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German Pages 603 [604] Year 2020
Collegium Metaphysicum
Herausgeber / Editors Thomas Buchheim (München) · Friedrich Hermanni (Tübingen) Axel Hutter (München) · Christoph Schwöbel (Tübingen) Beirat / Advisory Board Johannes Brachtendorf (Tübingen) · Jens Halfwassen (Heidelberg) Douglas Hedley (Cambridge) · Johannes Hübner (Halle) Anton Friedrich Koch (Heidelberg) · Friedrike Schick (Tübingen) Rolf Schönberger (Regensburg) · Eleonore Stump (St. Louis)
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Hannes Gustav Melichar
Die Objektivität des Absoluten Der ontologische Gottesbeweis in Hegels „Wissenschaft der Logik“ im Spiegel der kantischen Kritik
Mohr Siebeck
Hannes Gustav Melichar, geboren 1984; Studium der Philosophie, Soziologie und Musikwissenschaft in Jena und Weimar; wurde 2019 an der philosophischen Fakultät der Universität Tübingen promoviert; seit 2017 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Philosophie II der Universität Bamberg.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. ISBN 978-3-16-156916-6 / eISBN 978-3-16-156917-3 DOI 10.1628/978-3-16-156917-3 ISSN 2191-6683 / eISSN 2568-6615 (Collegium Metaphysicum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abruf bar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von le-tex in Leipzig aus der Bembo gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Danksagung Die vorliegende Dissertationsschrift ist natürlich nicht in Isolation, sondern aus den Gesprächen entstanden, deren Schnittpunkt ich mehr als drei Jahre lang sein durfte. Dabei danke ich von ganzem Herzen Prof. Dr. Friedrich Hermanni und Prof. Dr. Friedrike Schick für die bereichernde und konstruktive Betreuung meiner Arbeit und die lehrreichen Seminare. Des Weiteren gilt mein herzlicher Dank Prof. Dr. Vittorio Hösle für die intensive Betreuung und die fruchtbare Zeit an der University of Notre Dame. Zudem möchte ich mich bei Prof. Dr. Christian Illies, Prof. Dr. Anton Friedrich Koch, Prof. Dr. Christoph Schwöbel und Prof. Dr. Henning Tegtmeyer für die Kolloquien, Seminare und Gespräche bedanken, die diese Arbeit geformt haben. Dann bedanke ich mich für die Unterstützung der Studienstiftung des deutschen Volkes e.V. und der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften. Ein besonderer Dank gilt meinen Eltern Sabine Melichar und Hans Georg Dürksen-Melichar sowie Henny Melichar und Paul Melichar, die mich unterstützt und begleitet haben, auch und gerade in den weniger erfreulichen Tagen meiner Dissertationsphase. Außerdem möchte ich mich bei meinen Dozenten Dr. Christian Spahn und PD Dr. Christian Tewes bedanken, die die Gedanken dieser Arbeit auf den Weg gebracht haben und denen ich wichtige Hinweise verdanke. Zudem bedanke ich mich für die vielen, unschätzbar wertvollen Gespräche, Hinweise, Korrekturen, Anregungen und Zusprachen von Wout Bishop, Katinka Valerie Eberl, Winfried Lücke, Paul McEldowney, Sascha Pahl, Christoph Poetsch, Simon Schüz, Luz Christopher Seiberth, Thomas Jussuf Spiegel, und des Weiteren danke ich dem ganzen Kolloquium für Systematische Theologie in Tübingen und dem Kolloquium zu Problemen der ersten Philosophie in Heidelberg.
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil I. Kant und das Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1
Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises für die philosophische Theologie . . . . 17 1.1 Die epistemologische Wende der Philosophie und die Dialektik der Kritik der reinen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.2 Die Stellung des Gottesgedankens in der Kritik der reinen Vernunft . 19 1.2.1 Die Ableitung der Ideen in der Dialektik der ersten Kritik . . 19 1.2.2 Die Ableitung des Gottesgedankens als Ideal der reinen Vernunft 31 1.3 Die möglichen Gottesbeweise für die theoretische Vernunft . . . . 37 1.3.1 Die drei möglichen Gottesbeweise in der Kritik der reinen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.3.2 Die nicht berücksichtigte Möglichkeit eines Gottesbeweises . 48 1.4 Der ontologische Gottesbeweis als notwendige Bedingung der philosophischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1.4.1 Der physikotheologische und der ontologische Beweis . . . . 53 1.4.2 Der kosmologische und der ontologische Beweis . . . . . . . 56
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Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises . . 71 2.1 Kants Kritik an den Modalbegriffen im ontologischen Beweis . 2.1.1 Kants Ablehnung von absoluter Notwendigkeit . . . . . 2.1.2 Begriffliche Notwendigkeit und Notwendigkeit der Sache 2.1.3 Der logische Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Kants Unterscheidung von logischen und realen Modalbegriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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74 74 76 83
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2.2 Kants Kritik an der Satzform im ontologischen Beweis . . . . . . . 95
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Inhaltsverzeichnis
2.3 Kants Kritik am Existenzprädikat im ontologischen Beweis . . 2.3.1 Existenz ist kein Prädikat . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Existenz ist kein reales Prädikat . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Die Rolle der Anschauung in Kants Widerlegungsversuch
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106 106 111 123
2.4 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2.4.1 Die Notwendigkeit philosophischer Theologie und der ontologische Gottesbeweis . . . . . . . . . . . . . . 133 2.4.2 Kants erfolgloser Widerlegungsversuch des ontologischen Beweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
Teil II. Hegels Wiederaufnahme der philosophischen Theologie und Überbietung der kantischen Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . 141 3
Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3.1 Hegels Kritik an Kant Transzendentalphilosophie . . . . . . . 3.1.1 Der Empirismusvorwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Das Ding-an-sich Problem . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Die Irreflexivität der kritischen Philosophie . . . . . . . 3.1.4 Die fehlende Letztbegründung der kantischen Philosophie
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143 144 151 156 160
3.2 Hegels Kritik an Kants Widerlegung der philosophischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3.3 Hegels Kritik an der vorkantischen Metaphysik . . . . . . . . . . 176
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Hegels Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4.1 Die vollständige Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4.1.1 Logik und Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 4.1.2 Logik und Hegels Gottesbegriff in nuce . . . . . . . . . . . . 221 4.2 Die Erkennbarkeit Gottes als Konsequenz der hegelschen Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
Teil III. Hegels Lösungsstrategie für das Willkürlichkeitsund Konsistenzproblem des Gottesbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 5
Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs . 243 5.1 Das Problem der Willkürlichkeit des Gottesbegriffs . . . . . . . . 247
IX
Inhaltsverzeichnis
5.2 Hegels Problematisierung der Willkürlichkeit des Gottesbegriffs . . 255 5.2.1 Hegel über Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 5.2.2 Hegel über Vorstellungen und den Begriff * . . . . . . . . . 263 5.3 Das Problem der Konsistenz des Gottesbegriffs . . . . . . . . . . . 278 5.4 Hegels Kritik an der omnitudo realitatis . . . . . . . . . . . . . . . 285
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Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik . . . . . . . . . . 294 6.1 Der Anfang der Logik und die Voraussetzungslosigkeit . . . . . . . 295 6.2 Die antinomischen Begriffe und die Grundzüge einer antinomischen Logik . . . . . . . . . . . 6.2.1 Der antiomische Prozess . . . . . . . . . 6.2.2 Der antinomische Begriff . . . . . . . . . 6.2.3 Der antinomische Widerspruch . . . . . .
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317 323 325 327
6.3 Die antinomische Logik und der Anfang der Wissenschaft der Logik 6.3.1 Die Dihairese von ‹Sein›und ‹Nichtsein› . . . . . . . . . . 6.3.2 Die Synthese ‹Dasein›und ihre Explikation ‹Bestimmtsein› . 6.3.3 Das Anfangsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Die bestimmte Negation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.5 Die semantisch-pragmatische Diskrepanz . . . . . . . . . . 6.3.6 Puntels Wandschneider-Kritik . . . . . . . . . . . . . . .
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328 331 333 338 339 341 343
6.4 Die antinomische Logik als Methode der Wissenschaft der Logik . . 6.4.1 Die Dialektik in den Teilen der Wissenschaft der Logik . . . . 6.4.2 Die antinomische Logik und Letztbegründung . . . . . . . 6.4.3 Das reine und das endliche Denken . . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Konsistenz und der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch
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350 351 361 369 371
6.5 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
Teil IV. Hegels ontologischer Gottesbeweis in der Begriffslogik . . . . . . . . 381 7
Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 7.1 Hegel über den ontologischen Gottesbeweis am Übergang zur Objektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 7.2 Argumentstruktur des Absoluten in der Wesenslogik 7.2.1 Das Absolute . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Die Modalkategorien . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Das absolute Verhältnis . . . . . . . . . . . 7.2.4 Der Übergang zum Begriff * . . . . . . . .
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407 408 415 432 440
X
8
Inhaltsverzeichnis
Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich . 448 8.1 Der Begriff * als Prinzip der Logik . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Die wichtigsten Momente des Begriffs *. . . . . . . . . 8.1.2 Der Begriff * als Absolutes und das Verhältnis zur Idee *. 8.1.3 Entwicklung der Bestimmungen des Begriffs *. . . . . . 8.1.4 Argumentationsskizze des ersten Abschnitts. . . . . . . 8.2 Die immanente Struktur des Begriffes * . . . . . . . . . . . 8.2.1 Die Besonderheit der begriffslogischen Dialektik. . . . . . 8.2.2 Die Momente des Begriffes * . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Die Urteils- und Schlusslehre . . . . . . . . . . . . . .
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448 450 455 458 460
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464 464 466 477
Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 9.1 Vier schwache Argumente für den Übergang zur Objektivität
. . . 495
9.2 Der negative Beweis als Schlüssel zum Verständnis des Übergangs zur Objektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Die Objektivität als Seinsweise des absoluten Begriffes * . . . . . . 9.3.1 Der negative Beweis und der ontologische Gottesbeweis . . 9.3.2 Der kosmologische Gottesbeweis in der objektiven Logik und der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik . . . 9.3.3 Die Selbstaufhebung der Objektivität . . . . . . . . . . . . 9.4 Vollendung in der Idee * . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 502 . 518 . 518 . 521 . 523 . 532
Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 Siglenverzeichnis Literatur . . . . Namensregister Sachregister . .
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563 567 589 591
Einleitung „Ohne jede theologische Basis ist der Satz, daß Liebe besser sei als Haß, nicht zu begründen.“1 Diese Äußerung des ehemals marxistisch-materialistischen Philosophen Max Horkheimer, in der Dostojewskis Verdacht, dass, wenn es keinen Gott gibt, alles erlaubt sei,2 nachklingt, ist bemerkenswert. Sie ist nicht nur bemerkenswert, weil sie gegen den Zeitgeist der ‚postmetaphysischen Moderne‘ verstößt, sondern auch, weil sie wie das Eingeständnis des Scheiterns einer kritisch-normativen Theorie ohne theologisches Fundament erscheint. Doch zugleich haftet diesen Hinweisen auf einen metaphysisch-theologischen Hintergrund unserer praktischen Welthaltung und deren Institutionen etwas Antiquiertes an. Denn es scheint so, als habe das 20. Jahrhundert nichts so angefochten, wie das Nachdenken über religiöse Themen. Von der ubiquitären Verbreitung des Nietzscheanismus, über den Wiener Kreis bis hin zur evangelischen Theologie, gilt kaum etwas als derart verpönt wie die rationale Durchdringung des Glaubens oder die rationale Begründung des religiösen Denkens. So wird häufig vertreten, die Themen der philosophischen Theologie seien, wenn überhaupt, lediglich von historischem Interesse, was oft mit dem Verweis auf die kantische Philosophie belegt wird. Handelt es sich aber bei der Frage nach Gottesbeweisen um eine bloße Reminiszenz an das metaphysische Denken, das in der ‚postmetaphysischen Moderne‘ dekontextualisiert ist?3 Nun war es allerdings schon immer rätselhaft, was an unserem Zeitalter ‚postmetaphysisch‘ ist. So gehören heute sowohl die Ontologie als auch die philosophische Theologie respektive Religionsphilosophie zu den florierenden und etablierten Disziplinen innerhalb des philosophischen Diskurses. Aber es ist auch richtig, dass die Philosophie des 20. Jahrhunderts, inspiriert durch den naturwissenschaftlichen Fortschritt und entsetzt über die Gräueltaten der Menschen in den totalitären Regimen, eine ablehnende Haltung gegenüber der philosophischen Theologie eingenommen hat. Die Wiederbelebung der Metaphysik vollzieht sich nun, weil 1
Horkheimer, Verwaltete Welt, S. 36 f. Vgl. Dostojewski, Die Brüder Karamasow, Teil IV, 11. Buch, 4., S. 781. Da lässt Dostojewski die Figur Dimitrij Karamasow sagen: „‚Aber was soll dann der Mensch beginnen?‘ frage ich. ‚Ohne Gott und ohne Leben nach dem Tode? Jetzt ist wohl also alles erlaubt, und man darf alles tun?‘ ‚Hast du das denn nicht gewußt?‘ sagt er und lacht dabei. ‚Ein kluger Mensch darf alles‘, sagt er.“ 3 Vgl. Habermas, Nachmetaphysisches Denken, S. 25 f. und ebd., S. 35–60. 2
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Einleitung
die Gründe für die ablehnende Haltung schon immer zu einfach waren, ohne dabei die wissenschaftliche Entwicklung oder das moralische Versagen im Mindesten leugnen zu müssen. Doch wenn die zeitgenössische Philosophie als Wiedergeburt der Metaphysik angesehen werden kann, warum dann nicht direkt an diese anschließen und stattdessen auf Denker zurückgreifen, die sich vor dem Hintergrund der modernen Welt mit philosophischer Theologie befassen? Nun ist der Fortschritt und das große Interesse, das die zeitgenössische Metaphysik und Religionsphilosophie fraglos verdient, unbestritten. Dennoch ist der Fortschritt in der Philosophie ein merkwürdiger Prozess, der allzu oft einer Wiederentdeckung alter Argumente, Muster und Themen gleicht. Daher ist die Philosophie eine Disziplin, zu deren Fortschritt die Bewahrung und stetige Neuaneignung des bereits Gedachten gehört, weil dieses als Inspirationsquelle und aufgrund der Komplexität der Fragestellungen und Antwortangebote immer voranbringend wirkt. Doch steht dieser Neuaneignung der philosophischen Theologie noch ein anderer Widerstand entgegen: Unsere Selbstgewissheit, unsere praktische Welthaltung als autonome und moderne Subjekte werden durch nichts so sehr herausgefordert wie durch metaphysische Beweise des Daseins Gottes und religiöser Glaubenssätze. Denn auf welchem Wege kann man sich erhabener fühlen als durch die Leugnung eines Absoluten? Deswegen wirkt die genannte Einlassung Horkheimers als Provokation, die die Grundfesten und Selbstverständlichkeiten unseres Lebens betrifft. Und dass diese getroffen sind, decken gerade die oft heftigen Gegenreaktionen auf. Aber es wäre falsch, zu meinen, die rationale Durchdringung dieser Grundfesten und Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sei eine bloße Überflusserscheinung. Denn woran sich unsere Handlungen ausrichten und warum wir auf vieles wie selbstverständlich vertrauen, ist leicht zu erschüttern, und je wissender wir um uns und diese Fragen sind, desto eher wissen wir mit Erschütterungen umzugehen. Weil Religionen unter anderem immer ein Versuch einer möglichst umfassenden Deutung unserer Welthaltung, unserer praktischen Regeln und Leitlinien waren, bieten sich die Religionen als Reflexionsgrundlage an. Auch wenn der Widerstand gegen Metaphysik und speziell gegen Gottesbeweise groß ist, so antizipiert diese Wut nur, was tatsächlich der Fall ist: Die Existenz Gottes ist nicht gleichgültig für unser Selbst- und Weltverständnis. Als metaphysische Wahrheit ist sie nicht vergleichbar mit dem Aufweis eines bloßen Faktums, etwa der Entdeckung eines neuen Elementarteilchens – so bedeutsam und spannend das wäre. Aber diese metaphysische Wahrheit stellt uns unter eine Anforderung, die aus einem letzten Grund für ein Welt- und Selbstbild entspringt, der wir uns nicht entziehen können, solange wir uns als rationale Wesen ernst nehmen wollen. Doch wie lassen sich heute überhaupt noch theologische Kategorien rechtfertigen? Sind diese nicht doch im ‚postmetaphysischen‘ Zeitalter auf dem Opferaltar dargebracht worden, höchstens noch in säkularer Verkleidung wirksam, aber sicher kein Thema der Reflexion mehr? Haben wir jegliche theologische Basis verloren,
Einleitung
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die Orientierung versprechen würde? Diese Situation ist nicht so einmalig in der Geschichte der Philosophie, wie es auf den ersten Blick erscheint. Denn wie die physikalistisch-orientierte Philosophie des 20. Jahrhunderts hatte auch schon Immanuel Kant die philosophische Theologie aus dem theoretischen Wissen verwiesen. Zwar war Kant bei diesem Unternehmen so differenziert, die Existenz Gottes auch nicht für verneinbar zu erklären und den Gottesgedanken daher als Postulat im Rahmen der praktischen Vernunft fruchtbar zu machen. Aber dennoch schien nach Kant die philosophische Theologie, speziell mit dem Unterfangen der Gottesbeweise, gescheitert zu sein. Somit fand sich Georg Wilhelm Friedrich Hegel mit der Sachlage konfrontiert, die philosophische Theologie von Grund auf rechtfertigen zu müssen, weil ihre Legitimität insgesamt fraglich war. Eine analoge Situation lässt sich für den Beginn des 21. Jahrhunderts diagnostizieren: Der Wiener Kreis und die Postmoderne haben versucht die philosophische Theologie fundamental zu delegitimieren. Weil sich die Delegitimation jedoch letztlich als unzureichend begründet erwiesen hat, blüht heute die Metaphysik wieder auf.4 Doch wenn die heutige Situation der philosophischen Theologie, mit einer Grundsatzkritik konfrontiert zu sein, derjenigen Hegels ähnelt, so stellt sich sogleich die Frage, ob die heutigen Antworten mit denen Hegels vergleichbar sind. Um das kompetent beantworten zu können, müssen Hegels Bemühungen um Gottesbeweise vor dem Hintergrund der kantischen Kritik zunächst verstanden werden. Diesem Desiderat widmet sich die vorliegende Studie, deren Ziel ist es, die philosophische Theologie Hegels vor dem Hintergrund des kantischen Widerlegungsversuchs in ihrem argumentativen Gehalt zu rekonstruieren. Dabei wird die These verfolgt, dass Hegel keineswegs die Bemühungen um Gottesbeweise einstellt, sondern sich durch die kantische Kritik genötigt sieht, die Grundprobleme der philosophischen Theologie zu reflektieren und mit dem Streben nach philosophischer Letztbegründung zu verbinden. Dabei übernimmt Hegel durchaus wichtige Teile der kantischen Überlegungen – vor allem die Einsicht, dass der ontologische Gottesbeweis (= OGB) das Kerninteresse der philosophischen Theologie ausmacht. Gegen Kant wendet er sich jedoch, indem das konsequente Festhalten wichtiger transzendentalphilosophischer Motive gerade mit den Bemühungen um den OGB zusammenlaufen. Wie sich diese Argumentation darstellt, wird in der vorliegenden Studie entfaltet. Somit werden die Argumentationen Hegels für das neu aufkommende Interesse an der philosophischen Theologie aufbereitet. Zugleich kann für die HegelForschung gezeigt werden, dass Hegels Argumente zur philosophischen Theologie 4 Eine gute Einführung bietet: Craig und Moreland, The Blackwell Companion to Natural Theology. Die Liste analytischer Religionsphilosophen ist zu lang, um sie hier aufzuführen. Im deutschen Sprachraum sind etwa Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“; Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft; Hindrichs, Das Absolute und das Subjekt; Tetens, Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie hervorhebenswert. Vgl. auch Löffler, Einführung in die Religionsphilosophie.
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Einleitung
ins Zentrum der hegelschen Philosophie führen und von dort nicht wegzudenken sind. Dem stehen sozialkonstruktivistische, pragmatistische und anti-metaphysische Lesarten entgegen, die in den vergangenen Jahrzehnten in den Vordergrund getreten sind.5 Indem jedoch der theologische Zug der hegelschen Philosophie argumentativ ernst genommen wird, können Einseitigkeiten der kursierenden Lesarten ausgeglichen werden. Dass weder innerhalb der Hegelforschung noch im neu aufkommenden Interesse an philosophischer Theologie die hegelschen Bemühungen um den OGB wenig Berücksichtigung finden, ist sicherlich zum einen der hohen Komplexität und der merkwürdigen Behandlung der philosophischen Theologie in Hegels Werken geschuldet. Zum anderen aber auch dem Verdacht, Hegel würde im Grunde der Position Feuerbachs zuarbeiten, nach welcher die theologischen Wahrheiten Projektionen menschlicher Subjekte darstellen. Jedoch gibt es gewichtige Gründe, in der fehlenden Berücksichtigung der hegelschen Philosophie ein Versäumnis zu sehen. 1. Zunächst ist Hegels Nachdenken über philosophische Theologie schon deswegen interessant, weil er bereits auf die Kritik Immanuel Kants reagiert, dessen Widerlegungsversuch aller philosophischer Theologie bis heute viele Fürsprecher findet und darum auch in der vorliegenden Arbeit den Ausgangspunkt bildet. In seiner Reaktion zeigt sich Hegel nun weder dazu gedrängt, die klassische Frage der metaphysica specialis nach der Existenz Gottes aufzugeben, noch ist er geneigt, direkt an die vorkantischen Rationalisten und klassischen Formen der Gottesbeweise anzuschließen. Stattdessen gibt er der Metaphysik in seinem als Wissenschaft der Logik betitelten Hauptwerk eine neue Form und verbindet ganz unterschiedliche Disziplinen zu einem Gesamtprojekt, das weder der kantischen Kritik anheimfällt noch eine unkritische Metaphysik darstellt. 2. Durch die Möglichkeit, auf das kantische Werk zu reagieren, vermag Hegel aber auch über eine Fragestellung nachzudenken, die Kant überhaupt erst aufgeworfen hatte. Während Kants Philosophie in den drei Kritiken die philosophische Theologie aus dem theoretischen Wissen verbannt, aber einen praktischen Vernunftglauben begründet und diesen für eine gewisse Wirklichkeitsdeutung fruchtbar macht, begründet er in seinem Werk Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft von 1793/94 eine neue Disziplin, nämlich die Religionsphilosophie. Die Religionsphilosophie beschäftigt sich nicht mehr mit der Frage nach 5 Vgl. etwa Pippin, Hegel’s Idealism. The Satisfaction of Self-Consciousness; Stekeler-Weithofer, Hegels Analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung; Lewis, Religion, Modernity, and Politics in Hegel. Selbst dort, wo metaphysische Themen in der hegelschen Philosophie explizit behandelt werden, wird die Theologie gerade ausgespart. So ist es bezeichnend, dass ein Sammelband, der den Untertitel „Metaphysical Topics in Kant and Hegel“ trägt, im Titel die Theologie, die für Kant und für Hegel von entscheidender Bedeutung ist, ausspart. Vgl. Emundts, Self, World, and Art.
Einleitung
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der Wahrheit der Religion, sondern mit der Bezugnahme der Menschen auf Gott und der daraus resultierenden Praxis.6 Somit ist die Religionsphilosophie metaphysisch neutral, und es bleibt offen, ob Religion nicht letztlich eine leere und eitle soziale Praxis ist, die ebenso wegfallen könnte. Hegel greift diese Disziplin in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion auf und führt sie bereits zu einer beachtlichen Breite, was den historischen Ausgriff und die Fülle an Phänomenen angeht. Dabei verbindet Hegel die Religionsphilosophie aber mit einer philosophischen Theologie, welche zeigt, dass es sich in der Religion um eine gerechtfertigte Praxis handelt. Dass Hegel philosophische Theologie und Religionsphilosophie zusammenbringt, ist nun interessant, weil er beide nicht einfach nur nebeneinander behandelt, sondern eine innige und überraschende Verflechtung annimmt. Denn auf der einen Seite begreift Hegel die menschliche Religionspraxis als notwendig aus der Existenz Gottes hervorgehend. Damit ist die metaphysische Theologie in zweifachem Sinne die Begründung der Religion: Sie rechtfertigt die Bezugnahme auf das Göttliche und begründet, dass diese Bezugnahme notwendig ist. Auf der anderen Seite ist die menschliche Religionspraxis ein eminent wichtiger Teil des Offenbarungsgeschehens selbst, weil nach Hegel aus dem Absoluten selbst folgt, dass es im Denken der Menschen auftritt. So gewinnt Hegel eine Perspektive, aus der er ganz unterschiedlichen Religionen wahre Einsichten zusprechen kann, ohne sie als völlig beliebig zu betrachten. Denn mit der philosophischen Theologie findet die Religionspraxis ein Maß, nach welchem sie sich einordnen und sortieren lässt.7 3. Schließlich ist hervorzuheben, dass Hegel seine Metaphysik und seine philosophische Theologie nicht als piecemeal vorbringt, sondern einen groß angelegten Versuch vorlegt, die ganze Philosophie und alle Wissenschaften aus einem Prinzip zu begreifen. Das streng systematische Vorgehen wird schon von Kant gefordert, und die Suche nach einem Prinzip der Philosophie ist sicher gegen die fragmentierte Behandlung philosophischer und theologischer Fragen gerichtet, wie sie als Eindruck der Scholastik zurückbleiben kann.8 Weil sich gerade in der Beschäftigung mit der an der analytischen Philosophie geschulten, zeitgenössischen Religionsphilosophie ein analoger Eindruck bilden kann, müsste Hegels philosophische Theologie als Teil des vielleicht strengsten systematischen Philosophierens eigentlich ins Zentrum des Interesses rücken. Doch so wichtig und interessant die Auseinandersetzung wäre, so wird sie doch dadurch erschwert, dass Hegel philosophische Theologie in einem Geflecht aus Letztbegründungsfragen, Ontologie, Transzendentalphilosophie und einer für den heutigen Geschmack ausgefallenen Logik behandeln. 6 Vgl. etwa Dalferth, Die Wirklichkeit des Möglichen, S. 76. Vgl. auch Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 2 f. 7 Vgl. dazu Hermanni, Metaphysik, § 30, S. 203–214. 8 Vgl. Kant, KrV, A 832–838 | B 860–866.
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Die vorliegende Arbeit geht daher dem philosophisch-theologischen Denken Hegels und speziell seiner Behandlung des OGB nach, um diese Forschungslücke zu füllen. Die Grundlegung seiner philosophischen Theologie, deren Kern und wesentliche Durchführung, findet nun in der genannten WdL statt. Dieses schwere und oft undurchsichtige Werk ist nun allerdings nicht ausschließlich als philosophische Theologie zu verstehen, sondern als die hybride Disziplin, welche die soeben genannten Unterdisziplinen vereint. Doch gerade aufgrund dieser Komplexität ist es auch für das bessere Verständnis von Hegels Hauptwerk sinnvoll, ein bestimmtes Thema genauer zu betrachten und damit die Ressourcen der Logik auszuloten. Das Ziel dieser Arbeit ist also ein zweifaches: Auf der einen Seite sollen die Antworten Hegels zu Grundproblemen des OGB herausgearbeitet und verständlich gemacht werden. Auf der anderen Seite können über die Perspektive der philosophischen Theologie die Verfahrensweise und die Grundzüge des hegelschen Denkens hervortreten, die sonst aufgrund der überbordenden Komplexität oft verdunkelt werden. Was aber ist der OGB? Und warum sollte ausgerechnet dieser Gottesbeweis eine erhellende Perspektive auf die WdL eröffnen? Aufgrund der verschiedenen Varianten und Formulierungen, die aus der Geschichte der Philosophie bekannt sind, ist eine Antwort auf die erste Frage alles andere als einfach.9 Allerdings hat Kant eine wichtige Charakterisierung festgehalten, nach welcher der OGB zwei Merkmale besitzt, die ihn unterscheidbar machen: 1. Er kommt ohne alle Erfahrungsprämissen aus und ist somit rein a priori konzipiert. 2. Er argumentiert, dass aus dem Begriff Gottes seine Existenz folgt. Allein die begriffliche Einsicht soll also die göttliche Existenz verbürgen. Weil der Beweis dabei allein mit begrifflichen Mitteln argumentiert, geht er mit dem Anspruch auf eine besondere Notwendigkeit und Unbezweifelbarkeit einher. Auch aus diesem Grund sprechen ihm Kant und Hegel eine zentrale Rolle für die philosophische Theologie im Allgemeinen zu. Der OGB ist erstmals von Anselm von Canterbury in seinem Proslogion erwähnt worden. Weil Hegel diesen Text selbst in der Enzyklopädie an zentraler Stelle zitiert und weil Anselms Schrift zu den schönsten der Philosophiegeschichte gehört, sei die entscheidende Stelle zur Veranschaulichung hier angeführt: Und gewiss kann das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, nicht allein im Verstande sein. Denn wenn es nur im Verstande allein ist, so kann man denken, es sei auch in der Wirklichkeit, was größer ist. Wenn also das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, im Verstande allein ist, so ist eben das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, dasjenige, über das hinaus Größeres gedacht werden kann. Das aber kann mit Sicherheit nicht der Fall sein. Es existiert also ohne Zweifel etwas, über das 9 Vgl. Inwagen, „Three Versions of the Ontological Argument“, S. 223 f., der zurecht die Frage stellt, was denn Varianten und Typen eines Argumentes sind.
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hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, [und zwar] sowohl im Verstande als auch in der Wirklichkeit.10
Dieses negative Argument Anselms ist in der Geschichte der Philosophie verschiedentlich kritisiert und verteidigt worden. Hier ist nicht der Ort, um alle Formulierungen und Strategien darzustellen. Wichtig ist jedoch, dass sich zwei Hauptvarianten des OGB unterscheiden lassen, deren Argumentation deutlich differiert. Dieser Unterschied besteht in den zugrunde gelegten Gottesbegriffen.11 Denn wird Gott als das ens perfectissimum verstanden, so muss gezeigt werden, dass ‚Existenz‘ notwendig zu diesem Wesen gehört oder aus der Perfektion dieses Wesens die Existenz folgt. Wird Gott hingegen als ens necessarium verstanden, so ist mit der Möglichkeit des notwendigen Wesens auch die Wirklichkeit impliziert, jedenfalls dann, wenn ein Modalsystem mit der Eigenschaft der Symmetrie angenommen wird, beziehungsweise es ist die notwendige Wirklichkeit impliziert, wenn ein Modalsystem mit den Eigenschaften Symmetrie und Transitivität zugrunde gelegt wird.12 Diesem OGB hat nun Kant in der Kritik der reinen Vernunft eine besondere Stellung zugewiesen. Kant argumentiert, dass er für die theoretische Vernunft die notwendige Voraussetzung bildet, um überhaupt Gottesbeweise führen zu können. Dem folgt Hegel, indem er dem OGB einen zentralen Platz in seiner WdL einräumt, und zwar in der Behandlung dessen, was Hegel ‚Begriff *‘ nennt.13 Dieser Begriff * bildet eine Art Prinzip der hegelschen Philosophie, und als solcher verbindet Hegel mit ihm den OGB. Das führt zu einer stark abweichenden Behandlung des OGB. Diese Abweichungen sind jedoch nicht willkürlich, sondern basieren auf Lösungsversuchen von Grundproblemen des Gottesbeweises. Diese Grundprobleme meint Hegel lösen zu können, indem er den Gottesbeweis in seinen objektiven Idealismus integriert. Dieser objektive Idealismus stellt wiederum 10 Siehe Anselm von Canterbury, Proslogion, Übersetzung von Robert Theis, 2. Kapitel, S. 22 f.: „Et certe id quo maius cogitari nequit, non potest esse in solo intellectu. Si enim vel in solo intellectu est, potest cogitari esse et in re; quod maius est. Si ergo id quo maius cogitari non potest, est in solo intellectu: id ipsum quo maius cogitari potest, est quo maius cogitari potest. Sed certe hoc esse non potest. Existit ergo procul dubio aliquid quo maius cogitari non valet, et in intellectu et in re.“ Vgl. Hegel, Enz. I, § 193, A., S. 348. Vgl. zur Rekonstruktion und den Schwierigkeiten bei Anselm, etwa Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“ und Bromand und Kreis, „Anselms Argument und seine frühen Kritiker“. 11 Vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 3 f. In dieser Schrift bietet Henrich eine gute Abhandlung der Geschichte des ontologischen Arguments in der Neuzeit. Ebenfalls empfehlenswert ist die Zusammenstellung von Bromand und Kreis, Gottesbeweise. Eine vertiefende Einleitung zum Thema Gottesbeweise findet sich in Craig und Moreland, The Blackwell Companion to Natural Theology. 12 Vgl. etwa Inwagen, „Three Versions of the Ontological Argument“, S. 236–240. 13 Weil Hegel mit dem Wort ‚Begriff ‘ nicht das gleiche Konzept wie Kant verbindet, wird durch den Asterisk gekennzeichnet, wann auf Hegels Verständnis Bezug genommen wird. Vgl. zu den sprachlichen Konventionen dieser Dissertation das Ende der Einleitung.
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die WdL und damit den Begriff * in sein Zentrum. Wie und warum Hegel so argumentiert, soll in der vorliegenden Untersuchung erhellt werden. Nicht ausführlich untersucht wird in der vorliegenden Studie die angesprochene Religionsphilosophie Hegels. Der Grund dafür ist keinesfalls, dass Hegels Vorlesungen nicht lohnenswert sind oder bereits vollkommen erschlossen wurden.14 Aber die philosophische Theologie der WdL bildet die entscheidende Voraussetzung der Religionsphilosophie, durch welche sie scharf von nicht- und anti-metaphysischen Entwürfen in der Religionsphilosophie abgegrenzt werden kann. Weil die philosophische Theologie in der Logik bereits viel Erläuterung bedarf, wäre der Brückenschlag zur Religionsphilosophie ein weiteres, an diese Arbeit anschließendes Projekt. Über Religionsphilosophie hat Hegel bekanntlich in den Jahren 1821, 1824 und 1827 Vorlesungen gehalten.15 Zudem liegen einige Überlieferungen aus dem Jahre 1831 vor, in denen Hegel sich erneut dem Thema zugewandt hat. Allein das intensive Interesse an dem Thema zeigt die Wertschätzung, die Hegel der Religionsphilosophie entgegengebracht hat. Die starken Abweichungen zwischen den Vorlesungsfassungen zeigen die fortwährende Arbeit, die Hegel hier investiert hat, was darauf hindeutet, dass es keine triviale Frage ist, welche Gestalt Hegels Meinung und schließlich seinem System entspricht. Die Religionsphilosophie wurde direkt nach Hegels Tod von Philipp Marheineke in der Ausgabe für den ‚Kreis der Freunde des Verewigten‘ herausgegeben, aber bereits in der Ausgabe von Bruno Bauer aus dem Jahr 1840, in der umfassendere Nachschriften von Hegels Schülern aus ganz unterschiedlichen Jahren verwendet wurden, verändert und erneut publiziert. Diese Ausgabe wurde dann von Georg Lasson in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts erneut ediert und umgestellt, wobei weiterhin die unterschiedlichen Jahrgänge zu einem Text zusammengefügt wurden. Dieser Ausgabe folgte die oft verwendete Ausgabe des Suhrkamp-Verlages. Die Texte der Vorlesungen über die Philosophie der Religion liegen aber mittlerweile in bestens edierten Versionen vor, in welchen die verschiedenen Jahrgänge getrennt abgehandelt werden. Das ist für die Forschung um die hegelsche Religionsphilosophie ein enormer Zugewinn. Dennoch ist die Suhrkamp-Ausgabe weiterhin relevant, weil die Bauer-Ausgabe noch Texte berücksichtigt, die bereits Lasson nicht mehr im Original vorlagen und die als verloren gelten können.16 Daher wird in der vorliegenden Studie mit folgendem Kompromiss gearbeitet: Da die Religionsphilosophie nicht der primäre Gegenstand dieser Arbeit ist, sondern nur zur Unterstützung der Argumentation
14 Die beste Übersicht findet sich immer noch in Jaeschke, Die Religionsphilosophie Hegels. Vgl. auch Jaeschke, Die Vernunft in der Religion. 15 Vgl. zur Editionsgeschichte die konzisen Ausführungen von Walter Jaeschke in Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. XLI–XLIV. 16 Vgl. dazu die Ausführungen von Jaeschke in ebd., S. XLII.
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der Logik herangezogen wird, erfolgt die Zitation nach der Suhrkamp-Ausgabe. Weil aber die neue Edition fraglos die adäquatere ist, wird in den Fußnoten jeweils die betreffende Seitenzahl der Ausgabe des Meiner-Verlages in Klammern angegeben. Sehr wichtig sind zudem die Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes von 1829, die Hegel parallel zur WdL behandelt hat, weil sie dem Inhalt nach „nur eine eigentümliche Gestalt von den Grundbestimmungen der Logik“17 sei. Diese Vorlesungen sind für die vorliegende Arbeit von großer Bedeutung, ebenso wie die beiden Hegel-Vorlesungen, die sich ausführlicher mit dem OGB auseinandersetzen und sich im Begriff der Religion in den Vorlesungen von 1827 und in derjenigen von 1831 finden.18 Die Vorlesungen zu den Gottesbeweisen gehen auf ein Manuskript Hegels zurück, das dieser selbst weitgehend zur Publikation fertiggestellt hatte. Das Manuskript ist nicht erhalten, es lag aber Marheineke noch vor. Leider behandeln Hegels Vorlesungen neben allgemeinen Gedanken vornehmlich den kosmologischen Gottesbeweis (= KGB). Zum OGB hingegen finden sich lediglich Bemerkungen, die zwar wichtig und erhellend sind, dennoch fehlt eine vollständige Abhandlung Hegels. Letzteres ist vor allem ein Nachteil für die vorliegende Arbeit, weil diese sich vornehmlich mit Hegels Behandlung des OGB auseinandersetzt. Dieser Gottesbeweis ist von Kant ins Zentrum der philosophischen Theologie gerückt worden. Hegel gibt ihm recht, indem er das ontologische Argument im Zentrum seiner eigenen Philosophie verortet, nämlich in der Lehre vom Begriff, dem Prinzip der hegelschen Philosophie. Aufgrund dieser zentralen Stellung in der hegelschen Philosophie und der philosophischen Theologie scheint die Beschränkung auf den OGB gerechtfertigt, ohne anderen Gottesbeweisen die Wichtigkeit absprechen zu wollen. Doch sind zugleich die Probleme und Fragen, die sich aus dem rein apriorischen Beweis ergeben, bereits von solchem Gewicht, dass die Arbeit überfrachtet wäre, würden weitere Gottesbeweise ausführlich behandelt. Dabei ist hier allerdings anzumerken, dass Hegels eigentümliche Behandlung des OGB innerhalb der WdL durchaus mit einem anderen Gottesbeweis verbunden ist, nämlich dem von Leibniz erwähnten Beweis durch die ewigen Wahrheiten. Wie diese Verbindung zu verstehen ist, wird in der Arbeit ausgeführt. Auch wenn, wie gerade angesprochen, die zeitgenössische Hegelforschung en gros versucht, die metaphysischen Festlegungen Hegels nach Möglichkeit zu dimmen, baut diese Arbeit natürlich auf bedeutenden Vorarbeiten auf. Nach den Abhandlungen von Karl Domke, Helmut Aloisius Ogiermann und Erik Schmidt ist vor allem Dieter Henrichs Behandlung von Hegels OGB aus dem Jahr 1967 17
Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 347. Vgl. Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 308–329 (206–223) und Hegel, VPR. Die vollendete Religion, S. 271–276 (546–553). 18
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hervorzuheben.19 Denn während die erstgenannten kaum an den argumentativen Kern der hegelschen Philosophie rühren, zeigt Henrich in seiner Monografie ein tiefes Verständnis sowohl der verschiedenen Formen des OGB als auch für die Philosophie Hegels, als deren argumentativen Kern er die WdL identifiziert. Hier soll keine Besprechung von Henrichs Arbeit vorgenommen werden, an ihr überzeugt aber in jedem Fall, dass sie den OGB als Grundfrage der Philosophie versteht, dass sie zeigt, dass Hegel den OGB mit seiner Letztbegründung zusammenbringt und dass er die Begriffe ‚Gott‘ und ‚Sein‘, die im OGB auftreten, untersucht und methodisch entfalten möchte. Schließlich kann Henrich darin gefolgt werden, dass Hegels ganzes System einen Gottesbeweis bildet, die WdL aber dennoch im Zentrum des Beweisinteresses steht.20 Jedoch ist Henrichs Behandlung letztlich zu knapp um die Komplexität der hegelschen Argumentation klären zu können. In dieser Hinsicht kann in der vorliegenden Arbeit über Henrich hinausgegangen werden, wie ihm auch in einigen Details, etwa der Einschätzung der kantischen Kritik am OGB, widersprochen werden muss. Dennoch ist die Arbeit von Henrich eine wichtige Grundlage für die Entwicklung dieser Arbeit. Dass über Henrich hinausgegangen werden kann, verdankt diese Studie auch den Fortschritten in der Hegelforschung. Neben vielen verdienstvollen Arbeiten stechen vor allem die Arbeiten von Vittorio Hösle und Dieter Wandschneider aufgrund ihrer besonderen Einsicht in die Problemlagen, die Hegel behandelt, aber auch aufgrund ihrer argumentativen Klarheit hervor. Weitere wichtige Arbeiten, die Hegels philosophische Theologie erhellen, sind von Quentin Lauer, Klaus Düsing, Anton Friedrich Koch und vielen mehr geleistet worden.21 Diese werden an den betreffenden Stellen dieser Studie zitiert und behandelt. Um Hegels Argumentation hinsichtlich des OGB darzustellen und bewertbar zu machen, geht die Arbeit die folgenden Schritte. Im ersten Teil der Arbeit geht es um den Versuch Kants, die philosophische Theologie zu widerlegen und zumindest als theoretische Disziplin zu verabschieden. Hier geht es im Wesentlichen um zwei Schritte. Zunächst soll mit Kant verstanden werden, warum er die philosophische 19 Vgl. Domke, Das Problem der metaphysischen Gottesbeweise in der Philosophie Hegels; Ogiermann, Hegels Gottesbeweise; Schmidt, Hegels Lehre von Gott. Vgl. zu diesen die knappe, aber konzise Kritik in: Jaeschke, Die Religionsphilosophie Hegels, S. 120–133. 20 Vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 191–193. 21 Vgl. etwa Lauer, Hegel’s Concept of God; Lauer, „Hegel on Proofs for God’s Existence“; Cramer, Gottesbeweise und ihre Kritik; Knudsen, Gottesbeweise im deutschen Idealismus. Die modaltheoretische Begründung des Absoluten, dargestellt an Kant, Hegel und Weiße; Düsing, „Ontologische Bestimmungen als Prädikate des Absoluten?“; Düsing, Das Seiende und das göttliche Denken; Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik; Rohls, Theologie und Metaphysik. Der ontologische Gottesbeweis und seine Kritiker; Lakebrink, „Anselm von Canterbury und der Hegelsche Gottesbeweis“; Dierken, „Hegels Interpretation der Gottesbeweise“; Koch, Die Evolution des logischen Raumes; Ficara, „Der ontologische Gottesbeweis bei Hegel und in der analytischen Philosophie“; Spies, Die Negativität des Absoluten. Hegel und das Problem der Gottesbeweise; Taylor, „Itinerarium Mentis in Deum: Hegel’s Proofs of God’s Existence“; Hodgson, „Hegel’s Proofs of the Existence of God“.
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Theologie als notwendige Frage der menschlichen Vernunft betrachtet, deren Beantwortung aber unmöglich ist. Dabei ist vor allem die Strategie der Widerlegung, die Kant wählt, interessant, weil sie eine Systematisierung der möglichen Gottesbeweise ausmacht und zu zeigen beansprucht, dass der OGB die notwendige Bedingung aller philosophischer Theologie im Rahmen der theoretischen Vernunft darstellt. Wenn nämlich der OGB eine notwendige Bedingung der anderen theoretischen Gottesbeweise ist, so genügt seine Widerlegung, um die Unmöglichkeit aller theoretischen Gottesbeweise zu demonstrieren. Daher werden daraufhin ausführlich die Argumente, die Kant gegen den OGB vorbringt, untersucht und zurückgewiesen. So wird deutlich werden, dass die Argumente nicht als zwingend beurteilt werden müssen. Mit diesem Resultat im Rücken wendet sich die Arbeit dann der hegelschen Philosophie zu. In einem Blick auf Hegels Kritik an der kantischen Philosophie wie auch der vorkantischen Metaphysik wird deutlich, was Hegel als Grundproblem der philosophischen Theologie reflektiert, nämlich die Begründung erster Prämissen. Diese Reflexion auf Voraussetzungen der Argumentationen stellt sich zugleich als das transzendentalphilosophische Erbe dar, das Hegel von Kant übernimmt. Das Problem, erste Prämissen zu begründen, soll die WdL lösen, weshalb die Arbeit sich dem Verständnis dieses Werkes und der enthaltenen Argumentation hinsichtlich des OGB widmet. Nachdem das Zusammengehen der vordergründig getrennt erscheinenden Disziplinen der Logik, Transzendentalphilosophie, Ontologie und philosophischen Theologie begründet wurde, folgt die Arbeit dann zwei Grundfragen, die Hegel für die Möglichkeit von Gottesbeweisen stellt: 1. Was ist Gott beziehungsweise was ist unter dem Gottesbegriff zu verstehen? 2. Existiert Gott? Wie kann aus dem Gottesbegriff die Existenz abgeleitet werden? Der ersten Frage nach dem Gottesbegriff (1.) wird sich über die zwei klassischen Probleme genähert, die sich hinsichtlich dieser Grundlage des OGB stellen. Das erste ist dabei die mögliche Willkürlichkeit des Gottesbegriffes und seiner Bestimmung – ein Einwand, der von Caterus in seinen Einwänden gegen Descartes’ OGB in den Meditationen vorgebracht wird. Das zweite ist die Frage nach der Möglichkeit Gottes, die Leibniz zum Hauptproblem des OGB erklärte und eine geniale, aber streitbare Lösung vorlegte. Es wird dabei jeweils gezeigt, dass Hegel diese Probleme, wenn auch in anderem Vokabular, in seiner Logik aufgreift und behandelt. So verweist die Frage nach der Willkürlichkeit des Gottesbegriffes auf Hegels Unterscheidung von Vorstellungen und dem Begriff *, der in seinen Bestimmungen nicht von Wahlakten eines Subjekts abhängt. Die zweite Frage verweist hingegen auf die Durchführung der WdL, da durch die methodische Herleitung aller Bestimmungen des absoluten Begriffs *, Hegels philosophischem Gottesbegriff, dessen Konsistenz bewiesen werden soll. Dabei handelt es sich im Grunde um die Strategie, die Totalität aller ewigen Wahrheiten zu explizieren, was Leibniz bereits als einen möglichen Gottesbeweis benannt hat. Weil Hegels Logik aber
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einer sehr komplizierten Methode folgt und die Ableitung aller Bestimmungen des Begriffs * daher den Rahmen dieser Arbeit sprengt, beschränkt sich die vorliegende Untersuchung auf die Diskussion der Grundzüge der Methode, durch welche zumindest gezeigt werden soll, dass es sich um eine konsistent durchführbare Methode handelt. Um Missverständnisse hinsichtlich der Beweisstrategie der WdL zu vermeiden, wird zunächst die Frage nach dem Anfang der Logik untersucht. Dabei soll eine missverständliche Konzeption zurückgewiesen werden, welche die Absolutheit, den Geltungsstatus der Logik an der Unbestimmtheit respektive der Voraussetzungslosigkeit dieses Anfangs festmacht. Eine solche Interpretation trifft zumindest nicht die Intention Hegels und schwächt auch dessen argumentatives Vorhaben. Wie die Methode der WdL dann positiv zu bestimmen ist, wird im Anschluss diskutiert. Weil Hegel selbst hier zu dunkel bleibt und eher intuitiv zu verfahren scheint, wird auf die klarste und anschlussfähigste Methodenreflexion für die Logik zurückgegriffen, nämlich diejenige, die Dieter Wandschneider in seiner Monografie Grundzüge einer Theorie der Dialektik vorgelegt hat.22 Dabei wird gezeigt, dass die Methode der WdL prinzipiell konsistent durchführbar ist und damit zu einer konsistenten Konzeption des absoluten Begriffs * führen würde. Das abschließende Kapitel dieser Arbeit widmet sich dann der zweiten Frage (2.), dem Verständnis des Existenzbegriffs im OGB und der Weise, wie dieser mit dem absoluten Begriff * in der Begriffslogik verbunden ist. Hegel meint, er habe mit dem Übergang vom Begriff * zur Objektivität dasjenige geleistet, was der OGB zeigen wolle. Das ist angesichts der Merkmale und des Verfahrens der Logik überraschend, weil Hegel nicht, wie der klassische OGB, von einer Vorstellung des Menschen von Gott ausgeht, um dann zu beweisen, dass die Leugnung der Wirklichkeit eines entsprechenden Wesens der Vorstellung widersprechen würde. Stattdessen will Hegel in diesem logischen Übergang zeigen, dass der Begriff *, der ohnehin ontologische Kategorien umfasst, nicht eingeschränkt sein kann. Dadurch ist aber die Existenzweise des absoluten Begriffs * spezifiziert. Dass ein solcher Begriff * hingegen überhaupt anzunehmen ist, wird durch die Herleitung der ewigen Wahrheiten bereits unumgänglich. Jedoch wird in der Objektivität deutlich, dass auch noch in der Abgrenzung und Negation vom Begriff *, und damit den ewigen Wahrheiten, diese vorausgesetzt und wirksam sind. Was Hegel so erreicht, ist, wie gesagt, das Verständnis der Existenzweise seines absoluten Prinzips und damit auch der Struktur des Begriffs *. Diese Struktur besteht in der Geltung noch in der Negation des Begriffs *. Und diese Struktur ist es, die Hegel ‹absolute Notwendigkeit› nennt. Daher ist es sinnvoll, Hegels Argumentation bei der Einführung dieser Bestimmung am Ende der Wesenslogik aufzugreifen und bis zu dem besagten Übergang zu verfolgen, was im letzten Kapitel geschieht. 22
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik.
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Was Hegel so erreicht, ist ein philosophischer Gottesbegriff, dessen Existenz weder mit der des endlichen Seins zusammenfällt noch aber ein völliges Jenseits zu diesem bildet. Vielmehr ist er zu verstehen wie die berühmte wahre Unendlichkeit, die Hegel bereits in der Seinslogik erläutert. Dieser philosophische Gottesbegriff ist es dann, auf den in der Religionspraxis Bezug genommen wird. Dabei ist er allerdings nicht am Modell einer bestimmten konfessionellen und nicht einmal am Modell eines bestimmten religiösen Verständnisses ausgerichtet. Er ist insofern philosophisch, als dass es sich, so Hegels Anspruch, um eine ewige Wahrheit handelt, die mit vernünftigen Mitteln eingesehen werden kann. Daher bildet dieser Gottesbegriff auch die Grundlage für Hegels kritischen Inklusivismus, der besagt, dass sich alle Religionen auf das Absolute beziehen. Jedoch kann dieser philosophische Gottesbegriff dennoch bestimmte Religionen auszeichnen, die ihn adäquater darzustellen und aufzunehmen verstehen. Für Hegel gelingt das dem Christentum in ausgezeichneter Weise, aber die Begründung dieser These liegt außerhalb des Skopus der vorliegenden Arbeit.23 In dieser soll lediglich das philosophische Fundament der Religionen untersucht werden, wie es das hegelsche Denken zu begründen versucht. Schließlich muss noch eine kurze Bemerkung zur Sprache des Folgenden vorausgeschickt werden. Zunächst wird Hegel durchgängig unter das Paradigma des objektiven Idealismus eingeordnet, wie es heute nicht unüblich ist. Natürlich ist bekannt, dass Hegel selbst sein System als ‚absoluten Idealismus‘ bezeichnet.24 Unter objektivem Idealismus wird hier verstanden, dass die Reflexion auf absolute Geltungsbedingungen nicht auf die Annahme von subjektiven Akten eines transzendentalen Subjekts führen, sondern auf begriffliche Bestimmungen, die gleichermaßen die Natur wie auch das Denken und die Praxis endlicher Subjekte durchdringen und ihnen zugrunde liegen. Durch diese ideale, zugrunde liegende Struktur als vorgängiges Prinzip ist gleichsam die Ordnung der Natur als auch die Intelligibilität durch menschliche Subjekte gewährleistet. Diese Philosophie, deren Urbild das platonische Modell darstellt, ist auf Hegels System vollkommen zutreffend, und es scheint letztlich eher verwirrend, Hegels Abgrenzung zu folgen und ihm eine eigene Kategorie des Idealismus zuzuschreiben.25 Des Weiteren ist vorauszuschicken, dass die logischen Bestimmungen Hegels durchweg als ‚Kategorien‘ bezeichnet werden. Das ist gerechtfertigt, weil Hegel an Kant anschließend die apriorischen Bestimmungen explizieren möchte, welche die Erfahrungswelt prägen, aber nicht durch diese gerechtfertigt werden können. Insofern verbindet Hegel mit seiner Logik eine allgemeine Ontologie, weshalb hier von Kategorien gesprochen werden kann. Das verstößt allerdings gegen Hegels eigenen Sprachgebrauch, der lediglich die seinslogischen Bestimmungen ‚Kategorien‘ 23 24 25
Vgl. zu Hegels Verhältnis zur christlichen Theologie Hodgson, Hegel and Christian Theology. Vgl. Hegel, Enz. I, § 160, Z., S. 307. Vgl. zum objektiven Idealismus bei Hegel unten die Abschnitte 4.1 und 4.1.1.
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nennt. Die vorliegende Arbeit nimmt also einen allgemeineren Sprachgebrauch an, als Hegel ihn pflegt. Allerdings handelt es sich nur um eine Konventionsfrage, da keine sachlichen Differenzen zu Hegels WdL entstehen.26 Die logischen Kategorien werden, der Konvention Wandschneiders folgend, in einfache Guillemets, zum Beispiel das ‹Sein›, gesetzt. Das dient der Hervorhebung, die kenntlich machen soll, dass diese Bestimmungen durch die WdL normiert werden. Daher sind Abweichungen vom Alltagsverständnis möglich, auch wenn das Alltagsverständnis einen guten Ausgangspunkt zur Rekonstruktion bildet. Die Klammern zeigen also an, dass es sich um spezifische Kategorien der WdL handelt und dass ein abgegrenzter, bestimmter Sinn vorliegt. Ausgenommen sind die Bestimmungen ‚Begriff *‘ und ‚Idee *‘, weil diese mehr sind als Kategorien in der Ableitung der Logik. Denn mit ‚Begriff *‘ und ‚Idee *‘ verbindet Hegel einen Prinzipiencharakter, weshalb sie besonders gekennzeichnet sind. Für diese Kennzeichnung dient der Asterisk, der auch anzeigen soll, dass Hegel unter ‚Begriff *‘, der das Prinzip seiner ganzen Philosophie darstellt, etwas ganz anderes versteht, als was Kant ‚Begriff ‘ nennt. Dann ist zu sagen, dass Namen von Autoren und Autorinnen in der Arbeit kursiv gesetzt werden. Ausgenommen sind lediglich die Namen Kants und Hegels, die als Protagonisten so oft genannt werden, dass es überflüssig scheint, sie hervorzuheben. Schließlich ist zur Sprache der vorliegenden Studie anzumerken, dass versucht wurde, genderneutral zu formulieren. Da die behandelten Themen keine Berührung mit dem Thema Geschlecht haben, wird grundsätzlich generisch gesprochen. Wo das nicht der Fall ist, wird es im Kontext deutlich gemacht. Für Beispiele und in der Bezugnahme auf Personengruppen wurde die weibliche Form gewählt, die aber generisch zu verstehen ist.
26 Hegel selbst scheint etwa auf diese Weise von Kategorien zu sprechen: Hegel, Enz. I, § 3, A., S. 44: „[I]m allgemeinen kann gesagt werden, daß die Philosophie Gedanken, Kategorien, aber näher Begriffe an die Stelle der Vorstellungen setzt.“
Teil I.
Kant und das Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
1 Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises für die philosophische Theologie 1.1 Die epistemologische Wende der Philosophie und die Dialektik der Kritik der reinen Vernunft Immanuel Kants Kritik an der Tradition der philosophischen Theologie gilt in weiten Teilen der Literatur als das letzte Wort in dieser causa.1 Dass Kants Widerlegung 1 Siehe etwa prominent schon Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 137: „Kants Kritik der Ontotheologie ist der Wendepunkt ihrer neuzeitlichen Geschichte. Das ontologische Argument in seiner metaphysischen Form ist seither nicht wieder erneuert worden.“ Ebenso teilt P. Strawson diese Kritik: Strawson, Bounds of Sense, S. 225: „No concept can logically guarantee its own instantiation in something not itself a concept.“ Siehe auch Röd, Der Gott der reinen Vernunft, S. 164: „Letzten Endes ändert sich mit dem Übergang zur Ebene der Theorie der Erfahrung die Richtung der Frage: Es geht nicht mehr in erster Linie darum, die Bedeutung von ‚Existenz‘ anzugeben, sondern darum, die Bedingungen zu formulieren, unter denen die Existenz-Prädikation möglich ist. Indem Kant die Frage in diesem neuen Sinne stellte, ließ er die traditionelle Ontologie ebenso wie die Erkenntnistheorie hinter sich und entzog damit in einer weit über spezielle Einwände hinausgehenden Weise auch dem ontologischen Argument die Grundlage.“ Zuletzt auch Hindrichs, Das Absolute und das Subjekt, § 81., S. 104: „Bis zu diesem Begriff des Absoluten hat der Gedanke des ontologischen Gottesbeweises uns geführt. [. . . ] Dennoch ist er nun zurückzunehmen. Denn die Kritik, die Kant an ihm übt, beraubt ihm seiner Grundlage.“ Vgl. auch Höffe, Immanuel Kant, S. 156–163 und ebd., S. 261–267. Vgl. auch Hermanni, Metaphysik und Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft. Beide letztgenannten Publikationen halten Kants Widerlegung der Gottesbeweise für in sich stimmig, sehen aber je alternative Formulierungen des ontologischen Arguments, die der kantischen Kritik entgehen. Siehe Hermanni, Metaphysik, S. 59: „Kant entwickelt eine Existenzauffassung, die im 20. Jahrhundert von Gottlob Frege, Bertrand Russell, Willard O. van Quine und anderen vertreten wird und derzufolge „existieren“ nie als genereller Terminus, sondern stets als Existenzquantor verstanden werden muss [. . . ]. Obgleich diese Deutung von Existenz eine Reihe von Fragen aufwirft, die noch nicht abschließend geklärt sind, ist sie meines Erachtens korrekt.“ Siehe Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 102: „Gegen Leibniz und andere, die in seiner Nachfolge die Existenz [Gottes; Einschub G. M.] in diesem Sinne ontologisch zu beweisen versuchen, hat Kants in der Einleitung wiedergegebener Einwand ohne Zweifel Biss. Denn das ontologische Argument bleibt unrettbar hypothetisch: Wenn es ein vollkommenes Wesen gibt, dann existiert dieses notwendig, weil seine mögliche Nichtexistenz Vollkommenheit logisch ausschließen würde. Dass das Antezedens erfüllt ist, zeigt das Argument nicht, sondern setzt es voraus.“ Hermanni sieht dabei die Möglichkeit, die göttliche Existenz als synthetischen Satz aufzufassen, der durch den Satz vom zureichenden Grund fundiert ist. Damit entginge ein solcher Beweis der kantischen Kritik, weil diese darauf beruht, dass reale Existenz kein Prädikat in
18 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises der Gottesbeweise in der Kritik der reinen Vernunft – von der oft summierend gesagt wird, dass Kant gezeigt habe, dass „Sein [. . . ] offenbar kein reales Prädikat“2 und der grundlegende ontologische Gottesbeweis daher unmöglich sei – die Tradition der philosophischen Theologie beende, wie überhaupt die Metaphysik zurückzuweisen sei, war lange der Tenor der philosophischen3 und auch der theologischen Diskussion.4 Doch bei näherer Beschäftigung mit der Sachlage wird schnell klar, dass der Tenor nicht die einzige Stimme ist und die Einschätzung der kantischen Kritik in den Fachdebatten stark divergiert.5 Anbetracht dieses Befundes soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit zunächst auf die kantische Kritik eingegangen werden. Ziel ist es dabei, sie auf ihre Überzeugungskraft hin zu befragen. Dabei folgt die Darstellung dem Abschnitt Das Ideal der analytischen Sätzen sein kann. Tegtmeyer meint dagegen, dass das Ziel Anselms schon erreicht sei, wenn der apriorische, rein begriffliche und bikonditionale Zusammenhang von Vollkommenheit und (kantisch: logischem) Existenzprädikat erwiesen sei. Zudem stehe, so Tegtmeyer, die ganze Überlegung Descartes’ in einem selbstbewusstseinstheoretischen Kontext, den die kantische Kritik nicht berücksichtige. Aber auch Descartes’ Argument, so es a priori bleibt, kann nur die Denknotwendigkeit, nicht die Seinsnotwendigkeit der „Existenz Gottes“ zeigen. Vgl. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 123–180.Vgl. auch Mackie, Das Wunder des Theismus. Argumente für und gegen die Existenz Gottes, S. 76–81. 2 Kant, KrV, A 598 | B 626. 3 Besonders einschlägig ist hier natürlich J. Habermas’ Rede vom postmetaphysischen Zeitalter (vgl. Habermas, Nachmetaphysisches Denken, S. 35–60). 4 So etwa B. Goebel in der Einführung zu seinem interessanten Artikel über die Gegenargumente gegen den ontologischen Gottesbeweis: vgl. Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 105. Vgl. etwa Küng, Existiert Gott?, S. 588. Küng meint: „Der Beweischarakter der Gottesbeweise ist heute erledigt.“ Interessant ist allerdings, dass Hegel das Sich-zur-Sprache-Bringen des Gehaltes der Gottesbeweise, das Küng für aktuell hält, mit dem Beweisanspruch verbindet. Berühmt ist natürlich die Interpretation Barths, der die Geltung des OGB als Glaubenswahrheit einklammert: vgl. etwa Barth, Fides quarens intellectum, S. 12 f. Polemisch äußert sich etwa Dalferth, „Götzen-Dämmerung. Warum die Theologie mehr will als Gott denken“. 5 Kants Widerlegung wird zum Beispiel zurückgewiesen von Cramer, Gottesbeweise und ihre Kritik, S. 156: „Es ist trivial, daß innerhalb des transzendentalen Idealismus der ontologische Beweis sinnlos ist. Kants Begrifflichkeit macht ihn a priori unmöglich. Nur ist Kants Begrifflichkeit nicht zu halten.“ Vgl. auch: Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 125–128. Bromand hält fest, dass die kantische Widerlegung nicht so schlagend ist, wie üblicherweise angenommen, und dass sie, bei wohlwollender Interpretation, eine erfolgreiche reductio des Descartschen, aber wohl auch nur des Descartschen Gottesbeweises leistet. Siehe Bromand, „Kant und Frege über Existenz“, S. 195: „Kants Kritik kann in einem wohlwollenderen Sinne verstanden werden, wenn man ihn nicht als einen Vorläufer der Position Freges deutet: Im Rahmen dieses Deutungsvorschlags gelingt Kant ein erfolgreiches Argument etwa gegen den Gottesbeweis vom cartesischen Typ.“ Wie verworren die aktuelle Debatte in manchen Teilen ist, zeigt etwa, dass H. Tegtmeyer gerade die cartesische Form des ontologischen Arguments gegen Kant in Schutz nimmt, in seinen Augen dafür Leibniz’ Version überzeugend ausgehebelt wird. Dass Gottesbeweise legitimer Weise geführt werden können oder dass die Frage nach ihnen zumindest offen ist, betonen auch: Hermanni, Metaphysik, S. 59–66, Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“; Hermanni, „Warum ist überhaupt etwas? Überlegungen zum kosmologischen und ontologischen Argument“; Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 174–180.
1.2. Der Gottesgedanke in der Kritik der reinen Vernunft
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reinen Vernunft der KrV. Kants Widerlegung beruht dabei auf zwei Teilschritten, die in den folgenden Abschnitten dargestellt und analysiert werden. In seinem ersten Teilschritt zeigt Kant auf, dass die Bildung eines Gottesbegriffes kein willkürlicher Akt der Vernunft ist, sondern aus ihrem eigenen Antrieb gebildet wird:6 Sie versucht, zum disjunktiven Schluss eine unbedingte Grundlage zu bilden, und bildet daher die Idee einer omnitudo realitatis aus. Die Bildung des Ideals wird im Abschnitt 1.2.1 erläutert. Daran anschließend gibt Kant eine Einteilung möglicher Gottesbeweise im Rahmen der theoretischen Vernunft. Dieser Zug ist für Kant wichtig, da er in seiner Widerlegung nicht nur die Unmöglichkeit bestimmter Gottesbeweise, sondern der gesamten philosophischen Theologie als theoretischer Wissenschaft zu zeigen beansprucht. Die Argumente für die Vollständigkeit der Gottesbeweise werden im Abschnitt 1.3 diskutiert. Und schließlich argumentiert Kant, dass der OGB für die anderen Beweise die eigentliche Geltungsgrundlage bildet. Denn wenn alle Gottesbeweise auf den OGB angewiesen sind, so wäre mit dem Scheitern des OGB auch das Scheitern der theoretischen philosophischen Theologie insgesamt demonstriert. Diese Rückführung auf den OGB wird im Abschnitt 1.4 erläutert und verteidigt. Der zweite Teilschritt des kantischen Widerlegungsversuches ist dann folglich die Kritik des OGB. Mit dieser setzt sich der Abschnitt 2 auseinander. Weil, wie gesagt, die Literatur hinsichtlich der Überzeugungskraft der kantischen Argumentation geteilter Meinung ist und weil der kantische Text keine offensichtliche Einheit bildet, wird in der vorliegenden Arbeit versucht, die Aspekte, die Kant ins Feld führt, zu verstehen. Dem Kapitel Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes folgend, wird zunächst untersucht, ob aus den Modalbegriffen ein schlagender Einwand folgt (2.1.1). Darauf wird in Abschnitt 2.2 die Unterscheidung von synthetischen und analytischen Sätzen aufgegriffen, um schließlich in Abschnitt 2.3 auf das Existenzprädikat einzugehen. Die Auseinandersetzung mit Kants Widerlegungsversuch ist für die vorliegende Arbeit wichtig. Denn nur wenn Kant den OGB nicht bereits widerlegt hat, kann Hegels Behandlung dieses Versuches überhaupt Interesse wecken. Erst der Nachweis, dass Kant letztlich in diesem Punkt nicht zu überzeugen vermag, öffnet die Tür, um Hegels philosophische Theologie und seine Bemühungen um Gottesbeweise genauer und mit Interesse in den Blick zu nehmen.
1.2 Die Stellung des Gottesgedankens in der Kritik der reinen Vernunft 1.2.1 Die Ableitung der Ideen in der Dialektik der ersten Kritik Kants Widerlegung der Gottesbeweise ist in die systematische Struktur der KrV eingebettet. Daher beginnt er seine Überlegungen nicht mit einer historischen 6
Vgl. etwa Tetens, Kants „Kritik der reinen Vernunft“, S. 195 f.
20 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises Einleitung über die unterschiedlichen Versuche in der rationalistischen Tradition, Gottesbeweise aufzustellen. Auch ist sein Interesse nicht direkt auf die Argumentationsstrategien der Gottesbeweise gerichtet. Vielmehr interessiert ihn in der KrV zunächst, wieso die Vernunft notwendiger Weise die „Idee“ Gottes oder das „Ideal“, wie Kant den Gottesgedanken im Rahmen der theoretischen Vernunft nennt, bildet. Denn da die Dialektik die Trugschlüsse, den selbsterzeugten Schein der Vernunft aufdeckt, ist für Kant nicht nur wichtig, dass es sich um Schein handelt, sondern auch, dass das Ideal einen ‚natürlichen Schein‘ der theoretischen Vernunft darstellt.7 Und natürlich heißt, dass Kant zeigen möchte, dass die Vernunft notwendiger Weise eine Idee von Gott besitzt und an diese einen Wissensanspruch knüpft, der sich allerdings prinzipiell nicht einlösen lässt, jedenfalls nicht auf dem Boden der Prämissen des transzendentalen Idealismus. Indem die Ideen nun notwendig aus dem Vernunftvermögen entspringen, wehrt Kant selbst einen klassischen Einwand gegen die philosophische Theologie ab, nämlich dass der Gottesgedanke nur willkürlich sei. Diese Kritik, die Hegel auf eigene Art zu entkräften versucht, wird unten noch zur Sprache kommen, aber es handelt sich jedenfalls dabei nicht um die Strategie des kantischen Widerlegungsversuches. Indem Kant das Aufkommen von metaphysischen Theorien und philosophischer Theologie als notwendig aufweisen möchte, zieht er eine bemerkenswerte Konsequenz aus der – nicht nur für die kantische Philosophie – fundamentalen Unterscheidung von quid juris und quid factis, also von Geltung und Genese.8 Wenn 7
Vgl. Kant, KrV, A 297 f. | B 353 f. Die Unterscheidung zwischen quid juris und quid factis trifft Kant im ersten Abschnitt der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe im Rahmen der Analytik. Da heißt es: „Die Rechtslehrer, wenn sie von Befugnissen und Anmaßungen reden, unterscheiden in einem Rechtshandel die Frage über das, was Rechtens ist, (quid juris) von der, die die Tatsache angeht, (quid factis) und indem sie von beiden Beweis fordern, so nennen sie den erstern, der die Befugnis, oder den Rechtsanspruch dartun soll, die D e d u k t i o n.“ (Ebd., § 13., A 84 | B 116) In den sich anschließenden Erläuterungen an diese Unterscheidung gibt Kant an, dass eine ‚transzendentale Deduktion‘ zeigen soll, wie sich ein Begriff a priori auf Gegenstände beziehen kann, wohingegen eine ‚empirische Deduktion‘ angibt, wie ein Begriff durch „Erfahrung und Reflexion über dieselbe“ gebildet wird. Die empirische Deduktion gibt „das Factum [. . . ] [an], wodurch der Besitz entsprungen“ ist, während die Rechtmäßigkeit eines Begriffs durch eine andere Art der Deduktion festgestellt werden muss (vgl. ebd., § 13., A 84 f. | B 116 f.). A. F. Koch stellt die historische Dimension in Kants Gebrauch des Deduktionsbegriffs dar (vgl. Koch, Subjekt und Natur. Zur Rolle des „Ich denke“ bei Descartes und Kant, 137 f.). Es mag durchaus richtig sein, dass Kant mit den Deduktionen in der KrV keinen Letztbegründungsanspruch erhebt, sondern dem juristischen Vorbild folgt. Dann würde er sich ökonomisch beschränken und nur bis auf einen unstrittigen Punkt hinleiten wollen. Allerdings ist letztlich eben die Frage, welcher Punkt der unstrittige ist. Im Dialog mit der Skeptikerin obliegt es dabei nicht nur dem Transzendentalphilosophen, diesen festzulegen, sondern es ist die Frage der Skeptikerin, die jeden Grund, der gegeben wird, wieder in den Rechtsstreit zieht. Anbetracht der radikalisierten Skepsis in der Neuzeit, etwa durch den methodischen Zweifel Descartes’, wird wohl der erste unstrittige Punkt, den der Skeptiker teilen wird, nicht mehr bezweifelbar sein – jedoch ist das erst in der Letztbegründung gegeben. 8
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die Geltung einer Theorie oder einer Ansicht zurückgewiesen werden muss, so bleibt immer noch die Frage, wie das Faktum, die Theorie oder die Ansicht selbst, zustande gekommen ist.9 Und hinsichtlich der metaphysischen Ideen muss nach Kant daher geklärt werden, wie und warum diese gebildet werden, auch wenn kein mit ihnen verbundener Wahrheitsanspruch gerechtfertigt werden kann. Daher soll in diesem Abschnitt zunächst Kants Argumentation nachvollzogen werden, warum die Vernunftideen notwendig aus der Vernunft als dem Vermögen, Schlüsse zu ziehen, ergeben, bevor dann sein Widerlegungsversuch genauer betrachtet wird. Der Erklärung von Ideen der Metaphysik widmet sich Kant in der Transzendentalen Dialektik, die die Zweite Abteilung der Transzendentalen Logik in der KrV bildet.10 Die Dialektik kündigt Kant bereits in der Einleitung der Transzendentalen Logik als „eine Kritik des Verstandes und der Vernunft in Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs, um den falschen Schein ihrer grundlosen Anmaßungen aufzudecken“11 an. Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass das Ziel der Dialektik nicht die
9 Dabei ist zu beachten, dass genetische Erklärungen die Geltungsfragen nicht ersetzen können, weil das Prinzip „Alle Aussagen sind ausschließlich aus ihrer Genese zu erklären“ entweder selbst unbedingte Geltung für sich in Anspruch nimmt – es zu behaupten heißt, es als wahr auszusprechen. Oder es relativiert sich selbst, sodass auch ebenso das Gegenteil wahr sein könnte. An dieser Einsicht scheitern sowohl der Historismus, etwa eines Dilthey, als auch der Psychologismus. Siehe dazu etwa die Widerlegung des Historismus in Hösle, Wahrheit und Geschichte, 43–50, etwa S. 49: „Wenn man aus der Geschichte der Philosophie etwas lernen kann, dann eben nicht nur dies, daß sich bisher kein System hat endgültig halten können, sondern ebensosehr auch, daß die verschiedensten Formen von Skeptizismus und Relativismus – auch gerade von geschichtlich ‚argumentierendem‘ Relativismus – geschichtlich aufgeblüht und verwelkt sind. Es ist nicht einzusehen, warum dem gegenwärtigen geschichtlichen Relativismus ein anderes Los beschieden sein sollte, warum gerade er mehr als ein historisches Zufallsprodukt sein sollte, auf dessen baldige Erledigung begründete Zuversicht besteht; im Gegenteil: Gerade die Geschichte der Philosophie legt diese Annahme nahe.“ Dass der Historismus falsch ist, erweist sich als keineswegs trivial, wenn man dessen Verbreitung betrachtet. Vgl. etwa Hösles Heidegger-Kritik: Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie. Rückblick auf den deutschen Geist, 261–272, bes. S. 270. Der historistische Fehlschluss ist deutlich bei Michel Foucault zu finden, etwa in Foucault, Die Ordnung der Dinge. Der Psychologismus in der Logik kann ebenfalls als eine Form, die Geltungsfrage durch eine Genese zu beantworten, angesehen werden. Diese Auffassung ist überzeugend von Husserl widerlegt worden. Vgl. Husserl, Logische Untersuchungen, Erster Band. Vgl. darin etwa: ebd., Erster Band, § 38, S. 130 f. (A 123 f. | B 123 f.). 10 Freilich ist die KrV eigentlich in die beiden Hauptteile: „I. Transzendentale Elementarlehre“ und „II. Transzendentale Methodenlehre“ untergliedert. Die Transzendentale Dialektik stellt nur die „Zweite Abteilung“ der Transzendentalen Logik dar, die das Denken auf ihre transzendentalen (und transzendenten) Bestandteile hin untersucht. Die Transzendentale Logik ist dabei der Zweite Teil der „I. Transzendentalen Elementarlehre“, dem als Erster Teil die Transzendentale Ästhetik vorgeschaltet ist. 11 Kant, KrV, A 63 f. | B 88.
22 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises vollständige Verabschiedung metaphysischer Annahmen ist, denn diese sind für die praktische Vernunft eminent wichtig.12 Natürlich ist das Thema der philosophischen Theologie „hyperphysisch“, weshalb es zur „L o g i k d e s S c h e i n s“ gehört und in die Dialektik eingeordnet werden muss. Der bloße Verweis auf den metaphysischen Charakter ist für Kant allerdings nicht hinreichend, um in der Dialektik abgehandelt zu werden, denn diese soll nicht willkürliche oder ‚bloß anthropologische‘ Ideen kritisieren, sondern solche, die aus der Natur der Vernunft selbst hervorgehen. Deswegen kann ihre Unentscheidbarkeit wohl eingesehen werden, ohne dass sie damit auch alle Funktionen in der Erkenntnis und natürlich der praktischen Vernunft verlieren.13 Denn die Vernunft behält ihre Ideen bei, auch wenn ihr Wahrheitsanspruch als Schein durchschaut ist. Daher bietet Kant eine Ableitung der metaphysischen Ideen an, durch welche die Ideen von fantastischen Einfällen unterscheidbar werden.14 Wie in der Transzendentalen Analytik werden die apriorischen Inhalte aus der formalen, aristotelischen Logik abgeleitet. Dabei steht die Tätigkeit, logisch zu urteilen respektive zu schließen, Pate.15 Während die apriorischen Gehalte der Ana12 Überhaupt bildet die KrV kein isoliertes Projekt neben den anderen beiden Kritiken, und Kant hat in dieser bereits die Grundlegung der Moral vor Augen, welche „die eigentümliche Würde der Philosophie“ (Kant, KrV, A 319 | B 375) ausmache. 13 Siehe ebd., A 297 | B 353: „Der transzendentale Schein dagegen hört gleichwohl nicht auf, ob man ihn schon aufgedeckt und seine Nichtigkeit durch die transzendentale Kritik deutlich eingesehen hat. [. . . ] Die Ursache hievon ist diese: daß in unserer Vernunft [. . . ] Grundregeln und Maximen ihres Gebrauchs liegen, welche gänzlich das Ansehen objektiver Grundsätze haben, und wodurch es geschieht, daß die subjektive Notwendigkeit einer gewissen Verknüpfung unserer Begriffe, zu Gunsten des Verstandes, für eine objektive Notwendigkeit, der Bestimmung der Dinge an sich selbst, gehalten wird. Eine I l l u s i o n, die gar nicht zu vermeiden ist, so wenig als wir es vermeiden können[.]“ Auf diesen Aspekt achtet auch P. Strawson. Vgl. Strawson, Bounds of Sense, S. 17, ebd., S. 157–161 und ebd., S. 220. Strawson kritisiert allerdings, dass die kantische Begründung, wie auf natürlichem Wege die theoretische Vernunft geneigt ist, ein göttliches Wesen anzunehmen, scheitert. Knapp rekapituliert bestreitet Strawson, dass das Streben nach Einheit und Vollständigkeit im wissenschaftlichen Engagement notwendig zu der Idee einer intelligenten Ursache der Natur führt (vgl. ebd., S. 220 und S. 228). Zudem könne ganz Kant-immanent die Substanzkategorie die Suche nach Notwendigem befriedigen. 14 Wären die metaphysischen Ideen bloß aufgegriffen, würde Kant sie empirisch nennen und hätte sie nicht in die KrV abgehandelt. Die Dialektik, die sich mit der Metaphysik auseinandersetzt, ist aber auch keine rein logische Disziplin im kantischen Sinn, da sie in ihrem realen Gebrauch nicht vollständig von allen Inhalten abstrahiert. Diese Inhalte der Dialektik sind nicht gegeben, sondern stammen aus der Vernunft selbst, ohne aber für die spezifische Erkenntnis konstitutiv zu sein. Die Fragerichtung ist daher die Rückführung der Gehalte auf das Vermögen der Vernunft und dessen Interesse. Durch dieses Interesse ist die Vernunft geneigt, den metaphysischen Schein, so Kant, für echte Erkenntnis zu halten. Diese Fragerichtung der Dialektik zielt auf die Bedingungen der metaphysischen Ideen. Daher nennt Kant die Dialektik transzendental (vgl. Kant, KrV, A 333 | B 390). 15 Durch die Rückführung der Logik auf verschiedene Akte von Vermögen bekommt die gesamte KrV eine psychologische Schlagseite. Etwa ist für die Herleitung der Kategorien entscheidend, dass die Verstandesbegriffe auf reinen Synthesisleistungen beruhen, die als „Handlungen“ des Verstandes
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lytik den unterschiedlichen Urteilsformen entspringen,16 gehen die transzendentalen Ideen17 aus Schlussformen hervor.18 Kant bezieht sich auf drei Arten von Schlüssen: 1. kategorische, 2. hypothetische und 3. disjunktive Schlüsse.19 Die Schlussformen unterscheiden sich durch den jeweiligen Obersatz (major).20 Durch die Subsumtion des Untersatzes (minor) unter den major wird es möglich, eine Konklusion zu ziehen, das heißt, dem subsumierten Term des minor wird das Prädikat des major zu- oder abgesprochen.21 In der KrV findet sich keine nähere Ableitung, allerdings argumentiert Kant in seinem Handbuch zur Vorlesung der Logik, dass die Vernunftschlüsse nur diese drei Formen annehmen können und daher nur aus diesen die Ideen erklärt werden können, da einzig und allein die Relationsurteile als Prinzipien für Schlüsse in Frage kämen. Gegen die Quantitätsurteile spräche nämlich, dass der Obersatz immer etwas Allgemeines ausdrücken müsse, weil andernfalls nichts eindeutig unter ihn subsumiert werden könne. Und die Qualitätsurteile bilden keine Schlüsse, da es für die logische Gültigkeit nichts austrägt, ob die Konklusion affirmativ oder verneinend ist. Und schließlich seien die Modalurteile für die Einteilung irrelevant, weil die Konklusion immer mit Notwendigkeit folgen müsse.22 Kant greift also auf die Urteilstafel aus der KrV zurück, um per Ausschluss auf die möglichen Obersätze der Syllogismen zu schließen. Einschränkend muss jedoch angemerkt werden, dass Kants Ableitung und Einteilung aus heutiger Perspektive fragwürdig erscheint. Denn vor allem die Entfaltung der Modallogik hat gezeigt, dass Schlüsse mit mogefasst werden. Weil in der Urteilsbildung und der Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung die gleichen Handlungen vollführt werden, sieht sich Kant etwa legitimiert, aus der Urteilstafel die Kategorientafel abzuleiten. Siehe Kant, KrV, A 79 | B 105: „Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zu Stande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann.“ Letztlich bleibt fraglich, ob das Ableitungsverfahren gelingt. Vgl. zur metaphysischen Deduktion die hervorragende Rekonstruktion von Koch, Subjekt und Natur. Zur Rolle des „Ich denke“ bei Descartes und Kant, S. 128–133. Freilich ist zu bemerken, dass Koch den kantischen Anspruch auf Vollständigkeit in seiner Rechtfertigung Kants ignoriert. Das berührt allerdings nicht die Ableitung der Kategorien aus den Urteilen der Syllogistik. Auf die Probleme – besonders auf den Ding-an-sich-Widerspruch –, die sich aus der transzendentalen Psychologie Kants ableiten, weist Strawson hin und verzichtet daher in seiner Rekonstruktion weitgehend auf psychologisches Vokabular (vgl. Strawson, Bounds of Sense, S. 19–21). Vgl. in der vorliegenden Arbeit die hegelsche Kantkritik, S. 168–168. 16 Siehe Kant, KrV, A 321 | B 378: „Die Form der Urteile [. . . ] brachte Kategorien hervor, welche allen Verstandesgebrauch in der Erfahrung leiten.“ 17 Vgl. ebd., A 321 | B 378. 18 Informativ ist hier Tetens, Kants „Kritik der reinen Vernunft“, S. 209–215. Tetens differenziert allerdings die Vernunftschlüsse nicht weiter. 19 Vgl. Kant, KrV, A 304 | B 361. 20 Vgl. ebd., A 304 | B 361. Auch: Kant, „Logik Handbuch“, § 61., A 191, S. 553. 21 Vgl. ebd., § 58., A 188 f., S. 551 f. 22 Vgl. ebd., § 60., A 191., S. 553, Anmerk. 1.
24 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises dalen Urteilen ein florierendes Feld logischer Forschung sind.23 Und hinsichtlich der Auswahl der Urteile aus der Urteilstafel kann kritisch bemerkt werden, dass wohl einige der Urteile, die Kant anführt, durch andere hergeleitet werden können und dass einige logische Junktoren auftreten, wie etwa die Disjunktion, andere aber nicht.24 Der kategorische Vernunftschluss hat nach Kant ein kategorisches, allgemeines Urteil als major, beispielsweise ‚Alle Lebewesen betreiben Metabolismus.‘ Indem der Untersatz einen Term des Obersatzes aufgreift und mit etwas anderem in Verbindung bringt, wird es möglich, eine Konklusion zu ziehen. Beispiele sind etwa: a) ‚Pflanzen sind Lebewesen. Also gilt: Pflanzen betreiben Metabolismus‘, oder: b) ‚Kein Stein betreibt Metabolismus. Also gilt: Kein Stein ist ein Lebewesen.‘ Leitend ist dabei, dass etwas, was von einem Gattungsbegriff gilt, auch von allem gelten muss, was unter den Gattungsbegriff subsumiert wird. Etwas, was die durch die Gattung implizierten Eigenschaften nicht teilt, kann auch unmöglich unter die Gattung fallen, was Kant auch das „Prinzip der kategorischen Vernunftschlüsse“25 nennt. Hypothetische Schlüsse weisen einen Konditionalsatz im major auf. ‚Wenn etwas eine Masse hat, so wohnt ihm Energie inne‘, wäre ein Beispiel. Der minor sagt dann entweder aus, dass etwas die Bedingung erfüllt und damit auch die Konsequenz gilt oder dass etwas die Konsequenz nicht erfüllt, wodurch es auch die Bedingung nicht erfüllen kann. Der hypothetische Schluss bildet also die beiden Schlussregeln modus ponens und modus tollens ab.26 Als Prinzip nennt Kant hier den Satz vom Grund.27 Es ist fraglos wichtig diese beiden Schlussfiguren in die Logik aufzunehmen. Jedoch müsste man an Kant die Frage richten, ob die Unterscheidung von kategorischen und hypothetischen Schlüssen trennscharf ist, da hypothetische Urteile, die das Prinzip der hypothetischen Schlüsse bilden, eigentlich zwei Sätze miteinander 23 Aus der vielfältigen und umfangreichen Literatur zur Modallogik seien hier nur drei Werke genannt, die für die vorliegende Arbeit wichtig sind: Vgl. Meixner, Modalität; vgl. Plantinga, The Nature of Necessity. Und ebenfalls interessant ist Ossa, Voraussetzungen voraussetzungsloser Erkenntnis? 24 Siehe Kutschera, Die Wege des Idealismus, S. 95: „Kant geht nun von fundamentalen Urteilstypen aus und will ihnen fundamentale Begriffe zuordnen. Dieses Vorhaben scheitert jedoch erstens daran, dass seine Wahl fundamentaler Urteilstypen – nach heutigen Stand der Logik, der allerdings erst etwa 100 Jahre nach der KV begründet wurde – unglücklich ist und der Übergang von ihnen zu den Kategorien unplausibel. [. . . ] Es bleibt unklar, warum gerade diese Urteilsformen gewählt werden, obwohl es prinzipiell unendlich viele gibt, warum z. B. Konjunktionen fehlen, Disjunktionen aber aufgeführt werden. Ferner sind Existenzsätze äquivalent mit Negationen apodiktischer Urteile.“ Allerdings ist die Einschätzung der kantischen Urteilstafel bis heute umstritten, und somit findet sie folglich auch ihre Verteidiger. Vgl. etwa die wohlwollende Rekonstruktion in Koch, Subjekt und Natur. Zur Rolle des „Ich denke“ bei Descartes und Kant, S. 128–133. Koch äußert sich jedoch nur vorsichtig zustimmend. Siehe dazu in vorliegender Arbeit auch S. 23, Fußnote 15. 25 Kant, „Logik Handbuch“, § 63., A 192 f., S. 554 f. 26 Form des modus ponens: [( p → q) ∧ p] → q. Form des modus tollens: [( p → q) ∧ ¬q] → ¬p]. 27 Vgl. Kant, „Logik Handbuch“, § 76., A 202., S. 561.
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verbinden. Und diese Verbindung lässt sich auch anders als hypothetisch, etwa in Form einer Konjunktion, darstellen. Kant scheint aber zu meinen, dass es sich um Schlüsse sui generis handelt.28 Der disjunktive Schluss enthält im major eine Reihe sich wechselseitig ausschließender Alternativen, so Kant. Ein Beispiel wäre etwa: ‚In seinem dreistöckigen Haus wohnt Paul entweder im Erdgeschoss oder im ersten Geschoss oder im zweiten Geschoss.‘ Aus diesem Obersatz kann auf zwei Weisen geschlossen werden: 1. Entweder können durch die Angabe der richtigen Alternative die restlichen ausgeschlossen werden, oder 2. durch Ausschluss aller falschen Alternativen kann die richtige isoliert werden. Das leitende Prinzip sei bei diesen Schlüssen, so Kant, der „G r u n d s a t z d e s a u s s c h l i e ß e n d e n D r i t t e n“29 . Insgesamt kann Kants Behauptung, es gebe genau drei Schlüsse mit drei unterschiedlichen Prinzipien, aus denen die transzendentalen Ideen entspringen, also nicht überzeugen, was etwa P. Strawson zu dem lapidaren Kommentar Anlass gegeben hat: This logical framework, in its connexion with the topics of the Dialectic and its elaboration under the guidance of the fourfold division of the categories, is altogether too strained and artificial to be taken seriously, and I shall dispense myself from discussing it further.30
Was Strawson im Folgenden allerdings als bedenkenswert beibehält, ist Kants hinzukommende, transzendentalpsychologische These, nämlich dass die Schlüsse auf die Tätigkeit eines besonderen Vermögens, die Vernunft, zurückgingen und dass diesem Vermögen eine bestimmte Dynamik, ein Streben, innewohne, dem im Erkenntnisprozess eine anleitende Rolle zukomme. Dass Kants Ableitung der metaphysischen Ideen nicht überzeugt, wird in Teilen der Forschung eher nebenbei bemerkt.31 Aber für Kant ist die Geltung der Ableitung durchaus relevant. Denn nur durch die Rückführung der Ideen auf interne Vernunftmechanismen sind die metaphysischen Ideen für Vernunftwesen notwendige Gedanken, wenn sie auch nicht als wahr beweisbar sein sollen. Aber sowohl die Vollständigkeit als auch die Unverzichtbarkeit der metaphysischen Ideen sind für Kant essentielle Bestandteile seiner Philosophie, die etwa in der praktischen Vernunft zur Geltung kommen.32 Das Vermögen, auf das die oben angedeuteten Schlussformen zurückgehen, nennt Kant im Rahmen der KrV Vernunft. Dieses Vermögen vollzieht die logische Leistung des Schlusses, ist aber damit auch am Erkenntnisprozess beteiligt, wobei 28
Vgl. Kant, „Logik Handbuch“, § 60., A 191., S. 553, Anmerk. 2. Ebd., § 78., A 203., S. 561. 30 Strawson, Bounds of Sense, S. 157. Vgl. auch England, Kant’s Conception of God, S. 118 f. 31 Vgl. etwa Sala, Kant und die Frage nach Gott, S. 224; Strawson, Bounds of Sense, S. 157 und Bennett, Kant’s Dialectic, § 82, S. 260. 32 Vgl. etwa Kant, KpV, S. 167–177 (AA V, 124–132). 29
26 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises andere Vermögen andere Leistungen in diesem vollbringen, wie etwa der Verstand, der das Vermögen ist, Urteile zu fällen.33 Weil Kant die Schlüsse, wie oben gezeigt, durch den jeweiligen Obersatz differenziert und in der Konklusion, zumindest wenn beide Prämissen wahr sind, eine Erkenntnis erschlossen wird, beschreibt Kant das Schließen auch als die „Ableitung einer Erkenntnis aus einem Prinzip“34 , wobei der Obersatz das Prinzip bildet.35 Die Vernunft kann daher auch allgemein als das „Ve r m ö g e n d e r P r i n z i p i e n“36 bezeichnet werden, weil die Prinzipien den Kern der Schlüsse bilden.37 In der Regel werden die allgemeinen Sätze für den major vom Verstand in Form von allgemeinen Erkenntnisurteilen vorgegeben. Wenn allerdings nur eine besondere Erkenntnis vorhanden ist, so betätigt sich die Vernunft auch rückwärtsgewandt:38 Sie sucht einen allgemeinen Satz zu diesem Besonderen, fragt also nach den Bedingungen zu dem Gegebenen.39 Weil die Frage nach den Bedingungen aber iteriert, sich also auch auf jeden Obersatz erneut anwenden lässt, gerät die Vernunft in den Regress des Suchens der Bedingung zu der Bedingung, des Obersatzes zum (jeweiligen) Obersatz. Auf diese Regressgefahr nun reagiert die Vernunft mit einem Grundsatz, in welchem sie zu einer letzten Erklärung übergeht. Kant schreibt, dass 33 Vgl. Kant, KrV, A 69 | B 94. Kant bezeichnet den Verstand auch als das Vermögen, zu denken. Natürlich gehört das Schließen, für das die Vernunft zuständig ist, ebenfalls zum Denken. Allerdings will Kant betonen, dass erst das Urteilen es im eigentlichen Sinn mit Bedeutung zu tun hat, wohl weil erst auf der Urteilsebene Wahrheit und Falschheit und daher Erkenntnis auftritt. Im gültigen Schließen bleibt zwar der Wahrheitswert erhalten, aber der Gehalt der Prämissen ist ganz durch die enthaltenen Urteile ausgedrückt. 34 Ebd., A 300 | B 357. Kant sieht also den Schluss, angewandt auf die Erkenntnis, wie das Hempel-Oppenheim-Schema, also wie eine deduktiv-nomologische Erklärung an. 35 Kant sieht die Parallele zwischen dem Obersatz und einem Prinzip darin, dass etwas aus einem Prinzip erkennen heißt, „das Besondre im Allgemeinen durch Begriffe“ (Kant, KrV, A 300 | B 357) enthalten zu verstehen. Der Schluss führt nun eine Subsumtion eines besonderen Sachverhaltes unter die Allgemeinheit des Obersatzes durch. Somit gibt der Schluss das Besondere als unter dem Allgemeinen stehend an. „So ist denn ein jeder Vernunftschluß eine Form der Ableitung einer Erkenntnis aus einem Prinzip.“ (Ebd., A 300 | B 357). 36 Ebd., A 299 | B 356. 37 Kant unterscheidet noch zwischen synthetischen Sätzen a priori, welche Prinzipien im allgemeinsten Sinne sind, weil diese Erkenntnis erst ermöglichen und allgemeinen Sätzen, die jederzeit als major verwendet werden können, aber nur „komparative Prinzipien“ seien (vgl. ebd., A 301 | B 357 f.). 38 Vgl. dazu Tetens, Kants „Kritik der reinen Vernunft“, S. 204 f. 39 Siehe Kant, KrV, A 307 | B 364: „Z w e i t e n s sucht die Vernunft in ihrem logischen Gebrauche die allgemeine Bedingung ihres Urteils (des Schlußsatzes)[.]“ Kant nennt das auch einen „Prosyllogismos“ (ebd., A 323 | B 379). Interessant wäre aber, ob sich auf diesem Weg die Methode der kantischen Transzendentalphilosophie gewinnen lässt. Denn diese wäre, dem folgend, ein durch die Vernunft angetriebenes Unterfangen: Die Frage nach den „Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis“ bedient sich schließlich der Fragerichtung, welche die Vernunft einschlägt. Vgl. dazu auch Bennett, Kant’s Dialectic, § 83, S. 260–266.
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der eigentümliche Grundsatz der Vernunft überhaupt [. . . ] sei: zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird.40
Der Begründungsregress kann sich, ganz schematisch betrachtet, natürlich sowohl in die Richtung ausbreiten, dass jede Konklusion wieder als Obersatz verwendet wird,41 als auch in die, dass eben zu jedem Obersatz erneut ein allgemeiner major gesucht wird.42 Für die Bildung der Ideen der reinen Vernunft ist nun diese letzte Suche entscheidend. Denn indem immer allgemeinere Sätze zu den Erkenntnissen gefunden werden, erhält die gesamte Erkenntnis einen einheitlichen Zusammenhang. So werden die Schlussformen im Erkenntnisprozess in Analogie zu den Kategorien zur Vereinheitlichung des Pluralen genutzt, nur dass sie sich im Unterschied zu den Kategorien des Verstandes nicht auf die sinnliche Mannigfaltigkeit beziehen, sondern auf die schon gebildete, begriffliche Erkenntnis.43 Hinter dem suchenden Streben, dem sich wiederholenden Suchen nach jeweils allgemeineren Obersätzen steht also das Streben nach der Einheit aller Erkenntnisse.44 Dieses Streben ist die oben angesprochene Eigenschaft des Vermögens, die Strawson als wichtig erachtet, weil theoretische Zusammenhänge und wissenschaftlicher Fortschritt in diesem Streben ihren Antrieb haben.45 Da die Einheit der Erkenntnis aber nicht zwangsläufig durch bloß iteriertes Auffinden eines allgemeinen Satzes zur jeweiligen Erkenntnis erreicht wird, weil dieser Prozess ins Unendliche fortgehen könnte, bildet die Vernunft nach Kant „t r a n s z e n d e n t a l e I d e e n“46 aus, die selbst etwas Unbedingtes repräsentieren sollen. In diesen Ideen ist also die allgemeinste Bedingung aller Erkenntnisse gedacht, weil sich alle Erkenntnisse syllogistisch unter diese subsumieren ließen. Daher, so Kant, wird in diesen „die Totalität der Bedingungen“47 gedacht, oder zumindest zu denken versucht. Wie aber gerade angedeutet, sind diese Ideen eigentlich nicht durch die Suche nach allgemeineren Obersätzen zu finden, denn jeder Obersatz lässt es offen, eine 40
Kant, KrV, A 307 | B 364. Durch ein Beispiel veranschaulicht: 1. P1 Alle Menschen sind sterblich. 2. P2 Alle Griechen sind Menschen. 3. C1,2 Also sind alle Griechen sterblich. 4. PC1,2 Alle Griechen sind sterblich. 5. P3 Alle Dorier sind Griechen. 6. CC1,2 ,3 Alle Dorier sind sterblich. Etc. Kant nennt diesen Regress „per episyllogismos“. Vgl. ebd., A 331 | B 388. 42 Hier wäre ein anschauliches Beispiel: 1. P Sokrates ist sterblich. 2. P Sokrates ist ein 1 2 Mensch. 3. C1,2 Alle Menschen sind sterblich. 4. PC1,2 Menschen sind sterblich. 5. P3 Menschen sind Lebewesen. 6. CC1,2 ,3 Alle Lebewesen sind sterblich. Diesen Regress nennt Kant „per prosyllogismos“. Vgl. ebd., A 331 | B 387. 43 Vgl. ebd., A 321 | B 378. 44 Vgl. Tetens, Kants „Kritik der reinen Vernunft“, S. 201 f. Tetens spricht von einem „Bedürfnis nach Vollkommenheit und Vollendung“ des endlichen Menschen. 45 Vgl. Kant, KrV, A 671 | B 699. Vgl. Strawson, Bounds of Sense, S. 157 f. 46 Kant, KrV, A 321 | B 378. 47 Ebd., A 322 | B 379. 41
28 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises weitere Bedingung für ihn selbst aufzusuchen.48 Daher ist der Regressstop in einer Idee nicht durch das fortschreitende Streben selbst erklärbar, sondern die Suche nach einem Regressstop motiviert das Fortschreiten von Bedingung zu Bedingung und Ableitung zu Ableitung. Weil es drei Vernunftschlüsse gibt, wie oben erläutert, bildet die Vernunft auf diesem Weg drei Ideen, denen die Vorstellung des Unbedingten, der Totalität aller Bedingungen zu Grunde liegt: 1. Aus dem kategorischen Obersatz und dem gesuchten Unbedingten wird die „Synthesis in einem Subjekt“. 2. Aus dem hypothetischen Obersatz und dem Grundsatz vom Unbedingten leitet sich die „Synthesis der Glieder einer Reihe“ ab. 3. Und aus dem disjunktiven Obersatz und dem entsprechenden Grundsatz geht die „Synthesis der Teile in einem System“ hervor.49 Kant meint also, dass zu den kategorischen Schlüssen das Subjekt als unbedingt angenommen werden muss, zu den hypothetischen eine erste Bedingung oder die vollständige Menge aller Bedingungssätze als unbedingt verstanden wird, und dass schließlich zu den disjunktiven Schlüssen eine Konzeption, die alle Glieder möglicher Einteilungen umfasst, gebildet wird. Aus diesem Streben nach Vereinheitlichung und den drei Schlussformen bildet die Vernunft, so Kant, drei transzendentale Ideen: 1. Der kategorische Schluss bringt die Idee der „absolut[en] (unbedingt[en]) E i n h e i t d e s d e n k e n d e n S u b j e k t s“ hervor. 2. Der hypothetische Schluss bringt die Idee der „a b s o l u t [ e n ] E i n h e i t d e r R e i h e d e r B e d i n g u n g e n d e r E r s c h e i n u n g“ mit sich. Und 3. geht mit dem disjunktiven Schluss die Idee der „absolute[n] E i n h e i t d e r B e d i n g u n g a l l e r G e g e n s t ä n d e d e s D e n k e n s ü b e r h a u p t“ hervor.50 Damit meint Kant die drei Grundbegriffe der metaphysica specialis, den Seelenbegriff der rationalen Psychologie, den Weltbegriff der Kosmologie und den Gottesbegriff der rationalen Theologie aus dem Vernunftvermögen, aus dem Streben nach einheitlicher Erkenntnis und den drei Schlussformen, abgeleitet haben. Freilich lässt diese Ableitung viele Fragen offen. Weder hat Kant bewiesen, dass es nur die drei Schlussformen gibt, noch ist die Anwendung beziehungsweise der Übergang von den Obersätzen der Schlüsse zu den transzendentalen Ideen vollkommen durchsichtig.51 48 Kant selbst schreibt, dass das Unbedingte, aus dem heraus alles erklärbar sein soll, nicht analytisch aus dem Begriff der Bedingung ableitbar ist, sondern auf einer Synthesisleistung beruht: „Ein solcher Grundsatz der reinen Vernunft ist aber offenbar s y n t h e t i s c h; denn das Bedingte bezieht sich analytisch zwar auf irgend eine Bedingung, aber nicht aufs Unbedingte.“ (Ebd., A 308 | B 364). 49 Vgl. ebd., A 323 | B 379. 50 Vgl. ebd., A 334 | B 391. Kant unterscheidet in diesem Abschnitt, was hier im Haupttext nicht aufgegriffen wurde, die Objekte der Erscheinung, von deren Totalität mit dem hypothetischen Schluss die Einheit der Reihe der Bedingungen der Erscheinungen abstammt, und die Objekte des Denkens überhaupt, die in der Idee des disjunktiven Urteils in ihrer Totalität gedacht werden. 51 Eine Möglichkeit, anders als Kant für die Ideen zu argumentieren, könnte mithilfe der interessanten, von F. v. Kutschera vorgeschlagenen Überlegung, die dem kantischen Grundansatz
1.2. Der Gottesgedanke in der Kritik der reinen Vernunft
29
Es ist aber nochmals hervorzuheben: Kant rechtfertigt metaphysische Ideen insofern, als dass er sie als natürliches Resultat des menschlichen Vernunftvermögens darstellt und ihnen schließlich für die praktische Vernunft eine wichtige Rolle zuspricht. Erkennbar sind die Gegenstände der Metaphysik freilich eigentlich nicht, denn ihnen fehlt die Grundvoraussetzung für Erkenntnis: Der Bezug auf sinnlich Gegebenes.52 Denn die Ideen der Vernunft beziehen sich niemals, wie Kant betont, direkt auf Erfahrung, sondern immer nur auf die Verstandeserkenntnis, deren Einheit angestrebt wird. Aus diesem Grund ist es der Vernunft prinzipiell unmöglich, die Bedingung für Erkenntnis zu erfüllen, und daher sind ihre Ideen, anders als die Kategorien, niemals objektiv, sondern allen Subjekten gemeinsam und somit intersubjektiv geteilt.53 treu bleibt, entwickelt werden: Kutschera schlägt vor, als Grundlage für die Ableitung der apriorischen Kategorien nicht auf die fragliche Urteilstafel Kants zurückzugreifen, sondern schon auf die Struktur des Urteils selbst Bezug zu nehmen, das heißt von den logischen Urteilsbestandteilen aus, also Subjektterm und der Prädikatsphrase, kategoriale Verhältnisse zu erschließen (vgl. Kutschera, Die Wege des Idealismus, S. 95). Kutschera schreibt dort zur metaphysischen Deduktion: „Überzeugender wäre es, von der Subjekt-Prädikatstruktur von Urteilen auszugehen, und Objekt, Attribut und Proposition als fundamentale Kategorien einzuführen, innerhalb der Kategorie der Attribute noch verschiedene Typen zu unterscheiden.“ Daran anschließend könnte für die Ableitung der metaphysischen Ideen die Urteilsstruktur zu Grunde gelegt werden, deren Elemente ins Metaphysische überhöht würden, indem die Vernunft sie zu Totalitäten steigerte. Kant selbst macht knappe Andeutungen, die in diese Richtung weisen. Vgl. Kant, KrV, A 323 | B 380 und ebd., A 333 f. | B 390 f. 52 Auch P. Strawson unterstreicht, dass für die Dialektik der reinen Vernunft wesentlich ist, dass das principle of significance nicht erfüllt ist, also keine sinnliche Erfahrung und daher den Begriffen keine eigentliche Bedeutung gegeben ist. Siehe Strawson, Bounds of Sense, S. 156: „The reader of the Critique is already very thoroughly prepared by the discussions of the Transcendental Analytic for the general topic of metaphysical illusion. For any employment of concepts in propositions purporting to give knowledge of objects to be a significant employment, that employment must be tied to a possible intuition, to empirical conditions of the concept’s application. Any employment of a concept not subject to this limitation, the limitation to objects possible experience, is illegitimate. Here is the principle of significance[.]“ Zum „principle of significance“, vgl. ebd., S. 16 f. 53 Auch Kants Objektivitätsbegriff ist nicht ganz frei von intersubjektiven Anklängen, weil Objektivität durch einen allen gemeinsamen Verstand mit konstituiert wird. Denn die Kategorien des Verstandes müssen nach Kant als konstitutiv für die Erkenntnisobjekte verstanden werden. Da allen Subjekten die gleiche Vermögensarchitektur, zumindest die gleiche Verstandes- und Vernunftstruktur, zukommt, leisten sie auch die gleiche Zutat zum Erkenntnisobjekt. Die Vermögen sind dabei allerdings als notwendig zu verstehen. Das heißt, dass Kant eine Veränderung oder Variation des Verstandes für unmöglich hält, weshalb weder geschichtliche Entwicklung, noch Evolution, noch interkulturelle Differenzen für ihn interessant sind. Die Allgemeinheit des Verstandes geht für Kant also deutlich über die Annahme einer anthropologischen Konstante hinaus. Etwa eine evolutionstheoretische Lesart muss die Gewordenheit der Verstandesstrukturen ebenso annehmen, wie die prinzipielle Veränderbarkeit. Beides schließt Kant aber aus, wenn er über Humes psychologische Erklärung der Erkenntniskategorien hinausgehen möchte. Das Thema der Intersubjektivität wird von Kant selbst nicht behandelt, wie auch das Thema des Fremdpsychischen nur peripher Erwähnung findet (vgl. etwa Kant, KrV, A 347 | B 405). Durch
30 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises Dieses Verhältnis fasst Kant selbst als das Resultat der transzendentalen Dialektik zusammen: Diese zeigt 1. durch den Aufweis, dass die Ideen keinen Gegenstand haben können, weil ihnen mit der Sinnlichkeit die Bedingung für Bedeutung fehlt, die Grenze der Erkenntnis an. Erkenntnis, die Kant für empirische Wissenschaften grundlegt, kann nicht auf Metaphysik ausgedehnt werden, was, wie gezeigt werden soll, eine wichtige Rolle in Kants Versuch der Widerlegung des OGB einnehmen wird. Darüber hinaus werden die Ideen aber 2. als natürliches Resultat des Vernunftvermögens dargestellt.54 Die Ideen der Vernunft sind aber nicht nur ein natürliches Produkt der Vernunft, sondern auch Ausdruck des Einheitsstrebens der Vernunft, die zu aller Erkenntnis das allgemeine Prinzip sucht, aus welchem diese und andere Erkenntnisse abgeleitet werden können. Diese Systematisierung und Vereinheitlichung fügt den Gegenständen der Erkenntnis zwar nichts hinzu, ist aber ein Leitfaden für die Verstandeserkenntnis, weshalb Kant ihre Funktion „regulativ“55 nennt. Innerhalb dieser Vernunftfunktion haben die Ideen die heuristische Kraft, den Erkenntnisprozess zu leiten und auf Vereinheitlichung hinzuwirken, insofern sie bei der Bildung von Forschungshypothesen auf den systematischen Zusammenhang mit schon bestehenden Erkenntnissen drängen. Dabei werden die Erkenntnisobjekte nicht beeinflusst, jedoch gesteht Kant den Ideen zu, dass sie die Gegenstände unter eine bestimmte Perspektive stellen, „als ob“ die Einheit aller Erfahrungsgegenstände auch objektiv bestünde.56 So bleiben die Ideen und die mit ihnen verbundenen regulativen Prinzipien subjektiv, das heißt ohne eigenen Erkenntnisgegenstand: Ich nenne alle subjektiven Grundsätze, die nicht von der Beschaffenheit des Objekts, sondern dem Interesse der Vernunft, in Ansehung einer gewissen möglichen Vollkommenheit der Erkenntnis dieses Objekts, hergenommen sind, M a x i m e n der Vernunft. So gibt es die Aussparung dieser Themen, ist Intersubjektivität eigentlich nur als konditional in der KrV präsent: Wenn es andere Subjekte gibt, sind ihre Erkenntnisvermögen ebenso konstitutiv, wie das eigene. Da Kant aber das Antezedens nicht begründet, bleibt die Frage offen, ob die kantische Philosophie letztlich eine solipsistische Philosophie darstellt. 54 Siehe Kant, KrV, A 642 | B 670: „Der Ausgang aller dialektischen Versuche der reinen Vernunft bestätigt nicht allein, was wir schon in der transzendentalen Analytik bewiesen, nämlich daß alle unsere Schlüsse, die uns über das Feld möglicher Erfahrung hinausführen wollen, trüglich und grundlos sein; sondern er lehrt uns zugleich dieses Besondere: daß die menschliche Vernunft dabei einen natürlichen Hang habe, diese Grenze zu überschreiben, daß transzendentale Ideen ihr eben so natürlich sein, als dem Verstande die Kategorien[.]“ 55 Vgl. ebd., A 644 | B 672. 56 Vor allem für die Erklärung von ästhetischen Urteilen und der Annahme von biologischen Prinzipien zieht Kant die Betrachtung der Erkenntnisgegenstände im Modus des „als ob“ heran (vgl. Kant, KU, § 75, A 329–335 | B 333–339). Es kann zwar kritisch gefragt werden, ob theoretischen Schlüssen nicht mehr ontologische Valenz zugestanden werden muss, wenn man etwa die Beispiele der theoretischen Erschließung bislang unbekannter Sachverhalte beachtet, wie zum Beispiel in der Entwicklung der Relativitätstheorie. Dennoch hat Kant insofern recht, als dass im naturwissenschaftlichen Verfahren letztlich die Theorien erst durch entsprechende Beobachtungen beglaubigt werden.
1.2. Der Gottesgedanke in der Kritik der reinen Vernunft
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Maximen der spekulativen Vernunft, die lediglich auf dem spekulativen Interesse derselben beruhen, ob es zwar scheinen mag, sie wären objektive Prinzipien.57
Nachdem nun die Herleitung und diese genannten Bedingungen der Ideen herausgearbeitet wurden, kann nun genauer auf die für die Kritik an der philosophischen Theologie wesentliche Idee eingegangen werden: Die Idee Gottes oder das Ideal der reinen Vernunft. 1.2.2 Die Ableitung des Gottesgedankens als Ideal der reinen Vernunft Ideen, so wie Kant sie aus dem Vermögen der Vernunft ableitet, haben also keine „objektive Realität“58 . Um objektive Realität zu haben, müssten die Ideen Bezug auf die Sinnlichkeit aufweisen, also auf die „Materie aller Erscheinung“59 . Kategorien des reinen Verstandes sind natürlich auf Anschauung beziehbar60 und können daher auch veranschaulicht werden. Dass die Ideen diesen Bezug nicht aufweisen, genügt Kants Anspruch an die Widerlegung der metaphysica specialis in der Dialektik aber nicht. Stattdessen werden die Vernunftideen einer argumentativen Kritik unterzogen, die deren Unentscheidbarkeit aufweisen soll, indem gezeigt wird, dass die Vernunft sich in Widersprüche und Trugschlüsse verwickelt, wenn ein den Ideen entsprechender Gegenstand angenommen wird. Die für die vorliegende Untersuchung relevante Idee ist dabei diejenige, dass der Gottesgedanke aus dem disjunktiven Schluss gepaart mit der Totalitätsforderung der Vernunft hervorgeht. Und dieser Gottesgedanke, der der Vernunft entspringt, bildet die Grundlage für den ontologischen Gottesbeweis, den Kant zu widerlegen beansprucht. Diese Idee Gottes weist aber im Vergleich zu den anderen Vernunftideen eine Besonderheit auf, da sie keinen Allgemeinbegriff, sondern eine Idee „in individuo“ darstellt.61 Daher nennt Kant sie auch das Ideal der reinen Vernunft.62 Die Idee Gottes bezeichnet also nur ein einzelnes Ding63 . Ein einzelnes Ding ist aber dadurch gekennzeichnet, dass es unter dem „Grundsatz der durchgängigen Bestimmung“64 steht. Dieser Grundsatz besagt, dass einem Einzelding von jeder möglichen Eigenschaft entweder die Eigenschaft selbst oder ihre Negation zukommt. Der Individuenbegriff entspricht dem auf der Prädikatsebene: Er umfasst 57
Kant, KrV, A 666 | B 694. Ebd., A 567 | B 595. 59 Ebd., A 20 | B 34. So natürlich auch eine der berühmtesten Stellen aus der KrV über Begriff und Anschauung. Vgl. Kant, KrV, A 51 | B 75. 60 So, wie es der zweite Beweisschritt der transzendentalen Deduktion der B-Ausgabe begründen soll und der Schematismus der reinen Verstandesbegriffe durchführt. 61 Vgl. Kant, KrV, A 568 | B 596. 62 Vgl. zur Ableitung des Ideals bei Kant auch Grier, „The Ideal of Pure Reason“ und Grier, Kant’s doctrine of transcendental illusion, S. 234–251. Vgl. auch die umfassende Studie Sala, Kant und die Frage nach Gott, S. 237–255. 63 Vgl. Kant, KrV, A 568 | B 596. 64 Ebd., A 571 | B 599. 58
32 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises von jedem möglichen Prädikat entweder das Prädikat selbst oder dessen Negation. Davon sind Allgemeinbegriffe unterschieden, unter die Individuen fallen, die aber immer ein mehr an Bestimmtheit aufweisen. Denn Allgemeinbegriffe sind hinsichtlich einiger, aber nicht aller kontradiktorischer Prädikatenpaare bestimmt. So ist der Begriff des Menschen hinsichtlich des Prädikatenpaares ‚‚. . . ist ein Lebewesen‘/‚. . . ist kein Lebewesen“ bestimmt, nicht aber hinsichtlich des Prädikatenpaares ‚‚. . . ‘ ist in Niger geboren/‚. . . ist nicht in Niger geboren“.65 Weil Allgemeinbegriffe also noch weiter bestimmt werden können, stehen sie unter einem anderen Grundsatz, nämlich dem „Grundsatz der Bestimmbarkeit“66 . Dieser gibt die Regel an, dass, wenn einem Begriff ein Prädikat zugesprochen wird, so kommt ihm nicht zugleich das kontradiktorische Prädikat zu. Dieser Grundsatz beruht daher auf dem Satz vom Widerspruch und impliziert daher, dass Begriffe nicht widersprüchlich sein dürfen.67 Kant greift damit auf die klassische Unterscheidung von Individuen und Allgemeinbegriffen aus der leibniz-wolffschen Philosophie zurück. Diese Auffassung des Unterschieds von Individuen und Allgemeinbegriffen ist subtil und elegant, führt aber auch vor bekannte Schwierigkeiten, wie sie etwa der Zusammenhang von Identität über die Zeit hinweg und Wandel in der Zeit eines Individuums birgt. Denn wenn das Individuum a zu t1 vollständig bestimmt ist, zu t2 aber sich in einigen Prädikaten verändert hat, so ist in der Identität von a, die die Zustände t1 ,. . . ,n beinhaltet, hinsichtlich genau derjenigen Prädikate, die sich gewandelt haben, ein Widerspruch eingeschlossen. Denn es gehörte offenbar etwa zu Napoleon, dass er in Frankreich war und aus Frankreich verbannt wurde. Nun meint Kant, dass gerade durch die Unterscheidung der Zeitpunkte kein Widerspruch im Individuum entsteht, weil die Prädikate jeweils nur synthetisch mit dem Subjekt verbunden werden.68 65 Kants eigenes Beispiel ist der Unterschied zwischen der Idee der Menschheit und dem Ideal des vollkommenen Menschen. Während die Idee nur die wesentlichen Eigenschaften angibt, ohne die ein Mensch kein Mensch wäre, so ist dem Ideal des vollkommenen Menschen jedes Prädikat zugeordnet, das die Idee angibt, und zusätzlich aus allen anderen kontradiktorischen Prädikatenpaaren je eines. Kant nennt die Idee daher „Regel“, das Ideal dagegen „Urbild der durchgängigen Bestimmung“ (ebd., A 569 | B 597). Das Ideal vergleicht Kant mit den platonischen Ideen, denn diese seien, so Kant, als einzelne, vollkommenste Gegenstände einer Art konzipiert (vgl. ebd., A 568 | B 596). 66 Ebd., A 571 | B 599. 67 Natürlich gilt der Satz vom Widerspruch auch für Individuen. Eine interessante Mischform zwischen Individuen und Allgemeinbegriffen bilden im Übrigen fiktive Personen, die auch hinsichtlich mancher Eigenschaften unbestimmt sind, aber auch nicht wie ein Allgemeinbegriff fungieren – obwohl ein Ausdruck auch nicht widernatürlich wäre, wie ‚Das ist ein wahrer Raskolnikow‘. Vgl. zur Unbestimmtheit in fiktionalen Individuen Ingarden, Das literarische Kunstwerk, § 38., S. 261–270. 68 Vgl. Kant, KrV, A 152 f. | B 192. Vgl. die gute Übersicht über aktuelle Debatten: Ney, Metaphysics. An Introduction, S. 170–189. Umgekehrt spiegelt sich das Problem auch in Leibniz’
1.2. Der Gottesgedanke in der Kritik der reinen Vernunft
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Kant verwendet – und das sicher auch trotz der genannten Schwierigkeit nicht zu Unrecht – die Unterscheidung zwischen dem Grundsatz der durchgängigen Bestimmung und dem Grundsatz der Bestimmbarkeit, um zwischen Individuenbegriffen und Allgemeinbegriffen zu differenzieren. Und das Ideal der reinen Vernunft bildet dabei einen Individuenbegriff. Denn es wird, so Kant, durch die vollständige Angabe von Eigenschaften a priori konzipiert, so dass keine Unbestimmtheit bestehen bleibt, weshalb es einen Individuenbegriff darstellt. Jedoch wird auf diese Weise kein anschaulicher Gegenstand a priori konstruiert: Das Ideal wird den Bedingungen der Anschauung noch weniger gerecht, als es für eine Vernunftidee ohnehin gilt. So schreibt Kant: Die Absicht der Vernunft mit ihrem Ideale ist dagegen die durchgängige Bestimmung nach Regeln a priori; daher sie sich einen Gegenstand denkt, der nach Prinzipien durchgängig bestimmbar sein soll, obgleich dazu die hinreichenden Bedingungen in der Erfahrung mangeln und der Begriff selbst also transzendent ist.69
Im Kapitel Von dem Transzendentalen Ideal (Prototypon transcendentale) spezifiziert Kant das Ideal weiter, denn es lassen sich zu verschiedenen Ideen Ideale bilden. Das transzendentale Ideal, das für das Folgende grundlegend ist, wird jedoch durch eine spezifizierende Voraussetzung des Grundsatzes der durchgängigen Bestimmung gebildet: Wenn ein Ding als Menge von Prädikaten aufgefasst wird, welche von jedem möglichen kontradiktorischen Prädikatenpaar eines enthält, so ist dafür die Menge aller Prädikate vorausgesetzt. Und wenn diese Menge dann aus allen negationsfreien Prädikaten konzipiert wird, nennt Kant sie den „Inbegriff aller Möglichkeit“,70 dessen Prädikate zwar nicht so deutlich sind, dass man sie aufzählen könnte, der aber derart gedacht wird, dass alle möglichen, positiven Prädikate in ihm enthalten sein sollen. Indem die Vernunft dann von Komplexen und von sich widersprechenden Prädikaten, die in diesem Inbegriff versammelt sind, abstrahiert,71 so Kant, gewinnt sie einen besonderen „Begriff Determinismus, der ebenfalls auf der durchgehenden Bestimmtheit von Individuenbegriffen basiert. Individuen sind für Leibniz vollständig determiniert, weil hinsichtlich aller Prädikate bereits entschieden ist, welche dem Individuum zukommen, und somit keine Möglichkeit der Fort- und Andersbestimmung mehr besteht. Vgl. etwa Leibniz, Die Theodizee. Dritter Teil, S. 258–269. Eine klassische Lösung dieses Problems, die Kant bemüht, ist die zeitliche Differenzierung, dass also zu jedem Zeitpunkt ein Individuum vollständig bestimmt ist, aber nicht zu allen Zeitpunkten auf die gleiche Art und Weise. Vgl. Kant, KrV, A 152 f. | B 191 f. Dann ist eben ein Prinzip des Zusammenhangs des Individuums zu unterschiedlichen Zeitpunkten anzugeben, um die Identität über die Zeit zu erklären. Dieses Problem wird natürlich erst recht virulent, wenn über die nichtmaterielle Fortexistenz des Seelischen nachgedacht wird. Vgl. die interessanten Ausführungen in: Hermanni, Metaphysik, S. 179–190. 69 Kant, KrV, A 571 | B 599. 70 Ebd., A 573 | B 601. 71 Siehe ebd., A 573 f. | B 601 f.: „[S]o finden wir doch bei näherer Untersuchung, daß diese Idee, als Urbegriff, eine Menge von Prädikaten ausstoße, die als abgeleitet durch andere schon
34 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises eines einzelnen Gegenstandes“72 . Weil so von allen einfachen Prädikaten eine widerspruchsfreie Menge gebildet wird, ist ein Gegenstandsbegriff a priori gewonnen, den Kant daher seiner Definition gemäß das „Ideal der reinen Vernunft“ nennt.73 Die einfachen Prädikate, die in diesem Ideal versammelt sind, begreift Kant nun so weit als logische Prädikate.74 Diese lassen sich inhaltlich oder „transzendental“ betrachten, so Kant. In der transzendentalen Perspektive unterscheiden sich die kontradiktorischen Prädikate nicht nur durch den formallogischen Negationsoperator, sondern sie bilden zwei Klassen, von denen die eine „ein Sein“, die andere ein „Nichtsein“75 ausdrückt. Es werden also die einfachen, negationsfreien Prädikate von ihren kontradiktorischen Negationen unterschieden, um dann mit ihnen eine ontologische Qualität zu verbinden, weshalb Kant sie als „Realität (Sachheit)“76 bezeichnet. Um diesen Unterschied zwischen logischer und transzendentaler Betrachtung der Prädikate klarer zu verstehen, ist es zweckdienlich, Kants Erläuterungen zu den entsprechenden Negationen nachzuvollziehen. Denn Kant erläutert ihren Unterschied mithilfe der Spezifikation der „logischen Verneinung“ im Gegensatz zur „transzendentalen Verneinung“77 . Die logische Verneinung bezieht sich eigentlich, so Kant, gar nicht auf einen Begriff oder ein Prädikat, denn durch sie sei keine inhaltliche Änderung angenommen. Eigentlich tritt sie erst im Urteil auf und verändert nur das Verhältnis zwischen zwei Begriffen im Urteil. Was Kant damit ausdrückt, ist, dass es in der logischen Betrachtung neben manchen Eigenschaften, wie etwa dem Prädikat ‚rot‘ keine zweite Eigenschaft ‚nicht-rot‘ gibt, sondern dass die logische Negation die Kopula im Urteil verändert und damit die Relation zwischen dem Subjekt- und dem Prädikatsbegriff: Die logische Verneinung des Satzes „Der Stift ist rot“ spricht dem Stift also nicht ein negatives Prädikat ‚nicht-rot‘ zu, das mit dem Prädikat ‚rot‘ in der Relation ‚. . . ist kontradiktorisch zu . . . ‘ steht, sondern es wird die Kopula, welche die Relation zwischen dem Stift und dem Prädikat ausdrückt, verändert: „Der Stift ist nicht rot“. Dagegen ist die Bedeutung der transzendentalen Negation – zunächst etwas dunkel – als „Nichtsein an sich selbst“ bestimmt. Sie bezeichnet „einen bloßen Mangel“ und wird „diese allein gedacht“, so wird „die Aufhebung alles Dinges vorgestellt“.78 Ihr ist, so Kant, die „transzendentale Bejahung entgegengesetzt [. . . ], welche ein gegeben sind, oder neben einander nicht stehen können, und daß sie sich bis zu einem durchgängig a priori bestimmten Begriffe läutere[.]“ Vgl. Tetens, Kants „Kritik der reinen Vernunft“, S. 266 f. 72 Kant, KrV, A 574 | B 602. 73 Vgl. ebd., A 574 | B 602. 74 Vgl. oben Abschnitt 2.3.2. 75 Kant, KrV, A 574 | B 602. 76 Ebd., A 574 | B 602. 77 Ebd., A 574 | B 602. 78 Vgl. Kant, KrV, A 574 f. | B 602 f.
1.2. Der Gottesgedanke in der Kritik der reinen Vernunft
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Etwas ist, dessen Begriff an sich selbst schon ein Sein ausdrückt, und daher Realität (Sachheit) genannt wird, weil durch sie allein, und so weit sie reichet, Gegenstände Etwas (Dinge) sind[.]“79 Es wird deutlich, dass die transzendentale Bejahung mit einem Etwas, einer „Realität“, zu tun hat, während die transzendentale Negation den „Mangel“ bis hin zur „Aufhebung des Dinges“ bezeichnet. Anders als in der logischen Beziehung zwischen Begriffen, ist für die transzendentale Affirmation und Negation impliziert, dass sie sich auf einen möglichen Sachverhalt beziehen. Und der Inhalt, der in der transzendentalen Reflexion auftritt, ist mithin eine ontologische Qualität und kein bloßes Gedankenspiel. Diese Erläuterung ist sehr abstrakt, zumal Kant selbst keine Beispiele angibt. Allerdings legen die verwendeten Begriffe nahe, dass Kant sich auf die 2. und wohl auch auf die 3. Form des „Begriffs des Nichts“ bezieht, die am Ende der Transzendentalen Analytik besprochen werden.80 Diese Formen des Nichts werden in der Analytik „L e e r e r G e g e n s t a n d e i n e s B e g r i f f s, nihil privativum“, und „L e e r e A n s c h a u u n g o h n e G e g e n s t a n d, ens imaginarium“, genannt, und beide zusammengenommen bilden eine Unterart des „Nichts“, insofern beide „leere Data zu Begriffen“81 sind. Was Kant damit meint, wird durch seine Beispiele klar: Für das nihil privativum gibt er Schatten, Kälte und Finsternis an, für das ens imaginarium Raum und Zeit. Die Gemeinsamkeit dieser Beispiele liegt nun darin, dass sie einen anderen Gegenstand oder Sachverhalt voraussetzen und in der Abstraktion von diesem ihren eigenen Gehalt gewinnen. So ist Kälte die Abwesenheit von Wärme, Schatten und Finsternis sind die Abwesenheit von Licht. Raum und Zeit, so Kant, sind nur als Gegenstände vorstellbar, insofern man von raum-zeitlich ausgedehnten Gegenständen oder zumindest Körpern ausgeht und dann von diesen abstrahiert. Weitere Beispiele wären etwa Krankheit als die Abwesenheit von Gesundheit oder Unwissen als Mangel an Wissen.82 Worauf es Kant nun ankommt, ist, dass für die transzendentale Negation einer Realität oder eines Etwas, diese Realität selbst schon bekannt sein muss. Es sind also auch alle Begriffe der Negationen abgeleitet, und die Realitäten enthalten die Data und sozusagen die Materie, oder den transzendentalen Inhalt, zu der Möglichkeit und durchgängigen Bestimmung aller Dinge.83
79
Ebd., A 574 | B 602. Die Bezeichnung „transzendentale Negation“ wird in der Erläuterung der vier Aussageweisen des Nichts freilich nicht genannt. Kant schreibt dort aber in ähnlicher Terminologie: „2. Realität ist E t w a s, Negation ist N i c h t s, nämlich, ein Begriff von dem Mangel eines Gegenstandes, wie der Schatten, die Kälte, (nihil privativum)“ (Kant, KrV, A 291 | B 347). Und weiter unten: das nihil privativum entspreche „leere[n] Data zu Begriffen“ (ebd., A 292 | B 349). 81 Ebd., A 292 | B 349. 82 Vgl. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, 84 f., der eine interessante Betrachtung über Optima und die anselmsche Kennzeichnung bietet. 83 Kant, KrV, A 575 | B 603. 80
36 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises Kant folgert daraus, dass nicht nur die logische Menge aller negationsfreien Prädikate gedacht werden kann, was der Inbegriff der Möglichkeit ist,84 sondern auch die transzendentallogische Menge aller Realitäten, aller sachhaltigen affirmativen Bestimmungen. Diese nennt Kant das „All der Realität (omnitudo realitatis)“85 . Sie ist die transzendentale Voraussetzung für die durchgehende Bestimmung von Gegenständen, die „den ganzen Vorrat des Stoffes, daher alle möglichen Prädikate der Dinge genommen werden können“86 , bereithält. Die Widerspruchsfreiheit dieser Menge aller Realitäten wird von Kant nicht eigens erläutert, aber Kant zeigt hier eine große Nähe zum leibnizschen Argument für die Widerspruchsfreiheit Gottes, indem die Menge aller Realitäten die Negation ausschließt.87 Denn Kant argumentiert, dass aus dem „Inbegriff aller Möglichkeit“ ein Ideal, also der Begriff eines Gegenstandes gebildet wird, somit die Vernunft aus der omnitudo realitatis den „Begriff eines D i n g e s a n s i c h s e l b s t“88 bildet, der als Gegenstandsbegriff dem Satz vom Widerspruch genügen muss. Diesen widerspruchsfreien Begriff eines einzelnen Wesens, das alle Realitäten vereint, nennt Kant den „Begriff eines entis realissimi“, womit Kant im Kapitel Über das Ideal der reinen Vernunft die erste traditionelle Bezeichnung Gottes abgeleitet hat. Das ens realissimum ist ein „t r a n s z e n d e n t a l e s I d e a l“, weil von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten eines, nämlich das, was zum Sein schlechthin gehört, in seiner Bestimmung angetroffen wird.89
Und es ist nicht nur ein transzendentales Ideal, sondern zugleich das „einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft fähig ist“,90 so Kant, weil es nur diese eine, rein positive Menge aller Realitäten gibt, die als Individuenbegriff, also personifiziert aufgefasst werden kann.91 So wird aus der omnitudo realitatis zunächst der Begriff des ens realissimum gebildet und damit der Begriff eines durch und durch positiven Gegenstandes.92 Aus dieser Bestimmung kann man, so Kant, noch weitere Individuenbegriffe bilden, die alle in der philosophischen Theologie verwendet 84
Vgl. Kant, KrV, A 573 f. | B 601 f. Ebd., A 575 f. | B 603 f. 86 Ebd., A 575 | B 603. 87 Vgl. zum Beweis der Widerspruchsfreiheit des Gottesbegriffes ausführlicher Abschnitt 5.3, wo auch Hegels Zweifel an dieser Argumentation besprochen wird. Vgl. auch Hermanni, Metaphysik, S. 54 f. und Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“, S. 254 f. 88 Kant, KrV, A 576 | B 604. 89 Ebd., A 576 | B 604. 90 Ebd., A 576 | B 604. 91 Vgl. ebd., A 583 | B 611, Fn. 1. 92 Hegel nimmt im Übrigen auf diese kantische Argumentation Bezug: Siehe Hegel, Enz. I, § 36, A., S. 103: „Bei dieser verständigen Betrachtung Gottes kommt es vornehmlich darauf an, welche Prädikate zu dem passen oder nicht passen, was wir uns unter Gott vorstellen. Der Gegensatz von Realität und Negation kommt hier als absolut vor; daher bleibt für den Begriff, wie ihn der Verstand nimmt, am Ende nur die leere Abstraktion des unbestimmten Wesens, der reinen Realität oder Positivität, das tote Produkt der modernen Aufklärung.“ 85
1.3. Die möglichen Gottesbeweise der theoretischen Vernunft
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wurden und werden, wie etwa derjenige des ens originarium, des ens summum oder des ens entium.93 Der Zusammenhang der verschiedenen Gottesbegriffe ist für Kant nun wichtig, weil er mit deren Hilfe die Voraussetzungsverhältnisse zwischen den einzelnen Gottesbeweisen erläutert, was im Folgenden betrachtet werden soll.94
1.3 Die möglichen Gottesbeweise für die theoretische Vernunft Kant will, wie im Vorhergehenden beschrieben, den natürlichen Gang der Vernunft95 dargestellt haben, so kritisch man diesen Anspruch auch beurteilen mag.96 Für Kant gilt jedoch, dass das Ideal des ens realissimum aus dem Inbegriff aller Realität – welcher selbst aus der Totalitätsanforderung der Vernunft und dem Obersatz des disjunktiven Syllogismus entspringt – gebildet wird. Und er meint gezeigt zu haben, wie dieses realisierte, hypostasierte und personifizierte Wesen97 zur Befriedigung des Vernunftbedürfnisses nach einem letzten, absolut hinreichenden Grund herangezogen wird. Daran anschließend führt Kant drei „Beweisarten vom Dasein Gottes“ an – die einzigen drei möglichen, wie Kant betont –, mit denen die Vernunft sich der Objektivität ihrer Idee zu versichern versucht.98 Es ist für Kants Widerlegungsstrategie von eminenter Bedeutung, alle möglichen Gottesbeweise zu bestimmen, denn er richtet sich nicht einzig gegen bestimmte Beweise, sondern gegen die Möglichkeit philosophischer Theologie im Feld der theoretischen Vernunft überhaupt. Denn nur wenn Kant alle Möglichkeiten berücksichtigt, kann seine Widerlegung vollständig sein und daher geht es ihm um ein vollständiges Raster der möglichen Gottesbeweise. Das Raster besteht für Kant aus den Qualifikationen der Prämissen: Diese können a) entweder a priori oder a posteriori sein. Und b) können sie von allgemeinen oder speziellen Tatsachen ausgehen. In diesem Raster erfasst Kant drei der klassischen Argumentationen für Gottes Existenz: 1. Den physikotheologischen Beweis (= PTB), 2. den kosmologischen Beweis (= KGB) und 3. den ontologischen Beweis (= OGB). Wie aus dem Raster sofort ersichtlich ist, spart Kant dabei aber eine Möglichkeit aus, worauf nach der Darstellung der kantischen Überlegung nochmals eingegangen wird. Denn es lässt sich zeigen, dass diese vierte Möglichkeit keine leere Spielerei ist, 93
Vgl. Kant, KrV, A 478 f. | B 606 f. Vgl. dazu Abschnitt 1.4. 95 Vgl. Kant, KrV, A 584 | B 612. 96 Vgl. etwa Strawson, Bounds of Sense, S. 221. 97 Vgl. Kant, KrV, A 583 | B 611, Fn. 1. 98 Siehe ebd., A 591 | B 619: „Der erste Beweis ist der p h y s i k o t h e o l o g i s c h e, der zweite der k o s m o l o g i s c h e, der dritte der o n t o l o g i s c h e Beweis. Mehr gibt es ihrer nicht, und mehr kann es auch nicht geben.“ 94
38 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises sondern es tatsächlich zwei Gottesbeweise gibt, die sich in das Raster fügen würden, nämlich Kants eigene, vorkritische Variante über den Grund des Möglichen und Leibniz’ Beweis aus den ewigen Wahrheiten. Wenn das der Fall wäre, würde Kant aber seinen Anspruch verfehlen, die philosophische Theologie als theoretische Disziplin voll und ganz zurückzuweisen. Zwar ist damit für das Thema der vorliegenden Arbeit, dem OGB, nicht unbedingt etwas gewonnen. Aber dieses Ergebnis ist auch nicht ganz uninteressant, weil Hegels Strategie darin bestehen wird, den OGB mit dem Beweis aus den ewigen Wahrheiten zu verbinden und damit die Probleme des OGB zu lösen. Zunächst jedoch zu den Schlusswegen, die Kant anführt: 1.3.1 Die drei möglichen Gottesbeweise in der Kritik der reinen Vernunft Der physikotheologische Beweis Die erste Beweisform geht von der „bestimmten Erfahrung und dadurch erkannten besonderen Beschaffenheit unserer Sinnenwelt“ aus und schließt mithilfe von „Gesetzen der Kausalität“ auf eine „höchste Ursache außer der Welt“.99 Diesen Schluss nennt Kant den physikotheologischen Beweis. Er setzt an mit einem konkreten, beobachteten Sachverhalt – die Prämisse beruht folglich auf einer Erfahrung und ist daher a posteriori. Zu dieser Prämisse, so Kant, tritt die Annahme von „Gesetzen der Kausalität“. Ob damit der Grundsatz der 2. Analogie der Erfahrung aus der Transzendentalen Analytik gemeint ist und ob damit Kant diese zweite Prämisse somit als durch seine eigene Transzendentalphilosophie gerechtfertigt betrachtet, oder ob eine Kausalität anderer Gestalt und anderen Ursprungs angenommen wird, gibt Kant nicht an. Der Schluss erfolgt dann derart, dass die erfahrene Tatsache eine Ursache benötigt. Wenn aber diese Tatsache eine Eigenschaft aufweist, die es unmöglich macht, dass sie auf kausal-natürlichem Wege aus dem Naturzusammenhang abgeleitet werden kann, wie etwa Schönheit, dann muss die Ursache extramundan sein. Aber da es nach der zweiten Prämisse auch Tatsachen geben muss, die nicht natur-kausal erklärt werden können, muss es eine welttranszendente Ursache geben. Dieses Schlussschema, das Kant aus seinen zwei Kriterien für Gottesbeweise entwickelt, ist sehr allgemein. Daher gibt Kant in seiner Widerlegung des PTB folgenden Schluss wieder: 1. Es finden sich in der Welt viele „Zeichen einer Anordnung“, etwa in zweckmäßigen Sachverhalten oder schönen Naturdingen. 2. Diese Anordnung kann nicht aus der Welt, aus Kausalgesetzen oder Ähnlichem erklärt werden. Sie ist den natürlichen Dingen eigentlich fremd. 3. Also existiert eine erhabene und weise Ursache.100 99
Vgl. Kant, KrV, A 590 | B 618. Vgl. ebd., A 625 f. | B 653 f. Kant fügt noch einen weiteren Beweisschritt für die Einheit der Ursache hinzu. 100
1.3. Die möglichen Gottesbeweise der theoretischen Vernunft
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Vorausgesetzt ist, dass Erklärungen sich eigentlich auf Kausalrelationen zwischen natürlichen Gegenständen beschränken. In dieser Variante konkretisiert Kant auch, dass besondere Tatsachen von Bedeutung für den PTB sind, nämlich solche, die einen Akteur als Ursache verlangen, ohne das einer gegeben wäre. Durch diese Ausgangsstellung kann dann nämlich die für die philosophische Theologie konkretere und interessantere Konklusion gezogen werden, dass die extramundane Ursache einem planenden, intelligenten Akteur gleicht. Kant präsentiert den Schluss, um seine Unhaltbarkeit aufzuzeigen. Aber deutlich wird hier, das in der erste Prämisse auch das zweite Kriterium, mit dem Kant die Gottesbeweise einteilt, hervortritt: Sie handelt von besonderen Sachverhalten in der Welt.101 ‚Einige Dinge in der Welt sind schön oder zweckmäßig‘ – so lautet beispielsweise die Prämisse des PTB, die ihn von den anderen Gottesbeweisen in Kants Augen unterscheidet. Kant führt zwar noch an, dass solche Sachverhalte in großer Zahl vorliegen müssen, aber im Grunde ist nicht einzusehen, warum der Beweis nicht auch von einem einzigen, nicht aus anderen Tatsachen erklärbaren Sachverhalt ausgehen könnte.102 Dass der PTB nicht vollständig überzeugen kann, zeigt sich in den folgenden prima facie Einwänden, die eine Skeptikerin vorbringen könnte: 1. Der Beobachtungssatz oder der empirische Sachverhalt kann bestritten werden. Entweder kann seine Geltung in Frage gestellt werden oder die bestimmte Eigenschaft, wie Schönheit oder Zweckmäßigkeit. Leugnet die Skeptikerin 101 Die Konzentration des PTB auf einige, besondere Sachverhalte könnte als Versuch verstanden werden, Probleme des KGB, die etwa D. Hume in den Dialogues concerning natural Religion aufdeckt, zu vermeiden. Zum Beispiel wäre die Ursache aller Sachverhalte auch Grund allen Leids und Übels in der Welt. Und sie müsste zudem nur so gut sein, wie die Welt es ist. Siehe etwa: Hume, Dialogues and Natural History of Religion, S. 104: „But there is no view of human life or of the conditions of mankind, from which, without the greatest violence, we can infer the moral attributes, or learn that infinite benevolence, conjoined with infinite power and infinite wisdom, which we must discover by the eyes of faith alone.“ Zudem werden im KGB nicht unbedingt essentielle theologische Gottesattribute bewiesen: So muss eine bloße Ursache der Welt weder Wissen oder Geist, noch einen Willen, geschweige denn einen allmächtigen, haben, so Hume. Das Verhältnis des schottischen Philosophen zum PTB ist allerdings komplex und kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht dargestellt werden. 102 Beispielsweise entspricht die folgende Argumentation den Anforderungen Kants: ‚1. Es gibt (mindestens) ein Wesen mit mentalen Eigenschaften. 2. Mentale Eigenschaften können niemals vollständig aus physikalischen Eigenschaften oder Prozessen erklärt werden. 3. Alles muss erklärbar sein. 4. Also: Es muss eine Ursache für die mentalen Eigenschaften angenommen werden, die nicht ausschließlich durch physische Eigenschaften charakterisiert ist.‘ Wenn man zusätzlich die Eigenschaftsgleichheit von Ursache und Wirkung annehmen würde, so müsste die Ursache selbst geistige Eigenschaften haben. Im diesem Beispiel wird anhand der Prämisse (3.) deutlich, dass das Kausalitätsprinzip, dass Kant als Prämisse für den PTB annimmt, eine bestimmte Form haben muss: Es muss für alle Tatsachen eine Ursache fordern, damit die bislang unerklärte Tatsache unter das Gesetz fällt.
40 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises diese Qualitäten an bestimmten Phänomenen: Sie würde sich nicht unmittelbar in einen Widerspruch verstricken. 2. Die „Gesetze der Kausalität“ können ebenso bestritten werden oder als bloß subjektiv, etwa als Habituationen, interpretiert werden.103 Zudem stellt sich die Frage, wie ein Prinzip, das innerweltliche Dinge als Erklärungen von anderen innerweltlichen Dingen annimmt, für einen Rückschluss auf eine extramundane Ursache verwendet werden kann. 3. Mit dem Kausalitäts- oder Begründungsprinzip bleibt offen, ob es nicht auch auf die extramundane Ursache angewendet werden muss und so ein Regress außerweltlicher Ursachen angenommen werden müsste. 4. Die erschlossene Ursache muss nur adäquat sein, nicht aber göttlich. Es könnten zudem verschiedene Ursachen für unterschiedliche besondere Sachverhalte angenommen werden, etwa eine Ursache des Schönen, eine davon differente für zweckmäßige Sachverhalte. 5. Die Schlussform läuft Gefahr, zirkulär zu argumentieren: Aus dem Sachverhalt soll auf den Grund oder die Ursache geschlossen werden, der sorgt aber erst für das Bestehen des so charakterisierten Sachverhalts. Die Gefahr ist also zu schließen: ‚Weil es Zweckmäßiges gibt, gibt es Gott. Und weil es Gott gibt, gibt es Zweckmäßiges.‘ Diesem Zirkeleinwand lässt sich entgegnen, indem zwischen dem ordo cognoscendi und dem ordo essendi unterschieden wird. Dennoch ist aufgrund solcher, offensichtlicher Zirkularität der PTB in Verruf geraten, da beliebige Zweckbeziehungen in der Welt postuliert wurden, um dann auf einen Planer und Schöpfer schließen zu können.104 Kants eigene Widerlegung schlägt einen anderen Weg ein.105 Jedoch sollen hier zunächst kurz die anderen Gottesbeweise eingeführt werden, die Kant mit seinen Kriterien verbindet. Der kosmologische Beweis Der zweite, als kosmologisch bezeichnete Beweis legt im Unterschied zum PTB „nur unbestimmte Erfahrung, d. i. irgendein Dasein, empirisch zu Grunde“106 . 103 Wofür etwa Hume Pate stände. Siehe Hume, An Enquiry concerning Human Understanding, Sec. VII, P. II, S. 55: „But there is nothing in a number of instances, different from every single instance, which is supposed to be exactly similar; except only, that after a repetition of similar instances, the mind is carried by habit, upon the appearance of one event, to expect its usual attendant, and to believe, that it will exist. This connection, therefore, which we feel in the mind, this customary transition of the imagination from which we form the idea of power or necessary connexion. Nothing farther is in the case.“ 104 So führt Hegel gerne die „dürftige Reflexion“, dass der Korkbaum dafür geschaffen sei, damit aus seiner Rinde ein Verschluss für Weinflaschen geschnitten werden könne. Vgl. etwa Hegel, Enz. I, § 205, Z., S. 362 f. 105 Vgl. unten ab S. 53. 106 Kant, KrV, A 590 | B 618.
1.3. Die möglichen Gottesbeweise der theoretischen Vernunft
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Wie ersichtlich ist, teilt der KGB sich mit dem PTB den Bezug auf Erfahrung und ist damit a posteriori, unterscheidet sich aber von ihm, indem er sich nicht auf eine besondere, sondern auf eine unbestimmte Tatsache bezieht. Es wird also, wie es zunächst scheint, von keiner besonderen Eigenschaft des Erfahrenen ausgegangen, sondern das bloße ‚Etwas‘ der Erfahrung bildet den Ausgangspunkt des Beweises. Mithilfe einer Regel, etwa dem Satz vom zureichenden Grund (SvzG) oder Kausalgesetzen wird dann im KGB der Schluss auf ein notwendiges oder höchstes Wesen vollzogen.107 Kant wählt allerdings in Anbetracht seiner Kriterien für die Einordnung des KGB eine eher irreführende Formulierung, die sich wesentlich auf den modalen Charakter des erfahrenen Etwas stützt. Daher nennt er selbst auch Leibniz’ Beweis „a contingentia mundi“ als Bezugspunkt seiner Rekonstruktion. Diese lautet: Wenn etwas existiert, so muß auch ein schlechterdingsnotwendiges Wesen existieren. Nun existiere, zum mindesten, ich selbst: also existiert ein absolutnotwendiges Wesen. Der Untersatz enthält eine Erfahrung, der Obersatz die Schlußfolge aus einer Erfahrung überhaupt auf das Dasein des Notwendigen. Also hebt der Beweis eigentlich von der Erfahrung an, mithin ist er nicht gänzlich a priori geführt, oder ontologisch, und weil der Gegenstand aller möglichen Erfahrung Welt heißt, so wird er darum der k o s m o l o g i s c h e Beweis genannt.108
Kant unterstreicht, dass in diesem Beweis die zweite Prämisse auf einer Erfahrung beruht und der Beweis daher a posteriori ist. Diese Prämisse bildet für Kant den Kern des Beweises. Abstrahiert man von der Anspielung auf Descartes’ cogito-Argument und die Komplikationen, die sich daraus ergeben,109 so nimmt die Prämisse die Kernform an: ‚(Ich erfahre:) Etwas existiert‘, also die unbestimmte Erfahrung. Mit dem zitierten Konditional als Obersatz ist der Syllogismus formal korrekt, denn er folgt durch den modus ponens. Eine große Schwierigkeit in der kantischen Formulierung ist aber, dass nicht klar ist, warum das eigentümliche Konditional, also die erste Prämisse, akzeptiert werden sollte. Im Folgenden soll gezeigt werde, dass man von Kants Formulierung ausgehend zu bekannten Formen des KGB kommen 107 In der Darstellung Kants, wie etwa H. Tegtmeyer zurecht schreibt, ist der traditionelle KGB kaum wiederzuerkennen. Vgl. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 236. Unter anderem greift Kant nämlich auf folgende, nicht evidente Prämisse zurück, nämlich das Konditional „Wenn etwas existiert, so muß auch ein schlechterdingsnotwendiges Wesen existieren“ (Kant, KrV, A 604 | B 632). 108 Ebd., A 604 f. | B 632 f. 109 Der Vorschlag, die eigene Existenz als Erfahrungsprämisse einzusetzen, ist sicherlich interessant. Jedoch ist 1. zu fragen, ob damit tatsächlich Descartes’ cogito-Argument vorausgesetzt ist und ob in diesem Fall der KGB nicht a priori sein müsste. Und 2. ist der Existenzbegriff der mit dem Ich verbunden ist, zu klären: Denn wenn die Erfahrung diejenige der eigenen empirischen Existenz ist, so kann scheinbar jedes andere empirische Objekt an die Stelle des Ichs in der Erfahrung treten. Ist aber die Existenz im Sinne des cartesischen cogito gemeint, so ist ganz unklar, welchen Sinn das Prädikat ‚Existenz‘ hat.
42 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises kann. So scheint etwa die folgende Reformulierung von Kants Argument ein plausibler Kandidat für den KGB zu sein: 1. Wenn etwas (kontingent) existiert, so benötigt es einen zureichenden Grund für seine Existenz. (Reformulierung des kantischen Obersatzes.) 2. Es existiert etwas, (das kontingent ist), denn zumindest von der eigenen Existenz kann ich nicht abstrahieren. (Reformulierung des kantischen Untersatzes.) 3. Also hat das kontingent Existierende einen Grund (in etwas Anderem). Der Obersatz zieht den SvzG heran, also die Annahme ‚Alles hat einen zureichenden Grund für seine Existenz‘. In der zweiten Prämisse wird die Existenz von etwas Kontingentem eingeführt. Der modale Status ist insofern wichtig, weil die Möglichkeit ausgeschlossen werden soll, dass das Erfahrene selbst sein eigener Grund sein könnte. Kontingentes, das ebenso möglich ist wie seine Negation,110 findet aber den zureichenden Grund für seine Existenz nicht in sich selbst, denn ansonsten wäre seine Negation unmöglich. Soweit schließt der Syllogismus aber nur mit Hilfe des SvzG auf eine Ursache oder einen Grund: Etwas, das nicht durch sich selbst begründet ist, muss dann einen Grund in etwas Anderem haben. Damit ist aber noch nicht eingeholt, dass ein letzter oder oberster Grund erreicht wird, was Kant meint, indem er das ‚absolutnotwendige Wesen‘ in den Konditional der ersten Prämisse aufnimmt. Dieser Anspruch des KGB ist schwieriger in einem Rekonstruktionsversuch einzuholen. Ein Ergänzungsversuch wäre: 1. Der erschlossene zureichende Grund x steht selbst unter der Anforderung des SvzG. 2. Entweder x hat seinen Grund in sich selbst oder in einem anderen. 2.1. Hat x seinen Grund in sich selbst, so ist es absolut notwendig. 2.2. Hat x seinen Grund in einem anderen y, so greift erneut der SvzG für y. Damit droht ein infiniter Regress. 3. Ein infiniter Regress, der aus zureichenden Gründen besteht, ist unmöglich. 4. Also: Es gibt einen ersten und absolut notwendigen Grund, der durch sich selbst begründet ist. Als problematisch tritt hier natürlich die Prämisse (3.) hervor: Wieso sollte ein unendlicher Regress nicht möglich sein? Mit welchem Recht wird dieser ausgeschlossen? Für den Ausschluss des infiniten Ursachenregresses könnte nun auf die Argumentation zurückgegriffen werden, die Kant in der ersten Antinomie der reinen Vernunft dem Thetiker in den Mund legt.111 Jedoch ist das kantische Argument 110
Also formal ausgedrückt: kontingent p =def. ♦p ∧ ♦¬p . Die vierte Antinomie, die eigentlich deutlich näher am KGB ist, da sie das ens necessarium thematisiert, stützt dieses Argument nicht, da Kant hier die Unmöglichkeit eines infiniten Regresses voraussetzt. Vgl. Kant, KrV, A 452/454 | B 480/482. 111
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im Beweis der Thesis, das zeigen soll, dass die Welt einen Anfang in der Zeit haben muss, fehlerhaft. Denn das Argument verwechselt zwei unterschiedliche Prämissen: i) Jedes Ereignis in der Vergangenheit hat ein weiteres Ereignis zu seiner Bedingung, das ihm zeitlich vorangeht und auf das es sukzessiv folgt. ii) Die Reihe aller Ereignisse bis zum Jetztzeitpunkt muss in sukzessiver Synthesis durchlaufbar sein. Der gravierende Unterschied ist derjenige, dass man eine unendliche Folge von Ereignissen in der Vergangenheit annehmen kann, ohne zu behaupten, dass man die Reihe als Ganze vor sich haben könnte und dann durchlaufen müsste. Oder, noch einfacher gesagt: Es ist ein Unterschied zu behaupten, dass die Vergangenheit unendlich viele Ereignisse beinhaltet, oder zu meinen, dass von einem Anfangspunkt bis zum gegenwärtigen Ereignis unendliche viele Ereignisse durchlaufen werden mussten, was unmöglich sei. Die Differenz ist, dass die erste Prämisse (i) nicht behaupten muss, dass man in einer Reihe von einem bestimmten Punkt bis zu einem anderen bestimmten Punkt über unendliche viele Zwischenschritte gelangen könne. Vielmehr ist mit (i) kompatibel, dass zwischen zwei Punkten der Reihe nur endliche Zwischenschritte liegen. Es ist nach dieser Prämisse lediglich unmöglich, den ersten Punkt der Reihe festzusetzen. Egal, von wo aus man die Sukzession verfolgt: Es ist eben nie das erste Ereignis.112 Soweit ich sehe, bietet Kant also kein Argument für den Regressausschluss, sondern sieht in dieser Prämisse eine der „dialektischen Anmaßungen“, die dem KGB innenwohnen.113 In der Tat scheint ein Beweis der 3. Prämisse kompliziert zu sein.114 Eine äußerst elegante Weise, den KGB zu führen, dabei aber auf den Beweis der Prämisse (3.) zu verzichten, findet sich bei Leibniz. Dieser argumentiert, dass der 112 Vgl. Kant, KrV, A 426 | B 454.Vgl. auch Strawson, der die Argumentation zu Kants erster Antinomie zurückweist: Strawson, Bounds of Sense, S. 177. 113 Vgl. Kant, KrV, A 609 f. | B 638 f. Kant sieht hinsichtlich des unendlichen Regresses zwei Anmaßungen: Unter (2) führt er den Schluss aus der unendlichen Reihe von Ursachen in der Sinnenwelt auf eine erste Ursache außerhalb der Sinnenwelt an, wobei im Fokus der Kritik die doppelte Anwendung des Kausalgesetzes steht, eben einmal in der Sinnenwelt und dann, um über die Sinnenwelt hinauszugehen. Unter (3) führt er dann an, dass zum Zweck der Beendigung des Regresses ein notwendiges Wesen angenommen wird, indem behauptet werde, es gebe ein Wesen ohne alle Bedingungen, ohne aber zu erläutern, was genau in dem Gedanken eines notwendigen Wesens gedacht werde. 114 Vgl. dazu etwa Hermanni, Metaphysik, S. 27–31, der an Thomas’ 3. Weg zeigt, dass die Unmöglichkeit eines unendlichen Regresses für diesen KGB vorausgesetzt, aber nicht erfolgreich begründet wird. Vgl. auch Kutschera, Vernunft und Glaube, S. 23–30. Kutscheras Diskussion des KGB zeigt schön, dass auch die thomistische Modalversion auf die Begründung der Unmöglichkeit einer unendlichen Reihe von kontingenten Ereignissen angewiesen ist. Da die Begründung hierfür aber nicht gelingt, scheitert dieser thomistische Beweis, so Kutschera. Leibniz hat das Problem klar erkannt und dennoch eine Version des kosmologischen Beweises angenommen, die nicht auf den Ausschluss des infiniten Beweises angewiesen ist, zumindest prima facie. Siehe dazu unten Abschnitt 1.4.2.
44 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises Schluss auf einen zureichenden Grund auch dann gültig wäre, wenn die Welt eine Menge unendlicher aufeinanderfolgender Begründungsverhältnisse wäre. Selbst wenn jedes Ereignis im Vorgänger seinen zureichenden Grund fände, wäre immer noch für die Menge als Ganze ein zureichender Grund notwendig. Man wird daher, wie weit man auch auf frühere Zustände [der Welt; Einschub G. M.] zurückgeht, niemals in den Zuständen einen vollen Grund finden, warum überhaupt eine Welt und warum eine solche besteht. [. . . ] Hieraus erhellt, daß man selbst bei Annahme der Ewigkeit der Welt einem letzten außerweltlichen Grunde der Dinge oder Gott nicht entgehen kann.115
In seiner anschließenden Erläuterung unterscheidet Leibniz zwei Formen von Modalität: Zwar ist jedes, zunächst als kontingent verstandene Ereignis durch seinen innerweltlichen Grund hypothetisch oder physisch notwendig. Zu dieser Notwendigkeit müsse aber noch eine „absolute oder metaphysische Notwendigkeit“116 gefunden werden. Diese Anforderung, eine metaphysische Notwendigkeit zur physischen – zeitgenössisch würde wohl von naturgesetzlicher Notwendigkeit gesprochen werden – zu finden, lässt aufhorchen, da der Satz „Alles benötigt einen metaphysisch notwendigen Grund“ eine starke und ebenfalls schwer zu belegende These ist.117 Dennoch umgeht Leibniz’ Version zunächst das Problem, einen infiniten Regress der Ereignisse in der Welt auszuschließen. Somit kann also auch ein KGB geführt werden, ohne die problematische Prämisse (3.) anzunehmen. Soweit ist gezeigt worden, dass Kants Formulierung des KGB zwar überrascht, aber dennoch an die traditionellen Varianten anschließt. Dass auch in der Leibniz’ Version, der eine unendliche Folge an Weltzuständen erlaubt, ein Regress droht, soll im Abschnitt 1.4.2 betrachtet werden. Aufgrund der vorhandenen, wenn auch nicht offensichtlichen Nähe, ist Kants Kritik am KGB auch für vorkantische Formulierungen durchaus interessant und relevant. Das ist hervorhebenswert, weil auch andere als die von Leibniz angeführten Formulierungen sich deutlich von Kants Version des KGB unterscheiden. Die populärsten Versionen des KGB sind dabei: 1. Das ‚Kalam-Argument‘, das eine Ursache für die Welt als Ganze annimmt. Es schließt: Weil alles, was entstanden ist, eine Ursache hat, und weil unsere Welt entstanden ist, muss sie eine Ursache (außerhalb der Welt) haben.118 2. Dann ist die Schlussweise, die von beobachteten Wirkungen, dem Kausalprinzip und der kausalen Verbundenheit aller vergangener Weltzustände bis zum Jetztzeitpunkt auf eine erste Ursache schließt, indem ein infiniter Ursachenregress in der Vergan115
Leibniz, „Über den ersten Ursprung der Dinge (De rerum originatione radicali)“, S. 35 f. Ebd., S. 36. 117 Zudem ist in dieser These ebenfalls eine Art Regressstop immanent, denn metaphysisch notwendig soll entgegen den physischen, bloß hypothetischen Notwendigkeiten wohl so viel heißen, dass ein Grund angegeben werden kann, der keinen anderen Grund als sich selbst benötigt. 118 Vgl. Hermanni, Metaphysik, S. 17–23. 116
1.3. Die möglichen Gottesbeweise der theoretischen Vernunft
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genheit ausgeschlossen wird, wohl bekannt.119 3. Aber auch von deutlich weniger populären Versionen des KGB, wie etwa Thomas von Aquins 1. Weg, der von der Bewegung auf den unbewegten Beweger als höchste und erste Ursache schließt, unterscheiden sich von Kants Formulierung.120 Wichtig ist hier, dass alle drei genannten Versionen des KGB, die deutlich bekannter und auch einschlägiger sind, als Kants Minimalfassung, mit einer Erfahrungstatsache ansetzen, die eine bestimmte ontologische Struktur impliziert oder zu einer allgemeinen, ontologischen Struktur führt – darin sieht Kant die differentia specifica des KGB gegenüber dem PTB. Und damit scheint es gerechtfertigt zu sein, dass das Charakteristikum des KGB darin besteht, dass seine Prämissen 1. a posteriori sind, 2. sich auf eine allgemein-ontologische Eigenschaft beziehen.121 Dass Kant eine allgemein-ontologische Eigenschaft (2.) im Blick hat, wird durch folgende Überlegung gestützt: a) Der Grund für die Annahme, dass die Erfahrungsprämisse des KGB eine allgemein-ontologische Struktur meint, ist, dass andernfalls das zum PTB analoge Problem auftreten würde: Die erste Ursache einiger Tatsachen der Welt muss nicht die Ursache der Welt als Ganzer sein. Oder theologisch formuliert: Gott wäre nicht als Schöpfer, sondern nur als Teilursache der Welt beweisbar. Der KGB soll aber eine erste Ursache aller Tatsachen aufweisen. b) Zudem wäre ansonsten, wie für den PTB, eine Prämisse anzunehmen, dass die entsprechenden Weltteile nicht aus natürlichen Ursachen erklärt werden können. c) Und schließlich wäre gar kein Unterschied zum PTB festzustellen, wenn die gleichen Prämissen im KGB auftreten würden. Und die Prämisse, durch welche er sich abgrenzt, ist die Negation der „besonderen Beschaffenheit unserer Sinnenwelt“122 . Aber diese Negation läuft nun eigentlich nicht – auch wenn Kant diese Formulierung missver119 Vgl. So etwa Thomas von Aquins 2. Weg, Thomas von Aquin, STh, I q. 2 a. 3; vgl. dazu Kutschera, Vernunft und Glaube, S. 23 f. 120 Vgl. Thomas von Aquin, STh, I q. 2 a. 3. 121 Dass es sich um eine allgemein-ontologische Annahme handelt, betont auch Wood, Kant’s Rational Theology, S. 130. Vgl. zu den ontologischen Implikationen des KGB auch Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 207. Tegtmeyer hält gerade die ontologischen Implikationen für eine Stärke des kosmologischen Beweises gegenüber dem abstrakteren OGB (vgl. ebd., S. 239). Dennoch stellt sich die Frage, ob im Rahmen des KGB nicht ontologische All- und Gesetzesaussagen die schwerste Last des Beweises darstellen. Denn diese können selbst nicht vollständig durch die Erfahrung bewiesen werden, solange nicht ein grundsätzlicher Einwand gegen das von Hume herausgearbeitete und von Kant akzeptierte Induktionsproblem gefunden wird. Denn es scheint problematisch, wie Thomas, davon auszugehen, dass die Erfahrung offenbare, unbestreitbare Tatsachen zeige, während die logischen Gesetze, auf die ein Beweis a priori angewiesen ist, auf „gewisse Annahmen und ‚semantische Intuitionen‘ “ (vgl. ebd., S. 206) bauen. Die prinzipielle Bestreitbarkeit von Erfahrungstatsachen ist gerade ein wesentliches Problem für die Fundierung des Wissens a posteriori. Hingegen ist die Unbestreitbarkeit wohl eher eine Eigenschaft, die im Logischen hervortritt, nämlich dann, wenn im Zuge des Bestreitens logische Regeln angewendet und damit vorausgesetzt werden. Vgl. zur Selbstbegründung der Logik, unten S. 188 f. 122 Kant, KrV, A 590 | B 618.
46 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises ständlicher Weise heranzieht – auf eine „unbesimmte Erfahrung“ hinaus. Vielmehr muss sich die Negation auf die Besonderheit beziehen, was sich auf Allgemeinheit beläuft. So kann für Kants Argumentation der vollständigen Darstellung aller möglichen Gottesbeweise nun Folgendes festgehalten werden: 1. Kant meint, charakteristisch für den KGB sei, dass im Zentrum des Beweises eine unbestimmte Erfahrung stehe, das heißt eine Prämisse, die a posteriori ist und von allen besonderen Eigenschaften des Erfahrenen absieht.123 2. Die Erfahrungsprämisse des KGB hält eine allgemein-ontologische Struktur fest, die allem Innerweltlichen zukommt, wie etwa Bewegung, Zufälligkeit, Wirkung einer Ursache zu sein et cetera. Denn andernfalls wäre die notwendige Ursache immer nur für einen Teil der Welt Ursache. Insofern passt der KGB in das Raster, das Kant aus zwei Kriterienpaaren aufspannt und in welchem sich alle möglichen Gottesbeweise einordnen lassen sollen. 3. Die kantische Formulierung des KGB ist jedoch zu unbestimmt. In dem Versuch, den zugrunde liegenden Gedankengang zu explizieren, wurde aber deutlich, dass die Rolle des cogito-Arguments klein gehalten werden kann und dass es möglich ist, Brücken zu traditionellen Formen des KGB zu schlagen. Im Versuch, die Argumentation des KGB schärfer herauszustellen, wurde aber auch schon deutlich, dass der KGB Probleme mit sich führt, die Kant zum Teil nennt. Die Probleme scheinen die Folgenden zu sein: 1. Im Fall des KGB kann nicht nur die empirische Prämisse bestritten werden, was ohnehin immer möglich ist, sondern es kommt noch ein weiteres Problem hinzu. Denn was die kantische Variante eigentlich annimmt, ist, dass die Erfahrung nicht nur ein Etwas, sondern den modalen Status, die Kontingenz, des Erfahrenen offenbart.124 Die Kontingenz ist aber, wie Kant und der Empirismus zurecht argumentieren, keine Erfahrungstatsache, sondern eine Reflexion der Erfahrung.125 Wenn man also nicht die kantischen Annahmen zu erfahrungskonstitutiven und 123 Deswegen ist oben, S. 42, Kants zweite Prämisse als „Es existiert etwas“ paraphrasiert worden. Auf diese Weise interpretiert auch Ewing, A short Commentary on Kant’s Critique of Pure Reason, S. 242 den Unterschied zwischen dem KGB und dem PTB: „It [i. e. the cosmological proof; Einschub G. M.] again involves the notion of a necessary being, but it differs from the ontological proof in starting, not from the idea of such a being, but from experience, and from the Physico-Theological proof in starting, not from the specific nature of certain experiences, but from the mere fact that there is some experience.“ Kritisch muss allerdings gegen Ewing festgehalten werden, dass der KGB einen Gott nicht für einen Gegenstand der Erfahrung, sondern für alle möglichen Gegenstände der Erfahrung zeigen muss. 124 Kant deutet in einer erläuternden Fußnote selbst an, dass es sich nicht nur um eine erfahrene Eigenschaft, sondern eigentlich um die Subsumtion des Erfahrenen unter ein ‚transzendentales Naturgesetzt‘ handelt. Vgl. Kant, KrV, A 605 | B 633, Fn. 125 Kant meint, dass Modalbegriffe durch synthetische Sätze a priori gegeben werden. Vgl. die Postulate des empirischen Denkens. ebd., A 218–236 | B 265–287.
1.3. Die möglichen Gottesbeweise der theoretischen Vernunft
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-leitenden synthetischen Sätzen a priori teilt, ist es leicht, die Eigenschaft des Erfahrenen in Frage zu stellen. 2. Wird nun ein Etwas als kontingent erfahren, so wäre jeder erschlossene, absolut notwendige Grund, nur Grund für dieses Etwas. Von einer anderen Erfahrung ausgehend, könnte auf einen anderen absolut notwendigen Grund geschlossen werden. Es wäre also durch diesen KGB nicht gezeigt, dass verschiedene kontingente Sachverhalte auf den gleichen notwendigen Grund zurückgehen.126 3. Wird hingegen nicht von einem einzelnen Erfahrungsgegenstand, sondern von der Menge aller logisch kontingenten oder bloß hypothetisch notwendigen Ereignisse ausgegangen, so ist dieser Gegenstand sicher kein Erfahrungsgegenstand. Die Prämisse wäre nicht bloß a posteriori. Es könnte höchstens argumentiert werden, dass das Dass von kontingenten Tatsachen Erfahrung benötigt. Aber es würde ein zweites Argument für die Kontingenz aller oder weiterer Tatsachen benötigt, wenn nicht nur von den jeweils erfahrenen Tatsachen ausgegangen werden soll. 4. Es besteht die Schwierigkeit, den SvzG oder ein universales Kausalgesetz, wovon eines als Prämisse angenommen werden muss, zu begründen. Auf die Begründungsschwierigkeit des SvzG hat Fr. Hermanni hingewiesen.127 5. Zudem benötigen viele Versionen des KGB ein Argument gegen die Unendlichkeit des Begründungs- oder Kausalregresses, auf dem sie fußen. Dass Leibniz hier eine Verschiebung der Fragestellung hin von der Begründungsbedürftigkeit der Einzelereignisse hin zur derjenigen aller Einzelereignisse im Ganzen gefunden wird, ändert nichts an der Notwendigkeit eines Regressstoppers. Ob sich auch bei Leibniz ein Regress ankündigt, wird unten im Abschnitt 1.4.2 untersucht. So besteht meines Erachtens der Unterschied zum PTB eher darin, dass im KGB eine ontologische Eigenschaft herangezogen wird, die auf alle Gegenstände oder Ereignisse in der Welt zutrifft. Der PTB konzentriert sich hingegen auf ontologische Eigenschaften, die nur einer ausgewählten Menge von Gegenständen zukommen, wie etwa zweckmäßig oder schön zu sein. Beide sind insofern a posteriori, als dass die jeweilige ontologische Eigenschaft durch Erfahrung bestätigt wird oder zumindest einem Erfahrungsgegenstand zukommen soll. 126 Dieses wendet Kutschera analog gegen eine kausaltheoretische Version des KGB ein (vgl. Kutschera, Vernunft und Glaube, S. 26). Es wäre zudem nicht gezeigt, dass dieser Grund nicht selbst innerweltlich besteht. 127 Vgl. zum SvzG die interessanten Ausführungen in Hermanni, Metaphysik, S. 35–38. Was Hermanni meines Erachtens nicht diskutiert, aber in seinem Sinne zu untersuchen wäre, ist, ob der SvzG zwar nicht direkt in einen pragmatischen Widerspruch führt, insofern als hintergehbar erscheint, er aber insofern alternativlos ist, als dass das Gegenteil nicht gedacht werden kann, nämlich ein initium ex nihilo. Dabei ist der Status der Undenkbarkeit entscheidend: Unter der platonischen Annahme, dass Denknotwendigkeiten auch ontologisch notwendig sind, ergäbe sich ein starkes Argument für die Gültigkeit des SvzG.
48 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises Der ontologische Beweis Der dritte und letzte von Kant angeführte ‚Beweis vom Dasein Gottes‘ baut schließlich nicht mehr auf eine Erfahrungsprämisse, sondern schließt „gänzlich a priori aus bloßen Begriffen auf das Dasein einer höchsten Ursache“128 . Diesen Schluss nennt Kant den ontologischen Gottesbeweis. Da er im Fokus der vorliegenden Arbeit steht und Kants Auffassung und Widerlegung im folgenden Abschnitt 2 genauer untersucht wird, sollen hier nur eine kurze Bemerkung zum OGB angeführt werden. An Kants Reformulierung ist zunächst auffällig, dass er die ‚höchste Ursache‘ als Beweisziel nennt. Denn traditionelle Formen des OGB schließen gewöhnlich auf die Existenz eines höchsten, vollkommenen oder notwendigen Wesens, aber nicht zwangsläufig auf eine höchste Ursache. Somit bleibt das Verhältnis von Welt und göttlichem Wesen im OGB zunächst unthematisch.129 Mit Kants Formulierung ist stattdessen eine Sonderform des OGB getroffen, die Descartes in der dritten Meditation anführt, deren Grundgedanke es ist, dass die Idee eines vollkommenen Wesens in unserem Denken nur von einer vollkommenen Ursache außerhalb des Denkens stammen könne, weil Ursache und Wirkung in ihrer Vollkommenheit adäquat sein müssen.130 Doch abgesehen vom Ursachenbegriff führt Kant aus der Tradition bekannte Merkmale des OGB an, wenn er diesem einen Platz in seinem Raster für die Möglichkeiten für Gottesbeweise gibt. Denn Kants Grundgedanke ist, dass seine zwei Kriterienpaare auch in diesem Fall zutreffen: Denn er hat einen apriorischen Status und einen singulären, besonderen Ausgangspunkt a priori, nämlich den Begriff Gottes. Kant schreibt zwar, dass aus Begriffen im Plural geschlossen werde, denn natürlich sind noch weitere Begriffe in den Beweisgang involviert. Aber letztlich steht im Zentrum des Beweises der Begriff Gottes und nicht eine Annahme über die ganze Struktur des Denkens oder alle möglichen Begriffe. Der OGB besteht also in dem Versuch, a priori aus dem Begriff Gottes auf die Existenz Gottes zu schließen. Somit passt sich auch der OGB in die kantischen Kriterien ein, die damit eine überzeugende Kennzeichnung des Beweises ermöglichen. 1.3.2 Die nicht berücksichtigte Möglichkeit eines Gottesbeweises Aus Kants Kriterienpaar ergeben sich im Rahmen der theoretischen Vernunft die drei dargestellten Möglichkeiten, die Gottesbeweise zu führen, so Kants Idee. Der 128
Kant, KrV, A 590 f. | B 618 f. Hegel scheint allerdings auch den OGB mit einer Schöpfungslehre zu verbinden. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 241 f. Vgl. dazu unten Abschnitt 7.1. Im Kapitel 7 dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass Hegel tatsächlich eine Klärung des Existenzbegriffs, der legitimerweise auf das Absolute angewendet werden kann, mit dem OGB verwendet. Dieser Existenzbegriff beinhaltet auch einen Bezug auf das Sein dessen, was nicht das Absolute selbst ist, weshalb die Parallele zur Schöpfungslehre nahe liegt. 130 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 50. Vgl. unten Abschnitt 5.1, S. 249. 129
1.3. Die möglichen Gottesbeweise der theoretischen Vernunft
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OGB ist a priori und wird aus dem Begriff Gottes geführt. Der KGB ist a posteriori und stützt sich auf allgemein ontologische Tatsachen oder Eigenschaften. Und der PTB ist ebenfalls a posteriori, kommt aber mit einer besonderen ontologischen Tatsache oder Eigenschaft aus, um auf die Existenz Gottes zu schließen. Natürlich kennt Kant weitere Gottesbeweise, wie den wichtigen moralischen Gottesbeweis, den Kant in der KpV führt. Diesen hält Kant sogar für wichtig, aber er hat keinen Bestand vor der theoretischen Vernunft – mit ihm ist also letztlich kein objektives Wissen gezeigt. Stattdessen ist die Existenz Gottes ein notwendiges Postulat für moralische Wesen, womit aber keine theoretische Einsicht demonstriert wird.131 Jedoch ist Kants Aufzählung der Möglichkeiten, Gottesbeweise zu führen, auch im Rahmen der theoretischen Vernunft unvollständig. Das wird deutlich, wenn das Prinzip der Einteilung genauer betrachtet wird. Denn es wurde gezeigt, dass Kant die Gottesbeweise nach zwei Kriterienpaaren einteilt, welche die Schlussmöglichkeiten bedingen: a) a priori /a posteriori; b) Besonderheit /Allgemeinheit – also Bezugnahme auf eine besondere oder allgemeine Tatsache. Natürlich ergeben diese Prinzipien aber vier Schlussmöglichkeiten, was in der tabellarischen Übersicht deutlich hervortritt: a posteriori a priori
Besonderheit
Allgemeinheit
Physikotheologischer Beweis Ontologischer Beweis
Kosmologischer Beweis ???
Offenbar wäre ein weiterer Beweis auf der Basis der kantischen Kriterien möglich. Dieser müsste auf eine Kernprämisse bauen, welche die Eigenschaften aufweisen müsste, a priori zu sein und sich auf Allgemeines zu beziehen, also auf etwas, was auf jeden Begriff, jeden Gedanken zutrifft. 131 Der moralische Gottesbeweis kann hier nicht besprochen werden. Er hat, so könnte man ihn charakterisieren, die Form eines apriorischen, physikotheologischen Arguments, da er von einer besonderen Tatsache, nämlich dem Selbstbewusstsein eines moralischen Wesens, auf das Dasein Gottes schließt. Die Argumentation basiert, äußerst verkürzt, auf folgendem Gedanken: Das moralische Gesetz gilt vollkommen unabhängig von empirischen Tatsachen, denn sonst fände ein naturalistischer Fehlschluss statt. Aus dem moralischen Gesetz folgen aber Ansprüche auf Verwirklichung des Gebotenen: Es kann nicht geboten sein, was niemals gekonnt wird. Wenn nun aber die empirische Welt ganz anderen, etwa kausalen Gesetzen, gehorcht, stellt sich die Frage, ob moralische Forderungen überhaupt verwirklicht werden können, da diese nicht ohne eine intendierte Handlung, mithin einer causa finalis, wirklich werden können. Aber es gibt eine Annahme, die sowohl die moralische Ordnung als auch die Naturordnung in Konkordanz bringt: Es muss ein Grund der Natur angenommen werden, der die Übereinstimmung von Sittlichkeit und Naturkausalität immer schon garantiert. Und weil anders die praktische Vernunft sich selbst nicht verstehen kann, muss dieser Grund, also Gott, als Postulat angenommen werden. Allerdings verbindet Kant mit dem moralischen Gottesbeweis nicht den gleichen Anspruch auf Wissen, den ein Beweis aus der theoretischen Vernunft stellen könnte. Vgl. Kant, KpV, A 223–226 | AA 124 f. Vgl. Kant, KU, § 87., A 414–420 | B 419–425. Vgl. auch Nonnenmacher, „Wie soll nach Kant das, was für die spekulative Vernunft transzendent ist, in der praktischen Vernunft immanent sein?“.
50 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises Diese Überlegung könnte nun als bloß formal-abstrakte Spielerei erscheinen, wenn aus der Geschichte der philosophischen Theologie nicht gleich zwei solcher Beweise bekannt wären: 1. Derjenige, den Leibniz im § 45 der Monadologie beschreibt: Wir haben sie [d. i. die Existenz Gottes; Anmerkung G. M.] auch durch die Realität der ewigen Wahrheiten bewiesen.132
Der sogenannte Gottesbeweis aus den ewigen Wahrheiten, den Grundzügen des Denkens im Allgemeinen, füllt genau die fehlende Stelle der kantischen Einteilung – er ist a priori und allgemein:
a posteriori a priori
Besonderheit
Allgemeinheit
Physikotheologischer Beweis Ontologischer Beweis
Kosmologischer Beweis Beweis aus den ewigen Wahrheiten
Die Grundidee dieses Schlusses ist, dass mit dem Beweis, dass es ewige Wahrheiten gibt, auch bewiesen ist, dass es einen ewigen Verstand gibt, dem diese Wahrheiten inhärieren oder den sie ausdrücken. Da die ewigen Wahrheiten aber als conditio sine qua non des Denkens verstanden werden müssen, bilden sie den Kern dessen, was für alles Denken als notwendige Voraussetzung gilt, was also die gesamte Struktur des Denkens im Allgemeinen betrifft. Ist der Beweis aus den ewigen Wahrheiten aber vielleicht zu trivial, zu offensichtlich falsch, als dass Kant sich hätte die Mühe machen sollen, diesen mit anzuführen? In der Tat hat der Gottesbeweis aus den ewigen Wahrheiten wenig Beachtung erfahren, und wenn doch, eher schlechte Presse erhalten.133 Er ist jedoch meines Erachtens nicht leicht von der Hand zu weisen, wenn Folgendes beachtet wird, was Leibniz sicher ähnlich intendiert: Wird Gott als Container der logischen Wahrheiten betrachtet, so ist es einfach, diesen Beweis nicht ernst zu nehmen und sich über ihn hinwegzusetzten. Interessant und stärker ist hingegen die Identifizierung des göttlichen Wesens mit der geordneten Struktur oder zumindest mit der Menge aller logischen Wahrheiten.134 Dieses Gottesbild mag zwar von den Gottesvorstellungen der Offenbarungsreligionen abführen, hat aber argumentative Kraft, die etwa Hegel in der Wissenschaft der Logik wieder aufgreift.135 2. Ein weiterer Kandidat, den Kant weder anführt noch widerlegt, ist sein eigener, vorkritischer Gottesbeweis aus der Schrift vom Einzig möglichen Beweisgrund.136 Die Grundidee des kantischen Beweises ist, dass die Gesamtheit aller Denkmöglich132 Leibniz, „Monadologie“, § 45., S. 47: Die Gottesbeweismöglichkeiten werden im § 45 der Monadologie genannt werden, die insgesamt neunzig Paragraphen umfasst, und stehen somit im Zentrum dieses Abrisses, den Leibniz von seinem Denken gibt. 133 Vgl. etwa Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S. 177–181. 134 Vgl. dazu etwa Poser, Gottfried Wilhelm Leibniz zur Einführung, S. 45. 135 Vgl. unten Abschnitt 6.2 und S. 406. 136 Vgl. Kant, „Der einzig mögliche Beweisgrund“. Vgl. besonders ebd., S. 637–654.
1.3. Die möglichen Gottesbeweise der theoretischen Vernunft
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keiten schon einen Grund, und zwar einen Realgrund, der Möglichkeiten voraussetzt. Denn die Denkmöglichkeiten existieren als Möglichkeiten und müssen daher durch einen Grund als Möglichkeiten gesetzt worden sein. Interessant ist, dass Kant seinen Beweis zwar in der kritischen Phase nicht mehr ausdrücklich vertritt, ihn aber auch nicht ausdrücklich für falsch erklärt. In jedem Fall stellt dieser Beweis, der von der Gesamtheit der Denkmöglichkeiten – also der Gesamtheit des a priori Denkbaren – ausgeht, einen weiteren Kandidaten dar, um die freigelassene Stelle in Kants Raster auszufüllen.137 Der Beweis aus den ewigen Wahrheiten und Kants Beweis aus den Denkmöglichkeiten haben dabei natürlich eine Gemeinsamkeit: Sie zielen auf die notwendigen Bedingungen allen Denkens ab. Und das greift Hegel in seiner Behandlung des ontologischen Beweises auf. Ihr Unterschied liegt aber in der Schlussweise. Während Leibniz’ Variante darauf angewiesen ist, die ewigen Wahrheiten zu beweisen, um diese dann zusammenzufassen und mit Gott zu identifizieren, muss Kant nur von der Möglichkeit, irgendetwas zu denken, ausgehen. Aus dieser Möglichkeit folgt dann, für den vorkritischen Kant, dass sie einen Grund benötigt, der mit Gott identifiziert werden kann. Aber es muss im kantischen Beweis nichts Weiteres über diesen Gott bekannt sein. Abschließend kann also festgehalten werden, dass Kants Aufzählung der Gottesbeweise schon seinen eigenen Kriterien nach nicht als vollständig beurteilt werden kann. Nicht nur, dass es Gottesbeweise geben kann, die sich nicht in das von Kant angebotene Schema einfügen lassen, sondern seinem eigenen Raster nach gibt es eine unberücksichtigte Möglichkeit, einen Gottesbeweis zu etablieren. Dass es sich dabei nicht nur um eine formale Möglichkeit handelt, zeigen Leibniz’ Beweis aus den ewigen Wahrheiten und Kants eigener vorkritischer Beweis. Dieses erste Resultat der vorliegenden Untersuchung ist wichtig, denn im Versuch, die Geltung des kantischen Widerlegungsversuches aller philosophischer Theologie kritisch zu beurteilen, zeigt sich schon jetzt, dass Kants Widerlegung in jedem Fall nicht vollständig wäre. Denn um eine tatsächliche Widerlegung aller theoretischer Bemühung um philosophische Theologie zu erreichen, muss Kant zunächst sicherstellen, dass er alle Optionen der philosophischen Theologie trifft. Dafür dient ihm das oben angeführte Raster. Da aber Kants Aufzählung der Gottesbeweise unvollständig zu sein scheint, muss der Anspruch, den Kant erhebt, zurückgewiesen werden. Auch wenn damit ein wichtiges Resultat formuliert wurde, ist damit aber natürlich nichts über den OGB, der in dieser Arbeit das Interesse ausmacht, ausgesagt. Zwar wäre Kants Anspruch auf Vollständigkeit auch bei einer erfolgreichen Widerlegung dieses Beweises nicht eingeholt, aber der OGB wäre dann dennoch unrettbar. Daher muss im Folgenden Kants Gedankengang weiter verfolgt werden. 137 Vgl. zu Kants Denkentwicklung von seinem eigenen Gottesbeweis zu seinen Widerlegungsversuchen in der kritischen Phase: Logan, „Whatever Happened to Kant’s Ontological Argument?“ Logan macht vor allem die Hinzunahme empiristischer Prämissen für Kants Abrücken von den Gottesbeweisen verantwortlich.
52 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises
1.4 Der ontologische Gottesbeweis als notwendige Bedingung der philosophischen Theologie Kants Ableitung aller möglichen „Beweisarten vom Dasein Gottes“ lässt also eine unberücksichtigt: den Gottesbeweis aus den ewigen Wahrheiten wie auch sein eigenes, vorkritisches Argument für den Grund aller Denkmöglichkeiten. Damit kann im Prinzip schon Kants Anspruch, alle Möglichkeiten der philosophischen Theologie widerlegt zu haben, zurückgewiesen werden, jedenfalls solange nicht gezeigt wird, dass Kants Widerlegungsversuch nicht auch den Beweis aus den ewigen Wahrheiten trifft. Dennoch heißt das natürlich nicht, dass Kants Widerlegung der von ihm genannten Gottesbeweise hinfällig ist, denn Kants Widerlegungsversuch ist von den angeführten Überlegungen unberührt – einzig sein Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht aufrechterhalten werden. Aber damit ist nichts über die Gültigkeit der Widerlegung des OGB ausgesagt. Kants Kritik der Gottesbeweise nimmt nun folgende Form an: Anstatt jeden einzelnen Gottesbeweis einzeln zu widerlegen, argumentiert Kant, dass 1. der OGB für alle Formen der Gottesbeweise grundlegend ist, und dass 2. der OGB ein fehlerhafter Beweisversuch ist, an dem „alle Mühe und Arbeit verloren“138 ist. Insofern besteht Kants Strategie also im Nachweis, dass der OGB eine notwendige Voraussetzung des KGB und des PTB ist. Und in einem zweiten Schritt versucht er zu zeigen, dass der OGB nicht konsistent geführt werden kann, womit dann die beiden anderen a fortiori hinfällig sind.139 Warum also glaubt Kant, dass der ontologische Beweis der „e i n z i g m ö g l i c h e B e w e i s g r u n d“140 sei?141
138
Kant, KrV, A 602 | B 630. Dass Kant der Meinung ist, dass der OGB eine Kernprämisse der anderen Gottesbeweise bildet, belegen folgende Textstellen. Für den PTB siehe ebd., A 625 | B 653: „Ich behaupte demnach, daß der physikotheologische Beweis das Dasein eines höchsten Wesens niemals allein dartun könne, sondern es jederzeit dem ontologischen (welchem er nur zur Introduktion dient) überlassen müsse, diesen Mangel zu ergänzen, mithin dieser immer noch den e i n z i g m ö g l i c h e n B e we i s g r u n d (wofern überall nur ein spekulativer Beweis stattfindet) enthalte, den keine menschliche Vernunft vorbeigehen kann.“ Und über den KGB schreibt er: siehe ebd., A 607 | B 635: „Ich behaupte demnach, daß der physikotheologische Beweis das Dasein eines höchsten Wesens niemals allein dartun könne, sondern es jederzeit dem ontologischen (welchem er nur zur Introduktion dient) überlassen müsse, diesen Mangel zu ergänzen, mithin dieser immer noch den e i n z i g m ö g l i c h e n B e we i s g r u n d (wofern überall nur ein spekulativer Beweis stattfindet) enthalte, den keine menschliche Vernunft vorbeigehen kann.“ 140 Ebd., A 625 | B 653. 141 Nun ist Kants Vorgehen zwar in der Reihenfolge vertauscht, indem er zunächst den OGB widerlegt und anschließend zeigt, dass der KGB und der PTB auf ihn angewiesen sind. Da aber die Widerlegung des OGB und die Rückführung logisch unabhängig sind, ist es auch möglich, zunächst die Rückführung nachzuvollziehen. Daher soll die in dieser Arbeit bislang verfolgte Betrachtungsreihenfolge beibehalten werden. 139
1.4. Der Voraussetzungscharakter des ontologischen Beweises
53
1.4.1 Der physikotheologische und der ontologische Beweis Kant macht einige Bemerkungen zum PTB, die seine Wertschätzung für diesen ausdrücken, obwohl er nur ein verschleierter OGB sei, der sich durch den Bezug auf besondere Erfahrungen eine gewisse Würde und Plausibilität gebe. So diene der PTB nur der „Introduction“ des OGB, gebe diesem aber einen Rahmen, der dessen abstrakte Art mildere. Denn die Idee eines höchsten Urhebers und die Erfahrung von zweckmäßigen und schönen Gegenständen oder Zusammenhängen bestärken sich wechselseitig, so Kant.142 Daher rühre eine scheinbare Plausibilität, die nie gänzlich aufgelöst werden könne, nämlich dass aus der Welt ein Schöpfer und die Spuren des Schöpfers in der Welt erkannt werden können.143 Und Kant hält fest, dass der physikotheologische Gedanke auch nicht ganz fallen gelassen werden sollte, da die Idee einer intelligenten Ursache vor allem gute Effekte zeitige, wie etwa fortschreitende Naturforschung zu motivieren.144 Und obwohl die Erfahrung niemals der ‚Idee‘ gerecht werden könne,145 entstehe aus dem Zusammenhang von Beobachtung zweckmäßiger oder schöner Sachverhalte und der Idee eines ‚höchsten Urhebers‘ eine „unwiderstehliche Überzeugung“146 . Diese Überzeugung dürfe nur eben nicht mit Erfahrungswissen verwechselt werden. Doch warum ist der PTB eigentlich nur die Einleitung für den OGB? Die erste Antwort auf diese Frage scheint Kant durch das Voraussetzungsverhältnis bestimmter 142
Vgl. Kant, KrV, A 623 f. | B 651 f. Vgl. ebd., A 624 | B 652. 144 Vgl. ebd., A 623 | B 651. 145 Siehe ebd., A 621 | B 649: „Die transzendentale Idee von einem notwendigen allgenugsamen Urwesen ist so überschwenglich groß, so hoch über alles Empirische, das jederzeit bedingt ist, daß man teils niemals Stoff genug in der Erfahrung auftreiben kann, um einen solchen Begriff zu füllen, teils immer unter dem Bedingten herumtappt, und stets vergeblich nach dem Unbedingten, wovon uns kein Gesetz irgend einer empirischen Synthesis ein Beispiel oder dazu die mindeste Leitung gibt, suchen wird.“ 146 Ebd., A 624 | B 652. Weil wir aber manche Naturerfahrungen, etwa die des Lebendigen, so denkt Kant, nicht anders als teleologisch verstehen können, was er im zweiten Teil der KU ausführt, gesteht Kant dem Schluss auf eine intelligible Ursache das Recht zu, als Postulat der Vernunft zwar keine tatsächliche Erkenntnis darzustellen, aber dennoch diese Erscheinung im Lichte des „Als ob“-sie-geschaffen-wären zu verstehen. Vgl. Kant, KU, § 75, A 329–335 | B 333–339. Natürlich warnt Kant allerdings vor vorschnellem Heranziehen einer intelligenten Ursache im Fall von noch Unverstandenem, weil dieses die Motivation für wissenschaftliche Erforschung lähmen würde. Eine solche voreilige Erklärung durch eine göttliche oder intelligente Ursache nennt Kant, in der Terminologie von Ciceros und Leibniz’ Prägung abweichend, die „faule Vernunft“. Cicero und Leibniz bezeichnen mit diesem Term die Rechtfertigung der eigenen Untätigkeit mit einem ontologischen Determinismus. Vgl. Cicero, Über das Schicksal/De Fato, S. 44–50 (XII 28 – XV 33). Siehe Leibniz, Die Theodizee. Erster und zweiter Teil, S. 15: „Die Menschen sind beinahe zu allen Zeiten durch einen Trugschluß verwirrt worden, den die Alten die faule Vernunft nannten, weil er dazu führte, nichts zu tun oder wenigstens für nichts Sorge zu tragen und sich nur dem unmittelbaren Vergnügen hinzugeben. Denn, so sagte man, wenn das Zukünftige notwendig ist, so wird das, was geschehen muß, geschehen, was immer ich auch tun mag.“ 143
54 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises Gottesbegriffe zu geben. Dieser Zusammenhang von Gottesbegriffen gründet in den Verfahrensweisen der Vernunft. Denn diese bildet, wie oben dargestellt, die omnitudo realitatis beziehungsweise dessen Ideal, das ens realissimum, woraus sich noch weitere Gottesbegriffe ergeben sollen. Der Schluss des PTB soll nun, so Kant, in einem ersten Schritt zu einer „p r o p o r t i o n i e r t e n Ursache“ zu den Ausgangsphänomenen, also den Zweckmäßigkeiten oder schönen Gegebenheiten, gelangen. ‚Proportioniert‘ heißt dabei, dass die Ursache die Bestimmung haben muss, genau die beobachteten Qualitäten hervorbringen zu können.147 Doch die (erstaunliche oder unermessliche) Macht, diese bestimmte Qualität zu setzen, führt nach Kant noch zu keinem bestimmen Begriff.148 Denn um diese Größe und Macht irgendwie zu fassen, gäbe es nur eine Möglichkeit, nämlich auf die Vorstellung der omnitudo realitatis zurückzugreifen.149 So fasst Kant zusammen, dass man von den zweckmäßigen oder schönen Tatsachen auf die Größe, Weisheit oder Macht des Schöpfers schließe, dann aber zum KGB übergehe. Denn dieser beinhaltet die Prämisse, dass nichts aus Zufall da sein kann oder dass ein ens necessarium existieren müsse, wenn etwas Zufälliges gegeben sei. Und von diesem Gedanken gehe man über zum ens realissimum, weil auch das ens necessarium näher verstanden werden müsse.150 Nun vermag Kants These, dass der PTB auf diese Weise über den KGB auf den OGB schließe, nicht zu überzeugen. Denn es genügt für einen Gottesbeweis vollständig, auf die Existenz des göttlichen Wesens zu schließen – ein vollständiges Gottesverständnis ist nicht zwangsläufig angestrebt.151 Doch auch die Kürze seiner Andeutungen erschweren den Nachvollzug, wie auch das Fußen auf den Vernunftmechanismen nicht wirklich einsichtig ist.152 Somit ist Kants Überlegung durchaus interessant und inhaltlich wohl auch letztlich treffend, aber seine so gelagerte Argumentation kann nicht überzeugen. Jedoch lässt sich abseits der Argumentation über die Gottesbegriffe durchaus ein guter Grund für Kants Argumentationsziel nennen. Dieser Grund tritt hervor, wenn 147
Vgl. Kant, KrV, A 627 f. | B 655 f. Vgl. ebd., A 628 | B 656. 149 Vgl. ebd., A 628 | B 656. 150 Siehe ebd., A 629 | B 657: „Nachdem man bis zur Bewunderung der Größe der Weisheit, der Macht etc. des Welturhebers gelanget ist, und nicht weiter kommen kann, so verläßt man auf einmal dieses durch empirische Beweisgründe geführte Argument, und geht zu der gleichen anfangs aus der Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welt geschlossenen Zufälligkeit derselben. Von dieser Zufälligkeit allein geht man nun, lediglich durch transzendentale Begriffe, zum Dasein eines Schlechthinnotwendigen, und von dem Begriffe der absoluten Notwenigkeit der ersten Ursache auf den durchgängig bestimmten oder bestimmenden Begriff desselben, nämlich einer allbefassenden Realität.“ 151 Freilich bleibt dabei die Möglichkeit, dass es in dem nicht vollständig verstandenen Gottesbegriff einen Widerspruch gibt, was den Schluss tatsächlich ungültig machen würde. Zum Problem der Widerspruchsfreiheit des Gottesbegriffs im OGB: siehe unten Abschnitt 5.3. 152 Vgl. die bereits genannte Kritik bei Strawson, Bounds of Sense, S. 19–21, oben Fußnote 15 auf S. 22 f. 148
1.4. Der Voraussetzungscharakter des ontologischen Beweises
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nochmals reflektiert wird, was es impliziert, dass der PTB auf eine „proportionierte Ursache“ schließt, denn auf diese Weise droht, auf keine Erstursache geschlossen zu haben.153 Denn in Kants Augen scheitert der PTB in erster Linie an den Konsequenzen aus der Analogie zur menschlichen Handlung, denn durch Handlungen ordnen und gestalten wir die Welt, aber wir schaffen keine Dinge aus dem Nichts, noch sind wir selbst ohne weitere Gründe und Ursachen. So muss aus der Analogie die Konsequenz gezogen werden, dass eine Ursache für die zweckmäßige oder schöne Anordnung der Dinge schon gegeben ist, wenn ein „Weltbaumeister“ die Welt vorgefunden und dann entsprechend geformt hat, ohne die Welt, als Materie oder Material verstanden, auch geschaffen zu haben.154 Das ist natürlich für viele religiöse Ansprüche zu wenig. Und es wird deutlich: In dem Problem, dass ein „Weltbaumeister“ den Ansprüchen des PTB genügt und damit kein „Weltschöpfer“ erwiesen werden muss, scheitert die physikotheologische Überlegung auf grundsätzlicher Ebene. Denn die Ursache muss nur auf irgendeine Weise den zu erklärenden Phänomenen gerecht werden, das heißt diese irgendwie verursacht haben oder begründen können. Damit ist aber nichts über den Status der Ursache selbst ausgesagt, nämlich ob diese selbst eine Ursache oder einen Grund benötigt. Die Ursache muss nur „proportioniert“ sein, das heißt hinreichend für die beobachtete Zweckmäßigkeit. Damit sind aber nur relative Eigenschaften der Ursache angegeben, wie etwa ‚x ist groß, mächtig oder weise genug, um y hervorzubringen‘, aber um zu zeigen, dass es nicht nur eine, sondern die letzte und einzige Ursache sei, müsste erwiesen werden, dass sie nicht nur in der Relation zureichend ist, sondern zugleich die absolute Selbstständigkeit dieser Ursache bildet. Letzteres kann aber prinzipiell nicht durch die zweckmäßigen oder schönen Phänomene in der Welt gezeigt werden, und daher, so Kant, müsse der PTB ergänzt werden, indem ein zweiter Beweis zeigt, dass die Ursache auch absolut selbstständig, also auch hinreichend für sich selbst ist. Es muss von ihr in einem weiteren Beweis gezeigt werden, dass sie nicht wiederum auf vorgängige Gründe oder Ursachen angewiesen ist. Und genau das beansprucht der OGB zu leisten, der von einem Begriff ausgeht, der „die ganze mögliche Vollkommenheit begreift“155 , und damit ein ens per se demonstriert – etwas, das durch sein eigenes Wesen wirklich ist. In Kürze: Der PTB erreicht also nur den Schluss auf eine Ursache – wie auch immer diese begründet ist – für die Menge der Phänomene, die als erklärungsbedürftig 153
Vgl. oben S. 40, Punkt 4. Interessant ist, ob der antike Platonismus mit einem solchen Weltgestalter auskommt, der die Welt aber nicht ex nihilo, sondern aus bereits bestehender Materie formt, wie es Platons Timaios als Hypothese formuliert. Dagegen spräche, dass diese Konzeption auf einen Prinzipiendualismus hinausliefe, dem entgegenzutreten hieße, aus dem Prinzip des ἑν die δυάς abzuleiten. Vgl. Platon, „Timaios“, 30a. 155 Kant, KrV, A 628 | B 656. 154
56 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises gelten. Weil damit aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Begründungsregress entsteht, dass also die Ursache in einer vorgelagerten oder fundamentaleren Ursache gründet, muss dieses zum Gegenstand eines weiteren Beweises werden. Dieser Übergang ist notwendig, weil ansonsten offensichtlich kein absolutes oder göttliches Wesen eingeholt wäre – eine Reihe von sich schaffenden Göttern könnte wohl als reductio ad absurdum des Gottesgedankens angesehen werden.156 Der PTB ist also auf einen ‚Regressstopper‘ angewiesen und dadurch, so soll Kants Gedanke ausgelegt werden, auf den OGB. Denn so wäre der OGB eine notwendige Bedingung des PTB. Insofern ist Kant recht zu geben, auch wenn das entscheidende Argument in seinem Text nur angedeutet wird. Kant behauptet aber weiterhin, wie zu Beginn dieses Abschnittes angeführt wurde, dass auch der KGB auf den OGB angewiesen ist und dass daher die Widerlegung des OGB hinreichend ist, um die Möglichkeit – mit der Einschränkung, dass in Frage steht, ob Kant diese Möglichkeiten vollständig erfasst – von philosophischer Theologie insgesamt zu widerlegen. Daher soll nun die Rückführung des KGB auf den OGB betrachtet werden. 1.4.2 Der kosmologische und der ontologische Beweis Auch für den KGB bringt Kant die Idee an, dass es ein Voraussetzungsverhältnis zwischen den Gottesbegriffen gibt, welches in den Anforderungen und Verfahrensweisen der Vernunft wurzelt. Für den KGB meint er daher, dass das ens necessarium unverstanden bleibt, wenn nur die Prämissen des KGB herangezogen werden, und das einzig das ens realissimum, der Grundbegriff des OGB, hier zur Klarheit verhelfen kann. Das wäre allerdings allein noch nicht überzeugend, denn wenn der KGB ein notwendiges Wesen beweist, so hat er sein Ziel erreicht. Denn es ist für den KGB nicht notwendig, eine vollständige Erkenntnis Gottes zu erreichen, sondern einzig, dass er existiert. Man kann es sogar als eine Stärke des KGB verstehen, dass er gerade nicht darauf angewiesen ist, eine vollständige Gotteserkenntnis zu generieren und insofern Platz für Offenbarungs- und Glaubenswahrheiten lässt.157 Dennoch lassen sich wieder im Anschluss an Kant Argumente für seine These formulieren. Ähnlich wie in der Rückführung des PTB bildet die Gefahr eines 156 Während im Fall eines Regresses von Kausalursachen vielleicht darüber gestritten werden kann, ob eine Ursache x für y als hinreichend verstanden werden kann, auch wenn sie selbst eine Ursache z hat, ist bei Erklärungen, aufgrund des Anspruchs auf höhere Allgemeinheit des Explanans gegenüber dem Explanandum, auch die Vollständigkeit der Prämissen und damit auch ein Ende eines Erklärungs- bzw. Ableitungsregresses antizipiert – Erklärungen zielen auf immer höhere Allgemeinheit bis zur höchsten Allgemeinheit. 157 D. Henrich betont, dass Kants eigentlicher Punkt ist, dass die Möglichkeit Gottes letztlich nicht zu beweisen sei. Das wäre in der Tat ein Gegenargument gegen den KGB wie gegen jeden Gottesbeweis. Vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 176 f.
1.4. Der Voraussetzungscharakter des ontologischen Beweises
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infiniten Regresses den Grund, warum der OGB als notwendige Voraussetzung verstanden werden muss. Jedoch ist die Rückführung in diesem Fall komplizierter, weil der KGB schließlich von Hause aus mit dem Regress ringt.158 Im Folgenden wird Kants Gedanke daher aufgegliedert, indem 1. zunächst eine kausaltheoretische Variante des KGB diskutiert wird. 2. Anschließend wird dann die Frage erläutert, wie diese Rückführung auf die modale Version angewandt werden kann, für die etwa Leibniz steht. 3. Und schließlich stellt sich anhand H. Tegtmeyers Verteidigung der thomistischen Version des KGB die Frage, ob Kants Rückführung auch in diesem Fall gültig ist. Dabei soll gezeigt werden, dass Kant gute Gründe hat, den OGB als Voraussetzung für beide Beweise a posteriori zu verstehen, weil auch das KGB für das Ende eines fortschreitenden Regresses argumentieren muss und dieses nur durch den Beweis einer durch sich selbst bestehenden, d. h. den eigenen Grund seiner Existenz mit sich führenden Entität gelingt. Und zu zeigen, dass es ein Wesen gibt, dass durch seinen Begriff als existierend erkannt werden kann, beansprucht der OGB. 1. Kants kausale Variante Wie bereits gesehen, ist Kants eigene Formulierung des KGB im fünften Abschnitt des Ideal der reinen Vernunft äußerst knapp gehalten. Aus dem Konditional ‚Wenn etwas existiert, so muß auch ein schlechterdingsnotwendiges Wesen existieren‘ und der Einsicht, dass irgendetwas, „zum mindesten, ich selbst“, existiert, folgt die Wahrheit des Konsequenz, also dass ein notwendiges Wesen existieren muss.159 Wie oben dargestellt, ist aber weder das Konditional unmittelbar evident, noch schließt die Anspielung auf das cogito-Argument an die bekannten Formen des KGB an.160 Aufgrund der knappen Formulierung ist es schwierig, die Begriffe zu isolieren, welche für Kants KGB kennzeichnend sind.161 Klassischer Weise wird der KGB als ein Schluss von der Wirkung auf die Ursache verstanden, so dass dem Beweis ein Kausalzusammenhang zugrunde liegt. Dem folgt Kant, indem er etwa betont, dass folgende Prämissen für den KGB vorausgesetzt sind: 1. das „vermeintlich 158
Vgl. oben S. 42. Vgl. Kant, KrV, A 604 | B 632. 160 Wie oben, S. 41 gesagt, zeigt sich besonders H. Tegtmeyer, meines Erachtens zu Recht, von Kants Formulierung und der Anspielung auf Descartes’ cogito-Argument irritiert. Tegtmeyer sieht in Descartes’ Überlegungen eine Verbindung zu dessen ontologischem Gottesbeweis. Kant selbst sieht den Schluss als zu bekannt an, um ihn in extenso darzustellen: Siehe ebd., A 605 | B 633, Fn. „[D]iese Schlußfolge ist zu bekannt, als daß es nötig wäre, sie hier weitläufig vorzutragen.“ 161 Es liegt nahe, zu meinen, der Beweis stütze sich auf die Modalbegriffe, weil der KGB in Kants Formulierung vom Kontingenten ausgeht und auf ein absolut Notwendiges schließt. Jedoch wird diese modale Variante des KGB erst im Zusammenhang mit Leibniz besprochen (vgl. Abschnitt 1.4.2). Freilich legt Kant, wie oben auf S. 41 gesagt, den Bezug auf Leibniz nahe, und damit auf eine Version, die auf Modalbegriffen beruht. In der vorliegenden Arbeit kommen daher auch beide Beweismöglichkeiten zur Sprache. 159
58 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises transzendentale Naturgesetz der Kausalität“162 und 2. die „Unmöglichkeit einer unendlichen Reihe über einander gegebener Ursachen“, aufgrund derer erst auf eine erste Ursache geschlossen werden kann.163 So ergibt sich, wie oben dargelegt,164 eine Begründung für das genannte Konditional mithilfe dieser Prämissen: 1. Nach dem transzendentalen Kausalgesetz gilt: Alles, was existiert, hat eine Ursache. 2. Unmöglichkeit des infiniten Regresses: Der Regress der Ursachen muss an ein Ende kommen. Aus diesen beiden Prämissen ergibt sich, dass es ein Ende des Regresses geben muss, aber das erste Glied der Kette ebenfalls unter (1.) stehen muss.165 Also muss es seine eigene Ursache sein.166 3. Das Ende des Regresses kann nur ein erstes Glied der Kette bilden, das seine eigene Ursache ist. So würde der KGB dann lauten: 4. Wenn etwas existiert, so braucht es nach (1.) eine Ursache, und weil nach (2.) der Ursachenregress ausgeschlossen ist und ein Ende nach (3.) nur durch eine sich selbst verursachende Entität bestehen kann, muss also ein solches, sich selbst verursachendes Wesen existieren. 5. Es existiert etwas, wenigstens ich selbst. 6. Also: Es existiert nach (4.) und (5.) ein sich selbst verursachendes Wesen. Zwei Punkte stechen an diesem Argument hervor: a) Dasjenige, was in Prämisse (5.) als existierend eingeführt wird, muss selbst einer Ursache bedürftig sein. Der Schluss käme natürlich nicht in Gang, wenn das existierende Etwas, zum Beispiel das Ich, sich selbst verursachen würde. Das ist deswegen wichtig, weil der KGB nicht 162
Kant, KrV, A 605 | B 633, Fn. Vgl. ebd., A 610 | B 638. Dieser Schluss wird von Kant freilich als „dialektische Anmaßung“ gekennzeichnet, und auch erstere Kausalannahme wird zu einer solchen Anmaßung, wenn sie genutzt wird, um über die Sinnlichkeit hinaus auf Entitäten außerhalb der sinnlichen Erscheinungswelt zu schließen. Vgl. ebd., A 609 | B 637. 164 Vgl. oben S. 42. 165 Die Möglichkeit einer Wechselverursachung, sodass jedes Glied der endlichen Menge durch ein anderes verursacht ist, es aber kein erstes gibt, blende ich hier aus. Der Grund liegt letztlich in der Zeitlichkeit des Kausalverhältnisses, nach welchem die Ursache der Wirkung nicht in der Zeit folgen kann. 166 Es ist oft auf den logischen Widerspruch einer causa sui hingewiesen worden. Das Problem besteht darin, dass die Ursache der Wirkung zeitlich vorausgehen muss. Dann kann aber nichts seine eigene Ursache sein, weil es sich sonst selbst in der Zeit vorausgehen müsste. Das Problem soll hier nicht weiter verfolgt werden, es scheint aber am plausibelsten, die causa sui nicht als ein zeitliches Geschehen zu betrachten: Dasjenige, von dem man sagt, dass es seine eigene Ursache ist, hat niemals nicht existiert. Daher gibt es keinen Zeitpunkt, zu welchem die Verursachung stattgefunden hat und folglich gibt es auch kein zeitliches Paradox, dass es sich selbst vorangehen muss. Natürlich ist die causa sui so nur ein Ausdruck für ein notwendiges Wesen. Vgl. etwa Koch, Die Evolution des logischen Raumes, S. 153 und ebd., S. 246. 163
1.4. Der Voraussetzungscharakter des ontologischen Beweises
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die Vergöttlichung des Ichs oder desjenigen, was durch die Erfahrung als existent gezeigt wird, erreichen möchte, sondern eine extramundane Ursache zu bewiesen versucht.167 Stärker hervor tritt die Notwendigkeit einer Ursache für die Existenz des Etwas, wenn Kant wie in der Thesis der 4. Antinomie die Erfahrung von „Veränderung“ heranzieht.168 b) Nach den Kriterien, die oben im Zusammenhang mit Kants Argumenten für die Vollständigkeit der behandelten Gottesbeweise in der KrV genannt wurden, könnte die genannte Argumentation aber unter den PTB subsumiert werden: Denn sie ist a posteriori, da auf eine Erfahrungstatsache gestützt, und sie bezieht sich auf 167 Diese Anmerkung könnte trivial erscheinen, aber es liegt eine Kant-immanente Komplikation vor, die darin besteht, dass Kant den Schluss vom Satz „Ich denke“ auf den Satz „Ich existiere“ als analytisch akzeptiert. Zugleich wäre es aber ein Zeichen absoluter Notwendigkeit, durch seinen Begriff zu existieren, also aus dem Begriff die Existenz ableiten zu können. Jedoch will Kant sicher nicht sagen, dass das Ich absolut notwendig sei, und eigentlich lehnt Kant analytische Existenzaussagen ab. Vgl. Kant, KrV, § 25., B 157. Vgl. unten S. 132. 168 Siehe ebd., A 452 | B 480: „Die Sinnenwelt [. . . ] enthält zugleich eine Reihe von Veränderungen. [. . . ] Eine jede Veränderung aber steht unter ihrer Bedingung, die der Zeit nach vorhergeht, und unter welcher sie notwendig ist. Nun setzt ein jedes Bedingte, das gegeben ist, in Ansehung seiner Existenz, eine vollständige Reihe von Bedingungen bis zum Schlechthinunbedingten voraus, welches allein absolutnotwendig ist. Also muß etwas Absolutnotwendiges existieren, wenn eine Veränderung als eine Folge existiert.“ Die Zeitthematik ist oben ausgeklammert, weil sie nicht wesentlich für die Problemstellung ist, da dieses sich auch mit dem unzeitlich verstandenen SvzG rekonstruieren ließe. Wenn man die Notwendigkeit, für das Existierende eine Ursache anzugeben, an dessen modalen Status festmacht, es also als kontingent beschreibt, dann bietet der Begriff der Veränderung ein empirisches Kriterium für den Modalbegriff. Das ist deswegen interessant, weil der modale Status der Erfahrungstatsache natürlich nicht bloß auf einer Deskription beruht. Denn mit der Modalität der Erfahrung ist der bloß deskriptive Kontext schon überschritten – ob etwas kontingent oder notwendig ist, ist keine bloße Erfahrungstatsache. Um den a posteriori Status des KGB aber zu erhalten, auf den Kant in B 633 nochmals hinweist, wäre es daher von Vorteil, wenn ein Grund für die Einschätzung aus der Erfahrung angegeben würde, aus welchem die Kontingenz des Erfahrenen geschlussfolgert werden kann. Mit der Veränderung wäre also ein solches Kriterium angegeben. Zur Relation zwischen der angegebenen Argumentation im Kapitel des Ideal der reinen Vernunft und der 4. Antinomie der kosmologischen Ideen äußert sich Kant meines Wissens nicht. So kann hier offenbleiben, ob mit der Thesis der 4. Antinomie eine alternative Argumentation vorliegt oder nur eine andere Darstellung des gleichen KGB. Für Letzteres spricht die Fußnote auf der Seite B 633, die das Kausalgesetz als Bedingung des Schlusses auf ein notwendiges Wesen angibt. Allerdings sind die sonstigen Begriffsverwendungen zwischen der 4. Antinomie und dem vierten Abschnitt des Ideals verschieden: Dem „Bedingten“ und der „Reihe der Bedingungen“ steht die bloße „Existenz von Etwas“ gegenüber. Sie kommen aber dann in ihrem Argumentationsziel, dem „Schlechthinnotwendigen“, überein, das in beiden Fällen vorausgesetzt werden muss, so Kant. Nun kann man ergänzen, dass „Existenz von Etwas“ als „kontingente Existenz von Etwas“ zu verstehen ist, denn ansonsten wäre es eben möglich, dass das als existent Erfahrene selbst notwendig ist. Bedenkt man, dass Kant, wie G. Schneeberger darstellt, den modalen Status immer als Verhältnis zu Bedingungen bestimmt, ist eine Verbindung zwischen „Bedingtem“ und „kontingenter Existenz von Etwas“ gegeben. Vgl. Schneeberger, Kants Konzeption der Modalbegriffe, S. 5 f.
60 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises eine besondere Erfahrung. Kant selbst kümmert sich um diese Verwirrung nicht, vermutlich, weil die Prämisse (5.) nur formuliert, dass „etwas existiert“, und dabei von allen besonderen Eigenschaften abstrahiert. Unter Berücksichtigung des oben Erläuterten ist aber zu konstatieren, dass der KGB weder von allen Eigenschaften des Erfahrenen abstrahieren, noch von einer singulären Tatsache ausgehen kann. Daher ist zu betonen, dass Kant seinem Kriterium für den KGB dadurch gerecht wird, indem er davon ausgeht, dass die erfahrene Tatsache durch das ‚transzendentale Kausalgesetz‘ in einem Kausalzusammenhang mit allem Wirklichen steht. Somit ist das Wirkliche insgesamt in den Schluss involviert, was wichtig ist, da gegen den KGB ansonsten ebenso eingewandt werden könnte, dass lediglich ein „Weltbaumeister“ oder nur ein Schöpfer für einige, nicht aber für alle Tatsachenerwiesen werde.169 Inwiefern ist nun in der genannten Argumentation des KGB der OGB vorausgesetzt? Die Grundidee, die Kant selbst nur andeutet, scheint zu sein, dass der KGB auf eine erste Ursache oder einen ersten Grund mit Hilfe eines Prinzips schließen muss, das auf diese erste Ursache nicht erneut angewendet werden darf. Wenn also von einer Erfahrungstatsache ausgegangen wird und mithilfe eines Prinzips wie dem ‚transzendentalen Kausalgesetz‘ oder dem SvzG170 auf eine Ursache geschlossen wird und von dieser wieder auf eine Ursache, so stellt sich die Frage, wie schließlich zu einer ersten Ursache gelangt werden kann, die zuverlässig das Ende des Begründungsregresses bedeutet. Die Spannung, die der KGB also lösen muss, ist diejenige, dass einerseits ein Prinzip für fortlaufende regressive Schlüsse angenommen wird und zugleich ein Erstes erwiesen werden soll, das nicht in gleicher Weise wie die anderen Glieder des Regresses unter der Anforderung des Prinzips stehen darf. Wie kann also die Begründungsbedürftigkeit der empirischen Tatsachen mithilfe des Kausalgesetzes auf eine erste Ursache führen, die nicht ebenso eine Ursache fordert?171 Dabei kommt der OGB insofern ins Spiel, als dass dieser zu zeigen beansprucht, dass das höchste Wesen durch sich selbst besteht, das heißt eine hinreichende Ursache hat, die nicht außer ihm ist, nämlich: sich selbst. Insofern würde der OGB ein notwendiges Wesen beweisen, das weder gegen das ‚transzendentale Kausalgesetz‘ verstößt noch in einen Ursachenregress führt, beziehungsweise diesen fortsetzt. Auf die oben angeführte Argumentation angewandt bedeutet das: Der KGB muss zeigen können, wann und wie die 2. Prämisse gilt, also wie, ohne den OGB heranzuziehen, die erste Ursache der 3. Prämisse gezeigt werden kann, ohne dass dieses gegen die 1. Prämisse verstößt. Der KGB steht also unter der Anforderung, die Spannung zwischen den Sätzen ‚Alles muss eine Ursache respektive einen Grund haben‘ und ‚Es gibt keinen 169
Vgl. die Argumentation oben, S. 45 f. Vgl. Hermanni, Metaphysik, S. 35–38, der den KGB sowohl mit der Annahme eines Kausalgesetzes als auch dem SvzG diskutiert. 171 Gleiches kann natürlich auch mit Gründen und für den SvzG formuliert werden. 170
1.4. Der Voraussetzungscharakter des ontologischen Beweises
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infiniten Regress‘ zu lösen. Prima facie scheinen zwei verwandte Überlegungen hinsichtlich dieser Spannung möglich, die zu genau einem notwendigen Grund führen sollen, wobei es von hier an sinnvoll ist, auf das allgemeinere Prinzip zurückzugreifen, den SvzG. Denn das ‚transzendentale Kausalgesetz‘ als eine spezifischere Variante des SvzG ist in gleicher Weise von der Argumentation betroffen.172 Die zwei Überlegungen sind: a) Der Widerspruch wäre gelöst, wenn die Reihe der Gründe nur endlich viele Glieder hat, weil dann notwendigerweise nur eine endliche Kette an Gründen zustande kommen kann.173 Aber diese Argumentation belässt es ganz im Unklaren, wie denn der erste Grund beschaffen ist; ob er also als göttlich bezeichnet werden kann, bleibt unklar.174 Gesetzt es gäbe einen ersten Zustand des Universums, etwa wie ihn populäre Versionen der sogenannten Urknall-Theorie annehmen, so wäre dieser erste Zustand zwar Erstursache, aber er hätte durchgehend physische Eigenschaften. Aber viel mehr noch: Im Grunde ist selbst bei einer aus immanenten Gründen endlichen Menge an Weltzuständen unklar, warum auf das erste Glied 172 Denn es ist, wie Kant kritisiert, problematisch das Kausalprinzip auch außerhalb des Naturzusammenhangs anzuwenden. Insgesamt scheint der KGB mit dem SvzG plausibler zu sein, weshalb nur diese Version diskutiert wird. 173 Ein Beispiel scheint der erste Beweisschritt des 3. Weges zu sein, den Thomas von Aquin vorstellt. Dieser stützt sich allerdings auf eine Annahme über Modalitäten, für die es meines Erachtens kein Äquivalent im Fall von Kausalreihen gibt. Vgl. Thomas von Aquin, STh, I q. 2 a. 3. Der 3. Weg hat, äußerst verknappt, diese Form: Wenn alles Kontingente die Möglichkeit hat, auch nicht zu sein, und alle Möglichkeit irgendwann einmal wirklich ist, so folgert Thomas, dass, wenn es eine unendliche Vergangenheit gäbe, zu irgendeinem vergangenen Zeitpunkt nichts bestanden habe. Daher, so schließt Thomas, bildet das Kontingente eine endliche Menge und daher eine endliche Vergangenheit. Und weil die Vergangenheit endlich ist, benötigt sie eine Ursache außerhalb des Kontingenten. Thomas möchte also zeigen, dass das Kontingente aus immanenten Gründen begrenzt ist. Allerdings ist Thomas’ Argument wohl nicht schlüssig: Der Übergang von ‚Alles ist zu irgendeinem Zeitpunkt nicht‘ zu ‚Es gibt einen Zeitpunkt, an welchem nichts ist‘, ist logisch unhaltbar. Vgl. die ausführliche Diskussion bei Hermanni, Metaphysik, S. 23–26. Ebenso sieht Kutschera, Vernunft und Glaube, S. 27 in diesem Übergang den entscheidenden Fehler des Arguments. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 208–214 verteidigt die thomistische Argumentation und eliminiert die Annahme, dass aus dem Kontingenten die Annahme einer leeren Zeit folge. Vgl. ebd., S. 213. Er versucht Thomas’ Argument auf die Annahme einer gestuften Ontologie zurückzuführen, in der Bedingtes nicht von unendlich vielen kontingenten Bedingungen abhängen kann. Das Argument für diese entscheidende Annahme bleibt meines Erachtens aber undurchsichtig. Es scheint, als sei die Prämisse (7) in Tegtmeyers Rekonstruktion (ebd., S. 213) unbegründet, während Hermanni und Kutschera gerade die thomistische Argumentation aufgrund dieser Prämisse zurückweisen. 174 So hat schon Hume angeführt, dass, da der Begründungsregress sowieso abgebrochen werden müsste, man ihn so früh wie möglich abbrechen könnte – was heißen würde: die Welt beinhaltet selbst ihre Ursache oder ihren Grund. Siehe Hume, Dialogues and Natural History of Religion, 63 f. „But if we stop, and go no farther; why go so far? Why not stop at the material world? [. . . ] It were better, therefore, never to look beyond the present material world. By supposing it to contain the principle of its order within itself, we really assert it to be God; and the sooner we arrive at that divine Being so much the better.“
62 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises der Reihe das Regressprinzip, also das Kausalgesetz oder der SvzG, nicht mehr angewandt werden darf. Denn es bräuchte ein zusätzliches Argument, mit dem die Forderung nach Ursachen oder Gründen nur auf innerweltliche Ereignisse eingeschränkt würde, sodass das Regressprinzip olglich nicht mehr auf das erste Ereignis angewandt werden dürfe.175 Doch auch, wenn ein extramundaner Grund für die endliche Welt angenommen würde, so bestünde zwar ein erster Grund außerhalb der endlichen Reihe der Ereignisse. Nichts würde aber ausschließen, dass das Kausalgesetz oder der SvzG nicht erneut auf diesen Grund angewendet werden müssten. Doch so würde sich ein erneuter Regress auf höherer Stufe ergeben, etwa ein Regress von ‚sich nacheinander schaffenden Göttern‘. Die bloße Annahme einer aus immanenten Gründen endlichen Reihe führt also nicht zum gewünschten Ergebnis. b) Eine andere Überlegung, die jedoch auf das Gleiche zielt, könnte eine Restriktion des Regressprinzips einführen. So könnte man etwa annehmen, dass das Kausalgesetz oder der SvzG nur auf empirisches Dasein in Raum und Zeit angewandt werden dürfe. Jedoch ist klar, dass diese Überlegung die vorangehende nur spiegelt: Es würde im Vorhinein eine spezifische Menge gebildet, auf die das Regressprinzip angewandt werden darf. Wenn die Elemente der Menge dann auch noch endlich wären, so scheint es, als müsste genau auf eine Ursache oder einen Grund außerhalb der Menge geschlossen werden. Es stellen sich aber unmittelbar analoge Fragen zu (a): i) Warum sollte die Menge endlich viele Objekte enthalten, sodass schließlich ein Grund außerhalb dieser aufzusuchen wäre?176 Denn bei unendlichen Gliedern könnte die Forderung des Regressprinzips rein immanent erfüllt werden. ii) Warum sollte man akzeptieren, dass das Regressprinzip nur auf die endliche Menge der Weltereignisse angewandt werden darf? Denn es scheint doch so, als würde intuitiv gerade bei einem extramundanen Grund die gleiche Frage aufkommen: Warum ist dieser? Das Problem hinter diesen beiden Fragen ist, dass der extramundane Grund durch das Argument nicht näher qualifiziert wird. Der Grund der Welt könnte somit plural, könnte selbst kontingent und somit selbst begründungsbedürftig sein, was ausgeschlossen werden muss. Aber als Regressstopper scheint, wie gesagt, der OGB infrage zu kommen, weil er eine Qualifikation des Grundes vornimmt, indem er diesen als durch sich selbst bestehend ausweist. Kants Idee scheint also zu sein, dass der KGB solange vor der Gefahr steht, in einen infiniten Regress zu geraten, bis ein letzter Grund als letzter Grund erwiesen ist. Denn die Einschränkung des Kausalprinzips oder des SvzG ist so lange willkürlich und damit fraglich, solange nicht eine konkrete Eigenschaft genannt wird, welche 175 Dem entsprechend sind Theorien von Weltzuständen, etwa alternativen Universen, vor dem Urknall intuitiv plausibel. 176 Ein Argument, schon für die Endlichkeit der Weltzustände, erscheint enorm schwer zu formulieren. Vgl. dazu oben die Fn. 173.
1.4. Der Voraussetzungscharakter des ontologischen Beweises
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diese Prinzipien überflüssig macht. Das heißt, dass die Eigenschaften ‚unbedingt‘ oder ‚absolut notwendig‘ sich nicht durch den KGB bestimmen lassen, und daher wird ein Beweis für ein Wesen mit einer solchen Eigenschaft vorausgesetzt. So schreibt Kant: Was dieses [d. i. das notwendige Wesen; Einschub G. M.] für Eigenschaften habe, kann der empirische Beweisgrund nicht lehren, sondern da nimmt die Vernunft gänzlich von ihm Abschied und forscht hinter lauter Begriffen[.]177
Weil eine Ausnahme vom Regressprinzip die Frage offenließe, warum ausgerechnet diese Ausnahme bestehe, so muss der Weg des KGB zwischen der Skylla des willkürlichen Regressabbruchs und der Charybdis des infiniten Regresses in die Ausflucht der Selbstbegründung eines notwendigen Wesens führen. Jedoch besteht die Begründung der absoluten Notwendigkeit im OGB, denn dieser schließt vom Begriff auf das Dasein: Denn die absolute Notwendigkeit ist ein Dasein aus bloßen Begriffen.178
Und daher schließt Kant: Es ist also eigentlich nur der ontologische Beweis aus lauter Begriffen, der in dem sogenannten kosmologischen alle Beweiskraft enthält[.]179
Weil ein solches notwendiges Wesen tatsächlich bestehen müsste, um den Begründungsregress im KGB zu beenden und diesen damit plausibel zu machen, muss also der OGB gelingen, denn wenn etwas allein durch seinen Begriff besteht, so führt es den Grund seines eigenen Daseins mit sich. 2. Leibniz’ Kosmologischer Gottesbeweis Werfen wir noch einen Blick auf den KGB, der nicht über Ursachen schließt, sondern notwendige Gründe zu kontingent Gegebenem sucht. Denn die kantische Rückführung des KGB auf den OGB gilt auch für diesen Gedanken, der hier als das leibnizsche Modell bezeichnet wird. Diese rechnet mit der Möglichkeit eines unendlichen Regresses aus Ursachen. Daher argumentiert Leibniz, dass sich die Frage nach einem zureichenden Grund auch sinnvoll stellen lässt, wenn ein unendlicher Regress aus Bedingungen und Bedingtem vorliegt. Denn so hätte zwar jedes Glied, jedes Bedingte, seinen zureichenden Grund in einem anderen, aber dennoch könnte immer noch sinnvoll gefragt werden, warum diese und keine andere Menge von Bedingungen und Bedingtem wirklich ist. Wenn also jeder Weltzustand seinen zureichenden Grund ad infinitum in seinem Vorgänger fände, so wäre immer noch begründungsbedürftig, warum ausgerechnet diese Reihe von Weltzuständen und nicht eine mögliche alternative Reihe wirklich 177 178 179
Kant, KrV, A 606 | B 634. Ebd., A 607 | B 635. Ebd., A 607 | B 635.
64 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises ist.180 Leibniz macht sich dabei den Unterschied von nomologischer und logischer Modalität zunutze: Auch wenn naturgesetzlich notwendig 1755 in der Bucht von Lissabon ein Erdbeben stattfinden musste, ist dieses Ereignis nicht logisch notwendig, das heißt, es gibt eine mögliche Welt w1 , in welcher Lissabon niemals von einem Erdbeben heimgesucht wird. Dann scheint es aber einen Grund geben zu müssen, warum nicht diese Welt w1 wirklich ist, da sie doch ebenso möglich ist wie unsere wirkliche Welt w *. Die wirkliche Welt muss also als Ganze nach dem SvzG einen Grund außerhalb der Welt haben, auch wenn die Welt selbst unendlich viele Zustände hätte.181 Dass aber auch hier die gleiche Regressgefahr droht, wird durch folgende Frage schnell deutlich: Warum sollte die Vereinigungsmenge aus der Welt w * und ihrem Grund nicht erneut einen Grund benötigen? Denn es scheint eine neue Menge angenommen zu sein, für welche sich die gleiche Frage nach einem Grund aufwirft. Und selbst wenn man bestreitet, dass es sich mit der Vereinigungsmenge um einen neuen, begründungsbedürftigen Fakt handelt, wobei ausgeschlossen werden müsste, dass das gleiche Argument auch auf die Welt w * angewendet werden kann: Über den Grund der Welt ist in seinem modalen Status nichts ausgesagt. Es genügt völlig, dass er der Grund der Welt w * ist, aber er kann zugleich selbst einen Grund, sogar eine infinite Menge an Gründen haben. So ist ersichtlich, dass auch dieses Argument in den Regress führt. Und dieser besteht so lange, bis bewiesen wird, dass einer der Gründe keinen weiteren außer sich selbst benötigt, also durch sich selbst besteht. Das scheint jedoch erst der OGB zu leisten.182 3. Ist Thomas’ erster Weg vom ontologischen Beweis unabhängig? In seiner Habilitationsschrift Gott, Geist, Vernunft hat H. Tegtmeyer eine Interpretation der fünf Wege des Thomas’ von Aquin vorgeschlagen, die ausdrücklich beansprucht, nicht vom kantischen Argument, dass der OGB für den KGB vorausgesetzt sei, betroffen zu sein. Tegtmeyer sieht in den fünf Wegen dabei die
180 Vgl. Leibniz, „Über den ersten Ursprung der Dinge (De rerum originatione radicali)“, S. 39. Vgl. zu diesem Argument auch die Diskussion in Hermanni, Metaphysik, S. 31–42. Auch bei Hermanni führt die Implikation des ens necessarium im KGB über die kantische Kritik an diesem zum OGB. 181 Vgl. Leibniz, „Monadologie“, §§ 36–39, S. 42 f. Freilich meint Leibniz auf die Einzigkeit des Grundes der unendlichen Weltzustände schließen zu können. Leibniz deutet an, dass Gründe in einer allgemeinen Ontologie liegen könnten, doch das kann hier nicht verfolgt werden. 182 Da hier also Kants Ansicht, dass der OGB eine notwendige Voraussetzung des KGB bildet, geteilt wird, sei darauf hingewiesen, dass Hegel der kantischen Argumentation widerspricht. Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 430. Hegel wendet sich allerdings gegen das Argument, aufgrund der Gottesbegriffe in den Gottesbeweisen sei das Voraussetzungsverhältnis gegeben. Diese Argumentation wurde hier ebenfalls abgelehnt und nach einem tief greifenderen Grund gesucht. Hegel selbst deutet dann ebenfalls an, dass es eine andere Hinsicht gibt, in welcher der OGB im KGB präsent ist, nämlich dann, wenn man sich fragt, wie das Absolute durch sich selbst anfangen könne. Vgl. ebd., S. 434 f. und ebd., S. 444.
1.4. Der Voraussetzungscharakter des ontologischen Beweises
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schrittweise Entfaltung eines Gedankens,183 der sich erst vor dem Hintergrund der aristotelischen Philosophie, insbesondere von deren Metaphysik, vollständig erschließt.184 Dem Einwand, dass der KGB dadurch von einer materialen Ontologie abhängig würde, hält er dabei entgegen, dass genau das Gegenteil der Fall sei: Während die apriorische Theologie und mithin der OGB nur begriffliche Resultate erzielen könne, deren wahrer Seinsgehalt völlig ungeklärt bliebe185 – auch hier argumentiert Tegtmeyer analog zu Thomas –, könne der KGB als der eigentlich ontologische Beweis bezeichnet werden, weil er die wahren Strukturen des (erfahrenen) Seienden aufnehme.186 In diesem Sinn meint Tegtmeyer, dass „in die Prämissen der fünf Wege keine Prämissen eingehen, die eine besondere und sinnvoll bestreitbare ontologische Theorie voraussetzen. Sie zu bestreiten hieße bloß, robuste Phänomene der allgemeinen Erfahrung zu bestreiten“187 . Und vor diesem Hintergrund soll der KGB dem Einwand, der OGB sei aufgrund des Regresses im KGB für diesen vorausgesetzt, entgehen. Um diesen Anspruch zu prüfen, genügt es im vorliegenden Kontext Thomas’ ersten Weg, zu diskutieren. Denn, da alle Wege einen Gedanken bilden und Tegtmeyer den ersten Weg selbst hervorhebt, da er die „Grundfigur aristotelischer Theologie überhaupt“188 enthalte, soll nur an diesem Argument geprüft werden, ob es ohne den OGB auskommt. Aus Tegtmeyers Sicht sind Kants Einwände insgesamt nicht auf Thomas anwendbar, weil mit ihnen eine Anspruch an den KGB herangetragen werde, den die thomistische Argumentation nicht erhebe. Zudem ließen sich die Ausführungen Kants ohnehin nur auf zwei der fünf Wege beziehen, so Tegtmeyer, der jedoch ebenfalls eingesteht, dass es für Thomas’ ganzen Gedanken fatal wäre, wenn man mit Kant zeigen könnte, dass sich auch nur einer der Wege tatsächlich widerlegen ließe.189 Und würde zutreffen, dass der OGB eine Voraussetzung für den KGB bildet, wäre Thomas’ Philosophie natürlich empfindlich getroffen, da Thomas den OGB für unmöglich erklärt. Die externen Einwände, die Kant an den KGB heranträgt, liegen nach Tegtmeyer in den Zusätzen, durch welche Kants Formulierung von traditionellen Formen 183
Vgl. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 194. Vgl. ebd., S. 191 f. 185 Vgl. ebd., S. 185 f. 186 Siehe ebd., S. 206: „Thomas sieht das als Aristoteliker gerade umgekehrt: Ein philosophisches Argument, welches auf die richtige Weise von allgemeinen und unbestreitbaren Tatsachen ausgeht, ist in jedem Fall stärker und beweiskräftiger als ein Argument, welches allein nach logischen Gesetzen von gewissen Annahmen und ‚semantischen Intuitionen‘ ausgeht.“ Nun ist bei der Voraussetzung einer Ontologie auf Basis der Erfahrung ja gerade die ‚Unbestreitbarkeit‘ fraglich, welche sich, wie die Tradition erkannt hat, in logischen Sachverhalten erst ausweisen lässt. 187 Ebd., S. 242 f. 188 Ebd., S. 234 f. Vgl. auch ebd., S. 231. Vgl. Thomas von Aquin, STh, I q. 2 a. 3. 189 Vgl. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 236. 184
66 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises abweiche. Und der entscheidende Zusatz sei, dass „die Konklusion zu einem ‚schlechterdings‘ bzw. ‚absolut‘ notwendigen Wesen führe“190 . Das sei aber von Thomas gar nicht intendiert, so Tegtmeyer: Ganz im Gegenteil, das ‚kosmologische‘ Argument kann und soll die Notwendigkeit eines nichtkontingenten und damit ewigen Seienden nur relativ zur Existenz des kontingenten, endlichen Seienden zeigen, dessen Existenz allerdings als manifeste Erfahrungstatsache in die Prämissen des Arguments aufgenommen wird.191
Wenn Nicht-kontingent-Seiendes, welches den Grund des Kontingenten darstellt, nicht absolut notwendig sein muss, so wäre in der Tat der KGB hinreichend, denn dann wird kein OGB benötigt: Wie die Ursache zur Wirkung notwendig ist, so wäre Gott zur Welt notwendig, auch wenn Gott selbst nicht als absolut notwendig erwiesen würde. Tegtmeyer schwächt also die Anforderung an die Modalität, die der KGB der erwiesenen Ursache zusprechen soll, im Vergleich zu Kant ab. So muss der Grund nur ‚nichtkontingent‘ sein, muss aber nicht selbstständig, sondern kann selbst durch notwendige Bedingungen bestimmt sein. Nun scheint hier aber eine Doppeldeutigkeit vorzuliegen, denn wenn ein Ereignis a für ein Ereignis b als Ursache oder Grund bewiesen wird, so ist a für b notwendig: Wenn b, so auch a. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass a schlechthin notwendig ist. Ohne die Eltern ist die Existenz des Kindes unmöglich. Aber deswegen sind die Eltern nicht notwendig. Es muss mit Tegtmeyer also genauer verstanden werden, wie die Notwendigkeit konzipiert ist und ob eine bloß relative Notwendigkeit schon die theologischen Intuitionen einzuholen vermag, die den KGB von einem Beweis für irgendeine erste Ursache unterscheiden und zu einem Gottesbeweis machen. Tegtmeyer betont jedoch die relative Notwendigkeit Gottes und formuliert das eigentliche „Prinzip des kosmologischen Arguments“ folgendermaßen: ‚Wenn etwas Bedingtes existiert, dann existiert auch das dafür notwendige Bedingende‘.192
Somit ist das, was das KGB nach diesem Prinzip erreicht, in Kants Worten eine „proportionierte“ Bedingung, aus der das Problem für den PTB erwächst.193 Dieses überträgt sich, wenn man Tegtmeyers Prinzip folgt, auf den KGB, denn nach dem Prinzip mag es zwar eine Ursache für alle empirischen Tatsachen geben, aber diese kann ebenso in eine unendliche Kette an Ursachen und Gründen eingebettet sein. Soll also nicht nur ein von vielen Göttern geschaffener Gott als Bedingung der Welt gezeigt werden, sondern ein Gott, der selbst keine Bedingung außer sich hat, so muss 190
Ebd. S. 237. Ebd., S. 237. 192 Ebd., S. 237. Dieses Prinzip birgt prima facie eine Ungenauigkeit: Es suggeriert die fortdauernde Existenz der Bedingungen, wobei doch die Bedingungen für das Bedingte existiert haben müssen, existiert das Bedingte aber, müssen sie nicht zwangsläufig erhalten bleiben. Tegtmeyer würde hier wohl mit der aristotelischen Ontologie argumentieren, dass das unmöglich sei. 193 Vgl. oben S. 55. 191
1.4. Der Voraussetzungscharakter des ontologischen Beweises
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er anders notwendig sein, als der Regen für die nasse Straße oder der Wunsch zu trösten für die herzlichen Worte notwendig ist. Um der forttreibenden Anforderung des Regressprinzips, des Kausalgesetzes oder des SvzG, zu entgehen, muss der OGB als Regressstopp herangezogen werden, so lautet Kants Argument. Somit scheint prima facie kein Ausweg aus Kants Forderung nach einer stärkeren Notwendigkeit zu bestehen. Betrachten wir jedoch Tegtmeyers Rekonstruktion des ersten Weges, um konkreter zu sehen, ob der OGB im KGB implizit vorausgesetzt ist. Grundlegend ist, so Tegtmeyer, dass der erste Weg von der Bewegung ausgehe. Dabei sind das Bewegungsverständnis und einige andere Annahmen der aristotelischen Metaphysik übernommen.194 Nach dieser ist Bewegung die „Aktualisierung einer Möglichkeit bzw. eines Vermögens“195 . Dabei ist zum einen vorausgesetzt, wie Tegtmeyer betont, dass „Verändertes und Veränderndes“, also der Grund der Aktualisierung und das Aktualisierte, unterschieden sind – es ist also keine Selbstbewegung möglich. Und sollte doch der Eindruck einer Selbstbewegung entstehen, so müssen an der entsprechenden Entität Teile unterschieden werden, von denen dann manche die Verändernden und andere die Veränderten sind. Zum anderen greift Tegtmeyer auf die weiteren aristotelische Annahmen zurück, nämlich dass Vermögen eine Substanz benötigen, an der sie bestehen,196 dass jede Möglichkeit auf einem Vermögen basiert, dass aktive und passive Vermögen unterschieden werden müssen197 und dass vollständige Aktualisierung eines Vermögens Unbeweglichkeit und Unveränderlichkeit bedeutet.198 An diese Voraussetzungen aus der aristotelischen Metaphysik anknüpfend führt er dann das Argument des ersten Weges aus. Aus den angeführten Annahmen folgt, dass in jeder Bewegung „notwendig Aktualität und Potentialität zusammen kommen“199 muss. Daran schließt Tegtmeyer nun wie folgt an: Diese Überlegung führt zu zwei Extremen, die als erste Quellen und in diesem Sinne als erste Ursachen aller Bewegung angesehen werden müssen: zum einen zu einer reinen Aktualität, die als erste Quelle von Aktualisierung keinerlei bloße Potenz an sich hat, zum anderen zu einer reinen Potentialität, an der nichts Aktuales ist. Ersteres nennen wir, so Thomas, Gott, letzteres die Erstmaterie (materia prima). Gäbe es keine Erstmaterie, dann gäbe es keine Bewegung, weil nichts Bewegliches und Veränderliches existierte, das von etwas bewegt 194 Vgl. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 195. Weil sich das ontologische Verständnis von Bewegung nicht beobachten lässt, scheinen hier apriorische Annahmen in das Argument eingebunden. Denn es benötigt Gründe, warum die jeweilige Erfahrung von Bewegung mit einem Ontologiekandidaten a und nicht b übereinstimmt. Dafür kann offensichtlich nicht erneut die Erfahrung herangezogen werden, wenn diese mit a und b gleichermaßen kompatibel ist. 195 Ebd., S. 195. 196 Vgl. ebd., S. 197. 197 Vgl. ebd., S. 197 f. 198 Vgl. ebd., S. 199. 199 Ebd., S. 200.
68 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises werden könnte. Gäbe es nicht Gott, also die reine Aktualität (actus purus), dann gäbe es keine Bewegung, weil es keine Quelle der Aktualisierung von Potenzen gäbe.200
Nun scheint auch dieses subtile Argument zu implizieren, dass der OGB in dem Argument eine Rolle spielen muss, denn Tegtmeyer geht innerhalb der Sätze von den gedanklich gefassten Extremen – den Vorstellungen der reinen Extreme, aus denen Bewegung jeweils erklärt wird – unvermerkt zu deren selbstständigem Bestehen über. Nun mag es vollkommen richtig sein, dass wir nur verstehen können, was Bewegung ist, wenn wir die Begriffe von Aktualität und Potentialität unterscheiden können, und vielleicht benötigt es dafür auch den Gedanken, was eine reine Aktualität beziehungsweise Potentialität wäre. Aber aus der erkenntnistheoretischen Notwendigkeit folgt nicht, dass den Kategorien jeweils eigene Instanzen zukommen. Da etwa jede konkrete Bewegung auch eine Ursache in etwas finden kann, das selbst in einem Zusammenspiel von Aktualität und Potentialität besteht, benötigt es keine reine Aktualität, um Bewegung zu erklären. Einzig würde die Notwendigkeit einer realen, reinen Aktualität bestehen, wenn die Reihe des Bewegten endlich wäre. Und davon scheint Tegtmeyer auszugehen, was auch nochmals in der sehr übersichtlichen Darstellung der einzelnen Beweisschritte des ersten Weges, die er angibt, hervortritt: (1) (2) (3) (4)
Es gibt Bewegung. Jede Bewegung ist die Aktualisierung einer Potenz. Potenzen werden nur durch Aktuales aktualisiert. Gäbe es kein rein potentielles Seiendes, also keine Erstmaterie, dann gäbe es keine Bewegung. (5) Die Erstmaterie existiert. (6) Gäbe es nur die Erstmaterie, dann gäbe es keine Bewegung. (7) Es ist notwendig, dass ein rein aktual Seiendes existiert. (8) Ein rein aktual Seiendes ist notwendig immateriell. (9) Ein rein aktuales, immaterielles Seiendes nennen wir Gott. (10) Gott existiert.201
Tegtmeyer fügt an, dass die Prämissen (1) und (2) schon alles enthielten, was Thomas für seine Argumentation benötige, und dass die Erstmaterie und die reine Aktualität vollständig konträr gedacht werden müssten. Die Erstmaterie müsse als „Prinzip reiner Bestimmbarkeit“ verstanden werden, während die reine „Aktualität frei von jeglicher Potentialität“202 zu denken sei. Und weil Potentialität und Materie miteinander identifiziert wurden, kann Tegtmeyer so die Immaterialität der Aktualität erklären. Aber so unproblematisch, wie Tegtmeyer sie darstellt, scheint die Argumentation nicht zu sein, denn die Übergänge von der Prämisse (3) zur (4), sowie von (6) zu 200 201 202
Ebd., S. S. 200. Vgl. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 200. Ebd., S. 201.
1.4. Der Voraussetzungscharakter des ontologischen Beweises
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(7) lassen aufhorchen. Betrachten wir zuerst den Schluss auf (4), der unmittelbar die Frage aufwirft, wie das „rein potentiell Seiende“ zu verstehen sei. Handelt es sich einfach um den Aspekt des noch Potentiellen an einer Substanz, sodass sich (4) analytisch aus (2) ergibt? Wenn die Prämisse also nicht mehr besagt als ‚wenn es nichts Potentielles an etwas gibt, dann hat es auch nicht die Möglichkeit sich zu bewegen‘, so folgt sie in der Tat aus (2), impliziert aber nicht, dass es reine Potentialität für sich, losgelöst von aller Aktualität, gibt. Tegtmeyer deutet hingegen die Reifizierung des Potentiellen an, als würde neben den potentiellen Aspekten an Substanzen noch eine Entität reiner Bestimmbarkeit gegeben sein. Das folgt meines Erachtens aber nicht aus den vorhergehenden Prämissen.203 Noch problematischer erscheint jedoch der Schluss auf die zentrale Prämisse (7). Denn aus den Annahmen: i) ‚Es gibt Bewegung‘, ii) ‚Bewegung impliziert Potentialität‘ und iii) ‚Potentialität kann nur durch Aktuales aktualisiert werden‘ folgt: iv) ‚Es gibt Aktuales‘, aber eben nicht die Existenz eines rein aktual Seienden. Notwendig ist also nicht, dass ein aktual Seiendes besteht, sondern dass es aktualisierte Vermögen an den Substanzen gibt, die in die Bewegung involviert sind.204 Inwiefern ist aber der OGB in der Argumentation impliziert, was ja das kantische Argument behauptet? Diese Voraussetzung scheint auf folgende Weise in Tegtmeyers Argumentation präsent: Da die Existenz des „rein aktualen Seienden“, welches als Gott bezeichnet wird, nicht aus der vorhergehenden Argumentation folgt, hat dieser Begriff einen anderen Ursprung. Die Überlegung des ersten Weges führt zur Bildung von Begriffen für die Extreme, in denen die in der Bewegung involvierten Bestandteile auseinandergehalten werden. So wird der Begriff der reinen Aktualität gebildet, welcher reine Wirklichkeit bezeichnen soll. Was also eigentlich leitend ist, ist eine Begriffsbildung zum Zweck der Erklärung von Bewegung. Da203 Es scheint im Übrigen unklar, was die erwähnte Reinheit bedeuten soll. Denn wenn nur gemeint ist, dass ein potentieller Aspekt an einer Substanz nicht bereits aktualisiert ist, scheint das Prädikat trivial, jedoch verstärkt es die Suggestion einer vollständig potentiellen Entität. Darüber hinaus ist die Frage, wie sinnvoll die Annahme reiner Potentialität in Form von völliger Bestimmbarkeit ohne Eigenqualität ist. Denn es scheint sich dabei prima facie um eine widersprüchliche Annahme zu handeln, da zwangsläufig bestimmte Prädikate zugesprochen werden müssen, wie etwa ‚prägbar‘, ‚bestimmbar‘, ‚ungeformt‘ et cetera. Analog argumentiert Hegel etwa gegen ein reines Ansichsein. Vgl. Hegel, Enz. I, § 91 f., S. 196–198. 204 Zudem bleiben meines Erachtens bei der Erklärung des Faktums, dass es Bewegung gibt, aus einem rein Aktualen, viele Fragen offen. Kann etwa eine reine Aktualität, die selbst völlig unbewegt ist, als Grund der Aktualisierung einer Potenz gedacht werden, ohne sich selbst zu bewegen? Und wann findet der Übergang vom rein Aktualen zum partiell Aktualen statt? Und aus welchem Grund? Oder ist die bewegte Welt doch unendlich? Und ein weiteres Problem, das Tegtmeyer außen vorlässt, ist, dass in der Argumentation nicht ausgeschlossen ist, dass die reine Aktualität selbst wiederum erklärungsbedürftig ist, also einen Grund in einem noch höheren Sein hat. Wie gesagt, lässt Tegtmeyer diese Möglichkeit offen, aber es widerspricht zumindest den philosophisch-theologischen Intuitionen, dass das göttliche Wesen zwar die Bewegung verursacht, aber selbst auf andere Gründe zurückgeht.
