Die Weltfriedensbotschaften Papst Johannes Pauls II. 1993–2000: Beiträge zur katholischen Soziallehre [1 ed.] 9783428503391, 9783428103393

Anläßlich des 80. Geburtstages Papst Johannes Pauls II. und des Heiligen Jahres 2000 erscheint nun der dritte Band der p

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German Pages 463 Year 2001

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Die Weltfriedensbotschaften Papst Johannes Pauls II. 1993–2000: Beiträge zur katholischen Soziallehre [1 ed.]
 9783428503391, 9783428103393

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DIE WELTFRIEDENSBOTSCHAFTEN PAPST JOHANNES PAULS II. 1993-2000

Die Weltfriedensbotschaften Papst Johannes Pauls II. 1993-2000 Beiträge zur katholischen Soziallehre

Eingeleitet und herausgegeben von

Donato Squicciarini

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Johannes Paulus (Papa, 11.):

Die Weltfriedensbotschaften Papst Johannes Pauls II. 1993-2000. Beiträge zur katholischen Soziallehre. I Hrsg.: Donato Squicciarini. - Berlin : Duncker und Humblot 2001 ISBN 3-428-10339-4

Das Frontispiz zeigt Papst Johannes Paul II. und den Apostolischen Nuntius in Österreich, Erzbischof DDr. Donato Squicciarini Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-10339-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 0

INHALTSVERZEICHNIS Thomas Klestil Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Donato Squicciarini Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Die Weltfriedensbotschaften Papst Johannes Pauls n. 1993-2000

Botschaft zur Feier des Weltfriedenstagesam 1. Januar 1993: "Willst du den Frieden, komm den Armen entgegen"

21

Paul Josef Cordes Willst du den Frieden, komm den Armen entgegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

Botschaft zur Feier des Weltfriedenstagesam 1. Januar 1994: "Aus der Familie erwächst der Friede für die Menschheitsfamilie" . . . . . . . . . . . . .

53

Alfonso Kardinal L6pez Trujillo Aus der Familie erwächst der Friede für die Menschheitsfamilie

61

Botschaft zur Feier des Weltfriedenstagesam 1. Januar 1995: "Die Frau: Erzieherin zum Frieden"..............................................

79

Chiara Lubich Die Frau: Erzieherin zum Frieden

87

Botschaft zur Feier des Weltfriedenstagesam 1. Januar 1996: "Bereiten wir den Kindern eine friedliche Zukunft"

113

Ludwig Schwarz SDB Bereiten wir den Kindern eine friedliche Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Botschaft zur Feier des Weltfriedenstagesam 1. Januar 1997: "Biete die Vergebung an, empfange den Frieden"

139

Joachim Kardinal Meisner Biete die Vergebung an, empfange den Frieden

151

Botschaft zur Feier des Weltfriedenstagesam 1. Januar 1998: "Aus der Gerechtigkeit des Einzelnen erwächst der Friede für alle" ........... 163 Paul Kirchhof Aus der Gerechtigkeit des Einzelnen erwächst der Friede für alle . . . . . . . . . . . . . . 175

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Inhaltsverzeichnis

Botschaft zur Feier des Weltfriedenstagesam 1. Januar 1999: "In der Achtung der Menschenrechte liegt das Geheimnis des wahren Friedens" ............................................................................... 195 Karl Korinek In der Achtung der Menschenrechte liegt das Geheimnis des wahren Friedens 209 Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages am 1. Januar 2000: "Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Egon Kapellari Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt

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n. Beiträge zur katholischen Soziallehre Wolfgang Waldstein Der Schutz des Lebens und der Friede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Helmut Liedermann Ohne Menschenrechte kein Friede ................................................ 267 KlausKüng Familie und soziale Ordnung ..................................................... 293 Herbert Schamheck Demokratie und Friede ............................... . . . .......................... 307 Johannes Schasching Gerechtigkeit und Friede ................. . . . ................................ . .... 321 Anton Rauscher Wirtschaft und Friede ..................... . ....................................... 329 Klaus Liebscher Aspekte der Friedenspolitik im Prozess der ökonomischen Entwicklung . . . . . . 341 Heribert Franz Köck Internationale Organisationen und Friede ....................................... 353 Gabriele Andreae Gedanken zum Frieden............................................................ 393 Rudolf Weiler Fbrschungen zum Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Walter Brandmüller Vergebung- der Weg zum Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Herausgeber- und Mitarbeitetverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 Register (Abkürzungsverzeichnis, Bibelstellen, Lehramtliche Dokumente, Personenregister, Geographisch/Topographisches Register, Sachregister) ........ 433

GELEITWORT Es ist ein wichtiges und weitreichendes Zeichen, dass im Heiligen Jahr 2000 der dritte Band der Weltfriedensbotschaften des Heiligen Vaters in deutscher Sprache erscheint. Dadurch können bis in die Gegenwart herein die zutiefst bedenkenswerten Worte des Oberhauptes der Katholischen Kirche zum Frieden in der Welt nachgelesen und nachgedacht werden. Die Botschaften umspannen den Zeitraum von 1993 bis zur Jahrhundertwende und bilden dadurch gewissermaßen ein Resümee des abgelaufenen Jahrhunderts; eines Jahrhunderts, von dem der Heilige Vater selbst sagt, dass es eine Zeit war, in der die Menschheit hart heimgesucht wurde von einer endlosen und schrecklichen Folge von Kriegen und Konflikten. Dass diese nicht einer historischen Notwendigkeit entspringen, sondern einer Logik der Unterdrückung und des Machtmissbrauchs, ist der Grundtenor der Weltfriedensbotschaften. Gleichzeitig wird darin aber auch der Hoffnung, ja Überzeugung Ausdruck verliehen, dass eine Zukunft in Frieden möglich ist. Auch dieser Band ist, wie die ihm vorausgehenden, von hoch qualifizierten Experten dokumentiert, und einmal mehr ist dem Apostolischen Nuntius in Österreich, Erzbischof DDr. Donato Squicciarini, für die Herausgabe dieser Botschaften zu danken. In den vergangenen 22 Pontifikatsjahren hat Papst Johannes Paul ll. insgesamt 92 Pastoralreisen in alle Kontinente unternommen, und seine Weltfriedensbotschaften sind ein beredtes Zeugnis für die Erfahrungen, die er in zahllosen Gesprächen mit Vertretern der Kirchen und Konfessionen, der Politik, Wirtschaft und natürlich auch mit vielen Gläubigen gewonnen hat. Bestechend sind daher auch das umfassende Wissen und die Präzision der klaren Sprache, mit der Missstände angesprochen und Folgeerscheinungen aufgezeigt werden. Die Stellungnahmen des Heiligen Vaters erschöpfen sich allerdings nicht im Geflecht der gegebenen Umstände, sondern diese bilden vielmehr den Boden, in den die Frohbotschaft des Evangeliums gesät wird. So sind sie selbst Beispiel für christliches Leben und die Präsenz der Kirche in der Gegenwart.

Dieses Leben und diese Präsenz beschränken sich nicht auf innerkirchliche und innerkonfessionelle Aktivitäten, sondern sind zutiefst von gesamtgesellschaftlicher und politischer Verantwortung geprägt.

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Geleitwort

So kommt es auch, dass das Wort "Weltfrieden" eine ganz besondere Bedeutung erhält. Denn gerade in unserer Zeit ist das Wort Frieden beinahe überstrapaziert und droht zu einer Unverbindlichkeit zu werden. Die ihm innewohnende Kraft und seine Wirkung jedoch hängen davon ab, dass dieser Ausdruck einen konkreten Sinn erhält. So meint Friede für den Heiligen Vater einmal den Frieden in der Familie. Die Familie als gesellschaftliche Keimzelle bedarf in herausragender Weise der Anleitung zum Frieden. Die Weltfriedensbotschaft des Jahres 1994 trägt daher den Titel: "Aus der Familie erwächst der Friede für die Menschheitsfamilie", und der Papst sieht die Aufgabe der Familie in nichts Geringerem, als "Baumeisterin des Friedens" zu sein. Hier wird deutlich, dass Friede zunächst immer eine Forderung und Herausforderung an die eigene Person ist und im nächsten persönlichen Umfeld verwirklicht werden muss. Erst in zweiter Linie kann er von anderen erwartet·werden. Ein weiterer Gesichtspunkt ist der gesellschaftliche Friede, der durch das Prinzip der Solidarität geprägt ist. Der Kampf gegen die Egoismen und Rücksichtslosigkeiten unseres täglichen Lebens und für eine Welt der Mitmenschlichkeit gehört hiebei sicherlich zu den bestimmenden Elementen, für die sich Johannes Paul II. stets eingesetzt hat. Und er wurde und wird auch nicht müde, an das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl zu appellieren, sei es im Einzugsbereich des Staates oder von nicht-staatlichen Organisationen. Friede meint aber auch den Frieden der Menschheitsfamilie, die als größeres Ganzes der ungeteilten Aufmerksamkeit und Sorgfalt bedarf. Dem Heiligen Vater ist zu danken, dass jene hohe Politik des Geistes immer neu und mit neuer Kraft im Bereich der inner- und zwischenstaatlichen Beziehungen ihre Wirkung entfaltet hat. Seine diesbezüglichen Beiträge zum offenen Auftreten gegen Diktaturen und staatlich legitimierte Unterdrückung sind über die Jahre zu einem wichtigen Charakteristikum dieser charismatischen Persönlichkeit geworden. Das Einfordern der Menschenrechte ist jener Minimalkonsens, den keine Politik verlassen darf und ohne den es auch in Zukunft kein friedliches Zusammenleben der Menschen geben kann. Friede meint schließlich wesentlich auch den Frieden der Menschen mit Gott. Diese höchste Form des Friedens der Gläubigen umschließt natürlich auch die Achtung vor der Schöpfung und führt zur grundlegenden Bedeutung des Wortes "Welt": Welt als gesamte Schöpfung. Diese ist uns anvertraut und sie gilt es zu bewahren. Daher nehmen für den Heiligen Vater internationale Organisationen einen besonders hohen Stellenwert ein. In seiner Weltfriedensbotschaft zum Jahr 2000 würdigt der Papst ihr Engage-

Geleitwort

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ment, mit oft nur bescheidenen Mitteln an vorderster Front für die Humanität zu wirken. Innerhalb der breit gefächerten Friedens-Aktivitäten des Heiligen Vaters nimmt sein Engagement für eine Friedens- und Stabilitätszone in Europa eine besondere Stellung ein. Anlässlich seines Pastoralbesuches in Österreich im Jahre 1998 sprach er daher von der Vollendung Europas, die uns zu ermöglichen aufgetragen ist. Und es war gewiss kein Zufall, dass der Heilige Vater Wien als Ort für seine "Europa-Rede" gewählt hat. Die reiche Vergangenheit dieser Stadt und die jahrhundertelange Erfahrung im friedlichen Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und unterschiedlichen Glaubens waren und sind der geeignete Ort, um das Haus Europa fertig zu stellen. Das bedeutet aber in erster Linie, dass wir rasch und dennoch gut vorbereitet die so genannten Reformstaaten in die Strukturen der Europäischen Union einbinden müssen. Dabei sind Worte, die uns an die geistige Dimension einer solchen Aufgabe gemahnen, unendlich wertvoll. Es ist daher beruhigend zu wissen, dass die Worte des Heiligen Vaters nicht ungehört verhallen, sondern sich weit über die Gemeinschaft katholischer Christen hinaus Gehör verschaffen. Denn gerade seine Friedensmission, die Johannes Paul II. seit nunmehr 22 Jahren verfolgt, zählt zur stillen Diplomatie, die umso mehr erreicht, je weniger sie Aufhebens macht. Sie richtet sich an alle Menschen guten Willens und damit auch an jene Entscheidungsträger im Großen und Kleinen, die für das Heil der Welt Verantwortung tragen. Entscheidungsträger aber sind wir letztlich alle, jeden Morgen aufs Neue und jeden ~g unzählige Male. Die Weltfriedensbotschaften des Heiligen Vaters sind auch Anleitungen und Hilfsmittel, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Als Bundespräsident der Republik Österreich, der selbst die Freude hatte, einen Pastoralbesuch des Heiligen Vaters miterleben zu dürfen, wünsche ich diesem Buch viele aufmerksame und hellhörige Leser.

Dr. Thomas Klestil Bundespräsident der Republik Österreich

EINLEITUNG In den Jahren 1979 und 1992 veröffentlichte das Berliner Verlagshaus Duncker & Humblot in zwei von mir herausgegebenen Sammelbänden die von 1968 bis 1992 erschienenen Weltfriedensbotschaften von Papst Paul VI. und Papst Johannes Paul II. In diesem vorliegenden dritten Band seien nun wiederum, von kompetenten Persönlichkeiten und Fachleuten kommentiert, die Friedensbotschaften der Jahre 1993 bis 2000 vorgelegt. Darüber hinaus schließen sich an die Botschaften mit ihren Kommentaren noch mehrere Beiträge an, die das Thema "Friede" in den unterschiedlichsten Zusammenhängen der katholischen Soziallehre präsentieren. Konkreter Anlaß für diese Veröffentlichung ist der 80. Geburtstag von Papst Johannes Paul II. und das Heilige Jahr 2000. Seit 1978 leitet Papst Johannes Paul ll. als Stellvertreter Christi und Nachfolger des hl. Petrus die Kirche. In diesem Zeitabschnitt des 20. Jahrhunderts haben politische Umwälzungen stattgefunden, die wohl kaum jemand für möglich gehalten hatte. Unmenschliche politische Systeme sind zusammengebrochen; Völkern wurde wieder die Freiheit geschenkt. Man wird kaum bestreiten können, dass Papst Johannes Paul II. zu diesen positiven Entwicklungen in der Welt besonders beigetragen hat. Unermüdlich waren seine Aufrufe zum Frieden, zur Gerechtigkeit und zur Achtung der Rechte aller Menschen; auch nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Denken wir nur an seine Ansprachen und Botschaften anlässlich der Krisen am Ende des letzten Jahrhunderts. Trotz der positiven Entwicklung brechen leider immer wieder auf der ganzen Erde - Europa nicht ausgenommen -Wunden der Grausamkeit, des Hasses und der Brutalität auf. Große Hoffnung setzt der Heilige Vater auf das Große Jubiläum, auf das Heilige Jahr 2000. Die Menschwerdung des Erlösers vor 2000 Jahren, sein Tod und seine Auferstehung haben der Welt das Leben gebracht. Christus will, dass alle Menschen das Leben haben und es in Fülle haben (vgl. Joh 10, 10). Der Papst wünscht, dass dieser Wille des Herrn sich in diesem Heiligen Jahr in besonderer Weise auf die ganze Welt ausbreite. Allen Menschen soll der Heils- und Friedenswille Gottes kundgetan werden.

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Einleitung

Was damals bei den Veröffentlichungen 1979 und 1992 zu bekräftigen war, hat seine Geltung in vollem Umfang bewahrt. Der Friede ist die unwandelbare und ewige Zielvorstellung christlicher Heilsverkündigung: seine Förderung bleibt unbeschadet wechselvoller Zeitenläufe ein Hauptanliegen christlicher Weltgestaltung. Friede ist "Theorie", das bedeutet in seiner Übersetzung aus der griechischen Sprache "Einschau" in einen Problemgehalt, in Zusammenhänge, in Schlussfolgerungen. Und Friede ist "Praxis"; das will auf der einen Seite das Handeln, die Tat, die konkrete Wirklichkeit signalisieren, auf der anderen aber findet sich die Praxis inmitten des Streites, der Widersprüche, der Konflikte, ja der Kriege. Zielvorstellung und Hauptanliegen des Friedens genießen stete Aktualität und werden nicht durch wandelbare Verkündigungsgestaltung bedingt. Seit dem Jubel der himmlischen Heerscharen in der Nacht der Geburt des Erlösers im Fleische leuchtet über dem christlichen Selbstverständnis der Stern des Friedens. "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind" (Lk 2, 14). Schon die Engelsbotschaft verweist auf die mehrfache Dimension der Wirklichkeit des Friedens. Es bedarf nicht allein der Huld des Herrn, sondern auch des guten Willens und der ihn begleitenden Tat jedes einzelnen Menschen. Entsprechend den Bedrohungen des Friedens hat daher die Kirche während mancher Phasen der Menschheitsgeschichte deutliche und augenfällige Akzente gesetzt, um den Frieden zu proklamieren und zu bekräftigen. So haben die Päpste des 20. Jahrhunderts unermüdlich seit dem Ersten Weltkrieg bis zu den Konflikten in unseren Jahren die Stimme des Friedens erhoben: die hl. Päpste Pius X., Benedikt XV und Pius XI., in besonders eindringlicher Weise Papst Pius XII. während des blutigen Völkermordens des Zweiten Weltkrieges, sein Nachfolger Johannes XXIII. (Pacem in terris! War seine große Botschaft und sein Vermächtnis). Auch Papst Paul VI., der die Initiative einer jährlichen Feier im Jahre 1968 ergriffen hatte, nahm die Schatten über seiner Weltstunde wahr und appellierte leidenschaftlichen Herzens und in klarer Einsicht in die realisierbaren Möglichkeiten an die Menschheit, Frieden zu schaffen. Aktueller Anlass war der sogenannte "Sechstagekrieg" im Nahen Osten, in den die irdische Heimat des Erlösers unmittelbar verstrickt war. Aber "begrenzte Kriege" im geopolitischen Bereiche der Krisenherde gab es de facto bereits seit dem Waffenstillstand nach dem Zweiten Weltkrieg in Asien wie in Afrika. Überdies hing das Damoklesschwert einer nuklearen Bedrohung über den Großmächten, trotzderen Pattstellung ob ihrer Philosophie des "overkills" und ihrer Trümpfe im Bereiche der ABC-Waffenarsenale. Papst Jo-

Einleitung

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hannes Paul I. und Papst Johannes Paul II. waren und sind ständige Apostel zur Befriedung. Die Ansprachen und Gebete Papst Johannes Pauls ll. während der Konflikte in neuerer Zeit stehen als Zeugnis für die Tat, die der Gesinnung entspringt. Paul VI. knüpfte durch seine Initiativen um des Friedenswillen an die pastorale Tradition Benedikts XV. und Pius' XII. an: indem er eindringlich aufzeigte, wie sehr ein vordergründiger "Frieden der Waffen" durch den hintergründigen "Frieden der Herzen" bedingt wird. Der Friede beginnt im Herzen eines jeden einzelnen Menschen. Dortselbst findet der bedeutendste, der wichtigste "Friedenskongress" der Welt- und Heilsgeschichte statt. Es ist durch den Frieden mit Gott, dem Schöpfer, auch der Friede des Geschöpfes mit sich selbst. Damit wird aber auch jede Form des partnerschaftliehen Friedens angesprochen: des Friedens in den Familien, den kleinen, übersehaubaren Gruppen und dörflichen Gemeinschaften, des Friedens in den Vereinigungen, Verbänden, sozialen Interessenbezügen, in der Wirtschaft, der Arbeitswelt, vom Agrarwesen in die industriellen Ballungsräume, des Friedens in den Städten und Ländern, den Regionen und Staaten, den mehr oder minder integrierten Staatengemeinschaften, des Friedens der Erdteile, der Kulturen und der gesamten Völkergemeinschaft Der "Krieg", der eine Familie durch Hass und Zwietracht spaltet, wird zum Keim grenzüberschreitender Konflikte, deren Austragung von menschheitsverachtenden Instrumentarien der Vernichtung flankiert wird. Papst Paul VI. proklamierte im Spätherbst des Jahres 1967 für den ersten Kalendertag des bürgerlichen Jahres 1968, an dem die Weltkirche seit dem II. Vatikanischen Konzil das Hochfest der Gottesmutter Maria feiert, einen global zu begehenden "Tag des Friedens". Die päpstlichen Weltfriedenstage zählen zu den hervortretenden Bedenktagen des kirchlichen und global-politischen Jahres. Sie werden im Schatten der Gewalt und der Tränen, die dem vergossenen Blut entstammen, mehr oder minder gefeiert bzw. begangen. Sie bieten Anlass zur gemeinschaftlichen Besinnung im liturgischen, im akademischen, im internationalen Raume. Sie entbehren nicht eines gewissen deklamatorischen Charakters, der unverzichtbar bleibt, zugleich sollen sie als Imperative an die Ohren und zu den Herzen aller Menschen, aller Rassen und Hautfarben, aller Sprachen, Nationen und auch aller Religionen dringen. Die päpstlichen Weltfriedenstage dürfen nicht zu unreflektierten, ja gedankenarmen "lieben Gewohnheiten" werden. Sie bedeuten nach dem Willen Papst Pauls VI. und seiner Nachfolger im Petrusamt eine Herausforderung zur "Metanoia", zum Umdenken, zu einer Änderung der Grundgesin-

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Einleitung

nung und des praktischen Verhaltens. Ja, man könnte sagen, die päpstlichen Weltfriedenstage sind eine Provokation im Namen des Evangeliums. Sie wollen den Routinier, der einen neuen Jahresanfang mit gewohnten Ritualen feiert, herausreißen aus der Gleichgültigkeit gegenüber dem Hass und den vielen Spielarten feindseliger Konfliktaustragung. Diese Zelebration sollte jährlich unter ein jeweils neues, spezifisches Thema gestellt und gedeutet werden. Die Ständige Vertretung des Heiligen Stuhles bei jenen internationalen Organisationen, deren Amtssitz sich in der Österreichischen Bundeshauptstadt Wien befindet, hat ihren Beitrag zur Bekräftigung dieses großen Anliegens des Papstes seit dem Jahre 1973 erbracht. Dafür gebührt dem damaligen Nuntiaturrat und Ständigen Vertreter des ID. Stuhles bei den internationalen Organisationen in Wien und späteren Apostolischen Nuntius, Erzbischof Dr. Oriano Quilici, besonderer Dank, der schon am 2. November 1998 als Apostolischer Nuntius in der Schweiz die Bühne dieser Welt verlassen hat und uns in die ewige Heimat vorausgegangen ist. Diese Tradition wurde von seinen Nachfolgern fortgesetzt. Der Verfasser vertrat von 1975 bis 1978 den Heiligen Stuhl bei den Internationalen Organisationen in Wien. Ihm folgte von 1978 bis 1983 Msgr. Dr. Mario Peressin1 , dem wiederum von 1983 bis 1990 Msgr. Dr. Giovanni Ceirano2 nachfolgte. Von 1990 bis 1994 war der Verfasser als Nuntius in Österreich zugleich Vertreter des Heiligen Stuhles bei den Vereinten Nationen. Msgr. Dr. Mario Zenari3 hatte dieses Amt in der Zeit von 1994 bis 1999 inne. Am 18. Januar 1973 wurde anlässlich des sechsten Weltfriedenstages zum ersten Mal in Wien eine Feierlichkeit abgehalten unter dem Patronat der "Internationalen Atomenergie-Organisation" IAEO. Seit 1983 wechselten sich IAEO, UNIDO (Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung) und UNOV (Büro der Vereinten Nationen) bei der Organisation der Feierlichkeiten zum Weltfriedenstag in Wien ab. Die letzte dieser Feierlichkeiten, bei denen immer der Bundespräsident der Republik Österreich 1 Msgr. Peressin wurde am 7. April1983 zum Koadjutor des Erzbischofs von UAquila ernannt und empfing am darauffolgenden 29. Juni die Bischofsweihe. Er leitete die Diözese vom 31. Dezember 1983 bis zu seiner Emeritierung am 6. Juni 1998. Nachdem er als Kanoniker des Kapitels von St. Peter im Vatikan berufen worden war, starb er bald darauf am 11. Oktober 1999. 2 Msgr. Ceirano wurde am 6. Januar 1990 zum Bischof geweiht, nachdem er am 21. Dezember 1989 zum Apostolischen Nuntius in Papua Neu-Guinea ernannt worden war. Ab dem 20. August 1992 übte er dieselbe Tätigkeit bis zu seiner Emeritierung in Dänemark, Finnland, Island, Schweden und Norwegen aus. 3 Am 12. Juli 1999 wurde Msgr. Zenari zum Apostolischen Nuntius in Niger, Burkina Faso sowie der Elfenbeinküste ernannt und empfing am 25. September 1999 die Bischofsweihe.

Einleitung

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und zahlreiche Persönlichkeiten des kirchlichen und staatlichen Lebens teilnahmen, fand arn 5. Februar 1998 statt. An dieser Stelle sollen auch in dankbarer Weise die verschiedenen Generaldirektoren erwähnt werden, die die Feier des Weltfriedenstages in den Räumen der Internationalen Organisationen in Wien ermöglicht haben: - Dr. Sigvard Eklund, Generaldirektor von IAEO, von 1973 bis 1981; - Dr. Hans Blix, Generaldirektor von IAEO, in den Jahren: 1982, 1984, 1985, 1988, 1991, 1994 und 1997; - Dr. Abd-El Rahman Khane, Executiv Dir. von UNIDO, im Jahre 1983; - Dr. Domingo L. Siazon, Generaldirektor von UNIDO, in den Jahren: 1986, 1989 und 1992; - Frau Margaret Joan Anstee, Generaldirektor von UNOV, in den Jahren: 1987 und 1990; - Dr. Giorgio Giacomelli, Generaldirektor von UNOV, in den Jahren 1993 und 1996; - Herr Mauricio De Maria Y Campos, Generaldirektor von UNIDO, im Jahre 1995 und - Dr. Carlos Magarifi.os, Generaldirektor von UNIDO, im Jahre 1998. Als Grundlage und Fundament für dieses weitere Sammelwerk der päpstlichen Weltfriedensbotschaften möchte ich im Folgenden die eindringlichen und zum Verständnis der päpstlichen Friedensappelle notwendigen Texte des II. Vatikanischen Konzils anführen, die in konkreter Sprache den Menschen unserer Zeit das Friedensanliegen der Kirche nahebringen möchten. Die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et Spes" (GS) beschreibt in Nr. 78 das Wesen des Friedens: "Der Friede besteht nicht darin, daß kein Krieg ist; er läßt sich auch nicht bloß durch das Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot eines Starken: er heißt vielmehr mit Recht und eigentlich ein "Werk der Gerechtigkeit" (Jes 32, 17) ... " (GS 78). In Nr. 82 der gleichen Konstitution wird eine absolute Achtung des Krieges und eine weltweite Aktion, ihn zu verhindern, gefordert: "Es ist also deutlich, daß wir mit all unseren Kräften jene Zeit vorbereiten müssen, in der auf der Basis einer Übereinkunft zwischen allen Nationen jeglicher Krieg absolut geächtet werden kann. Das erfordert freilich, daß eine von allen anerkannte öffentliche Weltautorität eingesetzt wird, die über wirksame Macht verfügt, um für alle Sicherheit, Wahrung der Gerech-

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tigkeit und Achtung der Rechte zu gewährleisten. Bevor aber diese wünschenswerte Autorität konstituiert werden kann, müssen die jetzigen internationalen höchsten Gremien sich intensiv um Mittel bemühen, die allgemeine Sicherheit besser zu gewährleisten. Da der Friede aus dem gegenseitigen Vertrauen der Völker erwachsen sollte, statt den Nationen durch den Schrecken der Waffen auferlegt zu werden, sollten alle sich bemühen, dem Wettrüsten ein Ende zu machen ... " (GS 82). GS 42 bezieht sich auf die Hilfe, welche die Kirche der menschlichen Gemeinschaft bringen möchte: "Die ihr eigene Sendung, die Christus der Kirche übertragen hat, bezieht sich zwar nicht auf den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereich: das Ziel, das Christus ihr gesetzt hat, gehört ja der religiösen Ordnung an. Doch fließen aus eben dieser religiösen Sendung Auftrag, Licht und Kraft, um der menschlichen Gemeinschaft zu Aufbau und Festigung nach göttlichem Gesetz behilflich zu sein. Ja wo es nötig ist, kann und muß sie selbst je nach den Umständen von Zeit und Ort Werke zum Dienst an allen, besonders an den Armen, in Gang bringen, wie z. B. Werke der Barmherzigkeit oder andere dieser Art ... " (GS 42). Auch die dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium" (LG) betont das Recht und die Pflicht der Kirche, sich um den Frieden für alle Menschen zu bemühen: "Zu dieser katholischen Einheit des Gottesvolkes, die den allumfassenden Frieden bezeichnet und fördert, sind alle Menschen berufen. Auf verschiedene Weise gehören ihr zu oder sind ihr zugeordnet die katholischen Gläubigen, die anderen an Christus Glaubenden und schließlich alle Menschen überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind." (LG 13) Wenn der Friede Anliegen und Sorge aller Menschen sein soll, dann erst recht für die, welche durch die Taufe auf den Namen Jesu Christi miteinander verbunden sind. In den Friedensbemühungen kann sich die praktische Verwirklichung eines echten Ökumenismus zeigen. So bezieht sich das Dekret des II. Vatikanischen Konzils über den Ökumenismus "Unitatis Redintegratio" (UR) im Zusammenhang mit der konkreten Zusammenarbeit der Konfessionen mit folgenden Worten auch auf die Friedensarbeit: "Diese Zusammenarbeit, die bei vielen Völkern schon besteht, muß mehr und mehr vervollkommnet werden, besonders in jenen Ländern, wo die soziale und technische Entwicklung erst im Werden ist ... " (UR 12)

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Einleitung

Möge dieses Werk den Lesern eine Anregung und eine Hilfe sein, Werkzeuge und Boten des Friedens zu werden. Mögen viele auch erkennen, dass es sich lohnt, "zu Christus dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufzuschauen." (LG 9) Bei der Herausgabe dieses Bandes hat man bewusst auf eine Vereinheitlichung der einzelnen Beiträge verzichtet. Die Art und Weise der Darstellung des Textes durch die jeweiligen Autoren wurde daher beibehalten. Mein Dank gilt an dieser Stelle den Autoren, die durch ihre wertvollen Beiträge dieses Werk ermöglicht haben. Ebenso sei Prof. Dr. h. c. Norbert Simon, dem Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, für die entgegenkommende Aufnahme dieses Buches in sein Verlagsprogramm und damit für seine Hilfe zur Herausgabe dieses dritten Bandes der päpstlichen Weltfriedensbotschaften besonderer Dank gesagt. Am Ende diese Bandes wurde ein Register erstellt, das auch die schon erschienen Bände miteinschließt. Den Herren Mag. Paul Wuthe und Mag. Walter Lukaseder sei für diese mühevolle Arbeit besonders gedankt. DDr. Donato Squicciarini

Titularerzbischof von Tiburnia Apostolischer Nuntius in Österreich

2 Johannes Paul II.

I. DIE WELTFRIEDENSBOTSCHAFTEN PAPST JOHANNES PAULS II. 1993-2000

BOTSCHAFT SEINER HEILIGKEIT JOHANNES PAULS II. ZUR FEIER DES WELTFRIEDENSTAGES AM 1. JANUAR 1993 "WILLST DU DEN FRIEDEN, KOMM DEN ARMEN ENTGEGEN"

"Willst du den Frieden ... " 1. Welcher Mensch guten Willens strebt nicht nach Frieden? Der Friede. wird heute weltweit als einer der höchsten Werte anerkannt, die es zu suchen und zu verteidigen gilt. Doch während das Gespenst eines Vernichtungskrieges zwischen entgegengesetzten ideologischen Blöcken verschwindet, überziehen immer wieder schwere lokale Konflikte verschiedene Regionen der Erde mit vernichtenden Flammen. Allen steht besonders die dramatische Lage in Bosnien-Herzegowina vor Augen, wo das Kriegsgeschehen weiterhin jeden Tag gerade unter der wehrlosen Zivilbevölkerung neue Opfer dahinrafft und ungeheure Sach- und Umweltschäden verursacht. Nichts, so scheint es, vermag sich der sinnlosen Gewalt der Waffen zu widersetzen: weder die vereinten Bemühungen um einen wirksamen Waffenstillstand, noch der humanitäre Einsatz der internationalen Organisationen, noch das Flehen um Frieden, das einmütig aus den von blutigen Kämpfen heimgesuchten Ländern emporsteigt. Die irrige Logik des Krieges gewinnt leider immer wieder Oberhand über die wiederholten und maßgebenden Friedensaufforderungen. Außerdem macht sich in der Welt eine andere ernste Bedrohung für den Frieden immer besorgniserregender breit: Viele Menschen, ja ganze Volkerschaften leben heute in äußerster Armut. Der Unterschied zwischen Reichen und Armen ist auch in den wirtschaftlich hochentwickelten Nationen augenfälliger geworden. Es handelt sich um ein Problem, das sich dem Gewissen der Menschheit aufdrängt, da eine große Zahl von Menschen in Verhältnissen lebt, die ihre angeborene Würde verletzen und infolgedessen den wahren und harmonischen Fortschritt der Weltgemeinschaft gefährden. Diese Wirklichkeit macht sich in zahlreichen Ländern der Welt in ihrer ganzen Schwere bemerkbar: in Europa ebenso wie in Afrika, Asien und

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Papst Johannes Paul li.

