Aspekt der Logik hat unlängst Markus Gabriel in seiner Lesart hervorgehoben. Vgl. Markus Gabriel, What Kind of Idealist (If Any) is Hegel, in: Hegel Bulletin 37 (2016), S. 181–208, besonders S. 185. 4
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Einer der grundsätzlichen Unterschiede liegt darin, dass sich die hegelsche Kritik nicht als Sprachanalyse der metaphysischen Behauptungen darstellt, weshalb sie die schon bekannte Frage der unendlichen Selbstanwendung nicht angehen muss. Wie schon in Bezug auf die methodische Epistemology-first genannte Perspektive erläutert, kann man das „Wahrheitsinstrument“ (sei es das Denken oder die Sprache) nicht analysieren, ohne es dabei zu verwenden. Man kann die Sprache nicht ergründen und objektivieren, ohne sie dabei in der Analyse zu gebrauchen. Dieses Problem lässt sich in der Metametaphysik betrachten, welche sich als Analyse der Sinnbedingungen der Aussagen im Allgemeinen präsentiert. Diese Stellung wirft der Metaphysik vor, sinnlose Aussagen aufzustellen. Doch die metametaphysischen Aussagen, die die Sinnbedingungen der Sätze im Allgemeinen darstellen, erfüllen keineswegs die von ihnen definierten Kriterien. Das ist z.B. der Fall der Selbstwiderlegung des metametaphysischen Verfahrens des Verifikationismus. Dies lässt sich deutlich anhand des folgenden Argumentes zeigen:5 Wenn man von der folgenden verifikationistischen These ausgeht: (1) Die Aussagen sind nur dann sinnvoll, wenn sie entweder analytische Wahrheiten ausdrücken oder sich auf verifizierbare Tatsachen beziehen; kann man gleichzeitig Folgendes feststellen: (2) Die Behauptung (1) drückt keine logische oder analytische Wahrheit aus, noch bezieht sie sich auf eine verifizierbare Tatsache; (3) Somit ergibt (1) keinen Sinn Als Antwort auf den Selbstanwendungseinwand kann die Unterscheidung zwischen linguistischen und metalinguistischen Aus-
Dieses Argument wurde schon von H. Putnam dargestellt. Vgl. Hilary Putnam, Vernunft, Wahrheit und Geschichte, Frankfurt 1990, S. 88 ff. 5
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sagen eingeführt werden.6 Die metalinguistischen Aussagen beziehen sich weder auf verifizierbare Tatsachen, noch werden damit analytische Wahrheiten geäußert, sondern sie thematisieren die Sinnkriterien der linguistischen Behauptungen. Damit wäre (1) doch außerhalb ihres Anwendungsbereiches, denn sie bezieht sich nicht auf ihre eigenen Sinnbedingungen. Doch dies ist genau das, was von einem hegelschen Blickwinkel aus in Frage gestellt werden kann. Die linguistische und metalinguistische Ebene erfolgreich auseinanderzuhalten, hängt in der Tat davon ab, die Frage nach den Sinnkriterien der metalinguistischen Aussagen zu beantworten. Letztere müssen nämlich von anderen Aussagen unterschieden werden, insbesondere von den metaphysischen. Die metalinguistischen Behauptungen sind weder analytisch noch empirisch und trotzdem sinnvoll. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Satz, der weder analytisch noch empirisch ist, Sinn ergibt, wobei es von zentraler Bedeutung ist, ein Kriterium zu etablieren, das uns erlaubt, die metalinguistischen Aussagen von anderen zu differenzieren. Ein Vorschlag wäre: Die metalinguistischen Behauptungen ergeben nur dann Sinn, wenn sie sich auf die Sinnkriterien der linguistischen Sätze beziehen. Diese Behauptung, welche den Unterschied zwischen linguistischer und metalinguistischer Ebene ausmacht, ist jedoch gegen den Selbstanwendungseinwand nicht immun: Angenommen, die Unterscheidung zwischen linguistischen und metalinguistischen Aussagen sei überzeugend und korrekt, dann könne das Sinnkriterium der letzteren zumindest wie folgt definiert werden: (4) Die metalinguistischen Aussagen ergeben nur dann Sinn, wenn sie sich auf die Sinnkriterien der linguistischen Sätze beziehen; (5) (4) bezieht sich nicht auf die Sinnkriterien der linguistischen Behauptungen, sondern nur exklusiv auf die Sinnbedingungen der metalinguistischen; (6) Somit ist (4) sinnlos
Zu diesem Versuch, den Verifikationismus zu retten: Pablo Melogno, Verificacionismo y autorrefutación, in: Signos filosóficos 16 (2014), S. 8– 37. 6
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Damit widerlegt sich die Behauptung, mittels derer es überhaupt erst möglich gewesen wäre, die linguistische Ebene und die metalinguistische auseinanderzuhalten. Die Differenzierung selbst erweist sich als sinnlos. Folglich haben wir mit einem unendlichen Regress zu tun. Denn (4) wäre in diesem Fall eine Aussage dritter Ordnung, d.h. meta-metalinguistisch, deren Sinnkriterien erneut durch eine Aussage vierter Ordnung zu definieren wären usw.7 Die Argumente, die als Konklusion dienen, laut der die metaphysischen Sätze keinen Sinn ergeben oder präzisen Wahrheitswertes ermangeln, können sich zudem darauf berufen, dass die metaphysischen Streits nur verbal-wörtlich oder terminologisch sind (wie der Streit, der z.B. zwischen zwei Englischsprachigen stattfindet, die einen amerikanischen Football und einen Soccer-Ball gleichzeitig „Football“ nennen). Dazu: Vgl. Eli Hirsch, Ontology and Alternative Languages, in: David Chalmers, David Manley und Ryan Wasserman (Hgg.), Metametaphysics. New Essays of the Foundations of Ontology, New York 2009, S. 231–259. Oder auch darauf, dass die metaphysischen Sätze auf keinen Rahmen bzw. Bereich bezogen sind, in dem die Bedeutung des Terminus „Existenz“ (oder spezifischer: des Existenzquantors) konkretisiert wird. Vgl. Dazu. D. Chalmers, Ontological anti-realism, in: Metametaphysics, a.a.O., S. 77–129. Gegen diese Folgerungen haben schon z.B. P. van Inwagen, Th. Hofweber und J. Hawthorne einen Selbstanwendungsvorwurf erhoben: Unter den von der Meta-metaphysik dargestellten Sinnkriterien ergibt die Meta-metaphysik auch keinen Sinn, da sie (genau wie die Metaphysik) auch als eine Menge von bedeutungslosen Sätzen erscheint. (Vgl. Dazu: Inwagen, Sullivan, Metaphysics, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy; Thomas Hofweber, Ontology and the Ambitions of Metaphysics, 2009 New York, S. 2; J. Hawthorne, Superficialism in Ontology, in: Metametaphysics, a.a.O., S. 213–230. Schon Chalmers versuchte, auf diesen Einwand zu antworten: Wenn die Sinnbedingungen eines Satzes darin bestünden, dass der Satz zu einem ontologischen Bereich (ontological framework) gehören, der die Bedeutung des Terminus „Existenz“ präzisiert – etwas, das nicht in der Metaphysik stattfindet, indem ihre Behauptungen zu einem absoluten Bereich gehören würden –, stellt diese Forderung kein Problem für die Sprachphilosophie dar, gehört sie doch einem spezifischen Rahmen an. Das bedeutet: Wenn man innerhalb der Sprachphilosophie über „Quantoren“, „Sätze“ usw. spricht, muss man nicht die ontologische Frage angehen, ob es Sätze und Quantoren gibt, um sinnvolle Behauptungen aufzustellen (Chalmers, a.a.O., S. 120 f.). Doch solch eine Antwort zeigt nur, dass der Sprachphilosoph nicht ontologisch engagiert ist, d.h. er muss die Frage nicht beantworten, ob Quantoren und Sätze metaphysisch als theoretische Entitäten in der Welt 7
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Derart ist die hegelsche Kritik an der Metaphysik nicht. Der primäre Grund dafür liegt darin, dass die Metaphysik nicht dadurch kritisierbar ist, über die Begrenzungen dessen hinauszugehen, was mittels der Sprache oder unserer Erkenntnisfähigkeiten referierbar oder erkennbar ist. Schon aus diesem Grund erstrebt die meta-metaphysische Kritik Hegels nicht, eine voll vorausgehende Stufe zu sein, die vor der Entwicklung philosophischer und metaphysischer Fragen steht. Es geht nicht darum, zu denken bevor man denkt, denn dies ergibt kaum Sinn, indem es das schon genannte Selbstanwendungsproblem unendlich reproduziert. Jedoch hat die Metametaphysik Hegels mit der zeitgenössischen zumindest eines gemeinsam: eine Reflexion zweiter Ordnung zu sein, deren Aufgabe darin besteht, zu zeigen, dass die durch die Metaphysik nicht-thematisierten Voraussetzungen die Konklusionen und Ansätzen der Metaphysik wohl widerlegen können. Das führt nicht dazu, eine bestimmte metaphysische Position oder Schule zu kritisieren, um eine neue (vorkantische) metaphysische Auffassung zu verteidigen, wie z.B. schon Beiser, Knappik und Holz behaupteten.8 Der Kern der existieren. Das ist aber keine befriedigende Lösung für das schon genannte Problem der Selbstanwendung. Chalmers setzt dabei zweierlei voraus: einerseits, dass es ontologische Bereiche (ontological frameworks) gibt, und zweitens, dass es einen Bereich geben muss, zu dem seine Behauptungen gehören: den der Sprachphilosophie. Dass es ontologische Bereiche gibt und einer davon der sprachphilosophische ist, kann nicht innerhalb der Sprachphilosophie bewiesen werden, denn die Argumentation ist, auf diese Weise dargestellt, zirkulär und würde damit das voraussetzen, was sie beweisen muss. Anders gesagt: Zu behaupten, dass es ontologische Bereiche nur in der Sprache oder im Sprachgebrauch gibt, gilt entweder als ontologische Aussage oder als zirkuläres Argument. Unabhängig davon, ob Chalmers eine Lösung für dieses Problem finden könnte, ist es wichtig anzumerken, dass Hegels Metametaphysik solche Probleme nicht angehen muss. 8Unlängst hat Franz Knappik die These vertreten, dass die im Vorbegriff geübte Kritik an der Metaphysik sich im Wesentlichen gegen den „Atomismus“ richtet. Für ihn bezeichnet „Atomismus“ diejenige Konzeption, die die entgegensetzen Begriffe nicht als sich gegenseitig beziehend betrachtet. „Atomismus“ ist dann ein Synonym vom „endlichen Denken“ oder dessen, was ich manchmal in dieser Arbeit „analytisches Denken“ genannt habe. Dass Hegel sich gegen dieses Denken in seiner Kritik an der Metaphysik wendet, ist vollkommen richtig, doch den präzisen Charakter und
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hegelschen Metaphysikkritik ist es vielmehr, die methodische und rationale Legitimität der Metaphysik als philosophisches Projekt in Frage zu stellen.
die Konsequenzen auf die Konzeption des Absoluten dieser Kritik an der Metaphysik hebt Knappik m.E. nicht hervor. Seiner Meinung nach ist nämlich bei Hegel der „metaphysische Monismus“ dem „Atomismus“ bzw. dem endlichen Denken entgegengesetzt. Das bedeutet, dass Hegel die These verträte, dass es nur eine Entität, eine Substanz in der Realität gäbe, und in dieser Entität ist das Absolute zu sehen. (Vgl. Franz Knappik, And yet He is a Monist. Comments of James Kreines, Reason in the World, in: Hegel Bulletin 30 (2016), S. 1–17.) Knappik ignoriert meiner Meinung nach, wie wir gleich sehen werden, dass Hegels Kritik an der Metaphysik auch eine gegen die Urteilsform gerichtete Kritik ist, was dazu führt, die Betrachtung des Absoluten als Entität oder als Substanz als „Verstandesmetaphysik“ zu bezeichnen. Knappik teilt dann im Wesentlichen auch die Meinung von Hans Heinz Holz, für den Hegel eine kosmologische Welttheorie innerhalb seiner Logik entwickelt. Dadurch ist die These zu vertreten, dass Hegels Kritik an der Metaphysik nur gegen einige kosmologische Theorien geübt wird und nicht gegen die kosmologische Theorie im Allgemeinen als philosophisches Projekt. (Vgl. Hans Heinz Holz, Hegels Konzeption der eigentlichen Metaphysik, in: Detlev Pätzold, Arie Vanderjagt (Hgg.), Hegels Transformation der Metaphysik, Köln 1991, S. 28–42.) Dagegen werde ich innerhalb dieses Textes ausführlich argumentieren, dass Hegels Kritik an der Metaphysik nicht zu einer neuen (besseren) kosmologischen und vorkantischen Theorie führt, sondern dazu, die Voraussetzungen in Frage zu stellen, unter denen die Philosophie das Absolute innerhalb einer kosmologischen Theorie – und nicht innerhalb einer Logik – zu finden versuchte. In diesem Sinn bin ich mit Johannes-Georg Schülein einverstanden, der behauptet, dass sich die Metaphysik und die hegelsche Logik dadurch unterscheiden, dass die erste auf das Urteil vertraut, während die hegelsche Logik versucht, „über „das prädikative Denken hinauszugelangen“. (Johannes-Georg Schülein, Metaphysik und ihre Kritik bei Hegel und Derrida, Hamburg 2016, S. 238.) Das bedeutet natürlich nicht, dass Hegel keine ontologischen Thesen verträte. Ich selbst habe schon behauptet, dass eine der Pointen der hegelschen Logikkonzeption damit zu tun hat, dass die Formen und Begriffen, wodurch der Gedanke seine Gegenstände versteht, auch die Form ist, in der diese Gegenstände sich bilden und die ihre Natur und Einzelheit ausmachen. Diese These ist zwar ein ontologischer Ansatz, doch Hegels Theorie des Absoluten ist auch reflexiv: Es geht nicht nur darum, eine Ontologie darzustellen, sondern auch darum, die Ontologie als Gedanken des Absoluten in der Ontologie selbst zu inkludieren.
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Das Kennzeichen von Hegels Kritik an der Metaphysik ist damit einleitend klar. Doch der Gegenstand dieser Kritik – d.h. die Metaphysik selbst – muss jetzt definiert werden. Bei Hegel ist die Metaphysik eine philosophische Wissenschaft, die das Absolute, d.i. dasjenige, was wahr durch und von sich selbst her ist, durch den reinen Gedanken und Begriff zu erkennen versucht.9 Unter dieser allgemeinen Definition sind sich die „vormalige Metaphysik“ und die hegelsche – die als Logik auftritt – ähnlich. Affinitäten von beiden Metaphysikverständnissen findet man auch darin, dass beide dem Denken die Fähigkeit zuschreiben, dieses Absolute, diese voraussetzungslose Wahrheit zu denken und zu erkennen. Das ursprüngliche Ziel der Metaphysik ist in der hegelschen Logik noch vorhanden, und zwar diese absolute und unbedingte Wahrheit herauszufinden.10 Jedoch ist die begriffliche Natur dieser absoluten Wahrheit anders beschaffen als in der klassischen Metaphysik, weshalb eine klare Abgrenzung zwischen dieser und dem hegelschen Projekt besteht. Der Punkt, an dem sich die hegelsche Logik und die klassische Metaphysik unterscheiden, ist, dass die vormalige Metaphysik eine wichtige Tatsache ignoriert, und zwar, dass die einzige WissenGerade das behauptet Hegel in der Einleitung der Wissenschaft der Logik: „Die objektive Logik tritt damit vielmehr an die Stelle der vormaligen Metaphysik, als welche das wissenschaftliche Gebäude über die Welt war, das nur durch Gedanken ausgeführt sein sollte.“ (WdL, TWA 5, S. 61.) 10 John Burbidge ist der Auffassung, dass Hegels Metaphysik mit dem Projekt zu identifizieren sei, unser geschichtliches und immer sich entwickelndes Netz von Begriffen zu erklären. Es gehe um die Art und Weise, wie sich diese Begriffe zueinander innerhalb der Geschichte und der sozialen Erfahrung verhalten. Damit verträte Hegel eine offene Metaphysik für „das 21. Jahrhundert“, die immer noch inkomplett und auf diese Weise keine absolute Wahrheit sei. (Dazu: John Burbidge, Hegel’s Logic as Metaphysics, in: Hegel Bulletin 35 (2014), S. 100–115.) Die These, laut der die Logik, anstatt eine feste Struktur von Kategorien festzustellen, auf eine Entwicklung und einen Prozess verweist, halte ich für richtig, jedoch ist der Prozess von logischer und nicht nur von empirischer oder geschichtlicher Natur, wie Burbidge zu behaupten scheint. Hegel ist ja ein Denker der Bewegung, der Entwicklung und des Werdens, aber in ihrer logischen Hinsicht, was radikaler ist als die historische oder empirische Entwicklung und Bewegung. Denn die Tatsache, dass dasjenige, was wirklich ist, beweglich und vergänglich (sogar im historischen Sinn) ist, muss durch die logische Prozessualität erklärt werden (dazu ausführlicher im nächsten Kapitel). 9
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schaft des Absoluten, die nur durch Gedanken und Begriffe aufgebaut werden kann, nur diejenige ist, die das Absolute nicht nur als Gegenstand des Denkens definiert – und dieses Absolute nicht einfach in kosmologischen, ontologischen Entitäten oder Strukturen zu finden versucht.11 Von daher ist die Philosophie Hegels sowohl W. Bartuschat hat schon eine ähnliche These vertreten, mit der ich im Allgemeinen einverstanden bin. Er behauptet nämlich, dass Hegel die Inkonsequenz der klassischen Metaphysik darin sieht, dass in dieser keine richtige „Entfaltung der Bestimmungen des Denkens“ vorhanden ist. Dies ist inkonsequent, weil die Metaphysik zwar davon ausgeht, dass das Denken die Fähigkeit hat, die Wahrheit zu erkennen, aber kein Wort über dieses Denken sagt, obwohl es das eigentliche Fundament ihres wissenschaftlichen Gebäudes ist. (Dazu: Wolfgang Bartuschat, Hegels neue Metaphysik, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 5 (2007), S. 220.) Nur unter der Voraussetzung, dass das Denken wahrheitsfähig ist, kann die Metaphysik in der Entwicklung der Logik bestehen: „Das Absolute ist vielmehr allein als Geist zu konzipieren, dessen essentielles Merkmal Denken ist. Seine Struktur ist deshalb über die internen Bestimmungen von Denken zu explizieren, also in einer Analyse der Relation, die Gedanken als Produkte des Denkens zueinander haben. Insofern ist für Hegel die Wissenschaft der Logik die einzig mögliche Metaphysik“ (Ebd., S. 230). Auch Fulda hat den Unterschied zwischen der vormaligen Metaphysik und der hegelschen darin gesehen, dass die erste ein Denken des „Vorausseienden“ darstellt, während die hegelsche ein Denken des Denkens ist. (Hans Fulda, Vom „sich vollbringenden Skeptizismus“ zur „eigentlichen Metaphysik“, in: Markus Gabriel (Hg.), Skeptizismus und Metaphysik., Berlin 2012, S. 349.) In seinem Aufsatz von 1978 lehnt Fulda eine „ontologische Deutung der Dialektik“ ab, die besagt, dass alle Dinge dialektisch oder widersprüchlich sind. Diese ontologische Deutung sei laut Fulda vor allem im Marxismus und seiner Rede von „dialektischen Gesetzen“ vorhanden (Vgl. Hans F. Fulda, Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik, in: Rolf-Peter Horstmann (Hg.), Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt am Main 1978, S. 39–41.) Aufgrund der Objektivitätsfähigkeitsthese ist aber der ontologische Anspruch der Dialektik sichtbar: Die Individuation beim Referieren, die anhand des dialektischen Verhältnisses von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit stattfindet, muss man auch als wirklichen Individuationsprozess erfassen. Dies besagt nicht, dass es dialektische Naturgesetze gibt, sondern vielmehr, dass die Herausbildung der Spezifizität als Resultat der Vermittlung und des Bezogenseins sowohl logisch-referentiell als auch wirklich-ontologisch zu verstehen ist. Doch ich stimme teilweise Fuldas Deutung zu, da ich der Auffassung bin, dass Hegels dialektische 11
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meta-metaphysisch als auch die philosophische Konstruktion einer neuen Art von Metaphysik, die die Selbstbetrachtung des Denkens als Weg zum Absoluten und Verwirklichung desselben darstellt. Wird die vormalige Metaphysik wesentlich durch das philosophische Projekt definiert, das Absolute nur als Gegenstand des Denkens (und nicht auch als die Tätigkeit des denkenden Subjekts) zu betrachten, dann soll die Metaphysikkritik darin bestehen, die begriffliche Schwierigkeiten dieser Denkweise hervorzuheben. Diese Schwierigkeiten drücken sich darin aus, dass die vormalige Metaphysik die Objektivitätsfrage nicht richtig auflösen kann. Die hegelsche Lösung dieser Frage ist schon in dieser Arbeit erläutert worden: Das Denken gilt als Fundament der Wahrheit und diese hängt gerade vom Ersten ab. Nur die Objektivitätsfähigkeitsthese, und zwar, die These, dass derjenige, der richtig denkt, auch notwendigerweise objektiv denkt, ist in der Lage, die Objektivitätsfrage zu lösen. Ist das aber so, dann ist die einzig mögliche absolute Wahrheit gerade diese Objektivitätsfähigkeitsthese, d.h. das Denken und seine Tätigkeit. Jede Konzeption des Absoluten oder dessen, was durch und von sich selbst aus wahr ist, die ohne das Bewusstsein der Objektivitätsfähigkeitsthese aufgebaut wird, ist nicht nur gegen den epistemologischen Skeptizismus nicht immun, sondern auch in ihren eigenen Termini inkonsistent und selbstwidersprüchlich. Um diese These ausreichend zu verstehen, ist es erforderlich, die Behauptungen Hegels über die Metaphysik als „Stellung des Gedankens zur Objektivität“ genau zu rekonstruieren: Die erste Stellung ist das unbefangene Verfahren, welches, noch ohne das Bewusstsein des Gegensatzes des Denkens in und gegen sich, den Glauben enthält, dass durch das Nachdenken die Wahrheit erkannt, das, was die Objekte wahrhaft sind, vor das Bewusstsein gebracht werde. In diesem Glauben geht das Denken geradezu an die Gegenstände, reproduziert den Inhalt der Empfindungen und Anschauungen aus sich zu einem Inhalte des Gedankens und ist in solchem als der Wahrheit befriedigt. Alle Logik nicht nur eine Ontologie darstellt, die bloß das Seiende zum Gegenstand hat, sondern vielmehr eine reflexive Ontologie oder eine reflexive Theorie des Absoluten, d.h. eine Theorie, die das Absolute nicht nur als Gegenstand des Denkens konzipiert, sondern sich ebenso damit beschäftigt, das Denken hinsichtlich des Absoluten ins Absolute selbst miteinzubeziehen.
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anfängliche Philosophie, alle Wissenschaften, ja selbst das tägliche Tun und Treiben des Bewusstseins lebt in diesem Glauben.12
Auf den ersten Blick kann diese erste Stellung der Metaphysik mit einem naiven Realismus gleichgesetzt werden. Sogar haben manche Hegel-Interpreten gerade diesen Vergleich vorgeschlagen.13 Unabhängig von der Debatte, ob diese Gleichsetzung geschichtsphilosophisch gut gerechtfertigt ist, wird meines Erachtens der Kern der hegelschen Metaphysikkritik verkannt und missverstanden, würde die Metaphysik mit dem naiven Realismus identifiziert. In der Tat besagt der Glauben der Metaphysik laut Hegel, dass das „Nachdenken“ und die Gedankentätigkeit die Wahrheit erreichen und erkennen können. So ist die Metaphysik der hegelschen Charakterisierung nach kein naiver Realismus, da für sie die Wahrheit nicht bloß in der vom Denken unabhängigen Realität zu finden ist. Die Wahrheit ist für die Metaphysik nicht diejenige unmittelbare Wirklichkeit, welche für die Sinne zugänglich ist, sondern vielmehr bedeutet für sie „Wahrheit“ einfach dasjenige, was das Denken über das Sein der TWA 8, §26, S. 93. 13 Thomas S. Hoffman und Andreas Arndt haben diesbezüglich die These vertreten, dass die Metaphysik deshalb eine dogmatische, unbefangene und endliche Philosophie sei, weil sie ignoriere, dass das Denken die Gegenstände „verändert“. Vgl. Hoffmans „Totalität und Prädikation“, a.a.O., S. 123, und Arndts Dialektik und Reflexion, a.a.O., S. 145–167. Diese Anmerkung ist aber insofern problematisch, als sie voraussetzt, dass die „vormalige Metaphysik“ eine Art naiver Realismus sei, was dem Charakter dieser Metaphysik nicht entspricht. (Zu dieser Diskussion vgl. Markus Gabriel, Skeptizismus und Idealismus in der Antike, a.a.O., S. 84–96.) Auch Hegel bezeichnet diese antike Metaphysik nicht als naiven Realismus. Es trifft zu, dass die Metaphysik sich – laut Hegel – als eine naive Einheit von Subjekt und Objekt bzw. von Nachdenken und Wahrheit darstellt, womit die Autoren also vollkommen Recht haben, doch es ist m.E. schwer dafür zu argumentieren, dass die Metaphysik in ihrer hegelschen Beschreibung die verändernde Rolle des Denkens ignoriert hat. Indem die Metaphysik „die Denkbestimmungen als die Grundbestimmungen der Dinge“ betrachtete, ist bereits ein Bewusstsein vorhanden, dass die Inhalte der Wahrheit beim Denkprozess – und nicht in einem empirischen Kontakt mit der Realität – zu erreichen sind. (Das ist überhaupt kein naiver Realismus). Das Problem bei der Metaphysik ist für Hegel dann nicht die Bewusstlosigkeit der Veränderung der Gegenstände beim Denkprozess, sondern das Absolute nur als (Gegen)stand des Denkens zu betrachten. 12
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Sachen feststellt und besagt. Nicht die externe Realität oder die empirische Außenwelt ist das Kriterium der Wahrheit dabei, sondern vielmehr das Denken, da für die vormalige Metaphysik die „Denkbestimmungen“ als „Grundbestimmungen“ der Dinge gelten. Daher wäre es einfacher – und in gewissem Maße legitimer –, die Metaphysik und die hegelsche Objektivitätsfähigkeitsthese durcheinanderzubringen. Denn sowohl für die Metaphysik als auch für Hegel besteht die Wahrheit in demjenigen, was durch das Denken richtig gedacht wird. Dies wird explizit auch in §28 behauptet: „Diese Wissenschaft betrachtete die Denkbestimmungen als die Grundbestimmungen der Dinge; sie stand durch diese Voraussetzung, dass das, was ist, damit dass es gedacht wird, an sich erkannt werde, höher als das spätere kritische Philosophieren.“14 Jedoch muss man die Gleichsetzung zwischen vormaliger Metaphysik und der hegelschen Objektivitätsfähigkeitsthese auf jeden Fall vermeiden. Denn die Metaphysik enthält nur den Glauben oder die Voraussetzung, dass das Wahre dasjenige sei, was durch das Denken richtig konzipiert wird. In der Metaphysik wird diese Voraussetzung nicht thematisiert. Hegels Konzeption der Logik als weitere und ontologische Erläuterung der Objektivitätsfähigkeitsthese ist gerade die Thematisierung dieser in der Metaphysik verborgenen Voraussetzung. Die Ähnlichkeit zwischen Hegels Philosophie und der Metaphysik ist aus diesem Grund nur scheinbar: „Dieses Denken kann wegen der Bewusstlosigkeit über seinen Gegensatz ebensowohl seinem Gehalte nach echtes spekulatives Philosophieren sein, als auch in endlichen Denkbestimmungen, d.i. in dem noch unaufgelösten Gegensatze verweilen.“15 In der vormaligen Metaphysik kann man zwar „echtes spekulatives Philosophieren“ finden (vielleicht sind Platon und Aristoteles für Hegel Beispiele dafür16), aber die Grundlagen und TWA 8, §28, S. 94. TWA 8, §27, S. 93. 16 Die spekulativen Aspekte der Philosophie Platons und Aristoteles hat schon Klaus Düsing hervorgehoben. Dazu: Klaus Düsing, Hegel und die klassische griechische Philosophie (Platon/Aristoteles), in: Hegel und die Geschichte der Philosophie, a.a.O., S. 46–69. Auch des. Verf.: Ontologie bei Aristoteles und Hegel, in: Hegel-Studien 32, 1997, S. 61–92. In gewisser Weise koinzidiert schon diese Deutung mit Hegels eigener Auffassung über 14 15
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Pointen der spekulativen Philosophie sind im Verhältnis zu den Voraussetzungen und nicht-thematisierten Annahmen der vormaligen Metaphysik nicht gerade sichtbar noch komplett verständlich. Von dem Standpunkt der vormaligen Metaphysik aus, der eventuell zu einer spekulativen Philosophie führen kann (nur kann, nicht muss), kann man nicht garantieren und versichern, dass der philosophische Gedanke immer zu den richtigen Ergebnissen kommt. Nun muss man die Behauptung, dass die Beziehung zwischen Wahrheit und Denken nur als Glauben und Voraussetzung in der Metaphysik vorhanden ist, nicht so deuten, als ob Hegel eine epistemologische Metaphysikkritik entwickeln möchte. An einem bestimmten Punkt kann man natürlich annehmen, dass die Metaphysik auf einen skeptischen Angriff nicht erfolgreich antworten könnte, da bei ihr die Beziehung von Wahrheit und Gedanke eben nur eine Voraussetzung ist.17 Jedoch ist Hegels Metaphysikkritik die Geschichte der Philosophie, wie es in den schon zitierten Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie dargestellt wird. Hegel sieht in der Philosophie des Aristoteles die Präsenz eines spekulativen Denkens. Z.B. (um nur eines zu erwähnen) in der These, dass die Gattung (Eidos) nur als im Individuum inkarnierte Gattung existiert, wobei Hegel die wichtige Wechselwirkung zwischen dem Allgemeinen und den Einzelnen anerkennt: das Allgemeine ist nur eine im Einzelnen instanziierte Allgemeinheit und zugleich ist das Einzelne nur das, was es ist, durch die Allgemeinheit. Doch dass die antike Philosophie ein spekulatives Gemüt hat, heißt jedoch nicht, dass Hegel keinen Abstand davon hält. Dazu bemerkt Düsing richtig, dass für Hegel der Begriff der ersten Ousia bei Aristoteles eine Bestimmung des Verstandes ist. Der Gedanke, dass ein Träger von Eigenschaften, der kein Prädikat von etwas Anderem sein kann, existieren muss, stützt sich auf der Urteilsform und gehört so zur Sphäre der inkonsistenten Metaphysik des Verstandes. Hegels Punkt ist demnach, dass die antike Philosophie von sich selbst aus nicht in der Lage ist, diese Missverständnisse ihrer spekulativen Ansätze zu verhindern. Nur ein Gedankensystem wie das Hegelsche kann die Spreu vom Weizen trennen. 17 Damit ist nicht gemeint, dass die ganze antike Philosophie durch den Skeptizismus angreifbar war. Hierbei lässt sich nicht ignorieren, dass es schon für Hegel positiv zu bewertende Versuche gab, den Skeptizismus erfolgreich anzugehen und aufzulösen. Plotins Widerlegung des Skeptizismus wurde durch Hegel positiv kommentiert, denn der antike Philosoph begründete den „Zugang“ des Gedankens zur Welt nicht in der Wahr-
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nicht epistemologisch gerichtet. Ihre Natur ist eher logisch-kategorial, wie Klaus Düsing18 schon präzis festgestellt hat. Das Problem der Metaphysik besteht laut Hegel nicht darin, dass sie das Absolute
nehmung, sondern in der Fähigkeit des Gedankens, das Objektive zu erfassen. Diese Art und Weise, das Problem der Objektivität aufzulösen ist dann der hegelschen Argumentationsstrategie ähnlich. (Vgl. Markus Gabriel, Skeptizismus und Idealismus in der Antike, Frankfurt am Main 2009, S. 188 ff., besonders S. 195.) Jedoch bleibt das Absolute bei Plotin etwas vom Gedanken und seiner Tätigkeit Unterscheidbares, und zwar, das Absolute-Eine, das, sofern es über jede Endlichkeit transzendiert, auch jeder Bestimmung bzw. Prädikation entkommt. (Vgl. Dazu u.a. Jens Halfwassen, Jenseits von Sein und Nichtsein: Wie kann man für Transzendenz argumentieren?, in: Thomas Buchheim (Hg.), Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft, Tübingen 2012, S. 85–98.) Hegel ist der Auffassung, dass diese Konklusion der Grund für das Scheitern der spekulativen Entwicklung sei, die man einmal in der Philosophie Plotins sehen konnte. Wenn nämlich das Absolute anders als Gedanken und seine Tätigkeit ist, ist der Übergang vom Absoluten zur Endlichkeit undeutlich, d.h. die Tatsache, dass das Absolute dasjenige ist, was die Endlichkeit erklärt und begründet, kann nicht bewiesen werden. Dieser Übergang vom absoluten Einen zu dem erscheinenden Vielen scheitert gerade deswegen, weil das Eine vollkommen transzendent ist. All das führt in Hegels Augen zum unüberwindbaren Dualismus des Bestimmten und des Unbestimmten. Folglich denkt Hegel, dass für Plotin gälte, dass das Verhältnis zwischen Nachdenken und Wahrheit nur eine Voraussetzung sei, denn dieses Verhältnis zu thematisieren impliziert, das Absolute im Gedanken und seiner Tätigkeit herauszufinden. (Dazu: Markus Gabriel, Hegel und Plotin, in: Hegel und die Geschichte der Philosophie, a.a.O., S. 70–83; auch ders., Transcendental Ontology, a.a.O., S. 107 ff.) 18 Klaus Düsing, Hegels Metaphysikkritik. Dargestellt am Beispiel seiner Auseinandersetzung mit Kants Antinomienlehre, in: Henk Osterling, Frans de Jong (Hgg.), Denken Unterwegs: Philosophie im Kräftefeld sozialen und politischen Engagements. Festschrift für Heinz Kimmerle zu seinem 60. Geburtstag. Amsterdam 1990, S. 109–126. Laut Düsing zeigt die hegelsche Kritik an der Metaphysik, „dass alle endlichen ontologischen Bestimmungen, wie sie die traditionelle Ontologie aufstellt, jeweils ihr Gegenteil an sich haben, also dialektisch sind und Widerspruchsbedeutung annehmen, sich damit aber in ihrem Geltungsanspruch aufheben… Zum anderen wendet sich Hegels Metaphysikkritik gegen die insbesondere in der metaphysica specialis zugrunde gelegten Vorstellungssubtrate; der reine Gedankeninhalt besteht bei solchen metaphysischen Argumentationen allein in Kategorien als reinen logisch-ontologischen Bestimmungen.“ (S. 122)
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nicht erkennen kann, sondern vielmehr darin, dass sie dieses nicht denken kann; besser gesagt, darin, dass dasjenige, was der Tradition nach als Absolutes gedacht worden ist (also: die ontologischen Grundstrukturen, die metaphysischen Entitäten oder die alles in sich enthaltende Substanz), nicht gerade absolut ist, wenn man doch die Sache näherer betrachtet. Die Metaphysik hat den Anspruch, eine absolute und feste Wahrheit in obersten Entitäten oder ontologischen Strukturen zu finden, die per definitionem verschieden vom Denken und seiner Tätigkeit sind. Wenn aber die Voraussetzung der Metaphysik besagt, dass die Wahrheit dasjenige ist, was durch das Denken etabliert und gerechtfertigt ist, dann hängt jede metaphysische Behauptung überhaupt von der Objektivitätsfähigkeitsthese ab. Mit anderen Worten, eine metaphysische Behauptung p bezüglich ontologischer Grundstrukturen muss auf eine metametaphysische Behauptung p‘ zurückgeführt werden, die besagt, p ist nur wahr dadurch, dass sie durch das Denken gerechtfertigt wird. Ist das so, dann hängen die angeblich absoluten Wahrheiten der Metaphysik, wie z.B. der Ansatz der Existenz eines Ens Supremum, von p‘ ab. Aus diesem Grund muss das Absolute auch auf der Ebene von p‘ begriffen werden – nicht aber auf dem einfachen Level von p. Das bedeutet, dass jegliche ontologischen Beschreibungen der Welt und deren ontologischer Grundstrukturen unzureichend legitimierte Ansätze des Absoluten bieten. So lautet Hegels kritischer Hauptansatz gegenüber der Metaphysik: Wenn sich eine Theorie des Absoluten nur mit ontologischen Grundstrukturen und obersten Entitäten auseinandersetzt, ohne jedoch in ihrem theoretischen Korpus die Denkenstätigkeit ontologisch zu inkludieren und zu thematisieren, durch welche sie als Theorie aufgebaut wird, dann ist diese Theorie immer bedingt und hat damit einen blinden Fleck. Anders gesagt: Laut den Kriterien der vormaligen Metaphysik ist eine erfolgreiche Theorie des Absoluten diejenige, die in der Lage ist, einer Entität oder ontologischen Grundstruktur die Eigenschaft zuzuschreiben, absolut zu sein (und zwar die Eigenschaft, alles Seiende zu bestimmen und zu ordnen, ohne bestimmt oder geordnet zu werden), ohne in Widersprüche zu verfallen. Für Hegel ist aber dieses Kriterium kein Maßstab des Erfolgs einer Theorie des Absoluten. Denn für ihn ist eine wahr-
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hafte Theorie des Absoluten nur diejenige, die sich ihrer eigenen operativen Voraussetzung bewusst ist und darüber ontologisch reflektiert, und zwar über die Präsupposition der Denkstätigkeit als solche, von welcher aus die Theorie selbst entstehen kann. Irgendein ontologischer Ansatz muss nach Hegel nicht nur nach dem Sein fragen, sondern muss auch das Denken, von dem her der Ansatz gedacht wird, ontologisch erklären können. Aus diesem von Hegel eingeführten Erfolgskriterium ist aber zu deduzieren, dass eine Theorie des Absoluten, die dieses als etwas, das von der Denktätigkeit strukturverschieden ist, definiert, inkonsistent ist. Das ist bei den naturalistischen und physikalistischen Ontologien besonders deutlich. Angenommen, es gebe eine Ontologie, die die These verteidigt, dass das Absolute mit der Materie gleichzusetzen ist (oder zumindest mit demjenigen, was durch die Naturwissenschaft und ihre methodischen Werkzeuge messbar und bestimmbar ist), dann gehe aus dieser These nur der Gedanke hervor, dass es nur dasjenige geben kann, was materiell, messbar und durch die Naturwissenschaft bestimmbar ist, da die Materie als bestimmendes Prinzip alles Seienden gilt. Diese materialistische Ontologie setzt jedoch voraus, dass die in ihr vertretenen Thesen der Wahrheit entsprechen, d.h. dass sie durch das Denken und durch die Analyse von bestimmten Begriffen gerechtfertigt werden können. Diese Ontologie wäre von einer epistemologischen Warte aus wohl leicht angreifbar, indem man zeigt, dass die ontologischen Konklusionen jenes Materialismus nicht wirklich von unserer Erkenntnis legitimiert werden können. Jedoch liegt für Hegel die Inkonsistenz dieser Ontologie eher darin, dass sie selbst weder messbar noch durch die Naturwissenschaft bestimmbar ist. Die materialistische Ontologie verteidigt die These, dass es nur das Materielle gibt, woraus man schließen müsste, dass diese Ontologie nicht existiert, was ein performativer Widerspruch für den Materialisten/Naturalisten wäre.19 Der Materialismus, der Physikalismus usw. setzt Der Materialismus, Naturalismus usw. gilt auf den ersten Blick als Umkehrung der antiken Metaphysik. Jedoch stellt diese Umkehrung für Hegel keine angemessene Metaphysikkritik dar. Dies lässt sich in der folgenden Passage bezüglich des Empirismus lesen: „Der Empirismus hat diese 19
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die Existenz des Denkens und seine Fähigkeit, die Wahrheit zu erreichen, voraus, indessen lässt sie aber die Definition und das Denken des Absoluten außen vor. Dadurch, dass die Rechtfertigungsbedingung der Ontologie aus der Ontologie selbst ausgeschlossen wird, sind diese metaphysischen Ansätze notwendigerweise inkonsistent und selbstwidersprüchlich. Die Selbstwidersprüchlichkeit betrifft jedoch nicht nur den Materialismus, den Physikalismus oder den Naturalismus. Die ontologische Inkonsistenz der vormaligen Metaphysik ist nämlich aus der Prämisse herzuleiten, dass das Absolute nur als Gegenstand des Denkens betrachtet wird. Die Materie, die physische Realität, das UniQuelle einerseits mit der Metaphysik selbst gemein, als welche für die Beglaubigung ihrer Definitionen – der Voraussetzungen sowie des bestimmteren Inhalts – ebenfalls die Vorstellung, d.h. den zunächst von der Erfahrung herrührenden Inhalt zur Gewähr hat.“ (TWA 8, §38, S. 107.) Da der Empirismus die Voraussetzung der Metaphysik nicht thematisiert, sondern nur unkritisch annimmt, ist dieser aus demselben Grund wie die antike Metaphysik problematisch: Der Inhalt der Philosophie geht in beiden Fällen von Etwas aus, das außerhalb des Denkens liegt, obwohl die Wahrheit, deren Erlangen beide Gedankensysteme anstreben, von philosophischer Natur ist und als solche nur durch das Denken gerechtfertigt werden kann. Dies führt den Empirismus zu dem Widerspruch, dass die Richtigkeit und Angemessenheit seines Wahrheitskriteriums durch empiristische Erklärungen nicht bewiesen werden können. Wie Christoph Asmuth behauptet: „Eine nominalistische Begründung einer Theorie der Wissenschaft ist nach Hegel unmöglich. Aus der Empirie heraus lässt sich noch nicht einmal die Empirie selbst als Konzept begründen“ (Christoph Asmuth, Der Empirismus und die kritische Philosophie Kants. Zur zweiten Stellung des Gedankens zur Objektivität im enzyklopädischen „Vorbegriff“ der spekulativen Logik“, in: Der Vorbegriff zur Wissenschaft der Logik, a.a.O., S. 149.) Genau derselbe Widerspruch ist beim Materialismus zu finden: „Diesem Materialismus gilt die Materie als solche als das wahrhaft Objektive. Materie aber ist selbst schon ein Abstraktum, welches als solches nicht wahrzunehmen ist. Man kann deshalb sagen, es gibt keine Materie; denn wie sie existiert, ist sie immer ein Bestimmtes, Konkretes“ (§39, S. 111). Wenn man hier „Materialismus“ durch „Naturalismus“ oder „Physikalismus“ und „Wahrnehmen“ durch „mittels der methodischen Werkzeuge der Naturwissenschaft messbar“ ersetzt, ergibt sich dasselbe Problem. Der Grund dafür ist, dass bei diesen Theorien das Absolute nur einem Gegenstand des Denkens gleichzusetzen wäre, wobei das Denken selbst in die Ontologie nicht miteinbezogen wird.
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versum usw. sind Gegenstände des Denkens und deswegen können sie in Hegels Augen nicht als das Absolute definiert werden. Das ist aber auch der Fall bei einer Ontologie, die die These verteidigen würde, dass das Absolute mit einem Ens Supremum zu identifizieren ist.20 Theologisch-transzendent oder naturwissenschaftlich-immaSchon Fulda hat dafür argumentiert, dass bezüglich der vormaligen metaphysischen Onto-theologie die hegelsche Philosophie eine Meta-metaphysik sei. Diese antike Theologie setzt nach Fulda eine Bewusstseinsund Geistesphilosophie voraus, die in den theologischen Betrachtungen nicht thematisiert wurde: „Die Philosophie des absoluten Geistes nämlich schließt auch eine Philosophie des Bewusstseins von Gott und als solche eine Philosophie Gottes als eines Gegenstandes vorstellenden Denkens ein. Sie lehrt, wie man dasjenige, als was Gott im Rahmen der ontotheologischen Verfassung der Metaphysik konzipiert wurde, vernünftig zu denken hat“ (Hans Friedrich Fulda, Spekulative Logik als die „eigentliche Metaphysik“. Zu Hegels Verwandlung des neuzeitlichen Metaphysikverständnisses, in: Hegels Transformation der Metaphysik, a.a.O., S. 20). Das Argument Fuldas verbindet sich auch mit seiner Deutung der Geistesphilosophie Hegels: „Vor allem aber thematisiert sie den unendlichen Geist nicht als etwas, das für sich besteht – außerhalb seiner weltlichen Wirklichkeit, die es in der Religiosität von Menschen hat und in der es allerdings als etwas für sich Bestehendes vorgestellt wird.“ (S. 17) Diese Meinung ist auch durch Birgit Sandkaulen vertreten worden: „Während die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele ganz aus dem Themenkatalog verschwindet, verwandelt sich die Rede von Gott in die vom ‚Absoluten‘, was keinesfalls als ein beliebiger Austausch bestimmter Namen missverstanden werden darf. Im Gegenteil soll der neue Ausdruck weithin erkennbar signalisieren, dass das Absolute mit der ‚Vorstellung Gott‘ nicht verwechselt sein will.“ (Birgit Sandkaulen, Die Ontologie der Substanz, der Begriff der Subjektivität und die Faktizität des Einzelnen. Hegels reflexionslogische Widerlegung der Spinozanischen Metaphysik, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 5 (2007), S. 238.) Auch in diese Richtung argumentiert S. Žižek, da er die hegelsche Philosophie als die Überwindung des infantilen Bildes Gottes deutet. (Slavoj Žižek, Less than Nothing: Hegel and the shadow of dialectical materialism, London 2012.) Auf der Ebene dieser Arbeit ist Fuldas Deutung weder zu widerlegen noch zu verteidigen, da ich mich mit Hegels Philosophie des Geistes nicht auseinandersetze. Doch der Richtung seines Arguments stimme ich völlig zu, und zwar darin, dass die metaphysische Onto-theologie das Absolute nur als Gegenstand des Denkens betrachtet. Die Metaphysikkritik Hegels gilt auch als Beleg für Fuldas und Sandkaulens Argument. 20
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nent aufgebaut, erweist sich die Metaphysik aus demselben Grund als mangelhaft: Auch sie definiert unkritisch das Absolute nur als einen Gegenstand des Denkens vor. Diesbezüglich ist die Ontologie, die die Existenz eines Ens Supremum verteidigt, nicht hauptsächlich aus epistemologischen Gründen kritisierbar. Hegels Metaphysikkritik ist noch radikaler: Sogar, wenn es möglich wäre, die Existenz dieses Ens Supremum mittels rationaler Argumente zu beweisen, wäre dieser Existenzbeweis noch lange keine Theorie des Absoluten. Der Grund dafür besteht darin, dass sich das Denken, welches die Existenz des Ens Supremum beweisen und diesem auch noch die Eigenschaft zuschreiben kann, absolut zu sein, gleichwohl von diesem unterscheidet und ihm deshalb extern und äußerlich ist: Das Denken ist nämlich nicht das Ens Supremum, sondern letzteres wird durch ersteres als Gegen-stand betrachtet. Ist das so, dann stellt sich unbedingt die Frage, wo und wie das Ens Supremum und das Denken, welches es als Gegenstand konzipiert, miteinander verbunden sind. Damit – und nicht allein mit dem Ens Supremum – muss sich die Theorie des Absoluten beschäftigen, wobei das Ens Supremum nicht mehr absolut ist, da es mit etwas Anderem verknüpft werden muss. In diesem Zusammenhang erscheint es vielmehr als etwas Endliches und die Theorie des Absoluten „ist von der Schwierigkeit befangen, den Übergang vom Endlichen zum Unendlichen zu machen“:21 Das Ens Supremum, indem es dem Denken entgegengesetzt ist, tritt als Endliches auf: „[…] er [Gott; A.P.] bleibt als ein Objekt dem Subjekt gegenüber, somit auf diese Weise ein Endliches (Dualismus).“22 Wenn aber die Verknüpfung zwischen dem Ens Supremum und dem Denken doch erneut unkritisch als (Gegen)stand des Denkens begriffen wird, entsteht wieder das Problem, dass das Absolute die „unmittelbare Substanz“ der Welt wäre und sich folglich „nicht von der bleibenden Endlichkeit“23 dieser Welt befreien könnte. Des Weiteren wäre auch diese unmittelbare Substanz vom Denken, welches sie betrachtet, verschieden und somit würde das Problem der Verknüpfung zwischen dem Absoluten und dem Gedanken des Absoluten ungelöst bleiben. Der ausweglose Streit zwischen DualTWA 8, §36, S. 103. 22 Ebd. 23 Ebd. 21
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ismus und Pantheismus hat demzufolge seinen Ursprung darin, dass das Absolute unkritisch nur als Objekt oder als Gegen-stand des Denken vordefiniert wird. Aufgrund dessen ist die Metaphysik ein endliches Denken, dialektisch inkonsistent und erscheint als „bloße Verstandesansicht der Vernunftgegenstände“.24 Der Terminus „Vernunftgegenstand“ nimmt Bezug auf die Frage nach dem Absoluten, d.h. nach dem, was überhaupt und ohne Voraussetzungen wahr ist. „Verstandesansicht“ bezieht sich ihrerseits darauf, wie die Metaphysik nach dem Absoluten fragt, und zwar nur als Gegenstand des Denkens. Von daher ist die Form der Metaphysik (der Begriff des Absoluten als Gegenstand des Denkens, als außenstehende Allgemeinheit) mit ihrem Gegenstand (dem Absoluten selbst, das nur auf der Ebene der Reflexion des Denkens über sich selbst sichtbar ist und somit die Gedankenreflexion selbst ist) inkompatibel.25 Die neue Art von Metaphysik, die Hegel der vorkritischen Metaphysik entgegensetzten will, besteht in einer Theorie des Absoluten, die doch konsistent auf der schon erläuterten Argumentationsebene ist. Die richtige Metaphysik, die die Paradoxien der Vormaligen nicht angehen muss, ist diejenige, die innerhalb der eigenen Ontologie über das Denken reflektiert, von dem aus sie aufgebaut wird. Das ist aber nur dann zu erreichen, wenn das Absolute aufhört, nur als Gegenstand des Denkens definiert zu werden (sei dieser Gegenstand eine Entität, Struktur oder Substanz, die dem Denken äußerlich ist) und wird auch zur Denktätigkeit als solcher. Dasjenige Denken, welches seine eigene Tätigkeit als absolut begrifft, ist das „unendliche Denken“. Die Unendlichkeit des Denkens ist folglich der anfängliche Schlüssel für eine erfolgreiche Antwort auf die von Hegel dargestellte metametaphysische Herausforderung: TWA 8, §27, S. 93. Diesbezüglich stimme ich zwar Thomas Hoffmans Deutung zu, dass die Metaphysik die Trennung zwischen Form und Inhalt unbewusst und implizit reproduziert (dazu: Thomas Hoffman, Totalität und Prädikation, a.a.O., S. 115), doch glaube ich, wie oben schon erläutert, dass diese Trennung nicht durch die Tatsache zu erklären ist, dass die Metaphysik die Natur des Denkens als Veränderungsprozess übersieht, sondern vielmehr deshalb, weil die Metaphysik die Denktätigkeit in ihrer Definition des Absolutes nicht auf konsistente Weise miteinbeziehen kann. 24 25
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Der Ausdruck unendliches Denken kann als auffallend erscheinen, wenn man die Vorstellung der neueren Zeit, als sei das Denken immer beschränkt, festhält. Nun aber ist in der Tat das Denken seinem Wesen nach in sich unendlich […] Das Denken aber ist bei sich selbst, verhält sich zu sich selbst und hat sich selbst zum Gegenstand. Indem ich einen Gedanken zum Gegenstand habe, bin ich bei mir selbst. Ich, das Denken, ist demnach unendlich, darum, weil es sich im Denken zu einem Gegenstand verhält, der er selbst ist. Gegenstand überhaupt ist ein Anderes, ein Negatives gegen mich. Denkt das Denken sich selbst, so hat es einen Gegenstand, der zugleich keiner ist, d.h. ein aufgehobener, ideeller. Das Denken als solches, in seiner Reinheit, hat also keine Schranke in sich.26
Damit ist gemeint, dass das „unendliche Denken“ sich als Quelle und Grundlage der Wahrheit und somit als „absolute Wahrheit“ betrachtet. Wie schon gezeigt, weisen solche Ausdrücke darauf hin, dass jede Behauptung mit Wahrheitsanspruch die Objektivitätsfähigkeit des Gedankens voraussetzt, d.h. die Tatsache, dass jedwede Behauptung deshalb wahr ist, weil sie durch den Gedanken gerechtfertigt wird/wurde. Diese Reflexion des Gedankens macht seine „Unendlichkeit“ aus und soll nicht aus diesem Grund mit der endlichen Reflexion, der „Vorstellung der Neuzeit“ (d.h. der Epistemologie) verwechselt werden. Unendlichkeit des Denkens bedeutet letztlich, dass die Möglichkeit jedweder Beziehung des Gedankens auf sein „Anderssein“ (auf einen Gegenstand, der sich von ihm unterscheidet und der Anschauung, Gefühl, Emotion, Bedürfnis oder Gegenstand der „Außenwelt“ sein kann) auf die Handlung des Gedankens selbst zurückzuführen ist. Anders ausgedrückt: „Unendlichkeit“ heißt, dass dasjenige, was der Gedanke als Wahrheit festsetzt und etabliert, nicht falsch sein kann; nicht aber deshalb, weil uns eine äußere Garantie zur Verfügung steht, die uns die Geeignetheit unseres Instrumentes versichert, um die Realität genau erkennen zu können (man denke etwa an die Rolle des Gottes in Descartes Meditationen als letzte Versicherung des Verhältnisses Gedanke-Realität27); sondern vielmehr deswegen, weil jeder mögliche Zweifel an der inneren Beziehung des Denkens zur Wahrheit zwangsläufig dieselbe Beziehung als gegeben voraussetzt: Ein verTWA 8, §28, S. 95. 27 Vgl. René Descartes, Meditationen. Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen, Hamburg 2009, besonders die sechste Meditation. 26
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nünftiger Zweifel geht doch immer davon aus, etwas Vernünftiges darzustellen – d.i. gegenüber dem Gedanken gerechtfertigt zu sein. Die Bedingung der Möglichkeit der Wahrheit, des Erkennens und sogar des Skeptizismus ist dann diese Unendlichkeit des Gedankens. Dadurch, dass das Denken unendlich im schon genannten Sinn ist, muss es als absolut konzipiert werden. Da die allgemeine Struktur Hegels Metaphysikkritik schon deutlich ist, möchte ich nun die spezifischen Einwände Hegels gegen die Metaphysik darlegen und argumentativ rekonstruieren. In allen Fällen ist zu sehen, dass die Metaphysik noch weitere Probleme logischer Natur angehen muss, um das Absolute zu bestimmen, wobei auch das Argument, dass die Metaphysik dialektisch inkonsistent ist, präziser und ausführlicher dargestellt werden muss. Diese Probleme entstehen vor allem deshalb, weil die Metaphysik als (b) eine schlechte Auffassung der Unendlichkeit, (c) eine unpräzise und abstrakte Konzeption der Form des Denkens und demzufolge (d) als Dogmatismus zu verstehen ist. B. Metaphysik als inkonsistente Auffassung der Unendlichkeit Der erste konkrete Einwand gegen die vormalige Metaphysik kann darin zusammengefasst werden, dass sie sich als eine inkonsistente Auffassung der Unendlichkeit bestimmen lässt. Wie es später zu zeigen gilt, kann diese „vormalige Metaphysik“ als eine Art „schlechte Unendlichkeit“ im logischen Sinne verstanden werden, weil beide (sowohl die antike Metaphysik als auch die schlechte Unendlichkeit der Seinslehre) die gleichen Probleme angehen müssen, um das Absolute logisch bestimmen zu können. Bevor wir aber die kritische Diagnose der Metaphysik in der Wissenschaft der Logik näher betrachten, kann bereits die Frage vorweggenommen werden, warum diese vormalige Metaphysik daran scheitert, das Absolute und Unendliche erfolgreich zu konzipieren: der Objektivität gegenüber ist die Metaphysik eine endliche Stellung des Gedankens, also endliches Denken. Endliches Denken ist jenes, das sich selbst und seine Bestimmung als etwas Beschränktes auffasst. Wie schon erläutert, dass der Gedanke sich selbst als Limitiertes begreift, bedeutet zweierlei: Entweder, dass der Gedanke als die subjektive Region definiert wird, die dem Sein bzw. der Realität entgegengesetzt ist, womit er seine
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Grenze und Limitation im Zugang zum Sein und zur Wirklichkeit findet; oder, dass das Denken, auf in analytischen Distinktionen stattfindende Denkbestimmungen bestehend, das Absolute in einer dieser Denkbestimmungen zu suchen versucht. Die hier zu betrachtende Art endlichen Denkens nimmt Bezug auf die zweite Bedeutung, denn die epistemologische Frage der Neuzeit ist in der vormaligen Metaphysik nicht explizit vorhanden, obwohl diese Metaphysik nicht gegen die epistemische Skepsis immun ist. Diesbezüglich behauptet Hegel, in der Metaphysik: I. wurden jene Bestimmungen in ihrer Abstraktion als für sich geltend und als fähig genommen, Prädikate des Wahren zu sein. Jene Metaphysik setze überhaupt voraus, dass die Erkenntnis des Absoluten in der Weise geschehen könne, dass ihm Prädikate beigelegt werden, und untersuchte weder die Verstandesbestimmungen ihrem eigentümlichen Inhalte und Werte nach, noch auch diese Form, das Absolute durch Beilegung von Prädikaten zu bestimmen.28
Dieses Zitat und der ganze §28 (und sein Zusatz) sollen meines Erachtens so gelesen werden, dass es dabei um die hegelsche Beschreibung der Paradoxie des Absoluten geht, die sich als Grund des Scheiterns der Metaphysik innerhalb ihrer kritischen Betrachtung herausstellt. Darin sieht man die allgemeine Gestalt der hegelschen Kritik an der Metaphysik: Das vormalige metaphysische Philosophieren kann das Absolute deswegen nicht erfolgreich logisch bestimmen, weil es dieses durch Prädikate zu erkennen versucht. Die Metaphysik ist folglich eine schlechte Auffassung der Unendlichkeit, da sie auf der Auffassung beruht, dass diese Unendlichkeit durch Beilegung von Prädikaten bestimmt werden kann. Betrachten wir diese Paradoxie ausführlicher. Da die Metaphysik das Absolute und das Unendliche doch nur als bloßen Gegenstand des Denkens im Voraus auffasst, gewinnt für sie der Begriff der Unendlichkeit zwei deutliche Konnotationen. Erstens muss dieses Unendliche als Substrat verstanden werden, dem man die Eigenschaft der Unendlichkeit zuschreibt. Denn als Gegenstand des Denkens wird das Absolute für etwas gehalten, das da irgendwo in der Außenwelt liegt. In Verbindung damit geht die28
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ses Verständnis der Unendlichkeit von der Entgegensetzung zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen aus. Dem Satz des zu vermeidenden Widerspruchs nach kann kein Substrat nämlich gleichzeitig zwei entgegengesetzte Prädikate in sich tragen: es kann nicht endlich und unendlich sein. Bevor man mit der Rekonstruktion des hegelschen Arguments fortsetzt, ist es erforderlich zu erklären, dass der Terminus „Unendlichkeit“ nicht notwendigerweise einen kosmologischen oder räumlichen Sinn hat. Natürlich beschäftigt sich Hegel mit dem Begriff der quantitativen Unendlichkeit (in dem die Frage nach der Unendlichkeit des Raumes oder des Universums zu verorten ist), aber diese Thematisierung findet im Vorbegriff nicht statt. Die Unendlichkeit, von der hier die Rede ist, kann vielmehr als qualitativ betrachtet werden. Unter qualitativer Unendlichkeit ist dasjenige Prinzip oder diejenige Entität zu verstehen, aus denen alles hervorgehen muss. Entität oder Prinzip wären dadurch unendlich, dass sie durch etwas Anderes weder begrenzt noch bedingt sind. Unendlichkeit entspricht hier dem maximalen Allgemeinheitsgrad der Prinzipien und der absoluten Unbedingtheit bestimmter Entitäten oder Begriffe. Das Unendliche ist dasjenige, was alles in sich subsumiert, ohne durch etwas Anderes subsumiert zu werden. Die von der Philosophie zu erreichende Allgemeinheit muss nämlich insofern den Unendlichkeitscharakter in sich tragen, als ihr kein Besonderes, kein Seiendes entkommen kann. Das absolute Unbedingte kann niemals endlich sein. Denn „endlich heißt, formell ausgedrückt, dasjenige, was ein Ende hat, was ist, aber da aufhört, wo es mit seinem Anderen zusammenhängt und somit durch dieses beschränkt wird“.29 Die philosophische Allgemeinheit muss keine Begrenzung noch Limitation haben und kann nicht auf andere Gegenstände bezogen sein. Wenn es etwas Äußeres im Verhältnis zum Absoluten gäbe, dann wäre das Absolute nicht mehr „das Absolute“, da dieses Äußere nicht durch das Absolute bestimmt, subsumiert oder in ihm enthalten sein würde. Aber aufgrund dessen, dass die Metaphysik die Unendlichkeit als Gegenstand (Substrat) betrachtet, entstehen die ersten Schwierigkeiten. Da diese metaphysische Allgemeinheit innerhalb ihrer Ent29
TWA 8, §28, S. 95.
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gegensetzung mit dem Besonderen bzw. Bedingten/Endlichen begriffen wird, muss sie als etwas betrachtet werden, dem man, die Bestimmung der Endlichkeit ausschließend, nur das Prädikat der „Unendlichkeit“ beilegen kann. Daraus ergibt sich die Vorstellung, dass das Absolute in einem Supremum (Prinzip, Substanz) gefunden werden muss: Es geht demzufolge darum, ein Etwas, ein Ens zu finden, zu dem das Prädikat der Unendlichkeit wirklich passt, ohne in Widersprüche zu verwickeln. Dieser Strategie zu folgen, wäre wohl logisch und selbstverständlich, da etwas, das unendlich ist, keinesfalls endlich sein kann. Die Absolutheit des Absoluten (wenn man so sprechen darf) hängt davon ab, das Prädikat der Unendlichkeit in Bezug auf einen Gegenstand oder eine Entität zu fixieren und am stärksten zu betonen. Doch diese Prädikationsstrategie, die die Entgegensetzung von Unendlichkeit und Endlichkeit zwangsläufig begleitet, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Das Scheitern dieses Versuches lässt sich aber nicht aus epistemologischen Gründen erklären. Das Problem dabei ist nicht, dass man dieses Ens Supremum nicht erkennen kann, sondern es entsteht eher dadurch, dass man es nicht wirklich denken kann. Die „Unendlichkeit“ als Prädikat zu erfassen, ist nämlich selbstwidersprüchlich: „Hier wird die Unendlichkeit der Endlichkeit fest gegenüberstellt, und es ist doch leicht einzusehen, dass, wenn beide einander gegenüberstellt werden, die Unendlichkeit, die doch das Ganze sein soll, nur als eine Seite erscheint und durch das Endliche begrenzt ist. – Eine begrenzte Unendlichkeit ist aber selbst nur ein Endliches.“30 Die Unendlichkeit in ein Prädikat zu verwandeln, das man der Endlichkeit entgegensetzt und dem Ens Supremum beilegt, hat eine Verendlichung der Unendlichkeit zur Folge. Diese Problematik ist auf zwei Gründe zurückzuführen, die sich gegenseitig artikulieren und aus den Voraussetzungen der Prädikationslogik entstammen. Erstens findet bei der Prädikationslogik zwangsläufig eine Verendlichung der Unendlichkeit statt, denn das Prädikationsmodell fordert die Existenz eines Substrates, welches als Träger der Eigenschaften und Prädikate fungiert und somit der Prädikation selbst vorausgeht. Da das Substrat der Prädikation vorangeht, bleibt es ein Endliches, obschon es das Prädikat „Unendlich30
TWA 8, §28, S. 95.
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keit“ trägt. Die Struktur der Prädikation setzt nämlich voraus, dass man über dieses Substrat spricht, das absolut einzeln und von den anderen Substraten verschieden ist. Im Wesentlichen besitzt das Substrat die Charakteristik, eine Begrenzung zu haben, im Sinne, dass dieses – und nicht jenes – der Träger der Eigenschaften ist. Das Unterscheidbarsein ist grundlegend für die Existenz des Substrates qua Substrat. Aus diesem Grund kann man von einer (Vor)Verendlichung der Unendlichkeit sprechen, die in der Prädikationslogik vorkommt. Zweitens ist die Verendlichung der Unendlichkeit nicht nur eine Folge der Voraussetzungen der Prädikation, sondern existiert auch in der Prädikationsaufgabe als solche. Darauf hinzuweisen, dass etwas, ein Substrat, unendlich und absolut sei, impliziert nun einmal, dieses im Modus der Prädikation von der Endlichkeit auszuschließen, was wiederum bedeutet, dieses Substrat den anderen Substraten, die nur endlich und vergänglich sind, logisch entgegenzusetzen. Wenn aber das Ens Supremum (das Substrat, das das Prädikat der Absolutheit bzw. der Unendlichkeit trägt), innerhalb einer Entgegensetzung mit anderen Seienden erschiene, die nur endlich, vergänglich usw. sind, dann wäre unser Kandidat fürs Ens Supremum nicht mehr das Absolute. Denn, obwohl dieser Kandidat die Eigenschaft der Unendlichkeit trägt, hat er eine logische Begrenzung, und zwar dasjenige, was nicht unendlich ist. Das Unendliche hört dort zu sein, wo das Endliche und Vergängliche zu sein anfängt. In diesem Fall wäre das Absolute vielmehr ein Drittes, das das Endliche und das Unendliche miteinander verbindet und beide enthält, da dieses Dritte als das wirklich Unbegrenzte in logischer Hinsicht auftritt. Doch falls man dieses Dritte erneut als Substrat konzipiert, entstünde dasselbe Problem. Denn unser Drittes, das neue (meta)Ens Supremum2 wäre demnach dem vorherigen Ens Supremum1 und dem Endlichen logisch entgegengesetzt, da diese nur endlich sind und das Ens Supremum2 die Eigenschaft der Endlichkeit aus sich ausschließen muss. Von daher würde sich das neue (meta-meta) Ens Supremum3 wieder als Endliches herausstellen und man bräuchte ein viertes Ens Supremum4, das alles vorherige enthielte. So ad infinitum. Dieser Einwand könnte wohl als Vorwurf gegenüber der transzendenten Metaphysik gedeutet werden, denn das Absolute als ein unendliches Jenseits zu verstehen, führt zu einer Verendlichung des
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Unendlichen, bzw. einer Entabsolutisierung des Absoluten, indem das Jenseits dem endlichen Hier und Jetzt entgegengesetzt (oder durch dieses begrenzt) wird. Dessen sind wir uns auf einem höheren Reflexionslevel bewusst, das jedoch für die Prädikationslogik und für die Metaphysik selbst nicht sichtbar ist. Eine richtige (wahre) philosophische Unendlichkeit erreicht man nur auf dieser Reflexionsebene, die die Aufgabe der Wissenschaft der Logik ausmacht und sich nach den Voraussetzungen der Prädikationslogik und des Begriffes der Unendlichkeit (und auch nach der gewöhnlichen Logik) fragt (dazu ausführlicher später im Kapitel drei). Da aber die Metaphysik sich nur im Reich des Verstandes bewegt, weil ihr die metametaphysische Ebene der Objektivitätsfähigkeitsthese entkommt, bleibt sie in dem Problem eingeschlossen, das Absolute nicht logisch erfolgreich bestimmen zu können. So drückt sich Hegel aus: Bei den endlichen Dingen ist es nun allerdings der Fall, dass dieselben durch endliche Prädikate bestimmt werden müssen, und hier ist der Verstand mit seiner Tätigkeit am rechten Platz. Er, der selbst Endliche, erkennt auch nur die Natur des Endlichen. Nenne ich z.B. eine Handlung einen Diebstahl, so ist dieselbe dadurch ihrem wesentlichen Inhalt nach bestimmt, und dies zu erkennen ist dem Richter genug. […] Aber Vernunftgegenstände können durch solche endliche Prädikate nicht bestimmt werden, und das Bestreben, dies zu tun, war der Mangel der alten Metaphysik.31
Eine Tat als „Diebstahl“ zu beschreiben, kann durch die Prädikationslogik erledigt und erfolgreich bewiesen werden. Die Probleme, die in der Diskussion über eine Tat entstehen können, beziehen sich nämlich auf faktische, nicht auf logische Schwierigkeiten. Was dort in Frage gestellt werden kann, ist nicht die Prädikationslogik als solche, sondern nur eine besondere Anwendung derselben. In der gerichtlichen Debatte ist ein lokaler Maßstab der Wahrheit vorhanden, der uns erlaubt, etwas „Diebstahl“ zu nennen. Der Maßstab wäre in diesem Fall das Strafgesetzt und das juridische Verfahren bei Gericht. Diese Kriterien, diese Regeln des Erscheinen-als ermöglichen es uns, unterscheiden zu können, ob es richtig oder falsch ist, einem Subjekt ein Prädikat beizulegen. Auch in der Debatte vor Gericht geht es um das, was Hegel „endliche Dinge“ 31
TWA 8, §28, S. 96.
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nennt. Ein endliches Ding ist hierbei dasjenige, welches von anderen Gegenständen abgegrenzt ist, womit es problemlos als Subjekt möglicher Prädikationen erscheinen kann. Das Nachdenken bewegt sich aber nur in den lokalen Kriterien der Wahrheit und in der Verendlichung (also im Setzen von Grenzen), was die Voraussetzung der Prädikationslogik ist. Der Bereich, in dem sich das Verstandesdenken bewegt, wird aber nicht durch dieses thematisiert. Da aber die Aufgabe der Philosophie darin besteht, das Absolute zu begreifen, sind die zwei Bedingungen der Rede des Verstandes (lokaler Maßstab der Wahrheit und Verendlichung des Diskursgegenstandes) nicht zu diesem Zweck geeignet.32 Eine Untersuchung des Absoluten, die ihren Diskursgegenstand einmal zu einem endlichen, begrenzten Betrachtungsobjekt macht, setzt sich nicht mehr mit „dem Absoluten“ auseinander, da dieses durch eine Limitation begrenzt wurde. Und auch eine Betrachtung des Absoluten, in der man einen lokalen Maßstab der Wahrheit voraussetzt, wäre keine Untersuchung dessen, was von sich selbst her wahr ist, sondern nur dessen, was einem vorausgesetzten Kriterium nach der Wahrheit entspricht. Dies hat zur Folge, dass die Philosophie die Aufgabe erledigen muss, den Maßstab ihrer eigenen Behauptungen zu etablieren und zu beweisen, ohne aber irgendein anderes Kriterium vorauszusetzen. Bezüglich dieses Problems ist die Lösung der vormaligen Metaphysik schlecht und unbefriedigend: da sie auf der Ebene des Verstandes bleibt, ist ihr einziges Wahrheitskriterium eine vorherige Vorstellung des Absoluten. Die Vorstellung als Maßstab der Wahrheit vorzuschlagen, ist die natürliche und notwendige Konsequenz davon, das Absolute durch Prädikate bestimmen zu wollen. Wie schon erwähnt (s.o. Notiz) ist David Chalmers innerhalb seines meta-metaphysischen Vorschlages zu einer ähnlichen Konklusion gekommen, und zwar, dass die Metaphysik keinen Wahrheitswert besäße, da sie auf kein lokales Wahrheitskriterium (oder ontologischen Bereich) bezogen ist. Der Unterschied zwischen Hegels und Chalmers Logik besteht nun darin, dass Hegel die Prädikationslogik in Frage stellt, während Chalmers sie als letztes Wahrheitskriterium annimmt. Die Prädikationslogik in Frage zu stellen, bedeutet aber nicht, sich der Vernunft oder des Denkens zu entledigen, um die Metaphysik wieder zu restaurieren; es heißt nur, die wirkliche Bedeutung der logischen Gedanken und Gesetze zu untersuchen und die in ihnen implizit liegenden Elemente hervorzuheben und ans Licht zu bringen. Dazu ausführlicher in §6. 32
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Genau das ist dann Hegels zweiter Einwand gegen die vormalige Metaphysik. C. Metaphysik als schlechte Auffassung der Form des Gedankens Als zweiter (explizit nummerierter) Einwand gegen die Metaphysik prägt Hegel das Folgende: 2. Ihre Gegenstände waren zwar Totalitäten, welche an und für sich der Vernunft, dem Denken des in sich konkreten Allgemeinen angehören, – Seele, Welt, Gott; aber die Metaphysik nahm sie aus der Vorstellung auf, legte sie als fertige gegebene Subjekte bei der Anwendung der Vestandesbestimmungen darauf zugrunde und hatte nur an jener Vorstellung den Maßstab, ob die Prädikate passend und genügend seien oder nicht.33
Hegels zweite Kritik an der Metaphysik besagt, dass die Urteile über diese Vorstellungen nicht wissenschaftlich noch auf rationaler Weise bestätigt werden können. Nicht aber deswegen, weil das Substrat kein Gegenstand der möglichen Erfahrung ist, sondern weil dieses metaphysische Urteil, von einer logischen Perspektive aus betrachtet, selbstwidersprüchlich ist. Mit anderen Worten: in der Metaphysik unterscheidet sich das Absolute von der Tätigkeit des Denkens und somit wird jenes als Vorstellungssubstrat konzipiert, weshalb es logisch unmöglich wird, es zu bestimmen. Betrachten wir dies näher. Vor und unabhängig von der Beilegung von Prädikaten kann man nicht wissen, was das Absolute eigentlich ist.34 Da das Absolute nur TWA 8, §30, S. 97. Diese Behauptung muss man entscheidend gegen Knappiks Deutung betonen. Diesbezüglich sagt er das Folgende: „For if these pictorial representations are identical with our ordinary notions of God etc., and are to serve as the standard by which MU (Metaphysics of the Understanding) de facto evaluates metaphysical judgments, then they cannot be indeterminate in the sense of being devoid of properties or predicates. Rather, they are indeterminate in the sense of lacking clear, explicit conceptual content.“ (Franz Knappik, And yet He is a Monist. Comments of James Kreines, Reason in the World, in: Hegel Bulletin, 30 (2016), S. 11.) Dagegen muss ich anmerken, dass die Abwesenheit vom „expliziten und begrifflichen 33 34
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durch den Gedanken erkennbar und bestimmbar ist, zeigt sich sein absoluter Charakter als abhängig von den Prädikaten, die man ihm durch das Denken beilegt: „In dem Satze ‚Gott ist ewig usf.‘ wird mit der Vorstellung ‚Gott‘ angefangen; aber was er ist, wird noch nicht gewusst; erst das Prädikat sagt aus, was er ist.“35 Was das Absolute ist – seine „Absolutheit“ bzw. sein absoluter Charakter –, kann nur mittels der Prädikation bewiesen werden. Jedoch fängt die Aporie an, wenn die Voraussetzungen der Prädikationslogik es unabdingbar machen, dass das Substrat vor der Prädikation im logischen Sinne vorhanden ist, da es Träger der Prädikate bzw. der Eigenschaften ist. In der gewöhnlichen Sprache verwendet man oft die Demonstrativa, Gattungen, Eigennamen usw., um den Träger der Eigenschaften als Diskursgegenstand zu bestimmen. Man sagt z.B. dieses Pferd ist rosa etc. Wenn aber die Rede vom Absoluten ist, kann man sich nicht jeder gewöhnlichen Bestimmungsstrategie bedienen. In diesen Strategien geht es nämlich darum, einen Diskursgegenstand hervorzuheben, was bedeutet, ihn zu begrenzen und zu limitieren. Sich auf einen gewöhnlichen Diskursgegenstand durch die Prädikationslogik zu beziehen, heißt immer zu sagen, „dieses-undnicht-jenes“, weswegen diese Referenz nur eine Art „Entabsolutisierung“ des Absoluten wäre: unter diesen gewöhnlichen Bestimmungsstrategien hätte das Absolute als „nicht-jenes“ als Diskursgegenstand eine Begrenzung. Die Metaphysik darf folglich das Absolute nicht vor noch unabhängig von den Prädikaten bestimmen; doch die Prädikationslogik selbst macht es erforderlich, das Absolute vor der Prädikation zu bestimmen, damit es überhaupt ein Inhalt“ im philosophischen Sinne auch die Abwesenheit von „Eigenschaften oder Prädikaten“ bedeutet, da bei der philosophischen Rede vom Absoluten jede Eigenschaft und jedes Prädikat rein intellektuell und begrifflich gerechtfertigt werden müssen. Anders ausgedrückt: für die Vorstellung ist schon ein Inhalt vorhanden, für das Denken allerdings nicht. Von daher ist eine Vorstellung des Absoluten im philosophischen Sinne unsicher und unbegründet, was nur heißen kann: unbestimmt. Das ist gerade der Kern in Hegels Kritik und gleichzeitig die Schwäche Knappiks Interpretation. Aus diesem Grund stimme ich Kreines‘ Rekonstruktion zu, in der er darauf hinweist, dass die Anwendung des Subjekt-Prädikat-Schemas zu einer paradoxen Inhaltsabwesenheit in der Metaphysik führt. Warum dies so ist, erläutere ich im Folgenden. 35 TWA 8, §31, S. 97.
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Träger von Eigenschaften sein kann. Das ist demnach, methodisch gesehen, widersprüchlich. Das Problem lässt sich dann in toto so ausdrücken: Definiert die Metaphysik das Absolute vor der Prädikation, dann stellt sich die Bestimmung des Absoluten als unechte Bestimmung dar, da sie kein Ergebnis des Gedankens ist; wenn jedoch die Metaphysik damit anfangen wollte, Prädikate beizulegen, ohne vorher das Substrat der Prädikation, den Träger von Eigenschaften bestimmt zu haben, d.h. ohne ihm ein Prädikat beigelegt zu haben, dann weiß man nicht, welchem Subjekt oder welchem Substrat sie Prädikate beilegt. In diesem Problem eingeschlossen, kennt die Metaphysik keinen richtigen Anfang für das Denken des Absoluten – ihr Anfang ist nur die Vorstellung. Seiner eigenen Natur nach ist ein absolutes Substrat undenkbar und unbestimmbar; dadurch, dass es absolut ist, kann es kein Subjekt von irgendeiner möglichen Prädikation sein, womit es sich als selbstwidersprüchlich erweist. Genau diesen Einwand kann man sogar – und vor allem – gegen die klassische Vorstellung des ontologischen Monismus erheben, die oft dem hegelschen Gedankensystem zugeschrieben worden ist.36 Diejenigen, die diese Deutung vertreten, beachten nicht, dass die Auffassung des Absoluten als Substrat nur die notwendige Konsequenz der problematischen Anwendung der Prädikationslogik auf den Gedanken des Absoluten ist. Den Problemen dieser unkritischen Anwendung muss mitsamt derjenigen Vorstellung entgegengetreten werden, laut der die „absolute Idee“ oder die „Totalität“ als eine Art letztes Substrat zu verstehen ist, welches alles, was es gibt, als seine Eigenschaften oder Prädikate enthält. Das Substrat des ontologischen Monismus ist auch in der Tat unbestimmbar. Die Schwierigkeit der Prädikationslogik hinsichtlich des Absoluten liegt darin, dass diese Logik zum Bereich der „endlichen Dinge“ gehört. Sie erfordert nämlich eine erste, ursprüngliche Begrenzung oder Limitation des Diskursgegenstandes, die durch die Struktur „dieses, nicht-jenes“ stattfindet; eine Begrenzung, die doch dem absoluten Charakter des Absoluten widerspricht, da das Vgl. Franz Knappik, And yet He is a Monist. Comments of James Kreines, Reason in the World, in: Hegel Bulletin 30 (2016), S. 1–17; Vgl. Fredreick Beiser, Hegel, New York/London 2005, S. 64 ff. 36
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Absolute dasjenige ist, was keine Begrenzung hat. Ungeeignet ist auch die Prädikationslogik für die Vorstellung eines totalen Substrates: dieses kann kein „dieses, nicht-jenes“ sein, denn „jenes“ wäre nicht in ihm enthalten. Doch die Vorstellung selbst, dass das Absolute als Substrat begriffen werden muss, entsteht aus der Prädikationslogik. Im Versuch, dieses totale Substrat zu bestimmen, drückt sich dieser Widerspruch aus. Der Versuch verweist auf eine schlechte Unendlichkeit bzw. eine unendliche Regression. Nehmen wir ein Substrat S, das absolute Substanz und so Träger von allem Seienden ist. Jedoch zu behaupten, „S ist ein totales Substrat usw.“, bedeutet der Prädikationslogik nach, einem Substrat die Eigenschaften „Substrat“, „absolute Substanz“ und „Träger von allem Seienden“ beizulegen. Das Problem daran liegt folglich darin, dass die Prädikate ihrer Form nach einen „endlichen Inhalt“ darstellen: als Prädikate müssen sie einem Subjekt bzw. einem Träger entgegengesetzt werden, da die Prädikationen einen Inhalt bezeichnen, der anders als das Substrat bzw. der Träger ist. Unter den Voraussetzungen der Prädikationslogik muss man die Eigenschaft z.B. „Buch zu sein“ als ein Prädikat verstehen, das man einem Subjekt zuschreibt, das anders als das Buch selbst ist; denn „Buch“ ist nur eine Eigenschaft des Substrates. Genau dasselbe findet bei der Prädikation des Absoluten statt. Man sagt über etwas, dass es absolutes Substrat ist, wobei das, was man über etwas sagt (Prädikat), und das, worüber man etwas sagt (Substrat), verschieden sind. Folglich ist die Eigenschaft „absolutes Substrat S zu sein“ seiner Form nach ein Prädikat eines Subjekts, das verschieden von S sein muss. Daher braucht man ein neues Substrat S1 als Träger dieser Eigenschaft. Erneut aber entsteht das Problem: „Substrat S1 zu sein“ kann ja auch als Eigenschaft eines anderen Substrates verstanden werden, da man über etwas behauptet, dass es „S1“ sei. In diesem Fall ist ein neues Substrat S2, das die Eigenschaft „S1 zu sein“ enthält; doch „S2 zu sein ist“ wieder eine Eigenschaft. So ad Infinitum.37 Bei dieser Rekonstruktion folgte ich dem Argument von James Kreines, laut dem bei Hegel ein Substrat kein metaphysisches Explanans sein kann. Vgl. James Kreines, Reason in the World, a.a.O., S. 155 ff. 37
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Aufgrund dieses zweiten unendlichen Regresses erweist sich die Form des Urteils, was dasselbe wie die Form der Prädikationslogik ist, als ungeeignet, um das Absolute erfassen zu können: „Ohnehin ist die Form des Satzes oder bestimmter des Urteils ungeschickt, das Konkrete – und das Wahre ist konkret – und Spekulative auszudrücken; das Urteil ist durch seine Form einseitig und insofern falsch.“38 Die Einseitigkeit der Anwendung des Urteils auf den Versuch, das Absolute zu erkennen, liegt darin, dass dieses eine Voraussetzung ontologischer Art mit sich bringt, die nicht nur nicht legitimiert, sondern auch inkompatibel mit der Natur des Absoluten ist. Diese ontologische Voraussetzung kann in dasjenige zusammengesetzt werden, was man „Substanzontologie“ nennt, nämlich in der These enthalten ist, dass die Realität letztlich aus einer oder aus vielen Substanzen besteht, die Träger von Prädikaten oder Eigenschaften sind. Da aber der Begriff eines absoluten Substrates bzw. einer absoluten Substanz logisch unbestimmbar ist, kann das Absolute nicht durch die Urteilsform erkannt werden. Dass das Absolute und die Urteilsform miteinander inkompatibel sind, zeigt sich auch im dritten und letzten Einwand Hegels gegen die Metaphysik. D. Hegels Auffassung des metaphysischen Dogmatismus Wie schon erläutert, ist Hegel der Meinung, dass die Urteilsstruktur ohne weitere Probleme nur dann verwendet werden kann, wenn die Rede von „endlichen Dingen“ ist, wobei zwei Voraussetzungen vorhanden sind: Die Existenz eines lokalen Wahrheitskriteriums und die Abgrenzung eines Diskursgegenstandes durch die Diesesnicht-jedes-Struktur. Da aber bei der Metaphysik und der Philosophie im Allgemeinen kein lokales Wahrheitskriterium vorausgesetzt werden kann, indem ihre Arbeit darin besteht, dieses Kriterium zu finden und zu rechtfertigen, nimmt die Metaphysik sowohl die Vorstellung als auch den Satz vom Widerspruch als Wahrheitskriterien. Deshalb wird sie Dogmatismus: „3. Diese Metaphysik wurde Dogmatismus, weil sie nach der Natur der endlichen Bestimmungen annehmen musste, dass von zwei entgegengesetzten Behauptungen, 38
TWA 8, §31, S. 98.
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dergleichen jene Sätze waren, die eine wahr, die andere aber falsch sein müsse.“39 Solch ein Einwand scheint absurd zu sein, denken wir doch für gewöhnlich, dass ein Dogmatiker nur jener ist, der den Satz vom ausgeschlossenen Dritten nicht akzeptiert. Aber diese Behauptung Hegels lässt sich auf folgende Weise vernünftiger erklären: Da das Absolute kein Prädikat (§5B) noch Substrat (§5C) sein kann, wird die Metaphysik dann Dogmatismus, wenn sie die Prädikationslogik auf die philosophische Forschung anwendet. Der dogmatische Charakter der Metaphysik ist gerade eine Folge dessen, dass jede prädikative Behauptung, die man über das Absolute aufstellt, sich unbedingt auf einen endlichen, entabsolutisierten Inhalt bezieht. Dies führt aus logischen und kategorialen Gründen zur Verurteilung dieser Behauptung unter dem Argument, in unlösbare Widersprüche zu fallen. Die Verbindung zwischen dem philosophischen Dogmatismus der Metaphysik und ihrer Zustimmung des Satzes vom Widerspruch als Wahrheitskriterium der Philosophie ist der Mangel an Reflexion über das Verhältnis der Prädikationslogik zur Möglichkeit, das Absolute aus dieser Logik heraus zu begreifen. Was die Metaphysik zum Dogmatismus macht, ist es, zu ignorieren, dass die Prädikationslogik unverzüglich eine Verendlichung bzw. Entabsolutisierung des Absoluten impliziert und präsupponiert. Dementsprechend weist Hegel darauf hin: „Der Dogmatismus der Verstandesmetaphysik besteht darin, einseitige Gedankenbestimmungen in ihrer Isolierung festzuhalten, wohingegen der Idealismus der spekulativen Philosophie das Prinzip der Totalität hat und sich als übergreifend über die Einseitigkeit der abstrakten Vestandesbestimmungen erweist.“40 In gewissem Maße ist diese Sicht des Dogmatismus fern von der gewöhnlichen Definition desselben. Dogmatisch ist nicht nur für Hegel der, der überhaupt nicht denkt und nur aus Ignoranz oder Opportunismus heraus, ohne weitere Argumente an verschiedene Ideen glaubt. Im philosophischen Dogmatismus gibt es Argumentationen und Erörterungen, aber dabei wird nicht darüber reflektiert, auf welchen Voraussetzungen diese Argumente und GedankenTWA 8, §32, S. 98. 40 TWA 8, §31, S. 99. 39
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gänge basieren; und noch weniger darüber, welche Konsequenzen diese Voraussetzungen mit sich bringen, wenn es um die Konzeptualisierung des Absoluten geht. Hierdurch ist Dogmatiker jener, der etwas über das Absolute behauptet, doch nur einseitig, nämlich mithilfe des prädikativen Denkens. Diese Nuance ist es, welche zu einer Unterscheidung zwischen Hegels Auffassung des Dogmatismus und der skeptischen Konzeption desselben führt und gleichzeitig verbindet. Für den Skeptiker ist jemand ein Dogmatiker, sobald er etwas behauptet, da jede Behauptung die gleiche Richtigkeit und den gleichen Wahrheitswert hat wie die ihr entgegengesetzte, sodass man weder für die eine noch für die andere schlüssig argumentieren kann. Kein Zweifel besteht, dass der Skeptizismus an Hegels Kritik an der Metaphysik einen starken Einfluss hatte.41 Dies wird sogar deutlich in der Verwendung des Wortes „Dogmatismus“, um die vormalige Metaphysik pejorativ als nicht wissenschaftliches Philosophieren zu kennenzeichen. Es ist auch klar, dass Hegel bei seiner kritischen Diagnose der Metaphysik eine skeptische Strategie anwendet: zu zeigen, dass jede Behauptung, insofern sie eine bestimmte, einseitige These vertritt, eine unhaltbare Affirmation ist. Denn der „Dogmatismus ist da, wo eine bestimmte Behauptung zu Grunde liegt“.42 Doch in diesem Zusammenhang lässt sich auch der Unterschied zwischen Hegels Begriff des Dogmatismus zu dem des Skeptizismus besser verstehen. Bei Hegel besteht der Grund dafür, dass die Metaphysik Dogmatismus wird, in der Anwendung der Prädikationslogik auf das philosophische Behaupten und das Auffassen des Absoluten. Im Unterschied zum Skeptizismus vertritt Hegel die These, dass nicht alle philosophischen Behauptungen durch die skeptische Strategie angreifbar sind, sondern nur die, die mit der Vgl. Reiner Schäfer, Die Dialektik und ihre verschiedenen Formen, a.a.O., S. 58–67. Klaus Düsing bemerkte schon, dass Hegel den Skeptizismus als Zerstörung der Wahrheit der endlichen Denkbestimmungen deutet. (Vgl. Klaus Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn 1995, S. 100.) Diese Zerstörung der endlichen Denkbestimmungen ist, wie gerade gesehen, auch Teil der hegelschen Kritik an der Metaphysik. 42 TWA 8, §31, S. 99. 41
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Voraussetzung der Prädikation aufgestellt werden. Kurzum: Was durch den Skeptizismus kritisiert werden kann, sind nicht die Postulate des Gedankens im Allgemeinen, sondern nur die einseitige, endliche „Bestimmungen des Verstandes“, das heißt: die Versuche, das Absolute durch Prädikate zu begreifen. Anstatt den Versuch, das Absolute zu erkennen, für eine unbedingt gescheiterte philosophische Aufgabe zu halten, veranschaulicht und zeigt die Kritik an der Metaphysik dagegen die exakte Natur dessen, was wahr von sich selbst her ist, d.h. die Natur des Absoluten überhaupt: „Das Wahrhafte, das Spekulative ist dagegen gerade dieses, welches keine solche einseitige Bestimmung an sich hat und dadurch nicht erschöpft wird, sondern als Totalität diejenigen Bestimmungen in sich vereinigt enthält, welche dem Dogmatismus in ihrer Trennung als ein Festes und Wahres gelten.“43 Die Verbindung zwischen kritischer Diagnose der Metaphysik und Darstellung der Natur des Wahrhaften ist näher zu betrachten, um genauer zu verstehen, warum das Ergebnis von Hegels Kritik an der Metaphysik nicht auf die Unmöglichkeit verweist, das Absolute zu erkennen. Resultat dieser Kritik an der Metaphysik ist weithin das Folgende: Die begrifflichen Dualismusformen, mit denen die vormalige Metaphysik vorgeht, um das Absolute zu erfassen (z.B. Endlichkeit vs. Unendlichkeit, Subjekt vs. Prädikat), setzen eine vorherige und radikalere Ebene voraus, auf der diese Dualismusformen schon negiert und aufgehoben wurden. Beim Fall der Bestimmung des Absoluten als Ens Supremum, welches die Qualität, die Eigenschaft der Unendlichkeit trägt, hat man diese Selbstwidersprüchlichkeit des Dualismus bereits betrachtet und rekonstruiert. Im Prinzip versichert die Metaphysik, dass die Begriffe von Endlichkeit und Unendlichkeit, was ihre Bedeutung und ihren spezifischen Inhalt betrifft, klar und deutlich (und zwar einfach voneinander unterscheidbar) sind. Insoweit als die Begriffe auf den ersten Blick als entgegengesetzt erscheinen, tritt jeder einzelne als ein „absolut Festes“ auf. Dabei führt solch eine Gegenüberstellung keinesfalls auf einen ruhigen Weg deutlicher Unterscheidungen, sondern vielmehr auf eine dornige Reihe von Paradoxien. Denn wenn die Unendlichkeit auf einer Gegenüberstellung basiert, d.h. darauf, sich 43
Ebd.
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von der Endlichkeit zu trennen, erscheint sie notwendigerweise als etwas Endliches in einer Reflexion zweiter Ordnung. Das bedeutet: falls dieser (doch) endliche Begriff der Unendlichkeit angewandt wird, muss sich das unter ihm Subsumierte als etwas Endliches zeigen, da dieses dort zu sein aufhört, wo das Endliche zu sein anfängt. Im Allgemeinen ausgedrückt: Der Unterschied zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit setzt die Überwindung seiner selbstvoraus, denn im Unterschied selbst ist das Unendliche, indem er Teil einer Differenzierung ist, ein Endliches. Dasselbe findet ja bei der Unterscheidung Subjekt/Prädikat statt, und zwar in Beziehung zur These, das Absolute müsse als ein Substrat bzw. als eine Substanz gedacht werden, die alles, was es gibt, in sich enthält: Eine derartige Substanz kann wohl auch als Prädikat gesehen werden, das man einem (immer noch unbestimmten) Subjekt beilegt. Das hat zur Folge, dass die Unterscheidung Subjekt/Prädikat auch dialektisch inkonsistent ist und somit aufgehoben werden muss. Hegel ist des Weiteren der Auffassung, jener Umstand, dass jedweder Dualismus seine eigene Aufhebung als Bedingung der Möglichkeit für seine Denkbarkeit hat, verweise auf die Natur des Wahren in philosophischen Termini. Die Wahrheit philosophischer Natur besteht darin, zu verstehen, dass jeder Begriff, jede „Denkbestimmung“, die anhand des Unterschiedes zu ihrem Gegenteil eine feste und deutliche Bedeutung zu erreichen versucht, diesen klaren Sinngehalt nur dann finden kann, wenn sie durch und in Bezug auf ihr Gegenteil gedacht und definiert wird: Die Unterscheidung und der feste Inhalt ihrer Bestandteile ist nur dann denkbar, wenn die dualistische Differenz schon vernichtet wurde und zeigt sich damit im Grunde als ein Kontinuum, als gegenseitiges Verhältnis. Dies ignoriert zu haben, ist es auch, wodurch die Metaphysik Dogmatismus wird und auch das, was sie dazu führt, eine vergegenständlichte, reifizierte Totalitätsauffassung zu vertreten. Was uns Hegels Kritik an der Metaphysik lehrt, ist also Folgendes: Keineswegs kann das Absolute als ein Ding, als eine Entität begriffen werden, nicht aber aus soziopolitischen Gründen wie z.B. Michael Theunissen 44 Vgl. Michael Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der hegelschen Logik. Frankfurt am Main 1978. Zu Theunissens Ansatz später mehr. 44
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verfochten hat, sondern aus logisch-kategorialen Gründen. Jedes Ens, jedes Substrat, das Kandidat für das Absolute ist, kann nur entweder als etwas Endliches erscheinen und gedacht werden, wenn man es zu bestimmen versucht, oder als etwas Unbestimmtes. Jedes Substrat der Prädikation enthält nämlich die Voraussetzung der in der Prädikationslogik stattfindenden Begrenzung. Die folgende Idee Hegels kann man als Schluss seiner Kritik an der Metaphysik zitieren: Werfen wir nach der bisher angestellten Erörterung noch einen Blick auf das Verfahren dieser Metaphysik überhaupt, so ergibt sich uns, wie dasselbe darin bestand, dass sie die Vernunftgegenstände in abstrakte, endliche Verstandesbestimmungen fasste und die abstrakte Identität zum Prinzip machte. Diese Verstandesunendlichkeit aber, dies reine Wesen, ist selbst nur ein Endliches, denn die Besonderheit ist davon ausgeschlossen, beschränkt und negiert dieselbe. Diese Metaphysik, anstatt zur konkreten Identität zu kommen, beharrte auf der abstrakten; aber ihr Gutes war das Bewusstsein, dass der Gedanke allein die Wesenheit des Seienden sei.45
45
TWA 8, §31, S. 99.
§6. Zur Artikulation von Metaphysik und ihrer Kritik Hegels Metaphysikkritik scheint zu der Konklusion zu führen, dass sich die Theoretisierung des Absoluten als unmögliches Projekt abzeichnet. In der Tat liegt in dieser Kritik der Ansatz, dass die Prädikationslogik und der Großteil der Strukturen der gewöhnlichen Sprache die Einschränkung des Diskursgegenstandes voraussetzen. Aus der Anwendung dieser Strukturen folgt nur eine Entabsolutisierung des Absoluten, was, wie schon gezeigt, selbstwidersprüchlich ist. Ist es also möglich, über das Absolute zu sprechen? Stellt es sich nicht als etwas Unsagbares dar? Diese Tendenz, das Absolute als unbeschreiblich und unsagbar zu konzipieren, muss man jedoch aus einem einfachen Grund beiseitelassen: Die hegelsche Kritik am Urteil und an verschiedenen sprachlichen Strukturen weist nicht darauf hin, die Undenkbarkeit und den mystischen Charakter des Absoluten aufzuzeigen, sondern ist vielmehr ein Indiz dafür, zwei verschiedene Ebenen des Denkens voneinander abzugrenzen, die in der Philosophie durcheinandergebracht worden sind, nämlich die Ebene des Verstandes und die der Vernunft.1 Ruft man das Argumentationsverfahren des vorherigen Abschnittes ins Gedächtnis, basiert die Kritik an der Metaphysik eher auf der klaren Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft. Der Verstand bringt Gedanken hervor, ohne Bedingungen und Voraussetzungen zu explizieren, die die Objektivität dieser Gedanken rechtfertigen. Die Vernunft dagegen ist sich dessen beDass Verstand und Vernunft innerhalb der Philosophie getrennt werden müssen, bedeutet nicht, dass sie unversöhnliche und entgegengesetzte Sphären des menschlichen Geistes konstituieren. Es ist vielmehr so, dass die Vernunft den Verstand und seine Endlichkeit ermöglichen und fundamentieren. Dies haben wir im Fall der Zurückführung des gewöhnlichen Bewusstseins auf das spekulative Denken betrachtet. In diesem Sinn bin ich mit Stefan Schick einverstanden, der behauptet, dass das Verhältnis zwischen spekulativem Denken und gesundem Menschenverstanden nicht „oppositionär“ ist. (Stefan Schick, Hegel als Denker des gesunden Menschenverstandes, in: Hegel-Jahrbuch 2016, S. 220–225.) Bei Hegel geht es nicht darum, die Nichtigkeit des Menschenverstandes aufzuzeigen, sondern über die Zurückführbarkeit dieses auf die spekulative Vernunft Auskunft zu geben. 1
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wusst, dass sich irgendein Gedanke p auf einer Vor-Struktur stützt, die etwa besagt, p sei deswegen wahr, weil es durch ein objektivitätsfähiges Denken gedacht und legitimiert wird. In der metametaphysischen Ebene der Vernunft wird dasjenige, was letztlich und voraussetzungslos Wahrhaftes ist, ans Licht gebracht: das Denken und seine Fähigkeit, objektive Inhalte durch sich selbst hervorzubringen. Die Kritik der Metaphysik zählt demnach auf die Präsenz des Absoluten, d.h. des unbedingten Charakters der Denktätigkeit, und wird erst gegen den Hintergrund der Objektivitätsfähigkeitsthese formulierbar. Schon aus diesem Grund lässt sich sagen, dass das Absolute nicht etwas ist, das jenseits des Verstandes und der Strukturen der gewöhnlichen Sprache liegt. Vielmehr ist jenes Absolute, das Denken als sich selbst fundierende, allgemeine Legitimationsinstanz, die Voraussetzung des Verstandes und der Strukturen des endlichen Denkens. Es ist der Grund oder der Boden, auf dem diese endlichen Strukturen entstehen können, der jedoch nicht in ihnen sichtbar und thematisiert wird. Demnach ist das Absolute nicht im Reich des Mystischen, Unsagbaren und Undenkbaren zu erreichen, denn jenes präsentiert sich schon in jedem Akt des Denkens. Das Absolute ist folglich eine zugrundeliegende Struktur, die die notwendige Übereinstimmung zwischen Denken und Wahrheit bezeichnet und so in jedem Gedanken vorausgesetzt wird. Um metaphorisch zu sprechen, lässt sich das Absolute nicht im Himmel noch im Jenseits des Denkens suchen, sondern im Boden, im Diesseits des Denkens selbst, indem man tief gräbt und die Voraussetzungen explizit macht. Darin muss die Verknüpfung der Metaphysik mit ihrer Kritik in der hegelschen Logik gesehen werden. Die Objektivitätsfähigkeitsthese begründet die Entwicklung einer neuen Art von Metaphysik dadurch, dass das Denken sich als Fundament der Wahrheit präsentiert und damit als die voraussetzungslose Wahrheit, die die Metaphysik immer als Kern ihrer Aufgabe erreichen wollte. Aber diese neue Art Metaphysik verhält sich notwendigerweise anderen philosophischen Systemen gegenüber, ihrer Natur nach, als Metametaphysik, als kritische Reflexion zweiter Ordnung. Sie entdeckt und thematisiert die durch diese Systeme nicht explizit gemachte Voraussetzung. So gesehen, sind Metaphysik und ihre Kritik bzw.
Zur Artikulation von Metaphysik und ihrer Kritik
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Metametaphysik zwei Seiten derselben Medaille, zwei notwendig zu verbindende Aspekte der Objektivitätsfähigkeitsthese. Die Einheit von Metaphysik und Metametaphysik hat natürlich Auswirkungen und Konsequenzen auf das Verständnis der Beziehung der hegelschen zur vorkritischen Metaphysik. Die Implikationen spiegeln sich in der ganzen Entwicklung dieser Arbeit wider, aber sie können nun in sechs Thesen zusammengefasst werden. I.
Hegel vertritt, genauso wie in der vormaligen Metaphysik, das Prinzip der Objektivitätsfähigkeit des Denkens, d.h., dass dasjenige, was das Denken denkt, richtig und wahrhaft die Natur der Gegenstände ausdrückt. II. Doch diese Verteidigung des antiken Prinzips stützt sich auf eine Strategie der modernen Subjektivitätsphilosophie, und zwar in einem solchem Umfang, dass die hegelsche Philosophie sich auch als Subjektivitätsphilosophie (als Selbstbetrachtung des Denkens) darstellt: das Resultat der Selbstbetrachtung des Denkens und der Betonung des Selbstbewusstseins als Form und Bereich der Entfaltung der richtigen Philosophie ist nicht das Einsperren der Subjektivität in sich selbst, wobei sie unfähig sein würde, einen Sprung zur Realität zu machen; vielmehr ist das Resultat dessen die Objektivitätsfähigkeitsthese. III. Deswegen ist die einzige Art und Weise, die Wahrhaftigkeit der Voraussetzung der vormaligen Metaphysik (die Objektivitätsfähigkeit des Denkens) zu beweisen, nicht in der vormaligen Metaphysik selbst zu finden, sondern in der modernen Subjektivitätsphilosophie, d.h., in der Selbstbetrachtung des Denkens. IV. Aus diesen Gründen ist die hegelsche Logik weder eine bloße Restauration oder die Festigung einer neuen Grundlage, um wieder metaphysisch zu philosophieren (da das Absolute nicht als (Gegen)stand des Denkens definiert werden kann), noch die bloße Kontinuität der kantischen Transzendentalphilosophie (weil das Denken kein subjektives Vermögen ist, das der objektiven Welt entgegengesetzt ist). V. Schließlich verteidigt Hegel sowohl das Prinzip der Objektivitätsfähigkeit des Denkens, das zur vormaligen Metaphysik
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VI.
Hegels Metaphysikkritik im Vorbegriff der Enzyklopädie
gehört, als auch die These der subjektiven Wende der modernen Philosophie, aber nicht so wie es in der vormaligen Metaphysik und in der modernen Philosophie der Fall war. Hegel rechtfertigt das antike Prinzip der Objektivität des Denkens durch die Denkreflexion. Das Resultat dessen ist tatsächlich eine nicht-subjektive Konzeption des Denkens, welches als der Intelligibilitätsraum verstanden werden muss, in dem das Objektive als objektiv erscheint. Dies alles führt dazu, eine neue Art Metaphysik entwickeln zu müssen, die auf der Ebene der Metaphysikkritik konsistent ist, und zwar eine Metaphysik bzw. Theorie des Absoluten, die das Denken des Absoluten im Absoluten selbst erfolgreich integriert.
Doch in Bezug auf die Frage, ob Hegel ein vorkritischer oder ein transzendentaler Philosoph war, kann man in der Literatur die Diskussion über den Status der sogenannten „Denkbestimmungen“ finden. Dazu gibt es unendlich viele Ansätze und Beiträge, jedoch möchte ich mich, um die Debatte ein wenig einzuschränken, auf zwei entgegensetzte Meinungen konzentrieren. Laut der ersten Betrachtungsweise müsste man die Denkbestimmungen als ontologische Kategorien im traditionellsten Sinn verstehen: Die Denkbestimmungen seien die abstraktesten Bestimmungen des Wirklichen. Diese These ist besonders von S. Houlgate2 vertreten worden und impliziert eine innige Verbindung zwischen Hegels Logik und der vorkantischen Philosophie. Die entgegengesetzte Meinung, vertreten von R. Pippin3, besagt ihrerseits, dass die hegelschen Denkbestimmungen in das transzendentale Programm Kants einzuordnen seien, d.i. sie müssten als operative Funktionen des Gedankens verstanden werden, deren ontologischen Charakter man sich nicht sicher sein kann. Vgl. Stephen Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, West Lafayette 2005, S. 126 f. 3 Vgl. Robert Pippin, Hegel’s Idealism, a.a.O, S. 37–40. Die Gleichsetzung zwischen Kants transzendentaler und Hegels Logik ist auch im folgenden Text Pippins zu finden: R. Pippin, Logik und Metaphysik – Hegels „Reich der Schatten“, in: Hegel-Jahrbuch 2016, S. 371–386, besonders S. 372–373. 2
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Aus dem hier Gesagten ist deutlich geworden, dass Hegel weder transzendentaler Philosoph noch Metaphysiker in vorkantischer Hinsicht war. Diese besondere Verortung der hegelschen Philosophie kann man auch im Status der Denkbestimmungen unzweideutig erkennen. Was dies betrifft, sind meiner Meinung nach die Deutungen Houlgates und Pippins einseitig. Inwiefern die Logik, verstanden als Wissenschaft der Denkbestimmungen, sich von der klassischen Kategorientheorie entfernt, das lässt sich in den schon rekonstruierten Einwänden Hegels gegen die Metaphysik betrachten. Diese klassische Kategorientheorie bezeichnet Hegel unzweifelhaft als „Lehre von den abstrakten Bestimmungen des Wesens“.4 Dieser Theorie „mangelt an einem Prinzip“5 und von daher müssen die Kategorien „empirisch und zufälligerweise aufgezählt“6 werden. Damit ist gemeint, dass die Methode und Objekte der klassischen Kategorientheorie anders sind als die der hegelschen Philosophie. Versteht man unter klassischer Kategorientheorie den Versuch, die abstraktesten Klassen von Prädikationen oder Entitäten zu definieren, die in der Realität überhaupt existieren können7, so unterscheidet sich die hegelsche Philosophie von dieser. Denn diese klassische Kategorientheorie setzt voraus, dass die TWA 8, §33, S. 99. Ebd. 6 Ebd. 7 Hier beziehe ich mich auf Jan Westerhoffs Definition der „ontologischen Kategorie“. Dazu: J. Westerhoff, Defining ontological category, in: Proccedings of the Aristotelian Society 10 (2002), S. 337–343. Westerhoff bemerkt, dass das Auffinden der allgemeinsten Klassen von Entitäten, problematisch ist. Man kann nämlich nicht wissen, ob eine Entität oder Klasse bezüglich ihrer selbst allgemein genug ist, um als Kategorie aufgezählt zu werden. Dadurch entsteht das sogenannte „cut-off Problem“, d.h. das Problem des Endes und der Vollkommenheit einer Kategorienliste (d.i. wie man z.B. weiß, dass es nur zwölf (zwanzig, oder vier) Kategorien gibt). Bei Hegel ist dieses Problem aber nicht zu finden, da er die Kategorien nicht aufzählen, sondern die Bewegung und logische Prozessualität hervorheben will, die jeder Denkbestimmung bzw. „Kategorie“ zugrunde liegen: Das Aufdecken und die Rechtfertigung der Kategorien stellt sich als dieselbe Aufgabe dar. Demzufolge sind die hegelschen Kategorien keine Kategorien in klassischer Hinsicht, d.h. einzelne, unabhängige und irreduzible Prädikationsstrukturen, deren Bedeutung und Inhalt von sich selbst her begriffen werden können. 4 5
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Realität etwas sei, das aus Klassen von Prädikationen oder Entitäten besteht, die sich unproblematisch identifizieren und analytisch klassifizieren lassen. Diese Voraussetzung ist weder bewiesen noch selbstverständlich und impliziert die Reproduktion des schon genannten Problems der unbewussten und inkonsistenten Anwendung des Prädikationsverfahren auf die „Vernunftgegenstände“. Wie schon im vorherigen Abschnitt erläutert, enthält eine klassische Kategorientheorie zumindest zwei Schwierigkeiten als Folge dieser unbewussten Anwendung des Prädikationsmodells. Die erste Schwierigkeit liegt im zweiten Einwand Hegels gegen die Metaphysik: Der auf die Konzeptualisierung des Absoluten bezogene Teufelskreis der Prädikation, denn dabei wird der Gegenstand durch die Klassifizierungen erklärt, aber dessen Existenz und seine Natur werden gleichzeitig vor der Klassifizierung vorausgesetzt. Dasjenige, was noch zu beweisen ist, wird präsupponiert. Da die Prädikation von der Existenz des Subjektes bzw. des Substrates ausgeht – denn dieses geht den beigelegten Prädikaten logischerweise voran – erscheinen die „Realität“, das „Sein“ und die „Welt“, d.h. dasjenige, was durch die Kategorien klassifiziert, eingeteilt oder zersplittert wird, als ein vorausgesetztes Substrat, das schon da ist, um aufgegliedert zu werden. Das aber ist für Hegel ein typischer Fall des verständigen Denkens, nämlich desjenigen, das mit einem Vorstellungssubstrat anfängt und davon ausgeht: Das Verfahren, mit der unmittelbaren Klassifizierung der „Realität“ anzufangen, zeigt nur, dass man dabei die Frage nicht beantwortet, ob etwas wie „die Realität“ oder „das Sein“ denkbar sei und wenn ja, wie dies vonstattengehen müsste. Die zweite Schwierigkeit ist, dass sich die Klassifizierungen der klassischen Theorie keiner Prüfung ihrer dialektischen Inkonsistenz unterziehen. Es wurde schon gezeigt, dass z.B. das Verständnis der Unendlichkeit als eine Kategorie im klassischen Sinn, d.h. als Klasse von Entitäten oder Prädikat selbstwidersprüchlich ist. Denn die Unendlichkeit, verstanden als Prädikat oder als Klasse von Entitäten, wird durch die analytische Entgegensetzung zur Kategorie der Endlichkeit endlich. In der hegelschen Logik werden in der Tat viele typische Klassifizierungen und Entgegensetzungen der Ontologie in Frage gestellt, doch das Wichtigste ist, dass Hegel auch den Begriff der Klassifizierung als solchen ergründet, indem er zeigt,
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dass die Allgemeinheit nicht als eine Klasse bzw. eine Menge von Entitäten oder Individuen verstanden werden muss, sondern als logischer Prozess der Entstehung des Einzelnen durch das Besondere. Das Vorherige bringt folglich einen methodischen Unterschied mit sich: Der Kategorienbegriff kann nicht vorausgesetzt werden, wie es in der klassischen Kategorientheorie der Fall ist, sondern muss innerhalb der Logik thematisiert und bewiesen werden. Dies ist besonders deutlich, wenn Hegel den Begriff des Begriffes behandelt und seinen Inhalt entfaltet, um zu zeigen, dass dessen wesentliche Bedeutung die Übereinstimmung mit der Realität und das In-dieser-Inkarnierte-Sein ist. Mit dieser Präzisierung kann man auch den Grund verstehen, warum die Wissenschaft der Logik keine transzendentale Kategorientheorie ist. Natürlich trifft es zu, dass Hegel den kantischen Versuch von einer Kategoriendeduktion kritisiert, indem er behauptet, dass Kants Theorie nur auf einer Kategorientafel basiere und auf diese Weise die gleichen Schwierigkeiten derjenigen Kategorientheorien aufweise, die durch Klassifizierungen und nicht durch immanente begriffliche Entfaltung operieren.8 Doch in diesem Fall geht Hegels TWA 8, §41, S. 115. Dort bemerkt Hegel, dass Kant die Denkbestimmungen „nicht an und für sich“ betrachtet, d.h., Kant untersucht nicht den begrifflichen Inhalt der Kategorien, sondern fragt nur nach ihrem Verhältnis zu der sinnlichen Erfahrung. Diesbezüglich halte ich Houlgates Deutung für richtig, laut der sich die Untersuchung der Kategorien bei Hegel nicht mit dem Problem ihrer epistemischen Begrenzung beschäftigt, sondern mit ihrer immanenten und begrifflichen Inhalt (also mit ihrer logischen Bedeutung). (Vgl. Stephen Houlgate, Hegel’s Critique of Kant, in: Hegel-Jahrbuch 2016, S. 24–32.) Houlgate übersieht jedoch meiner Meinung nach die Metaphysikkritik bei Hegel. Er schreibt nämlich, dass bei Hegel die „nachkantische“ Selbstuntersuchung des Denkens uns zu einer metaphysischen Stellung zurückführt (leads back) (S. 28). Das ist insofern richtig, als das Denken für Hegel der Raum der Wahrheit und kein bloß subjektives Vermögen ist. Doch dabei vergisst man, dass die hegelsche Kritik an der Metaphysik verlangt, eine Ontologie aufzubauen, in der das Denken als Denken, als Subjektivität mit ihrer Würde und Irreduzibilität existieren kann. Anders gesagt: Das Denken ist ja der Raum der Wahrheit, aber die Tatsache, dass wir denken können, muss ebenfalls in die Ontologie hineingenommen werden; der Ontologe muss in der Ontologie selbst sichtbar sein. Deshalb ist es auch richtig, zu behaupten, dass die Ontologie, die 8
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Kritik an Kant noch weiter. Obwohl Hegel, genauso wie Kant, der Meinung ist, dass die Aufgabe der Philosophie die Betrachtung der Begriffe des Denkens sein muss, liegt für Hegel der Kern dieser Aufgabe nicht bloß in der Identifizierung der intellektuellen und spontanen Funktionen des Denkens beim Erkennen und Urteilen. Der Grund dafür besteht darin, dass das Denken bei Hegel kein subjektives Vermögen ist, weil es nicht nur als das erkennende Denken begriffen werden muss. Definiert man das Denken auf diese Art und Weise als Vermögen des der Welt entgegengesetzten Subjektes, ist eine Wissenschaft des Denkens unbedingt eine von transzendentalem Charakter. Im ersten Teil dieser Arbeit wurde gezeigt, dass diese subjektive Konzeption des Denkens zu einer Verstrickung in unvermeidbare Inkonsistenzen und Widersprüchen führt, da sie implizit dasjenige affirmiert, was sie negieren möchte: Zu behaupten, das Denken sei nur subjektiv, weil es der ontologischen Region der Welt entgegengesetzt ist, setzt voraus, das Denken und die Welt im allgemeinen Raum, in dem beide existieren, betrachtet zu haben und daraus den Schluss ihrer reziproken Entgegensetzung zu ziehen. Wenn man jedoch im Gegenteil das Denken als diejenige allgemeine selbst-begründende und sich selbst-legitimierende Legitimationsinstanz jeder Wahrheit definiert, d.i. als der universale Intelligibilitätsraum, der dem Auftauchen des Subjektiven und des Objektiven zugrunde liegt, dann besitzt die Wissenschaft dieses Denkens eine ganz andere Konnotation. Die Wissenschaft des Denkens ist dabei nämlich eine Wissenschaft des Absoluten und damit desjenigen, was durch sich („an und für sich“) Wahrheit ist und somit nicht nur die Wissenschaft der spontanen Funktionen des Denkens beim Erkennen und ihrer Legitimation. Nur dadurch, dass dieses Denken, definiert als das Absolute, sich begreift und versteht, ist es auch in der Lage, dasjenige, was nicht Denken ist, in seiner immanenten Natur zu verstehen. Hierin hat die Wissenschaft des Denkens ontologische Konsequenzen, was
Untersuchung des „Seins“ zu einer nachkantischen Selbstuntersuchung des Denkens führt. Houlgate akzentuiert (vielleicht, um uns zu Recht vor den Problemen einer kantischen Lesart Hegels zu warnen) nur eine Richtung der Bewegung.