70 1. Die Notwendigkeit des Gottesgedankens und die Bedeutung des ontologischen Gottesbeweises bei wird der Begriff eines durch und durch Wirklichen, eines in höchstem Maße Wirklichen gebildet – was Kant den Begriff des ens realissimum nennt. Für die Erklärung der Bewegung muss ein solches rein Aktuales aber nicht wirklich sein, da innerweltlich beobachtet werden kann, wie Bewegungsursachen selbst potentielle Eigenschaften, etwa Dispositionen, und wirkliche, aktuale Eigenschaften in sich vereinen. Dieses ist prinzipiell unendlich denkbar.205 Jedoch führt der Begriff des höchsten Wirklichen auf den OGB, wie Kant argumentiert, denn dieses ist nicht als nicht-seiend denkbar, da folglich ein ‚Wirklicheres‘ denkbar wäre. Dieses führt Tegtmeyer nun nicht aus. Aber Kant verweist uns darauf, dass der tiefere Grund der Annahme eines rein Aktualen darin liegt, dass aus diesem Begriff, der in der Bewegungserklärung verwendet wird, auf eine entsprechende Instanz geschlossen wird. Und nur unter dieser Voraussetzung scheint das Argument des ersten Weges überzeugen zu können.206 In toto scheint sich also Kants Verdacht zu bestätigen, dass der KGB den OGB voraussetzt, auch im ersten Weg des Thomas’, obgleich Tegtmeyer diese Voraussetzung zu umgehen versucht. Es gelingt aber nicht, aus den Prämissen der aristotelischen Metaphysik und den Annahmen des KGB ein Wesen als durch sich selbst bestehend zu beweisen. Und will man den unendlichen Begründungsregress beenden, so scheint es unumgänglich, ein für sich und durch sich bestehendes Glied auszuweisen. Das gelingt aber nur mithilfe des Schlusses aus dem Begriff auf die Instanz, also mit dem OGB. Somit rückt dessen Gültigkeit tatsächlich ins Zentrum des Interesses der philosophischen Theologie, wie Kant es vermeint. Und a fortiori muss Kants Kritik am OGB eine eminente Bedeutung zugesprochen werden: Denn wenn der OGB widerlegt würde, wäre zumindest das Projekt derjenigen Gottesbeweise, die sich auf den OGB stützen müssen, ebenfalls gescheitert.
205 Tegtmeyer meint zwar, dass Bewegung damit nicht erklärt sei, weil Bewegung nur durch Bewegtes erklärt würde. Aber das ist eben insofern fraglich, als dass, wenn jede Bewegung hinreichend durch einen selbst bewegten Vorgänger erklärt ist, nur noch die an Leibniz erinnernde Frage gemeint sein kann: ‚Warum ist überhaupt Bewegung?‘. Vgl. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 201. 206 Das zeigt sich auch noch an anderer Stelle, nämlich wenn die verwendeten Seinsbegriffe genauer betrachtet werden. Denn es scheint, dass die Existenz der Bewegung in der (1) Prämisse und die Existenz des rein aktual Seienden in der (7) lediglich äquivok ausgesagt werden, da die Existenz der Bewegung soviel wie ‚Erfahrbarkeit‘, ‚sinnliche Wahrnehmbarkeit‘ oder ‚empirische Verifizierbarkeit‘ ausdrückt, was im Falle des unteilbaren und immateriellen Göttlichen natürlich ausgeschlossen ist. Vgl. ebd., S. 201.
2 Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises Kern der Widerlegung der philosophischen Theologie in der KrV bildet also Kants Auseinandersetzung mit dem ontologischen Gottesbeweis. Da die Argumentation im Abschnitt 1.4 gute Gründe angegeben hat, diesen als fundamental und zumindest für die Beweise a posteriori als Voraussetzung zu betrachten,1 scheint der OGB tatsächlich eine zentrale Rolle für die Möglichkeit philosophischer Theologie zu spielen. Insofern kann Kant meinen, mit der Widerlegung des OGB auch den entscheidenden Gedanken der philosophischen Theologie kritisiert zu haben. Ist aber damit nach Kant philosophische Theologie ein hoffnungsloses Projekt? Eine Antwort auf diese Frage muss zu Kants Widerlegungsversuch Stellung beziehen, was in dieser Arbeit mit dem folgenden Kapitel geleistet werden soll. Was allerdings aus der vorliegenden Arbeit ausgeklammert wird, weil es schlicht den Rahmen der Fragestellung, die auf den OGB zielt, übersteigt, ist die Wertschätzung Kants gegenüber der philosophischen Theologie im Rahmen der praktischen Philosophie und deren Funktion für die Verbindung von praktischer und theoretischer Philosophie. Zwar weist Kant mit der KrV die Wissensansprüche der Vernunft in diesem Bereich zurück. Aber das mindert nicht die wichtige Rolle, die Kant den theologischen Überlegungen im Zusammenhang mit Fragen der Moral zuspricht. Da aber dieses Thema zu weit führt, verweise ich auf die interessante Diskussion bei B. Nonnenmacher.2 Im Folgenden soll also Kants Widerlegungsversuch kritisch dargestellt und geprüft werden. Doch schon bei der ersten Durchsicht erweist sich bereits die Zählung der Argumente, mit welchen die Widerlegung des OGB in Kants KrV durchgeführt werden soll, als erste Schwierigkeit: So ist in der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit Kants Widerlegungsversuch durchaus umstritten, ob Kant
1 Die drei Beweise, der OGB, der KGB und der PTB sind auch heute noch die drei wesentlichen Beweisstrategien in der Debatte um Gottesbeweise. 2 Vgl. Nonnenmacher, „Wie soll nach Kant das, was für die spekulative Vernunft transzendent ist, in der praktischen Vernunft immanent sein?“.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
ein Argument gegen den OGB vorbringt3 oder mehrere Argumente anbietet.4 Und auch hinsichtlich der Geltung der kantischen Widerlegung besteht keine Einigkeit, und so wird von einigen Interpreten gemeint, Kant hätte allen Gottesbeweisen ein für alle Mal den Boden entzogen,5 während andere bezweifeln, ob Kant überhaupt ein stichhaltiges Argument anbietet.6 Daher wird die kritische Darstellung und Einschätzung versuchen, möglichst die verschiedenen Kritikpunkte am OGB, die Kant in seiner Widerlegung anführt, aufgreift oder zumindest streift, nacheinander zu erfassen, als Argument zu formulieren und dann zu evaluieren. Damit soll nicht ausgeschlossen werden, dass alle Punkte nur Aspekte eines Gedankens sind. Doch auch dieser sollte deutlicher hervortreten, wenn dessen integrale Bestandteile beleuchtet werden. Die hier angestrebte Vorgehensweise hat zudem den Vorzug, stärkere und schwächere Elemente trennen zu können und damit die Widerlegung nicht voreilig zu verwerfen, sollten sich verschiedene Argumentationsstränge als unhaltbar erweisen. Für diese Vorteile wird in Kauf genommen, dass die Einheit des kantischen Gedankens im Abschnitt über das Ideal der reinen Vernunft, so sie besteht, eher zurücktritt, aber dafür treten deren Aspekte umso klarer hervor. Ist die Aufschlüsselung in einzelne Argumente aber eine Vorentscheidung? Wird Kants Argument dadurch vorsätzlich geschwächt? Die Fragen sind hier nicht zu beantworten, jedoch erscheint es eher rätselhaft, warum der Zusammenschluss verschiedener Argumente, die nicht zutreffen, allein durch den Zusammenschluss zu einem stichhaltigen Beweis führen sollte. Doch es wurde oben in Kants Herleitung der Ideen bereits gezeigt und festgehalten, dass den Vernunftideen aus Gründen, die in den Erkenntnisvermögen liegen, kein Gegenstand entsprechen kann. Ist daher eine Untersuchung der Argumente überhaupt noch sinnvoll? Das ist zu bejahen, denn Kant will durch die Dialektik in der KrV die Bestätigung seiner Annahmen in der Analytik erreichen. Das heißt, dass erst durch die überzeugenden Argumente gegen die metaphysischen Beweise, die den Seelen-, den Welt- und den Gottesbegriff betreffen, der Beleg erbracht werden soll, dass die Restriktion der Erkenntnis auf das Zusammenspiel von Sinnlichkeit und Verstand richtig ist. Wäre also diese Restriktion dasjenige, was Kants Widerlegungen in der Dialektik zu Grunde liegen würde, würde das gegen Kants Konzeption 3 Vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 176 f.; Hindrichs, Das Absolute und das Subjekt, §§ 81.–91., S. 104–116; Strawson, Bounds of Sense, S. 225. 4 Vgl. Oppy, Ontological arguments and belief in God, S. 29–38; Röd, Der Gott der reinen Vernunft, S. 146–164. Vgl. Sala, Kant und die Frage nach Gott, S. 275, der auch darauf hinweist, dass Kant seine Argumente nicht klar voneinander abgrenzt. 5 Vgl. etwa Röd, Der Gott der reinen Vernunft, S. 164. Siehe auch: Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 190: „Und das Bedeutsame in Kants Kritik ist es nicht, daß er überhaupt gegen die Ontotheologie polemisiert, sondern daß er es in dem umfassenden Zusammenhang der kritischen Analyse der Erkenntnis tut, die alle Formen des ontologischen Arguments zugleich versteht und destruiert.“ 6 Vgl. etwa Plantinga, „Kant’s Objection to the Ontological Argument“.
2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
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sprechen. Daher müssen die Argumente und Widerlegungen – hier diejenigen die Kant gegen den OGB vorbringt – für sich stehen und gelten können. Und somit ist die Prüfung der Argumente für die vorliegende Arbeit von Bedeutung. Diese Bedeutung liegt damit darin, dass Kant entweder mit seinem Unterfangen, die philosophische Theologie aus den gerechtfertigten Wissensansprüchen grundsätzlich auszuschließen, erfolgreich ist. Dann stünden die nachkantischen Bemühungen um Gottesbeweise von vornherein unter Verdacht, ihre Widerlegung einfach übersprungen zu haben. Oder Kants Gründe sind nicht angemessen und stark genug, weshalb dann Philosophen nach Kant mit vollem Recht auf das Projekt der philosophischen Theologie zurückgekommen wären. Letzteres gehört zu den Thesen dieser Arbeit. Im Folgenden soll also Schritt für Schritt eine Durchsicht des kantischen Textes erfolgen, die dem Abschnitt Von der Unmöglichket eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes folgt. Dabei werden folgende Argumente behandelt: Der Abschnitt des Kanttextes gliedert sich in drei große Argumentationsschritte: Der erste, der in Kapitel 2.1.1 dargestellt wird, stützt sich auf die Modalbegriffe und weist den Begriff der ‚absoluten Notwendigkeit‘ zurück. Das daran anschließende Kapitel 2.2 behandelt einen Einwand Kants, der sich auf die Unterscheidung von synthetischen und analytischen Sätzen stützt. Es folgt in Kapitel 2.3 eine Analyse der Frage, inwiefern Kant die Verwendungsweise von Existenz als Prädikat gegen den OGB in Stellung bringt. Und schließlich wird in Kapitel 2.3.3 die Rolle der Sinnlichkeit in Kants Argumentation untersucht.7 Es wird dabei argumentiert, dass Kant zu keiner überzeugenden Widerlegung kommt. Dafür werden, den Themen entsprechend, unterschiedliche Gründe in den einzelnen Abschnitten angeführt. Eines der Hauptargumente ist jedoch, dass Kant entgegen seiner Ankündigung die Annahmen aus der Analytik der KrV auch für die Widerlegung des Gottesbeweises voraussetzt. Denn letztlich restringiert Kant sinnvolle Wissensansprüche auf Wissen, das sich immer zugleich aus sinnlichen Gegebenheiten und a priorischen, notwendigen Kategorien zusammensetzt. Dass das vor ein Problem der kantischen Philosophie führt, wird im Zusammenhang mit Hegels Kantkritik deutlich, denn Kant verunklart so selbst den Boden, von dem aus Wissen über die a priorischen Kategorien erlangt und die Sätze der KrV gerechtfertigt werden können.
7 Etwas anders untergliedert Sala, Kant und die Frage nach Gott, S. 278, der den Abschnitt über analytische und synthetische Sätze mit der Frage nach dem Existenzprädikat zusammenzieht.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
2.1 Kants Kritik an den Modalbegriffen im ontologischen Beweis 2.1.1 Kants Ablehnung von absoluter Notwendigkeit Kant beginnt seine Argumentation für die „Unmöglichkeit eines ontologischen Gottesbeweises“8 mit der Zurückweisung des Begriffes eines absolut notwendigen Wesens – bedeutungsgleich verwendet Kant auch den Begriff des Unbedingten –, also desjenigen Begriffes, auf den, so Kant, der KGB schließt, ohne ihn ganz fassen zu können. Denn die absolute Notwendigkeit, so Kant am Ende seiner Kritik des KGB, sei der „wahre Abgrund für die menschliche Vernunft“9 , und er fügt an, dass selbst Gott, obwohl er im Falle seiner Existenz ein absolutes und daher höchstes Wesen wäre, noch sich selbst fragen könnte: „A b e r wo h e r b i n i c h d e n n ?“10 Weniger eindringlich, doch mit der gleichen Intention, beginnt Kant den vierten Abschnitt des „Ideal der reinen Vernunft“ – in welchem er die Unmöglichkeit des OGB zeigen will – damit, dass unser Nachdenken mit der Idee eines absolut notwendigen Wesens in eine Zwickmühle gerate. Denn einerseits scheinen wir korrekt aus dem Kontingenten auf ein absolut notwendiges Wesen schließen zu können,11 andererseits vermögen wir es aber nicht, uns einen Begriff einer solchen Notwendigkeit zu machen, woraus folgt, dass wir diese also eigentlich nicht verstehen können, so Kants Behauptung.12 Daher sei alles Reden von einem absolut notwendigen Wesen zu allen Zeiten gedankenlos gewesen, denn dessen Denkmöglichkeit sei nie vollständig geprüft worden, so Kant.13 Dieser Vorwurf erstaunt zunächst, weil es doch die logische Möglichkeit des Gottesbegriffes ist, die Leibniz als Hauptproblem des ontologischen Gottesbeweises ausgemacht hat.14 Und auch Anselm sichert sich die Möglichkeit Gottes15 durch die quasi-dialogische Form des Proslogion: Wenn der Unwissende zugibt, die Kennzeichnung ‚quod non majus cogitari possit‘ zu verstehen, und sie damit als denkbar – also das Bezeichnete als möglich – zugibt, so ist zwar kein Beweis der Möglichkeit gegeben, aber zumindest das Einverständnis des äußersten Opponenten eingeholt. Somit kann Kant nicht meinen, dass sich niemand vor ihm Gedanken um die logische Widerspruchsfreiheit des Unbedingten gemacht 8
Kant, KrV, A 592 | B 620. Ebd., A 613 | B 641. 10 Ebd., A 613 | B 641. 11 Das ist das Resultat des KGB, wie oben dargestellt, der sich immer wieder darin verfangen muss, einen Grund für das notwendige Wesen zu suchen, was aber die absolute Notwendigkeit in Frage stellt. 12 Vgl. Kant, KrV, A 592 | B 620. 13 Vgl. ebd., A 592 | B 620. 14 Vgl. unten Abschnitt 5.3. 15 Freilich lautet Anselms Bestimmung für Gott ‚aliquid quo majus nihil cogitari potest‘ und ist traditionell mit dem ens perfectissimum, nicht aber mit dem ens necessarium verwandt. Vgl. dazu Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 3 f. 9
2.1. Kants Kritik der Modalbegriffe
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habe, und er kann auch nicht darauf abzielen, dass die absolute Notwendigkeit nie definiert worden sei. Das Problem liege eher darin, dass mit der Angabe, dass das absolut notwendige Wesen widerspruchsfrei sei und die Notwendigkeit darin bestehe, dass „dessen Nichtsein unmöglich“16 wäre, allererst die Nominaldefinition angegeben sei, so Kant. Was aber im Dunkeln bleibe, worauf es aber eigentlich ankomme, sei die Angabe der „Bedingungen, die es unmöglich machen, das Nichtsein eines Dinges als schlechterdings undenklich anzusehen“17 . Kant genügt die Definition also nicht, dass die absolute Notwendigkeit von x darin bestehe, dass dessen Nichtsein unmöglich ist, und folglich ist auch der auftretende Widerspruch in der Negation der Existenz Gottes, den Anselm sich im Proslogion zunutze macht, für Kant nicht hinreichend, um die Notwendigkeit zu erhellen – Gott bleibt so ein möglicherweise leerer Begriff.18 Erst die Angabe der Bedingungen,19 warum das Nichtsein unmöglich ist, könne darüber Auskunft geben, ob durch den Begriff ein Gegenstand gedacht werde oder nicht, und daher akzeptiert Kant den Selbstwiderspruch des ‚insipiens‘ im Proslogion nicht als Beweis. Ohne nähere Bestimmung der Bedingungen für absolute Notwendigkeit könne diese nicht akzeptiert werden, und daher genüge es nicht, auf der Bedingungslosigkeit eines Unbedingten zu beharren.20 Was Kant allerdings nicht spezifiziert, ist, was für Bedingungen gefordert wären, aber es wird hinreichend deutlich, dass zwei Ansprüche einander gegenüberstehen: Während das absolut Notwendige im Rahmen der Gottesbeweise als Seiendes ohne Bedingungen verstanden wird, bestreitet Kant, dass etwas ohne Bedingungen überhaupt als notwendig angesehen werden kann. Demzufolge gäbe es schlicht keine absolute, sondern ausschließlich hypothetische Notwendigkeit, die in Relation zu den jeweiligen Bedingungen besteht. Damit nimmt Kant aber auch an, dass nichts seine eigene 16
Kant, KrV, A 592 | B 620. Ebd., A 593 | B 621. 18 Es ist allerdings fraglich, ob Leibniz von Kants Einwand getroffen wird, denn er argumentiert einschlägig, aus welchen Gründen der Gottesbegriff widerspruchsfrei ist. Vgl. unten Abschnitt 5.3. 19 Vgl. Schneeberger, Kants Konzeption der Modalbegriffe, S. 5–11, der die kantischen Modalbegriffe ganz von Bedingungsverhältnissen her rekonstruiert. 20 Siehe Kant, KrV, A 593 | B 621: „Denn alle Bedingungen, die der Verstand jederzeit bedarf, um etwas als notwendig anzusehen, vermittelst des Worts: U n b e d i n g t, wegwerfen, macht mir noch lange nicht verständlich, ob ich alsdenn durch einen Begriff eines Unbedingtnotwendigen noch etwas, oder vielleicht gar nichts denke.“ Irritierend ist an Kants Ausführungen, dass es so scheint, als ob er schlicht ein Unbedingtes für unbegreifbar hält, damit aber einfach nur eine Gegenbehauptung aufstellen würde. Denn wenn der Verstand etwas nur durch Bedingungen begreifen kann, dann kann etwas, das nicht von Bedingungen abhängt, sondern nur durch sich selber ist, nicht begriffen werden. Die Irritation beruht darauf, dass Kant auch dann noch auf der möglichen Nichtinstanziierung eines Begriffes beharrt, wenn Letzterer notwendig ist. Das würde aber heißen, dass Kant nicht akzeptiert, dass etwas Notwendiges auch wirklich ist. Auf dem Verständnis von Verstehbarkeit, die immer auf Bedingungen zurückgreifen muss, beharrt auch Jacobi im Anschluss an Kant. Vgl. Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in den Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, S. 284/149/419. 17
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
Bedingung enthalten kann. Und folglich ignoriert er etwa die Möglichkeit eines negativen Beweises der Notwendigkeit, wie ihn etwa Anselms OGB bildet. Denn wenn etwas absolut notwendig sein und nicht von externen Bedingungen abhängen soll, so kann es nicht anders als durch einen apagogischen Beweis gezeigt werden – da ein deduktives Argument per definitionem kein Unbedingtes erweisen kann, da es seine Konklusion nur als Resultat aus selbst begründungsbedürftigen Prämissen herleiten kann.21 Kant setzt aber dagegen: Es gibt keine Notwendigkeit ohne Bedingungen. Diese Aussage gefährdet jedoch prima facie Kants eigenen Anspruch, denn auch der Satz ‚Es gibt keine Notwendigkeit ohne Bedingungen‘ ist, wie aus ihm konsequent folgt, nur unter bestimmten Bedingungen notwendig. Natürlich stellt sich damit die Frage, welcher modale Status diesen Bedingungen zugesprochen werden muss, und ob Kant überhaupt leugnet, dass es andere als hypothetische Notwendigkeit geben kann – eine insofern problematische Haltung, weil sie durch die skizzierte Selbstanwendung droht, des Relativismus überführt zu werden –, eine Position, die sicher nicht Kants Intention ist. Doch natürlich ist Kant damit noch nicht gefasst. Denn er erläutert die Bedingtheit der Notwendigkeit, und zwar durch die Unterscheidung von begrifflicher Notwendigkeit, die absolut sein mag, und der Notwendigkeit der Sache selbst, die niemals unbedingt sei. Diese Unterscheidung zu erhellen, ist Gegenstand des folgenden Unterkapitels. 2.1.2 Begriffliche Notwendigkeit und Notwendigkeit der Sache Kants nähere Argumentation gegen die Begreifbarkeit eines absolut notwendigen Wesens beginnt mit der Unterscheidung von „unbedingter Notwendigkeit der Urteile“ und „absoluter Notwendigkeit der Sachen“22 . Unbedingt und absolut versteht Kant hier als gleichbedeutend. Auf dieser Unterscheidung baut Kant seine These auf: Es gebe zwar absolut notwendige Verhältnisse zwischen einem Subjektterm und einem Prädikat, aber nur abhängige Notwendigkeit eines Dinges selbst. Kant erläutert den grundlegenden Unterschied anhand des Beispielsatzes ‚Ein Triangel ist dreiwinklig‘.23 Die absolute Notwendigkeit des Urteils besagt nun, dass immer, wenn es ein Triangel gibt, dieses drei Winkel aufweist. Davon ist aber die absolute Notwendigkeit des Dinges scharf zu trennen, die besagen würde: Es gibt notwendiger Weise ein Triangel und a fortiori notwendiger Weise drei Winkel. Das kann man wie folgt festhalten: Kant akzeptiert essentielle Eigenschaften, aber 21 Vgl. die wichtigen Ausführungen zum negativen Beweis von Hösle, Die Krise der Gegenwart, S. 159–168. Vgl. Hegels Entgegnung in der 13. Vorlesung aus den Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 460–470. Der apagogische Beweis wird als Thema die vorliegende Arbeit durchziehen und noch ausführlicher thematisch werden. Vgl. etwa unten S. 188 und Abschnitt 9.2. 22 Kant, KrV, A 593 f. | B 621 f. 23 Ebd., A 593 | B 621.
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keine notwendigen Individuen. Der Unterschied tritt deutlich hervor, wenn man die Semantik möglicher Welten bemüht: 1. Kant akzeptiert, dass es essentielle Eigenschaften (essP) eines Gegenstandes (a) gibt. Beispiel: ‚a ist essP‘ = Für alle möglichen Welten gilt, wenn in einer möglichen Welt a ein Bestandteil dieser Welt ist, so gilt auch ‚a ist P‘. 2. Was Kant aber nicht akzeptiert ist folgendes: ‚nec(a)‘ = Für alle möglichen Welten gilt: Es gibt in jeder möglichen Welt ein Individuum a. Das bedeutet, dass absolute Urteilsnotwendigkeit immer nur eine konditionale, bedingte Notwendigkeit der Sache ist: „Wenn ein Triangel existiert, dann ist es notwendig dreiwinkelig.“ Kant weist darauf hin, dass Essenzen, notwendige Eigenschaften, natürlich nicht für sich bestehen, sondern nur zusammen mit dem jeweiligen Subjekt gelten: Wenn ein Triangel notwendig drei Winkel hat, so existieren nicht unabhängig von jenem drei Winkel, sondern diese gehören notwendig zum Triangel, das heißt, ohne drei Winkel ist kein Triangel möglich.24 Die Notwendigkeit zwischen einem Prädikat der Form ‚. . . ist essentiell P‘ und einem Subjekt nennt Kant „logische Notwendigkeit“25 . Diese habe in der Geschichte der Philosophie Anlass zur Annahme gegeben, man könne auch zum Prädikat ‚. . . ist existent‘ die essentielle Eigenschaft ‚. . . ist notwendig existent‘ bilden und dann aus dem Subjekt mit dieser essentiellen Eigenschaft die reale Existenz folgern, so Kant. Das sei aber falsch, weil die reale Existenz, die Bestimmung des „Umfangs“26 des Begriffes, auf andere Weise gegeben werden müsse. Kants Intention tritt deutlich hervor, wenn man die Konditionalanalyse der logischen Notwendigkeit betrachtet: Weil die Wahrheit des Antezedens natürlich nicht aus dem Konsequenz folgt, nützt auch die essentielle Eigenschaft nichts, um dem Individuum reale Existenz zuzusprechen. Im Fall eines Wesens a mit der Eigenschaft ‚. . . ist notwendig existent‘ ergäbe sich, dass die begriffliche Einsicht ‚a ist notwendig existent‘ in das Konditional umgeformt werden müsste: ‚Wenn a existent ist, so ist a notwendig existent‘.27 Wie genau Kant essentielle Eigenschaften für Individuen fasst, ist schwer zu beurteilen. Allerdings folgen aus seiner Philosophie zwei offensichtliche Fälle: 24 Siehe Kant, KrV, A 594 | B 622: „Der vorige Satz sagte nicht, daß drei Winkel schlechterdings notwendig sind, sondern, unter der Bedingung, daß ein Triangel da ist, (gegeben ist) sind auch drei Winkel (in ihm) notwendigerweise da.“ 25 Ebd., A 594 | B 622. 26 Ebd., A 594 | B 622. 27 Mit der Annahme von Essenzen, also der Notwendigkeit de re, wird trivialerweise Existenz eine notwendige Eigenschaft für jedes Individuum. Das heißt, dass in jeder möglichen Welt, in der Sokrates existiert eben die Proposition wahr ist, dass Sokrates existiert. Insofern gilt für die Existenz genau das gleiche, wie etwa für Selbstidentität: Es handelt sich um eine essentielle Eigenschaft, die aber zugleich trivial ist. Vgl. Plantinga, The Nature of Necessity, 60 f. Das heißt, dass für alles gilt, dass Existenz essentiell zum jeweiligen Individuum gehört. Dass im Fall von Gottesbeweisen dieser triviale Existenzbegriff nicht gemeint sein kann, ist offensichtlich.
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1. Er kennt essentielle Eigenschaften im Rahmen von analytischen Urteilen, die informationslos und ohne Erkenntniswert sind. 2. Die synthetischen Urteile a priori bilden essentielle Prädikate, die für jeden Erkenntnisgegenstand gelten. Das zu zeigen ist der Gegenstand der Analytik der KrV.28 Erkenntnisse aus rein begrifflichen Erwägungen hält Kant für unmöglich. Daher lässt Kant offen, ob Sätze mit essentiellen Eigenschaften wahr sind, wenn das Subjekt nicht real gegeben ist, also das Antezedens der konditionalen Darstellung nicht erfüllt ist. Solche Sätze sind daher problematisch. Zwar kann zum Beispiel gesagt werden, dass Menschen notwendiger Weise Säugetiere sind, jedoch wäre es falsch, daraus Wissen abzuleiten: Denn solange keine Erfahrung von Menschen vorliegt, ist die notwendige Eigenschaft ‚. . . ist essentiell ein Säugetier‘ nur ein möglicher Definitionsbestandteil des Menschen. Damit meint Kant wohl nicht, dass es sinnvoll ist, einem Begriff wahllos alles zu- oder abzusprechen, wenn er nicht instanziiert ist. Es scheint nur unter seinen Prämissen unsinnig, einem Satz einen Wahrheitswert zuzusprechen, solange nicht ein wirklicher Mensch in der Erfahrung gegeben ist. Kant spielt auf dieses Problem an, indem er meint, dass durch die 28 Im Allgemeinen sieht Kant keine Möglichkeit, von reinen Begriffen ausgehend zu Erkenntnissen zu gelangen. Weder das Dasein irgendeines Gegenstandes noch seine genaue Beschaffenheit – abgesehen von den Bestimmungen, die auf die Form der Erkenntnis zurückgehen – lassen sich aus den logischen Überlegungen erkennen, was Kants bekanntes Diktum ausdrücken soll, dass die Gedanken ohne Anschauungen leer seien. Vgl. Kant, KrV, A 51 | B 75. Die Leere des Gedankens bedeutet nun allerdings nicht, dass in diesem keine Prädikate gedacht würden. Dass ein Begriff gemäß seiner Definition a priori Prädikate umfasst, verneint Kant nicht, aber zum einen sind die Definitionen willkürlich, zum anderen fehlt ein Kriterium, um nicht bloß begriffsanalytische Urteile wie ‚Der Ehemann ist verheiratet‘ oder tautologische Urteile, wie ‚Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann‘, auszusprechen, sondern darüber hinaus eine Wahrheit auszusagen, die informativ ist. Solche Prädikate nennt Kant „logische Prädikate“, die nur in analytischen Sätzen enthalten sind. Die Prädikate der synthetischen Sätze hingegen nennt Kant „Bestimmungen (determinationes)“ (vgl. Kant, „Logik Handbuch“, § 36., A 173). Synthetische Urteile, die eine Information zusätzlich zu den in der Definition enthaltenen logischen Prädikaten angeben und potentiell unsere Erkenntnis erweitern können, sind im Denken prinzipiell auch in ihrem Gegenteil ebenso möglich – in der Erkenntnis besteht freilich die Ausnahme der synthetischen Sätze a priori, deren Gültigkeit Kant in der KrV begründen möchte. Siehe Kant, KrV, A 154 f. | B 193 f.: „In synthetischen Urteilen aber soll ich aus dem gegebenen Begriff hinausgehen, um etwas ganz anderes, als in ihm gedacht war, mit demselben in Verhältnis zu betrachten, welches daher niemals, weder ein Verhältnis der Identität, noch des Widerspruchs ist, und wobei dem Urteile an ihm selbst weder die Wahrheit, noch der Irrtum angesehen werden kann.“ Daraus wird auch deutlich, dass in einem synthetischen Satz ein zu dem Satz hinzukommendes Kriterium benötigt wird, um den Wahrheitswert von A und non-A zu bestimmen. Rein aus sich betrachtet sind sie immer problematisch, das heißt, unter Berücksichtigung des Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch ist jede Wahrheitswertverteilung möglich, (und es ist nicht einmal auszuschließen, dass A und non-A in einem solchen Fall keine vollständige Einteilung bilden, dass sich also noch Alternativen denken lassen). Von diesem Problem auszunehmen sind, wie gesagt, die synthetischen Sätze a priori, die sich aus den apriorischen Erkenntnisfunktionen ergeben und durch ihre Stellung als Bedingung der Möglichkeit für Erfahrung gültig sind.
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Aufhebung des Subjekts eines Urteils, also die Annahme der Nichtexistenz, kein Widerspruch im Urteil mehr möglich sei: Ein Triangel setzen und doch die drei Winkel desselben aufheben, ist widersprechend; aber den Triangel samt seinen drei Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch. Gerade eben so ist es mit dem Begriffe eines absolutnotwendigen Wesens bewandt. Wenn ihr das Dasein desselben aufhebt, so hebt ihr das Ding selbst mit allen seinen Prädikaten auf; wo soll alsdenn der Widerspruch herkommen?29
Ohne hier weiter in die Gegenstandsontologie in möglichen Welten einzusteigen, kann festgehalten werden, dass es Kant anscheinend auf die Kompatibilität von notwendigen Eigenschaften mit der Nichtexistenz des Gegenstandes ankommt. Vielleicht haben Sirenen die Eigenschaft ‚notwendig eine schöne Stimme besitzen‘ oder Kabiren die Eigenschaft ‚notwendig über besondere Kräfte verfügen‘, nichtsdestotrotz ist ihre Nichtexistenz ohne Zweifel anzunehmen. Das Bestehen der notwendigen Eigenschaft hängt von der conditio ab, die das Bestehen des Subjekts der Essenz darstellt: ‚Wenn x existiert, so existiert es mit seinen notwendigen Eigenschaften‘. Der Punkt, den Kant hier gegen die Existenz eines ens necessarium vorbringt, ist, dass die Annahme von Gegenständen und Essenzen, also von Notwendigkeiten de re, prinzipiell mit der Nicht-Existenz dieses Gegenstandes kompatibel ist. Insofern kann der Satz „Gott existiert notwendig“ vom Skeptiker akzeptiert werden, zugleich aber auch „Möglicherweise existiert Gott nicht“ und sogar „Gott existiert nicht.“ Durch die Essenz ‚notwendige Existenz‘ ist einzig ausgeschlossen, dass Gott, wenn er existiert, anders als notwendig existiert. Bezogen auf die Essenz ‚notwendige Existenz‘ entsteht aber auf diese Weise ein herausstechender Fall. Zunächst ist festzustellen, dass ‚notwendige Existenz‘ eine völlig triviale Eigenschaft ist, wenn sie lediglich ausdrückt, dass die Eigenschaft ‚Existenz‘ zu einem Gegenstand gehört, wenn dieser Teil einer möglichen Welt ist. Für jedes Individuum gilt schließlich: Wenn es in einer möglichen Welt vorkommt, so ist es Teil dieser möglichen Welt. Somit hat es in jeder möglichen Welt, deren Teil es ist, die Eigenschaft ‚ist existent‘, mithin gehört zu seiner Essenz die Eigenschaft ist existent.30 Diese triviale Essenz ist aber natürlich nicht im OGB gemeint. Gottes notwendige Existenz ist nicht die gleiche essentielle Eigenschaft, wie die Existenz, die Sokrates zukommt: Die notwendige Existenz Gottes, die impliziert ist, wenn Gott das ist, worüber nichts Größeres gedacht werden kann, ist entweder die Existenz in allen möglichen Welten, so dass auch die Notwendigkeit de dicto 29 Kant, KrV, A 594 f. | B 622 f. Dem entspricht, dass Kant Urteile ohne Anschauungsbezug als ‚problematische Urteile‘ behandelt, das heißt als Urteile ohne entschiedenen Wahrheitswert. 30 Vgl. zu den trivialen, essentiellen Eigenschaften Plantinga, The Nature of Necessity, S. 60–62. Das gilt natürlich nur, wenn Gegenstände keine Eigenschaften in möglichen Welten haben, von denen sie kein Teil sind. Denn ansonsten wäre es natürlich möglich, dass ein Gegenstand die Eigenschaft hat, nicht zu existieren, und zwar genau in den möglichen Welten, von denen er kein Teil ist.
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bestünde,31 oder zumindest die notwendige Existenz in der wirklichen Welt. Dieses zu beweisen hält Kant aber für unmöglich, weil Existenz einzig als triviale Essenz für Gott gelten könne. Nimmt man nun die Konditional-Umformung an, die oben vorgeschlagen wurde, so ist der Satz „Gott existiert notwendig“ äquivalent zu der Folgerung: „Wenn Gott existiert, dann existiert Gott notwendig.“ Das ist nun ein herausstechender Fall, weil prima facie das Prädikat des Antezedens und des Konsequenz etwas miteinander zu tun haben. Während nun für die triviale Existenz-Essenz die Erfassung im Konditional richtig zu sein scheint, ist im OGB aber gemeint, dass die notwendige Existenz dessen, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, nicht bloß notwendig für die reale Existenz – zur Wahrheit des Antezedens – ist, sondern hinreichend. Die Gegenfrage Anselms läge also auf der Hand: Lässt sich denn nicht etwas Größeres denken, als eine triviale Essenz Gottes? Und ebenso ist die Antwort eingängig, dass sich eine Relation ‚größer als‘ definieren lässt, die entweder die wirkliche Existenz oder die nicht-triviale Existenz in allen möglichen Welten einschließt.32 Kants These lautet aber, dass die Kompatibilität der Eigenschaften ‚. . . ist notwendig existent‘ und ‚. . . ist möglicherweise nicht existent‘ respektive ‚. . . existiert nicht‘ – eben in der Verteilung auf das Antezedens und den Konsequenz –, immer gilt, das heißt, dass es keine notwendig existierenden Individuen gibt, denn dann gilt für jedes mögliche Individuum: „Möglicherweise existiert a nicht“. Somit wäre die Existenzverneinung niemals aus logischen Gründen widersprüchlich, was die Kehrseite der nicht notwenigen Individuen mit notwendigen Eigenschaften ist, was Kants selbst so ausdrückt, dass jedes Subjekt widerspruchsfrei aufgehoben werden könne.33 In seinem ersten Argumentationsschritt gegen den OGB richtet sich Kant also gegen die Notwendigkeit, die dem ens necessarium zukommen soll. Dabei lassen sich, wie gezeigt, die folgenden drei Aspekte unterscheiden, die sich gegenseitig stützen und erhellen sollen: 1. Essentielle Eigenschaften sind mit der Nichtexistenz des Individuums, dem sie zukommen, kompatibel. Das gilt auch für die Essenz ‚. . . ist notwendig existent‘, obwohl in diesem Fall der paradoxe Schein entstehen kann, dass scheinbar kontradiktorische Aussagen zugleich wahr sein können.34 . Der Grund dafür, dass es sich aber nur um ein anscheinendes Paradox handelt, ist, dass Essenzen immer nur bedingt, also relativ gelten: Wenn das betreffende Individuum existiert, dann hat es auch seine Essenzen. 2. Es gibt keine notwendigen Individuen. Allein Punkt (1.) müsste einen Vertreter des OGB nicht schrecken, da Ziel des Beweises die notwendige Wahrheit des 31 32 33 34
Das ist: „Notwendig gilt: Gott existiert.“ Vgl. Plantinga, The Nature of Necessity, S. 213–217. Vgl. etwa ebd., S. 209 f. Vgl. Bennett, Kant’s Dialectic, §§ 73 f., S. 232–237. Also etwa die beiden Aussagen: „Gott ist notwendig existent“ und „Gott ist nicht existent“.
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Antezedens ist: Weil Gott wirklich/notwendig existiert, hat er die Essenz ‚. . . ist notwendig existent‘. Diese 2. These Kants bestreitet aber, dass es irgendein Individuum gibt, für das der Antezedens immer wahr wäre. Wenn also notwendige Existenz von etwas ausgesagt wird, so niemals in dem Sinne: „Es gibt ein Wesen, dass in allen möglichen Welten existiert“ oder „Es gibt ein Wesen, dass in der wirklichen Welt notwendig existiert“. 3. Verneinungen von Existenzsätzen sind nie logisch widersprüchlich. Diese Annahme bildet die Kehrseite der 2. These. Sie besagt eben, dass es immer die logische Möglichkeit gibt, dass ein Individuum nicht existiert. Natürlich ist die Verneinung in manchen Fällen widersprüchlich, etwa bei gut gesicherten Erfahrungstatsachen: „Dieses Blatt, von dem ich ablese, existiert nicht“ ist natürlich widersprüchlich. Aber der Grund des Widerspruchs ist kein logischer, das heißt, er entsteht nicht durch den Begriff des Papierblattes, sondern durch den Kontext der sinnlichen Erfahrung. So schließt Kant resümierend: Ihr habt also gesehen, daß, wenn ich das Prädikat eines Urteils zusamt dem Subjekte aufhebe, niemals ein innerer Widerspruch entspringen könne, das Prädikat mag auch sein, welches es wolle.35
Was ist mit diesen Punkten aber nun gegen den OGB gewonnen? Die erste These fasst die Modalität de re völlig korrekt auf: Essentielle Eigenschaften implizieren nicht, dass das Individuum, für das sie wesentlich sind, in allen möglichen Welten, also stark notwendig, oder in der wirklichen Welt existiert. Vielleicht gehört es wesentlich zu Odysseus, listig und klug zu sein, und sicher ist Odysseus notwendig entweder durch zwei teilbar oder nicht durch zwei teilbar, aber der Schluss auf seine notwendige oder reale Existenz ist dadurch nicht logisch gültig. Verwirrender Weise kommt noch hinzu, dass ‚Existenz‘ als triviale Essenz auftreten kann, ebenso wie ‚Selbstidentität‘. Natürlich garantiert die triviale Eigenschaft ‚Existenz‘ aber nicht die tatsächliche Existenz, auf die der OGB abzielt. Wie oben bereits angedeutet, erfüllt nun aber die auf diesem Weg entstehende Kennzeichnung für Gott nicht die Anforderungen wie diejenige, auf welche etwa Anselm sein ontologisches Argument stützt. Denn die so bestimmbare Definition würde in etwa wie folgt lauten: Gott =Def. : ein (kontingentes) Individuum mit der Essenz ‚. . . ist notwendig existent‘. Das einfache Gegenargument lautet aus der Perspektive des OGB aber, dass sich eine Relation definieren lässt, die bedeutet, dass ein notwendiges Individuum größer oder vollkommener ist als ein kontingentes, oder dass kein Wesen seine maximale Größe oder Vollkommenheit in einer Welt erreicht, in welcher es nicht existiert.36 35
Kant, KrV, A 595 | B 623. So etwa Plantinga, The Nature of Necessity, S. 214 in seiner abschließenden, erfolgreichen Version des OGB in der Prämisse (34): „The property has maximal greatness entails the property has 36
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Ein solches Individuum ist jedenfalls nicht inkompatibel mit der Annahme von de re Modalitäten und daher scheint oben angeführte These (1.) zu keinem Einwand gegen den OGB zu führen. Interessanterweise impliziert allerdings das Zugeständnis der Existenz-Essenzen bereits zweierlei: Durch die Essenz ‚notwendige Existenz‘ ist einzig ausgeschlossen, dass i) Gott notwendig nicht existiert, und ii) dass Gott, wenn er existiert, anders als notwendig existiert. Anders als mit (1.) verhält es sich hingegen mit der obigen These (2.) Diese kommt einem Gegenargument zum OGB deutlich näher, auch wenn eine Gegenstrategie auf der Hand liegt: Wenn tatsächlich ausgeschlossen werden kann, dass es notwendige Individuen gibt, so bleibt immer noch die Möglichkeit, dass die Existenz in der wirklichen Welt für maximale Größe oder Vollkommenheit notwendig ist, beziehungsweise dass die Existenz in der wirklichen Welt größer ist oder vollkommener macht als die Existenz in einer bloß möglichen Welt. Dann wäre Gott zwar kontingent, aber wirklich; und darauf kommt es dem OGB schließlich an. Aber kann Kant tatsächlich ausschließen, dass es notwendige Individuen gibt? Erstaunlicher Weise argumentiert Kant für diese These gerade nicht, sondern setzt sie voraus. Wenn jedes Individuum „aufgehoben werden“37 , das heißt, als möglicherweise nicht existent betrachtet werden kann, dann besteht trivialer Weise auch niemals ein prinzipieller Widerspruch in der Verneinung der Existenz – wie These (3.) behauptet –, ganz gleich ob ein Individuum die Essenz ‚. . . ist notwendig existent‘ hat oder nicht. Aber der OGB soll gerade ein Gegenbeispiel darstellen. Er will zeigen, dass aus dem Versuch, die Existenz Gottes aufzuheben, ein Widerspruch resultiert. Nun reflektiert Kant natürlich, dass dieses als Gegeneinwand vorgebracht werden kann: Nun bleibt euch keine Ausflucht übrig, als, ihr müßt sagen: es gibt Subjekte, die gar nicht aufgehoben werden können, die also bleiben müssen. Das würde aber eben so viel sagen, als: es gibt schlechterdingsnotwendige Subjekte; eine Voraussetzung an deren Richtigkeit ich eben gezweifelt habe, und deren Möglichkeit ihr mir zeigen wolltet.38
Kant meint zwar, dass diese Möglichkeit eines notwendigen Individuums erst noch gezeigt werden müsste. Aber das hieße nichts anderes, als den OGB zu führen. Kant meint aber, wie ihn etwa auch A. Plantinga versteht, der OGB sei ungültig, maximal excellence in every possible world.“ Mit dieser Eigenschaft definiert Plantinga, dass maximale Vollkommenheit einschließt, nicht kontingent zu sein. 37 Kant, KrV, A 595 | B 623. 38 Ebd., A 595 | B 623. Und Kant schließt an: „Denn ich kann mir nicht den geringsten Begriff von einem Dinge machen, welches, wenn es mit allen seinen Prädikaten aufgehoben würde, einen Widerspruch zurück ließe, und ohne den Widerspruch habe ich, durch bloße reine Begriffe a priori, kein Merkmal der Unmöglichkeit.“ Interessant an diesem Argument Kants ist, dass es auf der Unverstehbarkeit des Gottesbegriffes aufbaut. Wäre dieser verständlich, könnte es sehr wohl ein notwendiges Individuum geben. Das führt zum Gedanken des § 76 der KU. Vgl. unten S. 123.
2.1. Kants Kritik der Modalbegriffe
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weil es keine notwendigen, nicht konsistent verneinbaren Existenzaussagen gibt. Kant scheint zwar zu meinen, dass man mit dem OGB eine petitio principii beginge, die er bezweifeln würde, aber gleiches lässt sich eben auch Kant entgegenhalten. Allerdings hat der OGB dabei immerhin die Form eines Arguments und appelliert nicht, wie Kants Beispiele mit dem Triangel, den drei Seiten und der Allmacht Gottes, an eine Intuition. G. Oppy sieht allerdings die Möglichkeit, Kant an dieser Stelle den Rücken zu stärken, indem das Verhältnis von Urteils- und Sachnotwendigkeit, das für Kant fraglos zentral ist, hervorgehoben wird.39 In den folgenden Abschnitten wird diese Unterscheidung daher näher beleuchtet. Hier ist allerdings bereits Rücksicht genommen worden: Weil notwendige Eigenschaften, so Kant, nur bedingte Sachnotwendigkeiten sind, wurde eine konditionale Analyse vorgeschlagen, die als Antezedens den Satz „Wenn a existiert, . . . “ annimmt. Der Konditional teilt nun die Notwendigkeiten, die Kant und Oppy unterscheiden, auf seine beiden Sätze auf: Der Antezedens drückt die reale Existenz des Individuums aus, bezieht sich also auf die Sachebene, während der Konsequenz die Urteilsnotwendigkeit, die in Begriffsimplikationen besteht, enthält. Daraus folgt, dass man zwar nominal die Notwendigkeit zugestehen kann, etwa als Fakt über den Begriff Gottes beziehungsweise dessen Definition, ohne daraus einen Schluss auf die reale Existenz Gottes akzeptieren zu müssen. Denn, wie gesagt, aus der Wahrheit des Konsequenz folgt natürlich nicht die des Antezedens. Einzig möglich wäre der Schluss per modus tollens, aber die konditionale Analyse verschleiert, wie verschieden die beiden Sphären von Urteils- und Sachnotwendigkeit im Sinne Kants gedacht werden müssen. Aber dabei ist das Problem dieses Unterschieds eben, dass es augenscheinlich begriffliche Wahrheiten gibt, die zugleich die reale Existenz ausschließen, wie etwa der Satz „Das größte Dreieck hat drei Winkel“40 . Die Dreiwinkligkeit trifft dabei fraglos auf jedes Dreieck zu, während die Existenz eines ‚größten‘ Dreiecks unmöglich zu sein scheint. Es scheint also schon prima facie problematisch, Sach- und Urteilsebene völlig voneinander zu trennen. Wie ist aber die Trennung von Urteils- und Sachnotwendigkeit zu denken? Dem soll sich der folgende Abschnitt 2.1.4 nähern, nachdem Kant aber zunächst gegen den sogenannten logischen Einwand abgegrenzt wird. 2.1.3 Der logische Einwand Es ist wichtig, dass Kant keine prinzipielle Trennung von Seins- und Denknotwendigkeit intendiert und daher nicht den sogenannten logischen Einwand gegen den OGB anführt. Dieser Einwand, als dessen prominentester Vertreter gewöhnlich Thomas 39 40
Vgl. Kant, KrV, A 593 f. | B 621 f. Vgl. Oppy, Ontological arguments and belief in God, 38 f. Vgl. ebd., S. 39.
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von Aquin genannt wird,41 trennt grundsätzlich zwischen den begrifflichen Verhältnissen, etwa, dass ein Begriff P das Prädikat Q impliziert, und den wirklichen Sachverhalten. Entscheidend ist für den Einwand dabei, dass die begrifflichen Verhältnisse keine Rückschlüsse über die realen Verhältnisse zulassen. Wenn Kant also die Notwendigkeit des Urteils von derjenigen der Sachen unterscheidet, so könnte man ihn folgendermaßen im Sinne des logischen Einwandes missverstehen: Ein Triangel denken wir uns notwendig mit drei Winkeln, ob der wirkliche Triangel aber notwendig drei Winkel hat, ist eine andere Frage, die auf anderem Wege beantwortet werden muss. Als Konditional dargestellt hieße das: Wenn das Triangel (wirklich) drei Winkel hat, dann kongruiert das mit der begrifflichen Wahrheit, dass ein Triangel notwendig drei Winkel hat. Ein Rückschluss von dem begrifflichen Verhältnis auf das reale wäre aber nicht gestattet. Dieter Henrich hat schon in der Einleitung seiner Monographie Der ontologische Gottesbeweis überzeugend dargelegt, dass Kant diesen Einwand selbst für ungültig hielt.42 Aus einer Notiz der vorkritischen Zeit geht deutlich hervor, dass Kant die Unzulänglichkeit der prinzipiellen Unterscheidung von Denknotwendigkeit und Sache darin sah, dass dann jedes (notwendige) Prädikat, das wir im Begriff einer Sache denken, nur gedacht sei und der Sache nicht (notwendigerweise) in Wirklichkeit zukäme. Man wendet auch vergeblich hiewieder [d. i., dass die Existenz unter bestimmten Voraussetzungen zum Begriff Gottes gehörte; Einschub G. M.] ein, daß [alle Realität nur in Gedanken miteinander] ein solches mögliches Ding die Existenz nur im Verstande in sich schließe, d. i. nur so wie das Ding selber in Gedanken, nicht aber [im Realverstande] außer dem Gedanken gesetzt werde, denn auf solche Weise würden wir von allen Prädikaten, die einem [Dinge] möglichen Dinge zukommen, sagen müssen: sie kämen ihm nicht in der That zu, sondern würden nur in Gedanken in ihm gesetzt.43
Das Problem des logischen Einwandes besteht darin, dass im Fall seiner Gültigkeit selbst für triviale, begriffliche Wahrheiten empirische Belege angeführt werden, etwa ob tatsächlich alle Menschen Lebewesen sind oder ob ein Triangel wirklich drei Winkel hat. Das ist aber nicht der kantische Einwand aus dem Abschnitt Von 41 Vermutlich ist die strenge These, dass begriffliche und ontische Verhältnisse prinzipiell zu trennen sind, nicht eigentlich der thomistische Einwand gegen den OGB. Dennoch ist der klassische Ort für diese Kritik Thomas von Aquin, STh, I q. 2 a. 1 ad 2. Die hier kritisierte These kann vermutlich eher auf Hume zurückgeführt werden. Vgl. Hume, An Enquiry concerning Human Understanding, Sec. IV, P. I, S. 18–23. Dazu: Braßel, Das Programm der idealen Logik, 91 f. 42 Vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 6–8. Vgl. dazu auch Hermanni, Metaphysik, 48 f. und Hindrichs, Das Absolute und das Subjekt, §§ 9.–15, S. 25–33. Der logische Einwand kann auch ohne Bezugnahme auf eine Ontologie mentaler Sachverhalte verstanden werden, was den Einwand stärker macht. Eine solche Ontologie legt Anselms Formulierung des OGB nahe, da er das esse in intellectu in seinen Prämissen verwendet. Vgl. dazu Bromand und Kreis, Gottesbeweise, 48 f. 43 Kant, Kant’s handschriftlicher Nachlaß. Reflexionen zur Metaphysik, Reflexion 3706, S. 240.
2.1. Kants Kritik der Modalbegriffe
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der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes. Kants Punkt ist, dass „die absolute Notwendigkeit des Urteils [. . . ] nur eine bedingte Notwendigkeit der Sache“44 ist, aber Kant zweifelt nicht daran, dass die Notwendigkeit des Urteils auf die Sache übertragen werden kann, wenn die Sache existiert. Das heißt, dass Urteils- und Sachnotwendigkeit nicht grundsätzlich verschieden sind – wenn ein Gegenstand also tatsächlich existiert, dann treffen auch die notwendigen Urteile über ihn, die zuvor lediglich Urteilsnotwendigkeiten waren, zu. Das heißt, dass die begriffliche Wahrheit unter der Bedingung, dass das Individuum existiert, dann auch wahr ist: Wenn ein Individuum existiert, so hat es alle seine notwendigen Eigenschaften. Die begriffliche Notwendigkeit ist also immer relativ zur Existenz der Sache. Die strikte Trennung des Begrifflichen von den realen Verhältnissen ist von Kant zurecht nicht angenommen, und das nicht nur, weil es unseren Praktiken und unserer Intuition widerspricht, dass begrifflich Notwendiges der empirischen Untersuchung bedarf. So scheint es etwa im Falle von Widersprüchen selbstverständlich zu sein, dass der Schluss auf die Nicht-Existenz gültig ist.45 Ein eckiger Kreis wird ebenso wenig empirisch gesucht, wie ein makrophysischer Gegenstand, der zugleich an zwei völlig getrennten Orten ist. Aber noch deutlicher spricht gegen diese Interpretation, dass sie die strikte Trennung von Begrifflichem und Seiendem nicht einzuholen vermag. Denn die These ‚Denknotwendigkeit und Seinsnotwendigkeit sind grundsätzlich verschieden‘ ist selbst eine begriffliche These, die mit dem Begriff der Seinsnotwendigkeit auf die realen Verhältnisse Bezug nimmt. Die Beziehung der These auf die realen Verhältnisse wäre gerade durch die Wahrheit der These in Frage gestellt: Wäre sie wahr, so wäre sie möglicherweise falsch. Das Problem der Trennung von Begrifflichem und Sein ist also, dass die Trennung selbst in den Skopus des eigenen Bezugs fällt und dort seine eigene Bedeutung in Frage stellt. Entweder sie referiert, dann bedürfte sie aber einer anderen Bewahrheitung als ihrer begrifflichen Wahrheit, oder sie referiert nicht, dann bleibt unausgemacht, wie das von ihr beschriebene Verhältnis eigentlich ist. Die Differenz zwischen begrifflichen Verhältnissen und empirischem Sein ist nämlich eine begriffliche Unterscheidung, die entweder das reale Sein schon begriffen, korrekt erfasst hat, oder über ein nicht-begriffliches Sein spricht, welches zugleich prinzipiell unbegreifbar ausgesagt wird.46 44
Kant, KrV, A 593 | B 621. Vgl. Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 120. Goebel weist darauf hin, dass es häufig übersehen wird, dass die Nichtexistenz aus Begriffen folgen kann, wie etwa dem Begriff der ‚größtmöglichen Zahl‘. 46 Vgl. dazu Hegels Kantkritik im Abschnitt 3.1.2. Vgl. zu dem Thema auch die interessante Argumentation in Braßel, Das Programm der idealen Logik, S. 91. Dass im logischen Einwand ein Selbstwiderspruch vorliegt, halten auch fest: Enders, „Ontologischer Gottesbegriff und ontologischer Gottesbeweis“, S. 250–258, Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 123 und Hermanni, Metaphysik, S. 49. 45
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Anders ausgedrückt: Der logische Einwand stellt sich also als eine Metathese über das Verhältnis von Objekt und Objektsprache dar, in der der Bezug zwischen der Objektsprache und dem Objekt infrage gestellt wird. Damit der Bezug zwischen Objektsprache auf das Objekt gelingt, muss prinzipiell ein hinzukommendes Kriterium angenommen werden, da ansonsten das Objekt sich gänzlich anders verhalten könnte, als in der Objektsprache ausgedrückt ist. Die Metathese widerlegt sich jedoch selbst, wenn man auf die Bedingungen ihrer eigenen Gültigkeit reflektiert: Denn nicht nur die Objektsprache referiert auf Objekte, auch die Metathese bezieht sich direkt auf die Objektsphäre, indem sie diese als Relat mit der Objektsprache ins Verhältnis setzt. Jedoch drückt sie zudem aus, dass die korrekte Referenz für die Objektsprache als prinzipiell unzuverlässig einzuschätzen ist. Das schlägt aber auf sie selbst durch: Ihr eigenes Erfassen der Objektsphäre ist prinzipiell unsicher – und daher könnte für die Objektsphäre auch konstitutiv sein, dass sie vollständig und adäquat durch die Objektsprache erfasst wird. Die These drückt also einerseits aus, dass die Seinsverhältnisse prinzipiell anders sein können, als die Objektsprache es ausdrückt, zugleich aber auch, dass die Seinsverhältnisse möglicherweise immer der Objektsprache entsprechen. Kants Kritik ist jedoch stärker als der logische Einwand: Kant richtet sich nicht gegen die grundsätzliche Unterscheidung von begrifflichen Verhältnissen und realem Sein, sondern auf die Differenz zwischen Urteils- und Sachnotwendigkeit, die nur besagt, dass ein Gegenstand existieren muss, um dann auch in seiner ganzen begrifflichen Notwendigkeit verwirklicht zu sein. Doch werfen wir zunächst noch einen Blick auf Kants Theorie der Modalitäten, die für die Kritik der begrifflichen Notwendigkeit zentral ist. 2.1.4 Kants Unterscheidung von logischen und realen Modalbegriffen Folgt man D. Henrich, so bildet Kants Modaltheorie das Fundament für die Zurückweisung der philosophischen Theologie. Henrich schreibt in seiner Monografie über den OGB: Kants Kritik aller Gottesbeweise hat ihren einheitlichen Grund in seiner Theorie der Modalbegriffe.47
Henrich trifft damit sicher einen wichtigen Punkt, dem im Folgenden nachgegangen werden soll. Denn tatsächlich ist Kant der Meinung, dass allein aus begrifflichen Überlegungen und einer begrifflichen Notwendigkeit nicht die Sache selbst abzuleiten sei. Und diese Überzeugung findet ihren Grund in Kants Theorie der Modalbegriffe. Auch wenn einige Interpreten Henrich nicht darin folgen, sondern den Schlüssel zur Kritik der Gottesbeweise in der Prädikationstheorie erblicken und die kantische Modaltheorie dafür vernachlässigen, oder, wie etwa G. B. Sala, 47
Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 154.
2.1. Kants Kritik der Modalbegriffe
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darin nur einen Weg der Widerlegung erblicken,48 so wird im Folgenden deutlich werden, dass die oben dargestellten Argumente Kants gegen den OGB ihren Grund in Kants Modalbegriffen finden.49 Um zu verstehen, in welchem Sinn Kant aber auf der einen Seite das Denken in reinen Begriffen für unfähig hält, zu festen Ergebnissen zu kommen, und warum nur ein Denken, dass sich auf die Sinnlichkeit bezieht, zu solchen kommt, ist es sinnvoll, Kants Unterscheidung von logischen und transzendentalen oder realen Modalitäten zu beleuchten.50 Die logische Modalität wird von Kant an verschiedenen Stellen der KrV aufgegriffen.51 Sie ist im vorliegenden Kontext wichtig, weil sie die rein begrifflichen Verhältnisse beschreibt, die im reinen Denken ohne Rücksicht auf sinnlich Gegebenes oder die Formen der Sinnlichkeit herrschen. Und der Punkt, den Kant hier macht, ist, dass logische Modalität für gehaltvolle Erkenntnis nicht hinreichend ist. Die logische Modalität baut axiomatisch auf dem Satz vom Widerspruch auf, dem „allgemeinen und völlig hinreichenden P r i n c i p i u m a l l e r a n a l y t i s c h e n E r k e n n t n i s“52 . Logisch möglich sind demnach 1. alle einfachen Begriffe, die keinen Widerspruch enthalten können, und 2. alle zusammengesetzen, die nicht widersprüchlich sind. Somit sind alle widerspruchsfreien Definitionen möglich.53 Der logischen Möglichkeit entgegengesetzt ist das nihil negativum, da es sich im Fall des Widersprechenden um einen „leeren Gegenstand ohne Begriff “54 handelt. Die Modalbestimmung 48 Vgl. Sala, Kant und die Frage nach Gott, S. 283. Sala meint, dass Kant zwei Beweisschritte des OGB unabhängig voneinander in Frage stellt: 1. Die „Seinsmöglichkeit“ des ens realissimum, welche Kant durch seine Modaltheorie bestreitet, und 2. die Existenz des ens realissimum, die Kant durch die Untersuchung des Existenzbegriffs zurückweist. 49 Dabei kann Kants Theorie der Modalitäten hier natürlich nur in Grundzügen dargestellt werden. Unberücksichtigt bleiben die von Kant verwendeten, aber nicht expliziten Formen von Modalitäten wie doxastischen oder deontischen Modalitäten. Für das Verständnis der kantischen Ansichten muss dabei allerdings ein knapper Blick auf die Analytik der KrV geworfen werden. 50 Dass Kant seine eigene Modaltheorie gegen die Philosophie des Rationalismus stellt, sieht auch: Röd, Der Gott der reinen Vernunft, S. 159. 51 Vgl. die Analyse in Schneeberger, Kants Konzeption der Modalbegriffe, S. 11–15. 52 Kant, KrV, A 151 | B 191 (Kursiv von G. M.) Kant definiert den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch wie folgt: „Keinem Dinge kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht[.]“ (ebd., A 151 | B 190). 53 Siehe ebd., B 115: „So ist das Kriterium der Möglichkeit eines Begriffs (nicht des Objekts derselben) die Definition, in der die E i n h e i t des Begriffs, die Wa h r h e i t alles dessen, was zunächst aus ihm abgeleitet werden mag, endlich die Vo l l s t ä n d i g k e i t dessen, was aus ihm gezogen worden, zur Herstellung des ganzen Begriffs das Erforderliche desselben ausmacht[.]“ 54 Ebd., A 292 | B 348. Gemäß der logischen Modalität ist dann notwendig, dessen Gegenteil unmöglich ist, und möglich, dessen Gegenteil nicht notwendig gilt. Das entspricht der logischen Struktur, die heute für die gebräuchlichsten modallogischen Systeme angenommen wird: i (A) gdw. nicht(♦i (nicht(A))). Vgl. Meixner, Modalität, S. 21. Analog dazu gilt die Umkehrung: ♦i (A) gdw. nicht(i (nicht(A))). Diese wechselseitige Bestimmbarkeit der Modaloperatoren gilt für jedes der modallogischen Systeme T, S4, B, S5. Es ist zudem unabhängig von der Interpretation
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
fügt dem Gehalt des Urteils jedoch keinen Inhalt hinzu, was Kant betont – die Modalbestimmungen sind somit „logische Formen zweiter Stufe“, wie B. Hafemann sie nennt.55 Stattdessen wird durch die Copula in den Modalurteilen das Verhältnis des Urteilsinhaltes zum Denken angegeben: deswegen logische Modalbegriffe. Ebenso wie D. Hume56 ist Kant nun aber der Überzeugung, dass es kaum Restriktionen innerhalb des bloßen Denkens gibt, weshalb es keine Möglichkeit gibt, von reinen Begriffen ausgehend zu Erkenntnissen zu gelangen. Weder die Objektivität noch die genaue Beschaffenheit irgendeines Gegenstandes lassen sich aus den rein logischen Modalverhältnissen erkennen, wohinter Kants bekanntes Diktum steht, dass die Gedanken ohne Anschauungen leer seien.57 Die Leere des Gedankens bedeutet nun allerdings nicht, dass in diesem keine Bestimmungen gedacht würden. Dass ein Begriff gemäß seiner Definition a priori Prädikate58 enthält, verneint Kant nicht, einzig es fehlt ein Kriterium, um nicht bloß beliebige Definitionen zu bilden und dann begriffsanalytische Urteile, wie „Der Ehemann ist verheiratet“, oder tautologische Urteile, wie „Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann“, auszusprechen, sondern darüber hinaus eine Wahrheit auszusagen, die der Modaloperatoren, also ob diese als logisch, naturgesetzlich oder metaphysisch interpretiert werden. Beispielsweise ist naturgesetzlich notwendig, dessen Gegenteil naturgesetzlich unmöglich ist. Die Indizes zeigen an, dass jeweils der Notwendigkeits- und der Möglichkeitsoperator im gleichen Sinn interpretiert werden muss – die Gültigkeit geht also verloren, wenn zwischen den genannten drei Interpretationen der Modaloperatoren hin und her gesprungen wird. 55 Vgl. Hafemann, „Logisches Quadrat und Modalbegriffe bei Kant“, S. 413. Siehe auch Kant, KrV, A 74 | B 99 f.: „Die Modalität der Urteile ist eine ganz besondere Funktion derselben, die das Unterscheidende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalte des Urteils beiträgt, [. . . ] sondern nur den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt angeht.“ Siehe auch ebd., A 219 | B 266: „Die Kategorien der Modalität haben das Besondere an sich: Daß sie den Begriff, dem sie als Prädikate beigefüget werden, als Bestimmung des Objekts nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen ausdrücken. Wenn der Begriff eines Dinges schon ganz vollständig ist, so kann ich doch noch von diesem Gegenstande fragen, ob er bloß möglich, oder auch wirklich, oder wenn er das letztere ist, ob er gar auch notwendig sei?“ 56 Siehe Hume, Dialogues and Natural History of Religion, S. 47 f.: „Were a man to abstract from every thing which he knows or has seen, he would be altogether incapable, merely from his own ideas, to determine what kind of scene the universe must be, or to give the preference to one state or situation of things above another. For as nothing, which he clearly conceives, could be esteemed impossible or implying a contradiction, every chimera of his fancy would be upon an equal footing; nor could he assign any just reason, why he adheres to one idea or system, and rejects the others, which are equally possible. [. . . ] He might set his fancy a rambling; and she might bring him in an infinite variety of reports and representations. These would all be possible; but being all equally possible, he would never, of himself, give a satisfactory account for his preferring one of them to the rest. Experience alone can point out to him the true cause of any phenomenon.“ 57 Vgl. Kant, KrV, A 51 | B 75. 58 Diese Prädikate nennt Kant „logische Prädikate“, die nur in analytischen Sätzen enthalten sind. Die Prädikate der synthetischen Sätze hingegen nennt Kant „B e s t i m m u n g e n (determinationes)“ (vgl. Kant, „Logik Handbuch“, § 36., A 173).
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informativ ist.59 Synthetische Urteile, die eine Information zusätzlich zu den in der Definition enthaltenen logischen Prädikaten angeben und potentiell unsere Erkenntnis erweitern können, sind im Denken prinzipiell auch in ihrem Gegenteil ebenso möglich.60 In Kants Worten: Wenn eine Erkenntnis objektive Realität haben, d. i. sich auf einen Gegenstand beziehen, und in demselben Bedeutung und Sinn haben soll, so muß der Gegenstand auf irgend eine Art gegeben werden können. Ohne das sind die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in der Tat aber durch dieses Denken nichts erkannt, sondern bloß mit Vorstellungen gespielt.61
Da die logischen Modalbegriffe einerseits zu keiner Erkenntnis a priori verhelfen, andererseits, so Kant, schon immer tautologisch definiert worden sind, nennt Kant diese auch „Blendwerk“62 , das von den rationalistischen Metaphysikern überschätzt wurde, die so zu Dogmatikern wurden. Es befindet sich also, in Kants Augen, die Erkenntnis via der logischen Modalbegriffe vor dem gleichen Grundsatzproblem, 59 Das Verhältnis von tautologischen und analytischen Urteilen bestimmt Kant in seinem Vorlesungsskript zur Logik als das zwischen einem Explizit-Enthaltensein im Urteil, was es zu einem tautologischen macht, und dem Implizit-Enthaltensein, was dem Urteil die Eigenschaft gibt, analytisch zu sein. Vgl. Kant, „Logik Handbuch“, § 37, A 174, S. 542. Diese Unterscheidung scheint aber ungenau zu sein, da der Unterschied zwischen der Identitätsaussage und der herkömmlichen, analytischen Prädikation verschleiert wird. In jener ist die Identität von Subjekt und Prädikat ausgesagt, die folglich salva veritate wechselseitig ersetzt werden können, während in der letzteren nur ein notwendiges, aber allgemeineres Prädikat ausgesagt wird, das aber keine Ersetzung erlaubt: „Menschen sind Säugetiere“ mag ein analytisches Urteil sein, aber das erlaubt nicht die Ersetzung: „Affen sind Säugetiere“ → „Affen sind Menschen“. 60 Es besteht freilich die Ausnahme der transzendentallogischen synthetischen Sätze a priori, die sich dann aber auf Anschauliches beziehen müssen. Um die Gültigkeit dieser Sätze geht es Kant ja in der KrV. Siehe Kant, KrV, A 154 f. | B 193 f. „In synthetischen Urteilen aber soll ich aus dem gegebenen Begriff hinausgehen, um etwas ganz anderes, als in ihm gedacht war, mit demselben in Verhältnis zu betrachten, welches daher niemals, weder ein Verhältnis der Identität, noch des Widerspruchs ist, und wobei dem Urteile an ihm selbst weder die Wahrheit, noch der Irrtum angesehen werden kann.“ Daraus wird deutlich, dass in einem synthetischen Satz ein zu dem Satz hinzukommendes Kriterium benötigt wird, um den Wahrheitswert von A und non-A zu bestimmen. Rein aus sich betrachtet sind sie immer problematisch, das heißt, jede Wahrheitswertverteilung ist möglich, (ja es ist nicht einmal auszuschließen, ob A und non-A in einem solchen Fall eine vollständige Einteilung bilden oder ob sich nicht noch Alternativen denken lassen). Von diesem Problem auszunehmen sind natürlich die synthetischen Sätze a priori, die sich aus den a priorischen Erkenntnisfunktionen ergeben und durch ihrer Stellung als Bedingung der Möglichkeit für Erfahrung gültig sind. 61 Ebd., A 155 | B 194 f. 62 Siehe ebd., A 244 | B 302: „Möglichkeit, Dasein und Notwendigkeit hat noch niemand anders als durch offenbare Tautologie erklären können, wenn man ihre Definition lediglich aus dem reinen Verstande schöpfen wollte. Denn das Blendwerk, die logische Möglichkeit des B e g r i f f s (da er sich selbst nicht widerspricht) der transzendentalen Möglichkeit der D i n g e, (da dem Begriff ein Gegenstand korrespondiert) zu unterschieben, kann nur Unversuchte hintergehen und zufrieden stellen.“
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
durch welches sich die Vernunft im transzendentalen Schein und in die dialektische Widersprüchlichkeit verfängt: Es fehlt das Kriterium, um zwischen wahren und falschen Aussagen entscheiden zu können, das erst die Sinnlichkeit – als Erfahrung oder Bezug auf die Formen der Anschauung a priori – bereitstellt.63 Weil die Modalbegriffe aber wissenschaftlich unabdingbar sind und eine spezifischere Bedeutung haben müssen, begründet Kant eigene, transzendentalphilosophische oder reale Modalbegriffe.64 Diese lassen sich aber, wie Kant stets betont, nicht aus den logischen ableiten.65 Stattdessen wird ein weiteres Kriterium für die Modalität hinzugefügt: Der Bezug der Urteile auf mögliche Erfahrung.66 Mit P. Strawson kann dieses Kriterium Kants „principle of significance“ genannt werden.67 Kants eigene Begründung und Erläuterung der in Abgrenzung von der ‚logischen‘, ‚real‘ und auch ‚transzendental‘68 genannten Modalbegriffe folgt seinem Begründungsschema, das er für die Transzendentalphilosophie entwickelt: In den Deduktionen werden reine Kategorien a priori gewonnen und gerechtfertig, im 63 Siehe Kant, KrV, A 295 f. | B 352 f. „[S]ondern wir haben es mit dem t r a n s z e n d e n t a l e n S c h e i n e alleine zu tun, der auf Grundsätze einfließt, deren Gebrauch nicht einmal auf Erfahrung angelegt ist, als in welchem Falle wir doch wenigstens einen Probierstein ihrer Richtigkeit haben würden, sondern der uns selbst wider alle Warnung der Kritik, gänzlich über den empirischen Gebrauch der Kategorien wegführt und uns mit dem Blendwerke einer Erweiterung des r e i n e n Ve r s t a n d e s hinhält.“ Anschließend unterscheidet Kant 1. immanente, 2. transzendente und 3. transzendentale Grundsätze, wobei die ersteren sich nur auf Erfahrung beziehen, die zweiteren überhaupt keine Rücksicht auf die Erfahrung nehmen und die letzteren sich durch eine Unachtsamkeit der Urteilskraft über die Grenze der Erfahrung hinaus wagen. Die Grundsätze der Dialektik heißen transzendente Grundsätze, und das Ziel Kants ist es, den diese betreffenden transzendentalen Schein aufzuklären (obwohl der transzendentale Schein eigentlich auch auf die transzendentalen Grundsätze bezogen sein müsste). Vgl. Strawson, Bounds of Sense, S. 16, der das „the principle of significance“ nennt. 64 Vgl. die Analyse in Schneeberger, Kants Konzeption der Modalbegriffe, S. 15–52. 65 Siehe Kant, KrV, B 308: „Nun kann aber die [reale; Einschub: G. M.] Möglichkeit eines Dinges niemals bloß aus dem Nichtwidersprechen eines Begriffs desselben, sondern nur dadurch, daß man diesen durch eine ihm korrespondierende Anschauung belegt, bewiesen werden.“ Vgl. auch ebd., B 302, Fn. Allerdings bildet die logische Möglichkeit eine notwendige Bedingung der transzendentalen Modalbegriffe, aber sie ist, wie Kant betont, in keinem Fall hinreichend. Siehe ebd., A 220 | B 267 f.: „Daß in einem solchen Begriffe [eines möglichen Gegenstandes; Einschub G. M.] kein Widerspruch enthalten sein müsse, ist zwar eine notwendige logische Bedingung; aber zur objektiven Realität des Begriffs, d. i. der Möglichkeit eines solchen Gegenstandes, als durch den Begriff gedacht wird, bei weitem nicht genug.“ 66 Vgl. ebd., § 22., B 146–148. Vgl. auch: ebd., B 308, soeben zitiert in Fußnote 65. 67 Siehe Strawson, Bounds of Sense, S. 16: „If philosophy too was to be set “on the sure path of a science”, one requisite was that it should limit its pretension; and a major instrument of this necessary limitation was a principle repeatedly enunciated and applied by Kant throughout the Critique. This is the principle that there can be no legitimate, or even meaningful, employment of ideas or concepts which does not relate them empirical or experiential conditions of their application.“ 68 Vgl. Kant, KrV, A 244 | B 302. Die beiden Bezeichnungen werden im Folgenden als austauschbar behandelt.
2.1. Kants Kritik der Modalbegriffe
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Schematismus wird ihnen durch den Bezug auf Anschauungsform des inneren Sinns Bedeutung verliehen, wonach sie in den Grundsätzen des reinen Verstandes explizit als Gesetzmäßigkeiten gefasst werden.69 Es wäre hier zu ausführlich, die ganze Ableitung der Modalkategorien und der daraus folgenden Schemata zu besprechen. Daher konzentriere ich mich auf Kants Resultat: die Grundsätze, die aus den Modalkategorien folgen, denn diese geben die vollständige Interpretation der transzendentalen Modalbegriffe an. Diese Grundsätze nennt Kant auch die Postulate des empirischen Denkens, und in diesen entfaltet er seine Idee der ‚transzendentalen Modalitäten‘. Kant definiert die Postulate wie folgt: 1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist m ö g l i c h. 2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist w i r k l i c h. 3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) n o t w e n d i g.70 Diese Grundsätze sind ‚Erklärungen der Modalität in ihrem empirischen Gebrauch‘71 , ja mehr noch: Die Grundsätze restringieren die Kategorien auf den empirischen Gebrauch – eine Anwendung außerhalb gegebener Erfahrung führt zu Scheineinsichten, wie Kant in der Dialektik der KrV aufweisen möchte. Ohne den Bezug auf Erfahrung wären auch die Kategorien bedeutungslos.72 Das macht das Wesen der von Kant grundgelegten Modalbegriffe aus: Ihre Bedeutung ergibt sich (einzig) aus dem Bezug auf Gegenstände, die nur in „möglicher Erfahrung“ gegeben werden können. Sofort fällt an Kants Formulierungen auf, dass die in der Modallogik üblichen Transformationen des Möglichkeits- und Notwendigkeitsbegriffs ineinander für die transzendentalen Modalbegriffe nicht gelten: Via Negation des Modaloperators und Negation des Sachverhalts lassen sich gewöhnlich Möglichkeit und Notwendigkeit wechselseitig bestimmen73 ; dieses ist für die kantische Definition jedoch nicht ohne Weiteres möglich. Die Umformung hieße etwa, dass jeder Sachverhalt notwendig wäre, dessen Gegenteil nicht mit den formalen Bedingungen der Erfahrung übereinkäme.74 Dem kann an dieser Stelle nicht nachgegangen werden, 69 Vgl. Knudsen, Gottesbeweise im deutschen Idealismus. Die modaltheoretische Begründung des Absoluten, dargestellt an Kant, Hegel und Weiße, S. 47 f. Knudsen sieht zu Recht in dieser Subjektivierung des ontologischen Möglichkeitsbegriffs der Wolff -Schule einen Grund für Kants Ablehnung der Gottesbeweise. 70 Kant, KrV, A 218 | B 265 f. 71 Vgl. ebd., A 219 | B 266. 72 Vgl. dazu auch den ganzen zweiten Beweisschritt der transzendentalen Deduktion in der B-Ausgabe. Besonders § 22 argumentiert für den Erfahrungsbezug. ebd., § 22., B 146–148. 73 Also: p ↔ ¬♦¬ p ; ♦ p ↔ ¬¬ p . 74 Die Definition des ersten Postulats lautet: „Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist m ö g l i c h.“ Das heißt:
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jedoch lässt sich zeigen, wie in einer sich in Vorbereitung befindenden Publikation ausgeführt wird, dass diese Modalbegriffe zu Kant-internen Problemen führen: Zwar lässt sich mithilfe der Postulate ein Notwendigkeitsbegriff bilden, der für eine bestimmte Klasse von synthetischen Sätzen a apriori hinreicht. Aber es fehlt in der kantischen Philosophie ein Notwendigkeitsbegriff, um seine eigenen theoretischen Aussagen über synthetische Sätze a priori zu erhellen. Für den hiesigen Kontext ist einzig wichtig, dass sich auf Basis dieser Modalbegriffe zwei Formen von Möglichkeiten ausbilden, denn die Möglichkeit beschreibt die Übereinstimmung des jeweiligen Begriffs eines Gegenstandes mit den formalen Bedingungen der Erfahrung. Dabei bilden die zwei Weisen möglicher Übereinstimmung zwei Typen von Begriffen: 1. Empirische Begriffe, die sich einer Synthesis verdanken, die mit dem Material der Erfahrung beginnt. Die Synthesis ist dabei, wie Kant in der transzendentalen Deduktion gezeigt haben möchte, nichts anderes als die Anwendung der formalen Bedingungen der Erfahrung auf die gegebenen Empfindungen. 2. Reine Begriffe, die sich aus den formalen Bedingungen der Erfahrung selbst ableiten, ihr Objekt aber stets in der Anschauung haben. (Beispiel: die mathematischen Begriffe, die Kant nur für erfüllt hält, weil sie sich anschaulich konstruieren lassen.)75 Neben Möglichkeit und Notwendigkeit nimmt Kant auch Wirklichkeit als Grundsatz auf. Die Erkenntnis der Wirklichkeit von etwas erfordert über die Möglichkeit hinaus Wahrnehmung. Allerdings ist, wie Kant erläutert, nicht nur wirklich, was sich unmittelbar im je aktuellen Wahrnehmungsfeld befindet, sondern auch, was nach den Grundsätzen der Analogien der Erfahrung mit einer aktuellen Wahrnehmung zusammenhängt.76 Dass Wirklichkeit auch durch den gesetzmäßigen Zusammenhang mit Empfundenem ausgesagt werden kann, unterscheidet das 2. Postulat vom Grundsatz, der aus ♦ p =def. p kommt mit den formalen Bedingungen der Erfahrung überein. Dementsprechend wäre p =def. non-p kommt nicht mit den formalen Bedingungen der Erfahrung überein. Kamlah weist darauf hin, dass das 1. Postulat nicht der Umformung des 3. Postulats entspricht. Er bestimmt allerdings die Notwendigkeit gemäß des 1. Postulats stärker als hier angegeben: „Was durch die formalen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist notwendig“ (Kamlah, „Kants Antwort auf Hume und eine linguistische Analyse seiner Modalbegriffe“, 40 f.). Die hier angegebene, vorsichtigere Formulierung beruht auf der Vermutung, dass Kant nicht ausschließen würde, dass es Sachverhalte oder Gegenstände geben kann, bei denen auch die Negation mit den formalen Bedingungen der Erfahrung übereinstimmt. Etwa sind ‚Caesar überschreitet den Rubikon‘ und ‚Caesar überschreitet nicht den Rubikon‘ gleichermaßen möglich. Hingegen gilt das nicht für ‚Das wahrnehmbare Wesen‘ und ‚Das nicht-wahrnehmbare Wesen‘. Dennoch müsste Kant ablehnen, dass auf diesem Wege ein wahrnehmbares Wesen als notwendig erschlossen werden kann. 75 Vgl. zu reinen und empirischen Begriffen: Kant, KrV, A 220 | B 267. Zur notwendigen Konstruierbarkeit der mathematischen Gegenstände: ebd., A 718 | B 746. 76 Die Analogien der Erfahrung sind: 1. Beharrlichkeit der Substanz; 2. Veränderung vollzieht sich immer kausal; 3. Zugleichsein steht in Wechselwirkung. Vgl. ebd., A 182–218 | B 224–265.
2.1. Kants Kritik der Modalbegriffe
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der Realitätskategorie gebildet wird, also der „Antizipation der Wahrnehmung“. Dieser Grundsatz besagt, dass das Reale immer einen intensiven Grad hat, der das Maß der Empfindung ausmacht. Daher ist real, was empfunden wird.77 Wirklich ist insofern auch eine wissenschaftlich erschlossene, nicht unmittelbar oder auch gar nicht wahrnehmbare Entität wie etwa Lebewesen in der Tiefsee oder Gammastrahlen. Dass mit aktuellen Wahrnehmungen in Wechselwirkung stehende Gegenstände wirklich sind, ist natürlich einleuchtend. Ob Kant allerdings auch zukünftige und vergangene Dinge, die kausal mit aktuellen Wahrnehmungen zusammenhängen, als wirklich betrachtet, stellt sich hier als Problem dar. Denn auch zeitlich frühere und spätere Dinge stehen im Zusammenhang mit aktuellen Wahrnehmungen, der durch die Analogien festgelegt ist. Die Notwendigkeit, die durch das 3. Postulat bestimmt wird, nennt Kant auch die „materiale Notwendigkeit im Dasein“78 . Gemäß dieser kann von einem gegebenen Gegenstand „comparativ“ ein anderer, in Kausal- oder Wechselwirkung stehender, erschlossen werden, insofern die Verknüpfung der beiden Gegenstände den zweiten (nach den Analogien) mit Notwendigkeit fordert.79 Was Kant allerdings ausschließen möchte, ist, dass ein Gegenstand durch sich selber notwendig und damit als existent erkannt werden kann, was seine Kritik am ontologischen Gottesbeweis vorwegnimmt. So weit zur Erläuterung der transzendentalen Modalkategorien, die Kant in der KrV grundlegt. Nun spielen diese Modalkategorien, auch wenn sie nicht explizit genannt werden, in die oben angeführte Kritik am OGB hinein, denn was Kant dort als die Denknotwendigkeit fasst, scheint die Züge der logischen Modalität aufzuweisen, aus der sich nicht ableiten lässt, wie die Sache tatsächlich beschaffen ist, bis einem Begriff etwas in der Anschauung korrespondiert. Bis dahin sind aber die Definitionen und Schlussfolgerungen ein problematisches Umherwandeln im Raum der Möglichkeiten. Erst die transzendentalen Modalbegriffe spielen in und für die Erkenntnis eine Rolle. Das können sie deswegen, weil sie auf die Sinnlichkeit 77
Vgl. Kant, KrV, A 166–268 | B 207–210. Ebd., A 226 | B 279. 79 Da das Ding-an-sich-Problem zwar schwerwiegend für die kantische Philosophie ist, aber hier weder das Thema und noch der Angriffspunkt ist, soll nur darauf hingewiesen werden, dass sich hinsichtlich des Ding an sich aus dieser Notwendigkeit ein Problem ergibt. Das Problem beruht auf folgendem Schluss: 1. P1: Wenn p zu t1 kausal notwendig q zu t2 fordert, so ist die Existenz von q zu t2 (hypothetisch) notwendig. 2. P2: p ist ein wahrnehmbarer Sachverhalt; q ist ein wahrnehmbarer Sachverhalt. 3. P3: Ein wahrnehmbarer Sachverhalt beruht auf Empfindung. Empfindung ist die Wirkung des Ding an sich. 4. C1: Dann lässt sich zu t1 bereits die zu t2 notwendig eintretende Empfindung, mithin die Wirkung des Ding an sich, voraussagen, und das mit Notwendigkeit. 78
Natürlich ist schon die von Kant angenommene Attribution der Kausalkategorie auf das Dingan-sich im Widerspruch zu Kants eigenen Prämissen. Vgl. dazu unten Abschnitt 3.1.2.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
Bezug nehmen und dort ein Kriterium finden, welches ihnen die Willkürlichkeit nimmt – hier handelt es sich dann um Sachnotwendigkeiten, etwa dass die Wirkung auf die Ursache folgt.80 Der Punkt ist nun, dass die Postulate des empirischen Denkens offensichtlich nicht hinreichen, um einem Gegenstand absolute Notwendigkeit zuzusprechen. Und im Grunde scheint jeder Gottesbeweis mit ihnen unmöglich, da im Gottesbeweis niemals auf einen sinnlich, raum-zeitlich verfassten Gegenstand geschlossen werden sollte.81 Nun scheint Kant aber somit seine eigenen Modalbegriffe für die Widerlegung des OGB vorauszusetzen. Das läuft allerdings seinem Anspruch zuwider, mit den Argumenten der Dialektik der KrV die Analytik zu stützen. Stattdessen verschiebt sich so die Beweislast und Überzeugungskraft der Widerlegung des OGB auf den ersten Teil der KrV. In der vorliegenden Arbeit kann nun unmöglich die Analytik entkräftet werden, um den OGB gegen Kant zu verteidigen. Aber es ist auch offensichtlich, dass die Analytik unzählige theoretische Probleme mit sich führt, die zunächst zu lösen wären, damit der OGB auch sicher als widerlegt gelten würde. Und es gibt sicher gute Gründe, dem nicht zu viele Erfolgsaussichten beizulegen.82 Aber noch gravierender fällt ins Gewicht, dass es für einen Vertreter des OGB keinen Grund gibt, Kants transzendentale Modalbegriffe zu akzeptieren. Vielleicht könnte man nicht zugleich Kants Analytik und den OGB positiv vertreten. Aber es scheint dann möglich, Kants Widerlegung mitsamt dem Wissensbegriff der KrV zu verwerfen. Jedenfalls scheint es schwierig, die Widerlegung als schlagend anzusehen, und ohne Weiteres möglich, einfach andere Modalbegriffe heranzuziehen. Diese Möglichkeit ergibt sich schon daraus, dass sich mit keinem der von Kant angebotenen Modalkonzepte die KrV selbst verstehen lässt. Denn die Sätze, die Kant in der KrV nutzt, sollen notwendig sein, aber sie entstammen dabei nicht dem Bezug auf Sinnlichkeit oder Anschauung. Somit stützt sich Kant selbst auf ein implizites Verständnis von Modalkonzepten, woran deutlich wird, dass seine Einschränkung der Modalbegriffe für den OGB nicht akzeptiert werden muss. Der erste Abschnitt aus Kants Widerlegungsversuch ist also nicht hinreichend, um das Ziel zu erreichen, die Unmöglichkeit eines OGB zu zeigen. Allein die kantischen Modalbegriffe und die Überlegungen zu notwendigen Prädikaten ohne notwendige Individuen kommt zu keinem überzeugenden Ergebnis. Daher lässt Kant es wohl auch nicht bei diesen Argumenten bewenden, sondern führt seine Kritik weiter aus. Und so widmet er sich zunächst der Frage, ob Existenzsätze analytisch oder synthetisch sind und ob das nicht gegen den OGB in Stellung gebracht werden kann. Diesen Gedanken Kants stellt der folgende Abschnitt dar. 80 Dass Kant eine Notwendigkeit der Sache, im Sinne eines Individuums, das Teil aller möglichen Welten ist, ablehnt, wurde oben bereits angesprochen. 81 Vgl. Sala, Kant und die Frage nach Gott, S. 284 f. 82 Für eine konzise Kritik vgl. Hösle, Hegels System, S. 16–21.
2.2. Kants Kritik der Satzform
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2.2 Kants Kritik an der Satzform im ontologischen Beweis: Analytische und synthetische Existenzsätze Blicken wir einen Moment zurück: Mit der Ablehnung einer absoluten Notwendigkeit, die für den OGB wichtig sei, führt Kant also an, dass aus prinzipiellen Gründen kein Individuum notwendig existieren kann. Der prinzipielle Grund sei dabei, dass sich allein a priori, im reinen Denken, nichts fände, so Kant, was es unmöglich machte, das entsprechende Individuum als nicht-existent zu denken, oder wie Kant es formuliert, es ‚aufzuheben‘.83 Nun argumentiert aber der OGB gerade, dass es eine bestimmte Ausnahme gibt, mithin ein notwendiges Wesen, das sich a priori nicht als nicht-existent denken lässt. Somit wäre Kants Argument zunächst lediglich die Gegenbehauptung und es wäre nach dem genaueren Fehler innerhalb des Argumentes zu fragen. Dem kommt Kant auch nach, indem er die Modalbegriffe anzweifelt: Logische Modalbegriffe kommen für Erkenntnis nicht in Frage, so Kant, sondern lediglich die ‚bedingte Modalität der Sache‘ – eine Theorie der Modalität, die nicht als zwingend beurteilt werden kann, wie im vorhergehenden Abschnitt gezeigt wurde. Denn schon die theoretischen Aussagen Kants nehmen andere Modalbegriffe in Anspruch, als jene, die er in Rücksicht auf empirische Wissenschaften und Anschauungsformen definiert. Somit kann weder aus systematisch-internen, noch aus anderweitigen Gründen geurteilt werden, dass Kants Ausführungen zu den Modalbegriffen eine schlagende Widerlegung des OGB darstellen. Allerdings belässt es Kant auch nicht bei den Ausführungen zu Modalitäten. Stattdessen meint Kant zunächst, dass seine Kritik an den Modalbegriffen zu einer Begriffsverschiebung nötigt: Wenn sich absolute Notwendigkeit nicht als Erkenntnis formulieren lässt, weil nur reale Notwendigkeit aus den Bedingungen der Erkenntnis zu gewinnen ist, muss sich der OGB auf einen anderen Grundbegriff als denjenigen eines notwendigen Wesens stützen. Und da der Begriff des ens necessarium ohnehin in Kants Augen mit dem KGB verbunden ist, meint Kant, dass der OGB sich auf den Begriff des „allerrealesten Wesens“84 verlegen könnte. Jedoch steht mehr hinter Kants weiteren Überlegungen als ein Wechsel des Gottesbegriffs.85 83
Vgl. Kant, KrV, A 594–596 | B 622–624. Ebd., A 596 | B 624. 85 Gegen Kants Überlegung könnte nämlich direkt eingewandt werden, dass der Begriff des ens necessarium analytisch aus dem des ens realissimum abgeleitet werden kann. Daraus würde auch die Möglichkeit des ens necessarium folgen, wenn das ens realissimum nun als möglicher Grundbegriff für den Gottesbeweis herangezogen wird. Aber da Kant sich in seiner anschließenden Argumentation nicht auf den Begriff des ens realissimum stützt, sondern generelle Punkte über Urteile und das ExistenzPrädikat in Anschlag bringt, ist es nicht entscheidend, wie überzeugend der Übergang zum ens realissimum ist. 84
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
Nach der erwähnten Unterscheidung von realer und logischer Möglichkeit führt Kant nun zunächst die Frage an, wie die Urteilsstruktur im Existenzsatz näher zu verstehen ist, bevor er sich dem Existenzprädikat zuwendet. Kant nimmt in der KrV zwei basale Urteilsformen an: 1. Die analytischen Sätze, deren „hinreichende[s] Principium“ der „Satz vom Widerspruch“ ist,86 und 2. die synthetischen Sätze.87 Diese Unterscheidung ist für Kant insofern wichtig, als dass gegen die humesche Skepsis die „Möglichkeit von synthetischen Sätzen a priori“ durch die KrV erwiesen werden soll und damit die strenge Allgemeinheit und Notwendigkeit von moralischen und naturwissenschaftlichen Gesetzesaussagen. Die synthetischen Sätze a priori bilden nämlich im Theoretischen gerechtfertigte Implikationen der Erfahrungserkenntnis und garantieren damit bestimmte Notwendigkeiten und Allgemeinheiten. Den Hume hatte gezeigt, dass etwa in Gesetzesaussagen notwendig synthetische Annahmen einfließen, die sich aber nicht induktiv durch die zugrundeliegende Erfahrung rechtfertigen lassen. Daraus folgerte Hume, dass es zwei Klassen von Erkenntnissen gibt: 1. Analytische Erkenntnis, die niemals erkenntniserweiternd ist und unter die Hume Logik und Mathematik subsumiert.88 Und 2. synthetische Erkenntnis, der die häufig angenommene Notwendigkeit und Allgemeinheit allerdings nicht zukommt. Dabei bestreitet Hume natürlich nicht, dass wir Erfahrungserkenntnis als notwendig und allgemeingültig konzipieren und formulieren. Aber der ungerechtfertigte Überschuss über die Erfahrung hinaus, der die Erkenntnisurteile mit Allgemeinheits- und Notwendigkeitsanspruch verknüpft, verweist auf unsere Habituation und Erwartungshaltung, ist aber auf Grundlage empiristischer Prämissen nicht zu rechtfertigen.89 Anstatt Humes Skepsis reflexiv anzugreifen und damit zu zeigen, dass auch der empiristische Philosoph Anspruch auf allgemeine und notwendige Erkenntnis erhebt und sogar für seine Skepsis erheben muss, rechtfertig Kant synthetische Sätze a priori als Konstitutivum für jegliche Erfahrungserkenntnis, weil diese Sätze aus den subjektiven Bedingungen der Erkenntnis folgen und damit keine Erkenntnis stattfinden kann, ohne den Bedingungen zu entsprechen. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sätzen stellt Kant nun die Frage nach der Urteilsform von Existenzsätzen.90 Die Behandlung dieser Frage wird in einigen Kantinterpretationen mit dessen Aussage 86
Vgl. Kant, KrV, A 151 | B 191. Vgl. den Abschnitt in der KrV „Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile“. ebd., A 154–158 | B 193–197. 88 Freilich nennt Hume die Erkenntnisarten nicht analytisch und synthetisch, sondern „ideas“ und „impressions“. Vgl. Hume, An Enquiry concerning Human Understanding, Sec. II, S. 13 f. 89 Vgl. ebd., Sec. IV, P. II, S. 23–29. Vgl. dazu Wandschneider, „Notwendigkeit, III. Neuzeit“. Wandschneider unterstreicht zu Recht, dass Hume selbst für die Rückführung von Notwendigkeit auf Habituation gültige und notwendige Urteile im Rahmen der empirischen Psychologie verwenden muss – und insofern selbstwidersprüchlich argumentiert. 90 Vgl. Kant, KrV, A 597 f. | B 625 f. 87
2.2. Kants Kritik der Satzform
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über das Existenzprädikat, dass „Sein kein reales Prädikat“91 sei, zusammengezogen, wobei das Argument angeführt wird, dass die Urteilsformen nichts anderes seien als Formen des Verhältnisses zwischen dem Satzsubjekt und seinem Prädikat.92 Wenn hier dennoch ein Blick auf den Zusammenhang von synthetischen und analytischen Sätzen in Bezug auf Existenzurteile geworfen wird, dann kann sich schlichtweg darauf berufen werden, dass Kant sie explizit anführt, und andererseits, dass es sich doch um zwei verschiedene Fragen handelt, nämlich einerseits um das Verhältnis von Subjekt und Prädikat im Urteil, andererseits um eine Theorie über ein bestimmtes Prädikat. Kant fragt also, ob die Existenzaussage im OGB synthetisch oder analytisch ist: Ich frage euch, ist der Satz: d i e s e s o d e r j e n e s D i n g (welches ich euch als möglich einräume, es mag sein, welches es wolle,) e x i s t i e r t, ist, sage ich, dieser Satz ein analytischer oder synthetischer Satz? Wenn er das erstere ist, so tut ihr durch das Dasein des Dinges zu eurem Gedanken von dem Dinge nichts hinzu, aber alsdenn müßte entweder der Gedanke, der in euch ist, das Ding selber sein, oder ihr habt ein Dasein, als zur Möglichkeit gehörig, vorausgesetzt, und alsdenn das Dasein dem Vorgeben nach aus der inneren Möglichkeit geschlossen, welches nichts als eine Tautologie ist. Das Wort: Realität, welches im Begriffe des Dinges anders klingt, als Existenz im Begriffe des Prädikats, macht es nicht aus. Denn, wenn ihr auch alles Setzen (unbestimmt was ihr setzt) Realität nennt, so habt ihr das Ding schon mit allen seinen Prädikaten im Begriffe des Subjekts gesetzt und als wirklich angenommen, und im Prädikate wiederholt ihr es nur. Gesteht ihr dagegen, wie es billigermaßen jeder Vernünftige gestehen muß, daß ein jeder Existenzialsatz synthetisch sei, wie wollet ihr denn behaupten, daß das Prädikat der Existenz sich ohne Widerspruch nicht aufheben lasse? da dieser Vorzug nur den analytischen, als deren Charakter eben darauf beruht, eigentümlich zukommt.93
Kant greift also die Unterscheidung von ‚analytisch‘ und ‚synthetisch‘ derart auf, dass ‚Existenz‘ entweder analytischer Bestandteil eines Begriffs sein kann, wäre dann aber ebenso wie der Begriff nur ein Bestandteil des Denkens. Oder sie kann synthetisch zu einem Begriff hinzutreten. Dann gibt es aber zwei Möglichkeiten: a) Entweder bezieht sie sich auf den Begriff P, zu dem sie hinzutritt. Dann wäre nur ausgesagt, dass der Begriff P existiert. b) Oder mit der hinzukommenden Existenzbestimmung würde ausgesagt, dass ein Begriff P instanziiert wäre. Aber damit er instanziiert wäre, müsste die entsprechende Instanz vorausgesetzt werden. Der Begriff, so Kants Gedanke, wird also nicht durch das synthetische Existenzurteil instanziiert, sondern nur die vorausgesetzte Instanz kann den synthetischen Satz wahr machen. Insofern sagt der Satz, was auch ohne ihn der Fall ist, weshalb Kant von einer ‚Tautologie‘ spricht. Genauer erklärt Kant die Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sätzen, die für ihr zentral ist, im 2. Buch der Transzendentalen Analytik der KrV. Dort 91 92 93
Ebd., A 598 | B 626. Vgl. Röd, Der Gott der reinen Vernunft, S. 154 und ebd., S. 156. Kant, KrV, A 597 f. | B 625 f.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
behandelt er in zwei Abschnitten die Grundsätze, die der jeweiligen Urteilsform zugrunde liegen. Der „oberste Grundsatz aller analytischer Urteile“ wurde schon genannt: Es handelt sich um den „Satz des Widerspruchs“, worunter zu verstehen ist, so Kant: Keinem Ding kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht[.]94
Der Satz vom Widerspruch ist natürlich eine notwendige Bedingung jedes wahren Satzes. Für analytische Sätze ist der Satz vom Widerspruch aber nicht bloß eine notwendige Bedingung, sondern auch die hinreichende: Denn we n n d a s U r t e i l a n a l y t i s c h ist, es mag nun verneinend oder bejahend sein, so muß dessen Wahrheit jederzeit nach dem Satze des Widerspruchs hinreichend können erkannt werden. [. . . ] Daher müssen wir auch den S a t z d e s W i d e r s p r u c h s als das allgemeine und völlig hinreichende P r i n c i p i u m a l l e r a n a l y t i s c h e n E r k e n n t n i s gelten lassen[.]95
Weil aber durch das Prädikat keine Information hinzugefügt wird als diejenige, über die man bereits durch den Subjektterm verfügt, spricht Kant den analytischen Urteilen den Erkenntniswert ab: Der Satz vom Widerspruch ist aber, wenn man Erkenntnisse betrachtet, niemals hinreichend, sondern immer nur eine „conditio sine qua non“.96 Wie die analytischen Urteile aus dem Satz vom Widerspruch folgen, wird in der kantischen Darstellung jedoch nicht ganz klar. Franz von Kutschera weist darauf hin, dass Kant den Grundsatz der analytischen Urteile von Leibniz übernommen habe. Anders als diesem fehle ihm aber die korrekte Formulierung des Prinzips und die Anführung der Zusatzannahmen, durch welche erst analytische Urteile gebildet werden können.97 Im Gegensatz zu den analytischen Urteilen beruht das Verhältnis von Subjekt und Prädikat in synthetischen Urteilen nicht auf bloßer Identität oder einem Widerspruch. In diesem Fall charakterisiert Kant es als Verschiedenheit oder Andersheit.98 Folgt man der Konzeption, dass ein Begriff die Menge von je bestimmten Prädikaten ist, die Kant an verschiedenen Stellen nahelegt, so ist ein Satz synthetisch, wenn das Prädikat kein Element des Begriffs, der als Subjekt fungiert, ist. Weil der Subjekt- und der Prädikatsbegriff also unterschiedlich sind, beide im Urteil aber eine Einheit, modern gesprochen: eine Proposition, bilden und weil die Wahrheit des Urteils aufgrund der Verschiedenheit von Subjekt und Prädikat nicht aus den Urteilsbestandteilen folgt, benötigen synthetische Urteile „ein Drittes“ für ihre Verbindung wie auch für ihre Wahrheit. Dieses Tertium bildet entweder 94 95 96 97 98
Ebd., A 151 | B 190. Vgl. oben S. 87. Ebd., A 151 | B 190 f. Ebd., A 151 f. | B 191. Vgl. Kutschera, Die Wege des Idealismus, S. 99, Fn. 183. Vgl. auch oben S. 89, Fn. 59. Vgl. Kant, KrV, A 154 f. | B 193 f.
2.2. Kants Kritik der Satzform
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a priori der innere Sinn, also die Anschauungsform der Zeit, oder a posteriori der empirische Gegenstand, so Kant.99 Weil die Wahrheit des synthetischen Satzes keine Bedeutungswahrheit ist, wird also für die Wahrheit eines synthetischen Urteils ein hinzukommendes Kriterium benötigt.100 Synthetische Sätze a priori, die schließlich das zentrale Beweisziel der KrV sind, da sie, wie oben erläutert, die Allgemeinheit und Notwendigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis gegen die humesche Skepsis sichern sollen, werden aus den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung abgeleitet. Kant greift dabei auf seine transzendentale Vermögenslehre zurück: Das oberste Principium aller synthetischen Urteile ist also: ein jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung. Auf solche Weise sind synthetische Urteile a priori möglich, wenn wir die formalen Bedingungen der Anschauung a priori, die Synthesis der Einbildungskraft, und die notwendige Einheit derselben in einer transzendentalen Apperzeption, auf ein mögliches Erfahrungserkenntnis überhaupt beziehen, und sagen: die Bedingungen der M ö g l i c h k e i t d e r E r f a h r u n g überhaupt sind zugleich Bedingungen der M ö g l i c h k e i t d e r G e g e n s t ä n d e d e r E r f a h r u n g, und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile a priori.101
Das Zusammenspiel von Anschauungsformen und den synthetisierenden Akten der Einbildungskraft und des Verstandes bildet also die synthetischen Sätze a priori, die im Bezug auf alle Erfahrung, die so erst möglich ist, gelten und die Erfahrung damit unter notwendige Bedingungen stellt. Weil somit überhaupt keine Erfahrung ohne die notwendigen Gehalte der synthetischen Sätze a priori möglich ist, gelten die Erfahrungsbedingungen auch objektiv und sind von keinem Gegenstand abstrahierbar. Indem Kant nun die Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sätzen gegen den OGB anführt, intendiert er, dessen Vertreter vor folgende Alternative zu stellen: 1. Entweder ist der Satz „Gott existiert“ ein analytischer Satz und die Existenz also im Begriff Gottes impliziert. Dann wäre die Negation des Prädikates tatsächlich ein Widerspruch. 2. Oder aber, es handelt sich dabei um einen synthetischen Satz, dann wäre die Negation des Prädikats zumindest nicht aus logisch-semantischen Gründen falsch. Unerwünscht ist diese Alternative für den Vertreter des OGB, so sieht es Kant, weil im ersteren Fall (1.) der Widerspruch in dem Satz ‚Gott existiert nicht‘ nur deswegen auftritt, weil ein tautologisches Verhältnis angegeben wäre. „Gott 99
Vgl. Kant, KrV, A 155 | B 194. Dass es, gegen Kant, synthetische Sätze gibt, deren Wahrheit nicht durch ein drittes, sondern durch sie selbst besteht, ist wesentlich sowohl für die hegelsche Philosophie als auch für die zeitgenössische Letztbegründungsdebatte. Vgl. Hösle, Die Krise der Gegenwart, S. 152–159 und Hösle, „Begründungsfragen des objektiven Idealismus“. 101 Kant, KrV, A 158 | B 197. 100
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
existiert“ wäre nicht mehr, als „Gott“ zu sagen. Die Tautologie wird von Kant dabei als „elend“102 bezeichnet, weil tautologische Aussagen nicht informieren, also keinen Erkenntniswert haben, sondern bloß eine Erläuterung anbieten.103 Nun können Erläuterungsurteile natürlich subjektiv informativ sein, etwa wenn der je eigene Wissenstand bezüglich eines Begriffs unvollständig ist. Dass alle Körper ausgedehnt sind, kann ebenso ein Lerngegenstand sein, wie die Teilbarkeit der Zahl 49 durch 7.104 Sogar Erläuterungen wie ‚Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann‘ kann subjektiv informativ sein, wenn kein Wissen darüber besteht, was ein Junggeselle ist. Aber es ist Kant recht zu geben, dass sie uninformativ sind und tautolgisch, wenn sie nicht erläutern, sondern nur das Identische wiederholen, also die Form ‚a ist a‘ haben.105 Damit stellt sich natürlich die Frage, warum ein bestimmter Satz analytisch ist. Dass es nicht leicht ist, hier ein eindeutiges Kriterium anzugeben, ist durch W. O. Quine heute gut bekannt.106 Doch auch wenn man die Unterscheidung ‚analytisch/synthetisch‘ nicht aufgeben möchte, weil sie intuitive Erklärungskraft besitzt, führt Kants Kritik vor ein Problem, nämlich wie begründet werden kann, dass ein bestimmter Begriff seinen spezifischen Inhalt hat. Denn solange kein Kriterium für die Notwendigkeit der Begriffsbestimmungen gegeben ist, können diese Bestimmungen willkürlich zusammengestellt sein.107 Das Problem der Willkür würde dann bedeuten, dass es zwar vordergründig als analytischer Satz erscheinen würde, dass das ens perfectissimum existiert. Aber wenn das Prädikat ‚. . . ist existent‘ dem ens perfectissimum bloß willkürlich zukommt, so spricht nichts dagegen, die widersprechende Definition des nicht existenten ens perfectissimum zugrunde zu legen. Dann wäre aber der Satz ‚Das ens perfectissimum existiert nicht‘ ebenfalls ein analytischer Satz. Somit steht hinter dem Einwand, dass der Existenzsatz nicht bloß analytisch sein könne, nicht nur das Problem, dass analytische Sätze lediglich subjektiv informativ sein können. Sondern analog zu den reinen Modalbegriffen 102
Ebd., A 597 | B 625. Siehe Röd, Der Gott der reinen Vernunft, S. 157: „Wäre der Satz „Gott existiert“ analytisch wahr, dann wäre er in Kants Terminologie ein bloßes Erläuterungsurteil, d. h. er enthielte keine über die Definition des Subjekt-Begriffs hinausgehende Information. Dasselbe würde für Existentialsätze im allgemeinen gelten, denen der Charakter informativer Sätze abgesprochen werden müßte.“ 104 Letzteres ist für Kant freilich kein analytischer Satz, weil Mathematik ebenfalls durch synthetische Sätze a priori konstituiert wird. Vgl. Strawson, Bounds of Sense, S. 227–292. Vgl. die Analyse und Kritik der kantischen Auffassung in Frege, Die Grundlagen der Arithmetik, §§ 12.– 17., S. 26–31 (17–24). Das Erstere ist Kants eigenes Beispiel aus der Logik: vgl. Kant, „Logik Handbuch“, § 36., A 174. 105 Man könnte auch sagen, dass die Erläuterungsurteile nicht bloß identisches Wiederholen, sondern explikativ sind, was für die Wiederholung des Gleichen eben nicht gilt. 106 Vgl. Quine, „Two Dogmas of empiricism“. 107 Dass das ein Problem für den OGB ist, das Hegel zu lösen versucht, wird unten gezeigt. Vgl. Abschnitt 5.2.2. 103
2.2. Kants Kritik der Satzform
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vermeint Kant das Problem, dass hier vollkommen willkürlich verfahren werden kann. Aber der OGB kann natürlich nicht auf bloßer Willkür beruhen. Ist nun aber andererseits (2.) der Satz „Gott existiert“ ein synthetischer Satz, wie es für Existenzsätze, so Kant, vernünftiger Weise anzunehmen ist, dann kann das Prädikat ohne Widerspruch negiert werden.108 Wenn aber weder die Negation des synthetischen Satzes noch die Negation des Prädikats zu einem Widerspruch führen würde, so wäre die negative Beweisstruktur, die der OGB, zumindest in seiner Form bei Anselm, annimmt, zu verwerfen. Aber auch unabhängig von der Beweisstruktur kann der synthetische Existenzsatz seine Wahrheit, wenn Kant recht hat, nur durch eine Erscheinung im inneren Sinn, das heißt in der Zeit, haben, wodurch der OGB zu einem Erfahrungsurteil wird, was ihm natürlich widerspricht.109 Wie überzeugend ist diese Argumentation Kants aber? Im Folgenden werden fünf Gründe angeführt, warum diese kantische Unterscheidung zu keiner stichhaltigen Kritik am OGB führt. Die Gründe sind: 1. Der Einwand ist lediglich diffus gegen den OGB gerichtet, zeigt aber keine spezifische Schwachstelle. Er sagt einfach: Der Beweis kann nicht funktionieren. 2. Hinzu kommt, dass Kants Unterscheidung nicht so einfach aufrechterhalten werden kann, wie Kant es meint, woran 3. anschließt, dass es zumindest Beispiele für analytische Existenzsätze, etwa in der Mathematik, gibt, die vollkommen sinnvoll erscheinen.110 4. Vor allem aber kann ein gültiges ontologisches Argument geführt werden, wie Hermanni gezeigt hat, dass zu einer synthetischen Existenzaussage kommt, ohne auf Anschauung rekurrieren zu müssen. 5. Und schließlich unterlaufen apagogische Beweise, wie etwa Anselms Version, die Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sätzen, sodass Kants Unterscheidung von trivialen analytischen Existenzaussagen und sinnlich vermittelten synthetischen unterlaufen wird. Diese fünf Punkte werden im Folgenden besprochen. Ad 1.: Zunächst könnte im Sinne des OGB festgehalten werden, dass der insipiens, den Anselm mit seiner Argumentation zu widerlegen versucht, i. weder bereits mit der Verwendung der Kennzeichnung für Gott, dem „aliquid quo nihil majus cogitari possit“, von der Existenz Gottes weiß, sonst würde er die Existenz nicht infrage stellen, also negieren. Somit scheint es sich zumindest um keinen trivialen analytischen Satz zu handeln, sondern um ein erläuterndes Urteil. ii. Noch kann, so Anselm, der insipiens seinen Zweifel an der Existenz Gottes konsistent formulieren, weshalb es sich auch um keinen synthetischen Satz zu handeln scheint. Doch 108
Vgl. den letzten Teil des ausführlichen Zitates auf S. 97. Vgl. Kant, KrV, A 718 | B 746. Hier unterstreicht Kant den Anschauungsbezug von synthetischen Sätzen. Die Notwendigkeit des Anschauungsbezugs ist aber irreflexiv: Die Aussage, dass alle synthetischen Sätze einen Anschauungsbezug haben müssen, ist offenbar ein synthetischer Satz ohne Anschauungsbezug, den Kant zugleich für wahr hält. 110 Vgl. die harsche Kritik an Kants Unterscheidung in: England, Kant’s Conception of God, S. 83–112. 109
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
selbst wenn man daraus nicht den Schluss ziehen möchte, dass Kants Einteilung der Urteilsformen keine vollständige Disjunktion darstellt, steht scheinbar Wort gegen Wort, denn Kant zeigt mit diesem Argument nicht differenziert, an welcher Stelle genau der OGB einen Fehler begeht, sondern argumentiert, dass er aus prinzipiellen Gründen nicht gültig sein kann, was B. Goebel anmerkt.111 Dagegen steht allerdings der OGB selbst, der damit auch die Widerlegung oder zumindest eine Ausnahme von Kants Prinzipien darstellen möchte. Prima facie richtet sich dieses Argument Kants scheinbar auf „diffuse“ Weise gegen den OGB, indem erneut die Möglichkeit von notwendigen Existenzaussagen bestritten112 oder die Unmöglichkeit, Existenz aus Begriffen zu folgern, behauptet wird.113 Interessanter Weise, wie B. Goebel feststellt, gilt Letzteres allerdings für die Nichtexistenz schon: Was begrifflich widersprüchlich ist, kann nicht existieren, wie Kant selbst festhält.114 Ad 2.: Aufgrund der jeweiligen subjektiv-epistemischen Bedingungen scheinen also Erläuterungsurteile durchaus informierenden Charakter haben zu können, wie oben gesehen, was in der grundsätzlichen Infragestellung der Einteilung von Sätzen in synthetische und analytische, am prominentesten wohl von W. O. Quine vertreten, im 20. Jahrhundert radikalisiert wurde.115 Jedoch ist Kants These, Existenzsätze seien niemals analytisch, angreifbar, auch wenn man die Unterscheidung ‚synthetisch/analytisch‘ nicht radikal fallen lässt. G. Oppy sieht ebenso wie B. Goebel, dass das Gegenargument nämlich daran kranke, nicht gezielt auf den OGB einzugehen, weshalb dieser als Gegenbeispiel angeführt werden könne. Dahingehend ist die kantische These also nicht überzeugend, auch wenn man die Unterscheidung von synthetischen und analytischen Sätzen aufrechterhält.116 Gegen diese kantische Unterscheidung führt Oppy etwa Folgendes an: Kant selbst gibt als Beispiel für einen analytischen Satz die Aussage an, dass alle Körper ausgedehnt sind, und für einen synthetischen Satz, dass Körper eine Schwere haben. Dagegen verweist Oppy darauf – wobei er Kants transzendentalphilosophische Begründung der Thesen über die Erkenntnisvermögen allerdings ignoriert –, dass in der zeitgenössischen Wissenschaft durchaus punktförmige Objekte angenommen werden, wie etwa Elektronen, die folglich keine Ausdehnung aufweisen. Zudem sei weiterhin fraglich, ob nicht große Teile der allgemeinen Re111
Vgl. Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 120 f. Vgl. Plantinga, „The Ontological Argument (I)“, S-. 30–32. Plantinga zitiert zwar andere Passagen aus dem Abschnitt „Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes“, stellt aber deutlich heraus, dass der OGB nicht darauf angewiesen ist, dass „Gott existiert“ eine analytische Proposition ist und dass Kant kein eigentliches Argument vorbringt, außer zu behaupten, dass es keine notwendig wahren Existenzaussagen gibt. 113 Vgl. Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 120. 114 Vgl. Kant, KrV, A 291 | B 348. Kant bezeichnet das als ‚nihil negativum‘. 115 Vgl. Quine, „Two Dogmas of empiricism“. Quine argumentiert, dass es kein eindeutiges Kriterium für analytische Erkenntnis gibt. 116 Vgl. Oppy, Ontological arguments and belief in God, S. 32. 112
2.2. Kants Kritik der Satzform
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lativitätstheorie a priori beweisbar seien, wodurch der Zusammenhang von Körpern und Schwere zumindest notwendig würde und wohl auch analytisch.117 Folglich ist Kants Unterscheidung zumindest nicht selbstverständlich. Ad 3.: Des Weiteren verweisen Oppy, Plantinga und Mackie darauf, dass Existenzaussagen in der Mathematik, wie „Es gibt eine Primzahl zwischen 15 und 18“ gehalt- und sinnvoll sein können.118 Nun muss dagegen gesagt werden, dass Kant in der KrV eine eigene Theorie der Mathematik zu begründen versucht, nach welcher auch mathematische Sätze, anders als heute meistens vertreten, synthetisch und dennoch notwendig sind, weil sie auf Verhältnissen der reinen Anschauung a priori beruhen.119 Doch auch wenn Kants Theorie der Mathematik andere Existenzverpflichtungen impliziert als die, auf die Oppy, Plantinga und Mackie eingehen, bleibt dennoch fraglich, ob auf der Unterscheidung von analytischen und synthetischen Urteilen ein starkes Argument gegen den OGB vorgebracht werden kann – etwa müsste, um Beispiele aus der Mathematik zu entkräften, Kants Philosophie der Mathematik ebenso verbreitet sein wie seine Kritik an der philosophischen Theologie. Ad 4.: Dass der OGB zudem nicht darauf angewiesen ist, eine analytische Existenzaussage zu formulieren, zeigt auch die Beweisführung von Fr. Hermanni, die er unter anderem in seiner Monografie Metaphysik entfaltet.120 Auf der Grundlage, dass Kants Kritik am OGB auf analytische Existenzaussagen beschränkt ist, argumentiert Hermanni, dass der notwendige Zusammenhang im synthetischen Satz „Gott existiert“ durch das Prinzip vom zureichenden Grund begründet werden kann. An Leibniz anschließend vertritt Hermanni, dass man zur Beantwortung der Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“121 den zureichenden Grund in den Möglichkeiten der Gegenstände suchen müsse.122 Das liegt daran, dass Wirkliches überhaupt nach seinem Grund befragt wird und eine Begründung des Wirklichen durch ein Wirkliches zirkulär wäre. Daher muss der Grund in den Möglichkeiten gesucht werden. Dieser Grund ist das Wirklichkeitsstreben des Möglichen, das je nach dem Grad des „intrinsischen Gutseins“123 ausgeprägt ist. Das „höchst vollkommene Wesen“, das vollkommen intrinsisch gut ist, wiese 117
Vgl. Oppy, Ontological arguments and belief in God, S. 30. Vgl. ebd., S. 31. Vgl. auch Plantinga, „The Ontological Argument (I)“, S. 32. Vgl. Mackie, Das Wunder des Theismus. Argumente für und gegen die Existenz Gottes, S. 74. 119 Vgl. dazu oben S. 100, Fn. 104. 120 Vgl. auch Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“ und Hermanni, „Warum ist überhaupt etwas? Überlegungen zum kosmologischen und ontologischen Argument“. Vgl. auch die Selbstkritik in Hermanni, „Warum ist überhaupt etwas möglich? Eine Antwort auf Nicholas Rescher“. 121 Hermanni, Metaphysik, S. 63. 122 Von diesem Argument hat Hermanni in folgendem Aufsatz wieder Abstand genommen: Hermanni, „Warum ist überhaupt etwas möglich? Eine Antwort auf Nicholas Rescher“, S. 479– 481. 123 Hermanni, Metaphysik, S. 63. 118
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
folglich das ausgeprägteste Wirklichkeitsstreben auf, welches „unfehlbar sein Ziel erreicht“124 . Folglich ist das höchst vollkommene Wesen durch sich selbst wirklich, aufgrund seiner vollkommenen Möglichkeit.125 Sein OGB, so Hermanni, orientiert sich an Spinoza und Leibniz, indem der Satz vom zureichenden Grund die Existenz nicht als Prädikat, das analytisch im Subjektterm enthalten ist, sondern als Effekt des eigenen Wesens erweist.126 Er unterscheidet sich deutlich von Anselms Gottesbeweis aus dem Proslogion, wobei Hermanni drei wesentliche Unterschiede hervorhebt: 1. Sein Beweis setze anders als Anselms eine unbestreitbare, aber empirische Prämisse voraus, nämlich, dass etwas existiere. 2. Die Gültigkeit des Satzes vom zureichenden Grund sei vorausgesetzt. Damit sei allerdings der KGB in die Prämissen des OGB aufgenommen.127 Es sei auf diesem Weg aber 3. erreicht, dass Existenz nicht als analytisches Prädikat, das im Subjektterm enthalten ist, verstanden werden müsse, wodurch die kantische Kritik, die Anselms Beweis durchaus treffe, ins Leere laufe.128
124
Ebd., S. 64. Hermanni führt interessante Gründe an, warum dieses Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit einmalig ist und warum alle Möglichkeiten, die unvollkommen sind, von der Wirklichkeit des vollkommenen Wesens abhängen. Das Problem des OGB, nur einen Gott und nicht viele Götter zu beweisen, unterstreicht auch Meixner, „Der ontologische Gottesbeweis in der Perspektive der Analytischen Philosophie“, S. 262. 126 Vgl. auch Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 98 f. Tegtmeyer interpretiert Anselm so, dass Existenz kein analytisch enthaltendes Prädikat in der Kennzeichnung ist, sondern eine Folgerung aus der Vollkommenheit. Da Tegtmeyer aber kein zusätzliches Prinzip anführt, welches die Folgerung ermöglicht, ist meines Erachtens fraglich, ob Anselm nicht doch so verstanden werden muss, dass Existenz im kantischen Sinn analytisch in der Gotteskennzeichnung enthalten ist. 127 Vgl. Hermanni, Metaphysik, S. 66. 128 Vgl. ebd., S. 66. Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist es interessant festzuhalten, dass in Hermannis Beweis auch die Schlussform von Anselm abweicht. Während Anselms Argumentation einen apagogischen Beweis bildet, der zeigen soll, dass die Negation des Beweisziels zu einem Widerspruch führt, bietet Hermanni meines Erachtens einen deduktiven Schluss an: 1. Es gilt der Satz vom zureichenden Grund. 2. Die Wirklichkeit von etwas hat ihren zureichenden Grund im Wirklichkeitsstreben der Möglichkeiten. 3. Die Möglichkeiten streben je nach ihrem Grad an Vollkommenheit nach Wirklichkeit. 4. Nichts kann die vollkommenste Möglichkeit in ihrem Wirklichkeitsstreben aufhalten, sich zu verwirklichen. 5. Also: Das vollkommenste Wesen existiert. Damit teilt das auf den Satz vom zureichenden Grund gestützte Argument aber auch die Schwächen der deduktiven Beweisform: Zwar folgt die Konklusion logisch einwandfrei aus den Prämissen, aber die Prämissen selbst treten als begründungsbedürftig hervor. Das betont Hermanni selbst, wenn er die Annahme des Satz vom zureichenden Grund als nicht trivial bezeichnet. Zwar können selbstverständlich zusätzliche Begründungen der Prämissen angeführt werden, jedoch wiederholt sich das Problem, sollten diese wiederum deduktiv aus anderen Prämissen abgeleitet werden. Unabhängig davon, ob und wie dieser Begründungsregress an ein Ende kommt oder nicht, wird jedenfalls deutlich: Die Gültigkeit dieses OGB ist komplex und hängt eben von der Gültigkeit hinzukommender Prämissen ab, wie sie Hermanni präsentiert. Allerdings wäre Kants Kritik, dass weder analytische noch synthetische Sätze für den Gottesbeweis in Frage 125
2.2. Kants Kritik der Satzform
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Ad 5.: Aber ist die Argumentation Hermannis überhaupt notwendig, um den OGB mit einem synthetischen Existenzsatz zu führen? Das ist insofern zumindest fraglich, als dass ein negativer Beweis, wie ihn Anselm anstrebt, sich ebenfalls nicht festlegen muss, ob sein Beweisziel ein analytischer oder synthetischer Satz ist: Entscheidend ist einzig, dass ihm nicht widersprochen werden kann, ohne einen (Selbst-)Widerspruch zu begehen. Dabei kann der Widerspruch auf verschiedene Arten zustande kommen: Etwa pragmatisch-empirisch wie in dem Satz „Ich spreche kein deutsch“; oder pragmatisch-transzendental wie in dem Satz „Ich denke nicht“; oder auf propositionaler Ebene.129 Denn es gibt synthetische Propositionen, die sich als notwendig erweisen lassen, ohne ein deduktives Begründungsverfahren zu bemühen, wie die Letztbegründung von Vittorio Hösle zeigt.130 Könnte der OBG nicht auch als ein apagogischer Beweis eines notwendigen synthetischen Satzes verstanden werden? Meines Erachtens können die Versionen des OGB, die mit einem negativen Beweisverfahren operieren hinsichtlich der Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sätzen als unentschieden verstanden werden – zumindest lässt der Beweis offen, zu welcher Satzform die Konklusion gehört.131 Dieser Gedanke wird im Zusammenhang der hegelschen Überlegungen um den OGB wieder aufzugreifen sein.132 Gegen Kant kann aber in jedem Fall festgehalten werden, dass aus der Unterscheidung von synthetischen und analytischen Sätzen nicht die Unmöglichkeit des OGB folgt. Sie wirft schon innerhalb der kantischen KrV Probleme auf, von
kommen, im Erfolgsfall sicher umgangen: Hermanni gelingt es, dass der Satz „Gott existiert“ weder zu einem trivialen analytischen Satz verkommt, noch benötigt sein Beweis den Bezug auf den ‚inneren Sinn‘ und die Synthesisleistungen eines Subjekts, um als synthetischer Satz zu gelten. 129 Vgl. Hösle, Die Krise der Gegenwart, 176 f. Vgl. unten S. 188. 130 Vgl. ebd., S. 152–159. Hösle beweist in diesem Werk, dass die Proposition „Es gibt notwendige synthetische Sätze a priori“ nicht ohne Selbstwiderspruch bestritten werden kann. Es scheint zudem eine Grundidee des objektiven Idealismus, etwa bei Platon, Hegel und Hösle zu sein, dass es notwendige synthetische Sätze a priori gibt, die sich nur indirekt beweisen lassen. Gerade diese Propositionen können als Letztbegründung fungieren. Gleiches kann auch für den OGB gelten. Vgl. auch die Dissertation von B. Braßel, der systematisch die selbstbezügliche Argumentation untersucht und verschiedene notwendige Propositionen begründen kann. Braßel, Das Programm der idealen Logik. 131 Siehe Hösle, Hegels System, S. 210: „Nun wird man einräumen müssen, daß ein Satz, dessen Negation pragmatisch widersprüchlich ist, in der Tat analytisch und synthetisch zugleich ist: Denn seine Negation ist selbstwidersprüchlich (also ist er analytisch) – aber eben auf pragmatischer Ebene, so daß er selber keine bloße Tautologie ist (er ist also synthetisch).“ 132 Vgl. Hegel, WdL II, S. 242 (381), Z. 3–10. Hegel hält fest, dass er auf eine Methode abzielt, die sowohl analytisch als auch synthetisch ist. Klarer wäre es aber von synthetischen Sätzen a priori zu sprechen. Hegels Methode in der WdL wird noch ausführlich in der vorliegenden Arbeit thematisiert.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
denen nicht klar ist, wie sie zu beheben sind.133 Jedoch lassen sich, wie gezeigt, schlagende Einwände gegen Kants so formulierte Kritik erheben.134 Vielleicht würde nun Kant einwenden, dass sich ein Grund für das notwendig synthetische Verhältnis in Existenzsätzen durch eine Analyse des Existenzprädikats gewinnen ließe und sich mit diesem genau aufweisen ließe, wo der OGB scheitert. Diese kantischen Überlegungen zum Existenzprädikat sollen nun im Folgenden dargestellt werden.
2.3 Kants Kritik am Existenzprädikat im ontologischen Beweis 2.3.1 Existenz ist kein Prädikat Der fraglos populärste und heute weitgehend als schlagend angesehene Aspekt der kantischen Kritik an der philosophischen Theologie beruht auf seiner Feststellung über das Existenzprädikat, die bereits mehrfach anklang: „S e i n ist offenbar kein reales Prädikat[.]“135 Oft begnügen sich die Interpretinnen schon mit der Anführung dieses Satzes, wenn der OGB bestritten werden soll. Blickt man allerdings intensiver in die Literatur, so wird recht schnell klar, dass es keineswegs völlig eindeutig ist, ob der OGB mit diesem Hinweis widerlegt ist, noch ist es leicht, eine einheitliche Rekonstruktion der Widerlegung herauszudestillieren.136 133 Vgl. einen der Kernsätze der KrV : „Ich denke muss alle meine Gedanken begleiten können“. (Kant, KrV, § 16., B 131 f.) Dieser Satz, der höchste der kantischen theoretischen Philosophie, an welchem die KrV hängt, ist zumindest keineswegs trivial analytisch. Ohne Weiteres ist auch nicht klar, weshalb es sich um eine Bedeutungswahrheit handelt, obwohl der Gedanke als notwendig einleuchtend erscheint. Kant selbst scheint ihn aber für einen analytischen Satz zu halten, da er ihn durch ein apagogisches Argument stützt. Da Kant ansonsten das tertium non datur nicht für die Philosophie akzeptiert, apagogische Beweise aber auf solche angewiesen sind, kann es sich in Kants Augen nur um einen analytischen Satz handeln. Vgl. ebd., A 789 f. | B 817 f. 134 Meines Erachtens sind die Einwände (1.), (4.) und (5.) dabei am stärksten, denn die anderen beiden weisen eher auf Schwierigkeiten hin, die intuitiv plausible Unterscheidung von synthetischen und analytischen Sätzen konzeptionell zu fassen beziehungsweise setzten eine von Kant nicht geteilte Philosophie der Mathematik voraus. Sicher gehen auch in (4.) und (5.) Voraussetzungen ein, die Kant nicht explizit teilt. Dennoch handelt es sich um starke Einwände, da meines Erachtens Kant keine kohärenten Argumente gegen sie vorbringen kann. Das zu zeigen, würde allerdings eine ausführliche Diskussion mit dem Gesamtansatz der KrV erfordern, was hier nicht geleistet werden kann. Wichtige Probleme werden aber weiter unten in Hegels Kantkritik dargestellt. Vgl. Abschnitt 3.1. Schlagend ist allerdings (1.), wo gezeigt wurde, dass Kant sich diffus gegen die Grundlagen des OGB richtet, ohne dessen Falschheit konkret zu zeigen. Damit kann Kant aber entgegengehalten werden, nicht mehr zu leisten, als zu behaupten, der OGB könne nicht funktionieren, wogegen der OGB selbst das schlagende Gegenargument bilden könnte. So kommt Kant nicht über question begging hinaus. 135 Kant, KrV, A 598 | B 626. 136 Vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 157–159. Henrich schwankt in seiner Interpretation zwischen dem Einwand, dass sich ein Begriff, der ‚Sein‘ als Prädikat enthielte, nicht mehr
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
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Eine geläufige Lesart ist nun, Kants Einwand als Antizipation der fregeschen Unterscheidung von Prädikaten erster und zweiter Stufe zu lesen, beziehungsweise des Quantorenverständnisses der Existenz.137 Kant hätte dann bereits vertreten, Existenz sei kein Prädikat, sondern ein Quantor, wie ihn die sogenannte FregeRussell-Theorie annimmt.138 Diese Sicht auf Kant wirft sogleich zwei interpretatorische Fragen auf. Denn zum einen weist G. Oppy zu Recht darauf hin, dass diese Lesart insofern verwirrend ist, als dass Kant in der Analytik der KrV entschieden auf die aristotelische Logik zurückgreift, um aus der Syllogistik die Urteilsformen zu extrahieren, die transzendental gewendet die Kategorien des reinen Verstandes bilden.139 Zum anderen wird völlig auf einen Gegenstand anwenden ließe, und der Undenkbarkeit eines notwendigen Wesens. Stärker scheint der Einwand, dass Kant die Undenkbarkeit nachgewiesen habe. Vgl. auch Hindrichs, Das Absolute und das Subjekt, § 81, S. 104. Hindrichs meint, dass die Urteilstheorie Kants zugrunde liege, die besage, dass alle Erkenntnisurteile sich auf erfahrbare Gegenstände beziehen würden. Vgl. auch Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“, S. 257–259. Hermanni etwa sieht Kants Argument in der Unterscheidung von grammatischen und semantischen Prädikaten. Die Verwendungsweise des Existenzausdrucks in prädikativer Form würde dann darüber hinwegtäuschen, dass kein begrifflicher Gehalt mit diesem verbunden ist. 137 Vgl. etwa Hermanni, Metaphysik, S. 58 f.; Hermanni, „Warum ist überhaupt etwas? Überlegungen zum kosmologischen und ontologischen Argument“, S. 39 f.; Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“, S. 256–259; Röd, Der Gott der reinen Vernunft, S. 139; Bennett, Kant’s Dialectic, § 71, S. 231 f.; Höffe, Kants Kritik der reinen Vernunft, S. 263 f. 138 Entscheidend für die Frege-Russell-Theorie ist, dass Existenz keine Inhaltsbestimmung eines Begriffs ist, sondern die Abzählbarkeit der Instanzen, die unter den Begriff fallen, bedeutet. Während etwa das Prädikat ‚vierbeinig‘ den Begriff ‚Katze‘ inhaltlich bestimmt, also sagt, was unter einer Katze zu verstehen ist, wird mit der Existenz etwas über den ganzen Begriff der ‚Katze‘ ausgesagt, nämlich, dass er nicht leer ist (vgl. Bromand, „Kant und Frege über Existenz“, § 53, S. 64 f. (64 f.)). Vgl. auch Hermanni, Metaphysik, S. 59 und Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“, S. 259; vgl. auch Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 126; vgl. auch Bromand, „Kant und Frege über Existenz“, S. 196–200. 139 Vgl. auch Wolff, „Die Reinheit der reinen Logik: Kant und Frege“, S. 59, der die kantische von der fregeschen Logik abgrenzt. Zudem spricht gegen die Identifikation von Kant und Frege in der Ansicht über Prädikate, dass Kant partikulare Aussagen als Implikationen von Allaussagen zu verstehen scheint. Während Frege einzig folgende Äquivalenz für korrekt hält: ∀x: F(x) ↔ ¬∃x: ¬F(x), und damit der Möglichkeit leerer Definitionsmengen Rechnung trägt, scheint Kant an einigen Stellen der KrV die Implikation: ∀x: F(x) → ∃x: F(x) zu befürwortet. Vgl. etwa: 1. Kant, KrV, B 128 f. Kant argumentiert an dieser Stelle, dass in bloß logischen Überlegungen Subjekt und Prädikat vertauscht werden können, und gibt Folgendes als logisch gleich an: ‚Alle Körper sind teilbar.‘ (∀x: K(x) → T(x)) und ‚Einiges Teilbare ist ein Körper.‘ (∃x: T(x) ∧ K(x)). Nach Frege kann aber nur Folgendes aus dem Allsatz abgeleitet werden: ‚Es gibt nichts, das nicht teilbar ist und zugleich Körper.‘ (∃x: K(x) ∧ ¬T(x)) Vgl. auch: 2. ebd., A 608 | B 636. Die ‚schulgerechte Darstellung des kosmologischen Beweises‘, die Kant an dieser Stelle präsentiert, enthält als ersten Schritt eine Umformung, von der er angibt, sie sei bei „alle[n] bejahende[n] Urteile[n], wenigstens per accidens“ möglich. Von den folgenden Sätzen behauptet Kant damit ein Implikationsverhältnis: „[E]in jedes schlechthinnotwendiges Wesen ist zugleich das allerrealste Wesen[.]“ Und: „[E]inige allerrealste Wesen sind zugleich schlechthinnotwenige Wesen.“
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übergangen, dass Kant selbst ‚Sein‘ als „logisches Prädikat“ akzeptiert, also bloß eine bestimmte Qualifikation des Existenzprädikates ins Feld führt, nicht aber das Prädikatsein selbst.140 Doch auch abgesehen von diesem Hinweis folgt aus der Engführung von Kants Kritik und der Frege-Russell-Theorie keine erfolgreiche Widerlegung des OGB, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Der betreffende Einwand baut darauf auf, dass Existenz keine Bestimmung oder kein „Merkmal des Begriffs“141 sei. Stattdessen wird G. Freges Ansicht geteilt, die dieser im § 53 der Grundlagen der Arithmetik, folgendermaßen fasst: „Bejahung der Existenz ist nichts Anderes als Verneinung der Nullzahl.“142 So fasst Frege ‚Existenz‘ nicht als Individueneigenschaft auf, sondern als Quantor oder Prädikat zweiter Stufe, das die Abzählbarkeit aussagt.143 Frege schreibt nun tatsächlich, dass der OGB aufgrund der Unterscheidung von Prädikaten der ersten und zweiten Stufe sein Ziel nicht erreichen könne.144 Jedoch scheint Frege selbst, wie auch andere Interpreten, etwa Oppy, Bromand und Kreis, zu meinen,145 gesehen zu haben, dass sich auf diese Weise nicht zwangsläufig ein schlagendes Argument ergibt. So stellt er etwa mit den in § 53 angegebenen Beispielen die Ausschließlichkeit seiner Aussage infrage: Um die Unterscheidung zwischen Eigenschaften, die ein Begriff selbst hat, wie etwa ‚zu t1 gedacht zu werden‘ oder ‚einzig zu sein‘, und Merkmalen des entsprechenden Gegenstandes146 zu illustrieren, greift Frege auf den Unterschied zwischen Materialien zurück, die ein Haus zusammensetzen, wie Stein, Mörtel, et cetera,147 und den Eigenschaften, die ausschließlich dem fertigen Haus zukommen, wie „Festigkeit, Geräumigkeit, Wohnlichkeit“.148 Während also das Haus aus bestimmten Bestandteilen zusammengesetzt ist, kann es zugleich Eigenschaften besitzen, die selbst kein Bestandteil sind und auch nicht zu den Eigenschaften eines Bestandteils gehören müssen. Sind die Eigenschaften von den Bestandteilen aber vollkommen unabhängig? Wie an dem Beispiel aber schön deutlich wird, sind die „Eigenschaften“ von den „Merkmalen/Bestandteilen“ des Hauses nicht völlig unabhängig: So wird die Festigkeit ebenso an der Materialbeschaffenheit hängen, wie die Wohnlichkeit von der Art und Anordnung der Bausubstanzen. Und daher hält Frege es für mög140
Vgl. Kant, KrV, A 598 | B 626. Frege, Die Grundlagen der Arithmetik, § 53, S. 64 f. (64 f.). 142 Ebd., § 53, S. 64 (65). 143 In der Kritik wird häufig so getan, als sei diese Sicht selbstverständlich. Dass dem nicht so ist, zeigt: Inwagen, Existence. Essays in Ontology, S. 61 f. 144 Vgl. Frege, Die Grundlagen der Arithmetik, § 53, S. 64 f. (64 f.). Vgl. auch Frege, „Funktion und Begriff“, S. 18 f. (26 f.). 145 Vgl. Oppy, Ontological arguments and belief in God, S. 32–34 und Bromand, „Kant und Frege über Existenz“, S. 199. 146 Vgl. Frege, Die Grundlagen der Arithmetik, § 53, S. 64 f. (64 f.). 147 Vgl. die aristotelische causa materialis. Aristoteles, „Physik“, Buch II.3, S. 31 (194b). 148 Vgl. Frege, Die Grundlagen der Arithmetik, § 53, S. 64 f. (65). 141
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lich, von den Merkmalen eines Begriffs auf bestimmte Eigenschaften des Begriffs zu schließen: Daher wäre es zu viel behauptet, dass niemals aus den Merkmalen eines Begriffes auf die Einzigkeit oder Existenz geschlossen werden könne; nur kann dies nie so unmittelbar geschehen, wie man das Merkmal eines Begriffes einem unter ihn fallenden Gegenstande als Eigenschaft beilegt.149
Auf den OGB angewendet hieße das, Anselm könnte etwa argumentieren, dass die Begriffseigenschaft zweiter Stufe ‚instanziiert sein‘ aus den Begriffsmerkmalen erster Stufe des ‚quod non majus cogitari possit‘ hervorginge oder auf diesen superveniere; oder aber, dass eben eine Eigenschaft der zweiten Stufe zur Vollkommenheit des Wesens Gottes gehöre. Denn es ist problemlos möglich, Prädikate der zweiten Stufe als notwendig mit einem bestimmten Begriff verbunden zu denken.150 Doch selbst wenn darauf insistiert werden sollte, dass Existenz ein Prädikat der ersten Stufe ist, so wäre darauf hinzuweisen, dass aus der Quantorenanalyse nicht folgt, dass Existenz kein Merkmal, kein Prädikat ist. Denn die Quantorenlogik stellt selbst die Mittel bereit, mit denen Existenz als Prädikat eingeführt werden kann, wie übereinstimmend etwa Oppy,151 Inwagen,152 und Bromand/Kreis153 argumentieren. Das entsprechende Prädikat lautet einfach: ‚x ist identisch mit etwas Existierendem‘ oder formal gefasst: ‚E!(x) ↔ ∃y: x = y‘. Wie dieses dann weiter zu interpretieren und zu verstehen ist, wäre daraufhin überhaupt erst zu fragen. Freges Einwand kann also sehr leicht unterlaufen werden.154 Daraus folgt, dass aus Sicht der fregeschen Logik gar nichts gegen die Behandlung von Existenz als Prädikat spricht. Darüber hinaus muss konstatiert werden, dass die inhaltliche Interpretation des Existenzquantors keineswegs so klar ist, wie dessen formale Verwendung. Auch wenn Frege eine klare Syntax für die Verwendung des Quantors bereitgestellt hat, ist die Frage, was denn die Semantik des Quantors sei, eine offene. Selbst wenn Existenz immer als Quantor ausgedrückt werden müsste, wären zusätzliche Angaben notwendig, wann der Existenzquantor berechtigter Weise gesetzt werden darf und was der Ausdruck „Es gibt etwas, dass . . . “ eigentlich bedeuten soll – eine Anforderung, welche die formale Logik offenbar nicht erfüllen kann.155 Denn es zeigt sich hier die Gefahr des folgenden zirkulären Verständnisses des Existenzquantors: Dieser findet zu Recht Anwendung, wenn ein entsprechendes Individuums gegeben ist 149
Ebd., § 53, S. 64 f. (65). Vgl. Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 127 f. 151 Oppy, Ontological arguments and belief in God, S. 33 f. 152 Inwagen, „Modes of Being and Quantification“, S. 2; vgl. auch Inwagen, „Three Versions of the Ontological Argument“, S. 233. 153 Bromand, „Kant und Frege über Existenz“, S. 197. 154 Vgl. ebd., S. 197 f. 155 Vgl. Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 126 f. 150
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
beziehungsweise die betreffenden Prädikate, die von einem Etwas gelten sollen, instanziiert sind. Die Existenz des Sachverhaltes würde also den Existenzquantor berechtigen. Der Existenzquantor soll aber gerade das Verständnis von Existenz klären und die Existenz ausdrücken, also, dass ein entsprechender Sachverhalt instanziiert ist. ‚Instanziiert sein‘ heißt aber, dass ein solches Ding existiert. Der Zirkel wäre also: Existenzquantor, wenn Existenz, und Existenz, wenn Existenzquantor.156 Darüber hinaus erwächst Skepsis gegen die Frege-Russell-Theorie, nach der Sätze wie „Angela Merkel existiert“ nicht wohlgeformt sind. Da diese aber alltagssprachlich keinerlei Konfusion verursachen, kann das auch als eine Limitation der Frege-Russell-Theorie verstanden werden.157 Es gibt aber auch andere Argumentationsstränge, die sich gegen den OGB richten und sich dafür auf die Frege-Russell-Theorie stützen. So kann sich etwa auf die mit dieser Theorie implizierte Auffassung von Eigennamen berufen werden. Während Kennzeichnungen grundsätzlich leer sein können, wie etwa die Kennzeichnung ‚der aktuelle König von Frankreich‘ oder ‚die größte natürliche Zahl‘ nichts bezeichnen, sind Namen grundsätzlich auf existierende Individuen bezogen.158 Das ließe sich wie folgt gegen den OGB wenden: Dieser beruht, wie bei Anselm, entweder auf einer Kennzeichnung, die dann aber grundsätzlich offen sein muss, oder auf einem Namen, wodurch der Beweis aber zirkulär würde. Der Ausschluss von leeren Eigennamen ließe sich nun wie folgt an Kant anschließen: Würde im OGB der Ausdruck ‚Gott‘ als Name verstanden, würde er die Existenz des Gegenstandes implizieren. Zwar verwendet Anselm eine Kennzeichnung, keinen Namen, aber man könnte Kant etwa dahingehend interpretieren, dass Anselms Kennzeichnung identisch mit dem ens perfectissimum und dieses als Name, als durchgängig bestimmter Begriff – eben als Ideal – verstanden werden muss. Aber zum einen wird die Auffassung von Namen, wie sie Frege, vor allem aber Russell vertreten, keineswegs allgemein geteilt.159 Zum anderen ist nicht einsichtig, warum aus dieser Namenstheorie ein zwingendes Argument gegen den OGB folgt. Denn es lässt sich derart höchstens zeigen, dass der OGB eine andere Theorie über Eigennamen impliziert als die Frege-Russell-Theorie, was aber kein Gegenargument bildet, sondern auf Rechtfertigungsbedarf beider Ansichten hinweist. Denn die Frege-Russell-Auffassung ist nicht alternativlos, und es scheint formal problemlos möglich, eine freie Logik zu konzipieren, die es möglich macht, Namen für nichtexistierende Objekte anzunehmen beziehungsweise mit einer intensionalen Semantik
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Vgl. Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 127. Vgl. Oppy, Ontological arguments and belief in God, S. 34. Vgl. auch Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 126 und Mackie, Das Wunder des Theismus. Argumente für und gegen die Existenz Gottes, S. 77. 158 Vgl. Russell, „On Denoting“. 159 Vgl. Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 129 f. 157
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
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zu arbeiten.160 Unter den Voraussetzungen einer solchen Logik oder Semantik wäre auch das Existenzprädikat keineswegs trivial. Da also die Engführung der kantischen Kritik am OGB mit der Frege-RussellTheorie von Quantoren und Namen kein Argument gegen den Gottesbeweis bildet, muss Kants Widerlegungsversuch davon abgegrenzt werden, wenn er überzeugend sein soll. Anstatt Kant also so zu verstehen, als habe er bestritten, dass Sein ein Prädikat sei, und dagegen Existenz bereits als Quantor konzipiert habe, muss genauer untersucht werden, was Kant mit der Unterscheidung von „logischen“ und „realen Prädikaten“ intendiert. Dem wird im folgenden Abschnitt nachgegangen. Schließlich sei aber noch erwähnt, dass Bromand und Kreis die Möglichkeit der Einführung eines Existenzprädikats der ersten Stufe mit den Mitteln der fregeschen Logik dahingehend deuten, dass aus der formalen Logik kein prinzipieller Grund folgt, warum ein Gottesbeweis unmöglich sein sollte. Die moderne Logik stellt für den OGB also kein Grundsatzproblem dar.161 2.3.2 Existenz ist kein reales Prädikat Wenn also Kants Argument gegen den OGB nicht lautet, dass ‚Sein‘ kein Prädikat ist, muss es auf seiner Unterscheidung von realen und logischen Prädikaten beruhen und somit, anstatt auf einem formallogischen Kriterium, auf inhaltlichen oder kontextuellen Spezifika. So schreibt Kant: Ich würde zwar hoffen, diese grüblerische Argutation, ohne allen Umschweif, durch eine genaue Bestimmung des Begriffs der Existenz zunichte zu machen, wenn ich nicht gefunden hätte, daß die Illusion in Verwechselung eines logischen Prädikats mit einem realen, (d. i. der Bestimmung eines Dinges,) beinahe alle Belehrung ausschlage. Zum l o g i s c h e n P r ä d i k a t e kann alles dienen, was man will, so gar das Subjekt kann von sich selbst prädiziert werden; denn die Logik abstrahiert von allem Inhalte. Aber die B e s t i m m u n g ist ein Prädikat, welches über den Begriff des Subjeks hinzukommt und ihn vergrößert. Sie muß also nicht in ihm schon enthalten sein. S e i n ist offenbar kein reales Prädikat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst.162
Auf der „Verwechselung eines logischen Prädikats mit einem realen, (d. i. der Bestimmung eines Dinges)“ beruht also der Trugschluss des OGB, so Kant. Die Unterscheidung von ‚logisch‘ und ‚real‘ nimmt er in der KrV, wie oben beschrieben, 160 Vgl. Bromand und Kreis, „Was sind Gottesbeweise?“, S. 22 f. Eigennamen in Existenzverneinungen diskutiert Plantinga, The Nature of Necessity, S. 137–144. Plantinga weist die Theorie Russell’s zurück, nach welcher leere Namen als Kennzeichnungen behandelt werden müssen, legt sich aber selbst auf keine bestimmte Theorie über leere Eigennamen fest. 161 Diese Interpretation erhärtet sich in den Augen Bromands und Kreis’ noch, wenn man bedenkt, dass der gödelsche Gottesbeweis formal schlüssig zu sein scheint. Vgl. Bromand, „Gödels ontologischer Beweis und andere modallogische Beweise“, S. 405. 162 Kant, KrV, A 598 | B 626.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
bereits für die Modalbegriffe in Anspruch.163 Aus dieser Parallele kann zumindest eine erste Idee entwickelt werden, worauf die kantische Unterscheidung beruht: Das entscheidende Kriterium, das den Unterschied zwischen logischen und realen oder transzendentalen Modalitäten markiert, ist für Kant die Bestimmung des Denkens durch hinzukommende Empfindung, also durch den Erfahrungsgehalt. Während logische Modalitäten keine Erkenntnisse generieren, kommt real-modalen Urteilen ein Erkenntniswert zu, weil in ihnen, direkt oder indirekt, auf Anschauung Bezug genommen wird. Analog wären also ‚reale Prädikate‘ durch Erfahrungsbezug von denjenigen Prädikaten unterschieden, die bloß gedacht und daher rein ‚logische‘ wären.164 Nun stellt diese Analogie sogleich Kants Argumentation infrage, denn wenn Kant die realen Prädikate mit der Anschaulichkeit verbindet, so ist das kein Gegenargument zum OGB, denn dieser behauptet gerade für seine Gültigkeit nicht auf eine Erfahrungstatsache zurückgreifen zu müssen. Wenn nun aber dagegen lediglich eingewendet wird: „Der Gottesbegriff beruht aber nicht auf Beobachtungssätzen/ Erfahrungstatsachen“, so wird die Pointe des Beweises schlicht ignoriert. Und auch die generelle These, dass alles Wissen auf Erfahrungswissen beruht und der OGB daher nicht gültig sein kann, erscheint prima facie als question begging.165 Fatal ist für den Widerlegungsversuch allerdings, dass sich die Behauptung des Erkenntniskriteriums als falsch erweist, weil es selbstwidersprüchlich ist: Es kann nicht selbst auf Erfahrungswissen beruhen, da es über alle mögliche Erfahrung quantifiziert, die natürlich selbst keine beobachtbare Menge bilden – es wird also ein unberechtigter Sprung von der induktiven Allgemeinheit auf die notwendige Generalität vollzogen. Das Problem der These, dass alles Wissen auf Erfahrung basieren muss, ist also, dass sie selbst keine empirische Aussage darstellt und natürlich auch keine Begriffswahrheit. Nun ist Kant natürlich kein (logischer) Empirist, sondern Transzendentalphilosoph, aber auch die eigentlich den Empirismus korrigierende Einführung von notwendigen Bedingungen der Erfahrungen vermögen hier nicht weiterzuhelfen, denn diese unterliegen dem gleichen Problem: Entweder sind sie durch etwas abgeleitet, was ihre Notwendigkeit für alle jemals gemachte und zu machende Erfahrung zeigt, wie Kant es durch die transzendentale Einheit der 163
Vgl. oben Abschnitt 2.1.4. Vgl. Kreis, „Die Kritik der Gottesbeweise in der klassischen deutschen Philosophie“, S. 212. 165 Einen parallelen Punkt hebt auch B. Goebel hervor: Wenn in der Kritik des ontologischen Gottesbeweises einfach davon ausgegangen wird, dass aus begrifflichen Erwägungen nicht auf reales Sein geschlossen werden könne, so richte er „sich weder gegen eine der Prämissen noch gegen die Schlüssigkeit des Arguments. Vielmehr beschränkt er sich darauf zu versichern, dass der Beweis in toto irgendwie nicht stichhaltig sei.“ (Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S.120 f.) Aufgabe einer schlüssigen Widerlegung sei aber, zu zeigen, warum der OGB in die Irre laufe. Mit dem bloßen Einwand, das Bewiesene könne nicht wahr sein, stünde schließlich die Rationalität selbst infrage, weil die Aussage „Gott existiert“ zugleich als bewiesen und doch als falsch behauptet werde. Vgl. dazu ebd., S. 120–124. 164
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
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Apperzeption versucht. Dann sind sie aber selbst kein Erfahrungswissen, sondern speisen sich aus apriorischen Quellen.166 Oder sie sind aus der Erfahrung extrahiert, dann ist aber ihre strenge Allgemeinheit und Notwendigkeit nicht gewährleistet. Die Rückbindung der realen Prädikate an die Anschauung führt also zu den gleichen Problemen, die im Zusammenhang mit den Modalbegriffen betrachtet wurden.167 Aber vielleicht ist die Analogie vorschnell und Kant kann mit der Unterscheidung von realen und logischen Prädikaten mehr anführen, was gegen den OGB spricht. Was meint Kant also genau, wenn er schreibt, ein reales Prädikat bestimme den Subjektterm und vergrößere diesen? Eine mögliche Interpretation von Kants Existenzauffassung bietet etwa G. Oppy an, indem er versucht, dem kantischen Text ein Regressargument zu entnehmen.168 Nach Oppy hat Kant das Verhältnis zwischen einem Gegenstand und seinem vollständig adäquaten Begriff vor Augen. Würde man dann nun zwei Listen bilden – eine mit allen Eigenschaften des Gegenstandes und eine mit allen Prädikaten, die der Begriff impliziert – und diese beiden vergleichen, so bestünde Adäquanz genau dann, wenn alle auf der Gegenstandsliste verzeichneten Eigenschaften durch ein jeweiliges Prädikat auf der Begriffsliste bezeichnet würden, und die Begriffsliste nur diese Prädikate enthielte. Nun wäre zu fragen, ob die Existenz eine solche Eigenschaft ist, die dem Objekt zukommt und folglich auch auf der Begriffsliste als 166 Kants Verständnis von a priori ist kompliziert. Als Kriterien für Apriorizität behandelt Kant 1. Universalität, weshalb sie nicht aus der Erfahrung abgeleitet sind, und – daraus folgend – 2. Notwendigkeit. Vgl. Kutschera, Die Wege des Idealismus, 85 f. Kutschera sieht in den Begriffen a priori Kants Analogon zu den angeborenen Ideen der Tradition. Strawson argumentiert zwar, dass die Frage nach dem „Angeborenen“ für Kant nur von eingeschränktem Interesse sei, was wichtig ist. Vgl. Strawson, Bounds of Sense, S. 68 f. Denn a priori bezeichnet für Kant vielmehr einen Rechtfertigungsstatus als die Herkunft eines Begriffs. Zwar beantwortet Kant die quid juris Frage auf unbefriedigende Weise durch seine Vermögenslehre. Dennoch steht der Rechtfertigungsstatus im Zentrum seines Interesses. Erhellend für diese Interpretation ist der § 13 der KrV, in welchem Kant die Unterscheidung von quid juris und quid factis im Zusammenhang mit seinem Deduktionsbegriff anführt. Kant schreibt dort: „Ich nenne daher die Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können, die t r a n s z e n d e n t a l e D e d u k t i o n derselben, und unterscheide sie von der e m p i r i s c h e n Deduktion, welche die Art anzeigt, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion über dieselbe erworben worden, und daher nicht die Rechtmäßigkeit, sondern das Factum betrifft, wodurch der Besitz entsprungen.“ (Vgl. Kant, KrV, § 13., A 85 | B 117). Die Deduktion von Begriffen a priori ist also der Beweis, dass diese auch gelten, das heißt, in der Erfahrung gültig sind. Die Möglichkeit, deduzierbar zu sein, unterscheidet Begriffe a priori wesentlich von angeborenen Ideen, deren Herkunft, etwa evolutionstheoretisch wohl gezeigt werden kann, die aber einen völlig verschiedenen Rechtfertigungsstatus aufweisen. Nur durch diesen Status kann Kant annehmen, dass die Kategorien über Kulturen und Zeiten hin konstant sind. Vgl. auch oben Fn 8 auf S. 20, wo auch auf Kochs interessante begriffsgeschichtliche Betrachtung zum Deduktionskonzept eingegangen wird. Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 199, der Angeführtes zu teilen scheint, indem er darauf hinweist: „Das Apriorische darf nicht als das Selbstverständliche mißverstanden werden[.]“ 167 Vgl. auch unten Abschnitt 2.3.3. 168 Vgl. Oppy, Ontological arguments and belief in God, 36 f.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
Prädikat festgehalten werden muss. Kant meint, so Oppy, also, dass Existenz keine solche Eigenschaft ist. Stattdessen könne Kants Meinung so verstanden werden, dass Existenz eine Relation zwischen Gegenstand und Begriff sei und daher nicht auf den Listen aufgeführt werden könne. Wie überzeugend diese Rekonstruktion der kantischen Intention ist, muss also geprüft werden, aber immerhin scheint Oppy mit dem Bild der zwei Listen an den berühmten Unterschied der gedachten und wirklichen Taler anzuschließen, der in der KrV auf die Unterscheidung der Prädikat-Arten folgt.169 Vor dem Hintergrund dieses Bildes interpretiert Oppy Kant folgendermaßen: Man könnte meinen, dass es zu einem Regress käme, wenn Existenz als Eigenschaft/Prädikat verwendet würde, und folglich könne es sich nur um eine Relation handeln. Wenn man nämlich einen vollständigen Begriff C1 und ein entsprechendes, existierendes Objekt O1 betrachtet, so stellt sich nach Oppy die Frage, ob C1 dem Objekt O1 die Eigenschaft zusprechen kann ‚unter C1 fallen‘? Das sei nicht möglich, weil, wenn das Prädikat ‚unter C1 fallen‘ zur C1 -Liste hinzugefügt werde, so hätte man einen neuen Begriff C2 gebildet, der nicht mehr mit C1 identisch wäre und daher ein anderes Objekt O2 bezeichnen würde, eben genau aufgrund des addierten Prädikates. Jedoch tritt selbiges Problem auf, wenn nun C2 betrachtet wird: Wenn das Prädikat ‚unter C2 fallen‘ hinzugefügt wird, so wird nicht mehr der Begriff C2 , sondern ein neuer Begriff C3 betrachtet. Das lässt sich iterieren, sodass der Begriff nie enthalten könnte, dass etwas unter ihn selbst fällt. Soweit Oppy’s Vorschlag, wie das kantische Argument verstanden werden könne. Wäre es aber auch ein gutes Argument gegen den OGB? Das scheint nicht der Fall zu sein, da direkt zwei sich auseinander ergebende Bedenken auftreten: a) Der erste Einwand gegen das vorgeschlagene Argument macht einen Widerspruch in dem Argument aus, weil Begriffe zu existierenden Objekten maximal bestimmt sind, zugleich aber für das Argument konstitutiv ist, dass dem Begriff ein Prädikat hinzugefügt werden kann. Wenn aber dem Begriff C1 eine Bestimmung hinzugefügt werden kann, dass der Begriff C1 offenbar, anders als vorausgesetzt, nicht vollständig bestimmt sein kann, und zwar hinsichtlich des Prädikatenpaares: ‚unter C1 fallen‘ oder ‚nicht unter C1 fallen‘. Da er aber eine vollständige Abbildung aller Eigenschaften des Objekts O1 sein soll, kann dann auch O1 nicht vollständig bestimmt sein – was nicht nur intuitiv unplausibel ist, sondern auch gegen Kants Grundsatz von der vollständigen Bestimmtheit verstößt.170 Wenn das Objekt O1 aber zum Zeitpunkt t1 noch hinsichtlich der Eigenschaft unentschieden ist, die durch das zu addierende Prädikat gefasst wird, kann O1 auch erst zu t1 beginnen zu existieren. Folglich wird auch der Begriff C1 erst zu t1 vollständig, gerade indem ihm etwas hinzugefügt wird. Wenn also der vollständige Begriff C1 und O1 bereits 169 170
Siehe unten, S. 120. Vgl. Kant, KrV, A 571 f. | B 599 f. Vgl. auch oben S. 31.
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
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zusammen bestehen, kann ihnen nichts hinzugefügt werden, aber das ist auch nicht mehr nötig, weil sie auch hinsichtlich der Eigenschaft ‚unter C1 fallen‘ vollständig bestimmt sind. b) Gleiches lässt sich auch für die Relation, die Existenz ja bedeuten soll, festhalten: Denn angenommen, O1 und C1 sind schon vollständig bestimmt, und nun tritt die Relation R hinzu, weil O1 zu existieren beginnt, so werden auch beide Seiten durch die Eigenschaft ‚Relat der Relation R sein‘ erweitert. Es ist also gar nicht zu sehen, wie die Erweiterung oder das Hinzukommen, auf dem Oppy’s Argument beruht, überhaupt verständlich gemacht werden kann. Oppy unterstreicht nun auch selbst, dass das angeführte Argument „completely specious“ sei.171 Ein Vertreter des OGB könne es i) als question begging einstufen. Zudem sei ii) Existenz nicht einfach als Relation zwischen einem Begriff und einem Objekt zu verstehen, denn die Existenz eines Objekts ist, wie wir gewöhnlich annehmen, unabhängig davon, ob jemand den Begriff aktuell denkt oder nicht.172 Das Verständnis von Existenz als Relation zwischen Begriff und Gegenstand ist folglich nicht geeignet, Kants Punkt zu erhellen, und es scheint auch nicht kompatibel mit Kants Annahmen über die Existenz von Objekten. Ein anderer Interpretationsvorschlag ist von J. Bromand unterbreitet worden. Bromand interpretiert die oben zitierte Kantpassage von Oppy abweichend: Um zu verstehen, was es heißt, dass reale Prädikate der inhaltlichen Bestimmung eines Dinges dienen, müsse der „semantische Sinn“173 betrachtet werden. Für Bromand wird der Unterschied zwischen logischen und realen Prädikaten also deutlich, wenn das „Vermehren“ oder „Vergrößern“ des Subjektterms nicht bloß syntaktisch, sondern als semantische Eigenschaft verstanden wird. Denn die syntaktische Lesart würde Kant mit Freges Position identifizieren, indem Existenz als Quantor statt als Begriff aufgefasst werde und Sätze, die das Existenzprädikat enthielten, daher nicht wohlgeformt sein könnten. Dass aus der Quantorenanalyse der Existenz allein keine grundsätzliche Kritik des OGB erwächst, ist oben dargestellt worden.174 Bromand weist nun darauf hin, dass Kant das Vergrößern und Erweitern des Subjektterms bereits für die Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sätzen eingeführt hatte.175 Daran anschließend rekonstruiert Bromand Kants Argument. 171
Vgl. Oppy, Ontological arguments and belief in God, S. 37. Man kann natürlich einwenden, dass ein Objekt grundsätzlich begrifflich fassbar sein muss und daher der Begriff einfach so behandelt werden kann, als sei er immer mit dem Objekt gegeben, zumindest potentiell, auch wenn ihn niemand denkend aktualisiert. 173 Bromand, „Kant und Frege über Existenz“, S. 202–208. 174 Vgl. Abschnitt 2.3.1. 175 Siehe was Kant zum „obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile“ schreibt: „In synthetischen Urteilen aber soll ich aus dem gegebenen Begriff hinausgehen, um etwas ganz anderes, als in ihm gedacht war, mit demselben in Verhältnis zu betrachten, welches daher niemals, weder ein Verhältnis der Identität, noch des Widerspruchs ist, und wobei dem Urteile an ihm selbst weder die Wahrheit, noch der Irrtum angesehen werden kann.“ (Kant, KrV, A 154 f. | B 193 f.). 172
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
Semantisch sei ‚Existenz‘ kein reales Prädikat, weil es nicht „zur weiteren inhaltlichen Spezifikation des Begriffs dient[.]“176 . Das sei deswegen der Fall, weil ‚Sein‘ zu allgemein sei, um Objekte auf verschiedene, nicht-leere Mengen aufzuteilen: Neben der Menge des Seienden könne nicht noch eine Menge der nicht-seienden Objekte gebildet werden. Daher finde aber durch das Prädikat keine weitere Charakterisierung des Subjektbegriffs statt, wenn diesem das Existenzprädikat zugesprochen werde, weil er damit nicht von anderen Begriffen abgegrenzt werde. So wäre es daher trivial, weil immer wahr, wenn man die Existenz prädizieren würde. Veranschaulicht in einem Beispiel, das zu Bromand analog gebildet ist, heißt das: Der Satz „Die Katze ist ein Raubtier“ ist ein Urteil, das dem Subjektterm nichts hinzufügt, weil alle Katzen Raubtiere sind. Hingegen teilt der Satz „Die Katze ist grau.“ die Menge aller Katzen in zwei Unterklassen: Die Menge aller grauen Katzen und die Menge aller nicht-grauen Katzen, und besagt, dass eine spezielle Katze Element der ersten Menge ist. ‚Existenz‘ würde dann semantisch fungieren, wie die oberste Gattung und enthielte daher keine Information über den Gegenstand.177 Dies ist darin begründet, daß das Existenzprädikat auf jedes Objekt zutrifft (daher antwortet auch Quine zunächst auf die Frage, was es gibt, schlicht mit „alles“). Deshalb unterteilt das Existenzprädikat weder die Gesamtheit aller Objekte noch die Extension eines Subjektbegriffs in zwei nichtleere Teile: Es trifft eben auf alles zu bzw. es gibt nichts, auf das es nicht zutrifft.178
Nach dieser Interpretation ist Existenz also ein triviales Prädikat. Das allein ist jedoch noch nicht das ganze Argument. Bromand führt weiter aus, dass Kant nur „Sätze von der Form ‚Alle A sind B‘ “179 betrachtet habe. Damit seien zwar bei Weitem nicht alle gebräuchlichen Existenzaussagen getroffen, aber einzig in Allaussagen sei das Existenzprädikat trivial,180 und zwar, weil Allaussagen mit dem Existenzprädikat, also der Form ‚Alle A existieren‘, wahr sind, selbst dann, wenn der Individuenbereich leer ist. Das Problem des „leererweise wahren Allsatz[es]“181 delegitimiert den logischen Übergang von ‚Alle A existieren‘ zu ‚Es gibt ein A‘.182 Kants Kritik am OGB beliefe sich also darauf, so Bromand, auf dem illegitimen Übergang von ‚Alles, was göttlich ist, existiert‘ zu ‚Es gibt etwas, das göttlich ist‘ 176
Bromand, „Kant und Frege über Existenz“, S. 203. In der mittelalterlichen Kategorienlehre wird der Seinsbegriff freilich als Transzendentalie, nicht als Gattung behandelt. Vgl. Meixner, Einführung in die Ontologie, S. 22 f. 178 Bromand, „Kant und Frege über Existenz“, S. 203. 179 Ebd., S. 203, Fn. 9. Bromand bleibt allerdings einen Textbeleg schuldig. 180 Siehe Bromand, „Kant und Frege über Existenz“, S. 205: „Wenn Kant der obigen Interpretation zufolge also Aussagen der Form ‚Alle A existieren‘ für analytisch wahr hält, besitzt dies keinerlei Implikationen für Existenzaussagen im üblichen Sinne, insbesondere ergibt sich kein Widerspruch zu Kants Behauptung, „daß ein jeder Existentialsatz synthetisch sei“ (A 598/B 624).“ 181 Ebd., S. 206. 182 Kant scheint an einigen Stellen der KrV zu meinen, dass Allaussagen Existenzaussagen implizieren. Vgl. oben S. 107, Fn. 139. 177
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
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hinzuweisen. Nun ist aber nicht jede Version des OGB auf diesen Schluss angewiesen – Bromand etwa sieht selbst überhaupt nur den cartesischen Gottesbeweis aus den Meditationes betroffen.183 Damit ist nun aber zu wenig geleistet, um den OGB prinzipiell zu widerlegen. Denn die cartesische Variante, würde sie von Kant widerlegt, ist nicht für alle ontologischen Argumente repräsentativ, und der Ausgang von einem Allsatz ist für den OGB nicht notwendig – Kant selbst meint ja, dass ihm ein Individuenbegriff zugrunde liegt. Außerdem nimmt Kant selbst ein nicht triviales Existenzprädikat an, dass für synthetische Sätze reserviert ist. Aber was spricht dagegen, dass Anselm und seine Nachfolger ein informationshaltiges, gewichtiges Existenzprädikat für ihren Beweis nutzen, zumal sie sich nicht auf die Satzform festlegen, die nach Bromand den Kontext des bloß logischen Prädikates bildet? Dass es nämlich informative und damit semantisch aussagekräftige Existenzaussagen gibt, scheint sowohl aus unserer Sprachpraxis plausibel zu sein, als auch von Kant selbst angenommen.184 Und schließlich kann die Eigenschaft ‚Existenz‘ leicht in einer weiteren Logik, die sich nicht auf die Möglichkeiten der Frege-Russell-Logik beschränkt, als Menge von Objekten definiert werden, von der sich eine nicht-leere Menge unterscheidet: Etwa mit der Semantik möglicher Welten mag ‚Existenz‘ für diejenigen Sachverhalte stehen, die in der wirklichen Welt existieren. Daneben steht aber eine Menge von bloß möglichen Sachverhalten, die eben nicht in der gleichen Weise sind.185 Es ist also nicht ersichtlich, warum die semantische Interpretation dem kantischen Widerlegungsversuch zum Erfolg verhilft. Ein anderer, verwandter Interpretationsvorschlag findet sich in A. Plantinga’s Aufsatz „Kant’s Objection to the ontological argument“.186 Plantinga geht ebenfalls der Frage nach, wie man ‚Existenz‘ grundsätzlich von anderen Prädikaten unterscheiden könne. Da Kant den Unterschied von logischen und realen Prädikaten darin sehe, dass erstere keine hinzukommenden Bestimmungen darstellen, fragt sich Plantinga, wie man ein Prädikat verstehen soll, von dem abstrahiert werden kann, ohne dass dem Subjektbegriff etwas genommen würde. ‚Hinzukommen‘ und ‚abstrahieren‘ bilden dabei die sich entsprechenden, gegenläufigen Operationen.
183 Vgl. Bromand, „Kant und Frege über Existenz“, S. 204. Die Eigenheiten der cartesischen Variante des OGB führen an dieser Stelle zu weit, zumal die korrekte Lesart in der Descartesforschung umstritten ist. Meines Erachtens ist die wohlwollende Interpretation von H. Tegtmeyer hervorzuheben, auch wenn das kausale Modell für Ideen, das Descartes voraussetzt, mir letztlich eine zu große Last für das ontologische Argument zu sein scheint. Vgl. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 128–165. 184 Das hebt auch W. Röd hervor. Vgl. Röd, Der Gott der reinen Vernunft, S. 157. 185 Vgl. etwa die differenzierte Behandlung unterschiedlicher Bedeutungen von Existenz in Meixner, Modalität, S. 71–84. 186 Vgl. Plantinga, „Kant’s Objection to the Ontological Argument“.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
Um den Unterschied genauer zu fassen, nimmt Plantinga an, dass der Inhalt eines Begriffes ein „set of properties“ ist.187 Einen Begriff zu verringern, von ihm etwas zu abstrahieren, heißt, die größte Untermenge anzunehmen ohne diejenige Eigenschaft, um die der Begriff verringert werden soll. Mithilfe eines Beispiels erläutert Plantinga nun, wie man, Kant folgend, versuchen könnte, ‚Existenz‘ von anderen Eigenschaften zu unterscheiden. Vom vollständigen Objektbegriff des Taj-Mahal (C) betrachtet Plantinga, was durch die Subtraktion einer beliebigen Eigenschaft – Plantinga greift auf ‚pinkness‘ zurück – im Gegensatz zur Subtraktion des Existenzprädikates entsteht. C-P soll bedeuten: die größte Untermenge von C ohne die Eigenschaft ‚pinkness‘; C-E entsprechend: die größte Untermenge von C ohne die Eigenschaft ‚existence‘. Der Unterschied der Eigenschaften ‚pinkness‘ und ‚existence‘ tritt hervor, wenn nun betrachtet wird, dass der Satz: „Es existiert C-P“ wahr sein kann, ohne dass auch der folgende Satz wahr sein muss: „Es existiert C“. Das lässt sich nämlich nicht auf die Sätze „Es existiert C-E“ und „Es existiert C“ übertragen. Denn wenn „Es existiert C-E“ wahr ist, dann ist die subtrahierte Eigenschaft wieder hinzugefügt und folglich gilt nichts anderes, als dass C existiert. Die Verminderung um die Existenzeigenschaft verhält sich folglich nicht neutral gegenüber dem Existenzquantor, während das für andere Eigenschaften nicht gilt, was daran liegt, dass ‚Existenz‘ durch den Quantor definiert wird. Jedoch ist im Anschluss an den Quantorenausdruck „Es gibt . . . “ eigentlich erst zu klären, was der Quantor eigentlich ausdrückt.188 Doch gerade weil diese Unklarheit besteht, ist die Unterscheidung zwischen ‚pinkness‘ und ‚existence‘ nicht eindeutig, wie Plantinga zeigt. Denn es spricht formallogisch nichts dagegen, alternative Quantoren zu definieren, wie etwa: ‚∃p x: Q(x) =def. Some pink member of the domain has Q‘189 Mit dem Quantor ∃p wäre das Verhältnis genau umgekehrt zum obigen: „Es gibtp C-P“ wäre identisch mit C. Da der Quantor mit jeder beliebigen Eigenschaft definiert werden kann, ist das Existenzprädikat also zumindest nicht durch die Quantorenanalyse von Existenzsätzen von anderen Eigenschaften zu unterscheiden.190 Plantinga fährt aber fort, dass man das Argument im kantischen Sinn verfeinern könnte, indem man einen epistemischen Unterschied zwischen fiktionalen und existierenden Objekten bedenkt, nämlich, dass fiktive Objekte nicht durchgehend bestimmt sind und daher viele Fragen hinsichtlich ihrer schlicht nicht beantwortet werden können.191 187
Vgl. Plantinga, „Kant’s Objection to the Ontological Argument“, S. 539. Siehe dazu auch: Hermanni, Metaphysik, S. 59. 189 Vgl. Plantinga, „Kant’s Objection to the Ontological Argument“, S. 541. 190 Das war auch das Ergebnis des vorhergehenden Abschnitts 2.3.1. Plantinga’s Betrachtung ist aber eine interessante Annäherung an die Unterscheidung von realen und logischen Prädikaten. 191 Das ist meines Erachtens ein wichtiges Charakteristikum von fiktiven Objekten, auf das auch die sehr interessante Untersuchung von R. Ingarden hinweist. Vgl. Ingarden, Das literarische Kunstwerk, § 38., S. 261–270. Ein Beispiel für die lückenhafte Bestimmtheit fiktiver Objekte 188
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
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Unter Betrachtung der durchgehenden Bestimmung existierender Gegenstände lässt sich dann doch ein Unterschied der Eigenschaften ‚existence‘ und ‚pinkness‘ aufzeigen: Jedes Objekt, das um die Eigenschaft ‚existence‘ verringert ist, ist per definitionem unbestimmt hinsichtlich mancher kontradiktorischer Prädikatenpaare. Oder anders betrachtet: Jeder maximal-konsistente Begriff würde ‚existence‘ implizieren. Das gilt aber nicht für ‚pinkness‘: Es gibt maximal-konsistente Begriffe, die gerade ‚non-pinkness‘ enthalten. Oder anders ausgedrückt: Es ist unmöglich ‚non-existence‘ zu einem Begriff hinzuzufügen und dadurch einen vollständigen Begriff zu erhalten, während Selbiges für ‚non-pinkness‘ möglich ist. Insofern könnte man also festhalten, dass Existenz deswegen kein reales Prädikat sei, weil es keine vollständigen Begriffe gibt, aus denen Existenz subtrahiert wurde, was für reale Prädikate eben möglich ist. Plantinga hält fest, dass auf diesem Weg ein interessanter Unterschied zwischen Existenz und anderen Prädikaten sichtbar werde. Allerdings sei völlig unklar, wie diese Differenzierung gegen den OGB ins Feld geführt werden könne. For Anselm can certainly agree, so far as his argument is concerned, that existence is not a real predicate in the explained sense. Anselm maintains that the concept the being than which non greater can be conceived is necessarily exemplified; this is so in no way inconsistent with the suggestion that existence differs in the way just explained from pinkness. Anselm argues that the proposition God exists is necessarily true; but neither this claim nor his argument for it entails or presupposes that existence is a predicate in the sense just explained.192
Es kann damit festgehalten werden: Aus den Rekonstruktionen von Oppy, Bromand und Plantinga folgen keine schlagenden Argumente gegen den OGB. Um die Ressourcen des kantischen Textes aber zu erschöpfen, soll nun nochmals ein genauerer Blick auf den Kontext der Differenz zwischen den Prädikaten geworfen werden. Zur kantischen Unterscheidung von logischen und realen Prädikaten gehört, dass ‚Sein‘ als logisches fungieren kann, – denn „[z]um l o g i s c h e n P r ä d i k a t e kann alles dienen, was man will“,193 – nicht aber zu den realen gehört. Nun macht Kant an der Textstelle B 626 zunächst eine verwirrende Bemerkung zum Gebrauch der Verbform ‚Sein‘ als Kopula im Urteil. Denn ‚Sein‘ „i m l o g i s c h e n G e b r a u c h e“ sei ausschließlich die Kopula, so Kant, was im Widerspruch zum ‚Sein‘ als logischem Prädikat steht. Im vorliegenden Kontext ist aber der Unterschied zwischen den Prädikaten ernst zu nehmen und daher lohnt es sich, nach dem logischen Prädikat ‚Sein‘ zu fragen und die Bemerkung zur Kopula zu ignorieren, zumal es hinreichend klar ist, dass es um den prädikativen Gebrauch und dessen Sinn von ‚Sein‘ und ‚Existenz‘ geht, wenn der OGB untersucht wird. wäre etwa, dass die Frage, ob Hans Castorps Zehenstellung griechisch oder römisch ist, nicht beantwortet werden kann, weil keinerlei Information dazu zugänglich ist. 192 Plantinga, „Kant’s Objection to the Ontological Argument“, S. 543. 193 Kant, KrV, A 598 | B 626.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
Kant legt nun nahe, das ‚Sein‘ kein reales Prädikat sei, weil es keine intrinsische, sondern eine Relationsbestimmung darstelle. Insoweit schließt Oppy, wie gesehen,194 an den Kant-Text an. Dieser lautet: Nehme ich nun das Subjekt (Gott) mit allen seinen Prädikaten [. . . ] zusammen, und sage: G o t t i s t, oder es ist ein Gott, so setze ich kein neues Prädikat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subjekt an sich selbst mit allen seinen Prädikaten, und zwar den G e g e n s t a n d in Beziehung auf meinen B e g r i f f.195
Und tatsächlich scheint es Kants Ansicht zu sein, dass zwischen Begriff und Bezugsgegenstand die Relation der Adäquatheit196 bestehen muss, damit eine Existenzaussage wahr ist. Diese Relation zwischen dem Gegenstand und seinem Begriff ist auch für das berühmte Beispiel von den hundert Talern zentral.197 In diesem Beispiel behandelt Kant das Verhältnis eines Begriffes und des wirklichen Gegenstandes. Um den Gegenstand sowohl als möglichen und als wirklichen bezeichnen zu können, muss der Begriff der hundert Taler gegenüber der Modalität neutral sein: Er impliziert nicht die Bestimmung der ‚Existenz‘ oder des ‚Seins‘, weil er bloß die logische Möglichkeit des betreffenden Gegenstandes bezeichnet.198 Der gedachte Begriff der hundert Taler bedeutet zwar die Möglichkeit von hundert Talern, aber durch ihn existieren die hundert Taler natürlich nicht. Hundert wirkliche Taler können nun aber nicht andere Eigenschaften haben, als der Begriff umfasst, denn ansonsten wären die durch den Begriff gedachten Bestimmungen und die Eigenschaften der hundert wirklichen Taler nicht adäquat zueinander, sie stünden nicht in einem 1:1 Abbildungsverhältnis – was Oppy durch den oben genannten Vergleich zweier Listen veranschaulicht. ‚Existenz‘ soll also deswegen nicht eine Eigenschaft der wirklichen hundert Taler sein, weil der Begriff die Möglichkeit der hundert Taler bezeichnet, aber er zugleich dem wirklichen Gegenstand adäquat sein soll. Dann kann aber, um den Unterschied der Modalbegriffe Möglichkeit und Wirklichkeit aufrecht zu erhalten, ein Prädikat, das die Wirklichkeit des Dinges bedeuten würde, keine Bestimmung im Begriff sein. Wenn nämlich ‚Existenz‘ eine Bestimmung des Gegenstandes oder des Begriffes wäre, könnte die Möglichkeit nicht mehr unabhängig von dessen Wirklichkeit durch einen Begriff erfasst werden, oder der Begriffsinhalt der Möglichkeit von a ließe sich nicht mehr mit dem entsprechenden, wirklichen Gegenstand a vergleichen. Nun ist diese strikte Trennung Kants aber insofern unspezifisch, als dass damit kein konkretes Gegenargument gegen den OGB formuliert wärde, sondern nur 194
Vgl. oben S. 114 f. Kant, KrV, A 599 | B 627. 196 Siehe ebd., A 599 | B 627: „Beide müssen genau einerlei enthalten[.]“ 197 Vgl. ebd., A 599 | B 627. Vgl. auch Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 158. Henrich weist darauf hin, dass das Beispiel nicht ursprünglich von Kant stammt. Vgl. dazu unten S. 124. 198 Diese Aussage deckt sich mit den oben besprochenen logischen Modalbegriffen. Vgl. Abschnitt 2.1.4. 195
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
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behauptet würde, dass Möglichkeit und Wirklichkeit eines Gegenstandes getrennt werden müssen. Natürlich ist die Unterscheidung zwischen der Möglichkeit und der Wirklichkeit überaus sinnvoll, und es ist selbstverständlich richtig, um bei Kants Beispiel zu bleiben, dass mit dem Begriff der hundert Taler nicht die Wirklichkeit der hundert Taler impliziert ist. In gewisser Weise kann gesagt werden, dass der Begriff in diesem Fall nur die Möglichkeit der hundert Taler bezeichnet, weil er selbst die Möglichkeit ist, hundert Taler zu repräsentieren, also sich auf hundert wirkliche Taler zu beziehen, was er aber nicht durch sich selbst tut.199 Nun ist aber das Anliegen des OGB gerade, zu zeigen, dass im Falle Gottes – und zwar im Unterschied zu allen anderen Fällen oder zumindest zu allen empirischen Begriffen – der Gedanke nicht auf die Korrespondenz warten muss, sondern immer schon auf einen entsprechenden Gegenstand bezogen ist. Das heißt, dass der Begriff Gottes gar nicht als bloße Möglichkeit festgehalten werden kann, die mal in Korrespondenz zu einem Gegenstand steht, aber auch mal nicht – sein Bezug wäre immer schon erfüllt –, und in diesem Aufweis besteht das Argument. Insofern wäre das Prädikat ‚Existenz‘, das der Gottesbegriff implizierte, mit diesem notwendig verbunden, auf eine entsprechende Eigenschaft Gottes bezogen: dessen Existenz – Begriff und Gegenstand wären also adäquat, unterscheidbar, ohne dass der Begriff sich auf die bloße Möglichkeit ohne existierenden Gegenstand beziehen müsste. Doch auch abgesehen vom OGB stützt das Beispiel Kants These nicht wesentlich. Denn dass Adäquationswahrheit nicht darin bestehen kann, dass, wie in Oppy’s Rekonstruktion,200 zwei fertige Listen – eine Prädikatsliste und eine Eigenschaftsliste – ein sich vollständig entsprechendes Abbildungsverhältnis darstellen, scheint sehr plausibel. Denn die Eigenschaft von Begriffen, die deswegen allgemein sind, ist es, wie Kant selbst als wesentliches Begriffsmerkmal, als Grundsatz des Begrifflichen eingeführt hat,201 bestimmbar und damit nicht schon vollständig bestimmt zu sein. Hinsichtlich vieler kontradiktorisch entgegengesetzter Prädikate ist ein Begriff immer unbestimmt, was seine Allgemeinheit ausmacht. Durch den Bezug auf einen Gegenstand findet also immer eine Konkretion statt, sodass unbestimmte Prädikate entschieden werden. Gleiches kann aber dann auch mit dem Existenzprä199 Ein hier anschließendes, interessantes philosophisches Thema bilden intentionale Gegenstände, die so aufgefasst werden können, dass sie immer schon ein Pendant zu einem beliebigen Begriff bilden. Vgl. Meixner, „Classical Intentionality“, S. 26. Allerdings ist durch intentionale Gegenstände natürlich noch nicht das Repräsentationsverhältnis gegeben, das Kant hier im Blick hat. Vgl. zu intentionalen Gegenständen die interessanten Untersuchungen von Ingarden, Das literarische Kunstwerk. Besonders interessant sind meines Erachtens die Analysen der „Unbestimmtheitsstellen“ bei intentionalen Sinngebilden. Intentionale Gegenstände können dann konsequenter Weise, aber über Ingarden hinausgehend, auch in der Semantik möglicher Welten beschrieben werden und unterscheiden sich damit von wirklichen Gegenständen, mit denen sie in ein Repräsentationsverhältnis eingehen können. Vgl. ebd., § 38., S. 261–270 und ebd., § 63., S. 359–367. 200 Vgl. oben S. 114. 201 Vgl. Kant, KrV, A 571 | B 599. Und vgl. oben, S. 31.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
dikat geschehen: Der bloß gedachte Begriff (der hundert Taler etwa) ist hinsichtlich des Prädikatenpaares ‚Existenz/nicht-Existenz‘ unentschieden (denn daraus, dass der Begriff aktual nur gedacht wird, folgt natürlich auch nicht die nicht-Existenz eines entsprechenden Gegenstandes), und mit den wirklichen hundert Talern – weil diese die Eigenschaft haben, zu existieren – wird der Begriff bestimmt und schließt das Prädikat ‚nicht-Existenz‘ aus sich aus. Somit ist auch nicht zu sehen, wie das Beispiel der hundert Taler eine brauchbare Unterscheidung von logischen und realen Prädikaten plausibel macht, auf deren Basis der OGB kritisiert werden könnte. Und daher kann eine Vertreterin des OGB weiterhin argumentieren: Aus dem Begriff Gottes folge die notwendig Existenz Gottes, was bedeuten würde, dass der Gottesbegriff niemals die bloße Möglichkeit bezeichnen würde. Zwar hat Kant sicher recht, dass ‚Existenz‘ kein gewöhnliches Prädikat ist, weil es die Instanziierung aller übriger, im Begriff gefasster Eigenschaften bedeutet; wenn man also annimmt, dass Existenz den Begriff als Ganzen betreffe, etwas über alle in ihm enthaltenen Prädikate aussage und daher ein Prädikat der zweiten Stufe sei, so kann argumentiert werden, dass diese Eigenschaft der zweiten Stufe notwendig zum Gottesbegriff gehören, also von diesem impliziert werde.202 Aber weder aus den Interpretationsvorschlägen von Oppy, Bromand oder Plantinga ergibt sich ein Argument gegen den OGB. Noch führt die Unterscheidung von logischen und realen Prädikaten, die mithilfe des Beispiels der hundert Taler verdeutlicht werden sollte, zu einer klaren Widerlegung des OGB. So bleibt schließlich noch, dass Kant doch, wie bereits angeklungen, ein ganz anderes Kriterium meint, das ‚Sein‘ von realen Prädikaten unterscheidet. Denn er ist, wie im Folgenden gezeigt werden soll, im Rahmen der kantischen Philosophie epistemisch zu verstehen: Das Kriterium, das den Existenzausdruck legitimiert, ist aktuale Empfindung oder sinnliche Erfahrung. Daher führt Kant im Zuge seines Beispiels von den hundert Talern an: Aber in meinem Vermögenszustande ist mehr bei hundert wirklichen Talern, als bei dem bloßen Begriffe derselben (d. i. ihrer Möglichkeit).203
Insofern ist die Existenz keine Gegenstandsbestimmung. ‚Es existieren hundert Taler‘ ist folglich nicht als Begriffsbestimmung erster oder zweiter Stufe oder als Objektbegriff zu verstehen, sondern bedeuten so viel wie: ‚Ich habe aktual die sinnliche Empfindung von hundert Talern‘. Somit fasst Kant die Unterscheidung von logischen und realen Prädikaten analog zu den logischen und transzendentalen
202
Vgl. oben S. 109. Vgl. auch Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“,
S. 127. 203 Kant, KrV, A 599 | B 627. Mit Vermögen ist hier ein epitstemisches Vermögen gemeint, dessen Aktivität das ‚mehr‘ ausmacht.
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
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oder realen Modalbegriffen: Der Bezug auf sinnliche Empfindung oder Sinnlichkeit überhaupt trennt beide voneinander. 2.3.3 Die Rolle der Anschauung in Kants Widerlegungsversuch Im Folgenden soll also erläutert werden, inwiefern Kant für die Widerlegung des OGB ein Kriterium für Wissen und wahre Urteile voraussetzt, nämlich den direkten oder indirekten Bezug auf Sinnlichkeit oder Empfindung. Dieses Kriterium liegt den realen Prädikaten zugrunde, wobei mit ‚real‘ meint, dass etwas Gegenstand der Empfindung ist.204 ‚Existenz‘ ist dann kein reales Prädikat, weil es nicht über die Empfindung auf eine Eigenschaft des Gegenstandes verweist, sondern, wie die Modalkategorie ‚Wirklichkeit‘, nur aussagen kann, dass überhaupt etwas empfunden wird – es ist damit an die Empfindung gebunden und redundant zur Empfindung.205 Der einfachste Weg, sich dem Motiv und dem Boden des kantischen Widerlegungsversuchs zu nähern, ist über den Umweg des § 76 der KU. Denn überraschender Weise hält Kant den OGB gar nicht für unmöglich. Das ist überraschend, weil die Überschrift, die Kant seiner Widerlegung gibt, die Unmöglichkeit des OGB als These des Abschnittes benennt.206 Jedoch gilt diese Unmöglichkeit nur in einer bestimmten Hinsicht, was deutlich wird, wenn die KU hinzugezogen wird. In der Kant-Auseinandersetzung wird diese Begrenzung seiner eigenen Widerlegung zwar nicht häufig betont, aber Kant beschränkt die Geltung seiner Kritik auf menschliche Wesen respektive solche, deren Erkenntnisapparat dem menschlichen gleich ist. So schreibt er im § 76 der KU: Daher ist der Begriff eines absolutnowendigen Wesens zwar eine unentbehrliche Vernunftidee, aber ein für den menschlichen Verstand unerreichbarer problematischer Begriff. Er gilt aber doch für den Gebrauch unserer Erkenntnisvermögen, nach der eigentümlichen Beschaffenheit derselben, mithin nicht vom Objekte und hiemit für jedes erkennende Wesen: weil ich nicht bei jedem das Denken und die Anschauung, als zwei verschiedene Bedingungen der Ausübung ihrer Erkenntnisvermögen, mithin der Möglichkeit und der Wirklichkeit der Dinge voraussetzen kann. Für einen Verstand, bei dem dieser Unterschied nicht einträte, würde es heißen: alle Objekte, die ich erkenne, s i n d (existieren)[.]207
Von dieser Unterscheidung zwischen der conditio humana cognitionis, unter welcher der Beweis unmöglich ist, und einem anschauenden Verstand fällt Licht auf Kants Gedanken zum OGB: Für das ontologische Argument ist es entscheidend, von einem Begriff, der die Möglichkeit eines notwendigen oder vollkommenen Wesens bedeutet, auf die Wirklichkeit dieses Wesens zu schließen beziehungsweise zu zeigen, dass der Begriff nie ein bloß mögliches, sondern immer schon ein wirkliches 204
Vgl. Kant, KrV, A 166 | B 207. Dass Kant in seiner Kritik seine eigene Philosophie voraussetzt und damit die Existenzprädikation an die Erfahrung bindet, betont auch Röd, Der Gott der reinen Vernunft, S. 164. 206 Vgl. Kant, KrV, A 592 | B 620. 207 Kant, KU, A 337 | B 341. 205
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
Wesen bezeichnet. Darin erblickt Kant eine Identifizierung von Möglichkeit und Wirklichkeit. Nun sind die beiden Modalbegriffe für den Menschen (und alle gleichartig erkennenden Wesen) aber insofern getrennt, als dass sie auf das Zusammenspiel zweier Vermögen zurückgeführt werden müssen, so Kant: Der Verstand bildet das Vermögen der Begriffe, die aber für sich genommen immer nur Möglichkeiten bezeichnen.208 In seiner reinen Denktätigkeit, dem Abwägen von Begriffsverhältnissen, sind, wie Kant behauptet, Begriffe und Urteile immer problematisch, das heißt mit unentschiedenem Wahrheitswert versehen.209 Für die Wirklichkeit eines Gegenstandes ist hingegen das Hinzutreten einer sinnlichen Anschauung erforderlich oder zumindest der Zusammenhang nach Gesetzen der Verstandesarchitektur mit Anschauungen,210 also in jedem Fall eine Ansprache des Anschauungsvermögens und der Sinnlichkeit.211 Daher schreibt Kant – und versteht dabei unter ‚Vermögen‘ nicht die Menge des Finanzkapitals, sondern die Aktivität des Erkenntnisapparats: Aber in meinem wirklichen Vermögenszustande ist mehr bei hundert wirklichen Talern, als bei dem bloßen Begriffe derselben, (d. i. ihrer Möglichkeit).212
Die beiden Modalbegriffe sind also transzendental(-psychologisch) in der Lehre der Erkenntnisvermögen fundiert, und aufgrund dessen ist ein Schluss von der Möglichkeit, dem Begriff, auf die Wirklichkeit nicht möglich213 und damit auch keine Erkenntnis irgendeines Gegenstandes aus reinen Begriffen, aus dem bloßen Denken heraus.214 208 Karin de Boer betont völlig zu Recht, dass Hegel die Aufteilung von analytisch funktionierendem Verstand und synthetitschem Moment durch das Hinzutreten der Sinnlichkeit zu überwinden versucht. Vgl. Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“, S. 795. 209 Siehe Kant, KU, A 337 | B 341: „Denn, wenn er [d. i. der Verstand; Anmerkung G. M.] es d e n k t (er mag es denken wie er will), so ist es bloß als möglich vorgestellt.“ Vgl. auch Kant, KrV, A 74–76 | B 99–101. Das ist oben auch bereits im Zusammenhang mit den Modalbegriffen erläutert worden. Vgl. Abschnitt 2.1.4. 210 Vgl. ebd., A 218 | B 266. 211 Siehe Kant, KU, A 336 | B 340: „Es ist dem menschlichen Verstande unumgänglich notwendig, Möglichkeit und Wirklichkeit der Dinge zu unterscheiden. Der Grund davon liegt im Subjekte und der Natur seiner Erkenntnisvermögen. Denn, wären zu dieser ihrer Ausübung nicht zwei ganz heterogene Stücke, Verstand für Begriffe, und sinnliche Anschauung für Objekte, die ihnen korrespondieren, erforderlich: so würde es keine solche Unterscheidung (zwischen dem Möglichen und Wirklichen) geben.“ 212 Kant, KrV, A 599 | B 627. 213 Eventuell mit der Ausnahme von mathematischen Objekten, die auf der sinnlichen Konstruktion durch Begriffe beruhen. Kant schreibt ihnen allerdings nicht die gleiche Wirklichkeit wie Erfahrungsobjekten zu. Mit reinen mathematischen Sätzen sind eigentlich keine vollgültigen Gegenstände verbunden, weil diese bloß formal sind und durch subjektive Leistungen konstruiert werden. Die Formalität geht aus ebd., § 22., B 147 hervor. Die Konstruktion mathematischer Gegenstände beschreibt Kant in der Disziplin der reinen Vernunft. Vgl. ebd., A 713 | B 741. 214 Siehe Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“, S. 802: „His [d. i. Kant; Einschub G. M.] cirtique of metaphysics stands or falls by the separation between
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
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[A]ber für Objekte des reinen Denkens ist ganz und gar kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es gänzlich a priori erkannt werden müßte, unser Bewußtsein aller Existenz aber (es sei durch Wahrnehmung unmittelbar, oder durch Schlüsse, die etwas mit der Wahrnehmung verknüpfen,) gehöret ganz und gar zur Einheit der Erfahrung, und eine Existenz außer diesem Felde kann zwar nicht schlechterdings für unmöglich erklärt werden, sie ist aber eine Voraussetzung, die wir durch nichts rechtfertigen können.215
Weil der Unterschied durch die transzendentalen Vermögen bedingt ist, gilt er für alle Wesen mit diesem Erkenntnisapparat.216 Letzterer ist aber nicht in dem Sinne notwendig – eigentlich fehlen Kants Transzendentalphilosophie überhaupt die Mittel, um den modalen Status der Vermögen zu bestimmen –, als dass man schon urteilen könnte, dass die Erkenntnisvermögen selbst für alle Wesen notwendig die gleichen seien und in gleicher Funktion auftreten müssen.217 Es kann daher durchaus Wesen geben, deren Verstand nicht auf die Zutat einer heterogenen Sinnlichkeit angewiesen ist und die daher auch nicht zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit unterscheiden würden. Wäre nämlich unser Verstand anschauend, so hätte er keine Gegenstände als das Wirkliche. Begriffe (die bloß auf die Möglichkeit eines Gegenstandes gehen), und sinnliche Anschauungen (welche uns etwas geben, ohne es dadurch doch als Gegenstand erkennen zu lassen), würden beide wegfallen.218
Die Unmöglichkeit des OGB ist für Kant also auf Menschen und Wesen mit gleicher Vermögensausstattung eingeschränkt, jedoch ist für Vertreter des ontologischen Arguments nicht unmittelbar Kapital aus dieser Begrenzung der kantischen Widerlegung zu schlagen: Denn für einen anschauenden Verstand, so Kant, folgt aus jedem möglichen Begriff die Wirklichkeit eines entsprechenden Gegenstandes.219 Somit wäre die Singularität des Existenzbeweises, der im unum argumentum angestrebt wird, aufzugeben, und das ens perfectissimum wäre genauso wirklich, wie Einhörner, Hans Castorp und der gerechte Staat, weil zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit in keinem Fall unterschieden werden könnte.220 Kants auf der a domain within which the pure concepts can be used to determine objects and a domain within which they cannot be used for that purpose.“ 215 Kant, KrV, A 601 | B 629. 216 Vgl. auch Sala, Kant und die Frage nach Gott, S. 294. 217 Siehe Kant, KU, A 336 | B 340: „Also ist die Unterscheidung möglicher Dinge von wirklichen eine solche, die bloß subjektiv für den menschlichen Verstand gilt[.]“ 218 Ebd., A 337 | B 341. 219 Natürlich wäre ein anschauender Verstand im Sinne Kants ein Modell für den göttlichen Verstand. Es wäre also Gott selbst, dessen Denken qua Denken automatisch mit Wirklichem korreliert wäre. Dennoch sind die Hürden für den OGB höher, als bloß gegen Kant einen anschauenden Verstand zu behaupten, um damit die Möglichkeit des OGB zu sichern. Das käme schließlich der Postulierung eines göttlichen Verstandes gleich, wodurch der OGB im schlechten Sinne zirkulär würde. 220 Dass eine solche Position philosophisch nicht völlig absurd ist, zeigt etwa die modallogische Metaphysik David Lewis’, für den ebenfalls alles Mögliche wirklich ist, allerdings nur derart,
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
Vermögenslehre aufbauende Argumentation wird, wie bereits betont, in der vorliegenden Arbeit nicht weiterverfolgt, weil deren Begründungsstatus zu unklar ist. Daher wird auch nicht unmittelbar die Möglichkeit eines anschauenden Verstandes untersucht. Stattdessen wurden in dieser Arbeit die Argumente des kantischen Widerlegungsversuches der philosophischen Theologie untersucht, die sich auch ohne die Vermögenslehre darstellen lassen. Das weist auch auf die Untersuchung der hegelschen Behandlung des OGB voraus, als dass Hegel selbst in seiner philosophischen Theologie nicht auf einen anschauenden Verstand rekurriert, sondern die Probleme des OGB auf kategorialer, propositionaler Ebene und somit argumentativ zu lösen versucht. Beliefe sich Kants ganze Widerlegung der Gottesbeweise auf die These ‚Alle objektive und gültige Erkenntnis ist sinnliche Erkenntnis‘, so wäre sie leicht zu widerlegen: Die These könnte selbst keinen Anspruch darauf stellen, eine Erkenntnis oder objektiv zu sein, noch könnte sie Geltung beanspruchen. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht intuitiv plausibel erscheint, dass sinnlich Wahrgenommenes sich uns eminent als wirklich aufdrängt. Jedoch ist dieser Status weder vor prinzipiellen Zweifel gefeit,221 noch ist mit diesem Anspruch auf Wirklichkeit gelegentlicher Irrtum ausgeschlossen. Unwiderruflich überschreitet sich aber dieser Einzigkeitsanspruch selbst, wenn klar wird, dass sein Recht, sein Status de jure, auf der Objektivität und Wirklichkeit ganz anderer Verhältnisse basiert: Erst der Status nicht selbst sinnlicher, sondern im weitesten Sinne logischer Tatsachen und Argumente kann der Sinnlichkeit ihr Recht zusprechen, das damit aber auch immer schon nur partielles Anrecht auf Wirklichkeitserkenntnis ist. Aus der KU geht also hervor, dass Kant den OGB nicht für unmöglich hält, aber für Wesen mit den zwei Erkenntnisstämmen Verstand und Sinnlichkeit für undurchführbar, da der Verstand durch Begriffe niemals mehr als mögliche Gegenstände denkt und erst das sinnlich Gegebene die Realität und Existenz verbürgt. Damit ist ein Kritierium angegeben, das dem haltlosen Denken in Begriffen einen festen Ankerpunkt gibt. Dieses Kriterium betont Kant auch in der KrV – es handelt sich also um keinen nachträglichen Gedanken der KU, und somit bestimmt er schon den Aufbau und die Durchführung der KrV. So schreibt er in der Disziplin der reinen Vernunft: Wenn man von einem Begriffe synthetisch urteilen soll, so muß man aus diesem Begriffe hinausgehen, und zwar zur Anschauung, in welcher er gegeben ist.222 dass Wirklichkeit als flexibler Designator fungiert, also Wirklichkeit je relativ zu – für uns möglichen – Welten ausgesagt wird. Vgl. Lewis, On the plurality of worlds, S. 92–96. Vgl. auch die sehr interessante, sich von D. Lewis abgrenzende Konzeption von Uwe Meixner. Innerhalb des Möglichkeitraums unterscheidet Meixner verschiedene Wirklichkeitsstufen: etwa Impossibilia, Individuale, die konsistente Eigenschaftsmengen bilden, und Individuen, die zu den Individualen hinzukommende Substantialität aufweisen. Vgl. Meixner, Modalität, S. 95–103. 221 Vgl. Descartes bewundernswerte Durchführung in der ersten Meditation. Descartes, Meditationen, S. 19–25. 222 Kant, KrV, A 721 | B 749.
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
127
Dabei sind zwei mögliche Bezüge auf die Anschauung möglich: Zum einen kann der Verstand sich mit seinen Begriffen auf die reine Anschauung a priori beziehen, zum anderen auf die empirische. Im ersten Fall findet mathematische Erkenntnis durch die sinnliche Konstruktion bestimmter Begriffe statt. Im zweiten Fall eben empirische Erkenntnis.223 Es ist klar, dass philosophische Theologie keinem der beiden Bereiche der Erkenntnis zugeordnet werden kann. Nun ergibt sich aus der Zweiteilung ein Problem innerhalb der kantischen Philosophie. Denn die Kategorien des reinen Verstandes, die in den Grundsätzen zu synthetischen Sätzen a priori ausformuliert sind, fallen ebenfalls in keine der beiden Kategorien. Kant meint aber, dass sie insofern auf Anschauung bezogen seien, weil sie nur die Regeln der Sythesis darstellen, nach welcher die empirische Anschauung geordnet und durch welche sie verstanden wird.224 So sind die Grundsätze der KrV tatsächlich konzipiert, da Kant in den Schemata den Bezug der Kategorien auf die reine Anschauungsform der Zeit durchführt und aus diesen die Grundsätze, die für die Erfahrung und sinnliche Empfindung gelten, ableitet. Dennoch sind damit nicht alle synthetischen Sätze a priori erklärt, die Kant notwendigerweise in Anspruch nimmt. Denn Kant redet selbst über die Kategorien und Grundsätze des reinen Verstandes. Doch dafür muss Kant die Wahrheit dieser Sätze voraussetzen, obwohl diese sich nicht, nicht einmal indirekt, auf die Anschauung und Sinnlichkeit beziehen. Damit gelingt es Kant vielleicht, Kategorien zu rechtfertigen, die in empirischen Wissenschaften, moralischem Handeln und der Mathematik benötigt werden. Aber es gelingt ihm nicht, diese Rechtfertigung selbst zu rechtfertigen. Diese Rechtfertigung nachzuholen und damit die philosophischen Aussagen selbst zu begründen ist einer der wesentlichen Antriebe der nachkantischen Philosophen und damit auch Hegels, wie in der vorliegenden Arbeit noch ausgeführt wird. Und wie ebenfalls deutlich werden soll, ist mit diesem Überstieg über die kantische Philosophie auch die Tür für die philosophische Theologie erneut geöffnet, weil Wahrheit und Erkenntnis nicht auf die zwei genannten Bereiche Mathematik und empirische Erkenntnis beschränkt werden können, ohne in einen Selbstwiderspruch zu geraten. Dass Kant den fehlenden Bezug auf die Anschauung und Sinnlichkeit als Grund ansieht, den OGB zurückzuweisen, wird auch im Ideal der reinen Vernunft deutlich. Das Kriterium, das Existenzaussagen legitimiert und die Existenz eines Objekts bestätigt, ist die sinnliche Erfahrung, der „Vermögenszustand“, der durch die Affektion, durch die Empfindung hervorgerufen wird. Daher schreibt Kant: Denke ich mir nun ein Wesen als die höchste Realität (ohne Mangel), so bleibt noch immer die Frage, ob es existierte, oder nicht. Denn, obgleich an meinem Begriffe, von dem möglichen realen Inhalte eines Dinges überhaupt, nichts fehlt, so fehlt doch noch etwas an
223 224
Vgl. Kant, KrV, A 721 | B 749. Vgl. ebd., A 722 | B 750.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
dem Verhältnisse zu meinem ganzen Zustande des Denkens, nämlich daß die Erkenntnis jenes Objekts auch a posteriori möglich sei.225
Das Problem des Gottesbegriffs und damit des OGB ist für Kant somit, dass er keinen sinnlich erfahrbaren Gegenstand bezeichnet. Und hier zeigt sich die Ursache der hiebei obwaltenden Schwierigkeit. Wäre von einem Gegenstand der Sinne die Rede, so würde ich die Existenz des Dinges mit dem bloßen Begriffe des Dinges nicht verwechseln können. Denn durch den Begriff wird der Gegenstand nur mit den allgemeinen Bedingungen einer möglichen empirischen Erkenntnis überhaupt als einstimmig, durch die Existenz aber als in dem Kontext der gesamten Erfahrung enthalten gedacht; da denn durch die Verknüpfung mit dem Inhalte der gesamten Erfahrung der Begriff vom Gegenstande nicht im mindesten vermehrt wird, unser Denken aber durch denselben eine mögliche Wahrnehmung mehr bekommt. Wollen wir dagegen die Existenz durch die reine Kategorie allein denken, so ist kein Wunder, daß wir kein Merkmal angeben können, sie von der bloßen Möglichkeit zu unterscheiden.226
Dass Kants Widerlegungsversuch auf diesen Punkt zuläuft, also auf die Feststellung der fehlenden sinnlichen Erfahrung für die Existenzaussage, geht natürlich auch aus der Stellung des Ideals der reinen Vernunft in der KrV hervor, denn das ist gerade das Kennzeichen der Dialektik der reinen Vernunft, der Logik des Scheins.227 Und so beginnt Kant das Hauptstück des „Ideals“ schon mit einer entsprechenden Erinnerung an den epistemischen Status von Ideen: Wir haben oben gesehen, daß durch reine Ve r s t a n d e s b e g r i f f e, ohne alle Bedingungen der Sinnlichkeit gar keine Gegenstände können vorgestellet werden, weil die Bedingungen der objektiven Realität derselben fehlen, und nichts, als die bloße Form des Denkens in ihnen angetroffen wird. [. . . ] I d e e n aber sind noch weiter von der Realität entfernt, als K a t e g o r i e n; denn es kann keine Erscheinung gefunden werden, an der sie sich in concreto vorstellen ließen. Sie enthalten eine gewisse Vollständigkeit, zu welcher keine mögliche empirische Erkenntnis zulangt, und die Vernunft hat dabei nur eine systematische Einheit im Sinne, welcher sie die empirisch mögliche Einheit zu nähern sucht, ohne sie jemals völlig zu erreichen.228
Somit ist diese Voraussetzung der kantischen Widerlegung des OGB sowohl im Text des Ideals als auch durch den Kontext, die Dialektik, ersichtlich. Und auch die Terminologie in dem Kernsatz des kantischen Widerlegungsversuches, dass Sein „k e i n r e a l e s P r ä d i k a t“ bilde, fügt sich in diesen Zusammenhang und ist konsequent. Denn worauf das ‚real‘ anspielt, scheint die Kategorie der Realität zu sein, die Kant in der Tafel der Kategorien unter die Kategorien der Qualität aufnimmt 225
Kant, KrV, A 600 | B 628. Ebd., A 600 | B 628. 227 Siehe ebd., A 298 f. | B 355: „Alle unsere Erkenntnis hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verstande, und endigt bei der Vernunft, über welche nichts Höheres in uns angetroffen wird, den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und unter die höchste Einheit des Denkens zu bringen.“ Vgl. auch ebd., A 295 | B 352 f. 228 Ebd., A 567 f. | B 595 f. 226
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
129
und die im Grundsatz der Antizipationen der Wahrnehmung ausformuliert ist. Denn da heißt es im Beweis: Was nun in der empirischen Anschauung der Empfindung korrespondiert, ist Realität (realitas phaenomenon)[.]229
Insofern verweist das ‚Reale‘ an den realen Prädikaten auf die Anschauung und Empfindung zurück. Und weil diese für den Gottesbegriff, das Ideal nicht gegeben ist, kann auch der OGB, so Kant, nicht gültig sein. Dass Kant mit dieser Begrenzung von Wissen und Erkenntnis sich selbst in Widersprüche verwickelt, ist soeben bereits angeführt worden. Allein das hat für die philosophische Theologie die Konsequenz, dass Kants Widerlegung inakzeptabel ist. Denn zum einen beruht sie auf starken Voraussetzungen, die nicht zwangsläufig geteilt werden müssen, zum anderen sind diese Voraussetzungen für Kant nicht konsistent begründbar. Weil dieser empiristische Einschlag Kants kein großes Hindernis für den OGB darstellt, sehen viele Kant-Interpretinnen von diesem Befund ab.230 Der kantischen Argumentation folgt allerdings an dieser Stelle eine interessante Arbeit, das daher helfen kann, die Argumentation nochmals deutlicher zu fassen. Es handelt sich um die Interpretation G. Hindrichs in seinem Buch Das Absolute und das Subjekt. Denn Hindrichs sieht nicht nur, dass der kantischen Widerlegungsversuch auf einem erfahrungstheoretischen Kriterium für Urteile beruht, sondern beurteilt diesen Einwand auch als schlagend. Damit der Satz „Sein ist kein reales Prädikat“ aber als Widerlegung des OGB gelten könne, müsse er begründet und somit als Konklusion eines Arguments dargestellt werden, so Hindrichs.231 Kants Begründung liege nun in seiner Theorie des Urteils, mit der Kant eine in der ganzen Tradition der philosophischen Theologie unberücksichtigte, aber zentrale Voraussetzung untersuche.232 Dass Sein kein reales Prädikat ist, wäre demnach die Konklusion des folgenden Arguments, das sich auf die Geltungsbedingungen von Urteilen stützt: 1. Urteile beziehen sich auf etwas. 2. In dem Bezug liegt die Möglichkeit wahr oder falsch zu sein, die „Wahrheitsmöglichkeit“ des Urteils. 3. Bezug auf etwas ist nur möglich, wenn „raumzeitlich vorgeformte Informationen“, die gegeben werden, unter bestimmte Kategorien und zu einer Einheit, dem Urteil, geformt werden.233 229
Kant, KrV, A 168 | B 209. Betont wird es hingegen etwa von Logan, „Whatever Happened to Kant’s Ontological Argument?“. 231 Vgl. Hindrichs, Das Absolute und das Subjekt, § 81., S. 104. 232 Vgl. ebd., § 83., S. 106 f. 233 Siehe ebd., § 85., S. 108: „Denn nur dann, wenn die in einem Urteil verarbeiteten Informationen gegebene Informationen sind, verbleibt die Bestimmung des Sachverhaltes, die das 230
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
4. Also: Gedanken ohne gegebene Anschauungen (Informationen) sind leer. 5. Der Gottesbegriff bezieht sich nicht auf sinnlich Wahrnehmbares. 6. Also: Ist jedes Urteil mit dem Gottesbegriff als Subjekt ein leerer Gedanke. 7. Also: Es gibt kein Urteil, das Gott bestimmt, weil solche Urteile nicht auf sinnlichen Anschauungen beruhen.234 8. Also: ist ‚Sein‘ im Existenzurteil, das Gott bestimmen möchte, keine Bestimmung eines Gegenstandes, weil Gott eben kein Gegenstand ist.235 Hindrichs formuliert seine Konklusion folgendermaßen: Da nun in Kants Augen alle unsere Urteile sich auf eine mögliche Erfahrung beziehen lassen müssen, um entscheidbare Urteile zu sein, ist der Kernbegriff des Beweises [d. i. der ontologische Gottesbeweis; Einschub G. M.] ein Begriff, der nur in unentscheidbaren Urteilen verwendet werden kann. Folglich kann er auch sein Ziel, die Existenz Gottes zu entscheiden, nicht erreichen: Die Wahrheit des Urteils „Gott existiert“ kann nicht entschieden werden. Auf der Grundlage dieser Überlegung, freilich auch erst auf ihr, schließt Kant mit Recht, daß Sein kein reales Prädikat sei.236
In der Argumentation sind die Prämissen (1.) und (2.) unproblematisch, zumindest wenn man von einer zweiwertigen Logik ausgeht.237 Es ist wichtig, die Adjunktion hervorzuheben, weil Urteil die Möglichkeit hat, wahr oder falsch zu sein, es aber natürlich auch notwendig falsche und notwendig wahre Aussagen gibt.238 Die entscheidende Prämisse (3.) ist diejenige, die sich gegen den OGB richtet. Diese Prämisse ist nun allerdings weder evident noch aus dem Vorhergehenden abgeleitet, und schwerwiegender noch: Sie erweist sich bei genauerer Betrachtung als falsch. Denn offensichtlich handelt es sich selbst um ein Urteil, das sich jedoch auf andere Urteil vornimmt, nicht innerhalb des Bannkreises des Urteils. [. . . ] Doch vermittels der zwar vorgeformten, aber zuletzt doch gegebenen Informationen vermag das Urteil den ersten Schritt aus seinem Bannkreis heraus in die Richtung eines Bezugs auf ein Nichturteil gehen.“ 234 Siehe Hindrichs, Das Absolute und das Subjekt, § 88., S. 111 „Wir sahen, daß unsere Urteile sich vermittels von raumzeitlichen Informationen auf das, was sie beschreiben, beziehen lassen müssen, um mit Recht eine Geltung beanspruchen zu dürfen. Andersherum gesagt, bedeutet das, daß das Nichturteil sich wahrnehmen lassen muß. Denn nur die Wahrnehmung eines Nichturteils liefert uns die benötigen raum-zeitlichen Informationen. Doch die Gesamtheit aller möglichen Bestimmungen (omnitudo realitatis), die sich als das notwendigerweise Seiende herausgestellt hat, läßt sich nicht wahrnehmen.“ Dass diese Urteilstheorie irreflexiv ist und ihre eigenen Urteile über Urteile und Geltungsbedingungen verwerfen muss, ist offensichtlich. 235 Vgl. ebd., § 91., S. 115 f. 236 Ebd., § 82., S. 105 f. 237 Natürlich könnte man für mehrwertige Logiken präzisieren, dass auch andere Wahrheitswerte zugelassen werden können. 238 So begeht etwa der generelle Falsifkationismus den Fehler, zu behaupten, dass jedes Urteil möglicherweise falsch ist. Jedoch ist diese Behauptung selbst nicht unter das Urteilskriterium subsumierbar, was die Selbstwidersprüchlichkeit und damit die notwendige Falschheit dieser Allaussage zeigt. Letztbegründete Propositionen sind offenbar nicht falsifizierbar, auch wenn deren Beweis selbstverständlich kritisierbar ist und natürlich Disput darüber herrschen kann, welche Propositionen absolut wahr sind.
2.3. Kants Kritik des Existenzprädikates
131
Urteile bezieht und gerade nicht auf raum-zeitlich gegebene Empfindungen. Denn natürlich stellt die Prämisse eine generelle These über Urteile überhaupt auf, für die Bedingungen und Norm angegeben werden, was ein Urteil zu einem Urteil machen soll. Und diese These baut sicher nicht auf der empirischen Untersuchung vorgefundener Urteile oder Sprechakte. Hindrichs’ Argument legt damit offen, was der ganzen kantischen Urteilstheorie als gravierender Mangel anhaftet: Die Theorie über Geltungsbedingungen von Urteilen ist notwendigerweise in Urteilen formuliert, die aber selbst nicht die Geltungsbedingungen erfüllen, die sie selbst behaupten. Die Urteile und damit die Theorie über Urteile lässt sich nicht auf sich selbst anwenden. Und das ist der Prüfstein, den die kantische Urteilstheorie nicht besteht: Es können nicht alle Urteile unter die formulierten Geltungsbedingungen fallen: ‚Alle informativen Urteile sind nur durch Erfahrung zu bestätigen‘ ist eben selbst ein informatives Urteil, das als Urteil über Urteile aber nicht selbst den ausgedrückten Bedingungen genügt. Schränkt man nun aber die Prämisse (3.) ein, sodass sie nur für empirische Urteile gilt, wird sie – abgesehen von den nach der kantischen Sichtweise im Erkenntnissubjekt gründenden Zugaben zum Erkenntnisurteil – trivial: 3.a. ‚Alle empirischen Urteile beziehen sich auf raum-zeitliche Gegenstände/Empfindungen.‘239 Damit ist auch schon das entscheidende Gegenargument zu Kants Widerlegungsversuch formuliert: Wenn Kant lediglich meint, dass der OGB weder auf ein Erfahrungsurteil hinauslaufe noch auf eines über die subjektiven Bedingungen der Erfahrung, dann hätte ihm Anselm wie jede andere philosophische Theologin selbstverständlich zu gestimmt.240 Wenn Kant darüber hinaus aber angibt, dass alle sinnvollen Urteile mit Erfahrungsurteilen identisch sind oder systematisch mit diesen in Verbindung stehen müssen, so fehlt die Begründung, warum dem von Seiten der philosophischen Theologie zugestimmt werden muss. Die kantische Urteilstheorie fällt nämlich über sich selbst, da sie in der Formulierung selbst auf wahre, nicht triviale Urteile angewiesen ist, die nicht aus der Erfahrung abgeleitet sein können. Wie oben bereits angedeutet,241 erreicht Kants Argument gegen den OGB also nicht sein Ziel, wenn es die fehlende sinnliche Erfahrung im OGB bemängelt.242 239 Vgl. Bird, The Revolutionary Kant, S. 92–96 und ebd., S. 618–621. Bird stellt Kant in einer Reihe mit Carnap. Vgl. dazu Stern, Hegelian Metaphysics, S. 11. 240 Hegel hält in seiner Vorlesung über Kants Kritik des Kosmologischen Beweises fest, dass Gott und dessen Existenz natürlich nur in Gedanken aufgefasst werden könne. Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 432. Und zu Beginn der Begriffslogik heißt es lapidar: „Hätte man es je denken sollen, daß die Philosophie den intelligiblen Wesen darum die Wahrheit absprechen würde, weil sie räumlichen und zeitlichen Stoffes der Sinnlichkeit entbehren?“ (Hegel, WdL II, S. 23 (21 f.), Z. 26–28). 241 Vgl. oben Abschnitt 2.1.4 und in diesem Abschnitt S. 123. 242 Kant selbst beschränkt dieses Kriterium natürlich auf theoretische Urteile, weil er sieht, dass die praktische Philosophie, deren Fundierung wohl Kants Kerninteresse in den Kritiken darstellt,
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
Es mag an dieser Stelle auch erhellen, dass Kants Philosophie selbst eine Ausnahme des Schlusses auf notwendige Existenz kennt: Denn Kant nimmt für die Fundierung seiner Philosophie im ‚Ich denke‘, in der transzendentalen Einheit der Apperzeption, an, dass der descartesche Schluss auf die eigene Existenz gültig ist. So schreibt Kant im § 25 in der transzendentalen Deduktion: Dagegen bin ich mir meiner selbst in der transzendentalen Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen überhaupt, mithin in der synthetischen ursprünglichen Einheit der Apperzeption, bewußt, nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur d a ß i c h b i n.243
Und in der Fußnote erläutert Kant, dass das Dasein des Ichs eine Voraussetzung des Denkens sei, weil dieses immer in Akten vollzogen werde: Das, Ich denke, drückt den Actus aus, mein Dasein zu bestimmen. Das Dasein ist dadurch also schon gegeben, aber die Art, wie ich es bestimmen, d. i. das Mannigfaltige, zu demselben Gehörige, in mir setzen solle, ist dadurch noch nicht gegeben.244
Hier soll nicht weiter auf das resultierende Problem eingegangen werden, das sich aus der Unterscheidung des Daseins des Ichs und dessen Erscheinung in der Anschauungsform der Zeit ergibt. Entscheidend für den hiesigen Kontext ist, dass Kant den folgenden Schluss für gültig hält: 1. Denken vollzieht sich in Akten, die eine Form von Dasein sind. 2. ‚Ich denke‘ bezeichnet einen Denkakt. 3. Also ist ein Dasein mit dem ‚Ich denke‘ bezeichnet. 4. Das ‚Ich denke‘ ist eine Einsicht a priori. 5. Also kann a priori vom ‚Ich denke‘ auf das Dasein geschlossen werden. Auch wenn Kant hier von ‚Dasein‘ anstelle von ‚Existenz‘ oder ‚Sein‘ spricht, liegt meines Erachtens keine entscheidende semantische Differenz vor: Kant selbst befürwortet und nutzt einen Schluss a priori auf die Existenz oder das Dasein des Ichs. In diesem Fall kann folglich ‚Existenz‘ oder ‚Dasein‘ unmöglich sinnliche Erscheinung oder ‚sinnlich Konstruierbares‘ meinen, da Kant das Dasein des Ichs ausdrücklich von der Erscheinungsmannigfaltigkeit des Ichs in der Zeit abgrenzt. Entscheidend ist, dass Kant damit seine eigene Unterscheidung zwischen gerechtfertigten und nicht gerechtfertigten Existenzaussagen unterläuft und mithin seiner Kritik am OGB selbst die Grundlage entzieht. Denn wenn es ohnehin Ausnahmefälle ein anderes Kriterium für Urteile voraussetzt. Konsequenterweise hält Kant im Rahmen der praktischen Philosophie einen Gottesbeweis für stringent, der allerdings nicht zu theoretischer Erkenntnis führt. Die so entstehende Kluft zwischen theoretischen und praktischen Urteilen, versucht die KU zu überbrücken. Wie überzeugend das unter den in der KrV formulierten Vorbehalten gelingt, kann hier nicht untersucht werden. Vgl. Kant, KpV, A 223–226 | AA 124 f. und Kant, KU, § 87., A 414–420 | B 419–425. 243 Kant, KrV, § 25., B 157. 244 Ebd., § 25., B 157, Fn.
2.4. Zwischenfazit zur Kantischen Kritik
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gibt, in denen a priori auf die Existenz geschlossen werden kann, so muss Spezifischeres gegen den OGB angeführt werden, als dass ‚Existenz‘ einzig im Zusammenhang mit Sinnlichkeit gerechtfertigt verwendet werden darf. Dieses spezifische Argument wurde aber in der oben durchgeführten Analyse nicht gefunden. Insofern gibt es nach Kant keinen Grund, warum nicht nach einem gültigen ontologischen Argument gesucht werden sollte.
2.4 Zwischenfazit Mit den ersten beiden Kapiteln der vorliegenden Arbeit wurden zwei Ziele verfolgt: Es sollte zum einen nachvollzogen werden, wie Kant die Unumgänglichkeit der philosophischen Theologie versteht und warum er im OGB das Zentrum der Gottesbeweise ausmacht. Zum anderen sollte Kants Kritik am OGB kritisch geprüft werden, um zu verstehen, ob Bemühungen um diesen Gottesbeweis nach Kant eitle Versuche sind oder ob es sich dabei um ein völlig legitimes Unterfangen handelt. In diesem Zwischenfazit sollen die Ergebnisse dieser beiden Schritte im Überblick festgehalten werden. 2.4.1 Die Notwendigkeit philosophischer Theologie und der ontologische Gottesbeweis Der Gottesgedanke in der Dialektik Der erste Schritt der Arbeit, der darstellen sollte, warum Kant die philosophische Theologie im Theoretischen für Vernunftwesen für unmöglich hält, hat zunächst Kants Ableitung der Ideen aus den Vernunftschlüssen und anschließend die Genese des Ideals der reinen Vernunft nachvollzogen. Kants Grundidee ist, dass die drei Vernunftschlüsse, der kategorische, der hypothetische und der disjunktive Schluss von der Vernunft auf die Wahrheit der Prämissen hin befragt werden. Diese Frage führt jedoch zum Regress in der Prämissenbegründung. Weil mit der Vernunft aber zusätzlich das Bestreben nach einem Ende und der Vollständigkeit der Bedingungen gegeben ist, überspringt die Vernunft das Regressproblem und bildet aus der jeweiligen Schlussart eine metaphysische Idee aus. Im Fall des disjunktiven Schlusses bildet die Vernunft so die Bedingung aller vollständigen, disjunktiven Einteilungen: Die Menge aller Prädikate. Diese Menge wird dann weiterhin von den negativen Prädikaten befreit und so zur omnitudo realitatis. Weil in der omnitudo realitatis alle positiven Prädikate vereint sind, besteht keinerlei Unbestimmtheit hinsichtlich irgendeines kontradiktorischen Prädikatenpaares, und folglich, so Kant, handelt es sich um keinen Allgemeinbegriff, sondern um den Begriff eines Individuums. Denn Allgemeinbegriffe stehen unter dem Grundsatz der Bestimmbarkeit und sind hinsichtlich mancher kontradiktorischer Prädikatenpaare unbestimmt, während
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
Individuen unter dem Grundsatz der vollständigen Bestimmung stehen. Das markiert einen Unterschied des Ideals zu den sonstigen Vernunftideen, da es sich um einen vollständigen Individuenbegriff handelt. Daher rührt schließlich der Schein, dass das Ideal sich auf ein Individuum bezieht. So wird aufgrund der Positivität der omnitudo realitatis die Idee Gottes gebildet, so Kants Gedankengang in nuce. Weil es sich dabei um einen Individuenbegriff handelt, nennt die Vernunft die omnitudo realitatis aber um und macht so explizit, dass sie sich durch das Ideal auf ein Ding, ein ens, zu beziehen versucht. So kommt er etwa zu klassischen Gottesbezeichnungen wie dem ens realissimum, dem ens necessarium oder auch dem ens entium. Weil der Bezug auf ein reales Individuum aber nicht schon durch die Vernunftgenese gesichert ist, werden mithilfe dieser Bezeichnungen verschiedene Gottesbeweise geführt, die Kant kritisch untersucht und zurückweist. Der ontologische Gottesbeweis als notwendige Bedingung philosophischer Theologie Der erste Schritt in der Widerlegung der Gottesbeweise im Rahmen der theoretischen Vernunft besteht darin, eine notwendige Bedingung auszumachen, die allen Gottesbeweisen gemein ist. Dafür gibt Kant zunächst ein Raster an, welche Gottesbeweise überhaupt im Rahmen der theoretischen Wissenschaft möglich sind. Anhand zweier Kriterienpaare werden die Prämissen unterschieden, einerseits durch die Klassifikationsmerkmale ‚a priori/a posteriori‘, andererseits wird unterschieden, ob sich die erste Prämisse auf generelle oder spezielle Tatsachen bezieht. So macht Kant drei mögliche Gottesbeweise aus: 1. Der physikotheologische Beweis beruht auf einer Prämisse, die sich auf die Erfahrung von besonderen Eigenschaften in der Welt bezieht, wie etwa die Erfahrung von zweckmäßigen oder schönen Eigenschaften an Objekten. 2. Der kosmologische Gottesbeweis beruht auf einer Prämisse, die ebenfalls der Erfahrung entnommen ist, sich aber auf eine so generelle Eigenschaft stützt, dass sie für alle erfahrbaren, eben für alle innerweltlichen Dinge zutrifft. 3. Und schließlich führt Kant den ontologischen Gottesbeweis an, dessen wichtigste Prämisse nun a priori ist und sich auf einen besonderen Begriff stützt, nämlich den Begriff Gottes. Unmittelbar fällt auf, dass aus den zwei Kriterienpaaren aber eine vierte Möglichkeit erwächst, die Kant aber nicht weiter berücksichtigt: Kant nimmt also keinen möglichen Gottesbeweis mit einer Prämisse an, die a priori ist und sich zugleich auf ein generelles Faktum stützt. Das ist insofern bemerkenswert, als dass zwei Gottesbeweise prima facie an diese Stelle treten können, die aus der Tradition bekannt sind, nämlich zum einen der Beweis aus den ewigen Wahrheiten, den Leibniz erwähnt, zum anderen Kants eigener, vorkritischer Beweis, der nach einem Grund für alle Denkmöglichkeit überhaupt fragt. Somit steht in Frage, ob Kant eine vollständige Auflistung der theoretischen Gottesbeweise erreicht, die notwendig wäre, um den Anspruch einer vollständigen Widerlegung der theoretischen Möglichkeiten für philosophische Theologie einzuholen.
2.4. Zwischenfazit zur Kantischen Kritik
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In der vorliegenden Arbeit wurde anschließend allerdings Kants Anspruch verteidigt, den OGB als notwendige Bedingung des PTB und des KGB zu verstehen. Auch wenn Kants Begründung nur schwer der KrV zu entnehmen ist, so wurde vorgeschlagen, an Kants Überlegungen wie folgt anzuschließen: In den beiden a posteriorischen Beweisen kommt es zu einem Regressproblem, und der OGB stellt die plausibelste Lösungsmöglichkeit für dieses Problem dar. Das Regressproblem kommt nun auf, weil beide a posteriorischen Beweise von der Erfahrungstatsache auf eine Ursache oder einen Grund zurückschließen wollen. Dieser Rückschluss benötigt aber eine Regel, welche eine weitere Prämisse ausmacht. Jedoch folgt aus der Regel, dass sie zunächst auf jede erschlossene Ursache und auf jeden erschlossenen Grund erneut angewendet werden kann. So kommt es zum Regress, der am plausibelsten dadurch beendet werden kann, dass eine Ursache oder ein Grund als nicht weiter begründungsbedürftig bewiesen wird – dieser muss als ein legitimes Ende des Regresses erwiesen werden. Doch sowohl dem PTB als auch dem KGB fehlen schlicht die Ressourcen für diesen Beweis. In diese Begründungslücke springt der OGB, indem er vom Gottesbegriff ausgeht und zeigt, dass Gott nur durch seinen Begriff, durch sein eigenes Wesen, notwendig ist und daher keine weitere Ursache und keinen weiteren Grund benötigt: Gottes Notwendigkeit erklärt sich ganz durch ihn selbst. Folglich ist der OGB eine notwendige Bedingung beider a posteriorischer Gottesbeweise, weshalb ihm auch zu Recht ein besonderes Interesse in der philosophischen Theologie zukommt. So weit deckt sich die Argumentation mit Kants Widerlegungsversuch. 2.4.2 Kants erfolgloser Widerlegungsversuch des ontologischen Beweises Der sich nun anschließende Schritt in Kants Ideal der reinen Vernunft ist der Beweis der Unmöglichkeit eines OGB. Weil Kants Widerlegung aber komplex und vielschichtig ist und hinsichtlich ihrer immer wieder verschiedene Einschätzungen, von vollständiger Affirmation bis hin zur vollständigen Verwerfung, vertreten wurden, wurden, Kants Text folgend, verschiedene Widerlegungsargumente diskutiert. An dieser Stelle können die Thesen Kants nicht erneut diskutiert werden, sondern sollen nur kurz in Erinnerung gerufen werden. Die Hauptthemen, die Kant in seinem Widerlegungsversuch anspricht, lassen sich um drei Probleme gruppieren, die Hegel in der WdL allesamt aufgreifen wird: a) Das erste Problem betrifft den Notwendigkeitsbegriff, der im OGB genutzt wird, etwa indem Gott als ens necessarium bezeichnet wird. In diesem Problemfeld um die Modalbegriffe wurde zunächst Kants Unterscheidung von Sach- und Begriffsnotwendigkeit analysiert und als Einwand gegen den OGB diskutiert. Grob gefasst besteht Kants Argument hier darin, dass es keine notwendigen Individuen gebe, sondern nur notwendige Eigenschaften, die genau dann existieren, wenn das zugehörige Individuum instantiiert ist. Leider lässt Kant eine Begründung der These, dass
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
es keine notwendigen Individuen geben kann, vermissen, und so besteht dieser erste Einwand zunächst nur darin, dass Kant die Gegenbehauptung zum OGB aufstellt: Ein ens necessarium ist unmöglich. Versucht man nun Kants Argument durch die prinzipielle Unterscheidung von Seins- und Denknotwendigkeit zu stützen, so läuft das auf den so berühmten wie widerlegten logischen Einwand gegen den OGB hinaus. Daher wurde auf der Suche nach Gründen Kants Modaltheorie herangezogen. Denn Kant unterscheidet in der KrV zwischen logischen und realen Modalbegriffen. Aus den logischen Modalitäten, so Kant, lässt sich keine Erkenntnis gewinnen, weil nur mit beliebig definierten Begriffen umgegangen wird und somit, laut Kant in der Metaphysik, „ein bloßes Herumtappen, und, was das Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen“245 stattfindet. Die realen Modalitäten zählen hingegen zu Grundsätzen der reinen Vernunft und bilden die Postulate des empirischen Denkens. Diese beziehen sich konstitutiv auf das Vermögen der Sinnlichkeit und Anschauung. Dass die realen Modalbegriffe nicht für einen Gottesbeweis in Frage kommen, ergibt sich dann trivialer Weise daraus, dass unter ‚Gott‘ kein – jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn – sinnlich erfahrbares Wesen verstanden wird. Jedoch muss Kants Modalkategorie nicht akzeptiert werden, da leicht einzusehen ist, dass er selbst mit den beiden Versionen von Modalbegriffen die Bandbreite an Konzepten nicht erschöpft. So benötigt Kant schon selbst für seine Philosophie andere Modalbegriffe, als diejenigen, die er explizit anbietet. Daher wurde der Schluss gezogen, dass Kants Widerlegungsversuch, der mit dem Notwendigkeitsbegriff operiert, nicht zwingend ist. b) Das zweite Problem betrifft die Frage, ob Existenzsätze analytischer oder synthetischer Natur sind. Denn daraus erwächst, so Kant, die Unmöglichkeit eines apriorischen Beweises für den Existenzsatz: ‚Gott ist existent‘. Der Grund liegt dabei darin, dass Kant analog zu den Modalbegriffen meint, dass analytische Sätze – zumindest wenn sie nicht durch wahre Erkenntnisse gestützt werden – willkürlich sind, weshalb sie keine Beweiskraft haben. Synthetische Existenzsätze hingegen beruhen wiederum auf dem Bezug auf das Anschauungsvermögen. Gegen diesen Einwand Kants wurden fünf Argumente vorgebracht, die zeigen, dass Kants Gedanke zu unspezifisch ist, um den OGB für unmöglich zu erklären. Weder ist klar, gegen welche Prämisse oder welchen Beweisschritt Kant sich mit dieser Kritik genau wendet, noch ist deutlich, warum Kants Auffassung von synthetischen und analytischen Sätzen akzeptiert werden muss. Und schließlich muss der OGB gar nicht notwendigerweise auf einen bestimmten Satztypus festgelegt sein. Denn ein negativer Beweis, wie ihn etwa Anselm führt, kann aus ganz verschiedenen Gründen gelingen. Der Widerspruch, der auftreten soll, wenn von Gott ausgesagt wird, dass er nicht existiere, muss keine bloße Bedeutungswahrheit sein, was etwa widersprüchliche Sätze zeigen, wie ‚Ich denke nicht‘ oder ‚Keine Proposition ist 245
Vgl. Kant, KrV, B XV.
2.4. Zwischenfazit zur Kantischen Kritik
137
wahr‘. Es wird im Folgenden der vorliegenden Arbeit gezeigt, dass Hegels WdL die kantische Unterscheidung sprengt und sich auf dialektisch-pragmatische Widersprüche stützt, die weder trivial analytisch sind noch durch den Anschauungsbezug synthetisch, denen aber dennoch die erforderliche Notwendigkeit zukommt.246 c) Und schließlich ist das dritte und wohl berühmteste Problem, das Kant aufwirft, dasjenige, um was für eine Art von Prädikat es sich bei ‚. . . ist existent‘ eigentlich handelt. Denn es könnten ja Eigenschaften des Prädikates sein, die sich dem OGB grundsätzlich widersetzen. Die erste Lesart dieses Einwandes besagt, dass Kant die Frege-Russel-Theorie der Existenz vorwegnehme. Dieser zufolge sei Existenz nämlich gar kein Prädikat, sondern ein Quantor, der die Abzählbarkeit von Instanzen eines Begriffes ausdrücke, aber keine Bestimmung in einem Begriff sein könne. Es handle sich somit um ein Prädikat zweiter Stufe. Nun wird dabei schon ignoriert, dass Kant sich wesentlich an der Aristotelischen Logik orientiert und sonst wenig Ansätze zeigt, Freges Logik vorwegzunehmen. Wichtiger ist jedoch, dass aus der Frege-Russel-Theorie der Existenz gar kein Einwand gegen den OGB folgt. Denn aus dem Quantor kann zum einen ein Existenzprädikat abgeleitet werden, zum anderen folgt aus dieser formallogischen Angabe zur Syntax des Existenzausdrucks kein Gegenargument gegen den OGB. Denn weder ist klar, warum es zu einem Begriff kein notwendiges Prädikat zweiter Stufe geben kann, noch ist diese Verwendungsweise alternativlos. Somit stellt die formale Logik keinen grundsätzlichen Einwand gegen den OGB dar, wie etwa Gödels Formalisierung des leibnizschen Beweises mit dem ens necessarium zeigt. Daher wurde Kants Einwand dahingehend spezifiziert, dass es Kant nicht um die Unterscheidung von Prädikaten erster und zweiter Stufe, sondern um eine andere Unterscheidung geht, nämlich diejenige zwischen logischen und realen Prädikaten. Anhand verschiedener Interpretationen des Beispiels von den hundert möglichen und wirklichen Talern, mit dem Kant seine Unterscheidung erläutert, wurde gezeigt, dass nicht ersichtlich ist, woran der OGB dem Beispiel nach scheitern sollte. Schließlich wurde daher die Rolle der Anschauung für Kants Argumentation herausgearbeitet. Analog zu den logischen und realen Modalbegriffen wurde auch für die Prädikattheorie Kants begründet, dass reale Prädikate für Kant durch mögliche Anschauung ausgezeichnet sind, während die gleichen Prädikate ohne den Anschauungsbezug bloß logisch, aber damit auch willkürlich verwendet werden. Diese Analogie konnte zudem durch den § 76 der KU bestätigt werden, indem Kant die Unterscheidung eines Wesens mit zwei Erkenntnisstämmen, dem Verstand und dem Anschauungsvermögen, und einem anschauenden Verstand diskutiert. So wird deutlich, dass Kant dem OGB in erster Linie die These entgegensetzt, dass Erkenntnis sich immer auf sinnlich Anschaubares bezieht, weshalb Erkenntnis über Gott natürlich ausgeschlossen ist. Jedoch ist damit nicht nur ein merkwürdiges Ge246
Vgl. Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“, S. 796–798.
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2. Kants Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises
genargument gegen den OGB vorgebracht, der sich natürlich nicht auf ein solches Erkenntniskriterium stützt. Vielmehr ist Kants Kriterium selbstwidersprüchlich, weil er für die Formulierung des Erkenntniskriteriums selbst unsinnliche und auch nicht sinnlich fundierte Erkenntnis heranziehen muss. Ein Beispiel, mit dem Kant selbst mit seinem Kriterium für reale Existenzprädikate bricht, ist etwa der Schluss vom eigenen Denken auf die eigene Existenz, den Kant im § 25 der B-Ausgabe der KrV ausdrücklich vollzieht. Aus der Untersuchung dieser drei Problemgruppen ergibt sich also, dass Kant zu keiner überzeugenden Widerlegung kommt. Wenn man mit Kant teilt, dass aus Begriffen ohne Anschauung keine Erkenntnis gewonnen werden kann, so ist der OGB natürlich hinfällig. Aber allein um diese These über den Zusammenhang von Begriffen und Anschauungen zu formulieren, wird offenbar auf eine andere Erkenntnisart zurückgegriffen. Daher ist zu konstatieren, dass auch nach Kants KrV die Möglichkeit der philosophischen Theologie als theoretischer Wissenschaft vollständig offensteht. Dass das auch die nachkantischen Philosophen, insbesondere Hegel, erkannt haben, soll im Folgenden der vorliegenden Arbeit gezeigt werden. Diese Rückkehr zur Metaphysik und zum OGB, die Hegel ausdrücklich vollzieht, ist nun aber nicht ohne Spuren der kantischen Kritik. Denn durch die Einordnung der philosophischen Theologie in ein systematisches Ganzes, die umfassende Kritik und die Reflexion auf die Stellung des Gottesgedankens im Denken des Menschen, tritt die Beweislast des OGB deutlicher hervor. So geht Hegel denn auch nicht ohne Weiteres zurück zu den vorkantischen Versuchen um den OGB, sondern verbindet den OGB mit einer tief greifenden Überlegung zu den Bedingungen der Möglichkeit des OGB. Diese ist insofern tief greifend, als dass Hegel mit der transzendentalen Reflexion auf die Geltungsbedingungen den Gottesbeweis vor die Frage nach seiner Relation zu philosophischen Beweisen und letzten Wahrheiten überhaupt gestellt sieht. Doch diese Relation zur Beweisen und letzten Wahrheiten verändert die Gestalt des OGB grundsätzlich, weil Hegel sich so genötigt sieht, die philosophische Theologie mit dem Projekt der Letztbegründung zusammenzubringen. Diese Notwendigkeit besteht nun deswegen, so Hegels Gedanken, weil im Gottesbeweis auf unübliche Art der Beweisgegenstand und der Beweis selbst in einen unlösbaren Zusammenhang kommen. Denn ist mit Gott das Absolute, der Grund allen Denkens und Seins, gemeint, so hängt der Beweis auf komplexe Art wiederum von diesem Absoluten selbst ab. Diese und weitere Überlegungen führen Hegel daher dazu, die Grundprobleme des OGB mit der Wissenschaft zusammenzuführen, die in seinen Augen die letzen Wahrheiten explizieren und beweisen kann, also die Wissenschaft der Logik. In dieser behandelt Hegel also das Problem philosophischer Letztbegründung. Aber weil damit ein Bezug zum Gegenstand oder Gehalt des OGB, dem Absoluten, gegeben ist, versucht Hegel in diesem Projekt auch Grundfragen der philosophischen Theologie zu beantworten.
2.4. Zwischenfazit zur Kantischen Kritik
139
Weil er Kant nun darin zustimmt, dass der OGB innerhalb der philosophischen Theologie eine zentrale Stellung einnimmt, handelt es sich dabei besonders um die den OGB betreffenden Grundfragen. Dass diese so klar hervortreten, ist sicherlich ein Resultat der kantischen Kritik der Gottesbeweise. Und so macht Hegel vor allem zwei Probleme aus, deren Antwort sich durch die WdL zieht: Zum einen muss geklärt werden, was unter dem Gottesbegriff zu verstehen ist, wenn aus und mit diesem ein Beweis geführt werden soll. Zum anderen ist der Existenzbegriff, der im OGB verwendet wird, zu spezifizieren – denn die sinnliche Erfahrbarkeit, die für Kants Existenzbegriff entscheidend ist, kann für die philosophische Theologie nicht in Anschlag gebracht werden. Natürlich sind beide Themen keine Neuheiten in der Philosophiegeschichte. Dennoch kommt Hegel zu originellen Antworten, gerade weil er sie so strikt mit der Frage nach einer philosophischen Letztbegründung zusammenbringt. Wie Hegel hier näher zu verstehen ist und wie er auf die beiden genannten Grundprobleme und weitere Voraussetzungen des OGB, etwa den Modalbegriffen, der Analytisch-synthetisch-Unterscheidung oder auch der Möglichkeit von Beweisen überhaupt, reagiert, soll Gegenstand der folgenden Untersuchung sein.
Teil II.
Hegels Wiederaufnahme der philosophischen Theologie und Überbietung der kantischen Transzendentalphilosophie Nachdem Kants Kritik an der philosophischen Theologie untersucht, aber nicht für schlüssig befunden wurde, geht die vorliegende Arbeit den zweiten Schritt auf dem Weg, Hegels Gedanken zum OGB verständlich zu machen. Wenn der erste Schritt korrekt vollzogen wurde, so hat sich ergeben, dass die philosophische Theologie trotz der kantischen Kritik möglich ist. Hegel wendet sich also legitimerweise der philosophischen Theologie zu. Wie dabei Hegels Ansatz für den OGB konzipiert ist, wird in den folgenden Kapiteln untersucht. Zunächst soll aber untersucht werden, wie Hegel die kantische Kritik bewertet, um von da ausgehend seine Überlegungen hervortreten zu lassen. In Abschnitt 3.1 wird daher zunächst gezeigt, dass Hegel selbst die kantische Philosophie so beurteilt, dass diese ihm Raum lässt, metaphysische und theologische Fragen zu verfolgen. Dabei werden im Abschnitt 3.1 die wichtigsten Punkte der hegelschen Kritik an der kantischen Philosophie dargestellt. Diese Punkte formen Hegels eigene Philosophie, die den Kontext seiner Behandlung des OGB bildet. Es soll gezeigt werden, dass Hegel das Urteil der vorliegenden Untersuchung über Kants Versuch, den OGB zu widerlegen, teilt und sich daher bewusst der philosophischen Theologie annimmt. Jedoch ist die kantische Kritik auch Grund, die vorkantische Metaphysik kritisch zu prüfen. Und so so kann gezeigt werden, dass Hegel an den Versuchen um den OGB, die sich der rationalistischen Philosophie der Neuzeit verdanken, ebenfalls Grundprobleme feststellt. Es wird in Abschnitt 3.3 gezeigt, dass Hegel an die vorkantische Metaphysik einen zentralen Kritikpunkt heranträgt, der auch im Zentrum seiner Zurückweisung der kantischen Philosophie steht: In der Philosophie, so Hegel, geht es um Beweise der ersten Prämissen, aber die vorkantische Metaphysik als auch die kantische Transzendentalphilosophie gehen, so Hegel, von unbewiesenen Voraussetzungen und Annahmen aus. Vor diesem Hintergrund werden dann im Abschnitt 4 die Grundlagen der Wissenschaft der Logik erläutert, mit welcher sich Hegel dem OGB und seinen Problemen zuwendet. Dabei ist die Perspektive leitend, wie die Voraussetzungslosigkeit durch den Beweis der grundlegenden Prämissen gewährleistet werden kann. Zunächst widmet sich der Abschnitt 4.1 den Grundzügen der hegelschen Logik und ihrem Verhältnis zur philosophischen Theologie. Denn die Logik stellt eine
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Teil II. Hegels Wiederaufnahme der philosophischen Theologie
bemerkenswerte Mischdisziplin dar, die letztlich Transzendentalphilosophie, Logik, Ontologie, und philosophische Theologie verbindet. Der transzendentalphilosophische Charakter schlägt sich in Hegels Letztbegründungsanspruch nieder, wie schon aus der Kritik der kantischen Philosophie hervorgeht. Die Gründe, warum die WdL zugleich Ontologie und philosophische Theologie ist, werden anschließend genauer untersucht, weil diese Charakterzüge für die Gestalt des OGB in der WdL entscheidend sind. Schließlich ergibt sich aber aus Hegels Grundgedanken, dass Gott vollständig und in eminentem Sinn erkennbar ist. In Abschnitt 4.2 wird mit der Darstellung des zentralen Arguments für diese Konsequenz der Abschnitt 4 beschlossen. Mit dem so gewonnen Verständnis von Hegels Anliegen kann dann das Thema der philosophischen Theologie und speziell des OGB in der WdL herausgearbeitet werden. Hier wird zunächst im anschließenden Teil III behandelt, wie Hegel zwei Grundprobleme behandelt, die sich auf den Gottesbegriff beziehen, der dem OGB zugrunde liegt. Dabei wird gezeigt, wie Hegel durch die Methode der WdL zeigen möchte, dass die Bestimmungen des Gottesbegriffs nicht willkürlich sind und in keinem Widerspruch stehen. Darauf wird Hegels Interpretation des OGB im Kontext der Begriffslogik im Teil IV der vorliegenden Untersuchung dargestellt. Dabei wird vor allem deutlich werden, wie Hegel aus dem Zusammenziehen von Ontologie, Letztbegründung und philosophischem Gottesbegriff das adäquate Existenzverständnis für den OGB ableitet, das er als Objektivität bezeichnet. Wie Hegel meint, dabei zugleich das zu leisten, was der OGB anstrebt, wird in diesem Zusammenhang dargestellt.