Amerika. In verschiedenen Regionen müssen es Gläubige und Menschen guten Willens mit sehr vielen sozialen und ökonomischen Herausforderungen aufnehmen. Armut und Elend, soziale Unterschiede und bisweilen gesetzlich gebilligte Ungerechtigkeiten, Bruderkriege und repressive Regime appellieren an das Gewissen ganzer Völkerschaften überall auf der Welt. Die vor kurzem, im Oktober, in Santo Domingo abgehaltene Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe betrachtete aufmerksam die Lage in Lateinamerika und forderte, während sie den Christen wieder mit großer Dringlichkeit die Aufgabe der Neuevangelisierung ans Herz legte, die Gläubigen und alle, die die Gerechtigkeit und das Gute lieben, in besorgtem Ton auf, der Sache des Menschen zu dienen, ohne aber auch nur eines seiner innersten Bedürfnisse zu vernachlässigen. Die Bischöfe erinnerten an den großen Auftrag, der die Anstrengungen aller vereinen soll: Verteidigung der Würde der menschlichen Person, Einsatz für eine gerechte Güterverteilung, harmonische und solidarische Förderung einer Gesellschaft, in der sich ein jeder angenommen und geliebt fühlt. Das sind, wie man wohl sieht, die unabdingbaren Voraussetzungen für den Aufbau des wahren Friedens. Denn wenn wir von "Frieden" reden, soll damit viel mehr gesagt sein als nur die Abwesenheit von Kriegen; es heißt, Voraussetzungen zu fordern für die wahre Achtung der Würde und Rechte jedes Menschen, so daß ihm seine volle Verwirklichung ermöglicht wird. Die Ausbeutung der Armen, die besorgniserregenden Elendszonen, die sozialen Mißverhältnisse bilden ebenfalls Hürden und Hindernisse bei der Verwirklichung stabiler Bedingungen für einen echten Frieden.

Armut und Frieden: Zu Beginn des neuen Jahres möchte ich alle zu einer gemeinsamen Betrachtung einladen über die vielfältigen Zusammenhänge, die zwischen diesen beiden Gegebenheiten bestehen. Im besonderen möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Bedrohung lenken, die dem Frieden aus der Armut erwächst, vor allem, wenn diese zum Elend wird. Millionen von Kindern, Frauen und Männern leiden täglich unter Hunger, Unsicherheit und dem Dahinvegetieren am Rande der Gesellschaft. Solche Situationen stellen eine schwere Verletzung der menschlichen Würde dar und tragen zur sozialen Instabilität bei.

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Die unmenschliche Wahl des Krieges

2. Gegenwärtig haben wir es noch mit einer weiteren Situation zu tun, die Quelle von Armut und Elend ist: sie rührt vom Krieg zwischen Nationen und von Konflikten innerhalb ein und desselben Landes her. Angesichts der tragischen Geschehnisse, die vor allem aus ethnischen Gründen mehrere Gegenden der Welt blutig heimgesucht haben und noch heimsuchen, sei an das erinnert , was ich in der Botschaft zum Weltfriedenstag des Jahres 1981 gesagt habe, deren Thema lautete: "Um dem Frieden zu dienen, achte die Freiheit!". Ich betonte damals, daß die unerläßliche Voraussetzung für den Aufbau eines wahren Friedens die Achtung der Freiheit und der Rechte der anderen Menschen und der Gemeinschaft sei. Mein damaliger Aufruf bewahrt also seine ganze Aktualität: "Die Achtung der Freiheit der Völker und Nationen ist ein wesentlicher Bestandteil des Friedens. Es sind immer wieder Kriege ausgebrochen, und ganze Völker und Kulturen sind der Zerstörung anheimgefallen, weil die Souveränität eines Volkes oder einer Nation nicht geachtet worden ist. Alle Kontinente sind Zeugen und Opfer mörderischer Bruderkriege und Kämpfe gewesen, die durch den Versuch einer Nation, die Autonomie einer anderen zu beschränken, hervorgerufen wurden"1. Und ich fügte noch hinzu: "Ohne den Willen, die Freiheit jedes Volkes, jeder Nation oder Kultur zu achten, und ohne einen diesbezüglichen weltweiten Konsens wird es schwierig sein, die Voraussetzungen für den Frieden zu schaffen.... Dies verlangt von jeder Nation und ihrer Regierungen den bewußten und öffentlichen Verzicht auf Ansprüche und Ziele, die die anderen Nationen beeinträchtigen, das heißt den Verzicht auf die Billigung jeglicher Doktrin nationaler oder kultureller Vorherrschaft" 2 • Man kann sich leicht vorstellen, welche Fblgen eine solche Verpflichtung auch für die Wirtschaftsbeziehungen der Staaten untereinander hat. Jede Versuchung, wirtschaftliche Vorherrschaft über andere Nationen zurückzuweisen, bedeutet, auf überwiegend vom Kriterium des Gewinns inspirierte Politik zu verzichten, um sich stattdessen von dem der Solidarität gegenüber anderen, insbesondere den Armen, leiten zu lassen.

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Botschaft zum Weltfriedenstag des Jahres 1981, Nr. 8 Ebd. Nr. 9

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Armut als Konfliktquelle 3. Die Zahl der Menschen, die heute in Verhältnissen äußerster Armut leben, ist sehr groß. Ich denke unter anderem an die dramatische Lage in einigen afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern. Breite Gruppen, oft ganze Bevölkerungsgürtel befinden sich in ihren eigenen Ländern am Rand des zivilen Lebens: darunter eine zunehmende Zahl von Kindern, die, um überleben zu können, außer auf sich selbst auf keinen anderen zählen können. Eine solche Situation ist nicht nur eine Beleidigung für die Menschenwürde, sondern stellt auch eine unzweifelhafte Bedrohung für den Frieden dar. Welche politische Organisation und welches Wirtschaftssystem ein Staat auch immer aufweisen mag, er bleibt in sich brüchig und instabil, wenn er nicht seinen schwächsten Mitgliedern ständig seine Aufmerksamkeit zuwendet und alles nur Mögliche unternimmt, um wenigstens die Befriedigung ihrer wichtigsten Bedürfnisse sicherzustellen. Das den ärmsten Ländern zustehende Recht auf Entwicklung erlegt den entwickelten Ländern die klare Pflicht auf, sich für Hilfe an jene einzusetzen. Das II. Vatikanische Konzil drückt sich diesbezüglich so aus: "Allen [Menschen] steht das Recht zu, einen für sich selbst und ihre Familien ausreichenden Anteil an den Erdengütern zu haben". Es ist "Pflicht, die Armen zu unterstützen, und zwar nicht nur vom Überfluß" 3 . Darin kommt mit aller Klarheit die Mahnung der Kirche, das treue Echo der Stimme Christi, zum Ausdruck: Die Güter der Erde sind für die ganze Menschheitsfamilie bestimmt und können nicht dem exklusiven Nutzen einiger weniger vorbehalten sein 4 • Im Interesse des Menschen ist es daher dringend notwendig, an den ökonomischen Mechanismen jene notwendigen Zusätze anzubringen, die eine gerechtere und angemessenere Güterverteilung garantieren können. Dazu genügt aber das Funktionieren des Marktes allein nicht; die Gesellschaft muß ihre Verantwortung übernehmen5 , indem sie die oft schon beträchtlichen Anstrengungen vermehrt, um die Ursachen der Armut mit ihren tragischen Folgen zu beseitigen. Kein Land kann es, in einem solchen Vorhaben auf sich allein gestellt, weit bringen. Darum ist es notwendig zusammenzuarbeiten, und das mit einer Solidarität, wie sie eine immer stärker durch gegenseitige Abhängigkeit gekennzeichnete Welt erfordert. Wenn man zuläßt, daß Situationen extremer Armut fortbestehen, legt man die VoraussetzunPastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 69 Vgl. Enzyklika Centesimus annus, Nr. 31 u. 37 s Vgl. Centesimus annus, Nr. 48

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genfür Formen sozialen Zusammenlebens, die zunehmend der Bedrohung durch Gewalt und Konflikte ausgesetzt sind. Jeder einzelne Mensch und jede soziale Gruppe hat das Recht, daß sie die Möglichkeit erhalten, für die persönlichen und die Bedürfnisse der Familie zu sorgen und am Leben und am Fortschritt der Gemeinschaft, zu der sie gehören, teilzuhaben. Wird dieses Recht nicht anerkannt, kann es leicht geschehen, daß die Betroffenen, da sie sich als Opfer einer Struktur fühlen, die sie nicht annimmt, hart reagieren. Das gilt besonders für die Jugendlichen, die, oft ohne angemessene Ausbildung und ohne Zugang zu Arbeitsplätzen, in hohem Maße der Gefahr des Abgedrängtwerdens an den Rand der Gesellschaft und dem Risiko der Ausbeutung ausgesetzt sind. Alle wissen um das Problern der Arbeitslosigkeit, besonders der Jugend, in der ganzen Welt mit der daraus folgenden Verarmung einer immer größeren Anzahl einzelner Menschen und ganzer Familien. Die Arbeitslosigkeit ist allerdings häufig das tragische Ergebnis der Zerstörung der wirtschaftlichen Infrastrukturen in einem von Krieg oder internen Konflikten heimgesuchten Land. Ich möchte hier kurz einige besonders beunruhigende Problerne ins Gedächtnis rufen, die die Annen bedrücken und folglich den Frieden bedrohen. Da ist zunächst das Problem der Auslandsschulden, das trotz der von der internationalen Gemeinschaft, von den Regierungen und den Finanzinstituten zu ihrer Verringerung unternommenen Anstrengungen für einige Länder, und in ihnen für die ärmeren Schichten, weiterhin eine unerträgliche Last darstellt. Sind es etwa nicht die ärmsten Kreise der genannten Länder, die nicht selten die Hauptlast der Rückzahlung tragen müssen? Eine solche Unrechtslage kann wachsende Ressentiments, Gefühle der Frustration, ja der Verzweiflung aufkommen lassen. In vielen Fällen teilen die Regierungen selbst das verbreitete Mißbehagen ihres Volkes , was sich auf ihre Beziehungen zu den anderen Staaten auswirkt. Vielleicht ist der Augenblick gekommen, dem Problem der Verschuldung dieser Länder im Ausland die ihm gebührende Priorität einzuräumen und es nochmals zu prüfen. Man wird überlegen müssen, ob eine Gesamtrückzahlung dieser Schulden oder nur eine Teilrückzahlung ins Auge zu fassen ist, und welche Bedingungen mit dieser Rückzahlungsverpflichtung verbunden werden. Dabei muß man nach endgültigen Lösungen suchen, die geeignet sind, die drückenden sozialen Folgen der Entschuldungsprogramme voll aufzufangen. Außerdem wird man sich mit den Ursachen der Verschuldung befassen und die Gewährung weiterer Hilfen an die Übernahme der konkreten Verpflichtung

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seitens der Regierungen knüpfen müssen, übermäßige oder unnütze Ausgaben zu reduzieren - dabei ist im besonderen an die Rüstungsausgaben gedacht - und zu garantieren, daß die Subventionen tatsächlich den bedürftigen Bevölkerungsschichten zugute kommen. Ein zweites brennendes Problem ist das Drogenproblem: Die Beziehung der Droge zur Gewalt und zum Verbrechen ist allen schmerzlich und tragisch bekannt. Ebenso bekannt ist auch, daß in manchen Weltgegenden unter dem Druck der Drogenhändler gerade die ärmsten Volksgruppen sich auf den Anbau von Pflanzen für die Herstellung von Rauschgiften einlassen. Die ihnen versprochenen hohen Einkünfte - die übrigens nur einen sehr kleinen Teil der aus solchen Kulturen stammenden Gewinne ausmachen stellen eine Versuchung dar, der alle jene kaum zu widerstehen vermögen, die aus den traditionellen Anbauformen ein Einkommen beziehen, das eindeutig zum Leben nicht ausreicht. Das erste, was getan werden muß, um den Bauern bei der Bewältigung dieser Situation zu helfen, besteht deshalb darin, ihnen die zur Überwindung ihrer Armut geeigneten Mittel zur Verfügung zu stellen. Ein weiteres Problem entsteht aus der von ernsten Wirtschaftsschwierigkeiten hervorgerufenen Lage in einigen Ländern. Sie begünstigen massive Auswanderungswellen in Richtung wohlhabenderer Länder, in denen dann im Gegenzug Spannungen entstehen, die das Sozialgefüge erschüttern. Um derartigen Reaktionen fremdenfeindlicher Gewalt entgegenzutreten, hilft es nicht so sehr, provisorische Notstandsmaßnahmen zu ergreifen, als vielmehr auf die Ursachen dadurch einzuwirken, daß mit Hilfe neuer Solidaritätsformen zwischen den Nationen der Fortschritt und die Entwicklung in den Herkunftsländern der Auswandererströme gefördert werden. Eine heimtückische, aber reale Bedrohung für den Frieden ist also das Elend: Da es die Würde des Menschen zerstört, stellt es einen ernsten Anschlag auf den Wert des Lebens dar und trifft zuinnerst die friedliche Entwicklung der Gesellschaft.

Armut als Ergebnis des Konflikts 4. In den letzten Jahren haben wir auf fast allen Kontinenten lokale Kriege und innere Konflikte von grausamer Heftigkeit erlebt. Die Volks-, Stammes- und Rassengewalt hat Menschenleben vernichtet, sie hat Gemeinschaften gespalten, die in der Vergangenheit friedlich zusammenlebten, und hat Trauer und Haßgefühle gesät. Denn die Gewaltanwendung verschärft

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die bestehenden Spannungen und erzeugt neue. Mit Krieg läßt sich nichts lösen; ja, vom Krieg wird alles ernsthaft gefährdet. Früchte dieser Geißel sind das Leid und der Tod unzähliger Menschen, das Zerbröckeln menschlicher Beziehungen und der unwiederbringliche Verlust unermeßlicher Kunst- und Naturschätze. Der Krieg verschlimmert die Leiden der Armen, ja, durch die Zerstörung von Unterhaltsmitteln, Häusern und Eigentum und durch die Schädigung des eigentlichen Gefüges der Lebensumwelt bringt er neue Arme hervor. Die Jugendlichen sehen ihre Zukunftshoffnungen zerbrechen und werden als Opfer allzu oft zu unverantwortlichen Protagonisten von Konflikten. Die Frauen, die Kinder, die Alten, die Kranken und die Verwundeten sind gezwungen zu fliehen und befinden sich in der Lage von Flüchtlingen, die nichts besitzen außer dem, was sie bei sich haben. Wehrlos und schutzlos suchen sie Unterschlupf in anderen Ländern oder Regionen, die oft genauso arm und unruhig sind wie ihre eigenen. Auch wenn ich anerkenne, daß die internationalen und humanitären Organisationen viel tun, um dem tragischen Geschick der Opfer der Gewalt entgegenzukommen, empfinde ich es als meine Pflicht, alle Menschen guten Willens aufzufordern, die Anstrengungen zu verstärken. In manchen Fcillen hängt nämlich das Schicksal der Flüchtlinge einzig und allein von der Hochherzigkeit der Bevölkerung ab, die sie aufnimmt, einer Bevölkerung, die genauso arm, wenn nicht gar noch ärmer ist als sie selbst. Nur durch die Anteilnahme und die Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft werden zufriedenstellende Lösungen gefunden werden können. Nach den vielen nutzlosen Gemetzeln und Verheerungen ist es wohl von grundlegender Bedeutung, ein für allemal zu erkennen, daß der Krieg niemals dem Wohl der menschlichen Gemeinschaft dient, dass Gewalt zerstört und niemals aufbaut, daß die von ihr verursachten Wunden lange bluten und daß schließlich durch die Konflikte die bereits triste Lage der Armen noch verschlimmert und neue Armutsformen genährt werden. Vor den Augen der öffentlichen Weltmeinung läuft das trostlose Schauspiel des von den Kriegen verursachten Elends ab. Die erschütternden Bilder, die auch jüngst wieder von den Massenmedien verbreitet wurden, mögen wenigstens eine wirksame Ermahnung an alle - Einzelpersonen, Gesellschaften, Staaten sein und einen jeden darauf hinweisen, daß das Geld nicht für Krieg, noch für Zerstörung und Tötung verwendet werden soll, sondern dafür, die Würde des Menschen zu verteidigen, sein Leben zu verbessern und eine wirklich offene, freie und solidarische Gesellschaft aufzubauen.

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Geist der Armut als Quelle des Friedens 5. In den Industrieländem werden die Menschen heute von der hemmungslosen Jagd nach dem Besitz materieller Güter beherrscht. Die Konsumgesellschaft läßt den Unterschied, der Reiche und Arme trennt, noch stärker hervortreten, und die krampfhafte Suche nach Wohlstand birgt die Gefahr in sich, blind zu machen gegenüber den Bedürfnissen der anderen. Um das soziale, kulturelle, geistliche und auch wirtschaftliche Wohlergehen jedes Mitgliedes der Gesellschaft zu fördem, ist es daher unerläßlich, den unmäßigen Konsum irdischer Güter einzudämmen und den Drang nach künstlichen Bedürfnissen zu unterdrücken. Mäßigung und Einfachheit müssen zu den Kriterien unseres täglichen Lebens werden. Die Gütermenge, die von einem Bruchteil der Weltbevölkerung konsumiert wird, ruft eine übermäßige Nachfrage in bezug auf die verfügbaren Ressourcen hervor. Die Verringerung der Nachfrage stellt somit einen ersten Schritt dar, um die Armut zu lindem, sofem sie Hand in Hand mit wirksamen Anstrengungen für die Sicherstellung einer gerechten Verteilung der Reichtümer dieser Welt geht. Das Evangelium fordert in diesem Zusammenhang die Gläubigen auf, nicht Güter dieser vergänglichen Welt anzuhäufen: "Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondem sammelt euch Schätze im Himmel" (Mt 6, 19-20). Das ist eine Pflicht, die der christlichen Berufung ebenso eigen ist wie jene, für die Überwindung der Armut zu arbeiten; und es ist auch ein sehr wirksames Mittel, um in diesem Vorhaben erfolgreich zu sein. Die evangelische Armut unterscheidet sich ganz wesentlich von der ökonomischen und sozialen Armut. Während diese mitleidslose und häufig dramatische Merkmale aufweist, da sie als Gewalt erfahren wird, wird die evangelische Armut vom Menschen, der auf diese Weise der Mahnung Christi entsprechen möchte, freiwillig gewählt: "Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet" (Lk 14,33).

Diese evangelische Armut erweist sich als Friedensquelle, weil der Mensch durch sie eine rechte Beziehung zu Gott, zu den anderen und zur Schöpfung herzustellen vermag. Das Leben dessen, der sich diese Sichtweise zu eigen macht, wird so zum Zeugnis für die absolute Abhängigkeit der Menschheit von Gott, der alle Geschöpfe liebt, und die materiellen Güter werden als das erkannt, was sie sind: ein Geschenk Gottes zum Wohl aller. Die evangelische Armut ist eine Realität, die diejenigen, die sie annehmen, verändert. Sie können dem Leid der Armen gegenüber nicht gleichgül-

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tig bleiben; ja, sie fühlen sich dazu gedrängt, mit Gott aktiv die vorrangige Liebe für sie zu teilen 6 • Diese Armen nach dem Evangelium sind bereit, ihren Besitz und sich selbst zu opfern, damit andere leben können. Ihr einziger Wunsch ist es, dadurch, daß sie den anderen das Geschenk des Friedens Jesu anbieten, mit allen in Frieden zu leben (vgl. Joh 14, 27). Der göttliche Meister hat uns mit seinem Leben und seinen Worten die anspruchsvollen Wesensmerkmale dieser Armut gelehrt, die auf die wahre Freiheit vorbereitet. "Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave" (Phil2, 6-7). Er wurde in Armut geboren; als neugeborenes Kind war er gezwungen, mit seiner Familie ins Exil zu gehen, um der Grausamkeit des Herodes zu entfliehen; er lebte wie einer, der "keinen Ort hat, wo er sein Haupt hinlegen kann" (Mt 8,20). Er wurde verleumdet als Fresser und Säufer, Freund der Zöllner und Sünder (vgl. Mt 11,19) und erlitt den Tod, der für Verbrecher vorgesehen war . Er pries die Armen selig und verhieß ihnen das Reich Gottes (vgl. Lk 6,20). Er erinnerte die Reichen daran, daß der trügerische Reichtum das Wort Gottes erstickt (vgl. Mt 13,22) und daß es für sie schwer ist, ins Reich Gottes zu gelangen(vgl. Mt 10,25). Das Beispiel Christi ist nicht weniger als sein Wort für die Christen Richtlinie. Wir wissen, daß wir alle ohne Unterschied am Tag des Jüngsten Gerichts nach unserer konkreten Liebe zu den Brüdern beurteilt und gerichtet werden. Ja, viele werden an jenem Tag entdecken, daß sie in der konkret geübten Liebe tatsächlich Christus begegnet sind, auch wenn sie ihn vorher nicht ausdrücklich kennengelernt haben (vgl. Mt 25, 35- 37). "Willst du den Frieden, komm den Armen entgegen!". Mögen die Reichen und Armen miteinander teilen, was sie besitzen, und einander als Brüder und Schwestern, als Kinder eines einzigen Gottes anerkennen können, der alle liebt, der das Wohl aller will, der allen das Geschenk des Friedens bietet! Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1992. JOANNES PAULUS II.

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Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 42

WILLST DU DEN FRIEDEN, KOMM DEN ARMEN ENTGEGEN Paul Josef Cordes "Die Zahl der Menschen, die heute in Verhältnissen äußerer Armut leben, ist sehr groß. Ich denke unter anderem an die dramatische Lage in einigen afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern. (. .. ) Eine solche Situation ist nicht nur eine Beleidigung für die Menschenwürde, sondern stellt auch eine unzweifelhafte Bedrohung für den Frieden dar". Aus der Päpstlichen Friedensbotschaft 1993. Mit dem Apostolischen Schreiben Amoris Officio vom 15. Juli 1971- also vor fast 30 Jahren- errichtete Papst Paul VI. den Päpstlichen Rat Cor Unum. Er gab ihm die Zweckbestimmung, die kirchlichen Hilfswerke zu koordinieren, und wählt den Namen "das eine Herz" mit dem Hinweis auf das Herz Christi, "das in seinem Erbarmen für die Hungernden auch den geistlichen Hunger sättigen will". Ähnlich formulierte 1988 die Apostolische Konstitution Pastor bonus, mit der Papst Johannes Paul II. der vatikanischen Verwaltung eine neue Ordnung gab, der Rat sei Ausdruck der "Sorge der katholischen Kirche für die Notleidenden, auf daß die Brüderlichkeit unter den Menschen wachse und Christi Liebe sich zeige".

I. Struktur

Der Neuordnung der Kurie durch die letztgenannte Konstitution gingen in den 80er Jahren Expertengespräche und Überlegungen voraus. Sie galten der Angleichung der römischen Kurie an die neuen Bedürfnisse der Kirche und zielten auch auf eine Einschränkung der Verwaltungsorgane und Büros. Dabei trat ins Licht, daß die Arbeit von Cor Unum viele Berührungspunkte mit dem Päpstlichen Rat Justitia et pax - für Gerechtigkeit und Frieden hat. So ergaben sich Pläne, beide Räte zu vereinigen und die praktische Tätigkeit der Nächstenliebe und die intellektuelle Auseinandersetzung zu den Fragen sozialer Gerechtigkeit und friedlichen Miteinanders der Menschen zu bündeln. Papst Johannes Paul li. nahm jedoch diese Vorschläge nicht an. Er hielt vor Augen, daß das Tun der Nächstenliebe für die kirchliche Sendung einen hohen Rang hätte. Hier liege ein Grundauftrag Christi an seine

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Kirche. Und der müsse auch in der Struktur kirchlicher Verwaltung sichtbar werden. Evangelium und Kirche würden ja heute oft mißverstanden und angegriffen; in manchen Ländern sähen sich Verkündigung und 'lim des Glaubens an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Darum müßte die Abteilung caritativer Impulse und Aktivität als solche erhalten bleiben. Sie diene der Glaubwürdigkeit der Kirche und könne neu das Interesse der Öffentlichkeit für Kirche und Offenbarung wecken. Hinsichtlich der Verringerung der Verwaltung und der Verbindung von Cor Unum mit Justitia et Pax akzeptierte der Papst die Benennung eines einzigen Präsidenten für beide Dikasterien. Aber auch hier trat später ein Wechsel ein: Johannes Paul II. ernannte Anfang Dezember 1995 den Autor dieses Artikels zum Präsidenten von Cor Unum. Der Papst profilierte so den Rat noch stärker in seiner Eigenständigkeit und unterstrich, die kirchliche Liebestätigkeit brauche vor der Welt klare Konturen. Zu den Aufgaben von Cor Unum gehört es: - die besonderen Initiativen, die der Papst im Feld humanitärer Hilfe und ganzheitlicher Entwicklung ergreift, in die Tat umzusetzen (gegenwärtig gilt das besondere Interesse Mosambik und dem Balkan); - Impulse zu geben zur Verkündigung der Nächstenliebe und die Gläubigen zu motivieren, Zeugen der Liebe Christi zu sein (dem Dikasterium obliegt unter anderem die Vorbereitung und die Verbreitung der jährlichen Fastenbotschaft des Heiligen Vaters; es inspiriert somit die Fastenaktionen); - durch Informationsaustausch und Anregungen zur Zusammenarbeit die Kräfte und Impulse katholischer Einrichtungen zu koordinieren - Cor Unum hat verschiedene große Hilfsorganisationen als Mitglieder, u. a. Caritas Internationalis (mit Sitz in Rom), Catholic Relief Services (die Caritas-Initiativen der US-Bischofskonferenz für das Ausland), die Sozietät St. Vinzenz von Paul, der Orden von Malta, CIDSE (Zusammenschluß der Fastenaktionen von ca. 15 europäischen Ländern, u. a. von Misereor, Deutschland; Comite contre la faim et pour le developpement, Frankreich, etc.); - die Kontakte zu erleichtern zwischen katholischen Einrichtungen und anderen internationalen Organisationen, die für die Entwicklungshilfe arbeiten [Cor Unum war stark beteiligt etwa an der UNO-Konferenz in Wohnungsfragen in Istanbul im Juni 1996, an der Weltkonferenz über das Problem der Kinderprostitution (Stockholm, August 1996), bei den Überlegungen der UNO hinsichtlich eines Internationalen Strafgerichtshofes (Budapest, Dezember 1998) und bei dem Internationalen Forum, das die UNO-Konferenz von Kairo wieder aufgreift (Den Haag, 1999)].

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Schließlich kommt es Cor Unum bei besonderen Notsituationen und in Katastrophenfällen zu, den Einsatz der katholischen Hilfsorgane und der Gläubigen weltweit anzuregen und aufeinander abzustimmen. Cor Unum ist in diesem Sinne verantwortlich für die beiden von Papst Johannes Paul II. gegründeten Stiftungen: die "Stiftung Johannes Paul II. für die Sahelzone" zur Bekämpfung der Dürre und der Versteppung, sowie die "Stiftung Populorum progressio", die der Bevölkerung Lateinamerikas und der Karibik, ihren Urbewohnern, Mestizen, Afro-Arnerikaner und armen Landarbeitern zugute kommt. Die Geschichte und die Beschreibung seiner Verantwortung durch die Apostolische Konstitution Pastor Bonus vom 28. 6. 1988 bestimmen das Aufgabenfeld des Rates Cor Unum. Doch sind beim caritativen Engagement nicht nur Tätigkeiten zu benennen und Situationen aufzugreifen, die die Hilfe herausfordern. Mechanisch-funktionales Reagieren auf die Not- so dringlich es ist - wäre nur halbe Arbeit. Wie für alle kirchlichen Dienste ist noch mehr als die nackte Aktion die Grundeigenschaft auszumachen, die das Tun trägt; sie ist - besonders im pragmatischen Kontext unserer Zeit beachtenswerter denn die Tat als solche. Der Apostel Paulus hat das unüberbietbar in seinem Lied über die Liebe gelehrt (1 Kor 13). Über das konkrete Handeln hinaus muß damit Cor Unum den rechten Geist wecken und nähren. Der Papst hat diesem Dikasterium an erster Stelle aufgetragen, den christlichen Impuls im Dienst am Nächsten zu sichern und zu fördern. Diese Anweisung fordert wiederum Analyse und Unterscheidung. Sie fragt als Dienstbestimmung, ob im Vollzug der konkreten Caritas der Geist Christi lebt; denn die Liebe, die St. Paulus beschreibt, kann letztlich nur an solchem Geist abgelesen und in ihm erreicht werden. II. Tätigkeit im Jahr 1999

Im letzten Jahr der Vorbereitung auf das große Jubiläum- Jahr des himmlischen Vaters und Jahr christlicher Liebe- sah sich Cor Unum besonders herausgefordert. Ein Überblick über seine Initiativen vermittelt ein Bild dieses Dikasteriums. 1. Reaktion auf Naturkatastrophen oder vom Menschen verschuldetes Unglück

Zahlreiche Menschen litten unter Katastrophen oder großen ethnischen Auseinandersetzungen. Ihnen gegenüber setzte der Papst durch Cor Unum 3 Johannes Paul ll.

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Zeichen seiner Anteilnahme, wofür insgesamt US $ 1.211.600 aufgewandt wurden. In besonders schwerwiegenden Situationen wurde dem Dikasterium vom Papst eine Sondermission aufgetragen. Der Autor dieses Beitrages besuchte u. a. die Diözesen Armenia und Pereira in Kolumbien (12.- 13. Februar), die von schwerem Erdbeben betroffenen waren. Es folgte Albanien (31. März 2. April) zur Unterstützung der kirchlichen Hilfsaktionen für die KosovoFlüchtlinge und - auch zur Feier des Osterfestes - Mazedonien (22. April), und schließlich der Kosovo selbst am 2. und 3. Oktober (Prizren). Gespräche mit Bischöfen, Ordensleuten, Vertretern von katholischen HUfsorganisationen des In- und Auslandes und mit Zivilbehörden zielten jeweils auf eine wirksame Koordinierung der Initiativen. Sowohl durch die persönliche Präsenz des päpstlichen Delegierten als auch durch die überbrachten Spenden wurde bei allen Gelegenheiten versucht, die von seelischem und physischem Leid Betroffenen die Sorge des Papstes und der Kirche erfahren zu lassen. Die Unterstützung war möglich durch die Großzügigkeit einiger Diözesen, die die Fastenkollekte der Caritas des Papstes zukommen lassen, durch die Beiträge verschiedener Ordensgemeinschaften und einzelner Gläubigen, die- offen für die Not der Betroffenen- bei Katastrophenfällen dem Papst das materielle Zeichen ihrer Anteilnahme zur Verfügung stellten.

2. Förderung menschlichen Lebens und christlicher Würde Cor Unum förderte die Initiativen, die von kirchlichen Einrichtungen, Ordensinstituten und christlichen Vereinigungen zur Förderung menschlichen Lebens und christlicher Würde durchgeführt werden, mit insgesamt 555.000 US $: Kurse für berufliche und geistliche Fortbildung, pastorale Betreuung von Flüchtlingen, Errichtung von Ambulatorien und Apotheken für Bedürftige und andere Hilfsmaßnahmen. Außerdem begünstigt das Dikasterium in den Entwicklungsländern unbürokratisch sozial-caritative Einrichtungen, die schneller und wirksamer Abhilfe schaffen können. Je nach Großzügigkeit der Spender unterstützt Cor Unum diese Aktivitäten mit Beträgen, die die Anteilnahme des Papstes ausdrücken wollen.

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3. Außerordentliche Initiativen Vier außerordentliche Initiativen, die seit Dezember 1995 vorbereitet wurden, bestimmten im Jahr 1999 in besonderer Weise Leben und Aktivität des Dikasteriums: a) 100 Projekte des Heiligen Vaters Diese Initiative sollte die Gläubigen anregen, sich mit den sieben Geistigen und Leiblichen Werken der Barmherzigkeit mehr zu befassen und sie in die Tat umsetzen. Das Dikasterium hatte eine Reihe von Diözesen armer Länder ausfindig gemacht und sie gebeten, konkrete Pläne vorzulegen. Nach Erhalt gab Cor Unum diese Projekte Diözesen in Industrieländern zur entsprechenden Finanzierung weiter. Außerdem nahmen einige katholische Hilfsorganisationen den Vorschlag auf, in diese Initiative Großprojekte einzubeziehen, für die sie sich verpflichtet hatten. Das Resultat übertraf alle Erwartungen. Bistümer in Wohlstandsländern, vor allem in Italien, den Vereinigten Staaten, in Kanada, Australien und Belgien, finanzierten Mikro-Projekte für etwa 3 Millionen Dollar, die Organisationen hingegen Großprojekte für etwa 18 Millionen Dollar, insgesamt mehr als 200 Hilfsmaßnahmen. Oft dauert die entstandene Verbindung zwischen den Diözesen an, so daß eine Art Partnerschaft entstand. Die gebenden Diözesen begleiteten ihre großzügige Geste mit kurzen und bezeichnenden Kommentaren, wie: "Für die Gläubigen unserer Diözese ist das Jahr der Caritas 1999 ein konkretes Zeichen der Vorbereitung auf die Feier des Großen Jubiläums 2000". "Wir freuen uns, mit anderen die Fülle zu teilen, die wir von Gott erhalten haben". Auch die beschenkten Diözesen drückten ihren Dank aus: "Es ist für uns ein Privileg, daß unser Programm zur Förderung der Frau ausgewählt und in die ,100 Projekte des Heiligen Vaters' aufgenommen wurde". "Wir danken euch aufrichtig für diesen Beweis großer Liebe zu den Ausgegrenzten. Unsere Bedürftigen und Straßenkinder zählen sich jetzt zum Volk in Kenia". Die Durchführung der Projekte steht vor dem Abschluß. Insgesamt kamen gegen 20 Millionen US $ aus Spenden zahlreicher Diözesen in Industrieländern und katholischer Hilfsorganisationen zusammen.