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jedoch nicht heißt, dass diese Wissenschaft eine bloße vorkantische Ontologie ist. Die Wissenschaft der Logik ist keine unmittelbare, direkte Beschreibung der fundamentalen Strukturen des Realen. Es geht vielmehr um eine vermittelte bzw. „mediatisierte“9 Ontologie. Dies muss auf folgende Weise verstanden werden: Das Sein kann nicht als etwas dem Denken Entgegengesetztes konzipiert werden, denn diese Entgegensetzung muss gegenüber dem Denken gerechtfertigt werden, wobei man methodisch eine selbstwidersprüchliche These vertreten würde. Vielmehr muss das Sein so verstanden werden, dass die Existenz des Denkens in ihm keine zufällige noch mysteriöse Tatsache ist.10 Dieses Projekt führt aber keinesfalls zu einer Gleichsetzung mit dem naturalistischen Programm, denn die naturalistische Ontologie betrachtet das Denken als bloße biologische Entität und reduziert dieses somit auf die res extensa, wobei die naturalistische These jedoch inkonsistent ist. Wie schon gezeigt, lehrt der Naturalismus – und dies ist seine Voraussetzung –, dass alles physisch oder natural-biologisch sei. Problematisch und selbstwidersprüchlich ist jedoch, dass die naturalistische These selbst etwas von begrifflicher (und nicht von physischer Natur) ist, da der von dem naturalistischen Philosophen verwendete Naturbegriff nicht innerhalb der Naturwissenschaft legitimiert werden kann. Die Behauptung, alles sei biologisch-physisch, muss dem Denken gegenüber gerechtfertigt werden. Dass das Denken diejenige Instanz ist, in der jedweder Wahrheitsanspruch legitimiert werden muss, führt demnach dazu, einen an die Objektivitätsfähigkeit des Denkens angepassten Seinsbegriff aufzubauen, der nicht mit dem des Naturalismus identifiziert werden kann. In Anbetracht des Vorherigen ist es einseitig, allein ein Kontinuum zwischen Hegels Philosophie und der vormaligen Metaphysik zu sehen. Auch ist es unzureichend, nur von einem Bruch zwischen beiden zu reden. Es triff zwar zu, dass sowohl die vormalige Metaphysik als auch die hegelsche Philosophie das Prinzip der Objektivität des Denkens verteidigen und es kann sogar behauptet Vgl. Hans Fulda, Spekulative Logik als die „eigentliche Metaphysik“ – Zu Hegels Verwandlung des neuzeitlichen Metaphysikverständnisses, in: Hegels Transformation der Metaphysik, a.a.O., S. 20 f. 10 Vgl. Dazu: Markus Gabriel, Transcendental Ontology, a.a.O., S. x– xiv. 9
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werden, dass in der vorkritischen Philosophie die Einheit von Logik und Metaphysik schon vorhanden waren, da für die Antiken die Denkformen als grundlegende Seinsweise betrachtet werden müssen11, allerdings führt dies zu einer Omission der Rolle der Subjektivitätsphilosophie bei Hegel, d.h. der Lehre seiner Kritik an der Vgl. Elena Ficara, Logik und Metaphysik, in: Anton F. Koch, Friedrike Schick, Klaus Vieweg und Claudia Wirsing (Hgg.), 200 Jahre Wissenschaft der Logik, Hamburg 2014, S. 245–256; auch dazu: Elena Ficara, The Interplay Between Logic and Metaphysics, in: Allegra de Laurentiis (Hg.), Hegel and Metaphysics: On Logic and Ontology in the System, Berlin/Boston 2016, S. 109–118. Genau in dieser „objektiven“ Auffassung des Denkens, laut der die Denkformen auch als objektive Seinsweise der Gegenstände zu betrachten seien, sieht die Autorin das aristotelische Gemüt der hegelschen Metaphysik. Es ist zwar richtig, zu behaupten, dass Hegel für die Objektivität des Denkens argumentiert, doch kann man die wesentliche Natur der hegelschen Metaphysik nicht verstehen, wenn man weder seine Kritik an der Metaphysik rekonstruiert noch ihre Lehre hervorhebt, laut der das Absolute nicht nur als Gegenstand des Denkens konzipiert werden muss, sondern so, dass das Denken des Absoluten im Absoluten selbst auf konsistente Weise inkludiert werden kann. Gegen diese Auffassung von Ficara findet man z.B. den Aufsatz von Myriam Gerhard, laut dem die hegelsche Logik als Radikalisierung der kantischen Transzendentallogik zu verstehen sei. (Vgl. Myriam Gerhard, Logik als Metaphysikkritik, in: Myriam Gerhard, Anette Sell und Lu de Vos (Hgg.), Metaphysik und Metaphysikkritik in der Klassischen Deutschen Philosophie, Hamburg, 2012, S. 161–170.) Gerhard fasst den Kern der hegelschen Metaphysikkritik m.E. richtig zusammen, wenn sie behauptet, dass der Begriff bei Hegel keine Eigenschaft eines metaphysisch vorausgesetzten Gegenstandes sei. Auch ist ihre Meinung zutreffend, dass in Hegels Werk die Vernunft kein Vermögen (wie bei Kant), sondern die Quelle aller Wahrheit darstelle. Allerdings sind in diesem Aufsatz die resultierenden Konsequenzen für eine objektive Auffassung des Denkens nicht enthalten und des Weiteren kann man kritisieren, dass es legitim und notwendig wäre, die Vorläufer der hegelschen Philosophie zu finden und den Einfluss anderer Autoren auf sein Werk zu untersuchen. Es ist immer problematisch, nur einen Philosophen zu nehmen und ihn als den Vorläufer der hegelschen Philosophie zu betrachten. Dieses Verfahren erscheint zumeist als sehr arbiträr, muss der Einfluss anderer Philosophen doch ausführlich ausgeschlossen werden, was jedoch fast unmöglich in einem System wie dem hegelschen ist, da Hegel jede Philosophie unter der Annahme darin einschließen wollte, dass die Philosophie nur eine ist, und zwar die der Entfaltung des reinen Denkens. 11
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Metaphysik, die impliziert, dass das Absolute, die unbedingte Allgemeinheit das selbstbewusste Denken auf konsistente Weise inkludieren muss, wobei dieses Absolute nicht nur Subjekt-ObjektEinheit ist, sondern auch Sich-wissende-Subjekt-Objekt-Einheit.12 Außerdem bedeutet die Tatsache, dass Hegel die vormalige Metaphysik für dogmatische Philosophie hält, nicht, dass seine Auffassung des Gedankens subjektiv und somit von der Möglichkeit entfernt sei, das Absolute zu erkennen. Die metaphysikkritische Sicht der hegelschen Philosophie führt nicht zum Verlassen der Metaphysik und ihrer Aufgabe, und zwar das voraussetzungslose Wahre zu begreifen, sondern nur dazu, diese Wahrheit auch im Gedankenprozess – und nicht nur draußen in der „Welt“ – zu suchen. Dass die hegelsche Logik, von der Objektivitätsfähigkeitsthese ausgehend, sowohl als Metaphysik (Wissenschaft des reinen objektiven Denkens, d.i. des Denkens als Raum der Wahrheit) als auch als Kritik an der Metaphysik (Reflexion zweiter Ordnung über die anderen Konzeptionen des Absoluten) auftritt, konstituiert Hegels Auffassung nach die „Aufhebung“ der Metaphysik. Aufgrund der Reflexivität, die der durch Hegel vorgeschlagenen neuen Metaphysik innewohnt, ist diese notwendigerweise und ihrer Bedeutung nach mit der Aufgabe einer Metametaphysik verbunden, die den Dogmatismus der vormaligen Metaphysik kritisch betrachtet. Die antike Metaphysik hatte zwar den Anspruch, „das Wissenschaftliche Gebäude über die Welt [zu sein], das nur durch Gedanken aufgeführt sein sollte“13, jedoch kann man die eigentliche Wissenschaftlichkeit dieses „Gebäudes“ in Frage stellen, sofern die Metaphysik die wahre Bedeutung und begriffliche Natur ihrer Kategorien nicht ausführlich befragt und von diesen nur einfach als Prädikate der Vorstellungssubstrate Gebrauch macht. Die hegelsche Logik als Wissenschaft, die sich mit dem präzisen begrifflichen Inhalt dieser Denkbestimmungen auseinandersetzt, reflektiert demnach über die nicht-thematisierten Voraussetzungen der Metaphysik und wird so zur Metametaphysik:
Vgl. Rainer Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik, a.a.O., S. 225. 13 TWA 5, S. 61. 12
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Jene Metaphysik unterließ dies und zog sich daher den gerechten Vorwurf zu, sie [die Bestimmungen des Denkens] ohne Kritik gebraucht zu haben, ohne die vorgängige Untersuchung, ob und wie sie fähig seien, Bestimmungen des Dings-an-sich, nach Kantischem Ausdruck, oder vielmehr des Vernünftigen zu sein. Die objektive Logik ist daher die wahrhafte Kritik derselben, die sich nicht nach der abstrakten Form der Apriorität gegen das Aposteriorische, sondern sie selbst in ihrem besonderen Inhalte betrachtet.14
In seinem schon berühmten Beitrag, Sein und Schein, hat M. Theunissen eine ähnliche These vertreten, die die „kritische Funktion“ der hegelschen Logik hervorhebt. Ihm zufolge muss man die Wissenschaft der Logik als Einheit zwischen Kritik und Darstellung der Metaphysik deuten.15 Meine Annäherung an die Logik ist ähnlich, jedoch ist mit dieser nicht gänzlich gleichzusetzen. Theunissen übersieht meines Erachtens die zwei Bedeutungen des Terminus „Metaphysik“ bei Hegel. Wie es sich aus der Rekonstruktion des Vorbegriffes feststellen lässt, gibt es zwei Arten von Metaphysik: Die Metaphysik des Verstandes und diejenige der Vernunft; die, die das Absolute als Gegenstand des Denken zu begreifen versucht, welche fast immer das Adjektiv „vormalig“ trägt, und die, die den Gedanken über das Absolute im Absoluten selbst inkludiert, welche mit der hegelschen Logik „zusammenfällt“. Indem Theunissen diese terminologische und philosophische Unterscheidung ignoriert, kommt er unglücklicherweise zu der These, dass die Metaphysik innerhalb der Wissenschaft der Logik zugleich dargestellt und kritisiert wird, und zwar genau wie Marx in seinem Kapital die kapitalistische Produktionsweise als Gegenstand der Darstellung und der Kritik behandelt hat.16 Diese Analogie scheint mir nicht besonders einleuchtend. Ohne sich in Marx‘ Arbeit zu vertiefen, lässt sich sagen, dass das Denken und der Forschungsgegenstand im Kapital und in der Logik nicht in ihrem Verhältnis gleichzusetzen sind. Die kapitalistische Produktionsweise ist als Forschungsgegenstand anders als das Denken, das über sie nachdenkt und reflektiert. In der Logik Hegels besteht aber der Unterschied zwischen Subjekt und Gegenstand der Forschung TWA 5, S. 61–62. 15 Vgl. Michael Theunissen, Sein und Schein, a.a.O., S. 15 f. 16 Ebd. 14
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nicht, da sie den Anspruch hat, eine reflexive Theorie des Absoluten darzustellen. Sogar eine raffiniertere Version des marxschen Werkes, der zufolge bei Marx eine Einheit von Forschungssubjekt und Forschungsgegenstand zu sehen sei und dementsprechend eine Betrachtung des Kapitalismus zugleich eine Reflexion und Selbstuntersuchung des Menschen über sich selbst impliziere, erlaubt es nicht, eine Analogie mit der hegelschen Logik herzustellen. Die Einheit von Subjekt und Objekt der Forschung bezieht sich nämlich jeweils auf etwas Anderes. Der Unterschied verdeutlicht sich darin, dass Marx den Kapitalismus kritisieren und zensieren kann, dasjenige verurteilend, was seiner Meinung nach die schlechten und problematischen Wirkungen und Ergebnisse dieser ökonomischen Organisation seien. Bei Marx kann die kapitalistische Produktionsweise als die Ursache und als der Ausdruck einer Art falschen Gedankens verstanden werden. Aber solche falschen Gedanken können nicht innerhalb der Logik stattfinden, ist diese doch eine „Wissenschaft der reinen Denkbestimmungen“, d.h., ein philosophisches System, das den Anspruch hat, die absolute Wahrheit durch dasjenige herauszufinden, was in diesen Begriffen und reinen Gedanken beinhaltet ist. Demzufolge, wenn diese Gedanken falsch sein sollten, ist dieser Anspruch zum Scheitern verurteilt.17 Gerade diesen Punkt übersieht Theunissen meines Erachtens. Viele seiner Behauptungen erwecken den Eindruck, dass die Kategorien der Seinslogik und der Wesenslogik falsche Gedanken seien. Laut Theunissen werden die logischen Kategorien innerhalb der Seinslogik auf äußerliche und nicht-relationale Art und Weise dargestellt, die Postulate des Positivismus verfolgend.18 In der Wesenslogik sei ihrerseits eine hierarchische Herrschaftsbeziehung vorhanden, d.h. ein asymmetrisches Verhältnis, in dem ein Terminus von einem Anderen völlig abhängig und diesem untergeordnet
Diesen Einwand haben schon Fulda und Horstmann gegen Theunissen vorgebracht (Vgl. Hans F. Fulda, Rolf-Peter Horstmann, Fragen zu Michael Theunissens Logik-Deutung, in: Hans F. Fulda, Rolf-Peter Horstmann, Michael Theunissen (Hgg.), Kritische Darstellung der Metaphysik. Eine Diskussion über Hegels „Logik“, Frankfurt am Main 1980, S. 22–23). 18 Theunissen, Sein und Schein, a.a.O., S. 23 f. 17
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sei, während der Terminus von oben, auf der Spitze stehend und herrschend, sich als vollkommen unabhängig präsentiere.19 Trotz der Probleme, die Theunissens Ansätze aufweisen, bin ich der Auffassung, dass es doch möglich ist, die „kritische Funktion“ der hegelschen Logik hervorzuheben, und zwar in notwendiger Beziehung zur „Darstellung“ des Denkens. Dies ist aber mithilfe der Unterscheidung zwischen der dargestellten und der kritisierten Metaphysik innerhalb der Logik möglich. Die dargestellte Metaphysik ist die des Denkens nicht als subjektives Vermögen, sondern als Raum der Wahrheit und der Faktizität verstanden. Diesbezüglich besteht Hegels Projekt darin, zu zeigen, dass die Selbstbetrachtung des Denkens auch die Selbstdarlegung des Absoluten bzw. des logischen Raums oder der Distinktionsdimension ist, d.h. die Selbstdarstellung desjenigen logischen Horizonts, in dem jeder spezifische Inhalt erscheinen kann. Das bedeutet zweierlei: Erstens, dass dieser Bereich, in dem alle spezifische Inhalte gedacht und bestimmt werden können, prozesshaft zu erfassen ist, d.h. als die Bewegung einer dynamischen logischen Form, die die Bedingung der Möglichkeit der Spezifizität ausmacht; zweitens, dass unser Denken nicht nur ein spezifischer Inhalt ist, in dem die Entfaltung dieser dynamischen logischen Form vorhanden ist, sondern auch das Selbstbewusstsein dieser Form, wobei das Absolute und das Denken über das Absolute strukturidentisch sind. Die kritisierte Metaphysik ist die des Verstandes, die „vormalige“ Metaphysik, die keine Wissenschaft des Denkens, sondern nur ein irreflexiver Ansatz des Seienden ist, was genauer bedeutet, dass sie als intellektuelles Konstrukt, das nur die Denkbestimmungen als Prädikate dieses Seienden verwendet, die wahrhafte begriffliche Natur dieser Konzepte nicht kritisch untersucht und deshalb den Gedanken des Absoluten im Absoluten selbst nicht auf konsistente Weise integrieren kann. Diesen Unterschied festzustellen bedeutet jedoch nicht, zu verkennen, dass die Darstellung der neuen Metaphysik des Denkens und die Kritik an der nicht-reflexiven Prädikationsmetaphysik ein und dieselbe Aufgabe ist. Die Denkbestimmungen von der Sicht ihrer begrifflichen Bedeutung aus zu erkennen, führt unmittelbar dazu, diese Kategorien nicht metaphysisch-dogmatisch zu be19
Ebd., S. 27–37, 143.
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trachten. Diese Erkenntnis warnt uns davor, die Verwendung der Denkbestimmungen als einfache Prädikate des Seienden und der Vorstellungssubstrate als dogmatisches Verfahren zu bezeichnen. Die logische Rekonstruktion der Metaphysik des Denkens impliziert eine Kritik an der Metaphysik und eine meta-metaphysische Betrachtung des Dogmatismus in der Geschichte der Philosophie. Die reine Erkenntnis dieser Denkbestimmungen bringt aber auch ontologische Konsequenzen mit sich, konstituieren und drücken diese reinen Begriffe doch die Seinsweise der Gegenstände aus; nicht insofern als diese Konzepte Prädikate dieser Gegenstände wären, sondern unter der Voraussetzung, dass diese die Erscheinung der Gegenstände als Gegenstände ermöglichen. Diese reinen Begriffe des Denkens sind die Bedingung der Möglichkeit für die Erscheinung der Dinge als Dinge, die mit einer bestimmten Seinsweise beschaffen sind. Wie im ersten Teil dieser Arbeit erläutert, sind diese Begriffe nicht die materielle Ursache der Gegenstände, sondern dasjenige, was erklärt und legitimiert, dass diese als „Gegenstände“ mit bestimmten Seinsweisen erscheinen. Dass die Dinge als „Dinge“, „Qualitäten“, „Quantitäten“, „wesentliche Dinge“, „Ursachen“, „Wirkungen“ usw. auftauchen, setzt die Bewegung einer und derselben logischen Form voraus, die die prozessuale Verbindung zwischen den Begriffen des objektiven Denkens darstellt. Diese logische Form ist die Bewegung der Negativität, die sich in ihrer Weiterentwicklung als „Begriff“ präsentiert, d.i. als das prozesshafte und reziproke Verhältnis zwischen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Dies genau zu beweisen ist die Aufgabe der Wissenschaft der Logik. (Das werde ich in den folgenden Kapiteln detailliert rekonstruieren und betrachten). Die Einheit zwischen der Kritik an der Metaphysik und der reinen Erkenntnis der Denkbestimmungen lässt sich aber noch präziser bestimmen. Die begriffliche Erkenntnis der Denkkategorien führt gerade deswegen zu einer Metaphysikkritik, weil der begriffliche Inhalt dieser Denkbestimmungen ihre eigene „Negativität“ ist. „Negativität“ bedeutet hier, dass jeder Dualismus und jede Entgegensetzung zwischen Denkbestimmungen ihre eigene Überwindung voraussetzt, um als Unterschied gedacht werden zu können. Die Negativität ist demnach die Bezeichnung für die Selbstwidersprüchlichkeit jedes Dualismus. Eine einleitende Darstellung dieser
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Hegels Metaphysikkritik im Vorbegriff der Enzyklopädie
Negativität in Actu hat man schon im Begriff der dialektischen Inkonsistenz in Bezug auf die Ansätze der dogmatischen Metaphysik gesehen. Deshalb, weil die metaphysischen Dualismusformen dialektisch inkonsistent sind, ist die reine begriffliche Bedeutung der Denkbestimmungen als Negativität zu verstehen. Insofern als die Unendlichkeit der Endlichkeit entgegengesetzt ist, zeigt sie sich in ihrem begrifflichen Inhalt als etwas Endliches; die Allgemeinheit, sofern sie der Besonderheit entgegengesetzt ist, ist selbst besonders. In der Logik hat Hegel den Anspruch, zu zeigen, dass dasjenige, was von Fall zu Fall in diesen „reinen Denkbestimmungen“ vorhanden ist, gerade diese Negativität, dieses im-Gegenteil-Erscheinen ist. Dies hat zur Folge, dass die Verwendung dieser Denkbestimmungen als einfache Prädikate irgendeines Subjektes paradox und inkonsistent sind. Bezüglich der dogmatischen Metaphysik ist die These, dass der reine Inhalt der Begriffe seine Negativität ist, absolut verheerend. Die Negativität ist unzweifelhaft die Spitze der Kritik an der Metaphysik bei Hegel. Doch bezüglich der spekulativen Metaphysik (diejenige Wissenschaft des Denkens, die mit der Logik koinzidiert), ist jene Negativität nicht zerstörerisch noch ruinös. Denn beim spekulativen Denken ist die Negativität der Ausdruck des Triebes einer logischen Form, die in jedem spezifischen Inhalt vorhanden ist. Das ist natürlich auf die positive Konzeption der Dialektik als Grundlage der philosophischen Erkenntnis bezogen, was über ihre gewöhnliche Bedeutung in der Tradition als bloßer Schein hinausgeht.20 In der Konzeption der Logik des reifen Hegels lässt sich dieser Trieb der Zum Verhältnis des hegelschen Begriffes der Dialektik zu dem der philosophischen Tradition vgl. R. Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik, S. 228 ff. Schäfer merkte an, dass die Auffassung der Dialektik nicht von der des Absoluten zu trennen sei. Das bedeutet, dass jeder, der das Absolute nicht als „sich selbst denkende SubjektObjekt-Einheit“ konzipiert, unweigerlich auch die Bedeutung der Dialektik missversteht. Diese Bemerkung hat zur Folge, dass die wahrhafte Entfaltung der Dialektik anhand dieser „selbst denkenden Subjekt-Objekt-Einheit“ (in meinen Worten: Objektivitätsfähigkeitsthese des Denkens) betrachtet werden muss. Aus diesem Grund kann man die methodische Sicht Hegels nicht von seinem Verständnis der Logik als „eigentliche Metaphysik“ trennen, da die Einheit von Gedanken und Gegenstand der reichste und radikalste Ausdruck des spekulativen Erkennens ist. 20
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Spezifizität als die Einheit der „drei Seiten des Logischen“ als allgemeine Vorstellung der logischen Methode begreifen. Die „erste Seite“ des Logischen, die „abstrakte“ und „verständige“ bezieht sich auf die Erscheinung der Denkbestimmungen als entgegengesetzte Kategorien, d.h. als Gegenpole innerhalb von Unterscheidungen oder Dualismen. „Das Denken als Verstand bleibt bei der festen Bestimmtheit und der Unterschiedenheit derselben gegen andere stehen.“21 Obwohl diese erste Seite durch den Begriff des Abstrakten und des Verständigen geprägt ist, betrachtet Hegel diese nicht pejorativ. Zunächst sind nämlich feste und unterscheidbare Begriffe, Denkbestimmungen, notwendig, um die begriffliche Erkenntnis zu versichern: „Zum Philosophieren gehört vor allen Dingen, dass ein jeder Gedanke in seiner vollen Präzision aufgefasst wird und dass man es nicht bei Vagem und Unbestimmtem bewenden lässt.“22 Darin ist deswegen nicht eine falsche Seite des Logischen zu sehen, sondern vielmehr die Reinigungs- und Selbstdisziplinierungsfähigkeit des Denkens; seine Kapazität, sich auf einen Inhalt zu konzentrieren, der durch sich selbst produziert worden ist. Diese Fähigkeit ist dementsprechend ein Ausdruck des Triebs und des Lebens des Denkens selbst. Doch den Anspruch der ersten Seite folgend, tritt man in die zweite Seite ein, d.h. die „dialektische“, und zwar ganz immanent. Wenn es darum geht, den reinen begrifflichen Inhalt der Denkbestimmungen zu erfassen, erscheinen diese in ihrem jeweiligen Gegenteil, was den Kern der dialektischen Inkonsistenz darstellt: Deshalb, weil die Begriffe voneinander getrennt bleiben, erscheinen diese als das Gegenteil ihrer selbst: das Unendliche als unendlich erscheint doch als etwas Endliches usw. Der Separationsanspruch führt gerade zum dialektischen Verhältnis, wobei man sieht, dass der „Übergang“ der ersten zur zweiten Seite ganz immanent, ohne etwas zufällig Hinzugefügtes operiert. Diese Definition der ersten Seite findet man auch Wort für Wort in der Ausgabe von 1817 des Vorbegriffs. (GW13, §13). Im Vorrede aus dem Jahr 1812 heißt es: „Der Verstand bestimmt und hält die Bestimmungen fest; die Vernunft ist negativ und dialektisch, weil sie die Bestimmungen des Verstands in nichts auflöst; sie ist positiv, weil sie das Allgemeine erzeugt und das Besondere darin begreift.“ (TWA 5, S. 16.) 22 TWA 8, §80, S. 171. 21
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Hegels Metaphysikkritik im Vorbegriff der Enzyklopädie
Dieses dialektische Verhältnis von Begriffen besitzt jedoch keinen bloß destruktiven Charakter, sondern ist vielmehr ein Zeichen dafür, dass diese Begriffe nur in Anbetracht ihrer gegenseitigen Relation verstanden werden können. Durch die Negativität und die dialektische Inkonsistenz der Dualismen finden wir die Voraussetzung und den Grund heraus, die die Entstehung des Dualismus und die jeweilige Bedeutung der in diesem enthaltenen Begriff ermöglicht. Damit gewinnen wir neue Erkenntnis darüber, was der dritten Seite, der des Spekulativen, entspricht. Das geschieht nicht nur deswegen, weil wir dabei das relationale Fundament des Dualismus entdecken, das sogar die Erscheinung des Dualismus selbst möglich macht, sondern auch deshalb, weil innerhalb dieser relationalen Perspektive die Begriffe, die als Gegenpole der Dualität und Entgegensetzung erschienen, eine neue, radikalere Bedeutung bekommen. Hierin entsteht die in der Literatur schon behandelte Diskussion zur Beziehung des „Dialektischen“ und des „Spekulativen“. W. Jaeschke behauptete bereits diesbezüglich, dass die Unterscheidung zwischen dem Dialektischen und dem Spekulativen schwierig zu finden sei.23 Dagegen argumentiert seinerseits Michael Wolff, dass diese Unterscheidung am stärksten betont werden muss, wenn man die Natur Hegels wissenschaftlicher Methode präzis verstehen will. Demzufolge sei die Methode Hegels nicht dialektisch, sondern vielmehr „spekulativ“.24 Den Vorschlag finde ich interessant, aber zugleich problematisch. Statt dass die Dialektik eine Methode bei Hegel sei, argumentiert der Autor, dass sie nur „Grund“ oder „Bewegungsprinzip“ des Gedankens, nicht aber eine Methode der philosophischen Wissenschaft an sich sei.25 Diese These ist insofern problematisch, als dabei eine (nicht-hegelsche) Unterscheidung zwischen Prinzip und Methode vorausgesetzt wird; eine Unterscheidung, die Hegel selbst in seiner Anmerkung über den Anfang der Logik explizit überwinden möchte26, da man jede Trennung zwischen Prinzip und Methode für dogmatisch halten muss. (Dazu Jaeschke, W., Hegel-Handbuch, a.a.O., S. 229 Michael Wolff, Hegels Dialektik – eine Methode?, in: Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik, a.a.O., S. 70–74 25 Ebd. S. 74 26TWA 5, S. 66 23 24
Zur Artikulation von Metaphysik und ihrer Kritik
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später im folgenden Abschnitt). In der Logik muss es eigentlich darum gehen, das Prinzip als Methode, als Weg des Denkens zu betrachten, da das Absolute als das Denken und seine Tätigkeit, d.h. als Selbstbetrachtung des Denkens konzipiert werden muss. „Bewegungsprinzip“ des Denkens, d.h. wie das Denken sich „bewegt“, ist auch die Art und Weise, wie das Denken denkt, d.h. die Methode. Eine Lösung für dieses Problem kann m.E. bei Rainer Schäfer, Michael Forster und Heinz Kimmerle gefunden werden, denn sie merkten an, dass die Methode Hegels in der internen und syllogistischen Beziehung (d.h. eine Beziehung der gegenseitigen Implikation) der drei Seiten des Logischen (die abstrakte, dialektische und spekulative Seite) bestünde.27 Kurz dargestellt heiß es: wenn man richtig philosophieren will, muss man sich erstens auf den Gedankeninhalt konzentrieren und die Denkbestimmungen in ihrer festen Bedeutung versuchen zu analysieren (abstrakte Seite). Versteht man dann richtig, worum es in der rein begrifflichen Untersuchung gehen muss, bewegt man sich direkt auf der zweiten (dialektischen) Seite: Eine rein begriffliche Untersuchung der Denkbestimmungen zeigt uns, dass die begriffliche Bedeutung dieser allein in ihrem Sichzeigen als ihr Gegenteil besteht. Aber wenn man (noch einmal) diese dialektische Seite richtig versteht und erfasst, ist das Denken somit spekulativ, denn diese begriffliche Bedeutung führt nicht zur Destruktion des Versuches, diese Denkbestimmungen zu denken, sondern zu einer neuen Art und Weise, sie aufzufassen, laut der sie als relationale Begriffe verstanden werden müssen. Das Spekulative ist dann die angemessene Auffassung des Dialektischen als Grundlage der philosophischen Erkenntnis. Ein Beispiel (oder präziser ausgedrückt: das Beispiel) dafür findet man eben in der Objektivitätsfähigkeitsthese. Dabei sehen wir, dass diese Einheit der entgegengesetzten Begriffe als Erkenntnis der Wahrheit betrachtet werden kann und nicht als bloßes Argument Hegels, um seine Absurditäten zu rechtfertigen. Diese These besitzt 27
Vgl. Reiner Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik, a.a.O., S. 214–218; Heinz Kimmerle, Die Struktur der dialektischen Methode, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 33 (1979), S. 184–209; Michael Forster, Hegel’s Dialectical Method, in: Frederick Beiser (Hg.), The Cambridge Companion to Hegel, Cambridge 1994, S. 132 ff.)
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Hegels Metaphysikkritik im Vorbegriff der Enzyklopädie
eine spekulative Natur, da sie den Geist-Welt Dualismus überwindet, jedoch zugleich den Unterschied zwischen Denken und Gegenständen bewahrt. In der Enzyklopädie bestimmt Hegel die Natur des Spekulativen folgendermaßen: Ein spekulativer Inhalt kann deshalb auch nicht in einem einseitigen Satz ausgesprochen werden. Sagen wir z.B., das Absolute sei die Einheit des Subjektiven und des Objektiven, so ist dies zwar richtig, jedoch insofern einseitig, als nur die Einheit ausgesprochen und auf diese der Akzent gelegt wird, während doch in der Tat das Subjektive und das Objektive nicht nur identisch, sondern auch unterschieden sind.28
Folgendermaßen kann man dieses Zitat verstehen: Einerseits erscheint die Einheit des Gedankens mit dem Gegenstand gerade als Unterschied zwischen beiden, da das Denken ein Bereich ist, der das Auftauchen und die Erscheinung dessen, was nicht gedanklich ist, erlaubt und möglich macht. Dem Denken muss man keinen subjektiven und leeren Charakter zuordnen, das die Gegenstände willkürlich produziert, sondern man sollte dem Denken vielmehr zugestehen, dass es der Möglichkeit des Irrtums offensteht, d.h. der Möglichkeit, dass die Natur der nicht-gedanklichen Gegenstände unseren Urteilen und Behauptungen widerspricht. In diesem Sinne entspricht es Hegels Auffassung zu behaupten, dass die Gegenstände Einfluss und Auswirkungen auf dasjenige haben, was wir über sie aussagen. Unser Behaupten kann fallibel sein. Doch der Platz, wo dieser Einfluss des Nicht-Gedanklichen auf das Denken stattfindet, ist das Denken selbst. Die Fallibilität des Denkens setzt unbedingt seine Nicht-Fallibilität voraus. Anders gesagt: Beim Denken kann man sich zwar irren und nicht ins Schwarze treffen, wenn es sich um die Erfassung der Natur der Gegenstände handelt, allerdings wird dieser Fehler innerhalb des Denkens wieder berichtigt. Dass die Gegenstände Reibung auf die Behauptungen ausüben können, setzt doch die Objektivitätsfähigkeit des Denkens voraus. Aber genau deswegen erscheint andererseits der Unterschied zwischen den Gegenständen und dem Gedanken unbedingt als Einheit derselben. Denn die Existenz des Irrtums, dort, wo sich der Unterschied vom Gedanken zu den Gegenständen manifestiert, stellt 28
TWA 8, §82, S. 178.
Zur Artikulation von Metaphysik und ihrer Kritik
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nicht den Gedanken als Grundlage der Objektivität in Frage, sondern ist vielmehr dessen Bekräftigung. Glauben wir, dass jemand vom Weg zur Sache abkommt, fangen wir sofort an, ihm Gründe und Argumente zu liefern, mithilfe derer wir ihm seinen Irrtum verdeutlichen wollen. Diese Gründe und Argumente müssen jedoch dem Gedanken gegenüber gerechtfertigt werden und sind nur für ein denkendes Wesen intelligibel. Damit sehen wir, dass die „kritische Funktion“ der Logik von der Verwirklichung eines metaphysischen Projekts untrennbar ist, nämlich das Projekt der Darstellung des Denkens und seines Triebes als Selbstbewusstsein des Absoluten und seiner Objektivitätsfähigkeitsthese als die absolute, voraussetzungslose Wahrheit, die die philosophische Metaphysik immer beansprucht hat: Die Konklusion, dass die Denkbestimmungen nicht als Prädikate zu verstehen sind, kann nur innerhalb dieser Selbstdarstellung des Denkens legitimiert werden. Aus diesem Grund bezeichnet Hegel seine Logik auch als Kritik an der Metaphysik. Nach der hier dargelegten Argumentation kann man die folgende Passage der Logik richtig verstehen: Alsdann aber begreift die objektive Logik auch die übrige Metaphysik insofern in sich, als diese mit den reinen Denkformen die besonderen, zunächst aus der Vorstellung genommenen Substrate, die Seele, die Welt, Gott, zu fassen suchte und die Bestimmungen des Denkens das Wesentliche der Betrachtungsweise ausmachten. Aber die Logik betrachtet diese Formen frei von jenen Substraten, den Subjekten der Vorstellung, und ihre Natur und Wert an und für sich selbst.29
Dasjenige zu erkennen, worin eigentlich die Begriffe der klassischen Metaphysik (Sein, Wesen, Realität usf.) bestehen, konstituiert den Vollzug einer Kritik an der Metaphysik. Aus diesem Grund möchte ich im Folgenden einige der prinzipiellen Argumente der Wissenschaft der Logik rekonstruieren, um zu zeigen, dass die begriffliche Analyse der reinen Denkbestimmungen notwendigerweise zu einer Kritik an der Metaphysik und zu einer Metametaphysik führen muss, die beanspruchen kann, eine reflexive Theorie des Absoluten darzustellen. 29
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TWA 5, S. 61.
3. Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik Vorbemerkungen In den zwei vorherigen Kapiteln habe ich die These verteidigt, dass es einen impliziten Unterschied innerhalb Hegels Verwendung des Terminus „Metaphysik“ gibt. Es ist nämlich angebracht, zwei Arten von Metaphysik im hegelschen Projekt auseinanderzuhalten: einerseits die Metaphysik, die mit der Logik „zusammenfällt“, andererseits jene, die als dialektisch inkonsistente Betrachtung des Absoluten zu konzipieren ist, wobei der genaue Unterschied im Folgenden liegt: Die inkonsistente und selbstwidersprüchliche Metaphysik ist diejenige, die das Absolute (das, was von sich selbst aus wahr ist) in einer Entität oder ontologischen Struktur zu suchen versucht, die sich vom Denken unterscheidet. Dagegen findet die hegelsche Metaphysik im Denken die Voraussetzung, die Wurzel und den Grund alles Wahren und somit jene durch die Philosophie beanspruchte absolute Wahrheit. Dies deutet auf einen metametaphysischen Imperativ von größter Wichtigkeit hin: jede ontologische oder metaphysische Beschreibung der Realität darf das Denken nicht als ein bloß Seiendes oder ein Ding unter anderen betrachten. Es ist, wie schon vorher gezeigt, ein dialektisch inkonsistentes Verfahren. Um diese Paradoxien und Widersprüche zu vermeiden, entwickelt Hegel solch eine These, die mit diesem metametaphysischen Imperativ kompatibel ist. Für ihn ist es möglich, eine logische Prozessualität zu identifizieren, die der Existenz und dem Auftauchen der spezifischen Inhalte und der endlichen Sachen zugrunde liegt. Jedoch ist das Denken nicht ein bloßer Fall (unter anderen Fällen) dieser logischen Prozessualität. Vielmehr ist das Denken das Selbstbewusstsein dieser Prozessualität, es ist derjenige Ort, in dem die allem Seienden zugrundeliegende logische Prozessualität sich selbst erfassen kann. Das führt notwendigerweise zu einer reflexiven Auffassung des Absoluten, in der sowohl das Absolute als auch der Gedanke über das Absolute dieselbe logische Struktur besitzen.
Vorbemerkungen
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Diese These darzustellen, fordert eine detaillierte Deutung der Wissenschaft der Logik. In diesem Kapitel rekonstruiere ich Schritt für Schritt die Abschnitte der Seinslehre bis zum Begriff der „wahrhaften Unendlichkeit“. Damit möchte ich zeigen, wie die immanente und notwendige Artikulation zwischen der Darstellung der Metaphysik des Denkens und der Kritik der mit Vorstellungssubstraten arbeitenden Metaphysik zustande kommt. In Verbindung damit möchte ich ebenso die These vertreten, dass der Begriff der „wahrhaften Unendlichkeit“ keinen kosmologischen Charakter besitzt. Ich stelle demnach diejenige substanzontologisch-monistische Lesart in Frage, laut der der Begriff der wahrhaften Unendlichkeit auf eine unendliche, alles in sich enthaltende Substanz oder auf ein ebenso unendliches Universum hinweist. Ich werde zeigen, dass diese Deutung gerade dasjenige voraussetzt, was Hegel „schlechte Unendlichkeit“ nennt, und zwar, den Begriff der Unendlichkeit anhand eines Vorstellungssubstrates zu denken. Im Gegensatz zur kosmologischen Unendlichkeit verteidigt Hegel meines Erachtens eine logische Unendlichkeit innerhalb einer relationalen Ontologie. Diese logische Unendlichkeit besteht darin, dass jede endliche Sache als differenzierte Manifestation einer universalen, logischen Prozessualität verstanden werden muss; eine logische Prozessualität, die die Bedingung der Möglichkeit für jeden spezifischen Inhalt ist, der unterscheidbar und bestimmbar sein kann. Die Reihe von Themen und Problemen, die in diesem Kapitel aufgegriffen werden, folgt dabei der Textorganisation der Seinslehre in der Wissenschaft der Logik. Deswegen setze ich mich im nächsten Abschnitt mit dem Problem des Anfangs und Hegels Anspruch auf die Voraussetzungslosigkeit des logischen Denkens auseinander.
§7. Das Anfangsdilemma und das voraussetzungslose Denken Das Anfangsdilemma in Hegels Logik ist auch auf das Dilemma der Möglichkeit der philosophischen Erkenntnis bezogen, denn in gewissem Maße ist die Frage, womit ein philosophisches System anfangen muss, ebenso die Frage nach seinem Fundament. Das Anfangsdilemma lässt sich somit folgendermaßen formulieren: ist der Anfang unmittelbar, so ist er dogmatisch, da er unbewiesen ist. Etwas zu beweisen, bedeutet nämlich etwas als Folge oder Konsequenz von etwas anderem zu betrachten, d.h. es zu vermitteln. Ist aber der Anfang vermittelt, dann kann er nicht wirklich der Anfang sein, da in ihm ein Grund oder ein Fundament vorhanden sein müsste. Kurzum: Hat der Anfang keinen Grund, auf dem er sich stützt, besteht kein Anlass dafür, ihn als Beginn zu sehen; hat er doch diesen Unterstützungsgrund, so ist er nicht der Anfang. Dieses Problem kann aus Hegels Augen nicht unbeachtet gelassen werden, sondern ist gründlich aufzulösen. Eine mögliche Strategie, um das Anfangsproblem zu überspringen, bestünde hierbei darin, die Wichtigkeit des Anfangs zu verachten, um dem oftmals wichtiger erscheinenden Bedürfnis nachzugehen, ein Prinzip herauszufinden. Unter Prinzip versteht man den „absolute Grund von allem“1, während der Anfang nur der Beginn einer Philosophie wäre, die dieses Prinzip darstellen und darlegen möchte; dieser Anfang „bleibt als ein Subjektives in dem Sinne einer zufälligen Art und Weise, den Vortrag einzuleiten“.2 Optimal ist aber diese Strategie nicht, denn die Anfangsfrage von der Frage nach dem Prinzip zu trennen, ist ein dogmatisches Verfahren. Es bestehen zwei Gründe dafür, diese Trennung als dogmatisch zu bezeichnen. Erstens benötigt das Prinzip selbst eine Legitimation und eine Rechtfertigung, womit die Anfangsfrage nicht aufgelöst, sondern als Legitimationsfrage erneut formuliert werden würde. Demzufolge bedeutet für Hegel die Missachtung der Anfangsfrage nicht mehr als „aus der Pistole, inneren Offenbarung, aus Glauben, intellektueller Anschauung usw. an(zu)fangen“.3 Da TWA 5, S. 65. 2 Ebd. 3 TWA 5, S. 65 f. 1
Das Anfangsdilemma und das voraussetzungslose Denken
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jedoch der Anspruch, das Prinzip direkt zu betrachten, ohne sich zuvor die Anfangsfrage zu stellen, dazu führt, die Legitimationsfrage dogmatisch beiseitezulassen, kann folglich irgendeine Sache und irgendein Inhalt als Prinzip erklärt werden. Zweitens, in Verbindung mit dem ersten Punkt, ist diese Trennung keine direkte Antwort auf die Fragen der modernen Erkenntnisreflexion, welche „das subjektive Tun“ als wesentliches Moment der objektiven Wahrheit setzt.4 Ist dieses Tun aber wesentlich, so müsste man mit ihm anfangen und sich der Frage stellen, ob die Existenz dieses Prinzips diesem subjektiven Tun gegenüber (d.h. dem Denken selbst) zu rechtfertigen ist. All das hat zur Folge, dass die einzige Art und Weise, nicht dogmatisch zu philosophieren, in der Verbindung zwischen Prinzip und Anfang gesehen werden muss. In diesem Sinne behauptet Hegel, „dass die Methode mit dem Inhalt, die Form mit dem Prinzip vereint sei. So soll das Prinzip auch Anfang und, was das Prius für das Denken ist, auch das Erste im Gange des Denkens sein“.5 Aber damit wird nur ausgedrückt, wie eine erfolgreiche Lösung für das Anfangsdilemma aussieht, doch noch nicht festgelegt, was der Anfang der Wissenschaft sein muss. Viel wichtiger ist es aber zu beachten, dass die Deskription, wie diese Lösung aussieht, schon die Erscheinung des „logischen“ Anfanges darstellt. Die Einheit von Prinzip und Anfang ist keine abstrakte Form, die irgendein Inhalt bzw. ein Begriff erfüllen muss, um ihn als richtigen Anfang zu erkennen. Hegels Auffassung ist vielmehr, dass diese schon genannte Einheit die Natur der Wahrheit ausdrückt. Um diesen Ansatz ausführlich zu erfassen, ist es angebracht, eine andere Formulierung der Einheit von Prinzip und Anfang zu verwenden. Als Alternative dazu gilt auch der Terminus Einheit zwischen dem legitimierten Inhalt der Wahrheit und seiner Legitimationsinstanz. Das Prinzip, dasjenige, was primär für das Denken ist und sich als „Grund von allem“ zeigt (d.h. der Inhalt), kann nicht als allgemeines Fundament ohne vorherige Rechtfertigung erklärt werden. Aus diesem Grund meint Hegel, die Lösung des Problems bestünde darin, das Prinzip und den „Grund von allem“ mit der TWA 5, S. 66. 5 Ebd. 4
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Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik
Legitimationsinstanz jedes Fundamentes zu identifizieren, und zwar mit dem Denken. Das Denken erscheint bezüglich seiner selbst sowohl als „Prius“ (primär, fundamental) als auch als das Erste in seinem Gang, denn um dies zu rechtfertigen, muss man mit dem Denken anfangen. Das Denken zeigt sich dann als dasjenige, was sowohl Prinzip als auch Anfang der Wissenschaft sein kann, ohne dass diese Einheit eine triviale und bloße Tautologie darstellen würde und somit durch den Skeptizismus angreifbar wäre.6 Doch möglichweise könnte ein Einwand gegen Hegels Ansatz erhoben werden, indem man an der vollkommenen Selbstreferenz des Denkens zweifelt, die der Identifikation des Prinzips mit dem Anfang zugrunde liegt. Gegen die vollkommene Selbstreferenz spricht, dass man z.B. etwas sieht, aber das Sehen als solches nicht beim Sehen sichtbar ist. Der Akt des denkenden Betrachters könne demnach nicht im Denken miteinbezogen werden. Die skeptische und gründliche Frage wäre diesbezüglich, ob man eigentlich das Denken beim Denken begreifen (d.h. denken) kann. Anders ausgedrückt: Der Versuch Hegels, das Prius mit dem Ersten zu identifizieren, würde einen problematischen Anspruch auf die Objektivierung der eigenen Perspektive voraussetzen. Aber diese Objektivierung sei unmöglich, da dieser Prozess selbst wieder eine Perspektive wäre, die auch objektiviert werden müsste usw. Hegels Antwort darauf würde lauten, dass die Metapher aus dem visuellen Bereich stamme und daher irreführend ist, wenn die Rede vom Denken – nicht etwa von der Vision – wäre. Zwar ist es unmöglich die eigene Perspektive aus derselben Perspektive zu sehen, d.h., das eigene Sehen kann man selbst nicht visuell betrachten usf., doch kann man die Intelligibilitätsbedingungen des Denkens von diesem selbst her betrachten, und zwar insofern als die Identität des Denkens bezüglich seiner selbst auch ein Gedanke ist. Das ist dessen Unterschied zur Vision und zur visuellen Perspektive: Hinsichtlich seiner selbst ist die Identität der Vision kein visuelles Element und dadurch entÄhnlich argumentiert Anton Koch, wenn er behauptet, dass die voraussetzungslose Theorie und das reine Denken dasselbe sind. (Vgl. Anton F. Koch, Das Sein. Erster Abschnitt. Die Qualität, in: Michael Quante, Nadine Mooren (Hgg.), Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik, Hamburg 2018, S. 43–144, besonders S. 45–49.) 6
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steht die schon genannte Paradoxie. Die Identität des Denkens beruht dagegen auf sich selbst, weshalb die Paradoxie nicht aufkommt. Diese Erklärung ist nur eine kurze Antwort auf den oben erwähnten Einwand, die sich im Ganzen in der Wissenschaft der Logik findet. Nun gilt es festzustellen, dass die Tatsache, dass die Identität des Denkens dem Denken selbst durch seine Tätigkeit zugänglich ist, die Identifikation von Prius (Prinzip) und Erstem (Anfang) erlaubt. Nur das Denken kann als Prinzip und Anfang der Philosophie auftreten. Im Fall des Denkens wird innerhalb der Legitimation und Rechtfertigung des Prinzips das Prinzip selbst mitbehauptet, da es sich bei dieser Rechtfertigung um eine Legitimation des Denkens dem Denken gegenüber handelt. Zu versuchen, das Prius, das Prinzip in einem anderen Gegenstand oder in einer anderen Struktur auszumachen, reproduziert zwingend die schon erwähnte dogmatische Trennung zwischen Anfang und Prinzip, womit die Tür zum Skeptizismus geöffnet würde. Das alles hat mit der dynamischen und produktiven (wenn man auch will: konkreten und relationalen) Natur der Identität des Denkens hinsichtlich seiner selbst zu tun. Wie schon gerade erläutert, stimmt das Denken mit sich selbst auf eine andere Art und Weise überein als es der Fall z.B. bei einem Apfel oder bei einem Stuhl wäre. Die Identität des Apfels ist kein Apfel, während die eigenbezogene Identität des Denkens nur in ihm selbst, also im Gedanken oder im Denken liegen kann, d.i. in seiner eigenen Tätigkeit. Aus diesem Grund gleicht die Hervorhebung der Identität des Denkens nicht dem Vollzug einer tautologischen Behauptung, sondern wird dabei vielmehr über die aktive und selbst-produzierende Struktur des Denkens Auskunft gegeben, wodurch dieses seine Fundierung in sich selbst findet bzw. hat. Einer der Lieblingstermini Hegels, um diese Struktur der Selbstfundierung auszudrücken, ist der der „Selbstvermittlung“. Beim Gedanken besteht eine „Selbstvermittlung“, denn seine Identität (bzw. seine Unmittelbarkeit) bleibt nicht bei der bloßen Tautologie und der einfachen Identität irgendeines Gegenstandes, sondern das Denken kann doch, indem es sich auf sich selbst bezieht, einen neuen Wahrheitsgehalt in diesem Prozess gewinnen: Nämlich sich
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Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik
selbst als aktive und reflexiv-logische Struktur zu verstehen, die der Wahrheit vorangeht und damit diese fundamentieren kann. Der Verweis auf sich selbst ist dann in hegelscher Sprache „Vermittlung“, genauer gesagt: „Selbstvermittlung“. Das Denken ist insofern mit sich selbst identisch, als seine Identität ein Akt des Denkens und demnach etwas ist, das durch das Denken selbst „gesetzt“ wird. Von daher ist das Denken das unbedingte Wahre und der höchste Ausdruck der Untrennbarkeit von Unmittelbarkeit und Vermittlung. Nur so lässt sich verstehen, dass Hegel die Einheit von Anfang und Prinzip mit der These verbindet, „dass es Nichts gibt, nichts im Himmel oder in der Natur oder im Geiste oder wo es sei, was nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält als die Vermittlung“.7 Solch eine Formulierung besitzt einen ontologischen Charakter, mit dem ich mich in diesem Abschnitt nicht auseinandersetze. Jetzt genügt es, festzustellen, dass die im Denken stattfindende Einheit von Unmittelbarkeit und Vermittlung den logischen Charakter des Anfangs konstituiert: „Logisch ist der Anfang, indem er im Element des frei für sich seienden Denkens, im reinen Wissen gemacht werden soll. Vermittelt ist er hiermit dadurch, dass das reine Wissen die letzte, absolute Wahrheit des Bewusstseins ist.“8 Frei ist hier das Denken nicht in sozialer oder politischer Hinsicht, sondern in dem Sinne, dass sich in diesem die Quelle des Objektiven und der Wahrheit überhaupt befindet. Freiheit bedeutet im Wesentlichen Selbstbegründung, aber auf eine Art, die nicht tautologisch ist. Der Name für diese freie Selbstbegründungsstruktur ist „reines Wissen“. Jedoch möchte ich mich an dieser Stelle nicht mit Hinweisungen auf die Phänomenologie des Geistes beschäftigen. Ohne zu behaupten, dass der Vorbegriff der Ersatz der Phänomenologie sei, lässt sich darüber allerdings sagen, dass das „reine Wissen“ mit der in dieser Arbeit schon erläuterten „Objektivitätsfähigkeitsthese“ identifiziert
TWA 5, S. 66. 8 TWA 5, S. 67. 7
Das Anfangsdilemma und das voraussetzungslose Denken
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werden kann.9 Die Reinheit dieses Wissens weist darauf hin, dass jedes konkrete Wissen diese freie Selbstbegründungsstruktur impliziert. Da das Denken in sich selbst legitimiert und fundamentiert, erscheint es als nicht-fallibele Legitimationsinstanz, weshalb unser konkretes Wissen die Eigenschaft haben kann, fallibel zu sein. Wie schon erklärt, kann man sich beim Denken irren und die wahrhafte Natur der Gegenstände nicht richtig erfassen, jedoch ist die eigene Existenz des Fehlers nur dann möglich, wenn das Ding im Denken erscheint, wie es wirklich ist. Der Fehler und die Fallibilität setzen voraus, dass das Denken fähig ist, die wahrhafte Natur der Gegenstände zu erfassen, denn nur so können die Dinge unseren Behauptungen und Urteilen widersprechen. Aus diesem Grund ist das „reine Wissen“ die in jedem konkreten Wissen vorausgesetzte logische Struktur, die erklärt, worauf der Wahrheits-und Objektivitätsanspruch des Wissens überhaupt beruht. Wie schon bezüglich der Objektivitätsfähigkeitsthese erläutert, ist das Fundament des Objektivitätsanspruches des Wissens nicht die Existenz von einer dem Subjekt entgegengesetzten objektiven Welt, sondern vielmehr die Tatsache, dass sowohl diese „Welt“ als auch das Subjekt im selben rationalen Sinnraum intelligibel sind, d.h. im Denken selbst als Raum der Wahrheit erscheinen. Diese Anmerkung über den Status des reinen Wissens im Hinterkopf behaltend, kann man die folgende Behauptung Hegels lesen: Die Logik ist die reine Wissenschaft, d.i. das reine Wissen in dem ganzen Umfange seiner Entwicklung. Diese Idee aber hat sich in jenem Resultate dahin bestimmt, die zur Wahrheit gewordene Gewissheit zu sein, die Gewissheit, die nach der einen Seite dem Gegenstande nicht mehr gegenüber ist, sondern ihn innerlich gemacht hat, ihn als sich selbst weiß, – und die auf der andern Seite das Wissen von sich selbst als von einem, das dem Gegenständlichen gegenüber und nur dessen Vernichtung sei, aufgegeben Das „reine Wissen“ ist der Standpunkt dessen, was im Vorbegriff der „objektive Gedanke“ genannt wird, d.h. die Überwindung von Subjekt und Objekt: „Mit der letzten Gestalt der Phänomenologie wird in der Tat die Antithese von Sein und Denken überwunden und jene Konzeption des objektiven Denkens erreicht, innerhalb deren sich dann die Deduktion oder besser die Entfaltung der Kategorien verwirklicht.“ (Giancarlo Movia, Über den Anfang der hegelschen Logik, in: A. Koch, F. Schick (Hgg.), G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik, Berlin, 2002, S. 13–14.) 9
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Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik
[hat], dieser Subjektivität entäußert und Einheit mit seiner Entäußerung ist.10
Aus dem Zitat lässt sich lesen, dass das reine Wissen kein Wissen im einseitig-subjektiven Sinn ist. Das reine Wissen muss nicht als mentaler Zustand oder als ein propositionaler Inhalt begriffen werden, der im Kopf oder Geist eines Subjektes zu finden ist. Das reine Wissen – um seiner Reinheit willen – ist vielmehr eine logische Struktur der Freiheit und Selbstbegründung des Denkens in der schon genannten Hinsicht. Seiner begrifflichen Natur nach wird das reine Wissen zu dieser logischen Struktur, die in der Logik weiter untersucht werden muss. Es geht dementsprechend darum, dasjenige, was schon in diesem reinen Wissen bzw. dieser logischen Struktur der freien Selbstbegründung des Denkens vorhanden ist, vollkommen immanent zu betrachten und rein begrifflich zu verfolgen, und zwar „mit Beiseitesetzung aller Reflexionen, aller Meinungen“.11 Aus diesem Anspruch, die aus dem reinen Wissen entstammenden logischen Struktur der Selbstbegründung von sich selbst her zu betrachten, entsteht die in der Forschungsliteratur auffindbare Kontroverse bezüglich des Anfangs in der hegelschen Logik – Kontroverse, auf die ich mich jedoch nicht ausführlicher beziehen, noch deren interne Diskussionen ich Punkt für Punkt angehen werde. Die Frage ist im Allgemeinen die Folgende: Da das reine Wissen keinen subjektiven Charakter besitzt, wie können die endlichen, denkenden Subjekte, und zwar wir, Zugang zur Perspektive der logischen Struktur haben, um sie von sich selbst aus denken zu können? Wie können wir unsere Reflexionen beiseitelassen, um sozusagen in die interne Reflexion des Denkens (die nicht mehr subjektiv ist) einzusteigen? Wie können wir uns sicher sein, dass wir uns auf der Ebene dieser Reflexion befinden? Ich bin der Meinung, dass eine befriedigende Antwort auf diese Frage nichts Anderes sein kann als die Voraussetzung ihrer Formulierbarkeit ans Licht zu bringen, um sie als Scheinproblem zu betrachten. Hinter der Frage, ob wir uns eigentlich im Reich des reinen Wissens befinden und wie genau wir uns als „äußere Reflexion“ TWA 5, S. 67–68. 11 TWA 5, S. 68. 10
Das Anfangsdilemma und das voraussetzungslose Denken
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zu der Sphäre des reinen Denkens verhalten, liegt eine quasi-platonische Auffassung des Denkens, d.h. eine Konzeption, laut der das reine Denken nur ein Gegenstand sei, der den endlichen, denkenden Zuschauern gegenübersteht.12 Diese Auffassung entspricht nicht gerade der hegelschen, denn für den deutschen Philosophen ist das Denken kein über oder gegenüber von uns stehender Gegenstand, sondern ein lebendiger Sinnraum, den wir schon bewohnen, sogar wenn wir sprechen und einfache, praktische Tätigkeiten vollziehen. Eben sogar, wenn wir uns irren, entzieht sich der Irrtum und unser irrationales Verhalten nicht der rationalen, freien Selbstbegründungstruktur des Denkens. Nur aufgrund seiner ursprünglichen Zugehörigkeit zum reinen Denken kann etwas als Irrtum oder als irrational anerkannt und bestimmt werden. In diesem Sinn kann man von einer Mitzugehörigkeit des reinen und des individuellen Denkens sprechen, da das Letztere, sobald das Individuum denkt, eine Manifestationsinstanz des Ersten ist. Zwar ist das reine Wissen und die aus ihm entstammende logische Struktur der Selbstbegründung kein mentaler oder propositionaler Zustand, jedoch muss das subjektive Denken nicht als dasjenige konzipiert werden, was gegenüber dieser logischen Struktur steht, denn die der logische Aufbau der Selbstbegründung, der dem reinen Wissen innewohnt, ist der Hintergrund und der Boden, auf dem das subjektive Denken qua Denken steht. Zwischen der Reflexion des reinen Denkens und der des Individuums besteht keine Kluft, sondern die individuelle Ein Beispiel dieser Deutung lässt sich z.B. in der folgenden Behauptung aus der Literatur finden: „So weist die Bestimmung wissenschaftlicher Begriffe bei Hegel eine eigene Dynamik und Notwendigkeit auf und ist nicht Resultat subjektiven Denkens. Vielmehr ist das denkende Subjekt gegenüber den mit Notwendigkeit sich selbst bestimmenden Begriffen nur passiv erkennend und trägt nichts von außen an sie heran.“ (S. Stolzenberger, Der Anfang der Wissenschaft bei Hegel im Anschluss an Kants transzendentale Einheit der Apperzeption, in: Hegel-Jahrbuch 2015, S. 172.) Natürlich ist diese Bemerkung insofern richtig, als die Argumentation der Logik nicht arbiträr und in diesem Sinn nicht subjektiv ist. Doch die Idee, dass das denkende Subjekt dem reinen Denken gegenübersteht, halte ich für unpräzis. Besser ist es jedenfalls, zu behaupten, dass das reine Denken die Voraussetzung der endlichen Subjekte, der Boden, auf dem sie stehen, ist. Diese Präzisierung ist von großer Wichtigkeit, wie wir gerade in Bezug auf andere Beiträge in der Literatur feststellen werden. 12
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Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik
Reflexion wohnt schon in der reinen, inneren Selbstbegründungstruktur. Aber was meint Hegel mit dem Satz „Beisetzung aller Reflexionen, aller Meinungen“? Nur in Hinblick auf die vorherige Anmerkung kann man den Inhalt dieses Satzes genau verstehen. Denn eine Mitzugehörigkeit von reinem und individuellem Denken zu ignorieren, liegt z.B. der Deutung Henrichs bezüglich des Anfangs der Logik zugrunde. Er vertritt nämlich die These, dass der anfängliche Gedanke der hegelschen Logik, und zwar „die unbestimmte Unmittelbarkeit“, nur via negationis zu erklären sei. Das bedeutet, dass Hegel nur eine negative Definition des Anfangs präsentiere, die darin bestünde, alle Reflexions- und Vermittlungsbestimmungen zu negieren. Anders ausgedrückt: der Anfangspunkt der Logik werde ohne Bezug auf andere Begriffe noch ein denkendes, reflektierendes Subjekt gegeben und demnach definiere Hegel nur, was der Anfang nicht ist, und zwar nicht-Reflexion und nicht-Vermittlung. Eine solche Deutung ist aber problematisch, da sie die Kluft von innerer und äußerer Reflexion niemals überwinden kann 13, was dazu führt, wie Henrich selbst behauptet, die Aufgabe vollziehen zu müssen,
Vgl. Dieter Henrich, Hegel im Kontext, Frankfurt am Main 1971, S. 80. Ich stimme der Kritik von Andreas Arndt an diesem Ansatz zu, laut der Henrichs Deutung die subjektive und äußerliche Reflexion in die „Disziplin einer Gedankenbewegung“ nicht integrieren kann. (A. Arndt, Die anfangende Reflexion. Anmerkungen zum Anfang der Wissenschaft der Logik, in: Andreas Arndt und Christian Iber (Hgg.), Hegels Seinslogik, Berlin, 2000, S. 136.) In diesem Kontext behauptet Milan Prucha mit Kritikanspruch, dass Hegel tatsächlich die äußere Reflexion jedoch niemals überwinden könne: „Dieses Motiv, das nicht nur bei Hegel, sondern ebenso in der Hegelforschung immer wiederkehrt, projiziert sich auch in die Komposition des hegelschen Textes, in dem die Unterscheidung der eigentlichen Darstellung und den „Anmerkungen“, in die die Reflexion verbannt wird, kaum die Tatsache verdecken kann, dass auch Hegel – und nicht bloß aus Rücksicht auf den Leser – auf die Reflexion nicht verzichten konnte.“ (Milan Prucha, Seinsfrage und Anfang in Hegels Wissenschaft der Logik, in: Hegels Seinslogik, a.a.O., S. 109–125, S. 112.) Solche Probleme vermeidet man nur, wenn man die ursprüngliche Zugehörigkeit der äußeren und der inneren Reflexion hervorhebt und die Letzte als Voraussetzung für die Erste betrachtet, wie ich hier zeigen möchte. 13
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eine „Metalogik“ aufzubauen, die dieses Verhältnis von äußerer und innerer Reflexion zum Gegenstand hätte.14 Dass eine Metalogik nötig sei, geht aus der Idee hervor, dass die Wissenschaft der Logik sich vom Gedankenprozess unterscheide.15 Eine ähnliche Meinung ist auch von Stephen Houlgate vertreten worden.16 Für Houlgate, der diesbezüglich am meisten die Deutung Henrichs verfolgt, ist der Unterschied zwischen Wissenschaft der Logik und Gedankenprozess mit der Differenz zwischen Sprache und reinem Denken gleichzusetzen. Er geht davon aus, dass bei Hegel der Gedankenprozess und die Bedeutung der reinen Denkbestimmungen nicht auf die Sprache reduzierbar seien, weshalb zwei Ebenen der Entwicklung des Denkens bestünden, nämlich die Wissenschaft der Logik, die in deutscher Sprache geschrieben ist, und die Entwicklung des Denkens selbst, deren Verfassung keiner bestimmten Sprache zugewiesen werden kann. Diese Deutung ist jedoch zu bezweifeln. Die Sprache selbst tritt nämlich als Manifestation des reinen Denkens bei Hegel auf und es gibt eine ursprüngliche Zugehörigkeit zwischen beiden. In diesem Sinn behauptet Hegel z.B.: „Die Denkformen sind zunächst in der Sprache des Menschen herausgesetzt und niedergelegt; es kann in unseren Tagen nicht oft genug daran erinnert werden, dass das, wodurch sich der Mensch vom Tiere unterscheidet, das Denken ist. In alles, was ihm zu einem Innerlichen, zur Vorstellung überhaupt wird, was er zu dem Seinigen macht, sich die Sprache eingedrängt, und was er zur Sprache macht und in ihr äußert, enthält eingehüllter, vermischter oder herausgearbeitet eine Kategorie; so sehr natürlich ist ihm das Logische, oder vielmehr: dasselbige ist seine eigentümliche Natur selbst“.17 Was Hegel behauptet, ist, dass eine Einheit von Sprache und Denken besteht, aber der Akzent auf das Denken gelegt wird. Was die Sprache zur Sprache im strengen Sinn macht, ist die Gegenwärtigkeit des Logischen in ihr. Das bedeutet: jede Sprache drückt auf ihre eigene Weise „das Logische“, d.i. die Henrich, a.a.O., S. 92–93. Ebd. 16 S. Houlgate, Der Anfang von Hegels Logik, in: Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik, a.a.O., S. 43–58; ders., The Opening of Hegel’s Logic. Form Being to Infinity, West Lafayette 2006, S. 82–85 17 TWA 5, S. 20 14 15
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Strukturen des reinen Denkens aus und zu diesem reinen Denken gehört begrifflich, dass es sich in jede Sprache konkretisiert und inkarniert. Es gibt folglich eine Überdetermination des Denkens in Beziehung zur Sprache: Dieses muss sich in dieser manifestieren, aber dasjenige, was sich manifestiert, hängt vom Denken ab. 18 Gegen die Deutung Henrichs muss deswegen daran erinnert werden, dass diese „Beisetzung aller Reflexionen“ bezweckt, das „reine Wissen“ von sich selbst aus zu betrachten. Dieses reine Wissen besagt, wie schon erläutert, dass das Denken und seine Objektivitätsfähigkeit die unausweichlichen Voraussetzungen unserer Behauptungen, Urteile und Reflexionen sind. Der Anfangspunkt der Logik besteht demnach darin, zu bemerken, dass das reine Denken derjenige Boden ist, auf dem wir immer notwendigerweise stehen, und von dem ausgehend wir im allgemeinsten Sinn als Menschen agieren und leben. Geeigneter finde ich deswegen die Annäherung zum Anfangsproblem von Rüdiger Bubner19, der behauptet, dass „der Gang zur Sache selbst“ d.h. die Möglichkeit, in den Bereich des reinen Wissens einzutreten, als „Reflexion der Reflexion“ zu verstehen sei. „Reflexion der Reflexion“ heißt, dass die Voraussetzungen der äuDeswegen bin ich mit W. Weiland einverstanden, der das Folgende behauptet: „Ihrem Wahrheitsanspruch nach ist die Logik von der Positivität einer faktischen Sprache unabhängig; so ist es auch kein Abstraktionsprozess auf der Basis der natürlichen Sprache, der die formale Genese bezeichnet, durch den die logischen Kategorien als solche entstünden. Sondern es gilt gerade umgekehrt: dass die Logik, wenngleich sie sich auch immer in einer faktischen Sprache manifestieren muss, deswegen keine bloße Funktion dieser Sprache ist.“ (W. Wieland, Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik, in: Rolf-Peter Horstmann (Hg.), Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt 1998, S. 194–212, besonders S. 207.) 19 Vgl. Rüdiger Bubner, Die „Sache selbst“ in Hegels Dialektik, in: RolfPeter Horstmann (Hg.), Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt 1998, S. 101–123. Für Bubner tritt man in den „Gang der Sache selbst“, indem die „äußerliche Reflexion“ sich selbst erkennt. „Die äußeren Reflexionen lassen sich allerdings nicht ebenso willkürlich abstellen, wie sie auftreten. Sie müssen daher von sich aus der Entwicklung der Sache das Feld räumen. Dies geschieht nur, wenn die Reflexionen so dem immanenten Gang der Sache sich eingliedern, dass sie als notwendige Voraussetzung der Sache begriffen werden, statt an ihr in äußerem Spiel entlang zu laufen. […] Mit dieser Selbsterkenntnis der Reflexion beginnt die Sache“ (S. 103). 18
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ßerlichen Reflexion ans Licht gebracht werden muss. Anstatt die Reflexion dogmatisch abzustellen, geht es darum, ihre Voraussetzungen zu thematisieren, damit ihre Vorurteile den Gang zum reinen Wissen nicht behindern. Auf diese Weise lässt sich dasjenige entdecken, was in dieser äußerlichen Reflexion verborgen bleibt, und zwar: die Position des reinen Denkens als absolute Voraussetzung. „Absolute Voraussetzung“ impliziert hier keineswegs, dass das Denken eine Voraussetzung hat – was natürlich mit dem Anspruch der Voraussetzungslosigkeit inkompatibel wäre –, sondern vielmehr, dass das Denken selbst absolute Voraussetzung ist, da es sich als die vorauszusetzende Legitimationsinstanz jedes Ansatzes, jedes Urteils und jeder Behauptung darstellt. 20 Der Umweg über das Verhältnis von innerer und äußerer Reflexion erlaubt es jetzt, die Frage zu beantworten, wie wir das reine Wissen von der Perspektive desselben aus betrachten können. Das reine Wissen ist die implizite Voraussetzung, auf die alle WissensGegen Bubner wendet sich Andreas Arndt (Die anfangende Reflexion, a.a.O., S. 136). Der Autor ist der Auffassung, mit dem Ansatz würde der Anfang der Logik als vermittelt konzipiert, was dem Unmittelbarkeitsanspruch desselben widerspreche, denn der Anfang wäre dabei nur Resultat einer „abstrahierenden Reflexion“. Meine Deutung steht jedoch derjenigen von Bubner nahe, wenn man eine wichtige Präzision hinzufügt: Die „Sache selbst“ ist nichts weiter als das reine Denken und die „Selbsterkenntnis der Reflexion“ bedeutet hier, dass die äußerliche Reflexion ihre Zugehörigkeit zur inneren feststellt und anerkennt, wobei diese Selbsterkenntnis auch die Selbsterkenntnis der inneren Reflexion ist. Dass die Reflexion immer vorausgesetzt wird und demnach Voraussetzung der Sache sei, muss m.E. heißen, dass das reine Denken diejenige Voraussetzung ist, auf die jedwede Voraussetzung zurückgeführt werden kann, weshalb diesem reinen Denken die Form der Unmittelbarkeit zukommt. Diesbezüglich bemerkt Bubner, dass die spekulative Philosophie die Voraussetzungen nicht einfach dogmatisch eliminiert, sondern die „Voraussetzungsstruktur“ explizit macht. Diese Betrachtung der Voraussetzungsstruktur verstehe ich in meiner Deutung als die Beobachtung des reinen Denkens als die absolute, unvermeidliche Voraussetzung. Das hat zur Folge, dass dasjenige, was Bubner das „Faktum der Reflexion“ genannt hat, mit der Natur des reinen Denkens koinzidiert und somit eine absolute Voraussetzung darstellt. Der Anspruch auf Voraussetzungslosigkeit der hegelschen Logik stützt sich auf diese Position des reinen Denkens, in der es als absolute Voraussetzung auftritt. 20
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ansprüche, Behauptungen, Urteile usw. zurückgeführt werden können, indem es sich als eine Kopräsenz, als eine begleitende Struktur begreifen lässt, die in jedem Wissen und in jedem Gedanken vorhanden ist: Erhebt man einen Wissensanspruch, so behauptet man implizit, dass der Objektivitätsanspruch des Wissens und jedes Gedankens überhaupt auf der Objektivitätsfähigkeit des Denkens beruht. Insofern nun, als dieses reine Wissen derjenige Boden und derjenige Raum ist, in dem jedes Wissen als objektiv erscheinen kann, verliert es (das reine Wissen) seinen Wissen-Status. Im Hinblick auf das reine Wissen kann man nicht von einem Subjekt und Gegenstand des Wissens sprechen, sondern das Wissende koinzidiert mit dem, was im Wissen selbst gewusst wird. Auf diese Weise besteht kein Unterschied mehr zwischen Wissenssubjekt und Wissensobjekt.21 Dieses reine Wissen, behauptet Hegel, „hat alle Beziehung auf ein Anderes und auf Vermittlung aufgehoben; es ist das Unterschiedslose; dieses Unterschiedslose hört somit selbst auf, Wissen zu sein; es ist nur als einfache Unmittelbarkeit vorhanden“.22 Da das Wissen-Charakteristikum des reinen Wissens oder des reinen Denkens immanent verschwindet, macht es sich zu demjenigen Intelligibilitätsraum, in dem jeder differenzierte und spezifische Inhalt erscheinen kann; das reine Wissen wird folglich zum logischen Raum (Koch)23 oder zur Distinktionsdimension (Hogrebe).24 Anbetracht dessen, dass die spezifischen Gehalte im logischen Raum oder in der Distinktionsdimension auftauchen, muss man T. Kesselring und Houlgate haben jeder auf seine Weise über eine Abstraktion des Denkens bzw. des Wissens selbst gesprochen, um diese Eliminierung des Wissen-Status zu verstehen. (Vgl. T. Kesselring, Voraussetzungen und dialektische Struktur des Anfangs der Hegelschen Logik, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 35, H. 3/4, Zum 150. Todestag von Georg Friedrich Wilhelm Hegel, S. 568; S. Houlgate, Der Anfang von Hegels Logik, a.a.O., S. 60.) Der Grundidee, dass es hierbei eine Abstraktion des Wissens als Wissen gibt, stimme ich zu. Doch das ist eine interne Konsequenz der Natur des reinen Wissens als solches und nicht nur eine äußerliche Übung, die Hegel uns bietet, um das reine Sein zu denken. In diesen Texten wird dieser Aspekt m.E. nicht genug hervorgehoben. 22 TWA 5, S. 68. 23 Vgl. Anton F. Koch, Die Evolution des logischen Raumes. Aufsätze zu Hegels Nichtstandard-Metaphysik, Tübingen 2014, S. 1–2. 24 W. Hogrebe, Echo des Nichtwissens, Berlin 2006, S. 317. 21
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diesen Begriffen Spezifizität oder Inhaltsbestimmungen absprechen, denn sonst sollte dieser Raum oder diese Dimension in sich selbst erscheinen, was widersinnig wäre. Deshalb findet Hegel den Ausdruck „einfache Unmittelbarkeit“ ungeeignet, um jenes auszudrücken, was im reinen Wissen tatsächlich vorhanden ist, denn der Ausdruck „bezieht sich auf den Unterschied von dem Vermittelten“.25 Damit ist gemeint, dass der Ausdruck der einfachen Unmittelbarkeit noch auf eine radikalere Voraussetzung zurückzuführen ist, und zwar auf den Unterschied zwischen Unmittelbarkeit und Vermittlung. Jedoch ist das, was im reinen Wissen vorhanden ist, radikaler als dieser Ausdruck: Im reinen Wissen finden wir in der Tat die Position und die Natur des reinen Denkens als absolute Voraussetzung jedes Inhaltes, mit dem wir in unserem Leben umgehen, jeder Behauptung, die wir aufstellen, und jedes Wissensanspruchs, den wir erheben. Wenn das so ist, lässt sich dann relativ einfach verstehen, warum der Ausdruck „einfache Unmittelbarkeit“ in Hegels Augen nicht genug ist, um diese absolute Position des Denkens als Distinktionsdimension genau auszusprechen. Der Unterschied von Vermittlung und Unmittelbarkeit ist nämlich schon etwas Begriffliches, hat eine bestimmte Bedeutung und auf diese Weise erscheint es in demjenigen allgemeinen Intelligibilitätsraum, den das reine Wissen entdeckt und explizit macht, d.h. im reinen Denken selbst. Das reine Denken bzw. das reine Wissen ist demnach die Voraussetzung dieser Unterscheidung. Das Argument Hegels entwickelt sich dann wie folgt: Diese absolute Voraussetzung, diese irreduzible Dimension, die sich auf keine andere, vorgängige Voraussetzung zurückführen lässt, da jeder Versuch, dies zu tun, immer das reine Denken als logischen Raum voraussetzt, ist „in ihrem wahre Ausdrucke… das reine Sein“26, d.h. die nicht-zurückführbare Voraussetzung, in der jedwede Erscheinung von etwas überhaupt stattfinden kann, und aus diesem Grund kann sie nicht als bestimmter Inhalt (als etwas Spezifisches) begriffen werden. Hegel formuliert sein Argument folgendermaßen:
TWA 5, S. 68. 26 TWA 5, S. 68. 25
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Oder indem das reine Sein als die Einheit zu betrachten ist, in die das Wissen auf seiner höchsten Spitze der Einigung mit dem Objekte zusammengefallen, so ist das Wissen in diese Einheit verschwunden und hat keinen Unterschied von ihr und somit keine Bestimmung für sie übriggelassen.27
Hegels strategische Verteidigung seines Ansatzes bestünde darin, anzubringen, dass irgendein Widerlegungsversuch seiner Behauptung dem Denken gegenüber legitimiert werden muss. Dies würde demzufolge das reine Wissen und somit den einfachen Gedanken der unbestimmten Unmittelbarkeit voraussetzen. Dieser Argumentationsstruktur folgend, würde man bei dem Versuch, Hegel zu widerlegen, seine These akzeptieren. Seinen Gegnern wirft Hegel vor, sich in einen performativen Widerspruch zu verstricken, indem diese das Gegenteil von seinem logischen Ausgangpunkt zu behaupten versuchen. So setzt zum Beispiel mit dem Ich anzufangen die Intelligibilität des Ichs und die Objektivität des Gedankens hinsichtlich des Ichs voraus, was jedoch impliziert, dass das Ich im reinen Denken als ein Gedanke bzw. ein Begriff erscheint und so auf seine Voraussetzung zurückführbar ist.28 Die gedanklichen Operationen, durch die das Ich bestimmt werden kann, und zwar sich einen Begriff davon zu machen und dieses Ich von der Welt zu trennen, um es in seiner Reinheit zu betrachten, präsupponieren die Absolutheit des reinen Denkens, des logischen Raums auf der Ebene ihrer eigenen Operabilität. Genau deswegen behauptet Hegel, das reine Sein ist nicht nur unmittelbar und einfach, sondern „das Unmittelbare“.29 „Das Unmittelbare“ in dem Sinn, dass es der radikale und irreduzible Boden jeder denkbaren Erscheinung ist. Auf diese Weise ist das reine Sein als Anfang der Logik legitimiert, denn „er darf nichts voraussetzen, muss durch nichts vermittelt sein noch einen Grund haben; er soll vielmehr Grund der ganzen Wissenschaft sein“.30 In §86 der Enzyklopädie drückt sich Hegel ähnlich aus: „Dieses [reine Sein; A.P.] ist TWA 5, S. 72. „Dass Ich Anfang und Grund der Philosophie sei, dazu wird die Absonderung dieses Konkreten erfordert – der absolute Akt, wodurch Ich von sich selbst gereinigt wird und als abstraktes Ich in sein Bewusstsein tritt.“ (TWA 5, S. 76.) 29 TWA 5, S. 79; TWA 8, §86, S. 182. 30 TWA 5, S. 79. 27 28
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nicht zu empfinden, nicht anzuschauen und nicht vorzustellen, sondern es ist der reine Gedanke, und als solcher macht es den Anfang“.31 Das reine Sein ist der reine Gedanke, nicht deswegen, weil es ein Begriff oder eine Kategorie ist, sondern vielmehr deshalb, weil es das reine Denken ist, diejenige Voraussetzung die jeder Kategorie und jedem Gedanken zugrunde liegt. Das reine Sein ist für Hegel demnach kein großes Behältnis, kein Container, noch eine allgemeine Gattung, die alles Seiende in sich enthält.32 Es ist auch nicht die Menge aller Mengen, noch irgendeine verdinglichte Version der Totalität. Wie Hegel auch in der Enzyklopädie bemerkt, ist das reine Sein das Denken „in seiner reinen Bestimmungslosigkeit“33, und zwar derjenige allgemeine und absolute Intelligibilitätsraum, in dem die Erscheinung jedes spezifischen und bestimmten Inhaltes stattfindet; ein Raum, der deswegen nicht als spezifische und bestimmte Inhalt auftreten kann. Es ist wahrscheinlich gerade dieser Punkt, der die Schwierigkeit des Anfangs der hegelschen Logik ausmacht und zu diversen Kontroversen in der Literatur führt. Denn Hegel spricht über „etwas“ (das reine Sein, das reine Denken in seiner Bestimmungslosigkeit usw.), das keinen spezifischen Inhalt hat, noch ist, da es der Raum ist, in dem jeder Inhalt erscheint und intelligibel ist. Als Deutungshypothese dieser Schwierigkeit kann das bis jetzt Gesagte dienen: Jeder Versuch, das reine Sein als bestimmt zu konzipieren, präsupponiert die Erscheinung, die Entstehung des bestimmten Inhaltes im Raum des reinen Denkens – und genau darin liegt Hegels Unzufriedenheit hinsichtlich des Ausdruckes „einfache Unmittelbarkeit“. Das reine Sein ist folglich die Grundlage, die der Existenz von bestimmten Inhalten logisch (nicht temporal, noch kausal, noch biologisch) vorangeht; es ist dasjenige, was immer vorausgesetzt wird, wenn wir einen bestimmten Inhalt „setzen“ bzw. behaupten und mit ihm umgehen; es ist „die Bestimmungslosigkeit vor aller Bestimmtheit“.34 TWA 8, §86, S. 184. Vgl. Thomas S. Hoffman, Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Eine Propädeutik, Wiesbaden 2013, S. 293. 33 „Wir haben, wenn angefangen wird zu denken, nichts als den Gedanken in seiner reinen Bestimmungslosigkeit, denn zur Bestimmung gehört schon ein Eines und ein Anderes.“ (TWA 8, S. 184.) 34 TWA 8, §86, S. 184. 31 32
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Dadurch ist für Hegel das reine Sein „die erste Definition des Absoluten“.35 Seine Nicht-Zurückführbarkeit macht seine Absolutheit aus.36 Die Frage, die sich diesbezüglich stellt ist, ob diese irreduzible Voraussetzung, dieser allgemeine Intelligibilitätsraum zu etwas Bestimmtem werden kann. In diesem Punkt ist das Szenario so herausgebildet, dass die einzige mögliche Lösung eine quasi-mystische Betrachtung des Absoluten sein würde (wie z.B. bei Plotin), da jeder Versuch, das Absolute zu bestimmen, zu einer Entabsolutisierung desselben führen würde. Das Absolute entzieht sich jeder Bestimmtheit gerade dadurch, dass es dieser überhaupt zugrunde liegt. Hegels Antwort auf das Problem des Mystizismus wäre eher folgende: In diesem Intelligibilitätsraum, im reinen Denken/reinem Sein selbst befindet sich, um metaphorisch zu sprechen, ein Treiben, ein Lebensimpuls, durch den das reine Denken sich entfaltet und sich selbst einen bestimmten Inhalt abgewinnen kann.37 Die TWA 8, §86, S. 183. Ernst Tugendhat kritisiert den hegelschen Versuch, das reine Sein, diese absolute Voraussetzung, zu denken. Die Kritik besteht darin, dass Hegel verschiedene Wörter verwendet, um die Bedeutung des reinen Seins auszudrücken. Das bedeutet folglich, dass das reine Sein keine voraussetzungslose Kategorie sei. Anders gesagt, dass die Voraussetzungslosigkeit unmöglich zu erreichen sei, da damit alle die Bedingungen der Denkbarkeit abstrahiert werden (Vgl. Tugendhat, Das Sein und das Nichts, in: Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 1992, S. 36–66, besonders S. 52.) Um Hegel zu verteidigen, könnte man behaupten, dass gerade diese Bedingungen der Denkbarkeit der Gegenstand der Wissenschaft der Logik seien. Hegel möchte diese Bedingungen nicht beiseitelassen, sondern diese in ihren minimalen Strukturen untersuchen. Das reine Sein ist folglich der Anfang dieser Forschung. Darauf wiederum könnte die Unterscheidung H.G. Gadamers bezüglich der „operativen“ Dimension der Begriffe und ihrer „Thematisierung“ angeführt werden (H.G. Gadamer, Die Idee der hegelschen Logik, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien, Tübingen 1971, S. 55). Das bedeutet, um den Inhalt der reinen Denkbestimmungen zu erklären, kann man verschiedene Wörter und Kategorien verwenden, die später thematisiert und legitimiert werden. 37 Wie Rainer Schäfer anmerkt, heißt zu denken immer, in die Bewegung des Denkens einzusteigen. „Der Denkprozess hat keinen ruhenden Ausganspunkt, sondern befindet sich immer schon, auch in seinem Anfang, in 35 36
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hegelsche Logik ist eine der Selbstbestimmung des Denkens, die aufgrund ihrer eigenen Natur Konsequenzen auf der Ebene der Logik, der Ontologie und der Metaphysik mit sich bringt. In logischen Termini dadurch, dass diese Wissenschaft des Denkens auch eine Wissenschaft der Intelligibilitätsbedingungen in sich enthält. In ontologischen und metaphysischen Termini, insofern als die Objektivitätsfähigkeitsthese, die den Standpunkt der Logik konstituiert, inkompatibel mit einer Auffassung des Absoluten ist, die letzteres nur als Gegenstand des Denkens betrachtet.
der Bewegung des Denkens“ (Rainer Schäfer, Hegel: Einführung und Texte, München 2011, S. 97). Diese Beweglichkeit und das Treiben des Denkens sind aber keine arbiträre Voraussetzung, sondern es wird immer rein begrifflich gezeigt, wie und aus welchem Grund das Denken wirklich dynamisch und relational ist.
§8 Vom reinen Sein zum Dasein Die erste Definition des Absoluten, mit der die Logik anfängt, scheint sehr paradox und widersinnig zu sein. Das reine Sein ist eine Art Horizont, in dem jede Bestimmung erscheinen und stattfinden kann. Deswegen kann es als bestimmter und spezifischer Inhalt nicht gedacht werden. Anders ausgedrückt: Das reine Sein kann nur vorausgesetzt, nicht aber gesetzt werden, wenn man unter „Setzen“ die Festlegung von etwas als spezifischen Inhalt versteht. Gegenüber dieser Schwierigkeit besteht Hegels Weg nicht darin, das Absolute zu einer regulativen Idee zu machen, noch einen mystischen Zugang dazu vorzuschlagen. Was bleibt noch als philosophische Option? Oder in Hegels Vokabular geäußert: Wie kann die Bestimmung aus der reinen Unbestimmtheit entstehen? Ist es möglich, vom reinen Sein ausgehend, etwas zu erkennen? Das Bild ist nicht gerade ermutigend: Entweder macht der Gedanke keinen Fortschritt und bleibt nur bei dem anfänglichen Gedanken (dem reinen Sein), weil er darin gar nichts konzeptualisieren kann, oder aber er fügt etwas Zufälliges hinzu, um weiterzukommen, was jedoch eine Nichteinhaltung des Status der Logik als reine Wissenschaft der Denkbestimmungen wäre. Für Hegel gibt es aber einen immanenten Fortschritt, wenn man dasjenige strikt verfolg, was im reinen Sein begrifflich vorhanden ist. Diesbezüglich scheint der Vorschlag Hegels nur ein Witz zu sein und es stellt sich unmittelbar die Frage, auf welchen Inhalt wir uns genau beziehen, wenn das reine Sein sozusagen inhaltlos ist, da es sich jeder Bestimmtheit entzieht. Die Antwort ist eben: wir beziehen uns auf die Inhaltslosigkeit des reinen Seins. In dieser Hinsicht fängt Hegel seine Analyse mit dem folgenden Ausdruck an: „Sein, reines Sein, – ohne alle weitere Bestimmung.“1 Aus der Tatsache, dass das reine Sein die Distinktionsdimension oder den logischen Raum an sich ausmacht, in der irgendein spezifischer Inhalt überhaupt auftauchen kann, lässt sich jedoch etwas deduzieren, und zwar einerseits, dass diese Dimension mit sich selbst identisch ist und andererseits, dass jenes reine Sein keinen
1
TWA 5, S. 82.
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spezifischen Inhalt darstellt und so nicht von anderen Inhalten differenziert werden kann. So Hegel: „In seiner unbestimmten Unmittelbarkeit ist es nur sich selbst gleich und auch nicht ungleich gegen Anderes, hat keine Verschiedenheit innerhalb seiner noch nach außen.“2 Konzipiert man dieses reine Sein als etwas Spezifisches und Differenziertes, dann betrachtet man nicht das reine Sein, sondern nur einen Inhalt, der darin erscheint: „Durch irgendeine Bestimmung oder Inhalt, der in ihm unterschieden oder wodurch es als unterschieden von einem Anderen gesetzt würde, würde es nicht in seiner Reinheit festgehalten. Es ist die reine Unbestimmtheit und Leere.“3 Im Fall des reinen Seins ist die Reinheit demnach mit Leerheit, Inhaltslosigkeit und Inhaltsabwesenheit gleichbedeutend. In der Reinheit des reinen Seins ist demzufolge nichts vorhanden, weshalb diese Reinheit des Seins mit dem Nichts koinzidiert. Verfolgen wir den begrifflichen Inhalt des reinen Seins – oder noch besser: untersuchen wir die Inhaltsabwesenheit desselben –, dann stoßen wir unmittelbar auf das reine Nichts, auf die totale Inhaltsabwesenheit:4 TWA 5, S. 82. Ebd. 4 Houlgate hat sich jedoch gegen diese Art und Weise, das hegelsche Argument zu rekonstruieren, gewendet. Seiner Meinung nach ist es ungeeignet, zu sagen, dass für uns das reine Sein und das reine Nichts dasselbe darstellten, oder, was dasselbe ist, dass wir nur das reine Nichts im reinen Sein finden könnten (vgl. S. Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, a.a.O., S. 276). Mit diesen Anmerkungen bin ich im Allgemeinen einverstanden, denn der Übergang vom Sein zum Nichts hängt nicht von subjektiven Intelligibilitätsbedingungen, sondern von der begrifflichen Natur des Seins selbst ab. In dieser Hinsicht halte ich Houlgates Einwand gegen Pippins Deutung bezüglich dieses Überganges für richtig: Pippin behauptet nämlich, dass das reine Sein eine Art Illusion sei, die Hegel kritisiert, um zu zeigen, dass ein unmittelbarer Zugang zur Realität unmöglich sei (vgl. Pippin, Hegel’s Idealismus, a.a.O., S. 183 ff.; ders., Die Logik der Negation bei Hegel, in: Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik, a.a.O., S. 91–92). Dass sich das reine Sein als das Nichts zeigt, muss nicht als Demaskierung einer Illusion gedeutet werden, sondern als Ausdruck einer Wahrheit der Bewegung des Denkens bzw. der Sache selbst. Nichtsdestotrotz lässt sich gegen Houlgates Argumente anführen, dass die Natur des Seins selbst eine 2 3
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Es ist nicht in ihm anzuschauen, wenn von Anschauen hier gesprochen werden kann; oder es ist nur dies reine, leere Anschauen selbst. Es ist ebensowenig etwas in ihm zu denken, oder es ist ebenso nur dies leere Denken. Das Sein, das unbestimmte Unmittelbare ist in der Tat Nichts und nicht mehr noch weniger als Nichts.5
Der begriffliche Inhalt des reinen Seins, der sich nicht von der Inhaltsabwesenheit unterscheidet, verweist unmittelbar auf das Nichts, oder, wie Hegel sagt, „ist in dieses übergegangen“, d.h. der kategoriale Gehalt des reinen Seins kann nicht vor oder unabhängig seiner Verweisung auf das Nichts verstanden werden, weil er eben nur diese bewegliche Verweisung darstellt. Da die Logik eine reine Wissenschaft der Denkbestimmungen ist, besteht unsere Aufgabe jetzt darin, den begrifflichen Inhalt des Nichts zu erfassen und mit absoluter Präzision das festzulegen, was darin zu finden ist. Die Aufgabe scheint erneut unzulänglich: das Einzige, was man über den begrifflichen Inhalt des Nichts behaupten kann, ist, dass dieser selbstwidersprüchlich ist, denn von dem Inhalt des Nichts zu sprechen, ist eine Art Oxymoron. Insofern als wir das Nichts zu denken und darin etwas (irgendeinen Inhalt) zu finden versuchen, behaupten wir implizit, dass das Nichts ist. Das Nichts als reine Denkbestimmung hat am Begriff des Seins teil, indem wir behaupten, das Nichts sei eine Denkbestimmung. In dieser Hinsicht wird deutlich, worauf auch in der Literatur hingewiesen wird: Dass nämlich hierbei Hegel Parmenides’ Ansatz umdeutet, laut dem das Nichts als Gedanke darum selbstwidersprüchlich sei, weil es unmittelbar auf das Sein verweist und so nicht auf konsistente Weise gedacht werden kann.6 Der Widerspruch kann so ausbegriffliche Natur ist, was nur bedeuten kann, dass dasjenige, was wir über das Sein rein und strikt denken, mit demjenigen koinzidiert, was das Sein an sich ist. Die Bewegung des Seins ist zugleich (zumindest implizit) die Bewegung des Denkens, der Ausdruck seines Treibens. Wobei die Entgegensetzung von Bewegung des Denkens und Bewegung der Sache ein Scheinproblem ist. 5 TWA 5, S. 82. 6 Dies behauptet auf seine Weise Anton Koch: „Der logische Raum also würde auch dann noch existieren – als das Nichts –, wenn nichts (kleingeschrieben) existierte. Das ist der Widerspruch, vor dem Parmenides sich
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gedrückt werden: Wenn wir z.B. vorschlagen, dass das Nichts die Definition des Absoluten sei und auf diese Weise behaupten, es existiere gar nichts, würden aber zumindest diese Definition des Absoluten und der Sachverhalt, dass es nichts gibt, existieren. Die These, es gebe nichts, widerlegt sich selbst, wie A. Koch richtig erklärt hat7, denn als These besagt sie, dass es von diesem zumindest einen Sachverhalt und eine adäquate Beschreibung gibt. All das bedeutet: Gerade in dem Moment, in dem wir das Nichts zu denken versuchen, stoßen wir auf das Sein. Das Nichts, wie Hegel behauptet, „ist“ in das Sein „übergegangen“, und zwar aufgrund seines (selbstwidersprüchlichen) begrifflichen Inhaltes: „Nichts Anschauen oder Denken hat also eine Bedeutung; beide werden unterschieden, so ist (existiert) Nichts in unserem Anschauen oder Denken; oder vielmehr ist es das leere Anschauen und Denken selbst und dasselbe leere Anschauen oder Denken als das reine Sein.“8 Nach den zwei Argumenten, die uns zeigen, dass das Sein und das Nichts ihrer begrifflichen Bedeutung nach jeweils auf ihr Gegenteil verweisen, scheint die Möglichkeit, etwas davon und daraus zu erkennen, ferner denn je. In diesem Fall liegt im Denken eine Doppelparadoxie, die das Weitermachen der Wissenschaft behindern würde. Denn wenn in einer Denkbestimmung das Gegenteil von ihr vorhanden ist, dann ist diese falsch, irrtümlich und muss verlassen werden. Nach zwei gescheiterten Versuchen, etwas
scheute“ (Anton F. Koch, Sein-Nichts-Werden, in: Andreas Arndt, Christian Iber (Hgg.), Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven, Berlin 2000, S. 148; Gerold Prauss, Hegels Parmenides-Deutung, in: KantStudien 57, 1–4 (1966), S. 276–285). Prauss merkt m.E. richtig an, dass hinsichtlich Parmenides’ Theorie doch eine Umdeutung stattgefunden habe. Für beide ist das Nichts ein selbstwidersprüchlicher Gedanke, was für Parmenides jedoch bedeutet, dass das Nichts das überhaupt Undenkbare sei, während Hegel in diesem dagegen einen Ausdruck des Treibens des Denkens sieht, d.h., das Nichts ist nicht das Undenkbare überhaupt, sondern nur als übergehender Begriff denkbar. Ausführlich dazu: Philippe Constantineau, Parmenides und Hegel über das Sein. Zur Interpretation des Anfangs der hegelschen Logik, Michigan 1984, S. 119 ff. 7 Anton Friedrich Koch, Sein-Nichts-Werden, a.a.O., S. 148. 8 TWA 5, S. 83.
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Widerspruchloses zu denken, müsste das Denken auf die Wissenschaft verzichten. Diese Konklusion ist jedoch in Hegels Augen vorzeitig und auf gewisse Weise dogmatisch. Zu behaupten, die Begriffe müssten aus der Reihe der Wissenschaft ausgeschlossen werden, weil sie auf ihr Gegenteil verweisen, ist eine Nichteinhaltung der einzigen Spielregel der hegelschen Logik: Dasjenige strikt zu verfolgen, was in den Denkbestimmungen begrifflich vorhanden ist. Wenn diese Bestimmungen auf ihr Gegenteil verweisen, wenn diese darin „schon übergegangen sind“, muss die Konklusion daraus sein: Dasjenige, was diese Bestimmungen definiert und konstituiert, ist tatsächlich ihre Bewegung in ihr Gegenteil. Die Widersprüchlichkeit der Begriffe weist folglich auf eine höhere Perspektive hin, in der diese eine neue und radikalisierte Bedeutung gewinnen können. Hegel formuliert dies folgendermaßen: „Was die Wahrheit ist, ist weder das Sein noch das Nichts, sondern dass das Sein in Nichts und das Nichts in Sein – nicht übergeht, sondern übergegangen ist.“9 Der Satz „nicht übergeht, sondern übergegangen ist“, weist darauf hin, dass das Sein sich als das Nichts zeigt und dass dieses Sichzeigen-als-Nichts den begrifflichen Inhalt des Seins konstituiert (und auch vice versa). Wie S. Houlgate meines Erachtens richtig und tiefgründig anmerkt, ist dieser Übergang und diese Bewegung des reinen Seins und des reinen Nichts ihr Geschehen:10 Die Bewegung ist kein zufälliger Zustand der Begriffe, sondern ihre wahrhafte Natur, weshalb das Bestehen des Seins und des Nichts mit dem Geschehen ihrer Bewegung koinzidiert. Daraus folgt, dass die Begriffe von Sein und Nichts wirklich dynamisch sind und Hegels Verwendung des Terminus „Bewegung“ mehr als bloß metaphorisch ist.11 TWA 5, S. 83. S. Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, S. 278. A. Koch spricht über Sein und Nichts als „indexikalischer Gedanke“, deren Inhalt auch eine Art Geschehen ist (S. 149). 11 Dies bedeutet aber nicht, dass hier Trendelenburgs Einwand akzeptiert wird, laut dem die Verwendung des Wortes „Bewegung“ bei Hegel notwendigerweise eine räumliche und zeitliche Vorstellung voraussetzt. (Vgl. Logische Untersuchungen, Leipzig 1870, S. 39–41.). Die „Bewegung“ bezieht sich vielmehr auf eine relationale Auffassung der Begriffe von Sein 9
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Was im reinen Sein nur begrifflich vorhanden ist, ist seine Bewegung zum Nichts; was im reinen Nichts begrifflich vorhanden ist, ist seine Bewegung zum Sein. Aus diesem Grund ist die Bewegung hierbei nicht linear, wie die Bewegung eines Gegenstandes, der sein Ziel erreicht, sondern etwa zirkulär im Sinn eines ewigen Gehens und Zurückgehens. Die Bewegung entspricht gerade dem Begriff des Werdens, da, wie Claudia Bickmann behauptet 12, die Begriffe von Sein und Nichts nur als werdende Begriffe verstanden werden können. Es geht demnach um „eine Bewegung, worin beide [Sein und Nichts; A.P.] unterschieden sind, aber auch durch einen Unterschied, der sich ebenso unmittelbar aufgelöst hat“.13 Mit dem Vorherigen ist gemeint, dass die Bewegung den Unterschied von Sein und Nichts hervorbringt und genau dadurch, dass die Unterscheidung Ergebnis der Bewegung ist, notwendigerweise eine „Auflösung“ derselben stattfindet. Der Unterschied von Sein und Nichts ist keine Voraussetzung der Logik, sondern er wurde vielmehr aus der Tatsache abgeleitet, dass der begriffliche und kategoriale Inhalt des Seins sich nicht von seiner Bewegung zum Nichts differenziert. Aufgrund dieser Bewegung erscheint eine neue Denkbestimmung für das reine Denken; durch die Bewegung hat man jetzt zwei Begriffe und nicht nur einen, wie am Anfang. Der und Nichts, der zufolge beide Begriffe nur in ihrem gegenseitigen Verhältnis zu erläutern sind. Den Einwand Trendelenburgs folgend, kann aber auch die in meiner Deutung stattfindende Verwendung des Terminus „Raum“ (z.B. „Intelligibilitätsraum“ usw.) in Frage gestellt werden. Darunter ist aber natürlich nicht Räumlichkeit im empirischen Sinn gemeint, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Erscheinung jedes intelligiblen und objektiven Inhaltes die Miterscheinung des Denkens immer als dessen Legitimationsinstanz voraussetzt. Diese miterscheinende Struktur ist aber verschieden von den allgemeinen Bestimmungen des empirischen Raums. Der Unterschied liegt darin, dass beim empirischen Raum das Verhältnis zwischen Raum und Inhalt, der in ihm erscheint, ein Verhältnis zwischen einem leeren Behälter und einem gegenüber diesem gleichgültigen Inhalt ist. Solch eine einfache Relation findet aber beim Denken nicht statt, weil es um eine organische Fundierungsbeziehung geht. 12 „Beide – durch ihren komplementären Gegenpol je schon ineinander umgeschlagen – sind somit nie, sondern werden immer nur.“ (C. Bickmann, Streit und Widerstreit? Überwindung oder Renaissance der hegelschen Philosophie?, in: Hegel-Jahrbuch 2015, S. 363–374, hier S. 368.) 13 TWA 5, S. 83.
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Unterschied von Sein und Nichts wird jedoch in der Bewegung aufgelöst. Die zwei Begriffe, Sein und Nichts, können in keinem statischen und deutlichen Unterschied gehalten werden, denn jener Begriff wird nur als Bewegung zu seinem Gegenteil definierbar. Auf diese Weise ist der erste Unterschied, den das Denken zugleich findet und legitimiert, kein bloß gegebener Unterschied, sondern er setzt eine Bewegung, eine gegenseitige Relation der Begriffe voraus, die den festen Unterschied auf ein bewegliches Kontinuum reduziert. Die Unterscheidung von Sein und Nichts ist demnach nur im Lichte der gegenseitigen Relation der differenzierten Begriffe intelligibel, weshalb sie ihre eigene Auflösung als primäre Intelligibilitätsbedingung voraussetzen. Nicht ganz unproblematisch ist dieses anfängliche Argument der Logik in der Geschichte der Rezensionen der hegelschen Philosophie gewesen. Die Forschungsliteratur hat sich schon darauf fokussiert14, weshalb ich mich mit der historischen Rekonstruktion der Einwände gegen Hegel nicht auseinandersetze. Es gilt eher, auf manche der meines Erachtens wichtigsten Einwände zu antworten. Einer dieser Vorwürfe besteht darin, dass der Unterschied von Sein und Nichts deutlich und gegenwärtig in unserem Gedanken wäre, wobei es jedoch ein Irrtum sei, zu behaupten, dass sich das Sein und das Nichts bewegen oder einander implizieren. Mithin sei ebenfalls die Ableitung des Begriffes des Werdens illegitim und arbiträr, nur ein Ausdruck der von Hegel vorausgesetzten Realitätskonzeption als Bewegung. Die Prämisse dieses Einwandes ist auf den ersten Blick sehr vernünftig, denn der Unterschied von Sein und Nichts kann als die selbstverständliche Differenzierung zwischen Sein und Nichtsein bzw. Existenz und Nichtexistenz verstanden (gedacht) werden. Der Prämisse folgend, könnte man gegen Hegels Argumentationsweise Folgendes anführen: Die These zu vertreten, dass der Unterschied von Sein und Nichts unbestimmbar, beweglich usw. ist, führe dazu, die absurde Meinung verteidigen zu müssen, dass beispielsweise die Existenz und die Nichtexistenz eines Tisches „genau dasselbe“ seien und es wäre auch dasselbe, Kinder zu haben oder nicht zu Vgl. S. Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, a.a.O.; D. Henrich, Hegel im Kontext, a.a.O. 14
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haben usf. Daraus dass sich die Existenz der Kinder oder des Tisches selbstverständlich von der Nichtexistenz derselben unterscheidet, würde man schließen können, dass ebenfalls die Existenz des Seins nicht mit seiner Nichtexistenz identifiziert werden könnte. Es gibt den reinen Gedanken bzw. das reine Sein und die Gleichsetzung des Seins mit dem Nichts würde zur Nichtexistenz des Gedankens führen, was nur unmöglich innerhalb einer Wissenschaft des Denkens sein kann. In der zweiten Anmerkung zum Werden-Abschnitt antwortet Hegel auf diesen Einwand. Er weist darauf hin, dass dieser Kritikpunkt das voraussetzt, was noch bewiesen werden muss. Die Prämisse des Einwandes besagt, dass Sein und Nichts nicht gleichzusetzen sind, denn sie können als die Gegenpole Sein und Nichtsein bzw. Existenz und Nichtexistenz übersetzt werden. Die Übersetzung ist jedoch nicht gerade präzis, denn Existenz ist immer das Sein von Etwas, d.h. das Sein eines bestimmten Inhaltes.15 Das reine Sein ist aber seinerseits nicht als Etwas zu begreifen, denn die spezifischen Inhalte können immer auf dieses reine Sein zurückgeführt werden, da dieses die Voraussetzung für jene ist. Im Einwand selbst liegt dann eine illegitime und unkritische Verwendung des Begriffes „Sein“, da dabei Sein und Existenz ohne weitere Argumente miteinander identifiziert werden. Einer der Gründe dafür, dass der „Übergang“ vom Sein ins Nichts und umgekehrt stattfindet, besteht darin, dass man dem reinen Sein weder die Existenz noch die Nichtexistenz beilegen kann, da diese Beilegung sich nur sinnvoll in Bezug auf spezifische und bestimmte Inhalte vollzieht – und das reine Sein kein spezifischer Inhalt ist. In Hegels Worten: Man meint, das Sein sei vielmehr das schlechthin Andere, als das Nichts ist, und es ist nichts klarer als ihr absoluter Unterschied, und es scheint nichts leichter, als ihn angeben zu können. Es ist aber ebenso leicht, sich zu überzeugen, dass dies unmöglich, dass er unsagbar ist. Die, welche auf dem Unterschiede von Sein und Nichts beharren wollen, mögen sich auffordern, anzugeben, worin er besteht. Hätte Sein und Nichts irgendeine Bestimmtheit, wodurch sie sich unterschieden, so wären sie, wie erinnert worden,
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TWA 5, S. 84.