3 Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik 3.1 Hegels Kritik an Kant Transzendentalphilosophie Hegels Kritik an Kants Philosophie ist komplex und schwer einzuschätzen. Teils scheint Hegel sehr starke und schlagende Argumente vorbringen zu können, teils scheint seine Auseinandersetzung mit den Kritiken aber auch oberflächlich, weit vom Text und polemisch zu sein. Eine vollständige Darstellung und Beurteilung der hegelschen Argumente kann nicht Teil dieser Arbeit sein, allein aufgrund des Umfanges der ebenfalls uneindeutigen Diskussionen um die Bewertung der Kritik.1 Was im Folgenden daher angestrebt wird, ist die Darstellung einiger essentieller Elemente der hegelschen Kantkritik. Durch diese soll 1. deutlicher werden, inwiefern und mit welchen Gedanken Hegel über Kant hinauszugehen glaubt. Dadurch soll auch ein Verständnis gewonnen werden, auf welchem Weg Hegel die kritische Philosophie überschreiten möchte. Und 2. zeigt die Kritik, dass Hegel das Projekt der philosophischen Theologie und den OGB mit guten Gründen aufgreift. Allerdings ignoriert Hegel, wie im folgenden Abschnitt 3.3 umrissen wird, den kantischen Widerlegungsversuch keinesfalls, sondern sieht sich durch Kant zu einer Transformation der philosophischen Theologie veranlasst. Die Grundausrichtung der hegelschen Kritik ist meines Erachtens eine reflexive Argumentation, die auf der einen Seite Kants expliziten Aussagen und Theoreme an notwendig damit verbundenen, aber nicht unbedingt explizit genannten Bedingungen misst. Eine solche Argumentation ist in der vorliegenden Arbeit gegen die möglichen Einwände, die den OGB angreifen, angewandt worden. Hegels Kritik basiert also nicht auf einer Analyse der logischen Folgerungen innerhalb der KrV, wie etwa Guyer richtig sieht,2 aber sie ist auch nicht extern zu oder unwesentlich für Kants Projekt. Denn sie basiert auf impliziten Festlegungen der 1 Vgl. etwa die scharfen Zurückweisungen der Argumente Hegels in Ameriks, „Hegel’s Critique of Kant’s Theoretical Philosophy“ und Guyer, „Thought and being: Hegel’s Critique of Kant’s theoretical philosophy“. Affirmativ zur Hegel Kritik nehmen hingegen Stellung Sedgwick, Hegel’s critique of Kant und Hösle, Hegels System, S. 16–21. Vgl. auch Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“; Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, S. 12–28; Houlgate, „Hegel’s Critique of Kant“. 2 Vgl. Guyer, „Thought and being: Hegel’s Critique of Kant’s theoretical philosophy“, S. 171.
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
kantischen (theoretischen) Philosophie selbst. Da Hegel auf diese so entstehenden Diskrepanzen zwischen Explizitem und Implizitem reagiert und die pragmatischen Widersprüche der kantischen Philosophie gerade auflösen möchte, kann es so scheinen, als wären Hegels Argumente von außen an Kant herangetragen.3 Auch wenn eine abschließende Evaluation nicht geleistet werden kann, soll hier argumentiert werden, dass Hegel seinen Blick doch auf interne Probleme der KrV richtet. Dabei ist seine Darstellung allerdings oft missverständlich und grob, da Hegel die meisten Argumente nur andeutet.4 Für die folgende Rekonstruktion der hegelschen Kritik werden im Wesentlichen die Paragrafen aus der Enzyklopädie von 1830 aus dem Kapitel Zweite Stellung des Gedanken zur Objektivität, die Kant gewidmeten Abschnitte aus den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie und die Vorreden und Einleitungen zur Wissenschaft der Logik herangezogen. Dabei konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf drei Aspekte aus der theoretischen Philosophie, von denen nicht behauptet wird, sie seien selbstständig oder bezugslos. Sie bauen zum Teil aufeinander auf oder bilden Seiten einer Medaille.5 Um der übersichtlichen Darstellung willen werden die folgenden Punkte allerdings voneinander getrennt aufgegriffen: 1. Hegels Vorwurf, Kants Philosophie bleibe im Empirismus haften (Abschnitt 3.1.1.); 2. die Kritik am kantischen Ding-ansich (Abschnitt 3.1.2.); 3. die Irreflexivität in der kantischen Philosophie und ihre Begründungsmängel (Abschnitt 3.1.3.). 3.1.1 Der Empirismusvorwurf Schon die Einordnung der „Kritischen Philosophie“ in die Zweite Stellung des Gedankens zur Objektivität macht deutlich, dass Hegel eine grundsätzliche Gemein3 So etwa: Guyer, „Thought and being: Hegel’s Critique of Kant’s theoretical philosophy“, S. 171 und S. 179; Ameriks, „Hegel’s Critique of Kant’s Theoretical Philosophy“ gibt eine detaillierte Analyse vieler hegelscher Einwände, die ihm zufolge allesamt Kant verfehlen, weil sie zu undifferenziert mit dem Text der KrV umgehen oder externe Prämissen an Kant herantragen. Jedoch scheint in Ameriks Analyse Hegels reflexive Argumentation verfehlt zu werden. Denn er gibt weder eine Lösung noch eine Erklärung, wie die Spannung zu lösen ist, die er selbst erzeugt, indem er auf der einen Seite Kant durch die Minderung der Geltungsansprüche verteidigt. Vgl. etwa ebd., S. 21. Auf der anderen Seite macht er aber nicht deutlich, wie die Allaussagen, Gesetzesbehauptungen und die Notwendigkeit der Bedingungen der Erfahrung dann zusammengebracht werden können. Und letztlich bleibt die Frage, wie Kants Anspruch, die Metaphysik endgültig verunmöglicht zu haben, vor dem abgeschwächten Geltungsanspruch zu verstehen ist. 4 Hegel setzt sich natürlich mit der kantischen Philosophie vor dem Hintergrund unter anderem der Fichteschen, Schellingschen und Jacobischen Einwände auseinander. Es scheint daher, als würde er sich eher in diesem Diskurs bewegen und nur einige Bemerkungen für informierte Leserinnen fallen lassen, anstatt eine umfassende Kantkritik vorlegen zu wollen. 5 Natürlich ist auch Hegels Kritik an Kants praktischer Philosophie ein wichtiges Thema, wird aber im vorliegenden Kontext der philosophischen Theologie nicht berücksichtigt, wie Kants praktische Philosophie auch schon oben ausgespart wurde.
3.1. Hegels Kritik an Kant
145
samkeit zu erkennen glaubt, die die kantischen Philosophie und der Empirismus teilen. Diese spricht Hegel dann auch direkt im § 40 an, der sich dem kantischen Projekt zuwendet. Die Gemeinsamkeit sieht Hegel in der Erfahrung als Kriterium für alle Erkenntnis.6 Hegel unterstreicht, dass für Kant alle Erkenntnisse in der Erfahrung gründen müssen. Das ist zwar ein wichtiger Punkt der kantischen Philosophie, die auch für die Kritik der Gottesbeweise grundlegend ist. Aber Hegel wird damit sicher nicht der kantischen Philosophie der Mathematik gerecht, denn in der Mathematik sind Erkenntnisse ohne Erfahrung durch anschauliche Konstruktion a priori möglich, so Kant etwa im § 22 aus der „Transzendentalen Deduktion“ der B-Ausgabe oder in der „Disziplin der reinen Vernunft“.7 Dennoch hebt Kant auch in der Mathematik den für Erkenntnisse notwendigen Anschauungsbezug hervor und verneint vehement die Möglichkeit begrifflicher Erkenntnis a priori.8 Denn für Kant gibt es neben der Mathematik keine weitere Erkenntnis ohne empirische Anschauungen – und darum scheint es Hegel zu gehen, wenn er die Nähe zum Empirismus unterstreicht.9 Bekanntlich tritt Kant allerdings an, um u. a. ein Grundproblem des Empirismus zu lösen: die Unerklärbarkeit von streng allgemeinen Aussagen und deren Notwendigkeit allein durch den Rekurs auf Beobachtungssätze aufgrund des Induktionsproblems. Dieses Problem, das D. Hume prominent aufgeworfen hat,10 wird von Kant durch die notwendigen Voraussetzungen für alle Erfahrungen zu lösen versucht. Bereits Hume hatte Allgemeinheits- und Notwendigkeitsanspruch auf das Erkenntnissubjekt zurück geführt, dieses jedoch als empirisch aufgefasst: Für Notwendigkeit und Allgemeinheit sind psychologische Eigenschaften des Subjekts, vornehmlich die Habituation verantwortlich. Wenn also eine Sprecherin äußert, dass Wasser auf einer schiefen Ebene notwendig nach unten fließe, so verweist das ‚notwendig‘ auf ihre psychische Erwartungshaltung, die sich durch eine Menge 6 Siehe Hegel, Enz. I, § 40, S. 112: „Die kritische Philosophie hat es mit dem Empirismus gemein, die Erfahrung für den einzigen Boden der Erkenntnisse anzunehmen[.]“ Es ist bereits auf Strawson’s „principle of significance“ hingewiesen worden. Vgl. oben S. 90. Vgl. auch Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 338 und S. 346. 7 Vgl. Kant, KrV, § 22, B 146 f. und ebd., A 717–720 | B 745–748. 8 Vgl. ebd., § 22, B 146 f. Ein entscheidender Grund dafür ist, wie oben bereits angeführt, dass Kant der Überzeugung ist, dass rein begriffliches Denken willkürlich verfahren kann, sprich, begrifflich keine Notwendigkeit erreicht werden kann. Vgl. oben Abschnitt 2.1. 9 Hegel kann sich hier auf die frühe Weichenstellung der KrV berufen, dass Erkenntnisse immer ein Zusammenspiel aus Anschauungen und Begriffen sind. Siehe ebd., A 50 | B 74: „Anschauungen und Begriffe machen also die Elemente aller unsrer Erkenntnis aus, so daß weder Begriffe, ohne ihnen auf einige Art korrespondierende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe, ein Erkenntnis abgeben können.“ Zudem bietet der genannte § 22 der B-Deduktion ein klares Bekenntnis dafür, dass auch die apriorischen Kategorien nur im Zusammenhang mit empirischer Anschauung zu Erkenntnissen führen. 10 Vgl. etwa Hume, An Enquiry concerning Human Understanding, Sec. VII, P. II, S. 55. Hegel wählt die gleiche Einführung in den kantischen Grundgedanken, wenn auch sehr knapp. Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 333 und S. 225.
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
an Erfahrung herausgebildet hat, so der humesche Gedanke. Zwei gravierende Probleme in der humeschen Konzeption liegen nun aber darin, dass schon die Erklärung von Habituation kausale Einwirkungen auf den jeweiligen Menschen voraussetzt und dass die Annahme von psychologischen Gesetzten ebenso problematisch ist wie die Annahme von Naturgesetzlichkeit, Notwendigkeit und Allgemeinheit überhaupt im Rahmen der empiristischen Philosophie, da auch die psychologischen Gesetze nur auf empirischem Wege festgestellt werden können.11 Kant gibt dem Subjekt nun in seiner Erklärung einen anderen Status und entgeht damit dem Widerspruch, in den Hume gerät. Anstatt die Annahme von Notwendigkeit und Allgemeinheit in der Erfahrung erneut durch empirische Beobachtungen hinsichtlich des Erfahrungssubjekts zu erklären, verleiht er dem Subjekt einen transzendentalen Status, das heißt, die Wirkungen des Erfahrungssubjekts werden von ihm als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung interpretiert. Dennoch stellt Hegel die Kritische Philosophie und die humesche Skepsis auf eine Stufe,12 was somit prima facie als undifferenziert erscheint. Allerdings macht Hegel seine Diagnose, dass die kantische Philosophie eine Nähe zum Empirismus aufweist, an einem anderen Kriterium fest, nämlich daran, dass dem kantischen Verständnis nach Wissen ohne Bezug auf Sinnlichkeit unmöglich ist.13 Die Proble11 Vgl. dazu die meines Erachtens überzeugende Widerlegung von D. Wandschneider. Wandschneider stellt Humes Kritik an der kausalen Notwendigkeit in beobachteten Prozessen dar und teilt die Einschätzung, dass Notwendigkeitsurteile für Hume ausschließlich subjektiven Sinn haben. Neben die Kritik, dass das „niemals“ oder „ausschließlich“ bereits Notwendigkeit impliziert, die mehr ist als bloß subjektive Habituation, tritt Wandschneiders scharfsinnige Bemerkung, dass auch eine notwendige Kausalität von Hume vorausgesetzt wird, wenn er die Habituation als verursacht begreift. Wandschneider schreibt: „Kausale Notwendigkeit wird solchermaßen als eine rein subjektive Neigung des Vorstellens gedeutet, der jede sachliche Verbindlichkeit im Sinne objektiver Notwendigkeit abgeht. – An diesem Punkt droht Humes Argumentation freilich inkonsistent zu werden: Denn sie unterstellt ja, daß jene Gewöhnung selbst, die uns zur Annahme von Kausalverhältnissen führt, „must be excited by nature“; ‚excited‘ ist aber nur ein anderes Wort für ‹verursacht›, d. h. die empiristische Kritik objektiver Kausalität muß das so Kritisierte ihrerseits schon in Anspruch nehmen.“ (Wandschneider, „Notwendigkeit, III. Neuzeit“, S. 975). 12 Siehe Hegel, Enz. I, § 40, A., S. 113: „Daß sich in der Erkenntnis die Bestimmungen der Allgemeinheit und der Notwendigkeit finden, dies Faktum stellt der humesche Skeptizismus nicht in Abrede. Etwas anderes als ein vorausgesetztes Faktum ist es in der Kantischen Philosophie auch nicht; man kann nach der gewöhnlichen Sprache der Wissenschaften sagen, daß sie nur eine andere Erklärung jenes Faktums aufgestellt habe.“ Siehe auch Hegel, „Glaube und Wissen“, S. 326 f. (25), Z. 33–2: „[E]s ist aber Kant begegnet, was er Hume vorwirft, nämlich, daß er diese Aufgabe der Philosophie bey weitem nicht bestimmt genug und in ihrer Allgemeinheit dachte, sondern bloß bey der s u b j e k t i ve n und äußerlichen Bedeutung dieser Frage stehen blieb, und herauszubringen glaubte, daß ein vernünftiges Erkennen unmöglich sey, und nach seinen Schlüssen würde alles, was Philosophie heißt, auf einen bloßen Wahn von vermeynter Vernunfteinsicht hinauslaufen.“ Vgl. auch Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 336. 13 Aufgrund dieses Kriteriums schreibt etwa Bennett Kant sowohl einen „meaning-empiricism“ als auch „a sort of knowledge-empiricism“ zu. Vgl. Bennett, Kant’s Dialectic, S. 27.
3.1. Hegels Kritik an Kant
147
me, die daraus resultieren, so Hegel, sind zum einen, dass Kant letztlich gezwungen sei, den Gegenstand an sich zum Unerkennbaren erklärt. Zum anderen ist dieses Verständnisses von Wissen irreflexiv – es setzt ein anderes Verständnis von Wissen voraus, das es unthematisiert und daher auch unbegründet lässt. Anschauung als unzureichendes Kriterium für Wissen Wenn Hegel schreibt, dass Kant die Notwendigkeit und Allgemeinheit in der Erfahrungserkenntnis als Faktum gelten lässt, so scheint Hegel Kant folgenden Schluss zu unterstellen: a) In der Erfahrungserkenntnis sind Notwendigkeit und Allgemeinheit impliziert und auch gültig. b) Die Geltung von Notwendigkeit und Allgemeinheit kann nicht durch die Beobachtung, durch empirische Erfahrung selbst gerechtfertigt werden. c) Also: Die Geltung von Notwendigkeit und Allgemeinheit muss durch etwas anderes als die empirische Erfahrung, etwa das Erfahrungssubjekt erklärt werden.14 Indem Hegel das ‚Faktum‘ als Schwierigkeit anspricht, problematisiert er die Prämisse (a). Denn man könnte aus dem Ergebnis der humeschen Analyse des Beobachtens und der Induktion auch die erste Prämisse verwerfen, also die ‚Gültigkeit‘ der Allgemeinheit und Notwendigkeit in der Erkenntnis zurückweisen. Damit hebt Hegel auf ein allgemeines Problem transzendentaler Argumente ab, die folgende Form haben: Wenn p, dann ist q vorausgesetzt. Nun gilt p, also gilt auch q. Denn es kann grundsätzlich angezweifelt werden, dass p gilt. Ein schlagendes transzendentales Argument muss daher zeigen, dass der Ausgangspunkt, von dem aus die notwendigen Bedingungen erschlossen werden sollen, unanzweifelbar ist.15 Was Kant bräuchte, wäre also zunächst eine Begründung für die erste Prämisse, also dafür, dass Erfahrung tatsächlich gegeben ist und notwendige Strukturen und Gesetze impliziert sind, damit die Analyse der Bedingungen der Erfahrung stichhaltig ist. Dieser Einwand wird auch bei einem Blick auf Kants Ausgangsfragen verständlich. In der Einleitung zur B-Ausgabe der KrV finden sich die oft zitierten Fragen: „Wie ist reine Mathematik möglich? Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?“16 Mathematik und Naturwissenschaft sind für Kant also vorausgesetzt, was zu dem Zirkel führt, dass ihre Bedingungen der Möglichkeit aus dem erschlossen werden, was die Bedingungen erst ermöglichen. Jedoch lassen sich sowohl Mathematik als auch Naturwissenschaft widerspruchsfrei anzweifeln, wodurch auch ihre Bedingungen zweifelhaft werden. Oder anders formuliert: Der Zirkel, wie V. Hösle es ausdrückt, ist hintergehbar: Eine Skeptikerin widerspricht sich nicht, wenn sie die Geltung 14
Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 335 f. Vgl. Illies, The Grounds of Ethical Judgement, S. 41–44. Dieses Problem lösen der Typus des ‚Retorsive Transcendental Argument‘. Vgl. ebd., S. 44–63. 16 Kant, KrV, B 20. 15
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
von Mathematik und Naturwissenschaft infrage stellt.17 Dass jedenfalls für die synthetischen Sätze a priori, die in der KrV begründet werden, immer die Erfahrung vorausgesetzt ist, betont Kant selbst deultich.18 Der Ausgang von einem hintergehbaren Faktum, der Erfahrungserkenntnis, stellt also die Notwendigkeit der kantischen Philosophie infrage. Es kann gegen dieses hegelsche Argument sicher eingewandt werden, dass Kant mit der Ableitung der Kategorien aus den Urteilsformen der Logik und der Rückführung der Bedingungen der Erfahrung auf die Spontaneität des transzendentalen Subjekts eine andere Begründung bemüht. Kant leitet also nicht direkt aus der Erfahrung die Kategorien und Grundsätze des reinen Verstandes ab. Insofern könnte man meinen, dass die genannte Argumentation eher Kant-Interpretationen wie die von Strawson trifft, weil diese kein zusätzliches Prinzip der Ableitung annehmen.19 Es kann hier nicht abschließend beurteilt werden, ob Kants Philosophie gegen diesen Vorwurf letztlich verteidigt werden kann. Dass Kant die Kategorien aus der aristotelischen Logik abzuleiten versucht, gäbe zumindest einen Ansatz zur Verteidigung, während es kaum zu sehen ist, wie der Bezug auf gegebene Anschauung gerechtfertigt werden soll, ohne dass die Probleme aufkommen, die Hegel hier nennt. Und zudem verweist die Rückführung der synthetischen Sätze auf die Spontaneität des Subjekts auf eine weitere Schwierigkeit, die Hegel benennt, was unten unter (3.1.4) näher betrachtet wird. Aus dem Gesagten wird jedoch deutlich, dass Hegel hier klar zwischen einem Faktum als Ausgangspunkt einer Philosophie und einem begründeten Prinzip einer solchen unterscheidet. Kant jedoch scheint das Faktum der Erfahrung und deren Notwendigkeit für Bedeutung und Bezug von synthetischen Sätzen, mit der Ausnahme der Mathematik, einfach vorauszusetzen – zumindest ist nicht klar, wie die Begründung der Prämisse (a) genau zu leisten ist. Den Hintergrund dieses problematischen Ausgangspunktes für die Transzendentalphilosophie bildet allerdings, so Hegel, dass Kant als Kriterium für Erkenntnisurteile den Bezug auf sinnlich Gegebenes annimmt. Einzig die Mathematik bildet für Kant hier eine Ausnahme, da diese nicht auf Gegebenem, sondern sinnlich Konstruiertem beruht, was Kant durch die Annahme der apriorischen Formen der Sinnlichkeit behaupten kann. Die Annahme eines empirischen oder sinnlichen Kriteriums für Erkenntnisurteile ist bereits mehrfach zur Sprache gekommen und soll hier daher nur knapp erwähnt werden.20 Hegel sieht also, dass die kantische Philosophie die 17
Vgl. Hösle, Hegels System, S. 17 f. Vgl. Kant, KrV, A 737 | B 765. Meines Erachtens gilt dieser Zirkel im Übrigen nicht für die andere berühmte Frage der Einleitung: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ (ebd., B 19) Denn das Bestreiten von synthetischen Sätzen a priori bringt selbst einen synthetischen Satz a priori hervor: Es gibt keine synthetischen Sätze a priori. Vgl. dazu den Letztbegründungsbeweis in Hösle, „Begründungsfragen des objektiven Idealismus“, S. 245–259 und Hösle, Die Krise der Gegenwart, S. 152–159. Vgl. auch Braßel, Das Programm der idealen Logik. 19 Vgl. etwa Strawson, Bounds of Sense, S. 44. 20 Vgl. Abschnitt 2.1.4 und besonders Abschnitt 2.3.3. 18
3.1. Hegels Kritik an Kant
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Sinnlichkeit als das Kriterium für den Gehalt von Gedanken einführt, zumindest insofern mit diesem Gehalt Wissensansprüche verbunden werden können.21 Dass Hegel nun mit dieser kantischen Doktrin nicht übereinstimmt, unterstreicht er schon im ersten Paragrafen der Enzyklopädie, wenn er schreibt, dass die Philosophie „des Vorteils [entbehrt], der den anderen Wissenschaften zugute kommt, ihre Gegenstände als unmittelbar von der Vorstellung zugegeben [. . . ] voraussetzen zu können“ und gleich im Anschluss „Gott“ oder die „Wahrheit“ als Gegenstand der Philosophie bezeichnet.22 Hegel weist nun darauf hin, dass Kant selbst ein anderes Kriterium für Aussagen benötigt und verwendet, wenn er Einsichten über Urteile, Kategorien und Vermögen anführt. Hegel fasst das äußerst komprimiert in folgender Bemerkung zusammen: Das eine, was hier behauptet wird, ist die bekannte Kantische Hauptlehre von der Unstatthaftigkeit, mit dem Denken über das Sinnliche hinauszugehen, und von der Beschränktheit des Gebrauchs und der Bedeutung der Denkbestimmungen auf die Sinnenwelt. Die Auseinandersetzung dieser Lehre gehört nicht in diese Abhandlung; was aber darüber zu sagen ist, läßt sich in die Frage zusammenfassen: wenn das Denken nicht über die Sinnenwelt hinauskommen soll, so wäre im Gegenteil vor allem begreiflich zu machen, wie das Denken in die Sinnenwelt hineinkomme?23
Diese Frage mag zunächst erstaunen, fasst aber bei genauerer Analyse das Problem in der Tat erstaunlich konzis: Es wird angenommen, dass Denken auf empirischen Bezug angewiesen ist, um Wissen zu erlangen. Diese Einsicht bezieht sich selbst auf etwas, nämlich auf den Zusammenhang zwischen Denken und demjenigen, worauf sich das Denken bezieht. Wenn dieser Zusammenhang aber wahr ist und die Einsicht sich korrekt auf das Denken bezieht, dann muss das Denken ein empirischer Gegenstand sein, denn ansonsten wäre der Bezug auf das Denken unmöglich. Da Kant sicherlich kein Materialist ist, versteht er selbst das transzendentale Denken 21 Siehe etwa Hegel, Enz. I, § 43, S. 119 f. „Einerseits ist es durch die Kategorien, daß die bloße Wahrnehmung zur Objektivität, zur Erfahrung erhoben wird, andererseits aber sind diese Begriffe, als Einheiten bloß des subjektiven Bewußtseins, durch den gegebenen Stoff bedingt, für sich leer und haben ihre Anwendung und Gebrauch allein in der Erfahrung, deren anderer Bestandteil, die Gefühls- und Anschauungsbestimmungen, ebenso nur ein Subjektives ist.“ Siehe auch Hegel, WdL I, S. 5 (VI), Z. 20–23: „Die exoterische Lehre der Kantischen Philosophie, – daß der Ve r s t a n d d i e E r f a h r u n g n i c h t ü b e r f l i e g e n d ü r f e, sonst werde das Erkenntnißvermögen t h e o r e t i s c h e Ve r n u n f t, welche für sich nichts als H i r n g e s p i n n s t e gebähre, hat es von der wissenschaftlichen Seite gerechtfertigt, dem speculativen Denken zu entsagen.“ Ebenso ebd., S. 29 (5), Z. 28–32: „Gegen die Vernunft gekehrt beträgt er [d.i. der trennende Verstand; Anmerkung G. M.] sich als g e m e i n e r M e n s c h e nve r s t a n d und macht seine Ansicht geltend, daß die Wahrheit auf sinnlicher Realität beruhe, daß die Gedanken n u r Gedanken seyen, in dem Sinne, daß erst die sinnliche Wahrnehmung ihnen Gehalt und Realität gebe, daß die Vernunft insofern sie an und für sich bleibe, nur Hirngespinnste erzeuge.“ 22 Hegel, Enz. I, § 1, S. 41. 23 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 431. Vgl. auch Hegel, „Glaube und Wissen“, S. 341 (52), Z. 21–23.
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
aber nicht als empirischen Gegenstand. Also muss Kant sein eigenes Kriterium verwerfen.24 Damit weist Hegel darauf hin, dass eine überzeugende Philosophie sich selbst mit in den Blick nehmen und daher Reflexivität implizieren muss.25 Und gerade diese Reflexivität transzendiert das kantische Wissenskriterium, denn das Denken oder das Erkenntnisvermögen muss sich selbst erkennen, nicht ein heterogenes, sinnlich Gegebenes.26 Bei genauerer Betrachtung stellt sich nämlich schnell heraus, dass dem Wissenskriterium die Reflexivität abgeht: ‚Alles Wissen ist auf Erfahrung zurückzuführen.‘ Dieser Satz muss selbst ein Fall von Wissen sein, um dem Anspruch gerecht zu werden, alles Wissen korrekt zu erfassen. Somit fällt er selbst unter den Satz, er ist Instanz seiner selbst. Setzt man ihn aber in sich selbst ein, ergibt sich: ‚Dass alles Wissen auf Erfahrung zurückzuführen ist, ist auf Erfahrung zurückzuführen.‘ Das Problem liegt nun in dem normativen Anspruch des Satzes selbst: Das Kriterium ist nicht selbst aus der Sinnlichkeit gewonnen, da es sich auf alles mögliche Wissen bezieht, nicht bloß auf das bisher gewonnene.27 Was Hegel von Kant also verlangt, ist die Rechtfertigung der Begrenzung unseres Wissens durch das Kriterium für Wissen und Aussagen. Diese Rechtfertigung darf aber selbst nur Sätze verwenden, die gewusst werden und als Erkenntnisaussagen 24 Man kann natürlich einwenden, dass Kant durchaus einen Begriff des Denkens hat, der in den Bereich der Phänomene fällt, nämlich zeitlich geordnete Gedanken. Das ist allerdings natürlich nicht der Begriff des Denkens, den Kant selbst für die Ableitung der Urteilsformen und der Kategorien zugrunde legt. Zudem lässt sich das Gegenargument problemlos und ebenso treffend mit transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit formulieren, indem der Bezug auf Kategorien, Urteile et cetera in Kants Philosophie problematisiert wird. 25 Siehe Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 334: „Vor der Wahrheit erkennt das Erkennen nichts Wahres; es geht ihm dann wie den Juden, der Geist geht mitten hindurch. Das Erkenntnisvermögen untersuchen heißt, es erkennen.“ Ebenso Hegel, Enz. I, § 41, Z.1 , S. 114. 26 Siehe Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 353: „Und vorausgesetzt, was wir wissen, sei Erfahrung, ein Synthetisieren von Gedanken und Gefühlsstoffen, so kann allerdings das Unendliche nicht erkannt werden in dem Sinne, daß man eine sinnliche Wahrnehmung davon hat. Aber man wird auch für die Bewahrheitung des Unendlichen nicht eine sinnliche Wahrnehmung fordern wollen; der Geist ist nur für den Geist.“ 27 Entsprechend weist Hegel in Glaube und Wissen sehr deutlich darauf, hin, dass die kantische Philosophie selbst mit ihrem Kriterium für Aussagen bricht, wenn sie über die Bedingungen der Erfahrung, über die Erkenntnisvermögen und die Grenze der Erkenntnis Aussagen formuliere und damit Wissensansprüche stelle. Siehe Hegel, „Glaube und Wissen“, S. 341 (52 f.), Z. 21–29: „Kant hat keinen anderen Grund als schlechthin die Erfahrung und die empirische Psychologie, daß das menschliche Erkenntnisvermögen seinem Wesen nach in dem bestehe, wie es erscheint nämlich in jenem Fortgehen vom Allgemeinen zum Besonderen oder rückwärts vom Besonderen zum Allgemeinen; aber indem er selbst einen intuitiven Verstand denkt, auf ihn als absolut notwendige Idee geführt wird, stellt er selbst die entgegengesetzte Erfahrung von dem Denken eines nicht diskursiven Verstandes auf und erweist, daß sein Erkenntnisvermögen erkennt, nicht nur die Erscheinung und die Trennung des Möglichen und Wirklichen in derselben, sondern die Vernunft und das Ansich.“
3.1. Hegels Kritik an Kant
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fungieren können, auf die das Kriterium also selbst zutrifft. Es ist aber nicht zu sehen, wie das innerhalb des kantischen Rahmens für die Sätze über solche Kriterien selbst geschehen kann. Sehr deutlich tritt die Inkosistenz etwa in folgender Passage hervor: Zu jedem Begriff wird erstlich die logische Form eines Begriffs (des Denkens) überhaupt, und denn zweitens auch die Möglichkeit, ihm einen Gegenstand zu geben, darauf er sich beziehe, erfordert. Ohne diesen letztern hat er keinen Sinn, und ist völlig leer an Inhalt, ob er gleich noch immer die logische Funktion enthalten mag, aus etwaigen datis einen Begriff zu machen. Nun kann der Gegenstand einem Begriffe nicht anders gegeben werden, als in der Anschauung, und, wenn eine reine Anschauung noch vor dem Gegenstande a priori möglich ist, so kann doch auch diese selbst ihren Gegenstand, mithin die objektive Gültigkeit, nur durch die empirische Anschauung bekommen, wovon sie die bloße Form ist. Also beziehen sich alle Begriffe und mit ihnen alle Grundsätze, so sehr sie auch a priori möglich sein mögen, dennoch auf empirische Anschauungen, d. i. auf data zu möglichen Erfahrung.28
Diese Sätze selbst beinhalten aber Begriffe, die sich auf Begriffe, Grundsätze, Funktionen et cetera beziehen. Diese sind aber nicht sinnlich-anschaulich gegeben. Insofern macht Kant also selbst von einem anderen Kriterium für sinnvolle Aussagen Gebrauch und überschreitet damit selbst die Grenze, die er ziehen möchte: Wenn Kants Wissenskriterium richtig sein soll, dann gibt es Erkenntnis, die ohne das Kriterium auskommt, mithin kann es nicht allgemein gelten. Hegel sieht, dass Kant das Wissen durch die Dependenz von der Erfahrung oder Sinnlichkeit beschränken möchte. Das rückt die kantische Philosophie tatsächlich an den Empirismus, und aufgrund dieser Parallele ordnet Hegel sie in die „Zweite Stellung des Gedankens zur Objektivität“29 ein. Und aufgrund der gezeigten Inkonsistenz der kantischen Philosophie sieht sich Hegel nicht an den kantischen Rahmen gebunden und konzentriert sich stattdessen darauf, eine reflexive Methode für rein begriffliche Erkenntnis zu entwickeln.30 3.1.2 Das Ding-an-sich Problem Das Ding-an-sich ist für Hegel ein weiterer Stein des Anstoßes, wie er immer wieder hervorhebt.31 Die Annahme eines Ding-an-sichs folgt, so Hegel, daraus, 28
Kant, KrV, B 298. Hegel, Enz. I, § 40, S. 112. Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 57 f. argumentiert, dass Hegel nicht falsch liegt, wenn er Kant und den Empirismus zusammen kritisiert, weil die Begriffe eben ohne Anschauung blind sind. 30 Vgl. Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“, S. 794. Vgl. dazu unten Abschnitt 4.1. 31 Vgl. unter anderem Hegel, Enz. I, § 41, S. 113, § 44, S. 120 f., § 124, S. 254 f.; Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 350; Hegel, WdL I, S. 28 f. (4); ebd., S. 30 f. (7 f.), ebd., S. 47 (31); ebd., S. #331 f. (150–152); Hegel, PhG, S. 53 f., (3–6). Zu beachten ist, dass Hegels eigene Kategorie des „Ansichseins“ in der „Seinslogik“ vom kantischen Ding-an-sich 29
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
dass Kant das Denken an die Erfahrung und an das einzelne Subjekt bindet.32 Da Kant die Objekte als das Zusammenspiel von a) subjektiven Bestimmungen aus der Sinnlichkeit und dem Verstand und b) der Materie, der gegebenen Empfindung begreift, muss der Grund für die Empfindungen, das Gegebene, auf etwas beruhen, was sich den subjektiven Bestimmungen entzieht. Denn Bestimmtheit ist erst innerhalb der Reichweite der subjektiven Vermögen gegeben – über das Außerhalb und damit den Grund der Empfindung kann keine Bestimmung ausgesagt werden. So steht dem Subjekt ein nicht kategorial fassbares Ding-an-sich gegenüber.33 Hegel kritisiert an dieser Konzeption nun folgende Punkte: 1. Die Aussagen über die strenge Unerkennbarkeit des Ding-an-sichs laufen auf eine pragmatische Inkonsistenz hinaus; 2. ein abgeschwächtes Verständnis hingegen, welches das Ding-an-sich als Abstraktion oder Grenzbegriff interpretiert, macht den Begriff 2.1. überflüssig, weil er gehaltlos wird, oder 2.2. es läuft erneut auf eine pragmatische Inkonsistenz hinaus, weil die Charakterisierung der Funktion des Ding-an-sichs wieder auf Kategorien zurückgreifen muss, die gerade nicht für das Ding-an-sich gelten sollten. Damit ist die Argumentationsstrategie, die Hegel anführt oder die zumindest mit Hegel gegen Kant angeführt werden kann, erneut eine reflexive Argumentation, die auf die impliziten Annahmen und Voraussetzungen Kants zielt. Hegel wendet sich zwar gegen die Unerkennbarkeit des Ding-an-sich (1.), setzt aber oft den Nachweis eines Selbstwiderspruchs voraus. Es finden sich aber Argumente gegen die Unerkennbarkeitsbehauptung, etwa im Abschnitt b. Bestimmung, unterschieden ist, da Hegels Konzeption nicht auf der Distinktion von Erkenntnissubjekt und affizierendem Gegenüber basiert, sondern schlicht die leere und widersprüchliche Konzeption von Etwas ohne alle Relationen beschreibt. Diese Konzeption hält Hegel deswegen für leer, weil auch die Abstraktion von allen Relationen selbst noch eine (Meta-)Relation etabliert, nämlich allem Nicht-Abstrakten entgegengesetzt zu sein. Siehe Hegel, WdL I, S. 107 (114), Z. 21–25: „Somit ist Ansichseyn erstlich negative Beziehung auf das Nichtdaseyn, es hat das Andersseyn ausser ihm und ist demselben entgegen; insofern Etwas a n s i c h ist, ist es dem Anders-seyn und dem Seyn-für-Anderes entnommen. Aber zweytens hat es das Nichtseyn auch selbst an ihm; denn es selbst i s t d a s N i c h t - s e y n des Seyns-für-Anderes.“ 32 Vgl. etwa Hegel, Enz. I, § 41, S. 113, § 44, S. 120 f. Ebenso Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 350. 33 Es ist nicht Teil der vorliegenden Arbeit, die historischen Entwicklungen von Kant zu Hegel darzustellen. Dazu liegen ausführliche und hervorragende Arbeiten vor, und es würde diese Arbeit unnötig erweitern, auf die Einflüsse und Auseinandersetzungen Hegels einzugehen. Vgl. etwa die Arbeit Förster, Die 25 Jahre der Philosophie. Es sei hier aber darauf hingewiesen, dass sich Hegel zeitlebens mit Friedrich Heinrich Jacobi auseinandergesetzt hat, der die mit dem Ding-an-sich verbundenen Probleme außerordentlich scharf erfasst hat. Siehe etwa Jacobi, „Über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen“, S. 74: „Da aber zufolge dieser zwischen dem Object und Subject vorgenommenen philosophischen Theilung das zu Erkennende dem Erkennenden ganz entrückt und auf ewig von ihm getrennt wird: so scheint es fast, auch das Subject müßte sich, als Erkenntnisßvermögen, nun ebenfalls zur Ruhe begeben. Ist doch das Wahre außer dem Erkenntnisvermögen; kann doch das letztre, ohne Widerspruch seines eigenen Wesens, nicht herausgehen aus sich selbst; muß es doch dies Wahre, ein für allemal, als ein von ihm nie zu Erkennendes liegen und blos auf sich beruhen lassen!“
3.1. Hegels Kritik an Kant
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Beschaffenheit und Grenze der Seinslogik. Hier wendet Hegel ein, dass das Ding-ansich allein in der Entgegensetzung gegen das ‹Seyn-für-anderes›, etwa die kantischen Erscheinungen, bestimmt wird und ihm somit eine Qualität zugesprochen wird. Das Argument lässt sich wie folgt paraphrasieren: P1 Die Dinge-an-sich sind nicht erkennbar. P2 Erscheinungen sind erkennbar. C1;2 Dinge-an-sich sind keine Erscheinungen. P3 Unterschiede bestehen nur bei verschiedenen Bestimmungen. CC1,2 ;3 Dinge-an-sich und Erscheinungen haben verschiedene Bestimmungen. CCC1,2 ;3 Dinge-an-sich haben Bestimmungen. C1;CCC ,3 CCC1,2 ,3 stellt eine Erkenntnis über Dinge-an-sich dar, was P1 wider1,2 spricht. Der Argumentationsgang erweist die Erkennbarkeit der Dinge-an-sich und stellt daher eine reductio ad absurdum der Prämisse P1 dar.34 Dass der sich hier zeigende Selbstwiderspruch prinzipieller Natur ist, hat etwa L. B. Puntel in seinem Aufsatz „Transzendentaler und absoluter Idealismus“ herausgearbeitet. Puntel weist auf, dass das kantische Ding-an-sich nur von einer Meta-Position aus eingeführt werden kann, die aber gegen die Restriktion für die Position der empirischen Erkenntnis, für welche das Ding-an-sich ja gerade unerkennbar sein soll, verstoßen muss. Dieser übergeordnete Standpunkt überblickt offenbar die Position der empirischen Erkenntnis, die sinnlichen Erscheinungen und die Dinge-an-sich, denn andernfalls könnte sie keine Unterscheidung zwischen diesen vornehmen.35 Allerdings finden sich durchaus prominente Passagen, in denen Hegel selbst die Unerkennbarkeit der Dinge-an-sich zu affirmieren scheint.36 Es ist aber von entscheidender Bedeutung dabei zu beachten, dass die jeweiligen Passagen sich auf 34 Siehe Hegel, WdL I, S. 110 (118), Z. 19–28: „Das A n s i c h, in welches das Etwas aus seinem Seyn-für-anderes in sich reflectirt ist, ist nicht mehr abstractes Ansich, sondern als Negation seines Seyn-für-anderes durch dieses vermittelt, welches so sein Moment ist. Es ist nicht nur die unmittelbare Identität des Etwas mit sich, [. . . ] weil es abstract, also wesentlich mit Negation, mit Seyn-für-anderes behaftet ist. Es ist hier nicht nur Qualität und Realität, seyende Bestimmtheit, sondern a n - s i c h - s e ye n d e Bestimmtheit vorhanden[.]“ 35 Siehe Puntel, „Transzendentaler und absoluter Idealismus“, S. 214 f. „Wie dem auch sei, es kann jedenfalls gesagt werden, daß das allgemein prinzipielle Argument Hegels gegen Kant folgende Form hat: Kants (meta-)transzendentale Sätze beinhalten eine Präsupposition, die aber in diesen Sätzen selbst ausdrücklich negiert wird. Es entsteht ein Widerspruch zwischen Präsupposition und expliziter Behauptung: ein Selbstwiderspruch (eine contradictio exercita). [. . . ] Indem eine Aussage über reine Erkenntnisse gemacht wird, wird der Bereich der Dinge an sich sozusagen als im logischen Raum stehend angesprochen; anders formuliert: indem gesagt wird, daß sich die Dimension der Dinge an sich unserer Erkenntnis entzieht, wird diese Dimension selbst angesprochen bzw. artikuliert. Kants (meta)-transzendentale Sätze, besonders der große Satz vom transzendentalen Idealismus, beinhalten daher einen Selbstwiderspruch.“ 36 Siehe etwa Hegel, WdL I, S. 109 (115 f.), Z. 1–4: „Die Dinge heissen an-sich, insofern von allem Seyn-für-Anderes abstrahiert wird, das heißt überhaupt, insofern sie ohne alle Bestimmung,
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
das Ding-an-sich als Produkt der Abstraktion beziehen. Von diesem betont Hegel nämlich – paradox anmutend – zugleich, dass nichts leichter zu wissen sei, als das Ding-an-sich.37 Für das Ding-an-sich als Abstraktionsprodukt gilt, so Hegel, dass es auf der einen Seite (2.1.) zu einer Konzeption eines völlig bestimmungslosen Etwas führe, was allerdings trivial zu erkennen und systematisch unfruchtbar wäre, oder (2.2.) sich erneut in eine pragmatische Inkonsistenz verfange, die der „Bewußtlosigkeit“ geschuldet ist, „daß ihre Einfälle und Einwürfe Kategorien enthalten, welche Voraussetzungen sind und selbst erst der Kritik bedürfen, ehe sie gebraucht werden“38 . Der paradoxe Schein der hegelschen Aussagen erklärt sich also dadurch, dass zum einen keine Bestimmtheit an diesem Abstraktionsprodukt zu erkennen ist, und insofern ist es als nicht weiter erkennbar erkannt. Zum anderen beruht die fehlende Bestimmtheit darauf, dass es durch einen Abstraktionsakt konstituiert wurde, und insofern ist es leicht zu erkennen, weil es eben nichts mehr daran zu erkennen gibt, obgleich es durch einen Akt konstituiert wurde. Betrachten wir das noch etwas näher: Hegel selbst stellt das Ding-an-sich oft als eine Gedankenkonstruktion dar. Die Argumentation für die Unerkennbarkeit des Ding-an-sichs verweist Hegel auf die eigene Tätigkeit, auf den Akt des Konstruierens des Konzepts ‚Ding-an-sich‘: „[S]o ist dieser Ansicht die einfache Bemerkung entgegenzusetzen, daß eben diese Sachen, die jenseits unserer und jenseits der sich auf sie beziehenden Gedanken auf dem andern Extreme stehen sollen, selbst Gedankendinge, und als ganz unbestimmte nur Ein Gedankending, (- das sogenannte Ding-an-sich) der leeren Abstraktion selbst sind.“39 In dieser Bemerkung ist nun enthalten, dass die Annahme des Ding-an-sichs als Grenzbegriff oder als äußerste Abstraktion zu einem ganz unbestimmten Konzept führe, da ja die vollständige Abstraktion gerade alle Eigenschaften aus dem Konzept tilge.40 Hegels Grund, warum diese Konzeption selbst fallen gelassen werden muss, ist in dem obigen Argument auf Seite 153 impliziert: Allein die Abgrenzung des Ding-an-sich von den anderen, bestimmten und erkennbaren Dingen bestimmt das Ding-an-sich. Somit ist es pragmatisch widersprüchlich, diesen völlig abstrakten Begriff zugleich als theoretisch fruchtbaren zu verwenden. Dennoch beschreibt als Nichtse gedacht werden. In diesem Sinn kann man freylich nicht wissen, w a s das Ding-an-sich ist.“ 37 Siehe Hegel, Enz. I, § 44, A., S. 121: „Man muß sich hiernach nur wundern, so oft wiederholt gelesen zu haben, man wisse nicht, was das Ding-an-sich sei; und es ist nichts leichter, als dies zu wissen.“ 38 Hegel, WdL I, S. 18 (XXXI), Z. 32–34. 39 Ebd., S. 14 (XXIV), Z. 30–34. 40 Siehe Hegel, Enz. I, § 120, A., S. 120 f. „Das Ding-an-sich (und unter dem Ding, wird auch der Geist, Gott befaßt) drückt den Gegenstand aus, insofern von allem, was er für das Bewußtsein ist, von allen Gefühlsbestimmungen wie von allen bestimmten Gedanken desselben abstrahiert wird. Es ist leicht einzusehen, was übrigbleibt – das völlige Abstraktum, das ganz Leere, bestimmt nur noch als Jenseits; das Negative der Vorstellung, des Gefühls, des bestimmten Denkens usf.“
3.1. Hegels Kritik an Kant
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Hegel im obigen Zitat auch, was passiert, wenn der Gedanke eines Ding-an-sichs festgehalten wird: Es wird als völlig leeres Abstraktum gedacht, und daraus ergibt sich, dass es auf der einen Seite tatsächlich nicht gewusst werden kann. „Denn die Frage: w a s ? verlangt, daß B e s t i m m u n g e n angegeben werden; indem aber die Dinge, von denen sie anzugeben verlangt würde, zugleich D i n g e - a n - s i c h seyn sollen, das heißt ohne Bestimmung, so ist in die Frage gedankenloserweise die Unmöglichkeit der Beantwortung gelegt, oder man macht nur eine widersinnige Antwort.“41 Nur vordergründig paradox erscheint nach Gesagtem dann, dass Hegel, zwar an anderer Stelle, aber zum gleichen Thema festhält, dass „nichts leichter [sei], als dies zu wissen“42 . Denn natürlich ist über das Ding-an-sich Wissen möglich, da es sich ja ausschließlich um ein „Produkt des Denkens“43 handelt. Da dieses Produkt aber zugleich als bestimmungslos konzipiert wird, ist dort einfach nichts Weiteres zu wissen. Insofern auf die Produktionsleistung reflektiert wird, ist das Ding-ansich also als unbestimmt verständlich und daher wird es gewusst, als dasjenige, über das nichts weiter gewusst werden kann. Natürlich ist es als solches aber auch völlig unfruchtbar für jede Erklärung oder theoretische Funktion. Denn was kann durch das Ding-an-sich erklärt werden, wenn über es selbst prinzipiell keine Was-Frage beantwortbar ist? Somit wäre im Grunde im konstruktiven Teil der Kritischen Philosophie im Rahmen der theoretischen Philosophie nichts verloren, wenn man einfach mit dem Mannigfaltigen der Sinnlichkeit anfangen würde, ohne einen Grund für diese Mannigfaltigkeit anzunehmen.44 Nun wird aber in der kantischen Philosophie eine theoretische Funktion für das Ding-an-sich angenommen, etwa als Grund der Affektion der Sinnlichkeit.45 Daher lässt sich zusammenfassend festhalten, dass durch die Annahme einer Funktion, mithin einer Bestimmtheit, die Grenzziehung für die Einsicht in das Ding-an-sich überschritten wird: Zumindest die Theoretikerin der KrV muss einen Standpunkt beziehen, vom dem aus sie die Einwirkungsrelation vom Ding-an-sich auf das Erkenntnissubjekt beschreiben kann, mithin auch beide Relata einsehen kann.46 Und nicht nur die Erkenntnis wird performativ auf das Ding-an-sich ausgedehnt, 41
Hegel, WdL I, S. 109 (116), Z. 4–8. Hegel, Enz. I, § 44, A., S. 121. Siehe oben Fn 37 auf S. 154. 43 Ebd., § 44, A., S. 121. 44 Siehe Hegel, WdL I, S. #246 f. (10 f.), Z. 33–5: „Eben so begreift die Erscheinung im Idealismus den ganzen Umfang dieser mannichfaltigen Bestimmtheiten in sich. Jener Schein und diese Erscheinung sind u n m i t t e l b a r so mannichfaltig bestimmt. Diesem Inhalte mag also wohl kein Seyn, kein Ding, oder Ding-an-sich zu Grunde liegen; er für sich bleibt wie er ist; er ist nur aus dem Seyn in den Schein übersetzt worden; so daß der Schein innerhalb seiner selbst jene mannichfaltigen Bestimmtheiten hat, welche unmittelbare, seyende, andere gegen einander sind.“ Das Solipsismusproblem, das sich daraus ergibt, scheint in der KrV einfach ignoriert zu werden. 45 Vgl. Kant, KrV, A 19 | B 33. 46 Siehe etwa Hegel, WdL I, S. #247 (11), Z. 15–17: „Eben so ist die K a n t i s c h e Erscheinung ein g e g e b n e r Inhalt der Wahrnehmung, er setzt Affectionen voraus, Bestimmungen des Subjekts, welche gegen sich selbst und gegen dasselbe unmittelbar sind.“ 42
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
obwohl sie explizit für unmöglich erklärt wurde, auch die Kategorien des reinen Verstandes scheinen auf das Ding-an-sich zutreffen zu können. Denn Affektion etwa ist nichts anderes als die Beschreibung eines bestimmten Kausalverhältnisses. Kausalität ist aber gerade eine der zentralen Kategorien des reinen Verstandes, die nur für Erscheinungen gelten können, um nicht in die „Antinomien“ der Dialektik der KrV zu verfallen. So führt die Annahme des Ding-an-sichs die kantische Philosophie also, wie Hegel richtig erkennt, vor eminent drängende Probleme, deren Lösung alles andere als offensichtlich ist. 3.1.3 Die Irreflexivität der kritischen Philosophie Die Irreflexivität der kantischen Philosophie, die in den genannten Kritikpunkten bereits deutlich wurde, besteht in dem Problem, dass die Anforderungen an die Begründung der Transzendentalphilosophie inkompatibel mit den Annahmen der Transzendentalphilosophie sind. Der Vorwurf ist, dass die kantische Philosophie die „Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung“ darstellt, dabei aber die Bedingungen dieser Bedingungen ignoriert, also die Frage, wie die Bedingungen der Erfahrung selbst gültig und erkennbar sind. Und das Problem verschärft sich dadurch, dass Kant nicht nur diese Frage ausblendet, sondern ausdrücklich Bedingungen der Bedingungen der Erfahrung widerspricht. Dieses Problem ist bereits mehrfach genannt worden,47 soll hier aber eigenständig erläutert werden, weil das für Hegel ein zentraler Mangel der kantischen Philosophie ist, auf den er mit seiner WdL reagiert. Hegel weist diese Irreflexivität gerne anhand von Kants erkenntnistheoretischem Ansatz nach und formuliert damit ein generelles Argument gegen die Epistemologie als erste Philosophie.48 Berühmt ist die Argumentation der Einleitung in die PhG, in der Hegel die ersten Absätzen der Erkenntnistheorie widmet. Jedoch ist es eine Herausforderung, die genauen Adressaten der hegelschen Argumente zu identifizieren, da er eine freie und metaphorische Darstellung der Annahmen, die er zurückweist, wählt und keine Philosophie explizit mit diesen Annahmen identifiziert. So scheint es, dass Hegel ein generelles Gegenargument vorbringt und es seinen Leserinnen überlässt, welche Philosophien davon getroffen werden. Dass Hegel sich allerdings mit diesem Argument gegen Kant wendet, wird offensichtlich, wenn die Ähnlichkeiten der verwendeten Terminologie in der Einleitung, im § 10 der Enzyklopädie und in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie III gesehen werden, in denen es eindeutig in der Auseinandersetzung mit Kant verwendet wird. Dennoch bleibt eine gewisse Unschärfe, da Hegel nicht speziell die KrV 47
Vgl. S. 153 und oben Abschnitt 2.1.4. Vgl. die Einleitung der PhG. Hegel, PhG, S. 53 f. (3–6); Hegel, Enz. I, § 10, A., S. 53 f.; vgl. auch ebd., § 41, Z.1 , S. 114.; Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 333 f. 48
3.1. Hegels Kritik an Kant
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untersucht, sondern ein Grundproblem der ganzen neuzeitlichen Epistemologie kritisieren möchte, das Kant aber als deren konsequentester Vertreter trifft.49 Hegels Argument lautet nun wie folgt: Es sei zwar auf der einen Seite eine natürliche Vorstellung, dass, um Sicherheit und Gewissheit in der Erkenntnis von Gegenständen ausweisen zu können, zunächst die Art und Weise der Erkenntnis untersucht werden müsse.50 Aber diese Vorstellung führt a) in ein schiefes Bild von Erkenntnis und b) macht sie bestimmte, unhinterfragte Voraussetzungen. Das schiefe Bild (a.) entsteht, da es die Erkenntnis so darstellt, als würde die Erkenntnistätigkeit den Erkenntnisgegenstand verändern oder gar verfälschen. Dann liegt es aber nahe, zu glauben, der Erkenntnisgegenstand sei genau dann richtig verstanden, wenn man die Erkenntnistätigkeit vom Erkenntnisgegenstand subtrahiert hat. So schrieb etwa Heinrich von Kleist am 22. März 1801 an seine Braut, dass die kantische Philosophie ihn einen erschütternden Gedanken gelehrt habe. Es sei mit dem menschlichen Verstand und dessen Verarbeitung der Wahrnehmung, wie mit ‚grünen Gläsern‘, die alle Menschen vor den Augen hätten: Es ließe sich nicht mehr entscheiden, ob die Dinge wirklich grün wären, oder einfach allen Menschen so erschienen.51 Schief ist dieses Bild nun, weil Erkennen als Verfälschung aufgefasst würde, sodass eigentlich der Gegenstand ohne Erkenntnis erkannt werden müsste. Das stimmt aber nicht mit der Auffassung von Erkenntnis überein, denn, wenn man etwas erkannt hat und es folglich weiß, so ist dieses auch wahr – daher kann die Erkenntnis kein verfälschendes Medium sein.52 Denn andernfalls wäre Wissen von dem betreffenden Gegenstand niemals möglich. Als unhinterfragte Voraussetzungen in dieser Auffassung von Erkenntnis (b.) führt Hegel drei Punkte an: 49 Siehe Stekeler, Hegels Phänomenologie des Geistes, S. 336: „Er [d. i. Hegel; Einschub G. M.] folgt damit, wenn auch zunächst nur zitationsartig, der üblichen Vorstellung in der neuzeitlichen Philosophie, deren Grundparadigma die so genannte Erkenntnistheorie ist. Das heißt, Hegel skizziert die Gedankenführung bei Descartes, Hume oder auch noch Kant.“ Dass Hegel nun seine Kritik in recht laxer Sprache vorführt, macht es prima facie leicht, Kant von der Kritik in Schutz zu nehmen, etwa indem man zeigt, dass Kant eine andere Terminologie verwendet. Jedoch ist zu bedenken, dass Hegel eine Kritik eines Philosophietypus vornimmt und daher nicht darauf verpflichtet ist, sich der Terminologie anderer Philosophen anzunehmen. Die Bewertung der hegelschen Kritik muss daher vielmehr prüfen, ob der Typus korrekt kritisiert wird und ob eine besondere Philosophie unter den Typus fällt oder nicht. 50 Siehe Hegel, PhG, S. 53 (3), Z. 5: „Es ist eine natürliche Vorstellung, daß, eh in der Philosophie an die Sache selbst, nemlich an das wirkliche Erkennen dessen, was in Wahrheit ist, gegangen wird, es notwendig sey, vorher über das Erkennen sich zu verständigen, das als das Werkzeug, wodurch man des Absoluten sich bemächtige, oder als das Mittel, durch welches hindurch man es erblicke, betrachtet wird.“ 51 Vgl. Kleist, Briefe, S. 200. 52 Siehe Hegel, PhG, S. 54 (5), Z. 1–6; „Oder wenn die Prüffung des Erkennens, das wir als ein M e d i u m uns vorstellen, uns das Gesetz seiner Strahlenbrechung kennen lehrt, so nützt es ebenso nichts, sie im Resultate abzuziehen; denn nicht das Brechen des Strahls, sondern der Strahl selbst, wodurch die Wahrheit uns berührt, ist das Erkennen, und dieses abgezogen, wäre
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
Sie setzt nämlich Vo r s t e l l u n g e n von dem E r k e n n e n als einem We r k z e u g e und M e d i u m, auch einen U n t e r s c h i e d u n s e r e r s e l b s t vo n d i e s e m E r k e n n e n voraus; vorzüglich aber diß, daß das Absolute a u f e i n e r S e i t e stehe und d a s E r k e n n e n a u f d e r a n d e r n S e i t e für sich und getrennt von dem Absoluten doch etwas Reelles, oder hiemit, daß das Erkennen, welches, indem es außer dem Absoluten, wohl auch außer der Wahrheit ist, doch wahrhaft sey; eine Annahme, wodurch das, was sich Furcht vor dem Irrthume nennt, sich eher als Furcht vor der Wahrheit zu erkennen gibt.53
Hegel nennt also folgende Voraussetzungen: i) die Auffassung, Erkenntnis sei ein Instrument oder Medium, ii) das Erkenntnissubjekt könne sich von der Erkenntnis (als ganzer) distanzieren und iii) die Trennung von Erkenntnis und Erkenntnisgegenstand, die Hegel besonders hervorhebt. Nun hat Hegels Wortwahl sicher wenig mit der kantischen Philosophie zu tun. Weder beschreibt Kant die Erkenntnisvermögen als Instrumente, noch wird das Ding-an-sich als Absolutes bezeichnet, und somit liegt es nahe, Kant aus der Kritik auszunehmen. Denn die kantische Frage nach Bedingungen der Erkenntnis ist natürlich überzeugender, auch wenn seine Analyse von Vermögen und Vernunftmechanismen dazu tendiert, die Bedingungen wie psychologische Mechanismen zu betrachten oder zu vergegenständlichen.54 Hier soll aber vertreten werden, dass Hegel auf ein Argument abzielt, das durchaus die kantische Philosophie trifft, nämlich das Problem einer Erkenntnis der Erkenntnis. Zuvor ist jedoch zu bemerken, dass in obigem Zitat der Begriff des Absoluten schillernd und verwirrend ist. Denn Hegel scheint mit zwei Bedeutungen des Wortes zu spielen: Zum einen bezeichnet Absolutes hier nichts anderes als den vom Erkenntnisprozess getrennten Gegenstand, der von der Erkenntnis losgelösten Sphäre der Objekte. Zum anderen ist das Absolute natürlich ein Begriff, der die Konnotation des höchsten Gegenstandes der Philosophie inklusive philosophisch-theologischer Implikationen mit sich führt. Für die Kritik der kantischen Philosophie genügt hier die erste Bedeutung, weshalb sich hier auf diese konzentriert wird. Die ersten beiden Punkte (i) und (ii) gehen auf den Ansatzpunkt der neuzeitlichen Erkenntnistheorie zurück: Die Erkenntnis muss zunächst selbst untersucht werden, um ihre Zuverlässigkeit evaluieren zu können.55 Damit wird zunächst die uns nur die reine Richtung, oder der leere Ort bezeichnet worden.“ Siehe auch den erhellenden Kommentar Stekeler, Hegels Phänomenologie des Geistes, S. 351 f. „Hegel weist nun darauf hin, dass man sich, wenn man das ›absolut‹ Wahre oder Wirkliche ›an sich‹ von ›unseren‹ Wissensansprüchen abtrennen möchte, einfach widerspricht: Wissen sollte doch Wissen des Wahren sein, dessen also, was es wirklich und objektiv gibt. [. . . ] Andererseits sollte das Wahre unabhängig von uns und unserem Wissen sein. Man versucht damit das, was das Wissen oder Erkennen dem Gegenstand des Wissens oder Erkennens vermeintlich hinzufügt, einfach wieder in Gedanken abzuziehen, um zum Gegenstand an sich zu gelangen. Das aber geht nicht. [. . . ] Vielmehr ist Wissen Medium in dem Sinn, als es das Wahre nur in ihm und in seiner Entwicklung gibt.“ 53 Hegel, PhG, S. 54 (5 f.), Z. 13–20. 54 Vgl. dazu die Darstellung der Hegel-Kritik, unten in Abschnitt 3.1.4, S. 168. 55 Vgl. Hegels klare Darstellung in Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 354–356.
3.1. Hegels Kritik an Kant
159
Erkenntnis selbst zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht, der eine bestimmte Funktion erfüllt, die es in der Erkenntnistheorie zu beschreiben gilt. Um diesen Gegenstand untersuchen zu können, muss aber zunächst Distanz zur Erkenntnis eingenommen werden. Der Untersuchende muss eine distanzierende Haltung zu diesem Gegenstand einnehmen können, sonst wäre es unmöglich, ihn abzugrenzen und theoretisch zu betrachten. Nun liegt aber hierin das Problem, dass die Untersuchung der Erkenntnistheorie selbst eine Erkenntnisleistung ist. In der Skepsis gegenüber der Gegenstandserkenntnis soll zunächst von diesem Gegenstand abstrahiert werden, er soll eingeklammert werden, um die Weise des erkennenden Bezuges selbst zu untersuchen. Nun wird aber in der Untersuchung die Erkenntnis selbst zum Gegenstand einer erkennenden Bezugnahme, denn es soll ja die Art und Weise, das Funktionieren der Erkenntnis untersucht werden. Es kann also nicht erst das Resultat der Epistemologie sein, wie Erkenntnis gelingt, sondern gelingende Erkenntnis ist eine conditio sine qua non der Epistemologie selbst. Darin liegt Hegels Einwand gegen die Erkenntnistheorie als prima philosophia. So schreibt Hegel im § 10 der Enzyklopädie: Aber die Untersuchung des Erkennens kann nicht anders als erkennend geschehen; bei diesem sogenannten Werkzeuge heißt dasselbe untersuchen nichts anderes, als es erkennen. Erkennen wollen aber, ehe man erkenne, ist ebenso ungereimt als der weise Vorsatz jenes Scholastikus, schwimmen zu lernen, ehe man sich ins Wasser wage.56
Damit ist zumindest die vergegenständlichende Bezugnahme auf die Erkenntnis (i.), die Auffassung, Erkenntnis sei ein Medium oder ein Instrument, und man kann hinzufügen: ein Zusammenspiel von Vermögen, zurückzuweisen, weil Erkenntnisleistungen bei der Untersuchung immer schon vollzogen werden müssen. Und auch die zweite genannte Voraussetzung (ii.) fällt unter die Kritik, denn die Distanzierung von Erkenntnisleistungen ist nicht möglich, wenn man zugleich das Erkennen erkennen möchte. Betrachtet man sich also selbst im Erkenntnisvorgang, so kann man sich nicht von der Erkenntnis als Ganzer distanzieren, sondern verhält sich bereits erkennend in Bezug auf einzelne Erkenntnisleistungen. Und schließlich folgt aus Gesagtem auch, warum Hegel die vorausgesetzte Trennung von Erkenntnisleistung und Gegenstand (iii.) zurückweist: Weil in der Erkenntnis der Erkenntnis immer schon ein Gegenstand angenommen wird, kann Erkenntnis nur zusammen mit dem Gegenstand und vice versa thematisiert werden. Daraus folgt für Hegel natürlich nicht, dass Erkenntnis der Erkenntnis unmöglich ist, denn das wäre wiederum ein Selbstwiderspruch, weil es sich um eine Erkenntnis über die Erkenntnis handeln würde, die zugleich die Unmöglichkeit dieser Erkenntnis behauptet. Aber eine Untersuchung der Erkenntnis muss ständig selbst im Blick behalten, dass sie selbst Erkenntnisleistungen vollzieht, Erkenntnis also nicht bloß zum Gegenstand machen kann; und zugleich ist zu beachten, dass 56
Hegel, Enz. I, § 10, A., S. 54.
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
immer schon auf einen Gegenstand Bezug genommen wird, dessen Bestimmung nicht als Subtraktion der Erkenntnisbestimmungen gedacht werden dürfen. Dieses Argument trifft nun insofern Kants theoretische Philosophie, als dass Kant zwar die Bedingungen der Erkenntnis untersucht, aber nicht hinreichend auf die Erkenntnis dieser Bedingungen selbst reflektiert. Während Kant die Erkenntnis von Gegenständen in Raum und Zeit untersucht, kann von ihm legitimerweise eine Erklärung gefordert werden, wie wir über diese Erkenntnisweise selbst Erkenntnis haben.57 Diese Forderung ist legitim, weil mögliche Skepsis hinsichtlich dieser Meta-Erkenntnis die Beschreibung der Erkenntnis erster Stufe nicht unberührt lässt. Denn wenn wir die Bedingungen der Gegenstandserkenntnis nicht korrekt erkannt haben, kann auch die Gegenstandserkenntnis nicht als gelingend eingestuft werden. Und, wie oben bereits benannt, tritt verschärfend hinzu, dass Kant nicht nur die Selbstreflexion seines eigenen Ansatzes vernachlässigt, sondern sogar Thesen aufstellt, die im Widerspruch zu den Anforderungen an die Meta-Erkenntnis stehen.58 Somit leidet das kantische Projekt an der Irreflexivität des Ansatzes, was bis in den immanenten Selbstwiderspruch führt. 3.1.4 Die fehlende Letztbegründung der kantischen Philosophie Daraus folgt, dass Kant keine selbstreflexive, also sich selbst verständlich machende Theorie anbietet. Und daher zeigt Hegel sich wiederholt mit den Begründungsleistungen der kantischen Philosophie unzufrieden.59 Zwar lobt Hegel die kantische Philosophie dafür, die synthetischen Sätze a priori in ihr Zentrum gestellt zu haben, und sieht hier die größte Nähe seiner eigenen WdL,60 stellt aber zugleich fest, dass Kants Behandlung, Ableitung und Begründung der synthetischen Sätze a priori mangelhaft sei. So schreibt er: „[D]ie Ausführung selbst bleibt innerhalb ganz gemeiner, roher, empirischer Ansichten und kann auf nichts weniger Anspruch machen als auf Wissenschaftlichkeit.“61 Es lassen sich hier drei Aspekte unterscheiden: 1. Die Kategorien entbehren in der kantischen Philosophie einer sicheren Grundlage und sind nicht selbst als notwendig bewiesen – Hegel kritisiert also die metaphysiche Deduktion der Kategorien. 2. Dann 57 Hier sieht auch R. Stern die Möglichkeit eines Neuansatzes in der Metaphysik, den Hegel verfolgt, denn es sei nicht klar, warum Kants theoretische Philosophie als gehaltvoll, metaphysische Sätze aber als arbiträr eingestuft werden sollten. Vgl. Stern, Hegelian Metaphysics, S. 11. 58 Vgl. erneut Puntel, „Transzendentaler und absoluter Idealismus“, S. 214 f. 59 Der Einwand, Hegel habe den metatheoretischen Charakter der kantischen Philosophie verkannt, ist selbst für die Unmöglichkeit der Begründungsfrage durch Metaebenen zu entkommen, blind. Vgl. Röd, Der Gott der reinen Vernunft, S. 172 f. 60 Siehe Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 336 f. „Synthetische Urteile a priori sind nichts anderes als ein Zusammenhang des Entgegengesetzten durch sich selbst oder der absolute Begriff, d. h. Beziehung von unterschiedenen Bestimmungen, Verknüpfungen, die nicht durch die Erfahrung gegeben sind[.]“ 61 Ebd., S. 337.
3.1. Hegels Kritik an Kant
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legt Kant, wie oben beschrieben, der Begründung ein problematisches Modell subjektiver Akte zu Grunde, das mit Hegel für die mangelnde Notwendigkeit verantwortlich gemacht werden kann. 3. Und schließlich bemängelt Hegel, dass Kant die Vermögen, die er in der KrV analysiert, nicht wiederum begründet. Ad 1.: Das Problem der Urteils- und Kategorienbegründung Schon in seinem Kommentar zur „Transzendentalen Ästhetik“ bemängelt Hegel, dass Kant es zu begründen versäumt, warum eigentlich diese Formen der Anschauung die verbindlichen sind. Anstatt also die quid juris Frage hinsichtlich der Anschauungsformen von Raum und Zeit zu stellen, was nach Hegel nur durch eine Begriffsanalyse geschehen kann, nimmt Kant die beiden Anschauungsformen einfach als zum Vermögen der Sinnlichkeit gehörig auf.62 Analog merkt Hegel nun auch zu den Kategorien an, dass Kants Ableitung der Kategorien diese eigentlich nicht als notwendig rechtfertigt.63 Und mit Nachdruck klagt er einen Beweisanspruch in der Anmerkung zum § 42 der Enzyklopädie ein: Bekanntlich hat es die Kantische Philosophie sich mit der Auffindung der Kategorien sehr bequem gemacht. Ich, die Einheit des Selbstbewußtseins, ist ganz abstrakt und völlig unbestimmt; wie ist also zu den Bestimmungen des Ich, den Kategorien, zu kommen? Glücklicherweise finden sich in der gewöhnlichen Logik die verschiedenen Arten des Urteils bereits empirisch angegeben vor. Urteilen aber ist Denken eines bestimmten Gegenstandes. Die verschiedenen schon fertig aufgezählten Urteilsweisen liefern also die verschiedenen Bestimmungen des Denkens. – Der Fichteschen Philosophie bleibt das tiefe Verdienst, daran erinnert zu haben, daß die Denkbestimmungen in ihrer Notwendigkeit aufzuzeigen, daß sie wesentlich abzuleiten seien. – Diese Philosophie hätte auf die Methode, die Logik abzuhandeln, doch wenigstens die Wirkung gehabt haben sollen, daß die Denkbestimmungen überhaupt oder das übliche logische Material, die Arten der Begriffe, der Urteile, der Schlüsse, nicht mehr aus der Beobachtung genommen und so bloß empirisch aufgefaßt, sondern aus dem Denken selbst abgeleitet würden. Wenn das Denken irgend etwas zu beweisen fähig sein soll, wenn die Logik fordern muß, daß Beweise gegeben werden, und wenn sie das Beweisen lehren will, so muß sie doch vor allem ihren eigentümlichsten Inhalt zu beweisen, dessen Notwendigkeit einzusehen, fähig sein.64 62 Siehe Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 342: „Wie nun das Gemüt dazu kommt, gerade diese Formen zu haben, was die Natur der Zeit und des Raumes ist, darüber fällt es der Kantischen Philosophie gar nicht ein zu fragen.“ Hegel moniert auch hier, dass Kant sich um keine Begründung und Analyse von Raum und Zeit selbst bemüht, sondern sich nur dafür interessiert, ob sie dem subjektiven Vermögen oder den Dingen zugehören: Siehe ebd., S. 342 f.: „Was sind Raum und Zeit an sich, heißt [bei Kant; Einschub; G.M.] nicht: was ist ihr Begriff? sondern: sind sie Dinge äußerlich oder etwas im Gemüt?“ 63 Siehe Houlgate, „Hegel’s Logic“, S. 116: „Kant further belies his critical intentions by simply assuming that all acts of understanding are acts of judgment and that all concepts, including our basic categories, are “predicates of possible judgments”.“ 64 Hegel, Enz. I, § 42, A., S. 116 f. In der Begriffslogik findet sich ein ähnliches Argument, das allerdings die Urteilsformen übergeht und das fehlende Prinzip in der Ableitung der Verstandesbegriffe bemängelt. Diese erscheinen aber ohne tatsächliches Ableitungsprinzip als bloß
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
Wichtig ist, dass Hegel nicht den Grundgedanken Kants kritisiert, nämlich das Denken und dessen Bestimmungen als notwendige und unhintergehbare Bedingungen der Erkenntnis ins Zentrum der Philosophie zu rücken. Diesem Ansatz bleibt Hegels System mit der WdL treu. Was Hegel hervorhebt, ist, dass die Ableitung der Kategorien ungenügend sei.65 In der Tat ist der Übergang von der Tafel der Urteile zur Tafel der reinen Verstandesbestimmungen in der KrV schwer nachzuvollziehen. Hegel setzt jedoch noch grundsätzlicher an, denn schließlich könnte dieser Übergang auch nachträglich ausgearbeitet werden, wie es etwa in der Arbeit von A. F. Koch vielversprechend ausgeführt ist.66 Hegel geht es aber nicht einzig um den Hinweis eines nur angedeuteten Argumentationsschrittes. Hegel geht insofern darüber hinaus, als dass er argumentiert, dass Kant seine Ausgangsprämisse nicht begründe und daher die ganze Argumentation keine Notwendigkeit beanspruchen könne. Die Ausgangsprämisse besteht nämlich in der Identifizierung der Denkakte mit den Urteilsformen aus der aristotelischen Syllogistik. Auf die Logik des Aristoteles beruft sich Kant bekanntlich, weil diese durch langen Bestand ohne Rück- oder Fortschritt als sicher gelten könne.67 Hegel legt seinen Finger nun darauf, dass ein langes Bestehen oder das Anerkanntsein kein Beweis ist und damit die Notwendigkeit nicht nachgewiesen wird. Und Letzteres ist zu fordern, damit die Möglichkeit ausgeschlossen werden kann, dass sich die Urteilsformen doch als kontingent herausstellen. Was Hegel also in der zitierten Anmerkung im Grunde fordert, ist eine (Letzt-)Begründung der Logik, der Begriffe, Urteile und Schlüsse. Diese Anforderung, die nach dem grundsätzlichen Begründungsstatus der aristotelischen Logik fragt, ist von der Kritik: Seit der Fregeschen Logik seien wesentlich mehr Urteilsformen für die Logik grundlegend verschieden. Denn dieses Argument stellt zwar die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel und damit der Kategorientafel infrage, aber nicht die Geltung der kantischen Ergebnisse. Hegel hingegen fordert einen Beweis der letzten und fundamentalen Prämissen. Diese Anforderung an die Begründung in der kantischen Philosophie mag sehr streng erscheinen – etwa weist K. Ameriks den Begründungsanspruch Hegels an Kant als eine externe Anforderung zurück.68 Dagegen ist aber zu sagen, dass der Autor, der empirisch aufgegriffen, sodass eine „e m p i r i s c h e L o g i k“ und damit „eine i r r a t i o n e l l e Erkenntniß des R a t i o n e l l e n“ vorliege (vgl. Hegel, WdL II, S. 43 f. (55 f.), Z. 34 f.). 65 So auch Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, S. 14 f. 66 Vgl. Koch, Subjekt und Natur. Zur Rolle des „Ich denke“ bei Descartes und Kant, S. 128–134. 67 Siehe Kant, KrV, B VIII: „Daß die L o g i k diesen sicheren Gang schon von den ältesten Zeiten her gegangen sei, läßt sich daraus ersehen, daß sie seit dem A r i s t o t e l e s keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen, wenn man ihr nicht etwa die Wegschaffung einiger entbehrlichen Subtilitäten oder deutlichere Bestimmung des Vorgetragenen, als Verbesserungen anrechnen will, welches aber mehr zur Eleganz, als zur Sicherheit der Wissenschaft gehört. Merkwürdig ist noch an ihr, daß sie auch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können, und also allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint.“ 68 Vgl. Ameriks, „Hegel’s Critique of Kant’s Theoretical Philosophy“.
3.1. Hegels Kritik an Kant
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auf dem Kampfplatz der Philosophie die endlosen Streitigkeiten der Metaphysik durch einen Urteilsspruch beenden möchte, selbst einen sehr starken Anspruch an sich stellt, der in der KrV auch deutlich zum Ausdruck kommt.69 Und zudem teilt Kant im Grunde genommen den hegelschen Punkt, dass das aus der Tradition aufgenommene Wissen als zufällig zu bewerten ist: Wenn ich von allem Inhalte der Erkenntnis, objektiv betrachtet, abstrahiere, so ist alles Erkenntnis, subjektiv, entweder historisch oder rational. Die historische Erkenntnis ist cognitio ex datis, die rationale aber cognitio ex principiis. Eine Erkenntnis mag ursprünglich gegeben sein, woher sie wolle, so ist sie doch bei dem, der sie besitzt, historisch, wenn er nur in dem Grade und so viel erkennt, als ihm anderwärts gegeben worden, es mag dieses ihm nun durch unmittelbare Erfahrung oder Erzählung, oder auch Belehrung (allgemeiner Erkenntnisse) gegeben sein.70
Hegel sieht in dem Problem der fehlenden Begründung bei Kant nicht nur eine generelle Schwachstelle aller Philosophie, von bestimmten Prämissen ausgehen zu müssen. Vielmehr geht er auf den spezifischen Punkt ein, dass, wenn Kant in Anbetracht des Anspruches, mit seinen Kritiken den Streit zwischen Rationalismus und Empirismus zu beenden, einen sicheren Boden braucht, um nicht selbst in einen neuen Dogmatismus zu verfallen.71 Insofern ist die Frage nach dem letzten Grund der Urteilstafel und der Vermögen und ihrer Funktionen kein beliebiges, sondern für die kantische Philosophie selbst ein essentielles Problem. Ad 2.: Das Problem der Begründung durch subjektive Akte Dem Problem der (Letzt-)Begründung der Logik und des eigenen Ausgangspunktes analog ist eine Kritik an Kants Rückgriff auf subjektive Akte für Begründungszwecke, ohne die Akte selbst als notwendig zu beweisen. Diese Rückführung der transzendentalen Bedingungen der Erkenntnis auf Akte des Subjekts oder die „Spontaneität des Denkens“72 kann, so Hegels Kritik, letztlich nicht überzeugen. Dabei zielt er auf den gleichen Mangel, nämlich an dem fehlenden Ausweis der Allgemeinheit und 69 Etwa stellt Kant den Anspruch, dass seine Kategorientafel vollständig ist. Vgl. Kant, KrV, A 64 f. | B 89 f. Dass Kant auch Alternativlosigkeit voraussetzt, wird in der ganzen KrV deutlich, folgt aber auch aus dem Anspruch, dass sie der „wahre Gerichtshof für alle Streitigkeiten“ der Vernunft sei (vgl. ebd., A 751 | B 779). 70 Ebd., A 835 f. | B 863 f. Insofern ist gegen Halbigs ansonsten sehr informative Darstellung der Kantkritik aus der „Stellung des Gedankens zur Objektivität“ zu betonen, dass Allgemeinheit und Notwendigkeit in der Erfahrung für Kant höchste Indikatoren sein können, nicht aber schon ein Grund, einen synthetischen Satz als a apriori gelten zu lassen. Vgl. Halbig, Objektives Denken, S. 251 f. 71 Siehe Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 333: „Diese Philosophie hat der Verstandesmetaphysik, als einem objektiven Dogmatismus, ein Ende gemacht, in der Tat aber dieselbe nur in einem subjektiven Dogmatismus, d. i. in ein Bewußtsein, in welchem dieselben endlichen Verstandesbestimmungen bestehen, übersetzt und die Frage nach dem, was an und für sich wahr ist, aufgegeben.“ 72 Hegel, Enz. I, § 40, S. 113.
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Notwendigkeit der Urteilsformen und damit der Kategorien, macht diesen Mangel aber nicht am unbegründeten Aufgreifen der aristotelischen Logik, sondern an der Rückführung der Urteile auf ‚Handlungen des Verstandes‘ fest.73 Die Begründung für die Allgemeinheit und Notwendigkeit der reinen Verstandesbegriffe, die Kant anzubieten habe, beruhe auf der „Spontaneität des Denkens“74 , wie Hegel zu Recht meint.75 Diese Spontaneität ist letztlich also eine Aktivität, eine ‚Handlung‘, wie Kant sie nennt, und zwar des Verstandesvermögens. Diese Handlung synthetisiert; sie bewirkt, dass „verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen“76 zusammengefasst werden. Das führt natürlich vor die Frage, welchen modalen Status diese Akte haben und welcher Begründungsstatus ihnen eigentlich zukommt. Das hegelsche Bedenken ist dabei das folgende: Solange diese Handlungen des Verstandes nicht weiter begründet werden, können sie als wandelbar und somit kontingent aufgefasst werden. Daher grenzt Hegel sich explizit davon ab, seine Philosophie auf einem Modell von Verstandes- oder Vernunfthandlungen zu gründen: Eben so ist hier auch der Begriff, nicht als Actus des selbstbewußten Verstandes, nicht der s u b j e c t i ve Ve r s t a n d zu betrachten, sondern der Begriff an und für sich, welcher ebensowohl eine S t u f e der N a t u r, als des G e i s t e s ausmacht.77
Danach führt die Fundierung der theoretischen Philosophie durch Akte des transzendentalen Selbstbewusstseins nicht nur in einen subjektiven Idealismus, der große Gefahr läuft, vom Solipsismus ununterscheidbar zu sein. Hinzu kommt das Problem, dass auf Basis der Akte die Notwendigkeit fraglich ist und damit keine finale Begründung geleistet werden kann.78 Die synthetischen Urteile a priori werden bei Kant nicht unmittelbar der empirischen Erfahrung entnommen, sondern durch die Spontaneität des Denkens erklärt, was Hegel regelmäßig betont.79 Seine Kritik richtet sich nun nicht gegen die 73 Vgl. Kant, KrV, A 68 | B 93. Das bestätigt auch: Koch, Subjekt und Natur. Zur Rolle des „Ich denke“ bei Descartes und Kant, S. 125. 74 Hegel, Enz. I, § 40, S. 113. 75 Vgl. Kant, KrV, A 68 | B 93. 76 Ebd., A 68 | B 93. 77 Hegel, WdL II, S. 20 (16), Z. 11–14. Siehe auch Hegel, Enz. I, § 42, Z. , S. 118: „Zugleich 1 ist dann aber zu bemerken, daß es nicht die subjektive Tätigkeit des Selbstwußtseins ist, welche die absolute Einheit in die Mannigfaltigkeit hineinbringt.“ 78 Natürlich tritt noch das große Problem hinzu, dass für die Beschreibung von Akten stets Kategorien vorausgesetzt werden müssen. Insofern ist immer ein Zirkel in der Begründung gegeben, denn die subjektiven Akte sollen eigentlich die Kategorien begründen, aber die Beschreibung setzt die Kategorien bereits voraus. Vgl. Husserl, Logische Untersuchungen, Erster Band. Vgl. darin etwa: ebd., Erster Band, § 38, S. 130 f. (A 123 f. | B 123 f.) 79 Vgl. u. a. Hegel, Enz. I, § 40, S. 113; auch Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 337 und S. 344.
3.1. Hegels Kritik an Kant
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synthetischen Urteile a priori und auch nicht dagegen, dass diese etwas mit dem Denken zu tun haben. Dennoch schreibt er, dass bei Kant „die Ausführung selbst [. . . ] innerhalb ganz gemeiner, roher, empirischer Ansichten“ bleibt und sie könne „auf nichts weniger Anspruch machen als auf Wissenschaftlichkeit“.80 Hegel scheinen nun zwei Punkte an der kantischen Konzeption besonders zu stören: a) die Auffassung des Denkens als subjektiv beziehungsweise als an subjektive Akte geknüpft,81 und b) die fehlende Begründung der Vermögen und der Akte der Spontaneität.82 Die Auffassung (a), das Denken sei subjektiv und an Akte des endlichen, menschlichen Bewusstseins gebunden, ist nun zwar durch die kantische Trennung von transzendentalem und empirischem Ich nicht ganz so einfach auf die KrV zu beziehen, wie Hegel es tut. Allerdings ist der Eindruck, das menschliche Bewusstsein und die menschlichen Vermögen würden das Modell für Kants Transzendentalphilosophie bilden, durchaus nachvollziehbar, zumal Kant, sehr deutlich im § 76 der KU, einen göttlichen Verstand von den Ergebnissen der ersten Kritik unterscheidet.83 Hegel sieht darin den Grund, dass die kantische Philosophie zum einen auf einen Grund für die Mannigfaltigkeit der Anschauung zurückgreifen muss, diesen Grund aber zugleich als unerkennbar, weil außerhalb des Skopus der subjektiven Vermögen gelegen, ansieht.84 Was die kantische Philosophie allerdings an den Empirismus heranrückt, ist (b) die fehlende Begründung der Vermögen und der Akte der Spontaneität des Selbstbewusstseins. Der Gedanke Hegels ist dabei, dass Kant keine überzeugende Ableitung für die drei Vermögen, Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft, angibt85 80
Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 337. Vgl. etwa ebd., S. 338. Ebenso Hegel, Enz. I, § 41, S. 113: „Diese Kritik geht jedoch nicht auf den Inhalt und das bestimmte Verhältnis dieser Denkbestimmungen gegeneinander selbst ein, sondern betrachtet sie nach dem Gegensatz von Subjektivität und Objektivität überhaupt.“ 82 Darauf deutet etwa der stete Vorwurf hin, Kant gehe letztlich psychologisch vor. Siehe etwa Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 339: „Kant geht nun psychologisch zu Werke, d. h. geschichtlich; er geht die Hauptweisen des theoretischen Bewußtseins durch. Das erste ist die Anschauung, das Sinnliche; das zweite der Verstand; das dritte die Vernunft. Das erzählt er so her, nimmt es ganz empirisch auf, ohne es aus dem Begriff zu entwickeln.“ 83 Vgl. dazu oben S. 123. 84 Der sich so ergebende Widerspruch sei hier nur erwähnt, da er oben im Abschnitt 2. erläutert wurde. Hegels Schritt zum objektiven Idealismus besteht ja gerade darin, die kategoriale Ordnung nicht auf die jeweilige Aktivität des menschlichen Erkennens zurückzuführen, sondern Gegenstände, Natur et cetera als selbst kategorial bestimmt zu betrachten. Das findet etwa im Zusatz 1. zum § 42 einen schönen Ausdruck: „Zugleich ist dann aber zu bemerken, daß es nicht die subjektive Tätigkeit des Selbstbewußtseins ist, welche die absolute Einheit in die Mannigfaltigkeit hineinbringt. Diese Identität ist vielmehr das Absolute, das Wahrhafte selbst. Es ist dann gleichsam die Güte des Absoluten, die Einzelheiten zu ihrem Selbstgenuß zu entlassen, und dieses selbst treibt sie in die absolute Einheit zurück.“ (Hegel, Enz. I, § 42, Z.1 , S. 118). 85 Hegel zeigt sich hier vornehmlich polemisch: „Das dritte bei Kant ist nun die Vernunft. Das zweite war der Verstand, das denkende Bestimmen. Kant geht von dem Verstand nun ebenso 81
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
und die Notwendigkeit der Akte der Spontaneität nicht begründet. Vielleicht scheinen die Vermögen, auf die Kant zurückgreift, offensichtlich, weshalb die hegelsche Kritik überzogen erscheinen mag, allerdings sieht auch die Interpretation von P. Strawson – die vom Verdacht zu großer Sympathie mit Hegel frei ist – eine fragwürdige Überzeugung Kants darin, die notwendigen Bedingungen der Erfahrung auf Vermögen und deren Mechanismen zurückzuführen.86 Worauf Hegel damit hinweist, ist, dass das Faktum von drei Vermögen sie noch nicht begründet, und insofern meint er, Kant „zählt das her, wie in der empirischen Psychologie; die Darstellung einer Notwendigkeit eines solchen Fortgangs [vom Vermögen der Sinnlichkeit zum Verstand; Einschub G. M.] fehlt“87 . Ebenso verweist Hegels Bemerkung, dass subjektive Akte im Zentrum der kantischen Philosophie ständen, die als letzter Grund der Urteilsformen und damit der Kategorien fungieren sollen, auf ein fehlendes Prinzip und eine fehlende Begründung. Denn Kant leitet die Kategorien in der „Metaphysischen Deduktion“ aus den Urteilsformen der aristotelischen Logik ab.88 Hegel zielt nun nicht nur darauf ab, dass der Übergang von den logischen Urteilen zur Tafel der Kategorien im Text der KrV als lückenhaft erscheint. Er weist vielmehr darauf hin, dass Kant die Begriffe (und Urteile) als „Funktionen des Verstandes“89 auffasst. Eine „Funktion des Verstandes“ ist für Kant aber in letzter Instanz „die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen“90 . Nun scheint Kant in dem Abschnitt „Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt“ zwar letztlich Urteile und Verstandeshandlungen zu identifizieren, denn durch die vollständige Angabe der Urteile sollen sich alle „Funktionen des Verstandes“ darstellen lassen.91 Dennoch bleibt es ambivalent, ob für Kant nicht die Akte letztlich die Urteilsformen und mithin auch die Kategorien begründen müssen,92 was durch die Bemerkung Kants, dass logische Urteile und Kategorien im gleichen Verstand gründen, da sie von psychologisch zur Vernunft fort; sie wird eben auch angetroffen. Es wird im Seelensack herumgesucht, was darin für Vermögen sich befinden; es findet sich zufälligerweise noch Vernunft, – es wäre ebensogut, wenn auch keine[.]“ (Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 351.) Vgl. auch Hegel, Enz. I, § 41, S. 114. 86 Vgl. Strawson, Bounds of Sense, S. 15 f. und ebd., S. 19 f. 87 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 343. 88 Vgl. Koch, Subjekt und Natur. Zur Rolle des „Ich denke“ bei Descartes und Kant, S. 128–134. 89 Kant, KrV, A 69 | B 94. 90 Ebd., A 68 | B 93. Darauf verweist auch: Koch, Subjekt und Natur. Zur Rolle des „Ich denke“ bei Descartes und Kant, S. 125. 91 Siehe Kant, KrV, A 69 | B 94: „Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen[.]“ Und ebenso: „Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheiten in den Urteilen vollständig darstellen kann.“ Letzteres ist allerdings zweideutig, da die „Einheiten in den Urteilen“ auch als „Einheit der Handlung“ (ebd., A 68 | B 93) verstanden werden können, durch welche sie erst bewirkt werden. 92 Siehe etwa ebd., A 68 | B 93: „Begriffe gründen sich also auf der Spontaneität des Denkens, wie sinnliche Anschauungen auf der Rezeptivität der Eindrücke.“
3.1. Hegels Kritik an Kant
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derselben ‚Handlung zu Stande gebracht werden‘, nahe liegt.93 So lässt sich aber die Frage an Kant richten, warum der Verstand diese Funktionen besitzt, also diese Handlungen ausführt, die zu den Urteilen in der aristotelischen Logik führen. Sind sie vollständig? Können sie sich historisch wandeln? Oder sind sie notwendig? Diese Fragen bleiben notwendig offen, solange keine Begründung für die Funktionen des reinen Verstandes und damit der Urteilsformen vorliegt.94 Daher sieht Hegel in der kantischen Philosophie – polemisch, aber nicht zu Unrecht – den Einschlag empirischer Psychologie und stellt die Forderung einer stringenteren Begründung auf, wenn notwendige Ergebnisse in der Transzendentalphilosophie erreicht werden sollen. Wie im Weiteren noch kurz dargestellt werden soll, lehnt Hegel die kantische Vermögenslehre als letzten Grund der Philosophie, ebenso wie die Rückführung apriorischer Kategorien auf Akte eines Subjekts ab. Ohne eine Begründung der Notwendigkeit und Allgemeinheit der Vermögen und Akte gelangt die Philosophie in ihrer Geltung nicht über die Geltung empirischer Wissenschaft hinaus, die aber ja gerade durch die Transzendentalphilosophie ergänzt werden soll, um Notwendigkeit und Allgemeinheit in den empirischen Wissenschaften zu rechtfertigen und zu begründen. Das in dem psychologischen Vokabular der KrV eine Schwäche liegt, betont interessanter Weise auch P. Strawson.95 Wie Hegel sieht Strawson in dem „psychological idiom“ eine Begründungsschwäche und einen Grund für die Annahme des Ding-an-sichs, das in den oben genannten Widerspruch treibt.
93 Siehe Kant, KrV, A 79 | B 105: „Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen vermittelst der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zu Stande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann.“ Dass Hegel meint, Kant würde sich letztlich auf Tätigkeiten stützen, geht aus dem Zusatz zum § 42 hervor. Siehe Hegel, Enz. I, § 42, Z.1 , S. 118: „Dies ist es dann, was Kant reine Apperzeption nennt, zum Unterschied von der gewöhnlichen Apperzeption, welche das Mannigfaltige als solches in sich aufnimmt, wohingegen die reine Apperzeption als die Tätigkeit des Vermeinigens zu betrachten ist.“ 94 Insofern erhellt auch, dass es nicht nur darum geht, dass Kants Ergebnisse notwendig sind, aber gegebenenfalls nicht vollständig, weil die Urteilstafel heute als unvollständig eingeschätzt wird. Vgl. Strawson, Bounds of Sense, S. 29. Es geht Hegel also nicht darum, dass es mehr als die von Kant aufgeführten Urteile und daher mehr Kategorien geben kann – Hegel ist sicher kein Prophet der Fregeschen Logik, mit der in der Regel die Vielzahl der Kategorien begründet wird. Eine solche Erweiterung ließe die kantischen Ergebnisse in ihrer Geltung schließlich unberührt. Aber die kantischen Ergebnisse bleiben fragwürdig, solange sie nicht stringent begründet werden, so lautet Hegels Punkt. 95 Siehe ebd., S. 22: „The doctrines of transcendental idealism, and the associated picture of the receiving and ordering apparatus of the mind producing Nature as we know it out of the unknowable reality of things as they are in themselves, are undoubtedly the chief obstacles to a sympathetic understanding of the Critique.“
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
Nun ist der Vorwurf des Psychologismus nicht einfach triftig, da Kant über Hume hinausgehend festhält, dass die Notwendigkeitsurteile über Erfahrungsgegenstände weder durch eine andere Erfahrungswissenschaft gerechtfertigt werden können, noch erklärbar sind, ohne bereits wieder auf Notwendigkeitsurteile zurückgreifen zu müssen. Da sie aber unumgänglich sind, müssen sie eine andere Geltungsgrundlage haben als die Erfahrung. Insofern zielt die Transzendentalphilosophie auf einen anderen Begründungsstatus für die Kategorien. Allerdings bedeutet Hegels immanente Kritik, dass er die Begründung bis auf ihren letzten Grund hin befragt. Und weil die kantische Philosophie in diesen letzten Gründen auf Tatsachen, Fakten oder unmittelbare Aktvollzüge zurückzugreifen scheint, ohne diese zu begründen, steht der Begründungsstatus selbst auf dem Spiel.96 Und da somit letztlich kein Grund angegeben wird, spitzt Hegel polemisch zu, dass Kant eigentlich über transzendentale Vermögen und deren Mechanismen rede, als sei er Psychologe, nicht aber Philosoph mit dem Anspruch auf Notwendigkeit. Ad 3.: Das Problem der Begründung der Vermögen Aus der Rückführung der Bedingungen der Erkenntnis auf Akte der Vermögen des Erkenntnissubjekts ergibt sich für Hegel nicht nur die Frage, warum die Vermögen auf die Weise funktionieren, die Kant ihnen zugewiesen hat. Er stellt darüber hinaus die Frage, warum genau diese Vermögen zum Erkenntnissubjekt gehören. Auch wenn Hegel damit nicht unbedingt die Ergebnisse der kantischen Analysen und Unterscheidungen zurückweisen möchte, bemängelt er doch die fehlende Begründung und Methode des kantischen Vorgehens: Oder die Kantische Philosophie führt die Wesenheit in das Selbstbewußtsein zurück, aber kann diesem Wesen des Selbst oder diesem reinen Selbstbewußtsein keine Realität verschaffen, die ihm selbst das Sein nicht aufzeigen; begreift das einfache Denken als den Unterschied an ihm selbst habend, aber begreift noch nicht, daß alle Realität eben in diesem Unterscheiden besteht; weiß über die Einzelheit des Selbstbewußtseins nicht Meister zu werden; beschreibt die Vernunft sehr gut, aber tut dies auf eine gedankenlose, empirische Weise, die sich ihre Wahrheit selbst wieder raubt.97
96 Besonders eklatant tritt die psychologische Seite der KrV etwa in der allerdings oft polemischen Interpretation Jacobis hervor. Siehe Jacobi, „Über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen“, S. 93: „Möglich macht er [d. i. der Verstand; Einschub G. M.] sich durch ein ursprüngliches reines, oder bloses Selbst- oder an sich-Bewusstseyn, welches, außer einer qualitativen Einheit, die es hat, auch noch eine quantitative; zu und vor dieser aber Mannigfaltigkeit; folglich Verschiedenheit; überall Thätigkeit, Handlung – mithin Ziel und Hemmung (interstitiones): ein continuierliches Entgegen- und Zusammen-setzen – im durchaus Leeren; ein unendliches Anfangen und Enden, wo nichts anzufangen und nichts zu enden ist – sich selbst, und noch einmal sich selbst, das ist, sich selbst und den reinen Verstand, in, mit und durch sich selbst, unbegreiflich hervorbringt und zugleich voraussetzt.“ 97 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 332 f.
3.2 Hegels Kritik an Kants Widerlegung
169
So kommentiert Hegel in seiner Erläuterung der kantischen Philosophie bei den Übergängen zwischen den Erkenntnisvermögen, dass eigentlich kein Grund gegeben wurde oder zumindest ein Prinzip für die Aufzählung der Vermögen fehlt.98 Es geht also auch bei den Vermögen um die fehlende Begründung, die für Hegel den Unterschied zwischen einer philosophischen Betrachtung und einer empirischen, letztlich psychologischen markieren würde.99 Daher verabschiedet sich Hegels WdL von dem Modell eines menschlichen Erkenntnisvermögens und untersucht die Kategorien selbst, gibt also nicht ihre Abstammung quid factis an, sondern analysiert ihre Geltung quid juris.100
3.2 Hegels Kritik an Kants Widerlegung der philosophischen Theologie Dass Hegel sich legitimiert fühlt, den OGB und die Grundfragen der philosophischen Theologie anzugehen, ist allerdings nicht nur eine indirekte Folge der Kritik an Kants theoretischer Philosophie. Vielmehr weist Hegel auch den kantischen Widerlegungsversuch zurück. Er widmet sich an drei wichtigen Stellen seines Werkes dem kantischen Widerlegungsversuch ausführlicher, nämlich in den §§ 49–52 der Enzyklopädie, in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie und in den Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes.101 Hier geht es nun darum, zu zeigen, dass Hegel das Projekt philosophischer Theologie durch die kantische Philosophie nicht ernsthaft in Gefahr gebracht sieht. Dass er sich zugleich motiviert sieht, die klassische Behandlungsweise der vorkantischen Metaphysik in Frage zu stellen, soll anschließend kurz betrachtet werden. Dass der kantischen Kritik ein empiristisches Kriterium für den Gehalt von Aussagen zu Grunde liegt, sieht Hegel, wie oben gezeigt, deutlich und fragt daher ironisch: Hätte man es je denken sollen, daß die Philosophie den intelligibeln Wesen darum die Wahrheit absprechen würde, weil sie räumlichen und zeitlichen Stoffes der Sinnlichkeit entbehren?102
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Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 339. Siehe ebd., S. 384: „Er [d. i. Kant; Einschub G. M.] hat richtig und bestimmt das Ganze unterschieden. Aber da einmal diese philisterhafte Vorstellung von unserem, vom menschlichen Erkenntnisvermögen ausgeht, so gilt ihm dieses in seiner empirischen Form, ungeachtet er es für nicht die Wahrheit erkennend auch aussagt und die wahre Idee desselben, die er auch beschreibt, als bloß so ein Gedanken, den wir haben.“ 100 Vgl. Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“, S. 808. 101 Vgl. Hegel, Enz. I, § 49–52, S. 130–137. Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 359–362. Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 421–447. 102 Hegel, WdL II, S. 23 (21 f.), Z. 26–28. 99
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
Kants gesamter Metaphysikkritik liegt dieses Kriterium zugrunde,103 und damit natürlich auch der Zurückweisung der philosophischen Theologie, so Hegel.104 Es ist unnötig zu betonen, dass er selbst dieses Kriterium für gehaltvolle Propositionen nicht akzeptiert, und es wurde auch gezeigt, dass es gute Gründe gibt, dieses zurückzuweisen.105 Die Kehrseite des kantischen principle of significance ist folgerichtig,106 dass Kant keine Möglichkeit sieht, rein denkend zu notwendigen Erkenntnissen zu kommen. Nur die Erfahrung kann den Gedanken einen Halt geben und erfahrungsunabhängiges Nachdenken gleicht einem „Herumtappen, und, was das Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen“107 , wie Kant schreibt. Hegel interessiert sich vor allem für die Kritik des KGB und des OGB, während der PTB weniger Beachtung findet.108 Was den KGB anbelangt, so sollen hier nur zwei Punkte aus der hegelschen Besprechung hervorgehoben werden, da der KGB nicht der eigentliche Gegenstand dieser Arbeit ist. Zum einen führt Hegel an, dass der KGB, wie auch oben angesprochen,109 sein Ziel erreicht, wenn er die Existenz eines notwendigen Wesens zeigen kann. Zwar befriedigt der Begriff eines absolut notwendigen Wesens nicht direkt das Bedürfnis nach einem reich bestimmten Gottesbegriff. Aber wenn es nur der Mangel an weiteren Bestimmungen ist, der den KGB ungenügend erscheinen lässt, so kann man sich entweder selbst bescheiden und mit diesem Gottesbegriff zufrieden sein, oder andere Quellen, 103 Siehe Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 352: „Die Vernunft hat nun den Trieb, das Unendliche zu erkennen; aber dies vermag die Vernunft nicht. Und der Grund, den Kant angibt, ist einerseits dieser, daß das Unendliche nicht in der Erfahrung gegeben ist, daß diesem keine psychologisch sinnliche Anschauung, Wahrnehmung entspricht, daß es nicht in der äußerlichen oder inneren Erfahrung gegeben ist; – der Idee kann kein kongruierender Gegenstand in der Sinnenwelt gegeben werden. [. . . ] Das ist nun allerdings richtig; das Unendliche ist nicht in der Welt, in der sinnlichen Wahrnehmung gegeben. Und vorausgesetzt, was wir wissen, sei Erfahrung, ein Synthetisieren von Gedanken und Gefühlsstoffen, so kann allerdings das Unendliche nicht erkannt werden in dem Sinne, daß man eine sinnliche Wahrnehmung davon hat. Aber man wird auch für die Bewahrheitung des Unendlichen nicht eine sinnliche Wahrnehmung fordern wollen; der Geist ist nur für den Geist.“ Das betont im Übrigen auch Strawson. Siehe Strawson, Bounds of Sense, S. 33: „The primary aim of the Dialectic is the exposure of metaphysical illusion; the primary instrument of exposure is the principle of significance.“ 104 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 360. 105 Vgl. oben Abschnitt 2.3.3. 106 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 353. 107 Kant, KrV, B XV. 108 Allerdings hat Hegel im Jahr 1827 eine Vorlesung über den PTB gehalten, in der er vor allem den Unterschied zwischen äußerer und innerer Zweckmäßigkeit hervorhebt. Die Betrachtung äußerer Zweckmäßigkeit habe den PTB zu Recht in Verruf gebracht. Allerdings denkt Hegel darüber nach, dass aus dem Begriff des inneren Zweckes oder der Lebendigkeit ein allgemeiner Gedanke einer „absoluten, allgemeinen Zweckmäßigkeit“ entwickelt werden könnte, der darauf hinaus liefe, „daß diese Welt ein κόσμος ist, ein System, worin alles wesentliche Beziehung aufeinander hat, nichts isoliert ist[.]“ (Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 520.) Allerdings gelangt der PTB von dort aus zu keinem Gottesbegriff. Vgl. ebd., S. 522. 109 Vgl. oben S. 56.
3.2. Hegels Kritik an Kants Widerlegung
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wie Offenbarung, zur weiteren Bestimmung des notwendigen Wesens heranziehen.110 Zum anderen hält Hegel Kants Konzeption von Notwendigkeit, die immer nur hypothetische Notwendigkeit ist, für falsch. Hegel führt hier Kants Argumentation an, die besagt, dass im KGB eine falsche Befriedigung der Vernunft vorliege, weil im Begriff des notwendigen Wesens von allen Bedingungen abstrahiert werde. Das Problem sei jedoch, dass „ohne Bedingung keine Notwendigkeit stattfinden“111 könne. Hegel hält dagegen fest, dass er eine andere Konzeption, nämlich die eines sich selbst begründenden Notwendigen vertritt. Absolut notwendig ist für Hegel etwas, dass seine Bedingungen selbst impliziert.112 Hegels eigenes Interesse am KGB richtet sich auf die kategorialen Verhältnisse in dem Beweis.113 Denn was den KGB eigentlich trägt, so ist sein Gedanke, ist der notwendige Übergang von einer Kategorie, die Endliches bezeichnet, zu einer Kategorie, die Unendliches bezeichnet. In jeder dialektischen Figur der WdL wird ein solches Kategorienpaar betrachtet, und die Fortbestimmung und Ableitung hängt wesentlich an dem selbstaufhebenden, antinomischen Charakter der endlichen Kategorien. Das wird unten ausführlich erläutert, wenn die Methode der Logik Gegenstand der vorliegenden Arbeit wird. Für den KGB ist nur entscheidend, festzuhalten, dass Hegel meint, dass die logischen Kategorien notwendig aufeinander verweisen. Ein Beispiel für eine solche Verweisung ist folgendes: Die Kategorie des ‹Endlichen› wird notwendigerweise ergänzt durch die Kategorie der ‹Unendlichkeit›. Denn wäre die Kategorie ‹Unendlichkeit› bedeutungslos, wäre die Kategorie ‹Endliches› diejenige Kategorie, durch welche schlechthin alles erfasst wäre. Das Problem, das nun aufkäme, wäre, dass die Kategorie ‹Endliches› selbst somit die Bedeutung von ‹Unendlichkeit›, von ‹Unbeschränktheit› annehmen würde – sie wäre also im Falle ihres unbeschränkten Zutreffens selbst eine Instanz ihres Gegenteiles. Darum kann sie nicht für sich allein stehen, sondern muss selbst begrenzt sein. Und daher hat die Kategorie ‹Unendliches› eine sinnvolle Bedeutung. Aufgrund 110 Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 426: „Man sieht sogleich, daß, wenn jener Beweis nicht weiter führte als bis zum absolut notwendigen Wesen, weiter nichts einzuwenden wäre, als daß eben die Vorstellung von Gott, die sich auf diese Bestimmung beschränkte, allerdings noch nicht so tief sei, als wir, deren Begriff von Gott mehr in sich schließen, verlangen. Es wäre leicht möglich, daß Individuen und Völker früherer Zeit – oder unserer Zeit, welche noch außer dem Christentum und unserer Bildung leben – keinen tieferen Begriff von Gott hätten; für solche wäre jener Beweis somit genugtuend.“ 111 Ebd., S. 432. 112 Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 433: „Was die spekulative Vernunft vor allem muß schwinden lassen, ist, eine solche Frage „woher bin ich denn?“ dem Absolut-Notwendigen, Unbedingten in den Mund zu legen. Als ob das, außer welchem nichts als durch seinen Willen existiert, das, was schlechthin unendlich ist, über sich hinaus nach einem Anderen seiner sich umsehe und nach einem Jenseits seiner frage.“ Vgl. zur Notwendigkeit bei Hegel unten Abschnitt 7.2.2. 113 Vgl. ebd., S. 402.
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
solcher Widersprüchlichkeit in der Verabsolutierung von endlichen Kategorien muss zu unendlichen Kategorien übergegangen werden, so Hegels Idee. Und ein solcher Übergang findet im KGB Anwendung und trägt jede Version eines solchen Beweises. Da Hegel Kants Kriterium für Erkenntnis und Wissen nicht teilt, scheitert in Hegels Augen auch der Widerlegungsversuch hinsichtlich des OGB. Jedoch merkt Hegel noch mindestens zwei weitere Punkte hinsichtlich des kantischen Ideals an, auf die kurz eingegangen werden soll. Denn Hegel weist 1. süffisant darauf hin, dass der Seinsbegriff schließlich das Mindeste sei, was man Gott zusprechen wollen würde.114 Es soll hier gezeigt werden, dass Hegel für diese Aussage einen Seinsbegriff annimmt, der stark von Kants eigenem Verständnis differiert. Und 2. ist Hegel hinsichtlich des Gottesbegriffs überzeugt, dass Kants Bestimmung im „Ideal der reinen Vernunft“, die omnitudo realitatis, ein leerer Begriff und eine unzureichende Abstraktion ist und dass 3. mit einer Differenzierung in der philosophischen Theologie gearbeitet werden müsse, die Kant nur unzureichend berücksichtigt, nämlich derjenigen zwischen dem Gottesbegriff und den Vorstellungen von Gott. Das, was Kant als Begriff bezeichnet, ist im Sinne Hegels dabei eine Vorstellung, auf der laut Hegel tatsächlich kein Beweis gegründet werden kann.115 Der Seinsbegriff (1.), den Hegel für trivial hält, ist nun deutlich verschieden von Kants Verständnis des Seins als ‚realem Prädikat‘. Während für Kant die sinnlich erfahrbare Existenz gemeint ist, spricht Hegel von einer logischen Denkbestimmung, die abstrakt und unbestimmt ist. In seinen Worten beschreibt er sie daher wie folgt: „Es kann für den Gedanken dem Gehalte nach nichts Geringeres geben als Sein.“116 Was darunter genauer zu verstehen ist und warum Hegel es für selbstverständlich hält, dass dem Gottesbegriff ‹Sein› zugesprochen werden muss, wird weiter unten ausführlich erläutert.117 Natürlich ist Hegels derartige Bemerkung kein Argument gegen Kant – einfach einen anderen Begriff homonym zu verwenden und dann nur scheinbar entgegengesetzte Propositionen zu behaupten, kann von Hegel kaum als ernsthaftes Argument gemeint sein. Denn in der Tat besteht zwischen den Behauptungen Kants und Hegels aufgrund der Homonymität kein Widerspruch. Der Satz ‚Gott ist seiend‘ bedeutet für Kant ‚Gott ist Gegenstand sinnlicher Anschauung‘, während 114 Siehe Hegel, Enz. I, § 51, A., S. 136: „Es müßte, kann man wohl sagen, sonderbar zugehen, wenn dies Innerste des Geistes, der Begriff, oder wenn Ich oder vollends die konkrete Totalität, welche Gott ist, nicht einmal so reich wäre, um eine so arme Bestimmung, wie Sein ist, ja welche die allerärmste, die abstrakteste ist, in sich zu enthalten.“ 115 Wie Hegel beide Punkte genau versteht, wird unten noch dargestellt. Vgl. zum Unterschied von Begriff * und Vorstellung Abschnitt 5.2.2. Und Hegels Kritik an der omnitudo realitatis wird in Abschnitt 5.4 beleuchtet. 116 Hegel, Enz. I, § 51, A., S. 136. 117 Vgl. unten Abschnitt 6.1.
3.2. Hegels Kritik an Kants Widerlegung
173
Hegel unter dem Satz versteht: ‚Gott kommt die abstrakteste Denkbestimmung zu‘.118 Worauf Hegel aber zu Recht hinweist, ist der Erläuterungsbedarf, der hinsichtlich des im OGB verwendeten Existenzbegriffes besteht. Und so versucht Hegel in der WdL wesentlich mehr zu sagen, als das dem Absoluten das Prädikat ‚Sein‘ zukommt, denn dieses wäre seiner Meinung nach nicht hinreichend, um in einem Gottesbeweis Aussagekräftiges zu beweisen. Denn die andere Seite der Abstraktion, welche die Kategorie ‹Sein› im hegelschen Verständnis aussagt, ist, dass sie auf schlicht alles angewendet werden kann, das heißt auch auf fiktionale Objekte, Zahlen, Böses et cetera.119 Insofern meint Hegel zwar, dass Kant ein falsches Verständnis von ‚Sein‘ gehabt habe. Aber er verbindet damit die Aufgabe, selbst einen konkreten und bestimmten Seinsausdruck zu begründen, der dann im OGB Verwendung finden kann.120 Zum kantischen Gottesbegriff (2.), der aus der omnitudo realitatis entwickelt wird, führt Hegel zum einen an, dass dieses zu einem völlig abstrakten und letztlich eigenschaftslosen Gottesbegriff führt.121 Das Problem der Bestimmung des Gottesbegriffs wird im Abschnitt 5.4 ausführlicher behandelt, und daher sei hier das Argument Hegels nur knapp skizziert.122 Der Schluss, den Hegel vorbringt, ist der folgende: i) Um die Positivität der Gottesprädikate und damit die Widerspruchsfreiheit zwischen ihnen zu garantieren,123 werden die Bestimmungen als negationsfrei definiert. Darin, so Hegel, stimmt Kant durchaus mit dem Verfahren der vorkantischen Metaphysik überein, weshalb Hegel im eben angeführten § 49 der Enzyklopädie auf den § 36 hinweist, in welchem der Ausgangspunkt der „natürliche[n] oder rationelle[n] Theologie“ der vorkantischen Metaphysik zur Sprache 118 Das hegelsche Verständnis kann hier noch nicht präzise wiedergegeben werden, da das ‹Sein› eine schwer zu fassende Bestimmung ist, die weiter unten näher erläutert wird. Vgl. auch unten Abschnitt 6.3.1. 119 Vgl. Hegel, WdL I, S. #324 (138). Das ergibt sich auch schon trivialerweise aus der Lokalisierung des OGB in der WdL. Denn Hegel weist im Übergang vom ‹Schluss› zur Objektivität darauf hin, dass dieser Übergang das Thema des OGB sei (vgl. Hegel, WdL II, S. 127 f. (192–195) und Hegel, Enz. I, § 193, A., S. 347–350). 120 Das wird unten ausführlich aufgegriffen werden müssen. Vgl. unten Abschnitt 9.3. 121 Siehe Hegel, Enz. I, § 49, S. 130: „Der dritte Vernunftgegenstand ist Gott (§ 36), welcher erkannt, d. i. denkend bestimmt werden soll. Für den Verstand ist nun gegen die einfache Idenität alle Bestimmung nur eine Schranke, eine Negation als solche; somit ist alle Realität nur schrankenlos, d. i. unbestimmt zu nehmen, und Gott wird als Inbegriff aller Realitäten oder als das allerrealste Wesen zum einfachen Abstraktum, und für die Bestimmung bleibt nur die ebenso schlechthin abstrakte Bestimmtheit, das Sein, übrig.“ 122 Vgl. zu der Argumentation die folgenden Textstellen: Hegel, WdL I, S. 99–102 (102–106); vgl. auch ebd., S. #289 (81 f.). Ebenso nimmt § 36 der Enzyklopädie (vgl. Hegel, Enz. I, § 36, A., S. 103) auf die Strategie Bezug, den Begriff Gottes über positive Prädikate zu bestimmen. In Anspielung auch die siebte der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes. Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 392–394. 123 Siehe oben die Darstellung der „Realitäten“ in Kants Argumentation im „Ideal der reinen Vernunft“. Vgl. oben S. 34.
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
kommt. ii) Nun ist aber, so Hegels Idee, die Voraussetzung von Bestimmtheit und Prädikation, dass sich zwischen den Bestimmungen und Prädikaten Differenzen feststellen lassen. Eine Differenz soll aber die Negation der anderen Eigenschaft implizieren. Dabei nimmt Hegel natürlich Bezug auf Spinozas Einsicht in das Wesen von Bestimmungen, von dem Hegel sagt: „Omnis determinatio est negatio, dieser Satz ist von unendlicher Wichtigkeit“.124 iii) Also: Der Gottesgedanke kann nur entweder negationsfrei oder bestimmt sein. Indem Kant – wie, so Hegel, die vorkantische Metaphysik – sich für die Negationsfreiheit entscheidet, muss der Gottesbegriff zwangsläufig unbestimmt und somit abstrakt bleiben.125 Freilich ist die hegelsche Argumentation insofern verkürzt, als dass etwa Leibniz verschiedene Formen von Negationen unterscheidet, von denen die bedeutungsbestimmende Negation für die vollkommenen Eigenschaften erhalten bleibt, was unten aufgegriffen wird. Dennoch ist Hegels Argumentation nicht unplausibel und trifft zumindest die kantische Konzeption. Zum anderen (3.) bemerkt Hegel hinsichtlich des kantischen Gottesbegriffes, dass Kant einen entscheidenden Unterschied verkenne, nämlich den zwischen Vorstellungen und Begriffen *. Wie oben gezeigt, ist die hegelsche Konzeption von Begriffen * und letztlich von dem Begriff * im Singular grundverschieden von dem, was Kant ‚Begriff ‘ nennt.126 Der tritt hervor, wenn Hegel zu Kants Beispiel von den ‚hundert Thalern‘ schreibt: Alsdann aber müßte beachtet werden, daß, wenn von Gott die Rede ist, dies ein Gegenstand anderer Art sei als hundert Taler und irgendein besonderer Begriff, Vorstellung oder wie es Namen haben wolle. In der Tat ist alles Endliche dies und nur dies, daß das Dasein desselben von seinem Begriffe verschieden ist. Gott aber soll ausdrücklich das sein, das nur als „als existierend gedacht“ werden kann, wo der Begriff das Sein in sich schließt. Diese Einheit des Begriffs und des Seins ist es, die den Begriff Gottes ausmacht.127
Hegel differenziert also Vorstellungen von dem Begriff *, der Gott darstellen soll. Damit greift er ein klassisches Problem des OGB auf, das schon an Anselm und 124 Hegel, WdL I, S. 101 (104), Z. . Vgl. Spinoza Brief 50 vom 2. 6. 1674 an J. Jelles. Hösle 2 hat bereits auf diesen Brief hingewiesen. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 195, Fn. 74. 125 Siehe Hegel, WdL I, S. 99 f. (102 f.), Z. 23–5: „Gott wurde als der I n b e g r i f f a l l e r R e a l i t ä t e n bestimmt, und von diesem Inbegriffe gesagt, daß er keinen Widerspruch in sich enthalte, daß keine der Realitäten die andere aufhebe; denn eine Realität sey nur als eine Vollkommenheit, als ein A f f i r m a t i ve s zu nehmen, das keine Negation enthalte. Somit seyen die Realitäten sich nicht entgegengesetzt und widersprechen sich nicht. Bey diesem Begriffe der Realität wird angenommen, daß sie dann noch bleibe, wenn alle Negation weggedacht werde; damit wird aber alle Bestimmtheit derselben aufgehoben. Die Realität ist Qualität, Daseyn; damit enthält sie das Moment des Negativen, und ist allein dadurch das Bestimmte, das sie ist. Im sogenannten e m i n e n t e n S i n n e oder als u n e n d l i c h e, – in der gewöhnlichen Bedeutung des Worts, – wie sie genommen werden soll, wird sie ins Bestimmungslose erweitert, und verliert ihre Bedeutung.“ 126 Vgl. unten Abschnitt 8. 127 Hegel, Enz. I, § 51, A., S. 136. Vgl. auch Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 524 f. und Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 360–363.
3.2. Hegels Kritik an Kants Widerlegung
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Descartes durch die Kritiken Gaunilos und Gassendis herangetragen wurde: Ist der Gottesbegriff nur ein beliebiger Begriff, mit allen anderen Begriffen vergleichbar? Dieses Problem wird weiter unten ausführlich analysiert und Hegels genauere Lösung dargelegt.128 In nuce liegt der Unterschied, so viel sei hier angedeutet, im Wahrheitsbegriff, den Hegel für Vorstellungen und seinen Begriff * unterscheidet. Denn für Hegel macht es einen wesentlichen Unterschied, ob ein Gedanke sich auf ein Einzelding bezieht oder auf das Absolute. Denn in letzterem Fall ist nicht ohne Weiteres ein Modell von Substanz und Attributen, von Ding und Eigenschaft anzuwenden, und zwar, weil das Absolute kein Prinzip der Zusammengehörigkeit seiner Bestimmungen außer sich haben kann. Denn das Absolute kann überhaupt kein Prinzip außer sich haben, da schon das gegen seinen Begriff verstoßen würde. Daraus ergibt sich die Schwierigkeit, dass das Absolute selbst die Regeln für sein gedankliches Begreifen beinhalten muss, was bei keinem anderen Gegenstand der Fall ist. Das hält Hegel in der Unterscheidung von Vorstellungen und Begriff fest. Denn während Vorstellungen mit einem Gegenstand übereinstimmen oder nicht, was Hegel Richtigkeit und Falschheit nennt, und so im Erfolgsfall ein Einzelding erfassen, ist der Begriff * des Absoluten nicht in gleicher Weise als Adäquationsverhältnis zu denken.129 Im Begriff * spielt Selbstreferenzialität und Letztbegründung eine entscheidende Rolle, so Hegels Gedanke, gerade weil es keine logische Regel, keinen Grund außerhalb des Absoluten geben darf, so dieses denn überhaupt gedacht werden kann. Somit ist mit dem Begriff * der Versuch verbunden, ein letztbegründendes Prinzip zu erfassen, worauf die hegelsche Philosophie aufbaut. Daher ist in diesem Begriff *, der absolute Wahrheit bezeichnen und sein soll, ein selbstreflexives Verhältnis anzunehmen. Und somit kann er das Kriterium seiner Wahrheit nicht in einem externen, heterogenen Gegenstand haben. Vielmehr muss er selbst zeigen, dass, wenn er denkbar ist, er zugleich als absolut wahr gedacht werden muss – er muss sein eigenes Wahrheitskritierium mit sich führen. Hegel fasst das etwa im § 213 zur Idee * in der Enzyklopädie zusammen: Die Idee ist die Wahrheit; denn die Wahrheit ist dies, daß die Objektivität dem Begriffe entspricht, – nicht daß äußerliche Dinge meinen Vorstellungen entsprechen; dies sind nur richtige Vorstellungen, die Ich Dieser habe. In der Idee handelt es sich nicht um Diesen, noch um Vorstellungen, noch um äußerliche Dinge.130
Während Vorstellungen also auf (raum-zeitliche) Einzeldinge131 bezogen sind, ist der Begriff * und seine entfaltete Gestalt, die Idee *, als selbst- und letztbegründendes 128
Vgl. unten Abschnitt 5.1. Vgl. zu dieser Unterscheidung Halbig, Objektives Denken, S. 183–188. 130 Hegel, Enz. I, § 213, A., S. 368. 131 Ob Hegel intentionale Gegenstände oder bereits physikalische Gegenstände im weitesten Sinne vor Augen hat, kann hier offenbleiben. Vgl. zu dieser Unterscheidung Meixner, „Classical Intentionality“, S. 30–32. 129
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
Prinzip anzusehen, von dem in Hegels Augen auch alle anderen möglichen Gedanken abhängen. Diese hier freilich nur angerissene Erläuterung verständlich zu machen, ist nun die Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Dennoch ist das für Hegel als Argument gegen Kant wichtig, was sich etwa darin zeigt, dass er es immer wieder vorgebracht hat. Natürlich differenziert auch Kant zwischen Begriffen und dem „Ideal der reinen Vernunft“, das ebenfalls eine nicht-willkürliche Vernunftidee ist. Aber in seiner Argumentation gegen den OGB scheint Kant den Gottesbegriff schließlich mit Begriffen von empirischen Einzelgegenständen gleichzusetzen, was zumindest das Beispiel mit den „hundert Thalern“ nahelegt. Schließlich muss allerdings auch erwähnt werden, dass Hegel Kants Widerlegungsversuch dennoch lobt, auch wenn er ihn nicht für überzeugend hält. In den „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“ hebt Hegel deutlich hervor, dass Kant „diese Beweise auf eine wissenschaftliche Weise verdrängt hat[.]“132 Zwar heißt ‚verdrängt‘ keinesfalls ‚widerlegt‘, da es letztlich ein soziales Faktum spiegelt: die Akzeptanz der kantischen Metaphysikkritik bei vielen der Zeitgenossen Hegels. Aber Hegel rechnet Kant die ‚wissenschaftliche Weise‘, auf welche Kant die Widerlegung versucht, also das Vorbringen von ‚Gründen‘ und ‚Beweisen‘, hoch an.133 Aus Gesagtem geht nun eindeutig hervor, dass Hegel den kantischen Widerlegungsversuch nicht als schlagend anerkennt. Somit steht im Grunde die Rückkehr zur ‚vorkantischen Metaphysik‘ offen. Jedoch kehrt Hegel nicht einfach wieder zurück, sondern sieht die Notwendigkeit – auch durch die kantische Kritik –, den Themen der ‚Metaphysik‘ durch eine andere Behandlungsart und alternative Begründungsform gerecht zu werden. Ein wesentlicher Punkt, den Hegel gegen die klassische rationalistische Philosophie anführt und aus dem Hegels Behandlung der Gottesbeweise verständlicher wird, soll im Folgenden kurz dargestellt werden, um dann die WdL und die ihr immanente philosophische Theologie in den Blick zu nehmen.
3.3 Hegels Kritik an der vorkantischen Metaphysik Wenn man mit Hegel die kantische Beschränkung des nicht-mathematischen Wissens durch die Sinnlichkeit als Kriterium für gehaltvolle Aussagen für falsch hält, ist 132
Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 423. Siehe ebd., S. 425 f. „Bei Kant sieht man in seinen Darstellungen doch die bestimmten Voraussetzungen, von denen er ausgeht, und eine Konsequenz des räsonierenden Fortgangs, so daß ausdrücklich durch Gründe erkannt und bewiesen [werden], eine Einsicht nur aus Gründen hervorgehen, die Einsicht überhaupt philosophischer Art sein soll, wogegen man auf der Heerstraße des Wissens unserer Zeit nur Orakelsprüchen der Gefühle und Versicherungen eines Subjekts begegnet, welches die Prätention hat, im Namen aller Menschen zu versichern und eben darum mit seinen Versicherungen auch allen zu gebieten.“ 133
3.3. Hegels Kritik an der vorkantischen Metaphysik
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in gewisser Weise die vorkantische Philosophie rehabilitiert, gegen die sich Kant mit dieser Beschränkung wendet. Und es ist bekanntlich der Fall, dass Denker wie Leibniz und Spinoza die nachkantische Philosophie, und so auch Hegel, eminent beeinflusst haben. Es ist jedoch ebenso richtig, dass Hegel sich genauso scharf vom neuzeitlichen Rationalismus abgrenzt, wie von der kantischen Philosophie. In der vorliegenden Arbeit soll die These vertreten werden, dass Hegel sich jedoch nicht grundsätzlich gegen die Metaphysik wendet, sondern gegen die Art und Weise, wie diese betrieben wurde, wofür im Folgenden argumentiert werden soll. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf Hegels Argumentation in der „Ersten Stellung des Gedankens zur Objektivität“, also den §§ 26–36 der Enzyklopädie. Es kann im Rahmen dieser Arbeit allerdings unmöglich überprüft werden, inwiefern Hegels Argumente die historischen Vorbilder tatsächlich treffen, da das eine eigene Arbeit erfordern würde, weil Hegel unter dem Titel ‚rationalistische Philosophie‘ eine ganze Reihe an Denkern fasst, ohne auf sie einzeln einzugehen. Das macht seine Argumentation entsprechend abstrakt und sorgt für den Mangel an detaillierten Analysen. An dieser Stelle kann es nur darum gehen, die grundsätzlichen Argumente Hegels besser zu verstehen, um seine eigene Position zu profilieren. Dabei ist interessant, dass Hegel eine sehr ähnliche Problemdiagnose stellt, wie er sie Kant attestiert: Letztlich scheitern metaphysische Bemühungen dann, wenn sie nicht ihre Prämissen und Annahmen begründen, wenn sie nicht eigentlich nach Letztbegründung streben. Schon die erste „Vorrede“ zur ersten Ausgabe der WdL beginnt mit der Feststellung, dass die Philosophie sich seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts grundlegend geändert habe. Zwar sei die Logik von dieser Wandlung weitgehend unberührt geblieben, so sei jedoch das, was „vor diese[m] Zeitraum Metaphysik hieß, [. . . ], so [zu] sagen, mit Stumpf und Styl ausgerottet worden, und aus der Reihe der Wissenschaften verschwunden“134 . Es ist bekannt, dass Hegel diese Entwicklung jedoch nicht begrüßt, sondern ihre Befremdlichkeit herausstellt.135 Hegel geht sogar so weit, zu behaupten, dass der Mensch, insofern er denkt, immer schon über die Sinnlichkeit hinaus und durch sein Denken in eine Sphäre der Geltung versetzt ist, die sich nicht auf Physisches und Empirisches reduzieren lässt.136 Interessanterweise hebt Hegel in der Erste[n] Stellung des Gedankens zur Objektivität137 nun aber an der vorkantischen Metaphysik einen analogen Mangel hervor, den er auch in der kantischen Philosophie ausmacht: Es fehlt die Begründung der 134
Hegel, WdL I, S. 5 (V), Z. 6 f. Siehe ebd., S. 5 (VI), Z. 17–19: „[S]o merkwürdig ist es wenigstens, wenn ein Volk seine Metaphysik verliert, wenn der mit seinem reinen Wesen sich beschäftigende Geist kein wirkliches Daseyn mehr in demselben hat.“ 136 Siehe Hegel, Enz. I, § 98, Z., S. 207: „Reine, pure Physiker sind in der Tat nur die Tiere, da diese nicht denken, wohingegen der Mensch, als ein denkendes Wesen, ein geborener Metaphysiker ist.“ 137 Vgl. ebd., §§ 26–36, S. 93–106. 135
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
eigenen Philosophie und damit auch der eigenen Erkenntnisse. Darauf verweist Hegel zumindest im Paragraphen § 26, wenn er vom „unbefangenen Verfahren“ der Metaphysiker spricht, welches „den Glauben enthält, daß durch das Nachdenken die Wahrheit erkannt“138 wird. Nun ist Hegel nicht der Ansicht, dass dieser Glaube der Sache nach falsch ist, sondern im Gegenteil: Er lobt ausdrücklich, dass nicht zwischen dem Nachdenken und Dingen-an-sich unterschieden wird. Denn, dass das Erkannte und das Erkennen nicht grundsätzlich verschieden sein können, ist auch für Hegels objektiven Idealismus entscheidend.139 Aber es handelt sich eben um einen ‚Glauben‘, nicht um ein Wissen, was bedeutet, dass die Überzeugung, im Nachdenken die Dinge korrekt erfassen zu können, noch nicht durch die skeptische Krise gegangen und insofern noch für Skepsis anfällig ist. Was er somit deutlich kritisiert, ist, dass die vorkantische Metaphysik ihre Gegenstände und Methoden nicht erst begründet, sondern von unbewiesenen Voraussetzungen schlussfolgert. Darin sieht Hegel nämlich das (partielle) Vorrecht der kantischen Philosophie, dass diese nach den Bedingungen der Denkbestimmungen und den Voraussetzungen der Erkenntnis gesucht hat. Auch wenn die kantische Philosophie letztlich die synthetischen Sätze a priori nicht beweisen kann, so ist ihr Standpunkt für Hegel doch ein Fortschritt, indem sie die Frage nach solchen Sätzen und nach deren Bedingungen gestellt hat.140 Genauer richtet sich Hegels Kritik gegen drei Voraussetzungen, die ineinandergreifen:141 1. die Voraussetzung von Prädikaten, die von den Gegenständen 138 Hegel, Enz. I, § 26, S. 93. Insofern zeigt die Metaphysik eine Nähe zum common sense, wie etwa Quante, „Spekulative Philosophie als Therapie?“, S. 357 f. anmerkt. 139 Siehe Hegel, Enz. I, § 27, S. 93: „Dieses Denken kann wegen der Bewußtlosigkeit über seinen Gegensatz ebensowohl seinem Gehalte nach echtes spekulatives Philosophieren sein, als auch in endlichen Denkbestimmungen, d i. in dem noch unaufgelösten Gegensatze verweilen.“ ‚Noch unaufgelöst‘ weist meines Erachtens darauf hin, dass die Intelligibilität des Seienden als vorausgesetzte und insofern naive Annahme fungiert, anstatt selbst Gegenstand der Begründung geworden zu sein. Dass aus dem Standpunkt der Metaphysik auch Hegels spekulative Philosophie entwickelt werden kann, hebt auch Halbig, Objektives Denken, S. 219 hervor. 140 Vgl. die Emphase, mit der Hegel die synthetischen Sätze mit seinem ‚absoluten Begriff *‘ vergleicht: „Kant stellt nun die Frage der Philosophie auch so: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ [. . . ] Synthetische Urteile a priori sind nichts anderes als ein Zusammenhang des Entgegengesetzten durch sich selbst oder der absolute Begriff, d. h. Beziehungen von unterschiedenen Bestimmungen, Verknüpfungen, die nicht durch die Erfahrung gegeben sind[.] [. . . ] Das ist die große Seite dieser Philosophie.“ (Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 336 f.) Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass Kant der erste ist, der synthetische Sätze a priori untersucht. In gewisser Weise handelt es sich schon um eine Entdeckung Platons, und auch der klassische Rationalismus, etwa Leibniz, untersucht natürlich apriorisches Denken. 141 Vgl. die klare Darstellung in Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 29–33. Vgl. auch Halbig, Objektives Denken, S. 219–224. Die letztgenannte Darstellung führt den hier unter (3.) aufgeführten Punkt nicht eigens an, vermutlich sehen sie diesen in der Voraussetzung der Urteilsform impliziert. Vgl. Horstmann, Wahrheit aus dem Begriff, S. 23–40. Darauf führt auch Düsing, „Ontologische Bestimmungen als Prädikate des Absoluten?“, S. 685–688 Hegels Metaphysikkritik zurück, sieht daraus aber
3.3. Hegels Kritik an der vorkantischen Metaphysik
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ausgesagt werden;142 2. die Form des Urteils selbst, in welcher die Gegenstände gefasst werden sollen;143 3. die Voraussetzung der Subjekte der Urteile, also eine vorausgesetzte Vorstellung der Gegenstände, über die geurteilt wird.144 Was nun den 1. Punkt betrifft, so habe die Metaphysik die Prädikate „in ihrer Abstraktion als für sich geltend und als fähig genommen, Prädikate des Wahren zu sein“145 . M. Quante erblickt in Hegels Kritik zu Recht eine Kritik an einer „atomistischen Bedeutungstheorie“,146 die von einfachen, isolierten Prädikaten ausgeht und diese zur Bestimmung eines metaphysischen Gegenstandes verwendet. So wird etwa das Prädikat ‚. . . hat Dasein‘ als einfach behandelt und auf Gott angewandt, um Hegels eigenes Beispiel anzuführen.147 Was er daran kritisch beurteilt, ist die vorausgesetzte Bedeutung der Prädikate, die nicht eigens einer Untersuchung oder Herleitung unterliegen.148 Was er deutlich herausstellt, ist, dass es fraglich erscheint, ob Bestimmungen im gleichen Sinn, mit dem sie für alltägliche Aussagen verwendet werden, auch in der Metaphysik angewandt werden können.149 Hierfür bedarf es einer Untersuchung der Prädikate selbst, womit Hegel darauf hindeuten möchte, dass Prädikate holistisch und daher nur durch ihre Verweisung auf andere Prädikate verstanden werden können. Dass dieses für bestimmte Kategorien und Bestimmungen systematisch erörtert werden kann, versucht die WdL zu zeigen. Hinzukommt, aber das greift bereits auf das Verhältnis von Subjekt und Prädikat im Urteil voraus, dass ein Prädikat das Satzsubjekt nicht vollständig beschreiben kann, wenn nicht eine leere Tautologie ausgesagt werden soll.150 Daher müssen dem Gegenstand mehrere Prädikate zugesprochen werden, die jedoch additiv verstanden werden. So werden ‚Gott‘ etwa Prädikate wie, ‚. . . ist seiend‘, ‚. . . ist ewig‘, ‚. . . ist gut‘ zugesprochen. Jedoch muss dann das Verhältnis der Prädikate untersucht werden, allein aufgrund der Gefahr, dass sie sich widersprechen könnten.151 Hegel meint nun, eigentlich müsste eine Methode gefunden werden, mit der die Prädikate auseinander abgeleitet werden können, anstatt sie äußerlich nebeneinander zu stellen. auch das Problem erwachsen, dass Hegel die menschlichen Erkenntnisfähigkeiten wohlmöglich überfordert. Vgl. auch Düsing, „Ontologische Bestimmungen als Prädikate des Absoluten?“, S. 691. 142 Vgl. Hegel, Enz. I, § 28, S. 94 und § 29, S. 96 f. 143 Vgl. ebd., § 28, S. 94. 144 Vgl. ebd., § 31, S. 97 f. 145 Ebd., § 28, S. 94. 146 Quante, Die Wirklichkeit des Geistes, S. 52. 147 Vgl. Hegel, Enz. I, § 28, A., S. 94. 148 Natürlich ist Hegels Kritik im Grunde falsch, da sich etwa bei Leibniz durchaus eine Theorie über Prädikate findet. Allerdings ist diese eben letztlich auf einfache Prädikate hin ausgerichtet, während Hegel einen Begriffsholismus vertritt. 149 Vgl. Hegel, Enz. I, § 29, S. 96. 150 Vgl. ebd., § 29, S. 96 f. 151 Vgl. unten Abschnitt 5.3.
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
Zu (2.), also der vorausgesetzten Form des Urteils, ist zu sagen, dass Hegel mit seinen Bemerkungen in den §§ 28 und 31 andeutet, dass die Implikationen des Urteils unzureichend reflektiert wurden. Für ein einfaches Urteil der Form ‚x ist P‘ müsse erst überprüft werden, „ob die Form des Urteils Form der Wahrheit sein könne“152 . Man kann nämlich, an die Hegelstellen im Vorbegriff der Enzyklopädie anschließend, zwei Fragen an die Form des Urteils richten: i.) Welche Notwendigkeit kommt dem Zusammenhang von Subjekt und Prädikat zu? ii.) Ist ein Urteil nicht einseitig, d. h. wäre es nicht möglich, dass auch das Gegenteil des Ausgesagten gleichsam plausibel ist?153 Die Notwendigkeit zwischen Subjekt und Prädikat (i.) ist ein Problem, das Hegel in der Begriffslogik genauer aufgreift, wo überhaupt eine nähere Erörterung der Urteilsformen unternommen wird. Die Begriffslogik soll später genauer betrachtet werden,154 hier kann aber bereits festgehalten werden, dass Hegels Versuch darin besteht, zu zeigen, dass das Urteil nicht selbst seine Notwendigkeit ausweisen kann. Das Verhältnis von Subjekt und Prädikat bedarf daher selbst einer Versicherung und Begründung, weshalb das Urteil als Verständnisbedingung des Schlusses bedarf, dessen Funktion in der Begründung der Beziehung der beiden Urteilsbestandteile in der Konklusion liegt. Natürlich ist Hegels Behauptung dabei nicht, dass die rationalistische Philosophie nur Aussagen proklamiert, aber keine Schlüsse verwendet habe. Aber was als Ausgangspunkt für Schlüsse fungiert, sind Prämissen in Satzform, die also selbst einer Begründung bedürfen. Hegel bemängelt also letztlich eine fehlende Letztbegründung der Prämissen, damit nicht von willkürlichen Sätzen geschlussfolgert werden muss.155 Somit sind also Urteile nur als (letzt-)begründete auch als wahre metaphysische Erkenntnis anzuerkennen, so Hegels Einschätzung. Ob (ii.) mit einem Urteil zugleich eine Einseitigkeit verbunden ist und das Gegenteil des Urteils ebenfalls betrachtet werden muss, scheint zunächst eine Frage nach der zugrunde liegenden Logik zu sein. Darauf hier weiter einzugehen würde den Rahmen sprengen, aber in der Darstellung der Methode der WdL 156 wird gezeigt, inwiefern Hegel Gegensätze nicht als grundsätzlich falsch abtun muss, solange es sich um antinomische Verhältnisse handelt, in denen Wahrheit und Falschheit sich wechselseitig fordern, wie in der Antinomie „Dieser Satz ist falsch.“ Hegel hält das Urteil „durch seine Form [für; Einschub G. M.] einseitig und insofern falsch“157 . Die Einseitigkeit sieht er nun darin, dass das Urteil nicht 152
Hegel, Enz. I, § 28, A., S. 94. Eine sehr klare Darstellung der hegelschen Kritik an der von der Metaphysik vorausgesetzten Satzform findet sich in Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 27–33. 154 Vgl. unten Abschnitt 8. 155 Vgl. Franks, All or Nothing, S. 17 f. der das so aufkommende Agrippa-Trilemma für ein Hauptmotiv der Entwicklung des deutschen Idealismus nachweist. 156 Siehe unten Abschnitt 6.2. 157 Hegel, Enz. I, § 31, A., S. 98. 153
3.3. Hegels Kritik an der vorkantischen Metaphysik
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zugleich anzeigt, dass auch andere Prädikate auf den Gegenstand zutreffen. Als isoliertes scheint es aber schon für sich wahr sein zu können; ihm inhäriert ist ein je eigener Geltungsanspruch, der aber, wenn es um das Spekulative geht, nur in einer Totalität von Urteilen und Kategorien ausgedrückt werden kann. Insofern ist das einzelne Urteil als Einzelnes dem metaphysischen Gegenstand, etwa dem Absoluten, unangemessen und daher falsch. Es wird nur im Zusammenhang, in der Totalität der Bestimmungen und Urteile über das Absolute wahr. Diesen Zusammenhang zeigt das Urteil allerdings nicht eigens an. Schließlich sei das Satzsubjekt in der Metaphysik vorausgesetzt, so Hegels 3. Punkt.158 Auch hier bemängelt Hegel letztlich den fehlenden Beweis für die Satzsubjekte. Die Gegenstände der Metaphysik und die damit verbundene Vorstellung von ihren inhaltlichen Bestimmungen können nicht einfach vorausgesetzt werden. Denn, insofern das Subjekt des Satzes der Garant für die richtige Zusprache des Prädikats ist, insofern es den „Maßstab“159 bildet, an welchem das Prädikat gemessen wird,160 benötigt es einen Beweis, um Willkür und Beliebigkeit auszuschließen. Wenn aber das Subjekt das Maß für die Richtigkeit in der Zu- oder Absprache eines Prädikates ist, so ist eben die Frage, wie der Subjektterm richtig bestimmt werden kann. Ist er nämlich nur willkürlich angenommen oder unbegründet, eine „Vorstellung“161 , wie Hegel schreibt, so ist auch die Richtigkeit des ganzen Urteils willkürlich. Natürlich führt das zu einem Zirkel, den Hegel lösen muss, denn wie kann das Subjekt erst bestimmt werden, bevor ihm dann Bestimmungen zugesprochen werden? Oder wie kann ein Subjekt, das einen metaphysischen Gegenstand bezeichnet, erst unbestimmt sein, um dann einen Beweis zu führen, welche Bestimmungen ihm zukommen? Hegels Antwort wird versuchen müssen, ein Subjekt durch den Beweis einer notwendigen Totalität von Bestimmungen zu begründen, sodass die Totalität der Bestimmungen sowohl notwendig als auch erschöpfend und damit das ganze Subjekt selbst ist. Diesen Versuch stellt die objektive Logik dar, von der Hegel selbst meint, sie trete an die Stelle der vormaligen Metaphysik.162 Das kann aber erst im Folgenden näher erläutert werden. Worum Hegels Kritik also letztlich kreist, ist die fehlende Letztbegründung in der rationalistischen Metaphysik.163 Ihre Gegenstände, die Urteile und die Bedingungen der Urteile müssen also begründet werden, und das Hauptproblem ist, dabei nicht von unbegründeten Voraussetzungen auszugehen. Unter diesen 158
Vgl. Hegel, Enz. I, § 30, S. 97. Ebd., § 30, S. 97. 160 So auch Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 30. 161 Hegel, Enz. I, § 30, S. 97. 162 Vgl. Hegel, WdL I, S. 48 (32), Z. 22–24. Dass und warum man von einem bedeutungsbestimmenden negativen Beweis der WdL sprechen kann, soll unten dargestellt werden. Vgl. Abschnitt 9.3.2. 163 So auch Hösle, Hegels System, S. 64, Fn 11. 159
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3. Hegels Kritik an Kants Transzendentalphilosophie und der vorkantischen Metaphysik
Beweisanspruch stellt Hegel zumindest die Philosophie und damit seine eigene.164 Das ist der Hintergedanke, wenn er über die vorkantische Metaphysik schreibt: Ihre Gegenstände waren zwar Totalitäten, welche an und für sich der Vernunft, dem Denken des in sich konkreten Allgemeinen angehören, – Seele, Welt, Gott; aber die Metaphysik nahm sie aus der Vorstellung auf, legte sie als fertige gegebene Subjekte bei der Anwendung der Verstandesbestimmungen darauf zugrunde und hatte nur an jener Vorstellung den Maßstab, ob die Prädikate passend und genügend seien oder nicht.165
Somit scheint Hegel also zu schließen: Wenn die Themen der alten Metaphysik weiterhin der philosophischen Behandlung offenstehen, müssen sie sich aber mit einer fundamentalen Reflexion auf die Geltungsbedingungen, von denen Erkenntnis überhaupt ausgehen kann, verbinden.166 Metaphysik und Transzendentalphilosophie sind insofern zusammenzubringen, als dass eine Philosophie, die auf die Bedingungen der Möglichkeit von Sein und Denken überhaupt reflektiert, zugleich sich selbst als auch alles grundlegt, was überhaupt erkannt werden kann.167 Dabei ist die Metaphysik nicht nur irgendein Thema neben vielen, sondern komplex verbunden mit dieser Fundamentalwissenschaft. Genau das intendiert Hegel zumindest mit seiner WdL, der „logische[n] Wissenschaft, welche die eigentliche Metaphysik oder rein speculative Philosophie ausmacht“168 , zu zeigen.
164 M. Theunissen sitzt in der Interpretation der hegelschen Kritik an der vorkantischen Metaphysik meines Erachtens einem Irrtum auf, obwohl er ansonsten tiefe Einsichten in die WdL bereithält. Denn es ist missverständlich, Hegels Kritik an der Metaphysik als „vergegenständlichendes Vorstellen“ zu beschreiben. Vgl. Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, S. 24. Fraglos unterzieht Hegel auch Kategorien wie ‹Ding› oder ‹Etwas› einer Kritik in der Logik, aber letztlich geht es Hegel um unbegründete Voraussetzungen, welche die alte Metaphysik zum Dogmatismus machen. Theunissen wird durch dieses Missverständnis dann konsequent dazu gebracht, zu glauben, Hegel habe „die Theologie vom Zugriff der Ontologie befreien“ (vgl. ebd., S. 39) wollen. Das ist natürlich ein Missverständnis, fallen beide, wie in der vorliegenden Studie gezeigt wird, nahezu zusammen. Allerdings hat Theunissen völlig recht, dass Hegel meint, es dürften nicht unbegründete Kategorien, die das Endliche bezeichnen, auf das Absolute übertragen werden. 165 Hegel, Enz. I, § 30, S.97. 166 Vgl. Rohls, Theologie und Metaphysik. Der ontologische Gottesbeweis und seine Kritiker, S. 370 f. Rohls interpretiert ebenfalls Hegels Kritik an der vorkantischen Metaphysik. Zwar lobe Hegel die realistische Auffassung, aber er kritisiere drei Punkte: 1. Sie setzte voraus, dass Gott in Urteilen durch Zuschreibung von Prädikaten gefasst werden könne. Das sei aber falsch. 2. Zudem seien ihre Gegenstände als fertig gegebene Subjekte vorausgesetzt und 3. sei sie dogmatisch, weil sie den Satz vom Widerspruch gelten lasse. Meines Erachtens stellt (3.) wie die Punkte (1.) und (2.) ein Beklagen der fehlenden Letztbegründung dar. 167 Hösle schreibt prägnant in Bezug auf die philosophische Theologie: „Fundamentally, Hegel identifies the transcendental with the transcendent[.]“ (Hösle, „The Idea of a Rationalistic Philosophy of Religion and Its Challenges“, S. 165). 168 Hegel, WdL I, S. 7 (X), Z. 17 f.
4 Hegels Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik 4.1 Die vollständige Metaphysik Im Vorhergegangenen sind schon einige Grundzüge der hegelschen Philosophie in den Argumentationen gegen Kant und die vorkantische Metaphysik deutlich geworden, die im Folgenden nochmals explizit genannt und ergänzt werden sollen. Damit soll das Projekt der Wissenschaft der Logik zumindest so weit umrissen werden, dass verständlich wird, warum philosophische Theologie ein eminenter Bestandteil ihrer ist. Dadurch sollen die sich anschließenden Interpretationen der Lösungsansätze, die Hegel für die Probleme des OGB entwickelt, kontextualisiert und besser verständlich werden. Dabei beschränkt sich die vorliegende Untersuchung hier auf die wichtigsten Stränge, die in der WdL vereint werden, und versucht deren Einheit zu plausibilisieren. Eine genauere Analyse, wie das methodische Vorgehen Hegels verstanden werden kann, folgt dann in Abschnitt 6.2. Nachdem Hegel als Kritiker der kantischen Transzendentalphilosophie und Metaphysik dargestellt wurde, muss betont werden, dass er seine Philosophie nicht gegen die beiden Denkansätze entwirft, sondern als deren Vervollständigung.1 1 Vgl. Hegel, PhG, S. 30 (XLV f.) Hegel sieht überhaupt die Geschichte der Philosophie nicht als eine Ansammlung falscher Gedanken, sondern als Stufen der noch unvollkommenen Formulierung der wahren Philosophie. Siehe Hegel, Enz. I, § 13, S. 58: „Die Geschichte der Philosophie zeigt an den verschiedenen erscheinenden Philosophien teils nur eine Philosophie auf verschiedenen Ausbildungsstufen auf, teils daß die besonderen Prinzipien, deren eines einem System zugrunde lag, nur Zweige eines und desselben Ganzen sind.“ Siehe auch Hegel, WdL II, S. 14 (6 f.) „In Rücksicht auf die Widerlegung eines philosophischen Systems ist anderwärts gleichfalls die allgemeine Bemerkung gemacht worden, daß daraus die schiefe Vorstellung zu verbannen ist, als ob das System als durchaus f a l s c h dargestellt werden solle, und als ob das w a h r e System dagegen dem falschen n u r e n t g e g e n g e s e t z t sey. [. . . ] Das w a h r e System kann daher auch nicht das Verhältniß zu ihm haben, ihm nur e n t g e g e n g e s e t z t zu seyn; denn so wäre diß entgegengesetzte selbst ein einseitiges. Vielmehr als das höhere muß es das untergeordnete in sich enthalten.“ Vgl. auch Hegel, PhG, S. 10 (III f.). Koch, „Die schlechte Metaphysik der Dinge. Metaphysik als immanente Metaphysikkritik bei Hegel“, S. 207 f. weist ebenfalls darauf hin, dass Hegel die Metaphysik zurückgewinnen möchte, sich dabei aber kritisch gegen die vorkantische Metaphysik richtet. Koch benennt als Mangel, den Hegel in seiner Metaphysik vermeiden möchte, die Tendenz zur Reifizierung. Hegels Logik baut in ihrem Verlauf die falschen Reifikationen und Absolutsetzungen von bestimmten logischen Stufen ab, so Koch. Das Ziel der WdL sei dann das Erreichen eines „Nullschemas“ in der absoluten Idee *. Es
184 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik Schon die Verortung der Kritik im Vorbegriff zur Enzyklopädischen Logik lässt darauf schließen, dass Hegel durchaus Bewahrenswertes erkennt, was nur nicht bis zur letzten Begründung und konsequenten Durchführung durchdacht wurde. Insofern besteht Hegels Versuch darin, über Kant und die vorkantische Metaphysik hinauszugehen, dabei aber ihre wichtigen Einsichten zu integrieren.2 Die zwei wesentlichen Einsichten sind dabei zum einen, dass die Philosophie das reine Denken als Grundlage allen Wissens untersucht und dass dieses Wissen in kategorialer Form vorliegt – das ist der Anschluss an die kantische Transzendentalphilosophie. Zum anderen ist die Erkenntnis in der WdL nicht auf sinnlich Gegebenes angewiesen, ja sie erreicht sogar eine Erkenntnis des Unbedingten oder Absoluten – darin liegt das Metaphysische. Beides soll im Folgenden deutlicher werden. Das Grundgerüst, in welchem die Integration von kantischem subjektivem Idealismus und vorkantischer Metaphysik gelingen soll, bildet der objektive Idealismus,3 weshalb es sich lohnt, den Grundgedanken kurz zu rekapitulieren. Wie der subjektive Idealismus nimmt auch der objektive Idealismus synthetische Sätze a priori als Grundlage der Erkenntnis an.4 Jedoch werden die synthetischen Sätze a priori gerade nicht subjektiv interpretiert, das heißt, sie werden nicht dem subjektiven Denken angerechnet, das dann die synthetischen Gehalte a priori im Prozess der sinnlichen Erfahrung dieser aufprägt. Denn es soll das Bild vermieden werden, in dem auf der einen Seite die sinnliche Wahrnehmung oder Perzeption steht, die selbst noch nicht den apriorischen Gehalten entspricht und die erst in einem zweiten Schritt durch die apriorischen Gehalte, die auf der anderen Seite stehen, geprägt wird. Denn ein solches Bild lässt zum einen die Frage aufkommen, wie denn diese Wahrnehmung unabhängig von den synthetischen Sätzen a priori strukturiert ist? kann Koch nur zugestimmt werden, dass Hegel in der Logik die Grundkategorien verschiedener philosophischer Entwürfe untersucht und als einseitig zurückweist. Hegels eigene Philosophie jedoch als „Nullschema“ zu bezeichnen, „in dem das Reale sich zeigt, wie es an sich (als Reales) und für sich (als reines Denken) ist“, ist meines Erachtens missverständlich. Hegel geht es um ein reichhaltiges und ‚konkretes‘ logisches Schema aus Konzepten, das, weil es absolut und unhintergehbar ist, notwendig auch die Wirklichkeit erfasst, wie sie ist. Es handelt sich insofern um eine Ontologie und eine Logik, wie ja oft festgestellt wurde. Was jedoch die Grundsätzlichkeit des hegelschen Denkens unterschätzen würde, wäre ein Verständnis, welches das ‚Reale‘ als Gegebenes versteht, welches sich selbst zeigt. Das Reale ist für Hegel gar nicht ohne die WdL zu verstehen und nur weil das ‚Reale‘ notwendig logische Bestimmungen impliziert, kann es durch das logische Schema korrekt begriffen werden. 2 Das ergibt sich für Hegel aus der immanenten Kritik, die darauf fußt, anhand der eigenen Voraussetzungen, Ziele und Ableitungen einer Philosophie die Kritik zu entfalten und dabei zugleich die Schwächen zu korrigieren, um so eine reichere und ‚wahrere‘ Philosophie hervorzubringen. Vgl. etwa Hegel, WdL II, S. 14 f. (7 f.). 3 Vgl. die kurze Einführung des Terms in der Einleitung der vorliegenden Arbeit, S. 13. 4 Dass Hegel gerade in den synthetischen Sätzen a priori die größte Nähe seiner Philosophie zu Kant erblickt, geht aus seinen Vorlesungen zu Kant hervor. Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III. Vgl. auch Hegel, WdL II, S. 22 (20), Z. 24–30. Vgl. dazu auch Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“, S. 796 und ebd., S. 806.
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
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Zum anderen, wie erkannt werden kann, dass die Wahrnehmung nicht selbst durch die synthetischen Sätze geprägt ist, da doch jede Erkenntnis von ihr wiederum nur mithilfe der apriorischen Gehalte gelingen kann? Anstatt aber nun auch das wahrgenommene Objekt ganz aus den Leistungen des Subjekts zu erklären, nimmt der objektive Idealismus an, dass die synthetischen Sätze a priori sowohl das subjektive Denken als auch die seienden Gegenstände prägen und nur so subjektive Erkenntnis unabhängiger Gegenstände möglich ist.5 Dafür wird die Struktur, die synthetische Sätze a priori bilden, als Prinzip – das Hegel Begriff * oder Idee * nennt –6 angesehen, das gleichermaßen Natur und menschlichem Geist zugrunde liegt. In Hegels Fall bildet also die Logik das Prinzip der Natur und des Geistes, auch wenn das Prinzip falsch verstanden wäre, wenn es als ein zeitlich erstes, transzendentes konzipiert würde, sodass es gegen die erfahrbare Welt stünde.7 Wenn die Logik das Prinzip der Natur und des Geistes bildet, so ist impliziert, dass Hegel sie so konzipiert, dass sie sich nicht in die Unterscheidung von Subjektivität und Objektivität einordnen lässt, sondern beide Pole übergreift.8 Das soll der Begriff * sein und leisten, der als Kern und Prinzip der ganzen WdL fungiert.9 Daher sind die Kategorien, die in der WdL abgeleitet werden, auch keine angeborenen Ideen, wie John Locke sie für Menschen annimmt. Denn ihre Geltung ist letztlich sogar von der Tatsache unabhängig, ob es Menschen gibt, die logisch denken. Stattdessen sollen sie durch sich selbst und durch ihren logischen Status wahr und erfüllt sein. Daher 5 Hegel formuliert den Grundgedanken des objektiven Idealismus in wünschenswerter Klarheit im Zusatz zum § 166 in der Enzyklopädie: An ein Beispiel anschließend führt Hegel aus, dass „weder der Begriff noch das Urteil bloß in unserem Kopfe befindlich sind und nicht bloß von uns gebildet werden. Der Begriff ist das den Dingen selbst Innewohnende, wodurch sie das sind, was sie sind, und einen Gegenstand begreifen heißt somit, sich seines Begriffs bewußt werden; schreiten wir dann zur Beurteilung des Gegenstandes, so ist es nicht unser subjektives Tun, wodurch dem Gegenstand dies oder jenes Prädikat beigelegt wird, sondern wir betrachten den Gegenstand in der durch seinen Begriff gesetzten Bestimmtheit.“ (Hegel, Enz. I, § 166, Z., S. 318). 6 Vgl. Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“, S. 806 f. 7 Siehe etwa Hegel, Enz. I, § 214, S. 370: „Die Idee kann als die Vernunft (dies ist die eigentliche philosophische Bedeutung für Vernunft), ferner als Subjekt-Objekt, als die Einheit des Ideellen und Reellen, des Endlichen und Unendlichen, der Seele und des Leibs, als die Möglichkeit, die ihre Wirklichkeit an ihr selbst hat, als das, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann usf., gefaßt werden, weil in ihr alle Verhältnisse des Verstandes, aber in ihrer unendlichen Rückkehr und Identität in sich enthalten sind.“ Vgl. auch Hösle, Hegels System, S. 67 f. 8 Es ist daran zu erinnern, dass Hegel die Seinslogik und die Wesenslogik als objektive Logik betitelt, die Begriffslogik hingegen als subjektive Logik. Damit kann jedoch nicht gemeint sein, dass die ersten beiden Teile ausschließlich die Ontologie, der letzte Teil aber das Denken eines bestimmten Subjekts bezeichnet. Unten Abschnitt 7.2.4. 9 Das Verhältnis zur Idee * wird in der vorliegenden Arbeit noch deutlich werden. Vorwegnehmend kann hier nur kurz angegeben werden, dass Hegel zwischen Begriff * und Idee * keine radikale Differenz annimmt, sondern ein Verhältnis der Explikation: Der Begriff * ist in der Idee * vollständig expliziert.
186 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik nennt Hegel sie auch „objektive Gedanken“10 . Dieser Ausdruck betont dabei die Zugehörigkeit der logischen Gehalte zum Denken, das folglich nicht subjektiv aufgefasst werden darf: Die Gedanken sind nicht die Denkakte eines Subjekts,11 auch wenn Hegel hier im Ausdruck etwas unbekümmert ist und zum Beispiel die Begriffslogik als ‚die subjektive Logik‘ oder den Begriff * als „das S u b j e c t“ bezeichnet.12 Auch wenn Hegel meines Erachtens in der Ableitung der Kategorien und im argumentativen Rückgriff auf solche Kategorien sehr viel vorsichtiger ist, als es Hegelschüler oder Interpretinnen oft sind, schiene diese Wortwahl doch auf einen subjektiven Idealismus hinzudeuten. Aber diese subjekttheoretische Deutung ist letztlich zurückzuweisen, und zwar nicht nur, weil Hegel zumeist alternative logische Beschreibungsweisen für das subjekttheoretische Vokabular anbietet.13 Sondern vor allem, weil damit das Ziel, verständlich zu machen, wie sich subjektives Denken auf ihm externe Gegenstände beziehen kann, aufgegeben würde. Denn mit Hegel ist Letzteres nur dadurch verständlich, wenn beide an ein und demselben teilhaben, nämlich der ideellen, logischen und kategorial verfassten Struktur. Und daher sind die Gedanken zugleich objektiv, weil sie eben nicht nur subjektive Bedingungen von gedachten Objekten, sondern Bedingungen von Gegenständen an sich und den Gedanken über die Gegenstände sind. Was nun die Darstellung der Logik vor der Logik – also eine Zusammenfassung und methodische Erläuterung des Inhalts der Logik – verkompliziert, ist, dass die Methode nur durch die logische Ableitung selbst gerechtfertigt werden kann. In dem Sinn hat Hegel selbst häufig betont, dass kein vollständiges Verständnis der WdL möglich ist, ohne sie selbst nachvollzogen zu haben.14 Was wie eine argumentative 10 Hegel, Enz. I, § 24 f., S. 80–92. Vgl. Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 41–49. Vgl. auch Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, S. 115–123. 11 Vgl. etwa Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“, S. 808. 12 Vgl. etwa Hegel, WdL II, S. 14 (6), Z. 5. 13 Siehe beispielsweise Hegel, Enz. I, § 148, S. 293: „c. Die Tätigkeit ist α) ebenso für sich [. . . ] selbstständig existierend, und zugleich hat sie ihre Möglichkeit allein an den Bedingungen und an der Sache; β) sie ist die Bewegung, die Bedingungen in die Sache, diese in jene als in die Seite der Existenz zu übersetzen; vielmehr aber nur die Sache aus den Bedingungen, in welchen sie an sich vorhanden ist, heraus zu setzen und durch Aufhebung der Existenz, welche die Bedingungen haben, der Sache Existenz zu geben.“ Was Hegel unter α) hinsichtlich der ‚Tätigkeit‘ in der Logik sagt, ist schwer zu verstehen, aber unter β) wird deutlich, dass Hegel mit ‚Tätigkeit‘ nicht mehr beschreibt, als dass die hinreichenden Bedingungen zugleich hinreichend für die Existenz des Bedingten sind, das in diesem Fall auf die gleiche Weise wie die Bedingungen existieren muss. Insofern ist keine zusätzliche Aktivität, sondern einfach die Wirklichkeit im Falle des Gegebenseins aller hinreichender Bedingungen unter der ‚Tätigkeit‘ zu verstehen. 14 Siehe etwa: ebd., § 10, S. 53: „Dieses Denken der philosophischen Erkenntnisweise bedarf es selbst, sowohl der Notwendigkeit nach gefaßt wie auch seiner Fähigkeit nach, die absoluten Gegenstände zu erkennen, gerechtfertigt zu werden. Eine solche Einsicht ist aber selbst philosophisches Erkennen, das daher nur innerhalb der Philosophie fällt. Eine vorläufige Explikation würde hiermit eine unphilosophische sein sollen und könnte nicht mehr sein als ein Gewebe
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
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Immunisierung erscheinen mag, hat aber einen guten Grund darin, dass Hegel selbst den höchsten Anspruch an Begründung an seine Philosophie stellt. Dass Hegel einen Letztbegründungsanspruch verfolgt, ist bereits in den Kritiken Kants und der vorkantischen Metaphysik deutlich hervorgetreten.15 Nun stellt Hegel diesen Anspruch natürlich nicht nur an andere, sondern versucht mit der WdL diesen selbst einzulösen.16 Aus diesem Anspruch folgt, dass eine Erläuterung der Methode oder der Gegenstände der philosophischen Wissenschaft und deren Grundlegung in der WdL im Voraus wie eine willkürliche Entscheidung erscheinen muss. Denn gegen vorausgehende Erläuterungen lässt sich leicht skeptisch einwenden, dass damit bestimmte Prämissen eingeführt würden, durch welche die Philosophie zu einer hypothetischen würde, als gelte sie nur unter der Annahme bestimmter Prämissen und Methoden. Hegel will aber die Alternativlosigkeit, die absolute Notwendigkeit und Wahrheit seiner Philosophie beweisen.17 Und daher können Methode und Gegenstände nicht wie vorausgesetzte Prämissen angenommen werden, sondern bedürfen selbst der Begründung.18 Natürlich scheint diese Forderung in den infiniten Regress zu münden, denn eine Begründung der Methode und Gegenstände kann nur durch die Annahvon Voraussetzungen, Versicherungen und Räsonnements, – d. i. von zufälligen Behauptungen, denen mit demselben Rechte die entgegengesetzten gegenüber versichert werden könnten.“ Ebenso: Hegel, Enz. I, § 20, A., S. 72; Hegel, WdL I, S. 32 f. (10 f.) ebd., S. 37 (17) und ebd., S. 56 (42). 15 D. Henrich betont ebenfalls, dass Hegel zur philosophischen Tradition, in welcher solche Grundlegungsfragen besondere Aufmerksamkeit erfahren, gehört. Siehe Henrich, „Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in die „Wissenschaft der Logik““, S. 208: „Für andere Traditionen ist aber die Begründung ihrer Prämissen eine Aufgabe ersten Ranges, [. . . ]. Solche Traditionen sind geradezu durch die Permanenz ihrer Grundlegungsprobleme definiert. [. . . ] Solche Traditionen sind die des Platonismus und die, die auf Hegel zurückgeht.“ 16 Hegel führt im § 1 der Enzyklopädie die Voraussetzungslosigkeit und den vollständigen Beweis für Methode und Gegenstände als differentia specifica der Philosophie zu anderen Wissenschaften an. Vgl. Hegel, Enz. I, § 1, S. 41. 17 S. Houlgate sieht in diesem Anspruch interessanterweise eine größere Nähe Hegels zu Descartes’ Meditationen als zu Kants Transzendentalphilosophie, obwohl Hegel sich hier auf Kant beruft. Vgl. Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, S. 25. Dass Hegel und Descartes ein gemeinsames Interesse teilen, nämlich die Begründung eines festen Fundamentes für die Philosophie und Wissenschaft, ist sicher richtig, kann aber hier nicht ausgearbeitet werden. Der wesentliche Unterschied scheint mir darin zu bestehen, dass Hegel die Fundierung nicht im Selbstbewusstsein sucht, da das berühmte cogito-Argument Descartes’ auf einem indirekten Beweis beruht, der die Inkohärenz von Denkakt und Proposition thematisiert. Hegel hingegen interessiert sich für indirekte Beweise auf propositionaler Ebene und für die Bedingungen von Propositionen, die nicht widerspruchsfrei in Propositionen negiert werden können. Vgl. die wichtige Unterscheidung von pragmatischen und dialektischen Widersprüchen in Hösle, Die Krise der Gegenwart, S. 176 f. Descartes’ Argument wird in der Literatur unterschiedlich rekonstruiert. Vgl. etwa Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 136 f. oder Betz, Descartes’ „Meditationen“, S. 68–74. 18 Vgl. Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, S. 32–35. Houlgate leitet aus der Voraussetzungslosigkeit der WdL ab, dass keine Methode vorausgesetzt werden kann, sondern diese sich erst im Verlauf der Logik erweisen darf. Vgl. zur Voraussetzungslosigkeit unten Abschnitt 6.1.
188 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik me einer Begründungsmethode und grundsätzlicheren Prämissen gelingen. Das hier anklingende Thema ist natürlich, dass philosophische Letztbegründung und das Begründungstrillemma sich gegenüber zu stehen scheinen: Da ein induktives Begründungsmodell einem starken Anspruch auf Letztbegründung nicht genügen kann, bleibt scheinbar nur die Möglichkeit einer deduktiven Begründung. Für eine deduktive Begründung scheinen aber nur drei mögliche Anfangspunkte denkbar, die aber in ein seit der Antike bekanntes Trilemma führen:19 1. Die Prämissen einer deduktiven Begründung werden erneut durch Prämissen und folgende Schlüsse begründet. Damit ist eine Deduktion der Prämissen des ersten Schlusses gewonnen, jedoch nur unter der Annahme anderer Prämissen. Wenn diese erneut deduktiv begründet werden müssen, wird offensichtlich, dass die Reihe aus deduktiven Schlüssen an kein Ende kommt, sondern einen infiniten Regress bildet. Wenn dieser Regress vermieden werden soll, so scheint es nur zwei Möglichkeiten zu geben. 2. Die Begründung wird an einer Stelle dezisionistisch abgebrochen. Dann werden einfach bestimmte Prämissen als basal und nicht mehr begründungsbedürftig behauptet. Diese Lösung ist in praktischen Kontexten sicher oft der Fall – man geht einfach auf bestimmte Prämissen zurück, auf die man sich mit allen Gesprächspartnern einigen kann. Als eine Form dieses Abbruchs kann etwa die Annahme von selbstevidenten Prämissen angesehen werden.20 Jedoch ist mit der Einigung oder der Annahme von Evidenz nichts über die tatsächliche Unbezweifelbarkeit ausgesagt. Die Prämissen können ebenso dezisionistisch verworfen wie angenommen werden. So scheint diese Argumentation zumindest nicht einem Letztbegründungsanspruch genügen zu können. 3. Schließlich bleibt als zweite Möglichkeit eines Endes des Begründungsregresses die zirkuläre Begründung eines Kettengliedes. Zirkularität wird aber gemeinhin als problematisch angesehen, da im Rahmen deduktiver Begründungsmodelle die Ableitung von p aus p immer möglich und mithin trivial ist. Diese als „Münchhausentrilemma“ oder „Agrippas Trilemma“ in der Literatur bekannte, scheinbar ausweglose Sachlage für alle Letztbegründung ist unter anderen von Karl-Otto Apel, Wolfgang Kuhlmann, Vittorio Hösle, Dieter Wandschneider, Christian Illies und Bernd Braßel eingehend untersucht und zurückgewiesen worden.21 Die Lösung des Trilemmas besteht dabei in nuce in der Differenzierung 19 Vgl. Sextus Empiricus, Grundriß der pyrrhonischen Skepsis, S. 130–133 (I, 164–177). Vgl. die moderne Wiederholung bei Albert, Traktat über kritische Vernunft, S. 13–18. Vgl. die Bedeutung des Begründungstrilemmas in der klassischen deutschen Philosophie in Franks, All or Nothing. 20 Daher bezeichnet Kutschera Evidenz als subjektiv. Vgl. Kutschera, Die falsche Objektivität, S. 134 f. 21 Vgl. Apel, Transformation der Philosophie II, S. 405 f.; Kuhlmann, Reflexive Letztbegründung. Untersuchungen zur Transzendentalpragmatik; Hösle, „Begründungsfragen des objektiven Idealismus“, S. 245–259; Hösle, Die Krise der Gegenwart, S. 152–159; Wandschneider, „Letztbegründung und Logik“; Wandschneider, „Die Absolutheit des Logischen und das Sein der Natur“; Wandschneider, „Dialektik als Letztbegründung der Logik“; Wandschneider, „Letztbegründung unter
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zwischen notwendigen, das ist unhintergehbaren auf der einen und vitiösen Zirkeln auf der anderen Seite.22 Dass Hegel der Zirkularität ebenfalls einen wichtigen Platz in seiner Philosophie zuweist, ist ein Gemeinplatz. Jedoch wird im Hinblick auf die Anforderungen an Begründung seiner eigenen Philosophie, unter die Hegel sich stellt, die Notwendigkeit von Zirkularität deutlich: Sollen Methode und Gegenstand der Philosophie ebenfalls bewiesen werden, ohne jedoch eine andere Methode und Prämissen vorauszusetzen, müssen Beweis, Methode und Gegenstand in eins fallen – die Methode muss durch sich selbst expliziert werden, der Gegenstand durch sich selbst bewiesen werden.23 Konsequenterweise mündet daher die WdL auch in eine Methodenreflexion, die zwar kaum als vollständig angesehen werden kann, aber dennoch bemerkenswert ist, zumal die Logik nicht ausschließlich als Methodenlehre zu begreifen ist, wie unten deutlicher werden soll.24 Dass Hegel in der WdL mit diesem Lösungsmodell für das Münchhausentrilemma arbeitet, auch wenn er es oft nur implizit behandelt, wird in der vorliegenden Arbeit noch ausführlich dargestellt und begründet. Es sei daher hier auch nur darauf hingewiesen, dass sowohl die Problemlage als auch die Begründung von unhintergehbaren Zirkeln von Hegel explizit in der 13. der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes von 1829 reflektiert wird. Denn Jacobi scheint in Hegels Augen verstehendes und begreifendes Denken mit deduktiven Verfahren engzuführen, worauf Hegel erwidert, dass die „Wahrheit [. . . ] eine solche Macht [sei; Einschub G. M.], daß sie auch am Falschen vorhanden ist“. Und insofern sei das „Wahre [. . . ]
der Bedingung endlichen Wissens. Eine Hegel’sche Perspektive“; Illies, The Grounds of Ethical Judgement, S.44–63; Braßel, Das Programm der idealen Logik. 22 Meines Erachtens kann die Debatte um Letztbegründung ebenso eindeutig als für die Letztbegründung entschieden angesehen werden, wie die Widerlegung des Psychologismus hinsichtlich Logik und Mathematik durch Husserl und Frege eindeutig ist. Vgl. Husserl, Logische Untersuchungen, Erster Band. Vgl. darin etwa: ebd., Erster Band, § 38, S. 130 f. (A 123 f. | B 123 f.). Vgl. Frege, Die Grundlagen der Arithmetik, § 26, S. 39–41 (33–36). Dass nach Hegel ein Gottesbeweis notwendig zirkulär sein muss, betont: Lauer, „Hegel on Proofs for God’s Existence“, S. 464. 23 Auf die Notwendigkeit der Selbstreferentialität einer Philosophie des Absoluten weist auch Nonnenmacher, Hegels Philosophie des Absoluten. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ und reifem System, S. 4 und S. 16–23 hin. Nonnenmacher konzentriert sich in seiner Interpretation der hegelschen Philosophie jedoch auf den Begriff des „Ausdrucks“, der ebenfalls nicht unabhängig vom Absoluten sein kann, sodass das Absolute als ein „Sichfürsichausdrücken“ verstanden werden muss. Damit stellt er den Anschluss an Spinozas Definition des Absoluten in Spinoza, „Ethik“, Teil I, Def. 6, S. 5 f. her und untersucht, wie Hegel über den Gedanken Spinozas hinausgeht. Die in der vorliegenden Arbeit eingenommene Perspektive auf das hegelsche Programm, die sich auf den Beweis- und Begründungsanspruch konzentriert, ist mit der Interpretation Nonnenmachers vollständig kompatibel. Allerdings scheint mir die Begründungsfrage noch fundamentaler zu sein, da Hegel nicht nur ein Modell der Explikation des Absoluten, sondern das absolut Wahre und damit das Absolute begreifen möchte. Explikation und Beweis gehen dabei freilich Hand in Hand. 24 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 179 f. Vgl. auch Henrich, Hegel im Kontext, S. 147 f.
190 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik die Vermittlung mit sich durch die Negation des Anderen und der Vermittlung durch Anderes[.]“25 Dass aus dem Letztbegründungsanspruch der WdL folgt, dass alle vorhergehenden Erläuterungen erst durch sie selbst gerechtfertigt werden kann, wird auch deutlich, wenn man Hegels Anschluss an Kant und die vorkantische Metaphysik betrachtet. Denn Hegel kritisiert nicht nur, sondern schließt, wie gesagt, zugleich in kritischer Absicht an Kant und die vorkantische Metaphysik an. Dabei geht es Hegel um zweierlei: Einerseits stehen die Fragen der klassischen Metaphysik oder ersten Philosophie offen und sind nicht durch ein bestimmtes, erfahrungsabhängiges Kriterium für Aussagen als „dialektischer Schein“ zurückzuweisen. Auf der anderen Seite muss aber die Behandlung der Fragen radikal modifiziert werden, da nur die Integration in ein Letztbegründungsprogramm über Prämissen und Annahmen aufklären kann. Dieses Letztbegründungsprogramm garantiert dann erst die Bedeutung der verwendeten Begriffe sowie die Wahrheit der Prämissen und Schlussfolgerungen. Es müssen also die Grundlagen der Metaphysik selbst begründet werden. Begründung ist nun aber ein logisches Verhältnis. Insofern ist die Logik immer eine Voraussetzung für eine Begründung der Prämissen der Metaphysik. Wenn aber alle Voraussetzungen der Begründung bedürfen, kann die Logik nicht als Mittel der Begründung vorausgesetzt werden, sondern muss auch selbst Gegenstand der Begründung sein. Nimmt man nun beides zusammen, also, 1. dass Begründung immer ein logisches Verhältnis ist und 2. dass die Logik Gegenstand der Begründung sein muss, so wird die Notwendigkeit der Selbstbegründung der Logik deutlich:26 Sie muss sowohl Methode als auch Gegenstand sein, wenn alle Voraussetzungen begründet werden sollen.27 In diesem Vorhaben, das die WdL auszuführen versucht, müssen dann Methode und Gegenstand identisch sein, damit der Letztbegründungsanspruch eingelöst werden kann. Da nun beide gleich sind, kann Hegel davon sprechen, dass sich die
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Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 466. Vgl. auch unten S. 505. Vgl. Wandschneider, „Letztbegründung und Logik“, S. 84 f. 27 Vor dem Anspruch auf Begründung der Prämissen der Metaphysik fällt Licht auf die gödelsche Version des ontologischen Arguments. Diese, wohl am stärksten formalisierte Version des OGB, führt die logischen Mittel – eine zweiwertige Logik, eine Semantik positiver Prädikate und das Modalsystem S5 – klar vor Augen. Dennoch wirkt der Beweis gerade in Anbetracht der logischen Mittel nicht mehr zwingend: Er ist nämlich nur im Verhältnis zu bestimmten formallogischen Systemen gültig, aber diese sind selbst nur axiomatisch gültig und können folglich bestritten werden. Natürlich ist es eine unübliche Sicht, die formale Logik als Prämissen für ein Argument einzuführen, zumal die Regressgefahr offensichtlich wird. Vgl. etwa Carroll, „What the Tortoise said to Achilles“. Aufgrund der axiomatischen Struktur sind formallogische Systeme aber eben nur bedingt gültig, weshalb die Frage nach einer Auszeichnung und Begründung der Axiome nicht obsolet ist. Dass Letzteres aber nicht ohne die Verwendung von Logik geschehen kann, ist gerade der Punkt, der zum Gedanken der Selbstbegründung der Logik führt. 26
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
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letztbegründete Wahrheit selbst auslegt,28 da die Logik die Methode ist, die sich selbst erhellt, und der Gegenstand, der sich selbst entfaltet.29 Somit ist die Metaphysik für Hegel möglich, aber nur unter der Voraussetzung einer letztbegründenden Logik. Jedoch versteht Hegel die WdL nicht (nur) als Fundamentalwissenschaft und die Metaphysik als eine darauf aufbauende Lehre, sondern er bezeichnet die WdL selbst als die „eigentliche Metaphysik“30 . Dies ist ein entscheidender Schritt, den Hegel in seinen Jenaer Jahren vollzogen hat. Die genetische Entwicklung soll hier nicht dargestellt werden, sondern der Grund für den Zusammenfall von Logik und Metaphysik.31 Zunächst ergibt sich allerdings unter dieser Bedingung das angesprochene Problem, dass die Rekonstruktion der sich selbst beweisenden Logik erst an ihrem Abschluss als die richtige Rekonstruktion ausgewiesen werden kann. Wenn die WdL eine absolute Logik darstellt, kann nichts außerhalb ihrer gerechtfertigt werden, sondern nur innerhalb ihrer. Eine Meta-Perspektive oder eine von ihr differierende Argumentationsbasis würde ihrem Anspruch auf Absolutheit widersprechen.32 Insofern ist die Arbeit mit und in der Logik nur unter einer gewissen Vorläufigkeit möglich. Dieses Problem für jede Interpretation und Rekonstruktion verschärft 28 Vgl. Nonnenmacher, Hegels Philosophie des Absoluten. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ und reifem System, S. 1–4. 29 So schreibt Hegel in der Wesenslogik: „Es soll dargestellt werden, was das Absolute ist; aber diß Darstellen kann nicht ein Bestimmen noch äussere Reflexion seyn, wodurch Bestimmungen desselben würden, sondern es ist die Auslegung und zwar die eigene Auslegung des Absoluten, und nur ein Zeigen dessen was es ist.“ (Hegel, WdL I, S. #370 (215), Z. 15–19) Dass die Logik als eine Art Selbstuntersuchung der Logik verstanden werden muss, geht auch aus dem Zusatz1 zum § 41 der Enzyklopädie hervor: „Allerdings sollen die Formen des Denkens nicht ununtersucht gebraucht werden, aber dies Untersuchen ist selbst schon ein Erkennen. Es muß also die Tätigkeit der Denkformen und ihre Kritik im Erkennen vereinigt sein. Die Denkformen müssen an und für sich betrachtet werden; sie sind der Gegenstand und die Tätigkeit des Gegenstandes selbst; sie selbst untersuchen sich, müssen an ihnen selbst sich ihre Grenze bestimmen und ihren Mangel aufzeigen.“ Dieses Verfahren nennt Hegel bekanntlich „Dialektik“. Vgl. Hegel, Enz. I, § 41, Z.1 , S. 114. In seiner Vorlesung über die Beweise vom Dasein Gottes argumentiert Hegel analog für die Erkenntnis: Die Methode der Erkenntnis und der Gegenstand müssen im Falle Gottes zusammenfallen und gemeinsam gerechtfertigt werden: „Es wird sich aber ferner, indem wir unseren Zweck verfolgen, zeigen, daß das Erkennen unseres Gegenstandes an ihm selbst auch als Erkennen sich rechtfertigen wird. Daß im wahrhaften und wirklichen Erkennen auch die Rechtfertigung des Erkennens liegen wird und muß, weiß man, könnte man sagen schon zum voraus, denn dieser Satz ist nichts anderes als eine Tautologie; ebenso als man im voraus wissen kann, daß der verlangte Umweg das Erkennen vor dem wirklichen Erkennen erkennen zu wollen, überflüssig ist, darum, weil dies in sich selbst widersinnig ist.“ (Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 355) Das Argument wendet Hegel, wie oben gesehen, regelmäßig gegen Kant und gegen den Versuch, Epistemologie zur ersten Philosophie zu machen. Vgl. oben S. 156. 30 Hegel, WdL I, S. 7 (X), Z. 17 f. 31 Vgl. für die genetische Entwicklung etwa: Düsing, „Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik“, S. 16–22. Vgl. auch Rosenkranz, G. W. F. Hegels Leben, S. 107–112. 32 Vgl. etwa Hegel, WdL I, S. 33 (10 f.) ebd., S. 44 (26 f.)
192 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik sich noch, da Hegel selbst 1831 in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Seinslogik erklärt hat, dass die von ihm vorgelegte Beschreibung der Logik nicht der wahren Logik, der idealen Logik entspricht.33 Es scheint also mit den Büchern der WdL noch gar kein abgeschlossenes Projekt, sondern erst ein Entwurf vorzuliegen. Es ist von großer Wichtigkeit, dass Hegels Zugeständnis einer Selbstkritik und einer Kritikmöglichkeit voraussetzt, dass die Logik nicht durch die Gedanken ihres Autors konstruiert, sondern rekonstruiert wird. Das ist aber nur möglich, wenn zwischen den subjektiven Denkakten und -gehalten und den davon unabhängigen Gehalten der Logik unterschieden wird. V. Hösle hat darauf hingewiesen,34 dass Hegel, die Psychologismuskritik Husserls und Freges vorwegnehmend,35 scharf zwischen diesen beiden Seiten unterscheidet, indem er etwa logische Begriffe, Urteile und Schlüsse in der WdL abhandelt36 und dann deren Realisierung im Denken einzelner, raum-zeitlicher Subjekte im subjektiven Geist behandelt.37 Die Wichtigkeit dieses Unterschieds ist kaum zu überschätzen, da daraus zweierlei resultiert, dessen meines Erachtens jede Hegeldeutung gerecht werden muss: 1. Zum einen ist die Geltung und Wahrheit der logischen Begriffe und der Idee * selbst zu bestimmen. Beide müssen prima facie unabhängig davon bestehen, ob jemals ein Subjekt die Logik denkt.38 Die Aufgabe, Denkakte zu analysieren, 33 Vgl. Hegel, WdL I, S. 20 (XXXIV), Z. 2–15. Hegel schreibt, es solle „an die Erzählung erinnert werden, daß Plato seine Bücher über den Staat siebenmahl umgearbeitet habe. Die Erinnerung hieran, eine Vergleichung, insofern sie eine solche in sich zu schließen schiene, dürfte nur umsomehr bis zu dem Wunsche treiben, daß für ein Werk, das, als der modernen Welt angehörig, ein tieferes Princip, einen schwerern Gegenstand und ein Materiel von reicherem Umfange zur Verarbeitung vor sich hat, die freye Muße, es sieben und siebenzig mal durchzuarbeiten, gewährt gewesen wäre. So aber mußte der Verfasser, indem er es im Angesicht der Grösse der Aufgabe betrachtet, sich mit dem begnügen, was es hat werde mögen, unter den Umständen einer äusserlichen Nothwendigkeit, der unabwendbaren Zerstreuung durch die Grösse und Vielseitigkeit der Zeitinteressen, sogar unter dem Zweifel, ob der laute Lerm es Tages und die betäubende Geschwätzigkeit der Einbildung, die auf denselben sich zu beschränken eitel ist, noch Raum für die Theilnahme an der leidenschaftslosen Stille der nur denkenden Erkenntniß offen lasse.“ 34 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 70 f. 35 Vgl. Husserl, Logische Untersuchungen, Erster Band. Vgl. darin etwa: ebd., Erster Band, § 38, S. 130 f. (A 123 f. | B 123 f.) und Frege, Die Grundlagen der Arithmetik, § 26, S. 39–41 (33–36). 36 Vgl. Hegel, WdL II, S. 31–126 (34–191). 37 Vgl. Hegel, Enz. III, § 467, S. 283. 38 Dieses ist nur prima facie richtig. Denn für Hegel ist es natürlich notwendig, dass eine Philosophie in der Geschichte des Denkens schließlich die wahre Logik rekonstruiert und somit erkennt. Dieses ist ein zeitlich ausgedehnter Prozess aus sich geschichtlich voraussetzenden Stufen. Zumindest scheint das der Anspruch der Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie zu sein. Was aber entscheidend ist, ist die konditionale Beziehung, die Hegel akzeptiert, und diejenige, die er nicht akzeptiert. Hegel akzeptiert meines Erachtens ausschließlich das folgende Konditional: Weil die Logik uneingeschränkt gilt und wahr ist, wird sie von der Philosophie in der Geschichte entdeckt und gedacht. Was Hegels Philosophie fundamental zuwiderläuft und einer falschen Interpretation Vorschub leistet, die Hegel fälschlich in den Historismus eingemeindet, ist: Weil die
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und eine Phänomenologie der Noesis im Sinne Husserls39 ist hingegen eine ganz andere. Daher weist Hegel immer wieder eine Interpretation der Logik zurück, welche diese auf subjektive Akte reduziert. So schreibt er etwa im Abschnitt Vom Begriff im Allgemeinen in der Begriffslogik deutlich: Eben so ist hier auch der Begriff, nicht als Actus des selbstbewußten Verstandes, nicht der s u b j e c t i v e Ve r s t a n d zu betrachten, sondern der Begriff an und für sich, welcher ebensowohl eine S t u f f e der N a t u r, als des G e i s t e s ausmacht.40
Und ab dem 14. Absatz in der Einleitung zur WdL argumentiert Hegel, dass sowohl Kant als auch Fichte letztlich zu unüberwindlichen Hindernissen gelangt seien, weil beide vom subjektiven Denken ausgingen.41 Hegel fährt daraufhin fort, zu erklären, dass die Logik, die er vor Augen hat, ihren Inhalt durch sich selbst hat, also gerade nicht formal ist, und dass die Darstellung des Inhaltes als „organische Einheit“, als „gediegne, absolut-concrete Einheit“ möglich ist.42 Nachdem Hegel daraufhin den Einsatzpunkt der Logik unter Rückgriff auf das Ergebnis aus der Phänomenologie des Geistes erläutert, kommt er schließlich darauf, dass in der WdL gerade kein Gegensatz zwischen Denken und den logischen Kategorien bestehen könne, sondern das reine Denken vollständig durch die Kategorienentfaltung beschrieben werde: Die reine Wissenschaft setzt somit die Befreyung von dem Gegensatze des Bewußtseyns voraus. Sie enthält d e n G e d a n k e n , i n s o f e r n e r e b e n s o s e h r d i e S a c h e a n s i c h s e l b s t i s t, oder d i e S a c h e a n s i c h s e l b s t, insofern sie eben s o s e h r d e r r e i n e G e d a n k e i s t. Als W i s s e n s c h a f t ist die Wahrheit das reine sich entwickelnde Selbstbewußtseyn, und hat die Gestalt des Selbsts, daß d a s a n u n d f ü r s i c h s e ye n de gewußter Beg r iff , der Beg r iff als solcher aber das an und für sich s e y e n d e ist.43 Philosophie in der Geschichte eine bestimmte Logik entwickelt und denkt, deshalb gilt die Logik. Aus diesem Konditional lässt sich meines Erachtens auch eine hegelsche, alternative Begründung der ‚Subjektivitätsthese‘ A. F. Kochs gewinnen: Es müssen in der wirklichen Welt notwendig Subjekte auftreten, die sich auch der raum-zeitlichen Wirklichkeit entwickeln und daher diese Bestimmungen noch teilen, die in der Lage sind, Wahrheit und Geltung einzusehen, weil es eine absolut gültige Logik gibt. 39 Vgl. Husserl, Ideen I, § 94, S. 233–237. 40 Hegel, WdL II, S. 20 (16), Z. 11–14. Vor einer Psychologisierung der Logik warnt auch Düsing, „Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik“, S. 23. 41 Vgl. Hegel, WdL I, S. 31 (8), Z. 18–30. Dort wendet Hegel zunächst gegen Kant ein: „Jene Kritik hat also die Formen des objektiven Denkens nur vom Ding entfernt, aber sie im Subject gelassen, wie sie vorgefunden. Sie hat dabey nemlich diese Formen nicht an und für sich selbst, nach ihrem eigenthümlichen Inhalt, betrachtet, sondern sie lemmatisch aus der subjektiven Logik geradezu aufgenommen; so daß von einer Ableitung ihrer an ihnen selbst, oder auch einer Ableitung derselben als subjective-logischer Formen, noch weniger aber von der dialectischen Betrachtung derselben die Rede war.“ Und gegen Fichtes Philosophie fügt er im folgenden Absatz an: „Auch machte diese Philosophie den Anfang, die Vernunft aus sich selbst ihre Bestimmungen darstellen zu lassen. Aber die subjektive Haltung dieses Versuchs ließ ihn nicht zur Vollendung kommen.“ 42 Vgl. ebd., S. 32 (9), Z. 8 f. 43 Ebd., S. 33 (11)Z. 27–33.
194 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik Im ersten Satz des Zitats spricht Hegel aus, dass die WdL nicht im üblichen Schema von Subjektivität und Objektivität aufgefasst werden kann. Weil die logischen Kategorien sowohl das Denken der einzelnen Subjekte als auch die Objekte die gegenständliche Sphäre strukturieren, übergreifen sie den Unterschied – das ist die Grundidee des objektiven Idealismus.44 Entscheidend ist aber, dass Hegel explizit die Unterscheidung zwischen „Gedanken“ und der „Sache“ ablehnt. In der Logik fallen insofern Noemata und Noesis zusammen, weshalb Hegel nicht aus einem Denkakt auf die Kategorien schließt, sondern die Kategorienableitung eine vollständige Beschreibung des reinen Denkens ist.45 2. Weil Hegel die logischen Struktur und ihre Rekonstruktion unterscheidet, kann er unmöglich eine konstruktivistische Theorie logischer Begriffe vertreten. Die subjektiven Denkakte sind nicht der Grund des Bestehens und der Geltung der Logik, und a fortiori können auch soziale oder geschichtliche Umstände nicht als deren Begründung herangezogen werden.46 Das ist schon allein durch Hegels 44 Im Kontext des Zitats verweist Hegel auf die PhG, wenn er meint, die Befreiung sei vorausgesetzt. Die PhG soll für Hegel den Dienst leisten, den Zusammenhang von Denken und Gegenstand herzuleiten, auf den die WdL zurückgreift. Diese Ansicht Hegels ist insofern problematisch, als dass Hegel kaum gemeint haben kann, dass die PhG eine Geltungsbedingung der Logik sein kann. Um dieses Verhältnis gibt es bekanntlich Uneinigkeit in der Literatur und Forschung. Die Debatte kann hier nicht aufgegriffen werden. An dieser Stelle wird davon ausgegangen, dass die WdL ein eigenständiges Projekt ausmacht, das keine Geltungsvoraussetzungen außer ihrer hat oder zumindest haben soll. Evidenzen, dass das der Intention Hegels entspricht oder zumindest dass Hegel sich zunehmend von dieser Unabhängigkeit überzeugte, sind zum einen, dass Hegel in der genannten Einleitung zur WdL auch noch schreibt, er habe mit der PhG „ein Beispiel von dieser Methode [d. i. die logische Methode; Einschub G. M.], an einem concretern Gegenstande, dem B e w u ß t s e y n aufgestellt.“ (Ebd., S. S. 37 (17), Z. 30–32) Zum anderen ist sowohl der Vorbegriff als auch die Ordnung der Enzyklopädie ein Zeugnis dessen, dass Hegel die PhG als ein Teil seines Systems aufgefasst hat, der selbst von der Logik abhängig ist. Insofern die PhG also eine Voraussetzung der WdL sein soll, kann sie nur eine Propädeutik sein, also eine genetische Voraussetzung. Vgl. zu dieser Debatte die klärende Fußnote in: Hösle, Hegels System, S. 58, Fn. 78. 45 Das deutet Henrich, Hegel im Kontext, S. 82 an. Pippin erwähnt diese Einsicht Henrichs, stellt sie aber in den Kontext, dass Hegels WdL bereits ihrer Anfangsbestimmung ‹Sein› ‚Vermittlung‘ impliziere. Pippin sieht darin keine größere Schwierigkeit, weil er die PhG als geltungstheoretische Voraussetzung der WdL versteht. Vgl. Pippin, Hegel’s Idealism. The Satisfaction of Self-Consciousness, S. 183 f. Diese Ansicht läuft sowohl dem Anliegen Hegels in der WdL zuwider, dass Begriff * und Idee * absolute Geltung beanspruchen können. Dass der Anfang der Logik ‚Vermittlung‘ impliziert, ist allerdings richtig, aber nicht, weil er die PhG voraussetzt, sondern weil die Logik die Logik voraussetzt. Vgl. dazu: Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 17. Konrad Utz bestreitet diese Einsicht Wandschneiders und die ‚Vermittlung‘ am Anfang der Logik. Vgl. Utz, Die Notwendigkeit des Zufalls. Hegels spekulative Dialektik in der »Wissenschaft der Logik«, S. 24. Der Argumentation Utz’ liegt meines Erachtens ein falsches Verständnis von „Voraussetzungslosigkeit“ zugrunde, welches Hegel selbst in seiner Kritik an jeglicher „Unmittelbarkeit“ immer wieder scharf zurückgewiesen hat. Auf diesen Problemzusammenhang wird unten in Abschnitt 6.1 eingegangen. 46 Insofern ist eine links-hegelianische Lesart falsch, weil sie nicht anerkennen will, dass Hegel in der Logik subjektunabhängige, ewige Bedingungen des konkreten Denkens und Seins expliziert und
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oben genannte Kritik an Kants „metaphysischer Deduktion“ begründet, denn wenn Hegel Kants Herleitung der Kategorien aus unbefragten Denkakten nicht akzeptiert, kann er selbst wohl kaum Selbiges in seiner Logik anstreben. Hegel kann also nicht eine Menge von Denkakten annehmen, welche die logischen Kategorien, den Begriff * und die Idee * fundieren, sondern muss annehmen, dass die Ableitung der Kategorien bereits eine vollständige Beschreibung dessen ist, was er „reines Denken“ nennt. Durch die Unterscheidung von logischer Struktur und subjektiver Rekonstruktion ist für Hegel 3. die Kritisierbarkeit der hegelschen Rekonstruktion der Logik garantiert.47 Wenn Hegel die Möglichkeit einer Selbstkritik und -korrektur betont, so kann diese Möglichkeit nicht auf Hegel selbst beschränkt sein. Die Kritisierbarkeit ergibt sich nun aus dem Unterschied zwischen dem Denken eines endlichen Subjekts und der Logik, die für sich selbst absolut und fundamental ist.48 In einem klärenden Aufsatz erläutert D. Wandschneider diesen Zusammenhang.49 Zunächst argumentiert Wandschneider, dass die Negation einer Voraussetzung sinnvollen Argumentierens – diese Voraussetzungen expliziert die Logik – in eine pragmatische Inkonsistenz mündet und somit falsch ist, während die Bedingung von sinnvoller Argumentation durch die so gezeigte Unhintergehbarkeit als letztbegründet gelten kann. Entscheidend ist dabei, dass die Einsicht, etwa dass sich die Behauptung „Wahrheit ist unmöglich“ selbst widerlegt, wahr ist, auch ohne dass eine explizite untersucht. Ein Zitat, das scheinbar eine konstruktivistische Lesart nahelegt, findet sich in der Ersten Vorrede zur WdL: „Diese geistige Bewegung, die sich in ihrer Einfachheit ihre Bestimmtheit, und in dieser ihre Gleichheit mit sich selbst gibt, die somit die immanente Entwicklung des Begriffes ist, ist die absolute Methode des Erkennens, und zugleich die immanente Seele des Inhalts selbst. – Auf diesem sich selbst construirenden Wege allein, behaupte ich, ist die Philosophie fähig, objektive, demonstrirte Wissenschaft zu seyn.“ (Hegel, WdL I, S. 8 (XII), Z. 16–21) Hegel unterscheidet hier allerdings zwischen der Methode des Erkennens und dem Inhalt selbst. Der Nachvollzug des Inhaltes hat ein Moment der (Re-)Konstruktion, allerdings findet die Rekonstruktion wiederum ihren Maßstab an dem Inhalt, der ewig und subjektunabhängig ist. Ohne diese letzten Eigenschaften ist meines Erachtens nicht zu verstehen, wie der Anspruch an die Philosophie gerechtfertigt werden kann, den Hegel an der zitierten Stelle erhebt. 47 Vgl. zur Möglichkeit immanenter Kritik die klärenden Ausführungen in Hösle, Hegels System, S. 52–59. Vgl. auch die Ausführungen: Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, S. 35–42. Die Kritisierbarkeit Hegels ergibt sich für Houlgate schon durch die radikale Selbstkritik, zu der Hegel sich verpflichtet. Hegel verwirft allerdings externe Kritik, das heißt eine Kritik, die von anderen Grundprinzipien ausgeht. Wie Houlgate betont, ist darin allerdings kein Dogmatismus Hegels zu konstatieren, da Hegel selbst nicht von Prämissen und Voraussetzungen ausgehe, sondern voraussetzungslos verfahre. Von Houlgate abweichend ist meines Erachtens der Grund, dass Hegel meint, nicht von Voraussetzungen zu abstrahieren, sondern ein unbestreitbares, aber begründbares Prinzip annimmt. 48 Popper meint etwa, dass Falsifizierbarkeit ein Kriterium von empirischen Theorien ist. Das gilt natürlich nicht für die Logik, auch wenn nicht ausgeschlossen wird, dass einzelne Subjekte logische Fehler begehen. Vgl. Popper, Logik der Forschung, S. 62–67. 49 Vgl. Wandschneider, „Letztbegründung unter der Bedingung endlichen Wissens. Eine Hegel’sche Perspektive“.
196 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik Theorie über Wahrheit und Bedingungen von Argumentationen in Anspruch genommen werden muss.50 Wandschneider argumentiert weiter, dass im Bestreiten von Elementen dieser Fundamentallogik, die für Wandschneider mit Hegels WdL koinzidiert, eben ein Widerspruch auftritt, weil die Fundamentallogik implizit in Anspruch genommen werde. Von da und den punktuellen Einsichten in die Absolutheit einzelner letztbegründeter Sätze ausgehend, kann dann die Explikation des Systems der Fundamentallogik in Angriff genommen werden. Denn aufgrund der Tatsache, dass überhaupt argumentiert werden kann – und dieses zu bestreiten ist erneut pragmatisch inkonsistent –, kann davon ausgegangen werden, dass die gesamten Bedingungen rationaler Argumentation, mithin die Fundamentallogik, bereits implizit verwendet werden.51 Somit ist fortschreitende Erkenntnis der zugrunde liegenden logischen Wahrheiten möglich, ohne dass diese bereits erkannt sind.52 Weil aber die Fundamentallogik implizit in jedem Explikationsschritt wirksam ist, kann die Explikation auch als Selbstexplikation beschrieben werden.53 Natürlich können in dieser Explikation Fehler auftreten, was allerdings der Explikation, nicht der Fundamentallogik angelastet werden muss, denn ohne diese Fundamentallogik, an welcher die Explikation gemessen werden kann, können die Fehler gar nicht als Fehler identifiziert werden. Hegel selbst erläutert den gleichen Zusammenhang zwar nicht mit dem Begriffspaar ‚explizit/implizit‘, sondern greift in der Vorrede zur zweyten Ausgabe der WdL auf die Gegenüberstellung von „bekannten“ – die den hier vorgezogenen ‚impliziten‘ entsprechen – und „erkannten“ logischen Bestimmungen zurück.54 Bisher Gesagtes zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass Hegel in seinem Projekt der WdL sowohl an die vorkantische Metaphysik als auch an die kantische Kritik anschließen möchte. Zugleich geht es ihm aber darum, beide zu überbieten, insofern seine Philosophie ein absolut wahres, letztbegründetes Prinzip zugrunde aufweisen soll. Dadurch ergibt sich der erläuterte vorläufige Charakter, 50 Vgl. Wandschneider, „Letztbegründung unter der Bedingung endlichen Wissens. Eine Hegel’sche Perspektive“, S. 355 f. 51 Vgl. ebd., S. 359. 52 Eine sehr interessante Argumentation für die Möglichkeit von Beweisen trotz teilweise unklarer Begriffe und die Möglichkeit der zunehmenden Begriffsklärung findet sich bei B. Braßels. Vgl. Braßel, Das Programm der idealen Logik, S. 25–55. Die Diskussion der Argumente Braßels würde hier zu weit führen, aber die Argumente Braßels sind interessant, zumal sie mit Selbstbezug und pragmatischen Widersprüchen arbeiten. 53 Vgl. Wandschneider, „Letztbegründung unter der Bedingung endlichen Wissens. Eine Hegel’sche Perspektive“, S. 360. 54 Siehe Hegel, WdL I, S. 12 (XIX), Z. 6–11: „Aber indem so die logischen Gegenstände wie deren Ausdrücke, etwa in der Bildung allbekanntes sind, so ist, wie ich anderwärts gesagt, was b e k a n n t ist, darum nicht e r k a n n t, und es kann selbst die Ungeduld erregen, sich noch mit Bekanntem beschäftigen zu sollen, und was bekannter, als eben die Denkbestimmungen, von denen wir allenthalben Gebrauch machen, die uns in jedem Satze, den wir sprechen, zum Munde herausgehen.“
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
197
den jede Erklärung und Erläuterung der Logik haben muss, da der Anspruch auf Begründung der Erklärungen nur durch die Logik selbst eingelöst werden kann. Zugleich ist aber eine Explikation des absoluten Prinzips möglich, auch wenn dabei das Prinzip immer schon vorausgesetzt wird, denn die WdL kann nur absolut sein, wenn ihre Begründung und Explikation nicht von ihr unabhängig sind. So ergibt sich eine gewisse Selbstreferentialität, die aber für das Projekt von Letztbegründung und Absolutheit konstitutiv ist. Um ein Vorverständnis der Logik zu gewinnen, können aber dennoch vier Charakterzüge genannt werden, die V. Hösle in seinem Buch Hegels System herausgearbeitet hat. Die vier „Funktionen“ der Logik, die Hegel systematisch zusammenführt, sind die folgenden: 1. Transzendentalphilosophie, 2. Logik, 3. Ontologie und 4. philosophische oder spekulative Theologie.55 Wie Hösle anmerkt, ist Hegel darin nicht völlig originell, da sich in Platon, Aristoteles und unter den Neuplatonikern bedeutende Vorläufer finden, die ebenfalls eine Einheit von (1.)–(4.) gesehen haben. Dennoch kann das Zusammenführen dieser oft auf verschiedene Disziplinen verteilten Aspekte der WdL zunächst überraschend wirken. Betrachten wir daher kurz Hösles Erläuterungen, wie die vier in Hegels Projekt zusammengebracht werden. Der Anschluss an (1.) die Transzendentalphilosophie ist gegeben, indem Hegel, wie vor allem Fichte, die „reflexive Struktur des sich selbst begreifenden Denkens, die jedem Erkennen, das einen Wahrheitsanspruch erhebt, notwendig vorausgeht“56 . Dabei steht das reine Denken – wie auch immer dieses näher zu bestimmen ist – im Zentrum, wohin es schon Kant stellte,57 da Denken unhintergehbar und für jeden Wahrheitsanspruch und jede Erkenntnis vorausgesetzt zu sein scheint. Da für alles Erkennen und Wissen Denken sinnvollerweise als notwendige Bedingung betrachtet werden kann, sind Inhalte des reinen Denkens, die apriorischen Gehalte, notwendige Bedingungen aller Erkenntnis und alles Wissens. Diesem Grundgedanken Kants folgt Hegel, auch wenn er die kantische Transzendentalphi-
55
Vgl. Hösle, Hegels System, S. 61 f. Ebd., S. 62. 57 Freilich unterscheidet Kant den rezeptiven Erkenntnisstamm, die Sinnlichkeit, vom spontanen, dem Verstand. Reines Denken findet sich nur im Verstand, auf den allerdings die Sinnlichkeit nicht reduzierbar ist, was Kant unterstreicht. Vgl. etwa Kant, KrV, A 50–52 | B 74–76. Das reine Denken ist für Kant insofern allerdings zentral, als dass es nicht nur die apriorischen Kategorien begründet, sondern von diesem auch die transzendentale Deduktion ausgeht, und zwar vom reinen „Ich denke“. Von diesem Punkt ausgehend will Kant die Verbindung von Sinnlichkeit und Verstand demonstrieren. 56
198 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik losophie – eine Bezeichnung die Hegel allerdings selbst deutlich ablehnt – durch die hinzukommenden Punkte entscheidend modifiziert. Wenn also das apriorische Denken gehaltvoll ist, muss zwischen richtigem und falschem Denken unterschieden werden. Insofern muss Hegel in der WdL (2.) eine Lehre vom richtigen Denken angeben, also eine Logik. Dieses soll durch eine methodische Explikation der Kategorien, der Gehalte des reinen Denkens, der richtigen Art der Begriffsbildung, des Urteilens und Schließens und der Explikation der Methode der WdL erreicht werden.58 Zudem ist die Logik zugleich (3.) Ontologie, da durch eine Bestimmung des Seienden, als vom vom Denken unabhängige Gegenstände der Selbstwiderspruch des kantischen Ding-an-sich auftreten würde.59 Allein die Konzeption eines nicht kategorial bestimmten Dinges wäre wiederum ein Gedanke und würde daher die Gehalte des Denkens als notwendige Bedingungen implizieren, so Hegels Argument.60 Somit bilden die Kategorien nicht nur die Grundstrukturen des Denkens, sondern zugleich allen Seins, so führt Hösle aus.61 Das entspricht natürlich dem Grundgedanken des objektiven Idealismus, insofern durch diese absolute Kategorienstruktur eine Korrespondenzbeziehung zwischen konkretem Erkennen einzelner 58 Vgl. zur Methodenrekonstruktion den Abschnitt 6.2 und zur hegelschen Begriffs *-, Urteilsund Schlusslehre unten den Abschnitt 8.2. 59 Diese Seite der hegelschen WdL hebt auch R. Stern hervor, der sie auch durch die Kritik der kantischen Philosophie etabliert. Vgl. Stern, Hegelian Metaphysics, S. 30–32. 60 Vgl. Hegel, WdL I, S. 14 (XXIV). 61 F. Schick argumentiert auf interessante Weise für den ontologischen Strang der WdL und für Hegels Lehre vom „objektiven Gedanken“, in welcher der ontologische Gehalt des reinen Denkens gefasst wird. Vgl. Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 41–49. Schick argumentiert zum einen über das kategorische Urteil, in welchem ein Einzelgegenstand mit seiner Gattung identifiziert werde. Vgl. ebd., S. 44 f. Damit sei aber das Allgemeine, die Gattung als gedankliche Bestimmung, als wesentlich für den Einzelgegenstand ausgesprochen. Vgl. ebd., S. 46. Um diese Aussage mit Hegels stärkeren Aussagen, etwa ‚der nous die Welt regiere‘, zusammenzubringen, führt Schick zwei interessante Argumentationen an. 1. So wie dem Gegenstand im kategorischen Urteil eine Gattung zugesprochen wird, so lassen sich auch kategorische Urteile über die Welt, die Menge aller Gegenstände denken. Das Allgemeine, was über die Welt ausgesagt würde, wäre dann logisch superior vor dem bestimmten Allgemeinen, was über einen bestimmten Gegenstand in der Welt ausgesagt wird. Voraussetzung dieser Argumentation ist freilich, dass die Welt als Konkretum aufgefasst werden kann und nicht selbst bereits ein Allgemeinbegriff ist, worauf das 2. Argument reagiert. Vgl. ebd., S. 47. (Ebenfalls scheint eine realistische Auffassung von Gattungen als Allgemeinheiten, logischen Entitäten oder Ähnliches vorausgesetzt zu sein. Ein Nominalist würde natürlich das kategorische Urteil anders interpretieren.) 2. Das zweite Argument formuliert einen Widerspruch der in Folgendem zu bestehen scheint: Wenn die Welt als Abstraktum aufgefasst wird, so verfehlen Aussagen über die Welt die Dinge in ihren besonderen Bestimmungen. Schick schreibt: „Hat nun aber das Allgemeine seine Identität wiederum darin, Besonderung ‚des‘ Allgemeinen zu sein, wäre die Sache mit der Bestimmung durch ihr bestimmtes Allgemeines nicht vollkommen bestimmt. Ihr Allgemeines wäre in Wahrheit erst gefunden, wenn das bestimmte Allgemeine auf das Prinzip der Allgemeinheit zurückgeführt wäre. Das aber würde bedeuten: Ihr – besonderes – Allgemeines wäre nicht länger ihr Allgemeines.“ (Ebd., S. 48).
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
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Subjekte und den Erkenntnisobjekten garantiert werden kann. Dabei sind die Kategorien allerdings nicht auf ein einzelnes Subjekt zu reduzieren, das die Welt eben notwendig durch die Kategorien wahrnimmt. Insofern Denken einzelner Subjekte und das Sein gleichermaßen durch die Kategorien bestimmt sind, gehen die Kategorien über die einzelnen Subjekte hinaus und hängen nicht von diesen ab.62 Schließlich konzipiert Hegel die WdL (4.) als philosophische oder spekulative Theologie.63 Sie soll die Bestimmungen Gottes entfalten, die diesem unabhängig von „d e r E r s c h a f f u n g d e r N a t u r u n d e i n e s e n d l i c h e n G e i s t e s“64 zukommen. Hegel weist darauf sowohl in der Einleitung zur WdL 65 als auch in den Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes hin, aber auch diese Eigenschaft der Logik lässt sich aus dem Gesagten verstehen. Denn dass eine sich selbstbegründende, ontologisch gehaltvolle Logik sich zur prima philosophia anbietet, ist einleuchtend. Dass sie 62 Vgl. zu Gesagtem Hösle, Hegels System, S. 62 f. Dass Hegel Logik und Ontologie zusammenbringt und die Logik nicht als subjektiv betrachtet und damit etwa an Aristoteles anschließt, wird etwa deutlich in Ficara, „Logik und Metaphysik“, S. 251. Ficara unterschätzt dann allerdings die Begründungsverpflichtungen, die Hegel damit eingeht. 63 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 62. Vgl. Düsing, Das Seiende und das göttliche Denken, S. 25–32. Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 335. Vgl. auch Fulda, „Ontologie nach Kant und Hegel“, S. 63 f. Vgl. auch Schäfer, „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, S. 243, der diesen Aspekt aber zu einer subjekttheoretischen Lesart ausbaut. Dass zwischen philosophischer Theologie und Ontologie eine tiefe Verbindung besteht, erhellt sich schnell, wenn man sich nicht von der üblichen Aufteilung auf metaphysica specialis, von der die philosophische Theologie ein Teil ist, und metaphysica generalis, der Ontologie, ablenken lässt. Denn das Göttliche wird als das Wahre und Unbeschränkte verstanden, welches die Prinzipien des Seins in sich beschließt. Somit kann die Ontologie, wenn sie mehr sein will als eine Auflistung von Einzeldingen, nicht von der Betrachtung des göttlichen Wesens unabhängig sein. Zugleich ist das Göttliche aber natürlich selbst ein Seiendes, sodass auch die Klärung ontologischer Kategorien für die philosophische Theologie vorausgesetzt ist. Diese Verbindung ist sowohl in der Metaphysik B. Spinozas als auch derjenigen G. W. Leibniz’ reflektiert. Spinoza identifiziert explizit das Göttliche mit der ontologischen Grundkategorie, der Substanz, und bei Leibniz findet sich unter anderem im Begriff der ‚prästabilierten Harmonie‘ das Zusammendenken von Ontologie und Theologie. Vgl. etwa Spinoza, „Ethik“, Teil I, Def. 6, S. 5 f. und Leibniz, Die Theodizee. Erster und zweiter Teil, Teil I, § 59, S. 293 f. 64 Hegel, WdL I, S. 34 (12), Z. 10 f. 65 Vgl. ebd., S. 34 (12). Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 419: „Diesen Fortgang der Begriffsbestimmung entwickelt die Logik in seiner Notwendigkeit. Jede Stufe, die er durchläuft, enthält insofern die Erhebung einer Kategorie der Endlichkeit in ihre Unendlichkeit; sie enthält also ebenso sehr von ihrem Ausgangspunkte aus einen metaphysischen Begriff von Gott, und indem diese Erhebung in ihrer Notwendigkeit gefasst ist, einen Beweis seines Seins, und ebenso führt sich das Übergehen der einen Stufe in ihre höhere durch als ein notwendiger Fortgang des konkreteren und tieferen Bestimmens, nicht nur als eine Reihe zufällig aufgelesener Begriffe, – und ein Fortgang zur ganz konkreten Wahrheit, zur vollkommenen Manifestation des Begriffs, zu der Ausgleichung jener seiner Manifestationen mit ihm selbst. Die Logik ist insofern metaphysische Theologie, welche die Evolution der Idee Gottes in dem Äther des reinen Gedankens betrachtet, so daß sie eigentlich derselben die an und für sich schlechthin selbstständig ist, nur zusieht.“ Vgl. auch Hegel, Enz. I, § 85, S. 181.
200 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik als absolut bezeichnet werden kann, weil ihre Geltung von keinen unabhängigen Bedingungen abhängt, ist ebenso verständlich. Wenn sie aber als das Absolute oder das absolute Prinzip allen Denkens und Seins bezeichnet werden kann, dann ist sie zumindest für eine metaphysische Disziplin nicht nur Voraussetzung, sondern ist selbst der ‚Gegenstand‘ dieser Disziplin: für die philosophische Theologie. Denn es ist unter dieser Voraussetzung sinnlos und widersprüchlich, ein zweites oder unabhängiges Absolutes anzunehmen. Insofern ist das Logisch-Absolute das Philosophisch-Theologisch-Absolute.66 So schreibt Hösle: Der aus der Tradition überlieferte Begriff Gottes wird somit bei Hegel zu Recht mit demjenigen der reflexiven, sich selbst begründenden Struktur identifiziert; die Wissenschaft von der Genese dieser Struktur – die Ontologik – ist damit zugleich rationale Gotteslehre, Theologie.67
Jedoch führt die Kombination dieser vier Disziplinen in der WdL zu einem deutlichen Gestaltwandel. Besonders für die philosophische Theologie bedeutet diese Integration eine offenkundige Variation der klassischen Beweise der Existenz Gottes. Denn allein indem Hegel das Transzendente als Transzendentales auffasst, nimmt er dem Gottesbegriff eine traditionelle Konotation. Es ist aber dennoch wichtig – und deswegen wurde Hegels Anspruch auf Letztbegründung hier so deutlich herausgestellt –, dass Hegel nicht einfach mit den traditionellen Gottesvorstellungen und -beweisen bricht, sondern diese nur unter Vorbehalt stellt: Sie müssen sich mit der philosophischen Letztbegründung zusammen ergeben und von dort ihre Bedeutung und Geltung erhalten. Nicht dass Hegel jedoch die traditionellen Beweise für ungültig und unzutreffend erachtet. Einzig sollen sie mit der Letztbegründung und damit mit der logischen Struktur des Denken und Seins zusammengebracht werden. Und da die Letztbegründung nur reflexiv geschehen kann, also nur durch die Logik selbst, ist auch die philosophische Theologie mit dem Selbstbeweis des Absoluten befasst.68 Darin gründet Hegels Kritik an der Form der Gottesbeweise, die ihrem Inhalt nicht gerecht werden. Wie gesagt, geht es Hegel jedoch dabei um die Korrektur zum Zweck der Vervollständigung der philosophischen Theologie, nicht um deren Abschaffung. Damit meint Hegel auch auf einen Einwand Jacobis zu reagieren, der argumentiert hatte, jeder Beweis Gottes sei insofern unmöglich, weil ein Beweis etwas aus etwas Anderem ableitet. Ein Beweis des absoluten Gottes müsste diesen also aus etwas Anderem ableiten. Das sei jedoch eine Abhängigkeitsbeziehung, die dem 66 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 63. Vgl. auch Spies, Die Negativität des Absoluten. Hegel und das Problem der Gottesbeweise, S. 62 f. 67 Hösle, Hegels System, S. 63. 68 Vgl. Röd, Der Gott der reinen Vernunft, S. 176. Eine Folgerung dieser Zusammenführung ist, dass Hegels WdL, auch ohne ihn explizit zu nennen, mit Leibniz’ Gottesbeweis aus den ewigen Wahrheiten zusammenläuft: Der Beweis der ewigen logischen Wahrheiten ist identisch mit dem Beweis des philosophisch-theologischen Absoluten.
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
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Begriff des Absoluten widerspräche, denn dieses könne nicht von etwas Anderem als sich selbst abhängen.69 Hegel greift diese Argumentation Jacobis an zwei Stellen auf.70 Zum einen sieht er, dass Jacobis Argumentation fehlgeht, schon, weil sie den Unterschied zwischen ordo cognoscendi und ordo essendi missachtet.71 Es muss also zwischen der subjektiven Vergegenwärtigung eines Beweises und der ontologischen Abhängigkeit unterschieden werden. Ersteres ist für das Absolute ohne Weiteres möglich, während Letzteres natürlich in den von Jacobi skizzierten Widerspruch führt. Allerdings bezeichnet Hegel den Einwand auch als „gerecht“ und „richtig“72 und meint, dass „dieser Mangel zugegeben werden muß“, nämlich, dass etwa der KGB zunächst in einem Satz zu münden scheint, der dem Gehalt nach aussagt: ‚Weil Zufälliges ist, so ist das Absolut-Notwendige‘.73 Was kann Hegel also als „gerecht“ und „richtig“ beurteilen, wenn zugleich Jacobi den entscheidenden Unterschied zwischen ordo cognoscendi und ordo essendi missachtet? Hegel deutet etwas kryptisch an, dass Jacobi gegenüber dem „reflektierenden Verstand“ durchaus recht zugeben sei, dass er allerdings fälschlich geglaubt habe, einen Einwand gegen „das Denken überhaupt, damit auch das vernünftige Denken treffenden Vorwurf “74 vorgebracht zu haben. Das sei aber nicht der Fall, da er missverstanden habe, dass die „wahrhafte Natur des wesentlichen Denkens, in der Vermittlung die Vermittlung selbst“75 aufhebt. Was es also zu verstehen gilt, will man Hegel folgen, ist die verschiedene Stellung des ‚Verstandes-‘ und des ‚Vernunftdenkens‘ zur ‚Vermittlung‘. Hegel belässt es in beiden Kommentaren zu dem Argument Jacobis bei dieser Andeutung.76 Worauf Hegel aber zielt, lässt sich meines Erach69 Siehe Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 318: „Der Hauptgedanke Jacobis ist nach seiner Seite: „Jeder Weg der Demonstration geht in den zum Fatalismus aus“, Atheismus, Spinozismus, – stellt Gott vor als ein Abgeleitetes, in etwas Gegründetes; Begreifen heißt, seine Abhängigkeit aufzeigen.“ Vgl. dazu auch Hösle, Hegels System, S. 190 f. 70 Vgl. Hegel, Enz. I, § 50, A., S. 133. Und Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 461 f. 71 Siehe ebd., S. 462: „Indem dieser Mangel zugegeben werden muß, so fällt dagegen sogleich dies auf, daß solchem Verhältnisse der Bedingtheit und Abhängigkeit keine objektive Bedeutung gegeben wird. Dies Verhältnis ist ganz nur im subjektiven Sinne vorhanden; der Satz drückt nicht aus und soll nicht ausdrücken, daß das Absolut-Notwendige Bedingungen habe, und zwar durch die zufällige Welt bedingt sei, – im Gegenteil. Sondern der ganze Gang des Zusammenhanges ist nur im Beweisen; nur unser Erkennen des absolut notwendigen Seins ist bedingt durch jenen Ausgangspunkt; nicht das Absolut-Notwendige ist dadurch, daß es sich erhöbe aus der Welt der Zufälligkeit und dieser zum Ausgangspunkt und Voraussetzung bedürfte, um von ihr aus erst zu seinem Sein zu gelangen.“ 72 Vgl. Hegel, Enz. I, § 50, A., S. 133. 73 Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 462. 74 Vgl. Hegel, Enz. I, § 50, A., S. 133. 75 Ebd., § 50, A., S. 133. 76 In der Vorlesung heißt es: „Es ist Inhalt des Beweises selbst welcher den Mangel korrigiert, der allein an der Form sichtbar wird. So haben wir aber eine Verschiedenheit, ein Abweichen der
202 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik tens wie folgt verstehen: Während der Verstand in immer weiter fortlaufenden Begründungs- und Beweisketten – Vermittlungen – kein Ende findet und insofern jede Konklusion nur relativ zu seinen Bedingungen als wahr angesehen werden kann,77 findet die Vernunft einen Ausweg aus dieser Problemlage, die natürlich das oben angesprochenen „Münchhausentrilemma“ darstellt. Was die Vernunft nämlich erreicht, ist, die ‚Vermittlung selbst aufzuheben‘, was zweierlei impliziert: 1. Es findet Vermittlung beziehungsweise Begründung statt. Hegel will nicht mit einer unbegründeten Prämisse beginnen, die unvermittelt als wahr angenommen wird. 2. Die Begründung hat ein Ende, und nicht nur ein Ende, sondern die erreichte Unmittelbarkeit ist absolute Wahrheit, die von keinen Prämissen abhängt, sondern ihre Prämissen selbst begründet. So verstanden lässt sich die ‚vermittelte Unmittelbarkeit‘ als ‚bewiesenes, in keiner Hinsicht weiter Begründungsbedürftiges‘ paraphrasieren – und damit kurz als Letztbegründung.78 Hegel bekräftigt also in der Replik auf Jacobi nochmals, dass das Projekt philosophischer Theologie nicht unsinnig ist, allerdings nur im Kontext einer Letztbegründung sinnvoll entfaltet werden kann. Denn nur so ist es „der Inhalt des Beweises selbst, welcher den Mangel korrigiert, der allein an der Form sichtbar wird“79 . Der Inhalt des Beweises, Gott oder das „Absolut-Notwendige“, ist allerdings „selbst nicht formlos in sich“80 . Dieses wird in der WdL ausgeführt, welche damit auch das Form von der Natur des Inhaltes vor uns, und die Form ist das Mangelhafte bestimmter darum, weil der Inhalt das Absolut-Notwendige ist. Dieser Inhalt ist selbst nicht formlos in sich, was wir auch in der Bestimmung desselben gesehen; seine eigene Form, als die Form des Wahrhaften, ist selbst wahrhaft, die von ihm abweichende daher das Unwahrhafte.“ (Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 462). 77 Vgl. auch Hegel, Enz. I, § 36, A., S. 103. Dass auch im OGB das Problem von unbewiesenen Voraussetzungen vorhanden ist, geht aus Folgendem hervor: „Nun ist aber hier folgender Umstand, der eben den Beweis [d. i. hier der OGB; Einschub G. M.] unbefriedigend macht. Jenes Allervollkommenste und Allerrealste ist nämlich eine Voraussetzung, an welcher gemessen das Sein für sich und der Begriff für sich Einseitige sind. [. . . ] Daß dies eine Voraussetzung ist, ist das Ungenügende, so daß der Begriff an ihr gemessen ein Subjektives sein muß.“ (Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 531 f.). 78 Vgl. Sans, Die Realisierung des Begriffs, S. 209. Sans weist natürlich zu Recht darauf hin, dass Hegel unter ‚Unmittelbarkeit‘ nicht nur ‚unbegründet‘ versteht, sondern im weitesten Sinne etwas, was ohne den Bezug auf anderes eine Bestimmtheit aufweist. Der Ausdruck ‚vermittelte Unmittelbarkeit‘ wird von Hegel daher auch im Bezug auf ganz unterschiedliche logische Kategorien verwendet. Vgl. etwa in Bezug auf die ‹Qualität›: Hegel, WdL I, S. 166 (201), Z. 9; in Bezug auf das ‹Unbedingte›: ebd., S. #317 (127), Z. 18 und in Bezug auf die ‹Allgemeinheit› Hegel, Enz. I, § 12, A., S. 57. Dennoch hält auch Sans fest, dass ‚Unmittelbarkeit‘ im Sinne Hegels nur als ‚Aufhebung der Vermittlung‘ verstanden werden kann. Ist diese vollständig und nicht nur partiell oder vorläufig, wie im Fall der logischen Kategorien wie ‹Qualität› oder ‹Bedingung›, so ist folglich die Aufhebung aller (externer) Relationen auch damit verbunden, dass jede Rechtfertigungsrelation aufgehoben ist. Dann ist aber auch zwangsläufig eine Letztbegründung impliziert. 79 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 462. 80 Ebd., S. 462.
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
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Projekt philosophischer Theologie beinhaltet und ihre Fragen zu einer Antwort führt: Dieses objektive Denken ist denn der I n h a l t der reinen Wissenschaft. Sie ist daher so wenig formell, sie entbehrt so wenig der Materie zu einer wirklichen und wahren Erkenntniß, daß ihr Inhalt vielmehr allein das absolute Wahre, oder wenn man sich noch des Worts Materie bedienen wollte, die wahrhafte Materie ist, – eine Materie aber, der die Form nicht ein äusserliches ist, da diese Materie vielmehr der reine Gedanke, somit die absolute Form selbst ist. Die Logik ist sonach als das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. D i e s e s R e i c h ist die Wa h r h e i t, w i e s i e o h n e H ü l l e a n u n d f ü r s i c h s e l b s t i s t. Man kann sich deßwegen ausdrücken, daß dieser Inhalt d i e D a r s t e l l u n g G o t t e s ist, w i e e r i n s e i n e m e w i g e n We s e n vo r d e r E r s c h a f f u n g d e r N a t u r u n d e i n e s e n d l i c h e n G e i s t e s i s t.81
Was Hegel also provokanter Weise anstrebt, ist die Erkenntnis Gottes und einen Beweis seiner Existenz und Wahrheit. Diesem wird im Folgenden nachgegangen, indem zunächst nochmals genauer dargestellt wird, warum Hegel Transzendentalphilosophie mit Ontologie verbindet. Es wird unten in Abschnitt 4.2 ein kurzer Blick darauf geworfen, warum Hegel meint, dass das Wesen Gottes erkennbar sei, und darin geradezu die einzige demütige Haltung hinsichtlich der philosophischen Theologie erblickt. Im darauf folgenden Abschnitt 6.2 wird untersucht, wie Hegel diese Erkenntnis methodisch absichert, welche Ergebnisse er hinsichtlich der Fragen nach der Bedeutung von Konsistenz und Existenz im OGB erringt, um schließlich in Abschnitt 7 zu fragen, wie der Beweis OGB im Rahmen der WdL zu führen ist. 4.1.1 Logik und Ontologie Weil eines der kontroversesten Themen im Zusammenhang mit der hegelschen Logik ist, inwiefern sie zugleich Ontologie sein könne, soll hier ein Grund angegeben werden, der für diese Verbindung spricht. Weil mögliche Gründe nicht immer klar herausgearbeitet werden, auch weil Hegel sie selbst nicht sehr klar herausstellt, soll hier im Rückgriff auf eine der stärksten Kritiken an transzendentalen Argumenten gezeigt werden, dass Logik, Transzendentalphilosophie und Ontologie eine Einheit bilden.82 Vgl. dazu unten Abschnitt 6.1. Dabei ist der Anspruch der Logik, zugleich Ontologie zu sein, so umstritten, weil manche Interpreten gerade darin den Rückfall Hegels in die vorkantische Metaphysik, die von Kant so erfolgreich kritisiert worden sei, erblicken, während andere darin schlicht eine falsche Überzeugung Hegels, die zumindest nicht begründet werden kann, sehen.83 81
Hegel, WdL I, S. 34 (11 f.), Z. 1–11. Ein Vorschlag wurde neuerdings in Martin, Ontologie der Selbstbestimmung, S. 6 vorgebracht. Allerdings hängt Martin den ontologischen Strang an die problematische Voraussetzungslosigkeit der Logik. 83 Vgl. Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 303–308. Vgl. auch Fulda, „Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik“. 82
204 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik In der vorliegenden Arbeit ist die Kritik an der kantischen Philosophie als das zugrunde liegende Argument eingeführt worden, durch welches Hegel meint, dass Logik und Ontologie eigentlich ein und dasselbe Projekt seien. Die Einsicht, von der Kant dabei ausgeht, kann wie folgt gefasst werden: 1. Jede Erkenntnis ist Erkenntnis eines Erkenntnisgegenstandes und gehört selbst zum Typ ‚Erkenntnis‘. 2. ‚Erkentnnis‘ ist immer eine Leistung, die das Denken, zumindest zum Teil, vollbringt – Denken ist mit jeder Erkenntnis verwoben. Jede Aktualisierung des Typs ‚Erkenntnis‘ ist immer mit einem Denkakt verbunden. Oder: Keine Erkenntnis, ohne dass diese gedacht ist. 3. Wenn das Denken schon ohne Erkenntnisleistung immer bestimmte begriffliche Gehalte impliziert, sind diese auch in jeder Erkenntnis impliziert. Kant folgend wäre nun daraus der Schluss zu ziehen, dass in jeder Erkenntnis die begrifflichen Gehalte bereits impliziert sind; und des Weiteren, dass mithin für jeden Erkenntnisgegenstand in einer jeweiligen Erkenntnis die begrifflichen Gehalte des Denkens gelten. Weil aber die begrifflichen Gehalte durch Leistungen des Subjekts zum Erkenntnisgegenstand hinzugefügt werden, stellt sich die Frage, ob der Gegenstand, wenn er nicht erkannt wird, die gleichen begrifflichen Gehalte verwirklicht. Für die Beantwortung dieser Frage kommt aber erschwerend hinzu, dass der Gegenstand an sich, abzüglich der begrifflichen Gehalte, die durch die Erkenntnisleistung hinzugefügt werden, überhaupt nicht erkannt werden kann. Wir können nur wissen, dass für uns dieser Gegenstand mitsamt den begrifflichen Gehalten notwendig ist. Aber wie er an sich selbst ohne unsere Beigaben ist, kann überhaupt nicht erkannt, weil nicht gedacht werden. Hegel sieht nun den Widerspruch in der kantischen Überlegung darin, dass bereits der Gedanke über den Erkenntnisgegenstand abzüglich der Erkenntnisleistungen selbst nur ein Gedanke sein kann. Der Gedanke muss selbst den Inhalt haben: ‚Erkenntnisgegenstand abzüglich der begrifflichen Gehalte des reinen Denkens‘, aber als Gedanke sind genau diese begrifflichen Gehalte wieder mitgedacht, denn es findet überhaupt kein Denken ohne diese begrifflichen Gehalte statt. Folglich wird auch dem Gegenstand an sich schon das beigelegt, was das Denken mit sich bringt: Das, wovon explizit abstrahiert werden soll, die begrifflichen Gehalte, werden durch den Denkakt wieder hinzugefügt.84 Und so scheint es, dass, wenn es begriffliche Gehalte gibt, die durch die Spontaneität des Denkens gegeben sind, der Gedanke, dass irgendetwas anders sein könnte, überhaupt nicht mehr konsistent gedacht werden kann, denn schon ‚Etwas‘, ‚Sein‘, ‚Es gibt‘ sind Ausdrücke, die zutiefst mit dem apriorischen
84 Diese Argumentation ist in der berühmten Einleitung der PhG ausgeführt. Vgl. Hegel, PhG, S. 53 f. (3–6). Vgl. auch Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 338. Vgl. auch Hegel, Enz. I, § 44, S. 120 f.
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
205
Begriffsschema verbunden sind, welches zur Spontaneität des Denkens gehört. Jedes Vorstellungsobjekt, von dem man die Beigaben der Spontaneität abzuziehen versuchte, wäre eben zugleich durch die Spontaneität geprägt. Doch ergibt sich daraus ein Grund, dem Erkenntnisgegenstand auch an sich die begrifflichen Gehalte zuzusprechen und mithin unsere Begriffe a priori für objektiv zu halten? Das ist zumindest Hegels Ziel, und so schließt er wie folgt an Kants Einsicht an: 1. Wenn jeder Denkakt und mithin jede Erkenntnis bestimmte begriffliche Gehalte impliziert, ist der Gedanke eines ganz anders verfassten Gegenstandes gar nicht (konsistent) denkbar. Ein Objekt ohne diese begrifflichen Gehalte ist also gar nicht denkbar. 2. Daraus ergeben sich zwei theoretische Möglichkeiten, die Objekte zu verstehen: 2.1. Subjektiver Idealismus: Entweder wird an Gegenständen, die zur Erkenntnis heterogen sind, festgehalten. Dann ist aber unklar, wie dieser Gedanke überhaupt konsistent formuliert werden kann – Kant gelingt das zumindest nicht.85 Oder aber die Gegenstände werden ganz in das subjektive Denken verlegt: Sie sind nur durch unser Denken. Um den Widerspruch eines Dingan-sich zu vermeiden, wird das ganze Erkenntnisobjekt aus der Spontaneität des Erkenntnissubjekts erklärt – unter Inkaufnahme, dass sich diese Position kaum vom Solipsismus unterscheiden lässt. 2.2. Objektiver oder absoluter Idealismus: Das subjektive Denken und die objektiven Gegenstände teilen die gleiche begriffliche Struktur, die aber nicht aus dem subjektiven Denken und dessen Spontaneität erklärt wird. Das subjektive Denken und die Gegenstandssphäre haben gleichermaßen an einer begrifflichen Struktur teil, welche ermöglicht, dass die Objekte der Erkenntnis offenstehen. Diese Konzeption ermöglicht natürlich viel einfacher, Objekte mit ihrer begrifflichen Struktur konstant zu denken, ohne dafür immer ein Erkenntnissubjekt und dessen Spontaneität heranziehen zu müssen. Und auch die Möglichkeit vieler Erkenntnissubjekte, die diese Welt erkennen, ist prima facie leicht in diese Form des Idealismus integrierbar.86 3. Hegel optiert für die zweite Variante: den objektiven oder absoluten Idealismus. Um den Widerspruch zu umgehen, etwa die Kategorie der Existenz, einem Bestandteil unseres Begriffsschemas, auf etwas anzuwenden, von dem zugleich behauptet wird, es sei heteronom zu unserem Begriffsschema, nimmt er eine Totalität von Begriffen an, die dem subjektiven Denken ebenso wie der Natur und allen möglichen Objekten zukommt: die Logik.
85
Vgl. oben Abschnitt 3.1.2. Zu den Grundgedanken der beiden Formen des Idealismus vgl. Hösle, Die Krise der Gegenwart, S. 205–208. 86
206 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik Somit wäre die Logik nicht als eine Theorie des subjektiven Denkens verstanden,87 sondern zugleich als die Struktur, welche allen möglichen Objekten zukommt und ihren intelligiblen Kern ausmacht.88 Nun ist aber die entscheidende Frage, ob die erste Option, die subjektive Interpretation der begrifflichen Gehalte, die zugleich an der Heterogenität des Gegenstandes an sich festhält, ausgeschlossen werden kann. Das heißt, es gilt für die hegelsche Position, zu zeigen, dass ein notwendiger Widerspruch in dieser Annahme liegt. Da ein so gelagertes Argument Hegels aber sehr umstritten ist, auch weil damit eine Kant-Interpretation Hegels verbunden ist, die oft als tendenziös abgelehnt wird, soll hier ein Argument vorgestellt werden, das den Zusammenhang von Denken und Ontologie aus der Perspektive der Debatte um transzendentale Argumente beleuchtet, das aber meines Erachtens im hegelschen Geiste verbleibt. Der Ausgangspunkt des Argumentes ist die Kritik an dem Schluss von Denknotwendigkeiten auf die Ontologie, die durch B. Stroud vorgebracht wurde.89 Stroud hat in seinem Aufsatz „Transcendental Arguments“ von 1968 einen gravierenden Einwand gegen die kantisch-gelagerten transzendentalen Argumente vorgebracht, der die Schwierigkeiten, von subjektiven, mentalen Zuständen auf die Ontologie zu schließen, untermauert. In seiner Kritik richtet sich Stroud nicht 87 In diese Richtung scheint Pippins Hegel-Interpretation diesen misszuverstehen. Vgl. die Pippin-Kritik in Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“; Stern, Hegelian Metaphysics, S. 46–54 und Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, S. 436. Vgl. vor allem die Hegel-Interpretation, die Pippins Thesen auf die WdL anwendet: Lewis, Religion, Modernity, and Politics in Hegel, hier etwa ebd., S. 82, Fn. Th. Lewis ist vor allem bemüht, zu betonen, dass Hegel in der Logik kein supernaturales Wesen annimmt, sondern das Denken eine intersubjektive und weltliche Angelegenheit ist. Siehe etwa: ebd., S. 87: „It [d. i. pure thought] is not the work of a solitary subject but the product of social practices.“ Jedoch verfehlt Lewis Hegel damit. Denn zum einen wird der Ausdruck ‚Denken‘ in zwei Bedeutungen verwendet. So kann man etwa bei Hegel lernen, dass es zum einen noematische Gehalte gibt, die ewig und letztbegründet werden können. Etwas ganz anderes aber sind die bewussten Nachvollzüge dieser Gehalte von Subjekten, die in der Raum-Zeit verkörpert sind und nur in Beziehungen mit anderen Subjekten stehen können. Lewis schiebt es aber auf die Denkaktivität der Ichs, verschiedene Gehalte hervorzubringen. Und weil das Ich in sozialen Beziehungen steht, drücken die logischen Gehalte letztlich soziale Konstruktionen aus. Warum diese die Natur der Dinge erfassen oder auch nur allen Individuen allgemein sind, erklärt Lewis dabei nicht. Vgl. ebd., S. 84. Vgl. auch ebd., S. 90. Und zum anderen entgeht Lewis vollständig der Rechtfertigungsanspruch, den Hegel mit der WdL verbindet. Erst von diesem her kann verstanden werden, inwiefern die logischen Gehalte im menschlichen Denken präsent sind, ohne stets bewusst thematisiert zu werden. Wird das aber ignoriert, muss die Logik zu einer Form eines unplausiblen, kontingenten Unbewussten stilisiert werden. Vgl. ebd., S. 80. 88 Ein schönes Bild für die Logik findet Hegel in der Naturphilosophie. Siehe Hegel, Enz. II, § 246., Z., S. 20: „Das, wodurch sich die Naturphilosophie von der Physik unterscheidet, ist näher die Weise der Metaphysik, deren sich beide bedienen; denn Metaphysik heißt nichts anderes als den Umfang der allgemeinen Denkbestimmungen, gleichsam das diamantene Netz, in das wir allen Stoff bringen und dadurch erst verständlich machen.“ 89 Vgl. Stroud, „Transcendental Arguments“ und Stroud, „The Goal of Transcendental Arguments“.
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
207
gegen die kantische Philosophie oder die Nachfolger im deutschen Idealismus, aber der Problemkomplex aus transzendentaler Reflexion auf ontologisch zutreffende Gehalte zu schließen, ist für Hegel und seinen Anschluss an Kant zentral.90 Dass diese Argumentation in den für die hegelsche Philosophie relevanten Kontext gehört, wird dran deutlich, dass H. F. Fulda sich mit dem gleichen Sachproblem beschäftigt, wenn er der WdL den ontologischen Gehalt abspricht. Daher wird im Folgenden zunächst das Argument Fuldas dargestellt, um dann den wesentlichen Punkt in Strounds Kritik an der objektiven Gültigkeit transzendentaler Argumente darzustellen. Es soll schließlich gezeigt werden, dass Stroud’s Einwand sich nicht halten lässt, da es keine sinnvolle Möglichkeit gibt, in der wir das, was für uns notwendig ist, nicht auch den Gegenständen der Erfahrung und der Sphäre der Objektivität zuschreiben. Fulda argumentiert in seinem Aufsatz „Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik“ im Abschnitt II. Zur Frage des ontologischen Anspruchs einer dialektischen Logik,91 dass Hegel den Anspruch auf Ontologie gestellt habe, weil die WdL den „Gegensatz des Bewußtseins hinter sich gelassen haben muß“,92 was eigentlich die PhG herleiten soll. Dieser Anspruch sei aber weder von der PhG eingelöst, noch sieht Fulda überhaupt einen Weg, den Schluss von der Logik auf die Ontologie zu rechtfertigen.93 Das Einzige, was einem Argument nahekäme, kann Fulda in Hegels Kritik der „schönen Seele“ im Moralitätskapitel der PhG ausmachen: Die schöne Seele muss die Reinheit ihrer moralischen Gedanken in ihrem Innenleben aufgeben und ins Handeln und die Interaktion treten, wenn sie das in ihren moralischen Gedanken implizierte Sollen ernst nimmt. Damit muss sie sich auf die Realität einlassen, aus welcher sie sich zurückgezogen hatte, da diese den gestellten Anforderungen nicht entsprechen.94 Hegel habe damit die „Aufdeckung eines inneren Zusammenhangs von Ethik und Ontologie“95 im Sinn.96 Fulda hat natürlich recht, 90
Zu Hegels Anschluss an Kants Transzendentalphilosophie, siehe oben S. 197 f. Vgl. Fulda, „Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik“, S. 39–41. 92 Ebd., S. 39. 93 Siehe Fulda, „Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik“, S. 39: „Ich sehe nicht, was uns erlauben würde, gegen diese Entwicklung [d. i. diejenige zur Formalität der Logik; Einschub G. M.] Einspruch zu erheben. Aber, wie immer man sich vom Ergebnis überzeugen läßt – sei’s durch Hegels Versuch einer universalen Bewußtseinskritik oder durch andere, von der analytischen Philosophie aus entwickelte Argumente: in keinem Fall reichen die Argumente aus, um die Termini, mit denen sich die dialektische Logik befaßt, als Ausdrücke von Gedanken zu erkennen, die ebensosehr die Sachen an sich selbst sind.“ 94 Vgl. Hegel, PhG, S. 354–361 (607–621). 95 Vgl. Fulda, „Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik“, S. 39. 96 In der Tat ist der Zusammenhang von Ethik und Ontologie ein entscheidendes Erbe, das die deutschen Idealisten von Kant übernahmen, der sich ja genötigt fühlte, mit der Kritik der Urteilskraft den Zusammenhang von praktischer, theoretischer Philosophie und Naturverständnis zu vertiefen. Sicher ist eine der bis heute spannendsten Fragen der Philosophie, die Kant in der KU untersucht, wie Menschen als moralische Wesen in eine Welt passen, die von Gesetzen der 91
208 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik dass damit kein Argument gegeben ist, warum Logik und Ontologie zwei Seiten sind. Was einzig gezeigt wäre, wenn Hegels Überlegung zutrifft, ist, dass man nur ein kohärentes moralisches Wesen sein kann, wenn man den Sollensforderungen der moralischen Gedanken auch nachgeht, auch wenn die Verwirklichung der Intentionen nicht vollkommen gelingt. Zwar ergeben sich aus der Moralphilosophie auch Konsequenzen für die Ontologie, etwa, dass Handlungen möglich seien müssen, aber das Argument gegen die schöne Seele ist nur eine immanente Kritik eines möglichen Selbstverständnisses. Dass moralische Handlungen in der Welt möglich sind, dass also Intentionen tatsächlich realisiert werden können, ist von dem Argument gar nicht direkt berührt.97 So versteht Fulda die Logik als eine dialektische Bedeutungstheorie, die selbst im Falle ihrer Notwendigkeit nichts über die Wirklichkeit implizieren würde.98 Um diese These zu stützen, scheint Fulda auf eine Trennung von Wirklichkeit und notwendigen Begriffen zu bauen, die zunächst nichts miteinander zu tun haben: Es mag sein, daß wir nicht über Wirklichkeit reden können, ohne daß die fundamentalen Termini, mit denen sich die dialektische Logik beschäftigt, Bedeutung haben. Aber das impliziert nicht, daß diese Bedeutungen mit Wirklichem gleichzusetzen sind, wenn mit dem Wirklichen all dasjenige gemeint sein soll, wovon man wahrheitsgemäß sagen kann, daß es das gibt. Ja, es ist sogar noch offen, ob die Ausdrücke, deren Bedeutung es auf dialektische Weise zu untersuchen gilt, überhaupt etwas vertreten, was zur Wirklichkeit in diesem Sinne gehört.99
Diese Trennung von Denknotwendigkeiten und der Wirklichkeit, die Hegel zu unterlaufen beansprucht, ist auch der Kern der stroudschen Argumentation gegen die objektive Gültigkeit transzendentaler Argumente. B. Stroud reagiert mit seinem oben genannten Aufsatz auf eine Entwicklung in der analytischen Philosophie, die er vor allem in Strawsons Individuals und Shoemakers Self-Knowledge and Self-Identity repräsentiert sieht. Die kantische Transzendentalphilosophie stehe zwar im Hintergrund dieser Entwicklung, jedoch habe er nie das Ziel verfolgt, Kant zu kritisieren, weil dieser nicht nur isolierte transzendentale Argumente vorbringe, sondern einen transzendentalen Idealismus, also einen viel umfangreicheren Theoriekomplex, heranziehe, um Wissen a priori zu rechtfertigen, so Stroud in einem Rückblick auf Physik bestimmt ist. Das die KU eine Inspirationsquelle für die nachkantischen Philosophen war, ist ein Gemeinplatz. 97 Indem Fulda hier das einzige Argument Hegels ausmacht, verschenkt er es, die bedeutenden philosophischen Argumente Hegels in Reaktion auf Kant zu diskutieren. Wie fruchtbar eine Rekonstruktion der Argumente der deutschen Idealisten in der Auseinandersetzung mit Kant sein kann und wie wesentlich sie für das Verständnis ihrer philosophischen Positionen ist, zeigt Hösle, Hegels System, S. 15–59. 98 Siehe Fulda, „Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik“, S. 41: „Ich sehe vom Programm einer dialektischen Logik her auch keine Möglichkeit, etwas über die Berechtigung ontologischer Commitments auszumachen.“ 99 Ebd., S. 40.