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b) Panis Caritatis Die Herstellerfirma einer besonderen Mehlmischung, der sog. "pan del

mondo -Brot der Welt", wollte auf konkrete Weise zum Jubiläum beitragen

und schlug dem Dikasterium vor, einen Teil des Gewinns aus dem Umsatz in Italien der Caritas des Papstes zur Verfügung zu stellen und damit Projekte zur Förderung menschlicheren Lebens in den Ländem zu unterstützen, die von Hungersnot besonders betroffen sind. Diese Initiative erhielt den Namen Panis Caritatis. Sie schlägt den Familien vor, eine bestimmte Brotsorte zu essen, die auch in ihrer Fonn kirchliche Gemeinschaft und Teilen zum Ausdruck bringen will: Bei dem angebotenen Brot sind um einen runden Innenteil zwölf Stücke angeordnet- ein Symbol für Christus mit den Aposteln und für die Ausstrahlung der Liebe Christi auf die Menschheit. Das Brechen dieses Brotes ist in Familien und Gemeinschaften ein ständiger Aufruf zur Solidarität mit dem notleidenden Mitmenschen. Ein erstes Ergebnis dieser Initiative wurde für Initiativen in der Demokratischen Republik Kongo (Erstellung von Brotbacköfen), in Ruanda (Wiederaufbau von Häusem) und im Sudan (Hilfemaßnahme für die hungemde Bevölkerung) verwendet. In Italien wird diese Aktion noch das Jahr 2000 hindurch andauem und läuft - von Cor Unum koordiniert - auch in anderen Ländem an, etwa in Polen, Chile, Mexiko, Spanien und Portugal. Bisher summierten sich 350.000 US $ aus Erträgen von Panis Caritatis für Projekte in der Demokratischen Republik Kongo, in Ruanda und für die Flüchtlinge aus dem Sudan.

c) Caritas-Weltkongreß 1995 hatte das Dikasterium alle Bischofskonferenzen eingeladen, in ihren Ländem theologische Reflexionen zur Caritas anzuregen und Programme ihrer konkreten Verwirklichung in die Wege zu leiten. Verschiedene Ortskirchen informierten das Dikasterium hinsichtlich ihrer Initiativen: Veranstaltung von Seminaren, gezielte Katechesen, Kollekten als Zeichen der Solidarität für Notleidende im In- und Ausland. Cor Unum seinerseits kündigte schon damals einen Weltkongress zur Caritas an -mit dem Titel "Vor allem die Liebe. Viele Arten der Annut, eine einzige Antwort". Er fand vom 12.- 15. Mai 1999 im Domus Pacis in Rom statt mit ca. 200 Teilnehmemaus fünf Kontinenten: Bischöfen, Theologen,

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Experten, Vertretern von 70 katholischen Organisationen, Ordensinstituten, Vereinigungen und Bewegungen. Den theologischen Referaten über die Wurzeln der Caritas und ihre Beweggründe folgten Berichte über sozial-caritative Initiativen und persönliche Zeugnisse gelebter Caritas. Der Kongreß zielte auf die konkrete Umsetzung der theologischen Tugend der Liebe. 1 d) Zeugen der Nächstenliebe mit dem Papst Auf Anregung von Cor Unum fand der Caritas-Weltkongreß seinen Abschluß bei einer großen Begegnung mit dem Papst am Sonntag, 16. Mai, auf dem Petersplatz. In der Ansprache während der Eucharistiefeier und beim Angelusgebet richtete Johannes Paul II. eine besondere Botschaft an alle freiwilligen Helfer im caritativen Bereich: Er betonte die christlichen Wurzeln allen sozialen Engagements und ermunterte dazu, das geistliche Erbe kirchlicher Liebestätigkeit- Heilige und Helden- wach zu halten. Die Teilnehmer waren aus verschiedenen Ländern und allen Regionen Italiens eingetroffen- ca. 40.000 von mehr als 200 Vereinigungen und Hilfsorganisationen, Laien und Ordensleute. Vor der Eucharistiefeier berichteten einige Zeugen von gelebter Caritas als Kraft der Versöhnung: ein Hutu und ein Tutsi aus Ruanda, ein Katholik und ein Protestant aus Irland, eine junge Frau aus Palästina und eine Hebräerin. Aufrüttelnd waren die Worte von Sr. Nirmala, der Nachfolgetin Mutter Teresas von Kalkutta. Der Papst betonte, caritatives Handeln sollte in erster Linie Zeugnis der Liebe Christi sein: " ... Zeigt den Menschen unserer Zeit Christus, gestorben und auferstanden für das Heil jedes Menschen . . . Er ist die Hoffnung, die am Horizont der Menschheit aufleuchtet" .2

4. Die beiden Stiftungen Cor Unum verwaltet zwei Stiftungen. 1984 gründete der Heilige Vater die "Stiftung Johannes Paul II. für die Sahelzone". Sie handelt in eigener Verantwortung. Das Dikasterium steht für die Einhaltung der Statuten und für das Grundkapital. An den Jahresversammlungen des Stiftungsrates in einem der neun Mitgliedsstaaten nimmt jeweils ein Vertreter von Cor Unum als Beobachter des Apostolischen Stuhls teil. 1 Die Kongressakten sind in spanisch und englisch veröffentlicht worden und können beim Dikasterium geordert werden. 2 Der Text der Papstbotschaft liegt in deutscher Sprache bei Cor Unum als Sonderdruck vor.

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Im Jahr 1992 wurde vom Papst eine weitere Stiftung eingerichtet, Populorum progressio. Sie unterstützt gemeinschaftliche Projekte der einheimi-

schen Bevölkerung, der Mestizen und minderbemittelten afro-amerikanischen Landarbeiter Lateinamerikas und der Karibik. Präsident dieser Stiftung ist der Präsident von Cor Unum; ein weiterer Vertreter des Dikasteriums ist Mitglied des Rates. Cor Unum hat außerdem das Stiftungskapital zu garantieren.

a) Stiftung Johannes Paul II. für die Sahelzone Die diesjährige Versammlung des Stiftungsrates fand vom 1. - 7. Februar 1999 in Banjul (Gambia) statt. Als Beobachter nahm der Sekretär von Cor Unum, Msgr. Karel Kasteel, teil. Anwesend waren auch Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz und des "Komitees der Italienischen Bischofskonferenz für caritative Einsätze zugunsten der Dritten Welt". Die beiden Bischofskonferenzen sind die "großen Wohltäter" der Stiftung. Die Deutsche Bischofskonferenz stellte faktisch das Anfangskapital der Stiftung. Die Italienische Bischofskonferenz unterstützt die Finanzierung der Projekte. Das Kapital der Stiftung wird auch durch Schenkungen einzelner Wohltäter aufgebessert.

In der letzten Sitzung ernannte der Stiftungsrat Bischof Seraphim Rouamba von Koupela (Burkina Faso) zum neuen Präsidenten für eine Periode von drei Jahren und Bischof Maixent Coly von Zinguinchor (Senegal) zum Vizepräsidenten. Pater Fulgence Coly übernahm die Aufgabe des Generalsekretärs. Der Rat prüfte und bewilligte 60 Bildungsprojekte und 149 Realprojekte mit einem Gesamtbetrag von ca. US $ 3.600.000. Außerdem wurde dem Komitee eine Summe von ca. US $ 1.900.000 für kleinere Projekte zur Verfügung gestellt. Vorrang haben Initiativen zur Ausbildung von Gemeindeleitern und von Fachpersonal im Kampf gegen Dürre und Versteppung; unmittelbare und konkrete Realisierungen für Wasserversorgung; Verbesserung der Bodenbearbeitung und der sanitären Bedingungen der Siedlungen.

b) Stiftung Populorum progressio Der Stiftungsrat hielt seine Jahresversammlung vom 12.- 14. Juli 1999 in Manizales (Kolumbien). Erzbischof Cordes, Präsident der Stiftung, und Msgr. Francisco Azcona San Martin, Untersekretär von Cor Unum und Mit-

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glied des Rates, nahmen daran teil. Auch eine Delegation des "Komitees für caritative Einsätze zugunsten der Dritten Welt der Italienischen Bischofskonferenz" (C.E.I.) war als Beobachter anwesend. Die C.E.I. trägt den Hauptanteil der Finanzierung, deren Kapital Schenkungen von Einzelpersonen und einigen Ordensinstituten nutzt. Wie alljährlich prüfte und genehmigte der Stiftungsrat Projekte der Antragsteller in verschiedenen Ländern. Sie betreffen: Verbesserung der Bodenbearbeitung, der Fisch-, Hühner- und Schweinezucht, Berufsfortbildung von Jugendlichen und Frauen, Ausbildung von Gemeindeleitern, Wiederaufbau von Landwirtschaftsgebäuden und Gemeindezentren, die durch Naturkatastrophen beschädigt wurden (Orkan Mitch, Erdbeben, Überschwemmungen), Verkauf der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Verbesserung der sanitären Bedingungen. Insgesamt wurden US $ 1. 705.900 für 215 Mikro-Projekte bereitgestellt. 5. Handbuch der sozial-caritativen Organisationen in der Kirche

Nach Umfrage bei allen Bischofskonferenzen und nach Zusammenstellung der entsprechenden Daten veröffentlichte Cor Unum im Dezember 1999 die 5. Ausgabe des Catholic Aid Directory (CAD). Das Nachschlagewerk gibt Auskunft über mehr als 1.100 nationale und internationale Organisationen, Vereinigungen und Institutionen, die im sozial-caritativen Bereich tätig sind, über Art ihrer Tätigkeit (Koordinierung, Finanzierung, Dienstleistung usw.), den Wirkungsbereich, den geographischen Raum und die Beschaffenheit der unterstützten Projekte. Das CAD möchte ein Beleg für die zahlreichen und vielseitigen Initiativen in der Kirche sein, durch die körperlich und seelisch Notleidende die Liebe Christi erfahren sollen und den Einsatz der verfügbaren Mittel koordinieren.

m. Zum Geist des Reifens Christliche Liebestätigkeit hat im 'fun ihre praktisch-effektive Seite. "Es gibt nichts Gutes, es sei denn, man tut es", sagt der Volksmund etwas unbeholfen, aber zutreffend. Anderseits sah die Gemeinde der Glaubenden ihren Dienst am Notleidenden immer auch von Jesus Christus her: Predigt des Evangeliums und Sorge um die Armen waren schon für die Urkirche zwei Seiten derselben Medaille. So ist denn ein Auge darauf zu halten, daß die

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gute Tat der Christen an die Verkündigung des Evangeliums gebunden bleibt. Ein Splitting dieser beiden Aufgaben, die zusammen mit der Liturgie die Grundfunktionen der Kirche ausmachen, würde die Glaubwürdigkeit der Kirche in ihrer Mitte treffen. Die genannte gegenseitige Verwiesenheit fordert darum unumgänglich, den christlichen Geist im humanitären Engagement sicherzustellen. Hier nun tut sich für Cor Unum eine für die Caritas vitale Verantwortung auf.

1. Verwiesenheit auf die Gesellschaft Kirche ist in ihrer Sendung auf die Menschen und so auf Politik und Gesellschaft bezogen. Gerade das Engagement gegen Hunger, Armut und Elend hängt unmittelbar mit politischen Faktoren und Kräften zusammen. Eben darum ist soziale Liebe auch ein Faktor der Friedenssicherung - oder der Krieg Quelle von großem menschlichen Leid. Vor einigen Jahren entschied die "Stiftung Sahel" in Niamey, der Hauptstadt von Niger, über die eingebrachten Projekte. Alle neun Bischöfe der betroffenen Länder gaben zunächst einen Bericht über die Situation. Gewiß wurde darin die Feindlichkeit der Natur greifbar, die mit Trockenheit und Versteppung die Menschen unbarmherzig und anscheinend unaufhaltsam schlägt. Aber immer neue Massenunruhen, Aufstände und Flüchtlingsströme lehren, daß weit größeres Elend in diesem Kontinent von politisch-rassistischen Auseinandersetzungen hervorgerufen wird. Schlimmer leidet der Mensch durch den Mitmenschen als durch das widrige Klima: Mauretanien, Mali, Tschad, Guinea-Bissau- das sind nur einige Namen geprüfter Völker, die sich durch Hinweise auf weitere Länder beliebig vermehren ließen. Deshalb ist es nicht nur verständlich, sondern unausweichlich, daß die Hilfsinstitutionen und ihre Mitglieder die Nähe zu politischen Kräften und zu den Mächtigen dieser Welt suchen, wenn sie auf Abhilfe sinnen. Zu Recht erwarten sie von Politikern die Begrenzung und Aufhebung der Feindschaft des Menschen gegen den Menschen, die gemeinsame Überwindung von Mord und Gewalt. Lehrschreiben und Erklärungen dieses Pontifikats lassen ja keinen Zweifel, daß in den allermeisten Fallen das Elend nicht durch den Widerstand von einzelnen bewältigt werden kann. Es resultiert aus einer Fülle von Gründen, die miteinander verbunden sind, und alle zusammen bilden ein Netz von menschenfeindlichen Elementen. Darum spricht Papst Johannes Paul Il. mehrfach von der "strukturellen Sünde". 3 Diese struktu3

Etwa Reconciliatia et Paenitentia, 1984, Nr. 16; Sollicitudo rei socialis, 1987,

Nr. 36 ff.

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relle Sünde ist wie eine Macht, die alles infiziert und das Gute zerstört. Sie umgarnt den Menschen in einer Weise, daß er sich unmöglich befreien kann. Nur in der gemeinsamen Anstrengung gesellschaftlicher Gruppen gibt es eine Chance, die Ketten abzustreifen. So sucht der Papst selbst in seinem Einsatz für die Menschen die Nähe der Politiker. Es macht Sinn, wenn er den Sitz der UNO in New York aufsuchte und eine vielbeachtete Rede hielt; wenn er sich in den Vorderen Orient aufmacht, um Religionen und Rassen um Eintracht zu bitten. Es macht Sinn, wenn er seine Delegationen nach Kairo, nach Kopenhagen, nach Peking oder Istanbul zu den UNO-Treffen schickte. Und als sich die FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) im November 1996 zu ihrem Weltgipfel traf, durfte die Kirche nicht abseits stehen: im gleichen Jahr veröffentlichte Cor Unum ein Dokument über die Problematik: "Der Hunger in der Welt -Eine Herausforderung für alle: solidarische Entwicklung" 4 , das der Papst zur vielbeachteten Eröffnung zitierte.

2. Grenzen und Fallen politischer Kategorien Schon zu Beginn seines Pontifikates hat sich Johannes Paul II. klar dazu bekannt, daß die Kirche einen politischen Auftrag hat. Wer sich für die Menschen interessiert, kann sich nicht vom politischen Kräftespiel ausklinken. Andererseits hält der Papst daran fest, daß diese Verwiesenheit auf die Politik nicht zur umfassenden Übernahme politischer Kategorien und Maßstäbe für alles kirchliche Tun wird. Das einzig gültige Kriterium und der einzig verläßliche Anknüpfungspunkt für alle Aktionen der Kirchen kann nur Jesus Christus sein. Die Kirche hat den Auftrag, Christus zu verkündigen und das Heil von Gott her zu vermitteln; Garant und Inhalt ihres Tuns ist Er, der am Kreuze starb und am dritten Tag auferstand. Dieser Herr hat dem Menschen endgültig seinen Sinn und seine Würde gegeben. Wer sich des Menschen annimmt, kann Jesus Christus nicht übergehen; "man kann den Menschen letztlich nicht ohne Jesus Christus begreifen". 5 Nur wenn die Kirche an diesem unmittelbaren Bezug zu Jesus Christus festhält, wird sie davon bewahrt, sich bei ihrem politischen Engagement in die Welt zu verlieren. Gängige Weltanschauungen, philosophische Systeme und Modelle menschlicher Lebensqualität sind nicht selten ambivalent; sie sind kritisch zu prüfen und nur im Maß ihrer Vereinbarkeit mit dem Glau• Libreria Editrice Vaticana, zu beziehen über Cor Unum. 5 Warschau, 2. 6. 1979.

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ben zu assimilieren. Gewiß kann die Kirche von der Welt lemen 6 , und ihre Glieder tun gut daran, politische Verantwortung wahrzunehmen. Aber niemand darf aufhören, seine Pläne und Aktionen in das Licht zu stellen, das von Jesus Christus kommt. Erst dieses Licht befindet über Gewinn oder Verlust, über Heil oder Unheil für den Menschen. Vielleicht war der Optimismus der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts doch naiv. Vielleicht hat ein Fortschrittstrend Konzilaussagen mißbraucht, um auch Glieder der Kirche zu einer euphorischen Weltfreudigkeit zu verführen. Es schien, als warte die Menschheit auf das Evangelium - eine Welt ohne Fehl und Tadel, gleichsam ein "mundus naturaliter christianus". Unter solcher Bedingung wäre es freilich nur zu berechtigt, sich kritiklos in die Arme der Politik zu werfen; denn sie genügte ja angeblich, um diese Welt zum Paradies zu machen. a) Veränderte Wahrnehmung Solchen lllusionen widersprechen schon die Thesen des Soziologen Max Weber; er warnt vor dem Unschuldsbild der Politik. Er schrieb in seinen "Politischen Schriften": "Die alten Christen wußten sehr genau, daß die Welt von Dämonen regiert wird und daß, wer Politik (macht), d. h. mit Macht und Gewaltsamkeit als Mittel sich einläßt, mit diabolischen Mächten einen Pakt schließt". 7 Vertrauen in Politik kann täuschen. Überläßt man der Politik die Wertung von Fakten und die Entscheidung über das Handeln, so mag man sich leicht verrennen. Gerade ein Dikasterium wie Cor Unum, das seiner Natur nach die politische Alliance braucht, ist hier zu besonderer Aufmerksamkeit gerufen. Caritatives Tun allgemein hat im politischen Engagement eine "offene Flanke", ja vielleicht liegt es generell im geistgeschichtlichen Trend, daß sich pastorales Tun nach politischen Kategorien richtet. Denn heute erscheint Kirche als ein Sektor dieser Gesellschaft, ihr Reden und Handeln ist für viele von dem anderer gesellschaftlicher Gruppen nicht zu unterscheiden. Ein anderes päpstliches Dikasterium, der Rat für die Laien, machte vor längerer Zeit eine Umfrage. 8 Er wollte die Aktivitäten und Beweggründe Vgl. Gaudium et spes, Nr. 44. Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland [1918], Gesammelte politische Schriften, Tübingen 3. Auflage 1971, 347. B Vgl. zum Fblgenden vom Vf. In Dienst am Laienapostolat in B.B. Gemper, Religion und Verantwortung als Elemente gesellschaftlicher Ordnung (Festschrift für Karl Klein) Siegen 1982,48-82. 6

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der Katholischen Aktion besser kennenlernen. Damals lautete die Antwort der Laien aus Belgien: "Früher, vor allen Dingen vor dem Krieg, haben sich viele Christen ... aus christlichen Motiven heraus engagiert ... Heute ist das Engagement dagegen bestimmt vom Bewußtsein der Ungerechtigkeit und der Ausbeutung. Selbst unter den Christen findet man mehr und mehr solche, für die die Kirche und selbst der Glaube an Jesus Christus nicht mehr die Motivation ihres Engagements darstellen. Die Motivationen sind rein ,menschlich', die Solidarität wird gesucht mit allen anderen, Christen oder nicht Christen". Die politische Zusammenarbeit mit konfessionell ungebundenen Gruppen greift solche Motivation auf. Mögliche Unterschiede zu andern Bekenntnissen schleifen sich ab. Die Flagge der Überzeugung wird eingerollt; denn sie stört nur. Schließlich wird die christliche Identität der kirchlichen Gemeinschaft nicht nur verschwiegen, sondern unverständlich. Anfang 1996 nahm der Autor dieses Beitrages an einer Konferenz der Internationalen Katholischen Organisationen in Venedig teil. Sie wurde von dem "Katholischen Zentrum" organisiert, das die Arbeit der UNESCO in Paris begleitet. Man beriet über die nächste Weltkonferenz der UNO zu Fragen des Wohnens, HABITAT II, die inzwischen in Istanbul durchgeführt wurde. Am Ende des Treffens luden die Veranstalter zur Pressekonferenz. Einer der anwesenden Priester stellte dabei die Frage: "Warum sehen sich Christen genötigt, sich mit Häuser- und Städteplanung zu befassen? Warum nimmt die Kirche überhaupt an der UNO-Konferenz in Istanbul teil? Die anstehende Problematik ist doch ausschließlich humanitärer Natur; warum überschüttet man sie mit religiöser Soße? Warum trübt man die Klarheit des Verstandes mit Anspielungen auf die biblische Botschaft? Genügt es denn nicht, unser natürliches Wissen von Menschen einzusetzen und auf die Einsichten des Humanismus zu vertrauen?". Ganz ohne Frage ist alles, was mit menschlichen Wohnen zusammenhängt, zunächst technisch zu klären, und klarer Verstand sowie Sachkenntnis werden zutreffende Wege weisen. Man kann Pläne und Fertigkeiten nicht durch gute Absichten und Gebet ersetzen. Der große französische Kardinal Suhard formulierte den Satz: "Eine fromme Köchin macht noch keine gute Küche". Dennoch führt der Einwand des Kritikers in Venedig in die Irre. Der französische Jesuit Henri de Lubac verfaßte eine sehr wichtige Studie "Die Tragödie des Humanismus ohne Gott". 9 Selbst wenn das Wort "Humanismus" heute sehr beliebt ist und einen schönen Klang hat, so kennt 9 Salzburg 1950. Neuauflage bei Johannes-Verlag, über Gott hinaus- Die Tragödie des atheistischen Humanismus, Einsiedeln 1984.

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es doch vielerlei Arten von Umsetzung in die Praxis. Im Lauf der Geschichte nahmen die unterschiedlichen Denker und Führer für sich in Anspruch, sie verwirklichten humanistische Ideen. So fragte ich in Venedig: "An welchen Humanismus denken Sie? An den von Ludwig Feuerbach, auf den sich der Kommunismus beruft? An den von Friedrich Nietzsche, der den Nazismus inspirierte? Oder meinen Sie Auguste Comte, der alle Transzendenz leugnete und für die Abschaffung der Religion kämpfte?". Nein, ein neutraler Humanismus kann die Orientierung kirchlicher Menschenliebe nicht leiten, mag er von Politik und Gesellschaft noch so erwünscht und beklatscht werden. Wir dürfen das Vokabular des Glaubens nicht aus unseren caritativen Katechesen und Aufrufen zum Dienst am Nächsten streichen. Wir möchten durch Verschweigen von Gottes Wort und Gebot vielleicht den einen oder anderen Fernstehenden oder Kirchenkritiker besser erreichen. Aber der Preis für die größere Kollekte oder begünstigende staatliche Gesetze wäre zu hoch. Denn wir würden die Gläubigen nicht länger auf den hinweisen, der sie liebt und der sie so zur Nächstenliebe befähigt. Die Wissenssoziologie versichert uns: "Was man nicht mehr ausspricht, vergißt man". Wenn wir Gott als Grund unseres Thns am Nächsten aus taktischen Gründen verschweigen, werden wir bald zu Weltverbesseren, die sich allein auf die Kraft des Menschen stützen. Henri Perrin, ein französischer Priester, meldete sich während des letzten Krieges freiwillig, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter nach Deutschland zu begleiten, damit die Deportierten nicht ohne Seelsorger wären. Er schrieb während der Jahre 1944-45 ein Tagebuch. Darin finden sich auch Überlegungen, die zu unserem Thema passen. Er stellt sie in einem Milieu an, in dem das Wort Gottes völlig verschwiegen und abwesend ist. Die Worte dieses Heroen der Nächstenliebe sind ein Appell an alle, die in einem anonymen Humanismus propagieren: "Viele (meiner Leidensgenossen) haben mir ohne eine Spur von schlechtem Gewissen gestanden, daß sie niemals an Gott denken, nicht einmal im Sinn einer Frage ... Auf keines der großen Probleme, mit denen der Mensch sich unausweichlich auseinandersetzen muß: Leben, Liebe, Besitz, Tod, Gesellschaftsordnung, Familie, Gerechtigkeit, geben sie eine christliche Antwort. Wie komme ich also dazu, sie Christen zu nennen? Mit oder ohne Absicht sind sie reine Helden" .10 Der Priester Henri liebt seine Kameraden. Er hat eine ungewöhnliche Kontaktfähigkeit und Ausstrahlung. Er nähert sich ihnen, er kennt ihre Mentalität; denn lieben bedeutet immer auch, daß man kennenlernen will. 10

In dem Tagebuch eines Arbeiterpriesters, München 1956, 308.

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Dennoch verheimlicht er niemals seine Überzeugung, opfert niemals seine Identität. Im gottlosen Milieu hingegen, in dem das Glaubenswort nicht mehr ausgesprochen wird, macht sich der Christ die Kategorien der Welt zu eigen und muß eines Tages den Verlust Gottes registrieren. b) Einsatz zweifelhafter Mittel Wer der Welt Wertmaßstäbe und Horizont entleiht, ändert nicht nur seine Wahrnehmung. Mit der Zeit werden auch die Initiativen und die Mittel seines Handeins von der neuen Perspektive geprägt. Damit mag sich der Verlust christlicher Maßstäbe weiter beschleunigen. Noch einmal kann Max Weber aufmerksam machen. Nach ihm meint Politik "Streben nach Machtanteil und nach Beeinflussung von Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen Menschengruppen, die er umschließt" .11 Wozu kann - falls Max Webers Beschreibung zutrifft - Politisierung caritativer Initiativen führen? Caritative Vereinigungen, die im Raum der Kirche gegründet und international tätig sind, möchten zur eigenen Förderung wirksame Strategien entwickeln. Man strebt nach größerer ideeller oder numerischer Macht; man erkennt bald, daß dieses Ziel nicht ohne Kampf erreichbar ist. Pädagogisch-katechetische Leitlinien verfallen dann in polemisch-agressive Töne. Andere Gesellschaftsgruppen werden zu Vorbildern. Man spricht etwa davon, daß man zugunsten der Annen nach gewerkschaftlichen Beispiel eine "Gegengewalt" zu den Reichen schaffen müßte. Oder man befürwortet die Ausbildung einer "Spiritualität des Konflikts" -zwar nicht im Sinn der Förderung der Gewaltbereitschaft und kämpferischer Auseinandersetzung, aber doch zur Vermittlung der Erkenntnis: "Wer immer sich mit den Annen solidarisiert, stürzt sich in Kampf und Konflikt. Er muß sich gegen die wappnen, die den Annen das Leben erschweren". Die genannten Stichworte und Zitate sind keine Schreibtischspekulationen. Sie finden sich in offiziellen Grundsatzpapieren kirchlicher Caritas. Politische Einfärbung kirchlichen Handeins wird damit nicht nur in Kauf genommen, sondern gefordert. So propagiert etwa eines dieser Dokumente, die Kirche müsse die Selbstförderung der Gruppe der Annen bewerkstelligen. Dann würde sie "ein Akteur der bürgerlichen Gesellschaft und eines Sozialprozesses mit konfliktivem Charakter in ihrer Praxis und der Bildung n In Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 5. Auflage 1972, 822.

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der öffentlichen Meinung. In dem Maß, in dem sich die Kirche auf die Seite der Armen stellt, verliert sie ihren Abstand von den Konflikten wie auch die Ideologie der Offenheit für alle, ... aber sie gewinnt an Glaubwürdigkeit". Hier kehrt nach dem Zusammenbruch des Kommunismus das KlassenDenken offenbar unter neuen Begriffen in die caritative Katechese zurück. Aber abgesehen von diesem Anachronismus können weder kirchliche Weisung noch christliche Spiritualität beabsichtigen, ihre Wirksamkeit aus der Verteufelung einer Gegengruppe zu schöpfen. Man muß es schon als schizophren bezeichnen, wenn der Verwirklichung der Liebe Kampfparolen dienen sollen. Wohl ist uns Christen die Stiftung und Wahrung der Gerechtigkeit aufgetragen. Doch kann der Christ, dem der Herr in der Bergpredigt die Feindesliebe aufgetragen hat, diese Gerechtigkeit nicht von der Vernichtung des Gegners erhoffen. Außerdem wird der Forderung, Geld und Besitz den Reichen zu nehmen und sie den Armen zu geben, ein primitiver Materialismus suggeriert: Als wäre Armut ausschließlich ein Mangel. Eine zentrale Botschaft des Evangeliums wird auf diese Weise verdunkelt: die Hochschätzung der Armen. Auch das Engagement für den Nächsten darf ja wohl die erste der Seligpreisungen aus der Bergpredigt nicht streichen! Die Seligpreisung der Armen steht im Mattäusevangelium gleich am Anfang der Beschreibung der neutestamentlichen Vision des neuen Menschen. Sie wird kontrastiert von der Drohpredigt gegen die Reichen. Ferner ist da die besondere Zuwendung Jesu, wenn sich Arme, Verachtete und Geringe ihm nahten. Reichtum nennt er eine Macht, die von der Jüngerschaft ablenkt- so etwa die Deutung des Gleichnisses vom Sämann (vgl. Mk 4,19). Nach Christi Worten kann niemand Gott dienen und zugleich dem Mammon (vgl. Mt 6,24). Er stellt fest, ein Kamel gehe leichter durch ein Nadelöhr als ein Reicher in Gottes Reich (vgl. Mt 19,24). Nach der Bergpredigt sorgen sich die Heiden ängstlich um den morgigen Tag (vgl. Mt 6,32). Schließlich verweist der Herr für all das gar auf das Zeugnis seines eigenen Lebens und gibt so seiner Predigt über die Armut noch größeren Nachdruck: "Der Menschensohn hat keinen Ort, wohin er sein Haupt legen kann" (Mt 8,20). Alle diese Hinweise sind unmißverständlich. Und sie fordern Beachtung auch von denen, die in der Bewältigung der Armut das vorrangige Ziel kirchlichen Handelns suchen: konkrete Armut birgt auch Werte. Wie in einem Hohlspiegel sammelt sich aller Glanz der Armut in Maria. Der Gesang, der das bezeugt, ist das Magnifikat - wirklich ein Hymnus der

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Armen, die nur in Gott ihren Reichtum haben. Er macht die spirituelle Dimension der Armut noch besser erkennbar. Er beginnt mit einem Jubelruf und der Bekundung überfließender Dankbarkeit: "Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter". Aber es sind nicht Reichtum und Wohlstand, die Maria jubeln lassen, sondern "Niedrigkeit, Kleinsein, Demut". Und diese Befindlichkeit und Haltung- griechisch tapeinos- ist der Grundakkord, der die Melodie des ganzen Liedes bestimmt. Er umfaßt: Geringe Selbsteinschätzung und Verachtet-sein, Niedrigkeit und Bedrückung, Bedeutungslosigkeit und Rechtlosigkeit - kurz alles, was schon die alttestamentlichen Beter aus dem Wort "Armut" herauslasen. Armut meint also eine Vielzahl von geistigen Bedeutungen, die allerdings materiellem Armsein keineswegs entgegengesetzt sind. Den Gegensatz bilden vielmehr Hochmut, Macht und Reichtum. Wer auf sie setzt, wird "zerstreut", "vom Thron gestürzt", geht "leer aus". Die Armen im Sinn der Bibel gehören nicht zu den Glücklichen dieser Welt, und aus ihrer faktischen Armut wächst ihre spirituelle Kraft. Diese Weisungen der Bibel stehen fraglos gegen den gesellschaftlichen Trend und gegen unsere natürliche Sensibilität. Unsere Natur und unsere Kultur rebellieren gegen Armut und Niedrigkeit. Dennoch ist die biblische Wahrheit festzuhalten. Allerdings nicht, um sich auf diese Weise die Armen vom Hals zu schaffen; oder um uns vielleicht gar selbst zu beruhigen mit dem zynischen Gedanken, das Evangelium selbst wolle also die Elenden in ihrem Elend lassen. Eine solche Verachtung der Armen wäre wirklich diabolisch; denn es ist Satan selbst, der sich gegen den Willen Gottes mit der Hl. Schrift zur Wehr setzt. Zur Bewältigung des Dilemmas zwischen der Seligpreisung der Armen und der Überwindung menschenunwürdiger Armut kann eine Rede von Papst Johannes Paul II. helfen. Gelegentlich eines Besuchs in Brasilien spricht er über den biblischen Makarismus der Armen. Er betont das Band zwischen Armut und Gottvertrauen, zwischen Seligkeit und totaler Auslieferung an den Schöpfer. Dann sagte der Papst: "Aber es gibt eine Armut, die ganz anders ist als die, die Christus selig preist und die eine große Zahl von Brüdern und Schwestern quält, sie lähmt das vollständige Personsein des Menschen. Angesichts dieser Armut, die die lebensnotwendigen Mittel vorenthält, erhebt die Kirche ihre Stimme ... " Sie ruft mit Macht zur Veränderung der Strukturen und zur Bekehrung der Herzen auf. 12

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19. 10. 1991.