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bestimmtes Sein und bestimmtes Nichts, nicht das reine Sein und das reine Nichts, wie sie es hier noch sind.16
Von daher beruht der Einwand auf einem Missverständnis dessen, was Hegel wirklich behauptet, befindet dieser sich doch nicht auf derselben Abstraktionsebene Hegels. Aber diesbezüglich kann noch eine weitere fälschliche Auslegung hinsichtlich der Ableitung und Erscheinung des Werdens auf dem Weg der logischen Entwicklung vorkommen, und zwar, das Werden als eine Art abstrakte Synthesis zu verstehen, die den Unterschied von Sein und Nichts vollkommen eliminiert und auf eine bloße Einheit herabsetzt. Unter Werden ist nicht die Tatsache zu verstehen, dass etwa das Sein und das Nichts dasselbe Prädikat besitzen, und zwar die „Bestimmungslosigkeit“.17 Dies wäre ein Fall der abstrakten Synthese und TWA 5, S. 95. Das ist eben der schon klassische Einwand von Trendelenburg, laut dem das Argument Hegels als (falsch aufgebauter) Syllogismus verstanden werden müsse, weil es etwa besage: (1) Sein ist unbestimmte Unmittelbarkeit, (2) Nichts ist unbestimmte Unmittelbarkeit, folglich (3) sind Sein und Nichts dasselbe. (Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen (a.a.O.), S. 118). So gefasst ist das Argument ungültig, denn es wäre der folgenden Argumentationsweise formal ähnlich: (1) Deutsche sind Menschen, (2) Franzosen sind Menschen, dann (3) sind Deutsche und Franzosen dasselbe. Die Konklusion ist falsch, weil Deutsche und Franzosen mehr Prädikate als „Menschheit“ tragen. Gegen Trendelenburg hat schon Josef Schmidt richtig eingewandt, dass der hegelsche Übergang nicht aus der „einfachen Prädikation“, sondern aus der „Bedeutungsanalyse“ des Seins und Nichts entsteht. (Vgl. Josef Schmidt, Hegels Wissenschaft der Logik und ihre Kritik durch Adolf Trendelenburg, München, 1977, S. 74.) Das heißt, dass bei Hegel Sein und Nichts keine Substrate sind, denen man Prädikate beilegt. Dies war genau, wie gezeigt, der Grundfehler der antiken Metaphysik. Der Einwand von formaler Ungültigkeit des hegelschen Argumentes gilt nur dann, wenn das Sein und das Nichts mehr Prädikate als die Unmittelbarkeit hätten, genauso wie Deutsche und Franzosen mehr Prädikaten als die Menschheit besitzen. Das Problem liegt aber darin, dass die Unmittelbarkeit des reinen Seins kein Prädikat im strengen Sinn, sondern vielmehr die Abwesenheit von jeder Prädikation, von jedem Inhalt ist, weshalb Trendelenburgs Vorwurf auf einem Missverständnis beruht. A. Léonard hat diesbezüglich angemerkt, dass das Wort „dasselbe“ nicht als bloße Identität oder als bloße und abstrakte Synthese der Termini zu 16 17
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Einheit. Wenn man den Begriff des Werdens als bloße Einheit auffasst, kommt natürlich der Vorwurf auf, dass die Charakterisierung des Werdens als Bewegung vollkommen ungerechtfertigt bleibt, denn abstrakte Einheit ist nicht dasselbe wie Bewegung. Doch die abstrakte Einheit ist nicht dasjenige, was in den Begriffen von Sein und Nichts vorhanden ist; das Werden entsteht vielmehr aus der Tatsache, dass die reine begriffliche Bedeutung des Seins und des Nichts das Geschehen (eben das Werden) ihrer Bewegung ist. Die Beweglichkeit der Begriffe ist folglich nicht mit der abstrakten Synthese zu verwechseln. Daher spricht sich Hegel gegen die gewöhnliche Urteilsform aus, da diese nicht fähig sei, „spekulative Wahrheiten auszudrücken“ 18, d.i. die Bewegung der Begriffe als Bewegung zu erfassen. Hegel ist sogar mit dem Vorschlag nicht gerade zufrieden, diese Bewegung durch die Satzverbindung „das Sein und das Nichts sind dasselbe“ und „das Sein und das Nichts sind nicht dasselbe“ zum Ausdruck zu bringen: „Allein so entsteht der weitere Mangel, dass diese Sätze unverbunden sind, somit den Inhalt nur in der Antinomie darstellen, während doch ihr Inhalt sich auf ein und dasselbe bezieht und die Bestimmungen, die in den zwei Sätzen ausgedrückt sind, schlechthin vereinigt sein sollen – eine Vereinigung, welche dann nur als eine Unruhe zugleich Unverträglicher, als eine Bewegung ausgesprochen werden kann.“19 Die These, dass das Werden eine verstehen ist, vielmehr wird es explizit in der Wesenslogik als Denkbestimmung der Identität legitimiert und explizit betrachtet. Die Identität impliziert und enthält notwendigerweise auch eine Nicht-Identität in sich, indem die Identität als anders und verschieden von dem Unterschied definiert wird. „Comme la catégorie de l’égalité, l’expression „la même chose” implique donc une non-identité ou, plus exactement, une diversité des termes que’elle compare.“ (Vgl. André Léonard, Commentaire littéral de la logique de Hegel, Paris 1974, S. 49.) Mit der Anmerkung bin ich partiell einverstanden. Es trifft zwar zu, dass die Identität von Sein und Nichts auch eine Nicht-Identität begrifflich impliziert, doch die Erklärung Léonards scheint mir problematisch, weil es hierbei nicht um die Verschiedenheit der verglichenen Termini (termes que’elle compare) geht, sondern genauer um die Bewegung. Sein und Nichts sind nicht deshalb identisch, weil sie verglichen werden, sondern weil sie sich bewegen. 18 TWA 5, S. 93. 19 Ebd.
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Bewegung ist, ist folglich nicht in der Rhetorik zu verorten, sondern drückt die Natur der Begriffe von Sein und Nichts aus. Dementsprechend ist es auch unpräzis, Hegel zu beschuldigen (wie es z.B. C. Taylor tut)20, den Begriff des Werdens der Reihe der Logik arbiträr hinzugefügt zu haben, um eine ungerechtfertigte Flussontologie zu verteidigen. Es trifft zwar zu, dass Hegel explizit eine Prozessontologie verteidigt (so verwendete ich selbst den Terminus „Geschehen“, um mich auf die Bedeutung von Sein und Nichts zu beziehen), jedoch kann man nicht, wie Taylor glaubt, den Begriff des Werdens mit einer Flussontologie identifizieren, die besagt, dass alles in der Welt kausal interagiere. Dies nicht deshalb, weil Hegel an der Stelle eine Substanzontologie verteidigt, sondern um des Inhalt des Werdens selbst willen. Was in diesem Werden wird, ist nicht der Fluss, der nie ruhig bleibt, noch das Metall, das sich dem Oxidationsprozess unterzieht usw., sondern die Begriffe von Sein und Nichts. Die Flussontologie (wie Taylor sie versteht) ist der These eines empirischen Werdens verpflichtet, dem es doch möglich ist, sich einer stabilen, nicht werdenden Welt der Begriffe entgegenzusetzen, eine Welt, die nicht innerhalb der werdenden, sich verändernden Elemente zu platzieren sei, da die Begriffe statisch und ewig seien. In gewissen Maße entspricht dies gerade der Hauptthese der antiken Philosophie, indem sie das Logos gegenüber der Sinnlichkeit und der Materie als primär betrachtete, und von einer Definition der empirischen Welt als reiner Schein ausging, da in dieser gar nichts Festes zu finden noch zu denken sei.21 Hegels Werden in der Logik ist aber von radikalerer Natur: es bezieht sich auf das Werden der reinen Begriffe. Vielleicht ist genau dieses Werden der reinen Begriffe die Voraussetzung, die es ermöglicht, darauf aufbauend zu behaupten, dass die empirischen und lebendigen Gegenstände auch „werden“, da sie mit einem Treiben ausgestattet sind, das mit der logisch-begrifflichen Dynamik koinzidiert. (Davon ist hierbei aber nicht die Rede). In der folgenden Passage etabliert Hegel den Unterschied zwischen seiner eigenen und der empirischen Auffassung C. Taylor, Hegel, a.a.O., S. 234 ff. 21 Vgl. Dazu. M. Gabriel, Skeptizismus und Idealismus in der Antike, a.a.O., S. 216 ff. 20
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vom Werden, wobei letztere der klassischen Flussontologie zuzuordnen ist: Der tiefsinnige Heraklit hob gegen jene einfache und einseitige Abstraktion den höheren totalen Begriff des Werdens hervor und sagte: das Sein ist sowenig als das Nichts, oder auch: Alles fließt, das heißt: Alles ist Werden. Die populären, besonders orientalischen Sprüche, dass alles, was ist, den Keim seines Vergehens in seiner Geburt selbst habe, der Tod umgekehrt der Eingang in neues Leben sei, drücken im Grunde dieselbe Einigung des Seins und Nichts aus. Aber diese Ausdrücke haben ein Substrat, an dem der Übergang geschieht: Sein und Nichts werden in der Zeit auseinandergehalten als in ihr abwechselnd vorgestellt, nicht aber in ihrer Abstraktion gedacht, und daher auch nicht so, dass sie an und für sich dasselbe sind.22
Im Zitat wird der Unterschied zwischen den zwei Werdens-Auffassungen deutlich. Im bloßen empirischen Werden sind die Pointe und die Radikalität des logischen Werdens nicht sichtbar, weil dabei das Werden die Natur der empirischen Gegenstände und nicht die der Begriffe konstituiert. Die empirische Auffassung vom Werden besagt etwa, dass im ersten Moment ein Ding, ein Gegenstand ist und nach einer gewissen Zeit vergeht und somit aufhört, das zu sein, was es ist. Obwohl auch im empirischen Werden eine Interaktion zwischen Sein und Nichts denkbar zu sein scheint, ist die Interaktion und die Bewegung nicht begrifflich, d.h., sie ist nicht von den reinen Denkbestimmungen abgeleitet. Die These, dass es eine zeitliche Interaktion zwischen dem Sein und dem Nichts gibt, setzt implizit das Sein mit der Existenz und das Nichts mit dem Nichtsein gleich, was eben bedeutet, dass das empirische Werden die richtige Abstraktionsebene noch nicht erreicht hat. Die Unterscheidung zwischen empirischem und begrifflichem Werden ist auch von großer hermeneutischer Bedeutung, wenn es darum geht, die Natur des Treibens und der Beweglichkeit richtig zu erfassen, die Hegel dem reinen Denken zuschreibt. Das Werden ist insofern logisch, als die begriffliche Bedeutung vom reinen Sein und Nichts nur als die Bewegung des Verweisens auf sein Gegenteil zu verstehen ist: dadurch, dass das Sein sich jedem Inhalt entzieht, da es die Voraussetzung und der Raum ist, in dem jedweder Inhalt erscheinen und auftauchen kann, verweist es auf das Nichts; 22
TWA 5, S. 84.
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dadurch, dass das Nichts selbst ein reiner Gedanke und als solcher selbstwidersprüchlich ist, verweist es auf oder bewegt sich zum Sein. Das Treiben und die Bewegung findet folglich im reinen Denken statt, in diesem absoluten Intelligibilitätsraum und nicht nur in der Natur oder in den physischen Gegenständen. Von daher spricht Hegel, wenn er sich auf dieses Treiben bezieht, von „Dialektik“, d.h. der Bewegung der Vernunft, die auf immanente Weise die Inkonsistenz der Entgegensetzungen zeigt: „Es ist die dialektische immanente Natur des Seins und Nichts selbst, dass sie ihre Einheit, das Werden, als ihre Wahrheit zeigen.“23 Das Werden ist die „Wahrheit“ des Seins und des Nichts, weil die Begriffe selbst zu ihrem Gegenteil werden, indem wir sie zu denken und zu fixieren versuchen. Anders gesagt: Die Begriffe vom Sein und Nichts können nur als werdende Begriffe gedacht werden, weshalb das Werden als die Bedingung der Möglichkeit für ihre Denkbarkeit erscheint und auf diese Weise auch als ihre „Wahrheit“. Den logischen Charakter des Werdens zu betonen, verlangt zuallererst, die Passagen über die „Momente des Werdens“ und seine „Aufhebung“ zu verstehen. Die „Momente des Werdens“ beziehen sich auf die spezifischen Richtungen der Bewegung, die zwischen Sein und Nichts stattfinden, und welche Hegel als „Vergehen“ (die Richtung, die mit dem Sein anfängt) und „Entstehen“ (die Gegenrichtung, die mit dem Nichts beginnt) bezeichnet.24 Jedoch sollte man die Termini „Entstehen“ und „Vergehen“ nicht mit den Begriffen von Geburt und Tod eines Gegenstandes oder Lebewesens gleichsetzen. Entstehen und Vergehen beschreiben vielmehr die logische Bewegung, die im Werden vorhanden ist: Der Begriff des reinen Seins zeigt immanent, dass seine Natur in der Bewegung zum Nichts, im Verweisen auf dieses besteht, was nur heißen kann, dass das reine Sein nur als „Vergehen“ zu konzipieren ist. Der Begriff des reinen Nichts zeigt seine Selbstwidersprüchlichkeit und bewegt sich zum Sein. Das bedeutet, dass das reine Nichts nur als Entstehen denkbar ist. Sein und Nichts sind folglich nichts mehr als spezifische Konkretionen einer gegenseitigen Relation, nicht Gegenpole oder entgegengesetzte Kategorien. TWA 5, S. 111. 24 TWA 5, S. 112. 23
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Hierbei gilt es jedoch sich zu fragen, ob die Entdeckung dieses logischen Werdens wirklich einen Fortschritt in der Betrachtung des Denkens darstellt. Diese endlose Bewegung zwischen Sein und Nichts kann doch womöglich nur zu der Konklusion führen, dass etwas als Inhalt zu bestimmen und zu fixieren unmöglich sei. Wenn man nämlich Sein und Nichts nicht deutlich und fest voneinander unterscheiden kann, wie können wir das Seiende von dem Nichtseienden unterscheiden? Wie ist die Bestimmtheit überhaupt möglich? Anders ausgedrückt: Wie kommt die grundlegende Handlung des Denkens zustande, einen Gegenstand mit anderen oder mit sich selbst zu identifizieren, wenn die Begriffe vom Sein und Nichts beweglich sind? Wie entsteht in dieser Konstellation die Spezifizität des Inhaltes? Die Antwort auf solche Fragen liegt (natürlich nur anfänglich) in der immanenten Selbstüberwindung des Werdens, durch die das Werden aufgrund seiner begrifflichen Natur eine neue Denkbestimmung produziert: das Dasein, d.h. der logische Boden, in dem das Bestimmen und das Befestigen jedes Inhaltes erst möglich ist. Was nun die Selbstüberwindung bzw. „Aufhebung“ des Werdens betrifft, bietet Hegel ein Argument dar, das auf den ersten Blick arbiträr und rätselhaft scheint. Sein arbiträrer Charakter würde aus Hegels Versuch entstehen, aus der im Begriff des Werdens stattfindenden Beweglichkeit Ruhe, Unbeweglichkeit und Stabilität herzuleiten. Man muss folglich das hegelsche Argument und seinen impliziten Deduktionsmechanismus korrekt rekonstruieren und legitimieren. Eine richtige Legitimation ist auf dieser Ebene diejenige, die zeigen kann, dass der Begriff des Werdens ganz immanent den des Daseins hervorruft. Die in der Literaturforschung vorgeschlagenen Deutungsversuche, laut derer z.B. das Werden immer Werden von etwas sein muss und so der Übergang legitimiert sei 25, sind eben für mich unpräzis, weil sie die einzige Spielregel der Logik nicht einhalten, und zwar, den reinen Denkbestimmungen zu folgen. Die Behauptung nämlich, dass das Werden immer als Werden von etwas zu verstehen sei, ist meiner Meinung nach eher eine Klaus Hartmann bemerkt m.E. richtig, dass diese Deutung nur eine Anwendung des Begriffes des Werdens auf ein vorausgesetztes Seiendes wäre. Vgl. Klaus Hartmann, Hegels Logik, Berlin 1999, S. 46. 25
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Schlussfolgerung, die als solche legitimationsbedürftig ist und deshalb als Deutungsversuch ausgeschlossen werden muss. Nun stellt Hegel sein Argument auf zweierlei Art dar. Erstens: Das Gleichgewicht, worein sich Entstehen und Vergehen setzen, ist zunächst das Werden selbst. Aber dieses geht ebenso in ruhige Einheit zusammen. Sein und Nichts sind in ihm nur als Verschwindende; aber das Werden als solches ist nur durch die Unterschiedenheit derselben. Ihr Verschwinden ist daher das Verschwinden des Werdens oder Verschwinden des Verschwindens selbst.26
Und zweitens: Das könnte auch so ausgedrückt werden: Das Werden ist das Verschwinden von Sein in Nichts und von Nichts in Sein und das Verschwinden von Sein und Nichts überhaupt; aber es beruht zugleich auf dem Unterschied derselben. Es widerspricht sich also in sich selbst, weil es solches in sich vereint, das sich entgegengesetzt ist; eine solche Vereinigung aber zerstört sich.27
In beiden Formulierungen lässt sich lesen, dass das Werden ein selbstwidersprüchlicher Begriff ist und sich aus diesem Grund aus ihm eine stabile Einheit ergeben muss, und zwar, das „Dasein“. Zunächst möchte ich den Grund dafür erklären, dass das Werden ein selbstwidersprüchlicher Gedanke ist und dann zeigen, inwiefern daraus unbedingt eine stabile Einheit folgen muss. Die Selbstwidersprüchlichkeit des Werdens lässt sich in Hegels Augen als das „Verschwinden des Verschwindens“ ausdrücken. Im ersten Verschwinden sind das Sein und das Nichts keine festen Begriffe, sondern „Momente“: Das Sein ist seine Bewegung zum Nichts (das Vergehen) und das Nichts seine Bewegung zum Sein (das Entstehen). Das erste Verschwinden ist demnach die Umschreibung für die Beweglichkeit der Begriffe des Seins und des Nichts, nämlich für die Tatsache, dass ihr Bestehen und ihre Bedeutung mit dem Geschehen ihrer Bewegung zusammenfällt. Nun findet das hegelsche Argument seinen Kern darin, dass der Unterschied von Sein und Nichts zwar durch das Werden produziert wird, doch die Art und Weise, wie das Werden den Unterschied TWA 5, S. 113. 27 Ebd. 26
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hervorbringt, zur Eliminierung desselben führt. Das ist gerade das „Verschwinden des Verschwindens“. Wie kann man dies präziser verstehen? Der durch das Werden hervorgebrachte Unterschied zwischen Sein und Nichts bezieht sich auf die Differenzierung zwischen den Richtungen der Bewegung. Entstehen und Vergehen unterscheiden sich eben dadurch, dass sie die Bewegung mit einem bestimmten Anfangspunkt beginnen. Wenn wir aber die begriffliche Natur dieser Unterscheidung näher betrachten, dann wird deutlich, dass der Unterschied sich eliminiert oder „verschwindet“, da die Unterscheidung zwischen den Richtungen der Bewegung nur deswegen denkbar ist, weil jede Richtung die andere analytisch, immanent und unmittelbar impliziert. Die Bewegung in eine Richtung produziert gleichzeitig die in die Gegenrichtung: Die eine [Richtung; A.P.] ist Vergehen; Sein geht in Nichts über, aber Nichts ist ebensosehr das Gegenteil seiner selbst, Übergehen in Sein, Entstehen. Dies Entstehen ist die andere Richtung; Nichts geht in Sein über, aber Sein hebt ebensosehr sich selbst auf und ist vielmehr das Übergehen in Nichts, ist Vergehen.28
Da die Implikationsbeziehung hier analytisch und rein begrifflich ist, gibt es kein Zeitintervall, in dem man eine Richtung der Bewegung fixieren und von der anderen Richtung unterscheiden könnte. Aus diesem Grund hört die Bewegung auf, Bewegung zu sein, denn die Richtungen, indem sie sich einander reziprok und unmittelbar hervorbringen und implizieren, „paralysieren sich gegenseitig“, wie Hegel behauptet. Beide [Entstehen und Vergehen; A.P.] sind dasselbe, Werden, und auch als diese so unterschiedenen Richtungen durchdringen und paralysieren sie sich gegenseitig […] Sie heben sich nicht gegenseitig, nicht das eine äußerlich das andere auf, sondern jedes hebt sich an sich selbst auf und ist an ihm selbst das Gegenteil seiner.29
TWA 5, S. 112. 29 „Beide [Entstehen und Vergehen; A.P.] sind dasselbe, Werden, und auch als diese so unterschiedenen Richtungen durchdringen und paralysieren sie sich gegenseitig […] Sie heben sich nicht gegenseitig, nicht das eine 28
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Diese Selbstwidersprüchlichkeit, die im „Verschwinden des Verschwindens“ oder zweites Verschwinden vorliegt, kommt aufgrund des logischen Charakters des Werdens vor. Im Unterschied zum empirischen Werden, besteht im logischen Werden kein Substrat noch ein Gegenstand, denen wir die Bewegung beilegen können. Sprechen wir z.B. von der Oxidation des Metalls oder vom Lebensprozess eines Lebewesens, können wir jedenfalls die verschiedenen Stufen und Phasen des Werdens oder der Veränderung begrifflich voneinander unterscheiden, weshalb man diese Phasen auch als in der Zeit aufeinanderfolgende Etappen begreifen kann. Das nicht oxidierte Metall besitzt beispielsweise bestimmte Eigenschaften, die dem oxidierten Metall nicht zugeschrieben werden können. Das ist aber nicht der Fall beim logischen Werden, weil jede Richtung der Bewegung die Gegenrichtung unmittelbar, ohne Zeitintervall hervorruft. Da die Richtungen der Bewegung nicht mehr unterscheidbar sind, „verschwindet“ die Beweglichkeit des Werdens, und zwar durch seinen logischen Charakter, d.h. aus rein begrifflichen Gründen. Es ist jetzt deutlich, dass die Art und Weise, wie das Werden als Bewegung beschaffen ist, zur Eliminierung bzw. Aufhebung der Beweglichkeit führt. Allerdings bleibt immer noch die Frage offen, warum das Resultat dieser Überwindung der Beweglichkeit die neue Denkbestimmung des „Daseins“ sein muss. Die Antwort liegt darin, dass diese „ruhige Einheit“, abgeleitet aus dem „Gleichgewicht“ und der gegenseitigen Implikationsbeziehung von Entstehen und Vergehen, nicht mit dem abstrakten Sein des Anfangs gleichzusetzen ist. Die im Werden liegende Implikationsbeziehung von Entstehen und Vergehen hat nämlich eine unmittelbare Konsequenz auf den Begriff des Seins. Letzteres kann nicht als diejenige reine Unmittelbarkeit des Anfangs erfasst werden, wenn es nur anhand der Struktur des Werdens – und insbesondere der schon genannten analytischen Implikationsbeziehung von Entstehen und Vergehen – zu denken ist. In abstrakten Termini heißt es, dass jedes Entstehen des Seins ein Vergehen desselben als seine Bedingung der Möglichkeit äußerlich das andere auf, sondern jedes hebt sich an sich selbst auf und ist an ihm selbst das Gegenteil seiner.“ (TWA 5, S. 112.)
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voraussetzt. Nicht in der Hinsicht, dass die Geburt eines Seins den Tod desselben an einem zukünftigen Zeitpunkt impliziert, sondern in dem Sinne, dass jedes Vorhandensein oder jede Präsenz des Seins ein Vergehen, seine Absenz und sein Aufhören logisch präsupponiert. Deutlicher ausgedrückt: Das Sein ist nur insofern denkbar, als es kein Allumfassendes ist, d.h. dadurch, dass sein Entstehen und Vorhandensein ein Vergehen oder eine Selbstbegrenzung benötigt. Daraus folgt deutlich, dass allem, was ist, weil es sich als Einheit von Entstehen und Vergehen zeigt, ein nicht-allumfassendes oder begrenztes „Da“ zukommen muss. Das Sein entsteht aufgrund seines Vergehen – oder unter der Voraussetzung, dass es kein Allumfassendes ist – und daher kann es nur als ein mit einem „Da“ behaftetes Sein, d.h. als Dasein entstehen oder gedacht werden.30 Das Dasein ist auf diese Weise „bestimmtes Sein“.31 Das heißt: Die logische (nicht zeitliche) Interaktion von Entstehen und Vergehen, von Präsenz und Absenz oder von Umfassen (Position) und Nicht-Umfassen (Negation) bringt die Möglichkeit des spezifischen oder bestimmten Seins hervor, denn die Unterscheidbarkeit des Dass sich „Vergehen“ in meiner Deutung als Selbstbegrenzung übersetzen lässt, könnte man auf den Ersten Blick für problematisch halten, denn dabei würde schon der Gedanke der Negation und der Grenze als Fundament der Bestimmung ausgedrückt, was erst später vorkommt. Um meinen Punkt zu verteidigen, kann ich aber zweierlei präzisieren. Erstens verteidigt Hegel selbst die These, dass das Werden sich als Muster jedes Gedankens darstellt – auch des Gedankens der Grenze – , wobei implizit ist, dass darin die Rolle der Negation als Fundament nicht nur der Kategorie der Bestimmtheit, sondern auch als lebendiger Beweggrund der Prozessualität des reinen Denkens schon sichtbar ist. Dies alles ist jedoch – wie Hegel immer sagt – nur „an sich“ oder potenziell vorhanden; es muss „gesetzt“ oder ausführlicher entwickelt werden. Zweitens sagt uns diese mit dem Vergehen assoziierte Selbstbegrenzung, durch die das „Da“ des Daseins überhaupt entstanden ist, gar nichts über das, was außerhalb des Da des Daseins liegt. Das ist auf diese Ebene dem Dasein logisch gleichgültig und nicht definitorisch. Dies ist der Grund dafür, dass, wie wir sehen werden, die Spuren des Werdens am Anfang der Analyse der Kategorie des Daseins nicht sichtbar sind. Deswegen ist die These, dass Bestimmung auf ein differentielles Verhältnis ankommt, hiermit noch nicht explizit (obwohl vielleicht schon „an sich“) ausgedrückt. 31 TWA 5, S. 115. 30
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spezifischen Seins benötigt eine Begrenzung und eine Negation, um unterscheidbar zu sein. Dieses spezifische und unterscheidbare Sein ist folglich das Dasein, das Sein eines „Da“ nicht im räumlichen, sondern im logischen Sinn.32 Auf diese Weise kann Hegel beweisen, dass aus dem Gedanken der reinen Unmittelbarkeit und Unbestimmtheit doch ein vermitteltes und bestimmtes Sein hergeleitet werden kann. Dass das Dasein (bzw. das spezifische Sein in seiner minimalen Struktur) „aus dem Werden“ hervorgeht und als „Einssein“ des Seins und des Nichts zu betrachten ist, heißt demnach Folgendes: Die Spezifizität ist kein Rätsel des Denkens, noch ein Axiom, von dem das Denken immer noch unkritisch ausgehen muss, sondern sie stützt sich auf bestimmte und begreifbare, logische Verhältnisse. Sie beruht, genauer gesagt, auf der logischen Bewegung der Selbstbegrenzung und der Selbstnegation. Diese Struktur weist darauf hin, dass die Spezifizität überhaupt nicht nur von dem logischen Topos der Position her verstehbar ist, sondern auch, dass die Negation (das Nichtsein, das Aufhören des Seins und das Begrenztsein) eine strukturale Rolle spielt, damit es eine Position und einen bestimmten Inhalt geben kann. Diese Bedingung der Spezifizität ist dementsprechend Konsequenz und Ausdruck des Treibens und der Dynamik des reinen Denkens. Das hat zur Folge, dass dieses Treiben und die Beweglichkeit des Denkens die Voraussetzungen schaffen, unter denen man einen fixierten und bestimmten Inhalt begreifen kann. Der bestimmte Inhalt ist folglich Ergebnis und Resultat der logischen Implikationsrelation zwischen Sein und Nichtsein. Die These, dass die Grundlage der stabilen und fixierten Inhalte ein logisches Treiben und eine begriffliche Bewegung ist, stellt sich als einer der wichtigsten Ansätze der hegelschen Logik heraus. Dieses logische Treiben, das doch ein Equilibrium und eine „ruhige Einheit“ produziert, ist deshalb die allgemeinste Voraussetzung für die Intelligibilität jedes Gedankens und Begriffes: „Da nunmehr diese Einheit von Sein
„Es ist nicht bloßes Sein, sondern Dasein; etymologisch genommen: Sein an einem gewissen Orte; aber die Raumvorstellung gehört nicht hierher“ (TWA 5, S 116). Mit dem „Da“ bezeichnet Hegel ein logisches Da, d.i. den Begriff der Spezifizität überhaupt. 32
Vom reinen Sein zum Dasein
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und Nichts als erste Wahrheit für allemal zugrunde liegt und das Element von allem Folgenden ausmacht, so sind außer dem Werden selbst alle ferneren logischen Bestimmungen: Dasein, Qualität, überhaupt alle Begriffe der Philosophie, Beispiele dieser Einheit.“33 Die Stabilität des Daseins stützt sich auf die Implikationsbeziehung des Seins und Nichtseins. Damit es ein „Da“ geben kann, muss ein „Nicht-da“ vorhanden sein. Damit stellt aber sich die Frage, ob diese neue These, diese Bedingung der Spezifizität dem Ansatz des Anfangs widerspricht, laut dem das reine Sein diejenige Voraussetzung ist, auf die alles, was intelligibel ist, zurückgeführt werden kann.34 Hegels Argumentation ist aber auf dieser Ebene nicht inkonsistent, denn das Dasein als logischer Begriff ist das Resultat der Selbstbestimmung des reinen Denkens. Das Dasein ist keine neue Voraussetzung der Intelligibilität, die gegenüber dem reinen Sein steht, sondern vielmehr eine TWA 5, S. 86. Literatur besteht die Idee, dass das Werden als solches der erste wahre Gedanke ist, wobei das reine Sein eine quasi-fiktionale Bedeutung hat und kein Gedanke im strengen Sinn ist. Robert Pippin vertritt eben diese These. Laut ihm ist das reine Sein eine Fiktion, die sich in den Begriff des Werdens aufhebt, was zeigt, dass es keinen reinen und unmittelbaren Zugang zum reinen Sein geben kann und dass jeder Gedanke über das Dasein doch vermittelt ist. (Vgl. Robert Pippin, Die Logik der Negation bei Hegel, in: Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik, a.a.O, S. 87–110, besonders S. 91 f.; ders., Hegel’s Idealism, a.a.O., S. 182 f.). Davon ausgehend, hat man sogar behauptet, dass der Anfang der Logik nicht das Wissen, sondern das Glauben sei, da das Denken als solches nur auf der Ebene des Werdens auftaucht: „Insofern der Anfang nicht im Wissen ist, befindet er sich unter Hinzuziehung der Ausgangsdualität von Wissen und Glauben in der Sphäre des letzteren“ (Rebecca Paimann, Anmerkungen zum Verhältnis von Glauben und Wissen in Bezug auf den Anfang der hegelschen „Wissenschaft der Logik, in: Hegel-Jahrbuch 2004, S. 135–141, besonders S. 139). Solche Interpretationen, die den wahrhaften Gedanken nur im Werden erkennen, ignorieren etwas Wichtiges. Dass das logische Werden mit dem Trieb identifiziert werden kann, der jedem wahren Gedanken zugrunde liegt, bedeutet aber nicht, dass das reine Sein eine Fiktion ist. Hegels Punkt ist vielmehr, dass dieses reine-Sein/reine-Denken selbst die logische Bewegung des Werdens ist. Es geht nicht darum, eine Fiktion aufzuheben, sondern die Selbstbestimmung des Denkens oder des logischen Raums aufzufassen. 33
34 In der
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Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik
präzisere und konkretere Auffassung dieses reinen Seins, d.h. eine neue Definition dessen, wie diese absolute und allgemeine Voraussetzung der Intelligibilität aussieht. Das alles weist darauf hin, dass das reine Sein, derjenige Horizont und Raum, in dem jedweder spezifische Inhalt und jede Bestimmtheit stattfindet, als dynamischer Prozess von logischen Verhältnissen verstanden werden muss und nicht als statischer und leerer Raum. Aus diesem Grund enthält der Begriff des Daseins den Totalitäts- und Absolutheitsanspruch des reinen Seins, denn das Dasein, als logische Form aller Spezifizität überhaupt, erscheint erneut als logisches Allumfassendes, genau wie das reine Sein. Doch es handelt sich um ein konkretes Allumfassendes. Allumfassendes, insofern als der Begriff des Daseins die logische Form von all demjenigen bezeichnet, was als spezifischer Inhalt erscheinen kann. Zugleich ist es aber konkret, weil diese Form in der Erscheinung des spezifischen Inhaltes immanent vorhanden ist. Es ist demnach keine metaphysische Superstruktur, die auf einer zweiten ontologischen Ebene existiert. Es geht hierbei nicht um eine verdinglichte Konzeption des Ganzen und des Allumfassenden, da der Begriff des Daseins auf kein Behältnis verweist, in dem alles, was es gibt, enthalten ist, noch auf eine transzendente Welt, die hinter oder über den spezifischen Inhalt liegt. Dieses konkrete Allumfassende wird immer noch konkreter durch den Fortschritt der Logik, denn diese allgemeine logische Form von allem, was erscheint, gewinnt Inhalt und Bestimmungen. Aus diesem Grund stellen weder das Werden noch das Dasein das letzte Wort innerhalb der Logik dar. Aber auch die Erkenntnis dieses konkreten Allumfassenden kann uns vor illegitimen Verwendungen von Denkbestimmungen warnen, die zu inkonsistenten Auffassungen des Absoluten in der Philosophiegeschichte geführt haben. Angesichts der Daseinsdialektik ist das bei dem Realitätsbegriff und der (inkonsistenten) Auffassung des Absoluten als Ens realissimum, d.h. als vollkommen positive Realität deutlich. Diese kritische Funktion der hegelschen Logik in Bezug auf den Realitätsbegriff hervorzuheben, erfordert jedoch die Rekonstruktion der logischen Entwicklung des Daseins bis zum Begriff des Etwas und unterstreicht die Notwendigkeit, präzis zu verstehen, worin genau das berühmte Diktum „omnis determinatio est negatio“ besteht. In diesem Fall kann man deutlich sehen, dass die Logik sowohl auf einer
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metaphysischen als auch auf einer metametaphysischen Ebene arbeitet. Das ist das Thema der folgenden Abschnitte.
§9 Hegels Realitätsbegriff und seine implizite Metaphysikkritik A. Dialektik der Qualität Die erste Behauptung des Kapitels „Dasein als solches“ lautet: „Aus dem Werden geht das Dasein hervor. Das Dasein ist das einfache Einssein des Seins und Nichts. Es hat um dieser Einfachheit willen die Form von einem Unmittelbaren“. Inwiefern das Dasein aus dem Werden hervorgeht, wurde folgendermaßen gerade erklärt: Die Einheit von Entstehen und Vergehen ist nicht zeitlich zu verstehen, sondern als die logische Interaktion von Umfassen (Position) und Nicht-Umfassen (Negation) zu denken. Das bedeutet, dass das Dasein mit dem bestimmten Sein zusammenfällt, da es kein Allumfassendes ist. Doch dieser Gedankengang drückt noch nicht die These der negativen Determinationstheorie aus, die Hegel zugeschrieben wird. Denn zu behaupten, dass jedes Dasein etwas ausschließen muss, heißt nicht notwendigerweise, dass jeder spezifische Inhalt seine Spezifizität durch diese Exklusionsoperation gewinnt. Es ist in der Tat möglich, die These zu vertreten, dass jeder spezifische Inhalt eine Abgrenzung erfordert, und zugleich die Behauptung aufzustellen, dass die Spezifizität des Inhaltes doch unmittelbar und nur von sich selbst aus zu erfassen sei. Die Konjunktion dieser zwei Ansichten ist eben das, was mit dem Ausdruck „Einssein des Seins und Nichts“ und der Aussage, das Dasein habe die Form eines Unmittelbaren, gemeint ist. Anders gesagt: Natürlich ist das Dasein begrenzt, indem es etwas ausklammert, aber diese Negativität liegt eben außerhalb des Daseins. Seine Spezifizität wird nicht durch jene Negativität durchdrungen noch konstituiert. Hegel drückt dies folgendermaßen aus: „Dasein ist, nach seinem Werden, überhaupt Sein mit einem Nichtsein, so dass dies Nichtsein in einfache Einheit mit dem Sein aufgenommen ist. Das Nichtsein so in das Sein aufgenommen, dass das konkrete Ganze in der Form des Seins, der Unmittelbarkeit ist, macht die Bestimmtheit als solche aus.“1 Dementsprechend ist z.B. ein Tisch insofern ein Dasein, als er kein Allumfassendes ist: Es gibt 1
TWA 5, S. 116.
Hegels Realitätsbegriff und seine implizite Metaphysikkritik
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ja vieles, das kein Tisch ist, doch der Inhalt des Tisches, d.h. dasjenige, was er ist, besteht nicht nur darin, eine Begrenzung zu haben und kein Allumfassendes zu sein. Beweis dafür ist, dass z.B. der Stuhl oder die blaue Farbe auch ein „Sein mit einem Nichtsein“, also begrenzte Seins, aber deshalb trotzdem nicht genau dasselbe sind. Aus diesem Grund erscheint der Inhalt des Tisches (oder des Stuhles), d.h. ihre Spezifizität oder Bestimmtheit unter der Form der Unmittelbarkeit. Jeder spezifische Inhalt kann nur von sich selbst her identifiziert werden, nicht aber in Bezug auf andere Inhalte. In dieser Hinsicht kann man den Gedanken rechtfertigen, dass das Dasein zunächst als Unmittelbares erscheint und darin die „Spuren“2 des Werdens nicht sichtbar sind. Denn das Dasein, indem es ein Resultat des Werdens ist, hat eine Begrenzung, ist ein „Sein mit einem Nichtsein“. Da aber irgendein spezifischer Inhalt auch eine Begrenzung hat, kann die Spezifizität des Daseins nicht völlig darauf basieren, aus dem Werden hervorzugehen. Mit anderen Worten: Mit dem Gedanken, dass sich das Dasein aus dem Werden deduzieren lässt, kann man die Spezifik eines Daseins nicht erfassen, weil dieser Gedanke eben für jedes Dasein/alle Dasein(e) gültig ist. Daraus müssen wir konkludieren, dass die Bestimmtheit des Daseins unmittelbar in ihm vorhanden ist. Dasjenige, wodurch das Dasein einen spezifischen Inhalt hat, ist nicht anders als das Dasein selbst.3 Vgl. A.F. Koch, Dasein und Fürsichsein (die Logik der Qualität), in: A. Koch, F. Schick (Hgg.), Hegel: Wissenschaft der Logik, Berlin 2002, S. 30. 3 Eines der Probleme, das beim Lesen dieser Passage entsteht, bezieht sich gerade auf diesen unmittelbaren Charakter des Daseins. Wieso hat das Dasein „die Form von einem Unmittelbaren“, wenn es ein Resultat des Werdens und demnach ein vermittelter Begriff ist? Darauf kann man mit dem Gedanken antworten, dass die Tatsache, dass das Dasein aus dem Werden hervorgeht, ungenügend dafür ist, die Spezifizität dieses Daseins zu definieren, weil jedem Dasein dieses deduktive Verhältnis zum Werden zugrunde liegt. Eine gewöhnliche Antwort, die sich in der Forschungsliteratur finden lässt (z.B. bei Christian Iber), lautet, die Unmittelbarkeit des Daseins sei durch die unkritischen Voraussetzungen der Substanzontologie bedingt, die Hegel in der Logik kritisieren möchte. (Vgl. Christian Iber, 2
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Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik
Gerade diese Idee definiert den Begriff der „Qualität“. Laut Hegel wird die Qualität als der spezifische Inhalt bestimmt, der vollkommen positiv, unmittelbar und selbsterklärend ist: „Die Beziehung, in der hier die Bestimmtheit mit dem Sein steht, ist die unmittelbare Einheit beider, so dass noch keine Unterscheidung derselben gesetzt ist. Die Bestimmtheit so für sich isoliert, als seiende Bestimmtheit ist die Qualität, – ein ganz Einfaches, Unmittelbares.“4 In diesem Sinn ist die Qualität nicht als Eigenschaft eines Gegenstandes, sondern als die minimale, logische Struktur der Spezifizität zu begreifen. Grundsätzlich ist die Qualität dasjenige, was irgendein Inhalt ist, betrachtet jedoch auf identitäre Weise.5 Hegel ist dennoch der Überzeugung, dass diese identitäre Betrachtung der Identität auf einem Dualismus basiert, der dialektisch inkonsistent, d.h. selbstwidersprüchlich ist, weil er sich selbst in dem Moment seiner Formulierung aufhebt. Um dies genauer zu verstehen, sollten wir der Frage nachgehen, warum Hegel dieser identitären Konzeption der Spezifizität einen Dualismus zuschreibt. Diesbezüglich wird in der Wissenschaft der Logik behauptet: „Die Qualität, so dass sie unterschieden als seiende gelte, ist die Realität; sie als mit einer Verneinung behaftet, Negation überhaupt, [ist] gleichfalls eine Qualität, aber die für einen Mangel gilt, sich weiterhin als Grenze, Schranke bestimmt.“6
Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den Deutschen Idealismus, Frankfurt am Main 1999, S. 122.) Obwohl ich mit der Behauptung einverstanden bin, dass in diesem Abschnitt der Logik eine Kritik an der Substanzontologie und am „metaphysischen Dualismus“ von Realität und Negation geübt wird, scheint mir solch eine Erklärung unbefriedigend, stellt sie sich doch als eine Nichteinhaltung der goldenen Regel der Logik heraus: Die Erklärung dafür kann nicht in den Behauptungen Jacobis oder Wolffs liegen, sondern nur in demjenigen, was immanent begrifflich im Dasein vorhanden ist. 4 TWA 5, S. 118. 5 Um die Unmittelbarkeit dieses Gedankens auszudrücken verwendet Friedrike Schick den Terminus „So-Sein“ um die Einheit von Sein und Inhalt bei der Qualität zu bezeichnen. Vgl. Friedrike Schick, Absolutes und gleichgültiges Bestimmtsein. Das Fürsichsein in Hegels Logik, in: Hegels Seinslogik, a.a.O., S. 237. 6 TWA 5, S. 118.
Hegels Realitätsbegriff und seine implizite Metaphysikkritik
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Der dualistische Unterschied zwischen Realität und Negation geht aus der Prämisse hervor, laut der die Spezifizität unmittelbar, identitär und selbsterklärend ist. Die Verteidigung der identitären These der Spezifizität besagt nämlich, dass das Dasein zwar als ein „Sein mit einem Nichtsein“, also mit einer Begrenzung gilt, jedoch dieses Nichtsein nicht wesentlich noch explikativ bezüglich der Spezifizität ist. Dieser Argumentation nach ist es demnach möglich, eine Unterscheidung zwischen dem Sein und dem Nichtsein eines Daseins festzulegen. Das ist gerade der Dualismus von Realität und Negation. Der hier geprägte Realitätsbegriff hat in dieser Hinsicht keine modale Bedeutung (er ist nicht der Möglichkeit entgegengesetzt)7, sondern bezeichnet dasjenige, was das Dasein ist. Besser gesagt ist die Realität die Spezifizität des Daseins. Von einem Tisch, als Dasein konzipiert, ist die Realität der Tisch selbst. Des Weiteren fällt am hegelschen Zitat auf, dass die Negation auch als Qualität, als Dasein erscheint. Der Grund dafür besteht nicht darin, dass Hegel der Meinung ist, es gebe negative Gegenstände (das Nicht-Auto ist definitiv kein Gegenstand; das NichtGrün ist auch keine Farbe). Die Charakterisierung der Negation als Qualität und somit als Dasein ergibt sich aus der allgemeinsten und minimalen Definition des Daseins als „Sein mit einem Nichtsein“, d.h. als dasjenige, was kein Allumfassendes ist. Die Allgemeinheit dieser minimalen Definition betrifft zugleich Gegenstände, Eigenschaften oder Mengen verschiedener Objekte. In dieser Hinsicht ist dasjenige, was außerhalb des Daseins vorhanden ist auch ein Dasein, denn von Etwas ausgeschlossen zu sein bedeutet auch, eine Begrenzung zu haben und so kein Allumfassendes zu sein. Sowohl die Realität als auch die Negation gelten als Dasein. Jedoch besteht ein kategorialer Unterschied zwischen beiden: Die Negation erscheint als eine Qualität bzw. ein Dasein, das eine Abwesenheit oder Entbehrung von Realität ausdrückt. Daher hat die Realität, die identitäre Spezifizität logischen Vorrang vor der Negation. In diesem Fall scheint es einfach, zu akzeptieren, dass der Terminus „Tisch“ über „Nicht-Tisch“ steht, denn die Negation beinhaltet nicht dasjenige, was sie negiert, sondern setzt es voraus. „Nicht-Tisch“, „Nicht-Stuhl“, „Nicht-Wand“ sind alle Negationen, 7
TWA 5, S. 119.
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Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik
aber das „Nicht“, der Negationsoperator ist dem Inhalt, auf den er angewandt wird, gleichgültig und extern. Der Inhalt wird keinesfalls durch die Negation bestimmt, sondern ist dieser äußerlich, da ersterer unmittelbar auf identitäre und unmittelbare Weise als „Realität“, als einfaches Vorhandensein gegeben ist. Sehen wir uns nun an, warum dieser Dualismus von Realität und Negation dialektisch inkonsistent ist. Die Unterscheidung von Realität und Negation zeigt sich als selbstwidersprüchlich aus rein begrifflichen Gründen. Da die dualistischen Strukturen den Satz des ausgeschlossenen Dritten präsupponieren, besteht jeder Terminus derselben nur darin, das Gegenteil des Anderen zu sein. Falls es eine dualistische Entgegensetzung von A und B gibt, ist A mit Nicht-B gleichbedeutend und B mit Nicht-A äquivalent. Es ist nämlich kein drittes Element vorhanden (z.B. C), welches diese Gleichwertigkeit in Frage stellt. Daraus folgt, dass der Inhalt und die Bedeutung der Realität ausschließlich Nicht-Negation ist. Aber damit kommt die Selbstwidersprüchlichkeit des Dualismus ans Licht: Dieser besagt, dass der Inhalt keinesfalls durch die Negation geschafft und bestimmt werden könne und die Negation nur ein leerer Operator sei, für den der Inhalt im Voraus gegeben sein muss; doch im Dualismus ist der Begriff der Realität durch die Negation definiert und bestimmt, weil er der Gegenpol der Negation ist: Die Realität erlangt dadurch ihren Inhalt, dass sie keine Negation ist. Der Inhalt des Realitätsbegriffes lässt sich nicht von sich selbst her erklären, sondern nur in Bezug auf die Negation. Wenn man platonisch reden dürfte, so könnte man behaupten, dass die Realität am Begriff der Negation teilhaben muss, um ihr Gegenteil zu sein. In dem Anspruch, die Realität von der Negation zu trennen, wird letztere doch selbst mitbeansprucht. Dies alles ruft eine paradoxe Relation zwischen Realität und Negation hervor: Insofern als die Realität die Negation exkludiert und negiert, muss sie diese trotzdem verwenden und sie demnach als ihre eigene Voraussetzung affirmieren. So widerlegt sich die identitäre These der Bestimmtheit, die zum Unterschied von Realität und Negation führt. Sie widerlegt sich, weil die Überwindung dieses Dualismus implizit in der Formulierung des Unterschiedes von Realität und Negation liegt. In Hegels Worten: „Die Realität ist Qualität, Dasein; damit enthält sie
Hegels Realitätsbegriff und seine implizite Metaphysikkritik
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das Moment des Negativen und ist allein dadurch das Bestimmte, das sie ist.“8 Berücksichtigend, dass im eigenen Realitätsbegriff die Negation vorausgesetzt wird, kann man einen Fall der kritischen Funktion der Metaphysik in der hegelschen Logik sehen. In diesem Fall spricht Hegel sich gegen die Verwendung des Realitätsbegriffes aus, um das Absolute zu begreifen und seine Natur als vollkommene, positive Realität (oder „Inbegriff aller Realitäten“) zu betrachten. Die Illegitimität dieser Begriffsverwendung liegt jedoch nicht darin, dass die Vernunft nicht in der Lage ist, aufgrund ihrer epistemischen Einschränkungen solch eine Realität zu erkennen und noch weniger darin, dass die metaphysische Begriffsverwendung über die in der sozialen Praxis herausgestellten Bedeutung des Wortes „Realität“ hinausgeht; vielmehr beweist die dogmatisch-metaphysische Begriffsverwendung ihre Illegitimität dadurch, dass dabei die kategoriale Natur des Realitätsbegriffes ignoriert wird. B. Metaphysikkritische Betrachtung des Begriffes Gottes als positive Realität In der dogmatischen Metaphysik kommt der Realitätsbegriff ohne Kritik und ohne Reflexion über seine begrifflichen Voraussetzungen vor. Wobei die Unterscheidung von Realität und Negation unkritisch angenommen wird. Die metaphysische Konsequenz dieses Realitätsbegriffes, der immer nur von der Negation kritiklos getrennt wird, drückt sich in der Vorstellung Gottes als vollkommene, positive Realität aus. Dass Hegel sich gegen diesen Begriff wendet, bedeutet nicht unbedingt, dass er darauf verzichtet, das Göttliche und seine Natur in der Logik zu betrachten, sondern legt nur nahe, dass der Gedanke von Gott, konzipiert als positive Realität, kein Gedanke im strengen Sinn und deshalb inkonsistent ist. Diesbezüglich liest man in der Anmerkung zum Abschnitt der Qualität: Bei dem Ausdrucke „Realität“ ist der sonstige metaphysische Begriff von Gott, der vornehmlich dem sogenannten ontologischen Beweise vom Dasein Gottes zugrunde gelegt wurde, zu erwähnen. Gott wurde als der Inbegriff 8
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Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik
aller Realitäten bestimmt und von diesem Inbegriffe gesagt, dass er keinen Widerspruch in sich enthalte, dass keine der Realitäten die andere aufhebe; denn eine Realität sei nur als eine Vollkommenheit, als ein Affirmatives zu nehmen, das keine Negation enthalte. Somit seien die Realitäten sich nicht entgegengesetzt und widersprechen sich nicht.9
Der Begriff der absolut positiven Realität geht vom Unterschied von Realität und Negation als etwas Gegebenem aus, ohne die eigentliche Bedeutung dieser Differenzierung und deren Voraussetzungen zu thematisieren. Bei dieser unkritischen Verwendung konstruiert man das folgende Argument, um das metaphysische Absolute zu denken: (1) Realität und Negation schließen einander aus Diese Prämisse scheint auf der analytischen Ebene einfach zu akzeptieren; es gibt jedoch verschiedene Fälle des Begriffes der Realität (verschiedene Realitäten also), die die Negation nicht ganz ausschließen. (Tisch-zu-sein impliziert z.B. nicht-Dschingis Kahn-zusein und nicht-Tier-zu-sein usw.). Die gewöhnlichen und weltlichen Gegenstände sind demnach keine allumfassenden Realitäten, da sie dem Inhalt nach begrenzt sind. Um dieses Problem aufzulösen, würde der Verteidiger des Dualismus zwischen Realität und Negation die folgenden Prämissen hinzufügen: (2) Es trifft zu, dass es Fälle des Begriffes der Realität gibt, die die Negation nicht ganz ausschließen, aber (3) Würden alle Realitäten die Negation in sich einschließen, so wäre die Prämisse (1) falsch. (4) Da aber (1) auf der analytischen Ebene akzeptiert werden muss (und zwar aufgrund des Satz des zu vermeidenden Widerspruches), ist die alternative These, der zufolge alle Realitäten die Negation in sich inkludieren, notwendigerweise falsch, weshalb (5) Es zumindest eine Realität geben muss, die die Negation definitiv ausschließt.
9
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Hegels Realitätsbegriff und seine implizite Metaphysikkritik
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Diese Realität, die die Negation ausschließt, ist (begrifflich-metaphysisch gesehen) dasjenige, was wir Gott nennen. In dieser Hinsicht zeigt sich der Gottesbegriff als diese universale Totalität, die fähig ist, alles unter sich zu umfassen, ohne in etwas Höherem oder Größerem einbegriffen zu werden.10 Würde Gott unter etwas Höherem subsumiert, dann wäre er nicht diejenige Realität, die die Negation definitiv ausschließt, denn er würde eben durch dasjenige begrenzt, was ihn subsumiert, d.h. er wäre nicht Gott. Da aber (5) richtig ist, müsste man die Existenz dieser allumfassenden Realität auch akzeptieren. Dies hat zur Folge, dass dasjenige, was Gott nicht ist, keine Begrenzung für seine vollkommen positive Realität darstellt. Für den Tisch und Dschingis Kahn gilt immer der Status der Begrenztheit und Unvollkommenheit, denn bei ihnen bedeutet eine Qualität, ein Was zu sein, immer eine andere nicht zu besitzen. Nicht so bei Gott, da das nicht-göttliche keine Limitation für ihn, sondern nur als eine Realität niedriger Stufe konzipiert werden muss. Dasjenige, was nicht Gott ist, ist nur ein Abbild von Gottes positiver Realität. Gott ist dann das Allumfassende in dem Sinne, dass ihm der stärkste Realitätsgrad zukommt und die anderen Realitäten, die anderen Qualitäten nur Abstufungen und Schattierungen von ihrer positiven Realität sind. Doch solch eine Auffassung des Absoluten ist für Hegel verdinglicht, dogmatisch und unkritisch. Dabei geht es um ein abstraktes Allumfassendes, Resultat der dogmatischen Trennungen und Fixierungen des Verstandes, wogegen sich Hegel stets wendet. Die Voraussetzung des metaphysischen Dualismus von Realität und Negation wird nämlich bei solch einer Argumentation nicht thematisiert noch immanent begrifflich analysiert. Dieser Einwand gegen die dogmatische Metaphysik ist sowohl in der Metaphysikkritik des Vorbegriffes als auch in der Logik zu finden. Jetzt konzentriere ich mich jedoch auf die Logik, da der Inhalt des Vorbegriffes schon im §5 rekonstruiert worden ist.
Gerade diese Definition könnte auf den sogenannten ontologischen Gottesbeweis bezogen sein. Dazu ausführlicher: Markus Gabriel, Ist der Gottesbegriff des ontologischen Beweises konsistent?, in: Thomas Buchheim (Hg.), Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft, Tübingen 2012. S. 99–119. 10
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Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik
Die Kritik dieser Auffassung des Absoluten ist aber nicht erkenntniskritisch noch epistemologisch zu erfassen: Den Fokus legt Hegel nicht auf den argumentativen Schritt, in dem man die notwendige Existenz von Etwas aus dem Begriff desselben deduziert. Es handelt sich nicht darum, dass die Notwendigkeit in intellectu keine Notwendigkeit in re mit sich bringt. Was Hegel dagegen zeigt, ist, dass dasselbe Konzept der absolut positiven Realität dialektisch inkonsistent ist, d.h., dass dem genannten Begriff eigentlich keine Notwendigkeit in intellectu zukommt. So Hegel: Bei diesem Begriff der Realität wird angenommen, dass sie dann noch bleibe, wenn alle Negation weggedacht werde; damit wird aber aller Bestimmtheit derselben aufgehoben. Die Realität ist Qualität, Dasein; damit enthält sie das Moment des Negativen und ist allein dadurch das Bestimmte, das sie ist. Im sogenannten eminenten Sinne oder als unendliche – in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes –, wie sie genommen werden soll, wird sie ins Bestimmungslose erweitert und verliert ihre Bedeutung.11
Für Hegel ist dann fraglich, ob nach dem Abziehen und der Abstraktion aller Negationen noch ein Da bleibt, d.h. eine spezifische und positive Qualität. Hegels Antwort auf diese Frage lautet: Indem man alle Negationen abstrahiert, ist kein Da, keine Qualität mehr vorhanden. Bei dieser absoluten Abstraktion aller Negationen kommt man zum selben leeren Punkt des reinen Seins. Für eine vollkommen positive Realität gibt es kein ‚Da‘, denn für jedes ‚Da‘ gilt die begriffliche Interaktion von Realität und Negation: Damit etwas überhaupt real sein kann, muss es aus logischen Gründen an dem Begriff der Negation teilnehmen, da der Begriff der Realität selbst durch diese Teilnahme konstituiert und definiert ist. Das bedeutet, dass das Da des Daseins etwas von ihm ausschließen muss und dass die Limitation eine logische Bedingung der Möglichkeit für das Vorhandensein des Da überhaupt ist. Die Limitation ist dann der Hintergrund, vor dem die Realität und die Negation als in gegenseitige Implikationsbeziehung stehende Kategorien denkbar sind. Dies erläutert Hegel mittels der Analyse der Eigenschaften von Gott im „eminenten Sinne“.12 Dass Gott Eigenschaften im „emiTWA 5, S. 120. 12 TWA 5, S. 119. 11
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nenten Sinne“ hat, bedeutet z.B., dass Gott mächtig ist, aber auch gleichzeitig gütig, gerecht und weise. Nun zeigt die Tatsache, dass sich diese Eigenschaften bei Gott – und nur bei ihm – zusammenfinden, Gottes Vollkommenheit und seine absolut positive Realität. Gott enthält keine Negation, denn eine Eigenschaft zu haben, schließt nicht aus, dass er auch die Konträre in sich einbezieht. Es ist vielmehr so, dass bei Gott die entgegengesetzten Eigenschaften einander „temperieren“, d.h. sie befinden sich bei Gott in vollkommenem Äquilibrium: Die Weisheit gleicht z.B. die Macht aus, denn Gottes Macht ist nicht arbiträr und sinnlos, sondern stellt sich als Mittel der Weisheit dar; ebenso gleicht die Gerechtigkeit die Güte aus, da göttliche Güte keine Straflosigkeit bedeutet usw. Was nun Hegels Kritik besagt, ist, dass dieses Bild des „Temperierens“ oder des vollkommenen Equilibriums die logische Operation der Negation impliziert, obwohl dieser Begriff Gottes anstrebt, alle Negationen auszuschließen. Die Negation ist dementsprechend die Voraussetzung der Realität, sogar der absolut positiven, denn wenn die Weisheit die göttliche Macht richtet und bestimmt, ist die Macht tatsächlich der Weisheit subordiniert, weshalb diese Macht nicht mehr absolut, sondern untergeordnet ist. Wenn aber die Macht wirklich absolut wäre, bestünde kein Grund dafür, dass diese der Weisheit unterstellt ist. Zusammenfassend lässt sich darüber sagen: Deshalb, weil dieser Gottesbegriff alles in sich einbeziehen will, enthält er gar nichts, denn kein Da (Macht, Weisheit, Gerechtigkeit usw.), d.h. keine Qualität ist dabei unterscheidbar: Wird dagegen die Realität in ihrer Bestimmtheit genommen, so wird, da sie wesentlich das Moment des Negativen enthält, der Inbegriff aller Realitäten ebensosehr zu einem Inbegriff aller Negationen, dem Inbegriff aller Widersprüche, zunächst etwa zur absoluten Macht, in der alles Bestimmte absorbiert ist, aber da sie selbst nur ist, insofern sie noch ein von ihr nicht Aufgehobenes sich gegenüber hat, so wird sie, indem sie zur ausgeführten, schrankenlosen Macht erweitert gedacht wird, zum abstrakten Nichts. Jenes Reale in allem Realen, das Sein in allem Dasein, welches den Begriff Gottes ausdrücken soll, ist nichts anderes als das abstrakte Sein, dasselbe, was das Nichts ist.13
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Metaphysik und Metaphysikkritik in der Seinslehre der Logik
In der Operation, alle Negationen zu abstrahieren und zu exkludieren, ist die Negation noch vorhanden. In der Vorstellung des perfekten Äquilibriums aller Eigenschaften und Qualitäten Gottes ist die Negation gegenwärtig. Eben dadurch, dass diese dogmatische Metaphysik ihre Voraussetzungen nicht thematisiert und kritisch betrachtet, fällt sie in performative Widersprüche. Wichtig ist jedoch, dass die Inkonsistenz der Unterscheidung von Realität und Negation, die dem metaphysikkritischen Ansatz gegen den hier genannten Begriff von Gott zugrunde liegt, bedeutende Konsequenzen für das Verständnis der Qualität hat: Die Qualität, der spezifische Inhalt des Daseins, ist nicht als positiv und identitär zu betrachten, sondern als logisches Resultat der Interaktion von Realität und Negation. Der Grund dafür besteht darin, dass diese Interaktion doch die Basis des Realitätsbegriffes und seiner Bedeutung ausmacht; der Realitätsbegriff ist selbst ein Fall dieser Relation von Realität und Negation, weswegen diese logische Interaktion unvermeidlich ist und sich als die Bedingung der Möglichkeit der Qualität überhaupt zeigt. Damit die Qualität einen realen – d.h. spezifischen und unterscheidbaren – Inhalt haben kann, ist diese Interaktion erforderlich. Anders ausgedrückt: Was Hegel mit der Inkonsistenz der Unterscheidung von Realität und Negation gezeigt hat, ist, dass die Negation die notwendige Voraussetzung der Realität und auf diese Weise auch die Bedingung für die Qualität und das Dasein darstellt. Am Anfang des Daseins war es (das Dasein als solches) die Voraussetzung und das „Erste“ gegenüber dem Werden; nun zeigt sich die Negation als „das Erste“ gegenüber dem Dasein, als die „Wahrheit“ desselben. C. Omnis determinatio est negatio? Vor diesem Hintergrund sollte Hegels bestens bekannte Behauptung, laut der jede Determination Negation ist, gesehen werden: „Die Bestimmtheit ist die Negation als affirmativ gesetzt, – ist der Satz des Spinoza: Omnis determinatio est negatio.“14 Dem Dualismus von Realität und Negation nach müsse man dem ersten Terminus eine vollkommen positive Konnotation und dem zweiten eine bloß 14
TWA 5, S. 121.
Hegels Realitätsbegriff und seine implizite Metaphysikkritik
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negative zuschreiben, weil die Negation als Qualität durch einen Mangel konstituiert ist. Da aber die Realität selbst als etwas Negatives verstanden werden muss, indem sie als Nicht-Negation in derselben dualistischen Struktur definiert wird, ist sie auch durch einen Mangel konstituiert. Deshalb sind der Mangel und die Negativität wesentliche Bedingungen für die Spezifizität der Inhalte. Mit anderen Worten: Im Licht des kategorialen Dualismus von Realität und Negation sind der Tisch oder die blaue Farbe „Realitäten“, während die Qualitäten Nicht-Tisch und Nicht-Blau nur als „Negationen“ zu betrachten sind, da sie durch einen Mangel oder eine Entbehrung bestimmt werden. Doch aufgrund dessen, dass sich der kategoriale Dualismus als selbstwidersprüchlich erwies, sind diejenigen Inhalte, die auf den ersten Blick positive Realitäten und Qualitäten zu sein schienen, im Wesentlichen Qualitäten, die die Form der Negation in sich tragen: Der Tisch ist Nicht-Stuhl, Nicht-Boden, Nicht-Wand usw.; ebenso ist das Blau Nicht-Grün, Nicht-Rot usw. So muss ein spezifischer Inhalt nicht nur etwas ausklammern, sondern sich auch von demjenigen, was er ausgrenzt, unterscheiden. Anders gesagt: der spezifische Inhalt muss ein differentielles Verhältnis zu dem haben, was außerhalb seiner selbst vorhanden ist. Und sich-zu-unterscheiden bedeutet hierbei die Form der Negation, des Mangels und der Privation in sich zu tragen, denn das Sich-Unterscheiden heißt eben, die logische Form Nicht-X zu haben. Erneut heißt das nicht, dass Hegel der Meinung ist, Nicht-Rot oder Nicht-Grün seien Farben oder Nicht-Tisch gelte als Gegenstand. Auch ist die hegelsche These nicht mit der Behauptung verbunden, dass etwa eine Person erst alles, was ein Gegenstand nicht ist, erkennen muss, um seine Spezifizität zu erfassen. Ebenso wenig muss man auf der Einkaufsliste nur negative Termini verwenden, sollte man Hegels These akzeptieren. Was Hegel vielmehr behauptet ist, dass jede Spezifizität notwendigerweise von einem Mangel oder einer Privation durchdrungen ist und diese die logische Form des Nichtseins hat. Es trifft zwar zu, dass Nicht-Rot keine Farbe ist, doch die Spezifizität des Roten basiert darauf, dass nicht alles rot ist, d.h. dass das Rote im differentiellen Verhältnis zu dem stehen muss, was nicht rot ist. Wenn dies nicht der Fall wäre und wir alles in dem genau gleichen Rotton wahrnehmen würden, sähen wir
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gar nichts. Es wäre für uns unmöglich, durch das Sehen Objekte voneinander zu unterscheiden, wobei wir in diesem Fall andere Sinnesorgane nutzen müssten, um dies zu tun. Die These, dass alle Bestimmung Negation ist, bedeutet demnach, dass man von einem spezifischen Inhalt sagen können muss, etwas nicht zu sein. Daher ist dieses Nichtsein fundamental, damit es Bestimmung geben und etwas sein kann.15 Vor kurzem hat Robert Brandom eine ähnliche Ansicht vertreten, nämlich die These, dass Hegel eine Theorie der materiellen Inkompatibilität verteidigt. (Vgl. Robert Brandom, Understanding the Object/Property Structure in Terms of Negation: An Introduction to Hegelian Logic and Metaphysics, Version Oktober 19, 2014, eingesehen am 19.03.2018, auf: http://www.pitt.edu/~brandom/currentwork.html). Laut Brandom bezeichnet „Materielle Inkompatibilität“ den Ansatz, dass die Bedeutung einer Eigenschaft in einer Exklusionsoperation besteht. So ist z.B. eine Farbe dadurch definiert und bestimmt, andere Farben von sich auszuschließen. Jeder Farbe kommt demzufolge die Form des Nichtseins zu: „Not-red is implied by all of red’s contraries: green, blue, yellow, and so on, and notcircular is implied by all of circular’s contraries: triangular, square, pentagonal, and so on“ (S. 7). In Bezug auf die Wahrnehmung „grün“ wissen wir, denkt Brandom, dass die Gegenwärtigkeit des Grüns die Abwesenheit von Rot usw. impliziert. Diese Implikation ist aber in der Bedeutung der Farbe gegeben; sie ist weder auf eine logisch-formale Operation noch auf die Vergleichung des erkennenden Subjekts zurückzuführen. Die materielle Inkompatibilität steht aber über der bloß formellen Inkompatibilität. Dem Model der formellen Inkompatibilität nach sind die Eigenschaften nicht als Negationen, sondern als Menge von Gegenständen zu betrachten, wobei zwei Eigenschaften nur dann miteinander inkompatibel sind, wenn eine Eigenschaft all diejenigen Elemente beinhaltet, die die andere nicht in sich hat. Brandom argumentiert, dass der Ansatz der formellen Inkompatibilität nicht in der Lage ist, bestimmte Modalaussage zu erklären, die man bezüglich der Eigenschaften formuliert. So behauptet er, dass zwei Eigenschaften, nämlich Berg-zu-sein (being mountain) und aus-Gold-hergestellt-zu-sein (being made of gold) als formell inkompatibel betrachtet werden müssten, da es keinen Berg aus Gold gibt. Jedoch ist es möglich, sich einen Berg aus Gold vorzustellen. Dies ist aber nicht der Fall bei den Eigenschaften „rund“ und „viereckig“, denn sie sind auch formell inkompatibel, aber die Quadratur des Zirkels ist undenkbar. Es ist deswegen nicht genug, um von Inkompatibilität zu sprechen, dass eine Eigenschaft all diejenigen Elemente umfasst, die die andere nicht beinhaltet; es muss zudem materielle Inkompatibilität, also Bedeutung durch Exklusionsoperation gegeben sein. Die 15
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Anhand des Vorhergehenden wird verständlich, inwiefern Hegel eine relationale Konzeption der Spezifizität gegenüber einer identitären Auffassung derselben verteidigt. In der Tat lautet das hegelsche Argument – wie erläutert –, dass die identitäre Auffassung selbst ein differentielles Verhältnis zwischen dem spezifischen Inhalt und demjenigen, was dieser nicht ist, voraussetzen muss. Denn dieses differentielle Verhältnis ist eben das, was der Formulierbarkeit und Intelligibilität des kategorialen Dualismus zugrunde liegt, auf dem die identitäre Auffassung basiert. Hegels Argument besteht demnach nicht bloß darin, der identitären Auffassung eine relationale entgegenzusetzen, sondern darüber hinaus, zu zeigen, dass die Zweite eine notwendige Voraussetzung für die Erste ist. Doch gegen die in der Literatur verbreitete Idee ist festzustellen, dass die These, laut der jede Determination nur als Negation denkbar sei, Hegels Bestimmungstheorie nicht vollkommen ausdrückt. Denn bezüglich Spinozas Diktum, weist Hegel auf Folgendes hin: „Dieser Satz ist von unendlicher Wichtigkeit; nur ist die Negation als solche die formlose Abstraktion; der spekulativen Philosophie muss aber nicht schuld gegeben werden, dass ihr die Negation oder das Nichts ein Letztes sei; dies ist es ihr sowenig als die Realität das Wahrhafte.“16 Die „unendliche Wichtigkeit“ des Diktums liegt darin, die Negativität, das Nichtsein und den Entzug als grundlegende, Negation hat demnach materiellen Status und nicht nur formell oder subjektiv. Dass es Verhältnisse von materieller Inkompatibilität gibt, stimmt in gewisser Masse mit Hegels Philosophie überein. Doch bei dieser Interpretationsweise bleiben das Subjekt-Prädikat- bzw. das Gegenstand-Eigenschaft-Model als Voraussetzung bestehen. Wenn die hegelsche Theorie des negativen Charakters der Bestimmtheit doch als allgemeine Theorie der Bestimmtheit aufzufassen ist, dann muss sie keinen Unterschied zwischen Gegenstand und Eigenschaften auf dieser Ebene kennen, denn sowohl die Gegenstände als auch deren Eigenschaften treten als bestimmte Inhalte auf, für die dieselbe Bestimmungsform gelten muss, falls diese allgemein sein soll. Des Weiteren ignoriert Brandom m.E., dass die vollständige Bestimmungstheorie Hegels im Schluss, also im dialektischen Verhältnis von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit ausgedrückt wird, was den Begriff der „materiellen Inkompatibilität“ als Grundlage der Determination und der Spezifizität bei weitem übersteigt, wie im ersten Kapitel antizipiert worden ist. 16 TWA 5, S. 118.
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logische Strukturen der Spezifizität in sich einzubeziehen. Doch gleichzeitig behauptet Hegel, dass die Bedeutung der Negation im Diktum noch abstrakt ist. Der abstrakte Status der Negation lässt sich in Verbindung mit einem Grundproblem betrachten, das laut Hegel im Monismus Spinozas zu sehen ist. Dieses Problem besteht darin, dass die Verbindung zwischen Spezifizität und Negation zur These führt, dass nur eine Substanz existiert, die alles, was es gibt und ist, als deren Attribute (und anschließend: Modi) in sich enthält. „Von diesem Satze, dass die Bestimmtheit Negation ist, ist die Einheit der Spinozistischen Substanz – oder dass nur eine Substanz ist – die notwendige Konsequenz. Denken und Sein oder Ausdehnung, die zwei Bestimmungen, die Spinoza nämlich vor sich hat, musste er in dieser Einheit in eins setzen; denn als bestimmte Realitäten sind sie Negationen, deren Unendlichkeit ihre Einheit ist.“17 Ist jeder spezifische Inhalt dadurch bestimmt, dass er im differentiellen Verhältnis zu dem steht, was er nicht ist, müssen wir zwangsläufig eine Art logischen Raum oder Bereich voraussetzen, in denen diese Differenzierung stattfindet. Wenn jede Bestimmung überhaupt als Abgrenzung gegen das andere zu verstehen ist, dann müssen der spezifische Inhalt und dasjenige, was er aus sich exkludiert, ein Ganzes, eine Totalität formen. Diese Totalität oder dieser totale Bereich, in dem die der Bestimmtheit zugrundeliegende Abgrenzung stattfindet, ist laut Hegels Deutung die Substanz Spinozas.18 Es folgt gleichwohl daraus, dass das Einzige, was im emphatischen Sinn existiert, eben diese Substanz ist. Denn die Bestimmungen und die mit ihnen zusammenhängenden Abgrenzungen finden in einem Substrat statt, die diese in sich enthält und sich als deren ontologische Pfeiler und Träger präsentiert. Dieses Substrat findet jedoch nicht in einem Ebd. Robert Stern hat überzeugend gezeigt, dass Hegels Spinoza-Deutung an einem gewissen Punkt zutreffend sein könnte. Was Hegel im Sinn hat, ist, dass Spinozas Konzeption der Bestimmung den Begriff der absoluten Unendlichkeit als Fundament der Spezifizität und der endlichen, bestimmten Inhalte betrachtet, da jede Begrenzung das Vorhandensein der Unendlichkeit voraussetzt. (Vgl. Robert Stern, ‚Determination is Negation‘: The Adventures of a Doctrine from Spinoza to Hegel to British Idealism, in: Hegel-Bulletin 37 (2016), S. 29–52, besonders S. 33–37.) 17 18
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anderen statt, hat es doch nur ontologisches Bestehen in sich selbst. Wenn dies aber so wäre, wäre die hegelsche These, laut der das Sein doch eine Abgrenzung benötigt, um gedacht werden zu können, falsch, da etwas existiert, dessen Sein keine Begrenzung noch Negation zukommt, nämlich: die Substanz: Er [Spinoza; A.P.] begriff sie [die Bestimmtheiten; A.P.] daher als Attribute, d.h. als solche, die nicht ein besonderes Bestehen, ein Anundfürsichsein haben, sondern nur als aufgehobene, als Momente sind; oder vielmehr sind sie ihm nicht einmal Momente, denn die Substanz ist das in ihr selbst ganz Bestimmungslose, und die Attribute sind, wie auch die Modi, Unterscheidungen, die ein äußerer Verstand macht.19
Hegels Gedankengang führt uns daher zu einem weiteren Problem: Wie ist es möglich, dass sich Hegel ein Dictum zu eigen macht, dessen Konsequenzen die Verteidigung einer seiner Bestimmtheitstheorie entgegengesetzten These bedeuten würden? Anders gesagt: Warum verteidigt Hegel die These, dass jede Determination und jedes Sein Negation ist, wenn diese Behauptung notwendigerweise zu Spinozas Monismus führt und damit zu dem Gedanken, dass das wahrhafte Sein, das, was wirklich existiert – und zwar die Substanz – nur Affirmation und Positivität ist? Anzunehmen, dass Hegel sich nicht dessen bewusst gewesen wäre, ergibt kaum Sinn, weil die schon gestellten Fragen aufgrund seiner expliziten Behauptungen aufgetreten sind. Trotzdem trifft auch zu, dass Hegel keine explizite Antwort auf diese Fragen anbietet, denn er, nachdem er seine Meinung bezüglich des Dictums Spinoza angegeben hat, führt den Begriff des Etwas als Resultat der Selbstwiderlegung des Dualismus von Realität und Negation ein. Meine hermeneutische Hypothese besteht dennoch darin, dass im Begriff des Etwas und in der daraus entstehenden Dialektik des Etwas und des Anderen eine befriedigende Antwort auf die schon formulierten Fragen gefunden werden kann. Meiner Meinung nach baut Hegel mithilfe der Dialektik des Etwas und des Anderen – und vor allem mittels des auf den ersten Blick mysteriösen Begriff des „Anderen des Anderen“ – eine Bestimmtheitstheorie auf, die weiterhin besagt, dass es eine wesentliche Verbindung zwischen Ne19
TWA 5, S. 118.
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gativität und Spezifizität gibt, ohne jedoch in Spinozas Monismus zu verfallen. In dieser Bestimmtheitstheorie ist nicht nur die Negation die wesentliche Bedingung für die Spezifizität, sondern auch dasjenige, was Hegel „Veränderung“ nennt. Hegels Diktum würde demnach lauten: Omnes determinatio est negatio et mutatio. Was genau unter „Veränderung“ zu verstehen ist, erfahren wir im nächsten Abschnitt.
§10 Das Andere des Anderen und der Begriff der Veränderung A. Der Dualismus von Etwas und Anderem Nach diesen Erörterungen ist es nun an der Zeit, Hegels Argumentationsfaden der Logik aufzugreifen. In diesem Werk wird behauptet, dass das Resultat der Selbstwidersprüchlichkeit des Dualismus von Realität und Negation das „Etwas“ ist. Aber warum genau muss daraus die Denkbestimmung „Etwas“ folgen? Die Antwort Hegels lautet: Das Faktische, was also vorhanden ist, ist das Dasein überhaupt, Unterschied an ihm und das Aufheben dieses Unterschieds; das Dasein nicht als unterschiedslos, wie anfangs, sondern als wieder sich selbst gleich, durch Aufheben des Unterschieds, die Einfachheit des Daseins vermittelt durch dieses Aufheben. Dies Aufgehobensein des Unterschieds ist die eigene Bestimmtheit des Daseins; so ist es Insichsein; das Dasein ist Daseiendes, Etwas.1
Das bedeutet, dass die Selbstwidersprüchlichkeit des Dualismus von Realität und Negation zu einem neuen Begriff der Spezifizität führt, in dem jedoch der spezifische Inhalt „wieder sich selbst gleich“ ist. Der Grund dafür ist folgender: Das „Aufheben des Unterschieds“ oder die Selbstwidersprüchlichkeit des Dualismus von Realität und Negation weist darauf hin, dass es zwei Bedingungen gibt, die ein spezifischer Inhalt erfüllen muss, um eben spezifisch zu sein. Erstens ist ein Inhalt dann spezifisch, wenn er nicht alles in sich umfasst oder enthält. Zweitens muss der spezifische Inhalt im differentiellen Verhältnis zu dem stehen, was er in sich nicht umfasst oder enthält. Die Folge daraus ist klar: Die Spezifizität ist relational, vermittelt und nicht einfach gegeben; aber dies führt dazu, dass jeder spezifische Inhalt als identisch mit sich selbst betrachtet werden muss, indem die der Spezifizität vorangehende Relation ein differentielles Verhältnis darstellt, das im Exkludieren des Anderen besteht. Die Identität des Daseins ist zwar keine logische Voraussetzung, sondern Resultat einer Relation, aber die logische Form dieser Beziehung spiegelt die Identität und die Einfachheit wider. Daher haben wir – wie Hegel es ausdrückt – mit der „Einfachheit 1
TWA 5, S. 123.
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des Daseins vermittelt durch dieses Aufhebens“ zu tun. Mit dieser Erklärung ist Hegels Ableitung des Etwas klar und transparent. Denn Etwas ist der Name für die spezifischen Inhalte, deren logische Form die Identität mit sich selbst ist, jedoch als Resultat einer differentiellen Beziehung zu dem, was der Inhalt nicht umfasst. Dies ist die Kulisse, vor der die Behauptung Hegels zu verstehen ist, laut der das Etwas als „erste Negation der Negation“ erscheint.2 Der Identität des Etwas geht eine Beziehung voraus, aber diese relationale Betrachtung der Spezifizität beruht auf der Tatsache, dass die Negation die Bedingung der Möglichkeit für jede Spezifizität ausmacht. Hegels Hauptpunkt ist demzufolge, dass die unverzichtbare Rolle der Negation in der logischen Herausbildung der Spezifizität immer von einer Negation der Negation bewiesen wird. Im vorliegenden Fall hat man gesehen, dass die Negation erstens als der Gegenpol der Realität innerhalb einer dualistischen Struktur erscheint. Diese Negation, die nur einen rein defizitären und privativen Sinn besitzt und sich auf den ersten Blick als das Gegenteil aller Spezifizität zeigt, nennt Hegel „erste“ oder „abstrakte Negation“. Doch insofern, als irgendein Versuch, die Negation aus dem Begriff der Spezifizität auszuklammern, erstere als eben solche voraussetzt, sind wir nun mit einem anderen Sinn der Negation konfrontiert. Diese ist nicht als das Gegenteil aller Spezifizität zu begreifen, wie die Erste, sondern als dasjenige, was jede Differenzierung oder Abgrenzung ermöglicht, und damit die Spezifizität im Allgemeinen. Diese Negation, die in jedem Dualismus vorausgesetzt wird und sich als der Grund dafür zeigt, dass jede Entgegensetzung zwischen dem Positiven und dem Negativen selbstwidersprüchlich ist, nennt Hegel „konkrete“ oder „absolute Negativität“. Diese letztere Negation „negiert“ die erste abstrakte Negation, weil sie den Dualismus, laut dem die Negativität als Mangel an Spezifizität und Bestimmung aufgefasst werden muss, in Frage stellt oder negiert. Diese zwei Negationen müssen nicht als zwei entgegensetzte Hinsichten desselben Terminus verstanden werden, noch – wie D. Henrich denkt – als zwei „Operationen“, die isoliert voneinander betrachtet werden
2
TWA 5, S. 123.
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können.3 Denn die „konkrete“ Negation, d.h. die Negation als Fundament der Spezifizität betrachtet, ergibt sich aus der SelbstwiderVgl. Dieter Henrich, Hegels Grundoperation, in: U. Guzzoni (Hg.), Der Idealismus und seine Gegenwart, Hamburg, 1976, S. 208–230. Henrichs Ansatz ist schon in der Literatur kritisiert worden. (Reiner Schäfer, Die Dialektik und ihre verschiedenen Formen, a.a.O., S. 279–280; Hermann Schmitz, Hegels Logik, a.a.O., S. 57). Diese kritischen Bemerkungen besagen, dass Henrichs Deutung nicht in der Lage sei, die Spezifik der Dialektik als Entwicklung innerhalb der Begriffslehre zum Ausdruck zu bringen, da sie exklusiv auf der Wesenslogik basiert. Meine Kritik wiest nun darauf hin, dass die „konkrete Negation“ keine Grundoperation ist, die anderen Operationen oder Negationshinsichten entgegengesetzt werden kann. Henrich unterscheidet nämlich zwischen „einstelliger“ (z.B. Goethes Muttersprache ist nicht Französisch) und „zweistelliger“ (z.B. Goethe ist nicht-Hegel oder Blau ist nicht-Grün) Negation und wirft Hegel vor, den Übergang zwischen beiden nicht erklären zu können. (Dieter Henrich, Formen der Negation in Hegels Logik, in: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, a.a.O., S. 213–229, bes. S. 219). Der Bedarf eines Übergangs ist aber m.E. ein Scheinproblem, denn, indem der Dualismus von Realität und Negation dialektisch inkonsistent ist, setzt die abstrakte oder „einstellige“ Negation die dialektische oder „zweistellige“ voraus. Wie S. Siemens schon angemerkt hat, schlägt Henrich eine dualistische Distinktion von zwei Hinsichten der Negation vor, die genau deswegen durch die zweistellige Negation (einstellige Negation ist nicht-zweistellige Negation) durchdrungen ist. (Vgl. Stephan Siemens, Nichts-Negation-Anderes. Eine Kritik an Henrichs Formen der Negation in Hegels Logik, in: Hubertus Busche und Anton Schmitt (Hgg.), Kant als Bezugspunkt philosophisches Denkens, Würzburg, 2010, S. 261–280). Im Text heißt es: „Was an Henrichs Darstellung überrascht, ist der Eindruck, dass ihm selbst widerfährt, was er Hegel vorwirft: Er macht sich die Operationen seines Denkens nicht bewusst. Denn die erste der von ihm unterschiedenen Formen der Negation, die ontologisierte negative Aussageform, ist eine andere Form als die zweite, die der „Andersheit“. So stehen sich – wie es scheint – die beiden Formen der Negation einander nicht mit gleichem Recht gegenüber. Denn die zweite Negationsform ist geeignet, das Verhältnis der beiden Formen der Negation zueinander zu denken; die erste dagegen nicht.“ (S. 265) Das bedeutet, dass Henrichs Dualismus, genau wie die Entgegensetzung von Realität und Negation, dialektisch inkonsistent ist. Dahingehend drückt sich auch Andreas Eckl aus. Vgl. Andreas Eckl, „das Andere an ihm selbst, d.i. das Andere seiner selbst“. Der argumentationsstrategische Wechsel zwischen einstelligen und zweistelligen Termini in Hegels Seinslogik, in: Martin Asiáin (Hg.), Der Grund, die Not und die die Freude des Bewusstseins, Würzburg, 2002, S. 57–76). 3
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sprüchlichkeit der abstrakten Negation, also aus der Tatsache, dass jede Entgegensetzung zwischen Spezifizität und Negativität doch die Negation voraussetzen muss. Obwohl das Etwas nur insofern als spezifischer Inhalt aufzufassen ist, als seine Identität als Resultat eines differentiellen Verhältnisses erscheint, entsteht aus seiner Struktur eine neue, kategoriale Dualität. In der logischen Struktur des Etwas ist es nämlich möglich, zwischen dem spezifischen Inhalt als solchem und demjenigen zu unterscheiden, zu dem Letzterer im differentiellen Verhältnis steht. Anders gesagt, da das Etwas seine Spezifizität durch eine relationale Exklusionsoperation gewinnt, kann man darin zwischen dem Exkludierenden und dem Exkludierten differenzieren. Darauf beruht der Gegensatz zwischen dem Etwas und dem Anderen. „Das eine derselben, das Sein ist nun Dasein und weiter Daseiendes. Das zweite ist ebenso ein Daseiendes, aber als Negatives des Etwas bestimmt, – ein Anderes.“4 So ist das Etwas, das Exkludierende innerhalb des differentiellen Verhältnisses, ein spezifischer Inhalt mit eigenem Charakterzug, z.B. ein Tisch. (Der vorherigen Qualität kommt auch der eigene Charakterzug zu, aber das vorhandene Etwas ist nicht einfach unmittelbar wie die Qualität, weil seine Identität nur innerhalb einer Relation denkbar ist). Das Andere ist seinerseits dasjenige, zu dem der Tisch in differentiellem Verhältnis steht, d.h. das Exkludierte in demselben Zusammenhang. In diesem Fall ist das Andere Nicht-Tisch und als solches entbehrt es den eigenen Charakterzug, weil es gerade als das Negative des Etwas bestimmt wird. Dass das Andere den eigenen Charakterzug entbehrt, ist einfach zu akzeptieren, da Nicht-Tisch kein konkreter Gegenstand ist. Bevor wir mit der Analyse des Argumentes fortfahren, welches die dialektische Inkonsistenz dieser kategorialen Dualität demonstriert, ist es erforderlich zu betonen, dass für Hegel das Etwas „an sich“ als Werden zu betrachten ist und dieses Werden „ein Übergehen [darstellt; A.P.], dessen Momente selbst Etwas ist und das darum Veränderung ist; – ein bereits konkret gewordenes Werden“.5 Dass Etwas „an sich“ Werden ist – und dieses Werden weiter als „Veränderung“ konzipiert wird –, heißt, dass das Etwas implizit TWA 5, S. 124. 5 Ebd. 4
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Werden und Veränderung ist. Das ist aber noch nicht bewiesen – oder wie Hegel sagt: gesetzt – worden. Daher zielt das Zeigen der Selbstwidersprüchlichkeit des Dualismus von Etwas und Anderem darauf ab, das Werden und die Veränderung, die schon im Etwas einbegriffen sind, explizit zu machen. Damit gewinnt die Veränderung eine entscheidende, strukturelle Rolle in Hegels Theorie der Spezifizität. Kommen wir nun zu dem Argument, laut dem sich der Dualismus von Etwas und Anderem als dialektisch inkonsistent erweist. Diesbezüglich merkt Hegel an: „Etwas und Anderes sind beide erstens Daseiende oder Etwas. Zweitens ist ebenso jedes ein Anderes. Es ist gleichgültig, welches zuerst und bloß darum Etwas genannt wird […]. Wenn wir ein Dasein A nennen, das andere aber B, so ist zunächst B als das Andere bestimmt. Aber A ist ebensosehr das Andere des B“.6 Auf den ersten Blick scheint Hegels Argument schwach und ungenügend zu sein, stellt es doch den kategorialen Dualismus nicht in Frage. Es sei daran erinnert, dass sich in dieser dualistischen Struktur zwei logisch entgegensetzten Pole befinden: einerseits dasjenige, was einen eigenen Charakterzug besitzt, und andererseits dasjenige, das ihn nicht hat, indem es als Negatives des Etwas bestimmt wird, d.h. als Nicht-Tisch, Nicht-Blau etc. Dass wir denselben Gegenstand sowohl „Etwas“ als auch „Anderes“ nennen können, spricht zwar dafür, dass die Termini „Etwas“ und „Anderes“ kontextabhängig zu verstehen (und zu verwenden) sind, sogar dafür, dass die Wörter „Etwas“ und „Anderes“ in unserer Sprachpraxis als indexikalische Ausdrücke gelten, doch beeinträchtigt die Tatsache, dass „Etwas“ und „Anderes“ auswechselbare Termini sind, keinesfalls die Stabilität des logischen Dualismus von dem, was keinen eigenen Charakterzug hat und dem, was diesen besitzt. Hegel ist sich dieses Einwandes bewusst: „Es erscheint somit das Anderssein als eine dem so bestimmten Dasein fremde Bestimmung oder das Andere außer dem einen Dasein; teils, dass ein Dasein erst durch das Vergleichen eines Dritten, teils, dass es nur um des Anderen willen, das außer ihm ist, als Anderes bestimmt werde, aber nicht für sich so sei.“7 Dieses Zitat verdeutlicht Hegels Wissen TWA 5, S. 125. 7 TWA 5, S. 126. 6
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darum, dass eine richtige Auflösung des Dualismus von Etwas (dasjenige mit eigenem Charakterzug) und dem Anderen (dasjenige ohne eigenen Charakterzug, indem es als Negatives des Etwas bestimmt wird) nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass die Termini „Etwas“ und „Anderes“ in unserem Sprachgebrauch austauschbar sind. Das beweist, dass Etwas und Anderes zwar dasselbe sind, aber nur von der Perspektive eines Dritten aus. Schon aus diesem Grund ist das nächste Zitat als Antwort auf den schon genannten Einwand zu lesen: „Zugleich, wie bemerkt worden, bestimmt sich jedes Dasein, auch für die Vorstellung, ebensosehr als ein anderes Dasein, so dass nicht ein Dasein bleibt, das nur als ein Dasein bestimmt, das nicht außerhalb eines Daseins, also nicht selbst ein Anderes wäre.“8 Dieser Gedankengang kann folgendermaßen ausführlicher erläutert werden: Erstens geht man von der schon in der vorherigen, logischen Entwicklung legitimierten Prämisse aus, laut der jedes Dasein im differentiellen Verhältnis zu dem stehen muss, was es nicht ist. Hierin muss man jedoch anmerken, dass diese allgemeine Bedingung der Spezifizität nicht nur für das Etwas, sondern auch für das Andere gültig ist, da das Andere auch ein spezifischer Inhalt ist, insofern es von dem Etwas unterschieden werden kann. Es ist daher ebenso legitim zu behaupten, dass dasjenige, was das Etwas von sich ausklammert, auch im differentiellen Verhältnis zu ihm steht. Daraus folgt zweitens, dass das Etwas auch logisch als das Exkludierte innerhalb der differentiellen Relation bestimmt ist – und nicht nur als das Exkludierende. In anderen Worten ausgedrückt, bedeutet dies, dass das Etwas auch als das Andere bestimmt ist und der Dualismus von Etwas und Anderem dialektisch inkonsistent ist. Die Tatsache, dass kein spezifischer Inhalt nur als Etwas, als das Exkludierende bestimmt werden kann, weist grundsätzlich darauf hin, dass das Etwas nur dadurch als Etwas erscheinen kann, da es primär und logisch ursprünglich als Anderes erscheint, d.h. als Exkludiertes und als dasjenige, welchem unmittelbar kein eigener Charakterzug zukommt. Der Charakterzug des Etwas entsteht aufgrund dessen, als das Negative des Anderen bestimmt zu sein. Das Andere hat demnach logische Priorität gegenüber dem Etwas. Das Zweite kann nur auf der 8
TWA 5, S. 126.
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Grundlage des Ersten gedacht werden. Die Voraussetzung des eigenen Charakterzuges ist folglich die Abwesenheit desselben oder, besser gesagt, die reine Relationalität als das Negative bestimmt zu sein. Alle spezifischen Inhalte tragen daher die logische Form des Anderen und nicht die des Etwas; Letztere ist nur als Sedimentation und Kristallisierung der Ersten zu verstehen. Das hegelsche Argument lässt sich anhand des folgenden Beispiels veranschaulichen. Im Wohnzimmer einer Wohnung gibt es meistens Sofas, Tische, Teppiche, Lampen, Regale usw. Aufgrund dessen, dass diese Gegenstände als das Andere bestimmt werden, d.h. als das Exkludierte, welchem keine substantielle Identität zukommt, ist das Wohnzimmer keine bloße Agglomeration von gleichgültigen Dingen, die eine eigene Identität hätten, ohne sich dort zu befinden, sondern ein Ensemble von logischen Beziehungen, in dem jedes Objekt dadurch seinen Platz einnimmt und seine Spezifizität erlangt, durch andere exkludiert zu werden. Zu behaupten, dass sich die Alterität als die Quelle der Spezifizität präsentiert, bedeutet, dass die Identität und die Spezifik eines Inhaltes ein Resultat reziproker Exklusionsbeziehungen sind, und nicht nur – wie im Licht des Dualismus von Etwas und Anderem – ein Ergebnis eines univoken Differenzierungsverhältnisses, in dem ein Element das Exkludierende und das andere das Exkludierte ist. Hinsichtlich des Beispiels kann man demnach sagen, dass das Wohnzimmer keine Aufhäufung von Gegenständen ist, denn dieselben Dinge in einer Mülldeponie zu finden, erlaubt uns nicht, zu sagen, dass es dort ein Wohnzimmer gibt. Dem Wohnzimmer und den dort stehenden Objekten liegen bestimmte Verhältnisse und Beziehungen zugrunde, in denen sich jeder Inhalt als das Andere bzw. als Alterität verhält, d.h. als etwas, das nur Spezifizität aufgrund der Relationen hat. So wird der Tisch durch das Sofa (und umgekehrt) exkludiert, denn die Funktion und Platz, die dem ersten zukommen, sind dadurch bestimmt, die des zweiten nicht zu sein. Natürlich könnten Tische bestehen, die sich nicht im Wohnzimmer befinden, sondern auf der Straße, in der Kirche, im Lager oder Kaufhaus. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tisch eben Tisch sein kann, ohne in einem Bereich oder Feld von reziproken Exklusionsbeziehungen zu erscheinen, d.h. ohne logisch als das Andere bestimmt zu sein. Dasselbe sieht man gerade im Hinblick auf Spiele
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im Allgemeinen: Jede Rolle des Spiels wird durch reziproke Exklusionsbeziehungen definiert, denn jedes darin vorhandene Element ist kein positives Etwas, d.h. kein Inhalt, der sich nur als das Ausschließende verhält, ohne das Ausgeschlossene zu sein. Das Spiel ist par excellence ein relationaler Bereich. Doch falls wir spezifische Inhalte betrachten möchten, die in keinem direkten Zusammenhang mit dem menschlichen Verhalten stehen, so könnte man sagen, dass die Farben und das natürliche Leben als relationale Systeme betrachtet werden müssen. Jede Farbe ist nämlich das Andere der anderen Farben und des Weiteren gibt es kein Tier, das all die biologischen Eigenschaften aller Lebewesen besitzt, wobei es bestimmte Eigenschaften insofern entwickelt hat, als es andere nicht hat. Zusammenfassend: Im Dualismus von Etwas und Anderem sind die differentiellen Verhältnisse univok, da das Etwas (aktiv) exkludiert und das Andere (passiv) ausgeschlossen wird. Was Hegel bis jetzt bewiesen hat, ist, dass diese Verhältnisse nicht univok, sondern reziprok beschaffen sind, d.h. dass jeder spezifische Inhalt das Andere ist.9
9 Paul Guyer
hat Hegel dahingehend kritisiert, „das Andere“ als Prädikat zu begreifen, das jedem einzelnen Ding zukommt. (Vgl. Paul Guyer, Hegel, Leibniz und der Widerspruch im Endlichen, in: Rolf-Peter Horstmann (Hg.), Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt 1978, S. 330–360.) Das Andere sei aber laut Guyer ein „Indikator“, dessen Bedeutung immer von einem Kontext abhänge. Als kontextabhängig sei der Terminus „das Andere“ bzw. die Andersheit keine Eigenschaft der Dinge, da er keine Auskunft über das Ding gibt. Hängt die Andersheit vom Kontext oder der Intention des Sprechers ab, hat die Andersheit nichts mit der Natur oder dem Sein des Dings zu tun, weshalb sie keine Eigenschaft des einzelnen Dings sein kann. Laut Guyer basiert nun die Einführung des Begriffes des „Anderen des Anderen“ auf der Prämisse, dass die Andersheit eine immanente Eigenschaft der Dinge sei; da aber die Prämisse legitimationsbedürftig ist, kann man das Argument in toto in Frage stellen. Meiner Meinung nach ist dieser Einwand jedoch problematisch. Für Hegel ist der Begriff des Anderen bzw. der Andersheit kein Prädikat eines einzelnen Dinges. „Etwas“ und „ein Anderes“ sind „Denkbestimmungen“ statt Eigenschaften. Das heißt konkret, dass „Etwas“ und „ein Anderes“ die allgemeinen logischen Erscheinungsformen der spezifischen Inhalte sind. Es geht
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B. Das Andere des Anderen Diese neue Konzeption der Spezifizität, in der jeder spezifische Inhalt primär als das Andere zu betrachten ist, führt Hegel zur Analyse des Begriffes des „Anderen des Anderen“.10 Denn wenn alle um die Frage, ob der eigene Charakterzug eines Gegenstandes auf seine Identität oder seine Relation zu anderen Gegenständen zurückzuführen ist. Im ersten Fall ist der Gegenstand ein positives Etwas und das Andere hat nur eine defizitäre Bedeutung; im zweiten Fall ist jeder spezifische Inhalt als das Andere zu bestimmen. Dass alle Gegenstände als das Andere zu denken sind, bedeutet nicht, dass sie die Eigenschaft der Andersheit in sich tragen, sondern, dass ihr eigener Charakterzug durch Relationen zu anderen Gegenstände, also durch das, was sie nicht sind, durchdrungen und konstituiert wird. 10 Dieter Henrich hat sich kritisch gegen Hegels Begriff des Anderen des Anderen und seine Einführung in der Logik gewendet. „Er [Hegel; A.P.] tut das mit Argumenten, wie sie sich schwächer kaum irgendwo in der Logik finden“ (Dieter Henrich, Formen der Negation in Hegels Logik, in: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, a.a.O., S. 213–229, besonders S. 219.) Henrich meint, dass die Schwierigkeiten der hegelschen Argumentation darin zu sehen seien, dass die Existenz des Anderen aus der Existenz von Etwas nicht logisch herzuleiten ist. Bezüglich der Begriffe „Etwas“ und „ein Anderes“ sei eine „Mannigfaltigkeit von Daseienden“ vorhanden, die logischerweise nicht legitimiert worden ist. Dies lasse sich darin ausdrücken, dass der Negationsbegriff, der der Kategorie des Etwas zugrunde liegt, anders ist als der der auf die „Bestimmtheit“ bezogene Bedeutung der Negation. Die erste Hinsicht der Negation sei zweistellig (A ist Nicht-B oder anders als B); letztere sei einstellig (A ist nicht blau, A ist nicht deutsch). In der Negation, die in der Bestimmtheit stattfindet, finde man keinen Platz für die Mannigfaltigkeit, während der andere Negationssinn (in Bezug auf den Begriff des Etwas) diese Vielfältigkeit von Daseienden voraussetze. Dazu merkt Henrich an: „Bestimmtheit ist zunächst nur der Gedanke von etwas überhaupt, ohne dass schon die Voraussetzung von irgendeiner Mannigfaltigkeit gemacht wäre.“ (Ebd, S. 216) Der Grund dieser Präzisierung scheint einfach zu sein. Der Begriff der Bestimmtheit kann nicht von der Mannigfaltigkeit von bestimmten Inhalten ausgehen, denn das wäre ein Teufelskreis in der Erklärung: Den Begriff der Bestimmtheit durch schon bestimmte Elemente zu erklären. Ich bin aber der Auffassung, dass Henrich etwas Wichtiges ignoriert: Schon im Dasein als Resultat des Werdens ist die Unterscheidung von Sein und Nicht-Sein denkbar. Wenn Dasein dasjenige Sein bezeichnet, welches nicht alles in sich
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spezifischen Inhalte als das Andere zu verstehen sind, so ist das Andere kein Gegenpol des Etwas innerhalb einer dualistischen Struktur, sondern der dominante Begriff der Spezifizität als solcher. „So ist das Andere, allein als solches gefasst, nicht das Andere von Etwas, sondern das Andere an ihm selbst, d.i. das Andere seiner selbst.“11 Aufgrund der Aufhebung des Dualismus von Etwas und Anderem können wir die Welt der spezifischen Inhalte nicht in Etwas(e) und Andere aufteilen, sondern alle gelten als das Andere, als das Exkludierte und nur auf diese Weise kann ihnen so etwas wie der eigene Charakterzug zukommen. Doch dasjenige, wodurch jeder spezifische Inhalt exkludiert wird, ist nicht das positive Etwas, sondern das Andere. Deshalb ist das Andere „das Andere des Anderen“ und nicht das Andere des Etwas. Es handelt sich demzufolge um eine Gegensatzstruktur, in der jedes Element die gleiche logische Form besitzt: die der Alterität bzw. die des Anderen. Man kann in der logischen Form der Spezifizität überhaupt eine Iteration der Alterität sehen, aber eben solch eine, die notwendigerweise differenziert ist, und zwar dadurch, dass sie eine Iteration der Alterität darstellt. Hegel belegt die Idee einer produktiven und differenzierten Iteration der Alterität durch das Beispiel der Natur. Dazu vertritt er die These, dass die Natur dasjenige ist, was keinen eigenen Charakterzug hat, denn sie bestimmt sich nur negativ als Nicht-Geist. Unabhängig der Verhältnisse zwischen Natur und Geist, die bekanntermaßen mit den Auseinandersetzungen der sogenannten Realphilosophie verbunden und so kein explizites Thema der Logik sind, ist es möglich, zu erklären, inwiefern die Natur als produktive und differenzierte Iteration der Alterität verstanden werden kann. Die Natur ist keine Menge der Naturwesen, sondern der Prozess, in dem die Lebendigen interagieren. In der Natur gibt es Lebewesen, die radikal unterschiedlich und dennoch als Naturwesen zu betrachten sind. Es ist wichtig anzumerken, dass der natürliche Charakter der umfassen kann, dann kann man von demjenigen, was das Dasein beinhaltet (Realität) und demjenigen, was es ausschließt (Negation) sprechen. Das ist keine illegitime Voraussetzung bezüglich der Mannigfaltigkeit, sondern das, was im Begriff des Daseins immanent gelegen ist. 11 TWA 5, S. 127.
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Lebewesen keine gemeinsame Eigenschaft ist, die wir durch ein Abstraktionsmanöver erfassen, welches andere Qualitäten oder Eigenschaften beiseitelässt, um eine davon zu fixieren. Vielmehr sind die Naturwesen im Ganzen nur Natur: alles, was sie sind (ihre Organe, Zelle, Gewebe, Lebendigkeit, Vermehrungsfähigkeit usw.) entsteht und entwickelt sich innerhalb ihres Metabolismus und ihrer Relationen zur Umwelt und anderen Wesen. Auf diese Weise sind wir mit der Tatsache konfrontiert, dass die Naturwesen zwar unterschiedlich, jedoch dasselbe sind: Natur, Metabolismus, Leben. In jedem Naturwesen wird die Kategorie der Natur wiederholt und iteriert, jedoch leistet jede Repetition immer etwas Neues und Anderes. Die Repetition ist in der Natur unbedingt Differenz, denn die Natur selbst ist ein Prozess, in dem sie sich selbst ausdifferenziert. Die Einheit von Repetition und Differenz charakterisiert nun die produktive Iteration der Alterität oder der Negativität. Jeder spezifische Inhalt ist das Andere, diese Kategorie des Anderen wird in jedem davon iteriert und wiederholt, geht es jedoch um eine Iteration der Alterität, in der jeder Inhalt als das Andere erscheint. Innerhalb der logischen Struktur des Anderen des Anderen differenzieren sich die Negativität und die Alterität sich selbst ständig aus. Damit hört die Negativität auf, ein leerer Operator zu sein, und wird nun zu einem logischen Prozess der Selbstausdifferenzierung, der die Bestimmungen der spezifischen Inhalte überhaupt durchdringt und aus sich generiert. Die Verbindung von Negativität und Spezifizität ist demzufolge der Verknüpfung von Natur (als Prozess) und Naturwessen strukturell analog: Es geht nicht um ein Verhältnis Inhalt-Behälter, denn jedes Naturwesen ist als solches der Prozess der Selbstausdifferenzierung der Natur. Dies impliziert, dass jeder spezifische Inhalt sich als der Prozess, die Bewegung und die Lebendigkeit der iterierten Negativität präsentiert. Der Analogie zur Natur folgend, definiert Hegel das Andere des Anderen als „das Außer-sich-Seiende“ und „das Sich-Verändernde“. So liest man einerseits: „[…] so ist, insofern sie für sich genommen wird, ihre Qualität [der Natur; A.P.] eben dies, das Andere an ihr selbst, das Außer-sich-Seiende (in den Bestimmungen des Raums, der Zeit, der Materie) zu sein.“12 Und 12
TWA 5, S. 127.
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andererseits: „Das Andere für sich selbst ist das Andere an ihm selbst, hiermit das Andere seiner selbst, so das Andere des Anderen, – also das in sich schlechthin Ungleiche, sich Negierende, das sich Verändernde.“13 Obwohl der Begriff der Veränderung keine explizite und thematisierte Denkbestimmung ist, verwendet Hegel ihn oftmals sowohl in der Wissenschaft der Logik, als auch in der sogenannten kleinen Logik der Enzyklopädie. Diese Kategorie erscheint jedoch ausdrücklich in der ersten Auflage der Seinslehre von 1812. In diesem Text weicht die Veränderung von ihrer gewöhnlichen Bedeutung ab. Sie wird nämlich nicht als Wandel oder Umgestaltung konzipiert, die sich an einem vorausgesetzten Substrat vollziehen. Veränderung bezeichnet nicht denjenigen Wandel, der z.B. beim Kochen eines Fleischstückes stattfinden würde. Solche Wechselverhältnisse werden zwar innerhalb der Logik thematisiert, jedoch werden sie erst in der Wesenslehre ausführlich analysiert, denn die Interaktion des Fleisches und der Temperatur lässt sich als kausaler Zusammenhang beschreiben. Der Begriff von Veränderung ist auf der argumentativen Ebene der Seinslogik viel rudimentärer. In der Auflage von 1812 assoziiert Hegel die Veränderung mit der notwendigen Präsenz des Anderseins im spezifischen Inhalt oder mit der Äußerlichkeit, die der Bestimmung von etwas eigen ist. Auch spricht Hegel von einem „Werden“, dessen Momente nicht das Sein und das Nichtsein sind, sondern das Etwas und das Andere. Diesbezüglich wird behauptet: „Indem also Etwas in seiner Bestimmtheit an ihm selbst sein Nichtseyn ist, oder seine Bestimmtheit ebenso sehr sein Anderes, als die seinige ist, so ist hier ein Werden gesetzt, welches Veränderung ist.“14 Was bedeutet das? Abstrakt beschrieben, bezeichnet die Veränderung den Umstand, dass in jedem spezifischen Inhalt nicht nur dasjenige vorhanden ist, was er unmittelbar umfasst, sondern auch etwas Anderes. Es ist wichtig, anzumerken, dass dies gerade aus dem Begriff des Anderen des Anderen folgt. Denn wenn wir akzeptieren, dass die Spezifik jedes Inhaltes ein Resultat eines Ensembles von reziproken TWA 5, S. 127. 14 GW 11, S. 72. 13
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Exklusionsbeziehungen ist, wobei jedes bestimmtes Sein in erster Linie als das Andere zu erfassen ist, dann es sind gerade diese Verhältnisse dasjenige, was in jedem Inhalt präsent und vorhanden ist. Die Verhältnissen zu anderen Inhalten und Objekten machen diejenige Äußerlichkeit aus, die doch der Spezifik des Bestimmten eigen ist. Daher kann man sagen, dass die spezifischen Inhalte „außer sich“ sind, denn sie sind und existieren, weil sie sich in einem relationalen Feld oder Bereich befinden. Der spezifische Inhalt wird demnach durch das Andere konstituiert und beschaffen, und zwar durch den relationalen Bereich, der der Entstehung und Denkbarkeit aller Spezifizität vorangeht. Schon aus diesen Grund kann man eine enge analytische Verbindung zwischen dem Begriff des „Anderen des Anderen“ und dem Konzept der Veränderung etablieren, denn beides verweist auf die Tatsache, dass das bestimmte Sein und der spezifische Inhalt erst als Alterität gelten. Im Hinblick darauf kann man nun verstehen, warum für Hegel „das Außer-sich-Seiende“ und „das sich Verändernde“ als wesentliche Bestimmungen für den Begriff des Anderen des Anderen und so für die Spezifizität überhaupt zu betrachten sind. Aufgrund der Tatsache, dass das bestimmte Sein durch das Andere beschaffen ist, ist die Veränderung für die Spezifizität definitorisch und keine bloße Möglichkeit, die sich an einem spezifischen Inhalt verwirklichen könnte oder nicht. Genau darauf weist Hegel in der kleinen Logik hin: […] wir wissen zwar auch, dass alles Endliche (und ein solches ist das Dasein) der Veränderung unterworfen ist. Allein diese Veränderlichkeit des Daseins erscheint der Vorstellung als eine bloße Möglichkeit, deren Realisierung nicht in ihm selbst begründet ist. In der Tat aber liegt es im Begriff des Daseins, sich zu verändern, und die Veränderung ist nur die Manifestation dessen, was das Dasein an sich ist.15
Eine analoge Formulierung liest man auch im folgenden Zitat: Daher ist das Anderssein nicht ein Gleichgültiges außer ihm, sondern sein eigenes Moment. Etwas ist durch seine Qualität erstlich endlich und zweitens
15
TWA 8, §92, S. 198.
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veränderlich, so dass die Endlichkeit und Veränderlichkeit seinem Sein angehört.16
Das bedeutet: ein Inhalt ist dann spezifisch, wenn er folgende Voraussetzungen erfüllt: 1. Der Inhalt ist kein Allumfassendes; 2. Der Inhalt befindet sich in einem Ensemble von gegenseitigen Differenzierungs- und Exklusionsverhältnissen; 3. Der Inhalt verändert sich in dem Sinne, dass er von einer Äußerlichkeit durchdrungen und konstituiert ist. Diese Bedingungen machen keine Liste von gleichgültigen Kriterien aus; ihnen liegt dagegen eine immanente begriffliche Deduktion zugrunde, die mit dem Konzept des Daseins als solchem anfängt und zur Kategorie des Anderen des Anderen führt. Zwischen den drei Bedingungen besteht demzufolge eine immanente argumentative Verbindung. Dieser Gedanke lässt sich folgendermaßen deutlicher ausdrücken (dies gilt auch als eine Zusammenfassung der bis jetzt dargestellten begrifflichen Deduktionen). Akzeptiert man die erste Bedingung, nämlich die, dass das bestimmte Sein kein Allumfassendes sein kann, folgt daraus, dass dieses Sein notwendigerweise differenziert sein muss und so im differenziellen Zusammenhang mit dem steht, was es nicht ist. Denn zu behaupten, dass es einen bestimmten Inhalt geben kann, ohne in diesem differentiellen Verhältnis zu stehen, führt zu einer der ersten Bedingung entgegengesetzten These, und zwar, zum Gedanken, dass der spezifische Inhalt doch Allumfassendes sein kann. Nun ist ein differentielles Verhältnis, das nur univok ist, undenkbar, denn wenn A sich von B unterscheidet, dann ist selbstverständlich, dass sich B von A ebenso unterscheidet. Daher ist jedes differentielle Verhältnis gegenseitig und reziprok und der Dualismus von Etwas und Anderem dialektisch inkonsistent. Demzufolge macht jeder differentielle Zusammenhang ein Ensemble von reziproken Exklusionsverhältnissen aus und so tragen die spezifischen Inhalte überhaupt die logische Form der Alterität und keineswegs die des gegen das Anderssein immunisierten Etwas. Doch daraus ergibt sich, dass der spezifische Inhalt durch seine Äußerlichkeit durchdrungen ist und sich der Veränderung unterwirft. Nicht in temporaler oder empirischer Hinsicht, sondern in
16
TWA 8, §92, S. 197.