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
209
sein 1968 veröffentlichten Artikel.100 Dennoch wirft Stroud’s skeptischer Einwand die Problemstellung auf, die auch für die hegelsche Philosophie einschlägig ist: Wie kann aus einer notwendigen Bedingung für Denken oder Erfahrung darauf geschlossen werden, dass die gleiche Bedingung auch notwendig für Objekte gilt? Transzendentale Argumente fragen nach den Bedingungen für Erkenntnis, Denken oder für eine Praxis und versuchen auf diese Weise, mögliche skeptischen Einwände auszuschalten. Stroud schreibt in erster Annäherung: Transcendental arguments are supposed to demonstrate the impossibility of illegitimacy of this skeptical challenge by proving that certain concepts are necessary for thought or experience[.]101
Entscheidend ist jedoch, dass transzendentale Argumente nicht nur zeigen wollen, dass eine Bedingung q für eine Aktivität A wie Erfahren oder Denken ist, sondern dass q wirklich der Fall ist, weil A wirklich der Fall ist. Es geht also um eine strenge Antwort auf die Skepsis, sodass die Frage nach der Rechtfertigung zweifelsfrei geklärt ist. Stroud stellt die transzendentalen Argumente auch daher in eine Linie mit Kants Versuch, die quid juris-Frage zu beantworten, nämlich ob die Anwendung unserer basalen Konzepte auf Gegenstände auch wirklich gerechtfertigt sei.102 In seinem scharfsinnigen Aufsatz setzt sich Stroud zunächst mit den transzendentalen Argumenten von Strawson und Shoemaker auseinander, um dann eine generelle Kritik zu formulieren. Der entscheidende Punkt in seiner Argumentation ist dabei, dass transzendentale Argumente auf ein Dilemma hinauslaufen: 1. Entweder sie setzen voraus, was sie gegen eine Skeptikerin zu zeigen versuchen, indem sie auf einen „verification principle“ beruhen. Aufgrund dieses Zirkels sind sie aber dann überflüssig, weil schon vorausgesetzt ist, was eigentlich erst durch das transzendentale Argument gezeigt werden soll. 2. Oder aber sie erreichen ihr Ziel nicht, die objektive Geltung des Erschlossenen zu beweisen, weil die Skeptikerin immer einen letzten und entscheidenden Einwand vorbringen kann. Dieser Einwand ist das eigentlich Interessante an der Kritik. Für die Kritik geht Stroud folgendermaßen vor. Nachdem er die Argumente von Strawson und Shoemaker zurückgewiesen hat, stellt er selbst Überlegungen an, wie ein erfolgreiches transzendentales Argument aussehen könnte. Transzendentale Argumente versuchen, notwendige Bedingungen für „experience or knowledge“ als wahr zu erweisen. Damit aber die Skeptikerin nicht jedes Mal einwenden kann, dass ein bestimmtes Wissen oder eine bestimmte Erfahrung gar nicht vorlägen, müsste ein transzendentales Argument vollkommen allgemein ansetzen, sodass
100 101 102
Vgl. Stroud, „The Goal of Transcendental Arguments“, S. 209. Stroud, „Transcendental Arguments“, S. 242. Vgl. Brueckner, „Stroud’s “Transcendental Arguments” Reconsidered“, S. 107.
210 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik selbst die Skepsis nicht ohne die notwendigen Bedingungen formulierbar wäre.103 Genau solche transzendentalen Argumente nennt er die „privileged class“, in welcher alle unanzweifelbaren Propositionen sind, weil sie notwendige Bedingungen für bedeutungsvolle Sprache überhaupt und jegliches Sprachverständnis darstellen – Stroud greift also Sprache anstelle von Erfahrung oder Wissen als Basisprämisse für die transzendentalen Argumente heraus.104 Die Propositionen dieser „privileged class“ wären notwendige Bedingungen von Sprache, und insofern jede Skepsis sich ausdrücken und verständlich machen müsste, wäre sie nur unter Inanspruchnahme der notwendigen Bedingungen formulierbar und könnte diese notwendigen Bedingungen daher nicht konsistent infrage stellen.105 In diese Klasse, so vermutet Stroud, könnten alle notwendigen Wahrheiten gehören, weil diese unmöglich falsch, also nicht anzweifelbar sind. Aber die „privileged class“ sei sicher größer als die Menge aller notwendigen Wahrheiten, weil ja auch der Satz ‚Es gibt Sprache‘ nicht widerspruchsfrei negiert werden könnte, aber die Tatsache, dass es mal eine Zeit gab, in welcher keine Sprache gesprochen worden sei, zeigt, dass es möglich ist, dass keine Sprache existiert.106 Stroud behauptet zwar nicht, dass die „privileged class“ notwendig leer sei, jedoch ist er pessimistisch, ob daraus etwas für die Einschätzung der Geltung transzendentaler Argumente folge. Die hier auftretende Schwierigkeit liegt nämlich darin, zu beweisen, dass eine Proposition in diese Klasse gehöre.107 Denn – und das ist der im vorliegenden Kontext interessante Einwand – eine Skeptikerin könne immer einwenden, dass die notwendige Bedingung, die ein transzendentales Argument zu zeigen versucht, nicht notwendig wahr sein müsse, sondern dass es genüge, wenn man daran glaube, sie sei wahr. Wenn also zum Beispiel die Bezugnahme auf raum-zeitliche Einzeldinge eine Voraussetzung für den sinnvollen Sprachgebrauch wäre, so würde es bereits für unsere Sprachpraxis – diese muss die Skeptikerin für ihren Einwand selbst teilen – hinreichen, wenn wir glauben würden, dass wir uns
103 Siehe Stroud, „Transcendental Arguments“, S. 251: „A successful anti-sceptical argument will therefore have to be completely general, and deal with the necessary conditions of anything’s making sense, not just with the meaningfulness of this or that restricted class of propositions.“ 104 Siehe ebd., S. 252: „Suppose we have a proof that the truth of a particular proposition S is a necessary condition of there being any meaningful language, or of anything’s making sense to anyone.“ 105 Vgl. ebd., S. 253: Stroud führt ein Beispiel an: „Similarly, it is impossible to assert truly that there is no language. This suggests that there is a genuine class of propositions each member of which must be true in order for there to be any language, and which consequently cannot be denied truly by anyone, and whose negations cannot be asserted truly by anyone. Let us call this the ‚privileged class.‘ “ 106 Vgl. ebd., S. 253 f. 107 Siehe ebd., S. 255: „More specifically, we have yet to show that those very propositions which the epistemological skeptic questions are themselves members of this class. It is obviously extremely difficult to prove this[.]“
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
211
auf Einzeldinge beziehen. Ob dieser Bezug aber tatsächlich besteht und somit wahr ist, wäre dann aber nicht gezeigt. Die betreffende Passage in Stroud’s Aufsatz lautet: In particular, for any candidate S, proposed as a member of the privileged class, the skeptic can always very plausibly insist, that it is enough to make language possible if we believe that S ist true, or if it looks for all the world as if it is, but that S needn’t actually be true. Our having this believe would enable us to give sense to what we say, but some additional justification would still have to be given for our claim to know that S ist true. The skeptic distinguishes between the conditions necessary for a paradigmatic or warranted (and therefore meaningful) use of an expression or statement and the conditions under which it is true.108
Auch wenn Stroud keine ausführliche Erläuterung dieses Arguments anführt, ist der Einwand allgemein als schlagend akzeptiert worden, nicht zuletzt von Strawson selbst.109 In diesem Einwand scheint er nun prima facie subtiler zu sein, als die kantische Behauptung, dass die Dinge-an-sich nicht durch unsere begrifflichen Kapazitäten gefasst werden können, weil Kant selbst für die Formulierung seiner Behauptung Worte benutzen muss, wie ‚Ding‘, ‚Wirklichkeit‘ et cetera, unter denen aber, seiner Behauptung folgend, in diesem Kontext nichts verstanden werden kann. So ist seine Behauptung nicht formulierbar, wie oben dargestellt wurde.110 Stroud’s Skeptikerin scheint subtiler zu argumentieren, weil sie gar kein Vokabular über Dinge, Wirklichkeit, Objektivität et cetera zu benötigen scheint, sondern ihren Zweifel bereits durch die Unterscheidung innerhalb der subjektiven Aktivitäten, des Denkens und der mentalen Prozesse formulieren kann: Es genügt bereits an die Wahrheit einer Proposition zu glauben, damit diese ihre Funktion als notwendige Bedingung erfüllt. Daraus folgt, dass transzendentale Argumente ihr Ziel verfehlen, die objektive Gültigkeit bestimmter Bedingungen zu zeigen. Alles, was sie zeigen, verbleibt intern, innerhalb des Denkens und des Netzes der Überzeugungen.111 Darin gibt die Skeptikerin zwar bestimmte notwendige Verknüpfungen zu, aber daraus kann nichts über Dinge oder die Welt, die Sphäre der Objektivität außerhalb des Denkens abgeleitet werden. In einem späteren Aufsatz,112 der die Möglichkeit auslotet, transzendentale Argumente eben schwächer, also bloß subjektiv gültig, zu verstehen, fasst Stroud seinen Einwand in anderen, klärenden Worten zusammen. Entscheidend sind dabei folgende Schritte: 1. Der Ausgangspunkt von transzendentalen Argumenten ist, mit einer psychologischen Prämisse pp zu starten, die also ‚denken‘, ‚glauben‘ oder Ähnliches als Hauptverb beinhaltet.113 2. Das Ziel des transzendentalen Arguments ist es dann, von dieser psychologischen Prämisse auf eine nicht-psychologische 108 109 110 111 112 113
Stroud, „Transcendental Arguments“, S. 255. Vgl. Strawson, Skepticism and Naturalism: Some Varieties, S. 21–23. Vgl. S. 151–156. Vgl. Illies, The Grounds of Ethical Judgement, S. 60. Vgl. Stroud, „The Goal of Transcendental Arguments“. Stroud nennt diese „psychological premisses“. Vgl. ebd., S. 210.
212 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik Konklusion qr zu schließen, die besagt, wie die Dinge wirklich sind. 3. Das gelingt aber nur in Fällen, in denen das psychologische Vokabular das Bestehen der Tatsachen offensichtlich impliziert, wie wenn von wahrem Wissen ausgegangen wird, also das verification principle vorausgesetzt wird. Dann sind transzendentale Argumente aber trivial. 4. In allen anderen Fällen kann aber die Skeptikerin einwenden, dass die notwendige Bedingung q für die Prämisse pp selbst nur in psychologischem Vokabular formuliert werden muss, nur qp erschlossen und die objektive Geltung somit verfehlt wird.114 Das ist deswegen möglich, weil das bloße Für-wahr-Halten von qp hinreichend ist, um die Praxis aufrechtzuerhalten, für die q als notwendige Bedingung angenommen wird.115 Was nun das verification principle (3.) angeht, so ist Stroud sicher zuzustimmen, dass transzendentale Argumente trivial und überflüssig sind, wenn sie die Form haben, dass p schon impliziert, dass unsere begrifflichen Fähigkeiten gerechtfertigterweise auf unabhängige Einzeldinge angewendet werden. Dann wäre es für q offensichtlich, dass es eine erfahrungsunabhängige Welt gibt. Aber die Skeptikerin ist natürlich gründlicher, denn wenn sie überhaupt Zweifel erheben möchte, dann doch daran, ob unsere begrifflichen Fähigkeiten gerechtfertigt sind, ob sie sich also auf die erfahrungsunabhängige Welt anwenden lassen.116 Dass jedoch nicht alle transzendentalen Argumenten das verification principle voraussetzen müssen und daher dieser Einwand nicht generell gültig ist, zeigt A. Brueckner in einem kurzen Artikel.117 Dennoch ist im vorliegenden Kontext von Interesse, wie von transzendentalen Argumenten auf die objektive Gültigkeit geschlossen werden kann, ohne dass diese schon vorausgesetzt wird. Doch wie stark ist Stroud’s Kritik tatsächlich? Sind transzendentale Argumente nach diesem Einwand wirklich nur noch in einer bescheidenen Form möglich, die einzig Denknotwendigkeiten oder psychologische Fakten offenlegt, aber keine objektive Geltung beanspruchen kann? Die Einschätzung der stroudschen Kritik soll anhand der kurzen Betrachtung von drei wichtigen Punkten erfolgen: a) Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, wie stark die Skepsis eigentlich ist, die Stroud gegen transzendentale Argumente anführt, und ob deren Konsequenzen nicht absurd sind. b) Anschließend soll gezeigt werden, dass Stroud in den möglichen Ausgangspunkten für transzendentale Argumente wichtige Differenzierungen nicht in den Blick nimmt. c) Und schließlich wird danach gefragt, ob der Einwand 114
Vgl. Stroud, „The Goal of Transcendental Arguments“, S. 210 f. Wird also der Konditional p → q im transzendentalen Argument erwiesen, so kann die Skeptikerin immer daran festhalten, dass beides nur psychologische Tatsachen sind. Damit kann sie zugestehen, dass gilt: (pp → qp ). Ein antiskeptisches Argument möchte aber von pp auf qr schließen, also auf die Wahrheit von q: (pp → qr ). Brueckner bezeichnet das skeptische Argument daher als Substitutionseinwand, weil die Skeptikerin immer qp für qr einsetzen kann. 116 Vgl. Stroud, „The Goal of Transcendental Arguments“, S. 210 f. 117 Vgl. Brueckner, „Stroud’s “Transcendental Arguments” Reconsidered“. 115
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
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überhaupt stichhaltig ist oder ob er nicht letztlich inkonsistent ist, wenn er genauer betrachtet wird. Ad a): Die Skepsis ist natürlich zunächst sehr stark formuliert: Immer wenn mit einem transzendentalen Argument Wissens von q erreicht wird, subsituiert die Skeptikerin das Wissen durch den Glauben an die Wahrheit von q, also qp . Und eigentlich bricht damit jegliches Wissen vor der Skepsis zusammen, denn diese Substitution hängt nicht an den transzendentalen Argumenten, sondern kann bei jeder Wissensbehauptung verwendet werden. Transzendentale Argumente sind daher gerade dagegen angetreten, einen Weg aus dieser Aporie herauszufinden. Eine so starke Skepsis ist aber nur unter bestimmten Bedingungen plausibel. Sicher kann die Skeptikerin jedes Wissen von extramentalen Sachverhalten als bloßen Glauben zurücknehmen und jede Ansammlung von Evidenzen für einen Sachverhalt ebenfalls als bloßen Glauben abschwächen. Aber sie muss offenbar voraussetzen, dass sie sich sinnvoll auf mentale Sachverhalte beziehen und diese wahrheitsmäßig erfassen kann. Sie kann also nicht umhin, Wissen von mentalen Zuständen zuzugestehen. Dieser Unterschied ist für die Skepsis deswegen unumgänglich, weil ansonsten die Substitution des Wissens von q durch den Glauben an q sich gar nicht auf das Wissen von q richten würde. Oder anders formuliert, wenn die Skeptikerin also wirklich alles Wissen in bloßes Für-wahr-Halten überführen würde, würde es für ihre Skepsis hinreichen, dass sie glaubt, dass man immer substituieren kann, ohne dass damit tatsächlich etwas über die Substitutionsmöglichkeit des Wissens von q durch dessen Für-wahr-Halten ausgesagt wäre.118 Hier liegt also schon eine Einschränkung der Skepsismöglichkeit vor. Des Weiteren richtet sich die stroudsche Skeptikerin gegen den Wahrheitsanspruch innerhalb einer Subjunktion. Denn ihr Einwand besteht ja gerade darin, dass das Für-wahr-Halten, das Glauben der notwendigen Bedingung hinreichend für alle Funktionen innerhalb des Nachdenkens und Schlussfolgerns ist, ohne dass daraus etwas über die tatsächliche Wahrheit der notwendigen Bedingung erschlossen werden könne. Aber zeigt der Einwand damit nicht Verwandtschaft mit dem logischen Einwand, der oben bereits zur Sprache kam?119 Und lässt er sich nicht sogar zu einer Variante von Descartes’ genius malignus verschärfen? Die Verwandtschaft zum logischen Einwand wird in folgender Überlegung deutlich: Wenn es für die notwendige Bedingung q von T, also von Sprache, Erfahrung oder Denken überhaupt, gilt, dass die notwendige Bedingung q nur für wahr gehalten werden 118 Vgl. Stern, „Transcendental Arguments: A Plea for Modesty“, S. 146 f. R. Stern sieht genau hier ein Einfallstor gegen die stroudsche Kritik: Stroud geht grundlos davon aus, dass wir Erkenntnisse über Mentales haben können, während Erkenntnisse über Extramentales problematisch sind. Zwar gesteht Stern ein, dass es mentale Zustände geben kann, wie Schmerzen, die selbstevident oder nicht anzweifelbar sind, aber er meint, dass das sicher nicht für die Überzeugungen in transzendentalen Argumenten gilt. 119 Vgl. oben Abschnitt 2.1.3.
214 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik muss, um T zu ermöglichen, dann lässt sich das als folgende Regel aufstellen: Wir können T nicht denken/verstehen, ohne q für wahr zu halten, aber q kann dennoch falsch sein. Das lässt sich aber auf alle Subjunktionen übertragen, zum Beispiel: ‚Wenn jemand ein unverheirateter Mann ist, dann ist er ein Junggeselle‘. Nun heißt das aber nur, dass, wenn wir jemanden als unverheirateten Mann verstehen, wir ihn notwendig auch als Junggesellen denken müssen, aber ob er tatsächlich ein Junggeselle ist, wäre nicht impliziert. Es genügt, dass wir daran glauben müssen, dass ein unverheirateter Mann ein Junggeselle ist. Wenn aber selbst analytische Wahrheiten angezweifelt werden können, weil es hinreichend ist, an die notwendigen Bedingungen und Implikationen zu glauben, so handelt es sich um eine Variante von Descartes’ Zweifel an mathematischen und analytischen Wahrheiten. Zwar zieht Descartes die Figur eines möglichen genius malignus heran, der etwa bei analytischen Schlussfolgerungen dafür sorgt, dass diese mit der bekannten subjektiven Evidenz verbunden sind, aber die Geltung des Schlusses dennoch verfehlt werde. So kann Descartes argumentieren, dass es doch möglich sei, dass selbst die Addition ‚2 + 3 = 5‘ als gewiss erlebt wird, jedoch auch ein systematischer Irrtum, eine Fehlleitung beim Schluss von ‚2 + 3‘ auf ‚5‘ möglich sei. Analog lässt sich eben auch die stroudsche Skepsis so weit treiben, dass völlig hinreichend ist, an die Wahrheit der Schlussfolgerung zu glauben, während sie doch tatsächlich falsch sein kann. Das schlägt aber auf die Skepsis selbst durch und verunmöglicht diese, denn die Skepsis ist selbst eine Substitutionsregel: Immer wenn eine Wissensbehauptung vorliegt, dann ist es möglich, diese Behauptung als bloßen Glauben zu verstehen. Denn es genügt dann offenbar, dass die Skeptikerin an die Substitutionsregel glaubt, ob sie aber tatsächlich möglich und legitim ist, wäre damit völlig offen. So gelesen richtet sich letztlich dieser skeptische Einwand gegen sich selbst und muss entweder seinen skeptischen Anspruch spezifizieren und damit zurücknehmen oder kann als widersprüchlich zurückgewiesen werden. Zu b): Schon in seinem Aufsatz von 1968 fällt auf, dass Stroud transzendentale Argumente hinsichtlich der Funktionsweise nicht ausführlich untersucht. Und noch in seinem späteren, rückblickenden Aufsatz behandelt er transzendentale Argumente, die versuchen, notwendige Bedingungen für Erfahrung oder Denken zu explizieren, in einem Atemzug.120 Hier soll jedoch gezeigt werden, dass es einen großen Unterschied macht, wie das jeweilige transzendentale Argument funktioniert und auf welchen Widerspruch es sich stützen kann. Dabei kann zunächst an Stroud’s Ausführungen angeschlossen werden. Im Zuge der Konstruktion der oben angesprochenen „privileged class“, die aus Propositionen besteht, die zu bestreiten oder zu negieren widersprüchlich sind, betrachtet Stroud daher verschiedene Formen von Widersprüchlichkeit zu120
Vgl. Stroud, „The Goal of Transcendental Arguments“, S. 207.
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sammen:121 i) Bestimmte Propositionen können von bestimmten Menschen nicht bestritten werden, wie etwa ‚Descartes existiert nicht‘ genau in dem Fall widersprüchlich ist, in dem Descartes selbst die sprechende Person ist. Ebenso kann der Satz „DeGaulle cannot construct an English sentence“ von allen Menschen, bis auf DeGaulle selbst, mit Anspruch auf Wahrheit ausgesprochen werden. ii) Des Weiteren gibt es Propositionen, die von bestimmten Gruppen nicht widerspruchsfrei negiert werden können, aber von anderen Menschen schon. Stroud führt das berühmte Beispiel des Kreters an, der sagt: ‚Alle Kreter lügen.‘ Aber für Propositionen, die Elemente der „privileged class“ sind, so Stroud, muss der Selbstwiderspruch in der Negation noch allgemeiner auftreten. Wer auch immer die Proposition verneint, muss sich selbst widersprechen.122 Stroud meint, wie oben erwähnt, dass wohl alle notwendigen Wahrheiten in diese Klasse gehören, allerdings sei die „privileged class“ größer. Denn es kann in transzendentalen Argumenten von unterschiedlichen Ausgangspunkten ausgegangen werden, die ebenfalls nicht ohne Widerspruch negiert werden können. Er erwähnt iii) im Verlaufe seines Textes drei mögliche, generelle Ausgangspunkte für transzendentale Argumente mit einem entsprechenden Anspruch auf Allgemeinheit, die derart konstitutiv seien, dass ihnen kaum widersprochen werden könne: Erfahrung, Denken und Sprache. Zur Sprache wendet er selbst ein, dass diese keine notwendige Wahrheit sei, weil es sicher einmal keine Sprache gegeben habe, aber dennoch könnten Bedingungen für Sprache nicht von einer Skeptikerin bestritten werden. Was das jedoch genau heißt, wenn die Bedingungen der Sprache gegen die Skeptikerin verteidigt werden und ob damit eine tatsächliche Grenze der Skepsis gezogen ist, bleibt dunkel.123 Nun ist offensichtlich, dass alle drei letztgenannten Ausgangspunkte für transzendentale Argumente, die Stroud für vielversprechend zu halten scheint, gravierende Unterschiede aufweisen. Die Unterschiede liegen dabei unter anderem in der Art und Weise, auf welche der Widerspruch im Versuch, die jeweilige Gegenthese zu behaupten, entsteht, und darin, ob die Skeptikerin den Ausgangspunkt selbst voraussetzen muss oder nicht.124 Erfahrung von etwas, wie sie in der kantischen Philosophie einen Grundstein bildet, hat dabei den Nachteil, dass die Negation keinen direkten Widerspruch ergibt, also dass die Skeptikerin keine Erfahrung für ihren Einwand benötigt.125 So kann die Skeptikerin sich zu der radikalen Position aufschwingen, dass es überhaupt 121
Vgl. Stroud, „Transcendental Arguments“, S. 253. Vgl. ebd., S. 253. 123 Vgl. ebd., S. 254 f. 124 Die folgende Darstellung ist an die Unterscheidung von pragmatischen und dialektischen Selbstwidersprüchen in Hösle, Die Krise der Gegenwart, S. 176 f. orientiert. 125 Natürlich kann ein Argument versucht werden, das Erfahrung als Bestandteil jeder Argumentationssituation annimmt, weshalb dann auch die Skeptikerin über Erfahrungen verfügen muss, wenn sie eine argumentative Position einnehmen möchte. Das Wissen um eine These, die bezweifelt werden soll, wird schließlich über die Erfahrung vermittelt. Aber Erfahrung ist 122
216 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik keine Erfahrung von etwas gibt, ohne damit auch ihr eigenes Argument einbeziehen zu müssen. Denn die Sätze ‚Es gibt keine sinnliche Erfahrung‘ oder ‚Sinnliche Erfahrung bezieht sich in Wirklichkeit auf nichts Extramentales‘ benötigen, um wahr zu sein, nicht selbst sinnliche Erfahrung oder Bezug auf extramentale Gegenstände. Daher ist die (sinnliche) Erfahrung eher ein schwacher Ausgangspunkt für transzendentale Reflexionen, da die Skeptikerin sie ohne Selbstwiderspruch verneinen kann.126 Das verhält sich bei den anderen beiden erwähnten Ausgangspunkten jedoch anders. Um überhaupt skeptisch sein zu können, muss die Skeptikerin selbst denken, und um ihre Skepsis auszudrücken und formulieren zu können, muss sie Sprache verwenden. Behauptet sie daher, nicht zu denken oder zu sprechen, so stellt sie a fortiori ihre eigene skeptische Argumentation infrage beziehungsweise entzieht ihr selbst den Boden. Wenn interessante, notwendige Bedingungen für Denken oder Sprache vorlägen, wäre folglich etwas Handfestes gegen die Skeptikerin gewonnen – das hält auch Stroud fest, wenn er von der „privileged class“ spricht. Doch verhalten sich beide gleich? Und wie ist der Widerspruch genau zu verstehen, der in der Negation entsteht? Zunächst sind Denken und Sprechen dahingehend verschieden, als dass die Skeptikerin Sprache notwendigerweise benötigt, um zu kommunizieren und ihre Skepsis auszudrücken, es aber von einer stärkeren These abhängt, dass alles Denken auf Sprache reduzierbar ist, ob Sprache bereits in der Konzeption der Skepsis, für ihren Gehalt und das Nachdenken über diesen vorausgesetzt ist. Diese Frage kann hier offenbleiben, auch wenn es plausibel erscheint, Denken und Sprache nicht zu identifizieren, allein um der bekannten Probleme mit dem Spracherwerb willen, aber auch wegen Enthymemen oder weil es generell schwer ist, ein a priorisches Argument für die Identifikation beziehungsweise Reduktion zu finden. Es ist jedoch äußerst aufschlussreich, zu betrachten, wodurch der Widerspruch entsteht, wenn versucht wird, eine Proposition zu negieren, die Sprache oder Denken im Allgemeinen betrifft. Dazu sind Beispiele wie diejenigen, die Stroud anführt, hilfreich, um die Widersprüche klarer zu sehen. Denn die Skeptikerin muss zwei Dinge vollbringen, um ihre Skepsis vorzutragen: a) Sie muss bestimmte Ausdrucksund Denkakte vollbringen, um ihre Skepsis zu erfassen, zu konzipieren und eventuell zu kommunizieren. Sie muss bestimmte noetische Akte vollziehen. b) Sie muss bestimmte Inhalte denken, ihr Argument inhaltlich ausrichten, gehaltvoll und treffend argumentieren. Ihre Skepsis muss also auch einen noematischen Aspekt erfüllen. Daraus ergeben sich zwei Formen von Widersprüchen: (a) Die Skeptikerin kann in der Formulierung ihrer Skepsis ihre eigenen Aktvollzüge verneinen und damit nicht direkt erforderlich für die Skepsis, etwa, wenn man anhand skeptischer Einwände eine Argumentation überprüft, ohne die Argumentation auszusprechen oder niederzuschreiben. 126 Vgl. dazu auch oben Hegels Kritik an Kants Empirismus in Abschnitt 3.1.1.
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einen Widerspruch begehen. Die Akte können dabei akzidentiell für ihre Skepsis sein oder auch essentiell. Etwa ist das Sprechen einer bestimmten Sprache wie Englisch akzidentiell, aber das Beherrschen einer Sprache überhaupt essentiell, um Zweifel vorbringen zu können. Denn bestimmte Akte sind mit dem skeptischen Inhalt selbst verbunden: Ohne Akte des Fragens und Urteilens etwa, kann keine Skepsis gedacht beziehungsweise formuliert werden. Ein Beispiel für einen solchen Widerspruch wäre etwa Descartes’ berühmter Fall: ‚Ich denke nicht‘. Die Akte können nun notwendig mit der Skepsis verbunden sein, sind aber vom Denken und Vorbringen, vom Akt der Skepsis, selbst abhängig: Daher entsteht in der Formulierung in der dritten Person-Perspektive nicht notwendig ebenfalls ein Widerspruch. Zudem sind die Akte an bestimmte (Raum- und) Zeitpunkte gebunden: Es ist notwendig für die Skepsis, dass die Skeptikerin denkt. Aber sie muss nicht in allen Zeiten schon gedacht haben und denken, um einen Einwand zu erheben. Die andere Form von Widersprüchen findet nicht zwischen dem propositionalen Gehalt der Skepsis und den Akten, die die Skeptikerin vollbringen muss, statt, sondern entsteht zwischen (b) den notwendigen Bedingungen der skeptischen Propositionen als Propositionen und dem skeptischen Gehalt selbst. So kann die Skeptikerin nicht gleichzeitig die Proposition aufrechterhalten, dass alle Propositionen miteinander kompatibel sind, und sich zugleich skeptisch gegen die These richten, dass es eine richtige Theorie gibt, die viele Propositionen als inkompatibel ausschließt. Entscheidend ist, dass dieser Widerspruch nicht von bestimmten Aktvollzügen abhängt. Denn die These ‚Es gibt keine Widersprüche zwischen Propositionen und daher kann alles mit gleichem Recht behauptet werden‘ ist selbst eine Proposition, die sich gegen eine bestimmte These wendet und nur in der Abgrenzung überhaupt eine Bedeutung hat. Durch ihre Allgemeinheit muss sie auf sich selbst angewendet werden können, jedoch wird sie ihren eigenen Voraussetzungen in diesem Falle nicht gerecht. Auch scheint keine zeitliche Beschränkung dieser Widersprüche gegeben zu sein. Jedenfalls hängen sie nicht an bestimmten Aktvollzügen in der Zeit. Wenn es also transzendentalen Argumenten gelingt, solche Bedingungen von Propositionalität überhaupt zu zeigen, die nicht offensichtlich, aber doch implizit notwendig mit Propositionalität verbunden sind, wäre das jedenfalls eine interessante und stärkere Form von Notwendigkeit, als die unter (a) erreichte.127 Was richtet die Differenzierung der Widersprüche in transzendentalen Argumenten aber gegen Stroud’s Einwand aus? Prima facie nicht viel, da es ja immer noch möglich ist, zu behaupten, dass es genüge, an die Wahrheit der Bedingungen zu glauben. Dass das aber nur auf den ersten Blick einleuchtend ist, wird schnell klar, denn zum einen setzt auch diese Skepsis die Bedingungen der Möglichkeit von Propositionalität und Rationalität voraus, zum anderen wäre die Unterscheidung 127 Eine vorbildliche Arbeit, welche die Möglichkeiten einer solchen, transzendentalen Logik ausleuchtet, ist Braßel, Das Programm der idealen Logik.
218 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik von Für-wahr-Halten und Wahr-sein selbst hinfällig, wenn die Bedingungen der Möglichkeit von Rationalität selbst nicht gelten würden. Wenn etwa der Satz vom Widerspruch oder andere transzendentale Prinzipien wie der Wahrheits- und Geltungsanspruch, die Abgrenzbarkeit von Propositionen, der Bezugscharakter et cetera selbst falsch wären, würde auch die Unterscheidung, auf welche die stroudsche Skeptikerin sich beruft, nichtig werden. Zu c): Schließlich ist es fraglich, ob die stroudsche Skepsis überhaupt haltbar ist beziehungsweise immanent konsistent, woran zu zweifeln schon (a) und (b) Grund gegeben haben. Dabei folgt die Kritik hier im Wesentlichen derjenigen von Ch. Illies, der gegen Stroud eingewandt hat, dass Stroud’s Skeptikerin mit einem Irrtum rechnet, wie sie etwa aus Wahnpsychosen bekannt ist:128 Es wird mit überwältigender Evidenz etwas gedacht, ohne dass dieses darum auch wahr sein muss. Es seien, so Illies, jedoch zwei wesentliche Unterschiede zwischen einem psychotischen Wahn und einem transzendentalen Argument zu konstatieren: Erstens ist der modale Status völlig verschieden, da transzendentale Argumente zeigen, dass es keinen rationalen Weg gibt, anderes zu glauben – man ist entweder rational und akzeptiert die transzendentalen Argumente, oder aber irrational. Das ist im Fall des Wahns eben nicht der Fall. Und zweitens ist es unmöglich, die Resultate der transzendentalen Argumente durch unabhängige Evidenzen infrage zu stellen oder zu überprüfen. Werfen wir einen genaueren Blick auf Stroud’s Argument. Dabei soll der Aufsatz von 1968 betrachtet werden, weil in ihm die wirkmächtige Kritik formuliert ist. In dem oben auf S. 211 angeführten Zitat, welches das Herzstück des stroudschen Einwands referiert, ist die Trennung der „conditions necessary for a paradigmatic or warranted (and therefore meaningful) use of an expression or statement and the conditions under which it is true“129 für die Skeptikerin essentiell. Wie genau diese Bedingungen für den Gebrauch und diejenigen der Wahrheit von Propositionen/Sätzen unterschieden ist, erläutert Stroud nicht ausführlich, aber aus dem Kontext ist zu entnehmen, dass der Unterschied Folgendes ermöglichen muss: Während wir notwendigerweise von der Wahrheit von p überzeugt sein müssen, weil wir unanzweifelbar X tun oder in Anspruch nehmen, so kann p dennoch falsch sein, weil es genügt, p für wahr zu halten, um X zu tun oder in Anspruch zu nehmen. X ist dabei deswegen unanzweifelbar, weil schon die Skeptikerin selbst X voraussetzen muss, und zwar entweder als Noesis, als Akt der erst zu zweifeln bedeutet, oder als Noema, als Gehalt, der erst etwas infrage stellen kann. Wichtig ist jedenfalls: Die Skeptikerin muss von der Möglichkeit ausgehen, dass p notwendig geglaubt wird (pb ), dass aber p zugleich möglicherweise falsch ist (♦¬p). Nur wenn das möglich ist, also (♦(pp ∧ ♦¬p)) wahr ist, kann die Skeptikerin behaupten, 128 129
Vgl. zum Folgenden: Illies, The Grounds of Ethical Judgement, S. 60–63. Stroud, „Transcendental Arguments“, S. 255.
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dass die Bedingungen für einen bedeutungsvollen Gebrauch von Sätzen von den Wahrheitsbedingungen verschieden ist. Auch wenn die Unterscheidung plausibel anmutet, so müssen doch, wie die Argumentation von Ch. Illies zeigt, Zweifel erwachsen. Denn was bedeutet die Möglichkeit, dass p falsch ist? Stroud selbst sieht ja triviale mentale Zustände, die etwas über die Wahrheit und Falschheit der enthaltenen Propositionen implizieren, zum Beispiel Wissen: Aus dem Wissen von p (pk ) folgt p (pk → p). Nun ist ja gerade der Anspruch der stroudschen Skeptikerin, dass aus dem notwendigen Glauben an (pb ) kein Wissen von p folgt, denn wenn notwendiges Für-wahr-Halten Wissen implizierte und Wissen die Wahrheit implizierte, so wäre vom Für-wahr-Halten von p transitiv auf die Wahrheit p zu schließen.130 Doch welche Verbindungen zwischen Glauben und Wissen sind tatsächlich plausibel? Wie ist das Verhältnis genauer zu verstehen? Die Skeptikerin muss die Möglichkeit der Falschheit von p behaupten, während sie zugibt, dass p notwendig geglaubt wird. Betrachten wir die möglichen Fälle einzeln, um die Möglichkeit beurteilen zu können. Möglich für die Skeptikerin ist Folgendes: 1. pb ∧ p; p wird notwendig für wahr gehalten und ist wahr. 2. pb ∧ ¬p; p wird notwendig für wahr gehalten und ist falsch. Um die transzendentalen Argumente anzuzweifeln ist (2.) als Möglichkeit für die Skeptikerin essentiell. Da mithilfe des transzendentalen Arguments auf Wissen geschlossen werden soll, muss (2.) mit den möglichen Fällen von Wissen gemeinsam betrachtet werden. Wissen von p beziehungsweise ¬p (pk bzw. ¬pk ) ist für die Skeptikerin nämlich die Voraussetzung, um ¬p als möglich zu behaupten, was im Folgenden klar werden soll. Nichtwissen (¬K) betrifft dabei natürlich weder die Wahrheit noch die Falschheit von p, da ja schlicht Unsicherheit über den Wahrheitswert besteht. Der Möglichkeitsraum für (2.) wird also von folgenden drei Fällen ausgeschöpft: 3. pb ∧ pk ∧ ¬p; p wird notwendig für wahr gehalten und p wird gewusst und ¬p ist wahr. 4. pb ∧ ¬pk ∧ ¬p; p wird notwendig für wahr gehalten und ¬p wird gewusst und ¬p ist wahr. 5. pb ∧ ¬K ∧ ¬p; p wird notwendig für wahr gehalten und p/¬p werden nicht gewusst und ¬p ist wahr. Nun stellt sich die Frage, wie plausibel die einzelnen Fälle sind. Offensichtlich ist die (3.) Möglichkeit widersprüchlich. Denn wenn pK die Wahrheit von p impliziert, wie oben beschrieben, dann ergibt sich der folgende Widerspruch: pb ∧ pK → p ∧ ¬p.
130
Es würde also gelten: pb → pK → p.
220 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik Die (4.) Möglichkeit ist in der Tat schwerer auszuschließen. Aber eine Reflexion über die Bedeutung des Satzes zeigt, dass auch diese sinnlos ist, weil sie einen absurden Zusammenhang von Wissen und Für-wahr-Halten annehmen muss. Denn wie soll es möglich sein, dass wir notwendig p für wahr halten, aber wissen das p falsch ist? Das Verhältnis von Wissen und Glauben in der (4.) Möglichkeit besagt: Es wird notwendig p für wahr gehalten und zugleich gewusst, dass p falsch ist. Aber das ist absurd: Es würde bedeuten, ein Wissen zu haben, was man unmöglich glauben kann, und unumstößlich von etwas überzeugt zu sein, von dem man weiß, dass es falsch ist. Das ist sogar noch verrückter, als der Fall der Wahnpsychose, die Illies als Vergleich heranzieht. Denn die Psychotikerin weiß zumindest nicht zusätzlich von der Falschheit ihrer Überzeugungen. Schließlich bleibt die (5.) Möglichkeit. Diese ist ebenfalls schwerer auszuschließen. Aber auch die Annahme einer prinzipiell unerkennbaren Tatsache, die unseren Überzeugungen nicht entspricht, ist letztlich völlig unplausibel. Denn prinzipiell unerkennbar wäre sie, da mit (3.) und (4.) jede Möglichkeit des Wissens ausgeschlossen werden konnte. Somit bliebe von Stroud’s Einwand Folgendes: Die Skeptikerin akzeptiert, dass wir notwendig p für wahr halten müssen, meint aber auch, dass es eine unerkennbare Wirklichkeit geben könnte, in welcher p falsch ist. Nun ist es schwer, gegen die Möglichkeit von prinzipiell unerkennbaren Wirklichkeiten zu argumentieren, aber es ist auch schwer, eine solche als gravierenden Einwand zu betrachten. Denn ein prinzipielles Jenseits, das bloß möglicherweise besteht, aber zu dem wir niemals einen epistemischen Zugang haben – eine solche Hinterweltmetaphysik hat sich vermutlich kein Metaphysiker, abseits des Neuplatonismus, jemals zu behaupten getraut. Denn es ist klar, dass wir nicht einmal wüssten, wie unsere Begriffe wie ‚es gibt‘ und ‚. . . ist unerkennbar‘ in diesem Fall zu verstehen wären, da sie ja gar nicht korrekt angewandt werden könnten. Die Bemerkungen sind ausreichend, um zu zeigen, dass hier jedenfalls kein ernsthafter Einwand gegen transzendentale Argumente vorliegt. Und auch ohne in diesem Rahmen die Überlegungen ausschöpfen zu können, ist klar, dass die Skeptikerin ja zumindest gewisse Ähnlichkeiten ihrer unerkennbaren Welt mit der uns bekannten annehmen muss: Der Begriff der Wirklichkeit muss sinnvoll angewandt werden können; sie muss die gleiche logische Form haben, damit die mögliche Falschheit von p überhaupt durch sie gegeben sein kann et cetera. Fasst man Gesagtes zusammen, so ist gezeigt worden, dass die transzendentalen Argumente fehlgehen könnten, wenn die stroudsche Skeptikerin recht hätte, dass die notwendigen Bedingungen für eine bestimmte Praxis, auf die geschlossen werden soll, möglicherweise falsch sein können. Nun ergibt sich in der näheren Betrachtung aber keine sinnvolle Möglichkeit, in welcher ein notwendig fürwahr-gehaltener Satz zugleich falsch sein kann. Daraus lässt sich folgern, dass es im Fall von transzendentalen Argumenten – speziell von der starken Variante, die sich auf Bedingungen der Möglichkeit von Propositionen überhaupt
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stützt131 – sinnlos ist, den Unterschied zwischen notwendigem Für-wahr-Halten und Wissen zu machen. Es lohnt sich nochmals auf Illies zweites Argument hinzuweisen: Was nämlich verstärkend hinzukommt, ist, dass die Sachlage, um die es im transzendentalen Argument geht, nicht wie eine Hypothese zu verstehen ist, zu der sinnliche Evidenz, Erfahrung et cetera gesammelt werden könnte. Denn alles, was als Evidenz für oder gegen die Sachlage verstanden werden könnte, ist durch die radikale Skepsis ausgeschlossen – daher wird ja erst versucht, mithilfe von transzendentalen Argumenten einen Weg aus der Skepsis herauszufinden. Übertragen auf die hegelsche Philosophie bedeutet das Ergebnis der betrachteten Argumentation Folgendes: Anschließend an die Transzendentalphilosophie Kants greift Hegel den Gedanken auf, dass Gehalte, die sich dem bloßen Denken verdanken, notwendig auch für alle Erkenntnisse Gültigkeit haben. Anders als Kant, will Hegel aber die Schlussfolgerung vermeiden, dass diese Gültigkeit letztlich nur subjektiv und für alle Erkenntnissubjekte verbindlich ist, aber nicht für die Dinge selbst gelten muss. Dagegen möchte Hegel den stärkeren ontologischen Anspruch stellen: Was notwendige Gehalte des Denkens, der Logik sind, ist objektiv gültig. Aus der nun hier vorgestellten Argumentation bestätigt sich der Anspruch: Wenn etwas als transzendental in so fundamentalem Sinne ausgewiesen ist, dass es unbestreitbar zum gehaltvollen reinen Denken überhaupt gehört, so ist die Behauptung, es gäbe möglicherweise etwas, was diesen transzendentalen Gehalten nicht entspricht, entweder selbstwidersprüchlich oder eine leere Behauptung über etwas, das unmöglich gewusst werden kann. Insofern ist der Zusammenhang von transzendentaler Logik und Ontologie in Hegels WdL alles andere als willkürlich, sondern ein sinnvoll Begründeter. Die notwendigen Gedanken der Logik, die Totalität der logischen Bestimmungen, bilden also dasjenige, was nicht nur Bedingungen des Denkens, sondern der objektiven Wirklichkeit überhaupt ist. Und so kann Hegel schreiben: Wenn gesagt wird, es finde sich in der Erfahrung kein Gegenstand welcher der I d e e vollkommen congruire, so wird diese als ein subjectiver Maasstab dem Wirklichen gegenübergestellt; was aber ein Wirkliches wahrhaftes s e y n solle, wenn nicht sein Begriff in ihm, und seine Objectivität diesem Begriffe gar nicht angemessen ist, ist nicht zu sagen; denn es wäre das Nichts.132
4.1.2 Logik und Hegels Gottesbegriff in nuce Schließlich muss hier noch die andere überraschende Brücke, die Hegel mit seiner Logik schlägt, erläutert werden, nämlich diejenige zwischen Logik und philosophischer 131 Vgl. dazu die „recursive transcendental arguments“, die Ch. Illies hervorhebt. Vgl. Illies, The Grounds of Ethical Judgement, S. 44–63. 132 Hegel, WdL II, S. 174 (269 f.), Z. 32–36.
222 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik Theologie. Denn dass der Gottesbegriff sich durch eine transzendentalphilosophische Logik und nicht durch den Bezug auf Transzendentes erhellen lässt, ist ein radikaler und von Teilen der Tradition abweichender Gedanke, den Hegel zu fassen versucht. Da sich allerdings die vorliegende Arbeit detailliert mit der philosophischen Theologie in Hegels WdL befasst, beschränkt sich die vorliegende Studie an dieser Stelle auf ein paar Grundzüge und Einschränkungen, die für das Folgende wichtig sind. Dabei geht es vor allem darum, dass Hegel im Grunde in seiner ganzen Philosophie sein Gottesverständnis entfaltet.133 Daher ist es begründungsbedürftig, dass die vorliegende Arbeit sich auf die WdL beschränkt, anstatt etwa auch den Teil des hegelschen Systems zu untersuchen, der schon dem Titel nach religiöse Anklänge mit sich führt, nämlich die Geistphilosophie. Dass Hegel die Verbindung von Logik, Transzendentalphilosophie und Ontologie mit der philosophischen Theologie anstrebt, geht meines Erachtens klar aus eigenen Aussagen hervor, auch wenn die große Logik hier eher implizit bleibt.134 Jedoch beginnt die Enzyklopädie schon im § 1 mit der Feststellung, dass die Philosophie und die Religion einen gemeinsamen Gegenstand hätten.135 Beide haben die Wahrheit zu ihrem Gegenstande, und zwar im höchsten Sinne – in dem, daß Gott die Wahrheit und er allein die Wahrheit ist.136
Zwar fährt er fort, dass sich Philosophie und Religion im Umgang mit diesem Gegenstande unterscheiden. Denn die Philosophie sei letztlich auf Beweise, die ihre 133 Vgl. Lauer, Hegel’s Concept of God, S. 1 und ebd., S. 11. Vgl. auch Weischedel, Der Gott der Philosophen, § 51.1, S. 289. 134 Vgl. die interessanten Ausführungen in Düsing, „Ontologische Bestimmungen als Prädikate des Absoluten?“ K. Düsing sieht in Hegels Verbindung von Ontologie und philosophischer Theologie eine ‚theoretisch hochkomplexe Verbindung‘ von zwei Ontologietypen: Einer unversalistischen und einer paradigmatischen Ontologie. Vgl. ebd., S. 682. Letztere führt ein bestimmtes Wesen als Paradigma ein und betrachtet alle anderen Entitäten als Stufen oder Partizipationen an diesem paradigmatisch Seienden. Hegel verbinde beide, indem er in der objektiven Logik die ontologischen Kategorien getrennt von der Theologie bespreche, von diesen dann aber in der subjektiven Logik zeige, dass sie letztlich zur sich selbst denkenden Subjektivität gehören. Düsing ist zuzustimmen, wenn er die subjektive Logik als zentral für Hegels philosophische Theologie ansieht, wie auch darin, dass die theologischen Ansprüche Hegels keine Voraussetzung für die Ableitung der logischen Kategorien bildet. Dass letztlich auch die objektive Logik Bestandteil der philosophischen Theologie ist, geht daraus hervor, dass Hegel meint, dass der letzte Teil der Logik die anderen mitenthalte und dass er unumwunden in der Enzyklopädie alle Stufen der WdL als Definitionen des Absoluten betrachtet. Vgl. auch Düsing, Das Seiende und das göttliche Denken. 135 Es ist nicht anzunehmen, dass Hegel in der Enzyklopädie eine gänzlich andere Meinung vertritt als in seiner WdL. Denn auch in der Logik sind die theologischen Anspielungen zahlreich. So schreibt Hegel etwa in der absoluten Idee *, dass diese der „einzige Gegenstand und Inhalt der Philosophie“ sei, und dass die „Philosophie [. . . ] mit Kunst und Religion denselben Inhalt und denselben Zweck“ (vgl. Hegel, WdL II, S. 236 (372), Z. 21–28) habe. Vgl. auch Düsing, Das Seiende und das göttliche Denken, S. 27–31. Vgl. auch Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“, S. 808–813. 136 Hegel, Enz. I, § 1, S. 41.
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
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Gehalte und Inhalte als notwendig zeigen, ausgerichtet, was für die Religion nicht gelte. Und Gleiches unterstreicht er auch ausführlicher in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion von 1827: Wenn wir nun sagen, daß die Philosophie die Religion betrachten soll, so sind beide ebenso in ein Verhältnis der Verschiedenheit gesetzt, wo sie einander gegenüber stehenbleiben. Demgegenüber ist zu sagen, daß der Inhalt der Philosophie, ihr Bedürfnis und Interesse, mit der Religion ganz gemeinschaftlich ist. Der Gegenstand der Religion wie der Philosophie ist die ewige Wahrheit, Gott und nichts als Gott und die Explikation Gottes. Die Philosophie expliziert nur sich indem sie die Religion expliziert, und indem sie sich expliziert, expliziert sie die Religion. Der denkende Geist ist es, der diesen Gegenstand der Wahrheit, durchdringt, der in dieser Beschäftigung Genuß der Wahrheit und und Reinigung des subjektiven Bewußtseins ist. So fallen Religion und Philosophie in eins zusammen. Die Philosophie ist in der Tat selbst Gottesdienst, wie die Religion.137
Dass nun dabei die WdL und deren Kernbestandteile, der Begriff * und die Idee *, im Zentrum des Interesses stehen und insofern auch den Kern des Gottesbegriffes ausmachen, scheint folgerichtig.138 Denn die logischen Kategorien können als „metaphysische Definitionen Gottes“139 angesehen werden und schließlich sei mit der Idee * die „Definition des Absoluten [. . . ] selbst absolut“140 . Daher beschreibt Hegel den absoluten Charakter der Idee * folgendermaßen: Die Idee ist die Wahrheit; [. . . ]. – Aber auch alles Wirkliche, insofern es ein Wahres ist, ist die Idee und hat seine Wahrheit allein durch und kraft der Idee.141
Und weil so kein Blatt zwischen die Vorstellung von Gott als Schöpfer, dem absolutem Grund allen Seins, und die Idee *, dem entfalteten Begriff *, passt, betont Hegel, wiederum in der Religionsphilosophie: Der metaphysische Begriff Gottes ist hier, daß wir nur vom reinen Begriff zu sprechen haben, der durch sich selbst real ist. Die Bestimmung Gottes ist also hier, daß er die absolute Idee ist, d. h. daß er der Geist ist.142
Der metaphysische Begriff Gottes entspricht also dem Begriff * und der absoluten Idee *, die beide in der WdL behandelt werden.143 Wie beide zusammenhängen, soll erst unten erläutert werden.144 Und folgerichtig sieht Hegel die traditionellen Gottes137 Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 63 f. (28 f.). Vgl. die analoge Stelle in Hegel, VPR I, S. 27 f. 138 Vgl. dazu auch Weischedel, Der Gott der Philosophen, S. 290–305. 139 Hegel, Enz. I, § 85, S. 181. 140 Ebd., § 213, A., S. 367 f. 141 Ebd., § 213, A., S. 368. 142 Hegel, VPR II, S. 205. Vgl. Hegel, VPR. Die vollendete Religion, S. 109 (182). 143 Vgl. etwa Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“, S. 809: „For Hegel, the absolute principle commonly represented as God is nothing but the principle that brings about the totality of conceptual determinations that underlie both human knowledge and reality insofar as it can become the object of knowledge.“ 144 Vgl. unten Abschnitt 9.4.
224 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik beweise als inhaltlich mit seiner WdL verbunden und identifiziert den Übergang von seinem Begriff * zur Objektivität in der Begriffslogik mit dem OGB. Daher sind Philosophie und Religion mit demselben Gehalt beschäftigt, wenn auch auf unterschiedliche Weise.145 Dennoch spitzt Hegel die Parallele so weit zu, dass er Philosophie und Religion als ‚Gottesdienst‘ bezeichnet: So fällt Religion und Philosophie in eins zusammen; die Philosophie ist in der Tat selbst Gottesdienst, ist Religion, denn sie ist dieselbe Verzichtung auf subjektive Einfälle und Meinungen in der Beschäftigung mit Gott.146
Weil sich sowohl die Philosophie als auch die Religion mit der letzten Wirklichkeit und dem Absoluten befassen, kommen sie überein. Jedoch unterscheiden sie sich fundamental, da die Philosophie in spezieller Weise verfährt, nämlich begründend und beweisend, was im religiösen Kontext nicht notwendig der Fall ist. Weil die Philosophie also nach Notwendigkeit und Beweisen sucht, scheinen die Gottesbeweise einen natürlichen Teil der Philosophie auszumachen.147 Das kommt mit Hegels Überzeugung überein,148 auch wenn er die Form oder Art und Weise der traditionellen Metaphysik, wie oben gesehen, zurückweist.149 So ist auch das Hauptproblem der Gottesbeweise, dass sie Beweisformen annehmen, die nicht falsch sind, aber dennoch nach einer weiteren Begründung verlangen. Während das aber normalerweise kein Problem darstellt,150 tritt im Fall der Gottesbeweise 145
Vgl. Hegel, WdL II, S. 236 (372), Z. 27 f. Hegel, VPR I, S. 28. Siehe Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 63 f. (28 f.): „Beide aber, Religion sowohl wie Philosophie, sind Gottesdienst auf eine eigentümliche Weise, wovon weiteres zu sagen ist. Sie unterscheiden sich beide in dieser Eigentümlichkeit der Beschäftigung mit Gott, und darin liegen die Schwierigkeiten, daß die Philosophie die Religion fassen konnte, und es erscheint oft als Unmöglichkeit, daß beide vereinigt werden.“ 147 G. M. Wölfle sieht Hegels Anspruch, einen Gottesbeweis zu führen, lehnt dieses aber mit kaum erkennbaren Argumenten ab. Vgl. Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik“, S. 53–64. Wenn Hegels Philosophie als Gottesbeweis haltbar wäre, so Wölfle, müsste am Ende Existenz im Sinne von empirischem, raum-zeitlichem Sein nicht nur aus den Kategorien der Logik erschließbar sein, sondern es müsste eine „existenzsetzende Metaphysik“ verstanden werden können. Da sie aber nur als kategoriale Ontologie konzipiert sei, würde auch der Gottesbeweis fehlgehen. Vgl. ebd., S. 62. Weder erklärt Wölfle, was ‚existenzsetzend‘ bedeuten soll – was erstaunt, da es falsch ist, dass Hegel zu einer Fundamentalontologie noch die Existenzsetzung benötigt –, noch versteht er den Anspruch der WdL, wenn er glaubt, Hegel entnehme die logischen Kategorien den empirischen Wissenschaften. Vgl. ebd., S. 63. 148 Vgl. die erste der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 347. 149 Vgl. Hegel, VPR I, S. 162 f. Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 310 (208). Vgl. oben Abschnitt 3.3. 150 Obwohl das Problem natürlich immer ist, dass ein Argument für den einen als modus ponens, von jemand anderem aber als modus tollens interpretiert werden kann, nämlich je nachdem, ob man bereit ist, die Prämissen zu akzeptieren oder zu verwerfen. Aber im Falle von Gottesbeweisen ist dieses Problem besonders drängend, schon allein aufgrund des Beweisgegenstandes. Vgl. dazu Hösle, „The Idea of a Rationalistic Philosophy of Religion and Its Challenges“, S. 163. 146
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
225
ein Problem auf, nämlich dass die verwendeten Begriffe und logischen Mittel vom Beweisgegenstand nicht unabhängig sind.151 Das führt dazu, dass Hegel meint, dass es einer speziellen Wissenschaft, der Logik, bedarf, um den Anforderungen an eine solche Begründung gerecht zu werden:152 Diesen Fortgang der Begriffsbestimmung entwickelt die Logik in seiner Notwendigkeit. Jede Stufe, die er durchläuft, enthält insofern die Erhebung einer Kategorie der Endlichkeit in ihre Unendlichkeit; sie enthält also ebensosehr von ihrem Ausgangspunkte aus einen metaphysischen Begriff von Gott, und indem diese Erhebung in ihrer Notwendigkeit gefasst ist, einen Beweis seines Seins, und ebenso führt sich das Übergehen der einen Stufe in ihre höhere durch als ein notwendiger Fortgang des konkreteren und tieferen Bestimmens, nicht nur als eine Reihe zufällig aufgelesener Begriffe, – und ein Fortgang zur ganz konkreten Wahrheit, zur vollkommenen Manifestation des Begriffs, zu der Ausgleichung jener seiner Manifestationen mit ihm selbst. Die Logik ist insofern metaphysische Theologie, welche die Evolution der Idee Gottes in dem Äther des reinen Gedankens betrachtet, so daß sie eigentlich derselben die an und für sich schlechthin selbstständig ist, nur zusieht.153
Allerdings war in einem obigen Zitat die Rede vom Geist, der mit der absoluten Idee * identifiziert wurde. Damit wird auf einen größeren Zusammenhang verwiesen, der für Hegel ebenso entscheidend ist, jedoch eine Grenze der vorliegenden Arbeit darstellt: Hegel fasst den entfalteten Begriff Gottes, die Idee *, als Geist, den er ausdrücklich aber erst im dritten Teil der Enzyklopädie abhandelt, sogar als ‚absoluten Geist‘.154 So ist zu sagen, dass zwar mit der WdL offenbar eine philosophische Theologie vorliegt, die hinreichend ist, um Gottesbeweise zu behandeln. Zugleich muss aber unterstrichen werden, dass Hegels philosophische Theologie einen weiteren Skopus hat. Denn da Hegels philosophische Bezeichnung für das Absolute, die Idee *, zugleich der Grund der Natur und des Geistes ist und somit den Kern des ganzen hegelschen Systems ausmacht, ist das ganze System stets philosophische Theologie.155 Es ist unmöglich, ohne in leeres Aufsagen von Formeln zu verfallen, die Beziehung der drei Systemteile an dieser Stelle zu erläutern. Es gehört aber für Hegel notwendig zur Idee *, dass diese sich in die Natur entäußert, auch wenn die Natur der Idee * eigentlich entgegengesetzt zu sein scheint. Dennoch bereitet die Idee * in Hegels Augen den Grund der Natur, bestimmt deren Ontologie und 151 Vgl. Hegel, VPR I, S. 164. Siehe auch Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 311 (209): „Der Gang, den wir im Beweisen machen, ist nicht ein Gang der Sache selbst – ist ein anderer, als in der Natur der Sache liegt.“ Und wenig später heißt es: „D. h. wie machen das Resultat von gegebenen, bereits vorhandenen Bestimmungen abhängig; das, worauf wir kommen, wird vorgestellt als ein von Voraussetzungen Abhängiges.“ Vgl. auch ebd., S. 312 (209). 152 Vgl. etwa Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 531, wo Hegel hervorhebt, dass der OGB bei Anselm unbefriedigend sei, weil er auf unbegründeten Voraussetzungen beruhe. 153 Ebd., S. 419. 154 Vgl. Hegel, VPR II, S. 205. Vgl. Hegel, VPR. Die vollendete Religion, S. 109 (182). 155 Vgl. Lauer, Hegel’s Concept of God, S. 1.
226 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik sorgt für die prinzipielle Intelligibilität der Natur.156 Innerhalb der Naturphilosophie entwickelt Hegel dabei allerdings eine immer stärkere Annäherung der Natur an die Form des Begriffs * und der Idee *. Schließlich folgt im hegelschen System die Philosophie des Geistes auf die Naturphilosophie. In dieser machen sich nun die logischen Gehalte wieder deutlicher bemerkbar, denn Hegel handelt Wesen ab, die eine Innerlichkeit ausbilden, Bewusstsein und Geistigkeit und die immer höhere Formen der Erkenntnis ausbilden, bis schließlich die Idee * im Denken, Vorstellen, Empfinden und Anschauen der einzelnen Subjekte auftreten kann. Dass die Idee * in den subjektiven Vollzügen und als Gegenstand des Vorstellens und Denkens auftritt, ist für Hegel nun freilich kein Zufall, sondern liegt in der Notwendigkeit der Idee * selbst begründet. Weil diese notwendig ist, tritt sie in diesen subjektiven Formen auf. Und diese Formen sind natürlich mit den drei Stufen des absoluten Geistes verbunden, also der Kunst, der Religion und schließlich der Philosophie. Natürlich nimmt die Religionsphilosophie dabei eine entscheidende Stellung ein, da sie in besonderer Weise betrachtet, wie die Idee * oder Gott im Bewusstsein der einzelnen Subjekte auftritt und wie sich die Subjekte explizit mit Gott beschäftigen. Die Religionsphilosophie ist erneut viel zu komplex, um ihr hier Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es ist aber wichtig, anzumerken, dass sie oberflächlich wie eine Art Religionssoziologie und Religionsgeschichte erscheinen kann. Denn Hegel bemüht sich nicht um eine reine Gotteslehre, sondern um die Weise, wie sich Menschen auf Gott beziehen. Und dabei zeigt er großes Interesse an den kulturellen und geschichtlichen Unterschieden, diesem Sich-Beziehen auf das Absolute. Entscheidend für das richtige Verständnis der hegelschen Religionsphilosophie ist jedoch, dass es in der Idee *, in Hegels Gottesbegriff, begründet liegt, dass dieser sich auch im Medium des menschlichen Geistes und der menschlichen Tätigkeiten verwirklicht.157 Nur weil es diesen Gott gibt, kann sich das menschliche Bewusstsein auf diesen beziehen. Und es ist zugleich als Teil der göttlichen Selbstoffenbarung zu begreifen, dass Gott sich zum Gegenstand der Vorstellungen, des Denkens und zum Bezugspunkt der religiösen Praxis macht.158 Wenn es also die Idee * ist, die sich in den Formen der Natur und des Geistes selbst verwirklicht, so ist natürlich sogleich der Verdacht gegeben, dass Hegel einen Pantheismus vertritt, da für ihn das göttliche Wesen kein vollständig transzendentes Wesen ist.159 Das ist jedoch klar von der Hand zu weisen. Hegel vertritt keinen Pantheismus, denn die Logik und deren Prinzip, der absolute Begriff *, sind deutlich 156
Vgl. Hegel, Enz. II, § 247, S. 24. Vgl. Düsing, Das Seiende und das göttliche Denken, S. 31 f. Das ist auch gegen den Verweis auf das Ganze der hegelschen Philosophie zu richten: Mit dem Begriff */der Idee * liegt ein Prinzip der hegelschen Philosophie vor, wenn Prinzip recht verstanden wird. Vgl. Weischedel, Der Gott der Philosophen, § 50 f., S. 286–289. 158 Vgl. Lauer, Hegel’s Concept of God, S. 5. 159 Vgl. Abschnitt 4.2. 157
4.1. Hegels Gedanke einer vollständige Metaphysik
227
von der Welt abzuheben und gerade nicht identisch mit der Natur oder dem Geist. Die Disjunktion, entweder ist das göttliche Wesen jenseits der Welt und des Denkens oder er ist nur in diesen, ist unvollständig. Hegels Option besteht auf der Abhebbarkeit, der eigenständigen Thematisierbarkeit des Absoluten, zu dem schließlich zugleich gehört, dass es in den Formen der Natur und des Geistes präsent ist. Doch in gleicher Weise gehört es zum Absoluten qua Absoluten, wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden soll,160 dass nicht alles mit ihm identisch ist, sondern dass das Absolute sich in seiner Andersheit erhält. Darin liegt natürlich auch, dass das Absolute nicht im Bösen, nicht im Zufall und der Absurdität präsent ist, sondern diese gerade die Andersheit markieren.161 Somit scheint Hegel auf eine Konzeption zu zielen, die wesentliche Probleme des Pantheismus umgeht. Wie ist dann Hegels Konzeption zwischen Transzendenz und bloßer Immanenz zu bezeichnen? Die beste Bezeichnung scheint diejenige des Panentheismus zu sein, auch wenn dieser Begriff genauer geklärt werden muss.162 Die vorliegende Arbeit konzentriert sich nun vollständig auf die WdL und die darin enthaltende philosophische Theologie. Denn insofern Hegel in diesem Werk das Prinzip seiner Philosophie, den absoluten Begriff * oder die Idee *,163 behandelt, findet sich in ihr auch der Kern der Gotteslehre, die zwar damit nicht abgeschlossen ist, aber in Hegels Augen immerhin hinreichend klar, um als Gottesbeweis gelten zu können. Dies ist der Begriff, das Logisch-Vernünftige der ersten abstrakten Bestimmung von Gott und der Religion.164
Daher werden die Natur- und Geistphilosophie nur insofern herangezogen, wie diese die Argumentation der Logik erhellen. Aber Hegels philosophische Theologie ist eben mit der Logik nicht erschöpft, was demzufolge auch nicht das Ziel dieser Arbeit sein kann. Allerdings nimmt Hegel mit diesem philosophischen Gottesbegriff in der Logik die provokante These an, dass das Absolute letztlich intelligibel sein muss. Wie Hegel diese These begründet, soll im nun Folgenden dargestellt werden. 160
Vgl. unten Abschnitt 9.3. Siehe etwa Hegel, Enz. II, § 248, A., S. 27 f.: „Die Natur ist an sich, in der Idee göttlich, aber wie sie ist, entspricht ihr Sein ihrem Begriffe nicht[.]“ Vgl. natürlich auch Hegels berühmten Ausspruch „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“ (Hegel, GPR II, S. 24) Wenn dieser Satz eine metaphysisch interessante Bedeutung hat, so ist das Wirkliche vom Ganzen des gegebenen Seienden zu unterscheiden. Dann bildet das Wirkliche eine echte Untermenge des Seienden, die durch ihre Vernünftigkeit ausgezeichnet ist. 162 Vgl. für eine gute Annäherung: Göcke, „Panentheismus als Leitkategorie theologischen Denkens? Eine religionsphilosophische Bestandaufnahme“. 163 Die Idee * ist der vollständig bestimmte Begriff. Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 397: „Der Unterschied vom Begriffe als solchem ist dann nur der, daß dieser abstrakte Bestimmungen zu seinen Seiten hat, der weiter bestimmte Begriff aber (die Idee) selbst in sich konkrete Seiten, zu denen jene allgemeinen Bestimmungen nur der Boden sind.“ 164 Ebd., S. 446. 161
228 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik
4.2 Die Erkennbarkeit Gottes als Konsequenz der hegelschen Konzeption Nun weist Hegel die kantischen Argumente gegen die philosophische Theologie im Allgemeinen und gegen den OGB im Speziellen zurück. Dabei kehrt er nicht kritiklos zur vorkantischen Metaphysik zurück, sondern sieht in dieser, ebenso wie in der kantischen Philosophie, ein Begründungsdefizit. Jedoch weist Hegel nicht die Themen der vorkantischen Philosophie dogmatisch zurück, sondern verlangt sie zu durchdenken und nur dort festzuhalten, wo eine Begründung im strengsten Sinne möglich ist – denn das ist Philosophie, die den Namen Wissenschaft verdient. Und ein Thema, dass Hegel mit dem höchsten Begründungsanspruch verbinden zu können glaubt, ist die philosophische Theologie, was die WdL leisten können soll, die daher auch als vollständige Metaphysik bezeichnet werden kann. Der OGB ist dabei allerdings mit Kant als zentral für die philosophische Theologie zu betrachten, weil er im Erfolgsfall eine Notwendigkeit per se etabliert, die nicht in einen weiteren Begründungsregress führt. Daher gibt Hegel dem OGB auch eine besondere Stellung in der Logik, nämlich indem er versucht, dessen Gehalt mit seinem letztbegründeten Prinzip, dem Begriff *, zu verbinden. Zugleich sieht Hegel jedoch, dass der OGB nicht für sich stehen kann, sondern durch den Beweis aus den ewigen Wahrheiten, den Leibniz behandelt, ergänzt werden muss. Diese Ergänzung ist notwendig, weil zwei Probleme als die Bedingungen der Möglichkeit des OGB gelöst werden müssen. Doch damit ist zugleich die provokative Auffassung verbunden, dass sich das göttliche Wesen grundsätzlich erkennen lässt. Nun stellt sich, bevor genauer auf die WdL und ihre Verbindung zum OGB eingegangen werden kann, zunächst die Frage, ob dieser Anspruch – Gott zu erkennen – nicht unmöglich eingelöst werden kann und insofern völlig vermessen ist? Hegels lakonische Antwort findet sich etwa in seiner Vorlesung über die kantische Philosophie: Es ist eine sehr falsche christliche Demut und Bescheidenheit, durch seine Jämmerlichkeit vortrefflich [zu] sein, – das Erkennen seiner Nichtigkeit ein innerer Hochmut und Selbstgefälligkeit. Aber man muß zur Ehre wahrer Demut nicht in seiner Erbärmlichkeit stehenbleiben, sondern sich erheben über sie durch Ergreifung des Göttlichen.165
Dennoch kann die These, dass das Göttliche erkennbar sei, für das Folgende nicht einfach vorausgesetzt werden, weil intuitive Zweifel zu stark ist. Hegel kennt diesen natürlich und reagiert auf ihn. Dieser Zweifel hatte sich in Kants KrV manifestiert, die mit der Begründung von mathematischen und anderen synthetischen Sätzen a priori, die mit empirischem Wissen de jure verbunden sind, auch die Grenze der Erkenntnis markieren wollte. Der Ausgriff auf das Unbedingte, so Kant, stellt zwar eine unausweichliche Versuchung für die menschliche Vernunft dar, was sogar einen gewissen, regulativen Nutzen für den Erkenntnisgewinn zeitigt. Zugleich 165
Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 362.
4.2. Die Erkennbarkeit des Gottesbegriffs
229
ist jeglicher Versuch in die Richtung aber zum Scheitern verurteilt, weil die Vernunfttätigkeit letztlich den Halt benötigt, den sie durch die Sinnlichkeit findet, um nicht im Willkürlichen zu kreisen.166 Hegel meint aber, dass die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis prototypisch für die scharfe Abgrenzung des Wissens von religiösen Überzeugungen und Glauben steht. Denn als Kant-Kritiker hatte Jacobi die nachkantische Philosophie entscheidend angeregt, etwa indem er in den Spinoza-Briefen das System des Rationalisten wieder in den Kreis der philosophischen Optionen eingereiht hatte. Jedoch war nicht nur Jacobis Kant-Kritik scharfsinnig, sondern auch seine Zurückweisung dieser neuen Option, deren Grundprobleme er zugleich benannte. Und aufgrund dieser Probleme, aus denen Jacobi besonders das Determinismusproblem hervorhob, verabschiedete er diese Option auch gleich wieder: „Ich helfe mir durch einen S a l t o m o r t a l e aus der Sache[.]“167 Und der zweite bedeutende zeitgenössische Denker, gegen den Hegel sich wendet, ist Friedrich Schleiermacher, dessen Theologie das Gefühl ins Zentrum der religiösen Beziehung rückt. Hegel reagiert auf dieses Konzept bekanntlich polemisch und ablehnend, was hier nicht weiter thematisiert werden soll, obgleich seine eigene Religionsphilosophie vermutlich auch als eine Gegenkonzeption zu Schleiermacher zu verstehen ist. Doch weil hier nicht die Religionsphilosophie, sondern Hegels Gründe für die These der Erkennbarkeit Gottes dargestellt werden sollen, konzentriert sich das Folgende auf Jacobis Kritik an der philosophischen Theologie. Zwar ist eigentlich auch Jacobi ein zu vielschichtiger und reicher Denker, um ihm im Rahmen der vorliegenden Arbeit gerecht werden zu können. Da sich aber Hegels Position zur Erkennbarkeit Gottes direkt gegen Jacobi wendet und sich in Auseinandersetzung mit diesem profiliert, ist es sinnvoll, zumindest den Einwand Jacobis gegen die philosophische Theologie kurz zu erläutern. Der klassische Ort, an dem Jacobi die Unerkennbarkeit Gottes ausführt, ist die Beilage VII zu den Spinoza-Briefen.168 166 Oder, wie J. McDowell die Gefahr bezeichnet, um nicht letztlich auf ein frictionless spinning in the void hinauszulaufen. McDowell, Mind and World, S. 11. Vgl. zu Kants These oben Abschnitt 2.3.3. 167 Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in den Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, S. 26/ 17/27/59. Die Spinoza-Briefe hat Jacobi erstmals 1785 veröffentlicht und dann erneut in einer Überarbeitung im Jahre 1789. Die hier verwendete Meiner-Ausgabe enthält beide Texte sowie Bemerkungen zu den Veränderungen, die im Rahmen der Aufnahme in die erste Werkausgabe Jacobis vorgenommen wurden. Die erste Seitenangabe bezieht sich auf die Meiner-Ausgabe, die zweite gibt die Seitenzählung der ersten Ausgabe wieder, und die letzte Seitenzahl bezieht sich auf die zweite Ausgabe. Die letzte Zahl bezieht sich dann auf die dritte Ausgabe im Rahmen der Werkausgabe. Weil die Beilage VII nicht in der ersten Ausgabe enthalten war, entfällt diese Nummer, sodass dann folglich die zweite Zahl die Seitenzahl der zweiten und die dritte Zahl die der dritten Ausgabe angibt. 168 Hegel zitiert diese Beilage in seiner Auseinandersetzung mit der Erkennbarkeit des Absoluten und der Frage, ob das Absolute dafür vermittelt sein muss. Vgl. Hegel, Enz. I, § 62, A., S. 149.
230 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik In dieser Beilage VII skizziert Jacobi in knappen Worten einen ganzen philosophischen Entwurf. Sobald erkenntnisfähige Wesen zur organischen Natur kommen, werden durch diese Selbstbewegung, Progression und Produktivität realisiert.169 Jedoch müssen Organismen zudem die Fähigkeit zur Selbsterhaltung besitzen, und ein Mittel zur Selbsterhaltung sei die Sprache, die Jacobi sogleich mit der Vernunftfähigkeit in Verbindung bringt.170 Doch mit sprechenden Vernunftwesen sind Wesen entstanden, die beginnen, die Welt zu erkennen. Für die Erkenntnis nehmen sie dabei bestimmte Vermögen in Anspruch und stützen sich auf bestimmte Prinzipien und Verfahren, so wie etwa die Naturwissenschaft, die versuche, die Qualitäten der Welt auf Quantitäten zurückzuführen.171 Jedoch seien zwei Hauptschwierigkeiten für die Erkenntnis anzuerkennen, nämlich die Erklärung und Herleitung des Denkens und der Bewegung.172 Offenbar ist einer der interessantesten Erklärungsversuche in den Augen Jacobis die spinozisitische Philosophie. Jedoch kritisiert er die Bewegungserklärung Spinozas letztlich, weil diese falsche Annahmen über die Zeit machen müsse, wie etwa, dass die Zeit ewig sei.173 Auch die daran anschließenden Ausführungen sind sehr interessant, führen aber an dieser Stelle vom Thema ab. Für vorliegenden Kontext entscheidend ist hingegen, dass Jacobi über die Diskussion der Kosmologie und der Schwierigkeiten, in der Natur letzte Gründe und einen wahren Anfang zu finden,174 auf die Eigenheiten der Vernunft und ihrer Grenzen zu sprechen kommt. Denn im Menschen finde sich immer eine Vorstellung des „B e d i n g t e n“ und des „U n b e d i n g t e n“.175 Zwar seien beide als Vorstellungen in uns präsent, aber Begreifen und Verstehen hänge davon ab, das „Vermittelnde“ für etwas einzusehen, um mit diesen Gründen und Ursachen einen „M e c h a n i s m u s“ zu haben, mit dem man die Vorstellung „konstruieren“ könne. Was sich hingegen nicht als Vorstellung konstruieren lasse, das würden wir auch nicht begreifen.176 Nun folgert Jacobi daraus, dass das Begreifen damit auf die Erkenntnis des Bedingten eingeschränkt sei. Denn wenn Begreifen daran hängt, dass es einen Mechanismus aus Bedingungen gibt, mit dem sich das Objekt des Begreifens konstruieren lässt, dann scheint das Unbedingte per definitionem nicht begreifbar zu sein. Denn andernfalls müsste das Unbedingte selbst Bedingungen haben. So schließt er: Vgl. auch die 13. Vorlesung der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 461. 169 Vgl. Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in den Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, S. 273/130 f./402. 170 Vgl. ebd., S. 273/130 f./402. 171 Vgl. ebd., S. 274/132 f./404. 172 Vgl. ebd., S. 275/133/405. 173 Vgl. ebd., S. 276/135 f./407 f. 174 Vgl. ebd., S. 286/151/422. 175 Vgl. ebd., S. 287/152 f./423 f. 176 Vgl. ebd., S. 287/153/424.
4.2. Die Erkennbarkeit des Gottesbegriffs
231
Soll nun ein Begriff dieses Unbedingten und Unverknüpften – folglich A u ß e r n a t ü r l i c h e n MÖGLICH werden: so muß das Unbedingte aufhören das Unbedingte zu sein; es muß selbst Bedingungen bekommen; und das a b s o l u t N o t we n d i g e muß anfangen das M ö g l i c h e zu werden, damit es sich k o n s t r u i e r e n lasse.177
Diese Unbegreifbarkeit des Unbedingten gilt nach J a c o b i für alle Prinzipien und letzten Gründe. Doch er überträgt die Argumentation auf den Gottesbegriff, der das Übernatürliche, was außerhalb des Naturzusammenhangs liegt, umfassen soll. Und aufgrund der Argumentation, dass sich etwas nur aus seinen Bedingungen erkennen lasse, muss das „Vernunftwidrige der Forderung einer D e m o n s t r a t i o n vom Dasein Gottes“178 festgehalten werden. Nun lässt sich gegen J a c o b i s Einwand zunächst die klassische Unterscheidung von Erkenntnis- und Seinsordnung, dem ordo cognoscendi und dem ordo essendi entgegenhalten.179 Jedoch reflektiert Jacobi anscheinend selbst auf diesen Einwand,180 allerdings ändere sich damit nichts an dem Unvermögen des menschlichen Begreifens. Denn wenn dieses nur durch Bedingungen erkennen kann, so ist dasjenige, was keine Bedingungen hat, auch nicht erkennbar. Insofern besteht die Unbegreifbarkeit des Unbedingten und Absoluten, einfach weil die menschliche Vernunft durch ihre Verfahrensweise, über Bedingungen mechanische Konstruktionen zu bilden, begrenzt ist. Und insofern hält Jacobi, allerdings erneut die beiden ordines parallelisierend, in dem Schreiben An Fichte fest: Ein Gott, der gewußt werden könnte, wäre gar kein Gott.181
Man könnte Hegels Reaktion auf diese Problemstellung nun in der Unterscheidung von Verstand und Vernunft suchen, die Hegel tatsächlich bis in die Enzyklopädie verwendet. Dabei reserviert er für den Verstand ein Erkennen, das in strikten Unterscheidungen und im Bereich des Endlichen funktioniert, aber daher in der Weise, die Jacobi beschrieben hat, verfährt und begrenzt ist.182 Die Vernunft ist dann das Vermögen, dem Hegel hingegen ein andersartiges Erkennen zutraut, das schließlich auch in der Lage sein soll, das Absolute und damit den philosophi177 Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in den Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, S. 288/154 f./425 f. 178 Vgl. ebd., S. 289/156/428. Hegel setzt sich mit der Behauptung, Beweisen ist immer nur mit endlichen Gegenständen beschäftigt, zum Beispiel in der Begriffslogik auseinander (vgl. Hegel, WdL II, S. 229 f. (359–362)). 179 Hegel meint etwa, dass J a c o b i diese Unterscheidung missachte. Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 462. 180 Siehe Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in den Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, S. 291 f./160/431 f.: „Hingegen verschwindet das Widersprechende sogleich, wenn man entdeckt, daß dem Übernatürlichen das Natürliche w a r z u m G r u n d e g e l e g t wo r d e n, und dieses unter jenem dennoch befaßt werden sollte.“ 181 Jacobi, „Jacobi an Fichte“, S. 7. 182 Vgl. etwa Hegel, Enz. I, § 11 f., S. 54–58.
232 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik schen Gottesbegriff zu begreifen.183 Jedoch ist das Anführen der Unterscheidung nicht hinreichend, um Jacobis Kritik zu umgehen: Denn es müssen die Gründe betrachtet werden, durch welche Hegel gezwungen ist, eine andere Erkenntnisart einzuführen und sich so über die Kritik hinwegzusetzen. Diese Gründe bietet Hegel in einem Argument dar, das auf die Bedingungen der Möglichkeit einer Grenzziehung der Erkenntnis reflektiert. In diesem Argument reflektiert Hegel darauf, dass implizit schon Wissen über dasjenige, was explizit als unerkennbar deklariert wird, in Anspruch genommen wird. Und daher lässt sich die Grenze oder Schranke der Erkenntnis, so Hegel, nicht aufrecht erhalten. Das Grenzargument und Hegels Antwort auf Jacobis Einwand Das Argument, dass mit der Erkenntnis einer Grenze der Erkenntnis ein performativer oder dialektischer Widerspruch entsteht, hat Hegel in seinem Werk wiederholt angeführt. So geht er etwa am Ende der Zweiten Stellung des Gedankens zur Objektivität auf ein Grundproblem von dualistischen Philosophien ein, das er zwar in der kantischen Philosophie sehr deutlich hervortreten sieht, das meines Erachtens aber ohne Weiteres auf Jacobi übertragen werden kann. In dem betreffenden § 60 in der Enzyklopädie führt Hegel einige kritische Punkte gegen Kants Verständnis von Teleologie in der KU an. Bekanntlich meint Kant, dass sich die theoretische und die praktische Vernunft unter anderem dadurch miteinander versöhnen ließen, dass in der Natur, die für die theoretische Vernunft vollständig durch kausale Gesetze bestimmt ist, zugleich eine Teleologie gefunden werde. Denn die praktische Vernunft verlangt, dass sich das Subjekt selbst als handelndes, das heißt als zweckorientiertes und verwirklichendes Wesen betrachtet. Es kann sich aber nur als handelnd betrachten, wenn es meint, seine Zwecke in der Natur verwirklichen zu können. Also muss die Naturordnung die Möglichkeit für Handlungen offen lassen, obwohl sie kausal bestimmt ist, und das gelingt, indem sie zugleich als zweckgerichtet verstanden wird.184 Was Hegel nun gegen Kant einwendet, ist, dass Kant die Realität der teleologischen Prozesse in der Welt zurücknimmt. Denn um das Selbstverständnis seiner selbst als handelndes Wesen aufrechtzuerhalten, genügt es, wenn das Wesen die Natur so betrachtet, als ob es in ihr auch die Verwirklichung von Zwecken gäbe. Insofern muss nur an die „Harmonie“, wie Hegel es fasst, zwischen unserer Moralität und der Natur geglaubt werden. Sie ist rein subjektiv für Kant und muss keine ontologische Wahrheit sein.185 Diese Ansicht Kants nimmt 183 Vgl. dazu etwa Jaeschke, Die Vernunft in der Religion, S. 139–144. Dass der Abstand des hegelschen Gottesbegriffes von demjenigen der vorkantischen Metaphysik nicht unüberbrückbar ist, wie Jaeschke meint, kann in der vorliegenden Arbeit nicht in extenso gezeigt werden. Aber indem gezeigt wird, dass Hegel genau die gleichen Probleme der philosophischen Theologie bearbeitet wie die vorkantische Metaphysik, wird auch gezeigt, dass der Abstand alles andere als groß ist. 184 Vgl. Kant, KU, A LI–LV | B LIII–LVII. 185 Vgl. Hegel, Enz. I, § 60, S. 142 f.
4.2. Die Erkennbarkeit des Gottesbegriffs
233
Hegel nun zum Anlass, zu entfalten, dass für den Vergleich zweier Seiten, als in diesem Fall der Moralität des Menschen und der Naturordnung, schon ein Standpunkt eingenommen wird, von dem aus beide verglichen werden. Wenn von diesem Standpunkt also ein Vergleich stattfindet, so ist aber vorausgesetzt, dass beide Seiten von diesem Standpunkt aus zugänglich und erkennbar sind. Das bedeutet, dass sie zumindest die gleiche Eigenschaft haben, epistemisch von ein und demselben Subjekt einsichtig zu sein. Das führt nun nicht zu einer unmittelbaren Lösung des Problems, wie Naturkausalität und moralische Zwecke in einer Ontologie vereint werden können. Aber Hegel führt aus, dass dieses Argument speziell in den Kontexten eine direkte Schlagkraft entfaltet, in denen die Erkenntnis auf eine bestimmte Sphäre eingeschränkt werden soll. Es ist darum die größte Inkonsequenz, einerseits zuzugeben, daß der Verstand nur Erscheinungen erkennt, und andererseits dies Erkennen als etwas Absolutes zu behaupten, indem man sagt, das Erkennen könne nicht weiter, dies sei die natürliche, absolute Schranke des menschlichen Wissens.186
Das bedeute natürlich nicht, dass es nichts Endliches oder Beschränktes geben kann, führt Hegel weiter aus. Aber es entsteht ein anderes Verhältnis zu der eigenen Endlichkeit, wenn diese reflektiert wird. Schon im Selbstgefühl eines Organismus tritt nämlich auf, dass zwar eine Grenze zur Außenwelt gegeben ist, aber weil das Gefühl diese Grenze als Grenze für den Organismus anzeige, zeige es dem Organismus zugleich, dass er in Wechselwirkung mit seiner Umwelt steht, also mit demjenigen, was jenseits seiner Grenze ist. Noch deutlicher ist aber, dass ein Widerspruch auftrete, wenn dem Erkennen behauptet werde, dass das Erkennen begrenzt sei. Denn allein um diese Unterscheidung festzuhalten, müssten sowohl die Seite, die für erkennbar gehalten wird, als auch die Seite, die für unerkennbar erklärt wird, bereits gewusst werden. Schranke, Mangel des Erkennens ist ebenso nur als Schranke, Mangel bestimmt durch die Vergleichung mit der vorhandenen Idee des Allgemeinen, eines Ganzen und Vollendeten. Es ist daher nur Bewußtlosigkeit, nicht einzusehen, daß eben die Bezeichnung von etwas als einem Endlichen oder Beschränkten den Beweis von der wirklichen Gegenwart des Unendlichen, Unbeschränkten enthält, daß das Wissen von Grenze nur sein kann, insofern das Unbegrenzte diesseits im Bewußtsein ist.187
Und noch prägnanter drückt sich Hegel im Zusatz zum § 386 aus: Schon daß wir von einer Schranke wissen, ist Beweis unseres Hinausseins über dieselbe, unserer Unbeschränktheit. [. . . ] Nur der Unwissende ist beschränkt, denn er weiß nicht von seiner Schranke; wer dagegen von der Schranke weiß, der weiß von ihr nicht als von 186
Hegel, Enz. I, § 60, A., S. 143 f. Ebd., § 60, A., S. 144. Die analoge Argumentation findet sich auch in der Seinslogik, die hier aufgrund des innerlogischen Kontextes nicht analysiert wird. Vgl. Hegel, WdL I, S. 118–123 (130–137). 187
234 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik einer Schranke seines Wissens, sondern als von einem Gewussten, als von einem zu seinem Wissen Gehörenden. Nur das Ungewußte wäre ein Schranke des Wissens; die gewußte Schranke dagegen ist keine Schranke desselben; von seiner Schranke wissen heißt daher von seiner Unbeschränktheit wissen.188
Gegen die Behauptung, die Erkenntnis wäre etwa auf Endliches beschränkt, wie es Jacobi meint, wendet Hegel also ein, dass dafür eine Unterscheidung angeführt werden müsse. Aber die Unterscheidung sei eine zweigliedrige Relation. Und weil diese Relation einen Unterschied in den Relata festhalten muss, müssen beide Relata bekannt und verglichen sein. Daher sei also dasjenige, was nach der Behauptung Jacobis nicht gewusst werden kann, bereits ein Bewusstseinsinhalt und schon Gegenstand des Wissens.189 Nun scheint Hegels Argument aber falsch zu sein. Denn zum einen ist es schlicht nicht der Fall, dass ich den Beweis für die Riemann-Hypothese kenne, wenn ich behaupte, ihn nicht zu kennen. Zwar muss ich eine ungefähre Vorstellung von der Riemann-Hypothese haben, aber das bedeutet keinesfalls, dass ich unmöglicher Weise aussprechen kann, dass ich kein Wissen über den möglichen Beweis besitze. Und zum anderen kann auch einfach behauptet werden, dass keine Grenze zwischen zwei Relata behauptet werden soll, sondern dass das Erkenntnisvermögen von innen begrenzt sei: Ob es etwas gebe, was darüber hinausreiche, sei einfach offen. In der Tat wäre Hegels Argument, so verstanden, absurd, denn natürlich kann Hegel nicht Nichtwissen endlicher Subjekte leugnen. Und, wie in seinen Polemiken deutlich wird, leugnet er es auch nicht. Wie muss dann das Argument verstanden werden? Für die Beantwortung dieser Frage wird sich hier auf den ersten Einwand konzentriert. Es soll also deutlich werden, was der Unterschied zwischen konsistenten und inkonsistenten Aussagen über das (eigene) Nichtwissen ist. Der zweite Einwand, der sich agnostisch hinsichtlich des Nicht-Gewussten verhalten möchte, soll hier nicht genauer untersucht werden. Es handelt sich, so viel kann festgehalten werden, allerdings nicht um den Einwand Jacobis, denn diesem geht es gerade nicht darum, eine Form von Agnostizismus oder gar Nihilismus zu begründen, sondern einen Glauben ohne Beweislast plausibel zu machen.190 Daher soll hier nur angemerkt werden, dass eine Begrenzung von Innen nur dann 188
Hegel, Enz. III, § 386, Z., S. 36. Vgl. Hegel, VPR I, S. 116. Vgl. Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 283. Hegel vollzieht diesen Schluss von Bewusstsein von r auf Wissen von r, der nicht einleuchtend ist. 190 Vgl. Sandkaulen, „Fürwahrhalten ohne Gründe. Eine Provokation philosophischen Denkens“. Sandkaulen versucht Jacobi allerdings eher als Vordenker des Existenzialismus denn als religiösen Philosophen zu interpretieren. Denn es sei Jacobi darum gegangen, aus der Lebenspraxis heraus zu denken, anstelle eines trockenen Philosophierens. Aus dieser Praxiserfahrung könne vielleicht eine Religion gewonnen werden, aber es ginge Jacobi nicht um die Dogmen des Christentums. Für die vorliegende Arbeit ist jedoch vor allem interessant, dass Hegel sich gegen das unbegründete Fürwahrhalten Jacobis richtet. Vgl. auch die ausführliche Studie: Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis. 189
4.2. Die Erkennbarkeit des Gottesbegriffs
235
als Begrenzung sinnvoll ist, wenn man zumindest mit der Möglichkeit eines Äußeren rechnet. Wenn die Begrenzung also dadurch begründet wird, dass Erkennen einzig durch Bedingungen und Konstruktion möglich ist, dann wäre das keine Grenze der Vernunft, solange es nichts gäbe, was bedingungslos und nicht-konstruiert wäre. Denn in diesem Fall wäre die Verfahrensweise der Vernunft beschrieben, und diese wäre zudem den Dingen und Gegenständen völlig adäquat. Offenbar kann es Hegel nicht um Sätze der Form gehen: ‚Ich kenne den Beweis für die Riemann-Hypothese nicht‘ oder ‚Person x weiß nicht, was unter dem Gottesbegriff zu verstehen ist‘. Übersetzt man diese Sätze in das von Hegel verwendete Vokabular von ‚Grenzen‘, so akzeptiert Hegel: ‚Das Wissen der Person x ist hinsichtlich eines Gegenstands y begrenzt‘. In dieser Formulierung sieht Hegel nun, wie er im obigen Zitat sagt, keinen Widerspruch.191 Das Problem, so scheint es Hegel zu suggerieren, kommt dann auf, wenn von der eigenen Begrenztheit gewusst wird.192 Aber hier scheint nun sein Fehler zu liegen, denn es ist in folgendem Satz kein Widerspruch gegeben: ‚Person x weiß, dass sein Wissen hinsichtlich eines Gegenstandes y begrenzt ist‘. Der Fehlschluss, den Hegel zu begehen scheint, wenn er annimmt, dass das ‚Sein im Bewusstsein‘ – die bloße Bezugnahme auf den Gegenstand y – hinreichend ist, um vollständiges Wissen von dem Gegenstand zu haben, ist der folgende: Aus dem Inhalt des Wissens, dem de dicto-Teil des Satzes, wird auf eine de re-Bezugnahme geschlossen: ‚Person x weiß über Gegenstand y, dass sein Wissen hinsichtlich des Gegenstandes y begrenzt ist‘. Dieser Übergang ist unproblematisch, weil tatsächlich ein Wissen über eine Eigenschaft des Gegenstandes y vorliegt, nämlich, dass er nicht vollständig gewusst wird. Ein Widerspruch würde nun dann auftreten, wenn die Bezugnahme auf den Gegenstand implizieren würde, dass alles über den Gegenstand gewusst wird. Näher an Hegels Formulierung wäre die Annahme, dass das Auftreten im Bewusstsein schon vollständiges Wissen implizierte. Und in diesem Fall könnte tatsächlich nicht auf den Gegenstand y Bezug genommen werden und zugleich mangelndes Wissen konstatiert werden. Aber genau das ist nicht der Fall. Es ist eben nicht unmöglich, auf einen Gegenstand Bezug zu nehmen, ohne vollständiges Wissen über ihn zu haben. Daher scheint Hegels Argument, dass allein aus dem Wissen einer Grenze des Wissens auf die vollständige Bekanntheit des Gegenstandes geschlossen werden kann, falsch zu sein. Nun muss natürlich die Frage gestellt werden, ob Hegel nicht anders verstanden werden kann. Und der erste Schritt ist, einen Fall zu suchen, in dem ein Widerspruch in dem Satz ‚Person x weiß über Gegenstand y, dass sein Wissen 191 Siehe Hegel, Enz. III, § 386, Z., S. 36: „Nur der Unwissende ist beschränkt, denn er weiß nicht von seiner Schranke[.]“ 192 Siehe ebd., § 386, Z., S. 36: „[W]er dagegen von der Schranke weiß, der weiß von ihr nicht als von einer Schranke seines Wissens, sondern als von einem Gewussten, als von einem zu seinem Wissen Gehörenden.“
236 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik hinsichtlich des Gegenstandes y begrenzt ist‘ auftritt. Wann kommt es also zu einem Widerspruch? Ein Hinweis findet sich in dem obigen Zitat, in dem es heißt, dass es widersprüchlich sei, „dies Erkennen als etwas Absolutes zu behaupten“193 und zugleich als beschränkt zu bezeichnen. Wenn nämlich die Behauptung des Nicht-Wissens stärker gefasst wird, so lassen sich doch zwei Fälle ausmachen, in denen ein Widerspruch auftritt, wie ihn Hegel zu meinen scheint: 1. Zum einen tritt ein Widerspruch auf, wenn das prinzipielle Nicht-wissen-Können behauptet wird. Denn es müsste so folgender Satz gelten: ‚Person x weiß über Gegenstand y, dass sein Wissen hinsichtlich des Gegenstandes y prinzipiell unmöglich ist‘. Hier ist aber tatsächlich ein Widerspruch gegeben, weil der erste Teilsatz bereits ein Wissen über Gegenstand y behauptet, dass im zweiten Teil des Satzes für unmöglich erklärt wird. 2. Und zum anderen tritt ein Widerspruch auf, wenn ein vollständiges Nichtwissen behauptet wird. Denn dann müsste der folgende Satz gelten: ‚Person x weiß über Gegenstand y, dass sie hinsichtlich des Gegenstandes y nichts weiß‘. Auch hier ist klar, dass der Widerspruch zwischen dem ersten Teilsatz, der bereits ein Wissen über den Gegenstand aussagt, und dem zweiten Teilsatz besteht. Der Punkt ist also derjenige, dass auf ein bestimmtes Objekt Bezug genommen wird und zugleich jegliches Wissen über dieses Objekt bestritten wird. So tritt nämlich ein zweifacher Widerspruch auf: Zum einen setzt die Bezugnahme voraus, dass bereits hinreichend viel über das Objekt der Bezugnahme bekannt ist, um auf dieses Bezug zu nehmen. Und zum anderen ist das Wissen der Unbekanntheit des Gegenstandes schon ein Fall von Wissen. Und wenn schon ein Fall von Wissen vorliegt, kann Wissen nicht prinzipiell unmöglich sein oder vollständig abgehen. Was Hegel also mit dem Argument zeigen möchte, ist, dass dem Erkennen keine prinzipiellen Grenzen gesetzt werden können, weil immer schon eine mentale Bezugnahme vorliegt, wenn von einem Gegenstand behauptet wird, er sei vollkommen unintelligibel. Insofern zeigt Hegel die prinzipielle Intelligibilität, auch wenn natürlich einzelne Subjekte vieles nicht wissen und vielleicht auch aus kontingenten Gründen nicht wissen können. Aber das bedeutet eben nicht, dass die Erkenntnismöglichkeiten prinzipiell begrenzt sind, sondern in der Behauptung, dass etwas Bestimmtes jenseits der Grenze des Erkennens liege, sind schon rudimentäre Bestimmungen auf dieses Jenseits angewandt. Und insofern ist man immer schon über die Grenze hinaus, wie Hegel es formuliert. Ist aber diese Argumentation auf Jacobis Einwand übertragbar? Gilt die Intelligibiltiät auch für Gott und den Gottesbegriff? Das kann bejaht werden, denn Hegel sieht in Jacobis Argumentation den folgenden Widerspruch auftreten: Um zu zeigen, dass der Begriff des Unbedingten oder Gottes nicht begriffen, nicht konstruiert oder aus Bedingungen hergeleitet werden kann, muss Jacobi schon mit 193
Hegel, Enz. I, § 60, A., S. 143.
4.2. Die Erkennbarkeit des Gottesbegriffs
237
dem Begriff sinnvoll umgehen können, das heißt, er hat den Begriff schon rational verstanden und kann daher über das Verhältnis von Bedingungen, Erklärungen und dem Unbedingten nachdenken. Damit ist aber die Intelligibilität Gottes selbst vorausgesetzt, wenn auch vielleicht eine andere Art des Begreifens für das Unbedingte in Anschlag gebracht werden muss. Nun gibt Jacobi eine Gewissheit Gottes, ein Auftreten einer Vorstellung Gottes ja durchaus zu. Nur verdanke sich diese nicht der Rationalität, sondern sie werde vorgefunden.194 In seinen Vorlesungen zur Philosophie der Religion von 1827 setzt sich Hegel ausführlich mit dem Verhältnis von Wissen, unmittelbarer Gewissheit und Gefühl auseinander, die alle in der religiösen Erfahrung wichtig sind und eine gewisse Rolle spielen. Entscheidend für Hegels Auseinandersetzung ist nun, dass er subjektive Gewissheit und Gefühl zugestehen kann, ohne diese gegen das vernünftige und durch Gründe vermittelte Wissen auszuspielen.195 Hegel nimmt Jacobis Gedanken und Einwände zum Anlass, seine eigene philosophische Position und Haltung zur philosophischen Theologie zu formen, wie etwa sein andauerndes Interesse an Jacobis Arbeiten zeigt. So stellt Hegel bekanntlich in der Dritten Stellung des Gedankens zur Objektivität das ‚unmittelbare Wissen‘ seiner eigenen Logik voran und sieht in dieser Position, für die nach Hegel unter anderem Jacobi steht, zwar eine einseitige Position, die aber in ihrer Suche nach Unmittelbarkeit durchaus berechtigt ist. Allerdings hebt Hegel zwei Mängel am unmittelbaren Wissen hervor, die er vermeiden möchte. 1. Das unmittelbare Wissen sehe zwar zurecht Begründungsprobleme in der Philosophie, aber der Ausweg, ein unmittelbares Wissen ohne Gründe und Rechtfertigung anzunehmen, in dieses zu springen, führt mit sich, dass Beliebiges auf diese Weise als wahr behauptet werden kann. Wenn also auf die Begründungsprobleme, etwa das Münchhausentrilemma reagiert wird, indem der Begründungsregress willkürlich abgebrochen wird und etwas Bestimmtes zum unmittelbaren Wissen erklärt wird, so ist dieser willkürliche Akt an jeder Stelle und mit jeglichem Inhalt möglich. Das führt natürlich dazu, dass widersprechende Behauptungen sich gleichermaßen als ein solches Wissen ausgeben können, was einer reductio ad absurdum gleichkommt.196 2. Und der Grund der Beliebigkeit dessen, was als unmittelbares Wissen ausgegeben wird, ist der Verzicht auf Begründung. Denn die Unmittelbarkeit wird gerade gegen die Vermittlung, verstanden als die Angabe von Bedingungen und Gründen, behauptet. Das akzeptiert Hegel aber nicht für die Philosophie: Die Philosophie gestattet nämlich nicht ein bloßes Versichern, noch Einbilden, noch beliebigen Hin- und Herdenken des Räsonnements.197 194 Vgl. Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in den Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, S. 287/152 f./423 f. 195 Vgl. Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 289 f. 196 Vgl. Hegel, Enz. I, § 72, S. 162 f. 197 Ebd., § 77, S. 167.
238 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik Jedoch sieht Hegel in der Entgegensetzung von sich leerlaufender Begründung und Vermittlung und einem Abbruch aller Begründung in der Unmittelbarkeit keine erschöpfende Disjunktion. Für die Philosophie könnten beide keine Gegensätze bilden, so formuliert er es im § 78 der Enzyklopädie.198 Aber immerhin gibt Hegel Jacobi in der 13. der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes zu, dass es eine Spannung zwischen der Begründung durch Bedingungen und einer Begründung des Absoluten gibt. Aber weil für die Philosophie ein Verzicht auf Begründungen eben nicht infrage kommt, sieht Hegel im salto morale ebenso einen Fehler. Dieser könne aber umgangen werden, weil der Beweisinhalt, das Absolute, die Form des Beweisens und Erkennens korrigiere: Es ist nicht das Absolut-Notwendige, es ist nicht Gott, der als ein Vermitteltes durch Anderes, als ein Abhängiges und Bedingtes gedacht werden solle. Es ist der Inhalt des Beweises selbst, welcher den Mangel korrigiert, der allein an der Form sichtbar wird. [. . . ] Dieser Inhalt ist selbst nicht formlos in sich, was wir auch in der Bestimmung desselben gesehen; seine eigene Form, als die Form des Wahrhaften, ist selbst wahrhaft, die von ihm abweichende daher das Unwahrhafte.199
Doch wie korrigiert der Inhalt des Beweises des Absoluten die Beweisform? Darauf kann hier noch keine abschließende Antwort gegeben werden.200 Es kann nur thetisch angeführt werden, dass Hegel aus dem Begriff des Absoluten die Form des Beweises entwickelt. Denn in der genannten Vorlesung kommt er auf die Struktur des absolut Notwendigen, das nur durch einen negativen Beweis fassbar ist, und zwar deswegen, weil es als Absolutes schlicht uneingeschränkt, selbst noch in seiner Negation gültig ist. So schreibt Hegel: Die in sich schlechthin eine Bestimmung, welche in jenem Satze die beiden Unterschiedenen zusammen ausmachen, ist das Absolut-Notwendige, dessen Namen sogleich es als das Einzige was wahrhaft ist, als die einzige Wirklichkeit ausspricht; [von] dessen Begriff haben wir gesehen, daß er die in sich zurückgehende Vermittlung, die Vermittlung nur mit sich durch das Andere, von ihm Unterschiedene [ist], das eben in dem Einen, dem Absolut-Notwendigen, aufgehoben, als Seiendes negiert, nur als Ideelles aufbewahrt ist.201
Das Thema des negativen Beweises wird unten noch ausführlich behandelt, zumal Hegel seiner Logik die Form eines negativen Beweises verleiht. Hier ist aber festzuhalten, dass Hegel also die Beweisbarkeit des Absoluten und damit Gottes annimmt, und zwar gerade weil sich nicht jede Argumentation in einen unendlichen Regress verliert. Und a fortiori hält Hegel das Absolute und mithin Gott für prinzipiell intelligibel. Jedenfalls akzeptiert Hegel die Trennung von endlichem Erkennen und Unendlichem nicht, weil diese Trennung, indem sie gezogen wird, schon von 198 199 200 201
Vgl. Hegel, Enz. I, § 78, S. 167 f. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 462. Vgl. unten Abschnitt 9. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 464.
4.2. Die Erkennbarkeit des Gottesbegriffs
239
einem Standpunkt aus geschieht, der beide Seiten überschaut und begreift.202 Diese Trennung sei lediglich für den Verstand festzuhalten,203 aber insofern der Mensch Geist ist, sei die Trennung schon immer überwunden, und so schreibt er gegen Feuerbach avant la lettre: Daß der Mensch von Gott weiß, ist nach der wesentlichen Gemeinschaft ein gemeinschaftliches Wissen, – d. i. der Mensch weiß nur von Gott, insofern Gott im Menschen von sich selbst weiß; dies Wissen ist Selbstbewußtsein Gottes, aber ebenso ein Wissen desselben vom Menschen, und dies Wissen Gottes vom Menschen ist Wissen des Menschen von Gott. Der Geist des Menschen, von Gott zu wissen, ist nur der Geist Gottes selbst. Hierher fallen dann die Fragen von der Freiheit des Menschen, von der Verknüpfung seines individuellen Wissens und Bewußtseins mit dem Wissen, in dem er in Gemeinschaft mit Gott ist, von dem Wissen Gottes in ihm.204
Was Hegel also deutlich festhält: Nicht alles mentale Geschehen im Menschen ist der Erkenntnis Gottes fähig, aber es gibt doch eine Art und Weise, durch welche das Absolute denkend erkannt werden kann. Daher ist die Erkenntnis zugleich eine Erhebung, weil diese Erkenntnis nicht trivial ist, und dennoch ist sie nur möglich, insofern sich im Menschen das Denken vollzieht, das durch die absolute Notwendigkeit, durch Gott, bedingt ist. Und so kann Erkennen Gottes stattfinden, weil es letztlich der göttliche Geist ist, der sich im subjektiven Erkennen vollzieht und realisiert – das ist Hegels Version von Calvins testimonium Spiritus sancti internum.205 Und diese Erhebung ist Sache des Denkens, das das Thema der WdL ist. Es ist hierüber zur Genüge gezeigt worden, daß diese Erhebung – sie sei in der Empfindung oder im Glauben, oder wie die Weise ihres geistigen Daseins bestimmt werde – im Innersten des Geistes auf dem Boden des Denkens geschieht; die Religion als die innerste Angelegenheit des Menschen hat darin den Mittelpunkt und Wurzel ihres Pulsierens. Gott ist in seinem Wesen Gedanke, Denken selbst, wie auch weiter seine Vorstellung und Gestaltung sowie die Gestalt und Weise der Religion als Empfinden, Anschauen, Glauben, usf. bestimmt werde. Das Erkennen tut aber nichts, als eben jenes Innerste für sich zum Bewußtsein zu bringen, jenen denkenden Puls denkend zu erfassen. Das Erkennen mag hierin einseitig sein und zur Religion noch mehr und wesentlich Empfindung, Anschauen, Glauben gehören, so wie zu Gott noch weiteres als sein denkender und gedachter Begriff; aber dieses Innerste ist darin vorhanden, und von diesem zu wissen, heißt, es denken, und Erkennen überhaupt heißt nur, es in seiner wesentlichen Bestimmtheit zu wissen.206
Und diesen ‚denkenden Puls denkend zu erfassen‘ und damit ‚jenes Innerste zu Bewusstsein zu bringen‘, unternimmt die WdL. Und auch wenn damit keine
202
Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 470 f. Vgl. ebd., S. 478 f. 204 Ebd., S. 480. Vgl. dazu Lauer, „Hegel on Proofs for God’s Existence“, S. 447. 205 Vgl. Calvin, Institutio, Buch I, Kap. 7, 4, S. 25 f. Vgl. Hegel, VPR I, S. 40. Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 46 (22). Vgl. auch ebd., S. 285 (96). 206 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 472 f. 203
240 4. Grundlegung der Philosophie und philosophischen Theologie in der Wissenschaft der Logik vollständige Erkenntnis Gottes verbunden ist,207 so ist in ihr doch der Kern des philosophischen Gottesbegriffs so weit erkennbar, dass er in den Augen Hegels hinreicht, um das Thema Gottesbeweise anzugehen.208 Damit handelt Hegel in der WdL also vom Erkennen Gottes und setzt sich folglich mit zwei der wichtigsten Einwände gegen den OGB auseinander, die sich auf den Begriff Gottes beziehen. Denn schon Caterus hatte in seinen Einwänden gegen Descartes den Verdacht erhoben, dass dieser Begriff und seine Bestimmungen willkürlich sein könnten, was dem Gottesbeweis die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit nehmen würde. Und ein weiteres, wichtiges Problem, das vor allem von Leibniz klar herausgearbeitet wurde, besteht in der Frage, ob Gott überhaupt möglich ist oder ob der Gottesbegriff einen Widerspruch einschließt, was den Beweis ungültig werden ließe. Beide Probleme sollen im Folgenden näher beleuchtet werden, um darauf Hegels Antwortstrategie darzustellen.
207
Vgl. Hegel, VPR I, S. 33. Vgl. Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 35 (8 f.). Siehe Hegel, VPR I, S. 32 f.: „Sonach hat es die Bedeutung, daß der Begriff angegeben werden soll, und so ist der Begriff die Bedeutung; es ist das Absolute, die im Gedanken gefaßte Natur Gottes, das logische Wissen desselben, was wir haben wollen. Dies ist die eine Bedeutung der Bedeutung, und insofern ist das, was wir das Absolute nennen, gleichbedeutend mit dem Ausdruck Gott.“ Vgl. Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 34 (7). 208
Teil III.
Hegels Lösungsstrategie für das Willkürlichkeitsund Konsistenzproblem des Gottesbegriffs
5 Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs Im vorhergehenden Abschnitt dieser Studie wurden die Grundzüge der hegelschen Philosophie dargestellt, die für die Konzeption einer Wissenschaft der Logik entscheidend sind. Aus Hegels Kritik an der kantischen Philosophie und der vorkantischen Metaphysik zieht Hegel bemerkenswerte Schlüsse. Denn es kommt für ihn nicht in Frage, hinter die kantische Systematik und ihren Anspruch, die Erkenntnis zu begründen, zurückzufallen. Jedoch meint Hegel insofern über Kant hinauszugehen, als dass er Erkenntnis reflexiv fundieren möchte, was bedeutet, dass die Philosophie sich selbst mitsamt ihrer Methoden begründen muss. Und weil damit Wissen überhaupt begründet wird, verbindet Hegel mit diesem transzendentalphilosophischen Anliegen den Versuch der Letztbegründung. Doch dabei muss die kantische Philosophie radikal umgestaltet werden. So lässt Hegel etwa den Versuch fallen, die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis in Form von subjektiven Akten und transzendental-psychologischen Vermögen zu suchen. Stattdessen meint er, eine Selbstbegründung müsse auf der Ebene der reinen Denkgehalte stattfinden, ohne die sich Denkakte erst gar nicht thematisieren lassen. Dabei handelt es sich analog zu Kants Kategorien um Gehalte des reinen Denkens, weil sie insofern grundlegend sind, da von ihnen nicht abstrahiert werden kann – sie stellen die idealen Begriffe dar, die in jedem Denken und noch im Bestreiten dieser Begriffe vorausgesetzt werden müssen. Jedoch meint Hegel, dass ihr Skopus – zumal sie letztbegründet werden sollen – nicht eingeschränkt werden kann, ohne einen Selbstwiderspruch zu begehen. Daher soll hinsichtlich der logischen Bestimmung die Unterscheidung von Ding-an-sich und Erscheinung sinnlos sein. Und weil diese Bestimmungen folglich auch für alle Gegenstände möglichen Wissens gelten, bilden sie die ideale Struktur, die ebenso den Naturgegenständen wie dem menschlichen Geist und seinen Erzeugnissen zugrunde liegt. Und diese Struktur soll in der WdL ausgeführt werden. Doch mit dieser Veränderung der Problemstellung hin zur Letztbegründung von Kategorien und Propositionen sowie zur Selbsteinholung der Philosophie muss auch der Bereich des möglichen Wissens im Vergleich zur kantischen Philosophie weiter gefasst werden. Und durch diese Erweiterung wird die philosophische Theologie wieder ein mögliches Thema philosophischen Denkens. Denn wenn die Logik ohnehin letztbegründet werden soll, so muss sie letztlich absolut gelten. Und damit
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
ist das entscheidende Thema der philosophischen Theologie angeschnitten. In der Logik will Hegel daher zugleich philosophisch-theologische Gehalte entfalten, was sogar den Anspruch auf vollständige Intelligibilität des Gottesbegriffs impliziert, wie argumentiert wurde. Und zugleich werden damit die Gottesbeweise rehabilitiert, ohne die gleichen Begründungswege zu wählen, welche die vorkantische Metaphysik eingeschlagen hatte. Denn die philosophische Theologie muss mit dem Projekt der WdL verbunden werden, so Hegels Gedanke, wenn ihr absolute Geltung zukommen soll. Nachdem so der Hintergrund von Hegels Behandlung der philosophischen Theologie dargestellt wurde, widmet die vorliegende Untersuchung sich im Folgenden Hegels Überlegungen zu Grundproblemen des OGB. Da Hegel in der WdL Grundprobleme des OGB behandelt, ohne das immer explizit zu machen, werden zunächst zwei klassische Einwände gegen den OGB erläutert, um anschließend zu zeigen, wie Hegel mit seinem speziellen Ableitungsverfahren für die logischen Kategorien auf diese Einwände eingeht. Die Grundidee ist dabei, dass das Ableitungsverfahren zugleich die Weise ist, durch die der Gottesbegriff intelligibel wird, wie Hegel meint. Nun bedeutet die Intelligibilität des Gottesbegriffs, den Hegel auch den logischen Begriff * nennt, natürlich nicht, dass es leicht ist, diesen zu erkennen. Und mit Hegels Argumentation ist noch wenig über die Art und Weise der Erkenntnis, also deren Methode und Verfahren ausgesagt. Da die Erkenntnis des Absoluten mit der WdL übereinfällt, wie in Abschnitt 4.1 argumentiert wurde, ist die Methode der Logik zugleich die Methode der Erkenntnis des Absoluten, mithin Gottes. In dieser Hinsicht wurde allerdings dargestellt, dass die WdL aufgrund ihres Letztbegründungsanspruchs nicht in eine Methode und einen Gegenstand zerfällt, die unabhängig voneinander betrachtet werden können. Aus dem Absolutheitsanspruch ergibt sich, dass eine unabhängige Methode selbst als eine Bedingung des Absoluten betrachtet werden müsste, was diesem widerspricht. Denn eine letztbegründete Wahrheit wäre nicht letztbegründet, wenn sie nur relativ zu einer Methode oder bestimmten Vorannahmen gültig wäre, die auch bestritten werden können. Daher müssen in der WdL Methode und Gegenstand zusammenfallen. Das bedeutet für Hegel, dass die Logik ihre eigene Methode expliziert und ihren Begründungszusammenhang erweist. Daraus resultieren natürlich Schwierigkeiten in der Rekonstruktion der WdL, besonders weil der vollständige Nachvollzug des logischen Kategoriennetzes und die Methodeneinsicht zusammenfallen. Denn ein unvollständiger Nachvollzug kann nicht den Charakter der Vorläufigkeit abstreifen. Dennoch ist diese vorläufige Darstellung möglich, da die Logik immer schon anwesend ist, „zunächst in der S p r a c h e des Menschen herausgesetzt und niedergelegt“1 ist und wir insofern
1
Hegel, WdL I, S. 10 (XVI), Z. 24 f.
5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
245
immer schon über ein Vorverständnis verfügen, auch ohne dass deswegen schon vollständige Erkenntnis vorliegt.2 Die Methode der WdL bildet also den entscheidenden Schritt zur tatsächlichen Erkenntnis des Absoluten. Damit macht sie den ersten, notwendigen Schritt zum OGB, denn wie Hegel in der siebten der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes argumentiert, sind zunächst zwei Aspekte für die Gottesbeweise entscheidend.3 Bei dem Glauben, daß Gott ist, gerät dieses Auseinanderlegen sogleich darauf, was schon beiläufig berührt und hier näher vorzunehmen ist; es zu unterscheiden, was Gott ist, von dem daß er ist.4
Jedoch ist bei der Beantwortung der Frage, was Gott ist, die Schwierigkeit zu berücksichtigen, dass eine bloße Aufzählung von Eigenschaften oder, wie unten dargestellt wird, eine Definition dem Beweisanspruch des OGB nicht genügen kann. Es ist aber der Gedanke der Selbstbestimmung in der Logik, der den Weg zur Darlegung dessen, was unter der Vorstellung philosophisch zu verstehen ist, leitet. Mit der Klärung des Gottesbegriffs sind nun zwei klassische Probleme der philosophischen Theologie verbunden: 1. Zum einen reagiert Hegel auf die Frage, ob der Gottesbegriff nicht eigentlich als willkürlich zu betrachten ist.5 Diese Frage hatte Caterus kritisch gegen Descartes gerichtet um den Status der ‚Idee‘ Gottes zu unterminieren. Denn Descartes OGB baut darauf auf, dass die Idee Gottes clare et disctincte im Denken vorgefunden wird. Ist sie selbst jedoch nicht notwendig gegeben, so ist auch die Notwendigkeit der Eigenschaften, welche der Idee inhärieren, betroffen. Damit stellt sich etwa im Fall der traditionellen Gottesprädikate die Frage, warum ausgerechnet Allgüte, Allmacht und Allwissen das Wesen Gottes ausmachen und nicht etwa vollkommene Empathie, vollkommene Schönheit und vollkommene Muskelkraft – es muss also erklärt werden, warum solche Bestimmungen legitimer Weise und nicht aus willkürlichen Gründen auf Gott angewendet werden können. 2. Zum anderen versucht Hegel das Problem zu lösen, das vor ihm prominent Leibniz erkannt und aus dem Weg zu räumen versucht hat: Um den OGB erfolgreich führen zu können, muss die Möglichkeit Gottes garantiert sein. Diese ist nicht selbstverständlich, denn es ist nicht offensichtlich, warum diese Gottesprädikate nicht vor Widersprüche führen, was etwa in der bekannten Frage, ob Gott nicht durch seine Allmacht selbst etwas schaffen können müsste, was er selbst nicht
2 Siehe ebd., S. 12 (XIX), Z. 7: „[. . . ] was b e k a n n t ist, darum nicht e r k a n n t [. . . ].“ Vgl. auch Wandschneider, „Letztbegründung unter der Bedingung endlichen Wissens. Eine Hegel’sche Perspektive“. 3 Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 391–399. 4 Ebd., S. 392. 5 Vgl. dazu Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“, S. 251–256. Dass schon Kant dieses Problem behandelt und zeigen will, dass der Gottesbegriff als notwendig aus der Vernunft hervorgeht, ist oben dargestellt worden. Vgl. Abschnitt 1.2.1.
246
5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
mehr beherrschen kann.6 Und auch im Theodizeeproblem scheint der Verdacht eines Widerspruches der traditionellen Gottesprädikate durch, weil entweder das gewusste Böse nicht verhindert wird oder das Böse nicht gewusst wird, was zur Infragestellung der Allmacht beziehungsweise des Allwissens veranlasst.7 Die Möglichkeit Gottes zu beweisen, ist aber ein ebenso, wenn nicht sogar ein komplizierteres Unterfangen, als den OGB über das ens necessarium zu führen. Denn die Möglichkeit Gottes scheint nur dann garantiert zu sein, wenn der Begriff Gottes widerspruchsfrei ist, denn nur was nicht widersprüchlich ist, ist logisch möglich.8 Daher muss der Beweis die Widerspruchsfreiheit des Gottesbegriffs zeigen. Diese Widerspruchsfreiheit versucht Leibniz nun über die Annahme von positiven Prädikaten zu beweisen, die einander nicht widersprechen können. Hegel sieht diese Lösung, die er wohl nur vermittelt über die wolffsche Philosophie und Kants Argumentation in der KrV kannte, als zu formal an, um überzeugen zu können. Die Vorstellung des Gottesbegriffs als einer Menge positiver Prädikate führe letztlich zur Elimination aller Unterschiede in Gott, und damit bliebe „am Ende nur die leere Abstraktion des unbestimmten Wesens, der reinen Realität oder Positivität, das tote Produkt der modernen Aufklärung“9 . Beide Probleme sollen zunächst dargestellt werden. Da Hegel zwar beide ernst nimmt und in seiner WdL behandelt, aber nicht immer ausdrücklich auf Descartes oder Leibniz verweist, wird jeweils gezeigt, inwiefern Hegel das Problem aufgreift und die Lösungsversuche seiner Vorgänger zurückweist. Wie Hegel diese Voraussetzungen des OGB in die Methodik der Logik hineinträgt, wird dann im folgenden Abschnitt 6.2 genauer dargestellt. Weil in der vorliegenden Arbeit aber nicht ausschließlich die Methode der WdL thematisiert werden soll – was für sich schon ein ambitioniertes Projekt wäre – und weil Hegels eigene Methodenreflexion zwar interessant, aber nicht hinreichend ist, wird für das genauere Verständnis 6
Vgl. unten S. 280. Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 530: „Die Realitäten sollen demnach in Gott nur nach der affirmativen Seite genommen werden, schrankenlos, so daß die Negation weggelassen werden soll. Es ist leicht aufzuzeigen, daß dann nur die Abstraktion des mit sich Einen übrig bleibt; denn wenn wir von Realitäten sprechen, so sind das unterschiedene Bestimmungen, als Weisheit, Gerechtigkeit, Allmacht, Allwissenheit. Diese Bestimmungen sind Eigenschaften, die leicht als im Widerspruch miteinander stehend aufgezeigt werden können: die Güte ist nicht die Gerechtigkeit; die absolute Macht widerspricht der Weisheit, denn diese setzt Endzwecke voraus, die Macht dagegen ist das Schrankenlose der Negation und Produktion.“ Vgl. dazu Hans Jonas, der in seinen beeindruckenden Gedanken angesichts der Übel in der Welt nicht umhin kommt, von einer ‚ohnmächtigen Gottheit‘ auszugehen. Vgl. Jonas, Materie, Geist und Schöpfung, S. 54–61 und Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz, S. 33–42. Vgl. dazu die Kritik in Hermanni, „Abschied vom Theismus? Die Theodizeeuntauglichkeit der Rede vom leidenden Gott“, S. 165–172. 8 In seiner Modalauffassung ist Leibniz sicher ein Vorläufer der modernen Modallogik und dieser deutlich näher als etwa Hegel. 9 Hegel, Enz. I, § 36, A., S. 103. 7
5.1. Das Willkürproblem
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der Methode der Logik auf zeitgenössische Interpretationen und Darstellungen eingegangen. Hier ist vor allem der Ansatz von D. Wandschneider interessant, da er sowohl an Präzision als auch an kritischem Potential herausragt. Zunächst jedoch zum Problemaufriss bei Descartes und anschließend bei Leibniz.
5.1 Das Problem der Willkürlichkeit des Gottesbegriffs Um Hegels Strategie hinsichtlich des OGB angemessen verstehen zu können, ist es sinnvoll, die Problemstellungen in Erinnerung zu rufen, die sich schon aus der Bestimmung des Gottesbegriffs ergeben.10 Nun ist Hegels Anspruch nicht nur, dass das Erkennen des Gottesbegriffs möglich ist, es also kein Geheimnis in Gott gibt.11 Hegel geht darüber hinaus und möchte die notwendigen ‚Eigenschaften‘ Gottes, also die Bestimmungen des Absoluten in ihrem notwendigen Zusammenhang in der WdL darlegen. Daher schreibt er in der enzyklopädischen Logik: „[D]ie logischen Bestimmungen überhaupt können als Definitionen des Absoluten, als die metaphysischen Definitionen Gottes angesehen werden[.]“12 Damit versucht Hegel eine Lösung für das Problem zu finden, das prominent in der Diskussion zwischen Descartes und Caterus hervorgetreten ist.13 Descartes ist in der Geschichte der Gottesbeweise eine besondere Stellung sicher, da er in den Meditationen eine Variante des OGB präsentiert, die nicht in der anselmschen Formulierung impliziert ist.14 Der OGB in den Meditationen folgt auf die Einsicht, dass durch systematischen Zweifel eine unbezweifelbare Einsicht erlangt werden kann: Descartes’ berühmtes ‚cogito, (ergo) sum‘. Dieses fundamentum inconcussum sucht Descartes bekanntlich durch den methodischen Einsatz des Zweifelns15 und erreicht es, indem er einen pragmatischen Widerspruch isoliert, nämlich dass„dieser Grundsatz Ich bin, ich existiere, sooft er von mir ausgesprochen oder durch den Geist begriffen wird, notwendig wahr ist[.]“16 Denn sobald an der eigenen Existenz gezweifelt wird, wird versucht, eine pragmatisch-notwendige Voraussetzung des Zweifelns zu negieren, was den Zweifel selbst unmöglich macht. Insofern ist die 10 Dass der Gottesbegriff eine Kernprämisse des OGB bildet, ist Kants Raster für die Unterscheidung der Gottesbeweise entnommen. Vgl. oben Abschnitt 1.3. 11 Vgl. dagegen Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. 12 Hegel, Enz. I, § 85, S. 181. 13 Vgl. Wood, Kant’s Rational Theology, S. 116–119. 14 Vgl. zur Innovation Descartes’ in Bezug auf den OGB Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 10–22. Hegel lobt Descartes ausdrücklich für seinen Gottesbeweis: „Es ist eben so bekannt, daß der erhabenste Gedanke Deskartes, daß der Gott das ist, d e s s e n B e g r i f f s e i n S e y n i n s i c h s c h l i e ß t[.]“ (Hegel, WdL II, S. 127 (192), Z. 11–13). 15 Vgl. für eine Übersicht über die historischen Einflüsse für Descartes’ Methode Mercer, „The Methodology of the Meditations: tradition and innovation“. 16 Descartes, Meditationen, S. 28.
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
Negation der eigenen Existenz, solange man Denkakte und Zweifel vollzieht, nicht konsistent aussagbar.17 Bekanntlich ist das Problem Descartes’ nun allerdings, dass der Zweifel so systematisch eingesetzt wurde, dass sichere Erkenntnis auf dieses schmale Fundament zusammengeschmolzen ist. Und daher stellt sich die Frage, wie die Erkenntnis wieder erweitert werden kann. Ein sinnvoller Schritt, den Descartes geht, besteht darin, die Argumente, die im Zweifel gegen Erkenntnisarten vorgebracht wurden, zu entkräften. Und zunächst kann dasjenige des genius malignus, mit dessen Annahme mathematische (und logische) Wahrheiten bezweifelt wurden, attackiert werden. Denn dessen Existenz ist ja keinesfalls gewiss, sondern nur hypothetisch im methodischen Zweifel angenommen worden. Es stellt sich also vom cogito-Satz ausgehend die Frage, ob es überhaupt einen solchen genius malignus geben kann. Descartes greift in diesem Rahmen in der dritten Meditation auf einen Gottesbeweis zurück, der eine Mischung aus ontologischem und kosmologischem Beweis bildet. Denn, was im Denken und Zweifeln zudem gegeben ist, sind Gedanken, ‚Ideen‘, die zwar möglicherweise falsch sind, also nicht auf etwas Extramentales referieren, aber dennoch Bestandteile des Bewusstseinsstroms und des Denkens sind. Die Ideen sind aber potentielle Repräsentanten von Einzeldingen; Descartes nennt „einen Menschen, eine Chimäre, den Himmel, einen Engel oder auch Gott“ als Bilder von möglichen Gegenständen.18 Davon sind im Bewusstseinsstrom „Willensäußerungen oder Gemütsbewegungen“ zu unterscheiden, die allgemein als „Aktcharakter“ gefasst werden können, um Husserls Terminologie zu bemühen19 – es ist die Art und Weise eines möglichen Bezugs auf einen Gegenstand: ‚wollend, fürchtend, bejahend, verneinend‘ nennt Descartes als Beispiele.20 So weit geht Descartes davon aus, dass sich am Vorhandensein der Ideen als Bestandteile des Denkens nicht zweifeln lässt, so dass ihm dieser Schritt erlaubt ist, ohne mit seiner Methode zu brechen.21 Um nun festzustellen, welche Ideen tatsächlich repräsentieren und welche nicht, lassen sich zwei Wege denken: Entweder wir verfolgen die Einwirkung des Dinges auf das Denken und stellen so fest, wie das Ding die entsprechende Idee formt und verursacht.22 Dieser Weg ist natürlich für Descartes nicht möglich, 17 G. Betz argumentiert gegen eine Interpretation, die einen performativen Selbstwiderspruch für zentral hält. Vgl. Betz, Descartes’ „Meditationen“, S. 94. Allerdings versteht Betz diese Interpretation als gegen eine inferentielle Interpretation gerichtet. Dass Descartes eine inferentielle Struktur im Auge hatte, kann Betz am Text hinreichend belegen. Vgl. ebd., S. 89–95. Allerdings scheint diese Frontstellung nicht notwendig zu sein, denn auch ein performatives Argument kann als Argument verstanden werden, zumal es vollständig semantisch explizit gemacht werden kann. Dem scheint Betz auch zuzustimmen: Vgl. ebd., S. 71–74. 18 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 41. 19 Vgl. Husserl, Logische Untersuchungen, Zweiter Band, V., § 20., S. 425–431 (A 385–391 | B 411–416. 20 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 41. 21 Vgl. ebd., S. 39 f.. 22 Vgl. ebd., S. 45 f.
5.1. Das Willkürproblem
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da er mit der Methode des Zweifels brechen würde: Um zu sehen, welche Ideen repräsentieren, wird ein Standpunkt außerhalb der Ideen gesucht, um diese mit dem Gegenstand zu vergleichen.23 Aber Gegenstände können nicht als zweifelsfrei vorausgesetzt werden, wie sich in den ersten Argumentationsschritten der Meditationen gezeigt hat. Also muss ein zweiter Weg beschritten werden, nämlich in der genaueren Untersuchung der Ideen muss sich zeigen, welche repräsentieren und welche nicht. Nun führt Descartes den graduellen Gehalt an „objektiver Realität“ als Unterscheidungsmerkmal zwischen Ideen ein. Eine Idee kann demnach unterschiedlich viel objektive Realität beinhalten, je nachdem ob sie möglicherweise eine Eigenschaft/einen „Modi“ oder aber einen Gegenstand/eine „Substanz“ bezeichnet. Das größte Maß objektiver Realität kommt der Idee zu, in der Gott gedacht wird.24 Unter den Ideen findet sich nun, so Descartes, die Idee Gottes. Und somit kommt auch dieser ein bestimmter Grad an objektiver Realität zu. Der zugrunde liegende Gedanke scheint sich zu erschließen, wenn darauf geachtet wird, dass Descartes von einer Ontologie auszugehen scheint, in der alle Gegenstände in unterschiedlichen Graden am Sein partizipieren, und zwar je nach ihrer Vollkommenheit.25 L. Nolan hebt in seinem Kommentar hervor, dass diese Auffassung heute fremd geworden ist, da Existenz als bivalent aufgefasst wird.26 Aber für Descartes ist etwa der Seinsgrad einer Substanz höher, als der einer Eigenschaft/eines Modus, und das spiegelt sich als Grad der objektiven Realität in den Ideen, die potentiell die Substanzen bezeichnen. Wichtig ist zu beachten, dass mit ‚objektiver Realität‘ nicht extramentale Existenz gemeint ist, sondern eine Art und Weise des Vorhandenseins im Gedankenstrom, wobei der Grad der objektiven Realität dem Existenzgrad des Gegenstandes entspricht, wenn sie korrekt repräsentiert. Die Existenz von Gegenständen außerhalb des Gedankenstroms bezeichnet Descartes, an scholastische Begriffsbildung anschließend, als „formale Existenz“.27 Descartes benötigt in seiner Überlegung noch einen weiteren Schritt, bevor er seinen Gottesbeweis führen kann. So nimmt er ein Kausalprinzip an, das eine Symmetrie zwischen Ursache und Wirkung impliziert. Diese Symmetrie ist als ein Grad der Vollkommenheit oder der Realität zu verstehen, den Ursache und Wirkung teilen müssen. Daher hält es Descartes für unmöglich, dass eine Ursache weniger objektive Realität haben kann als die Wirkung. Dieses Prinzip hat zwei Gründe: Einerseits wäre ohne diese Symmetrie nicht durch die Ursache der Grad der 23
Vgl. Descartes, Meditationen, S. 47 f. Vgl. ebd., S. 46 f. 25 Vgl. Nolan, „The Third Meditation: causal arguments for God’s existence“, S. 136. 26 Siehe ebd., S. 136: „These days philosophers have little sympathy for the claim that reality is scaled. One tends to regard existence in simpler terms: either something exists or it does not.“ 27 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 46. Vgl. auch Nolan, „The Third Meditation: causal arguments for God’s existence“, S. 137. 24
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
objektiven Realität der Wirkung erklärbar. Andererseits wäre im Falle eines äußerst schwachen Seinsgrades sonst eine Verursachung ex nihilo möglich, was Descartes zurückweist.28 Dieses Kausalprinzip gilt nun auch für Ideen. Eine Folgerung, die sich nun für Descartes ergibt, ist, dass die Idee eines vollkommenen Wesens nicht durch das Ich verursacht werden kann,29 da dieses endlich und fehlerhaft ist, was man etwa an der Anfälligkeit für Irrtum und unbewiesenen Überzeugungen sehen kann, die im systematischen Zweifel aufgedeckt wurden.30 Schon aus der Idee Gottes und dem Kausalprinzip folgt, so Descartes, dass Gott auch außerhalb des Denkens gegeben ist. Denn die Idee Gottes, eines vollkommenen Wesens, muss eine Ursache haben, die dem Maß an objektiver Realität in der Idee entspricht. Das eigene Ich kommt dazu ebenso wenig infrage, wie ein unvollkommener Gegenstand, eine endliche Substanz, weil beide nicht das notwendige Maß an ‚formaler Existenz‘ haben, also ihr Seinsgrad nicht der Vollkommenheit entspricht, welche die objektive Realität der Idee Gottes verursachen könnte.31 Neben den Prämissen, die das Kausalmodell und die graduelle Ontologie betreffen, hängt der Beweis also an der Idee Gottes, hinsichtlich derer Descartes sich zunächst selbst einige Einwände macht. Denn auf der einen Seite ist die Denkbarkeit und das Vorhandensein der Idee im Denken vorausgesetzt, auf der anderen Seite muss noch genauer verstanden werden, warum die Idee Gottes nicht doch durch das Erkenntnissubjekt verursacht sein kann. Die epistemischen Bedenken wehrt Descartes in der „dritten Meditation“ mit Hinweisen über die Klarheit und Deutlichkeit ab, mit der die Idee Gottes erfasst werde.32 Dass diese Idee hingegen 28 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 45. Vgl. dazu Nolan und Nelson, „Proofs for the Existence of God“, S. 108 f. Nolan und Nelson bieten eine möglichst plausible und natürliche Interpretation des prima facie nur schwer zu akzeptierenden Kausalprinzips bei Descartes an. Vgl. ebd., S. 109 f. Die Interpretation kommt damit aus, dass alles eine Ursache haben muss, dass eine Idee eines vollkommenen Wesens nicht von einem unvollkommenen Wesen verursacht werden kann und dass Gott das höchste Maß an Realität innewohnt. Natürlich bedürfen auch diese Thesen der Diskussion. Dass Descartes’ Kausalitätsmodell weder dem modernen noch dem aristotelischen entspricht, hält Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 164 fest. Hinter der Annahme, dass nichts aus dem Nichts entstehen kann, sehen einige Kommentatoren Descartes’ Kausalprinzip als eine spezielle Variante des Satzes vom zureichenden Grund. Vgl. etwa Nolan und Nelson, „Proofs for the Existence of God“, S. 109 f. 29 Siehe Descartes, Meditationen, S. 50: „Und daher muß aus dem zuvor Gesagten geschlossen werden, daß Gott notwendig existiert. Denn obwohl zwar die Idee der Substanz allein deshalb in mir ist, weil ich eine Substanz bin, wäre, weil ich endlich bin, die Idee einer unendlichen Substanz deshalb doch noch nicht in mir, wenn sie nicht von irgendeiner Substanz, die tatsächlich unendlich ist, herrühren würde.“ 30 Vgl. auch die interessanten Ausführungen in Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 155–159. 31 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 50. 32 Vgl. ebd., S. 50 f. Descartes meint, es sei für seinen Beweis nicht notwendig, die ganze Idee Gottes zu erkennen, was sogar unmöglich sei. Denn ein endliches Wesen könne unmöglich ein unendliches begreifen. Aber was vom vollkommenen Wesen gewusst werde, sei hinreichend für seinen Beweis.
5.1. Das Willkürproblem
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nicht durch das Subjekt hervorgebracht werden könne, pariert Descartes mit einem zusätzlichen Argument. Die einzige Weise, wie das Subjekt die Idee eines vollkommenen Wesens hervorbringen könnte, wäre durch die Selbsterfahrung oder Wahrnehmungserkenntnis zu Eigenschaften zu gelangen, die dann kombiniert zu der Idee Gottes führen würden. Jedoch, so Descartes’ Argument, würde das eine Steigerung der am Endlichen erfahrenen Eigenschaften hin zur Vollkommenheit voraussetzen. Aber Letztere lasse sich nicht auf diesem Weg erreichen, so Descartes, denn es müsse kein Ende der Steigerung angenommen werden, und somit kann per Steigerung von Erfahrungseigenschaften keine Perfektion, keine aktuelle Unendlichkeit der Vollkommenheiten Gottes erreicht werden.33 Diese Argumentation ist nun natürlich zu voraussetzungsvoll, um unmittelbar zu überzeugen. Während der Beweis aus der dritten Meditation durch den Rückgriff auf das Kausalprinzip und die Idee Gottes Grundzüge des KGB und OGB mischt,34 schließt Descartes in der fünften Meditation an die klassische Formulierung des OGB an.35 Dieser Beweis ist nun verhältnismäßig schnell zusammengefasst: Weil Gott das Wesen ist, das alle Vollkommenheiten in sich versammelt und Existenz eine Vollkommenheit ist, existiert Gott.36 Der entscheidende Unterschied des OGB zu der anselmschen Formulierung ist, dass Descartes, anders als Anselm, nicht von einer Kennzeichnung, sondern von einem Individuenbegriff ausgeht, dem ens summe perfectum, worauf etwa Hermanni hinweist.37 Jedoch ist es genau dieser Individuenbegriff, der sich schließlich als problematisch für beide Gottesbeweise Descartes’ herausstellt. Dabei sind besonders zwei Probleme virulent: (a) Zum einen ist der Individuenbegriff ens summe perfectum nur scheinbar eine Lösung des Problems, ob überhaupt etwas unter dem Gottesbegriff verstanden werden kann. Zwar steht Anselms Kennzeichnung vor dem Problem, dass sie widersprüchlich oder sinnlos sein könnte, wie etwa diejenige der ‚größten natürlichen Zahl‘. Dagegen scheint Descartes Bezeichnung ein konkretes Individuum herauszugreifen und damit das Problem zu umgehen. Jedoch ist es nur prima facie gelöst, denn auch für Descartes gilt, dass der Individuenbegriff widersprüchlich sein könnte, sodass er in keiner möglichen Welt ein Individuum bezeichnen würde. Diesen Punkt 33 Descartes, Meditationen, S. 51 f. Vgl. auch Nolan und Nelson, „Proofs for the Existence of God“, S. 110. 34 Die Bezeichnung ist daher in der Forschungsliteratur nicht einheitlich. Vgl. etwa ebd., die den Beweis als „Causal Argument“ betiteln, während Betz, Descartes’ „Meditationen“, vom „ideentheoretischen Gottesbeweis“ spricht. Vgl. ebd., S. 111. 35 Tegtmeyer weist darauf hin, dass der Beweis der fünften Meditation besser als eine Vertiefung denn als ein eigenständiger Beweis verstanden werden sollte. Vgl. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 173. 36 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 71 f. Vgl. die konzise Zusammenfassung Hermanni, Metaphysik, S. 51 und Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 111 f. 37 Vgl. Hermanni, Metaphysik, S. 51. Ebenso: Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“, S. 252.
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
macht Leibniz in seiner Analyse der cartesischen Gottesbeweise besonders klar: Das wesentliche Problem des OGB besteht darin, dass zunächst ein Beweis der Möglichkeit Gottes, also der Widerspruchsfreiheit des Gottesbegriffs geführt werden müsste.38 Dieses Problem wird unten in Abschnitt 5.3 aufgegriffen. (b) Zum anderen ist das Verhältnis von Denkakten zum Gehalt der Idee Gottes eine Frage, die besonders im Beweis der dritten Meditation hervortrat. Denn eine wichtige Voraussetzung für Descartes ist, dass die Idee Gottes im Denken notwendig vorhanden ist und dass ihre Merkmale auf eine bestimmte Art miteinander zusammenhängen. An dieser Voraussetzung entzünden sich die Einwände von Caterus, die das Problem der möglichen Willkürlichkeit des Gottesbegriffs aufwerfen. Caterus gibt Descartes in den ersten Einwänden zu, dass wir die Idee eines vollkommenen Wesens denken, schließt aber einige Bedenken an, ob daraus schon ein gelingender OGB folge. Die wichtigsten Einwände sind dabei: 1. Caterus bestreitet, dass ein Ursachenprinzip auf Ideen angewendet werden muss beziehungsweise dass die Anwendung sinnvoll sei.39 Weil wir Ursachen durch einen „realen und aktualen Einfluss“40 auf ihre Wirkung kennzeichnen und Gleiches nicht für Ideen finden, so Caterus, sei es unsinnig, Ursachen für Ideen anzunehmen.41 Der Grund dafür ist, dass Ideen ihrem Gehalt nach interessant sind, ihr kausaler Zusammenhang aber kaum Interesse hervorruft. So sind zum Beispiel mathematische und analytische Wahrheiten gültig, selbst wenn sich nirgendwo ein entsprechendes Objekt findet und die Frage nach der Ursache daher ungereimt wirke. Denn als ewige Wesenheiten seien sie keiner Ursache bedürftig, weil immer schon bestehend, gleichgültig ob instantiiert oder nicht.42 2. Caterus schließt an Thomas von Aquin an und referiert den logischen Einwand, also dass, selbst wenn der Existenzbegriff analytisch im Gottesbegriff eingeschlossen wäre, die Aktualität Gottes dennoch fraglich sei.43 Auch wenn dieser Einwand, wie oben gezeigt, nicht stichhaltig ist,44 so weist Caterus doch 3. auf die Frage hin, auf welcher Grundlage der analytische Schluss beruht, der Descartes vorzuschweben scheint. Denn es lassen sich ohne Weiteres analytische Schlüsse aus willkürlichen Definitionen bilden, deren Beweiskraft natürlich aufgrund der Willkürlichkeit gleich Null ist. Caterus fragt, anders formuliert, also, ob die Eigenschaft der Existenz kontingent oder notwendig zum Gottesbegriff gehört.45 Der im vorliegenden Kontext interessanteste Einwand ist der (3.), da nicht nur das Ursachenprinzip, sondern auch weitere Annahmen des Gottesbeweises aus der 38 Vgl. Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“, S. 251–256 und Hermanni, Metaphysik, S. 50–55. 39 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 101–103. 40 Ebd., S. 102. 41 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 103. 42 Vgl. ebd., S. 102 f. 43 Vgl. ebd., S. 106 f. Vgl. auch Thomas von Aquin, STh, I q. 2 a. 1 ad 2. 44 Vgl. oben Abschnitt 2.1.3. 45 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 109.
5.1. Das Willkürproblem
253
„dritten Meditation“ äußerst fraglich sind, zumal sie von Descartes im Kontext hoher Begründungsansprüche eingeführt werden.46 Entscheidend für den vorliegenden Kontext und von Descartes durchaus als interessant akzeptiert, ist nun die Frage, ob die Vollkommenheiten, die den Gottesbegriff ausmachen, nicht willkürlich zusammengefügt sind, oder spezifisch, ob Existenz notwendig oder kontingent zum Gottesbegriff gehört.47 Denn es lassen sich willkürlich Ideen definieren, aus deren Definitionen dann analytisch geschlossen werden kann, was auch immer in die Definition hineingelegt wurde. Aber aufgrund der Willkürlichkeit der Definition liegt natürlich keinesfalls notwendig der Sachverhalt vor. Caterus illustriert diesen Gedanken an der Definition eines ‚existierenden Löwen‘.48 Wird der analytische Satz gebildet ‚Der existierende Löwe existiert‘ ist freilich eine analytische Wahrheit ausgesagt, aber da der Subjektterm des Satzes willkürlich ist, also nicht jeder mögliche Begriff eines Löwens auch die Existenz einschließt, fehlt die Beweiskraft. Es können von Caterus nun damit zwei Gründe gemeint sein, an denen der OGB scheitert: a) Es kann keine analytisch wahren Existenzaussagen geben. Auf dieses Argument ist bereits in der Auseinandersetzung mit Kants Widerlegungsversuch eingegangen worden.49 Die Hauptprobleme dieser Kritik sind, dass es zum einen schon nachdenklich stimmt, dass aus Begriffen analytisch die Nichtexistenz von Instanzen geschlossen werden kann, etwa im Fall von Impossibilia. Zum anderen handelt es sich um gar keine Auseinandersetzung mit dem OGB, also um gar keine spezifische Kritik, sondern es wird schlicht vorausgesetzt, dass analytische Existenzschlüsse niemals gültig sind.50 b) Existenz kann nicht von willkürlichen Definitionen abhängen. Dieser Einwand, zumal durch den Rückgriff auf das Beispiel eines ‚existierenden Löwen‘, erinnert natürlich an Gaunilos Einwand gegen Anselm, auch die ‚vollkommene Insel‘ müsse, folgt man Anselms Beweis, existieren.51 Während Gaunilo damit das Verhältnis von Vollkommenheit, Begriff und Existenz infrage zieht, verweist Caterus aber auf die Möglichkeit, dass der Gottes- und der Existenzbegriff bloß willkürlich zusammen gebracht werden. 46 Vgl. die erhellenden Ausführungen von D. Henrich: Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 10–22. Henrich sieht in Descartes’ Antwort auf Caterus’ Einwände den entscheidenden Schritt vom klassischen OGB, den Anselm formuliert hat und dem der Begriff des ens perfectissimum zugrunde liegt, zum OGB, dem der Begriff des ens necessarium zugrunde liegt. Diesen Übergang vollziehe Descartes, indem er aus der imensa potestas den Zusammenhang verschiedener Gottesprädikate und vor allem das Merkmal des notwendigen Daseins ableite. Sich über den Zusammenhang der Gottesattribute Gedanken zu machen wird eben durch die Einwände Caterus’ angeregt. 47 Vgl. zum Kommenden die klare Rekonstruktion in Wood, Kant’s Rational Theology, S. 116– 119. 48 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 109 f. 49 Vgl. oben Abschnitt 2.2. 50 Vgl. dazu Goebel, „Nachdenken über den ontologischen Gottesbeweis“, S. 120–125. 51 Vgl. dazu ebd., S. 131 f.
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
Sowohl Anselm als auch Descartes reagieren auf diesen Einwand, indem sie unterstreichen, dass nur für den Begriff Gottes gilt, dass die Existenz aus dem Begriff gefolgert werden kann. Als Grund der Einzigartigkeit gibt Descartes in seiner Erwiderung auf Caterus an, dass in allen Ideen, ob willkürlich oder nicht, mögliches Dasein impliziert sei. Nur in der Idee des ens summe perfectum sei aber das Prädikat ‚. . . ist notwendig existent‘ impliziert; nur in der Idee Gottes ist die Idee des notwendigen Daseins enthalten, so Descartes.52 Jedoch ist das noch keine Lösung des vorliegenden Problems, denn wenn wir über das Prädikat ‚notwendig existent‘ verfügen, so können auch mit diesem willkürliche Definitionen aufgestellt werden, etwa der ‚notwendig existierende Löwe‘. Natürlich beachtet Descartes diese Schwierigkeit aber selbst und stellt daher eine entscheidende Unterscheidung auf, nämlich diejenige zwischen Ideen und willkürlich gebildeten Ideen.53 Das entscheidende Merkmal in dieser Unterscheidung besteht darin, dass aus willkürlich gebildeten Ideen die Prädikate isoliert werden können. Denn weil der Verstand für die Zusammenstellung verantwortlich ist, kann er diese Zusammenstellung auch zerlegen beziehungsweise variieren. Und so sind sie willkürlich, also vom Subjekt vorgenommene Definitionen, weil die Bestimmungen im Definitionsakt zusammengefügt wurden. Dagegen können bestimmte Ideen nicht vom Verstand zerlegt werden.54 Und, so Descartes, das ens summe perfectum ist eine Idee, keine willkürliche Definition, was heißt, dass es nicht nur die Eigenschaft ‚notwendig existieren‘ einschließt, sondern notwendig die Eigenschaft beinhaltet.55 Descartes verweist mit seiner Unterscheidung zwischen Ideen und willkürlichen Definitionen darauf, dass Essenzen mitsamt ihren Eigenschaften vorgefunden würden – die Ideen –, willkürliche Ideen hingegen durch das Subjekt gebildet werden. Während der Grund oder die Ursache im zweiten Fall die Akte eines Subjekts sind, ist im ersten Fall die Idee selbst der Grund seiner Eigenschaften, das heißt für Descartes, dass die Eigenschaften der Idee in einem notwendigen Zusammenhang stehen müssen. Zwecks Illustration nennt Descartes Eigenschaften eines mathematischen Körpers, die notwendig miteinander zusammenhängen und sich auseinander ableiten lassen, und grenzt die Idee eines vollkommen Körpers davon ab, von dem völlig unklar ist, welche Eigenschaften diesem zukommen müssten.56 Für willkürliche Ideen gilt, dass aus ihnen analytische Sätze gebildet werden können, ohne dass daraus die Instanziierung erschlossen werden könnte. Ideen hingegen sind dem denkenden Subjekt als notwendig mitsamt allen Komponenten, also allen Prädikaten gegeben. Ein Triangel etwa besitzt bestimmt Eigenschaften notwendig, wie etwa die der Winkelsumme von 180°. Es unterliegt nicht unserer Willkür, ein 52 53 54 55 56
Vgl. Descartes, Meditationen, S. 128. Vgl. auch Wood, Kant’s Rational Theology, S. 117–120. Vgl. Descartes, Meditationen, S. 126. Vgl. ebd., S. 128. Vgl. ebd., S. 126 f.
5.2. Hegels Problematisierung des Willkürproblems
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Triangel mit einer Winkelsumme von 170° zu definieren. Wann liegt jedoch eine willkürliche und wann eine durch sich selbst gebildete Idee vor? Um Descartes’ einleuchtende Unterscheidung fruchtbar zu machen, müsste also ein konkretes Unterscheidungskriterium angegeben werden. Aber hier scheint Descartes keine hinreichende Antwort zu bieten. Denn ein subjektives Merkmal, wie etwa ein Evidenzerleben, scheint nicht irrtumsresistent zu sein. Denn es immer möglich, dass eine Scheinevidenz vorliegt. Insofern wird ein stärkeres Argument benötigt. Doch Descartes bietet hier nur den Gedanken, dass die notwendige Existenz notwendig mit einem anderen Gottesprädikat, der Allmacht, zusammenhänge. Aber führt erneut vor Caterus’ Einwand. Denn ein ‚allmächtiger Löwe‘ wäre mithin notwendig existent. Somit muss Descartes seine Unterscheidung mit einem stärkeren Kriterium untermauern, um Caterus’ Einwand abschmettern zu können. Wie hängen also die Eigenschaften im Gottesbegriff zusammen? Und welche sind es folglich? Descartes bietet für seinen Lösungsvorschlag hinsichtlich des von Caterus aufgeworfenen Problems keine Durchführung, bleibt also mit seiner Unterscheidung abstrakt und behauptet den notwendigen Zusammenhang der Vollkommenheiten in Gott mehr, als dass er ihn auch zeigen kann. Zwar weist die Analogie zu geometrischen Gebilden sicher darauf hin, wie im ens summe perfectum die Vollkommenheiten verbunden sein müssten. Die Frage ist jedoch, wie sie das sind und wie sich das verstehen lässt. Darauf reagiert Hegel in der WdL. Besonders in der Auseinandersetzung mit Kants Beispiel der ‚hundert wirklichen und hundert möglichen Thaler‘,57 weist Hegel darauf hin, dass er eine Unterscheidung zwischen seinem Begriff * und Vorstellungen zieht, die Descartes’ Distinktion entspricht.58
5.2 Hegels Problematisierung der Willkürlichkeit des Gottesbegriffs 5.2.1 Hegel über Definitionen Hegel führt also die Unterscheidung zwischen Vorstellung und Begriff * ein und bietet damit eine Lösung für das Problem an, dass der Gottesbegriff nur eine willkürliche Definition sein könnte, in der die Eigenschaften kontingent zusammengestellt wären. Für Hegel ist aber weder der Begriff Gottes ein willkürlicher, noch könnten seine Bestimmungen anders zusammengestellt werden.59 Und im 57
Vgl. oben S. 120. Vgl. dazu oben S. 174. 59 Dass Hegel meint, damit an Descartes anzuknüpfen, betont er, wenn er gegen Kant stark macht, dass sich aus gewöhnlichen Vorstellungen keine Existenz ableiten lasse, aber dass Descartes diese Ableitung auch nur für den Gottesbegriff behauptet habe. Siehe Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 362: „Allerdings, die Vorstellung tut’s nicht, wenn ich hartnäckig darin stecken bleibe; ich kann mir einbilden, was ich will, darum ist es nicht. Es kommt nur darauf an, was ich mir vorstelle: ob ich das Subjektive und das Sein denke oder begreife; dann 58
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
Rahmen seiner philosophischen Theologie in der WdL will Hegel zeigen, dass es einen notwendigen Zusammenhang der Kategorien gibt, die sich im Begriff * oder der Idee *, der absoluten Wahrheit in eine Totalität fügen. Dass Hegel das Problem der willkürlichen Bestimmungen tatsächlich durch die WdL zu lösen versucht, wird in der siebten der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes deutlich. Denn da schreibt Hegel: Es liegt schon in dem Vorhergehenden, daß wir solche abstrakte Verstandesbestimmung nicht für den Begriff nehmen, sondern so, daß er schlechthin konkret in sich sei, eine Einheit, welche nicht unbestimmt, sondern wesentlich bestimmt und so nur als Einheit von Bestimmungen ist, und diese Einheit selbst so an ihre Bestimmungen gebunden, als eigentlich die Einheit von ihr selbst und den Bestimmungen ist, daß ohne die Bestimmungen die Einheit nichts ist, zugrunde geht oder näher: selbst nur zu einer unwahren Bestimmtheit herabgesetzt und, um etwas Wahres und Wirkliches zu sein, der Beziehung bedürftig ist. Wir fügen hierzu noch dies, daß solche Einheit von Bestimmungen – sie machen den Inhalt aus – daher nicht in der Weise als ein Subjekt zu nehmen ist, dem sie als mehrere Prädikate zukämen, welche nur in demselben als einem dritten ihre Verknüpfung hätten, für sich aber außer derselben gegeneinander wären, sondern ihre Einheit ist eine ihnen selbst wesentliche, d. h. nur eine solche, daß sie durch die Bestimmungen selbst konstituiert wird, und umgekehrt, daß diese unterschiedenen Bestimmungen als solche an ihnen selbst dies sind, untrennbar voneinander zu sein, sich selbst in die andere zu übersetzen und für sich genommen ohne die andere einen Sinn zu haben, so daß, wie sie die Einheit konstituieren, diese deren Substanz und Seele ist.60
Die Bestimmungen des „spekulativen Begriffes“,61 den Hegel im Zitat beschreibt, sind also wesentlich und notwendig, weil es keines subjektiven Aktes bedarf, um sie zusammenzustellen. Sie bilden ein Netz aus Beziehungen und Bestimmungen, das zerstört wird, nimmt man auch nur eine Bestimmung heraus. Wie die Bestimmungen auseinander abgeleitet werden können und in welcher Form ihre Bedeutungen und Relationen notwendig bestehen, verweist auf die Darstellung der Methode der WdL voraus, die unten in Abschnitt 6.2 dargestellt wird. Hier ist zunächst festzuhalten, dass Hegel offenbar eine sehr genaue Vorstellung davon vermittelt, dass im ‚spektulativen Begriff ‘ und damit im ‚Begriff Gottes‘ die Bestimmungen untrennbar und mithin nicht willkürlich sind.62 gehen sie über. Descartes behauptet ausdrücklich nur beim Begriffe Gottes jene Einheit (eben das ist Gott) und spricht von keinen hundert Talern; sie sind nicht eine Existenz, die Begriff an ihr selbst ist.“ Siehe dazu auch unten S. 265. 60 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 395 f. 61 Vgl. ebd., S. 396. 62 Siehe ebd., S. 396: „Es ist in demselben Sinn, in dem der Begriff des spekulativen Begriffs angegeben worden, noch die Folge desselben anzuführen. Nämlich indem die Bestimmungen des Begriffs nur in der Einheit desselben und daher untrennbar sind – und wir wollen ihn in der Gemäßheit unseres Gegenstandes den Begriff Gottes nennen –, so muß jede von diesen Bestimmungen selbst, insofern sie für sich unterschieden von der anderen genommen wird, nicht als ein abstrakte Bestimmung, sondern als ein konkreter Begriff Gottes genommen werden.“ Das
5.2. Hegels Problematisierung des Willkürproblems
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Mit der Unterscheidung von Begriff * und Vorstellung kann folglich nicht gemeint sein, dass Hegel einfach behauptet, dass es eben notwendige Definitionen gebe. Denn Hegel meint, dass eine Definition seinen eigenen Begründungsansprüchen nicht genügen kann. Zwar ist damit nicht gemeint, dass Hegel Definitionen insgesamt ablehnt, denn sie spielen eine wichtige Rolle in der wissenschaftlichen Arbeit und sind als Teil der Idee * des Erkennens ein notwendiger Bestandteil der Erkenntnis. Hegels Argument ist vielmehr, dass Definitionen eine bestimmte Limitation aufweisen, die für den Zweck der absoluten Erkenntnis und der Erkenntnis des Absoluten überwunden werden muss. Die Abhandlung von Definitionen ist sowohl in der großen Logik als auch in der Enzyklopädie im Abschnitt über die Idee * des Erkennens verortet. Eine vollständige Besprechung führt an dieser Stelle zu weit, aber zur groben Einordnung sei abstrakt angeführt: Insgesamt werden in der Idee * verschiedene, strukturelle Zusammenhänge von Subjektivität und Objektivität besprochen, da Hegel hier eine Synthese der vorhergehenden Abschnitte der Begriffslogik anstrebt. Während der erste Abschnitt, den Hegel auch die Subjektivität nennt, die immanente Struktur des Begriffs * untersucht und entfaltet, ist der zweite Abschnitt, die Objektivität, mit Formen von Äußerlichkeit beschäftigt, also mit zunächst eigenständig und unabhängig erscheinenden Elementen, die gerade keine offensichtliche Totalität bilden, wie es die immanenten Bestimmungen des Begriffs * tun.63 Die Relation von Subjekt und Objekt impliziert nun schon eine strukturelle Gleichheit der beiden Relata, die sich schon bei der Analyse der Objektivität ergeben hat. Letztlich kann diese nämlich nicht radikal von der Subjektivität verschieden sein, weil im „realisierten Zweck“ eine Einheit der beiden gegeben ist, und zwar, weil das Objekt einem Zweck gemäß ist, der nicht einfach selbst ein Objekt ist. Hegel hält den Zweck für nur durch den Begriff * verständlich und im realisierten Zweck ist somit das Objekt durch seinen Begriff bestimmt.64 Die Zusammenhänge von Subjektivität und Objektivität sind also das Thema der Idee *, die sich dabei in drei Abschnitte untergliedert: Das Leben, die Idee des Erkennens und die absolute Idee. Der mittlere Abschnitt zerfällt in zwei Unterkapitel: die Idee des Wahren und die Idee des Guten.65 Während sich die Idee des Guten mit den Grundzügen der Einwirkung eines Subjekts auf ein Objekt befasst, beschreibt die Idee der Erkenntnis die umgekehrte Relation: Die Aufnahme und das Begreifen eines äußeren Objekts in die Sphäre der Selbstbestimmung und Subjektivität.66 entspricht natürlich den „metaphysischen Definitionen Gottes“, als die Hegel die Kategorien der Logik in der Enzyklopädie beschreibt. Vgl. Hegel, Enz. I, § 85, S. 181. 63 Vgl. dazu die genauere Besprechung unten im Abschnitt 8. 64 Vgl. Hegel, Enz. I, §§ 210–212, S. 365–367. 65 Vgl. zur Zweiteilung des zweiten Moments in einer trichotomen Gliederung bei Hegel: Hösle, Hegels System, S. 147 f. 66 Vgl. ebd., S. 256.
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
Die Idee des Erkennens behandelt zunächst das analytische Erkennen und untersucht darauf die drei Formen des synthetischen Erkennens mit den Überschriften: die Definition, die Einteilung und der Lehrsatz.67 Alle diese Erkenntnisformen weisen Mängel auf und erst in der absoluten Idee wird das Selbstentwickeln der Logik erfasst und damit die vollkommenste Weise des Erkennens, wobei die Idee des Erkennens aufgehoben und damit auch mitenthalten sein soll. Der Mangel der drei genannten Erkenntnisformen in der Idee des Erkennens leitet sich nun daraus ab, dass noch zwischen der Erkenntnis und dem Gegenstand unterschieden wird,68 also keine reine Selbsterkenntnis vorliegt.69 Hegel nennt sie daher das „endliche Erkennen“,70 weil der Erkenntnisgegenstand den Erkenntnisakt begrenzt und umgekehrt. Daraus resultieren zwei grundsätzliche Probleme, die Hegel in der endlichen Erkenntnis ausmacht: 1. Die Erkenntnis soll den Gegenstand adäquat erfassen, erscheint aber durch die erkennende Tätigkeit und das Begreifen, überspitzt gesagt, als Veränderung und Verfälschung des Gegenstandes. So entsteht etwa das schiefe Bild der Erkenntnis, das Hegel in der Einleitung zur Phänomenologie zeichnet, in welchem die Erkenntnistätigkeit eigentlich vom Erkannten wieder abgezogen werden muss, um den Gegenstand in seiner Eigenheit zu rehabilitieren.71 So können die Begriffsbestimmungen, die auf den Gegenstand angewendet werden, nicht als dem Gegenstand eigene Bestimmungen verstanden werden und der Gegenstand wird als ein „Jenseits“72 der Erkenntnis verstanden. Und 2. ist Gegenstand der Erkenntnis vorausgesetzt und nur „ein vorgefundenes, ihm [d. i. dem endlichen Erkennen; Einschub G. M.] gegenüberstehendes Seiendes“73 . Daraus resultiert eine notwendige, aber nicht gerechtfertigte Bedingung für die Richtigkeit der Erkenntnis, denn diese hängt eben an der korrekten Auffassung des bloß unmittelbar Gegebenen, kann dieses aber nicht begründen oder in einer Herleitung des Erkenntnisgegenstandes rechtfertigen. Das analytische Erkennen umfasst für Hegel zwei, zunächst separat erscheinende Versuche, einen konkreten Gegenstand zu erfassen, nämlich 1. die Analyse eines Gegenstandes in seine Eigenschaften, die natürlich allgemeiner sind als der Ge67
Vgl. Schäfer, „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, S. 250–256. Siehe Hegel, Enz. I, § 226, S. 379: „Die allgemeine Endlichkeit des Erkennens, die in dem einen Urteil, der Voraussetzung des Gegensatzes (§ 224) liegt, gegen welche sein Tun selbst der eingelegte Widerspruch ist, bestimmt sich näher an seiner eigenen Idee dazu, daß deren Momente die Form der Verschiedenheit voneinander erhalten und, indem sie zwar vollständig sind, in das Verhältnis der Reflexion, nicht des Begriffs zueinander zu stehen kommen. Die Assimilation des Stoffes als eines Gegebenen erscheint daher als die Aufnahme desselben in die ihm zugleich äußerlich bleibenden Begriffsbestimmungen, welche ebenso in der Verschiedenheit gegeneinander auftreten.“ 69 Dass das ein Grundzug der WdL ist, wurde oben versucht plausibel zu machen. Vgl. S. 189 f. 70 Vgl. Hegel, Enz. I, § 226, S. 379. 71 Vgl. Hegel, PhG, S. 53 f. (3–5). 72 Vgl. Hegel, Enz. I, § 226, S. 379. 73 Ebd., § 227, S. 379. 68
5.2. Hegels Problematisierung des Willkürproblems
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genstand selbst.74 Und 2. den Versuch, „ein konkretes Allgemeines, die Gattung oder die Kraft und das Gesetz“75 im und aus dem Gegenstand zu begreifen, indem von unwesentlich erscheinenden Eigenschaften abstrahiert wird. Nur der 1. Punkt entspricht dem, was in der Regel als Analyse aufgefasst wird, während Hegel mit dem 2. Punkt eher eine Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften an einem Gegenstand nennt. Die Gemeinsamkeit, die Hegel jedoch zu sehen scheint, ist der Übergang in der Erkenntnis von einem konkreten Gegenstand zu den allgemeinen Eigenschaften. Dabei ist das Problem eben, dass der Gegenstand zum einen für die korrekte Analyse bereits erkannt sein muss, zum anderen selbst als Kriterium für die Unterscheidung von wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften fungieren müsste. In beiden Fällen ist die Gegenstandserkenntnis also bereits vorausgesetzt. Indem der 2. Aspekt des analytischen Erkennens allerdings keine vollständige Beschreibung des gegebenen Gegenstandes anstrebt, sondern das Erfassen der wesentlichen Eigenschaften desselben, bildet diese schon eine Vorform der Erkenntnis durch eine Definition, sodass die Definition hier anschließen kann. Das synthetische Erkennen geht nun in umgekehrter Richtung von einem Begriff aus und versucht den Gegenstand darunter zu subsumieren; oder allgemeiner formuliert: „Die Aufnahme des Gegenstandes in die Formen desselben [d. i. des verständig bestimmten Begriffs *; Einschub G. M.] ist die synthetische Methode.“76 Das erste Moment des synthetischen Erkennens bildet nur die Definition. Hegel meint, dass die Bestandteile einer Definition den Momenten des Begriffs entsprechen: Das ‹Einzelne› entspricht dem Gegenstand der Definition, dem definiendum. Die beiden anderen Begriffsmomente bilden die klassischen Bestandteile des Definiens, die bereits Platon ausformuliert hat.77 Das ‹Allgemeine› entspricht der Gattung, die in der Definition angegeben werden muss, und das ‹Besondere› markiert dagegen die differentia specifica, welche den Artunterschied bestimmt.78 Dass in der Definition Allgemeines das bestimmende Moment ausmacht, spiegelt sich, so Hegel, darin, dass durch sie kein konkreter Gegenstand wie ‚dieser Baum‘ oder ‚dieser Mensch‘ erkannt werden soll, sondern nur dasjenige, was am Gegenstand seinem Begriff entspricht oder für ihn das Wesentliche ist. Dafür wird vom Gegenstand abstrahiert und sich auf das beschränkt, was als wesentliche Eigenschaften verstanden wird.79 Darin besteht der Rückgriff auf das zweite Moment der analytischen Methode, auf welcher die Definition fußen soll, so Hegel. Das ist insofern einleuchtend, da, wäre eine Definition die Angabe aller Eigenschaften 74 Siehe Hegel, Enz. I, § 227, S. 379 f.: „Diese Tätigkeit [d. i. die Tätigkeit des analytischen Erkennens; Einschub G. M.] besteht daher darin, das gegebene Konkrete aufzulösen, dessen Unterschiede zu vereinzeln und ihnen die Form abstrakter Allgemeinheit zu geben[.]“ 75 Ebd., § 227, S. 380. 76 Hegel, Enz. I, § 228, S. 380. 77 Vgl. Platon, „Theaitetos“, 208c–e. 78 Vgl. Hegel, WdL II, S. 210 (328). 79 Vgl. ebd., S. 210 (328 f.)
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eines konkreten Gegenstandes, also etwa des ‚Baumes zu t1 an Raumstelle xyz‘ oder des ‚zu t1 von mir vorgestellten Dreiecks‘, so wäre sie nicht mehr von der Erkenntnisform unterschieden, die Hegel das analytische Erkennen genannt hat. Die Differenz zwischen den beiden Erkenntnisarten ist also, dass die synthetische Erkenntnis ihr Interesse von vornherein auf etwas bereits Allgemeines und Wesentliches richtet, während die analytische einen singulären Gegenstand zu erfassen sucht.80 Für Hegel bleibt die Definition aber mangelhaft, und zwar, weil der Gegenstand, das, was erkannt werden soll, „ein U n m i t t e l b a r e s, welches a u s s e r dem Begriffe, da er noch nicht selbstbestimmend ist, gesetzt ist“81 . Die Erkenntnis über Definitionen ist insofern unvollständig, „weil [. . . ] das Object, insofern es im Erkennen ist, noch nicht als ein subejctives bestimmt ist, so ist das Erkennen dagegen ein subjectives und hat einen äusserlichen Anfang, oder wegen seines äusserlichen Anfangs am Einzelnen ist es ein subjectives“82 . Was Hegel damit ausdrückt, kann wie folgt paraphrasiert werden: Solange das definiendum nicht durch Gründe und Beweise in seinen Eigenschaften aufgewiesen wird – solange es also ‚unmittelbar‘ ist –, bleibt die Erkenntnis, die durch die Definition erlangt werden soll, nicht frei von Willkür. Wie ein Einzelding nicht selbst das Kriterium anbietet, welche seiner Eigenschaften wesentlich und welche akzidentiell sind, so bestimmt sich das definiendum ebenfalls nicht selbst: Ihm fehlt das Prinzip zur Ableitung seiner Gattung und der Bestimmung, welche die spezifische Differenz ausmacht. Ein schönes, philosophiehistorisches Beispiel für dieses Problem stellen etwa die Definitionen des ‚Angelfischers‘ in Platons Sophistes dar. In diversen Anläufen sucht Platon in diesem Dialog nach einer Definition, wobei das Problem ist, dass letztlich nicht mehr klar ist, ob Widersprüche in verschiedenen Definitionen des gleichen Gegenstandes auftreten.83 Hegels eigene Illustration greift die Bemerkung des Zoologen und Anthropologen Johann Friedrich Blumenbach auf, dass das Ohrläppchen ein Merkmal des Menschen sei, das sich für die Definition des Menschen eigne. Jedoch ist dieses Merkmal nur ein zufälliges und besagt nichts Wesentliches über den Menschen.84 Für Hegel liegt das Problem also darin, dass der ‚Angelfischer‘ nicht selbst seine Gattung und seine spezifischen Eigenschaften angibt, in ihm kein vollständig bestimmendes Prinzip für diese liegt. Das Objekt der Erkenntnis in Form 80 Daraus ergibt sich aber sogleich, dass das ‹Einzelne› aus der Definition herausfällt, da das definiendum eben schon als ‹Allgemeines› gefasst wird, welches dann unter eine allgemeinere Gattung subsumiert wird und von anderen Allgemeinen, Arten, abgegrenzt wird. Vgl. Hegel, WdL II, S. 210 (329), Z. 31–33. 81 Ebd., S. 210 (329), Z. 28 f. 82 Hegel, WdL II, S. 210 f. (329), Z. 33–1. 83 Vgl. Platon, „Sophistes“, 218b–232a. Vgl. auch Hegel, Enz. I, § 231, A., S. 383–385. 84 Siehe Hegel, WdL II, S. 213 (333), Z. 12–15: „Aber wie unangemessen zeigt sich sogleich eine solche ganz äusserliche Bestimmung mit der Vorstellung des totalen Habitus des physischen Menschen, und mit der Forderung, daß die Begriffsbestimmung etwas Wesentliches seyn soll!“
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einer Definition, so Hegel, ist also nicht selbstbestimmend, sondern wird durch die Erkenntnistätigkeit bestimmt, welche sich dabei aber zum einen auf das bloß Gegebene bezieht, und auf der anderen Seite bestimmte Entscheidungen selbst treffen muss.85 So überträgt sich das Problem der analytischen auf die synthetische Erkenntnis, nämlich, dass am Gegenstand kein Prinzip gegeben ist, das die wesentlichen Eigenschaften hervorhebt und auswählt. Und solange der Gegenstand als unmittelbarer angenommen wird, also das definiendum nicht abgeleitet und damit mit seinen Eigenschaften bewiesen wird, bleibt ein Willkürverdacht in der Definition zurück, der nicht auszuräumen ist. Es kann festgehalten werden, dass sich aus diesem Grundzug der Definition für Hegel drei Probleme ergeben, die sich alle aus der Unmittelbarkeit, also aus dem unbegründeten Zusammenhang von definiendum und definiens ergeben: 1. Der Inhalt einer Definition ist zufällig. 2. Es ist zufällig, welche Eigenschaften eines Gegenstandes für die Definition ausgewählt werden.86 3. Es fehlt die Notwendigkeit in der Definition.87 Der 1. und der 2. Punkt sind insofern unterschieden, als dass der 1. Punkt auf die Definition als Ganze Bezug nimmt, somit auch das definiendum betrifft, während die Zufälligkeit der ‚Inhaltsbestimmungen‘ lediglich auf das definiens zielt.88 Der Unterschied besteht also darin, dass mit (1.) die Zufälligkeit dessen impliziert ist, was definiert wird, während (2.) die Zufälligkeit hervorhebt, wie etwas definiert wird. Aus der im Spiel seienden Unmittelbarkeit resultiert also (1.) die Zufälligkeit, was definiert wird, weil es nur auf einer Entscheidung beruht, welcher Gegenstand 85 Siehe ebd., S. 211 (329 f.), Z. 7–12: „Es ist nemlich, da die Einzelnheit als das an und für sich Bestimmtseyn ausser der eigenthümlichen Begriffsbestimmung des synthetischen Erkennens liegt, kein Princip vorhanden, welche Seiten des Gegenstandes als zu seiner Begriffsbestimmung und welche nur zu der äusserlichen Realität gehörig angesehen werden sollen. Diß macht die Schwierigkeit by den Definitionen aus, die für dieses Erkennen nicht zu beseitigen ist.“ 86 Siehe Hegel, WdL II, S. 211 (329), Z. 2–6: „Der concrete Begriff selbst ist damit ein Zufälliges nach der gedoppelten Seite, einmal nach seinem Inhalte überhaupt, das andremal darnach, welche Inhaltsbestimmungen von den mannichfaltigen Qualitäten, die der Gegenstand im äusserlichen Daseyn hat, für den Begriff ausgewählt werden, und die Momente desselben ausmachen sollen.“ 87 Siehe ebd., S. 214 (335 f.), Z. 27–31: „Der Inhalt der Definition ist überhaupt aus dem unmittelbaren Daseyn genommen, und weil er unmittelbar ist, hat er keine Rechtfertigung; die Frage nach dessen Nothwendigkeit ist durch den Ursprung beseitigt; darin daß sie den Begriff als ein bloß unmittelbares ausspricht, ist darauf Verzicht gethan, ihn selbst zu begreiffen.“ 88 Siehe ebd., S. 211 (329), Z. 1 f.: „Der Inhalt des Begriffs ist daher ein Gegebenes und ein Zufälliges.“ Dieses Zitat schließt unmittelbar an das auf S. 260 angeführte an, in welchem Hegel den Mangel der Definition darin sieht, dass das Objekt der Definition noch nicht als ‚subjektiv‘, das heißt als selbstbestimmend, gegeben ist. Daher fallen Erkenntnisgegenstand und die definierende Tätigkeit noch auseinander. Im hier angeführten Zitat fasst Hegel den ‚Begriff ‘ als dasjenige, was in der Form der ‹Definition› auftritt.
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oder welche Vorstellung genauer definiert wird, und nicht auf einem Grund oder einer Ableitung. Doch selbst wenn ein definiendum ausgewählt ist, bleibt (2.) noch immer die Frage offen, wie der Gegenstand definiert wird. Hat man etwa eine ‚blaue Kugel‘, so kann das definiens lauten: ‚Eine Entität aus der Gattung aller blauen Gegenstände mit der spezifischen Differenz, kugelförmig zu sein‘, oder aber ‚Eine Entität aus der Gattung aller Kugeln mit der spezifischen Differenz, blau zu sein‘. Oder es wird, wie in Hegels Beispiel der Definition Blumenbachs, der Gegenstand durch völlig unwichtige, allgemeine Erkenntnis lediglich verdunkelnde Eigenschaften definiert. Damit fehlt (3.) die Notwendigkeit in der Definition, da weder ein Grund des definiendum gegeben ist, noch eine Begründung, welche den Zusammenhang von definiendum und definiens festlegt. Insofern kann Hegel, der in diesem Zusammenhang freilich weder den Begriff Gottes noch des Absoluten nennt,89 ein Beweis Gottes nicht auf der bloßen Definition Gottes aufbauen, da mit der Definition als Prämisse schon die Notwendigkeit der Konklusion infrage stehen würde. Was Hegel also teilt, ist die Problemdiagnose, dass ein überzeugender Beweis nicht von einer Definition ausgehen kann, weil Definitionen immer auf einen zusätzlichen Begründungsbedarf hinweisen: Sie müssen mit weiteren Argumenten und Beweisen gestützt werden, um als notwendig gelten zu können. Allerdings schränkt Hegel ein, dass Definitionen doch hinreichend sein können, und zwar, wenn der Gegenstand oder das definiendum der Definition nicht als gegeben vorausgesetzt wird, sondern erst das Resultat oder Produkt von subjektiven Akten ist. Das ist ganz allgemein bei Handlungsprodukten, die auf Zwecken basieren, der Fall, also Werken im weitesten Sinne.90 In diesen Fällen bestimmt die Zwecksetzung, was und wie das Produkt sein soll, und die Tätigkeit übernimmt in der Realisierung die Vermittlung – durch die Handlungsintention sind schon die wesentlichen Eigenschaften, welche dem Handlungsprodukt zukommen sollen, festgelegt, und die Zwecksetzung und -realisierung ist der Grund für den Zusammenhang zwischen den wesentlichen Eigenschaften und dem definiendum. 89 Eine Anspielung findet sich allerdings im Zusatz zum § 229 in der Enzyklopädie. Hegel kritisiert hier die fehlende Begründung in der Philosophie Spinozas und Schellings, die dadurch den Anforderungen an Philosophie nicht gerecht werden: „Für die Philosophie eignet sich schon um dieses Umstandes willen die synthetische Methode sowenig wie die analytische, denn die Philosophie hat sich vor allen Dingen über die Notwendigkeit ihrer Gegenstände zu rechtfertigen. Gleichwohl hat man auch in der Philosophie mehrfältig versucht, sich der synthetischen Methode zu bedienen. So beginnt namentlich Spinoza mit Definitionen und sagt z. B.: die Substanz ist die causa sui. In seinen Definitionen ist das Spekulativste niedergelegt, aber in der Form von Versicherungen. Dasselbe gilt dann auch von Schelling.“ (Hegel, Enz. I, § 229, Z., S. 381 f.) Zu beachten ist, dass Hegel mit dem Superlativ unterstreicht, dass er den Inhalt der Definition durchaus für wahr hält, aber die fehlende Begründung anmahnt. 90 Siehe Hegel, WdL II, S. 211 (330), Z. 13–17: „Vo r s e r s t e von Producten der selbstbewußten Zweckmässigkeit läßt sich leicht die Definition auffinden, denn der Zweck, für welchen sie dienen sollen, ist eine Bestimmung, die aus dem subjectiven Entschlusse erzeugt ist, und die wesentliche Besonderung, die Form des Existirenden ausmacht, auf welche es hier allein ankommt.“
5.2. Hegels Problematisierung des Willkürproblems
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Dass das Absolute oder Gott aber nicht durch Zwecksetzung und -realisierung eines Subjekts wirklich sein kann, ist offensichtlich. Und natürlich ist das nur eine Art, das Begründungsproblem der Definitionen zu lösen – in diesem Fall um den Preis, dass die Definition eigentlich redundant ist, denn der Zweck bestimmt den Gegenstand und wäre daher für die Erkenntnis hinreichend. Insofern sind Definitionen also erst dann für philosophische Erkenntnis nützlich, wenn sowohl der Gegenstand der Definition als auch das Verhältnis zwischen definiendum und definiens und schließlich die Eigenschaften des definiens selbst begründet werden.91 Es müssten also, um etwa das ens summe perfectum auf diesem Wege zu definieren, bereits alle Perfektionen bekannt und begründet sein, wenn der Gottesbegriff als ens perfectissimum oder als ens summe perfectum gedacht werden soll. Das leistet Descartes nun gerade nicht.92 Insofern bleibt immer noch die Frage bestehen, wie die notwendigen Gehalte des Gottesbegriffs gewusst werden können.93 5.2.2 Hegel über Vorstellungen und den Begriff * Folgt man also Hegel, müssen die Bestimmungen des Gottesbegriffs doch auf systematische Weise begründet werden und können nicht Gegenstand einer Definition sein.94 Nur so kann der notwendige Zusammenhang der Bestimmungen aufgewiesen werden, den Caterus von Descartes fordert, den Descartes auch selbst in Analogie zu geometrischen Gegenständen behauptet und für den er die Unterscheidung von willkürlichen Ideen und Ideen einführt. Diese Distinktion findet sich nun auch bei Hegel, der sie mit einem ähnlichen Anspruch verbindet, wobei Hegel allerdings terminologisch zwischen Vorstellungen und dem Begriff * unterscheidet. Im Folgenden soll nun also Hegels Unterscheidung dargestellt werden. 91 Siehe Hegel, Enz. I, § 99, Z., S. 210: „Hier ist dann noch zu bemerken, daß es in der Philosophie überhaupt gar nicht bloß um richtige und noch viel weniger bloß um plausible, d. h. Definition zu tun ist, deren Richtigkeit dem vorstellenden Bewußtsein unmittelbar einleuchtet, sondern vielmehr um bewährte, d. h. solche Definitionen, deren Inhalt nicht bloß als ein vorgefundener aufgenommen, sondern als ein im freien Denken und damit zugleich in sich selbst begründeter erkannt wird.“ 92 Und er meint auch, dass die Angabe aller Perfektionen gerade nicht möglich sei. Vgl. Descartes, Meditationen, S. 122 f. 93 Hegel erwähnt noch einen zweiten Fall, der nicht von seiner Kritik an Definitionen betroffen ist, nämlich Definitionen in der Geometrie. Das kann aber nur gelingen, weil geometrische Figuren „abstracte Raumbestimmungen“ sind, deren „zum Grunde liegende Abstraction, der sogenannte absolute Raum“ es durch seine Abstraktheit ermöglicht, dass die Figuren so „in ihm gesetzt werden“, dass gilt: „s i e s i n d daher wesentlich nur, was sie seyn s o l l e n“. (Hegel, WdL II, S. 211 (330), Z. 20–23). 94 Siehe Houlgate, „Hegel’s Logic“, S. 114: „The aim of Hegel´s logic, therefore, will be not only to clarify the categories that inform everyday consciousness but at the same time to provide a critical “reconstruction” of the categories of metaphysics.“
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
Betrachtet man eine Bestimmung wie ‚Gott ist das ens summe perfectum‘, so Hegel, dann muss das Satz-Subjekt als bloße Vorstellung oder als ‚leerer Name‘ verstanden werden. Denn erst das Prädikat besagt in solchen Fällen, was das Satzsubjekt ist. Das Problem dabei ist nun, dass so weder das Satzsubjekt noch die Urteilsform ein hinreichendes Kriterium bietet, mit dem sich bestimmen ließe, ob das Satz-Subjekt auf diese Weise korrekt und erschöpfend bestimmt wird.95 Auf dieses Problem weist Hegel in der Auseinandersetzung mit der ‚Metaphysik‘ hin, die er in der Ersten Stellung des Gedankens zur Objektivität kritisiert. Diese gehe nämlich von einer ‚Vorstellung‘, etwa der Vorstellung von Gott aus, um dann die Vorstellung als „Maßstab, ob die Prädikate passend oder genügen seien oder nicht“96 , heranzuziehen. Das kann aber, so Hegel, nicht genügen, denn 1. ist „ihnen der Charakter besonderer Subjektivität beigemischt“, weshalb sie „sehr verschiedene Bedeutung haben können“97 . Die Vorstellungen sind also willkürlich und können intersubjektiv variieren. Daher muss 2. die Vorstellung erst begründet werden, nämlich indem sie „durch das Denken die festen Bestimmungen“98 erhält. Denn, was aus der Vorstellung aufgenommen wird, ist „noch nicht gewußt“99 . Dass der Gehalt der Vorstellung nicht demonstriert oder abgeleitet ist, bringt sogleich mit sich, dass der Zusammenhang der Bestimmungen, die der Vorstellung zugesprochen werden, ungeklärt bleiben muss; oder, um Hegels Term zu verwenden, es ist zu sehen, dass der Inhalt der Vorstellung „vereinzelt steht“100 . Dieses Bedenken gegenüber der Rolle von Vorstellungen in den Beweisen der Metaphysik, also auch in den Gottesbeweises, deckt sich natürlich mit dem Zweifel, den Caterus gegen Descartes vorbringt.101
95 Vgl. Hegel, Enz. I, § 169, A., S. 320: Für das ‚abstrakte Urteil‘ gilt: „Das Subjekt hat erst im Prädikate seine ausdrückliche Bestimmtheit und Inhalt; für sich ist es deswegen eine bloße Vorstellung oder ein leerer Name. In den Urteilen „Gott ist das Allerrealste“ usf. oder „das Absolute ist identisch mit sich“ usf. ist Gott, das Absolute ein bloßer Name; was das Subjekt ist, ist erst im Prädikate gesagt. Was es als Konkretes sonst noch wäre, geht dieses Urteil nichts an.“ Vgl. Horstmann, Wahrheit aus dem Begriff, S. 23–40, der versucht Hegels Philosophie aus der Urteilskritik verständlich zu machen. 96 Hegel, Enz. I, § 30, S. 97. Vgl. auch ebd., § 38, S. 107, wo Hegel meint, dass Empirismus und Metaphysik darin übereinkämen, sich letztlich auf Vorstellungen zu stützen. 97 Ebd., § 31, S. 97. 98 Ebd., § 31, S. 97. 99 Ebd., § 31, A., S. 97. 100 Siehe ebd., § 20, A., S. 73: „Die Eigentümlichkeit der Vorstellung aber ist im allgemeinen auch in dieser Rücksicht darein zu setzen, daß in ihr solcher Inhalt gleichfalls vereinzelt steht. [. . . ] Die Vorstellung bleibt nun entweder dabei stehen, daß das Recht Recht, Gott Gott ist, – oder gebildeter gibt sie Bestimmungen an, z. B. daß Gott Schöpfer der Welt, allweise, allmächtig usf. ist; hier werden ebenso mehrere vereinzelte einfache Bestimmungen aneinandergereiht, welche, der Verbindung ungeachtet, die ihnen in ihrem Subjekte angewiesen ist, außereinander bleiben.“ 101 Dass Hegel Willkür aus den Gottesbeweisen elimieren möchte, wird schon in seiner Kritik an dem Beweis ex consensu gentium, den Hegel bei Cicero beschrieben meint, deutlich: Dass alle Menschen eine bestimmte Vorstellung haben, ist nicht hinreichend, um die strenge Notwendigkeit
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Wenn Hegel nun auf die Unterscheidung von Begriff * und Vorstellung zurückgreift, sieht er deutlich, dass er mit seiner Verwendungsweise nicht an den üblichen Sprachgebrauch anknüpft, sondern dasjenige, was üblicherweise als ‚Begriff ‘ bezeichnet wird, als ‚allgemeine Vorstellung‘ fasst.102 Diese abweichende Terminologie lässt sich klar beobachten, wenn Hegel gegen Kants Versuch, den OGB zu widerlegen, einwendet, dass Kant zwar recht habe, dass sich aus Vorstellungen kein Sein ableiten lasse, Gleiches aber nicht für den Begriff * gelte. Daher begehe Kant den Fehler, den Gottesbegriff ebenso zu behandeln, wie die „möglichen hundert Thaler“103 , denn die letzteren seien nur eine Vorstellung und aus solchen könne man tatsächlich nicht das die Existenz eines entsprechenden Gegenstandes ableiten.104 Worin liegt aber nun der Unterschied? Eine Definition der beiden termini technici in Hegels Texten ist nur schwer auszumachen, und Hinweise wie, der Begriff * sei Teil der Logik, während die Vorstellung in der Psychologie abgehandelt werde,105 sind nur wenig hilfreich. Dennoch ist die Unterscheidung wichtig, da Hegel insistiert, dass der Begriff *, anders als die Vorstellung, eben ‹Sein› als eine Bestimmtheit enthalte, auch wenn es sich nur „um eine so arme Bestimmung“106 handele. Vergleicht man nun die Äußerungen Hegels in dem eben genannten Kontext und ergänzt sie durch weitere wichtige Textstellen, so zu begründen, die in einem Gottesbeweis angestrebt wird. Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 387. 102 Siehe Hegel, Enz. I, § 163, Z. , S. 311 f.: „Wenn vom Begriff gesprochen wird, so ist es 1 gewöhnlich nur die abstrakte Allgemeinheit, welche man dabei vor Augen hat, und der Begriff pflegt dann auch wohl [als] eine allgemeine Vorstellung definiert zu werden.“ 103 Vgl. oben, S. 120. Hegel bezieht sich mehrfach auf dieses Beispiel um stets die Differenzierung von Begriff * und Vorstellung einzuführen. Vgl. Hegel, WdL I, S. 74 f. (66–68); Hegel, Enz. I, § 51, A., S. 135–137; Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 524 f.; Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 360–363. Siehe auch Hegel, Enz. I, § 51, A., S. 136: „Alsdann aber müßte bedacht werden, daß, wenn von Gott die Rede ist, dies ein Gegenstand anderer Art sei als hundert Taler und irgendein besonderer Begriff, Vorstellung oder wie es Namen haben wolle.“ 104 Siehe ebd., § 51, A., S. 135 f.: „Nichts kann so einleuchtend sein, als daß dergleichen, was ich mir denke oder vorstelle, darum noch nicht wirklich ist, – der Gedanke, daß Vorstellen oder auch der Begriff zum Sein nicht hinreicht. – Abgesehen davon, daß es nicht mit Unrecht eine Barbarei genannt werden könnte, dergleichen wie hundert Taler einen Begriff zu nennen, so sollten doch wohl zunächst diejenigen, die immer und immer gegen die philosophische Idee wiederholden, daß Denken und Sein verschieden seien, endlich voraussetzen, den Philosophen sei dies gleichfalls nicht unbekannt; was kann es in der Tat für eine trivialere Kenntnis geben?“ 105 Vgl. Hegel, Enz. I, § 165, A., S. 315. 106 Ebd., § 51, A., S. 136; vgl. auch Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 524 f.; ebd., S. 525; Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 326 (221 f.). Dass es sich um zwei Bestimmungen handelt, die schwer zu fassen und daher leicht zu verwechseln sind, betont auch Hegel. In der Anmerkung zum § 20 in der Enzyklopädie sieht Hegel die Hauptschwierigkeit darin, dass es Vorstellungen von begrifflichen * Inhalten gibt, so etwa „Vorstellungen vom Rechtlichen, Sittlichen, Religiösen, auch vom Denken selbst, und es fällt nicht so leicht auf, worin der Unterschied solcher Vorstellungen von den Gedanken solchen Inhalts zu setzen sei.“ (Hegel, Enz. I, § 20, A., S. 73).
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
können zumindest folgende Merkmale von Vorstellungen festgehalten werden, die im Anschluss näher erläutert werden sollen: 1. Eine Vorstellung ist allgemeiner als eine Anschauung – sie umfasst bereits allgemeine Merkmale, sodass sich viele Gegenstände unter sie subsumieren lassen.107 Ihre Allgemeinheit bedeutet aber die Abstraktion von bestimmten Eigenschaften.108 2. Diese Allgemeinheit hängt nach Hegel mit der Eigentümlichkeit zusammen, dass es sich um „ein[en] Inhalt in Mir“109 handelt. Insofern ist die Vorstellung subjektiv und meinig, während ein ihr adäquater Gegenstand objektiv und gegenüberstehend wäre,110 zumindest zunächst.111 3. Vorstellungen haben zumeist einen, wie Hegel sich auch ausdrückt, „begränzten, endlichen Inhalt“112 . Dabei ist in der Regel ihr Bezugsgegenstand ein endlicher Gegenstand,113 jedoch ist das nicht notwendigerweise der Fall. Denn sowohl ein Bild, der Begriff * als auch die Idee * kann den Inhalt einer Vorstellung ausmachen.114 Somit ist es eher der Form der Vorstellung als ihrem Inhalt zuzuschreiben, dass eine gewisse Endlichkeit des Inhalts wesentlich zur Vorstellung gehört. Der Grund dafür – und das ist für den hier vorliegenden Kontext entscheidend – ist, dass die Vorstellung ein Gegebenes und Unmittelbares ist.115 4. Zudem ermangeln sie des Selbstbezugs, der auch ihrem Gegenstand abgeht. Sie haben nicht die „Form der einfachen Beziehung auf sich“116 , das heißt, Vorstellung einer Katze ist sowenig eine Katze selbst wie die Vorstellung der kantischen Taler. Und auch der Gegenstand der Vorstellung sei „nicht ein sich auf sich Beziehendes“117 . 5. Daraus folgt der Unterschied, der neben der Unmittelbarkeit in der Vorstellung der entscheidende zu sein scheint: Vorstellung und Begriff * differieren in ihrem 107
Vgl. Hegel, Enz. I, § 20, A., S. 72 und Hegel, Enz. III, § 455, A., S. 263. Vgl. Hegel, Enz. I, § 160, Z., S. 307. 109 Ebd., § 20, A., S. 73. 110 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 361. 111 Hegel betont, dass etwa im Falle einer Handlung bereits der strikte Gegensatz von Subjektivität und Objektivität überwunden wird, weil eine zunächst subjektive Vorstellung zum anschaulichen Resultat der Handlung wird. Vgl. ebd., S. 361 f. 112 Hegel, WdL I, S. 75 (68), Z. 21 f. 113 Vgl. Hegel, Enz. I, § 51, A., S. 136. Hegel meint, dass die Vorstellung sich in der Regel auf etwas sinnlich Wahrgenommenes, etwas aus der Empfindung Aufgenommenes, bezieht. Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, S. 362. Das ist allerdings nicht immer der Fall. 114 Vgl. Hegel, Enz. III, § 455, A., S. 263. Vgl. auch Hegel, Enz. I, § 20, A., S. 73. Siehe dazu das obige Zitat, S. 265, Fn. 106. Dennoch hält Hegel fest, dass der Gegenstand einer Vorstellung in der Regel ein „Veränderliches und Vergängliches“ sei. Vgl. Hegel, WdL I, S. 75 (68), Z. 23 f. 115 Siehe Hegel, Enz. III, § 455, A., S. 263: „Vorstellung – der Inhalt mag ein Bildliches oder Begriff und Idee sein – hat überhaupt den Charakter, obzwar ein der Intelligenz Angehöriges, doch ihrem Inhalte nach Gegebenes und Unmittelbares zu sein.“ 116 Hegel, WdL I, S. 75 (68), Z. 21. 117 Ebd., S. 75 (68), Z. 23. 108
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Wahrheitsbegriff. Während für Hegel nur der Begriff * beziehungsweise die absolute Idee * im strengsten Sinne ‚wahr‘ sind, kommt Vorstellungen zu, richtig zu sein, wenn sie mit einem Gegenstand übereinstimmen.118 6. Ihrer Genese nach ist die Vorstellung zumeist ein Produkt der Verarbeitung von wiederholter Wahrnehmung, in welcher durch Vergleiche, Assoziation und Subsumtion die Allgemeinheit zu den Wahrnehmungen gebildet wird.119 Diese Genese kann allerdings nicht die Einzige für eine Vorstellung sein, da Hegel auch Vorstellungen für unsinnliche Gegenstände annimmt, wie oben in Punkt (3.) festgehalten wurde. Insofern gibt es offenbar auch auf anderem Wege gewonnene, etwa gelernte Vorstellungen. Die Allgemeinheit der Vorstellung (1.) ist also eine abstrakte Allgemeinheit, da sie durch das Aussortieren von besonderen Eigenschaften am Gegenstand gewonnen wird. So ist die Vorstellung nicht durchgängig bestimmt, was Kant als Prinzip von Begriffen gegenüber Individuen angeführt hatte.120 Während Individuen hinsichtlich jedes Prädikates P entweder P oder non-P zugesprochen werden muss, bestimmt die Vorstellung nur hinreichend viele Prädikate, um entsprechende Gegenstände wiederzuerkennen. Sie ist aber hinsichtlich einiger Prädikate unbestimmt und bietet keinerlei Gewissheit, ob alle wesentlichen Eigenschaften eines Gegenstandstyps in ihr erfasst sind. Sie ist also potentiell durch weitere Erfahrungen und Lernprozesse zu spezifizieren oder gar zu modifizieren. Weil diese Gewissheit fehlt, dass die Vorstellung die wesentlichen Eigenschaften oder die vollständigen Eigenschaften eines Gegenstandstyps erfasst, ist (2.) weder garantiert, dass der Gegenstand adäquat erfasst ist – sie ist also keine objektive Beschreibung des Gegenstandes – noch ist garantiert, dass unterschiedliche Erkenntnissubjekte in ihren Vorstellungen übereinstimmen. Weil ihre Genese von je eigenen Anschauungen und individuellen Lernerfahrungen abhängt, variieren Vorstellungen notwendig. Das bedeutet nicht, dass Hegel glaubt, dass Menschen, solange sie sich über Vorstellungen austauschen, notwendig aneinander vorbeireden. Denn da die Vorstellung hinreichend für die Wiedererkenntnis und Subsumtion eines Gegenstandes ist, kann sie nicht völlig willkürlich sein. Worauf Hegel einzig hinweist, ist, dass es eine gewisse Unschärfe der Vorstellungen gibt, weshalb hier auch epistemische Qualifikationen wie ‚klar‘ und
118 Siehe Hegel, Enz. I, § 172, Z., S. 323: „Richtigkeit und Wahrheit werden im gemeinen Leben sehr häufig als gleichbedeutend betrachtet, und demgemäß wird oft von der Wahrheit eines Inhalts gesprochen, wo es sich um die bloße Richtigkeit handelt. Diese betrifft überhaupt nur die formelle Übereinstimmung unserer Vorstellung mit ihrem Inhalt, wie dieser Inhalt auch sonst beschaffen sein mag. Dahingegen besteht die Wahrheit in der Übereinstimmung des Gegenstandes mit sich selbst, d. h. mit seinem Begriff.“ 119 Vgl. Hegel, Enz. III, § 455 f., S. 262–267. 120 Siehe oben S. 31.
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
‚deutlich‘ ihre Anwendung finden.121 Insofern bezeichnet Hegel die Vorstellung als subjektiv, also als relativ zu einem Erkenntnissubjekt. Auch wenn Hegel zuweilen zu meinen scheint, dass sich Vorstellungen durch den sinnlichen Gegenstand auszuzeichnen scheinen, ist das zumindest insofern irreführend, als dass es eben auch von abstrakten Gegenständen, unsinnlichen Gebilden, wie Institutionen, und selbst von unendlichen Gegenständen im Sinne Hegels Vorstellungen gibt. Wenn er dennoch meint, der Inhalt einer Vorstellung sei endlich (3.), so ist folglich diese Einschränkung nicht auf den Bezugsgegenstand zurückzuführen, sondern auf die Form der Vorstellung selbst. Es ist nicht notwendig dasjenige endlich, was in der Vorstellung erfasst wird, aber solange es nur in der Vorstellung erfasst wird, liegt es bloß in endlicher Form vor. Der Grund für die Endlichkeit der Form ist, dass der Vorstellungsinhalt nicht als vollständig analysierter und begründeter – nicht in seiner Notwendigkeit – begriffen, sondern nur eben als „Gegebenes und Unmittelbares“122 aufgefasst wird. Entscheidend daran ist, dass, worauf oben hingewiesen wurde,123 die ‚Unmittelbarkeit‘ auf ein fehlendes Begründungs- oder Ableitungsverhältnis hinweist, welches die Zusammenhänge und den Umfang der in der Vorstellung vorhandenen Prädikate erfassen und den Gegenstand zu einem begriffenen machen würde. Denn die ‚Vermittlung‘ wäre eine kritische Prüfung der Vorstellung, wodurch ihr Inhalt von Kontingenzen und dem subjektiven Standpunkt befreit würde. Das ist aber eben bei Vorstellungen nicht der Fall – sie wird als Gegebenes aufgenommen und nicht durchgängig begriffen. Damit können aber auch ihre essentiellen Bestandteile und deren Zusammenhang nicht vollständig aufgeklärt sein. Die Eigenschaft, nicht selbstbezüglich zu sein (4.), teilen die Vorstellungen mit den realphilosophischen Kategorien, also den Kategorien, mit denen Hegel die ‚Natur‘ und den ‚Geist‘ erfasst.124 Fehlender Selbstbezug ist für Hegel aber ein Mangel, weil absolute Notwendigkeit nur in einer Selbstbegründung bestehen kann, die daher notwendig Selbstbezug impliziert.125 Anders als realphilosophische Kategorien oder auch ‚bestimmte Begriffe‘ sind Vorstellungen, aber nicht aus der absoluten Idee * abgeleitet.126 Sie sind kein Ergebnis im Gang der philosophischen Wissenschaft, sondern sind von wissenschaftlichen, begründeten und abgeleiteten Begriffen unab121 Vgl. Hegel, Enz. I, § 165, A., S. 315. Diese Qualifikationen weist Hegel für den Begriff * zurück. Vgl. Hegel, WdL II, S. 44 (56), Z. 9–15. 122 Hegel, Enz. III, § 455, A., S. 263. 123 Siehe oben, S. 202. 124 Vgl. zu den realphilosophischen Kategorien: Hösle, Hegels System, S. 100 f. 125 Vgl. oben S. 188 f. 126 Natürlich ist diese Ableitung eines der großen Probleme des hegelschen Systems, da sie den Übergang von der Logik zur ‚Natur‘ voraussetzt, der bekanntlich sehr umstritten ist. Daran anschließend stellt sich dann die Frage, ob eine realphilosophische „Dialektik“ von der logischen abweicht, wie die Entsprechungsverhältnisse sind et cetera. Viele klärende Überlegungen zu dem Verhältnis von Logik und ‚Realphilosophie‘ finden sich in Hösle, Hegels System, S. 101–127.
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hängig gebildet. Daher partizipieren sie weder an der Selbstbezüglichkeit der Logik noch an der Idee *, zumindest nicht notwendig. Wird aber der Vorstellungsinhalt philosophisch hergeleitet, so wird die Vorstellung in den Begriff * erhoben.127 Damit ist der Wahrheitsbegriff (5.) eng verknüpft,128 den Hegel für Vorstellungen in Anschlag bringt. Neben der fehlenden Vermittlung durch die Idee * ist der besondere Wahrheitsbegriff sicher das andere Kernelement in der Unterscheidung zwischen Begriff * und Vorstellung. So schreibt Hegel: Die Idee ist die Wahrheit; denn die Wahrheit ist dies, daß die Objektivität dem Begriffe entspricht, – nicht daß äußerliche Dinge meinen Vorstellungen entsprechen; dies sind nur richtige Vorstellungen, die Ich Dieser habe. In der Idee handelt es sich nicht um Diesen, noch um Vorstellungen, noch um äußerliche Dinge.129
Die Vorstellung ist also richtig oder falsch, je nachdem ob sie ihrem Gegenstand entspricht oder nicht. Somit zielt Hegel auf die Bestimmung der Richtigkeit als adaequatio rei et intellectus, also die Übereinstimmung zwischen einer Vorstellung, die sich einem bestimmten Subjekt zurechnen lässt, und einem vom Subjekt unabhängigen Sachverhalt oder Gegenstand. Fasst man sowohl Richtigkeit als auch die spezifische Wahrheit, die Hegel dem Begriff * und der Idee * zuschreibt, als Hegels Wahrheitsbegriffe, so lässt sich Folgendes feststellen, wie Ch. Halbig herausgearbeitet hat. Hegel unterscheidet zwischen zwei Wahrheitsbegriffen, nämlich i) der Richtigkeit als epistemischem Verhältnis zwischen Gegenstand und Vorstellung – Richtigkeit operiert dabei auf der Seite der Vorstellung beziehungsweise des Urteils wesentlich mit Propositionen130 – und ii) Wahrheit als ontologischer Struktur, die in einer Beziehung zwischen Gegenstand und seinem Begriff * besteht, wobei der Begriff * das Maß und den Grund des Gegenstandes bildet. Insofern greift Hegels Wahrheitsbegriff schon für Kategorien, nicht erst für Propositionen.131 Es gilt also, drei Ebenen für Hegels Wahrheitsbegriffe zu unterscheiden: a) Die philosophischen Begriffe *, die sich aus dem absoluten Begriff * oder der absoluten Idee * ableiten. b) Die Vorstellungen und andere subjektive Zustände. c) Die Gegenstände, die sehr weit gefasst sind, da auch Vorstellungen und Begriffe * beziehungsweise die Idee * als Gegenstände auftreten können. Die beiden Wahrheitsbegriffe ergeben sich dann aus den folgenden Bezügen: Die Richtigkeit (i) hat ihren Ort im Bezug von (b) auf (c); die Wahrheit (ii) hat ihren Ort im 127 Auch wenn der § 12 der Enzyklopädie bereits von der wissenschaftlichen Auffassung des sinnlich Gegebenen und dessen Erhebung in die Philosophie handelt und dabei nicht ausdrücklich von Vorstellungen spricht, ist er hier instruktiv. Vgl. Hegel, Enz. I, § 12, S. 55–58. 128 Vgl. die klare und erhellende Diskussion des hegelschen Wahrheitsverständnis in Halbig, Objektives Denken, S. 181–217. 129 Hegel, Enz. I, § 213, A., S. 368. 130 Vgl. Halbig, Objektives Denken, S. 196. 131 Vgl. dazu ebd., S. 183 f. Halbig sieht klar, dass Hegel sich mit dem ontologischen, begrifflichen Wahrheitsverständnis von der zeitgenössischen Wahrheitstheorie unterscheidet, da diese Propositionen zugrunde legt.
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Bezug von (c) auf (a), also im Bezug des Gegenstandes auf seinen Begriff *. Dass diese Relation zwischen Gegenstand und Begriff * nicht, wie man es erwarten würde, der Bezug der Vorstellung auf ihren Gegenstand ist, unterstreicht, dass Hegel hier nicht die Adäquation der Vorstellung zum Gegenstand als wahr versteht, sondern der Begriff * den Maßstab für den Gegenstand bildet. Es ist also der Gegenstand, der hinsichtlich seines Begriffs * wahr oder falsch sein kann, während die Vorstellung hinsichtlich des Gegenstandes richtig oder falsch ist. Hegel nennt gerne, um deutlich zu machen, dass sein Wahrheitsverständnis durchaus im common sense zu finden ist, die Beispiele eines ‚wahren Freundes‘ oder eines ‚wahren Kunstwerkes‘.132 Gemeint ist damit etwa ein Freund, der den Anforderungen an Freundschaft genügt, etwa verlässlich, ehrlich und einem in anderen Tugenden ähnlich ist. Dass der Gegenstand wahr oder falsch sein kann, hat zwei Implikationen, die hier nur angerissen werden können: Zunächst ist vorausgesetzt, dass Begriffe *, die sich aus der absoluten Idee * herleiten oder als Momente in sie eingehen, nicht der Trennung von Begriffsschema und Gegenstand unterliegen.133 Dass die Kategorien der Logik ontologischen Gehalt haben, wurde oben bereits eingeführt.134 Daraus folgt, dass Hegel die Unterscheidung eines transzendentalen Kategorienschemas und einer heterogenen Realität nicht akzeptiert. Hegels Argument zielt dabei im Kern auf den Widerspruch, der entsteht in der Behauptung einer kategorienund begriffsunabhängigen Realität, da schon kennzeichnende Ausdrücke wie ‚Es gibt‘, ‚Realität‘, ‚Gegenstand‘ und damit logische * Kategorien auf den Bereich angewandt werden müssen, der eigentlich gerade nicht durch das Kategorienschema erfasst sein soll.135 Und wenn für die logischen * Kategorien der Gegensatz von Begriffsschema und Wirklichkeit aufgehoben ist, so ist er natürlich auch nicht in der Realphilosophie in Anschlag zu bringen.136 132
Vgl. Hegel, Enz. I, § 24, Z.2 , S. 86. Siehe Hegel, WdL II, S. 21 (18), Z. 16–28: „Wenn nun der gegebene Stoff der Anschauung und das Mannichfaltige der Vorstellung, als das Reelle gegen das Gedachte und den Begriff genommen wird, so ist diß eine Ansicht, welche abgelegt zu haben nicht nur Bedingung des Philosophirens ist, sondern schon von der Religion vorausgesetzt wird; wie ist ein Bedürfniß und der Sinn derselben möglich, wenn die flüchtige und oberflächliche Erscheinung des Sinnlichen und Einzelnen noch für das Wahre gehalten wird? Die Philosophie aber gibt die b e g r i f f e n e Einsicht, was es mit der Realität des sinnlichen Seyns für eine Bewandniß habe, und schickt jene Stuffen des Gefühls und der Anschauung, des sinnlichen Bewußtseyns u.s.f. insofern dem Verstande voraus, als sie in dessen Werden seine Bedingungen, aber nur so sind, daß der Begriff a u s i h r e r D i a l e k t i k und N i c h t i g k e i t als ihr G r u n d hervorgeht, nicht aber daß er durch ihre R e a l i t ä t bedingt wäre.“ Vgl. auch oben Abschnitt 4.1.1. 134 Siehe oben S. 198. 135 Das ist natürlich eine der Konsequenzen, die Hegel aus der Kritik am kantischen Dingan-sich zieht. Vgl. oben Abschnitt 3.1.2. 136 Vgl. Halbig, Objektives Denken, S. 190 f. der im Ausschluss dieser Unterscheidung den Kern der hegelschen Wahrheitstheorie ausmacht. 133
5.2. Hegels Problematisierung des Willkürproblems
271
Die zweite Implikation ist eine Folgerung aus dem ontologischen Anspruch der logisch * ableitbaren Kategorien. Da weder die logischen * noch die realphilosophischen Kategorien induktiv aus der Menge der Gegenstände, auf die sie zutreffen, erschlossen werden, sondern an der Idee * und damit an der absoluten Wahrheit partizipieren, welche durch sich selbst wahr und wirklich ist, folgt, dass die Begriffe * normativ sind.137 Sie geben an, was ihre Instanzen sein sollen, weil sie bereits durch sich und ihre Teilhabe an der Idee * gerechtfertigt sind, und daher können die Gegenstände wahrer und falscher sein, je nachdem, ob sie ihrem Begriff * mehr oder weniger entsprechen. Die Entsprechung heißt dabei die abgeleiteten Bestimmungen des Begriffs * als Merkmale zu verwirklichen. Wenn es also zum Begriff * des Menschen gehört, rational zu sein, so heißt das nicht, dass alle Menschen immer rational sind, sondern dass sie darin fehlen können. Ein wahrer Mensch verwirklicht jedoch diese Eigenschaft. Hinsichtlich der Normativität der Begriffe * besteht allerdings ein wichtiger Unterschied zwischen den naturphilosophischen und den geistphilosophischen Kategorien. Während die Naturgegenstände ebenfalls ihrem Begriff * nicht gerecht werden können, so etwa bei einem kranken Organismus, ist dieses natürlich kein moralisches Verfehlen. Im Geist hingegen tritt zur ontologischen Normativität noch das moralische Sollen hinzu: Ein unwahrer Staat ist auch moralisch falsch.138 Ein Problem dieses Wahrheitsverständnis ist nun, dass für Hegel alle endlichen Dinge, eigentlich alles mit Ausnahme der absoluten Idee *, ontologisch unwahr sind, was sich schon daran zeigt, dass überhaupt zwischen ihrem Begriff * und Instanz ein Unterschied besteht.139 Exemplarisch hebt Hegel den ‚Gattungsprozess‘ hervor, in welchem die einzelnen Tiere zu ihrem Begriff *, den sie in ihrer Gattung haben, ein mangelhaftes Verhältnis haben, welches sich im Tod der Individuen zeigt, während die Gattung bestehen bleibt.140 Ch. Halbig weist aber darauf hin, dass zwei Weisen der Unwahrheit unterschieden werden müssen: a) Ein Gegenstand kann seinen Begriff * mangelhaft realisieren, wie etwa ein stumpfes Messer. Oder er kann 137
Vgl. Halbig, Objektives Denken, S. 183. Vgl. Hegel, GPR I, § 3, A., S. 23; Vgl. Hösle rechnet damit, dass es in der Geistphilosophie gerade durch den Gegensatz von Sein und Sollen zu deutlicheren Differenzen zwischen den Begriffen und den Instanzen auftreten. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 97. 139 Siehe Hegel, Enz. I, § 24, Z. , S. 86: „Gott allein ist die wahrhafte Übereinstimmung des 2 Begriffs und der Realität; alle endlichen Dinge aber haben eine Unwahrheit an sich, sie haben einen Begriff und eine Existenz, die aber ihrem Begriff unangemessen ist. Deshalb müssen sie zugrunde gehen, wodurch die Unangemessenheit ihres Begriffs und ihrer Existenz manifestiert wird.“ Auf diese wichtige Passage weist auch Halbig, Objektives Denken, S. 189 f. hin, der zudem betont, dass Philosophie und Religion in der absoluten Idee * ihren gemeinsamen Gegenstand habe, nämlich die Wahrheit, „und zwar im höchsten Sinne – in dem, daß Gott die Wahrheit und er allein die Wahrheit ist.“ (Hegel, Enz. I, § 1, S. 41). 140 Vgl. ebd., § 24, Z. , S. 86. Vgl. auch Halbig, Objektives Denken, S. 190. Hösle weist darauf 2 hin, dass für Hegel in den endlichen Dingen ein Widerspruch liegt, durch den sie keinen Bestand haben können. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 164. 138
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b) seinen Begriff * zwar realisieren, aber den Mangel teilen, welcher dem Begriff * zukommt. Denn bestimmte endliche Begriffe * sind selbst eine Einseitigkeit der absoluten Idee *. Das heißt, dass die bestimmten Begriffe * eine unwahre logische Struktur bezeichnen, die etwa auf logischen Kategorien beruht, die selbst einen Widerspruch bergen, wie etwa das Teil-Ganze-Verhältnis.141 Somit sind nicht nur die Instanzen der bestimmten Begriffe * endlich und widersprüchlich, sondern auch die bestimmten Begriffe * selbst sind widersprüchlich. Sie selbst sind als besondere Begriffe * defizient, das heißt, sie bilden selbst keine absolut wahre, ontologische Struktur. Denn letztlich ist für Hegel nur die absolute Idee * konsistent, notwendig, explizit und widerspruchsfrei hinsichtlich aller ihrer Voraussetzungen und Folgerungen.142 Daraus ergibt sich dann eine Stufenfolge der Begriffe * in Hegels System, welche die absolute Idee * zu ihrem höchsten Punkt hat, und zwar in zweifachem Sinne: i) Die logischen * Kategorien der Seinsund Wesenslogik haben ihre Wahrheit in der absoluten Idee *, das heißt, sie sind noch nicht widerspruchsfreie Voraussetzungen und letztlich Momente der absoluten Idee *, insofern diese ihre Voraussetzungen einholt und begründet. ii) Die realphilosophischen Kategorien hingegen folgen aus der absoluten Idee * und ihrer Selbstkonkretion, das heißt, sie sind aus der absoluten Idee * abgeleitet, allerdings keine logischen Implikationen, sondern durch das ‚Anderssein‘ vermittelt.143 Auf allen Stufen der Idee * finden sich also dialektische oder pragmatische Widersprüche, die zum Übergang zu weiteren Kategorien führen, bis die Struktur der absoluten Idee * erreicht ist. Hegels methodisches Vorgehen besteht daher häufig aus dem Nachweis von Widersprüchen in logischen und realphilosophischen Kategorien. Der jeweils vorhandene Widerspruch macht es daraufhin nötig, eine differenzierende, den Widerspruch in Konsistenz überführende Kategorie einzuführen. Inwiefern alle Kategorien dabei immer schon implizit oder pragmatisch die absolute Idee * voraussetzten, soll aber erst unten im Rahmen von Hegels Methode der WdL behandelt werden.144 141
Vgl. Halbig, Objektives Denken, S. 191 f. Vgl. zum Widerspruch der endlichen Kategorien und der pragmatischen Dimension in diesem Widerspruch, also dem Widerspruch zwischen impliziten Präsuppositionen und explizitem Gehalt: Hösle, Hegels System, S. 201. 143 Vgl. etwa Hegel, Enz. I, § 244, S. 393. 144 Vgl. zum Widerspruch und der Einführung neuer Kategorien sowie zu der Frage der Voraussetzung der absoluten Idee * unten Abschnitt 6.2. Nun besteht das Problem, wie die endlichen Dinge überhaupt durch den Begriff * gefasst werden können, wenn sie doch hinter diesem zurückbleiben müssen. Denn kein endlicher Gegenstand wird seinem Begriff * vollkommen gerecht. Es ist allerdings wichtig, dass Hegel nicht aufgibt, dennoch von wahren Gegenständen zu sprechen, weil durch die Differenzierung von Richtigkeit und Wahrheit und damit von Begriffen * und Vorstellungen sich hier zumindest eine mögliche Lösung für dieses Problem angeben lässt. Denn Begriffe * bezeichnen zwar, was die endlichen Gegenstände sein sollen und insofern nicht die Gegenstände in ihrer Endlichkeit und Unvollkommenheit. Aber von diesen wiederum bestehen durchaus richtige Vorstellungen, denn diese zeichnen sich durch die faktische Übereinstimmung mit 142
5.2. Hegels Problematisierung des Willkürproblems
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Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Wahrheit und Richtigkeit in folgenden Kombinationen vorliegen können: 1. Es gibt den „Begriff der Idee“, welcher „absolute und alle Wahrheit“ ist.145 Diese ist der höchste Punkt der WdL, in welcher die ganze Logik aufgehoben ist146 und welche „sich als Natur frei aus sich“ entlässt.147 2. Hinzu kommen die wahren Begriffe * und Kategorien, welche zwar besondere sind, die aber Momente oder Folgerungen der absoluten Idee * sind. Sie realisieren die Idee * nur teilweise, was ihre Beschränktheit oder Unwahrheit ausmacht, dennoch sind sie im System der absoluten Idee * notwendig enthalten und als solche wahr. 3. Dann nimmt Hegel wahre Gegenstände an, wobei aufgrund der Selbstanwendung auch der Begriff * und die Idee * als Gegenstand betrachtet werden können. Diese liegen wiederum auf zwei Weisen vor. 3.1. Zum einen gibt es endliche Gegenstände, die ihren besonderen Begriff * vollständig realisieren und damit auch die Endlichkeit ihres Begriffs *. 3.2. Zum anderen gibt es endliche Gegenstände, die ihren besonderen Begriff * nicht vollständig realisieren, wie etwa eine ungerechte Verfassung, die nicht dem Begriff * des Staates gerecht wird. 4. Schließlich gibt es richtige Vorstellungen. Diese sind zwar unwahr, weil sie nicht dem System der absoluten Idee * angehören, sondern dem mentalen Leben eines einzelnen Subjekts zuzuordnen sind. Richtig sind sie dennoch, wenn sie ihren Gegenstand adäquat abbilden. Dabei können sie folgende Gegenstände repräsentieren: 4.1. Endliche Gegenstände in ihrer Unwahrheit, also in den nicht den Begriffen * entsprechenden Eigenschaften. 4.2. Endliche Gegenstände in ihrer Wahrheit. Dann bringt die Vorstellung allerdings den Mangel mit, dass sie nicht den Begriff * mit Gewissheit erfasst und insofern hinter der begrifflichen *, philosophischen Erkenntnis zurückbleibt.
dem gemeinten Sachverhalt aus, und sie wären insofern nicht richtig, wenn sie nicht auch die Endlichkeit abbilden würden. 145 Siehe Hegel, Enz. I, § 236, S. 388: „Die Idee als Einheit der subjektiven und der objektiven Idee ist der Begriff der Idee, dem die Idee als solche der Gegenstand, dem das Objekt sie ist; – ein Objekt, in welches alle Bestimmungen zusammengegangen sind. Diese Einheit ist hiermit die absolute und alle Wahrheit, die sich selbst denkende Idee, und zwar hier als denkende, als logische Idee.“ 146 Siehe ebd., § 237, S. 388 f.: „Sie [d. i. die absolute Idee; Einschub G. M.] ist sich Inhalt, insofern sie das ideelle Unterscheiden ihrer selbst von sich und das eine der Unterschiedenen die Identität mit sich ist, in der aber die Totalität der Form als das System der Inhaltsbestimmungen enthalten ist. Dieser Inhalt ist das System des Logischen.“ 147 Vgl. Hegel, Enz. I, § 244, S. 393.
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4.3. Unendliche Gegenstände, wie die Idee * oder auch metaphysische Gegenstände, können in Form von Vorstellungen auftreten. Auch dann erweist sich die Form der Vorstellung als Mangel, da anders als das begriffliche Erfassen die Begründung und Ableitung aus der Idee * fehlt. Insofern können diese Gegenstände zwar vorgestellt werden, aber es bleiben Ungewissheit und die Gefahr von Fehlrepräsentationen bestehen. Wahrheit und Richtigkeit unterscheiden also Vorstellungen und Begriffe * im hegelschen Sinn. Jedoch wurde oben auf Seite 267 noch ein weiteres Merkmal ihres Unterschiedes genannt. Denn Vorstellungen vom Begriffe * sind auch durch ihre Genese verschieden (6.). Anstatt nach Selbstbegründung und deren Notwendigkeit zu streben, wie es in der Logik geschieht, ist die Genese der Vorstellungen insofern interessant, als dass diese eben nicht durch sich selbst besteht und erklärt werden kann, sondern einen Anlass hat. Oder anders formuliert: Weil die Vorstellung unmittelbar und gegeben ist, und nicht wie die absolute Idee * ‚vermittelte Unmittelbarkeit‘, also durch sich selbst begründet,148 stellt sich eben die Frage, wie die Vorstellung gegeben ist oder wie das Subjekt zu der Vorstellung gekommen ist. Diese Genese kann sich vorzüglich auf zwei Weisen vollziehen: a) Die Vorstellung wird durch wiederholte sinnliche Wahrnehmung und Erinnerung gebildet.149 b) Auch wenn von Hegel so nicht benannt, können wir davon ausgehen, dass Vorstellungen auch erlernt respektive von anderen Subjekten übernommen werden können. Denn es bestehen Vorstellungen von Sachverhalten, die für das Subjekt, welches die Vorstellung hat, niemals sinnlich gegeben waren. So besteht etwa eine Vorstellung der Verschwörung gegen Julius Caesar, selbst dann, wenn niemals Originalquellen studiert wurden.150 Nach der Darstellung, was Hegel unter Vorstellungen versteht, ist es offensichtlich, dass in den Vorstellungen eine gewisse Willkürlichkeit hinsichtlich der Bestimmungen, welche die jeweilige Vorstellung beinhaltet, herrscht. Auf Gott als Vorstellung bezogen bedeutet das, dass zum Beispiel nicht alle Menschen in der Vorstellung ‚Gott‘ die gleichen Bestimmungen versammeln. Das auf dieser Basis aber ein Gottesbeweis ummöglich ist, schein offenkundig. Denn oben wurde bereits anhand Caterus’ Einwänden gegen Descartes’ Meditationen festgestellt, dass der OGB nicht gelingen kann, wenn ‚Existenz‘ nur eine willkürliche Bestimmung im Gottesbegriff wäre. Mit dem, was Hegel aber unter dem Begriff * versteht, will er nun eine Lösung für das Problem der Willkürlichkeit anbieten, und zwar insofern, als dass der Begriff * 148
Vgl. oben S. 202. Vgl. Hegel, Enz. III, §§ 451–454, S. 257–262. 150 Das ist im Kontext von unsinnlichen Vorstellungen und speziell für das Religionsverständnis wichtig, da religiöse Vorstellungen, so Hegel, in der Regel durch Erziehung gelernt werden. Vgl. Hegel, VPR I, S. 159 und Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 306 (93). 149
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nicht nur seine Bestimmungen notwendig haben soll, sondern sogar gezeigt werden kann, welche Bestimmungen ihm zukommen und warum diese notwendig sind. Damit nutzt Hegel also eine analoge Unterscheidung zu Descartes’ Distinktion von willkürlichen Ideen und Ideen. Die Vorstellungen teilen die Willkürlichkeit dessen, was Descartes als willkürliche Idee bezeichnet, während der Begriff * wie die Ideen notwendige Bestimmungen haben soll. Dabei ist der Begriff * als Prinzip oder höchste Stufe der Logik zu verstehen und insofern im Singular gefasst. Hegel meint aber durchaus, dass aus dem Begriff * besondere Begriffe * abgeleitet werden können, die dann ebenfalls notwendige Bestimmungen vereinen.151 Hegel erhebt aber nicht nur den Anspruch, dass dem Begriff * seine Bestimmungen mit Notwendigkeit inhärieren, sondern möchte diesen Anspruch durch einen Beweis einlösen. Deswegen kann der Begriff * seinen Gehalt auch nicht aus der Sinnlichkeit und Anschauung erhalten, weil diesen die Notwendigkeit fehlt.152 Um also mit der Behauptung über Descartes hinauszugehen, muss Hegel eine Methode und eine Ableitung anbieten, welche zeigt, welche Bestimmungen notwendig zum Begriff * und wie sie zu ihm gehören. Es liegt nun das Problem in Hegels Unterscheidung, dass sich nicht so einfach angeben lässt, was der Begriff * eigentlich ist.153 Weil der Begriff * nämlich in der gesamten WdL bestimmt wird und in dieser Arbeit noch ausführlicher besprochen wird,154 als es an dieser Stelle möglich und sinnvoll wäre, soll hier keine detaillierte Darstellung erfolgen. Was es dagegen zu verstehen gilt, ist, dass Hegel mit dem Begriff * tatsächlich eine Lösung für die Kontroverse zwischen Descartes und Caterus anbieten möchte und dass diese Lösung durch die Methode der WdL geleistet werden soll, die im folgenden Abschnitt 6 in Grundzügen dargestellt werden soll. Die Grundidee Hegels ist erneut, dass hinsichtlich des Absoluten oder des Begriffs * Methode und Inhalt, Beweis und Bewiesenes, Bestimmungen und Bestimmtes ein und dasselbe sein müssen.155
151
Vgl. unten Abschnitt 8. Houlgate zieht in seiner Erläuterung der logischen Kategorien eine Parallele zu Kant: Wie Kant sind auch bei Hegel die logischen Kategorien ‚allgemeiner, abstrakter, a priori und ohne perzeptiven Gehalt‘, so Houlgate. Vgl. Houlgate, „Hegel’s Logic“, S. 112. Allerdings betont Hegel, dass es eine Übersetzbarkeit von Vorstellungen in den Begriff * gibt, also einen Weg, die Vorstellungen, etwa der Religionspraxis, philosophisch zu rechtfertigen. Vgl. Hegel, Enz. III, § 573, S. 378. 153 Siehe Hegel, WdL II, S. 11 (1), Z. 3–5: „Was d i e N a t u r d e s B e g r i f f e s sey, kann so wenig unmittelbar angegeben werden, als der Begriff irgend eines anderen Gegenstandes unmittelbar aufgestellt werden kann.“ So beginnt Hegel den Abschnitt „Vom Begriff im Allgemeinen“ und fügt hinzu, dass es für den Begriff * wesentlich sei, dass er sich durch die Vermittlung mit den vorherigen logischen Bestimmungen zu einem Unmittelbaren gemacht habe. Das heißt, die Angabe dessen, was der Begriff ist, ist genau die Darstellung der objektiven Logik. 154 Vgl. unten Abschnitt 8.1. 155 Vgl. oben S. 189. 152
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
Dem Anspruch nach enthält also der Begriff * seine Bestimmungen notwendig und, wie Hegel anfügt, impliziert zudem Sein als eine Bestimmtheit, worum es ja in der Debatte zwischen Caterus und Descartes ging: Der Begriff und vollends der absolute Begriff, der Begriff an und für sich selbst, der Begriff Gottes ist für sich zu nehmen, und dieser Begriff enthält das Sein als eine Bestimmtheit; Sein ist eine Bestimmtheit des Begriffs.156
Hegel führt dafür zwei Gründe an: 1. Zum einen meint er, dass es eben zum Begriff gehören würde, „sich zu besondern, zu bestimmen, eine Endlichkeit zu setzen und diese seine Endlichkeit zu negieren[.]“157 Daraus folgt für Hegel, dass ‚Sein‘ ein wesentlicher und notwendiger Bestandteil des Begriffs * ist, da dem Begriff durch diese ‚Negation der Endlichkeit‘ Selbstbezug zukäme und ‚Sein‘ nichts anderes sei als die Selbstbeziehung.158 2. Zum anderen sei ‚Sein‘ aber eine ganz leere Bestimmung, trivial, es „ist weiter nichts als das Unsagbare, Begrifflose, nicht das Konkrete [. . . ], nur die Abstraktion der Beziehung auf sich selbst“159 . Wie kann aber ein Beweis aussehen, welcher zeigt, dass ‚Sein‘ dem absoluten Begriff * und damit Gott notwendig zukommt? Hegel meint ja, dass ein solcher Beweis eine selbstreflexive Struktur haben müsste, da es um einen unendlichen, absoluten Gegenstand geht, also um den absoluten, in sich selbst gründenden Begriff *. Der Gedanke kann in nuce wie folgt dargestellt werden: Ziel ist es also, dem Begriff * Bestimmungen zuzuordnen, und zwar mit Notwendigkeit. Dafür benötigt es folglich einer Methode und Begründung, a) die angibt, welche Bestimmungen zum Begriff * gehören (wobei Hegel Vollständigkeit anstrebt),160 und b) die begründet, dass diese Bestimmungen notwendig zum Begriff * gehören. Es muss also durch die Methode und Begründung ein Grund angegeben werden, warum die Bestimmungen nicht willkürlich und unvermittelt dem Begriff * zugesprochen werden. Wären die Methode und die Begründung bloß hypothetisch angenommen, so wären auch die Bestimmungen des Begriffs * nur hypothetisch notwendig. Folglich benötigen sowohl die Methode als auch die Begründung selbst eine Begründung oder eine Rechtfertigung ihrer Notwendigkeit. Ist der Gegenstand, der durch die Methode und Begründung bestimmt werden soll, aber das Absolute, so ergibt sich, dass die Methode/Begründung nicht vom Absoluten unabhängig sein kann. Denn, wenn das Absolute letzte und einzige Wahrheit ist, so kann die Methode nicht zugleich letztbegründet und vom Absoluten unabhängig sein. Oder anders formuliert: Wenn die Methode und die Begründung für die Bestimmung des Absoluten selbst unabhängig und 156 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 524. Vgl. Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 325 (220). 157 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 524. 158 Vgl. ebd., S. 525. 159 Ebd., S. 525. 160 Die Vollständigkeit ist etwa entscheidend für die Widerspruchsfreiheit, auf die im folgenden Abschnitt kurz eingegangen wird.
5.2. Hegels Problematisierung des Willkürproblems
277
absolut wären, so wären die Methode und die Begründung das eigentlich Absolute, während das, was durch sie bestimmt wird, ein Abhängiges wäre. Die Methode und die Begründung müssen also selbst absolut notwendig sein und können nicht der Willkür unterliegen. Das ist aber nur durch eine erneute Begründung gewährleistet. Mit der Begründung der Methode eröffnet sich das Problem des infiniten Regresses.161 Das Problem ist nur durch eine Selbstbegründung zu lösen.162 Gelingt aber eine Selbstbegründung, so fallen Begründung und Begründetes, Methode und Gegenstand zusammen. Wenn die Methode der Logik sich selbst als letztgültig beweist, und zwar durch sich selbst, so ist sie zugleich ihr eigener Inhalt. Diese Reflexivität und Selbstbezüglichkeit ist Kern der hegelschen Logik. Und die gleiche Reflexivität und Selbstbezüglichkeit lässt sich nun auch für Gottesbeweise übertragen, so Hegels Gedanke, beziehungsweise gilt, insofern die WdL als Gottesbeweis intendiert ist, die Reflexivität und Selbstbezüglichkeit a fortiori auch für die Gottesbeweise. Hegel hebt das in den ersten sieben aus den Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes immer wieder hervor, die insgesamt um die Themen des Verhältnisses von Erkenntnis, Glaube, Gott und Vernunft kreisen. Dass die philosophische Theologie ein Erkenntnisinteresse hat, das sich nur durch ihren Erkenntnisgegenstand rechtfertigen lässt, hebt er bereits in der ersten Vorlesung hervor: Es wird sich aber ferner, indem wir unseren Zweck verfolgen, zeigen, daß das Erkennen unseres Gegenstandes an ihm selbst auch als Erkennen sich rechtfertigen wird. Daß im wahrhaften und wirklichen Erkennen auch die Rechtfertigung des Erkennens liegen wird und muß, weiß man, könnte man sagen schon zum voraus, denn dieser Satz ist nichts anderes als eine Tautologie; ebenso als man im voraus wissen kann, daß der verlangte Umweg das Erkennen vor dem wirklichen Erkennen erkennen zu wollen, überflüssig ist, darum, weil dies in sich selbst widersinnig ist.163
Dass dieses auch tatsächlich für Gott zutrifft, betont er etwas später, in der dritten Vorlesung: Gott ist Tätigkeit, freie, sich auf sich selbst beziehende, bei sich bleibende Tätigkeit; es ist die Grundbestimmung in dem Begriffe oder auch in aller Vorstellung Gottes, er selbst zu sein, als Vermittlung seiner mit sich.164
Dabei ist für Hegel die Methode der Bestimmung der Eigenschaften entscheidend, denn bloßes Prädizieren und Definieren bleibt eben willkürlich, wie Hegel betont.165 So 161
Vgl. oben S. 188. Vgl. Lauer, „Hegel on Proofs for God’s Existence“, S. 464. 163 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 355. 164 Ebd., S. 368. Hegel betont dabei, dass dieses vor allem Teil der christlichen Gottesvorstellung sei. Siehe ebd., S. 368: „[D]ieser Religion ist vielmehr das explizite Bewußtsein, daß Gott Geist ist, als zum Anderen seiner (der Sohn heißt) zu sich selbst, daß er sich in ihm selbst als Liebe verhält, wesentlich als diese Vermittlung mit sich ist.“ 165 Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 392. 162
278
5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
muss der Begriff * und Gott selbst die Einheit der eigenen Bestimmungen sein, die so in ihrer Wesentlichkeit und Notwendigkeit hervortritt. Der Begriff * ist daher nicht willkürlich, sondern durch sich selbst bestimmt: Es liegt schon in dem Vorhergehenden, daß wir solche abstrakte Verstandesbestimmung nicht für den Begriff nehmen, sondern so, daß er schlechthin konkret in sich sei, eine Einheit, welche nicht unbestimmt, sondern wesentlich bestimmt und so nur als Einheit von Bestimmungen ist, und diese Einheit selbst so an ihre Bestimmungen gebunden, als eigentlich die Einheit von ihr selbst und den Bestimmungen ist, daß ohne die Bestimmungen die Einheit nichts ist, zugrunde geht oder näher: selbst nur zu einer unwahren Bestimmtheit herabgesetzt und, um etwas Wahres und Wirkliches zu sein, der Beziehung bedürftig ist.166
Es kann also festgehalten werden, dass Hegel mit seiner WdL das Problem aus der Kontroverse zwischen Caterus und Descartes zu lösen versucht. Dabei stützt er sich analog zu Descartes auf eine Unterscheidung, als deren Glieder er Vorstellungen und den Begriff * einführt. Auch wenn hier noch nicht genau erläutert werden konnte, was der Begriff * genau sei, ist deutlich geworden, dass Hegel an die Methode der Logik die Anforderung stellt, die Bestimmungen des Begriffs * als notwendige herzuleiten und zu begründen.167 Daher muss im Folgenden die Methode der WdL als ein Grundbaustein von Hegels Bemühungen um den OGB verstanden und dargestellt werden. Das wird im Abschnitt 6.2 eingeholt. Zuvor muss allerdings noch ein zweites Problem, das den OGB betrifft, eingeführt werden, denn auch dieses ist für Hegel durch die Methodenfrage zu lösen. Denn Hegel erkennt natürlich an, dass für die Bestimmungen und ihre Ableitung, nicht nur ausgeschlossen werden muss, dass sie willkürlich sind, sondern es ist zudem die Möglichkeit des Begriffs * und damit des philosophischen Gottesbegriffs zu erweisen.168 Die Möglichkeit Gottes ist dabei das Problem, was Leibniz als Kernfrage des ontologischen Beweises ausgemacht hatte. Dass Hegel somit an Leibniz anknüpft, aber eine entgegengesetzte Antwort entwickelt, soll im Folgenden dargestellt werden.
5.3 Das Problem der Konsistenz des Gottesbegriffs Neben Caterus ist ein anderer prominenter Kritiker des cartesischen Gottesbeweises aus den Meditationes zu nennen, nämlich Gottfried Wilhelm Leibniz. Leibniz ist sicher in Bezug auf die philosophische Theologie einer der interessantesten, vorkantischen Autoren. Denn Leibniz hat als herausragender Logiker und Mathematiker 166
Ebd., S. 395. Vgl. auch Hegel, Enz. I, § 20, Z., S. 75. Dass Hegel alle Willkürlichkeit aus dem Begriff * ausschließt, ist impliziert, wenn er darauf hinweist, dass der Begriff * nichts ist, was nur Menschen haben: „Man muß beim Begriff überhaupt es aufgegeben zu meinen, der Begriff sei etwas, das wir nur haben, in uns machen.“ (Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 526). 168 Vgl. ebd., S. 392. Vgl. auch Weischedel, Der Gott der Philosophen, S. 294 f. 167
5.3. Das Konsistenzproblem
279
nicht nur die logische Struktur der Gottesbeweise sehr scharf durchschaut – etwa den Unterschied zwischen den zwei ontologischen Gottesbeweisen, die entstehen, wenn man entweder das ens perfectissimum oder das ens necessarium als Grundbegriff wählt –, sondern steht mit dem verwendeten, formal- und modallogischen Instrumentarium der Entwicklung der modernen Logik sehr nahe.169 Dass Leibniz die logische Struktur sehr klar durchschaut, ist unbestreitbar.170 Er sieht nämlich sehr deutlich, dass es einen großen Unterschied für den OGB macht, welchen Gottesbegriff man zugrunde legt. Wird der Begriff des ens perfectissimum als Ausgangspunkt gewählt, so wird der zusätzliche Beweisschritt benötigt, der zeigt, dass Existenz notwendig zu den Perfektionen gehört oder zumindest aus der Vollkommenheit folgt. Wird hingegen vom Begriff des ens necessarium ausgegangen, ist die Existenz und Aktualität notwendig im Gottesbegriff impliziert, zumindest so lange Symmetrie als Axiom zugelassen wird.171 Nun könnte es den Anschein haben, als würde der Beweis, dass das ens necessarium existiert, problemlos gelingen, weil jeder Satz widersprüchlich wäre, der vom ens necessarium aussagt, dass es nicht existiert. Denn jede derartige Behauptung würde gegen das Modalaxiom p → p verstoßen und damit eigentlich den Begriffsinhalt des ens necessarium missverstehen, wie Leibniz etwa in seiner kleinen Schrift Demonstratio quod Ens necessarium existet, si est possible argumentiert.172 Um die Proposition, dass das ens necessarium aktual existiert, zu beweisen, führt Leibniz hier einen apagogischen Beweis. Diesem liegt die Gegenhypothese zugrunde, dass das ens necessarium nicht existiert, die auf folgendem Weg als Widerspruch 169 Insofern ist der gödelsche Gottesbeweis eine Formalisierung und Axiomatisierung von Leibniz’ OGB. 170 Ein Verdienst D. Henrichs ist es, an die Unterscheidung dieser zwei Formen des OGB erinnert zu haben. Vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 3. Henrich führt die zwei Formen schon auf Descartes zurück, denn Descartes hätte in der 5. Meditation und der Replik auf Caterus nicht mehr die Vollkommenheit als Grund der Existenz angenommen, sondern die immensa potestas des Wesen Gottes, zu der auch die notwendige Existenz gehöre. Leibniz weicht davon ab, indem er sich im Klaren ist, dass das ens necessarium aktual existiert, und zwar per definitionem, wenn es möglich ist. Damit ist kein Beweis notwendig, dass notwendiges Dasein ein Attribut des notwendigen Wesens ist. Vgl. Henrichs Ausführungen zu Descartes: ebd., S. 10–22. 171 Henrich sieht hinter dem ens necessarium bei Leibniz eine starke, metaphysische Behauptung, nämlich dass die Möglichkeiten je nach Perfektionsgrad zur Wirklichkeit streben. Dieses Prinzip, das sich für Leibniz als Forderung aus dem Satz vom zureichenden Grund ergibt, weil der Wirklichkeitsgrund eines Sachverhaltes nur in seiner Möglichkeit liegen kann, ist sicher wichtig und sehr interessant. Vgl. etwa Hermanni, Metaphysik, S. 62–66, der es für seinen OGB fruchtbar macht und damit dem kantischen Einwand entgeht. Vgl. auch Hermanni, „Warum ist überhaupt etwas möglich? Eine Antwort auf Nicholas Rescher“. Jedoch scheint Henrichs Vermutung nicht völlig triftig, denn mit dem Prinzip des Wirklichkeitsstrebens der Möglichkeiten kann Leibniz zeigen, dass das ens perfectissimum impliziert, notwendig zu sein. Aber das bedeutet nicht, dass das ens necessarium notwendigerweise auf diesem Prinzip beruht. Dass Notwendiges wirklich ist, benötigt zunächst nur die Axiome der gängiger modallogischer Systeme. 172 Vgl. Leibniz, „Quod ens perfectissimum sit possible“. Vgl. auch Leibniz, „Quod ens perfectissimum existit“.
280
5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
entlarvt wird: Für alles das, was nicht existiert, müsse aber gelten, dass es für es möglich sei, nicht zu existieren. Dasjenige, für das es nicht möglich ist, nicht zu existieren, müsste also existieren. Nun heißt, vom ens necessarium zu sagen, dass es möglicher Weise nicht existiert, gerade, dass es nicht notwendig sei. Das ist aber eine Kontradiktion. Dass dieser Gottesbeweis jedoch nicht derart einfach ist, hat Leibniz klar erkannt und als Beweislücke in Descartes’ OGB identifiziert.173 Denn die Voraussetzung, damit das ens necessarium überhaupt als notwendiges Wesen angesehen werden kann, ist, dass es möglich ist. Denn natürlich impliziert das ens necessarium, dass es möglich ist, und ließe sich zeigen, dass die Möglichkeit gar nicht besteht, so ließe sich auch aus dem Begriff nicht legitimerweise die Wirklichkeit ableiten. Die Möglichkeit Gottes stellt aber nun einen Beweisschritt mit ganz eigenen Anforderungen dar, wie Leibniz an verschiedenen Stellen seines Werkes betont hat.174 Und so folgert Leibniz auch in der genannten kleinen Schrift, dass nicht unmittelbar aus dem Widerspruch, dass das ens necessarium möglicherweise nicht sei, geschlossen werden kann, dass die Hypothese – die Nichtexistenz des ens necessarium – verworfen werden müsse. Denn es könnte etwa sein, dass im Begriff des ens necessarium eine Kontradiktion vorliegt, wodurch aus ihm trivialer Weise alles gefolgert werden könnte – was aber dann natürlich keine Überzeugungskraft hätte. Daher lässt sich, so Leibniz, zunächst nur festhalten: Wenn das ens necessarium möglich ist, dann existiert es auch aktual. Dass die Möglichkeit Gottes ein Problem ist, lässt sich anhand der vollkommenen Eigenschaften Gottes, die, wie gleich auf Seite 282 unter (2.) deutlich werden soll, auch im Zentrum der leibnizschen Lösung stehen, entfalten. Denn auch wenn Gott Vollkommenheiten zukommt, wie etwa Allgüte, Allwissen und Allmacht, die klassischen Gottesattribute, so wurden Fragen zu deren Verhältnissen und damit zu möglichen Widersprüchen gestellt, wie etwa: Bedeutet Allmacht nicht auch, dass Gott seine Macht beschränken könnte? Wäre es folglich etwa möglich, dass Gott eine Welt schafft, der er machtlos gegenübersteht? Aber dann wäre er nicht mehr allmächtig.175 Und ergibt sich nicht eines der schwierigsten Probleme der Theologie aus einem Widerspruch in den perfectiones, nämlich das Theodizeeproblem: Da es fraglos Übel in der Welt gibt, scheint es nicht mehr kompatibel zu sein, dass Gott sowohl allgütig, allwissend und allmächtig ist? Denn wenn er vom Übel wüsste, so würde seine Güte und seine Allmacht doch dazu führen, dieses zu
173
Vgl. Enders, „Ontologischer Gottesbegriff und ontologischer Gottesbeweis“, S. 269 f. Vgl. etwa Leibniz, Neue Abhandlungen, Buch IV, Kapitel 10, § 7, S. 439; Leibniz, „Discours de Métaphysik / Metaphysische Abhandlung“, § 23, S. 125; Leibniz, „Monadologie“, § 45, S. 47; Leibniz, „Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis / Betrachtungen über die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen“, S. 39 f. 175 Vgl. Hegel, VPR I, S. 153 f. Vgl. Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 300 f. (Q.117). 174
5.3. Das Konsistenzproblem
281
verhindern.176 So stehen also die Eigenschaften Gottes unter dem Verdacht, zu Widersprüchen zu führen, sodass Gott eigentlich unmöglich wäre. Im Anschluss an Leibniz betont auch Hegel, dass für die traditionellen Gottesbeweise hier ein wesentliches Problem liegt. In der bereits angesprochenen siebten der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes führt Hegel zwei Aspekte an, die in den Gottesbeweisen, wie der Verstand sie formt, hervortreten: a) Es müsste zunächst die Frage geklärt werden, „was Gott ist“, um dann b) zu beweisen, „daß er ist.“177 Die Bestimmung des ersteren (a) ist nun notwendig, um den Gottesbegriff überhaupt sinnvoll in Urteilen als Subjektterm verwenden zu können. Daher sei auch die ‚natürlichen Theologie‘ der Bestimmung nachgegangen, ohne dabei allerdings immer ein Prinzip für die Ableitung der Gottesbestimmungen zu haben. Daher seien dann Vorstellungen zugrunde gelegt worden, was aber wiederum nur unter der fragwürdigen Prämisse Beweiskraft besitze, dass alle Menschen die gleiche Vorstellung hätten, wenn der Ausdruck ‚Gott‘ verwendet wird.178 Um überhaupt wahrheitsfähig zu sein und damit sinnvoll in Sätzen verwendet werden zu können, ist in dem Verfahren der Bestimmung des Gottesbegriffs versucht worden, zu zeigen, dass der Begriff „logisch wahr“ sei. Die logische Wahrheit sei dann aber mit dem „Sich-nicht-Widersprechen“, dem Kennzeichen logischer Möglichkeit, identifiziert worden. Auf diesem Wege wurde versucht, so sieht es Hegel, die Möglichkeit Gottes zu beweisen.179 Nun meint Hegel nicht, dass ein solcher Beweis nicht tatsächlich notwendig sei, meint aber sich von dem Beweisverfahren seiner Vorgänger distanzieren zu müssen, was im folgenden Abschnitt gezeigt wird, nachdem näher betrachtet wurde, wie Leibniz’ Möglichkeitsbeweis funktioniert. Wie kann also die Möglichkeit des ens necessarium bewiesen werden? Leibniz greift auf das noch heute übliche Kriterium für die logische Möglichkeit zurück: Die Widerspruchsfreiheit eines Wesens stellt sicher, dass es logisch möglich ist. 176 Vgl. zum Theodizee Problem Hermanni, Metaphysik, S. 116–144. Vgl. auch Hermanni, Die letzte Entlastung. Vollendung und Scheitern des abendländischen Theodizeeprojektes in Schellings Philosophie. Vgl. auch Hermanni, Das Böse und die Theodizee. Vgl. auch Hans Jonas beeindruckenden Überlegungen. Jonas sieht klar, dass Allmacht ein in sich widersprüchliches Prädikat ist, weil Macht ein Relationsprädikat ist, das ein Widerständiges, Gegenüberstehendes benötigt. Klug sieht Jonas die problematische, theologische Reaktion von einem deus absconditus auszugehen. Vgl. Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz, S. 33–42 und auch Jonas, Materie, Geist und Schöpfung, S. 54–61. 177 Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 392. 178 Siehe ebd., S. 392: „So ist denn in der Metaphysik von Gott, der sogenannten natürlichen Theologie, der Anfang damit gemacht worden, den Begriff Gott zu exponieren nach der gewöhnlichen Weise, indem zugesehen wird, was unsere vorausgesetzte Vorstellung von ihm enthalte, wobei wieder vorausgesetzt ist, daß wir alle dieselbe Vorstellung haben, die wir mit Gott ausdrücken.“ Das genügt Hegel natürlich nicht, weshalb er den Beweis ex consensu gentium verwirft. Vgl. ebd., S. 387. 179 Vgl. ebd., S. 392.
282
5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
Damit gilt es, zu zeigen, dass der Begriff Gottes keinen Widerspruch impliziert. Um dieser Anforderung gerecht zu werden, bietet Leibniz zwei unterschiedliche Argumentationen an. 1. Zum einen wäre der KGB ein Garant für die Möglichkeit des ens necessarium, denn die Wirklichkeit des notwendigen Wesens würde natürlich auch dessen Möglichkeit implizieren. 2. Zum anderen macht Leibniz von einem sehr ähnlichen Modell Gebrauch, wie es oben in der Darstellung des kantischen Gedankengangs im „Ideal der reinen Vernunft“ angegeben wurde.180 In diesem Modell geht es um die Eigenschaften der Gottesattribute, wodurch ein möglicher Widerspruch zwischen diesen Attributen ausgeschlossen werden soll. Ad 1.: Auf den KGB von Leibniz ist oben bereits eingegangen worden, weshalb er nur kurz in Erinnerung zu rufen ist.181 Leibniz beginnt mit der Frage, was eigentlich ein zureichender Grund für kontingentes Seiendes ist. Denn, dass es kontingentes Seiendes gibt, ist kaum zu bezweifeln – einschlägig sind etwa Tatsachen, wie: In Deutschland gilt Rechtsverkehr. Der SvzG hingegen ist deswegen plausibel, weil etwas, das keinen hinreichenden Grund hat, scheinbar aus dem Nichts entstanden sein müsste, was sich kaum vorstellen lässt. Nun kann natürlich ein bestimmter kontingenter Sachverhalt seinen zureichenden Grund in einem anderen, ebenfalls kontingenten Sachverhalt haben. Die Versuche, den sich andeutenden Regress auszuschließen, scheinen Leibniz nicht überzeugt zu haben, weshalb er argumentiert, dass, selbst wenn jeder kontingente Sachverhalt seinen zureichenden Grund in einem anderen hätte, man sinnvoller Weise die Frage stellen könne, warum denn ausgerechnet diese Reihe aus kontingenten Sachverhalten, warum also diese kontingente Welt und nicht eine andere wirklich sei. Dieser ‚quantifier-shift‘ ist natürlich selbst begründungsbedürftig. Dass aber die Frage nach dem Grund der ganzen Welt selbst dann sinnvoll ist, wenn jeder Sachverhalt in der Welt einen zureichenden Grund hat, zeigt etwa Fr. Hermanni.182 Zudem lässt sich anführen, dass es eine Anforderung an Erkenntnis ist, nicht nur die jeweilige hinreichende Ursache für einen Sachverhalt zu kennen, sondern zusätzlich zu allgemeineren Bedingungen überzugehen: Die Gesetzmäßigkeiten für Gruppen von Sachverhalten ist das eigentliche Erkenntnisinteresse, und der Übergang zur Erklärung aller Sachverhalte somit eine Konsequenz aus dieser Anforderung an die Erkenntnis. In jedem Fall sieht Leibniz die Frage nach dem hinreichenden Grund der kontingenten Sachverhalte in der Welt als berechtigt an und argumentiert, dass die Sachverhalte nun nicht erneut in einem kontingenten Sachverhalt ihren zureichenden Grund haben könnten, sondern dieser Sachverhalt notwendig sein müsse. Wenn aber kontingentes Seiendes wirklich ist, dessen Grund nur in einem notwendig Seienden liegen könne und es tatsächlich einen Grund geben müsse, so 180 181 182
Vgl. oben S. 35. Vgl. oben Abschnitt 1.3.1 und Abschnitt 1.4.2. Vgl. Hermanni, Metaphysik, S. 33–35.