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c) Schwächung des persönlichen Zeugnisses Politisierung des caritativen Thns schlägt sich nicht nur auf die Inhalte dieses Thns nieder; das Engagement selbst mag auf die Dauer affiziert werden. Der "Kampf um den Machtanteil" -um Max Webers Ausdruck zu gebrauchen - vollzieht sich in den Ländern westlicher Tradition nach demokratischen Regeln. Politische Ziele sind durchzusetzen. Also muß man dafür eintreten, daß Mehrheiten entstehen, die sich den gewünschten Zielen verschreiben. Schließlich entscheidet ja nicht der Wahrheitsgehalt der verbreiteten Idee, sondern in der Auseinandersetzung der Ideen der zahlenmäßig jeweils größere Teil ihrer Verfechter. Wenn die Mehrheit für die "gute Sache" gewonnen ist, entscheidet sie über die politischen Schritte. Folglich muß sich die Interessengemeinschaft um das Wachstum der Mitgliederzahl bemühen; sie sucht alle erreichbaren Personen zu beeinflussen. Sie verfaßt Erklärungen, wendet sich an die Medien, bedient sich gegebenenfalls sogar der Werbung. Hilfreich, ja als Bedingung für den Durchbruch der Idee in die Gesellschaft erweisen sich angesehene Mitglieder und Spezialisten der Materie. Unter Umständen kann auch eine Lobby wirksam werden, ein Kreis Interessierter oder eine pressure group. Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sind ein eindrucksvolles Vorbild vom Kampf um Machtanteil und Einfluß. Es ist die Regel, daß bald Fachleute und Hauptamtliche an die Spitze des Zusammenschlusses treten. Sie werden zu den eigentlichen Vorkämpfern der erstrebten Ziele. Die übrigen Mitglieder des Zusammenschlusses delegieren Stimme und Interesse mehr oder weniger ausdrücklich an die Repräsentanten; sie sind schließlich sehr zufrieden, wenn die Sache in guten Händen liegt und daß sie selbst entlastet werden. So nehmen beim einzelnen Engagement und Interesse an der Sache ab. Persönliche Betroffenheit vermindert sich. Die Repräsentanten hingegen setzen auf die Effektivität von System und Struktur des Verbandes, weniger auf die Übereinstimmung ihres Lebens mit den deklarierten Zielen, auf das Zeugnis. Kürzlich sagte der Leiter eines großen, weltumspannenden Verbandes im Dienst der Nächstenliebe: "Wir haben in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht in Aufbau und Verwaltung. In diesen Punkten ist wohl das Maximum erreicht". Dann fuhr er fort: "Manchmal habe ich allerdings den Eindruck, die Perfektionierung des Verbandes hat eine spirituelle Verarmung zur Folge: Unser Einsatz will nur noch das Elend bekämpfen; er dient nicht mehr der Verkündigung der Liebe Christi, der gekommen ist, den Menschen das Heil zu bringen, das bis ins ewige Leben dauert".

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Nach der Vorstellung und dem Auftrag des Papstes dient der Rat Cor Unum der Liebestätigkeit der Kirche. Er ist gestiftet, damit Gottes Liebe

und Menschenfreundlichkeit in Kirche und Gesellschaft getan und sichtbar werden. Wir versuchen darum mit schwachen Kräften und geringen Mitteln, Gottes Zuwendung zu den Bedürftigen erfahrbar zu machen. Gleichzeitig ist das Dikasterium bestellt, damit die katholischen Agenturen der Nächstenliebe und alle caritativen Gruppen ihre Verpflichtung zu diesem Zeugnis nicht aus dem Auge verlieren. Es widerspräche eben frontal der päpstlichen Weisung, wenn die kirchliche Caritas ihre Bezogenheit auf diese Liebe in ihrem Tun nicht mehr deutlich machte oder wenn gar ihre Gruppen das Bewußtsein von der Verankerung in Gott selbst verlören. Solche Säkularisierung des caritativen Auftrages stände gegen die Bindung der Nächstenliebe an die Gottesliebe, wie sie die biblische Botschaft verkündet. 13 Solch säkularisierte Reduktion der Aufgabe von Cor Unum mißachtete gründlich die Absicht des Papstes, der ja mit dieser vatikanischen Abteilung Gottes Liebe im kirchlichen Tun erkennbar machen will. Im Leben und Wirken der Heiligen wird die unlösbare Verbindung zwischen Gottes- und Nächstenliebe unmittelbar einsichtig; besser als alle theoretischen Ableitungen bekunden diese Männer und Frauen, worum es geht. Der Diakon Laurentius (t 258) sorgte sich im antiken Rom um Leben und Nahrung der Armen, und er zeigt dann in seinem Blutzeugnis, daß er einschränkungslos auf Gott und seine Liebe setzt. Der Bischof Martin von Tours (t 397) teilt seinen Mantel mit einem Bettler, und sein Glaubensblick läßt ihn später erkennen, daß er im Bettler Christus geliebt hat. Den hl. Vinzenz von Paul (t 1660) trieb seine Gottesliebe zu caritativen Impulsen, die bis heute eindrucksvolle Früchte zeigen. Maximilian Kolbe (t 1943), großer Beter und Missionar voller Eifer, übernahm im Konzentrationslager Auschwitz Platz und Schicksal eines Todeskandidaten, Franz Gajowniczek, so daß dieser seiner Frau und seinen Kindern erhalten blieb. Für den Christen ist die Verbindung zwischen Gottes- und Nächstenliebe unauflösbar. Das lehren auch noch die Kirchenfernen und die Ungläubigen. Wie oft werden Priester und Ordensleute in Rom von Bettlern und Zigeunern angesprochen: sie erwarten gerade von diesen einen Geldschein. Wohl sind sie nicht selten lästig. Aber andererseits ahnen diese Männer und Frauen offenbar dunkel, daß die Kirche die Nächstenliebe erfahrbar machen muß, weil sie den Gott der Liebe verkündet.

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Vgl. vom Verfasser, Thet Gutes allen. 21 Thesen zur Caritasarbeit, Paderborn

1999.

4 Johannes Paul ll.

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Trotz aller Notwendigkeit von Verbänden und Strukturen kann der Dienst an Bedürftigen nicht delegiert und auf die Institution abgewälzt werden. In den oben genannten Sätzen Johannes Paul II., die die Strukturen der Sünde anprangern und die sich somit an Großgruppen und gesellschaftliche Kräfte wenden, vergißt der Papst niemals den Hinweis auf die Verpflichtung des einzelnen, selbst Hand anzulegen und sich gegebenenfalls zu bekehren. Diese "Strukturen der Sünde" haben "in persönlicher Sünde ihre Wurzeln und hängen daher immer mit konkreten Taten von Personen zusammen, die solche Strukturen herbeiführen, sie verfestigen und es erschweren, sie abzubauen" .14 Das Wort Gottes läßt keinen Zweifel an der Verpflichtung des einzelnen. Im Matthäusevangelium sagt Jesus: "So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen" (5,16). Für die Jüngerschaft ist es unerläßlich, die Werke der Barmherzigkeit zu tun: Kranke zu besuchen, Armen zu helfen, Hungernde zu sättigen, sich für die Gerechtigkeit zu engagieren. Dabei kann die Person des Jüngers nicht umhin, sich persönlich einzubringen; niemand kann sich durch Geld vom eigenen Einsatz loskaufen. Der Jünger Christi aber tut diesen Dienst von Gott her. Er muß den Blick auf den Vater im Himmel freigeben, damit diesem Vater im Himmel für die empfangene Wohltat Dank und Lob wird.

IV. "Materet Magistra-Mutter und Lehrerin"

Seit ihrer Gründung hat die Kirche durch 2000 Jahre hin auf viele Weise Armut und Elend der Leidenden zu lindern und zu beseitigen versucht. Menschen und Institutionen, die sich in ihr dem Kampf für die Humanität widmeten und widmen sind Legion. Das letzte Statistische Jahrbuch verzeichnet allein 685.000 Mitglieder von Orden und Säkularinstituten, deren überwiegende Zahl von der Wiege bis zur Bahre, von Norwegen bis zu den Fa.lklandinseln sich dem bedürftigen Mitmenschen zuwendet. 15 Diese Hilfe und Menschenfreundlichkeit findet allerdings nicht den Beifall aller. Es gibt auch ideologische Lager, denen sie suspekt ist. Denn sie dämpft den Explosionsstoff, der Veränderung in die verkrustete Gesellschaft heraufführt. So wird Nächstenliebe von Umsturzkräften keineswegs Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 36. Annuarius statisticus Ecclesiae, hgg. vom vatikanischen Staatssekretariat, Citta del Vaticano 2000. 14 15

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bejaht, sondern angegriffen. Wie es etwa dem Seligen Frederic Ozanam an der Universität Paris 1832 widerfuhr. Wahrend einer der Konferenzen zu Geschichte kommt es zur Auseinandersetzung über Unrecht und Elend in der Welt. Der Student Frederic wird angegriffen mit der Behauptung, die Früchte des Glaubens der Christen könne man höchstens in Büchern finden, nicht aber in deren Werken. Als Ozanam sich mit dem Hinweis darauf verteidigt, er und seine Kommilitonen gäben ein Teil ihrer Zeit und ihres Geldes den Armen, hat der Kontrahent nur Hohn und Wut zur Antwort: Wir bereiten Ideen und Systeme vor, die das Gesicht der Welt verändern und das Elend ein für allemal ausrotten werden. Und ihr unterlauft mit eurer bürgerlichen Mildtätigkeit unsere Strategie. Dieses Streitgespräch bewegte den Seligen, sich mit seinen Mitstudenten zur "Caritas-Konferenz" zusammen zu schließen, die sich später "Vinzenz-Konferenzen" nannten. Auch die Gründerväter des Marxismus-Leninismus hielten nichts von der Nächstenliebe. Sie huldigten der Konfliktstrategie und lobten die Verbreitung der Not unter den Menschen. Karl Marx etwa schreibt: "Unterdessen gehen die französischen Fabrikanten so rücksichtslos mit den Arbeitern um, als hätte nie eine Revolution stattgefunden. Das wird etwas Gutes einbringen".16 Und Engels schreibt über die Revolution: "Nachdem sie sich lange still und zurückgezogen verhalten hat, wird sie jetzt durch die Handelskrise und die Lebensmittelknappheit wieder auf den Kampfplatz gerufen. Von Manchester bis Rom, von Paris bis Warschau und Pest ist sie allgegenwärtig, erhebt ihr Haupt und erwacht vom Schlummer. Mannigfach sind die Symptome ihres wiederkehrenden Lebens, überall sind sie erkennbar in der Unruhe und Aufregung, die die proletarische Klasse ergriffen hat" _17 Solche Überzeugungen erweisen als argumentum e contrario, daß die Linderung des Elends Friedensdienst ist. Und nicht nur im 19. Jahrhundert. Anderseits sprechen Leid und Misere auch immer das menschliche Herz an und könnten den Empfindsamen zu Taten verleiten, die einen sofortigen und radikalen Wechsel versprechen. Da ist einmal das Mitleid mit den Entwürdigten und der Zorn über die Gefühllosigkeit der Mächtigen. Auch der Zwang zur Geduld überfordert und spannt die gute Absicht zu lange auf die Folter. Schließlich erfährt man seine Ohnmacht, weil eine definitive Bewältigung des Mißstands nicht gelingen will. All das mag der Kontrahent des Seligen Frederic in Paris durchlebt haben, so daß sich in ihm Haß und Aggression stauten. 16 In Briefe. Januar 1856- Dezember 1859. Briefwechsel zwischen Marx und Engels, Werke Berlin(Ost) 1956 ff. Bd. 29, 225. 17 In Werke Bd. 10, ebd. 8. 4'

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Darum kann die Kirche im Kampf gegen die Armut nicht nur die mitfühlende Mutter sein. Sie muß auch das Evangelium im Blick halten und in die Auseinandersetzung um den Frieden einbringen. Liebe und Wahrheit haben sich die Waage zu halten. "Mater et Magistra - Mutter und Lehrerin" nannte Papst Johannes XXIII. seine Sozialenzyklika. In ihr faßt er unser Thema zusammen: "Wahrend die einen im Wohlstand leben, leiden die anderen bittere Not. Wenn nun die wechselseitigen Beziehungen der Menschen in allen Teilen der Welt heute so eng geworden sind, daß sie sich gleichsam als Bewohner ein und desselben Hauses vorkommen, dann dürfen die Völker, die mit Reichtum und Überfluß gesättigt sind, die Lage jener anderen Völker nicht vergessen, deren Angehörige mit so großen inneren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, daß sie vor Elend und Hunger fast zugrunde gehen und nicht in angemessener Weise in den Genuß der wesentlichen Menschenrechte kommen. Dies um so weniger, als die Staaten täglich mehr voneinander abhängig werden und ein dauerhafter und segensreicher Frieden nicht gewährleistet ist, wenn die wirtschaftliche und soziale Lage des einen von der des anderen allzu stark abweicht" .18

18

Sozialenzyklika Materet Magistra vom 15. 5. 1961, Nr. 157.

BOTSCHAFT SEINER HEILIGKEIT JOHANNES PAUL II. ZUR FEIER DES WELTFRIEDENSTAGES AM 1. JANUAR 1994 "Aus DER FAMILIE ERWACHST DER F'm:EDE FüR DIE MENSCHHEITSFAMILIE"

1. Die Welt sehnt sich nach Frieden, sie braucht dringend Frieden. Trotzdem fordern weiterhin Kriege, Konflikte, überhandnehmende Gewalt, Situationen sozialer Instabilität und regionaler Armut unschuldige Opfer und verursachen Zwietracht und Spaltung zwischen einzelnen Menschen und unter den Völkern. Der Friede erscheint bisweilen ein wirklich unerreichbares Ziel! Wie soll man in einem in Gleichgültigkeit erstarrten und zuweilen von Haß vergifteten Klima auf ein Zeitalter des Friedens hoffen, dem doch nur Gefühle der Solidarität und Liebe förderlich sein können?

Wir dürfen dennoch nicht resignieren. Wir wissen, daß der Friede trotz allem möglich ist, weil er in den ursprünglichen göttlichen Plan eingeschrieben ist. Gott wollte für die Menschheit einen Zustand der Harmonie und des Friedens, wofür Er in der Natur des "nach seinem Bild" geschaffenen Menschen selbst den Grund legte. Dieses Ebenbild Gottes verwirklicht sich nicht nur im Individuum, sondern auch in jener einzigartigen Personengemeinschaft, die von einem Mann und einer Frau gebildet wird, die derart in Liebe verbunden sind, daß sie "ein Fleisch" werden (Gen 2, 24). Denn es steht geschrieben: "Als Abbild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie" (Gen 1, 27). Diese besondere Personengemeinschaft hat der Herr mit der Sendung betraut, das Leben weiterzugeben und für es Sorge zu tragen durch die Bildung einer Familie, womit sie entscheidend zu der Aufgabe beitragen sollte, die Schöpfung zu verwalten und für die Zukunft der Menschheit zu sorgen. Die anfängliche Harmonie wurde von der Sünde zerbrochen, aber der ursprüngliche Plan Gottes besteht weiter. Darum bleibt die Familie das eigentliche Fundament der Gesellschaft 1 , bildet sie doch, wie es in der AllgeI Vgl. li. VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 52.

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meinen Menschenrechtserklärung heißt, deren "natürlichen und fundamentalen Kem" .2 Der Beitrag, den die Familie auch zur Wahrung und Förderung des Friedens anbieten kann, ist so entscheidend, daß ich die mir vom Intemationalen Jahr der Familie gebotene Gelegenheit ergreifen will, um diese Botschaft am Weltfriedenstag der Betrachtung über die enge Beziehung, die zwischen der Familie und dem Frieden besteht, zu widmen. Ich vertraue in der Tat darauf, daß dieses Jahr der Familie für alle, die zur Suche nach dem wahren Frieden beitragen wollen - Kirchen, religiöse Organismen, Vereinigungen, Regierungen, intemationale Behörden -, eine nützliche Gelegenheit bietet, gemeinsam zu untersuchen, wie der Familie geholfen werden kann, ihre unersetzliche Aufgabe als Baumeisterin des Friedens voll zu erfüllen.

Die Familie: Gemeinschaft des Lebens und der Liebe 2. Die Familie ist als grundlegende und unersetzliche erzieherische Gemeinschaft der bevorzugte Träger für die Weitergabe jener religiösen und kulturellen Werte, die der Person helfen, zu ihrer Identität zu gelangen. Auf die Liebe gegründet und offen für das Geschenk des Lebens, trägt die Familie die Zukunft der Gesellschaft in sich; es ist ihre ganz besondere Aufgabe, wirksam zu einer friedlichen Zukunft beizutragen. Das wird sie zuallererst durch die gegenseitige Liebe der Eheleute erreichen, die vom natürlichen Sinn der Ehe her und, noch mehr, wenn sie Christen sind, von deren Erhebung zum Sakrament, zur vollen und gänzlichen Lebensgemeinschaft gerufen sind; darüber hinaus auch vermittels einer angemessenen Durchführung des Erziehungsauftrages, der die Eltem verpflichtet, die Kinder zur Achtung der Würde einer jeden Person und zu den Werten des Friedens zu erziehen. Diese Werte müssen nicht so sehr "gelehrt" als vielmehr in einer familiären Atmosphäre bezeugt werden, in der jene hingebungsvolle Liebe gelebt wird, die fähig ist, den anderen in seinem Anderssein anzunehmen, indem sie seine Bedürfnisse und Anliegen zu den ihren macht und ihn an den eigenen Gütem teilhaben läßt. Die häuslichen Thgenden, die auf tiefer Achtung vor dem Leben und der Würde des Menschen gründen und ihre Konkretisierung in Verständnis, Geduld, Ermutigung und gegenseitigem Verzeihen finden, verleihen der Gemeinschaft der Familie die Möglichkeit, die erste und grundlegende Erfahrung von Frieden zu leben. Außerhalb dieses Zusammenhanges von liebevollen Beziehungen und täti2

Artikel16, 3.

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gergegenseitiger Solidarität "bleibt" der Mensch "für sich selbst ein unbegreifliches Wesen; sein Leben ist ohne Sinn, wenn ihm nicht die Liebe geoffenbart wird, ... wenn er sie nicht erfährt und sich zu eigen macht". 3 Eine solche Liebe ist allerdings keine vorübergehende Emotion, sondern eine intensive, beständige moralische Kraft, die, auch um den Preis des eigenen Opfers, das Wohl des anderen sucht. Die wahre Liebe geht überdies immer mit der Gerechtigkeit einher, die für den Frieden so notwendig ist. Sie neigt sich allen zu, die sich in Schwierigkeiten befinden: Menschen, die keine Familie haben, Kindern, die ohne Beistand und Liebe sind, Personen, die einsam sind und sich am Rande der Gesellschaft bewegen. Die Familie, die diese Liebe, wenngleich unvollkommen, lebt, indem sie sich der übrigen Gesellschaft hochherzig öffnet, stellt den wichtigsten Vermittler einer friedlichen Zukunft dar. Eine Zivilisation des Friedens ist nicht möglich, wenn die Liebe fehlt.

Die Familie: Opfer des fehlenden Friedens 3. Im Widerspruch zu ihrer ursprünglichen Friedensberufung erweist sich die Familie leider nicht selten als Ort von Spannungen und Gewalttätigkeiten oder als wehrloses Opfer der unzähligen Formen von Gewalt, die die heutige Gesellschaft kennzeichnen. Spannungen sind zuweilen in den Beziehungen innerhalb der Familie zu finden. Oft rühren sie von der Schwierigkeit her, das Familienleben harmonisch zu gestalten, wenn die Arbeit die Eheleute einander fernhält oder wenn das Fehlen oder die Bedrohung des Arbeitsplatzes sie der drängenden Sorge ums Überleben und der Angst vor einer unsicheren Zukunft unterwirft. Es fehlt nicht an Versuchungen, die auf Verhaltensmodelle zurückgehen, die von Hedonismus und Konsumismus inspiriert sind und die die Familienmitglieder dazu bringen, mehr nach persönlicher Befriedigung zu streben denn nach einem gelassenen und rührigen gemeinsamen Leben. Häufiger Streit zwischen den Eltern, Ablehnung von Kindern, Verlassen und Mißhandeln von Minderjährigen sind die traurigen Anzeichen eines familiären Friedens, der bereits ernsthaft gefährdet ist und der sicherlich nicht wiederhergestellt werden kann durch die schmerzliche Lösung einer Trennung der Eheleute, weniger noch durch einen Rückgriff auf die Scheidung, der wahren "Plage" der heutigen Gesellschaft. 4 3 4

Enzyklika Redemptor hominis, 10. Vgl. Gaudium et spes, 47.

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Sodann werden in vielen Teilen der Welt ganze Nationen in die Spirale blutiger Konflikte verwickelt, deren erste Opfer häufig die Familien sind: sie werden entweder ihres hauptsächlichen, wenn nicht einzigen Erhalters beraubt oder sehen sich gezwungen, Haus, Land und Besitz zu verlassen und die Flucht ins Unbekannte anzutreten; in jedem Fall sehen sie sich schweren Unannehmlichkeiten ausgesetzt, die jede Sicherheit in Frage stellen. Wie kann man in diesem Zusammenhang nicht an den blutigen Konflikt denken, der noch immer zwischen ethnischen Gruppen in Bosnien-Herzegowina andauert? Und dies ist kein Einzelfall auf den zahlreichen Kriegsschauplätzen der Welt! Angesichts dieser schmerzlichen Realität erweist sich die Gesellschaft oft nicht imstande, wirksame Hilfe anzubieten, oder läßt sträflicherweise sogar Gleichgültigkeit erkennen. Die spirituellen und psychologischen Bedürfnisse von Menschen, die die Auswirkungen eines bewaffneten Konfliktes durchgemacht haben, sind ebenso dringend und ernst wie ihr Bedarf an Nahrung und Unterkunft. Es würde besonderer Strukturen bedürfen, die eigens dafür vorgesehen sind, eine Hilfsaktion für die plötzlich von verheerendem Ungemach heimgesuchten Familien einzuleiten, damit sie trotz allem nicht der Versuchung der Entmutigung und der Rache nachgeben, sondern dazu fähig sind, ihr Verhalten an der Vergebung und Wiederversöhnung zu inspirieren. Wie oft ist von all dem leider keine Spur zu finden! 4. Außerdem darf man nicht vergessen, daß Krieg und Gewalt nicht nur zersetzende Kräfte darstellen, die die familiären Strukturen schwächen und zerstören können; sie üben auch einen unheilvollen Einfluß auf die Menschen dadurch aus, daß sie Verhaltensmodelle, die dem Frieden diametral entgegengesetzt sind, aufstellen und beinahe aufzwingen. In diesem Zusammenhang muß auf ein sehr trauriges Faktum hingewiesen werden: in der Tat sind heutzutage leider Jungen und Mädchen, ja sogar Kinder, in wachsender Zahl an bewaffneten Konflikten beteiligt. Sie werden gezwungen, sich bei den bewaffneten Milizen zu melden, und müssen für etwas kämpfen, das sie oft gar nicht verstehen. In anderen Fällen werden sie geradezu in eine Kultur der Gewalt hineingezogen, der zufolge das Leben wenig Wert hat und Töten nicht als unmoralisch gilt. Es liegt im Interesse der ganzen Gesellschaft zu bewirken, daß diese Jugendlichen auf Gewalt verzichten und sich auf den Weg des Friedens begeben; das setzt aber eine geduldige Erziehung unter der Leitung von Personen voraus, die aufrichtig an den Frieden glauben. An dieser Stelle kann ich nicht umhin, ein weiteres ernstes Hindernis für die Entfaltung des Friedens in unserer Gesellschaft zu erwähnen: viele, all-

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zu viele Kinder entbehren der Wärme einer Familie. Mitunter ist diese de facto abwesend: Die Eltern gehen anderen Interessen nach und überlassen die Kinder sich selbst. In anderen Fällen ist die Familie gar nicht vorhanden: Auf diese Weise gibt es Tausende von Kindern, die kein anderes Zuhause haben als die Straße und sich außer auf sich selbst auf nichts und niemanden verlassen können. Manche dieser Straßenkinder finden auf tragische Weise den Tod. Andere werden zum Gebrauch und sogar zum Verkauf von Drogen und zur Prostitution angeleitet und enden nicht selten in Verbrecherorganisationen. Es ist unmöglich, derart skandalöse und ebenso verbreitete Zustände zu ignorieren. Schließlich steht die Zukunft der Gesellschaft selbst auf dem Spiel. Eine Gemeinschaft, die die Kinder ablehnt, sie ausgrenzt oder in hoffnungslose Situationen bringt, wird niemals den Frieden kennenlernen. Um mit einer friedlichen Zukunft rechnen zu können, ist es erforderlich, daß jedes kleine Menschenwesen die Wärme einer zuvorkommenden und beständigen Liebe erfährt, nicht aber treuloses Ausgeliefertsein und Ausbeutung. Auch wenn der Staat durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln und Strukturen viel tun kann, so bleibt doch der Beitrag der Familie unersetzlich, um jenes Klima von Sicherheit und Vertrauen zu gewährleisten, dem große Bedeutung zukommt, die Kinder dahin zu bringen, fröhlich in die Zukunft zu schauen, und sie vorzubereiten, sich als Erwachsene verantwortungsvoll am Aufbau einer Gesellschaft des echten Fortschritts und Friedens zu beteiligen. Die Kinder sind die Zukunft, die bereits unter uns gegenwärtig ist; sie müssen erfahren können, was Frieden bedeutet, um imstande zu sein, eine friedliche Zukunft zu schaffen. Die Familie: Vorkämpferin des Friedens 5. Eine dauerhafte Friedensordnung braucht Institutionen, die die Werte des Friedens zum Ausdruck bringen und festigen. Die Struktur, die der Natur des menschlichen Wesens am unmittelbarsten entspricht, ist die Familie. Nur sie gewährleistet die Kontinuität und die Zukunft der Gesellschaft. Die Familie ist daher dank der Werte, die sie zum Ausdruck bringt und die sie in ihrem eigenen Bereich und durch die Teilnahme jedes ihrer Mitglieder am Leben der Gesellschaft weitergibt, dazu berufen, aktive Vorkämpferin des Friedens zu werden. Als eigentlicher Kern der Gesellschaft hat die Familie Anspruch auf volle Unterstützung seitens des Staates, um ihre besondere Sendung voll entfalten zu können. Die staatlichen Gesetze müssen daher darauf ausgerichtet

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sein, das Wohlergehen der Familie zu fördern, indem sie ihr bei der Verwirklichung der ihr zufallenden Aufgaben behilflich sind. Angesichts der heute immer bedrohlicheren Tendenz, Ersatzformen der ehelichen Gemeinschaft zu legitimieren, Formen von Verbindungen, die aus der diesen innewohnenden Natur oder aufgrundder beabsichtigten Vorläufigkeit in keiner Weise den Sinn der Familie zum Ausdruck bringen und ihn gewährleisten können, hat der Staat die Pflicht, die Familie als authentische Institution zu fördern und zu schützen, wobei die naturgegebene Gestalt und die natürlichen und unveräußerlichen Rechte zu respektieren sind. 5 Zu diesen gehört das fundamentale Recht der Eltern, auf Grund ihrer moralischen und religiösen Überzeugungen sowie ihrer angemessenen Gewissensbildung frei und verantwortungsvoll zu entscheiden, wann sie einem Kind das Leben schenken wollen, um es dann diesen Überzeugungen entsprechend zu erziehen. Eine wichtige Rolle fällt dem Staat außerdem insofern zu, als er Verhältnisse zu schaffen hat, auf Grund derer es den Familien möglich ist, für ihre wesentlichen Bedürfnisse in einer Weise zu sorgen, die der menschlichen Würde entspricht. Zu viele Familien sind heute von der Armut, ja vom Elend betroffen, einer ständigen Bedrohung für die soziale Stabilität, für die Entwicklung der Völker und für den Frieden. Es kommt zuweilen vor, daß die jungen Paare, weil sie die Mittel nicht besitzen, die Gründung einer Familie hinauszögern oder überhaupt daran gehindert werden, während die von der Not betroffenen Familien nicht voll am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können oder sogar zu einem Dasein vollkommen am Rand der Gesellschaft gezwungen sind. Die Verpflichtung des Staates entbindet jedoch die einzelnen Staatsbürger nicht von ihrer Pflicht: Die wahre Antwort auf die schwerwiegendsten Fragen jeder Gesellschaft wird nämlich von der einhelligen Solidarität aller sichergestellt. In der Tat kann niemand ruhig bleiben, solange das Problem der Armut, die Familien und einzelne heimsucht, keine angemessene Lösung gefunden hat. Das Elend stellt immer eine Bedrohung für die soziale Stabilität, für die wirtschaftliche Entwicklung und somit letztlich für den Frieden dar. Der Friede wird immer gefährdet sein, solange sich einzelne Personen und Familien gezwungen sehen, um ihr bloßes Überleben kämpfen zu müssen.

5 Vgl. dazu die "Charta der Familienrechte, vom Heiligen Stuhl allen Personen, Institutionen und Autoritäten vorgelegt, die mit der Sendung der Familie in der heutigen Welt befaßt sind" (22. Oktober 1983).

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Die Familie im Dienst des Friedens 6. Nun möchte ich mich direkt an die Familien wenden; im besonderen an die christlichen Familien. "Familie, werde, was du bist!" -habe ich in dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio geschrieben. 6 Werde nämlich "innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe in der Ehe" ,7 dazu berufen, Liebe zu schenken und das Leben weiterzugeben! Familie, du hast eine Sendung von wesentlicher Bedeutung: nämlich beizutragen zum Aufbau des Friedens, der für die Achtung vor dem menschlichen Leben und für seine Entfaltung unerläßlich ist. 8 Da du weißt, daß der Friede niemals endgültiger Besitz ist, 9 darfst du nie müde werden, ihn zu suchen! Jesus hat mit seinem Tod am Kreuz der Menschheit seinen Frieden hinterlassen, indem er ihr seine ewige Gegenwart zusagte. 10 Verlange nach diesem Frieden, bete um diesen Frieden, arbeite für diesen Frieden! Euch, Eltern, obliegt die Verantwortung, die Kinder zu Personen des Friedens heranzubilden und zu erziehen: Darum seid zuallererst Friedensmacher! Ihr, Kinder, die ihr mit der Leidenschaft eurer von Plänen und Träumen erfüllten jungen Jahre auf die Zukunft ausgerichtet seid, haltet das Geschenk der Familie hoch, bereitet euch auf die Verantwortung vor, sie in der Zukunft, die Gott euch schenken wird, aufzubauen bzw. zu fördern, je nach der euch zugedachten Berufung! Trachtet nach dem Guten und hegt Gedanken des Friedens! Ihr, Großeltern, die ihr zusammen mit den anderen Verwandten in der Familie unersetzliche und wertvolle Bande zwischen den Generationen darstellt, leistet hochherzig euren Beitrag an Erfahrung und Zeugnis, um die Vergangenheit und die Zukunft in einer Gegenwart des Friedens zu verbinden! Familie, lebe einträchtig und in vollem Umfang deine Sendung! Wie könnten wir schließlich die vielen Menschen vergessen, die - aus verschiedenen Gründen - ohne Familie sind? Ihnen möchte ich sagen, daß es auch für sie eine Familie gibt: Die Kirche ist Haus und Familie für alle. 11 Sie 6

Nr.17.

Gaudium et spes, 48. Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2304. 9 Gaudium et spes, 78. 1o Vlg. Joh 14, 27; 20, 19-21; Mt 28, 20. 7

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öffnet weit ihre Tore und nimmt alle auf, die allein und verlassen sind; sie sieht in ihnen die geliebten Kinder Gottes, welches Alter auch immer sie haben mögen, welcher Art auch ihre Sehnsüchte, Schwierigkeiten und Hoffnungen sein mögen. Möge die Familie in Frieden leben können, so daß aus ihr der Friede für die ganze Menschheitsfamilie erwächst! Das ist das Gebet, das ich am Beginn des Internationalen Jahres der Familie durch die Fürsprache Mariens, der Mutter Christi und der Kirche, zu dem emporsende, "nach dessen Namen jedes Geschlecht im Himmel und auf der Erde benannt ist" (Eph 3, 15). Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1993. JOANNES PAULUS II

11

Vgl. Familiaris consortio, 85.