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dem Sinne, dass er in seiner Spezifizität auf interne Weise durch das Andere beschaffen und konstituiert ist, und zwar durch die Verhältnisse, aufgrund derer er seine Identität und Spezifik erlangt. Ist nun jede Spezifizität durch eine ihr eigene Äußerlichkeit konstituiert, dann ist das „Ansichsein“ unbedingt das „Sein-für-Anderes“. Der spezifische Inhalt hat ontologisches Bestehen nicht in sich, sondern in seiner Beziehung zum anderen. Demnach ist es nicht präzis, zu sagen, dass die Inhalte Beziehungen zu anderen Inhalten haben. Vielmehr muss es behauptet werden, dass der Inhalt selbst diese Relation ist. Beide Momente sind Bestimmungen eines und desselben, nämlich des Etwas. Ansich ist Etwas, insofern es aus dem Sein-für-Anderes heraus, in sich zurückgekehrt ist. Etwas hat aber auch eine Bestimmung oder Umstand an sich (hier fällt der Akzent auf an) oder an ihm, insofern dieser Umstand äußerlich an ihm, ein Sein-für-Anderes ist.17
Eine der Verwendungen der Präposition „an“ im Deutschen ist es, Nähe oder Berührung zwischen Gegenständen zu bezeichnen (z.B. Köln liegt am Rhein). Dass die Bestimmung des Etwas „an ihm hat“, muss Hegel zufolge in Übereinstimmung mit dieser Verwendung von „an“ verstanden werden. Ansichsein bezeichnet diejenige Äußerlichkeit, die als Konstituens der Spezifizität fungiert, zielt auf die Tatsache ab, dass jede Innerlichkeit des Etwas ein Resultat dessen, was außerhalb und jenseits von ihm liegt, und zwar des relationalen Feldes, auf den die Identität des Inhaltes zurückzuführen ist. Nach allem, was gesagt wurde, kann man mithilfe des Begriffes des Anderen des Anderen eine Theorie der Spezifizität verteidigen, in der die Negativität eine entscheidende Rolle spielt, ohne jedoch Spinozas Monismus akzeptieren zu müssen. Denn der Begriff des Anderen des Anderen, seine implizite Verbindung mit der Veränderung und der dialektischen Einheit des Ansichseins und Sein-fürAnderes können als argumentative Antizipationen des Ansatzes eines relationalen Monismus (der den Gegensatz von einfachem Monismus und Pluralismus überwindet) gelesen werden, obwohl dies ausdrücklicher in der Wesenslehre und insbesondere im Übergang zur Begriffslogik entwickelt wird (dazu ausführlicher im Kapitel 4). 17
TWA 5, S. 129.
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Zweifellos vertritt Hegel irgendeine Art des Monismus. Darunter ist aber keinesfalls die These zu verstehen, dass es nur einen Gegenstand oder ein Ding gibt, sondern vielmehr die Idee, laut der die Intelligibilitätsbedingungen der Spezifizität überhaupt auf ein einheitliches Prinzip zurückgeführt werden kann. Dieses einheitliche Prinzip kann nun die logisch-ontologische Einheit der Spezifizität genannt werden. In der ersten Version des Diktums omnis determinatio est negatio ist die logisch-ontologische Einheit der Spezifizität statisch. Sie ist die Substanz, deren Sein nur positiv und auf der Grundlage der reinen Identität mit sich zu denken ist. Des Weiteren ist dabei das Verhältnis des Ganzen und seiner Teile entweder eine Behälter-Inhalt-Beziehung oder eine mereologische Relation: die Substanz enthält die bestimmten Inhalte in sich als deren Attribute und weiter als Modi. Doch der Begriff des Anderen des Anderen hat andere Konsequenzen auf den Status der logisch-ontologischen Einheit der Spezifizität und die Relation des Ganzen und der Teile. Die logisch-ontologische Einheit der Spezifizität, die anhand des Anderen des Anderen begriffen wird, hat nicht die logische Form des Substrates, sondern die der Tätigkeit und des Prozesses. Diese Einheit ist demzufolge dynamisch. Die logisch-ontologische Einheit der Spezifizität erscheint nicht als Substanz, verstanden als rein identitäres und positives Sein, sondern als der logische Prozess der produktiven Iteration der Negativität. Genauso wie sich die Natur nicht vom Leben, von der Tätigkeit und vom Metabolismus unterscheidet, die sich in jedem Naturwesen entwickeln und entfalten, ist der logische Prozess nichts Anderes als die Dynamizität d.h. die Iteration der Negation, die jedem spezifischen Inhalt innewohnt. Mit anderen Worten: die spezifischen Inhalte sind kein „Teil“ der logisch-ontologischen Einheit der Spezifizität, wie eine Seite „Teil“ eines Buches ist, denn „Teil“ und „Ganzes“ sind nur prozesshaft zu erfassen: Der Prozess, anhand dessen die spezifischen Inhalte ihre Identität und Spezifik erlangen, ist nicht anders als das Bestehen des Ganzen. Das Ganze ist somit die relationale Interaktion der Teile und jeder Teil ist auch eben diese Interaktion. Die Teile haben im Ganzen Bestand aber das Ganze hat auch nur in den Teilen Bestand.
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Diese reine Relationalität ist aber im Substanz-Ansatz abwesend, wenn Letztere eine andere logische Natur als die spezifischen Inhalte hat. Die Substanz ist reine Positivität, während die Inhalte nur negativ und endlich sind. Die vollkommene Überwindung dieses Gegensatzes kommt aber erst ab der Wesenslehre vor, und zwar besonders im Übergang zur Begriffslogik. Obwohl der Begriff des Anderen des Anderen diese Überwindung antizipiert, ist das Resultat davon ein neues Konzept der Determination, das erneut immanent zu einem Dualismus führt. Das ist gerade die Entgegensetzung von Bestimmung und Beschaffenheit. Bevor wir aber damit fortfahren, ist es erforderlich hervorzuheben, dass die gegenseitige Implikation von Ansichsein und Sein-für-Anderes, die aus dem Gedanken des Anderen des Anderen folgt, eine kritische Überlegung bezüglich des Begriffes des Ansichseins beinhaltet. C. Metametaphysik des Ansichseins Durch das Argument, dem zufolge das Ansichsein nur als Sein-fürAnderes denkbar ist, kritisiert Hegel eine neue mögliche metaphysische Auffassung des Absoluten, deren Kandidat das vollkommene Ansichsein ist. Der Begriff des Ansichseins kann bezüglich der Seinslogik und der Wesenslogik thematisiert und kritisch behandelt werden. In der Seinslogik wird das Problem der Möglichkeit der Determination und der Spezifizität überhaupt akzentuiert, während in der Wesenslogik das Verhältnis von Sein und Schein am wichtigsten ist.18 Hegel verwendet in seiner Metatheorie des Ansichseins Begriffe von beiden, dabei aber klarstellend, dass die Begriffe der Wesenslogik später thematisiert und legitimiert werden. So ist das Ding-an-sich als derjenige spezifische Inhalt zu konzipieren, der nicht durch das Sein-für-Anderes und die logische Veränderung beschaffen ist. Präziser gesagt: Es handelt sich um ein Etwas, dessen Identität mit sich nur durch sich selbst zu erklären ist und so nicht in Beziehung zu dem Anderen steht. So Hegel: „Das Dingan-sich ist dasselbe, was jenes Absolute, von dem man nichts weiß, als dass Alles eins in ihm ist.“19 Doch, wie gezeigt, die Spezifizität TWA 5, S. 129 f. 19 TWA 5, S. 130. 18
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überhaupt – und somit die Möglichkeit des Einsseins – beruht auf dem Begriff vom Sein-für-Anderes: Jedem spezifischen Inhalt geht ein Ensemble von logischen Verhältnissen zu anderen Inhalten vor; jede Spezifizität ist auf diese Weise durch das Andere beschaffen. Aus diesem Grund behauptet Hegel das Folgende, um die unkritischen Voraussetzungen ans Licht zu bringen, die dem Begriff des Ansichseins als identitärer und nicht relationaler Inhalt zugrunde liegen: „Die Dinge heißen an-sich, insofern von allem Sein-für-Anderes abstrahiert wird, das heißt überhaupt, insofern sie ohne alle Bestimmung, als Nichtse gedacht werden. In diesem Sinn kann man freilich nicht wissen, was das Ding an-sich ist. Denn die Frage Was? verlangt, dass Bestimmungen angegeben werden.“20 Das Was, die Spezifik der Dinge entsteht nur im logischen Moment vom Seinfür-Anderes, denn spezifischen Inhalt zu besitzen, bedeutet im Wesentlichen, im Zusammenhang zu stehen und so durch das Andere beschaffen zu lassen. Da nun diese relationale Struktur die logische Bedingung für die Spezifizität des Inhaltes bzw. für jedes Was ist, tritt der Begriff des Ansichseins – vom Sein-für-Anderes getrennt – als Scheinbegriff auf. Gleich hierbei lässt sich die metaphysikkritische Richtung der Seinslogik erneut betrachten und die These rechtfertigen, dass an dieser Stelle die hegelsche Logik eine Metatheorie des Ansichseins ist. Die hegelsche Aufgabe besteht darin, die Intelligibilitätsbedingungen des Ansichseins zu thematisieren und damit die (Schein)Probleme der Philosophie gründlich aufzulösen. Was das angeht, behauptet Hegel, dass das Merkmal und der Mangel der Metaphysik gerade darin lägen, nicht darauf geachtet zu haben, dass das Seinfür-Anderes konstitutiv für das Ansichsein ist: „die Definitionen der Metaphysik wie ihre Voraussetzungen, Unterscheidungen und Folgerungen wollen nur Seiendes und zwar Ansichseiendes behaupten und hervorbringen“.21 Diese Erläuterung zur Natur der Metaphysik koinzidiert im Wesentlichen mit dem, was man in der Rekonstruktion der Argumente des Vorbegriffes als Hegels kritische Diagnose der Metaphysik dargestellt hat: Die Metaphysikkritik Hegels hebt hervor, dass die Metaphysik Begriffe, wie den des Ansichseins, verTWA 5, S. 130. 21 TWA 5, S. 131. 20
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wendet, ohne ihre eigene reine Bedeutung zu analysieren. In dieser Hinsicht besteht das Problem der Metaphysik nicht darin, das Ansichsein erkennen zu wollen, sondern vielmehr darin, dieses Ansich getrennt vom Sein-für-Anderes gedacht zu haben. Diese Metatheorie des Ansichseins erlaubt jedoch zugleich, eine Theorie des Ansichseins darzulegen. Die Einheit von Metaphysik und Metametaphysik ist hier zu betrachten, denn die Bedingungen der Denkbarkeit des Begriffes des Ansichseins explizit zu machen, sagt uns auch etwas über das Ding-an-sich „in seiner Wahrheit“.22 Das Ding-an-sich ist in diesem Fall kein Ding hinter den Erscheinungen, erfasst als bloß identitärer Inhalt, sondern der logische Prozess und die Bewegung der Kategorien, die die Entstehung der Identität als dessen Resultat ermöglichen. Das Ding-an-sich ist dasjenige, was in der Logik dargestellt wird; „davon ist die Logik die Vorstellung“.23 Da die Vorstellung noch nicht vollendet ist, wissen wir nur „formell“, was das Ding-an-sich ist, und zwar dasjenige, „was etwas in seinem Begriffe ist“.24 Hegel fährt fort: „[…] dieser aber ist konkret in sich, als Begriff überhaupt begreiflich und als bestimmt und Zusammenhang seiner Bestimmungen in sich erkennbar.“25 Von daher ist die Frage sinnlos, ob das Denken dieses identitäre, beziehungslose Ansichsein repräsentieren kann; vielmehr bietet Hegel eine andere Auffassung des Ansichseins an, laut der die Spezifizität des Inhaltes nicht unmittelbar, sondern Resultat eines logischen Prozesses von logischen Beziehungen ist, die für den Gedanken erkennbar sind. Laut Hegel identifiziert sich das Ansich mit dem Begriff von Etwas. Der Begriff ist das wirkliche Ansich des Seins. Begriff heißt jedoch nicht die abstrakte Definition, wie man sie in etwa im Wörterbuch findet, sondern ein logischer Zusammenhang, der der Spezifizität jedes Inhaltes zugrunde liegt. Von diesem Zusammenhang haben wir erst jetzt ein anfängliches Bild nachdem hier der Gedanke des Anderen des Anderen als gegenseitige Implikation von Ansich-
TWA 5, S. 130. Ebd. 24 Ebd. 25 Ebd. 22 23
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sein und Sein-für-Anderes dargestellt wurde. Es ist jetzt erforderlich, diese Implikationsbeziehung näher zu betrachten, um den Begriff der Endlichkeit und des Widerspruches als Grundlage der Spezifizität zu bezeichnen.
§11 Spezifizität als Endlichkeit und Widerspruch A. Bestimmung und Beschaffenheit In der Einheit von Ansichsein und Sein-für-Anderes ist die Relationalität, das In-Beziehung-zum-Anderen-Stehen primär, um die allgemeine Struktur der Spezifizität zu verstehen. Nur aufgrund seiner Relation zum Anderen ist das Etwas dasjenige, was es ist. Um spezifisch und bestimmt zu sein, muss das Etwas durch das Andere beschaffen und konstituiert werden. Doch in dieser neuen Stufe der Entwicklung der Logik scheint das reine Denken, gerade dies zu vergessen, dominiert doch wieder eine identitäre Auffassung der Spezifizität. Diese neue identitäre Auffassung ist aber begrifflich legitimiert und geht gerade aus der Einheit von Ansichsein und Seinfür-Anderes hervor. Das Ansichsein muss durch das Andere beschaffen und konstituiert werden, um spezifisch und bestimmt zu sein, aber in diesem Veränderungsprozess bleibt das Etwas mit sich identisch und stabil. Das Etwas ist zwar ohne Relationalität nicht denkbar, doch es ist dasjenige, was sich verhält, was eine Relation zu dem Anderen hat. Da die Relation eine von Etwas ist, kann man legitim behaupten, dass in diesem Fall die Identität des Etwas eine Voraussetzung für die Relation ist. Das Argument kann durch ein Beispiel erklärt werden: Das Wohnzimmer ist, wie gesehen, kein Aggregat an Gegenständen, sondern relational zu verstehen. Damit es Wohnzimmer gibt, müssen die darin vorhandenen Gegenstände (Sofa, Tisch, Lampe usw.) in Zusammenhang stehen. Gleichzeitig kann man sagen, dass das Wohnzimmer das Vorhandensein von bestimmten Gegenständen voraussetzt, die nicht nur als Teil jenes existieren müssen. Das Sofa bleibt Sofa unabhängig davon, ob es sich im Wohnzimmer oder im Büro befindet. Natürlich erscheint das Sofa immer in einem Kontext (auf der Straße als Müll, im Wohnzimmer als Sitzmöglichkeit, im Museum als Kunstwerk usw.), aber in jedem Zusammenhang, in dem das Sofa steht, ist es mit sich identisch. Dieses Element, das gleich und unveränderlich bleibt, obwohl es mit anderen Inhalten in Zusammenhang steht, nennt Hegel Bestimmung: „Die Bestimmung ist die affirmative Bestimmtheit als das
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Ansichsein, dem das Etwas in seinem Dasein gegen seine Verwicklung mit Anderen, wovon es bestimmt würde, gemäß bleibt, sich in seiner Gleichheit mit sich erhält, sie in seinem Sein-für-Anderes geltend macht.“1 Der Begriff der Bestimmung ruft allerdings eine interne Trennung bzw. Unterscheidung des Etwas hervor. In jedem spezifischen Inhalt bzw. in jedem Etwas ist einerseits eine „Bestimmung“ vorhanden, d.h. eine wesentliche Qualität dieses Etwas, die unabhängig von den Interaktionen des Etwas mit den Anderen unveränderlich bleibt. Andererseits findet man eine „Beschaffenheit“, die sich auf dasjenige referiert, was durch das Andere beschaffen wird: „Insofern Etwas sich verändert, so fällt die Veränderung in die Beschaffenheit; sie ist am Etwas das, was ein Anderes wird. Es selbst erhält sich in der Veränderung, welche nur diese unstete Oberfläche seines Andersseins, nicht seine Bestimmung trifft.“2 Das Tischsein (die Bestimmung des Tisches) wird dann nicht durch die Zusammenhänge betroffen, in denen dieser als Teil der Küche oder des Restaurants steht. Dort und da geht es um einen Tisch, ein Sofa usw. Dies hat zum Ergebnis, dass, im Gegensatz zur relationalen Struktur der Bestimmtheit, die logische Veränderung (also der Umstand, dass die Identität von Etwas in seiner Äußerlichkeit, in dem, was es nicht ist, liegt) nicht konstitutiv für die Spezifizität dieses Inhaltes, sondern nur zufällig ist: „[…] das Bestimmtwerden durch ein Anderes erscheint als etwas Zufälliges.“3 Dass der Tisch in der Küche oder in der Bibliothek steht, ist zufällig. Die Veränderung – das Beschaffenwerden durch das Andere – ist dann zufällig in dem Sinne, dass sie, trotz ihrer Unausweichlichkeit, in logischen Termini nicht bestimmend noch entscheidend für die Definition und Spezifizität eines Inhaltes ist: „Es ist Qualität des Etwas, dieser Äußerlichkeit preisgegeben zu sein und eine Beschaffenheit zu haben“.4 Die Veränderung ist zwar nicht zu vermeiden, das Etwas ist dieser „preisgegeben“ (der Terminus hat eine ausschließlich negative
TWA 5, S. 132. TWA 5, S. 133. 3 Ebd. 4 Ebd. 1 2
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Konnotation), aber sie ist nicht logisch wesentlich. Mit anderen Worten: Das Etwas erscheint immer in einem Kontext, doch diese Kontextabhängigkeit gehört zur zufälligen und nicht-definitorischen Seite des Gegenstandes. Diese neue Differenzierung enthält allerdings begrifflich ihre eigene Auflösung und Überwindung, was ja in ihrem Begriff liegt. Die Unterscheidung von Bestimmung und Beschaffenheit ist eine allgemeine Regel der Spezifizität, was bedeutet, dass jeder Inhalt, der überhaupt unterscheidbar ist, sowohl eine Bestimmung als auch eine Beschaffenheit in sich trägt. Der uneingeschränkte Charakter dieser Regel ist jedoch gleichzeitig der Grund für den Zerfall dieses theoretischen Dualismus, denn wenn die Differenzierung von Bestimmung und Beschaffenheit für jeden spezifischen Inhalt gültig ist, dann muss sie auch für die Gegenpole dieser Differenzierung gelten, d.h. für die Bestimmung und die Beschaffenheit als solche. Die Regel der Spezifizität muss auf sich selbst angewendet werden, falls diese wirklich schrankenlos und richtig allgemein sein sollte. Dieser Selbstanwendungsversuch erweckt jedoch ein Problem, und zwar eine Endlosrekursion und als Ausdruck dieser einen internen Widerspruch. Demzufolge ist der Unterschied zwischen Bestimmung und Beschaffenheit dialektisch inkonsistent. Die folgende Inferenz betrachtend, sehen wir uns zunächst den infiniten Regress an: (1) Alle spezifischen Inhalte lassen sich in Bestimmung und Beschaffenheit einteilen. (2) Die Bestimmung und die Beschaffenheit sind spezifische Inhalte, da sie voneinander unterscheidbar sind. (3) Da (1) richtig ist, müssen die Bestimmung und die Beschaffenheit jeweils in diese beiden Kategorien eingeteilt werden. (4) Das bedeutet: für jede Bestimmung gibt es eine (Meta)Bestimmung und eine (Meta)Beschaffenheit. Ebenso gibt es für jede Beschaffenheit eine (Meta)Bestimmung und eine (Meta)Beschaffenheit. (5) Die (Meta)Bestimmung und die (Meta)Beschaffenheit sind erneut spezifische Inhalte, wodurch
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sie gemäß (1) erneut in Bestimmung und Beschaffenheit eingeteilt werden müssen, womit dieser Prozess des Einteilens ins Unendliche führt. Der infinite Regress ist aber ein Zeichen dafür, dass die Differenzierung von einem internen Widerspruch durchdrungen ist, in dem die Bestimmung doch als Beschaffenheit erscheint und umgekehrt. Demzufolge ist es nicht richtig von Bestimmung und Beschaffenheit zu sprechen, sondern vielmehr von beschaffener Bestimmung und bestimmter Beschaffenheit. Aus diesem Grund konkludiert Hegel Folgendes: Die Bestimmung geht für sich selbst in Beschaffenheit und diese in jene über […] Insofern das, was Etwas an sich ist, auch an ihm ist, ist es mit Sein-für-Anderes behaftet; die Bestimmung ist damit als solche offen dem Verhältnis zu Anderem.5
Andererseits fügt er hinzu: Umgekehrt das Sein-für-Anderes als Beschaffenheit isoliert und für sich gesetzt, ist es an ihm dasselbe, was das Andere als solches, das Andere an ihm selbst, d.i. seiner selbst ist; so ist es aber sich auf sich beziehendes Dasein, so Ansichsein mit einer Bestimmtheit, also Bestimmung.6
Man kann anhand des Beispiels des Tisches diesen Gedankengang weiter erläutern. Der Unterscheidung von Bestimmung und Beschaffenheit nach muss man bezüglich des Tisches seine wesentliche Tischheit als interne Eigenschaft von seiner Erscheinung in einem relationalen Kontext trennen. Aber worin besteht diese Tischheit, diese Bestimmung des Tisches? Der Stoff macht die Bestimmung des Tisches nicht aus, da es Tische aus Plastik, Holz, Metall usw. gibt. Dasselbe gilt für die geometrische Form: ein Tisch kann viereckig oder rund sein. Das, was allen Tischen eigen und intern ist, ist ihre Funktion innerhalb des menschlichen Lebensraumes. Nur im kulturellen Habitat der Menschen erscheinend, kann ein Stück Holz oder Plastik als Tisch oder Stuhl oder als irgendein anderes Artefakt bestimmt werden. Die eigene Bestimmung des TWA 5, S. 134. 6 Ebd. 5
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Tisches fällt demzufolge mit seiner Beschaffenheit, mit seinen Relationen innerhalb des menschlichen sozialen Lebens zusammen. Das bedeutet nicht, dass die logische Relationalität als Grundlage der Spezifizität und der Bestimmtheit nur für die Artefakte gilt, die innerhalb sozialer Zusammenhänge erscheinen – wie z.B. der Tisch oder der Stuhl –, sondern eben auch für jeden spezifischen Inhalt überhaupt. Die Tiere, die Farben sind immer unbedingt das, was sie sind, auf eine bestimmte Art und Weise (die Farben haben immer eine bestimmte Tonalität und ein einzelnes Tier gilt als eine besondere Entwicklung der Gattung), und diese besondere Seinsform der Bestimmung setzt das Beschaffenwerden durch Anderes voraus. Die Beschaffenheit ist demnach die notwendige Seinsweise der Bestimmung: Nur durch Beschaffenheit vom Anderen kann etwas seine Bestimmung erfüllen. Da nun die Bestimmung nur als Beschaffenheit, d.i. als ihre notwendige Seinsweise denkbar ist, ist die Bestimmung nicht die Voraussetzung der logischen Veränderung, sondern deren Resultat. Die Bestimmung ist nicht als ein bestimmtes Substrat der Veränderung zu begreifen, sondern vielmehr als der Veränderungsprozess als solcher. Bestimmung ist nicht das, was sich verändert, sondern die Veränderung selbst: „Diese Änderung des Etwas ist nicht mehr die erste Veränderung des Etwas, bloß nach seinem Sein-für-Anderes; jene erste war nur die an sich seiende, dem inneren Begriffe angehörige Veränderung; die Veränderung ist nunmehr auch die am Etwas gesetzte.“7 Anders ausgedrückt: Bei der ersten Veränderung ist ein Substrat derselben noch denkbar, und zwar die Bestimmung als identitäre Bedingung für die Relation; die Veränderung, die in der Einheit von Bestimmung und Beschaffenheit stattfindet, erlaubt es dagegen nicht, ein Veränderungssubstrat zu denken: Die Bestimmung, die wesentliche Qualität eines spezifischen Inhaltes (die Tischheit des Tisches usw.) ist begrifflich als Beschaffenheit und so als verändernde Bestimmung zu betrachten, d.h. als Bestimmung, deren Natur relational ist. Dies alles führt jedoch zum hegelschen Begriff der Grenze. Beschaffene Bestimmung bedeutet auch begrenzte Bestimmung. Die Bestimmung ist insofern begrenzt, als sie durch das Andere 7
TWA 5, S. 134.
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immanent beschaffen wird. Die Bestimmung wird folglich nicht gerade dadurch begrenzt, dass sie anderen Bestimmungen entgegengesetzt ist, sondern präziser dadurch, dass das Andere in dieser auf immanente Weise gegenwärtig ist, damit sie überhaupt Bestimmung sein kann. Die Tatsache, dass die Bestimmung des Tisches vom menschlichen Leben (also von einem Ensemble von Verhältnissen) abhängt, spricht dafür, dass das Andere und die Grenze intern in der Bestimmung liegen, indem diese eine besonders beschaffene Bestimmung sein muss. (Dies gilt nicht nur für die Artefakte, sondern auch für jeden spezifischen Inhalt überhaupt, der an sich nicht im sozialen Leben vorhanden ist, wie z.B. Tiere, Farben, Naturwesen usw., deren Identität auch auf ein Ensemble von Relationen zurückzuführen ist – der Tisch ist nur ein Beispiel). Das Etwas und das Andere „sind zwei Etwas, aber nicht nur Andere gegeneinander überhaupt, so dass diese Negation noch abstrakt wäre und nur in die Vergleichung fiele, sondern sie ist nunmehr als den Etwas immanent“.8 Diese Grenze ist aber, aus dem hier Gesagten heraus, nicht als externe Grenze zu verstehen, d.i. als Hindernis für die Spezifizität. Die Grenze ist vielmehr die notwendige Erscheinungsweise und der immer vorhandene Darstellungsmodus der Bestimmung überhaupt und von daher muss man sie als Bedingung für die Spezifizität betrachten. „Diese Grenzen sind Prinzip, dessen, das sie begrenzen.“9 Die Grenze synthetisiert folglich die spiegelnde bzw. spekulative Bewegung der Veränderung: „Das Andere“ erscheint nicht mehr innerhalb einer Juxtaposition bezüglich des Etwas, sondern es ist wesentlich für die Identität des Etwas selbst. Aufgrund dieser spiegelnden Relation zu dem Anderen erscheint das Etwas als ein besonderes Etwas, was nur bedeutet, dass das Etwas durch das Andere beschaffen und konstituiert wird. Die konzeptuelle Einheit von Veränderung und Begrenzung bringt eine sehr wichtige Konsequenz mit sich, und zwar, dass der Begriff des spezifischen Seins überhaupt als logischer Prozess und nicht als Entität verstanden werden muss. Diese ist eine der wichtigsten Konsequenzen der Seinslehre. Das Fundament der TWA 5, S. 135. 9 TWA 5, S. 138. 8
Spezifizität als Endlichkeit und Widerspruch
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Spezifizität überhaupt ist nicht als das größte Etwas zu konzipieren, welches alle ihm untergeordneten Etwas(e) in sich enthält. Das Subsumtionsmodel gehört nicht hierher und zeigte sich seit der Kritik am metaphysischen Begriff Gottes als ungeeignet. Was dem Begriff von Etwas zugrunde liegt, ist vielmehr der logische Prozess der Bestimmung, in dem sie sich stets von sich selbst trennt und so niemals ohne das Andere bestehen kann. Denn Etwas zu sein bedeutet in jedem Fall, durch das Andere beschaffen zu werden, d.h. als Etwas zu erscheinen, das immer noch anders als es selbst ist (weil es eben durch das Andere beschaffen ist). Die Bestimmtheit, die allgemeine Bedingung der Spezifizität lässt sich demnach auf kein von der Negation abgesondertes Allumfassendes begründen, wie Gottes vollkommene Realität, das Ansichsein oder das reine Sein. Das richtige Absolute, das richtige (konkrete) Allumfassende kann nur der logische Prozess (keine Entität, kein seiendes Etwas) sein, da die eigene Anwesenheit zu setzen logisch impliziert, die eigene Grenze, das Beschaffen durch das Andere und damit die eigene Negation vorauszusetzen: „[…] das Etwas, welches nur in seiner Grenze ist, ebensosehr sich von sich selbst trennt und über sich hinaus auf sein Nichtsein weist und dies als sein Sein ausspricht und so in dasselbe übergeht.“10 Dieses Spiel, in dem das Etwas nur als durch das Andere beschaffene Etwas gedacht werden kann, und welches konstitutiv für das Etwas als solches ist, nennt Hegel „Widerspruch“.11 Der Widerspruch ist, dass die Spezifizität überhaupt nur durch das Andere spezifisch ist. Das ist der Grund dafür, dass die Existenz von einer reinen und vollkommenen Bestimmung (d.h. eine nicht durch das Andere beschaffene Bestimmung) begrifflich und logisch (also: metaphysisch) unmöglich ist. Das ist ebenso der Grund dafür, dass die dogmatische und positive Metaphysik, die das Absolute als irgendein vollkommenes Seiendes begreift, immer scheitern muss.
TWA 5, S. 137 f. 11 TWA 5, S. 138. 10
§12. Die schlechte Endlichkeit und ihre dialektische Inkonsistenz Der Endlichkeitsbegriff beschreibt die relationale Dynamik, die den spezifischen Inhalten im Allgemeinen zugrunde liegt. Die Spezifizität der Inhalte beruht nicht auf der Identität, sondern darauf, durch Andere beschaffen zu werden. Das bedeutet, etwas – z.B. ein Tisch – ist, was er ist, aufgrund dessen, was nicht-Tisch ist: das Material, die Farbe etc. Die Seinsweise des Endlichen ist demnach die Folgende: Seine eigene Identität durch das Anderssein zu gewinnen. Deswegen behauptet Hegel, dass einerseits das Etwas „Werden an ihm selbst“ und andererseits das „Insichsein“ des Etwas mit dem Begriff „Gegensatz“ zu identifizieren sei. Nun ist das Endliche nicht nur in Veränderung, sondern im Wesentlichen vergeht es: „Das Endliche verändert sich nicht nur, wie Etwas überhaupt, sondern es vergeht, und es ist nicht bloß möglich, dass es vergeht, so dass es sein könnte, ohne zu vergehen. Sondern das Sein der endlichen Dinge als solches ist, den Keim des Vergehens als ihr Insichsein zu haben.“1 Mit diesem Zitat ist gemeint, dass die logische Bedingung der Spezifizität nicht in der zum Etwas im Allgemeinen gehörenden Veränderung zu sehen ist, sofern man darunter die Veränderung eines Substrates versteht. Wie schon in der logischen Entwicklung gezeigt wurde, ist diese Veränderung äußerlich (d.h. zufällig und nicht logisch-definitorisch), denn auf der Ebene des Etwas war es immer noch möglich, dessen Identität von dessen relationaler Bedingtheit zu trennen (z.B. Bestimmung vs. Beschaffenheit). Beim Begriff des Endlichen ist dagegen die logische Bedingung der Spezifizität nur der Widerspruch, das Eigensein aufgrund des Anderen zu gewinnen. Demgemäß ist das „Vergehen“, das dem Endlichen eigen ist, logischer und nicht zeitlicher Natur. Das Vergehen verweist gerade auf diesen Widerspruch, der den spezifischen Inhalten zugrunde liegt, und zwar, dasjenige, was sie sind, nur aufgrund des Anderen, des Nichtseins zu sein. Dass der Widerspruch die Bedingung der Möglichkeit der Spezifizität ist, scheint eine konklusive These zu sein. Obwohl es nicht 1
TWA 5, S. 140.
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zu verneinen ist, dass solch eine Idee eine zentrale Rolle im hegelschen System spielt, entfaltet sie sich an diesem Punkt noch nicht mit all ihren Folgen. Um dies zu erreichen, ist es erforderlich, die begrifflich immanente Analyse der Denkbestimmungen fortzusetzen und so aus demjenigen, was im Begriff der Endlichkeit enthalten ist, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Laut Hegel: „Endlichkeit ist die als an sich fixierte Negation und steht daher seinem Affirmativen schroff gegenüber.“2 Auf dieser Ebene kann man vermuten, dass der Begriff der „unmittelbaren“ Endlichkeit einseitig ist und durch die dialektische Inkonsistenz scheitern wird. Nach der logischen Analyse der Bestimmung muss uns die Hauptlehre der hegelschen Philosophie schon klar sein, nämlich dass die Negativität einen positiven Charakter besitzt und dem Affirmativen nicht gegenübersteht, sondern dessen logische Bedingung ist. Obwohl der bloße Hinweis darauf richtig ist, ist er im Ganzen jedoch kein immanent begrifflicher Grund. Tatsächlich besteht die Tugend der hegelschen Philosophie nicht darin, ihre Lektion vorauszusetzen, sondern in der Geduld, die Wahrheit und den Sinn ihrer Postulate case by case zu beweisen. Bevor ich das Argument rekonstruiere, laut dem der Endlichkeitsbegriff, charakterisiert als Gegenpol des Affirmativen, selbstwidersprüchlich ist, gilt es noch darauf hinzuweisen, dass diese Endlichkeit auch „schlechte Endlichkeit“ genannt werden kann.3 Die schlechte Endlichkeit ist das Korrelat der sogenannten „schlechten Unendlichkeit“, die später ausführlich analysiert wird. Im Allgemeinen lässt sich sagen, die schlechte Endlichkeit ist diejenige Betrachtungsweise, die im endlichen Sein der spezifischen Inhalte nur eine Degradierung und Negation der Identität sieht oder mit anderen Worten ausgedrückt: Der Begriff der schlechten EndTWA 5, S. 140. Ich bin mit Önay Sözer einverstanden, der argumentiert, dass diese Endlichkeit dadurch charakterisiert ist, das „Vergehen des Vergehens“ und somit die „Negation der Negation“ zu behindern. Die schlechte Endlichkeit stellt sich demnach dar als Entgegensetzung zwischen Negation und Negation der Negation, denn die positive und produktive Seite der Negation wird dabei nicht zugestanden. Vgl. O. Sözer, Grenze und Schranke – das Mal des Endlichen, in: Hegels Seinslogik: Interpretationen und Perspektiven, a.a.O., S. 173–185. 2 3
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lichkeit ist nur das Ergebnis einer Interpretation, die besagt, dass der den endlichen Dingen zugrundeliegende Widerspruch eine Art Schandfleck für dieselben darstellt. Die Endlichkeit so verstehend, behauptet der Verteidiger der schlechten Endlichkeit, die Aufgabe des Denkens müsse darin bestehen, dem Widerspruch einen Begriff der Unendlichkeit entgegenzusetzen, der die reine, unmittelbare und nicht durch das Andere beschaffene Identität wiederherstellt. Aus diesem Grund lehrt Hegel, dass diese schlechte Endlichkeit die „hartnäckigste Kategorie des Verstandes“ 4 sei. Als Kategorie des Verstandes wäre diese Auffassung der Endlichkeit ein Begriff, der in illegitimer und unkritischer Weise verwendet wird, ohne dessen Bedeutung einer philosophischen Untersuchung zu unterziehen. Der Verstand nimmt die Juxtaposition zwischen Endlichem und Affirmativem als gegeben, ohne sich zu fragen, was für Konsequenzen dies impliziert. „Der Verstand verharrt in dieser Trauer der Endlichkeit, indem er das Nichtsein zur Bestimmung der Dinge, es zugleich unvergänglich und absolut macht.“5 Doch in diesem Fall (wie immer) enthält das Verfahren des Verstandes schon die Wurzel seiner dialektischen Inkonsistenz und zeigt sich als selbstwidersprüchlich. Fixiert man die Endlichkeit als Gegenpol des Affirmativen, welches nur identisch mit sich selbst sein kann, dann erscheint die Endlichkeit gerade als ihr Gegenteil, als das Affirmative selbst, und zwar aufgrund ihrer begrifflichen Natur. Insofern als die Endlichkeit dem Affirmativen entgegengesetzt ist, stellt sich jene als unvergängliche, unüberwindbare und ewige Kategorie des Denkens dar. So verstanden, erfüllt die Endlichkeit alle Bedingungen und Voraussetzungen, um das eigentliche Affirmative zu sein. Das Affirmative ist in der Tat für den Verstand dasjenige, was nicht vergeht, und auf ewige Weise identisch mit sich selbst bleibt. Aber dadurch, dass die Endlichkeit dem Affirmativen gegenüberstellt wird, ist sie unveränderlich und identisch mit sich selbst. Sie ist der einzige Inhalt, dessen Eigensein nicht als Beziehung zu anderen Inhalten zu denken ist, sondern nur als reine Identität, und zwar als das Affirmative. So Hegel: „[…] aber sie [die
TWA 5, S. 140. 5 Ebd. 4
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Endlichkeit; A.P.] ist ihre unveränderliche, d.i. nicht in ihr Anderes d.i. in ihr Affirmatives übergehende Qualität; so ist sie ewig.“6 Die Art und Weise wie Hegel diesen Widerspruch auflöst, kennen wir schon: Die Endlichkeit, das Vergehen muss wieder vergehen, da das Negative Bedingung für die positive Identität ist. Es geht darum, die Endlichkeit positiv als Fundierung des Eigenseins der Dinge und nicht als dessen Hindernis zu erfassen. Wichtig ist es hierbei, die Negativität als Pfeiler dessen, was überhaupt denkbar ist, zu begreifen: „Aber es kommt darauf an, ob der Ansicht beim Sein der Endlichkeit beharrt wird, die Vergänglichkeit bestehen bleibt, oder ob die Vergänglichkeit und das Vergehen vergeht. Dass dies aber nicht geschieht, ist das Faktum eben in derjenigen Ansicht des Endlichen, welche das Vergehen zum Letzten des Endlichen macht.“7 Obwohl Hegel hier von der Sturheit des Verstandes spricht, besteht sein Argument diesbezüglich nicht in einer solchen Anschuldigung. Nur die immanente Entfaltung der Begriffe ist die richtige Antwort auf den Verstand: „[…] die Entwicklung des Endlichen zeigt, dass es an ihm als dieser Widerspruch zusammenfällt, aber ihn dahin wirklich auflöst.“8 Hegels These besagt, dass das Endliche zwar widersprüchlich sei, jedoch geht es um einen Widerspruch, der seine eigene Überwindung herausbildet. Diese These muss jedoch noch begrifflich legitimiert werden. Hierbei ist es aber anzumerken, dass der vollständige Beweis dafür nur im Begriff der wahren bzw. affirmativen Unendlichkeit liegen kann. Die Selbstüberwindung des Widerspruches des Endlichen ist ein steiniger und gewundener Pfad, der die Entgegensetzung zwischen Schranken/Sollen, Endlichem/Unendlichem und ihre dialektische Inkonsistenz erst noch überwinden muss. Die Entgegensetzung von Schranken und Sollen hat ihren Ursprung eben in diesem Widerspruch des Endlichen, der seine eigene Überwindung herausbildet, d.h. in diesem Vergehen, das zugleich vergeht. Jedoch ist diese Selbstüberwindung des Endlichen bei dieser Entgegensetzung nicht vollkommen und nur einseitig. Deshalb möchte ich an diesem Punkt zeigen, inwiefern ein Widerspruch im TWA 5, S. 140. 7 Ebd. 8 TWA 5, S. 142. 6
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Begriff des Endlichen liegt und weswegen dieser Widerspruch zur Entgegensetzung von Schranken und Sollen führt. Der Gedanke des Endlichen besagt, wie schon erläutert, dass die logische Bedingung für die Identität von Etwas unbedingt darin besteht, durch dasjenige, was dieses Etwas nicht ist, beschaffen zu werden. Der Identität liegt die Alterität und das Anderssein zugrunde. Insofern als das Anderssein als logische Bedingung der Identität auftritt, sind die spezifischen Inhalte notwendigerweise endlich, und zwar in dem Sinn, dass es die Voraussetzung ihrer Spezifizität ist, damit aufzuhören, sie selbst zu sein. Nichtsdestotrotz ist dieses Sich-selbst-zusein-aufhören keine Rückkehr zum abstrakten Nichts des Anfanges. Das Es-selbst-zu-sein-aufhören verweist vielmehr auf das Anderswerden. Das, was zum anderen geworden ist, hat damit aufgehört, es selbst zu sein und gewissermaßen ist es auch, wie Hegel behauptet, über sich selbst „hinausgegangen“. Die hegelsche Rede des „über sich selbst Hinausgehens“ drückt die Relationalität aus, die den endlichen Inhalten zugrunde liegt. Jeder endliche Inhalt „geht über sich selbst hinaus“, um identisch mit sich selbst zu sein, weil er durch das Andere beschaffen sein muss. Über sich selbst hinauszugehen bedeutet in diesem Kontext, immer anders zu werden. Seinem Begriff nach ist demgemäß das endliche Sein nicht als derjenige ruhige Inhalt zu verstehen, der einfach nur innerhalb einer Grenze statisch bleibt (wie etwa die verschiedenen Länder auf der Weltkarte). Vielmehr bezieht sich die Endlichkeit auf dieses Hinausgehen und Anderswerden. Dieses „Hinausgehen“ ist demnach die begriffliche Seinsweise des Endlichen und in dieser Hinsicht tritt das Endliche als selbstwidersprüchlich auf: Dasjenige, worin das Endliche besteht, ist sein über sich Hinausgehen. Diese Widersprüchlichkeit des Endlichen führt aber zu einer neuen Auffassung der Grenze. Diese ist nicht der vollkommene Begriff der Spezifizität, sondern die logische Bewegung, die die Grenze festlegt und setzt, überschreitet diese auch: Über sich selbst hinauszugehen, bedeutet eben, über die Grenze hinauszugehen. Aus diesem Grund muss die Grenze als „Schranke“ verstanden werden, d.i. als Grenze, die in der logischen Bewegung überschritten wird. Oder in hegelschen Termini ausgedrückt: als Grenze, die negiert, insofern sie gesetzt wird. So Hegel:
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Das mit sich identische Insichsein bezieht sich so auf sich selbst als sein eigenes Nichtsein, aber als Negation der Negation, als dasselbe negierend, das zugleich Dasein in ihm behält, denn es ist die Qualität seines Insichseins. Die eigene Grenze des Etwas, so von ihm als Negatives, das zugleich wesentlich ist, gesetzt, ist nicht nur Grenze, sondern Schranke.9
Die Schranke ist jedoch nur einer der Begriffe, der in der Entgegensetzung Schranke/Sollen vorkommt. Warum muss der Begriff des Sollens auch in der dialektischen Entwicklung auftreten? Dass die Grenze als Schranke verstanden werden muss, bedeutet, dass die Voraussetzung der Endlichkeit gerade diese Bewegung des Hinausgehens ist. Allgemeiner ausgedrückt: Die Voraussetzung der Endlichkeit ist nichts Anderes als ihre Selbst-Negation. Der immanente Impuls der Endlichkeit, der darin besteht, über sich selbst hinauszugehen und sich so zu negieren, ist das Sollen. Das Sollen bezeichnet (jedoch noch in fehlerhafter Weise) die immanente Selbst-Negation, die die Endlichkeit bewohnt; dieses drückt die auf dieser Ebene (noch unvollkommene) Selbstüberwindung der Endlichkeit aus. Man kann sich jedoch fragen, wieso diese Selbstüberwindung der Endlichkeit im Begriff des Sollens ausgedrückt werden muss. Der Grund dafür ist nicht schwer zu verstehen. Die Endlichkeit geht über sich selbst hinaus und negiert sich, da diese intern und in sich instabil ist: Das Endliche ist sozusagen immerzu verurteilt, anders zu werden. Damit aber diese Bewegung des Hinausgehens eine richtige und präzise Selbstüberwindung der Endlichkeit sein kann, ist es erforderlich, dass diese Bewegung des Hinausgehens als ein Streben nach der reinen Identität verstanden wird. In ihrer Bewegung streben die endlichen Dinge nach dem, was sie eigentlich sein sollten: eine reine und vollkommene Identität, die sich der Instabilität der Endlichkeit ein für alle Mal entzieht, denn sonst würde der konstitutive Widerspruch des Endlichen bestehen bleiben: Ohne dieses Sollen ist die Bewegung des Hinausgehens auf kein Jenseits der Endlichkeit bezogen und wäre nur eine sinnlose Iteration des Endlichen, d.i. eine sinnlose und noch instabile unendliche Veränderung – ein Vergehen, das nicht vergeht. Nun ist diese Art und Weise, die Selbstüberwindung der Endlichkeit zu verstehen, ein9
TWA 5, S. 143.
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seitig, denn es besitzt das Jenseits der Endlichkeit die Form des Etwas, d.h. das Sollen steht der Endlichkeit begrifflich gegenüber, genauso wie vorher das Etwas dem Anderen entgegengesetzt war. Im Unterschied zu den vorherigen, logischen Stufen ist das Sollen keine Bestimmung, die sich innerhalb des Etwas befindet. Das Sollen ist diejenige vollkommene Identität, die das Endliche in seiner Bewegung beansprucht. Das Sollen ist der Begriff, an dem sich die logische Bewegung des endlichen Etwas orientiert und diesem Sinn gibt. Deswegen erscheint es erneut als „Ansichsein“, d.h. als vollkommene und reine Identität, die das Anderssein, die Relationalität und die Endlichkeit selbst exkludiert. Natürlich – und wie gesagt – impliziert die Formulierung „Exklusion des Anderssein und der Relationalität“ eine Negation und damit eine Grenze und Endlichkeit. Innerhalb einer Reflexion zweiter Ordnung bleibt das Sollen doch als etwas Endliches bestehen, indem es dem Endlichen entgegengesetzt ist und als dessen Negation auftritt. Dieser endliche Charakter ist jedoch „in das Ansichsein eingehüllt, denn nach seinem Dasein d.i. nach seiner Bestimmtheit gegen die Schranke ist es als das Ansichsein gesetzt“.10 Diese Reflexion zweiter Ordnung kann aber in der begrifflichen Dynamik der Entgegensetzung von Schranke und Sollen gezeigt werden. All dies geschieht dadurch, dass das Sollen in der Tat als Schranke erscheint, d.h., dass die Entgegensetzung von Schranke und Sollen dialektisch inkonsistent ist. Dazu behauptet Hegel: „Was es sein soll, ist und ist zugleich nicht. Wenn es wäre, so solle es nicht bloß sein. Also das Sollen hat wesentlich eine Schranke. Diese Schranke ist nicht ein Fremdes; das, was nur sein soll, ist die Bestimmung, die nun gesetzt ist, wie sie in der Tat ist, nämlich zugleich nur eine Bestimmtheit.“11 Die interne Schranke des Sollens, die ihm immanent und begrifflich angehört, besteht in seiner Unmöglichkeit, sich zu verwirklichen und sich in etwas Seiendes zu verwandeln. Das Sollen ist ein Ansichsein, das jedoch aus logischen Gründen niemals sein kann, indem es dem Sein entgegengesetzt ist. Damit erscheint das Sollen als selbstwidersprüchlicher Begriff: Die Funktion des
TWA 5, S. 143. 11 TWA 5, S. 143 f. 10
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Sollens, die Endlichkeit zu überwinden, ist tatsächlich der Grund dafür, dass es als endlich erscheint. Dagegen könnte man jedoch einwenden, dass die Prämisse dieses Argumentes legitimationsbedürftig sei. Derjenige, der philosophisch die Existenz des Sollens oder der Pflicht vorschlägt, muss nicht ipso facto akzeptieren, dass dieses Sollen oder diese Pflicht der Realität überhaupt entgegengesetzt sei. Der Punkt Hegels besteht aber darin, dass der Verteidiger des Sollens dazu verpflichtet ist, gerade das zu behaupten, denn die begriffliche Voraussetzung des Sollens ist es nun mal, der Gegenpol der Endlichkeit zu sein. Aber die Endlichkeit ist die allgemeine, ontologische Bedingung des Seins: Zu sein, bedeutet eben endlich zu sein. Diese Prämisse ist durch die logische Entwicklung vollkommen legitimiert. Demnach ist die Konklusion davon einfach zu betrachten: Das Sollen steht der Endlichkeit gegenüber, d.h. der allgemeinen Bedingung des Seins. Als Gegenpol davon charakterisiert sich das Sollen durch die Entgegensetzung zum Sein und damit durch die Unmöglichkeit, sich zu realisieren. Deswegen bezeichnet Hegel die theoretische Verteidigung des Sollens in Bezug auf die Metaphysik und die Moralität als „die Abstraktion des Könnens“.12 Man kann von einer Abstraktion sprechen, da die theoretische Verteidigung des Sollens als Lösung für den Widerspruch der Endlichkeit den Begriff des Seins unbewusst verwendet. Der Verteidiger des Sollens behauptet etwa, dass das Sollen als Vernunftbegriff nicht unmöglich sein kann, weil wenn der Begriff des Sollens sich denken lässt, dieser zumindest möglich sein muss, da alles Denkbare möglich ist. Für Hegel sieht die Argumentationsweise jedoch anders aus: Die Rede zugunsten des Sollens verwendet die Denkbestimmung des Seinkönnens (der Möglichkeit), ohne einen konsistenten Seinsbegriff zu besitzen. Dadurch, dass die begrifflichen Bedingungen des Seins in der Endlichkeit zu finden sind, kann das Sollen überhaupt nicht sein und daher muss man es für unmöglich halten. „Jener Formalismus der Möglichkeit hat an ihr eine Realität, ein qualitatives Anderssein sich gegenüber, und die Beziehung beider aufeinander ist der Wider-
12
TWA 5, S. 144.
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spruch, somit des Nicht-Können oder vielmehr die Unmöglichkeit.“13 Damit sieht man den logischen Charakter von Hegels Metaphysikkritik deutlich. Hegel attackiert den Begriff des Sollens nicht mittels empirischer Argumente, wie z.B., dass das Sollen utopisch sei etc. Die dialektische Inkonsistenz des Sollens besagt nicht, dass der Weg des Sollens zum Sein schwierig, sondern, dass er kategorial unmöglich sei, weil das Sollen an sich dem Sein begrifflich entgegengesetzt ist. Die logischen Schwierigkeiten des Sollens entstehen, wie gesagt, dadurch, dass es die Form des Etwas (die Form der Entgegensetzung) hat. Behaftet durch diese Form, stellt das Sollen doch wieder etwas Endliches dar, obwohl es auf den ersten Blick die Überwindung des Endlichen zu sein scheint. So Hegel: „Das Sollen andererseits ist das Hinausgehen über die Schranke, aber ein selbst nur endliches Hinausgehen. Es hat daher seine Stelle und sein Gelten im Felde der Endlichkeit, wo es das Ansichsein gegen das Beschränkte festhält und es als die Regel und das Wesentliche gegen das Nichtige behauptet.“14 Das Sollen ist nämlich im Rahmen der schlechten Endlichkeit entstanden, d.h. unter der Voraussetzung, dass das Affirmative überhaupt ohne Negation denkbar sei. Liegt das Scheitern des Begriffes des Sollens, um den Widerspruch der Endlichkeit zu überwinden, in der Form der Entgegensetzung, kann man jetzt erahnen, dass eine richtige Aufhebung dieses Widerspruches nicht in der Entgegensetzung zwischen Endlichem und Unendlichem zu finden ist. Wie schon in der Literatur skizziert, den immanenten Widerspruch des Endlichen richtig aufzulösen, impliziert für Hegel auch die Aufhebung des metaphysischen Dualismus von Endlichkeit und Unendlichkeit.15 Innerhalb dieses Dualismus erscheint die Unendlichkeit als endliches EleTWA 5, S. 145. TWA 5, S. 147. 15 Vgl. Christian Iber, Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik, a.a.O., S. 170 ff.; Alexander Von Keyserlingk, Die Erhebung zum Unendlichen. Eine Untersuchung zu den spekulativ-logischen Voraussetzungen der Hegelschen Religionsphilosophie, Frankfurt am Main 1995, S. 145–146; Daniel Unger, Schlechte Unendlichkeit. Zu einer Schlüsselfigur und ihrer Kritik in der Philosophie des Deutschen Idealismus, Freiburg/München 2015, S. 116. 13 14
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ment, indem sie nur als Pol der dualistischen Entgegensetzung fortdauert. Dass ein Begriff, ein Bereich des Seienden oder eine Entität das Prädikat „unendlich“ trägt, ist, wie schon im vorherigen Kapitel erläutert, keine Garantie für eine richtige Auffassung der Unendlichkeit, wenn dieser Begriff oder diese Entität im Rahmen des Dualismus und der Entgegensetzung des Endlichen gedacht werden. In der Tat wäre in diesem Fall das wahrhafte Unendliche nicht dieser Begriff oder diese Entität, sondern nur dasjenige, was die zwei Pole des Dualismus versöhnt und in sich vereint. Das bedeutet, dass das wahrhaft Unendliche dem Endlichen nicht entgegengesetzt sein kann, sonst wäre es dialektisch inkonsistent. Wir wissen jetzt, dass das Festlegen einer unendlichen Welt, die sich der Endlichkeit gegenüberstellt, keine angemessene Lösung für den in der Endlichkeit liegenden Widerspruch ist. Dies entspricht der kritischen Funktion der dialektischen Inkonsistenz des Dualismus zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit. Schwieriger ist es jedoch, zu verstehen, wie diese dialektische Inkonsistenz auch eine metaphysische Funktion hat, d.h. wie man einen Unendlichkeitsbegriff denken kann, der nicht der Endlichkeit entgegengesetzt ist. Dies kann man gut anhand der immanenten Entwicklung der Begriffe betrachten. Die Art und Weise, wie sich der Begriff der Endlichkeit entfaltet, führt immanent zu seiner eigenen Überwindung (d.h. zur Unendlichkeit) und so zu einem neuen Konzept der Unendlichkeit, welches nicht innerhalb eines Dualismus gedacht wird. Wie dies stattfindet, ist Gegenstand des folgenden Abschnittes.
§13. Wahre Unendlichkeit: die Kritik des kosmologischen Unendlichen Worauf stützt sich Hegels Überzeugung, dass die immanente Entwicklung vom Begriff des Endlichen unbedingt zur Unendlichkeit führt? Warum wird die Unendlichkeit aus der Endlichkeit hergeleitet? Die begriffliche Verbindung des Endlichen und des Unendlichen basiert exklusiv auf der dialektischen Inkonsistenz des Sollens. Dass der Begriff des Sollens dialektisch inkonsistent ist, bedeutet, dass dieser als etwas Endliches erscheint, obwohl er auf den ersten Blick die Aufhebung der Endlichkeit war. Das würde heißen, dass die Endlichkeit unüberwindbar ist, zeigt sich doch der Überwindungsversuch (der Begriff des Sollens) als Endliches. Gibt es dann eine ständige Iteration der Endlichkeit? Die Antwort darauf scheint positiv zu sein. Der begrifflichen Entwicklung nach gehört zur Endlichkeit die Notwendigkeit, über sich selbst hinauszugehen, aber das Jenseits der Endlichkeit ist wieder nur etwas Endliches: „So ist das Endliche in dem Vergehen nicht vergangen, es ist zunächst nur ein anderes Endliches geworden.“1 Das alles erscheint so, als wäre die Endlichkeit unüberwindbar und im gewissen Maße eine ewige Bedingung der spezifischen Inhalte. Jedoch enthält der Gedanke, dass die Endlichkeit ewig und unüberwindbar ist, seine eigene Überwindung und damit den Schlussstein des „Übergangs in das Unendliche“.2 Denn zu behaupten, die Endlichkeit sei ewig und unüberwindbar, bedeutet zugleich die These zu vertreten, dass die Endlichkeit am Begriff des Unendlichen teilhat. Die Endlichkeit wird nur durch den Begriff des Unendlichen denkbar und definierbar. Die wesentliche Qualität der Endlichkeit ist aus diesem Grund nichts Anderes als die Unendlichkeit, ihre permanente (und gerade unendliche) Iteration. So setzt das Endliche das Unendliche voraus und kann nur in Bezug auf dieses begriffen werden; insofern „geht das Endliche in das Unendliche über“, wie Hegel sagt.
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Der „Übergang“ ist, wie schon gezeigt, völlig immanent und kommt aufgrund der begrifflichen Natur des Endlichen vor. Demnach beruht der Begriff der Unendlichkeit nicht auf einem Gegenstand, der die absolute Eigenschaft besitzt, unendlich zu sein, wie z.B. Descartes behauptete. Es ist auch nicht der Fall, dass die Unendlichkeit eine subjektive, regulative Idee sei. „Das Unendliche steht somit nicht als ein für sich Fertiges über dem Endlichen […]. Noch gehen wir nur als eine subjektive Vernunft über das Endliche ins Unendliche hinaus.“3 Der Begriff des Unendlichen entsteht aus dem Endlichen und es ist seine eigene ewige (unendliche) Iteration im logischen Prozess, der die Existenz der spezifischen Inhalte ermöglicht. Kurzum: Seiner eigenen Natur nach verweist das Endliche auf das Unendliche. „So ist das Endliche im Unendlichen verschwunden, und was ist, ist nur das Unendliche.“4 Es ist gerade diese letzte Behauptung, die einem ins Auge fällt. Was heißt genau, dass nur das Endliche ist, „und in intensiverem Sinn als das erste unmittelbare Sein“?5 Das Unendliche ist dasjenige, was wirklich ist, weil das Endliche sich als ein selbstwidersprüchlicher Begriff gezeigt hat. Darauf bezieht sich Hegel mit dem Gedanken, dass das Endliche im Unendlichen „verschwunden“ 6 ist. Mit anderen Worten: Die These, laut der alle spezifischen Inhalte notwendigerweise endlich sind, macht vom Begriff der Unendlichkeit Gebrauch, wobei die Unendlichkeit als Voraussetzung und Bedingung der Endlichkeit auftaucht. Deshalb sind nicht alle spezifischen Inhalte notwendigerweise endlich. Es gibt einen spezifischen Inhalt, der nicht endlich ist, und zwar der Begriff der Endlichkeit selbst und dessen logische Iteration. Der selbstwidersprüchliche Charakter vom Begriff der Endlichkeit widerlegt nicht nur in logischen Termini die These, dass alle spezifischen Inhalte endlich sind, sondern zeigt auch, dass die Unendlichkeit als die Voraussetzung der Endlichkeit zu verstehen ist. Als Voraussetzung der Endlichkeit würde der Begriff der Unendlichkeit die Tür dazu aufstoßen, ein mit sich selbst identisches, sich allen Negationen entziehendes Sein
TWA 5, S. 150. Ebd. 5 Ebd. 6 Ebd. 3 4
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zu denken. Aus diesem Grund wird das Unendliche als „eine neue Definition des Absoluten“7 angesehen. Was in diesem Szenario fehle, ist, ein angemessenes Substrat zu finden, das dem Begriff der Unendlichkeit zukommt. Damit würde man eine erfolgreiche metaphysische These aufstellen, denn die Idee, dass alle spezifische Inhalte endlich sind, hat sich selbst schon widerlegt. Dies ist jedoch das typisch unkritische Verfahren der Metaphysik, das Hegel in seiner Logik kritisieren möchte. Die Aufgabe, den Begriff der Unendlichkeit in ein Prädikat einer Entität zu verwandeln, benutzt dieses Konzept, ohne seine Voraussetzungen näher zu betrachten. Das zeigt sich mit eleganter Argumentationskraft im Abschnitt „Wechselbestimmung des Endlichen und Unendlichen“. Dort wird gezeigt, dass sich der Begriff der Unendlichkeit nicht der Negation entziehen kann, da man diese verwenden muss, um das Unendliche zu denken. Wie gewöhnlich impliziert der Anspruch, sich allen Negationen zu entziehen, oder alle Negationen zu negieren, wieder die Negation. Das Unendliche ist nämlich die Negation seines Gegenteiles, und zwar des Endlichen. Dass die Negation eine notwendige Voraussetzung der Unendlichkeit als Begriff darstellt, wird im metaphysischen Denken übersehen. Dies zu ignorieren, führt die metaphysische Philosophie zu unlösbaren Widersprüchen und Antinomien, wie schon im letzten Kapitel gezeigt wurde. Die Entstehung dieser Widersprüche ist nun logisch-kategorial zu erklären: Das metaphysische Verfahren hat den Anspruch, sich über den unaufhörlichen Prozess der Veränderung und der Vergänglichkeit der Endlichkeit eigens zu erheben, aber dabei reproduziert es die begriffliche Form der Endlichkeit. Das Endliche und das Unendliche nehmen gerade dadurch die Form des Etwas und des Anderen an, dass sie als Gegenpole einer dualistischen Struktur definiert werden. Die unkritische Konzeption des Unendlichen ist dann „in die Kategorie des Etwas mit einer Grenze zurückgefallen“.8 Mit diesem Begreifen des Unendlichen entkommt die Metaphysik den Kategorien des Etwas und der Endlichkeit nicht, sondern kehrt zu diesen zurück. TWA 5, S. 150. 8 TWA 5, S. 151. 7
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Es ist jedoch möglich, an Hegels Argument zu zweifeln. Den Gedanken, laut dem die Unendlichkeit selbst dadurch ein endlicher Inhalt ist, weil sie der Endlichkeit logisch entgegengesetzt wird, könnte man bloße Sophisterei nennen. Hat ein Gegenstand die Eigenschaft, unendlich und unvergänglich zu sein, sollte dies doch logischerweise bedeuten, dass er nie aufhört zu sein. Hegels Einwand gegen die Metaphysik würde demnach aus einer Verwirrung entstehen, bestehend daraus, die logische Entgegensetzung mit dem wirklichen Umkommen und Verschwindung zu verwechseln. Ist Hegels Einwand fehlerhaft, wäre dann die Metaphysik und ihre Aufgabe, das Absolute als unendliche Entitäten zu konzipieren, nicht vom Anfang an zum Scheitern verurteilt? Dieser Einwand kann ausgeschlossen werden, indem man zeigt, dass die Gegenstände, die die Eigenschaft tragen, unendlich zu sein, trotzdem dialektisch inkonsistent sind und so als Definitionen des Absoluten scheitern. Die dialektische Inkonsistenz bezüglich der Gegenstände, die sich als unendlich charakterisieren, bringt eine wichtige Konsequenz mit sich: Sogar, wenn man erfolgreich festlegen könnte, dass diese unendlichen Entitäten existieren, sind diese aus einer logisch-kategorialen Perspektive heraus nicht als das Absolute zu betrachten. Angenommen, es gebe zwei Welten, eine unvergängliche, etwa den platonischen Ideenkosmos, und eine vergängliche, die mit der empirischen Realität identifiziert werden könnte. Von dieser Perspektive aus hätte die unvergängliche Welt keine Dauer in der Zeit, während die empirische und vergängliche Welt eine begrenzte Dauer besäße. Empirisch gesehen, verginge ja die empirische Welt. Die unvergängliche Welt bliebe immer noch, und zwar ewig, existent. Aufgrund dieser Betrachtung lässt sich konkludieren, dass die unvergängliche Welt als dasjenige betrachten werden müsste, was realer und grundsätzlicher als die empirische Welt wäre. Kraft dessen koinzidiert diese unvergängliche Welt mit dem Absoluten. Angesichts dieser Argumentation sollte die philosophische Diskussion darauf fokussiert sein, die Existenz dieser unvergänglichen Welt zu versichern oder zu widerlegen. Doch Hegels Strategie ist, wie schon gesagt, viel radikaler. Es geht nämlich nicht darum, zu diskutieren, ob diese Welt existiert oder nicht, sondern darum, festzulegen, dass diese ewige, unendliche Welt (selbst wenn sie existieren würde)
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nicht erfolgreich als das Absolute gedacht und definiert werden könnte. Einem Gegenstand mit der Eigenschaft, unendlich zu sein, Absolutheit beizulegen, ist in der Tat ein fehlerhafter Gedankengang, denn logisch gesehen ist der Begriff der unvergänglichen Welt als Definition des Absoluten dialektisch inkonsistent. Dies ist einfach zu zeigen: Die unendliche und unvergängliche Welt wird logisch dadurch definiert, der empirischen und vergänglichen Welt entgegengesetzt zu sein. Daher erfüllt der Begriff der unendlichen Welt die Bedingung nicht, Abwesenheit von allen Negationen zu sein, denn er negiert die vergängliche Welt, um das, was sie ist, auch wirklich zu sein. Das Vorgehen, das Absolute in einem Substrat oder in einer Entität zu finden, die das Prädikat der Unendlichkeit tragen, ist selbstwidersprüchlich, genau wie der Begriff des Sollens. Aus diesem Grund ist der im metaphysischen Dualismus zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit implizierte Widerspruch doppelseitig. Einerseits sind die unendlichen Gegenstände bzw. unvergänglichen Welten oder Entitäten doch endlich im logischen Sinn, da die Eigenschaft der Unendlichkeit durch die Absonderung und Exklusion der Endlichkeit definiert wird. Das bedeutet jedoch andererseits, dass das Endliche dasjenige ist, was sich wirklich als unendlich und unvergänglich zeigt. Sogar das Unendliche erscheint wieder als endlich aus den schon erörterten Gründen. So Hegel: Dieser Widerspruch ist sogleich darin vorhanden, dass dem Unendlichen das Endliche als Dasein gegenüberbleibt; es sind damit zwei Bestimmtheiten; es gibt zwei Welten, eine unendliche und eine endliche, und in ihrer Beziehung ist das Unendliche nur Grenze des Endlichen und ist damit nur ein bestimmtes, selbst endliches Unendliches.9
Gerade darin stellt sich eine unüberwindbare Doppelantinomie dar. Der Begriff der Endlichkeit setzt einerseits die Unendlichkeit voraus und führt zu diesem aus logischen Gründen. Der Gedanke, dass alle spezifischen Inhalte endlich seien, setzt die Unendlichkeit voraus, denn er verweist auf die ewige, unendliche Iteration und den überwindbaren Charakter einer Denkbestimmung. Der Begriff der Endlichkeit ist, wie schon gesehen, ein nicht-endlicher Inhalt, 9
TWA 5, S. 152.
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denn das Endliche hört nie auf, endlich zu sein; es ist demnach unvergänglich. Doch auch die Behauptung, laut der es unendliche Inhalte gebe, die als Definitionen des Absoluten angesehen werden könnten, setzt andererseits den Begriff der Endlichkeit voraus. Der Begriff der Unendlichkeit ist selbst ein endlicher Inhalt, da er durch eine Entgegensetzung bestimmt und beschaffen ist. Damit fällt er unter die logischen Bedingungen des „Daseins“ im Allgemeinen, d.h. von demjenigen spezifischen Inhalt, der durch Beziehung auf andere Inhalte konstituiert und denkbar wird. Die von Hegel dargestellte Doppelantinomie besitzt eine kritische Funktion, indem sie jeden logischen Versuch unterminiert, die absolute Unendlichkeit in kosmologischen Termini konsistent zu denken. Die kosmologischen Vorstellungen der Unendlichkeit als Definitionen des Absoluten, wie z.B. die der unvergänglichen Welt, eines transzendenten Gottes oder einer Substanz, die alles, was es gibt, in sich enthält, stellen keine optimalen noch konsistenten Verständnisse des Absoluten dar. All diese Vorstellungen der kosmologischen Unendlichkeit sind bloß Entitäten oder Gegenstände mit der Eigenschaft, unendlich zu sein und gerade aus diesem Grund können sie nicht von einer logischen Perspektive aus als richtige Unendlichkeiten betrachtet werden, was jedenfalls gegen die klassische kosmologische Deutung des hegelschen Unendlichkeitsbegriffes spricht.10 In diesen kosmologischen Vorstellungen ist nicht die Reflexion hinsichtlich der kategorialen Voraussetzungen des Begriffes der Unendlichkeit integriert, noch das Bewusstsein über die „Wechselbestimmung“ des Endlichen und Unendlichen vorhanden.
Ich beziehe mich auf diejenigen Interpretationen, die die hegelsche Unendlichkeit als „Totalität“ im Sinn des unendlichen Universums darstellen. Z.B. behauptet Ivan Soll, dass Hegels Unendlichkeitsbegriff anhand der These verstanden werden muss, dass das Universum notwendigerweise aus begrifflichen Gründen unendlich sein muss. (I. Soll, An Introduction to Hegel’s Metaphysics, Chicago 1969, S. 116–118.) Das ist auch z.B. die Deutung von Frederick Beiser, der behauptet, dass die Unendlichkeit bei Hegel mit dem Begriff der „Totalität“, d.h. der immanenten Welt zu identifizieren sei (F. Beser, Hegel, a.a.O., S. 52). Dagegen muss daran erinnert werden, dass die Unendlichkeit zwar im Endlichen immanent liegt, jedoch kann sie nicht mit der ‚Welt‘ oder dem Universum als Substrat der Vorstellung oder der Prädikation identifiziert werden. 10
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Die Doppelantinomie impliziert auch einen hermeneutischen Imperativ. Dieser hilft uns, zu verstehen, warum die hegelsche Logik mit der Metaphysik zwar koinzidiert, aber zugleich als eine neue Art von Metaphysik gedeutet werden muss. Der Imperativ besagt: Die „wahrhafte“ bzw. „affirmative“ Unendlichkeit, die Hegel in seiner Logik auf konsistente Weise zu denken versucht, ist keine kosmologische Unendlichkeit, da diese immer noch in die Antinomie der Wechselbestimmung des Endlichen und Unendlichen fällt. Die wahrhafte Unendlichkeit ist dagegen für Hegel logisch – nicht kosmologisch. Wie kann man aber diese logische Unendlichkeit genau übersetzen? Genauer gefragt, wie kann man die Unendlichkeit auf konsistente Weise denken, wenn die Antinomie der Wechselbestimmung schon durch Hegel selbst festgelegt wurde? Eine konsistente Unendlichkeit, die sich nicht als etwas Endliches zeigt, scheint schwer denkbar zu sein, da diese an sich (sogar sprachlich) eine Negation (‚un‘) beinhaltet. Der entscheidende Punkt bei Hegel ist nun das Folgende: Anstatt eine Unendlichkeit zu denken, die die Endlichkeit exkludiert und negiert, geht es um einen Unendlichkeitsbegriff, der die Endlichkeit als solche inkludiert. Das impliziert auch, eine Endlichkeit zu denken, die nur Kraft der Unendlichkeit endlich sein kann. So ist die wahrhafte Unendlichkeit die prozessuale Einheit, die sich in differenzierter Weise sowohl im Endlichen als auch im Unendlichen manifestiert:11 Sie ist die Beziehung, die dem Endlichen und Unendlichen vorausgeht und ihnen Sinn gibt. Diese Beziehung ist der Grund dafür, dass die Doppelantinomie entsteht, wenn man das Unendliche und das Endliche getrennt denken möchte. Jedoch ist diese Relation kein Drittes, kein grösser Alper Türken fasst den Punkt so zusammen: „According to this, the infinite signifies not only one of the two sides of the distinction, but also the totality of the process that expresses itself in its doubling.“ (Alper Türken, Hegel’s Concept of the True Infinite and the Idea of a post-Critical Metaphysics, in: Allegra de Laurentiis (Hg.), Hegel and Metaphysics: On Logic and Ontology in the System, Berlin 2016, S. 9–26, besonders S. 17.). Ähnlich argumentiert Bubner (Rüdiger Bubner, Hegels Lösung eines Rätsels, in: Francesca Menegoni und Luca Illetterati (Hgg.), Das Endliche und das Unendliche in Hegels Denken, Stuttgart 2004, S. 17–34, besonders S. 25–27. 11
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Behälter, der das Endliche und das Unendliche in sich beherbergt. Dieser Gedanke würde erneut zu dem hier schon erwähnten Widerspruch der dialektischen Inkonsistenz des Unendlichen führen, denn von einem logischen Standpunkt aus wäre der Behälter nur etwas Anderes als das Endliche und das Unendliche, wobei der logische Charakter des begrenzten Daseins erneut erscheinen würde. Man kann in der Vorstellung des Behälters keine sich ausdifferenzierte Einheit des Endlichen und Unendlichen sehen. Die Metapher des Behälters bezieht sich nur auf eine äußerliche Einheit, die die Antinomie nicht überwinden kann. Die wahrhafte Unendlichkeit ist aus diesem Grund nicht die mereologische Summe der Endlichkeit und der Unendlichkeit. Als umfassende Relation existiert und verwirklicht sich diese wahrhafte Unendlichkeit in der Tätigkeit ihrer eigenen ‚Glieder‘. Das ist eben die allgemeine Bedingung der Relationen. Die Ehe ist z.B. als Relation zu erfassen, und zwar als eine, die logisch ihren Gliedern vorangeht. Es gebe nämlich keine verheirateten Personen, wenn die Ehe nicht existieren würde. Die Ehe manifestiert und verwirklicht sich im Leben und im Handeln der verheirateten Personen und deshalb ist die Ehe kein Behälter, der die Verheirateten in sich beinhaltet, noch die mereologische Summe der Eheleute. Die Ehe existiert vielmehr, weil die verheirateten Personen sich einander und gegenüber der Gesellschaft als Eheleute verhalten. Die Ehe, wenn man will, ist eine Einheit, die sich in jedem Ehepartner diversifiziert. Im Fall der wahrhaften Unendlichkeit manifestiert sich die Relation in der logischen Tätigkeit der Begriffe des Endlichen und des Unendlichen. Oder besser gesagt: Die wahrhafte Unendlichkeit ist gerade diese logische Tätigkeit und diese logische Prozessualität, die in beiden Begriffen stattfindet.12 So Hegel: Letzteres muss man entschieden gegen die Behauptung Peter-Ulrich Philipsens geltend machen, laut der Hegels Absicht darin bestehe, die Endlichkeit zu „tilgen“, da die schlechte Unendlichkeit nicht „aufhebungsfähig“ sei. (Vgl. Peter-Ulrich Philipsen, Nichts als Kontexte. Dekonstruktion als schlechte Unendlichkeit?, in: Andreas Arndt, Christian Iber (Hgg.), Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektive, Berlin 2009, S. 186–201, besonders S. 192.) Die Endlichkeit wird im Kontext der wahrhaften Unendlichkeit nicht getilgt, sondern radikalisiert, d.h. sie wird affirmiert und 12
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Eben darin, dass es [das Unendliche; A.P.] vom Endlichen abgesondert, damit als Einseitiges gestellt wird, liegt seine Endlichkeit, also seine Einheit mit dem Endlichen. – Das Endliche seinerseits, als für sich vom Unendlichen entfernt gestellt, ist diese Beziehung auf sich, in der seine Relativität, Abhängigkeit, seine Vergänglichkeit entfernt ist; es ist dieselbe Selbständigkeit und Affirmation seiner, welches das Unendliche sein soll.13
Die logische Prozessualität entsteht, denn das durch das Andere Vermittelt-sein ist die Bedingung für die Identität der Begriffe des Endlichen und des Unendlichen. Wie Schäfer anmerkt, die wahrhafte Unendlichkeit ist das „Vermittlungsgeschehen“ 14 beider Begriffe. So kann man die Tatsache, dass das Unendliche und das Endliche einander wechselbestimmen, nicht als bloße Iteration der Antinomie deuten, sondern als Manifestation ein und derselben Relation. Darauf bezieht sich Hegel mit dem zirkulären Prozess des Denkens als Voraussetzung für die wirkliche Überwindung der Linie des infiniten Progresses. Demgemäß lässt sich noch besser und präziser verstehen, warum die wahrhafte Unendlichkeit bei Hegel keine kosmologische ist. Sie ist vielmehr die logische Prozessualität und Relationalität, die der Identität und Existenz jedes spezifischen Inhaltes zugrunde liegen. Diese logische Prozessualität besagt, dass die Identität der spezifischen Inhalte, welche ihrer Definition nach immer endlich sind, nur relational, nur als Beziehung auf Anderes aufgefasst werden kann. Jeder spezifische Inhalt ist nur deshalb mit sich selbst identisch, weil er durch das Andere konstituiert wird. Aus diesem Grund ist die logische Identität jedes spezifischen Inhaltes die ausdifferenzierte Manifestation derselben logischen Relation, weshalb diese logische Relation keine Grenze hat und unendlich ist. Diese logische Form ist von daher keine Superstruktur, noch eine selbständige transzendente Entität, die den endlichen Inhalten entgegengesetzt zugleich auf ihre Wurzel zurückgeführt. Die Endlichkeit, die tatsächlich getilgt wird, ist die schlechte Endlichkeit, d.i. diejenige, die der Unendlichkeit entgegensetzt ist, da diese schlechte Endlichkeit, wie schon gezeigt, selbstwidersprüchlich ist und sich in der Antinomie der Wechselbestimmung befindet. 13 TWA 5, S. 158. 14 Vgl. Rainer Schäfer, Die Dialektik und ihre verschiedenen Formen in Hegels Logik, a.a.O., S. 107.
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ist. Da die logische Form nur relational ist, kann sie nur in Einheit mit der (logischen) Tätigkeit der ‚Relationsglieder‘ bzw. Relata verstanden werden. Diese logische Form ist demnach nicht bloß formell, denn sie ist nicht von ihrem Sich-Manifestieren und Ausdifferenzieren zu trennen, sondern lebt in jeder endlichen Sache. „Es ist da, präsent, gegenwärtig. Nur das Schlecht-Unendliche ist das Jenseits, weil es nur die Negation des als real gesetzten Endlichen ist […].“15 Als logische Prozessualität ist die wahrhafte Unendlichkeit daher diejenige Unendlichkeit, die sich selbst und das Endliche in sich umfasst. Dieser Gedanke, der lediglich ein Allerweltswort zu sein scheint, hat jedoch die folgende Bedeutung: Die logische Prozessualität, verstanden als die wahrhafte Unendlichkeit, umfasst das Endliche in sich, weil dieses nicht als die Negation der Unendlichkeit auftritt. Im vergänglichen und wechselhaften (logischen) Charakter der endlichen Sache ist nicht das Nichts zu sehen, das die Identität jedes Inhaltes zunichtemacht und zerfrisst, sondern vielmehr ist diese logische Vergänglichkeit die Bedingung der Möglichkeit der Identität. Dass endliche Inhalte und Sachen endlich sind, ist der Ausdruck von einer logischen Bewegung, die jeder Identität überhaupt zugrunde liegt. Eine logische Bewegung, die insofern unvergänglich und notwendig ist, als die endlichen Sachen vergänglich sind; ein Unendliches, das sich als unendlich nur innerhalb der Endlichkeit affirmiert. Die Endlichkeit ist nicht das Gegenteil des Unendlichen, sondern dessen Manifestation und Konkretion; die Unendlichkeit ist nicht das, was jenseits des Endlichen existiert, sondern dasjenige, was sich in diesem ausdifferenziert. Der Kern der logischen Unendlichkeit liegt eben darin, dass sie die Endlichkeit des Endlichen ermöglicht und darstellt. Dies erlaubt es auch, eine wahrhafte Endlichkeit zu denken, da die Endlichkeit der Ausdruck einer unvergänglichen logischen Prozessualität ist und sich auf diese stützt. Zugleich gestattet dies, eine gute bzw. wahrhafte Unendlichkeit zu erwägen, die logisch die Endlichkeit nicht konfrontiert, sondern diese tatsächlich ermöglicht und begründet. Dies geschieht aber nicht deswegen, weil die Unendlichkeit unabhängig von dem Endlichen existiert, sondern vielmehr darum, weil sie ihr Sich15
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Manifestieren im Endlichen ist und weil das Endliche als solches nur diese Manifestation des Unendlichen ist. Nun muss man Folgendes präzisieren: Dass die wahrhafte Unendlichkeit eine logische Prozessualität sei, die der Identität jedes Inhaltes zugrunde lege und alle endlichen Sachen Ausdruck ein und derselben logischen Relation seien, heißt jedoch nicht, dass man dieser logischen Prozessualität einen kosmologischen Charakter zuteilen kann. Insbesondere geht es nicht darum, zu behaupten, dass das Universum eine große Relation darstelle, in der alles Seiende aufeinander bezogen ist. So lässt sich der Gedanke nicht verstehen, dass alle endlichen Inhalte ausdifferenzierte Manifestationen der wahrhaften Unendlichkeit als logische Form sind. Es gibt verschiedene Relationen und Beziehungstypen, die die Basis für die Identität der endlichen Inhalte darstellen. Man findet Ehe, Arbeits- und pädagogische Verhältnisse, Relationen von Ideen, Begriffen und Argumenten sowie Verhältnisse zwischen Lebewesen etc. Was die Wissenschaft der Logik betrifft, ist nicht das kosmologische Kategorisieren dieser Relationen, d.h., die Frage zu beantworten, ob und wie eine Relation aus einer kosmologischen Perspektive in einer anderen beinhaltet ist; in der hegelschen Logik geht es vielmehr darum, durch begriffliche Argumente zu beweisen und sicherzustellen, dass all diese Verhältnisse die gleiche, logische Form besitzen und deswegen die Manifestation und Äußerung dieser universalen, logischen Form sind. Die kosmologische Unendlichkeit ist demnach durch die logische zu ersetzen, deren unendliche Gestalt sich auf die folgende These stützt: Irgendein spezifischer Inhalt erreicht und besitzt insofern Identität, als er durch anderen Inhalt beschaffen wird, weil die Begriffe und Denkbestimmungen, dank derer diese als spezifische und unterscheidbare Inhalte erscheinen können, Denkbestimmungen sind, die nur relational aufgefasst werden können. Daher ist die wahrhafte Unendlichkeit „die Realität in höherem Sinn als die früher einfach bestimmte; sie hat hier einen konkreten Inhalt erhalten“.16 Daraus folgt: „Das Endliche ist nicht das Reale, sondern das Unendliche“.17 Mit „der Realität“ ist aber nicht der Behälter gemeint, der alles Seiende in sich enthält, sondern die logische TWA 5, S. 164. 17 Ebd. 16
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Form aller spezifischen und unterscheidbaren Inhalte. Tatsächlich behauptet Hegel explizit, dass die Rede von der Realität nur pädagogisch sei. (In Klammern muss man hinzufügen, dass der Begriff der „Realität“ die Spezifizität in ihrer minimalen Form bezeichnet). Dadurch wendet sich Hegel gegen den Gedanken, dass die Unendlichkeit nur etwas „Ideelles“ darstelle, wobei Hegel im Rahmen der Argumentation unter „ideell“ dasjenige versteht, was jenseits der Realität steht und als etwas Unerreichbares erscheint. Die wahrhafte Unendlichkeit ist dagegen das Reale, denn die logische Vergänglichkeit des Daseins (die Tatsache, dass seine Identität nur kraft des Anderen zu denken sei) impliziert nicht die Abwesenheit oder Negation der wahrhaften Realität, sondern die Manifestation der logischen Unendlichkeit. Das Unendliche ist deswegen nicht für das Endliche unerreichbar, weil die Endlichkeit und die Vergänglichkeit des Daseins ein Ausdruck des Unendlichen sind. Wie schon erkannt, argumentiert Hegel in diesem Kontext, dass das Endliche das Ideelle und das Unendliche das Reale seien. Das Endliche ist ideell, nicht im Sinn, dass es etwas Unerreichbares sei, sondern weil es Ausdruck einer logischen Form ist, die durch das Denken erkennbar und bestimmbar wird. Das Unendliche ist das Reale, nicht aber deswegen, weil es die wahrhafte Realität ist, die jenseits oder hinter dem Endlichen steht, sondern weil es eine logische Prozessualität ist, die nur aufgrund ihrer Instanziierung in den endlichen Inhalten existiert. Dementsprechend ist diese logische Prozessualität keine subjektive Form unserer Auffassung der Welt, sondern die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinung und Existenz jedes realen und spezifischen Inhaltes und von daher stellt die logische Prozessualität das Realste dar. Hierbei kann man deutlicherweise die ontologischen Konsequenzen der hegelschen Logik betrachten: In der Tat ist das Reale nicht dasjenige, was gegenüber dem Subjekt steht und die Gestalt vom nicht-denkenden Ding besitzt. Diese Konzeption der Realität, verstanden als bloße Res Extensa, zeigt sich im Rahmen der logischen Analyse der wahrhaften Unendlichkeit als ein unkritisches und irreflexives Konzept des Absoluten. Hegel lehrt, dass die Realitätskonzeption, die besagt, dass das Reale das Nicht-denkende sei, einen Widerspruch in sich trägt. Sogar für die materialistischen oder physikalistischen Philosophien gilt der Gedanke, dass das
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Endliche nur etwas Ideelles ist. Diese Gedankensysteme reduzieren nämlich die endlichen Sachen auf geistige Prinzipien und Gedanken, wie z.B. die Materie, die physische Realität etc. „Prinzipien älterer oder neuerer Philosophien, das Wasser oder die Materie oder die Atome, sind Gedanken, Allgemeine, Ideelle, nicht Dinge, wie sich unmittelbar vorfinden, d.i. in sinnlicher Einzelheit“.18 Obwohl die Materie, das Wasser usw. auf nicht-geistige Inhalte verweisen, ist deren Rechtfertigungsbedingung doch geistig und intellektuell, denn das Wasser und die Materie beanspruchen es, Prinzipien zu sein. Prinzip-zu-sein ist jedoch keine empirische oder physische Eigenschaft, sondern dies ist nur durch den Gedanken und die begriffliche Argumentation sichtbar. Hängt die Rechtfertigung jedes philosophischen Prinzips – sogar der materialistischen Prinzipien – vom Gedanken ab, dann kann die Realität keineswegs als das Nicht-Denkende definiert werden, noch als dasjenige, was dem denkenden Subjekt in ontologischen Termini entgegengesetzt ist. Die materialistische Philosophie selbst setzt operativ (als Bedingung der Möglichkeit für ihre Wahrheitsrechtfertigung) voraus, dass der Gedanke fähig ist, die Realität zu bestimmen und deswegen an dieser teilhaben muss. Demzufolge ist die Definition der Realität als das Nicht-Denkende dialektisch inkonsistent. Damit stellt Hegel die These sicher, laut der jede Philosophie Idealismus sei und der Gegensatz zwischen realistischer und idealistischer Philosophie keinen Sinn ergebe. Jedoch ist eine vollkommene Rechtfertigung dieser These nur auf der Ebene des Übergangs von Substanz zum Subjekt zu erreichen. Dort wird die wahrhafte Unendlichkeit, die jetzt als eine universale, logische Form des Bezogenseins als Bedingung für die Identität erscheint, zu einer reflektierten und selbstbewussten logischen Form und damit zur Tätigkeit des Denkens im Allgemeinen.
18
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4. Wesen – Reflexion: Hegels nicht-essentialistische Auffassung des Wesens Vorbemerkungen Der Begriff der „wahrhaften Unendlichkeit“ bei Hegel verweist auf die logische Prozessualität, die der Existenz der spezifischen Inhalte zugrunde liegt. „Zugrunde-liegen“ bedeutet hierbei jedoch nicht, materielle Ursache dieser Inhalte zu sein, sondern vielmehr, diejenige logische Struktur darzustellen, die die Möglichkeit der Bestimmung ausmacht. Die Möglichkeit, dass die verschiedenen spezifischen Inhalte voneinander unterscheidbar sind, ist auf diese logische Prozessualität zurückzuführen; die Unterscheidbarkeit hat eine philosophische Erklärung, ist demnach keine mysteriöse Gegebenheit, mit der man unmittelbar rechnen muss. Jedoch zeigt die logische Entwicklung von Hegels Argumentation, dass der Ausdruck „zugrunde-liegen“ ungeeignet und unzureichend sein könnte, denn die Beziehung zwischen der logischen Prozessualität und den durch sie zu erklärenden spezifischen Inhalten ist nicht gerade das Verhältnis von Oberfläche und Basis als Unterebene des Ganzen. Die logische Prozessualität lässt sich nicht den spezifischen Inhalten entgegensetzen, da sie sich als eine logische, relationale Form charakterisiert, die nur insofern vorhanden ist, als sie in diesen Inhalten differenziert ausgedrückt wird. Zwischen der Relation (der Prozessualität) und ihren Relata (den spezifischen Inhalten) ist keine Entgegensetzung zu finden, noch die abstrakte Identität beider, sondern diejenige Identität, in der sich interne Differenzierungen und Unterscheidungen erkennen lassen. Das ist der Fall z.B. der sozialen Verhältnisse, wenn man ihre Natur richtig versteht: Jedes Individuum ist kein Atom innerhalb der Gesellschaft, das wohl die Entscheidung dafür treffen könnte, Verhältnisse und Beziehungen zu anderen zu haben; vielmehr ist jedes Individuum und jede individuelle Handlung die differenzierte Manifestation ein und desselben sozialen Verhältnisses. Um es anschaulicher zu erklären, kann man die hegelsche ontologische Relationalität analog zu einem Kuss verstehen: Es gibt nur einen Kuss, aber dieser konkretisiert und drückt sich differenziert in der Art und Weise aus, wie jede Person die andere küsst. Gleichzeitig ist die
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Tätigkeit jeder Person beim Küssen nur als Beziehung zu denken. Trotz dieses veranschaulichenden Beispiels aus dem Bereich der Gesellschaft, sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass Hegels Relationalitätsbegriff weit über diesen Bereich hinausgeht, da er besagt, dass die Spezifizität und die Identität jeder endlichen Sache als die interne Differenzierung eines Prozesses zu verstehen ist, der bisher den Namen „wahrhafte Unendlichkeit“ trägt. Im vorherigen Kapitel habe ich gezeigt, dass diese These mit der kritischen Funktion der Wissenschaft der Logik wesentlich verbunden ist: diejenigen substantiellen und identitären Betrachtungen und Definitionen der Bestimmung und der Spezifizität, die den verschiedenen vorkritischen metaphysischen Ansätzen tatsächlich zugrunde liegen, haben sich als inkonsistent und selbstwidersprüchlich erwiesen, womit das Auftreten einer relationalen Konzeption der Bestimmung gerechtfertigt worden ist, laut der ein und dieselbe logische Relationalität, nur von sich selbst ausgehend, sich verschiedenartig manifestiert und so den Reichtum der unterschiedlichen seienden Inhalte schafft und logisch (nicht physisch) konstituiert. Doch auf dieser Ebene ist die reflexive Theorie des Absoluten der Logik nicht gerade sichtbar. Zwar wissen wir schon, dass Hegel eine relationale Prozessontologie verteidigt, allerdings ist es nicht deutlich, wie Hegel das Rätsel der Reflexivität des Absoluten löst: Da er die antike Metaphysik dadurch kritisiert hat, das Absolute nur als Gegenstand des Denkens zu betrachten, muss seine neue, anhand der Logik aufgebaute Metaphysik nicht nur als eine Prozessontologie gesehen werden, sondern auch die Frage beantworten, wie das Denken des Absoluten auf konsistente Weise in die Ontologie integriert werden kann. Die These Hegels lässt sich im Allgemeinen so darstellen: Dasjenige, was wir „Wirklichkeit“ nennen, ist nicht den subjektiven Bestimmungen entgegengesetzt. Die Definitionen des Realen als dasjenige, was messbar und unpersönlich durch Mechanismen regiert und bestimmt ist, sind in Hegels Augen problematisch, denn sie können das Denken und die Subjektivität, die dieses Reale definieren und bedenken, nicht in konsistenter Weise in sich integrieren, wobei die denkende Subjektivität als etwas Irreales bestimmt werden müsste. Deswegen behauptet Hegel, dass die Wirklichkeit selbst, gedacht als eine sich in jedem endlichen Inhalt manifestierende Prozessualität, als freie und reflexive Struktur konzipiert werden muss. Die Reflektiertheit und Freiheit, die gewöhnlich als distinkti-
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ve Merkmale der Subjektivität gelten, gehören demnach zur Wirklichkeit selbst (dies verweist keinesfalls auf die Existenz eines kosmischen Super-Bewusstsein oder eines selbstbewussten Universums). Die den endlichen Inhalten zugrundeliegende logische Prozessualität soll sich dann als reflexive Struktur zeigen, die die Existenz von denkenden und selbstbewussten Wesen innerhalb ihrer selbst ermöglicht und vorstellbar macht. Wenn dies zutrifft, dann sind das Absolute und der Gedanke des Absoluten strukturidentisch. So kann man den Gedanken hinsichtlich des Absoluten ins Absolute selbst inkludieren. Damit versetzt aber Hegel die gewöhnliche Bedeutung der Subjektivität und versucht, sie neu aufzubauen: Die Subjektivität soll nicht mit dem res Cogitans (keinesfalls also mit einem denkenden Ding, das der Welt entgegengesetzt ist) identifiziert werden, sondern sie ist ein logischer und relationaler Prozess, in dem sich bestimmte und präzise begriffliche Koordinaten finden lassen. Diese Koordinaten lassen sich im dialektischen Verhältnis zwischen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zusammenfassen und sind aufgrund der immanenten Entwicklung der logischen Prozessualität denkbar, die den spezifischen Inhalten zugrunde liegt. Daher ist die Subjektivität logisch kompatibel mit dem relationalen Prozess, aufgrund dessen die spezifischen Inhalte entstehen können, da von einer logischen Sicht aus die Subjektivität, die begreifende Tätigkeit eine begriffliche Deduktion dieses Prozesses ist. Die Subjektivität gehört demnach zur logischen Form, zur Wirklichkeit. Dies drückt aber nicht die ganze Wahrheit aus. Die Subjektivität ist nämlich nicht nur ein spezifischer Inhalt, der durch die logische Form bestimmt wird und zum Absoluten gehört, sondern auch das Selbstbewusstsein des Absoluten bzw. der logischen Form, da sie mit der letzteren strukturidentisch ist. Nur der Subjektivität kommt diese Würde zu. In diesem Zusammenhang kann man von einer reflexiven Theorie des Absoluten sprechen, denn der Gedanke des Absoluten ist dem Absoluten selbst nicht äußerlich, sondern kann darin auf konsistente Weise einbezogen werden. In den folgenden drei Kapiteln sollen die Argumente rekonstruiert werden, mittels derer die logische Prozessualität als frei und reflexiv zu denken ist und durch welche die Grundlage einer reflexiven Theorie des Absoluten dargestellt wird.
§14. Reflexion als immanente Seinsweise der logischen Prozessualität Wie gerade erläutert, vertritt Hegel zwei grundsätzliche Thesen: Einerseits die These, dass jeder spezifische Inhalt nicht einfach unmittelbar identifizierbar, sondern als Manifestation und Konkretisierung einer lebendigen logischen Prozessualität zu verstehen ist (das wissen wir aufgrund der Entwicklung der Seinslehre); zweitens die These, die nun mithilfe der Wesenslehre beweisen werden muss, dass zu diesem Prozess die „Reflexion“ als immanente Seinsweise gehört. In dieser Hinsicht bezieht sich „Reflexion“ ganz im Allgemeinen auf das Verhältnis der logischen Prozessualität zu den von ihrer aktiven Bewegung erzeugten spezifischen Inhalten: Die Prozessualität reflektiert oder spiegelt sich in den endlichen Sachen wider. Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass dieses Reflexionsverhältnis substratlos zu betrachten ist. Das bedeutet, dass die logische Prozessualität keine metaphysische Struktur ist, die sich unabhängig von ihrer Widerspiegelung oder Reflexion in den endlichen Sachen denken lässt, sondern nur als das Reflektieren, als das Widerspiegeln selbst aufgefasst werden muss. In diesem Abschnitt geht es darum, die Argumente Hegels zu rekonstruieren, welche diesem Begriff der Reflexion zugrunde liegen. In diesem Zusammenhang muss man aber im Voraus sagen, dass der Terminus „Reflexion“ weder eine der Wirklichkeit äußerliche, subjektive Tätigkeit beschreibt1, noch auf einen wirklichen Robert Pippin und Michael Quante haben unlängst die These verteidigt, dass „Reflexion“ auf die subjektive Handlung des Denkens verweist. Pippin stützt sich darauf, dass das Erkennen und das Bestimmen des Wesens eines Gegenstandes einen Akt des Denkens erfordern, der diese wesentliche Bestimmung „setzt“ (posits). (Dazu vgl. Hegel’s Idealism, a.a.O., S. 202; Hegel’s Realm of Shadows, a.a.O., S. 235.) Seinerseits argumentiert Quante, dass die Wesenslogik aus der Inkonsistenz der naturalistischen Ontologie entsteht, nämlich aus der Inkonsistenz des Versuches, einen Ansatz über das Sein zu konstruieren, ohne das subjektive Denken zu beachten. (Dazu: Michael Quante, Die Lehre vom Wesen. Erster Abschnitt. Das Wesen als Reflexion in ihm selbst, in: Michael Quante, Nadine Mooren (Hgg.), Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik, Hamburg 2018, S. 275–324; ders., The Logic of Essence as Internal Reflection, in: Dean 1
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Reflexionsprozess verweist, der ohne Bezugnahme auf die Subjektivität verstanden werden muss.2 Meiner Meinung nach ist es einseitig, nur eine Anschauungsweise der Reflexion auf Kosten der anderen hervorzuheben. Zugunsten der ontologischen Interpretation kann man sagen, dass dasjenige, was zunächst reflektiert, das Wesen selbst und nicht das subjektive Denken ist. Dies betreffend drückt sich Hegel deutlich aus: „Diese Bewegung als Weg des Wissens vorgestellt, so erscheint dieser Anfang vom Sein und der Fortgang, der es aufhebt und beim Wesen als einem Vermittelten anlangt, eine Tätigkeit des Erkennens zu sein, die dem Sein äußerlich sei und dessen eigene Natur nichts angehe. Aber dieser Gang ist die Bewegung des Seins selbst.“3 Das Festlegen eines Wesens ist demnach kein einfaches Resultat der „Tätigkeit des Wissens“, sondern gilt auch als „Bewegung des Seins selbst“. Außerdem, wie Rohs4 behauptet, verwendet Hegel den Terminus „Reflexion in sich“ und nicht „Reflexion über etwas“, weil er die Reflexion-in als objektiven und ontologischen Prozess beschreiben möchte. Das ist jedoch kein Grund dafür, die hermeneutische Absicht der subjektiven Lesart von Pippin und Quante gänzlich auszuklammern, denn die „Bewegung des Seins selbst“ wird auch von einem subjektiven Denken gedacht und ohne diese Thematisierung wäre Moyar (Hg.), The Oxford Handbook of Hegel, Oxford University Press, New York 2017, S. 243.) Eine ähnliche Argumentationsweise findet sich bei Günter Kruck (vgl. Günter Kruck, Hegels Wesenslogik als Logik der Reflexion, in: Andreas Arndt, Günter Kruck (Hgg.), Hegels Lehre vom Wesen, Berlin 2016, S. 35–37). Dasselbe meint Béatrice Longuenesse, für die die Wesenslogik das Argument enthält, dass die Welt der Erscheinungen durch das Denken ausgemacht wird (vgl. Beátrice Longuenesse, Hegels Critique of Metaphysics, Cambridge 2007, S. 5). 2 Diesbezüglich behaupten S. Houlgate, Peter Rohs und Christian Iber, dass die Reflexion als ontologische Struktur gedeutet werden muss. (Vgl. Houlgate, S., Essence, Reflexion and Inmediacy in Hegel’s Science of Logic, in: Houlgate, S., Baur, M. (Hgg.), A Companion to Hegel, S. 142; Ch. Iber, Hegels Begriff der Reflexion als Kritik am traditionellen Wesensund Reflexionsbegriff, in: Andreas Arndt, Günter Kruck (Hgg.), Hegels Lehre vom Wesen, Berlin 2016, S. 23; Peter Rohs, Form und Grund. Interpretation eines Kapitels der hegelschen Wissenschaft der Logik, Bonn 1982, S. 52.) 3 TWA 6, S. 13. 4 Vgl. Rohs, a.a.O., S. 52 ff.
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Hegels Reflexionslogik nur vorkritische Metaphysik. Diesbezüglich ist das Folgende anzumerken: Die ontologische Deutung der Reflexion, welche die an dem hegelschen Reflexionsbegriff vorhandene Metaphysikkritik richtig hervorhebt, erlaubt und ermöglicht die Thematisierung der Reflexion in subjektiver Hinsicht: Wenn Hegel die interne Widersprüchlichkeit der dem klassisch-metaphysischen Wesensbegriff zugrundeliegenden Dualismen aufzeigt, stellt er den Begriff des Scheins in Frage, der sowohl in der traditionellen Metaphysik als auch in den Theorien des Denkens als bloß subjektive Reflexion vorausgesetzt wird. Damit beweist Hegel, dass es eine logische Korrelation zwischen der metaphysischen Wesenskonzeption und dem subjektiven Reflexionsbegriff gibt. In diese Richtung behauptet zutreffend Thomas M. Schmidt: „[…] [D]er unzureichende Begriff des Wesens, über den die traditionelle Ontologie verfügt und der unzureichende Reflexionsbegriff der Subjektphilosophie, lassen sich am prägnantesten an der mangelhaften Interpretation des Scheins darstellen, der diesen Konzeptionen zugrunde liegt.“5 Gegen solch einen Begriff des Scheins verteidigt Hegel – wie ich hierbei zeigen werde – Folgendes: Der Schein, das, was unmittelbar scheint, ist die logische Prozessualität, wobei diese nur als ihr Scheinen zu verstehen ist. Der Schein verfälscht oder deformiert das Wesen nicht, weil dieses nur die Bewegung seines Scheinens ist. Dieser neue Begriff des Scheins als Scheinen des Wesens ist jedoch mit einer Konzeption des Denkens als bloß subjektive Reflexion inkompatibel, weil die These, es gebe eine jenseits des Scheins stehende Wirklichkeit, die zudem für das Denken unzugänglich ist, selbstwidersprüchlich ist. Der Begriff des Wesens als seine Reflexion – als sein Scheinen – zeigt also deutlich, dass sich Hegel sowohl gegen die vormalige Metaphysik als auch gegen die Transzendentalphilosophie wendet. Wie die Reflexion gleichzeitig subjektiv und objektiv sein kann d.h. wie sie sich sowohl als das Absolute als auch als der Gedanke des Absoluten zeigt, ist aber nur innerhalb des Überganges von Wesenszur Begriffslehre zu erfahren. Doch Hegels Reflexionsbegriff im ersten Kapitel der Wesenslehre bietet schon eine anfängliche BeThomas Schmidt, Die Logik der Reflexion. Der Schein und die Wesenheiten, in: A. Koch und F. Schick (Hgg.), G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik, Berlin 2002, S. 101. 5
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schreibung dieser Einheit von subjektiver Reflexion des Denkens und objektiver Reflexion der Sache, was zudem eine anfängliche Beschreibung der logischen und ontologischen Überwindung des Dualismus von Objektivität und Subjektivität beinhaltet. Untersuchungsziel ist es jetzt, diesen Reflexionsbegriff in der genannten Richtung zu rekonstruieren. In §14A möchte ich sehr kurz einige Begriffe und Probleme einführen, um Hegels Reflexionsbegriff und dessen Problematik zu kontextualisieren. Danach beschäftige ich mich mit Hegels Aufhebung des Dualismus von Schein und Wesen und somit mit der Darstellung der These, laut der die logischen Prozessualität keine hinter den oder jenseits der spezifischen Inhalte(n) befindliche metaphysische Struktur ist, sondern nur ihr Sich-entfalten und Sich-manifestieren als spezifischer Inhalt ist (§14B). Die Frage, warum dies als Alternative gegenüber einer metaphysischen, fundamentalistischen Argumentationsstrategie gedeutet werden muss, wird auch in jenem Abschnitt behandelt. In §14C rekonstruiere ich Hegels Argumente, mittels derer die logische Unmöglichkeit einer „äußeren Reflexion“ – d.h. eine Konzeption derselben, die diese für eine bloß subjektive Tätigkeit hält, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat – bewiesen wird. A. Sein und Wesen Der Beweis der These, die logische Prozessualität sei als Reflexion zu erfassen, findet innerhalb der Wesenslehre statt. Die Anmerkung ist aber nicht trivial, denn, wie in der Literatur oftmals dargelegt worden ist, ist es die Aufgabe der Wesenslogik, dasjenige, was implizit in der Seinslogik operiert, zu thematisieren und explizit zu machen.6 In seinem Kommentar zur Wesenslogik hat Klaus Schmidt erklärt, dass im Bereich des Seins zwar die Negativität und die Reflexion schon vorhanden sind, jedoch nicht als explizite Denkbestimmungen thematisiert werden. (Klaus Schmidt, G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik – Die Lehre vom Wesen, München 1997, S. 16; ders., Zum Unterschied zwischen Wesenslogischer und Seinslogischer Dialektik, in: Dieter Wandschneider (Hg.), Das Problem der Dialektik, Bonn 1997, S. 32–51.) Dazu auch: John Burbidge, The Logic of Hegel’s Logic, Broadview Press, Quebec 2006, S. 62 f. Dies bedeutet meines Erachtens, dass in der Wesenslogik die logische 6
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In der Wesenslogik geschieht dann eine Reflexion über die Seinslogik. In der Letzteren ging es darum, die identitäre These der Spezifizität, laut der die Bestimmung (der spezifische Inhalt) und die Unmittelbarkeit korrelative Begriffe sind, zu problematisieren und zu widerlegen. Wie im letzten Kapitel gesehen, verfolgte diese Widerlegung immer ein präzises Verfahren: Die identitäre These der Spezifizität drückt sich in schon bekannten Dualismen und scheinbar irreduziblen, kategorialen Distinktionen aus, die aus einer traditionellen und gewöhnlichen Perspektive als Grundlage für die Unterscheidbarkeit der Inhalte aufgefasst werden müssten. Ist das so, dann besteht die Form, einen philosophischen Angriff gegen eine solche identitäre These zu entwickeln, darin, diese kategorialen Distinktionen zu zerstören oder „aufzulösen“, und zwar durch das Zeigen ihrer dialektischen Inkonsistenz und Selbstwidersprüchlichkeit. Dazu wurde in diesem Text immer explizit darauf hingewiesen, dass auf der Grundlage dieser Dualismen eine Trennung zwischen Position und Negation vorhanden war. Etwas von der Negation zu trennen, bedeutet jedoch, dasjenige, was von der Negation distinkt und Prozessualität, aufgrund derer die seienden Inhalte spezifisch sein können, als solche behandelt wird. Das ist auch noch auf ein anderes Merkmal der Wesenslogik bezogen, das in der Literatur immer hervorgehoben wird: Während die Bedeutung der Begriffe in der Seinslogik auf den ersten Blick ohne Beziehung auf ihr Gegenteil verstanden werden kann, sind die Begriffe der Wesenslogik doch nur relational aufzufassen. (Vgl. Gerhard M. Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik“, Stuttgart 1994, 101–114; Claudia Wirsing, Grund und Begründung. Die Normative Funktion des Unterschieds in Hegels Wesenslogik, in: Anton F. Koch, Friedrike Schick, Klaus Vieweg, Claudia Wirsing (Hgg.), Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik, Hamburg 2014, S. 157.) Der begriffliche Gehalt in der Seinslogik ist eine fixierte Kategorie, in der Wesenslogik eine Relation. In der Wesenslogik geschieht in der Tat eine Reflexion über das Sein dadurch, dass das Wesen – die logische Prozessualität – die Inhalte des Bereiches des Seins „setzt“ oder „vermittelt“. Das Wesen erscheint dann als Vermittlungs- oder Erklärungsbeziehung. Darin erscheinen die Begriffe immer aus logischen Gründen miteinander verbunden: ein Explanans zu definieren verlangt es auch, ein Explanandum zu denken – und umgekehrt. Wie jedoch noch zu zeigen ist, ist die gewöhnliche Vorstellung der Vermittlungsbeziehung (in der dem Explanans eine logische Hierarchie gegenüber dem Explanandum zukommt, da Jenes nicht durch Dieses vermittelt wird) dialektisch inkonsistent.
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getrennt ist, als ein Negatives zu konzipieren, als etwas, das am Negationsbegriff teilhat. Die Unmöglichkeit, die Rolle der Negativität in der Gestaltung der Bedeutung von allen Kategorien zu vermeiden, welche die Festlegung von Unterscheidungen und Bestimmungen erlauben, ist der Grund einer relationalen Theorie der Spezifizität. Diese relationale Theorie führt dann dazu, dass es keine in geheimnisvoller Weise schon gegebenen spezifischen Inhalte gibt, sondern, dass eine logische Prozessualität existiert, die diese Inhalte miteinander artikuliert und dank derer sie wirklich spezifisch sind. In der Wesenslogik betrachten wir aber den logischen Prozess als solchen; dieser wird darin als solcher thematisiert und nicht nur dessen konkrete Ausdrücke in der Widerlegung von bestimmten Dualismen (wie es in der Seinslogik geschieht). Diese explizite Thematisierung des logischen Prozesses als solcher findet folgendermaßen statt: Die relationale Theorie der Bestimmung zu akzeptieren, deutet auf die Eliminierung der Unmittelbarkeit des Seins hin. Diesbezüglich lassen sich verschiedene Argumente in der Logik finden, durch die die definitive Eliminierung der Unmittelbarkeit des Seins zu rechtfertigen ist, z.B. die, die auf die Überwindung des Dualismus zwischen Qualität und Quantität abzielen.7 Darauf konzentriert sich diese Arbeit nicht, da ihre AufDie Überwindung des Dualismus von Quantität und Qualität weist darauf hin, dass das Quantitative das Qualitative verändern kann und umgekehrt. Eine Gruppe z.B., die nur aus zehn Soldaten besteht, gilt nicht als richtige Armee. Wenn aber alle in einer Gesellschaft Soldaten wären, dann könnte man die Armee nicht von anderen Berufen oder sozialen Stufen unterscheiden. Aus diesem Grund sagt man z.B.: Wenn alles x ist, dann ist gar nichts x. Diese These stellt die Unmittelbarkeit der Qualität in Frage, denn die Tatsache, dass die Quantität nicht nur die Qualität misst, sondern diese auch radikal alterieren und verändern kann, zeigt, dass die Qualität und somit das Sein selbst relational zu betrachten sind. So liegt das Wesen der Dinge, d.h. dasjenige, was diese sind, nicht einfach in ihnen, sondern hängt von einem relationalen, logischen Prozess der Interaktion von Quantität und Qualität ab. Der Gedanke der logischen Interdependenz von Quantität und Qualität bedeutet deswegen die Trennung zwischen Sein und Unmittelbarkeit. Mit dieser Trennung ist der Hauptansatz der Seinslogik im Allgemeinen, nämlich die Einheit von Sein und Unmittelbarkeit, nicht mehr denkbar. So behauptet R. Dottori: „Da das Maß die gerechte Beziehung von Quantität und Qualität ist, so ist das Maß auch das Wesen, 7
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gabe darin besteht, die Konsequenzen und neuen Probleme hervorzuheben, die aus der Eliminierung der Unmittelbarkeit des Seins entstehen. Die offensichtliche Konsequenz dieser Eliminierung lautet, dass dasjenige, was das Sein ist (also: dessen Spezifizität und Unterscheidbarkeit), nicht durch die eigene Unmittelbarkeit erklärt werden kann. Das Sein erläutert sich nicht von selbst, sondern durch den logischen Prozess, aus dem es als bestimmtes Sein entsteht. Diese Schlussfolgerung enthält jedoch ein Problem, das nun gelöst werden muss: Wenn wir behaupten, dass A durch B zu erklären ist, setzen wir voraus, dass A und B unterschiedlich sein müssen. Diese Annahme, die scheinbar zu keiner Polemik führen dürfte, präsentiert sich jedoch als problematisch in Hegels Augen. Die These zu vertreten, dass das Explanans (das Erklärende, der logische Prozess) und das Explanandum8 (die Unmittelbarkeit des Seins) unterschiedlich sein müssen, läuft erneut auf diejenigen Dualismen und kategorialen Distinktionen hinaus, die der Seinslogik eigen sind, aber an dieser Stelle aufgehoben sein sollten. Aufgabe des ersten Kapitels der Wesenslehre ist es dann, eine Theorie der Wesentlichkeit des logischen Prozesses zu entwickeln, die jedoch gleichzeitig diesen Dualismus zwischen Explanans und Explanandum überwindet und aufhebt. Diese neue Theorie gilt als Alternative gegenüber der traditionellen bzw. „metaphysischen“9 Wesenstheorie. (Damit sieht man, das mittels seiner selbst sich erhaltende Sein. Indem also im Sein Vermittlung liegt, ist das Sein nicht mehr ein unbestimmtes Unmittelbares, ein unmittelbar Gegebenes, sondern ist die Unmittelbarkeit in der Form der Bestimmtheit, das in ihm selbst bestimmt Vorliegende.“ (Ricardo Dottori, Wesen als Reflexion. Hermeneutische Bemerkungen über den Anfang der Logik des Wesens, in: Hegel Scienzia della logica, Teoria Rivista di filosofia XXXIII, 1 (2013), S. 140.) 8 Dietmar Heidemann hat schon die Termini „Explanans und Explanandum“ verwendet, um die Beziehung zwischen Wesen und Erscheinung zu verdeutlichen. (Vgl. Dietmar H. Heidemann, Die Lehre vom Wesen – Zweyter Abschnitt. Die Erscheinung, in: Michael Quante, Nadine Mooren (Hgg.), Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik, Hamburg 2018, S. 325–386, besonders S. 333.) Meiner Meinung nach kann man auch das Verhältnis zwischen Wesen und Sein bzw. Schein so verstehen, da das Wesen sich als „Wahrheit des Seins“ präsentiert. 9 Vgl. Christian Iber, Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin 1990, S. 58 ff.