5.3. Das Konsistenzproblem
283
müsse auch das notwendig Seiende, das ens necessarium wirklich sein. Und wenn das ens necessarium wirklich ist, so ist es a fortiori auch möglich.183 Der Beweis hat, wie oben argumentiert, eine Schwäche, nämlich, dass beim ‚quantifier-shift‘ davon ausgegangen werde, dass der zureichende Grund für die Gesamtheit der kontingenten Tatsachen in der Welt selbst nicht kontingent sein könne.184 Denn es ließe sich ja ebenso ein erneuter Regress aus kontingenten Weltgründen denken. Um diesen Regress auszuschließen, muss gezeigt werden, dass es ein durch sich selbst notwendiges Wesen gibt, was der OGB zu leisten versucht. Insofern war Kants Darstellung als plausibel dargestellt worden, dass der KGB den OGB voraussetzen muss. Wenn das der Fall ist, kann der KGB aber nicht den Möglichkeitsbeweis erbringen, der den OGB erst starten lässt. Ad 2.: Es findet sich aber noch eine alternative Argumentation für die Möglichkeit Gottes in Leibniz’ Werk. Und diese wird oft als die interessantere Lösung des Möglichkeitsproblems angesehen, die Leibniz angeboten hat, da der KGB bereits die Wirklichkeit Gottes zeigen würde und damit das Beweisziel des OGB schon erreicht wäre.185 Zudem kommt sie ohne Prämissen aus der Erfahrung aus, da sie zu zeigen versucht, dass die Eigenschaften, die mit begrifflicher Notwendigkeit Gott zukommen müssen, unmöglich in einem Widerspruch zueinander stehen können. Diese Argumentation für die Möglichkeit Gottes führt Leibniz etwa in der erwähnten Schrift Demonstratio quod Ens perfectissimum sit possible186 aus. Das Argumentationsziel von Leibniz ist also, dass Gott logisch möglich ist, das heißt, dass sein Wesen keinen Widerspruch einschließt. Um dieses Ziel zu erreichen, muss gezeigt werden, dass sich die Eigenschaften, die im Gottesbegriff zusammengefasst sind, nicht widersprechen oder sogar nicht widersprechen können. Um die Widerspruchsfreiheit zu demonstrieren, ist es hinreichend, wenn für zwei beliebige Eigenschaften die notwendige Widerspruchsfreiheit gezeigt wird. Denn wenn für beliebige Eigenschaften, die Gott zukommen, gilt, dass sie sich nicht widersprechen können, so kann zwischen keinem Eigenschaftspaar und, wenn man Transitivität zulässt, auch zwischen keinen Eigenschaftsgruppen ein Widerspruch entstehen.187 Der erste Argumentationsschritt ist daher, diejenigen Eigenschaften zu erfassen, die Gott zugeschrieben werden können. Leibniz wählt nun die Strategie, nicht die konkreten Prädikate zu benennen, die Gott zugeschrieben werden, sondern Eigenschaften der Prädikate zu analysieren, die alle Gottesprädikate erfüllen müssen. Nun bietet der Begriff des ens necessarium keinen offensichtlichen Anhaltspunkt für 183
Vgl. dazu auch Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 52 f. Vgl. oben Abschnitt 1.4.2. 185 Zu diesem Argument schreibt etwa Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S. 173: „Leibniz showed, without difficulty, that the idea of God is possible.“ Vgl. auch Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie. Rückblick auf den deutschen Geist, S. 64; Hermanni, Metaphysik, S. 54 f. 186 Leibniz, „Quod ens perfectissimum sit possible“. 187 Vgl. Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S. 174. 184
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
die in ihm versammelten Prädikate. Daher greift Leibniz auf den Begriff des ens perfectissimum zurück, aus dem sich die Anforderung an die inhärierenden Prädikate ergeben: Er umfasst alle Vollkommenheiten. Vollkommenheiten sind nun diejenigen Attribute, so Leibniz, die einfach und rein positiv sind. Damit sind Eigenschaften wie Allgüte, Allwissenheit und Allmacht – die klassischen Gottesprädikate – gemeint.188 Aber ohne diese inhaltlich weiter bestimmen und daraus die Widerspruchsfreiheit ableiten zu müssen, genügen Leibniz zwei beliebige Prädikate, deren Eigenschaften, Einfachheit und Positivität, die Widerspruchsfreiheit garantieren sollen. Einfach ist eine Vollkommenheit nun, wenn sie nicht aus mehreren Eigenschaften zusammengesetzt und daher auch nicht durch andere Eigenschaften definierbar ist. Rein positiv ist eine Eigenschaft, wenn sie „im höchsten Grade sachhaltig und generisch umfassend ist, das heißt, wenn sie einen Sachgehalt weder negiert noch in gradueller oder generischer Hinsicht begrenzt“189 . Leibniz schließt nun an diese Bestimmung den folgenden indirekten Beweis an: Gesetzt man nehme nun zwei beliebige Vollkommenheiten A und B. Damit Gott unmöglich wäre, müssten diese sich widersprechen. Die für Leibniz’ Zwecke zu widerlegende Hypothese des indirekten Beweises lautet also: A und B sind inkompatibel, das heißt, sie führen zu einem Widerspruch, wenn sie dem gleichen Subjekt zugesprochen werden. Um die Hypothese zu beweisen, müsste nun der Widerspruch von A und B entweder i) evident sein, oder ii) beweisbar. Wäre er nun (i) evident, so müssten die beiden sich wechselseitig ausschließen, das heißt, A wäre gleich non-B und B wäre gleich non-A. Das ist aber unmöglich, weil A und B rein positive Bestimmungen sind und diese alle Grenzen und Negationen ausschließen. Somit verstieße ein evidenter Widerspruch von A und B gegen die Bestimmung von Vollkommenheiten. Allerdings kann ein Widerspruch zwischen A und B auch nicht (ii) beweisbar sein, denn ein Beweis, so Leibniz, müsste zeigen, dass sich Begriffsbestandteile von A und B gegenseitig ausschließen. Denn der Beweis wäre durch die Analyse der beiden Vollkommenheiten zu leisten. Aber beide sind einfache Bestimmungen, die nicht durch andere Eigenschaften definiert und zusammengesetzt sind. Beide sind daher nicht analysierbar und somit kann unmöglich ein Widerspruch aus ihnen abgeleitet werden. Es gibt also keine Möglichkeit, wie sich zwei beliebige Vollkommenheiten widersprechen können. Denn wenn beide sich evidenter Maßen widersprächen, 188
Vgl. Hermanni, Metaphysik, S. 54. Ebd., S. 54. Vgl. Leibniz, „Quod ens perfectissimum sit possible“, S. 572. Siehe auch Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S. 174: „Every quality wich is simple or absolute, positive and indefinable, and expresses its object without limits, is a perfection.“ Die Annahme von rein positiven Prädikaten, die in ihrer Gesamtheit den Gottesbegriff bestimmen, tritt in Gödels OGB wieder auf. Vgl. Bromand, „Gödels ontologischer Beweis und andere modallogische Beweise“, S. 394 f. 189
5.4. Hegels Problematisierung des Konsistenzproblems in der omnitudo realitatis
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müssten sie die Negation des jeweils anderen sein. Da Vollkommenheiten aber als negationsfrei definiert wurden, ist das unmöglich. Und andererseits ist ein Widerspruch zwischen ihnen nicht beweisbar, denn dafür müssten sie analysierbar sein, um zu zeigen, dass sie sich in ihren Implikationen widersprechen. Da sie aber einfach und negationsfrei sind, ist auch das unmöglich.190 Das ist Leibniz’ Argument, um die Widerspruchsfreiheit des Gottesbegriffs zu zeigen. B. Russell hält dazu fest, dass es, gegeben die Prämissen, eine einwandfreie Deduktion sei.191 Dass die Argumentation schlüssig ist, steht auch tatsächlich außer Frage. Allerdings fällt direkt auf, dass die Lösung sehr formal bleibt. Eine Beantwortung der gerade auf Seite 280 angedeuteten Fragen, ob nicht zwischen den klassischen Gottesattributen Widersprüche auftreten, ist nur auf einer abstrakten Ebene möglich: Es kann eben nicht sein, dass sich die Attribute Allgüte, Allmacht und Allwissen widersprechen, aber wie genau sie als einfach und rein positiv aufzufassen sind, ist nicht konkret gezeigt. Hegel selbst hat Leibniz’ Beweis wohl nicht gekannt, aber da die leibnizsche Argumentation ihren Weg in die wolffsche Philosophie bis hin in die kantische KrV 192 gefunden hat, war Hegel mit ähnlichen Argumentationen vertraut. Daher kann legitimerweise gefragt werden, ob Hegels Auseinandersetzung mit den Argumenten auch auf Leibniz’ Beweis zutrifft. Dabei ist Hegels Haupteinwand nicht gegen die Ableitung aus den Prämissen, sondern gegen die Prämissen selbst gerichtet: In nuce lauten die Alternativen, die Hegel für die Bestandteile eines solchen Gottesbegriffs sieht, dass sich einfache und rein positive Prädikate entweder doch widersprechen können oder aber sich ihre Bedeutung gar nicht unterscheiden lässt. Hegel hat das besonders am Inbegriff aller Realität kritisiert, weshalb im Folgenden Hegels Einwand dargestellt werden soll.
5.4 Hegels Kritik an der omnitudo realitatis Hegel greift eine der leibnizschen ähnliche Argumentation an verschiedenen Stellen auf.193 Er stellt seine Bedenken dabei in den breiteren Kontext, die Theologie der vorkantischen Metaphysik, der Aufklärung und der „bloß verständigen Betrachtung Gottes“194 zu kritisieren. Hegels Anliegen soll dabei im Folgenden so verstanden 190 Vgl. dazu auch die Rekonstruktion in Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“, S. 254–256 und Hermanni, Metaphysik, S. 54 f. 191 Vgl. Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S. 174. 192 Vgl. Kant, KrV, A 575–578 | B 603–606. 193 Vgl. Hegel, WdL I, S. 99–102 (102–106) und ebd., S. #289 (81 f.) Ebenso nimmt § 36 der Enzyklopädie auf die Strategie Bezug, den Begriff Gottes über positive Prädikate zu bestimmen. Vgl. Hegel, Enz. I, § 36, A., S. 103. In Anspielung auch die siebte der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 392–394. 194 Hegel, Enz. III, § 36, A., S. 103.
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
werden, dass es ihm um die Verteidigung eines Begriffsholismus geht, indem er versucht, einen Widerspruch in der Annahme von einfachen und positiven, quasi atomistischen Bestimmungen aufzudecken. Eine Pointe des holistischen Zusammenhangs von grundlegenden Begriffen ist dann, dass das Negationsverhältnis zwischen Kategorien eine konstitutive Funktion erhält, was in den folgenden Abschnitten näher ausgeführt werden soll.195 Allerdings hat Hegel keinen konkreten Gegner, sondern eine Position innerhalb der philosophischen Theologie vor Augen, wenn er seine Einwände formuliert, was schon daran deutlich wird, dass er in den Ausführungen in der Seinslogik unbefangen die Ausdrücke verwendet, die Kant im Ideal der reinen Vernunft anführt, zugleich auf Leibniz verweist, ihm aber den Ausdruck ‚temperieren‘ zuschreibt, der nur für die Wollfsche Philosophie nachzuweisen ist, sich aber, soweit bekannt, nicht im leibnizschen Werk findet.196 Hegel führt an dieser Stelle zunächst eine verknappte Fassung der Argumentation an: Bei dem Ausdrucke: Realität ist der sonstige metaphysische B e g r i f f vo n G o t t, der vornehmlich dem sogenannten ontologischen Beweise vom Daseyn Gottes zu Grunde gelegt wurde, zu erwähnen. Gott wurde als d e r I n b e g r i f f a l l e r R e a l i t ä t e n bestimmt, und von diesem Inbegriffe gesagt, daß er keinen Widerspruch in sich enthalte, daß keine der Realitäten die andere aufhebe; denn eine Realität sey nur als eine Vollkommenheit, als ein A f f i r m a t i ve s zu nehmen, das keine Negation enthalte. Somit seyen die Realitäten sich nicht entgegengesetzt und widersprechen sich nicht.197
Offensichtlich ist, dass Hegel in der Terminologie weitgehend von Leibniz abweicht. Jedoch teilt er zumindest dreierlei: a) Hegel sieht, dass es um den „Begriff von Gott“, um dessen Bestandteile und deren Widerspruchsfreiheit geht. b) Um die Widerspruchsfreiheit zu gewährleisten, müssen die Bestandteile Eigenschaften haben, die einen Widerspruch unmöglich machen. c) Der Widerspruch kann ausgeschlossen werden, weil der Begriff Gottes durch ‚Realitäten‘ oder ‚Vollkommenheiten‘ zusammengesetzt ist, die wiederum „keine Negation enthalte[n]“ und daher rein affirmativ sind. Hegel spart eine genaue Analyse des indirekten Beweises aus, mit dem Leibniz aus der Prämisse, die Eigenschaften Gottes seien einfache und rein positive Qualitäten, zeigt, dass sich diese Eigenschaften nicht widersprechen können. Damit prüft Hegel die Ableitung nicht eigens, sondern geht meines Erachtens gleich dazu über, die Prämissen zu hinterfragen, die auch Leibniz verwendet. Insofern kann Hegels 195
Vgl. unten Abschnitt 6.2. Vgl. Hegel, WdL I, S. 99 f. (102 f.). Darauf weisen die Anmerkungen des Herausgebers hin. Der Ausdruck findet sich bei bei Wolff. Vgl. ebd., S. 434, Anmerkung zu S. 100, 5–10. Zugleich geben die Anmerkungen aber auch Leibniz’ Schrift Vernunftprinzipien der Natur und Gnade als Vorlage für die Ausführungen Hegels an. Vgl. Leibniz zu den Vollkommenheiten: Leibniz, „Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade“, § 9, S. 14 f. 197 Hegel, WdL I, S. 99 (102 f.), Z. 21–27. 196
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folgender Gedanke legitimerweise als Antwort auf Leibniz’ Beweis verstanden werden, auch wenn Hegel wohl nicht mit Leibniz’ Zwischenschritten vertraut war.198 Denn Hegel wendet sich nun gegen das atomistische Verständnis von Begriffen: Die Bestandteile des Gottesbegriffs können nicht negationsfrei und ohne Entgegensetzung verstanden werden, wie Hegel im Kontext der ‹Qualität› in seiner Logik erläutert. An das obige Zitat anschließend schreibt er: Bey diesem Begriffe der Realität wird angenommen, daß sie dann noch bleibe, wenn alle Negation weggedacht werde; damit wird aber alle Bestimmtheit derselben aufgehoben. Die Realität ist Qualität, Daseyn; damit enthält sie das Moment des Negativen, und ist allein dadurch das Bestimmte, das sie ist. Im sogenannten e m i n e n t e n S i n n e oder als u n e n d l i c h e, – in der gewöhnlichen Bedeutung des Worts, – wie sie genommen werden soll, wird sie ins Bestimmungslose erweitert, und verliert ihre Bedeutung.199
Die Passagen bereiten Verständnisschwierigkeiten, weil Hegel zwei Ziele zugleich verfolgt: Zum einen kommentiert und erläutert er, was in der WdL bislang erreicht worden sein soll, zum anderen bezieht er sich auf die Argumentation für die Möglichkeit Gottes. Hegel trennt jedoch beide Ziele nicht, weil er in der philosophischen Theologie der Aufklärung einen Anwendungsfall, und zwar einen paradigmatischen, der Kategorien sieht, die in Logik bis dato untersucht wurden. Jedoch liege in der vorkantischen Metaphysik ein Missverständnis über die Kategorien vor: Denn ‹Qualitäten› oder ‹Realitäten› implizieren, so Hegel, ‹Negativität›, und wenn von dieser ‹Negativität› abstrahiert werde, so gehe auch der Sinn von ‹Qualitäten› und ‹Realitäten› verloren. 198 So liest ihn auch F. Schick in einem instruktiven Artikel, dem die folgende Rekonstruktion von Hegels Argument viel verdankt. Vgl. Schick, „Philosophie der Religion statt Vernunfttheologie?“, S. 490–495. Anders als im Folgenden argumentiert wird, gesteht Schick Leibniz die Prämisse zunächst zu, dass rein positive Prädikate zwei Formen von negativen Beziehungen haben könne, ohne dadurch inkompossibel zu werden: Zum einen besteht die negative Beziehung zwischen verschiedenen Perfektionen qua Distinktheit, zum anderen besteht eine solche zu den jeweiligen, negativen Gegenstücken, also den imperfekten Bestimmungen. Allerdings ergeben sich bei einem zweiten Blick, so Schick, die Probleme, die Hegel diagnostiziert, nämlich, dass die Bestimmungen nicht mehr zu unterscheiden sind, und zwar über die beiden negativen Beziehungen: Denn auch wenn die Inkompossibilität, wie Leibniz ausführt, ausgeschlossen werden kann, so kann auf dem gleichen Weg auch die Kompossibilität ausgeschlossen werden: Denn ein Beweis ist nicht möglich, da zwei Perfektionen A und B einfach seien. Aber da sie verschiedene Vollkommenheiten sind, können sie auch per definitionem nicht identisch sein, also nicht evidenter Maßen kompossibel sein. Und auch die Abgrenzung der Perfektionen hinsichtlich ihrer Gegenteile sei nicht haltbar, so Schick, weil die Gegenteile gar keine eigene Bedeutung, sondern nur als Negation eines Positiven bestimmt seien. Das ist bestechend, und Leibniz scheint die grundsätzliche Kompossibilität von einfachen Eigenschaften vorauszusetzen. 199 Hegel, WdL I, S. 99 f. (102 f.), Z. 28–5. Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 518. Siehe Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 318 (215): „Wo keine Negation ist, da ist auch kein Unterscheid, keine Bestimmung.“
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5. Hegel gegen die Willkürlichkeit und Unmöglichkeit des Gottesbegriffs
In dieser Konzeption dessen, was ‹Qualitäten› und ‹Realitäten› sind, greift Hegel also auf die zurückliegende Argumentation der WdL zurück. Diese wird unten in der vorliegenden Arbeit noch deutlich werden, wenn Hegels Verständnis des ‹Daseins› erläutert wird.200 Hier muss die sehr knappe Erläuterung genügen, dass Hegel im Anfang der Logik einen antinomischen Widerstreit des ‹Seins› und ‹Nichtseins› analysiert, der dadurch entsteht, dass die Kategorie ‹Sein› durch ihre Unterscheidung von der Kategorie des ‹Nichtseins› eine Instanz der Kategorie des ‹Nichtseins› ist. So ergibt sich ein Oszillieren der Identifikation und der Unterscheidung von ‹Sein› und ‹Nichtsein›, was den antinomischen Widerstreit ausmacht. Wie genau es zu diesem kommt wird im Folgenden in der Auseinandersetzung mit D. Wandschneiders Konzept der Dialektik dargestellt und diskutiert.201 Hegels Schluss aus dieser Antinomie ist nun, dass sich ‹Sein› und ‹Nichtsein› nur in einem größeren Kontext verstehen lassen, in welchem die Antinomie aufgelöst werden kann. Diese Auflösung soll im ‹Dasein› erreicht werden. ‹Dasein› steht für Hegel für Bestimmtheit und darin implizierte Kategorien. Der antinomische Widerstreit ist nun insofern aufgelöst, als dass ‹Sein› und ‹Nichtsein› in einer Bestimmtheit konsistent, notwendig aufeinander bezogen und beide involviert sind: Bestimmt zu sein heißt sowohl, sich von anderem zu unterscheiden und damit eine andere Bestimmung auszuschließen: „[D]as Nichts so als das bestimmte einer Bestimmtheit, ist ebenso ein reflectiertes, eine Verneinung.“202 Zugleich heißt, bestimmt zu sein aber auch, eine Qualität zu haben, etwas zu sein, worin das ‹Sein› als Aspekt erhalten bleibt. Wird nun Bestimmtheit selbst in den Blick genommen, nennt Hegel sie ‹Qualität›, und ihr positiver Aspekt kann unter der Kategorie ‹Realität› gefasst werden. Beide implizieren aber einen negierenden Bezug auf anderes, auch wenn dieser Bezug in der ‹Realität› nicht im Vordergrund der Charakterisierung steht.203 Insofern sind also ‹Sein› und ‹Nichtsein› beide konstitutive Bestandteile von Bestimmtheit, von ‹Qualitäten› und ‹Realitäten› und in jeder Bestimmung findet eine Abgrenzung und damit ein negativer, ausschließender Bezug statt. Wenn Hegel aber einfach sein eigenes Konzept gegen Leibniz’ Prämisse von einfachen und positiven Qualitäten setzten würde, könnte seine Kritik nicht als Widerlegung gelten, denn er würde eben ein anderes Konzept voraussetzen und auf diesem beharren. Aber eine bloße Alternative zu Leibniz’ Argumentation zu bieten, ist natürlich nicht Hegels Anspruch. Stattdessen möchte Hegel zeigen, 200
Vgl. unten Abschnitt 6.3.2. Vgl. unten Abschnitt 6.3.1. 202 Hegel, WdL I, S. 98 (101), Z. 27 f. 203 Siehe ebd., S. 98 f. (101 f.), Z. 28–4: „Die Qualität, so daß sie unterschieden als s e ye n d e gelte, ist die R e a l i t ä t; sie als mit einer Verneinung behaftet, N e g a t i o n überhaupt, gleichfalls als eine Qualität, aber die für einen Mangel gilt, sich weiterhin als Gräntze, Schranke bestimmt. Beyde sind ein Daseyn, aber in der R e a l i t ä t als Qualität mit dem Accente, eine s e y e n d e, zu seyn, ist es versteckt, daß sie die Bestimmtheit, also auch die Negation enthält[.]“ 201
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dass die Distinktion der Bestimmungen bei Leibniz bereits ein Negationsverhältnis impliziert. Es ist klar, dass die reine Positivität nicht alle negativen Urteile über die rein positiven Bestimmungen ausschließen kann, denn natürlich muss für Bestimmungen mit dem Anspruch, eine Perfektion zu sein, gelten, dass sich wahre, negative Aussagen über sie formulieren lassen. Zumindest muss für eine Perfektion A gelten, dass A keine unvollkommene Bestimmung ist. Um also Perfektionen von gewöhnlichen Prädikaten zu unterscheiden, müssen bestimmte Negationen wahr sein, welche die Begriffsklassen voneinander unterscheiden. Das ist allein eine Anforderung der Bedeutungsbestimmung. Es ist nun aber zu überlegen, ob nicht Gleiches auch für das Verhältnis von rein positiven Bestimmungen untereinander zutrifft, da sie ja distinkt sein sollen. Das dem angeführten Zitat zugrunde liegende Argument müsste daher dem Folgenden ähneln. Dafür wird Leibniz’ Prämisse untersucht, dass es einfache, rein positive Bestimmungen gibt. 1. Leibniz’ Prämisse: A und B sind einfache, rein positive Bestimmungen. Das heißt, sie sind nicht aus anderen Bestimmungen {C, D, . . . } zusammengesetzt und implizieren keine Negation, aufgrund derer sie sich widersprechen könnten. Es gilt also zumindest zwischen A und B und allen Prädikaten ihrer Gattung, dass in keinem Fall A = non-B und B = non-A. 2. Nun sind A und B als zwei voneinander unterschiedene Bestimmungen vorausgesetzt. Worin kann jedoch ihr numerischer und qualitativer Unterschied begründet sein? Offensichtlich nicht durch unterschiedene Zusammensetzung, verschiedene Definitionen, weil sonst gegen ihre Einfachheit verstoßen würde. 3. Also muss der Unterschied der einfachen Bestimmungen evident und durch sie direkt ersichtlich sein. Der Unterschied muss aber in den Sätzen gefasst werden: ‚A ist nicht B‘ und ‚B ist nicht A‘. Die Negation weist natürlich nicht unmittelbar auf eine kontradiktorische Entgegensetzung hin, aber auch der Unterschied wird durch die Negation angezeigt, die wiederum keine kontingenten Gründe haben kann, sonst wäre Leibniz’ Beweis in Gefahr, sondern in der Bedeutung von A und B selbst fundiert sein muss. Es genügt für Hegel, so plausibel zu machen, dass eine Negation schon in der Unterscheidung von A und B, also in zwei beliebigen Perfektionen, impliziert ist. Denn damit ist zumindest nicht mehr klar, wie Leibniz’ Argumentation aufgehen kann, da es zumindest möglich ist, dass die unterscheidende Negation sich auch als Kontradiktion herausstellt. Auch genügt diese Feststellung, um den Ball an Leibniz zurückzuspielen, der dann in der Schuld steht, zu erklären, wie die unterscheidende Negation bestehen kann, die Einfachheit der Perfektionen gewahrt bleibt und zugleich kein Widerspruch zwischen den Eigenschaften bestehen kann.
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Es wäre also für Leibniz genauer, zu zeigen, wie bedeutungsgenerierende Negation erhalten bleiben kann, während dennoch kein Widerspruch zwischen rein positiven Bestimmungen entstehen kann. Dafür wäre die Art der Negation, die in der reinen Positivität besteht, genauer zu bestimmen. Denn natürlich wäre zu erwarten, dass Privation aus einer Vollkommenheit ausgeschlossen ist – Allgüte kann nicht in einem minderen Maß an Güte bestehen. Aber mit der Abwesenheit von Privation ist nicht die Möglichkeit, mit anderen Perfektionen im Widerspruch zu stehen, ausgeschlossen. Hegels Argument scheint Leibniz mit der Prämisse von unterschiedenen, rein positiven Bestimmungen vor drei Möglichkeiten zu führen: 1. Entweder die Unterschiedenheit der rein positiven Bestimmungen wird festgehalten, dann sind aber zumindest einige Negationen zwischen den Bestimmungen eingeräumt, sodass nicht mehr klar ist, warum ein Widerspruch zwischen den Bestimmungen ausgeschlossen werden kann. Oder 2. die Unterschiedenheit wird aufgegeben, was zu einem leeren Begriff der omnitudo realitatis führt, was Leibniz aber nicht wollen kann. Oder aber es wird 3. an der Distinktion zwischen den rein positiven Bestimmungen festgehalten und behauptet, dass per definition die Negationen der Perfektionen sich nicht widersprechen könnten. Dann wird der Widerspruch zwischen ihnen zwar definitorisch ausgeschlossen, aber damit findet kein Erkenntnisgewinn statt, und es bleibt die Diskrepanz zu Intuitionen, die darauf gründet, dass etwa zwischen Allmacht, Allgüte und Allwissen durchaus Widersprüche entstehen können. Hier wurde vorsichtig argumentiert, dass nur gezeigt ist, dass Leibniz weitere Erklärungen anbieten müsste, um seinen Beweis stichfest zu machen. Die Erklärungen sind nötig, weil bestimmte Negationen doch für die Bedeutung der Vollkommenheiten angenommen werden müssen, aber dann auch in gewisser Weise gesagt werden kann, dass die Vollkommenheit A nicht der Vollkommenheit B entspricht und vice versa. Das bedeutet natürlich nicht, dass eine Inkompatibilität besteht, so wie auch zwischen ‚rot‘ und ‚gelb‘ ein Unterschied besteht, ohne dass beide zu einem Widerspruch führen, wenn sie ein und demselben Wesen zugesprochen werden. Dennoch ist eine Inkompatibilität auch durch Bedeutungen möglich, was durch Leibniz’ Demonstration nicht zwangsläufig ausgeschlossen ist. Hegel geht allerdings über diese vorsichtige Argumentation hinaus und scheint zu meinen, dass der Beweis allerdings konsequenterweise zur Aufgabe der Unterschiede zwischen den Vollkommenheiten im Gottesbegriff (2.) führt.204 Es kann hier nicht verfolgt werden, ob letztlich eine Semantik von Prädikaten immer Inkompatibilitäten impliziert. Ein interessanter Versuch in diese Richtung ist sicher Robert Brandoms
204 Vgl. Hegel, WdL I, S. 100 (104), Z. 15–19. Vgl. auch Hegel, Enz. I, § 86, A., S. 183. D. Henrich hat zurecht betont, dass Hegel dieses Verständnis der omnitudo realitatis mit dem ‹Sein›, der ersten Kategorie der Logik, identifiziert. Vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 200.
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incompatibility semantics.205 Jedenfalls meint Hegel, dass der „I n b e g r i f f aller Realitäten [. . . ] dasselbe Bestimmungs- und Gehaltlose, was das leere Absolute, in dem alles Eins ist“206 , sei, was ihn dazu führt, es mit der Anfangsbestimmung der WdL zu vergleichen, dem reinen ‹Sein›.207 Zuzugeben ist Hegel sicherlich, dass Abgrenzung ein wesentlicher Bestandteil von Bedeutung ist und somit auch für Vollkommenheiten gelten muss. Wie dennoch eine Vollkommenheit zu verstehen ist, die mit keiner anderen in Konflikt geraten kann, wäre aber, trotz Leibniz’ schlüssigem Beweis, zu zeigen oder zumindest die genannte Prämisse zu stützen. Ist für Hegel damit auch jede Möglichkeit eines Möglichkeitsbeweises für das Absolute, für den philosophischen Gott gescheitert? Das wäre vorschnell, wie ein erneuter Blick in die siebte der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes verrät. Denn nachdem Hegel das Problem der Möglichkeit Gottes als Schritt auf dem Weg zur Bestimmung des Gottesbegriffs vorgestellt hat, kritisiert er, wie hier vorgestellt, das Beweisverfahren. Denn zum einen bestehe das Problem, dass, wie oben auf Seite 281 erwähnt, eine Vorstellung mit der Voraussetzung, alle Menschen würden diese teilen, zugrunde gelegt worden sei. Zum anderen habe die Konzeption der Möglichkeit als Widerspruchsfreiheit zu einem bloß abstrakten Begriff geführt.208 Letzteres kann sicher als Anspielung auf die soeben dargestellte Argumentation verstanden werden, dass eine negationsfreie omnitudo realitatis selbst abstrakt und inhaltsleer ist, aufgrund der Unbestimmbarkeit der Realitäten. Ersteres ist hingegen problematisch, weil es natürlich unplausibel ist, dass alle Menschen mit dem Ausdruck Gott das Gleiche verbinden. Es ist aber auch problematisch, wie Hegel anführt, weil implizit ein Modell angewandt wird, das auf einer Unterscheidung zwischen dem Gegenstand und seinen Eigenschaften, einer Substanz und ihren Attributen beruht. Bezüglich dieser Unterscheidung hat Hegel in seinem Werk mehrfach darauf hingewiesen, dass es ein echtes theoretisches Problem ist, die Unterscheidung sinnvoll aufrechtzuerhalten.209 Äußerst verknappt besteht das theoretische Problem darin, dass die Angabe des Unterschiedes zwischen einem Ding und seinen Eigenschaften, zwischen einer Substanz und ihren Attributen, jeweils gezwungen ist, anzugeben, was es ist, ein ‚Ding‘ zu sein beziehungsweise 205 Vgl. die interessanten Ausführungen, etwa die Herleitung von logischen Operatoren, in Brandom, Between Saying and Doing, S. 123–129. 206 Hegel, WdL I, S. 100 (104), Z. 18 f. 207 Vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 200. 208 Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 394: „Diese Bestimmtheit ist freilich dürftig genug; dies hat aber eben darin seinen Grund, daß jene Metaphysik mit der Möglichkeit beginnt, welche Möglichkeit, ob sie gleich die des Begriffes Gottes sein soll, nur zur inhaltsleeren Möglichkeit des Verstandes, zur einfachen Identität wird, so daß wir in der Tat es nur mit den letzten Abstraktionen von Gedanken überhaupt und dem Sein, und nur deren Gegensatze sowohl als deren Ungetrenntheit, wie wir gesehen, zu tun bekommen haben.“ 209 Vgl. die Auseinandersetzungen mit den Begriffen ›Ding‹ und ›Substanz‹ in der Wesenslogik, aber das berühmten Kapitel „Die Wahrnehmung. Oder das Ding, und die Täuschung“ in der PhG verfolgen dieses Problem. Vgl. Hegel, PhG, S. 71–81 (38–58). Vgl. unten Abschnitt 7.2.3.
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eine ‚Substanz‘. In der Angabe werden die beiden Terme allerdings durch andere Begriffe definiert, jedoch scheint durch diese Definition der Unterschied zu den ‚Eigenschaften‘ oder den ‚Attributen‘ zu verschwinden, denn diese werden in der gleichen Form definiert. Oder anders gesagt: In der Angabe wird deutlich, dass ‚Ding‘ und ‚Substanz‘ selbst wie Eigenschaften oder Attribute verwendet werden: Es kommt einem x neben den Eigenschaften eben auch noch zu, ein Ding beziehungsweise eine Substanz zu sein. So lösen sich Dinge und Substanzen in Bündel von Eigenschaften auf. Es ergibt sich jedoch noch ein weiteres Problem, denn eigentlich wäre von einem ‚Ding‘ oder einer ‚Substanz‘ zu fordern, dass ihnen ein Prinzip innewohnen müsste, welche Eigenschaften beziehungsweise Attribute zu ihnen gehören und welche nicht. Das sei notwendig, um unterschiedliche Dinge oder unterschiedliche Substanzen voneinander abzugrenzen. Denn ohne diese Zusammengehörigkeit könnte die Welt wie ein planes Nebeneinander vieler Eigenschaften verstanden werden, ohne dass sich nochmals Einheiten zu Dingen oder Substanzen herausbilden ließen. Hegel meint aber nun mit seiner Kritik gerade nicht, dass der Gegenstand der ‚natürlichen Theologie‘ aufzugeben sei. Lediglich ihr Verfahren sei aufzugeben, aber es müsse ersetzt werden, weil der Inhalt der Beweise nicht aufgeben werden soll, so Hegel.210 Die eigentliche Betrachtung Gottes darf nicht an einem Begriff, einem Gegenstand oder einer Substanz hinter den angegebenen Eigenschaften festhalten. Der Begriff Gottes muss sich also in den Eigenschaften, die zu ihm gehören, erschöpfen: Die Erhebung des Geistes zu Gott ist in einem: Bestimmen seines Begriffs und seiner Eigenschaften und seines Seins.211
Wie oben bereits gezeigt212 ist das aber ein Grundmoment der hegelschen Logik, was sich aus ihrem Charakter als Letztbegründungsprojekt ergibt: Der absolute Begriff * ist nicht jenseits seiner Bestimmungen, sondern nur als erschöpfende Totalität, die auch noch ihren eigenen Totalitätscharakter und die immanenten Zusammenhänge explizit enthält. Hegel stellt also sein Konzept des Begriffs * dagegen, der die Stelle des metaphysischen Gottesbegriffs, also den Inhalt des Beweises, ausmachen soll: Es liegt schon in dem Vorhergehenden, daß wir solche abstrakte Verstandesbestimmung nicht für den Begriff nehmen, sondern so, daß er schlechthin konkret in sich sei, eine Einheit, welche nicht unbestimmt, sondern wesentlich bestimmt und so nur als Einheit von Bestimmungen ist, und diese Einheit selbst so an ihre Bestimmungen gebunden, also eigentlich die Einheit von ihr selbst und den Bestimmungen ist, daß ohne die Bestimmungen die Einheit nichts 210 Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 394: „Indem wir die Nichtigkeit der Unterscheidungen, womit die Metaphysik anfängt, angeben, ist zu erinnern, daß sich damit nur eine Folge für das Verfahren derselben ergibt, nämlich diese, daß wir dasselbe mit jenen Unterscheidungen aufgeben.“ 211 Ebd., S. 394. 212 Vgl. oben S. 188 f.
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ist, zugrunde geht oder näher: selbst nur zu einer unwahren Bestimmtheit herabgesetzt und, um etwas Wahres und Wirkliches zu sein, der Beziehung bedürftig ist.213
Und somit kann also die WdL selbst als Versuch verstanden werden, die Eigenschaften Gottes systematisch-methodisch aufzudecken.214 Gegen die atomistische Bedeutungstheorie Leibniz’ setzt Hegel aber einen Begriffsholismus oder eine Begriffstotalität, in der die Teilbegriffe sich durcheinander bestimmen. In der Ableitung dieser Totalität spielt dann die Negation eine entscheidende Rolle, da diese für die Bestimmtheit des Gottesgedankens wesentlich ist.215 Allerdings muss, um den Widerspruch zu vermeiden, die Totalität der logischen Bestimmungen in ihrem Durchgang als konsistent erwiesen werden. Die Negation muss also schließlich von ihrem Stachel befreit werden, ist aber zunächst für die Bestimmtheit vorausgesetzt. Es ist also die Methode216 der WdL, mit welcher die Probleme der Willkürlichkeit und der Möglichkeit Gottes gelöst werden sollen. Daher soll nun diese Methode in Grundzügen erläutert werden. Dass dieses eines der schwersten Unterfangen der Philosophie ist, wird schon deutlich, dass Hegels eigene Ausführungen zur Methode mangelhaft geblieben sind. Und so warnt Hegel selbst in der siebten der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes: Das Verhältnis der Bestimmungen Gottes zueinander ist ein schwieriger Gegenstand für sich und um so mehr für diejenigen, welche die Natur des Begriffes nicht kennen.217
213
Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 395. Aus dem Gesagten erschließt sich dann auch, dass, um an Hegels berühmte Formulierung aus der „Einleitung“ in die WdL anzuknüpfen, Gott also auch kein Wesen hinter dem „Reich der Wahrheit“ ist, sondern durch die Darstellung der „reinen Gedanken“ bereits die Darstellung Gottes vollbracht ist. Vgl. Hegel, WdL I, S. 34 (12), Z. 7 f. 215 Vgl. Lakebrink, „Anselm von Canterbury und der Hegelsche Gottesbeweis“, S. 194. 216 Oben ist bereits darauf hingewiesen worden, dass durch den Letztbegründungscharakter der WdL Methode und Inhalt in einem eigentümlichen Verhältnis stehen müssen und sich wechselseitig implizieren. Vgl. oben Abschnitt 3.3. 217 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 399. 214
6 Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik Im vorangegangenen Abschnitt ist gezeigt worden, dass Hegel gegen Leibniz die Negation als bedeutungskonstitutiv auffasst und sich dadurch auf einen anderen Pfad gesetzt sieht als denjenigen, den Leibniz zur Demonstration der Möglichkeit Gottes beschreitet. Dieser Pfad, der die Negation impliziert, soll die Bestimmungen Gottes herzuleiten erlauben und damit die Widerspruchsfreiheit der Bestimmungen untereinander zeigen. Dieser Anspruch ist für Hegel, wie argumentiert wurde, mit der Methode und damit der Durchführung der WdL verbunden. In diesem Resultat, welches das Augenmerk auf die Methode und Durchführung der WdL lenkt, konvergiert zudem Hegels Lösungsstrategie hinsichtlich des in der Kontroverse zwischen Descartes und Caterus aufgeworfenen Problems der Willkürlichkeit des Gottesbegriffes. Insofern versucht Hegel auf beide Grundfragen der philosophischen Theologie mit seiner Logik eine Antwort zu finden. Nachdem oben bereits ein Grundverständnis der WdL erarbeitet wurde,1 rückt damit die Frage nach der genaueren Durchführung der Logik in den Fokus der vorliegenden Arbeit, wobei zu erwarten ist, dass die Negation eine entscheidende Rolle in der Methodik einnimmt. Damit eröffnet sich allerdings zugleich auch ein großes Problem: Hegel bietet selbst bekanntermaßen nur wenig Aufklärung des eigenen Verfahrens und der Grundannahmen seiner Logik. Und weil für Hegel – aus guten Gründen, wie oben dargestellt wurde2 – Durchführung und Methode nicht voneinander getrennt werden können, ist eine genaue Analyse der hegelschen Ansichten darüber entweder ein bodenloses Unterfangen oder notwendig zu knapp, um Gewinn daraus zu ziehen. Weil es für die Einschätzung des hegelschen Gedankenganges aber unumgänglich ist, zumindest Grundzüge und die prinzipielle Durchführbarkeit der Logik zu zeigen, soll hier ein anderer Weg als die genaue Analyse von Hegels eigenen Methodenreflexionen eingeschlagen werden. Was hier als fruchtbar vorgeschlagen wird, ist die Analyse einer zeitgenössischen Interpretation, die dezidiert versucht, Hegels Methode klarer zu fassen, als es diesem selbst möglich war. Dafür soll die meines Erachtens bedeutendste Rekonstruktion und Diskussion der Methode und Durchführung der WdL dargestellt und untersucht werden, nämlich die von Dieter Wandschneider herausgearbeiteten Grundzüge einer Theorie der Dialektik. Ziel 1 2
Vgl. Abschnitt 4.1. Vgl. oben S. 189.
6.1 Voraussetzungslosigkeit der Logik
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ist es dabei, mit Wandschneider zu zeigen, dass die oben eingeführten Grundzüge und Anforderungen, die Hegel mit seiner Logik verbindet, mit einem Ableitungsverfahren zusammenfließen, das zumindest nicht unmöglich zu sein scheint.
6.1 Der Anfang der Logik und die Voraussetzungslosigkeit Wie genau der Anfang der WdL verstanden werden muss, ist in der Tat keine leichte Frage.3 Hegel hat daher dem Haupttext der Logik neben Vorreden, Einleitung und Einteilung auch noch einen Abschnitt über die Frage Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden? vorangestellt. Im Folgenden wird zunächst von Hegels Argumentation in diesem Abschnitt ausgegangen, um anschließend zu erörtern, wie seine Antwort auf die Frage zu bewerten ist bzw. wie eine plausible Antwort aussehen muss. Die Interpretation folgt Hegels Text schrittweise, wobei fortlaufend auf einzelne Absätze dieses Textes verwiesen wird. Dabei wird argumentiert, dass am Anfang der Logik zwar ein völlig abstraktes Konzept stehen muss, dass aber davon die Rechtfertigungsfrage zu trennen ist. Denn auf dem Weg der Abstraktion, Einfachheit, Unmittelbarkeit oder Voraussetzungslosigkeit ist der Letztbegründungsanspruch, den Hegel stellt, nicht einzulösen. Vielmehr, so wird argumentiert, muss der Begriff * als Prinzip der hegelschen Logik zugleich die Rechtfertigung tragen können. Diesen Rechtfertigungsanspruch verbindet Hegel mit dem OGB, wie unten gezeigt werden soll. Dafür ist es jedoch wichtig, zu sehen, wie Hegels Methode in der WdL genauer zu verstehen ist, denn diese bietet ja eine Antwort auf die von Descartes und Leibniz aufgeworfenen Probleme um den Gottesbegriff. Daher wird nach einem besseren Verständnis des Anfangsproblems mit Hilfe der Überlegungen von D. Wandschneider zumindest die Durchführbarkeit des hegelschen Programms und seiner Antworten plausibel gemacht. Doch zunächst zum Anfangsproblem. Hegel beginnt seine Argumentation mit der Feststellung, dass in der Philosophie seiner Zeit das Problem eines Anfangs virulent geworden sei.4 Um genauer zu verstehen, warum dieses Problem besonders hervorgetreten sei, führt Hegel zunächst eine Differenzierung ein und nennt drei Stellungen zur Philosophie, für die sich die Schwierigkeiten nicht in gleicher Weise ergeben, um dann die zeitgenössische Problematik davon abzugrenzen. Hinsichtlich des Anfanges in der Philosophie könne man zwischen a) dem objektiven und b) dem subjektiven Anfang unterscheiden. Zu (a): Der objektive Anfang sei das Prinzip einer Philosophie, aus dem alles andere erklärt werden soll. Beispiele sind etwa im Einen, in der Idee, Substanz, Monade oder auch in er3
Erhellend ist der Aufsatz Wieland, „Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik“. Hegel, WdL I, S. 53 (37), Z. 3–5. Der Kommentar verweist auf Fichte und Reinhold, auf die Hegel anspielt. 4
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
kenntnistheoretischen Prinzipien wie Empfinden, Ich, Subjektivität zu finden – stets sei das Interesse der Philosophie darauf gerichtet, den Gehalt des Prinzips zu explizieren und dann zum Erklärungsgrund für alles andere zu machen. Und weil aus diesem Prinzip alles andere Folge, könne es als „Anfang a l l e r D i n g e“5 gelten. Zu (b): Davon sei aber der subjektive Anfang unterschieden, der die Art und Weise beträfe, wie das Prinzip einer Philosophie erläutert oder aufgrund welcher subjektiven Zufälligkeit es erkannt würde. Nun ist (a) für Hegel entscheidend, während (b) für die Geltungsfrage einer Theorie irrelevant zu sein scheint, dennoch sieht er einen wichtigen Zusammenhang zwischen beiden Anfängen, was durch die drei philosophischen Strategien hinsichtlich des Anfangs deutlich wird. Drei philosophische Ansätze umgehen nun die Schwierigkeiten des Anfangs: 1. Dogmatismus, 2. erkenntniskritische und anti-dogmatische Philosophie und 3. Philosophien der Unmittelbarkeit.6 Der Dogmatismus (1.) und die erkenntniskritische Philosophie (2.) kommen darin überein, dass sie den Zusammenhang des objektiven (a) und des subjektiven Anfangens (b) verkennen, indem sie beides strikt trennen. So interessiert sich der Dogmatismus (1.) ausschließlich für das objektive (ontologische) Prinzip, aus dem heraus alles erkannt werden kann. Aber er beachtet weder hinreichend, dass dafür stets subjektive Erkenntnisakte vorausgesetzt sind, die es zu bedenken gilt, noch findet er eine Begründungsform für das erste Prinzip, die nicht von unbegründeten Voraussetzungen ausgeht – in beiden Fällen gehen also Voraussetzungen in die erste Philosophie ein, welche sie als problematisch erscheinen lassen.7 Darin liegt das Recht der erkenntniskritischen Philosophie, welche die epistemischen Voraussetzungen und damit das subjektive Anfangen (b) problematisiert und nachweist, dass bestimmte Annahmen unbegründet in die Konzeptionen des Dogmatismus eingehen. Hinzugefügt werden muss jedoch Hegels Kritik, obgleich sie an dieser Stelle nicht angeführt wird, nämlich dass die erkenntniskritische Philosophie die Tendenz hat, Denk- und Erkenntnisakte selbst wie ein dogmatisches Prinzip zu behandeln.8 Und die Denk- und Erkenntnisakte werden als Prinzip problematisch. Denn indem sie, also (b), thematisiert werden, müssen sie in Form von propositionalen Annahmen und Begriffen beschrieben werden. Damit sind die Akte aber nicht unabhängig von dem erfasst, was sie erklären sollen. Und so sieht Hegel ebenso eine dogmatische Voraussetzung in der erkenntniskritischen Philosophie. 5
Hegel, WdL I, S. 53 (37), Z. 10. Ebd., S. 53 (38), Z. 20–25. Ausführlich widmet sich Hegel diesen drei Formen der Philosophie in Hegel, Enz. I, §§ 61–78, S. 148–168. 7 Vgl. dazu oben Abschnitt 3.3. 8 Vgl. oben S. 156 f. Wenn auch in etwas anderer Gestalt führt Hegel im folgenden Absatz an, dass es keine Grundlegung der Wissenschaft durch die Epistemologie geben könne, weil sich jede sinnvolle Epistemologie selbst als Wissenschaft verstehen müsse. Vgl. Hegel, WdL I, S. 54 (39), Z. 19–27. 6
6.1. Voraussetzungslosigkeit der Logik
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Die dritte philosophische Stellung zum Anfangsproblem reagiert auf die beiden angesprochenen Schwierigkeiten, indem „wie aus der Pistole, aus ihrer innern Offenbarung, aus Glauben, intellectueller Anschauung u.s.w.“,9 angefangen wird. Das umgeht insofern das Problem, als dass das objektive Prinzip und die subjektiven Erkenntnisleistungen gar nicht erst getrennt aufgefasst werden: Der Modus des subjektiven Erkennens wird zum Kriterium für die Wahrheit des Gehalts, der dadurch als ursprünglich, nicht weiter ableitbares und somit erstes betrachtet wird. Nun verwirft Hegel diese Option bekanntlich in den Paragraphen der Enzyklopädie zum unmittelbaren Wissen.10 Warum hält Hegel nun diese Reaktion, wie mit Voraussetzungen in der Philosophie umgegangen werden kann, nur für eine scheinbare Lösung? In nuce liegt der Gedanke zugrunde, dass Konzepte, die auf unmittelbarem Wissen – Evidenz, Glauben oder intellektueller Anschauung – beruhen, zwar einen Anfang in der Philosophie finden, insofern sie bestimmte Einsichten als wahr und nicht ableitbar oder begründungsbedürftig anführen. Aber dafür wird im unmittelbaren Wissen auf Begründung und Rechtfertigung verzichtet. Dass Hegel gerade das als Einwand anführt, mag zunächst verwundern, weil gerade der Vorzug des unmittelbaren Wissens darin liegen soll, keiner weiteren Rechtfertigung und Begründung zu bedürfen. Aber mit Hegel ist die Art und Weise des Verzichts auf Rechtfertigung und Begründung problematisch, denn anstatt bestimmte Aussagen, Ansichten und Überzeugungen zu beweisen und einen Modus von Letztbegründung zu finden, wird ein epistemischer Zustand, in welchem sich ein Subjekt befindet, zum Grund für die Wahrheit des Gehalts. Das Problem ist dabei, dass die Beziehung zwischen den Aussagen und Ansichten, die durch den epistemischen Zustand beglaubigt werden, und diesem Zustand selbst entweder kontingent oder notwendig sein kann. Ist der Zusammenhang kontingent, so ist es möglich, dass Widersprechendes als evident, als Glaubenswahrheit oder als durch intellektuelle Anschauung geschaut zu behaupten, weshalb es mit gleichem Recht als wahr gelten müsste. Dann gäbe es aber wahre Widersprüche mit den bekannten Folgen, dass sich Wahrheit und Falschheit nicht mehr konsistent unterscheiden lassen. Oder Wahrheit wird völlig relativ zu epistemischen Zuständen von Subjekten verstanden, was aber in einem heillosen Subjektivismus endet, der sich nach eigenen Kriterien selbst widerspricht, weil diese Ansicht über Wahrheit und Evidenz behauptet, allgemein gültig zu sein, zugleich aus ihr aber folgt, dass sie nur für diejenigen Subjekte gilt, welche die jeweiligen epistemischen Zustände für diese Ansicht teilen. Wäre aber der Zusammenhang zwischen den epistemischen Zuständen und dem Gehalt notwendig, stellt sich sogleich die Frage, wie die Notwendigkeit gezeigt werden kann, um diesen Fall von kontingentem Für-wahr-Halten abzugrenzen. Durch die so erforderten Kriterien für die Notwendigkeit käme aber etwas anderes, 9 10
Ebd., S. 53 (38), Z. 24–25. Vgl. Hegel, Enz. I, §§ 61–78, S. 148–168.
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die Wahrheit der Ansichten oder Überzeugungen Beglaubigendes ins Spiel, sodass nicht mehr der epistemische Zustand das Auszeichnende wäre. Daher stellen die Philosophien der Unmittelbarkeit (3.), so Hegel, keine Alternative zu den anderen beiden Stellungen der Philosophie dar, die aber ebenfalls den Zusammenhang des subjektiven und objektiven Anfangens verkennen, indem sie beide als vollkommen unabhängig voneinander betrachten. Darauf habe nun die Philosophie seiner Zeit reagiert, indem „auch das s u b j e c t i ve Thun als wesentliches Moment der objectiven Wahrheit erfaßt“11 worden sei. Hegel stimmt dem zu, wobei es allerdings wichtig ist, genau zu verstehen, wie er den Zusammenhang und damit den Anfang der WdL konzipiert. Dazu lässt sich Folgendes schließen: Wie aus den Analysen des Dogmatismus, der erkenntniskritischen Philosophie und des unmittelbaren Wissens hervorgeht, muss vermieden werden, nur eine Seite, also das subjektive Erkennen oder das objektive Prinzip, aus dem alles abgeleitet werden soll, zu betrachten. Und zugleich fällt das unmittelbare Wissen als Option aus, da es selbstwidersprüchlich ist. Jedoch steht die Umkehrung zur Disposition: Wenn epistemische Leistung und Prinzip der Philosophie nicht getrennt werden können, und das Prinzip nicht aus den subjektiven Akten erklärt werden kann, so wäre alternativ zu Fragen, ob nicht aus dem Prinzip der Philosophie seine Erkennbarkeit abgeleitet werden kann, oder sogar, ob das Prinzip fordert, dass es notwendig erkannt werden muss? Dabei scheint es prima facie zwei Möglichkeiten der Verbindung zu geben, wie diese Verbindung von Erkennen und Prinzip verstanden werden kann, von denen Hegel eine in seiner Systemdarstellung berücksichtigt, die andere kurz an der zitierten Textstelle aufführt: i) Aus dem Prinzip des ganzen Seins, und damit der Philosophie, folgt, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt notwendigerweise Wesen geben muss, die das Prinzip erkennen. Diesen Gedanken nimmt Hegel auf, indem er die absolute Idee * zur Grundlage der Realphilosophie macht und in dieser, im subjektiven Geist, Wesen ableitet, die Freiheit von ihrer natürlichen Existenz erlangen und Erkenntnisfähigkeiten ausbilden, die letztlich das Begreifen des Absoluten ermöglichen.12 ii) Die Methode, und damit die Art und Weise des möglichen Erkennens, und das Prinzip der Philosophie fallen überein. Diese Variante, die zunächst unabhängig vom tat11
Hegel, WdL I, S. 54 (38), Z. 1 f. Hegel ist immer wieder ein Theoretizismus vorgeworfen worden, weil er die Erkenntnis des Absoluten als Prinzip der Realphilosophie, in gewisser Weise der gesamten Philosophie und damit des gesamten Seins annimmt. Vgl. zu dem Vorwurf Hösle, Hegels System, S. 415–435. Die Erkennbarkeit des Seins und des Absoluten sind sicher enorm wichtige und grundlegende Einsichten der hegelschen Philosophie. Daraus folgt aber natürlich nicht direkt, dass alles zur Erkenntnis streben muss. Allerdings ist es nicht ganz unplausibel, dem Theoretischen in der Philosophie einen gewissen Vorrang einzuräumen, denn auch moralische Praxis setzt die Erkenntnis von Werten und kategorischen Imperativen voraus. Dass Hegel die praktische Seite der Philosophie an bestimmten Stellen seines Werkes abzuwerten scheint, ist aber dennoch sicher einer seiner größten Fehler. Vgl. etwa Hegel, Enz. I, § 6, S. 47–49. 12
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sächlichen Erkennen des Höchsten ist, also vom Erkennen durch konkrete Subjekte in Raum und Zeit, besagt, dass die Methode, die die Erkenntnis anleitet, durch das zu erkennende Prinzip selbst bestimmt ist.13 Warum das der Fall sein muss, ist oben durch den Letztbegründungsanspruch der hegelschen Logik begründet worden, mit dem Grundgedanken, dass im Falle der Letztbegründung keine Trennung zwischen dem Bewiesenen und der Beweismethode bestehen kann, weil die Methode nicht wie eine Prämisse oder eine Metaregel fungieren kann. Von dieser Diagnose zur Gestalt des Anfanges in der Philosophie kommt Hegel auf den Anfang seines Systems zu sprechen. Und prima facie ringt Hegel selbst um eine klare Ansicht, da er widersprechende Argumente anzuführen scheint, was besonders an den Termini der Unmittelbarkeit und der Voraussetzungslosigkeit des Anfangs deutlich wird. So liest man etwa im 4. Absatz des Abschnittes Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?, dass es nichts gebe, „nichts im Himmel oder in der Natur oder im Geiste oder wo es sey, was nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält, als die Vermittlung“,14 während Hegel im 9. Absatz unterstreicht, dass der Anfang „schlechthin e i n Unmittelbares [. . . ], oder vielmehr nur d a s U n m i t t e l b a r e selbst“15 sein müsse. Und ebenso scheint die Voraussetzungslosigkeit widersprüchlich, wenn Hegel im gerade zitierten Absatz schreibt, der Anfang „darf so n i c h t s vo r a u s s e t z e n“16 , zugleich aber im 12. Absatz festhält, dass das Resultat der Philosophie, das „letzte, der Grund, [. . . ] denn auch dasjenige, aus welchem das Erste hervorgeht, das zuerst als Unmittelbares auftrat“,17 ist. Und nicht weniger verwirrend ist schließlich die widersprüchlich scheinende Formel, für die Hegel ebenso berühmt wie verrufen ist, nämlich, dass die „Identität der Identität und Nichtidentität“ die „erste, reinste, d. i. abstracteste, Definition des Absoluten“18 sei. Wie lässt sich Hegel also verstehen? Und was macht die Schwierigkeit des Anfangs und der Voraussetzungslosigkeit genauer aus? Und was für eine Lösung schlägt Hegel vor? Um die genannten Widersprüche dabei nicht sogleich zum Grund zu nehmen, Hegel als Irrationalisten zu verwerfen, soll hier versucht werden, sie benevolent im Lichte des Problems und aus ihrem Argumentationskontext zu verstehen. Hegel bietet nun vier Argumente hinsichtlich des Anfanges an: 1. Das erste Argument nimmt auf die Phänomenologie des Geistes Bezug. 2. Das zweite geht vom Begriff des reinen Wissens aus, um den Anfang zu bestimmen. 3. Darauf führt Hegel noch ein interessantes Argument an, das von der Vorstellung des Anfangs ausgeht, 13 Siehe Hegel, WdL I, S. 54 (38), Z. 2 f.: „[U]nd das Bedürfniß führt sich herbei, daß die Methode mit dem Inhalt, die F o r m mit dem P r i n c i p vereint sey.“ 14 Vgl. ebd., S. 54 (39), Z. 14 f. 15 Ebd., S. 56 (42), Z. 12 f. Hegel wiederholt, dass es nichts gibt, was nicht Vermittlung impliziert: Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 367. 16 Hegel, WdL I, S. 56 (42), Z. 10 f. 17 Ebd., S. 57 (43), Z. 19–20. 18 Ebd., S. 60 (48), Z. 29 f.
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problematisiert diesen Beginn jedoch sogleich, um 4. schließlich die Beziehungslosigkeit des Anfangs zum Ausgangspunkt der Reflexion macht. Dabei ist wichtig, zu beachten, dass Hegel die Frage nach dem Anfang der Philosophie auf die Frage nach dem Anfang der Logik einschränkt.19 Das ist insofern hervorzuheben, als dass Hegel offenbar auf ein bestimmtes Konzept von Philosophie abzielt, nämlich einen objektiven Idealismus. Dieser versucht, ein logisch-ontologisches Prinzip letztzubegründen, um aus diesem die Grundstrukturen der Natur und des Geistes zu entfalten, sodass die gleichen idealen Strukturen der Natur wie auch dem subjektiven Denken einzelner Menschen unterliegen, ohne diese Strukturen auf eine der beiden Seiten zu reduzieren.20 Mit dem Anfang der Logik ist zugleich sowohl das Thema als auch das Medium, in welchem angefangen werden soll, vorgegeben. Denn dieser Gegenstand ist für Hegel „das Wissen der Wahrheit“21 , und das lässt sich als die Begründung dessen, was unumstößlich wahr ist, verstehen, was dem genannten Letztbegründungsanspruch entspricht. Es gilt also, einen Anfang zu finden, durch welchen die letztbegründete Wahrheit, kurz: das Absolute aufgezeigt werden kann. Damit geht für Hegel bereits einher, dass im Medium des Denkens, innerhalb der Sphäre der Geltung von Kategorien und Sätzen, die gesuchte Wahrheit zu suchen ist. Denn wenn eine begründete, absolute Wahrheit gefunden werden soll, so ist die Begründung selbst ein logisches Verhältnis. Soll diese Logik aber nicht als Prämisse oder Voraussetzung anzweifelbar sein, muss sie selbst Methode und Gegenstand der Begründung sein. Hegel stellt also die Frage, wie ein Anfang im reinen, letztbegründenden Denken, der reinen Logik, gefunden werden kann. Werfen wir einen Blick auf die angesprochenen Argumente: Ad 1: Hegel argumentiert im 5. Absatz, dass der Anfang der Logik, als derjenige im selbstbezüglichen Denken, durch die Phänomenologie des Geistes vermittelt sei.22 Die Vermittlungsleistung lässt sich in nuce so verstehen, dass in der vollständigen Untersuchung möglicher Bewusstseinsformen, das heißt epistemischer Einstellungen des Bewusstseins zu den Erkenntnisgegenständen, sich stets ein Widerspruch findet. Dieser Widerspruch soll durch einen sich direkt anschließenden Modus des erkennenden Bewusstseins gelöst werden, wodurch die Vollständigkeit der Untersuchung gesichert sein soll. Letztlich, so Hegel, bliebe nur die Aufhebung des Unterschiedes von erkennendem Bewusstsein und erkanntem Gegenstand im reinen Denken, das aber deswegen nicht gehaltlos sei, sondern Gehalte aufweise, in welchen nicht zwischen Denkakt und Gegenstand, Noesis und Noema, unterschieden werden könne. Somit sei das „reine Wissen“ in eine „E i n h e i t z u s a m m e n g e g a n g e n“, habe sich aus allen externen Relationen befreit und somit sei nur noch „das Unterschiedslose“, 19 20 21 22
Vgl. Hegel, WdL I, S. 54 (38), Z. 6. Vgl. dazu Hösle, Hegels System, S. 47–59 und Hösle, Die Krise der Gegenwart, S. 205–213. Hegel, WdL I, S. 54 (39), Z. 9. Vgl. ebd., S. 54 (39 f.), Z. 28–30.
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letztlich „e i n f a c h e U n m i t t e l b a r k e i t“, vorhanden.23 Diese Unmittelbarkeit sei aber keine korrekte Bezeichnung, weil sie den Unterschied von der Vermittlung impliziert, was gerade selbst ein Verhältnis ausdrückt. Deshalb nennt Hegel sie einen „Reflexionsausdruck“. Die adäquate Bezeichnung für den Anfang sei daher vielmehr „das r e i n e S e y n“24 . Was Hegel an dieser Stelle nicht ausführlich problematisiert, ist, dass die WdL ihren Anspruch auf absolute Wahrheit aufgeben müsste, wenn die PhG als ihre Voraussetzung gelten würde. Denn erstens würde der Ausgang der Untersuchung der Erkenntnismodi vom „empirischen, s i n n l i c h e n Bewußtseyn“25 die WdL auf eine begründungsbedürftige Basis stellen. Und zweitens erscheint weder die Abfolge der Bewusstseinsformen in der PhG zwingend, noch können alle Argumente, die Hegel in der PhG aufführt, als erfolgreich beurteilt werden.26 Daher kann die PhG nicht als Voraussetzung oder Herleitung des Anfangs der Logik dienen, ohne den letztbegründungsanspruch aufzugeben. Somit muss das Ziel, für das Hegel mit der PhG argumentiert, auf anderem Wege erreicht werden. Dieses Ziel ist die Herleitung des reinen Wissens, der Suche von Gehalten des reinen Denkens. Dass reines Denken als Ausgangspunkt für universal gültige Kategorien und synthetische Sätze a priori herangezogen wird, ist kantisches Erbe. Wie Kant meint auch Hegel aus der Unhintergehbarkeit des Denkens die notwendigen, a priorischen Gehalte extrahieren zu können, die für ihn dann nicht nur Bedingungen der Erkenntnis, sondern zugleich Bedingungen des Seins darstellen. Wie kann das aber begründet werden, ohne auf die PhG als Voraussetzung zu rekurrieren? Das Problem, das dieser Frage ebenso wie der PhG als Voraussetzung der Logik zugrunde liegt, ist, dass es keine Begründung der Logik geben kann, die nicht selbst die Logik voraussetzt. Denn zum einen ist, wie schon gesagt, Begründung eine logische Relation, zum anderen nähme man der Logik ihren Charakter, absolut zu sein, indem für sie vorausgehende Begründungen angeführt würden.27 Denn die vorausgesetzten Begründungen sind ja selbst nicht einfach absolut, sondern erneut begründungsbedürftig, wodurch sie die Argumentation als ein Fall des Begründungsregresses in deduktiven Modellen zeigt. Dass diese Begründungsmodelle aber für die Logik auszuschließen sind, ist oben begründet worden.28 Eine Alternative ist daher, mit dem reinen Denken zu beginnen und den Anfang der WdL aus diesem herzuleiten. 23
Vgl. Hegel, WdL I, S. 55 (41), Z. 23–26. Ebd., S. 55 (41), Z. 27–29. 25 Ebd., S. 55 (40), Z. 3. 26 Zum Problem, die PhG als ersten Systemteil auszurufen: Siehe oben: Fn. 44, S. 194. 27 Vgl. etwa Wandschneider, „Letztbegründung unter der Bedingung endlichen Wissens. Eine Hegel’sche Perspektive“, S. 354 f. und Wandschneider, „Dialektik als Letztbegründung der Logik“, S. 2. 28 Vgl. oben S. 188. 24
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Ad 2: Hegel sieht wohl, dass die Herleitung über die PhG keine Voraussetzung bilden darf, wenn die Geltung der Logik nicht infrage gestellt sein soll.29 Und auch wenn diese Voraussetzung, wenig überzeugend, so verstanden werden soll, dass sich die Herleitung selbst aufhebt,30 stellt Hegel ihr noch eine Alternative an die Seite, in welcher der „Anfang selbst u n m i t t e l b a r genommen“ werde, nämlich dadurch, dass er „der Anfang der Logik, des Denkens für sich seyn soll.“31 Diese Form der Anfangsbetrachtung beruhe auf einem willkürlichen, subjektiven Entschluss, das Denken als solches zu betrachten.32 Nicht aber aus dem Entschluss, sondern aus der Voraussetzungslosigkeit der Logik folge der Charakter ihres Anfanges: Es müsse ein „abstracter Anfang seyn“33 . Und als abstrakter müsse er vollkommen voraussetzungslos und daher „schlechthin e i n Unmittelbares seyn oder vielmehr nur d a s U n m i t t e l b a r e selbst“34 . Aus der Unmittelbarkeit folge dann, dass er keine Bestimmtheit haben könne, denn Bestimmtheit sei immer eine Abgrenzung von anderem. Und ohne Bestimmtheit müsse der Anfang vollkommen ohne Inhalt sein, denn auch dieser ließe sich nur durch die Differenz und folglich eine Relation spezifizieren. Und daher sei der Anfang das „r e i n e S e y n“35 . Mit dieser Argumentation wendet sich Hegel Reflexionen zur Anfangsproblematik zu, die er als nicht mehr vollkommen strikt, sondern als „Erläuterungen und Bestätigungen“36 ansieht. Es ist jedoch erstaunlich, dass Hegel nicht zumindest auch zur zweiten Argumentation bemerkt, dass sie ebenso das Problem hat, die erste Kategorie der Logik mit Gründen zu unterlegen, sie damit aber auch auf Voraussetzungen aufzubauen. Denn wie in der vorherigen Argumentation müsste doch auch für diese gelten, dass die Unmittelbarkeit selbst schon eine Relation und damit eine Vermittlung ausdrückt, was sich im Übrigen analog auf die Inhaltslosigkeit und die Bestimmungslosigkeit übertragen ließe. Denn Hegel gibt ja einen Grund an, warum sich die erste Kategorie der Logik gerade durch die Inhalts- und Bestimmungslosigkeit von allen anderen Kategorien abgrenzen müsse. Folglich stellen Inhalts- und Be29 Vgl. Hegel, WdL I, S. 56 (41), Z. 4–9. Folgerichtig wird die PhG in der Enzyklopädie nicht mehr als Einleitung oder Herleitung der Logik angeführt. 30 Vgl. ebd., S. 56 (41), Z. 3 f. 31 Vgl. ebd., S. 56 (41), Z. 6–8. 32 Vgl. ebd., S. 56 (41), Z. 8–9. 33 Ebd., S. 56 (42), Z. 10. Hegel schreibt an dieser Stelle, dass die Absolutheit des Anfangs gleichbedeutend sei mit der Abstraktheit des Anfangs. Die Voraussetzungslosigkeit und ihre Beziehung zur Absolutheit der Logik soll unten noch thematisiert werden. In diesem Verhältnis liegt meines Erachtens die Schwierigkeit des Anfangs der Logik. Es soll unten argumentiert werden, dass die Anfangsbestimmung jedenfalls nicht für den Absolutheitscharakter der Logik allein verantwortlich sein kann und dass die Voraussetzungslosigkeit des Anfanges nicht hinreichend für die Absolutheit ist, sondern dass die Absolutheit der Logik hinreichend für die Voraussetzungslosigkeit der Logik ist. 34 Ebd., S. 56 (42), Z. 12 f. 35 Ebd., S. 56 (42), Z. 13–16. 36 Ebd., S. 56 (42), Z. 18–24.
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stimmungslosigkeit bereits bestimmte Inhalte und Bestimmungen dar. Insofern wäre Voraussetzungslosigkeit nicht erreicht, und wäre vielleicht sogar gar nicht erreichbar, weil die Unmittelbarkeit selbst eine Relation ausdrückt, jede Relation aber wiederum erklärungsbedürftig wäre, weil damit Voraussetzungen impliziert wären, wie etwa ‚x nicht ohne y, weil x impliziert: xRy‘. Da daher das Anfangsproblem auf diesem Weg keine Lösung findet, sollen noch die zwei kurzen Hinweise angeführt werden, die Hegel nennt. Ad 3: Für den Fall, dass sich seine Opponentinnen nicht mit den beiden angeführten Argumentationen zufriedengeben – was, wie dargestellt, nicht grundlos wäre – führt Hegel noch an, man könne auch mit der „Vorstellung von einem blossen Anfang als solchem“37 beginnen. Hegel analysiert daher die Vorstellung eines Anfanges, und zwar eines ursprünglichen Anfanges: „Es ist noch Nichts, und es soll etwas werden.“38 Das bedeutet abstrakt betrachtet, dass ein Nichtsein auf ein Sein von etwas bezogen wird, denn erst mit dem Sein hat dieses einen Anfang gemacht. Insofern ist in der Vorstellung zumindest Folgendes impliziert: eine Vorstellung des Nichtseins, eine des Seins und das Verhältnis vom Nichtsein zum Sein, nämlich, dass aus dem Nichtsein das Sein wird und dass das Sein nur als zuvor Nichtseiendes gedacht wird. Vernachlässigt man eines dieser Momente, so verfehlt man die Vorstellung eines Anfanges. Worauf es Hegel nun ankommt, ist, dass in der Vorstellung des Anfanges eine „u n t e r s c h i e d e n e E i n h e i t“39 von Sein und Nichtsein gedacht wird: Dass Nichtsein und Sein in einem Anfangsereignis unterschieden sind, leuchtet ein, denn nur durch diesen Wechsel – wie auch immer man ihn genauer verstehen muss – beginnt etwas. Die Einheit hingegen sieht Hegel darin, dass beide als Anfang in einer notwendigen Beziehung stehen: Isoliert man ein Moment, entweder das Nichtsein oder das Sein, und ignoriert das andere, so hat man aufgehört, einen Anfang zu denken.40 Diese Argumentation ist insofern interessant, als dass das Verhältnis der Kategorien ‹Sein› und ‹Nichtsein› unter dem Gedanken eines Anfanges ausführlicher betrachtet wird, als es im Haupttext der WdL der Fall ist. Dabei ist allerdings irritierend, dass, wie schon unter (2), vorausgesetzt wird, dass ein Anfang gemacht werden muss und nur die Frage gestellt wird, wie dieser Anfang zu denken sei, ohne schon ein bestimmtes Resultat, das Ziel des Anfanges vorauszusetzen. Klar ist, dass erneut eine Analyse vor dem eigentlichen Beginn der Logik angenommen wird und die Voraussetzungslosigkeit damit nicht gegeben wäre. Hegel selbst betont, dass auf diesem Wege einfach zur „erste[n], reinste[n] d. i. abstracteste[n] Definition des Absoluten“ gelangt werde: „der Identität der Identität und Nichtidentität.“41 Aller37 38 39 40 41
Hegel, WdL I, S. 60 (47), Z. 12 f. Ebd., S. 60 (47), Z. 14. Ebd., S. 60 (48), Z. 26. Vgl. ebd., S. 60 (47 f.), Z. 14–26. Vgl. ebd., S. 60 (48), Z. 29 f.
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dings betont er, dass hier wie in Einzelwissenschaften verfahren worden sei, indem mit einer Vorstellung begonnen und diese dann analysiert worden sei. Dabei ist das Problem, dass die Allgemeingültigkeit nur dann gegeben ist, wenn die Vorstellung von allen geteilt wird, was selbst ein kontingenter Fakt sein könnte. Das greift aber, so Hegel, für den Anfang einer Wissenschaft vom Absoluten zu kurz. Denn in dieser sei es schon problematisch, von einem Begriff auszugehen, der komplex sei, denn es dann müsse immer die notwendige Beziehung der Bestandteile des komplexen Begriffs gezeigt werden. Das setzt aber voraus, dass man nicht willkürlich den Begriff voraussetzen und dann schauen könne, was er so enthalte, sondern dass man von einem der Bestandteile ausgehend alle anderen rekonstruiere. Aber letzteres Verfahren könne dann nicht erneut von einem komplexen Begriff als Bestandteil des zu erläuternden Begriffs sein, sondern müsse selbst von einem einfachen, abstrakten, (noch) unbestimmten Moment des zu bestimmenden Begriffs ausgehen.42 Ad 4: In zuletzt Gesagtem ist schon eine weitere Betrachtung des Anfangs impliziert: Der Anfang muss beziehungslos sein, wobei vor allem die Beziehungen innerhalb seiner selbst von Hegel ausgeschlossen werden. Etwas, das immanente Beziehungen aufweist, nennt Hegel konkret. Dabei ist etwa an Begriffe zu denken, die durch mehrere andere Begriffe definiert sind. Im Begriff des Menschen, wenn er als animal rationale bestimmt wird, werden die Begriffe ‚Tier‘ und ‚Rationalität‘ zur Begriffsbestimmung verwendet und damit in eine Beziehung zueinander gesetzt – in eine Einheit. Wie eben beschrieben, findet Hegel solche komplexen, konkreten Begriffe für den Zweck des Anfanges der WdL ungeeignet, weil zuerst die immanenten Bestandteile wie auch ihre Beziehungen als notwendig erwiesen werden müssten.43 Es ergibt sich also aus der Anforderung, dass die Logik absolut und notwendig sein muss, das Problem, dass sie eben keine kontingenten Voraussetzungen machen darf. Und mit dem Ausschluss von kontingenten Voraussetzungen will Hegel durch die Beziehungslosigkeit die Einfachheit des Anfanges begründen. Meines Erachtens liegt aber auch in dieser Argumentation eine Schwäche, die prima facie ein skeptisches Einfallstor darstellt: Denn selbst wenn der Anfang einfach ist, ist damit nicht schon das Kontingenzproblem gelöst. Denn auch ein einfacher Begriff, falls es so etwas gibt, der eigentlich ohne bestimmten Inhalt ist, müsste immer noch als der einzige einfache Begriff bewiesen werden. Nun kann diesem Einwand zunächst entgegengehalten werden, dass zwar nicht aus der Einfachheit, aber aus der Inhaltslosigkeit die Einzigkeit folge. Denn zwei inhaltslose Begriffe ließen sich durch kein Merkmal voneinander unterscheiden und seien insofern identisch. Es ist jedoch klar, dass dieser Gedanke voraussetzungsreich 42
Vgl. Hegel, WdL I, S. 61 f. (48 f.). Diese Anforderung ist ein wesentliches Movens, das in der Begriffslogik vom Begriff * zum Urteil führt, indem die Momente des Begriffs * und ihre Relationen expliziert werden können und von dort weiter zum Schluss treiben, der auf das Problem des Beweises und damit des notwendigen Zusammenhangs der Begriffsmomente reagiert. Vgl. unten Abschnitt 8. 43
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ist: Erstens nur ist das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren vorausgesetzt, und zweitens, dass die beiden Begriffe auch nicht anhand von äußeren Relationen unterscheidbar sind, damit das genannte Prinzip greift. Somit ist für die Einfachheit des Anfanges und dessen Inhaltslosigkeit bereits ein komplexes Set aus Annahmen vorausgesetzt, das gegen die Voraussetzungslosigkeit verstößt. Und schließlich kommt zu dieser Betrachtung noch hinzu, dass Beziehungslosigkeit und Inhaltslosigkeit selbst problematische Konzepte sind, die in der WdL thematisiert werden, weil sie sich in der selbstreflexiven Betrachtung als inkonsistent erweisen: Auch Beziehungslosigkeit ist eine Bestimmung, und Bestimmungen markieren immer schon eine Relation zu anderem, was natürlich auch für die Bestimmung ‚Bestimmungslosigkeit‘ gilt. Ein Etwas, dem diese Bestimmung zugesprochen wird, wird damit also in Beziehung zu anderem gesetzt. Und Gleiches kann für die Inhaltslosigkeit gezeigt werden: Ein Begriff, der inhaltslos ist, hat damit wiederum einen bestimmten Inhalt: Sein Inhalt soll etwa von allen gehaltvollen Begriffen unterschieden sein; und im Falle der hypothetischen Annahme eines anderen, inhaltslosen Begriffs, kann, wie skizziert, argumentiert werden, dass sich beide Inhalte in Nichts unterscheiden und die Begriffe daher identisch sein müssen. Blickt man auf die vier angeführten Argumentationsstrategien (1) bis (4) zurück, so können sie nicht überzeugen und es ist meines Erachtens auch nicht zu sehen, wie sie sich wechselseitig ergänzen können. Was ist das Problem der Argumentationen? Letztlich besteht das Hauptproblem in Folgendem: a) Es besteht ein Widerspruch zwischen der Anforderung, Anfang zu sein und diesem zugleich ein Argument vorzuschalten. Diese Unmöglichkeit kann auch, näher an Hegels Ausdrücken, mit dem Begriffspaar ‚Unmittelbarkeit/Vermittlung‘ gefasst werden: Der Anfang soll unmittelbar sein, aber jede Begründung, dass und wie er unmittelbar ist, ist schon eine Vermittlung und schließt den Charakter des Unmittelbaren damit aus. b) Zudem besteht ein Widerspruch in den Begriffen der Voraussetzungslosigkeit und der Beziehungslosigkeit, die den Anfang der WdL ausmachen sollen. Denn in der Erklärung dessen, was Voraussetzungslosigkeit ist, zeigt sich, dass Voraussetzungslosigkeit selbst als Voraussetzung verstanden werden muss – denn was die Voraussetzungslosigkeit ist, wird selbst als unbegründeter Grund für die Bestimmung des Anfangs herangezogen.44 Gleiches gilt für die Beziehungslosigkeit, die 44 Hegel verweist polemisch auf Irreflexivität in der Philosophie: Siehe Hegel, WdL I, S. 18 f. (XXXI f.), Z. 31–3: „Im Gegentheil haben sich mir zu häufig und zu heftig solche Gegner gezeigt, welche nicht die einfache Reflexion machen mochten, daß ihre Einfälle und Einwürfe Kategorien enthalten, welche Voraussetzungen sind und selbst erst der Kritik bedürfen, ehe sie gebraucht werden. Die Bewußtlosigkeit hierüber geht unglaublich weit; sie macht das GrundMißverständniß, das üble d. h. ungebildete Benehmen, bei einer Kategorie, die betrachtet wird, e t w a s A n d e r e s zu denken und nicht diese Kategorie selbst. Diese Bewußtlosigkeit ist um so weniger zu rechtfertigen, als solches A n d e r e s andere Denkbestimmungen und Begriffe sind, in einem Systeme der Logik aber eben diese andere Kategorien gleichfalls ihre Stelle müßen gefunden haben, und daselbst für sich der Betrachtung werden unterworfen seyn.“
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als Bestimmung selbst eine (Meta-)Beziehung zum Ausdruck bringt. Hegel nennt solche Bestimmungen daher „Reflexionsausdrücke“45 , weil sie ihre Bedeutung nur durch eine Unterscheidung ihres Gegenstandes von anderen Gegenständen spezifizieren können. Das, was durch ‚Unmittelbarkeit‘ bezeichnet wird, muss von dem verschieden sein, was durch ‚Vermittlung‘ bezeichnet wird. Insofern aber, im weitesten Sinne, Verschiedenheit selbst eine Vermittlung ist, denn diese Verschiedenheit stellt eine notwendige Bedingung des Unmittelbaren dar, ist das Unmittelbare durch notwendige Bedingungen bestimmt und damit in ein Bedingungsverhältnis eingebunden – was eigentlich das Kennzeichen des Vermittelten sein soll. Analoges lässt sich für die Beziehungslosigkeit ausführen.46 Scheitert damit Hegels Bemühung um einen Anfang der Logik und sogar diese selbst? Bis in die Enzyklopädie scheint Hegel keine eindeutige Antwort auf die besprochenen Schwierigkeiten gefunden zu haben, insofern er etwa in der Anmerkung zum § 86 analog zu den genannten Argumenten anführt, dass wenn etwas ernsthaft als Erstes der Logik konzipiert werde, es immer „reine Unmittelbarkeit“ und damit „nichts anderes als Sein“ bedeuten würde.47 Nun tritt aber neben diese Überlegungen zur Bestimmung des Anfangs, zur Begründung der Unmittelbarkeit und ihrer logischen Bedeutung, dem ‹reinen Sein›, bei Hegel eine zweite, die das Anfangen nochmals grundsätzlich und dessen Stellung in der WdL in den Blick nimmt. Diese findet sich sowohl in dem Abschnitt Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden? als auch in der absoluten Idee sowie im § 17 der Enzyklopädie.48 Und sie kulminiert in einem der berühmtesten HegelSätze, nämlich in der Kreisförmigkeit der Philosophie, die damit ihren Anfang selbst zum Resultat habe.49 Aus diesem Grund, so schreibt Hegel, sei das „Vorwärtsgehen 45
Hegel, WdL I, S. 55 (41), Z. 26. Hegel selbst führt diese reflexive Argumentation wie selbstverständlich in der absoluten Idee * an: „Aber die Unbestimmtheit, welche jene logische [sic!] Anfänge zu ihrem einzigen Inhalte haben, ist es selbst, was ihre Bestimmtheit ausmacht, diese besteht nemlich in ihrer Negativität, als aufgehobener Vermittlung[.]“ (Hegel, WdL II, S. 249 f. (394), Z. 38–4.) Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 518. Siehe Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 318 (215): „Negation der Bestimmung ist selbst ein Bestimmen.“ Vgl. auch Schäfer, „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, S. 257 f. Schäfer führt zunächst schön vor, wie eine selbstwidersprüchliche Argumentation hinsichtlich der Voraussetzungslosigkeit und Bestimmungslosigkeit aussähe und zeigt dann den pragmatisch-dialektischen Widerspruch in dieser Annahme auf. 47 Vgl. Hegel, Enz. I, § 86, A., S. 183. Besonders deutlich wird im Zusatz 1, dass Hegel die Probleme nicht gelöst hat, denn die Bestimmungslosigkeit des Anfangs, die er dort zum Kern seiner Argumentation macht, ist leicht selbst als Bestimmung zu entlarven. Diesen Widerspruch nutzt D. Wandschneider für seine Argumentation.Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 50 f. 48 Vgl. Hegel, WdL I, S. 57 f. (43 f.), Hegel, WdL II, S. 240 (378), Z. 17–19; Hegel, Enz. I, § 17, S. 62 f. 49 Siehe Hegel, WdL II, S. 252 (398), Z. 17–21: „Vermöge der aufgezeigten Natur der Methode stellt sich die Wissenschaft als in sich geschlungener K r e i s dar, in dessen Anfang, den einfachen 46
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ein R ü c k g a n g in den G r u n d, zu dem U r s p r ü n g l i c h e n und Wa h r h a f t e n [. . . ], von dem das, womit der Anfang gemacht wurde, abhängt, und in der That hervorgebracht wird“50 . Hegel meint also, dass der Anfang der WdL, das ‹reine Sein›, doch begründet und vermittelt sei, und zwar durch das Resultat, das sich im Verlauf der Logik ergibt. Insofern wäre es nur konsequent und folgerichtig, dass die Beschreibungen des Anfangs als ‚unmittelbar‘, ‚beziehungslos‘, ‚bestimmungslos‘ oder ‚voraussetzungslos‘ sich allesamt selbst widersprechen und daher fehlschlagen. Und damit wäre wahr, was Hegel schreibt, nämlich dass es „[n]ichts g i b t, nichts im Himmel oder in der Natur oder im Geiste oder wo es sey, was nicht ebensosehr die Unmittelbarkeit enthält, als die Vermittlung, so daß diese beyden Bestimmungen als u n g e t r e n n t und u n t r e n n b a r und jener Gegensatz sich als ein Nichtiges zeigt“51 . Doch wie kann das eine Antwort auf das Problem des Anfangs sein? Wird dieses durch die Aussagen nicht noch verschärft und mit einem absurden Begründungsmodell zusammengebracht? Und ist das Begründungsmodell nicht ein vollständiges Rätsel und somit auch die Aussagen Hegels zur Kreisform der Philosophie? Betrachten wir die Hinweise also etwas genauer. i) Für den Anfang ist entscheidend, wovon er der Anfang ist. Dass es sich dabei um den Anfang der Logik handelt,52 ist oben gesagt worden. Doch was bedeutet es, mit der Logik zu beginnen? ii) Wenn gewusst wird, wovon der Anfang gemacht wird, kann auch das Wie des Anfanges befragt werden. Ad i): Der Anfang ist, wie gesagt, der Anfang der WdL. Es soll sich also um einen Anfang der Disziplin handeln, die sowohl Logik, Transzendentalphilosophie, Ontologie und philosophische Theologie vereint, indem sie die denknotwendigen Kategorien in ihrem Zusammenhang aufweist, diese letztbegründet und so das Absolute zum Ausdruck bringt. Und in der absoluten Idee *, die durch den Aufhebungszusammenhang alle logischen Kategorien enthält und als Totalität explizit macht, indem in ihr noch die Methode der Kategorienableitung und die Rechtfertigung integriert ist, nennt Hegel auch deutlich, was der Gegenstand ist, der in der WdL im Medium des reinen Denkens erfasst wird: [D]ie absolute Idee allein ist S e y n, unvergängliches L e b e n, s i c h w i s s e n d e Wa h r h e i t, und ist a l l e Wa h r h e i t.53 Grund, die Vermittlung das Ende zurückschlingt[.]“ Analog heißt es in Hegel, Enz. I, § 17, S. 63: „Ferner muß der Standpunkt, welcher so als unmittelbarer erscheint, innerhalb der Wissenschaft sich zum Resultate, und zwar zu ihrem letzten machen, in welchem sie ihren Anfang wieder erreicht und in sich zurückkehrt.“ 50 Hegel, WdL I, S. 57 (43), Z. 14–16. So auch Schäfer, „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, S. 244. 51 Hegel, WdL I, S. 54 (39), Z. 13–17. 52 Vgl. ebd., S. 54 (38), Z. 6. Vgl. oben S. 300. 53 Hegel, WdL II, S. 236 (371 f.), Z. 18–20. Die absolute Idee * ist bekanntlich auch in der Realphilosophie thematisch, indem die logischen Kategorien zunächst das Natursein strukturieren
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Somit lautet also die Frage nach dem Anfang der Logik, wie mit dem Begreifen der Wahrheit begonnen werden kann. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, was ‚Begreifen‘ in diesem Kontext bedeutet: Denn es geht um die Selbstdarstellung und Selbstexplikation der Fundamentallogik, die ihre eigenen Explikationsregeln mitenthält. Das heißt, unter ‚Begreifen‘ ist hier die vollständige Explikation der absoluten Wahrheit und damit der Letztbegründung gemeint, die ihre eigenen Regeln mitenthält. Nicht gemeint ist dagegen der Beginn der Erkenntnisleistungen eines Subjekts in Raum und Zeit. Insofern unterscheidet sich Hegel deutlich von Transzendentalphilosophien, in denen die Denkakte, die jeweils vollzogen werden müssen, ins Zentrum gerückt werden. Das ist insofern wichtig, weil damit Themen als irrelevant wegfallen, die Hegel in der Behandlung von subjektiven Erkenntnisakten miteinbezieht, wie etwa deren zeitliche Struktur, die Umwelteinflüsse, die sozialgeschichtliche Prägung und Sprache et cetera. Das ist alles Thema des subjektiven Geistes, wo sie ausführlich analysiert werden. Entscheidend ist aber die Abhängigkeitsrelation richtig zu verstehen: Während die Logik zeitlose, ewige Wahrheit erfasst, die für sich selbst stehen, nur von sich selbst abhängen und deren Anfang deswegen weder kulturrelativ noch zeitlich ist, sind die subjektiven Erkenntnisakte dasjenige, was von der Logik abhängig ist, wie zu Beginn dieses Abschnittes gesehen. In der hegelschen Philosophie und im objektiven Idealismus überhaupt gilt, dass die Logik als Prinzip des Denkens und Seins der Geltungs- und Seinsgrund der subjektiven Erkenntnisakte ist. Falsch wäre hingegen, zu meinen, die subjektiven Akte wären der Geltungsgrund der Logik. Kurz: Weil es die absolute Wahrheit ist, wird sie von Subjekten in Raum und Zeit erkannt, aber sie ist nicht absolute Wahrheit, weil sie von solchen Wesen erkannt wird.54 So ist das Denken eines Subjektes, das sich mit Hegels Logik beschäftig, am besten als Nachvollzug charakterisiert. Daraus folgt, dass ‚Anfangen‘ für die WdL bedeutet, mit Letztbegründung und somit absoluter Wahrheit zu beginnen. Was aber nicht gemeint ist, ist, wie ein Anfang in der Zeit, durch ein endliches Subjekt vollzogen, zu verstehen ist. Doch wie hilft diese Differenzierung mit der Problemlage des Anfanges weiter? Zunächst ist damit klar, worauf der Anfang überhaupt abzielt, also womit begonnen werden muss. Und das lässt die Frage zu, wie mit der Begründung und Explikation der absoluten Wahrheit begonnen werden kann. und dann Wesen begründen, die eine Naturseite an sich haben, zugleich aber in der Lage sind, ideale Strukturen zu erkennen. Somit ist der Gegenstand der Philosophie, die absolute Wahrheit oder absolute Idee * für Hegel zugleich der Bezugspunkt der Religion, was den theologischen Anspruch seiner Philosophie unterstreicht. Siehe Hegel, VPR I, S. 28: „Der Gegenstand der Religion wie der Philosophie ist die ewige Wahrheit in ihrer Objektivität selbst, Gott und nichts als Gott und die Explikation Gottes. Die Philosophie ist [. . . ] Erkenntnis dessen, was ewig ist, was Gott ist und was aus seiner Natur fließt.“ Vgl. Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 63, Z. aus CO . 54 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 70 f.
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Ad ii): Wie ist also der Anfang der absoluten Wahrheit zu verstehen? Da die logischen Gehalte ewig sind, kann es sich, wie gesagt, nicht um einen zeitlichen Anfang handeln. Weil aber Hegel nicht nur über absolute Wahrheit sprechen möchte, sondern, wie in der vorliegenden Arbeit stets betont wurde, auch den höchsten Begründungsanspruch stellt, ist der Anfang als Anfang der Begründung der absoluten Wahrheit zu verstehen, wobei Gehalt und Begründung letztlich eine Einheit bilden müssen. Mit dem Thema, wie überhaupt ein Beweis eines Letztgültigen geleistet werden kann, beschäftigen sich auch die Gottesbeweise der philosophischen Theologie, die Hegel in den Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes behandelt, weil in diesen auf andere Weise das Gleiche behandelt werde, worum sich auch die WdL bemüht: das Beweisen des Absoluten. So findet sich in den Vorlesungen für das vorliegende Problem das folgende Zitat, das Hegel im Kontext der Evaluation des KGB und des OGB anführt und mit der er dem OGB eine höhere Begründungsleistung zuspricht, weil der KGB eine nicht-notwendige Prämisse in der Erfahrung benötige: Was an sich notwendig ist, muß seinen Anfang in sich selbst zeigen, so aufgefaßt werden, daß sein Anfang in ihm selbst nachgewiesen werde.55
Während es für deduktive Argumente im Allgemeinen genüge, das zu Beweisende aus vorausgehenden und unabhängigen Prämissen abzuleiten, muss das durch sich selbst Notwendige, also das Absolute, auch nur durch sich selbst bewiesen werden. Und damit stellt sich die Anfangsfrage folgendermaßen dar, wie Hegel in dem Kontext anschließt: Die Frage ist allein, wie es anzufangen sei, aufzuzeigen, daß etwas von sich selbst anfange, oder vielmehr wie es zu vereinigen sei, daß das Unendliche ebenso von einem Anderen als darin nur von sich selbst ausgehe.56
Dass ein deduktives Begründungsmodell für die WdL nicht infrage kommt, erhält hier nochmals Unterstützung. Und so ist auch Hegels Hinweis in der absoluten Idee * zu verstehen, dass man das gewohnte Modell, nach der die „Beglaubigung des b e s t i m m t e n I n h a l t s [. . . ] r ü c k w ä r t s zu liegen“57 scheint, aber gerade für die Logik nicht in Anschlag bringen könne, denn dieses deduktive Modell droht immer in einen infiniten Begründungsregress zu führen. Insofern muss das Begründen für Hegels Zweck umgekehrt verlaufen, nämlich als „Vorwärtsgehen“.58 Doch was meint das bereits oben angesprochene Vorwärtsgehen? Und ist das Selbstbeweisen nicht immer ein vitiöser Zirkel? Ist Letzteres nicht gerade von Hegel eingestanden, wenn er die Kreisförmigkeit der Philosophie betont und hervorhebt, dass nur das an sich Notwendige in sich seinen Anfang zeigen müsse? 55 56 57 58
Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 435. Ebd., S. 435. Hegel, WdL II, S. 240 (378), Z. 17 f. Vgl. ebd., S. 240 (378), Z. 18 f.
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Offenbar ist die Zirkularität für Hegel geradezu die via regia, um den infiniten Begründungsregress oder -progress zu vermeiden.59 Daher ist sie in seinen Augen ein wichtiges Merkmal der WdL und sei, wie er vermerkt, das eigentlich Entscheidende, wohinter die Suche nach der Unmittelbarkeit des Anfanges zurücktrete: Das Wesentliche für die Wissenschaft ist nicht so sehr, daß ein rein Unmittelbares der Anfang sey, sondern daß das Ganze derselben ein Kreislauf in sich selbst ist, worin das Erste auch das Letzte ist.60
Doch ist entscheidend, dass Hegel natürlich nicht alle argumentativen Zirkel akzeptiert. So zeigt sich Hegel etwa wenig beeindruckt von den Argumenten, die Kant in den „Antinomien der reinen Vernunft“ präsentiert, da er deren (hintergehbare) Zirkulärität durchschaut. Um aber eine sinnvolle Unterscheidung zwischen fehlerhaften und philosophisch hilfreichen Zirkeln aufrechtzuerhalten, muss ein Kriterium angenommen werden, welches beide unterscheidet. Dieses scheint für Hegel die Notwendigkeit zu sein, die sich in einem negativen Beweis zeigen lässt. Zwar reflektiert er selbst nicht ausführlich auf den negativen Beweis, jedoch zeigt er erstens großes Interesse an ontologischen Strukturen in denen sich ein negativer Beweis zeigt, und zweitens ist diese Beweisform, wie V. Hösle unterstreicht, die einzige Möglichkeit zur Lösung des Regresses und Letztbegründungsproblems, dem sich Hegel in der Logik stellt.61 Weil der negative Beweis in Hegels Philosophie – und ebenfalls für Hegels Argumentation hinsichtlich des OGB – eine zentrale Rolle spielt, soll er unten gesondert betrachtet werden.62 Hier ist er daher nur im Kontext des Anfangsproblems relevant. Unter einem negativen Beweis ist dabei zu verstehen, dass zu der trivialen Selbst-Implikation einer Proposition oder Kategorie hinzukommt, dass die gleiche Proposition oder Kategorie zugleich die Voraussetzung der Wahrheit ihrer Negation ist. Denn in diesem Fall wäre die Proposition oder Kategorie allein durch sich selbst wahr und notwendig, denn die Negation ließe sich nicht konsistent denken. Natürlich muss die Art des Widerspruches spezifiziert werden, aber diese Argumentstruktur ist bereits in der Diskussion um den ontologischen Gehalt transzendentaler Argumente genauer besprochen worden.63 Tragen wir also die zuletzt genannten Momente, die für den Anfang relevant sind, zusammen: 1. Womit begonnen werden muss, ist die absolute Wahrheit, die 59 Siehe Hegel, WdL II, S. 250 (394), Z. 13–18: „Wie daher die Inhaltslosigkeit jener Anfänge sie nicht zu absoluten Anfängen macht, so ist es aber auch nicht der Inhalt, der als solcher die Methode in den unendlichen Progreß vor- oder rückwärts führte. Von einer Seite ist die B e s t i m m t h e i t, welche sie sich in ihrem Resultate erzeugt, das Moment, wodurch sie die Vermittlung mit sich ist, und d e n u n m i t t e l b a r e n A n f a n g z u e i n e m Ve r m i t t e l t e n macht.“ 60 Hegel, WdL I, S. 57 (44), Z. 26–28. 61 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 188–197 und Hösle, Die Krise der Gegenwart, S. 159 f. 62 Vgl. unten Abschnitt 9.2. 63 Vgl. oben S. 216 f., wo die Weisen des Widerspruches genauer dargestellt werden.
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Hegel auch absolute Idee * nennt, für die ein (Selbst-)Beweis notwendig ist. 2. Das absolut Notwendige, die absolute Wahrheit kann nicht mit hinterfragbaren Prämissen begründet werden. Insofern muss auf die Frage, wie angefangen werden soll, geantwortet werden: Mit der absoluten Wahrheit, der absoluten Idee * selbst. 3. Es muss aber zudem gesagt werden, dass der Anfang den Anfang des Beweises der absoluten Wahrheit bildet. Die Form dieses Beweises muss die eines negativen Beweises sein, wie aus dem Letztbegründungsanspruch folgt. Daraus ergibt sich, dass nun also mit einem negativen Beweis und zugleich mit der absoluten Wahrheit selbst angefangen werden muss. Nun fordert der negative Beweis aber mit der Negation der absoluten Wahrheit anzufangen, denn es soll gezeigt werden, dass die Negation nicht als wahr gelten kann, ohne bereits ihr Gegenteil vorauszusetzen. 4. Und genau daraus ergibt sich der Sinn des oben genannten Zitates, dass „das Unendliche ebenso von einem Anderen als darin nur von sich selbst ausgehe“64 . Denn indem vom ‚Anderen‘ des Zieles der WdL ausgegangen wird, dieses aber durch immanente Analyse als voraussetzungsreich aufgewiesen wird und so Schritt für Schritt bis zur absoluten Idee * führt, wird gezeigt, dass sich schon die Negation der absoluten Wahrheit nur durch diese denken lässt und sie insofern schon im Anfang präsent ist. Das kann aber erst nach der Durchführung des Beweises eingesehen werden, denn zunächst gilt es, den Anfang und seine Bestimmung nur durch sich selbst als dialektisch inkonsistent zu erweisen und zu zeigen, wie er sich in das Resultat der WdL überführt.65 Die eigentliche Wahrheit und der eigentliche Grund des Anfanges wird dann aber erst in diesem Resultat erreicht. Darum schreibt Hegel, dass eigentlich erst das Resultat das (absolut) Wahre ist und nicht die Begründung vor dem oder schon im Anfang geleistet werden könne: So wird das Bewußtseyn auf seinem Wege von der Unmittelbarkeit aus, mit der es anfängt, zum absoluten Wissen, als seiner innersten Wa h r h e i t, zurückgeführt. Diß letzte, der Grund, ist denn auch dasjenige, aus welchem das Erste hervorgeht, das zuerst als Unmittelbares auftrat.66
Hegels Anliegen ist also insofern komplex und nicht einfach nachzuvollziehen, was sich etwa in manchen scheinbar paradoxen Formulierungen spiegelt. Dass aber 64 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 435. Unendliches ist ebenfalls ein von Hegel benutzter Ausdruck, um die absolute Wahrheit oder absolute Idee * zu bezeichnen, und die wahre Unendlichkeit hat bekanntlich die Struktur, sich im Endlichen zu erhalten und dieses zu durchdringen. Vgl. Abschnitt 6.4.2. 65 Diese Überlegungen zur Natur des Anfangs und zu den Ansprüchen der WdL müssen natürlich selbst letztlich durch die Logik eingeholt und gerechtfertigt werden. Es scheint aber gerade, wenn der objektive Idealismus wahr ist, gerechtfertigt, in unsere Rationalität und solche Vorüberlegungen zu einer systematischen Philosophie zu vertrauen. 66 Hegel, WdL I, S. 57 (43), Z. 16–20. Hegels Wortverwendung ist hier undeutlich, da „Bewußtsein“ und „absolutes Wissen“ auf die PhG hinweisen könnten. Ich denke, dass aus dem Kontext klar hervorgeht, dass Hegel die WdL und ihr Anfangsproblem vor Augen hat und das „Bewußtsein“ daher für den Nachvollzug des in der Logik stattfindenden Beweises steht.
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dem Anfang schon das Prinzip der Logik zugrunde liegt, aber dass dieses auch noch seiner Negation zugrunde liegt, also auch dann, wenn von ihm abstrahiert wird, fasst Hegel derart, dass am Anfang das Prinzip noch nicht explizit sei: „Das Sein ist der Begriff nur an sich[.]“67 Schon beim Blick ins Inhaltsverzeichnis der WdL wird aber klar, dass Hegel keine kurze und elegante Widerlegung einer Negation seines Prinzips anbietet, mit der er dann den Begriff * beziehungsweise die Idee * als bewiesen versteht. Stattdessen startet mit der ersten logischen Bestimmung, dem ‹Sein›, eine Kette von „Definitionen des Absoluten, als die metaphysischen Definitionen Gottes“68 , die freilich nicht einfach als unzureichend verworfen wird, sondern von der nach und nach sichtbar werden soll, dass alle ihre Bestimmungen zu Hegels Prinzip gehören. Lediglich wenn die Bestimmungen jeweils für sich alleine betrachtet werden, erscheinen sie als einseitig und unterbestimmt, weshalb zu einem neuen Definitionsversuch übergegangen werden muss.69 Sowohl das genauere Verfahren der Fortbestimmung in der WdL als auch die Form dieses negativen Beweises für den Begriff * oder die Idee * wird noch genauer behandelt werden müssen.70 Wichtig ist jedoch, dass Hegel die Bestimmungen, die in der Logik auftreten, aber als unzureichende Bestimmungen des Absoluten kritisiert werden, nicht verwirft, sondern sie als Bestandteile einer Totalität auffasst, die notwendig zur Bestimmung seines Prinzips, die notwendig zum Begriff * und zur Idee * gehören: Der Begriff, in der absoluten Methode e r h ä l t sich in seinem Andersseyn, das Allgemeine in seiner Besonderung, in dem Urtheile und der Realität; es erhebt auf jeder Stuffe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden Inhalts, und verliert durch sein dialektisches Fortgehen nicht nur nichts, noch läßt es etwas dahinten, sondern trägt alles Erworbene mit sich, und bereichert und verdichtet sich in sich.71
67 Hegel, Enz. I, § 84, S. 181. Siehe auch die Formulierung in der „absoluten Idee“: „Denn da sie die absolute Form, der sich selbst und Alles als Begriff wissende Begriff ist, so ist kein Inhalte, der ihr gegenüberträte, und sie zur einseitigen äusserlichen Form bestimmte.“ (Hegel, WdL II, S. 250 (394), Z. 11–13). 68 Hegel, Enz. I, § 85, S. 181. Die Darstellung der logischen Stufen als Definitionen des Absoluten tritt in der Enzyklopädie ungleich deutlicher hervor. In der großen Logik expliziert Hegel diesen Zug nicht in gleichem Maße. Deutlich ist etwa: „Das Unendliche in seinem einfachen Begriff kann zunächst als neue Definition des Absoluten angesehen werden[.]“ (Hegel, WdL I, S. 124 (139), Z. 8 f.) Siehe etwa den Hinweis zu Beginn der Wesenslogik: „Wenn also das Absolute zuerst als S e y n bestimmt war, so ist es itzt als We s e n bestimmt.“ (ebd., S. #241 (2), Z. 23 f.). 69 Genauer meint Hegel, dass die jeweils erste und dritte Kategorie eines Zyklus in der WdL als Definitionen des Absoluten gelten könne, die zweite Kategorie aber Endliches beschreibe. Somit kann folglich erst am Ende der Logik der Begriff Gottes stehen: Vgl. Düsing, „Ontologische Bestimmungen als Prädikate des Absoluten?“, S. 679. 70 Vgl. unten Abschnitt 6.2. 71 Hegel, WdL II, S. 250 (395), Z. 34–39.
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Durch den Fortgang und die Entwicklung in der Logik soll das Absolute als Resultat von „richtigen Folgerungen“ erschlossen werden.72 Worin das Movens des Fortganges besteht, ist nicht einfach zu rekonstruieren und wird im Zusammenhang mit D. Wandschneiders Methodenanalyse genauer betrachtet. Klar ist aber, dass der Fortgang für Hegel immanent, das heißt ohne zusätzliche Prämissen oder Annahmen, durch die Analyse und die Reflexion auf die Eigenschaften der jeweiligen logischen Kategorie selbst erzwungen werden muss. In erster Annäherung kann festgehalten werden, dass dieser Zwang entweder durch einen zu lösenden Widerspruch innerhalb der Kategorie oder in Relation zu einer ihr direkt zugeordenten Kategorie, die für das Verständnis der ersten Kategorie notwendig ist, durch noch unexplizierte Voraussetzungen oder aber durch eine Einseitigkeit zustande kommt. Im Fortgang ist es aber wichtig zu beachten, dass Hegel nicht nur von einer logischen Kategorie zur nächsten übergeht, um schließlich zu einer wahren und unhintergehbaren zu gelangen. Denn alle Kategorien sind insofern wichtig, als dass sie notwendig für das Verständnis der Bedeutung aller ihrer Nachfolger sind. Daher betont Hegel, dass der Fortgang „von dem, was den Anfang macht, [. . . ] nur als eine weitere Bestimmung desselben zu betrachten“73 sei. V. Hösle hat darauf hingewiesen, dass es vergleichbare Verfahren bei ‚immanenten Definitionen‘ in der Mathematik gibt, bei denen die Bedeutung über die „Stellung im Gesamtsystem“ angegeben wird, und führt die wichtige Bemerkung an, dass dieses eine Lösung des Problems der Bestimmung von „Grundtermen“ ist und dass das Verfahren der immanenten Definition daher auch für Hegels Logik interessant sei.74 Der Fortgang und die immanente Fortbestimmung soll schließlich zur inhaltlichen Erkenntnis des Absoluten führen – denn auch dessen Bestimmung ist letztlich die Totalität der logischen Bestimmungen, wie aus dem angeführten Zitat hervorgeht. Dass das Absolute nicht wiederum eine ganz andere Bestimmung haben kann, als ihn der Zusammenhang der Kategorien bildet, kann daraus erhellt werden, dass Hegel unmittelbare Bestimmungen eigentlich für unerkennbar hält. Denn in jedem Erkennen ist immer schon Vermittlung, also Begründung und inferentielle Beziehungen, impliziert. Und deswegen muss das Absolute das Resultat einer Ableitung sein, so wie seine inhaltliche Bestimmung ebenfalls Resultat der vorhergehenden logischen Bestimmungen sein muss. Aus Gesagtem kann nun erhellt werden, auf welche Weise die Spannung des Anfangs gemindert werden muss: Der Beweis des Absoluten (3.) beginnt mit einer logischen Bestimmung, die ein Anderssein darstellt, in der also möglichst vom Absoluten abstrahiert wird. Denn wäre es möglich, sinnvoll vom Absoluten zu abstrahieren, wäre dieses nicht mehr absolut, da es sich um eine Einschränkung handelte. Insofern ist das Absolute keine eigentliche Prämisse, denn es kann einfach von aller 72 73 74
Vgl. Hegel, WdL I, S. 58 (44), Z. 2 f. Ebd., S. 58 (44), Z. 3 f. Vgl. Hösle, Hegels System, 204, Fn. 93.
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
inhaltlichen Bestimmtheit und damit von allem inhaltlichen Gehalt des Begriffs * abstrahiert werden. Das ist der Beginn des negativen Beweises (4.), dessen Fortgang darin besteht, dass die Anfangsbestimmung eine bestimmte Inkonsistenz aufweist und durch eine weitere Bestimmung ergänzt werden muss. Auf diesem Weg wird eine Bestimmungstotalität von logischen Kategorien entwickelt, die sich letztlich als die Totalität erweist, die das Absolute selbst ist. Insofern wird durch den negativen Beweis die absolute Wahrheit begründet (1.), aber nicht auf einem deduktiven Weg, sondern indem gezeigt wird, dass das Absolute sich auch noch in der vollständigen Abstraktion, in seinem Anderssein geltend macht. Und insofern es sich geltend macht, ist der Anfang implizit mit dem Absoluten selbst gemacht (2.).75 Aber ist damit nicht doch eine Voraussetzung des Anfangs gemacht? Muss um die Andersheit des Absoluten zu bestimmen, nicht das Absolute verstanden sein und vorausgesetzt werden? Es ist klar, dass durch Gesagtes die vollkommene Voraussetzungslosigkeit des Anfangs aufgegeben wird. Das ist aber nur die Konsequenz der obigen Einsicht, dass ‚Voraussetzungslosigkeit‘ kein konsistentes Konzept ist, ebenso wie ‚Unmittelbarkeit‘. Denn beide müssen inhaltlich bestimmt werden und damit findet schon ein Begründungsbedarf statt, weil Vorannahmen in das Verständnis der Konzepte ‚Voraussetzungslosigkeit‘ und ‚Unmittelbarkeit‘ eingehen. Und insofern ist für den Anfang schließlich eine Voraussetzung möglich, die aber durch das Folgende bewiesen werden muss, nämlich das Absolute selbst. Aber dieses darf nicht deduktiv vorausgesetzt werden, als sei es schon inhaltlich verstanden. Die Voraussetzung ist eher derart zu verstehen, dass zwar grundsätzlich absolute Wahrheit denkend und insofern logisch gefunden werden soll, aber es ist noch völlig unbestimmt, wie diese aussehen soll; und damit muss der Anfang gemacht werden: mit dem Unbestimmtesten und Abstraktesten.76 In diesen Superlativen – von denen es plausibel ist, anzunehmen, sie ließen sich nicht unendlich steigern – liegt damit die Lösung des Anfangsproblems. Diese kann freilich problematisiert werden, aber zunächst ist mit diesen Charakteristika der Anfangsbestimmung anerkannt, was das Problem der Charakterisierungen des Anfangs als das ‚Unmittelbare‘, ‚Beziehungslose‘ et cetera ist, nämlich die reflexive Unhaltbarkeit dieser Charakterisierungen. Denn es ist gerade eine Pointe der hegelschen Philosophie, dass mit ‚Unmittelbarkeit‘ und analogen Kategorien keine sinnvolle, philosophische Position bezeichnet werden kann, weil die quid 75 In den Vorlesungen über die Philosophie der Religion von 1827 heißt es etwa unter A. Der Begriff Gottes: „Der Satz „Gott ist das absolut Wahre“, heißt ebensosehr dies, daß Gott nicht Resultat, sondern daß dies absolut Wahre, sofern es das Letzte, ebensosehr das Erste ist. Aber es ist nur das Wahre, sofern es nicht nur Anfang, sondern auch Ende, Resultat ist, sofern es aus sich selbst resultiert.“ (Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 267, Z. 66–70). 76 Darauf weist Gadamer hin: Vgl. Gadamer, „Die Idee der Hegelschen Logik“, S. 72. Vgl. auch Rohls, Theologie und Metaphysik. Der ontologische Gottesbeweis und seine Kritiker, S. 377. Wandschneider macht den meines Erachtens sehr plausiblen Vorschlag, die Anfangskategorie als die ‚Bedingung der Möglichkeit von Bestimmtheit‘ zu verstehen. Vgl. Abschnitt 6.3.
6.1. Voraussetzungslosigkeit der Logik
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juris Frage schlicht unumgänglich ist. Somit kann Hegel nicht darauf bauen, dass es aber genau eine Kategorie, einen Anfang gebe, der ohne alle Voraussetzung und daher ohne Rechtfertigungsbedarf auskomme. Die hegelsche Position ist demgegenüber deutlich komplexer, insofern auch der Anfang gerechtfertigt werden muss, aber nicht am Anfang gerechtfertigt werden kann.77 Der eigentliche Beweis, den Hegel anstrebt, lässt sich erst mit dem Resultat der Logik, abschließen: Erst durch das Ende des negativen Beweises, der vom ‹Sein› über die anderen logischen Kategorien bis zum Begriff * und zur absoluten Idee * führt und der alle vorherigen Stufen als notwendige, aber nicht für das Absolute hinreichende Kategorien erweist, kann eine Rechtfertigung des Anfanges gelingen.78 Denn dieses Resultat, wenn der Beweis tatsächlich das Absolute bestimmt und beweist, hat wiederum eine Ähnlichkeit in der Bestimmung, die Hegel dem Anfang der Logik gibt: Während der Anfang unmittelbar sein soll, insofern möglichst von allem Begründungsbedarf abstrahiert werden soll, so wäre das Resultat tatsächlich unmittelbar, insofern es keiner weitern Begründung bedürfte. Allerdings wäre diese Unmittelbarkeit keine bloß angenommene, sondern eine vermittelte: Der Begründungsprozess wäre an ein Ende gekommen, an eine Letztbegründung, nur als diese ist die Unmittelbarkeit zu denken, also nicht als der Ausschluss, sondern der Abschluss von Begründung und Begründungsbedürftigkeit, was Hegel so formuliert: Was d i e N a t u r d e s B e g r i f f e s sey, kann so wenig unmittelbar angegeben werden, als der Begriff irgend eines andern Gegenstandes unmittelbar aufgestellt werden kann. Es 77 So ist vielleicht auch deutlich, warum das von F. Schick aufgezeigte Paradox am Anfang der Logik besteht, aber auch, wie es aufgelöst werden könnte. Schick fasst das Problem des Anfangs in nuce: „Es stehen sich gewissermaßen die Sätze: So und nur so muß Wissen anfangen – und: So jedenfalls kann Wissen nicht anfangen – unversöhnlich gegenüber. In der Logik sollen beide Sätze gelten.“ (Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 125) Es muss also so mit dem Wissen des Absoluten angefangen werden, gerade weil sich dieser Anfang, obwohl ihn die abstrakteste und unabhängigste Kategorie bildet, als reflexiv unmöglich erweist. Es kann so nicht angefangen werden, weil keine tatsächliche Voraussetzungslosigkeit erreicht wird, da das Absolute schon am Anfang vorausgesetzt ist. Aber die Explikation und der Beweis müssen dennoch mit dem Abstraktesten anfangen, gerade um dessen Unmöglichkeit zu zeigen. Schick selbst weist in die Richtung, wenn sie die „Absolutheit des Gedankens“ erst in der Begriffslogik konsistent eingeholt sieht. Vgl. ebd., S. 154. Allerdings scheint mir Hegel dort die Letztbegründung erst leisten zu wollen und nicht aufgegeben zu haben. 78 Siehe Hegel, WdL II, S. 250 (394 f.), Z. 13–24: „Wie daher die Inhaltslosigkeit jener Anfänge sie nicht zu absoluten Anfängen macht, so ist es aber auch nicht der Inhalt, der als solcher die Methode in den unendlichen Progreß vor- oder rückwärts führte. Von einer Seite ist die B e s t i m m t h e i t, welche sie sich in ihrem Resultate erzeugt, das Moment, wodurch sie die Vermittlung mit sich ist, und d e n u n m i t t e l b a r e n A n f a n g z u e i n e m Ve r m i t t e l t e n macht. Aber umgekehrt ist es die Bestimmtheit, durch welche sich diese ihre Vermittlung verlauft [sic!]; sie geht d u r c h einen I n h a l t als durch ein scheinbares A n d r e ihrer selbst, zu ihrem Anfange so zurück, daß sie nicht bloß denselben aber als einen b e s t i m m t e n wieder herstellt, sondern das Resultat ist ebensosehr die aufgehobene Bestimmtheit, somit auch die Wiederherstellung der ersten Unbestimmtheit, in welcher sie angefangen. Diß leistet sie als e i n S y s t e m d e r To t a l i t ä t.“
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
könnte etwa scheinen, daß um den Begriff eines Gegenstandes anzugeben, das Logische vorausgesetzt werde, und dieses somit nicht wieder etwas anders zu seinem Voraus haben, noch ein abgeleitetes seyn könne, wie in der Geometrie logische Sätze, wie sie in Anwendung auf die Grösse erscheinen und in dieser Wissenschaft gebraucht werden, in der Form von A x i o m e n , u n a b g e l e i t e t e n u n d u n a b l e i t b a r e n Erkenntnisßbestimmungen vorangeschickt werden. Ob nun wohl der Begriff nicht nur als eine subjective Voraussetzung, sondern als a b s o l u t e G r u n d l a g e anzusehen ist, so kann er diß doch nicht seyn, als insofern er sich zur Grundlage g e m a c h t hat. Das abstract-Unmittelbare ist wohl ein E r s t e s; als diß Abstracte ist es aber vielmehr ein Vermitteltes, von dem als, wenn es in seiner Wahrheit gefaßt werden soll, seine Grundlage erst zu suchen ist. Diese muß daher zwar einUnmittelbares [sic!] seyn, aber so daß es aus der Aufhebung der Vermittlung sich zum Unmittelbaren gemacht hat.79
Interessant ist dabei natürlich die Rolle der Negation in der Beweisform, die Hegel für das Absolute anstrebt. D. Henrich und A. F. Koch weisen schließlich nicht umsonst auf die eminente Bedeutung der Negation für Hegels Ableitungsverfahren hin. Jedoch sollte in der Anfangsdiskussion deutlich geworden sein, dass die Negation und auch deren Selbstanwendung – wie im Folgenden noch gezeigt wird – sehr wichtig für das Verständnis der WdL ist, aber nicht hinreichend. Das wird in der Auseinandersetzung mit D. Wandschneider deutlicher, und schließlich soll Hegels „Grundoperation“ durch die Rolle innerhalb eines negativen Beweises für das Absolute eine Stellung zugewiesen werden.80 Dabei soll hier nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass der Anfang der Logik weiterhin eine schwierige Frage darstellt, denn es ist nicht klar, wie das Abstrakteste oder Unmittelbarste zu verstehen ist und inwiefern der Anfang dadurch ein subjektives Stipulieren wird. Dennoch soll die Diskussion gezeigt haben, dass die vorliegende Interpretation mit dem Augenmerk auf Hegels Letztbegründungsanspruch Licht auf die oft nicht eindeutigen Überlegungen wirft und hilft, sie benevolent zu verstehen. Dass die Logik aber nicht zwangsläufig aufgrund eines unüberwindbaren Anfangsproblems scheitert, kann nach dem Argumentierten in Anspruch genommen werden. Es soll sich nicht dahinter versteckt werden, um Kritiken dogmatisch auszuschließen, aber der Anfang muss in der vorgeschlagenen Diskussion zwangsläufig Schwierigkeiten aufwerfen, da ein schlagender Grund erst mit dem Resultat erreicht wird. Und so soll im Folgenden zur Frage übergegangen werden, wie die „D a r s t e l l u n g G o t t e s [. . . ], w i e e r i n s e i n e m e w i g e n We s e n vo r d e r E r s c h a f f u n g d e r N a t u r u n d e i n e s e n d l i c h e n G e i s t e s i s t“,81 gelingt, wie also von dem unterbestimmten Anfang ein gewusstes, wahres Absolutes inhaltsvoll und konkret gedacht werden kann. Oder, wie Hegel, als habe er die obige Diskussion zusammengefasst, schreibt: 79 80 81
Hegel, WdL II, S. 11 (1), Z. 3–17. Vgl. unten Abschnitt 9.2. Hegel, WdL I, S. 34 (12), Z. 9–11.
6.2. Die Grundzüge einer antinomischen Logik
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Auch die Methode der Wahrheit weiß den Anfang als ein Unvollkommenes, weil er Anfang ist, aber zugleich diß Unvollkommene überhaupt, als ein Nothwendiges, weil die Wahrheit nur das Zu-sich-selbst-kommen durch die Negativität der Unmittelbarkeit ist. Die Ungeduld, die über das B e s t i m m t e, es heisse Anfang, Object, Endliches, oder in welcher Form es sonst genommen werde, n u r hinaus, und unmittelbar sich im Absoluten befinden will, hat als Erkenntniß nichts vor sich, als das leere Negative, das abstrachte Unendlich; – oder ein g e m e y n t e s Absolutes, das ein gemeyntes ist, weil es nicht g e s e t z t, nicht e r f a ß t ist; erfassen läßt es sich nur durch die Ve r m i t t l u n g des Erkennens, von der das Allgemeine und Unmittelbare ein Moment, die Wahrheit selbst aber nur im ausgebreiteten Verlauf und im Ende ist.82
6.2 Die antinomischen Begriffe und die Grundzüge einer antinomischen Logik Hegel beabsichtigt mit der Methode der WdL also nicht nur, Grundprobleme der philosophischen Theologie zu lösen, sondern zugleich eine Letztbegründung zu führen. Der negative Beweis des Absoluten geht vom abstraktesten Gedanken aus und gelangt durch immanente Betrachtung der Implikationen und Voraussetzungen der Kategorien zu einer Folge von logischen Wahrheiten, die zwar noch einseitig sind, aber doch notwendige „Definitionen des Absoluten, als die metaphysischen Definitionen Gottes“83 darstellen. Doch wie sieht dieses ‚Vorwärtsgehen‘, wie Hegel es nennt,84 genau aus? Die Antwort auf diese Frage ist im Kontext der vorliegenden Arbeit von besonderem Interesse, weil mit Hegels Ableitungsverfahren ein entscheidender Schritt für die philosophische Theologie im Allgemeinen und den OGB im Besonderen getan werden soll. Denn mit dem methodischen Verfahren in der WdL ist nicht nur ein loses, theologisches Interesse verbunden, sondern es dient ganz konkreten Anforderungen, die für die philosophische Theologie von eminenter Bedeutung sind: 1. Der Beweis des Absoluten ist eine Antwort auf Descartes’ Problem, die Willkürlichkeit aus der Gottesidee auszuschließen.85 Denn dieser Beweis soll auch eine inhaltliche Bestimmung des Absoluten bieten, die aufgrund des Ableitungsverfahrens alle Willkür ausschließt und somit zeigt, was notwendig unter dem Begriff des Absoluten oder Gottes zu verstehen ist. 2. Anhand seiner Kritik an der omnitudo realitatis wurde gezeigt, dass Hegel sich verpflichtet, eine Alternative zu Leibniz’ Beweis der Möglichkeit Gottes vorzulegen.86 Hegels Intention ist es dabei, die Widerspruchsfreiheit durch sein Bestimmungsverfahren zu beweisen, bei dem die Negation als integraler Bestandteil der Methode für die Ableitung fruchtbar 82 83 84 85 86
Hegel, WdL II, S. 251 f. (397), Z. 36–7. Hegel, Enz. I, § 85, S. 181. Vgl. Hegel, WdL I, S. 57 (43), Z. 14. Vgl. oben Abschnitt 5.1. Vgl. oben Abschnitt 5.4.
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
gemacht wird, um ihr schließlich den Stachel zu ziehen und die Widersprüchlichkeit auszuschließen. So ist Hegels Verfahren in der WdL darauf angelegt, die Widerspruchsfreiheit und Möglichkeit des Absoluten zu beweisen, indem zwischen den notwendigen Bestimmungen kein Widerspruch auftritt. Nun ist bekannt, dass Hegel selbst eher intuitiv einer Methodenvorstellung gefolgt ist, die er nie hinreichend ausgebreitet und expliziert hat, obwohl er immerhin angezeigt hat, dass die Methodendiskussion essentieller und abschließender Teil seiner Logik, Ontologie und Metaphysik ist.87 Dass die Negation in Hegels Augen dabei eine zentrale Rolle einnehmen würde, ist nicht nur aus der Diskussion der omnitudo realitatis hervorgegangen, sondern ist durch Hegels eigenen Äußerungen zur Negation offensichtlich.88 Jedoch lässt sich die hegelsche Methode nicht auf eine autonome Negationsoperation reduzieren, wie es etwa Henrich und neuerdings Martin versucht haben.89 Stattdessen soll im Folgenden ein anderer Ansatz, wie bereits angekündigt wurde, vorgestellt werden, nämlich derjenige D. Wandschneiders, der meines Erachtens vielversprechend ist.90 Wandschneiders Theorie der Dialek87
Vgl. Henrich, Hegel im Kontext, S. 139 f. und Hösle, Hegels System, S. 179 f. Vgl. etwa Hegel, WdL II, S. 244 f. (385–387). 89 Vgl. Henrich, „Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in die „Wissenschaft der Logik““ und Martin, Ontologie der Selbstbestimmung. Wandschneider baut natürlich auf Arbeiten auf, wie etwa derjenigen Henrichs. Henrich konzentriert sich jedoch zu stark auf Hegels Negationskonzept, um die Komplexität und Stringenz der hegelschen Methode einholen zu können. Die Negation und vor allem die selbstbezügliche Negation seien, so Henrich, die Grundoperation der hegelschen Logik und mit der Konsistenz dieses Gedankens entscheide sich auch die Konsistenz des ganzen Projekts. Es lässt sich aber zeigen, dass die Negation für Hegel zwar wichtig ist – Henrich beruft sich schließlich nicht umsonst auf zentrale Aussagen Hegels –, ihr Verständnis aber nicht hinreichend für das Verständnis der WdL ist. Gleiches gilt auch für die an Henrich anschließenden Interpretationen der Logik von A. F. Koch und C. G. Martin. Allerdings muss Kochs Interpretation hervorgehoben werden, da dieser scharfsinnig viele Inkonsistenzen Henrichs umschifft, indem er letztlich Antinomien an die Stelle der selbstbezüglichen Negation setzt. Damit kommt er dem in der vorliegenden Arbeit favorisierten Dialektikkonzept von D. Wandschneider sehr nahe. Es bleibt aber bei Koch, wie bei den beiden anderen besprochenen Interpreten, das Problem bestehen, dass aus einer Grundoperation keine Pluralität an Kategorien entwickelt werden kann, und selbst wenn über die Selbstbezüglichkeit eine in sich mannigfaltige Grundoperation postuliert wird, so läuft diese in den Konzeptionen in den infiniten Progress. Zudem scheitern alle drei daran, dass die von Hegel anvisierte Notwendigkeit nicht erreicht, eigentlich nicht einmal als Ziel Hegels ernst genommen wird. Interessant ist allerdings, dass sowohl Koch als auch Martin zwar auf Henrichs Konzept der selbstbezüglichen Negation für die Ableitung und den Fortschritt in der Logik zurückgreifen, die Notwendigkeit aber durch einen anderen Zug zu begründen versuchen, nämlich durch die Voraussetzungslosigkeit. Eine gute Kritik, die meines Erachtens den Kern der Überlegungen Henrichs und Martins trifft, findet sich bei L. Puntel. Vgl. Puntel, „Lässt sich der Begriff der Dialektik klären?“. Vgl. dazu auch unten Abschnitt 6.3.6. 90 Natürlich ist die Literatur zur Dialektik der Logik immens. Vgl. Wolff, „Hegels Dialektik – eine Methode? Zu Hegels Ansichten von der Form einer philosophischen Wissenschaft“, S. 72, der darauf hinweist, dass Hegel mit ‚Dialektik‘ eher das Prinzip der Logik als deren Methode bezeichnet. Beides muss aber nach Hegels Ansprüchen koinzidieren. Bedeutsame Arbeiten zur Methodenfrage sind zweifellos: McTaggart und McTaggart, Studies in the Hegelian Dialectic; McTaggart und 88
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tik sticht durch ihre konzeptuelle Klarheit heraus, und bietet zudem Ressourcen, Hegels Logik nicht nacherzählend zu begreifen, sondern kritisch reflektierend aufzuschließen, was vor allem die Möglichkeit von Korrekturen einschließt. Denn Wandschneider entwickelt ein kontrolliertes, dialektisches Verfahren, das prinzipielle Überprüfbarkeit und Kritik ermöglicht. Und als dritter Vorzug soll hier genannt werden, dass Wandschneider, trotz Hegels bedenklichen Aussagen zur Geltung des Widerspruchsprinzips, Letzteres als vollgültig bewahrt, was conditio sine qua non jeder sinnvollen Methode und jeden sinnvollen Nachdenkens ist. Wandschneider hat seine Überlegungen zur Dialektik in diversen Aufsätzen und einer Monografie dargelegt und verteidigt.91 Unter Dialektik versteht Wandschneider die ausweisbare und überprüfbare Explikation derjenigen Begriffe, die als Voraussetzung von Argumentation überhaupt unhintergehbar und letztbegründbar sind. Im Folgenden konzentriert sich die Darstellung und Diskussion auf Wandschneiders Monografie Grundzüge einer Theorie der Dialektik, da diese die umfassendste und gründlichste Ausführung der Themen bietet, die in den anderen Publikationen dann aufgegriffen werden. Dabei werden in aller Kürze einige Vorbemerkungen gemacht, die Wandschneiders Projekt verständlicher und es im Kontext der vorliegenden Arbeit verortbar machen sollen. Anschließend wird angesprochen, was nach Wandschneider eine Antinomie ist, denn auf diesem Konzept beruht seine Überlegung wesentlich. Zur Illustration, dass sich damit tatsächlich Hegels Text erschließen lässt, soll dann Wandschneiders Rekonstruktion des Anfangs der WdL dargestellt werden, um schließlich noch einige generelle Überlegungen anzuführen. Im Anschluss an den rekonstruktiven Teil soll ein kurzer Blick auf die Frage geworfen werden, ob die Methode der Dialektik in der ganzen Logik identisch bleibt. Dann soll einer der schärfsten Einwände gegen die Dialektik diskutiert werden, um anschließend zu untersuchen, wie die Dialektik sich in ihrer Entwicklung darstellt und wie sie mit der von Hegel intendierten Letztbegründung in Zusammenhang steht. Und schließlich wird die Dialektik auf ihre Konsistenz und die Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch hin befragt.
McTaggart, A Commentary on Hegel’s Logic; Henrich, „Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in die „Wissenschaft der Logik““; Henrich, „Formen der Negation in Hegels Logik“; Fulda, „Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise“; Fulda, „Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik“; Wieland, „Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik“; Kesselring, Die Produktivität der Antinomie. 91 Vgl. Wandschneider, „Letztbegründung und Logik“; Wandschneider, „Absolutes Wissen? Zu Hegels Projekt der Selbstbegründung einer absoluten Logik“; Wandschneider, „Letztbegründung unter der Bedingung endlichen Wissens. Eine Hegel’sche Perspektive“; Wandschneider, „Eine auch sich selbst missverstehende Kritik: Über das Reflexionsdefizit formaler Explikationen“; Wandschneider, „Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung“; Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik.
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
Dialektik ist für Wandschneider der Name für die Methode, welche der WdL zugrunde liegt und durch sie expliziert wird.92 Hegel selbst verwendet den Ausdruck oft auf gleiche Weise, obwohl er in strengem Sinne unter Dialektik einen bestimmten Methodenschritt fasst, den er im § 81 in der Enzyklopädie beschreibt: Dort meint das „dialektische Moment [. . . ] das eigene Sichaufheben solcher endlicher Bestimmungen und ihr Übergehen in ihre entgegengesetzten“93 . Hinter diesen kryptischen Worten verbirgt sich, was im Folgenden immer deutlicher werden soll: Der erste Schritt in Hegels Methode besteht jeweils darin, zwei notwendige Gegensatzbestimmungen zu erfassen und zu analysieren. Den ersten Schritt nennt Hegel auch das „[A]bstrakte oder [V]erständige“,94 weil zunächst die logischen Bestimmungen als getrennt und „für sich bestehend“ aufgefasst werden.95 Jedoch wird in der Analyse deutlich, dass sich beide nicht isoliert betrachten lassen, sondern dass die Betrachtung der Kategorien das „Übergehen in ihre entgegengesetzte[n]“96 erzwingt. Die Auseinandersetzung mit Wandschneider wird zeigen, dass der Grund hierfür darin liegt, dass die Beziehung der beiden Kategorien sich als essentiell für die beiden Bestimmungen erweist, etwa indem die Gegensatzbeziehung eine logische Bestimmung zur Instanz der anderen macht. Daraus ergibt sich aber eine Spannung zwischen den Eigenschaften des Begriffes und dessen semantischem Gehalt.97 Und so resultiert ein Übergehen zwischen den Kategorien, weil sich die eine nicht vollständig beschreiben lässt, ohne auch die andere heranzuziehen, und nicht nur das, es scheint sich ein Hin und Her im Nachdenken über die Kategorien zu ergeben, die mal als wechselseitige Instanzen, dann aber als Gegensätze erscheinen – das bezeichnet Hegel als Dialektik. Dieses Oszilieren nötigt dann zu einer synhetischen Bestimmung, mit der die Gegensätzlichkeit und die Äquivalenz der Kategorien durch Hinsichten differenzierbar ist. Hegel selbst nimmt 92 Die Unterscheidung von impliziter und expliziter Rechtfertigung der Dialektik in der Logik, die Horstmann problematisiert, greift meines Erachtens zu kurz, um das Verhältnis von Methodenrechtfertigung und Gehalt der Logik zu fassen. Denn es gehört gerade zur Letztbegründung, dass sie ihre eigene Methode explizieren und rechtfertigen muss. Das ist aber weder eine bloße Anwendung einer Methode, noch mit der bloßen Benennung der Methode identisch, sondern das Zusammenspiel einer Anwendung einer Methode, welche eine Beweisform integriert und schließlich auch ihre Beweismethode expliziert, ist der Clou der WdL. Vgl. Horstmann, „Einleitung. Schwierigkeiten und Voraussetzungen der dialektischen Philosophie Hegels“, S. 13 f. 93 Hegel, Enz. I, § 81, S. 172. Vgl. dazu auch: Hösle, Hegels System, 178 f. Vgl. auchWolff, „Hegels Dialektik – eine Methode? Zu Hegels Ansichten von der Form einer philosophischen Wissenschaft“. M. Wolff versammelt die Gründe dafür, dass ‚Dialektik‘ für Hegel nur ein Schritt, und kein hinreichender, für die Methode der spekulativen Wissenschaft ist. Vgl. ebd., S. 83. Indem er Hegels Anschluss an Kants Dialektikbegriff untersucht, zeigt er, dass Hegel sich besonders für das antinomische Verhältnis der Gegensatzbestimmungen interessiert. Vgl. ebd., S. 79. 94 Hegel, Enz. I, § 79, S. 168. 95 Vgl. ebd., § 80, S. 169. 96 Ebd., § 81, S. 172. 97 Diese Form der Dialektik ist eigentlich für die Seinslogik kennzeichnend. Vgl. unten Abschnitt 6.4.1.
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die Erkenntnis, dass sich eine Kategorie auf bestimmte Weise nicht ohne ihren Gegensatz denken lässt als Einsicht in die „Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung“ – beide können nicht isoliert werden, können aber durch das „Spekulative oder Positiv-Vernünftige“ in etwas „Affirmative[m]“ vereint werden.98 Hegel betont allerdings, dass sich diese Methodenschritte nicht vollständig isolieren lassen, sondern „Momente jedes Logisch-Reellen“ sind.99 Die abstrakte Angabe der unterschiedlichen Schritte wird durch Wandschneiders Überlegungen präzisiert, was als Indiz verstanden werden kann, das er Hegels Intention treu bleibt. Durch die Dialektik wird also der Gegenstand der Logik expliziert, jedoch macht Wandschneider klar, dass es sich dabei nicht um ein beliebiges oder formallogisches System handelt. Unter ‚Logik‘ versteht er dabei das Projekt, das Hegel selbst verfolgt und das oben bereits in den Grundfesten beschrieben wurde.100 Logik ist für Wandschneider deswegen ein interessanter Gegenstand, weil sie die conditio sine qua non aller Wissenschaft, Erkenntnis und Kritik ist, zugleich aber auch der ausgezeichnete Kandidat für Letztbegründung, weil alle Begründung schon Logik voraussetzt.101 Die Logik kann also als „unhintergehbares, kategorisch gültiges Prinzip“ bezeichnet werden, da sie sich nur durch sich selbst begründen lasse.102 Wenn Wandschneider von Logik spricht, so meint er also den „Kernbestand unaufhebbarer fundamentaler logischer Strukturen“, welche die „Sinn und Geltungsbedingungen von Argumentation“103 bilden, was dem hegelschen Verständnis entspricht. Dialektik bildet dann das Verfahren, mit dem die Bestandteile dieser Logik systematisch expliziert und in ihrem vollständigen Zusammenhang dargestellt werden können. Dafür seien Terme wie ‚Satz‘, ‚Prädikat‘, ‚identisch‘, ‚verschieden‘ in ihrer unhintergehbaren Bedeutung anzugeben, wie sie etwa für die Einführung von formalen Logiken immer schon notwendig vorausgesetzt werden müssen.104 Aber in welcher Bedeutung müssen sie immer schon vorausgesetzt werden? Das Verfahren kann natürlich nicht bloß mit den Begriffen, die empirisch in der diskursiven Praxis aufgegriffen werden, beginnen, um sich dann für die eine oder die andere Begriffsverwendung auszusprechen.105 Dagegen argumentiert Wandschneider, dass mit dem dialektischen Verfahren zugleich eine „Bedeutungsnormierung“ erreicht wird, die über empirische Variationen hinausgeht und eine bestimmte Bedeutung als gerechtfertigt auszeichnet.106 Dass eine solche Normierung grundsätzlich möglich 98
Vgl. Hegel, Enz. I, § 82, S. 176. Vgl. ebd., § 79, A., S. 168. 100 Vgl. oben Abschnitt 4.1. 101 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 16. 102 Vgl. ebd., S. 17. 103 Ebd., S. 18. 104 Vgl. ebd., S. 23. 105 In diese pragmatistische Richtung wird Hegel etwa von Stekeler-Weithofer, Hegels Analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung, S. 13 gedrängt. 106 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 23. 99
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
ist, ergibt sich schon daraus, dass es ohne sie keine „Mitteilung eines identischen Sinns“ geben kann. Das zu bestreiten, würde jedoch einen „performativen Widerspruch“ darstellen, denn jede Kritik muss schon davon ausgehen, die Bedeutung des Kritisierten adäquat erfasst zu haben.107 Den Normierungsprozess vergleicht Wandschneider mit einer Dialogpraxis, in der Korrektur, Ab- und Eingrenzung von Begriffen zur Bedeutungsklärung wichtig sind.108 So bezeichnet Wandschneider die Dialektik auch in erster Annäherung als „Dialogverfahren zur Bedeutungsnormierung“109 . Um dem Begründungsanspruch gerecht zu werden, muss dieses ‚Dialogverfahren‘ natürlich systematisch sein, und so soll die Methode der Dialektik in einer „schrittweisen Rekonstruktion kategorialer Grundbestimmungen“ als ein „Verfahren zur Generierung normierter Bedeutungen“ die Fundamentallogik explizieren.110 Schließlich führt Wandschneider noch zwei wesentliche Elemente an, auf die er für seine Theorie der Dialektik zurückgreift: a) Wolfgang Wieland und Vittorio Hösle haben vor Wandschneider darauf aufmerksam gemacht, dass der Fortschritt in der Logik und damit die Ableitung der Kategorien auseinander kein analytisches Verfahren der Bedeutungsdeduktion ist, sondern sich durch eine „semantisch-pragmatische Diskrepanz“ ergibt, das heißt, dass zwischen der „expliziten Bedeutung einer Kategorie“ und dem für ihre Bedeutung implizit Vorausgesetzten eine Diskrepanz besteht, die zur Explikation des Voraussetzens nötigt.111 Dass die Bedeutung einer solchen Diskrepanz für Hegels Logik keine analytische Implikation ist, wird meines Erachtens sehr klar, wenn man die Kategorien als „Definitionen des Absoluten“ betrachtet, wie Hegel selbst explizit in der Enzyklopädie verfährt.112 Und b) greift Wandschneider auf die „selbstreferentielle Negation“ zurück, deren eigentliche Bedeutung er aber in den „[a]ntinomischen Strukturen“113 , die für die Dialektik wichtig sind, sieht. Wandschneider verweist hier auf die Arbeit von Th. Kesselring, von dem er sich zwar zugleich absetzt, der aber die essentielle Rolle
107
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 23. Vgl. ebd., S. 23. 109 Ebd., S. 23. 110 Vgl. ebd., S. 24. Generierung und Explikation schließen sich hier insofern nicht aus, als dass es ein grundsätzliches Missverständnis wäre, die Generierung von logischen Bestimmungen und Folgen in unserem endlichen Denken mit der Generierung der zeitlos gültigen logischen Kategorien zu verwechseln. Die Generierung kann nur insofern gelingen, als dass die logischen Kategorien schon immer generiert sind. Und dann kann die Generierung in unserem endlichen Denken auch als Nachvollzug und Explikation bezeichnet werden. 111 Vgl. ebd., S. 26; vgl. Hösle, Hegels System, S. 172–176, bes. S. 174; vgl. Wieland, „Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik“, S. 401 f. 112 Vgl. Hegel, Enz. I, § 85, S. 181. Auf dieses Verfahren greift er in der enzyklopädischen Logik regelmäßig zurück. In der großen Logik spielt dieses Verfahren eine untergeordnete Rolle. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 71. Vgl. die Stelle, die Hösle anführt: 5.74. Wie oben bereits genannt, deutet Hegel diesen Gedanken etwa in der Wesenslogik an: Vgl. Hegel, WdL I, S. #241 (2), Z. 23 f. 113 Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 27. 108
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von Antinomien für Hegels Logik herausgearbeitet habe.114 Was eine Antinomie ist und warum Antinomien wichtig für das Verfahren der Dialektik sind, ist nun genauer zu betrachten. Wandschneider untergliedert seine Betrachtung antinomischer Strukturen in drei Schritte: i) Zunächst führt Wandschneider den antinomischen Prozess ein, durch den deutlich wird, dass ein Begriff, der eine negative Selbstreferenz, eine „NichtEntsprechung mit ihm selbst ausdrückt“, zu der in Antinomien feststellbaren permanenten Wertumkehr führt.115 ii) Dann analysiert Wandschneider genauer, was einen antinomischen Begriff auszeichnet. iii) Und schließlich geht Wandschneider auf die Form des antinomischen Widerspruchs ein, da dieser wie das Paradox einer „wahren Kontradiktion“ erscheinen kann.116 6.2.1 Ad i): Der antinomische Prozess Um den antinomischen Widerspruch einzuführen, widmet Wandschneider sich zunächst der bekannten Wahrheitsantinomie:117 Diese, in den Satz ‚Dieser Satz ist falsch‘ gefasst, führt bekanntlich zu einem stetigen Wechsel der Wahrheitswerte ‚wahr‘ und ‚falsch‘. Je nachdem, welcher gesetzt wird, erzwingt er den entgegengesetzten Wahrheitswert. Ist der Satz falsch, so bildet er eine Wahrheit ab. Trifft er aber zu, so ist er zwangsläufig falsch. Damit wird deutlich, dass die Wahrheitswerte stetig umschlagen. Formaler gefasst, scheint es, als müsste aus A gefolgert werden, dass non-A wahr ist, und aus non-A müsste gerade A geschlossen werden. So scheint es, dass eine Kontradiktion besteht: ‚A ↔ ¬A‘. Aber die Kontradiktion macht nur unzureichend deutlich, was das besondere der Beziehung ist, nämlich die wechselseitige Implikation und somit die Gültigkeit der Negation von A durch die Wahrheit von A. Eben dadurch sieht die Antinomie wie die „Kuriosität“ einer „wahren Kontradiktion“ aus. Zugleich, wenn man die beiden Glieder isoliert, ist aber auch keines der Glieder durch sich gültig.118 Mit Franz von Kutschera macht Wandschneider in der zugrunde liegenden Struktur einen Zirkel aus, der durch eine „negative Selbstbedingung“119 entsteht. Durch diesen kommt es zum stetigen Wechsel der Wahrheitswerte, den Wandschneider „Oszillieren“ nennt. Jedoch sucht er nach genaueren Bedingungen der Antinomie, denn eine negative Selbstbeziehung ist zwar notwendig, kann aber nicht hinreichend 114
Vgl. Kesselring, Die Produktivität der Antinomie. Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 34. 116 Vgl. ebd., S. 30. 117 Vgl. zu diesem Zugang auch Koch, Die Evolution des logischen Raumes, S. 109–114. 118 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 20. Letztere Bemerkung ist vor allem deswegen wichtig, weil es für die hegelsche Logik eine Rolle spielt, dass es wahre Konjunktionen gibt, aus der sich die Glieder allerdings nicht einzeln lösen lassen, ohne dadurch falsch zu werden. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 158 f. 119 Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 30. 115
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sein, um eine Antinomie hervorzubringen, denn in den allermeisten Fällen ist an solchen logisch nichts Auffälliges zu bemerken.120 Dagegen will Wandschneider zeigen, dass die Antinomie genauer durch den „Begriff der Nicht-Entsprechung mit eben diesem Begriff selbst“121 entsteht. Dafür benötigt er aber eine Vorbemerkung zum „Charakter negativer Begriffe“122 . Negative Begriffe implizieren eine Negation in ihrer Intension. Als Beispiel dient Wandschneider der Begriff der Nicht-Materialität, also ‹nicht-materiell›. Nun lässt sich dieser Begriff auf beliebige Entitäten anwenden, die ihm entweder entsprechen oder nicht, das heißt eine Instanz darstellen oder nicht. Klar ist, dass Entitäten mit der entsprechenden negativen Eigenschaft – etwa eine Primzahl – unter den Begriff fallen, während solche mit der entgegengesetzten positiven Eigenschaft – etwa eine Erle – nicht unter den Begriff subsumiert werden können.123 Das lässt sich auch dadurch beschreiben, dass ein negativer Begriff und eine Entität mit der entsprechenden negativen Eigenschaft zusammen etwas Positives ergeben, nämlich eine Entsprechung von Begriff und Entität, während der negative Begriff mit einer positiven Eigenschaft eine Nicht-Entsprechung erzeugt, etwas Negatives. Dass Entsprechung mit einem Begriff grundsätzlich als positiv und Nicht-Entsprechung als negativ bezeichnet werden könne, liegt an der Normativität jedes Begriffes. Im Fall von negativen Begriffen ergibt sich aber so die Umkehr der Beurteilung, insofern die Negation im Begriff und in der Eigenschaft der Entität zu einer positiven Bewertung der Entsprechung führt.124 Wandschneider macht in dieser Analyse drei Dimensionen aus, die in dem Analysierten eine Rolle spielen: Während der Bezugsbegriff mit seiner negativen Intension eine semantische Hinsicht repräsentiert, ist mit der Entität auf einen Gegenstand, auf etwas Ontisches Bezug genommen. Und schließlich ist die Beurteilung der Entsprechungsbeziehung pragmatisch, weil sie von einem Vergleichsakt abhängt.125 Was geschieht, wenn man zu einem solchen negativen Begriff nun die Selbstreferenz hinzufügt? Diesen Schritt geht Wandschneider, indem er den Begriff ‚B‘ bildet, der in seiner Intension Negativität und Selbstbezug vereint: ‹B› = ‹nicht-‹B›-entsprechend›.
Die obige Analyse fasst Wandschneider in folgendem Schema: ‹B› = ‹nicht-‹B›-entsprechend›: Entität/Eigenbestimmung
Entsprechungsbestimmung.
120 Vgl. etwa das Beispiel, das Wandschneider von Kesselring übernimmt: ‚Der Begriff nicht gelb ist nicht gelb.‘ Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 32. 121 Ebd., S. 32 122 Ebd., S. 32. 123 Vgl. ebd., S. 32. 124 Vgl. ebd., S. 33. 125 Vgl. ebd., S. 33.
6.2. Die Grundzüge einer antinomischen Logik
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Daraus ergibt sich dann folgendes Oszillieren, dass demjenigen der Antinomie entspricht, wobei ‚entsprechend‘ durch ‚es‘ abgekürzt wird: ‹B› = ‹nicht-‹B›-es›: Entität / ‹B›es
nicht-‹B›-es
‹B›-es
. . . 126 .
Es kommt, wie in dem Schema deutlich wird, zu alternierenden Entsprechungsbestimmungen und damit zur oszillierenden Bewertung der Entsprechungsbestimmung. Es bedarf allerdings für die Wertumkehr jeweils eines Reflexionsaktes, das heißt des pragmatischen Vergleichsaktes, was durch die Pfeile angedeutet werden soll, die keinesfalls mit einer Implikation gleichgesetzt werden dürfen. Jedoch sei der Reflexionsakt nicht subjektivistisch zu verstehen, so Wandschneider, denn er mache eigentlich nur etwas sichtbar, was zur logischen Struktur des Begriffes gehört, der die Nicht-Entsprechung mit sich selbst bedeutet. Dieser bildet eine „antinomische Struktur“, die Wandschneider aufhellen wollte.127 6.2.2 Ad ii): Der antinomische Begriff Zur genaueren Klärung der Antinomien analysiert Wandschneider eine Reihe von Bedingungen und Eigenschaften solcher negativer, selbstreferentieller Begriffe. Dabei will er vor allem zeigen, dass aus den Eigenschaften der Intension eines solchen Begriffes ein Widerspruch entsteht, der als „wahre Kontradiktion“ bezeichnet werden kann, weil seine Glieder unvereinbar wie auch unverzichtbar füreinander sind.128 Und zudem hat der Widerspruch einen besonderen Charakter, weil er ein semantisch-pragmatischer Widerspruch ist, der auf verschiedenen reflexiven Strukturen beruht.129 Diese Differenzierung ist für Wandschneider insofern wichtig, als dass zum einen der Satz vom Widerspruch letztlich für seine Interpretation der Dialektik in Kraft bleiben soll. Und zum anderen gilt es, damit die Form der Selbstbezüglichkeit genauer zu bestimmen, da bloße negative Selbstbeziehung, wie gesagt, nicht hinreichend ist für eine antinomische Struktur. Zunächst kann leicht gezeigt werden, dass der Begriff ‚‹B› = ‹nicht-‹B›-entsprechend›‘ auch semantisch widersprüchlich ist und zu der dargestellten Oszillation führt. Denn der Begriff bezieht sich offensichtlich in seiner Intension auf sich selbst und ist daher eine „unfundierte, semantisch offene Bestimmung“130 . Die Widersprüchlichkeit wird deutlich, wenn man der Selbstreferenz folgt und den Begriff in sich selbst einsetzt: 1. ‹B› = ‹nicht-‹B›-entsprechend› = ‹nicht‹(‹nicht-‹B›-entsprechend›)›-entsprechend›. 2. Nun drückt der letzte Teil des Ausdrucks, ‚‹(‹nicht-‹B›-entsprechend›)-entsprechend›‘, nichts anderes aus, als dass dem Begriff ‹B› entsprochen wird. 3. Daher muss Folgendes gebildet werden, wobei sich 126 127 128 129 130
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 34. Vgl. ebd., S. 35 Vgl. ebd., S. 43 Vgl. ebd., S. 42. Ebd., S. 38.
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
im letzten Schritt die beiden Negationen egalisieren: ‹B› = ‹nicht-‹B›-entsprechend› = ‹nicht-(‹nicht-‹B›-entsprechend›)› = ‹‹B›-entsprechend›. 4. Schließlich ist klar, dass durch erneute Selbsteinsetzung in den letzten Ausdruck ‚‹‹B›-entsprechend›‘ zurückführt zu ‚‹nicht-‹B›-entsprechend›‘. Womit allerdings wieder bei (1.) angelangt wird.131 So findet also auf semantischer Ebene durch die Selbstreferenz ebenfalls ein Oszillieren statt, was zeigt, dass ‹B› tatsächlich in sich kontradiktorisch ist, oder, wie Wandschneider an Hegel anschließend formuliert: „Der antinomische Begriff ‹B› erweist sich so in der Tat als ‚das Andere seiner selbst‘[.]“132 Jedoch muss der Widerspruch näher expliziert werden, da der antinomische Begriff sich offenbar anders verhält als ein semantisch widersprüchliches Gebilde wie ein ‚eckiger Kreis‘. Die Differenz wird deutlich, so Wandschneider, wenn man den pragmatischen Aspekt der Antinomie mit berücksichtigt.133 Denn die Bedeutung eines Begriffes lässt sich sowohl auf eine semantische als auf eine pragmatische Art kennzeichnen, wenn nach der Bedeutung des Begriffes gefragt wird: Man kann zur Bedeutungserklärung zunächst die intensionale Definition angeben, was Wandschneider als semantisch bezeichnet. Man kann aber auch indirekt die Eigenschaft an einer bestimmten Entität anführen, die der Bedeutung des Begriffes entspricht. Die Pragmatik liegt dabei erneut in dem Reflexionsakt, der die Entsprechung von Begriff und Eigenschaft beurteilt.134 Dass sich beide Kennzeichnungen als Aspekte auf denselben Begriff beziehen, kann dann auch so formuliert werden, dass sie „intensional verschieden“, aber „extensional gleich“ seien.135 Der pragmatische Aspekt beruht grundsätzlich auf der bereits angesprochenen Normativität eines Begriffes, zu dem wesentlich gehört, dass er eine Norm für ihm entsprechende Instanzen bildet. Nur durch diese größere Allgemeinheit kann er überhaupt als Begriff bezeichnet werden. Das fasst Wandschneider kurz als „pragmatisch-reflexive Struktur“, die darin bestehe, dass der Begriff nur Begriff, also nur er selbst ist, indem es ihm entsprechende Instanzen gibt. Gleiches kann auch, wenn man die verschiedenen Dimensionen des Begriffes explizit machen möchte, wie folgt ausgedrückt werden: „Diese hier als pragmatische Reflexivität bezeichnete 131
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 38 f. Ebd., S. 39. 133 Vgl. ebd., S. 39. 134 Wandschneider führt noch genauer aus, dass in der Reflexion eigentlich nicht die ontische Eigenschaft, etwa ‹rot›, selbst festgestellt werde, sondern eine Eigenschaft der Eigenschaft, also ‹rot›-entsprechend zu sein. Nun argumentiert er aber, dass in diesem Fall die Unterscheidung von Eigenschaft und Eigenschaft der Eigenschaft unnötig ist, da die Eigenschaft ‹rot›-entsprechend nur der Eigenschaft ‹rot› und sonst keiner anderen zukomme. Das bedeutet, dass ihr keine höhere Allgemeinheit als der Eigenschaft ‹rot› zukommt. Daher sei es sinnvoll, ‚‹rot›-entsprechend‘ als „definierende Bedingung“ zu bezeichnen. Und so geht Wandschneider von ‚‹(‹nicht-‹B›-entsprechend›)entsprechend›‘ zu ‚‹nicht-‹B›-entsprechend›‘ über, weil die Gleichsetzung von der EntsprechungsEigenschaft der Eigenschaft und der Eigenschaft selbst diesen Schritt legitimiert und erklärt. Vgl. ebd., S. 40. 135 Vgl. ebd., S. 40. 132
6.2. Die Grundzüge einer antinomischen Logik
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indirekte Beziehung des Begriffes (semantisch) über seine Instanzen (ontisch) zu sich selbst gehört konstitutiv zum Begriff als Begriff.“136 Warum ist die Pragmatik nun wichtig? Wo greift sie in das semantische Geschehen ein, sodass eine Differenz zum ‚eckigen Kreis‘ festgehalten werden kann? Eine Eigenschaft, die durch einen Begriff gefasst wird, lässt sich nach Gesagtem auf zwei Weisen angeben: 1. Direkt kann die semantische Dimension angegeben werden im Fall des antinomischen Begriffes: ‚‹nicht-‹B›-entsprechend›‘. 2. Indirekt kann dagegen die pragmatische Dimension als Kennzeichnung gebraucht werden: ‚‹‹B›-entsprechend›‘. Es sticht hervor, dass der semantische und der pragmatische Aspekt des Begriffes ‹B› einen Widerspruch bilden. Während die semantische Dimension durch die negative Selbstreferenz geprägt ist, kann festgehalten werden, dass „die pragmatische Variante stets postitiv ist“137 . So sind beide Aspekte oder Varianten des antinomischen Begriff ‹B› kontradiktorisch entgegengesetzt und führen zu einem „semantisch-pragmatischen Widerspruch“138 . Interessant ist schließlich, dass Wandschneider vier unterschiedliche Formen von Reflexivität anhand des antinomischen Begriffes unterscheiden kann: 1. Die besprochene pragmatische Reflexivität eines Begriffes über seine Instanzen, ohne die ihm der Charakter der Allgemeinheit und Normativität fehlen würde. 2. Dann die semantische Reflexivität, die darin besteht, dass in der Bedeutung des Begriffes selbst auf diese Bedeutung Bezug benommen wird. 3. Des Weiteren kann man die ontische Reflexivität unterscheiden, die dann gegeben ist, wenn ein Begriff selbst die Eigenschaft besitzt, die er bedeutet. In diesem Fall ist er selbst eine Instanz seiner Bedeutung, wie etwa in Fall der Bestimmung ‹Begriff›, die selbst ein Begriff ist. 4. Und letztlich kann die oben angesprochene Form von negativer Selbstbedingung abgegrenzt werden, die in der sprachlichen Form einen vitiösen Zirkel bildet.139 6.2.3 Ad iii): Der antinomische Widerspruch Auch wenn im Vorhergehenden mit dem Begriff der Kontradiktion gearbeitet wurde, um Antinomien zu beschreiben, macht Wandschneider sehr deutlich, dass eigentlich keine Kontradiktion vorliegt, wie sie aus der Formallogik bekannt ist. Denn die widersprüchlichen Bestimmungen sind nicht unmittelbar gegeben, sondern treten erst durch unterschiedliche Reflexionsakte hervor. Daher schreibt Wandschneider: „Genaugenommen führt die antinomische Struktur also garnicht zu einem Widerspruch, sondern nur zu ‚Reflexionsübergängen‘ mit Wertumkehr der Prädikate (‚‹B›-entsprechend‘, ‚nicht-‹B›-entsprechend‘). Aber diese sind dann
136 137 138 139
Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 41. Ebd., S. 42. Ebd., S. 42. Vgl. ebd., S. 41 f.
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
– im Unterschied zum normalen Widerspruch – beide wahr.“140 Wie oben in der Gleichung des selbstreferentiellen Begriffes benötigt die Selbsteinsetzung einen Reflexionsakt. Daher sind die widersprechenden Bestimmungen des Begriffes nicht einfach zusammen gegeben, sondern folgen auseinander: Sie gehören „verschiedenen Reflexionsebenen an und sind dadurch tatsächlich widerspruchsfrei vereinbar“.141 Weil beide jeweils als wahre Folgerung aus ihrem Gegenteil hervorgehen, sind sowohl die positive als auch die negative Form des Begriffes wahr. Jedoch können sie zugleich auch als beide falsch bezeichnet werden, weil sich sowohl ‚‹B›-entsprechend‘ als auch ‚nicht-‹B›-entsprechend‘ widerspricht und damit „selbst aufhebt“142 . Auch aufgrund dieses Sachverhaltes, so Wandschneider, würde die Interpretation als Kontradiktion den Antinomien nicht gerecht. Das zeige sich auch daran, dass die „Glieder nicht isoliert sinnvoll sind“,143 man also nicht nur eine Seite der Wechselbestimmungen betrachten könne, weil diese sich wechselseitig implizieren. Darin sieht Wandschneider den Sinn der berühmten Behauptung Hegels von der „Einheit der Gegensätze“.144 Aus dieser Zusammengehörigkeit ergibt sich dann, was zu zeigen ist, die Struktur einer Synthese, sodass in dieser das Oszillieren durch eine Differenzierung nicht mehr auftritt. Wichtig ist, dass der antinomische Widerspruch aufgrund der Reflexionsübergänge nicht gegen den Satz vom Widerspruch verstößt.145 Der Widerspruch ist ein Scheinwiderspruch, der durch den Vergleich der verschiedenen Reflexionsstufen entsteht. Dass der Satz vom Widerspruch vollgültig bleibt, ist entscheidend für die Dialektik, weil ohne diesen Satz bekanntlich alles abgeleitet werden kann. Im Anschluss an die Konkretisierung des Dialektikkonzepts von Wandschneider soll noch auf die Widerspruchsfreiheit eingegangen werden.146 Um nun genau zu sehen, wie diese Vorüberlegungen über antinomische Begriffe zur kritischen Rekonstruktion der hegelschen Logik führen, soll im Folgenden der oft behandelte Anfang der WdL in Wandschneiders Analyse dargestellt werden.
6.3 Die antinomische Logik und der Anfang der Wissenschaft der Logik Wandschneiders Rekonstruktion und Kritik der WdL reicht über das gesamte Kapitel der Qualitätslogik und enthält noch Überlegungen zu einer Logik der Quantität. Da er zeigt, dass seine Grundüberlegung zur immanenten Kritik Hegels geeignet 140 141 142 143 144 145 146
Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 46. Ebd., S. 46. Ebd., S. 46. Ebd., S. 47. Vgl. ebd., S. 47. Vgl. ebd., S. 47. Vgl. unten Abschnitt 6.4.4.
6.3. Antinomische Logik und der Anfang der Logik
329
ist und er daher einige wichtige Abweichungen von der hegelschen Kategorienfolge begründet, wäre eine Gesamtbetrachtung hier zu umfangreich. Zweck der vorliegenden Betrachtung ist schließlich nicht der detaillierte Nachvollzug der Kategorienentwicklung in der WdL, sondern der Aufweis der Möglichkeit einer dialektischen Logik, die als Klärung des philosophischen Gottesbegriffes, des Begriffes des Absoluten verstanden werden kann. Dass mit der dialektischen Logik eine Klärung des philosophischen Gottesbegriffes gewonnen wird, ist darin begründet, dass die dialektische Logik die Fundamentallogik ist, deren Status selbst unbedingt und letztbegründet sein soll. Dass damit philosophisch-theologisches Gedankengut berührt wird, ergibt sich zum einen aus diesem Status, denn die Fundamentallogik wäre auch für jeden unabhängigen Gottesbegriff vorausgesetzt und dieser damit von ihr abhängig. Und zum anderen ist die dialektische Logik nichts anderes als der systematische Aufweis der ewigen und fundamentalen Wahrheiten, worin schon Leibniz einen Gottesbeweis gesehen hat.147 Um den Zweck der vorliegenden Ausführungen zu erfüllen, soll hier daher nur der Anfang der Logik zur Sprache kommen, da dieser schon im Zusammenhang mit dem erörterten Anfangsproblem behandelt wurde. Das Problem, wie die dialektische Logik überhaupt beginnen könne, wird von Wandschneider nicht ausführlich behandelt. Er verweist allerdings auf den Widerspruch in der Bestimmungslosigkeit des Anfangs, der oben aufgezeigt wurde: Auch wenn die erste Kategorie bestimmungsloses oder reines Sein bedeuten soll, so ist gerade darin schon eine Bestimmung via Abgrenzung vorgenommen worden.148 Doch diese Unmöglichkeit von Bestimmungslosigkeit ist für Wandschneider nicht der Anlass, Hegels Versuch als gescheitert zu beurteilen, weil er einzig zeigt, dass mit der ersten Kategorie bereits mehr präsupponiert ist, als in ihr explizit angegeben wird, was zum logischen Fortgang zwingt. Aufgrund der Unmöglichkeit völliger Bestimmungslosigkeit liegt die Bedeutung der Anfangskategorie darin, dass von aller Bestimmtheit – soweit das möglich ist – abstrahiert wird. Und lässt man alle konkrete Bestimmtheit fallen, so Wandschneider, bleibt „nichts außer der Bedingung der Möglichkeit von Bestimmen, und das ist die Form der Prädikation im Sinne von ‚der Fall sein‘ “149 . Denn mit dem bloßen ‚ist‘, der Kopula des Urteils, ist eben nichts Bestimmtes ausgesagt, und zugleich ist doch deutlich, dass dieses ‚ist‘ einen bestimmten Gegensatz gegen alle konkreten Prädikate, die inhaltlich bestimmt sind, bildet. Dabei wäre das ‚der Fall sein‘ aber völlig missverstanden, wenn es schon als physisch-empirisches oder anschauliches Sein im Sinne Kants gefasst würde. Diese Art des Seins bildet für Hegel lediglich einen Modus von Existenz, der sehr voraussetzungsreich ist. Insofern benutzen Kant und Hegel das Wort ‚Sein‘ homonym und bezeichnen folglich nicht das Gleiche. 147 148 149
Vgl. Leibniz, „Monadologie“, § 45., S. 47. Vgl. dazu oben Abschnitt 1.3.2. Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, 50 f. Ebd., S. 52.
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
Dass der Seinskategorie am Anfang der Logik noch keine Bestimmung zugesprochen wird und Hegel insofern konsequent vermeidet, das ‹Sein› in einem Aussagesatz zu beschreiben, ist oft bemerkt worden.150 Als Bedingung der Möglichkeit von Bestimmungen und Prädikaten kann das ‹Sein› tatsächlich erst in einem reflexiven Zugriff an die Subjekt- oder Prädikatstelle im Urteil gesetzt werden. Erst in einem zweiten Denkschritt kann die Bedingung der Prädikation selbst als bestimmt, etwa gegen alle konkrete Prädikate abgegrenzt, erfasst werden. Aber insofern das ‹Sein› die Möglichkeit des Bestimmens und die Form der Prädikation ist, ist die Urteilsform schon am Beginn der Logik vorausgesetzt.151 Zwar ist noch völlig unbestimmt, wie genau deren logische Form ist, aber dennoch ist schon der Einstieg in die Fundamentallogik dadurch gekennzeichnet, dass sie auf Urteil und Bestimmung abzielt. Über Wandschneider hinausgehend kann man meines Erachtens hinzufügen, dass damit Intelligibilität bereits mit dem Anfang der Logik gegeben ist: Wenn die minimalste Form des begründenden Denkens die Bedingung der Möglichkeit von Bestimmen ist, kann es für das begründende Denken nichts geben, das in radikalem Sinne unbestimmt und unintelligibel ist. Dass das keine bloße Voraussetzung Hegels ist, sondern eine wohlbegründete Einsicht ist oben gezeigt worden.152 Aber dieser Schritt hat natürlich für die Theologie eine sehr deutliche Konsequenz: Auch das Absolute und Göttliche kann erkannt werden und durch Urteile gefasst werden. Dabei benötigt auch die Urteilsform eine Kritik, die Hegel schließlich durchführt, denn Urteile sind in gewisser Weise selbst beschränkt und werden dem spekulativen Gehalt, den sie ausdrücken, nicht gerecht. Aber das, so Hegel, ist kein Einspruch gegen die Intelligibilität des spekulativen Gehalts, sondern kann überhaupt nur aufgrund der Intelligibiltität des Gehalts eingesehen und daher auch korrigiert werden.153 Dass das Vorausgesetztsein nicht gegen die Logik spricht, ist oben begründet worden: Weil sie die Fundamentallogik ist, muss sie immer schon vorausgesetzt sein, auch in ihrer eigenen Explikation – nur eben nicht als Explizierte. Und genau der implizite Überschuss an Vorausgesetztem kann dann zur Quelle der Erweiterung und des Fortschritts in der Logik werden. Dieser Fortschritt vom Anfang ist nun verständlich zu machen. Mit dem oben in der Betrachtung der antinomischen Begriffe Entfalteten rekonstruiert Wandschneider nun den Anfang der Logik, was im Folgenden dargestellt werden soll.
150 Vgl. etwa Wieland, „Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik“, S. 396. Vgl. auch Koch, Die Evolution des logischen Raumes, S. 62 f. 151 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 52. 152 Vgl. oben Abschnitt 4.2. Damit wäre eine adäquate Auseinandersetzung einer negativen Theologie mit Hegels Philosophie schon um den Anfang und damit um die Möglichkeit einer WdL überhaupt zu führen. 153 Vgl. Hegel, WdL I, S. 78 (71 f.) Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 52.
6.3. Antinomische Logik und der Anfang der Logik
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6.3.1 Die Dihairese von ‹Sein› und ‹Nichtsein› Der Anfang soll also mit der Kategorie ‹Sein› gemacht werden, die als ‹der Fall sein› verstanden wird. Ohne eine „Abgrenzung gegen das, was ‹Sein› nicht bedeutet, d. h. gegen sein Gegenteil ‹nicht der Fall sein› oder ‹Nichtsein›“154 wäre aber ‹Sein› gar nicht erfasst. Wandschneider verweist darauf, dass dem bereits das Prinzip ‚determinatio negatio est‘ zugrunde liegt, auf das Hegel sich ausdrücklich stützt.155 Diese bedeutungskonstitutive Abgrenzung führt zu „Gegensatzbestimmungen, die komplementär zusammengehören“,156 in diesem Fall ‹Sein› und ‹Nichtsein›, also zu den ersten beiden Kategorien, die Hegel in der Logik behandelt. Diese Einführung eines Komplements, das zur Bedeutungsbestimmung einer Kategorie unverzichtbar, zugleich aber entgegengesetzt ist, findet in der WdL auf verschiedenen Stufen immer wieder statt. Daher bezeichnet Wandschneider sie als eine „Dihairese“ und ihre Einführung als „Komplementaritätsprinzip“.157 Jedoch argumentiert Wandschneider, dass das Verhältnis der dihairetischen Kategorien weder adäquat als komplementär noch als kontradiktorisch beschrieben werden kann. Stattdessen sei an Hegels Begriff der bestimmten Negation zu denken. Indem beide Kategorien eingeführt sind und in einem Verhältnis stehen, kann dieses Verhältnis expliziert werden, wobei im Folgenden Wandschneiders Abkürzungen verwendet werden, nämlich ‹S› für ‹Sein› und ‹N› für ‹Nichtsein›. Da beide komplementär sind, kann ‹Sein› auch als ‹nicht-Nichtsein› bestimmt werden: (1) ‹S› = ‹nicht-N›158 .
Dieser Satz drückt den Gegensatz von ‹Sein› und ‹nicht-Nichtsein› aus, das „konstitutiv zum Sinn von ‹Sein›“159 gehört: Es gilt, dass ‹S› nicht mit ‹N› äquivalent ist. Jedoch ist die letzte Formulierung verräterisch, denn das ‚ist nicht‘ ist gerade der Sinn der Kategorie ‹N›. Das bedeutet aber nicht anderes, als dass der Begriff ‹S› selbst unter die Kategorie ‹N› fällt und daher „gerade diejenige Eigenschaft besitzt, die der Bedeutung des Begriffes ‹N› entspricht, und solchermaßen selbst eine Instanz von ‹N› ist[.]“160 Letzteres wird im folgenden Satz expliziert: (2) ‹S› ist ‹N›-entsprechend161 .
154
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 54. Vgl. Hegel, WdL I, S. 101 (104). 156 Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 55. 157 Vgl. ebd., S. 55. 158 Das Gleichheitszeichen ‚=‘ fasst Wandschneider als ‚semantisch äquivalent‘. Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 55. 159 Ebd., S. 55. 160 Ebd., S. 56. 161 Ebd., S. 56. 155
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
Nun drückt das ‚ist‘ in (2) aber wiederum aus, dass der Kategorie ‹S› die Eigenschaft zugesprochen werden muss, die sie selbst ausdrückt und die durch (1) angegeben wurde. (3) ‹S› ist nicht ‹N›-entsprechend162 .
Es ist deutlich, dass die Bestimmungen (2) und (3) iterieren, also dass ‹S› ‚‹N›-entsprechend‘ und dann wieder ‚nicht-‹N›-entsprechend‘ sei – es findet also ein Oszillieren statt, wie es oben als Kennzeichen für eine antinomische Struktur herausgearbeitet wurde. Wandschneider betont, dass auch diese Argumentationsschritte keine formallogische Deduktion bilden, sondern auf inhaltlicher Reflexion beruhen: Nur durch den Reflexionsübergang von der Verhältnisbestimmung zu einer Eigenschaft der Kategorie wird die Oszillation sichtbar. Aufgrund der antinomischen Struktur könne nun, so Wandschneider, auf einen zugrunde liegenden antinomischen Begriff geschlossen werden: (4) ‹N› = ‹nicht-‹N›-entsprechend›163 .
Dieser Schritt stellt einen Schluss dar, weil ein Übergang von der Ebene der Eigenschaften der Begriffe auf die Ebene der Bedeutung vollzogen wird. Gerechtfertigt ist er durch die antinomische Struktur, so Wandschneider. Die Oszillation kann natürlich weiter verfolgt werden, indem darauf reflektiert wird, dass nach (1) der Begriff ‚‹nicht-‹N›-entsprechend›‘ gerade ‹S› ist: (5) ‹S› = ‹N›164 .
Nun ist in (5) offenbar ein Widerspruch zum Satz (1) formuliert. Wandschneider argumentiert nun, dass dieser Widerspruch aber gerade keiner reduction ad absurdum gleich kommt, denn die Prämisse (1) sei aus semantischen Gründen, aufgrund des Komplementaritätsprinzip, unverzichtbar, weil die Abgrenzung von ‹Nichtsein› für die Bedeutung von ‹Sein› konstitutiv sei. Der Widerspruch wird so von Wandschneider als unvermeidlich interpretiert, der semantisch-pragmatisch ist: Die Äquivalenz und die Verschiedenheit gehören beide zur Semantik von ‹S›, wofür Wandschneider das Zeichen ‚⊕‘ einführt.: (6) (‹S› = ‹nicht-N›) ⊕ (‹S› = ‹N›)165 .
Es ist wichtig zu sehen, dass Wandschneider damit eine Lösung anbietet, in welchem Sinne ‹Sein› und ‹Nichtsein› zugleich identisch als auch entgegengesetzt sein können, ohne gegen den Satz vom Widerspruch zu verstoßen: Sowohl die Identität als auch die Entgegensetzung fordert den reflektierten Übergang zum jeweils anderen. Weil es sich aber um Reflexionsschritte handelt, die aufgrund der Semantik auf Eigen162 163 164 165
Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 56. Ebd., S. 57. Ebd., S. 57. Ebd., S. 58.
6.3. Antinomische Logik und der Anfang der Logik
333
schaften eines Begriffes schließen, ist kein eigentlicher Widerspruch vorhanden, sondern nur ein „Scheinwiderspruch“.166 Darum bezeichnet Wandschneider den Widerspruch als „semantisch-dialektischer Widerspruch“.167 Der Grund der antinomischen Struktur kann, wie oben beschrieben, darin ausgemacht werden, dass die positive Kategorie ‹S› der negativen Kategorie ‹N› entgegengesetzt wird. Da die Kategorie ‹N› selbst eine negative Kategorie ist, also eine Negation enthält, kommt es zu der beständigen Wertumkehr.168 Insofern ist mit Wandschneiders Argumentation das expliziert, was auch Hegel anstrebt.169 Doch was ist mit dieser antinomischen Struktur und dem Konstatieren des semantisch-dialektischen Widerspruchs gewonnen? Der semantisch-dialektische Widerspruch in (6) impliziert nun, dass sich die Kategorien nicht festhalten lassen, ohne in ihr Gegenteil überzugehen – sie sind untrennbar und zugleich instabil. Diese Eigenschaft, argumentiert Wandschneider, führt die „Forderung der Synthesebildung“170 mit sich. Denn der „semantische Gegensatz“ und die „semantische Äquivalenz“171 gehören untrennbar zusammen und sind daher beide „semantisch unverzichtbar“,172 doch genau diese Unverzichtbarkeit und Unhaltbarkeit verweist darauf, so Wandschneider, dass die Notwendigkeit besteht, eine Synthese einzuführen.173 Denn es ist nun die Frage, wie diese Verbindung von Gegensatz und Äquivalenz verstanden werden kann, ohne in die Oszillation und den Reflexionsregress zu geraten. In einer Synthese muss also die Gemeinschaft der beiden entgegengesetzten Kategorien deutlich werden, ohne die Untrennbarkeit zu zerstören. Diese Notwendigkeit einer Synthese ist nun genauer zu untersuchen, da es sich um einen entscheidenden Schritt handelt, den Hegel schließlich selbst als Methodenmoment hervorgehoben hat.174 6.3.2 Die Synthese ‹Dasein› und ihre Explikation ‹Bestimmtsein› In der WdL sieht Hegel die Synthese von ‹Sein› und ‹Nichtsein› in der Bestimmung ‹Werden›, weil ‹Werden› das beschreibt, was in der Oszillation die Regelmäßigkeit bildet:175 ‹Wird› zum Beispiel ein Mensch, so entsteht etwas, dass zuvor nicht war und tritt ins Sein. Und die Umkehrung des Prozesses des Werdens, also des Prozesses vom ‹Nichtsein› zum ‹Sein›, ist das „Verschwinden“176 bzw. das „Ve r 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 58. Vgl. ebd., S. 59. Vgl. ebd., S. 60. Vgl. ebd., S. 60. Ebd., S. 63. Ebd., S. 63. Ebd., S. 64. Vgl. ebd., S. 65. Vgl. Hegel, Enz. I, § 82, S. 176–179. Vgl. Hegel, WdL I, S. 69 f. (60). Vgl. auch die Erläuterungen: ebd., S. 92–94 (92–95). Ebd., S. 69 (60), Z. 29.
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
g e h e n“177 . In Letzterem findet ein Prozess vom ‹Sein› zum ‹Nichtsein› statt. Hegel fasst also unter ‹Werden› beide Übergänge, die von der Reflexion aufgrund der antinomischen Struktur zwischen ‹S› und ‹N› vollzogen werden müssen, und benennt sie als Momente des ‹Werdens›: „E n t s t e h e n und Ve r g e h e n.“178 Hier soll die Kategorie des ‹Werdens› nicht ausführlich diskutiert werden, da sie kaum als befriedigende Antwort auf die Syntheseanforderung verstanden werden kann.179 Schon dass Hegel zwei entgegengesetzte Prozesse heranziehen muss, die beide die Einheit und Verschiedenheit von ‹Sein› und ‹Nichtsein› implizieren, zeigt, dass die Synthese im ‹Werden› nicht gelingt.180 Zwar versuchen Teile der HegelLiteratur das ‹Werden› zu rechtfertigen;181 Wandschneider hingegen verwirft diese Kategorie und setzt an deren Stelle das ‹Dasein›, das der Syntheseforderung besser gerecht zu werden vermag. Für die Ablehnung des ‹Werdens› als dritte Kategorie der Logik gibt Wandschneider zwei Argumente an: 1. ‹Werden› kann nicht ohne die Implikation von Zeit gedacht werden, was aber dem explizit unzeitlichen Charakter der WdL widerspricht.182 2. Und selbst wenn statt eines zeitlichen Werdens so etwas wie ‚Übergehen‘ gemeint ist, etwa weil zwischen den Kategorien ‹S› und ‹N› in den Reflexionen hin und her geschwankt wird, so sei das ein Methodenbegriff. Aber die Methode könne, so Wandschneider, erst am Ende der Logik expliziert werden, weil sie zu hohe begriffliche Anforderungen habe, um schon am Anfang der Logik behandelt werden zu können, ohne bereits die ganze Kategorienfolge vorauszusetzen.183 Daher geht Wandschneider direkt zur Kategorie des ‹Daseins› über, die bei Hegel auf das ‹Werden› folgt, weil sie den Syntheseanforderungen entsprechen soll. Aber was sind genau die Syntheseanforderungen? Weil ‹Sein› und ‹Nichtsein› sich als äquivalent und doch verschieden gezeigt haben, muss die Synthese eine konsistente Bestimmung finden, in der ein Sein gefasst ist, das „ebenso Nichtsein ist, oder in umgekehrter Blickrichtung, daß Nichtsein ebenso Sein ist“184 . Damit sei eine „neue Seinsart“185 verlangt, die den „Sinn von ‹Sein›, das gleichermaßen Nichtsein ist“186 hat. Diesen Sinn gilt es zu klären, um den ansonsten leeren Titel ‹Dasein› mit Bedeutung zu füllen. Um aber den (Schein-)Widerspruch zu vermeiden, 177
Hegel, WdL I, S. 93 (94), Z. 10. Ebd., S. 93 (94), Z. 10. 179 So auch: Hösle, Hegels System, S. 199, Fn 81. 180 Dass es um die Einheit und Verschiedenheit der beiden Anfangsbestimmung in der Synthese geht, betont Hegel selbst deutlich. Vgl. Hegel, WdL I, S. 69 (60), Z. 24–29. 181 Vgl. etwa Koch, Die Evolution des logischen Raumes, S. 72–82; Houlgate, The Opening of Hegel’s Logic, S. 284–288; Martin, Ontologie der Selbstbestimmung, S. 73–80. Dagegen: McTaggart und McTaggart, A Commentary on Hegel’s Logic, S. 17–20, dem sich Wandschneider anschließt. 182 Vgl. Hegel, WdL II, S. 20 (16), Z. 7–11. Vgl. auch Hegel, Enz. I, § 43, Z., S. 120 und ebd., § 213, A., S. 368. Vgl. auch Hegel, Enz. II, § 258, A. und Z., S. 50 f. 183 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 67 f. 184 Ebd., S. 69. 185 Ebd., S. 69. 186 Ebd., S. 71. 178
6.3. Antinomische Logik und der Anfang der Logik
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muss eine Differenzierung in der Synthesekategorie stattfinden. Wandschneider argumentiert, dass es sich dabei um ein Sein handeln muss, das „ein anderes Sein nicht ist.“187 Ein solches ‹Dasein›, dass sich gegen andere abgrenzt, ist aber ein bestimmtes Sein: „‚Dasein‘ im Sinne eines Seins, das gleichermaßen Nichtsein ist, ist näher als ‚Bestimmtsein‘ zu deuten.“188 Damit klärt die Synthesekategorie ‹Dasein› die zunächst paradox erscheinende Erfüllungsbedingung der Dihairese von ‹Sein› und ‹Nichtsein›, indem ein „kategoriales Novum“ gefasst wird, nämlich das ‹Dasein›, das als ‹Bestimmtsein› die Erfüllungsbedingung verständlich macht. Natürlich stellt sich die Frage nach der Stringenz der Argumentation: Warum ist die Erfüllungsbedingung ausgerechnet ‚Sein, das ebenso Nichtsein ist‘, und warum sind ‹Dasein› und ‹Bestimmtheit› die Erfüllung der Bedingungen? Grundsätzlich beruht der Fortschritt darauf, dass „in einer Kategorie nicht alles das semantisch explizit ist, was implizit für diese Bedeutung pragmatisch präsupponiert ist“189 . Es geht also darum, Implizites, das nicht unbedingt semantisch implizit sein muss, zu explizieren, wobei ‚nicht semantisch‘ heißt, dass etwa auch Begriffseigenschaften mit einem Begriff verbunden sind, die nicht analytisch enthalten sind. Damit wäre aber die Eindeutigkeit der Folge nicht gewährleistet, denn es ist offensichtlich, dass eine Menge an Eigenschaften, etwa der Kategorie ‹Dasein›, nicht explizit aufgeführt wurde, wie etwa, verschieden zu sein, eine Kategorie zu sein, sprachlich fassbar zu sein, et cetera.190 Welche Eigenschaft ist also diejenige, die als nächstes expliziert werden muss? Wandschneider argumentiert, dass erneut auf das bereits in der Dihairese Gegebene reflektiert werden müsse, um eine Antwort darauf zu finden. Und zunächst sei festzustellen, dass ‹Bestimmtheit› schon von Anfang an vorausgesetzt gewesen sei. Denn ‹Sein› und ‹Nichtsein› müssen gegeneinander bestimmt sein, um überhaupt in den dialektischen Widerspruch zu geraten. Und auch wenn die Kategorie ‹Sein› von Hegel als das Unbestimmte eingeführt wird, so ist in der nachträglichen Reflexion auch deutlich, dass sie sich allein dadurch von allen anderen Kategorien unterscheiden würde und damit gegen diese bestimmt wäre.191 Das kann aber nicht die ganze Antwort sein, da ja auch schon Kategorie-Sein et cetera bereits vorausgesetzt ist. Vielmehr muss die Antwort in dem Verhältnis und der Oszillation der beiden Dihairese-Kategorien liegen. Die Erfüllungsbedingung wird also der dialektischen Argumentation entnommen, die die antinomische Struktur nachweist.192 Und in dieser wird eben die Erfüllungsbedingung definiert, welcher durch die neue Kategorie und die damit implizierte neue Seinsart entsprochen werden muss. 187 188 189 190 191 192
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 71. Ebd., S. 71. Ebd., S. 71. Vgl. ebd., S. 72. Vgl. ebd., S. 72. Vgl. ebd., S. 73.
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
Nun wurde hier ‹Dasein› und ‹Bestimmtsein› gleichermaßen als erste Synthese behandelt. Es ist aber nicht der Fall, dass diese beiden Bestimmungen gleichermaßen die Bedingungen erfüllen und daher eine ähnliche Unentschiedenheit herrscht, wie sie Hegel in der Erläuterung des ‹Werdens› erkennen lässt. Das liegt daran, dass beide Kategorien nicht den gleichen Stellenwert haben, sondern in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Denn während ‹Dasein› zunächst einfach die Erfüllungsbedingung bedeutet, also ‚‹Sein, das gleichermaßen Nichtsein ist›‘, aber den Anschein des Paradox nicht auflösen kann, ist ‹Bestimmtsein› die Explikation, wie dieses ‹Dasein› gestaltet sein muss. Es beschreibt also genau, wie die Synthese verfasst ist und den Bedingungen gerecht wird. Daher nennt Wandschneider sie auch: die explikative Kategorie, die wiederum die „Erfüllungsbedingung der synthetischen Kategorie“ ist.193 Wandschneider hält fest, dass mit der synthetischen Kategorie – von denen eine in jedem dialektischen Zyklus vorkommt – immer durch die Hinsichtenunterscheidung ein Abschluss des Oszillierens zwischen den dihairetischen Kategorien erreicht sei, zugleich sei aber auch ein „kategoriales Novum“ eingeführt, die eine Seinsart bezeichnet.194 Das zeigt sich etwa an der Bedeutungs- und Verwendungsverschiebung von ‹Sein› und ‹Nichtsein›, die auf der Seinsstufe des ‹Daseins› prädikativ verwendet werden, „nämlich im Sinn eines Seins oder Nichtseins von etwas“195 . Jedoch gehört zu dieser neuen Kategorie, dass sie durch eine explizierende Kategorie ergänzt werden muss, da diese auf Voraussetzungen beruht, die sie nicht selbst expliziert.196 Dabei legt sie offen, was in den Eigenschaften der dihairetischen Kategorien bereits gegeben wurden, die in der synthetischen Kategorie nur unmittelbar eingefangen wurden.197 Nun betont Wandschneider, dass sich dabei nicht die Bedeutung von ‹S› und ‹N› verändert habe, sondern tatsächlich neue Kategorien auf die Anforderungen der antinomischen Struktur reagieren würden, und führt noch ausführlich aus, wie sich die Kategorien zueinander verhalten, was hier aber zu weit führen würde.198 Mit den dihairetischen Kategorien ‹Sein› und ‹Nichtsein›, dem synthetischen ‹Dasein› und der explikativen Kategorie ‹Bestimmtsein› ist ein vollständiger, dialektischer Zyklus durchlaufen. Doch damit kommt die Logik noch nicht an ihr Ende, wie Wandschneider zeigt. Denn ‹Bestimmtsein› selbst bedeutet ja ein Sein, das ein anderes Sein nicht ist. Jedoch sind damit zwei neue Elemente eingeführt, die nicht zureichend expliziert sind, nämlich, was es bedeutet, dass ein Unterschied
193 194 195 196 197 198
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 122 f. Vgl. ebd., S. 116. Ebd., S. 119. Vgl. ebd., S. 125. Vgl. ebd., S. 130. Vgl. ebd., S. 120.
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zwischen einem „So-Bestimmten“ und einem „Anders-Bestimmten“ besteht199 – es ist sogar noch gar nicht klar, was ‚Sosein‘ und ‚Anderssein‘ bedeuten. Daher lauten die beiden nachfolgenden Kategorien, die die Dialektik weiterführen, ‹Sosein› und ‹Anderssein›. Und dabei tritt zwischen diesen beiden Kategorien erneut das Komplementaritätsprinzip auf, denn Bestimmtheit kann nur die Synthese von ‹S› und ‹N› explizieren, indem es in einer Einheit die Äquivalenz der beiden Kategorien erhält, die sich in der dialektischen Argumentation gezeigt hatte. Zugleich ist aber der Unterschied der Dihairese durch eine Hinsichtenunterscheidung vom Anschein des Widerspruches befreit. Und dieser Unterschied macht sich zwischen den beiden Hinsichten geltend, die zugleich füreinander konstitutiv sind: Ein ‹Sosein› ist notwendig gegen ein ‹Anderssein› abgegrenzt. Damit ist eine neue Dihairese gefunden. Es soll hier nicht mehr dargestellt werden, wie aus dieser auch ein weiterer dialektischer Zyklus folgt, aber es ist leicht einzusehen, dass sich eine analoge dialektische Argumentation ergibt, denn die Abgrenzung des ‹Sosein› von der Kategorie ‹Anderssein› bedeutet erneut nichts anderes, als dass die Kategorie ‹Sosein› ein Fall von ‹Anderssein› ist, nämlich im Bezug auf die Kategorie ‹Anderssein›. Entspricht sie aber damit der Bedeutung von ‹Anderssein›, folgt zwangsläufig, dass ein ‹Sosein› ausgedrückt ist, sodass ihr auch die Eigenschaft zugesprochen werden muss, die sie selbst ausdrückt.200 So wird offensichtlich, dass diese beiden Kategorien erneut eine antinomische Struktur aufweisen, die zu einer Synthesebildung nötigt, die ausdrückt, dass ein „Sosein [. . . ] zugleich ein Anderssein“ ist, was, so Wandschneider, durch die Kategorie ‹Unterschied› eingelöst wird.201 Das ist meines Erachtens freilich eine kontroverse Kategorie, da sie eigentlich wesenslogische Eigenschaften aufweist, wie unten noch gezeigt werden soll,202 jedoch stehen Wandschneiders Gründe dagegen. Hier kann nicht weiter auf die Feinheiten der Argumentation eingegangen werden, weil es in der vorliegenden Arbeit vor allem um die Frage geht, wie eine dialektische Argumentation ewige Wahrheiten aufdecken und damit zur Klärung des philosophischen Gottesbegriffes beitragen kann. Weil diese Betrachtung nur vorläufig ist, solange keine vollständige Entfaltung der WdL vorliegt, kann hier mit der Diskussion des Dialektikkonzepts von Wandschneider nur eine Plausibilisierung erreicht werden, dass das Projekt der WdL in rationalen Bahnen verläuft und grundsätzlich durchführbar ist. Daher wird auf die Diskussion von Details der dialektischen Argumentation Wandschneiders hier verzichtet, um stattdessen noch einige allgemeinere Fragen anzusprechen. Im Folgenden sollen noch vier Punkte angesprochen werden, die eher allgemeinere, sowohl kritische als auch für die vorliegende Arbeit interessante Themen berühren. Dabei handelt es sich um folgende Themen: 1. Zunächst soll kurz betont 199 200 201 202
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 74. Vgl. S. 76 f. Vgl. ebd., S. 78. Vgl. unten Abschnitt 6.4.1.
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werden, dass Wandschneiders Auseinandersetzung mit dem Anfangsproblem in die gleiche Richtung weist, die oben verteidigt wurde. 2. Anschließend soll auf das Verhältnis der beiden dihairetischen Kategorien eingegangen werden, da Wandschneider es selbst mit einem der berühmtesten Theoreme Hegels in Verbindung bringt: der bestimmten Negation. 3. Des Weiteren soll auf die nicht explizierten, aber pragmatisch präsupponierten Gehalte eingegangen werden, da diese zu der oben bereits zur Sprache gekommenen These Hegels gehören, dass das Fortschreiten in der Logik ein Rückgang in den Grund, also eine Art ‚rückwärts gewandter‘ Begründung ist. 4. Und schließlich soll auf die wichtigste Kritik an Wandschneiders Dialektikverständnis eingegangen werden, die L. Puntel vorgebracht hat. Nach diesen Ergänzungen soll dann abschließend noch auf einige globalere Aspekte der Dialektik eingegangen werden, welche die Durchführung und Durchführbarkeit in der ganzen Logik betreffen, sich aber bereits von Wandschneiders Konzeption lösen. Doch zunächst zu den Erläuterungen. 6.3.3 Ad 1.: Das Anfangsproblem Aufgrund von Strukturüberlegungen zu den dialektischen Zyklen – insgesamt entfaltet Wandschneider vier Folgen von dihairetischen Bestimmungen und den anschließenden synthetischen und explikativen Kategorien203 – kommt Wandschneider auf die Frage, ob die Logik überhaupt einen Anfang habe oder ob nicht vielmehr die ersten beiden Gegensatzbestimmungen als „Dissoziationsprodukte einer vorausgehenden Kategorie zu begreifen“204 sind. Damit sieht er die Möglichkeit einer „zyklischen Schließung der ‚Logik‘ an[ge]deutet, wie sie ja auch in Hegels eigener Intention liegt“205 . Das kann natürlich nur stipuliert werden, solange die Logik nicht vollständig expliziert wurde, aber es hat Konsequenzen für das Anfangsproblem und fügt sich in das oben Argumentierte ein. Denn auch Wandschneider betont, dass die „Auffassung von der Absolutheit des Logischen bedeutet [. . . ], daß dieses selbstbegründend ist“206 . Damit ist aber nicht gesagt, dass der Anfang vollkommen voraussetzungslos sein muss, sondern dass „schon am Beginn der ‚Logik‘ die gesamte ‚Logik‘ vorausgesetzt ist“207 . Ein vollkommen voraussetzungsloser Anfang ist auch in Wandschneiders Augen schlicht unmöglich, aber auch nicht erforderlich, weil vielmehr entscheidend ist, dass alles, was vorausgesetzt wird, auch schließlich expliziert und bewiesen wird. Somit hätte „der Beginn der ‚Logik‘ 203 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 54–88. Für einen kurzen Überblick über die vier Zyklen siehe: ebd., S. 95. 204 Ebd., S. 98. 205 Ebd., S. 98. Vgl. oben S. 306–317. Vgl. die bereits angeführte, berühmte Stelle aus der absoluten Idee: Hegel, WdL II, S. 252 (398), Z. 17–24. 206 Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 98. 207 Ebd., S. 98.
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seine Voraussetzung letztlich in dieser selbst“208 , was aus den Anforderungen an Selbstbegründung folgen würde. Zwar spricht Wandschneider den Überlegungen, dass der Anfang mit der „gehaltleersten Kategorie“ beginnen muss, den Charakter äußerer Reflexion zu.209 Aber darunter fallen auch Wandschneiders eigene, soeben dargestellte Ausführungen, solange sie nicht in der Logik expliziert sind. Daher ist es meines Erachtens legitim, an den obigen Überlegungen zu den Anfangskategorien festzuhalten und sogar von einer Kongruenz mit Wandschneider auszugehen, der ebenfalls, um mit der Explikation der Logik beginnen zu können, argumentiert, dass ‹Sein›, als ‚Form der Prädikation‘ verstanden, so bestimmungslos wie möglich ist, auch wenn Bestimmungslosigkeit nicht eigentlich erreichbar ist, weshalb zumindest die minimale Abgrenzung vom ‹Nichtsein› legitim ist.210 Insofern stimmen die obigen Überlegungen mit Wandschneiders Einstieg in die Dialektik überein. 6.3.4 Ad 2.: Die bestimmte Negation Oben wurde darauf hingewiesen, dass das Verhältnis der dihairetischen Kategorien insofern besonders ist, als dass die Bezeichnungen ‚konträr‘ und ‚kontradiktorisch‘ beide als ungeeignet zurückgewiesen wurden. Stattdessen wurde mit Wandschneider auf Hegels Begriff der bestimmten Negation verwiesen,211 was nun genauer zu verstehen ist. In der Analyse der antinomischen Struktur wurde diese als ‚wahre Kontradiktion‘ benannt, weil die widersprechenden Bestandteile sich zugleich implizieren, aber eben auch entgegengesetzt scheinen. Jedoch wurde mit der Einführung der dihairetischen Bestimmungen auf ein anderes Verhältnis zurückgegriffen, nämlich ihre Komplementarität, die ausdrücken soll, dass die Abgrenzung notwendig zu ihrer Bedeutung gehört.212 Die Komplementarität kann nun nicht als kontradiktorisch verstanden werden, so Wandschneider, weil damit die Funktion für die jeweilige Bedeutung unterbestimmt sei. Ein kontradiktorisches Verhältnis bestünde etwa im Fall von ‚rot‘ und ‚nicht-rot‘, wobei ‚nicht-rot‘ im Sinne von allem Übrigen, verstanden werden muss, also wie ‚grün‘, ‚Buch-sein‘, ‚Elektronsein‘ et cetera. Im kontradiktorischen Gegensatz wird damit das „gesamte logische Universum“ ausgefüllt und in zwei Teile zerlegt – den kleinen Teil auf den die eine Bestimmung zutrifft und den ganzen Rest.213 Das ist aber zu wenig Bestimmtheit, weshalb die Komplementarität zunächst als konträrer Gegensatz verstanden werden könnte. So käme man dem Verständnis auch näher, so Wandschneider, da konträre Bestimmungen auch einen Teilbereich des logischen Raums ausfüllen können, wie etwa ‚rot‘ und ‚nicht-rot‘ im Raum der Farben. Das ist insofern für die Dialektik 208 209 210 211 212 213
Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 98. Vgl. ebd., S. 98. Vgl. ebd., S. 52–55. Vgl. oben S. 331. Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 54. Vgl. ebd., S. 55.
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wichtig, als dass die konträren Bestimmungen die logische Stelle ausfüllen, welche durch die explikative Kategorie festgelegt wurde. Und nur so bildet schließlich die Logik eine vollständige Beschreibung des logischen Raumes im Sinne der WdL.214 Aber auch ‚konträr‘ erfasst die Komplementarität unzureichend, da konträre Gegensätze Zwischenstufen zulassen.215 Das ist aber zwischen den komplementären Kategorien nicht der Fall: Diese erschöpfen also einen durch die explikative Kategorie bestimmten logischen Teilraum vollständig. Sie bilden daher jeweils das „Gegenteil voneinander“.216 Es handelt sich also um einen bestimmten, konträren Gegensatz zwischen den dihairetischen Kategorien, die damit einen abgegrenzten logischen Raum vollständig erschöpfen. Als Beispiel nennt Wandschneider das Verhältnis von ‹nicht-Ansichsein›, das durch die Negation nicht auf etwas völlig Unbestimmtes verweise, sondern auf eine bestimmte Kategorie, nämlich ‹Füranderesein›.217 So deutet Wandschneider dann auch Hegels Begriff der bestimmten Negation, mit dem Hegel selbst verbindet, dass die Negation einen Inhalt habe oder, wie er auch formuliert, dass „das Negative eben so sehr positiv ist, oder daß sich das Widersprechende sich nicht in Null, in das abstracte Nichts auflöst, sondern wesentlich nur in die Negation seines b e s o n d e r n Inhalts, oder daß eine solche Negation nicht alle Negation, sondern d i e N e g a t i o n d e r b e s t i m m t e n S a c h e, die sich auflöst, somit bestimmte Negation ist“.218 Wie gesagt ist der semantische Raum, den die beiden Kategorien unterteilen, durch die explikative Kategorie bestimmt. Wichtig ist jedoch, dass beide dihairetischen Kategorien durch die bestimmte Negation nicht völlig gleichgültig werden, sondern dass sie eine Gewichtung beibehalten: „Im Fall der bestimmten Negation hingegen ist die Besonderung des Allgemeinen [d. i. die explikative Kategorie; Einschub G. M.] maximal bestimmt, indem sich dieses in das durch das Allgemeine selbst vorgegebene Positive und dessen negatives Komplement ausdif214 Die Metapher des logischen Raumes nutzt auf geschickte Weise auch A. F. Koch. Vgl. etwa Koch, Die Evolution des logischen Raumes, S. 4. Koch nimmt ebenfalls eine Einteilung des logischen Raumes an, insofern er eine Stufenfolge des logischen Raumes durch die jeweiligen logischen Kategorien annimmt, zugleich aber auf jeder Stufe den Versuch vermeint, den ganzen logischen Raum durch eine Kategorie oder ein Kategorienpaar zu beschreiben. Vgl. etwa ebd., S. 92. Letzteres kann meines Erachtens gut mit Hegels Anspruch in Verbindung gebracht werden, die Kategorien seien jeweils Definitionen des Absoluten. 215 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 55. 216 Vgl. ebd., S. 138. 217 Vgl. ebd., S. 55. Die beiden Kategorien ‹Füranderesein› und ‹Ansichsein› bilden die Dihairese des dritten dialektischen Zyklus, für den Wandschneider genauer argumentiert. Sie füllen den logischen Raum aus, der durch die vorhergehende Kategorie ‹Beziehung› festgelegt ist. 218 Hegel, WdL I, S. 38 (18), Z. 4–8; Wandschneider zitiert die gleiche Stelle: Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 138. Worauf auch Wandschneider hinweist, ist, dass Hegel in der Einleitung dieses Verhältnis bereits mit dem Übergang zur Synthese in Verbindung bringt. Vgl. auch Hegels Ausführungen über das Verhältnis von Positivem und Negativem, Hegel, WdL I, S. #272–275 (54–59).
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ferenziert.“219 Das ist am Anfang der Logik deutlich sichtbar, aufgrund des ‹Sein›, das die positive Bedeutung von ‚der Fall sein‘ mit sich führt, und dem negativen ‹Nichtsein›.220 Durch diese dichotom-komplementäre Aufteilung der explikativen Kategorie ist die Eindeutigkeit des dialektischen Verfahrens gewährleistet.221 6.3.5 Ad 3.: Die semantisch-pragmatische Diskrepanz Ein Element der wandschneiderschen Dialektik-Konzeption soll hier noch hervorgehoben werden, nämlich die semantisch-pragmatische Diskrepanz, durch welche die dialektische Logik vorangetrieben wird. Das ist deswegen wichtig, weil Hegels eigenes Konzept einer Begründung der Logik durch ihren Fortgang beziehungsweise ihr Ende durch diese Diskrepanz erhellt wird. Die pragmatische Präsupposition ist für Wandschneider auf zwei Ebenen wichtig. Denn zum einen wird in der dialektischen Argumentation, im Nachweis der antinomischen Struktur der dihairetischen Kategorien, bereits die Synthese und ihre explikative Kategorie angekündigt. Zum anderen verweist er darauf, dass in der Explikation der Logik schon immer die ganze Logik vorausgesetzt sei. Wie oben angedeutet argumentiert Wandschneider, dass in der explikativen Bestimmung die Erfüllungsbedingung der synthetischen Kategorien zu Tage treten. Das werfe die Frage auf, wie sich die Erfüllungsbedingung ergebe, da sie nicht kontingent aufgefunden werden könne. Aber das Kriterium für die jeweiligen Erfüllungsbedingungen sei schon implizit, nämlich „pragmatisch präsupponiert“.222 Das erklärt etwa, warum ausgerechnet ‹Bestimmtsein› die stringente Explikation von ‹Dasein› ist, denn in der dialektischen Argumentation hinsichtlich ‹Sein› und ‹Nichtsein› ist bereits Bestimmtheit insofern aufgetreten, als dass ‹S› als Instanz von ‹S› und ‹N› aufgezeigt wurde. Das heißt, die Kategorie ‹Sein› wurde schon wie ein Etwas, das bestimmt ist, behandelt, als etwas, dem ‹Sein› und gleichermaßen ‹Nichtsein› zukommt, was ja durch die Synthese ‹Dasein› zusammengefasst wird. Somit ist in der dialektischen Argumentation „ein pragmatischer Sinnüberhang“ zu konstatieren, so Wandschneider.223 Aus diesem ergebe sich dann jeweils, was als die Explikation der Synthese zu verstehen sei, womit die Stringenz des Verfahrens prinzipiell gesichert sei.224 219
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 140. Das spielt eine wichtige Rolle für die dialektische Argumentation und die Bedeutung der Kategorien: Vgl. ebd., S. 145–150. 221 Vgl. ebd., S. 142. 222 Vgl. ebd., S. 71. 223 Vgl. ebd., S. 72. 224 Wandschneider weist darauf hin, dass hier eine mögliche Fehlerquelle in der Rekonstruktion der Fundamentallogik liegt, weil es nicht leicht zu erkennen sei, was die jeweils anschließende implizite Präsupposition sei, die zunächst entwickelt werden muß. Dieses Problem ist aber kein prinzipielles Problem der Logik, sondern eine Quelle für Fehler in ihrer Rekonstruktion. Vgl. ebd., S. 184 f. 220
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Diese Form von immer schon Vorausgesetztem, was zur weiteren Explikation und damit zum Fortgang in der Logik anhält, kann zum Fortschrittsprinzip der WdL verallgemeinert werden. Denn durch die dialektische Argumentation werde schrittweise die Fundamentallogik eingeholt und expliziert, die immer schon vorausgesetzt sei. So handele es sich um die „argumentative Selbstrekonstruktion von Argumentation selbst“225 . Und damit könne eine Stringenz und ein ‚Prinzipiierungszusammenhang‘226 in der dialektischen Entwicklung gesichert werden.227 Sehr deutlich arbeitet auch V. Hösle diesen Zug der WdL heraus.228 Für deren Fortgang seien Widersprüche verantwortlich, die jeweils zur Einführung einer neuen Kategorie zwinge, die nicht mehr widersprüchlich sei. Allerdings könne der Widerspruch nicht semantisch sein, sondern müsse durch ein „Mißverhältnis zwischen Präsupponiertem und explizite Ausgedrücktem bestehen; d. h. er ist pragmatischer Natur“229 . Insofern kann natürlich ein logischer Begriff erst dann eingeholt sein, wenn das, was ein logischer Begriff selbst ist, thematisiert wird. Und die Logik kann erst abgeschlossen werden, wenn auch thematisch wird, wie ihre methodischen Regeln lauten. Von dem pragmatischen Widerspruch falle nun Licht auf Hegels Wahrheitsbegriff, so Hösle: Bei logischen Kategorien wird man sich hingegen so ausdrücken, daß nur diejenige Kategorie im emphatischen Sinne wahr, also widerspruchsfrei sei, die das explizit behauptet, was sie implizit präsupponiert. Die endlichen Kategorien hingegen negieren entweder was sie implizieren (wie etwa die Kategorie der Endlichkeit), oder sie drücken wenigstens nicht das auf inhaltlicher Ebene aus, was sie immer schon voraussetzen: So ist die Kategorie der wahrhaften Unendlichkeit ein Begriff, ohne dies aber in der eigenen Bedeutung zu explizieren.230
Dabei komme der pragmatische Widerspruch vor allem dadurch zustande, indem die logischen Kategorien implizit einen Anspruch enthalten, das Absolute adäquat zu bestimmen. Denn nur unter dieser Voraussetzung können viele der Widersprüche, die Hegel konstatiert, verständlich werden, wie etwa derjenige zwischen den Aussagen ‚Alles ist mit etwas identisch‘ und ‚Alles ist voneinander verschieden‘. Denn nur wenn diese Sätze als Ausdrücke der Kategorien ‹Identität› und ‹Verschiedenheit› interpretiert werden und diese Kategorien einen ‚impliziten Absolutheitsanspruch‘ stellen, befinden sie sich in einem Widerspruch.231 Diese Diagnose schließt natürlich an Hegels vor allem in der kleinen Logik oft erwähnte Bermerkung an, dass 225
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 198. Vgl. ebd., S. 293. 227 Vgl. ebd., S. 192–200. 228 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 198–210. 229 Vgl. ebd., S. 198. Hösle weist darauf hin, dass ‚pragmatisch‘ hier nicht im Sinne der Sprechakttheorie zu verstehen sei, sondern durch die Form (eines Begriffes oder eines Urteils) und dem Inhalt zustande käme. 230 Ebd., S. 201. 231 Vgl. ebd., S. 202. 226
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die Kategorien ‚Definitionen des Absoluten‘ seien.232 Im vorliegenden Kontext ist sie vor allem wichtig als Konsequenz aus dem Voraussetzungsverhältnis innerhalb der WdL: Da dieser kein deduktives Begründungsmodell zugrunde liegt und ihr Anfang daher noch nicht ihre Rechtfertigung leisten kann, wird durch den pragmatischen Widerspruch und den daraus resultierenden Fortschritt eine Alternative erreicht. Der Fortgang ist also nicht wie eine Ableitung aus Prämissen, sondern als Explikation der impliziten oder pragmatischen Präsuppositionen zu verstehen, wobei die Explikation auf ein Prinzip und eine letzte Rechtfertigung zuläuft.233 6.3.6 Ad 4.: Puntels Wandschneider-Kritik Nachdem nun wichtige Punkte zu Wandschneiders Dialektikkonzept erläutert wurden, soll nun auf die stärkste Kritik an den Überlegungen eingegangen werden. Diese Kritik ist von L. Puntel vorgebracht und daraufhin von Wandschneider zurückgewiesen worden.234 Puntel formuliert in seinem ersten Aufsatz zunächst Kritikpunkte, die den Kern der hegelschen Logik treffen sollen, nämlich dessen Negationsbegriff, der unhaltbar sei. Darauf widmet er sich Wandschneiders Konzept, wirft diesem Unklarheit vor und meint in der stärkstmöglichen Interpretation eine Ambivalenz auszumachen, ohne welche die Argumentation zusammenbräche. Im Folgenden soll zunächst stichwortartig Puntels Hegel-Kritik aufgegriffen werden, da Puntel wichtige Argumente vorbringt, die aber eher die henrichsche Interpretationslinie als Hegel selbst treffen. Anschließend sollen die Hauptargumente aus der Kontroverse zwischen Puntel und Wandschneider dargelegt werden. A. Puntels Hegel-Kritik: Puntel hat in seinem Aufsatz „Lässt sich der Begriff der Dialektik klären?“ zunächst drei Kritikpunkte an Hegels Methode in der WdL vorgebracht, die wesentlich auf eine Spannung zwischen moderner, formaler Logik und Hegels Dialektik abheben. Die drei Kritikpunkte an Hegel basieren auf Hegels Aussagen zur Negation, von der Puntel schreibt: „Für die Rekonstruktion des Hegelschen Begriffes der Dialektik spielt der Gedanke der Negation die schlechthin entscheidende Rolle.“235 Dabei 232 Vgl. Hegel, Enz. I, § 85, S. 181. Hegel erwähnt den pragmatischen Sinnüberschuss der logischen Stufen, also der Kategorien, welcher erst im Begriff * beziehungsweise der absoluten Idee * eingeholt wird, in einem Zusatz in der Enzyklopädie: „Eine jede der bisher betrachteten Stufen ist ein Bild des Absoluten, aber zunächst in beschränkter Weise, und so treibt sie sich fort zum Ganzen, dessen Entfaltung dasjenige ist, was wir als Methode bezeichneten.“ (Ebd., § 237, Z., S. 389). 233 Dieser Gedanke wird schon von Wieland, „Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik“, S. 401 f. eingeführt. 234 Vgl. Puntel, „Lässt sich der Begriff der Dialektik klären?“ und Puntel, „Dialektik und Formalisierung“. Wandschneiders Antwort findet sich in: Wandschneider, „Eine auch sich selbst missverstehende Kritik: Über das Reflexionsdefizit formaler Explikationen“. 235 Puntel, „Lässt sich der Begriff der Dialektik klären?“, S. 134.
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seien in diesem Gedanken drei „unverzichtbare Intuitionen oder Gesichtspunkte“ impliziert: i) Hegel denke von der Negation, dass sie einen fundamentalen Stellenwert habe, was so viel besage, als dass die Negation alles durchdringe. ii) Das Negative sei das Dialektische und nur durch dieses sei der immanente Fortgang, die Weiterbestimmung in der Logik gegeben, und iii) Hegel habe an eine bestimmte Form der Negation gedacht, nämlich die bestimmte Negation, in der die Negativität zugleich als positiv gedacht wird.236 Darauf aufbauend trägt Puntel drei Kritikpunkte vor, wobei der zweite Punkt, wie gleich deutlich wird, untergliedert ist: 1. Die Negation ist nur eine gleichbleibende Operation, die unendlich anwendbar ist. Selbst wenn sie ihr Resultat erneut zum Input machen könnte, wäre daraus einzig und allein ein infiniter Regress/Progress erreichbar. Denn weil die Negation stets die gleiche Operation ist, kann aus ihr weder ein Kriterium für den Anfang der Logik noch für einen Abschluss derselben gewonnen werden.237 2. Dass die Negation ein Resultat im hegelschen Sinn haben soll, kann nicht verständlich gemacht werden, so Puntel.238 Denn das Resultat soll eine Anreicherung mit Bedeutung sein, da die Logik vom Abstrakten zum Konkreten fortschreiten solle, wenn man Hegel folge. Nun ist aber völlig unklar, wie die Anreicherung aus der Negationsoperation gewonnen werden könne. Puntel führt vor allem an, dass der Synthesebegriff und dadurch deutlich auch der Negationsbegriff bei Hegel nicht klar sei. Das lässt sich in folgenden Punkten genauer erfassen, wobei (2.3.) den in Puntels Augen zugrunde liegenden Fehler herausstellt:239 2.1. Aus der Negation oder auch der doppelten Negation folgt keine Anreicherung an Bedeutung. Man nehme etwa die Negation aus der formalen Logik. In dieser sei der Negationsbegriff klar definiert und bestimmt. Eine Negation eines X würde dieses im logisch-semantischen Raum verorten, ihm eine Stelle anweisen, indem der logische Raum durch die Negation in zwei Teilräume unterteilt wird. Der eine Teil umfasst dasjenige, worauf X zutrifft, und der andere Teil dasjenige, worauf X nicht zutrifft.240 Durch die Negation werde dann aber nur von einem Teilraum zum anderen und durch die doppelte Negation zurück gegangen, ohne aber die Bedeutung anzureichern. So könne Hegels Negation also nicht verstanden werden, aber das Problem sei, dass Hegel auch kein anderes Verständnis definiere. Und das habe seinen Grund darin, dass Hegel glaube, der logisch-semantische Raum dürfe nicht schon vorausgesetzt werden, sondern müsse erst durch 236
Vgl. Puntel, „Lässt sich der Begriff der Dialektik klären?“, S. 135 f. Vgl. ebd., S. 136–139. 238 Vgl. ebd., S. 139. 239 Puntel untergliedert seine Kritik anders, aber um der Kürze halber sollen hier nicht alle Argumentationsschritte Puntels einzeln nachgezeichnet werden. 240 Vgl. ebd., S. 140 f. 237
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die Negation erzeugt werden. Aber die formallogische Negation ist deswegen intelligibel, weil sie einen, aus einer Metalogik klar definierbaren logischen Raum voraussetze. 2.2. Wenn man dagegen argumentieren würde, dass die Bedeutungsanreicherung erst in einem dritten, synthetischen Schritt nach zwei entgegengesetzten Negationen stattfinden würde, so meint Puntel, dass schnell sichtbar wird, dass hier durch eine erneute Anwendung einer Negationsoperation keine Synthese erreicht werden könne.241 Puntel spielt einige Varianten durch, worauf die Negation, welche die Synthese bilden soll, bezogen werden könne, ohne zu einem befriedigenden Resultat zu kommen, wie die Bedeutungsanreicherung verstanden werden könne. 2.3. Puntel sieht den Grund für die Unklarheit des Negationsbegriffes bei Hegel in Folgendem: Die Negation benötigt einen logischen Raum, der vorher definiert werden muss, um klare Anwendungsbedingungen zu haben. Die Dialektik schließt aber gerade die vorherige Definition des logischen Raums aus. Dabei ist entscheidend, dass Hegel keine methodische Metaebene anerkennen kann, was sich zwingend aus Hegels Anspruch und Programm ergebe.242 Das sei geradezu Hegels Grundcharakteristikum: Es könne keine Metaebene angenommen werden. Aber darin habe die moderne Logik und Wissenschaftstheorie Hegel überholt.243 3. Schließlich führt Puntel noch an, dass eine nicht-dialektische Erklärung des Negationsgedanken intuitiv plausibler sei. Dabei ließe sich auch einholen, was Hegels Konzept so attraktiv mache, nämlich dass Negation grundsätzlich zur Bedeutung und Bestimmung gehöre. Aber es gebe andere Negationserklärungen, etwa im Rahmen von holistischen Begriffssystemen, die besser zu verstehen seien.244 Nun ist zu Puntels Kritikpunkten in Kürze zu sagen, dass der 1. Punkt sicher ein gutes Argument ist, das oben schon gegen Henrichs Interpretationslinie eingewandt wurde. Nur trifft es nicht Hegel, sondern eben eine Konzeption, die vermeint, die WdL auf die Negation reduzieren zu können. Das ist schon für Hegel, trotz dessen deutlichen Aussagen zur Negation, nicht der Fall, und in Wandschneiders Dialektikkonzept sind die einzelnen methodischen Schritte deutlich sorgfältig voneinander abgegrenzt, sodass kein infiniter Re-/Progress entsteht. Gleiches trifft im Prinzip auf den 2. Punkt zu, der verkennt, dass die Synthesebildung nicht auf der gleichen Argumentation beruht wie die Ableitung der dihairetischen Kategorien und die Argumentation zu deren antinomischer Struktur. Vor allem ist aber darauf 241 242 243 244
Vgl. Puntel, „Lässt sich der Begriff der Dialektik klären?“, S. 144 f. Vgl. ebd., S. 148 f. Vgl. ebd., S. 150. Vgl. ebd., S. 151 f.
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hinzuweisen, dass in Puntels – wie es scheint: grundsätzlicher – Trennung von Logik und logischer Metaebene nichts anderes zutage tritt, als die Ablehnung von Letztbegründung, denn genau aus der Forderung nach Letztbegründung ergibt sich der Zusammenfall von Logik und Metabetrachtung.245 Diese Ablehnung ist aber selbst dogmatisch und irreflexiv. B. Puntels Wandschneider-Kritik: Im Anhang an diese Hegel-Kritik widmet sich Puntel dann Wandschneiders Dialektikverständnis. Zunächst macht er deutlich, dass er in Wandschneiders Versuch, Prinzipien wie den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch für die Dialektik gelten zu lassen, eine Abweichung von Hegels Logik sieht. Und zudem könne Wandschneiders Interpretation der Kategorie des ‹Seins› als ‹der Fall sein› nicht als Hegel-Interpretation gelten gelassen werden, weil ‹der Fall sein› nicht salva veritate in den Hegel-Text eingesetzt werden könne, wo Hegel ‚Sein‘ schreibt.246 Das ist auch sicher richtig, da Hegel, wie oben dargestellt, selbst nicht immer eindeutig ist und Wandschneiders Interpretation sich Korrekturen des Hegel-Textes vorbehält. Nun kritisiert Puntel besonders, dass Wandschneider innerhalb der dialektischen Argumentation die formale Logik nicht hinreichend berücksichtige beziehungsweise seine Voraussetzungen im Bereich der Logik nicht hinreichend expliziere. Daher unterscheidet er drei mögliche Interpretationsweisen der auch hier dargestellten Dialektik von ‹Sein› und ‹Nichtsein› und kritisiert sie einzeln:247 1. Die erste Interpretation bezeichnet er als die naive oder rein intuitive: ‚Ist‘ und ‚ist nicht‘, die durch ‹S› beziehungsweise ‹N› bezeichnet werden, sind keine Eigenschaften, sondern sind die Funktionen des Zu- beziehungsweise Absprechens von Prädikaten. Insofern folgt aber nicht aus ‚‹S› ist nicht ‹N›‘ der Satz ‚‹S› ist ‹N›-enstprechend‘, da dem Begriff ‹S› einfach eine Eigenschaft ‹N› abgesprochen werde.248 2. Die zweite Interpretation setzt die fregesche Prädikatenlogik voraus und kommt darauf, dass Wandschneider gegen die Prädikatenlogik erster Stufe verstößt, indem er über Prädikate quantifiziere.249 3. Und schließlich fügt Puntel eine dritte Interpretation an, die keine Beschränkung der Selbstreferentialität voraussetze und zugestehe, dass über Prädikate quantifiziert werden könne. Unter dieser Voraussetzung strebt Puntel eine Teilformalisierung der wandschneiderschen Argumentation an, die hier nicht wiederholt werden muss. Entscheidend ist, dass Puntel meint, eine Ambiguität in der Argumentation herausarbeiten zu können. Diese Ambiguität besteht in zwei 245 246 247 248 249
Vgl. oben Abschnitt 4.1. Vgl. Puntel, „Lässt sich der Begriff der Dialektik klären?“, S. 154 f. Vgl. ebd., S. 156. Vgl. ebd., S. 156. Vgl. ebd., S. 156 f.
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verschiedenen Begriffen des ‹Nichtseins›:250 a) ‹Nichtsein› könne zum einen in einer schwachen Version verstanden werden, die besagt: ‚Es gibt eine Eigenschaft F und F trifft auf x nicht zu‘. b) Davon ist die starke Version von ‹Nichtsein› zu unterscheiden, die besagt: ‚Alle Eigenschaften F treffen nicht auf x zu‘.251 In beiden Fällen, so Puntel, scheitert aber Wandschneiders Argumentation. Denn unter (3.a) bildeten ‹S› und ‹N› keine Gegensätze, weil es natürlich für ein x möglich sei, bestimmte Eigenschaften zu haben und andere nicht. In der Interpretation (3.b) hat x aber gar keine Eigenschaften. Wenn nun die Bedeutung des Satzes ‚‹S› ist nicht ‹N›‘ so verstanden werde, dass ‹S› eine bestimmte Eigenschaft, nämlich ‹N› nicht habe, so könne daraus nicht gefolgert werden ‚‹S› ist ‹N›-entsprechend‘, weil ‹S› nur eine Eigenschaft nicht habe, aber nicht gar keine. C. Wandschneiders Verteidigung und Puntels Reply: Anstatt Puntels Kritik zu analysieren, kann hier auf Wandschneiders eigene Verteidigung zurückgegriffen werden, die er im Anschluss an Puntels Artikel formuliert hat, wobei ich mich hier auf den zentralen Punkt konzentrieren möchte. Dieser Punkt, auf den Wandschneider verweist, ist, dass Puntels Interpretationsversuche seines Dialektikkonzepts ins Leere liefen. Denn worum es in der Dialektik von ‹S› und ‹N› ginge, seien die „transzendentalen Bedingungen von Prädikation“252 und nicht das Zu- oder Absprechen von bestimmten Prädikaten. Dabei trete das Problem auf, dass Puntel versuche, logische Formen der Prädikatenlogik der 2. Stufe auf Wandschneiders Argumentation anzuwenden, aber damit die Voraussetzungen der Prädikatenlogik aus dem Blick verliere. Puntel sei so gezwungen, die Kategorien misszuverstehen, etwa indem er ‹Sein› in der schwachen Interpretationsversion übersetzen müsse in: ‚Es gibt Eigenschaften, die x zugesprochen werden können‘.253 Aber damit sei bereits Quantifizierung, eine Pluralität von Eigenschaften und ein x vorausgesetzt, die bereits eine hohe Komplexität mit sich führten. Und andererseits müsse gesehen werden, dass der minimale Sinn von ‹der Fall sein› und ‹nicht der Fall sein› immer schon vorausgesetzt sei.254 Denn worum es ja zunächst ginge, seien nicht Eigenschaften und Quantoren, sondern sei die Frage, was im Prädikatsausdruck F(x) eigentlich ‚(. . . )‘ bedeute.255 Meines Erachtens ist Wandschneider in seiner Zurückweisung recht zu geben, denn Puntel versucht tatsächlich Wandschneiders Gedanken eine voraussetzungsreiche Formallogik aufzupressen, verfehlt ihn dabei allerdings. Denn, wie gesagt, 250
Vgl. Puntel, „Lässt sich der Begriff der Dialektik klären?“, S. 158 f. Vgl. ebd., S. 159. 252 Wandschneider, „Eine auch sich selbst missverstehende Kritik: Über das Reflexionsdefizit formaler Explikationen“, S. 350. 253 Vgl. ebd., S. 349. 254 Vgl. ebd., S. 350. 255 Vgl. ebd., S. 350. 251
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
stellen ‹S› und ‹N› nicht schon bestimmte Prädikate dar, sondern versuchen die Bedingung der Möglichkeit von Prädikation begrifflich zu fassen. Was Eigenschaften und Bestimmungen sind, was schließlich Gegenstände sind, die durch Variablen vertreten werden können, und wie Quantifikation funktioniert, sind natürlich Themen, die im Verlauf der Logik hergeleitet und gerechtfertigt werden müssen. Aber der Clou Hegels, dem Wandschneider folgt, ist gerade, dass diese formallogischen Mittel nicht schon vorausgesetzt werden können, sondern selbst der Rechtfertigung durch eine Fundamentallogik bedürfen. Nun ist es natürlich richtig, dass Wandschneiders Dialektik von ‹Sein› und ‹Nichtsein› nur dann eine antinomische Struktur nachweist, wenn von dem Satz ‚‹S› ist nicht ‹N›‘ zu dem Satz ‚‹S› ist ‹N›-entsprechend‘ übergegangen werden kann. Damit sind ‹S› und ‹N› in der Tat, wenn auch nicht schon beliebige Prädikate, doch Begriffe, die Anwendungsfälle haben können. Denn darum geht es ja in ihnen, den Anwendungsfall von ‚. . . ist . . . ‘ und ‚. . . ist nicht . . . ‘ zu konzeptualisieren. Jedoch beruht die entscheidende Einsicht hier nicht auf formallogischen Deduktionsregeln, sondern auf der Reflexion, dass, indem die minimale Bedingung von Prädikation thematisiert wird, sie selbst schon zu einem Anwendungsfall ihrer selbst gemacht wird, was in dem Satz ‚‹S› ist . . . ‘ zutage tritt – die Funktion ‹S› fällt also selbst in ihren Anwendungsbereich. Dass dabei Entsprechungsverhältnisse verwendet werden, ist vollkommen richtig, und somit ist verständlich, ‹S› und ‹N› als Prädikate zu behandeln. Schließlich ist aufgrund dieses pragmatischen Vollzuges die kommende Stufe der Fundamentallogik, dass expliziert wird, was Bestimmsein ist. Indem Puntel also die formallogischen Mittel anzuwenden versucht, verdeckt er den entscheidenden Punkt, da mit den so angenommenen Ausdrücken nicht angemessen über die Bedingungen von Prädikation, Eigenschafen, Dingen und Quantoren nachgedacht werden kann. Jedoch hat Puntel Wandschneiders Replik in einem weiteren Aufsatz erneut infrage gestellt. Dabei geht es ihm im Wesentlichen um zwei Punkte, die er gegen Wandschneider stark zu machen versucht. Zunächst wirft er Wandschneider erneut vor, seine logischen Bedingungen nicht hinreichend expliziert zu haben, greift dafür aber jetzt den Folgerungsbegriff heraus.256 Der Folgerungsbegriff werde von Wandschneider in Anspruch genommen, ohne expliziert zu werden. Dieser Einwand hinsichtlich des Folgerungsbegriffes ist richtig, auch wenn man erneut darauf verweisen kann, dass es Teil einer WdL ist, auch den Folgerungsbegriff zu erhellen. Ob dieses aber der erste Schritt in der Logik sein muss, ist hinterfragbar, und Puntel argumentiert hierfür nicht. Zudem ist der Einwand nahezu trivial, weil in kaum einer Argumentation der Folgerungsbegriff zunächst präzise definiert und eingeführt wird, einschließlich Puntels Kritik an Wandschneiders Dialektikkonzept.
256
Vgl. Puntel, „Dialektik und Formalisierung“, S. 371 f.
6.3. Antinomische Logik und der Anfang der Logik
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Hauptsächlich geht es Puntel aber um eine Verteidigung von Formalisierungen, die er durch Wandschneider angegriffen sieht. Es gebe nichts, was sich der Formalisierung entzöge257 , und diese führe keine eigenen Inhalte mit sich, sondern helfe lediglich das Gesagte zu artikulieren und sichtbar zu machen, was gesagt sei.258 Das sei vor allem der Fall, weil man sich nicht auf eine bestimmtes formallogisches Angebot festlegen müsse, sondern mit „anderen, komplexeren oder höheren Formalitäten“259 arbeiten könne. Die vorliegende Arbeit ist nicht der Ort, um Formalisierung und ihre Möglichkeiten und Grenzen zu diskutieren. Daher beschränke ich mich auf zwei Bemerkungen zu Puntels Vorwurf, Wandschneider habe sich nicht hinreichend um Formalisierung bemüht. Es scheint richtig zu sein, dass logische Formalisierung tatsächlich deutlich weitere Spielräume eröffnet, als es zum Teil kolportiert wird.260 Zwei Dinge gilt es aber zu bedenken. Erstens kann die Formalisierung helfen, klarer zu explizieren, was gesagt wurde. Aber damit beantwortet sie weder die quid juris Frage, noch ist eine Argumentation einzig klar, wenn sie formalisiert wurde. Denn schon die Einführung von formalen Mitteln muss durch natürlich Sprache gelingen und hinreichend präzise sein, auch wenn die Einführung in einem zweiten Schritt selbst formalisiert werden kann. Darauf verweist auch Wandschneider schon in der Einleitung seines Dialektik-Buches, nämlich dass die inhaltliche Reflexion nicht durch die Formalisierung ersetzt werden könne, sondern von dieser vorausgesetzt werde.261 Und zweitens stellt Puntels Rede von ‚komplexeren oder höheren Formalitäten‘ den Gewinn durch Formalisierung zugleich wieder infrage. Denn was wird gewonnen, wenn zunächst eine Sprache ohne Individuenvariablen, ohne die übliche Prädikatenform et cetera definiert würde, außer dass enorme Arbeit für Autor und Leser entstünde? Natürlich ist eine Formalisierung klar und eindeutig, aber nicht jede nicht-formalisierte Argumentation ist unklar, und so scheint Puntels Forderung gegen Wandschneider ins Leere zu laufen. So kann resümiert werden, dass Puntels Kritik zu keinem Argument gegen Wandschneider führt, sondern letztlich einfach den Vorschlag unterbreitet, man könne mehr Formalisierungen einführen. Ein Fehlschluss Wandschneiders ist aber nicht gegeben, zumal die angeführten Interpretationen der dialektischen Argumentation diese verfehlen. Nachdem nun also noch drei Erläuterungen zu Wandschneiders oben dargestelltem Dialektikkonzept angeführt wurden, sollen nun noch grundsätzlichere Punkte zur 257
Vgl. Puntel, „Dialektik und Formalisierung“, S. 376. Vgl. ebd., S. 377. 259 Ebd., S. 379. 260 Vgl. etwa Sider, Logic for Philosophy, S. 7 f. der schon in der Einleitung deutlich macht, wie flexibel logische Systeme sein können. 261 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 22 f. 258
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
Dialektik angesprochen werden, um trotz des Mangels, dass die WdL im Grund erst mit ihrer vollständigen Durchführung abschließend beurteilt werden kann, dennoch ein möglichst genaues und umfassendes Bild zu erreichen. Das ist für die vorliegende Arbeit insofern entscheidend, als dass sich mit der Durchführbarkeit und Konsistenz der Dialektik zugleich eine Antwort auf die Frage ergibt, wie ewige, logische Wahrheiten abgeleitet werden können und wie damit der philosophische Gottesbegriff als konsistent bewiesen werden kann.
6.4 Die antinomische Logik als Methode der Wissenschaft der Logik Mit der antinomischen Logik, deren Grundzüge D. Wandschneider entwickelt hat, ist also versucht worden, eine möglichst genaue Vorschau der Methode anzugeben, die zeigt, dass die WdL konsistent durchführbar ist. Durch das oben Dargestellte wird die Logik allerdings nicht zu einem Selbstläufer, sondern, wie Wandschneider eindrucksvoll zeigt, jeder neue dialektische Zyklus führt vor schwierige Fragen und verlangt eine genaue, keinesfalls gleichförmige Argumentation.262 Dennoch ist dieses Dialektikkonzept vielversprechend und kann daher als die beste Annäherung an das Konsistenzproblem des philosophischen Gottesbegriffes oder des Absoluten, im hegelschen Sinne, herangezogen werden. Da die WdL und damit die Darstellung der Definitionen des Absoluten aber nicht nur aus den anfänglichen vier Kategorien besteht, muss noch ein Blick auf die methodische Weiterentwicklung in der gesamten WdL geworfen und die Konsequenzen des wandschneiderschen Dialektikkonzepts für die gesamte Logik gedeutet werden. Dabei sollen noch die folgenden Punkte konzise besprochen werden: 1. Zunächst ist zu bemerken, dass Hegel selbst die Logik in drei Teile unterteilt, die sich jeweils auch durch einen Wandel der dialektischen Methode kennzeichnen lassen. Dieser Wandel ist kurz darzustellen. 2. Dann muss das Verhältnis von antinomischer Logik und Letztbegründung angesprochen werden, da die WdL einen Selbst- und Letztbegründungsversuch darstellt. 3. Ein weiterer, wichtiger Punkt ist die Frage, wie die Rekonstruktion der Fundamentallogik einzuschätzen ist, wenn man zugleich ernst nimmt, dass es sich um die Gedanken Gottes vor der Schöpfung handelt. Kurz: Es ist zu fragen, welcher Bezug zwischen dem Denken endlicher Subjekte und dem reinen Denken, das in der Logik durch die Dialektik zum Ausdruck kommt, besteht. 4. Und schließlich ist natürlich noch die Konsistenz des ganzen Projekts einzuschätzen, wobei vor allem nachgegangen werden muss, wie sich die hegelsche Logik zum Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch verhält.
262 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 145–150. Dass die Dialektik nicht zu einem ‚starren Denken‘ wird, betont auch, Bloch, Subjekt–Objekt, S. 121–131.
6.4. Antinomische Logik als Methode
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6.4.1 Ad 1.: Die Dialektik in den Teilen der Wissenschaft der Logik In der obigen Darstellung von Wandschneiders Dialektikkonzept wurde nur der erste dialektische Zyklus der Kategorienfolge entfaltet, die letztlich als Fundamentallogik in die absolute Idee * münden soll.263 Damit ist jedoch Wandschneiders kritische Rekonstruktion noch nicht beendet. Vielmehr bietet Wandschneider eine genaue Analyse von vier dialektischen Zyklen, die zusammen eine Logik der Qualität bilden, analog zu Hegels erstem Abschnitt der WdL. Diese konstituieren eine Einheit, wie Wandschneider argumentiert, weil sie, ohne dass darauf in der dialektischen Entfaltung Rücksicht genommen werden muss, die Aspekte der grundlegenden Entsprechungsbeziehung bezüglich eines Begriffes explizieren. Die „Prädikationsform ‚ist einem Begriff entsprechend‘ und deren Negation“ bilden das Grundgerüst, die „‚Grundprädikation‘“, wie Wandschneider sie nennt,264 die durch die 16 Kategorien der Qualitätslogik erfasst wird. So greift der erste Zyklus die in der Grundprädikation enthaltene Kopula, das ‚ist‘ und das Komplement ‚ist nicht‘, auf, und der zweite Zyklus stellt dar, was es bedeutet, ein Fall von Bestimmung zu sein und daher einem Begriff zu entsprechen. Hier geht es also bereits um die ganze Grundprädikation ‚ist einem Begriff entsprechend‘, indem Kategorien wie ‹Sosein› und ‹Anderssein› untersucht werden.265 Doch damit sind die Implikationen der Grundprädikation noch nicht erschöpft, denn das ‚Einem-Begriff-Entsprechen‘ enthält ein bis dahin noch nicht untersuchtes „Beziehungsmoment“266 , das zur Explikation von Kategorien wie ‹Füranderessein› und ‹Ansichsein› nötigt.267 Und schließlich macht der vierte dialektische Zyklus, den Wandschneider darstellt, deutlich, was es bedeutet, ein Begriff zu sein und diesem zu entsprechen, nämlich dass damit unumgänglich ein „normative[r] Charakter“ gegeben ist. Dieser wird mithilfe der Kategorien ‹Geltung› und ‹Geltungsentsprechung› expliziert, womit alle Hinsichten der Grundprädikation erschöpfend erfasst sind, so Wandschneider.268 Damit sei ein gewisser Abschlusscharakter gegeben, jedoch kein Ende der Fundamentallogik erreicht, wie Wandschneider weiter argumentiert und weshalb er einen Vorschlag unterbreitet, welche Gestalt eine anschließende Logik der Quantität 263 Natürlich ist auch eine alternative letzte Bestimmung der Logik denkbar, etwa eine intersubjektivitätslogische. Diesen Vorschlag unterbreitet Hösle, Hegels System, S. 263–275. Wandschneider hält sein Dialektikkonzept für Hösles Vorschlag offen und letztlich kann nur eine vollständige Durchführung der Dialektik zeigen, wie die letzten Kategorien zu verstehen sind. Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 177, S. 179. In der vorliegenden Arbeit wird zumindest an den Grundzügen von Hegels eigener Ausarbeitung festgehalten, wobei meines Erachtens die hier angesprochenen Themen und Thesen keinen Gegensatz zu Hösles Gedanken bilden, sondern der Berücksichtigung einer Logik der Intersubjektivität offenstehen. 264 Vgl. ebd., S. 151. 265 Vgl. ebd., S. 152. 266 Vgl. ebd., S. 152. 267 Vgl. ebd., S. 152 f. 268 Vgl. ebd., S. 153 f.
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
annehmen könnte.269 Doch das führt über den Rahmen dieser Arbeit hinaus. Stattdessen ist hier wichtig, dass noch eine Überlegung zum weiteren Verlauf der WdL angestellt wird, denn deren Konsistenz soll ja mit der Konsistenz des Absoluten zusammenfallen. Auch diese Überlegung wird hier nur kursorisch sein können, aber aufgrund des Umfanges, des Anspruches des hegelschen Unterfangens und der hier behandelten Methodenfrage scheint ein Ausblick über die Entwicklung und Veränderung innerhalb der Methode sinnvoll, so er denn überhaupt unabhängig von der Durchführung bereits überschaut werden kann. Wandschneider selbst führt hierzu einige Gedanken an, wie die Dialektik zu einer systembildenden Logik führen kann.270 Hier soll jedoch noch kurz Hegels eigenen Überlegungen nachgegangen werden, die sich allerdings nur verstreut über die Logik und auch andere Werke finden. Bekanntlich gliedert Hegel die WdL in drei respektive zwei Teile: Die Dreigliederung bezieht sich auf die drei Teile, die Seinslogik, die Wesenslogik und die Begriffslogik. Innerhalb dieser Dreigliederung fasst Hegel nun die Seins- und Wesenslogik unter dem Titel objektive Logik zusammen, während die Begriffslogik dagegen als subjektive Logik bezeichnet wird. Die Unterteilung in subjektive und objektive Logik ist in nuce so zu erklären, dass die Begriffslogik zwar die Kategorien der objektiven Logik bewahrt und enthält, aber selbst Kategorien entfaltet, die der letztbegründeten Wahrheit adäquat beziehungsweise mit dieser identisch sind, wie sie dann in der absoluten Idee * explizit ist. Von Letzterer sagt Hegel schließlich, sie sei „S e y n, unvergängliches L e b e n, s i c h w i s s e n d e Wa h r h e i t, und ist a l l e Wa h r h e i t.“271 Als solche ist die Begriffslogik das Ziel und die Vollendung der gesamten logischen Herleitung, und obwohl diese vorausgeht, ist doch erst mit dem Begriff * das für sich selbst stehende Prinzip erreicht. Dieses war sogar bereits die eigentliche Voraussetzung der gesamten logischen Entwicklung, was sich in dem pragmatischen Überschuss und den nichteingeholten Absolutheitsansprüchen der vorherigen Kategorien in der dialektischen Argumentation zeigt. Jedenfalls, indem erst der Begriffslogik die adäquate Darstellung der absoluten Wahrheit gelingt, ist sie zugleich diejenige, in welcher der in den vorhergehenden Logikteilen nicht eingelöste Begründungsanspruch erfüllt wird, und somit bewahrheitet sie – metaphorisch ausgedrückt – rückwärtsgewandt ihr Vorhergehendes.272 Daher schreibt Hegel, dass der Begriff * zwar „als d a s D r i t t e zum S e y n und We s e n [. . . ] anzusehen“ sei, jedoch sei er „ihre G r u n d l a g e und Wa h r h e i t, als die Identität, in welcher sie untergegangen und enthalten sind.“273 Das lässt sich so verstehen,
269 270 271 272 273
Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 156–165. Vgl. ebd., S. 176–179. Hegel, WdL II, S. 236 (372), Z. 19 f. Vgl. oben S. 341 f. Vgl. auch oben S. 306 f. Hegel, WdL II, S. 11 (2), Z. 18–22.
6.4. Antinomische Logik als Methode
353
dass mit der ‚sich wissenden Wahrheit‘, die in der absoluten Idee * erreicht wird,274 auch verständlich wird, inwiefern die gesamte Logik hier als Totalität zu begreifen ist. Denn die logischen Kategorien sind durch eine Methode geeint, die sich an ihrem Abschluss auch selbst zum Gegenstand macht, also sich selbst reflektiert. So schreibt Hegel: Die absolute Idee selbst hat näher nur dieß zu ihrem Inhalt, daß die Formbestimmung ihre eigene vollendete Totalität, der reine Begriff, ist. Die B e s t i m m t h e i t der Idee und der ganze Verlauf dieser Bestimmtheit nun, hat den Gegenstand der logischen Wissenschaft ausgemacht, aus welchem Verlauf die absolute Idee selbst f ü r s i c h hervorgegangen ist; für sich aber hat sie sich als diß gezeigt, daß die Bestimmtheit nicht die Gestalt eines I n h a l t s hat, sondern schlechthin als F o r m, daß die Idee hiernach als die schlechthin a l l g e m e i n e I d e e ist. 275
Diese Allgemeinheit der Idee * bezeichnet eben die Methode, wie Hegel anschließend betont.276 Allerdings ist entscheidend, dass die Methode und ihr Inhalt eben nicht, wie sonst üblich, getrennt sind, sondern, wie oben gezeigt, zwei Seiten einer Medaille bilden. Nun bilden aber dennoch die Seinslogik und Wesenslogik auf der einen Seite und die Begriffslogik auf der anderen zwei unterschiedliche Teile der WdL, worauf die Bezeichnungen als ‚objektive‘ beziehungsweise ‚subjektive Logik‘ hinweisen. Das ist nach Gesagtem also so zu verstehen, dass sich in der Begriffslogik das letztbegründete Prinzip der hegelschen Philosophie selbst entfaltet und damit die Letztbegründung durchgeführt wird. Der ihr vorausgehende Teil, die ‚objektive Logik‘, wird von Hegel dagegen als die „g e n e t i s c h e E x p o s i t i o n d e s B e g r i f f e s“277 bezeichnet. Diese genetische Exposition wäre aber falsch verstanden, wenn genetisch im zeitlichen oder geschichtlichen Sinne interpretiert würde. Sinnvoller Weise kann sie nur als die Angabe der notwenigen Bedingungen der letztbegründeten Wahrheit verstanden werden, die aber zum Begriff * und zur absoluten Wahrheit gehören, also zugleich einen Teil der Totalität bilden, die in der absoluten Idee * explizit gemacht wird.278 Wie Hegel auch betont, werden in der objektiven Logik die Kategorien der vorkantischen Metaphysik behandelt, die sich aber auf ‚Vorstellungen‘ stützte, anstatt die Kategorien als Kategorien zu untersuchen.279 Wenn Hegel daher die objektive Logik auch als Metaphysik-Kritik bezeichnet,280 ist damit nicht gemeint, dass Hegel die Metaphysik abschaffen, sondern lediglich die unvollständige Betrachtung 274
Vgl. Hegel, WdL II, S. 236 (372), Z. 19. Ebd., S. 237 (373), Z. 17–24. 276 Vgl. ebd., S. 237 (373), Z. 25 f. 277 Ebd., S. 11(2), Z. 26. 278 Siehe Hegel, Enz. I, § 160, Z., S. 308: „Gleichwohl ist der Begriff, wie vorher bemerkt wurde, zugleich das schlechthin Konkrete, und zwar insofern, als derselbe das Sein und das Wesen und damit den ganzen Reichtum dieser beiden Sphären in ideeller Einheit in sich enthält.“ 279 Vgl. Hegel, WdL I, S. 49 (33), Z. 2–6. 280 Vgl. ebd., S. 49 (33), Z. 11–14. 275
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6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
der kategorialen Voraussetzungen explizieren und damit vervollständigen möchte. Diese Vervollständigung findet dann aber erst in der subjektiven Logik ihr Ziel und ihren Abschluss, denn erst hier wird die benötigte Begründung der Voraussetzungen möglich. Somit findet die eigentliche Rechtfertigung der logischen Kategorien erst in der Begriffslogik statt – was der Ablehnung eines deduktiven Begründungsmodells entspricht, das für die Letztbegründung essentiell ist. So schreibt Hegel: Ein hauptsächlicher Mißverstand, welcher hiebey obwaltet, ist, als ob das n a t ü r l i c h e Prinzip, oder der A n f a n g, von dem in der n a t ü r l i c h e n Entwicklung oder in der G e s c h i c h t e des sich bildenden Individuums ausgegangen wird, das Wa h r e und im B e g r i f f e E r s t e sey. Anschauung und Seyn sind wohl der Natur nach das Erste oder Bedingung für den Begriff, aber sie sind darum nicht das an und für sich Unbedingte, im Begriffe hebt sich vielmehr ihre Realität und damit zugleich der Schein auf, den sie als das bedingende Reelle hatten.281
Dieser Überblick über die grobe Struktur der Logik ist nun wichtig, um die drei Teile der WdL mit den unterschiedlichen Stufen der dialektischen Methode in Verbindung zu bringen. Denn Hegel nennt an verschiedenen Stellen drei Hauptcharakteristika, durch die sich die Sein-, Wesens- und Begriffslogik unterscheiden. Und im Kontext dieser Arbeit stellt sich die Frage, ob und wie diese Charakteristika mit Wandschneiders Dialektikkonzept vereint werden können. Im Rahmen seiner Besprechung des negativen Urteils in der Begriffslogik führt Hegel einen Gedanken zur Negation an, welche in den unterschiedlichen Teilen der Logik zu verschiedenen Relationen zwischen den Kategorien führe. Dabei nennt er das ‹Dasein› als Beispiel für seinslogische Bestimmungen, greift ‚Reflexion‘ als Charakteristikum der Relation der wesenslogischen Kategorien heraus und spricht dann die Begriffslogik als Begriff * an: Schon im Daseyn wird das gedankenlose N i c h t s zur G r e n z e, wodurch E t w a s sich doch auf ein A n d e r e s ausser ihm b e z i e h t. In der Reflexion aber ist es das N e g a t i ve, das sich we s e n t l i c h auf ein Po s i t i ve s b e z i e h t, und somit b e s t i m m t ist; ein Negatives ist schon nicht mehr jenes u n b e s t i m m t e N i c h t s e y n, es ist gesetzt nur zu seyn, indem ihm das Positive entgegen steht, das Dritte ist ihr G r u n d ; das Negative ist somit in einer umschlossenen Sphäre gehalten, worin das, was das eine n i c h t ist, etwas b e s t i m m t e s ist. – Noch mehr aber ist in der absolut flüssigen Continuität des Begriffs und seiner Bestimmungen das N i c h t unmittelbar ein positives, und die N e g a t i o n nicht nur Bestimmtheit, sondern in die Allgemeinheit aufgenommen und mit ihr identisch gesetzt. Das Nichtallgemeine ist daher sogleich das B e s o n d e r e.282
In der Seinslogik scheinen die Kategorien für sich selbst zu bestehen und damit klar abgegrenzt zu sein, also eine klare Kontur gegenüber anderen Kategorien zu haben. 281 Hegel, WdL II, S. 21 f. (19), Z. 38–5. Vgl. dazu auch: Hösle, Hegels System, S. 203 f. Ein Beispiel für dieses Missverständnis findet sich in Pinkard, Hegel’s Dialectic. The Explanation of Possibility, S. 26. 282 Hegel, WdL II, S. 67 (94 f.), Z. 16–27.