AUS DER FAMILIE ERWÄCHST DER FRIEDE FÜR DIE MENSCHHEITSFAMILIE Alfonso Kardinal L6pez Trujillo In seiner ersten Botschaft an die Kirche und an die Welt formulierte der Heilige Vater Johannes Paul II. am 17. Oktober 1978 folgende Fragen: "Wie wird unser Pontifikat verlaufen? Welches wird das Schicksal der Kirche nach Gottes Fügung in den nächsten Jahren sein? Welchen Weg wird die Menschheit am Ausgang dieses Jahrhunderts einschlagen, das sich dem Jahr 2000 nähert? Auf diese kühnen Fragen gibt es nur eine Antwort: Gott weiß es! (vgl. 2 Kor 12, 2.3)" 1 Als Nachfolger dessen, der uns ermahnt hat, "Salz der Erde" und "Licht der Welt" (Mt 5,13 -14) zu sein, brachte der Papst damals den Vorsatz zum Ausdruck, sich der Konsolidierung der spirituellen Grundlagen zu widmen, auf denen die menschliche Gesellschaft aufruhen muß, wobei diese Pflicht um so dringender erschien, als "die Gegensätze und Zwistigkeiten andauern, die in nicht wenigen Teilen der Welt zu Auseinandersetzungen und Konflikten geführt haben" 2 • Mehr als zwanzig Jahre sind schon vergangen, seit diese Worte gesprochen wurden. Beim Anbruch des Dritten Jahrtausends, in diesem Jubiläumsjahr 2000, stehen Ungleichheiten und Konflikte weiterhin der Friedenssehnsucht entgegen, die von allen Menschen guten Willens und von allen Völkern geteilt wird. Dieses Verlangen nach Frieden ist den Jüngern Christi zutiefst eingeprägt, wie uns die lichtvollen Worte des II. Vatikanischen Konzils in Erinnerung rufen: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. " 3 Die Botschaft Johannes Pauls II. zu Beginn des neuen Milleniurns ist zugleich Zeugnis und Einladung zur Hoffnung: "Gott liebt alle Männer und Frauen auf Erden und schenkt ihnen die Hoffnung auf eine neue Zeit, eine Zeit des Friedens. Seine Liebe, die in dem Mensch gewordenen Sohn in Fülle I 2

3

Johannes Paul II., Erste Botschaft an Kirche und Welt, 17. 10. 1978. Ebd. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 1.

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offenbar wurde, ist das Fundament des universalen Friedens. Wenn sie im tiefsten Herzensgrund angenommen wird, versöhnt sie jeden mit Gott und mit sich selbst. Sie macht die Beziehungen der Menschen untereinander neu und weckt jenes Verlangen nach einer Haltung, die Brüdern und Schwestern eigen ist und die Versuchung der Gewalt und des Krieges zu vertreiben vermag. Das Große Jubiläum ist unlösbar mit dieser Botschaft der Liebe und Versöhnung verbunden, welche die eigentlichen Sehnsüchte der Menschen unserer Zeit am glaubwürdigsten zum Ausdruck bringt. Im Ausblick auf ein so bedeutungsträchtiges Jahr wünsche ich erneut allen von Herzen Frieden. Allen sage ich, daß der Friede möglich ist. Er muß als ein Geschenk Gottes erfleht, aber auch mit seiner Hilfe Tag für Tag durch Werke der Gerechtigkeit und Liebe aufgebaut werden. " 4 Der Aufbau des Friedens Tag für Tag ist eine wirkliche Herausforderung für die Menschen unserer Zeit. Die christliche Familie darf nicht nur dieser Tatsache gegenüber nicht gleichgültig bleiben, sondern gerade im Aufbau des häuslichen und gesellschaftlichen Friedens wird ihr Engagement für die Zivilisation der Liebe in besonderer Weise deutlich. Die Familie ist das Zentrum und das Herz der Zivilisation der Liebe5 . Die Zivilisation der Liebe gehört nach dem Projekt Gottes zur Bestimmung der Familie. Auf dem Theologisch-pastoralen Kongreß in Rom während des 1. Welttreffens der Familien mit dem Papst hatte ich Gelegenheit darzulegen: "Nur durch die Familie, die erste Gemeinschaft, die der Mensch vorfindet und die dyna.., misch dazu angeregt werden muß, ist der Zugang zu einer Zivilisation der Liebe möglich. " 6 Der Aufbau des Friedens ist ein unverzichtbarer Markstein der Zivilisation der Liebe, denn der Friede ist nicht nur Frucht der Gerechtigkeit (Jes 32,7), sondern auch Frucht der Liebe, "die über das hinausgeht, was die Gerechtigkeit zu leisten verrnag" 7 • Deswegen wird gerade der Friede der Menschheitsfamilie von der Familie her aufblühen müssen. In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 19948 hat der Papst die Grundlinien der historischen Aufgabe eines vorrangigen Einsatzes der Familie beim Aufbau des Friedens in einer Zivilisation der Liebe gezeichnet. Es handelt sich um eine Aufgabe, die Teil des ursprünglichen Planes Gottes ist.

Johannes Paul 11., Botschaft zum Weltfriedenstag 1. 1. 2000, 8. 12. 1999. Johannes Paul II., Brief Gratissimam sane (Brief an die Familien), Nr. 13. 6 Kardinal Alfonso L6pez Trujillo, La familia, coraz6n de la civilizaci6n del amor, in Actas del Congreso Teol6gico-Pastoral. Ier. Encuentro Mundia! del Santo Padre con las Familias, Rom, 6.- 8. 10. 1994, Libr. Ed. Vaticana, Citta del Vaticano 1995. 7 II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 78. 8 Johannes Paul 11., Botschaft zum Weltfriedenstag 1. 1. 1994, 8. 12. 1993. 4

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Aus der Familie erwächst der Friede für die Menschheitsfamilie

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I. Die Familie, Erbauerin des Friedens Ein rechtes Verständnis der Sendung der Kirche von heute muß, wie uns die Pastoralkonstitution Gaudium et spes lehrt, von den tiefsten Wünschen und Bestrebungen der Menschen ausgehen. Auf diese Weise wird die Darlegung der Botschaft des Evangeliums auch heute ihre volle Kraft erweisen, in Christus eine vollständige Antwort auf die Sehnsüchte des menschlichen Herzens zu geben. Die Frage, welche die tiefste und verborgenste Sehnsucht der Menschen ist, war im Laufe der Jahrhunderte Gegenstand eingehender Überlegungen des menschlichen Geistes. Der hl. Augustinus faßt in De civitate Dei eine lange Studie des Varro über die verschiedenen Meinungen der Philosophen des Altertums zusammen 9 : Was macht die Leute wahrhaft glücklich, was also ist das höchste Gut, das die menschlichen Wesen in Wahrheit erstreben? Man kommt dabei auf vier große natürliche Bestrebungen des Menschengeschlechts: das Ergötzen, der Wohlstand, der Genuß (das heißt: der Wohlstand begleitet vom Ergötzen) und die Vollkommenheit der menschlichen Natur (also jene Vollkommenheiten der Seele und des Leibes, die die 'fugend mit sich bringt) 10 . Welche die beste Art sei, die Fülle der Sehnsüchte des menschlichen Herzens zu erlangen - so fährt Augustinus bei seinem Kommentar zu Varro fort -, ist durch Jahrhunderte bei den Denkern umstritten gewesen. Viele haben angesichts der wesentlich sozialen Dimension der Menschheit das aktive Leben in der Gesellschaft (das politische Leben) als die beste angesehen. Andere hingegen halten die Kontemplation der Wahrheit (das philosophische Leben) für das bessere Leben; dieses kann, so meinen sie, das Glücksverlangen des menschlichen Wesens am besten erfüllen. Der hl. Augustinus teilt die Meinung von Varro und Cicero: Das philosophische Leben schließt das politische Leben nicht aus. Weder bringt die Kontemplation der Wahrheit notwendigerweise den Verzicht auf einen aktiven Beitrag zur Umformung der Gesellschaft mit sich, noch bedeutet das otium dessen, der sich der Kontemplation und der Erforschung der Wahrheit widmet, ein müßiges Leben 11 • Cicero schätzte das Moment der Reflexion bei den großen Männern, die die Geschichte verändert hatten, hoch ein. Aktion und Kontemplation sind möglich bei der persönlichen Entwicklung auf der Suche nach dem höchsten Gut und bei der beglückenden Ver9 Marcus Terentius Varro (116-27 v. Chr.), berühmter römischer Schriftsteller, der, wie es scheint, mehr als 500 Werke verfaßt hat. Er beschäftigte sich mit dieser Frage ausführlich in einem Werk, das nicht auf uns gekommen ist. IO Hl. Augustinus, De civitate Dei, XIX,l. n Hl. Augustinus, De civitate Dei, XIX,2.

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wirklichung der tiefsten Wünsche des menschlichen Herzens. Wie Cato mitteilt, pflegte Scipio Africanus in Anspielung auf die Bedeutung der persönlichen Reflexion bei der politischen Tätigkeit zu sagen, er sei niemals weniger müßig, als wenn er Muße habe, und niemals weniger allein, als wenn er allein sei: numquam se minus otiosum esse, quam cum otiosus, nec minus

solum, quam cum solus esset. 12

Trotzdem leidet die Betrachtung der tiefen Sehnsüchte des menschlichen Herzens bei den Denkern des Altertums an der radikalen Unzulänglichkeit ihrer Vorstellung vom höchsten Gut und deswegen auch von der besten Weise, es zu erlangen, denn sie verstehen das Glück als etwas dieser Welt Immanentes. Das Leben in Christus, das Leben der Heiligen, ist in der Tat ein gesellschaftliches Leben 13 • Deshalb führt das tiefe Glücksverlagen des menschlichen Herzens zum Aufbau des Friedens in dieser Welt, aber dieser Friede ist seinerseits auf einen ewigen Frieden hingeordnet, auf den Frieden des ewigen Lebens, auf das ewige Leben im Frieden des himmlischen Jerusalem, dessen Bild das irdische Jerusalem ist. Dieses Glück ist es, zu dem der Herr uns mahnend hinführt: "Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden." (Mt 5,9) Der Friede des Menschen ist sterblich, der Friede Gottes, auf den er hingeordnet ist, ist unsterblich: "Der Friede im Staat"- so schrieb mit unvergeßlichen Worten der Lehrer der Gnade- "besteht in der geordneten Eintracht der Bürger in bezug auf das Befehlen und Gehorchen; der Friede im himmlischen Staat in der vollkommen geordneten und einträchtigen Gemeinschaft des Gottgenießens und des wechselseitigen Genießens in Gott; der Friede endlich für alle Dinge in der Ruhe der Ordnung. Unter Ordnung aber versteht man eine Verteilung von gleichen und ungleichen Dingen, die jedem seinen Platz anweist. " 14 Der Aufbau des Friedens ist fest im menschlichen Herzen als Aufgabe verwurzelt, und der vorzüglichste Platz dafür ist die Familie: "Gewiß sollten wenigstens die, welche dem nämlichen Haus angehören, untereinander die freundschaftliche Gesinnung pflegen, und sie tun es auch in der Regel. Und gleichwohl ist niemand sicher von dieser Seite her. Aus den versteckten Nachstellungen von Angehörigen der Familie sind oft schon die größten Übel entstanden, um so bitterer, je süßer der Friede war, den man für einen wirklichen hielt, da er doch nur voll Arglist erheuchelt war... Wenn also nicht einmal die Familie, überall bei den Menschen die Zufluchtsstätte in 12 Cicero, Über die Pflichten, ill,l. Es handelt sich um Publius Scipio Africanus den Älteren, den Sieger über Hannibal. 13 Hl. Augustinus, De civitate Dei, XIX,4. 14 Hl. Augustinus, De civitate Dei, XIX,13.

Aus der Familie erwächst der Friede für die Menschheitsfamilie

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den sie bedrängenden Nöten, Sicherheit bietet, wie erst die Stadt, deren Gerichtsplatz, je größer sie ist, um so lauter widerhallt von bürgerlichen und Strafhändeln; stürmisch geht es da zu, selbst wenn die oft auch noch blutigen Aufstände und Bürgerkriege, vor deren Ausbruch die Städte niemals sicher sind, zeitweilig ruhen. " 15 Diese klare Beschreibung des hl. Augustmus behält ihre volle Gültigkeit. "Während des Jahrhunderts, das wir hinter uns lassen", erklärt Johannes Paul II., "wurde die Menschheit durch eine unendliche und schreckliche Serie von Kriegen, Konflikten, Völkermorden, ,ethnischen Reinigungen' hart geprüft, die unbeschreibliches Leid verursacht hat: Millionen und Abermillionen von Opfem, von zerstörten Familien und Ländem; Massen von Flüchtlingen, Elend, Hunger, Krankheiten, Unterentwicklung und Verlust von gewaltigen Hilfsmitteln. Der Grund für so viel Leid liegt bei einer Logik der Gewalt, die von dem Wunsch genährt wird, die anderen aufgrundvon Machtideologien oder utopischem Totalitarismus, von erbitterten Nationalismen oder alten Stammesfeindschaften zu beherrschen und auszurauben. Zuweilen war ein bewaffneter Widerstand gegen die brutale und systematische Gewalt nötig, die auf die Unterwerfung oder sogar die totale Ausrottung von Regionen und ganzen Völkem ausgerichtet war. Das 20. Jahrhundert hinterläßt als Erbe vor allem einen Hinweis: Kriege sind oft die Ursache von weiteren Kriegen, da sie tiefen Haß nähren, ungerechte Situationen schaffen und die Würde und die Rechte von Personen verletzen. Allgemein gesagt, außer dem außerordentlichen Schaden, den sie anrichten, lösen sie nicht die Probleme, durch die sie entstanden sind, und deswegen sind sie völlig unnütz. " 16 Auch wenn die sozialen Probleme, die sich dem Aufbau des Friedens als Hindernisse entgegenstellen zuweilen unüberwindlich scheinen können und die Gefahr der Entmutigung besteht, müssen wir dennoch immer bedenken, daß "dieser eine tief verwurzelte Forderung eines jeden Menschenherzens ist. Deswegen darf der Wille, ihn unaufhörlich zu suchen, nicht nachlassen, denn seinen Grund findet er im Bewußtsein, daß die Menschheit, die von Sünde, Haß und Gewalt geprägt ist, von Gott berufen ist, eine einzige Familie zu bilden" 17 • Trotz allem ist der Friede möglich, denn er ist dem ursprünglichen Projekt Gottes eingeschrieben: "Gott wollte für die Menschheit"- so weiter der Heilige Vater- "einen Zustand der Harmonie und des Friedens, wofür Er in der Natur des ,nach seinem Bild' geschaffenen 15 16

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Hl. Augustinus, De civitate Dei, XIX,5. Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1. 1. 2000, 8. 12. 1999, Nr. 3. Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1. 1. 2000, 8. 12. 1999, Nr. 2.

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Menschen selbst den Grund legte. Dieses Ebenbild Gottes verwirklicht sich nicht nur im Individuum, sondern auch in jener einzigartigen Personengemeinschaft, die von einem Mann und einer Frau gebildet wird, die derart in Liebe verbunden sind, das sie ,ein Fleisch' werden (Gen 2,24). " 18 Die Familie - und ganz besonders die christliche Familie - wird, wie ich auf der 9. Vollversammlung unseres Päpstlichen Rates für die Familie dargelegt habe, "die Wirklichkeit und die tiefe Bedeutung der Ehe in einer Zivilisation der Liebe und in der Schaffung einerneuen Kultur des Lebens finden, wenn sie diese nicht bei den vielfältigen und sich wandelnden Meinungen der Menschen sucht, sondern in dem, der ihr Ursprung und ihre erste Quelle ist: im Schöpfer selbst. Er ist es, der uns seinen grundlegenden Ratschluß kundgeben kann." 19 Die Familie, die auf der Liebe gründet und offen ist für das Geschenk des Lebens, führt die Zukunft der Gesellschaft herauf. Eine Zivilisation des Friedens ist nicht möglich, wenn die Liebe fehlt. In diesem Sinn ist die Familie aufgerufen, aktiver Gestalter des Friedens zu sein- einerseits dank der Werte, die sie in sich selbst trägt und weitergibt und andererseits dank der Teilnahme eines jeden ihrer Glieder am Leben der Gesellschaft2°. Die Familie gründet in der Tat in einer innigen Gemeinschaft des Lebens und der ehelichen Liebe 21 , einer familiären Gemeinschaft also, die das wahre Fundament der Gesellschaft bildet, wie es die natürliche menschliche Vernunft selbst anerkennt22 • Der wirksame Einsatz der Familie für den Aufbau des Friedens kann in erster Linie durch das Zeugnis gegenseitiger ehelicher Liebe erreicht werden 23 • Die Ehegatten sind von Gott zu einer ganzen und vollen Lebensgemeinschaft gerufen, die in sich für das neue Leben der Kinder offen ist, und zwar "von dem natürlichen Sinn der Ehe her und noch mehr, wenn sie Christen sind, von der Erhebung zum Sakrament her" 24 . Das Zeugnis einer starken und beständigen, für das Leben offenen Liebe der Ehegatten ist deswegen schon ein positiver Beitrag zum Aufbau des Friedens. Denn das Zeugnis ehelicher Liebe in ihrer Dauerhaftigkeit und Offenheit für Kinder ist ein Zeugnis des Lebens und der Hoffnung vor der Johannes Paul 11., Botschaft zum Weltfriedenstag 1. 1. 1994, 8. 12. 1993, Nr. 1. Kardinal Alfonso L6pez Trujillo, Famiglia, Vita e Nuova Evangelizzazione, Paoline, Roma 1997, S. 37. 20 Johannes Paul 11., Botschaft zum Weltfriedenstag 1. 1. 1994, 8. 12. 1993, Nr. 5. 21 ll. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 46. 22 Die Familie ist der "natürliche und grundlegende Kern" der Gesellschaft, wie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, Art. 16, nachzulesen ist. 23 Johannes Paul 11., Botschaft zum Weltfriedenstag 1. 1. 1994, 8. 12. 1993, Nr. 2. 24 Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1. 1. 1994, 8. 12. 1993, Nr. 2. 18 19

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Welt und nicht eine Kapitulation vor dem Tod und der Auslöschung aufgrundder Unterbrechung des Generationenwechsels. Der Friede, den das menschliche Herz ersehnt, ist der Friede des Lebens - nicht der Friede der Grabstätten. Der Aufbau des sozialen Friedens ist daher nicht nur eine Aufgabe der menschlichen Familie, sondern vor allem der christlichen Familie. "Auch der Erdenstaat", schreibt der Bischof von Hippo, "der nicht aus dem Glauben lebt, strebt nach dem Frieden auf Erden und nach Eintracht der Bürger in bezug auf Befehlen und Gehorchen, damit unter ihnen hinsichtlich der zum sterblichen Leben gehörigen Dinge eine gewisse Willensübereinstimmung der Einzelnen stattfinde. Und der himmlische Staat oder vielmehr der Teil davon, der in diesem sterblichen Dasein pilgert und aus dem Glauben lebt, muß sich gleichfalls dieses Friedens bedienen, bis eben dieses sterbliche Dasein, für das ein solcher Friede nötig ist, sein Ende erreicht. Und so leistet er unbedenklich, solange er an der Seite des Erdenstaates sozusagen das Gefangenenleben seiner Pilgerschaft führt, wobei er allerdings bereits die Verheißung der Freiheit und als ein Unterpfand die Gabe des Geistes erhalten hat, den Gesetzen des Erdenstaates Folge, durch die das geregelt wird, was der Erhaltung des sterblichen Lebens förderlich ist. Es besteht sonach Eintracht zwischen beiden Staaten in den zum vergänglichen Leben gehörigen Dingen, weil dieses sterbliche Leben beiden gemeinsam ist. u25 Die passende Erfüllung der erzieherischen Aufgabe beinhaltet nicht nur die Unterweisung, sondern vor allem das Zeugnis des Respekts vor der Würde jeder Person und vor den Werten des Friedens und der Annahme des anderen in seiner Verschiedenheit. "Die häuslichen 'fugenden", sagt uns der Heilige Vater, "die auf tiefer Achtung vor dem Leben und der Würde des Menschen gründen und ihre Konkretisierung in Verständnis, Geduld, Ermutigung und gegenseitigem Verzeihen finden, verleihen der Gemeinschaft der Familie die Möglichkeit, die erste und grundlegende Erfahrung von Frieden zu leben. " 26 Bei der Erfüllung dieser so überaus vornehmen Aufgabe hat die Familie ein Recht auf die ganze Unterstützung durch die Institutionen und durch den Staat, denn sie ist der Ursprungskern der Gesellschaft selbst. "Familien haben", wie man in der Charta der Familienrechte liest, "das Recht, von den staatlichen Autoritäten eine angemessene Familienpolitik auf juristischem, wirtschaftlichem, sozialem und Steuerrechtichern Gebiet erwarten zu können, die jedwede Benachteiligung ausschließt. " 27 25 26 27 5'

Hl. Augustinus, De civitate Dei, XIX,17. Johannes Paul 11., Botschaft zum Weltfriedenstag 1. 1. 1994, 8. 12. 1993, Nr. 2. Charta der Familienrechte, 22. 10. 1983, Art. 9.

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ß. Aufbau des Friedens und Zivilisation der Liebe

Der Aufbau des Friedens darf nicht von Zufallsfaktoren abhängen, die dem Wechsel der verschiedenen emotionalen Momente der öffentlichen Meinung unterworfen sind. Es handelt sich um ein tiefes Verlangen des menschlichen Herzens. "Eine dauerhafte Friedenssituation braucht", wie der Heilige Vater in seiner Botschaft von 1994 feststellt, "Institutionen, die die Werte des Friedens zum Ausdruck bringen und festigen. Die Struktur, die der Natur des menschlichen Wesensam unmittelbarsten entspricht, ist die Familie. Nur sie gewährleistet die Kontinuität und die Zukunft der Gesellschaft. " 28 Es handelt sich um eine wahrhafte und eigentliche Forderung der Zivilisation der Liebe. "Zivilisation der Liebe bedeutet", wie Johannes Paul II. im Brief an die Familien erklärt, "sich an der Wahrheit freuen' (vgl. 1 Kor 13,6). Aber eine Zivilisation, die sich an einer konsumistischen und geburtenfeindlichen Gesinnung inspiriert, ist keine Zivilisation der Liebe und kann es niemals sein. Wenn die Familie so wichtig für die Zivilisation der Liebe ist, so ist sie es wegen der besonderen Nähe und Intensität der Bande, die in ihr zwischen den Personen und Generationen bestehen ... Eine zerstörte Familie kann ihrerseits eine spezifische Form der ,Anti-Zivilisation' stärken, indem sie die Liebe in den verschiedenen Ausdrucksformen zerstört, mit unvermeidlichen Auswirkungen auf das gesamte soziale Leben."29 Der Aufbau des Friedens, dessen privilegierte Vorkämpferin die Familie ist, kann bei der Gestaltung der Zivilisation der Liebe keine andere Basis haben als die Wahrheit von Gottes Ratschluß für die Familie und für die menschliche Gesellschaft. Der Krieg, die Zerstörung und der Tod erfahren heute - das muß man klar vor Augen haben - besondere Förderung durch eine Kultur, die Kultur des Todes, auf die sich der Papst in der Enzyklika Evangelium vitae bezieht. Sie droht das familiäre und gesellschaftliche Gewebe des menschlichen Lebens zu zerstören und stellt heute das eigentliche Haupthindernis für den Aufbau des Friedens dar. Und dieser Kultur desTodes liegt eine Lüge über das menschliche Leben und die Familie, die ihre Wiege ist, zugrunde. Es ist eine Kultur des Todes, die dazu antreibt, Zerstörung und Krieg bis in den Mutterschoß hinein zu verlagern. Aber "es ist klar"- so beobachtet der hl. Augustmus -,"daß das erwünschte Ende und Ziel des Krieges der Friede ist. Sucht doch jeder auch durch Krieg nur den Frieden, niemand durch Frieden den Krieg. Auch wer in Frieden lebt und 28 29

Johannes Paulii., Botschaft zum Weltfriedenstag 1. 1. 1994, 8. 12. 1993, Nr. 5. Johannes Paulii., Brief Gratissimam sane (Brief an die Familien), Nr. 13.

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dessen Beseitigung wünscht, ist nicht ein Gegner des Friedens, sondem möchte nur einen anderen, seinem Wunsch entsprechenden Frieden. Er will also nicht, daß kein Friede sei, sondern daß ein Friede sei, wie er ihn wünscht. " 30 Die Kultur des Todes beruht auf einem Wunsch nach "Frieden", der in Wirklichkeit ein Wunsch nach Vorherrschaft ist. Es ist ein falscher "Friede", Frucht der Ungerechtigkeit und auf eine große Lüge gegründet. "Man liebt die Wahrheit solcherweise", sagt der hl. Augustinus in den Bekenntnissen, "daß alle, die ein anderes lieben, wünschen müssen, es möchte, was sie lieben, die Wahrheit sein. Und weil sie nicht getäuscht sein wollen, darum wollen sie sich auch nicht überführen lassen, daß sie die Getäuschten sind. Und sie hassen die Wahrheit um desselben Dinges willen, das sie als Wahrheit lieben. " 31 Der Friede kann nur durch einen angemessenen Beitrag zum Gemeinwohl seitens der Bürger erreicht werden; aber diese Bürger selbst, welche die Gesellschaft bilden, treten von der Familie her in die gesellschaftliche Dynamik ein. Die Familie ist der erste Ort der Sozialisierung und der Vermittlung der sozialen Grundwerte, der für das gemeinsame Leben erforderlichen sozialen Tugenden. Deswegen hängt von der Gesundheit der Institution Familie die erste Sozialisierung der Bürger und ihre Bildung in der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Eintracht ab. Der soziale Friede hat seine tiefste Wurzel in der Wahrheit über Person, Familie und Gesellschaft, einer Wahrheit, die der Mensch in seinem Herzen vom Schöpfer eingeschrieben findet, einer Wahrheit, die sich im Leben der Menschen als Gerechtigkeit und Liebe ausdrückt und verwirklicht. Seit ich am 8. November 1990 vom Heiligen Vater dazu emannt wurde, im Päpstlichen Rat für die Familie in Rom den Vorsitz zu führen, bin ich Augenzeuge und direkter Mitarbeiter sowohl des väterlichen Bemühens Johannes Pauls II. als auch seiner tiefen pastoralen Verantwortung für die Familie inmitten der Ereignisse der heutigen Zeit in Kirche und Welt; seines enormen Eifers für das Wohl der Familie und der menschlichen Gesellschaft; seiner Sorge um alles, was die Würde des Menschen verletzt; seiner unermüdlichen Anstrengungen, um der Familie von heute zu helfen, in sich selbst diese Wahrheit des Ratschlusses des Schöpfers im Lichte Christi, des Erlösers der Menschheit, wiederzuentdecken, die in das Herz jedes Menschen eingeschrieben ist. Der Aufbau des Friedens und die Bildung der Zivilisation der Liebe ist nicht möglich, wenn man die tiefe Wahrheit über die Familie und das Leben verkennt. Der Dienst am Frieden ist daher ein Dienst an der Wahrheit. 30 31

Hl. Augustinus, De civitate Dei, XIX,l2. Hl. Augustinus, Confessiones, 10,23,34.

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Im Laufe seines Pontifikates hat Johannes Paul II. durch Taten bewiesen, daß er ganz klar erkennt, was mit der Zukunft der Familie als wesentlichem Faktor für den sozialen Frieden auf dem Spiel steht. Die Zukunft der Familie ist die Zukunft der Gesellschaft. Häuslicher Friede und sozialer Friede stehen in einer tiefen Beziehung zueinander. Aber der häusliche Friede, aus dem der gesellschaftliche Friede hervorgehen muß, kann nur aufgebaut werden, wenn man von der Wahrheit über die Familie und das Leben ausgeht. Die Einberufung der Synode über die Familie im Jahre 1980 drückt diese tiefe pastorale Sorge der Kirche beredt aus. Sie steht in vollem Einklang mit der Pastoralkonstitution Gaudium et spes des II. Vatikanischen Konzils.

Das Lehramt der Kirche über Ehe und Familie in den letzten zwanzig Jahren spiegelt das Engagement der Christenheit für die Bildung einer Zivilisation der Liebe und für die Schaffung einer Kultur des Lebens, die in der Familie ihr Zentrum und ihr Herz hat, gut wieder. Es genügt eine kurze Aufzählung sehr bedeutsamer Dokumente, die in lehramtliehen Ausführungen und in den kanonischen Normen der Kirche die Wahrheit über die Familie und das Leben entfalten: Familiaris consortio32 , die Katechesen über die menschliche Liebe33, Evangelium vitae 34, der Brief an die Familien 35, die Charta der Familienrechte 36, der Codex des kanonischen Rechtes 37 und das Corpus canonum der orientalischen Kirchen 38 , der Katechismus der katholischen Kirche 39 , Mulieris dignitatem 40, um nur die wichtigsten zu nennen. Auch die pastorale Aktion der Kirche in jüngster Zeit ist ein wichtiger Hinweis mehr für die zentrale Stellung der Familie in der Neuevangelisierung, für die sich die Kirche einsetzt, um ihren spezifischen Beitrag für den Johannes Paul 11., Apost. Schreiben Familiaris consortio, 22. 11. 1981. Es handelt sich um eine Reihe von Ansprachen, die Johannes Paul 11. zwischen 1979 und 1984 während der Mittwoch-Generalaudienzen gehalten hat und welche die Wahrheit über die menschliche Liebe als Grundlage der Familie zum Gegenstand hatten. Sie bestehen aus sechs Zyklen. Die ersten drei ("Der Anfang", "Die Erlösung des menschlichen Herzens", "Die Vollendung") sind als "Tryptichon der Theologie des Leibes" bekannt. Der 4. und 5. Zyklus ist den christlichen Lebensständen Jungfräulichkeit und Ehe gewidmet. Der 6. Zyklus behandelt die Zeugung in der Ehe und stellt eine Vertiefung der Lehre der Enzyklika Humanae vitae Pauls VI. durch Johannes Paul 11. dar. 34 Johannes Paul 11., Enz. Evangelium vitae, 25. 3. 1995. 35 Johannes Paul II., Brief Gratissimam sane (Brief an die Familien), 2. 2. 1994. 36 Charta der Familienrechte, vom Heiligen Stuhl allen Personen, Institutionen und Autoritäten vorgelegt, die mit der Sendung der Familie in der heutigen Welt befaßt sind, 22. 10. 1983. Es handelt sich um eine der wichtigsten Konsequenzen der Synode über die Familie von 1980. 37 Codex 1uris Canonici, 1983. 38 Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, 1990. 39 Catechismus Catholicae Ecclesiae, Editio typica latina, 15. 8. 1997. 40 Johannes Paul 11. Apost. Schreiben Mulieris dignitatem, 15. 8. 1988. 32 33

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Aufbau einer neuen Zivilisation der Liebe zu leisten. Der Pontifikat Johannes Pauls II. hat einen entscheidenden Antrieb für die Anwendung des II. Vatikanischen Konzils bedeutet, das Ehe und Familie in die Mitte des Evangelisierungswirkens der Kirche stellen wollte. Eines der Ergebnisse von größter Tragweite, das die Synode über die Familie gezeitigt hat, war in dieser Hinsicht die Entscheidung Johannes Pauls II. vom 9. Mai 1981, den Päpstlichen Rat für die Familie zu schaffen. Paul VI. hatte schon am 11. Jänner 1973 ad experimentum das Komitee für die Familie (Consilium de Familia) geschaffen und ihm den Auftrag erteilt, in einer pastoralen Sicht die geistlichen, moralischen und sozialen Probleme der Familie zu studieren. Diese Einrichtung bestand aus einer Koordinationsgruppe (unter dem Vorsitz des damaligen Bischofs und jetzigen Kardinals Edouard Gagnon), den Mitgliedern des Komitees (unter ihnen die heutigen Kardinäle Moreira Neves und Josef Tomko) und einigen Konsultoren (unter ihnen der heutige Kardinal Virgilio Noe). Nach Ablauf der drei ersten Jahre beschloß Paul VI. durch das Motuproprio Apostolatus peragendi am 10. 12. 1976, die Anwesenheit der Laien, insbesondere der Ehepaare im Komitee, zu verstärken, in dem er es dem Päpstlichen Laienrat anschloß, dem damals Kardinal Opilio Rossi vorstand (der auf diese Weise auch den Vorsitz im Komitee für die Familie übernahm), wobei die eigene Struktur und Zusammensetzung beibehalten wurden. Der heutige Kardinal Edouard Gagnon übte seine Funktion als Vizepräsident und Sekretär des Komitees bis 1981 aus. Dann wurde provisorisch S. E. Mons. Kazimierz Majdanski ernannt. Mit dem Motuproprio Familia a Deo instituta vom 9. 5. 1981 entschied Johannes Paul li., den Päpstlichen Rat für die Familie zu errichten. In diesem Dokument heißt es: "Ein aufmerksames Überdenken der Erfahrungen dieser Jahre, vor allem aber die Notwendigkeit, den Erwartungen des christlichen Volkes, wie sie von den Bischöfen der ganzen Welt gesammelt und auf der letzten Bischofssynode über die Familie vorgetragen wurden, angemessener zu entsprechen, gaben Veranlassung, dem Komitee für die Familie ein neues Gesicht und eine eigene Struktur zu geben, damit es der spezifischen Problematik der Familie, was die Seelsorge und apostolische Arbeit betrifft, auf diesem neuralgischen Sektor des menschlichen Lebens hilfreich begegnen könne. " 41 Diesem Päpstlichen Rat kommt es zu, die Familienpastoral und das spezifische Apostolat auf dem Gebiet der Familie voranzutreiben, wobei die Lehren und Orientierungen des kirchlichen Lehramtes zur Anwendung kommen, so daß die christlichen Familien die 41

Johannes Paul II., Motuproprio Familia a Deo instituta, 9. 5. 1981, Nr. 3.