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inwiefern die Wesenslogik als Kritik an der Metaphysik fungiert). Der metaphysischen Tradition nach ist das Wesen eines Gegenstandes als eine Grundeigenschaft zu verstehen, die für diesen notwendig oder definitorisch ist. Unabhängig von der Diskussion darüber, ob die wesentliche Eigenschaft eines Gegenstandes modal (als notwendige Eigenschaft) oder definitorisch (als Kern seiner Definition) zu denken ist10, liegen in der traditionellen Wesensauffassung 10Dazu
ausführlicher: Teresa Robertson und Philip Atkins, Essential vs. Accidental Properties, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2018 Edition), Edward N. Zalta (Hg.), URL = . Die modale Definition der wesentlichen Eigenschaften lautet: Eine wesentliche Eigenschaft ist diejenige, die ein Gegenstand haben muss, um zu existieren; die unwesentlichen dagegen sind diejenigen, die der Gegenstand nur haben kann. Diese Stellung wird bekannterweise durch S. Kripke in seinem Aufsatz Naming and Necessity vertreten. (Vgl. Saul Kripke, Naming and Necessity, in: D. Davidson und G. Harman (Hgg.), Semantics of Natural Language, Boston 1972, S. 253–355.) Die definitorische Konzeption der wesentlichen Eigenschaften lautet dagegen: Eine wesentliche Eigenschaft ist nicht nur eine notwendige, sondern eine, die mit dem Sein des Gegenstandes direkt zu tun hat. Laut Robertson und Atkins vertritt Kit Fine diese These. (Vgl. Kit Fine, Essence and Modality: The Second Philosophical Perspectives Lecture, in: Philosophical Perspectives 8 (1994), S. 1–16.) Im Bereich der Literatur bezüglich Hegels Philosophie versucht Robert Stern einen relativ ähnlichen Unterschied zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften bei Hegel zu etablieren. Stern behauptet nämlich, dass Hegel zwischen Allgemeinheit als Substanz und Allgemeinheit als Eigenschaft differenziert. So im Urteil „die Rose ist rot“ sind sowohl „Rose“ als auch „rot“ Allgemeinheiten, allerdings bezeichnet der erste Terminus die Substanz, das, was der Gegenstand ist, während sich der zweite nur auf eine Eigenschaft des Gegenstandes bezieht. (Vgl. Hegel, British Idealism and the Curious case of the Concrete Universal, in: British Journal for the History of Philosophy 15 (1), S. 115–153.) Wie schon im ersten Kapitel gezeigt, ist diese Trennung in Hegels Philosophie nicht zu finden, denn „Rose“ (das Allgemeine) und „rot“ (das Besondere) sind als Momente, nicht als isolierte Kategorien zu konzipieren. Das Was des Gegenstandes (in diesem Fall: „Rose“) kann nicht von dem Wie desselben (also: „rot“) getrennt werden. Jedes Was muss auf irgendeine Weise gegeben sein, was bedeutet, dass die Besonderheit für die Allgemeinheit wesentlich ist, da letztere mit der Bewegung ihrer Besonderung zusammenfällt. In diesem Kapitel werden wir sehen, wie Hegel selbst diese
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die folgenden Annahmen:11 1). Das Wesen eines Gegenstandes herauszufinden, bedeutet, seine Mannigfaltigkeit von Bestimmungen auf eine Eigenschaft zu reduzieren, die dasjenige, was der Gegenstand ist, definiert und erklärt; 2). Der ersten Annahme folgend, muss man beim Aufzeigen des Wesens einen Unterschied zwischen dem Wesentlichen und dem Unwesentlichen des Gegenstandes aufstellen; 3) Daraus lässt sich die allgemeine Vorstellung der Erklärung herleiten, die sich in der hierarchischen Differenzierung von Explanans und Explanandum ausdrückt: Eine Erklärung muss immer asymmetrisch sein, nie aber zirkulär, denn das Erklärende muss niemals durch das zu Erklärende erklärt werden: das Unwesentliche kann nicht dem Wesen wesentlich sein; das Fundament kann nicht im Begründeten begründet werden; die Ursache kann keine Wirkung der Wirkung sein usw. Kurzum: Das Explanandum (das zu Erklärende) hängt von dem Explanans (dem Erklärenden) ab, nicht aber umgekehrt.12 Inwiefern Hegels Konzept des Wesens als Gegenvorschlag zu dem traditionellen Begriff desselben auftritt, lässt sich schon vom Einleitungstext zur Wesenslehre ableiten. Das Wesen muss nämlich als „Wahrheit des Seins“ 13, aber nicht als Anderes gegenüber dem Sein betrachtet werden: „Das Wesen ist absolute Einheit des An- und [des] Fürsichseins; sein Bestimmen bleibt daher innerhalb dieser Einheit und ist kein Werden noch Übergehen, so wie die Bestimmungen selbst nicht ein Anderes als Anderes, noch Beziehungen auf Anderes sind.“14 Unterscheidung von Wesentlichkeit und Unwesentlichkeit in den Begriff der Reflexion aufhebt, etwas, das Stern in seinem Ansatz meiner Meinung nach nicht berücksichtigt. 11 Pirmin Stekeler-Weithofer hat zudem gezeigt, dass diese traditionelle Wesensauffassung auch im Unterschied von „internen“ und „externen“ Eigenschaften eines Gegenstandes und in der Differenzierung von analytischen und synthetischen Sätzen vorhanden ist. (Dazu: Pirmin StekelerWeithofer, Hegels analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung, Paderborn 1992, S. 237–238.) 12 Diese drei Annahmen der klassisch-metaphysischen Wesensauffassung gelten als eigene Übersetzung der Anmerkung, die in der Literatur oft gefunden werden kann, nämlich, dass das Wesen keinesfalls als „einfache Negation des Seins“ aufgefasst werden kann. (Dazu: Wölfle, a.a.O., S. 120; Iber, a.a.O., S. 62.) 13 TWA 6, S. 13. 14 TWA 6, S. 15.
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Wie kann man aber einen Begriff des Wesens entwickeln, der diese zwei Kriterien erfolgreich erfüllt? Behauptet man, das Wesen sei die Wahrheit des Seins, muss man voraussetzen, dass aufgrund des Unterschiedes zwischen Explanans und Explanandum das Wesen anders als das Sein ist; behauptet man aber, es gebe keine Alteritätsbeziehung zwischen Sein und Wesen, würde das implizieren, dass keine Wahrheit des Seins existiert. Die Lösung dieses Dilemmas ist aber nur durch die immanente Analyse der „Denkbestimmungen“ zu erreichen. In diesem Fall führen die Widersprüche der traditionellen Wesenskonzeption zu einer neuen Auffassung, in der der Schein bzw. das Unwesentliche dem Wesen nicht entgegengesetzt wird, sondern als Entfaltung und Verwirklichung des Wesens zu denken ist. Hegel schlägt demnach weder die fundamentalistische Richtung, die in dem Suchen eines hinter oder jenseits des Scheins liegenden Wesens besteht, noch den anti-fundamentalistischen Weg ein, der die unmittelbare Sphäre des Seienden nicht weiter transzendiert.15 B. Dialektische Inkonsistenz des Gegensatzes von Sein und Wesen Im ersten Kapitel der Wesenslehre, welches den Titel „Schein“ trägt, setzt sich Hegel mit den logischen Voraussetzungen des traditionellen Wesenskonzeptes auseinander. Da dieses traditionelle Dazu ausführlicher: Stephen Houlgate, Hegel’s Critique of Foundationalism, in: Anthony O’Hear (Hg.), German Philosophy Since Kant, Cambridge 1999, S. 25–46. Auch desselben Verfassers: Stephen Houlgate, Hegel, Nietzsche and the Criticism of Metaphysics, Cambridge 1986, S. 123 ff. Houlgate vertritt die These, mit der ich im Allgemeinen einverstanden bin, dass der logische Prozess und die Rationalität bei Hegel keine metaphysische Struktur ist, die hinter den sich verändernden Phänomenen und historischen Handlungen des Menschen liegt. Doch diese Phänomene und historischen Handlungen des Menschen, da sie eben als sich verändernde Inhalte zu denken sind, besitzen eine innere Logik, die als Form ihrer eigenen Relationalität und ihrer Veränderung gedeutet werden muss. Wie genau Hegel eine innere Logik des Seienden (also ein Wesen) denkt, ohne sie dabei als metaphysische, jenseits existierende Struktur zu deuten, erfahren wir mittels des Begriffes der Reflexion. Damit wird klar sein, inwiefern Hegel die Entgegensetzung von Fundamentalismus und Antifundamentalismus wirklich aufhebt. 15
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Konzept auf ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Wesen und Sein bezogen ist, tritt letzteres als dasjenige auf, was vermittelt ist, während ersteres als das Unmittelbare fungiert. Hierauf Bezug nehmend, kann man jedoch die folgende Frage stellen: Warum erscheint das Wesen „zunächst als ein Unmittelbares genommen“ 16, wenn sich das Wesen als Aufhebung aller Unmittelbarkeit zeigt? Die Antwort lautet meiner Meinung nach: Gerade dadurch, dass das Wesen die Unmittelbarkeit eliminiert, muss es „zunächst“ als Unmittelbares behandelt werden. Die Eliminierung der Unmittelbarkeit ist in der Tat der These gleichzusetzen, dass die Unmittelbarkeit nur Schein ist, da diese durch eine logische Bewegung der Begriffe vermittelt ist. Innerhalb dieser These kann man auf den ersten Blick zwischen dem Vermittelnden (dem Wesen) und dem Vermittelten (dem Sein) unterscheiden. Das Sein ist demnach dasjenige, was durch das Wesen vermittelt ist; die Beziehung findet aber nicht umgekehrt statt, denn wenn das Wesen durch das Sein vermittelt werden würde, würde die Unmittelbarkeit des letzteren wiederhergestellt werden. Aufgrund der Asymmetrie der Vermittlungsbeziehung muss man dem Wesen die Unmittelbarkeit zuschreiben. Der Grund dafür ist einfach zu verstehen: Da das Wesen nicht durch das Sein vermittelt werden kann, ist es dasjenige, was von gar nichts vermittelt wird, d.h. es ist unmittelbar.17 Damit kann man sehen, dass die Unmittelbarkeit, die „zunächst“ dem Wesen entspricht, kein Gedankenexperiment ist, welches eine TWA 6, S. 17. John Burbidge ist der Auffassung, dass die Charakterisierung des Wesens als unmittelbar eine Art intellektuelle Operation des Verstandes ist, welches den logischen Ursprung des Wesens als Resultat eines logischen Prozesses vergisst. (Dazu: John Burbidge, On Hegel’s Logic. Fragments of a Commentary, Atlantic Highlands 1981, S. 64.) Ich bin damit einverstanden, dass die logische Charakterisierung des Wesens als unmittelbar, als Wesenskonzeption des Verstandes definiert werden muss. Doch diese Vergessenheit des Verstandes darf nicht äußerlich erklärt werden, d.h. sie ist nicht ein Resultat der Sturheit des Verstandes. Der Verstand tritt nicht plötzlich – ohne Grund – auf der Bühne auf, sondern das verständige Moment ist immer in den reinen Denkbestimmungen vorhanden, um natürlich später aus logischen Gründen aufgehoben zu werden. Die Unmittelbarkeit des Wesens lässt sich demnach aus seinem Begriff ableiten, da es gerade die Negation aller Unmittelbarkeit des Seins ist, und als solche muss dieses Wesen durch gar nichts vermittelt werden. 16 17
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richtige theoretische Transition von der Seinslehre zu der Wesenslogik versichert (wie Henrich behauptet).18 Der Unmittelbarkeits-Charakter des Wesens beruht auf dem Problem, welches Hegel in der Wesenslogik auflösen möchte, und zwar auf der zuerst richtig erscheinenden Idee, dass innerhalb einer Vermittlungsbeziehung das Vermittelnde (im Gegensatz zu dem Vermittelten) als unmittelbar gedacht werden muss. Jedoch, wie gesagt, wendet sich Hegel gerade gegen diese Wesensauffassung, da sie selbstwidersprüchlich und dialektisch inkonsistent ist. Der in dieser Wesensauffassung liegende Grundwiderspruch ist nach Hegel folgender: Das Wesen ist einerseits „die Negation der Sphäre des Seins überhaupt“.19 Andererseits jedoch verhalten sich „Sein und Wesen […] auf diese Weise wieder als Andere überhaupt zueinander, denn jedes hat ein Sein, eine Unmittelbarkeit, die gegeneinander gleichgültig sind“.20 Anders ausgedrückt: es gibt zwei miteinander inkompatible Behauptungen, die aus der traditionellen Diesbezüglich legt Dieter Henrich folgendes Argument dar, nämlich, dass dieses Kapitel als die Rechtfertigung des Begriffes des Wesens als „Nachfolger“ des Seins verstanden werden muss. Das bedeutet, dass der Wesensbegriff das Sein in sich als partiell und einseitig inkludieren kann, wie z.B. eine neue bessere Theorie eine vorherige in sich enthält. (Vgl. Dieter Henrich, Hegels Logik der Reflexion. Neue Fassung, in: Dieter Henrich (Hg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978, S. 230–235.) In dieser Hinsicht gelte das Kapitel als eine Art Gedankenexperiment, welches voraussetzt, dass Wesen und Sein getrennt sein müssen, um mittels des Aufzeigens der internen Widersprüche dieser Annahme einen richtigen Wesensbegriff als „Nachfolger“ des Seins zu entwickeln. Ich bin mit Henrich insofern einverstanden, als das Wesen als „Nachfolger“ des Seins zu bestimmen ist. Was ich jedoch bezweifle ist, dass das ScheinKapitel als bloßes Gedankenexperiment aufgefasst werden kann. Die initiale Trennung von Sein und Wesen, mit der Hegel das Kapitel beginnt, lässt sich nicht auf ein mentales Experiment zurückzuführen, sondern ist aus der Behauptung herzuleiten, dass das Wesen die „Wahrheit“ des Seins ist. Da man auf den ersten Blick zwischen der Wahrheit als solcher und dem Objekt ihrer Wahrheit (also demjenigen, was diese Wahrheit fundamentiert), unterscheiden kann (das ist der Fall bei den asymmetrischen Erklärungen in der metaphysischen Auffassung des Wesens, in der Kausalität usw.), tauchen Sein und Wesen zunächst als entgegengesetzte Kategorien auf. 19 TWA 6, S. 18. 20 Ebd. 18
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und metaphysischen Wesenstheorie hergeleitet werden können. Aus dem klassischen Wesenskonzept lässt sich deduzieren, dass das Wesen „die Negation der Sphäre des Seins überhaupt ist“ und damit der Gedanke, dass dem Sein keine Unmittelbarkeit zuzuschreiben ist, denn alles Seiende ist vermittelt. Aus demselben Wesenskonzept kann man aber auch schließen, dass dem Sein doch Unmittelbarkeit zuzuschreiben ist. Das hegelsche Argument, um den Widerspruch des traditionellen Wesensbegriffs aufzuzeigen, ist meines Erachtens so zu verstehen: In der These, dass das Wesen unmittelbar ist, liegt unbedingt der Gedanke, dass es unabhängig vom Sein existieren muss, ist es doch durch gar nichts vermittelt. Behauptet man, das Wesen sei durch gar nichts vermittelt, muss man daraus auch deduzieren, dass das Wesen unabhängig von seiner Beziehung auf das Sein zu definieren ist; sonst wäre das Wesen ja dadurch vermittelt. Auf diese Weise wird das Wesen zu einem gleichgültigen Substrat, dessen Beziehung auf das Sein indifferent ist, d.h., die Beziehung kann zwar gegeben sein, jedoch ist sie nicht für das Wesen logisch definitorisch. Diese Betrachtung des Wesens als von jeder Beziehung unabhängiges Substrat führt dazu, das Wesen als seiendes Substrat zu denken. Hierin erscheint aber wieder der logische Bereich des Seins, der doch aufgehoben sein sollte. Das Wesen ist die Negation der „Sphäre des Seins“, aber auch ihre Wiederherstellung, da es hierbei nach diesem identitären Verständnis, der Seinslogik eigen, gedacht wird. Das bedeutet, das Wesen wird als unmittelbares Dasein definiert, welches einen spezifischen Inhalt unabhängig von Beziehungen auf das Andere trägt. Fällt nun das Wesen in die „Sphäre des Daseins“ zurück, dann gewinnt auch das Sein seine Unmittelbarkeit zurück, wird dann zu einem anderen Substrat, das dem Wesen auch indifferent ist. Wenn ein Pol einer logischen Struktur nämlich als „unmittelbares Dasein“ betrachtet wird, muss folglich der andere Pol auch auf diese Weise verstanden werden. Dieser Widerspruch kann anhand der Unterscheidung zwischen dem Wesentlichen und dem Unwesentlichen ausführlicher und deutlicher bestimmt und erläutert werden. Diese Trennung drückt den Versuch aus, den Dualismus zwischen Sein und Wesen in eine Entgegensetzung von zwei seienden Regionen zu übersetzen. Um mehr Klarheit in Bezug auf Hegels Argumente zu gewinnen, kann man die dialektische Inkonsistenz dieses Dualismus mittels eines Beispiels rekonstruieren.
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Angenommen, es gibt einen Gegenstand (Jean-Paul Sartre), der vier Eigenschaften hat (Sartre ist Mensch, Franzose, Philosoph und Verfasser von L’ Être et le Néant). Was ist dann das Wesentliche bei Sartre? Auf diese Frage befriedigend zu antworten, ist eine der größten Schwierigkeiten der Unterscheidung zwischen dem Wesentlichen und dem Unwesentlichen. Den von Hegel dargestellten Kriterien folgend, kann man jedoch auf den ersten Blick festlegen, dass eine Eigenschaft nur dann als wesentlich gilt, wenn sie andere Eigenschaften vermittelt, ohne jedoch durch diese vermittelt zu werden. Mit anderen Worten: Eine Eigenschaft ist unwesentlich, wenn sie einem Gegenstand nur auf Grundlage anderer Eigenschaften zugeschrieben werden kann; eine Eigenschaft ist aber wesentlich, wenn es möglich ist, sie immer und ohne Referenz auf andere Eigenschaften einem Gegenstand zuzuordnen. So kann man das Verhältnis zwischen dem Wesentlichen und dem Unwesentlichen als asymmetrische Beziehung denken. Für den Fall Sartres ist seine wesentliche Eigenschaft die Menschheit, denn diese ist eine Bedingung dafür, Franzose und Philosoph zu sein und L’ Être et le Néant geschrieben zu haben. Die Eigenschaften „Philosoph“, „Franzose“ und „Verfasser“ werden dann durch die Eigenschaft „Mensch“ vermittelt, weil nur Menschen (wenn man die Menschheit mit der Vernunft assoziiert) philosophieren und ihre Ideen niederschreiben können. Da aber nicht alle Menschen Philosophen oder Franzosen sind, ist die Eigenschaft „Mensch“ bei Sartre nicht aufgrund der anderen gegeben, d.h. sie ist nicht durch diese vermittelt. Doch diese Separation zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften führt zu unvermeidbaren Widersprüchen und Antinomien. Damit wird gezeigt, dass die Vermittlungsbeziehung, konzipiert als asymmetrisches Verhältnis, dialektisch inkonsistent ist. Eine logische Konsequenz dieser Separation ist in der Tat, dass die wesentliche Eigenschaft „Mensch“ die Eigenschaften „Philosoph“, „Franzose“ und „Verfasser“ nicht in sich enthält, da nicht alle Menschen Philosophen, Franzosen oder Verfasser sind. Diese Asymmetrie impliziert jedoch, dass die unwesentlichen Eigenschaften unmittelbar, selbständig und unabhängig von der wesentlichen Eigenschaft sind: Die unwesentlichen Eigenschaften können nicht aus der wesentlichen Eigenschaft deduziert werden, da diese die ersten nicht beinhaltet. Wenn aber die unwesentlichen Eigenschaften in irgendeinem Sinn unabhängig von der wesentlichen Eigenschaft sind, dann ist die Unterscheidung zwischen dem Wesen-
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tlichen und dem Unwesentlichen von einem internen Widerspruch durchdrungen: Eine Eigenschaft ist in der Tat nur dann wesentlich, wenn sie das Sein des Unwesentlichen definiert und erklärt; doch dies kann nicht geschehen, da die unwesentlichen Eigenschaften in irgendeiner Hinsicht unabhängig von der wesentlichen Eigenschaft sind. Daraus folgt, dass die wesentliche Eigenschaft in Bezug auf die unwesentlichen nicht wesentlich ist. Der Anspruch auf Asymmetrie, der impliziert, dass die Eigenschaft „Philosoph“ aus der Eigenschaft „Mensch“ nicht logisch hervorgeht, ist mit dem Vermittlungsanspruch inkompatibel, da die Eigenschaft „Philosoph“ nicht durch die Eigenschaft „Mensch“ zu erklären ist, sondern durch andere Eigenschaften und Umstände. In diesem Fall wird die Eigenschaft „Philosoph“ nicht wirklich durch die Eigenschaft „Mensch“ vermittelt, was bedeutet, dass ihre Beziehung nur äußerlich ist. Dagegen kann man jedoch einwenden, dass doch eine logische Verbindung zwischen der Eigenschaft „Mensch“ und anderer Charakteristika Sartres zu finden ist, und zwar ist die erste Eigenschaft eine notwendige Bedingung für die anderen. Daher sind die Eigenschaften nicht vollkommen voneinander unabhängig. Trotz ihrer Richtigkeit präsentiert diese Unterscheidung keine Lösung für das Problem und führt den Ansatz gerade auf dem von Hegel gezeigten Punkt: der Unterschied zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem erscheint als ein „äußerliches Setzen“, d.h. als ein Unterschied, der durch ein Drittes oder eine externe Perspektive etabliert wird.21 Denn die Eigenschaft „Mensch“ ist nicht die einzige notwendige Bedingung für die Eigenschaften „Philosoph“, „Franzose“ und „Verfasser“. Das Vorhandensein des physischen Universums und der Gesetze der allgemeinen Relativitätstheorie sind auch notwendige Bedingungen, genauso wie die Existenz von Sartres Urgroßeltern. Welche von diesen Eigenschaften ist Sartres wesentliche Eigenschaft? Ein physisches Wesen zu sein, ist nicht genug, um Philosoph zu werden; doch das trifft auch auf die Eigenschaft „Mensch“ zu (das zu sein, reicht auch nicht aus, um Philosoph zu werden). Beide Eigenschaften (physisch und Mensch zu sein) sind demnach gegenüber der Eigenschaft „Philosoph“ unwesentlich, wobei das Problem erneut entsteht. Ausgehend vom Common Sense kann man jedoch protestieren und dann behaupten, dass die Eigenschaft „Mensch“ einen spezi21
TWA 6, S. 19.
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fischen Unterschied bezeichnet, der anderen physischen Wesen nicht zugeschreiben werden kann. Dadurch wäre die Verbindung zwischen den Eigenschaften „Mensch“ und „Philosoph“ wesentlicher als die Verknüpfung zwischen „physischem Wesen“ und „Philosoph“. Was Hegel in diesem Fall sagen würde (hierin stelle ich aber im Voraus Hegels Wesenskonzeption als Reflexionsprozess dar), ist, dass man die Sprache und die Semantik der Eigenschaften und der Unterscheidung zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem beiseitelassen muss. Die Menschlichkeit Sartres ist ja sein Wesen, dasjenige, was ihn definiert, jedoch ist dies keine Eigenschaft, die nicht isoliert noch anderen Eigenschaften entgegengesetzt werden kann, denn dies würde ein Zurückfallen in die Seinslogik bedeuten. In Hegels Augen ist es jedenfalls besser, zu behaupten, dass Sartres Menschheit darin ausgedrückt und reflektiert wird, Philosoph zu sein, denn die Menschheit reflektiert und äußert sich in der Ausführung eines Berufes – das ist der Menschheit wesentlich, Bücher geschrieben zu haben, denn der Anspruch auf Universalität in der menschlichen Tätigkeit ist der Menschheit wesentlich. Die Menschlichkeit als Wesen ist demnach keine wesentliche Eigenschaft, die den unwesentlichen Eigenschaften gegenübersteht, sondern ein Äußerungs- und Reflexionsprozess im Unwesentlichen, denn die Menschheit reflektiert und konstituiert sich als Menschheit in der Philosophie, der Kultur, der Arbeit usw. Die Menschheit (das Wesen) erscheint als Philosophie und als Sprache (als das Unwesentliche), wodurch sie wieder genau als Menschheit auftritt (und somit wieder als Wesen). Darauf bezieht sich Hegel mit dem Gedanken, dass das Wesen als Bewegung der „Reflexion in ihm selbst“ auftritt und so in der Lage ist, einen internen Unterschied aus sich zu entwickeln, der die Unmittelbarkeit und Mannigfaltigkeit des Unwesentlichen schafft. Diese Konklusion, die hierbei nur propädeutisch im Voraus erläutert worden ist, muss jedoch auf der logisch-begrifflichen Ebene noch legitimiert werden. Die logische Entwicklung des Wesens kann noch weiter fortgeführt werden, denn es besteht noch die Möglichkeit, eine asymmetrische Vermittlungsbeziehung zwischen Sein und Wesen vorzuschlagen. Dabei wird das Sein nicht als das Unwesentliche definiert, sondern als das Scheinbare und Trügerische, das dem wahrhaften Wesen gegenübersteht. Hierdurch ist der neue Unterschied anders als der zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem, denn auf der Seite des Scheins ist kein wirkliches bzw. wahrhaftes Dasein vor-
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handen, denn der Inhalt des Scheins ist immer illusorisch. Diese neue Charakterisierung des Seins als nichtiger Schein kommt dadurch zustande, dass die Unmittelbarkeit des ersteren aufgrund der Vermittlung des Wesens scheinbar und illusorisch ist. Das Sein, als Schein verstanden, gilt als „das an und für sich nichtige Unmittelbare“.22 Mittels dieser Terminologie bezeichnet Hegel die Tatsache, dass zwar dem Schein die Unmittelbarkeit zukommt, denn er ist ohnehin gegeben, jedoch sind die in dieser Unmittelbarkeit zu erfassenden Bestimmungen und Inhalte illusorisch, trügerisch und sogar falsch. Wenn wir sagen, eine Person scheint gut zu sein, ist die Güte zwar unmittelbar, denn diese (er)scheint in der Handlung des Heuchlers, doch in Wirklichkeit existiert diese Tugend nicht. Die Unmittelbarkeit der scheinbaren Güte koinzidiert mit ihrer eigenen Nicht-Existenz und Nichtigkeit. Der Schein ist nichtig qua unmittelbar und unmittelbar qua nichtig: „Das Sein ist Schein. Das Sein des Scheins besteht allein in dem Aufgehobensein des Seins, in seiner Nichtigkeit; diese Nichtigkeit hat es im Wesen, und außer seiner Nichtigkeit, außer dem Wesen ist er nicht.“23 Der hier dargestellte Unterschied zwischen Sein und Wesen liegt Hegels Meinung nach dem Skeptizismus und dem subjektiven Idealismus zugrunde.24 Dieser Dualismus ist nämlich auf die These beTWA 6, S. 19. TWA 6, S. 20. 24 In dieser Hinsicht behauptet Hegel: „So ist der Schein das Phänomen des Skeptizismus oder auch die Erscheinung des Idealismus eine solche Unmittelbarkeit, die kein Etwas oder kein Ding ist, überhaupt nicht ein gleichgültiges Sein, das außer seine Bestimmtheit und Beziehung auf das Subjekt wäre.“ (TWA 6, S. 20.) Auf die Frage hin, ob Hegels Verweis auf den kantischen Begriff der Erscheinung als richtige Deutung der Transzendentalphilosophie gilt, werde ich nicht antworten. Schon McTaggart hat im Jahr 1910 diese Deutung für eine falsche Vorstellung (missrepresentation) gehalten. (John McTaggart, A Commentary on Hegel’s Logic, Cambdrige 1910, S. 100.) Zur Kritik an Hegels Deutung von Kant siehe auch: Aliki Lavranu, „Das Wesen muss erscheinen“. Zum Verhältnis von Wesen und Erscheinung bei Kant und Hegel, in: Hegel-Jahrbuch 2016, S. 332–338. Zur Verteidigung von Hegels Kant-Kritik: Javier Fabo Lanuza, Die „absolute Negativität“ und die „Zerrissenheit der Reflexion“. Die „Wesenslehre“ als Szenario der Antwort Hegels auf Kant, in: Hegel-Jahrbuch 2016, S. 339–343. Unabhängig von dieser Debatte ist anzumerken, dass die 22 23
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zogen, dass dem Seienden gerade dieselbe Bestimmung entspricht, die sich in der scheinbaren Güte, den optischen Illusionen und den sogenannten Fake News finden lässt: Der Schein scheint der Fall zu sein, aber in Wahrheit ist er das nicht, denn dasjenige, was doch der Fall ist, erscheint und manifestiert sich im Schein nicht. Was doch der Fall ist und nicht im trügerischen Schein auftritt, ist das Wesen. Wenn der Schein und das Wesen so aufgefasst werden, könnte man dazwischen eine asymmetrische Vermittlungsbeziehung erblicken. Der Schein definiert sich nur in Bezug auf das Wesen, auf dasjenige, was doch der Wahrheit entspricht, denn der Schein ist gerade eine falsche bzw. illusorische Darstellung dieser Wahrheit, d.h. des Wesens. Insofern wird der Schein durch das Wesen begrifflich vermittelt – nur beim Referieren auf das Wesen ist der Schein definierbar –, nicht aber umgekehrt, denn das Wesen ist nur das Wahre, es besteht unabhängig davon, ob es innerhalb des Scheins verstellt wird. Das Wesen ist in dieser Hinsicht unmittelbar, während der Schein, da er Verfälschung und Verdrehung des Wesens ist, als vermittelt auftaucht. Jedoch ist Hegel der Überzeugung, dass diese neue Version des Dualismus von Sein (Schein) und Wesen gerade zur Unmittelbarkeit des Scheins führt, was das Zusammenbrechen der Distinktion bedeutet. In der Tat „scheint [der Schein; A.P.] aber selbst noch eine vom Wesen unabhängige unmittelbare Seite zu haben und ein Anderes desselben überhaupt zu sein“.25 Ist der Schein unmittelbar, dann verfällt die ganze dualistische Struktur, da in diesem Fall keine Vermittlungsbeziehung zwischen Sein (Schein) und Wesen vorhanden wäre. Welche ist aber die argumentative Grundlage dieser hegelschen Überzeugung? Der Schluss, dass der Schein in der hier dargestellten dualistischen Struktur doch unmittelbar ist, basiert gerade auf dessen begrifflicher Bestimmung. Die Natur des Scheins ist problematisch, weil er nicht ist, aber man in ihm trotzdem Inhalte finden kann. Wie kann man das verstehen? Der Widerspruch des Scheins dialektische Inkonsistenz der Unterscheidung Schein-Wesen als Kritik gegen jede skeptische oder subjektiv-idealistische Position gelesen werden muss, die die Realität als Deformation oder Verfälschung einer tiefliegenden Wahrheit definiert, z.B. als ein Halluzinationsszenario oder als bloß scheinende Illusion. 25 TWA 6, S. 19.
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löst sich dadurch auf, dass in dem Moment, in dem die Wahrheit bzw. das Wesen aufgedeckt wird, die (scheinbaren) Bestimmungen des Scheins verschwinden. Der Widerspruch des Scheins hat kein Bestehen, sondern wird durch das Sich-Zeigen des Wesens aufgelöst. Diese Art und Weise, die Auflösung des Widerspruches des Scheins zu verstehen, ist mit dem Common Sense und den gewöhnlichen Situationen zu verknüpfen, in denen wir aufgrund neuer Evidenz unsere Meinung bezüglich bestimmter Tatsachen ändern. Das geschieht z.B., wenn wir zuerst glaubten, dass ein Geräusch in einem Haus von der Präsenz einer Person herrührt, später aber erfahren, dass es in Wahrheit vom Wind erzeugt wurde. Die Präsenz der Person ist scheinbar, sie ist nicht; was der Fall ist. Was wirklich ist, ist der Wind. Diese Art und Weise, den Widerspruch des Scheins aufzulösen, kann jedoch nicht auf den Begriff des Scheins selbst angewandt werden, bezeichnet dieser den Bereich des Seins im Ganzen. Dafür gibt es einen überzeugenden Grund: In den gewöhnlichen Fällen kommt dasjenige, was wirklich der Fall ist, doch ans Licht; innerhalb dieser Situationen (er)scheint das Wahre bzw. das Wesen und lässt sich so entdecken. Im Dualismus von Wesen und Schein wird aber vorausgesetzt, dass das Wesen in dem Bereich des Seins nicht (er)scheinen kann. Für denjenigen, der den Dualismus von Wesen und Schein überhaupt akzeptiert (z.B. für den Skeptiker oder den subjektiven Idealisten), ist bezüglich des vorherigen Beispiels nicht nur die Präsenz der Person als Schein zu bestimmen, sondern auch der Wind, der das Geräusch verursacht. Die Fehlerberichtigung im gewöhnlichen Leben, in der der Schein durch die Wahrheit ersetzt wird, ist bezüglich des Dualismus von Sein und Wesen eine nur scheinbare Fehlerberichtigung; nur der Ersatz eines Scheins durch einen anderen. Der Widerspruch des Scheins (er ist nicht, trotzdem lässt sich in ihm Inhalt finden) kann nicht durch das gewöhnliche Lösungsmodell auf dieser Ebene geklärt werden. Da aber die gängigen Mittel nicht auf den Widerspruch des Scheins unter der Annahme des Dualismus von Schein und Wesen anwendbar sind, tun sich neue unlösbare Probleme auf, die die dualistische Struktur angehen muss. Dadurch, dass das Wesen nie scheinen kann, hat der Schein eine „unmittelbare Seite gegen das Wesen“26 und fällt deswegen erneut in die Seinslogik zurück. Mit 26
TWA 6, S. 21.
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dem Dualismus von Schein und Wesen ist der Versuch verbunden, eine asymmetrische Vermittlungsbeziehung zu denken, in der das Wesen unmittelbar und der Schein vermittelt und nichtig ist. Jedoch kann der Schein nur dann als nichtig erklärt werden, wenn die Wahrheit bzw. das Wesen ans Licht kommt und (er)scheint. Dieses Ans-Licht-Kommen des Wesens ist der Grund dafür, dass der Schein in der Tat nichtig ist. Das (Er)scheinen des Wesens ist es, wodurch der Schein nicht ist und sich als illusorisch, trügerisch usw. zeigt. Dem Dualismus von Schein und Wesen nach ist es jedoch unmöglich, dass das Wesen (er)scheint. Die Konsequenz daraus lautet: es ist unmöglich, den Schein als nichtig zu bestimmen. Ist dies aber der Fall (da das Er(scheinen) des Wesens, nie zustande kommen kann), muss man auch zugeben, dass der Schein als unmittelbar und wahrhaft gelten muss. Wenn der Schein nicht als nichtig erklärt werden kann, ist er einfach vorhanden, und zwar ohne weitere Erklärung oder Vermittlung, da er nur durch sich selbst (nicht durch das Scheinen des Wesens) erklärt werden kann. Der Schein ist das, was er ist, nur auf seiner eigenen Grundlage, deswegen muss er als unmittelbar bezeichnet werden: „Er [der Schein; A.P.] kann diesen oder jenen Inhalt haben; aber welchen er hat, ist nicht durch ihn selbst gesetzt, sondern er hat ihn unmittelbar.“27 Der Gedanke der Nichtigkeit des Scheins, welcher der Grundstein des Skeptizismus und des subjektiven Idealismus ist, beruht gerade auf der These, dass der Schein unmittelbar ist. Durch die Nichtigkeit des Scheins möchte der Skeptizismus sozusagen auf den dogmatischen Mythos des Gegebenen verzichten, reproduziert er jedoch diesen Mythos, da sich der von ihm geprägte Begriff des Scheins nicht als nichtig denken lässt. Daher ist, wie Klaus Vieweg es formuliert, ein logisches Kontinuum zwischen dem „Mythos des Gegebenen“ und dem „Mythos des Konstruktivismus“ vorhanden.28 Aus diesem Grund ist die dualistische Auffassung der Beziehung von Sein und Wesen (entweder als Unterschied zwischen dem WeTWA 6, S. 20. Klaus Vieweg, Hegels sizilianische Verteidigung. Die Beziehung der Wesenslogik zu Metaphysik, Skeptizismus und Transzendentalphilosophie, in: Andreas Arndt, Günter Kruck (Hgg.), Hegels Lehre vom Wesen, Berlin 2016, S. 57. 27 28
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sentlichen und dem Unwesentlichen oder als Differenzierung zwischen Schein und Wesen ausgedrückt) dialektisch inkonsistent. Resultat dieser dualistischen Auffassung ist notwendigerweise der Gedanke der Unmittelbarkeit des Scheins. Es gibt aber noch eine weitere notwendige Konsequenz dieses dualistischen Verständnisses, in der das Wesen aufhört, wesentlich gegenüber dem Schein zu sein. In der Tat hat das Wesen einen wesentlichen Charakter, weil der Schein durch es (also: durch das Wesen) vermittelt und erklärt wird. Aber innerhalb der dualistischen Struktur ist der Schein unmittelbar, er wird nicht durch das Wesen vermittelt oder erklärt, da das Wesen nicht (er)scheinen kann. Das kann demnach nur bedeuten, dass das Wesen seine Wesentlichkeit verliert, wenn es auf dualistische Weise bezüglich des Scheins verstanden wird. Die wichtigste Konsequenz der dualistischen Struktur, die ihre Selbstüberwindung darstellt, ist jedoch folgende: Der Schein ist dem Wesen wesentlich, denn der Gedanke, dass dem Schein nur das Unwesentliche zuzuschreiben ist, führt zur Unmittelbarkeit des Scheins und somit zur Nicht-Wesentlichkeit des Wesens. Das bedeutet, dass sich das Wesen in dem Unwesentlichen und im Schein ausdrücken muss; das Wesen muss scheinen. Ohne diese Bedingung zu erfüllen, verwandelt sich das Wesen aus logischen Gründen in das Unwesentliche, wie gerade erläutert wurde. Das Wesen ist negativ zu denken und zu definieren, d.h. als Selbstnegation, denn es ist nur wesentlich dadurch, dass ihm der Schein wesentlich ist. Nun kann man aufgrund der These, dass der Schein dem Wesen wesentlich ist, den Sinn der Behauptungen Hegels zur Natur des Wesens deutlich und artikuliert erläutern. Diese Behauptungen fassen sich im folgenden Zitat zusammen: Das Aufheben dieser Bestimmtheit des Wesens besteht daher in nichts weiter als in dem Aufzeigen, dass das Unwesentliche nur Schein ist und dass das Wesen vielmehr den Schein in sich selbst enthält, als die unendliche Bewegung in sich, welche seine Unmittelbarkeit als die Negativität und seine Negativität als die Unmittelbarkeit bestimmt und so das Scheinen seiner in sich selbst ist. Das Wesen in dieser seiner Selbstbewegung ist die Reflexion.29
Hierbei kann man drei Behauptungen finden, die, obwohl sie in dieser Arbeit getrennt analysiert und dargelegt werden, als äquivalente 29
TWA 6, S. 23 f.
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und immanente Seinsweise des Wesens – konzipiert als Reflexionsprozess – zu verstehen sind: 1). Das Wesen enthält den Schein in sich selbst; 2). Das Wesen ist die unendliche Bewegung in sich, in der sich die Negativität und die Unmittelbarkeit gegenseitig definieren lassen; 3). Das Wesen ist das Scheinen seiner in sich selbst. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie jede dieser drei Behauptungen aus der These hervorgeht, laut der der Schein dem Wesen wesentlich ist. 1). Das Wesen enthält den Schein in sich selbst. Auf den ersten Blick könnte man denken, dass die These, dass der Schein dem Wesen wesentlich ist, nur zur Umkehrung des metaphysischen Dualismus führe. In dieser Umkehrung wäre der Schein das Unmittelbare und das Wesen dasjenige, was vermittelt wird. Jedoch ist die dialektische Inkonsistenz des Dualismus unbedingt auch die Inkonsistenz seiner Umkehrung. Wird ein Pol innerhalb einer logischen Entgegensetzung als unmittelbar definiert, ist der andere Pol auch unmittelbar aufgrund der schon dargestellten Argumente, die die dialektische Inkonsistenz des metaphysischen Dualismus aufgezeigt haben. Dadurch folgt aus der These, dass der Schein dem Wesen wesentlich ist, nicht die Selbständigkeit und die Substantialität des ersten gegenüber dem zweiten, sondern vielmehr ist eben nur diese These diejenige, die mit dem „nichtigen“ Charakter des Scheins kompatibel ist. Hegels schrieb diesbezüglich Folgendes: „Es ist die Unmittelbarkeit des Nichtseins, welche den Schein ausmacht; dies Nichtsein aber ist nicht anders als die Negativität des Wesens an ihm selbst. Das Sein ist Nichtsein in dem Wesen. Seine Nichtigkeit an sich ist die negative Natur des Wesens selbst.“30 Diese Behauptung stützt sich auf zwei Gründe. Den ersten, der als indirekt bezeichnet werden könnte, haben wir schon zur Hand: Die logische Konsequenz des metaphysischen Dualismus zwischen Schein und Wesen ist die Unmittelbarkeit des Scheins, d.i., die Zerstörung und Negation seines nichtigen Charakters. Das bedeutet: Eine positive Konzeption des Wesens ist mit der Nichtigkeit des Scheins nicht kompatibel. Der zweite Grund ist aber direkt: Er zeigt, dass die Nichtigkeit des Scheins aus der negativen Definition des Wesens herzuleiten ist. Wie gesagt, lautet die negative Definition des Wesens: Der Schein ist dem Wesen wesentlich. Dass der Schein dem Wesen (und nicht etwas Anderem) wesentlich ist, impliziert jedoch, dass der Schein 30
TWA 6, S. 22.
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immer nur auf das Wesen verweist. Dieses Auf-das-Wesen-Verweisen muss aber so verstanden werden, dass im Schein das Wesen (er)scheint und sich ausdrückt; der Schein verweist auf das Wesen, weil das, was in ihm (er)scheint, nur das Wesen ist. Aus diesem Grund ist der Schein nichtig: Er ist das Scheinen, nicht von sich, sondern des Wesens; dasjenige, was in ihm erscheint, ist etwas Anderes und dadurch ist seine Nichtigkeit zu denken. Daraus muss man des Weiteren schließen: Zwischen der Nichtigkeit des Scheins und der negativen Natur des Wesens existiert eine logisch unbedingte Verbindung. In dieser Hinsicht enthält das Wesen den Schein in sich, weil das Wesen genau diese logische Verbindung ist. 2). Das Wesen ist die unendliche Bewegung in sich, in der sich die Negativität und die Unmittelbarkeit gegenseitig definieren lassen. Der letzte Satz des vorherigen Paragrafen hat offengelegt, dass es eine notwendige logische Verbindung zwischen der Nichtigkeit des Scheins und der negativen Natur des Wesens gibt. Es ist nun wichtig, den Blick genau darauf zu richten, dass diese „logische Verbindung“ zwei Negationen verknüpft: einerseits die Nichtigkeit des Scheins, d.i. die These, dass dieser das Scheinen des Wesens und nicht seiner selbst ist; andererseits die negative Natur des Wesens, d.h. die Tatsache, dass diesem der Schein wesentlich ist. Dies berücksichtigend, kann die besondere Natur dieser zwischen zwei Negativitäten bestehenden logischen Verbindung ans Licht kommen. Von einer gewöhnlichen Betrachtungsweise her lässt sich eine Verbindung oder eine Beziehung formal ausdrücken als aRb, wobei a ein Relatum, R die Beziehung als solche und b das andere Relatum ist. Diesem traditionellen Beziehungskonzept nach kann man zwischen a, R und b deutlich unterscheiden. Das ist aber nicht der Fall der logischen Verbindung, die zwischen zwei Negationen besteht, denn darin sind sowohl a (das Wesen) als auch R (die Beziehung) und b (der Schein) als Selbstnegationen zu erfassen. Das impliziert, dass die logische Natur der Beziehung und der Relata nicht verschieden sind.31 Jeder Pol der Beziehung ist dabei nur die Entfaltung und die Relationalität der In dieser Hinsicht behauptet Alexander Schubert, dass der Hauptgedanke der „absoluten systematischen Relationalität“ bei Hegel nicht nur die Relata betrifft, sondern auch und vor allem „die Relation von Relation und Relaten“ (Der Strukturgedanke in Hegels „Wissenschaft der Logik“, Königstein im Taunus 1985, S. 118). Ähnlich argumentiert Iber (Metaphysik absoluter Relationalität, a.a.O.). 31
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Beziehung selbst, was dazu führt, dass diese Verbindung als „reine Relationalität“, als Relation ohne Relata oder Beziehung ohne diese sich selbst gegenüber gleichgültigen Bezogenen begriffen werden muss.32 Aus diesem Grund erscheint die logische Verbindung zwischen zwei Negativitäten als Selbstbeziehung der Negativität oder, wie Hegel es beschreibt, als „sich auf sich beziehende Negativität“. Die logische Verbindung zwischen Schein und Wesen versteht sich als Selbstbeziehung des Wesens und als Selbstbeziehung der Negativität und damit als „absolute Einheit“ von Unmittelbarkeit und Negativität: „Aber die Negation gegen das Negative ist die sich nur auf sich beziehende Negativität, das absolute Aufheben der Bestimmtheit selbst.“33 Es ist aber weiter zu erläutern, dass die Einheit von Unmittelbarkeit und Negativität keine Abschaffung der Negativität bedeutet. Diese wird nicht durch die Unmittelbarkeit als dominanter Begriff der logischen Struktur ersetzt. Denn die Selbstbeziehung der Negativität muss von der einfachen Identitätsaussage (Tisch=Tisch oder A=A) unterschieden werden. Wie schon in der Literatur angemerkt worden ist, ist die Einheit von Unmittelbarkeit und Negativität nur als Bewegung zu denken.34 „Absolute Einheit“ bedeutet also, dass die logische Struktur der Selbstbeziehung der Negativität unmittelbar qua negativ und negativ qua unmittelbar ist. Diejenigen Begriffe, die innerhalb der selbstbezogenen Negativität entgegengesetzt werden, sind in der Tat beide negativ und insofern identisch. Doch zu behaupten, dass zwei Begriffe identisch seien, weil sie negativ sind, ist nicht dasselbe wie zu sagen, dass z.B. zwei Gegenstände identisch wären, weil sie blau, viereckig oder aus Frankreich sind. Im letzteren Fall ist nur eine logische Identifikationsoperation vorhanden, während die Identität von zwei Negativitäten ipso facto eine Differenzierungsoperation impliziert. Die zwei Negativitäten sind identisch, insofern sie unterschiedlich sind, denn negativ zu sein, bedeutet eben, den eigenen Inhalt durch die Selbstnegation, durch die Beziehung auf das Andere zu erlangen. Aber dadurch, dass dieses Andere, auf So behauptet Hegel: „Die reine Vermittlung ist nur reine Beziehung, ohne Bezogene.“ (TWA 6, S. 81.) 33 TWA 6, S. 23. 34 So merkt Herman Schmitz an: Innerhalb der Reflexion lässt sich eine Einheit vom „Scheinen seiner in sich selbst“ und „Scheinen einer in einem anderen“ finden (Hegels Logik, Bouvier 1992, S. 34). 32
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das jedes Negative verweist, auch negativ ist, taucht dieses nicht als fixiertes, entgegengesetztes Anderes auf. Dies lässt sich mittels eines Beispiels veranschaulichen. So z.B. kann der Preis einer Ware nur im Preis einer anderen ausgedrückt werden („1 Brot = 1 Brot“ bezeichnet keinen Preis). Jeder Preis ist deshalb nur Verweis auf das Andere, und somit nur als Selbstnegation zu erfassen. Aber das Andere, auf das die erste Ware verweist, ist auch ein Gut bzw. eine Ware. Die Identifikation eines Preises setzt eine Differenzierungsoperation voraus und letztere ist mit der Identität der zu vergleichenden Waren logisch verbunden. Negativität (Verweis auf das Andere) und Unmittelbarkeit (die eigene Preisbestimmung der Ware) sind daher nicht getrennt: die Waren sind identisch, weil sie unterschiedlich sind und umgekehrt. Daraus folgt, dass das gesamte Sein einer Ware als selbstbezügliche Negativität zu verstehen ist, d.h. als dynamische Einheit von Unmittelbarkeit und Negation, die mit dem allgemeinen Austauschprozess identifiziert wird.35 Dies macht auch verständlich, weshalb die Alterität in dieser logischen Struktur der selbstbezüglichen Negation als „das Andere als es selbst“ und die Bestimmtheit (die Möglichkeit, Unterscheidungen aufzustellen) immer als „aufgehobene Bestimmtheit“ erscheinen: „Das Andere“ der Ware, das, worauf sie in ihrer Selbstnegation verweist, ist auch Ware und erscheint somit als „das Andere als es selbst“, wobei der Bezug auf das Andere immer als Selbstbezug, als „aufgehobene Bestimmtheit“ zu denken ist. Auf diese Weise ist die Unterscheidung zwischen Wesen und Schein nur eine interne Differenzierung des Wesens und der Negativität: Die Negativität setzt sich der Negativität selbst entgegen. Diese Selbstentgegensetzung, die gleichzeitig als Selbstbeziehung gedacht werden muss, stellt die logische und grundsätzliche Form dessen dar, was relational beweglich und lebendig ist.36 Zu diesen Beispielen des ökonomischen Bereiches als Ausdruck der hegelschen Wesenslogik vgl. ausführlicher: Andreas Arndt, Hegels Wesenslogik und ihre Rezeption und Deutung durch Karl Marx, in: Andreas Arndt, Günter Kruck (Hgg.), Hegels Lehre vom Wesen, Berlin 2016, S. 181–194. 36 Gerade aus diesem Grund finde ich problematisch, dass Henrichs Deutung im hegelschen Ansatz der Reflexion drei Bedeutungen der 35
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Eine spekulative bzw. „reflexive“ Beziehung zwischen Schein und Wesen kann man mittels der Analogie zu dem Verhältnis der Kunst und deren Darstellung oder Aufführung verstehen. Das Textbuch, das auf den ersten Blick als das Wesen eines Theaterstückes gilt, erreicht jedoch seine Wesentlichkeit nur mittels seiner eigenen Negation, denn es benötigt etwas, das kein Textbuch ist, um Wesen eines Theaterstückes zu sein, nämlich die Aufführung oder die Inszenierung. Natürlich gibt es Textbücher, die nicht auf der Unmittelbarkeit unterscheidet und voneinander trennt. Er differenziert nämlich zwischen der Unmittelbarkeit 1). als Selbstbeziehung der Negation, 2). als Resultat der Negation und 3). als von ihrem Gegenteil abhängige Unmittelbarkeit. Diese Gedanken seien auseinander zu halten, weil im ersten die Selbstbeziehung, die Identität, die Gleichheit mit sich und so die Unmittelbarkeit akzentuiert werde, während im zweiten und im dritten die Negation dominant sei. (Vgl. dazu: Dieter Henrich, Hegels Logik der Reflexion. Neue Fassung, in: Dieter Henrich (Hg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978, S. 230–235.) Doch um zu sagen, dass in der ersten Bedeutung der Unmittelbarkeit die Gleichheit mit sich Vorrang hat, muss man voraussetzen, dass im Gedanken „Negation = Negation“ nur eine bloße Identifikation ausgedrückt wird, die z.B. dem Satz „Boden = Boden“ oder „A = A“ gleichzusetzen ist. Dabei wird das „=“ als bloßes Symbol der externen Vergleichung verwendet; die Gleichheit wird von dem getrennt, wovon sie Gleichheit ist. Diese Trennung ist aber bei der „selbstbeziehenden Negation“ undenkbar, denn die Einheit von Selbstbeziehung und Selbstentgegensetzung auf das Vorhandensein eines logischen Prozesses verweist darauf, dass die erste nicht ohne die zweite begriffen werden kann. Ein gutes Beispiel dafür ist die Sprache. Die Sprache bezieht sich auf sich oder ist mit sich selbst gleich nur, indem sie gesprochen wird. Dass die Sprache nur existiert, indem sie gesprochen wird, bedeutet, dass sie sich in dem manifestieren muss, was nicht rein sprachlich ist: Z.B. in der Stimme des Menschen oder im Papier. Diese Manifestation in dem Nicht-Sprachlichen ist für die Sprache wesentlich. Doch die Stimme des Menschen ist nicht nur biologisch, sondern sie ist eben die Erscheinung und das ontologische Bestehen der Sprache selbst. Die Stimme des Menschen ist schon Sprache und kein bloß biologisches Phänomen. Die Selbstbeziehung der Sprache ist demnach ihre Selbstentgegensetzung; dasjenige, dem die Sprache gegenübersteht, und zwar die Stimme, ist auch Sprache, aber nicht der einfachen Form der Identität nach, welche die Veränderung und die Negation exkludiert. Das Sein der Sprache ist gerade ihre Selbstveränderung durch ihr Gesprochen-Werden, durch ihre Manifestation in der Stimme.
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Bühne vorgeführt werden, sie können zudem als wertvolle Literatur verstanden werden, aber ein Textbuch, das nicht dargestellt wird, ist das Wesen keines Theaterstückes; ebenfalls kann ein Libretto, das nicht gespielt und aufgeführt wird, nicht das Wesen einer Oper sein, denn ohne Darstellung und Vorführung existiert dasjenige nicht, dessen Wesen das Libretto oder das Textbuch sein müssten. Das beweist, dass die substantielle und selbständige Existenz, die ja den nicht vorgeführten Textbüchern zukommt, kein Kriterium für die Wesentlichkeit des Textbuches oder des Librettos ist. Aus diesem Grund muss, von einer logischen Sicht aus betrachtet, die Wesentlichkeit als reine Negativität bestimmt werden, d.h. als reines Verweisen auf das Andere, als Selbstnegation. Doch dieses Andere, auf das das Textbuch verweist, ist der Auftritt, der selbst nichtig und nicht selbstständig ist, hat er doch nur dann einen Inhalt, wenn er einem Textbuch folgt. Daher sind der Auftritt oder die Vorführung auch reine Relationalität, reines Sich-Verwirklichen durch die eigene Negation. Demnach ist dasjenige, was der Auftritt ist (also: was in ihm unmittelbar erscheint), das Textbuch, also die Rollenspiele, Personen und Bühnenanordnungen, die in ihm beschrieben sind. So ist der unmittelbare Inhalt des Theaterstückes, d.h. dasjenige, was auf der Bühne beim Vorführen unmittelbar erscheint, ein Resultat der Negativität, welche sich auf sich selbst negativ bezieht: Das Textbuch kommt nur durch seine Negation zustande, und zwar durch den Auftritt; doch auch der Auftritt ist negativ und verweist gerade auf das Textbuch.37 Diesbezüglich hat auch M. Pankow ein schönes Beispiel angebracht: Das Zeichen und die Bedeutung des Zeichens. Beide können nur als Verweis auf das Andere, als Selbstnegation verstanden werden – nur auf diese Weise ist ein Inhalt beider denkbar: „Als Konsequenz dieser Dialektik erhalten wir einen spezifischen Begriff des Wesens als »das Scheinen seiner in sich selbst« und einen ganz neuen Begriff des Scheins als „reflektierte Unmittelbarkeit“, d.h. als eine solche Unmittelbarkeit, welche die Figur einer totalen „Un-präsenz“ repräsentiert. Der Begriff des Scheins gewinnt dabei außerordentliche Bedeutung als etwas, was – wie z.B. die Unmittelbarkeit des Zeichens – nur vermittels seiner Hinweisung auf seinen eigenen „Anderen“ oder nur vermittels „seiner Negation“ zu denken ist.“ (M. Pankow, Hegels Begriff der Reflexion, in: Hegel-Jahrbuch 2004, S. 108–111.) Dass es doch Beispiele der „sich auf sich beziehenden Negativität“ gibt, widerspricht Tilman Wegerhoffs Meinung, laut der der Begriff der 37
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3). Das Wesen ist das Scheinen seiner in sich selbst. Diese Behauptung kann durch den nachstehenden Gedanken verdeutlicht werden: Das Wesen ist der Prozess des Scheinens, in dem man zwischen a). Gegenstand des Scheinens, b). Inhalt des Scheinens und c). Medium des Scheinens nicht unterscheiden kann. Insofern darf Hegels „Reflexion“ nicht mit einer Spiegelung oder Reflektion in einem Spiegel gleichgesetzt werden, da man in diesem Beispiel zwischen meinem Körper (als Gegenstand des Scheinens), dem Spiegelbild (als Inhalt des Scheinens) und dem Spiegel selbst (als Medium des Scheinens) differenzieren kann. Diesbezüglich behauptet er: „Es ist nicht ein Schein des Seins am Wesen oder ein Schein des Wesens am Sein vorhanden; der Schein im Wesen ist nicht der Schein eines Anderen, sondern er ist der Schein an sich, der Schein des Wesens selbst.“38 Es gibt keinen Gegenstand oder Substrat des Scheinens. Das Wesen ist demnach nicht dieser Gegenstand oder dieses Substrat, vielmehr ist es nur der Prozess des Scheinens. Dieser Prozess generiert jedoch interne Unterscheidungen, die durch die absolute Einheit zwischen Negativität und Unmittelbarkeit gegeben sind: Dasjenige, was darin der Negativität entgegengesetzt ist, ist die Negativität selbst, womit die Unterscheidung intern ist. Nach diesen drei immanenten Seinsweisen des Wesens kann Hegel letzteres als „Selbstbewegung“ bezeichnen. Der Ausdruck bedeutet, dass einerseits die Bewegung des Wesens nicht von außen motiviert oder verursacht wird; andererseits, dass das Wesen nicht etwas ist, dem zufälligerweise die Beweglichkeit zugeschrieben werden kann, sondern vielmehr ist es die Bewegung selbst. Die Selbstbewegung erscheint jedoch für Hegel begrifflich als „die Bewegung von Nichts zu Nichts und dadurch zu sich selbst zurück“.39 Diese geheimnisvolle Charakterisierung verweist auf die Bewegungsart, die innerhalb der logischen Struktur stattfindet, die sich als „sich auf sich beziehende Negativität“ definiert. Denn diese Bewegung geht nicht von einem Substrat oder einem äußerlichen Punkt aus, die ihr gegenüber selbständig sind: Die Bewegung, die die Negativität als solche ist, fängt mit einer Negativität an. Sie beginnt folselbstbezogenen Negativität undeutlich und unmöglich zu veranschaulichen sei (vgl. Tilman Wegerhoff, Hegels Dialektik: eine Theorie der positionalen Differenz, Göttingen 2008). 38 TWA 6, S. 24. 39 Ebd.
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glich mit sich selbst. Das lässt sich daraus deduzieren, dass – wie schon erläutert – die logische Natur der Beziehung und der Bezogenen nicht unterschiedlich ist: Jedes Bezogene ist demnach Bewegung und reine Relationalität, da sich das Wesen und der Schein nur mittels ihrer Selbstnegation definieren lassen und Inhalt gewinnen können. Aber wenn das so ist, dann gilt der Ankunftspunkt auch als Bewegung. Die Bewegung geht insofern von sich selbst aus, als sie von „Nichts (von keinem der Bewegung unabhängigen Substrate) ausgeht. Und die Bewegung kehrt zu sich selbst zurück, da deren Resultat auch kein von der Bewegung unabhängiges Substrat oder Bestehen (also erneut „Nichts“) ist. Die „Bewegung von Nichts zu Nichts und dadurch zu sich selbst zurück“ ist also eine Bewegung, deren Anfangs- und Ankunftspunkt durch die Bewegung hervorgebracht werden und so nicht anders als Bewegung selbst sind. Die Reflexion bezeichnet die logische Form der Einheit von Selbstbezug und Beziehung auf Anderes, von Unmittelbarkeit und Negation, vom Gegenstand des Scheinens und Medium desselben. Es ist nun an der Zeit, die Konsequenzen darzustellen, die der Reflexionsbegriff mit sich bringt, um den Zusammenhang zwischen dem logischen Prozess und dem spezifischen Inhalt zu verstehen. Anhand des Reflexionsbegriffes baut Hegel einen Ansatz der Überwindung der Unmittelbarkeit des Seins auf, der jedoch nicht dazu führt, ein Wesen oder einen Grund zu postulieren, die hinter der Unmittelbarkeit verborgen bleiben. In der Seinslogik hat man bewiesen, dass die spezifischen Inhalte (z.B. der Inhalt „Stuhl“) nur kraft einer negativen Bewegung von Kategorien festgelegt und bestimmt werden. Der Stuhl ist das, was er ist, aufgrund dessen, was nicht Stuhl ist. Insofern ist der Stuhl und jeder spezifische Inhalt nicht unmittelbar, sondern nichtig und negativ. Dank des Reflexionsbegriffes kann man aber weiter präzisieren, dass die Nichtigkeit oder die negative Natur des Stuhls nicht zu einem einfachen metaphysischen Idealismus führen, welcher die Existenz einer vollkommen positiven, sich aller Negationen entziehenden Welt vertritt, die sich als Grundlage der Spezifizität definiert. Denn die begriffliche Struktur der Reflexion zeigt, dass es für die Bewegung der Denkbestimmungen, aufgrund derer die Negativität, die Spezifizität und die Bestimmung der endlichen Inhalte und Sachen begründet werden, wesentlich ist, nur als Schein bzw. als Sein (also: als endlicher Inhalt) zu (er)scheinen und sich auszudrücken. Anders gesagt: Der logische
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Prozess ermöglicht das Entstehen der spezifischen Inhalte und das unmittelbare (Er)scheinen derselben, aber als Bewegung fällt sein ontologisches Bestehen mit diesem Auftauchen des Spezifischen zusammen – also ist er keinesfalls ein Substrat oder eine von dem Entstehen der endlichen Sachen unabhängige Struktur. Der Gedanke, demzufolge der logische Prozess sich nicht vom Entstehen der endlichen Sachen unterscheidet, entstammt begrifflich aus der Reflexion bezüglich der „sich auf sich beziehenden Negativität“. Diese Negativität ist diejenige Struktur, in der die Entgegengesetzten aufgrund eben dieser Entgegensetzung doch vereint sind. Dadurch ist diese Struktur nur als reine Relationalität zu denken, indem die Beziehung und die Bezogenen gerade dieselbe logische Natur besitzen. Ist diese Struktur der reinen Relationalität dasjenige, was die Beziehung zwischen logischem Prozess und endlichen Sachen ausmacht, kann man folgende Behauptung verstehen: Sowohl der logische Prozess als auch die endlichen Sachen sind negativ, denn jede einzelne verweist wesentlich auf das Andere; der logische Prozess – das Wesen – muss als endliche Sache (er)scheinen und jeder endliche Inhalt – der Schein bzw. das Sein – ist die Manifestation nicht seiner selbst, sondern der logischen Prozessualität. Wenn das so ist, dann kann der logische Prozess nicht einfach das Explanans sein, das dem Explanandum entgegengesetzt wird, vielmehr ist die logische Prozessualität das Scheinen des Explanans als Explanandum. Der logische Prozess setzt sich sich selbst entgegen, indem er als endliche Sache erscheint, aber gerade deswegen ist er immer in Einheitsbeziehung zu sich selbst: Indem er als endliche Sache erscheint, erscheint er auch als er selbst.40
Damit sieht man, wie Hegel das Explikationsproblem einer Theorie des Absoluten löst. Dieses Problem besteht einerseits darin, dass es keine Entgegensetzung zwischen Absolutem und Nicht-Absoluten geben kann, denn so wäre das Absolute aufgrund dieser Entgegensetzung nicht absolut. Andererseits aber darin, dass dieses Absolute auch differenziert sein muss, denn sonst kann man nichts von ihm aussagen. (Zu dieser Problematik vgl. Dieter Henrich, Erkundung im Zugzwang: Ursprung, Leistung und Grenzen von Hegels Denken des Absoluten, in: Wolfgang Welsch, Klaus Vieweg (Hgg.), Das Interesse des Denkens: Hegel aus heutiger Sicht, München 2003, S. 9–32, besonders S. 12 f.) 40
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C. Subjektive und objektive Reflexion i. Setzende und Voraussetzende Reflexion Dem schon genannten Umstand, in dem das (Er)scheinen des logischen Prozesses als spezifischer Inhalt auch als das (Er)scheinen seiner selbst zu erfassen ist, entspricht der Terminus „setzende Reflexion“. Darin formen das Setzen und die Reflexion eine Einheit. „Setzen“ bezeichnet hierbei die Tatsache, dass der logische Prozess die spezifischen Inhalte vermittelt: Diese werden von ihm aufgestellt, etabliert oder eben gesetzt. Aber bei dieser Vermittlung spiegelt sich der logische Prozess bzw. das Wesen in sich selbst wider.41 Das „Setzen“ oder die Vermittlung ist somit reflexiv. Die setzende Reflexion lässt sich demnach in der folgenden Formulierung zusammenfassen: Das (Er)scheinen des logischen Prozesses kann nur als (Er)scheinen der von ihm vermittelten Inhalte gegeben sein. In der logischen Struktur der setzenden Reflexion sind wir uns folglich dessen bewusst, dass jede Identität und somit jede Unmittelbarkeit nur als Resultat des logischen Prozesses zu denken ist. Das gilt sogar – und vor allem – für die Identität des Wesens oder des logischen Prozesses mit sich selbst. Die logische Prozessualität ist nur mit sich identisch, indem sie spezifische und begrenzte Inhalte setzt. Demnach ist sie keine metaphysische Struktur, die hinter oder jenseits der spezifischen Inhalte existiert, sondern das immanente Aufkommen eben dieser. Dieser Ansatz wird von Hegel im Licht der Formulierung einer „sich auf sich beziehenden Negativität“ dargestellt: „Die Reflexion ist Übergehen als Aufheben des Übergehens; denn sie ist unmittelbares Zusammenfallen des Negativen mit sich selbst; so ist dies Zusammengehen erstlich Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit.“42 Diese Behauptung drückt den Gedanken aus, dass keine gut definierte Alteritätsbeziehung zwischen der logischen Prozessualität und den von ihr vermittelten oder geschaffenen Inhalten fixiert werden kann: Der Prozess ist nur die logisch-dynamische Beziehung, die immanent die mannigfaltigen Inhalte durchdringt; letztere sind nur Äußerungen oder Manifestationen dieser logisch-dynamischen Beziehung. Genau wie das Drehbuch und das auf der Bühne TWA 6, S. 25. 42 TWA 6, S. 25 f. 41
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dargestellte Theaterstück müssen der logische Prozess und die mannigfaltigen Inhalte in gegenseitiger Verweisung verstanden werden. Doch fügt Hegel noch hinzu: „Zweitens ist diese Unmittelbarkeit die Gleichheit des Negativen mit sich, somit die sich selbst negierende Gleichheit; die Unmittelbarkeit, die an sich das Negative, das Negative ihrer selbst ist, dies zu sein, was sie nicht ist.“43 Wenn es nur Identität auf der Grundlage der reziproken Verweisung gibt, dann ist diese nicht statisch, sondern ausschließlich insofern denkbar, als in ihr eine immanente Ausdifferenzierung enthalten ist. Auch ist darin kein gut definiertes Identitätsverhältnis, nach der Form A = A erläutert, zu finden. (Wie Hegel zeigt, ist dieser Gedanke sogar dafür entscheidend, die Bedeutung der Begriffe der Identität und des Unterschiedes zu verstehen: Identität ist dasjenige, was sich vom Unterschied unterscheidet, weshalb das Unterscheiden in der Identität wohnt und diese durchdringt; der Unterschied ist aber mit sich selbst identisch, wobei die Identität auch als Seele des Unterschiedes zu betrachten ist.)44 Die immanente SelbstTWA 6, S. 26. Diesbezüglich behauptet Errol Harris Folgendes: „The main point that Hegel seeks to establish is that these two concepts are mutually implicative; he insists that there can be no bare, or pure, identity, because the identity of any object or concept is constituted by its relations to what it differs from, so that to identify is always by the same token to distinguish. For anything to be itself, it must, ipso facto, be distinguished from everything else. In short, identity is always identity in difference.“ (Errol Harris, Hegel and Siemens on Identity, in: The Review of Metaphysics, 41, 1 (1989), S. 135.) Dazu fügt er später hinzu: „But if under pressure from some logical dogma, the philosopher of the understanding insists that A is A implies no difference at all, any sentence substituting singular (or other) terms for the variables becomes meaningless iteration. When all difference vanishes, as Hegel says, no statement is made and meaning evaporates“ (S. 137). Ich bin mit diesen Behauptungen einverstanden, allerdings muss meiner Meinung nach hervorgehoben werden, dass diese nur die Konsequenz und nicht das Fundament des hegelschen Argumentes ausdrücken. Denn der Grund dafür, dass es kein Identifizieren ohne ein dabei impliziertes Unterscheiden geben kann, besteht darin, dass die fixierte Unterscheidung von Identität und Unterschied, die die Verstandesphilosophie als vorhanden annimmt, dialektisch inkonsistent ist. Der reine Begriff der Identität unterscheidet sich vom Unterschied und letzterer ist mit sich selbst identisch. Deswegen setzt jeglicher Versuch, die Identität vom Unterschied radikal zu 43 44
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ausdifferenzierung ist demnach die Bedingung der Identität und letztere ist das notwendige Ergebnis dieses Selbst-Unterscheidens. In der setzenden Reflexion stoßen wir demzufolge auf eine Unmittelbarkeit, die keine ist, sowie auf eine Vermittlungsbeziehung, die nicht asymmetrisch ist, noch als Alteritätsverhältnis zwischen dem Vermittelnden und dem Vermittelten aufgefasst werden kann. Diese Unmittelbarkeit, die keine ist (da sie als Resultat der logischen Bewegung betrachtet werden muss), nennt Hegel „Gesetztsein“: Die Beziehung des Negativen auf sich selbst ist also seine Rückkehr in sich; sie ist Unmittelbarkeit als das Aufheben des Negativen; aber Unmittelbarkeit schlechthin nur als diese Beziehung oder als Rückkehr aus einem, somit sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit. Dies ist das Gesetztsein, die Unmittelbarkeit rein nur als Bestimmtheit oder als sich reflektierend.45
In der Seinslogik war die Unmittelbarkeit der Anfangspunkt der logischen Bewegung und zeigte das Argument der dialektischen Inkonsistenz, dass dasjenige, was zunächst die Gestalt der Unmittelbarkeit besitzt, doch durch die Negativität vermittelt zu verstehen war. Dort blieb die Reflexion und die Relationalität gegenüber der Unmittelbarkeit noch äußerlich. Dem Begriff des „Gesetztseins“ nach ist die Unmittelbarkeit in der Wesenslogik dagegen kein externer Anfangspunkt für die Relationalität, sondern es ist vielmehr bewiesen worden, dass die Relationalität und die Reflexion die Unmittelbarkeit und Identität logisch erzeugen. Hat sich die Unmittelbarkeit als Scheinen des Wesens erwiesen – genauso wie das Darstellen das Scheinen des Drehbuchs ist –, dann ist der Begriff der Unmittelbarkeit als solche, der in der Seinslogik nur eine Voraussetzung war, thematisiert und ans Licht gebracht worden. Jedes Sein ist also Gesetztsein, d.h. Scheinen und Manifestation des logischen Prozesses oder des Wesens. Daher kann man sagen, dass jedes Sein von einer ihm immanenten Negativität durchdrungen wird, indem es das Scheinen dessen ist, was es nicht ist, nämlich des Wesens und der logischen Prozessualität.
trennen, die Überwindung dieser Trennung voraus, indem die Identität am Begriff des Unterschiedes teilhaben muss und umgekehrt, wenn man jene und diesen auseinanderhalten möchte. Die Operation des Philosophen des Verstandes ist somit selbstwidersprüchlich. 45 TWA 6, S. 26.
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Doch diese dem Sein inhärente Vermittlung der logischen Prozessualität ist nicht asymmetrisch zu denken. In dieser nicht-asymmetrischen Vermittlungsbeziehung ist dasjenige vorhanden, was Hegel die „voraussetzende Reflexion“ nennt. Es trifft zwar zu, dass das Sein nur als Verweisung auf das Andere begriffen werden kann, also als Verweisung auf das Wesen oder den logischen Prozess, ist es jedoch auch richtig zu behaupten, dass dieser Prozess und dieses Wesen kein Bestehen noch eine Existenz unabhängig von dem haben, was unmittelbar im Bereich des Seins scheint, da die logische Prozessualität nur ihr Scheinen als unmittelbare Mannigfaltigkeit ist. Der logische Prozess ist nur seine konkret instanziierte Manifestation. Daraus folgt, dass die Reflexion die Unmittelbarkeit nicht vernichtet, denn das, was unmittelbar scheint, ist das Geschehen der logischen Prozessualität.46 Anders ausgedrückt, wird das, was unmittelbar scheint, nicht als falsch betrachtet, um auf ein dahinter liegendes wahrhaftes Wesen zurückgeführt zu werden, sondern das Wesen und der Prozess sind dasjenige, was unmittelbar scheint. Dass die Reflexion die Unmittelbarkeit als Unmittelbarkeit setzt und schafft und nicht als etwas nur Falsches oder Nichtiges, das eliminiert werden muss, um die Offenbarung der Wahrheit zu ermöglichen, bedeutet, dass die Reflexion die Unmittelbarkeit mit ihrer Radikalität im Voraus setzt. Das ist eben der Sinn der „voraussetzenden Reflexion“: Dasjenige, was eine Voraussetzung zu sein schien, wurde im Voraus durch die Reflexion geschaffen. Die Unmittelbarkeit wird zwar durch den logischen Prozess gesetzt, aber das bedeutet nicht, dass diese einfach eliminiert wird, sondern, dass sie durch die Prozessualität (im anderen Sinn des Terminus „Aufheben“) aufbewahrt, zugelassen und radikalisiert wird: Die Reflexion findet ein Unmittelbares vor, über das sie hinausgeht und aus dem sie die Rückkehr ist. Aber diese Rückkehr ist erst das Voraussetzen des Vorgefundenen. Dies Vorgefundene wird nur darin, dass es verlassen wird; seine Unmittelbarkeit ist die aufgehobene Unmittelbarkeit.47
So behauptet pointierend A. Riebel: „Der Schein der Unabhängigkeit [der Unmittelbarkeit bezüglich der Reflexion; A.P.] wird so von der Reflexion erzeugt.“ (Alexander Riebel, Negativität und Reflexion, in: Reinhard Hiltscher und Stefan Klingner (Hgg.), Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Neue Wege der Forschung, Darmstadt 2012, S. 201.) 47 TWA 6, S. 27. 46
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Derselbe Gedanke wird von Hegel mittels ebenfalls paradoxer Behauptungen zum Ausdruck gebracht, die jedoch nach einer detaillierten Analyse Sinn ergeben: Die reflektierende Bewegung ist nach dem Betrachteten als absoluter Gegenstoß in sich selbst zu nehmen. Denn die Voraussetzung der Rückkehr in sich – das, woraus das Wesen herkommt und erst als dieses Zurückkommen ist –, ist nur in der Rückkehr selbst.48
„Absoluter Gegenstoß in sich“, was meines Erachtens nichts Anderes bedeuten würde als Selbstentgegensetzung, zielt darauf, dass die Identität des Wesens bzw. des logischen Prozesses nur insofern denkbar sind, als dieser Prozess auf das Andere verweist und sich als die Mannigfaltigkeit der Inhalte manifestiert. Da aber das Scheinen des spezifischen Inhaltes nicht nur das Scheinen von sich, sondern auch und grundsätzlich das Scheinen des logischen Prozesses und der Relationalität ist, ist diese Selbstentgegensetzung nur aufgrund einer „Rückkehr in sich“ oder Versöhnung der Entgegensetzung denkbar, die nicht als statische Identitäten gegeben sind, sondern als Bewegung der Selbstausdifferenzierung. Die gegenseitige Implikation des Setzens (die Unmittelbarkeit ist Resultat der Reflexion) und des Voraussetzens (die Reflexion ist nur ihr Scheinen als Unmittelbarkeit) innerhalb der Reflexion ist für die hegelsche Logik entscheidend. In der Tat stellt sie eine erfüllende Versöhnung zwischen Sein und Wesen dar oder anders ausgedrückt: Eine Konzeption des Logischen, die sowohl von einer fundamentalistischen als auch antifundamentalistischen Strategie abweicht. Dass Hegel eine solche Versöhnung erreichen möchte, daran lässt sich nicht zweifeln, allerdings findet sie nur vollständig im Übergang zur Begriffslehre statt. Dafür gibt es gleichwohl einen Grund, nämlich dass die setzende Reflexion, auch ihre wesentliche Verbindung mit der voraussetzenden Reflexion berücksichtigend, daran scheitert, diese Versöhnung erfolgreich darzustellen. Diesbezüglich behauptet Hegel: Die Unmittelbarkeit, die sie als Aufheben sich voraussetzt, ist schlechthin nur als Gesetztsein, als an sich Aufgehobenes, das nicht verschieden ist von der Rückkehr in sich und selbst nur dieses Rückkehren ist. Aber es ist zugleich bestimmt als Negatives, als unmittelbar gegen eines, also gegen ein 48
Ebd.
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Anderes. So ist die Reflexion bestimmt; sie ist, indem sie nach dieser Bestimmtheit eine Voraussetzung hat und von dem Unmittelbaren als ihrem Anderen anfängt, äußere Reflexion.49
ii. Äußere Reflexion Es ist prima facie nicht klar, weshalb aus der begrifflichen Struktur der setzenden Reflexion eine „Bestimmtheit“ und eine Begrenzung für diese herzuleiten ist. Hebt die Reflexion irgendeine gut definierte Alteritätsbeziehung zwischen ihr selbst und ihrem Anderen auf, dann gäbe es keinen Grund dafür, anzunehmen, dass die Reflexion „gegen“ dieses Andere „bestimmt“ ist. Obwohl wir vorahnen können, dass Hegel so auf die Herausforderung der äußeren Reflexion antwortet, kann man jedoch einen Grund erwähnen, warum die begriffliche Struktur problematisiert werden muss und so die logische Notwendigkeit einer Bestimmtheit und Grenze für die Reflexion abzuleiten ist. Wir wissen schon, dass die Reflexion spezifische Inhalte setzt, vermittelt und schafft. Von dieser Perspektive aus wäre es einfach, zu behaupten, dass die Reflexion diese Inhalte auch bestimmt. Diese letzte Aussage, die nur das logische Tun der Reflexion ausdrücken würde, ist aber deshalb problematisch, weil der Begriff der Bestimmung bei Hegel eine gut definierte Alteritätsbeziehung impliziert und voraussetzt und somit genau dasjenige verlangt, was in der setzenden Reflexion nicht vorhanden ist. Bestimmt zu sein, bedeutet nämlich, eine Begrenzung durch das Andere zu haben. Wenn die spezifischen Inhalte durch die logische Form bestimmt sind, dann muss es eine Grenze zwischen beiden geben. Eben genau aufgrund dieser Grenze wird die Reflexion bestimmt und so der Unmittelbarkeit äußerlich. Ausführlicher lässt sich das Argument jedoch folgendermaßen übersetzen: Gilt die Unmittelbarkeit als Gesetztsein, d.h. als etwas, das durch den logischen Prozess konstituiert und ausgemacht wird, muss es einen deutlichen Unterschied zwischen dem geben, was es setzt, ausmacht und konstituiert, und dem, was gesetzt, konstituiert und bestimmt wird. Oder, anders formuliert, indem die Unmittelbarkeit ein Resultat ist, müssen wir zwischen dem Resultat und dem, woraus es resultiert, unterscheiden. Dies führt dazu, dass eine gut definierte Alteritätsbeziehung zwischen der Reflexion und den 49
TWA 6, S. 28.
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spezifischen Inhalten festgelegt werden muss. Da aber innerhalb der logischen Struktur der setzenden Reflexion solch eine Beziehung nicht denkbar ist, stellt die setzende Reflexion ein unstabiles Konstrukt dar. Aufgrund dieser in der setzenden Reflexion vorhandenen Instabilität wären wir verpflichtet, einen anderen Begriff der Reflexion zu akzeptieren, und zwar den der äußeren Reflexion, was wiederum impliziert, die These aufstellen zu müssen, dass die Reflexion als subjektive Reflexion gedacht werden muss. Hegel hat in der Tat mit guten Argumenten gezeigt, dass die dualistische Auffassung des Seins und des Wesens dialektisch inkonsistent ist. Dadurch, dass dieser Dualismus intern unbeständig ist, wurde die Auffassung des Wesens als Reflexion legitimiert. Aber der Begriff der setzenden Reflexion ist auch problematisch, denn in ihm wird eine nicht bemerkte Differenzierung zwischen dem Setzenden und dem Gesetzten vorausgesetzt. Deswegen ist noch ein dritter Weg vorhanden laut dem es weder ein Wesen hinter dem Schein gibt, noch ist der Schein das immanente Geschehen einer logischen Reflexion, sondern letztere muss als subjektiv gedacht werden, d.h. als unsere Reflexion. Der Vorteil dieses dritten Weges ist im Prinzip doppelseitig: Einerseits ist er nicht mit dem ontologischen Dualismus der metaphysischen Wesenskonzeption verbunden; andererseits wird dabei der Unterschied zwischen dem Setzenden und dem Gesetzten gewährleistet. In der äußeren Reflexion verliert diese ihren ontologischen Charakter, weil sie keine sich im Scheinen der Unmittelbarkeit manifestierende, sondern nur eine subjektive Reflexion ist, die eine Voraussetzung hat: dasjenige, was diese nicht ist oder eben das Nicht-Ich. Insofern gilt die äußere Reflexion als alternatives Erklärungsmodel der gegenseitigen Beziehung von Setzen und Voraussetzen. In dieser äußeren Reflexion lässt sich eben auch diese Implikation denken, aber anders als in der vorherigen, setzenden Reflexion. Was die äußere Reflexion betrifft, behauptet Hegel Folgendes: „Sie bezieht sich auf ihre Voraussetzung so, dass diese das Negative der Reflexion ist, aber so, dass dieses Negative als Negatives aufgehoben ist.“50 Darin ist die Ähnlichkeit zwischen der setzenden und der äußeren Reflexion zu sehen: Genauso wie die setzende Reflexion, hebt die äußere die negative Gestaltung ihrer Voraussetzung auf. In dem Maße, dass die subjektive Reflexion die „Welt“ oder die 50
TWA 6, S. 28 f.
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„Realität“ als dasjenige betrachtet, was sie nicht ist, erscheint die eigene subjektive Reflexion als Fundament dieser Entgegensetzung. Nur der menschliche Geist bzw. die subjektive Reflexion oder das Ich ist in der Lage, solch einer Entgegensetzung festzustellen, in der all der Reichtum der empirischen Welt auf die Kategorie des NichtSubjektes oder der Nicht-Reflexion zurückgeführt werden kann. Daraus folgt, dass der Gedanke, die Unmittelbarkeit sei anders als die subjektive Reflexion, eben nur dies, nämlich nur ein Gedanke ist und als solcher durch die subjektive Reflexion gesetzt und festgelegt sein muss. Das Negative der Reflexion wird notwendigerweise „als Negatives“ aufgehoben, denn nur aufgrund einer Operation der Reflexion kann es ihr Negatives sein. In beiden Begriffen der Reflexion ist die Unmittelbarkeit als Resultat einer vermittelnden Tätigkeit zu betrachten. Doch im Fall der äußeren Reflexion ist diese vermittelnde Tätigkeit kein logischer Prozess, dessen Geschehen das unmittelbare Scheinen ist, sondern die Tätigkeit eines Subjektes. Nur so kann der Unterschied zwischen dem Setzenden und dem Gesetzten gedacht werden: Aber dass dies Vorausgesetzte ein Negatives oder Gesetztes ist, geht dasselbe nichts an; diese Bestimmtheit gehört nur der setzenden Reflexion an, aber in dem Voraussetzen ist das Gesetztsein nur als aufgehobenes. Was die äußerliche Reflexion an dem Unmittelbaren bestimmt und setzt, sind insofern demselben äußerliche Bestimmungen.51
In der äußeren Reflexion existiert gleichzeitig eine Verbindung und eine Trennung zwischen der Reflexion und dem Unmittelbaren. Eine Verbindung dadurch, dass alles, was dem subjektiven Denken unmittelbar scheint, doch durch dieses konstituiert und verändert wird. Folglich hängt die Unmittelbarkeit von der subjektiven Reflexion ab und muss als deren Resultat betrachtet werden; doch gleichzeitig ist das Unmittelbare, d.h. der Inhalt der Welt und der Realität von der Reflexion unabhängig. Findet die Reflexion nur in der reflektierenden Tätigkeit des Subjektes statt, d.h. nur im subjektiven Denken, dann kann die Entsprechung und die Übereinstimmung des Gedankens mit der Natur der Sache nicht absolut gewährleistet werden. Dies verweist auf eine ursprüngliche Unabhängigkeit der Sache vom Denken, das diese betrachtet und über diese reflektiert. Die äußere Reflexion ist eine Reflexion über die Sache und so keine 51
TWA 6, S. 29.
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Reflexion der Sache. Auf diese Weise ist das Verhältnis zwischen Reflexion und der unmittelbaren Sache zufällig und äußerlich: Diese äußere Reflexion ist der Schluss, in welchem die beiden Extreme, das Unmittelbare und die Reflexion-in-sich, sind; die Mitte desselben ist die Beziehung beider, das bestimmte Unmittelbare, so dass der eine Teil derselben, die Unmittelbarkeit, nur dem einen Extreme, die andere, die Bestimmtheit oder Negation, nur dem anderen Extreme zukommt.52
Die These, dass die Reflexion äußerlich und subjektiv ist, scheint einen geeigneteren Ansatz darzustellen, um das Verhältnis zwischen Unmittelbarkeit und Reflexion zu erfassen. Sie ermöglicht nämlich, das Setzende und das Gesetzte getrennt voneinander zu betrachten. Ebenso würde sie vor dem dogmatischen Versuch der Ontologisierung der Operation und der Strukturen des Denkens kritisch warnen. Nichtsdestotrotz ist Hegel der Meinung, dass diese äußere Reflexion selbstwidersprüchlich ist und zu ihrer eigenen Widerlegung führt. Darauf bezieht er sich in der folgenden Passage: Aber das Tun der äußeren Reflexion näher betrachtet, so ist sie zweitens Setzen des Unmittelbaren, das insofern das Negative oder Bestimmte wird; aber sie ist unmittelbar auch das Aufheben dieses ihres Setzens; denn sie setzt das Unmittelbare voraus; sie ist im Negieren das Negieren dieses ihres Negierens. Sie ist aber unmittelbar damit ebenso Setzen, Aufheben des ihr negativen Unmittelbaren; und dieses, von dem sie als von einem Fremden anzufangen schien, ist erst in diesem ihren Anfangen. Das Unmittelbare ist auf diese Weise nicht nur an sich, das hieße für uns oder in der äußeren Reflexion, dasselbe, was die Reflexion ist, sondern es ist gesetzt, dass es dasselbe ist. Es ist nämlich durch die Reflexion als ihr Negatives oder als ihr Anderes bestimmt, aber sie ist es selbst, welche dieses Bestimmten negiert.53
iii. Bestimmende Reflexion Auf den ersten Blick lässt sich die Selbstwiderlegung der äußeren Reflexion mit diesem Argument nicht beweisen, denn das Einzige, was Hegel dort behauptet ist, dass die voraussetzende Reflexion die setzende zur Folge hat. Die übrige Argumentation ist nur die loTWA 6, S. 29. 53 Ebd. 52
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gische Ableitung daraus. Doch diese gegenseitige Implikation zwischen Setzen und Voraussetzen war schon in der Struktur der setzenden Reflexion vorhanden. Diese Implikation wurde auch in gewissem Maße in der äußeren Reflexion gedacht. Die äußere Reflexion setzt auch das Unmittelbare im Voraus, denn es ist eben eine Handlung, ein Akt des subjektiven Denkens das, was die Entgegensetzung zwischen ihm selbst und der Unmittelbarkeit ermöglicht. Außerdem war gerade diese gegenseitige Implikationsbeziehung zwischen Setzen und Voraussetzen der Grund dafür, dass sich die setzende Reflexion als instabil erwiesen hat. Wenn die reziproke Implikation zwischen Setzen und Voraussetzen zur äußeren Reflexion führt, dann ist nicht klar, warum diese Implikation auch ein Anlass dafür sein muss, die Reflexion wieder als Reflexion des Unmittelbaren und nicht nur des Subjektes zu betrachten. Ein korrektes Verständnis des hegelschen Argumentes verlangt jedoch, die Bemerkung anzubringen, dass das „Setzen“, welches aus der äußeren Reflexion entsteht und als Fundament ihrer Aufhebung gilt, nicht dasselbe „Setzen“ der vorherigen „setzenden Reflexion“ ist. Dessen logische Natur und Abstraktionsebene muss anders sein, da nur so bewiesen werden kann, dass die äußere Reflexion immanent zu ihrer eigenen Widerlegung und Überwindung führt. Der Unterschied zwischen dem vorherigen Setzen der setzenden Reflexion und dem jetzigen Setzen, das wir betrachten, basiert auf der folgenden Überlegung: Die Differenzierung zwischen Unmittelbarkeit und Reflexion, die die äußere Reflexion in ihrer logischen Struktur durchdringt, ist keine fertige und gegebene Differenzierung, noch ein unüberwindbarer Anfangspunkt für das Denken, sondern sie wird auch durch den logischen Prozess und seine Reflexion gesetzt. Dieses Setzen ist folglich zweiter Ordnung, indem es die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt setzt und so dieselbe Unterscheidung aufhebt und überwindet.54 Diesbezüglich muss man erneut betonen, dass Hegel für eine immanente Überwindung des Dualismus von Subjekt und Objekt plädiert. Das bedeutet, dass sich die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt im Moment seiner Formulierung aufhebt. Der Übergang der äußeren Reflexion zur bestimmenden muss meines Erachtens auf diese Weise gelesen werden. Der Ansatz einer immanenten Überwindung des Unterschiedes von Subjekt und Objekt lässt sich aber in früheren Texten Hegels finden. 54
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Anders ausgedrückt: Die Konzeption der Reflexion als eine subjektive Reflexion, die gar nichts mit der Sache zu tun hat, wird doch durch die Reflexion der Sache ermöglicht. Die Reflexion über die Sache ist auch die Reflexion und die immanente Bewegung der Sache. Der spezifische Inhalt lässt sich nicht nur für oder in der (subjektiven) Reflexion denken, sondern er ist die Reflexion selbst als logisch-ontologische Relationalität betrachtet. Mit diesem Gedanken kann man auch den Mangel der setzenden Reflexion überwinden. Es sei daran erinnert, dass sich der Ansatz der setzenden Reflexion auf der Prämisse gestützt hat, laut der die Unmittelbarkeit als Resultat der Reflexion zu betrachten ist, d.h., die Reflexion wird durch die logische Prozessualität erzeugt oder „bestimmt“. Doch insofern, als der Begriff der „Bestimmtheit“ bei Hegel die Existenz eines Limits und einer Grenze voraussetzt, kann die setzende Reflexion ihre eigene logische Form nicht von sich aus rechtfertigen, weil sie solch eine Grenze nicht etablieren kann. Was nun die Selbstaufhebung der äußeren Reflexion zeigen würde, ist, dass diese Grenze, die zu dem Begriff der Bestimmtheit gehört, nicht in einer Begrenzung der Reflexion oder der logischen Prozesshaftigkeit begründet werden kann. Das Problem wird dadurch fundiert, dass irgendein Versuch, dem logischen Prozess eine Grenze zu setzen, eben den Prozess voraussetzt: „Das Gesetzte ist daher ein Anderes, aber so, dass die Gleichheit der Reflexion mit sich schlechthin (Dazu ausführlicher: Markus Gabriel, Absolute Identität und Reflexion. Kant, Hegel, McDowell, in: Christian Danz, Jürgen Stolzenberg (Hgg.), System und Systemkritik um 1800, Hamburg 2011, S. 211–226.) Diesen Punkt vertiefend formuliert Lorenz Puntel: „Die Präsupposition der Kantischen (meta)transzendentalen Sätze besteht nämlich darin, dass diese den „logischen Raum“ uneingeschränkt in Anspruch nehmen; andererseits aber schränken sie explizit den logischen Raum radikal ein.“ (Lorenz Bruno Puntel, Transzendentaler und absoluter Idealismus, in: Dieter Henrich (Hg.), Kant oder Hegel?, Stuttgart 1983, S. 215.) Dazu kann man komplementär hinzufügen, dass in der Wesenslogik der reife Hegel nicht nur von einer absoluten Identität spricht, sondern eher von einer Prozessualität, deren Identität in der Selbstausdifferenzierung besteht. Die „Distinktionsdimension“, welche in Worten von Gabriel und Hogrebe denjenigen Bereich bezeichnet, in dem einerseits das Subjekt und das Objekt überhaupt vorkommen und unterschieden werden können, lässt sich nur relational und prozesshaft denken. Diese logisch-ontologische Einheit der Spezifizität ist demnach dynamisch, wobei Hegels Philosophie nicht einfach monistisch zu deuten ist. Dazu ausführlicher später.
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erhalten ist; denn das Gesetzte ist nur als Aufgehobenes, als Beziehung auf die Rückkehr in sich selbst.“55 Das ist aber nicht dadurch so, da der logische Prozess als eine Art allumfassende Menge oder abstrakte Totalität erscheint, die alles in sich enthält, sondern vielmehr deswegen, weil er die Bewegung und die Relationalität ist, aufgrund derer etwas überhaupt vom Anderen unterscheidbar ist. Der Grund dafür, dass es keine Äußerlichkeit gegenüber der Reflexion oder dem logischen Prozess geben kann, gehört nicht zum Bereich der Mereologie: der Grund besteht nämlich nicht darin, dass die logische Prozessualität ein Ganzes ist, das aus Teilen besteht, und jeder spezifische Inhalt ein Teil davon ist, vielmehr ist der logische Prozess die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass es überhaupt ein „Anderes” oder eine Unmittelbarkeit gibt, die der Reflexion entgegengesetzt zu sein scheinen. All dies ist jedoch nur die Konklusion des hegelschen Argumentes, laut dem die äußere Reflexion zu ihrer Selbstaufhebung führt. Jetzt kann man ausführlicher betrachten, weshalb die Unterscheidung zwischen Unmittelbarkeit und Reflexion, die die äußere Reflexion durchdringt, durch die logische, prozessuale Reflexion ermöglicht und erzeugt wird. Die These, derzufolge die Differenzierung zwischen Unmittelbarkeit und Reflexion-in-sich von der Reflexion hervorgebracht und „gesetzt“ wird, lässt sich durch die dialektische Inkonsistenz des der äußeren Reflexion zugrundeliegendem Dualismus beweisen. In der Tat setzt der eigene Dualismus voraus, dass die Reflexion-in-sich doch als Unmittelbarkeit aufgefasst werden muss und ebenfalls, dass die Unmittelbarkeit als Reflexion-in-sich zu denken ist. Die Behauptung, die Reflexion-in-sich müsste als Unmittelbarkeit gedacht werden, stützt sich auf das nachstehende Argument: In der dualistischen Struktur der äußerlichen Reflexion findet man eine Entgegensetzung zwischen Unmittelbarkeit und Reflexion, jedoch zielen die dualistischen Entgegensetzungen im Allgemeinen darauf ab, dass es überhaupt keine Interaktions- oder Vermittlungsbeziehungen zwischen den darin entgegensetzten Begriffen gibt. Ist aber keine Vermittlungsbeziehung zwischen den in der dualistischen Struktur sich befindenden Begriffe vorhanden, dann gelten beide entgegensetzte Kategorien als zwei unmittelbare und ein55
TWA 6, S. 32.
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ander gleichgültige Bereiche. Im Fall der der äußeren Reflexion zugrundeliegenden dualistischen Struktur, muss man aufgrund des Gesagten zugeben, dass sowohl die Unmittelbarkeit als auch die Reflexion-in-sich nur zwei unmittelbare und gleichgültige Begriffe sind. Als Teil einer dualistischen Struktur muss folglich die Reflexion-insich als Unmittelbarkeit gedacht werden, wobei der Dualismus selbstwidersprüchlich ist. Auf der Basis des folgenden Gedankenganges lässt sich nun die Aussage legitimieren, dass die Unmittelbarkeit doch als Reflexionin-sich aufzufassen ist. Die logische Opposition zwischen Reflexion und Unmittelbarkeit stützt sich darauf, dass der ersten die reine Negativität und der zweiten die reine Unmittelbarkeit zukommt. Jedoch, wie es in verschiedenen Passagen der Logik gezeigt worden ist, ist die Entgegensetzung zwischen Unmittelbarkeit und Negativität selbstzerstörerisch. Man muss dabei nämlich voraussetzen, dass die Unmittelbarkeit die Negativität negiert, indem sie deren entgegengesetztes Element ist. Das bedeutet nur, dass die Unmittelbarkeit am Begriff der Negation teilhaben muss, und zwar als Bedingung der Möglichkeit dafür, von der Negativität unterschieden werden zu können. Aber dadurch, dass die Unmittelbarkeit sich als Negatives zeigt, ist auch ihre begriffliche Bestimmung als Reflexion-in-sich sichtbar. In diesem Kapitel hat man die Reflexion mittels verschiedener Ausdrücke und Formulierungen definiert. Einer davon weist darauf hin, dass die Reflexion die Einheit von Entgegensetzung und Identität ist. Betrachten wir nun die Tatsache, dass die Unmittelbarkeit als Negativität erscheinen muss, um sich von der Negativität zu trennen, dann können wir uns dessen bewusstwerden, dass die Unmittelbarkeit der Negativität insofern entgegensetzt ist, als sie sich mit dieser wesentlich verbindet und mit ihr vereint ist. Von daher muss man sagen, dass sogar der minimale Versuch, die Unmittelbarkeit von der Reflexion zu trennen, schon präsupponiert, dass die Unmittelbarkeit dieselbe logische Struktur der Reflexion-in-sich trägt, und zwar die Einheit zwischen Entgegensetzung und Identität. Die Unmittelbarkeit ist folglich nur als Reflexion-in-sich denkbar. Eine andere Ausdrucksweise, um die Reflexion zu definieren, lautet: Die Reflexion ist eine Struktur reiner Relationalität, in der die Bezogenen, bzw. die Relata dieselbe logische Natur wie die Relation oder die Beziehung selbst haben. Die dialektische Inkonsistenz des
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Dualismus zwischen Unmittelbarkeit und Reflexion zeigt dann auf, dass sowohl die Unmittelbarkeit als auch die Reflexion-in-sich als die Verbindung dazwischen, dieselbe logische Natur besitzen. Die Inkonsistenz der Differenzierung ist nämlich dadurch zu erklären, dass jedes „Extrem“ bzw. jeder Pol der dualistischen Struktur nur als reines Verweisen auf sein Entgegengesetztes definiert werden kann. Das bedeutet, dass jedes „Extrem“ die Beziehung als solche ist. Wird jedes Element als reines Verweisen auf sein Entgegengesetztes definiert, dann geht es um zwei entgegensetzte Negativitäten und somit um die präzise Bezeichnung der Reflexion bei Hegel: „sich auf sich beziehende Negativität“. Dies verdeutlicht, dass die Reflexion weder eine äußere oder externe Verbindung zwischen sich und der Unmittelbarkeit oder bloß die Mitte ist, die Elemente zufällig verknüpft, die wiederum unabhängig von der Verknüpfung existieren könnten, noch stellt sie eine tautologische Reflexion dar, die sich nur um sich selbst dreht. Vielmehr ist sie eine Reflexion, die doch fähig ist, einen Unterschied zwischen sich und der von ihr vermittelten Unmittelbarkeit zu erzeugen. Dies alles insofern, als diese Unterscheidung, die die setzende Reflexion verlangt, aber nicht legitimieren konnte, doch durch die eigene Reflexion ermöglicht und so produziert wird. Diese neue Reflexionsform, die doch den Unterschied zwischen sich und den von ihr hervorgebrachten spezifischen Inhalten legitimieren kann, ist die „bestimmende Reflexion“. Sie bezeichnet den logischen Prozess, der nicht nur spezifische Inhalte vermittelt und etabliert, sondern auch den Unterschied zwischen dem eigenen Prozess und seinem Resultat, aber als internen Unterschied, d.h. als einen, der aufgrund des Reflexionsprozesses entsteht.56 Damit ist Die hegelsche These, dass der Unterschied zwischen Reflexion und Unmittelbarkeit doch durch die Reflexion selbst hervorgebracht und vermittelt wird, hat Klaus Kaehler als Hegels Kritik an Fichte gedeutet: „Die Pointe dieser Kritik aber wird sein, wie bereits angedeutet, daß die Negativität des dem Ich entgegengesetzten Nicht-Ich nur aus der Verendlichung der absoluten Reflexion in der Fixierung der Termini ihrer Bewegung erscheint als Negativität gegen das Ich. Diese verendlichende Entzweiung diagnostiziert Hegel im Abschnitt C des Ersten Kapitels („Die Reflexion“) als das Außer-Sich-Kommen der absoluten Reflexion selbst – des Ich des fichteschen ersten Grundsatzes“ (Klaus E. Kaehler, Die Negativität des Ich. Hegels reflexionslogische Kritik des fichteschen Prinzips, in: Hegel56
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die Reflexion „an sich“, d.h. ihrem eigenen Begriff nach, ein Prozess, der interne Differenzierungen und Unterscheidungen nur aus sich selbst heraus, erzeugen und schaffen kann. Der Kern der „bestimmenden Reflexion“ lässt sich mit einer entscheidenden These der Wissenschaft der Logik verbinden: irgendein Versuch, eine Äußerlichkeit gegenüber der logischen Prozessualität zu denken und festzustellen, setzt dieselbe Prozessualität voraus. Der Begriffsgehalt der Äußerlichkeit überhaupt stützt sich auf die Möglichkeit des Differenzierens. Wenn aber diese Möglichkeit des Differenzierens auf den logischen Prozess zurückgeführt werden muss, dann gibt es nichts, das diesem Prozess äußerlich oder extern ist. Das heißt jedoch nicht, dass die logische Prozessualität ein tautologisches Ganzes sei, das die Pluralität, die Mannigfaltigkeit und den Reichtum der Inhalte auflöst und in sich subJahrbuch 2005, S. 241–246, hier S. 243). Im Prinzip ist es wohl möglich, die dialektische Inkonsistenz der äußerlichen Reflexion als Indiz dafür zu deuten, dass der Unterschied zwischen Denken und Nicht-Denken vom Denken durchdrungen ist und hervorgebracht wird. Wie im zweiten Kapitel schon gesehen, weist die Objektivitätsfähigkeitsthese darauf hin, dass der Unterschied zwischen Denken und denjenigen Gegenständen, die nicht Denken sind, auf der radikalen Identität beider basiert. Nicht deswegen, weil sich die Gegenstände im Kopf oder im Geist des Subjektes befinden (wie der subjektive Idealismus glaubt), sondern vielmehr deshalb, weil jeder Unterschied und jede Äußerlichkeit der Gegenstände gegenüber dem Denken die Voraussetzung enthalten, dass dieses in der Lage ist, diese Gegenstände zu erkennen, und zwar genau wie sie sind. Denn nur aufgrund dessen können die Gegenstände als etwas wirklich Verschiedenes bezüglich des Denkens erscheinen. Eine ähnliche Deutung der bestimmenden Reflexion als realistische Konzeption der Objektivität des Denkens hat auch A. Koch dargestellt. Für ihn bezeichnet die bestimmende diejenige Reflexion des subjektiven Denkens, die zwar ihre eigenen Begriffe über den Inhalt der nicht-gedanklichen Gegenstände hinausprojiziert, aber zugleich dasjenige, was sie „setzt“ und projiziert, mit dem übereinstimmt, was die Gegenstände an sich sind. Beispiel dafür ist für Koch das Lesen: Es enthält die intellektuelle Bearbeitung der Zeichen, aber verformt nicht das, was in den Zeichen geschrieben ist, sondern versteht den Inhalt aufgrund seines Projizierens. Daher ist die bestimmende Reflexion eine „konservative Projektion“. (Dazu: Kants transzendentale Deduktion aus der Perspektive der Wissenschaft der Logik, in: Hegel-Jahrbuch 2016, S. 45–53; ders., Die Mittelstellung des Wesens zwischen Sein und Begriff, in: Hegels Lehre vom Wesen, a.a.O., S. 9–20.)