6.4. Antinomische Logik als Methode
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Die anderen Kategorien sind außerhalb ihrer eigenen Bedeutung, und daher scheinen die dihairetischen Kategorien wie ein ‹Etwas› und ein ‹Anderes› zu bestehen. Dagegen findet sich in der Wesenslogik ein starker Bezug in der Relation zwischen den dihairetischen Kategorien. Hier wird schon aus der Intension einer Kategorie ersichtlich, von welchem Gegenstück sie sich abgrenzt, weil aus ihr hervorgeht, dass das Gegenstück für sie konstitutiv ist. So geht schon aus der Intension von ‹positiv› hervor, dass es zugleich ‹negativ› als Folie zur Bedeutungsbildung geben muss. Somit drücken beide eine Einheit, eine ‚umschlossene Sphäre‘, aus, die in der Seinslogik nur durch Überlegungen zu den Bedingungen und Eigenschaften der Kategorien erfassbar war. Dieses Verhältnis wandelt sich nochmals in der Begriffslogik, wo die Begriffsbestimmungen eine Einheit ausdrücken, indem sie direkt besagen, dass sie nur durch und mit ihrem ebenso bestimmten und essentiellen, abgegrenzten Bestimmungen zusammen bestehen und gedacht werden können. Diese Beziehungen gilt es im Folgenden genauer zu verstehen, wobei es hier zunächst auf das für die Antinomien entscheidende Gegensatzverhältnis ankommt. Hegel charakterisiert die unterschiedlichen Beziehungen auch mit den methodischen Termen: 1. ‚Übergehen‘ oder ‚Umschlagen‘, das in der Seinslogik stattfindet. 2. ‚Scheinen‘ oder ‚Relativität‘, was die Wesenslogik ausmacht. 3. Und schließlich ‚Entwicklung‘ oder ‚Kontinuität‘ als Kennzeichen der Begriffslogik.283 Das Charakteristikum für die Seinslogik (1.) ist auch in Wandschneiders Interpretation der Dialektik, wie mir scheint, erhalten. Zunächst scheinen die dihairetischen Kategorien keinen Bezug auf die andere, welche die bestimmte Negation darstellt, auszudrücken, weshalb ein hinzukommendes Prinzip, das Komplementaritätsprinzip, zur Einführung der gegensätzlichen Bestimmung nötigt.284 Die Kategorie ‹Sosein› nimmt keinen expliziten Bezug auf das ‹Anderssein›, was im Kontrast zu einem wesenslogischen Kategorienpaar besonders deutlich wird: ‹Form› und ‹Inhalt› scheinen immer schon nur miteinander verständlich, insofern ‹Form› ausdrückt, dass sie einen Inhalt strukturiert, ihm Gestalt gibt und ihn abgrenzt, während die Kategorie ‹Inhalt› ebenfalls schon explizit Bezug auf eine Form nimmt, in der sie sich hält. Der Unterschied liegt nun nicht darin, dass im wesenslogischen Fall die Kategorien füreinander eine conditio sine qua non darstellen – das trifft auch im seinslogischen Fall zu. Vielmehr scheint es zur Intension der wesenslogischen Bestimmungen – zumindest zu den dihairetischen – zu gehören, auf eine zugehörige Bezug zu nehmen. Dieser Bezug ist in der Sphäre des Seins unausdrücklich, und daher benötigt es 283 Siehe Hegel, Enz. I, § 161, S. 308: „Das Fortgehen des Begriffs ist nicht mehr Übergehen noch Scheinen in Anderes, sondern Entwicklung[.]“ Besonders deutlich ist der Zusatz: ebd., § 161, Z., S. 308 f.: „Übergehen in Anderes ist der dialektische Prozeß in der Sphäre des Seins und Scheinen in Anderes in der Sphäre des Wesens. Die Bewegung des Begriffs ist dagegen Entwicklung, durch welche nur dasjenige gesetzt wird, was an sich schon vorhanden ist.“ Analoge Aussagen finden sich an vielen weiteren Stellen, vgl. etwa: Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 408 oder Hegel, Enz. I, § 240, S. 391. 284 Vgl. oben S. 331.
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einen Reflexionsakt, um die Beziehung zu explizieren, also dass es kein ‹Sosein› gibt, ohne in einer anderen Hinsicht auch ein ‹Anderssein› auszudrücken. Und auch das ‚Umschlagen‘ findet sich in Wandschneiders Argumentation, und zwar in der Oszillation der unterschiedlichen Prädikation der Kategorien, wie am Beispiel des ‹Seins› gezeigt wurde: Wird ‹S› von ‹N› abgegrenzt, muss zugleich festgehalten werden, dass ‹S› eine Instanz von ‹N› ist. Gilt aber wiederum Letzteres, ist ‹S› auch eine Instanz von ‹S›, weil etwas ‚der Fall Seiendes‘ gefasst wird. Daraus lässt sich allerdings erneut schlussfolgern, dass ‹S› nicht ‹N›-entsprechend ist et cetera. Durch den zugrunde liegenden, antinomischen Begriff findet also ein permanentes Übergehen von den Bestimmungen ‹‹N›-entsprechend› und ‹nicht-‹N›-entsprechend› statt. Das bezeichnet Wandschneider selbst als „antinomischdialektische[n] Umschlag“285 . Damit findet nämlich das statt, was laut Hegel allen logischen Bestimmungen zugrunde liegt: ein Selbstbezug (‹S› ist ‹S›) durch den Bezug auf ein bestimmtes Anderes (‹S› ist nicht ‹N›). An einer wichtigen Stelle in der Seinslogik, auf die sich auch A. F. Koch bezieht,286 weil Hegel meint, es sei erstmals eine „N e g a t i o n d e r N e g a t i o n“287 erreicht, reflektiert Hegel auf das Verhältnis der dihairetischen Kategorien: Das Negative des Negativen ist als E t w a s nur der Anfang des Subjects; – das Insichseyn nur erst ganz unbestimmt. Es bestimmt sich fernerhin zunächst als Fürsichseyendes und sofort bis es erst im Begriff die concrete Intensität des Subjects erhält. Allen diesen Bestimmungen liegt die negative Einheit mit sich zu Grunde. Aber dabey ist die Negation als e r s t e, als Negation ü b e r h a u p t wohl zu unterscheiden von der zweyten, der Negation der Negation, welche die concrete, a b s o l u t e Negativität, wie jene erste dagegen nur die a b s t r a c t e Negativität ist.288
Für den hier gegebenen Kontext ist hervorzuheben, dass Hegel meint, dass für ‚alle Bestimmungen‘ der Logik, also für alle Kategorien, die im Selbstbestimmungsprozess bis zum Begriff * abgehandelt werden, gilt, dass sie eine ‚negative Einheit‘ bilden. Negative Einheit bedeutet dabei, dass die Identität mit sich nur durch die Negation eines Anderen gegeben ist, wie kein ‹Etwas› gedacht werden kann, ohne es von ‹Anderem› zu unterscheiden, also als Negation dieses Anderen zu denken. Darin liegt das Recht, die ‚Negation‘ als eine Grundoperation der WdL zu bezeichnen, wie es D. Henrich getan hat.289 Jedoch unterscheidet Hegel offenbar zwischen zwei Formen der Negation: Die erste Kategorie ist abstrakt negativ, was bedeutet, dass ihre Negation für ihre Bedeutung konstitutiv ist, aber die Bedeutung selbst ist nicht negativ. Dagegen ist die zweite Kategorie ‚absolute Negativität‘, was
285 286 287 288 289
Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 110 f. Vgl. Koch, Die Evolution des logischen Raumes, S. 118–122. Hegel, WdL I, S. 103 (107), Z. 12. Ebd., S. 103 (108), Z. 22–29. Vgl. Henrich, „Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in die „Wissenschaft der Logik““.
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Hegels Formulierung für ihre antinomische Bedeutung ist, in der ein NichtEntsprechungsverhältnis zu ihr selbst ausgedrückt wird. Nun ändert sich aber das Verhältnis der Kategorien in der Wesenslogik. Da Wandschneider hierzu meines Wissens nach keine Ausführungen macht, sollen an dieser Stelle zumindest kurz die Andeutungen angeführt werden, die Hegel selbst anführt, um das Scheinen und die Relativität der Kategorien (2.) genauer zu verstehen.290 Den Unterschied zwischen den seins- und wesenslogischen Bestimmungen versucht Hegel an verschiedenen Stellen zu fassen, etwa am Übergang zur Wesenslogik an deren Anfang, weshalb der erste Abschnitt auch als eine Art Methodenteil gelesen wurde,291 oder auch in der enzyklopädischen Logik.292 Ein allgemeines Verständnis der wesenslogischen Dialektik ergibt sich zunächst aus dem Übergang von der Seins- zur Wesenslogik, der allerdings recht kompliziert ist. In dem Abschnitt „C. Uebergang in das Wesen.“293 argumentiert Hegel, dass in der Seinslogik zwischen den Kategorien – mit Wandschneider lässt sich präzisieren: speziell zwischen den dihairetischen Kategorien – Gleichgültigkeit und Beziehungslosigkeit geherrscht habe. Dieser Aspekt ist eben angesprochen und mit Wandschneiders ‚Komplementaritätsprinzip‘ zusammengebracht worden. Denn obwohl ‹Sein› als ‹der Fall sein› zu verstehen ist, muss die Kategorie von einem negativen Pendant abgegrenzt sein. Das heißt, dass die Kategorie in einer Beziehung steht, die sie selbst aber nicht ausdrückt. Dass die beiden dihairetischen Kategorien notwendig zusammengehören und eine Einheit bilden, wird zwar in der Synthese gefasst, aber ist nicht durch sie selbst repräsentiert. Was also expliziert werden muss, ist die Relationalität und der Bezug auf eine Kategorie, die eigentlich die eigene Negation bedeutet. Meines Erachtens ist es also die Explikation von Relationalität, was in nuce den Übergang vom ersten zum zweiten Teil der WdL 290 Auf den Wandel in der Kategorienbeziehung weist auch Burbidge, „Hegel’s conception of logic“, S. 96–98 hin. Eine gute Beschreibung der wesenslogischen Kategorieformen, wenn man von der meines Erachtens abführenden Deutung des Widerspruchs absieht, bietet auch: Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 213–227. 291 Es ist oben begründet worden, warum es Hegels Projekt widersprechen würde, am Anfang der Wesenslogik unter dem Stichwort ‚Reflexion‘ seine Methode zu behandeln. Konsequenterweise hat Hegel die ‚Reflexion‘ in der enzyklopädischen Logik nicht mehr als erste Kategorie der Wesenslogik angeführt. Weil die Überlegungen, die Hegel in der Wesenslogik in den Unterkapiteln „B. Der Schein“ und „C. Die Reflexion“ anführt, sehr aufwändig zu interpretieren sind, wird im Folgenden darauf verzichtet, sie auszuführen. Obwohl Hegel hier viele interessante Gedanken anführt, die sich meines Erachtens am besten als Reflexionen zur Methodik verstehen lassen, ist die Schwierigkeit groß, weil es so scheint, als wäre Hegel unentschieden, ob er Kategorien entfaltet oder über die Methodik der ganzen Wesenslogik schreibt. Vgl. dazu Henrich, „Hegels Logik der Reflexion“. 292 Dass ein Wandel stattfindet, hebt auch, vielleicht etwas zu stark, K. J. Schmidt in seinem klärenden Artikel hervor, wenn er eine „völlig neue Semantik“ fordert. Vgl. Schmidt, „Zum Unterschied zwischen wesenslogischer und seinslogischer Dialektik“, S. 36. 293 Hegel, WdL I, S. 381–383 (516–518).
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bestimmt. Hegel selbst meint, das habe sich an der Kategorie der ‹Indifferenz› – der letzten der Seinslogik – zeigen lassen: Das Bestimmen und Bestimmtwerden ist nicht ein Uebergehen, noch äusserliche Veränderung, noch ein H e r v o r t r e t e n der Bestimmungen an ihr, sondern ihr eigenes Beziehen auf sich, das die Negativität ihrer selbst, ihres Ansichseyns, ist.294
Und daran schließt Hegel an, wie das Kategorienverhältnis sich nun verändern müsse: Die Bestimmungen, als solche abgestossene, gehören aber nun nicht sich selbst an, treten nicht in Selbstständigkeit oder Aeusserlichkeit hervor, sondern sind a l s Momente; – erstens der a n s i s c h s e ye n d e n Einheit angehörig, nicht von ihr entlassen, sondern von ihr als dem Substrate getragen und nur von ihr erfüllt; und zweytens als die Bestimmungen, die der f ü r s i c h s e y e n d e n Einheit immanent, nur durch deren Abstoßen von sich, sind. Sie sind statt S e ye n d e r, wie in der ganzen Sphäre des Seyns nunmehr schlechthin nur a l s G e s e t z t e, schlechthin mit der Bestimmung und Bedeutung, auf ihre Einheit, somit jede auf ihre andere und Negation, b e z o g e n zu seyn, – bezeichnet mit dieser ihrer Relativität.295
Die wesenslogischen Kategorien geben also nicht mehr vor, selbstständige zu sein, sondern werden als Momente erkennbar. Das bedeutet, dass sie in eine Einheit gehören, wie Hegel unterstreicht, von der sie wie in einem Substrat getragen werden. Mit diesem unter erstens angeführten Punkt scheint aber das Spezifikum der Wesenslogik noch nicht bestimmt zu sein, denn Gleiches wurde in der Seinslogik durch die Synthesis deutlich, nämlich dass die dihairetischen Kategorien einen logischen Teilraum vollständig erfüllen.296 Jedoch führt Hegel zweitens an, dass eine immanente Relation zwischen den Bestimmungen entscheidend ist, und zwar als gesetzter, das heißt expliziter Bezug auf die jeweilige Negation. Dabei ist jedoch zu beachten, dass sie auch nicht in der Bezugnahme völlig aufgehen, sondern zugleich ihren Anspruch auf Selbstständigkeit und ihre Bezogenheit geltend machen. Diesen Unterschied von seins- und wesenslogischen Kategorien greift Hegel auch in den ersten Absätzen der Wesenslogik wieder auf,297 aber klarer formuliert findet er sich in der enzyklopädischen Logik. So schreibt Hegel:
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Hegel, WdL I, S. 382 (517), Z. 18–21. Ebd., S. 382 (517), Z. 22–30. 296 Vgl. oben Abschnitt 6.3.2. 297 Siehe Hegel, WdL I, S. #242 (4), Z. 30–37: „Dieses Bestimmen ist denn anderer Natur, als das Bestimmen in der Sphäre des Seyns, und die Bestimmungen des Wesens haben einen andern Charakter als die Bestimmtheiten des Seyns. Das Wesen ist absolute Einheit des An-undFürsichseyns; sein Bestimmen bleibt daher innerhalb dieser Einheit, und ist kein Werden noch Uebergehen, so wie die Bestimmungen selbst nicht ein A n d e r e s als anders, noch Beziehungen a u f A n d e r e s sind; sie sind Selbstständige aber damit nur als solche, die in ihrer Einheit mit einander sind.“ Hösle kritisiert die Charakterisierung der Wesenslogik als ‚Fürsichsein‘ (vgl. Hösle, Hegels System, S. 214 f.). In der Enzyklopädie revidiert Hegel allerdings diese Einschätzung und schreibt, dass der Begriff * im Wesen „noch nicht als Fürsich“ sei. Vgl. Hegel, Enz. I, § 112, S. 231. 295
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Das Wesen, als das durch die Negativität seiner selbst sich mit sich vermittelnde Sein, ist die Beziehung auf sich selbst, nur indem sie Beziehung auf Anderes ist, das aber unmittelbar nicht als Seiendes, sondern als ein Gesetztes und Vermitteltes ist.298
Ein wesenslogischer Begriff ‹BW › vermittelte sich also selbst durch seine eigene Negativität, das heißt, er beinhaltet selbst den Bezug auf sein negatives Gegenstück, die bestimmte Negation: ‹BW › = ‹nicht-‹nicht-BW ›-entsprechend›. Diese Formulierung seiner Intension ist jedoch nicht nur fakultativ, sondern notwendig, das heißt, er lässt sich gar nicht anders denken als durch diesen Bezug. ‹BW › = ‹‹BW › nur in dem Fall, wenn gilt: nicht-‹nicht-BW ›-entsprechend›. Darum schreibt Hegel, dass die Selbst- von der Fremdbeziehung abhängt. Wichtig ist nun, dass dieser Bezug zur Intension einer wesenslogischen Kategorie gehört, denn die Nicht-Entsprechung mit der bestimmten Negation gehört auch zu den Kategorieneigenschaften in der Seinslogik. Der Bezug auf die ihr zugehörige, andersartige Kategorie gehört explizit zu ihr, oder, wie Hegel schreibt, er ist ‚gesetzt‘.299 Diese Relation nennt Hegel auch ‚Reflexion‘, oder ‚Reflexion-in-sich‘.300 Die Selbstbeziehung kommt nur zustande, indem die Beziehung in der bestimmten Negation zurückgebogen und damit auf sich selbst gelenkt wird. Einfacher ist das Verhältnis zu verstehen, wenn man diese Form der Bezugnahme auf sich in vorstellbare Situationen überträgt. So wäre ein wesenslogisches Verhältnis etwa, wenn zum Menschen zwar notwendig die Selbsterkenntnis und damit eine Beziehung auf sich gehörte, diese Selbsterkenntnis aber einzig und allein möglich wäre, indem er sich in einem Spiegel betrachtete. Nur durch seine Reflexion im Spiegel könnte dann sein eigenes Wesensmerkmal bestehen, und wäre der Spiegel zerstört, wäre es auch der Mensch, weil ihm eine essentielle Eigenschaft genommen wäre. Dieses Verhältnis besteht auch zwischen den wesenslogischen Kategorien, wie etwa in folgenden Beispielen: Eine ‹Erscheinung› benötigt eine Differenz und zugleich einen Bezug auf das Erscheinende oder das ‹Wesen›; das ‹Positive› ist nur, wenn es zugleich ‹Negatives› gibt, von dem es unterschieden wird; eine ‹Form› ist nicht ohne einen von ihr zu unterscheidenden ‹Inhalt›; und eine ‹Ursache› ist notwendig mit einer ‹Wirkung› verknüpft, die sich zugleich von ihr unterscheiden muss. Somit kontinuiert sich auf der wesenslogischen Stufe der Logik die Dialektik, die Wandschneider konzipiert, wenn sich der jeweils negative Begriff als antinomischer herausstellt. Dass das der Fall ist, soll hier nicht gezeigt werden, aber dass in den wesenslogischen Kategorien eine Spannung besteht, die in ein antinomisches Oszillieren von Entsprechungseigenschaften führt, formuliert Hegel selbst: 298
Hegel, Enz. I, § 112, S. 231. Siehe die Formulierung in Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 156: „Man kann die Wesenslogik überhaupt als Austragung des Widerspruchs, Identität-mit-sich als Bezogensein zu denken, verstehen.“ 300 Vgl. Hegel, Enz. I, § 113, S. 234. 299
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[D]ieser Wechsel des Negativen mit sich selbst hat sich als die absolute Reflexion des Wesens bestimmt. Diese sich auf sich beziehende Negativität ist also das Negiren ihrer selbst. Sie ist somit überhaupt so sehr a u f g e h o b e n e Negativität als sie Negativität ist. Oder sie ist selbst das Negative und die einfache Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit. Sie besteht also darin s i e s e l b s t und n i c h t s i e s e l b s t und zwar in Einer Einheit zu seyn.301
Die Entwicklung innerhalb der Wesenslogik kann nur durch die dialektische Durchführung erhellt werden, was aber eine andere Arbeit wäre. Meines Erachtens ist Hegels Konzeption, dass die Selbstständigkeit innerhalb der Kategorien zunächst vorausgesetzt, im wesenslogischen Verlauf aber zunehmend explizit und deutlich wird. Anhand von Schlagworten ist der Gedanke: Die erste Kategorie der Wesenslogik ist, zumindest in der enzyklopädischen Logik, die ‹Identität›. Nun scheint ‹Identität› prima facie gerade nicht auf die bestimmte Negation ‹Unterschied› angewiesen zu sein, weder in der Bestimmung der Intension noch in ihrem Selbstbezug – denn die Kategorie ‹Identität› lässt sich offenbar auf sich selber anwenden.302 Jedoch ist zu beachten, was die Differenz zwischen dem Ausdruck für eine Einerleiheit oder ein ‹Eins› ‚A‘ und demjenigen für die Identität ‚A = A‘ ist. Der Identitätsausdruck ist offenbar eine Relation von zwei gleichen Gliedern. Damit sind zwei Glieder einer Relation in Beziehung gesetzt, wobei der Unterschied zwischen ihnen ausgeschlossen wird. Es findet eine Art Vergleich zwischen den Relata statt, deren Unterschied dabei negiert wird. Zwar könnte man sagen, dass hier ein bloß epistemischer Vergleichungsakt vorliegt, aber für Hegel ist hinreichend, dass ‹Identität› nur mit dem prima facie verdeckten ‹Unterschied› zusammen gedacht werden kann.303 Als zweites Beispiel kann das ‹Ding› herangezogen werden, dass sich sehr natürlich von seinen ‹Eigenschaften› unterscheidet, indem es als deren Grundlage oder Träger gefasst wird. Damit ist das ‹Ding› als selbstständig und bleibend verstanden. Zugleich scheint es aber auch seine ‹Eigenschaften› zu benötigen, da die Angabe eines ‹Dinges› jenseits seiner ‹Eigenschaften› nicht möglich ist.304 Auch hier ist die Abgrenzung notwendig für die Selbstständigkeit. Schließlich ist in den Kategorien ‹Ursache› und ‹Wirkung› die Relationalität explizit: Nur durch die Relation fällt etwas unter ‹Ursache› beziehungsweise ‹Wirkung›, zugleich sind die Relata aber beide als eigenständig und für sich bestehend gedacht.305 Das tritt 301
Hegel, WdL I, S. #250, (17 f.), Z. 24–30. Hösle sieht in der Selbstentsprechung ein Merkmal logischer Bestimmungen. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 72 f. 303 Siehe Hegel, Enz. I, § 116, S. 239: „Das Wesen ist nur reine Identität [. . . ], somit Abstoßen seiner von sich selbst[.]“ Identität wird schon von Platon mit der Verschiedenheit zusammengebracht. Vgl. Platon, „Sophistes“, 255b–e. 304 Siehe Hegel, Enz. I, § 130, S. 260: „Das Ding als diese Totalität ist der Widerspruch, nach seiner negativen Einheit die Form zu sein, in der die Materie bestimmt und zu Eigenschaften herabgesetzt ist (§ 125), und zugleich aus Materien zu bestehen, die in der Reflexion des Dings in sich zugleich ebenso selbstständige als negierte sind.“ 305 Siehe ebd., § 153, A., S. 297: „Die Ursache hat als die ursprüngliche Sache die Bestimmung von absoluter Selbstständigkeit und einem sich gegen die Wirkung erhaltenden Bestehen, aber 302
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in der ‹Wechselwirkung› zurück, wo tatsächlich explizit ist, dass beide Relata nur durcheinander bestehen und die Eigenständigkeit nur gemeinsam aufrechterhalten werden kann.306 Das führt Hegel dann aber schon zu den Verhältnissen, die in der Begriffslogik bestimmend sind. Die ‚Entwicklung‘ und ‚Kontinuität‘ (3.), die für den abschließenden Teil der Logik kennzeichnend sind, sollen hier nur angedeutet werden, da die Begriffslogik unten noch untersucht werden muss.307 Es ist aber deutlich, dass die Prätention von Unabhängigkeit und Selbstständigkeit sich nicht mehr in den Bestimmungen ‹Allgemeinheit› und ‹Besonderheit› findet. In diesen ist es ausdrücklich, dass sie nur gemeinsam bestehen können, und zwar zusammen mit ihrem Unterschied und ihrer Hierarchie. Denn das ‹Allgemeine›, unter das keine ‹Besonderheit› fällt, ist nicht länger verständlich, wie auch etwas ‹Besonderes› nur vor der Folie von ‹Allgemeinheit› gedacht werden kann. Die beiden Bestimmungen bilden also eine Einheit aus verschiedenen Kategorien, die dennoch füreinander konstitutiv sind, was ihren Einheitscharakter ausmacht. Diese Einheit fasst Hegel dann als ‹Einzelheit›, in der die beiden Bestimmungen zusammen bestehen. Soweit zum Ausblick auf den Fortgang der WdL und der Frage, ob und wie sich das Dialektikkonzept Wandschneiders auf die weiteren Teile der Logik übertragen lässt. Soweit kann festgehalten werden, dass a) die dialektische Methode zwar einem Wandel unterliegt, dieser aber keinen Bruch mit Wandschneiders Konzept bedeutet, das auf antinomischen Begriffen beruht. Es spricht zumindest nichts Generelles gegen die Anwendung auf die weiteren Teile der Logik. b) Der Wandel weist eine gewisse Richtung auf: Während zunächst noch eigenständige Kategorien eingeführt und per Komplementaritätsprinzip entgegengesetzt werden müssen, die sich dann durch ihre Bedeutung und Kategorieneigenschaften als konfligierend erweisen, tritt zunehmend der Bezug innerhalb der Intensionen der logischen Kategorien auf. Unverzichtbare Zusammengehörigkeit bei gleichzeitiger Verschiedenheit wird fortwährend expliziter im Verlauf der Logik. 6.4.2 Ad 2.: Antinomische Logik und Letztbegründung Im Verlauf der Logik wird also zunehmend expliziert, was von Beginn an präsupponiert ist, nämlich zum einen die Kategorien, welche für Argumentation und Intelligibilität notwendig sind, zum anderen wird in den Kategorien zunehmend explizit, was schon im Verhältnis von ‹Sein› und ‹Nichtsein› gegeben war: Die sie ist in der Notwendigkeit, deren Identität jene Ursprünglichkeit selbst ausmacht, nur in die Wirkung übergegangen.“ 306 Siehe Hegel, Enz. I, § 156, S. 301: „Die Nichtigkeit der Unterschiede ist nicht nur an sich oder unsere Reflexion (vorhg. §), sondern die Wechselwirkung ist selbst dies, jede der gesetzten Bestimmungen auch wieder aufzuheben und in die entgegengesetzte zu verkehren, also jene Nichtigkeit der Momente zu setzten, die an sich ist.“ 307 Vgl. unten Abschnitt 8.
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notwendige Zusammengehörigkeit und zugleich ihre wechselseitige Äquivalenz und ihr wechselseitiger Ausschluss auf verschiedenen Reflexionsstufen. Damit ist auch der schon oft angesprochene Selbstbezug und die Selbstexplikation der Logik gegeben: Zunehmend wird das ausdrücklich, was zunächst nur implizit als Totalität vorhanden war. Insofern ist das Prinzip der Logik, der Begriff * oder die Idee * von Beginn an im Spiel,308 ohne aber für die Argumentation, die den Fortschritt bedingt, benötigt zu werden. Vielmehr führt der Versuch der Abstraktion von diesem Prinzip über die Notwendigkeit zunehmender Explikation aufgrund von pragmatischen Widersprüchen zum Prinzip zurück. In der vorliegenden Arbeit wurde verschiedentlich auf Hegels Anspruch, mit der WdL die Letztbegründung zu erreichen, hingewiesen. Wie aber stehen die zunehmende Selbsteinholung und Selbstexplikation zu diesem Anspruch? Zunächst ist die Reflexivität, die durch das ‚Selbst-‘ hervorgehoben wird, sicher ein notwendiger Bestandteil der Letztbegründung: Denn diese kann per definitionem nicht beziehungslos sein, weil das hieße auf den Begründungsaspekt zu verzichten. Aber da sie in keinen Regress verfallen darf, muss diese Begründungsbeziehung durch sie selbst gegeben, also vollständige Selbstbeziehung sein. Dass sie damit auch zugleich Selbstexplikation ist, scheint zumindest einleuchtend, da sie von keiner Metastufe oder Metaexplikationsform abhängen kann. Die Letztbegründungsargumentation muss also selbst für die Explikation ihrer Begründungsmittel und -formen herangezogen werden können. Das leistet nun auch Hegels Logik. Allerdings ist weder Reflexivität, noch Selbstexplikation und Selbsteinholung schon hinreichend für die Letztbegründung. Denn es ist zumindest prinzipiell möglich, dass es verschiedene holistische Systeme gibt, die den genannten Eigenschaften entsprechen und sich durch interne Kohärenz und Abgeschlossenheit auszeichnen.309 Aber mit dem Letztbegründungsanspruch ist notwendig ein Einzigkeitsanspruch verbunden: Denn gerade die Pluralität von logischen Systemen ist ein Anlass, grundsätzlich über die Bedeutung von Wahrheit und Beweisen nachzudenken.310 Oder, umgekehrt, müssen die durch die Letztbegründung bewiesenen logischen Mittel auch ohne Einschränkung gelten. Denn jede Annahme von gleichwertigen und unabhängigen Modellen oder Kalkülen kommt der Relativierung der Letztbegründung gleich – das führt aber in den Selbstwiderspruch, dass es Letztbegründung nur relativ zu einem Kalkül oder Modell gebe, was selbst eine unbedingt wahre Aussage über alle Modelle und Kalküle wäre. 308 Siehe Hegel, WdL II, S. 48 (62), Z. 1–4: „Der Begriff ist das C o n c r e t e und R e i c h s t e, weil er der Grund und die To t a l i t ä t der frühern Bestimmungen, der Kategorien des Seyns, und der Reflexionsbestimmungen ist; dieselben kommen daher wohl auch an ihm hervor.“ 309 Vgl. Martin, Ontologie der Selbstbestimmung, S. 25 f. der ebenfalls darauf hinweist, dass ein Begriffsholismus nicht automatisch mit Hegels Projekt gleichgesetzt werden kann. Das setzt auch der Erklärung der hegelschen Philosophie über die Organismus-Analogie eine Grenze. Vgl. dazu etwa Wartenberg, „Hegel’s Idealism: The logic of conceptuality“, S. 107–114. 310 Vgl. Braßel, „System der idealen Logik“, S. 115–120.
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Wandschneider selbst greift das Thema der Letztbegründung durch die Dialektik in seiner Schlussbetrachtung auf. Dabei führt er vor allem das von K.-O. Apel und V. Hösle herangezogene Kriterium an, das als letztbegründet gelten könne, was nicht ohne einen performativen Widerspruch bestritten werden könne.311 Auf diesem Wege könnten dann die Kategorien gesammelt werden, die zu den notwendigen Bedingungen von Argumentation überhaupt zählen und daher nicht argumentativ bestreitbar sind, weil sie immer schon im Argumentieren in Anspruch genommen würden.312 So würde ein „Kernbestand fundamentaler logischer Strukturen“ durch die dialektische Logik abgeleitet, die sich in einem „notwendige[n] Zirkel“ selbst begründet.313 Allerdings verortet er die genauere Form der Letztbegründung am Ende der Logik, in der er nur die ersten Schritte rekonstruiert hat. Erst mit dem Abschluss könnte und müsste eine Selbstreflexion der WdL stattfinden, „in der diese sich selbst als unhintergehbar und als selbstbegründend begründet“314 . Doch warum ist Wandschneider sich sicher, dass die von ihm explizierten Kategorien überhaupt zu denen der Fundamentallogik gehören? Denn nur unter dieser Voraussetzung kann von ihrer Selbstexplikation gesprochen werden. Auf diese Frage reagiert Wandschneider meines Erachtens mit zwei Überlegungen: a) Zum einen ist die Möglichkeit der Letztbegründung bestimmter logischer Prinzipien auch ohne Dialektik möglich, womit er zwar an Apel anschließt, aber die sprachpragmatische gegen eine argumentationslogische Ebene eintauscht. Da aber in jeder Letztbegründungsargumentation noch implizite Voraussetzungen, für die nicht eigens argumentiert wurde, verbleiben, kann geschlossen werden, dass Letztbegründung grundsätzlich möglich ist, allerdings nur in einem entfalteten System Vollständigkeit erreicht. Dieses System würde dann die Fundamentallogik bilden,315 und somit wäre diese möglich und sehr plausibel. Doch warum bildet dann ausgerechnet die Dialektik das geeignete Rekonstruktionsverfahren? Weil b) zum anderen das ‹Sein› die Frage nach der „elementarste[n] Sinnbedingung von Argumentation“ am plausibelsten beantwortet.316 Denn jede Aussage muss den Anspruch stellen, etwas ‹der Fall Seiendes› auszudrücken. ‹Sein› ist aber selbst nur dann sinnvoll, wenn es vom ‹Nichtsein› abgegrenzt wird, und damit startet die dialektische Argumentation. Die Dialektik ist also deswegen das Mittel der Wahl zur Rekonstruktion der Fundamentallogik, weil sie sich in der Betrachtung der 311 Vgl. Apel, Transformation der Philosophie II, S. 405 f.; Hösle, „Begründungsfragen des objektiven Idealismus“; Hösle, Die Krise der Gegenwart. 312 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 196.; vgl. auch: Wandschneider, „Letztbegründung und Logik“; Wandschneider, „Letztbegründung unter der Bedingung endlichen Wissens. Eine Hegel’sche Perspektive“; Wandschneider, „Absolutes Wissen? Zu Hegels Projekt der Selbstbegründung einer absoluten Logik“. 313 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. S. 196 f. 314 Ebd., S. 198. Vgl. auch: Wandschneider, „Dialektik als Letztbegründung der Logik“, S. 15 f. 315 Diese Argumentationslinie ist in Wandschneider, „Letztbegründung und Logik“ leitend. 316 Vgl. ebd., S. 98.
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‚elementarsten Bedingung von Argumentation‘ überhaupt aufdrängt. Zugleich betont Wandschneider aber, wie gesagt, dass dieses nur eine vorläufige Plausibilisierung darstellen kann, denn die abschließende Beurteilung der Logik könne nur durch den Abschluss der dialektischen Argumentation geleistet werden. Dass die Letztbegründung erst am Ende, nicht durch die Kategorie des ‹Seins› oder einen voraussetzungslosen Anfang geleistet werden könne, ist auch in der vorliegenden Arbeit mit Argumenten unterlegt worden.317 Es stellt sich aber trotz des berechtigten Aufschubs die Frage, warum die unhintergehbaren Kategorien ausgerechnet durch eine dialektische Logik verbunden, also ausgerechnet in antinomischen Verhältnissen stehen sollten. Hierzu soll noch ein kurzer Gedanke betrachtet werden: Was die Letztbegründung offensichtlich auszeichnet, ist der apagogische oder negative Beweis: Soll die Proposition P letztbegründet werden, so wird gezeigt, dass der Fall, in dem sie nicht gilt, also non-P, inkonsistent ist. Die Inkonsistenz beruht dabei allerdings nicht auf der bloßen Semantik von P – es handelt sich also nicht um einen logisch-analytischen Widerspruch. Der Widerspruch beruht im anspruchsvollsten Fall auf den Voraussetzungen und Eigenschaften, die zu einer Proposition qua Proposition gehören, und ihrer Bedeutung. V. Hösle bezeichnet einen solchen Widerspruch als ‚dialektischen‘318 und betont, dass das Bestreiten der Gültigkeit von negativen Beweisen selbst irreflexiv wäre, weil es einen Versuch, Letztbegründung zu leugnen, darstellen würde.319 Der dialektische Widerspruch ist eine Art von pragmatischen Widersprüchen, wobei allerdings dessen pragmatische Seite nicht auf kontingenten Tatsachen beruht, wie etwa den Denkakten einzelner Subjekte. Nun vollzieht sich die Argumentation der WdL offenbar auf der Ebene von Kategorien, nicht auf derjenigen von Propositionen, vergleichbar etwa mit B. Braßels interessanten Ansatz.320 Zwar lassen sich aus den Kategorien synthetische Sätze bilden, wie Hegel selbst betont, etwa wenn er sie als Definitionen des Absoluten auffasst.321 Dennoch ist Hegels Vorgehen nicht der Test, ob ein bestimmter synthetischer Satz widerspruchsfrei negiert werden kann oder nicht. Aber es ergibt sich durch den pragmatisch-semantischen Widerspruch, der durch die antinomische Kategorie entsteht, eine Parallele zur Letztbegründungsargumentation, die interessant für den Zusammenhang von Letztbegründung und Dialektik ist. Denn was sich in der dialektischen Argumentation zeigt, ist, dass die bestimmte Negation einer Kategorie unter Selbstbezug instabil ist, das heißt im Selbstbezug pragmatischsemantisch widersprüchlich ist. Das ist oben für die antinomischen Kategorien gezeigt worden: Weil ihre Intension impliziert, sich nicht selbst zu entsprechen (‹B› = 317 318 319 320 321
Vgl. oben Abschnitt 6.1. Vgl. Hösle, Die Krise der Gegenwart, S. 177. Vgl. ebd., S. 159. Vgl. Braßel, „System der idealen Logik“. Vgl. auch Braßel, Das Programm der idealen Logik. Vgl. Hegel, Enz. I, § 85, S. 181.
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‹nicht-‹B›-entsprechend›), kommt es im Selbstbezug zum antinomischen Oszillieren. Es wird also nicht eine Proposition oder ein synthetischer Satz darauf geprüft, ob er selbstwidersprüchlich ist, wenn er wahr ist, sondern ob eine Kategorie im Selbstbezug widerspruchsfrei denkbar ist. Insofern handelt es sich um eine Letztbegründungsargumentation auf kategorialer Ebene. Und darum sind die jeweils positiven Kategorien, also die ‚These‘ und die ‚Synthese‘, wie Hegel hervorhebt, die eigentlichen Definitionen des Absoluten, denn diese sind unverzichtbar, weil ihre Negation in einen Widerspruch führt. Daran schließen sich unmittelbar zwei Fragen an: i) Dass die Wahrheit eines Satzes im Selbstbezug untersucht werden kann, ist einleuchtend, aber wie kann das auf Kategorien angewendet werden? ii) Und warum sollte man den Selbstbezug der negativen Kategorie akzeptieren? Zur ersten Frage (i) sind zwei Punkte zu nennen: Erstens sind die Kategorien für Hegel durchaus auch als synthetische Sätze a priori zu verstehen, und zudem bilden sie die notwendigen Voraussetzungen des Prinzips der Logik, also des Begriffes *, und damit eines Prinzips, das sich notwendigerweise auch in Urteilen und Schlüssen artikuliert. Damit sind sie selbst durch ein in Sätzen formulierbares Prinzip prinzipiiert. Aber es ist zweitens in den antinomischen Kategorien sowie in Wandschneiders dialektischer Argumentation gezeigt worden, dass Selbstbezug von Kategorien keinesfalls abwegig ist, auch wenn einer Kategorie nicht unmittelbar ein Wahrheitswert zugeordnet werden kann, sondern erst, wenn sie als Satz formuliert vorliegt.322 Die zweite Frage (ii) betrifft nun die Frage, warum die Kategorien überhaupt auf sich selbst angewendet werden sollten, was ja erst zum antinomischen Oszillieren führt. Darauf ist zunächst zu antworten, dass die antinomischen Kategorien bereits einen Bezug auf sich implizieren, gleichgültig ob dieser expliziert wird oder nicht. Entscheidend ist aber, dass der Selbstbezug notwendig ist, weil die logischen Kategorien in einem Projekt der Letztbegründung zu verorten sind. Das heißt, dass alle Kategorien der Logik implizit den Anspruch stellen, absolut zu gelten und darauf getestet werden müssen, ob sie diesem Anspruch standhalten können. Warum aber ist darin der Selbstbezug impliziert? Weil, wie oben gezeigt wurde, die Letztbegründung auch eine Selbstbegründung ist oder, anders formuliert: Wenn etwas absolut und für alles gelten soll, so muss es a fortiori auch in der Selbstanwendung gelten.323 Aus dem Selbstbezug durch den Absolutheitsanspruch folgt dann aber die Instabilität der negativen oder endlichen Kategorien, die folglich in ein oszillierendes Selbstverhältnis verfallen. Das lässt sich nach Gesagtem so deuten, dass sie zwar notwendig sind, weil sie bedeutungskonstituiv für die Definitionen des Absoluten sind, aber zugleich widersprüchlich, wenn sie selbst verabsolutiert werden: Sie hängen vom Absoluten ab und zeigen zugleich ihre eigene Beschränkung und die absolute 322 Vgl. zum Widerspruch von Kategorien auch die klärenden Ausführungen in: Hösle, Hegels System, S. 198–210. 323 Vgl. dazu ebd., S. 201.
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Notwendigkeit der positiven Kategorie, zu der sie die bestimmte Negation sind. Im Übrigen verzichtet Wandschneider in seinem Buch Grundzüge einer Theorie der Dialektik, soweit ich sehe, darauf, den Allheits- oder Absolutheitsanspruch der Kategorien in die Argumentation einzuarbeiten. Das könnte daran liegen, dass seine Argumentation ohne diesen Bezug auskommt, was sie zunächst zugänglicher machen würde. Der Preis wäre aber, dass die dialektische Methode und der Letztbegründungsanspruch des gesamten Projekts nur lose verbunden erscheinen. Die Dialektik von Endlichkeit und Unendlichkeit. Betrachten wir das Gesagte an einem Beispiel, nämlich Hegels berühmter Argumentation zur Kategorie der ‹Endlichkeit›. Dabei genügt es, Hegels Argumentation in Grundzügen darzustellen und die Ausführungen zur ‹Schranke› und zum ‹Sollen› auszuklammern. Die ‹Endlichkeit› ist für Hegel eine negative Kategorie,324 in Anlehnung an Wandschneider also eine antinomische Kategorie, wie gleich deutlicher wird.325 Das heißt nun nicht, dass sich die ‹Endlichkeit› nicht sinnvoll aussagen ließe, jedoch soll die Kategorie unter bestimmten Bedingungen nicht haltbar sein. Nun könnte man zunächst meinen, dass Hegel eine Argumentation anstrebt, die besagt, dass das Endliche eben selbst ein Ende haben müsse – etwa wie es Thomas von Aquin oft vorgeworfen wird, von der Vergänglichkeit aller Dinge – dem Endlichen – auf das Vergangensein aller Dinge – das Ende der Endlichkeit – zu schließen, also einen quantifier shift und damit einen Argumentationsfehler zu begehen.326 Tatsächlich wird die Kategorie aber erst problematisch, wenn verweigert wird, das ‹Unendliche› als eine kompatible und sie ergänzende Kategorie anzuerkennen: „[E]s ist vielmehr das Verweigern, sich zu seinem Affirmativen, dem Unendlichen hin affirmativ bringen, mit ihm sich verbinden zu lassen; es ist also untrennbar von seinem Nichts gesetzt und alle Versöhnung mit seinem Andern, dem Affirmativen, dadurch abgeschnitten.“327 Denn in dem Falle wird die Kategorie des ‹Endlichen› selbst absolut gesetzt, da nicht anerkannt wird, dass es auch noch neben dem Endlichen und Vergänglichen etwas Unvergängliches und 324 Siehe Hegel, WdL I, S. 117 (128), Z. 9–11: „[A]ber Endlichkeit ist die als a n s i c h f i x i r t e Negation, und steht daher seinem Affirmativen schroff gegenüber.“ 325 Die angeführte Argumentation ist für Hegel wichtig und eines der regelmäßig zitierten Lehrstücke aus der WdL. Ihre Wichtigkeit liegt vor allem darin, dass das Verständnis von wahrer Unendlichkeit, die sich nicht gegen das Endliche abgrenzt, sondern nur mit diesem zusammen und dieses durchdringend bestehen kann, leitend für das Verständnis Gottes ist, weshalb Hegel die wahre Unendlichkeit auch als den Grundbegriff der Philosophie bezeichnet. Wandschneider hingegen nimmt beide Kategorien nicht mit in seine Entfaltung der Qualitätslogik auf, da er meint, andere Kategorien seien adäquater und würden Gleiches leisten. Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 91–93. Vgl. auch unten Abschnitt 9.4. 326 Siehe Hegel, WdL I, S. 117 (128), Z. 11 f.: „Das Endliche läßt sich so in Fluß wohl bringen, es ist selbst diß, zu seinem Ende bestimmt zu seyn, aber nur zu seinem Ende[.]“ Vgl. Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 208 f. der Thomas’ Argument verteidigt. Vgl. auch oben Abschnitt 1.3.1. 327 Hegel, WdL I, S. 117 (128), Z. 12–15.
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Unveränderliches gibt. Daher kann alles unter dem ‹Endlichen› gefasst werden, und es muss – aufgrund des All- und damit Absolutheitsanspruchs – auch auf sich selbst anwendbar sein. Hegel bringt mit dieser logischen Argumentation zugleich eine psychologische Eigenschaft derjenigen zusammen, die diese Haltung tatsächlich einnehmen: Der Verstand verharrt in dieser Trauer der Endlichkeit, indem er das Nichtseyn zur Bestimmung der Dinge, es zugleich u nve r g ä n g l i c h und a b s o l u t macht. Ihre Vergänglichkeit könnte nur in ihrem Andern, dem Affirmativen, vergehen; so trennte sich ihre Endlichkeit von ihnen ab; aber sie ist ihre unveränderliche, d. i. nicht in ihr Anderes d. i. nicht in ihr Affirmatives übergehende Qualität, s o i s t s i e e w i g.328
Das heißt, es liegen konfligierende Intentionen vor, wenn zum einen die Kategorie des ‹Endlichen› als allgemein gültig behauptet wird und zugleich der Kategorie ‹Unendlichkeit› die Geltung abgesprochen wird. Denn so wird behauptet, dass es nur Endliches gibt, wodurch das Endliche absolut gesetzt würde. Da Absolutes und Unendliches aber gerade für ungültig erklärt wurden, folgt, dass das Endliche zugleich nicht unendlich, nicht absolut ist.329 Dafür bedarf es aber wiederum der Kategorie des ‹Unendlichen›, um die Verwirrung aufzulösen, die aus der Absolutsetzung des ‹Endlichen› resultiert. Aber dann dürfen ‹Unendliches› und ‹Endliches› nicht als strikt inkompatibel und sich wechselseitig ausschließende Kategorien verstanden werden, denn in dem Fall ließe sich das ‹Unendliche› selbst als Instanz des ‹Endlichen› verstehen, insofern es begrenzt und beschränkt ist. Und folglich bliebe es dabei, dass alles endlich wäre. Hegel sieht also ein Oszillieren zwischen der Äquivalenz und der Entgegensetzung von ‹Endlichem› und ‹Unendlichem›. Allerdings beruht dieses Übergehen auf der Verallgemeinerung und Verabsolutierung der Kategorie des ‹Endlichen› oder, anders ausgedrückt: Durch die Negation der ‹Unendlichkeit› wird die Kategorie der ‹Endlichkeit› selbst zu einer Definition des Absoluten. Als solche erweist sie sich aber als die Bedeutung des ‹Unendlichen› annehmend. Gleiches bestätigt Hegel, indem er nochmals von der Kategorie der ‹Unendlichkeit› ausgeht und von dieser aus das Oszillieren der beiden Kategorien herleitet.330 Das ‹Unendliche› erfordert die Abgrenzung vom ‹Endlichen›, wie das ‹Sein› für ihre Bedeutung konstitutiv vom ‹Nichtsein› abgegrenzt werden muss.331 Durch die Abgrenzung fällt die Kategorie ‹Unendliches› selbst unter das ‹Endliche›, denn dieses fasst alles unter sich, was abgegrenzt wird. Dann ist also sowohl die Kate328
Hegel, WdL I, S. 117 (128 f.), Z. 16–21. Siehe ebd., S. 117 (129), Z. 25–27: „[D]as Endliche ist das Beschränkte, Vergängliche; das Endliche ist n u r das Endliche, nicht das Unvergängliche; diß liegt unmittelbar in seiner Bestimmung und Ausdruck.“ 330 Vgl. ebd., S. 124–130 (139–148). 331 Siehe ebd., S. 126 (141), Z. 3 f.: „Das Unendliche i s t; in dieser Unmittelbarkeit ist es zugleich die N e g a t i o n eines A n d e r n, des Endlichen.“ 329
368
6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
gorie ‹Unendliches› selbst endlich, was zur Folge hat, dass dem ‹Endlichen› selbst nichts gegenübersteht. Und damit wird es selbst eine Instanz des ‹Unendlichen›. Genauer argumentiert Hegel selbst, dass das ‹Endliche› in der Selbstanwendung zum ‹Unendlichen› führt, indem es in dem Fall selbst begrenzt sein muss.332 So nennt Hegel die beiden Kategorien ‚Wechselbestimmungen‘ und stellt fest, dass zwischen beiden ein unendlicher Progress des Übergehens gegeben sei, womit er das antinomische Oszillieren der Kategorien fasst, das auf die zugrunde liegende antinomische Kategorie ‹Endliches› schließen lässt.333 Mit dem unendlichen Progress zwischen den beiden Kategorien ist damit in der dialektischen Argumentation angezeigt,334 wie die synthetische Kategorie lauten muss: ‹Unendliches, dass keine Grenze am Endlichen findet›. Hegel nennt diese „w a h r h a f t U n e n d l i c h e s“335 . Dieses bildet also kein „Jenseits“336 zum ‹Endlichen›, ist daher aber auch nicht einfach von diesem abzulösen. Es ist als das Endliche durchdringend und als dessen „R e a l i t ä t in höherem Sinn“337 zu denken. Durch die vorliegende Arbeit soll das „wahrhaft Unendliche“ noch weiter verdeutlicht werden, aber erst nachdem die Objektivität aus der Begriffslogik näher untersucht wurde.338 So soll verständlich gemacht werden, warum Hegel später, in der enzyklopädischen Logik das „wahrhaft Unendliche“ als den „Grundbegriff der Philosophie“ bezeichnet.339 Aus Gesagtem kann also Folgendes festgehalten werden: Die WdL muss letztlich in einer Letztbegründung resultieren, wie schon oft festgehalten. Jedoch stellt sich die Frage, warum die Kategorien, die für sie notwendig und in sie verflochten sind, eine antinomische Struktur aufweisen und damit die dialektische Argumentation ermöglichen. Hierzu wurden zwei Eigenheiten der Logik betrachtet: Zum einen stellen die Kategorien selbst durch ihre Betrachtung im Rahmen des Programms der WdL den Anspruch, absolut zu gelten. Daher können sie als Definitionen des Absoluten betrachtet werden. Dieser Absolutheitsanspruch wird von Wandschneider nicht bemüht, aber V. Hölse hat deutlich darauf hingewiesen, dass viele Argumentationen Hegels nur durch diesen Anspruch der Kategorien plausibel 332
Vgl. Hegel, WdL I, S. 128 (144), Z. 2–6. Siehe ebd., S. 129 (146), Z. 13–17: „Diese sich selbst und seine Negation negirende Wechselbestimmung ist es, welche als der P r o g r e ß ins U n e n d l i c h e auftritt, der in so vielen Gestalten und Anwendungen als ein L e t z t e s gilt, über das nicht mehr hinausgegangen wird, sondern angekommen bey jenem: U n d s o f o r t ins Unendliche, pflegt der Gedanke sein Ende erreicht zu haben.“ 334 Siehe ebd., S. 130 (148), Z. 19–21: „In dem aufgezeigten herüber- und hinübergehenden Wechselbestimmen des Endlichen und Unendlichen ist die Wahrheit derselben an sich schon v o r h a n d e n, und es bedarf nur des Aufnehmens dessen, was vorhanden ist.“ 335 Ebd., S. 136 (156), Z. 2. 336 Ebd., S. 136 (157), Z. 15. 337 Ebd., S. 136 (157), Z. 28. 338 Vgl. unten Abschnitt 9.4. 339 Vgl. Hegel, Enz. I, § 95, A., S. 203. 333
6.4. Antinomische Logik als Methode
369
werden.340 Zum anderen bilden die jeweiligen Dihairesen eine Art Letztbegründungsargumentation, insofern in ihnen gezeigt wird, dass die bestimmte Negation einer positiven Kategorie widersprüchlich ist. Der Widerspruch ist allerdings nicht im Sinne eines analytischen Widerspruchs oder einer inkompatiblen Intension zu verstehen, wie im Falle eines ‚schwarzen Schimmels‘. Der Widerspruch ist ein semantisch-pragmatischer, wie er für antinomische Kategorien dargestellt wurde. So zeigt sich, dass die negative Kategorie nicht selbstständig, nicht absolut gültig sein kann, denn unter Selbstbezug erweist sie sich als instabil. Daher bedürfen sie der sie ergänzenden Kategorie, die damit also nicht konsistent negierbar ist. Daraus ergeben sich drei unterschiedliche Inkonsistenzen innerhalb der dialektischen Argumentation: 1. Die antinomischen Kategorien zeigen, dass sie durch sich selbst widersprüchlich sind. Daher ist die positive Kategorie eine bessere Bestimmung des Absoluten und partizipiert direkt am Absolutheitsstatus der Logik. 2. Die positive Kategorie der Dihairese hingegen ist insofern problematisch, als dass sie auf die antinomische Kategorie angewiesen ist, aufgrund ihrer bedeutungskonstitutiven Abgrenzung. Das heißt, dass ihre Bedeutung unter Selbstbezug stabil ist, dass sie aber aufgrund der Abgrenzung, durch welchen die Intension überhaupt erst sinnvoll wird, in den antinomischen Progress hineingezogen wird. Dieser betrifft aber ihre Eigenschaftsebene. 3. Und schließlich kann sich eine Kategorie als performativ widersprüchlich erweisen, wenn sie als Definition des Absoluten begriffen wird. Wandschneider kommt diesem Widerspruch zumindest nahe, wenn er zusätzlichen Explikationsbedarf für die synthetische und explikative Kategorie festhält. Mit dieser Betrachtung soll übergegangen werden, um nun noch das Verhältnis zwischen der Kategorienentwicklung der WdL und dem rekonstruierenden Denken zu beleuchten und dann auf die Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch einzugehen. 6.4.3 Ad 3.: Das reine und das endliche Denken Eine weitere Bemerkung soll helfen, das Verhältnis zwischen der Rekonstruktion der Logik und den logischen Gehalten genauer zu fassen. Damit kann eine mögliche Art von Missverständnis ausgeschlossen werden, die zu einer ins Leere laufenden Kritik führen kann. Eine Fall dieses Missverständnis findet sich in F. W. J. Schellings Kritik, der in seinen Münchner Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie, 1833/34, einwendet, dass der Fortschritt in der Logik letztlich auf Akte der Logikerin zurückgeht. Die Ableitung der Kategorien wäre dann nicht notwendig, wie Hegel es für sich reklamiert, sondern kontingent und würde auf Willensentscheidungen der Philosophin basieren.341 Ähnlich argumentiert auch A. Trendelenburg, der unter anderem Hegel dafür kritisiert, dass die dialektische Methode nicht voraussetzungs340 341
Vgl. Hösle, Hegels System, S. 201 f. Vgl. Schelling, „Zur Geschichte der neueren Philosophie“, S. 547 (I/10, 131).
370
6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
los verfahre, sondern letztlich von kontingenten Tatsachen abhängig sei, wie etwa, dass die rekonstruierten Begriffe schon bekannt seien und nur „zur Thätigkeit geweckt“ würden.342 Im reinen Denken müssten nämlich Begriffe erzeugt werden, aber genau das sei dem menschlichen Denken nicht möglich und stattdessen dem Göttlichen vorbehalten. Der Mensch könne in seinem Denken hingegen lediglich nachvollziehen, nicht schaffen, sondern nur ‚nachschaffen‘.343 Das Modell, was in der vorliegenden Arbeit durchgehend verwendet wurde, ist nun, dass die logischen Gehalte unzeitlich sind, was die Akte der Rekonstruktion offenkundig nicht sind. Insofern wurde zugrunde gelegt, dass die Dialektik eine Methode ist, welche hilft, die schon für sich seienden und wahren Kategorien zu explizieren, aber nicht zu erschaffen. Schließlich wurde sogar mit Wandschneider gezeigt, dass die gesamte Logik für ihre Rekonstruktion schon vorausgesetzt sein muss und dass dieser Zirkel notwendig ist, weil ohne die Bedingungen von Argumentation nicht argumentiert werden kann. So wendet Wandschneider gegen Trendelenburg ein, dass dessen Bemerkung akzeptiert werden könne, ohne sie als Einwand zu werten, da die Logik letztlich als „Selbstrekonstruktion“ verstanden werden müsse, was ihrer Voraussetzungslosigkeit nicht widerspreche.344 Die geltenden, logischen Kategorien sind implizit schon immer bekannt und werden, ohne explizites Bewusstsein davon zu haben, angewandt. Allein durch die Sprachverwendung werde implizit auf die Logik zurückgegriffen, wie Hegel in der Zweiten Vorrede zur Logik festhält.345 Das bedeutet allerdings weder, dass sie immer fehlerfrei verwendet werden, noch, dass ein Irrtum in der Rekonstruktion unmöglich wäre. Denn der Nachvollzug und die Anwendung der Methode im subjektiven Denken ist natürlich nicht grundsätzlich fehlerfrei und insofern fallibel.346 Daher kann es sowohl Rekonstruktionsfehler als auch Lücken in der Argumentation geben, aber diese sind nur deswegen überhaupt bemerkbar, weil der Maßstab die ideale Logik selbst ist. Doch auch wenn in der Rekonstruktion der logischen Strukturen Fehler auftreten können, sind die logischen Gehalte sowie ihre Verhältnisse, die durch die Dialektik aufgedeckt werden, nicht der Kontingenz überantwortet. Die Kategorien und ihre antinomischen, synthetischen und explikativen Verhältnisse bestehen notwendig 342
Vgl. Trendelenburg, Logische Untersuchungen I, S. 98. Vgl. ebd., S. 99. 344 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 191. 345 Siehe Hegel, WdL I, S. 10 (XVI), Z. 24–30: „Die Denkformen sind zunächst in der S p r a c h e des Menschen herausgesetzt und niedergelegt, es kann in unsern Tagen nicht oft genug daran erinnert werden, daß das, wodurch sich der Mensch vom Thiere unterscheidet, das Denken ist. In Alles, was ihm zu einem Innerlichen, zur Vorstellung überhaupt, wird, was er zu dem seinigen macht, hat sich die Sprache eingedrängt, und was er zur Sprache macht und in ihr äussert, enthält eingehüllter, vermischter, oder herausgearbeitet, eine Kategorie; sosehr natürlich ist ihm das Logische, oder vielmehr dasselbige ist seine eigentümliche N a t u r selbst.“ 346 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 199. 343
6.4. Antinomische Logik als Methode
371
und hängen nicht von den Denkakten ab, die eine Logikerin vollzieht,347 weswegen auch Schellings Vorwurf nicht zutrifft. Dennoch gibt es bestimmte genetische Voraussetzungen, um die Rekonstruktion leisten zu können, aber davon hängt nicht die Geltung der Logik ab.348 Tatsächlich trifft das genau Hegels Verständnis, weshalb er die WdL von der philosophischen Behandlung der subjektiven Erkenntnisakte im subjektiven Geist trennt. V. Hösle hat bereits darauf hingewiesen, dass Hegel Begriff, Urteil und Schluss sowohl in der WdL betrachte, wo ihre Geltung begründet werden soll, und in der Psychologie, wo ihre Realisation durch einzelne Subjekte thematisch ist.349 Entscheidend ist dabei also die Richtung der Bedingung: Die WdL ist in ihrer Geltung nicht abhängig von den kontingenten Akten einzelner Subjekte. In umgekehrter Richtung besteht allerdings ein Bedingungsverhältnis: Die einzelnen Subjekte denken auf die Art und Weise, weil die Logik wahr ist.350 6.4.4 Ad 4.: Konsistenz und der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch Schließlich soll noch hervorgehoben werden, dass Wandschneiders Dialektikkonzept, wie er selbst betont, nicht gegen den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch (SvW) verstößt. Dass das für die Dialektik nicht selbstverständlich ist, geht auf Hegels eigene Aussagen zurück, die oberflächlich betrachtet Widersprüche geradezu als Gütekriterium zu präsentieren scheinen.351 So schreibt Hegel in einer ‚Anmerkung‘ zur freilich irritierenden Kategorie ‹Widerspruch›: 347 Vgl. zu Hegels Trennung von subjektiven Akten und logischen Kategorien auch: Wartenberg, „Hegel’s Idealism: The logic of conceptuality“, S. 114–117. 348 So erklärt sich auch, warum Wandschneider schreibt: „Das Apriorische darf nicht als das Selbstverständliche mißverstanden werden[.]“ (Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 199) Denn es können durchaus komplexe soziale, psychologische et cetera Voraussetzungen bestehen, um Erkenntnisse der logischen Kategorien zu erlangen. 349 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 71. Hösle weist auf § 467 in der Psychologie hin, in dem die begriffslogischen Formen wieder aufgegriffen werden. Vgl. Hegel, Enz. III, §˙467, S. 285. 350 Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 199. J. W. Burbidge assoziiert völlig zu Recht Freges Psychologismus-Kritik mit Hegel. Problematisch ist allerdings, dass er scheinbar Hegel letztlich subjektive Akte der Differenzierung und Referenz als Geltungsgrund der WdL unterschieben möchte. Auch wenn Hegel recht unbedarft Vokabular verwendet, was auf Denktätigkeiten hinweist, so ist die Linie seiner Argumentation dennoch diejenige, dass nur logisches Vokabular sich selbst begründen kann und daher auch eine Voraussetzung für die Thematisierung von subjektiven Akten bildet. Vgl. Burbidge, „Hegel’s conception of logic“, S. 88 f. 351 Siehe Hegel, WdL I, S. #286 (77), Z. 18–20: „A l l e D i n g e s i n d a n s i c h s e l b s t w i d e r s p r e c h e n d, und zwar in dem Sinne, daß dieser Satz gegen die übrigen vielmehr die Wahrheit und das Wesen der Dinge ausdrüke.“ So meint K. Düsing etwa, Hegel habe den Widerspruch als signum des Wahren angesehen. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 213: „In der spekulativen Logik verwendet er jedoch bei der Explikation der logischen Struktur der Subjektivität den Widerspruch und das positive Resultat des Widerspruchs als Wahrheitsargument.“
372
6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
A l l e D i n g e s i n d a n s i c h s e l b s t w i d e r s p r e c h e n d[.]352
An solche Bemerkungen Hegels anschließend haben viele seiner Nachfolger und Kritiker die hegelsche Philosophie als unintelligibel und inkonsistent verworfen.353 Nun ist die Konsistenzfrage für die vorliegende Arbeit die entscheidende Hinsicht, denn nur mit einem widerspruchsfreien Resultat und einer durchführbaren Methode kann Hegel beanspruchen, über Leibniz’ Beweis der Widerspruchsfreiheit des Gottesgedankens hinauszugehen. Hegels eigene Stellung zum SvW ist jedoch differenzierter, als es seine Kritiker sehen, denn neben den – natürlich problematischen – Aussagen nimmt Hegel implizit in seinen Argumentationen und in seinen Kritiken an konkurrierenden, philosophischen Ansätzen den SvW durchgehend in Anspruch.354 Und auch explizit leugnet Hegel zwar nicht die Existenz von widersprüchlichen Entitäten, sieht aber in deren Widerspruch einen Grund ihrer Vergänglichkeit und ihrer eigentlichen Nichtigkeit. Denn so hält Hegel ebenfalls fest: D e r W i d e r s p r u c h l ö s t s i c h a u f .355
Insofern ist es sicher ratsam, Hegels Haltung zum SvW differenzierter zu betrachten. Wesentliche Unterscheidungen hat V. Hösle in Hegels System angeführt, der „drei Fassungen des Satzes vom Widerspruch“356 angibt. Damit verfolgt er das Ziel zu zeigen, dass hinter Hegels Stellung zum Widerspruch keine Immunisierung steckt, sondern Kritik an Hegels Theorie sinnvoll möglich ist. Hösle differenziert 1. den argumentationslogischen,357 2. den satzlogischen358 und 3. den ontologischen359 SvW. Die argumentationslogische Version (1.) ist „als Bedingung der Möglichkeit jeder Kritik für jede Argumentation unhintergehbar gültig“,360 da sie besagt, dass Theorien, die sich in Widersprüche verwickeln, notwendig falsch sind. Die Widersprüche können dabei entweder in explizit widersprüchlichen Theoremen oder Sätzen bestehen, in ableitbaren Widersprüchen, die deduktiv aus einer Theorie erschlossen werden können, oder auch in Widersprüchen, die sich erst in der Reflexion auf notwendige Präsuppositionen ergeben.361 Davon ist allerdings eine Logik nicht
352
Hegel, WdL I, S. #286 (77), Z. 18 f. Vgl. exemplarisch Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Band II. Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen, S. 49. 354 Hegels Kritik an der kantischen Philosophie, die oben dargestellt wurde, kann als ein gutes Beispiel gelten. Vgl. oben Abschnitt 3.1. 355 Hegel, WdL I, S. #280 (68), Z. 33. 356 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 158. 357 Vgl. ebd., S. 158. 358 Vgl. ebd., S. 158. 359 Vgl. ebd., S. 160. 360 Ebd., S. 158. 361 Vgl. ebd., S. 158. 353
6.4. Antinomische Logik als Methode
373
betroffen, die bestimmte Widersprüche in bestimmten Kategorienverhältnissen thematisiert, denn die Thematisierung ist selbst nicht widersprüchlich. Die zweite, satzlogische Fassung (2.) besagt, dass „Sätze der Struktur ,A und nichtA‘“362 prinzipiell falsch sind. Die Falschheit ist deswegen notwendig, weil sonst beliebige Aussagen über Gegenstände wahr sein könnten, denn sowohl ‚A‘ als auch ‚non-A‘ könnten wahr ausgesagt werden, wenn ‚A und non-A‘ gültig wäre. Nun muss aber berücksichtigt werden, dass Hegel durch den antinomischen Charakter und die bestimmte Negation in der Dihairese Kategorienverhältnisse betrachtet, die zwar Widersprüche ergeben,363 aber zugleich nicht voneinander gelöst werden können. Das heißt, dass Hegel die Isolation der Glieder der Konjunktion nicht akzeptiert, weshalb folglich nicht Beliebiges ausgesagt werden kann. Hösle hält einen solchen Konjunktionsoperator für definierbar.364 Die dritte Version des SvW (3.) lautet: „Es kann nichts geben, was sich widerspricht.“365 Interessant ist nun, dass diese Fassung des SvW falsch ist, wenn der argumentationslogische Satz (1.) gültig ist und auf eine Instanz zutrifft. Denn in dem Fall gibt es zumindest eine falsche Theorie. Hegel scheint nun vor allem den dritten SvW (3.) zu bestreiten und von Entitäten auszugehen, die sich widersprechen. Diese Widersprüche seien, so Hösle, allerdings oft in Hinsichten unterschieden, wenn etwa Anspruch und Realität einer Entität auseinander fallen würden. Daraus folgt natürlich nicht, dass alles widersprüchlich ist, auch wenn Hegel es wie im obigen Zitat suggeriert.366 Wogegen Hegel allerdings nicht verstößt, sind der argumentations- (1.) und der satzlogische (2.) SvW, wie Hösle ausführt.367 So weit also die Differenzierungen, die in Hegels System vorgeschlagen und diskutiert werden.368 Wandschneider argumentiert nun aber auch selbst, dass der konkrete Widerspruch, der sich zwischen den beiden Kategorien, welche die Dihairese bilden, kein Verstoß gegen den SvW darstellen würde. Mit Wandschneider wurde der Widerspruch, der auf der Bedeutungsebene der Kategorien der Dihairese auftritt, bereits präziser als „semantisch-dialektischer Widerspruch“369 bezeichnet. Dagegen findet die dialektische Argumentation (in der Seinslogik) auf der Eigenschaftsebene statt: Den Kategorien musste jeweils zugesprochen werden, unter die ihr entgegengesetzte Kategorie zu fallen. Jedoch forderte jede Prädizierung aufgrund der 362
Hösle, Hegels System, S. 158. Wandschneider sieht darin allerdings einen Scheinwiderspruch, der durch die Beachtung von Reflexionsebenen gelöst werden kann. Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 105. 364 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 158 f. Fraglich ist nach Hösle, ob Hegel nicht zudem mehr Wahrheitswerte als wahr und falsch annehmen muss. 365 Vgl. ebd., S. 160. 366 Vgl. das Zitat auf S. 372. 367 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 161. 368 Vgl. die interessanten Ausführungen in ebd., S. 161–210. 369 Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 103. 363
374
6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
negativen Selbstbedingung der antinomischen Kategorie jeweils auch die entgegengesetzte Eigenschaft. Durch die Entgegensetzung von ‹Sosein› und ‹Anderssein› fällt das ‹Sosein› offenbar selbst unter das ‹Anderssein›. Dadurch ist aber wiederum ein Fall von ‹Sosein› gegeben, weshalb ‹Sosein› zugleich Instanz ihrer selbst ist. Weil ‹Anderssein› die Entgegensetzung von ‹Sosein› ist, muss dann aber zugleich gelten, dass ‹Sosein› nicht unter ‹Anderssein› fällt et cetera. Dieses ständige Wechseln der Entsprechungseigenschaften lässt dann auf den antinomischen Begriff schließen. In dieser Argumentation tritt offensichtlich ein Widerspruch auf. An dem gerade gewählten Beispiel soll sowohl gelten, dass ‹Sosein› ‹nicht-Anderssein› entspricht, als auch, dass ‹Sosein› ‹Anderssein› entspricht. Damit scheint gegen den SvW verstoßen zu werden. Jedoch will Wandschneider schon mit der Benennung ‚semantischdialektischer Widerspruch‘ darauf hinweisen, dass es sich um keinen gewöhnlichen Widerspruch handelt, sondern „um einen Scheinwiderspruch, insofern seine Glieder verschiedenen Reflexionsstufen angehören“370 . Der zugrunde liegende, antinomische Begriff ‚‹B› = ‹nicht-‹B›-entsprechend›‘ sorgt für das beständige Wechseln der Entsprechungsbestimmungen, wie gezeigt wurde. Denn wenn ein Begriff ‹A› bedeutet, dass er ‹nicht-B› ist, folgt, dass er ‹B› entspricht, was aber nur bedeutet, ‹nicht-B› zu entsprechen et cetera. Entscheidend ist nun, so Wandschneider, dass die unterschiedlichen Entsprechungseigenschaften auf verschiedenen Ebenen angesiedelt werden müssen, da der Übergang nur durch eine Reflexion auf das Entsprechungs- und Bedeutungsverhältnis vollzogen werden kann.371 Das kann, abweichend von Wandschneider, auch so gefasst werden, dass die Äquivalenz der zwei dihairetischen Kategorien die Entgegensetzung zur Voraussetzung hat. Nur wenn diese Bedingung mitreflektiert wird, ergibt sich die Äquivalenz zwingend. Darauf aufbauend kann dann die Äquivalenz wiederum als bedingend betrachtet werden: So ergibt eine weitere Reflexion, dass die Entgegensetzung durch die Äquivalenz bedingt wird etc. Deswegen können auch die jeweiligen Sätze in ‚Hinsichten‘ oder ‚Stufen‘ differenziert und damit der formallogische Widerspruch vermieden werden.372 Das wechselseitige Bedingungsverhältnis ist Ausdruck der Zusammengehörigkeit der beiden Kategorien, die zugleich nicht stabil gefasst werden können, was zur Synthesebildung nötigt, so Wandschneider.373 Durch die Hinsichten- oder Stufenunterscheidung ist nochmals deutlich geworden, dass die Widersprüche, die in der dialektischen Argumentation prima facie auftreten, keine Inkonsistenz darstellen.374 Damit ist die dialektische Logik 370
Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 105. Vgl. ebd., S. 106. 372 Vgl. ebd., S. 107. 373 Vgl. ebd., S. 108. Die Zusammengehörigkeit ist genau die Form der unlösbaren Konjunktion, die Hösle herausgearbeitet hat. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 158 f. und in der vorliegenden Arbeit S. 373. 374 Meines Erachtens ist damit auch bewiesen, dass die Interpretationen der Dialektik, die diese als inkompatibel mit dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch darstellen, nicht zutreffen. Vgl. etwa 371
6.5. Zwischenfazit
375
zumindest im Prinzip konsistent durchführbar, auch wenn eine abschließende Beurteilung nur mit ihrem Abschluss geleistet werden kann. Aber wie hier dargestellt wurde, ist das hegelsche Projekt einer Logik, die durch Negationsverhältnisse und Selbstbezug logische und damit ewige Wahrheiten expliziert und begründet, ohne Verstoß gegen den SvW durchführbar und ist weder immun gegenüber Kritik noch unintelligibel.
6.5 Zwischenfazit Das Ziel des zurückliegenden Abschnittes dieser Arbeit war es, ein konkreteres Bild von der Argumentation, die Hegel in der WdL anstrebt, zu zeichnen. Das war im Kontext der Frage nach der philosophischen Theologie in der Logik und für den OGB insofern notwendig, als dass es sich bei der Durchführung der Logik zugleich um Hegels Beweis für die Widerspruchsfreiheit des philosophischen Gottesbegriffes handelt. Denn mit der dialektischen Methode zur Ableitung ewiger Wahrheiten sollte zweierlei erreicht werden: 1. Gegen das Problem der Willkürlichkeit der Gottesprädikate, das anhand der Auseinandersetzung zwischen Descartes und Caterus dargestellt wurde,375 will Hegel die Bestimmungen des Absoluten systematisch, methodisch und mit Notwendigkeit aufweisen. Wie schon als Gemeinsamkeit in der Kant-Kritik und der Kritik der vorkantischen Metaphysik hervortrat, so führt auch die Ablehnung der Willkürlichkeit zur Forderung nach strenger Notwendigkeit, die schließlich in der Letztbegründung eingelöst werden muss. Wie dargestellt, sieht Hegel schon die Form der Definition als unzureichend für dieses Ziel an; etwa wird zwischen definiendum und definiens ein Grund benötigt, der den Zusammenhang als notwendigen darstellt. Daher zieht er, analog zu Descartes’ Distinktion von willkürliDüsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 218–227. Siehe auch: Düsing, „Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik“, S. S. 30: „Da ihr [d. i. der Gattung als negative Identität; Einschub G. M.] deshalb jeweils eine Art und ihr kontradiktorisches oder auch konträres Gegenteil zukommt, verstößt Hegel hier gegen den Satz vom Widerspruch, indem er demselben Subjekt einander entgegengesetzte Prädikate ohne Hinsichtenunterscheidung zuschreibt. Dies gehört für ihn notwendig zur Dialektik.“ K. Düsing sieht den wesentlichen Unterschied zwischen platonischer und hegelscher Dialektik darin, dass Hegel mit dem Satz vom Widerspruch breche, den Platon durch Hinsichtenunterscheidung in der Methexis gerade wahre. Auch wenn der Hegel-Text Düsing oft recht zu geben scheint, bleibt leider die Analyse zu undifferenziert. Denn auf der einen Seite räumt Hegel offensichtlich dem Widerspruch einen Platz ein, aber es müsste doch unter der Prämisse, dass der Satz vom Widerspruch nicht gelte, völlige Beliebigkeit der Kategorienfolge und Unintelligibilität der ganzen Argumentation Hegels folgen, was nicht der Fall ist. Zudem macht Düsing leider nicht deutlich, wie unter dieser Bedingung überhaupt eine Rekonstruktion der WdL möglich ist, die er ja selbst in Teilen vornimmt. Der tiefere Grund, der Hegel zu Formulierungen verführt, die wie ein Widerspruch klingen, nämlich die Suche nach einem Beweisverfahren für die Letztbegründung und damit nach einem negativen Beweis in der Logik, entgeht dem Autor soweit ich sehe. Vgl. unten Abschnitt 9.2. 375 Vgl. oben Abschnitt 5.1.
376
6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
chen Ideen und Ideen, eine Unterscheidung zwischen willkürlichen Vorstellungen und dem Begriff *, der in der WdL abgehandelt wird und der seinen Letztbegründungsanspruch einlösen soll. Aus diesem folgt, dass dem Begriff * seine Bestimmungen nicht zufällig oder lose zukommen dürfen, sondern systematisch ausweisbar sein sein müssen. Das soll das dialektische Verfahren leisten. 2. Mit der Ableitung der Bestimmungen des Begriffes * und damit auch des philosophischen Gottesbegriffes ist dann auch die Lösung des Problems der Möglichkeit Gottes zu erwarten. Den Möglichkeitsbeweis hat, wie dargestellt, Leibniz als Kernproblem des OGB herausgestellt, denn mit einem inkonsistenten Gottesbegriff ließe sich jede Version des OGB ad absurdum führen. Auch wenn Hegel vermutlich Leibniz’ eigenen Konsistenzbeweis nicht direkt kannte, sondern dessen Grundgedanken über Wolff und Kant rezipiert hat, so diskutiert er doch der Sache nach die Gültigkeit der Grundprämissen des leibnizschen Beweises und weist diese zurück. Damit stellt er nicht Leibniz’ Ableitung infrage, die zweifelsohne konsistent ist, sondern problematisiert die zugrunde liegende Annahme positiver Prädikate. So meint Hegel, dass die Negationsfreiheit letztlich auch die bedeutungskonstituierende Negation betreffen müsse, wodurch der Gottesbegriff aber jeglicher Bedeutung beraubt würde. Oder es werde die bedeutungskonstituierende Negation doch auf den Gottesbegriff angewandt, dann sei er aber nicht zwangsläufig von Widersprüchen zwischen Bedeutungsbestandteilen gefeit. Wie gesagt ist Hegels Hintergedanke keinesfalls derjenige, die alte Metaphysik und den OGB als philosophisches Thema auszuschließen, sondern die Metaphysik insofern zu überholen, als dass er ihre Mängel ausbessern und sie zur Wissenschaft machen will. Dafür stellt er die höchsten Begründungsansprüche und integriert die philosophische Theologie in sein Letztbegründungsprojekt. Dass sich dieses in Form einer materialen Logik realisieren lässt, ist ebenfalls begründet worden376 – in nuce ist Begründung ein logisches Verhältnis und daher sind logische Verhältnisse immer eine Voraussetzung aller Argumentation; und material muss die Logik sein, da jede Formallogik und jeder Begründungsbegriff einer inhaltlichen Klärung der Grundbegriffe bedarf, also was ‚Begründung‘, was ‚Form‘ et cetera bedeutet. Hegels philosophische Theologie ist also gar nicht von seiner WdL unterscheidbar. In dieser sollen methodisch die ewigen, logischen Wahrheiten aufgezeigt und in ihrer Einheit, dem philosophischen Gottesbegriff, als widerspruchsfrei bewiesen werden. Das führte in der vorliegenden Arbeit allerdings vor das Problem, dass durch den Letztbegründungsanspruch keine Metaperspektive und auch keine losgelöste Methodenbetrachtung möglich ist, da die Aussagen einer Metaperspektive oder die Begründung der Methode selbst nur durch die Letztbegründung gewährleistet werden können. Insofern fällt die Aufklärung und die Durchführung der Logik
376
Vgl. oben Abschnitt 4.1.
6.5. Zwischenfazit
377
in eins. Da die Konsistenzfrage aber für den OGB zu wichtig ist, wurde hier der Ansatz zur Methode der WdL diskutiert, der am aussichtsreichsten ist. Ein beständiger Topos in der Hegelforschung ist, dass die WdL sich durch einen voraussetzungslosen Anfang rechtfertige, denn wo ohne Voraussetzungen verfahren werde, könne keine Skepsis aufkommen. So trifft man in der Hegelforschung auf die Meinung, dass der Anfang der WdL für deren Absolutheit bürgen könne. Dieses gab Anlass, den Anfang genauer zu betrachten um damit ein genaueres Vorverständnis für den das hegelsche Projekt zu gewinnen.377 Dabei wurde gezeigt, dass Voraussetzungslosigkeit nur im Sinne einer Letztbegründung am Schluss der Logik sinnvoll und verständlich ist, da alle Versuche, die Voraussetzungslosigkeit an ihrem Anfang zu verorten, sich in performativ Widersprüchliches verlaufen. In der Analyse des berühmten Anfangsproblems wurde also deutlich, dass Voraussetzungslosigkeit und Unmittelbarkeit zu klärende Terme sind, womit sie vor performative Widersprüche führen. Es wurde argumentiert, dass der Anfang überhaupt erst aus einem Verständnis dessen, worum es Hegel geht, nämlich einer Wissenschaft vom Absoluten in Form von letztbegründeten Kategorien, verstehbar ist. Aus dieser Charakterisierung leitet sich aber ab, dass der Begründungsanspruch nicht durch den Anfang der Logik eingelöst werden kann, sondern der Anfang nur als Anfang einer letztbegründeten Logik konzipierbar ist und bei Hegel auch derart gedacht wird. Als eine solche kann die WdL nur die Form eines negativen Beweises haben, weshalb der Anfang als das Abstrakteste, als der Versuch, vom letztbegründeten und begründenden Prinzip zu abstrahieren, verstanden werden muss. Da dieses Prinzip von Hegel als Begriff * bezeichnet wird, gilt es, vom Begriff * zu abstrahieren und von allen Begründungsverhältnissen, also allen Vermittlungsverhältnissen. In diesem Versuch zeigt sich die performative oder dialektische Widersprüchlichkeit des Anfangs, der dadurch in den Fortgang der Kategorienentwicklung aufgelöst wird. Das hier Angedeutete wurde oben ausführlich behandelt und begründet, aber die Anfangsdiskussion gab so Gelegenheit, nochmals zu vertiefen, um was für ein Projekt es sich bei der WdL eigentlich handelt. Obwohl es im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht möglich war, die Kritiken und Diskussionen um das Anfangsproblem ausführlich darzustellen und zu untersuchen, so ist doch zumindest die prinzipielle Lösbarkeit und eine Grundskizze der Lösung aufgezeigt worden, womit zugleich ein entscheidender Einwand gegen die Möglichkeit des Projekts einer Fundamentallogik à la Hegel entkräftet wurde. Wenn der Anfang der Logik gelingen kann, stellt sich aber erneut die Frage nach dem ‚Wie‘ des Fortganges. Weil Hegel aber selbst keine hinreichende Methodenklärung erarbeitet hat, wurde D. Wandschneiders Dialektikkonzept erläutert und diskutiert.378 Meines Erachtens stellt es die aussichtsreichste Methodenan377 378
Vgl. oben Abschnitt 6.1. Vgl. oben Abschnitt 6.2.
378
6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
näherung an die WdL dar und trifft, trotz der von Hegel stark abweichenden Darstellungsweise, in vielem zentrale Punkte, die Hegels Überlegungen erhellen können. Hervorzuheben ist dabei, dass es Wandschneider, gelingt, nicht nur die hegelsche Logik nachzuerzählen, sondern kritisch zu evaluieren und zu korrigieren. Letzteres ist schließlich von Hegel selbst intendiert, aber nach ihm nur selten erreicht worden. Wandschneiders Argumentation schließt dabei an die Überlegungen zum Anfang der WdL an, indem sie ebenfalls nicht auf die Voraussetzungslosigkeit und Unmittelbarkeit abhebt, sondern mit der Bedingung der Möglichkeit von Prädikation, dem Ausdruck für ‚der Fall sein‘, einsetzt. Im Zentrum der Methodenanalyse stehen dabei die Einsichten in antinomische Verhältnisse, womit Wandschneider auf die Arbeiten von Th. Kesselring aufbaut. Die obige Darstellung soll hier nicht nochmals angeführt werden, aber es wurden die entscheidenden Elemente der Methode, wie Wandschneider sie darstellt, vorgestellt und plausibel gemacht, nämlich dass durch einen negativen Selbstbezug ein für Antinomien typisches Oszillieren entsteht, allein durch den Versuch, zwei Kategorien für ihre Bedeutungsbestimmung voneinander abzugrenzen. Das Oszillieren bedeutet, dass wenn die Abgrenzung vorgenommen wird, die eine Kategorie zur Instanz ihrer Negation wird, dadurch aber wiederum von ihr abgegrenzt werden muss et cetera. Dieses Oszillieren nötigt nicht nur zur Einführung einer Synthese, sondern zeigt auch an, welche Anforderungen für die Synthese bestehen, sodass diese nicht willkürlich ausgesucht werden kann. In der Synthese wird die Vereinbarkeit der beiden ersten Kategorien formuliert und in einer explikativen Kategorie durch Hinischtenunterscheidung die Vereinbarkeit der ersten zwei Kategorien erreicht. Diese Schritte bilden die Eckpfeiler von Wandschneiders Dialektikkonzept. An Wandschneider anschließend, aber zum Teil über ihn hinausgehend, wurden daraufhin globalere Aspekte der WdL untersucht, weil die Methode für die gesamte Fundamentallogik gelten soll, zugleich aber nicht als starre Methode festgehalten wird. Die globalen Aspekte sind hier wichtig, weil die ganze Logik als Antwort auf die Frage Was ist Gott? gedacht ist. Nur mit der vollständigen Durchführung und ihrem konsistenten Abschluss findet diese Frage eine letzte Antwort im hegelschen Sinn.379 Darum wurde anhand der Hinweise Hegels, die er an verschiedenen Stellen seines Werkes gibt, die Dialektik in der Seins-, Wesens- und Begriffslogik unterschieden, Letztere allerdings nur kurz, da sie im Folgenden noch zur Sprache kommen muss. Hegel selbst beschreibt die Dialektik der drei Teile als ‚Umschlagen‘, ‚Scheinen‘ und ‚Entwicklung‘.380 Es wurde gezeigt, dass diese Beschreibungen die Verschiedenheiten der Dialektik anzeigen, insofern zur Seinslogik gehört, dass, grob gesprochen, jeweils die Abgrenzung von der bestimmten Negation einer 379 Es muss betont werden, dass der Gottesbegriff für Hegel in der WdL nur grundgelegt wird – es handelt sich um den Kern des philosophischen Gottesbegriffes. Dieser ist für Hegel natürlich weiter gefasst, wenn er Gott als Geist anspricht. 380 Vgl. oben Abschnitt 6.4.1.
6.5. Zwischenfazit
379
Kategorie für die Bedeutung konstitutiv ist, es dadurch aber zum Oszillieren auf der Eigenschaftsebene, die mit der Intension der Kategorien im Konflikt liegt, kommt. In der Wesenslogik ist hingegen die Intension der Kategorien reicher, und der Bezug auf die bestimmte Negation liegt jeweils in der Intension der Kategorie vor. Es kommt dann zum gleichen antinomischen Oszillieren durch die Prätention von Abgrenzung und zugleich konstitutiver Bezogenheit. Schließlich findet sich in der Begriffslogik keine feste Abgrenzung der Kategorien mehr, sondern ihre Zusammengehörigkeit ist den Kategorien selbst implizit, trotz ihrer Hierarchie und Eindeutigkeit. Somit bilden sie zunächst das, was Hegel als Totalität bezeichnet und worauf die ersten beiden Teile der Logik zustreben. Denn die Untrennbarkeit bei gleichzeitiger Unterscheidung von Kategorien ist von Beginn an charakteristisch für die logischen Kategorien. Jedoch unterscheiden sich die Stufen je nach dem, wie explizit die Relation und Zusammengehörigkeit in den jeweiligen Kategorien gefasst ist. Dabei ist die lineare Entwicklung zur Logik von zunehmender Explikation gekennzeichnet,381 was das oft genannte Münden in eine eigene Methodenklärung ankündigt. Die hier vorgestellten Analysen legen dabei zumindest nahe, dass es kein prinzipielles Hindernis gibt, Wandschneiders Dialektikkonzept auf die gesamte WdL anzuwenden, auch wenn die jeweiligen dialektischen Stufen und Argumentationen Unterschiede aufweisen. Anschließend wurde das Verhältnis von Letztbegründung und Dialektik besprochen. Dabei wurde darauf eingegangen, dass Letztbegründung nur durch einen negativen Beweis gelingen kann, der in einer Negation einen performativen oder dialektischen Widerspruch aufweist. Dabei wurde darauf eingegangen, dass bekannte Letztbegründungsargumente auf synthetischen Sätzen fußen, jedoch keine Kategorientheorie angestrebt wird. Hegel scheint allerdings mit den logischen Bestimmungen zum einen synthetische Sätze zu verbinden, zum anderen ist die dialektische Argumentation ein Nachweis der Inkonsistenz der Negation einer bestimmten logischen Kategorie. Aufgrund der antinomischen Verfasstheit der negativen oder, wie Hegel sagt, ‚endlichen‘ Kategorien, sind diese nur mit und durch eine positive Kategorie verständlich. Insofern ist die positive Kategorie unverzichtbar und analog zu einer Letztbegründungsargumentation begründet: Angenommen, die positive Kategorie wäre leer, so wäre alles durch eine endliche Kategorie bestimmt. Aber genau dann erweist sich die endliche Kategorie als widersprüchlich, sodass eine solche Beschreibung (und Verfasstheit) der Welt oder des Seins inkonsistent wäre und sich selbst aufheben würde. So läuft offenbar auch der Letztbegründungsanspruch mit der dialektischen Argumentation parallel, wenn nicht zusammen. Nachdem schließlich noch auf die Fallibilität in der logischen Argumentation, die mit der absoluten Geltung von Kategorien ohne Weiteres kompatibel ist, eingegangen wurde, konnte das Resümee festgehalten werden, dass die WdL und 381
Vgl. Hösle, Hegels System, S. 212 f.
380
6. Grundzüge der Methode der Wissenschaft der Logik
ihre dialektische Methode nicht auf der Verwerfung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch beruhen. Tatsächlich gehört dieser zu den Bedingungen sinnvoller Argumentation382 und ist a fortiori auch für die Dialektik vorausgesetzt, ja in dieser zu entwickeln und als Element der Fundamentallogik zu beweisen. Die Konsistenz wird dabei durch die dialektische Methode gewährleistet, welche noch die Scheinwidersprüche zwischen den Kategorien durch Hinsichtenunterscheidungen auflöst. Zugleich schafft sie die Ableitung der Kategorien, die so in einem Prinzipiierungszusammenhang383 stehen, was die Willkürlichkeit, trotz der Möglichkeit menschlicher Fehler in der Rekonstruktion, ausschließt. So wurde gezeigt, dass Hegel auf zwei Grundfragen der philosophischen Theologie und des OGB, die hier mit Hilfe von Descartes und Leibniz entwickelt wurden, antwortet und mit der dialektischen Methode somit den Grundstein seiner eigenen philosophischen Theologie in der WdL legt.
382 383
Vgl. etwa Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 196. Vgl. ebd., S. 193.
Teil IV.
Hegels ontologischer Gottesbeweis in der Begriffslogik
7 Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik Im zurückliegenden Teil der Arbeit wurde ausführlich gezeigt, wie Hegel sowohl das Problem der Willkürlichkeit als auch dasjenige der Widerspruchsfreiheit des Gottesbegriffs angeht und zu lösen versucht. Durch seine WdL will Hegel beide Probleme, wie gesehen, lösen, indem er einerseits die Bestimmung Gottes, des ‚göttlichen Begriffs *‘,1 als logische, ewige Wahrheiten ableitet und durch die Ableitung sowohl Willkür als auch Inkonsistenz ausschließt. Dafür benötigt er eine besondere Ableitungsmethode, die letztlich durch die Logik selbst thematisiert und begründet wird, die hier als dialektische Methode bezeichnet wurde. Diese nutzt antinomische Begriffe und erschließt eine Totalität von sich dialektisch-pragmatisch voraussetzenden Kategorien, die wie ewige Wahrheiten die Voraussetzungen jedes Denkens und Seins bilden sollen. Durch das methodische Vorgehen wird ein ‚Prinzipiierungszusammenhang‘2 zwischen den Kategorien sichtbar, in welchem die Negation – in Form des negativen Selbstbezugs in den Antinomien – als wesentliches Moment der begrifflichen Erweiterung und Anreicherung genutzt wird. Und zugleich ist die Notwendigkeit des Zusammenhangs und die Konsistenz durch die methodische Ableitung gewahrt. Mit der dialektischen Methode der WdL ist damit die Antwort auf eine der beiden Fragenkomplexe umrissen worden, die Hegel für den OGB als zentral betrachtet: i) Was ist Gott? Was ist unter dem Gottesbegriff zu verstehen? ii) Existiert Gott? Was bedeutet der Existenzbegriff im Bezug auf Gott? Und lässt sich ein Zusammenhang der beiden Begriffe beweisen?3 Hegels Weg zur Beantwortung der (i) Frage ist also, die ewigen, logischen Wahrheiten durch die dialektische Methode als konsistent und notwendig zu bestimmen. Dadurch dass diese logischen Wahrheiten, die Kategorien, als durch den Begriff * prinzipiiert sind4 und in der absoluten Idee * als Einheit und Totalität explizit gefasst werden, kann Hegel diese Totalität als eine Einheit, als
1
Vgl. Hegel, WdL II, S. 253 (399), Z. 5. Vgl. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, S. 193. 3 Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 391 f. 4 Vgl. Hegel, WdL II, S. 11 (2), Z. 20–22: Über Seins- und Wesenslogik sagt Hegel, dass der Begriff * „ihre G r u n d l a g e und Wa h r h e i t, als die Identität in welcher sie untergegangen und enthalten sind“, ist. 2
384 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik ein (Satz-)Subjekt adressieren.5 Und so ist die Logik die „Wissenschaft nur des göttlichen B e g r i f f s“6 . Durch die Bestimmung des Gottesbegriffs ist zwar Wesentliches, aber nicht Hinreichendes für den OGB geleistet, dessen hegelsche Behandlung die vorliegende Arbeit untersucht. Denn der Ausschluss von Willkür und Widersprüchen im Gottesbegriff ist eine Voraussetzung für jede philosophisch-theologische Fragestellung. Hegel strebt darüber hinaus aber auch an, den OGB in seiner Logik durchzuführen, und gibt ihm daher einen bestimmten Platz in der Begriffslogik. Der OGB verbindet sich dabei mit dem Prinzip der hegelschen Logik, weil Hegel Kant darin folgt, dem OGB eine zentrale Stellung innerhalb der klassischen Gottesbeweise zuzuerkennen. Der Hintergrund ist in nuce derjenige, dass die Schlüsse auf ein göttliches Wesen vor dem Problem stehen, dass dieses Wesen nicht selbst wieder auf etwas zurückgeführt werden muss, was es nicht selbst ist, also vor dem Problem eines Begründungsregresses. Der OGB verspricht nun gerade hier Einhalt zu gebieten: Wenn Gott allein aufgrund seiner Möglichkeit oder seines Begriffs wirklich ist, dann existiert er durch sein Wesen und es bedarf keines weiteren Grundes seiner Existenz.7 Damit bildet der OGB einen Ausgang aus dem Regressproblem innerhalb der Gottesbeweise. Damit besteht eine Parallele zu dem Grundproblem jeder ersten Philosophie, die einen alternativen Ausweg aus den Begründungsregressen finden muss, als die durch das Agrippa-Trilemma aufgewiesenen Wege. Und aufgrund dieser Parallele führt Hegel den OGB und die Betrachtung des Prinzips seiner Logik zusammen. Im Folgenden geht es also darum, die Gestalt, die Hegel dem OGB durch die Integration in die WdL gibt, genauer zu verstehen. Denn Hegels Behandlung des unum argumentum weicht stark von traditionellen Formulierungen ab, allein schon weil er den Gottesbeweis nicht als isoliertes Argument behandeln, sondern ihm die besagte Stellung innerhalb der WdL zuweist. So hat er von der ersten Auflage der Begriffslogik 1816 bis zur letzten Fassung der Enzyklopädie 1830 den OGB im Übergang vom Begriff * zum Objektivitätskapitel verortet. Im Folgenden wird daher der für die vorliegende Arbeit ausstehende Schritt gemacht, indem nun Hegels konkrete Behandlung des OGB in der WdL untersucht wird. Dabei wird vor allem zu zeigen sein, wie Hegel den oben genannten Fragenkomplex (ii) beantwortet, der sich darauf bezieht, wie der Existenzbegriff im OGB zu verstehen ist und warum der Existenzbegriff mit dem Gottesbegriff verbunden ist. 5 Siehe Hegel, Enz. I, § 237, S. 388 f. „Für sich ist die absolute Idee, weil kein Übergehen noch Voraussetzen und überhaupt keine Bestimmtheit, welche nicht flüssig und durchsichtig wäre, in ihr ist, die reine Form des Begriffs, die ihren Inhalt als sich selbst anschaut. Sie ist sich Inhalt, insofern sie das ideelle Unterscheiden ihrer selbst von sich und das eine der Unterschiedenen die Identität mit sich ist, in der aber die Totalität der Form als das System der Inhaltsbestimmungen enthalten ist. Dieser Inhalt ist das System des Logischen.“ 6 Hegel, WdL II, S. 253 (399), Z. 4 f. 7 Vgl. oben Abschnitt 1.4.
7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik
385
Für die Darstellung der hegelschen Durchführung des OGB sind aber folgende Schritte entscheidend: Zunächst wird in Abschnitt 7.1 dargestellt, wie Hegel den OGB im Übergang vom Begriff * zur Objektivität aufgreift. Dabei müssen einige Argumente, die Hegel andeutet, expliziert werden, mit dem Ziel zu zeigen, dass Hegel mit dem OGB eine Antwort auf die oben genannte Frage (ii) nach der Bedeutung des Existenzbegriffs, wenn dieser auf das Absolute angewandt wird, anstrebt. Allerdings ergibt sich Hegels Antwort aus seinem Verständnis der ‹absoluten Notwendigkeit›, die er mit dem Begriff * einlösen möchte. Diese logische Bestimmung wird analysiert, nachdem ein prominenter Einwand gegen Hegels Gedanken diskutiert worden ist, der hilft, den Rahmen seines Gedankenganges einzuordnen. Der Einwand besagt, dass Hegel den OGB durch die Integration in die WdL der OGB entweder trivialisiert hat. Denn durch die Identifikation von ewigen Wahrheiten und Gott ist eigentlich bereits ein Gottesbeweis geleistet, auf dem der OGB aufbaut – er wäre somit redundant. Oder aber Hegel hat die Argumentstruktur des OGB im Vergleich zu traditionellen Versionen völlig verkannt, da er nicht von einer subjektiven Vorstellung eines göttlichen Wesens ausgeht, um die Unmöglichkeit der Nicht-existenz eines entsprechenden Wesens zu beweisen. Dieser Einwand wird in Abschnitt 7.1 diskutiert. Die ‹absolute Notwendigkeit›, auf der Hegels Gedankengang fußt, wird am Ende der Wesenslogik eingeführt. Und weil schon der Titel Das Absolute, unter dem diese Form von Notwendigkeit behandelt wird, auf den OGB hinweist, muss Hegels Argumentation von diesem Einsatzpunkt aus verstanden werden. Daher wird anschließend Hegels Auffassung der Modalbegriffe, der Substanz-, Kausalitäts- und Wechselwirkungskategorien im Abschnitt 7.2 nachvollzogen. Dabei kann verdeutlicht werden, wie Hegel zum Begriff * überleitet und auf welche Problemstellung er mit diesem lösen möchte. Es soll dabei gezeigt werden, dass der Begriff * und seine immanenten Bestimmungen die Aufgabe haben, die ‹absolute Notwendigkeit› einzuholen. Und das ist sowohl für seine Entfaltung wichtig als auch für das Verständnis des Überganges zur Objektivität. Daran anschließend werden im Kapitel 8 die immanenten Bestimmungen des Begriffs * erläutert. Das ist für den OGB insofern entscheidend, als dass im absoluten Begriff * die Gründe gefunden werden müssen, warum der Existenzbegriff der Objektivität notwendig zu ihm gehört. Wie Hegel den Begriff * konzipiert und wie die Argumentation für die immanenten Bestimmungen verfährt, wird in den Abschnitten 8 und 8.2 nachvollzogen. Mit den so gewonnenen Einsichten über den Begriff * und dessen zentraler Stellung für Hegels Letztbegründung werden daraufhin in Kapitel 9 die Gründe diskutiert, die für den Übergang zur Objektivität angeführt werden können und die schließlich Hegels OGB zugrunde liegen. Dabei wird in Abschnitt 9.2 gezeigt, dass Hegel der Begriffslogik insgesamt die Struktur eines negativen Beweises für den Begriff * gibt. Das wird in Abschnitt 9.3 erhellt und mit Hegels OGB zusam-
386 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik mengebracht. Und schließlich wird noch im Abschnitt 9.4 gezeigt, dass Hegels Argumentation in den Kapiteln über die Idee * die vorliegende Interpretation stützt. Der Abschnitt endet schließlich damit, dass aus Hegels Argumentation einsichtig wird, warum er in der Enzyklopädie die ‹wahrhafte Unendlichkeit› als ‚Grundbegriff der Philosophie‘ bezeichnet.8
7.1 Hegel über den ontologischen Gottesbeweis am Übergang zur Objektivität Obwohl der OGB in der Logik an verschiedenen Stellen erwähnt wird,9 führt Hegel diesen Gottesbeweis mit dem Übergang vom Begriff * zur Objektivität eng: Vom Begriffe ist nun zunächst gezeigt worden, daß er sich zur O b j e c t i v i t ä t bestimmt. Es erhellt von selbst, daß dieser letztere Uebergang seiner Bestimmung nach dasselbe ist, was sonst in der M e t a p h y s i k als der S c h l u ß vom B e g r i f f e, nemlich vom B e g r i f f e G o t t e s auf s e i n D a s e y n, oder als der sogenannte o n t o l o g i s c h e B e w e i s vom D a s e y n G o t t e s vorkam.10
Der Leserin von Hegels Logik ist nun gegen den Autor einzuräumen, dass es im Verlaufe dessen, was Hegel unter den Titeln Begriff *, Urteil und Schluss – den ersten drei Kapiteln des ersten Abschnittes der Begriffslogik – und dem besagten Übergang zur Objektivität ausführt, alles andere als offensichtlich ist, dass Hegel hier seinen OGB präsentiert. Denn auf den Pfaden der verschlungenen und komplizierten hegelschen Gedanken zur formalen, wesentlich an der aristotelisch orientierten Logik wird nicht von selbst deutlich, dass mit der Herleitung der Objektivität aus dem Begriff * zugleich das Sein oder die Objektivität aus den Gottesbegriff gefolgert werden soll. Es lohnt sich, um Hegel Anführung des OGB zu verstehen, ein paar Argumente zu betrachten, die für Hegel in diesen Kontext hineinspielen. Daher wird hier zunächst Hegels Ansicht erläutert, dass die Gottesbeweise inhaltlich mit der Logik übereinstimmen, allerdings der Form nach differieren, was vor allem aus den Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes hervorgeht. Der Formunterschied, den der OGB durch die Integration in die WdL annimmt, ist augenfällig. Denn während der Beweis sonst in Form eines klassischen Schlusses auftritt, findet bei Hegel eine für seine Logik typische Operation statt, die er als ‚Übergehen‘ beschreibt. Das gilt 8
Vgl. Hegel, Enz. I, § 95, A., S. 203. Vgl. Hegel, WdL I, S. 73–77 (65–70); ebd., S. 99 f. (102–104); ebd., S. #289 (81); ebd., S. #324–#326 (138–142); Hegel, WdL II, S. 127–129 (192–196). Vgl. auch: Hegel, Enz. I, § 193, A., S. 345–350. 10 Hegel, WdL II, S. 127 (192), Z. 7–11. G. Sans argumentiert, dass Hegel durch den Ausdruck ‚seiner Bestimmung nach‘ eine Identifizierung mit dem OGB vermeiden würde. Vgl. Sans, Die Realisierung des Begriffs, S. 202. Es ist Sans darin recht zu geben, dass Hegel keine einfache Identifizierung annimmt, weil mehreres in dem Übergang zur Objektivität geleistet werden soll. Dass Hegel aber auch ein philosophisch-theologisches Interesse verfolgt und den OGB daher an besagter Stelle grundlegt, wird in den folgenden Abschnitten erhärtet. 9
7.1. Der ontologische Beweis am Übergang zur Objektivität
387
es näher zu verstehen, vor allem weil diese methodische Operation auch unter Hegels Maßgaben überraschend ist, da die Methode der Begriffslogik ansonsten als ‚Entwicklung‘ charakterisiert wird. Anschließend soll ein Vorverständnis des Überganges durch zwei Überlegungen zur Bedeutung von ‚Begrifflichkeit‘ und ‚Subjektivität‘ erarbeitet werden. Dann werden einige Erläuterungen zu dem Text, mit dem Hegel das Objektivitätskapitel einleitet, angeführt. Und schließlich soll noch herausgearbeitet werden, dass Hegel tatsächlich Antworten zu den beiden genannten Fragen, was unter dem Gottesbegriff und was unter dem Existenzbegriff zu verstehen sei, skizziert. Dass Hegel, auch wenn er zumeist theologisches Vokabular in der WdL vermeidet, einen philosophisch-theologischen Strang in der Logik verfolgt, ist bereits oben gezeigt geworden: Der Begriff *, der das letztbegründete Prinzip des Projekts ist und der in der Idee * vollständig expliziert und entfaltet wird, muss das Absolute und Göttliche ausmachen. Denn die Annahme eines zweiten Absoluten wäre widersprüchlich, würde es doch beide relativieren. Und theologisch wäre es ebenfalls sinnlos auf der einen Seite anzuerkennen, dass es ein Absolutes in der Philosophie gebe, auf der anderen Seite dieses Absolute aber nicht mit dem eigenen Gottesverständnis zusammenzubringen. Zudem ist ausführlich gezeigt worden, dass Hegel mit seiner WdL auf Probleme der traditionellen philosophischen Theologie und des OGB eingeht und sie zu lösen versucht und folglich einen theologischen Anspruch mit der Logik erhebt. Es geht aber zudem aus Hegels Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes hervor, dass die WdL innerlich mit dem Thema und Gegenstand der Gottesbeweise verbunden ist.11 Schon die erste Vorlesung beginnt Hegel mit dem Hinweis, dass der Gegenstand der Gottesbeweise mit dem der Logik „in Verbindung stehe und eine Art von Ergänzung zu dieser, nicht dem Inhalte, sondern der Form nach, ausmache, indem derselbe nur eine eigentümliche Gestalt von den Grundbestimmungen der Logik ist“12 . Die Gottesbeweise stellen also die logischen Kategorien in einer anderen Gestalt oder in anderer Form dar – dem Gehalt nach sieht Hegel allerdings keinen Unterschied. Denn auch wenn man meinte, der Gehalt und Gegenstand der Gottesbeweise sei der Religionsphilosophie zuzuordnen, so müsste die Untersuchung der „Natur des Beweises“ dennoch der Logik zugeschlagen werden. Aufgrund des Letztbegründungsanspruches der Logik kann aber letztlich die Unterscheidung zwischen Inhalt und Form nicht aufrechterhalten werden – und die Verbindung zum Inhalt der Gottesbeweise ergibt sich gerade aus dem Thema der absoluten Wahrheit. Daher könne „das Logische nicht bloß die formelle Seite“ ausmachen, sondern es müsse gesehen werden, dass dieses „in der Tat damit zugleich 11 Vgl. Rohls, Theologie und Metaphysik. Der ontologische Gottesbeweis und seine Kritiker, 369 f. Vgl. auch Hösle, Hegels System, 189 f. 12 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 347.
388 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik im Mittelpunkt des Inhalts steht“13 . Es scheint der Vorstellung eines absoluten, nur durch sich selbst seienden Wesens zu widersprechen, wenn dieses von logischen Mitteln abhängig wäre. Zugleich wäre es offensichtlich nicht mehr durch logische Mittel und Schlüsse zu verstehen, wenn diese nur vom absoluten Wesen gesetzt wären, aber nicht auf dieses selbst anwendbar wären. Und so können die logischen Mittel des Beweises und das göttliche Wesen letztlich nicht auseinanderfallen. Aber widerspricht diese Diagnose, dass das Absolute und der Beweis des Absoluten nicht als unabhängig verstanden werden können, nicht der klassischen Distinktion zwischen dem Wesen, das erkannt wird, und dem Erkennen dieses Wesens? Natürlich könnten die logischen Mittel eines Gottesbeweises auf die epistemische Seite geschlagen werden, sodass der Unterschied zwischen dem ordo essendi und dem ordo cognoscendi gewahrt bleibt. Letztlich zeigt sich aber im Fall eines Gottesbeweises auch hier die Bedeutung der gerade angeführten Reflexion: Wie kann Gott, das Absolute, der Grund alles Seiens und Denkens sein und der ordo cognoscendi zugleich von ihm unabhängig? Wäre die Unabhängigkeit des Erkennens nicht bereits eine Relativierung des Absoluten? Diese Fragen führen zu der Einsicht, dass die logischen Mittel und kognitiven Leistungen des subjektiven Denkens ihre letzte Rechtfertigung letztlich durch das absolute Wesen selbst erhalten müssen.14 Und daher sind die Logik, die Selbstbegründung thematisiert und selbstbegründend ist, inhaltlich mit den Gottesbeweisen eng verbunden. Die Form der Gottesbeweise ist allerdings, wie Hegel meint, von der der Logik verschieden, auch wenn sie auf diese zurückverweist. Das wird an der Schlussform deutlich. Die Konklusion der Gottesbeweise immer die Existenz Gottes ausdrücken soll, muss der Schluss die notwendige Zusammengehörigkeit der beiden Terme begründen. Hegel sieht hier zwei formale Möglichkeiten, den Beweis zu führen: 1. Entweder wird mit dem Seinbegriff begonnen und dann von diesem darauf geschlossen, dass Gott für das Sein notwendig ist und ebenfalls existiert. 2. Oder der Gottesbegriff wird als Ausgangspunkt herangezogen, um zu zeigen, dass dieser auf die Existenz des bezeichneten Wesens schließen lasse.15 Bei dieser Einteilung liegt es natürlich nahe, an die kantische Unterteilung der Gottesbeweise in a priori und 13
Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 347. Hegel hebt in der zweiten der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes als Kennzeichen von ‚endlichen‘, ‚subjektiven Beweisen‘ hervor, dass in diesen Methode und Beweisgegenstand auseinanderfallen. Vgl. ebd., S. 358 f. Im Fall der Erkenntnis Gottes findet aber eine Rechtfertigung der ganzen Erkenntnis durch den Erkenntnisgegenstand statt: „Es wird sich aber ferner, indem wir unseren Zweck verfolgen, zeigen, daß das Erkennen unseres Gegenstandes an ihm selbst auch als Erkennen sich rechtfertigen wird. Daß im wahrhaften und wirklichen Erkennen auch die Rechtfertigung des Erkennens liegen wird und muß, weiß man, könnte man sagen schon zum voraus, denn dieser Satz ist nichts anderes als einen Tautologie; ebenso als man im voraus wissen kann, daß der verlangte Umweg das Erkennen vor dem wirklichen Erkennen erkennen zu wollen, überflüssig ist, darum, weil dies in sich selbst widersinnig ist.“ (Ebd., S. 355). 15 Vgl. ebd., S. 407. 14
7.1. Der ontologische Beweis am Übergang zur Objektivität
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a posteriori vorgehende Beweise zu denken. Allerdings zeigt sich in den Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, dass Hegel eigentlich nicht daran interessiert ist, ob Erfahrungstatsachen als Prämisse in den Beweisen verwendet werden oder nicht, denn er meint, dass in jedem Gottesbeweis letztlich die zugrunde liegenden Kategorien die Beweisarbeit übernehmen. Und die Kategorien sind ihrem Gehalt und ihrer Geltung nach logischer Natur. Das hebt er für den KGB hervor, der eigentlich auf so viele Arten geführt werden könne, wie sich dialektische Zyklen in der Logik finden, denn er beruhe auf dem dialektischen Übergang von einer endlichen zu einer unendlichen Kategorie, wobei letztere dann als Definition Gottes betrachtet werden könne.16 Aber auch im teleologische Beweis sei eigentlich die Relation der Kategorien ‹endlicher Zweckmäßigkeit› oder ‹endlicher Lebendigkeit› zu denjenigen der ‹unendlicher› oder ‹absoluter Zweckmäßigkeit› dasjenige, was den Beweis trage.17 Und dass der OGB einen Platz in der Begriffslogik hat, ist zitiert worden. Die Gottesbeweise und Logik sind für Hegel also eng miteinander verwandt. Dennoch tritt der Unterschied in der Form, den er in den Vorlesungen andeutet, auch hier hervor. Während in der sonstigen Metaphysik der OGB als ‚Schluss‘ vom Begriff Gottes auf die Existenz des entsprechenden Wesens konzipiert sei, finde in logischer Entsprechung ein ‚Übergang‘ statt, wie Hegel in dem obigen Zitat feststellt.18 Insofern verändert Hegel durch die Integration in die WdL die logische Form des Gottesbeweises. Was heißt aber diese Änderung? Was bedeutet also ‚Übergehen‘ im Gegensatz zum ‚Schließen‘? ‚Übergehen‘ ist oben als Kennzeichen der dihairetischen Kategorien der Seinslogik festgehalten worden,19 während eigentlich in der Begriffslogik kein derart starker Kontrast zwischen den Kategorien mehr zu erwarten ist, da Hegel hier von ‚Entwicklung‘ als entscheidendem Methodenbegriff spricht.20 Nun ist es möglich, dass Hegel ‚Übergehen‘ in dem obigen Zitat gar nicht als spezifischen Methodenausdruck verwendet, sondern einfach ganz allgemein als Ausdruck für jegliche Ableitung und Fortbestimmung in der Logik. Dass Hegel Begriffe oft in 16 Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 402: „Zunächst bezieht sich die Gedankenbestimmung auf die Ausgangspunkte der Erhebung des Geistes aus dem Endlichen zu Gott; wenn sie deren Unzählbarkeit auf wenige Kategorien reduziert, so sind diese Kategorien selbst doch noch mehrere. Das Endliche, was überhaupt als Ausgangspunkt genannt wurde, hat unterschiedene Bestimmungen, und diese sind demnächst die Quelle der unterschiedenen metaphysischen, d. h. nur im Gedanken sich bewegenden Beweise vom Dasein Gottes. Nach der geschichtlichen Gestalt der Beweise, wie wir sie aufzunehmen haben, sind die Kategorien des Endlichen, in welchem die Ausgangspunkte bestimmt werden, die Zufälligkeit der weltlichen Dinge und dann die zweckmäßige Beziehung derselben in ihnen selbst und aufeinander.“ Vgl. ebd., S. 417. Vgl. auch Hösle, Hegels System, S. 189. 17 Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 520 f. 18 Vgl. oben S. 386. 19 Vgl. oben S. 355. 20 Vgl. oben S. 355.
390 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik genereller und spezieller Bedeutung verwendet, ohne das kenntlich zu machen, ist sicher richtig. Was aber, wenn tatsächlich das Verhältnis zwischen dem ersten und zweiten Abschnitt der Begriffslogik mit dem seinslogischen Methodenausdruck bezeichnet werden soll? Wenn tatsächlich gemeint ist, dass die beiden Abschnitte ein ‹Anderssein› zueinander bilden, ohne explizit den Bezug aufeinander aufzugreifen? Die seinslogische Relation der Kategorien wurde nun als ‚Übergehen‘ oder ‚Umschlagen‘ bezeichnet, weil die Zusammengehörigkeit der Kategorien vollkommen hinter der prätendierten Selbstständigkeit zurücktrat. ‹Sein› bedeutet für sich Bestehendes und nimmt keinen Bezug auf die Kategorie ‹Nichtsein›. Doch aufgrund ihrer bedeutungskonstitutiven Abgrenzung ist ein impliziter Zusammenhang vorhanden, der im antinomischen Oszillieren explizit wird. Hegel würde dann also andeuten, dass der ‚Schluss‘, den der OGB in der Tradition der Metaphysik bildet, in seiner Logik als ein solcher ‚Übergang‘ stattfindet. Dieser Übergang würde heißen, dass zwei voneinander selbstständig scheinende Kategorien(-komplexe) zwar vordergründige Selbstständigkeit suggerieren, aber bei näherer Betrachtung einen unlöslichen Bezug aufeinander aufweisen, sogar in einem notwendigen, aber antinomischen Verhältnis stehen. Der Begriff * und die Objektivität verhielten sich dann wie seinslogische Kategorien, indem sie beide prima facie selbstständige Seinsbereiche bezeichnen würden und selbstständige Kategorien wären, jedoch implizit aufeinander angewiesen wären, weil sich eine der beiden Seiten als antinomisch herausstellen würde. Dieses Verhältnis soll noch ausführlich behandelt werden. Um aber festzuhalten, dass dieser Gedanke keine leere Spielerei ist, sollen zwei Überlegungen festgehalten werden, die meines Erachtens bereits auf die Struktur des Übergangs verweisen, auch wenn Hegel sie so nicht vorbringt: 1. Die erste Überlegung stellt ein mögliches Motiv für den Übergang vom Begriff * zur Objektivität vor, das allerdings die hegelsche Intention nicht vollständig trifft. Angenommen, der Begriff * sei das höchste Prinzip der Philosophie und der Logik. Seiner Bedeutung nach beschreibt er die Grundzüge von Begrifflichkeit überhaupt, das heißt die Totalität aller Kategorien, die notwendig sind, um etwas zu denken oder zu verstehen, inklusive dieses Prinzips selbst. Nun ist aber in dem Prinzip ‚Begrifflichkeit *‘ zugleich impliziert, dass es sich auf etwas bezieht – etwa weil es kein Prinzip ohne Prinzipiiertes gibt. Oder auch, weil es keinen Begriff ohne Gegenstand gibt: Es scheint also im Sinn von ‚Begrifflichkeit *‘ selbst zu liegen, dass sich das Begriffliche * auf etwas bezieht. In der Bedeutung des Begriffs * ist daher impliziert, dass er sich auf ein ihm Entgegenstehendes, ein Objekt bezieht, das zum einen vom Begriff * verschieden ist, zum anderen aber adäquat durch den Begriff * erfasst wird.21 Denn wenn der Gegenstand völlig heteronom zur Begrifflichkeit gedacht wird, so ist er durch die notwendigen Bedingungen des Denkens und Verstehens nicht mehr zu fassen – 21
Vgl. Schäfer, „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, S. 245.
7.1. Der ontologische Beweis am Übergang zur Objektivität
391
was diesen Gedanken und jeden Gedanken über das Objekt unmöglich machen würde. Daher liegt es im Begriff *, notwendig durch eine Sphäre der Objektivität ergänzt werden zu müssen. 2. Die zweite Überlegung geht umgekehrt vor und betrachtet die Kategorie ‹Objektivität›. Auch von dieser gilt, dass sie eigentlich keine klare Bedeutung hat, wenn nicht auch ihre Gegenkategorie, der Begriff * oder, wie Hegel den ersten Abschnitt der Begriffslogik auch bezeichnet, die Subjektivität bedacht wird. Subjektivität und begriffliches * Denken sind nun für Hegel aufs engste verbunden. Etwas zur begrifflichen Verfassung des Denkens vollkommen Heteronomes ohne alle begriffliche Struktur kann aber per definitionem nicht gedacht werden. Daher kann nicht einmal eine solche Möglichkeit erwogen werden, ohne den Selbstwiderspruch einzugehen, Kategorien die Hegel als zum Begriff * gehörig erwiesen hat, wie ‹Möglichkeit›, ‹Existenz›, ‹Bestimmtheit›, ‹Wesen›, ‹Eigenschaft› et cetera, auf die angeblich heteronome Sphäre anzuwenden.22 Insofern muss die Objektivität also adäquat durch den Begriff * gefasst werden können, selbst begrifflich * strukturiert sein. Zudem scheint auch dem Verständnis von Objektivität eingeschrieben zu sein, dass sie für jemanden ist, also für ein Subjekt – ihr Gegenbegriff wäre also notwendig, um überhaupt zu verstehen, was Objektivität bedeutet. Wie gesagt sind die beiden Überlegungen (1.) und (2.) nicht schon die hegelschen Argumente, die im Folgenden erst herausgearbeitet werden. Wichtig ist aber für das Vorverständnis, dass Begriff */Subjektivität und Objektivität nur zusammen verstanden werden zu können, auch wenn die Bezugnahme aufeinander nicht ebenso offensichtlich ist wie bei den Kategorien ‹Ursache› und ‹Wirkung›. Diese Zusammengehörigkeit bildet einen Ausgangspunkt in der dialektischen Argumentation, in welcher schließlich der antinomische Charakter der Objektivität nachgewiesen wird. Wenden wir uns nach diesen Betrachtungen wieder den Abschnitten, die das Objektivitätskapitel einleiten, zu. Dort fährt Hegel fort, den ontologischen Beweis zu thematisieren, indem er zunächst als den „erhabenste[n] Gedanke[n]“ Descartes’ bezeichnet, dass der Gottesbegriff „s e i n S e y n i n s i c h s c h l i e ß t“23 . Jedoch sei dieser Gedanke in „die schlechte Form des formalen Schlusses [. . . ] herabgesunken“24 und dann der kantischen Kritik unterlegen. Hegel unterscheidet damit offenbar zwei Formen, in denen das ‚Sein‘ im Gottesbegriff impliziert sein kann. In der einen ist es für Hegel also ein erhabener Gedanken – wohlgemerkt wichtiger als Descartes’ cogito-Argument, auf das sich etwa Kant stützt25 –, in der andern ‚Form‘, nämlich derjenigen des ‚formalen Schlusses‘, handelt es sich hingegen um einen angreifbare Variante. 22 Es ist klar, dass es sich bei diesem Gedanken wie auch bei der Überlegung, die unter (1.) angeführt wurde, um Variationen der Kritik an Kants Ding an sich handelt. Vgl. oben Abschnitt 3.1.2. 23 Hegel, WdL II, S. 127 (192), Z. 12 f. 24 Ebd., S. 127 (192), Z. 13 f. 25 Vgl. Kant, KrV, § 25., B 157 f.
392 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik Doch was ist ein formaler Schluss? Diese Frage erläutert Hegel in seiner Schlusslehre, die als drittes Kapitel nach dem Begriff * und dem Urteil in der Begriffslogik den ersten Abschnitt abschließt.26 Die erste der Schlussfiguren, auf die unten noch eingegangen wird,27 ist der unmittelbare Schluss, den Hegel auch den formalen Schluss nennt. Genaueres kann hier noch nicht gesagt werden, weil das Verständnis Hegels Bestimmungen des Allgemeinen, Einzelnen und Besonderen voraussetzt, die in den Schlussformen als Ober-, Mittel- und Unterbegriffe in Beziehung gesetzt werden. In dem hiesigen Kontext ist es aber sinnvoll, zu wissen, dass dieser Schluss so aufgefasst werden kann, dass ein einzelner Gegenstand oder ein Individuum eine besondere Eigenschaft oder ein Merkmal besitzt und aufgrund dieses Merkmals mit einem allgemeinen Begriff zusammengeschlossen ist, also unter den Allgemeinbegriff subsumiert wird.28 An Hegels Beispiel wird Gesagtes deutlicher: ‚Cajus ist ein Mensch. Menschsein impliziert Sterblichkeit. Also ist Cajus sterblich.‘29 Hegel nennt solche Syllogismen nicht nur langweilig,30 sondern argumentiert dafür, dass sie die Notwendigkeit, die sie in der Konklusion anstreben, nicht erreichen. Das liegt nicht daran, dass Hegel die Ableitung und die Form grundsätzlich nicht anerkennt. Natürlich geht die Konklusion aus den Prämissen mit Notwendigkeit hervor.31 Aber es gibt natürlich skeptische Einfallstore, durch welche die Wahrheit des ganzen Schlusses in Frage gestellt werden kann. 1. Die erste Möglichkeit ist, wie Hegel für diesen Schluss behauptet, dass die Terme keine innerliche Bezie26 Vgl. Düsing, „Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik“, S. 26–29. Vgl. dazu auch Schick, „Begriff und Mangel des formellen Schließens. Hegels Kritik des Verstandesschlusses“. 27 Vgl. unten Abschnitt 8.2.3. 28 Siehe Hegel, WdL II, S. 94 (138 f.), Z. 10–14: „E—B—A, ist also das allgemeine Schema des Schlusses in seiner Bestimmtheit. Das Einzelne ist unter das Besondere subsumirt, dieses aber unter das Allgemeine; daher ist auch das Einzelne unter das Allgemeine subsumirt. Oder dem Einzelnen inhärirt das Besondre, dem Besondern aber das Allgemeine; d a h e r inhhärirt dieses auch dem Einzelnen.“ 29 Vgl. ebd., S. 95 (140), Z. 1–3. Hegel selbst führt einen Allsatz als Obersatz an und den Satz ‚Cajus ist ein Mensch‘ als Untersatz. So entsteht der Eindruck, dass Hegel einen allgemeinen Begriff als Obersatz und den für das Individuum als Untersatz verwendet. Für Hegel ist das gleichgültig, weil es Hegel um den terminus medius geht. Der Grund dafür liegt darin, dass die Schwierigkeit des Urteils diejenige ist, die notwendige Zusammengehörigkeit der beiden Terme deutlich zu machen. Das soll der Schluss durch den Mittelbegriff leisten, und daher ist dieser das eigentlich entscheidende Moment in Hegels Schlusslehre. Siehe ebd., S. 125 (190), Z. 16–18: „Die Figuren des Schlusses stellen jede Bestimmtheit des Begriffs e i n z e l n als die Mitte dar, welche zugleich der Begriff als S o l l e n ist, als Forderung, daß das Vermittelnde seine Totalität sey.“ Vgl. dazu auch den erhellenden Aufsatz: Sans, „Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs“, S. 216–226. 30 Vgl. ebd., S. 95 (140), Z. 4 f. 31 Siehe ebd., S. 94 (139), Z. 24–26: „Diß D a h e r ist aber nicht als eine an diesem Satze äusserliche Bestimmung, welche nur ihren Grund und Sitz in der subjectiven Reflexion hätte, zu betrachten, sondern vielmehr als in der Natur der Extreme selbst gegründet[.]“
7.1. Der ontologische Beweis am Übergang zur Objektivität
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hung zueinander haben.32 Es sei in dieser Schlussform noch völlig unausgemacht, ob es sich um wesentliche Bestimmungen und notwendige Verhältnisse handelt. Denn es wird von einem vielfältig bestimmten Individuum ein Merkmal herausgegriffen und mit einem anderen Begriff, unter den das Merkmal subsumiert wird, zusammengebracht. Zum einen kann dadurch aber ganz Irrelevantes oder auch offensichtlich nicht Notwendiges als hypothetisch notwendig dargestellt werden, etwa in dem Schluss: ‚Sokrates steht. Was steht, ist wach. Also ist Sokrates wach.‘ Offensichtlich ist nun die Konklusion nur für einen bestimmten Zeitpunkt, aber nicht absolut und immer gültig, also keine zeitlose und notwendige Wahrheit. Zum anderen ist nicht ausgeschlossen, dass über verschiedene Merkmale Widersprüchliches von einem Gegenstand bewiesen werden kann. Wenn Caius durch sein Menschsein sterblich ist, so könnte ein anderer Schluss argumentieren, dass er durch die Eigenschaft, eine Seele zu haben, unsterblich ist.33 Weil sich auf diese Art unendliche Merkmale eines Gegenstandes für den Schluss herausgreifen lassen und die Merkmale hinsichtlich ihrer Wesentlichkeit für den Gegenstand völlig unbestimmt sind, nennt Hegel diesen Schluss formal. 2. Zudem hält Hegel noch fest, dass dieser Schluss insofern die anvisierte Notwendigkeit nicht einlöst, weil die Prämissen selbst unbegründet bleiben.34 Diesen Anspruch auf Notwendigkeit muss man natürlich nicht an diesen Schluss stellen, und daher ist auch nicht jede Verwendungsweise des formalen Schlusses unbrauchbar. Aber Hegel ist insofern legitimiert den Schluss danach zu beurteilen, ob er in der Lage ist, absolute Notwendigkeit zu zeigen und damit dem Begriff * gerecht zu werden, weil die Schlusslehre insgesamt unter dem Anspruch steht, die Letztbegründung des Begriffs * zu explizieren. Das wird unten noch deutlicher werden.35 Jedenfalls ist klar, dass die Begründung der Prämissen durch Schlüsse nur erneut vor die gleiche Begründungsanforderung der neuen Ausgangsprämissen führt. Der einfache Punkt bei Hegel ist, dass eine rein syllogistisch-deduktive Ableitung unmöglich zu einer Letztbegründung führen kann und daher für diesen Anspruch weitere Schlussformen eingeführt werden müssen. Was bedeutet das für die cartesische Einsicht? Da Hegel Descartes lobt, teilt er offenbar die Ansicht, dass der Begriff Gottes das Sein impliziert. Aber wenn der Schluss auf folgende Weise dargestellt wird, so ist er derart trivial, dass der 32 Siehe Hegel, Enz. I, § 182, S. 333: „Hiermit sind die Extreme ebensosehr gegeneinander wie gegen ihre Mitte gleichgültig für sich bestehend gesetzt.“ Vgl. auch Hegel, WdL II, S. 95–97 (141–144). 33 Siehe Hegel, Enz. I, § 184, A., S. 336: „Mit einem anderen medius terminus aber läßt sich etwas anderes bis zum Entgegengesetzten beweisen.“ Vgl. auch: Hegel, WdL II, S. 96 f. (142–144). 34 Siehe ebd., S. 98 (145), Z. 10–17: „Die Forderung an die Prämissen lautet daher gewöhnlich, sie sollen b e w i e s e n , d . h . s i e s o l l e n g l e i c h f a l l s a l s S c h l u ß s ä t z e d a r g e s t e l l t werden. Die zwey Prämissen geben somit zwey weitere Schlüsse. [. . . ] Es thut sich also der P r o g r e ß i n s U n e n d l i c h e wieder hervor[.]“ Vgl. auch Hegel, Enz. I, § 185, S. 337. 35 Vgl. unten Abschnitt 8.2.3.
394 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik wesentliche Zusammenhang nicht erkennbar ist und der Schluss daher abgelehnt werden kann: ‚Jeder Gottesbegriff impliziert die Bestimmung des Seins. Nun habe ich einen Gottesbegriff. Also impliziert mein Gottesbegriff die Bestimmung des Seins.‘ Dagegen geht es Hegel darum, dass es einen nicht trivialen, essentiellen Sinn gibt, in dem der Gottesbegriff die Existenz in sich schließt. Aus dem Kontext am Anfang des Objektivitätsabschnittes geht zwar noch nicht hervor, wie dieser Zusammenhang gestaltet ist, aber insofern Hegel meint, seine Logik würde genau das leisten, kann vermutet werden, dass Hegel weder ein bloß analytisches, noch ein gewöhnliches synthetisches Verhältnis im Blick hat. Die Methode des absoluten Erkennens ist insofern a n a l y t i s c h. Daß sie die weiteren Bestimmung ihres anfänglichen Allgemeinen ganz allein in ihm f i n d e t, ist die absolute Objectivität des Begriffes, deren Gewißheit sie ist. – Sie ist aber ebensosehr s y n t h e t i s c h, indem ihr Gegenstand, unmittelbar als e i n f a c h e s a l l g e m e i n e s bestimmt, durch die Bestimmtheit, die er in seiner Unmittelbarkeit und Allgmeinheit selbst hat, als ein A n d e r e s sich zeigt.36
So meint Hegel also, dass die Sätze in der WdL zugleich Charakteristika aufweisen, als seien sie analytisch, da sich der Ableitungszusammenhang immanent und notwendig ergibt.37 Zugleich scheinen sie aber auch synthetische Sätze zu sein, zum einen, weil sich die Wahrheit der Sätze der WdL nicht schon aus den Bedeutungen der Termini ergibt, zum anderen, weil der Kategorienzusammenhang und die Totalität des Begriffs * nicht derart verstanden werden können, dass ein Konzept wie eine Menge an Prädikaten vorausgesetzt werde, die dann der Reihe nach expliziert werden. Denn ein solches Verfahren würde natürlich die Notwendigkeit verfehlen, die Hegel einzuholen bestrebt ist. Daher ist die Totalität des Begriffs * und folglich der Idee * als zugleich notwendig und synthetisch zu verstehen, ohne allerdings in einem Dritten, etwa der synthetisierenden Leistung eines Subjekts begründet zu sein. Diese Notwendigkeit des synthetischen Zusammenhangs ist daher nicht einfach zu fassen. Hegel selbst beschreibt im angeführten Zitat ein Verhältnis der ‚Andersheit‘, die dennoch notwendig mit der Bestimmtheit verbunden ist. Es ist natürlich an die bestimmte Negation zu denken, die das Verhältnis angibt, dass zwei dihairetische Kategorien zueinander haben, um füreinander bedeutungskonstitutiv zu sein.38 Es ist hier aber sinnvoll noch an eine weitere Klasse von Urteilen zu denken, die die Form von Notwendigkeit per se aufweisen und zugleich synthetisch sind, nämlich 36 Hegel, WdL II, S. 242 (381), Z. 4–10. Vgl. auch Hegel, Enz. I, § 239, A., S. 391 und ebd., § 238, Z., S. 390 f. Die Bemerkung aus dem Zusatz des § 229 bildet hierzu keinen Widerspruch, da Hegel hier vor allem sagen möchte, dass die spezifischen Formen von analytischem und synthetischem Erkennen, die er in der WdL diskutiert, je für sich keine Notwendigkeit erreichen und daher nicht schon die Methode der Philosophie sein können. Vgl. ebd., § 229, Z., S. 382. 37 Vgl. den ‚Prinzipiierungszusammenhang‘, von dem D. Wandschneider spricht. Siehe oben Abschnitt 6.3.5. 38 Vgl. oben Abschnitt 6.3.4.
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letztbegründete Propositionen, wie sie bereits zur Sprache kamen. In Fällen, wie etwa ‚Es gibt synthetische Sätze a priori‘ liegt eine Notwendigkeit vor. Aber nicht, weil die Wahrheit allein aus der Bedeutung der Bestandteile hervorgeht, sondern weil sich die Negation als dialektisch inkonsistent erweist. Insofern gibt es eine Form der Notwendigkeit von Propositionen, die darin besteht, negativ beweisbar zu sein, indem ihre Negation voraussetzt, was sie negiert. Und daher könnte man im Sinne Hegels formulieren, dass in diesem Fall eine solche Proposition die Wahrheit ihrer Negation, ihres Andersseins darstellt. Das ist natürlich nicht der Sinn des obigen Zitats, aber das Hegels Begriffslogik derart strukturiert ist, soll nicht nur in der folgenden Interpretation gezeigt werden, sondern geht schon daraus hervor, dass es sich dabei um die einzig mögliche Letztbegründungsargumentation handelt. Der Gedanke des OGB ist also Hegel zufolge vollkommen korrekt, muss allerdings – was keine beliebige Entscheidung darstellen soll – in einer bestimmten Form durchdacht werden, um den Anschein zu vermeiden, dass es sich letztlich um einen Beweis handelt, der auf einem willkürlichen, analytischen Satz beruht. Die adäquate Form sieht Hegel nun in der WdL, genauer im Übergang vom Begriff * zur Objektivität.39 Hegel macht am Anfang des Objektivitätsabschnitts nur knappe Bemerkungen dazu, warum dieser Übergang stattfindet, deutet dabei aber in die gerade angedeutete Richtung: Der Begriff ist als absolut mit sich identische Negativität, das sich selbst bestimmende; es ist bemerkt worden, daß er schon, indem er sich in der Einzelnheit zum U r t h e i l entschließt, sich als r e a l e s, s e ye n d e s setzt; diese noch abstracte Realität vollendet sich in der O b j e c t i v i t ä t.40
Offensichtlich ist ein Blick auf den Begriff * für ein genaues Verständnis notwendig. Es sei aber hervorgehoben, dass die ‚absolut mit sich identische Negativität‘ der angesprochenen Letztbegründungsstruktur gleicht. In dieser Struktur wird die Unmöglichkeit einer konsistenten Negation gefasst, weil die Negation voraussetzt, was sie negieren soll. Und indem der Begriff * auch noch die Voraussetzung seiner eignen Negation ist, kann er als mit sich identisch in seiner Negation beschrieben werden. Und aufgrund der Unmöglichkeit, den Begriff * konsistent zu verneinen, gilt er absolut und nur durch sich selbst – er benötigt keine weiteren Bedingungen und ist daher selbstständig und absolut. Nun führt Hegel in der Einleitung des Objektivitätsabschnittes noch zwei weitere Punkte ein, die Erläuterung verdienen. Denn implizit skizziert Hegel Antworten auf die oben genannten Fragen: 1. Was ist unter dem Gottesbegriff zu verstehen? 39 Siehe Hegel, WdL II, S. 127 f. (195), Z. 29–1: „Den wesentlichen Gegenstand jenes Beweises, d e n Z u s a m m e n h a n g d e s B e g r i f f e s u n d d e s D a s e y n s, betrifft aber die eben geschlossene Betrachtung des B e g r i f f s und des ganzen Verlaufs, durch den er sich zur O b j e c t i v i t ä t bestimmt.“ 40 Ebd., S. 128, (193) Z. 1–4.
396 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik 2. Und was bedeutet der Seinsbegriff im OGB?41 Zu (1.) merkt Hegel an, dass Überraschung verursachen müsste, dass an dieser Stelle der Logik der Übergang vom Begriff Gottes zu seinem Sein vollzogen worden sei, vor allem, weil in der Logik der Begriff Gottes gar nicht aufgetreten sei. So ist etwa von der Prägnanz und Eleganz, die etwa Anselms Entdeckung des Beweises zukommen, in Hegels Begriffslogik nicht viel übrig geblieben. Das liege daran, so Hegel, dass zwar der Sache nach der OGB in der Logik begründet werde, dennoch der „ontologische Beweis nur eine Anwendung dieses logischen Ganges auf jenen besondern Inhalt“42 sei. Von der Anwendung könne man nun auf den Einwand kommen, dass Logik formal, ein Begriff eben nur ein Element im endlichen, subjektiven Denken sei und daher der OGB nicht zum Inhalt einer Logik werden könne. Dem entgegnet Hegel allerdings, dass seine WdL ja gerade die Materialität und die Besonderheit des Begriffs * zeige und somit den Übergang zur Objektivität und damit auch die Anwendung auf den OGB erlaube.43 De facto, so Hegel, sei aber nicht nur eine Anwendung des logischen Verlaufes auf den OGB vorhanden, sondern es werde tatsächlich in der Logik der Begriff Gottes dargestellt: Allein bey der Exposition d e s r e i n e n B e g r i f f e s ist noch weiter angedeutet worden, daß derselbe der absolute, göttliche Begriff selbst ist, so daß in Wahrheit nicht das Verhältniß einer A n we n d u n g Statt finden würde, sondern jener logische Verlauf die unmittelbare Darstellung der Selbstbestimmung Gottes zum Seyn wäre. Es ist hierüber zu bemerken, daß indem der Begriff als der Begriff Gottes dargestellt werden soll, er aufzufassen ist, wie er schon in die I d e e aufgenommen ist.44
In der Idee * ist also der Begriff Gottes dargestellt, aber zur Idee * gehört eben die ganze Logik im Allgemeinen und der Begriff * und die Objektivität im Besonderen. Und daher kann geschlossen werden, dass Hegel den Gehalt des Übergangs zwischen Letzteren für den Gehalt des OGB hält.45 Hegel führt aber zur gerade angeführten Frage (1.) noch eine weitere Überlegung an: Wenn es so scheine, als würde der Gottesbegriff in der Logik nicht aufgetreten, so müsse zudem bedacht werden, dass sich das, was unter Gott verstanden wird, erst in seinen Bestimmungen zeigt.46 Der Hintergedanke Hegels ist dabei, dass letztlich nur 41
Vgl. auch Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 391 f. Hegel, WdL II, S. 128 (193), Z. 8 f. 43 Vgl. ebd., S. 129 (195 f.), Z. 12–21. 44 Ebd., S. 129 (196), Z. 21–27. 45 Da zwischen Idee * und Begriff * eigentlich kein echter Unterschied liegt, sondern ein Verhältnis von explizitem und implizitem Begriff *, was noch besprochen wird, findet tatsächlich eine starke Umdeutung des OGB statt. Denn der Übergang ist folglich nicht derjenige von einer subjektiven Vorstellung zum extramentalen Sein ihres Gegenstandes. Vielmehr findet der Übergang in gewisser Weise in Gott statt, was unten noch besprochen wird. Vgl. unten die Abschnitte 7.1 und 9.4. 46 Vgl. Hegel, WdL II, S. 128 (193 f.), Z. 9–15. Siehe die parallele Stelle in der Phänomenologie des Geistes: Hegel, PhG, S. 20 f. (XXVI f.) Hegel spricht hier das Problem an, dass ein einzelnes 42
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die in der WdL abgeleiteten Kategorien sinnvoll als Bestimmungen des zunächst nicht bestimmten Konzepts ‚Gott‘ verstanden werden können. Diese Bestimmung des Begriffs * durch seine Prädikate nennt Hegel auch „R e a l i s a t i o n“.47 Und diese ‚Realisation‘, also die Bestimmung der zum Begriff * gehörigen Kategorien, ist zunächst immanent – im ersten Abschnitt der Begriffslogik wird nur entwickelt und entfaltet, was im Begriff * selbst liegt, also was seinem Gehalt nach zu ihm gehört. Daher nennt Hegel – worunter zunächst gar nicht mehr verstanden werden muss – die Bestimmungen subjektiv im Sinne von: Dem Begriff * immanent oder inhärierend.48 Jedoch scheint die bloß immanente Bestimmung nicht hinreichend zu sein, wie Hegel äußerst knapp anmerkt: [Die] bloße Bestimmung eines Gegenstandes durch seine Prädicate, ohne daß sie zugleich die Realisation und Objectivirung des Begriffes ist, [wäre] etwas so subjectives, daß sie auch nicht einmal die wahrhafte Erkenntniß und B e s t i m m u n g d e s B e g r i f f e s des Gegenstandes ist; – ein subjectives in dem Sinne von abstracter Reflexion und unbegriffenen Vorstellungen.49
Bevor auf die genannte Frage (2.) nach der Bedeutung des Existenzbegriffs eingegangen wird, soll hier noch eine Weise, den Übergang vom Begriff * zur Objektivität zu verstehen, zurückgewiesen werden, weil dieses Verständnis durch das soeben angeführte Zitat nahegelegt wird. Denn Hegel spielt in diesem offenbar mit der Zweideutigkeit von ‚subjektiv‘, einmal im Sinne von ‚immanent bestimmt‘ und das andere mal als ‚zur Erkenntnis eines Subjekts gehörig‘. Und so wird folgendes suggeriert: Wenn etwas nur durch seine Prädikate gedacht wird, so handelt es sich um eine bloße Denkleistung, der kein Objekt entspricht.50 So gesehen wäre Wort noch ambivalent ist und daher zunächst die immanenten Bestimmungen expliziert werden müssen. Insofern benötigt es eine Methode um die Explikation eines Begriffs wie „Gott“ oder „moralische Weltordnung“ zu leisten. Arndt, „Die Subjektivität des Begriffs“, S. 17, interpretiert diese Passage in seinem ansonsten sehr erhellenden Aufsatz tendenziös, wenn er daraus schließt, Hegel habe die Bezeichnung ‚Gott‘ für das Absolute abgelehnt. Dass dem nicht so ist, geht aus den eben zitierten Textstellen hervor. 47 Vgl. Hegel, WdL II, S. 128 (194), Z. 14. 48 Siehe ebd., S. 128 (194), Z. 15–17: „Die Prädicate müssen aber gefaßt werden, als selbst noch in den Begriff eingeschlossen, somit als etwas subjectives, mit dem noch nicht zum Daseyn herausgekommen ist[.]“ 49 Ebd., S. 128 (194), Z. 18–23. 50 Vgl. zu dieser Zweideutigkeit die klärende Bemerkung in Arndt, „Die Subjektivität des Begriffs“, 14 f. Arndt unterscheidet zwischen dem Denken endlicher Subjekte und der Kategorientheorie, welche die WdL ausmacht, sehr deutlich und sieht die Verschränkung sehr klar, nämlich dass es die Notwendigkeit der Logik ist, die das Denken der endlichen Subjekte formt, bestimmt und notwendig macht. So gilt meines Erachtens, dass für Hegel der folgende Konditional gültig ist: ‚Wenn es eine letztbegründete, absolute Logik gibt, dann folgt daraus, dass es endliche Subjekte geben muss, welche die Logik nachvollziehen‘. Nun ist zum einen darauf zu achten, dass die Logik auch für sich selbstständig ist und thematisiert werden kann, denn ansonsten wäre unsagbar, wovon unser Denken ein Moment sei. Denn dieses ist ein Moment der Selbsterfassung des Absoluten, wie Arndt hervorhebt. Vgl. ebd., S. 15. Insofern muss das hegelsche System, von der
398 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik der Übergang zur Objektivität dann der Schritt von einer bloß diskursiven Praxis des Begriffsgebrauchs zum tatsächlichen Bezug des diskursiven Begriffsgebrauchs auf reale Objekte.51 Auf diese Weise fasst etwa Kant den Unterschied zwischen bloßem Denken und anschaulicher Erkenntnis: Im Denken ist jede Begriffsdefinition möglich, und daher ist es willkürlich, welche Prädikate in einem Begriff gedacht werden, weshalb es hinzutretende Anschauung braucht, um das frictionless spinning in a void zu unterbrechen.52 Doch kann sich Hegel weder auf die zwei Erkenntnisstämme berufen, wenn er mit dem Projekt der WdL nicht in einen subjektiven Idealismus zurückfallen möchte, noch kann der Übergang dadurch gerechtfertigt werden, dass der Begriff * zunächst keine ontologische Bedeutung habe – denn die Unterscheidung zwischen Begrifflichem * und Ontischem ist in der Logik von vornherein unterlaufen worden. Tatsächlich legt Hegel aber ein solches Verständnis nahe, nämlich dass der Übergang zur Objektivität darauf zurückzuführen sei, dass der Begriff * von außen und als Ganzer betrachtet werde, also wie ein Objekt, und somit selbst Objekt des Denkens sei.53 Das Problem dieser Deutung ist aber, dass nicht klar ist, für wen der Begriff als Objekt deutlich wird. Letztlich beruhen also beide Konzeptionen des Übergangs – einerseits diejenige, die von einem bloß diskursiven zu einem erfüllten Begriff übergeht, und andererseits diejenige, die den Begriff * als Objekt verstehen will – darauf, dass letztlich ein Subjekt außerhalb der kategorialen Bestimmungen für den Übergang verantwortlich gemacht wird. Es widerspricht aber dem Projekt der WdL, für ihren Fortgang die Bedingungen endlichen Denkens, endlicher Subjekte zu bemühen. Denn, wie oben gesehen, lehnt Hegel jede Art von Bezugnahme auf die Erkenntnisakte und -leistungen eines endlichen Subjekts in der Logik ab, weil dadurch der Notwendigkeits- und Letztbegründungsanspruch unterlaufen würde.54 Und die WdL ist schon von ihrem Beginn an nicht bloß eine Entwicklung leerer oder willkürlicher Begriffe, sondern entfaltet ausschließlich ontologisch gehaltvolle Bestimmung des Absoluten in der Logik ausgehend, auch das subjektive Denken einholen. Aber innerhalb der Ableitung der logischen Bestimmungen ist das subjektive Denken nicht thematisch, und daher kann die Objektivität innerhalb der WdL nicht ihren Grund darin haben, dass endliche Subjekte die Logik zum Gegenstand ihres Denkens machen können. 51 Vgl. Koch, Die Evolution des logischen Raumes, S. 174 f. 52 Vgl. McDowell, Mind and World, S. 11. 53 Siehe Sans, Die Realisierung des Begriffs, S. 207 f. „Mit dem Übergang von der Subjektivität zur Objektivität will Hegel dagegen lediglich zeigen, dass der Begriff eine Bedeutung angenommen hat, die es zu sagen erlaubt, man habe es mit etwas Objektivem zu tun.“ 54 Analoges betont auch A. F. Koch, wenn er zwischen ‚Hintergrund-‘ und ‚Objektlogik‘ unterscheidet. Die Objekt-Logik soll schließlich immanent entfalten, was zunächst in externer Reflexion angeführt wird, die dann genutzt wird, wenn die Logik von uns, als endlichen Subjekten nachvollzogen wird. Unser Nachdenken der Logik ist dabei natürlich von Vorannahmen, sprachlichen Konventionen et cetera geprägt, die aber nicht den Ableitungszusammenhang der WdL stören dürfen, um sie nicht der Willkürlichkeit preiszugeben. Vgl. etwa Koch, „Die schlechte Metaphysik der Dinge. Metaphysik als immanente Metaphysikkritik bei Hegel“, S. 197.
7.1. Der ontologische Beweis am Übergang zur Objektivität
399
Kategorien.55 Daher kann auch die Überleitung vom ersten zum zweiten Abschnitt der Begriffslogik nicht auf diesem Argument beruhen – auch wenn Hegel das durch die Zweideutigkeit fälschlich zu suggerieren scheint –, dass bloßes Denken von Begriffen durch ihre Prädikate für endliche Subjekte leer ist und ein Bezugsobjekt benötigt, um gehaltvoll zu sein und echte Erkenntnis darzustellen. Es ist aber benevolent, Hegel nicht so zu verstehen, dass der Fortgang der Begriffslogik auf die Erkenntnisleistung eines Subjekts in Raum und Zeit rekurrieren muss, um zur Objektivität überzugehen. Denn Hegels Grundidee an dieser Stelle kann auch anders interpretiert werden, nämlich dass eine bloß immanente Bestimmung des Begriffs * aus logischen Gründen nicht haltbar ist. Diese Gründe können nur im Begriff * selbst liegen. Wie sie genauer zu bestimmen sind, kann erst unten weiter ausgeführt werden. Aber hier soll bereits darauf hingewiesen werden, dass eine bloß immanente Bestimmung des Begriffs * das Problem seiner Begründung nicht zu lösen vermag. Das Problem, wie seine immanente Bestimmung expliziert und in ihrer Notwendigkeit begründet werden kann, treibt zur Explikation der ‹Urteile› und der ‹Schlüsse›, in denen Angestrebtes aber nicht befriedigend gelöst werden kann. Deswegen ist der Übergang zu seinem, zu ihm gehörigen Gegensatz notwendig. Und der Gegensatz zur Subjektivität ist die Objektivität, wie unten deutlich werden soll.56 Kommen wir nach dieser Erläuterung zur oben genannten (2.) Frage. Voraussetzung für den Übergang zur Objektivität ist also, dass der Begriff * oder der Gottesbegriff immanent bestimmt wird, also durch seine Prädikate begriffen wird, wie Hegel festhält. Und unter diesen Bestimmungen sei schließlich auch das ‹Sein› zu finden.57 So geht Hegel neben der Bestimmung des Gottesbegriffs also auch darauf ein, wie der Seinsbegriff des OGB gefasst werden kann. Im Hintergrund der Bemerkungen zum Seinsbegriff am Anfang des Objektivitätsabschnittes steht die kantische Kritik am OGB aus dem Ideal der reinen Vernunft, gegen die sich Hegel mit folgenden Worten richtet: Das S e y n für sich oder gar das D a s e y n ist eine so arme und beschränkte Bestimmung, daß die Schwierigkeit, sie im Begriffe zu finden, wohl nur daher hat kommen können, daß nicht betrachtet worden ist, was denn das S e y n oder D a s e y n selbst ist. – Das S e y n als die ganz a b s t r a c t e , u n m i t t e l b a r e B e z i e h u n g a u f s i c h s e l b s t, ist nichts anderes als das abstracte Moment des Begriffs, welches abstracte Allgemeinheit ist, die auch das, was man an das Seyn verlangt, leistet, a u s s e r dem Begriff zu seyn; denn so sehr sie Moment 55
Vgl. oben Abschnitt 4.1.1. Vgl. unten Abschnitt 9.3. 57 Siehe Hegel, WdL II, S. 128 (194): „Gott als lebendiger Gott, und noch mehr als absoluter Geist wird nur in seinem T h u n erkannt. Früh ist der Mensch angewiesen worden, ihn in seinen We r k e n zu erkennen; aus diesen können erst die B e s t i m m u n g e n hervorgehen, welche seine E i g e n s c h a f t e n genannt werden; so wie darin aus sein S e y n enthalten ist. So faßt das begreiffende Erkennen seines W i r k e n s, d. i. seiner selbst, den B e g r i f f Gottes in seinem S e y n, und sein Seyn in seinem Begriffe.“ 56
400 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik des Begriffs ist, eben so sehr ist sie der Unterschied oder das abstracte Urtheil desselben, indem er sich selbst sich gegenüberstellt.58
Dieses Zitat ist interessant, weil es die Analyse der vorliegenden Arbeit zum Anfang der WdL stützt: Das ‹Sein› muss demnach als ‚abstraktes Moment des Begriff *‘ verstanden werden, als der Versuch, sich dem letztbegründeten Prinzip der Logik ‚gegenüberzustellen‘, sodass seine Zugehörigkeit auf dialektisch-pragmatische Weise gezeigt wird, obwohl es zunächst (versuchsweise) als ‚außerhalb des Begriffs *‘ gedacht wird.59 Das Zitat verdient aber vor allem im hiesigen Kontext Aufmerksamkeit. Denn unter ‹Sein› versteht Hegel offenbar eine so allgemeine, abstrakte Bestimmung, dass er sie als ‚arm und beschränkt‘ bezeichnet und ihre Zugehörigkeit zum Begriff * als trivial beurteilt. Das kann für die von D. Wandschneider vorgeschlagene Bedeutung des ‹Seins› als ‹der Fall sein› nachvollzogen werden, denn ein Begriff im herkömmlichen Sinne, der sich gar nicht auf etwas beziehen möchte, der also gar nicht ausdrückt, dass etwas – was auch immer – der Fall ist, wäre sicher nicht mehr als Begriff identifizierbar. Insofern gehört das ‹Sein› zu Begriffen – was plausibel auf Hegels Begriff * übertragen werden kann – wie zu Prädikaten die Möglichkeit, sie auf Satzsubjekte zu beziehen. Und es erhellt auch aus der Eigenschaft des ‹Seins›, die allgemeinste und abstrakteste Bestimmung zu sein, die überhaupt denkbar ist, dass sie schlicht auf alles zutrifft und folglich auch auf Gott. Denn wäre das anders, müsste das ‚Alles‘ zusätzlich spezifiziert werden, was aber die Kategorie ‹Sein› für Hegel nicht leistet: Es wird ein komplexer Kategorienapparat benötigt, um anzugeben, dass ein Individuum etwa möglich oder unmöglich, zeitlich gewesen oder zukünftig, existent oder persistent ist.60 Doch auch die Trivialität, die Hegel für die Bedeutung des ‹Seins› behauptet, muss verstanden werden, um die im Zitat angegebene Bestimmung genau zu fassen, nämlich was es bedeutet, ‚abstrakte, unmittelbare Beziehung auf sich selbst zu sein‘. Diese Bestimmung scheint weder intuitiv einleuchtend noch mit der Anforderung an das ‹Sein› kompatibel zu sein, den Anfang der WdL zu bilden. Denn wenn Selbstbeziehung die erste Bestimmung ist, wäre dann nicht viel mehr vorausgesetzt, als Hegel es für den Anfang selbst behauptet? Nun ist zu beachten, dass die ganze Logik immer schon vorausgesetzt wird und gültig ist, insofern weist das ‹Sein› natürlich logische 58 Hegel, WdL II, S. 128 (194 f.), Z. 32–37. Lapidar fragt Hegel auch in Vom Begriff im Allgmeinen gegen Kant: „Hätte man es je denken sollen, daß die Philosophie den intelligibeln Wesen darum die Wahrheit absprechen würde, weil sie des räumlichen und zeitlichen Stoffes der Sinnlichkeit entbehren?“ (Ebd., S. 23 (21 f.), Z. 26–29). 59 Vgl. oben Abschnitt 6.1. 60 Insofern scheint mir ein Vergleich zu Quines Antwort auf die ontologische Frage, was es gibt, nämlich alles, gerechtfertigt. Hegel scheint ebenfalls zu meinen, dass durch die Kategorie des ‹Seins› alles bestimmt ist. Die Spezifikation des Definitionsbereiches ist von da ausgehend erst zu leisten. Hier kommt Hegel sicher zu anderen Argumenten und Resultaten als Quine, was in der vorliegenden Arbeit deutlich geworden ist. Vgl. Quine, „On what there is“, S. 1. Vgl. auch Inwagen, Existence. Essays in Ontology, S. 50–86.
7.1. Der ontologische Beweis am Übergang zur Objektivität
401
Bezüge auf, die auf seiner Stufe noch nicht explizit sind, und Selbstbezug könnte eine solche, vorausgesetzte logische Bestimmung sein. Das macht aber noch nicht verständlich, warum Hegel die Selbstbeziehung hier als Merkmal herausgreift und warum ‹Sein› explizit die Bedeutung von Selbstbeziehung haben sollte. Meines Erachtens wird das am verständlichsten, wenn man darauf reflektiert, dass Hegel mit dem ‹Sein›beginnt eine letztbegründete Kategorientheorie zu entfalten.61 Weil dieses Projekts nun auf Letztbegründung zielt, ist es aber eine legitime Frage an jede einzelne Kategorien, ob sie absolut und für sich gelten kann. Und das gilt auch für das ‹Sein›. Aber der Anspruch absoluter Geltung impliziert notwendig den Selbstbezug denn nichts kann absolut gelten, wenn es nicht für sich selbst stehen kann. Denn ohne selbsterklärend zu sein oder den eigenen Grund zu umfassen, wäre eine Metaperspektive oder ein Metagrund notwendig und folglich die Absolutheit durchgestrichen. Somit gilt auch für die einfachste und leerste Kategorie, das ‹Sein›, das eigentlich keinen echten Unterschied markiert, dass es sich auf sich selbst bezieht. Und zugleich ist Selbstbezug damit noch eine ganz unbestimmte Weise, da sie für alle Kategorien gilt. Somit ist auch der Selbstbezug der Kategorie des ‹Seins› trivial, zumindest innerhalb der WdL. Dass Hegel sich mit der Ansicht, ‹Sein› sei ein Element des Begriffs * gegen Kant wendet, hebt er gleich zweifach in dieser Einleitung des Objektivitätsabschnittes hervor. Allerdings verwendet er in der Regel den Seinsbegriff in diesem Kontext homonym zu Kant, ohne das hervorzuheben.62 Doch hier beton Hegel ausdrücklich, dass er sich mit dem ‚‹Sein›‘ auf seine logische Kategorie bezieht, wohingegen Kant mit dem gleichen Wort die sinnliche Erfahrbarkeit gemeint habe. Letztere könne aber natürlich im OGB unmöglich gemeint sein.63 Nun spricht Hegel zudem die Trivialität der Kategorie des ‹Daseins› an, welche die zweite Kategorie ist, die einem herkömmlichen Existenzbegriff verwandt ist. ‹Dasein› ist nun als Explikation dessen zu verstehen, was ‹Bestimmtheit› ausmacht, also das Sein und Haben von Qualitäten, durch die eine Eigenständigkeit und zugleich eine Abgrenzung von Anderem gewonnen wird. Doch auch dieser Existenzbegriff ist Hegel zufolge nicht hinreichend für ein adäquates Verständnis des Absoluten und mithin Gottes. Der Grund dafür liegt nun darin, dass die Kategorie ‹Dasein› nicht mehr besagt als ‹Bestimmtsein›, was aber eine sehr einfache logische 61
Vgl. oben Abschnitt 4.1. Vgl. etwa Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 524 f. Vgl. Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 325 (220 f.) 63 Vgl. Hegel, WdL II, 129 (195), Z. 1–8: „Unüberwindlich aber wird allerdings die Schwierigkeit, im Begriffe überhaupt, und eben so im Begriffe Gottes das S e y n zu finden, wenn es ein solches seyn soll, das im C o n t e x t e d e r ä u s s e r n E r f a h r u n g oder i n F o r m d e r s i n n l i c h e n Wa h r n e h m u n g, wie d i e h u n d e r t T h a l e r i n m e i n e m Ve r m ö g e n s z u s t a n d e, nur als ein mit der Hand, nicht mit dem Geiste begriffenes, wesentlich dem äussern, nicht dem innern Auge sichtbares vorkommen soll; – wenn dasjenige Seyn, Realität, Wahrheit genannt wird, was die Dinge als sinnliche, zeitliche und vergängliche haben.“ 62
402 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik Bestimmung ist. Und weil durch die Kategorie noch nicht mehr angegeben wird, als dass etwas Bestimmtes vorliegt, aber nicht wie es bestimmt ist, ist für das Absolute oder den Gottesbegriff zu wenig damit angegeben. Denn unter diese Kategorie fällt auch etwas bloß Mögliches, etwas bloß subjektiv Gedachtes, und sogar Widersprüchliches kann als Menge von Bestimmungen aufgefasst werden, und somit als ‹Dasein›. Aber damit wäre offenkundig zu wenig für den OGB geleistet. Stattdessen reflektiert Hegel nicht zufällig am Beginn der Objektivität auf den OGB und den für diesen notwendigen Existenzbegriff. Während ‹Sein›, ‹Dasein›, und wie er in der Wesenslogik betont, auch ‹Existenz› keine hinreichenden Bestimmungen sind, um den OGB zu führen, soll unter der Objektivität eine Kategorie (oder mehrere) gefasst werden, die dem Verständnis des philosophischen Gottesbegriffs adäquat sind. Wie sie zu verstehen ist, soll weiter unten aus dem Kontext in der Begriffslogik erläutert werden. Aber dass die Objektivität hier entscheidend ist, deutet Hegel meines Erachtens in der oben bereits zitierten Passage mit folgenden Worten an: Der Begriff, auch als formaler, enthält schon unmittelbar das S e y n in einer w a h r e r n und r e i c h e r n Form, indem er als sich auf sich beziehende Negativität, E i n z e l n h e i t ist.64
Ein Einwand: Wie kann der ontologische Gottesbeweis als Übergang in Gott verstanden werden? Bevor im Folgenden dazu übergegangen werden soll, genauer zu verstehen, wie Hegel das ‚wahrere und reichere Sein‘, also die Objektivität, versteht, muss auf ein Problem der Deutung hingewiesen werden. Dass Hegel den OGB stark umdeutet und in einer kaum wiedererkennbaren Form präsentiert, ist schon betont worden. Aber es stellt sich auch die Frage, ob überhaupt eine Vergleichbarkeit mit den traditionellen Gestalten des OGB gewährleistet ist. Denn diesen scheinen gemein zu sein, von einer subjektiven, gedachten Vorstellung oder einem subjektiven Begriff auf ein extramentales Sein zu schließen, während sich der Übergang vom Begriff * zur Objektivität innerhalb der Logik vollzieht. Das kritisiert etwa V. Hösle an Hegels Konzeption: Und was schließlich den ontologischen Gottesbeweis angeht, so kann man nicht anders urteilen, als daß Hegel ihn hier wie auch sonst umdeutet, ja mißverstanden hat: Der Übergang vom Begriff zum Sein, der im ontologischen Gottesbeweis intendiert ist, ist doch ein völlig anderer, als der von Hegel beabsichtigte. Denn jener Gottesbeweis will nur zeigen, daß der Gedanke Gottes, auf den man sich zunächst als auf einen subjektiven Einfall einläßt, inkonsistent ist, wenn ihm nicht eine von unserem Denken unabhängige Existenzweise zukommt – eine Existenzweise, die jedoch ganz idealer Natur ist. Wenn man Hegelsche Kategorien anwendet, so kann man sagen, daß hier ein Übergang vom psychologischen Begriff zum (onto)logischen Begriff stattfindet: Dieser erweist sich als immer schon vorausgesetztes Implikat jenes angeblich nur subjektiven Begriffs. Hegel Übergang von der Subjektivität 64
Hegel, WdL II, S. 128 (195), Z. 27–39.
7.1. Der ontologische Beweis am Übergang zur Objektivität
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zur Objektivität will hingegen von dort ausgehen, wo der ontologische Gottesbeweis endet – vom ontologischen Begriff; und sein Zielpunkt ist eine merkwürdig unbestimmte – reale, aber noch in der Logik verbleibende – Existenzweise, die jedenfalls mit derjenigen, die der ontologische Gottesbeweis Gott zuschreibt, nichts zu tun hat: Gott ist in jener Tradition, die am ontologischen Gottesbeweis festgehalten hat, nicht nach Art eines Objekts (und auch schwerlich nach Art des Begriffs eines Objekts), sondern nach Art einer idealen Struktur zu denken.65
Daran schließt Hösle an, dass Hegel selbst drohe, in ein kantisches oder empiristisches Seinsverständnis zurückzufallen, wenn er meine, aus dem Begriff * die Objektivität ableiten zu müssen, als sei jener nicht immer schon ontologisch valent.66 Und er merkt in einer Fußnote an, dass Hegel das Thema des OGB so mit demjenigen einer Schöpfung der Welt durch Gott verwechselt habe.67 Dass der besagte Übergang innerhalb des Rahmens logischer Kategorien stattfindet, wird auch von anderen Autoren betont.68 Das Problem, um Hegels Übergang und den OGB zusammenzubringen, besteht meines Erachtens in zweierlei: 1. Der Begriff *, von dem Hegel ausgeht, ist von vornherein kein bloßes Produkt des Denkens endlicher, raum-zeitlicher Subjekte. Er kann nicht auf die Denkleistung von solchen Subjekten reduziert werden, da das schon für die gesamte WdL gilt, und daher ist die vom endlichen Denken unabhängige Seinsweise von vornherein vorausgesetzt. Somit ist der Übergang ein inner-logischer, insofern Begriff * und Objektivität beide logische Bestimmungen sind. Daraus ergibt sich dann folgerichtig, dass die von Hegel verwendete Bezeichnung ‚Subjektivität‘ für den Begriff * nicht als ‚dem endlichen Denken zugehörig‘ missverstanden werden darf. 2. Wenn mit Objektivität das gemeint ist, was herkömmlich unter Objekt verstanden wird, etwa im Kontext realistischer Bedeutungstheorien, also ein vom Denken unabhängiges Objekt, dann wäre Hegels ganze Konzeption unstimmig. Denn dann wäre der Begriff * als Prinzip der Logik tatsächlich zunächst ohne ontologische Implikation verstanden. Aber das lehnt Hegel eindeutig ab – Logik wird bei Hegel als material, nicht formal verstanden, und die logischen Kategorien implizieren daher immer schon ontologische Geltung.69 Nun kann zunächst festgehalten werden, dass beide Probleme (1. & 2.) sich offenbar wechselseitig ausschließen: Entweder der Begriff * ist zugleich als Entwicklung selbstbezüglicher, ontologischer Kategorien zu verstehen – dann ist sie aber von ihrem Beginn an keine bloß subjektive Vorstellung. Oder der Begriff * und damit die Logik hat keine ontologische Bedeutsamkeit – dann wäre der Übergang in die Objektivität tatsächlich eine Art Ersatz der transzendentalen Deduktion im 65
Hösle, Hegels System, S. 241 f. Vgl. ebd., S. 242 f. Diese Umdeutung Hegels hat bereits D. Henrich angemerkt (vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 210 f.). 67 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 242, Fn. 165. 68 Vgl. etwa Sans, „Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs“, S. 230. 69 Vgl. oben Abschnitt 4.1.1. 66
404 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik Sinne Kants –, aber so wäre Hegels Projekt ein Rückfall in ein subjektivitätstheoretisches Paradigma, von dem er sich eigentlich zu befreien sucht.70 Jedoch scheint es damit so, als sei der OGB nicht in Hegels Logik zu integriere, da der Begriff * entweder zu reich für den Ausgangspunkt des Beweises, oder aber die Logik für den Beweis als zu subjektiv und kontingent interpretiert werden müsste. Letzteres kommt nicht infrage, da es Hegels philosophischen Ausgangspunkt unnötigerweise über Bord werfen würde71 und der Hegeltext nicht darauf hindeutet, dass die ontologische Relevanz des Begriffs * irgendwo in der Logik hinterfragt würde.72 Nun verweist (2.) allerdings darauf, dass überhaupt erst zu klären ist, was unter dem Titel Objektivität zu verstehen ist. Denn das erste Problem (1.) besteht gerade darin, dass Hegel nicht mit einem, dem endlichen Denken zuzurechnenden Begriff argumentiert, sondern seinen Begriff * als Totalität der logischen und ewigen Wahrheiten zugrunde legt. Dieser Begriff * hat nun genau die Seinsweise, die Hösle als Ziel des traditionellen OGB anführt: Er ist als ‚ideale Struktur‘ zu verstehen, die eine Totalität bildet und unabhängig vom Denken raum-zeitlicher Subjekte ist.73 Aber damit kann immer noch gefragt werden, was es eben bedeutet, logisch oder als 70
Vgl. oben Abschnitt 3.1.4. Siehe Hegel, WdL II, S. 21 (18), Z. 16–22: „Wenn nun der gegebenen Stoff der Anschauung und das Mannichfaltige der Vorstellung, als das Reelle gegen das Gedachte und den Begriff genommen wird, so ist diß eine Ansicht, welche abgelegt zu haben nicht nur Bedingung des Philosophirens ist, sondern schon von der Religion vorausgesetzt wird; wie ist ein Bedürfniß und der Sinn derselben möglich, wenn die flüchtige und oberflächliche Erscheinung des Sinnlichen und Einzelnen noch für das Wahre gehalten wird?“ 72 Als Beleg sei darauf verwiesen, dass Hegel sogar dort, wo er klassische Themen der aristotelischen Logik aufgreift, diese ontologisch interpretiert: ebd., S. 95 (140), Z. 20: „Alle Dinge sind der Schluß[.]“ Hegel weist an dieser Stelle auch darauf hin, dass es zwei Perspektiven auf die logischen Schlüsse gibt, die nicht miteinander verwechselt werden dürfen, nämlich einerseits die Gültigkeit der Schlüsse, die auch als ontologische Struktur von Gegenständen verstanden werden kann. Und andererseits der subjektive Nachvollzug von Schlüssen, etwa durch sprachlich verfasstes Denken. Siehe Hegel, Enz. I, § 167, S. 318: „[A]lle Dinge sind ein Urteil[.]“ Vgl. auch ebd., § 168, S. 319. Vgl. dazu Hösle, Hegels System, S. 70 f. 73 Wobei zu bedenken ist, dass es aufgrund der hegelschen Systemkonzeption letztlich notwendig ist, dass raum-zeitliche Subjekte aus der Natur hervorgehen und epistemische Leistungen ausbilden, die es ihnen letzten Endes erlauben, die logisch-ideale Struktur zu erkennen. Der Grund dieser Notwendigkeit, ist die absolute Geltung und Wahrheit der Logik selbst, so scheint Hegels Gedanke in nuce fassbar. Es ist aber nicht der Fall, dass die Logik einzig durch die endlichen Subjekte besteht oder diese als ihren Träger benötigt. Meines Erachtens ist es mit Hegel ohne Weiteres möglich von einer Evolution auszugehen, deren Gesetze schon durch die logischen Strukturen bestimmt sind, die erst zu einem zeitlich späten Punkt endliche Subjekte hervorbringt. Hegel lehnt den Evolutionsgedanken freilich ab. Es ist aber wichtig, den richtigen Grund dafür zu erfassen: Hegel ist nicht darauf festgelegt, dass alle Gattungen von Beginn der Welt bereits gegeben waren. Vielmehr lehnt er die Evolution in der Natur ab, weil er meint, die zeitliche Abfolge habe keine Erklärungskraft. Sicher ist seit Darwin ein Mechanismus der Evolution verständlich, der gegen Hegels Ablehnung spricht. Damit spricht aber nichts gegen eine Verbindung von Hegels objektivem Idealismus und der Evolutionstheorie. Vgl. etwa Hegel, Enz. II, § 368, Z., S. 504 f.; Wandschneider, „Hegel und die Evolution“; Hösle, Hegels System, S. 313–320. 71
7.1. Der ontologische Beweis am Übergang zur Objektivität
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ideelle Struktur zu existieren. Es muss also noch verständlich gemacht werden, was ‚Objektivität‘ in der Begriffslogik bedeutet, welche Rolle sie einnimmt und warum sie die Seinsart des Begriffs * besser bestimmt, als ‹Sein› oder ‹Existenz›. Dabei ist entscheidend, dass die Objektivität nicht erst einer bloß dem endlichen Denken zugerechneten Vorstellung die ontologische Dimension hinzufügt, sondern eine Explikationsbedingung des immer schon ontologischen Begriffs * darstellt. Das soll unten deutlicher werden und lässt sich hier nur in aller Kürze andeuten: Übergänge zwischen den Kategorien und Stufen sind in der WdL nicht grundsätzlich als vollständige kategoriale Neuerung zu interpretieren. Die Abfolge bedeutet daher nicht in jedem Fall, dass etwas Heterogenes zu vorherigen Kategorien hinzutritt, sondern kann auch in einer Explikation von bereits logisch Abgeleitetem bestehen.74 Dass Explikation und nicht Neuheit in der Begriffslogik insgesamt wichtig ist, scheint Hegel zu betonen, wenn er von ‚Entwicklung‘ und ‚Kontinuität‘ im letzten Teil der Logik spricht.75 Daher ist es nicht notwendig, den Begriff * dem endlichen Denken zuzuschlagen, der so verstanden erst mit der Objektivität eine Bedeutung erhielte – er ist durchaus als Totalität ontologischer Kategorien verständlich und wird in der Objektivität in seiner eigenen Seinsweise weiter expliziert. Und als Folge der ‚Entwicklung‘ des Begriffs * gehört sie untrennbar zu diesem und erläutert ihn. Also bleibt das (1.) Problem, dass der Begriff * schon zu reich bestimmt ist, um mit der subjektiven Gottesvorstellung, die in traditionellen Formen des OGB den Ausgangspunkt bilden, vergleichbar zu sein. Diesem Einwand ist nun zuzustimmen. Tatsächlich geht Hegel nicht von einer subjektiven Vorstellung, einer nominalen Definition oder Ähnlichem aus, sondern vom letztbegründeten und letztbegründenden Prinzip seiner Logik. Und dieser Begriff *, der die Totalität ist, die sowohl die Seinslogik als auch die Wesenslogik umfasst, impliziert daher auch die in den vorangegangenen Teilen der Logik abgeleiteten Seinsbestimmungen, wie ‹Sein›, ‹Dasein›, ‹Realität›, ‹Existenz› und ‹Wirklichkeit›. Doch er impliziert diese nicht nur als Kategorien die für Heteronomes gelten, sondern ist von Beginn an sowohl Ontologie als auch Selbstbeschreibung. Das heißt, dass die Logik die Bestimmungen angibt, die zugleich die Bestimmungen alles möglichen Seins und Denkens bilden und die dabei zugleich auf sie selbst zutreffen – natürlich in dem oben erläuterten Sinne, dass sie zumeist als Definitionen des Absoluten performativ inkonsistent sind und daher zur Ergänzung und Vervollständigung nötigen. Insofern deutet Hegel den OGB tatsächlich um, insofern er für ihn darin besteht, die Aufklärung des Begriffs des Absoluten, Gottes, und seiner selbstbestimmten Seinsweise zu leisten. Es handelt sich beim Übergang vom Begriff * zur Objektivität also um einen immanenten Übergang, innerhalb des ontologischen Begriffs *, nicht um einen zwischen einem psychologischen zum ontologischen.76 74 75 76
Vgl. oben Abschnitt 6.3.2. Vgl. oben, S. 355 Vgl. etwa Hegel, Enz. I, § 161, S. 308. Vgl. Lauer, „Hegel on Proofs for God’s Existence“, S. 455.
406 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik Es stellt sich aber die Frage, ob hier nicht a) eine Verwandtschaft zu traditionellen Versionen des OGB besteht oder b) Hegels Gedankengang nicht zumindest als deren Konsequenz verständlich gemacht werden kann. Und eine Verwandtschaft zu traditionellen Versionen des OGB (a) scheint gegeben zu sein. So ist zwar in der Tat ein Effekt der traditionellen Versionen, dass der Gottesbegriff nicht als bloß psychologisch festgehalten werden kann. Aber auf der Sachseite des Arguments findet sich, dass der Gottesbegriff gar nicht ohne Seinsbestimmung, ohne ihn als erfüllten Begriff zu verstehen, gedacht werden kann. Dieses ‚Nicht-gedachtwerden-können‘ darf dafür seinen Grund aber nicht in den Bedingungen des menschlichen Denkens haben, wenn der Beweis nicht auf eine anthropologische Grundlage gestellt werden soll. Das wäre insofern ungünstig, als dass es dann ein schlagender Einwand wäre, dass die Bedingungen des menschlichen Denkens sich zukünftig wandeln könnten und dann auch die Leere des Gottesbegriffs denkbar würde.77 Die Unhaltbarkeit des bloß psychologisch interpretierten Gottesbegriffs muss also, im weiten Sinne Hegels, auf seinen logischen Eigenschaften beruhen. Das unterstreicht auch A. F. Koch: Gleich zu Beginn des Abschnittes „Objektivität“ sagt Hegel, der Übergang von der Subjektivität zur Objektivität sei derjenige, den die Metaphysik im ontologischen Argument als den Übergang vom Begriff Gottes zu seinem Dasein konzipiert habe. Dies ist ein immanenter Übergang im Begriff Gottes, nicht der Übergang zu einem neuen Thema; denn der Begriff Gottes soll dem ontologischen Argument zufolge ja das Dasein Gottes logisch enthalten und es einzusehen erlauben. Gleichermaßen immanent müssen wir uns also den Fortgang von der Subjektivität zur Objektivität denken. Das ist Hegels Anspruch.78
Zudem ist der vorliegenden Arbeit nach Hegels Überlegung als Reaktion auf die Schwierigkeiten traditioneller Versionen des OGB (b) zu verstehen. Es handelt sich bei diesen Hauptschwierigkeiten zum einen um die Frage, ob der Gottesbegriff bloß willkürlich definiert, und zum anderen ob der Gottesbegriff überhaupt widerspruchsfrei sei. Hegel reagiert auf beide Bedenken mit einem Schachzug, nämlich durch die Kombination des Gottesbeweises aus den ewigen Wahrheiten mit dem OGB. Beide bilden insofern eine Einheit, als dass der Beweis der Totalität ewiger Wahrheiten – deren methodische Herleitung in der WdL – eine vollständige Klärung des philosophischen Gottesbegriffs bildet, der, wenn die Ableitung erfolgreich ist, zugleich Willkürlichkeit ausschließt und Konsistenz impliziert. Deswegen ist Hegels Ableitung der logischen Kategorien als wichtiges Thema für den OGB behandelt worden. Nun sind ewige Wahrheiten nicht ontologisch neutral, sondern bestimmen, so Hegels Konzeption, zugleich Denken und Sein. Zudem sind sie selbstbezüglich, somit selbst als seiend zu bezeichnen, und die Explikation der ewigen Wahrheiten muss dazu führen, die eigene Ableitungsmethode und den eigenen Seinsstatus vollständig 77 Analog argumentiert etwa R. Rorty gegen transzendentale Argumente. Vgl. Rorty, „Transcendental Arguments, Self-Reference, and Pragmatism“, S. 82. 78 Koch, Die Evolution des logischen Raumes, S. 175.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
407
zu erhellen.79 Und die Ableitung, die den Gehalt des OGB fassen soll, also die Ableitung der Objektivität aus dem Begriff *, leistet nun einerseits, die notwendige Zusammengehörigkeit von Begriff * und Objektivitt aufzuzeigen, und andererseits, damit auch zu demonstrieren, welche Seinsart dem Begriff * zukommt. Die Zusammengehörigkeit der ersten beiden Abschnitte der Begriffslogik gleicht daher den traditionellen Versionen des OGB, während die Explikation des Seinsbegriffs eine Folge von dessen Integration in das Projekt eine sich selbstbegründenden Fundamentallogik ist, die den Gottesbegriff als Totalität der ewigen Wahrheiten zu begreifen erlaubt. Und schließlich ist nicht zu übersehen, dass der Begriff * für Hegel eine tragende Rolle spielt. Denn mit diesem Prinzip und der Logik vom Begriff geht Hegel erst über die vorkantische Metaphysik hinaus, deren Kategorien in der objektiven Logik abgehandelt werden. Und dieses Hinausgehen soll mit der Letztbegründung der Logik gelingen. Und nur durch diese Begründung kann die vorherige Ableitung der Kategorien als die Totalität der ewigen Wahrheiten gelten und erkannt werden. Insofern ist auch die Begründung des Begriffs * für die ontologische Valenz der Logik entscheidend – ohne diese Begründung müssten auch die vorhergehenden Kategorien nicht als ewige Wahrheiten und nicht als ontologisch gültig verstanden werden. Dass diese Begründung aber nicht auf die Objektivität verzichten kann, soll in der folgenden Interpretation herausgearbeitet werden. Es kann also festgehalten werden, dass die Integration des OGB in die Begriffslogik tatsächlich eine massive Uminterpretation ist, die prima facie kaum noch an die schlanke und elegante Gestalt traditioneller Varianten erinnert. Jedoch wird bei näherer Betrachtung doch deutlich, dass Hegel zu Recht beanspruchen kann, dass der Begriff * im Übergang zur Objektivität den Sachgehalt des OGB übernimmt und diesem treu bleibt. Dabei ist die Integration allerdings zugleich eine Konsequenz der Schwierigkeiten der traditionellen Versionen, die Hegel dazu veranlasst haben, den Beweis aus den ewigen Wahrheiten und den OGB miteinander zu verbinden. Für diese Zusammenführung ist der Begriff * letztlich wiederum entscheidend, der, ohne den Begründungsanspruch der Logik einzulösen, auch nicht als ontologischer Begriff * gültig wäre. Wie diese Begründung geleistet und die Seinsart des Begriffs * zu verstehen ist, soll nun die folgende Interpretation der hegelschen Argumentation verdeutlichen.
7.2 Argumentstruktur des Absoluten in der Wesenslogik Im Folgenden soll also derjenige Textabschnitt besser verstanden werden, den Hegel mit dem OGB identifiziert, also der erste Abschnitt der Begriffslogik bis zur Ob79 Dass dieses das Ziel der Logik ist, betont auch Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 21.
408 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik jektivität. Natürlich existieren bereits eingehende Analysen, Rekonstruktionen und Kommentare, von denen etwa die Untersuchungen von Friedrike Schick80 , Georg Sans81 und Christian G. Martin82 hervorgehoben werden müssen, da die vorliegende Arbeit ihnen viel verdankt. Hier ist es aber zweckdienlich, sich auf die wesentlichen Argumente und die grundsätzliche Entwicklungslinie des Gedankengangs zu konzentrieren. Auf diese Weise können Hegels Grundintentionen so stark wie möglich gemacht werden, und zugleich können Schwierigkeiten in Hegels Konzeption deutlich hervortreten, sodass Korrekturvorschläge erarbeitet werden können. Das vorliegende Vorhaben könnte nun einfach mit der Begriffslogik einsetzen, weil Hegel dort die Erläuterung des Begriffs * beginnt und dieser schließlich in die Objektivität übergehen soll und so Hegels Version des OGB ein Verständnis des Begriffs * voraussetzt. Wenn hier dennoch vom letzten Kapitel der Wesenslogik ausgegangen wird, dann liegt der Grund einerseits darin, dass das Kapitel mit dem Titel Das Absolute schon durch die Bezeichnung seine Nähe zur philosophischen Theologie und zum OGB andeutet. Andererseits ist aber wichtig, dass ohne Hegels Verständnis der ‹absoluten Notwendigkeit›, die in diesem Kapitel entfaltet wird, auch Hegels weiteres Vorgehen in der Begriffslogik unverständlich bleibt. Denn letztlich, so die These der Interpretation, dient der Übergang in die Objektivität dem Nachweis der ‹absoluten Notwendigkeit› des Begriffs *. Insofern lässt sich die folgende Darstellung von Hegels Argumentation leiten. Dabei soll gezeigt werden, was Hegel unter ‹absolut notwendig› versteht, und zugleich, warum dieses Thema in die Begriffslogik und bis hin zum Objektivitätskapitel treibt. Denn es soll deutlich werden, dass Hegel erst mit der Struktur der Begriffslogik als Ganzer die ‹absolute Notwendigkeit› einzuholen glaubt. Und darin spielt der als Objektivität betitelte Abschnitt eine entscheidende Rolle. 7.2.1 Das Absolute Den dritten Abschnitt der Wesenslogik beginnt Hegel in der großen Logik von 1813 mit dem ersten Kapitel, das die Überschrift Das Absolute trägt. Sowohl dieses Kapitel wie auch das zweite des betreffenden Abschnittes, das Modalkategorien abhandelt, fehlen in den Überschriften der enzyklopädischen Logik von 1830. Während in Letztgenannter aber die Modalkategorien und die betreffende Argumentation zumindest in den einleitenden Paragraphen §§ 142–149 erhalten sind, fehlt vom besagtem Kapitel Das Absolute jede Spur. Das legt die Vermutung nahe, dass Hegel seine 80 Vgl. Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 154–301. Vgl. auch Schick, „Freedom and necessity: the transition to the logic of the concept in Hegel’s Science of Logic“. 81 Vgl. Sans, Die Realisierung des Begriffs. 82 Vgl. Martin, Ontologie der Selbstbestimmung. Vgl. u. a. auch Falk, „Die Wirklichkeit“; Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik“; Schmidt, „Zum Unterschied zwischen wesenslogischer und seinslogischer Dialektik“.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
409
Ansicht zur Anordnung in den Jahren zwischen den Fassungen deutlich geändert hat und das Absolute nicht mehr als adäquates Thema der Wesenslogik verstand. Hier ist nicht der Raum, um der Anordnungsfrage erschöpfend nachzugehen, zumal letztlich nur die Durchführung der gesamten WdL hierüber Aufschluss geben kann.83 In jedem Fall ist Hegel schon 1813 der Meinung, dass die Logik nicht mit dem Kapitel Das Absolute enden kann, sondern ihr mit der Begriffslogik, die dann erstmals 1816 erscheint, ein dritter und vollendender Teil an die Seite gestellt werden muss. Und erst in diesem dritten Teil der Logik wird dasjenige erreicht, was tatsächlich für sich bestehend und absolute Wahrheit ist. Es lassen sich aber prima facie sowohl für die Integration des Themas Absolutheit in die Wesenslogik als auch dagegen Gründe finden. Denn ‹Absolutes› weist die Kategorieneigenschaften auf, die für wesenslogische Bestimmungen gelten: ‹Absolutes› ist eine Relationskategorie. ‹Absolut›, ‹losgelöst›, ist eine Beziehung von etwas auf etwas, das es nicht selbst ist. Und insofern besteht durch die Notwendigkeit der Relation ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis der Relata, das aber dennoch konstitutiv für die Bedeutung des ‹Absoluten› ist.84 Der Bezug ist aber, der Bedeutung des ‹Absoluten› nach, als Abgrenzung zu einem anderen zu denken, dass als ‹nicht-absolut› festgehalten werden kann. Aber die Relation des ‹Losgelöstseins› ist symmetrisch, weshalb auch das ‹Nicht-absolute› ein Fall des ‹Absoluten› ist. Überträgt man das etwa auf ein theologisches Beispiel, so wäre Gott als das Absolute gegenüber allem sonstigen Sein, der Welt, festzuhalten. Doch indem die Relation ‹absolut› auf die Relata Gott und Welt angewandt wird, erscheint auch die Welt als ‹absolut› von Gott bezeichnet werden zu können. Das bloße ‹Losgelöstsein› führt aber auch in diese Verwirrung, weil ein entscheidender Aspekt des ‹Absolutseins› ausgeblendet wurde: nämlich die Selbstständigkeit gegenüber demjenigen, was eigentlich dem ‹Absoluten› entgegengesetzt sein soll. Doch wird dadurch das Verhältnis des ‹Losgelöstseins› asymmetrisch? Das scheint unmöglich und gerade durch die Symmetrie der Relation konterkariert, da sie zugleich in ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis zu führen scheint: Gott ist also deswegen das Absolute gegenüber der Welt, weil damit nicht nur die Relation des Losgelöstseins gemeint ist, sondern zugleich seine Selbstständigkeit angenommen wird. Aber die Relation des Losgelöstseins führt eben zugleich eine Abhängigkeit mit sich: Gott ohne die Welt ist nicht absolut, denn ‚absolut‘ verlangt, dass angegeben wird, wovon oder für was es absolut ist. Liegt damit eine antinomische Struktur zugrunde? Meines Erachtens 83 Vgl. Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik“, S. 410 f. der eine ‚metatheoretisch-strukturelle Betrachtung‘ in dem Kapitel Das Absolute sieht. Diese sei daher auch aus dem Gang der Logik zu eliminieren. Vgl. ebd., S. 407. 84 Siehe die treffende Charakterisierung des Grundzuges wesenslogischer Bestimmungen in Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 156: „Man kann die Wesenslogik überhaupt als Austragung des Widerspruchs, Identität-mit-sich als Bezogensein zu denken, verstehen.“
410 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik kann das bejaht werden, da sich das Relatum, das sich als ‹absolut› bezeichnen lassen soll, zugleich vom ‹Nicht-Absoluten› abgrenzen lassen muss, aber durch die Abgrenzung das ‹Nicht-Absolute› selbst unter die Kategorie des ‹Absoluten› fällt. Damit wäre aber der Sinn von ‹Absolutheit› insgesamt aufgehoben, was zur erneuten Entgegensetzung der Relata führt. Diese Argumentskizze legt also nahe, dass ‹absolut› eine Relation ist, die in der Wesenslogik ihren Platz hat, weil der Bezug auf die entgegengesetzte Kategorie beiden Relata innerlich ist. Zum anderen muss aber gesagt werden, dass der philosophisch-theologische Gehalt und der mit dem Absoluten mitschwingende Klang von Letztbegründung gegen die Integration in die Wesenslogik spricht, da Letzteres nicht durch die Relationen des zweiten Teils der Logik gefasst werden, sondern erst in der Begriffslogik eingeholt werden kann.85 Nun hat sich Hegel offenbar in der enzyklopädischen Logik gegen die Behandlung des ‹Absoluten› in der Wesenslogik entschieden. Dennoch scheint für die vorliegende Arbeit ein kurzer Blick auf Hegels Argumentation in der großen Logik angebracht, gerade weil durch die Benennung der Kategorie der Bezug zur philosophischen Theologie auf der Hand liegt und zudem erwartet werden kann, dass hier deutlich wird, wie Hegel ‚Absolutheit‘ versteht. Zunächst wird man G. Wölfle recht geben müssen,86 dass Hegel im Kapitel Das Absolute keine neuen Kategorien einführt, sondern darauf reflektiert, was sich in der Logik bislang ergeben hat. Diese Reflexion verknüpft er mit Überlegungen zur Begriffen der Philosophie Spinozas wie etwa ‚Absolutes‘, ‚Attribut‘ und ‚Modus‘. Die letzten beiden bilden den zweiten und dritten Unterabschnitt und sollen sich daraus ergeben, was das Absolute bedeuten würde, wenn es auf dieser Stufe der Wesenslogik festgehalten würde; ihre Funktion besteht zugleich darin, die Kategorie der ‹Wirklichkeit› als das nächste Explanandum einzuführen. Hegel führt zunächst einen Gedanken ein, der sich wie folgt paraphrasieren lässt: Wenn das ‹Absolute›, das in der Logik erreicht werden soll, bereits hier als die Einheit aller Bestimmungen, die sich in der Seins- und Wesenslogik ergeben haben, gesehen werden soll, so hätte es einen entscheidenden Mangel: Die Ableitung hätte noch nicht gezeigt, wie die logischen Bestimmungen zum ‹Absoluten› gehören. Damit hätte sich zwar eine Einheit ergeben habe, aber es bliebe unklar, wie und warum diese Einheit besteht. Damit würde aber ein entscheidender Baustein der Reflexivität fehlen, denn die Methode der Logik wäre nicht expliziert worden. Dass dieser Mangel gravierend ist, geht aus dem Letztbegründungsanspruch hervor. Dieser verlangt, dass Inhalt und Methode der Fundamentallogik eine Einheit bilden 85 Vgl. Weischedel, Der Gott der Philosophen, S. 292 f. wo dargestellt wird, dass Hegel die Bezeichnung ‹Absolutes› unzureichend fand, weil aus diesem Begriff nicht klar wird, wie das ‹Absolute› mit dem Endlichen zusammenhängt. 86 Vgl. Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik“, S. 130.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
411
müssen, denn die letztbegründete Struktur kann per definitionem keine Metaebene zulassen, etwa eine Methode, wenn ihre Geltung nicht hintergehbar sein soll. Es soll aber dargestellt werden, was das Absolute ist; aber diß Darstellen kann nicht ein Bestimmen noch äussere Reflexion seyn, wodurch Bestimmungen desselben würden, sondern es ist die A u s l e g u n g und zwar die e i g e n e Auslegung des Absoluten, und nur ein Z e i g e n d e s s e n w a s e s i s t.87
Dass auf dieser Stufe der WdL noch keine Klarheit über die Methode oder die eigene Auslegung gewonnen worden ist, führt, so Hegel, zu zwei Konsequenzen: a) Das ‹Absolute› wäre nur negativ bestimmt88 – es fällt außerhalb der bislang abgeleiteten logischen Bestimmungen und ist daher selbst noch ganz unbestimmt. Und b) wäre das ‹Absolute› nicht als ‹Absolutes› durch sich selbst erkennbar, sondern nur, wie Hegel es nennt, in der ‚äusseren Reflexion‘, also im die Logik begleitenden Denken. Um Hegels Term der ‚äußeren Reflexion‘ zu verstehen, ist es hilfreich, an A. F. Kochs Unterscheidung von ‚Objekt-‘ und ‚Hintergrundlogik‘ zu erinnern.89 Denn Koch unterscheidet die Ableitung der Kategorien, die er Objektebene nennt, von unserem Denken im Hintergrund der Ableitung, das nachvollzieht und zugleich kommentieren und reflektieren kann. Hegel will also sagen, dass in der Objektlogik noch nicht transparent ist, wie die Kategorien zusammengehören und wie das ‹Absolute› zu diesen Kategorien seht, wenn hier das ‹Absolute› schon erreicht wäre. Für unsere begleitende Reflexion könne das ‹Absolute› zwar festgehalten werden, aber eben nur aus Kriterien, die uns zugerechnet werden müssten und nicht aus der Kategorienfolge selbst ersichtlich wären.90 In dieser Arbeit kann Hegels Kritik an Spinoza nur insofern nachvollzogen werden, als dass die vorliegende Interpretation Stützendes benannt wird. Hegel sieht nun an Spinozas System den wesentlichen Mangel in der fehlenden Selbsteinholung.91 Es ist zudem bemerkenswert, dass Hegel den OGB Spinozas mit dem Problem einer axiomatisch-deduktiven Philosophie zusammenbringt: Zwar habe Spinoza rich87 Hegel, WdL I, S. #370 (215), Z. 15–19. Vgl. zur Selbstauslegung und zum Selbstausdrücken des Absoluten: Nonnenmacher, Hegels Philosophie des Absoluten. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ und reifem System. 88 Hegel, WdL I, S. #370 (215), Z. 5 f. 89 Vgl. etwa Koch, „Die schlechte Metaphysik der Dinge. Metaphysik als immanente Metaphysikkritik bei Hegel“, S. 197. 90 Vgl. auch Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik“, S. 431–436. Wölfle sieht insgesamt drei wesentliche Methodenreflexionen, die Hegel in diesem Kapitel anführt. So zählt er noch zusätzlich die Eigenschaft auf, dass das Absolute von sich anfangen muss und bei sich enden. Dabei übersieht er aber, wie das mit dem ganzen Aufbau der Logik und ihrem Anfangsproblem verbunden ist, was oben in Abschnitt 6.1 ausführlich besprochen wurde. Zudem scheint mir seine Kritik, dass diese Methodenaspekte auf allen Stufen der Logik zutreffen, überzogen. 91 Siehe Hegel, WdL I, S. #376 (225), Z. 4–6: „Der S p i n o z i s m u s ist darin eine mangelhafte Philosophie, daß die R e f l e x i o n und deren mannichfaltiges Bestimmen e i n ä u s s e r l i c h e s D e n k e n ist.“
412 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik tigerweise die Substanz als Wesen, das die „E x i s t e n z i n s i c h s c h l i e s s e“92 bestimmt, aber das sei nur eine Definition.93 Und die Lösung Hegels von dieser Form der Philosophie ist, dass das Absolute nicht den expliziten Anfang der Philosophie bilden könne, von dem aus deduktiv vorgegangen werde, weil das Absolute dann selbst unbegründet bliebe. Stattdessen sei die axiomatisch-deduktive Form des Begründens zu überwinden und das Absolute erst als Resultat einholbar.94 Also sind (a) und (b) zwei Seiten einer Medaille, nämlich derjenigen, dass die bloße Zusammenführung von seins- und wesenslogischen Kategorien nicht zeigt, auf welche Weise sie das ‹Absolute› bilden. Die Explikationsanforderung, die festgehalten werden kann und im Verlaufe der Logik eingeholt werden muss, ist folglich, dass ‹Absolutes› sich selbst auslegen muss. Zudem ist es interessant, dass Hegel, auch wenn er es als wesenslogisches Thema 1830 zurückgenommen hat, meint, dass ‹Absolutes› genau dann zum Gegenstand gemacht werden muss, wenn die Wesenslogik einen Abschluss findet und in diesem Abschluss die Seinslogik eingeschlossen ist. Denn an diese Stelle tritt, so ist meines Erachtens die Änderung in der enzyklopädischen Logik zu interpretieren, der Begriff *, der anstatt der wesenslogischen Kategorien die Explikationsanforderungen des ‹Absoluten› übernimmt und einlösen soll. Mit den folgenden Unterkapiteln will Hegel dann umreißen, wie, vom ‹Absoluten› ausgehend, dieses als die Grundlage seiner Bestimmungen verstanden werden kann.95 Im Unterkapitel ‚A. Die Auslegung des Absoluten‘ gibt Hegel zunächst einen Hinweis darauf, wie die Explikationsanforderung für das ‹Absolute› eingelöst werden muss, nämlich, indem sich eine in sich differenzierte Einheit ergibt, in der die Teile selbst das Ganze sind und insofern eine Totalität bilden.96 Das ist seiner Meinung nach jedoch erst durch den Begriff * eingelöst. Denn im Begriff * wird letztlich, eben durch die Selbsteinholung der Methode der Logik, auch expliziert, ‚gesetzt‘, wie die Elemente eine Einheit bilden, trotz ihrer Unterschiedenheit, die im Verlaufe der Logik hervortritt. Das fehlt jedenfalls diesem wesenslogischen Versuch, das ‹Absolute› zu denken. 92
Hegel, WdL I, S. #376 (226), Z. 30 f. Vgl. zum Problem von Definitionen, oben Abschnitt 5.2.1. 94 Siehe Hegel, WdL I, S. #376 (226), Z. 29–37: „Die Begriffe, die S p i n o z a von der Substanz gibt, sind die Begriffe der U r s a c h e s e i n e r s e l b s t, – daß sie das ist, dessen We s e n d i e E x i s t e n z i n s i c h s c h l i e s s e ; – daß der Begriff des Absoluten n i c h t d e s B e g r i f f s e i n e s a n d e r n b e d ü r f e, von dem er gebildet werden müsse; – diese Begriffe, so tief und richtig sie sind, sind D e f i n i t i o n e n, welche vorne in der Wissenschaft u n m i t t e l b a r angenommen werden. Mathematik und andere untergeordnete Wissenschaften müssen mit einem Vo r a u s g e s e t z t e n anfangen, das ihr Element und positive Grundlage ausmacht. Aber das Absolute kann nicht ein Erstes, Unmittelbares seyn, sondern das Absolute ist wesentlich s e i n R e s u l t a t.“ 95 Vgl. Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik“, S. 436. 96 Siehe Hegel, WdL I, S. #371: „Die Identität des Absoluten ist somit dadurch die absolute, daß jeder seiner Theile selbst das Ganze oder jede Bestimmtheit die Totalität ist, d. h. daß die Bestimmtheit überhaupt ein schlechthin durchsichtiger Schein, ein i n s e i n e m G e s e t z t s e y n v e r s c h w u n d e n e r Unterschied geworden ist.“ 93
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
413
Eine interessante Bemerkung Hegels soll im vorliegenden Kontext noch hervorgehoben werden, weil sie für die Problemstellung der Begriffslogik wichtig ist. Hegel betont nämlich, dass durch die Auslegung des ‹Absoluten› auch deutlich werde, inwiefern die ganze logische Ableitung als negativer Beweis des ‹Absoluten› zu verstehen ist. In der Selbstaufhebung der Kategorien, die mit Wandschneider auf die pragmatisch-semantische Diskrepanz zurückgeführt wurde, erweist sich schließlich, dass sie Teil des richtig verstandenen ‹Absoluten› sind, dass ihnen der Begriff * zugrunde liegt und dass sie sich als mangelhafte Definitionen des ‹Absoluten› zugleich als endlich erweisen.97 Und nur durch die Auslegung des ‹Absoluten› wird letztlich auch verständlich, dass der Anfang der Logik trotz der Abstraktion von demselbigen doch dem Begriff * zugehört, es sich also nur um einen Abstraktionsversuch gehandelt haben kann.98 In der Selbstexplikation wäre es dann das „Absolut-Absolute“.99 Dafür muss aber die Logik sich selbst einholen und ihre eigene Methode explizieren. Solange das aber nicht geschehe, sei das ‹Absolute› nur als die Identität, die sich in der Logik ergeben hat, bestimmt, als ‚absolute Identität‘, die von außen betrachtet wird. So werde, wie Hegel – eher künstlich – einführt, das Absolute als „A t t r i b u t“ bestimmt.100 Dieses ist relativ, wie oben gesagt: Die Kriterien, es als ‹absolut› zu bezeichnen, liegen in der Hintergrundlogik und daher ist es nur ‚für uns‘ das ‹Absolute›. Schon die Einführung der Bezeichnung ‚Attribut‘ erscheint nicht als zwingend, was auch für den nächsten Schritt innerhalb des Kapitels gilt: ‚C. Der Modus des Absoluten‘. Hingegen scheint Hegels Motivation eher diejenige zu sein, Grundbegriffe der Philosophie Spinozas in seine Logik zu integrieren. Sein Argument zur Einführung des ‹Modus› kann aber wie folgt paraphrasiert werden: Wenn das ‹Absolute› erst als ‹absolute Identität› begriffen wird und daher die Methode noch nicht durch das ‹Absolute› eingeholt wurde, kann darauf reflektiert werden, dass nun das ‹Absolute› und etwas ihm Äußeres vorliegt. Dieses Äußere als Äußeres nennt Hegel dann den „Modus des Absoluten“.101 Der ‹Modus›, also das noch 97 Siehe Hegel, WdL I, S. #372 (218), Z. 5–11: „Diese Auslegung hat aber selbst zugleich eine p o s i t i ve Seite; insofern nemlich das Endliche darin, daß es zu Grunde geht, diese Natur beweist, auf das Absolute bezogen zu seyn, oder das Absolute an ihm selbst zu enthalten. Aber diese Seite ist nicht so sehr die positive Auslegung des Absoluten selbst, als vielmehr die Auslegung der B e s t i m m u n g e n, daß sie nemlich das Absolute zu ihrem Abgrunde, aber auch zu ihrem G r u n d e haben, oder daß das, was ihnen, dem Schein, ein Bestehen gibt, d a s A b s o l u t e selbst ist.“ 98 Siehe ebd., S. #372 (219), Z. 28 f.: „In der That aber ist das Auslegen des Absoluten sein e i g e n e s Thun, und das b e y s i c h a n f ä n g t, wie es b e y s i c h a n k o m m t.“ 99 Vgl. ebd., S. #372 (219), Z. 36. 100 Vgl. ebd., S. #372 (219), Z. 37. Vgl. auch ebd., S. #373 (221), Z. 30 f. 101 Siehe ebd., S. #374 (223), Z. 32–35: „Der Modus, die A e u s s e r l i c h k e i t des Absoluten, ist aber nicht nur diß, sondern die als Aeusserlichkeit g e s e t z t e Aeusserlichkeit, eine blosse A r t u n d We i s e; somit der Schein als Schein, oder d i e R e f l e x i o n d e r F o r m i n s i c h; somit d i e I d e n t i t ä t m i t s i c h, we l c h e d a s A b s o l u t e i s t.“
414 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik nicht explizierte des ‹Absoluten›, gehört nun zu dessen Bedeutung als Identität und ist insofern schon eine weitere Bestimmung des ‹Absoluten› selbst. Somit wäre schon ein erster Schritt in der Selbstauslegung des ‹Absoluten› gemacht; es würde sich also als sich selbst zeigen.102 Der ‹Modus› sei so dasjenige, was als notwendige Bestimmung der Kategorie des ‹Absoluten› selbst zugerechnet werden muss, und folglich erfüllt dieses die Explikationsbedingung der Selbstauslegung. Wenn das aber stimmt, muss das Verhältnis zwischen ‹Absolutem› und ‹Modus› genauer gefasst werden: Die Äußerlichkeit ist zugleich das notwendig durch die Kategorie des ‹Absoluten› Geforderte, nämlich die Fortbestimmung, und Hegel meint, dass das als Selbstkonkretisierung des ‹Absoluten› verstanden werden könnte. Worauf Hegel damit hinaus möchte, ist, dass das ‹Absolute› nicht als Jenseits seiner Bestimmungen festgehalten werden kann – es ist nicht denkbar, indem seine Äußerlichkeit von ihm abgezogen wird. Vielmehr muss es als dasjenige verstanden werden, was sich durch seine Bestimmungen selbst zeigt.103 Diese Struktur ist meines Erachtens am einfachsten verständlich, wenn man an das „w a h r h a f t U n e n d l i c h e“104 erinnert, das oben bereits angesprochen wurde.105 Von diesem Ergebnis, wie das ‹Absolute› zu denken sei, leitet Hegel über zur Kategorie der ‹Wirklichkeit›. Diese sei die „Aeusserung“ des ‹Absoluten›, um Hegels Wortspiel aufzugreifen.106 Betont sei an dieser Stelle allerdings nochmals, dass Hegel die Ableitung der ‹Wirklichkeit› aus der Kategorie des ‹Absoluten› später verworfen hat. Daher sollte hier nicht die systematische Stellung der Kategorie behauptet und verteidigt werden. Dennoch sind in der Argumentation Hegels wichtige Punkte deutlich geworden, die zeigen, wie seiner Meinung nach ‹Absolutes› gedacht werden muss: 1. Hegel meint also, dass der Begriff des ‹Absoluten› als Abschluss der Wesens- und als Aufhebung der Seins- und Wesenslogik auf diese Logikteile folgt. Offenbar ist mit diesem aber noch kein vollständiges Verständnis erreicht, sondern erst die Notwendigkeit, dass vom ‹Absoluten› ausgehend dieses in seiner Selbstauslegung betrachtet wird. Zwar sind die vorherigen Kategorien, wie Hegel andeutet, letztlich Teil dieser Selbstauslegung, aber als unexpliziertes Resultat kann das ‹Absolute› noch nicht als Prinzip der logischen Kategorien verstanden werden. Insofern folgt 2. die Explikationsanforderung, dass das ‹Absolute› sich durch die 102 Siehe Hegel, WdL I, S. 375 (224), Z. 23–28: „Die wahrhafte Bedeutung des Modus ist daher, daß er die reflectierende eigene Bewegung des Absoluten ist; ein B e s t i m m e n, aber nicht wodurch es ein a n d e r e s würde, sondern nur dessen, was es schon i s t; aber die durchsichtige Aeusserlichkeit, welche das Z e i g e n seiner selbst ist, eine Bewegung aus sich h e r a u s; aber so daß diß Seyn-nach-Aussen, eben so sehr die Innerlichkeit selbst ist; und damit eben so sehr ein Setzen, das nicht bloß Gesetztseyn, sondern absolutes Seyn ist.“ 103 Siehe ebd., S. #375 (224), Z. 31: „Oder eben diß ist der Inhalt des Absoluten, s i c h z u m a n i f e s t i e r e n.“ 104 Ebd., S. 136 (156), Z. 2. 105 Vgl. oben S. 368. 106 Vgl. Hegel, WdL I, S. #380 (232), Z. 16 f.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
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Selbstauslegung selbst einholen muss. Nur so ist es als ‹Absolutes›, ‚Absolut-Absolutes‘ bestimmt. Denn am Ende der Wesenslogik erschiene es nur als die Einlösung, als Resultat der logischen Ableitung. Aber insofern es noch nicht ausdrücklich den Anspruch der Logik einlöst, wäre es nur ein ‹Absolutes› für die Metabetrachtung – was ihm widerspräche. 3. Hegel weist selbst auf die Struktur eines negativen Beweises hin, der für das ‹Absolute› essentiell ist: Die Unhaltbarkeit des Endlichen zeigt, dass das Endliche auf das ‹Absoute›, auf wahrhaft Unendliches bezogen ist. Und daher wird in der Selbstauslegung des ‹Absoluten› auch deutlich, inwiefern die Kategorien der objektiven Logik als negativer Beweis des Absoluten verstanden werden müssen. 4. Und schließlich lohnt es sich, festzuhalten, dass Hegel zu zeigen versucht, dass die Kategorie des ‹Absoluten› selbst auf eine analoge Struktur führt, wie sie im wahrhaft Unendlichen präsent ist. Zwar meint er, dass sich hier die Kategorie des ‹Wirklichen› vorgezeichnet fände, indem festgestellt wird, dass das ‹Absolute› nicht außerhalb seiner Art und Weise, seines ‹Modus›, sondern nur als sich in diesem Durchhaltendes verstanden werden darf. Aber diese Funktion als Ableitung der Modalbegriffe nimmt Hegel, wie hervorgehoben, in der Enzyklopädie zurück. Das bedeutet allerdings nicht, dass er sich von den hier festgehaltenen Punkten (1.)–(4.) distanziert, sondern dass er in diesen keine kategoriale Fortentwicklung der Wesenslogik sieht, sondern eine Metareflexion seines Projekts, die aber erst in der Begriffslogik und ihrer Methodenreflexion systematisch eingeholt werden kann. Verfolgt man dennoch Hegels Argument für die Überleitung, so scheint der folgende Gedanke von Hegel intendiert zu sein: Indem die Art und Weise des ‹Absoluten› als der erste Auslegungsschritt gelten kann, sind die Begriffe zu betrachten, die den ‹Modus› näher fassen, also die ‹Modalbegriffe›.107 Diese werden also als Nächstes untersucht, wobei es für die vorliegende Arbeit wesentlich darauf ankommt, die ‹absolute Notwendigkeit› als Resultat der Modalkategorien verständlich zu machen, denn diese ist meines Erachtens für den weiteren Zusammenhang, nicht nur der Wesens-, sondern auch der Begriffslogik, entscheidend. 7.2.2 Die Modalkategorien Innerhalb des zweiten Kapitels des Abschnitts über das ‹Absolute› mit dem Titel Die Wirklichkeit behandelt Hegel drei unterschiedliche Formen, Modalbegriffe zu konzipieren, die in der enzyklopädischen Logik keine eigenen Überschriften erhalten haben, aber in den bereits genannten §§ 142–149 aufgegriffen werden. Im vorliegenden Kontext kommt es dabei auf die Herleitung dessen an, was Hegel als ‹absolute Notwendigkeit› bezeichnet, denn zum einen ist das ens necessarium ein möglicher Ausgangspunkt für den OGB, und Hegel scheint zumindest die philosophiegeschichtliche Assoziation evozieren zu wollen, da er zugleich auf Spi107
Vgl. Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik“, S. 441.
416 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik nozas Definition der Substanz anspielt.108 Zum anderen ist aber mit der ‹absoluten Notwendigkeit› auch ein wichtiger Anhaltspunkt gegeben, was Hegel in der Begriffslogik zu erreichen versucht – mir scheint, dass Hegel bis zum Abschluss der Logik dieser Kategorie Inhalt geben möchte. Und schließlich geht Hegel mit dem Konzept der ‹absoluten Notwendigkeit› über Kant hinaus, der Letztere ablehnt. Dass Hegel sich implizit auf Kant stützt, zeigt schon, dass er in dem Abschnitt über das ‹Absolute› die restlichen sechs Kategorien aus Kants Kategorientafel in seiner WdL einzuholen versucht, nämlich die Kategorien der Modalität und der Relation.109 Die formalen Modalkategorien. Im ersten Unterkapitel, das den Titel ‚A. Zufälligkeit oder formelle Wirklichkeit, Möglichkeit und Nothwendigkeit‘110 trägt, geht es um die hier formal genannten Modalbegriffe. Da Hegel meint, die Kategorie der ‹Wirklichkeit› abgeleitet zu haben, beginnt er seine Betrachtung mit dieser und stellt zunächst fest, dass mit ihr kein spezifischer Inhalt verbunden sei, so dass sie nur „Seyn oder Existenz überhaupt“111 bedeute. ‹Wirklichkeit› soll also expliziert werden und Hegel hält zunächst offensichtliche Implikationen fest, nämlich erstens, dass ‹Wirklichkeit› sich immer auf etwas bezieht – man könnte formal festhalten: ‚‹W›(. . . )‘; und somit ist ‚(. . . )‘ eine notwendige Bedingung, um ‹Wirklichkeit› zu verstehen. Und zweitens gilt, dass dasjenige, was ‹wirklich› ist, seine ‹Möglichkeit› zur notwendigen Bedingung hat.112 Insofern ist der erste Schritt der Analyse der ‹Wirklichkeit›, deren Voraussetzungen zu klären, also was ‚(. . . )‘ und was ‹Möglichkeit› bedeuten. Die dichte Analyse Hegels weist folgende Grundzüge auf: Betrachtet man nun die Kategorie ‹Möglichkeit›, um festzustellen, was ‹Wirklichkeit› heißt, so ist 1. zum einen anzugeben, mit welchem Kriterium etwas als ‹möglich› bezeichnet werden kann. 2. Zum anderen muss aber auch eine Differenz zwischen der ‹Möglichkeit› und der ‹Wirklichkeit› konstatiert werden.113 Das Kriterium für dasjenige, was als ‹möglich› bezeichnet werden kann, ist die Identität (1.) oder, negativ formuliert: Es „i s t a l l e s m ö g l i c h , w a s s i c h n i c h t w i d e r s p r i c h t“.114 Hegel 108 Vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, S. 202. Vgl. Hegel, WdL I, S. #376 (226), Z. 29–32. 109 Vgl. Kant, KrV, A 80 | B 106. 110 Hegel, WdL I, S. #381 (235), Z. 24–28. 111 Ebd., S. #381 (235), Z. 31 f. Da in der enzyklopädischen Logik das Kapitel über das Absolute fehlt, argumentiert Hegel, dass ‹Wirklichkeit› die „unmittelbar gewordene Einheit des Wesens und der Existenz oder des Inneren und des Äußeren“ sei, also die Synthese der vorhergehenden zwei Abschnitte der Wesenslogik und zugleich der zwei Kategorien ‹Inneres› und ‹Äußeres›. Vgl. Hegel, Enz. I, § 142, S. 279. 112 Siehe Hegel, WdL I, S. #381 (235), Z. 35: „Wa s w i r k l i c h i s t , i s t m ö g l i c h.“ 113 Vgl. ebd., S. #382 (235 f.), Z. 6–11. Hegel nennt diese zwei Anforderungen an das Verständnis der ‹Möglichkeit› das ‚positive‘ beziehungsweise das ‚negative Moment‘. 114 Ebd., S. #382 (236), Z. 15 f.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
417
problematisiert allerdings diese, heute als logische Möglichkeit bekannte Bestimmung. Denn er meint, dass ein ‹mögliches› Etwas (‹M›(p) ) insofern nicht einfach unter die Kategorie ‹Identität› subsumiert werden kann, weil es zugleich zu anderen ‚q‘, die nicht mit ‚p‘ identisch sind, im Widerspruch stehen kann, ja es sei sogar nicht auszuschließen, dass ‚p‘ widersprechende Prädikate vereine.115 Was zunächst wie eine hegelsche Verwirrung in der formalen Logik aussieht, insofern es kein Widerspruch zur logischen Möglichkeit ist, dass ein ‚p‘ mit sich selbst identisch ist und in anderer Hinsicht mit einem ‚q‘ inkompatibel ist, kann vielleicht wie folgt verstanden werden: Erstens ist bloße Identität mit sich ein sehr weites Kriterium unter das prima facie auch Impossibilia fallen können: Angenommen man bildet eine Menge M mit den Eigenschaften ‚. . . ist kreisförmig‘ und ‚. . . hat vier Ecken‘ – so ist doch zumindest gültig, dass ‚M=M‘, was schon eine Voraussetzung des intersubjektiv geteilten Verständnisses zu sein scheint. Und zweitens weist die Auffassung der ‹Möglichkeit› als Widerspruchsfreiheit über die bloße Selbstidentität hinaus, denn mit sich selbst identische ‚p‘ und ‚q‘ können natürlich miteinander im Widerspruch stehen – dementsprechend werden in der logischen Möglichkeit die ‹möglichen› Individuen/Sachverhalte/Propositionen schließlich zu maximalkonsistenten Mengen – möglichen Welten – zusammengefasst, die gerade durch ihre Konsistenz definiert sind. Daher ist offenbar mehr gefordert, um ‹Möglichkeit› zu verstehen, als bloß die Aussage, dass etwas mit sich identisch ist, so Hegels Argument.116 Ein Hinweis auf dieses ‚mehr‘ ist vielleicht zu finden, wenn man den oben genannten zweiten Punkt (2.) betrachtet, der besagt, dass ‹Möglichkeit› von der Kategorie ‹Wirklichkeit› unterschieden werden muss. Die Unterscheidung darf aber zugleich einen wesentlichen Bezug des ‹Möglichen› auf das ‹Wirkliche› nicht untergraben, denn ‹Möglichkeit› heißt: ‚möglicherweise wirklich‘. Etwas, dass bloß ‹möglich›, aber niemals ‹wirklich› werden kann, ist also im eigentlichen Sinne nicht ‹möglich›.117 So ist ‹wirklich› ja auch tatsächlich Bestandteil des Ausdrucks von ‹Möglichkeit›, etwa in der Semantik möglicher Welten: Etwas ist möglich, was in einer möglichen Welt wirklich ist. Allerdings tritt nun in dem Ausdruck ‚mögliche Welt‘ auch erneut das Attribut ‚möglich‘ auf. Insofern fragt sich, wie diese präzise gefasst werden kann, und es scheint intuitiv plausibel zu sein, dass eine mögliche Welt, die zugleich unmöglich wirklich werden kann, eben keine mögliche Welt ist.118 Der Unterschied zwischen ‹Möglichem› und ‹Wirklichem› muss also einen 115
Vgl. Hegel, WdL I, S. #382 (236), Z. 17–20. Siehe ebd., S. #382 (236), Z. 21–24: „Diß bloß formelle von Etwas aussagen, – es i s t m ö g l i c h, – ist daher eben so flach und leer, als der Satz des Widerspruchs und jeder in ihn aufgenommene Inhalt, A ist möglich, heißt so viel als A ist A. Insofern man sich nicht auf die Entwiklung des Inhalts einläßt, so hat dieser die Form der E i n f a c h h e i t[.]“ 117 Vgl. ebd., S. #382 (237), Z. 32–37. 118 Hegel fasst den Bezug des ‹Möglichen› auf das ‹Wirkliche› als ‹Sollen›, das er schon in der Seinslogik abgehandelt hat. Es drückt aus, dass das ‹Mögliche› eigentlich so gedacht werden muss, 116
418 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik gewissen Bezug zulassen.119 Doch solange der Unterschied nicht klar etabliert ist, meint Hegel, sei auch nicht klar, warum das ‹Wirkliche› nicht bloß ein ‹Mögliches› sei.120 Meines Erachtens ist Hegels Gedanke, der auf die Einführung der Kategorie ‹Zufälligkeit› abzielt, am besten zu verstehen, wenn man annimmt, dass sich aus der Unterscheidung von ‹Wirklichkeit› und ‹Möglichkeit› als Kategorien ein antinomisches Oszillieren – das hier nicht nachgewiesen, sondern nur angedeutet werden kann – ergibt. Dieses zeigt, dass beide Bedeutungen notwendig zusammen gehören, da beide Kategorien für die je andere bedeutungskonstitutiv sind, jedoch kommt es so zum Oszillieren zwischen der Identität und der Verschiedenheit der beiden Kategorien: ‹Möglichkeit› ist von der ‹Wirklichkeit› unterschieden, aber wenn die Unterscheidung betont wird, wird ‹Möglichkeit› zum ‹Unmöglichen› – zu demjenigen, was dem ‹Wirklichen› entgegengesetzt ist. Ist aber die ‹Möglichkeit› nicht in ihrem Sinn festzuhalten, so schlägt das durch auf die ‹Wirklichkeit›, weil diese die ‹Möglichkeit› zu ihrer notwendigen Bedingung hat. Es sprengt den Rahmen dieser Arbeit, Hegels Gedanken zu stützen und das antinomische Verhältnis abzuleiten, aber nimmt man es hypothetisch an, wird durch die angeführte Überlegung zumindest verständlich, dass im Falle eines antinomischen Oszillierens eine Syntheseforderung gegeben wäre, die man fassen kann, als ‹Wirkliches, das zugleich bloß möglich ist›. Diese Definition erfüllt dann, so Hegel, die Kategorie ‹Zufälligkeit›.121 dass es seinen Status als ‹möglich› hin zum ‹Wirklichen› überschreitet oder zumindest eine Tendenz besitzt, diesen Schritt zu machen. Daher scheint eine Anspielung auf Leibniz’ Prinzip vom Streben der Möglichkeiten nach Wirklichkeit vorzuliegen. Siehe Leibniz, „De Veritatibus Primis“, S. 1443: „Nisi in ipsa Essentiae natura esset quaedam ad existendum inclinatio, nihil existeret; nam dicere quasdam essentias hanc inclinationem habere[.]“ Vgl. zu diesem Prinzip: Hermanni, Metaphysik, S. 60–66; Hermanni, „Der ontologische Gottesbeweis“, S. 263–266; Hermanni, „Warum ist überhaupt etwas? Überlegungen zum kosmologischen und ontologischen Argument“, S. 41–45. Vgl. auch Hermannis Einwand gegen Rescher, der eine Revision seiner eigenen Argumentation darstellt. Hermanni, „Warum ist überhaupt etwas möglich? Eine Antwort auf Nicholas Rescher“, S. 479–481. Vgl. den von Hermanni kritisierten Artikel: Rescher, „Why is There Anything at all?“ 119 Dass er schwer zu bestimmen ist, zeigt etwa D. Lewis Strategie. Dieser sieht keinen qualitativen Unterschied zwischen den wirklichen und möglichen Welten, sondern vermeint den Unterschied in der indexikalischen Bezugnahme. Vgl. Lewis, On the plurality of worlds, S. 92–96. 120 Siehe Hegel, WdL I, S. #383 (238), Z. 20–23: „Das Wirkliche als solches ist möglich; es ist in unmittelbarer positiver Identität mit der Möglichkeit; aber diese hat sich bestimmt als n u r Möglichkeit; somit ist auch das Wirkliche bestimmt a l s n u r e i n M ö g l i c h e s.“ Hegels Argument scheint hier allerdings auf einem Sophismus zu beruhen, da er die Kopula als Identität liest und die Kategorie ‹Möglichkeit› zwar plausiblerweise den Gedanken eines ‹bloß Möglichen› mit sich führt, aber deswegen nicht schon in diesem Gedanken erschöpft ist. Auch die Argumentation in der Enzyklopädie scheint mir nicht viel überzeugender zu sein, da Hegel hier meint, dass, wenn ‹wirklich› ganz formal zu beliebigem Inhalt bestimmt wird, es so sei, weil alles als ‹wirklich› bestimmt werden kann, auch das ‹Wirkliche› nur ein ‹Mögliches›. Vgl. Hegel, Enz. I, § 144, S. 284. 121 Siehe Hegel, WdL I, S.#383 (238): „Diese Einheit der Möglichkeit und Wirklichkeit ist die Z u f ä l l i g k e i t.“
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
419
Von der ‹Zufälligkeit› leitet Hegel zu der zweiten Form der Modalkategorien über, die er ‚relative Modalitäten‘ bezeichnet und deren Unterkapitel entsprechend ‚B. Relative Nothwendigkeit oder reale Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit‘122 nennt. Die relativen Modalkategorien zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen Bedinungsverhältnisse die Modalkategorien bestimmen sollen. Hegels Ableitung ist allerdings kompliziert, denn im ersten Schritt scheint er die ‹Zufälligkeit› als gelungene Synthese der formalen Modalkategorien infrage zu stellen, da in dieser ein erneuter antinomischer Widerstreit auftritt:123 In dem ‹Wirklichen, das zugleich bloß möglich ist› tritt insofern die Antinomie, die hier hypothetisch mit Hegel angenommen wurde, erneut auf, als dass, wenn man die Möglichkeitsseite in dem zufälligen Wirklichen betont, dieses als grundlos – sonst wäre es hypothetisch notwendig – erscheint. Betont man hingegen die Wirklichkeitsseite, so könne es, als Zufälliges nicht die Bestimmung völliger Selbstständigkeit haben, und müsse daher „ein G e s e t z t s e y n“ sein, woraus folge, so Hegel, dass es einen Grund habe.124 In einem erneuten Oszillieren trete nun der Begriff ‹Notwendigkeit› hervor. Es ist schwer den Sinn des hegelschen Gedankens zu fassen, denn Hegel hebt in den zwei abschließenden Absätzen des Unterkapitels auf der einen Seite darauf ab, dass das ‹zufällig Wirkliche› einen Grund habe und daher notwendig aus diesem Grund folge,125 auf der anderen Seite, dass kein Unterschied zwischen ‹Möglichkeit› und dem ‹zufällig Wirklichen› bestünde.126 Beide Notwendigkeitsbegriffe scheinen hier aber fehl am Platze, denn die ‹hypothetische Notwendigkeit›, dass etwas aus einem Grund folgt, wird sich plausibel an die relativen Modalkategorien anschließen, während etwas, das durch seine eigene ‹Möglichkeit› ‹wirklich› ist, bereits verdächtig nach einem ‹absolut Notwendigen› klingt, wie im Folgenden deutlicher wird. Dementsprechend hat Hegel in der enzyklopädischen Logik auf den Notwendigkeitsbegriff für die formalen Modalkategorien verzichtet und statt122
Vgl. Hegel, WdL I, S. #385 (241), Z. 13–17. Dass ein solcher am Werk ist, kann den Vergleichen entnommen werden, die Hegel mit den Kategorien des ‹Grundes›, des ‹Inneren› und ‹Äußeren›, des ‹In-sich-reflektiert-seins› und des ‹Seins› anstellt, und schließlich kann daraus erschlossen werden, dass er auf die „a b s o l u t e U n r u h e des We r d e n s dieser beyden Bestimmungen“ in der ‹Zufälligkeit› hinweist. Vgl. ebd., S. #384 (239 f.), Z. 17–22 und ebd., S. #384 (240), Z. 31 f. 124 Vgl. ebd., S. #384 (239), Z. 7–16. 125 Siehe ebd., S. #384 f. (240), Z. 35–1: „Das Nothwendige ist ein W i r k l i c h e s; so ist es als unmittelbares g r u n d l o s e s; es hat aber eben so sehr eine Wirklichkeit d u r c h e i n a n d e r e s oder in seinem Grunde, aber ist zugleich das Gesetztseyn dieses Grundes und die Reflexion desselben in sich[.]“ 126 Siehe ebd., S.#385 (240), Z. 2–6: „Das Zufällige ist also nothwendig, darum weil das Wirkliche als Mögliches bestimmt, damit seine Unmittelbarkeit aufgehoben und in G r u n d oder A n s i c h s e y n, und in B e g r ü n d e t e s abgestossen ist, als auch weil diese seine M ö g l i c h k e i t, die G r u n d b e z i e h u n g, schlechthin aufgehoben und als seyn gesetzt ist.“ Siehe auch ebd., S.#385 (241), Z. 10 f.: „So ist die Wirklichkeit in ihrem unterschiedenen, der Möglichkeit, identisch mit sich selbst. Als diese Identität ist sie Nothwendigkeit.“ 123
420 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik dessen aus der Betrachtung des ‹zufällig Wirklichen› das ‹Bedingungsverhältnis› abgeleitet, das für die Einführung der relativen Modalkategorien entscheidend ist.127 Mit etwas Mühe lässt sich aber vielleicht der Begriff der logischen Notwendigkeit aus Hegels Text herauslesen, auch er das nicht nahelegt. Der Gedanke wäre: Die Syntheseanforderung ‹Wirkliches, das zugleich möglich ist› könnte dem antinomischen Progress vielleicht auch umgekehrt entnommen werden: ‹Mögliches, das zugleich wirklich› ist, und zwar nicht in dem trivialen Sinn, indem jedes ‹Wirkliche› ‹möglich› ist, sondern in dem anspruchsvollen, dass mit der ‹Möglichkeit› zugleich die ‹Wirklichkeit› gegeben ist. Ein Mögliches, das aber in jedem Fall und immer wirklich ist, wäre ein Notwendiges. Denn es wäre ein ‹Mögliches›, das unter allen Umständen und in allen Hinsichten wirklich ist. Und dieses wäre – wenn man so will – in allen möglichen Welten wirklich. Dasjenige, was aber in allen möglichen Welten wirklich ist, ist logisch notwendig. Wie oben gesagt, ist dieser Gedanke kaum aus Hegels Argumentation herauszuholen, aber vielleicht lassen sich seine Schlusssätze des Unterkapitels in diese Richtung interpretieren, also dass ein immer und unter allen Umständen ‹Wirkliches› eine in allen möglichen Welten realisierte ‹Möglichkeit› ist: So ist die Wirklichkeit in ihrem unterschiedenen, der Möglichkeit, identisch mit sich selbst. Als diese Identität ist sie Nothwendigkeit.128
Die realen Modalkategorien. Mit den realen Modalkategorien geht Hegel einen Schritt über die formalen hinaus. Das von ihm gezeichnete Bild der ‹formalen Möglichkeit› und den daraus ableitbaren Modalbegriffen weist hinreichende Verwandtschaft mit den heute oft gebrauchten Versionen von Modalbegriffen auf. Natürlich ist Hegel weit davon entfernt, ein axiomatisiertes Model, in dem Beweisbarkeit, Vollständigkeit et cetera mit logischmathematischen Methoden sinnvoll diskutiert werden kann, vorzulegen, und daher bleibt er natürlich an Klarheit und Präzision weit hinter der Entwicklung der modernen Modallogik zurück, die sich im Wesentlichen erst im 20. Jahrhundert formiert hat. Dennoch hat Hegel zumindest einen klaren Blick für die Formalität und das Hauptkriterium der ‹logischen Möglichkeit›: die Widerspruchsfreiheit. Jedoch sieht Hegel sich genötigt, über diese Konzeption hinaus zu gehen und die ‹realen Modalkategorien› einzuführen. Zum einen ist klar, dass der Begriff der ‹logischen Notwendigkeit› nicht hinreichend ist, um Hegels Ziel, absolute Wahrheit und Letztbegründung, zu denken. Dass aber absolute Wahrheit und die damit verbundene Notwendigkeit verstanden werden muss, ist ein Leitfaden der ganzen WdL, der sich in der semantisch-pragmatischen Diskrepanz und in den jeweils noch unzureichenden Definitionen des Absoluten ausdrückt. Damit ist 127 128
Vgl. Hegel, Enz. I, §§ 145 f., S. 284–288. Hegel, WdL I, S.#385 (241), Z. 10 f.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
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die Notwendigkeitsfrage auch ein entscheidendes Moment der Fortentwicklung für die Logik. Die ‹logische Notwendigkeit›, frei gefasst als ‚Wirklichkeit in allen möglichen Welten‘, ist aber dafür zunächst ein unterbestimmter Begriff, denn tatsächlich sagt er nichts darüber aus, was denn auf diese Weise notwendig ist und wie das herausgefunden werden kann. Damit kann er aber seine eigene Geltung auch nicht darstellen, denn es stellt sich zumindest die Frage, warum diese Konzeption in allen möglichen Welten wahr ist. Für Hegel ist dieser Begriff ‹logischer Notwendigkeit› daher mit dem ‹Zufall› verbunden, weil es wie zufällig erscheinen kann, dass eine Proposition zu allen Büchern der möglichen Welten gehört. Es scheint aber darüber hinaus auch keine klare Abgrenzung der ‹formalen Modalbegriffe› vorzuliegen, wenn die ‹Notwendigkeit› über die Wirklichkeit in allen möglichen Welten bestimmt wird – denn dabei werden prima facie andere Modalbegriffe verwendet: Besteht die Möglichkeit einer möglichen Welt wiederum in der Zugehörigkeit zu einer möglichen Welt zweiter Stufe, einem möglichen Universum? Aber diese Konzeption führt dann schnell in den Regress, denn auch das mögliche Universum muss in ein höherstufiges Modell von Möglichkeiten eingeordnet werden, wenn der enthaltene Möglichkeitsbegriff geklärt werden muss. Zudem wird ‹Möglichkeit› als ‹Wirklichkeit› definiert, sodass für Hegel ein schlechter Zirkel vorliegt, wenn ‹Wirklichkeit› als ‚‹Möglichkeit› + X‘ definiert werden soll, ‹Möglichkeit› selbst aber durch den Begriff der ‹Wirklichkeit› bestimmt wird.129 Diese Zusammengehörigkeit drückt sich in dem von Hegel anvisierten antinomischen Oszillieren aus, das sich in der Analyse der beiden Kategorien zeigen soll. Diese Mangelhaftigkeit des modallogischen Modells soll nun in den realen Modalbegriffen gelöst werden. In diesen soll zum einen der Gehalt der Proposition, auf die sich der jeweilige Modalbegriff bezieht, eine größere Rolle spielen, zum anderen aber das Bedingungsverhältnis für die Definition der Modalkategorien entscheidend sein. Denn die Bedingungen sind die conditio sine qua non eines Sachverhaltes oder Gegenstandes und insofern ermöglichen sie ihn erst. Damit legt Hegel das Bild eines holistischen Zusammenhangs nahe, in dem die Glieder in wechselseitigen Bedingungs- und damit Ermöglichungsverhältnissen stehen. Daraus folgt allerdings, dass die ‹realen Möglichkeiten› und die ‹realen Wirklichkeiten› nicht mehr verschiedenen Sphären – verschiedenen Welten – angehören, sondern Teil einer Welt sind, in der ihr Zusammenhang besteht. Denn, um ein Beispiel zu bemühen, wenn Wolken eine 129 Eine genauere Analyse der hegelschen Argumentation mit Rücksicht auf die moderne Modallogik wäre sicher wünschenswert. Als erste Evidenz, dass Hegels Problemdiagnose zumindest nachvollziehenswert ist, kann aber darauf hingewiesen werden, dass etwa der modale Realismus von D. Lewis den Wirklichkeitsbegriff und den Möglichkeitsbegriff identifiziert und lediglich indexikalisch unterscheidet. Vgl. Lewis, On the plurality of worlds, S. 92–96. Dagegen richtet sich aber zum Beispiel U. Meixner, der unterschiedliche Existenzweisen bestimmt, um den qualitativen Unterschied zwischen einem wirklichen Individuum und seinem möglichen Individuale festzuhalten. Vgl. Meixner, Modalität, S. 95–111.
422 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik Möglichkeitsbedingung für Regen sind, dann müssen Wolken ‹wirklich› sein, wenn es regnet. Hegel schließt hier zum einen an das aristotelische Möglichkeitsverständnis an, dass sich auf Möglichkeiten innerhalb dieser wirklichen Welt, etwa in Form von Dispositionen, konzentriert, anstatt mit alternativen möglichen Welten zu rechnen. Dass Hegel dieser Auffassung der Modalitäten nahesteht, wird oft betont und ist sicher richtig. Es ist jedoch ebenfalls wichtig zu betonen, dass Hegel der kantischen Konzeption folgt. Nicht nur unterscheidet er wie Kant zwischen logischen und realen Modalitäten, die er dann – gegen Kant – noch um die ‹absolute Notwendigkeit› ergänzt. Er stimmt Kant auch darin zu, reale Modalbegriffe durch Bedingungsverhältnisse zu definieren. Denn auch für Kant sind die logischen Modalitäten für Erkenntnis unzureichend und unterbestimmt, weshalb er Bedingungsverhältnisse ins Zentrum seines Modalverständnisses rückt.130 In den realen Modalkategorien tritt nun der Inhalt dessen, was als ‹wirklich›, ‹möglich› oder ‹notwendig› bestimmt wird, stärker in den Vordergrund. Das soll durch den Fokus auf Bedingungsverhältnisse geleistet werden. Wie leitet Hegel aber den Fokus auf Bedingungsverhältnisse in der WdL ab? Eine zu oberflächliche Antwort wäre, dass die Kategorie der ‹Möglichkeit› als notwendige Bedingung der ‹Wirklichkeit› eingeführt wurde, die mit anderen notwendigen Bedingungen hinreichend sein sollte, um ‹Wirklichkeit› zu verstehen. Zwar hat sich im Rahmen der formalen Modalkategorien keine Klärung der ‹Wirklichkeitskategorie› ergeben, weshalb die Frage durch einen erneuten Anlauf in den ‚realen Modalbegriffen‘ in Angriff genommen wird. Aber für die Konzentration auf Bedingungsverhältnisse als Kennzeichen der ‚realen Modalkategorien‘ ist der Status der ‹Möglichkeitskategorie› als notwendige Bedingung zu allgemein, da alle dihairetischen Kategorien füreinander notwendig sind und dieser Schritt daher in jedem Übergang der Logik vollzogen werden könnte. Hegel gibt daher eine andere Antwort oder besser: Antworten, da er in der großen und enzyklopädischen Logik verschiedene Ableitungen vorschlägt. In der enzyklopädischen Logik entspringt der Gedanke aus der ‹Zufälligkeit›: Diese ist ebenso wirklich wie auch vergänglich. Aber weil auf einen zufälligen Sachverhalt oder einen zufälligen Gegenstand nicht nichts folgt, sondern ein anderer Sachverhalt oder Gegenstand, nennt Hegel die Vergänglichkeit des Einen die Möglichkeit oder Bedingung des Anderen.131 In der großen Logik geht der Argumentationsstrang vom Begriff der ‹formellen Notwendigkeit› aus, den zu plausibilisieren oben versucht wurde. Was ‹notwendig› ist, ist natürlich auch ‹wirklich›. In der Analyse der notwendigen Bedingung des ‹Wirklichen› hatte sich aber schon ergeben, dass die ‹Möglichkeit› nur durch die Beziehungen ihres Inhaltes, dessen was ‹möglich› ist, 130 131
Vgl. Schneeberger, Kants Konzeption der Modalbegriffe. Vgl. auch oben Abschnitt 2.1. Vgl. Hegel, Enz. I, § 146, S. 287.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
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verstanden werden kann. Denn die ‹formelle Möglichkeit› ist durch die Widerspruchsfreiheit definiert, aber das ist einerseits das Verhältnis der Inhaltsbestimmungen untereinander, zum anderen das Verhältnis von verschiedenen Sachverhalten oder Gegenständen, die auch zusammen ‹möglich› sein müssen.132 Insofern tritt der Inhalt der Modalkategorie hervor, der aber zugleich durch seine inneren und äußeren Relationen bestimmt ist, wobei natürlich Hegels Grundsatz „omnis determinatio negatio est“ im Hintergrund steht, den er mit Spinozas Philosophie in Verbindung bringt.133 Durch die äußeren Relationen ist nun aber die ‹Möglichkeit› eines Etwas nicht nur von ihm selbst abhängig, sondern auch von der, unhegelisch gesprochen: ganzen möglichen Welt. Dann sind aber folglich die Umstände, die anderen vielfachen Sachverhalte und Gegenstände Bedingungen der ‹Wirklichkeit› und der ‹Möglichkeit›.134 Natürlich gilt auch das umgekehrte Verhältnis, dass ein bestimmter ‹möglicher› oder ‹wirklicher› Sachverhalt durch seinen Inhalt die Bedingung für andere ‹Möglichkeiten› oder ‹Wirklichkeiten› ist, was zu ihrer Identität und ihrem Selbstverhältnis gehört. Dieses ‚Bedingung für andere sein‘ assoziiert Hegel – vermutlich auch aufgrund der Bezeichnung ‹Wirklichkeit› – bereits mit dem Kausalitätsverhältnis, das erst später im Abschnitt analysiert wird.135 Aber in jedem Fall verweist der Inhalt der Modalkategorien für Hegel auf die Betrachtung der Bedingungsverhältnisse, der er unter dem Stichwort ‚reale Modalkategorien‘ nachgeht. Die ‹reale Wirklichkeit› hat nun nicht nur die Kategorie der ‹Möglichkeit› in dem oben genannten Sinne als ihre notwendige Bedingung, sondern bezeichnet etwas, was explizit zu anderem in Relation steht, das seine Bedingung und damit seine ‹reale Möglichkeit› bildet, und ist zugleich selbst ‹reale Möglichkeit› für anderes. Die Relation sorgt dabei dafür, dass unter diesen Modalbegriffen Verhältnisse innerhalb einer Welt betrachtet werden: ‹Reale Möglichkeit› und ‹reale Wirklichkeit› sind nicht aufgeteilt auf verschiedene maximalkonsistente Mengen, sondern sind Aspekte 132
Vgl. Hegel, WdL I, S. #182 (236), Z. 17–28. Vgl. ebd., S. 101 (104 f.) Vgl. Hösle, Hegels System, S. 195, Fn. 74, der darauf hinweist, dass sich diese Formel nur in einem Brief von Spinoza findet. 134 Siehe Hegel, WdL I, S. #385 (241 f.), Z. 23–29: „Als u n m i t t e l b a r e Einheit der Formbestimmungen, ist diese Nothwendigkeit W i r k l i c h k e i t; aber eine solche, die, weil ihre Einheit nunmehr b e s t i m m t i s t a l s g l e i c h g ü l t i g gegen den U n t e r s c h i e d der Formbestimmungen, nemlich ihrer selbst und der Möglichkeit, einen I n h a l t hat. Dieser als gleichgültige Identität enthält auch die Form als gleichgültige, d. h. als bloß ve r s c h i e d e n e Bestimmungen, und ist m a n n i c h f a l t i g e r Inhalt überhaupt. Diese Wirklichkeit ist r e a l e W i r k l i c h k e i t.“ Auf die Koordination aller Entiäten in einer möglichen Welt legt auch Leibniz wert, wenn er die Monaden als Spiegel der Welt bezeichnet, die darum in Harmonie existieren. Siehe Leibniz, „Monadologie“, § 56, S. 50: „Or cette liason ou cet accomodement de toutes les choses creées a chacune et de chacune a toutes les autres, fait que chaque substance simple a des rapports qui expriment toutes les autres, et qu’elle est par conseqeunt un miroir vivant perpetuel de l’univers.“ 135 Siehe Hegel, WdL I, S. #385 f. (242), Z. 33–1: „[I]hre [d. i. die reale Wirklichkeit; Einschub G. M.] Ausserlichkeit ist innerliches Verhalten nur z u s i c h selbst. Was wirklich ist, k a n n w i r k e n ; seine Wirklichkeit gibt Etwas kund d u r c h d a s , w a s e s h e r vo r b r i n g t.“ 133
424 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik innerhalb derselben maximalkonsistenten Menge.136 Und ein Sachverhalt kann sowohl als ‹real wirklich› betrachtet werden, insofern er aus seinen Bedingungen, aus seiner ‹realen Möglichkeit› hervorgeht, aber auch selbst als ‹reale Möglichkeit›, insofern er zu den Bedingungen für anderes ‹real Wirkliches› gehört.137 Dabei scheint Hegel davon auszugehen, dass die Gesamtheit der ‹realen Möglichkeiten› auch die vollständige Menge aller notwendigen Bedingungen ist und daher zusammen die hinreichende Bedingung für etwas bildet.138 Aus dieser Charakterisierung, also dass die Gesamtheit der Bedingungen, die ‹reale Möglichkeit›, hinreichend ist, ergeben sich nun allerdings Probleme in der Hinsicht, dass zugleich dasjenige, was etwas ist, nur durch seine Beziehungen zu den anderen ‹real wirklichen› Sachverhalten und Gegenständen spezifiziert werden kann. Dann ist aber das ‹real Wirkliche› vollständig durch die Menge aller seiner ‹realen Möglichkeiten› bestimmbar und insofern analytisch enthalten. Im vorliegenden Kontext ist jedoch interessanter, dass Hegel sich legitimiert sieht, die ‹reale Notwendigkeit› als explikative Kategorie einzuführen, die das Verhältnis zwischen den insgesamt hinreichenden Bedingungen und dem Bedingten angibt. Denn in gewisser Weise, so Hegel, ist alles ‹real Mögliche› als ‹real notwendig› bestimmt. Denn in dem holistischen Bild, das Hegel gezeichnet hat, in dem eine Welt von wirklichen Sachverhalten und Gegenständen einander die Ermöglichungsbedingungen bilden, ist auch alles, was wirklich ist, durch die vollständige Menge seiner Bedingungen ‹real notwendig› und deswegen ‹real wirklich›.139 Der Grund für die Einführung der ‹realen Notwendigkeit› liegt also darin, dass die vollständigen Bedingungen hinreichend für die ‹reale Wirklichkeit› sind. Wenn nun alle Bedingungen gegeben sind, folgt das Bedingte mit ‹Notwendigkeit›. So ist durch die Folge des Bedingten auf das Bedingende ‹Notwendigkeit› implizit in die Konzeption aufgenommen, die dann expliziert werden muss. Allerdings genügt 136 Siehe Hegel, WdL I, S. #386 (242 f.), Z. 13–22: „Insofern man sich aber auf die Bestimmungen, Umstände, Bedingungen einer Sache einläßt, um daraus ihre Möglichkeit zu erkennen, bleibt man nicht mehr bey der formellen stehen, sondern betrachtet ihre reale Möglichkeit. Diese reale Möglichkeit ist selbst u n m i t t e l b a r e E x i s t e n z, [. . . ]. Die reale Möglichkeit einer Sache ist daher die daseyende Mannichfaltigkeit von Umständen, die sich auf sie beziehen.“ 137 Vgl. ebd., S. #387 (244 f.), Z. 23–25. 138 Siehe ebd., S. #387 (244), Z. 14: „Wenn alle Bedingungen einer Sache vollständig vorhanden sind, so tritt sie in Wirklichkeit; – die Vollständigkeit der Bedingungen ist die Totalität als am Inhalte, und d i e S a c h e s e l b s t ist dieser Inhalt bestimmt eben so ein Wirkliches als Mögliches zu seyn.“ Vgl. dazu auch Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 156–158. 139 Siehe Hegel, WdL I, S. #388 (246), Z. 11–18: „Die formelle Möglichkeit ist diese Idenität als Uebergehen in schlechthin Anderes; die reale aber, weil sie das andere Moment, die Wirklichkeit, an ihr hat, ist schon selbst die Notwendigkeit. Was daher real möglich ist, das kann nicht mehr anders seyn; unter diesen Bedingungen und Umständen kann nicht etwas anderes erfolgen. Reale Möglichkeit und die Nothwendigkeit sind daher nur s c h e i n b a r unterschieden; diese ist eine I d e n t i t ä t, die nicht erst w i r d, sondern schon vo r a u s g e s e t z t ist, und zu Grunde liegt.“
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
425
diese Implikation eigentlich nicht zur Rechtfertigung der explikativen Kategorie ‹Notwendigkeit›, da Gleiches an beliebigen anderen Stellen der WdL argumentiert werden könnte: Aus der ‹Form› folgt, dass sie die ‹Form› eines ‹Inhalts› ist, und zwar notwendig, und aus den ‹Gründen› folgt notwendig das ‹Begründete›. Jedesmal könnte also die Kategorie ‹Notwendigkeit› legitim eingeführt werden. Daher formuliert Hegel noch ein spezifischeres Argument, dass in den vorhergehenden Kategorien der ‹realen Möglichkeit› und ‹realen Wirklichkeit› die Bedeutung des zu Explizierenden bestimmt. Dieses Argument kann wie folgt rekonstruiert werden: Wenn die Kategorie ‹reale Wirklichkeit› als Bedingtes und die ‹reale Möglichkeit› als Bedingungsverhältnis definiert wird, so folgt aus der vollständigen Angabe aller ‹realen Möglichkeiten›, also aller Bedingungen für einen Sachverhalt, der ‹real wirkliche› Sachverhalt. In dieser Ableitung ist aber die Struktur gegeben: ‹Wirkliches, das aus seinen wirklichen Möglichkeiten folgt› – und das ist eine brauchbare Definition von ‹realer Notwendigkeit›.140 Nun argumentiert Hegel allerdings zusätzlich, dass eigentlich auch die Kategorie ‹Zufälligkeit› als Resultat des Oszillierens von ‹realer Möglichkeit› und ‹realer Wirklichkeit› eingeführt werden könnte. Denn zum einen ist die Menge der Bedingungen hinreichend für das Bedingte, und so scheint Hegel anzudeuten, dass man das Bedingte auch auf seine vollständigen Bedingungen reduzieren könnte. In dem Fall wäre die Struktur des Kategorienverhältnisses auch zu deuten als ‹Wirkliches, das seine Möglichkeit ist› – was die Kategorie ‹Zufälligkeit› fassen würde. Zum anderen geht diese Explikationsanforderung aber auch daraus hervor, dass innerhalb des holistischen Zusammenhangs, von dem Hegel ausgeht, das Bedingte selbst als Bedingung für anderes fungiert. Verschärft man diese Funktion dahingehend, dass es auch nur Bedingung für anderes ist, so lässt es sich dann auch fassen als ‹das Wirkliche, das selbst ein bloß Mögliches ist›.141 Es können, so scheint Hegels Gedanke, also beide Kategorien eingeführt werden. Dennoch ist die ‹reale Notwendigkeit› auch für sich problematisch und für Hegels Zwecke nicht zureichend. Denn die ‹Notwendigkeit› ist auf die eingeführte Weise relativ zu ihren Bedingungen, hypothetisch.142 Daher wird sie per definitionem nicht dem Anspruch der Logik auf Letztbegründung gerecht und kann mit den 140 Siehe Hegel, WdL I, S. #388 (246), Z. 27–29: „Als diese Einheit der beyden Momente ist sie [d. i. die reale Notwendigkeit; Einschub G. M.] die Totalität der Form, aber die s i c h n o c h ä u s s e r l i c h e Totalität; sie ist so Einheit der Möglichkeit und Wirklichkeit[.]“ Das Pronomen ‚sie‘ ist in diesem Zitat schwer zuzuordnen. Meines Erachtens ist der Bezug auf die ‚Notwendigkeit‘, mit welcher der Absatz einsetzt, aber die inhaltlich einzig sinnvolle Interpretation. 141 Siehe ebd., S. #388 (246 f.), Z. 31–33: „[I]nsofern diese Möglichkeit der Existenz gesetzt ist, ist sie bestimmt als n u r Möglichkeit, als unmittelbares Umschlagen der Wirklichkeit in ihr Gegentheil, – oder als Z u f ä l l i g k e i t.“ 142 Siehe ebd., S. #388, (246), Z. 21: „Diese Nothwendigkeit aber ist zugleich r e l a t i v. – Sie hat nemlich eine Vo r a u s s e t z u n g, von der sie anfängt, sie hat an dem Z u f ä l l i g e n ihren A u s g a n g s p u n k t.“
426 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik Problemen innerhalb des Münchhausen-Trilemmas verglichen werden, da dieses die Notwendigkeit als eingeschränkte, relative aufzeigt, solange sie in einem deduktiven Modell gefasst wird. Dass so nur hypothetische Notwendigkeit möglich ist, scheint offensichtlich. So ist auch das durch seine Bedingungen ‹real Wirkliche› notwendig, aber nur im Bezug auf diese und daher abhängig von deren modalen Status. Wenn die Bedingungen aber selbst ‹zufällig› sind, ist es letztlich auch das aus den Bedingungen folgende Bedingte. Sind die Bedingungen hingegen selbst hypothetisch ‹notwendig›, muss für die Einschätzung des endgültigen Notwendigkeitsstatus weiter zurück gefragt werden – ein Regress droht, von dem nicht klar ist, wie er innerhalb des Models der ‹realen Modalbegriffe› beendet werden kann. Die ‹reale Notwendigkeit› kann also auf der ‹Zufälligkeit› ihrer Bedingungen beruhen. Aber es kommt noch hinzu, dass dasjenige, wovon die Modalbegriffe ausgesagt werden, auch im Fall der realen Modalkategorien noch unzureichend durchdrungen ist. Denn, so argumentiert Hegel, auch im Fall der ‹realen Notwendigkeit› ist diese eigentlich gleichgültig gegenüber demjenigen, von dem sie ausgesagt wird. Daher kann Beliebiges, Endliches et cetera als ‹real notwendig› bestimmt werden. Das kann an unseren Intuitionen illustriert werden, denn auch wenn wir auf der einen Seite davon ausgehen, dass Ereignisse in unserer Welt naturgesetztlich notwendig sind – also aus ihren Bedingungen notwendig folgen –, hindert uns das zugleich nicht, von Zufällen auszugehen. Dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt regnet, ist sicher aus den Umständen und Gesetzen notwendig, zugleich würde man dabei eine gewisse Zufälligkeit zulassen. Hegels Argument scheint sich dann dahingehend verstehen zu lassen, dass der Regen eben nicht durch sich selbst als notwendig verstanden werden muss – und das ist der zweite Mangel der ‹realen Notwendigkeit›.143 Eine so dunkle wie interessante Bemerkung Hegels sei in diesem Zuge noch angeführt, die andeutet, wie Hegel sich diejenige Notwendigkeit denkt, die für seine WdL entscheidend ist. So schreibt Hegel zur ‹realen Notwendigkeit›: Dadurch daß, wie gezeigt, diß Andersseyn sich aufhebt, und diß Gesetztseyn selbst gesetzt wird, wird die reale Möglichkeit zwar Nothwendigkeit; aber diese fängt somit von jener noch nicht in sich reflectierten Einheit des Möglichen und Wirklichen an; – dieses Vo r a u s s e t z e n und die in sich z u r ü k k e h r e n d e B e we g u n g ist noch getrennt; – oder die N o t h w e n d i g k e i t h a t s i c h n o c h n i c h t a u s s i c h s e l b s t z u r Z u f ä l l i g k e i t b e s t i m m t.144
Der erste Teil des Zitates beschreibt die ‹reale Notwendigkeit›, die durch das Bedingungsverhältnis begründet ist, aber dadurch relativ zu Voraussetzungen bleibt, 143 Siehe Hegel, WdL I, S. #389 (247), Z. 3–7: „Die Relativität der realen Nothwendigkeit stellt sich an dem I n h a l t e so dar, daß er nur erst die gegen die Form gleichgültige Identität, daher von ihr unterschieden und ein b e s t i m m t e r I n h a l t überhaupt ist. Das real Nothwendige ist deßwegen irgend eine beschränkte Wirklichkeit, die um dieser Beschränktheit willen in anderer Rüksicht auch nur ein Z u f ä l l i g e s ist.“ 144 Ebd., S. #388 f. (247), Z. 35–2.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
427
von denen jedenfalls nicht unmittelbar eindeutig ist, ob sie ebenfalls ‹notwendig› sind. Darauf folgt nach dem ersten Gedankenstrich die erwartbare Lösung – eine Notwendigkeit, die nun nicht das Bedingungsverhältnis hinter sich lässt, sondern selbst die eigenen Bedingungen bestimmt, wäre somit ihre eigene Bedingung und ihr Bedingtes. Diese Struktur ist, was Hegel dann als ‹absolute Notwendigkeit› bestimmt. Das Problem ist also die Unterscheidung von Bedingungen und Bedingtem. Jedoch folgt nach dem zweiten Gedankenstrich eine Reformulierung des Problems, die nicht unmittelbar einleuchtend ist: Denn warum sollte die Relativität des Bedingten zu den Bedingungen davon abhängen, dass die ‹Notwendigkeit› sich noch nicht selbst zur ‹Zufälligkeit› bestimmt hat? Hier scheinen mir zwei Interpretationen möglich, die Momente des hegelschen Gedankens bilden: 1. Das ‹Zufällige› sind einfach die Bedingungen, sodass der Mangel, wie gerade ausgeführt, in der fehlenden Selbstbedingung und Selbstbegründung besteht, wobei diese Selbstbedingung natürlich zirkulär wäre. 2. Oder aber Hegel spielt nicht nur auf eine zirkuläre Selbstbedingung an, sondern auf einen negativen Beweis. Diese Interpretation kann sich darauf stützen, dass zwischen ‹Zufälligkeit› und ‹Notwendigkeit› ein kontradiktorisches Verhältnis besteht. Nun soll die mangellose ‹Notwendigkeit› dem Zitat nach darin bestehen, dass diese nicht in sich selbst den Grund hat, sich zur ‹Zufälligkeit› zu bestimmen. Was aber soll das heißen? Der Vorschlag wäre, dass es Hegel hier um die logische Struktur geht, in welcher das Notwendige deswegen das Notwendige ist, weil es sich selbst als die Voraussetzung, als Wahrheit, wie Hegel solche Verhältnisse oft nennt, seines kontradiktorischen Gegenteils zeigt. Denn in einem negativen Beweis, der auf einem dialektischperformativen Widerspruch – nicht auf einem formallogischen – beruht, ist genau das gegeben: Der Satz ‚Es gibt keine Wahrheit‘ setzt selbst seine eigene Wahrheit voraus. Insofern gilt die ‚Wahrheit‘ in ihrem kontradiktorischen Gegenteil. Oder, um die Struktur näher an Hegels Ausdrucksweise zu bringen: Die ‚Wahrheit‘ ist in ihrem kontradiktorischen Gegenteil bei sich selbst. Und die Selbstbestimmung kann nun darauf zurückgeführt werden, dass die zu beweisende Kategorie oder Proposition im negativen Beweis als das Selbstständige, Absolute und Wahre gezeigt wird, dem gegenüber die Negation abhängig ist, weil sie nicht ohne die Voraussetzung dessen auskommt, was sie negiert. Diesen Selbstbezug der ‹absoluten Notwendigkeit› bei gleichzeitigem Bezug auf ein Anderes hebt Hegel mit folgenden Worten hervor: Die reale Nothwendigkeit enthält daher die Zufälligkeit; sie ist die Rükkehr in-sich aus jenem unruhigen A n d e r s s e y n der Wirklichkeit und Möglichkeit gegen einander, aber nicht aus sich selbst zu sein.145
Unten wird noch ausführlicher auf die Rolle des negativen Beweises für Hegels Logik eingegangen und argumentiert, dass die Begriffslogik sinnvoll zu interpretieren 145
Hegel, WdL I, S. #389 (247 f.), Z. 14–16.