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Sendung erfüllen können, zu der sie berufen sind42 • Der Päpstliche Rat für die Familie befaßt sich insbesondere mit dem Austausch von Informationen und Erfahrungen unter den Bischöfen, den Bischofskonferenzen und ihren Organismen zum Zweck der Orientierung der Familienpastoral; mit der Verbreitung der kirchlichen Lehre über Ehe und Familie sowohl auf katechetischer als auch auf wissenschaftlicher Ebene; mit der Förderung und Koordination von Initiativen im Zusammenhang mit der verantwortlichen Vaterschaft; mit der Anregung für Studien im Zusammenhang mit der Spiritualität der Familie; mit der Ermutigung, Unterstützung und Koordination der Verteidigung des Lebens vorn Augenblick der Empfängnis an; mit der Förderung der theologischen und humanwissenschaftliehen Studien über die Familie, so "daß die ganze Lehre der Kirche von den Menschen guten Willens immer besser verstanden wird"; mit der Pflege der Beziehungen zu allen jenen, die um das Wohl der Familie besorgt sind, sofern sie "wenn auch von anderen Bekenntnissen (oder anderen Denksystemen) inspiriert, doch dem Naturgesetz und einen gesunden Humanismus dienen"; mit der Leitung der katholischen nationalen und internationalen Farnilienbewegungen, und zwar in Zusammenarbeit mit dem Päpstlichen Laienrat; usw. 43 . Von seinen Anfängen an bis heute stand der Päpstliche Rat für die Familie unter dem Vorsitz der Kardinäle Jarnes R. Knox (1981-1983) und Edouard Gagnon (1983 -1990) sowie mir selbst seit 1990 44 • Heute ist das Komitee der Präsidentschaft zusammengesetzt aus zehn Kardinälen, vier Erzbischöfen und drei Bischöfen aus der ganzen Welt; zwanzig Ehepaare sind Mitglieder des Rates. Sie werden unterstützt von einem Sekretär und einem Untersekretär, von Offizialen und einem Gremium von Experten und Konsultoren. Von 1983 an bis heute wurden 14 Jahresvollversammlungen abgehalten, auf denen grundlegende Aspekte von Ehe und Familie heute behandelt wurden45 . Unter den wichtigsten veröffentlichten Dokumenten des Rates sind u. a. zu nennen: Im Dienst des Lebens (über die Familie, Heiligtum des Lebens) (1992), Von der Verzweiflung zur Hoffnung (über Familie und DrogenabhänJohannes Paul 11., Motuproprio Familia a Deo instituta, 9. 5. 1981, Nr. 3,V. Ebd. H "Den Vorsitz dieses Rates führt ein Kardinal": Johannes Paul 11., Motuproprio Familia a Deo instituta, 9. 5. 1981, Nr. 3,11. -1,5 Bis dato wurden vom Verlag Elle di Ci (Torino-Leumann) folgende Akten der Vollversammlungen des Päpstlichen Rates für die Familie in getrennten Bänden italienisch veröffentlicht: Matrimonio e famiglia: Dottrina e vita. Problemi, orientamenti, esperienze (1985), n Sacramento del matrimonio e la missione educatrice (1986), La sacramentalita del matrimonio e la spiritualita coniugale e famigliare (1987), Famiglia nella missione dei laici (1988), Realta sacramentale e pastorale delle giovani coppie (1989), La formazione dei sacerdoti e la pastorale della famiglia (1990), Donna, sposa e madre nella famiglia e nella societa del terzo millenie (1994). -1,2 -1,3

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gigkeit) (1992), Die Kirche und das Internationale Jahr der Familie (1994),

Demographische Entwicklungen: ethische und pastorale Dimensionen (1994), Menschliche Sexualität: Wahrheit und Bedeutung (1995), Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (1996), Die Droge liberalisieren? Eine pastorale Reflexion (1997), Vademecum für die Beichtväter in einigen Fragen der Ehemoral (1997), Familie und Menschenrechte (1999) 46 • Seit 1995 besorgt der Rat vierteljährlich die Herausgabe von Familia et vita, der Zeit-

schrift des Päpstlichen Rates für die Familie, die wertvolle Artikel und Informationen von großer Nützlichkeit bietet. Die Zeitschrift hat eine sehr beachtliche Verbreitung gefunden. Sie ersetzt das Bulletin desselben Namens, das bis 1996 erschienen ist.

Im Laufe dieser letzten zehn Jahre wurde seitens des Päpstlichen Rates für die Familie sehr viel zur Förderung von Begegnungen, Kongressen und Versammlungen in Rom und auf der ganzen Welt unternommen, von denen hier nur einige der wichtigsten genannt werden sollen, die periodisch stattgefunden haben: die Treffen mit den Präsidenten der bischöflichen Kommissionen für die Familie und das Leben verschiedener Kontinente (z. B. fand das 3. europäische Treffen 27. -29. September 1999 statt), die Treffen mit Politikern und Legisten (3. Treffen für Amerika 3.-5. August 1999 in Buenos Aires47 ; 2. europäisches Treffen 22.-24. Oktober 1998 in Rom48); die Weltkongresse und die internationalen Kongresse der Bewegungen für das Leben (der letzte internationale Kongreß der Bewegungen für das Leben in Europa fand 7 .-9. April 2000 in Granada statt 49); die Treffen der Institute für das Studium von Ehe und Familie und der Bioethikzentren (3. Treffen 15.-17. Feber 2000 50 ) usw. Es ist auch angebracht, andere wichtige Treffen wenigstens kurz zu erwähnen, die oft in Zusammenarbeit mit anderen Dikasterien und Institutio46 Alle wurden von der Libreria Editrice Vaticana in verschiedenen Sprachen veröffentlicht. Eine nützliche Sammlung von Lehr- und Pastoraldokumenten über Familie und Leben (1965-1999) findet sich in dem vom Päpstlichen Rat für die Familie herausgegebenen Enchiridion della Famiglia. Documenti Magisteriali e Pastorali su Famiglia e Vita, EDB, Ed Dehoniane, Bologna 2000. Die Sammlung enthält den italienischen Text der Dokumente und der Vollversammlungen des Päpstlichen Rates, sowie eine Reihe von Erklärungen, Schlußfolgerungen und Empfehlungen der verschiedenen Treffen, Versammlungen und Kongresse. 47 Schlußerklärung des 3. Treffens der Politiker und Legisten von Amerika, L'Osservatore Romano, 10. 9. 1999. 48 Beschlüsse des 2. Treffens der Politiker und Legisten Europas über die Menschenrechte und die Rechte der Familie, L'Osservatore Romano, 26. 2. 1999. 49 Beschlüsse des Internationalen Kongresses "L'Europa per la vita". Granada, 7.9. April2000, L'Osservatore Romano, 5. 5. 2000. 50 Empfehlungen des 3. Treffens der Institute für das Studium von Ehe und Familie, L'Osservatore Romano, 19. 4. 2000.

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nen von unserem Rat veranstaltet wurden, wie die Internationale Konferenz über den sexuellen Mißbrauch von Kindern (Bangkok, 1992), der Studienkongreß über natürliche Methoden der Fruchtbarkeitsregulierung (Rom, 1992)51 , der Kongreß über Familienrechte und Familienpastoral (Port Louis/S. Mauricio, 1993), das Internationale Treffen über Rechte und Betreuung der Alten (Toronto, 1993), das Internationale Treffen über Familie und Adoption (Sevilla, 1994), das Interreligiöse Kolloquium über Ehe und Familie in der Welt von heute (Rom, 1994)52 , der Kongreß über Familie und Demographie in Asien und Ozeanien (Taipeh, 1995)53 , das Internationale Treffen über Familie und Wirtschaft (Rom, 1996) 54 , der Internationale Kongreß Evangelium vitae und das Recht (1996) 55 , der Internationale Kongreß zum 1. Jahrestag der Enzyklika Evangelium vitae (1996) 56 , das Internationale Treffen über Familie und Demographie in Europa (Rom, 1996), der Lateinamerikanische Kongreß über menschliche Sexualität: Wahrheit und Bedeutung (Monterrey-Mexiko 1997), das Internationale Treffen über Familie und Gehirnschäden der Kinder (Rom, 1997), das Treffen der Verantwortlichen der Bewegungen, Gesellschaften und NGO (Rom, 1998), der Internationale Kongreß über Familie und Behinderte (Rom, 1999) usw. Das Internationale Jahr der Familie 1994 stellte ein Ereignis dar, das weitreichenden Widerhall fand. Ab Juni 1993 gab es im Laufe des Jahres zahlreiche Initiativen in diesem Sinn. Die Welttreffen des Heiligen Vaters mit den Familien haben ihren Ursprung im Brief an die Familien aus dem Jahr 1994 und waren Augenblicke ganz besonderer Intensität auf dem von Johannes Paul II. vorgezeichneten Weg zu einer Zivilisation der Liebe. Auf das 1. Welttreffen im Oktober 1994 in Rom57 ist ein 2. Treffen im Oktober 51 AA.VV. (herausgegeben von Kardinal Alfonso L6pez Trujillo-E. Sgreccia), The Natural Methods for the Regulation of Fertility: The Authentie Alternative, (englischitalienisch), Vita e pensiero, Mailand 1994. 52 AA.VV., Marriage and Family in today's World. lnterreligious Colloquium, Vatican City 1995. 53 AA.VV., Demography & Family in Asia & Oceania, The Franciscan Gabriel Printing, Taipeh 1996. 54 AA.VV., Famiglia ed economia nel futuro della societa, in La Societa 7 (1997) Nr.l. 55 Pontificium Consilium de Legum Textibus Interpretandis, Pontificium Consilium pro familia, Pontificia Academia pro Vita, Evangelium vitae and Law. Acta Symposii Internationalls in Civitate Vaticana celebrati 23-25 Maii 1996 (englisch-italienisch), Libreria Editrice Vaticana, Citta del Vaticano 1997. 56 AA.VV. (herausgegeben von F. Rodriguez-J. Rodriguez), Per una cultura della vita. Atti del Congresso Internazianale nel I anniversario della pubblicazione dell'Enciclica Evangelium vitae. Roma 22-24 aprile 1996, Libr. Ed. Vaticana, Citta del Vaticano 1997. 57 Päpstlicher Rat für die Familie, L'Anno della Famiglia nella Chiesa, Libr. Ed. Vaticana, Citta del Vaticano 1995.

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1997 in Rio de Janeiro gefolgt58 ; das 3. Treffen wird im Rahmen des Jubiläums der Familien im Heiligen Jahr 2000 unter dem Titel "Die Kinder, Frühling der Familie und der Gesellschaft" nächsten Oktober in Rom stattfinden. Während der Treffen des Heiligen Vaters mit den Familien stellen die Theologisch-pastoralen Kongresse über Familie und Leben einen privilegierten Augenblick dar. Auf den in Rom 1993 veranstalteten Kongreß 59 folgte 1994 ein weiterer in Rom 60 sowie der von Rio de Janeiro 1997 61 • Seit 1994 hält der Rat Kurse über Familie und Ethik für die Bischöfe der ganzen Welt ab, die sehr gute Aufnahme gefunden haben. Bis jetzt haben an diesen Kursen mehr als 2000 Bischöfe aus aller Welt teilgenommen. Sie werden seither systematisch auf den verschiedenen Kontinenten fortgeführt. Es wäre allzu weitläufig, über die Einladungen zu sprechen, geschweige denn sie aufzuzählen, die an die verschiedenen Mitglieder und Mitarbeiter des Rates bzw. an mich selbst ergangen sind, an Versammlungen, Vorträgen, Kolloquien und internationalen Kongressen teilzunehmen. Das ist ein Zeichen für die tiefe Hoffnung, die die Familie in der Kirche und in der Gesellschaft von heute hervorruft. Der solide Bau einer Welt in Frieden kann nicht ohne Rücksicht auf diese Grundzelle der Gesellschaft, welche die Familie ist, vollzogen werden. Die Kirche beschreitet im vollen Bewußtsein dieser Tatsache das 21. Jahrhundert.

m. Familie, "Anti-Zivilisation" und Aufbau des Friedens In seiner Botschaft von 1994 unterstreicht Johannes Paul II. die zentrale Stellung der Familie beim Aufbau einer Welt in Frieden: "Die Familie ist als grundlegende und unersetzliche erzieherische Gemeinschaft der bevorzugte Träger für die Weitergabe jener religiösen und kulturellen Werte, die der Person helfen, zu ihrer Identität zu gelangen. Auf die Liebe gegründet und offen für das Geschenk des Lebens, trägt die Familie die Zukunft der Gesellschaft in sich; es ist ihre ganz besondere Aufgabe, wirksam zu einer friedlichen Zukunft beizutragen. " 62 In diesem Sinne ist der Beitrag der Familie zu den Anstrengungen absolut notwendig, um zu jener tranquillitas 58 Päpstlicher Rat für die Familie, La Famiglia: dono e impegno, speranza dell'umanita, Libr. Ed. Vaticana, Citta del Vaticano 1997. 59 Päpstlicher Rat für die Familie. Humanae vitae: Profetic Service for Humanity (englisch- italienisch), Ed. Ave, Rom 1995. 60 Päpstlicher Rat für die Familie, Famiglia: cuore della civilta dell'amore, Libr. Ed. Vaticana, Citta del Vaticano 1995. 61 Päpstlicher Rat für die Familie, La Famiglia: dono e impegno, speranza dell'umanita, Libr. Ed. Vaticana, Citta del Vaticano 1998. &2 Johannes Paul 11., Botschaft zum Weltfriedenstag 1-1-1994, 8. 12. 1993, Nr. 2.

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ordinis zu gelangen, die eine unverzichtbare Bedingung der wahren Entwicklung des Gesellschaftslebens der Völker ist. Es müssen Wege gefunden werden für den Dialog in einer gemeinsamen und verständlichen Sprache, die allen Menschen guten Willens zugänglich ist, über das Gemeinwohl der Familie und ihren notwendigen Beitrag zum Aufbau des Friedens, und dies in einer Perspektive der Hoffnung. Die Grundlage dieses Dialogs ist das allgemeine Sittengesetz, das in das menschliche Herz eingeschrieben ist. Es zeigt den ursprünglichen Plan des Schöpfers und seinen barmherzigen Ratschluß für die Menschen, den uns Christus in seiner ganzen Fülle offenbart. Mit dieser "Grammatik" des Geistes 63 kann sich die menschliche Gemeinschaft den Problemen des Zusammenlebens stellen und sich auf das Morgen zubewegen, unter Beachtung des göttlichen Ratschlusses, der den menschlichen Sehnsüchten zutiefst eingeprägt ist. Diese Aufgabe ist nicht einfach. Heute wird die auf der Ehe gründende Familie an mancherlei Fronten von unterschiedlichen Ideologien angegriffen, deren tiefe anti-menschliche Wurzel in aller Roheit zutage treten würde, sobald sie ihre Ziele erreichten, denn sie wollen eine Kultur des Todes aufrichten, des Individualismus und der Entfremdung der Person durch Lebensformen und Lebensstile, die nicht der Wahrheit des menschlichen Herzens entsprechen. Es geht um die Errichtung einer Gesellschaft, die ein anderes Fundament hat als die Wahrheit des menschlichen Herzens. Es ist eine "Anti-Zivilisation", welche die Liebe zerstört 6 • und es darauf abgesehen hat, die auf die Ehe gegründete Familie (wahrer Lebenskern der Gemeinschaft, wo die Werte des Zusammenlebens von Generation zu Generation auf gefestigte Weise weitergegeben werden) durch andere Modelle des Zusammenlebens zu ersetzen, wo mehr oder weniger implizit Individualismus und Mißtrauen gegenüber der Gabe des eigenen Lebens vorherrschen. Darauf möchte man einen "Frieden" bauen, der nicht dauerhaft sein kann. Sollten diese Pläne des "social engineering" ausgeführt werden, würde die Menschheit kurz- oder mittelfristig von neuem den Zusammenbruch des Friedensideals erleben. Wenn der Verfall der Institution Familie aufgrund dieses ideologischen Faktors zunähme, weil die Verantwortlichen, die diese Gefahr abwehren müßten, passiv bleiben, dann würde mit dem sozialen Frieden das geschehen, was den Friedensbemühungen unter den Nationen mittels des unstabilen Gleichgewichtes der europäischen Mächte seiner Epoche widerfuhr, die 63

Johannes Pau.l II., Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen,

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Johannes Pau.l II., Brief Gratissimam sane (Brief an die Familien), Nr. 13.

5. 10. 1995.

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Kant als "ein bloßes Hirngespinst" betrachtete und von denen er sagte, sie seien "wie Swifts Haus, welches von einem Baumeister so vollkommen nach allen Gesetzen des Gleichgewichts erbauet war, daß, als sich ein Sperling drauf setzte, es sofort einfiel " 65 . Um das zu vermeiden ist die Einigung der Kräfte zur Schaffung einer Kultur des Lebens in einer Zivilisation der Liebe absolut entscheidend. Die Familie ist gerufen, der Kern zu sein, von dem aus sich der von Gott für alle Menschen gewollte Friede auf die ganze Gesellschaft und auf alle Völker ausbreitet und den sie selber braucht, um ihre unersetzbare Sendung zu erfüllen, das Grundelement des Sozialgewebes zu sein.

65 I. Kant, über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in "Kants Gesammelte Schriften", Walter de Gruyter, BerlinLeipzig 1923, Band VIII, S. 313.

BOTSCHAFT SEINER HEILIGKEIT JOHANNES PAUL II. ZUR FEIER DES WELTFRIEDENSTAGES AM 1. JANUAR 1995 "DIE

FRAu: ERZIEHERIN zUM FRIEDEN"

1. Zu Beginn des Jahres 1995 richte ich mit dem Blick auf das nunmehr näherruckende neue Jahrtausend erneut an euch alle, Männerund Frauen guten Willens, meinen schmerzerfüllten Aufruf für den Frieden in der Welt.

Die Gewalt, der so viele Menschen und Völker nach wie vor ausgesetzt sind, die Kriege, die noch immer zahlreiche Teile der Welt mit Blut überziehen, die Ungerechtigkeit, die das Leben ganzer Kontinente belastet, können nicht mehr geduldet werden. Es ist Zeit, von den Worten zu Taten zu schreiten: die einzelnen Bürger und die Familien, die Gläubigen und die Kirchen, die Staaten und die internationalen Organisationen, alle sollen sich aufgerufen fühlen, mit erneutem Einsatz die Förderung des Friedens in die Hand zu nehmen! Wir wissen gut, wie schwierig dieses Unterfangen ist. Wenn es tatsächlich wirksam und dauerhaft sein soll, darf es sich nicht auf die äußeren Aspekte des Zusammenlebens beschränken, sondern muß vielmehr auf die Herzen einwirken und an ein erneuertes Bewußtsein der menschlichen Würde appellieren. Es sei noch einmal mit Nachdruck betont: ein wahrer Friede ist nicht möglich, wenn nicht auf allen Ebenen die Anerkennung der Würde der menschlichen Person dadurch gefördert wird, daß jedem einzelnen Menschen die Möglichkeit geboten wird, dieser Würde gemäß zu leben. "In jedem menschlichen Zusammenleben, von dem wir wollen, daß es gut verfaßt und vorteilhaft sei, ist das Prinzip zugrunde zu legen, daß jeder Mensch Person ist, das heißt, daß er eine mit Verstand und Willensfreiheit begabte Natur ist und daß er insofern durch sich selbst Rechte und Pflichten hat, die unmittelbar und gleichzeitig aus seiner eigenen Natur hervorgehen. Diese können deswegen, weil sie allgemein und unverletzlich sind, auf keine Weise veräußert werden" .1 I

259.

Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963), I: AAS 55 (1963),

80

Papst Johannes Paul ll.

Diese Wahrheit über den Menschen ist jeweils der Schlüssel zur Lösung die Förderung des Friedens betreffender Probleme. Die Erziehung zu dieser Wahrheit ist eines der fruchtbarsten und dauerhaftesten Mittel, um den Wert des Friedens zur Geltung zu bringen.

Die Frauen und die Erziehung zum Frieden 2. Zum Frieden erziehen heißt, Verstand und Herzen aufschließen für die Aufnahme der Werte, die von Papst Johannes XXIII. in der Enzyklika Pacem in terris als grundlegend für eine friedliche Gesellschaft genannt werden: Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit. 2 Es handelt sich dabei um einen Erziehungsplan, der das ganze Leben einbezieht und das ganze Leben lang dauert. Er macht aus der Person ein für sich und die anderen verantwortliches Wesen, das imstande ist, mit Mut und Verstand das Wohl des ganzen Menschen und aller Menschen zu fördern, wie auch Papst Paul VI. in der Enzyklika Populorum progressio 3 unterstrichen hat. Diese Heranbildung zum Frieden wird um so wirksamer sein, je mehr sich das Handeln derer als übereinstimmend erweisen wird, die in verschiedenen Funktionen erzieherische und soziale Verantwortlichkeiten teilen. Die der Erziehung gewidmete Zeit ist aufs beste investiert, weil sie über die Zukunft der Person und folglich der Familie und der gesamten Gesellschaft entscheidet.

Aus dieser Sicht möchte ich meine Botschaft zu diesem Weltfriedenstag vor allem an die Frauen richten und sie bitten, sich mit ihrem ganzen Sein und ihrem ganzen Wirken zu Erzieherinnen des Friedens zu machen: sie sollen Zeuginnen, Botschafterinnen, Lehrmeisterinnen des Friedens sein in den Beziehungen zwischen den Personen und den Generationen, in der Familie, im kulturellen, sozialen und politischen Leben der Nationen, in besonderer Weise in Konflikt- und Kriegssituationen. Mögen sie imstande sein, den Weg zum Frieden weiterzugehen, der schon vor ihnen von vielen mutigen und weitblickenden Frauen eingeschlagen worden ist!

In der Gemeinschaft der Liebe 3. Diese besonders an die Frau gerichtete Einladung, daß sie sich zur Friedenserzieherin mache, beruht auf der Überlegung, daß Gott ihr "in besonderer Weise den Menschen, das menschliche Sein, anvertraut". 4 Das ist je2

3

Vgl. ebd., 264 f. Vgl. Enzyklika Populorurn progressio (26. März 1967), 14: AAS 59 {1967), 264.

Botschaft zum Weltfriedenstag 1995

81

doch nicht in ausschließlichem Sinn zu verstehen, sondern vielmehr entsprechend der Folgerichtigkeit der in der gemeinsamen Berufung zur Liebe einander ergänzenden Rollen, die dieMännerund Frauen dazu aufruft, in Eintracht nach dem Frieden zu streben und ihn miteinander aufzubauen. Schon auf den ersten Seiten der Bibel findet ja der Plan Gottes in wunderbarer Weise Ausdruck: Er wollte, daß zwischen Mann und Frau eine Beziehung tiefer Gemeinschaft herrsche, in der vollkommenen Gegenseitigkeit von Erkennen und Hingabe. 5 In der Frau findet der Mann eine Gesprächspartnerin, mit der er auf der Ebene völliger Gleichheit reden kann. Dieses Verlangen, das von keinem anderen Lebewesen befriedigt wurde, erklärt den spontanen Ausruf der Bewunderung aus dem Munde des Mannes, als entsprechend dem eindrucksvollen biblischen Symbolismus aus seiner Rippe die Frau geformt wurde: "Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch" (Gen 2, 23). Dies ist der erste Ausruf der Liebe, der auf Erden ertönte! Auch wenn Mann und Frau füreinander geschaffen sind, heißt das nicht, daß Gott sie unvollständig geschaffen hätte. Gott "hat sie zu einer personalen Gemeinschaft geschaffen, in der die beiden Personen füreinander eine ,Hilfe' sein können, weil sie einerseits als Personen einander gleich sind (,Bein von meinem Bein ... ') und andererseits in ihrem Mannsein und Frausein einander ergänzen". 6 Gegenseitigkeit und Ergänzung sind die beiden grundlegenden Wesensmerkmale des Menschenpaares. 4. Eine lange Geschichte von Sünde und Schuld hat leider den ursprünglichen Plan Gottes für das Paar, für das "Mannsein" und das "Frausein", gestört und stört ihn weiter dadurch, daß sie seine volle Verwirklichung verhindert. Man muß zu ihm zurückkehren, indem man ihn kraftvoll verkündet, damit vor allem die Frauen, die infolge dieser mangelnden Verwirklichung am meisten gelitten haben, ihr Frausein und ihre Würde endlich in Fülle zum Ausdruck bringen können. Um die Wahrheit zu sagen, in unserer Zeit haben die Frauen bedeutende Schritte in diese Richtung vollzogen und erreicht, sich außer natürlich im Familienleben auch in wichtigen Positionen im kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben zum Ausdruck bringen zu können. Es war ein schwieriger und komplizierter Weg, nicht immer frei von Irrtümern, aber im wesentlichen ein positiver Weg, auch wenn er noch unvollendet ist 4 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem (15. August 1988), 30: AAS 80 (1988), 1725. 5 Vgl. Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 371. 6 Ebd., Nr. 372.

6 Johannes Paul

n.

Papst Johannes Paul li.

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aufgrund so vieler Hindernisse, die in verschiedenen Teilen der Welt im Wege stehen, daß die Frau in ihrer besonderen Würde anerkannt, geachtet und aufgewertet werde. 7 In der Tat kann der Aufbau des Friedens nicht von der Anerkennung und Förderung der Personwürde der Frauen absehen, die berufen sind, gerade bei der Erziehung zum Frieden eine unersetzliche Aufgabe zu erfüllen. Deshalb richte ich an alle die dringende Aufforderung, über die entscheidende Bedeutung der Rolle der Frauen in Familie und Gesellschaft nachzudenken und auf die Friedensbestrebungen zu hören, die sie mit Worten und Gebärden und in besonders dramatischen Augenblicken mit der stummen Ausdruckskraft ihres Schmerzes bekunden.

Frauen des Friedens 5. Um zum Frieden zu erziehen, muß die Frau ihn zunächst in sich selbst pflegen. Der innere Friede kommt aus dem Bewußtsein, von Gott geliebt zu werden, und vom Willen, seine Liebe zu erwidern. Die Geschichte ist reich an wunderbaren Beispielen von Frauen, die aus diesem Bewußtsein heraus in der Lage waren, schwierigen Situationen von Ausbeutung, Diskriminierung, Gewalt und Krieg erfolgreich zu begegnen. Viele Frauen gelangen jedoch insbesondere wegen der sozialen und kulturellen Bedingtheiten nicht zu einem vollen Bewußtsein ihrer Würde. Andere sind Opfer einer materialistischen und hedonistischen Gesinnung, die in ihnen lediglich ein Vergnügungsobjekt sieht und bedenkenlos durch ein niederträchtiges Geschäft, selbst in jüngstem Alter, ihre Ausbeutung organisiert. Ihnen muß eine besondere Aufmerksamkeit vor allem von seiten jener Frauen gelten, die durch Erziehung und Einfühlungsvermögen in der Lage sind, ihnen bei der Entdeckung ihres eigenen inneren Reichtums behilflich zu sein. Die Frauen sollen den Frauen helfen, wobei sie aus dem wertvollen und wirksamen Beitrag Unterstützung gewinnen, den Vereinigungen, Bewegungen und Gruppen, darunter viele aus religiöser Antriebskraft, zu diesem Zweck anbieten können, wie sie unter Beweis gestellt haben. 6. Bei der Erziehung der Kinder fällt der Mutter eine Rolle allerersten Ranges zu. Durch die besondere Beziehung, die sie vor allem in den ersten Lebensjahren an das Kind bindet, bietet sie ihm jenes Gefühl von Sicherheit und Vertrauen, ohne das es ihm schwerfiele, die eigene personale Identität richtig zu entwickeln und später positive und fruchtbare Beziehungen zu 7

Vgl. Johannes Paul 11., Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem (15. August

1988), 29: AAS 80 (1988), 1723.

Botschaft zum Weltfriedenstag 1995

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den anderen herzustellen. Diese Urbeziehung zwischen Mutter und Kind hat außerdem auf religiöser Ebene einen ganz besonderen erzieherischen Wert, weil sie, lange bevor eine formale religiöse Erziehung beginnt, eine Hinorientierung des Geistes und Herzens des Kindes auf Gott ermöglicht. Mit dieser entscheidenden und heiklen Aufgabe darf keine Mutter allein gelassen werden. Die Kinder brauchen die Anwesenheit und Sorge beider Eltern, die ihre Erziehungsaufgabe vor allem durch den von ihrem Verhalten ausgehenden Einfluß verwirklichen. Die Art und Weise, wie sich das Verhältnis zwischen den Eheleuten gestaltet, wirkt sich zutiefst auf die Psychologie des Kindes aus und beeinflußt in nicht geringem Maße die Beziehungen, die es zu seiner unmittelbaren Umgebung herstellt, wie auch jene, die es im Laufe seines Daseins knüpfen wird. Dieser ersten Erziehung kommt grundlegende Bedeutung zu. Wenn die Beziehungen zu den Eltern und zu den anderen Familienmitgliedern von einem liebevollen und positiven Verhältnis zueinander gekennzeichnet sind, lernen die Kinder aus der lebendigen Erfahrung die den Frieden fördernden Werte: die Liebe zu Wahrheit und Gerechtigkeit, den Sinn für eine verantwortungsbewußte Freiheit, die Hochschätzung und Achtung des anderen. Wenn sie in einer freundlichen und warmherzigen Umgebung aufwachsen, haben sie zugleich die Möglichkeit, die Liebe Gottes selbst wahrzunehmen, die sich ja in ihren familiären Beziehungen widerspiegelt, und das läßt sie in einem geistigen Klima heranreifen, das sie auf die Öffnung gegenüber den anderen und auf die Selbsthingabe an den Nächsten hinzulenken vermag. Die Erziehung zum Frieden dauert natürlich in jeder Periode der Entwicklung an und bedarf der besonderen Pflege in der schwierigen Phase des Jugendalters, in dem der Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter nicht ohne Gefahren für die Heranwachsenden ist, die für ihr Leben ausschlaggebende Entscheidungen zu treffen haben. 7. Angesichts der Herausforderung der Erziehung stellt sich die Familie als "die erste und grundlegende Schule sozialen Verhaltens" 8 dar, als die erste und grundlegende Schule des Friedens. Man kann sich daher unschwer die dramatischen Folgen vorstellen, denen man ausgesetzt ist, wenn die Familie von tiefgreifenden Krisen gezeichnet ist, die ihr inneres Gleichgewicht bedrohen oder sogar erschüttern und zerbrechen. Häufig sind die Frauen in dieser Lage allein gelassen. Gerade da jedoch müssen sie nicht nur von der konkreten Solidarität anderer Familien, religiöser Gemeinschaften, Freiwilligengruppen, sondern auch vom Staat und von den internationalen OrganiB Johannes Paul 11., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio (22. November 1981), 37: AAS 74 (1982), 127. 6•

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Papst Johannes Paul li.

sationen entsprechende Hilfe erhalten durch geeignete Strukturen menschlicher, sozialer und wirtschaftlicher Unterstützung, die es ihnen ermöglichen, für die Bedürfnisse der Kinder aufzukommen, ohne diese übermäßig der unerläßlichen Anwesenheit der Mutter berauben zu müssen. 8. Ein anderes ernstes Problem ist dort zu verzeichnen, wo noch immer die unerträgliche Gewohnheit der Diskriminierung von Jungen und Mädchen von den ersten Lebensjahren an herrscht. Wenn die Mädchen bereits im zartesten Alter ausgegrenzt oder als minderwertig angesehen werden, wird in ihnen das Gefühl für ihre Würde schwer verletzt und ihre harmonische Entwicklung unvermeidlich beeinträchtigt werden. Die anfängliche Diskriminierung wird sich auf ihr ganzes Dasein auswirken und eine volle Eingliederung in das soziale Leben verhindern. Wie könnte man es daher unterlassen, dem unschätzbaren Wirken so vieler Frauen wie auch vieler weiblicher Ordenskongregationen, die auf den verschiedenen Kontinenten und in jedem kulturellen Umfeld die Erziehung der Mädchen und der Frauen zum Hauptziel ihres Dienstes machen, Anerkennung und Ermutigung auszusprechen? Wie sollte man nicht gleichfalls mit dankbarem Herzen aller Frauen gedenken, die oft unter äußerst prekären Umständen im Bereich des Gesundheitswesens tätig waren und sind, und denen es nicht selten gelingt, selbst das Überleben zahlloser Mädchen sicherzustellen?