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sumiert. Vielmehr ist der logische Prozess der Grund, weshalb überhaupt eine Mannigfaltigkeit der Inhalte entwickelt werden kann, indem gerade diese Mannigfaltigkeit sich nicht von der Entfaltung und Äußerung der logischen Prozessualität unterscheidet. Deswegen muss jede Äußerlichkeit gegenüber dem logischen Prozess als „aufgehobene“ Äußerlichkeit gedacht werden, da sie nur auf Grundlage des Prozesses als äußerlich betrachtet werden kann: Als Gesetztsein nämlich ist die Negation als solche, ein Nichtsein gegen ein Anderes, nämlich gegen die absolute Reflexion in sich oder gegen das Wesen. Aber als Beziehung auf sich ist sie in sich reflektiert. – Diese ihre Reflexion und jenes Gesetztsein sind verschieden; ihr Gesetztsein ist vielmehr ihr Aufgehoben sein; ihr Reflektiertsein in sich ist ihr Bestehen. Insofern es nun also das Gesetztsein ist, das zugleich Reflexion in sich selbst ist, so ist die Reflexionsbestimmtheit die Beziehung auf ihr Anderssein an ihr selbst.57
Die Reflexion ist demnach zwar „Bestimmtheit“, „Beziehung auf ihr Anderssein“, jedoch findet dieses Verhältnis innerhalb der Reflexion statt.58 Das Andere der Reflexion, des logischen Prozesses ist ihre Flexur, ihre Selbstentgegensetzung. Der Ansatz, dass irgendeine Äußerlichkeit gegenüber dem logischen Prozess als „aufgehobene“ Äußerlichkeit erscheint, ist einer der polemischen Punkte von Hegels Philosophie. Laut seiner Kritiker würde diese Behauptung den totalitären und verschlossenen Charakter seines Systems belegen. Demnach würde es sich hierbei um die extremste Version des Monismus handeln, in der die Mannigfaltigkeit und das Aufkommen der wirklichen Alterität in der Natur und dem sozialen Leben im Voraus abgeschafft werden. In diesen Vorwürfen bezüglich Hegels Philosophie lassen sich zumindest zwei Missverständnisse finden, die jetzt im Licht des Begriffes der bestimmenden Reflexion vorläufig verdeutlicht werden können. Das erste Missverständnis ist der Glaube, dass Hegel zuerst eine gegebene Mannigfaltigkeit spezifischer Inhalte voraussetzt und diese hinterher in ein äußerliches, durch das Denken vorgeschlagenes Schema oder Regel unterzubringen versucht. Bei einem solchen Verfahren bestünde die Richtigkeit des Schemas oder der Regel darin, diejenigen Inhalte, die in ihnen subsumiert sind, erfolgreich und TWA 6, S. 34 f. 58 TWA 6, S. 35. 57
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ohne Widerspruch zu beschreiben, wobei man jedoch auf das typische Verfahren der äußerlichen Reflexion und der Verstandesmetaphysik zurückgreifen müsste. Allerdings wird gerade dieses Vorgehen von Hegel kritisiert, denn der logische Prozess ist weder ein Schema noch eine von außen her gesetzte Regel, der die spezifischen Inhalte subsumiert sind; dagegen ist der logische Prozess vielmehr der Grund für die Mannigfaltigkeit der Inhalte. In diesem Zusammenhang wäre es folglich unpräzis, zu sagen, der logische Prozess sei der Nährboden, auf dem die Mannigfaltigkeit floriert und dem diese überhaupt erst entwachsen kann. Viel präziser wäre es, zu behaupten, der logische Prozess fällt gerade mit diesem Florieren und Wachsen zusammen, weshalb die logische Prozessualität nicht jenseits, hinter oder über dieser Mannigfaltigkeit von Inhalten existiert, sondern vielmehr ist seine wesentliche und notwendige Existenzform die Mannigfaltigkeit und Pluralität. Der Prozess ist nicht anders als die ohne Substrat geschehende Selbstausdifferenzierung. Diese Anmerkung gilt jedoch nicht als Legitimation jeder Behauptung Hegels hinsichtlich der Natur oder der Geschichte im Rahmen der sogenannten Realphilosophie. Unzweifelhaft hat Hegel versucht, die logischen Verhältnisse zwischen den Begriffen mittels empirischer Aussagen zu veranschaulichen, die als solche der Entwicklung der wissenschaftlichen und geschichtlichen Erkenntnis unterworfen sind. Solche Veranschaulichungen können unter bestimmten Umständen als belustigend oder gar als lächerlich aus den Augen unserer Epoche und vom Stand unserer heutigen Erkenntnis aus gelten. Das ist aber bei Hegels Philosophie nicht so entscheidend, denn weder der Naturwissenschaftler noch der Historiker verfügen explizit über einen Begriff der Natur oder der Geschichte. Einen wahrhaften Zugang zu diesen Begriffen zu schaffen – nicht aber alles bezüglich der Natur und der Geschichte zu wissen –, das kann erfolgreich mithilfe der Darstellung der Koordinaten der logischen Prozessualität getan werden. Das zweite Missverständnis hat mit der Vorstellung des „Monismus“ zu tun. Unzweifelhaft verteidigt Hegel irgendeine Form des Monismus. Sowohl die Unterschiede, die wohl zwischen den Inhalten gegeben sein können, als auch und noch wichtiger die dualistische Auffassung des Subjektes und des Objektes sind nur auf Grundlage eines logischen Prozesses und einer logisch-absoluten Form intelligibel. Wenn aber diese logische Relationalität nur in Form der Reflexion, d.h. nur in der Form der internen Differen-
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zierung existiert, muss Hegels Monismus doch wesentlich auf den nicht-standard-monistischen und sogar pluralistischen Ansatz einer ständigen Selbstpluralisierung des Ganzen bezogen sein.59 Das Ganze ist weder etwas noch eine Entität, die jenseits oder hinter den Teilen liegt. Das Ganze hat für Hegel überhaupt keine mereoRolf-Peter Horstmann hat in seinem berühmten Buch Ontologie und Relationen die These vertreten, dass Hegels Philosophie als relationsontologischer Monismus zu verstehen ist. (Vgl. Rolf-Peter Horstmann, Ontologie und Relationen. Hegel, Bradley, Russell und die Kontroverse über interne und externe Beziehungen, Königstein im Taunus 1984.) Relationsontologischer Monismus bezeichnet den Ansatz, dass alle Gegenstände bzw. alle Objekte „organologisch“ und nicht „mechanisch“ intelligibel sind. Ein organologisches Muster der Intelligibilität ist dasjenige, welches in der Lage ist, „inkompatible Bestimmungen“ in Einheit zu bringen, wie z.B. Einheit und Vielheit, Identität und Unterschied (S. 78, 84). Der relationsontologische Monismus ist aber anders als der traditionelle bzw. substanzontologische Monismus, weil letzterer von dem Unterschied Subjekt-Prädikat ausgeht, ein Unterschied, den Hegel mit seiner organologischen Auffassung überwinden möchte. Des Weiteren ist der relationsontologische Monismus mit einer Subjektivitätstheorie wesentlich verbunden, da die Subjektivität denjenigen Sachverhalt darstellt, an welchem die organologische Struktur primär ausgedrückt und manifestiert wird (S. 85). Ich bin fast mit all diesen Behauptungen einverstanden, doch, da Horstmann sich nicht mit dem Begriff der Reflexion beschäftigt, lässt er die Selbstpluralisierung des Ganzen außer Acht und somit ignoriert er, dass Hegel den Gegensatz von Monismus und Pluralismus eigentlich aufhebt und diese nur als Momente der Selbstausdifferenzierung des logischen Prozesses denkt. In diesem Zusammenhang teile ich die Meinung von Christian Martin, dass Hegels Philosophie weder bloß monistisch noch bloß pluralistisch ist. (Vgl. Christian Georg Martin, Ontologie der Selbstbestimmung: Eine operationale Rekonstruktion von Hegels Wissenschaft der Logik, Tübingen 2012, S. 452.) Nun hat Horstmanns problematische Stellung meinem Verständnis nach damit zu tun, dass er zwei Dimensionen der Ontologie voneinander trennt, und zwar die Analyse der Kategorien und die Darlegung der Wahrheit des Gegenstandes (S. 45 f.). Für ihn setzt sich Hegel nur mit der zweiten Hinsicht der Ontologie auseinander. Damit ist Horstmanns Ansatz nicht ganz in der Lage, die genaue philosophische Rechtfertigung der relationalen Theorie der Spezifizität bei Hegel darzustellen, die besagt, dass die Spezifizität deshalb relational zu denken sei, weil die Begriffe, die man beim Referieren eines Gegenstandes verwendet, relationale Bedeutung besitzen. Das Logische bzw. die grundlegenden Denkbestimmungen sind relational und prozesshaft, wobei die Intelligibilität des Gegenstandes auch relational gedacht werden muss. 59
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logische Bedeutung und die Beziehung zwischen der logischen Prozessualität und den spezifischen Inhalten ist nicht die Beziehung der Subsumtion, d.h. die spezifischen Inhalte sind keine Stückchen des Absoluten verstanden als abstraktes All-Eines. Das Ganze findet nur als seine eigene Selbstpluralisierung statt, nur als die Tätigkeit und das Geschehen des sich Vermannigfaltigens. Gerade deswegen ist das Ganze ein Prozess; ihm kommt immanente Lebendigkeit und Beweglichkeit zu. In dieser Hinsicht ist die Analogie des Logischen zum Leben nicht zufällig, wie bereits in der Literatur angemerkt worden ist.60 Das Leben ist ein Prozess der Selbstausdifferenzierung, woraus folgt, dass es sich als Mannigfaltigkeit der Lebensformen zeigt und so auch verwirklicht, wobei die Vermehrung des Lebens nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ und sogar evolutionär ist. Trotz der großen Vielfalt an Lebensformen, vereinheitlich man diese oft unter dem Begriff „Leben“. Dies aber nicht deswegen, weil das Leben eine allgemeinste Kategorie darstellt, die die Mannigfaltigkeit in sich subsumiert, noch deshalb, weil das Leben eine grundlegende Entität oder eine Menge präsentiert, die das Lebendige in sich enthält, sondern eher, weil das Leben ein Prozess, eine Relationalität, eine dynamische Bewegung ist, die nur als Selbstdifferenzierung und Selbstentgegensetzung existieren und so den Reichtum der pluralen Lebensformen aus sich schaffen und erzeugen können. Was aus dem Leben entsteht, ist auch Leben, aber jedes konkrete Leben ist singulär und verschieden. Das Lebendige unterscheidet sich von sich selbst, eben weil es mit sich selbst identisch ist. Die Einheit des Lebensprozesses eliminiert den Reichtum und die Vielfältigkeit des Lebens nicht, sondern erscheint als seine wesentliche Bedingung. Damit es überhaupt differenzierte und plurale Lebensformen geben kann, ist es begrifflich nicht geeignet, zu verlangen, dass die Lebendigen außerhalb der Einheit des Lebensprozesses auftauchen. Ebenfalls ist die Äußerlichkeit gegenüber dem Logischen keine Bedingung dafür, dass es wirkliche Pluralität Vgl. dazu: Annette Sell, Der lebendige Begriff: Leben und Logik bei G.W.F. Hegel, Freiburg im Breisgau 2014. Sell weist darauf hin, dass der Umstand, dass die Selbstausdifferenzierung des Logischen ähnlich der Selbstausdifferenzierung des Lebens ist, nicht dazu führen muss, die Natur und den Geist miteinander zu identifizieren (S. 22). Der Begriff, die logische Prozessualität ist aufgrund seiner logischen Form lebendig und hängt deswegen nicht von der Natur ab. Dieses Thema werde ich später im Rahmen des Überganges der Substanz zum Subjekt untersuchen. 60
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und Mannigfaltigkeit gibt. All dies berücksichtigend, kann man nun verstehen, was genau Reflexion bei Hegel bedeutet und warum diese eine immanente und wesentliche Seinsweise des Wesens (der logischen Prozessualität) ist. „Reflexion” verweist auf die Selbstentgegensetzung und interne Selbstausdifferenzierung, wobei das Selbst und die Entgegensetzung einheitlich zu denken sind. „Reflexion” ist zum Schluss der grundsätzliche Begriff einer Ontologie der reinen Relationalität, in der eine doppelte Bedingung zu erfüllen ist: Einerseits sind die Relationen keine Prädikate der Gegenstände, sondern der Gegenstand selbst wird nur als Relation denkbar, als konkrete und differenzierte Manifestation einer Relationalität; andererseits können die Relationalität und der logische Prozess nur als konkrete und differenzierte Manifestation ihrer selbst existieren.
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5. Hegels Konzeption der Wirklichkeit Vorbemerkungen Wie bereits erwähnt, werden in den folgenden Abschnitten die Argumente des dritten Teils der Wesenslehre mit dem Titel „Wirklichkeit“ rekonstruiert. Damit wird der Übergang von der Wesens- zur Begriffslehre als Überwindung der nicht-reflexiven Theorien des Absoluten erläutert. Da aber der Begriff der Reflexion bis zu einem gewissen Punkt die grundlegende Struktur der Wesenslehre ausmacht, ist es möglich, mittels der Argumente des vorherigen Kapitels den Status und die Bedeutung des Begriffes der Wirklichkeit innerhalb Hegels Ansatz einleitend zu erklären, ohne dabei alle Argumente der logischen Entwicklung darzulegen, die diesem vorangeht. Um den Begriff der Wirklichkeit einzuführen, ist es nun erforderlich, die ihm in der Wesenslehre vorausgehende Behauptung zu zitieren: Was Etwas ist, das ist es daher ganz in seiner Äußerlichkeit; seine Äußerlichkeit ist seine Totalität, sie ist ebensosehr seine in sich reflektierte Einheit. Seine Erscheinung ist nicht nur die Reflexion in Anderes, sondern in sich, und seine Äußerlichkeit daher die Äußerung dessen, was es an sich ist; und indem so sein Inhalt und seine Form schlechthin identisch sind, so ist es nichts an und für sich als dies, sich zu äußern. Es ist das Offenbaren seines Wesens, so dass dies Wesen eben nur darin besteht, das sich Offenbarende zu sein. Das wesentliche Verhältnis hat sich in dieser Identität der Erscheinung mit dem Inneren oder dem Wesen zur Wirklichkeit bestimmt.1
Damit übereinstimmend leistet der Begriff der Wirklichkeit die wahrhafte Überwindung jenes Dualismus zwischen Wesen und Schein bzw. Erscheinung, der auch als Trennung zwischen Wesen und Existenz, Phänomen und Ding-an-sich, Innerlichkeit und Äußerlichkeit usw. gedeutet werden könnte. Die Überwindung lässt sich im Allgemeinen in Bezug auf das im vorherigen Kapitel dargestellte Argument verstehen, nach dem sich die ontologische Distinktion zwischen Schein und Wesen als dialektisch inkonsistente
1
TWA 6, S. 185.
Vorbemerkungen
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Trennung erwies. Jede asymmetrische Entgegensetzung zwischen Ebenen oder Schichten der Realität, in der eine Ebene hinter der anderen als ihr verborgener Grund liegt, impliziert einen internen Widerspruch. Wenn nämlich dasjenige, was grundsätzlicher und fundamentaler ist, weder erscheint noch zu Tage tritt, dann gibt es keinen Grund dafür, die These zu vertreten, dass ein Abhängigkeits- oder Begründungsverhältnis zwischen diesen beiden Ebenen bestünde. Ohne die Erscheinung des Wesens kann dasjenige, was in metaphysischer Hinsicht der niedrigeren Ebene angehört (sei es der Schein, die Erscheinung, die Existenz usw.), nicht als nichtig erklärt werden. Wenn dies der Fall ist, muss man ihnen (der Erscheinung, der Existenz) diejenige Unmittelbarkeit und Selbständigkeit zuschreiben, die der metaphysischen Vorstellung nach nur dem Wesen zukommen müssten. Zusammenfassend scheitern die traditionellen Vorstellungen des Wesens aufgrund eines nicht überwindbaren Dilemmas: Erscheint das Wesen nicht, dann kommt diesem kein wesentlicher Charakter gegenüber der Erscheinung oder der Existenz zu; erscheint dieses dagegen oder wird zur Existenz, dann ist es nicht unmittelbar oder bloß positiv. Das Einzige, wodurch dieses Dilemma wirklich überwunden werden könnte, ist eine Auffassung des Wesens als Reflexion. Es geht um ein Wesen, dessen Wesentlichkeit darin besteht, sich zur Erscheinung und Existenz zu machen. Schon aus diesem Grund koinzidiert das Wesen von Etwas mit seiner Äußerlichkeit und Entäußerung. Es gibt kein Substrat oder metaphysischen Träger, der hinter der Mannigfaltigkeit der Bestimmungen eines Gegenstandes verborgen bleibt. Diese Mannigfaltigkeit ist dadurch reich und plural, da sie als logischer Prozess und reine Relationalität zu denken ist. So ist es z.B. das Wesen der Sprache, sich in Zeichen oder in Lauten auszudrücken; das Wesen der Farbe, sich als besonderer Farbton zu manifestieren; das Wesen der Freiheit und der Gerechtigkeit, sich in einzelnen Entscheidungen und besonderen sozialen und existierenden Institutionen zu äußern usw. Das Wesen ist überhaupt dieses tätige Werden zur Existenz. Das Wesen, welches nur als Wirken, als tätige Manifestation aufzufassen ist, bezeichnet die „Wirklichkeit“ für Hegel. In dieser Hinsicht lässt sich auch verstehen, inwiefern im Begriff der Wirklichkeit die Einheit zwischen Inhalt und Form vorhanden ist. Die Form ist hierbei der logische Prozess, die Bewegung des Wesens, die die Spezifizität jedes Etwas, jedes spezifischen Inhaltes
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produziert. Da aber dieser Form die Reflexion und die Selbstdifferenzierung wesentlich sind, ist dasjenige, was überhaupt unterscheidbar ist (der Inhalt qua Spezifizität) nicht anders als diese Selbstdifferenzierung und logische Entfaltung der Form als solche. Die Analogie zum Leben kann erneut nützlich sein: Das Leben ist eine Form, ein Prozess der Selbstausdifferenzierung, aber der Inhalt eines einzelnen und konkreten Lebens ist eben dieser Prozess und diese Form, nämlich die Selbstausdifferenzierung in actu. Ebenfalls ist das Leben als ein Ganzes nur seine Entfaltung in einem einzelnen Leben, denn die Art und Weise des Lebens als einheitlicher Prozess besteht in seinem Sich-Vervielfältigen, in seiner Pluralisierung. So bezeichnet „Wirklichkeit“ diejenige Erscheinung, die weder ein Substrat noch einen metaphysischen Träger hinter sich hat und die von dem Manifestationsprozess des Wesens erzeugt wird. Ebenso verweist „Wirklichkeit“ auf dasjenige Wesen, das nur insofern wesentlich ist, als es erscheint, sich äußert und zur Existenz wird. Das, was erscheint, und die Äußerung, Manifestation und das Sich-zur-Existenz-Machen des Wesens sind ein und derselbe substratlose Prozess. So Hegel: „Die Wirklichkeit ist die Einheit des Wesens und der Existenz; in ihr hat das gestaltlose Wesen und die haltlose Erscheinung oder das bestimmungslose Bestehen und die bestandslose Mannigfaltigkeit ihre Wahrheit.“2
2
TWA 6, S. 186.
§ 15. Das Absolute als Äußerung im Endlichen A. Die identitäre Definition des Absoluten: Problematik und Selbstwiderlegung Der Begriff des Absoluten erscheint in der logischen Entwicklung, nachdem jede Unterscheidung zwischen Wesen und Existenz verschwunden ist. In seiner ersten Stufe stellt sich jedoch das Absolute als statische und unbestimmte Einheit zwischen Wesen und Existenz dar. So Hegel: „Die einfache gediegene Identität des Absoluten ist unbestimmt, oder in ihr hat sich vielmehr alle Bestimmtheit des Wesens und der Existenz oder des Seins überhaupt sowohl als der Reflexion aufgelöst.“1 Die „unbestimmte“ Einheit des Wesens und der Existenz ist unzweifelhaft ein Begriff des Verstandes, jedoch ist ihr Ursprung logisch und begrifflich legitim. Es ist nämlich unmöglich, die Einheit zwischen Wesen und Existenz in seine Komponenten zerlegt, also als Wesen oder als Existenz zu denken. Das bedeutet, dass diese Einheit unbestimmt ist und so kein Gegenstand der Prädikation sein kann. Auf diese Weise entsteht der klassische Begriff des Absoluten als dasjenige, was sich jeder Prädikation oder Bestimmung entzieht. Das Absolute ist unbestimmt, weil einheitlich, denn jede Prädikation und jeder bestimmte Inhalt implizieren Unterschiede und somit Fragmentierung und Zersplitterung. Entsprechend kann das Absolute nur negativ definiert werden: Man kann sagen, was das Absolute nicht ist, doch niemals was das Absolute eigentlich ist, denn nur so kann es als Grundlage der Prädikation fungieren. Gerade diese Argumentation sieht man z.B. bei der negativen Theologie oder bei der Konzeption des Einen des Neuplatonismus. Doch diese negative Theorie des Absoluten repräsentiert für Hegel den „formellsten Widerspruch“ und die „formelle unsystematische Dialektik“.2 Denn die Transzendenz des Absoluten bezüglich der endlichen Inhalte und Dinge ist meta-metaphysisch inkonsistent, d.h. die negative Theorie des Absoluten ist nicht in der Lage, die Frage befriedigend zu beantworten, wie das Denken, welches das Absolute betrachtet, als Teil des Absoluten gedacht werden kann. TWA 6, S. 186. 2 TWA 6, S. 187. 1
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Hegels Konzeption der Wirklichkeit
Der Verteidiger der negativen Theorie des Absoluten, glaubt, das Absolute als Grundlage jeder Prädikation dargestellt zu haben. Das ist jedoch nicht der Fall, weil die These, dass sich das Absolute jeder Prädikation entzieht, mit der ersten Behauptung der negativen Theorie inkompatibel ist. Wenn nämlich das Absolute den Grund der Differenzierungen ausmachen würde, dann sollte es imstande sein, sich als spezifischen Inhalt zu manifestieren, was jedoch der Aussage widerspricht, das Absolute entziehe sich jeder Spezifizität. Ein mögliches Argument zugunsten der negativen Theorie des Absoluten wäre, dass die spezifischen Inhalte nur Schein sind, dessen Nichtigkeit durch seine Zurückführung auf die absolute Einheit des Absoluten aufgezeigt werden kann. Dieser Schein kommen dadurch zustande, dass unser Denken endlich ist und somit nur durch Prädikationen arbeiten kann. Aber wenn das so wäre, dann tritt das Denken, welches die Prädikationen setzt und etabliert, als „äußere Reflexion“ gegenüber dem Absoluten auf. Daher ist die negative Theorie des Absoluten meta-metaphysisch inkonsistent: Die intellektuellen Operationen und Manöver, durch welche das Denken die Unterscheidungen der endlichen Dinge erkennt und diese auf die Einheit des Absoluten mittels der philosophischen Reflexion reduziert, stellen einen subjektiven und äußerlichen Standpunkt dar, der dem Absoluten gleichgültig ist. Das Absolute ist demnach der Reflexion entgegengesetzt und die Rede vom Absoluten ergibt keinen Sinn mehr.3 Die negative Theorie des Absoluten kann alles, außer sich selbst erklären. Die transzendente Ontologie des Absoluten kann sich als theoretisches Konstrukt nicht in sich selbst inkludieren und ist von einem zweistufigen Widerspruch durchdrungen. Dadurch erscheint diese Theorie als „vormalige So argumentiert z.B. Gabriel (vgl. Markus Gabriel, The Dialectic of the Absolute – Hegel’s Critique of Transcendent Metaphysics, in: Journal of Philosophy: A Cross Disciplinary Inquiry 4 (2009), S. 38–51): „Given that transcendent metaphysics conceives the absolute as the entirely other that transcends the totality of determinations, it cannot characterize it through any positive predicate […]. It is obvious that the negation of all predicates cannot be a reflection performed by the negative absolute itself. Otherwise we would have to ascribe some sort of self-determining activity to it which would contradict its alleged absolute identity. Hence, it is our own reflection that accomplishes the negation of all predicates […]. If it makes sense to talk about the absolute at all, we cannot define it in opposition to reflection.“ 3
Das Absolute als Äußerung im Endlichen
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Metaphysik“ im Sinne des im Vorbegriff(es) verwendeten Terminus, d.h. als eine Theorie des Absoluten, die nicht imstande ist, das Denken des Absoluten im Absoluten zu inkludieren und somit ihre eigene Rechtfertigungsbedingungen und theoretische Operationen ontologisch zu erklären. Hegel gibt jedoch dem Verteidiger der negativen Ontologie des Absoluten noch eine Chance, zugunsten dieser Theorie zu argumentieren. Dies findet man im Abschnitt „die Darlegung des Absoluten“. i. Die Darlegung des Absoluten Wie gesehen besagt Hegels Einwand gegen die transzendente Theorie des Absoluten, dass in ihr ein unüberwindbarer Hiatus zwischen dem Absoluten und seiner Darlegung zu finden ist: Letztere ist nicht aus dem Absoluten immanent abgeleitet, sondern taucht als Resultat einer dem Absoluten äußerlichen Reflexion auf. Darauf könnte der Verteidiger der negativen Theorie des Absoluten Folgendes entgegnen, und zwar, dass die Nichtigkeit und das Verschwinden der endlichen Dinge die immanente Darlegung und Darstellung des Absoluten ausmachen: „[I]nsofern nämlich das Endliche darin, dass es zugrunde geht, diese Natur beweist, auf das Absolute bezogen zu sein oder das Absolute an ihm selbst zu enthalten.“4 Die Nichtigkeit und Begrenztheit der endlichen Sachen sind ein Zeichen dafür, dass diese einen Mangel in sich tragen, nämlich den, dass sie nicht durch sich begründet werden und in diesem Sinne vergehen müssen. Des Weiteren verweist dieser Mangel auf die Tatsache, dass der Grund der endlichen Sachen nicht in diesen zu finden ist, sondern eben in demjenigen, was der Nichtigkeit nicht unterzogen ist, d.h. im Absoluten als solches. Das Absolute findet seine eigene Darlegung in der Nichtigkeit der endlichen Dinge und diese Darlegung ist kein Werk eines Dritten, sondern des Absoluten selbst. All dies hat man geleistet – so der Verteidiger der negativen Theorie des Absoluten –, ohne die negative Definition des Absoluten in Frage gestellt zu haben. Hegel zeigt jedoch, dass in dieser neuen Argumentation eine subtile, aber entscheidende Wende vorhanden ist. Die These, dass 4
TWA 6, S. 189.
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Hegels Konzeption der Wirklichkeit
das Absolute sich in der Nichtigkeit der endlichen Dinge immanent darstellt, ist nämlich von einer latenten Zweideutigkeit begleitet: Die „Nichtigkeit der Dinge“ bedeutet, dass diese nur ein falscher Schein sind, welcher eines ontologischen Bestehens entbehrt; wenn aber das Absolute sich selbst in dieser Nichtigkeit zeigt und darstellt, dann sind die endliche Dinge kein falscher Schein mehr, sondern ihre Nichtigkeit und Negativität sind das interne Medium, in dem sich das Absolute manifestiert. Das Endliche ist Schein, Illusion, Falschheit, es ist aber auch das Scheinen, die immanente Form der Erscheinung des Absoluten: „Der Schein ist nicht das Nichts, sondern er ist Reflexion, Beziehung auf das Absolute; oder er ist Schein, insofern das Absolute in ihm scheint.“5 Wie kann man diese Zweideutigkeit auflösen? Um diese Frage zu beantworten, greift der Verteidiger der transzendenten Theorie des Absoluten auf eine Unterscheidung zurück: Das Absolute ist nicht dasselbe wie das Medium seiner Darlegung oder Erscheinung. Das Absolute legt zwar sich selbst in der Nichtigkeit des Endlichen dar, ist aber nicht damit identisch. Denn das Endliche, als Medium der Erscheinung des Absoluten, vergeht und verschwindet unaufhörlich, während das Absolute mit sich selbst identisch bleibt. Mit Hegels Worten: […] Die Durchsichtigkeit des Endlichen, das nur das Absolute durch sich hindurchblicken lässt, endigt in gänzliches Verschwinden; denn es ist nicht am Endlichen, was ihm einen Unterschied gegen das Absolute erhalten könnte; es ist ein Medium, das von dem, was durch es scheint, absorbiert wird. Diese positive Auslegung des Absoluten ist daher selbst nur ein Scheinen; denn das wahrhaft Positive, was sie und der ausgelegte Inhalt enthält, ist das Absolute selbst.6
Aber diese analytische Distinktion zwischen Gegenstand und Medium der Darlegung des Absoluten bringt die Theorie in eine Verlegenheit. Wenn nämlich der Gegenstand der Darlegung anders als das Darlegungsmedium ist, wie kann man vom „Absoluten“, d.h. von demjenigen, was alles in sich enthält, sprechen? Diesbezüglich könnte man argumentieren, dass der Unterschied zwischen Medium und Gegenstand der Darlegung nur analytisch sei; er wurde durch das Denken aufgebaut und ist deswegen dem Absoluten TWA 6, S. 190. 6 TWA 6, S. 190. 5
Das Absolute als Äußerung im Endlichen
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nicht relevant: Es bleibt unbestimmt, unabhängig von unserer Differenzierung zwischen Gegenstand und Medium der Darlegung. Diese Aussage löst allerdings nicht das Problem, führt es uns doch erneut zu dem zweistufigen Widerspruch, in dem das Denken, das die Natur des Absoluten darlegt, nicht ins Absolute selbst inkludiert werden kann: In der Tat aber ist das Auslegen des Absoluten sein eigenes Tun, und das bei sich anfängt, wie es bei sich ankommt. Das Absolute, nur als absolute Identität, ist es bestimmt, nämlich als Identisches; es ist durch die Reflexion so gesetzt gegen die Entgegensetzung und Mannigfaltigkeit […]. Oder jenes Absolute, das nur als absolute Identität ist, ist nur das Absolute einer äußeren Reflexion. Es ist daher nicht das Absolut-Absolute, sondern das Absolute in einer Bestimmtheit, oder es ist Attribut.7
Es ist wichtig, hervorzuheben, dass diese Widerlegung der transzendenten Theorie des Absoluten intern zu einer neuen Theorie des Absoluten führt: Eine dynamischere Theorie, in der das Absolute den endlichen und unterscheidbaren Inhalten nicht mehr entgegengesetzt ist, sondern diese Inhalte konkret und immanent impliziert. Wir befinden uns jetzt im Reich der spinozistischen Konzeption des Absoluten als konkrete Substanz. Der Übergang der transzendenten zur immanenten Theorie des Absoluten ergibt sich nicht apagogisch, sondern aufgrund der logischen Entfaltung der Begriffe. Die transzendente Theorie des Absoluten versucht, das Absolute zu konzipieren, läuft aber nur kraft ihrer Widersprüche auf eine nicht-absolute Betrachtung des Absoluten hinaus, da ihr Absolutes der subjektiven Reflexion entgegengesetzt ist. Aufgrund dessen denkt die transzendente Theorie nicht das Absolute, sondern nur einen spezifischen Inhalt, d.h. ein Attribut. Dieser Umstand spiegelt jedoch die wahrhafte Natur der „absoluten Form“ wider, d.h. drückt die Tatsache aus, dass das Absolute nur als Manifestation, als spezifisches Attribut gedacht werden kann. Die transzendente Metaphysik glaubt, das transzendente Absolute gedacht zu haben, doch das Einzige, was sie denken kann, ist das immanente Absolute, dessen Absolutheit in seiner Manifestation und Ausdruck als Endliches liegt. Der Abschnitt B „das absolute Attribut“ bezieht sich auf die Theorie Spinozas, die
7
TWA 6, S. 190.
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Hegels Konzeption der Wirklichkeit
auf den Ruinen der transzendenten Ontologie des Absoluten entstanden ist. ii. Das absolute Attribut Hierbei möchte ich nicht die Frage behandeln, ob Hegels Deutung von Spinoza richtig ist.8 Es gilt aber meiner Meinung nach, klarzustellen, dass manche Verteidiger Spinozas – wie z.B. Macherey9 – Die Konzeption des Absoluten ist für Hegel in Spinozas Definition der Substanz als unendlich und reine Affirmation anzusehen. Eugène Fleischmann hat zurecht gezeigt, dass für Hegel die spinozistische Philosophie problematisch ist, weil sie zwar in der Lage ist, die Attribute und die bestimmten (begrenzten, endlichen) Inhalte auf das Absolute zurückzuführen, allerdings nicht fähig ist, zu erklären, wie die endlichen Inhalte aus dem Absoluten entspringen. (Vgl. Eugène Fleischmann, Die Wirklichkeit in Hegels Logik, Ideengeschichtliche Beziehungen zu Spinoza, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 18 (1964), S. 3–29). Auch in diese argumentative Richtung behauptet Samuel Newlands: „Hence, Hegel concludes, Spinoza fails to show how his perfectly unified substance gives rise to any real internal diversity. Spinoza may want the One and the Many, but he ends up stuck with just the One, an empty unity that ‘swallows up’ all diversity and determinate content“ (Samuel Newlands, Hegel’s Idealist Reading of Spinoza, in: Philosophy Compass 6 (2011), S. 106). In diese Richtung argumentiert auch Artola: Vgl. J.M. Artola, Realidad y Necesidad en la Lógica de Hegel, in: Revista de Filosofía 2 (1979), S. 139–166. Diese Argumentationslinie verfolge ich auch in diesem Abschnitt, hebe aber zugleich die hegelsche Konzeption des Absoluten als substratloser Manifestationsprozess im Nicht-Absoluten hervor. 9 Vgl. Pierre Macherey, Hegel ou Spinoza, Paris 1979. Ähnlich wie Macherey haben unlängst Vittorio Morfino, Peter Rohs und Wolfgang Bartuschat argumentiert: Vgl. Vittorio Morfino, The Misunderstanding of the Mode. Spinoza in Hegel’s Science of Logic (1812–1816), in: H. Sharp und J. Smith (Hgg.), Between Hegel and Spinoza. A Volume of Critical Essays, London 2012, S. 23–41; Wolfgang Bartuschat, Nur hinein nicht heraus. Hegel über Spinoza, in Dietmar Heidemann, Christian Krijnen (Hgg.), Hegel und die Geschichte der Philosophie Darmstadt 2007, S. 101–115; Peter Rohs, der Pantheismus bei Spinoza und im deutschen Idealismus, in: Barbara Merker, Georg Mohr und Michael Quante (Hgg.), Subjektivität und Ankerkennung, Paderborn 2004, besonders S. 116 f.. Zu einer Deutung, die Spinoza und Hegel versöhnt vgl. Efraim Shumeli, Hegel’s Inter8
Das Absolute als Äußerung im Endlichen
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die hegelsche Kritik und Einwände missverstehen. Gegen Machereys Meinung, dass Hegel die „konkrete“ und „synthetische“ Identität zwischen Substanz und Attribut bei Spinoza ignoriere, kann man sagen, dass die hegelsche Kritik diesen Punkt nicht übersieht. In der Tat behauptet Hegel vielmehr, dass für die immanente Konzeption das Attribut „den ganzen Inhalt des Absoluten“ präsentiert.10 Das heißt, dass jeder Teil das Ganze ist, und – wie Macherey insistiert – dass in jedem endlichen Inhalt (z.B. in einem Wassertropfen) die ganze Ausdehnung und somit die ganze göttliche Substanz beinhaltet ist.11 Daraus folgt, dass die Substanz aus ihren Attributen besteht, nicht aber auf äußerliche, sondern auf immanente Weise. Das Verhältnis zwischen Substanz und Attribut ist nicht wie die Relation zwischen einer Menge und ihren Elementen, sondern wie der Zusammenhang zwischen einem Sein und dessen Wesen. Doch das bedeutet, hebt Hegel hervor, dass die endlichen Inhalte, die Differenzierungen nicht unmittelbar sind. Sie haben ontologisches Bestehen nicht in sich, sondern im Absoluten, denn dieses macht ihre Einheit aus. Wäre dies nicht so, dann würde die Existenz der Attribute einen ontologischen Dualismus implizieren, was dem System Spinozas deutlich widerspricht. So schreibt Hegel: Im Absoluten dagegen sind diese unterschiedenen Unmittelbarkeiten zum Scheine herabgesetzt, und die Totalität, welche das Attribut ist, ist gesetzt als sein wahres und einziges Bestehen; die Bestimmung aber, in der es ist, als das unwesentliche.12
pretation of Spinoza’s Concept of Substance, in: International Journal for the Philosophy of Religion 3 (1979), S. 176–191. Auf die Frage, ob Hegel Spinoza richtig interpretiert hat, kann ich in dieser Arbeit nicht antworten. (Eine ausgewogene und vernünftige Darstellung dieser Problematik findet man meiner Meinung nach in: Yitzhak Y. Melamed, Acosmism or Weak Individuals? Hegel, Spinoza, and the Reality of The Finite, in: Journal of The History of Philosophy 48 (2010), S. 77–92; zu einer geschichtlichen Rekonstruktion dieser Debatte: Paul Franks, All or Nothing: Systematicity, Transcendental Arguments and Skepticism in German Idealism, Harvard 2005; Klaus Düsing, Von der Substanz zum Subjekt: Hegels Spekulative Spinoza-Deutung, in: Manfred Walther (Hg.), Spinoza und der Deutsche Idealismus, Würzburg 1991, S. 163–180.) 10 TWA 6, S. 191. 11 Vgl. Macherey, a.a.O., S. 131. 12 TWA 6, S. 191 f.
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Hegels Konzeption der Wirklichkeit
In seiner Spinoza-Deutung berücksichtigt Hegel, dass das Absolute oder die Substanz nur ontologisches Bestehen in ihren Attributen hat und umgekehrt. Man könnte sogar eine dynamische Lesart Spinozas hervorheben: das Absolute sei nur sein Selbstproduktionsakt als Attribut, d.h. seine interne Ausdifferenzierung als causa sui. Auch kann man zugeben, dass es bei Spinoza unendlich viele Attribute gibt, wovon wir nur zwei erkennen können: Ausdehnung und Denken. In einer Rekonstruktion der hegelschen Kritik können all diese Nuancen betrachtet werden. Trotzdem ist in Hegels Augen eine Zweideutigkeit in diesem System zu sehen, die sich in der These verdeutlicht, dass in jedem Attribut, in jedem partikularisierten Ausdruck des Absoluten, nur das Absolute im Ganzen vorhanden ist. Unabhängig davon, in welchem Attribut sich das Absolut manifestiert und partikularisiert, findet man darin immer dasselbe: das Absolute, die Substanz. Es triff zwar zu, dass die Attribute das Wesen des Absoluten ausdrücken, d.h. dasjenige, ohne das das Absolute nicht konzipiert werden kann, doch jedes Attribut drückt unterschiedslos dasselbe aus. Wäre dies nicht der Fall, so gäbe es verschiedene Realitätsgrade und ontologische Hierarchien zwischen den Attributen der Substanz, was dem Postulat der unendlichen und absoluten Einheit Gottes widerspricht. Wenn sich aber in allen differenzierten Inhalten dasselbe manifestiert, dann ist die Bestimmung (oder das Attribut), in dem sich das Absolute ausdrückt, etwas Unwesentliches, genauso wie Hegel im vorherigen Zitat hervorhebt. Die Konsequenz ist, dass das Absolute nicht mannigfaltig wird, noch dass es sich mit diesem Werden identifiziert, sondern dass das Mannigfaltige sich auf das Eine reduziert. Die These, dass in jedem Attribut gerade dieselbe Einheit ausgedrückt wird, bringt Spinozas dynamisches Bild ins Wanken13, denn das immanente System „versenkt dasselbe [das Attribut; A.P.] und ihr unterscheidendes Tun in das einfache Absolute“.14 Dabei bleibt das Absolute mit sich identisch, Ähnlich argumentiert F. Cirulli: „Hegel objects that, if it is true that Substance is self-constituting through its apparition in the modes, the modes cannot be understood as merely nugatory phenomena. An yet, it is this lack of ontological independence which is crucial for Hegel, as opposed to the fixed being of the attributes.“ (Franco Cirulli, Hegel’s Critique of Essence. A Reading of the Wesenslogik, New York 2006, S. 128.) 14 TWA 6, S. 192. 13
Das Absolute als Äußerung im Endlichen
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unabhängig von seinen besonderen Manifestationen als Attribut, denn in jeder Partikularisierung drückt sich dasselbe aus. Daher sind die endlichen Dinge nur eine „Art und Weise“ der absoluten Identität, d.h. ein „äußerer Schein“, der am Ende in der Identität des Absoluten verschwindet. In diesem Szenario erscheint erneut die Problematik der „äußeren Reflexion“. Wenn im Endeffekt in jedem Attribut dasselbe ausgedrückt wird, wie sind dann die Unterschiede zwischen den Attributen zu verstehen? Sind diese Unterschiede nur ein Schein, der durch das endliche Denken, welches nicht imstande ist, das Unendliche auf einmal zu begreifen, hervorgebracht wird? Wenn man eine bejahende Antwort auf diese Frage geben müsste, dann wäre der zweistufige Widerspruch der „vormaligen Metaphysik“, d.h. die Unfähigkeit, das Denken des Absoluten im Absoluten selbst zu inkludieren, bei Spinoza vorhanden. Die Verteidiger Spinozas, wie Macherey, haben eine Antwort, um die Problematik der äußeren Reflexion aufzulösen. Einerseits ist das Bestimmen der Attribute durch den Verstand kein kreatives Denken, das seinen Gegenstand verformt, sondern ein immanenter Ausdruck der Substanz selbst.15 Andererseits ist bei Spinoza das Verhältnis zwischen Substanz und Attribut nicht hierarchisch, sondern „synthetisch“ und „geometrisch“, was mit dem Begriff der causa sui streng verbunden ist: Die Attribute sind die konkreten Formen, wodurch die Substanz sich selbst produziert und bestimmt. Bezüglich des ersten Punktes ist jedoch kritisch anzumerken, dass die Argumentation zirkulär ist. Der Verstand nimmt die wahrhafte Natur der Substanz, genauso wie sie ist und auf objektive Art und Weise, wahr, weil er dazu gehört; allerdings ist die Behauptung, der Verstand gehöre zur Substanz, nur dann richtig, wenn dieser imstande ist, die objektive Natur der Substanz wahrzunehmen. Dieser Kreis ist ein Zeichen dafür, dass Spinozas Theorie einer Reflexion zweiter Ordnung entbehrt und es dabei keine Überlegung darüber gibt, wie der Platz der Theorie der Substanz innerhalb der Substanz zu versichern ist. Dieser Platz wird dogmatisch präsupponiert. Aus diesem Grund ist es unmöglich zu wissen, ob die Differenzierungen, die durch die Analyse des Verstandes zustande gekommen sind, eben durch den Verstand selbst oder durch die Substanz gesetzt worden sind. Das zweite Postulat der geometrischen oder 15
Vgl. Macherey, a.a.O., S. 115–118.
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Hegels Konzeption der Wirklichkeit
synthetischen Relation zwischen Substanz und Attribut tritt demnach als eine mentale Operation der äußeren Reflexion auf, weil ihre Objektivität nur eine petitio principii und eine zirkuläre Argumentation präsentiert. Diesbezüglich ist es nicht genug, zu behaupten, dass die Attribute zur Substanz gehören, sondern es muss geklärt werden, warum sie sich gerade in diesen Attributen und nicht in anderen manifestiert. Wenn die Attribute unendlich sind, warum sollten wir uns dann sicher sein, dass alles, was wir erkennen können, auf zwei Attribute, nämlich auf das Denken und die Ausdehnung, reduzierbar ist? Diese Zurückführung auf nur zwei Attribute ist für Hegel mangelhaft und bringt mehrere Probleme mit sich. Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob das biologische Leben, das zu dem gehört, was wir erkennen können, Ausdehnung oder Denken ist. Dieses Manko entsteht dadurch, dass Spinoza nur „empirisch“ und nicht „systematisch“ arbeitet, d.h. ohne ersichtlichen Grund reduziert er alles, was wir erkennen können, auf zwei Attribute. All diese Probleme lassen sich in der Behauptung zusammenfassen, dass Spinozas System nur die Mannigfaltigkeit auf die Einheit der Substanz zurückführt und so nicht erklären kann, wie das Endliche innerhalb der einheitlichen Substanz entstehet, und zwar deshalb, weil er die Negation aus dem Absoluten exkludiert. Deswegen erreicht das System nur die „abstrakte Identität“ und ist nicht in der Lage, eine interne Selbstbestimmung des Absoluten darzulegen, da nicht bewiesen werden kann, dass die Differenzierung der Substanz in verschiedene Attribute tatsächlich als immanente Bewegung des Absoluten gilt. Demnach behauptet Hegel: „Die Form also, sie werde als äußere oder innere genommen, wodurch das Absolute Attribut wäre, ist zugleich gesetzt, ein an sich selbst Nichtiges, ein äußerlicher Schein, oder bloße Art und Weise zu sein.“16 Das heißt: die Differenzierung der Substanz ist, wenn man der Entwicklung des Spinozismus folgt, bloßer Schein und durch die äußere Reflexion gesetzt, wie Hegel sagt, weshalb diese Differenzierung zur bloßen Art und Weise wird, die in ihrer Natur nur gleichgültige Selbigkeit der Substanz ausdrückt. Damit findet der Übergang zum dritten Abschnitt des Kapitels „der Modus des Absoluten“ statt, in dem Hegel versucht, die Risse
16
TWA 6, S. 192.
Das Absolute als Äußerung im Endlichen
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des Spinozismus durch eine genuine dialektische und dynamische Konzeption des Absoluten aufzuheben. iii. Der Modus des Absoluten Die Schwierigkeit in Spinozas Theorien, die Entstehung der wirklich mannigfaltigen Inhalte innerhalb der Substanz zu erklären, ist laut Hegel nur eine weitere Konsequenz des Dualismus zwischen Identität und Negation. Dieser Dualismus erscheint jedoch zugleich als die Gegenüberstellung zwischen dem Absoluten und der äußeren Reflexion, denn es ist der menschliche Verstand, und nicht eine interne Dynamik des Absoluten, dasjenige, was die Negativität leistet und so den Unterschieden der spezifischen Inhalte zugrunde liegt. Aufgrund des Dualismus zwischen Identität und Negation geschieht die Differenzierung des Absoluten und die Entstehung der Mannigfaltigkeit sozusagen verdeckt vor dem Absoluten. Daraus folgt der „Verlust [des Absoluten; A.P.] in die Veränderlichkeit und Zufälligkeit des Seins, sein Übergegangensein ins Entgegengesetzte ohne Rückkehr in sich; die totalitätslose Mannigfaltigkeit der Form und Inhaltsbestimmungen“.17 Doch gerade in dieser internen Inkonsistenz von Spinozas Systems liegt die Grundlage der dialektischen Konzeption des Absoluten. Der interne Widerspruch des Spinozismus ist ein konkreter Ausdruck der logischen Instabilität des Dualismus zwischen Identität und Negation. Dieser Dualismus ist der Grund für das Scheitern der immanenten Theorie der Substanz. Die Inkonsistenz dieses Dualismus zeigt uns aber auch, dass die Begriffe von Identität und Negation nicht getrennt werden können, sondern nur innerhalb eines relationalen Gefüges Sinn ergeben. Das heißt: Der Spinozismus scheitert, weil Identität und Negation relationale Begriffe sind. Dadurch liegt schon im Scheitern des Spinozismus die wahrhafte, logische Form des Absoluten als Einheit von Identität und Negativität. Nur in dieser Einheit besteht die interne Selbstbestimmung des Absoluten. Aus diesem Grund kann das Absolute nicht als abstrakte, sondern nur als prozessuale Einheit begriffen werden, die sich, immer sich selbst ausdifferenzierend, mit der Entstehung der endlichen 17
TWA 6, S. 193.
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Hegels Konzeption der Wirklichkeit
Dinge identifiziert. Das endliche Ding, der differenzierte und spezifische Inhalt, unterscheiden sich nicht von der Bewegung der Negativität und Selbstveränderung des Absoluten, jedoch ist das Absolute nicht „etwas“, das sich bewegt oder sich verändert, sondern nur die Bewegung der wechselseitigen Zusammenhängen der endlichen Dinge. Das Absolute ist demnach nicht ein „Gleichseiendes“, sondern ein „Gleichsetzendes“: Seine Identität ist nicht von der Selbstnegation zu trennen. Anders gesagt: das Absolute erreicht seine Absolutheit nicht trotz der Unterschiede und Veränderungen der endlichen Wesen, sondern es gewinnt seinen absoluten Charakter gerade durch diese Unterschiede und Veränderungen. Es ist die totale Bewegung der Wechselwirkung der endlichen Dinge.18 So Hegel: „Wenn daher nach einem Inhalt der Auslegung gefragt wird, was denn das Absolute zeige, so ist der Unterschied von Form und Inhalt im Absoluten ohnehin aufgelöst. Oder eben dies ist der Inhalt des Absoluten, sich zu manifestieren.“19 Das Absolute, d.h. derjenige logische Raum, in dem alle endlichen Dinge denkbar und intelligibel sind, ist nichts Anderes als die relationale Interaktion dieser Dinge, genauso wie das Leben als ein Ganzes nicht mehr ist als der reziproke Stoffwechsel des Lebendigen: „Das Absolute als diese sich selbst tragende Bewegung der Auslegung, als Art und Weise, welche seine absolute Identität mit sich selbst ist, ist Äußerung, nicht eines Inneren, nicht gegen ein Anderes, sondern ist nur als absolutes sich für sich selbst Manifestieren; es ist so Wirklichkeit.“20 In dieser Hinsicht behauptet Burkhard Nonnenmacher: „Im Unterschied zu Spinoza und Leibniz gilt bei Hegel jedoch, dass gerade nicht nur Alles als Ausdruck des Einen und Ganzen reflektiert werden kann, sondern dass umgekehrt auch vom Allgemeinen zum Besonderen gegangen werden kann, indem hier begriffen wird, wie sich das Allgemeine selbst bestimmen muss, um sich darin allererst zu realisieren.“ (Burkhard Nonnenmacher, Hegels Philosophie des Absoluten: eine Untersuchung zu Hegels Wissenschaft der Logik und reifem System Tübingen 2013, S. 92.) Das bedeutet, dass die Überwindung der Hierarchie zwischen Substanz und Attribut oder Substanz und Modi zu einer Auffassung des Absoluten als Partikularisierung des Allgemeinen führt, worin die Grundform der Bewegung des Begriffes zu finden ist. Das ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Substanz in den Begriff übergeht (dazu ausführlicher später in Kapitel 6). 19 TWA 6, S. 194. 20 TWA 6, S. 194 f. 18
§16. Hegels Theorie der Modalitäten Die Wirklichkeit ist die Selbstproduktion des Absoluten, das Absolute als reine Autopoiesis. Die Wirklichkeit ist für Hegel kein Supergegenstand, denn ihre logische Form ist die der Tätigkeit, der Aktuosität und nicht die eines Dinges. Es ist bereits erwähnt worden, dass das Absolute nicht „etwas“ ist, das sich manifestiert, sondern die reine Manifestation ohne Substrat. Der Akt der , ihr Inhalt und ihr Medium sind hierin auf dynamische Weise identisch. Deshalb ist jeder spezifische Inhalt, jedes endliche Ding Manifestation und Ausdruck des Absoluten; allerdings ist auch das Absolute nicht mehr als sein Ausdruck und Äußerung in jedem endlichen Ding. Ist jeder spezifische Inhalt Relation und Interkation mit anderen spezifischen Inhalten, dann stellt die totale Relationalität, die dasselbe wie das Absolute oder die Wirklichkeit ist, ein Ganzes dar, dessen ontologisches Bestehen nicht von der Wechselbeziehung der Teile getrennt ist. Diese Relationalität ist ein unendliches Ganzes, welches seine eigene Unendlichkeit affirmiert, indem es als endlicher Teil erscheint, denn die totale Relationalität unterscheidet sich nicht von der immanenten Selbstproduktion der endlichen Dinge durch reziproken Verhältnisse. Daraus folgt laut Hegel, dass die Wirklichkeit „absolute Form“ im objektiven und subjektiven Sinn des Genitivs ist, d.h. Form des Absoluten und das Absolute als Form. Die Wirklichkeit ist „Form“, weil ihre logische Bestimmung die Bewegung und die in jedem spezifischen Inhalt aktiv vorhandene Relationalität ist. Aber diese absolute Form erscheint eben als „absolut“, weil sie mit der konkreten Existenz der endlichen Dinge zusammenfällt. Diese Form ist demnach dem Inhalt nicht entgegengesetzt, sie ist vielmehr die aktive Relationalität, und die Existenz des spezifischen Inhaltes ist nicht mehr als diese Relationalität in actu, am Werk. Doch Hegel behauptet, dass die Wirklichkeit zwar als absolute Form erscheint, ihre Momente aber „nur als aufgehobene oder formelle, und noch nicht realisiert“ sind. Die Momente der absoluten Form sind die Modalitäten: Wirklichkeit, Möglichkeit, Zufälligkeit, Notwendigkeit. Der Grund dafür, dass die Momente der absoluten Form formell sind, ist folgender: In der logischen Entwicklung hat man das Absolute mit der Wirklichkeit identifiziert, wogegen je-
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Hegels Konzeption der Wirklichkeit
doch argumentiert werden kann, dass die Wirklichkeit nicht das Absolute ist, denn es gibt etwas, das sie exkludiert und nicht miteinschließt: die Möglichkeit. Die These, dass das Mögliche einen umfassenderen Bereich als das Wirkliche darstellt, ist eine plausible, philosophische Intuition, die z.B. Leibniz’ und David Lewis’ Theorien der möglichen Welten begleitet. Ist nun das Mögliche umfassender als das Wirkliche, dann kann das Absolute nicht mit der Wirklichkeit gleichgesetzt werden. Hegels Theorie der Modalitäten entwickelt sich, um diesen Einwand aufzulösen. Ein Einwand, den ich den „Modaleinwand“ nennen werde. Ich möchte hierbei zeigen, dass Hegel nicht nur auf diesen Modaleinwand antwortet, indem er eine dynamische und relationale Theorie der modalen Begriffe einführt, sondern auch indem er eine modale Metametaphysik als Kritik des Possibilismus und des Nezessitarismus entwickelt. Die metametaphysische Kritik am Possibilismus lautet, dass dieser den Gedanken des logischen Raumes nicht im logischen Raum auf konsistente Weise inkludieren kann. Die metametaphysische Kritik am Nezessitarismus besagt ihrerseits, dass dieser dialektisch inkonsistent ist, weil die These des ens necessarium als Garant für den notwendigen Charakter der wirklichen Welt mit der logischen Form des Begründungsverhältnisses inkompatibel ist. Der Reflexionsimperativ (die Forderung zweiter Ordnung, den Gedanken des Absoluten im Absoluten inkludieren zu müssen) und die logische Analyse der Denkbestimmungen finden in der hegelschen Theorie der Modalitäten ihren Platz als konkrete, metametaphysische Strategie. A. Die Paradoxie des formellen Möglichkeitsbegriffes Wie schon angedeutet, fängt Hegels Analyse der Modalitäten mit dem Problem an, dass die Identifizierung des Absoluten mit der Wirklichkeit fragwürdig ist. In der Tat denkt man sowohl von einer philosophischen als auch gewöhnlichen Warte aus, dass das Reich des Möglichen umfassender als das des Wirklichen wäre: Man redet ständig von nicht verwirklichten Möglichkeiten, kontrafaktischen Szenarien und man stellt sich sogar alternative Welten vor. Die Entgegensetzung zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen, die eine sehr robuste philosophische Intuition zu sein scheint, ist der Ausgangspunkt von Hegels Modalanalyse.
Hegels Theorie der Modalitäten
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In seiner Darstellung der Modalitäten verteidigt Hegel die These, dass diese Entgegensetzung zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen zu einer Paradoxie führt: Der logische Raum, verstanden als der Begriff, der sowohl das Wirkliche als auch das Mögliche beinhaltet, erweist sich als etwas Unmögliches. Das bedeutet nicht, dass man die systematische Betrachtung des logischen Raumes verlassen muss, sondern, dass die Betrachtung des logischen Raumes durch eine dynamische und relationale – wenn man so will: eine dialektische – Theorie der Modalitäten vorzunehmen ist. Fangen wir nun mit der Rekonstruktion der Argumente an, die die Paradoxie des formellen Möglichkeitsbegriffes zeigen. Das erste Argument besteht darin, dass die Entgegensetzung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit nicht absolut oder unbedingt ist. Die Entgegensetzung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit basiert darauf, dass wir von nicht-verwirklichten Möglichkeiten reden können. Es ist trotzdem selbstverständlich, dass wir, obgleich wir von nicht-verwirklichten Möglichkeiten sprechen, auch von verwirklichten Möglichkeiten reden können, die der Wirklichkeit entsprechen. Daraus folgt deutlich, dass die Wirklichkeit „unmittelbar das Ansichsein oder die Möglichkeit“1 enthält. „Was wirklich ist, ist möglich.“2 Anders ausgedrückt: Die Entgegensetzung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit ist nicht absolut noch unbedingt, weil das Mögliche eine notwendige, obwohl nicht zureichende Bedingung des Wirklichen ist. Hegel weist zurecht darauf hin, dass sich zwei Bestimmungen des Möglichen aus der These der Möglichkeit als notwendige aber nicht zureichende Bedingung der Wirklichkeit ergeben: eine „positive“ und eine „negative“ Bestimmung. Der positiven Bestimmung nach ist das Mögliche dasjenige, was sich nicht widerspricht. Das Mögliche bezeichnet demnach dasjenige, was vorstellbar ist. Als notwendige Bedingung des Wirklichen ist das Mögliche umfassender und hat logischen Vorzug. Von diesem Standpunkt her ist das Absolute nicht das Wirkliche, sondern vielmehr das Mögliche. Wie bereits angemerkt, liegt diese positive Bestimmung des Möglichen der Modalmetaphysik Leibniz’ oder Lewis’ zugrunde: Die Aufgabe der Metaphysik besteht für sie par excellence darin, eine Theorie der möglichen Welten zu entwickeln und (besonders im Fall Lewis’) TWA 6, S. 202. 2 Ebd. 1
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Hegels Konzeption der Wirklichkeit
darin, anzuerkennen, dass das Mögliche im selben Sinne und Recht wie das Wirkliche existiert.3 Doch die These, dass das Mögliche eine notwendige Bedingung des Wirklichen ausmacht, impliziert, dass es keine zureichende Bedingung ist. Dadurch ergibt sich die „negative“ Bestimmung des Möglichen: Letzteres ist dem Wirklichen gegenüber defizitär; es ist eine nicht-verwirklichte Möglichkeit oder es handelt sich um „nur eine Möglichkeit“. Es ist bekannt, dass Lewis’ Modalmetaphysik in einem theoretischen Manöver besteht, um den negativen oder defizitären Sinn der Möglichkeit auszuschließen und nur den ersten, den positiven zu affirmieren. In diesem Bezug behauptet Lewis, dass der Terminus „Existenz“ auch die anderen „möglichen Welten“ miteinbeziehen würde.4 Da wir uns für gewöhnlich ständig auf nicht-verwirklichte Möglichkeit beziehen und die modale Rede eine herausragende Rolle in unseren besten wissenschaftlichen und philosophischen Theorien spielt, sei es zu konkludieren, dass die sogenannten „möglichen Welten“ mit demselben Recht wie die wirkliche Welt existieren.5 Die möglichen Welten, genauso wie die wirkliche Welt, existieren im konkreten und nicht abstrakten Sinn: Die mögliche(n) Welt(en) sind keine mentalen oder abstrakten Entitäten wie Zahlen, Mengen oder bestimmte Begriffe, sondern sie stellen konkrete Entitäten im zeiträumlichen und partikulären Sinne des Konkreten dar.6 Deshalb beruht der Unterschied zwischen den möglichen Welten und der wirklichen Welt nicht auf der Differenz zwischen Existenz und Inexistenz, sondern auf der indexikalischen BedeuVgl. David K. Lewis, On the Plurality of Worlds, Oxford 1986. Ebd., S. 4 f. 5 Ebd., S. 3: „I think it is clear that talk of possibilia has clarified questions in many parts of the philosophy of logic, of mind, of language, and of science – not to mention metaphysics itself.“ Ein ähnliches Argument, und zwar basierend auf Quine, entwickelt Lewis im Vergleich zur Mathematik: Die Rede von Mengen und ihre Rolle innerhalb der Mathematik erlaubt uns, zu konkludieren, dass es Menge geben muss und die Mengenlehre wahrhaft ist, d.h., dass sie eine richtige Beschreibung dessen, was es gibt, ist. 6 Ebd., S. 82: „And what of a whole world? Is it sufficiently donkey-like, despite its size? And perhaps despite the fact that it consists mostly of empty spacetime? I am inclined to say that, according to the Way of Example, a world is concrete rather than abstract – more donkey-like than numberlike.“ 3 4
Hegels Theorie der Modalitäten
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tung des Wortes „wirklich“ bzw. „aktuell“.7 „Das Wirkliche“, „das Aktuelle“, „das, was der Fall ist“ gelten, so Lewis, als indexikalische Ausdrücke und betreffen nicht den Begriff der Existenz als solchen. Diesbezüglich würde Hegel behaupten, dass diese Vereidigungsstrategie des positiven Möglichkeitsbegriffes auf die These hinausläuft, dass das Mögliche den „verhältnislose[n] unbestimmte[n] Behälter für alles überhaupt“8 bezeichnet. Solch eine Behauptung, könnte man meinen, wäre unfair gegenüber Lewis, denn er betont ausdrücklich, dass jedes räumliche und kausale Verhältnis zwischen den verschiedenen möglichen Welten auszuschließen sei.9 Doch die These, dass die verschiedenen möglichen Welten keinen Kontakt noch zeiträumliche Relation zueinander haben, setzt einen logischen (nicht empirischen noch physischen) Raum voraus, in dem die verschiedenen möglichen Welten nebeneinander isoliert liegen. Jede Juxtaposition oder Entgegensetzung muss in einer logischen Dimension stattfinden und diese ist gerade dasjenige, was Hegel den „unbestimmten Behälter“ nennt. Das Problem einer Modalmetaphysik wie die Lewis’ besteht nun darin, dass der modale Status dieses „unbestimmten Behälters“ oder derjenigen Dimension, in der die verschiedenen möglichen Welten entgegengesetzt werden, nicht thematisiert wird. Dies stellt einen präzisen Fall dar, wo der schon definierte Reflexionsimperativ als Kritik zweiter Ordnung gegen eine Betrachtung des Absoluten als bloßer Gegenstand des Denkens gilt: Der Gedanke der möglichen Welten, d.h. der Gedanke ihrer Juxtaposition und Nicht-Relation, wird nicht innerhalb des metaphysischen Systems der möglichen Welten thematisiert noch inkludiert. In der These der verschiedenen möglichen Welten kann alles gedacht werden außer der These der Juxtaposition und Nicht-Relation der möglichen Welten. Hegel affirmiert dann, dass das Hinterfragen des modalen Status des logischen Raumes, in dem die Welten entgegengesetzt sind, zu einer unlösbaren Paradoxie führt. Diese Paradoxie stellt diejenige Opposition zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen radikal in Frage. Ebd., S. 92: „I use the word actual to mean the same as this-worldly. When I use it, it applies to my world and my worldmates; to this world we are part of, and to all parts of this world.“ 8 TWA 6, S. 203. 9 Vgl. Lewis, a.a.O., S. 78. 7
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Um diese Paradoxie ausführlich darzustellen, ist es erforderlich, zwei Prämissen einzuführen und zu legitimieren. Aus der eigenen positiven Definition des Möglichen, laut der das Mögliche dasjenige ist, was sich nicht widerspricht, geht die erste Prämisse hervor: etwas ist dann und nur dann möglich, wenn es sich nicht widerspricht. Die zweite Prämisse besteht darin, dass die Menge des Möglichen sich in zwei Untermengen gliedert: das Notwendige und das Zufällige. Diese Prämisse kann auch mit denselben Worten Lewis’ Modallogik ausgedrückt werden: p ist dann notwendig, wenn es in allen möglichen Welten der Fall ist; p ist dann zufällig, wenn es zumindest in einer möglichen Welt, aber nicht in allen der Fall ist. Das Zufällige und das Notwendige gelten als Untermengen des Möglichen, weil beide die Eigenschaft teilen, sich nicht zu widersprechen, d.h., zumindest in einer möglichen Welt der Fall zu sein. Diese zwei Prämissen berücksichtigend, kann man den modalen Status desjenigen logischen Raumes befragen, in dem die möglichen Welten nebeneinander liegen und voneinander unterschieden werden können. Diese Dimension, in der sich die möglichen Welten voneinander differenzieren, ist ein denkbarer Gegenstand der philosophischen Reflexion, unabhängig davon, ob er innerhalb einer Modalmetaphysik wie der Lewis’ explizit und ausführlich thematisiert wird. Deshalb kann sich diese Dimension, indem sie einen denkbaren Gegenstand der philosophischen Rede darstellt, nicht widersprechen. Aufgrund der ersten Prämisse gilt dann diese Dimension als etwas Mögliches. Somit entsteht die Paradoxie des formellen Möglichkeitsbegriffes. Wenn der Raum, in dem die möglichen Welten nebeneinander liegen und voneinander unterschieden werden können, ein denkbarer und somit ein möglicher Gegenstand ist, dann muss dieser logische Raum zumindest in einer möglichen Welt der Fall sein. Dies impliziert jedoch einen Widerspruch, denn der logische Raum wäre der Behälter der möglichen Welten und gleichzeitig ein Inhalt innerhalb dieser Welten. So wäre der logische Raum, verstanden als die Dimension, in der die möglichen Welten entgegengesetzt sind, unmöglich qua möglich und möglich qua unmöglich. Auf alternative Weise kann man auch die Paradoxie formulieren. Das Mögliche erscheint seiner positiven Bestimmung nach als ein unbestimmter Behälter, als die Menge, die alles enthält, was sich nicht widerspricht. Alles, was sich nicht widerspricht, kann nun gedacht werden. Da man von der Menge des Möglichen reden kann,
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ist diese Menge denkbar, somit nicht widersprüchlich und demnach möglich. Doch die Charakterisierung eines Inhaltes als möglich ist unzureichend, denn, die oben definierte zweite Prämisse berücksichtigend, ist man verpflichtet, diesen Inhalt entweder als zufällig oder als notwendig weiter zu definieren. Zufällig ist all dasjenige, dessen Gegenteil auch möglich ist. Definiere man die Menge aller möglichen Inhalte (im Folgenden: M) als zufällig, dann würde M sich selbst und deren Gegenteil, und zwar ~M in sich beinhalten, denn beide hätten die Eigenschaft, möglich zu sein. Das wäre widersprüchlich und soll als weitere Definition von M ausgeschlossen werden. Notwendig ist all dasjenige, dessen Gegenteil unmöglich ist. Definiere man jedoch M als notwendig, dann ist die Konsequenz auch nicht gut, denn M wäre der Behälter der Untermenge des Zufälligen und des Notwendigen und gleichzeitig ein Element Letzterer. M kann nicht das Ganze darstellen und gleichzeitig als Element einer Untermenge des Ganzen beinhaltet sein. Das wäre auch ein Widerspruch. Abschließend ist das Mögliche, definiert als Menge oder Behälter aller denkbaren und möglichen Inhalte, ein inkonsistenter d.h. unmöglicher Gegenstand, indem es auch einen möglichen Inhalt darstellt. Dieser Gegenstand ist denkbar qua undenkbar und undenkbar qua denkbar. Es scheint mir, dass die folgende Passage der Wissenschaft der Logik gerade auf die schon dargestellte Paradoxie hinweist: Das Mögliche ist das reflektierte In-sich-Reflektiertsein oder das Identische als Moment der Totalität, somit auch bestimmt, nicht an sich zu sein; es hat daher die zweite Bestimmung, nur ein Mögliches zu sein und das Sollen der Totalität der Form. Die Möglichkeit ohne dieses Sollen ist die Wesentlichkeit als solche; aber die absolute Form enthält dies, dass das Wesen selbst nur Moment [ist] und ohne Sein seine Wahrheit nicht hat. Die Möglichkeit ist diese bloße Wesentlichkeit, so gesetzt, dass sie nur Moment und der absoluten Form nicht gemäß ist. Sie ist das Ansichsein, bestimmt, als nur ein Gesetztes oder ebensosehr als nicht an sich zu sein. – Die Möglichkeit ist daher an ihr selbst auch der Widerspruch, oder sie ist die Unmöglichkeit.10
TWA 6, S. 204. Auch diesbezüglich liest man in der Wissenschaft der Logik: „Aber jedes Mannigfaltige ist in sich und gegen ein Anderes bestimmt und hat die Negation an ihm; überhaupt geht die gleichgültige Verschiedenheit in die Entgegensetzung über; die Entgegensetzung aber ist der Widerspruch. 10
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Das „reflektierte In-sich-Reflektiertsein“ heißt auf Deutsch die absolute Identität des logischen Raumes mit sich. Insofern ist der logische Raum als absolut mit sich identisch das „An-sich“, d.h. es ist dasjenige, dessen Seinsform die reine Identität ist. In der hegelschen Sprache der Wesenslogik setzt sich das „Ansich“ der Äußerung und der Bewegung der Selbstausdifferenzierung als Seinsform entgegen. Das Mögliche erscheint in seiner ersten Form dann als reine Positivität, „Ansich“ usw. Doch, wie gezeigt, impliziert die These, dass das Mögliche nur reine Positivität darstellt, d.h. die These, dass das Mögliche eine Menge ausmacht, die mit sich identisch ist, einen Widerspruch. Somit ist das Mögliche als mit sich identischer Gegenstand zugleich ein sich widersprechender Gegenstand, d.h. ein Gegenstand, der „nicht an sich“ ist. Das Mögliche, definiert als Menge,
Daher ist alles ebensosehr ein Widersprechendes und daher Unmögliches“ (TWA 6, S. 203). Diese Behauptung ist in der Literatur verschieden gedeutet worden. John Burbidge und Nahum Brown merken an, dass Hegel nicht behauptet, dass alles, sondern, dass das Alles unmöglich ist. (Vgl. John Burbidge, Hegel’s Systematic Contingency, New York 2007, S. 20; Nahum Brown, How to Actualize the Whole Possibility: The Necessity-Contingency Dialectic in Hegel’s Science of Logic, 2014 (Dissertation). In dieser Hinsicht sagt Burbidge, dass das Alles unmöglich sei, weil die Verwirklichung einer Möglichkeit den Ausschluss der Verwirklichung anderer Möglichkeiten impliziert. Daher betrifft diese Exklusionsstruktur die Möglichkeit als solche und demnach ist nicht alles möglich. Obwohl solch eine Lesart nicht ganz falsch ist, scheint sie mir nicht stichhaltig und präzis genug. Es triff zwar zu, dass diese Exklusionsstruktur (also: die Nicht-Verwirklichung) definitorisch für den Begriff der Möglichkeit und entscheidend für das hegelsche Argument ist, jedoch bin ich der Meinung, dass diese Behauptung als Schluss und Konklusion der hegelschen Kritik am gewöhnlichen Möglichkeitsbegriff gilt und nicht als deren Grund, wie Burbidge zu meinen scheint. Es entspricht der Wahrheit, dass die Verwirklichung bestimmte Möglichkeiten von sich ausschließt, indem eine Verwirklichung zwei entgegengesetzter Möglichkeiten nicht möglich ist. Daraus folgt aber nicht, dass das Alles nicht möglich sei, da sowohl dasjenige, was sich verwirklicht hat, als auch dasjenige, was von der Verwirklichung exkludiert worden ist, doch als möglich gedacht werden muss. Burbidges Deutung besagt nur, dass nicht alles wirklich sein kann, nicht aber, dass das Alles unmöglich ist. Die Deutung, die ich hier vorschlage, beweist dagegen, inwiefern sich der ganze Begriff der Möglichkeit (oder „das Alles“) im formellen Sinne als etwas unmögliches erweist, was die Behauptungen Hegels wohl erklären kann.
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die all diejenigen Inhalte enthält, die sich nicht widersprechen, ist undenkbar und demnach unmöglich.11 So ist die philosophische Intuition, die dem schon genannten modalen Einwand zugrunde liegt, abgebaut und aufgelöst worden, und zwar aufgrund des internen Widerspruches des formellen MöMeine Deutung wendet sich auch partiell gegen Karen Ngs Interpretation. Für sie ist der formelle Möglichkeitsbegriff problematisch, weil die Möglichkeiten von einer bestimmten gegebenen Wirklichkeit abhängen. So ist es z.B. unmöglich, dass ich Frankreichs König werde, da Frankreich keine Monarchie ist und ich nicht in Frankreich geboren bin, obwohl ich mir vorstellen kann, dass ich Frankreichs König bin. Es ist auch unmöglich, dass ich mehr als 150 Jahre lebe usf., obwohl sich die Eigenschaften „150 Jahre zu leben“ und „Mensch zu sein“ nicht logisch widersprechen. (Vgl. Karen Ng, Hegel’s Logic of Actuality, in: The Review of Metaphysics 63 (2009), S. 158; ähnlich argumentiert Holger Hagen (vgl. Holger Hagen, Die Logik der Wirklichkeit: eine Entwicklung vom Absoluten bis zur Wechselwirkung, in: Hegels Lehre vom Wesen, a.a.O., S. 139). Dies alles ist richtig, aber gehört zum Begriff der realen Möglichkeit. Deshalb handelt es sich um den Schluss der hegelschen Kritik am formellen Möglichkeitsbegriff und nicht um deren Begründung. Natürlich ist für Hegel dieser Begriff konkreter als die bloß formelle Sicht der Möglichkeit, aber er kommt noch nicht in Hegels Analyse zum Ausdruck. Meine Deutung ist auch anders als Folko Zanders Interpretation. Er behauptet nämlich, dass der Satz „alles sei unmöglich“ darauf hinweist, dass der Inhalt einer Möglichkeit qua Inhalt durch dasjenige, was er nicht ist, determiniert ist und deswegen als ein in sich widersprechendes Element aufgefasst werden muss: „Gesetzt, die Möglichkeit dieser Wirklichkeit ist als A inhaltlich bestimmt, dann wäre der Ausdruck der Identität mit sich A=A. Inhaltliche Füllung aber kann nur durch Determination stattfinden. A müsste also durch B, C usw. kurz durch ~A determiniert werden. Auf diese Weise wäre aber das Mögliche als A und als ~A bestimmt, somit in nicht mit sich Identisches, ein Unmögliches.“ (Folko Zander, Die Logik des Zufalls. Über die Abschnitte A und B des Kapitels „Wirklichkeit“ der Wesenslogik, in: Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik, a.a.O., S. 181.) Diese Deutung ist meines Erachtens nicht falsch, sondern nicht radikal genug, weil sie sich nur auf eine Überzeugung der Seinslogik beruft, nämlich auf die These, dass die Bestimmung nur als Negation und somit als Endlichkeit zu denken ist. Es gibt meiner Meinung nach aber einen Grund dafür, den positiven Möglichkeitsbegriff für widersprüchlich zu halten, der nicht nur damit zu tun hat, dass jede Determination als Negation betrachtet werden muss. Der Grund ist eben, wie schon angedeutet, die Widersprüchlichkeit des Möglichen, welches, als etwas Formelles gedacht, unbedingt als Menge oder „Behälter“ aller Möglichkeiten definiert wird. 11
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glichkeitsbegriffes. Es fehlen doch drei Schritte, um Hegels Theorie der Modalitäten vollständig darzustellen: die Darlegung des Zufälligkeitsbegriffes als Einheit zwischen der formellen Möglichkeit und Wirklichkeit, die Rekonstruktion der „realen“ Modalität und die Deutung der „absoluten“ Modalität. B. Die Zufälligkeit Der formelle Möglichkeitsbegriff basiert auf der Überzeugung, dass das Mögliche logischen Vorzug gegenüber dem Wirklichen hat. Doch aufgrund der schon dargestellten Paradoxie lehnt Hegel die „positive Bestimmung“ des Möglichen ab. Das Mögliche kann nicht einfach als dasjenige begriffen werden, was sich nicht widerspricht. Indem er die „positive Bestimmung“ des Möglichen dekonstruiert und ausschließt, setzt Hegel seine Exposition mit dem defizitären Begriff des Möglichen fort. In der Tat behauptet er in der kleinen Logik, dass die formelle bzw. positive Konzeption des Möglichen als „Vorstellung“ zu betrachten sei, während die defizitäre als richtiger Begriff des Denkens gelte. Der defizitäre Begriff des Möglichen ist deswegen die korrekte Grundlage der begrifflichen Darstellung der Modalitäten. Dass der defizitäre Begriff des Möglichen die Grundlage der modalen Exposition ausmacht, bedeutet, dass Hegel eine Form des Aktualismus verteidigt, d.h. die These, dass die Wirklichkeit logische Priorität vor der Möglichkeit hat, da die Wirklichkeit selbst den Spielraum der Möglichkeit bedingt und definiert. Wie genau dieser Aktualismus aussieht, werden wir ausführlicher in der „realen“ und „absoluten“ Modalität erfahren (dazu später in Abschnitten C und D). Nun drückt sich der defizitäre Charakter des Möglichen darin aus, dass ein defizitär-möglicher Inhalt derjenige ist, dessen Gegenteil auch möglich ist. Ein defizitär-möglicher Begriff ist ein bloß möglicher Inhalt, d.h. ein möglicher Inhalt, der jedoch nicht verwirklicht ist. Es ist insofern selbstverständlich, dass dasjenige, was der Fall ist, als verwirklichte Möglichkeit gilt. Die Wirklichkeit ist demnach auch eine Möglichkeit, aber eine verwirklichte. Wenn es der Fall ist, dass die Sonne scheint, dann ist das Regnen eine nichtverwirklichte, eine defizitäre Möglichkeit. Deshalb ist das DefizitärMögliche dasjenige, dessen Gegenteil möglich ist.
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Die Möglichkeit ist die vergleichende Beziehung beider; sie enthält es in ihrer Bestimmung, als eine Reflexion der Totalität, dass auch das Gegenteil möglich sei. Sie ist daher der beziehende Grund, dass, darum, weil A=A, auch -A=-A ist; in dem möglichen A ist auch das mögliche Nicht-A enthalten, und diese Beziehung selbst ist es, welche beide als mögliche bestimmt.12
An diesem Punkt kann man gegen Hegel einwenden, dass es mögliche Inhalte gibt, deren Gegenteil nicht möglich ist, und zwar die notwendigen Inhalte, die als solche auch möglich sind. Darauf ist zu antworten: Die notwendigen Inhalte sind nicht defizitär-möglich und Hegel beschäftigt sich an diesem Punkt nur mit dem Defizitären-Möglichen überhaupt; der modale Status der Notwendigkeit wird noch nicht thematisiert. Die Definition des Defizitären-Möglichen als dasjenige, dessen Gegenteil möglich ist, führt aber zu einer neuen Betrachtung des Wirklichen. Der Grund ist einfach. Das Defizitäre-Mögliche ist als nicht-verwirklichte Möglichkeit definiert worden. Daraus folgt, wie gesehen, dass, wenn ein Inhalt defizitär-möglich ist, dann ist sein Gegenteil wirklich und möglich. Richtet man aber seine Aufmerksamkeit auf diesen wirklichen Inhalt, erscheint dieser als ein Inhalt, dessen Gegenteil auch möglich ist, obwohl auf defizitäre Weise, d.h. als nicht-verwirklichte Möglichkeit. Konsequenterweise ist ein Inhalt wirklich, wenn sein Gegenteil defizitär-möglich ist: Diese Wirklichkeit ist nicht die erste, sondern die reflektierte Wirklichkeit, gesetzt als Einheit ihrer selbst und der Möglichkeit. Das Wirkliche als solches ist möglich; es ist in unmittelbarer positiver Identität mit der Möglichkeit; aber diese hat sich bestimmt als nur Möglichkeit; somit ist auch das Wirkliche bestimmt als nur ein Mögliches. Und unmittelbar darum, weil die Möglichkeit in der Wirklichkeit enthalten ist, ist sie darin aufgehobene, als nur Möglichkeit.13
Diese Passage soll nicht gedeutet werden, als würde Hegel vorschlagen, dass das Wirkliche und das Mögliche genau dasselbe seien. Der Punkt besteht vielmehr darin, dass das Defizitäre-Mögliche und das Wirkliche nur im Rahmen einer bikonditionalen Relation zu denken sind. In der Tat bedeutet das Verb „enthalten“ in diesem Kontext logische Implikation. So impliziert das Defizitäre-Mögliche die WirTWA 6, S. 204 13 TWA 6, S. 205. 12
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klichkeit (und somit die Möglichkeit) seines Gegenteiles und umgekehrt impliziert die Wirklichkeit die defizitäre Möglichkeit ihres Gegenteiles. Man kann diese bikonditionale Beziehung formell auch so darstellen: ◇ (defizitär) p ↔ ○ ~p Jedoch kann man hier erneut einwenden, dass diese bikonditionale Relation problematisch ist. Es gibt in der Tat wirkliche Inhalte, deren Gegenteil nicht möglich ist, auch nicht im defizitären Sinne. Es handelt sich, wie bereits angedeutet, um die notwendigen Inhalte. Ist p notwendig, dann ist p der Fall oder es ist wirklich (□p→○p); ist aber p notwendig, dann ist sein Gegenteil nicht möglich ((□p → ~◇(defizitär)~p), was der von Hegel vorgeschlagenen bikonditionalen Relation widerspricht. Die Antwort auf diesen Einwand wurde schon dargelegt: Der modale Begriff der Notwendigkeit ist noch nicht thematisiert worden, weshalb die wirklichen Inhalte, auf die Hegel sich bezieht, begrifflich begrenzt sind. Es geht eben um diejenigen wirklichen Inhalte, die als Gegenpartei einer nicht-verwirklichten Möglichkeit auftauchen, denn Ausganspunkt der Deduktion war der defizitäre Möglichkeitsbegriff. Aufgrund dieser begrifflichen Restriktion, die durch der Ausganspunkt der Deduktion gerechtfertigt wird, ist die bikonditionale Relation selbstverständlich. Natürlich denkt Hegel nicht, dass alle wirklichen Inhalte diese Bedingung erfüllen, denn seine modale Exposition endet nicht an diesem Punkt. Kraft dieser bikonditionalen Relation sind nun diejenigen wirklichen Inhalte, die als Gegenpartei einer nicht-verwirklichten Möglichkeit erscheinen, zufällig, d.h. Inhalte, dessen Gegenteil auch der Fall sein kann: „Diese Einheit der Möglichkeit und Wirklichkeit ist die Zufälligkeit. – Das Zufällige ist ein Wirkliches, das zugleich nur als möglich bestimmt, dessen Anderes oder Gegenteil ebensosehr ist.“14 Diese Konklusion ist jedoch von einer Zweideutigkeit durchdrungen. Die zufälligen-wirklichen Inhalte sind diejenigen, deren Gegenteil möglich ist. Diese sind deshalb nicht notwendig und können auch anders sein. Folglich hat das Zufällige-Wirkliche keinen Grund, und zwar in der Hinsicht, dass es sich verändern und so 14
TWA 6, S. 205.
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aufhören kann zu sein. Da aber das Zufällige-Wirkliche eine Möglichkeit bezeichnet, die sich zu Lasten anderer Möglichkeiten verwirklicht hat, muss es einen Grund geben, warum diese Möglichkeit – und nicht andere – zustande gekommen ist. „Das Zufällige hat also darum keinen Grund, weil es zufällig ist; und ebensowohl hat es einen Grund, darum weil es zufällig ist.“15 Diese Behauptung scheint widersprüchlich, sie ist es jedoch nicht. Das Zufällige-Wirkliche hat insofern keinen Grund, als es nicht notwendig ist, was genauer bedeutet: es hat keinen Grund in sich selbst. Dasjenige, was sich verändert und an einem bestimmten Zeitpunkt aufhört, zu sein, hat seinen Grund nicht in sich, sondern in etwas Anderem. 16 Das ist eben die Natur des Zufälligen-Wirklichen: der Grund dafür, dass sich eine Möglichkeit – und nicht andere – verwirklicht hat, liegt an einem anderen Inhalt und nicht in der verwirklichten Möglichkeit selbst. So hat das Zufällige „keinen Grund“, weil es nicht Grund, sondern Begründetes ist und es hat „ebensowohl“ einen Grund, weil es eben durch anderen Inhalt fundamentiert wird. Ein zufälliger-wirklicher Inhalt ist zwar notwendig, nicht aber aufgrund seiner selbst, sondern kraft etwas Anderem. In diesem Sinne ist der Regen z.B. zufällig, regnet es doch nicht immer. Es gibt aber einen Grund für das Regnen: das Verdampfen des Wassers, das Gewicht des Wassers in den Wolken usw. Das Zufällige ist also zufällig, weil es innerhalb von Begründungsverhältnissen stattfindet, welche sich zugleich als notwendige Verhältnisse zwischen verschiedenen wirklichen Inhalten darstellen. So lautet Hegels Ansatz: „Das Notwendige ist ein Wirkliches; so ist es als Unmittelbares, Grundloses; es hat aber ebensosehr seine Wirklichkeit durch ein Anderes oder in seinem Grunde, aber ist zugleich das Gesetztsein dieses Grundes und die Reflexion desselben in sich.“17 Das Notwendige, wie Hegel sagt, ist ein Wirkliches, weil die Notwendigkeit ein Begründungsverhältnis bezeichnet, welches sich in der Erzeugung von neuen wirklichen Inhalten aus vorher bestehenden Wirklichkeiten ausdrückt. Deshalb hat der wirkliche Inhalt seine GrundTWA 6, S. 206. Ähnlich interpretiert Franz Knappik das hegelsche Argument: Vgl. Franz Knappik, Hegel’s Modal Argument against Spinozism. An Interpretation of the Chapter ‘Actuality‘ in Hegel’s Science of Logic, in: Hegel Bulletin (40) 2018, S. 53–79. 17 TWA 6, S. 207. 15 16
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lage – oder eben seine Wirklichkeit – „durch ein Anderes“. Diese Grundlage aber, indem sie das Begründete erzeugt und auslöst, „reflektiert in sich“, d.h. verursacht dasjenige, was unbedingt aus sich folgt, und so ist sie mit dem, was sie erzeugt, auf dynamische Weise identisch. Der Notwendigkeitsbegriff, der hierin entsteht, ist anders als z.B. Lewis’ Begriff. Letzterer konzipiert das Notwendige als dasjenige, was in allen möglichen Welten der Fall ist. Solch eine Definition der Notwendigkeit kann nicht einfach von der formellen Tautologie unterschieden werden. Bei Hegel dagegen benötigt der Begriff der Notwendigkeit keine Semantik der möglichen Welten, denn dieser besteht in einem Begründungsverhältnis zwischen zwei oder mehr wirklichen Inhalten, in dem ein Inhalt einen neuen erzeugt. Die Notwendigkeit ist somit dynamisch, setzt die Wirklichkeit voraus und ist nicht bloß formell oder tautologisch. Dynamisch und nicht tautologisch, insofern die Notwendigkeit ein Erzeugungs- oder Produktionsverhältnis zwischen wirklichen Inhalten impliziert. Aus diesem Grund macht die Notwendigkeit den Übergang zur „realen“ Modalität aus, denn im Rahmen der Notwendigkeit ist die Wirklichkeit nicht bloß dasjenige, was isoliert der Fall ist, sondern dasjenige, was der Fall ist, weil es durch etwas Anderes erzeugt oder produziert wurde. Solch ein Notwendigkeitsbegriff ist mit dem Satz des zureichenden Grundes und so mit einer neuen philosophischen Intuition verbunden, die sowohl in Hegels Zeiten als auch in den zeitgenössischen Diskussionen über Modalmetaphysik vorhanden ist: der Nezessitarismus. Im Nezessitarismus wird die These verteidigt, dass es keine alternativen Möglichkeiten gibt, d.h., dass nichts anders hätten sein können. Doch laut des Nezessitarismus, mit dem Hegel sich kritisch auseinandersetzt, gibt es keine alternativen Möglichkeiten, weil ein ens necessarium besteht, i.e. ein Wesen, das Grundlage seiner ist. Wie in der Literatur erwähnt worden ist, kann dieses ens necessarium die Substanz Spinozas sein, jedoch ist dieses Wesen nicht darauf zu reduzieren, denn die Aussage des ens necessarium hat in den kosmologischen Gottesdaseinsbeweisen ihren Ursprung.18 Vgl. Gerhard Schmidt, Das Spiel der Modalitäten und die Macht der Notwendigkeit, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 17 (1963), S. 376: „Das Zufällige weist an sich und seinem Begriffe nach hin auf ein 18
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Die These des Nezessitarismus und des ens necessarium stützt sich auf den Satz des zureichenden Grundes und darin liegt die Kraft dieses Ansatzes der Modalmetaphysik. Die zufälligen Ereignisse lassen sich durch ein anderes Ereignis begründen oder erklären, dieses Ereignis aber muss ebenso einen Grund haben, was einen unendlichen Regress impliziert. Um die Regression zu vermeiden, muss man also die Existenz eines notwendigen Wesens voraussetzen, welches Ursache und Grund seiner ist. Wäre dies nicht der Fall gäbe es kein absolut unbedingtes Begründungsverhältnis zwischen wirklichen Inhalten. So z.B. lassen sich verschiedene Naturgeschehnisse durch die Naturgesetze erklären, Letztere benötigen jedoch eine weitere Explikation, die nur metaphysisch sein kann, und zwar das ens necessarium, welches gewährleistet, dass diese Gesetzte nicht kontingent sind. Ohne dieses notwendige Wesen würden unsere Explikationen zufällige Ereignisse nur durch andere zufällige Ereignisse erklären, was philosophisch nicht befriedigend ist. In der Passage der „realen“ Modalität dekonstruiert Hegel die dem Nezessitarismus eigenen Annahmen. Meiner Deutung nach zeigt Hegel, dass der Nezessitarismus dialektisch inkonsistent ist, weil der Notwendigkeitsbegriff, der dieser Philosophie zugrunde liegt, sich nicht von der Zufälligkeit befreien kann. Es geht um eine „relative“ Notwendigkeit, nicht um eine absolute. Dies ist Gegenstand des folgenden Abschnittes. C. Nezessitarismus und relative Notwendigkeit Hegel beginnt den Abschnitt der realen Modalität mit der Behauptung, dass im Rahmen der Notwendigkeit die Wirklichkeit „einen Inhalt“ hat. Es ist bereits festgestellt worden, dass die Notwendigkeit aus einem Begründungsverhältnis zwischen zwei wirklichen Inhalten besteht, in dem der eine aus dem anderen entsteht. A begründet B, weil A imstande ist, B aus sich hervorzubringen. So ist z.B. das Verhältnis zwischen dem Samen und der Pflanze, dem Sonnenlicht und der Wärme oder dem Eiweiß und dem Kreatinin im Blut zu verstehen. Insofern hat die Wirklichkeit einen Inhalt, nicht Notwendiges […] Wenn ein Ding oder Geschehen überhaupt ist, dann ist es notwendig.“ Es muss aber angemerkt werden, dass Hegel den kosmologischen Beweis und den Nezessitarismus kritisch behandelt, wie ich später zeigen werde.
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etwa deshalb, weil es etwas gibt, was der Fall ist, sondern vielmehr darum, weil wirklich zu sein impliziert, neue Inhalte aus sich erzeugen zu können. Der Inhalt der Wirklichkeit ist eine konkrete, inhaltliche oder sogar materielle Erzeugungsrelation zwischen wirklichen Inhalten.19 Damit zeigt Hegel, dass die reale Wirklichkeit, d.h., diejenige Wirklichkeit, die nur im Rahmen dieser dynamischen Erzeugungsrelation stattfindet, „dem Ding mit Eigenschaften“ oder „der existierenden Welt“ nicht entspricht. Im Gegenteil dazu „ist sie zugleich Ansichsein und Reflexion-in-sich; sie erhält sich in der Mannigfaltigkeit der bloßen Existenz; ihre Äußerlichkeit ist innerliches Verhalten nur zu sich selbst“.20 Das hegelsche Vokabular zielt eben auf diese Erzeugungsrelation ab, die die Wirklichkeit ausmacht und charakterisiert. Denn die Wirklichkeit des Samens erzeugt etwas Anderes, und zwar die Wirklichkeit der Pflanze, aber die reine Wirklichkeit des Samens besteht gerade darin, Pflanze zu werden. Daher fällt die Äußerlichkeit des Samens, d.i., sein zurPflanze-werden, mit der eigenen Identität und dem Sein des Samens selbst zusammen. Die Identität des Samens (sein „Ansichsein“) koinzidiert mit seiner Manifestation (bzw. „Reflexion“) als Pflanze, doch, indem der Samen sich als Pflanze äußert, zeigt er dasjenige, was er im strengen Sinne ist, weshalb seine „Manifestation im Anderen“ mit seiner „Reflexion-in-sich“ identisch ist. In diesem Kontext siedelt Hegel die sprachliche Ähnlichkeit dazwischen an, wirklich zu sein und zu wirken: „Was wirklich ist, kann wirken; seine Wirklichkeit gibt etwas kund durch das, was es hervorbringt. Das Verhalten zu Anderem ist die Manifestation seiner.“21 Diese neue dynamische und relationale Wirklichkeitskonzeption, in der die Wirklichkeit nicht mehr einen festen und unmittelbaren Inhalt, sondern einen ständigen Veränderungsprozess bezeichnet, definiert erneut die Modalbegriffe. Dies ist eben der Fall des Möglichkeitsbegriffes, der aufhört, formell zu sein, und zur „realen Möglichkeit“ wird. Wenn sich jede Wirklichkeit dadurch chaKaren Ng hat m.E. vollkommen richtig darauf hingewiesen, dass die Verwendung des Adjektivs „materiell“ nicht bedeutet, dass Hegel eine materialistische Philosophie verteidigt. Die Materialität des Begründungsverhältnisses ist vielmehr die Bewegung und die Entfaltung der Form (vgl. Karen Ng, Hegel’s Logic of Actuality, a.a.O, S. 142). 20 TWA 6, S. 208. 21 Ebd. 19
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rakterisiert, etwas von sich Anderes zu erzeugen, dann ist jede Wirklichkeit die Möglichkeit desjenigen, was sie auslöst und produziert. Ist A Grundlage von B, dann ist A reale Möglichkeit von B. Der Samen ist die reale Möglichkeit der Pflanze usw. Der Begriff der realen Möglichkeit verstärkt die aktualistische These, laut der die Wirklichkeit logischen Vorzug vor der Möglichkeit hat, denn die Möglichkeit selbst ist eine Wirklichkeit, d.h. etwas, das der Fall ist. So ist die reale Möglichkeit eines Phänomens in den Umständen gegeben, die dieses ermöglichen, und diese Umstände tauchen immer als wirkliche Inhalte auf: „Die reale Möglichkeit einer Sache ist daher die daseiende Mannigfaltigkeit von Umständen, die sich auf sie beziehen.“22 Dies führt auch zu einer neuen Definition des Begriffes der Notwendigkeit, da diese Erzeugungsrelation notwendig ist. Die Relation ist insofern notwendig, da es sich dabei um ein Identitätsverhältnis zwischen beiden wirklichen Inhalten handelt. Solch eine Behauptung scheint jedoch fragwürdig, denn die Wirklichkeit verursacht oder erzeugt andere Wirklichkeiten, was dem Identitätsverhältnis widerspricht. Der Samen erzeugt die Pflanze und nicht den Samen selbst. Hegel ist sich dessen bewusst und deshalb behauptet er, dass auf den ersten Blick die reale Möglichkeit die Möglichkeit eines anderen wirklichen Inhaltes darstellt: „Diese Wirklichkeit, welche die Möglichkeit einer Sache ausmacht, ist daher nicht ihre eigene Möglichkeit, sondern das Ansichsein eines anderen Wirklichen.“23 Ist das so, dann stellt sich jedoch die Frage, wie man behaupten kann, dass die Erzeugungsrelation zwischen zwei wirklichen Inhalten als Identitätsverhältnis und somit als notwendige Beziehung gilt. Die Antwort liegt darin, dass, unserem Beispiel des Samens und der Pflanze folgend, das eigene Sein des Samens in seinem eigenen Verschwinden und seiner Selbstaufhebung besteht, womit die Pflanze entsteht. Das gilt nicht nur für den Samen, sondern für jede Wirklichkeit im Allgemeinen: Wirklich zu sein, besteht darin, sich zu eliminieren und zu verschwinden, um eine neue Wirklichkeit zu generieren. So gehören Selbstaffirmation und Selbstelimination der wirklichen Inhalte zu demselben Korrelat, und zwar die Selbstveränderung als Seinsmodus der Wirklichkeit. Da die logische Form der Identität der wirklichen Inhalte mit sich in ihrer SelbstTWA 6, S. 209. 23 Ebd. 22
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veränderung liegt, fällt die Negation dieser Inhalte, die sich darin zeigt, dass diese verschwinden, um neue Inhalte aus sich zu produzieren, mit der ihrer Identität zusammen. Das eigene Sein der wirklichen Inhalte, ihre Identität ist nichts Anderes als dieser Prozess der Selbstveränderung: „Die Negation der realen Möglichkeit ist somit ihre Identität mit sich; indem sie so in ihrem Aufheben der Gegenstoß dieses Aufhebens in sich selbst ist, ist sie die reale Notwendigkeit.“24 Der Begriff der „realen Notwendigkeit“ taucht also im Rahmen einer Prozessontologie auf. Dieser Umstand muss berücksichtigt werden, um Hegels Kritik am Nezessitarismus richtig zu verstehen, d.h. an der These, dass ein ens necessarium kraft des Satzes des zureichenden Grundes existieren muss. Was die reale Notwendigkeit betrifft, schreibt Hegel: „Was daher real möglich ist, das kann nicht mehr anders sein; unter diesen Bedingungen und Umständen kann nicht etwas anderes erfolgen“. 25 Aus dem Samen entsteht ceteris paribus die Pflanze usw. Doch dieses Notwendigkeitsverhältnis findet nur dann statt, wenn der Samen und alle die Umstände, die das Wachstum der Pflanze beeinflussen (wie der fruchtbare Boden, das Wetter, das Wasser usw.), gegeben sind. Das Vorhandensein dieser Umstände erscheint allerdings zufällig zu sein. Die reale Notwendigkeit kann die Zufälligkeit nicht wirklich überwinden: „Das real Notwendige ist deswegen irgendeine beschränkte Wirklichkeit, die um dieser Beschränktheit willen in anderer Rücksicht auch nur ein Zufälliges ist.“26 Die reale Notwendigkeit gilt zwar als notwendige Beziehung zwischen A und B, der begrenzte Charakter dieses Notwendigkeitsverhältnisses liegt aber darin, dass sein Ausganspunkt eben ein wirklicher Inhalt A ist, der nur als gegeben erscheint. Dass A gegeben ist, kann jedoch nicht durch die Relation zwischen A und B versichert werden, denn diese besitzt eine konditionale Natur und ist somit am Ende zufällig.27 TWA 6, S. 211. Ebd. 26 TWA 6, S. 212. 27 In diesem Rahmen hat George di Giovanni von einer Zufälligkeit der Notwendigkeit gesprochen. Er identifiziert diese Zufälligkeit der Notwendigkeit als Kern von Hegels Modalanalyse. (Vgl. George di Giovanni, The Category of Contingency in the Hegelian Logic, in: Proceedings of the 24 25
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In diesem Kontext verstärkt sich die philosophische Intuition des Nezessitarismus. Denn der Satz des zureichenden Grundes verlangt, dass jedes Ereignis oder Sein eine Ursache oder einen Grund haben muss. Im Fall der Relation zwischen A und B ist deutlich, dass A als Grund von B fungiert, aber dieses Verhältnis sagt nichts über die Notwendigkeit von A aus. Man kann vielleicht den Grund von A hinterfragen, doch die einzige Antwort, die man erhalten würde, ist (erneut) ein bedingtes Notwendigkeitsverhältnis, und zwar der Art: Wenn Z gegeben ist, dann folgt ceteris paribus A daraus. Darin ist aber die Notwendigkeit von Z aufgrund der logischen Form des konditionalen Notwendigkeitsverhältnisses nicht gewährleistet. Angesichts dessen argumentiert der Nezessitarismus, dass wir mit einem Dilemma konfrontiert sind: Entweder akzeptieren wir, dass es ein ens necessarium gibt, welches Grund und Ursache Hegel Society of America 4 (1979), S. 179–200.) So behauptet er „Hegel argues that real necessity is essentially relative. It is predicated only on the assumption of a situation, the presence of limits of which remain in point of fact contingent.” Solch eine Deutung findet man auch bei Dieter Henrich. Er weist darauf in seinem berühmten Aufsatz hin: „Die Notwendigkeit setzt sich wohl selbst die Bedingungen, aber sie setzt sie als zufällige. Als notwendig erweist sich eine Wirklichkeit gerade darin, daß sie aus jeder beliebigen Bedingtheit hervorgeht; und so sind die Bedingungen, die solche Notwendigkeit sich selbst setzt, ebenfalls je beliebige, willkürliche.“ (Dieter Henrich, Hegels Theorie über den Zufall, in: Hegel im Kontext, Frankfurt 1971, S. 163.) Auch Karen Ng und Raoni Padui glauben, dass Hegel eine retrospektive Theorie der Notwendigkeit vorschlägt. Das bedeutet, dass die Notwendigkeit eines Geschehens nur retrospektiv, d.h. nachdem es stattgefunden hat, zu begreifen ist. (Dazu ausführlicher: Raoni Padui, The Necessity of Contingency and the Powerlessness of Nature, in: Idealistic Studies, 40 (2010), S. 243–255; Karen Ng, From Actuality to Concept in Hegel’s Logic, in: Dean Moyar (Hg.), The Oxford Handbook of Hegel, New York 2017, S. 269–290.) Gegen all diese Deutungen merke ich an, dass die Zufälligkeit, die auf die reale Notwendigkeit bezogen ist und ihren retrospektiven oder „willkürlichen“ Charakter begründet, den Kern von Hegels Argument nicht ausmacht. Es handelt sich nicht um den Schluss von Hegels Modalargumentation, sondern vielmehr um eine Prämisse, die den Nezessitarismus zu rechtfertigen scheint. Jedoch, wie ich zeigen werden, ist auch bei Hegel eine Kritik am Nezessitarismus zu finden. Am Ende ist Hegels Vorschlag, Zufälligkeit und Notwendigkeit zu versöhnen; dies wird doch nicht mittels des willkürlichen oder retrospektiven Charakters der realen Notwendigkeit erreicht.
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seiner selbst ist, oder wir verzichten auf den Satz des zureichenden Grundes. Doch für Hegel ist dieses Dilemma falsch und scheinbar. Der Ansatz eines selbstverursachenden notwendigen Wesens überwindet den unendlichen Regress nicht. Der Grund dafür besteht darin, dass die ontologischen und metaphysischen Annahmen des ens necessarium mit der logischen Form des Notwendigkeitsverhältnisses inkompatibel sind. Diese logische Form impliziert, wie schon gesehen, dass A verschwindet und so B auslöst. Oder um dies mit Hegels Worten auszudrücken: Die Form der Identität von A ist ihre Selbstnegation oder Selbstveränderung. Ist das so, dann muss die These des ens necessarium ein Problem angehen: Das notwendige Wesen ist nicht imstande, sich selbst zu negieren oder zu verändern, denn seine ontologische Bestimmung ist die der reinen Positivität. Grund oder Fundament von etwas zu sein, bedeutet für Hegel, zu verschwinden, sich selbst zu negieren, um das Begründete aus sich auszulösen. Die logische Form des Grundes und des Fundamentes ist die Selbstnegation und nicht die reine Positivität. Das hat zur Folge, dass ein Wesen, als reine Positivität und reine Selbstaffirmation konzipiert, kein Grund von etwas sein kann, denn das Begründungsverhältnis setzt die Selbstnegation des Grundes als die Bedingung seiner Möglichkeit voraus. Aus einem notwendigen Wesen, welches sich als reine Positivität darstellt, kann nichts entstehen. Die prozessuale logische Form des Begründungsverhältnisses entkräftet die These des ens necessarium und problematisiert im Allgemeinen die kosmologischen Argumente der Gottesdaseinsbeweise.28 Franz Knappik hat die Kritik am Kosmologischen Gottesdaseinsbeweis bei Hegel anders rekonstruiert. Doch sie ist mit meiner Deutung nicht inkompatibel. Knappik behauptet, dass das ens necessarium kein richtiges Explanans sein kann (a.a.O., S. 75 ff.), da die Theorie des ens necessarium nicht in der Lage ist, zu zeigen, wie alle Umstände und Bedingungen auf das notwendige Wesen zurückzuführen sind. Wenn aber die Theorie dies zeigen würde, könnte man sagen, dass die Tatsache, dass die Verbindung des notwendigen Wesens mit den wirklichen Umständen auf diese besondere Art und Weise (und nicht auf andere) gegeben ist, als zufällig betrachtet werden muss. In dieser Hinsicht ist auch zu erwähnen, dass Hegels Argument bezüglich der realen und relativen Notwendigkeit nicht nur den kosmologischen Beweis betrifft. John van Houdt hat nämlich gezeigt, dass diese Ver28
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Wenn die These des ens necessarium scheitert und die reale Notwendigkeit nur bedingt und relativ ist, was für eine Option bleibt dann? Hegels Antwort auf diese Frage lautet meines Erachtens, dass man nicht jenseits der Prozessontologie suchen sollte, denn die logische Form dieser Ontologie zeigt uns, dass das philosophische Problem, das dem Nezessitarismus zugrunde liegt, nur scheinbar ist. Damit beschäftigt sich Hegel im Abschnitt der absoluten Notwendigkeit. D. Die absolute Notwendigkeit Die absoluten Modalbegriffe sind schon in der realen Notwendigkeit immanent enthalten. Der erste absolute Modalbegriff, der aus der realen Notwendigkeit hervorgeht, ist jener der „absoluten Wirklichkeit“. Es wurde bereits etabliert, dass die reale Notwendigkeit in einer Erzeugungsrelation zwischen zwei Wirklichkeiten besteht. Doch die Entstehung einer neuen Wirklichkeit aus einer vorher bestehenden unterscheidet sich nicht von der totalen Selbstproduktion und Selbstveränderung der Wirklichkeit. Die Veränderung ist nicht etwas, das einem ruhigen Substrat zustößt; wirklich zu sein, bedeutet vielmehr, sich zu verändern und zu produzieren: Der bindung von Zufälligkeit und Notwendigkeit, die die reale Notwendigkeit durchdringt, im mathematischen Beweisverfahren zu finden ist (John van Houdt, The Necessity of Contingency or Contingent Necessity, in: Cosmos and History: The Journal of Natural and Social Philosophy 7 (2011), S. 128–141, besonders S. 136): „ The individual steps in the proof are necessary within the proof to produce the result, however, that these steps were posited correctly (or at all) to arrive at the result is itself contingent.” Das ist der Grund dafür, dass die Mathematik keinesfalls als die einzige Intelligibilitätsbedingung für die Welt auftreten kann; die Aussage, dass alles mathematisch intelligibel ist, ist keine mathematische Aussage: „For Badiou to claim, for instance, that mathematics is ontology requires a meta-ontological decision, and only after the decision has taken place can we decide what that claim reveals about being and thinking, the absoluteness of mathematical discourse as an ontology.“ (Ebd., S. 137). Das bedeutet nicht, dass die Mathematik falsch sei, sondern vielmehr, dass ihre Notwendigkeit auch relativ ist, denn das Argument, anhand dessen die Mathematik zum Diskurs der absoluten Notwendigkeit erhoben werden würde, ist nicht mathematisch, sondern philosophisch.
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Veränderungsausgangspunkt, die Veränderung als solche und ihr Ergebnis formen ein untrennbares Korrelat. Die Selbstveränderung erweist sich dementsprechend als die wesentliche ontologische Bestimmung des Wirklichen. Doch dieser Wirklichkeitsbegriff, dessen Seinsform die ständige Selbstveränderung ist, erscheint als die „absolute Wirklichkeit“. Es geht hierbei um eine „absolute“ Wirklichkeit, weil diese Selbstveränderungsbewegung einen totalen und holistischen Charakter hat: Die Veränderung und der Wandel der verschiedenen wirklichen Inhalte ist als eine einzige Bewegung zu denken, Bewegung, deren ontologisches Bestehen im Wandel, im Entstehen und Vergehen der wirklichen Inhalte liegt. Diese totale Selbstveränderungsbewegung ist also absolut im hegelschen Sinne des Absoluten: nicht als das Eine, welches hinter oder jenseits des Mannigfaltigen steht, noch als das Eine, auf das die Pluralität und die Verschiedenheit zurückgeführt werden sollen, sondern als das Eine, dessen Seinsform die immanente Selbstausdifferenzierung ist, und deswegen mit der Entstehung und der Erscheinung der Mannigfaltigkeit als Mannigfaltigkeit zusammenfällt. Diese Konklusion koinzidiert zwar mit der prozessontologischen Darlegung des Absoluten, die im vorherigen Kapitel der Wissenschaft der Logik dargestellt worden ist, doch diese „Wiederholung“ bringt für das Verständnis des Logischen ein Gewinn mit sich: Der Modaleinwand gegen Hegels Theorie des Absoluten, laut dem das Absolute nicht das Wirkliche, sondern das Reich des Möglichen ist, wurde dekonstruiert und deaktiviert. Man hat in der Tat den Möglichkeitsbegriff im Rahmen der These der Wirklichkeit als totale Selbstveränderungsbewegung umgedeutet. Das Mögliche setzt sich nicht mehr dem Wirklichen entgegen, noch erscheint es als eine alternative Welt, die sich dem, was der Fall ist, gegenüberstellt, denn die Möglichkeit wird als ein konkreter und wirklich existierender Umstand verstanden, der das Dasein eines Phänomens auslöst und real möglich macht. Dies ist aber nicht die einzige logische Umformulierung des Möglichkeitsbegriffes, die aufgrund der Idee, dass die Wirklichkeit als die totale Selbstveränderungsbewegung zu denken ist, zustande kommt. Besteht die Wirklichkeit in dieser totalen Selbstveränderungsbewegung, dann ist jeder wirkliche Inhalt sozusagen dazu verurteilt, zu vergehen und zu verschwinden, um etwas Neues auszulösen – etwas Neues, dessen eigene Manifestation jedoch Ausdruck und Tätigkeit des vorher bestehenden wirklichen Inhaltes ist. Darin
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liegt der von Hegel dargestellte Begriff der „absoluten Möglichkeit“. Da alles verschwinden muss, gilt jeder wirkliche Inhalt als Möglichkeit, d.h. als etwas, das nicht unbedingt ständig existiert. All dasjenige, was verschwindet und sich verändert, um etwas Neues und Anderes auszulösen, ist als zufällig zu denken, denn es ist nicht etwas Perennierendes oder Überdauerndes, sondern etwas Veränderliches. Es geht um etwas, das nicht nur anders sein kann, sondern auch anders sein muss: „Aber damit ist diese Wirklichkeit – weil sie gesetzt ist, absolut, d.h. selbst die Einheit ihrer und der Möglichkeit zu sein – nur eine leere Bestimmung, oder sie ist Zufälligkeit.“29 Anderswerden ist die notwendige und immanente Seinsform des Wirklichen; es ist gerade die prozesshafte und negative Form seiner Identität. So ist die „Einheit der Möglichkeit und der Wirklichkeit“, d.i. die Veränderlichkeit des Wirklichen, absolut, denn es gibt nichts, das wirklich ist und sich nicht verändert. Daraus folgt, dass die Möglichkeit absolut und nicht einfach nur real ist: die reale Möglichkeit bezeichnet die Tatsache, dass A Grund oder Bedingung von B ist, was noch eine Juxtaposition zwischen A und B enthält; die absolute Möglichkeit dagegen bezeichnet die Tatsache, dass die Wirklichkeit von A nur darin besteht, sich selbst zu verändern und sich zu B zu machen, was die Entgegensetzung in einer produktive und „dialektische“ Bewegung „aufhebt“. Aus diesem Argument folgt, dass es keine Entgegensetzung zwischen Notwendigkeit und Zufälligkeit gibt: „So enthält die reale Notwendigkeit nicht nur an sich die Zufälligkeit, sondern diese wird an ihr.“30 Ein wirklicher Inhalt ist dann kontingent, wenn er nicht überdauernd, sondern veränderlich ist. Veränderlichkeit und Zufälligkeit erscheinen somit als Synonyme. Aber die Veränderlichkeit der Wirklichkeit unterscheidet sich nicht von der Notwendigkeit, denn solche Veränderlichkeit bezeichnet die Form, in der die Wirklichkeit als dynamische Bewegung der Selbstproduktion und Selbstnegation mit sich selbst identisch ist.31 Die Notwendigkeit impliTWA 6, S. 213. Ebd. 31 Eine ähnliche Deutung hat auch Houlgate vorgeschlagen. Vgl. Stephen Houlgate, Necessity and Contingency in Hegel’s Logic, in: The Owl of Minerva 27 (1995), S. 37–49. Zwar ist seine Deutung richtig, doch hebt er nicht die Konsequenzen von Hegels Modalanalyse für den Possibilismus und den Nezessitarismus hervor, was Gegenstand dieses Teils der Untersuchung ist. 29 30
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ziert oder „enthält“ die Zufälligkeit, denn Letztere ist gerade die Ausdrucksform der Notwendigkeit, d.i. der Identität der Wirklichkeit mit sich. Das „eigene Werden der Notwendigkeit“, also die Konzeption der Identität der Wirklichkeit als reines Werden, als reine (Selbst)Veränderlichkeit ist eben die Zufälligkeit. Deshalb ist die Kontingenz eben dieses Werden. Die begriffliche Korrelation zwischen Notwendigkeit und Zufälligkeit zeigt uns, warum die philosophische Intuition des Nezessitarismus auf ein Scheinproblem zurückzuführen ist. Das Problem, das dem Nezessitarismus zugrunde liegt, ist, dass der Satz des zureichenden Grundes einen unendlichen Regress mit sich bringt: Alles geschieht aus einem Grund, dieser Grund jedoch ist gleichzeitig ein Ereignis, das aus einem Grund geschieht, usw. Der Nezessitarismus behauptet, dass wir kraft des Satzes des zureichenden Grundes verpflichtet seien, zu konkludieren, dass es ein ens necessarium geben muss, d.h. eine erste Weltursache, die unveränderlich bleibt. Man hat gesehen, dass diese These des Nezessitarismus mangelhaft ist, denn Grund oder Ursache einer Wirklichkeit zu sein, impliziert, zu verschwinden und sich zu dieser Wirklichkeit zu machen, was mit der rein positiven Bestimmung (d.h. die Nichtveränderlichkeit) des notwendigen Wesens inkompatibel ist. So ist diese Behauptung dialektisch inkonsistent. Aber jetzt, da wir die reziproke Implikation von Notwendigkeit und Zufälligkeit verstehen, sind wir nicht nur imstande, die Antwort des Nezessitarismus auf das Problem des unendlichen Regresses in Frage zu stellen, sondern auch das Problem selbst aufzulösen. In der Tat ist die Annahme des Problems des unendlichen Regresses die, dass die Veränderung oder der Wandel der Wirklichkeit einen äußerlichen Impuls oder Motor benötigen. Ist dieser äußerliche Impuls auch wirklich, dann bedarf er erneut eines externen Motors und so ins Unendliche. Hegels These, nach der die Wirklichkeit als totale Selbstveränderungsbewegung zu denken ist, verzichtet eben auf diese Voraussetzung des externen Motors für die Bewegung und vermeidet damit die unendliche Regression. Die Zufälligkeit, der Wandel und die Veränderlichkeit des Wirklichen findet nicht kraft einer nicht der Zufälligkeit unterworfenen externen Ursache statt, sondern diese Zufälligkeit und Veränderlichkeit sind sozusagen das Blut der Wirklichkeit, oder um es präziser zu formulieren, sie stellen ihre notwendige Identitätsform dar. So löst der Ansatz der Einheit von Notwendigkeit und Zufälligkeit das Problem des unendlichen Regresses auf.