428 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik ist, indem in dieser selbst die Struktur eines dialektisch-negativen Beweises gesehen wird. Absolute Notwendigkeit. Schon die Überschrift des Unterkapitels, die sich im Gegensatz zu den vorhergehenden ganz auf den Notwendigkeitsbegriff beschränkt, zeigt, dass Hegel sich im Abschluss der Betrachtung der Modalkonzepte ganz auf die ‹absolute Notwendigkeit› konzentriert. Zwar bildet er auch die entsprechenden Konzepte ‹absolute Wirklichkeit› und ‹absolute Möglichkeit›, aber der Fokus ist auf die Behebung des Mangels im Notwendigkeitsbegriff gerichtet, wodurch ein für die WdL adäquates Verständnis von Notwendigkeit gefunden werden soll.146 Wie sieht nun diese ‹absolute Notwendigkeit› aus? Aus dem Vorhergehenden folgt, dass Hegel mit dieser Kategorie auf eine Selbstbegründungsstruktur hinaus will. So findet sich etwa in seiner Vorlesung über die Kantische Kritik des kosmologischen Beweises eine Bemerkung, wie diejenige Modalität aussehen muss, mit welcher über Kants Konzeptionen hinausgegangen werden kann: Allerdings, wenn von unbedingter Notwendigkeit, einem absolut notwendigen Wesen die Rede ist, so kann dies nur geschehen, indem es als unbedingt gefaßt, d. h. von ihm die Bestimmung von Bedingungen hinweggeschafft wird. Aber, fügt Kant hinzu, ein Notwendiges kann nicht ohne Bedingungen stattfinden: eine solche Notwendigkeit, welche auf Bedingungen, nämlich ihr äußerlichen, beruht, ist nur eine äußerliche, bedingte Notwendigkeit; eine unbedingte, absolute ist nur diejenige, welche ihre Bedingungen, wenn man noch ein solches Verhältnis bei ihr gebrauchen will, in sich selbst enthält.147
Und Hegel fährt an dieser Stelle fort, dass eine Art dieses Aufweises eine Art Selbstwiderlegung des Endlichen und Zufälligen wäre.148 Jedoch besagt das Zitat deutlich, wie das ‹absolut notwendige› Wesen selbst zu verstehen ist: Es darf nicht ohne Bedingungen bestehen, kann aber auch keine externen Bedingungen haben. Somit nimmt es die Form der Selbstbedingung an.149 Wie kommt Hegel nun aber in der WdL von der ‹realen Notwendigkeit› zur ‹absoluten›? Hegel greift nun zweierlei auf, was in den ‹realen Modalbegriffen› impliziert war, um zu zeigen, dass im Grunde die Ingridenzien der ‹absoluten Notwendigkeit› bereits gedacht wurden. Die Bedingungen werden als ‹reale Möglichkeit› bezeichnet, müssen aber zugleich wirklich sein, um ihre Funktion als Bedingung erfüllen zu können. 1. Daher ist im Übergang von den Bedingungen zum Bedingten zum einen ein Übergang 146
Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 454. Ebd., S. 433. 148 Siehe ebd., S. 433: „Der Knoten ist hier allein das wahrhaft dialektische, oder angegebene Verhältnis, daß die Bedingung, oder wie sonst das zufällige Dasein oder das Endliche bestimmt werden kann, eben dies ist, sich selbst zum Unbedingten, Unendlichen aufzuheben, also im Bedingten selbst das Bedingen, im Vermitteln die Vermittlung wegzuschaffen.“ 149 Ganz analog wurde oben der Ausdruck ‚vermittelte Unmittelbarkeit‘ gedeutet. Vgl. oben S. 202. 147
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
429
von ‹Wirklichem› zu anderem ‹Wirklichem› vorhanden. 2. Zum anderen sind die Bedingungen aber auch als ‹reale Möglichkeiten› bezeichnet worden, insofern ihre Funktion, als Bedingung für etwas zu fungieren, betrachtet wird. Daher ist in dem Übergang zugleich derjenige von ‹real Möglichem› zu ‹real Wirklichem› gedacht. Beide Übergänge lassen sich im Übrigen auch dem Oszillieren der beiden Kategorien ‹reale Möglichkeit› (‹rM›) und ‹reale Wirklichkeit› (‹rW›) entnehmen: Aus dem Oszillieren (‹rM› → ‹rW› → ‹rM› → ‹rW›. . . ) können Abschnitte ([‹rM› → ‹rW›], [‹rW› → ‹rM› → ‹rW›] und, bei Transitivität, [‹rW› → ‹rW›]) isoliert betrachtet werden. Fügt man nun beide Gedanken zusammen, so hat man die logische Struktur einer mit sich zusammengehenden Kategorie ‹rW› gedacht, die zugleich aus einem anderen, der ‹rM› abgeleitet ist: Eben darin aber ist diese Wirklichkeit bestimmt als Negatives; sie ist ein Zusammengehen aus der Wirklichkeit, welche reale Möglichkeit war, mit sich; also wird diese neue Wirklichkeit nur aus ihrem Ansichseyn aus der N e g a t i o n i h r e r s e l b s t.150
Auch wenn diese Ableitung gekünstelt scheinen mag, so ist Hegel sinnvollerweise auf der Suche nach der logischen Struktur der ‹absoluten Notwendigkeit›, die derart sein soll, dass sowohl die Bedingungen zu demjenigen, was ‹absolut notwendig› ist, gehören als auch eine Alterität vorhanden bleibt, ohne welche die Begründung vollständig verloren gehe – was Hegel nicht intendiert. Diese Struktur beschreibt Hegel selbst wie folgt: Die absolute Nothwendigkeit ist also die Wahrheit, in welche Wirklichkeit und Möglichkeit überhaupt, so wie die formelle und reale Nothwendigkeit zurükgeht. – Sie ist, wie sich ergeben hat, das Seyn, das in seiner Negation, im Wesen, sich auf sich bezieht und Seyn ist.151
Dass Hegel die ‹absolute Notwendigkeit› mit der Struktur des genannten negativen Beweises zusammenbringt, bestätigt sich in der Lektüre der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes. So fasst Hegel in der 12. Vorlesung zusammen, was er über den Begriff der ‹absoluten Notwendigkeit› in der vorhergehenden entwickelt hat:152
150
Hegel, WdL I, S.#390 (249), Z. 16–19. Ebd., S. #391 (251), Z. 5–8. Dass Hegel hier an eine Zusammenführung von seins- und wesenslogischen Kategoriemerkmalen denkt, kann an dieser Stelle nur angemerkt, aber nicht ausführlich diskutiert werden. Siehe zu der logischen Struktur der ‹absoluten Notwendigkeit›, die dem negativen Beweis gleicht, auch: ebd., S.#390 (250), Z. 26–32: Die Notwendigkeit sei diejenige, die sich „in ihrem Seyn sich von sich abstößt, in diesem Abstossen selbst nur in sich zurükgekehrt ist, und in dieser Rükkehr als in ihrem Seyn sich von sich selbst abgestoßen hat. So hat die Form in ihrer Realisirung alle ihre Unterschiede durchdrungen und sich durchsichtig gemacht, und ist als a b s o l u t e N o t h we n d i g k e i t nur diese einfache I d e n t i t ä t d e s S e y n s i n s e i n e r N e g a t i o n oder in dem We s e n m i t s i c h s e l b s t.“ 152 Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 455. 151
430 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik Die Notwendigkeit ist nur dadurch nicht die abstrakte, sondern wahrhaft absolute, daß sie den Zusammenhang mit Anderem in ihr selbst enthält, das Unterscheiden in sich ist, aber als ein aufgehobenes, ideelles. Sie enthält damit das, was der Notwendigkeit überhaupt zukommt, aber sie unterscheidet sich von dieser als äußerlicher, endlicher, deren Zusammenhang nur hinausgeht zu Anderem, das als Seiendes bleibt und gilt und so nur Abhängigkeit ist. Sie heißt auch Notwendigkeit, insofern der Notwendigkeit die Vermittlung überhaupt wesentlich ist. Der Zusammenhang ihres Anderen mit Anderem, der sie ausmacht, ist aber an seinen Enden unterstützt; die absolute Notwendigkeit biegt solches Verhalten zu Anderem in ein Verhalten zu sich selbst um und bringt damit die innere Übereinstimmung mit sich hervor.153
In einem Selbstverhältnis, das nur im Bezug auf ein Anderes, oder genauer: sein Anderes, gebildet wird, besteht also die ‹absolute Notwendigkeit›.154 Diese identifiziert Hegel im betreffenden Unterkapitel der WdL mit der causa sui oder einem rein selbstbegründeten und suisuffizienten Dasein. Dabei erwähnt Hegel das Stichwort ‚causa sui‘ nicht, um die Unschärfe zu vermeiden, die durch das ‚causa‘ entsteht, da ein beliebter Einwand gegen die Selbstverursachung ist, dass diese schon aus begrifflichen Gründen unmöglich sei, weil ‚Verursachung‘ ein temporales Verhältnis beschreibe und die Ursache der Wirkung zeitlich vorausgehe. Insofern müsste eine causa sui sich selbst zeitlich voraus liegen, was natürlich unmöglich ist.155 Die ‹absolute Notwendigkeit› beschreibt aber ein Verhältnis, das nicht der Zeitlichkeit untersteht und insofern ist ihre Herleitung aus den Bedingungsverhältnissen sicher einleuchtender, da Bedingungen nicht zwangsläufig zeitlich interpretiert werden müssen. Dabei ist wichtig, dass es keinen Grund außer sich hat, sondern ganz seine eigene Begründung ist: Das schlechthin Nothwendige i s t nur, weil es i s t; es hat sonst keine Bedingung noch Grund. – Es ist aber ebenso reines We s e n, sein S e y n ist die einfache Reflexion-in-sich; es ist, w e i l es ist. Als Reflexion hat es Grund und Bedingung, aber es hat nur s i c h zum Grunde und Bedingung.156 153 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, 456 f. Vgl. dazu auch F. Schick, die aber die absolute Notwendigkeit in eine andere Richtung interpretiert. Schick, „Kann denn alles Zufall sein? Überlegungen zu Hegels Lektüre des komologischen Gottesbeweises“. 154 Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 454: „In dieser Einheit muß also die Vermittlung mit Anderem in die Selbstständigkeit selbst fallen und diese als Beziehung auf sich die Vermittlung mit Anderem innerhalb ihrer selbst haben. In dieser Bestimmung aber kann beides nur so vereinigt sein, daß die Vermittlung mit Anderem zugleich als Vermittlung mit sich ist, d. i. nur [so,] daß die Vermittlung mit Anderem sich aufhebt und zur Vermittlung mit sich wird. So ist die Einheit mit sich selbst als Einheit nicht die abstrakte Identität, die wir als Vereinzelung, in der das Ding nur sich auf sich bezieht und worin seine Zufälligkeit liegt, sahen; die Einseitigkeit, wegen der allein sie im Widerspruch mit der ebenso einseitigen Vermittlung von Anderem ist, ist ebenso aufgehoben und diese Unwahrheiten verschwunden; die so bestimmte Einheit ist die wahrhafte, und als wahrhaft gewußte ist sie die spekulative.“ 155 Vgl. dazu Martin, Ontologie der Selbstbestimmung, 172 f. 156 Hegel, WdL I, S. #391 (251), Z. 10–14. Durch die Hervorhebung von ‚ist‘ und ‚weil‘ in der Satzwiederholung unterstreicht Hegel nochmals, dass er hier ein Zusammengehen der ganzen objektiven Logik sieht.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
431
Aber ist damit nicht das Ziel der ganzen Logik erreicht? Ein ‹absolut Notwendiges›, mit dem eine Selbstbegründung und damit Letztbegründung erreicht ist? Offensichtlich meint Hegel, dass das nicht der Fall ist, da diese ‹absolute Notwendigkeit› noch expliziert werden muss, um verstanden zu werden. Das soll letztlich die ganze Begriffslogik leisten. Es ist mit der Kategorie des ‹absolut Notwendigen› erst die Form gegeben, welche mit Inhalt gefüllt werden muss, oder der Anspruch vorgegeben, welcher im Prinzip der WdL eingelöst werden muss. In diese Richtung jedenfalls problematisiert Hegel nun die Kategorie: Die absolute Nothwendigkeit ist so die R e f l e x i o n o d e r F o r m d e s A b s o l u t e n; Einheit des Seyns und Wesens, einfache Unmittelbarkeit, welche absolute Negativität ist.157
Es ist mit der ‹absoluten Notwendigkeit› ein Begriff gewonnen, unter den letztbegründete und absolute Wahrheiten subsumiert werden können. Aber diese sind ihrem Inhalt noch unverstanden. So ist beispielsweise auf dieser kategorialen Stufe nicht erklärbar, wie die Kategorien der Seins- und Wesenslogik, die in der WdL abgeleitet wurden, zusammenhängen und wie ihr Gehalt mit der ‹absoluten Notwendigkeit› zusammenhängt. Das kann erst die Methode der WdL leisten, die als Band zwischen den Kategorien und letztlich in der Identität mit diesen besteht, was aber erst die absolute Idee * – in der hegelschen Version letztlich auch nur unzureichend – leisten wird. Hier, unter der ‹absoluten Notwendigkeit›, sieht Hegel aber noch eine Pluralität von ‹absolut notwendigen› Kategorien und Wahrheiten, die alle die Struktur haben, sich als die Voraussetzung ihrer Negation zu erweisen. Aber der Zusammenhang untereinander ist lose und unklar – deswegen ist eigentlich nicht klar, wie die Kategorie der ‹absoluten Notwendigkeit› mit den unter ihr gefassten Wahrheiten zu tun hat, außer dass eine gewisse formale Struktur erfüllt ist. Daher nennt Hegel sie „blind“158 . Und das Problem der Blindheit besteht etwa darin, dass nicht einmal klar ist, ob die ‹absolut Notwendigen› miteinander kompatibel sind. Diese fehlende Explikation der Relationen führt dazu, dass Hegel sie auch metaphorisch als das „Lichtscheue“159 bezeichnet. Zudem ist völlig unklar, wie denn dieses Andere, die Negation eines ‹absolut Wahren›, überhaupt zu verstehen ist. So ist es die fehlende Explikation dessen, worauf sich ‹absolut Notwendiges› bezieht, was für ein Zusammenhang innerhalb seiner selbst besteht und wie sein Gehalt genau bestimmt ist, weshalb die WdL hier noch nicht an ein Ende gekommen sein kann beziehungsweise dieses Ende erst expliziert werden muss – 157
Hegel, WdL I, S. #391 (251), Z. 18–20. Siehe ebd., S. #391 (251 f.), Z. 25–30: „Die absolute Nothwendigkeit ist daher b l i n d. Einerseits haben die unterschiedenen, welche als Wirklichkeit und als Möglichkeit bestimmt sind, die Gestalt der R e f l e x i o n - i n - s i c h als des S e y n s; sie sind daher beyde als f r e y e W i r k l i c h k e i t e n, deren k e i n s i m a n d e r n s c h e i n t, keins eine Spur seiner Beziehung auf das Andere an ihm zeigen will; in sich gegründet ist jedes das Nothwendige an ihm selbst.“ 159 Ebd., S. #392 (252), Z. 1. 158
432 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik bislang sei nur verstanden, wie die Notwendigkeit zu verstehen sei, nicht aber das Notwendige, so Hegel.160 Den Mangel der ‹absoluten Notwendigkeit› fasst Hegel auch aus der Perspektive der Rekonstruktion der Logik, denn die fehlende Explikation der Kategorien auf dieser Stufe spiegelt sich auch darin, dass die WdL noch nicht selbst ihr vollständiges Funktionieren, ihre Methode, offengelegt habe und insofern der Standpunkt der Explikation und das Explizierte noch unterscheidbar seien. Im Folgenden und auch im abschließenden Teil der Logik muss daher noch analysiert werden, wie die ‹absolute Notwendigkeit› nicht nur verstanden werden muss, sondern sich selbst verständlich macht, das heißt sich selbst auslegt: Das Absolute, zuerst vo n d e r ä u s s e r e n R e f l e x i o n ausgelegt, legt nun als absolute Form oder als Nothwendigkeit, sich selbst aus; diß Auslegen seiner selbst ist sein sich-selbstsetzen, und es i s t nur diß sich setzen.161
7.2.3 Das absolute Verhältnis Der erste Schritt dieses „sich-selbst-setzen“162 schließt für Hegel daran an, dass die ‹absolute Notwendigkeit› ihre eigenen Bedingungen garantieren müsste und daher wie eine causa sui verstanden werden kann.163 Die erste Konkretisierung der ‹absoluten Notwendigkeit› sieht Hegel nun in der Kategorie der ‹Substanz›, womit er einen Grundbegriff der Philosophie Spinozas heranzieht.164 Spinozas Definition der Substanz als causa sui ist berühmt, wobei zu beachten ist, dass Spinoza unter ‚causa‘ sowohl Gründe als auch Ursachen versteht und daher nicht notwendig Adressat der Kritik ist, die aufgrund der Zeitverhältnisse eine causa sui für unmöglich erklärt.165 Der Substanzbegriff erfüllt, so Hegel, die Kategorie der ‹absoluten Notwendigkeit›, indem sie bedeutet, dass sie ist, weil sie ist.166 Zudem versucht sie das Verhältnis zu einem Anderen, ihrer eigenen Negation, geregelt zu begreifen, nämlich zu den ‹Attributen›. Im Verlauf der Analyse der Kategorie ‹Substanz› wird Hegel darauf kommen, dass das Verhältnis zu den ‹Attributen› allerdings nicht eindeutig ist. Schließlich wird sich sogar zeigen, dass die ‹Attribute› in ihrer Vielheit die gleiche Selbstständigkeit und Suisuffizienz beanspruchen können, sodass Hegel nicht nur das Substanzkonzept Spinozas, sondern auch das kantische, das von vielen ‹Substanzen› 160 So schreibt Hegel, dass bislang also nur verstanden sei, was Notwendigkeit überhaupt sinnvollerweise heißen kann, wenn es um Letztbegründung geht. Siehe Hegel, WdL I, S. #393 (254), Z. 3 f.: „Die absolute Nothwendigkeit ist nicht sowohl das N o t h we n d i g e, noch weniger e i n Nothwendiges, sondern N o t h we n d i g k e i t[.]“ 161 Ebd., S. #393 (254), Z. 10–13. 162 Ebd., S. #393 (254), Z. 12 f. 163 Vgl. Rohls, Theologie und Metaphysik. Der ontologische Gottesbeweis und seine Kritiker, S. 384. 164 Vgl. zum Folgenden die hilfreiche Rekonstruktion in Hösle, Hegels System, S. 229–232. 165 Vgl. Spinoza, „Ethik“, Teil I, Def. 1.–3., S. 5. 166 Vgl. Hegel, WdL I, Vgl. S. #391 (251), Z. 15.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
433
ausgeht, in seine Besprechung mit einbezieht.167 Der Versuch, die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit – kurz: Absolutheit – festzustellen und in der Relation auf ‹Attribute› oder andere ‹Substanzen› festzuhalten, wird dann zur Einführung der Kategorie der ‹Kausalität› führen, in welcher das Verhältnis, besonders dasjenige zwischen Bestimmendem und Bestimmtem, beschrieben werden soll. Jedoch fehlt auch hier die Eindeutigkeit, die dann schließlich zu einem gleichberechtigten Konzept von Verursachung, der ‹Wechselwirkung› führt, in dem auch die Selbstbeziehung der ‹absoluten Notwendigkeit› erst explizit auftritt.168 Wenn in der vorliegenden Arbeit dieser soeben skizzierte Abschnitt keiner ausführlichen Analyse unterzogen wird, so mag das zunächst verwundern, da zum einen bei Spinoza philosophisch-theologische Gehalte mit der ‹Substanz› verbunden werden, vor allem aber, weil Hegels eigene Philosophie immer wieder an dem Diktum festgemacht wird, dass man über Spinoza hinausgehen müsse, indem „das Wahre nicht als S u b s t a n z, sondern eben so sehr als S u b j e c t aufzufassen und auszudrücken“169 sei. Diese Aussage Hegels stellt einen beliebten Ansatzpunkt zur Rekonstruktion der hegelschen Gedanken dar und soll das Wesentliche der hegelschen Philosophie fassen. Und in der Tat, auch wenn Hegel Gleiches nicht wörtlich in der WdL wiederholt, hält er doch daran fest, dass die ‹Substanz› zum Begriff *, den Hegel mit dem Titel Subjektivität überschreibt, und damit zum Prinzip seiner Philosophie überleiten soll. Daher bezeichnet Hegel den Begriff * im § 158 der Enzyklopädie als die „Wahrheit der Substanz“170 . Und insofern ist die Subjektivität die Wahrheit der Substanz, was auf den Satz aus der PhG hinweist. Nun ist allerdings Hegels Bezeichnung des Begriffs * als Subjektivität zunächst mehrdeutig und darum nicht einfach zu fassen. Wie oben schon gesagt, ist nämlich damit nicht an ein menschliches Bewusstsein oder Selbstbewusstsein zu denken, wie auch viele Interpretinnen anmerken.171 Die vorliegenden Arbeit stellt jedoch die Ansicht, dass Hegel Spinozas Substanz in ein Subjekt überführt habe, nicht ins Zentrum der Interpretation, um ein wesentliches Merkmal der hegelschen Logik nicht aus dem Blick zu verlieren: Diese setzt sich von einem subjektiven Idealismus, für den die kategorialen Gehalte letztlich im Bewusstsein von Erkenntnissubjekten gründen und auf die Erkenntnisaktivität zurückgehen, ab. Und dieses Absetzen ist wichtig, um zu verstehen, inwiefern Hegel hier theologische Gedanken in der WdL verwirklicht sieht, denn im Gegensatz zu Feuerbachs anthropologischer Reduktion der Theologie hält Hegel den umgekehrten Schluss für gültig: Nicht weil die Menschen auf eine bestimmte Art denken, sind die ewigen Wahrheiten 167 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 228, Fn. 143, der hier eine Unentschiedenheit der hegelschen Konzeption sieht. 168 Vgl. Falk, „Die Wirklichkeit“, S. 171. 169 Hegel, PhG, S. 18 (XX), Z. 4 f. 170 Hegel, Enz. I, § 158, S. 303. 171 Vgl. unten Abschnitt 7.2.4.
434 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik der WdL, wie sie sind, sondern weil die ewigen Wahrheiten gelten, muss sich ihr denkender Nachvollzug in Erkenntnissubjekten auf die uns bestimmte Art vollziehen.172 Und mit diesem Geltungs- und Wahrheitsverständnis erreicht Hegel eine Konzeption des ‚göttlichen Begriffs *‘, die ihn weder der Psychologisierung preisgibt, noch aber als transzendent setzt, sondern als absolut und bestimmend, aber sich zugleich in der Natur und im Geist verwirklichend.173 Dennoch ist die ‹Substanz› natürlich eine wichtige Kategorie für die WdL und für das HegelVerständnis.174 Nur scheint sie für das Problem dieser Arbeit, den ontologischen Gottesbeweis, nicht zu viel auszutragen, weshalb nur die wichtigsten Punkte der hegelschen Gedankenentwicklung genannt werden sollen, um den Faden seiner Argumentation sichtbar zu machen. Das Substantialitätsverhältnis. Die ‹Substanz› erfüllt also die ‹absolute Notwendigkeit›.175 Damit ist sie selbst ihr eigener Grund und hängt von keinen äußeren Bedingungen ab, aber ist zugleich ein Verhältnis zu etwas Anderem, das von ihr unterschieden ist. So klingt etwa schon im Wort mit, dass eine ‹Substanz› immer ‹Substanz› von etwas ist. Doch Hegel kann als zusätzlichen Grund anführen, dass die ‹Substanz› nur so der Erfüllungsbedingung des Vorhergehenden gerecht wird, wenn sie sich auf ein ihr Zugeordnetes, aber von ihr Unterschiedenes, bezieht, weil ‹absolute Notwendigkeit› eben nicht in der schieren Faktizität, in bloßer ‚Unmittelbarkeit‘, bestehen kann, sondern sich in seinem anderen auf sich bezieht. Doch dieses Andere kann, wenn die ‹Substanz› ‹absolut notwendig› ist, nicht selbstständig sein. Insofern ist es das von ihr abhängige Äußere.176 Weil nun aber die ‹Akzidenzien› selbst nicht ‹absolut notwendig› sind, muss auch die ‹Möglichkeit› ihres Nichtseins bestehen. Da Hegel die ‹Möglichkeit› des Nichtseins hier nicht ‹logisch›, sondern ‹real› interpretiert, müssen die ‹Akzidenzien› 172 Siehe Boer, „The Dissolving Force of the Concept. Hegel’s Ontological Logic“, S. 806: „Hegel conceives of reason as the way in which the absolute principle of synthetic unity—which he calls simply “concept” or “pure concept”—unfolds in the element of finite subjectivity.“ 173 Hegel wird daher auch als Panentheist bezeichnet. Vgl. für eine begriffliche Annäherung Göcke, „Panentheismus als Leitkategorie theologischen Denkens? Eine religionsphilosophische Bestandaufnahme“. 174 Für eine ausführlichere Analyse sei etwa auf Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 154–185 hingewiesen. 175 Siehe Hegel, WdL I, S. #394 (256) Z. 3–5: „Die absolute Nothwendigkeit ist absolutes Verhältniß, weil sie nicht das S e y n als solches ist, sondern das S e y n, das ist, we i l es ist, das Seyn als die absolute Vermittlung seiner mit sich selbst. Dieses Seyn ist die S u b s t a n z[.]“ 176 Siehe Hegel, Enz. I, § 150, S. 294: „Die absolute Identität dieses Verhältnisses mit sich ist die Substanz als solche, die als Notwendigkeit die Negativität dieser Form der Innerlichkeit ist, also sich als Wirklichkeit setzt, aber ebenso die Negativität dieses Äußerlichen ist, nach welcher das Wirkliche als Unmittelbares nur ein Akzidentelles ist, dass durch diese seine bloße Möglichkeit in eine andere Wirklichkeit übergeht[.]“
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
435
vergehen, ineinander übergehen, wechseln.177 Nun wäre es allerdings falsch, so Hegel, die ‹Substanz› zu vergegenständlichen und als ein hinter den ‹Akzidenzien› liegendes Etwas zu verstehen.178 Eine solche Unterscheidung von Bestimmungen und dem dahinter liegenden Wesen hat Hegel in verschiedenen Modellen bereits in der Wesenslogik diskutiert, etwa anhand der Kategorien ‹Ding› und ‹Eigenschaft›, und als ein Hauptproblem stets ausgemacht, dass man entweder, auf das genannte Beispiel angewandt, das ‹Ding› als völlig Unbestimmtes und Eigenschaftsloses fasst, dann aber nicht verständlich ist, wie und warum bestimmte ‹Eigenschaften› zu diesem ‹Ding› gehören – ja sogar eigentlich gar nicht angegeben ist, was ein ‹Ding› ist. Oder aber das ‹Ding› wird selbst durch Bestimmungen gedacht, etwa als Einheitsfunktion für bestimmte ‹Eigenschaften› oder als deren Menge. In beiden Fällen wird aber die Abgrenzung von ‹Ding› und ‹Eigenschaft› undeutlich, weil eine Einheitsfunktion auch als ‹Eigenschaft› von ‹Eigenschaften› verstanden werden kann oder die Menge selbst nur durch bestimmte ‹Eigenschaften› charakterisiert werden kann. Worauf Hegel hinweisen möchte, ist, wenn man es abstrakt fasst, dass es kompliziert ist, ein Modell zu bilden, mit dem zwischen einem Zugrundeliegenden und dem Hinzukommenden, Pluralen und Bestimmten, etwa ‹Substanzen› und ‹Akzidenzien›, unterschieden werden kann. Denn die Frage nach dem Zusammenhang scheint die klare Trennung beider Relata infrage zu stellen – und ein Verhältnis ist allein durch die Unterscheidung bereits angenommen. Daher sieht Hegel in der radikalen Trennung von ‹Substanz› und den ‹Akzidenzien› einen Rückfall innerhalb der bereits erreichten Komplexität der Kategorien – die ‹Substanz› ist das Ganze der ‹Akzidenzien› und diese sind die ganze ‹Substanz›.179 Wie ist die ‹Substanz› aber dann gegenüber den ‹Akzidenzien› abzugrenzen und zu fassen? Da die ‹Substanz› nicht vergegenständlicht werden soll, bietet es sich an, sie als dasjenige zu betrachten, was in der Pluralität der ‹Akzidenzien› das Bestehende ist und sich durch sie manifestiert: So ist „die Substanz als die a b s o l u t e M a c h t“180 gefasst. Jedoch wirft das erneute Probleme auf, denn eine Macht ohne Gesetzmäßigkeit ist überhaupt nicht zu erkennen – es fehlt die Bestimmtheit dieser Macht, wenn diese als bloß willkürlich verstanden wird. Denn wenn die Macht sich ganz willkürlich äußert, dann wäre im Grunde mit der Beschreibung der ‹Akzidenzien› alles über sie gesagt – dann wäre sie und damit die ‹Substanz› aber ein ganz überflüssiges Konzept. Das widerspräche aber der Einführung der ‹Substanz› als ‹absolute Notwendigkeit›, die zugleich in dem Bezug auf Anderes 177
Vgl. Hegel, Enz. I, § 150, S. 294. Vgl. ebd., § 151, S. 294 f. 179 Siehe Hegel, WdL I, S. #395 (257), Z. 3–5: „Die Substanz als diese Identität des Scheinens ist die Totalität des Ganzen, und begreift die Accidentalität in sich, und die Accidentalität ist die ganze Substanz selbst.“ 180 Vgl. ebd., S. #395 (258), Z. 13. 178
436 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik ihren Selbstbezug entwickelt und ihre Selbsterhaltung kontinuiert. Das zwingt dazu, das Verhältnis, also die ‚Macht‘ der ‹Substanz›, als Regel oder als Gesetz mit einer eigenen Bestimmtheit zu konzipieren, was Hegel durch die Einführung des ‹Kausalitätsverhältnisses› einlöst. Das Kausalitätsverhältnis. Hegel zieht für die beiden Relata des Kausalitätsverhältnisses die Kategorien ‹Substanz› und ‹Akzidenzien› heran. Somit findet eine Fortbestimmung und Explikation der Relation beider vorhergehenden Kategorien statt, was in der Analyse als ihr Mangel hervorgetreten war. Dabei wird die ‹Substanz› als ‹Ur-Sache› gedeutet, mit dem Argument, dass die ‹Substanz› als das Selbstständige bestimmt sei, was nun die ‹Ursache› übernehme.181 Die ‹Akzidenzien› hingegen werden als ‹Wirkungen› definiert, da sie ja auch gegenüber der ‹Substanz› als das Unselbstständige und Abhängige gefasst wurden. ‹Ursache› und ‹Wirkung› sind voneinander verschieden, denn die ‹Ursache› ist das Aktive, was die ‹Wirkung› bestimmt, wodurch die ‹Wirkung› zum Passiven und Abhängigen wird.182 Jedoch argumentiert Hegel, dass die Verschiedenheit zwischen ‹Ursache› und ‹Wirkung› problematisch ist, denn genau genommen bestimmt sich die ‹Wirkung› ganz durch die ‹Ursache›. Was also die ‹Wirkung› als ‹Wirkung› ausmacht, wird durch die ‹Ursache› angegeben.183 Das lässt sich besser verstehen, wenn man sich zugleich an die Dialektik und den Aufweis von antinomischen Kategorienverhältnissen erinnert. Denn wofür Hegel im Grunde argumentiert, ist, dass die Kategorien ‹Ursache› und ‹Wirkung› zwar Eindeutigkeit herstellen sollen, wie ‹absolute Notwendigkeit›/‹Substanz› und ihr Anderes – der ‹Zufall›/die ‹Akzidenzien› – verstanden werden müssen. Dafür müsste die Unterscheidung von beiden Kategorien dazu verhelfen, auf der einen Seite ein vollkommen Selbstständiges und auf der anderen Seite ein Verschiedenes, aber ganz durch das Selbstständige Bestimmtes zu denken. Jedoch ergibt sich, dass innerhalb der Beziehung die Selbstständigkeit zum Problem wird, denn es zeigt sich eine symmetrische Abhängigkeit anstelle der angestrebten Asymmetrie. Die Selbstständigkeit der ‹Ursache› überträgt sich auf die ‹Wirkung›, weil die ‹Wirkung› die notwendige Bedingung für die ‹Ursache› ist: Ist die Straße nicht nass, hat es – ceteris 181 Siehe Hegel, Enz. I, § 153, S. 297: „Die Substanz ist Ursache[.]“ Und in der Anmerkung heißt es: ebd., § 153, A., S. 297: „Die Ursache hat als die ursprüngliche Sache die Bestimmung von absoluter Selbstständigkeit[.]“ Für eine genauere Analyse der hegelschen Argumentation, siehe Schick, „Freedom and necessity: the transition to the logic of the concept in Hegel’s Science of Logic“, S. 88–93. 182 Siehe Hegel, Enz. I, § 154, S. 154: „Von der Ursache ist die Wirkung verschieden; diese ist als solche Gesetztsein.“ 183 Siehe ebd., § 153, A., S. 297: „Es ist kein Inhalt, insofern von einem bestimmten Inhalte die Rede sein kann, in der Wirkung, der nicht in der Ursache ist[.]“
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
437
paribus – nicht geregnet.184 Insofern ergibt sich aber aus der Verschiedenheit der Kategorien eine Gleichheit: Beide sind Bestimmende und Selbstständige185 – und so ist zumindest vage eine antinomische Struktur angedeutet, wie sie Wandschneider in seiner Rekonstruktion der Daseinslogik zwischen den dihairetischen Kategorien feststellt. Und weil somit ‹Ursache› und ‹Wirkung› beide Selbstständige sein müssen und zugleich aufeinander Einfluss nehmen, findet ihr Verhältnis in der explikativen Kategorie ‹Wechselwirkung› einen Ausgleich. In Hegels Gedanken sind nun noch zwei weitere Argumente für die Einführung der ‹Wechselwirkung› zu erwähnen: 1. Zunächst muss, um überhaupt zwischen ‹Ursache› und ‹Wirkung› unterscheiden zu können, der ‹Wirkung› eine gewisse Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zugestanden werden. So, wie ‚Macht‘ sich nur an einer ‚Gegenmacht‘ bewähren kann und ohne Widerstand auch ihre Bestimmung als ‚Macht‘ verliert, so ist auch die ‹Ursache› nur dann ‹Ursache›, wenn sie auf einen selbstständigen Sachverhalt einwirkt. Jedoch nimmt damit auch die Beschaffenheit dieses selbstständigen Sachverhalts Einfluss auf die Art und Weise, wie die ‹Ursache› wirken kann. So ist beispielsweise die Masse der angestoßenen Billardkugel ebenso für die Wirkung der heranrollenden zu beachten, wie die Geschwindigkeit und der Aufprallwinkel. Zudem verändert sich dadurch auch die ‹Ursache› im Moment, in dem sie ihre ‹Wirkung› freisetzt. Insofern scheint es nicht unplausibel, dass die Beschreibung von etwas als ‹Ursache› und ‹Wirkung› ebenso der ‹Wirkung› ein gewisses ‹Wirken› zusprechen muss, wie auch der ‹Ursache› eine Beeinflussung. 2. Und des Weiteren sieht Hegel im Versuch, alles durch das ‹Kausalitätsverhältnis› – was, sollte dieses das Absolute adäquat erfassen, möglich sein müsste – zu beschreiben, einen Regress von ‹Ursachen› und ‹Wirkungen›, denn ‹Ursachen› sind selbst als ‹Wirkungen› anderer ‹Ursachen› darstellbar. Hier ist nicht der Raum darzustellen, warum die Auslegung der ‹Substanz› als ‹Ursache› schließlich dazu führt, dass der modale Status von der ‹absoluten Notwendigkeit› zur ‹realen Notwendigkeit› zurückgenommen wird. Klar ist jedoch, dass Hegel eine mit gewöhnlichen Kausalvorstellungen verknüpfte Eigenheit integriert. Denn ‹Ursachen› gelten uns schon deswegen nicht als ‹absolut notwendig›, weil wir ganz natürlich nach einer zweiten ‹Ursache› dafür fragen, wie die erste ‹Ursache› zur ‹Ursache› wurde. So ist die eine Billardkugel nicht von Ewigkeit her ‹Ursache› der Bewegung einer zweiten, sondern wird es zu einem bestimmten Zeitpunkt, 184 Hier sieht Hegel den Grund, warum die ‹Wirkungen› verselbstständigt werden und daher auch die philosophische Ansicht von vielen ‹Substanzen›, etwa bei Kant, zu finden sei. Vgl. ebd., § 154, S. 299 f. 185 Siehe ebd., § 154, S. 300: „Aber als Substanz ist sie [d. i. die Wirkung; Einschub G. M.] aktiv, hebt die vorausgesetzte Unmittelbarkeit und die in sie gesetzte Wirkung auf, reagiert, d. h. sie hebt die Aktivität der ersten Substanz auf, welche aber ebenso dies Aufheben ihrer Unmittelbarkeit oder der in sie gesetzten Wirkung ist, hiermit die Aktivität der anderen aufhebt und reagiert. Die Kausalität ist hiermit in das Verhältnis der Wechselwirkung übergegangen.“
438 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik was wiederum eine kausalgesetzliche Erklärung verlangt.186 Wenn aber in einer ‹Ursache› kein letzter Grund liegt, so liegt prinzipiell in der bloßen Bestimmung ‹Ursache› kein letzter Grund, weshalb sich Ursachenverhältnisse als infiniter Regress darstellen können. Innerhalb dieses Regresses, so Hegel, deutet sich aber pragmatisch, wie auch in der Oszillation der dihairetischen Kategorien, bereits eine Lösung an. Denn im Regress werde stets der Regress schon durch Einsicht in die Regelmäßigkeit überstiegen – die Regelmäßigkeit fasst also ein reicheres, kategoriales Verhältnis, das hier annäherungsweise wie folgt gefasst werden kann: ‹Ursache, die zugleich Wirkung ist und Wirkung, die zugleich wieder Ursache ist›. Das ist nun aber die kategoriale Struktur, die durch den Begriff ‹Wechselwirkung› eingefangen wird.187 Die Wechselwirkung. In der ‹Wechselwirkung› soll nun die ‹absolute Notwendigkeit› insofern erreicht sein, als dass nicht nur die beiden Anforderung an Selbstbedingung und Beziehung auf Anderes gefordert, sondern explizit eingelöst werden. Doch zunächst bestätigt Hegel, dass die vorhergehenden Kategorien alles Explikationsansätze für die ‹absolute Notwendigkeit› waren.188 Dabei werden zwei Momente durch die ‹Wechselwirkung› eingelöst: a) Die beiden in ‹Wechselwirkung› stehenden Substanzen in der Wechselbeziehung bilden an sich oder implizit eine Einheit. Denn von außen betrachtet sind beide Relata vollkommen gleich bestimmt: Sie sind beide „Ursache, ursprünglich, aktiv, passiv usf.“189 Und darüber hinaus bilden sie eine Einheit, da jedes Element der ‹Wechselwirkung› als selbstständig verstanden werden muss, weil es durch seine ‹Wirkung› auf sich selbst zurückwirkt und daher Selbstbestimmung und 186 Der Kausalregress ist etwa aus dem kosmologischen Gottesbeweis wohlbekannt. Er ergibt sich auch aus dem Satz, dass alles eine Ursache haben müsse. Bekanntlich meint Hegel, dass solche metaphysischen Gesetze aus den Kategorien der Wesenslogik hervorgingen. Vgl. Hegel, WdL I, S. #258–260 (31–33); ebenso: Hegel, Enz. I, § 115, A., S. 236–238. 187 Siehe ebd., § 154, A., S. 300: „Diese Umbeugung des unendlichen Progresses zu einem in sich beschlossenen Verhältnis ist wie überall die einfache Reflexion, daß in jener gedankenlosen Wiederholung nur ein und dasselbe ist, nämlich eine und eine andere Ursache und deren Beziehung aufeinander. Die Entwicklung dieser Beziehung, das Wechselwirken, ist jedoch selbst die Abwechslung des Unterscheidens, aber nicht von Ursachen, sondern von den Momenten, an deren jedem für sich, wieder nach der Identität, daß die Ursache in der Wirkung Ursache (und umgekehrt) ist, – nach dieser Untrennbarkeit ebenso auch das andere Moment gesetzt wird.“ 188 Siehe ebd., § 157, S. 302 f.: „[γ] Dieser reine Wechsel mit sich selbst ist hiermit die enthüllte oder gesetzte Notwendigkeit. Das Band der Notwendigkeit als solcher ist die Identität als noch innere und verborgene, weil sie die Identität von solchen ist, die als Wirkliche gelten, deren Selbstständigkeit jedoch eben die Notwendigkeit sein soll. Der Verlauf der Substanz durch die Kausalität und Wechselwirkung ist daher nur das Setzen, daß die Selbstständigkeit die unendliche negative Beziehung auf sich ist, – negative überhaupt, in der das Unterscheiden und Vermitteln zu einer Ursprünglichkeit gegeneinander selbstständiger Wirklichen wird, – unendliche Beziehung auf sich selbst, indem die Selbstständigkeit derselben eben nur als ihre Identität ist.“ 189 Ebd., § 155, S. 301.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
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Selbstverursachung ist.190 b) Die Einheit ist aber auch explizit oder für sich, wie Hegel anführt. Denn beide Relata können überhaupt nur mit dem anderen verstanden werden: Ein Relatum in der ‹Wechselwirkung› ist nur verständlich, wenn zugleich die ‹Wirkung› und die ‹Rückwirkung› betrachtet wird.191 Dabei ist wichtig, dass es die Kategorie der ‹Wechselwirkung› selbst ist, die diese Elemente bedeutet und in der sie explizit geworden sind, wie Hegel anschließend betont – der Unterschied fällt also nicht in unsere, die Logik begleitende Reflexion.192 Dabei sind aber beide Momente, die sich in der ‹Wechselwirkung› befinden, zugleich als bestimmend und bestimmt, aber nicht isolierbar: Es ist nicht ein Moment ursprünglicher als das andere, sondern beide können nur zugleich sein.193 In der ‹Wechselwirkung›, um es zusammenzutragen, sind also folgende Momente vorhanden: 1. Die beiden in ‹Wechselwirkung› stehenden Elemente oder ‹Substanzen› bilden eine Einheit. 2. Aber sie sind in der Beziehung auch unterschieden, obgleich die eindeutige und wahrhafte Unterscheidbarkeit bei zugleich bestehender Einheit erst im Begriff * und seinen Momenten erreicht wird. 3. Es liegt eine Selbstbeziehung und Selbstbedingung vor. Jede Substanz ist ‹Ursache› dessen, was auf sie einwirkt. 4. Durch die Differenz besteht eine Selbstbedingung nur durch die eigene Negation. 5. Damit ist keine ‚Unmittelbarkeit‘ mehr gegeben, sondern Selbstvermittlung. 6. Und durch die Selbstbedingung und Selbstvermittlung ist eine vollkommene Selbstständigkeit und Voraussetzungslosigkeit gewonnen.194 7. Und so tritt das Moment der Relationalität in den Vordergrund, das zwar in der Wesenslogik jede Kategorie prägte, aber im Begriff * rein als diese spezielle Beziehung vorhanden ist, die für die ‹absolute Notwendigkeit› herausgearbeitet wurde. Und so schreibt Hegel: Die Causalität ist bedingt und bedingend; das B e d i n g e n d e ist das P a s s i v e, aber eben so sehr ist das B e d i n g t e p a s s i v. Diß Bedingen oder die Passivität ist die N e g a t i o n der Ursache durch sich selbst, indem sie sich wesentlich zur W i r k u n g macht, und eben dadurch Ursache ist. Die We c h s e l w i r k u n g ist daher nur die Causalität selbst; die Ursache h a t nicht nur eine Wirkung, sondern in der Wirkung steht sie a l s U r s a c h e mit sich selbst in Beziehung.195
Hegel hat damit durch das Kausalitätsverhältnis die wesentlichen Momente der ‹absoluten Notwendigkeit› expliziert und eine Relation gefunden, die seiner Ansicht 190
Vgl. Hegel, Enz. I, § 155, S. 301. Siehe ebd., § 156, S. 301: „[β] Aber auch für sich ist diese Einheit, indem dieser ganze Wechsel das eigene Setzen der Ursache und nur dies ihr Setzen ihr Sein ist.“ 192 Vgl. ebd., § 156, S. 301. 193 Vgl. ebd., § 156, S. 301. 194 Das betont Hegel vor allem zu Beginn der Begriffslogik: „Durch diß Setzen wird also die vo r a u s g e s e t z t e oder a n s i c h s e ye n d e Ursprünglichkeit f ü r s i c h; aber diß an und für sich seyn ist nur dadurch, daß diß Setzen eben so sehr ein A u f h e b e n des Vorausgesetzten ist, oder die absolute Substanz nur a u s und i n i h r e m G e s e t z t s e y n zu sich selbst zurückgekommen, und dadurch absolut ist.“ (Hegel, WdL II, S. 13 (5), Z. 32–37). 195 Hegel, WdL I, S. #408 (280), Z. 11–17. 191
440 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik nach hinreichende Transparenz besitzt.196 Dass diese Relation diejenige ist, die einem negativen Beweis gleicht, wie es bei der ‹absoluten Notwendigkeit› herausgearbeitet wurde, bestätigt sich dabei auch hier – auch wenn Hegel hier nicht begründungstheoretisches, sondern kausallogisches Vokabular verwendet. Die Momente der Selbstständigkeit, der eigenen Identität, indem die Negation wieder auf das Nicht-Negierte zurückverweist, finden sich ebenso in der ‹Wechselwirkung›, wobei die Anspielung auf die Kategorie ‹Werden› besser als bildhaft verstanden werden, im Sinne der logischen Struktur, die Hegel im zweiten Teil des Satzes beschreibt: In der Wechselwirkung stellt die ursprüngliche Causalität sich als ein E n t s t e h e n aus ihrer Negation, der Passivität, und als Ve r g e h e n in dieselbe, als ein We r d e n dar; aber so daß diß Werden zugleich eben so sehr nur S c h e i n e n ist; das Uebergehen in A n d e r e s ist Reflexion-in-sich selbst; die N e g a t i o n, welche Grund der Ursache ist, ist ihr p o s i t i ve s Z u s a m m e n g e h e n mit sich selbst.197
7.2.4 Der Übergang zum Begriff * Wenn Hegel also die ‹absolute Notwendigkeit› eingeholt und expliziert sieht, stellt sich erneut die Frage, ob damit der Abschluss der WdL erreicht ist. Natürlich sieht Hegel sie auf dieser Stufe noch als unvollendet an, weshalb er den dritten Teil folgen lässt. Doch was ist der Grund für diese Fortsetzung? Eine Antwort auf diese Frage findet sich im Zusatz zum § 156 der Enzyklopädie. Hier argumentiert Hegel, dass die ‹Wechselwirkung› zwar die „Schwelle des Begriffs“ darstelle, aber einen Mangel hinsichtlich ihrer Funktion für das „begreifende Erkennen“ festzustellen sei. Denn auch im Falle zweier in ‹Wechselwirkung› stehender Sachverhalte – etwa, um Hegels Beispiel aufzugreifen: die Sitten einer Volksgruppe und ihre Verfassung im Staat – wird nur ein komplexes Faktum, eine „trockene Tatsache“, konstatiert. Damit bleibe aber die erkenntnistheoretische Forderung nach begrifflicher Erfassung unbefriedigt und es drohe ein Regress, weil der genannte komplexe Fakt einfach erneut das Explanandum für eine Kausalerklärung bilden würde. Denn auch wenn beide Relata sich über ihr Korrelat auf sich selbst beziehen, so sei doch noch unverstanden, warum überhaupt diese beiden Relata sind und warum die Relation besteht. Das wäre aber erst begreifbar, wenn ihre Einheit nicht jeweils aus einem Relatum verstanden würde, sondern eine Einheit – ein synthetisches Moment – die beiden ‹Wechselwirkenden› zusammenfassen und erklären würde.198 Nun ist diese Begründung verwirrend, weil Hegel zunächst die ‹Wechselwirkung› als Transparenz und vollkommene Vermittlung einführt, in der jedes Relatum ganz 196 Siehe ebd., S. #407 (279), Z. 34: „[E]r [d. i. der Unterschied der Substanzen in der Wechselwirkung; Einschub G. M.] ist ein völlig durchsichtiger Schein[.]“ 197 Ebd., S. #408 (280), Z. 25–30. 198 Vgl. Hegel, Enz. I, § 156, Z., S. 302.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
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aus seinem Selbstbezug erklärbar ist, nun aber offenbar doch eine Abschwächung der Verständlichkeit und Transparenz vornimmt. Für diese Abschwächung spricht allerdings, dass es intuitiv plausibel ist, dass innerhalb eines Kausalverhältnisses, und sei es eines der ‹Wechselwirkung›, keine vollständige Selbstständigkeit, keine Absolutheit, besteht. Denn das ‹Wechselwirkungsverhältnis› ist offen für Fragen des Warum und Woher. Ein weiterer hier noch bestehender Mangel findet sich zudem sicher darin, dass zwar die für die ‹absolute Notwendigkeit› entscheidende Relation, die „unendliche Beziehung auf sich selbst“199 , eingeholt ist, aber nun doch noch eigens thematisiert werden muss, denn bislang wird sie als quasi zufällige Struktur zwischen zwei Substanzen verstanden, aber noch nicht als dasjenige, was eigentlich das Absolute auszeichnet. Und das spiegelt sich auch darin, dass die beiden Substanzen in gewisser Weise ihre Differenz, wie oben angedeutet, nicht durch die Relation der ‹Wechselwirkung› haben – sie werden eigentlich nur durch die externe Perspektivenwahl, von welchem Relatum die ‹Wechselwirkung› aus betrachtet werden soll, verstanden, aber ihre Bestimmtheit als Verschiedene ist nicht durch die Wechselwirkung gegeben. Zugleich werden aber eben noch zwei Substanzen in ‹Wechselwirkung› stehend gedacht, als seien diese auch unabhängig von ihrer Beziehung Selbstständige und Für-sich-Bestehende.200 Das soll sich in den Momenten des Begriffs * wandeln. Der Kniff besteht nun darin, Kategorien einzuführen, die ganz in dieser Beziehung aufgehen und nur durch die Beziehung auf anderes ihre Selbstständigkeit geltend machen. Hegel meint, dass diese Kategorien sich nun in der Beziehung der ‹Wechselwirkung› bereits andeuten und als ‹Allgemeinheit›, ‹Besonderheit› und ‹Einzelheit› expliziert werden können. Denn die „absolute Substanz“201 – also der Begriff * – ist auf der einen Seite ‹Allgemeinheit›, die nur darin besteht, dass sie sich auf eine ihr angehörige Verschiedenheit bezieht, auf das ‹Besondere›, oder vielmehr in diesem „als i d e n t i s c h d a r i n m i t s i c h g e s e t z t i s t“202 . Die Pluralität aus Beziehung und Elementen, die Hegel hier „Totalität“ nennt, ist der Begriff *, der aber zugleich als ‹Einzelnes› bestimmt ist, insofern er eine Einheit mit der beschriebenen, negativen Selbstbeziehung bildet.203 Zugleich erfordern aber sowohl das ‹Einzelne›, als auch das ‹Allgemeine› die ‹Besonderheit›, die erst Bestimmtheit und ‹Allgemeinheit› ermöglicht.204 Die Bestimmungen des Begriffs * und damit diesen besser 199
Hegel, Enz. I, § 157, S. 303. Vgl. Schick, „Freedom and necessity: the transition to the logic of the concept in Hegel’s Science of Logic“, S. 94. Schick fasst das Problem der Wechselwirkung als dasjenige zwischen der Form und des Inhalts der ‹Wechselwirkung› auf der einen Seite und auf der anderen Seite zwischen der Identität und der Differenz zwischen ‹Ursache› und ‹Wirkung›. 201 Hegel, WdL I, S. #409 (281), Z. 14. 202 Ebd., S. #409 (282), Z. 19 f. 203 Vgl. ebd., S. #409 (282), Z. 20–24. 204 Vgl. ebd., S. #409 (282), Z. 29–32. 200
442 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik zu verstehen, kann erst im Folgenden geleistet werden, weshalb diese hier noch rätselhaft wirken müssen. Wie die Bestimmungen genau mit dem Begriff * zusammenhängen, macht Hegel leider nicht deutlich; etwa kommt er im Rückblick auf die „Genese des Begriffs“ zu Beginn der Begriffslogik nicht ausführlicher auf die ‹Wechselwirkung› und ihre Beziehung auf den Begriff * zu sprechen. Das, was dort deutlich wird, ist eher, dass Hegel sich auf die Überwindung von ‹Substanz› und ‹Kausalität› konzentriert und im Wesentlichen herausarbeitet, dass die ‹Substanzen› der ‹Wechselwirkung› eben noch nicht explizit den Grund zeigen, warum und wie sie in dieser Beziehung stehen – die ‹Wechselwirkung› kommt ihnen also nur äußerlich zu, und daher sind sie auch erst implizit gleich bestimmt, aber eben noch nicht explizit.205 Hegel schließt damit jedoch die Wesenslogik und meint, es sei eine neue Sphäre erreicht, in welcher nicht mehr das wesenslogische Verhältnis von zwei relationalen Kategorien vorherrscht, die ihre Selbstständigkeit nicht mit ihrem Bezug auf anderes vereinen können, ohne in antinomische Verhältnisse zu geraten. So schreibt er: Diese drey Totalitäten sind daher Eine und dieselbe Reflexion, welche als n e g a t i ve B e z i e h u n g a u f s i c h in jene beyden sich unterscheidet, aber als in einem v o l l k o m m e n d u r c h s i c h t i g e n U n t e r s c h i e d, nemlich in die b e s t i m m t e E i n f a c h h e i t, oder in die e i n f a c h e B e s t i m m t h e i t, welche ihre Eine und dieselbe Identität ist. – Diß ist der B e g r i f f, das Reich der S u b j e c t i v i t ä t oder der F r e y h e i t.206
Als seien die Bestimmungen der ‹Wechselwirkung› und der Übergang zum Begriff * nicht schon schwer genug zu verstehen, kennzeichnet Hegel die neue logische Sphäre durch die Begriffe Freiheit und Subjektivität. Als Hauptbegriffe der Philosophie, besonders in der Neuzeit, die aber auch für die ganze klassische deutsche Philosophie entscheidend sind, sprengt ihre vollständige Erläuterung hier den Rahmen und würde eine andere Untersuchung fordern. Deswegen muss die vorliegende Studie sich hier auf Hinweise beschränken. Freiheit und Begriff * Bevor die Grundzüge der Entwicklung in der Begriffslogik * dargestellt werden soll, müssen hier noch zwei Schlagworte aufgegriffen werden, die Hegel im Übergang zum Begriff * anführt: Freiheit und Subjektivität. Beide Themen sind zu komplex, um hier erschöpfend dargestellt werden zu können – immerhin ist Freiheit eines der 205 Siehe Hegel, WdL II, S. 15 (8), Z. 27–34: „Dieser, die aus der Wechselwirkung resultirende Totalität, ist die Einheit der b e y d e n S u b s t a n z e n der Wechselwirkung, so daß sie aber nunmehr der Freyheit angehören, indem sie nicht mehr ihre Identität als ein blindes, das heißt i n n e r l i c h e s, sondern daß sie wesentlich die Bestimmung haben, als S c h e i n oder Reflexionsmomente zu seyn, wodurch jede mit ihrem Andern oder ihrem Gesetztseyn eben so unmittelbar zusammengegangen und jede ihr Gesetztseyn i n s i c h selbst enthält, somit in ihrem Andern schlechthin nur als identisch mit sich gesetzt ist.“ 206 Hegel, WdL I, S. #409 (282), Z. 32–37.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
443
zentralen Themen der klassischen Philosophie, wie etwa das Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus zeigt.207 Daher beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf den Hinweis, welche logische Struktur Hegel in diesen Themen hervorhebt, was wiederum Licht darauf wirft, warum Hegel diese Begriffe in der Logik einführt, aber nicht als logische Begriffe abhandelt. Freiheit liegt für Hegel nun offenbar nicht dann vor, wenn eine Kausalkette begonnen wird, zumindest deutet seine Analyse des Kausalverhältnisses nicht darauf hin, dass er unter der Kategorie der ‹Ursache› die Möglichkeit einer ersten Ursache und damit ungetrübten Spontaneität annimmt. Stattdessen treten im Übergang von der ‹Wechselwirkung› zum ‹Begriff› zwei Momente auf, die Hegel darauf bringen, hier die Freiheit zu erwähnen: 1. Es findet eine Rückwirkung auf sich selbst statt, also ist eine Beziehung auf sich selbst gegeben. 2. Aber diese Selbstbeziehung ist nicht unmittelbar, sondern sie konstituiert sich nur über den Bezug auf ein Anderes, Unterschiedenes, das daher zugleich eine Selbstständigkeit haben muss. 3. Aber die Selbstbeziehung und die Beziehung auf den Unterschied – und das geht über das in der ‹Wechselwirkung› Erreichte hinaus – ist im Begriff transparent, ‚vollkommen durchsichtig‘, wie Hegel in dem soeben auf S. 442 angeführten Zitat sagt. 4. Diese Selbstbeziehung über Anderes muss aber so verstanden werden, dass das Selbst sich in diesem Anderen kontinuiert und erhält. Aus diesen Momenten des hegelschen Freiheitsbegriffs wird auch klar, dass Hegel hier keine Abwesenheit von Notwendigkeit sieht, sondern vielmehr Freiheit als transparente ‹absolute Notwendigkeit› konzipiert.208 Damit bietet Hegel offenbar kein Freiheitsverständnis, dass üblicher Weise als Willens- oder Entscheidungsfreiheit diskutiert wird, obwohl er diese Konzepte am Anfang seiner Rechtsphilosophie mit seinem Freiheitsbegriff zusammenzubringen versucht, was hier aber zu weit führen würde.209 Stattdessen meint Hegel, dass Freiheit in einer ontologischen Struktur besteht, in welcher der Bezug auf Anderes zugleich mit dem Selbstbezug besteht, dieses Andere letztlich aber nicht mehr als fremd begriffen werden kann. Freiheit besteht also eher in dem ausgeglichenen, harmonischen Verhältnis zwischen dem Selbst und dem Anderen, sobald dieses Verhältnis zudem transparent ist. Diese Freiheitsstruktur ist nun zugleich die „Ve r h ä l t n i s ß we i s e d e s B e g r i f f s“210 . Im Folgenden wird deutlicher werden, inwiefern die Momente sich als immanente Struktur des Begriffs * verstanden werden müssen. Doch zugleich soll gezeigt werden, dass der Begriff * als Ganzer in einem solchen Verhältnis zu 207 Schelling, „Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795)“, § 6., S. 67 (I/1, 177): „Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist — Freiheit!“ 208 Siehe Hegel, WdL I, S. #409 (281), Z. 5–8: „Die Nothwendigkeit wird nicht dadurch zur F r e y h e i t, daß sie verschwindet, sondern daß nur ihre noch i n n r e Identität m a n i f e s t i r t wird; eine Manifestation, welche die identische Bewegung des Unterschiedenen in sich selbst, die Reflexion des Scheins als Scheins in sich ist.“ Vgl. dazu auch Hösle, Hegels System, S. 231 f. 209 Vgl. Hegel, GPR I, §§ 4–21, S. 28–41. 210 Hegel, WdL II, S. 12 (2), Z. 6.
444 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik seinem Anderen steht, womit Hegels Lösung auf das Letztbegründungsproblem verbunden ist. In der Erfüllung dieser Struktur besteht jedenfalls für Hegel auch die Realisierung von Freiheit. Und dass Hegel die Freiheit als ontologische Struktur auffasst, ermöglicht ihm zugleich, Theonomie und Autonomie zusammen zu denken.211 Und diese Struktur besteht darin, in seinem Anderen bei sich selbst zu sein, was Hegel eben mit ontologisch ausgezeichneten Gebilden, wie dem Organismus, dem Geist, dem Bewusstsein, der Freundschaft, der Liebe und eben der Freiheit in Verbindung bringt, weil diese die Struktur des Begriffs * spiegeln.212 Das Dritte ist nun, daß es in seiner Beschränkung, in diesem Anderen bei sich selbst sei, daß, indem es sich bestimmt, es dennoch bei sich bleibe und nicht aufhöre, das Allgemeine festzuhalten: dieses ist dann der konkrete Begriff der Freiheit, während die beiden vorigen Momente durchaus abstrakt und einseitig befunden worden sind. Diese Freiheit haben wir aber schon in der Form der Empfindung, z. B. in der Freundschaft und Liebe.213
Subjektivität und Begriff * Zum zweiten sei an dieser Stelle in aller Kürze der Terminus ‚Subjektivität‘ erläutert, den Hegel selbst für die Begriffslogik und für den Begriff * immer wieder benutzt und der, wie oben zitiert,214 im Übergang zum Begriff * fällt.215 So schreibt Hegel etwa: Aber diese Vollendung ist nicht mehr die S u b s t a n z selbst, sondern ein höheres, der B e g r i f f, das S u b j e c t.216 211 Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 480: „Daß der Mensch von Gott weiß, ist nach der wesentlichen Gemeinschaft ein gemeinschaftliches Wissen, – d.i. der Mensch weiß nur von Gott, insofern Gott im Menschen von sich selbst weiß; dies Wissen ist Selbstbewußtsein Gottes, aber ebenso ein Wissen desselben vom Menschen, und dies Wissen Gottes vom Menschen ist Wissen des Menschen von Gott. Der Geist des Menschen, von Gott zu wissen, ist nur der Geist Gottes selbst. Hierher fallen dann die Fragen von der Freiheit des Menschen, von der Verknüpfung seines individuellen Wissens und Bewußtseins mit dem Wissen, in dem er in Gemeinschaft mit Gott ist, von dem Wissen Gottes in ihm.“ 212 Dagegen ist Schick hier vorsichtiger und sieht in erster Linie Selbstbestimmung des Begriffs * als das Moment, weshalb Hegel meint, im Begriff * sei die Notwendigkeit in der Freiheit aufgehoben. Vgl. Schick, „Freedom and necessity: the transition to the logic of the concept in Hegel’s Science of Logic“, S. 97. 213 Hegel, GPR II, § 7, Z., S. 57. Siehe auch Hegel, WdL II, S. 177 (174), Z. 19–22: „[D]ie Idee hat, um der Freyheit willen, die der Begriff in ihr erreicht, auch den h ä r t e s t e n G e g e n s a t z in sich; ihre Ruhe besteht in der Sicherheit und Gewißheit, womit sie ihn ewig erzeugt und ewig überwindet und in ihm mit sich selbst zusammengeht.“ 214 Vgl. das Zitat auf S. 442. 215 Hegels Verwendungsweise von ‚Subjekt‘ und ‚Subjektivität‘ ist im Übrigen nicht einheitlich, was das Verständnis des Begriffs für die Logik erschwert. Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 23. Horstmann schreibt etwa: „Dunkel ist diese Theorie [d. i. Hegels Theorie der Subjektivität; Einschub G. M.] unter fast jedem Gesichtspunkt, unter dem man sie betrachtet.“ (Horstmann, Wahrheit aus dem Begriff, S. 63). 216 Hegel, WdL II, S. 14 (6), Z. 4 f.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
445
Dennoch darf die Eigenschaft des Begriffs * nicht mit der endlichen Subjektivität, ja nicht einmal mit einem transzendentalen Subjekt, dessen Aktvollzüge von den logischen Kategorien verschieden sind, verwechselt werden.217 Hegels Anspruch, den er mit der WdL stellt, ist, über den subjektiven Idealismus hinauszugehen.218 Das gelingt aber nur, wenn die logischen Kategorien nicht wiederum im Modell eines tätigen Subjekts fundiert werden. Das geht schon allein daraus hervor, dass die Logik ihren Anspruch auf Selbstständigkeit und Absolutheit nur dann einlösen kann, wenn es nicht einer Fundierung in den Vollzügen eines Subjekts bedarf, wie es etwa bei Kant der Fall zu sein scheint, wenn er die Begriffe als „Funktionen des Verstandes“ bezeichnet und eine Funktion wiederum als „Handlung“ bezeichnet.219 Stattdessen soll der Begriff * als Prinzip des objektiven Idealismus fungieren, und so hält Hegel fest: Ebenso ist auch der Begriff, nicht als Actus des sebstbewußten Verstandes, nicht der subjective Verstand zu betrachten, sondern der Begriff an und für sich, welcher ebensowohl eine S t u f f e der N a t u r, als des G e i s t e s ausmacht.220
Aus diesem Grund hält Hegel auch bestimmte epistemische Betrachtungen aus der Logik und speziell der Untersuchung des Begriffs * heraus, wie etwa diejenige, ob Begriffe klar und deutlich sind. Denn eine solche, epistemische Qualität ist nur dann sinnvoll anzunehmen, wenn endliche Subjekte angenommen werden, deren Denkakte von den Kategorien und Begriffen selbst unterschieden werden können.221 Weil die Logik aber die Sphäre reiner Geltung zur Darstellung bringt, die zwar als eine Art Denken charakterisiert werden kann, dennoch nicht von einem zugrunde liegenden Subjekt unterschieden werden kann, handelt Hegel zum Beispiel die Formallogik oder auch bestimmte Denkgehalte zweimal in seinem System ab. Denn zum einen kann die Geltung, zum Beispiel bestimmter Schlüsse, in der WdL untersucht werden. Zum anderen kann aber auch die Denkpraxis von einzelnen Subjekten, die diese Schlüsse aktualisieren und nachvollziehen, untersucht werden.222 Letzteres ist das Thema des subjektiven Geistes. Eine ausführliche Behandlung des schillernden Subjektivitätsbegriffs kann in der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden. Dafür kann auf die Studie von Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, verwiesen werden, in der sowohl die entwicklungsgeschichtlichen Schritte des hegelschen Denkens nachvollzogen werden als auch ein profundes Verständnis der hegelschen Logik entfaltet wird.223 217
So auch Lauer, Hegel’s Concept of God, S. 85 und ebd., S. 87. Vgl. oben S. 205. Vgl. auch Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 21. 219 Vgl. Kant, KrV, A 68 | B 93. 220 Hegel, WdL II, S. 20 (16), Z. 11–14. Diese entscheidende Abgrenzung Hegels gegenüber Kant missachtet die Interpretation, die R. Pippin verfolgt. Vgl. Pippin, Hegel’s Idealism. The Satisfaction of Self-Consciousness. 221 Vgl. Hegel, Enz. I, § 165, A., S. 315 f. 222 Vgl. etwa Hegel, Enz. III, § 467, S. 285–287. Vgl. auch Hösle, Hegels System, S. 70. 223 Vgl. etwa Düsing, „Ontologische Bestimmungen als Prädikate des Absoluten?“, S. 684. Leider wird bei Düsing nicht ganz deutlich, was die Thematik der Subjektivität über die Bestim218
446 7. Der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik und sein Vorspiel in der Wesenslogik Im vorliegenden Kontext soll daher nur darauf verwiesen werden, dass mit ‚Subjektivität‘ und ‚Subjekt‘ im Rahmen der WdL im hegelschen Sinne ein Strukturbegriff bezeichnet wird. Diesen erläutert Hegel in der Anmerkung zum § 215 in der Enzyklopädie, wo er nun die Idee * als Subjektivität bezeichnet.224 Weil sie b) Subjektivität ist, ist jener Ausdruck [d. i. die Einheit des Endlichen und Unendlichen; Einschub G. M.] ebenso falsch, denn jene Einheit drückt das Ansich, das Substantielle der wahrhaften Einheit aus. Das Unendliche erscheint so als mit Endlichem nur neutralisiert, so das Subjektive mit dem Objektiven, das Denken mit dem Sein. Aber in der negativen Einheit der Idee greift das Unendliche über das Endliche hinüber, das Denken über das Sein, die Subjektivität über die Objektivität. Die Einheit der Idee ist Subjektivität, Denken, Unendlichkeit und dadurch wesentlich von der Idee als Substanz zu unterscheiden, wie diese übergreifende Subjektivität, Denken, Unendlichkeit von der einseitigen Subjektivität, dem einseitigen Denken, der einseitigen Unendlichkeit, wozu sie sich urteilend, bestimmend herabsetzt, zu unterscheiden ist. 225
Die Struktur der Subjektivität, die letztlich über die Objektivität übergreift, ist also analog zu derjenigen zu verstehen, wie sie zwischen dem Denken und dem Sein beziehungsweise zwischen dem ‹Unendlichen› und dem ‹Endlichen› besteht. Die Struktur und das Verhältnis von Subjektivität und Objektivität werden unten deutlich herausgearbeitet.226 Mit dem ‚Übergreifen‘ will Hegel jedenfalls andeuten, dass es sich weder um ein analytisches Verhältnis handelt, in welchem das eine im Anderen enthalten wäre. Noch ist hingegen eine bloße Trennung von zwei unterschiedlichen Dingen gegeben, die nur durch ein Drittes in Beziehung gebracht werden könnten. Sondern es besteht ein Verhältnis der dialektisch-pragmatischen Präsupposition. Ein solches Verhältnis setzt jedoch etwas Entscheidendes voraus: Damit zum Beispiel der Begriff * die dialektisch-pragmatische Präsupposition der Objektivität bilden kann, muss er selbst bestimmt sein. Und dieses Bestimmt-sein ist im Rahmen der Logik als Selbstbestimmung in reiner Immanenz zu verstehen.227 Das heißt, dass mungen des hegelschen Begriffs * hinaus für die Logik austrägt. Vgl. auch die beeindruckende Studie, die allerdings diese Frage auch nicht beantwortet: Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. 224 Was wiederum als Indiz für den engen Zusammenhang von Begriff * und Idee * herangezogen werden kann. 225 Hegel, Enz. I, § 215, A., S. 372 f. 226 Vgl. oben Abschnitt 6.4.2. Vgl. unten Abschnitt 9.2. 227 Siehe Hegel, WdL II, S. 128 (194), Z. 15–17: „Die Prädicate müssen aber gefaßt werden, als selbst noch in den Begriff eingeschlossen, somit als etwas subjectives, mit dem noch nicht zum Daseyn herausgekommen ist[.]“ Vgl. auch Arndt, „Die Subjektivität des Begriffs“, S. 14 f. Subjektivität heißt, dass der Begriff nur noch immanent ist. Arndt gibt als „spezifischen Sinn mit der Rede von der Subjektivität des Begriffs“ an: Es ist alle Äußerlichkeit getilgt; der Begriff bearbeitet immanente Differenzen. Er unterscheidet zwei Bedeutungen von Subjektivität, die in der Begriffslogik zur Einheit gebracht werden: 1. Subjektivität als negative Einheit mit sich selbst; 2. Subjektivität als Äußerlichkeit gegenüber der Objektivität. Arndt identifiziert allerdings die Objektivität mit der objektiven Logik. Dennoch unterscheidet er die Subjektivität des Begriffs klar von der endlichen Subjektivität.
7.2. Argumentstruktur des Absoluten
447
die Momente des Begriffs *, durch welche er bestimmt ist, sich durch sich selbst ergeben müssen und in einem speziellen Verhältnis stehen müssen. Dabei ist wichtig, dass Hegel somit auf den speziellen Charakter des Bei-sich-seins im Anderen abzielt und nicht auf eine Theorie von Denkakten und Vollzügen. Insofern ist Subjektivität zwar mit Selbstbestimmung, Innerlichkeit und Ausgriff auf Anderes verbunden. Aber in der WdL zunächst als logische Struktur.228
228 Siehe Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 25: „Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß für Hegel die dialektische Methode die vollständige logische Bestimmung der absoluten Subjektivität ist.“
8 Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich Nachdem nun also die Ableitung des Begriffs * am Ende der Wesenslogik und die Kennzeichnungen des Begriffs * als frei und subjektiv betrachtet wurden, soll nun näher verstanden werden, was Hegel unter dem Begriff * versteht. Auch hierbei muss sich auf den für die vorliegende Arbeit relevanten Kontext beschränkt werden – ein ausführlicher Kommentar der Begriffslogik ist also nicht angestrebt.1 Im Folgenden soll daher zunächst ein Vorverständnis darüber gewonnen werden, was der Begriff * ist und was im dritten Teil der Logik zu erwarten ist. Anschließend soll Hegels Argumentation anhand eines roten Fadens verfolgt werden, der sich durch die Begriffslogik zieht. Dieser rote Faden besteht in der Suche nach der inhaltlichen Bestimmung der Kategorie der ‹absoluten Notwendigkeit›. Anschließend wird dann der Übergang in die Objektivität verständlich gemacht. Durch diese Interpretation wird herausgearbeitet, was Hegels Gedankengang zum OGB auszeichnet und warum Hegel ihn im Übergang von der Subjektivität zur Objektivität verortet.
8.1 Der Begriff * als Prinzip der Logik Die Frage, wie der Begriff * selbst genauer verstanden werden muss, ist nicht einfach zu beantworten. Hegel meint, eine unmittelbare Angabe würde den Punkt verfehlen,2 weshalb er auf die „g e n e t i s c h e E x p o s i t i o n“3 zurückgreift. Diese Erklärung des Begriffs * aus dem Ableitungszusammenhang der WdL ist konsequent, weil die Dialektik zugleich die Bedeutungsnormierung der logischen Kategorien leisten soll, indem höherstufige Kategorien die Explikationsanforderungen 1 Für einen ausführlicheren Kommentar sei auf die Arbeiten von Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 186–301 und Sans, Die Realisierung des Begriffs verwiesen. Erhellend sind auch die Studien von Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 209–346, der zudem die Entwicklungsgeschichte des hegelschen Denkens darstellt. Umfangreich hat in letzter Zeit Martin, Ontologie der Selbstbestimmung die Begriffslogik kommentiert. Vgl. auch Koch, Die Evolution des logischen Raumes, S. 133–184. Verschiedene Aspekte werden in den Sammelbänden Koch, Oberauer und Utz, Der Begriff als die Wahrheit und Arndt, Iber und Kruck, Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss beleuchtet. 2 Vgl. Hegel, WdL II, S. 11 (1), Z. 1 f. 3 Ebd., S. 11 (2), Z. 26.
8.1. Der Begriff * als Prinzip der Logik
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vorheriger Stufen erfüllen und deren antinomischen Widerstreit durch Hinsichtenunterscheidungen auflösen. Oben wurde etwa dargestellt,4 wie ‹Dasein›, verstanden als ‹Bestimmtsein›, ausdrückt, dass eine ‹Bestimmung› dadurch ihr ‹Sosein› ist, dass es ein ‹Anderssein› nicht ist. Damit ist der Sinn der ersten Stufe der Logik bewahrt, aber zugleich in Hinsichten geordnet: Etwas ist der Fall, indem etwas anderes nicht der Fall ist, wobei sich beides nun anhand von unterschiedlichen ‹Bestimmungen› unterscheiden lässt. Auf diesem Weg findet eine Art Bedeutungsnormierung statt, in der zunehmend fundamentale, logische Kategorien entwickelt werden. Diese Bedeutungsnormierung ist dabei im Grunde nur ein Ausdruck der Absolutheit und des Letztbegründungsanspruchs der WdL, da Selbstständigkeit letztlich nur dadurch gewahrt sein kann, dass die Bedeutungen der Kategorien durch die Logik selbst verständlich sind, auch wenn die Bedeutungen bereits aus der Sprachpraxis et cetera bekannt sind. Hegel selbst gibt zwei solcher Erklärungen aus der vorhergehenden Ableitung an: Zum einen kann der Begriff * aus dem gesamten Ablauf der Logik verstanden werden, zum anderen aber auch durch das Ende der Wesenslogik.5 Dennoch scheint die Erklärung des Begriffs * allein aus dem Zusammenhang der Logik zumindest für die hiesigen Zwecke umständlich und undeutlich. Denn auf der einen Seite kann nicht die gesamte Seins- und Wesenslogik angeführt werden, zum anderen erhellt zwar aus dem Ende der Wesenslogik, welchen Anspruch der Begriff * erfüllen soll, aber dennoch ist die konkrete Ableitung der Bestimmungen des Begriffs * schwierig. Um also den Begriff * besser zu verstehen, soll wie folgt vorgegangen werden: Zunächst soll in Abschnitt 8.1.1 kurz daran erinnert werden, was aus der Entwicklung und dem Anspruch der Logik festgehalten werden kann, um den Begriff * besser zu verstehen. Hierbei konzentriert sich die vorliegende Untersuchung auf wichtige und klare Momente. Daraufhin soll im Abschnitt 8.1.2 gezeigt werden, dass der Begriff * für Hegel bereits die korrekte Definition des Absoluten ist, die dennoch erst in der Idee * vollkommen und vollständig ist. Im Hinblick auf die Logik bedeutet das, dass er zudem die Totalität der logischen Kategorie und somit ihr Zielpunkt ist. Diese Zusammengehörigkeit von Begriff * und Idee * wird im Abschnitt 8.1.3 dadurch erklärt, dass die Kategorien der Begriffslogik im Verhältnis der Entwicklung stehen. Und schließlich soll diese Entwicklung der Begriffslogik bis zur Objektivität im Abschnitt 8.1.4 skizziert werden, um eine Übersicht dessen zu gewinnen, was Hegel unter dem Titel Begriff * abhandelt. Dabei geht es um die Darstellung der Argumentationslinie, die Hegel in den Kapiteln Der Begriff, Das Urtheil und Der Schluß verfolgt, wodurch eine Übersicht über die immanente Struktur des Begriffs * gewonnen wird. Im daran anschließenden Durchgang durch die Dialektik innerhalb der Begriffslogik und durch die genannten Kapitel der Begriffslogik in 4
Vgl. oben Abschnitt 6.3. Vgl. Hegel, WdL II, S. 11 (2), Z. 25–28. Hegel nennt hier die Substanz das „r e a l e We s e n“, was eine offenkundige Anspielung auf das ens realissimum darstellt. 5
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
Abschnitt 8.2 soll das hier knapp Gesagte bestätigt und präzisiert werden. Freilich muss auch dabei von einem genauen Textkommentar abgesehen werden, aber es soll sich als zweckdienlich erweisen, die hier vorgestellten allgemeinen Züge der hegelschen Argumentation in den einzelnen Kapiteln aufzuweisen. 8.1.1 Die wichtigsten Momente des Begriffs *: Hegels eigene Ableitung von Begriffsmomenten aus der ‹Substanz› muss hier nicht wiederholt werden, denn es genügt festzuhalten, was die wesentlichen Bausteine sind, die Hegel im Vorhergehenden abgeleitet hat (oder zumindest abgeleitet zu haben glaubt), und wie sie im Begriff * aufgehoben sind. Dieses ‚Aufgehoben‘ hat hier allerdings im Wesentlichen die Bedeutung des conservare, weshalb es weniger amibvalent ist, von der Erfüllung von Explikations- oder Syntheseanforderungen zu sprechen. 1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Begriff * an die oben besprochene ‹absolute Notwendigkeit› anschließt oder vielmehr, wie Hegel schreibt, diese ist: Der Begriff der Notwendigkeit ist sehr schwer, und zwar weil sie der Begriff selbst ist, aber dessen Momente noch als Wirklichkeiten sind, die zugleich doch nur als Formen, als in sich gebrochene und als übergehende zu fassen sind.6
Die Identifikation der ‹absoluten Notwendigkeit› mit dem Begriff * ist allerdings noch unvollkommen, insofern die Momente der ‹absoluten Notwendigkeit› – ein inhaltsvolles Prinzip, die Begründung dieses Prinzips aus dessen Bedingungen und die Abhängigkeit der Bedingungen von dem inhaltsvollen Prinzip selbst7 – noch nicht zusammengebracht und auseinander entwickelt werden. Das soll im Begriff * anders werden – dieser muss die Momente immanent entfalten und ihre Relation darstellen. Es ist also der immanente Zusammenhang der Momente der ‹absoluten Notwendigkeit›, der diese zum Begriff * macht. Dadurch soll im Begriff * etwas erreicht werden, was den vorherigen Stufen der Logik nicht zukam: Im Begriff * will Hegel vollständige Transparenz der Kategorienentwicklung erreicht haben. Transparenz meint dabei die Art und Weise des Bezugs auf eine entgegengesetzte Kategorie, durch welche zugleich ein Selbstbezug der Ausgangskategorie notwendig ist. Diese Transparenz heißt dann, dass der Bezug der Bestimmungen des Begriffs *, der Zusammenhang der begriffslogischen Bestimmungen und letztlich die Methode der ganzen WdL verständlich wird, ohne weitere Prämissen oder Annahmen zu benötigen. Dazu gehört folglich auch die Einlösung des pragmatisch Präsupponierten, das auf den jeweiligen Stufen der Logik zum Fortgang nötigt und sich etwa darin ausdrückt, dass die Definitionen des Absoluten noch nicht adäquat sind. Das ändert sich mit dem Begriff *, der also durch den Begründungsgang von der ‹abso6 7
Hegel, Enz. I, § 147, A., S. 288 f. Vgl. ebd., § 149, S. 293 f.
8.1. Der Begriff * als Prinzip der Logik
451
luten Notwendigkeit› über die ‹Substanz› und die ‹Kausalität› die Durchsichtigkeit erreicht haben soll, um sie nun in seinen Momenten darzustellen.8 2. Wie oben bereits gesagt, nennt Hegel diese Struktur des Begriffs * auch Freiheit. Damit ist der Bezug auf sich selbst gemeint, der sich dadurch ergibt, auch noch als Voraussetzung seiner eigenen Negation zu fungieren, jedoch in diesem Verhältnis explizit und transparent zu bestehen – so ist Freiheit als Bei-sich-sein-im-Anderen als logische Struktur zu verstehen. Dass dieses Verhältnis durch den Begriff * und seine Momente transparent ist, bedeutet für Hegel zudem das Hinausgehen über die ‹Substanz›. Denn Hegel meint, dass es das Problem einer Philosophie sei, welche die ‹Substanz› als Grundbegriff und Absolutes annehme, wie etwa derjenigen Spinozas, dass die Bestimmungen dieses Grundbegriffs nicht durch den Grundbegriff selbst abgeleitet werden können. Dagegen muss der Begriff * als durch sich selbst bestimmt aufgewiesen werden. Das liegt, so scheint Hegels Gedanke zu sein, etwa in den Momenten des Begriffs * vor, die sich konstitutiv auf ihren Gegenbegriff stützen und dadurch eigene Bestimmtheit gewinnen und ihre Beziehung auf ihr Gegenteil klären. 3. Zudem bezeichnet Hegel den Begriff * als Subjektivität, weil er eine Totalität bildet. Diese Totalität ist der notwendige Bezug der Momente untereinander, der aber nicht aufgrund eines analytischen Verhältnisses besteht. Es handelt sich insofern um ein synthetisches Verhältnis, das zugleich notwendig ist. Ein solches Verhältnis ist zwar mit Kants ‚transzendentaler Einheit der Apperzeption‘ vergleichbar, aber eben nur, weil es um genau diesen synthetischen, notwendigen Zusammenhang der Bestandteile des Begriffs * (und letztlich der ganzen Logik) geht. Worauf Hegel hingegen verzichtet, ist der Rückgriff auf eine Subjekttheorie, welche sich auf Akte und Tätigkeiten – insgesamt auf psychologische Prozesse – stützt.9 Denn das 8 Siehe Hegel, WdL II, S. 13 f. (5 f.), Z. 37–8: „Diese Wechselwirkung ist hiemit die sich wieder aufhebende Erscheinung; die Offenbarung des S c h e i n s der Causalität, worin die Ursache a l s U r s a c h e ist, daß e r S c h e i n i s t. Diese unendliche Reflexion in sich selbst, daß das An- und Fürsichseyn erst dadurch ist, daß es Gesetztseyn ist, ist die Vo l l e n d u n g d e r S u b s t a n z. Aber diese Vollendung ist nicht mehr die S u b s t a n z selbst, sondern ist ein höheres, der B e g r i f f, das S u b j e c t. Der Uebergang des Substantialitäts-Verhältnisses geschieht durch seine eigene immanente Nothwendigkeit, und ist weiter nichts, als die Manifestation ihrer selbst, daß der Begriff ihre Wahrheit, und die Freyheit die Wahrheit der Nothwendigkeit ist.“ 9 Siehe ebd., S. 22 (20), Z. 24–36: „Kant hat diese Betrachtung durch den höchst wichtigen Gedanken eingeleitet, daß es s y n t h e t i s c h e U r t h e i l e a p r i o r i gebe. Diese ursprüngliche Synthesis der Apperception ist eines der tiefsten Principien für die speculative Entwicklung; sie enthält den Anfang zum wahrhaften Auffassen der Natur des Begriffs, und ist jener leeren Identität oder abstracten Allgemeinheit, welche keine Synthesis in sich ist, vollkommen entgegengesetzt. – Diesem Anfange entspricht jedoch die weitere Ausführung wenig. Schon der Ausdruck: S y n t h e s i s leitet leicht wieder zur Vorstellung einer ä u s s e r l i c h e n Einheit, und b l o s s e n Ve r b i n d u n g von solchen, die a n u n d f ü r s i c h g e t r e n n t sind. Alsdenn ist die Kantische Philosophie nur bey dem psychologischen Reflexe des Begriffs stehen geblieben, und ist wieder zur Behauptung der bleibenden Bedingtheit des Begriffes durch ein Mannichfaltiges der Anschauung zurück gegangen.“
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
würde die Reflexivität des Begriffs * verletzen, welche seine Unhintergehbarkeit und seinen Abschlusscharakter ausmacht. 4. Diese Reflexivität ist wichtig, als dass der Begriff * ganz durch sich selbst verständlich ist und insofern keine Metaebene erfordert, von der aus er erklärt oder begründet werden müsste. Was der Begriff * ist, ist selbst durch den Begriff * dargestellt, und er ist durch den Begriff * begründet. Hegel spricht daher vom Begriff * des Begriffs *: Diß ist nun der Begriff selbst des Begriffes. Aber es i s t n u r e r s t sein Begriff; – oder er ist selbst auch n u r der Begriff.10
Diese Anforderung der Selbstbezüglichkeit, Selbstbestimmung und Selbstbegründung ist wichtig, um den Letztbegründungsanspruch der Logik einzulösen. 5. Die genannten Bestimmungen des Begriffs *, ‹absolut notwendig› zu sein, die Struktur von Freiheit und Subjektivität zu realisieren, reflexiv und letztbegründet zu sein, sind zugleich Variationen dessen, dass der Begriff * als Letztbegründung seiner selbst die Struktur eines negativen Beweises realisieren muss.11 Weil seine Letztbegründung notwendig ist, um den Begründungsanforderungen gerecht zu werden, unter denen Hegel seine Philosophie stellt, und weil Beweismethode und Beweisinhalt in diesem Fall konvergieren müssen, ist der Begriff * selbst nur dadurch ‹absolut notwendig›, wenn er zugleich sein eigener negativer Beweis ist – er muss selbst die Form eines negativen Beweises annehmen. Und die Strukturen von Freiheit und Subjektivität sind für Hegel wichtig, weil sie im Grunde auf diese Struktur zurückgehen. Eine sehr klare Formulierung für die gemeinte Struktur und die Verwandtschaft zum negativen Beweis findet sich etwa in der Ausführung des teleologischen und ontologischen Beweises in den Vorlesungen über Religionsphilosophie vom Jahre 1827: Erstens ist der Begriff unmittelbar dies Allgemeine, welches sich bestimmt, besondert, diese Tätigkeit, zu unterteilen, sich zu besondern, zu bestimmen, eine Endlichkeit zu setzten und diese seine Endlichkeit zu negieren und durch die Negation dieser Endlichkeit identisch mit sich zu sein. Das ist der Begriff überhaupt, der Begriff Gottes, der absolute Begriff; Gott ist eben dieses. Gott als Geist oder als Liebe ist dies, daß Gott sich besondert, den Sohn erzeugt, die Welt erschafft, ein Anderes seiner und in diesem sich selbst hat, mit sich identisch ist.12
Was an diesem Zitat hervorgehoben werden soll, ist, dass Hegel hier meint, der Begriff * sei deswegen zugleich der Begriff Gottes, weil er seinen Selbstbezug nur über den Bezug auf seine Negation gewinnt. Aber die Negation sei für den Begriff * kein bloßes Gegenüber, kein radikal Geschiedenes, sondern letztlich muss das Gegenüber identisch mit dem Begriff * sein – was nur so verstanden werden kann, dass er die dialektische Voraussetzung und Geltungsgrundlage seiner Negation 10
Hegel, WdL II, S. 29 (31), Z. 20 f. Deswegen spricht Ch. Iber von der „sich selbst begründenden Selbstbegründungsstruktur“ des Begriffs *. Vgl. Iber, „Hegels Konzeption des Begriffs“, S. 183. 12 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 524 f. 11
8.1. Der Begriff * als Prinzip der Logik
453
ist. Der Begriff * ist also auch dort noch in Geltung, wo er zugleich negiert wird: Das ist, was ihn auszeichnet und ihn zum ‚absoluten Begriff ‘ macht, also was ihn letztbegründet. Interessant ist, dass Hegel das anhand der Begriffsmomente, dem ‹Allgemeinen› und ‹Besonderen› als auch am ‹Endlichen› und ‹wahren Unendlichen› darstellt – der Grund dafür soll unten erläutert werden.13 Und so fährt Hegel wenige Zeilen später fort: Im Begriff überhaupt, noch mehr in der Idee, ist dieses überhaupt, durch die Negation der Besonderung, die zu setzen er zugleich selbst die Tätigkeit ist, identisch mit sich zu sein, sich auf sich selbst zu beziehen.14
6. Wesentlich für den Begriff * des Begriffs * ist also, dass die Bestimmtheit des Begriffs * durch die eigene Negation feststeht. Die Negation setzt aber wiederum die Bestimmungen des Begriffs * als notwendige Bedingungen voraus. Dieses notwendige Voraussetzen ist dabei allerdings nicht trivial zu verstehen, da es sich nicht um eine analytische, sondern dialektische Voraussetzung handelt. Ein Beispiel auf propositionaler Ebene wäre etwa: ‚Es gibt keine propositionalen Gehalte.‘ Offensichtlich ist dieser Satz selbst seine Widerlegung und die Proposition ‚Es gibt propositionale Gehalte‘ daher notwendig wahr. Denn im Bestreiten des Satzes tritt ein Widerspruch zwischen dem Gehalt und den Bedingungen für sinnvolle Sätze auf.15 Gleiches führt Hegel, wie oben argumentiert, in der Logik durch, jedoch bereits auf der Ebene von Kategorien.16 Es soll im Folgenden gezeigt werden, dass sowohl die immanenten Bestimmungen des Begriffs *, ‹Allgemeinheit›, ‹Besonderheit› und ‹Einzelheit›, auf diese Weise strukturiert sind, also auch die Begriffslogik im Ganzen dieser Begriffs *- und Letztbegründungsstruktur folgt. Hegel gibt also Folgendes als den Begriff * des Begriffs * an: 6.1. Der Begriff * ist vollständig selbstbezüglich und darin sind seine Bestimmungen expliziert. Daher gibt er sich selbst seine Bestimmungen und ist somit „absolute B e s t i m m t h e i t“.17 6.2. Dieses Bestimmtsein ist aber nur durch die gleichzeitige Beziehung auf die eigene Negation möglich. Und insofern die Bestimmung auf ihre Negation ‚übergreift‘ – als Voraussetzung notwendig ist –, ist die Bestimmung des Begriffs * die ‹Allgemeinheit›.18 6.3. Aber der Begriff * kann nicht nur durch eine Bestimmung gekennzeichnet sein, sondern bedarf zugleich dieser Selbstdifferenzierung über die eigene Negation. Weil er aber die Einheit dieser Differenzierung ist, kann er auch als
13
Vgl. unten Abschnitt 9.4. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 525. 15 Vgl. dazu etwa Wandschneider, „Letztbegründung unter der Bedingung endlichen Wissens. Eine Hegel’sche Perspektive“. 16 Vgl. oben Abschnitt 6.4.2. 17 Vgl. Hegel, WdL II, S. 16 (9), Z. 9. 18 Siehe ebd., S. 16 (9), Z. 13: „[U]nd der Begriff ist als diese Gleichheit mit sich selbst das A l l g e m e i n e.“ 14
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
komplexe Einheit, als „E i n z e l n e s“ beschrieben werden.19 6.4. Er ist daher eine Totalität, in der sich die differenzierten Bestandteile des Begriffs * zwar unterscheiden, aber doch einen synthetisch-notwendigen Zusammenhang bilden, weshalb aus einer Bestimmung des Begriffs * auch die anderen Bestimmungen folgen.20 7. Der Begriff * ist aber nicht nur in seinen Bestimmtheiten eine Totalität, sondern auch als Prinzip der gesamten Logik. Als dieses ist er die Totalität der gesamten vorhergehenden Kategorienfolge – da diese notwendig bis zum Begriff * führt und der Begriff * zugleich ihre dialektische-pragmatische Voraussetzung darstellt.21 8. Und schließlich soll noch ein schlichter Vorschlag angeführt werden, wie, auch ohne auf die Ableitung aus der WdL zurückzugreifen, verstanden werden kann, dass Hegel den Begriff * und Begrifflichkeit als Prinzip der Logik annimmt. Denn dieses Prinzip scheint eine Folge aus der Kritik an Kants Philosophie zu sein, die Begriffe auf die Erscheinungen einzuschränken, das Ding-an-sich aber als unbegreiflich zu postulieren. Der Gedanke ist, dass aus der Zurückweisung der Trennung von kategorial Bestimmtem und dem Nicht-kategorial-Bestimmten, also der Annahme eines unintelligiblen Ding-an-sich, es sich ergibt, dass Begrifflichkeit Unhintergehbarkeit und Universalität zukommt. Das Argumente lautet grob gesprochen wie folgt: Jeder Versuch, etwas Unbegriffliches und Unbegreifliches anzuführen, ist pragmatisch inkonsistent, weil es unumgänglich schon zum Gegenstand der Rede gemacht wird und damit bereits als durch Kategorien und logische Regeln bestimmt verstanden wird. Das liegt daran, dass schon Ausdrücke wie ‚es gibt‘, ‚nicht‘, ‚unintelligibel‘, ‚anders‘ et cetera begriffliche Bestimmungen sind und damit in begrifflichen Zusammenhängen und inferentiellen Verknüpfungen stehen – kurz: Die Fundamentallogik ist schon im Versuch der Abgrenzung von ihr vorausgesetzt. Die Lehre, die aus der Einsicht in die pragmatische Widersprüchlichkeit der Annahme von Nicht-begrifflich-Erfassbarem folgt, kann nun in zwei Richtungen ausgelegt werden. Entweder man stellt das Sprechen ein – hat dann aber das Problem, weder etwas zur Erklärung beitragen zu können, noch ein Gegenargument gegen die Geltung von Wissensansprüchen der Philosophie und Wissenschaften vorbringen zu können. Daher macht Hegel sich über dieses rein private Wissen, das unaussprechbar ist, in der Regel lustig. Oder, und darin besteht Hegels Option, man erklärt schlicht alles für prinzipiell begreifbar und verstehbar. Wenn aber alles überhaupt der Form der Begreifbarkeit gehorcht, die Begreifbarkeit aber wiederum begriffliches und kategoriales Bestimmtsein bedeutet, dann ist alles durch die Grundbegriffe und Kategorien bestimmt – und Begrifflichkeit ist dasjenige, was alles – egal, wie dieses näher ausgedeutet werden muss – bestimmt. Und insofern ist Begrifflichkeit ein Prinzip und 19
Vgl. Hegel, WdL II, S. 16 (9), Z. 15. Siehe ebd., S. 16 (9), Z. 16–22: „Jedes von ihnen ist die Totalität, jedes enthält die Bestimmung des andern in sich, und darum sind diese Totalitäten eben so schlechthin nur E i n e, als diese Einheit die Diremtion ihrer selbst in den freyen Schein dieser Zweyheit ist[.]“ 21 Vgl. ebd., S. 11 (2), Z. 20 f. 20
8.1. Der Begriff * als Prinzip der Logik
455
zudem auf sich selbst anwendbar, was für erste Prinzipien notwendige Bedingung ist. Natürlich kann an vielen Stellen dieser Argumentation eingehakt werden, aber es ist zumindest verständlich, dass der Begriff * und Begrifflichkeit überhaupt als Prinzip alles Denkens und Seins durch die Überwindung des kantischen Dualismus von Kategorien und Gegebenem sehr nahe liegt. 8.1.2 Der Begriff * als Absolutes und das Verhältnis zur Idee *: Das Verhältnis zwischen dem Begriff * und der Idee *, die Hegel beide ‚absolut‘ nennt und die er teils unterscheidet, teils aber auch wie austauschbar behandelt, ist komplex und kann hier nur abstrakt angesprochen werden. Dieses Verhältnis ist für die vorliegende Arbeit aber insofern wichtig, als dass Hegel auf der einen Seite den OGB am Übergang vom Begriff * zur Objektivität verortet, woraus folgt, dass der Begriff * Hegels Pendant zu den Bestimmungen Gottes aus der Tradition der philosophischen Theologie ist. Darum bezeichnet Hegel ihn als den „absolute[n], göttliche[n] Begriff selbst“22 . Auf der anderen Seite weist Hegel aber auch darauf hin, dass eigentlich erst in der absoluten Idee * der Gottesbegriff, wie er in der reinen und logischen Form in der Philosophie bewiesen werden kann, vollständig expliziert ist.23 Denn die absolute Idee * ist die „absolute und alle Wahrheit“24 , und als solche vergleicht Hegel sie im Zusatz zum § 236 der Enzyklopädie mit der aristotelischen Charakterisierung des höchsten Prinzips und damit Gottes, der νόεσις νοήσεως.25 Zur Beziehung zwischen Begriff * und Idee * soll hier aber zweierlei festgehalten werden: 1. Hegel meint, dass mit dem Begriff * tatsächlich schon die Sphäre der absoluten Wahrheit, das Prinzip der ganzen Logik, erreicht ist. Die Idee * ist vom Begriff * nicht wesensverschieden, sondern der Begriff * ist die Idee * in nuce. Oder, anders formuliert, die Idee * ist der vollständig explizierte Begriff *. 2. Das Verhältnis zwischen beiden ist daher am sinnvollsten als eines der Explikation zu fassen. Mit dem Begriff * ist das Prinzip der Logik erreicht, aber das Prinzip ist erst 22 Hegel, WdL II, S. 129 (196), Z. 22 f. Siehe auch Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 396 f.: „Es ist in demselben Sinn, in dem der Begriff des spekulativen Begriffs angegeben worden, noch die Folge desselben anzuführen. Nämlich indem die Bestimmungen des Begriffs nur in der Einheit desselben und daher untrennbar sind – und wir wollen ihn in Gemäßheit unseres Gegenstandes den Begriff Gottes nennen –, so muß jede von diesen Bestimmungen selbst, insofern sie für sich unterschieden von der anderen genommen wird, nicht als eine abstrakte Bestimmung, sondern als ein konkreter Begriff Gottes genommen werden.“ 23 Siehe Hegel, Enz. I, § 213, A. S. 367 f.: „Die Definition des Absoluten, daß es die Idee ist, ist nun selbst absolut. Alle bisherigen Definitionen gehen in diese zurück.“ Und in der gleichen Anmerkung heißt es: „Das Absolute ist die allgemeine und eine Idee, welche als urteilend sich zum System der bestimmten Ideen besondert, die aber nur dies sind, in die eine Idee, in ihre Wahrheit zurückzugehen.“ (Ebd., § 213, A. S. 368). 24 Ebd., § 236, S. 388. 25 Vgl. ebd., § 236, Z., S. 388.
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
vollständig verständlich und transparent, wenn alle Bestimmungen bis zur Idee * entfaltet wurden. Insofern die Selbstbegründung und Selbstexplikation schon im Begriff * liegt, ist der Fortgang der Begriffslogik * eine Explikation dessen, was der Begriff * ist. Das scheint ein Unterschied zur Kategorienableitung in der Seins- und Wesenslogik zu sein, für welche immer pragmatisch-dialektische Voraussetzungen auf ein Anderes, auf den Begriff * hinzustreben schienen, weshalb die Explikation fortgesetzt werden musste. In der Begriffslogik findet also Selbstentfaltung statt.26 Ad. 1.: Zunächst ist festzuhalten, dass der Begriff * von Hegel an verschiedenen Stellen, wie oben gezeigt, als der ‚göttliche Begriff ‘ bezeichnet wird und für Hegel damit das Ziel der WdL im Grunde erreicht, wenn er auch noch nicht hinreichend entfaltet und damit verständlich gemacht ist. Um das Gewicht anzuzeigen, das Hegel ihm verleiht, sei hier ein Zitat angeführt, das zwar bereits aus der Idee * des Erkennens stammt, zugleich aber wichtige Momente dessen aufgreift, was hier in der Analyse der ‹absoluten Notwendigkeit› und der Kritik an deduktiven Begründungsverfahren dargestellt wurde:27 In der That, indem das Princip der Philosophie der u n e n d l i c h f r e i e B e g r i f f ist, und aller ihr Inhalt allein auf demselben beruht, so ist die Methode der begrifflosen Endlichkeit nicht auf jenen passend. Die Synthese und Vermittlung dieser Methode, das B e we i s e n bringt es nicht weiter als zu einer der Freyheit gegenüberstehenden N o t h we n d i g k e i t, – nemlich einer I d e n t i t ä t des Abhängigen, welche nur a n s i c h ist, es sey daß sie als i n n e r l i c h e oder als ä u s s e r l i c h e aufgefaßt werden, worin dasjenige, was die Realität daran ausmacht, das Unterschiedene und in die Existenz getretene schlechthin ein s e l b s t s t ä n d i g - Ve r s c h i e d e n e und daher E n d l i c h e s bleibt. Darin kommt also diese I d e n t i t ä t selbst nicht z u r E x i s t e n z und bleibt das n u r i n n e r l i c h e, oder sie ist das nur ä u s s e r l i c h e, indem ihr bestimmter Inhalt gegeben ist; – in beyden Ansichten ist sie ein abstractes und hat die reelle Seite nicht an ihr selbst, und ist nicht als an und für sich b e s t i m m t e I d e n t i t ä t gesetzt; der B e g r i f f, um welchen es allein zu thun, und der das an und für sich unendliche ist, ist somit aus diesem Erkennen ausgeschlossen.28
Nun ist zu bedenken, dass Freiheit und Unendlichkeit, die Hegel dem Begriff * als Prinzip der Philosophie zuspricht, beide den Bezug auf ihre Negation implizieren und so ihre Selbstständigkeit in der Negation behaupten sollen. Diese Negation gehört also zum Begriff *, und wenn das der Fall ist, wie unten deutlicher 26 Letztlich handelt es sich natürlich auch in der objektiven Logik um eine Entfaltung des Begriffs *, denn der Clou der Seins- und Wesenslogik besteht ja darin, dass von der äußersten Abstraktion von der absoluten Wahrheit gezeigt wird, wie das Prinzip der absoluten Wahrheit immer schon vorausgesetzt ist. Insofern besteht nur für diejenige, welche die Logik rekonstruiert, eine abnehmende Inadäquanz oder einer Andersheit zum Begriff *, die im Verlauf der Logik abgebaut wird. Unter den unzeitlichen Bedingungen der WdL ist natürlich der Begriff * schon immer erreicht, so wie er auch schon immer explizit zur Idee * entfaltet ist. Dennoch kann nun in der Begriffslogik auch in der Rekonstruktion von der Selbstentfaltung des Begriffs * gesprochen werden, was in der objektiven Logik noch nicht gegeben war. 27 Vgl. oben Abschnitt 7.2.2. 28 Hegel, WdL II, S. 229 f. (360 f.), Z. 25–11.
8.1. Der Begriff * als Prinzip der Logik
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werden soll,29 ist der Begriff * dann auch schon als Idee * zu bezeichnen, denn diese beschreibt verschiedene Formen dieser Struktur des Bei-sich-sein-im-Anderen. Warum verwendet Hegel aber hier nicht einfach den Term ‚Idee‘, anstatt den Begriff * als Prinzip der Philosophie zu bezeichnen? Der Grund dafür liegt meines Erachtens darin, dass er zwei Verwendungsweisen der Bezeichnung ‚Begriff ‘ nutzt, um zwei Hinsichten zu unterscheiden: Zum einen verwendet Hegel den Term in einem generellen Sinn und meint damit dasjenige, was in der gesamten Begriffslogik entfaltetet wird. In dieser Perspektive ist die Einheit des dritten Teils der Logik zentral und die Idee * nur ein Element, das zum Begriff * gehört. Zum anderen bezeichnet Hegel aber im spezifischen Sinn mit ‚Begriff ‘ auch das Gebilde, das er am Anfang der Begriffslogik thematisiert und dessen Momente das ‹Allgemeine›, ‹Besondere› und ‹Einzelne› genannt werden. Dieses soll direkt an den Schluss der Wesenslogik anschließen und die dortigen Syntheseanforderungen erfüllen. Dieser letzte Begriff * den Hegel in der Enzyklopädie auch als den ‚subjektiven Begriff ‘ kennzeichnet, ist also insofern eins mit der Idee *, als dass er der gleichen Einheit, der Begriffslogik, angehört. Zugleich ist aber die ganze Begriffslogik eine Einheit, die sich entfaltet, und als solche ist der ‚subjektive Begriff ‘ noch unexpliziert, und aus und mit ihm folgt die immanente Entwicklung von Bestimmungen, die schließlich zur Idee * führen. In dieser Hinsicht ist der Begriff * das Prinzip der Idee * im Sinne des ersten Punktes. Und als Begriff *, der sich über die ganze Begriffslogik expliziert, ist er zugleich auch mit der Idee * identisch, die als vollständige Explikation zugleich das Prinzip des Begriffs * ist.30 Ad. 2.: Damit ist im Grunde bereits gesagt, was hier vorgeschlagen wird, nämlich dass das Verhältnis zwischen Begriff * und Idee * am sinnvollsten als Explikationsverhältnis verstanden wird. Nun gilt das im Grunde für die gesamte Logik, denn diese bildet insgesamt die notwendige Totalität, die allem Sein und Denken zugrunde liegt und auf ein Prinzip zurückzuführen ist.31 Daher muss die Explikation, die vom Begriff * zur Idee * führt, als immanente Explikation verstanden werden. Der Begriff * als Prinzip der WdL wird selbst expliziert, während in der objektiven Logik die Kategorien entfaltet wurden, die sich unter dem Versuch, vom Begriff * zu abstrahieren, ergeben. Der Unterschied ist nicht leicht zu fassen, aber die sinn29
Vgl. unten Abschnitt 9.4. Siehe Hegel, Enz. I, § 213, A. S. 368 f.: „Ebenso falsch ist die Vorstellung, als ob die Idee nur das Abstrakte sei. Sie ist es allerdings insofern, als alles Unwahre sich in ihr aufzehrt; aber an ihr selbst ist sie wesentlich konkret, weil sie der freie, sich selbst und hiermit zur Realität bestimmende Begriff ist. Nur dann wäre sie das Formell-Abstrakte, wenn der Begriff, der ihr Prinzip ist, als die abstrakte Einheit, nicht, wie er ist, als die negative Rückkehr seiner in sich und als die Subjektivität genommen würde.“ 31 Siehe ebd., § 237, S. 388 f.: „Sie [d. i. die absolute Idee; Einschub G. M.] ist sich Inhalt, insofern sie das ideelle Unterscheiden ihrer selbst von sich und das eine der Unterschiedenen die Identität mit sich ist, in der aber die Totalität der Form als das System der Inhaltsbestimmungen enthalten ist. Dieser Inhalt ist das System des Logischen.“ 30
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
vollste Annäherung scheint zu sein, dass in der Begriffslogik * die dialektischen Voraussetzungen und dasjenige, was sie voraussetzt, identisch sind, weshalb ein Selbstbezug vorliegt. Dagegen scheinen in der objektiven Logik beide Ebenen noch trennbar zu sein, insofern eben der Begriff * nicht direkt betrachtet wird, sondern nur indirekt durch den Versuch, ihn zu negieren, hervortritt. In der Begriffslogik soll jedenfalls eine immanente Entwicklung des Begriffs * stattfinden. Daher ist eine Verbindung zwischen dem ‚subjektiven Begriff ‘ und der Idee * gegeben, die darin besteht, dass beide zwar aufgrund ihres Grades an Explikation unterschieden werden können, aber zugleich doch eine Einheit bilden.32 Hegel drückt diesen Unterschied derart aus, dass der Begriff *, wie er am Anfang der Begriffslogik analysiert wird, in seiner immanenten Struktur dargestellt wird, aber die Methode der Darstellung, der Analyse und der kategorialen Entwicklung noch nicht selbst untersucht und expliziert ist. Das ist erst in der absoluten Idee * gegeben, in welcher daher auch der Begriff * vollständig und transparent entwickelt ist. So schreibt Hegel: Hiemit ist z we y t e n s auch der U n t e r s c h i e d der M e t h o d e vo n d e m B e g r i f f e a l s s o l c h e m das B e s o n d e r e derselben angegeben. Wie der Begriff für sich betrachtet wurde, erschien er in seiner Unmittelbarkeit; die R e f l e x i o n oder d e r i h n b e t r a c h t e n d e B e g r i f f fiel in u n s e r Wissen. Die Methode ist diß Wissen selbst, für das er nicht nur als Gegenstand, sondern als dessen eigenes, subjectives Thun ist, als das I n s t r u m e n t und Mittel der erkennenden Thätigkeit, von ihr unterschiedenen, aber als deren eigene Wesenheit. [. . . ] Im wahrhaften Erkennen dagegen ist die Methode nicht nur eine Menge gewisser Bestimmungen, sondern das An-und-für-sich bestimmtseyn des Begriffs, der die Mitte nur darum ist, weil er ebensosehr die Bedeutung des Objectiven hat, das im Schlußsatze daher nicht nur eine äussere Bestimmtheit durch die Methode erlangt, sondern in seiner Identität mit dem subjectiven Begriffe gesetzt ist.33
8.1.3 Entwicklung der Bestimmungen des Begriffs *: Aufgrund des Verhältnisses von Begriff * und Idee * nimmt die Ableitung und Fortbestimmung in der Begriffslogik eine besondere Form an, so Hegel. Oben wurde bereits dargestellt, dass und warum Hegel die Dialektik in der Seinslogik 32 Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 397: „Der Unterschied vom Begriffe als solchem ist dann nur der, daß dieser abstrakte Bestimmungen zu seinen Seiten hat, der weiter bestimmte Begriff aber (die Idee) selbst in sich konkrete Seiten, zu denen jene allgemeinen Bestimmungen nur der Boden sind. Diese konkreten Seiten sind oder vielmehr sie erscheinen als für sich existierende, vollständige Ganze. Sie [als] in ihnen, innerhalb des Bodens, der ihre spezifische Bestimmtheit ausmacht, ebenso als in sich unterschiedene gefaßt, so gibt dies die Fortbestimmung des Begriffs, die Mehrheit nicht nur von Bestimmungen, sondern einen Reichtum von Gestaltungen, welche ebenso schlechthin ideell, in dem einen Begriffe, dem einen Subjekte gesetzt und gehalten sind. Und die Einheit des Subjekts mit sich wird um so intensiver, in je weitere Unterschiede es ausgelegt ist; das weiter Fortbestimmen ist zugleich ein Insichgehen des Subjekts, ein Vertiefen seiner in sich selbst.“ 33 Hegel, WdL II, S. 238 f. (375 f.), Z. 26–9.
8.1. Der Begriff * als Prinzip der Logik
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als „Übergehen“ oder „Umschlagen“ und in der Wesenslogik als „Scheinen“ oder „Reflexion“ charakterisiert.34 Damit war vor allem das Verhältnis der dihairetischen Kategorien beschrieben, die entweder als Eigenschaften der Kategorien voneinander getrennt erschienen, oder aber aufeinander Bezug nahmen, aber nur zum Zweck der eigenen Abgrenzung. Im ersten Fall fand dann ein Umschlagen der Kategorien statt, indem etwa die Kategorie ‹Sosein› selbst ein Fall von ‹Anderssein› und umgekehrt war, ohne dass ‹Sosein› auch seinem semantischen Inhalt nach auf ‹Anderssein› Bezug nehmen musste. Im zweiten Fall findet zwar eine Selbstbestimmung über die Abgrenzung von einer bestimmten Kategorie statt, wie etwa die ‹Ursache› sich gegen die ‹Wirkung› bestimmt. Aber die Selbstständigkeit, die mit der ‹Ursache› verbunden ist, wurde durch die Relation gerade infrage gestellt, sodass die Kategorie ‹Ursache› nur als ‹Wirkung› der ‹Wirkung› gefasst werden konnte. Für die Begriffslogik nennt Hegel nun den Fortgang Entwicklung. Diese erläutert er wie folgt: Das Fortgehen des Begriffs ist nicht mehr Übergehen noch Scheinen in Anderes, sondern Entwicklung, indem das Unterschiedene unmittelbar zugleich als das Identische miteinander und mit dem Ganzen gesetzt, die Bestimmtheit als ein freies Sein des ganzen Begriffes ist.35
Wichtig ist hier die Konkretisierung der Totalität, nämlich, dass die unterschiedenen Momente in der Begriffslogik zugleich identisch sind und alle Bezeichnungen der gleichen logischen Entität sind. Diese zunächst paradox anmutende Formulierung, die Differenz und Identität auf widersprüchliche Weise zusammenbringen möchte, muss näher verstanden werden. So scheint Hegel auf diese Weise zu fassen, was Explikation ist, nämlich dass im Impliziten bereits alles gegeben ist, wobei es dennoch vom explizierten Begriff * unterscheidbar ist.36 Dann ist die Einheit von Identität und Differenz aber auch ein Kennzeichen innerhalb einer Totalität, in welcher die einzelnen Elemente identifizierbar und unterscheidbar sein, aber dennoch auf die Ganzheit aller Elemente verweisen müssen, ohne die sie unvollständig und unverständlich wären.37 Dass dabei die logische Struktur, die Hegel im genannten Zitat als ‚freies Sein‘ aufgreift, anvisiert ist, die auch als ‚im Anderen bei sich selbst sein‘ charakterisiert wird, was in der vorliegenden Arbeit mit der Struktur eines negativen Beweises 34
Vgl. oben Abschnitt 6.4.1. Hegel, Enz. I, § 161, S. 308. 36 Siehe ebd., § 161, Z., S. 308 f.: „Die Bewegung des Begriffs ist dagegen Entwicklung, durch welche nur dasjenige gesetzt wird, was an sich schon vorhanden ist.“ Und ebd., § 161, Z., S. 309: „Die Bewegung des Begriffs ist gleichsam nur als Spiel zu betrachten; das Andere, was durch dieselbe gesetzt wird, ist in der Tat nicht ein Anderes.“ 37 Siehe Hegel, WdL II, S. 16 (9), Z. 16–17: „Jedes von ihnen [das sind die Bestimmtheiten des Begriffs *; Einschub G. M.] ist die Totalität, jedes enthält die Bestimmung des andern in sich, und darum sind diese Totalitäten eben so schlechthin nur E i n e, als diese Einheit die Diremtion ihrer selbst in den freyen Schein dieser Zweyheit ist[.]“ 35
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
parallelisiert wurde, ist leicht zu sehen. Denn die Identität zweier verschiedener Momente des Begriffs * kann natürlich nicht im Sinne strenger, formallogischer Identität verstanden werden, weshalb Hegel auch von einer „negativen Einheit“38 spricht. So ist wesentlich für die Momente des Begriffs *, wie Hegel meint, daß die Bestimmung in ihrer anderen so sich erhält, daß diese ihre Einheit, die selbst an sich das ursprüngliche Wesen beider ist, auch als die subjektive Einheit derselben gesetzt ist. So ist keine von ihnen einseitig, und sie beide zusammen machen das Scheinen ihrer Einheit aus[.]39
Wie diese Explikation und Totalität konkreter aussieht, soll unten anhand der Dialektik zwischen den Bestimmungen des Begriffs * dargestellt werden. Zunächst soll aber die Entwicklung des Begriffs * bis zur Objektivität in groben Zügen festgehalten werden, um das Explikationsmoment herauszuarbeiten und zugleich einen Überblick über die Passage der Logik zu gewinnen, die Hegel mit dem ontologischen Gottesbeweis identifiziert. 8.1.4 Argumentationsskizze des ersten Abschnitts: Der Begriff * ist also die Totalität aller logischen Bestimmungen, die in der objektiven Logik entfaltet wurden. Jedoch umfasst er nicht nur diese, sondern besitzt eine Eigenbestimmung. Dass der Begriff * eine Eigenbestimmung besitzt, folgt aus seiner Funktion, nicht nur die Totalität der logischen Bestimmungen zu bilden, sondern zugleich ihr Prinzip zu sein. Denn als Prinzip muss aus ihm verständlich werden – was freilich erst in der Idee * erreicht wird -, wie er die Grundlage und der methodische Zusammenhang aller logischen Kategorien ist. Folglich muss der Begriff * als Prinzip verständlich werden und kann nicht als bloße Menge oder Tupel der logischen Kategorien gelten – es wird sich schließlich zeigen, dass er zur absoluten Idee * führt und in dieser die Methode der logischen Ableitung explizit wird. Da die Methode aber mit ihrem Inhalt identisch ist, wie oben argumentiert, muss sie schließlich wie der „Grundbegriff der Philosophie“, das „wahrhaft Unendliche“, verstanden werden – als dasjenige, was sich selbst durch alle Kategorien verwirklicht, ihr Bestimmendes und ihre Grundlage ist, aber kein Jenseits bildet.40 Die Eigenbestimmung des Begriffs * besteht nun zunächst in einer Trias von Momenten. Diese bezeichnet Hegel als ‹Allgemeines›, ‹Besonderes› und ‹Einzelnes›. Hegel wählt diese Kategorien, weil sie in einem besonderen Verhältnis stehen, das im Folgenden noch genauer untersucht wird. Kurz gefasst, besteht diese Besonderheit darin, dass diese Kategorien eine eigenständige Bedeutung nur durch den konstitutiven Bezug auf ihre Negation erhalten. Das wird schnell deutlich, wenn versucht wird, die Bestimmungen ohne die gegenteiligen zu verstehen: Beispiels38 39 40
Hegel, Enz. I, § 163, S. 311. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 408. Vgl. Hegel, Enz. I, § 95, A., S. 203.
8.1. Der Begriff * als Prinzip der Logik
461
weise verliert die Kategorie ‹Allgemeinheit› ihre Bedeutung, wenn nicht zugleich auch etwas ‹Besonderes› gegeben ist, das unter der Kategorie ‹Allgemeinheit› gefasst wird. Für die angestrebte Übersicht ist allerdings ihre Funktionsweise nur insofern festzuhalten, als dass sie die immanente Struktur des Begriffs * bilden, indem sie sich wechselseitig bestimmen und dafür sich voneinander unterscheiden, obwohl sie zugleich wechselseitig konstitutiv sind für ihre jeweilige Bedeutung. Damit weist die immanente Struktur des Begriffs * die Momente auf, die für die ‹absolute Notwendigkeit› herausgearbeitet wurden: Jedes Begriffsmoment bezieht sich in dem je anderen auf sich selbst, indem es konstitutiv für dieses andere Begriffsmoment ist. Und zugleich ist die Entgegensetzung der Begriffsmomente gegeben. So ist also zum Beispiel die ‹Allgemeinheit› in seinem anderen, der ‹Besonderheit›, bei sich selbst. Das absolute Prinzip, der Begriff *, ist also immanent strukturiert. Jedoch kann die Begriffslogik nicht schon damit enden, dass die immanenten Momente des Begriffs * genannt werden, sondern es muss auch das Mittel der Explikation ihrer Relationen untersucht werden. Die Momente des Begriffs * stehen in Verhältnissen, und diese müssen ebenso wie die Momente selbst dargestellt werden – und das ist der Schritt zum Urteil. Es ist zwar richtig, dass die Momente des Begriffs * nicht mehr von ihren Relationen getrennt werden können. Und insofern ist die Darstellung der Momente des Begriffs * auch zugleich eine Darstellung der Relationen zwischen ihnen. Aber damit ist noch nicht angegeben, mit welchem methodischen Werkzeug die Darstellung der Relationen gelingt. Das leistet nun das Urteil. Das Urteil übernimmt also die Funktion, die Relationen zwischen den Begriffsmomenten zu explizieren. In dem jeweils zwei Begriffsmomente im Urteil explizit in ein Verhältnis gebracht werden, meint Hegel die Form aller wesentlichen Erkenntnisurteile ableiten zu können.41 Dabei orientiert er sich offensichtlich an der aristotelischen und kantischen Einteilung der Urteile. Nun soll nicht die Richtigkeit der hegelschen Ableitung verteidigt werden, da es hier einzig um die Funktion der Urteilslehre innerhalb der Begriffslogik geht. Und diese Funktion besteht darin, das methodische Werkzeug zur Explikation der Relationen im Begriff * an die Hand zu geben. Jedoch erweisen sich die Urteilsformen, vom ‹positiven› bis zum ‹apodiktischen Urteil›, als mangelhaft: Zwar vermögen sie die Relationen des Begriffs * darzustellen, können aber den Anspruch auf Wahrheit und Notwendigkeit nicht ausweisen. Die bloße Beziehung zweier Terme durch die Kopula, gleichgültig, ob die Terme für etwas ‹Allgemeines›, ‹Besonders› oder ‹Einzelnes› stehen, ist entweder trivialer Weise wahr, nämlich wenn das Prädikat im Subjektterm bereits enthalten ist. Oder ihre Wahrheit und Notwendigkeit ist skeptisch hinterfragbar. Und das ist das 41 Diese Formen haben natürlich darüber hinausgehende Bedeutung, weil der Begriff * Prinzip alles Denken und Seins ist. Und insofern wäre der Anspruch der hegelschen Logik, die Urteilsformen vollständig abzuleiten, in welchen Erkenntnisse überhaupt formuliert werden können.
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
Hauptproblem der Urteile, welches nicht nur zur Einführung neuer Urteilsformen zwingt, sondern schließlich zum Übergang über das Urteil hinaus. Denn durch die fehlende Begründung der Wahrheit und Notwendigkeit im Urteil findet auch keine adäquate Darstellung des Begriffs * statt, denn dieser soll sich schließlich durch ‹absolute Notwendigkeit› auszeichnen. Diesen Mangel kann die Darstellung des Urteils als Konklusion beheben. Der Schluss, wobei Hegel im Wesentlichen die aristotelischen Syllogismen in der Logik begründen möchte, aber auch Schlussformen wie Induktion und Analogie auf ihre Begründungsleistung hin untersucht, löst also prima facie das Problem des Urteils und stellt dieses als notwendig und wahr dar. Und weil er die Notwendigkeit, die der Begriff * beansprucht und ist, darstellen soll, ist er dessen ‚Wiederherstellung‘.42 Allerdings wiederholt sich das Problem des Urteils im Schluss, was im deduktiven Syllogismus offensichtlich ist. Denn die Notwendigkeit eines Urteils r wird durch die Einführung der Prämissen p und q erreicht, um r als Konklusion abzuleiten. Auch wenn der Schluss korrekt ist und r aus p und q folgt, ist nur eine hypothetische Notwendigkeit erreicht, da die Prämissen p und q ebenfalls als notwendig und wahr bewiesen werden müssten, um den hegelschen Ansprüchen zu genügen. Wird dabei nur auf deduktive Beweisverfahren gesetzt, ist der Begründungsregess unaufhaltsam. Daher prüft Hegel zum Beispiel auch induktive Schlüsse, die aber weder die angestrebte Notwendigkeit begründen, noch Allaussagen rechtfertigen können. Dass die Frage nach der Darstellung und Begründung der Notwendigkeit des Begriffs * die treibende Kraft hinter Hegels Argumentation und Entwicklung im ersten Abschnitt der Begriffslogik ist, ist meines Erachtens offenkundig. Zweifelhaft bleibt hingegen Hegels Lösung. Denn es wird weder deutlich, wie die Ausweitung des deduktiven Schlussverfahrens auf drei Syllogismen, in denen immer die gleichen Sätze p, q und r auftreten, jedoch jeder der drei Sätze einmal aus den anderen abgeleitet wird, als ‹absolut notwendig› gelten kann. Wine solche Begründung ist, worauf etwa Vittorio Hösle hinweist,43 schlecht zirkulär. Noch kann der disjunktive Schluss als eine befriedigende Antwort gelten, weil er zwar in der ersten Prämisse eine vollständige Disjunktion enthält, jedoch ist diese natürlich erst zu begründen und kann nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Hegel sieht in diesen beiden Anschlussarten Parallelen zu seiner Konzeption des Begriffs *. Denn die Bestimmungen des Begriffs * sollen als Momente einer Totalität ebenfalls auf die je anderen Momente schließen lassen, wie es in den drei Syllogismen angestrebt ist. Und die erste Prämisse des disjunktiven Schlusses ist das Abbild dieser Totalität des Begriffs *, in der die vollständige Disjunktion durch die Totalität begründet ist. Jedoch können diese Parallelen nicht schon für Hegels Zwecke hinreichend sein, 42 43
Vgl. Hegel, WdL II, S. 90 (132), Z. 3 f. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 182 f.
8.1. Der Begriff * als Prinzip der Logik
463
denn eine dem Begriff * adäquate Schlussweise muss zugleich seine Selbstbegründung und absolute Notwendigkeit darstellen, die nur im Beweis der Unhintergehbarkeit, also der Letztbegründung, bestehen kann. Vittorio Hösle hat nun argumentiert, Hegels Methode sei „besser als seine Reflexion über diese Methode“44 . Besser sei sie, weil Hegel gerade nicht nur diese beiden Lösungen parat habe, sondern ebenso das einzig mögliche Beweisverfahren nutze, das ‹absolute Notwendigkeit› einholen kann, denn diese sei nur über „indirekte“ oder, wie in der vorliegenden Arbeit bereits häufig thematisiert, über negative Beweise zu erreichen.45 Es sei hier nur auf die ausführliche und überzeugende Analyse Hösles hingewiesen, die zeigt, dass Hegel auf diese Weise argumentiert.46 In der negativen Beweisfigur steckt nun tatsächlich der Schlüssel für das Verständnis des Übergangs zur Objektivität. Denn auch wenn Hegel den negativen oder indirekten Beweis am Ende der Schlusslehre nicht thematisiert, so bietet er mit der Objektivität genau das: einen negativen Beweis des Begriffs *. Denn Hegel sieht, dass dieser mit der Schlusslehre nicht hinreichend erläutert ist, weil die wichtige Dimension der ‹absoluten Notwendigkeit› ausgeblendet ist. Mit den Begriffsmomenten, dem Urteil und den Schlüssen ist aber einzig die immanente Struktur des Begriffs * expliziert, und weil die Betrachtung des Begriffs * immanent bleibt, bezeichnet Hegel den Abschnitt auch als ‚Subjektivität‘. Allerdings ist in der immanenten Analyse des Begriffs * nicht eingeholt, was für die ‹absolute Notwendigkeit› herausgearbeitet wurde: ‹Absolute Notwendigkeit› erfordert einen negativen Beweis, wofür in der eigenen Negation das Positive als Voraussetzung dieser Negation erwiesen werden muss. Daher gehört diese Dimension, der Bezug auf die eigene Negation oder Alterität und das Aufweisen, dass diese Negation oder Alterität nur unter der Gültigkeit des Begriffs * verstanden werden kann, notwendig zum Begriff * als Prinzip der WdL. Dieser Aufweis kann natürlich nicht in der immanenten Analyse, der Subjektivität, geleistet werden. Daher muss die Begriffslogik einen Schritt weitergehen und zeigen, dass noch in der Negation des Begriffs * die Begriffsmomente bestimmend sind. Das leistet der Abschnitt Objektivität. Daher wird in der Objektivität von wesentlichen Bestimmungen des Begriffs abgesehen: Es werden isolierte und einzelne Objekte in ihrem mechanischen, also rein äußerlichen Zusammenhang betrachtet – was als Entgegensetzung zur konkreten Totalität des Begriffs *, der sich selbst in seinen Momenten bestimmt, fungiert. Der Argumentationsverlauf der Objektivität ist dann, dass sukzessive nachgewiesen wird, dass selbst unter dieser Prämisse der Entgegensetzung gegen den Begriff * man dazu fortgetrieben wird, immer deutlicher die Begriffsmomente in der Objektivität zu erkennen, bis sie schließlich in der ‹Teleologie› wieder ganz erreicht sind. 44 45 46
Hösle, Hegels System, S. 182. Vgl. ebd., S. 183. Vgl. ebd., S. 183–210.
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
Daher folgt abschließend in der Idee * die Thematisierung von Strukturen, in denen sich das Verhältnis zwischen dem Begriff * und der Objektivität fassen lässt. Denn angefangen vom ‹Leben›, über das ‹Erkennen› und das ‹Gute› bis hin zur absoluten Idee * ist stets diese Struktur präsent: wie etwas in seinem anderen bei sich selbst ist. Das ist – zumindest innerhalb des logischen Rahmens – dann auch vollends der Fall, wenn in der absoluten Idee * die Methode, die letztlich mit dem ganzen Inhalt der Logik identisch ist, expliziert wird, denn diese ist auf der einen Seite von den einzelnen logischen Kategorien unterscheidbar und auf der anderen Seite doch zugleich ihr Wesentliches, Bestimmendes, ihr wahrhaft Unendliches. Es soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass in diesem Vorschlag, wie Hegel zu verstehen ist, auf dasjenige abgehoben wird, was Hegel tut, denn er argumentiert nicht offenkundig auf die Weise, die gerade angegeben wurde. Dennoch bildet die Begriffslogik sicher nicht zufällig diese Struktur aus, und es lassen sich viele Textstellen anführen, die zumindest zeigen, dass Hegel auf die Struktur eines negativen Beweises reflektiert. Ziel der folgenden Analyse der Begriffslogik ist, diese Argumentationslinie zu erhärten.
8.2 Die immanente Struktur des Begriffes * Wie angekündigt soll nun, nachdem der Begriff * als Prinzip der WdL umrissen wurde, genauer auf seine immanente Struktur eingegangen werden. Das ist wichtig, um den Übergang zur Objektivität zu verstehen und damit auch Hegels Gedanken zum OGB. Dafür soll im Folgenden 1. bündig aufgegriffen werden, was oben ausgespart wurde, nämlich die Eigentümlichkeit der begriffslogischen Dialektik und ihrem Merkmal Entwicklung zu sein.47 2. Und schließlich soll die Argumentation des ersten Abschnittes der Begriffslogik genauer nachvollzogen werden, allerdings stets mit dem Blick auf das, was für den OGB relevant ist. 8.2.1 Die Besonderheit der begriffslogischen Dialektik Nachdem im Vorhergehenden der rote Faden der Argumentation Hegels im ersten Abschnitt der Begriffslogik umrissen wurde, soll nun die Besonderheit der Dialektik im Begriff * angegeben werden. Wie bereits betont, tritt dabei die Relationalität der Kategorien in den Vordergrund. Nun war die Relation – schon durch die Bedeutung der Kategorien gegeben – bereits das entscheidende Merkmal der wesenslogischen Dialektik. Was jedoch in der Begriffslogik aufgegeben wird, ist der Anspruch der Reflexionsbestimmungen für sich abgesondert Geltung zu haben und erfasst werden zu können. Die 47
Vgl. oben, S. 355.
8.2. Die immanente Struktur des Begriffes *
465
Begriffsbestimmungen können nur gemeinsam verstanden werden, und sie zeigen das auch an.48 Aufgrund der Ähnlichkeit zur wesenslogischen Bestimmung vergleicht Hegel die Begriffsmomente mit der ersten Trias der Reflexionsbestimmungen: ‹Identität›, ‹Unterschied› und ‹Grund›.49 Dabei unterstreicht er, dass im ‹Allgemeinen› ausdrücklich die Bedeutung der anderen beiden Begriffsmomente enthalten ist, was für die ‹Identität› gerade nicht gilt.50 Das ist zumindest insofern evident, als dass ein ‹Allgemeines›, unter das keine ‹Besonderen› subsumiert werden können, keinen Allgemeinheitscharakter hätte. Weil dieses ‹Allgemeine› aber notwendig mit der ‹Besonderheit› verbunden ist, kann es zugleich als ‹Einzelnes› bezeichnet werden. Ebenso ist ein ‹Besonderes› auf der einen Seite für sich zu betrachten und insofern ‹Einzelnes› und ist daher ebenso unter einer ‹Allgemeinheit› subsumiert, denn ansonsten würde es die Bestimmung der ‹Besonderheit› verlieren. Und ebenso gilt für das ‹Einzelne›, so Hegel, dass es sowohl ‹allgemeine› Bestimmungen als auch ‹Besonderheiten› in sich vereint.51 Und weil dieser Verweis auf die jeweils anderen beiden Momente des Begriffs * explizit zu ihnen gehört, unterscheidet Hegel sie von den wesenslogischen Kategorien. Im Kern besteht die Dialektik der begriffslogischen Bestimmungen daher darin, dass explizit ist, dass sie ihre Bestimmung nur über den Bezug auf die von ihnen verschiedenen anderen Bestimmungen gewinnen.52 Damit verändert sich jedoch das antinomische Oszillieren, das oben ausführlich für die seinslogischen Kategorien dargestellt wurde. Denn durch den expliziten Bezug der begriffslogischen Momente aufeinander muss nicht mehr von der Äquivalenz zur Entgegensetzung und umgekehrt übergegangen werden. Während also in der objektiven Logik durch einen Reflexionsakt von der Entgegensetzung zur Äquivalenz übergegangen wurde, liegt nun die ganze (antinomische) Struktur offen zutage. Wie kann das genau verstanden werden? Betrachten wir als Beispiel das Verhältnis von ‹Allgemeinheit› und ‹Besonderheit›. Würde es sich um seinslogische Kategorien handeln, nähme die Argumentation in etwa die folgende Gestalt an: Das ‹Allgemeine› ist vom ‹Besonderen› unterschieden, doch um sich unterscheiden zu können, muss das ‹Allgemeine› 48 Siehe Hegel, Enz. I, § 164, S. 313: „Die Momente des Begriffes können insofern nicht abgesondert werden; die Reflexionsbestimmungen sollen jede für sich, abgesondert von der entgegengesetzten, gefaßt werden und gelten; aber indem im Begriff ihre Identität gesetzt ist, kann jedes seiner Momente unmittelbar nur aus und mit den anderen gefaßt werden.“ Vgl. auch Hegel, WdL II, S. 35 (41), Z. 16–30. 49 Vgl. Hegel, Enz. I, § 164, A., S. 314. 50 Siehe ebd., § 164, A., S. 314: „Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sind abstrakt genommen dasselbe, was Identität, Unterschied und Grund. Aber das Allgemeine ist das mit sich Identische ausdrücklich in der Bedeutung, daß in ihm zugleich das Besondere und Einzelne enthalten sei.“ 51 Vgl. ebd., § 164, A., S. 314. 52 Vgl. dazu und zum Folgenden: Hegel, WdL II, S. 34 f. (40 f.), Z. 14–9.
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
selbst eine Instanz des ‹Besonderen› sein – es muss eine eigene Spezifität aufweisen, durch die es sich vom ‹Besonderen› abgrenzen lässt. Damit sind aber beide Kategorien, das ‹Allgemeine› und das ‹Besondere›, ‹besondere› Kategorien. Die Rede von ‹besonderen› Kategorien ist nun aber selbst nur sinnvoll, wenn sie von einer ‹allgemeinen› Kategorie abgegrenzt werden. Diese Reflexion führte dann zurück zum Ausgangspunkt, der Entgegensetzung von ‹Allgemeinheit› und ‹Besonderheit›. Nun wäre dieses Verhältnis seinslogisch tatsächlich das, was die beiden Kategorien ausmachte: ‹Allgemeinheit› lässt sich nicht ohne ‹Besonderheit› denken und umgekehrt. Was sie nun aber zu einem begriffslogischen Verhältnis macht, ist, dass sie diese Relation zueinander explizit aussagen. ‹Allgemeinheit› meint, notwendig mit ‹Besonderheiten› zugleich zu bestehen, sich von diesen ‹Besonderheiten› abzugrenzen und zugleich sich nur in dieser Abgrenzung zu konstituieren, erhalten zu können.53 Schon die seinslogische Dialektik besteht darin, dass zwei dihairetische Kategorien eine logische Stelle erschöpfend ausfüllen, welche dann von der synthetischen Kategorie benannt und umfasst wird.54 In der Begriffslogik sind hingegen die Bestimmungen des Begriffs * gar nicht anders zu verstehen, als dass sie eine Einheit bilden, indem die anderen Bestimmungen als Konstitutiva bereits vorausgesetzt und mit ausgedrückt sind. Daher ist das antinomische Verhältnis, oder hier vielmehr: die ‚Identität aus Identität und Differenz‘, um Hegels berühmte Formel zu bemühen, ausdrücklich und offensichtlich gegeben. Sie bestehen in Totalität und Einheit, die aber zugleich ihre Unterschiedenheit voraussetzt, ohne welche die Bestimmungen bedeutungslos würden. Und so kommt die Relation, anders als in der Wesenslogik nicht mit der vermeinten Selbstständigkeit der Bestimmungen in Konflikt: Die begriffslogische Selbstständigkeit besteht nicht trotz, sondern gerade durch die Relationalität und Zusammengehörigkeit. 8.2.2 Die Momente des Begriffes * Nachdem im Vorhergehenden der Begriff * sowie der Argumentationsverlauf bis zur Objektivität durch allgemeine Merkmale charakterisiert wurde, soll das bisher Gesagte durch die nähere Interpretation des ersten Abschnitts der Begriffslogik erhärtet werden. Dabei liegt der Fokus auf dem für das Verständnis des ontologischen Gottesbeweises, den Hegel mit diesem Argumentationsstrang der Logik verbindet, Relevanten. Wie in der vorliegenden Arbeit dargestellt, differiert Hegels Version des OGB stark von traditionellen Varianten. Dieser Unterschied liegt vor allen Dingen darin begründet, dass Hegel den Beweis in seine Logik integriert und so mit einem anderen Gottesbeweis verbindet, nämlich dem Beweis aus den ewigen Wahrheiten. Denn die Logik bietet mit der Ableitung der notwendig wahren und on53 Indem das Beziehungsmoment ebenfalls mit in die Kategorien aufgenommen worden ist, sind sowohl Momente der seins- als auch wesenslogischen Dialektik in der Begriffslogik vereint. 54 Vgl. oben Abschnitt 6.3.
8.2. Die immanente Struktur des Begriffes *
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tologisch gehaltvollen, zeitlosen Kategorien zugleich eine Klärung des Gottesbegriffs. Da die Logik sich selbst erfasst, ist sie zugleich auch selbst ontologisch bestimmt. Das stellt nun allerdings den OGB in Frage, wie oben gesagt, denn insofern Hegel aus dem ontologisch bestimmten Begriff * die Objektivität ableitet, ist der Ausgangspunkt des Beweises eigentlich zu reich bestimmt. Worauf Hegel allerdings mit dieser Ableitung reagiert, ist die für den OGB entscheidende, jedoch zunächst offene Frage, wie die Objektivität, wie das Sein des Absoluten zu verstehen ist. Mit dieser Klärung verbindet Hegel den OGB, der daher nicht von einer bloß subjektiv verstandenen Vorstellung auf eine entsprechende Instanz schließt, sondern vom Prinzip der Logik angibt, wie ihr Sein zu verstehen ist. Dafür muss aber aus der immanenten Analyse des Prinzips der WdL, des Begriffs *, deutlich werden, warum der Übergang in die Objektivität notwendig ist und was diese für den Begriff * bedeutet. Damit soll hier also der erste Teil der Begriffslogik analysiert werden, um die Gründe Hegels, die den Übergang in die Objektivität erzwingen, zu erfassen. Das Allgemeine Hegels eigene Behandlung der Begriffsmomente ist nicht einfach zu verstehen: Während er in der Enzyklopädie nur äußerst knapp auf die Begriffsmomente, ‹Allgemeinheit›, ‹Besonderheit› und ‹Einzelheit› eingeht, ist den Begriffsbestimmungen in der WdL zwar mehr Raum gegeben, allerdings ist es nicht immer offensichtlich, welche Argumentation Hegel nun für seinen Begriff * anerkennt und welche, wie etwa die ‹abstrakte Allgemeinheit›, nur Derivate der eigentlichen Konzeption sind. Nun ist gerade eine Pointe der Begriffsbestimmungen, so Hegel, dass sie sich nur miteinander und durcheinander verstehen lassen – das macht ihre Totalität aus. Daher ist für das Verständnis der ‹Allgemeinheit› entscheidend, dass sie nicht das Jenseits oder die Abstraktion von den unter sie subsumierten ‹Besonderheiten› ist. Hegel spielt hier auf die Kategorie der ‹wahrhaften Unendlichkeit› an,55 die er schon in der Seinslogik eingeführt hat, aber immerhin als „Grundbegriff der Philosophie“56 bezeichnet hat.57 Das heißt, anders formuliert, dass die ‹Allgemeinheit› des Begriffs * der Bestimmtheit in den zu ihr gehörenden ‹Besonderen› nicht entgegengesetzt ist. Das ist am einfachsten am Beispiel der Logik selbst zu verstehen, in welcher der Begriff * als Prinzip und Voraussetzung durchgängig präsent ist, jedoch deswegen nicht schon mit den ‹besonderen› logischen Kategorien identisch und letztlich auch nicht als die bloße Menge der logischen Kategorien zu verstehen ist. Denn er führt eine eigene Bestimmtheit mit sich und expliziert schließlich den notwendigen Zusammenhang aller logischen Kategorien durch die Methode in der Idee *. Und 55 Vgl. etwa Hegel, WdL II, S. 36 (44), Z. 31. Siehe auch ebd., S. 34 (40), Z. 14: „Nach dieser ursprünglichen Einheit, ist vors erste das erste Negative oder die B e s t i m m u n g keine Schranke für das Allgemeine, sonder es e r h ä l t s i c h d a r i n, und ist positiv mit sich identisch.“ 56 Hegel, Enz. I, § 95, A., S. 203. 57 Vgl. oben Abschnitt 9.4.
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
weil aus der Methode der Dialektik die logischen Kategorien notwendig folgen, ist das Prinzip und dessen ‹Allgemeinheit› in Hegels Augen das Wohlbestimmteste, was sich denken lässt.58 Wenn die ‹Allgemeinheit› durch ‹Besonderheiten› bestimmt ist, mit diesen aber nicht identisch ist, sondern sich erst durch dieses Bestimmtsein konstituiert, so besitzt es die hier oft zitierte Struktur, die Hegel auch „absolute Negativität“59 nennt. Damit sind zugleich die ‹Besonderheiten›, die unter dem ‹Allgemeinen› gefasst werden, notwendig. Hegel diskutiert noch, dass sich die ‹Besonderheit› durch die Abgrenzung von anderen ‹Besonderheiten› auszeichnet.60 Nun lässt sich die Eigenheit der ‹Besonderheit› auch auf die ‹Allgemeinheit› übertragen, wenn diese nicht nur als das Sich-immanent-Bestimmen und Sich-in-den-BestimmungenKontinuierende betrachtet wird, sondern darüber hinaus auch nach außen abgegrenzt. So würde eine ‹Allgemeinheit›, etwa ein Gattungsbegriff, selbst von anderen Gattungsbegriffen unterschieden. Dadurch würden aber die Gattungsbegriffe selbst unter die Bestimmung der ‹Besonderheit› fallen. Und folglich müsste dann eine höhere ‹Allgemeinheit› angenommen werden, welche die Bezeichnung der Gattungsbegriffe als ‹Besonderheiten› rechtfertigen würde. Diese Beziehung ist aus Gattung-Art-Hierarchien bekannt. Aber das „wahrhaft höhere Allgemeine“61 ist nicht als bloßer Gattungsbegriff mit höheren Gattungen über ihm zu verstehen, sondern bestimmt sich immanent und ist in seinen Bestimmungen ganz bei sich selbst.62 Auffällig ist dabei, dass Hegel sich einer Schöpfungsmetaphorik bedient, um auszudrücken, dass die Allgemeinheit dasjenige ist, was in den Besonderheiten das Bestimmende ist.63 Nun ist Schöpfung allein aufgrund der Unzeitlichkeit der WdL keine logische Bestimmung, sondern muss erst in eine logische Struktur übersetzt werden. Daher soll hier nur festgehalten werden, dass Hegel der ‹Allgemeinheit› einen gewissen Vorrang, eine Dominanz, in der Bestimmungsfindung und damit in der Findung der ‹Besonderheiten› einräumt. Das ‹wahrhaft Allgemeine› ist also notwendig von den ‹Besonderheiten› verschieden, denn ansonsten wäre es nur eine weitere ‹Besonderheit›. Dieses Unterscheiden erreicht es, indem es als bestimmend sich in den ‹Besonderheiten› kontinuiert, in diesen enthalten ist. Abstrahiert man allerdings von allen ‹Besonderheiten›, so fällt 58 Siehe Hegel, WdL II, S. 33 (39), Z. 32 f. „Das A l l g e m e i n e dagegen ist das e i n f a c h e, welches eben so sehr das r e i c h s t e i n s i c h s e l b s t ist; weil es der Begriff ist.“ 59 Ebd., S. 35 (41), Z. 6. 60 Wie Arten implizieren die ‹Besonderen› jeweils eine differentia specifica. 61 Hegel, WdL II, S. 36 (43), Z. 19 f. 62 Vgl. ebd., S. 36 (43), Z. 19–30. 63 Siehe ebd., S. 36 (43), Z. 25–30: „Insofern Leben, Ich, endlicher Geist, wohl auch nur bestimmte Begriffe sind, so ist ihre absolute Auflösung in demjenigen Allgemeinen, welches als wahrhaft absoluter Begriff, als Idee des unendlichen Geistes zu fassen ist, dessen G e s e t z t s e y n die unendliche, durchsichtige Realität ist, worin er seine S c h ö p f u n g, und in ihr sich selbst anschaut.“
8.2. Die immanente Struktur des Begriffes *
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damit auch das sich kontinuierende ‹Allgemeine› hinweg – es bliebe nichts als eine leere und abstrakte Allgemeinvorstellung. Von diesem Punkt aus, geht Hegel über zur Betrachtung der ‹Besonderheit›. Das Besondere Die ‹Besonderheiten› im Plural sind die schon angesprochene Bestimmtheit des ‹Allgemeinen›. Der Plural scheint deswegen angebracht, weil die ‹Besonderheiten› sich dadurch auszuzeichnen, sich gegen andere ‹Besonderheiten› abzugrenzen.64 Das ‹Allgemeine› bildet nun, wie gesagt, kein Jenseits zu den ‹Besonderheiten›. Vielmehr sind diese insgesamt eine Darstellung des ‹Allgemeinen›,65 welches wie ihr Prinzip in ihnen bleibt und ihnen den Charakter einer Totalität gibt.66 Und als Totalität, die eine Darstellung des ‹Allgemeinen› ist, sind die ‹Besonderheiten› vollständig. Daraus wird dann auch deutlicher, warum Hegel das ‹Allgemeine› als „schöpferische Macht“67 bezeichnet, ihm also einen Vorrang innerhalb der Begriffsmomente einräumt. Denn weil es sich nicht jenseits der ‹Besonderheiten› bildet und diese prinzipiiert, können sie aus dem ‹Allgemeinen› erschlossen werden.68 Allerdings muss das ‹Allgemeine› dadurch eine eigene Bestimmtheit gegen die ‹Besonderheiten› aufweisen, wie Hegel zu Recht einwendet. Da aber das ‹Allgemeine› so selbst eine ‹Besonderheit› wäre und gegen anderes, Äußerliches bestimmt sein müsste, was hier nicht der Fall ist, greift er auf die zum negativen Beweis analoge Struktur zurück, um die Bestimmtheit des ‹Allgemeinen› und der ‹Besonderen› zusammenzubringen: Das Allgemeine als der Begriff, ist es es selbst und sein Gegentheil, was wieder es selbst als seine gesetzte Bestimmtheit ist; es greift über dasselbe über, und ist in ihm bey sich. So ist es die Totalität und Princip seiner Verschiedenheit, die ganz nur durch es selbst bestimmt ist.69
So überzeugend aber die Wertschätzung der Struktur des negativen Beweises als Zeichen der ‹absoluten Notwendigkeit› ist, so unbefriedigend ist diese Lösung, denn ohne eine eigene Bestimmtheit, die sich letztlich für das ‹Allgemeine› angeben lassen muss, ist es völlig abstrakt und die Einheit und Vollständigkeit der ‹Besonderheiten› ist durch nichts gewährleistet. Diese eigene Qualität muss schließlich angegeben 64 Siehe Hegel, WdL II, S. 37 (45), Z. 16–18: „Das Besondere hat mit den a n d e r n Besondern, zu denen es sich verhält, eine und dieselbe Allgemeinheit.“ 65 Siehe ebd., S. 37 (45), Z. 19–22: „Das Besondre e n t h ä l t also nicht nur das Allgemeine, sondern stellt dasselbe auch d u r c h s e i n e B e s t i m m t h e i t dar; dieses macht insofern eine S p h ä r e aus, welche das Besondere erschöpfen muß.“ 66 Siehe ebd., S. 37 (45), Z. 18 f.: „Zugleich ist die Verschiedenheit derselben, um ihrer Identität mit dem Allgemeinen willen, a l s s o l c h e allgemein; sie ist To t a l i t ä t.“ 67 Ebd., S. 36 (44) Z. 34. 68 Siehe ebd., S. 37 (45), Z. 32–34: „Sie [d. i. die Besonderheit; Einschub G. M.] hat keine a n d e r e Bestimmtheit, als welche durch das Allgemeine selbst gesetzt ist, und sich aus demselben folgendermaßen ergibt.“ 69 Ebd., S. 38 (46), Z. 5–9.
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werden, wenn auch nicht notwendig unabhängig und vor den ‹Besonderheiten›, aber dennoch wie etwa eine Regel, ein Gesetz oder eine Methode, welche sich in jenen zeigt. Und so geht Hegel letztlich in der WdL auch vor: Durch die Entfaltung der Begriffslogik und der finalen Methodenreflexion mündet Hegels Projekt in die Angabe dessen, wovon alle logischen Kategorien nur eine abstrakte Stufe darstellen. Dieses Verhältnis von ‹Allgemeinem› und ‹Besonderheiten› gilt allerdings nur für den Begriff * und damit für die Logik, wie Hegel meint und so die Logik gegen die Natur abgrenzt. Denn in der Natur verlaufe sich das ‹Besondere› ins Unendliche und sei daher nicht aus dem Begriff * oder allgemeinen Begriffen zu deduzieren.70 Bei diesen Erläuterungen belässt es Hegel und weist im darauf Folgenden hauptsächlich ein falsches Verständnis von ‹Allgemeinheit› zurück, das er als „AbstractAllgemeine[s]“71 bezeichnet. Dieses ist analog zu derjenigen Auffassung von Allgemeinbegriffen zu verstehen, die Kant im Ideal der reinen Vernunft in der KrV aufführt, aber auch schon in der leibniz-wolffschen Philosophie gängig war und somit weiter zurückreicht. Dieses Verständnis geht davon aus, dass der Unterschied zwischen Individuen- und Allgemeinbegriffen in der Art und Weise der Bestimmtheit durch Prädikate liegt. Denn während ein Individuenbegriff hinsichtlich aller kontradiktorischen Prädikatenpaare genau eines aus den Paaren enthält, ist der Allgemeinbegriff hinsichtlich einiger kontradiktorischer Prädikatenpaare unbestimmt. So ist zum Beispiel der Allgemeinbegriff ‚Buch‘ in Bezug auf das Prädikatenpaar ‚grün/nichtgrün‘ unbestimmt, während jeder Individuenbegriff eines bestimmten Buches entweder ‚grün‘ oder ‚nicht-grün‘ enthalten würde. Jedoch entsteht aus dieser Ansicht ein Problem, so Hegel, denn für den allgemeinsten Begriff bliebe keine andere Wahl, als dass dieser vollständig unbestimmt wäre. Nun ist aber Unbestimmtheit selbst eine Bestimmung und daher kann es keinen unbestimmten Begriff geben, was etwa die oben angeführte Deutung des Anfangs der WdL stützt.72 Auf diesem Weg kann jedenfalls Hegels Begriff * nicht verstanden werden, wie er deutlich betont. Das Einzelne Das Kapitel über die ‹Einzelheit› ist insofern verwirrend, als dass es in zwei völlig separat erscheinende Teile zerfällt, worauf schon Hösle aufmerksam gemacht hat.73 1. Denn zum einen behandelt Hegel das ‹Einzelne› als synthetische Bestimmung, die ‹Besonderheit› und ‹Allgemeinheit› vereint. Und so möchte Hegel wohl das ‹Einzelne› als die dritte Bestimmung der Totalität des Begriffs * einführen, in der die Zusammengehörigkeit der beiden anderen Begriffsmomente explizit ist und die zugleich wieder zurückübersetzbar in ‹Besonderheit› und ‹Allgemeinheit› ist. Daher wendet Hegel vor allem im 1. Teil des Kapitels hin und her, wie das ‹Allgemeine› 70 71 72 73
Vgl. Hegel, WdL II, S. 38 f. (46–48), Z. 22–22. Vgl. auch Hösle, Hegels System, S. 233. Hegel, WdL II, S. 40 (50), Z. 15. Vgl. ebd., S. 40 f. (50 f.) Z. 34–4. Vgl. oben Abschnitt 6.1. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 233 f.
8.2. Die immanente Struktur des Begriffes *
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als ‹Einzelnes›, das ‹Einzelne› als ‹Besonderes›, das ‹Besondere› als ‹Einzelnes› und so weiter verstanden werden kann. 2. Zum anderen scheint er das ‹Einzelne› aber auch als das Begrifflose, was dem ‹Allgemeinen› gegenübersteht, zu verstehen. Während die Funktion als Synthesis einleuchtet, scheint Hegel mit dem Zweiteren grundlos eine Alterität zum Allgemeinen einzuführen und damit eine Stärke seiner Konzeption zu verspielen. Somit will Hegel offenbar ganz unterschiedliche Themen mit- oder nebeneinander besprechen. In diesen zwei Argumentationssträngen scheinen zwei unterschiedliche Weisen des Bestimmtseins präsent, die Hegel gleich im zweiten Absatz anspricht: Etwas kann, wie es für das ‹Allgemeine› ausgeführt wurde, immanent bestimmt sein oder extern durch die Abgrenzung gegen anderes. Doch wie hilft das, um Hegels Unentschiedenheit eindeutig zu machen? Vielleicht können hier Hegels Beispiele dem ersten Verständnis weiterhelfen.74 Denn Hegel bezeichnet die ‹Einzelheit› auch als „Princip der Individualität und Persönlichkeit“75 . Was ist nun dieses Prinzip? Meines Erachtens möchte Hegel darauf hinweisen, dass sich wie in der Individualität und Persönlichkeit Folgendes für das ‹Einzelne› festhalten lässt: Es handelt sich um eine Einheit, die analog strukturiert ist wie eine Person, die als eine Person angesprochen werden kann, obwohl sie weder mit der Summe ihrer Teile identisch ist noch ein bestimmter Teil eines Gebildes ist. Denn eine Person ist weder die Menge der Glieder noch bloß das Gehirn oder der Rumpf et cetera. Ebenso wenig ist sie ganz eine bestimmte Tätigkeit, wie etwa das Schreiben oder das Lesen, das sie vollzieht. Und doch sind weder Arm noch Bein, noch Schreiben, noch Lesen, was sie sind, ohne dass sie einer Person angehören. Insofern ist die Person zum einen ‹Allgemeines›, das in all ihren Akten und Teilen präsent ist. Sie ist aber auch weder Jenseits noch die Summe der Akte und Teile, sondern ist durch diese bestimmt und individualisiert. Zugleich, und das ist das Moment der ‹Einzelheit›, ist die Person aber auch als Person, als eine Einheit ansprechbar, obwohl sie in keinem Zustand oder Teil als Ganze präsent ist, aber auch nicht als das sich in allen Teilen und Akten Durchhaltende gemeint ist. Es ist eine Einheit, die aus ‹allgemeinen› und ‹besonderen› Momenten besteht und nur mit diesen zusammen ist. Und so soll sich in der ‹Einzelheit› auch ‹Allgemeines› und ‹Besonderheit› zusammenfinden. In diesem Sinne ist auch der Begriff * als höchstes Prinzip der hegelschen Philosophie zu verstehen. Meines Erachtens erhärtet sich diese Deutung, wenn man ein Zitat aus der absoluten Idee * hinzuzieht: Der Begriff ist nicht nur S e e l e, sondern freyer subjectiver Begriff, der für sich ist und daher die Pe r s ö n l i c h k e i t hat, – der praktische, an und für sich bestimmte, objective Begriff, der als Person undurchdringliche, atome Subjectivität ist, – der aber ebenso sehr 74 75
Vgl. zum Folgenden auch: Hösle, Hegels System, S. 234. Hegel, WdL II, S. 49 (65), Z. 34 f.
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
nicht ausschließende Einzelnheit, sondern für sich A l l g e m e i n h e i t und E r k e n n e n ist, und in seinem Andern s e i n e e i g e n e Objectivität zum Gegenstande hat.76
Denn was hier deutlich wird, ist, dass Hegel das ‹Einzelne›, das den Begriff * beschreibt und die synthetische Kategorie der ‹Besonderheit› und ‹Allgemeinheit› bildet, nicht als ausschließend und somit nicht gegen das ‹Allgemeine› abgegrenzt versteht. Der Begriff * und damit das Absolute kann nicht so gefasst werden, dass ‹Allgemeinheit› gegen ‹Einzelnes› ausgespielt wird. V. Hösle weist darauf hin, dass Hegel damit ein für den Idealismus wichtigen Fortschritt erreicht, der die Möglichkeit bietet, die im Idealismus liegende Präferenz für Allgemeinheiten zugunsten des Wertes des Einzelnen zu korrigieren.77 Zugleich wird in angeführter Textstelle aber auch deutlich, dass Hegel dem Begriff * zuspricht, ‚in seinem Anderen‘ seinen Gegenstand zu finden. Es gehört zum Begriff * um absolut und ‹absolut notwendig› zu sein, in seinem Anderen zu sein, jedoch bindet Hegel diese Struktur in der obigen Passage nicht an die ‹Einzelheit›, sondern an die Objektivität, die zwar dem Begriff * zugehört, aber in der er sich dennoch in seinem Anderen auf sich selbst bezieht. Diese logische Struktur, die Hegel für den Begriff * offenbar als eminent wichtig hervorhebt, wird nun aber auch im Unterkapitel über das ‹Einzelne› bereits eingeführt, und so kommt der oben benannte zweite Argumentationsstrang ins Spiel.78 Jedoch bezahlt Hegel dafür den Preis, dass nicht der ganze Begriff * sich 76
Hegel, WdL II, S. 236 (371), Z. 12–17. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 235. Hösle weist aber auch darauf hin, dass Hegel in der Realphilosophie zu oft auf die Entgegensetzung von Allgemeinheit und Einzelnem zurückfalle. Was das Potential Hegels, das Hösle sieht, unterstreicht, ist die Anmerkung Hegels im Zusatz zum § 163: „Das Allgemeine in seiner wahren und umfassenden Bedeutung ist übrigens ein Gedanke, von welchem gesagt werden muß, daß es Jahrtausende gekostet hat, bevor derselbe in das Bewußtsein der Menschen getreten, und welcher erst durch das Christentum zu seiner vollen Anerkennung gelangt ist. Die sonst so hochgebildeten Griechen haben weder Gott in seiner wahren Allgemeinheit gewußt noch auch den Menschen. [. . . ] So bestand denn auch für die Griechen zwischen ihnen selbst und den Barbaren eine absolute Kluft, und der Mensch als solcher war noch nicht anerkannt, in seinem unendlichen Werte und seiner unendlichen Berechtigung. [. . . ] Die christliche Religion ist die Religion der absoluten Freiheit und nur für den Christen gilt der Mensch als solcher, in seiner Unendlichkeit und Allgemeinheit.“ (Hegel, Enz. I, § 163, Z., S. 312) Diese Anerkennung des einzelnen Menschen ist natürlich nicht, wie Hegel es suggeriert, auf das Christentum beschränkt. Und, auch dank der Säkularisierung, nicht einmal mehr auf Religion beschränkt. 78 Vgl. Hegel, WdL II, S. 51 f. (67–70). Jedoch scheint Hegel daran bereits im ersten Abschnitt des Unterkapitels zu denken, stellt aber zuerst den Begriff * selbst in Beziehung zu seiner Negation dar und schwenkt dann auf die Abgrenzung von ‹Allgemeinheit› und ‹Einzelheit› um. So heißt es zunächst: „Zunächst erscheint daher die Einzelnheit als d i e R e f l e x i o n des Begriffs aus seiner Bestimmtheit i n s i c h s e l b s t. Sie ist die Ve r m i t t l u n g desselben durch sich, insofern sein A n d e r s s e y n sich wieder zu einem A n d e r n gemacht, wodurch der Begriff als sich selbst gleiches hergestellt, aber in der Bestimmung der a b s o l u t e n N e g a t i v i t ä t ist.“ (Ebd., S. 49 (64), Z. 6–10) Etwas später auf der Seite heißt es dann aber: „Das A l l g e m e i n e ist f ü r s i c h, weil es an ihm selbst die absolute Vermittlung, Beziehung auf sich nur als absolute Negativität ist.“ 77
8.2. Die immanente Struktur des Begriffes *
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in der Objektivität geltend macht, sondern das ‹Einzelne› gegen das ‹Allgemeine› abgegrenzt wird. Dass die Einführung der logischen Struktur der ‹absoluten Notwendigkeit› mit dem Abschluss der immanenten Betrachtung des Begriffs * zu tun hat, wird sich auch am Ende der Schlusslehre ergeben, und insofern liegt es zugegebenermaßen auch nahe, hier bereits auf sie zu reflektieren, jedoch scheint der Übergang zur Objektivität eher kompatibel mit Hegels Intentionen als die Abgrenzung des ‹Einzelnen› vom ‹Allgemeinen›.79 Doch ist es notwendig für Hegel die Andersheit des Begriffs * bereits an diese Stelle einzuführen? Der Übergang zum zweiten Teil des Unterkapitels scheint eher grundlos, und Hegel führt keinen ersichtlichen Grund an. Jedoch wird der Übergang durch ein gewichtiges Argument durch F. Schick gestützt: Entscheidend für den Übergang sei es, das ‹Einzelne› nicht nur als synthetische Bestimmung aufzufassen, sondern als abstrakt, denn die Trennung von ‹Allgemeinem› und ‹Einzelnem› stelle eine Abstraktionsleistung dar. Und diese Abstraktion, die eigentlich bereits im Begriff * aufgehoben worden sei, so auch Hegel, müsse nochmals verselbstständigt werden und neben den Begriffsmomenten betrachtet werden.80 Von hier ausgehend stellt Schick die Frage, wie es sich vermitteln lässt, dass die Abstraktion zum einen dem ‹Einzelnen› äußerlich ist, zum anderen diesem aber auch innerlich ist, was Hegels Ausspruch von der Abstraktion als der „S e e l e der Einzelnheit“81 suggeriert. Dafür argumentiert sie wie folgt: ‹Allgemeinheit› und ‹Besonderheit› sind beide als Totalität zu denken, aber sie müssen zugleich unterscheidbar sein, um nicht in eine unbestimmte Einheit zurückzufallen. Daraus schließt sie: Also stellt sich die Ansicht der Sache als eine, mit sich einige, einzelne, notwendig ihren Ansichten als in sich unterschiedene, dirimiert in Allgemeines und Besonderes, gegenüber. Diese Ansicht verhält sich zur Totalität des Begriffs in der Tat als Abstraktion – denn sie weist an sich selbst nicht auf, wovon und wie sie Einheit indiziere[.]82
Und Schick fasst ihr Argument nochmals zusammen: Weil die Einheit des Begriffs nur als Aufhebung des Unterschieds seiner Momente, d. i. als tätige Einheit, gedacht werden kann, tritt deren Einheit ihnen noch einmal als eigenes Moment gegenüber.83 79
Vgl. oben Abschnitt 9.2. Siehe Hegel, WdL II, S. 50 (66), Z. 19–23: „Indem die Einzelnheit als die Rückkehr des Begriffs als des Negativen in sich ist, so kann diese Rückkehr selbst von der Abstraction, die eigentlich darin aufgehoben ist, als ein gleichgültiges Moment, n e b e n die anderen gestellt und gezählt werden.“ Auf dieses Zitat stützt sich Schick. Vgl. Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 219. 81 Hegel, WdL II, S. 51 (68), Z. 13. 82 Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 219. 83 Ebd., S. 219. 80
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
Damit hat Schick natürlich recht, denn wenn die Einheit selbst nicht zugleich von den anderen Totalitäten unterscheidbar wäre, so müsste sie nicht eigens eingeführt werden. Dennoch scheint es nicht zwingend, dass darum auch ein Gegensatz gegen die anderen Momente des Begriffs * gebildet wird. Denn wenn die ‹Einzelheit› die Synthesis von ‹Allgemeinheit› und ‹Besonderheiten›, also deren Aufhebung, ist, dann kann diese Einheit doch gerade nicht als Abstraktion vom ‹Allgemeinen› bestehen. Und das ist schließlich auch das Resultat, auf das Schick abzielt: Denn letztlich zeigt sie, dass die abstrakte Auffassung des ‹Einzelnen› nicht haltbar ist: Die Ansicht des in selbstständige Seiten zerfallenden Begriffs – die Ansicht, in der auf der einen Seite die konkrete Sache und auf der anderen deren allgemeine Bestimmungen zu stehen kommen – hat die Ansicht des einen, in seinen Momenten ungeteilt mit sich einigen Begriffs zu ihrer Vorgeschichte, und sie kann nur mit dieser Vorgeschichte oder gar nicht bestehen.84
Aber aufgrund dieser Vorgeschichte sei es nur ein Derivat der eigentlichen Einheit des Begriffs *, wie Schicks Argument zu sein scheint. Daher ist das Resultat der Überlegung: Negiert wird die erkenntnistheoretische Deutung jener Vorstellung, in der die von ihrem Begriff getrennte Sache zur eigentlichen Sache erhöht wird. Die Trennung von Begriff und Sache erhält in solcher Deutung eine Fixität, die ihr an sich nicht zukommt.85
Es handelt sich beim abstrakten ‹Einzelnen› also um eine falsche Auffassung des Verhältnisses von Begriff * und Sache, wie Schick schließt. Insofern besteht kein Widerspruch zur hier angeführten Deutung, sondern nur ein zusätzliches Argument für die Auffassung des ‹Einzelnen› als synthetische Bestimmung. Und auch wenn eine solche Widerlegung falscher ontologischer Positionen grundsätzlich eher in der objektiven Logik thematisch ist, ist die Überlegung wichtig, dass sich nichts dem Begriff * absolut gegenüberstellen lässt. Doch wie mir scheint, ist damit eigentlich erst noch zu verstehen, wie Begriff * und ‹Allgemeines› in ihrer Andersheit genau zu fassen sind, denn verworfen werden soll diese oder die Sache schließlich auch nicht. Eine präzisere Antwort scheint Hegel im Übergang zur Objektivität zu formulieren.86 84 Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, S. 224. 85 Ebd., S. 225. 86 Vgl. auch ebd., S. 227 f. Schick interpretiert die fehlschlagende Abgrenzung des ‹Einzelnen› vom ‹Allgemeinen› allerdings als Abgrenzung des hegelschen Projekts gegen die Letztbegründung – die Begriffslogik leiste zwar die Überwindung des Dualismus von Einzelding und Allgemeinbegriff, aber sie verzichte auf das neuzeitliche Projekt eines letzten Fundamentes. Offensichtlich liegt hier eine Differenz zwischen den Deutungen der Logik, wie sie F. Schick anstrebt und wie sie hier dargelegt wurde. Diese Differenz ist zu umgreifend, um sie hier abschließend zu diskutieren, daher kann hier nur auf Schicks alternative Deutung aufmerksam gemacht werden. Mir scheint allerdings, dass man Folgendes zumindest festhalten kann: 1. Dass Hegel eine Art von Letztbegründung anstrebt, ist in seinen Texten wohl dokumentiert – man denke nur an den § 1 der Enzyklopädie.
8.2. Die immanente Struktur des Begriffes *
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Abschließend soll noch ein kurzer Blick auf die genauere Bestimmung der synthetischen ‹Einzelheit› geworfen werden, die Hegel in dem betreffenden Kapitel anführt. Synthetisch ist das ‹Einzelne›, indem es die „bestimmte Allgemeinheit“87 ist. Damit nimmt es die beiden vorherigen Bestimmungen auf, da das ‹Allgemeine› durch die ‹Besonderheiten› bestimmt wurde. Insofern die ‹Besonderheiten› eine Einheit, eine Totalität, bilden, scheint es dann auch sinnvoll, dass diese Einheit als ‹Einzelnes› betrachtet werden kann. Dabei hält Hegel nochmals fest, dass das ‹Einzelne› im Grunde, auch wenn es hier in der Betrachtung ausgespart wurde, schon in den vorherigen Begriffsmomenten enthalten ist und jetzt nicht zu etwas Anderem übergegangen werden müsse, sondern die ‹Einheit› schon mit den beiden anderen Begriffsmomenten gegeben und nur expliziert werden müsse.88 Ein ‹Einzelnes› ist daher dasjenige, in dem ‹Besonderheiten› und das ‹Allgemeine› untrennbar zusammen bestehen, denn die ‹Allgemeinheit›, die nicht als Abstraktion aufgefasst wird, ist schon die differenzierte Einheit, die sich in ihrer Alterität selbst erhält und daher aber auch mit dieser Alterität, dem ‹Besonderen›, eine Einheit Daraus folgt die Interpretationsmaxime, dieses Anliegen so stark wie möglich zu machen, was in der vorliegenden Arbeit zumindest versucht wird. 2. Mit der Aufgabe einer Letztbegründung wäre Hegels Begriffskonzept zugleich nur eines unter anderen möglichen. Wäre daher Hegels Konzeption nur ein möglicher Vorschlag, der ebensogut zurückgewiesen werden könnte? 3. Mit der Ablehnung der Letztbegründung und dem Abschluss der Logik mit dem ‹Einzelnen›, das nicht vom Allgemeinen abgegrenzt wird, verzichtet Schick auf die Selbsteinholung der Logik. Diese legt nicht ihre eigene Methode dar, es bleibt unklar, welcher Stellenwert den Kategorien der objektiven Logik zukommt, und die Dialektik bleibt ungerechtfertigt. Warum ist Hegels Methode mehr als Begriffsdichtung, wenn sie nicht über sich selbst aufklärt und ihre Legitimation begründet? 4. Es ist nicht klar, wie die ‹absolute Notwendigkeit› im Begriff * aufgehoben ist, wie mir scheint, wenn mit dem ‹Einzelnen› das Ziel der Logik erreicht ist. 5. Und schließlich scheint mir die Rede von ‚der Sache‘ in eine Zweideutigkeit zu führen. Denn sie verleitet dazu, Hegels Behandlung des Begriffs * auf das Verhältnis von (sinnlichem) Einzelding und allgemeiner Vorstellung zu projizieren. Aber Hegel behandelt in erster Linie die Verhältnisse und den Begriff * innerhalb der Logik. Siehe etwa Fulda, „Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise“, S. 129: „Es gibt also einen und nur einen Begriff, der Gegenstand des kennzeichnenden Ausdrucks „der Begriff “ ist.“ Vgl. dazu Horstmann, Wahrheit aus dem Begriff, S. 80. Der Gegenstand des Begriffs * ist der Begriff *, und aus diesem folgen dann a fortiori Konsequenzen für bestimmte Begriffe, wie etwa der Materie, des Ichs oder des Staates. Würden aber alle Begriffe von Gegenständen behandelt und würde Hegels Resultat lauten, dass sich der Gegenstand nicht als völlig heteronom zum Begriff denken lässt, so scheint mir, wäre mit Hegel zu fragen, ob nicht wiederum die Begriffe vom Begriff * des Begriffs * ebenso ungetrennt gedacht werden müssen. Und die von Schick zugestandene Selbstbesonderung des allgemeinen Begriffs bis hin zur ‹Einzelheit›, zur ‚Sache‘, verlängert sich im hegelschen Sinn so zu einer Deduzierbarkeit der Einzeldinge aus dem Begriff * des Begriffs * – wodurch dieser wiederum zum metaphysischen Grund aller Dinge werden würde. (Wobei Hegel hier vorsichtiger zu sein scheint, etwa indem er die Naturgegenstände nicht als aus dem Begriff * deduzierbar fasst. Vgl. Hegel, WdL II, S. 40 f. (50 f.), Z. 34–12. Vgl. auch Hösle, Hegels System, S. 79–99.) 87 Hegel, WdL II, S. 49 (64), Z. 4. 88 Vgl. ebd., S. 49 (65), Z. 25.
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
bildet. Und Gleiches lässt sich vom ‹Besonderen› ausgehend zeigen: Dieses ist nur eine Einheit mit dem ‹Allgemeinen› zusammen.89 Diese Einheit wird nun durch die Kategorie des ‹Einzelnen› eingefangen. Hegel argumentiert auch, dass von der ‹Einzelheit› selbst gar nicht abgesehen werden könne, ohne in einen performativen Widerspruch zu geraten, denn selbst wenn man die ‹Allgemeinheit› und die ‹Besonderheit› getrennt und ohne synthetische Kategorie durchdenke, so würde man beide bereits als ‹Einzelne› begreifen, weil sie beide bestimmt und konkret sind und somit als in sich differenzierte Einheit, durch ‹allgemeine› und ‹besondere› Momente bestimmt, verstanden werden müssen.90 So schließt Hegel, dass die drei91 Begriffsmomente nicht unabhängig voneinander verstanden und untersucht werden können. Jede Unterscheidung confondirt sich in der Betrachtung, welche sie isolieren und festhalten soll. Nur die blosse Vo r s t e l l u n g, für welche sie das Abstrahiren isoliert hat, vermag sich das Allgemeine, Besondere und Einzelne fest auseinander zu halten; so sind sie zählbar, und für einen weitern Untershied hält sie sich an den vö l l i g ä u s s e r l i c h e n des S e y n s , d i e Q u a n t i t ä t, die nirgend weniger als hierher gehört. – In der Einzelnheit ist jenes wahre Verhältniß, die U n t r e n n b a r k e i t der Begriffsbestimmungen g e s e t z t; denn als Negation der Negation enthält sie den Gegensatz derselben und ihn zugleich in seinem Grunde oder Einheit; das Zusammengegangenseyn einer jeden mit ihrer andern.92
Nach diesen klaren Worten sieht sich Hegel aber nun auch noch genötigt, die ‹Einzelheit› als das Begrifflose, dasjenige, was gegen die Begriffsmomente radikal abgegrenzt ist, zu diskutieren. Das scheint nach oben Gesagtem und hier Zitiertem ein Fehler zu sein, da nur die Falschheit einer Vorstellung das Resultat der Analyse ist. Wie Schicks Analyse deutlich zeigt, ist diese Entgegensetzung nicht haltbar, und weil Hegel sie hier eindeutig der ‚Vorstellung‘ zuordnet, wäre sie in der Analyse der geistigen Akte und Denkmöglichkeiten von einzelnen Subjekten, also im subjektiven Geist, besser aufgehoben, zumal der Übergang zur Objektivität schlüssiger zu leisten vermag, was Hegel hier anstrebt: Nach der Einsicht in die immanente Struktur und die notwendige Einheit der Begriffsmomente, die in der Schlusslehre als Resultat von Schlüssen aufgewiesen werden soll, führt diese Einheit vor die Forderung, um die ‹absolute Notwendigkeit› und schließlich auch die logische Struktur der ‹Freiheit› zu erfüllen, dass diese Einheit in ihrer Negation ebenso erweisbar ist – was dann die Objektivität leisten soll.
89
Vgl. Hegel, WdL II, S. 50 (66), Z. 14–16. Vgl. ebd., S. 49 f. (65), Z. 37–4. Vgl. auch ebd., S. 50 (66), Z. 11–13. 91 Auch wenn Hegel in der Idee * die Dreiheit als systematisch relevant auszeichnet, so betont er zugleich, dass die bloße Dreizahl kein hinreichendes Argument sei. Vgl. ebd., S. 43 (55), Z. 21–28. Vgl. auch ebd., S. 247 f. (S. 289 f.) Z. 7–24. 92 Ebd., S. 50 f. (67), Z. 33–2. 90
8.2. Die immanente Struktur des Begriffes *
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8.2.3 Die Urteils- und Schlusslehre Zu Hegels Urteilslehre soll in der vorliegenden Arbeit nicht viel gesagt werden, da sie für Hegels Verständnis des OGB nicht viel austrägt.93 Zwar wird immer wieder versucht, Hegels Philosophie anhand des Theorems des „spekulativen Satzes“ zu erläutern,94 jedoch scheint es äußerst fragwürdig, ob Hegel sich in der Logik noch darauf stützt, zumal der spekulative Satz keine Stellung innerhalb der WdL einnimmt. Eine ausführliche Kommentierung der Urteils- und Schlusslehre sprengt noch aus einem weiteren Grund den Rahmen dieser Arbeit: Die Entwicklung der formalen Logik Ende des 19. und während des 20. Jahrhunderts ist derart einschlägig, dass eine gewissenhafte und kritische Untersuchung, die in jedem Fall eine kritische Konfrontation der hegelschen Konzeption von Urteilen und Schlüssen mit den heutigen beinhalten müsste, einen anderen Rahmen benötigt. Eine solche Arbeit wäre äußerst wertvoll, kann aber hier nicht geleistet werden. Dass eine solche Konfrontation nicht außerhalb der hegelschen Intentionen liegt, wird schon dadurch deutlich, dass Hegel selbst eine Art Systematisierung, Einarbeitung und Begründung der aristotelischen und kantischen Urteilslehre und Syllogistik vornimmt. Dabei ist sowohl die als klassisch zu bezeichnende Ordnung von Begriffen, Urteilen und Schlüssen durchaus plausibel, als auch die Integration der Untersuchung der Urteils- und Schlussformen in das Projekt einer inhaltsvollen Fundamentallogik. Denn mit einem letztbegründeten Prinzip stellt sich unweigerlich die Frage, welche Explikations- und Beweismittel denn notwendig sind für die Letztbegründung und wie diese Notwendigkeit zu verstehen ist, damit sie der Letztbegründung nicht widersprechen kann. Hegels Idee dazu lautet, dass das Prinzip selbst die Explikation und Reflexion der (formal-)logischen Mittel fordert, denn es ist der Begriff *, der die Gliederung und den Fortgang der subjektiven Logik voranbringt, indem er es ist, der „sich teilt“ und dessen Einheit aber schließlich im logischen Schluss wiedergewonnen werden muss.95 Das Urteil Das Urteil verteilt nun die Begriffsmomente auf die beiden Seiten des Urteils, also auf das Subjekt und das Prädikat, die durch die Kopula verbunden werden. 93 Vgl. für eine ausführliche Besprechung der Urteilslehre: Schick, „Die Urteilslehre“. Vgl. auch Sans, Die Realisierung des Begriffs, S. 39–57. Vgl. zu Hegels Urteilskritik: ebd., S. 59–62. 94 Vgl. Hindrichs, Das Absolute und das Subjekt, § 104, S. 128 f. Vgl. auch Sans, Die Realisierung des Begriffs, S. 62–65. 95 Siehe Hegel, WdL II, S. 55 (74), Z. 6: „Das Urtheil ist die Diremtion des Begriffs durch sich selbst[.]“ Siehe auch ebd., S. 59 (81), Z. 3 f.: „Diese I d e n t i t ä t des Begriffs wieder herzustellen oder vielmehr zu s e t z e n ist das Ziel der B e we g u n g des Urtheils.“ Siehe auch ebd., S. 90 (132), Z. 3 f.: „Der S c h l u ß hat sich als die Wiederherstellung des B e g r i f f e s im U r t h e i l e, und somit als die Einheit und Wahrheit beyder ergeben.“
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
Die Begriffsbestimmung ist wesentlich selbst B e z i e h u n g, denn sie ist ein a l l g e m e i n e s ; dieselben Bestimmungen also, welche das Subject und das Prädicat hat, hat damit auch ihre Beziehung selbst. [. . . ] Im Urtheile aber ist diese Identität noch nicht gesetzt; die Copula ist als die noch unbestimmte Beziehung des S e y n s überhaupt: A ist B; denn die Selbstständigkeit der Bestimmtheiten des Begriffs oder Extreme ist im Urtheil die R e a l i t ä t, welche der Begriff in ihm hat. Wäre das I s t der Copula, schon g e s e t z t als jene bestimmte und erfüllte E i n h e i t des Subjects und Prädicats, als ihr B e g r i f f, so wäre es bereits der S c h l u ß.96
Durch die Urteilslehre zieht sich nun, dass Hegel vom einfachsten und abstraktesten Urteil, in dem einem Subjekt einfach irgendeine Qualität zu- oder abgesprochen wird, bis hin zum Urteil des Begriffs * zeigt, dass zwar Notwendigkeit und absolute Wahrheit behauptet werden, aber nicht begründet werden können. Allein durch ein Urteil wird der Geltungsanspruch, der sich mit ihm verbindet, nicht eingelöst. Das heißt natürlich nicht, dass der Inhalt der Urteile nicht wahr oder gar letztbegründet sein kann, aber das Urteil stellt die Wahrheit und Letztbegründung eben nicht dar – es leistet eben nicht selbst seine Begründung.97 Dass Hegel ein Wahrheitsanspruch mit Urteilen verbindet, geht aus seiner Unterscheidung von Sätzen und Urteilen hervor. Denn während Sätze einfach eine sprachliche Äußerung sein können, muss ein Urteil etwas ‹Allgemeines› und etwas über das Wesen des Bezugsgegenstandes aussagen.98 Urteile sind dabei auch grundsätzlich in der Lage etwas adäquat zu erfassen, was Hegel dadurch unterstreicht, dass er die ontologische Relevanz von Urteilen hervorhebt: Es handelt sich bei Urteilen nicht um bloß subjektive Vollzüge oder Mittel zur Verständigung, sondern die Gegenstände der Urteile müssen selbst so verfasst sein, dass sie in Urteilen adäquat erfasst werden können.99 Jedoch sind die Urteile mit zunehmender Fortbestimmung aussichtsreichere Kandidaten, um den Eigenschaften des Begriffs * gerecht zu werden. Und so münden die Urteilsformen in eine Art, die Hegel das Urteil des Begriffs * nennt. Von den unter diesem Titel gruppierten Urteilen ist dann das apodiktische Urteil sowohl die höchste Urteilsform, als auch diejenige, die den Übergang zum Schluss bildet. Das apodiktische Urteil spricht einem Subjekt, von dem es zugleich die Beschaffenheit angibt, zu, ob es mit seinem Begriff übereinstimmt – es nimmt also eine Bewertung auf Basis einer Deskription vor – Hegels Beispiele lauten: „[D]as Haus so und so beschaffen ist g u t, die Handlung so und so b e s c h a f f e n 96
Hegel, WdL II, S. 58 f. (80), Z. 29–2. Siehe Hegel, Enz. I, § 168, S. 319: „Der Standpunkt des Urteils ist die Endlichkeit, und die Endlichkeit der Dinge besteht auf demselben darin, daß sie ein Urteil sind, daß ihr Dasein und ihre allgemeine Natur (ihr Leib und ihre Seele) zwar vereinigt sind, sonst wären die Dinge nichts, aber daß diese ihre Momente sowohl bereits verschieden als überhaupt trennbar sind.“ 98 Vgl. ebd., § 167, A., S. 319. 99 Siehe ebd., § 167, S. 318: „[A]lle Dinge sind ein Urteil[.]“ 97
8.2. Die immanente Struktur des Begriffes *
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ist r e c h t[.]“100 Der Grund ist also, dass ein ‹Einzelnes› mit seinem ‹Allgemeinen›, seinem Begriff verglichen wird und darauf hin bewertet wird. Aber es wird zugleich die Grundlage – der „Grund“101 – der Bewertung angegeben, die ‚Beschaffenheit‘, also die ‹Besonderheit› des ‹Einzelnen›.102 So hebt Hegel das apodiktische Urteil hervor und betont zugleich, dass dieses, genauer betrachtet, eigentlich bereits ein Schluss ist, denn er setzt den Begriff des Urteilssubjekts voraus, benennt die Beschaffenheit und beurteilt dann die Entsprechung als Konklusion. Ein solcher Schluss würde etwa folgendermaßen lauten: 1. Handlungen gegenüber anderen Menschen sollen den Anderen die gleiche Wertschätzung zukommen lassen, die man für sich selbst besitzt. 2. Diese Handlung hat durch das Teilen des eigenen Besitzes einer Notleidenden geholfen. 3. Also war die Handlung gut.103 Der Schluss Damit müssen nun also Schlüsse untersucht werden, die Urteile als Konklusion darstellen und somit begründen.104 Damit soll einem Urteil die Klärung der Relation, die es darstellt, und die Notwendigkeit zukommen, die der Begriff * besitzen soll – so soll er die Einheit des Begriffs *, die im Urteil nicht mehr deutlich war, aufzeigen und darstellen. Daher preist Hegel den Schluss regelrecht als dasjenige, was alles Vernünftige auszeichnet: Der Schluß ist das Vernünftige und alles Vernünftige.105
Schon Kant hatte die Vernunft in der KrV als das Vermögen zu schließen eingeführt, sie aber letztlich nicht als eigenes, erkenntnisgenerierendes Prinzip begriffen, sondern als formal. Als Vermögen, zu schließen, könne sie mit Erkenntnisurteilen des Verstandes operieren, aber die eigenen Erkenntnisansprüche durch Vervoll100
Hegel, WdL II, S. 87 (128), Z. 34 f. Ebd., S. 87 (128), Z. 37. 102 Wichtig und interessant ist, dass Hegel andeutet, dass somit alle Entitäten einer Bewertung und einem Sollen unterstehen. Hegels normative Ontologie wird nicht oft beachtet, und es wäre eine interessante Arbeit, Hegels positive Haltung zum ‚Sollen‘ herauszuarbeiten, da seine Polemik gegen abstrakte Sollensforderungen nur zu bekannt sind. Siehe ebd., S. 88 (129), Z. 13–16: „Das S u b j e c t enthält gleichfalls diese beyden Momente in u n m i t t e l b a r e r Einheit als die S a c h e. Es ist aber die Wahrheit derselben, daß sie in sich g e b r o c h e n ist in ihr S o l l e n und ihr S e y n; diß ist das a b s o l u t e U r t h e i l ü b e r a l l e W i r k l i c h k e i t.“ Vgl. etwa Halbig, Objektives Denken, S. 189–195. 103 Für die erste Schlussform abstrahiert Hegel wiederum von der Bewertung, übernimmt aber die Struktur, dass ein ‹Einzelnes› durch seine ‹Besonderheiten› unter ein ‹Allgemeines› fällt. Daher ist die erste Schlussform E–B–A. Vgl. Hegel, WdL II, S. 93 (136), Z. 3. In der enzyklopädischen Logik vertauscht Hegel die beiden äußeren Glieder des Schlusses. Es scheint sich aber nichts Wesentliches an seiner Schlusslehre zu ändern, da es in dieser hauptsächlich auf die Begründungsfunktion des Mittelterms ankommt. 104 Vgl. auch die Analyse in Sans, Die Realisierung des Begriffs, S. 89–238. Vgl. auch Schick, „Begriff und Mangel des formellen Schließens. Hegels Kritik des Verstandesschlusses“. 105 Hegel, Enz. I, § 181, S. 331. 101
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ständigung von Schlussreihen führe in die schlechte Metaphysik, deren Ansprüche abzuweisen seien, da sie weder widerlegbar noch bestätigbar seien.106 Dem widerspricht Hegel nun deutlich. Denn schon die Auffassung des ‚Vernünftigen‘ als eines Vermögens endlicher Subjekte kann nicht seine Intention sein, da diese in der WdL nicht thematisiert werden. Was Hegel vielmehr meint, ist, dass der Schluss als Thema der Logik begründet und gerechtfertig ist und daher sowohl im subjektiven Denken endlicher Subjekte nachvollzogen wird als auch ontologisch verstanden werden muss, insofern er natürliche, soziale und geistige Entitäten prägt. Oder umgekehrt, das Wirkliche ist ein Einzelnes, das durch die Besonderheit sich in die Allgemeinheit erhebt und sich identisch mit sich macht. – Das Wirkliche ist Eines, aber ebenso das Auseinandertreten der Begriffsmomente, und der Schluß der Kreislauf der Vermittlung seiner Momente, durch welchen es sich als Eines setzt107
In diesem Zitat bestätigt Hegel auch die Auffassung des ‹Einzelnen›, dem das ‹Allgemeine› nicht als ein Fremdes, Äußeres gegenübersteht, sondern es aufgrund seiner synthetischen Struktur wesentlich und innerlich verwirklicht. Und weil der Begriff * notwendig in Form von Schlüssen expliziert werden muss, sind Schlüsse ebenso den Bedeutungen adäquat wie der Begriff * – das heißt, ihnen kommt ontologische Geltung zu.108 Und daher grenzt Hegel sich auch deutlich von Kants Trennung von der Gültigkeit der formalen Vernunftschlüsse und Vernunftwahrheiten ab,109 denn insofern der Begriff * in seiner Explikation, dem Schluss, betrachtet wird, der zugleich das Prinzip der Natur als auch des menschlichen Geistes ist, besteht die Ausdehnung auf die Ontologie – und der Begriff * als Totalität der logischen Kategorien bildet ohnehin das „diamantene Netz, in das wir allen Stoff bringen und dadurch erst verständlich machen“110 . Dass die Frage nach Wahrheit von Schlüssen und ihre Metabegründung in einer materialen Logik wichtig, ja sogar entscheidend ist, wird dadurch erhellt, dass die Wahrheitsfrage durch die ontologische Geltung, die Materialität, mit einbezogen ist. Denn es ist per definitionem nicht möglich, sie in einer anderen Disziplin oder auf einer Metaebene abzuhandeln – denn das würde das Projekt der WdL sprengen. Somit scheint es auch unabhängig von Hegels Ableitung notwendig, dass Begründungsformen und damit Schlussfomen in einer Fundamentallogik thematisiert werden. Mit dem Übergang zum Schluss wird auch explizit, dass aus dem konkreten Begriff * nicht nur die Darstellung seiner Bestimmungen und Relationen folgt, son106
Vgl. Kant, KrV, A 330 | B 386. Hegel, Enz. I, § 181, A., S. 332. 108 Dass die Schlusslehre wesentlich der Explikation des Begriffs * dient, hebt G. Sans hervor. Vgl. Sans, „Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs“, S. 216 f. 109 Vgl. Hegel, WdL II, S. 90 f. (132–134), Z. 10–15. 110 Hegel, Enz. II, § 246, Z., S. 20. 107
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dern dass ihn zugleich eine Begründungsstruktur zukommt, die nun näher betrachtet wird. Mit dem Schluss wird somit die ‚Vermittlung‘ des Begriffs * expliziert, die ihm, sowie allem überhaupt, innewohnt. ‚Vermittlung‘ – daran sei kurz erinnert – ist trotz Hegels nicht einheitlichem Gebrauch im Wesentlichen als Begründung zu verstehen und der Begriff * soll schließlich die Eigenschaft haben, ‚vermittelte Unmittelbarkeit‘111 zu sein, was bedeutet, dass seine Wahrheit nicht unabhängig von Begründungen ist, aber in ihm das Begründen selbst an ein Ende gelangt, kurz, dass er letztbegründet ist.112 Daher nennt Hegel den Schluss auch den ‚Grund alles Wahren‘: Der Schluß ist deswegen der wesentliche Grund alles Wahren; und die Definition des Absoluten ist nun, daß es der Schluß ist, oder als Satz diese Bestimmung ausgesprochen: „Alles ist ein Schluß“.113
So ist die Anforderung, welche die Schlusslehre zu erfüllen hat, den Schluss in seiner begründeten Notwendigkeit, der ‹absoluten Notwendigkeit› und Wahrheit, darzustellen. Diese Funktion der Begründung identifiziert Hegel zunächst mit dem Mittelbegriff des Schlusses, weshalb im Schluss alle Begriffsbestimmungen als Mittelbegriff durchgeführt werden.114 Denn durch den Mittelbegriff wird eine notwendige Relation zwischen den beiden Begriffen in der Konklusion erreicht, was die Urteile nur voraussetzen, aber nicht demonstrieren konnten. Auf diesen Mangel reagiert der Schluss also. Dass die Begründung jedoch nicht ohne Weiteres den Ansprüchen des Begriffs * genügt, ist in der Anspielung auf die Wesenslogik bereits angezeigt: Denn Hegel hat bereits gezeigt, dass mit den Kategorien ‹Grund› und ‹Begründetes› Regressprobleme entstehen.115 Und so ist auch im Schluss das auftauchende Problem, dass zwar durch die Einführung von Prämissen die Konklusion als notwendig bewiesen werden kann, und dass mithilfe des Mittelbegriffs zwei Glieder zusammengeschlossen werden können. Aber die Begründung des Begründenden führt vor erneute Probleme. Der Schluss des Daseins, die erste von Hegel untersuchte Schlussart, umfasst zunächst Syllogismen, in denen ein Allsatz im Major steht und im Minor ein Indi111 Hegel spricht zwar von unmittelbarem Wissen und rückt ‚Vermittlung‘ an Beziehung des Wissens, aber es gilt zu bedenken, dass wahres Wissen für Hegel im strengen Sinne Wissen des ‹absolut Notwendigen› als ‹absolut Notwendiges› ist. Siehe Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 81 (61): „Das unmittelbare Wissen ist wie das vermittelte für sich vollkommen einseitig; das Wahre ist ihre Einheit, ein unmittelbares Wissen, das ebenso vermittelt – ein vermitteltes, das ebenso einfach in sich, unmittelbare Beziehung auf sich selbst ist. Jene Einseitigkeit macht diese Bestimmungen endlich; indem sie durch solche Verbindung aufgehoben ist, ist es ein Verhältnis der Unendlichkeit.“ Vgl. die analoge Stelle in Hegel, VPR I, S. 63 f. 112 Vgl. oben Abschnitt 4.1. 113 Hegel, Enz. I, § 181, A., S. 332. 114 Siehe Hegel, WdL II, S. 91 (134), Z. 20 f. „Das wesentliche desselben ist die E i n h e i t der Extreme, die sie vereinigende M i t t e und haltende G r u n d.“ 115 Vgl. etwa oben die Analyse der realen Modalbegriffe ab S. 420.
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viduum unter den Subjektterm des Allsatzes subsumiert wird, weshalb ihm, wie in der Konklusion festgehalten wird, auch das Prädikat des Allsatzes zukommt.116 Oben ist nun bereits gesagt worden, dass in ihm zwei Probleme bestehen, die nicht durch gleichartige Schlüsse behoben werden können:117 1. Es ist durch den Syllogismus nicht notwendigerweise etwas Wesentliches über das Individuum ausgesagt, weshalb zufällige Bestimmungen des Individuums dazu führen können, es unter beliebige und eventuell widersprechende Allgemeinbegriffe zu subsumieren.118 2. Die Prämissen des Syllogismus sind nicht notwendig und müssen selbst begründet werden. Aber eine erneute deduktiv-syllogistische Begründung würde in den Regress führen,119 was, so Hegel, überraschend für begriffslogische Relationen sei.120 Unter dem Titel Schluss der Reflexion widmet sich Hegel daher einem Teilproblem der Syllogismen, nämlich der Begründung der ‹Allgemeinheit› in den Prämissen. Die Begründung der ‹Allgemeinheit› einer Prämisse ist natürlich auch schon ein Problem, was die entsprechenden Urteile, die Allaussagen bilden, aufgeworfen haben. Aber anhand der Syllogismen mit derartigen Prämissen tritt die Begründungsbedürftigkeit erneut hervor, zumal im Schluss die Notwendigkeit der Konklusion suggeriert wird. Diese ist aber nur dann im strengen Sinn eingelöst, wenn die Prämissen nicht kontingent, unsinnig oder gar falsch sind. Damit besteht also ein roter Faden, der von den zuerst analysierten Syllogismen zu der Frage nach der Begründung von Allaussagen führt.121 Hegel beginnt die Reflexionsschlüsse mit der Betrachtung des Schlusses der Allheit, der die gleiche Gestalt annimmt, wie der soeben beschriebene Schluss des Daseins. Allerdings sieht Hegel eine epistemische Differenz, die ihm Anlass bietet, den Syllogismus nochmals zu diskutieren. Die Differenz liegt darin, dass der Allsatz des Majors nicht als bloß begriffliche Wahrheit, sondern als die Summe oder Totalität aller Einzelfälle betrachtet werden soll: „Aber A l l e sind a l l e E i n z e l n e; darin hat also das einzelne Subject jenes Prädicat schon unmittelbar, und e r h ä l t e s n i c h t e r s t d u r c h d e n S c h l u ß.“122 Durch diese Verschiebung ist eine mögliche Begründung der begrifflichen Verhältnisse durch alle Einzelfälle intendiert: Dass die Gattung ‚Mensch‘ unter die Gattung der ‚sterblichen Lebewesen‘ fällt, liegt darin begründet, dass jeder einzelne Mensch stirbt. Jedoch ist es die Voraussetzung des Syllogismus, dass alle Einzelfälle auf 116 Hegels Beispiel lautet: „Alle Menschen sind sterblich, Cajus ist ein Mensch, Also ist er sterblich.“ (Hegel, WdL II, S. 95 (140), Z. 1–3). 117 Vgl. auch oben S. 392 f. 118 Vgl. Hegel, WdL II, S. 96 (141 f.), Z. 8–13. 119 Vgl. ebd., S. 98 (144 f.), Z. 2–4. 120 Vgl. ebd., S. 98 (144 f.), Z. 17–20. 121 Vgl. Hegel, Enz. I, § 190, A., S. 341 f. Dass ein explikativer und begründungstheoretischer Zusammenhang zwischen Urteilen und Schlüssen und innerhalb der Schlusslehre besteht, unterstreicht Hegel auch im § 186. Vgl. ebd., § 186, S. 337 f. 122 Hegel, WdL II, S. 112 (168), Z. 21–23.
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eine bestimmte Art sind. Und genau diese Voraussetzung spiegelt das eben vorausgesetzte Begründungsdefizit: Es muss also eine Schlussform geben, welche die ‹Allgemeinheit›, die in der Prämisse eine Syllogismus angenommen wird, begründet. Das leistet der Schluss der Allheit also ebenfalls nicht,123 aber er stellt das Problem deutlich heraus, worauf der Induktionsschluss dann reagiert. Dieser schließt als Explikationserfordernis an, weil er in der Konzeption der Allheit im Grunde schon implizit präsupponiert wurde. Als Voraussetzung des Allheitsschlusses ist der Induktionsschluss also dafür gedacht, die Allheit zu begründen, die in einer Prämisse angenommen wird.124 Sie geht von den Individuen aus, an denen jeweils eine bestimmte Eigenschaft festgestellt wird. Der Schluss besteht dann darin, dass daraus auf alle Individuen der Gattung geschlossen wird, dass ihnen allen diese Eigenschaft zukommt. Natürlich sieht Hegel die Probleme, die induktive Schlüsse aufwerfen, solange sie außerhalb einer klar definierten und axiomatischen Wissenschaft wie der Mathematik verwendet werden. Das grundlegende Problem ist als Induktionsproblem bekannt und wird häufig mit D. Hume zusammengebracht. So argumentiert auch Hegel, dass von den ‹Einzelnen› nicht streng gültig auf die ‹Allgemeinheit› geschlossen werden könne, da eben keine Sicherheit bestehe, dass man etwa eine zufällige Stichprobe an ‹einzelnen› Individuen gezogen habe oder dass es doch Ausnahmen gebe. Daher gebe es entweder die Möglichkeit, alle ‹Einzelnen› durchzugehen, was oft praktisch unmöglich sein dürfte, vor allem aber den Schluss überflüssig machen würde.125 Oder aber es wird von einer kleineren Menge doch auf die ‹Allgemeinheit› geschlossen. Aber dieser Schluss ist nur gültig, wenn die Verallgemeinerbarkeit vorausgesetzt wird – wodurch die Induktion zirkulär ist.126 Aufgrund des Induktionsproblems findet die Begründung der ‹Allgemeinheit› und der Prämissen in den Syllogismen also keinen Abschluss im induktiven Schluss. Daher geht Hegel zur Diskussion des nächsten Schlusses über, in dem er einerseits die Voraussetzung der Induktion erblickt, der aber andererseits auch mit der Identifikation von ‹Einzelnen› und ‹Allgemeinheit› einsetzt. Denn in der Induktion 123 Siehe Hegel, WdL II, S. 112 (169), Z. 25–27: „[ D ] e r O b e r s a t z i s t a l s o n i c h t f ü r s i c h r i c h t i g, oder ist nicht ein unmittelbares, vorausgesetztes Urtheil, sondern s e t z t s e l b s t s c h o n d e n S c h l u ß s a t z vo r a u s, dessen Grund er seyn sollte.“ 124 Vgl. Hegel, Enz. I, § 190, S. 341. 125 Vgl. Hegel, WdL II, S. 114 (172), Z. 20–32. Vgl. Hume, An Enquiry concerning Human Understanding, Sec. VII, P. 2, S. 55. Vgl. auch Popper, Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, S. 39–48. 126 Siehe Hegel, WdL II, S. 114 (172), Z. 33–37: „Indem sie [d. i. die Induktion; Einschub G. M.] aber diß ausdrückt, daß die Wahrnehmung, um zur Erfahrung zu werden, i n s U n e n d l i c h e fortgesetzt werden s o l l, setzt sie voraus, daß die Gattung mit ihrer Bestimmtheit a n u n d f ü r s i c h zusammengeschlossen sey. Sie setzt damit eigentlich ihren Schlußsatz vielmehr als ein unmittelbares voraus, wie der Schluß der Allheit für eine seiner Prämissen den Schlußsatz voraussetzt.“
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
wird die Gleichheit der Individuen innerhalb einer Gattung vorausgesetzt, was im Schluß der Analogie thematisch wird.127 Der Schluß der Analogie wird von Hegel eher polemisch behandelt. Er besteht in der Annahme von zwei Individuen, denen beiden eine Eigenschaft zu kommt. Der Schluss besteht dann darin, dass an einem der Individuen eine zweite Eigenschaft festgestellt wird und diese auf das zweite Individuum übertragen wird. Hegel wählt ein absurdes Beispiel, in dem von einer zufälligen oder ‹besonderen› Eigenschaft ein falscher Analogieschluss gezogen wird.128 Jedoch sieht er das Problem nicht zu Unrecht darin, dass für die Eigenschaft, die auf das zweite Individuum übertragen wird, klar sein muss, dass es sich um eine Eigenschaft handelt, die notwendig zur Gattung gehört. Denn es könnte sich schließlich auch um eine Eigenschaft handeln, welche das Individuum gegenüber den gattungsgleichen Individuen unterscheidet und somit ‹besonders› macht.129 Dass diese Eigenschaft nicht wesentlich für die Gattung ist, wird natürlich wahrscheinlicher, je unspezifischer der Gattungsbegriff ist, welcher die beiden Individuen vereint.130 Damit steht der Analogieschluss aber vor einem ähnlichen Problem wie die Induktion. Denn entweder ist der Schluss gültig, weil aus der gemeinsamen Gattung der Individuen folgt, dass sie eine bestimmte Eigenschaft haben. Aber in diesem Fall handelt es sich nicht um eine Analogie, sondern einen deduktiven Syllogismus, der eine ‹allgemeine› Aussage über die Gattung als Prämisse beinhaltet. Oder aber der Schluss soll in den Individuen gründen, dann verliert er aber seine Notwendigkeit. Damit kann er das Problem der Rechtfertigung der ‹Allgemeinheit› und Notwendigkeit in den Prämissen nicht lösen, was, so Hegel, zur nächsten Schlussart führt: dem Schluss der Notwendigkeit.131 Unter dem Titel Schluss der Notwendigkeit behandelt Hegel drei verschiedene Schlüsse: den kategorischen Schluss, den hypothetischen Schluß und den disjunktiven Schluss.132 Alle drei sollen Antworten auf die richtige Bestimmung der ‹Allgemeinheit›, ‹Notwendigkeit› und Vollständigkeit im Schluss bieten, wobei mit dem disjunktiven ein Abschluss des ersten Abschnittes der Begriffslogik gefunden sein soll. Dabei breitet Hegel vor allem ein Verständnis von ‹Allgemeinheit›aus, in dem die ‹Allgemeinheit› als bestimmt und mit dem ‹Besonderen› und ‹Einzelnen› zusam127
Vgl. Hegel, Enz. I, § 190, S. 341. Siehe Hegel, WdL II, S. 115 (174), Z. 28–30: „D i e E r d e hat Bewohner, Der Mond ist e i n e E r d e, Also hat der Mond Bewohner.“ 129 Vgl. ebd., S. 117 (176 f.), Z. 11–24. 130 Vgl. Hegel, Enz. I, § 190, Z., S. 343. 131 Vgl. Hegel, WdL II, S. 118 (178), Z. 7–10. 132 Es ist auffällig, dass Hegel hier die drei Schlussarten behandelt, die Kant als die entscheidenden für die Vernunft, welche daraus durch ihr Streben nach Unbedingtem die metaphysischen Grundbegriffe konstruiert, angesehen hat. Vgl. dazu oben Abschnitt 1.2.1. Vgl. dazu Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 284. 128
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mengehörig verstanden wird. Es ist, wie ein Gattungs- oder Wesensbegriff, kein abstrakt Anderes zu den Individuen und dessen ‹Besonderheiten›.133 Der Anschluss an den Schluss der Analogie ergibt sich also durch das Aufgreifen der Gattung als Thema, das nun die letzten drei Schlüsse der Schlusslehre bestimmen soll. Leider wirkt diese Fortbestimmung äußerlich, weil einfach ein für die Analogie wichtiger Begriff herausgegriffen wird und nun in der anderen Schlussform als Voraussetzung fungieren soll. Und so kann insgesamt für den Schluss der Notwendigkeit festgehalten werden, dass Hegel die Begründungsprobleme der Schlüsse nur unzureichend weiterbehandelt und sich stattdessen einfach auf ein Verständnis von ‹Allgemeinheit› konzentriert, welches die Einheit der Begriffsmomente innerhalb eines Schlusses bedeutet. So will Hegel, dass sich die Einheit des Begriffs * wieder hergestellt hat. Es scheint allerdings so, als würde Hegel dieses Verständnis von ‹Allgemeinheit› gewollt in den Vordergrund rücken und zugleich die wichtigen Probleme der Begründung innerhalb von Schlüssen wie auch der Selbstbegründung des Begriffs * ungelöst fallen lassen. Daher kann der Abschluss der Schlusslehre in dieser Form nicht überzeugen. Zudem verfährt Hegel so, als ob er bereits ein Thema behandelt habe, dass zum einen in der Urteils- und Schlusslehre nur angedeutet wurde, aber zum anderen auch in der Objektivität erneut abgehandelt wird: Der Begriff * soll sich als in seinem Anderen mit sich selbst identisch erweisen. Darauf weist Hegel etwa im § 192 der enzyklopädischen Logik, aber auch am Ende des disjunktiven Schlusses in der WdL hin.134 Nun scheint sich aber genau dieses Thema in der Objektivität zu wiederholen, die ebenfalls den Begriff * in seinem Anderssein darstellt, oder genauer: wie sich auch in der Negation des Begriffs * dessen Momente wiederum als Voraussetzungen der Negation ergeben. Hier soll vertreten werden, dass Hegel mit dem Resultat der Schlusslogik diese Struktur, an welcher für Hegel, wie oben dargelegt, etwa die ‹absolute Notwendigkeit› hängt, nicht einholt. Stattdessen ist es plausibler, so der Vorschlag der vorliegenden Arbeit, das Ende der Schlusslogik so zu verstehen, dass mit der Objektivität eigentlich erst das von Hegel Anvisierte erreicht wird. Doch zunächst zu den drei Schlüssen, damit das Defizit der hegelschen Behandlung deutlich wird. Als Erstes behandelt Hegel den kategorischen Schluss. Dieser ist im Grunde ein gewöhnlicher Syllogismus mit einem kategorischen Urteil, also einem Urteil, indem die „i m m a n e n t e Natur“135 eines Subjekts ausgesagt wird, als Prämisse. Damit 133 Siehe Hegel, WdL II, S. 118 (179), Z. 26–31: „Das Vermittelnde hat sich nunmehr bestimmt 1) als e i n f a c h e bestimmte Allgemeinheit, wie die Besonderheit in dem Schlusse des Daseyns ist; aber 2) als o b j e c t i v e Allgemeinheit; – die a l l g e m e i n e N a t u r der Sache, die G a t t u n g.“ 134 Vgl. Hegel, Enz. I, § 192, S. 344; siehe Hegel, WdL II, S. 126 (191), Z. 7–10: „Das Resultat ist daher eine U n m i t t e l b a r k e i t, die durch A u f h e b e n d e r Ve r m i t t l u n g hervorgegangen, ein S e y n, das ebensosehr identisch mit der Vermittlung und dem Begriff ist, der aus und in seinem Andersseyn sich selbst hergestellt hat.“ 135 Ebd., S. 78 (112), Z. 3.
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wird also nicht begründet, wie in einem Schluss etwas über das Wesen eines ‹Einzelnen› erfasst werden kann, sondern es wird vorausgesetzt, dass die Prämissen bereits dessen Essenz korrekt wiedergeben. Der Schluss soll, so Hegel, aber über das Urteil hinausgehen, indem das ‹Einzelne› nicht unmittelbar unter seinen ‹allgemeinen› Wesensbegriff subsumiert wird, sondern durch die ‹Besonderheit› geschlossen wird. Die Form, die Hegel diesem Schluss daher zuspricht, ist die gleiche, wie der erste Schluss des Daseins aufwies: E—B—A.136 Dessen Mangel bestand darin, dass durch zufällige ‹Besonderheiten› das ‹Einzelne› unter ganz verschiedene, zufällige und widersprüchliche ‹Allgemeinheiten› subsumiert werden konnte. Das soll durch den kategorischen Schluss unmöglich sein, da in diesem per definitionem nur Wesentliches erfasst wird. Hegel problematisiert an diesem Schluss nun, dass zwar eigentlich das ‹Allgemeine› schon als innerliches Wesen des ‹Einzelnen› vorausgesetzt würde, aber diese vorausgesetzte Einheit und Zusammengehörigkeit des Wesensbegriffs mit der unter ihn subsumierten Instanz sei noch nicht explizit dargestellt – es scheinen zumindest vordergründig noch beide voneinander unabhängig zu sein, so Hegel. Aber das ist offenbar keine weiterführende Analyse eines Schlusses, denn wie soll zugleich ein ‹Allgemeinbegriff› als essentiell für ein Individuum vorausgesetzt und beide als völlig unabhängig voneinander verstanden werden? Daher muss gegen Hegel gesagt werden, dass das eigentliche Problem dieses Schlusses darin besteht, dass die Probleme des bereits analysierten Schlusses des Daseins lediglich per definitionem ausgeschlossen, aber nicht gelöst werden. Denn natürlich kann behauptet werden, dass die Prämissen nur Notwendiges und Essentielles beinhalten, aber die Schlüsse waren gerade angetreten, dieses zu demonstrieren und nicht einfach vorauszusetzen, wie es ein Urteil zwangsläufig muss. Daher wäre mit diesem kategorischen Schluss eigentlich nicht mehr geleistet, als ein kategorisches Urteil zu wiederholen, weil er alles voraussetzen muss, was ihn ausmacht. Die eigentlich zu lösende Anforderung des Schlusses wäre doch zu zeigen, wie Notwendigkeit und essentielle Zusammengehörigkeit durch den Schluss bewiesen werden können – das reflektiert Hegel jedoch hier nicht mehr und überspielt so, dass seine Überlegungen zur „substantielle[n] Allgemeinheit“137 eigentlich abwegig sind. Denn Hegel möchte suggerieren, dass er mit einem inhaltsvollen Mittelbegriff, der in den Schlüssen vollständig entfaltet wird, zur Objektivität überleiten kann.138 Wie das aber gelingt, bleibt dunkel. Hegel sieht im kategorischen Schluss also das Missverhältnis, dass auf der einen Seite die Begriffsmomente wie selbstständige, „gegen einander g l e i c h g ü l t i g e W i r k l i c h k e i t e n“139 erscheinen und auf der anderen Seite als identisch mit dem ‹Allgemeinen› bestimmt sind. Woran dieses Verhältnis zu erkennen ist und wann es 136 137 138 139
Vgl. Hegel, WdL II, S. 120 (181), Z. 2 und ebd., S. 93 (136), Z. 3. Ebd., S. 120 (182), Z. 22. Vgl. dazu Sans, „Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs“. Ebd., S. 121 (183), Z. 10 f.
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gegeben ist, erläutert Hegel, wie gesagt, nicht. Aber er geht von dieser Diagnose zur zweiten Schlussform unter dem Titel Schluss der Notwendigkeit über, zum hypothetischen Schluss. Denn im hypothetischen Schluß soll nun genau dieses Verhältnis der Glieder des Schlusses erneut auftreten und daher weiter untersucht werden: Zwei nur scheinbar getrennte Momente stehen in einer inneren Identität und können daher nur miteinander auftreten, so Hegel. Nun ist diese Überleitung, trotz der Kritik an Hegels Ausführungen zum kategorischen Schluss, natürlich dennoch interessant. Denn während die kategorische Prämisse ein Verhältnis von essentieller ‹Allgemeinheit› und dem ‹Einzelnen›, für das diese ‹Allgemeinheit› gilt, behauptet, verweist die Umwandlung in einen hypothetischen Schluss darauf, dass der Mangel hier expliziert wird. Denn anstatt ein kategorisches Verhältnis zu behaupten, wird die bestehende Unsicherheit hervorgehoben, indem eine ‚wenn . . . , dann . . . ‘ Relation als erste Prämisse angenommen wird. Der hypothetische Schluss nimmt die Form an, dass aus einem hypothetischen Urteil ‚Wenn A ist, so ist B‘ und der Erfüllung des Antezedens auf das Konsequenz geschlossen werden kann. Was direkt erklärungsbedürftig erscheint, ist, dass in diesem Schluss nur zwei Relata auftreten, die nicht mehr eindeutig den Begriffsmomenten zugeordnet zu sein scheinen, auch wenn Hegel die Bezeichnung ‚A‘ und ‚B‘ beibehält.140 Aufgrund der zwei Relata und der Bedingungsbeziehung vergleicht er den hypothetischen Schluß nicht zu Unrecht mit wesenslogischen Verhältnissen, wie etwa dem Verhältnis von Bedingungen und Bedingtem in den ‹realen Modalitäten› oder auch denjenigen zwischen ‹Wirkung› und ‹Ursache› oder ‹Grund› und ‹Folge›.141 Die Gültigkeit dieses Schlusses soll nun darin bestehen, so Hegel, dass ein „identischer I n h a l t“ in Form der beiden Relata der hypothetischen Prämisse gegeben sei.142 Mit diesem ‚identischen Inhalt‘ sucht Hegel einen Grund für die Zusammengehörigkeit, die im hypothetischen Urteil ausgesagt wird. Aber mit diesem Grund verfehlt er die Eigentümlichkeit des hypothetischen Schlusses, weil hypothetische Urteile ein asymmetrisches Verhältnis aussagen, während ‚Identität‘ ein symmetrisches ist. Hegels Argumentation nach müsste man also auch vom wahren Konsequenz auf die Wahrheit des Antezedens schließen können, was natürlich falsch ist. Aber Hegel konzentriert sich, wie überhaupt in dem Abschnitt über den Schluss der Notwendigkeit, darauf, dass in den Schlüssen eine Art differenzierte Identität oder ein gehaltvolles, sich ‹besonderndes› ‹Allgemeines› dasjenige ist, was den Schlüssen 140 Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 266. Dass alle drei Begriffsbestimmungen aufeinander bezogen werden, ist nach Düsing die Definition des Schlusses für Hegel. 141 Vgl. Hegel, WdL II, S. 122 (185), Z. 10–13. 142 Siehe ebd., S. 121 (184), Z. 32–35: „Zunächst ist die Beziehung des hypothetischen Urtheils die N o t h we n d i g k e i t, oder innere s u b s t a n t i e l l e I d e n t i t ä t bey äusserlicher Verschiedenheit der Existenz, oder der Gleichgültigkeit des erscheinenden Seyns gegeneinander; – ein identischer I n h a l t, der innerlich zu Grunde liegt.“
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
ihre Geltung und Notwendigkeit sichert. Dieses ‹Allgemeine› erblickt Hegel darin, dass im hypothetischen Urteil dargestellt werde, dass sich das Antezedens selbst aufhebt und in den Konsequenz übersetzt, was dann im hypothetischen Schluss als wirkliches Übersetzen festgehalten werde.143 An diese Einheit oder Identität hinter den scheinbar unterschiedlichen Teilsätzen knüpft Hegel dann den Übergang zum disjunktiven Schluss, weil im disjunktiven Urteil, das den Obersatz bildet, eine ‹Allgemeinheit› in die vollständigen Alternativen, die unter das ‹Allgemeine› fallen, zergliedert ist. Wie bereits gesagt, ist Hegels Konzentration auf die Einheit und das umfassende ‹Allgemeine›, das dem ‹Besonderen› nicht äußerlich ist, wenig plausibel. Denn ein so verstandenes ‹Allgemeines›, das schon als Begriffsmoment eingeführt wurde, ist im Schluss vielleicht explizit, aber die Begründungsanforderung, die Hegel mit der Urteils- und Schlusslehre einlösen will und muss, geht vollständig unter. Und so scheint einzig durch den Schluss der Notwendigkeit erreicht zu sein, dass ein umfassendes und sich ‹besonderndes› ‹Allgemeines› in Form dieser drei Schlüsse darstellbar wäre, aber wie und wann ein solches ‹Allgemeines› gegeben ist, warum ihm eine besondere Geltung zukommt und wie viele solcher ‹Allgemeinen› es gibt, bleibt meines Erachtens unbegründet, vor allem weil die Schlüsse ihrer Form nach nichts mit einer solchen ‹Allgemeinheit› zu tun haben, sondern diese nur äußerlich vorausgesetzt ist. Trotz aller Kritik an Hegels Behandlung des hypothetischen Schlusses ist es natürlich dennoch plausibel, dass dieser in einer Schlusslehre behandelt werden muss. Und daher soll hier noch ein kurzer Blick auf eine Möglichkeit geworfen werden, wie meines Erachtens der rote Faden innerhalb der hegelschen Argumentation plausibel gemacht werden kann. Denn was im hypothetischen Schluss offenbar auch stattfindet, ist eine Darstellung oder Explikation der „nothwendigen B e z i e h u n g“144 , die innerhalb eines Syllogismus auftritt: Zwar gilt ein Syllogismus aufgrund der Begründungsbedürftigkeit der Prämissen nicht absolut, aber was in ihm auftritt, ist eine hypothetische Notwendigkeit: Wenn seine Prämissen wahr sind, so ist es auch die Konklusion. Diese hypothetische Notwendigkeit ist im hypothetischen Schluss thematisiert, der gleich im Major den hypothetischen Charakter herausstellt. Jedoch wirft der Obersatz und der ganze Schluss natürlich unmittelbar Fragen auf. Die erste ist sicherlich, warum das hypothetische Urteil des Majors akzeptiert werden sollte. Dass Hegels Antwort einer inneren Identität unbefriedigend ist, wurde bereits dargestellt. Aber der Schritt, die Relation der beiden Glieder des 143 Vgl. Hegel, WdL II, S. 122 (185), Z. 19–21. Siehe auch ebd., S. 123 (186 f.), Z. 15–19: „Aber die N o t h we n d i g k e i t geht in das N o t h we n d i g e zusammen; d i e F o r m t h ä t i g k e i t des Uebersetzens der bedingenden Wirklichkeit in die bedingte ist a n s i c h die Einheit, in welcher die vorher zum gleichgültigen Daseyn befreyten Bestimmtheiten des Gegensatzes a u f g e h o b e n sind, und der Unterschied des A und B ein leerer Nahmen ist.“ 144 Ebd., S. 121 (183), Z. 18.
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hypothetischen Urteils genauer zu bestimmen, ist plausibel, und Hegels Begriff der ‹Allgemeinheit›, die nicht gegen die ‹Einzelnen› und ‹Besonderheiten› ausgespielt werden darf, weist meines Erachtens in eine Richtung, die einsichtig erscheint: Was das ‹Allgemeine› ist, das die Relation von Antezedens und Konsequenz bestimmt, müsste als ein Gesetz oder eine Regel aufgefasst werden, welche sich in einem bestimmten Fall ausdrückt, aber eben weder identisch mit dem Einzelfall ist, noch aber ein abstraktes Jenseits bildet. Es führt zu weit, hier Hegels Auffassung zu Gesetzen und Regeln zu diskutieren, aber auf diesem Wege wäre zumindest eine mögliche Auffassung des hypothetischen Verhältnisses als eines notwendigen gegeben. Allerdings ist damit das Regressproblem, das Hegel innerhalb des Schluss der Notwendigkeit grundlos ausschließt, nicht umgangen. Denn auch eine Regel oder ein Gesetz, das im hypothetischen Urteil den Zusammenhang bildet, kann auf seine Notwendigkeit und seine Begründung hinterfragt werden. Insofern ist nur eine genauere oder explizite Darstellung eines notwendigen Zusammenhangs in dieser Schlussform gegeben, aber das Begründungsproblem nicht grundsätzlich gelöst. Immerhin wäre auf diese Weise ein wichtiger Darstellungs- und Explikationsschritt innerhalb der Schlusslehre gemacht. Hegels eigene Argumentation zielt aber, wie oben gesagt, auf die konkrete ‹Allgemeinheit›, die als inhaltsvolle Identität den Hintergrund des hypothetischen Schlusses bilde und im disjunktiven Schluss, der den Abschluss der Schlusslehre darstellt, als Prämisse explizit auftrete. Denn diese Form der ‹Allgemeinheit› sei dasjenige, was jetzt die Mitte des Schlusses ausmache, der die Form ‚E—A—B‘ annehme.145 Hegel meint, dass die ‹Allgemeinheit› sich nun als eine disjunktive Prämisse darstellen lässt, in welcher die vollständige Bestimmtheit des ‹Allgemeinen› entfaltet wäre: ‚A ist entweder B oder C oder D‘.146 Der disjunktive Schluss kann so natürlich auf zwei Weisen gelingen, nämlich entweder indem im Minor eines der Glieder direkt von ‚A‘ prädiziert wird oder indem alle alternativen Möglichkeiten ausgeschlossen werden.147 Mit diesem disjunktiven Schluss soll die Schlusslehre ihren Abschluss finden, in dem die aufgeworfenen Probleme eine Lösung erhalten – was für Hegel vor allem heißt, dass die ‹konkrete Allgemeinheit› vollständig dargestellt ist. Dass er an diese Stelle den disjunktiven Schluss stellt, ist, wenn man den OGB im Blick behält, zumindest interessant, da Kant in der disjunktiven Schlussweise und dem Streben nach dem Unbedingten der Vernunft den Grund für die philosophische Theologie innerhalb der theoretischen Philosophie sah, worauf Hegel freilich nicht erkennbar anspielt. Warum bildet nun der disjunktive Schluss den Höhepunkt und das Ende der Schlusslehre in Hegels Augen? Den Grund vermeint er in der vermittelnden ‹Allgemeinheit›, die, wie für die Begriffsmomente gezeigt, eine Totalität mit dem ‹Besonderen› und dem ‹Einzelnen› zu bilden scheint. Die ‹Allgemeinheit› ist in 145 146 147
Vgl. Hegel, WdL II, S. 123 (187), Z. 34–37. Vgl. ebd., S. 124 (188), Z. 11. Vgl. ebd., S. 124 (188), Z. 11–18.
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
der disjunktiven Prämisse vollständig in Form der ‹Besonderheiten› dargestellt. Zugleich sei es als ein ‹Einzelnes› bestimmt und daher sollten beide Extreme des Schlusses, also ‚E‘ und ‚B‘ in der ‹Allgemeinheit› bereits enthalten sein – eben aufgrund des Totalitätscharakters.148 Damit sollen in diesem Schluss alle Eigenheiten und Bestimmungen des Begriffs * wieder auftreten, weshalb dieser sich wieder hergestellt und expliziert haben soll.149 Mit diesem erneuten Auftreten der Momente des Begriffs * in ihrem Totaliätscharakter und ihrer Zusammengehörigkeit verbindet Hegel nun, dass 1. das Telos der Schlusslehre erreicht ist, 2. dass die Vermittlung sich aufgehoben hat, 3. dass der Formalismus des Schlusses überwunden und ein inhaltsvolles Schließen erreicht ist und 4. dass der Begriff * in seiner ganzen immanenten Struktur dargestellt ist, weil seine Momente und Relationen vollständig expliziert wurden. Dass das Telos der Schlusslehre (1.) mit dem disjunktiven Schluss erreicht ist, begründet Hegel damit, dass in allen Schlüssen die Momente des Begriffs * die Mitte einnähmen und damit die Vermittlung ermöglichten. Aber indem sie zunächst als abstrakte und losgelöste, also nicht als Totalitäten, verstanden würden, blieben die Schlüsse jeweils mit einem Mangel behaftet, der erst in der inhaltsvollen Mitte abgestreift werde. Denn die konkrete ‹Allgemeinheit› wird der Totalität der Begriffsmomente (wieder) gerecht.150 Die Einheit zwischen Vermittelndem und Vermitteltem (2.) führt Hegel ebenfalls auf die Auffassung der Elemente im disjunktiven Schluss als Totalitäten zurück.151 Denn wenn kein eigentlicher Unterschied zwischen den beiden Extremen des Schlusses und der vermittelnden Mitte besteht, sind die Zusammengeschlossenen und dasjenige, was den Schluss leistet, gleich. Aber daher ist im Grunde genommen eigentlich gar kein Schluss mehr gegeben, so Hegel. Und wie in einer Totalität ein Moment die anderen Momente enthält, muss das ‹Allgemeine› als inhaltsvoll aufgefasst werden, sodass es hinsichtlich seines 148 Siehe Hegel, WdL II, S. 124 (189), Z. 25–34: „Was hiemit überhaupt als das Ve r m i t t e l t e erscheint, ist die A l l g e m e i n h e i t des A mit der E i n z e l n h e i t. Das Ve r m i t t e l n d e aber ist dieses A, welches die a l l g e m e i n e Sphäre seiner Besonderungen und ein als E i n z e l n e s Bestimmtes ist. Was die Wahrheit des hypothetischen Schlusses ist, die Einheit des Vermittelnden und des Vermittelten, ist somit im disjunktiven Schlusse g e s e t z t, der aus diesem Grunde ebensosehr k e i n S c h l u ß mehr ist. Die Mitte, welche in ihm als die Totalität des Begriffes gesetzt ist, enthält nemlich selbst die beyden Extreme in ihrer vollständigen Bestimmtheit. Die Extreme, im Unterschiede von dieser Mitte, sind nur als ein Gesetztseyn, dem keine eigenthümliche Bestimmtheit gegen die Mitte mehr zukommt.“ 149 Ebd., S. 125 (189), Z. 4–6: „Die ganze Formbestimmung des Begriffs ist in ihrem bestimmten Unterschied und zugleich in der einfachen Identität des Begriffes gesetzt.“ 150 Siehe ebd., S. 125 (190), Z. 16–19: „Die Figuren des Schlusses stellen jede Bestimmtheit des Begriffs e i n z e l n als die Mitte dar, welche zugleich der Begriff als S o l l e n ist, als Forderung, daß das Vermittelnde seine Totalität sey. Die verschiednen Gattungen der Schlüsse aber stellen die Stuffen der E r f ü l l u n g oder Concretion der Mitte dar.“ 151 Vgl. ebd., S. 124 (189), Z. 25–34; vgl. auch Hegel, Enz. I, § 193, S. 345.
8.2. Die immanente Struktur des Begriffes *
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Gehaltes vollständig bestimmt ist (3.). Damit ist, so Hegel, die formale Schlusslehre abgeschlossen und stattdessen zu einem logischen Schließen übergegangen worden, das von einer inhaltvollen und erkenntnisreichen ‹Allgemeinheit› ausgeht, welches die ‹Besonderheiten› umgreift.152 Für die Art und Weise wie Hegel den Übergang zur Objektivität bahnen möchte, ist noch ein Stichwort wichtig, das Hegel sowohl in der WdL als auch in der enzyklopädischen Logik anführt: Die „Realisierung des Begriffs“153 . Denn Hegel meint, dass über die Explikation des Begriffs * in der Urteils- und Schlusslehre das Prinzip der Logik an Bestimmtheit gewonnen hat (4.). Denn es ist bei diesem Stichwort zu bedenken, dass ‚Realität‘ eine von Hegel bestimmte Kategorie ist, die in der Seinslogik als die positive, negationsfreie Seite der ‹Qualität› definiert wurde.154 ‚Realisierung‘ besagt insofern den Vorgang der Bestimmung, im Fall des Begriffs *: der Selbstbestimmung. Dass Hegel in der gesamten WdL daran interessiert ist, dass der göttlichen Begriff * bestimmt ist, und zwar durch sich selbst, ist oben erläutert worden. Wie aber hier ebenfalls gesagt, ist innerhalb der Begriffslogik die immanente Entwicklung des Prinzips der WdL thematisch. Insofern muss die Begriffslogik, und gerade der erste Abschnitt, als Explikation des in sich bestimmten und differenzierten Prinzips verstanden werden. Und diese Explikation wird von Hegel nun als ‚Realisierung‘ bezeichnet, die im Folgenden zur Objektivität überleiten soll: Damit ist der Begriff überhaupt realisirt worden; bestimmter hat er eine solche Realität gewonnen, welche O b j e c t i v i t ä t ist. Die n ä c h s t e R e a l i t ä t war, daß der B e g r i f f als die in sich negative Einheit sich dirimirt, und als U r t h e i l seine Bestimmungen in bestimmtem und gleichgültigem Unterschiede setzt, und im Schlusse sich selbst ihnen entgegenstellt. Indem er so noch das Innerliche dieser seiner Aeusserlichkeit ist, so wird durch den Verlauf der Schlüsse diese Aeusserlichkeit mit der innerlichen Einheit ausgeglichen; die verschiedenen Bestimmungen kehren durch die Vermittlung, in welcher sie zunächst nur in einem Dritten eins sind, in diese Einheit zurück, und die Aeusserlichkeit stellt dadurch den Begriff an ihr selbst dar, der hiemit ebensosehr nicht mehr als innerliche Einheit von ihr unterschieden ist.155
Die Bestimmtheit wird, wie in dem Zitat gesagt, im ersten Abschnitt der Begriffslogik nicht gewonnen oder verändert, sondern sie ist mit dem Begriff * bereits vollständig gegeben: Es sind im ‚Urteile seine Bestimmungen‘, wie diese auch unverändert im Schluss auftreten. Zwar findet im ‚Urteil‘ und im ‚Schluss‘ eine Entwicklung statt, die sich an den Bestimmungen des Begriffs * orientiert und ihr Maß für die eigene Vollständigkeit an der vollständigen Explikation hat (‚diese Äusserlichkeit mit der
152 153 154 155
Vgl. Hegel, WdL II, S. 125 (189 f.), Z. 7–15 Hegel, Enz. I, § 193, S. 345. Vgl. Hegel, WdL I, S. 98 f. (101 f.), Z. 27–4; vgl. auch Hegel, Enz. I, § 91, S. 196. Hegel, WdL II, S. 125 (190 f.), Z. 27–37.
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
innerlichen Einheit ausgeglichen‘), was der disjunktive Schluss leisten soll.156 Aber inwiefern der Begriff als ‚Äusserlichkeit‘ oder überhaupt nur Andersheit in der Urteils- und Schlusslehre auftritt, ist so überraschend wie uneinsichtig. Denn der Begriff * wird in den Urteilen und Schlüssen zwar expliziert, aber es ist meines Erachtens nicht zu sehen, wie und wo er negiert wird. Daher muss Hegels Behauptung, dass sich hier der Begriff * bereits seine Äußerlichkeit angeeignet habe, dass er sich als die Voraussetzung seiner Negation erwiesen habe, zurückgewiesen werden. Das wird erst die Objektivität leisten können. Bevor aber die Argumente für diesen Übergang betrachtet werden, soll hier noch deutlicher werden, dass Hegels Abschluss des ersten Abschnittes der Begriffslogik die aufgeworfenen Probleme nicht löst. Denn selbst wenn zugestanden werden sollte – was nicht zwingend ist, weil Hegels Begründung dunkel bleibt –, dass der disjunktive Schluss die Momente des Begriffs * adäquat aufgreift und eine Darstellung des Totalitätscharakters und der Inhaltsbestimmung des Begriffs * bietet, so sind die eigentlich drängenden Fragen des Begriffs * und der Schlusslehre überhaupt nicht tangiert, sondern sind einfach als gelöst vorausgesetzt. Erinnern wir uns kurz, welche Fragen die eigentlich drängenden sind: Während schon in der Analyse der Begriffsmomente ‹Allgemeines›, ‹Besonderes› und ‹Einzelnes› der Totalitätscharakter sichtbar wurde, weil sie nur durcheinander darstellbar sind, ohne deswegen identisch zu sein, weil das ihre Bedeutungslosigkeit zur Folge hätte, ist mit dem Urteil und dem Schluss das Mittel zur Darstellung der Relationen und der Verhältnisse des Begriffs * gesucht worden. Denn schon in der direkten Analyse der Begriffsmomente werden Urteile und Schlüsse verwendet, die daher ein Desideratum für die Explikation darstellen, analog zu den Explikationsanforderungen, die aus der Dialektik von zwei dihairetischen Kategorien hervorgehen. Somit ist das eine Ziel der Begriffslogik die vollständige Darstellung der Momente des Begriffs * inklusive der Darstellungsmittel, weil der Begriff * selbstbegründend und selbstbestimmend sein soll. Was sich aber im Durchgang durch die Darstellungsmittel ‚Urteil‘ und ‚Schluss‘ ergeben hat, war die Begründungsbedürftigkeit, die Darstellung der Absolutheit des Begriffs * und seiner Momente. Diese Begründungsbedürftigkeit zeigt sich besonders im Übergang vom Urteil zum Schluss, da die im Urteil präsupponierte Geltung nicht durch es selbst auch eingeholt werden konnte. Im Schluss stellt sich das gleiche Problem allerdings erneut, weil die Prämissen aus Urteilen bestehen, die zwar die Konklusion als notwendig zeigen, aber selbst nicht begründet werden. 156 Und weil Explikation auch als ein ‚Herausstellen‘ oder ‚Darstellen‘ eines Inneren verstanden werden kann, ist die von Hegel angedeutete Bewegungsrichtung eine Metapher für die fortschreitende Explikation der Momente und Relationen des Begriffs * im ersten Abschnitt der Begriffslogik. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Beschreibung der Explikation als Tätigkeit und Verhalten im Raum mit Vorsicht zu genießen ist. Denn es kann sich auch hier nur um einen metaphorischen Gebrauch handeln, wenn nicht gegen die Anforderungen der WdL verstoßen werden soll. Denn diese soll einen Begründungszusammenhang bilden, der weder auf willkürliche Tätigkeit noch auf räumlich-zeitliche Verhältnisse rekurriert.
8.2. Die immanente Struktur des Begriffes *
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Anstatt dieses Problem zu lösen, hat Hegel mit dem Reflexionsschluss lediglich ein spezielleres hinzugefügt, nämlich wie die ‹Allgemeinheit› oder Allheit in manchen Prämissen begründet werden kann. Nun ist aber in Hegels disjunktivem Schluss nicht zu sehen, dass eine Methode zur Begründung der Prämissen in Schlüssen gefunden wurde, ja selbst die Momente des Begriffs * scheinen nur dank unbegründeter Voraussetzungen wieder aufzutreten. Denn Hegel setzt voraus, dass eine vollständige Disjunktion als Prämisse gegeben ist, zeigt aber nicht, wann man sich dessen sicher sein kann. Natürlich ist das im Grunde nur die Ausprägung des allgemeinen Begründungsproblems in Schlüssen, aber Hegel hat innerhalb der Schlusslehre keine Lösung für dieses Problem gefunden, weshalb es persistiert. Noch erschwerend kommt hinzu, dass der Vorteil, den Hegel im disjunktiven Schluss ausmacht, nämlich dass der Charakter der Mitte, die eine bestimmte und konkrete ‹Allgemeinheit› sein soll, welche die Extreme bereits enthält und daher wie die Totalität des Begriffs * aufgefasst werden muss, ebenfalls vorausgesetzt ist: Hegel zeigt nicht, warum und wann diese angenommen werden kann, beziehungsweise wie sie zu erreichen ist. Stattdessen nimmt er die Grundzüge dessen, was in dieser Schlussform erreicht werden soll, einfach als Metaannahmen an. Damit ist dann durch den disjunktiven Schluss in der Tat gar kein Schluss mehr zu leisten, weil er eben so konzipiert ist, aber das ist keine Problemlösung, sondern eine dogmatische Voraussetzung. Somit kann nicht behauptet werden, dass die Schlusslehre eingelöst habe, was sie zeigen sollte, nämlich die Begründung der ‹absoluten Notwendigkeit› des Begriffs *. Und daher kann auch ihr Finale, der disjunktive Schluss, nicht akzeptiert werden.157 Somit fiele dann aber auch Hegels Argument für den Übergang zur Objektivität weg. Und mit diesem Übergang würde der OGB misslingen, den Hegel an diesem Übergang verortet, und folglich bliebe auch der Existenzbegriff, der für das göttliche Wesen gültig ist, ungeklärt. Doch diese Folgerung wäre voreilig. Denn dass Hegels Vorschlag nicht als Lösung der aufgeworfenen Probleme akzeptiert werden kann, heißt nicht, dass sie prinzipiell unlösbar wären. Es bedeutet im Grunde nicht einmal, dass sie nicht im Sinne Hegels, nur auf andere Weise, gelöst werden könnten. Hegel selbst bietet für diese Vermutung Grund, denn sein Verfahren und seine Gliederung der Begriffslogik sind plausibler als seine Reflexionen zur Schlusslehre.158 So hat bereits V. Hösle betont, dass Hegels Methode mehr Potential bietet, als seine explizite 157 Vgl. etwa Hösle, Hegels System, S. 238 f. Vgl. auch Oberauer, „Begriff und Objektivität“, S. 116 f. Der Übergang wird hingegen verteidigt von: Burbidge, „Objektivität“. Die Konzeption, dass im Fall von ‚logischen Kreisbewegungen‘ etwas Entscheidendes in der Logik erreicht sei, bleibt meines Erachtens unverständlich. Vgl. ebd., S. 227 und ebd., S. 241. 158 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 180–182. Hösle konzentriert sich an dieser Stelle auf die zirkuläre Begründung, die Hegel ebenfalls als Möglichkeit, dem Regressproblem gewöhnlicher Syllogismen zu entkommen, diskutiert, allerdings nicht am Ende der Schlusslehre. Hösle kritisiert Hegels Lösung zu Recht scharf und betont die Unzulänglichkeit für eine philosophische
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8. Die Grundlage des ontologischen Gottesbeweises: Der Begriff * in sich
Reflexion verrät. Denn auch wenn Hegel in der Schlusslehre keine explizite Lösung des Letztbegründungsproblems findet, so bedient er sich doch ausgiebig des einzig möglichen Mittels, dass eine solche Lösung verspricht. So schreibt Hösle: Zusammenfassend wird man es daher als großen Mangel bewerten müssen, daß Hegel am Ende des ersten Abschnitts der Begrifflogik dem Regreßproblem nichts anderes entgegenzusetzen hat als eine ganz offenbar untaugliche Reflexion, die im wesentlichen eine umständliche Verkleidung eines einfachen Zirkels darstellt. Aber Hegels Methode ist besser als seine Reflexion über diese Methode. Letztere kann nämlich in der Tat durch den Regreßeinwand nicht getroffen werden, weil sie jene Mittel benützt, die eine Begründung letzter Prinzipien ermöglicht.159
Und auf die Frage, welche Mittel es sind, die letzte Prinzipien begründen können, verweist Hösle, wie in der vorliegenden Arbeit im Anschluss an ihn bereits betont,160 dass es sich um einen reflexiven, negativen Beweis handeln muss.161 Dieses Beweisverfahren ist schon mehrfach in der vorliegenden Arbeit angesprochen worden. Doch nun soll es, auch wenn Hösle das eher nicht im Sinn hat, für den Übergang zur Objektivität fruchtbar gemacht werden. Damit ist im Übrigen weder für noch gegen Hösles These argumentiert, dass Intersubjektivität das entscheidende Desiderat der WdL ist, durch welches sie sich erst stringent ausarbeiten ließe. Diese Möglichkeit soll also offengehalten werden, auch wenn im vorliegenden Kontext zunächst eine Argumentation vorgeschlagen wird, die möglichst nah an Hegels Intentionen bleibt. Um nun den negativen Beweis für den Übergang zur Objektivität in Stellung zu bringen, sei daran erinnert, dass es sich um das einzige Beweisverfahren handelt, welches den für die WdL essentiellen Charakteristika Voraussetzungslogigkeit, ‹absolute Notwendigkeit›, Absolutheit und dem Prinzipiencharakter des Begriffs * gerecht zu werden vermag. Das liegt daran, dass nicht aus Prämissen deduktiv auf das Beweisziel geschlossen wird, sondern dessen Unhintergehbarkeit und Unvermeidbarkeit gezeigt wird, indem es als Voraussetzung seiner eigenen Negation aufgezeigt wird. Damit kann diese Negation nicht konsistent sein, da sie voraussetzt, was sie zu bestreiten vorgibt, wobei dieser Voraussetzungcharakter nicht empirisch oder subjekttheoretisch, sondern dialektisch-logisch zu verstehen ist. Doch bevor genauer argumentiert wird, wie und warum eine Reflexion auf den negativen Beweis zur Begründung des Übergangs zur Objektivität taugt, sollen die Argumente, die sich im Anschluss an Hegels Überlegungen für den Übergang bilden lassen, dargestellt und diskutiert werden. Letztbegründung. Dass Hegels Schlusslehre auch sonst in vielem nicht haltbar ist, hebt er in der Besprechung des Übergangs zur Objektivität hervor. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 238 f. 159 Ebd., S. 182. 160 Vgl. oben Abschnitt 4.1. 161 Vgl. Hösle, Hegels System, S. 183. Vgl. auch die wichtigen Ausführungen zum negativen Beweis bei Hegel: ebd., S. 184–210.