Die Frauen, Erzieherinnen zum sozialen Frieden 9. Wenn die Frauen die Möglichkeit haben, ihre Gaben voll an die ganze Gemeinschaft weiterzugeben, erfährt die Art und Weise, wie sich die Gesellschaft versteht und organisiert, eine positive Veränderung und spiegelt so die wesentliche Einheit der Menschheitsfamilie besser wider. Hier liegt die geeignetste Voraussetzung für die Konsolidierung eines echten Friedens. Jener Prozeß der wachsenden Präsenz von Frauen im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene ist daher ein heilsamer Prozeß. Die Frauen haben das volle Recht, sich aktiv in sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens einzuschalten, und ihr Recht ist dort, wo es sich als notwendig erweist, auch durch gesetzliche Mittel zu bestätigen und zu schützen. Eine solche Anerkennung der öffentlichen Rolle der Frauen darf jedoch nicht ihre unersetzliche Rolle innerhalb der Familie schmälern: hier ist ihr Beitrag zum Wohl und zum sozialen Fortschritt, obwohl kaum beachtet, von

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wirklich unschätzbarem Wert. In diesem Zusammenhang werde ich nie müde werden zu fordern, daß entschlossene Schritte in Richtung der Anerkennung und Förderung dieser so wichtigen Realität unternommen werden. 10. Mit Betroffenheit und Besorgnis erleben wir heute das dramatische Anwachsen jeglicher Art von Gewalt: nicht nur einzelne Menschen, sondern ganze Gruppen scheinen jedes Gefühl der Achtung gegenüber dem menschlichen Leben verloren zu haben. Die Frauen und sogar die Kinder gehören leider zu den häufigsten Opfern solch blinder Gewalt. Es handelt sich um abscheuliche Formen von Barbarei, die das menschliche Gewissen zutiefst anwidern. An uns alle ergeht der dringende Aufruf, alles nur Mögliche zu tun, um von der Gesellschaft nicht nur die Tragödie des Krieges, sondern auch jede Verletzung der Menschenrechte fernzuhalten, angefangen beim unbestreitbaren Recht auf das Leben, dessen Verwahrerin die Person vom Augenblick der Empfängnis an ist. In der Verletzung des Rechts auf Leben des einzelnen Menschenwesens ist im Keim auch die extreme Gewalt des Krieges enthalten. Ich bitte daher alle Frauen, immer für das Leben Partei zu ergreifen; und zugleich bitte ich alle, den Frauen, die leiden, und im besonderen den Kindern zu helfen, vor allem jenen, die von dem schmerzlichen Trauma erschütternder Kriegserlebnisse gezeichnet sind: nur die liebevolle und zuvorkommende Aufmerksamkeit wird bewirken können, daß sie wieder mit Vertrauen und Hoffnung in die Zukunft blicken. 11. Als mein geliebter Vorgänger Papst Johannes XXIII. in der Beteiligung der Frauen am öffentlichen Leben eines der Zeichen unserer Zeit erkannte, versäumte er es nicht zu verkünden, daß sie im Bewußtsein ihrer Würde es nicht mehr länger dulden würden, als ein Werkzeug behandelt zu werden. 9 Die Frauen haben das Recht zu verlangen, daß ihre Würde geachtet werde. Gleichzeitig haben sie die Pflicht, sich für die Förderung der Würde aller Personen, Männer wie Frauen, einzusetzen. Aus dieser Sicht wünsche ich, daß die zahlreichen für 1995 vorgesehenen internationalen Initiativen - einige von ihnen werden in besonderer Weise der Frau gewidmet sein, wie die von den Vereinten Nationen in Peking geplante Konferenz über das Thema des Wirkens für die Gleichheit, die Entwicklung und den Frieden - eine bedeutende Gelegenheit darstellen mögen, um die zwischenmenschlichen und sozialen Beziehungen im Zeichen des Friedens zu humanisieren. 9

Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963), 19: AAS 55 (1963),

267-268

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Papst Johannes Paul li.

Maria, Vorbild des Friedens 12. Maria, die Königin des Friedens, ist mit ihrer Mütterlichkeit, mit dem Beispiel ihrer Verfügbarkeit für die Nöte der anderen, mit dem Zeugnis ihres Schmerzes den Frauen unserer Zeit nahe. Sie hat mit tiefem Verantwortungsgefühl den Plan gelebt, den Gott in ihr zur Rettung der ganzen Menschheit verwirklichen wollte. Im Bewusstsein des Wunders, das Gott in ihr gewirkt hat, als Er sie zur Mutter seines menschgewordenen Sohnes machte, war es ihr erster Gedanke, ihre betagte Base Elisabeth zu besuchen und ihr ihre Dienste anzubieten. Die Begegnung bot ihr die Gelegenheit, mit dem wunderbaren Gesang des Magnifikat (Lk l, 46- 55) Gott ihre Dankbarkeit auszudrücken, der mit ihr und durch sie den Anstoß zu einerneuen Schöpfung, einer neuen Geschichte gegeben hatte. Ich bitte die selige Jungfrau Maria, den Männern und Frauen beizustehen, die sich durch ihren Dienst am Leben für den Aufbau des Friedens einsetzen. Mögen sie mit ihrer Hilfe allen, vor allem jenen, die in der Finsternis und im Leiden lebend, nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, die liebende Gegenwart des Gottes des Friedens bezeugen können! Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1994. JOANNES PAULUS II

DIE FRAU: ERZIEHERIN ZUM FRIEDEN Chiara Lubich Mit großer Dankbarkeit und neuem Verantwortungsbewußtsein haben wir den Aufruf des Papstes an die Frau aufgenommen, angesichtsdes ständigen Vordringens von Gewalt, Kriegen, Ungerechtigkeiten, die auf dem Leben ganzer Erdteile lasten, "Zeugin, Botschafterin, Lehrmeisterin des Friedens in den Beziehungen zwischen den Personen und den Generationen, in der Familie, im kulturellen, sozialen und politischen Leben der Nationen, in besonderer Weise in Konflikt- und Kriegssituationen zu sein". Ein neues Zeichen des brennenden Wunsches des Papstes nach Frieden in der Welt, ein neues Zeichen des brennenden Wunsches, der Frau "die entscheidende Bedeutung" ihrer Rolle, die er "unersetzlich" für die Zukunft des Friedens der Welt nennt, zuzuerkennen1 .

I. Ein Strom der Liebe für die Zivilisation des dritten Jahrtausends Angesichts dieser Zeit des epochalen Überganges spricht der Papst von einer "Welt in Bewegung". Er merkt an: "Die Menschheit steht gleichsam vor einer Weggabelung." Und er fragt sich: "Welche Zivilisation wird sich in Zukunft auf dem Planeten durchsetzen? Es hängt von uns ab, ob es die Zivilisation der Liebe oder die Unzivilisation der zum System erhobenen Egoismen sein wird." Nie wie heute verlangt die Menschheit danach, eine Zivilisation im Zeichen der Liebe zu erfahren. Aber damit dies im neuen Jahrtausend Wirklichkeit werde, muss man einen Strom der Liebe in die Welt hereinbrechen lassen, der sie überflutet. Die Liebe muß immer mehr zur "Gewohnheit" werden. Ohne sie bleibt alles auf der Ebene eines Traumes und ist schon vom Ende gezeichnet. Die Liebe ist das Leben der Welt. 1 Johannes Paul II., Zur Feier des Weltfriedenstagesam 01.01. 1995, Die Frau: Erzieherin zum Frieden, Nr. 4.

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Chiara Lubich

Die Schule der Liebe, die Schule des Evangeliums, ist die wirksamste Friedenserziehung. Hier ist besonders die Frau berufen, " Botschafterin, Zeugin und Lehrmeisterin" zu sein. Das Erdreich für ihr erstes Wurzelfassen findet die Liebe nach dem ewigen Plan Gottes gerade in der Frau. 2 Diese Würde ist es, die die Frau wiedererlangen muss. Sie zu fördern und anzuerkennen, ist für den Papst "unabdingbar" 3 . Gewiß, "haben in unserer Zeit die Frauen bedeutende Schritte auf dem Weg zur Erlangung ihrer Würde vollzogen." "Die Geschichte", so der Papst weiter, "ist reich an wunderbaren Beispielen von Frauen, die aus diesem Bewusstsein heraus in der Lage waren, schwierigen Situationen von Ausbeutung, Diskriminierung, Gewalt und Krieg erfolgreich zu begegnen" 4 • Nennen wir nur einige Namen: Katharina von Siena, Rita von Cascia, Birgitta von Schweden, Jeanne D'Arc, Edith Stein. "Viele Frauen gelangen jedoch, insbesondere wegen der sozialen und kulturellen Bedingtheiten nicht zu einem vollen Bewusstsein ihrer Würde". Häufig "sind sie Opfer einer materialistischen und hedonistischen Gesinnung". "Ihnen muss eine besondere Aufmerksamkeit gelten", damit sie ihren "eigenen inneren Reichtum" "entdecken. Der Papst verlangt dies gerade von den Frauen und macht den Vorschlag, "aus dem wertvollen und wirksamen Beitrag Unterstützung zu gewinnen, den Vereinigungen, Bewegungen und Gruppen ... zu diesem Zweck anbieten können, wie sie unter Beweis gesteHt haben" 5 .

ll. Eine Antwort auf die Herausforderungen des ausgehenden Jahrtausends Beim Anbruch des neuen Jahrtausends erweckt der Geist Gottes selbst, wie es sich im Laufe der Menschheitsgeschichte stets ereignete, die Antwort auf die Herausforderungen der Zeit6 , indem er neue Horizonte öffnet durch viele Charismen, die kirchlichen Bewegungen und Gemeinschaften das Leben gegeben und neue Wege in der Kirche und Menschheit geöffnet haben,

2 3

MULIERIS DIGNITATEM; 15. 08. 1988, Nr. 29.

Johannes Paul 11., Die Frau: Erzieherin zum Frieden, Nr. 4.

lbidem, Nr. 5. Idbiem, Nr. 5. 6 Vgl. Johannes Paul 11., Pfingstvigil mit den kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften, in: Oss. Rom, 1-2. 6. 1998, p. 6-7. 4

5

Die Frau: Erzieherin zum Frieden

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"Gaben des Geistes an unsere Zeit und Grund zur Hoffnung für die Kirche und für die Menschen" 7 • Die Wiederentdeckung der Liebe - Der zündende Funke dieser neuen Charismen ist eine neue "Offenbarung" der Liebe, eine neue "Offenbarung" Gottes, der als Liebe wiederentdeckt wird.

Das kann ich bezeugen. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe junger Frauen, war ich wie ein Pinsel in der Hand des Künstlers für einen Plan des Friedens und der Einheit. Ein Plan, der gerade in der dunkelsten Stunde Europas Gestalt annimmt, während des Zweiten Weltkrieges. Ich erinnere mich als wäre es heute. 1943: Ich war etwas über 20 Jahre alt, als in Trient die Bombenangriffe wüteten. Stark und klar die Lektion des Krieges: Alles bricht zusammen. Nur Gott bleibt. Gott, den ich gerade inmitten von Hass und Gewalt als "Liebe" entdecke. Von diesem Moment an bemerke ich Gott überall gegenwärtig mit seiner Liebe: in meinen Tagen, in meinen Nächten, in meinen Vorsätzen, in den freudigen, tragischen und schwierigen Ereignissen. Er ist immer da. Er ist überall und erklärt mir, dass alles Liebe ist: Was ich bin und was mit mir geschieht; was wir sind und was uns betrifft; ich bin seine Tochter und Er ist mir Vater; nichts entgeht seiner Liebe, die mich, die Kirche, die Welt, das All umfängt. Er erhält mich und öffnet mir die Augen auf alles und alle hin. Sein zartes Licht drang in die Seele ein und erleuchtete sie. Ich teile die Neuigkeit so vielen wie möglich mit. Meiner Mutter, meinem Vater, meinen Schwestern, meinem Bruder, den Freundinnen. Einige Mädchen teilen sie sofort mit mir. Gott ist Liebe. Alles in unserem Leben ändert sich. In den Entbehrungen aufgrund des Krieges, auch unter den Bombenangriffen, auch dem Tod nahe haben wir frohe Gesichter, ein Lächeln. Es ist unser Wunsch, falls wir im Krieg sterben sollten, in einem einzigen Grab begraben zu werden mit der Aufschrift als unseren Namen: "Und wir haben an die Liebe geglaubt"8 • Unwiderstehlich kommt die Antwort. Die Würde, zu der uns Gott erhoben hatte, scheint uns so erhaben und so hoch, und die Möglichkeit, ihn lieben zu können so unverdient, dass wir sagten: "Es ist nicht so sehr, dass man sa7

Johannes Paul II., Insegnamenti, VII/2, p. 696.

s Vgl. Joh 4,16.

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Chiara Lubich

gen müßte: , Wir müssen Gott lieben', sondern: , Oh, Dich lieben zu können, Herr, Dich lieben zu können mit diesem kleinen Herzen!"' Stark wird der Ruf, "Liebe zu sein", zu leuchten wie "kleine Sonnen neben der Sonne", um Töchter dessen zu sein, der die Liebe ist. Christus ähnlich, ... Maria ähnlich. Gerade in der Begegnung mit Gott, der Liebe ist, erfahren Hunderttausende von Frauen der verschiedensten Kulturen jene Kraft, die imstande ist, sie zu befreien von jener "langen Geschichte von Sünde und Schuld, die den ursprünglichen Plan Gottes mit der fundamentalen Beziehung zwischen Mann und Frau gestört hat und weiter stört und dadurch die volle Verwirklichung verhindert" 9 • Jene Geschichte von Sünde und Schuld, die sich schwerwiegender für die Frau erweist, gerade weil das Beherrschen seitens des Mannes dazukommt, wie es in der Genesis heißt: "Er wird über dich herrschen" 10 . Eine Befreiung, die auch die Frauen erlebt haben, die erniedrigendste Gewalttätigkeiten erlitten haben, wie es während der ethnischen Säuberung im Bosnienkonflikt geschehen ist. Als sie diese LIEBE erfahren haben, durch Familien, die sie einzeln aufgesucht haben, als sie von allen verstoßen waren, die ihnen Wohnung und Arbeit anboten, hat eine von ihnen nach einigen Monaten sagen können: "Ihr habt den Hass aus meinem Herzen fortgenommen und mir den Frieden wieder gegeben."

m. Ein neuer Frauentyp, nach dem Vorbild von Maria In dieser Zeit formt der Heilige Geist nach dem Vorbild von Maria einen neuen Frauentyp für das künftige Jahrtausend: die Erfahrung Gottes, der Liebe ist, offenbart ihr sich selbst und der Welt, dass sie Trägerin des größten Charismas, des Charismas der Liebe ist. Sie entdeckt sich als von Gott geschaffen, wie Maria, als ein Kelch, der fähig ist, in ganz spezieller Weise jene Liebe, die Gott selbst ist, aufzunehmen und der Welt weiterzugeben11.

Darin besteht der Auftrag der Mutterschaft, die die physische Mutterschaft einschließt aber auch übersteigt, um zur geistlichen Mutterschaft zu gelangen. Sie ist als die erste Ausdrucksform des neuen Feminismus für das Johannes Paul II., Die Frau: Erzieherin zum Frieden, Nr. 4. to Gen 3,16. MULIERIS DIGNITATEM, Nr. 10. 11 Vgl. 1 Kor 13,13.

9

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neue Jahrtausend anerkannt worden12 • Eine Mutterschaft, die zutiefst zur Berufung der Frau dazugehört Zur Frau, die bereit ist, wie Maria zu leben. Mehrmals spricht der Papst von dem innigen Band zwischen Maria und der Frau. In dem Hymnus an die Frau, den "Mulieris Dignitatem" darstellt, anerkennt er in "Maria das ,neue Prinzip' der Würde und Berufung der Frau" 13 • In einer Generalaudienz spricht der Papst von der mütterlichen von Maria empfangenen Aufgabe "auf höchster Ebene", als "Mutter Jesu Christi, und daher als Theotokos, die Mutter Gottes"; er spricht von einer "Mutterschaft, die sich auf alle Menschen ausdehnt". Weiters bekräftigt er: "Dasselbe kann man von der Aufgabe der Mutterschaft vieler Frauen sagen. Sie sind von Christus in das wunderbare Licht Marias hineingestellt, das am Höhepunkt der Kirche und des Geschaffenen erstrahlt" 14 • Und in "Mulieris Dignitatem" spricht er an der Stelle der Annäherung Eva-Maria, von der Frau als dem "Urbild der Vereinigung mit Gott" 15 , der Heiligkeit, des "Prophetenturns durch das besondere Band zwischen Maria und dem Heiligen Geist". Er bekräftigt, dass in ihr "die erste Wurzel der Liebe, das größte der Charismen" liegt. Er definiert die Frau als "Stütze und Quelle geistlicher Kraft für die anderen". "In unserer Zeit des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts" erinnert der Papstangesichts der Gefahr des "graduellen Verschwindens der Sensibilität des Menschen für alles, was wesentlich menschlich ist", die Frau an ihre große Aufgabe: "Gott vertraut ihr in besonderer Weise den Menschen an." "Unsere Tage", schreibt er, "warten auf das Offenbarwerden jenes Genius der Frau, der die Sensibilität für den Menschen in jeder Lebenslage sicherstellt" 16 • Die Frau kann daher mit Maria singen: " ,Der Mächtige hat Großes an mir getan.' Das ist die Entdeckung des ganzen Reichtums, der ganzen personalen Möglichkeiten des Frauseins, der ganzen von Ewigkeit her gegebenen Eigenart der Frau, so wie Gott sie gewollt hat. " 17 An der Frau liegt es, ihrer hohen Berufung entsprechend zu leben: Wie Maria, Gott heute in die Welt zu tragen.

12 L. Salle, Internationaler Kongress "Ein neuer Feminismus für ein neues Jahrtausend", Päpstliches Ateneo Regina Apostolorum, Rom, Sffi, 19. 05. 2000. 13 MULIERIS DIGNITATEM, Nr. 11. 14 Johannes Paul II., Generalaudienz, 26. 07. 1994, in: Oss. Rom. 27. 07. 94, p. 4 .. 15 MULIERIS DIGNITATEM, Nr. 4. 16 lbidem, Nr. 30. 17 lbidem, Nr. 11.

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Chiara Lubich

Nach Ihm hungert der Mensch von heute mehr denn je, gerade weil der offene Kampf gegen Gott, der im 20. Jahrhundert einen Höhepunkt erreichte, den Menschen des vitalen und lebensspendenden Elementes beraubt hat. In diesem Jahrhundert wurde ja die Meinung vertreten wie nie zuvor, ohne Gott zu leben. "Wir können feststellen", so der Papst, "dass der Mensch, wenn er Gott auf die Seite schiebt, nicht zum Glück gelangen kann, ja letzten Endes sich selbst zerstört." "Es kommen einem die Schrecken des Ersten und Zweiten Weltkriegs und vieler anderer Kriege in so vielen Teilen der Welt in den Sinn, die Konzentrations- und Vernichtungslager, die Gulags, die ethnischen Säuberungen und Verfolgungen, der Terrorismus, die Entführung von Menschen, die Drogen, die Angriffe gegen die Ungeborenen und die Familie" 18 . Dieses Fehlen Gottes wandelt sich nun in eine Erwartung der neuen Zeit, die bereits begonnen hat, in der Gott wieder Mode zu werden scheint. Diese "erzwungene" Dürre lässt hoffen. Schon sieht man die ersten Keime jenes neuen Frühlings, den Pius XII. vorhersah, als er in die Zukunft blickte. Die Enthüllung des dritten Geheimnisses von Fatima hat Eindruck gemacht. Maria hat sich als in der Geschichte des letzten Jahrhunderts gegenwärtig erwiesen wie nie zuvor und die Menschen zu Gott zurückgerufen. Die tätige Gegenwart Marias ist auf vielerlei Weise arn Werk, auch in den neuen charismatischen Ausdrucksforrnen, wie immer im Laufe der Geschichte, gerade weil Maria voll von allen Charismen des Heiligen Geistes ist. Und gerade einer Welt gegenüber, wie der derzeitigen, "die von einer säkularisierten Kultur beherrscht wird und Lebensmodelle ohne Gott fördert und dafür wirbt", sieht der Papst in den Charismen der kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften "die Antwort auf die Herausforderungen des ausgehenden Jahrtausends" 19 . In den neuen Spiritualitäten sieht man "Maria gern als das neue Geschöpf, als diejenige, die ganz mit dem Wort Gottes bekleidet und vom Heiligen Geist beseelt ist; als die neue Frau schlechthin, Vorbild im Besonderen für jede Frau. Man sieht sie offen für und interessiert an den großen Problernen der Menschheit und fähig, in die Geschichte einzugreifen. Man will sie nachleben, damit auch in diesem Jahrhundert die Kirche in ihrem Herzen ihre Gegenwart habe" 20 •

7.

18

Johannes Paul 11., Predigt in Fatima, 13. 05. 2000, in Oss. Rom. 14. 05.2000, p. 6-

19 Johannes Paul 11., Ffingstvigil mit den kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften, in: Oss. Rom., p. 6-7.

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Dieser neue Frauentyp, nach dem Vorbild Marias gebildet, ist heute schon überall vertreten: in den Familien, an den Arbeitsstellen, in den Schulen, in den Parlamenten, Theatern, Krankenhäusern, in kirchlichen Strukturen. Dank dieser Gegenwart "ist die Zeit gekommen" -wie Igino Giordani schrieb, nachdem ich ihn im Parlament getroffen und ihm erzählt hatte, was in Trient geschehen war -, "in der sich die Tore öffnen, die die Welt der Laien vom mystischen Leben trennten. Die Schätze einer Burg, zu denen nur einige wenige Zutritt hatten, werden öffentlich zugänglich. Gott rückt nahe: Ich spüre ihn als Vater, Bruder, Freund, der Menschheit nahe ... " 21 . Und Er ist der Friede schlechthin. Er ist es, der auf die Menschen Einfluss nehmen und jenes neue Bewusstsein von menschlicher Würde wecken kann, das der Papst als "den Schlüssel zur Lösung der die Förderung des Friedens betreffenden Probleme" 22 bezeichnet. Er ist es, der "Verstand und Herz aufschließt für die Aufnahme der Werte: Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit, die für eine friedliche Gesellschaft grundlegend sind" 23 .

IV. Zum ursprünglichen Plan der "Einheit Mann-Frau" zurückkehren, um gemeinsam den Frieden aufzubauen

Dieser Strom der Liebe, der vom Geist in letzter Zeit hervorgerufen wurde, hat die Kraft, jeden Bruch, jede Trennung, jedes Trauma zu heilen, in erster Linie in der Beziehung Mann-Frau, und den ursprünglichen Entwurf der "Einheit der zwei" wiederherzustellen. Das geschieht nur, wenn durch die Erfahrung der Begegnung mit Gott, der die Liebe ist, auch der Mann sich selbst erkennt und seine Berufung gemäß dem ursprünglichen Plan Gottes entdeckt, der "wollte, dass zwischen Mann und Frau eine Beziehung tiefer Gemeinschaft herrsche, in der vollkommenen Gegenseitigkeit von Erkennen und Hingabe" 24 • In dieser Gerneinschaft zwischen dem Mann und der Frau, in der Gegenseitigkeit der Liebe, kann sich eine echte und kreative Gleichheit verwirklichen, welche die Originalität eines jeden am besten hervortreten lässt. So 20 Vgl. C. Lv.bich zur Generalversammlung der Bischofssynode 1987, in: L. M. Salierno, Maria negli scritti di Chiara Lubich, Rom 1993, p. 246. 21 I. Giordani, Memorie di un cristiano ingenuo, Rom, 1994, p. 149. 22 Johannes Pav.l 11., Die Frau: Erzieherin zum Frieden, Nr. 1. 23 Ibidem, N~2. 24 Ibidem, Nr. 3.

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beginnt der Mann zu verstehen, dass er heute berufen ist, wenn er sich selbst finden will, in diese neue und ganzheitliche Art von Dialog mit der Frau einzutreten, so wie es "im Anfang" war. "In der Frau findet der Mann eine Gesprächspartnerin, mit der er auf der Ebene völliger Gleichheit reden kann, ... was in ihm den ersten und spontanen Ausruf der Bewunderung auslöst" 25 • Der Mann öffnet sich dann für diesen Dialog in der Achtung der Würde der Frau, in völliger Verfügbarkeit, indem er die eigene Auffassung über die Frau und über die Wirklichkeit im allgemeinen (Familie, Kultur, Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Religion) in Frage stellt, zu der er in der Vergangenheit mit anderen Männern gelangt ist, nicht jedoch in der vollen Gemeinschaft mit der Frau im Reichtum ihres ,weiblichen Genius'. Die Frau wiederum begreift, dass sie sich nur in diesem Dialog mit dem Mann finden kann. Und durch diesen Dialog kann sich der Plan Gottes verwirklichen, gemäß dem der Mann die Möglichkeit hat, nicht nur die eigenen Besonderheiten zum Ausdruck zu bringen und zu verwirklichen, sondern auch jene der Frau und umgekehrt. Die Zivilisation der Liebe ist schon eine Wirklichkeit, wenn der Mann und die Frau diese Gemeinschaft leben wollen, indem sie vor allem untereinander das Gebet Jesu "Alle sollen eins sein" in die Tat umsetzen. Dann erblüht jene neue in Jesus verwirklichte Schöpfung, die sich in einer kreativen Fruchtbarkeit im kulturellen, sozialen, politischen, wirtschaftlichen und geistlichen Bereich ausdrückt26 •

V. Ein Charisma der Einheit für den Frieden in der Welt

An der Schwelle des neuen Jahrtausends können wir bekräftigen, dass die Welt nach Einheit strebt. Viele Anzeichen gibt es dafür. Darüber spricht

Msgr. Van Thuan bei den Exerzitien für die römische Kurie und den Papst. "Die nach dem Zweiten Weltkrieg als Versuch planetarischen Miteinanders entstandenen internationalen Organisationen, Wissenschaft und Technik, der kulturelle und wirtschaftliche Austausch, die Erleichterungen im Reiseverkehr, sportliche Großveranstaltungen, die Medien bis zur heutigen Explosion des Internets: Alles Tatsachen, die die Völker einander näher rücken

Ibidem, Nr. 3. Vgl. C. Lubich, Christus als Quelle einer neuen Kultur für Europa an der Schwelle des neuen Jahrtausends, beim Symposium des Päpstlichen Rates für die Laien mit dem Titel: Uomo e donna nella citta, 30. 12. 1998 (unveröffentlicht). 25 26

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lassen und die Begegnung zwischen Einzelnen und Kulturen fördern. Die Welt von heute scheint mit ihren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen tatsächlich in eine organische und tiefgreifende gegenseitige Abhängigkeit eingebunden zu sein. Doch dieses Streben nach Einheit, das man "Globalisierung" nennt, ist einzig von riesigen Interessen geleitet. Es ist so, als würde sich aus der Menschheit ein Verlangen erheben, gleichsam ein Aufschrei nach einer Globalisierung anderer Art, die nicht von der Logik des Profits geleitet wird, was neue und schwerere Konflikte hervorruft, sondern vom Gesetz der Liebe. Gewiß ist es der Heilige Geist, der diese Sehnsucht ins Herz der Männer und Frauen von heute gelegt hat; und er ist es auch, der die Kirche drängt, Gemeinschaft zu werden, so dass sie auf diese Herausforderung der Menschheit zu antworten weiß. Der Papst spricht von der Dringlichkeit einer neuen Verkündigung des Evangeliums, die begleitet werden muss von einer robusten Spiritualität der Gemeinschaft"27. Und gerade eine Spiritualität der Gemeinschaft hat der Geist in unserer Zeit erweckt. Er konnte dies nicht anders tun als durch eine Mutter: Maria.

Eines Tages -in den fünfziger Jahren - betrat ich eine Kirche und voll Vertrauen wandte ich mich an Jesus: "Oberall auf Erden bist du in der heiligen Eucharistie gegenwärtig geblieben. Warum hast du, allmächtiger Gott, keinen Weg gefunden, uns auch Maria zu lassen, unser aller Mutter auf dieser Pilgerschaft?" In der Stille glaubte ich seine Antwort zu vernehmen: "Ich habe sie euch nicht gelassen, weil ich sie in dir aufs neue sehen möchte. Ihr seid zwar nicht unbefleckt, aber meine Liebe wird euch rein und jungfräulich machen. Du, ihr alle werdet mit der Liebe einer Mutter eure Arme und Herzen für die Menschheit öffnen. Heute wie damals sehnen sich die Menschen nach Gott und nach seiner Mutter. Jetzt kommt es euch zu, die Schmerzen zu lindern, Wunden zu heilen und Tränen zu trocknen. "28 Und durch Maria, die ganz Wort Gottes geworden ist, ganz gelebtes Wort, haben wir die Worte über die Liebe mit einem neuen Licht entdeckt und ins Leben umgesetzt, indem wir uns daran machten, ein Projekt zu verwirklichen, das sich ständig weiter entfaltet und heute in einer planetarischen Umarmung Männer und Frauen, Menschen jeden Alters und jeder Kategorie einbezieht. Wir glauben sagen zu können, dass Maria der Architekt dieses Werkes war, eines Werkes, das die Kirche als ihr Werk anerkannt hat, als Werk Ma27 Msgr. N. VAN THUAN, Vivere la communione, in Testimoni della speranza, Rom 2000, p. 199. 28 C. Lubich, Meditazioni, in Scritti Spirituali/ 1, Rom 1997, p. 58.

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riens; und das entstanden ist, um in unsere Zeit die Liebe, die Einheit und den Frieden zu bringen. Sein Ziel ist die Einheit zwischen den Einzelnen, zwischen Gruppen und Völkern; und es träumt von der geeinten Welt. Es fördert und baut den Frieden auf in der Menschheit, im Volk, unter Menschen, die aufgrundvon Sprache, Rasse, Nationalität und Glauben verschieden sind. Das Band der Einheit, Ursache des Friedens, ist ja gerade die Liebe, die Liebe am Grund eines jeden menschlichen Herzens. Diese Liebe bedeutet für diejenigen, die Christus folgen, die Agape, also Teilnahme an jener Liebe, die Gott selbst ist: eine starke Liebe, eine Liebe, die fähig ist, auch die zu lieben, die sie nicht erwidern, sondern die angreifen, wie die Feinde; eine Liebe, die fähig ist zu verzeihen. Wer anderen religiösen Bekenntnissen folgt, für den ist es eine Liebe, die sich Wohlwollen nennen kann und von jener "Goldenen Regel" ausgedrückt wird, die viele Religionen bereichert: "'Th. den anderen, was du willst, dass man dir tue. 'Th. den anderen das nicht, was du nicht willst, dass man dir tue." Eine Liebe, die für Menschen ohne einen religiösen Glauben Menschenfreundlichkeit, Solidarität und Gewaltlosigkeit heißen kann. Liebe also, menschlich-göttliche Liebe, die Männer und Frauen, Kinder und Ältere, Menschen jeder sozialen Schicht verbindet, indem sie sie zu einem Herzen werden lässt. Es ist ein neuer Lebensstil, den sich Millionen von Menschen zu eigen gemacht haben, der in diese Welt, die es nötig hat, den Frieden wiederzufinden oder zu festigen, eben den Frieden gebracht hat und die Einheit. Es handelt sich um eine neue Spiritualität, um eine aktuelle und moderne: die Spiritualität der Einheit, eine ganz ausdrücklich gemeinschaftliche. Sie wurzelt in einigen im Evangelium enthaltenen Worten, die sich miteinander verknüpfen, und von der Wiederentdeckung Gottes, der Liebe ist, der Vater ist, ausgehen. Denn wie könnte man an Friede und Einheit der Welt denken ohne die Vision der ganzen Menschheit als einer einzigen Familie? Und wie könnte man sie ohne die Anwesenheit eines Vaters aller sehen? Diese Neuentdeckung öffnet das Herz für Gott Vater, der seine Kinder gewiss nicht ihrem Schicksal überlässt, sondern sie begleiten, behüten, ihnen

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helfen will; der ihnen nicht zu schwere Lasten auf die Schultern legt, sondern der erste ist, der sie trägt. Ein Vater, der uns im Innersten kennt, der jedem von uns im Besonderen folgt und sogar die Haare unseres Kopfes zählt ... 29 . Er überlässt die Erneuerung der Gesellschaft nicht nur der Initiative der Menschen, sondern nimmt sich selbst ihrer an. Aufgrund dieses neuen Glaubens an Gott, der die Liebe ist, kann man nicht anders, als unter den tausend Möglichkeiten, die einem das Dasein anbietet, Thn zu wählen als Ideal des Lebens. Die Gegenwart und liebende Sorge eines Vaters ruft jeden dazu auf, ihm Sohn oder Tochter zu sein, seinerseits den Vater zu lieben, Tag für Tag jenen speziellen Plan der Liebe auszuführen, den der Vater für jeden Einzelnen hat, also seinen Willen zu tun. Und man weiß, dass der erste Wille eines Vaters der ist, dass sich die Kinder als Geschwister behandeln, einander gern haben, einander lieben.

Die Kunst zu lieben - In der Schule Marias haben wir "die Kunst zu lieben" gelernt, die im Evangelium wurzelt. Eine universale Kunst, die von den Kindern bis zu Menschen verschiedenen Glaubens gelebt werden kann. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das der erste unverzichtbare Schritt ist, den wir tun können, um diese friedliche, aber so einschneidende und radikale Revolution auszubreiten, die jedes und alles verändert. Es ist das Geheimnis jener Revolution der Liebe, die es den ersten Christen ermöglicht hat, die damals bekannte Welt einzunehmen. Es geht um eine anspruchsvolle Kunst, mit hohen Anforderungen. Sie verlangt, daß man alle liebt, alle, alle. Man darf nicht wählen zwischen dem Sympathischen und dem Unsympathischen, dem Schönen und Hässlichen, dem Inländer und dem Ausländer, dem Weißen, Schwarzen oder Gelben, dem Bosnier oder Albaner, Türken oder Deutschen, Afrikaner oder Asiaten. Die Liebe kennt "keine Form von Diskriminierung". Für einen Christen gilt es darüber hinaus, alle zu lieben, weil hinter jedem Christus ist, den man liebt. Er selbst wird eines Tages sagen: "Das hast du mir getan" 30 • Die Kunst des Liebens erfordert, dass man als erste liebt, indem man immer die Initiative ergreift, ohne zu warten, dass der andere uns liebt. Das Evangelium verlangt, dass man auch den Feind liebt. Der Friede erfordert in erster Linie, die Kategorie des Feindes, jedes Feindes zu überwinden. 29

Vgl. Lk 12,7.

ao Vgl. Mt 25, 40. 7 Johannes Paul ll.