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Kosmologisch ist diese Lösung jedoch nicht, d.h., Hegel sagt damit nicht, was empirisch oder metaphysisch der Ursprung des Universums ist. Die Lösung besteht vielmehr darin, das kosmologische Problem des ens necessarium und die modale Intuition des Nezessitarismus auf die präzisen logischen Koordinaten zurückzuführen, d.h. auf die Analyse der Denkbestimmungen, die damit verbunden sind. Was Hegel behauptet, ist, dass die absolute Notwendigkeit philosophisch zu denken, nicht heißt, diese Notwendigkeit in einem der Welt äußerlichen Wesen zu hypostasieren, da die Notwendigkeit in der „logischen Form“ liegt, d.i. in der Bewegung, Tätigkeit und Aktuosität, die die Autopoiesis der Wirklichkeit ausmacht. Von dieser These ausgehend, kann man auch die Frage angehen, ob die Welt anders hätte sein können. Darauf würde Hegel meines Erachtens zweierlei antworten. Einerseits, aufgrund seiner Verteidigung des Aktualismus, sind die alternativen Möglichkeiten auf die Wirklichkeit logisch beschränkt. Letztere bestimmt den Spielraum der denkbaren Alternativen. Diese Annahme Hegels wendet sich gegen David Lewis’ Possibilismus, denn die Möglichkeit ist in der dynamischen Selbstveränderungsbewegung der Wirklichkeit integriert. Andererseits aber stellt sich Hegel auch gegen den Nezessitarismus, insbesondere gegen die Aussage, dass kraft einer externen und absolut unbedingten Ursache die wirkliche Welt absolut notwendig ist. Denn in der Tat impliziert Hegels Notwendigkeitsbegriff keineswegs solch ein notwendiges und überdauerndes Wesen: Unveränderlichkeit und absolute Notwendigkeit sind in Hegels Augen inkompatibel. Das bedeutet, dass zwar die Wirklichkeit anders hätte sein können – eine Wirklichkeit z.B. ohne die Entdeckung Amerikas oder mit anderen Naturgesetzen –, dass aber auch in diesem Fall diese Wirklichkeit als Selbstveränderungsbewegung zu denken wäre, und die alternativen Möglichkeiten ebenso diese Wirklichkeit voraussetzen würden. Denn eben diese gedachte oder vorgestellte Welt, in der Amerika nicht entdeckt worden ist und andere Naturgesetze vorhanden sind, hat als Ausgangspunkt die wirkliche Welt, in der Amerika entdeckt wurde und es bestimmte Naturgesetze gibt. Die Frage, warum die wirkliche Welt diese Naturgesetze und nicht andere und warum die Veränderung der Wirklichkeit so oder so (und nicht anders) gegeben ist, ergibt für Hegel keinen Sinn, weil das Absolut-Notwendige die logische Form der Selbstveränderung der Wirklichkeit ist, aber nicht unbedingt die empirisch gegebene Form dieser Selbstveränderung.
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So stellt die absolute Notwendigkeit die Einheit zwischen „Sein“ und „Wesen“ dar. „Sein“ bezieht sich hierbei auf die Unmittelbarkeit desjenigen, was einfach der Fall ist, während „Wesen“ den Grund bezeichnet, der das, was der Fall ist, erklärt. Sein ist das explanandum, Wesen das explanans. Die asymmetrische Relation zwischen explanans und explanandum, die dem Nezessitarismus zugrunde liegt, wird mittels der Einheit von Notwendigkeit und Zufälligkeit aufgehoben. Besteht die Wirklichkeit darin, sich selbst zu produzieren und zu verändern, darin, das Anderswerden als Urform ihrer Identität zu haben, dann ist diese Wirklichkeit zugleich explanans und explanandum: sie ist die Bewegung, wodurch das explanans zum explanandum wird und sich als dieses manifestiert, denn, wenn A als Fundament von B fungiert, dann verschwindet A und macht sich zu B: Das schlechthin Notwendige ist nur, weil es ist; es hat sonst keine Bedingung noch Grund. – Es ist aber ebenso reines Wesen; sein Sein ist die einfache Reflexion-in-sich; es ist, weil es ist. Als Reflexion hat es Grund und Bedingung, aber es hat sich zum Grunde und Bedingung.32
Die These der Wirklichkeit als Selbstveränderungsbewegung lässt sich auch mit Hegels Worten ausdrücken: Die Identität des Seins ist die Selbstnegation, d.h. die Bewegung des Wesens. All dies belebt den Begriff der Substanz wieder, aber nicht in substanzontologischer noch rein positiver Hinsicht. Die Substanz ist nicht das Ding, das den verschiedenen Eigenschaften zugrunde liegt, noch ein rein affirmatives Wesen, sondern sie bezeichnet die Notwendigkeit, die sich als Zufälligkeit, als ständiger Wandel und Veränderung der Wirklichkeit ausdrückt: „Sie [die Substanz; A.P.] ist diese Einheit als in ihrer Negation oder als in der Zufälligkeit.“33 Mit diesem Gedanken endet das Kapitel der Modalität und es fängt das letzte Kapitel der Wesenslogik an, in dem Hegel sich mit dem Problem der Kausalität und der Existenz der Subjektivität beschäftigt, d.h. mit dem Problem der ontologischen Möglichkeit eines wirklichen Inhaltes, dessen Seinsform die der auf Kausalverhältnisse nicht reduzierbaren reinen Selbstbestimmung ist.
TWA 6, S. 215. 33 TWA 6, S. 217. 32
§17. Hegels Theorie der Kausalität: Ablehnung des klassischen Monismus und des mechanistischen Weltbildes A. Substantialität und Akzidentalität An Hegels Argumentationsstruktur ist bemerkenswert, dass der hier genannte Begriff der Substanz keine statische Konnotation hat. Man könnte sich eines paradoxen Ausdruckes bedienen, um den präzisen, begrifflichen Status der Kategorie der Substanz bei Hegel zu formulieren: Letztere wird nicht ontologisch-substanziell verstanden, d.h. als ein Substrat, welches als Träger von Eigenschaften fungiert, sondern logisch-prozesshaft. Dieser prozesshafte Charakter weist darauf hin, dass die Substanz identisch mit ihrem (Er)scheinen ist, denn sie ist nicht bloß etwas, das (er)scheint, sondern das (Er)scheinen selbst.1 Demnach behauptet Hegel, dass der spezifische Inhalt nicht mehr als „Attribut“2 der Substanz aufzufassen ist. Die Substanz ist alles, was im Bereich des Interagierens der Wirklichkeit erscheint, aber nicht auf die Art und Weise, dass die Substanz hinter dem liegt, was erscheint, sondern in dem Sinne, dass sie die immanente, logische Form ist, deren Tun die begriffliche Verknüpfung der Modalitäten ausmacht und so das Erscheinen des Wirklichen selbst ist. Insofern gilt die logische Form, konzipiert als Substanz, als die Seele des Wirklichen. In der Sphäre der hegelschen Geistesphilosophie versteht man unter Seele keine Entität, sondern die Bewegung und Lebendigkeit des Körpers. Das Wirkliche ist lebendig und beweglich, weil es der Interaktion und permanenten Selbst-Hervorbringung unterzogen So fasst Stephen Houlgate den Unterschied zwischen der substanzontologischen Substanz und der prozesshaften Konzeption derselben zusammen: „Although Hegel is very close to Spinoza, however, his conception of substance is by no means exactly the same. One of the subtle differences between the two philosophers is that, whereas Spinoza stresses that substance is primarily the indwelling ground or “free causa” of finite things, Hegel puts more emphasis that the substance is the self-grounding being or subsisting of the things themselves.“ (Stephen Houlgate, Substance, Causality and the Question of Method in Hegel’s Science of Logic, in: Sally Sedgwick (Hg.), The Reception of Kant’s Critical Philosophy. Fichte, Schelling and Hegel, Cambridge 2000, S. 232–252, besonders S. 234.) 2 TWA 6, S. 218. 1
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ist. Die Substanz ist demnach die Lebendigkeit und Beweglichkeit des Wirklichen selbst – keine Entität, die sich als Substrat dieser Hervorbringung darstellt. Der Gedanke der Selbstausdifferenzierung ist es, welcher erneut den begrifflichen Gehalt der Substanz durchdringt: „Dies Unterscheiden oder Scheinen des Absoluten ist so nur das identische Setzen seiner selbst.“3 Die prozesshafte Konzeption der Substanz lässt sich auch in der Form sehen, wie Hegel die Relation von Substanz und Akzidentalität im Kapitel über das Verhältnis der Substantialität darstellt. Aus traditioneller Sicht ist die Substanz als Substrat-Träger von Eigenschaften zu verstehen. Letztere sind jedem Substrat zufällig, denn das Substrat kann weiter bestehen, ohne bestimmte Eigenschaften zu haben, jedoch muss jede Eigenschaft an einem Substrat vorhanden sein. Diese statische oder substanzontologische Konzeption der Substanz bezeichnet Hegel als „formlose Substanz des Vorstellens“.4 Solch einer Substanz der Vorstellung liegt „keine Wahrheit“5 zugrunde, denn, insofern sie qua „unbestimmte Identität“ 6 den Akzidenzen logisch entgegensetzt ist, kann sie nicht wirklich absolut sein. Was dies betrifft, sollte man sich eines der Argumente der im Vorbegriff enthaltenen Metaphysikkritik ins Gedächtnis rufen: Der Begriff der Substanz als unbestimmte Identität fällt in unvermeidbare Widersprüche, denn so etwas wie ein absolutes Substrat ist undenkbar, da ein Substrat zu bestimmen bedeutet, es entweder abzugrenzen oder ihm Eigenschaften beizulegen, damit es gedacht werden kann. Durch die Abgrenzung oder das Beilegen von Eigenschaften hört aber das Substrat auf, absolut zu sein. Das Substrat ist demzufolge entweder undenkbar oder absolut; beides geht nicht. Da die traditionelle Sicht der Substanz inkonsistent ist, muss man die Relation von Substanz und Akzidenz unter der Reflexionsform verstehen, d.h. als reine Beziehung ohne Bezogene, ohne Termini
TWA 6, S. 218. „Jenes ist die formlose Substanz des Vorstellens, dem der Schein sich nicht als Schein bestimmt hat, sondern das als einem Absoluten an solcher unbestimmten Identität festhält, die keine Wahrheit hat, nur die Bestimmtheit der unmittelbaren Wirklichkeit oder ebenso des Ansichseins oder der Möglichkeit ist; Formbestimmungen, welche in die Akzidentalität fallen.“ (TWA 6, S. 220.) 5 TWA 6, S. 220. 6 Ebd. 3 4
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oder Pole, die unabhängig von ihrer analytischen Reziprozität existieren oder individuiert werden können. Aufgrund dessen sind die Akzidenzen keine Prädikate eines Substrates. Sie müssen vielmehr nur in der Bewegung des gegenseitigen Hervorbringens verstanden werden. Diese Bewegung bezieht sich auf die These, dass jede reale Wirklichkeit eine von ihr verschiedene erzeugt und zugleich von dieser hervorgebracht wird. Aber in diesem Zusammenhang kann die Substanz nicht mit einem Raum oder mit einem Substrat gleichgesetzt werden, an dem die Bewegung stattfindet, sondern sie ist die Bewegung selbst als lebendige und inkarnierte logische Form:7 „Diese Bewegung der Akzidentalität ist die Aktuosität der Substanz als ruhiges Hervorgehen ihrer selbst. Sie ist nicht tätig gegen Etwas, sondern nur gegen sich als einfaches widerstandloses Element.“8 So ist die Substanz der Akzidentalität nicht entgegengesetzt, denn die Seinsweise der Akzidenzen (das Anderssein, der Wechsel, das gegenseitige Hervorbringen) ist tatsächlich die Bewegung der Substanz: „Die Substanz als diese Identität des Scheinens ist die Totalität des Ganzen und begreift die Akzidentalität in sich, und die Akzidentalität ist die ganze Substanz selbst.“9 Dadurch, dass die Substanz diejenige Relationalität und Lebendigkeit ist, aufgrund derer die Akzidenzen entstehen und vergehen, legt sie sich als „absolute Macht“ dar. Die Bewegung, die Veränderung und der Wechsel der Akzidenzen ist demnach nicht Macht der Substanz, sondern die Substanz ist diese Macht als solche; eine Macht, dir nur insofern existiert, als sie sich als Akzidentalität, Wechsel und Veränderung manifestiert. Da nun in jeder Veränderung und in jedem Wechsel zwei Momente unterschieden werden können, und zwar das Entstehen und das Vergehen, könnte man versucht sein, diese zwei Modalitäten der substantiellen Macht zu trennen: Einerseits die „schaffende Macht“10, welche sich mit dem Entstehen identifiziert, andererseits die „zerstörende Macht“11, verbunden mit dem Vergehen. Im Vgl. Thomas S. Hoffman, Die Absolute Form. Modalität, Individualität und das Prinzip der Philosophie nach Kant und Hegel, Berlin/New York 1991. 8 TWA 6, S. 220. 9 Ebd. 10 Ebd. 11 Ebd. 7
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Entstehen, also in der schaffenden Macht wird die Möglichkeit zur Wirklichkeit; im Vergehen, in der zerstörenden Macht kommt das Gegenteil vor: die Wirklichkeit geht in Möglichkeit über. Doch es ist unmöglich, die substanzielle Macht in dualistischen Termini zu erfassen, da sie ein Prozess ist: Jede schaffende Macht gilt als zerstörende Macht und umgekehrt, denn die Zerstörung einer Akzidenz impliziert die Schaffung oder die Geburt einer neuen. Die Modalitäten der substanziellen Macht können demzufolge nicht getrennt werden, da beide Momente nur im Prozess des Wechselns der Akzidenzen gegeben sind. Dieser Wechselprozess, konzipiert als absolute Macht, ist konsequenterweise „substantielle Notwendigkeit“, denn darin sind „das Negative und Positive, die Möglichkeit und Wirklichkeit […] absolut vereint“.12 Damit werden wir uns einer Tatsache bewusst, die entscheidend für Hegels Verständnis der Kausalität und des Überganges des Wesens zum Begriff ist: Die wahrhafte logische Form der Notwendigkeit ist nicht die der Tautologie, sondern die der Ausdifferenzierung, wobei der Begriff der Notwendigkeit selbst in dem der Freiheit aufgehoben wird. Die substanzielle Notwendigkeit kann nur als ein logischer Prozess der Ausdifferenzierung aufgefasst werden. Deswegen ist die Zufälligkeit, die Akzidentalität oder der Prozess des Wechselns der Akzidenzen die notwendige Form der Äußerung und Manifestation der Notwendigkeit. In der Tat drückt sich die Macht der Notwendigkeit darin aus, dass irgendein Ding, das identifizierbar und unterscheidbar von anderen ist, nur existiert und wirklich ist, indem es sich unterscheidet. Akzidenz und kontingent zu sein, d.h. verschieden von sich zu sein, entgeht dem Begriff der Notwendigkeit nicht. Dies ist der Umstand, in dem sich dieser Begriff vehement darstellt, falls man die Notwendigkeit genauso wie Hegel versteht: als reine Relationalität, als logische Form, die nur im Selbstunterscheiden Bestehen hat. Doch die Verbindung von Notwendigkeit und Selbstausdifferenzierung ist im Begriff der Substanz noch nicht perfektioniert. In der begrifflichen Struktur der Substanz liegt nämlich noch die Möglichkeit, die Notwendigkeit nicht dialektisch zu erfassen, d.h. sie nur als reine Identität zu konzipieren und nicht als Selbstausdifferenzierung, nicht als selbstbezügliche Negativität. Diese theoretische Möglichkeit macht den Übergang zum Kausalitätsverhältnis aus. 12
TWA 6, S. 221.
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Weshalb im Begriff der Substanz doch die gewöhnliche Bedeutung der Notwendigkeit vorhanden ist, argumentiert Hegel folgendermaßen: Es ist behauptet worden, dass die substanzielle Macht keine Macht der Substanz ist, sondern vielmehr solch eine, die nur innerhalb ihres Ausübens, Sich-Entfaltens und ihrer Aktuosität ontologisches Bestehen hat. Diese Ausübung und Aktuosität ist der Wechsel, die Veränderung, das ständige Anderssein, das in der Bewegung der Akzidenzen stattfindet. Von dieser Prämisse ausgehend, scheint es so zu sein, dass es keinen Unterschied zwischen dem Wechsel der Akzidenzen und der substanziellen Macht gebe. Allerdings liegt gerade in derselben Prämisse ein solcher Unterschied, wie im folgenden Textabschnitt beschrieben wird: Die Akzidenzen als solche – und es sind mehrere, indem die Mehrheit eine Bestimmung des Seins ist – haben keine Macht übereinander. Sie sind das seiende oder für sich seiende Etwas, existierende Dinge von mannigfaltigen Eigenschaften oder Ganze, die aus Teilen bestehen, selbständige Teile, Kräfte, die der Sollizitation durch einander bedürfen und einander zur Bedingung haben. Insofern ein solches Akzidentelles über ein anderes eine Macht auszuüben scheint, ist es die Macht der Substanz, welche beide in sich begreift […].13
Der Unterschied zwischen Substanz und Akzidenzen ist demnach folgender: Zwar ist die Substanz ausübende Macht, die nicht unabhängig von ihrem Ausüben existieren kann, jedoch kann man zwischen dem Ausübenden und dem, auf das die Macht ausgeübt wird, differenzieren. Das Erste entspricht der Substanz, das Zweite den Akzidenzen. Die Substanz ist aktiv, die Akzidenzen passiv. Die Unterscheidung lässt sich viel besser in der These begreifen, dass das Wirken oder die Macht der Akzidenzen nur scheinbar, während die der Substanz wirklich und wahrhaft ist. Wenn die Pflanze aus dem Samen entsteht oder wenn im Allgemeinen eine Wirklichkeit aus einer anderen erzeugt wird, ist dasjenige, was wirkt, nicht die Pflanze oder die konkrete Wirklichkeit, sondern die Substanz. Letztere ist das wahrhaft Wirkende. Es ist nicht das Wasser, was die Überflutung verursacht, noch sind die Treibhausgase wirklich für die globale Erwärmung verantwortlich. All diese Ereignisse müssen als die Macht der Substanz verstanden werden, die auf die Akzidenzen ausgeübt wird. Dass nun die Macht der Akzidenzen nur schein13
TWA 6, S. 221.
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bar und die Macht der Substanz im Gegenteil das wahrhafte Wirken hinter dem Schein ist, führt subtil, aber entscheidend einen Unterschied zwischen Wahrheit und Schein ein. Das Verhältnis von Substanz zu den Akzidenzen ist auf diese Weise asymmetrisch und es handelt sich nicht um eine Relation, deren logische Form die selbstbezügliche Negativität ist. Denn dabei verweist die scheinbare Macht der Akzidenzen auf die wahrhafte Macht der Substanz, aber nicht umgekehrt. Die Akzidenzen sind Selbstnegation, aber die Substanz bleibt mit sich selbst identisch. „Die Substantialität ist daher nur das Verhältnis als unmittelbar verschwindend, sie bezieht sich auf sich nicht als Negatives, ist als die unmittelbare Einheit der Macht mit sich selbst in der Form nur ihrer Identität.“14 Nun besitzt die Unterscheidung zwischen dem, was die Macht ausübt, und dem, auf das die Macht ausgeübt wird, eine logische Struktur, die mit dem Kausalitätsverhältnis identisch ist. Die Ursache ist aktiv: dasjenige, was die Macht ausübt; während die Wirkung passiv, nur das Resultat und keinesfalls das, was jene produziert, ist. Die Substanz ist die Ursache der Wirkung der Akzidenzen. Aus diesem Grund geht der Begriff der substanziellen Notwendigkeit in das Kausalitätsverhältnis über: Letzteres ist die Voraussetzung für den ersten oder jener, der den Begriff der substantiellen Notwendigkeit verteidigt, ist aus logischen Gründen verpflichtet, den Unterschied zwischen der wahrhaften Macht der Substanz und der scheinbaren Macht der Akzidenzen und auf diese Weise die Relation von beiden als Kausalitätsverhältnis zu denken. B. Hegels Überwindung kausaler Asymmetrie Die erste Art und Weise, die Kausalität zu verstehen, ist wesentlich mit einer standard-monistischen Weltanschauung verbunden, wonach die Substanz die einzige Ursache der Pluralität der Akzidenzen darstelle. Sie ist Ursache der globalen Erwärmung, der Bewegung der Planeten und der Lungenkrankheiten. Es sollte klargestellt werden, dass Hegel solch einen Monismus nicht verteidigt. Alle die Argumente, die uns zum Begriff der Wechselwirkung führen, versu-
14
TWA 6, S. 222.
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chen – wie wir sehen werden –, diese monistische Vorstellung zu problematisieren, anstatt zugunsten dieser zu argumentieren. i. Formelle Kausalität: der monistische Ansatz der Kausalität Diese monistische Vorstellung der Beziehung von Ursache und Wirkung nennt Hegel „formelle Kausalität“.15 Sie ist formell, da die These, laut der die Substanz Ursache von allem ist, keine Relevanz bezüglich des Inhaltes hat. Innerhalb einer naturwissenschaftlichen Diskussion über die Ursachen der globalen Erwärmung spielt die monistische These der Kausalität keine Rolle. Jedoch ist diese These innerhalb einer philosophischen Diskussion, in der man sich mit der logischen Form der Kausalität auseinandersetzt, entscheidend. Kurzum: diese Art und Weise, die Kausalität zu betrachten, ist formell, denn diese kann unabhängig von ihrem Inhalt als ein Verhältnis zwischen Substanz und Akzidenz verstanden werden. Eine Relation von Substanz und Akzidenz zu sein, ist die Form, nicht der Inhalt, des Kausalitätsverhältnisses. Dass die Relation von Substanz und Akzidenz als Kausalitätsverhältnis zu erfassen ist, setzt den Unterschied zwischen dem, was die Macht ausübt, und dem, worauf diese ausgeübt wird voraus. Dieser Unterschied ist auch die Differenzierung von passivem und aktivem Substrat des Kausalitätsverhältnisses, wobei sich jeweils das Erste mit der Substanz und das Zweite mit den Akzidenzen identifizieren. „Die Ursache ist das Ursprüngliche gegen die Wirkung. – Die Substanz ist als Macht das Scheinen oder hat Akzidentalität.“16 Doch Hegel zeigt, dass diese Unterscheidung in internen Widersprüchen gefangen ist. Damit muss die monistische Vorstellung der Substanz als aktives Substrat des Kausalitätsverhältnisses entscheidend aufgehoben werden. Zu behaupten, die Substanz sei ein aktives Substrat, welches dem passviven entgegensetzt ist, führt zu einer Entsubstantialisierung der Substanz, denn in diesem Fall enthält die Substanz nicht alles in sich, da sie ihre Macht auf ein ihr äußerliches Element ausübt, nämlich auf das ihr logisch konfrontierte passive Substrat. Die Substanz hat, falls man die Unterscheidung
TWA 6, S. 223. 16 Ebd. 15
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von Substraten akzeptiert, konsequenterweise eine externe Voraussetzung und so hört sie auf, Substanz zu sein. Deswegen ist die Substanz innerhalb des Kausalitätsverhältnisses nur als reine Relationalität denkbar, d.h. als Relation ohne Relata noch Substrate: „Die Substanz geht aber in ihrem Bestimmen nicht von der Akzidentalität aus, als ob diese voraus ein Anderes wäre und nun erst als Bestimmtheit gesetzt würde, sondern beides ist eine Aktuosität.“17 Die Substanz ist damit nicht das dem passiven entgegengesetzte aktive Substrat, sondern sie ist im Wesentlichen das Geschehen, das Stattfinden der Wirkung. Die Substanz, die Ursache ist mit anderen Worten ihr Erscheinen als Wirkung. Die Macht der Substanz ist die Ursache, da aber die Substanz kein Substrat sein kann, unterscheidet sie sich nicht von der Tat der Produktion der Wirkung. Die Ursache ist Actus, Aktuosität, die kein Bestehen unabhängig des Wirkens und des Verursachens hat. „So ist die absolute Aktuosität Ursache, die Macht der Substanz in ihrer Wahrheit als Manifestation, die das, was an sich ist, die Akzidenz, die das Gesetztsein ist, unmittelbar im Werden derselben auch auslegt, sie setzt als Gesetztsein, – die Wirkung.“18 Muss das Wesen scheinen, trifft es auch zu, dass die Ursache wirken muss. Die Wirkung ist auf diese Weise der Ursache wesentlich, denn die erste ist die Realisierung der zweiten. Wenn aber die Ursache nur Sich-Verwirklichen ist, folgt daraus deutlich, dass die Wirkung dasjenige darstellt, was die Ursache ist: „die Ursache ist daher erst in ihrer Wirkung das wahrhaft Wirkliche und mit sich Identische“.19 Die Ursache ist identisch mit sich, aber nicht auf eine statische Art und Weise, sondern auf eine dynamische. Ihre Identität ist nur als Tat der Erzeugung der Wirkung denkbar. Diese Tat, in der die Wirkung gesetzt wird, ist ein Prozess der Selbstausdifferenzierung, der die Notwendigkeit des Kausalitätsverhältnisses ausmacht. So betrachtet, ist die kausale Notwendigkeit logischer Natur. Die Notwendigkeit des Kausalitätsverhältnisses ist nicht anders als die Notwendigkeit der Selbstausdifferenzierung der Substanz. Kausalität ist der Name für den Prozess der Selbstpluralisierung der Substanz als Erzeugung der Wirkung.
TWA 6, S. 223. 18 Ebd. 19 TWA 6, S. 224. 17
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In diesem Gedanken liegt der Mittelpunkt des logisch-prozessualen Monismus Hegels, laut dem es zwar einen logischen Prozess gibt, dessen Entfaltung aber in der ständigen Selbstpluralisierung besteht. Doch der Begriff des formellen Kausalitätsverhältnisses ist noch nicht fähig, dies vollkommen auszudrücken. Die These, dass die Kausalität als reine Relationalität betrachtet werden muss, impliziert, dass die Wirkung das Geschehen der substanziellen Macht und diese nur in jenem Geschehen ontologisches Bestehen haben kann. Jedoch ist diese Identität von Ursache und Wirkung aus logischen Gründen problematisch. Ist die Wirkung die Manifestation der Ursache und diese ausschließlich ihr Sich-Manifestieren oder ihr Erscheinen als die Erste, kann die Unterscheidung zwischen Ursache und Wirkung aufgehoben werden und nicht denkbar sein, denn die Ursache von allem – die Substanz als Geschehen der Wirkung – ist nicht von den in der Welt vorhandenen Wirkungen unterscheidbar. Fragt man z.B. nach den Ursachen der globalen Erwärmung, kann man „die Substanz“ oder „die substantielle Macht“ als Antwort erhalten. Die Antwort ist nicht nur sinnlos von einer empirischen Perspektive aus, sondern auch beunruhigend aus logisch-begrifflicher Sicht. Denn die Substanz hat nur ontologisches Bestehen, indem sie als Wirkung erscheint, in dem hier betrachtenden Fall, indem sie sich als globale Erwärmung manifestiert. Wenn man „die Substanz“ als Antwort auf die Frage nach den Ursachen der globalen Erwärmung gäbe, so würde man nur sagen, dass die Ursache der globalen Erwärmung das Erscheinen der Substanz als globale Erwärmung sei, was so viel hieße wie, zu behaupten, die Ursache der globalen Erwärmung sei diese selbst. Wenn es auf diese Weise keine solide Unterscheidung zwischen Ursache und Wirkung gäbe, führt der Ansatz, dass die Substanz die Ursache von allem ist, unbedingt zu der reinen Immanenz der Wirkungen, wobei keine Wirkung eine von ihr unterscheidbare Ursache hätte. Der Gedanke der reinen Immanenz der Wirkungen stellt jedoch den Begriff der substanziellen Macht, die verantwortlich für die Wirkungen ist, in Frage. Dieser Begriff ist demzufolge von einem internen Widerspruch durchdrungen. An diesem Punkt scheint es so, als ob wir mit einer unlösbaren Antinomie konfrontiert wären. Der Unterschied zwischen aktivem und passivem Substrat, der die Basis für die Differenzierung von Ursache und Wirkung ausmacht, scheitert, denn die Substanz hört
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auf, Substanz zu sein, indem sie als ein Substrat gedacht wird, welches anderen Substraten entgegengesetzt ist. Gleichfalls scheitert die Überwindung dieses Unterschiedes in einer substratlosen Relationalität, da sie die eigene Differenzierung von Ursache und Wirkung in Frage stellt. Es gibt jedoch einen dritten Weg, diese Antinomie zu überwinden, den Hegel durch das folgende Argument zum Ausdruck bringt: In dieser Identität der Ursache und Wirkung ist nun die Form, wodurch sie als das an sich Seiende und als das Gesetztsein sich unterscheiden, aufgehoben. Die Ursache erlischt in ihrer Wirkung; damit ist ebenso die Wirkung erloschen, denn sie ist nur die Bestimmtheit der Ursache. Diese in der Wirkung erloschene Kausalität ist somit eine Unmittelbarkeit, welche gegen das Verhältnis von Ursache und Wirkung gleichgültig ist und es äußerlich an ihr hat.20
Wie gezeigt worden ist, ist es unmöglich, von dem Begriff der substanziellen Macht ausgehend, einen klaren Unterschied zwischen Ursache und Wirkung festzulegen. Darauf verweist Hegel, wenn er behauptet, dass die Form aufgehoben wurde, durch die „das an sich Seiende“ (Ursache) und „das Gesetztsein“ (Wirkung) sich unterscheiden. Angesichts dessen könnte man behaupten, dass das Kausalitätsverhältnis undenkbar sei. Doch was undenkbar ist, ist vielmehr der Begriff der substanziellen Macht oder, besser gesagt, die Theorie der Kausalität, laut der das Kausalitätsverhältnis als die Aktuosität der substantiellen Macht verstanden werden muss, welche nur existiert, indem sie als Wirkung erscheint. Das bedeutet, dass die Unterscheidung von Ursache und Wirkung nicht dadurch zu erklären ist, dass es eine substanzielle Macht gibt, deren ontologisches Bestehen ihr eigenes Ausüben, ihr Sich-Manifestieren als Wirkung ist, sondern dadurch, dass diese Differenzierung von außen gegeben wird. Wir sind es, die durch unseren Geist die Unterscheidung von Ursache und Wirkung produzieren. Auf diese Weise hat der Inhalt des Kausalitätsverhältnisses selbst nicht die Eigenschaft, Ursache oder Wirkung an sich zu sein, sondern wir lassen ihm diesen Charakterzug zuteilwerden: Da diese Bestimmungen der Form äußerliche Reflexion sind, so ist es die der Sache nach tautologische Betrachtung eines subjektiven Verstandes, eine 20
TWA 6, S. 225.
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Erscheinung als Wirkung zu bestimmen und davon zu ihrer Ursache aufzusteigen, um sie zu begreifen und zu erklären.21
Diese neue Theorie der Kausalität nennt Hegel „bestimmtes Kausalitätsverhältnis“. ii. Das bestimmte Kausalitätsverhältnis: Die Kausalität als äußere Reflexion. Dass die Unterscheidung zwischen Ursache und Wirkung von uns, der subjektiven oder äußerlichen Reflexion gesetzt wird, bedeutet nicht, dass die kausalen Aussagen arbiträr und grundlos sind. Das menschliche Denken bringt nur die Form ein, während der Inhalt doch unabhängig von jenem Geist gegeben ist. Dies kann man anhand eines Beispiels näher betrachten: Ein typischer Fall des Kausalitätsverhältnisses ist das Zersplittern des Glases (z.B. der Ofentür) durch Temperatur. Dabei ist die Ofenwärme die Ursache des Zersplitterns. Bei näherer Betrachtung ist es aber offensichtlich, dass die Ofenwärme nichts Anderes als die Erwärmung des Glases ist, denn die Temperatur des letzteren besteht in dem Prozess des Wärmeaustausches.22 Die Ofenwärme ist demnach mit der ErwärTWA 6, S. 226. Ansgar Lyssy hat gezeigt, dass die von Hegel angebrachten Beispiele innerhalb des bestimmten Kausalitätsverhältnisses nicht wissenschaftlich berechtigt sind. So behauptet z.B. Hegel, dass die Ursache der Farbe „ein Pigment“ sei und nicht das Licht; ebenso sagt er, dass die Ursache der Bewegung ein „Quantum der Bewegung“ sei, was eine cartesische Vorstellung darstellt, die von Leibniz und Newton in Frage gestellt wurde. Doch fügt Lyssy hinzu, dass diese falschen Beispiele eine Rolle in der Argumentation haben, nämlich: die Mängel und Schwierigkeiten der Theorie des bestimmten Kausalitätsverhältnisses aufzuzeigen, und zwar die Tatsache hervorzuheben, dass die Wahl des Inhaltes, der sich gleichzeitig als Ursache und Wirkung manifestiert, arbiträr sein könnte. (Vgl. Ansgar Lyssy, Causality as Concept and Theory in Hegel’s Science of Logic, in: Hegel-Jahrbuch 2017, S. 505–511.) Ich bin mit diesem Ansatz einverstanden, aber vertrete gleichzeitig die These, dass Hegels Kritik an der Theorie des bestimmten Kausalitätsverhältnisses etwas radikaler ist: sie betrifft nämlich die logische Konsistenz der Theorie und nicht nur die empirische Anwendung derselben. Der Streit darum, welchen Inhalt man als Ursache und Wirkung darstellt, 21 22
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mung des Glases und dem darauffolgenden Zersplittern identisch, jedoch wird dieselbe Wärme vom menschlichen Geist getrennt, um sie einerseits als Ursache und andererseits als Wirkung zu betrachten: „Es ist dieselbe Sache, welche sich das eine Mal als Ursache, das andere Mal als Wirkung darstellt, dort als eigentümliches Bestehen, hier als Gesetztsein oder Bestimmung an einem Anderen.“23 Obwohl es „dieselbe Sache“ ist, die sich als Ursache und Wirkung manifestiert, und der subjektive Geist den Unterschied von beiden Bestimmungen etabliert, hängt es nicht vom subjektiven Denken ab, dass diese sich gleichzeitig als Ursache und Wirkung manifestierende „Sache“ die Temperatur als Wärmeaustausch, die Schwerkraft oder der Regen ist. Aus diesem Grund ist das Kausalitätsverhältnis, wie Hegel sagt, dem Inhalt nach ein „tautologischer Satz“.24 Doch kann man sich fragen, weshalb wir dem Kausalitätsverhältnis explikative Attribute zuteilwerden lassen, wenn es nur ein „tautologischer Satz“ ist. Die Antwort, die der Verteidiger der Theorie des bestimmten Kausalitätsverhältnisses darauf anbietet, ist die Folgende – wobei im Voraus klargestellt werden muss, dass Hegel solch eine Theorie nicht verteidigt: Angesichts des schon gegeben Beispiels des durch hohe Temperaturen zersplitternden Glases kann man festlegen, dass, obwohl die Temperatur des Glases und die des Ofens ein und derselbe Austauschprozess sind, sowohl das Glas als auch der Ofen mehr Eigenschaften besitzen, als ihre Temperatur zu erhöhen. Das bedeutet, dass der explikative Charakter des Kausalitätsverhältnisses darauf basiert, dass zwischen verschiedenen Körpern, Umständen oder Phänomenen ein gemeinsamer Prozess oder Eigenschaft herausgefunden wird, der sich in all diesen gleichzeitig manifestiert.25 Daraus folgt aber deutlich, dass das ist empirisch und betrifft nicht die logische Struktur der Theorie; die Theorie des bestimmten Kausalitätsverhältnisses besagt, dass die kausalen Aussagen überhaupt eine bestimmte Struktur besitzen; ob die Aussagen richtig oder falsch sind, ist für sie kein Thema. 23 TWA 6, S. 226. 24 TWA 6, S. 227. 25 Diesbezüglich hat Douglas Lane Patey Hegels Ansatz der Tautologie des Kausalverhältnisses kritisiert, weil er nicht in der Lage sei, zu erklären, wie sich ein Inhalt gleichzeitig als Ursache und Wirkung in verschiedenen Substraten manifestieren kann, oder besser gesagt, wie eine Eigenschaft eines Substrates auf ein anderes übertragen wird. (Vgl. Douglas Lane Patey,
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Kausalitätsverhältnis vorausgehende Substrate verlangt, um gedacht werden zu können. So kann man z.B. das Kausalitätsverhältnis begreifen, das in der Bewegung stattfindet, die durch den Kontakt von Körpern produziert wird. Wenn die Bewegung eines Gegenstandes, A, einen anderen, B, anstößt, gibt es eine Art Übertragung der Kraft von A auf B oder, besser gesagt, sind die Kräfte von A und B dabei identisch: die Kraft, aufgrund derer A sich bewegt, ist dieselbe, durch die B bewegt wird. Da aber A und B mehr Eigenschaften besitzen, als Kraft zu sein, – sie haben z.B. unterschiedliche Farben, Texturen, Formen, Größen, Stoffeigenschaften usw. –, gilt es herausfinden, welche Eigenschaften die unterschiedlichen Gegenstände gemeinsam haben, was in diesem Fall die Kraft und damit die richtige nicht tautologische Erklärung wäre. „Nur was von seinen Eigenschaften sich in der Wirkung darstellt, ist in ihm als Ursache vorhanden, nach seinen übrigen Eigenschaften ist er nicht Ursache. So, ob der stoßende Körper Stein oder Holz, grün, gelb ist usf., dies tritt nicht in seinen Stoß ein; insofern ist er nicht Ursache.“26 Die Temperatur, um nochmal auf das Beispiel des zersplitternden Glases zurückzukommen, ist demnach unbedingt ein Prozess und ein Geschehen und diese kann man einerseits als Ursache verstehen, wenn sie als Ofentemperatur erscheint und andererseits als Wirkung, wenn sie als Eigenschaft des Glases vorhanden ist. Aus diesem Grund erscheint die Kausalität nicht als reine Relationalität, sondern als ein Verhältnis, welches die Existenz von unabhängigen und vorausgehenden Substraten verlangt. Das Glas und der Ofen sind qua Gegenstände und vom Zersplittern des Glases unterscheidbar. Auch wenn eine Billardkugel eine andere berührt Hegel on Causality: Toward an Understanding of the Absolute Relation, in: Idealistic Studies 22 (1992), S. 179–188.) Diese Kritik basiert just auf dem Missverständnis, laut welchem Hegel diese Theorie der Kausalität verteidigen würde. Wir werden später sehen, dass die hegelsche Lösung für dieses Problem darin besteht, die Unterscheidung zwischen Substraten und Übertragungsprozessen zu überwinden. Gerade deshalb finde ich die Deutung von Thomas Meyer problematisch, laut der Hegel gerade diese tautologische Betrachtung der Kausalität verteidigt und sie durch den Begriff der Causa Sui zu verbessern versucht. (Vgl. Thomas Meyer, Hegels wesenslogisches Kausalitätskapitels als Identitätstheorie der Kausalität, in: HegelStudien 51 (2018), S. 91–120.) 26 TWA 6, S. 227.
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und die zweite bewegt, sind die Kugeln von der durch ihren Kontakt erzeugten Bewegung differenzierbar. Setzt das Kausalitätsverhältnis eine Art Übertragungsprozess von Eigenschaften voraus, muss dieser unbedingt zwischen Substraten stattfinden, welche sich von dem Vorgang an sich unterscheiden. Diese Substrate sind demzufolge außerhalb und unabhängig von Kausalitätsverhältnissen individuierbar und intelligibel. Daher behauptet Hegel: Dieser äußerliche Inhalt ist also verhältnislos, – eine unmittelbare Existenz; oder weil er als Inhalt die ansichseiende Identität der Ursache und Wirkung ist, ist auch er unmittelbare, seiende Identität. Dies ist daher irgendein Ding, das mannigfaltige Bestimmungen seines Daseins hat, unter anderem auch diese, dass es in irgendeiner Rücksicht Ursache oder auch Wirkung ist. Die Formbestimmungen, Ursache und Wirkung, haben an ihm ihr Substrat.27
So besteht das Kausalitätsverhältnis aus dem Übertragungsprozess und den Substraten. Der Inhalt des Kausalitätsverhältnisses ist demnach zugleich „Substrat“ und „Substanz“: „Aber dieses Ding ist nicht nur Substrat, sondern auch Substanz, denn es ist das identische Bestehen nur als des Verhältnisses.“28 Insofern, als das Kausalitätsverhältnis Substrate voraussetzt, die unabhängig von der kausalen Relation individuierbar und intelligibel sind, ist der Inhalt davon „Substrat“: Es sind der Ofen und das Glas, die sich von der Temperatur als thermodynamischer Prozess unterscheiden; es sind die Körper, die abgesehen von ihrem Kontakt bestimmt werden können. In anderer Hinsicht ist der Inhalt „Substanz“, d.h. das Kausalitätsverhältnis selbst als Übertragungsprozess, in dem die Ursache und die Wirkung in einem kontinuierlichen Geschehen verbunden sind. Diesbezüglich lautet die These Hegels, dass die Auffassung des Kausalitätsverhältnisses, in dem es zugleich als Substrat und Substanz erscheint, unbedingt zum unendlichen Regress der Ursachen führt. Dieses Problem besagt, dass die kausale Erklärung niemals ausreichend sei, denn die Ursache von Etwas hat wiederum einen Grund. Es muss nun klargestellt werden, dass in Hegels Augen der Ursprung dieses Problems nicht subjektiv ist. Dieses ist somit nicht auf die unendliche Neugierde des Menschen zurückzuführen. Der Ursprung des Problems ist logisch-begrifflich. Vom Standpunkt des TWA 6, S. 229. 28 Ebd. 27
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Kausalitätsverhältnisses als Substrat aus, ist der Begriff der Ursache als dasjenige zu definieren, was eine Ursache hat. Vom Standpunkt des Kausalitätsverhältnisses als Substanz aus bezeichnet die Ursache dasjenige, was eine Wirkung hervorbringt und genau diese begriffliche Zirkularität ist die Basis des Problems. Sehen wir uns erstens an, weshalb die Ursache als das, was eine Ursache hat, zu definieren ist: So ist ein Stein, der sich bewegt, Ursache; seine Bewegung ist eine Bestimmung, die er hat, außer welcher er aber noch viele andere Bestimmungen der Farbe, Gestalt usf. enthält, welche nicht in seine Ursächlichkeit eingehen. Weil seine unmittelbare Existenz getrennt ist von seiner Formbeziehung, nämlich der Kausalität, die ihm in ihr zukommt, ist an ihm nur Gesetztsein.29
Hegels Argument ist relativ einfach. In der Theorie des bestimmten Kausalitätsverhältnisses vertritt man zwei simultane Thesen: Die erste besagt, dass das Kausalitätsverhältnis aus zwei Substraten besteht, das eine aktiv, das andere passiv. Die zweite besagt ihrerseits, dass das Substrat oder die unmittelbare Existenz intelligibel unabhängig von dem Kausalitätsverhältnis sind, weil das erste die logische Voraussetzung des letzteren darstellt. Wenn man die zwei Thesen gleichzeitig verteidigen möchte, ist man verpflichtet, zu behaupten, dass die Substrate des Verhältnisses für sich weder aktiv noch passiv sind. Sie fangen an, passiv oder aktiv zu sein, nur indem sie an einem Kausalitätsverhältnis teilnehmen, welches ihnen immer äußerlich ist. Daraus folgt jedoch, dass es einen Grund bzw. eine Ursache geben muss, durch den die Substrate zu Relata eines Kausalverhältnisses werden. Das bedeutet, dass jedes Substrat, welches als aktiv innerhalb eines Kausalitätsverhältnisses erscheint, eine Ursache benötigt, um eben aktives Substrat zu werden. Deswegen ist die Ursache qua aktives oder verursachendes Substrat notwendigerweise dasjenige, was eine Ursache hat, oder, wie Hegel sagt, „Gesetztsein“. Es gibt eine Ursache, durch die der Ofen Wärme erzeugt und der sich bewegende Stein muss im Voraus durch etwas Anderes angestoßen worden sein. Das verursachende Substrat ist daher verursachtes Substrat, denn nur aufgrund dessen, dass es verursacht wird, wird es zum verursachenden.
29
TWA 6, S. 230.
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Die These, dass die Ursache als das definiert werden muss, was die Wirkung hervorbringt, ist bereits erläutert worden und ist aus dem Umstand herzuleiten, dass das Kausalitätsverhältnis Substanz ist. Um dies zu veranschaulichen, soll an dieser Stelle das oben zitierte Beispiel des Steines wiederaufgenommen werden, denn dies bezüglich fährt Hegel folgendermaßen fort: „Aber die Kausalität ist auch seine eigene; dies ist darin vorhanden, dass sein substantielles Bestehen seine identische Beziehung auf sich ist, sie ist also zugleich negative Beziehung auf sich.“30 Als Substanz ist die Ursache die Hervorbringung der Wirkung. Jene existiert nur insofern, als sie etwas Anderes, nämlich die Wirkung, erzeugt. Deswegen weist Hegel darauf hin, dass das Kausalitätsverhältnis als Substanz „negative Beziehung auf sich“ ist, denn der Inhalt des Verhältnisses besteht im Erzeugen der Wirkung, d.h. in der eigenen Negation und Ausdifferenzierung. Daraus folgt, dass alle Inhalte eine Wirkung hervorbringen müssen und diese Wirkung, da sie auch Inhalt des Verhältnisses ist, eine neue erzeugt. Der Regress der Ursachen ist demnach auch die unendliche Progression der Wirkungen. Es muss aber klargestellt werden, dass Hegels Diskussion bezüglich des unendlichen Regresses der Ursachen nicht kosmologisch ist. Es geht nämlich darum, die logische Struktur und Voraussetzungen des Begriffes der Kausalität hervorzuheben. Dabei befindet man sich aber gegenüber den klassischen kosmologischen Problemen auf einer höheren (oder logisch vorherigen) Stufe in der Beobachtung. Bevor man sich mit der Frage nach der ersten Ursache des Universums beschäftigen kann, muss man das präzisieren, was unter Ursache verstanden wird. Was Hegel in diesem Kontext beweisen möchte, ist, dass die Intelligibilitätsbedingung der Kausalität kein Substrat verlangt; vielmehr soll die Kausalität als reine Relationalität aufgefasst werden. Doch insofern, als man die Kausalität als reine Relationalität konzipiert, hört sie auf, asymmetrisch zu sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Kausalaussage sinnlos wäre und von der empirischen Forschung ausgeschlossen werden sollte. Der Kausalitätsbegriff ist eher sekundär und sozusagen parasitär31 gegenüber einer relationalen Struktur, die logischen Vorrang TWA 6, S. 230. Diese Behauptung betrifft das Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Philosophie bei Hegel. Diesbezüglich findet man in der 30 31
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hat: diese relationale Struktur ist die „Wechselwirkung“, aus der die Interaktion zwischen Allgemeinheit und Einzelheit logisch hervorgeht und damit dasjenige, was Hegel „Subjektivität“ nennt. Dieser Ansatz demonstriert, dass die Sphäre der Subjektivität und der BeLiteratur das Missverständnis, dass Hegels Abhandlung von Konzepten, die in der Naturwissenschaft eine wichtige Rolle spielen, wie z.B. Kausalität, Materie, Quantität usw., auf eine Kritik an der Naturwissenschaft und ihrer Methode abziele. Z.B. wirft R. Wahsner Hegel vor, den Empirismus mit der empirischen Naturwissenschaft zu konfundieren (Renate Wahsner, The Philosophical Background to Hegel’s Criticism of Newton, in: Michael John Petry (Hg.), Hegel and Newtonianism, Dordrecht 1993, S. 86, 88.) Wahsner stützt sich auf Hegels Behauptungen, in denen er die mathematische Methode als Weg zur philosophischen Erkenntnis kritisiert und Newtons Physik für eine einseitige Naturphilosophie hält. Auch hat Wahsner gezeigt, dass die newtonische Mechanik nicht mit dem mechanistischen Weltbild zu identifizieren ist, was bedeutet, dass dieses Weltbild eine philosophische Vorstellung der Physik und keine physische These ist. (Vgl. HorstHeino von Borzeszkowski, RenateWahsner, Die Mechanisierung der Mechanik, in: Newton-Studien (1978), S. 19–75; H. von Borzerszkowski, Zum Verhältnis von Mechanik und Mechanistischem Weltbild, in: Renate Wahsner (Hg.), Hegel und das mechanistische Weltbild. Vom Wissenschaftsprinzip Mechanismus zum Organismus als Vernunftbegriff, S. 9–19.) Doch es ist wichtig, anzumerken, dass Hegels Kritik an Newton darin besteht, zu zeigen, dass verschiedene Postulate der philosophischen Vorstellung der modernen Physik einen metaphysischen Hintergrund haben, der aber der Wissenschaft selbst verborgen bleibt. Dieser Umstand kompromittiert keineswegs die Resultate der empirischen Forschung, weil Hegels Auseinandersetzung mit ihnen philosophischer und nicht physischer Natur sind. Es geht demnach darum, die Bedingungen der Intelligibilität der wissenschaftlichen Gesetze zu untersuchen und dabei zu zeigen, dass die Wissenschaftlichkeit der Naturwissenschaft Elemente und Annahmen begrifflicher Natur voraussetzt, die innerhalb der Philosophie zu erklären sind. Hegels Punkt ist demnach, die in der Wissenschaft liegende Metaphysik explizit zu machen und sie als Bedingung der Intelligibilität wissenschaftlicher Urteile zu behandeln; es geht nicht darum, die Naturwissenschaft durch die Philosophie zu ersetzen. In diese Richtung argumentieren J. Garrison, W. Wehrle, G. Buchdal und S. Priest bezüglich Hegels philosophischer (nicht physischer) Kritik an Newton. (Dazu: J. Garrison, Metaphysics and Scientific Proof: Newton and Hegel, in: Hegel and Newtonianism, a.a.O., S. 3–16; W.E. Wehrle, The Conflict between Newton’s Analysis of Configurations and Hegel’s Conceptual Analysis, in: Hegel and Newtonianism, S. 17–26; Hegel on the Interaction between Science and Philosophy, in: Hegel and Newtonianism, a.a.O., S. 61–72, besonders S. 70.)
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reich der objektiven und wirklichen Wechselwirkung dieselben ontologischen Intelligibilitätsbedingungen besitzen. Um diese Schlussfolgerung richtig zu ziehen, muss man aber zunächst beweisen, dass die logische Struktur des bestimmten Kausalitätsverhältnisses, laut der die kausale Relation aus Substraten besteht, instabil und selbstwidersprüchlich ist. Damit für weitere Argumentationszwecke das Schema des bestimmten Kausalitätsverhältnisses symbolisiert und veranschaulicht werden kann, könnte man folgende Darstellungsweise wählen: • S1→S2→S3→S4… Dem Schema nach kann man das Substrat (S) von dem Kausalitätsverhältnis (→) unterscheiden. Doch der Versuch, die Substrate eines Kausalitätsverhältnisses genau zu bestimmen, ist aufgrund des arbiträren Charakters dieses Bestimmungsvorganges doch zum Scheitern verurteilt. Wendet man das oben dargestellte Schema zum Beispiel auf den Bewegungsverlauf der Billardkugel an, dann könnte man auf den ersten Blick sagen, S1 sei der Queue, S2 die erste Kugel und S3 die zweite Kugel, welche von der ersten angestoßen wird usw. Solch eine Schematisierung lässt sich aber keineswegs rechtfertigen, denn der Billardtisch spielt doch auch eine entscheidende Kausalrolle hinsichtlich der Bewegung der Kugeln, findet diese doch nicht in der Luft statt. Somit stellt sich hinsichtlich dieser beispielhaften Simplifikation der Realität die Frage, warum der Billardtisch als Substrat vom Verhältnis ausgeschlossen wird, obwohl er doch einen kausalen Einfluss auf die Kugel hat. Diese Fragestellung könnte noch fortgeführt werden, denn wenn diese Beeinflussung für das Beispiel kausale Wichtigkeit erlangt, dann könnte man zusätzlich behaupten, dass man unseren Planeten und dessen atmosphärische Bedingungen als Substrate der Relation in das Schema miteinbeziehen müsste, da auch diese Faktoren die Bewegung der Kugel beeinflussen. So ist das Kausalverhältnis der Billardkugel auch das Verhältnis dieser zu anderen Körpern und Prozessen, wie dem Tisch, dem Boden, der Luft, dem Planeten, dem Mond, der Temperatur usw. Diese Beziehungen müssten somit auch im Kausalverhältnis „Billardkugel1 → Billardkugel2“ in Betracht gezogen werden, weshalb ihre kausale Relation nicht auf diese simplifizierte Weise logisch dargestellt werden kann.
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Die Notwenigkeit der Berücksichtigung verschiedener Faktoren stellt das logische Model der Kausalität als eine aus Substraten bestehenden Relation in Frage, denn für die Relation „Billardkugel 1 → Billardkugel2“ sind nicht nur die Kugel und die Kraft der Bewegung (→) konstitutive Elemente, sondern auch andere Kausalitätsverhältnisse, die die Existenz der Billardkugel überhaupt erst ermöglicht haben. Die Form der Kugel, ihre Farbe, Textur, Gewicht, Materiezustand, Lage etc. sind das Resultat von Kausalitätsverhältnissen. Alles, was die Billardkugel ist, wird von diesen kausalen Relationen bedingt. Dies hat zur Folge, dass die Möglichkeit, ein Substrat des Kausalitätsverhältnisses zu individuieren, schon das Vorhandensein kausaler Relationen voraussetzt. Zwischen den zwei Billardkugeln zu unterscheiden, basiert z.B. darauf, dass beide als getrennte Körper im Raum erscheinen. Aber dass die Kugeln einander verschieden sein können, hängt eben auch von Kausalitätsverhältnissen ab, denn sie sind nur dann unabhängige Körper, wenn sie aufgrund der Temperatur einen festen Aggregatzustand einnehmen und nicht verschmelzen; ebenso ist der Ruhezustand (laut Galileis Trägheitsprinzip) als Resultat der Kräfte zu erfassen (wenn die Summe der Kräfte, die auf einen Körper wirken, null ist) usw. So ist die Theorie des bestimmten Kausalitätsverhältnisses zirkulär: Die kausale Relation benötigt Substrate, um intelligibel zu sein, jedoch sind letztere nur aufgrund kausaler Zusammenhänge individuierbar und unterscheidbar. Der Kreis lässt sich aber viel präziser formulieren: Im bestimmten Kausalitätsverhältnis wird vorausgesetzt, dass einerseits all das Real-Wirkliche der Kausalität unterworfen und so nur im Hinblick darauf intelligibel ist; andererseits aber, dass es Substrate gibt, die nicht kausal intelligibel sein können, da sie Voraussetzung des kausalen Zusammenhanges darstellen. Alles und nicht alles ist zugleich in Bezug auf die Kausalität intelligibel.32 Dies wird von Hegel dadurch ausgedrückt, dass die Kausalität Das ist der Grund dafür, dass Hegel glaubt, dass nicht alles auf mechanistische Weise intelligibel ist. Dieser Umstand macht demnach den Widerspruch des mechanistischen Weltbildes aus. (Ähnlich argumentiert Renate Wahsner. Vgl. Renate Wahsner, Der Widerstreit von Mechanismus und Organismus: Kant und Hegel im Widerstreit um das neuzeitliche Denkprinzip und den Status der Naturwissenschaft, Stuttgart 2006, S. 196– 200.) In diese Richtung argumentiert auch Edgar Maraguat, der betont, 32
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sich selbst äußerlich geworden ist. „Diese ihre Identität [von Ursache und Wirkung; A.P.] ist auch gesetzt, aber sie ist ein Drittes, das unmittelbare Substrat; die Kausalität ist darum sich selbst äußerlich, weil hier ihre Ursprünglichkeit eine Unmittelbarkeit ist.“33 Infolge dieses Widerspruches kann die Kausalität keinesfalls als eine aus Substraten bestehende Relation verstanden werden.34 Diesbezüglich schreibt Hegel Folgendes: Durch die Bewegung des bestimmten Kausalitätsverhältnisses ist aber nun dies geworden, dass die Ursache nicht nur in der Wirkung erlischt und damit auch die Wirkung, wie in der formellen Kausalität, sondern dass die Ursache in ihrem Erlöschen, in der Wirkung wieder wird, dass die Wirkung in der Ursache verschwindet, aber in ihr ebenso wieder wird. Jede dieser Bestimmungen hebt sich in ihrem Setzen auf und setzt sich in ihrem Aufheben; es ist nicht ein dass für Hegel das mechanistische Weltbild eine Vorstellung der Kausalität ist, d.h. eine externe Repräsentation dessen, was wirklich im Begriff kausaler Zusammenhänge vorhanden ist. Dass bedeutet nicht, dass Hegel an der Kausalität zweifelt, sondern vielmehr, dass der Bereich der kausalen Erklärungen begrenzt ist: nur die Gegenstände, die sich ohne Widerstand instrumentalisieren lassen, kann man sich auf mechanistische Weise vorstellen. (Vgl. Edgar Maraguat, El Idealismo de Hegel y la refutación de Spinoza: algunos malentendidos recientes, in: Agora: Papeles de filosofía 35 (2016), S. 199–223, besonders S. 211 f.) 33 TWA 6, S. 233. 34 Dies ist übrigens dasjenige, was Hegel z.B. gegen David Humes skeptische Behandlung der Kausalität sagen würde. Hume setzt nämlich eine Konzeption der Dinge als Substrate voraus, die unabhängig von den Relationen gedacht werden können. Wenn die Substrate und die Verhältnisse jedoch trennbar sind, dann taucht unmittelbar das Problem ihrer Einheit auf: Wie können wir sicher sein, dass es wirklich Kausalitätsverhältnisse gibt? Wie ist es möglich, dass die Substrate ihre Eigenschaften bzw. Kräfte auf andere übertragen? (Dazu ausführlicher: Adam C. Scarfe, Skepticism Concerning Causality: An Evolutionary Epistemological Perspective, in: Cosmos and History 8 (2012), S. 227–288, besonders S. 270; Auch: Kenneth Westphal, Causal Realism and the Limits of Empiricism: Some unexpected Insights from Hegel, in: Hopos: The Journal of the Society for the History of the Philosophy of Science 5.2 (2015), S. 281–317.) Hierbei muss man aber betonen, dass Hegels Untersuchung der Kausalität nicht epistemologisch, sondern logisch ist, d.h. es geht nicht um die Frage, ob wir die Kausalitätsverhältnisse erkennen können, weil diese Frage bestimmte logisch-ontologische Voraussetzungen beinhaltet, sondern vielmehr um die logische Struktur kausaler Gedanken und kausaler Relationen.
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äußerliches Übergehen der Kausalität von einem Substrat an ein anderes vorhanden, sondern dies Anderswerden derselben ist zugleich ihr eigenes Setzen.35
Der Widerspruch, welcher das bestimmte Kausalitätsverhältnis durchdringt, führt nicht erneut zum formellen Kausalitätsverhältnis, d.h. zur These, laut der die Ursache von allem die Substanz sei und es keinen Unterschied zwischen dieser und ihrer Manifestation als Wirkung gebe. Es trifft nämlich nicht nur zu, dass die Ursache eine Wirkung erzeugen muss und so darin verschwindet oder erlischt, vielmehr konnte bereits anhand der Struktur des bestimmten Kausalitätsverhältnisses gezeigt werden, dass die Wirkung fähig ist, zur Ursache zu werden. Diese logische Bewegung von Ursache zur Wirkung und wieder zur Ursache zurück benötigt aber keine Substrate als logische Voraussetzungen, da die Substrate selbst nur aufgrund kausaler Relationen individuierbar sind. Der wirkliche Inhalt ist diese dynamische Bewegung als Selbstproduktion und Selbstveränderung. Deswegen hat die Kausalität die logische Struktur der Reflexion bzw. der reinen Relationalität, denn jeder Terminus (Ursache und Wirkung) ist nur der Verweis auf sein Gegenteil und bloß so erlangt jeder einzelne von ihnen Bedeutung. Auf diese Weise hat die Struktur der reziproken Implikation von Ursache und Wirkung zur Folge, dass die Seinsweise beider Begriffe das „Anderswerden“ ist. Ursache und Wirkung sind nur, indem sie das jeweilige Gegenteil werden. Somit ist das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung keine bloße Tautologie. Zwar manifestiert sich die Ursache in der Wirkung und so scheint ihr Unterschied bezüglich dieser getilgt zu werden, jedoch erzeugt die Wirkung, indem sie sich wieder zur Ursache macht, eine neue Wirklichkeit und so weiter. Die Unterscheidung von Ursache und Wirkung setzt keine Substrate voraus, sondern sie erscheint als die interne Selbstausdifferenzierung einer logischen Bewegung, eines logischen Prozesses der Iteration der Negativität und des Anderswerdens. Darauf bezieht sich Hegel, wenn er behauptet, dass die Kausalität ihre eigene Voraussetzung „setzt“ oder etabliert. Die Kausalität scheint, eine Voraussetzung zu haben, und zwar die Substrate; allerdings stellt sich bei näherer Betrachtung heraus, dass das Kausalitätsverhältnis selbst die Voraussetzung dieser Substrate ist. Die 35
TWA 6, S. 233.
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kausale Relation ist die Voraussetzung ihrer Voraussetzung: „Die Kausalität setzt also sich selbst voraus oder bedingt sich. Die vorher nur ansichseiende Identität, das Substrat, ist daher nunmehr bestimmt als Voraussetzung oder gesetzt gegen die wirkende Kausalität, und die vorhin dem Identischen nur äußerliche Reflexion steht nun im Verhältnis zu demselben.“36 Aus diesem Grund erscheint die Kausalität als „voraussetzendes Tun“, d.h. als eine Relationalität, die darin besteht, die Voraussetzung ihrer Voraussetzung zu sein. Bevor wir uns mit der logischen Struktur dieser Form der Kausalität auseinandersetzen, ist es jedoch geeignet, zwei Präzisierungen vorzunehmen: An erster Stelle ist festzuhalten, dass das Verständnis der Kausalität als reine Relationalität nicht bedeutet, dass es unmöglich oder illegitim ist, bei der empirischen Untersuchung eines bestimmten Kausalitätsverhältnisses, die Mannigfaltigkeit kausaler Relationen, die einen Gegenstand ausmachen, auf eine analysierbare Zahl zu reduzieren. Die Billardkugel ist zwar das Ergebnis kausaler Beziehungen, trotzdem kann man dasjenige untersuchen, was allein ihre Bewegung, Temperatur, chemische Zusammensetzung, Farbe usw. betrifft. Insofern kann man in bestimmten Fällen, z.B. wenn man die Bewegung der Kugel untersucht, ihre Farbe außer Acht lassen. Das bedeutet aber nicht, dass es ein Substrat gibt, das den Kausalitätsverhältnissen vorangeht. Zwar gibt es Billardkugeln vor und nach der Bewegung, woraus man jedoch nicht schließen kann, dass es Substrate gibt, die überhaupt unabhängig von Kausalitätsverhältnissen sind. Irgendein spezifischer, wirklicher Inhalt ist kein Substrat der kausalen Relation, sondern steht immer mit ihr im Zusammenhang; sein Sein ist unbedingt Bezogensein. Zweitens muss man anmerken, dass die Iteration der Bewegung der Kausalität als reine Relationalität zwar unendlich ist, da jeder Terminus (Ursache und Wirkung) unaufhörlich auf sein Gegenteil verweist, allerdings kann diese Iteration nicht mit dem unendlichen Regress der Ursachen identifiziert werden. Im Rahmen des unendlichen Regresses findet man eine Iteration von Ursache und Wirkung, die von Substraten vermittelt wird. Aus diesem Grund sollte die von Substraten vermittelte Iteration als ein Fall der schlechten Unendlichkeit angesehen werden, deren logische Form die linienförmige Regression ist. Die schlechte Unendlichkeit der Theorie 36
TWA 6, S. 233.
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des bestimmten Kausalitätsverhältnisses drückt sich darin aus, dass diese die Einheit von Ursache und Wirkung niemals erreichen kann. Diese Theorie basiert nämlich genau auf der These, das Kausalitätsverhältnis benötige Substrate, um intelligibel zu sein und verlangt somit gleichzeitig die Existenz eines Substrates, das simultan Ursache und Wirkung ist, um die Einheit zwischen Ursache und Wirkung zu konzipieren. Nach den konzeptuellen Voraussetzungen der Theorie des bestimmten Kausalitätsverhältnisses ist solch ein Substrat undenkbar, wobei das Problem der Regression aus begrifflichen Gründen unlösbar ist. Angenommen, das Substrat sei unterschiedlich von dem Kausalitätsverhältnis, dann wäre man verpflichtet, zu behaupten, dass es einen Grund oder eine Ursache geben muss, aufgrund dessen/derer dieses Substrat zum verursachenden Substrat wird. Ist das so, dann wäre dieses Substrat keine ursprüngliche Einheit von Ursache und Wirkung, da es eine Ursache voraussetzt, um Ursache zu werden. Angenommen nun, es gebe ein Substrat, welches immer verursachendes Substrat ist, dann könnte man daraus schließen, dass letzteres unabhängig von seiner Manifestation als Wirkung nicht denkbar wäre. Daraus würde seinerseits folgen, dass dieses Substrat kein ontologisches Bestehen außerhalb dieser Manifestation hätte. Das heißt aber nur, dass dieses Substrat kein Substrat ist, weil es nicht verschieden vom Kausalitätsverhältnis wäre. Auf diese Weise „verlegt [die Theorie des bestimmten Kausalitätsverhältnisses; A.P.] die Formeinheit in das Unendliche und drückt durch das perennierende Fortgehen ihre Ohnmacht aus, sie erreichen und festhalten zu können“.37 All dies ist jedoch anders in der als reine Relationalität betrachteten Kausalität, denn dabei wird die Einheit von Ursache und Wirkung in keinem ursprünglichen, unmittelbaren Substrat erreicht, sondern in der begrifflichen Reinheit der Kategorien von Ursache und Wirkung, d.h. in der Tatsache, dass der ursprüngliche Sinn dieser Denkbestimmungen in ihrem reziproken Verweisen, in ihrer „reflektierenden Bewegung“ besteht, Bewegung, die mit der dynamischen Veränderung der wirklichen Inhalte koinzidiert. Natürlich löst diese reflektierende Einheit von Ursache und Wirkung kein kosmologisches Problem bezüglich des Ursprunges des Universums. Hegel interessiert sich allerdings auch gar nicht dafür, an dieser Stelle der Logik kosmologische Probleme zu lösen, sondern es 37
TWA 6, S. 232.
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geht ihm vielmehr darum, zu beweisen, dass die logische Ursprünglichkeit der Kausalität, auf der ihre Intelligibilität und ihre begriffliche Struktur beruht, kein Substrat, sondern die Reflexion, die Bewegung der logischen Form ist. iii. Bedingte Kausalität und Wechselwirkung Die Kausalität, verstanden als reine Relationalität, ist, wie gesagt, „voraussetzendes Tun“.38 Das bedeutet, dass dasjenige, was die Voraussetzung der Kausalität zu sein scheint, tatsächlich ein Ergebnis kausaler Relationen ist. In diesem Zusammenhang kann man sagen, dass die logische Struktur der Kausalität als Selbstentgegensetzung zu bestimmen ist, denn dasjenige, was auf den ersten Blick der Kausalität äußerlich ist, nämlich das Substrat, auf dem diese ausgeübt wird, wird doch durch das Kausalitätsverhältnis selbst im Voraus erzeugt. Um die Momente des Kausalitätsverhältnisses unterscheiden zu können, benötigt man demzufolge keine Differenzierung von aktiven und passiven Substraten, da sowohl die aktive, kausale Kraft (z.B. die Bewegung als physischer Prozess) als auch dasjenige, worauf diese ausgeübt wird (z.B. die Billardkugel), beide kausale Relationalitäten sind. So kann man zwar eine Unterscheidung von Passivität und Aktivität gedanklich vornehmen, allerdings muss dabei angemerkt werden, dass das Passive kein dem Kausalitätsverhältnis äußeres Substrat ist, sondern von vornherein von diesem ausgemacht worden ist. Die Selbstentgegensetzung der kausalen Relation als „voraussetzendes Tun“ erlaubt die Unterscheidung von aktiver und passiver Substanz: Es ist, wie sich ergeben hat, die substantielle Identität, in welche die formelle Kausalität übergeht, die sich nunmehr gegen dieselbe als ihr Negatives bestimmt hat. Oder es ist dasselbe, was die Substanz des Kausalitätsverhältnisses [ist], aber welcher die Macht der Akzidentalität als selbst substantielle Tätigkeit gegenübersteht. – Es ist die passive Substanz.39
Die Termini „substantielle Identität“, „substantielle Tätigkeit“ und „Substanz des Kausalitätsverhältnisses“ verweisen auf den Prozess des Anderswerdens, der in der die Ursächlichkeit vorkommt. TWA 6, S. 233. 39 Ebd. 38
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Aufgrund von Kausalitätsverhältnissen hört ein wirklicher Inhalt auf, das zu sein, was er ist, und ändert sich. Die Wärme bricht das Glas, die Bewegung eines Körpers ändert die Position eines anderen usw. Nun ist es möglich, in jedem Veränderungsprozess zwischen demjenigen, was verändert, und dem, was verändert wird, zu unterscheiden, denn sonst wäre es unmöglich, von Wandel oder Transformation zu sprechen. Im Rahmen der relationalen Konzeption der Kausalität sind jedoch sowohl das Verändernde als auch das Veränderte Resultat kausaler Relationen. Das Kausalitätsverhältnis ist fähig, sich zu verdoppeln und sich selbst entgegenzusetzen und so zweimal zu erscheinen: sowohl als kausale, aktive Kraft als auch als dasjenige, worauf diese Einfluss und verändernde Macht besitzt. So betrachtet, ist die Kausalität ein unaufhörlicher Selbstalterationsprozess der Wirklichkeit, ohne dass es ein Etwas, ein basales Substrat oder eine Entität gibt, an dem oder an der all dies stattfindet. Die Kausalität ist der Prozess, in dem die wirklichen Inhalte sich aufeinander beziehen, da sie außerhalb dieser Zusammenhänge auch gar nicht existieren könnten. Die Kausalität ist demnach selbstbezügliche Negativität als Trieb und Dynamik der Wirklichkeit, kann doch ihr Selbstbezug nur als Selbstalteration und Selbstveränderung vorkommen, d.h. als Negativität. So drückt sich Hegel aus: Oder weil die passive Substanz selbst das Gedoppelte ist, nämlich ein selbständiges Anderes und zugleich ein Vorausgesetztes und an sich schon mit der wirkenden Ursache Identisches, so ist das Wirken von dieser selbst ein Gedoppeltes; es ist beides in einem, das Aufheben ihres Bestimmtseins, nämlich ihrer Bedingung, oder das Aufheben der Selbständigkeit der passiven Substanz, – und dass sie ihre Identität mit derselben aufhebt, somit sich voraus oder als Anderes setzt.40
Doch in der begrifflichen Struktur der Kausalität als „voraussetzendes Tun“ liegt die Kategorie der Wechselwirkung. Dass die Kausalität als „voraussetzendes Tun“ zu denken ist, weist auf die Möglichkeit hin, einen relativen Unterschied zwischen aktiver und passiver Substanz vorzuschlagen. Die Unterscheidung ist relativ, weil die aktive Substanz zwar verursachend und die passive verursacht ist, jedoch beide Inhalte als Ergebnisse kausaler Relationen betrachtet werden müssen. Ist der Inhalt der Substanzen nun als Resultat von Kausa40
TWA 6, S. 234.
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litätsverhältnissen zu konzipieren, dann führt die Ausübung der Macht der aktiven auf die passive Substanz dazu, dass der Inhalt der letzteren alteriert und geändert wird. Aufgrund der Wärme verändert sich das Glas und durch Bewegung wird die Billardkugel alteriert, da ihre Position sich verändert. Das Sein des Passiven ist deshalb das Resultat der Macht und der Tätigkeit der aktiven Substanz. Hegel beschreibt diesen Umstand durch die Einheit von „Gesetztsein“ und „Ursprünglichkeit“: „Der passiven Substanz wird daher durch die Einwirkung einer anderen Gewalt nur ihr Recht angetan. […] Was sie als Fremdes erhält, nämlich als ein Gesetztsein bestimmt zu werden, ist ihre eigene Bestimmung.“41 Anders ausgedrückt: die passive Substanz hat Inhalt deswegen, weil sie von etwas anderem „gesetzt“ (oder verursacht) wird; „Gesetztsein“ und Inhalt fallen demnach zusammen. In dieser Hinsicht schreibt Hegel: Die passive Substanz wird also einerseits durch die aktive erhalten oder gesetzt – nämlich insofern diese sich selbst zur aufgehobenen macht –, andererseits aber ist es das Tun des Passiven selbst, mit sich zusammenzugehen und somit sich zum Ursprünglichen und zur Ursache zu machen. Das Gesetztwerden durch ein Anderes und das eigene Werden ist ein und dasselbe.42
Das heißt aber konkret: wenn die aktive Substanz ihre Macht auf die passive ausübt, reagiert letztere auf den Einfluss der ersten. Diese Reaktion oder Gegenwirkung der passiven Substanz ist eben ihre Veränderung, die aufgrund der Tat der aktiven zustande kommt. Wirkung zu sein, impliziert deswegen auch Macht und eigene Tätigkeit, denn etwas kann nur als Verursachtes, als Bewirktes oder als Wirkung hervortreten, wenn es auf die Ursache aktiv reagiert: Ohne diese Reaktion würde die Veränderung der passiven Substanz nicht vorkommen, was auch bedeutet, dass die Macht der aktiven Substanz keine konkrete Manifestation hätte. Nur wenn es eine Gegenwirkung seitens der passiven Substanz gibt, kann man sagen, dass die aktive auf diese einwirkt; die Macht der Ursache äußert sich als Reaktion und Gegenwirkung der passiven Substanz. All dies hat zur Folge, dass die aktive Substanz, indem sie auf die passive einwirkt, ihre Macht notwendigerweise auf sich selbst ausübt. Wenn die aktive auf die passive Substanz Macht und Einfluss hat, wird sie auch TWA 6, S. 235. 42 TWA 6, S. 236. 41
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dabei durch die passive beeinflusst und verändert. So kann man meiner Meinung nach die These übersetzen, dass die Kausalität als „negative Selbstbeziehung“ oder Selbstveränderung zu denken ist. Die Wechselwirkung ist somit die ursprüngliche Intelligibilitätsbedingung des Kausalitätsverhältnisses: Jene erste Ursache, welche zuerst wirkt und ihre Wirkung als Gegenwirkung in sich zurückerhält, tritt damit wieder als Ursache auf, wodurch das in der endlichen Kausalität in den schlecht-unendlichen Progress auslaufende Wirken umgebogen und zu einem in sich zurückkehrenden, einem unendlichen Wechselwirken wird.43
Mit dem Gedanken der Wechselwirkung als Intelligibilitätsbedingung der Kausalität kann nun Hegel auf die Herausforderungen und Probleme sowohl der formellen Kausalität als auch des bestimmten Kausalitätsverhältnisses antworten, was in anderen Worten heißt: sowohl die Konzeption der Kausalität des substanzontologischen Monismus als auch die These, dass alles, was es gibt, nur mechanistisch intelligibel sein kann, zu überwinden. Was die substanzontologische und monistische Kausalität betrifft, hat Hegel gezeigt, dass diese unabdingbar zur reinen Immanenz der Wirkungen führt und somit selbstwidersprüchlich ist. Außerdem stellt die Kategorie der Wechselwirkung als Bedingung für die Intelligibilität der Kausalität die Hierarchie zwischen Substanz und Akzidenz, Aktivem und Passivem, Ursprünglichkeit und Gesetztsein in Frage. Diese Hierarchie ist – zumindest nach der Lesart Hegels – dem substanzontologischen Monismus wesentlich. In diesem Monismus erscheint die Kausalität zwar als Selbstbezug, aber gleichzeitig als statisches Selbstverhältnis, denn jede Relation, Bewegung und Veränderung in der Wirklichkeit reduziert sich dabei auf die abstrakte Identität der Substanz, die als alles in sich enthaltende, basale Entität konzipiert wird. Der Selbstbezug, der sich laut Hegel mit der Wechselwirkung verbinden lässt, ist dagegen dynamisch. Es gibt nämlich keine ursprüngliche Entität oder ein Substrat, auf welche die Relationen oder Veränderungen reduziert werden, denn das Ursprüngliche überhaupt kann aufgrund der Wechselwirkung nur als „Gesetztsein“, d.h. als Gegenwirkung, Reaktion und Ergebnis der Beziehung auf das Andere gedacht werden. Die Wechselwirkung ist die allgemeine logische Form aller wirklichen 43
TWA 6, S. 237.
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Inhalte; um dies zu sagen, muss man keineswegs die These akzeptieren, dass alle wirklichen Inhalte Teile oder Attribute einer einzigen Substanz seien. Die Wechselwirkung tritt als „logische Form“ in der schon mehrmals etablierten Hinsicht auf: sie ist dasjenige, was sich in der Lebendigkeit, Bewegung und Veränderlichkeit ausdrückt, die allen spezifischen Inhalten zugrunde liegt; sie ist keine Form, die selbständig hinter oder jenseits der Inhalte existiert. Die Wechselwirkung, als Einheit von Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes verstanden, kann auch die logische Seele des Wirklichen genannt werden. Die Seele ist keine jenseits des Leibes liegende Entität, sondern die Lebendigkeit und Faktizität des Lebendigen, die sich in der Bewegung und Tätigkeit des Leibes manifestiert. Die Wechselwirkung ist deswegen Seele, weil sie die Bewegung und Tätigkeit des Wirklichen ist. Was die Ontologisierung des Mechanismus angeht, vertritt Hegel, wie gesehen, die These, dass eine absolute Verallgemeinerung des Mechanismus inkonsistent und widersprüchlich ist. Die logische Struktur des Mechanismus ist nämlich mit der Vorstellung verbunden, dass die Relationen und Verhältnisse den Dingen, der Materie, den Substraten des Kausalitätsverhältnisse äußerlich sind. Akzeptiert man diese These, dann gibt es etwas, das nicht kausal verstanden werden kann, nämlich die Substrate als logische Voraussetzungen der Relationen. Wenn man aber im Gegenteil die Ansicht verteidigt, dass doch alles kausal verstanden werden muss, sogar die Substrate der Kausalverhältnisse, dann hat die Vorstellung des Mechanismus sich selbst aufgehoben, denn dies alles bedeutet, zu sagen, dass die Kausalitätsverhältnisse den Dingen nicht äußerlich sind, wovon, wie gezeigt, der Begriff der Wechselwirkung die notwendige Konsequenz ist. Aus diesem Grund kann der Begriff des Mechanismus nicht die absolute Allgemeinheit des Logischen für sich beanspruchen, d.h. nicht alles ist auf mechanische Weise verständlich.44 So kann man übrigens Hegels Ansatz nachvollziehen, Friedrike Schick hat sogar gezeigt, dass die Kausalerklärungen nichtkausale Aussage benötigen, um Sinn zu ergeben. Wenn ich z.B. behaupte, dass das Rauchen Lungenkrebs verursacht, muss ich etwas über das Sein des Krebses und des Rauchens sagen, damit die Verbindung zwischen diesen sinnvoll ist. Die Kausalaussagen setzen demzufolge eine Art Begrifflichkeit voraus und diese verweist auf Definitionen, Beschreibungen und 44
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laut dem das Lebendige nicht auf mechanistische Weise aufgefasst werden kann: Dann hauptsächlich ist noch die unstatthafte Anwendung des Kausalitätsverhältnisses auf Verhältnisse des physich-organischen und des geistigen Lebens zu bemerken. Hier zeigt sich das, was als Ursache genannt wird, freilich von anderem Inhalt als die Wirkung, darum aber, weil das, was auf das Lebendige wirkt, von diesem selbständig bestimmt, verändert und verwandelt wird, weil das Lebendige die Ursache nicht zu ihrer Wirkung kommen lässt, d.h. sie als Ursache aufhebt.45
Dies aber führt nicht zur Abwertung der Aussagen unserer besten Wissenschaftler und auch nicht dazu, die These zu verteidigen, dass sich aufgrund der Wechselwirkung etwa mein Spaziergang oder die Bewegung eines Käfers auf die Position unseres Sonnensystems innerhalb der Milchstraße auswirken. Was Hegel vielmehr behauptet, ist, dass diese Kausalaussagen, die sogar empirisch asymmetrische oder irreversible, physische Prozesse beschreiben, nur vor dem Hintergrund der logischen Struktur der Wechselwirkung Sinn ergeben können. Z.B. beeinträchtigt zwar ein Spaziergang das Sonnensystem nicht, nichtsdestotrotz kann der erste nicht ohne das zweite gegeben sein – weshalb das Verhältnis dazwischen empirisch asymmetrisch ist –, gibt es doch beim Spazierengehen eine Wechselwirkung zwischen der Erdanziehungskraft und der meiner Beine: Jede Kraft wirkt auf das Andere, erfährt dabei die Gegenwirkung und nur so kann die Bewegung stattfinden. Auch wenn die erste Billardkugel die zweite anstößt, nimmt die Geschwindigkeit der ersten ab; die erste Kugel wird somit durch die Gegenwirkung der zweiten verändert. Die Beziehung auf Anderes ist demnach Selbstbezug. Dies alles bedeutet, dass der Selbstbezug in logischen Termini als Quelle der Bestimmung gedacht werden logische Inferenzen und Verbindungen, die nicht kausaler Natur sind. In diesem Umstand sieht Schick den Übergang von der Kausalität zum Begriff. (Vgl. Friedrike Schick, Freedom and Necessity: The Transition to the Logic of the Concept in Hegel’s Science of Logic, in: Hegel-Bulletin 35 (2014) S. 84–99.) Meine Deutung, die meiner Meinung nach mit der Interpretation Schicks nicht inkompatibel ist, hebt die Widersprüchlichkeit hervor, die dem Versuch zugrunde liegt, die mechanistische Vorstellung der Welt absolut zu verallgemeinern. 45 TWA 6, S. 227 f.
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kann.46 Die kausale Interaktion an sich ist nur vor der Kulisse dieser negativen Selbstbeziehung denkbar. Ist die Einheit von Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes die ursprüngliche logische Form der Kausalität selbst, dann sind andere Formen der Selbstbeziehung und der Selbstbestimmung wie z.B. das organische Leben und die Subjektivität wohl denkbar. Die Annahme, dass aufgrund der Kausalität die Selbstbestimmung nicht gedacht werden kann, ist folglich ein Missverständnis. Die Kausalaussagen der Naturwissenschaft sind eine legitime Art und Weise, verschiedene Aspekte der physischen Welt zu erkennen, aber das heißt nicht, dass die mechanistische Vorstellung die logisch-ontologische Struktur aller wirklichen Inhalte ausmacht. Die These, dass alles mechanistisch intelligibel ist, stellt einen philosophischen Ansatz dar, der nicht vom Erfolg der Naturwissenschaft abhängig ist – doch in dieser Arbeit ist das Verhältnis der Philosophie zur Naturwissenschaft, die sich aus der These der Wechselwirkung herleiten lässt, kein Forschungsgegenstand. Es ist vielmehr wichtiger, zwei Fragen zu beantworten: An erster Stelle muss darauf eine Antwort gefunden werden, weshalb die Wechselwirkung als Einheit von Selbstbezug und Beziehung auf Anderes mit der These verbunden ist, dass die Grundstruktur, durch die die spezifischen Inhalte intelligibel sind, in der reziproken Implikation von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit besteht. Zweitens sollte die Fragestellung beleuchtet werden, warum diese Implikation den Bereich dessen, was Hegel „Freiheit“ und „Subjektivität“ nennt, ausmacht. Die Beantwortung dieser Fragen wird uns zeigen, wie die reflexive Theorie des Absoluten bei Hegel zu verstehen ist. Aus diesem Grund muss man die Deutungen der Logik ablehnen, die die hegelsche Argumentation als Restauration des Begriffes der causa sui verstehen (z.B: Errol E. Harris, An Interpretation of the Logic of Hegel, Lanham 1983, S. 311; Bernhard Casper, Der Gottesbegriff ens causa sui, in: Philosophisches Jahrbuch 35 (1969), S. 315–331). Im Licht der Wechselwirkung wird der Gegensatz zwischen Selbstverursachung und Verursachung durch Anderes gründlich aufgehoben, weil jede Einwirkung auf das Andere als Einwirkung auf sich selbst zu denken ist. Deswegen spricht Anton F. Koch zu Recht von einer „parasitären causa sui“, d.h. als eine causa sui, die nicht absolut ist, weil sie auch als Verursachtes gedacht werden muss. (Vgl. Anton F. Koch, Die Einheit des Begriffs, in: Anton Koch, Die Evolution des logischen Raumes, a.a.O., S. 149–170, besonders 152 f.) 46
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6. Der Übergang von Substanz zum Begriff als Grundlage einer reflexiven Theorie des Absoluten Vorbemerkungen Im ganzen Kapitel über das „absolute Verhältnis“ variiert der Terminus „Substanz“ ständig zwischen zwei Bedeutungsgehalten: Einerseits das rein prozesshafte Verständnis, das unter dem paradoxen Ausdruck einer nicht substanzontologischen Auffassung derselben geprägt worden ist. Von dieser dynamischen Sicht aus ist die Substanz kein Substrat, die als ontologischer Träger der Akzidenzen fungiert, sondern ihr Erscheinungs- und Interaktionsprozess. Andererseits findet man die traditionelle Konzeption der Substanz, die für Hegel mit dem monistischen Weltbild des Spinozismus als „Ursprungsmetaphysik“1 verbunden ist. In dieser traditionellen Ansichtsweise bezieht sich die Substanz asymmetrisch auf die Akzidenzen, indem diese gegenüber dem letzteren logischen Vorrang hat. So betrachtet ist die Substanz die wahrhafte, ursprüngliche und tätige Macht, die hinter dem Schein der Akzidenzen liegt. Kurzum: In der traditionellen Auffassung unterscheidet man zwischen dem, was sich manifestiert, und dem Medium des Scheins oder der Manifestation, während in der prozesshaften Perspektive das Sich-Manifestierende mit seinem Manifestationsmedium zusammengeht und so nur sein (Er)scheinen als Geschehen ist. Diese Variation ist aber nicht willkürlich. Sie geht aus dem Inhalt der Denkbestimmungen und seiner immanenten Natur hervor. Entlang dieses Kapitels hat man schon die These vertreten, dass die logische Prozessualität, auf die die Identität und die Intelligibilität der spezifischen Inhalte zurückzuführen ist, die Bewegung und Lebendigkeit dieser Inhalte, der endlichen Sache als solche und so keiDen Terminus „Ursprungsmetaphysik“ bezeichnet für Christian Iber die asymmetrische Entgegensetzung zwischen Ursprünglichkeit und Abgeleitetem (oder „Gesetzsein) , welche bei Spinoza als Unterscheidung zwischen natura naturans und natura naturata vorkommt. (Vgl. Christian Iber, Übergang zum Begriff. Rekonstruktion der Überführung von Substantialität, Kausalität und Wechselwirkung in die Verhältnisweise des Begriffs, in: A. F. Koch, A. Oberauer und Konrad Utz (Hgg.), Der Begriff als die Wahrheit, Paderborn 2003, S. 55. Fortan: Übergang zum Begriff.) 1
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ne dahinter liegende, selbständig Struktur ist. Ich habe versucht, die Besonderheit dieses Gedankens durch verschiedene Beispiele zu veranschaulichen, die bei Hegel nicht nur bloße Analogien, sondern vielmehr reale Fälle des logischen Prozesses sind: Dasjenige, was Hegel logische Form nennt, ist dem Lebensprozess ähnlich, der als solcher kein anderes ontologisches Bestehen hat als die lebendige Interaktion der Lebewesen; sie ist ebenfalls der Seele ähnlich, die die Lebendigkeit und Beweglichkeit des Leibes ausmacht und dadurch nur als lebendige Manifestation im Letzteren existiert usw. In diesen Beispielen drückt sich der wichtige Gedanke aus, dass das Wesen (er)scheinen muss, es demnach als das Geschehen seines Erscheinens zu betrachten und keinesfalls als Substrat zu verstehen ist, das logische oder ontologische Unabhängigkeit von diesem Erscheinen genießt. Doch in jeder Stufe der Analyse der Denkbestimmungen hat sich ein Argument oder ein Grund ergeben, um das Logische erneut als etwas Asymmetrisches zu verstehen, womit wieder die traditionelle Auffassung der Substanz verteidigt wird. Hegel ist jedoch der Meinung, dass der Begriff der Wechselwirkung einen entscheidenden Wendepunkt markiert. In ihrem Licht muss die logisch-ontologische Einheit der Spezifizität oder dasjenige, was man „Substanz“ nennt, eine prozesshafte Bedeutung haben, denn jede logische Asymmetrie, die auf dieser Ebene vorgeschlagen wird, setzt die Unterscheidung zwischen Passivem und Aktivem, zwischen Ursprünglichkeit und Gesetztsein voraus. Da aber dieser Unterschied nur als Übergang-in-Anderes, als reziproke Verweisung zu denken ist, kann daraus keine logische Asymmetrie konzipiert werden. So präsentiert die Wechselwirkung eine absolute Prozessualität, aufgrund derer jede Asymmetrie zwischen der Substanz und den endlichen Sachen grundlos ist. Die Wechselwirkung zeigt, dass die begriffliche Natur der Substanz ihre eigene Manifestation und Äußerung ist, d.h. ihr Auftauchen als der Interaktionsprozess der erscheinenden, endlichen Sache. Indem man jedoch die Substanz rein prozesshaft erfassen muss und diese mit dem Actus ihrer Manifestation identisch ist, hört die Substanz auf, Substanz zu sein und wird auf diese Weise zum „Begriff“: „Hierdurch ist die Kausalität zu ihrem absoluten Begriffe zurückgekehrt und zugleich zum Begriffe selbst gekommen.“2 In diesem Kapitel möchte ich die Argumente rekonstruieren, anhand derer Hegel den Übergang von Sub2
TWA 6, S. 238.
Vorbemerkungen
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stanz zum Begriff präsentiert, und sie als immanente, logische Überwindung des Dualismus von Subjekt und Objekt deuten. Dazu beziehe ich mich sowohl auf die letzten Seite der Wesenslehre (§18) als auch auf die Einleitung zur Begriffslehre (§19).
§18. Der Weg der Wechselwirkung zum Begriff Um die These zu erläutern, dass die Kausalität zum „Begriff“ gekommen ist, rekonstruiert Hegel den zurückgelegten Weg: Sie [die Kausalität; A.P.] ist zunächst die reale Notwendigkeit, absolute Identität mit sich, so dass der Unterschied der Notwendigkeit und die in ihr sich aufeinander beziehenden Bestimmungen, Substanzen, freie Wirklichkeiten gegeneinander sind.1
Man sollte sich dabei ins Gedächtnis rufen, dass der Begriff der „realen Notwendigkeit“ darauf hinweist, dass es eine reale (oder wenn man will: materiale) Interaktion zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit gibt: jede Wirklichkeit ist ebenfalls Möglichkeit einer anderen und nur dann wirklich, wenn sie eine andere Wirklichkeit erzeugt oder hervorruft. Zwischen der realen Notwendigkeit und der Kausalität lassen sich eine Reihe von Argumenten finden, die jedoch nicht erneut rekonstruiert, noch genannt werden müssen. Hegels Punkt besteht darin, dass im Begriff der realen Notwendigkeit schon eine Unterscheidung zwischen Passivem und Aktivem vorliegt und somit zwischen dem, was wirkt und so tätig eine andere Wirklichkeit hervorbringt und dem, was verwirklicht und hervorgebracht wird. Dadurch, dass dieser Begriff von dem Unterschied zwischen Passivem und Aktivem durchdrungen ist, erscheinen die „Bestimmungen“ oder „Substanzen“, die sich aufeinander beziehen, als Entgegengesetzte. Unter Berücksichtigung der wesentlichen Verbindung zwischen der Notwendigkeit und der logischen Asymmetrie von Passivem und Aktivem kann man verstehen, inwiefern die erste bei Hegel als „absolute“ oder „innere“ Identität auftaucht. Dieser Terminus bezieht sich auf die Art und Weise, wie die Substanz im traditionellen Verständnis identisch mit sich selbst ist. Sie ist also mit dem Aktiven, dem, was die Akzidenzen hervorruft, gleichzusetzen. Nun kann man das Adjektiv „intern“ verwenden, eben weil die traditionell verstandene Substanz unabhängig von ihrer Äußerung oder Manifestation identisch mit sich ist. Zwar manifestiert sich die Substanz, indem sie die Akzidenzen erzeugt, kann jene jedoch im Licht des Begriffes der realen Notwendigkeit mit dem Manifestations1
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prozess nicht identisch sein, denn dann wäre sie nicht logisch von den Akzidenzen unterscheidbar. Indem jedoch die Wechselwirkung die Differenzierung von Passivem und Aktivem als festen Dualismus in Frage stellt, müssen auch noch der Begriff der Notwendigkeit und die ihm zugrunde liegende „innere Identität“ aufgehoben werden. In diesem Zusammenhang soll die These Hegels verstanden werden, laut der sich die Notwendigkeit aufhebt und als Freiheit erweist. Was dies betrifft, lassen sich im Abschnitt bezüglich der Wechselwirkung zwei Behauptungen hervorheben. Erstens: Die Notwendigkeit ist auf diese Weise die innere Identität; die Kausalität ist die Manifestation derselben, worin ihr Schein des substantiellen Anderssein sich aufgehoben hat und die Notwendigkeit zur Freiheit erhoben ist.2
Und zweitens: Diese Innerlichkeit oder dies Ansichsein hebt die Bewegung der Kausalität auf; damit verliert sich die Substantialität der im Verhältnisse stehenden Seiten, und die Notwendigkeit enthüllt sich. Die Notwendigkeit wird nicht dadurch zur Freiheit, dass sie verschwindet, sondern dass nur ihre noch innere Identität manifestiert wird, – eine Manifestation, welche die identische Bewegung des Unterschiedenen in sich selbst, die Reflexion des Scheins als Scheins in sich ist.3
Die Entgegensetzung von Aktivität und Passivität impliziert, dass die aktive Seite – unabhängig von der passiven – mit sich selbst identisch ist. So ist die aktive Seite mit sich identisch unabhängig von dem Actus, das Passive hervorzubringen, unabhängig von seiner Manifestation im Letzteren. Die argumentative Entwicklung des Begriffes der Kausalität zeigt jedoch, dass diese innere Identität, die unabhängig von ihrer Manifestation ist, sich als undenkbar herausstellt. Anzunehmen, es gebe eine Kraft oder Macht, die unabhängig vom Hervorrufen des Passiven ist, bedeutet mit anderen Worten, dass es eine Kraft oder eine Macht geben müsste, die mit sich identisch ist, ohne dabei Kraft und Macht zu sein. Dies ist aber widersprüchlich, denn das Aktive ist kein Substrat hinter dem Passiven, sondern nur das Passivwerden. Das Passive ist kein äußerTWA 6, S. 239. 3 Ebd. 2
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liches Medium, in dem sich das Aktive zeigt, noch ein vorausgesetztes Substrat, auf das Gewalt angewandt wird, sondern das Passive ist die einzige Art und Weise, wie das Aktive erscheinen kann und muss. Dadurch kommen wir zur These, dass die innere Identität „manifestiert wird“, dass das Ursprünglich-Aktive reine substratlose Äußerung oder Manifestation ist, und zwar auf die Art und Weise, dass dasjenige, was sich manifestiert, vom Medium der Manifestation nicht unterscheidbar ist. Die logische Ursprünglichkeit der Spezifizität fungiert nicht als eine abstrakte Identität, auf die die Unterschiede reduziert werden, noch als ein dahinterliegendes, identitäres Wesen, sondern als die immanente, aber einheitliche Bewegung der Unterschiede, oder, wie Hegel sagt, „die identische Bewegung des Unterschiedenen“.4 Dieser „identischen Bewegung des Unterschiedenen“ entspricht die Form der ständigen Selbstausdifferenzierung, nicht die der inneren Identität. Der logische Prozess, in dem alle wirklichen, spezifischen Inhalte entstehen, ist nicht anders als die Wechselwirkung der Letzteren.5 Jeder wirkliche Inhalt ist Wechselwirkung und nicht etwas, das eventuell oder punktuell in reziproken Zusammenhängen stehen kann. Damit ist der wirkliche Inhalt der logische Prozess und dieser sein Erscheinen als der erste. Der logische Prozess besteht in seiner eigenen Selbst-Pluralisierung und in seinem Sichzum-Inhalt-machen. Darauf bezieht sich Hegel mit dem Gedanken der „Reflexion des Scheins als Schein in sich“: der logische Prozess scheint als Inhalt, aber indem er dies macht, scheint er „in sich“, denn der Inhalt ist kein äußerliches Medium noch tote Materie, die eine von außen gebrachte, externe Form erlangt. Da der Inhalt nichts Anderes als Wechselwirkung ist, stellt der Inhalt die Verwirklichung und Manifestation der Form, des logischen Prozesses dar TWA 6, S. 239. Diesbezüglich merkt Anton Koch an, dass im Gedanken der Wechselwirkung eine „konkrete Einheit“ zwischen Operation, Operandum und Resultat besteht. (Anton F. Koch, Sein-Wesen-Begriff, in: Anton F. Koch, Die Evolution des logischen Raumes, a.a.O., S. 133–148, besonders S. 147.) „Operation“ ist in diesem Zusammenhang der logische Prozess der Wechselwirkung als solcher, „Operandum“ bezeichnet dasjenige, worauf die Wechselwirkung angewandt wird, nämlich die spezifischen Inhalte, während „Resultat“ auf die Tatsache verweist, dass jeder spezifische Inhalt als Wechselwirkung zu verstehen ist. Diese drei Momente müssen einheitlich gedacht werden. 4 5
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und jene unterscheidet sich nicht von der immanenten Bewegung des Inhaltes. Auf diese Weise ist die Selbstausdifferenzierung, die Beweglichkeit und die Prozesshaftigkeit die radikale, logische Intelligibilitätsbedingung der Notwendigkeit. Indem man jedoch akzeptiert, dass die Notwendigkeit auf der Selbstausdifferenzierung basiert, geht – so Hegel – die Notwendigkeit in die Freiheit über.6 Dieser Gedanke ist aber prima facie nicht deutlich, denn der hier genannte Freiheitsbegriff scheint seltsam in Bezug auf die gewöhnliche Verwendung dieses Wortes zu sein. Wieso geht aus der These, die logische Form sei substratlose Manifestation, die Freiheit hervor? Um den Übergang richtig zu erfassen, muss man versuchen, der Auffassung der logischen Form als substratlose Manifestation einen geeigneten Begriff der Freiheit abzugewinnen. In sehr abstrakter Hinsicht kann man dabei „Freiheit“ als die Überwindung des der realen Notwendigkeit zugrundeliegenden Dualismus erfassen. „Freiheit“ bezeichnet den Umstand, dass die logische Form reine immanente Selbstausdifferenzierung ist, d.h. die Tatsache, dass sie kein dem Inhalt entgegengesetztes Schema darstellt, sondern die Lebendigkeit und Beweglichkeit, die in der Wechselwirkung alles Seienden vorkommt. Die logische Form (oder der Prozess) ist deswegen frei, weil es keinen ihr äußerlichen Inhalt gibt. Sie ist auch in der Masse frei, da die Innerlichkeit ihrer Äußerung und Manifestation nicht entgegengesetzt ist: Die logische Form hat nur in ihrem Erscheinen als Inhalt ontologisches Bestehen. Freiheit bedeutet demzufolge die prozesshafte Identität der logischen Form mit sich, die Versöhnung der Beziehung auf sich mit der Beziehung auf Anderes.7 So resümiert Christian Iber diesen Gedanken: „Mit dem Paradigmenwechsel von der Wechselwirkung zum Begriff der Wechselwirkung und zum Begriff des Begriffs ist die objektive Logik an ihr Ende gekommen, die Substanz vollendet und als absolute restituiert, aber in dem Sinne, dass sie darin nicht mehr substantial, sondern relational und prozessual als ‚absolute Form‘ zu denken ist.“ (Übergang zum Begriff, a.a.O., S. 64.) 7 Zum Begriff der Freiheit in dieser Hinsicht vgl. William Maker, Hegel’s Logic of Freedom, in: David Gray Carlson (Hg.), Hegel’s Theory of the Subject, New York 2005, S. 1–18. Ähnlich argumentiert Ralf Beuthan, der die Freiheit als diejenige Sphäre definiert, „in der keine Alteritätsstruktur mehr als unüberwindbare Fremdbestimmung figurieren kann“, da die 6
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Doch diese Bedeutung des Terminus „Freiheit“ stellt noch nicht die Verbindung der Wechselwirkung mit der Subjektivität klar. Gewiss handelt es sich bei diesem Übergang um einen hochproblematischen Abschnitt der Logik. Die Literatur hat schon darüber Auskunft gegeben. Z.B. hat Klaus Düsing in seinem berühmten Buch Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik behauptet, dass die in der Wechselwirkung implizierte Freiheit der logischen Form nicht unbedingt zur Subjektivität führen müsse.8 Denn die Freiheit der logischen Form sei eine ontologische oder existierende Selbstbeziehung, während die Subjektivität eine denkende darstelle.9 Düsing „Selbstbestimmung der Wirklichkeit“ eine „differenzierende Prozessualität darstellt“, wobei „die darin entfaltete Identitätsstruktur so auch als ein Maximum an Alteritätsstruktur“ erscheint. (Ralf Beuthan, Wirkliche Freiheit. Hegels wesenslogischer Freiheitsbegriff, in: A. F. Koch, F. Schick, Klaus Vieweg, Claudia Wirsing (Hgg.), Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik, Hamburg 2014, S. 205.) 8 Man muss jedenfalls zugeben, dass die Schwierigkeit, auf die sich Düsing bezieht, auch in anderen Beiträgen der Literatur gefunden werden kann. Z.B. ist die Transition zwischen ontologischer und selbstwissender Freiheit in der Rekonstruktion von Michael Wladika nicht deutlich. Er behauptet dazu: „Die Subjektivität des Begriffs, die wissende Selbstbeziehung der Subjektivität des Begriffs fehlt der ganzen objektiven Logik; sie entsteht in der Wechselwirkung: Hier kommt die Substanz, die nicht mehr als Substanz ist, sich selbst negierende somit, in ihrem Anderen – der Substanz nämlich, die ebensosehr nicht mehr als Substanz ist – bei sich an.“ (Michael Wladika, Der Schritt vom Wesen zum Begriff. Erläuterungen zu dem Kapitel ‚Das absolute Verhältnis‘ in Hegels Wissenschaft der Logik, in: Marx Gottschlich, Michael Wladika (Hgg.), Dialektische Logik, Würzburg 2005, S. 125.) Dies bedeutet, dass die Differenzierung, die auf den ersten Blick der Substanz äußerlich war, doch in dieser vorhanden ist. Demnach komme die Substanz wieder bei sich an, aber nicht nur als Identität, sondern auch als Differenzierung. Dies ist, im Grunde genommen, relativ richtig, doch das von Düsing erwähnte Problem bleibt dabei bestehen. 9 Eine mögliche Deutung dieses Übergangs zwischen seiendem und denkendem Selbstverhältnis besteht darin, zu behaupten, dass der Begriff der Notwendigkeit eine „bewusste Setzung freier Individuen“ verlangt, um gedacht zu werden, d.h. „wenn Setzungen als Setzungen erkannt werden und zum Ausgang genommen werden, wenn wir etwas bestimmen.“ (Dina Emundts, Die Lehre vom Wesen. Dritter Abschnitt. Die Wirklichkeit, in: Michael Quante, Nadine Moore (Hgg.), Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik, Hamburg 2018, S. 447.) Diese transzendental-
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selbst löst das Problem nicht auf und vertritt diesbezüglich die These, im Übergang lasse sich der „ontotheologische“ Charakter von Hegels Philosophie betrachten. Dies deutet darauf hin, dass die philosophischen Gedanken bezüglich der logischen Form – die gewissermaßen ontologisch sind – ebenfalls Gedanken über Gott seien. Doch sich in diesem Zusammenhang auf den ontotheologischen Charakter von Hegels Philosophie zu berufen, scheint anzudeuten, Hegel behaupte, dass der spinozistischen Substanz Freiheit und Subjektivität zukommen muss, d.h., dass Gott auch Denken ist, das mit dem Denkenden und dem Gedachten koinzidiert. Damit wird der klassische Gottesbegriff als νόησις νοήσεως10 oder absolutes, unveränderliches sich-denkendes-Denken11 restauriert und der mögliche Atheismus innerhalb Spinozas Philosophie korrigiert: Da Hegel ferner Spinoza gegen den Vorwurf des Atheismus verteidigt und da er Gott ebenfalls als Substanz, wenn auch nicht nur als Substanz, sondern zugleich als Subjektivität denkt, hat für ihn der Begriff oder die Subjektivität die Bedeutung des höchsten Seienden und alles Seienden. Hegels logische Subjektivitätstheorie, die seinem Anspruch nach den Spinozismus in sich aufgehoben hat, ist deshalb Metaphysik, und zwar speziell Ontotheologie.12
Es scheint mir jedoch, dass diese Deutung fragwürdig ist. Die Aufhebung des Dualismus zwischen Aktivem und Passivem hat nämphilosophische Interpretation dieser Passage möchte ich hier ablehnen, um den Ansatz einer reflexiven Theorie des Absoluten zu verteidigen, in der sowohl das „seiende Selbstverhältnis“ als auch das „denkende Selbstverhältnis“ strukturidentisch sind, wobei der Gedanke des Absoluten im Absoluten selbst inkludiert wird. 10 Dazu auch: Klaus Düsing, Noesis Noeseos und absoluter Geist in Hegels Bestimmung der „Philosophie“, in: Hans-Christian Lucas, Burkhard Tuschling und Ulrich Vogel (Hgg.), Hegels enzyklopädisches System der Philosophie. Von der „Wissenschaft der Logik“ zur Philosophie des absoluten Geistes, Stuttgart 2004, S. 443–458; ders., Idealistische Substanzmetaphysik. Probleme der Systementwicklung bei Schelling und Hegel in Jena, in: Dieter Henrich und Klaus Düsing (Hgg.), Hegel in Jena, Bonn 1980, S. 25–244, besonders S. 43. 11 Vgl. Klaus Düsing, Subjektivität und Freiheit, Stuttgart/Bad Cannstatt 2013, S. 173. 12 Klaus Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzips des Idealismus und zur Dialektik, Hamburg 1995, S. 232.
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lich zur Folge, dass sich das Denken nicht auf die Kategorie der Substanz berufen kann, welche als das „höchste Seiende“ oder die oberste Entität logischen Vorrang gegenüber allem Seienden und allen Akzidenzen besitzt. Die logische Form ist aber keine Entität, sondern das Geschehen und der Prozess seiner Manifestation als konkreter, wirklicher Inhalt. Kurzum: Die Art und Weise, wie Düsing den Übergang von Substanz zum Subjekt rekonstruiert, wird der Tatsache nicht gerecht, dass die Identität der logischen Form keine „innere“ ist, sondern nur als Äußerung aufgefasst werden sollte. Es geht keineswegs darum, der klassischen Konzeption der Substanz (verstanden als letztes ontologisches Substrat von allem Seienden) subjektive Bestimmungen beizulegen oder hinzuzufügen und darin den klassischen Gottesbegriff als Subjektivität zu sehen. Es ist nicht so, dass die spinozistische Substanz gleichzeitig Subjekt oder das Selbstdenken Gottes ist. Vielmehr impliziert die Überwindung des Dualismus zwischen Aktivität und Passivität oder zwischen Ursprünglichkeit und Gesetztsein solch eine immanente Umstellung und Umgestaltung am Begriff der Substanz, dass dieser alle innere und substanzontologische Konnotation verliert und eine bloß prozesshafte Bedeutung gewinnt, indem sie (die Substanz) nicht anders als ihre Äußerung und Manifestation in den spezifischen wirklichen Inhalten der vorhandenen Wechselwirkung ist.13 Wir sind demnach keinesfalls mit einer ursprünglichen Entität konfrontiert, die auch noch eine subjektive oder denkende Bestimmung hat (wie es der Fall bei der klassischen Gottesvorstellung ist), sondern mit einer immanenten, begrifflich gerechtfertigten Veränderung der Substanzkategorie, laut der die Totalität keine Entität, sondern ein Prozess und Bewegung ist. Natürlich wird in der Aufhebung und Umstellung der Substanzkategorie die Frage nach der Ähnlich argumentiert Houlgate: „With this Identity of positing and posited being, we move from the sphere of essence into a new realm of being: that of the concept. In essence, positedness itself makes positing possible, but it also points back to such positing: expression points back to the force that expresses itself, the accidents point back to their indwelling substance and of course the effect points back to its cause […] The concept, therefore, is not that to which different determinations point back, but that which is what it is in and as those differences alone.“ (Stephen Houlgate, Why Hegel’s Concept Is Not The Essence of Things, in: David Gray Carlson (Hg.), Hegel’s Theory of the Subject, New York 2005, S. 23 f.) 13
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logischen Totalität konserviert, auf welche der klassische substanzontologische Monismus zu antworten versucht. Aber im Licht der Überwindung des Dualismus zwischen Aktivität und Passivität unterscheidet sich die Totalität nicht von der Wechselwirkung der spezifischen Inhalte, wobei das Ganze keine Menge, keine oberste Entität oder Substrat ist, die als ontologische Träger der Akzidenzen die Teile in sich subsumieren oder enthalten und deswegen von diesen logisch differenzierbar sind. Dagegen ist hier die Totalität die Seele, die sich in der Wechselwirkung der Teile ausdrückt; eine Seele, die, wie schon gesagt, kein anderes ontologisches Bestehen als diese Interaktion hat. Die Totalität hat nur insofern Existenz und Bestehen, als sie sich zum Teil macht. Das Ganze ist nur sein Sich-zum-Teil-Machen. Diese neue Konzeption der Totalität, die sich definitiv aus der Wechselwirkung ergibt, ist auch auf eine neue Auffassung der Ursprünglichkeit und des Gesetztseins bezogen. Das Verhältnis dieser Termini ist nicht asymmetrisch, sondern „reflektierend“ in hegelscher Hinsicht: Das Ursprüngliche ist nicht unabhängig von seiner Manifestation in dem, was aus ihm hervorgeht, sondern hat nur in dieser Äußerung Bestehen. Das Ursprüngliche erscheint als das, was aus ihm hervorgeht und differenziert sich nicht von diesem Erscheinen. Unmittelbare Folge dieser reflektierenden Relation von Ursprünglichkeit und Gesetzsein ist nun das dialektische Verhältnis der Allgemeinheit zur Einzelheit, welches dasjenige, was Hegel „Begriff“ nennt, konstituiert. Das vorherige Ursprüngliche tritt nun als das Allgemeine auf und die Einzelheit nimmt ihrerseits den Platz des Gesetztseins ein. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass die Termini bloß ersetzt werden. Hierin ist vielmehr eine immanente Deduktion zu finden, in der die Überwindung der Entgegensetzung der Ursprünglichkeit zum Gesetztsein als dialektisches Verhältnis zwischen Allgemeinheit und Einzelheit präsentiert. Das Ursprüngliche ist der logische Prozess. Er ist allgemein und somit Quelle der Spezifizität überhaupt. Er ist aber nicht anders als die Wechselwirkung und die immanente Lebendigkeit, die die endlichen Sachen bewohnen. Deswegen besteht die Allgemeinheit der ursprünglichen, logischen Prozessualität in ihrer Manifestation als endliche Sache; besteht mit anderen Worten in ihrer Vereinzelung. Da der spezifische Inhalt seine Interaktion mit anderen ist, sollte man ebenfalls hinzufügen, dass die Einzelheit und Spezifizität der endlichen Sache nicht der Allgemeinheit ent-
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gegengesetzt sind, weil sie nur in letzterer entstehen können. So behauptet Hegel: Die absolute Substanz, als absolute Form sich von sich unterscheidend, stößt sich nicht mehr als Notwendigkeit von sich ab, noch fällt sie als Zufälligkeit in gleichgültige, sich äußerliche Substanzen auseinander […].14
Weder die Notwendigkeit noch die Zufälligkeit tauchen als definitive Begriffe auf, wenn es um die Auffassung der absoluten Form geht, da beide Termini die Entgegensetzung der Ursprünglichkeit zum Gesetztsein voraussetzen. Im Gegensatz dazu ist in der Wechselwirkung die Aufhebung dieser Entgegensetzung vorhanden und somit das dialektische Verhältnis von Allgemeinheit und Einzelheit. Daher sagt Hegel, die absolute Form […] unterscheidet sich einerseits in die Totalität, welche – die vorhin passive Substanz – Ursprüngliches ist als die Reflexion aus der Bestimmtheit in sich, als einfaches Ganzes, das sein Gesetztsein in sich selbst enthält und als identisch darin mit sich gesetzt ist: das Allgemeine, – andererseits in die Totalität – die vorhin ursächliche Substanz – als in die Reflexion ebenso aus der Bestimmtheit in sich zur negativen Bestimmtheit, welche so als die mit sich identische Bestimmtheit ebenfalls das Ganze, aber als die mit sich identische Negativität gesetzt ist: das Einzelne.15
Es sei auf den ersten Blick unverständlich, inwiefern die passive Substanz mit der Allgemeinheit und die aktive mit der Einzelheit zu identifizieren ist, wie Klaus J. Schmidt behauptet hat.16 Jene Identifizierung gibt es aber in Hegels Argument nicht, weil sowohl die aktive Substanz als auch die passive in der Bewegung der Wechselwirkung aufgehoben worden sind.17 Präziser ist es demnach, anTWA 6, S. 240. Ebd. 16 Vgl. Klaus J. Schmidt, G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik – Die Lehre vom Wesen, Paderborn 1997, S. 229. 17 Dies übersieht Claudia Bickmann, indem sie den Begriff des Begriffs mit der Kraft der aktiven Substanz identifiziert: „Aktive Substanz und Begriff des Begriffs konvergieren somit in ihrem Gehalt: als sich in Freiheit setzende und verstehende Substanz sowie als Prinzip ‚Sich-Bestimmen‘ und ‚Sich-Setzen‘“ (Claudia Bickmann, Der Begriff als Wahrheit der Substanz? In: Hegel-Jahrbuch 2016, S. 146). Es ist natürlich richtig zu behaupten, dass der 14 15
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zumerken, dass das Allgemeine nicht aus der passiven Substanz als solcher abgeleitet wird, sondern aus der logischen Umgestaltung des Begriffes der Ursprünglichkeit, d.h. aus der Tatsache, dass die passive Substanz selbst aktiv ist. Wie gesehen, hat man bewiesen, dass diejenigen begrifflichen Bestimmungen, die ausschließlich zur aktiven Substanz gehören, nur als logische Eigenschaften des Passiven zu erfassen sind. Es ist mit anderen Worten gezeigt worden, dass die Identität, die Bestimmung und der Inhalt nur aufgrund des Leidens entstehen können und diesem nicht vorangehen. Diesem Gedanken hat man die notwendige Verbindung von „Ursprünglichkeit“ und „Gesetztsein“ abgewonnen, d.h. die Einheit des Ganzen und seiner Äußerung als Teil(e). Das Ursprüngliche erweist sich in diesem Zusammenhang, wie Hegel sagt, „als einfaches Ganzes, das sein Gesetztsein in sich selbst enthält und als identisch darin mit sich gesetzt ist“.18 Das Ursprüngliche ist demjenigen, was von ihm etabliert oder gesetzt wird (dem Gesetztsein also) nicht entgegengesetzt, sondern seine Ursprünglichkeit liegt eben darin, dass es sich manifestiert als dasjenige, was aus ihm hervorgeht und identisch mit diesem Manifestationsgeschehen ist. Das Allgemeine ist demzufolge der Name für das Ursprüngliche, das nur als Äußerung und substratlose Manifestation als Gesetztsein zu denken ist. Dasselbe gilt für die Einzelheit. Sie entsteht nicht gerade aus der aktiven Substanz, sondern aus der Tatsache, dass ihr Passivität zukommen muss. Die aktive Substanz muss zur passiven werden, weil ihre Tätigkeit die Gegenwirkung seitens der passiven Substanz hervorbringt. Die aktive Substanz ist somit nur als dieses Passivwerden zu erfassen. Dies verdeutlicht die immanente begriffliche Veränderung der Art der Identität, die der Totalität entspricht. Ist die aktive Substanz eben aktiv, weil sie sich zur passiven macht, dann gewinnt sie ihre Identität durch ihre eigene Negation. Das Ganze, der loBegriff nicht nur den Bereich des subjektiven Denkens umfasst, sondern auch die „wesensbestimmende Allgemeinheit“ (S. 146). Doch es muss klargestellt werden, dass diese Allgemeinheit, die jedem spezifischen Inhalt überhaupt zugrunde liegt, nicht die logische Form der substanzontologischen Substanz oder des Substrats hat, sondern die des Prozesses und der Relationalität. Die Rede von der „aktiven Substanz“ setzt eben voraus, dass es eine passive Substanz gibt, die der aktiven entgegengesetzt ist, was, wie Hegel selbst behauptet, die Selbstzerstörung des Anspruchs der Substanz als Totalität des Logischen ausmacht. 18 TWA 6, S. 240.