9 Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität 9.1 Vier schwache Argumente für den Übergang zur Objektivität Die folgenden Argumente für den Übergang zur Objektivität schließen an den Hegel-Text an, gehen teils aber über ihn hinaus. Das Argument, das Hegel explizit nennt, ist, 1. dass aus dem Wiederauftreten der Begriffsmomente im disjunktiven Schluss eine neue ‚Unmittelbarkeit‘ folgt, die eine Sicht von außen auf den Begriff * ermöglicht. So wird der Begriff * als abgeschlossenes Objekt thematisierbar. 2. Diese Sicht-von-außen führt zu einem stärkeren Argument, das zumindest den Fortgang der Begriffslogik erzwingt: Mit dem Ende der Schlusslehre ist die Methode der WdL nicht eingeholt und erläutert worden. Daher ist der Begriff * noch nicht wirklich als Prinzip der logischen Bestimmungen begründet. Die Äußerlichkeit bedeutet dann, dass sich die Perspektive des Nachvollzugs der Logik durch die Dialektik und die Kategorienentwicklung noch nicht identifiziert haben – so scheint der Nachvollzug einer äußerlichen Methode gefolgt zu sein, die ein zweites Thema neben dem Begriff * bildet. 3. Diese Ergänzungsbedürftigkeit zeigen auch die Überschriften der Abschnitte an: Subjektivität und Objektivität sind für Hegel ebenso dialektische Kategorien, wie ‹Allgemeines› und ‹Besonderes› oder ‹Wesen› und ‹Erscheinung›: Beide können nur gemeinsam bestehen und durcheinander verstanden werden. 4. Dass ein Bezugsobjekt zu den Explikationsbedingungen von Begrifflichkeit gehört, ist nicht direkt dem Hegel-Text zu entnehmen, scheint aber auch eine den Übergang motivierende Reflexion darstellen zu können. 5. Und schließlich soll die Struktur des negativen Beweises als Grund für den Übergang erläutert werden. Auf diese Gründe soll hier noch ein Blick geworfen werden. Zuvor muss jedoch hervorgehoben werden, was schon in Hösles Kritik an Hegels OGB gesagt wurde: Der Übergang vom Begriff * zur Objektivität kann nicht so verstanden werden, als leite Hegel aus dem diskursiven, dem bloß menschlichen Denken den Bezug auf außerdiskursive Objekte ab – Hegel schlägt keine Brücke zwischen dem begrifflichen Denken und den bloß gegebenen Dingen, und insofern handelt es sich nicht um Hegels Variante einer transzendentalen Deduktion, die Kant in der KrV bemüht. Derart scheint etwa A. F. Koch der Übergang zu verstehen.1 Gegen die 1
Vgl. Koch, „Die Problematik des Übergangs von der Schlusslehre zur Objektivität“, S. 212.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
Interpretation Kochs spricht allerdings, dass Hegel es bereits von Beginn der Logik an ablehnt, sie als Analyse des Denkens im Gegensatz zu Gegenständen zu konzipieren, was oben begründet wurde.2 Insofern wäre es verfehlt, den Begriff * als Rückfall in die Sphäre der psychologischen Akte und als Gegensatz zu gegebenen Objekten zu verstehen. Und das scheint Hegel auch abzulehnen, wenn er betont, dass Begriff, Urteil und Schluss ontologische Bedeutung haben.3 Worin Koch allerdings zugestimmt werden muss, ist, dass Begrifflichkeit * zwar ontologische Bedeutung hat, es aber dennoch eine Art von Andersheit bezüglich des Begriffs * geben muss. Erst darin kann die ontologische Bedeutung explizit und theoretisch gefasst werden – und das soll die Objektivität leisten.4 Ad 1.: Das Argument, das Hegel selbst sowohl in der WdL als auch in der enzyklopädischen Logik für den Übergang zur Objektivität vorbringt, lautet in etwa wie folgt: i) Im disjunktiven Schluss sind alle Begriffsmomente explizit vorhanden und als Totalitäten dargestellt. ii) Durch die Darstellung des Begriffs * durch die Totalität seiner Momente ist der immanente Zusammenhang seiner Momente vollständig expliziert. Das ist das „A u f h e b e n d e r Ve r m i t t l u n g“5 und damit die Konzeption des Begriffs * als „unmittelbare Einheit“6 iii) Eine unmittelbare Einheit oder eine Totalität, die unmittelbar ist, ist ein Objekt. iv) Also ist der Begriff * nun als Objekt aufgefasst. v) Die Auffassung des Begriffs * als Objekt muss nun in der WdL unter dem Titel Objektivität expliziert werden. Oder alternativ argumentiert Hegel auch: a) Im Urteil und Schluss besteht immer die Abhängigkeit eines Begriffsmomentes von einem Anderen und „nichts [ist] an und für sich“7 – es ist also Vermittlung notwendig. b) Diese Vermittlung wird im disjunktiven Schluss aufgehoben, weil der Mittelterm die anderen Terme bereits enthält und daher eigentlich kein Schluss mehr notwendig ist. c) Indem die Vermittlung aufgehoben ist, ist das Sein einer „Sache, die a n u n d f ü r s i c h ist“,8 gegeben. d) Die Sache an und für sich ist die Objektivität. Dass hier etwas Wichtiges geleistet werden soll, ist schon an der Wortwahl ‚des An-und-für-sich-Seins‘ abzulesen, womit Hegel regelmäßig das Ziel seiner Logik beschreibt. Damit wäre dann eine Selbstbezüglichkeit an dieser Stelle entfaltet, die 2 Vgl. oben Abschnitt 4.1.1. Oder umgekehrt: Die Objektivität bleibt eine logische Kategorie, wie Sans, „Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs“, S. 230 betont. 3 Vgl. Hegel, Enz. I, § 181, A., S. 332. 4 Siehe Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 84 (64 f.): „Der Begriff ist wohl in sich selbst wahrhaft, aber zu seiner Wahrheit gehört auch, daß er sich realisiere, wie zur Seele, daß sie sich verleiblicht habe. Diese Realisierung ist zunächst Bestimmung des Begriffs; die absolute Realisierung aber ist, daß diese Bestimmung dem Begriff adäquat ist. Diese adäquate Begriffsbestimmung ist die absolute Idee, der wahrhafte Begriff.“ 5 Hegel, WdL II, S. 126 (191), Z. 7 f. 6 Hegel, Enz. I, § 193, S. 345. 7 Hegel, WdL II, S. 126 (191), Z. 6. 8 Ebd., S. 126 (191), Z. 6.
9.1. Vier schwache Argumente für den Übergang zur Objektivität
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für die WdL konstitutiv ist. Nur ist leider nicht zu sehen, wie diese Selbstbezüglichkeit tatsächlich verständlich gemacht worden ist. Denn der disjunktive Schluss kann als Explikation und Darstellung verstanden werden, aber in welchem Sinne ist ein Selbstbezug erreicht, der nicht schon im Begriff * gegeben war? Hegel selbst schreibt, dass dieser Übergang fremdartig wirke und daher der Vorstellung kaum plausibel gemacht werden könne.9 Anstatt jedoch die Argumentation zu schärfen, weist er lediglich darauf hin, dass mit dem Ergebnis, wie er meint, in etwa dasjenige gegeben sei, was auch der common sense als Objekt bezeichnen würde. Der Begriff * sei selbstständig, vollständig und durch die Totalität der Momente eine Einheit. Und unter Objekt würde man genau das verstehen: „ein konkretes, in sich vollständiges Selbstständiges[.]“10 Damit sind auf der einen Seite individuelle Gegenstände beschrieben, doch Hegel meint zugleich, dass die Welt – und in verwirrenderweise auch Gott – als Objekt betrachtet werden müsse.11 Warum Gott und die Welt hier gleichermaßen genannt werden, bleibt dunkel. Aber es ist deutlich, was Hegel erreichen möchte: Der Begriff * soll selbst zum Objekt werden – oder zumindest zum Thema ‚Objekt‘ führen –, indem seine Bestimmungen diejenigen eines Objekts werden. Was Hegel damit bezwecken möchte, ist die Deduktion eines mechanischen Objekts mit den genannten Eigenschaften, um gleich mit dem ersten Thema der Objektivität einsetzen zu können. Aber dann wäre das Objekt das Gleiche wie der Begriff *. Nun bemüht sich Hegel in der Enzyklopädie diese Identifizierung zugleich wieder zurückzunehmen: Es soll sich in den Bestimmungen des Begriffs * eine Bestimmtheit zeigen, die zwar notwendig mit ihm verbunden ist, aber zugleich etwas von ihm Verschiedenes bezeichnet: Wenn das Produkt dieses Übergangs, das Objekt, mit dem Begriffe, der darin nach seiner eigentümlichen Form verschwunden ist, in Beziehung gesetzt wird, so kann das Resultat richtig so ausgedrückt werden, daß an sich Begriff oder auch, wenn man will, Subjektivität und Objekt dasselbe seien. Ebenso richtig ist aber, daß sie verschieden sind. Indem eines so richtig ist als das andere, ist damit eben eines so unrichtig als das andere; solche Ausdrucksweise ist unfähig, das wahrhafte Verhalten darzustellen.12
Was soll man also von Hegels zumindest verwirrenden, wenn nicht widersprüchlichen Aussagen halten? Die zwei soeben angeführten Argumente Hegels ((i) bis (v); (a) bis (d)) für den Übergang zur Objektivität können nicht überzeugen. Denn 9
Vgl. Hegel, Enz. I, § 193, A., S. 345. Ebd., § 193, A., S. 346. 11 Siehe ebd., § 193, A., S. 346: „Ferner ist das Objekt überhaupt das eine noch weiter in sich unbestimmte Ganze, die objektive Welt überhaupt, Gott, das absolute Objekt. Aber das Objekt hat ebenso den Unterschied an ihm, zerfällt in sich in unbestimmte Mannigfaltigkeit (als objektive Welt), und jedes dieser Vereinzelten ist auch ein Objekt, ein in sich konkretes, vollständiges, selbstständiges Dasein.“ 12 Ebd., § 193, A., S. 347. 10
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
erstens ist der disjunktive Schluss nur die dogmatische Aufhebung der Begründung und Vermittlung. Denn natürlich findet in einem Schluss, in dem alle Glieder als identisch vorausgesetzt werden, kein logisches Schließen mehr statt. Aber das ist nicht mit dessen Wahrheit oder Notwendigkeit zu verwechseln. Insofern ist das ‚Aufheben der Vermittlung‘ (ii) in der ersten Variante zurückzuweisen. Und die Rede von der ‚Sache an und für sich‘ in zweiten Argument (c) – die ohnehin kaum verständlich ist – fällt ebenfalls unter den Einwand, dass mit dem disjunktiven Schluss keine überzeugende Lösung des Vermittlungs- und Begründungsproblems gefunden ist. Kann aber Hegels Intention verstanden werden, obgleich sein Argument nicht zu überzeugen vermag? Zwei Momente möchte er offenbar zusammenbringen, die ihn an die Grenzen der Ausdrucksweise führen. Erstens soll die Objektivität notwendig aus dem Begriff * folgen – es soll an den Begriff * und die Explikation im disjunktiven Schluss festgehalten werden, dass in der Explikation die Notwendigkeit deutlich wird, dass nicht nur die immanente Betrachtung der Momente des Begriffs * und ihrer Relationen für die Rolle des Begriffs * als Prinzip der WdL wichtig ist. Stattdessen soll auch die Betrachtung der Objektivität notwendig zu einer vollständigen Begriffslogik gehören. Darin liegt das Moment, das Hegel die ‚Identität von Begriff * und Objekt‘ nennt und das vielleicht glücklicher als die notwendige Zugehörigkeit der Objektivität zum Begriff * zu bezeichnen wäre, denn diese Bezeichnung schließt nicht wie die Rede von der ‚Identität‘ die Verschiedenheit aus. Denn zweitens soll die Verschiedenheit und Entgegensetzung das entscheidende Merkmal der Objektivität sein. Beides betont Hegel im Anschluss an die eben zitierte Passage: Jenes Ansich [der Identität des Begriffs * und des Objekts; Einschub G. M.] ist ein Abstraktum und noch einseitiger als der Begriff selbst, dessen Einseitigkeit überhaupt sich darin aufhebt, daß er sich zum Objekte, der entgegengesetzten Einseitigkeit aufhebt.13
So gehört also die Entgegensetzung notwendig zum Begriff *, der ansonsten bloß einseitig wäre. Ist dann aber die Identifizierung und Gleichheit des Begriffs * und der Objektivität eine gänzlich falsche Aussage Hegels? So weit soll hier nicht gegangen werden, auch wenn Hegels Argument, der Begriff * könne nach dem disjunktiven Schluss von außen und damit als Objekt betrachtet werden, zurückgewiesen werden muss. Was ist dann der Sinn der Rede von der an sich bestehenden Identität zwischen Objektivität und Begriff *? Meines Erachtens ringt Hegel mit dem Verhältnis, weil die beiden ersten Abschnitte der Begriffslogik als entgegengesetzt verstanden werden müssen, aber nur, um zu zeigen, dass die Entgegensetzung vom Begriff * selbst noch dessen Kategorien und Momente voraussetzt. Daher besteht in pragmatisch-dialektischer Hinsicht eine Identität, weil noch die Entgegensetzung vom Begriff * ihn selbst notwendig voraussetzt. Im Grunde handelt es sich dabei also um den Grundgedanken des objektiven Idealismus, der davon ausgeht, dass 13
Hegel, Enz. I, § 193, A., S. 347.
9.1. Vier schwache Argumente für den Übergang zur Objektivität
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es eine logische Struktur gibt, die dem endlichen Sein zugrunde liegt und dieses intelligibel macht, ohne dass deswegen den endlichen Dingen die Wirklichkeit und Eigenheit abgesprochen wird. Das soll im Folgenden deutlicher werden. Ad 2.: Im Anschluss an Hegels Argument, dass der Begriff * durch den disjunktiven Schluss als Einheit und damit quasi von außen, somit als Objekt, betrachtet werde, kann aber ein Argument entwickelt werden, das zumindest die Notwendigkeit einer Fortführung der Begriffslogik untermauert. Dieses Argument ergibt sich, wenn darauf reflektiert wird, wie und warum die Betrachtungsweise dem Begriff * am Ende der Schlusslehre noch äußerlich ist. Bevor dieses Problem angegangen werden kann, empfiehlt es sich aber, zunächst zu fragen, was mit ‚Betrachtungsweise‘ gemeint ist, da sich an diese, gerade im Kontext der Logik, Missverständnisse anschließen können. Denn hier kann damit nicht gemeint sein, dass es etwa mehrere mögliche Betrachtungen gibt, die gleichfalls richtig sind, denn das würde dem Projekt als solchem widersprechen. Auch ist für die Geltung der Logik nicht relevant, was die subjektiven Bedingungen sind, unter denen sie nachvollzogen wird. Daher kann für die Äußerlichkeit nicht darin bestehen, dass die Leserin der Logik sich nicht persönlich mit dieser identifizieren könne oder Ähnliches. Die Betrachtungsweise muss also selbst zum Projekt der WdL gehören, weshalb unter Betrachtungsweise einfach die Perspektive des methodischen Nachvollzugs der dialektischen Ableitung der Kategorien zu verstehen ist. Und dieser methodische Nachvollzug stellt eine eigene Anforderung auf, nämlich die Begründung der Methode, die durch die WdL selbst eingeholt werden muss. Nun liegt im Letztbegründungsanspruch der Logik, dass die Methode keine Metaperspektive bilden und nicht auf anderen Axiomen beruhen kann, als die WdL selbst, wenn das Projekt nicht von vornherein widersprüchlich sein soll. Solange die Methode aber noch nicht in der WdL selbst thematisiert wurde, kann zwischen dem methodischen Nachvollzug und der Kategorienableitung unterschieden werden. Diese Unterscheidung erinnert an diejenige A. F. Kochs, der zwischen Objekt- und Hintergrundlogik unterscheidet, mit der Hintergrundlogik allerdings auch Kommentare, Vor- und Rückgreifendes meint. Jedoch betont auch Koch die Notwendigkeit ihrer finaler Konvergenz.14 Mit der der Explikation der Momente des Begriffs * ist aber nicht zugleich die Methode der Logik eingeholt. Selbst wenn im disjunktiven Schluss tatsächlich völlige Transparenz über die Relationen und die Kategorien ‹Allgemeines›, ‹Besonderes› und ‹Einzelnes› erreicht wäre, ist doch das, was oben ausgeführt wurde, nämlich dass der Begriff * Prinzip der gesamten Logik ist und bereits die Kategorienableitung der objektiven Logik bestimmt, keinesfalls einsichtig und begründet. Daher befindet sich die Leserin, die der Dialektik durch die ganze Logik bis zum disjunktiven Schluss gefolgt ist, in spezifischer Weise noch außerhalb des Begriffs * – weil die dialektische 14
Vgl. Koch, Die Evolution des logischen Raumes, S. 62.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
Methode, die sie nachvollzogen hat, noch nicht thematisiert ist. Da diese auch nicht auf die formale Logik reduzierbar ist, wie oben in der Auseinandersetzung mit D. Wandschneider argumentiert wurde, kann diese auch nicht als ein Produkt des ersten Abschnitts der Begriffslogik angesehen werden. Und insofern besteht noch ein ‚Außerhalb‘, auch wenn die Schlusslehre die Begriffsmomente expliziert haben sollte: Die Logik kann ohnehin nur als letztbegründete und voraussetzungslose Theorie gelten, wenn sie ihre Methode noch einholt. Das behält Hegel aber erst der absoluten Idee * vor. Damit ist allerdings nicht die Art und Weise des Fortgangs bestimmt, sondern nur gezeigt, dass die WdL entweder scheitert oder weitergeführt werden muss, bis die Methodenreflexion integriert worden ist. Dieses Argument spricht also nur für die Notwendigkeit der Fortführung der Logik, zeigt aber nicht das Wie. Vor allem ist aber zu bemerken, dass dieses Argument zwar stimmig ist, aber nicht allein den Fortgang der Logik begründen kann. Denn ansonsten könnte einfach an jeder Stelle der Logik gefragt werden, ob die Methode bereits thematisiert sei, um den Fortgang zu erzwingen. Aber das wäre natürlich in einem schlechten Sinne zirkulär, denn die Thematisierung der Methode soll sich aus der Ableitung der logischen Kategorien selbst ergeben. Ad 3.: Ein weiterer Hinweis auf Hegels Sicht, dass die Begriffslogik einer Fortführung bedarf, geht aus den Bezeichnungen Subjektivität und Objektivität hervor. Wie nämlich aus den oben angeführten Zitaten auf Seite 497 und Seite 498 hervorgeht, sieht Hegel beide Teile je für sich als einseitig und als ergänzungsbedürftig durch den je anderen.15 Dahinter scheint die Annahme eines makrodialektischen Verhältnisses zu stehen, wie etwa dasjenige zwischen ‹Wesen› und ‹Erscheinung›, den ersten beiden Teilen der Wesenslogik. Diese waren in wesenslogischer Manier aufeinander bezogen, insofern sie notwendige Bedingungen füreinander bilden – kein Wesen, das nicht erscheint, und keine Erscheinung, ohne irgendein Wesen – wobei zugleich mit dem ‹Wesen› die Anmutung der Unabhängigkeit und der Dominanz innerhalb des Verhältnisses mitschwingt. In gleicher Weise ist ein begriffslogisches Verhältnis zwischen der Subjektivität und der Objektivität zu sehen, das nun aber demjenigen zwischen ‹Allgemeinheit› und ‹Besonderheit› gleicht. So möchte Hegel wohl andeuten, dass beide Kategorien nur miteinander und durcheinander denkbar sind, wobei ihre Differenz sich gerade in 15 Siehe Hegel, Enz. I, § 184, Z., S. 351: „Aus den bisherigen Erörterungen ist zu entnehmen, wie verkehrt es ist, Subjektivität und Objektivität als einen festen und abstrakten Gegensatz zu betrachten. Beide sind schlechthin dialektisch. Der Begriff, welcher zunächst nur subjektiv ist, schreitet, ohne daß er dazu eines äußeren Materials oder Stoffs bedarf, seiner eigenen Tätigkeit gemäß dazu fort, sich zu objektivieren, und ebenso ist das Objekt nicht ein Starres und Prozeßloses, sondern sein Prozeß ist der, sich als das zugleich Subjektive zu erweisen, welches den Fortgang zur Idee bildet.“ Vgl. auch ebd., § 82, Z., S. 178. Vgl. auch oben S. 390.
9.1. Vier schwache Argumente für den Übergang zur Objektivität
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diesem wechselseitigen Konstituieren erhält. So ist eine Subjektivität ohne Objektivität sinnlos, wie es auch sinnlos ist, etwas als objektiv zu bezeichnen, ohne dass damit implizit Bezug auf Subjektivität genommen würde. Erst indem die Objektivität das nicht-subjektive ist und umgekehrt, erhalten die Kategorien ihren bestimmten Sinn. Doch stimmt es, dass sich beide nur durcheinander denken lassen? Hegels Konzeption scheint darauf abzuzielen, jedoch scheint vor allem der Grenzfall des Solipsismus einen möglichen Einwand darzustellen. Denn dieser behauptet, dass es keinerlei Objektivität geben müsse, sondern alles auf subjektivitätstheoretische Kategorien wie ‚Vorstellungsinhalt‘, ‚Gefühlsinhalt‘ et cetera reduziert werden könne. Der Solipsismus ist in der Tat ein hartnäckiges, philosophisches Problem, das seine Hartnäckigkeit den großen Schwierigkeiten verdankt, ihn zu widerlegen. Daher würde eine angemessene Diskussion zu weit führen, weshalb dieser Grenzfall als mögliches Gegenargument gegen Hegels Vermutung, in Subjektivität und Objektivität begriffslogisch-dihairetische Kategorien gefunden zu haben, akzeptiert werden muss. Einzig sei darauf hingewiesen, dass in einer der zumindest als paradigmatisch angesehenen Positionen für den Solipsismus, nämlich derjenigen von George Berkley,16 die Sphäre der Subjektivität ebenfalls ein Gegenüber benötigt, auch wenn dieses im göttlichen Geist besteht.17 Nun ist Hegels Verständnis der Subjektivität innerhalb der Logik aber ohnehin anders gelagert als das Verständnis von Subjektivität als mentalem Geschehen. So sind für den Begriff * vielmehr die Schlagwörter einer konkreten Totalität und eines selbstbegründeten Prinzips die Ausschlaggebenden. Und dass ein Prinzip nur darin besteht, etwas zu prinzipiieren, und zwar nicht ausschließlich sich selbst, scheint evident zu sein. Aber dennoch muss dieses Argument offenbleiben und kann nicht vollständig überzeugen, aber für eine makrodialektische Untersuchung wäre dieser Zusammenhang zu betrachten. Ad 4.: Ein weiteres Argument, das so von Hegel allerdings nur nebenbei berührt wird,18 schließt an das alltägliche Verständnis von Begrifflichkeit * an. Aber weil oben bereits Begrifflichkeit * als ‚auf etwas bezogen sein‘ interpretiert wurde, sei hier zumindest angeführt, dass Begrifflichkeit * eben so gedacht wird, dass sie sich auf etwas von ihr Unterschiedenes bezieht.19 Wenn also im ersten Teil der Begriffslogik die immanenten Bestimmungen von Begrifflichkeit * überhaupt expliziert werden, so wäre diese Explikation durchgestrichen, wenn nicht zugleich behandelt würde, dass es ein Bezugsobjekt für 16
Vgl. Berkeley, „Principles of Human Knowledge“, I, § 3, S. 25. Vgl. ebd., I, §§ 29–33, S. 36 f. 18 Siehe ebd., § 166, Z., S. 317 f.: „Das Subjekt gilt hierbei als draußen für sich bestehend und das Prädikat als in unserem Kopfe befindlich. Dieser Vorstellung widerspricht indes schon die Kopula „ist“. Wenn wir sagen: „diese Rose ist rot“, oder: „dieses Gemälde ist schön“, so ist damit ausgesprochen, daß wir es nicht sind, die es der Rose erst äußerlich antun, rot, oder dem Gemälde, schön zu sein, sondern daß dies die eigenen Bestimmungen dieser Gegenstände sind.“ 19 Vgl. Schäfer, „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, S. 245. Vgl. oben S. 390. 17
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
Begriffe geben muss, das selbst nicht ausschließlich den Charakter von Begrifflichkeit * aufweisen kann. Selbst wenn Begriffe sich ausschließlich auf andere Begriffe beziehen würden, so müsste doch eine Unterscheidung markiert werden, die zwischen sich beziehenden Begriffen und deren Objekten gezogen werden. Dass also der Bezug auf ein Unterschiedenes zur Begrifflichkeit * gehört, hat eine intuitive Plausibilität.
9.2 Der negative Beweis als Schlüssel zum Verständnis des Übergangs zur Objektivität Wie in der vorliegenden Arbeit angekündigt, soll hier der Vorschlag unterbreitet werden, dass der Übergang zur Objektivität als Teil eines negativen Beweises für den Begriff *, der das absolute Prinzip der Logik * und das letztbegründete Prinzip alles Denkens und Seins bildet, verständlich gemacht werden kann.20 Denn der negative Beweis stellt die einzig überzeugende Lösung des Regressproblems dar, mit dem Hegel in der Urteils- und Schlusslehre konfrontiert ist. Und da der Begriff * ohnehin qua Absolutheit einer Letztbegründung bedarf, die ebenfalls einen negativen Beweis verlangt, muss Hegel in der Begriffslogik einen solchen Beweis führen, da die Voraussetzunglosigkeit des Anfangs diesen Anspruch des Begriffs * nicht zu begründen vermag. Wie dieser Beweis zu denken ist und warum er sowohl den Übergang in die Objektivität als auch Hegels Behandlung des OGB erhellt, soll im Folgenden deutlicher hervortreten. Dieser Aspekt entspricht dabei dem oben genannten 5. Punkt und schließt an die Aufzählung des vorherigen Abschnitts an. Zunächst kann festgehalten werden, dass Hegel mit der WdL und genauer mit ihrem Prinzip, dem absoluten Begriff *, eine Letztbegründung intendiert. Das ist oben bereits diskutiert worden und wird von Hegel, etwa in der absoluten Idee *, überschwänglich verkündet: Die absolute Idee als der vernünftige Begriff, der in seiner Realität nur mit sich zusammen geht, ist um dieser Unmittelbarkeit seiner objektiven Identität willen einerseits die Rückkehr zum L e b e n; aber sie hat diese Form ihrer Unmittelbarkeit ebensosehr aufgehoben und den 20 Das spricht gegen das Resultat des Aufsatzes von Oberauer, „Begriff und Objektivität“, S. 117. Denn Oberauer meint, alle Möglichkeiten eines begründeten Übergangs ausschließen zu können. Der komplizierte Aufsatz scheint aber letztlich an der falschen Stelle für die Begründung des Übergangs zu suchen. Denn Oberauer will die Bestimmung der ‹Unbestimmtheit› in der Schlusslogik verorten, um dann einen deduktiven Grund für den Übergang zur Objektivität angeben zu können. Aus dem Scheitern dieser Argumentationsstrategie folgt aber nicht, dass es keine alternativen Möglichkeiten für Hegel geben kann, denn die Strategie ist nicht überzeugend. Oberauer kommt dem hier vertretenen Ansatz durch die Formulierung einer ‚Doppelexistenz des Begriffs‘ nahe, macht diese Formulierung dann aber nur unzureichend verständlich. Vgl. etwa ebd., S. 108 f.
9.2. Der negative Beweis als Schlüssel
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höchsten Gegensatz in sich. [. . . ] Alles Uebrige ist Irrthum, Trübheit, Meynung, Streben, Willkühr und Vergänglichkeit; die absolute Idee allein ist S e y n, unvergängliches L e b e n, s i c h w i s s e n d e Wa h r h e i t, und ist a l l e Wa h r h e i t.21
Dass Hegel in seiner ganzen Philosophie auf Letztbegründung baut und sich dementsprechend den höchsten Begründungsanforderungen unterstellt, ist oben etwa in der Kritik, die er sowohl an der kantischen Philosophie als auch an derjenigen, die er gegenüber der rationalistisichen Metaphysik vorbringt, gezeigt worden. Dabei verwendet Hegel anstelle des Ausdrucks ‚Letztbegründung‘ natürlich andere Formulierungen, etwa ‚absolut‘, ‚absolute Wahrheit‘, ‚absolute Notwendigkeit‘. In der vorliegenden Arbeit wurde zudem einer der rätselhaften Ausdrücke Hegels, die ‚vermittelte Unmittelbarkeit‘, als das hegelsche Äquivalent für absolute Wahrheit und vor allem für Letztbegründung interpretiert, auch wenn Hegel diesen Ausdruck freilich nicht einheitlich in diesem Sinn verwendet. Der Grund liegt aber darin, dass, während bloße Unmittelbarkeit oft ein für Wahr-halten/Sein-ohne-Gründe beschreibt, was Hegel immer als unhaltbar zurückweist, die Vermittlung oft mit Begründungsfunktionen enggeführt wird. Diese sind aber stets davon bedroht, in einen Begründungsregress zu verfallen und damit letztlich doch unbegründet zu bleiben. Vermittelte Unmittelbarkeit hingegen bezeichnet dann die Eigenschaft, bewiesen zu sein, und zwar derart, dass kein weiterer Begründungsbedarf aufkommt, also kurz: letztbegründet zu sein.22 Insofern wird deutlich, dass der Begriff *, wenn er absolut und wahr sein soll, auch in Hegels Augen eines Beweises bedarf. So verfolgt er zum Beispiel – wenn auch, wie gesehen, ohne Erfolg – das Letztbegründungsproblem durch die Schlusslehre. Weil dabei der Anfang der Logik den Wahrheitsanspruch nicht begründen kann, muss dieser am Ende der WdL geführt werden oder, knapp formuliert: ‚Das Wahre muss Resultat sein.‘ Und die Darstellung als Resultat antwortet auf die Forderung nach einem Beweis: Aber bei dem denkenden Betrachten gibt’s sich bald kund, daß dasselbe die Forderung in sich schließt, die Notwendigkeit seines Inhalts zu zeigen, sowohl das Sein schon als die Bestimmungen seiner Gegenstände zu beweisen.23
Das alleinige Darstellen von etwas als Resultat führt aber natürlich nicht zwangsläufig zu der angestrebten Wahrheit und Notwendigkeit. Daher muss zusätzlich 21
Hegel, WdL II, S. 236 (371 f.), Z. 8–20. Vgl. oben S. 202. Hegel verwendet die Terme ‚Vermittlung‘ und ‚Unmittelbarkeit‘ natürlich nicht immer in Verbindung mit Begründungsleistungen, sondern teils auch, um einfach auf Relationalität hinzuweisen. Ein Beispiel für die hier anvisierte Bedeutung, in welcher der Begriff * für eine abschließende Begründung steht, findet sich aber etwa: ebd., S. 224 f. (352), Z. 34–2 23 Hegel, Enz. I, § 1, S. 41. Beide Anforderungen, wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden sollte, verbindet Hegel mit der WdL und mit dem OGB. Dass die ‚denkende Betrachtung‘ die Philosophie meint, geht aus Folgendem hervor: ebd., § 2, S. 41: „Die Philosophie kann zunächst im allgemeinen als denkende Betrachtung der Gegenstände bestimmt werden.“ 22
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ein Beweis geführt werden, und dieser Beweis muss folglich eine spezifische Form annehmen. Denn da induktives ebenso wie deduktives Schließen keinen Ausweg aus dem bekannten Trilemma des Agrippas bieten, scheint ein negativer Beweis die einzige Möglichkeit zu sein, einen Begründungsregress zu beenden, indem zwar ein argumentativer Zirkel in Kauf genommen, dieser aber zugleich als notwendig dargestellt wird.24 Auch wenn Hegel nicht auf den indirekten Beweis reflektiert, ist es auffällig, dass er schon in der Genese seiner philosophischen Position Faszination für ontologische Strukturen zeigt, die ein Bei-sich-sein-im-Anderen bilden, wie etwa Leben, Liebe oder auch das Selbstbewusstsein. In der vorliegenden Arbeit wurde darüber hinaus gezeigt, dass die Struktur des negativen Beweises von Hegel als Kriterium für ‹absolute Notwendigkeit› angeführt wurde. ‹Absolut notwendig› ist nur dasjenige, was seine eigenen Bedingungen enthält, zugleich aber zeigt, dass es noch die Voraussetzung seiner Negation bildet und dass diese daher nicht konsistent behauptet oder – im hegelschen Kontext muss hinzugefügt werden – bestehen kann. Dass Hegel hier einen entscheidenden Punkt sieht, auch wenn er ihn nicht ausführlich diskutiert, wird deutlich, wenn man etwa in zeitgenössische Literatur blickt, die sich mit Letztbegründung beschäftigt. So findet sich etwa in V. Hösles einschlägiger Argumentation zur Letztbegründung die Anmerkung, dass die Letztbegründung zugleich ein Beweis für apagogische Beweise in der Philosophie sei.25 Dass für eine absolute Wahrheit ein negativer Beweis die via regia ist, zeigt auf interessante Weise B. Braßel durch eine Reflexion auf die Bedeutung absoluter Wahrheit.26 Denn absolute Wahrheit ist gerade deswegen ‚absolut‘, weil sie nicht unter kontingenten Bedingungen, sondern unter allen Bedingungen gilt. Gilt eine Wahrheit aber unter allen Bedingungen, so gilt sie auch unter der Bedingung, dass sie als falsch angenommen wird. Somit liegt im Falle absoluter Wahrheit immer ein Widerspruch in der Negation vor, der darin besteht, bereits die negierte, absolute Wahrheit vorauszusetzen. Gleiches gilt natürlich zudem besonders im Falle absoluter logischer Wahrheiten, die zudem in jeder Begründung und Argumentation bereits vorausgesetzt werden müssen.27 Diese Argumentation ist nun keinesfalls fremd an Hegel herangetragen, sondern findet sich exakt so in seinen Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, wie gleich deutlich werden wird.28 24 Vgl. Franks, All or Nothing. Franks stellt überzeugend die philosophischen Entwicklungen der kantischen und nachkantischen Philosophie als Umgangsweisen und Reaktionen auf das Begründungstrilemma dar. Leider lässt er Hegels WdL weitgehend außen vor. Dass der Gottesbeweis, der Hegel vorschwebt, eine Zirkelstruktur aufweist, betont auch: Lauer, „Hegel on Proofs for God’s Existence“, S. 464. 25 Vgl. Hösle, Die Krise der Gegenwart, S. 159–161. 26 Vgl. Braßel, Das Programm der idealen Logik, S. 126. 27 Vgl. Wandschneider, „Letztbegründung und Logik“, S. 84–88; vgl. auch Wandschneider, „Absolutes Wissen? Zu Hegels Projekt der Selbstbegründung einer absoluten Logik“, S. 90. 28 Vgl. das Zitat auf S. 508.
9.2. Der negative Beweis als Schlüssel
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Hegel selbst reflektiert den Selbstwiderspruch als Beweis des Absoluten in der Anmerkung 3 zu seiner Besprechung des ‹Widerspruches› in der Wesenslogik29 und bringt ihn mit dem Verständnis des für das Absolute adäquaten Seinsbegriffs in Verbindung. So schreibt Hegel: Die Wahrheit aber ist, daß darum weil das Endliche der an sich selbst widersprechende Gegensatz, weil es n i c h t i s t, das Absolute ist. In jenem Sinne lautet der Satz des Schlusses so: Das S e y n des Endlichen ist das S e y n des Absoluten; in diesem Sinne aber so: Das N i c h t s e y n des Endlichen ist das S e y n des Absoluten.30
In Anspielung auf den kosmologischen Gottesbeweis meint Hegel also, dass ein Widerspruch im Endlichen besteht, der notwendigerweise dazu führt, dass das Absolute als letzter Grund oder wahrhaft Unendliches anerkannt werden müsse. Dieser Widerspruch ist dabei natürlich, wie überhaupt für den negativen Beweis der Letztbegründung entscheidend, kein logisch-semantischer Widerspruch. Das Endliche ist nicht im Sinne von logischer Unmöglichkeit widersprüchlich, sondern in einem dialektisch-pragmatischen Sinn: Wenn alles endlich wäre, wäre das Endliche selbst die Kategorie, welche bedingungslos gültig wäre und mithin absolute Geltung besäße.31 Dem folgt im Übrigen auch, dass Hegel dem Widerspruch nicht das letzte Wort gibt, dieser also nicht wirklich signum veri, sondern nur ein notwendiger Schritt zum Wahren ist. Insofern ist Hegel also der Meinung, dass für die Bestimmung und den Beweis des Absoluten, des Begriffs *, eine Selbstaufhebung, ein Widerspruch in der Negation entscheidend ist. Diese Einsicht unterstreicht er zudem an wichtiger Stelle, nämlich der 13. Vorlesung32 in den Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes.33 In dieser Vorlesung, auf die einen Blick zu werfen sich lohnt, schließt Hegel an 29
Darauf hat bereits V. Hösle hingewiesen: vgl. Hösle, Hegels System, S. 192. Hegel, WdL I, S. #290 (83), Z. 4–7. 31 Ein solcher Widerspruch findet sich laut Hegel auf jeder Stufe der Kategorienenfaltung in der WdL, weshalb der KGB mit ganz verschiedenen Ausgangskategorien gebildet werden, also entweder beim Zufälligen, beim Verursachten, beim Unselbstständigen, Endlichen et cetera einsetzen kann. Siehe Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 419: „Diesen Fortgang der Begriffsbestimmung entwickelt die Logik in seiner Notwendigkeit. Jede Stufe, die er durchläuft, enthält insofern die Erhebung einer Kategorie der Endlichkeit in ihre Unendlichkeit; sie enthält also ebenso sehr von ihrem Ausgangspunkte aus einen metaphysischen Begriff von Gott, und indem diese Erhebung in ihrer Notwendigkeit gefasst ist, einen Beweis seines Seins, und ebenso führt sich das Übergehen der einen Stufe in ihre höhere durch als ein notwendiger Fortgang des konkreteren und tieferen Bestimmens, nicht nur als eine Reihe zufällig aufgelesener Begriffe, – und ein Fortgang zur ganz konkreten Wahrheit, zur vollkommenen Manifestation des Begriffs, zu der Ausgleichung jener seiner Manifestationen mit ihm selbst. Die Logik ist insofern metaphysische Theologie, welche die Evolution der Idee Gottes in dem Äther des reinen Gedankens betrachtet, so daß sie eigentlich derselben die an und für sich schlechthin selbstständig ist, nur zusieht.“ 32 Vgl. ebd., S. 460–470. 33 Auch das betont V. Hösle bereits. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 190–192. 30
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Jacobis Kritik an Beweisformen an, die Absolutes und absolute Notwendigkeit als Resultat haben sollen. Denn das Unbehagen, was sich in Verbindung mit solchen Gottesbeweisen immer wieder ergebe, sei, dass in einer deduktiven Beweisführung das zu Beweisende selbst als abhängig oder gar zufällig dargestellt werde, jedenfalls als relativ zu den jeweiligen Prämissen.34 Oder, im Anschluss an Jacobi formuliert: Im Beweis für das Unbedingte wird dieses unter Bedingungen gestellt, was ein offenkundiger Widerspruch ist.35 Diesen Einwand, allein durch den Beweisversuch werde konstitutiv das anvisierte Unbedingte, das absolut Notwendige, verfehlt, weist Hegel mit der klassischen Unterscheidung zwischen den ordo cognoscendi und ordo essendi zurück. Diese Unterscheidung ist unmittelbar einleuchtend und für das Verständnis des kosmologischen Beweises unabdingbar. Denn dieser zeigt nicht, dass Gott existiert, weil die zufällige Welt existiert, sondern dass Gott die notwendige Bedingung der Existenz der zufälligen Welt ist. Deswegen kann von der zufälligen Welt, welche die epistemische Bedingung des Beweisganges bildet, ausgegangen und auf Gott zurückgeschlossen werden, ohne dass damit eine ontologische Abhängigkeit formuliert wird. Überraschenderweise schließt Hegel seine Überlegungen zum Beweisproblem hinsichtlich des Absoluten aber nicht einfach mit dieser Unterscheidung, sondern scheint sich durch Jacobis Einwand tiefer herausgefordert zu sehen. Denn Hegel geht dem Verhältnis von Gegenstand des Beweis und den Beweismitteln weiter nach, wenn auch in der Umdeutung, dass durch die Beweismittel der Gegenstand des Beweises erkannt werden soll. Das heißt, Hegel fragt an Jacobi anschließend, ob denn die Trennung zwischen dem ordo cognoscendi und dem ordo essendi im Falle der Erkenntnis des absolut Notwendigen und so im Falle der Gottesbeweise aufrechterhalten werden kann: Das Erkennen ist endliches Tun, und solches Tun kann nicht Erfassen des AbsolutNotwendigen, des Unendlichen sein. Erkennen erfordert überhaupt, den Inhalt in sich zu haben, ihm zu folgen; das Erkennen, das den absolut notwendigen unendlichen Inhalt hat, müßte selbst absolut und unendlich sein.36
Diese verwirrende Argumentation Hegels führt vor folgende Frage: Ist Hegel also der Meinung, dass der KGB gestützt werden könne, indem zwischen ordo cognoscendi und ordo essendi unterschieden werde, aber im Falle von Gottesbeweisen dann eben doch nicht? Das wäre ein offenkundiger Widerspruch, weshalb Hegels Intention differenziert werden muss. Was Hegel wohl im Sinn hat, ist nicht, die Unterscheidung der beiden ordines zurückzunehmen, sondern auf den Sonderfall der Erkenntnis des Absoluten, Unendlichen und Gottes hinzuweisen. Denn in diesem Fall ist zu beachten, dass das Göttliche, Unendliche oder Absolute nicht 34 35 36
Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 461. Vgl. ebd., S. 461. Ebd., S. 462 f.
9.2. Der negative Beweis als Schlüssel
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völlig unabhängig von den Erkenntnisakten sein kann, die sich auf es richten. Denn da es zugleich Grund von allem sein soll, müssen diese Erkenntnisakte letztlich vom Absoluten oder Göttlichen selbst abhängen. Oder – in welchem Fall es am deutlichsten wird – das Unendliche kann nicht zugleich unendlich und gleichgültig gegenüber den Erkenntnisakten sein, die sich auf es richten. Denn um wahrhaft unendlich zu sein, muss es sich in diesen kontinuieren, wie analog zu Hegels Diskussion der Kategorien des ‹Endlichen›, ‹Schlecht-Unendlichen› und ‹wahrhaft Unendlichen› konstatiert werden muss. In nuce folgt aus Gesagtem, dass Hegel den Einwand Jacobis zum Anlass nimmt, nicht nur die zwei ordines zu unterscheiden und damit zu begründen, dass durch einen Gottesbeweis der Beweisgegenstand nicht zwangsläufig als ontologisch abhängig dargestellt wird. Sondern er sieht sich zudem mit der Frage konfrontiert, wie sich der Beweisgegenstand zum Beweis verhält. Das ist für alle übrigen Kontexte vielleicht irrelevant, aber im Fall eines Gottesbeweises, wie dargestellt, eben nicht. Denn in diesem Fall des letzten Grundes aller Wirklichkeit muss festgehalten werden, dass der ordo cognoscendi selbst ein Modus des ordo essendi ist und somit vom Absoluten abhängen muss. Das bedeutet aber, dass der Beweis seine Gültigkeit letztlich selbst im Bewiesenen finden muss: Gott selbst muss die Gültigkeit eines Gottesbeweises gewährleisten. Und weil Gottesbeweis und der Beweis des Absoluten in eins fallen, sieht sich Hegel so vor die Anforderung gestellt, mit seiner Philosophie nicht nur eine Letztbegründung, sondern diese zugleich als Selbstbegründung des Absoluten zu erreichen. In dieser Selbstbegründung müssen also die Beweismittel und das Bewiesene eine Einheit bilden.37 Nun reflektiert Hegel nicht nur in den genannten Vorlesungen auf dieses Verhältnis, sondern konzipiert die WdL, seine Abhandlung des Absoluten und damit des philosophischen Gottesbegriffes, genau nach dieser Maßgabe. Denn weil schon Beweisen ein logisches Verhältnis ist, müssen in der Beweis und Beweisgegenstand zusammen abgehandelt werden. Diese Einheit von Inhalt und Methode ist also durch den Anspruch auf Absolutheit erzwungen. Dass der Begriff * seine Selbstbegündung ist, hebt Hegel sogar noch deutlicher hervor, wenn er diesen in theologischem Vokabular der philosophischen Theologie erläutert. Denn noch in der Vorstellung von Gott wird die Selbstvermittlung, die den Begriff * ausmacht, bewahrt: Gott ist Tätigkeit, freie, sich auf sich selbst beziehende, bei sich bleibende Tätigkeit; es ist die Grundbestimmung in dem Begriffe oder auch in aller Vorstellung Gottes, er selbst zu sein, als Vermittlung seiner mit sich.38 37 Vgl. Sans, Die Realisierung des Begriffs, S. 205, der darauf hinweist, dass Hegel den OGB mit der ‚Aufhebung der Vermittlung‘ in der Wesenslogik verbindet und klar sieht, dass für Hegel daraus die Selbstreflexivität der Begründung folgt: „Solange die Vermittlung nicht als etwas in der Sache selbst Gelegenes erkannt wird, bleibt der Beweis wertlos.“ 38 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 368.
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Und nimmt man nun die genannten drei Punkte zusammen, Letztbegründung, Selbstbegründung und den ‚negativen Beweis‘ als adäquate Beweisform, so ergibt sich, dass der Begriff * selbst seinen negativen Beweis bilden muss.39 In der 13. Vorlesung aus den Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes kommt Hegel nun von diesen Überlegungen nochmals darauf zu fragen, was denn in Anbetracht der besonderen Anforderung, dass der Beweisgang und der Beweisgegenstand im Falle eines Gottesbeweises nicht streng getrennt werden kann, die angemessene Beweisform wäre. Denn durch den Zusammenhang des AbsolutNotwendigen mit der adäquaten Beweisform ist es eminent wichtig, nach Letzterer zu fragen. Und Hegel weist sofort deduktive Schlüsse als ungeeignet zurück, da sie nicht voraussetzungslos gültig sind und daher nicht als Selbstbeweis infrage kommen.40 Und, wie in der vorliegenden Arbeit für die ‹absolute Notwendigkeit› ausgeführt, betont Hegel, dass diese nur in einem negativen Beweis aufgewiesen werden könne: Die in sich schlechthin eine Bestimmung, welche in jenem Satze die beiden Unterschiedenen zusammen ausmachen, ist das Absolut-Notwendige, dessen Namen sogleich es als das Einzige was wahrhaft ist, als die einzige Wirklichkeit ausspricht; [von] dessen Begriff haben wir gesehen, daß er die in sich zurückgehende Vermittlung, die Vermittlung nur mit sich durch das Andere, von ihm Unterschiedene [ist], das eben in dem Einen, dem Absolut-Notwendigen, aufgehoben, als Seiendes negiert, nur als Ideelles aufbewahrt ist. 41
Und dieser negative Beweis ist im Wesen des ‹absolut Notwendigen› begründet, weil dieses eben auch unter den Bedingungen seiner Negation wahr ist, sich als wahr erweist. Die Wahrheit ist eine solche Macht, daß sie auch am Falschen vorhanden ist und es nur einer richtigen Bemerkung oder Hinsehens bedarf, um das Wahre an dem Falschen selbst zu finden oder vielmehr zu sehen. Das Wahre ist hier die Vermittlung mit sich durch die Negation des Anderen und der Vermittlung durch Anderes; die Negation ebenso wohl der Vermittlung durch Anderes als auch der abstrakte, vermittlungslosen Unmittelbarkeit ist in jenem „Also ist“ vorhanden.42
Es kann also sein, auch wenn Hegel in der Begriffslogik nicht explizit auf den negativen Beweis reflektiert, dass es in seinem Sinn ist, dass der Begriff * und damit der philosophische Gottesbegriff die Form eines negativen Beweises verlangt, denn nur diese Form vermag den Anspruch auf Letztbegründung einzulösen: Wenn die WdL also eine letztbegründete – und nur so kann sie auch eine voraussetzungslose sein – 39 Das Gesagte streicht natürlich nicht durch, dass es verschiedene genetische Bedingungen und Weisen geben kann – also einen ordo cognoscendi –, zur Erkenntnis des Absoluten zu kommen. Aber letztlich müssen sie, so zumindest Hegels Projekt, in und mit der WdL ihren Geltungsanspruch einlösen. 40 Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 463. 41 Ebd., S. 464. 42 Ebd., S. 466.
9.2. Der negative Beweis als Schlüssel
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Theorie sein soll, so benötigt Hegel einen negativen Beweis. Und die hier vertretene These, welche den Übergang zur Objektivität erhellen und plausibel machen soll, ist, dass die Begriffslogik aus diesem Grund der Struktur eines negativen Beweises folgt. Der dritte Teil der Logik bildet, so der Vorschlag, insgesamt einen negativen Beweis und damit die Letztbegründung des Prinzips der Logik, des Begriffs *. Warum sollte nun die Begriffslogik insgesamt die Struktur eines negativen Beweises besitzen? Nun, es ist gezeigt worden, dass die Begriffslogik insgesamt ihre Einheit darin hat, die Entwicklung des Begriffs * darzustellen. Und daher obliegt es ihr, den Begriff * darzustellen und zu begründen. Das ist etwa oben anhand ihres Methodenbegriffs ‚Entwicklung‘ erläutert worden. Zudem geht auch aus dem Hegel-Text hervor, dass alle Bestimmungen und Entwicklungen innerhalb der subjektiven Logik zum Begriff * gehören. So sieht Hegel die Objektivität als die Stufe, in welcher der Begriff * versenkt sei, und die Idee * ist schließlich, wie Hegel in obigem Zitat43 anführt, der ‚vernünftige Begriff *‘, das heißt der Begriff *, dessen Geltung sich in der Objektivität kontinuiert hat. Zudem ist in der Diskussion des Anfangsproblems gezeigt worden, dass die die Begründung des Projekts durch das Ende der WdL geleistet werden muss.44 Nun ist dieses Finale nicht nur die letzte Bestimmung der Begriffslogik, auch wenn der absoluten Idee * eine eminente Bedeutung zukommt, sondern die ganze Begriffslogik bildet das finale Thema der Logik. Daraus folgt also, dass die Begriffslogik, weil sie die Explikation und damit auch der Beweis des Begriffs * – der sich selbst beweisen muss – ist, selbst die Form eines negativen Beweises haben muss. Daher muss ihre Struktur wie folgt verstanden werden: Während der erste Abschnitt unter dem Titel Subjektivität den Begriff * immanent als Totalität von Bestimmungen analysiert und dessen Explikationsbedingungen, das Urteil und den Schluss, betrachtet, ist die Objektivität die Negation des Begriffs *, die zum Zweck des negativen Beweises notwendig ist. Der negative Beweis liegt dann im Fortgang, dass sich in der genaueren Analyse der Bestimmungen der Objektivität zeigt, dass sie eigentlich durch den Begriff * bestimmt ist, beziehungsweise notwendig die Bestimmungen des Begriffs * voraussetzt. Die Funktion der Idee * ist dann schließlich explizit ontologische Formen festzuhalten, wie diese Struktur des Begriffs *, der in seinem Andern bei sich selbst ist, verwirklicht ist. Dafür ist zunächst festzuhalten, dass der Begriff * im ersten Abschnitt, der Subjektivität, nicht bewiesen, sondern immanent untersucht wird. Thematisch sind einzig die Bestimmungen, die als Totalitäten alle im Grunde der ganze Begriff * sind, wie Hegel betont.45 Denn dass Hegel vergeblich mit dem Problem eines abschließenden Beweises der Begriffsmomente in der Schlusslehre ringt, wurde oben bereits besprochen.46 Der Grund ist, dass eine bloß zirkuläre Begründung aller Begriffs43 44 45 46
Vgl. das Zitat oben auf S. 502. Vgl. oben Abschnitt 6.1. Vgl. Hegel, Enz. I, § 160, S. 307. Vgl. oben Abschnitt 8.2.3.
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momente durcheinander, etwa durch drei Syllogismen, wie Hegel es im Schluss des Daseins konzipiert, auf eine bloße Tautologie hinausläuft. Und der disjunktive Schluss mag gegebenenfalls eine vollständige Disjunktion in die Prämissen aufnehmen, analog zur Totalität des Begriffs *, aber das schützt ihn keineswegs vor den skeptischen Nachfragen, warum die Disjunktion akzeptiert werden solle und auf welcher Rechtfertigungsbasis die Prämissen zu stehen kämen. Entzieht man sich diesen skeptischen Fragen, indem man einwendet, dass sie sich im Falle des inhaltsreichen und metaphysisch gehaltvollen Begriffs * nicht ergeben können, so bedeutet dieser Einwand allerdings nur, dass für die Schlüsse alles Entscheidende vorausgesetzt wird. Wie aber diese Voraussetzung eigentlich gerechtfertigt werden kann, bleibt dunkel – denn zu untersuchen, wie die Voraussetzungen und Prämissen, welche die Gültigkeit einer Konklusion versichern, bewiesen werden können, bildet ja den untergründigen Strom der Schlusslehre, der die Untersuchung zu den jeweils nächsten Schlussarten fortträgt. Somit ist das Problem des Beweises des Begriffs * als letztes Prinzip nicht durch den Abschnitt Subjektivität gelöst. Im Übrigen fände dieser Beweis auch nicht schon statt, wenn am Ende der Schlusslehre der negative Beweis als die Lösung des Problems der Prämissenbegründung untersucht und besprochen würde. Denn es ist ein Unterschied, ob die Beweisform besprochen oder der Beweis für den Begriff * auch durchgeführt wird. Letzteres würde als Desiderat bestehen, auch wenn durch die Behandlung mehr Klarheit über die Form des Beweises des Begriffs * erlangt wäre. Diese Behandlung des negativen Beweises am Ende der Schlusslehre hätte eine gewisse Plausibilität, da die Objektivität dann etwa als die Durchführung und Explikation des erst Geforderten erschiene. Allerdings wäre auch eine Behandlung in der konklusiven Methodenbetrachtung im Rahmen der absoluten Idee * plausibel – aber die genaue Verortung der Thematisierung des negativen Beweises muss hier nicht entschieden werden. Völlig unplausibel erscheint mir hingegen die Umdeutung, die oben bereits kritisiert wurde,47 die Hegel am Ende der Schlusslogik vorzunehmen scheint, nämlich, dass bereits die Urteils- und Schlusslehre die Andersheit des Begriffs * darstellen und dieser im Schluss der Notwendigkeit wieder zu sich zurückkehrt. Es ist offensichtlich, dass im Urteil und im Schluss die Begriffsmomente und damit nichts anderes als der Begriff * selbst untersucht werden. So bildet das Urteil keine Negation des Begriffs *, sondern ist nach Hegels Metapher das „u r s p r ü n g l i c h e [ n ] T h e i l e n des B e g r i f f e s“48 und daher keine wirkliche Negation, sondern Explikationsund Darstellungsversuch der Relationen der Begriffsmomente. Und dass es bei einer immanenten Betrachtung des Begriffs * bleibt, unterstreicht, wie gesagt, auch, dass Hegel den Abschnitt insgesamt unter den Titel Subjektivität stellt. 47 48
Vgl. oben Abschnitt 9.1. Hegel, WdL II, S. 57 (78), Z. 13.
9.2. Der negative Beweis als Schlüssel
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Daher folgt also, dass der negative Beweis nicht im ersten Abschnitt der Begriffslogik bereits geleistet wird. Stattdessen ist, wie oben gesagt, deren ganze Struktur als negativer Beweis konzipiert. Dadurch erhält die Objektivität ihre Stellung innerhalb der Begriffslogik, und der Übergang bildet einen notwendigen und folgerichtigen Schritt innerhalb dieser. Nachdem also mit der immanenten Untersuchung des Begriffs * das Beweisziel dargestellt wurde, muss anschließend die Negation des Begriffs * für den angestrebten negativen Beweis analysiert werden. Während nun der erste Abschnitt der Begriffslogik die Analyse des Prinzips darstellt, so, dem hiesigen Interpretationsvorschlag folgend, bildet die Objektivität den Schritt der versuchsweisen Negation und der Untersuchung dieser Negation des Begriffs *. Dieser Schritt gehört notwendig zum Begriff *, insofern diesem der Status eines letzten Prinzips zukommen soll. Indem aber der Begriff * am Ende der Schlusslehre in allen seinen Bestandteilen und deren Zusammengehörigkeit, mithin als ‹Einzelner› und als eine Totalität, thematisierbar wird, steht nicht nur seine immanente Struktur, sondern auch sein Begründungsstatus als Frage im Raum. Und dieser wird, der Struktur des negativen Beweises folgend, geprüft, indem seine Negation angenommen und untersucht wird.49 Die Untersuchung und Analyse der Objektivität muss nun, wenn der Begriff * zu Recht als absoluter gelten soll, zeigen, dass sie auf dem Begriff * und damit den logischen Kategorien beruht, also diese voraussetzt. Zunächst müssen daher in der ersten Form der Objektivität, im ‹Mechanismus›, hauptsächlich seinslogische Kategorien und Verhältnisse gedacht werden – wenn auch nicht ausschließlich, denn Hegel weist etwa darauf hin, dass im ‹absoluten Mechanismus› ein Schluss gedacht wird.50 Der ‹Chemismus› ist dann durch ein „Reflexionsverhältnis“51 gekennzeichnet. Und schließlich zeigt sich in der ‹Teleologie›, dass die Objektivität letztlich durch den Begriff * bestimmt ist, auch wenn dadurch der Eigencharakter der Objektivität nicht verloren geht.52 Und dieses komplexe Verhältnis von wechselseitiger Entgegensetzung und dialektisch-pragmatischer Identität, also der Sachverhalt, dass die Objektivität als durch begriffliche * Verhältnisse bestimmt verstanden werden muss, wird dann in der 49 Das ist die präzisere Bedeutung der Struktur des Unendlichen, die Lauer zu fassen sucht. Vgl. Lauer, „Hegel on Proofs for God’s Existence“, S. 451. 50 Vgl. Hegel, Enz. I, § 198, S. 355. 51 Ebd., § 202, S. 358. 52 Siehe ebd., § 204, S. 359: „Der Zweck ist der in freie Existenz getretene, für-sich-seiende Begriff, vermittels der Negation der unmittelbaren Objektivität. Er ist als subjektiv bestimmt, indem diese Negation zunächst abstrakt ist und daher vorerst die Objektivität auch nur gegenübersteht. Diese Bestimmtheit der Subjektivität ist aber gegen die Totalität des Begriffs einseitig, und zwar für ihn selbst, indem alle Bestimmtheit in ihm sich als aufgehobene gesetzt hat. So ist auch für ihn das vorausgesetzte Objekt nur eine ideelle, an sich nichtige Realität. Als dieser Widerspruch seiner Identität mit sich gegen die in ihm gesetzte Negation und Gegensatz ist er selbst das Aufheben, die Tätigkeit, den Gegensatz so zu negieren, daß er ihn identisch mit sich setzt.“
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
Idee * expliziert.53 Diese behandelt nämlich verschiedene Formen, wie sich die Entgegensetzung zweier Seiten, der Subjektivität und Objektivität, und zugleich ihre Bezogenheit und Zusammengehörigkeit denken lässt. Unter dem Titel ‹Leben› fasst Hegel daher eine innerlich und als Totalität bestimmte Organisation eines Organismus – der daher die Bestimmungen der Subjektivität aufweist –, der aber nur bestehen und fortbestehen kann, indem er sich mit seinem Äußeren, der Umwelt – seiner Objektivität – austauscht und auf diese übergreift. Insofern im Metabolismus also ein Austausch besteht, ist die Umwelt schon auf das Lebewesen bezogen – es ermöglicht diese Form der Organisation – und das Lebewesen erhält sich in dem Austausch mit seinem Anderen. In der ‹Idee * des Erkennens› und der ‹Idee * des Guten› stehen sich dann die beiden entgegengesetzten Sphären nicht mehr gegenüber, sondern es wird im ‹Erkennen› ein Objekt begrifflich * gefasst, somit in den Begriff * aufgenommen und so kommen Objekt und Begriff im Falle der gelingenden Erkenntnis zur Deckung. Umgekehrt ist das Objekt bereits in der Intention, in der ‹Idee * des Guten› vorhanden, weshalb es ebenfalls in der Verwirklichung von Handlungsintentionen zu einer Übereinstimmung zwischen dem Handlungsresultat, einem Objekt, und den subjektiven Intentionen der Handlung kommt. Schließlich soll die absolute Idee * in Form der Methodenreflexion der WdL zeigen, dass die Methode und ihr Inhalt, ihr Gegenstand, im Falle der Logik identisch sind, ohne deswegen nicht auf bestimmten Stufen differenziert werden zu können. Insofern ist der Interpretationsvorschlag der vorliegenden Arbeit, wie hier argumentiert, dass der Übergang zur Objektivität als Schritt innerhalb des negativen Beweises verstanden werden muss, der für den Begriff * notwendig ist. Denn nur durch den negativen Beweis ist der Begriff * als vermittelte Unmittelbarkeit und damit als absolut darstellbar. Da die Begriffslogik im Ganzen als Darstellung des Begriffs * fungiert, folgt sie der Struktur eines negativen Beweises. Und die Objektivität übernimmt dabei den entscheidenden Schritt, die Unabstrahierbarkeit vom Begriff * nachzuweisen, indem sie sich diesem zwar entgegensetzt, aber letztlich doch durch den Begriff * bestimmt ist. So wird dieser verständlich als sich kontinuierend oder als in seinem Anderen bei sich selbst seiend. Und so schreibt Hegel am Ende der Objektivität: Nachdem wir nun die S u b j e c t i v i t ä t, das F ü r s i c h s e y n des Begriffes, in das A n s i c h s e y n desselben, die O b j e c t i v i t ä t übergehen gesehen, so hat sich ferner in der letztern die Negativität seines Fürsichseyns wieder hervorgethan; der Begriff hat sich in ihr so bestimmt, daß seine B e s o n d e r h e i t ä u s s e r l i c h e O b j e k t i v i t ä t ist, oder als die einfache concrete Einheit, deren Aeusserlichkeit ihre Selbstbestimmung ist. [. . . ] Diese Identität ist einerseits der einfache Begriff, und eben so u n m i t t e l b a r e Objectivität, aber andererseits gleich wesentlich Ve r m i t t l u n g, und nur durch sie, als sich selbst aufhebende 53 Siehe ebd., § 213, S. 367: „Die Idee ist das Wahre an und für sich, die absolute Einheit des Begriffs und der Objektivität.“
9.2. Der negative Beweis als Schlüssel
513
Vermittlung, jene einfache Unmittelbarkeit; so ist er wesentlich diß, als fürsichseyende Identität von seiner a n s i c h s e ye n d e n Objektivität unterschieden zu seyn, und dadurch Aeusserlichkeit zu haben, aber in dieser äusserlichen Totalität die selbstbestimmende Identität derselben zu seyn. So ist der Begriff nun d i e I d e e.54
Nun stellen sich aber an die vorliegende Interpretation anschließende Fragen. Denn zum einen ist die Form von ontologischer Alterität oder Entgegensetzung, die zwischen Subjektivität und Objektivität besteht, bei Hegel im Rahmen einer Ontologie verstanden und mutet deswegen ganz anders an als die Negation von bestimmten Propositionen, wie man es von den negativen Beweisen, etwa aus der Letztbegründungsdebatte kennt. Zum anderen scheint in der vorliegenden Arbeit bereits der zweite negative Beweis für die WdL in Anschlag gebracht worden zu sein. Denn es wurde ebenso argumentiert, dass der Anfang der Logik als Abstraktionsversuch verstanden werden muss. In der Kategorie, die vom Begriff * möglichst vollständig abstrahiert, sollte, so wurde argumentiert, dann nachgewiesen werden, dass sie doch nur als Bestandteil von Begrifflichkeit * verstanden werden kann, wodurch die Kategorienentwicklung der Logik überhaupt in Gang gesetzt wird. Und nun ist für die Begriffslogik ein zweiter negativer Beweis, ebenfalls für den Begriff * als Prinzip der Logik, vorgeschlagen worden. Daher stellt sich die Frage, wie beide Interpretationen sich zueinander verhalten. Beide Fragen sollen im Folgenden noch erhellt werden. Zwei Interpretationen des negativen Beweises In Fällen von negativen Beweisen liegt es nahe, nach dem Sinn und der Bedeutung derjenigen Propositionen zu fragen, die sich als inkonsistent erweisen sollen.55 Denn das Gegenteil der Letztbegründung kann nicht bedeutungslos sein, wie etwa eine logische widersprüchliche Aussage. Wie kann sie aber genauer verstanden werden? Es lassen sich nun mindestens zwei Weisen unterscheiden, den Propositionen Gehalt zu zusprechen, obwohl sie schließlich als notwendig falsch erwiesen werden, die hier als a) leibnizsche Interpretation und b) als aristotelische Interpretation bezeichnet werden sollen. Diese beiden Interpretationen stützen sich auf verschiedene Konzeptionen der Möglichkeit der falschen Proposition. Die Modallogik und speziell die Semantik möglicher Welten bieten sich nun an, um die Verwendung von sinnvollen Propositionen, die aber dennoch zu einem dialektischen Selbstwiderspruch führen, zu erläutern. Dass hier überhaupt ein Klärungsbedarf besteht, lässt sich schnell an einem Beispiel verdeutlichen. Der Satz ‚Es gibt synthetische Sätze a priori‘ kann letztbegründet werden, was impliziert, dass er notwendig ist. Nun ist er aber offensichtlich nicht logisch notwendig, das heißt, seine Wahrheit ergibt sich nicht schon aus seinen Bedeutungsbestandteilen. Oder umgekehrt: Die Negation des 54
Hegel, WdL II, S. 172 (265 f.), Z. 3–17. C. G. Martin etwa richtet diese Frage an Hösles Letztbegründung und sieht darin einen gewichtigen Kritikpunkt. Vgl. Martin, Ontologie der Selbstbestimmung, S. 26 f., Fn. 5. 55
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
Satzes ist nicht logisch widersprüchlich. Ist sie aber nicht logisch unmöglich, ist sie zwangsläufig logisch möglich – somit wäre der letztbegründete Satz nicht notwendig. Doch Letzteres wäre voreilig, denn es lassen sich verschiedene Formen von Notwendigkeit unterscheiden. So kann es natürlich logisch möglich sein, dass ich heute zur Arbeit schwebe. Zugleich handelt es sich um eine naturgesetzliche oder nomologische Unmöglichkeit. Insofern ist eine Differenzierung zwischen logisch Möglichem und zugleich notwendig Falschem durchaus bekannt. Jedoch sind letztbegründete Sätze sicher auch nicht aufgrund von Naturgesetzen wahr. Auf den Umstand, dass weder logische noch naturgesetzliche Modalbegriffe für ‹absolute Wahrheit› im Sinne Hegels oder im Sinne von letztbegründeten Propositionen in Anschlag gebracht werden können, wurde bereits durch die Differenzierung des Widerspruchs in ihrem negativen Beweis hingewiesen. Denn dieser liegt offenbar weder in der Semantik noch in Naturgesetzen begründet, sondern verlangt nach einem Dritten – einer transzendentalen oder logisch-metaphysischen Modalität. Der Widerspruch, der sich in der Negation einer letztbegründeten Proposition ergibt, ließe sich dann zum Beispiel so verstehen, dass es sich um eine logisch mögliche, aber transzendental unmögliche Proposition handle. Doch es ist eben eine Frage, ob sie als logische Möglichkeit verstanden werden muss und soll, wie es in der hier als leibnizsche Interpretation bezeichneten vertreten wird. Für die Skizze der leibnizschen Interpretation (a) ist der umrissene Unterschied zwischen logischer und transzendentaler Modalität zentral: Während Aussagen, wie ‚Es gibt keine synthetischen Sätze a priori‘ zwar logisch möglich sind, sind sie transzendentallogisch unmöglich. Das heißt, dass die Menge der logisch möglichen Welten größer ist, als die Menge transzendentallogisch möglicher Welten. Somit hat die Aussage zwar einen logischen Gehalt, ist aber zugleich als unmöglich zu verwerfen. Entscheidend für diese Interpretation ist es, den Unterschied der logischen und transzendentallogischen Möglichkeit zu spezifizieren. Es lässt sich jedoch festhalten, dass Hegel von dieser Interpretation Abstand genommen hat, weil er den Begriff ‹logischer Möglichkeit›, wie oben gesehen, für zu weit hält, um tatsächliche Erkenntnis daraus zu erzielen. Dementsprechend versucht Hegel in der Logik unter der Überschrift formelle Möglichkeit zu zeigen, dass die Axiome der ‹logischen Modalität› nicht hinreichen, um die Modalbegriffe zu unterscheiden und sinnvoll verwenden zu können. Daher wählt Hegel einen anderen Ansatz, um die Entgegensetzung zur absoluten Wahrheit zu erklären. Diese aristotelische Interpretation (b) beruht auf folgenden Pfeilern, die für ihr Verständnis unerlässlich sind: 1. Die WdL ist von Beginn an als Ontologie zu verstehen, und das nicht nur, weil sie die Kategorie ‹Sein› sowie eine Reihe anderer Existenzbegriffe umfasst. Sie ist vor allem deswegen als Ontologie zu verstehen, weil andernfalls als das Seiende etwas Nicht-Denkbares gedacht werden müsste. Da die Logik zudem die Lehre des richtigen Denkens ist, beinhaltet sie des Weiteren die Kategorien, die für alles
9.2. Der negative Beweis als Schlüssel
515
Wissen und Erklären notwendig sind. Dafür ist oben ausführlich argumentiert worden, besonders in der Widerlegung von B. Stroud’s Kritik an der Geltung transzendentaler Argumente.56 2. Die WdL ist aber nicht nur Ontologie, sie ist vor allem eine selbstbezügliche Ontologie, die ihre eigene Methode, ihr eigenes Prinzip mitenthält. Unter Maßgaben der Selbstbegründung einer zugleich ontologisch verstandenen Kategorienentwicklung ist aber der negative Beweis unter bestimmten Vorzeichen zu denken. Und diese äußern sich besonders darin, dass die Kategorienentwicklung selbst die Form eines negativen Beweises annimmt, wie zu zeigen versucht wurde. Die aristotelische Interpretation besteht also darin, dass der Negation der Letztbegründung – oder im Falle Hegels: des absoluten Prinzips – eine ontologische Valenz zuerkannt wird, die allerdings zugleich mangelnde Selbstständigkeit, Endlichkeit und daher eigentlich Bestimmtsein durch den Begriff * impliziert. Daher werden in der Entgegensetzung zum Begriff *, der Objektivität, nicht bloß formallogische Möglichkeiten durchdacht, sondern ontologische Formen, die der konkreten Totalität und Selbstständigkeit und der wechselseitigen Bezogenheit aller Glieder entgegengesetzt sind. Dass diese letztlich durch den Begriff * bestimmt sind und dieser folglich auch noch seine Entgegensetzung ausmacht, bedeutet dann seine Absolutheit. So schreibt Hegel: Hier wird dagegen vom Begriff ausgegangen und übergegangen zum Sein. Beides ist notwendig, und diese Einheit aufzuzeigen, ist notwendig, indem man sowohl von einem ausgeht, als auch vom andern, denn die Identität beider ist das Wahrhafte. Sowohl der Begriff als auch das Sein, die Welt, das Endliche, beides sind einseitige Bestimmungen, deren jede in die andere umschlägt und sich zeigt, einmal unselbständiges Moment zu sein und zweitens die andere Bestimmung, welche sie in sich trägt zu produzieren. Nur in der Idee ist ihre Wahrheit, d. h. beide sind als Gesetzte; keines von beiden muß nur die Bestimmung haben, ein Anfangendes, Ursprüngliches zu bleiben, sondern muß sich darstellen als übergehend ins andere, d. h. muß als Gesetztes sein.57
Ein Einwand: Der negative Beweis in der objektiven Logik und in der Begriffslogik Wie oben beschrieben, ist der negative Beweis in der Interpretation der hegelschen Logik doppelt angeführt worden. Denn schon die objektive Logik lässt sich als negativer Beweis für den Begriff * verstehen. Dieser wurde in der vorliegenden Arbeit dazu herangezogen, den Anfang der Logik verständlich zu machen. Wenn nun innerhalb der Begriffslogik der negative Beweis erneut auftritt, ist das daher verwunderlich. Denn wenn bereits ein Beweis für den absoluten Begriff * geführt ist, scheint der zweite Beweis eine Art Misstrauen in den ersten auszudrücken. Warum kommt es also zu dieser Doppelung? Wie lässt sich verstehen, dass in der 56 57
Vgl. oben Abschnitt 4.1.1. Hegel, VPR II, S. 206. Vgl. Hegel, VPR. Die vollendete Religion, S. 110 (183 f.).
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
Begriffslogik die Struktur des negativen Beweises erneut aufgegriffen wird und der Begriff selbst durch einen negativen Beweis geführt wird? Nun soll hier vertreten werden, dass es tatsächlich zwei negative Beweise innerhalb der WdL gibt, die allerdings unterschiedliche Funktionen erfüllen: 1. Die objektive Logik lässt sich insgesamt als ein negativer Beweis verstehen, dessen Funktion darin liegt, die notwendigen Bedeutungsbestandteile, das An sich des Begriffs *, herzuleiten. Damit solle er das kategoriale Netz, welches zugleich mit dem absoluten Begriff * angenommen wird, aufspannen. Dieser negative Beweis kann daher als begriffsbestimmender Beweis bezeichnet werden. Durch diesen wird also gezeigt, welche logischen Kategorien zur Totalität des Begriffs * gehören. Dass es in diesem um Angabe der Bedeutung und der vorpropositionalen Bestandteile des Absoluten geht, verweist auch auf den Konsistenzbeweis, den Hegel mit der WdL für den philosophisch-theologischen Grundbegriff, den göttlichen Begriff *, zu führen beansprucht. Diese Argumentation Hegels hat einen Teil der vorliegenden Arbeit ausgemacht.58 Auch wenn Hegel nicht explizit darauf verweist, so ist in der vorliegenden Arbeit der Gottesbeweis aus den ewigen Wahrheiten, den Leibniz nennt, als parallele Argumentation genannt worden: Durch den Aufweis der vollständigen und konsistenten Menge aller ewigen Wahrheiten – der logischen Kategorien als Definitionen des Absoluten – ist zugleich ein Gottesbeweis geleistet. Dieser ist in der WdL der begriffsbestimmende Beweis, wie der absolute Begriff * gedacht werden muss. Für diesen Beweis wird mit der abstraktesten Kategorie, dem ‹Sein›, begonnen. Das bedeutet, soweit es geht, von aller Begrifflichkeit *, den Bestimmungsverhältnissen et cetera zu abstrahieren, um dann festzustellen, dass begriffliche * Verhältnisse immer schon implizit vorhanden sind. Deswegen kann Hegel dann in der Begriffslogik schreiben, dass der Begriff * natürlich schon in der Seinslogik bestimmend gewesen sei. Wobei man allerdings anmerken muss, dass er gerade nicht explizit als Mittel des Beweises genutzt werden durfte, um die dialektisch-pragmatische Art seines Vorausgesetztseins nicht zu verdunkeln. Indem die Kategorienentfaltung dann vom ‹Sein› bis zum Begriff * führt, ist die Unmöglichkeit, vom Begriff * zu abstrahieren, bewiesen, und zugleich sind seine notwendigen Implikationen und Voraussetzungen abgeleitet, mit denen er zusammen verstanden werden muss. 2. Jedoch wurde nun zur Interpretation der Struktur der Begriffslogik und zum Verständnis des Übergangs zur Objektivität ebenfalls auf den negativen Beweis verwiesen. Warum das? Wenn nun ein zweiter negativer Beweis innerhalb der Begriffslogik notwendig ist, so muss der begriffsbestimmende Beweis in gewisser Hinsicht mangelhaft sein. Worin besteht dieser Mangel? Meines Erachtens kann hierzu Folgendes festgehalten werden: 2.1. Dieser erste negative Beweis ist insofern in Hegels Augen unterbestimmt, als dass der Begriff * immer nur implizit 58
Vgl. oben Abschnitt 5.
9.2. Der negative Beweis als Schlüssel
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vorausgesetzt wird, als An-sich-sein, aber erst Schritt für Schritt, in der Ableitung, deutlicher wird, worum es sich eigentlich handelt. Vollständige Klarheit für einen negativen Beweis ist hingegen gewonnen, wenn dasjenige, was negativ zu beweisen ist, zuvor bereits inhaltlich verstanden und begriffen werden kann, um dann in einem negativen Beweis, also in der eigenen Negation, als Voraussetzung aufgezeigt zu werden. Dieses leistet allerdings erst die Begriffslogik. Denn in dieser ist die Bedeutung des Begriffs * so weit geklärt, als dass sowohl die objektive Logik als zu ihm gehörig, als durch ihn bestimmt, verstanden wird als auch die immanente Struktur der Begriffsbestimmung und die Explikation der Begriffsbestimmungen im ersten Abschnitt, der Subjektivität, abgehandelt werden. 2.2. Des Weiteren besteht die Notwendigkeit eines negativen Beweises innerhalb der Begriffslogik deswegen, weil erst durch diesen die Notwendigkeit eines Endes innerhalb der dialektischen Ableitung und Explikation gezeigt wird. Das lässt sich wie folgt verstehen: Während der negative Beweis in der objektiven Logik darauf beruht, dass die Kategorien jeweils als unterbestimmte Definitionen des Absoluten und damit als unselbstständig gezeigt werden, stellt sich die Frage, wann denn eine selbstständige Kategorie, ja wie überhaupt Selbstständigkeit in der Logik erreicht wird. Hier besteht eine Analogie zu dem Problem des kosmologischen Gottesbeweises, das oben erläutert wurde.59 Dieses Problem besteht darin, dass auch in dem Nachweis, dass jedes Endliche einen Grund benötigt, nie klar ist, ob in dem jeweiligen Grund zu dem Endlichen schon ein suisuffizienter Grund gefunden ist. Das Argument, das in der vorliegenden Arbeit als Kants Einsicht dargestellt wurde, war daher, dass der KGB den OGB voraussetzt, weil nur der OGB etwas, nämlich Gott, als selbstbegründet ausweist. Damit ist dasjenige, was der OGB beweist, ‹absolut notwendig›, und nicht umsonst ist dessen ursprüngliche Gestalt von Anselm als negativer Beweis formuliert worden. Gleiches findet nun im Begriff * der hegelschen Logik statt. Denn damit die Kategorienentwicklung und der Nachweis, dass jede Kategorie der objektiven Logik nur endlich ist, an ein Ende führt und legitimerweise beendet wird, muss der Begriff * als selbstständig, als ‹absolute Notwendigkeit› und durch sich selbst bestehend bewiesen werden. Es muss gezeigt werden, warum mit dem Begriff * und dessen Entfaltung also eine adäquate Definition des Absoluten gefunden ist, weshalb er als Grund aller logischen Kategorien fungieren kann. Es muss also gezeigt werden, warum die Reihe der Definitionen des Absoluten nicht infinit fortläuft, sondern mit dem Einsetzen der Begriffslogik an ein Ende kommt und nur noch innerhalb dieser vollständig entfaltet und bewiesen werden muss. Denn nur so kann die dialektische Entwicklung der ganzen Logik in der Totalität des Begriffs * münden und enden. Es sei zum Abschluss dieses Interpretationsvorschlages nochmals darauf hingewiesen, dass es sich nicht um Hegels explizite Reflexionen handelt, die hier wiedergegeben 59
Vgl. oben Abschnitt 1.4.2.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
wurden. Vielmehr wurde eine Interpretation vorgeschlagen, die versucht, möglichst nah an Hegels Intention anzuschließen und dabei die Probleme zu lösen, die in der Begriffslogik auftreten. Hegel untersucht in der Begriffslogik allerdings nicht die Bedeutung eines negativen Beweises, auch wenn in der WdL das Begründungsund Regressproblem, aus dem sich das Agrippa Trilemma entfaltet, mehrfach zur Sprache kommt.60 Hegel selbst zeigt also kein explizites Bewusstsein über die Notwendigkeit negativer Beweise in der Philosophie, aber dass er sich intuitiv für ontologische Strukturen wie Leben und Liebe interessiert, sie auf ihre logische Struktur hin durchdenkt und mit strengsten Begründungsanforderungen zusammenbringt, weist auf ein tiefes Gespür für die vorliegende Thematik hin. Daher soll im Folgenden näher betrachtet werden, wie die Funktion der Objektivität genauer zu verstehen ist und wie sie als negativer Beweis interpretiert werden kann.
9.3 Die Objektivität als Seinsweise des absoluten Begriffes * 9.3.1 Der negative Beweis und der ontologische Gottesbeweis Der vorliegenden Interpretation folgend bildet der Übergang zur Objektivität also einen Beweisschritt innerhalb des negativen Beweises für den absoluten Begriff *. In der Negation der Subjektivität des Begriffs * soll gezeigt werden, dass auch die äußerlichen und gleichgültigen Verhältnisse des ‹Mechanismus›, der ersten Stufe der Objektivität, durch den Begriff * bestimmt sind. Mit diesem Nachweis wird gezeigt, dass der Begriff * auch noch in seiner Entgegensetzung präsent und insofern absolut und ‹absolut notwendig› ist oder, wie Hegel die Struktur des Bei-sich-seins-im-Anderen auch nennt: frei und unendlich. Da dieser Übergang von Hegel mit dem traditionellen OGB verglichen und identifiziert wird, bleibt nun noch explizit aufzunehmen, was den negative Beweis der WdL mit dem Gottesbeweis verbindet. Dass der negative Beweis für Hegel als Parallele zum OGB fungiert und den Progress der dialektischen Entwicklung beendet, ist soeben angeführt worden. Nun wurde oben bereits auf die Schwierigkeit eingegangen, dass der OGB bei Hegel offenbar nicht von einer subjektiven und willkürlichen Vorstellung beweist, dass sie instanziiert ist. Denn der Begriff * ist alles andere als eine subjektive Vorstellung, sondern vielmehr das bereits ontologisch verstandene Prinzip der Philosophie. Insofern nimmt er ohnehin eine starke Umdeutung des OGB vor, die oben bereits besprochen wurde.61 60 Vgl. etwa die Ausführungen zu ‹Etwas› und ‹Anderem› in Hegel, WdL I, S. 105–110 (110– 118). Die Ausführungen zum ‹Grund› in ebd., S. #302–314 (103–122). Ebenso die Ausführungen zu den Modalbegriffen in ebd., S. #381–389 (235–248). Ebenso zum ‹Daseinsschluss› in Hegel, WdL II, S. 93–99 (136–147). 61 Vgl. oben Abschnitt 7.1.
9.3. Die Objektivität als Seinsweise des absoluten Begriffes *
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Dennoch vergleicht Hegel den Übergang zur Objektivität nicht willkürlich oder fälschlicher Weise mit dem OGB. Denn in diesem soll ja nachgewiesen werden, dass sich von Gott aufgrund seines Wesens die Existenz, das Sein, die Realität und so weiter nicht abstrahieren lässt, ohne einen Selbstwiderspruch zu begehen. Wenn nun dieser Selbstwiderspruch nicht auf die menschlichen Denkfähigkeiten und -akte zurückgeführt werden soll, so weist der OGB also nach, dass zur Idee Gottes essentiell gehört, dass die Existenz und so weiter nicht abstrahiert werden kann, weil ansonsten ein Widerspruch entsteht. Diesen Widerspruch weist Hegel nun für den absoluten Begriff * in der Objektivität nach: Der göttliche Begriff * ist zwar in jedem Fall ontologisch verstanden, aber dass er tatsächlich absolut ist, wird deutlich, indem in dem Negations- und Abstraktionsversuch, also der Objektivität, aufgewiesen wird, dass sich diese nur unter Voraussetzung des Begriffs * denken lässt. Insofern ist der göttliche Begriff * noch für das ihm Entgegengesetzte die essentielle Voraussetzung, und daher entsteht durch die Entgegensetzung ein Widerspruch. Der absolute Begriff * als Prinzip der Logik und als grundlegende Struktur alles Denkens und Seins, des Geistes und der Natur, ist daher sinnvollerweise mit dem Gottesbegriff zu identifizieren, wenn unter ‚Gott‘ nicht etwas Abgeleitetes, Prinzipiiertes oder Sekundäres verstanden werden soll. Der OGB in der Logik besteht nun darin, dass nachgewiesen wird, dass der göttliche Begriff * tatsächlich nicht als eingeschränkt, endlich, begrenzt oder bloß für sich seiend verstanden werden kann, was durch die Letztbegründungsfunktion der Objektivität geleistet wird. Denn in der Negation und Abgrenzung dessen, was ohne Spuren des Begriffs * bestimmt sein soll, tritt der Begriff * ebenfalls als das Bestimmende auf. Somit wird gezeigt, dass vom Begriff * überhaupt nur unter Inkaufnahme eines dialektisch-performativen Widerspruchs abstrahiert werden kann. So schreibt Hegel in seiner Vorlesung über den OGB aus dem Jahre 1831: In der Form des Beweises, wie ihn Anselm gibt, besteht die Unendlichkeit eben darin, nicht ein Einseitiges zu sein, ein bloß Subjektives, dem nicht das Sein zukäme. Der Verstand hält Sein und Begriff streng auseinander, jedes als identisch mit sich; aber schon nach der gewöhnlichen Vorstellung ist der Begriff ohne Sein ein Einseitiges und Unwahres, und ebenso das Sein, indem kein Begriff ist, das begriffslose Sein. Dieser Gegensatz, der in die Endlichkeit fällt, kann bei dem Unendlichen, Gott, gar nicht statthaben.62
Und nach einigen Hinweisen zur kantischen Kritik heißt es in Anspielung auf Platons Timaios weiter: Der Gang ist dieser, daß der Begriff sich objektiviert, sich zur Realität macht, und so ist er die Wahrheit, Einheit des Subjekts und Objekts. Gott ist ein unsterblich Lebendiges, sagt Platon, dessen Leib und Seele in Einem gesetzt sind. Diejenigen, die beide Seiten trennen, bleiben beim Endlichen und Unwahren stehen.63 62 63
Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 531. Ebd., S. 533.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
Der Ontologische Gottesbeweis und die Bestimmung der Existenzweise des Absoluten Dabei wird zwar nicht zu einer subjektiven Vorstellung die entsprechende Instanz bewiesen, dennoch meint Hegel, dass die Seinsweise durch diesen Nachweis des Begriffs * in seinem Entgegengesetzten für das wahre Verständnis des adäquaten Seinsbegriffs, der auf den absoluten Begriff * selbst angewandt werden kann, entscheidend ist.64 Der ontologische Beweis ist also für Hegel die Klärung, auf welche Weise Gott existiert. Auch wenn das im Vergleich mit traditionellen Versionen des OGB merkwürdig anmutet, ist hier doch eine engere Verwandschaft zu dessen Grundgedanken festzustellen, als prima facie deutlich wird. Denn wenn man zwischen verschiedenen Modi der Existenz unterscheidet, so lässt sich die Frage des OGB so verstehen, ob ‚Gott‘ in der Weise von Fantasieprodukten, in der von Impossibilia, von kontingenten oder etwa von notwendigen Dingen existiert. Es ist freilich nicht Hegels Art in dieser (formallogisch orientierten) Weise über die Existenzbegriffe nachzudenken. Dennoch stellt er die gleiche Frage, indem er die Kategorien ‹Sein›, ‹Dasein›, ‹Realität›, ‹Existenz› und ‹Wirklichkeit› als für die Bestimmung des Seins des absoluten Prinzips als unterkomplex zurückweist – wäre aber der absolute Begriff * bereits mit dem ‹Dasein› adäquat bestimmt, so wäre sein Existenzbegriff der gleiche, wie für alles, was überhaupt bestimmt ist, was natürlich auch auf Impossibilia zutrifft. Dass die Existenz dabei aus dem richtigen Verständnis Gottes abgeleitet werden muss, folgt konsequent dem OGB, wie mir scheint. Und es lohnt sich, um die aufwändige und komplexe Form, die Hegel dem OGB durch die Integration in die WdL gibt, zu rechtfertigen, daran zu erinnern, dass mit dem Gedanken des Absoluten einhergeht, dass sein Beweis nur von diesem Absoluten selbst abhängen kann – natürlich kann der Beweis Gottes nur durch Gott möglich sein.65 Und daher ist Hegels Zusammenbringen der Selbstexplikation des Absoluten in Form der ewigen Wahrheiten und der Beweis einer spezifischen Existenzform folgerichtig – es ist eben letztlich das absolut Wahre das Kriterium der Existenz. Dass die Objektivität die Seinsbestimmung des Begriffs * ist, heben nicht nur prominente Hegel-Interpreten wie etwa K. Düsing oder B. Lakebrink hervor.66 Hegel selbst betont das bereits in der Wesenslogik: 64
Vgl. auch Lauer, „Hegel on Proofs for God’s Existence“, S. 455. Siehe Hegel, WdL I, S. #325 (140), Z. 28–35: „Allein jene beweisende Reflexion kennt diese Natur ihrer Vermittlung nicht; sie nimmt sich einerseits für ein bloß subjectives, und entfernt hiemit ihre Vermittlung von Gott selbst, anderntheils aber erkennt sie deßwegen nicht die vermittelnde Bewegung, daß und wie sie im We s e n s e l b s t ist. Ihr wahrhaftes Verhältniß besteht darin, daß sie beydes in einem ist, die Vermittlung als solche, aber zugleich allerdings eine subjective, äusserliche nemlich die sich äusserliche Ve r m i t t l u n g, welche s i c h a n i h r s e l b s t w i e d e r a u f h e b t.“ 66 Siehe Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, S. 272: „In dieser Objektivität erkennt der reine Begriff zugleich metaphysisch sein eigenes Sein und seine Seinsweise.“ Vgl. auch Lakebrink, „Anselm von Canterbury und der Hegelsche Gottesbeweis“, S. 199 f. 65
9.3. Die Objektivität als Seinsweise des absoluten Begriffes *
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Insofern die Beweise v o n d e r E x i s t e n z Gottes hier erwähnt werden können, ist zum voraus zu erinnern, daß es ausser dem unmittelbaren S e y n erstens, und zweytens der E x i s t e n z, dem Seyn, das aus dem Wesen hervorgeht, noch ein ferneres Seyn gibt, welches aus dem Begriffe hervorgeht, die Objectivität.67
Und nachdem Hegel versucht hat, die Begriffsartigkeit der Objektivität nachzuweisen und diese in der ‹Teleologie› deutlich herausgearbeitet wird, heißt es: Wenn diß für sich festgestellt ist, so mag die objective Welt mechanische und Endursachen darbieten; ihre Existenz ist nicht der Maßstab des Wa h r e n, sondern das Wahre vielmehr das Kriterium, welche von diesen Existenzen ihre wahrhafte sey.68
9.3.2 Der kosmologische Gottesbeweis in der objektiven Logik und der ontologische Gottesbeweis in der Begriffslogik Auf Hegels Ausführungen zum KGB ist in der vorliegenden Arbeit kaum eingegangen worden, obwohl sie den Hauptteil der Erläuterungen zur Logik einnehmen, die Hegel in den Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes vornimmt. Das kann hier nicht nachgeholt werden, da schon das kosmologische Argument zu komplex ist und Hegels Gedanken zu diesem einer eigenen Untersuchung bedürften. Nun hat H. Tegtmeyer auf sehr interessante Weise die innere Verbindung der beiden Gottesbeweise dargelegt. Nach Tegtmeyer zeigt der OGB, dass der Gedanke ‚Gott‘ notwendig die ‚Existenz‘ einschließt, aber erst der KGB vermag die tatsächliche Existenz nachzuweisen und zu konkretisieren. Hier kann die komplexe Verzahnung der beiden Argumente, die Tegtmeyer an Schelling anschließend vorschlägt, nicht nachvollzogen werden.69 Jedoch soll auf dessen Anregung hin zumindest festgehalten werden, dass auch für Hegel die beiden Gottesbeweise keine getrennten Projekte sind – sie finden ihre wohlbestimmte Einheit in der WdL. Um diese zu verstehen, sei zumindest an den verknappten Grundgedanken erinnert, den Hegel mit dem KGB verbindet: Was in diesem die eigentliche Begründungsarbeit leistet, so Hegel, ist die immanente Widersprüchlichkeit von unter Selbstbezug instabilen Kategorien. So sind etwa Kategorien wie ‹Endliches›, ‹Unbestimmtes›, ‹Zufälliges›, ‹Erscheinung›, ‹Mögliches› et cetera auf eine Weise verfasst, dass sie durch sich selbst zu einer Kategorie übergehen, die als Bestimmung oder Definition Gottes betrachtet werden kann. So sei die Grundidee des KGB: Die Welt der Endlichkeit, Zeitlichkeit, Veränderlichkeit, Vergänglichkeit ist nicht das Wahre, sondern das Unendliche, Ewige, Unveränderliche.70 67 Hegel, WdL I, S. #324 (138), Z. 19–22. Analog dazu hebt Hegel auch in der Einleitung des Objektivitätsabschnitts hervor, dass die Seinsbegriffe zu differenzieren sind, das ‹Sein› des Anfangs als Kopula im Urteil zu verstehen ist und die Objektivität der für den Begriff * adäquate Existenzbegriff ist. Vgl. Hegel, WdL II, S. 130 f. (197 f.), Z. 1–4. 68 Ebd., S. 154 (237) Z. 20–23. Vgl. dazu Hösle, Hegels System, S. 67, Fn. 17. 69 Vgl. etwa Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft, S. 305. 70 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 413.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
Dieser Zusammenhang der, mit Wandschneider, antinomischen Kategorien und ihres positiven Gegenstücks beziehungsweise ihrer synthetischen Kategorie wird in der Logik dargestellt und begründet: Diesen Fortgang der Begriffsbestimmung entwickelt die Logik in seiner Notwendigkeit. Jede Stufe, die er durchläuft, enthält insofern die Erhebung einer Kategorie der Endlichkeit in ihre Unendlichkeit; sie enthält also ebenso sehr von ihrem Ausgangspunkte aus einen metaphysischen Begriff von Gott, und indem diese Erhebung in ihrer Notwendigkeit gefasst ist, einen Beweis seines Seins, und ebenso führt sich das Übergehen der einen Stufe in ihre höhere durch als ein notwendiger Fortgang des konkreteren und tieferen Bestimmens, nicht nur als eine Reihe zufällig aufgelesener Begriffe, – und ein Fortgang zur ganz konkreten Wahrheit, zur vollkommenen Manifestation des Begriffs, zu der Ausgleichung jener seiner Manifestationen mit ihm selbst. Die Logik ist insofern metaphysische Theologie, welche die Evolution der Idee Gottes in dem Äther des reinen Gedankens betrachtet, so daß sie eigentlich derselben, die an und für sich schlechthin selbstständig ist, nur zusieht.71
Der Nachteil des KGB gegenüber der dialektischen Darstellung in der WdL ist dabei, dass in Letzterer der Zusammenhang der Kategorien deutlich wird, wohingegen im KGB die Ausgangsbestimmung als begründungsbedürftig erscheint. Und zudem wird die Bestimmung Gottes, welche die endliche Kategorie notwendig ergänzt, nicht weiter hinterfragt. Würde das aber geschehen, so käme man auf die Ableitung der Kategorien, wie es in der Logik geschieht, so Hegels Gedanke. Weil nun die Dihairese auf jeder dialektischen Stufe mit einer antinomischen, endlichen Kategorie einhergeht, kann aus jeder solchen Stufe ein KGB geformt werden, so Hegels Gedanke.72 Nun liegt der Zusammenhang des OGB mit dem KGB offenbar darin, dass der KGB in der objektiven Logik wesentlich zur Bestimmmung des Gottesbegriffs beziehungsweise des göttlichen Begriffs * beiträgt, während der OGB die Absolutheit des Begriffs * und damit dessen absolute Wahrheit nachweist. Dabei ist der KGB der objektiven Logik zuzuordnen und damit dem begriffsbestimmenden negativen Beweis, während der OGB in der Begriffslogik die Absolutheit des Begriffs * selbst zum Gegenstand hat.73 Dabei kann der KGB in der objektiven Logik, wie gesagt, jeweils durch die Betrachtung einer endlichen Kategorie und dem Nachweis der notwendigen Ergänzung durch eine bestimmte positive Kategorie erfolgen. Aber zugleich ist die ganze objektive Logik auch ein Nachweis, dass die in ihr behandelten Kategorien nicht selbstständig sind, sondern auf dem Begriff * beruhen. Insofern bildet sie nicht nur das Gerüst für viele einzelne, sondern auch einen groß angelegten KGB. Der OGB hingegen beendet den Fortbestimmungsprogress indem er 71
Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 419. Ebd., S. 419: „Die Mehrheit von Ausgangspunkten, die sich darbieten, ist nichts anderes als die Menge von Kategorien, die in dem Felde der logischen Betrachtung zu Hause sind; es ist nur anzugeben, wie sie sich auf diesem zeigen.“ 73 Vgl. oben Abschnitt 9.2. 72
9.3. Die Objektivität als Seinsweise des absoluten Begriffes *
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den Begriff * als selbstständig, heißt: als selbstbegründet nachweist. So schreibt Hegel: Dies ist der Begriff, das Logisch-Vernünfte der ersten abstrakten Bestimmung von Gott und der Religion. Die Seite der letzteren ist durch dasjenige Moment des Begriffs ausgedrückt, welches von dem unmittelbaren Sein anfängt und sich in und zu dem Unendlichen aufhebt; die objektive Seite aber als solche ist in dem Sichaufschließen des Unendlichen zum Sein und zur Endlichkeit enthalten, die eben nur momentan und übergehend ist – nur übergehend kraft der Unendlichkeit, deren Erscheinung sie nur ist und die ihre Macht ist.74
9.3.3 Die Selbstaufhebung der Objektivität Somit muss nun ein Blick auf die Objektivität geworfen werden, um die angeführte Interpretation des Übergangs zu erhärten. Dabei soll hier keine vollständige Analyse dessen vorgenommen werden, was Hegel in der Objektivität anführt, da diese einen schwierigen, kontroversen und thematisch weit ausgreifenden Teil der Begriffslogik bildet. Es ist für die vorliegende Arbeit nicht zweckdienlich, genau herauszuarbeiten, wie der ‹Mechanismus›, der ‹Chemismus› und die ‹Teleologie› von Hegel verstanden werden, weil das etwa die Frage mit sich führen würde, wie viel Hegel thematisch aus der Naturphilosophie übernimmt und inkonsequenterweise in der Logik verwendet. Vor allem die naturphilosophischen Ausführungen und Titel sind ein Grund zur berechtigten Irritation, da Hegel auf diese Weise scheinbar die Logik und die Naturphilosophie konfundiert. Allerdings hebt Hegel deutlich hervor, dass er mit der Objektivität nicht die Logik verlasse und somit auch nicht deren Charakter, allgemeine Ontologie zu sein, aufgegeben werde,75 auch wenn Hegels Argumente, wie V. Hösle zu Recht ausführt, nicht überzeugen können.76 Daher konzentriert sich die vorliegende Untersuchung auf die Konsequenzen, die aus dem Interpretationsvorschlag erwachsen, dass der Übergang zur Objektivität durch die Struktur eines negativen Beweises notwendig wird. Es soll also gezeigt werden, dass die Objektivität tatsächlich innerhalb des negativen Beweises einen bestimmten Schritt einnimmt und dass dieser Strang in den mannigfaltigen Überlegungen Hegels wiederzufinden ist. Ein Einwand gegen Hegels Aufnahme der Kategorien ‹Mechanismus›, ‹Chemismus› und ‹Teleologie› sei allerdings vorab erwähnt, weil auf diese im Rahmen der vorliegenden Interpretation ein anderes Licht fällt. So argumentiert V. Hösle, dass ihnen ein entscheidendes Merkmal logischer Kategorien fehle, nämlich die Selbstreferentialität.77 Das ist zweifellos richtig, erhält aber vor dem Hintergrund der vorliegenden Interpretation einen Sinn, denn gerade aufgrund der Entgegensetzung gegen den Begriff * können die Kategorien der Objektivität nicht selbstbezüglich 74 75 76 77
Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 446 f. Vgl. Hegel, WdL II, S. 133 (202 f.), Z. 16–24; Hegel, Enz. I, § 195, A., S. 352 f. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 246 f. Vgl. ebd., S. 245 f.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
sein.78 Stattdessen drücken sie schon durch den Titel die Isolation und Besonderung vom Prinzip der Logik aus und abstrahieren auch von dem absoluten Geltungsanspruch, aus dem sich die Selbstbezüglichkeit der Kategorien ergibt. Damit sei hier nicht bestritten, dass Hösle wichtige Argumente gegen die Konzeption der Objektivität und ihre Stellung in der WdL anführt, aber Hegels Namensgebung weist zumindest auf die hier vorgeschlagene Interpretation hin, auch wenn sie letztlich in der von ihm durchgeführten Form nicht haltbar wäre.79 Dass Hegel eine Entgegensetzung zum Begriff *, wie sie auch am Anfang der Logik stattfindet, intendiert, wird im Übrigen deutlich, indem er schreibt, dass das ‹Objekt› der Begriff * an sich sei, was ja schon für die gesamte objektive Logik galt.80 Insofern das ‹Objekt› außerhalb des Begriffs * sein soll, ist dessen Geltung eingeschränkt, also wäre das ‹Objekt› ein Widerspruch zur Absolutheitsforderung des Begriffs *. Nun ist Hegels Punkt nicht nur der, dass diese Entgegensetzung zum Begriff * in der Logik aufgenommen werden muss, allein schon um der Struktur der ‹absoluten Notwendigkeit› gerecht zu werden. Es muss für Letztere und damit auch für den gelingenden Beweis, dass der Begriff * zu Recht als absolut bezeichnet werden kann, zugleich gezeigt werden, dass diese Entgegensetzung dialektisch-pragmatisch inkonsistent ist, das heißt, dass sie noch als Entgegensetzung unter der Bedingung und Voraussetzung des Begriffs * steht. So findet sich etwa in Hegels Vorlesung über den teleologischen und ontologischen Gottesbeweis von 1827: Der Begriff ist diese Totalität, die Bewegung, der Prozeß, sich zu objektivieren. Der Begriff als solcher, verschieden vom Sein, ist ein bloß Subjektives; das ist der Mangel. Der Begriff ist aber das Tiefste, Höchste; aller Begriff ist dies, diesen Mangel seiner Subjektivität, diese Verschiedenheit vom Sein aufzuheben, sich zu objektivieren; er ist selbst das Tun, sich als seiend, objektiv hervorzubringen.81
Die hier vorliegende Interpretation beschränkt sich nun auf das Ziel, das Hegel in dem Objektivitätsabschnitt verfolgt, nämlich die Negation des Begriffs * als inkonsistent zu erweisen, und zwar in dem spezifischen Sinn, dass die Objektivität zugleich die Negation des Begriffs * darstellt, dieses aber nur unter der Bedingung sein kann, dass sie selbst den Begriff * und dessen Kategorientotalität voraussetzt. Aus diesem Grund zieht Hegel hier schließlich die Parallele zum OGB und meint, dass er so eine Verbesserung der anselmschen Version erreichen könne. Diese 78 Vgl. Hegel, Enz. I, § 214, A., S. 370. An dieser Stelle verweist Hegel explizit darauf, dass die Selbstbezüglichkeit in der Logik konstitutiv ist und die Prüfung der Selbstübereinstimmung wesentliches Movens der Dialektik ist. 79 Vgl. zu diesem Einwand Martin, „Die Idee als Einheit von Begriff und Objektivität“, S. 230 f. 80 Vgl. Hegel, Enz. I, § 352, S. 195. Siehe auch Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 375: „Das Objektive, die Sache, ist das an und für sich Allgemeine und so ist es auch für alle. Als das Allgemeinste ist es an sich Gedanke überhaupt, und der Gedanke ist der gemeinschaftliche Boden.“ 81 Ebd., S. 526.
9.3. Die Objektivität als Seinsweise des absoluten Begriffes *
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Verbesserung sei deswegen notwendig, weil Anselm letztlich auf der Voraussetzung bauen müsse, dass der Gottesbegriff derart sei, dass er nicht eingeschränkt werden könne. Aber diese Prämisse müsse eigentlich erst durch den doppelten Aufweis, zum einen des Gottesbegriffs, zum anderen, dass die Negation des Gottesbegriffs selbst nur unter dessen Voraussetzung stehe, gezeigt werden. Denn solange nicht der Begriff * geklärt ist, kann auch keine Klarheit über die Möglichkeit, ihm etwas entgegenzusetzen, gewonnen werden. Damit führt Hegel zwar wie Anselm den Beweis, indem eine dialektisch-pragmatischen Inkonsistenz im Versuch, den Gottesbegriff einzuschränken, gezeigt wird. Aber anstatt auf einer Definition oder unbestimmten Kennzeichnung zu beruhen, meint Hegel die Bestimmtheit des göttlichen Begriffs * gezeigt zu haben.82 Das heißt, dass die Letztbegründung des Begriffs * und der OGB darin übereinkommen, die Inkonsistenz nachzuweisen, die entsteht, wenn der Begriff * oder näher Gott negiert, bestritten oder beschränkt wird. Der Beweis besteht dann in der immanenten Kritik der Negation des göttlichen Begriffs *, durch die gezeigt wird, dass die Negation nicht als Entgegensetzung begriffen werden kann, sondern selbst noch unter der Bestimmung des Begriffs */Gottes steht.83 Diese Negation nennt Hegel nun Objektivität, um den Gegensatz, aber eben auch schon den impliziten Bezug auf den Begriff *, die Subjektivität, anzudeuten. Dass die Objektivität damit im Grunde ambivalent ist, weil sie durch ihre Voraussetzung des Begriffs * als Entgegensetzung nicht konsistent sein kann, scheint schon durch das Alltagsverständnis des Wortes ‚objektiv‘ hindurch, so Hegel. Denn zum einen sei mit dem Wort gemeint, dem Subjekt und damit demjenigen, welches in 82 Siehe Hegel, Enz. I, § 193, A., S. 349 f.: „Der Mangel aber in der Argumentation Anselms, den übrigens Cartesius und Spinoza so wie das Prinzip des unmittelbaren Wissens mit ihr teilen, ist, daß diese Einheit, die als das Vollkommenste oder auch subjektiv als das wahre Wissen ausgesprochen wird, vorausgesetzt, d. i. nur als an sich angenommen wird. Dieser hiermit abstrakten Identität wird sogleich die Verschiedenheit der beiden Bestimmungen entgegengehalten, wie auch längst gegen Anselm geschehen ist, d. h. in der Tat, es wird die Vorstellung und Existenz des Endlichen dem Unendlichen entgegengehalten, denn wie vorhin bemerkt, ist das Endliche eine solche Objektivität, die dem Zwecke, ihrem Wesen und Begriffe, zugleich nicht angemessen, von ihm verschieden ist, – oder eine solche Vorstellung, solches Subjektives, das die Existenz nicht involviert. Dieser Einwurf und Gegensatz hebt sich nur dadurch [auf], daß das Endliche als ein Unwahres, daß diese Bestimmungen als für sich einseitig und nichtig und die Identität somit als eine, in die sie selbst übergehen und in der sie versöhnt sind, aufgezeigt werden.“ 83 Ebd., § 193, A., S. 347: „Wenn das Produkt dieses Übergangs, das Objekt, mit dem Begriffe, der darin nach seiner eigentümlichen Form verschwunden ist, in Beziehung gesetzt wird, so kann das Resultat richtig so ausgedrückt werden, daß an sich Begriff oder auch, wenn man will, Subjektivität und Objekt dasselbe seien. Ebenso richtig ist aber, daß sie verschieden sind. [. . . ] Jenes Ansich ist ein Abstraktum und noch einseitiger als der Begriff selbst, dessen Einseitigkeit überhaupt sich darin aufhebt, daß er sich zum Objekte, der entgegengesetzten Einseitigkeit, aufhebt. So muß auch jenes Ansich durch die Negation seiner sich zum Fürsichsein bestimmen. Wie allenthalben ist die spekulative Identität nicht jene triviale, daß Begriff und Objekt an sich identisch seien[.]“
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
der neuzeitlichen Philosophie und vor allem dem subjektiven Idealismus als Prinzip und Absolutes betrachtet wurde, entgegengesetzt zu sein.84 Zum anderen aber werde ‚objektiv‘ auch im Sinne von wahrhaft, notwendig und uneingeschränkt gültig verwendet, so etwa im Sinne von objektiven Grundsätzen.85 Für den negativen Beweis muss Hegel nun an die erste Bedeutung anschließen, also an die Entgegensetzung zum Absoluten, und diese besteht zunächst in der Unmittelbarkeit, während der Begriff * in allen seinen Momenten Vermittlung ist, sowohl in seinen immanenten Bestimmungen als auch im Verhältnis zu der Kategorienentwicklung der objektiven Logik. Wie ist nun die Entgegensetzung zu verstehen? Hegel vollzieht sie, indem er verschiedene Bestimmungen der Objektivität und vor allem ihrer ersten Stufe, dem ‹Mechanismus›, festhält, die den Bestimmungen des Begriffs * entgegengesetzt sind. Zunächst ist das ‹mechanische Objekt› als „unmittelbare Identität“86 zu verstehen. Die Unmittelbarkeit und die Identität soll dabei zweierlei bedeuten: Das ‹mechanische Objekt› scheint unabhängig von Relationen und Begründungsleistungen zu sein, und es ist somit als Selbstständiges zu verstehen. Das steigert Hegel, indem er im Fall des ‹mechanischen Objekts› unter Unmittelbarkeit die Gleichgültigkeit gegenüber jeglicher Relation versteht. Das bringt die radikalisierte Selbstständigkeit dieser Objektauffassung zum Ausdruck. Es handelt sich aber zudem um die Entgegensetzung zum Begriff *, da dieser sowohl in Beziehung auf die ihm vorausgehenden Kategorien als auch seinen immanenten Momenten nach nicht ohne Bezogenheit denkbar ist.87 Und weil die Relationen dem Objekt rein äußerlich sind, muss seine Selbstständigkeit die „Gleichgültigkeit gegen den Unterschied“88 bedeuten. Nun ist aber unter dem ‹mechanischen Objekt› kein völlig unbestimmtes Etwas zu verstehen, da Hegel solche Konzeptionen bereits in der WdL zurückgewiesen hat.89 Daher soll ein solches eine Einheit aus Bestimmungen bilden, auch wenn diese Einheit nicht als Grund oder als Zusammenhang der Bestimmun84
Vgl. Hegel, WdL II, S. 131 (198 f.), Z. 5–18. Vgl. ebd., S. 131 (199), Z. 19–28. 86 Ebd., S. 133 (203), Z. 28. 87 Siehe ebd., S. 133 (202), Z. 8–12: „[A]ber um der objectiven Totalität willen sind die Unterschiedenen vo l l s t ä n d i g e und s e l b s t s t ä n d i g e O b j e c t e, die sich daher auch in ihrer Beziehung nur als s e l b s t s t ä n d i g e zu einander verhalten, und sich in jeder Verbindung ä u s s e r l i c h bleiben.“ 88 Hegel, Enz. I, § 194, S. 350. 89 Vgl. Burbidge, „Objektivität“, S. 231–234. Burbidge ignoriert weitgehend die hier begründete Interpretation, also den negativen Beweis, der mit der Objektivität geführt werden soll. Daher lenkt er sein Augenmerk nicht darauf, dass Hegel den Begriff * als Voraussetzung in der Objektivität nachweisen möchte. Erst in der ‹Teleologie› hebt Burbidge den Schlusscharakter hervor. Und da heißt es, passend zu der hier vorliegenden Interpretation: „Aber in paradoxer Weise endet er mit einer Objektivität, die mit Subjektivität durchsetzt ist[.]“ (Ebd., S. 240.) Burbidge’s Interpretation geht genauer auf die anderen Stränge des hegelschen Textes ein und ergänzt somit die vorliegende Analyse. 85
9.3. Die Objektivität als Seinsweise des absoluten Begriffes *
527
gen verstanden werden soll, von der die Bestimmungen ablösbar sind. Vielmehr sind am Objekt zwar Unterschiede festzustellen, aber diese sind nur selbst wieder als Objekt zu verstehen. Der innerliche Zusammenhang, der Kennzeichen des Begriffs * war und durch die der methodische Zusammenhang und die inhaltliche Totalität der logischen Kategorien eine inhaltsvolle Einheit bildete, ist aufgegeben.90 Stattdessen sollen in der Sphäre der ‹mechanischen Objekte› nur einander äußerliche Einheiten, die jeweils schon ein Ganzes zu bilden beanspruchen, sichtbar werden. Hegel folgert daraus zudem, dass eine Pluralität, die aber „ve r h ä l t n i ß l o s e M a n n i c h f a l t i g k e i t“91 ist, von Objekten angenommen werden muss. So ist das ‹Objekt› dem Begriff * entgegengesetzt, und aus einer Metaperspektive lässt sich daher festhalten: Das Objekt ist daher der absolute Widerspruch der vollkommen Selbstständigkeit des Mannigfaltigen und der ebenso vollkommenen Unselbstständigkeit der Unterschiedenen.92
Hegel untersucht also eine Auffassung von einer Mannigfaltigkeit von ‹mechanischen Objekten›, die zwar nicht als völlig relationslos gedacht werden können, deren Relationen aber als rein extrinsisch und als „Verbindungen, die denen so bezogenen gleichgültig sind“93 , gedacht werden müssen. Von dieser Auffassung ausgehend spannt er nun eine Sicht auf diese Objekte auf, als würden sie ein mechanisches System bilden. Dabei wird deutlich, dass sie als systematisch zusammenhängend begriffen werden müssen, weil die Relationslosigkeit sie vollkommen unbestimmt und unbegreiflich werden ließe. Aber indem die Relationen zugestanden werden, kann Hegel diese Verhältnisse genauer betrachten und dabei einen Widerspruch zwischen der Gleichgültigkeit der Objekte gegeneinander und ihren Relationen, die letztlich eine notwendige Voraussetzung ihrer Selbstständigkeit und Identität darstellen, zeigen.94 Diesen Widerspruch zwischen der Gleichgültigkeit und der Selbstständigkeit der Objekte analysiert Hegel anschließend genauer im ‹mechanischen Prozess›, in dem er die Relationen genauer untersucht. Dabei stellt sich etwa heraus, dass die Selbstständigkeit mit den Relationen der ‹mechanischen Objekte› aufeinander, durch welche sie sich bestimmen, in Form der Momente des Begriffs * gedacht werden muss. Denn in dieser ist das Bestehen und Unterscheiden von Momenten mit- und durcheinander konsistent fassbar gewesen, was am ‹Objekt› zunächst nicht gelingen will.95 Im Fortgang vom ‹Mechanismus›, so Hegel, ist also 90 Siehe Hegel, Enz. I, § 194, S. 350: „[U]nd [das Objekt; Einschub G. M.] ist in sich Totalität, und zugleich, indem diese Identität nur die ansichseiende der Momente ist, ist es ebenso gleichgültig gegen seine unmittelbare Einheit[.]“ 91 Hegel, WdL II, S. 134 (204), Z. 22. 92 Hegel, Enz. I, § 194, S. 350. 93 Hegel, WdL II, S. 135 (205), Z. 11. 94 Vgl. ebd., S. 136 (207), Z. 4–8. 95 Vgl. ebd., S. 139 (212 f.), Z. 21–29.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
die Tendenz zu beobachten, dass das ‹mechanische Objekt› in einem Widerspruch zwischen „der Totalität und der Bestimmtheit seiner Existenz“96 besteht. Daher ist der Fortgang „das Streben, ihn aufzuheben und sein Dasein dem Begriffe gleich zu machen“97 . Als Einfallstor, das Hegel zur Kritik des ‹mechanischen Objekts› nutzt, dient ihm also die Mannigfaltigkeit von identisch bestimmten ‹Objekten› und die Äußerlichkeit der Relationen.98 Der Weg besteht darin, nachzuweisen, dass das ‹mechanische Objekt› nicht selbstgenügsam und selbstständig ist, sondern nur in seinen und durch diese Relationen bestimmt ist. Das bestimmende Gewicht der Relationen nimmt dann der ‹Chemismus› auf, in welchem die ‹Objekte› als ineinander übergehend, sich in andere Zustände und ‹Objekte› transformierend verstanden werden, worin sie ihre Bestimmtheit erhalten.99 Das heißt, dass vom ‹mechanischen Objekt› die Prätention auf vollständige Selbstständigkeit und Unabhängigkeit fallen gelassen wird und nun stattdessen deren Bestimmtsein vollständig durch die Relation zu anderen ‹Objekten› gedacht wird: [B]ey dem chemischen [Objekt; Einschub G. M.] dagegen gehört die B e s t i m m t h e i t, somit die B e z i e h u n g a u f a n d e r e s, und die Art und Weise dieser Beziehung, seiner Natur an.100
Dieses ‹chemische Objekt› gibt aber zu viel an Selbstständigkeit auf, denn es ist nur noch durch anderes bestimmt und so völlig abhängig. Das ergibt erneut einen Widerspruch zwischen der Voraussetzung, überhaupt etwas zu sein, und der vollständigen Fremdbestimmung. Daher schreibt Hegel: Das chemische Object, hiemit als der Widerspruch seines unmittelbaren Gesetztseyns und seines immanenten individuellen Begriffs, ist ein S t r e b e n, die Bestimmtheit seines Daseyns aufzuheben, und der objectiven Totalität des Begriffes die Existenz zu geben. Es ist daher zwar gleichfalls ein unselbstständiges, aber so, daß es hiegegen durch seine Natur selbst gespannt ist, und den P r o z e ß selbstbestimmend anfängt.101
Der ‹chemische Prozess› besteht dann in der Untersuchung von Objekten, die nicht nur einen Teil ihrer Eigenschaften wechseln, sondern, wie im Wechsel eines Aggregatzustandes, weitgehend neue Eigenschaften annehmen. Darin scheint zwar wieder eine Art von Selbst- und Eigenbestimmung auf, weil es ein Stoff ist, der seine Eigenschaften in seinem Wandel zeigt. Aber das findet zugleich nur um den Preis des Übergangs zu einer anderen Beschaffenheit statt. Und insofern ist gar nicht mehr zu bemerken, was am ‹chemischen Prozess› noch als beständiges 96
Hegel, Enz. I, § 200, S. 357. Ebd., § 200, S. 357. 98 Im ‹Mechanismus› wiederholt sich das Verhältnis, das in der Seinslogik zwischen den Kategorien bestand und die Dialektik dort bewirkt hat. Vgl. oben Abschnitt 6.4.1. 99 Vgl. Burbidge, „Objektivität“, S. 235–236. 100 Hegel, WdL II, S. 148 (226), Z. 12 f. 101 Ebd., S. 149 (228), Z. 17–22. 97
9.3. Die Objektivität als Seinsweise des absoluten Begriffes *
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‹Objekt› festgehalten werden kann.102 Auch wenn Hegels Untersuchung Fragen aufwirft, die hier nicht geklärt werden können, so wird zumindest klar, dass Hegel auch am ‹Chemismus› betont, dass dieser auf Formen des Begriffs * beruht, etwa indem er den ‹chemischen Prozess› mit den Schlüssen vergleicht.103 Und so hält er schließlich als Resultat fest: Der Begriff, welcher hiemit alle Momente seines objectiven Daseyns als äusserliche aufgehoben und in seine einfache Einheit gesetzt hat, ist dadurch von der objectiven Aeusserlichkeit vollständig befreit, auf welche er sich nur als eine unwesentliche Realität bezieht; dieser objective freye Begriff ist der Z w e c k.104
Im ‹Chemismus› soll also ein ähnlicher Widerspruch zwischen dem selbstständigen und als unabhängig bestehenden Ausgangsobjekt des ‹chemischen› Prozess und der Bestimmtheit, die erst durch den Zusammenhang in dem Prozess zustande kommt, bestehen.105 Und daher führt Hegel schließlich die ‹Teleologie› als drittes und letztes Moment der Objektivität ein. Schon anhand der Kürze der Erwähnung der einzelnen Schritte der hegelschen Argumentation in der vorliegenden Arbeit wird deutlich, dass hier keine Bewertung vorgenommen wird. Stattdessen soll nur die oben dargestellte Interpretation des Übergangs erhärtet werden. Und diese scheint sich in der ‹Teleologie› in wünschenswerter Klarheit zu bestätigen. So beginnt Hegel in der Enzyklopädie die Besprechung der ‹Teleologie› direkt mit dem Gedanken, der in der vorliegenden Interpretation dargelegt wurde: Der Zweck ist der in die freie Existenz getretene, für-sich-seiende Begriff, vermittels der Negation der unmittelbaren Objektivität. Er ist subjektiv bestimmt, indem diese Negation zunächst abstrakt ist und daher vorerst die Objektivität auch nur gegenübersteht. Diese Bestimmtheit der Subjektivität ist aber gegen die Totalität des Begriffs einseitig, und zwar für ihn selbst, indem alle Bestimmtheit in ihm sich als aufgehobene gesetzt hat. So ist auch für ihn das vorausgesetzte Objekt nur eine ideelle, an sich nichtige Realität. [. . . ] Dies ist das Realisieren des Zwecks, in welchem er, indem er sich zum Anderen seiner Subjektivität macht und sich objektiviert, den Unterschied beider aufgehoben, sich nur mit sich zusammengeschlossen und erhalten hat.106 102 Siehe Hegel, WdL II, S. 151 f. (232), Z. 31–4: „Insofern nun weiter einerseits ihre innerliche B e s t i m m t h e i t als solche, wesentlich der Widerspruch ihres e i n f a c h e n g l e i c h g ü l t i g e n B e s t e h e n s, und ihrer als B e s t i m m t h e i t, und der Trieb nach aussen ist, der sich dirimiert, und an ihrem Objecte und an einem A n d e r n die Spannung setzt, u m e i n s o l c h e s z u h a b e n, wogegen es sich als differentes verhalten, an dem es sich neturalisiren und seiner einfachen Bestimmtheit die daseyende Realität geben könne, so ist damit der Chemismus in seinen Anfang zurückgegangen, in welchem gegeneinander gespannte Objecte einander suchen, und dann durch eine formale, äusserliche Mitte zu einem Neutralen sich vereinigen. Auf der andern Seite hebt der Chemismus durch diesen Rückgang in seinen B e g r i f f sich auf, und ist in eine höhere Sphäre übergegangen.“ 103 Vgl. etwa Hegel, Enz. I, § 201, S. 358. 104 Hegel, WdL II, S. 153 (235), Z. 32–36. 105 Vgl. Hegel, Enz. I, § 202, S. 358. Darin ist das wesenslogische Kategorienverhältns abgebildet. 106 Ebd., § 204, S. 359.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
In der ‹Teleologie› ist folglich noch die Entgegensetzung zum Begriff * insofern präsent, dass die Sphäre der Objektivität nicht einfach mit ihm übereinstimmt. Es besteht aber die Möglichkeit der Übereinstimmung. Denn nur ein ‹Zweck›, der prinzipiell realisiert werden kann, ist auch ein ‹Zweck›. Insofern kann der Begriff * als ‹Zweck› der Objektivität zwar noch als der Gegensatz verstanden werden, aber als realisierter ‹Zweck› ist ein ‹Objekt› nicht zum Begriff * geworden, aber begriffsgleich. Die Begriffsgleichheit kommt auch noch in den drei Momenten der ‹Teleologie› zum Ausdruck, die sich annähernd analog verhalten, wie die Bestimmungen des Begriffs * ‹Allgemeinheit›, ‹Besonderheit› und ‹Einzelnes›. Denn die Momente der ‹Teleologie› sind die zugrunde liegende Intention, dann die Mittel zur Ausführung der Intention und schließlich der realisierte Zweck.107 Dabei gleicht die Intention der ‹Allgemeinheit›, die Mittel der ‹Besonderheit› und der realisierte Zweck dem ‹Einzelnen›. Denn eine Intention ohne Mittel ist selbst keine Intention, so wie die Mittel überhaupt nur durch die Mittel zur Intention werden. Und im realisierten Zweck findet sich nun die Intention verwirklicht, aber nur zusammen mit den Besonderheiten, die durch die gewählten oder genutzten Mittel notwendig bestehen. Hegel kommt in diesem Zusammenhang auf das Determinismusproblem zu sprechen, weil die Mittelstruktur einer Eigengesetzlichkeit folgen kann, die der Intention widerspricht. Für die Lösung dieses Problems scheint er, wie schon Leibniz, die Vereinbarkeit von ‹mechanischen Objekten›, Kausalgesetzen, und ‹Teleologie› anzunehmen.108 Wichtig ist aber im hiesigen Zusammenhang zu unterstreichen, dass Hegel auf den Zusammenhang von Begriff * mit der Objektivität hinaus möchte, der darin besteht, zwar eine Entgegensetzung zu sein, aber diese nur unter dem Vorbehalt aufrechterhalten zu können, dass der Begriff * das eigentlich Bestimmende in der Objektivität bleibt. Daher sind die ‹Objekte› in den unterschiedlichen Auffassungen dem Begriff * immer in verdeckter Weise homolog. Das zu bemerken, nennt Hegel die „spekulative Auffassung“: Der Zweck erfordert eine spekulative Auffassung, als der Begriff, der selbst in der eigenen Einheit und Idealität seiner Bestimmungen das Urteil oder die Negation, den Gegensatz des Subjektiven und Objektiven enthält und ebensosehr das Aufheben desselben ist.109
Darin sieht Hegel auch genau die für die Beweise vom Dasein Gottes maßgebende Struktur: Das endliche Denken und die als zufällig verstandene Welt wird als durch den göttlichen Begriff *, durch die ideale Struktur der Kategorien und ihrem letztbegründeten Prinzip strukturiert verstanden. Und zwar, weil der Begriff * es selbst ist, der absolut ist und damit auf sein Entgegengesetztes übergreift, also auch noch für das Entgegengesetzte gilt.110 107
Vgl. Burbidge, „Objektivität“, S. 239. Vgl. Hegel, WdL II, S. 155 (237 f.), Z. 1–11. 109 Hegel, Enz. I, § 204, A., S. 360. 110 Vgl. ebd., § 204, A., S. 361. Natürlich sieht Hegel auch den Zusammenhang zwischen der ‹Teleologie› und dem teleologischen Gottesbeweis. Aber Hegel warnt zurecht, dass das Aufweisen 108
9.3. Die Objektivität als Seinsweise des absoluten Begriffes *
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So meint Hegel also, durch die ‹Teleologie› expliziert zu haben, was für den negativen Beweis, der hier als Interpretans herangezogen wurde, entscheidend ist: Die Objektivität ist nicht wirklich die Entgegensetzung gegen den Begriff *, sondern setzt diesen letztlich voraus. Somit hebt sich auch der Anschein ihrer Selbstständigkeit und Abgegrenztheit auf. Aufgrund der Integration des negativen Beweises in eine kategoriale Ontologie bedeutet das allerdings nicht, dass die Objektivität bloß als falsch zu verstehen ist. Der oben genannten aristotelischen Interpretation gemäß ist diese als wichtiger Teil des Begriffs * selbst anzusehen. Allerdings kann sie nur durch und mit dem Begriff * zusammen verstanden werden, oder: der Begriff * bildet das ihr immanente und implizite Prinzip, weshalb sie als homolog zum Begriff * verstanden werden muss. Aber die Zweckbeziehung ist darum nicht ein r e f l e c i e r e n d e s Urtheilen, das die äusserliche Objecte nur nach einer Einheit betrachtet, a l s o b ein Verstand sie z u m B e h u f u n s e r e s E r k e n n t n i ß ve r m ö g e n s gegeben hätte, sondern sie ist das an und für sich seyende Wahre, das o b j e c t i v urtheilt, und die äusserliche Objectivität absolut bestimmt. Die Zweckbeziehung ist dadurch mehr als U r t h e i l, sie ist der S c h l u ß des selbsttändigen freyen Begriffs, der sich durch die Objectivität mit sich selbst zusammenschließt.111
Auch wenn viele Argumente, die Hegel in der Objektivität vorbringt, hier nicht rekonstruiert werden konnten, so kann doch festgehalten werden, dass, wenn Hegel recht hat und die Analyse von ‹Mechanismen› und ‹chemischen Prozessen› notwendig zur Annahme von ‹Teleologie› führt, dann in dieser zugleich explizit hervortritt, dass die Sphäre der Objektivität nicht nur für sich gedacht werden kann, sondern als begriffsartig und durch den Begriff * bestimmbar und erfassbar ist. Das hält Hegel zumindest selbst fest: In Ergreifung des Mittels setzt sich der Begriff als das an sich seiende Wesen des Objekts; in dem mechanischen und chemischen Prozesse hat sich die Selbstständigkeit des Objekts schon an sich verflüchtigt, und in ihrem Verlaufe unter der Herrschaft des Zwecks hebt sich der Schein jener Selbstständigkeit, das Negative gegen den Begriff, auf.112
Und schließlich endet Hegel die Besprechung der ‹Teleologie› in der WdL mit dem Hinweis, dass durch die Objektivität die Begründung oder, wie er sagt: ‚Vermittlung‘, des Begriffs * geleistet wird, und zwar in einer Weise, welche die Vermittlung selbst ‚aufhebt‘. Dass die Unmittelbarkeit, die aus der Aufhebung der Vermittlung hervorgeht, den Gedanken der Letztbegründung repräsentiert, weil ‚Vermittlung‘ von Hegel, von Zwecken in der Welt leicht trivial beziehungsweise lächerlich wird. Vgl. Hegel, Enz. I, § 205, Z., S. 362 f. Dass Hegel sich mit dieser theologischen Konzeption schon in frühen Aufsätzen beschäftigt, zeigt etwa Weischedel, Der Gott der Philosophen, § 51.3., S. 291. 111 Hegel, WdL II, S. 159 (244), Z. 15–21. 112 Hegel, Enz. I, § 212, S. 366. Siehe auch Hegel, WdL II, S. 159 (244), Z. 19–21: „Die Zweckbeziehung ist dadurch mehr als U r t h e i l, sie ist der S c h l u ß des selbstständigen freyen Begriffs, der sich durch die Objectivität mit sich zusammenschließt.“ Vgl. auch den längeren Absatz, der die vorliegende Interpretation meines Erachtens stützt: ebd., S. 171 (264 f.), Z. 3–22.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
wenn auch nicht durchgängig, als Begründungs- und Fundierungsleistung, als Einholen des Geltungsanspruches verstanden wird, wurde in der vorliegenden Studie oft betont. So schreibt Hegel: Die Bewegung des Zweckes hat nun diß erreicht, daß das Moment der Aeusserlichkeit nicht nur im Begriff gesetzt, er nicht nur ein S o l l e n und S t r e b e n, sondern als concrete Totalität identisch mit der unmittelbaren Objectivität ist. Diese Identität ist einerseits der einfache Begriff, und eben so u n m i t t e l b a r e Objectivität, aber andererseits gleich wesentlich Ve r m i t t l u n g, und nur durch sie, als sich selbst aufhebende Vermittlung, jene einfache Unmittelbarkeit; so ist er wesentlich diß, als fürsichseyende Identität von seiner a n s i c h s e ye n d e n Objectivität unterschieden zu seyn, und dadurch Aeusserlichkeit zu haben, aber in diser äusserlichen Totalität die selbstbestimmende Identität derselben zu seyn. So ist der Begriff nun d i e I D E E.113
9.4 Vollendung in der Idee * Auch hinsichtlich der Idee * kann in der vorliegenden Arbeit nur noch ein Blick darauf geworfen werden, inwiefern sie die hiesige Interpretation stützt.114 Denn dass sie das tut, scheint der Fall zu sein: Alle vier in der Idee * beschriebenen Verhältnisse sind Explikationen des Verhältnisses, das der vorliegenden Arbeit zufolge zwischen dem Begriff * und der Objektivität besteht und das oben als Struktur des negativen Beweises beschrieben wurde. Zunächst kann festgehalten werden, dass der Hegel-Text bestätigt, was oben über das Verhältnis von Begriff * und Idee * gesagt wurde.115 Aufgrund des begriffslogischen Charakters ist die Idee * der entwickelte und explizierte Begriff *. Zu dessen Explikation gehört, dass der er sein eigener Beweis ist, weshalb die Objektivität in der Entfaltung des Begriffs * notwendig war. Der Explikationsgrad in der Idee * ist insofern nun noch höher, weil in der Idee * der Zusammenhang der ersten beiden Abschnitte, der Subjektivität und Objektivität, erfasst wird.116 Das geschieht, dem ontologischen Charakter der WdL gemäß, in ontologischen Strukturen, die dem negativen Beweis analog sind. So schreibt Hegel in der Enzyklopädie: Die Idee ist das Wahre an und für sich, die absolute Einheit des Begriffs und der Objektivität. Ihr ideeller Inhalt ist kein anderer als der Begriff in seinen Bestimmungen; ihr reeller Inhalt ist nur seine Darstellung, die er sich in der Form äußerlichen Daseins gibt 113
Hegel, WdL II, S. 172 (265 f.), Z. 8–17. Für ausführlichere Interpretationen vgl. etwa: Schäfer, „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“; Martin, „Die Idee als Einheit von Begriff und Objektivität“; Vos, „Die Wahrheit der Idee“; Martin, Ontologie der Selbstbestimmung, S. 414–611. 115 Vgl. oben S. 455. Vgl. Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 397. Erscheinungen sind Vereinseitigungen und Vertiefungen der Logik, insofern die Konkretion im Subjekt zur Selbsterkenntnis der Logik beiträgt. 116 Vgl. Schäfer, „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, S. 244. 114
9.4. Die Vollendung in der Idee *
533
und [der,] diese Gestalt in seiner Idealität eingeschlossen, in seiner Macht, so sich in ihr erhält.117
Etwas kryptisch unterscheidet Hegel hier den ideellen vom reellen Inhalt der Idee *. Während der ideelle die Begriffsbestimmungen und damit auch die Kategorien der objektiven Logik darstellt, ist der reelle Inhalt, dass und wie sich der Begriff * in seiner Äußerlichkeit, in seiner Negation, erhält und die eigentliche Macht dieser Abgrenzung ist. Durch diese Letztbegründungsstruktur des Begriffs * beziehungsweise der Idee * ist mit Letzterer die absolute Definition des Absoluten und damit die adäquate erreicht.118 Und diese Definition ist nicht nur eine unter vielen, sondern soll zugleich der Grund und Abschluss der vorherigen Definitionen sein, die durch die Kategorien der ganzen Logik gebildet wurden.119 Daher soll auch in der absoluten Idee * durch die Einholung der Methode der Logik deutlich werden, dass ihr Inhalt „das System des Logischen“120 ist. Doch dazu unten mehr. Die Übereinstimmung der Objektivität mit dem Begriff * und damit jeglicher Negation, jedes Endlichen mit dem Absoluten ist somit die Letztbegründung und macht daher die Wahrheit der Idee * aus.121 Dafür ist zugleich wichtig, wie Hegel erneut anmerkt, dass dieses Entsprechen nicht einfach als bloße (formallogische) Identität verstanden wird. Denn alles, auch das Endliche, hat teil an der Idee * und ist nur insofern wirklich, als dass es teilhat an der Idee * und den Begriffsbestimmungen, aber die Endlichkeit geht deswegen nicht im Absoluten unter, sondern muss ihren eigenen Bestand haben. Das heißt, dass die Objektivität nicht vollständig dem Begriff * entspricht, aber dennoch auf Bedingungen beruht, die das Absolute bedeuten, denen es aber nicht vollkommen gerecht zu werden vermag, wie in der vorliegenden Untersuchung erläutert wurde. Es ist aber interessant, dass Hegel so die Differenz von seinem letztbegründeten Prinzip in seine Ontologie aufnimmt. Zugleich jedoch die Normativität des Begriffs * unterstreicht, indem er die Unbeständigkeit des Endlichen in der Differenz und den Grund der Wirklichkeit der endlichen ‹Objekte› im Begriff * verankert.122 Natürlich hat daher die Idee * einen Gehalt und ist nicht mit einer bloßen Idee im Sinne einer subjektiven Vorstellung oder Abstraktion zu verwechseln. Sie drückt aus, dass auch noch das Endliche und die gesamte Sphäre der Objektivität durch 117
Hegel, Enz. I, § 213, S. 367. Vgl. ebd., § 213, A., S. 367 f. Weil auf der Stufe der Idee * nun die Objektivität des Begriffs * und das notwendige Verhältnis der beiden zueinander aufgenommen und explizit ist, führt Hegel an, dass hier erst der vollständige Begriff Gottes dargestellt werde. Siehe Hegel, WdL II, S. 129 (196), Z. 25–27: „Es ist aber hierüber zu bemerken, daß indem der Begriff als der Begriff Gottes dargestellt werden soll, er aufzufassen ist, wie er schon in die I d e e aufgenommen ist.“ 119 Vgl. Hegel, Enz. I, § 213, A. S. 368. 120 Ebd., § 237, S. 389. 121 Siehe ebd., § 213, A., S. 368: „Die Idee ist die Wahrheit; denn die Wahrheit ist dies, daß die Objektivität dem Begriff entspricht[.]“ 122 Vgl. ebd., § 213, A., S. 368. 118
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
den Begriff * bestimmt ist und damit durch den Begriff * verständlich, intelligibel ist. Und weil der Begriff * selbst der Grund dafür ist, ist sie seine Explikation, aber im Grunde damit eine Gestalt des Begriffs * selbst,123 und nicht nur eine Gestalt, sondern die Explikation des Selbstbeweises, welcher der Begriff * ist. Daher ist die Idee * als der explizierte und bewiesene Begriff * auch absolut und wahr – sogar das Maß aller Wahrheit. Weil die Idee *, vor allem in ihrer letzten Gestalt, der absoluten Idee *, dann auch das letztlich adäquate Verständnis des philosophischen Gottesbegriffs ist, jedenfalls soweit dieser in der Logik entfaltet werden kann, schließt sie natürlich an die Absolutheit oder ‹absolute Notwendigkeit› an.124 Denn die Idee * bedeutet, dass der Begriff * das Prinzip der Logik, der Natur und des Geistes ist. Und auch hierfür liegt der Grund darin, dass der Begriff * auch noch seine Entgegensetzung und somit jede Form von Entgegensetzung, Andersheit und Negation übergreift – seine Geltung schlechthin nicht eingegrenzt ist, sodass er sich sogar in seinem Gegenteil zeigt. Damit ist auch die ‹absolute Notwendigkeit› eingeholt und realisiert. Zugleich ist so die Seinsweise des Begriffs *, der adäquate Existenzbegriff für Gott, gezeigt: Er ist das schlechthin Unabstrahierbare und das noch in seinem Gegenteil als Voraussetzung Auftretende oder kurz: Der absolute Begriff * ist ‹objektiv›. Oder noch kürzer: Er ist Idee *. Dass Hegel letztlich den Gottesbegriff derart fasst, dass in ihm schon seine Seinsart explizit ist, liegt ganz auf der Linie des OGB. Wie Anselms Beweis zeigt Hegel also, dass ein bestimmt verstandenes Sein, die Objektivität, notwendig mit zum Gottesverständnis gehört. Das darf nun nicht als bloße Denknotwendigkeit missverstanden werden, denn insofern es sich um eine solche handelt, folgt daraus auch die ontologische Notwendigkeit. Und somit ist der philosophische Gottesbegriff nur als unbeschränkt und absolut Seiendes zu denken. Daher ist schließlich auch die Idee * der vollständig explizierte, nicht mehr als bloß subjektiv, also als nur innerlich bestimmt, missverstandene Begriff *, und somit hat die Idee * die Widersprüchlichkeit der Geltungseinschränkung und deren Überwindung bereits in sich aufgenommen. Und weil damit absolute Wahrheit und absolute Geltung erreicht ist, so Hegel, ist die Idee * zugleich der Zentralbegriff der philosophischen Theologie.125 123 Siehe Hegel, Enz. I, § 213, A., S. 369: „Nur dann wäre sie [d. i. die Idee; Einschub G. M.] das Formell-Abstrakte, wenn der Begriff, der ihr Prinzip ist, als die abstrakte Einheit, nicht, wie er ist, als die negative Rückkehr seiner in sich und als die Subjektivität genommen würde.“ 124 Vgl. Hegel, WdL II, S. 129 (196), Z. 25–27. Es ist daran zu erinnern, dass Hegel nicht meint, dass der Gottesbegriff sich in der WdL erschöpft. So gehört zum Verständnis Gottes etwa die Religionsgeschichte, die Bedeutung des Kultes et cetera. Da Hegels ganzes System mit einer Gotteslehre verknüpft ist, muss die Realphilosophie ebenfalls als Konkretisierung angesehen werden. Das kann in dieser Arbeit aber nicht geleistet werden. Allerdings ist mit der absoluten Idee * zugleich die Grundgestalt und der Kern der hegelschen Auffassung Gottes gegeben, weshalb die Beschränkung auf die Logik sinnvoll ist. 125 Das Thema der Religionsphilosophie, die Hegel in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts bekanntlich intensiv bearbeitet hat, ist in der vorliegenden Arbeit ausgespart worden. Denn Hegel
9.4. Die Vollendung in der Idee *
535
In der Idee * interessiert sich Hegel also für ontologische Strukturen, die das Verhältnis von Begriff * und Objektivität aufgreifen und darstellen.126 Dieses Verhältnis besteht nun darin, dass der Begriff * auf sein Anderes übergreift, oder, mit Hegel, sie ist „das ewige Anschauen ihrer selbst im Anderen; der Begriff *, der in seiner Objektivität sich selbst ausgeführt hat“127 . Dieses In-seinem-Anderen-beisich-selbst-Sein oder Auf-sein-Anderes-Übergreifen findet sich auf den vier Stufen der Idee *: dem ‹Leben›, dem ‹Erkennen›, dem ‹Guten› und schließlich in der absoluten Idee *. In der Idee * des ‹Lebens› wird das Verhältnis einer in sich strukturierten Entität, deren immanente Struktur einen Totalitätscharakter aufweist, was Hegel in der Leiblichkeit des lebendigen Organismus verwirklicht sieht, zu seiner Umwelt dargestellt.128 Der lebendige Organismus erfüllt nun gleich auf drei Weisen die erforderliche logische Struktur: 1. Zunächst ist der Organismus sich selbst ‹Objekt›, insofern seine Glieder differenziert sind und sich wechselseitig aufeinander beziehen, indem sie sich wechselseitig produzieren und so das Ganze reproduzieren.129 2. Dann ist das ‹Leben› nur möglich, indem der Organismus in einer Umwelt situiert ist. Im Stoffaustausch mit dieser Umwelt, also im Metabolismus, erhält sich der Organismus. Das bedeutet, dass er durch eine Tätigkeit fortbesteht, die darin besteht, auf seine Umwelt überzugreifen und sich das ihm Äußerliche, Unlebendige einzuverleiben und zu eigen zu machen, ja seine eigene Identität nur in dieser behandelt dort nicht das Absolute selbst, sondern das Bewusstsein vom Absoluten, also der Art und Weise, wie das Absolute im menschlichen Bewusstsein auftritt. Aus Hegels Konzeption des Absoluten folgt seinem Anspruch nach, dass dieses letztlich im Denken einzelner Subjekte auftritt. Somit soll die Idee * dafür verantwortlich sein, dass Menschen auf sie Bezug nehmen, was Hegel entscheidend von Feuerbach abgrenzt. Aber weil es aus der Idee * folgt, dass sie das Denken einzelner Subjekte bestimmt, folgert Hegel, dass Gott wesentlich Selbstbewusstsein sei. Vgl. Hegel, VPR I, S. 203 und Hegel, VPR. Der Begriff der Religion, S. 237 (143). Und weil aus der Absolutheit der Idee * folgt, dass sie als Gegenstand des endlichen Bewusstseins auftritt, ist das religiöse Verhältnis zugleich philosophisch-theologisch gehaltvoll und keine bloße Religionspsychologie und -soziologie. Dass sich in dieser Arbeit aber auf die WdL konzentriert wurde, ist darin begründet, dass es eine Voraussetzung ist, um das Verhältnis des endlichen Bewusstseins zum Absoluten zu untersuchen, dass über diesen Gegenstand des Bewusstseins bereits Klarheit erlangt wurde. Und diese Dringlichkeit, das Absolute schon vor der Religion zu behandeln, ist natürlich noch um so gravierender, als dass die Religion aus dem Absoluten und nicht das Absolute aus der Religion folgt. Vgl. zu Hegels Religionsphilosophie: Hermanni, „Kritischer Inklusivismus. Hegels Begriff der Religion und seine Theorie der Religionen“; Hermanni, Metaphysik, S. 203–214. Immer noch einen guten Überblick bietet: Jaeschke, Die Religionsphilosophie Hegels. Vgl. auch Jaeschke, Die Vernunft in der Religion. Vgl. auch Lewis, Religion, Modernity, and Politics in Hegel und Lewis, „Religion, Reconciliation, and Modern Society. The Shifting Conclusions of Hegel’s Lectures on the Philosophy of Religion“. 126 Vgl. Schäfer, „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, S. 245 f. 127 Hegel, Enz. I, § 214, A., S. 371. 128 Vgl. ebd., § 216, S. 373 f. Vgl. auch die anders gewichtete Interpretation: Schäfer, „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, S. 248 f. 129 Vgl. Hegel, Enz. I, § 218, S. 374 f.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
Aufnahme von Unlebendigem erhalten zu können. Doch es gehört nicht nur der Metabolismus zum ‹Leben›, sondern auch die Tätigkeit, die Umwelt zu verändern und zu gestalten – sich zu assimilieren, aber vor allem auch die Umwelt so zu verändern, dass sie dem Organismus gemäß wird.130 3. Und schließlich gehört zum Leben der ‹Gattungsprozess›, das heißt, das Leben erhält sich auch über die Generationenfolge und nicht nur als einzelnes Individuum. Das bedeutet, dass auch das Vergehen des Lebens zum Prozess des Lebens gehört, so wie das Entstehen neuen Lebens. Da Hegels Philosophie des ‹Lebens› überaus spannend ist, wäre es sehr interessant, den Andeutungen weiter nachzugehen, aber auch kritisch zu hinterfragen, ob ‹Leben› überhaupt als logische Kategorie infrage kommt. Denn es scheint so, als wäre etwa innere Zweckmäßigkeit in der Lage, die gleiche logische Funktion zu erfüllen, aber ohne das Problem der Dopplung des Themas ‹Leben› aufzuwerfen, das darin besteht, dass ‹Leben› in der WdL und in der Naturphilosophie abgehandelt wird. Und vor allem scheinen Unterpunkte Hegels, wie etwa die Aufnahme der Geschlechtsdifferenz in die Logik absurd.131 Da das hier aber unmöglich geleistet werden kann, sei auf die umfassende und klare Arbeit von Ch. Spahn hingewiesen.132 Jedoch ist Hegel mit der Explikation des Verhältnisses von Begriff * und Objektivität im ‹Leben› noch nicht zufrieden. Ein Teil seiner Begründung des Übergangs ist, dass die beiden Seiten, ‹Lebendiges› und ‹Umwelt›, sich nicht ineinander spiegeln: Zwar sind sie aufeinander bezogen, aber ihre homologe Struktur, ihr Zusammenpassen, ist nicht explizit. Vom ‹Gattungsprozess›, in welchem die ‹Gattung› als ‹Allgemeines› sich in und durch die ‹Individuen› oder ‹Einzelnen› realisiert und erhält, kommt Hegel auf die Idee * des ‹Erkennens›.133 Denn ‹Erkennen› ist die Aufnahme eines ‹Objekts› in begriffliche und logische Verhältnisse, denen es folglich nicht völlig fremd sein darf. Es findet im ‹Erkennen› daher auch ein Übergreifen eines in sich Bestimmtem, der Sphäre der ‹Erkenntnis›, auf die zunächst gegenüberstehende und unterschiedene Sphäre des Erkenntnisobjekts statt. Und in der erfolgreichen Erkenntnis ist dann zwangsläufig die Andersheit des ‹Objekts›, das Gegenüberstehen, überwunden, 130
Vgl. Hegel, Enz. I, § 219, S. 375. Vgl. ebd., § 220, S. 376. 132 Vgl. Spahn, Lebendiger Begriff – Begriffenes Leben. 133 Vgl. Schäfer, „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, S. 251–256. Schäfer beachtet die Folgerung aus dem Letztbegründungsanspruch, den er selbst hervorhebt (vgl. ebd., S. 244), nicht hinreichend. Denn aus diesem Anspruch folgt die Notwendigkeit eines negativen Beweises in der Begriffslogik. Daher verkennt er letztlich die eigentliche Bedeutung der Objektivität in der Idee *, die immer schon begriffsartig bestimmt ist. Stattdessen fällt er zurück auf die Ebene von endlicher Subjektivität und transzendenten Objekten, die Hegel in der Logik sicher zurückweist, beziehungsweise deren Kategorisierung Hegel schon in der Seinslogik als verfehlt aufzeigt. Auf dieser fehlgehenden Annahme beruht dann auch Schäfers Kritik, dass Hegel diese transzendente Objektsphäre nicht einzuholen vermöge. Vgl. ebd., S. 255. 131
9.4. Die Vollendung in der Idee *
537
da die ‹Erkenntnis› dem ‹Objekt› adäquat ist. Hier handelt Hegel auch die verschiedenen Weisen des Erkennens ab, die bereits oben zur Sprache gekommen sind.134 Die gleiche Struktur in umgekehrter Richtung ist in der Idee * des ‹Guten› gemeint: Hier betrachtet Hegel die Struktur der Verwirklichung des Begrifflichen * oder Subjektiven in der entgegengesetzten Subjektivität. Hegels Ausführungen sind dabei eher dürftig, da man unter diesem Titel doch zugleich erwarten könnte, dass Hegel ein Kriterium angibt, was diese Handlungsstruktur zu einer ‹guten› macht, also wodurch sie sich von bösem Handeln unterscheidet. Anstatt aber zu erkennen zu geben, wie eine Morallehre auf der Idee * des ‹Guten› aufbauen kann, hebt Hegel einzig das ontologische Verhältnis hervor, das ihn in der Idee * insgesamt interessiert. Denn auch in dem am Handeln orientierten Verhältnis ist entscheidend, dass eine in sich strukturierte Sphäre sich im scheinbar Gegenüberstehenden realisiert und damit beweist, dass das Gegenüberstehende keinen vollkommen anderen Gesetzen gehorcht, sondern homolog ist und eine Offenheit für die Realisierung besitzt.135 Da auch das ‹Erkennen› und das ‹Gute› noch Mängel aufweisen, weil beide Richtungen, sowohl die des ‹Erkennens› als auch die des ‹Handelns›, einseitig sind, meint Hegel Grund genug zu haben, um zur absoluten Idee * überzugehen. Interessant an dieser ist nun, dass sie im Grunde die Verhältnisse der ganzen Logik in Form der Methode thematisiert.136 Mit dem Einholen der Methode ist zugleich der Mangel behoben, der oben noch im Übergang vom Begriff * zur Objektivität diskutiert wurde: Weil der Begriff * noch nicht die eigene Methode und die Methode der objektiven Logik expliziert, ist der Nachvollzug der Logik nicht in der Logik verortbar. Aber indem die Methode der WdL in ihr selbst thematisiert wird, erfüllt sie die Anforderung, selbstexplikativ und selbstbeweisend zu sein. Dass Hegels eigene Methodendiskussion hierfür keinesfalls hinreichend ist, wurde oben bereits gesagt und muss hier nicht diskutiert werden. Die absolute Idee * ist damit zugleich das ganze „System des Logischen“137 , weil die Methode und der Inhalt der Logik nicht divergieren können, was aus dem Letztbegründungsanspruch folgt. Diese Konzeption der absoluten Idee * erfüllt damit für Hegel mehrere Zwecke: 1. Zunächst ist sie der vollständig explizierte Begriff *. Denn es bleibt, nachdem die Methode ebenfalls durchsichtig wird, keine weitere Unklarheit und nichts implizit oder dialektisch Präsupponiertes, das noch 134
Vgl. oben Abschnitt 5.2.1. Hegel hat hier sicherlich das von Kant in der Kritik der Urteilskraft behandelte Problem der Verwirklichung des Guten im gesetzmäßig bestimmten Naturzusammenhang vor Augen. Dabei geht es Hegel gerade darum, dass die tatsächliche Realisierung möglich sein muss. Damit sei nicht gesagt, dass Hegel das kantische Problem an dieser Stelle bereits löst. 136 Hösle betont, dass es bemerkenswert ist, die Ontologie mit einer Methodenreflexion zu verbinden. Vgl. Hösle, Hegels System, S. 179. 137 Hegel, Enz. I, § 237, S. 389. 135
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
zur weiteren Entfaltung nötigen würde.138 2. Indem sie der vollständig explizierte Begriff * ist, ist sie auch die Methode und der Inhalt der ganzen WdL. 3. Sie ist zudem selbstbezüglich – Methode und Inhalt sind identisch und die Idee * ist daher ganz aus sich selbst heraus verständlich. Es wird also keine Metaebene oder Metabetrachtung benötigt, sondern sie klärt sich selbst auf. 4. Zugleich stehen Methode und Inhalt aber nicht im Verhältnis einer trivialen Identität. Denn natürlich haben alle Stufen des Logischen ihren spezifischen Gehalt und weisen daher vermutlich sogar eine je eigene Variante der dialektischen Methode auf. Somit ist eine Form von Identität und zugleich Verschiedenheit vorhanden.139 5. Damit hat die absolute Idee * als Methode das Verhältnis, das zwischen Begriff * und Objektivität besteht: Sie ist das Bestimmende und eigentlich aller Inhalt, kann aber als Methode abgehoben werden von den vordergründig selbstständig erscheinenden Kategorien. Erst die nähere Reflexion offenbart, dass die Methode und der Inhalt auf diffizile Art zusammenfallen. 6. Zwar sind die Bemerkungen Hegels zur Methode nicht hinreichend, sondern konzentrieren sich nur auf einiges zum Anfang,140 dem Fortgang141 und zur Auflösung des Widerspruchs und dem Ende eines unendlichen Progresses, indem eine Struktur wie diejenige des negativen Beweises erreicht wird.142 Aber es ist mit dem Erreichen und der vollständigen Explikation des Prinzips der Logik ein Abschluss der logischen Entwicklung erreicht. 7. Indem die absolute Idee * zugleich die Explikation des Begriffs * ist und auch dessen Selbstbegründung darstellt, ist sie absolute Wahrheit. Denn sie ist im Grunde die Darstellung des absoluten Prinzips, diejenige, von dessen Selbstbeweis – des negativen Beweises, der die ‹absolute Notwendigkeit› einholt – und schließlich die Transparenz der Zusammengehörigkeit der Logik. Auch wenn vieles in den Details der hegelschen Argumentation, die sicher an vielen Stellen korrekturbedürftig ist, nicht beleuchtet werden konnte, so ist dennoch versucht worden, in dem Gesagten eine plausible Linie der Begriffslogik hervorzuheben, welche dieses Projekt formt. Nun ist es für das Thema der vorliegenden Arbeit nicht weiter zweckdienlich, eine tiefer gehende Erläuterung der genannten Passagen zu versuchen. Wichtig ist stattdessen, dass die Interpretation sich bestätigen ließ, dass Hegel sich in der Begriffslogik für eine logische Struktur interessiert, die dem negativen Beweis gleicht. Mit dieser Struktur verbindet Hegel den OGB insofern zu Recht, als dass dadurch die Weise des Seins des absoluten 138 Siehe ebd., § 237, S. 388: „Für sich ist die absolute Idee, weil kein Übergehen noch Voraussetzen und überhaupt keine Bestimmtheit, welche nicht flüssig und durchsichtig wäre, in ihr ist, die reine Form des Begriffs, die ihren Inhalt an sich selbst anschaut.“ 139 Siehe ebd., § 243, S. 392: „Die Methode ist auf diese Weise nicht äußerliche Form, sondern die Seele und der Begriff des Inhalts, von welchem sie nur unterschieden ist, insofern die Momente des Begriffs auch an ihnen selbst in ihrer Bestimmtheit dazu kommen, als die Totalität des Begriffs zu erscheinen.“ 140 Vgl. ebd., § 238, S. 390. 141 Vgl. ebd., § 239, S. 391. 142 Vgl. ebd., § 242, S. 392.
9.4. Die Vollendung in der Idee *
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Prinzips, des philosophischen Gottesbegriffs, hervortritt: Er ist ‹objektiv› und greift noch auf seine Verneinung und das ihm Entgegengesetzte über und erweist sich darin als das Bestimmende und Wesentliche. Damit ist deutlich gezeigt worden, dass die WdL nicht nur eine Lehre des richtigen Denkens bietet, eine Ontologie oder Transzendentalphilosophie darstellt. Stattdessen sind diese drei Disziplinen ganz wesentlich und innerlich mit der Durchführung der philosophischen Theologie im Allgemeinen und dem ontologischen Gottesbeweis im Speziellen verbunden, auch wenn es einer tief gehenden Analyse bedarf, um den philosophisch-theologischen Gehalt hervortreten zu lassen, vor allem, weil dieser durch die Kombination mit den drei Disziplinen eine eigentümliche Form annimmt. Die Gründe für diese Form herauszuarbeiten und die Grundlinien des OGB in Hegels WdL frei zu legen, war das Ziel der vorliegenden Arbeit, auch wenn weitere Schritte sinnvoll und notwendig wären, um den theologischen Gehalt der Logik vollständig einschätzen zu können, wie etwa die genaue Untersuchung des Verhältnisses zum kosmologischen und teleologischen Beweis. Aber das muss der Gegenstand einer anderen Studie sein. Anstatt hier noch weiter in zu knapper Form auf die absolute Idee *, etwa auf ihr Verhältnis zum ‹Erkennen› und zum ‹Guten› einzugehen, sei vielleicht – weil es die Verbindung zum negativen Beweis und die Explikation des adäquaten Seinsverständnis für das Absolute in anderen Begrifflichkeiten deutlich werden lässt – zum Abschluss noch auf den Begriff des wahrhaft Unendlichen verwiesen und darauf, warum Hegel diesen als Grundbegriff für die Philosophie bezeichnet. Der Grundbegriff der Philosophie: die ‹wahrhafte Unendlichkeit› Durch die vorliegende Interpretation der Begriffslogik sollte im Wesentlichen die Struktur der Begriffslogik erhellt werden und so deutlich gemacht werden, warum Hegel den ontologische Gottesbeweis am Übergang zur Objektivität verortet. Damit wurde auch deutlich, wie der OGB unter hegelschen Prämissen überhaupt zu denken ist, nämlich als Beweis der Uneingeschränktheit des Begriff *, was die Idee * explizit bedeutet. Damit führt der hegelsche OGB aber zurück zu einem Begriff, den Hegel in der Seinslogik behandelt, nämlich auf das ‹wahrhaft Unendliche›, von dem Hegel auch sagt, er sei der „Grundbegriff der Philosophie“.143 Denn was Hegel in der ‹wahrhaften Unendlichkeit› vorstellt, ist im Grunde bereits ein Abbild, was die absolute Idee * als Methode der Logik und der Begriff * letztlich als Prinzip der Natur und des Geistes ist. Dafür sei nochmals in aller Kürze daran erinnert, was Hegel in der Seinslogik als ‹wahrhaft Unendliches› einführt. Dieser Gedanke ist am einfachsten verständlich, wenn man seine Herleitung aus den Problemen der Entgegensetzung von ‹Endlichem› und ‹Unendlichem› betrachtet. Wird nämlich die Kategorie des ‹Unendlichen› als diejenige betrachtet, die alle Wirklichkeit ausmacht und die somit das Absolute erfasst, so wird diese Wirklichkeit 143
Vgl. Hegel, Enz. I, § 95, A., S. 203.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
beziehungsweise das Absolute als eine völlig undifferenzierte, unabgegrenzte Einheit verstanden. Eine solche bloße, undifferenzierte Einheit entzieht sich aber jeglicher Erkennbarkeit und steht natürlich mit jeder Form von Pluralität in Konflikt. Denn ohne Differenzen, Negation und die daraus folgende Bestimmtheit ist nichts erkennbar, was Hegel in der Logik als zentrale Annahme anführt. Daher kann diese Kategorie nicht die angemessene Auffassung des Wirklichen und Absoluten bilden, denn die bloß homogene ‹Unendlichkeit› wäre unerkennbar und somit widersprüchlich, weil zugleich schon bestimmte Erkenntnisse für sie gelten. Folglich müssen Differenzen und Abgrenzung in die Auffassung des Prinzips der Wirklichkeit, des Absoluten, aufgenommen werden. Die Kategorie, welche das erfüllt, ist diejenige des ‹Endlichen›. Denn ‹Endliches› ist dadurch definiert, sich gegen anderes abzugrenzen, sich zu unterscheiden und somit in äußeren Relationen zu stehen. Kann denn nun diese Kategorie Pate stehen für eine überzeugende Auffassung des Absoluten? Hegel argumentiert, dass nun diese Auffassung – am einfachsten in dem Satz gefasst: ‚Alles ist endlich‘ – ebenfalls einen Widerspruch begeht. Dieser Widerspruch besteht zwischen dem Gehalt, den der Satz ausdrückt, und den Eigenschaften dieses Gehalts. Denn wenn der Satz wahr wäre, dann wäre mit der Kategorie ‹Endliches› ein unendliches Prinzip aller Wirklichkeit bezeichnet – es würde durch diese Kategorie etwas bezeichnet, das selbst unbeschränkt und für alles gültig ist. Dieser performativ-dialektische Widerspruch zeigt sich auch in der Selbstanwendung der Kategorie. Denn wenn das ‹Endliche› selbst ‹endlich› ist, so muss es das Entgegengesetzte auch geben: also das ‹Unendliche›. Und die Selbstanwendung ist aufgrund des Anspruchs der logischen Kategorien, das Absolute zu bestimmen, gefordert.144 Im Reflexionsakt auf die Voraussetzungen und die Implikationen der Aussage wird also deutlich, dass ein verdeckter Widerspruch vorliegt, weil mit der behaupteten Allgültigkeit der Kategorie ihr Gehalt in Konflikt gerät. Und so wird offen gelegt, dass mit der Allgültigkeit eine Regelhaftigkeit angenommen wird, die besagt, dass alles nur aus Differentem und ‹Endlichem› besteht. Und diese Regelhaftigkeit beschreibt somit etwas, was allen Fällen gemeinsam ist und daher uneingeschränkt gilt. Letzteres soll in der Kategorie des ‹wahrhaft Unendlichen› festgehalten werden. Denn das ‹Endliche› fordert zwangsläufig die Kategorie ‹Unendliches›. Allerdings darf dieses nicht wiederum als der schiere Gegensatz des ‹Endlichen› verstanden werden. Denn weil die Kategorie ‹Endlichkeit› bedeutet, dass etwas einen Gegensatz hat, so fiele das ‹Unendliche› selbst unter die Kategorie des ‹Endlichen›. Auf diese Art darf das geforderte ‹Unendliche› also nicht verstanden werden. Ein entsprechend korrigiertes Verständnis soll durch das ‹wahrhaft Unendliche› gewonnen sein, weil 144 Siehe Hegel, WdL I, S. 131 (149), Z. 28–31: „Das Endliche seinerseits als für sich vom Unendlichen entfernt gestellt, ist d i e s e B e z i e h u n g a u f s i c h, in der seine Relativität, Abhängigkeit, seine Vergänglichkeit entfernt ist; es ist dieselbe Selbstständigkeit und Affirmation seiner, welche das Unendliche seyn soll.“
9.4. Die Vollendung in der Idee *
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dieses nicht mehr als außerhalb, gegenüber oder abgegrenzt vom ‹Endlichen› verstanden werden darf, sondern seinen Sinn dadurch erhält, dass es die „Einheit des Endlichen und Unendlichen, – die Einheit, die selbst das Unendliche ist, welches sich selbst und die Endlichkeit in sich begreifft, – also das Unendliche in einem andern Sinne als in dem, wornach das Endliche von ihm abgetrennt und auf die andere Seite gestellt ist“145 . Doch wie kann diese Einheit als das ‹wahrhaft Unendliche› genauer verstanden werden? Entscheidend ist nun, dass der eben beschriebene Widerspruch innerhalb des ‹Endlichen› mit im Blick behalten wird. Denn es liegt aufgrund dieser Inkonsistenz in der Kategorie des ‹Endlichen› selbst, sich auf sein anderes hin zu überschreiten, sich als abhängig von einer Voraussetzung zu erweisen, die es selbst nicht mitbezeichnen kann: Das Endliche wird nicht vom Unendlichen als einer außer ihm vorhandenen Macht aufgehoben, sondern es ist seine Unendlichkeit, sich selbst aufzuheben.146
Nun findet sich in diesem Zitat exakt das oben erläuterte Verhältnis von Begriff * und Objektivität. Indem man einfach die Kategorien austauscht, ist das oben erläuterte aufgegriffen: ‚Die Objektivität wird nicht vom Begriff * als einer außer ihm vorhandenen Macht aufgehoben, sondern es ist seine Begrifflichkeit *, sich selbst aufzuheben.‘ Und aus dieser Aufhebungsfigur seiner Negation wird nun das ‹wahrhaft Unendliche› deutlicher: Dieses Unendliche als In-sich-Zurückgekehrtseyn, Beziehung seiner auf sich selbst, ist S e y n aber nicht bestimmungsloses, abstractes Seyn, denn es ist gesetzt als negirend die Negation; es ist somit D a s e y n, denn es enthält die Negation überhaupt, somit die Bestimmtheit. Es i s t, und i s t d a, present, gegenwärtig. Nur das Schlecht-unendliche ist das J e n s e i t s, weil es n u r die Negation des als r e a l gesetzten Endlichen ist[.]147
Das ‹wahrhaft Unendliche› umgreift das ‹Endliche›, ist dessen Voraussetzung und geht daher aus dessen dialektischem Widerspruch hervor. Somit ist es nicht als jenseits des ‹Endlichen› zu verstehen, sondern als dessen eigentliche Wirklichkeit, von der es sich nur scheinbar abgrenzt: Die Negation ist so als Idealität bestimmt; das Ideelle ist das Endliche, wie es im wahrhaften Unendlichen ist, – als eine Bestimmung, Inhalt, der unterschieden, aber nicht s e l b s t s t ä n d i g s e y e n d, sondern als M o m e n t ist.148
Dieses Verhältnis entspricht nun demjenigen, das Hegel auch zwischen dem Begriff * und der Objektivität sieht: Der Begriff * als absolutes Prinzip benötigt zwar, damit seine Absolutheit verständlich und erkennbar wird, die Negation und Entgegensetzung, welche die Objektivität zu sein beansprucht. Aber Letztere erweist 145 146 147 148
Hegel, WdL I, S. 132 (150), Z. 5–8. Ebd., S. 133 (152), Z. 17–19. Ebd., S. 136 (157), Z. 11–16. Ebd., S. 137 (158), Z. 4–6.
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9. Hegels Durchführung des ontologischen Gottesbeweises im Übergang zur Objektivität
sich als unselbstständig, weil sie bereits den Begriff * und die in ihm implizierten Kategorien voraussetzt. Daher ist sie nur durch und mit dem Begriff * verständlich, der aber folglich auch kein Jenseits bildet, sondern noch in seiner Negation bei sich selbst ist und sich in der Entgegensetzung selbst findet und bestimmt.149 Und deswegen eignet sich die Kategorie des ‹wahrhaft Unendlichen› als „der Grundbegriff der Philosophie“150 . Und das zeigt auch der ontologische Gottesbeweis in der hegelschen Konzeption. Das Sein des göttlichen Begriffs * besteht darin, absolut zu sein. Aber das bedeutet, weder ein Jenseits zu bilden noch in eine undifferenzierte Einheit zu verfallen, sondern es bedeutet, dass das Absolute als Prinzip alles durchwirkt und durchwaltet, auch wenn es nicht immer als dieses Prinzip auftritt. Und in diesem Sinn sagt Hegel in der Ausführung des teleologischen und ontologischen Beweises in den Vorlesungen über die Religionsphilosophie vom Jahre 1828: Erstens ist der Begriff unmittelbar dies Allgemeine, welches sich bestimmt, besondert, diese Tätigkeit, zu unterteilen, sich zu besondern, zu bestimmen, eine Endlichkeit zu setzten und diese seine Endlichkeit zu negieren und durch die Negation dieser Endlichkeit identisch mit sich zu sein. Das ist der Begriff überhaupt, der Begriff Gottes, der absolute Begriff; Gott ist eben dieses. Gott als Geist oder als Liebe ist dies, daß Gott sich besondert, den Sohn erzeugt, die Welt erschafft, ein Anderes seiner und in diesem sich selbst hat, mit sich identisch ist. Im Begriff überhaupt, noch mehr in der Idee, ist dieses überhaupt, durch die Negation der Besonderung, die zu setzen er zugleich selbst die Tätigkeit ist, identisch mit sich zu sein, sich auf sich selbst zu beziehen.151
149 Siehe Hegel, Enz. I, § 215, A., S. 372 f. „Aber in der negativen Einheit der Idee greift das Unendliche über das Endliche hinüber, das Denken über das Sein, die Subjektivität über die Objektivität.“ 150 Ebd., § 95, A., S. 203. Siehe auch Hegel, „Fragment zur Philosophie des Geistes“, S. 529: „[. . . ] daß die Natur des Endlichen und Unbeschränkten und ebendamit sein Verhältnis zum Unendlichen den schwersten Punkt, man könnte sagen, den einzigen Gegenstand der Philosophie ausmachen[.]“ 151 Hegel, „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes“, S. 524 f.
Resümee und Ausblick Das Thema der vorliegenden Untersuchung war der OGB, genauer: Hegels OGB im Spiegel der kantischen Kritik an der philosophischen Theologie. Nachdem eine detailreiche Interpretation und Analyse der kantischen und hegelschen Argumentationen um den OGB vorgelegt wurde, sollen nun abschließend nochmals die zentralen Gedanken der Studie zusammengestellt werden. Dabei werden im Folgenden die Grundgedanken und ihr Zusammenhang nochmals herausgestellt. Daran schließt sich ein Ausblick auf die Desiderata und Anschlussmöglichkeiten an. Teil I: Kant und das Unterfangen der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises Es ist bemerkenswert, dass Hegel sich in einer ähnlichen historischen Situation hinsichtlich der philosophischen Theologie vorfand, die auch das 20. Jahrhundert bereitet hat. Denn die Orientierung an den Naturwissenschaften, den hard sciences, und den Formalwissenschaften der Mathematik und Logik ging mit der fundamentalen Ablehnung der Metaphysik Hand in Hand. In verwandter Weise hatte schon Kant den Boden für philosophische Gottesbeweise im Rahmen der theoretischen Vernunft trocken zu legen versucht. Denn auf dem Kampfplatz der Philosophie sollten mit der Erkenntniskritik die Grenzen gezogen werden, über die die Erkenntnis nicht hinausgelangen kann. Die rationalistische Metaphysik habe versucht, diese Grenzen einzurennen, musste aber aus prinzipiellen Gründen daran scheitern, wie Kant in der KrV zu zeigen beansprucht. Und in dieses Scheitern seien auch alle Versuche, die Existenz Gottes zu beweisen, involviert. Jedoch ist Kants Herangehensweise an die philosophische Theologie deutlich differenzierter, als die aus dem 20. Jahrhundert bekannten Polemiken, was in Abschnitt 1 dargelegt wurde. Denn Kant kommt der philosophischen Theologie so weit entgegen, als dass er annimmt, dass die menschliche Vernunft aus prinzipiellen Gründen weder auf die Idee Gottes noch auf das Streben nach Gottesbeweisen verzichten kann. Auch wenn beides unmöglich zu theoretischem Wissen führen kann, so sind weder die Idee Gottes noch das Streben nach den Beweisen durch die Unmöglichkeit eines Gottesbeweises zu ersticken. Vielmehr gehört beides konstitutiv zu endlichen Vernunftwesen und gewinnt im Rahmen der praktischen Lebensorientierung eine wichtige und wertvolle Funktion. Weil den Argumenten, die Kant dieser These zugrunde legt, selten Beachtung geschenkt wird, wurden
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Resümee und Ausblick
diese extrapoliert und geprüft. Auch wenn Kants Argumentation letztlich nicht überzeugen kann, so wurde auf diesem Weg aber deutlich, dass Kant meint, dass die philosophische Theologie notwendig mit den der Vernunft eigenen Denkweisen verbunden ist. Dieses Problemniveau ist insofern interessant, als dass es von Hegel akzeptiert wird und er letztlich die Untersuchung des reinen Denkens und die philosophische Theologie zu einem Projekt zusammenzieht. Jedoch bereitet Kant seine Fundamentalkritik an der philosophischen Theologie nicht nur vor, indem er eine Erklärung anbietet, warum endliche Vernunftwesen überhaupt zur philosophischen Theologie neigen. Hinzukommend macht er sich originelle Gedanken um die Systematik der Gottesbeweise. Denn eine Widerlegung der Ansprüche kann nur dann gelingen, wenn die Gottesbeweise vollständig und grundsätzlich kritisiert werden. Dafür entwickelt Kant ein Schema der Einteilung aller möglichen Gottesbeweise im Rahmen der theoretischen Vernunft. In der vorliegenden Untersuchung konnte gezeigt werden, dass Kant sein eigenes Schema aber nicht vollständig ausfüllt. Denn Kant erfasst weder den Gottesbeweis aus den ewigen Wahrheiten, den Leibniz etwa in der Monadologie erwähnt. Noch berücksichtigt Kant seinen eigenen vorkritischen Beweis, der von der Menge aller Denkmöglichkeiten auf einen Grund dieser Denkmöglichkeiten schließt.1 Auch das ist ein interessantes Ergebnis, da Hegel wiederum hier anschließt und den OGB mit dem Beweis aus den ewigen Wahrheiten verbindet. Der nächste entscheidende Schritt in Kants Gedankengang besteht dann darin, dass der OGB als die notwendige Bedingung aller Gottesbeweise der theoretischen Vernunft ausgezeichnet wird. Dieser Zug ist für Kant essentiell, weil auf diese Weise per modus tollens mit der Widerlegung des OGB die anderen Gottesbeweise ebenfalls ausgeschlossen werden können. Jedoch ist die Begründung, die Kant für diese These bietet, dunkel. Es konnte in der vorliegenden Arbeit aber gezeigt werden, dass sich an Kant anschließen lässt und sein Gedanke erhärtet werden kann, wenn auf die Regressprobleme in den Gottesbeweisen reflektiert wird. Das wurde in Abschnitt 1.4 dargelegt. Das wichtigste Argument für die zentrale Rolle des OGB ist, dass die beiden anderen Beweise ein Regressprinzip – etwa den Satz vom zureichenden Grund oder ein Kausalprinzip – annehmen müssen. Mithilfe dieses Prinzips wird dann von einer Erfahrungsprämisse ausgehend auf Ursachen oder Gründe zurückgeschlossen. Und schließlich, so argumentieren die a posteriorischen Gottesbeweise, kann auf einen vollkommenen, mächtigen, weisen oder guten ersten Grund geschlossen werden, weil nur so dem Prinzip Genüge getan werde. Jedoch ist das große Problem, das diese Art von Schlüssen aufwerfen, dass unklar bleibt, warum der jeweils erschlossene Grund nicht selbst wieder in etwas anderem gegründet ist. Denn es scheint so, als könnte mithilfe des Prinzips immer wieder nach einem weiteren Grund gefragt werden, und folglich würde 1
Vgl. Abschnitt 1.3.2.
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auf diesem Weg kein erster Grund erreicht. Diese Frage ist im Fall Gottes aber völlig unplausibel und kommt sogar einer reductio ad absurdum gleich. Doch wie kann ausgeschlossen werden, dass ein solcher fortlaufender Regress aus Gründen ad infinitum entsteht? Dafür stehen prima facie zwei Wege offen: 1. Der erste Weg begrenzt die Reihe aus Gründen auf endlich viele Glieder, so dass ein erster oder höchster Grund angenommen werden muss. 2. Oder es wird für ein bestimmtes Glied der Reihe gezeigt, dass dieses keine weiteren Gründe hat und auch keiner weiteren bedarf. Die erste Option (1.) scheidet jedoch aus, weil der Versuch, die Menge der Anwendungsfälle für das Regressprinzip zu begrenzen, aussichtslos erscheint. Aber vor allem folgt aus der Endlichkeit der Menge der Gründe kein Gottesbeweis. Denn zum einen können die Gründe immer in holistischen Abhängigkeiten stehen, und zum zweiten kann die endliche Gesamtheit der Gründe als brutum factum verstanden werden, zum Beispiel, wenn die Welt zwar endlich, aber dennoch als schlicht gegeben akzeptiert wird, auch wenn ein erster Weltzustand der Grund für die folgenden ist, wie etwa die Urknalltheorie annimmt. Daher bleibt die zweite Option (2.), die darin besteht, einen Grund als selbst nicht begründungsbedürftig auszuweisen, weil er durch sich selbst notwendig ist. Denn dann wäre das Regressprinzip erfüllt, aber nicht, indem auf einen Grund geschlossen wird, der vom Begründeten unterschieden ist. Stattdessen wären in diesem Fall Grund und Begründetes identisch, sodass dieser durch sich selbst notwendig wäre und zugleich alles andere begründen könnte. Dieser erste Grund seiner selbst wäre allein durch diese logische Struktur eng mit Intuitionen hinsichtlich des Wesens Gottes verbunden. Nun ist aber mit den Prämissen des KGB oder des PTB diese Form von Selbstbegründung nicht demonstrierbar. Aber an deren Stelle entspricht es der Argumentation des OGB, die Notwendigkeit Gottes aus dessen eigenem Begriff abzuleiten. Denn wenn Gott durch seinen eigenen Begriff notwendig wäre, so ließe sich gar nicht widerspruchsfrei denken, dass er nicht existierte. Diese Notwendigkeit, die aus dem Begriff von etwas folgt, nennen Kant und Hegel übereinstimmend absolute Notwendigkeit. Daher stellt Kant zu Recht den OGB in das Zentrum der Bemühungen um die philosophische Theologie, was erneut ein Punkt ist, den Hegel in seiner WdL aufgreift. Anschließend widmete sich der Abschnitt 2 dann der kantischen Widerlegung des OGB. Weil das Argument in der KrV nicht präzise verortet werden kann, wurden drei große Themen unterschieden, die Kant im Laufe des Kapitels Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes anführt. So wurde zunächst in Abschnitt 2.1 Kants Theorie der Modalbegriffe untersucht und gefragt, welches Argument gegen den OGB vorliegt. Letztlich wurde gezeigt, dass Kant entweder seine eigenen Ansichten über Modalbegriffe unzureichend begründet oder seine eigenen Modalbegriffe aus den Grundsätzen der KrV, die Postulate des empirischen Denkens, voraussetzt. Diese sind jedoch nicht unhintergehbar, sodass die
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Konklusion höchstens lauten würde, dass Kants KrV und der OGB nicht beide für wahr gehalten werden können. Auch die Festlegung Kants, dass Existenzsätze nur synthetisch sein können, führt zu keiner überzeugenden Widerlegung. Denn wie in Abschnitt 2.2 gezeigt wurde, ist der OGB gar nicht auf einen analytischen Existenzsatz festgelegt. Zudem treffen die kantische Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sätzen schwerwiegende Zweifel. Und so wurde auch hier die Konklusion festgehalten, dass der OGB nicht aufgrund von Kants Argumenten verworfen werden muss. Abschließend wurde daraufhin in Abschnitt 2.3 Kants berühmtes Diktum untersucht, dass ‚Sein kein reales Prädikat‘ sei. Zunächst konnte dabei in Abschnitt 2.3.1 eine Interpretation zurückgewiesen werden, die in Kants Einwand die Antizipation der Russel-Frege-Theorie erblickt. Dieser Theorie zufolge ist ‚Existenz‘ nicht als Prädikat aufzufassen, weil keine Eigenschaft innerhalb eines Gegenstandsbegriffs mit dieser bezeichnet werde. Stattdessen sei sie als Quantor zu verstehen, der die Abzählbarkeit von Instanzen zu einem Begriff angibt. Diese Auffassung ist nicht nur historisch fragwürdig, weil Kant sich eindeutig an der aristotelischen Logik orientiert. Darüber hinaus führt die Theorie auch zu keinem zwingenden Argument gegen den OGB. Denn es lässt sich mit gängigen formallogischen Methoden mit Hilfe des Quantors ein Existenzprädikat definieren. Zudem besteht zusätzlicher Begründungsbedarf für die Quantorentheorie, wenn sie nicht zirkulär argumentieren soll, dass Quantoren im Fall der Existenz von Instanzen gerechtfertigt sind. Denn dann wäre ein Existenzverständnis für den Existenzquantor vorausgesetzt und könnte nicht durch diesen begründet werden. Weil Kants Widerlegungsversuch nicht erfolgreich wäre, wenn er sich nur gegen die Auffassung wenden würde, Existenz sei als Prädikat zu fassen, wurde Kants Theorie über Prädikate weiter entfaltet. In Abschnitt 2.3.2 wurde dabei der Unterschied zwischen realen und logischen Prädikaten erläutert. Letztlich liegt dieser Unterscheidung aber Kants These über die zwei Erkenntnisstämme der endlichen Vernunftwesen zugrunde. Doch es wurde gezeigt, dass sich auch auf diesem Fundament kein zwingendes Argument für eine Widerlegung des OGB ergibt. Denn die philosophische Theologie legt sich gerade nicht darauf fest, dass alles Wissen anschaulich fundiert werden muss. Kant müsste also für diese Fundierungsthese eine Begründung liefern, die jedoch misslingt. Es wurde gezeigt, dass diese sogar misslingen muss, da Kant in seiner Begründung zu Annahmen gezwungen ist, die seiner These widersprechen. Wird also der kantische Versuch, die philosophische Theologie aus dem theoretischen Wissen auszuschließen, untersucht, dann kann festgehalten werden, dass nicht nur die Widerlegung des OGB misslingt, sondern letztlich Begründungslücken in der kantischen Philosophie hervortreten. Doch auch wenn Kants Widerlegung scheitert, konnte mit der gründlichen Untersuchung der Argumentation die Ausgangslage für den OGB erhellt werden, von der Hegel ausgeht.
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Denn Kants Versuch, die philosophische Theologie im Feld theoretischen Wissens zu widerlegen, ist für die philosophische Theologie verdienstvoll. Denn durch Kants scharfsinnigen und groß angelegten Widerlegungsversuch der ganzen metaphysica specialis und des OGB im Besonderen, war und ist die philosophische Theologie nach Kant stärker denn je gezwungen, ihre systematischen Voraussetzungen zu klären und sich zu den Kategorien der Ontologie sowie zu den möglichen Erkenntnisleistungen der menschlichen Subjekte ins Verhältnis zu setzen. Denn Kants Kritik findet selbst vor einem konstruktiven, systematischen Theoriegebäude statt, auf dem sie letztlich beruht und durch das sie gestärkt wird. Daher treten gerade durch die kantische Kritik die systematischen Anforderungen, die mit dem OGB verbunden sind, deutlich hervor. Hier schließt Hegel an die kantischen Transzendentalphilosophie an, indem er nach Lösungen für deren Begründungslücken sucht. Und interessanterweise bildet der OGB ein Kernstück und eine Richtschnur in diesem Unterfangen, sowie zugleich die Grundprobleme des OGB durch die Einbindung in die systematische Philosophie auf besondere Weise behandelt werden. Teil II: Hegels Wiederaufnahme der philosophischen Theologie als Überbietung der kantischen Transzendentalphilosophie Mit der durch Kant gewonnenen Problemfolie, vor der Hegels Behandlung des OGB betrachtet werden muss, wurde zunächst gezeigt, dass und wie Hegel an die kantische Philosophie anschließt. Denn durch diesen Anschluss, der aus seiner Kritik an der Transzendentalphilosophie erwächst, ergibt sich für Hegel die Berechtigung und die Notwendigkeit, die klassischen Themen der vorkantischen Metaphysik wieder zu behandeln. In Abschnitt 3 wurde daher gezeigt, dass Hegel sowohl die kantische Transzendentalphilosophie als auch die vorkantische Metaphysik aus einer einheitlichen Perspektive betrachtet, die durch die Frage nach der Geltung und Begründung der grundlegenden Annahmen eingenommen wird. Denn beide nehmen nicht nur unbegründete Prämissen an, sondern geraten durch die fehlende Letztbegründung auf Abwege. So liegt etwa der Fehler, den die kantische Philosophie begeht, darin, die eigenen Aussagen und Annahmen unbegründbar zu machen, wie in Abschnitt 3.1 besprochen. Indem das theoretische Wissen auf sinnlich-empirisch fundiertes Wissen eingeschränkt wird, können nämlich die Bedingungen der Erkenntnis dieser Erkenntnisbedingungen kein theoretisches Wissen mehr darstellen. Daraus folgt, wie oben angesprochen, aber nicht nur ein allgemeines Begründungsdefizit in der KrV, sondern eine fehlgehende Kritik an der rationalistischen Philosophie, gestützt auf zirkuläre Argumente und das eigene, nicht wohl begründete Kriterium für Wissen. Doch auch – obgleich sich die vorkantische Metaphysik kaum so einheitlich fassen lässt – gegen die rationalistische Philosophie hält Hegel fest, was in Abschnitt 3.3 thematisiert wurde, dass sie letztlich von Axiomen und willkürlichen Definitionen ausgegangen sei. Und
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aus diesem Grund sei sie in Dilemmata geraten, die aus den unbegründeten und undurchdachten kategorialen Weichenstellungen resultierten. Beispiele, die Hegel analysiert, sind etwa, dass notwendige Attribute nicht aus ihren Substanzen selbst abgeleitet werden können, die Substanz selbst letztlich wie ein Attribut behandelt werden muss oder aber dass einfache Prädikate angenommen werden, ohne diese konkret aufzeigen zu können.2 Insofern verhält sich Hegel zu den unterschiedlichen philosophischen Ansätzen auf einheitliche Weise, weil es ihm nicht darum geht, diese Ansätze schlicht zu widerlegen, sondern sie zu überbieten und zu vervollständigen. Denn durch diese Perspektive können die Begründungsmängel hervortreten, aber zugleich die anschlussfähigen Überlegungen gewahrt bleiben. Diese benötigen nur einer ausführlicheren Begründung, die von den philosophischen Ansätzen, so Hegel, nur unzureichend geleistet wurde. Daher kann Hegels eigenes Anliegen dadurch charakterisiert werden, dass er eine transzendentalphilosophische Haltung einnimmt, wobei ‚transzendentalphilosophisch‘ im Sinne Hegels als die strikte Reflexion der Geltungsvoraussetzungen zu verstehen ist. Aber diese transzendentalphilosophische Haltung distanziert sich durch die immanente Kritik von dem Verfahren, subjektive Akte und Vermögen als Bedingungen von Wissen und Erfahrung anzugeben. Stattdessen meint Hegel, dass kategoriale und propositionale Geltungsvoraussetzungen untersucht werden müssen und erst von diesen ausgehend die subjektiven Akte und Vermögen von Erkenntnissubjekten thematisiert werden können. Die Begründung dafür liegt in der Irreduzibilität des Logischen auf Psychologisches, selbst wenn Letzteres transzendentalphilosophisch gedeutet wird. Denn für die Thematisierung der subjektiven Akte und Vermögen ist immer schon ein Geflecht aus Kategorien und Propositionen vorausgesetzt, die die Akte und Vermögen adäquat erfassen müssen. Insofern sind es die Kategorien und Propositionen, die als Voraussetzung zuerst reflektiert werden müssen und die das Thema des Denkens des Denkens darstellen. Von Hegels Kritik an der kantischen Philosophie und der vorkantischen Metaphysik ausgehend konnten in Abschnitt 4.1 die Grundzüge der hegelschen Wissenschaft der Logik herausgearbeitet werden, mit der er seiner Philosophie ein Fundament gibt. Dieses Fundament soll durch die stetige Hinsicht auf die Letztbegründung der eigenen Philosophie errichtet werden, was der transzendentalphilosophischen Haltung entspricht. Es wurde als eine Konsequenz der Bemühung um Letztbegründung der eigenen Philosophie herausgearbeitet, dass die Begründung selbstbezüglich und somit in einem besonderen Sinne zirkulär sein muss, was für Hegels Behandlung des OGB folgenreich ist. Hegels Bemühungen um Letztbegründungen sind in ihren Konsequenzen von großer Bedeutung, die bis heute in der Hegel-Forschung noch unterbelichtet sind. So folgt etwa aus der Unkenntnis oder Missachtung dieser Thematisierung das 2
Vgl. Abschnitt 7.2.1.
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fundamentale Missverständnis, Hegel müsse als ein kantischer Transzendentalphilosoph verstanden werden, der alle Metaphysik ablehnt. Jedoch eröffnet gerade die Reflexion auf die Letztbegründungsthematik den Blick auf Hegels Transformation der Transzendentalphilosophie, durch welche die Metaphysik mit einer transzendentalphilosophischen Haltung vollkommen kompatibel wird, ja ein zwangsläufiges Zusammengehören festgehalten werden muss. Und so konnte gezeigt werden, dass diese transzendentalphilosophische Haltung gegenüber den reinen und fundamentalen Kategorien, wie sie im Kern der kantischen Philosophie stehen, konsequent zur Verbindung mit den klassischen Topoi der Metaphysik führen, nämlich der Ontologie und der philosophischen Theologie. Denn aus dem Letztbegründungsgedanken folgt sogleich, dass die Geltung der logischen Kategorien nicht eingeschränkt ist und diese daher ontologische Valenz haben, was in Abschnitt 4.1.1 argumentativ gestützt wurde, indem auf die zeitgenössische Kritik an transzendentalen Argumenten Bezug genommen wurde. Es konnte festgehalten werden, dass Hegel mit dem Projekt der Letztbegründung zu Recht die Herleitung von ontologischen Kategorien verbindet, die das Fundament allen Wissens und Seins bilden, was die WdL leisten soll. Auch die philosophische Theologie weist eine innige Verbindung zu diesem Gedanken auf, weil durch die Letztbegründung das Absolute bewiesen wird. Es besteht daher eine besondere Relation zwischen dem OGB und der Letztbegründungsargumentation. Zwar ist in einem trivialen Sinne jede Begründung auf die Letztbegründungsthematik verwiesen, weil die ersten Annahmen infrage gestellt werden können. Hegel sieht jedoch nicht nur diese triviale Verbindung von Letztbegründung und OGB, sondern zudem eine außergewöhnliche, die aus dem Zusammenhang des Beweises mit seinem Beweisgegenstand erwächst. Dieser wird deutlich, wenn man einen Vergleich anstellt: Nehmen wir auf der einen Seite die Erklärung von Phänomenen in der Natur durch Naturgesetze, wie sie aus der Physik bekannt sind. Und auf der anderen Seite die Erklärung und Begründung der Existenz Gottes, die die philosophische Theologie anstrebt. Nun folgt aus der strengen Geltungsreflexion in beiden Fällen die Frage nach einem fundamentum inconcussum, damit die Erklärungen und Begründungen nicht bloß relative Gültigkeit besitzen. Aber die physikalische Erklärung und Begründung der physikalischen Phänomene ist selbst offensichtlicherweise keine Letztbegründungsargumentation. Anders verhält es sich hingegen mit dem Gottesbeweis. Denn wird dieser thematisiert, so scheint sofort eine inhaltliche Beziehung zur Letztbegründung auf: Das Thema ‚Gott‘ kann sich nicht neutral zur Letztbegründung verhalten, was offensichtlich ist, wenn man eine der möglichen philosophischen Bedeutungen zugrunde legt: Das absolut Wahre. Doch wie ist die Verbindung der Themen ‚Gott‘ und ‚Letztbegründung‘ genauer zu verstehen? Prima facie kommen drei Möglichkeiten in Betracht, ganz analog zu Platons Gedanken aus dem Euthyphron, wie
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sich das Gute und das Göttliche zueinander verhalten: 1. Entweder Gott ist, garantiert oder ermöglicht die Bedingungen der Letztbegründung. Dann wäre die Letztbegründung allerdings keine Letztbegründung. 2. Oder die Letztbegründung ist der Grund für die Existenz Gottes. Dann wäre Gott aber bedingt, nicht selbst absolut und selbstgenügsam. 3. Oder – und das ist die dritte und überzeugendste Möglichkeit – die Letztbegründung und Gott stellen ein und dasselbe Thema dar. In diesem Fall wäre der Gottesbeweis selbst eine Form von Letztbegründung. Dass es also im OGB und der Letztbegründung um das absolut Wahre geht, ist, was Hegel aus der Reflexion auf den Inhalt des Gottesbeweises festhält. Wenn nun der OGB und die Letztbegründung das gleiche Thema betreffen, so kann entweder der Erste oder die Letztere geführt werden, um Gleiches zu erreichen. Nun bestehen aber für den OGB Geltungsvoraussetzungen, durch welche er zu Recht immer wieder Gegenstand der Kontroverse in der Geschichte der Philosophie geworden ist. Denn diese Geltungsvoraussetzungen sind alles andere als trivial. Direkter hingegen ist der Weg über die Letztbegründungsargumentation, um von dieser aus den OGB zu behandeln. Diesen Weg schlägt Hegel ein, indem er den OGB in seine WdL integriert. Für die Frage nach dem OGB in der hegelschen Philosophie ist nun entscheidend, dass aus dem Letztbegründungsanspruch folgt, dass diese Logik selbstbezüglich ist, wie ebenfalls in Abschnitt 4.1 ausgeführt wurde. Denn eine Unterscheidung von Beweismethode und Beweisgegenstand würde unmittelbar neue Begründungsprobleme aufwerfen. Daher ist Letztbegründung nur als Selbstbegründung möglich. Das ist folglich auf den OGB zu übertragen, denn das Absolute ist nur adäquat bewiesen, wenn es nicht aus anderen Bedingungen folgt. Es muss sich selbst bedingen, oder, um ein Wort Hegels aufzugreifen, es muss ‚sich selbst vermitteln‘. Auch wenn diese Überlegungen den klassischen OGB fern zu sein scheinen, so muss doch eine Entsprechung konstatiert werden: Die Form einer Selbstbegründung oder eines Selbstbeweises ist den klassischen Formulierungen des OGB nicht fremd. Denn es wird gezeigt, dass aus dem Begriff Gottes folgt, dass er existiert. Insofern ist es nicht der subjektive Denkakt oder ein ganz anderes Thema, aus dem im OGB die Existenz Gottes folgt, sondern es ist der Gottesbegriff, Gottes eigenes Wesen, aus dem die Existenz Gottes folgt. Diese Art, durch seinen eigenen Begriff zu existieren, nennen Kant und Hegel gleichermaßen absolute Notwendigkeit. Doch während Kant diese verwirft und höchstens als Postulat zulässt oder ihr eine Rolle in der praktischen Vernunft zuweist, glaubt Hegel die ‹absolute Notwendigkeit› durch seine WdL einlösen zu können. Neben die Eigenschaft des Beweises für das Absolute, selbstbezüglich zu sein, tritt nun eine weitere, daraus folgende Eigenschaft, nämlich, dass der Beweis zirkulär sein muss. Denn die Form des Selbstbeweises ist eine Begründung mit der Besonderheit, dass Begründung und Begründetes ein und dasselbe sind. Solche Argumentationen werden zirkulär genannt – und in der Regel als Argumentationsfehler abgelehnt.
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Nun kann aber nicht jede zirkuläre Argumentation fehlerhaft sein, wie es auch für Definitionen zugelassen wird, wenn Grundlegungsfragen nicht prinzipiell für unmöglich erklärt werden sollen. Daher ist auch für Begründungen anzunehmen, dass nicht jede Zirkularität einen Defekt bildet, sondern manche Zirkel notwendig und unumgänglich sind. Weil aber natürlich die wenigsten zirkulären Argumentationen notwendig und unumgänglich sind, bedarf es einer Methode, jene Zirkel von fehlerhaften zu unterscheiden. Das Mittel, um notwendige von fehlerhaften Zirkeln abzugrenzen, ist nun ein negativer Beweis, der ihre Unumgänglichkeit oder Unhintergehbarkeit zeigt. Grob gesagt zeigt dieses Mittel, dass, wenn eine Kategorie oder eine Proposition nicht konsistent verneint werden kann, sie eine notwendige Voraussetzung ihrer Negation ist. Diese Gedanken um das Gottesverständnis und den OGB wurden in Abschnitt 4.1, dabei besonders in Abschnitt 4.1.2, eingeführt, um sie dann im Teil IV der vorliegenden Studie zu vertiefen. Jedoch ergibt sich aus der Verbindung von Letztbegründung und OGB für Hegel eine radikale Konsequenz, die in Abschnitt 4.2 erläutert wurde: Weil sich die ewigen Wahrheiten, die durch die Letztbegründung bewiesen werden, aufzeigen lassen und damit intelligibel sind, ist es auch der Begriff Gottes. Während eine Kennzeichnung, wie ‚dasjenige, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann‘, die Anselm verwendet, oder die Bezeichnung ‚ens necessarium‘ offenlassen, ob sie vollständig verstanden werden können, gilt das nicht für Hegels absoluten Begriff *, der seinen Gottesbegriff darstellt. Dieser ist vollkommen intelligibel, woraus folgt, dass es keinen radikaleren Gegner der negativen Theologie gibt als Hegel. Und folglich können auch Glaube und Wissen für ihn letztlich keine Opposition bilden, sondern verhalten sich wie verschiedene Erkenntnismodi, die ineinander überführbar sind, dabei aber den gleichen Inhalt haben. Welche Geltungsvoraussetzungen sind es aber nun, auf die reflektiert werden kann, wenn der OGB betrachtet wird? Hegel stellt zwei Themen in den Vordergrund, die aus der Betrachtung der vom OGB angestrebten Konklusion hervorgehen. Denn dieser Beweis besteht nun darin, dass mit strenger Notwendigkeit, ohne die Erfahrung zu bemühen, nur durch den Gottesbegriff auf die Konklusion geschlossen werden soll: ‚Gott existiert‘. Es ist offensichtlich, dass zumindest zwei Voraussetzungen reflektiert werden müssen, wenn die Geltung des OGB eingeschätzt werden soll: 1. Was ist unter ‚Gott‘ zu verstehen? 2. Was ist unter ‚. . . ist existent‘ zu verstehen? Nun lassen sich zwei Hauptversionen in der Tradition des OGB unterscheiden. Denn je nachdem ob man das ens perfectissimum oder das ens necessarium als Grundbegriff für den Beweis wählt, gestaltet sich dieser verschieden. Denn legt man das ens perfectissimum zugrunde, so besteht die Hauptaufgabe des Beweises darin, Existenz respektive notwendige Existenz als eine Perfektion auszuzeichnen, die notwendig zu diesem Begriff gehört. Ist dieser Begriff dann noch konsistent, so folgt die Existenz des vollkommenen Wesens. Legt man hingegen das ens necessarium
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zugrunde, so liegt die Hauptschwierigkeit darin, die Möglichkeit dieses Begriffes zu beweisen. Denn wenn das notwendige Wesen möglich ist, dann folgt, dass es notwendig und a fortiori wirklich ist. Die Möglichkeit zu beweisen, heißt aber, die Widerspruchsfreiheit des Begriffes zu zeigen. Hegel steht nun dem Beweis aus dem ens necessarium näher, den Leibniz herausgearbeitet hat und auf den sich Gödels Formalisierung bezieht. Jedoch übernimmt Hegel aus beiden Beweisen wichtige Elemente. Denn zum einen ist sein Gottesbegriff so konzipiert, dass er ‹absolute Notwendigkeit› impliziert, was die Frage (1.) betrifft. Auf der anderen Seite teilt Hegel aber mit dem Beweis über das vollkommene Wesen, dass der Existenzbegriff, der Gott zugeschrieben werden kann, wie er in der (2.) Frage angesprochen ist, einer besonderen Betrachtung bedarf. Damit problematisiert Hegel aber zugleich beide Beweise. Denn so elegant diese auch wirken, so tragen sie doch mehr an Annahmen und Prämissen mit sich, als auf den ersten Blick deutlich wird. So ist zum einen erklärungsbedürftig, was Perfektionen auszeichnet und wie sich die Prädikate zum Gottesbegriff verhalten. Zum anderen ist die Bedeutung der Existenz, die aus dem ens necessarium folgt, zu explizieren. Denn es folgt zwar logisch, dass, wenn das notwendige Wesen möglich ist und zwischen allen möglichen Welten symmetrische und transitive Relationen bestehen, das notwendige Wesen in allen möglichen Welten wirklich ist. Aber was heißt hier Wirklichkeit? Wäre Gott auf die gleiche Weise wirklich wie ein Mensch? Oder ein abstraktes Objekt? Und was bedeutet es, dass Gott ein Teil einer möglichen Welt ist? Ist er dann auch ein Teil der wirklichen Welt, wenn der OGB gelingt? Hegel interessiert sich nun genau für solche Fragen, wenn er den OGB in seinen objektiven Idealismus integrieren möchte. Sein Augenmerk liegt also auf den Voraussetzungen und Prämissen dieses Beweises. Und aus diesem Blickwinkel sieht er sich genötigt, trotz seiner großen Wertschätzung für den OGB ihn in einer stark veränderten Form zu führen. Die Gründe für diese Veränderung der traditionellen Formulierungen liegen jedoch in der strengen Reflexion auf die Prämissen des OGB, die Hegel unternimmt. Die Fragen (1.) und (2.) konnten in der vorliegenden Studie als Leitfaden für die Interpretation der hegelschen Logik fruchtbar gemacht werden und wurden ausführlich behandelt. Teil III: Hegels Lösungsstrategie für das Willkürlichkeitsund Konsistenzproblem des Gottesbegriffs Im Teil III widmete sich die Studie dem ersten Fragenkomplex, den Hegel als Bedingung des ontologischen Gottesbeweises beantworten will: Was ist Gott? Was ist unter ‚Gott‘ zu verstehen? Handelt es sich um einen willkürlichen Begriff mit willkürlich gewählten Bestimmungen? Und ist der Begriff überhaupt widerspruchsfrei? Die Behandlung dieses Problems wurde zunächst anhand der beiden bekanntesten Einwände, die den Gottesbegriff betreffen, eingeführt. So wurde zunächst in
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Abschnitt 5.1 anhand der Einwände von Caterus gegen Descartes’ Gottesbeweis das Problem aufgeworfen, inwiefern der Gottesbegriff zufällig oder seine Bestimmungen willkürlich gewählt sind. Descartes reagiert zwar auf diese Kritik mit der Unterscheidung von willkürlichen Ideen und Ideen. Für Letztere gilt nach Descartes, dass es sich nicht um willkürlich gebildete Begriffe handelt. Jedoch bleibt trotz Descartes’ Bemühungen offen, warum die Ideen nicht willkürlich sein können. Weil Hegel diese Kontroverse zwischen Descartes und Caterus nicht explizit erwähnt, wurde im Abschnitt 5.2 gezeigt, dass Hegel aber den Gehalt der Kontroverse ausführlich behandelt. So konnte anhand von Hegels eigener Problematisierung von Definitionen in Abschnitt 5.2.1 gezeigt werden, dass Hegel für diese festhält, dass das Problem der Willkürlichkeit grundsätzlich nicht mit den Mitteln von Definitionen überwunden werden kann. Hegels eigene Lösung dieses Problems besteht analog zu Descartes’ Unterscheidung in der Differenzierung von Vorstellungen und dem Begriff *. Denn Letzterer, der in der WdL abgehandelt wird, ist Gegenstand der Letztbegründungsargumentation. Und durch die Letztbegründung würde a fortiori demonstriert, dass weder der Begriff * noch seine Bestimmungen willkürlich gewählt sind. Denn sonst wäre der Begriff * relativ zu bestimmten Kontexten und von willkürlichen Entscheidungen abhängig. Komplizierter ist hingegen das Problem, ob der Begriff des Absoluten möglicherweise einen Widerspruch einschließt. Das Problem besteht darin, dass jegliche Argumentation, die den Begriff * verwendet, ungültig werden würde, wenn der Begriff * unmöglich wäre. Denn im Falle eines solchen Widerspruchs ließe sich Beliebiges ableiten. Dieses für den OGB schwerwiegende Problem ist prominent von Leibniz aufgeworfen und zugleich mit einem einschlägigen Lösungsvorschlag versehen worden. In nuce argumentiert Leibniz, dass die Bestimmungen, die Gott zukommen, einfach und positiv seien, woraus folge, dass sie sich unmöglich widersprechen können. Ein solcher Metabeweis, der über die positiven Bestimmungen handelt, ist für Hegel aber inakzeptabel, weil die Differenz zwischen Meta- und Objektebene inkompatibel mit dem Letztbegründungsprojekt in der WdL ist. Daher problematisiert er den Lösungsvorschlag von Leibniz in seinen häufig wiederholten Bemerkungen zur omnitudo realitatis. Hegels Argument baut darauf auf, dass aus den Bestimmungen, die im Gottesbegriff enthalten sein sollen, die bedeutungsbestimmende Negation nicht ausgeschlossen werden kann, wenn der Gottesbegriff nicht letztlich völlig gehaltlos sein soll. Jedoch ist die bedeutungsbestimmende Negation schon hinreichend für mögliche Widersprüche zwischen den Bestimmungen. Daher scheint ihm die leibnizsche Lösung nicht akzeptabel. Vielmehr bedarf es, so Hegel, eines konkreten Aufweises der Bestimmungen, wobei die bedeutungsbestimmende Negation natürlich inkludiert ist. Ein solches Verfahren, mit dem die Bestimmungen des Absoluten abgleitet werden können, versucht Hegel nun in der WdL aufzuzeigen und zu begründen.
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Die Durchführung der WdL stellt also Hegels Antwort auf die oben genannte 1. Frage dar, die eine Voraussetzung des OGB betrifft. Indem die logischen Bestimmungen methodisch abgeleitet werden, soll der Gottesbegriff vollständig erhellt und als konsistent ausgewiesen werden. Ein wichtiger Methodenbegriff, der für die Hegel-Interpretation regelmäßig in Anschlag gebracht wird, ist die Voraussetzungslosigkeit der WdL. Um ein Verständnis zu gewinnen, in welchem Sinn die Logik voraussetzungslos genannt werden kann, wurde das Anfangsproblem in Abschnitt 6.1 analysiert. Es konnte dabei gezeigt werden, dass dieser Methodenbegriff erst durch eine Reflexion auf das Letztbegründungsproblem, dem sich Hegel widmet, erhellt wird. Die Letztbegründung kann aber gerade nicht durch das Abstrahieren von Voraussetzungen am Anfang der Logik geleistet werden. Stattdessen wurde argumentiert, dass Hegels Behandlung dieses Problems im letzten Teil, der Begriffslogik, behandelt wird. Von dem so gewonnenen Verständnis für den Anfang der Logik wurde dann zur Analyse der Methode der WdL übergegangen, weil durch diese Methode die Konsistenz des hegelschen Gottesbegriffs gezeigt werden soll. Denn indem die logischen Bestimmungen allesamt aus einer Methode folgen und diese Methode letztlich sich selbst thematisiert und begründet, ist der so gegebene Zusammenhang der logischen Bestimmungen einheitlich und letztlich konsistent. Weil nun Hegel zwar ingeniös mit dieser Methode umzugehen versteht, seine Reflexion auf diese Methode aber wenig erhellend ist, wurden in der vorliegenden Untersuchung die Analysen von D. Wandschneider zur Dialektik herangezogen. Die Grundzüge der Dialektik wurden in Abschnitt 6.2 erläutert, wodurch die prinzipielle Durchführbarkeit dieser Methode gezeigt wurde. Denn wenn sie prinzipiell durchführbar ist, so ist auch Hegels Beweis, dass sein göttlicher Begriff * möglich ist, konsistent durchführbar. An dieser Stelle ist es, anstatt die Grundzüge der Dialektik aufzuzählen, jedoch zugänglicher, Hegels Lösungsstrategie wie folgt verständlich zu machen: Die logischen Bestimmungen sind als Bestimmungen der letztbegründeten Totalität des Begriffs * selbst letztbegründet. Damit sind die logischen Bestimmungen ewige Wahrheiten, deren Geltung nicht relativ, zeitlich oder räumlich eingeschränkt ist. Die vollständige Herleitung der ewigen Wahrheiten aus einer Methode zeigt nun die Konsistenz. Und die Identifizierung der Totalität der ewigen und selbstgenügsamen Wahrheiten mit dem Gottesbegriff zeigt folglich die Möglichkeit Gottes. Allerdings ist dieser argumentative Zug gleichbedeutend mit dem Rückgriff auf den Gottesbeweis aus den ewigen Wahrheiten, für den Leibniz berühmt ist. Denn, so muss Leibniz verstanden werden, die ewigen Wahrheiten sind nichts anderes als die Darstellung des göttlichen Verstandes, weil sie uneingeschränkt gelten und die Bedingungen aller möglichen Welten darstellen. Und damit findet die Identifizierung dieser Wahrheiten mit dem göttlichen Wesen einen guten Grund. Auch für Hegel bilden die ewigen Wahrheiten zusammen ihr Prinzip, den Begriff * oder den Begriff Gottes. Werden diese also vollständig expliziert,
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liegt eine Darstellung des Wesens Gottes vor. Und wenn die ewigen Wahrheiten widerspruchsfrei sind, muss folglich auch das Wesen Gottes als möglich beurteilt werden. Diese Strategie liegt hinter der Methode der Dialektik, die in besagtem Abschnitt analysiert wurde. Teil IV: Hegels ontologischer Gottesbeweis in der Begriffslogik Nachdem dargestellt wurde, wie Hegel mit der dialektischen Methode in der WdL auf das Konsistenz- und Willkürlichkeitsproblem des OGB reagiert, wurde im abschließenden Teil IV auf den zweiten Fragenkomplex eingegangen, also auf diejenigen Fragen, die sich auf den Existenzbegriff im OGB beziehen. Der Existenzbegriff bildet nun keine triviale Voraussetzung für den OGB, denn es ist keineswegs selbstverständlich, was der Existenzbegriff in Bezug auf Gott eigentlich bedeuten kann. Denn natürlich kann der entsprechende Existenzbegriff nicht problemlos aus dem Alltagsverständnis entlehnt werden, weil dieses mit Anschaulichkeit und sinnlicher Erfahrbarkeit verbunden ist. Solche Konnotationen scheiden im Fall der Existenz des Absoluten natürlich aus. Und auch traditionelle Seinsbegriffe, wie sie etwa aus der platonischen oder aristotelischen Philosophie übernommen werden können, bringen stets hohe Begründungslasten mit sich, weil sie natürlich eng mit den Philosophien verwoben sind, denen sie entnommen wurden. Insofern versucht Hegel die Frage nach einem adäquaten Existenzverständnis für den OGB zu beantworten, ohne auf die Autorität des common sense oder der philosophischen Tradition zurückzugreifen. Zunächst ergibt sich für Hegel eine erste Antwort aus den logischen Bestimmungen, den ewigen Wahrheiten. Denn unter diesen finden sich, so zeigt es Hegel, diverse Seinsbegriffe, wie ‹Sein›, ‹Dasein›, ‹Realität›, ‹Existenz› und ‹Wirklichkeit›. Da es sich um Bestimmungen handelt, die im absoluten Begriff * aufgehoben sind und durch die dieser definiert wird, könnte man meinen, dass die Frage hinreichend beantwortet ist. Jedoch meint Hegel, dass sie alle zugleich mangelhaft sind, um das Sein des göttlichen Begriffs * auszudrücken. Denn ‹Sein› ist zum Beispiel die abstrakteste Bestimmung, die schlicht allem zukommt, oder ‹Dasein› bedeutet, auf irgendeine Weise bestimmt zu sein, was aber auch auf Fantasiewesen oder das Böse zutrifft. Hegels Antwortstrategie ist nun aber, dass aus dem Prinzip der Totalität der logischen Bestimmungen, dem absoluten Begriff *, sein spezifischer Existenzbegriff folgen muss. Denn zum einen wird das Prinzip der Logik, wie sich in der Diskussion des Anfangsproblems ergeben hatte, erst am Ende der Logik selbst betrachtet. Zum anderen sind die genannten Seinsbegriffe, die zu den logischen Bestimmungen zählen, für den Begriff * allesamt unterkomplex. Die Explikation des Begriffs * als Prinzip der Logik und der vorhergehenden Bestimmungen findet nun im dritten Teil, der Lehre vom Begriff *, statt. Diese Explikation ist, nach dem soeben Ausgeführten, eine Selbstexplikation, insofern das Prinzip der Logik selbst das Thema bildet, während in den ersten beiden
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Teilen der Logik, die zusammen die objektive Logik bilden, der Begriff * gerade wirksam ist, indem von ihm abstrahiert wird. Weil letzteres nur auf Kosten von Widersprüchen möglich ist, musste die Kategorienentwicklung vorangetrieben werden, bis sie zu ihrem Prinzip kommt. Und in der Begriffslogik kommt dieses Prinzip selbst zur Sprache, oder, wie Hegel schreibt, der Begriff * wird an und für sich betrachtet. Die Thematisierung des absoluten Begriffs * ist für Hegel nichts anderes als die Thematisierung des philosophischen Gottesbegriffs oder zumindest des Kerns des philosophischen Gottesbegriffs, denn zu einem vollständigen Gottesverständnis gehört nach Hegel auch dessen Selbstoffenbarung in der Natur und im Geist. Diese ergeben sich aber aus der Logik, deren Thema die Selbstexplikation des Begriffs * ist. In dieser Thematisierung des Begriffs * selbst soll sich also die für dieses Prinzip adäquate Existenzbestimmung ergeben – was dem Anspruch des OGB entspricht, den Hegel folglich auch genau in dieser Folgerung nennt, wie in Abschnitt 7.1 besprochen wurde. Nun muss aber erneut bedacht werden, was über den Zusammenhang des Gottesbeweises und der Letztbegründung ausgeführt wurde. Da der Begriff * die Letztbegründung und damit zugleich den OGB leisten soll, muss er ein Selbstbeweis sein. Dass er als Selbstexplikation verstanden werden muss, weist bereits in diese Richtung. Jedoch muss er über die Explikation hinaus zugleich sein eigener Beweis sein. Dieses ‚Selbst-sein‘ des eigenen Beweises ist schon mit den Anforderungen an die Letztbegründung eingeführt worden. Denn zum einen kann auf einen Beweis, eine Begründung nicht verzichtet werden, wenn es um das Absolute, das Fundament des Seins und Denkens, geht. Zum anderen darf die Methode, durch welche die Begründung erfolgt, selbst Objekt der eigenen Begründung sein. Insofern muss die Letztbegründung Selbstbegründung sein. Und analog soll auch im OGB der Begriff Gottes selbst die Existenz Gottes beweisen. Diese Anforderung nimmt Hegel auf und überträgt sie auf seinen absoluten Begriff *: Dieser muss sich selbst explizieren und dabei selbst begründen. In der WdL lässt sich Gleiches anhand des Endes der Wesenslogik belegen, wie in Abschnitt 7.2 ausgeführt wurde. Denn hier formuliert Hegel eine Anforderung, die nicht mehr durch die wesenslogischen Kategorien erfüllt werden kann, sondern erst vom Begriff * eingelöst wird: die ‹absolute Notwendigkeit›. Diese hat nun das Merkmal, dass transparent ist, dass die „einfache Identität des Seins in seiner Negation oder dem Wesen mit sich selbst“3 besteht. Die ‹absolute Notwendigkeit› bedeutet also, dass dasjenige, was ‹absolut notwendig› ist, auch noch in seinem Anderen, seinem Gegensatz, mit sich identisch oder bei sich selbst ist. Diese komplizierte und paradox anmutende Formulierung, die sich durch Hegels ganzes Werk zieht und die er als Struktur offenbar immer wiederzufinden sucht, erhält einen präzisen Sinn, wenn auf den Beweisinhalt des OGB und der Letztbegründung reflektiert 3
Hegel, WdL I, S. #390 (250), Z. 31 f.
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wird: Denn wenn etwas absolut ist, so muss es unter allen Umständen wahr sein – es liefe schließlich auf einen Widerspruch hinaus, die Wahrheit und Geltung des Absoluten zu relativieren und von Bedingungen abhängig zu machen. Dann muss es sich aber auch noch unter der Bedingung seiner eigenen Negation und Entgegensetzung als wahr erweisen. Dieser Überlegung entspricht nun interessanterweise genau die angesprochene Beweisform, die für die Letztbegründung genutzt wird. Denn als notwendig, unbestreitbar und unhintergehbar gilt, was auch dann noch vorausgesetzt werden muss, wenn es bestritten wird. Daher ist es auch noch vorausgesetzt, wenn es negiert wird. Und somit besteht ein Selbstwiderspruch im Versuch der Negation. Denn in diesem Fall wird sichtbar, dass zum Beispiel eine Proposition (und Hegel meint auch eine Kategorie) die notwendige Bedingung des Bestreitens genau dieser Proposition ist. Und so entsteht der Selbstwiderspruch in der Negation. Auf diese Weise sind etwa die Bedingungen der Möglichkeit des Argumentierens gekennzeichnet. Denn diese Bedingungen müssen bereits in Anspruch genommen werden, wenn gegen sie argumentiert wird. Und in Anspruch nehmen, heißt, dass sie gelten, als wahr akzeptiert werden müssen, um gegen sie argumentieren zu können. Dieser Selbstwiderspruch, der im Bestreiten der Voraussetzungen von Argumentation, schlüssigem Denken oder sinnvollem Sprechen entsteht, ist aber kein Indiz eines analytischen Widerspruches. Denn der Widerspruch besteht nicht aufgrund der Bedeutung der verwendeten Wörter allein. Daher ist das Aufdecken eines solchen Widerspruches an einen Reflexionsakt auf die Bedingungen der Möglichkeit gebunden. Umgekehrt gilt dann aber auch, dass eine Proposition, die auf diesem Weg letztbegründet werden kann, nicht analytisch ist. Sie ist vielmehr synthetisch und zugleich ‹absolut notwendig›. Somit muss Hegels paradox erscheinende Formulierung des ‚Im-Anderen-bei-sich-Sein‘ als Struktur der Argumentation der Letztbegründung verstanden werden. Und diese Struktur ist diejenige eines negativen Beweises, der Argumentationsform, die auf der einen Seite den Begründungszirkel von vitiösen Argumenten abgrenzt und die einzig mit dem Letztbegründungsanspruch kompatibel ist. Dieser Anforderung muss also der absolute Begriff * gerecht werden und dafür in seiner Selbstexplikation die Struktur eines negativen Beweises annehmen, um die erforderliche Selbstbegründung zu leisten und der Bedingung der ‹absoluten Notwendigkeit› gerecht zu werden. Anhand einer Analyse der immanenten Struktur des absoluten Begriffs *, die notwendig zu seiner Selbstbestimmung gehört, konnte in Abschnitt 8 gezeigt werden, dass sich diese Selbstbegründung nicht im ersten Teil der Begriffslogik finden lässt. Denn hier werden ausschließlich die immanenten Momente des Begriffs * entfaltet, was aber fehlt, ist, dass er sich als die Voraussetzung, als Geltungsbedingungen seiner Negation erweist. Stattdessen wurde in Abschnitt 8.1 besprochen, inwiefern der Begriff * das Prinzip der WdL bildet, und, in Abschnitt 8.1.1, worin seine immanenten Momente bestehen.
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Dass aber auch die genannte Struktur der ‹absoluten Notwendigkeit› zum Begriff *, wie Hegel ihn darstellt, gehört, zeigt das zweite Kapitel der Begriffslogik mit dem Titel Objektivität. Denn in dieser findet die Entgegensetzung gegen den Begriff * statt. Jedoch ist diese Entgegensetzung nur möglich, weil die Formen und Bestimmungen des Begriffs * bereits vorausgesetzt sind. In der Objektivität wird daher von demjenigen, das nicht durch den Begriff * bestimmt und ontologisch vollkommen selbstständig zu sein scheint, gezeigt, dass dieses überhaupt nur deswegen gedacht werden kann, weil es Formen des Begriffs *, Urteilsstruktur und Analoga zu logischen Schlüssen verwirklicht. Dass die Bestimmungen des Begriffs * somit auch noch die Entgegensetzung gegen den Begriff * formen, macht diesen zum absoluten Begriff *, was in den Kapiteln über die Idee * in der Begriffslogik weiter expliziert wird. Die entsprechenden Argumente wurden in Abschnitt 9 ausführlich dargelegt. Mit diesem Übergang in die Objektivität soll nun der OGB, so Hegel, geleistet werden. Doch worin liegt die Parallele zum ontologischen Gottesbeweis? Denn offensichtlich bietet Hegel eine andere Argumentationsform an, als dass von einer subjektiven Vorstellung gezeigt würde, dass ihr ein Gegenstand entspricht, wie es klassische Formulierungen des OGB demonstrieren wollen. Die Parallele, die Hegel in diesem Übergang und dem OGB erblickt, ist der Nachweis, dass der absolute, göttliche Begriff * nicht eingeschränkt werden kann, weil er auch noch in seinem Gegenteil bestimmend ist. Ebenso wie der OGB argumentiert, dass es widersprüchlich wäre, Gott als eingeschränkt, als bloß subjektive Vorstellung zu denken, so wird im Übergang zur Objektivität gezeigt, dass der philosophische Gottesbegriff absolut gilt und auch noch in seiner Entgegensetzung bestimmend ist. Damit greift das Absolute auf seine Entgegensetzung über und wirkt in dieser als Voraussetzung und Strukturmoment, was durch sorgfältige Reflexion auf die Bedingungen gezeigt werden kann. Und weil der Begriff * daher uneingeschränkt gilt, ist er mit seinen Bestimmungen objektiv, das heißt auch in Natur- und Geistphänomenen das Grundlegende und das Bestimmende. Daraus folgt zum einen etwas für die Beweisform, die der göttliche Begriff * für seine absolute Geltung selbst sein muss – er muss aufgrund der Selbstbezüglichkeit selbst die Form eines negativen Beweises instanziieren. Zum anderen bestimmt sich durch die Form auch die Seinsweise des Absoluten, so Hegels Gedanke: Die Existenz des Begriffs * ist es also, selbstbestimmt und zugleich objektiv, das heißt in seinem Entgegengesetzten das Bestimmende, zu sein. Das machen die Formen der Idee *, des letzten Teils der Begriffslogik, explizit, wie im Abschnitt 9.4 gezeigt wurde. Diese Seinsweise ist, wie in der vorliegenden Untersuchung gezeigt wurde, das, was Hegel berühmterweise ‹wahre Unendlichkeit› nennt: Im Endlichen bestimmend zu wirken, ohne mit ihm identisch zu sein, aber auch kein Jenseits zum Endlichen zu bilden. Daher ist der göttliche Begriff * in Hegels Augen das ‹wahrhaft Unendliche›: Er ist im Anderen, im Endlichen, bei sich selbst.
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Ziel der vorliegenden Studie war es, Hegels Argumentation hinsichtlich des OGB von den Grundmotiven her aufzuklären. Denn zum einen ist die Ansicht weit verbreitet, dass jegliche Metaphysik nach Kant sich rechtfertigen und zu den kantischen Widerlegungen verhalten müsse. Zum anderen steht Hegels Behandlung des OGB in deutlichem Kontrast zu klassischen Varianten des unum argumentum, dessen Entdecker Anselm von Canterbury ist. Denn speziell im Text der WdL besteht eine unüberbrückte Spannung zwischen der offenkundigen Wertschätzung dieses Gottesbeweises, während dessen Argumentation scheinbar kein Interesse zuteilwird. So liegt der Verdacht nahe, Hegel habe sich im Grunde ironisch zum OGB verhalten. Dass das nicht der Fall ist, konnte in der vorliegenden Studie demonstriert werden. Vielmehr nimmt Hegel den Beweis und die Begründungspflichten außerordentlich ernst. Und damit ergibt sich für Hegel, dass der OGB eine Stellung innerhalb desjenigen philosophischen Entwurfes erhalten muss, der auf die Schwächen der kantischen Philosophie reagiert, innerhalb des objektiven Idealismus. Nur in diesem Rahmen können die Fragen nach dem Subjektterm und dem Existenzprädikat, die in der Konklusion des OGB ‚Gott existiert‘ zusammentreten, befriedigend gelöst werden. Wie diese Fragen innerhalb des hegelschen Systems beantwortet werden, wurde daher in der vorliegenden Arbeit dargestellt. Damit wurde zugleich ein Zugang zur WdL, von dem aus sie erhellt werden kann, vorgestellt. Die komplexen und oft dunklen Argumentationen Hegels konnten so vor dem Hintergrund konkreter Probleme analysiert werden. Dabei stehen neben diesem Zugang natürlich andere, die hier weitgehend ausgeblendet wurden, wie etwa die Konsequenzen, die sich für das Projekt ergeben, eine Ontologie zu sein, oder auch, dass die Kategorien der Logik zu den notwendigen Bedingungen des Denkens jeder Einzelnen zählen. Aber die Fragestellung, wie Hegel mit dem Problem ‹absoluter Notwendigkeit› und den philosophisch-theologischen Implikationen in der Begriffslogik umgeht, konnte als fruchtbarer Zugang präsentiert werden. Für den OGB ergibt sich dabei das Resultat, dass Hegel ihn zwar mit guten Gründen für gültig halten kann, er aber zugleich viel aufwändiger und aufgeladener ist als etwa die schlanke und elegante Formulierung in Anselms Proslogion. Daher wirken die behandelten Themen auch prima facie als fremd, wenn der OGB behandelt werden soll: die Methode der Dialektik, die logische Wahrheiten und deren Totalität ableitet und aufdeckt, die Entfaltung einer Beweistheorie, die Reflexion auf die Letztbegründung und schließlich die Zusammenführung von ewigen Wahrheiten, ihrem Beweis und den Überlegungen zu ihrer Seinsform. Über die an den OGB gerichteten Fragen wurde aber gezeigt, dass eine Brücke besteht, die hervortritt, wenn auf das Verhältnis von Beweis und Beweisgegenstand im Fall des Gottesbeweises reflektiert wird. Und so wird der hegelsche Gedanke verständlich, wenn er nicht sogar als zwingend beurteilt werden muss. Unbefriedigend bleiben die Größe und das Gewicht des Projekts, dass mit dem OGB hegelscher Couleur einhergeht. Sicher passt er nicht auf ein halbes DIN-A4
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Blatt wie Gödels Argument. Zudem verbindet sich mit ihm eine ganze Metaphysik, ein ganzes Weltbild. Letzteres mag vielleicht als das Unangenehmste erscheinen: Anstatt eines konkreten, abgrenzbaren Beweises für Gott ist mit Hegel ein Beweis daraus geworden, der sich auf den ersten Blick eher als Beweis und Durchführung der Grundzüge des objektiven Idealismus darstellt, denn als Gottesbeweis. An dieser Stelle soll zumindest mit einem Gedanken für diesen scheinbaren Nachteil geworben werden: Ein Gottesbeweis ist Teil der Metaphysik. Dass aber die Themen der Metaphysik, wie sie in der neuzeitlichen Aufteilung aufgefasst werden, nicht als isolierte Themengebiete verstanden werden können, ist auch ohne Hegel leicht einzusehen, obgleich es in Hegels eigener Denkentwicklung ein wichtiger Schritt war, zu erkennen, dass die Metaphysik ein einheitliches Projekt bildet, das mit der Besinnung auf erste Prinzipien und transzendentalen Reflexionen verbunden werden muss. Denn natürlich interferieren in der Metaphysik die Themen, etwa indem die Ontologie untersucht, was das Sein bedeuten kann, während es ein Ziel philosophischer Theologie ist, den Seinsbegriff auf Gott anzuwenden. Zugleich ist es für eine Ontologie und Kosmologie nicht folgenlos, ob ein Absolutes mitzubedenken ist oder nicht. So ergeben sich vielfältige Verbindungen innerhalb der Themen der Metaphysik, die diese zu einer Disziplin formen. Wichtiger als diese Vereinigung der Teilbereiche der Metaphysik ist für den OGB aber, dass die Verbundenheit mit einer ganzen Metaphysik und dem damit einhergehenden Weltbild nur auf den ersten Blick ein Nachteil ist, auf den zweiten jedoch den Gottesbeweis überhaupt erst plausibel macht. Denn das Sein Gottes ist nicht irgendein nebensächliches Faktum, das bestehen oder auch nicht bestehen kann, sich aber höchstens auf unmittelbar angrenzende Sachverhalte bezieht. Das Sein Gottes fordert und begründet ein ganzes Weltbild und eine Haltung der menschlichen Lebensführung. Es ist schlichtweg für alles relevant, ob es Gott gibt oder nicht, und insofern ist es nur folgerichtig, wenn der Beweis Gottes uns zugleich zeigt, dass die Metaphysik und unser Denken über die Welt sich nicht neutral zueinander verhalten, sondern dass der Beweis Gottes zugleich der Beweis einer Weltsicht ist, deren Konsequenzen bis in unser theoretisches Nachdenken, unser Denken über unser richtiges Handeln und bis in unsere Empfindungen gegenüber der Welt und anderen Subjekten hineinreichen. Ausblick An die Argumentation der vorliegenden Studie schließen nun verschiedene Aspekte an. Das Ziel der Arbeit war, Hegels Behandlung des OGB vor dem Hintergrund des kantischen Widerlegungsversuchs aller philosophischer Theologie zu erhellen und seine sachlich interessanten Lösungen der Probleme, die sich für den OGB stellen, herauszuarbeiten. Dabei wurde versucht, Hegels Argumentation so stark wie möglich zu machen, wodurch auch die größte Bürde des Gedankengangs hervortritt. Diese liegt meines Erachtens in der Argumentation dessen, was in
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Teil III dargestellt wurde: Die hegelsche Lösung hängt an der Durchführbarkeit der WdL. Es wurde zwar für die prinzipielle Möglichkeit und Konsistenz des Projekts argumentiert. Dennoch wäre weiter zu diskutieren, wie aus der komplexen Methode genau ein Konsistenzbeweis für dasjenige, was durch die Methode behandelt wird, folgt. Diese Diskussion drängt besonders, weil zum einen Hegels eigene Äußerungen über Widersprüche infrage stellen, ob Hegel durchweg eine rationale Theorie verfolgt. Zum andern ist die Frage, ob die eine Methode der WdL hinreichend für die Konsistenz des Begriffs * ist. Darüber hinaus ist die Sachlage durch die Reflexivität des Projekts erschwert, da die Methode letztlich sich selbst explizieren und legitimieren muss. Die dabei anvisierte Konsistenz soll mit dem Begriff * gegeben sein, aber wie sie genau zu verstehen ist, wäre eine lohnenswerte Frage für weitere Arbeiten. Ein Desiderat, dass sich aus der vorliegenden Arbeit ergibt, stellen die Konsequenzen für Hegels Religionsphilosophie dar, die hier ausgeblendet wurden. Bekanntlich weist Hegel den unterschiedlichen Religionen verschiedene Stufen der Einsicht in die metaphysischen Wahrheiten zu, wodurch er zugleich alle wertschätzen und dennoch das Christentum für die tiefere Erkenntnis auszeichnen kann. Zudem ordnet Hegel den Geistesstufen der verschiedenen Religionen Gottesbeweise zu und dabei den OGB speziell dem Christentum. Wie Hegel also aus der Perspektive des in der WdL entfalteten Absoluten die Religion entfaltet, schließt nun insofern an die Arbeit an, als dass mit einem klaren Verständnis und dem Beweis der absoluten Idee * auch die Bezugnahme der Subjekte auf dieses Absolute begründet werden kann. Dafür ist jedoch zugleich eine Theorie über endliche Subjekte notwendig, was den Skopus der vorliegenden Arbeit überstieg. Zwei weitere Fragen schließen sinnvoll an die ausgeführten Argumente an. Zum einen wirft das genauere Verständnis des negativen Beweises, den Hegel in der WdL ausführt, ebenfalls Licht auf Schanierstellen seines Systems. Vor allem der diskutierte Übergang von der Logik zur Naturphilosophie, den Hegel metaphorisch als „Entschluß der reinen Idee sich als äusserliche Idee zu bestimmen“4 beschreibt, kann durch das gewonnene Verständnis dessen, welche grundlegende Stellung die ontologische Struktur des Im-Anderen-bei-sich-selbst-Seins hat und wie diese mit einem negativen Beweis zusammenhängt, erläutert werden. Zum anderen ist das Problem der Grundlegung des moralisch Guten in Hegels WdL eines der drängendsten Desiderate für jeden objektiven Idealismus, der an Hegel anschließen möchte. Denn Hegels eigene Argumentation in der Idee des Guten ist für eine reiche Moralphilosophie unzureichend. Und die Rechtsphilosophie Hegels oszilliert zwischen normativem und deskriptivem Anspruch. Hier eine Grundlage für die Behandlung moralischer Fragen aus der hegelschen Philosophie heraus zu entwickeln ist daher für ihren umfassenden Anspruch entscheidend. Darüber hinaus ist der Zusam4
Hegel, WdL II, S. 253 (400), Z. 29 f.
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menhang von philosophischer Theologie und moralischer Lebensorientierung fraglos entscheidend für das Ineinandergreifen der Reflexion der Religion mit dem religiösen Lebensvollzug. Denn schon Kierkegaard stellt über Hegel hinausgehend die Forderung, dass zur Religion notwenig eine Antwort auf die Frage „Was soll ich tun?“ gehört. Doch neben den anschließenden Fragen und Themen kann Hegels reflexive und transzendentalphilosophische Methode für die philosophische Theologie als vorbildlich gelten. Denn über die heutigen, modelltheoretisch orientierten Bemühungen um Gottesbeweise – die allesamt höchst verdienstvoll sind – kann mit Hegel insofern hinausgegangen werden, als dass seine Überlegungen darauf zielen, nicht bei der Satzform stehen zu bleiben: ‚Wenn die Annahmen A1 , . . . , An akzeptiert werden, dann folgt auch die Gültigkeit des Gottesbweises x.‘ Denn die reflexivtranszendentalphilosophische Orientierung erlaubt gerade die Frage, warum die Annahmen A1 ,. . . ,An akzeptiert werden müssen. Die absolute Notwendigkeit, die im Zentrum der hegelschen philosophischen Theologie steht, bildet also die Richtschnur und Herausforderung, die für die heutige philosophische Theologie immer noch fruchtbar zu machen ist. So stellt sich für die zeitgenössische Philosophie die Frage, ob sie in der konsequenten Reflexion von Bedingungen nicht dazu getrieben wird, aus Gründen der Rationalität lange verleugnete philosophisch-theologische Gehalte wieder zurückzugewinnen. Und gleichfalls ergibt sich für die zeitgenössische Theologie ein Beispiel, wie ein post-aufklärerisches Denken dem anselmschen Programm des credo ut intelligam folgt. Wie dieses Programm ausgestaltet werden muss, erscheint auf Grundlage der hegelschen Überlegungen aber als eine eminent wichtige Frage. In diese Richtung ist mit der vorliegenden Studie nur ein erster Schritt gegangen worden. Doch am Ende dieses Weges steht dabei das Ideal einer vernünftigen Religion, die sich weder gegenüber der Aufklärung noch alternativen religiösen Überzeugungen abschotten muss, sondern im Vertrauen auf die Vernunft sich optimistisch in das Gespräch zwischen verschiedenen Religionen und Weltdeutungen einzubringen vermag. Auch wenn dieser Weg lang erscheint, kann jeder weitere Schritt mit der Zuversicht der Vernünftigkeit begangen werden.
Siglenverzeichnis Die vorliegende Arbeit verwendet folgende Siglen: OGB Ontologischer Gottesbeweis KGB Kosmologischer Gottesbeweis PTB Physiko-theologischer Gottesbeweis SvzG Satz vom zureichenden Grund SvaW Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch
Des Weiteren werden folgende Werke in Abkürzungen angeführt: Enz. I
Enz. II
Enz. III
GPR I
GPR II
PhG
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830. Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik. Mit den mündlichen Zusätzen, Auf Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Werke 8, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830. Zweiter Teil. Die Naturphilosophie. Mit mündlichen Zusätzen, Auf Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Werke 9, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830. Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes. Mit den mündlichen Zusätzen, Auf Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Werke 10, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Seitengleiche Ausgabe der Edition von Johannes Hoffmeister, Bd. 438 der Phillosophischen Bibliothek, 5. Auflage, erschienen im Felix Meiner Verlag, Hamburg 1995, Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Hauptwerke in sechs Bänden 5, Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1999. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlichen Zusätzen, Auf Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Werke 7, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Seitengleiche Ausgabe der historisch-kritischen Edition Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Gesammelte Werke, hrsg. von Wolfgang Bonsiepen, Reinhard Heede und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissen-
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Frege, G. 17 fn, 100 fn, 107–111, 115, 117, 137, 162, 167 fn, 189 fn, 192, 346, 371 fn, 546 Fulda, H. F. 199 fn, 207 f., 475 fn Gaunilo v. Marmoutiers 175, 253 Gödel, K. 111 fn, 137, 190 fn, 279 fn, 284 fn, 552, 560 Goebel, B. 85 fn, 102, 112 fn Habermas, J. 1 f., 18 Halbig, Ch. 163 fn, 178 fn, 269, 270 fn, 271 Henrich, D. 7 fn, 9 f., 17 fn, 56 fn, 74 fn, 84, 86, 106 f., 120 fn, 187 fn, 194 fn, 253 fn, 279 fn, 316, 318, 345, 356 Hermanni, F. 17 fn, 43 fn, 47, 61 fn, 64 fn, 101, 103–105, 107 fn, 251, 282 Hindrichs, G. 17 fn, 107 fn, 129–131 Horkheimer, M. 1 Horstmann, R.-P. 264 fn, 320 fn, 444 fn, 475 fn Hösle, V. 10, 21 fn, 76 fn, 99 fn, 105, 147 f., 182 fn, 187 f., 192, 194, 197–200, 205 fn, 215 fn, 268 fn, 271 f., 298 fn, 310, 313, 322, 342, 351 fn, 358 fn, 360 fn, 363 f., 371–373, 402–404, 462 f., 470–472, 493–495, 504, 513 fn, 523 f. Houlgate, S. 161 fn, 187 fn, 195 fn, 263 fn, 275 fn Hume, D. 29 fn, 39 fn, 40 fn, 45 fn, 61 fn, 84 fn, 88, 92 fn, 96, 99, 145–147, 168, 483 Husserl, E. 21 fn, 164 fn, 189 fn, 192 f., 248 Illies, Ch. 147 fn, 188, 218–221 Ingarden, R. 32 fn, 118 fn, 121 fn Inwagen, P. 6 fn, 108 f.
590
Namensregister
Jacobi 75 fn, 144 fn, 152, 168, 189, 200–202, 229–240, 506 f. Kesselring, Th. 322, 324 fn, 378 Koch, A. F. 10, 20 fn, 23 fn, 113 fn, 162, 183 f., 193 fn, 316, 318 fn, 340 fn, 356, 398 fn, 406, 411, 495 f., 499 Kreis, G. 108 f., 111 Küng, H. 18 fn Kutschera, F. v. 24 fn, 28 f. fn, 43 fn, 47 fn, 61 fn, 98, 113 fn, 323 Lasson, G. 8 Lauer, Q. 10 Leibniz, G. W. 9, 11, 18 fn, 32 f., 36, 38, 41, 43 f., 47, 50 f., 53 fn, 57, 63 f., 74 f., 98, 103 f., 134, 137, 174, 177–179, 199 f., 228, 240, 245–247, 252, 278–295, 317, 329, 372, 376, 380, 418 fn, 423 fn, 516, 530, 544, 552–554 Lewis, D. K. 125 f., 418 fn, 421 fn Lewis, Th. A. 206 fn Mackie, J. L. 103 Marheineke, P. 8 Martin, Ch. G. 203 fn, 318, 362 fn, 408, 513 fn McDowell, J. 229 fn, 398 Meixner, U. 87 fn, 104 fn, 116 f., 121 fn, 126 fn, 175 fn, 421 fn Nonnenmacher, B. 71, 189 fn Ogiermann, A. 9 Oppy, G. 83, 102 f., 107–109, 113–115, 119–122
Platon 13, 32 fn, 47 fn, 55 fn, 105 fn, 178 fn,197, 259 f., 375 fn, 519, 549, 555 Puntel, L. 153, 318 fn, 338, 343–350 Quante, M. 178 f. Quine, W. O. 17 fn, 100, 102, 400 fn Röd, W. 17 fn Rohls, J. 182 fn Rorty, R. 406 fn Sala, G. B. 72 f., 86 f. Sans, G. 202 fn, 386 fn, 398 fn, 408, 480 fn, 496 fn, 507 fn Schelling, F. W. J. 144 fn, 262 fn, 369, 371, 521 Schick, F. 151 fn, 180 fn, 198 fn, 287 fn, 315 fn, 359 fn, 408 f., 430 fn, 441 fn, 444 fn, 473–476 Schmidt, E. 9 Schneeberger, G. 59 fn, 75 fn Spinoza 104, 174, 177, 189 fn, 199 fn, 230, 262 fn, 410 f., 413, 423, 432 f., 451 Stekeler, P. 157 f., 321 fn Stern, R. 160 fn, 198 fn, 213 fn Strawson, P. 17 fn, 22 f., 25, 27, 29 fn, 90, 113 fn, 148, 166 f., 170 fn, 208 f., 211 Stroud, B. 206–220, 515 Tegtmeyer, H. 17 f., 41 fn, 45 fn, 57, 61 fn, 64–70, 104 f., 117 f., 250 fn, 521 Theunissen, M. 182 fn Thomas von Aquin 43 fn, 45, 61 fn, 64–70, 83 f., 252, 366 Trendelenburg, A. 369f Utz, K. 194 fn
Pippin, R. 194 fn, 206, 445 fn Plantinga, A. 77 fn, 79 fn, 81 f., 102 f., 111 fn, 117–119, 122
Wandschneider, D. 10, 12, 14, 96 fn, 146 fn, 188, 195 f., 247, 288, 294–380, 400, 413, 437, 500, 522, 554 Wölfle, G. M. 224 fn, 409 fn, 410, 411 fn
Sachregister Absolute 2, 5, 13, 56, 64 fn, 138, 158, 173, 175, 181, 184, 189 fn, 197, 198, 200 f., 222–231, 236–239, 244–247, 257, 262 f., 275–277, 291, 298, 300, 304, 307, 309, 312–318, 329 f., 340, 342, 350, 352, 364–369, 375, 377, 385, 387 f., 397 fn, 401 f., 405, 407–441, 449–451, 467, 472, 505–507, 516 f., 520, 526, 533, 535 fn, 539 f., 542, 549 f., 553, 555–561 Agrippa-Trilemma 180 fn, 188 f., 202, 237, 384, 426, 504, 518 Anfangsproblem 194 fn, 295–317, 329, 338 f., 377, 509, 554 Antinomie – der reinen Vernunft 42, 59, 156, 310 – dialektische 180, 288, 318 f., 323–328, 355, 378, 383, 419 Apagogischer Beweis, siehe Negativer Beweis Argument, deduktives 34, 76, 104 f., 188 f., 301, 309, 322, 332, 343, 348, 354, 411 f., 426, 456, 462, 482, 494, 497, 502, 504, 506, 508 Beweis aus den ewigen Wahrheiten 38, 50–52, 134, 200 fn, 228, 406 f., 466, 516, 544, 554
ens perfectissimum 7, 74 fn, 100, 110, 125, 253 fn, 263, 279, 284, 551 ens realissimum 36 f., 54, 56, 70, 87 fn, 95 fn, 134, 449 fn ens summe perfectum 17, 48, 103, 104 fn, 250–255, 263 f., 552 Ewige Wahrheiten 9, 11, 13, 38, 50–52,134, 200 fn, 223, 228, 337, 375, 383, 385, 404, 406 f., 433 f., 466, 516, 520, 544, 551, 554 f., 559 Existenzquantor 17 fn, 107, 109 f., 115, 118, 546 Falsifikation 130 fn, 195 fn Fundamentallogik 196, 308, 322, 329 f., 341 f., 348, 350 f., 363, 377 f., 380, 407, 410, 454, 477, 480 Geist 39 fn, 185,192, 222, 225–227, 239, 243, 268, 271, 298, 300, 307 f., 371, 434, 444 f., 476, 480, 501, 519, 534, 556, 558, 561 Gottesbestimmungen, siehe Gottesprädikate Gottesprädikate 173, 199, 245–247, 253 fn, 255, 280 f., 283 f., 293 f., 375, 383, 455, 522 Grenze der Erkenntnis 30, 150 f., 228, 230, 232, 235 f., 543
causa sui 58 fn, 262 fn, 430, 432 Deduktion, metaphysische 90, 160 f., 166, 195 Deduktion, transzendentale 90–92, 113, 132, 145, 197 fn, 403 f., 495 ens necessarium 7, 42 fn, 54, 56, 64 fn, 74 fn, 79, 80, 95, 134–137, 246, 253 fn, 279–283, 415, 551, 552
Hempel-Oppenheim-Schema 26 Historismus 21 fn, 192 fn Holismus 179, 286, 293, 345, 362, 421, 424 f., 545 Immanente Kritik 168, 195 fn, 208, 548 Indirekter Beweis, siehe Negativer Beweis Induktionsproblem 45 fn, 96, 112, 145, 147, 188, 271, 462, 483 f., 504
592
Sachregister
Intersubjektivität 29, 30 fn, 206 fn, 264, 351 fn, 494 Kausalität 38–47, 49 fn, 57–62, 67, 93, 146, 232, 249–252, 433, 436–443, 530, 544 Kosmologische Gottesbeweis 9, 37, 40–47, 49 f., 52, 54, 56–70, 74, 95, 104, 134 f.,170 f., 201, 248, 251, 282 f., 309, 389, 428, 438, 505 f., 517, 521 f., 539, 545 Letztbegründung 20 fn, 99 fn, 105, 130 fn, 138 f., 142, 148 fn, 175, 177, 180 f., 187 f., 189–191, 195–197, 200, 202, 228, 243 f., 292, 295, 297, 299, 300, 307 f., 310 f., 315–321, 346, 350, 352–354, 361–369, 375–379, 395, 401, 410 f., 431, 452 f., 463, 474 fn, 475 fn, 477 f., 494, 502–509, 513–515, 519, 525, 531, 533, 537, 548–559 Metaphysik-Kritik 1, 136, 144 fn, 163, 170, 176–178, 181 f., 353 metaphysica specialis 4, 28, 31, 199 fn, 547 Moral 2, 49, 96, 127, 207 f., 271, 298 f., 561 f. Moralische Gottesbeweis 49 Münchhausen-Trilemma, siehe AgrippaTrilemma Negativer Beweis 76, 101, 104–106, 136, 187 fn, 238, 279, 284, 286, 310 f., 317, 364, 395, 413, 415, 452, 463, 502–518, 551 Noema 194, 206 fn, 216, 218, 300 Noesis 193 f., 218, 300 Normativität 1, 150, 271, 324, 326 f., 351, 479 fn, 533, 561 Notwendigkeit 91–96, 99–101 fn, 113, 135–138, 144–148, 168, 171, 176, 187, 189, 208, 212, 239, 245, 261 f., 268, 274–278, 283, 297, 318 fn, 375, 383, 385, 393–399, 415 f., 419–441, 448–451, 456, 461–469, 473, 476, 481, 484–489, 493 f., 503 f., 508, 514, 517 f., 524, 534, 538, 545, 550, 552, 556–562 Objektiver Idealimus 7 f., 13, 105 fn, 165 fn, 178, 184 f., 194, 198, 205, 300,
308, 311 fn, 404 fn, 445, 498, 552, 559–561 Objektivität 12, 29 fn, 37, 88, 126, 142, 185, 194, 207, 211, 224, 257, 266 fn, 368, 385–408, 446, 448, 463 f., 467, 472 f. 485 f., 491, 494–539, 541, 558 omnitudo realitatis 54, 133 f., 172 f., 285–293, 317 f., 553 Ontologie 197–199, 203–222, 225, 232 f., 249 f., 269–271, 300, 307, 310, 372, 400, 403–407, 443 f., 467, 478–480, 496, 504, 507, 513–515, 518–520, 531 f., 533, 537, 539, 559–561 ordo essendi 40, 201, 231, 388, 506 f., 408 fn ordo cognoscendi 40, 201, 231, 388, 506 f., 408 fn Phänomenologie des Geistes 156 f., 183 fn, 194 fn, 204 fn, 207, 291 fn, 301 f., 311 fn, 369 fn, 433 Physiko-theologische Gottesbeweis 37–41, 45, 47, 49 f., 52–56, 59, 66, 134 f., 170, 389, 539, 545 Postmoderne 3 Psychologismus 21 fn, 189, 192, 371 fn – bei Kant 22 f., 165 fn, 167 f. Reflexivität, siehe Selbstbezüglichkeit Regress – Begründungs- 26–28, 56 f., 60 f., 64, 70, 104 fn, 114, 133, 135, 187 f., 190 fn, 228, 237 f., 277, 282 f., 301, 309 f., 344, 362, 384, 421, 481 f., 489, 502–504, 544 f. – Kausal- 40, 42–44, 47, 57 f., 60 f., 62 f., 437 f. Religionsphilosophie 1 f., 4 f., 8, 226, 229, 387, 534 fn, 561 Satz vom zureichenden Grund 17 fn, 24, 41 f., 47, 59 fn, 60–62, 64, 67, 282 Satz vom Widerspruch 32, 36, 87, 96, 98, 182 fn, 218, 325, 328, 332, 371–375 Selbstbezüglichkeit 96,105 fn, 143 f., 150–152, 175 fn, 200, 243, 268 f., 276 f., 300, 305 f., 314 f., 318 fn, 325–327, 362, 403, 406, 410, 427, 436, 441, 443, 450, 452 f., 458, 494, 496 f., 507 fn, 515, 521, 523 f., 538, 548, 550, 558, 561 f.
Sachregister
Subjektivität 185, 193 f., 222, 257, 264, 266 fn, 296, 387, 391, 399, 402–404, 433, 442, 444–448, 451 f., 463, 495, 500 f., 509–513, 517 f., 525, 529, 532, 537 Teleologie 49 fn, 53–55, 134, 170 fn, 232 f., 262 f., 389, 463, 511, 521, 523, 529–532, 536 Theodizeeproblem 246, 280 f. Totalität 11, 27–29, 31, 37, 181, 205, 221, 256 f., 292 f., 307, 312–314, 353, 362, 379, 384, 390, 394, 404–407, 412, 441, 449, 451, 454, 457, 459 f., 462 f., 466 f., 469 f., 473–475, 480, 482, 489 f., 492 f., 496 f., 501, 509–512, 515–517, 524, 527, 535, 554 f., 559 Unbedingte 27 f., 74–76, 184, 228, 230 f., 236 f., 484 fn, 489, 506 Unendliches 13, 171, 251, 268, 274, 276, 311 fn, 366–369, 386, 415, 446, 453, 456, 460, 464, 467, 505–507, 539–542, 558
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Vermittelte Unmittelbarkeit 202, 274, 428 fn, 481, 503, 512 Vollkommenes Wesen, siehe ens summe perfectum Voraussetzungslosigkeit 12, 141, 187 fn, 194 f., 203 fn, 295–317, 318 fn, 338 f., 364, 370, 377 f., 439, 494, 500, 508, 554 Widerspruchsfrei 34, 36, 74 f., 87, 147, 173, 187, 246, 252, 281, 283–286, 291, 294, 317 f., 365, 372, 375 f., 383, 406, 417, 420, 423, 552, 555 Widerspruch – dialektischer 90, 215 fn, 232, 306 fn, 333, 335, 364, 373 f., 379, 427, 519, 540 – performativer 232, 248 fn, 322, 363, 369, 377, 379, 405, 427, 476, 519, 540 Wirklichkeitsstreben des Möglichen 103 f., 270 fn, 418 fn Zweckmäßigkeit, siehe Teleologie