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gische Prozess ist durch ihre Negation mit sich identisch und kann nur als „mit sich identische Negativität“ gedacht werden. Auf diese Weise ist das Einzelne, der spezifische Inhalt und die endliche Sache nicht dem Ganzen entgegengesetzt, noch werden diese unter ihm subsumiert oder von ihm erfasst, so wie eine Menge ihre Elemente enthält, sondern die endliche Sache ist selbst die Totalität. Letztere ist nämlich nichts Anderes als ihr Ausdifferenzierungsprozess. Zusammenfassend: Der Wechselwirkung ist ein neuer Begriff des Ursprünglichen abzugewinnen, das nicht der endlichen Sache entgegengesetzt ist; dieser neue Begriff des Ursprünglichen ist das Allgemeine. Das Konzept der Wechselwirkung führt auch zu einem neuen Begriff des „Gesetztseins“ bzw. der endlichen Sache oder des spezifischen Inhaltes, welcher sich dem Ursprünglichen nicht gegenüberstellt: das Einzelne. Obwohl aber diese Deduktionsverfahren unterschiedlich rekonstruiert werden können, machen sie ein und dieselbe Bewegung aus: „Unmittelbar aber, weil das Allgemeine nur identisch mit sich ist, indem es die Bestimmtheit als aufgehoben in sich enthält, also das Negative als Negatives ist, ist es dieselbe Negativität, welche die Einzelheit ist; – und die Einzelheit, weil sie ebenso das bestimmte Bestimmte, das Negative als Negatives, ist sie unmittelbar dieselbe Identität, welche die Allgemeinheit ist.“19 Das Allgemeine ist deswegen allgemein, weil es sich als Einzelnes manifestiert und als solches erscheint; die Allgemeinheit des Allgemeinen liegt in seiner Vereinzelung. Deshalb ist das Einzelne selbst die Erscheinung des Allgemeinen. Im ersten Kapitel dieser Arbeit hat man schon die Bedeutung dieser reziproken Implikation von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit erörtert. Um dies alles ins Gedächtnis zu rufen, soll an dieser Stelle erneut dieser Gedankengang durch ein Beispiel kurz dargestellt werden. Nehmen wir den folgenden Satz: „Roberts blaue Schere liegt auf dem Tisch“. Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass die Wörter und die Begriffe ein Hindernis dafür seien, die wirkliche Einzelheit dieses Gegenstandes richtig und auf gerechte Weise zu erfassen. Indem ich diesen Gegenstand „Schere“ nenne, baue ich die Singularität des Gegenstandes ab, um sie durch eine abstrakte Allgemeinheit zu ersetzen. Was aber wirklich dabei vorkommt, wenn man den Fall eingehend genauer betrachtet, ist, dass das All19
TWA 6, S. 240.
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gemeine es gestattet, die eigene Singularität des Gegenstandes hervorzuheben und zu affirmieren. Der Gegenstand, das, was er ist, ist eine Allgemeinheit: es handelt sich um eine Schere. Es ist nicht so, dass der Gegenstand ein unbestimmtes Substrat ist (oder ein Dieses), welches die Eigenschaft trägt, Schere zu sein. Vielmehr ist der Gegenstand überhaupt als etwas intelligibel, weil er schon als Allgemeinheit erscheint. Auch wenn man z.B. behauptet, die Schere sei z.B. Materie, welche die Form der Schere in sich besitzt, ist die Materie als solche eine Allgemeinheit. Die Individuation beim Referieren besteht nicht in dem Anzeigen eines logischen Atoms, sondern in der Konstitution der Einzelheit durch Universalisierung. Doch die Schere, auf die man sich in dem oben genannten Beispiel bezieht, „hat“ mehrere Eigenschaften, sie ist nämlich blau, gehört Robert, liegt auf dem Tisch usw. Diese Beschreibungen sind in Hegels Augen aber nicht so zu interpretieren, dass die Schere Träger weiterer Eigenschaften sei. Blau, auf dem Tisch liegen, jemandem gehören usw. sind vielmehr Ausdruck der besonderen Seinsweise der Schere. Das Allgemeine ist demzufolge unbedingt auf eine besondere Art und Weise und impliziert folglich die Besonderheit in sich: Scheren müssen immer eine Farbe haben, einen bestimmten Platz einnehmen usf. Die Allgemeinheit kann demnach nur als die Bewegung ihrer Besonderung oder Partikularisierung erfasst werden. Das Allgemeine, das jedoch auf eine besondere Art und Weise ist, macht die Einzelheit aus. Die Unterscheidbarkeit und somit die Singularität setzen die zur Besonderheit werdende Allgemeinheit voraus. Das Allgemeine ist bei Hegel dann weder eine abstrakte Definition noch eine transzendente Welt von Begriffen, die hinter den besonderen Wesen steht, sondern vielmehr das Medium, in dem die Einzelheiten stattfinden und gedacht werden können. Doch diese Art und Weise, wie die Individuation vorkommt, findet nicht nur beim Referieren statt, sondern sollte eher als wirklicher Individuationsprozess betrachtet werden. Die Menschen sind beispielsweise individuell irreduzibel, weil sie ihre Individualität und Singularität innerhalb allgemeiner Institutionen aufbauen und vertiefen. Allgemeine und verallgemeinernde Institutionen wie das Recht, die Erziehung, die Sprache oder die Berufe sind kein Hindernis für das Individuum, sondern stellen vielmehr die Bedingung der Möglichkeit dar, dass man als singuläres Individuum entstehen kann. So ist ein Mensch eine Allgemeinheit: er erscheint als Mensch. „Mensch“ bezeichnet jedoch keine abstrakte Allgemeinheit, an der
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die einzelnen Menschen teilhaben, noch eine gemeinsame Eigenschaft oder ein Charakteristikum, die in jedem individuellen Menschen vorhanden sind, sondern das Menschsein ist als Allgemeinheit immer auf eine besondere Art und Weise gegeben und insofern besteht auch die Menschheit darin, sich auf neue und besondere Weisen ständig weiter zu entfalten. Wenn ein Mensch z.B. Musiker, Philosoph oder Bauer ist, sind diese Berufe keine bloßen oder zufälligen Eigenschaften eines Substrates, sondern vielmehr besondere Modi, die Menschheit zu entwickeln. Die Allgemeinheit „Menschheit“ existiert deswegen nur in diesen Modi, in ihrer Selbstentfaltung als Partikularisierung, d.h., indem sie sich in diesen besonderen Entwicklungsweisen (als Kunst, Philosophie, Landwirtschaft, Sprache, Politik usw.) ausdrückt und manifestiert. Ein Mensch kann nur auf eine besondere Art und Weise Mensch sein, seine Allgemeinheit ist das zur Besonderheit werdende Allgemeine. Aber auch wenn ein Mensch außergewöhnlicher und einzigartiger Musiker, Philosoph, Bauer, Politiker usf. ist, besteht diese Einmaligkeit in einem allgemeinen Beitrag zur Gattung. Die Einzelheit des Individuums erscheint unbedingt als die durch die Besonderheit vermittelte Bewegung der Universalisierung des Einzelnen und die Vereinzelung des Allgemeinen. Mit Rücksicht darauf kann man viel präziser verstehen, was für ein Verhältnis zwischen der Wechselwirkung und der Sphäre der Subjektivität vorhanden ist. Damit sieht man, wie Hegel in dieser Stelle der Logik eine reflexive Theorie des Absoluten darstellt. Hegels Punkt ist, dass dieses Hin- und Herwechseln des Allgemeinen und des Einzelnen, welches das Ergebnis der Wechselwirkung als solche charakterisiert, nicht nur die Spezifizität jedes einzelnen Inhaltes überhaupt konstituiert, sondern auch den sui generis Aspekt und die radikale Würde der Subjektivität, d.h. die Unmöglichkeit zeigt, dass diese als bloß endliches Ding unter anderen betrachtet wird. In den verschiedenen Operationen des subjektiven Begreifens ist nämlich dieses dialektische Verhältnis zwischen Allgemeinheit und Einzelheit impliziert, denn sich einen Begriff von den Dingen zu machen bedeutet, das Einzelne in seiner Singularität durch die Universalisierung erscheinen zu lassen. Wenn das so ist, dann ist unsere Denktätigkeit nicht nur ein bloß spezifischer Inhalt, der aufgrund der logischen Form seinen Gehalt gewinnt, sondern erscheint notwendigerweise als das Selbstbewusstsein, Selbstkenntnis oder Selbstwissen dieser logischen Form. Das Denken und die Sub-
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jektivität sind die sich wissende, logische Form und nicht nur ein Fall davon wie der Rest der anderen spezifischen Inhalte.20 Unsere subjektive Reflexion kommt hierdurch mit der Reflexion und der Bewegung der logischen Form zusammen. Der Gedanke des Absoluten ist somit im Absoluten selbst inkludiert, und zwar auf konsistente Weise. In den vorherigen Stufen der logischen Entwicklung war dies nicht ganz der Fall. Betrachten wir eben den Fall der Kausalität. Zwar könnte man ja etwa sagen: da unser Denken fähig ist, die Kausalität zu erfassen, wären wir die selbstbewusste oder sich-wissende Kausalität. Allerdings ist solch eine Behauptung irreführend, da das Verhältnis zwischen dem subjektiven Denken und der Kausalität nicht mit dem Zusammenhang zwischen diesem Denken und dem Begriff gleichzusetzen ist. Im Fall der Kausalität werden die Gedanken, die diese konzipieren, diskursiv artikulieren und intelligibel machen, nicht auf kausale Weise erzeugt, noch verbunden. Ihre Verknüpfung ist nicht kausal, sondern logisch. Der Gedanke, dass aus der Ursache eine Wirkung folgen muss, erscheint als Schlussfolgerung und nicht als Kausalitätsverhältnis. Es ist nicht so, dass der Begriff der Ursache auf unseren Geist oder unser Denken kausalen Einfluss hat und so das Konzept der Wirkung urMeiner Meinung nach hat James Kreines in seiner Rekonstruktion des Übergangs von Substanz zum Begriff dieses radikale Charakteristikum der Subjektivität ignoriert. (Vgl. James Kreines, Spinoza, Kant and the Transition to Hegel’s Subjectiv Logic, in: Hegel Bulletin 40, S. 1–28.) Er verteidigt nämlich die These, dass der Übergang von Substanz zum Begriff eine Wende in der „Metaphysik der Erklärung“ darstelle. Unter „Metaphysik der Erklärung“ versteht Kreines die philosophische Darstellung der Begriffe von Explanans und Explanandum. In der Sphäre der Substanz, so Kreines, sei das Explanans überhaupt die Substanz, konzipiert als ens necessarium, als aktive Kraft und Bewegung, welche sich den Akzidenzien gegenüberstellt. Im Bereich des Begriffs dagegen sei das Explanans nur als Selbstbestimmung zu denken. Diese Dimension der „Metaphysik der Erklärung“ habe ich zum Ausdruck gebracht, und zwar anhand der These, dass das Explanans dem Explanandum nicht entgegengesetzt ist, sondern als das selbstbestimmende und prozesshafte Erscheinen des Zweiten betrachtet werden muss. Hegel bietet demzufolge eine nicht-asymmetrische „Metaphysik der Erklärung“, die, wie Kreines richtig anmerkt, das Bild eines notwendigen Wesens aufhebt. Doch in seiner Exposition vergisst Kreines die Darstellung des Begriffs als Verhältnis zwischen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, welches in der Subjektivität als sich-wissendes und sich-erkennendes Verhältnis vorkommt. 20
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sächlich erzeugt, wie die Wärme das Zersplittern des Glases verursacht. Aus diesem Grund besteht im Fall der Kausalität ein Unterschied zwischen der Art und Weise, wie diese sozusagen in der Welt vorkommt und dem Modus, wie unser Denken sie bedenkt und intelligibel macht. Deswegen verschwindet die „äußere Reflexion“ nicht ganz und tritt wieder, wie gesehen, beim Begriff des bestimmten Kausalitätsverhältnisses auf. Aus diesem Grund ist die Kausalität eine inkonsistente Auffassung des Absoluten. Das ist im Fall des Begriffs anders, denn die Art und Wiese, wie wir die logische Form begreifen, koinzidiert mit dem Modus, wie sie objektiv operiert und stattfindet. Deswegen ist unser Denken die sich-wissende logische Form und der Gedanke, der diese logische Form betrachtet und definiert, ist darin inkludiert. In der Rekonstruktion der im Vorbegriff enthaltenen Metaphysikkritik wurde darauf hingewiesen, dass die vorkritischen, metaphysischen Philosophien deshalb dialektisch inkonsistent seien, weil sie ihre eigene operative Voraussetzung nicht explizit thematisiert hätten; diese operative Voraussetzungen waren das subjektive Denken und seine Objektivitätsfähigkeit. Diese These lässt sich nun in den Termini der Wissenschaft der Logik zum Ausdruck bringen: In der vorkritischen Metaphysik erscheint das subjektive Denken, welches das Absolute bedenkt, als eine diesem „äußere Reflexion“. Laut Hegel ist das vor allem der Fall in Spinozas Werken, allerdings kann man diese Argumentationsweise in allem mit der vorkritischen Tradition assoziierten naiven Denken vorfinden, das seine Beziehung zum Absoluten nicht zur Diskussion stellt. Wenn jedoch die Art und Weise, wie die logische Form tätig ist, und die Manier, wie wir sie bedenken und diskursiv artikulieren, zusammenfallen, dann ist das Problem der vormaligen Metaphysik grundsätzlich überwunden. Die logische Form ist zwar absolut, aber deren Absolutheit ist nicht vorkritischer Natur. Diese Form ist absolut, weil sie die Seele ist, die sich in der Wechselwirkung aller endlichen und wirklichen Sachen ausdrückt. Doch der sui generis spontane Charakter des Denkens, der als das philosophische Legat der kritischen, kantischen Tradition zu betrachten ist, ist im begrifflichen Gehalt der absoluten, logischen Form notwendigerweise enthalten. Indem man die logische Form als absolut betrachtet, konzipiert man sie nicht nur als einen Gegenstand des Denkens, sondern wird gleichzeitig auch das subjektive Denken, welches diese bedenkt, in seiner Radikalität sichtbar und geht so mit dem Absoluten selbst zusammen. Die lo-
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gische Form ist nicht nur das Absolute, sondern auch das reflexive Absolute.21 Dies ist nicht so zu verstehen, als ob die logische Form und das Denken ein und derselbe Gegenstand wären, noch so, als gebe es nur eine strukturelle Analogie zwischen den beiden.22 Die logische Anton Koch differenziert zwischen „dem Begriff im logischen Raum und dem Begriff als logischem Raum“ (Anton F. Koch, Subjektivität und Objektivität: Die Unterscheidung des Begriffs, in: Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik, a.a.O., S. 209–222, besonders S. 213.) Der Begriff im logischen Raum ist die Subjektivität, die begreifende Tätigkeit. Der Begriff als logischer Raum ist der logische Raum als Ganzes, das über die Subjektivität hinausgeht, da er das „wahrhaft Seiende“ oder den relationale „Ideenkosmos“ darstellt (Ebd., S. 214). Ich bin zwar mit dieser Differenzierung einverstanden, aber es scheint mir, dass dieser Unterschied in einer reflexiven Theorie des Absoluten aufgehoben werden muss. Diesbezüglich behauptet Koch nur, dass die begreifende Tätigkeit des Subjekts die Struktur des Wirklichen erfasst, weil dieses subjektive Tun als „konservative Projektion“ zu verstehen ist. Das bedeutet, dass die subjektive Reflexion etwas ins Reale projiziert, aber das Projizierte war schon in der Wirklichkeit vorhanden. Das reicht aber nicht, um Hegels reflexive Theorie des Absoluten genau zu rekonstruieren. Dazu ist es notwendig, zu zeigen, dass „der Begriff im logischen Raum“ auch als „Begriff als logischer Raum“ zu denken ist, sonst wäre der logische Raum nur ein nicht-reflexiver (Gegen)stand des Denkens. Aus diesem Grund finde ich die Lesart von Andreas Arndt geeigneter, der behauptet, dass diese zwei Hinsichten der Subjektivität (d.h. endliche und absolute Subjektivität) konvergieren müssen: „Die endliche Subjektivität ist es also, in welcher die absolute Subjektivität zum Bewusstsein dessen kommt, was sie an und für sich, d.h. in Wahrheit ist. Wenn dies so ist, dann ist leicht einzusehen, dass hiermit auch die beiden von Hegel explizit gemachten Bestimmungen von Subjektivität konvergieren. Denn das subjektive Denken der endlichen Subjektivität(en) ist dann der Substanz nicht mehr äußerlich, sondern Vollzug von deren Selbstauslegung im Medium des sich selbst erfassenden Begriffs.“ (Andreas Arndt, Die Subjektivität des Begriffs, in: Andreas Arndt, Christian Iber und Günter Kruck (Hgg.), Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss, Berlin 2006, S. 11– 23, besonders S. 14 f.) Diese Konvergenz wird aber bei Arndt nicht explizit als reflexive Theorie des Absoluten verstanden. 22 In seiner Rekonstruktion des Übergangs zwischen Wesen und Begriff behauptet Thomas Hanke, dass der Begriff (das Verhältnis zwischen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit) „strukturidentisch“ mit dem Subjekt ist. (Thomas Hanke, Das Wesen im Begriff, in: Hegels Lehre vom 21
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Form kann nicht auf das subjektive Denken zurückgeführt werden, denn die Interaktion von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit operiert auch auf objektive Weise. Die logische Form ist objektiv gesehen die Seele aller spezifischen Inhalte unabhängig davon, dass wir sie begreifen und bedenken, sogar davon, dass es denkende Wesen gibt. Unzweifelhaft vertritt Hegel einen Realismus der logischen Form, welche demnach nicht als subjektives oder kulturelles Konstrukt des Denkens anzusehen ist. Die These der absoluten, logischen Form basiert keineswegs auf einem subjektiv- oder sozialidealistischen Ansatz und die Tatsache, dass die logische Form kein Konstrukt oder Schema unseres Denkens ist, heißt auch nicht, dass beide (Denken und Form) ontologisch dualistisch gefasst werden müssen. Bis zu dem Punkt, an dem die Art und Weise, wie wir denken, mit dem Modus koinzidiert, wie die logische Form tätig ist, müssen wir sagen, dass unsere Gedanken und Denktätigkeit auch zu dem gehören, was durch die logische Form belebt wird und entsteht. Da aber alles, was durch diese Form beseelt wird, als wirklich gedacht werden muss, sind unsere Denktätigkeit und unsere Gedanken, d.h. der Bereich der Subjektivität im Allgemeinen, als wirklich zu erfassen. Wir bedenken nicht nur die Welt oder referieren uns auf sie, sondern unsere Gedanken über die Welt sind bereits ein Teil von ihr. Wir sind in der logischen Form bzw. im prozesshaften, sich-bewegenden, logischen Raum inbegriffen. Doch der Modus, wie unsere Gedanken und die Sphäre der Subjektivität überhaupt zur Wirklichkeit, zur logischen Form gehören, ist eigenartig, sui generis und von dem Rest der spezifischen Inhalte, die auch durch das Beleben der logischen Form individuierbar sind, verschieden und auf diese irreduzibel. Unser Denken ist nämlich das Selbstbewusstsein dieser absoluten Form. Wir sind nicht nur in der absoluten, logischen Form, Wesen, a.a.O., S. 159–180, besonders S. 175.) Es trifft natürlich zu, dass es diese strukturelle Identität zwischen dem Begriff und der Subjektivität gibt. Doch die Konsequenzen dieser Tatsache, und zwar die reflexive Theorie des Absoluten, werden von Hanke nicht genau berücksichtigt, obwohl die strukturelle Identität zwischen dem Absoluten und dem Gedanken hinsichtlich des Absoluten das entschiedenste Merkmal Hegels Wissenschaft der Logik ausmacht, ein Merkmal, das in den vorherigen Konzeptionen des Absoluten nicht vorhanden war, da z.B. der Gedanke der Substanz oder des absoluten-Einen nicht unendlich oder absolut-eine ist, was notwendigerweise zur dialektischen Inkonsistenz führt.
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sondern auch die absolute, logische Form, da sowohl unser Denken als auch jene als reine substratlose Tätigkeiten zu betrachten sind, welche sich als dialektisches Verhältnis zwischen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit entfalten. Das bedeutet, dass die logische Form nicht nur ein Gegenstand des Denkens ausmacht, sondern auch, dass ihre Absolutheit auch reflexiv ist, d.h., dass der Gedanke der logischen Form auch als logische, absolute Form und nicht als äußere Reflexion bestimmt werden muss.23 Daher impliziert die These des Realismus der logischen Form den Ansatz, dass das Denken auf kausale Zusammenhänge irreduzibel ist. Der Realismus der logischen Form enthält mit anderen Worten verschiedene Aspekte der idealistischen Tradition Kants und Fichtes bezüglich der Natur des Denkens. Mit dieser Tradition teilt Hegel die These, dass das subjektive Denken spontan und so nicht als ein bloßes Ding oder Lebewesen zu betrachten ist, welches dem Intelligibilitätsraum der Naturwissenschaften unterworfen ist. Die Konsequenzen dieser Tradition – oder zumindest diejenigen, die für Hegel daraus folgen – sind jedoch nicht ganz akzeptabel. Der Ansatz, dass das Denken sui generis, spontan und auf die Kausalität irreduzibel sei, kann zur These führen, dass dieses nicht zur Wirklichkeit gehört und so dieser entgegengesetzt ist. Den sui generis und spontanen Charakter des Denkens zu verteidigen, hätte den Dualismus von Subjekt und Objekt zur Folge, was einen zu hohen Preis darstellen würde: Wird nämlich der Dualismus akzeptiert, hat der Skeptizismus die Diskussion von Anfang an gewonnen. Mit Diesen reflexiven Aspekt der absoluten Subjektivität übersieht auch Jens Halfwassen in seiner Argumentation. Er behauptet nämlich: „Hegels Bestimmung des Absoluten als absolute Subjektivität, wie sie systematisch in seiner „Logik des Begriffs“ vollzogen wird, soll also nicht nur die vollendete und systematisch abschließende Bestimmung des Absoluten darstellen, sondern sie soll darüber hinaus die zentralen Gedanken über das Absolute in sich integrieren können, welche die Geschichte der Metaphysik von Parmenides bis zu Fichte und Schelling hervorgebracht hat.“ (Jens Halfwassen, Hegel und die negative Theologie, in: Hegels Lehre vom Wesen, a.a.O., S. 109–128, besonders S. 109.) Die Aussage, dass Hegel „die zentralen Gedanken über das Absolute“ in der Darstellung des Absoluten integrieren muss, ist zwar zutreffend, jedoch nicht radikal genug. Denn damit meint Halfwassen, dass Hegels Logik einen systematischen und historischen Anspruch hat; der reflexive Anspruch wird aber nicht dabei betrachtet. 23
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dem Realismus der logischen Form ist es dagegen möglich, dem Denken diesen sui generis und spontanen Charakter zuteilwerden zu lassen, ohne in den Dualismus von Subjekt und Objekt zu verfallen. Dank des Realismus der logischen Form kann man behaupten, dass das Denken weltlich und wirklich sei, d.h., dass es zu dem gehört, was durch die logische Form belebt wird, ohne es auf ein bloßes Ding im Universum zu reduzieren, denn das Denken ist nicht nur ein durch die logische Form bestimmter, spezifischer Inhalt, sondern die sich-wissende logische Form.24 Der Realismus der logischen Form geht aber auch mit einer reflexiven Auffassung des Absoluten zusammen, weil die These, dass die logische Form alle spezifischen Inhalte durchdringt und belebt, auch eine immanente Entfaltung der logischen Form darstellt; das Absolute p und der Gedanke, dass p absolut ist, sind beide als logische Form zu denken.
George Di Giovannis Lesart berücksichtigt nicht diesen wichtigen Gedanken in seiner Darstellung der Transition vom Wesen zum Begriff. (Vgl. George Di Giovanni, Hegel’s Anti-Spinozism: The Transition to Subjective Logic and the End of Classical Metaphysics, in: Hegel’s Theory of Subject, a.a.O., S. 30–43.) Di Giovanni betont richtig, dass Hegel ein nachkantischer Philosoph sei, weil für ihn das Denken und das von ihm abhängende „Bedeutungsuniversum“ nicht auf die Naturbedingungen zurückgeführt werden kann. Doch der Autor spricht von einem „Hiatus“ oder einem „Sprung“ (lead) zwischen dem Denken und seinem Vorläufer (antecedent), d.h. die Natur (S. 32). Diese Termini scheinen jedenfalls einen Dualismus auszudrücken. Diesbezüglich muss man anmerken, dass Hegels Argumentation gegen den Naturalismus nicht nur darin besteht zu zeigen, dass das Denken „a priori“ und so auf die Kausalität irreduzibel ist, sondern auch darin zu behaupten, dass der Naturalismus keine konsistente Ontologie darstellt. Bei Hegel ist es möglich, zu denken, dass das Denken zum Sein oder zur Wirklichkeit gehört, ohne dabei akzeptieren zu müssen, dass es sich beim Denken um ein bloßes physikalisches oder natürliches Objekt handelt, weil die Wirklichkeit im Ganzen nicht physikalisch oder kausal betrachtet werden muss, sondern viel allgemeiner als Entfaltung der logischen Form. Dies bedeutet nicht, dass die Subjektivität ontologisches Bestehen außerhalb der Natur haben kann. Wie Christian Martin richtig behauptet: „Aus der Logik ergibt sich keine andere Wirklichkeit, sondern nur eine andere Erklärung der Wirklichkeit. Die Natur ist daher die einzige reale Voraussetzung für das Auftreten von Geist.“ (Christian Martin, Anomaler Monismus bei Hegel und Davidson, in: Hegel-Jahrbuch 2016, S. 406–411.) 24
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Wie dieser Realismus der logischen Form das Verständnis der Natur des Denkens als spontane und sui generis Tätigkeit erlaubt und eine reflexive Theorie des Absoluten darstellt, ohne den Dualismus von Subjekt und Objekt akzeptieren zu müssen, macht Hegels Diskurs in der Einleitung zur Begriffslehre aus, betitelt „Vom Begriff im Allgemeinen“. Im folgenden und letzten Abschnitt, der auch als Schlussbemerkung dieser Studie fungiert, werde ich die hegelschen Argumente in der schon dargestellten hermeneutischen Richtung rekonstruieren.
§19. Schlussbemerkung A. Der Begriff des Begriffes Die Einleitung zur Begriffslehre fängt mit der Auslegung eines Problems an, welches den theoretischen Gegenstand dieses Teils der Logik betrifft. Wie schon der Name sagt, Ziel der Begriffslehre ist es, eine Theorie bezüglich der Natur des Begriffes aufzubauen. Dieser Zweck ist jedoch in einer Zirkularität gefangen: Um zu verstehen, worin ein Begriff besteht (z.B. der Begriff der Gerechtigkeit), muss man ein vorgefasstes Bild dessen haben, was es bedeutet, sich einen Begriff von Etwas zu machen. Wenn es aber um den Begriff des Begriffes geht, ist dieses vorgefasste Bild eben dasjenige, was Resultat der Untersuchung sein soll. Diesbezüglich kann die Versuchung entstehen, zu behaupten, dass jene Untersuchung über die Natur des Begriffs von gewissen, von vornherein gegebenen logischen Voraussetzungen ausgehen muss, die „in der Form von Axiomen, unabgeleiteten und unableitbaren Erkenntnisbestimmungen“1 vorhanden sind. Auf diese Weise fängt die Untersuchung bezüglich des Begriffes des Begriffes nicht bei null an. Sie müsste vielmehr mit den grundlegenden Axiomen der Logik rechnen, die wiederum erklären, was für Eigenschaften ein Begriff haben muss (wie z.B. Kohärenz, Extension usw.). Doch dieses Verfahren ist das genaue Gegenteil vom hegelschen. Dem Gedanken, laut dem die Logik als eine Menge an Axiomen oder selbstverständlicher Wahrheiten zu verstehen ist, liegt ein doppeltes Problem zugrunde: Erstens zu bestimmen, welche diese Axiome oder selbstverständliche Wahrheiten sind. Zweitens die Frage zu beantworten, warum diese Axiome tatsächlich ohne Beweis gegebene Wahrheiten darstellen. Wie im ersten Kapitel dieser Arbeit gesehen, ist die Antwort auf solche Fragen unbedingt zirkulär. Die von Hegel vorgeschlagene Lösung des Problems wurde schon rekonstruiert: Anstatt das Reich des Logischen als eine Menge an Axiomen zu betrachten, muss man viel eher die infallible Beziehung von Denken und Wahrheit sehen: Ein wahrer Gedanke kann nicht objektiv falsch sein; oder positiv gesagt, ein wahrer Gedanke bezüglich einer Sache drückt dasjenige aus, was diese Sache 1
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in Wahrheit ist. Das Denken ist auf diese Weise keine Menge formeller Kriterien und Regeln der Wahrheit, sondern das Medium und der Grund, in dem sich die Wahrheit ausdrückt und überhaupt stattfinden kann. Das Denken ist Grund und Fundament, nicht aber in Form eines Axioms. Denn die Axiome sind lediglich grundlegend und so gegeben, während sich das Denken durch die Selbstreflexion zum Fundament macht. Dieser reflexive und performative Aspekt des Fundamentes, nach dem dieses mit seiner Bewegung der reflexiven Selbstbegründung koinzidiert, durchwebt die Natur des Begriffes: „Ob nun wohl der Begriff nicht nur als eine subjektive Voraussetzung, sondern als absolute Grundlage anzusehen ist, so kann er dies doch nicht sein, als insofern er sich zur Grundlage gemacht hat.“2 Die performative Natur des Begriffes als Grundlage baut die Zirkularität ab, in der die Darlegung des Begriffes des Begriffes gefangen wäre. Der Teufelskreis entsteht nämlich nur unter der Voraussetzung, dass man unter „Begriff“ bloß eine Definition oder ein mentales Bild verstünde, welche auf einen externen Gegenstand referieren. Die Definition der Definition zu erreichen sowie das mentale Bild eines mentalen Bildes aufzubauen, sind immer zirkuläre Aufgaben. Für Hegel ist jedoch der Begriff die Bewegung und die Performativität, mittels derer er sich als Grundlage sowohl des subjektiven Denkens als auch der Spezifizität der objektiven Inhalte darstellt. (Die spezifischen Inhalte so wie unsere Gedanken, die sich auf diese beziehen, werden durch die Interaktion von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit belebt). Die Darlegung des Begriffes des Begriffes, die der Philosoph durchführt, ist folglich die eigene Bewegung der reflexiven Selbstbegründung des Begriffes. In der Darstellung der Natur des Begriffes ist der Philosoph kein Zuschauer, der einen dem Denken äußeren Gegenstand betrachtet und ihn durch eine externe Definition oder ein mentales Bild zu erfassen versucht, sondern er selbst und seine Denktätigkeit stellen den zu definierenden und erklärenden Gegenstand dar. In dem Augenblick, in dem der Philosoph die Definition des Begriffes sucht, muss er dabei feststellen, dass dieses Suchen und dieses Fragen schon begriffliche Tätigkeiten sind, d.h. als Manifestation des Begriffes betrachtet werden müssen. Der Begriff ist in seiner Darlegung sowohl Subjekt als auch Objekt. 2
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Aus dem performativen Charakter des Begriffes als Fundament geht aber nicht nur die These hervor, dass der in der Darstellung der Natur des Begriffes implizierte Zirkel nicht als Teufelskreis zu verstehen ist. Eine weitere Konsequenz daraus ist die Überwindung der Entgegensetzung von Unmittelbarkeit und Vermittlung in Bezug auf das Fundament bzw. die Grundlage als solche: Der Begriff ist von dieser Seite zunächst überhaupt als das Dritte zum Sein und Wesen, zum Unmittelbaren und zur Reflexion anzusehen. Sein und Wesen sind insofern die Momente seines Werdens; er aber ist ihre Grundlage und Wahrheit als die Identität, in welcher sie untergegangen und enthalten sind.3
Negativ ausgedrückt heißt es: Die Entgegensetzung von Unmittelbarkeit und Vermittlung aufzuheben oder die Versöhnung von Sein und Wesen zu sein, bedeutet, auf zwei philosophische Optionen zu verzichten, um die Natur des Fundamentes zu denken. Die erste Option besagt, dass Letzteres auf unmittelbare Weise gegeben sein muss, da jedwede Vermittlung seinen Status als Fundament in Frage stellen würde. Diese Option lässt sich mit der Position des Verstandes innerhalb der Seinslogik assoziieren, denn in ihr wird darauf hingewiesen, dass die Spezifizität der Inhalte unmittelbar im Sein der Sache vorhanden ist. Dies ändert sich innerhalb der Wesenslogik, welche der zweiten Option und somit dem Fundament zu denken, nahesteht. Darin verweist man darauf, dass die Spezifizität und die Natur der spezifischen Inhalte vermittelt und nicht selbsterklärend sind, weshalb auch ihr Grund nicht in ihnen selbst zu finden ist. Die Erklärung der Spezifizität und der Natur der spezifischen Inhalte befindet sich am Wesen, Grund, Substanz usw. Dass der Begriff Einheit von Sein und Wesen, Unmittelbarkeit und Reflexion ist, ist dem Ansatz äquivalent, dass seine Rolle als Fundament nicht im Licht der beiden genannten Optionen gedacht werden muss. Positiv ausgedrückt, heißt das, dass der Begriff mit einer absolut relationalen Auffassung des Fundamentes verbunden ist. Erstens ist der Begriff keine selbständige Struktur, die hinter oder jenseits der spezifischen Inhalte liegt, sondern hat nur ontologisches Bestehen, indem er in diesen erscheint und sich ausdrückt. Insofern ist der Begriff Reflexion: sein Reflex oder seine Manifestation liegen in den endlichen Sachen. Diese Reflexion ist jedoch nicht nach der gewöhnlichen Vorstellung zu verstehen. Im Begriff ist es nämlich 3
TWA 6, S. 245.
Schlussbemerkung
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nicht möglich, zwischen dem Reflektierenden und dem Medium seiner Reflexion zu unterscheiden. Der Reflexionsprozess des Begriffes lässt sich nicht mit der Reflexion im Spiegel vergleichen, da in diesem Beispiel der Spiegel als Medium von dem verschieden ist, was darin erscheint. Der Begriff ist nicht etwas, das sich in den spezifischen Inhalten manifestiert und unabhängig von diesem Manifestationsakt existieren kann. Sein ontologisches Bestehen liegt dagegen gerade in diesem Akt. Der Begriff ist nicht anders als die Dynamizität und Interaktion, die in den spezifischen und endlichen Sachen stattfinden. Zwar ist er Grund der Spezifizität der endlichen Sachen, allerdings handelt es sich um einen im Begründeten inkarnierten Grund, dessen Seinsweise das Erscheinen und das Geschehen ist. So führt die Reflexion erneut zur Unmittelbarkeit, da der Dualismus von Grund und Begründetem, Ursprünglichkeit und Gesetzsein oder von Unmittelbarem und demjenigen, wodurch es vermittelt wird, aufgehoben worden ist. Diese Unmittelbarkeit, die logisches Resultat der Überwindung des schon genannten Dualismus ist, muss aber nicht der ersten Unmittelbarkeit der Seinslogik gleichgesetzt werden und bezeichnet keineswegs die statische und abstrakte Identität. Dagegen ist der Begriff mit sich identisch, indem er Bewegung, Dynamismus, d.h. Selbstnegation und Selbstveränderung ist. Die Identität des Begriffes lässt sich nicht unter der Formel A=A fassen, denn er ist das Blut und die Seele der Erzeugung des Unterschiedenen; er ist sich selbst gleich durch seine eigene Selbstausdifferenzierung. Wie im vorherigen Abschnitt gesehen, führt dieser Umstand zu einem radikalen Umdenken der Kategorie der Substanz, welches jedoch immanent und auf interne Weise begrifflich motiviert wird. Die Wechselwirkung ist hiermit die sich wieder aufhebende Erscheinung; die Offenbarung des Scheins der Kausalität, worin die Ursache als Ursache ist, dass er Schein ist. Diese unendliche Reflexion in sich selbst, dass das Anundfürsichsein erst dadurch ist, dass es Gesetztsein ist, ist die Vollendung der Substanz. Aber diese Vollendung ist nicht mehr die Substanz selbst, sondern ist ein Höheres, der Begriff, das Subjekt.4
Die traditionelle Kategorie der Substanz, die nach Hegel bei Spinoza vorhanden ist, impliziert eine logische Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidenz. Die erste ist ursprünglich, die zweite 4
TWA 6, S. 248 f.
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abgeleitet. Die Wechselwirkung beweist, dass diese Unterscheidung dialektisch inkonsistent ist, da das Aktive als passiv (und umgekehrt) gedacht werden muss. Dies hat zur Folge, dass es keine Substanz mehr gibt, die Träger der Akzidenzen ist. Das Ursprüngliche ist nicht die Substanz, gedacht als Substrat, sondern die Bewegung der Interaktion der Akzidenzen. Die Substanz, welcher die Bestimmung des „Anundfürsichseins“ zukommt, indem ihr Sein selbsterklärend und selbständig ist, kann nur dann gedacht werden, wenn sie als reziproke Interaktion der Akzidenzen scheint. Damit kann dieses „Anundfürsichsein“, diese Ursprünglichkeit nur als „Gesetztsein“, d.h., Akzidenz, spezifischer Inhalt, endliche Sache usw. gefasst werden. Die Substanz hört folglich auf, Substanz zu sein und wird zum Begriff, zu einer substratlosen Prozessualität, in der die spezifischen Inhalte entstehen und insofern ist sie nicht anders als das immanente Entstehen dieser Inhalte. Die Einheit der Substanz ist ihr Verhältnis der Notwendigkeit; aber so ist sie nur innere Notwendigkeit; indem sie durch das Moment der absoluten Negativität, sich setzt, wird sie manifestierte oder gesetzte Identität und damit die Freiheit, welche die Identität des Begriffes ist.5
Die absolut prozesshafte Auffassung des Fundamentes, welche Hegel „Begriff“ nennt, führt ebenfalls zur Aufhebung der Notwendigkeit in der Freiheit. Denn „Notwendigkeit“ bezeichnet den Modus der Identität, welcher der traditionell verstandenen Substanz eigen ist: die Substanz, die qua Substrat und nicht qua Manifestationsprozess mit sich identisch ist, weil sie von den Akzidenzen logisch unterscheidbar, ontologischer Träger von diesen ist und so abgesehen von der Bewegung und dem Wandel unveränderlich bleibt. Freiheit dagegen bezeichnet die prozesshafte Art und Weise, die Identität zu verstehen, denn der Begriff ist nicht das Substrat oder der Raum, in denen die Interaktion der Akzidenzen stattfinden würde, sondern diese Bewegung der Wechselwirkung selbst. Das Ganze ist keine Menge, die über den Teilen liegt und diese in sich enthält, sondern die logische Lebendigkeit und Dynamizität, die jene belebt. Folglich ist die Freiheit die Aufhebung der Entgegensetzung von Äußerlichkeit und Innerlichkeit, die den aus der hierarchischen und asymmetrischen, philosophischen Erklärung entstehenden traditionellen Auffassungen des Absoluten zugrunde liegt. Freiheit be5
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Schlussbemerkung
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nennt den Umstand, dass der Begriff der Identität und des Unterschiedes nicht trennbar sind, d.h. das Im-Anderen-bei-sich-selbstSein. Denn indem der Begriff die Bewegung der Erzeugung und der Hervorbringung der verschiedenen und unterschiedlichen spezifischen Inhalte ist, ist er durch Selbstausdifferenzierung, durch Selbstnegation mit sich identisch. Dieser schon beschriebene Übergang der Notwendigkeit in die Freiheit, macht die sogenannte immanente Widerlegung des Spinozismus aus, von der schon zu viel in der Literatur gesagt worden ist, um sie hier noch einmal aufzugreifen. Deswegen möchte ich mich, auf diesen Übergang verweisend, mit einem anderen Problem auseinandersetzen, und zwar mit der Verbindung zwischen dem, was die logisch-ontologische Freiheit des Begriffes genannt werden kann, und der Freiheit des subjektiven Denkens. Dieser Auseinandersetzung sollte Klarheit darüber abgewonnen werden, inwiefern Hegel eine radikale, reflexive Theorie des Absoluten verteidigt. Aus meiner Sicht beantwortet der Text der Einleitung zwei wichtige Fragen, die sich auf das schon dargestellte Thema beziehen: 1). Warum sind das Ich oder das „reine Selbstbewusstsein“ als der Begriff zu konzipieren? 2). Warum sind die Begriffe Quelle der Objektivität überhaupt, ohne dass das bedeutet, in den subjektiven Idealismus zu verfallen? Jede Frage wird getrennt behandelt werden, um Hegels Argumente systematisch darzustellen. B. Warum ist das Ich oder das „reine Selbstbewusstsein“ als der Begriff zu konzipieren? Die ontologische Freiheit des logischen Prozesses und die Subjektivität sind deswegen verbunden, weil beide durch das dialektische Verhältnis von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit konstituiert sind. Der logische Prozess oder die logische Form entfalten sich als spezifischer Inhalt und existieren nur in dieser Entfaltung. Die absolute Form ist folglich eine als Inhalt instanziierte und inkarnierte Form. Aus diesem Umstand geht, wie gesehen, das dialektische Verhältnis zwischen Allgemeinheit und Einzelheit hervor. Die absolute Form ist allgemein, da sie als Grundlage aller Spezifizität fungiert. Alle spezifischen Inhalte sind dieser unterworfen. Insofern ist die absolute Form nicht nur ein Allgemeines neben anderen, sondern das Allgemeine. Da aber die absolute Form kein Bestehen
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außerhalb ihrer Entfaltung und ihrem Schein als Inhalt hat, ist dieses absolute Allgemeine unbedingt die Einzelheit, die jedem spezifischen und unterscheidbaren Inhalt zukommt. Zu behaupten, die absolute Form sei ihr Schein als Inhalt, bedeutet auch, dass die Allgemeinheit in ihrem sich-zum-Einzelnen-Machen besteht. Einer der Modi, das Verhältnis der absoluten Form zur Subjektivität zu verstehen, ist, dass die Operationen und Tätigkeiten des subjektiven Begreifens auch innerhalb der dialektischen Relation von Allgemeinheit und Einzelheit verlaufen: Zu begreifen, sich von einem Ding einen Begriff zu machen, heißt die Einzelheit (des Dinges) durch und in Allgemeinheiten scheinen und florieren zu lassen. Diese Bewegung, in der Allgemeinheit und Einzelheit nur in ihrer Reziprozität intelligibel sind, gilt als die Seele sowohl der objektiven Wirklichkeit der absoluten Form als auch des subjektiven Begreifens. Deswegen sind sowohl das subjektive Denken hinsichtlich des Absoluten als auch das Absolute selbst eine Entfaltung der absoluten Form: die Absolutheit des Absoluten ist demnach bei Hegel unbedingt reflexiv und nicht nur gegenständlich. Dies ist der Hintergrund, vor dem die Behauptung Hegels verstanden werden muss, das Ich sei „der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Dasein gekommen ist“.6 Darin ist die Überwindung des Dualismus von Subjektivität und Objektivität enthalten, in der jedoch der Subjektivität ein radikaler, irreduktibler Charakterzug innerhalb einer reflexiven Auffassung des Absoluten zukommt. Die Subjektivität ist Begriff und in diesem Maße muss man ein logischontologisches Kontinuum zwischen dieser und der objektiven Wirklichkeit finden. Sowohl die Subjektivität als auch der Rest anderer spezifischer Inhalte sind Manifestationen und Entfaltungen der absoluten, logischen Form. Doch die Subjektivität ist Manifestation und Entfaltung der logischen Form auf eine differenzierte und radikal irreduktible Weise: im Subjekt ist der Begriff nicht nur Existenz geworden, sondern hat er sich zum Dasein als Begriff gemacht. Das Werden des Begriffes zur Existenz ist anders als das Werden des Begriffes zur Existenz als Begriff. Das Erfassen dieser Unterscheidung ist entscheidend. Nehmen wir z.B. einen Stein. Er ist das, was er ist, aufgrund seiner Relationen zu anderen spezifischen Inhalten. Insofern ist er Manifestation und Entfaltung der logischen Form, indem Letztere eben diejenige Re6
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Schlussbemerkung
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lationalität ist, die den Stein belebt, durchdringt und eben den Grund seiner Spezifizität darstellt. Der Stein ist ein singulärer und spezifischer Inhalt; weil er von dem universalen, logischen Prozess durchwebt ist, existiert Letzterer jedoch nur in dem Akt seiner Singularisierung, da er das Entstehen und das Erscheinen der einzelnen Inhalte ist. Hierbei lässt sich sagen, dass der Begriff Existenz oder Dasein geworden ist. Man kann sogar affirmieren, der Begriff hätte kein ontologisches Bestehen außerhalb dieses Werdens, indem er sich zum Dasein (zum Dasein des Steins) macht. Wenn aber von der Subjektivität die Rede ist, gibt es einen entscheidenden Unterschied. Die logische, absolute Form manifestiert und entfaltet sich nicht nur im Subjekt, sondern es geht um eine sich wissende Manifestation oder Entfaltung des Begriffes. Der Begriff hat nur Bestehen, indem er sich zum einzelnen Inhalt macht; in einem dieser Inhalte muss aber die eigene Bewegung des Begriffes, das Sich-zumDasein-Machen desselben thematisiert und expliziert werden können. Der spezifische Inhalt, in dem diese Thematisierung stattfinden können muss, ist die Subjektivität. Diese besitzt eine Würde und eine Spezifik, die dem Rest der von der logischen Form belebten Inhalte nicht zukommt. Das Subjekt ist nämlich nicht nur ein Fall des reziproken Verhältnisses von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, sondern auch diese Relation, die sich selbst als solche weiß; der subjektive Gedanke hinsichtlich des Absoluten ist demnach mit dem Absoluten selbst strukturidentisch, wobei das Absolute selbst, als Begriff aufgefasst, auf der Reflexivitätsebene konsistent ist. Schon aus diesem Grund ist die Subjektivität „reiner Begriff“ und nicht bloß „Begriff“. Alle spezifischen Inhalte – seien es tote Gegenstände, organisches Leben, Tiere oder Menschen – sind „Begriff“, weil die logische Bedingung ihrer Natur das Verhältnis zwischen Allgemeinheit und Einzelheit ist. Doch die Subjektivität ist eben genau dieses Verhältnis, das sich als solches wissen können muss. Die Subjektivität ist nicht nur Begriff an sich, wie es der Fall bei irgendeinem spezifischen Inhalt ist, sondern auch für sich. Der Begriff ist in jedem spezifischen Inhalt vorhanden, allerdings ist er sich dieses Vorhandenseins nur in der Subjektivität bewusst. Damit ist die Subjektivität weder Zuschauer des Absoluten noch eine äußere Reflexion, sondern grundsätzlich das Denken über das Absolute, das in letzterem auf konsistente Weise einbezogen wird.
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Folglich sind die Erscheinung und die Manifestation des Begriffes in der Subjektivität wirklicher, höher und wahrhafter als seine Entfaltung in anderen spezifischen Inhalten. Der Begriff zeigt seine Natur dann besser, wenn er sich als Ich manifestiert. Die absolute Form erhebt sich insofern in unserer Existenz als Subjektivität zu ihrer Selbsterkenntnis. So trifft es auch zu, dass die absolute Form unabhängig von unserem subjektiven Denken ist, indem sie nicht als subjektives Schema besteht. Was dies betrifft, vertritt Hegel den Realismus, doch ist es auch richtig, dass das subjektive Denken selbst eine höhere und wahrhaftere Manifestation dieser Form ist. Ist das so, dann wird das Dasein des Ichs nicht nur vom Begriff, vom Absoluten ausgemacht, sondern wird letzterer auch von der subjektiven Tätigkeit auf aktive Weise konstituiert, denn dieses subjektive Tun erhebt ihn zu einem ohne die Subjektivität undenkbaren Existenzmodus: Der Modus seiner eigenen Selbsterkenntnis, in dem der Begriff in seiner begrifflichen Reinheit ausschließlich als Begriff erscheint. Dies ist unzweifelhaft mit einer idealistischen Überzeugung verbunden, welche der Subjektivität eine irreduzible, konstitutive Rolle bezüglich der Wirklichkeit der absoluten Form zuteilwerden lässt. Diese idealistische Überzeugung gehört auch zur reflexiven Theorie des Absoluten, denn letzteres ist gegenüber dem Tun des Subjekts nicht gleichgültig und verhält sich demnach nicht nur als ein (Gegen)stand des Denkens, sondern wird in der begreifenden Tätigkeit zur Modalität der Selbstreflexion erhoben; diese Erhebung macht auch die Absolutheit des Absoluten aus. Das hier Gesagte muss dennoch nicht so gedeutet werden, als ob die Erhebung zur Selbsterkenntnis des Absoluten nur in dem Moment vorkommt, in dem es expliziter Gegenstand unserer ausgearbeiteten philosophischen Gedanken ist. Zwar ist für Hegel die Philosophie diejenige menschliche, subjektive Tätigkeit, in welcher der Begriff bzw. das Absolute sich selbst in seiner eigenen Reinheit erfassen kann, wird die begriffliche Beziehung von Allgemeinheit und Einzelheit doch nicht in Kunstwerken oder religiösen Vorstellungen ausgedrückt. Die Philosophie ist die begreifende Tätigkeit, welche durch rein begriffliche Mittel den Begriff erfasst. Doch ist der Begriff nicht nur ein Gegenstand der bewussten Tätigkeit, den man gegebenenfalls berücksichtigen kann. Vielmehr ist das Ich, die subjektive und bewusste Tätigkeit im Allgemeinen (und nicht nur in ihrer philosophischen Modalität) der Ausdruck und die Manifestation des Begriffes in seiner reinen Begrifflichkeit. Das Ich ist der
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sich-wissende Begriff, das reflexive Absolute nicht nur beim Philosophieren, sondern einfach in jedem Moment, in denen sich dieses Ich als solches verhält. Der Grund dafür ist einfach: das Ich oder das „reine Selbstbewusstsein“ als solches (und nicht nur das philosophierende Ich) ist ein spezifischer Inhalt, dessen Status und Natur exklusiv begrifflich sind. Dies ist auf zwei Arten zu verstehen. Erstens koinzidieren die Wirklichkeit und die Existenz des Ichs mit seinem eigenen Begriff. Das Sein des Ichs ist reine Begrifflichkeit. Nur Wesen mit begrifflichen Fähigkeiten können etwas wie das Ich erfassen und so selbst ein Ich sein. Letzteres ist demnach nur in begrifflichen Termini (und nicht etwa sinnlichen) zugänglich. Dass das Ich nicht gesehen, noch gerochen, sondern nur gedacht werden kann, bedeutet, dass es sich bei ihm um einen spezifischen Inhalt handelt, dessen Existenz rein begrifflich ist. Die Subjektivität ist die begriffliche Erscheinung des Begriffes, was nur bedeuten kann, falls man das Absolute als logische Form versteht: die reine Erscheinung des Absoluten. Zweitens ist das Ich nicht nur mittels Begriffen zugänglich, sondern das Ich ist als solches begriffliche Tätigkeit und keine begriffliche Entität bzw. Substanz, wie an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben werden sollte.7 Dies ist es, warum die hegelsche Auffassung des Ichs als sich wissender Begriff von der vorkritischen Stellung der Seele als unsterbliches Substrat unterschieden werden muss. Im menschlichen Leben gibt es ein Ensemble von Praktiken und Tätigkeiten, die die Existenz von begrifflichen Fähigkeiten benötigen und in denen Letztere sich entfalten und stattfinden. Zu diesen Praktiken gehören unter anderen das Übernehmen von Verantwortung, das Urteilen, das Diskutieren von Gründen, das Austauschen von Argumenten, das Einfordern der Rechte und das politische Handeln. Damit sieht man, dass die Subjektivität nicht nur beim Philosophieren begrifflicher Ausdruck des Begriffes ist, sondern auch innerhalb des Ensembles der Ich-Praktiken, welche das Vorhandensein von begrifflichen Fähigkeiten erfordert. Aufgrund dessen, dass das Ich in exklusiv begrifflichen Termini zugänglich ist und sich nur dadurch entfaltet, behauptet Hegel, dass Ähnlich argumentiert Jaeschke. Vgl. Walter Jaeschke, Die Unendlichkeit der Subjektivität, in: Francesca Menegoni und Luca Illetterati (Hgg.), Das Endliche und das Unendliche in Hegels Denken, Stuttgart 2004, S. 103–116, besonders S. 105 f. 7
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dieses reine Selbstbeziehung ist: „Ich aber ist erstlich diese reine sich auf sich beziehende Einheit, und dies nicht unmittelbar, sondern indem es von aller Bestimmtheit und Inhalt abstrahiert und in die Freiheit der schrankenlosen Gleichheit mit sich selbst zurückgeht.“8 Damit ist gemeint, dass die Einheit des Ich mit sich die logische Form der Tätigkeit hat und nicht die des Substrates. Das Sein des Ichs ist nur als Folge seiner Handlung zu verstehen. Die Selbstbeziehung des Ichs ist keine unmittelbare Identität, sondern jene taucht in dem Akt der Abstraktion von „aller Bestimmtheit und Inhalt“9 auf. Dieses abstrahierende Tun zielt nicht auf das Erfassen einer denkenden Substanz ab, welche hinter den empirischen, materiellen und geschichtlichen Bedingungen der Menschen liegt. Das Ich muss hierbei nicht als ein neues säkularisiertes Korrelat der unsterblichen Seele betrachtet werden. Es ist vielmehr so, dass dasjenige, was wir Ich nennen, mit diesem Abstraktionsakt identisch ist. Die Natur der Subjektivität ist folglich im Wesentlichen performativ, nicht substanziell. Die Abstraktion von „aller Bestimmtheit und Inhalt“, die als abstrahierendes Tun das Ich als solches ausmacht, ist aber keine methodische und thematisierte Abstraktion innerhalb der Philosophie. Präziser ist es zu sagen, dass diese Praktiken, in denen sich das Ich entfaltet (das Begreifen, das Urteilen, das Diskutieren, das Übernehmen von Verantwortung usw.), besondere und spezifische Verwirklichungen und Modalitäten dieser selbstbeziehenden Abstraktion von „aller Bestimmtheit und Inhalt“ sind. Unabhängig vom Inhalt der Behauptungen und Argumente, die ich aufstelle, oder der Entscheidungen, die ich treffe, muss ich davon ausgehen können, dass ich derjenige/diejenige bin, welche(r) aufstellt oder entscheidet, obwohl ich tatsächlich meistens nicht alle Konsequenzen meiner Behauptungen oder Handlungen voraussehen kann. Es ist nicht möglich, zu behaupten oder zu handeln, ohne dass man sich selbst in actu als Handelnde(r) oder Behauptende(r) betrachtet. Dementsprechend ist die Seinsweise der Subjektivität in ihrem gewöhnlichen Verlauf die der reinen Selbstbeziehung. Aus der Tatsache, dass das Ich nur als Praxis der reinen begrifflichen Selbstbeziehung und nicht als denkende Substanz betrachtet werden kann, folgt laut Hegel, dass jenes unbedingt allgemein ist: „So TWA 6, S. 253. 9 Ebd. 8
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ist es [das Ich; A.P.] Allgemeinheit; Einheit, welche nur durch jenes negative Verhalten, welches als das Abstrahieren erscheint, Einheit mit sich ist und dadurch alles Bestimmtsein in sich aufgelöst enthält.“10 Die Subjektivität ist die Praxis der Selbstbeziehung, die das Ensemble von Praktiken durchdringt und konstituiert, zu denen die Wesen mit begrifflichem Denkvermögen fähig sind. Dieser tätige Selbstbezug, indem er rein begrifflich ist, muss folglich als Identität mit sich, als Allgemeinheit gedacht werden. In jedem Urteil, das ich fälle, in jeder Entscheidung, die ich treffe, betrachte ich mich als beurteilendes, handelndes Ich. Und obwohl die Reflexivität des Ichs nur innerhalb des konkreten Beurteilens oder Entscheidens existiert, ist dieses „Mich-als-beurteilendes,-handelndes-Ich-Betrachten“ mit sich identisch, und zwar unabhängig vom Inhalt meiner Urteile, Handlungen oder Entscheidungen. Dadurch „enthält“ der rein begriffliche Selbstbezug das „Bestimmtsein“, d.h. den konkreten Inhalt meiner Entscheidung oder Urteile, da die Selbstrelation die Tätigkeit des Beurteilens, des Entscheidens und des Handelns überhaupt ermöglicht. Doch enthält der Selbstbezug das Bestimmtsein, indem er dieses auflöst, weil dabei der konkrete Inhalt der subjektiven Handlung auf die absolute Allgemeinheit der Selbstbeziehung zurückgeführt wird. Doch diese Erhebung über den besonderen Inhalt der subjektiven Handlung führt nicht zu seiner Eliminierung zugunsten einer bloß abstrakten und leeren Allgemeinheit, die allem Einzelnen gegenübersteht. Die allgemeine Form der Selbstbeziehung ermöglicht, dass es so etwas wie einen singulären Akt eines einzelnen Subjekts gibt: „Zweitens ist Ich ebenso unmittelbar als die sich auf sich selbst beziehende Negativität Einzelheit, absolutes Bestimmtsein, welches sich Anderem gegenüberstellt und es ausschließt; individuelle Persönlichkeit.“11 Dank der konstitutiven Reflexion, welche in jeder Ich-Praxis vorkommen muss, erscheint dasjenige, was ich beurteile, entscheide usw. als mein Akt, als meine Handlung. Das ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass die Handlungen des Ichs und im gleichen Maße das Ich selbst absolut einzigartig sind: Dass eine Handlung oder ein Urteil als meine Handlung, mein Urteil usw. erscheint, impliziert, dass diese nicht als Aktionen der anderen aufgefasst werden können. Die performative Reflexivität des Ichs beTWA 6, S. 253. 11 Ebd. 10
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gründet die Unterscheidung, die der Einzelheit der „individuellen Persönlichkeit“ zugrunde liegt. Reflexivität und Bestimmtheit sind deswegen korrelativ beim subjektiven Handeln. Dies alles ist nicht mit dem kollektiven Handeln inkompatibel, noch bedeutet es, dass die Gesellschaft als bloßes Aggregat individueller Persönlichkeiten zu verstehen ist. Es ist schon bekannt, dass sich Hegel (und früher Fichte) gegen eine solche atomisierte Konzeption der sozialen Verhältnisse und der Gemeinschaft wendet.12 Es ist vielmehr zu sehen, dass die logische Struktur der individuellen Persönlichkeit und deren konstitutive Reflexivität die Koexistenz mit anderen impliziert. Die Reflexion, durch die meine individuelle Persönlichkeit entsteht, muss auch als Reflexion mit und gegenüber Anderen gedacht werden. Dass meine Handlung, mein Urteil usw. als etwas erscheinen, was ich (und nicht die Anderen) tue, setzt voraus, dass ich die Anderen auch als Wesen mit begrifflichen Fähigkeiten sehe. Die Selbstbetrachtung als Ich ist mit der Betrachtung der Anderen als Ich logisch korrelativ. Keine davon kann getrennt gegeben sein. Beim Fällen eines Urteils oder Treffen einer Entscheidung bin ich dazu bereit, das Gesagte bzw. das Entschiedene zu verteidigen. Zudem ist es offensichtlich, dass diese Verteidigung nur innerhalb der Koexistenz mit Anderen stattfinden kann. Aufgrund ein und derselben Reflexion ist die Erscheinung dessen, was ich tue, als meine Handlung auch die Erscheinung dieser als Akt, der gegenüber den Anderen gegeben ist. Die logische Verknüpfung von Allgemeinheit und Einzelheit, die die Subjektivität durchdringt, ist ebenfalls die wesentliche Verbindung zwischen der individuellen Persönlichkeit und der der Anderen. Diesbezüglich ist diejenige Deutung der hegelschen Philosophie, welche darauf hinweist, dass das Ich als Praxis des Austausches von Gründen aufgefasst werden müsse, verständlich. Der Selbstbezug des Ichs ist keine solipsistische Introspektion noch unmittelbare und einsame Selbstwahrnehmung. Im Gegenteil, dieser Selbstbezug ist ohne das Vorhandensein der Anderen undenkbar, denn jede einzelne Handlung ist unbedingt eine Handlung zwischen und gegenüber Anderen. Sogar die Einsicht, dass meine Gedanken und Vorstellungen nur innerhalb meines Geistes vorkommen und deshalb nicht im Raum eines sozialen Verhältnisses auftreten, ist nur unter Vgl. Dazu: Axel Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt am Main 1992, S. 11–54. 12
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der Voraussetzung der Koexistenz denkbar. Die Möglichkeit, meine Gedanken und Vorstellungen als zu meinem Geist gehörende Gedanken und Vorstellungen zu bestimmen, setzt Begriffe und Sprache voraus, die nur innerhalb eines Lebens in Gemeinschaft entwickelt werden können. Nur ein Wesen mit begrifflichen Fähigkeiten, das sich selbst und die Anderen als Ich betrachtet, kann behaupten, dass Vorstellungen und Gedanken in seinem Geist vorkommen. (Die Tiere, die auch individuelles Gefühlvermögen besitzen, tun das nicht). Dies alles, obwohl es nicht als falsch abgetan werden kann, ist jedoch nur eine weitere Konsequenz des hegelschen Ansatzes und nicht dessen philosophischer Kern oder Grundlage. In der performativen und mit-existenziellen (also: innerhalb der Anderen stehenden) Reflexion des Subjekts ist nicht nur das soziale Dasein des Menschen als Ausganspunkt der Erörterung der Kategorie der Subjektivität zu sehen, sondern vielmehr die Tatsache, dass diese rein begriffliche Manifestation des Begriffes ist. Das reine Selbstbewusstsein, welches die Subjektivität konstituiert, findet innerhalb der Anderen statt, weil es der als Begriff zum Dasein gekommene Begriff ist (nicht umgekehrt). Der Mensch tauscht nicht deswegen mit anderen Gründe und Argumente aus, weil er eine Art Rudeltier ist, dessen Überleben an die Anderen gebunden ist. Die Form, wie wir mit den Anderen koexistieren und die sich vom Wolfsrudel oder von Insekten-Kolonien unterscheidet, drückt dagegen unsere Subjektivität aus und setzt diese deswegen auch voraus. Aufgrund dessen, dass die Subjektivität reiner Selbstbezug, d.h. begriffliche Manifestation des Begriffes oder spezifischer Inhalt, dessen Natur und Existenz mit einer begrifflichen Tätigkeit koinzidiert, ist, lässt sich unsere Form des Zusammenseins nicht auf die Animalität reduzieren und präsentiert sich eher als Austausch von Gründen. Zwar ist die begriffliche Tätigkeit immer mit-existenziell, wird jedoch diese nicht durch das Herden-Sein erklärt, weil unser Zusammensein schon an und für sich begrifflich ist.13 Wie schon früher erläutert, verteidigt Robert Brandom die Ansicht, dass bei Hegel die Begrifflichkeit auf die soziale Interaktion zurückzuführen sei. In dieser Deutung ist der Inhalt der nicht-empirischen Begriffe, die wir beim Erkennen notwendigerweise verwenden, die gegenseitigen Anerkennungsverhältnisse in der Gesellschaft. Regeln zu folgen (was dasselbe 13
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Aus diesem Grund insistiert Hegel, die logische Struktur der Subjektivität und des Begriffes gleichzusetzen, nicht weil beide zufällig analog seien, sondern weil die erste die rein begriffliche Manifestation der zweiten ist: „Jene absolute Allgemeinheit, die ebenso unmittelbar absolute Vereinzelung ist, und ein Anundfürsichsein, welches schlechthin Gesetztsein und nur dies Anundfürsichsein durch die Einheit mit dem Gesetztsein ist, macht ebenso die Natur des Ich als des Begriffes aus“.14 Die Einheit des „Anundfürsichseins“ mit dem „Gesetztsein“ heißt, wie gesehen, dass der Begriff keine metaphysische Struktur darstellt, die unabhängig von ihrer Manifestation als wie die Verwendung von Begriffen ist) bedeutet an diesen Anerkennungsverhältnisse teilzunehmen. (Zu einer Rekonstruktion von Brandoms Deutung vgl. Thomas Hanke, Eine soziale Theorie des Selbstbewusstseins in der Wissenschaft der Logik? In: Hegel-Jahrbuch 2017, S. 382–387.) Die These, dass die Intelligibilität und die Begrifflichkeit auf der sozialen Interaktion basiere, lässt sich auch z.B. in der Arbeit von Rocío Zambrana finden (vgl. Rocío Zambrana, Hegel’s Theory of Intelligibility, Chicago 2015). Ähnlich argumentiert Petra Braitling (vgl. Petra Braitling, Hegels Subjektivitätsbegriff. Eine Analyse unter Berücksichtigung intersubjektiver Aspekte, Würzburg 1991). Problematisch bei diesen Deutungen ist die Umkehrung des Begründungsverhältnisses: Die Menschen sind dank des Begriffes fähig, Regeln einzuhalten und nicht umgekehrt. Alper Turken hat eine sehr interessante Kritik an Brandoms Deutungsmodell entwickelt: Die Interpretation, laut der die soziale Praxis das Fundament der Begrifflichkeit und der Autonomie der Subjektivität ist, kann nicht auf die Herausforderung der Psychoanalyse erfolgreich antworten, denn dieser Gedankengang besagt, dass die soziale Interaktion durch das Unbewusste bestimmt und ausgemacht wird. Die soziale Praxis als Basis für die Autonomie des Denkens zu erklären, garantiert keine Autonomie für die Subjektivität, denn das gesellschaftliche Leben muss nicht per-se oder an sich autonom sein, es kann nämlich als Resultat der unbewussten Tätigkeit betrachtet werden. (Vgl. Alper Turken, Brandom vs. Hegel: The Relation of Normativity and Recognition to the true Infinite, in: Hegel Bulletin 36 (2015), S. 225–247.) Wie Hegel auf diese Herausforderung antworten würde, kann nur hierbei grundsätzlich skizziert werden: die Psychoanalyse setzt die Objektivitätsfähigkeitsthese voraus, d.h. sie erscheint unbedingt als Produkt und Ergebnis des Denkens. Wenn die Psychoanalyse Wahrheit für sich beansprucht, muss sie die Autonomie des Denkens und seine infallible Beziehung zur Objektivität zugeben. Die Psychoanalyse kann kein Resultat des Unbewussten sein, denn in diesem Fall wäre sie als Psychoanalyse das sich-wissende oder das selbstbewusste Unbewusste, was selbstwidersprüchlich ist. 14 TWA 6, S. 253.
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konkreter Inhalt existiert. Der Begriff etabliert oder „setzt“ den spezifischen Inhalt, da er die logische Bewegung ist, durch die jede Spezifizität überhaupt konstituiert werden kann, existiert doch der Begriff in demjenigen, was er „setzt“, d.h. in ihrem Gesetztsein. Genau dieselbe Einheit lässt sich in der Subjektivität betrachten, denn dass das Ich keine Struktur oder Entität ist, die unabhängig von den einzelnen und konkreten subjektiven Handlungen existiert15, verdeutlicht, dass der begriffliche Selbstbezug des Ichs nur im Rahmen solcher Aktionen gegeben sein kann. Die begriffliche Selbstbeziehung des Ichs ermöglicht und „setzt“ insofern die subjektiven, einzelnen Handlungen, doch ist sie nur im konkreten Beurteilen, Treffen der Entscheidungen etc. vorhanden; kurzum, sie hat nur in demjenigen, was sie setzt oder ermöglicht (in ihrem „Gesetztsein“) ontologisches Bestehen. C. Warum sind die Begriffe Quelle der Objektivität überhaupt? Die These, die Begriffe seien Quelle der Objektivität, scheint auf den ersten Blick extravagant. Es ist nämlich nicht deutlich, wie die Begriffe, welche sich sozusagen in unserem Kopf befinden, Quelle oder Fundament der Objektivität sein können, wenn das Objektive dasjenige ist, was außerhalb unserer Köpfe existiert. Wie schon im ersten Kapitel dieser Arbeit gezeigt, besteht Hegels argumentative Strategie bezüglich dieser Frage darin, die in dieser liegenden Vorurteile ans Licht zu bringen. Dieselbe Strategie findet man auch im Text der Einleitung zur Begriffslehre. Die Behauptung, dass die Begriffe Quelle der Objektivität seien, ist laut Hegel nur dann skandalös, wenn man im Voraus annehme, dass die Begriffe etwas seien, was das Ich an sich hat. Dabei wird nämlich präsupponiert, dass das Ich ein inneres Substrat sei, welches die Eigenschaft des Verstandes oder des Begreifens besitzt: „Wenn nach der gewöhnlichen Weise von dem Verstande, den Ich habe, gesprochen wird, so versteht man darunter ein Vermögen oder Eigenschaft, die in dem Verhältnisse zu Iber merkt an, dass das dialektische Verhältnis zwischen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, das dem Ich zugrunde liegt, die Unterscheidung zwischen „transzendentaler Ichheit“ und „Individualität“ aufhebt. Vgl. Christian Iber, Hegels Konzeption des Begriffs, in: A. F. Koch, F. Schick (Hgg.), G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik, Berlin, 2002, S. 185. 15
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Ich stehe wie die Eigenschaft des Dings zum Dinge selbst.“16 In dieser Ansicht erscheint das Ich als ein innerer, leerer Behälter gefüllt mit Vorstellungen und insofern mit Begriffen. Dieser Behälter ist der Wirklichkeit implizit entgegengesetzt, weshalb die Begriffe, welche dazu gehören, keineswegs an sich und für sich objektiv sein können. Verzichtet man aber auf diese Vorstellung der Beziehung zwischen Begriffen und Ich, kann das Verhältnis zwischen jenen und der Objektivität erfolgreich erörtert werden. Die Überwindung dieser problematischen Vorstellung des Ichs muss sich nicht nur auf die von McDowell vertretene These berufen, laut der der Wahrnehmungsinhalt begrifflich ist, sondern auch, wie schon im ersten Kapitel gezeigt, muss sie über diese Deutung hinausgehen: Der Kern der hegelschen Philosophie ist diesbezüglich im Ansatz zu sehen, dass das Ich keine Begriffe hat, sondern es selbst Begriff ist. Der Begriff ist für Hegel kein mentales Bild, noch die bloße Definition von etwas, die sich in unserem Kopf befindet, sondern das dialektische Verhältnis von Allgemeinheit und Einzelheit als logisch-lebendige Form aller möglichen und wirklichen Spezifizität. Unzweifelhaft gibt es Vorstellungen, Definitionen usw., die sich in „unseren Köpfen“ befinden, jedoch ist das Ich nicht als eine Art privater Behälter, innere Tafel oder ein Bewusstseinskino zu erfassen, sondern als das sich wissende Verhältnis von Allgemeinheit und Einzelheit. Diese Auffassung des Ichs als rein begriffliche Erscheinung des Begriffes, welche schon im vorherigen Abschnitt dargelegt worden ist, birgt den Schlüssel zum Verständnis der alternativen Beziehung der Objektivität zu den Begriffen, die Hegel vorschlägt. Erstens zeigt diese Auffassung, dass das Problem des GeistWelt-Verhältnisses als Scheinproblem zu betrachten ist. Die Gedanken, die sich auf die Welt beziehen, gehören schon zu dieser, nicht aber deswegen, weil sie sich auf die Materie oder auf die von der Naturwissenschaft betrachteten, kausalen Zusammenhänge reduzieren lassen. Dasjenige, was Hegel Begriff nennt, bietet eine Intelligibilitätsstruktur, in der der Geist und das Denken zur Welt und Wirklichkeit gehören, ohne naturalistische Prämissen annehmen zu müssen, denn wirklich-sein bedeutet für Hegel, durch die absolute Form belebt und durchdrungen zu werden, d.h. ein Fall des dialektischen Verhältnisses von Allgemeinheit und Einzelheit zu sein. 16
TWA 6, S. 254.
Schlussbemerkung
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Der Realismus der logischen Form geht demnach jeder erkenntnistheoretischen Formulierung voran, die einen Hiatus oder einen Bruch zwischen dem erkennenden Geist und dem zu erkennenden Gegenstand voraussetzt. Ist nämlich die absolute Form Bedingung der Möglichkeit für jede Spezifizität und so für jede Distinktion überhaupt, dann ist dieselbe Unterscheidung von Geist und Welt aufgrund dieser Form intelligibel: Sowohl der Erscheinung der Wirklichkeit als Wirklichkeit und des Ichs als Ich – was bedeutet: im Kern der Möglichkeit, einen Unterschied zwischen Subjekt und Objekt zu formulieren – liegt die dialektische Relation von Allgemeinheit und Einzelheit zugrunde. Irgendein Dualismus von Geist und Welt ist demzufolge auf diese absolute Form zurückzuführen. Die Annahme der Entgegensetzung zwischen Denken und Sein erweist sich im Licht des Realismus der logischen, absoluten Form als Missverständnis. Doch zweitens, wie schon gesagt, enthält die hegelsche Auffassung des Ichs einen idealistischen Aspekt, der uns auch dabei hilft, die Beziehung von Begriffen und Objektivität zu präzisieren. Laut idealistischem Verständnis hat das Ich keine Begriffe, sondern es macht sich einen Begriff von den Dingen.17 Der Begriff ist vor allem ein subjektives Tun, das darin besteht, das Ding zur eigenen begrifflichen Form des Ichs zu erheben. Das Begreifen impliziert eine Aneignung der Dinge und verwandelt diese somit in dasjenige, was das Ich ist, und zwar: Begriff. Das Ich ist Begriff (also: rein begriffliche Manifestation des Begriffes, spezifischer Inhalt, dessen Natur und Existenz mit seinem Begriff zusammenfällt), wobei das Begreifen die Umwandlung des Gegenstandes zu einem Produkt oder Resultat meiner Tätigkeit darstellt: „Das Begreifen eines Gegenstandes besteht in der Tat in nichts anderem, als dass Ich denselben sich zu eigen macht, ihn durchdringt und ihn in seine eigene Form, d.h. in die Allgemeinheit, welche unmittelbar Bestimmtheit, oder Bestimmtheit welche unmittelbar Allgemeinheit ist, bringt.“18 Die Begriffe und das Ich haben dieselbe logische Form, weil dieses jene aktiv erzeugt und hervorbringt. Der Hauptpunkt der idealistischen Auffassung des Ichs (und hier drückt Hegel Sympathie gegenüber Kant aus) lautet: jeder Begriff ist keineswegs eine bloße Vorstellung, die in einem Behälter von Bildern und mentalen TWA 6, S. 254. 18 TWA 6, S. 255. 17
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Zuständen enthalten ist, sondern die Manifestation der subjektiven Tätigkeit, welche das Ding durchdringt, um es zur logischen Form des Ichs zu erheben. Einer der Schwierigkeiten dieser idealistischen Auffassung ist, dass das Verhältnis von Objektivität zur Subjektivität nicht deutlich, sondern dunkler wird. Akzeptiert man, dass es Umwandlung und Aneignung beim Begreifen gibt, dann kann man sich nicht sicher sein, ob die logische Form des Ichs nur eine bloße Funktion unseres Geistes ist. Dass die Begriffe Resultat und Manifestation der subjektiven Tätigkeit sind, scheint gegen ihre Rolle als Grundlage der Objektivität zu sprechen. Hegels Antwort auf diese philosophische Herausforderung lässt sich in zwei Thesen wiederfinden, in denen der Unterschied zu der kantischen Lösung zu sehen ist, die darin besteht, nur den Begriffen, die auf einen sinnlichen Stoff bezogen sind (und nicht den Begriffen als solchen), Objektivität zuteilwerden zu lassen. Die erste These besagt: Der Begriff gilt als Grundlage der Objektivität, weil er möglich macht, dass der Gegenstand als Objekt erscheint; der Begriff ist nicht anders als das Objektsein des Objektes. Die zweite lautet: Ein Ding zu seinem Begriff zu erheben, bedeutet auch, dieses Ding zu seinem Ansichsein, d.h. zu demjenigen, was es in Wahrheit ist, zu erheben. Diese zwei Thesen weiter zu erörtern, erleichtert unser Verständnis bezüglich dessen, weshalb das Denken im infalliblen Zusammenhang mit der Objektivität steht aufgrund (und nicht ungeachtet) seiner begreifenden Tätigkeit. Sehen wir uns die erste These an: Eine der Schwierigkeiten beim Akzeptieren der These, dass die Begriffe Grundlage der Objektivität seien, liegt darin, dass der Terminus „Objektivität“ selbst auf dasjenige verweist, was nicht subjektiv ist, d.h. auf dasjenige, was nicht von unserem Geist oder unserem Willen abhängt. Die Begriffe unterstehen unserem Geist und demnach können sie nicht dasjenige begründen, was diesem entgegensetzt ist. Diese Art Schlussfolgerungen sind auf gewisse Weise verständlich, da wir uns irren können, indem wir das objektive Sein der Dinge erfassen möchten. Und weil wir weiterhin daran glauben, dass die Irrtümer von uns und nicht vom Gegenstand abhängen (es gibt keine „falschen“ Gegenstände, sondern nur falsche Urteile bezüglich der Gegenstände, wie Kant es auszudrücken pflegt), sei es vernünftig, zu behaupten, dass das Objektive gerade das Gegenteil unserer Subjektivität sei. Solche Schlussfolgerungen sind jedoch betrügerisch.
Schlussbemerkung
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Die Tatsache, dass wir uns irren können, führt nicht dazu, dass es zwischen Subjekt und Objekt eine unüberwindbare Lücke gibt. Wie in vorherigen Abschnitten darauf hingewiesen, geht die Möglichkeit des Irrtums analytisch Hand in Hand mit der Möglichkeit, den Irrtum als Irrtum zu bestimmen und etwas daraus zu lernen. In diesem Bestimmen hört die Lücke zwischen Subjektivität und Objektivität auf, unüberwindbar zu sein und wird somit aufgehoben. Wenn wir einen Irrtum als Irrtum anerkennen, manifestiert sich das objektive Sein der Sachen gegenüber unserer Vorurteile. Sogar wenn man der Auffassung ist (wie z.B. Gadamer), dass das Verstehen der Sachen ohne Vorurteile und Vorbilder unmöglich ist, betrifft dies nicht die Tatsache, dass, falls unsere Urteile in Frage gestellt und auf gewisse Weise widerlegt werden, wir mit dem objektiven Sein der Sachen konfrontiert sind. (Einer der tiefgründigsten Feststellungen bezüglich des hegelschen Begriffes der Erfahrung liegt eben in dieser inneren Korrelation zwischen der Möglichkeit des Irrtums und der Objektivität, oder in der Tatsache, dass sich die Objektivität der Dinge immer in der Aufhebung und Überwindung unserer festen Vorurteile zeigt). Die Objektivitätsfähigkeit des Denkens und seiner begreifenden Tätigkeit stützt sich nicht darauf, einen absolut vorurteilsfreien Geist zu haben, der in jeder seiner Meinungen und Urteilen infallibel ist, sondern darauf, dass wir den Irrtum als Irrtum anerkennen können. Die Fallibilität unserer Urteile präsupponiert notwendigerweise die Infallibilität des Denkens in Bezug auf die Wahrheit: Die nicht-falschen Gedanken sind objektiv wahr. Insofern verfällt die Definition des Objektiven als dasjenige, was der Subjektivität entgegengesetzt ist, in interne Widersprüche, denn der Grund für die (scheinbare) Entgegensetzung von Subjekt und Objekt, und zwar, dass wir uns täuschen können, setzt die Aufhebung derselben Gegenüberstellung voraus: Wir können uns deswegen irren, weil wir die Irrtümer als Irrtümer betrachten und so die Dinge in ihrem wahrhaften Sein sehen können. Basierend auf dem Vorherigen schlägt Hegel eine Definition der Objektivität vor, die dieser Juxtaposition von Subjekt und Objekt entbehrt. Diese Definition ist gewissermaßen trivial: Die Objektivität ist der Charakterzug, der allen Erkenntnisgegenständen zugrunde liegt; es ist dasjenige, was die Objekte zu Objekten macht. In diesem Zusammenhang setzt sich Hegel dafür ein, dass das, was die Objekte zu Objekten macht, gerade ihr Begriff ist. Objekt ist
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nichts Anderes als die begriffliche Erscheinung des Gegenstandes und des Dinges. Natürlich gibt es Gegenstände und Dinge unabhängig und „außerhalb“ unseres Geistes: Vor unserer Existenz gab es über Millionen Jahre hinweg das Universum und unseren Planeten und sicherlich wird es diese auch nach dem kleinen und vielleicht unbedeutenden Zeitraum geben, an dem denkende Wesen auf der Erde gelebt haben. Trotzdem gilt weiterhin, dass, wenn wir Urteile über diese von uns unabhängig existierenden Dingen fällen, uns grundsätzlich auf Begriffe beziehen. Tatsächlich hat selbst die Behauptung, dass es einen Planeten und ein Universum vor uns gab, unzweifelhaft einen begrifflichen Inhalt: Ohne die Begriffe Planet, Universum, Mensch usw. kann man so etwas nicht affirmieren. Und die Tatsache, dass die Behauptung, es gab vor uns etwas, begrifflichen Inhalt hat, heißt nicht, dass diese Aussage nicht objektiv ist. Die Affirmationen des Realismus sind von Begriffen durchdrungen und dennoch sind sie objektiv (auch und vor allem für den Realist selbst, welcher meistens Zweifel am Ich-Idealismus hat), wobei es sich zeigt, dass Begrifflichkeit und Objektivität nicht nur kompatibel sind, sondern logischerweise miteinbezogen sein müssen: Die Objektivität drückt sich nur in einem begrifflichen Medium aus oder, anders ausgedrückt, sie ist nur den Wesen mit begrifflichen Fähigkeiten als Objektivität zugänglich, was bedeutet, die Begriffe müssen objektiv sein können. Nur indem die Dinge begrifflich erscheinen, können sie Objekte unserer Erkenntnis und Urteile sein. Ihre Objektivität, ihr Objektsein ist demzufolge der Begriff: Nach dieser Darstellung ist die Einheit des Begriffs dasjenige, wodurch etwas nicht bloße Gefühlbestimmung, Anschauung oder auch bloße Vorstellung, sondern Objekt ist, welche objektive Einheit die Einheit des Ich mit sich selbst ist.19
Ebenfalls liest man: Diese Objektivität hat der Gegenstand somit im Begriffe, und dieser ist die Einheit des Selbstbewusstseins, in die er aufgenommen worden; seine Objektivität oder der Begriff ist daher selbst nichts anderes als die Natur des
19
TWA 6, S. 255.
Schlussbemerkung
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Selbstbewusstseins, hat keine anderen Momente oder Bestimmungen als das Ich selbst.20
Die bloßen „Gefühlsbestimmungen“, die Anschauungen oder Vorstellungen sind noch keine Begriffe und in ihnen erscheint noch nicht der Gegenstand oder das Ding als Objekt, womit demnach auch noch keine Objektivität vorhanden ist. Das bedeutet aber nicht, dass Hegel eine feste Trennlinie zwischen Begriffen und Anschauungen zieht. Im Fall der Menschen, welche vollkommene begriffliche Fähigkeiten besitzen, sind die Begriffe in der Lage, die Gefühlbestimmungen, die Anschauungen und die Vorstellungen zu überdeterminieren. Doch unabhängig von dieser Diskussion, die schon im ersten Kapitel dieser Arbeit dargelegt wurde, ist der Hauptpunkt des Arguments, dass in den Anschauungen oder Gefühlsbestimmungen noch keine Objekte erscheinen. Jedes Urteil oder jede Behauptung kann sich objektiv nur auf Anschauungen oder Gefühlsbestimmungen beziehen, deren Inhalt begrifflich ist, d.h. Anschauungen oder Gefühlsbestimmungen, in denen etwas als etwas erscheinen können muss. Die Tiere, die ausschließend Gefühlsbestimmungen haben, ohne dass diese durch Begriffe formiert und bereichert werden, interagieren zwar mit ihrem Habitat, sind jedoch nicht in der Lage, dieses Habitat als Habitat, als Planet, als Zuhause, als Welt, als Heimat usw. zu sehen. Die Tiere beziehen sich nicht objektiv auf die Welt, da ihr Weltbezug sich nicht auf Objekte richtet. Die Menschen sind dagegen dazu fähig, denn sie verhalten sich zu Dingen, die aufgrund der Begrifflichkeit als etwas erscheinen – nicht nur in der theoretischen Tätigkeit des Urteilens, sondern auch etwa in der Gebrauchs- und Arbeitspraxis, in der z.B. ein Gegenstand als Werkzeug erscheint. Deshalb kann man sich auf ein und dasselbe physisches Ding in vielfältiger Weise beziehen und in diesem verschiedene Objekte sehen. Ein Baum kann als physische Kraft, als Teil eines Ökosystems, als Exemplar einer Gattung, als wirtschaftliche Ressource oder Wahre, als Symbol für Weihnachten oder sogar abstrakt als bloßes „Ding“ betrachtet werden. Dass in ein und demselben Ding verschiedene Objekte unterschieden werden können, zeigt, dass das Objektsein des Objektes, die Objektivität unbedingt Begrifflichkeit ist. Demnach besteht die Objektivität des Gegenstandes nicht da20
Ebd.
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rin, vom Ich getrennt zu sein, sondern vielmehr darin, von der begreifenden Tätigkeit des Letzteren durchdrungen zu werden. Es ist nun an der Zeit, die zweite These zu betrachten, laut der das Begreifen eines Dinges dieses zu seinem wahrhaften Sein erhebt. Wenn wir uns einen Begriff von einem Ding machen und es in ein Objekt verwandeln, wird dieses Ding nicht nur in die logische Form des Ichs gebracht, sondern auch zu seinem Ansichsein erhoben. Für Hegel sind beide Momente im Begreifen untrennbar, kann man nicht – wie Hegel glaubt, dass es der Fall bei Kant ist – das Erste ohne das Zweite akzeptieren: Der Gegenstand in der Anschauung oder auch in der Vorstellung ist noch ein Äußerliches, Fremdes. Durch das Begreifen wird das Anundfürsichsein, das er im Anschauen oder Vorstellen hat, in ein Gesetztsein verwandelt; Ich durchdringt ihn denkend. Wie er aber im Denken ist, so ist er erst an und für sich; wie er in der Anschauung oder Vorstellung ist, ist er Erscheinung; das Denken hebt seine Unmittelbarkeit, mit der er zunächst vor uns kommt, auf und macht so ein Gesetztsein aus ihm; dies sein Gesetztsein aber ist sein Anundfürsichsein oder seine Objektivität.21
Die Objektivität des Objektes muss nicht mit seiner Unmittelbarkeit identifiziert werden. Unmittelbare Apprehension heißt nicht wahrhaftes Auffassen dessen, was im Gegenstand wirklich vorkommt. Ganz im Gegenteil: das unmittelbare Erfassen ohne Begriff, wie jenes der Tiere in ihrem Verhältnis zur Umwelt, ist nicht wahrheitsfähig. Damit ist nicht ausschließlich (wenn doch auch) gemeint, dass sich die Tiere in ihrer Unfähigkeit, Urteile zu fällen, nicht nach Wahrheit und Lüge fragen. Was Hegel dort behauptet, ist, dass Wesen mit begrifflichen Fähigkeiten, welche sich einen Begriff der Dinge machen, Zugang zu demjenigen haben, was die Dinge in Wahrheit sind, während Wesen ohne diese Fähigkeiten dieser Zugang verwehrt bleibt. Im Moment des Begreifens passen die Gegenstände sich nicht einer ihnen äußerlichen Intelligibilitätsform an, sondern zeigen ihr wahrhaftes Sein. Im Prinzip ist nicht deutlich, weshalb das Begreifen eines Dinges impliziert, dieses zu seinem wahrhaften Ansichsein zu erheben. Eine Möglichkeit wäre, zu akzeptieren, dass Hegel letztendlich Platoniker ist und daran glaubt, dass es auf irgendeiner Ebene oder in irgendeiner Dimension der Wirklichkeit allgemeine metaphysische 21
TWA 6, S. 255.
Schlussbemerkung
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Formen gibt. Ist das so, dann würde sich einen Begriff eines Dinges zu machen bedeuten, dieses zu der übersinnlichen Form zu erheben, an der es teilhat. Doch eine platonische Deutung ist mit der Überwindung des Dualismus von Schein und Wesen inkompatibel: wie gesehen, gibt es laut Hegel keine wesentliche Welt, welche als Paradigma und Muster der Intelligibilität für die scheinende Welt gilt. Die Antwort auf diese Frage ist folglich nur in der relationalen Ontologie zu finden, die Hegel verteidigt. Dies ist gerade das terminologische Spiel des vorherigen Zitates bezüglich des „Anundfürsichseins“ und des „Gesetztseins“. Erstlich glaubt man, dass die Bestimmung und Spezifizität eines Dinges mit seiner Unmittelbarkeit koinzidieren. Dabei sei das Ding „an und für sich“, nämlich von sich aus intelligibel. Diese identitäre Auffassung der Spezifizität, welche in der Seinslogik vorkommt, geht Hand in Hand mit dem üblichen Begriff der Objektivität, dem Common Sense eigen, dem die Behauptung zugrunde liegt, dass je weniger das Denken Einfluss auf das Verständnis eines Dinges hat, desto wahrhafter und objektiver erscheint es. Wenn aber die Spezifizität eines Dinges nur aufgrund von verschiedenen Wechselwirkungsverhältnissen individuierbar ist, ist dieses kein „Anundfürsichsein“, sondern gilt als „Gesetztsein“. Die Dinge sind nicht selbständig, sondern als Resultat von etwas Anderem zu betrachten. Doch dieses Andere, von dem der spezifische Inhalt ein Ergebnis ist, ist keine metaphysische Struktur, die hinter diesem liegt, sondern gerade die Relationalität und die logische Bewegung, die diese belebt und sich darin manifestiert. Aus diesem Grund ist die Relationalität oder die logische Bewegung wieder „Anundfürsichsein“, allerdings in Einheit mit dem „Gesetztsein“. Anders gesagt: Die Relationen von Interaktion und Wechselwirkung, die ein Ding zu einem anderen hat, machen die Identität und den Inhalt von diesem aus. Da aber die allgemeine Relationalität nicht ontologisch unabhängig von der Bewegung und Tätigkeit des mit ihm im Zusammenhang stehenden Dinges ist, da es keinen Unterschied von Relata und Relation gibt, kann nur das „Anundfürsichsein“ – die allgemeine logische Bewegung – als „Gesetztsein“ – als dasjenige, was die Bewegung erzeugt und produziert – gedacht werden. In diesem Zusammenhang bedeutet das Begreifen eines Dinges, einen Gegenstand in Beziehung zu anderen zu setzen, d.h. ihn in seinem „Anundfürsichsein“, d.h. in der für diesen konstitutiven Re-
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lationalität erscheinen zu lassen. Beim Begreifen wird das Ding zwar in ein Produkt der subjektiven Tätigkeit – also zum „Gesetztsein“ – verwandelt, zeigt sich jedoch in dieser Verwandlung das wahrhafte Sein des Dinges, nämlich die Relationalität, in der die Spezifizität überhaupt erst entstehen kann. Das Gesetztsein – in diesem Fall das Bezogensein, das Begriffensein – geht mit dem Anundfürsichsein, mit dem wahrhaften Sein, mit der logischen Form zusammen. Die Prozessontologie der reinen Relationalität, der idealistischen Auffassung der begreifenden Tätigkeit des Ichs und die Objektivitätsfähigkeitsthese machen bei Hegel ein und dasselbe philosophisches Korrelat aus. Einen Aspekt abgesehen von den anderen hervorzuheben, ist demnach unbedingt einseitig. Sich einen Begriff von etwas zu machen, besteht folglich nicht darin, einen isolierten Gegenstand zu nehmen und ihm einen Namen zu geben. Natürlich ist der Mensch fähig, die Dinge mit arbiträren Symbolen zu benennen, was zum Beispiel in den sprachlichen Unterschieden zum Ausdruck kommt, allerdings heißt das nicht, dass die Begriffe den Eigennamen gleichzusetzen sind. Der Grund dafür besteht darin, dass die Fähigkeit, einem isolierten Gegenstand einen Namen zu geben, das Vorhandensein von Begriffen bereits voraussetzt. Die Begrifflichkeit wird demnach nicht durch die Namensgebung erklärt. Das Nennen setzt zumindest die Möglichkeit voraus, implizit zwischen dem Namensgebenden und dem Genannten zu unterscheiden, und dasjenige Wesen, das dazu fähig ist, muss unzweifelhaft über gut entwickelte begriffliche Fähigkeiten verfügen. Deshalb können die Begriffe keinesfalls als bloße Namen, die die Dinge bezeichnen, gedacht werden, die wir vereinbarungsgemäß oder durch kulturelle Prägung annehmen. Diese Erklärung der Begriffe als eine Art Sozialvertrag, der auf Vereinbarungen basiert, ist auch zirkulär. Die Konvention beansprucht es, zu erklären, wie ein Rahmen der gemeinsamen Intelligibilität entsteht, präsupponiert doch jede Vereinbarung diese gemeinsame Intelligibilität, um gegeben sein zu können: Ein Wesen ist nur dann in der Lage, Verträge und Konventionen zu entwickeln, wenn es schon über Begriffe verfügt. Die Gleichsetzung von Begriffen mit Eigennamen scheitert nicht deswegen, weil unsere Begriffe unveränderlich oder angeboren sind, sondern grundsätzlich deshalb, weil das Begreifen keine bloße Namensgebung ist, sondern vielmehr impliziert, ein Ding in Beziehung zu anderen zu setzen. So erscheint z.B. der Begriff Löwe innerhalb eines Netzes
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aufeinander bezogener Gegenstände und ergibt nur in Verbindung mit anderen Begriffen Sinn. Ohne die Begriffe von Gattung, Katze, Tier, Ökosystem, Leben, Natur usw. kann man sich keinen Begriff vom Löwen machen. Demzufolge ist der Begriff Löwe nicht anders als sein Verhältnis und seine Relation zu anderen Begriffen. Diese können nur relational verstanden werden. Hierbei sollte das Hauptaugenmerk darauf gerichtet werden, dass eben genau dieses in-Beziehung-Setzen, das in der begreifenden Tätigkeit des Ichs stattfindet, das Ding zu seinem wahrhaften Sein erhebt, denn die Wahrheit, das „Anundfürsichsein“ dieses Dinges ist die Relationalität, welche es durchdringt. Wir können zwar niemals wissen, wie es sich anfühlt, ein Löwe zu sein, doch, indem wir behaupten, dass der Löwe ein Lebewesen ist und in Wechselwirkung zu anderem Lebendigen steht, und darüber hinaus noch erklären können, wie diese Interaktion das eigene Sein, den Charakterzug seiner Gattung ausmacht und ihn auch eventuell verändern könnte, betrachten wir ihn als dasjenige, was er in Wahrheit ist, was für den Löwen selbst unzugänglich ist und in seinen Gefühlsbestimmungen nicht vorhanden ist. Das wahrhafte Sein des Löwen, wenn man will, der Löwe „an und für sich“ manifestiert sich nicht in seinem Gefühl, sondern in unserem Denken als Begriff. Daraus folgt jedoch nicht, dass unsere Begriffe absolut unveränderlich und infallibel sein müssen. Tatsächlich werden diese ständig neu bewertet und ändern sich im Laufe der Zeit und mit der Entwicklung der Erkenntnis. Was dies alles beweist, ist, dass die Begriffe keine Rolle in der arbiträren Namensgebung spielen, vielmehr versuchen wir mit diesen, die Verhältnisse und die Relationalität, die die Wirklichkeit und die Welt ausmachen, zu erfassen und zu verstehen. Wenn die Begriffe nur eine Rolle in der arbiträren Namensgebung spielen würden, wären jene weder fallibel, noch könnten sie gegebenenfalls korrigiert werden. Der Grund dafür, dass unsere Begriffe wahrheitsfähig sind, besteht darin, dass der relationale Rahmen der Intelligibilität, die innerhalb der begrifflichen Sphäre stattfindet, dieselbe Dynamizität besitzt, die innerhalb der Wirklichkeit lebt und operiert. Begriff ist demzufolge das logisch-ontologische Kontinuum, in dem sowohl die begreifende Tätigkeit des Ichs als auch die Wahrheit der Dinge erscheinen. Nichtsdestotrotz könnte man mit dieser Theorie der Begriffe unzufrieden sein. In der Tat ist es möglich, einzuwenden, dass man
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unter der Prämisse, ein Begriff sei seine Beziehung zu einem anderen, nicht in der Lage ist, mit Präzision den Punkt zu etablieren, an dem der Mensch begriffliche Fähigkeiten entwickelt hat. Irgendwann haben sich die Tiere ohne Begriffe weiterentwickelt und sind zur Subjektivität geworden. Es scheint, als wäre dieser Punkt für die hegelsche Theorie unsichtbar, wobei man annehmen müsste, dass alle begrifflichen Fähigkeiten des Menschen, die wir heute kennen, im Ganzen vom Himmel gefallen wären. Doch Hegel ist der Auffassung, dass die Etablierung dieses geschichtlichen Anfangspunktes der begrifflichen Fähigkeiten ein Scheinproblem für die Philosophie darstellt. Diesbezüglich kann man hier den Satz von Karl Marx anbringen, der, unzweifelhaft von Hegel inspiriert, besagt: „Die Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur Anatomie des Affen. Die Andeutungen auf Höheres in den untergeordneten Tierarten können dagegen nur verstanden werden, wenn das Höhere selbst schon bekannt ist.“22 Jede Erklärung der Begrifflichkeit, die diese auf nicht-begriffliche Elemente reduzieren möchte, ist unbedingt zirkulär, da diese Reduktion das Vorhandensein von Begriffen voraussetzt.23 Genau dasselbe behauptet Hegel: Ein hauptsächlicher Missverstand, welcher hierbei obwaltet, ist, als ob das natürliche Prinzip oder der Anfang, von dem in der natürlichen Entwicklung oder in der Geschichte des sich bildenden Individuums ausgegangen wird, das Wahre und im Begriffe Erste sei. Anschauung oder Sein sind wohl der Natur nach das Erste oder die Bedingung für den Begriff, aber sie sind darum nicht das an und für sich Unbedingte; im Begriffe hebt sich vielmehr ihre Realität und damit zugleich der Schein auf, den sie als das bedingende Reelle hatten. Wenn es nicht um die Wahrheit, sondern nur um die Historie zu tun ist, wie es im Vorstellen und dem erscheinenden Denken zugehe, so kann man allerdings bei der Erzählung stehenbleiben, dass wir mit Karl Marx, Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, (MEW 13), S. 636. 23 Zur hegelschen Kritik an der empiristischen Auffassung der Natur der Begriffe vgl. Friedrike Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen? Freiburg/München 1994, S. 59–68. Lockes Konzeption der Begriffe beruht auf dem Subjekt-Prädikat-Schema. Wie im zweiten Kapitel gezeigt, führt dieses Schema zu einem Teufelskreis: Die Eigenschaft bzw. das Prädikat sagt das, was das Substrat sei, aber dieses Substrat muss vor der Prädikation im Voraus gegeben sein, damit man wissen kann, welches Subjekt Träger der Eigenschaften ist. (Dazu auch: Ebd., S. 67.) 22
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Gefühlen und Anschauungen anfangen und der Verstand aus dem Mannigfaltigen derselben eine Allgemeinheit oder ein Abstraktes herausziehe […].24
Mit diesem langen Zitat ist gemeint, dass die Forderung, den Ursprung der Begriffe und die Subjektivität durch nicht-begriffliche Elemente zu erklären, immer als zirkuläres Verfahren und Missverständnis zu betrachten ist. Es ist zirkulär, wie schon bereits angedeutet wurde, weil jede Erklärung der Begrifflichkeit die Gegenwart begrifflicher Elemente voraussetzen muss. Das ist gerade der Fall mit der von Hegel im Zitat kommentierten Theorie, laut der der Ursprung der Begriffe als Abstraktionsprozess zu verstehen sei, dessen Ausgangspunkt der sinnliche Stoff ist. In dieser Theorie wird die These laut, dass die Begriffe Assoziationen von Wahrnehmungsinhalten oder von „Ideen“ (um den empiristischen Terminus zu verwenden) entstammen, deren Gehalt definitiv nicht-begrifflich ist. Doch die Möglichkeit, Vorstellungen mit ähnlichem Inhalt zu assoziieren und sich daraus einen Begriff zu machen, setzt das kompetente Verständnis des Begriffes der Ähnlichkeit voraus. Man kann „Ideen“ und Wahrnehmungsinhalte vergleichen, um daraus Begriffe aufzubauen, weil wir die abstrakten Begriffe der Identität und des Unterschiedes verstehen. Die Assoziations- und Abstraktionsoperation erklärt die Begrifflichkeit nicht, denn diese Operation setzt schon Begriffe voraus. Nun enthält diese Art von Theorien ein Missverständnis, weil dabei die notwendige Bedingung und der Grund von etwas verwechselt werden. Die Natur und die Animalität des Menschen sind ohne Zweifel notwendige Bedingungen für die Subjektivität und für den Begriff. Der Begriff ist eben begreifende Tätigkeit des Ichs – keine begriffliche Entität, die ontologisches Bestehen außerhalb des Leibes hat. Dass die begreifende Tätigkeit nur an einem Leib stattfinden kann, heißt nicht, dass der Begriff durch jenen Leib und dessen biologische Funktionen erklärt werden muss. Deswegen behauptet Hegel, dass die Subjektivität oder der Begriff ihre Bedingung in der Natur fänden, zugleich jedoch unbedingt seien: Der Grund des Begriffes kann nur er selbst sein. Diese Zirkularität und Selbstbegründung muss die Philosophie nicht beklagen, vielmehr ist es ihre Aufgabe, in dieser die Wahrheitsfähigkeit des Denkens zu betrachten. 24
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So kommt das Denken unzweifelhaft in der Natur vor, ist es keine außer-natürliche Entität und hat außerhalb dieser kein ontologisches Bestehen. Doch kommt es in der Natur so vor, dass es die bloße Natürlichkeit zu einer Existenzmodalität erhebt, welche, radikal und irreduktibel, nicht in der Natürlichkeit als solche vorhanden ist, und zwar in der Modalität, sich wissende Natur zu sein: „Das Leben oder die organische Natur ist diese Stufe der Natur, auf welcher der Begriff hervortritt, aber als blinder, sich selbst nicht fassender, d.h. nicht denkender Begriff; als solcher kommt er nur dem Geiste zu.“25 Ist die Subjektivität sich wissende Natur, dann erscheint in der begreifenden Tätigkeit des Ichs die Natur als Natur, d.h., als dasjenige, was sie in Wahrheit ist, als ihr Ansichsein. Hierbei sieht man erneut das notwendige Korrelat von Idealismus und Realismus. Die These, dass die begreifende Tätigkeit des Ichs in der Konstitution der Objektivität unerlässlich sei, führt nicht zum subjektiven Idealismus. In dem Moment, in dem das Ich die Dinge zur logischen Form der Subjektivität erhebt, deformiert es die Wirklichkeit nicht, noch führt es keine dem Sein äußere Intelligibilitätsform ein. Dagegen trifft es viel eher zu, dass Kraft dessen, dass die begreifende Tätigkeit des Ichs und die Wirklichkeit dieselbe logische Form besitzen, bedeutet sich einen Begriff der Dinge zu machen, dasjenige, was diese in Wahrheit sind, erscheinen zu lassen. Die idealistische Auffassung, dass die Tätigkeit des Ichs unabdingbar sei, damit es Objektivität geben kann, führt nur unter der logisch-ontologischen Voraussetzung zum subjektiven Idealismus, dass die Spezifizität und die eigene Identität der Dinge mit ihrer reinen Unmittelbarkeit koinzidieren. Von dieser Annahme ausgehend tut die Tätigkeit des Denkens der Wirklichkeit Gewalt an, indem sie ein nur subjektives Intelligibilitätsschema auf diese projiziert. Wird diese logisch-ontologische Annahme in Frage gestellt und widerlegt, dann tut die vermittelnde Tätigkeit des Denkens der Wirklichkeit keine Gewalt an, noch geht sie das Risiko ein, die Wirklichkeit aufgrund einer arbiträren subjektiven Projizierung zu deformieren. Denn es gibt zwar vermittelnde Tätigkeiten des Denkens und Projizierungen der eigenen logischen Form des Ichs auf die Wirklichkeit, stellen jedoch diese subjektiven Vermittlungen die eigene Relationalität und logische Dynamizität dar, die für die Bestimmung und Spezifizität des Denkens verantwortlich sind. 25
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Literaturverzeichnis Hegel Werke in zwanzig Bänden. Theorie-Werkausgabe, herausgegeben von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main 1970 ff. (Mit der Abkürzung TWA zitiert.) Gesammelte Werke, herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968. (Mit der Abkürzung GW zitiert.) Phänomenologie des Geistes, herausgegeben von Wolfgang Bonsiepen und Reinhard Heede, Hamburg 1980.
Sonstige Literatur Agamben, G., Die Macht des Denkens. Gesammelte Essays, Frankfurt am Main 2013. Allais, L., Conceptualism and Non-Conceptualism in Kant: A Survey of the Recent Debate, in: D. Schulting (Hg.), Kantian Nonconceptualism, London 2016, S. 1–25. Arndt, A., Die anfangende Reflexion. Anmerkungen zum Anfang der Wissenschaft der Logik, in: Andreas Arndt, Christian Iber (Hgg.), Hegels Seinslogik, Berlin 2009, S. 126–139. Arndt, A., Die Subjektivität des Begriffs, in: Andreas Arndt, Christian Iber, Günter Kruck (Hgg.), Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss, Berlin 2006, S. 11–23. Arndt, A., Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs, Hamburg 1994. Arndt, A., Hegels Wesenslogik und ihre Rezeption und Deutung durch Karl Marx, in: Andreas Arndt, Günter Kruck (Hgg.), Hegels Lehre vom Wesen, Berlin 2016, S. 181–194. Artola, J. M., Realidad y Necesidad en la Lógica de Hegel, in: Revista de Filosofía 2 (1979), S. 139–166. Asmuth, Ch., Der Empirismus und die kritische Philosophie Kants. Zur zweiten „Stellung des Gedankens zur Objektivität“ im enzyklopädischen „Vorbegriff“ der spekulativen Logik, in: Alfred Denker, Annette Sell, Holger Zaborowski (Hgg.), Der
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