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Beeindruckend ist das Zeugnis von Maria Goretti von Ruanda. Ihre ganze Familie ist in den furchtbaren Massakern von Seiten der anderen ethnischen Volksgruppe vernichtet worden. Die einzige Oberlebende ist eine Schwester. Maria arbeitet als Rotkreuzschwester in einem Flüchtlingslager. Sie ist die Verantwortliche. Unter den Flüchtlingen könnten die sein, die die Ihren umgebracht haben. Die Versuchung zur Rache liegt auf der Hand. "In mir", erzählt sie, "war immer der Satz aus dem Evangelium, den ich mir wiederholte: ,Liebt eure Feinde.' Je mehr mich alle Gedanken quälten, umso mehr betete ich, um Gott um Hilfe zu bitten. Und bald ist es mir gelungen, frei zu werden. Ich bin auf sie zugegangen, vor allem, um ihnen zu helfen in all dem, was sie brauchten: Decken, Essen, Unterkunft. So habe ich das Wunderbare der Liebe entdeckt, das Wunderbare des Verzeihens. Die Barrieren des Hasses und Misstrauens sind zusammengebrochen, auch auf der anderen Seite." Das ist eine Erfahrung, die sich in der Bewegung wiederholt- wir sind in allen Kontinenten - ... daher gibt es viele Rassen, Sprachen, Kulturen und Mentalitäten! Der Ausgangspunkt ist vielleicht ein Pakt gewesen, den wir in der ersten Zeit der Bewegung geschlossen haben. Einen Pakt des Verzeihens. Wir waren voller Fehler, die auf unseren Beziehungen lasteten. Wir haben gesagt: "Hier muß man reinen Tisch machen. Wir müssen einen Pakt der Barmherzigkeit, des Verzeihens schliessen. Wir müssen einander am nächsten Tag ganz neu sehen, so als ob wir uns zum ersten Mal begegneten." Wenn es dieses tägliche Verzeihen nicht gegeben hätte, diese totale Amnestie unseres Herzens, den ganzen Tag über, in der Familie, in der Schule, in der Arbeit, überall, dann wäre diese Revolution der Liebe nicht einmal wenige Kilometer weit gekommen, nicht einmal von Trient bis Rovereto. Den Feind lieben, genügt nicht .. Man muß jeden lieben wie sich selbst. Auch Gandhi sagte: "Du und ich, wir sind eine einzige Sache. Ich kann dir nicht wehtun, ohne mich selbst zu verletzen'131 . Nicht nur in der Beziehung zwischen Einzelnen, sondern auch zwischen den Völkern. In dieser Ära der Globalisierung ist es an der Zeit, dass jedes Volk über die eigenen Grenzen hinausgeht und den Blick weitet: Es geht darum, Voraussetzungen zu schaffen, damit jedes Volk soweit kommt, die Heimat des anderen zu lieben wie die eigene, in einem gegenseitigen und uneigennützigen Austausch von Gaben.

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W: Mühs, Parole del Cuore, Milane 1996, p. 82.

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Dann kann die Begegnung von verschiedenen Ländern, Religionen, Kulturen, die häufig Ursache von Konflikten ist, zu einem Fest werden.

So war es während meiner Reise im April1999, als Serbien von der NATO bombardiert wurde. In Zagreb waren bei jener Begegnung über 1800 Menschen. Viele sprachen von "einem bis vor einem Jahr unverhofften Traum". In den Augen Glück und Bewegtheit, Freude, etwas Heiliges. Die Inschrift auf dem großen Jutetuch im Hintergrund der Bühne erschien wirklich nicht utopisch: "Viele Völker, ein einziges Volk." Im Parterre des Sportpalastes und auf den Tribünen: Kroaten, Serben und Slowenen, Muslime aus Sarajewo, viele Orthodoxe aus Rumänien, Bulgarien und Mazedonien, Evangelische, Reformierte, Menschen verschiedener Weltanschauungen. Von der Einheit versöhnte Verschiedenheiten, während anderswo offener Krieg tobte oder unterdrückter Hass herrschte. Ein Fest mit Liedern, Tänzen und Trachten, die die Seele dieser Völker ausdrücken. Ein Brief von Kardinal Miloslav Vlk, dem Präsidenten des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen, übermittelte dieser Versammlung seinen Segen, "die es gewiss nicht verabsäumt haben wird, ganz besondere Gnaden zu verbreiten, indem sie durch das Charisma Marias die Verschiedenheit an Gaben jedes einzelnen und den Reichtum der verschiedenen Völker zu einer grandiosen Symphonie der Einheit verband. Dies ist schon die wertvollste Antwort, die neben dem Land, wo der Krieg noch andauert, gegeben wurde." Er gab seiner Oberzeugung Ausdruck, dass "die Muttergottes größte Hoffnung in all' das setze, und als wahre Mutter Christi und seines Leibes nicht säumen werde, sich der kleinen Herde und Abendmahlsgemeinde zu bedienen, um die Kirche in den Balkanländern schöner und lebendiger zu machen, bereit, die Stunde des Friedens in jedem Menschenherzen und unter den Völkern zu beschleunigen." Wenn wir uns diese Kunst aneignen, lernen wir, uns mit den anderen "eins zu machen", das heißt, ihre Lasten, ihre Gedanken, ihre Schmerzen, ihre Freuden zu den unseren zu machen. Wir lernen, wie Maria, jenes positive Nichts der Liebe zu sein, das den anderen annimmt, das es versteht, in die Kultur, Mentalität, Tradition des anderen einzutreten, ihn zu verstehen. So gehen im anderen die Saatkörner des Wortes auf, die Saatkörner der Liebe, die von Gott in das Herz eines jeden Menschen hineingelegt wurden, der uns alle "nach seinem Bild und Gleichnis" geschaffen hat. Das ist- wir haben es selbst erfahren - das Geheimnis, um die vielen Verschiedenheiten an Kultur, Religion und Rasse, die so viele Konflikte verursachen, zu überwinden, um sie in kreativen Reichtum zu verwandeln, wesentlich, um der Ge7•

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sellschaft der Zukunft, die aus vielen Rassen und Kulturen bestehen wird, Gestalt zu geben. Ein Beispiel.

Im Jänner 1997 fuhr ich nach Thailand. Ich war von buddhistischen Mönchen eingeladen worden, in Chiang Mai im Norden des Landes in einer buddhistischen Universität zu Studenten und Professoren, und in einem Tempel zu buddhistischen Mönchen, Nonnen und Laien zu sprechen. Eine absolut ungewöhnliche Sache - da ich Frau und Laie bin - und noch erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass ich gebeten wurde, meine bekanntlich christliche geistliche Erfahrung darzulegen. Wie war es dazu gekommen?

Das kann man verstehen, wenn man die Vorgeschichte kennt. Ein buddhistischer Großmeister und einer seiner Schüler, eine gebildete und aufgeschlossene Persönlichkeit, hatten in Asien Mitglieder der Bewegung kennengelernt und waren anschließend nach Italien in eine unserer Modellsiedlungen namens Loppiano, nahe bei Florenz, gekommen. Dort versuchen die 700 Bewohner mit Treue das Evangelium zu leben, das Friede und Einheit hervorbringt. Sie waren zutiefst getroffen. Getroffen von der Liebe, die sie in der Aufmerksamkeit kleiner alltäglicher Dinge erlebt haben, in diesem Training "in den anderen einzutreten". In dieser Modellsiedlung lernten die beiden Mönche die christliche Liebe kennen und die Einheit, die diese unter mehreren Menschen hervorbringt. Es wurden ihnen verschiedene Wahrheiten des Christentums klar, und in der Begeisterung der selbst gemachten Erfahrung luden sie mich ein, zu den Ihren über diese wunderbaren Dinge zu sprechen: über die Liebe, die Einheit und den Frieden, der daraus folgt. Durch diesen Aufenthalt in Thailand hat sich ein neuer Weg für einen tiefen Dialog geöffnet, zur Bereicherung von beiden Seiten. Wir unsererseits haben ihre Askese, die etwas Heroisches an sich hat, und ihre Weisheit bewundert. Das zeigt den Wert der Liebe, die die Gegenseitigkeit mit sich bringt.

Die gegenseitige Liebe, Norm für die Menschheit- Christus, der "einzige" Sohn des Vaters, der Bruder eines jeden Menschen, hat gerade diese Norm der Menschheit hinterlassen: die gegenseitige Liebe. Er wusste, dass dies

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notwendig war, damit Friede und Einheit in der Welt sein können, damit sich eine einzige Familie bilden kann. Sicher, für den, der sich heute aufmacht, die Berge des Hasses und der Gewalt zu versetzen, ist die Aufgabe ungeheuer und schwer. Aber was für Millionen isolierter und getrennter Menschen unmöglich ist, scheint für Leute möglich zu werden, die aus der gegenseitigen Liebe, aus dem gegenseitigen Verständnis und aus der Einheit den eigentlichen Beweggrund ihres Lebens gemacht haben.

Jenes Gebot, das Jesus das "Seine" und "neu" nennt, hatten wir noch in Trient entdeckt, als der Zweite Weltkrieg tobte. Es schien uns das Herz des Evangeliums zu sein. "Liebt einander, wie ich euch geliebt habe." Es hat uns das Maß dieser Liebe gezeigt: nach seinem Maß, bis zur Hingabe des Lebens. Das Wort Gottes ist uns wie ein göttlicher Emigrant vorgekommen, der sich, als er Mensch wurde, sicherlich der Lebensweise der Welt angepasst hat. In vorbildlicher Weise war er Kind und Sohn, Mann und Arbeiter. Doch er brachte die Lebensart seiner himmlischen Heimat mit und wollte, dass sich Menschen und Dinge in einerneuen Ordnung zusammenfügten, gemäß dem Gesetz des Himmels: der Liebe. Jesus inmitten der Menschen heute- ist die vom Evangelium angekündete kostbarste Konsequenz der gegenseitigen Liebe, die uns erstaunt und überrascht: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen" 32 . Wir haben somit die außerordentliche Möglichkeit, Christus geistigerweise unter Männern und Frauen das Leben zu schenken, wie Maria damals Jesus physisch zur Welt brachte. "Nach Marias Art", schreibt Igino Giordani, "gibt man von neuem, fast in einer Grotte, Christus das Leben in der Gesellschaft" 33 . Der Papst hat als "Natur dieses Werkes" anerkannt, "Maria gegenwärtig zu machen, ihre Gegenwart in den Vordergrund zu rücken, wie Gott selbst es tat in der Nacht von Betlehem und dann während der dreißig Jahre in Nazareth " 34 . Wir hatten sie zum ersten Mal erfahren, als wir in den vierziger Jahren unter uns jenen Pakt geschlossen hatten: "Ich bin bereit, für dich zu sterben, ich für dich, ... " Das Leben hatte einen Qualitätssprung gemacht. Es Mt 18,20. Vgl.l. Giordani, Le due citta, Rom 1961, pp. 456-460. 3~ C. Lubich, Dimensione mariana e dimensione petrina, in Johannes Paul ll., pellegrino per il Vangelo, Cinisello Balsamo (MI) 1988, p. 109.per il10mo anniversario di Pontificato, p. 12, ed. Paoline- ed. Saie. 32

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war, als wäre es von einem Netz höher hinaufgezogen worden. Die Folge war ein nie gekannter Friede, ein Licht, ein neuer, ausdauernder Wille anstelle unseres oft unbeständigen, eine frische, seltene, sprudelnde Freude. Wir konnten, wie Maria von Magdala, allen bezeugen: "Ich habe ihn gesehen, ich habe ihn gehört!" Wenn Jesus unter uns ist, erfährt man Gott. Es herrscht ein solcher Materialismus in dieser Welt, - man glaubt nur an das, was man berühren kann, -dass der Herr eine Spiritualität schicken wollte, in der man das Göttliche gewissermaßen berührt. Und Jesus unter uns ist der Friede, der jede Barriere niederreisst. "Wo zwei oder mehr ... " Das Evangelium spezifiziert nicht, wer ... Wir haben Barrieren fallen gesehen auf allen Fronten: das Kirchtunndenken. "Wo zwei oder mehr von verschiedenen Ländern": und es fielen die Nationalismen. "Wo zwei oder mehr verschiedener Rassen": und es fiel der Rassismus. "Wo zwei oder mehr", auch wenn Gegensätze vorhanden waren durch Kultur, Klassen, usw. So geschah es in der gemarterten Region Südosteuropa während des 1991 ausgebrochenen Krieges zwischen Kroatien und Serbien. Kroaten, Serben, Slowenen, Christen und Muslime, die von der Spiritualität der Einheit erfasst waren, haben sich in Zagreh getroffen. Sie haben einen Pakt geschlossen. Den Pakt, einander zu lieben auch auf Kosten ihres Lebens. Sie sind abgefahren, entschlossen, auf die Gewalt mit der Liebe zu antworten. Wie durch ein Wunder haben sich mitten im Hass leuchtende Punkte entzündet: Wir waren Zeugen von Lösungen tragischer Situationen, von Versöhnungen; ein Dialog zwischen Katholiken, Serbisch-Orthodoxen und Muslimen wurde begonnen. Gemeinsam haben sie für die gearbeitet, die in Not waren, ohne Unterschied des Glaubens und der Nationalität.

Durch den Schrei der Verlassenheit, der WELT-MENSCH für das neue Jahrtausend- Noch einmal tritt die Gestalt Marias in den Vordergrund, die Mutter aller Menschen geworden ist, weil sie wie sonst niemand am Leiden des Sohnes teilnimmt. Sie zeigt uns die höchste, göttliche, heroische Lektion, was die Liebe ist und lässt uns in das Geheimnis der Liebe Jesu eintreten, der am Kreuz die Verlassenheit vom Vater schreit. In jenem Schrei findet sich jeder Schrei der Menschheit. Es ist der Schrei der Geburtswehen der "neuen Schöpfung". Eine Begebenheit. Ich kannte meine ersten Gefährtinnen noch nicht. Ich unterrichtete. Eines Tages kommt in der Schule jemand auf mich zu, der eine Gruppe von Jugendlichen betreute. Er fragt mich, ob ich zu ihnen spre-

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chen würde. Ich sagte zu. "Aber worüber werden Sie sprechen?" "Ober die Liebe" entgegnete ich. "Und was ist die Liebe?" "Jesus der Gekreuzigte" habe ich geantwortet. Im Laufe der Zeit schien mir beim Eindringen in dieses Geheimnis, den Höhepunkt der Liebe und des Schmerzes Jesu dort zu entdecken, als er am Kreuz im Todeskampf schreit: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Er hatte alles gegeben: ein Leben an der Seite von Maria, in Entbehrungen und im Gehorsam. Drei Jahre der Verkündigung, drei Stunden am Kreuz, von wo aus er den Henkern verzeiht, dem Schächer das Paradies öffnet und uns die Mutter gibt. Ihm blieb die Gottheit. Seine Einheit mit dem Vater, die innige und unaussprechliche Einheit mit Ihm, die ihn so mächtig gemacht hatte als Sohn Gottes auf Erden und so königlich am Kreuz. Diese Gewissheit der Gegenwart Gottes musste in den Grund seiner Seele hinabsinken, sie sollte nicht mehr spürbar sein. In jenem Schrei, den der Gott-Mensch zum Himmel, zu Gott ausgestossen hat, scheint die Einheit Gottes zu zerbrechen, aber es ist nicht so. In Wirklichkeit ist es gerade in jenem Schmerz und wegen jenes Schmerzes, dass Jesus uns Gott gibt, dass er Seinen Geist in die Menschheit hineingibt. In IHM haben wir das Mittel gefunden, alle Konflikte, 7Taumata, Spaltungen, die uns, jeden Menschen, alle Gruppen und Völker plagen, in Einheit, in Harmonie umzuwandeln. Dies ist ein Geheimnis, das wir allen mitgeteilt haben: den Kindern, den Jugendlichen, den Familien, den Politikern, den einfachen Arbeitern. Durch den verlassenen Jesus kann tatsächlich die Einheit der Welt wiederhergestellt werden. Er ist die Antwort auf die schwerste Herausforderung, die auf das neue Jahrtausend zukommt. In dieser Zeit epochaler Wende "zerbröckeln die Mauern, zwischen denen die verschiedenen Völker mit ihren Kulturen lebten, unter den Schlägen der angewandten Technologie und einer globalen Wirtschaft, die keine Grenzen kennen. In die Breschen, die sich auftun, legen sich als Ersatz dafür die verschiedenen Fundamentalismen und Nationalismen, mit den Zerstörerischen Auswirkungen, die wir alle kennen. Zur gleichen Zeit zeichnet sich eine Stadt mit Weltdimension ohne Mauern am Horizont ab"35 • Seit Beginn der siebziger Jahre nahmen wir die ersten "Symptome" wahr. Ich sprach darüber zu Jugendlichen, die aus vielen Ländern der Welt nach 35

G. M. Zangh, Per una cultura rinnovata, in "Nuova Umanita", Nr. 119, p. 505.

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Rom gekommen waren, um sie zu bewussten Protagonisten dieser werdenden neuen Welt zu machen." Wir stehen in einer Zeit", sagte ich, "in der die Jugendlichen eine weltweite Mentalität erwerben müssen. Sie müssen Menschen mit Weltdimension sein, fähig, die begrenzten Schemata der eigenen Kultur zu überwinden, um den Reichtum der anderen Kulturen zu verstehen, indem sie für die "Gemeinschaft der Gesellschaften und Vdlker" der ganzen Welt arbeiten. Und als Vorbild des WELT-MENSCHEN, gestern wie heute und von größter Aktualität: der verlassene Jesus. Ihn habe ich in der Sprache der Jugendlichen von damals als "göttliche Atombombe" bezeichnet, d. h. als eine sehr mächtige Waffe der Liebe, die statt die Menschheit zu zerstören die Macht hat, sie aufs Höchste zu erheben: Indem sie ihr die größte Würde gibt, sich nämlich nicht mehr als eine Vielzahl oft in Konflikt miteinander befindlicher Völker zu sehen, sondern als ein einziges Volk. Eine Waffe also, die die Einheit auf die Erde bringt. Und nicht bloß eine menschliche Einheit, sondern eine göttliche: jene, um die Christus gefleht hat, als er kurz vor dem Sterben betete:" Vater, alle sollen eins sein "36 • Wie Maria haben wir daher die Möglichkeit, auch unseren Schmerz und den der Menschheit mit dem Schmerz des verlassenen Jesus zu vereinen, unsere kleine Passion mit der seinen zu vereinen. Und wie Maria können wir der Menschheit ständig neues Leben schenken. Ich erinnere mich, es war im Jahr 1954. In den Trientiner Bergen traf ich Tschechoslowaken, die aus den Lagern geflüchtet waren. Dadurch eröffnete sich mir in ihrer ganzen Grausamkeit die Tragik der Ostblockländer. Unmittelbar haben wir darin jenen Schrei von Jesus am Kreuz erkannt: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Es gab in jenen Gesellschaften auch eine Sehnsucht nach Einheit, eine globale Sicht der Welt, die Aufmerksamkeit für die benachteiligteren Schichten, die Betonung des Menschen als soziales Wesen. Große Ideale, jedoch deutlich im Widerspruch zu den Tatsachen. Wir meinten zu verstehen, dass das Charisma der Einheit, das der Geist uns gegeben hatte, dazu beitragen konnte, diese Ideale und Ideen dorthin zurückzuführen, wo sie ihren ersten Ursprung hatten: in Gott. Wir spürten die Dringlichkeit, dies mit unserem Leben zu bezeugen. Der erste Weg im Ostblock hat sich für uns aufgrund des gravierenden Mangels an medizinischem Personal in Ostdeutschland aufgetan, da viele 36

C. Lubich, Per un uomo mondo, in Colloqui con i Gen, Rom 1999, pp. 73-83.

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Ärzte in den Westen geflüchtet waren. Wir sandten Fokalare-Ärzte und Krankenschwestern hin. Das Antlitz des verlassenen Jesus zeigte sich auf Schritt und Tritt. In Ihm war das Maß der Liebe, das Maß jener Kunst, alle zu lieben, ohne jemanden auszuschließen; also auch die Feinde zu lieben, jenes Als-ersteLieben, indem man den ersten Schritt tut, ohne sich eine Antwort zu erwarten, jenes Sich-mit-dem-anderen-Einsmachen, indem man sich sozusagen in die Haut des anderen versetzt. Das Engagement, so die Einheit in jedem Umfeld aufzubauen, brachte manche aus der Fassung und erwies sich als "ansteckend". Auch im Gefängnis. Es überraschte uns, dies in den Stasi-Akten, also bei der Geheimpolizei, dokumentiert zu finden: Man spricht vom Programm der "Fucolar"-Bewegung, eine starke religiöse Einheit zu schaffen trotzder "verschiedenen nationalen Meinungen". Es war ein Strom der Liebe, der von Mensch zu Mensch ging und der fast alle Länder Osteuropas erreicht hat, noch vor dem Fall der Mauer und der Grenzen. Die Universalität der Liebe und der Einheit- Mit den Jahren erfahren wir immer mehr, wie sehr sich diese auf Gemeinschaft ausgerichtete Spiritualität als universal erweist und in gewisser Weise von allen gelebt werden kann. Durch sie haben sich fruchtbare Dialoge eröffnet: mit Christen vieler Kirchen, mit Gläubigen verschiedener Religionen, mit Menschen der verschiedensten Kulturen. Alle finden hier die Werte betont, an die sie glauben. Und gemeinsam ist man zu jener Fülle der Wahrheit unterwegs, nach der wir alle streben. Durch diese Spiritualität sind heute Männerund Frauen fast aller Nationen der Welt dabei, langsam aber entschlossen, dort, wo sie stehen, Keimzellen eines neuen Volkes zu sein, einer Welt des Friedens, solidarischer vor allem mit den Kleinen und mit den Ärmsten, Keimzellen einer geeinteren Welt. Wir spüren, dass wir dazu unseren Beitrag leisten sollen, die Anstrengungen, die in dieser Richtung bereits angestellt werden, mit einem Mehr an Seele zu ergänzen.

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VI. Das Magnificat- Eine Revolution der Gerechtigkeit und des Friedens Im 21. Jahrhundert kann die Frau mit Maria das Magnificat singen, um "Gott ihre Dankbarkeit auszudrücken, der mit ihr und durch sie den Anstoß zu einerneuen Schöpfung, einerneuen Geschichte gegeben hat" 37 •

Beim Anbruch des neuen Jahrtausends ist sie in der Tat dazu berufen, Maria nicht nur in der Verborgenheit und Demut zu zeigen, wie es vorwiegend in den vergangenen Jahrhunderten der Fall war, sondern mit ihr, in Gemeinschaft mit dem Mann, durch ihr eigenes Leben, das Magnificat zu singen, die Magna Charta der Soziallehre: "Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. " 38 Im Evangelium ist tatsächlich die höchste und mitreissendste Revolution enthalten. Und vielleicht liegt es in den Plänen Gottes, dass gerade in dieser Zeit Maria es ist, die uns allen die Hand reicht, um eine neue Gesellschaft aufzubauen, zu festigen, zu errichten und der Welt zu zeigen: eine Gesellschaft, in der das Magnificat mächtig erklingt.

Den Blick auf diese unsere Zeit gerichtet, spricht der Papst von "Saatkörnern des Heils, die der Heilige Geist im Inneren des menschlichen Lebens aufkeimen läßt", und lädt ein, sie zu entdecken und reifen zu lassen 39 • Von Balthasar spricht von "Inseln der Menschlichkeit", wo man eine echte Freiheit erfahren und entdecken kann. Er sieht diese Inseln in den konkreten Formen des Lebens nach dem Evangelium und der gegenseitigen Liebe, durch die die Christen zum Wiederaufbau eines kulturellen Humanismus beitragen können. Er bezeichnet sie als "leuchtende Punkte der Wiederentdeckung des letzten Sinnes und der Freiheit, die uns in der Bewegung des Herabsteigens Gottes zu uns und unseres Weges mit ihm geoffenbart werden40 • Einige Beispiele.

Im Herzen Afrikas - "Warum hat Gott uns verlassen?" Dieser angsterfüllte Schrei eines Volkes im Kamerun, des Stammes der Bangwa, der wegen der Schlafkrankheit und einer sehr hohen Kindersterblichkeit, die 90% erJohannes Paul 11., Die Frau: Erzieherin zum Frieden, Nr. 12. Lk 1,52-53. 39 Johannes Paul 11. An das Zentralkomitee für das Jubiläum und an die Vertreter der Bischofskonferenzen der Welt, in: Oss. Rom. 17. 02. 1996. 40 B. Leahy, ll principio mariano nella Chiesa, Roma 1999, p. 214. 37

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reicht hatte, vom Aussterben bedroht war, schien nicht erhört zu werden. Ein Bischof brachte die Nachricht nach Italien und bittet mich um Hilfe. Wir sind im Jahre 1964. Einige Fokolare-Ärzte, Krankenschwestern und Bauingenieure brechen nach Fontem auf. 1966 fahre auch ich dorthin, um den Grundstein für das Krankenhaus zu legen. Ich habe Gelegenheit, mit dem Fon, dem Stammesoberhaupt, zu sprechen, einem weisen Mann, der über die Fokolar-Bewegung Bescheid wusste, die ihnen zu Hilfe gekommen war. Beeindruckt von ihrer weiten Verbreitung auf den fünf Kontinenten, richtet er folgende Frage an mich: "Sie sind eine Frau und daher nichts wert. Sagen Sie mir: Wie ist es zu all' dem gekommen?" "Sie sind eine Frau und daher nichts wert". Bei diesem Satz fühlte ich mich äußerst wohl, denn ich wusste, dass das, was ich ihm erzählen werde, sicherlich nicht Werk einer Frau war, sondern Werk Gottes. Das war es auch, was sie geahnt hatten. Ich habe noch diese Farben vor mir, diese Tänze für das Fest, das das BangwaVolk auf dem großen Platz aufführte. Uns bewegten folgende Worte des Fon: "Wir sind überzeugt, dass hier die Hand Gottes am Werk ist. Gerade als wir begannen, wegen der langen Verlassenheit den Mut zu verlieren, hat er uns schließlich eine Hilfe vom Himmel geschickt." Nach dieser drohenden Gefahr des Aussterbens des Bangwa-Stammes habe ich nun nach 30 Jahren, als ich im Mai 2000 wieder in diese entlegene Gegend des Karneruns kam, eine harmonische Kleinstadt vorgefunden mit über 600 Häusern, einer Kirche, einem Krankenhaus, wo circa 100 Personen arbeiten, und mit einem College mit 7 Jahrgängen einer höheren Schule. Fontem ist ein Bezirk des englischsprachigen Karneruns geworden. Zusammen mit anderen zugehörigen Ortschaften zählt die Bevölkerung 80.000 Einwohner. Die Bangwa sind "natürlich" hinorientiert zum Christentum, weil sie gesehen haben, wie Christen leben, die sich die Ärmel aufkrempeln und ihre Kultur respektieren. Die angelegte Straße durchbricht die Isolation. Das Krankenhaus wird ein auf die Behandlung von Tropenkrankheiten spezialisiertes Zentrum. Fontem ist Begegnungs- und Ausbildungsstätte für Menschen, die aus allen Teilen Mrikas kommen, einem Kontinent, der von vielen ethnischen Kriegen und Rassenkonflikten geplagt ist. Sie kommen, um zu sehen, wie die brüderliche Liebe die Zusammenarbeit und den Austausch der Reichtümer zwischen Männern und Frauen verschiedener Rassen, Kulturen und Traditionen möglich macht. Viele schöpfen hier Hoffnung auf ein neues Afrika.

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Im Jahr 1966 konnte ich mir diese Entwicklung keineswegs vorstellen. Ich war jedoch überzeugt - und dies sagte ich damals beim großen Fest, zu dem das Bangwa-Volk versammelt war-, dass eine Stadt entstehen würde, die berühmt werden sollte. Nicht so sehr aufgrundmaterieller Schätze, als vielmehr deshalb, weil in ihr ein Licht leuchtet, das aus der brüderlichen Liebe kommt, die unter uns im Namen Gottes aufrecht erhalten wird. Hierher werden Menschen in großer Zahl kommen, um zu lemen, wie man die Liebe lebt. Als ich jetzt von neuem auf dem großen Platz dem Bangwa-Volk begegnete, habe ich all' dies mit ganz besonderer Freude vor einer großen Volksmenge, die bis zum gegenüberliegenden Hügel reichte, in Erinnerung gerufen. Was mich am meisten überrascht hat, war, dass der jetzige Fon von Fontem in seinem Grußwort seinen Dank mehr für die geistliche Hilfe, die sie von der Fokolar-Bewegung bekommen haben, zum Ausdruck gebracht hat als für die vielen realisierten Werke: "Die Spiritualität des Fokolars hat die Leute verändert, vor allem weil sie die Gegenwart Gottes und den Wunsch Jesu: ,Alle sollen eins sein' vermittelt hat. Das ist von großer Bedeutung. Das hat uns geholfen, keine Kriege zu führen. Es gibt keine Kriminalität. Wer so lebt, hat keine Probleme in der Familie, keine Streitigkeiten um Grundbesitz oder hinsichtlich der Zauberei, ... Die Moral ist höher. Auch im Kampf gegen die Aids-Plage ist dieses moralische Bewusstsein wichtig." Im politischen Bereich - Bei Beantwortung einer Frage, die eine Gruppe von Politikem stellte, und aus der die emste Orientierungslosigkeit des politischen Lebens in Italien, und nicht nur dort, sprach, ist 1996 eine Initiative entstanden; zunächst nur in Italien, vereint sie heute Hunderte von Politikem jeder Partei, Nation und Kultur, um gemeinsam die höchsten menschlichen Werte zu teilen und dann selbst diese Werte in die Parlamente und die Gesellschaft hineinzutragen. Diese Initiative unterstützt quer durch alle Bereiche, mit ihren Idealen und Bemühungen alle, die auf gesetzgebendem und sozialem Gebiet Werte wie Gerechtigkeit, Frieden und ein Zusammenleben auf der Basis der Solidarität verwirklichen wollen. Und dies sowohl innerhalb der einzelnen Nationen wie auch in den Beziehungen zwischen den Staaten. Im Übrigen gehört es bei den Verantwortlichen des intemationalen Lebens bereits zum Allgemeingut, sich auf die Gegenseitigkeit zu beziehen und aus ihr einen der Angelpunkte der intemationalen Beziehungen zu machen. Gegenseitigkeit, die es erfordert, altes wie neues Gruppendenken zu

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überwinden und dafür Beziehungen mit allen herzustellen, wie es die wahre Liebe verlangt. Sie ruft auf, zu handeln ohne Bedingungen zu stellen und ohne Erwartungen; sie führt dazu, den anderen wie ein anderes Ich zu sehen und daher jede Art von Initiative auf dieser Linie zu überlegen: Abrüstung, Entwicklung, Zusammenarbeit. Eine Gegenseitigkeit, die dazu führt, dass jeder Teilnehmer am internationalen Leben dahin kommt, im anderen zu leben, in seinen Nöten, seinen Fähigkeiten, nicht nur in Notfällen, sondern in der Alltäglichkeit der Existenz.

Familie: die erste Schule des Friedens. - In seiner Botschaft stellt der Papst besonders die Familie heraus, "als erste und grundlegende Schule des sozialen Verhaltens", "als erste und grundlegende Schule des Friedens"; und er rückt die Rolle der Mutter in dieser erzieherischen Aufgabe ans Licht41 . Diese Aufgabe erweist sich dann als besonders fruchtbar, wenn die Frau in der Liebe lebt, so dass Jesus in der Familie gegenwärtig wird. Wenn sie so lebt, dass - auf der Basis des erneuerten Bewusstseins von derselben Würde und Gleichheit von Mann und Frau auch in der Ehe- die "Hingabe seiner selbst" lebendig und beständig bleibt und das "Für-den-anderen-Leben" stets neu ist für jeden Familienangehörigen; wenn in dieser Haltung Probleme gelöst und Gegensätze abgebaut werden, einander verziehen wird, ein harmonisches Teilnehmen an Aufgaben und Verantwortung besteht, so gibt das der Familie einen neuen Frieden und führt dazu, dass sie sich auf die ganze Menschheit hin öffnet. Der Papst verlangt ferner von der Frau, "immer für das Leben Partei zu ergreifen." "In der Verletzung des Rechts auf Leben", bekräftigt er, "ist im Keim auch die extreme Gewalt des Krieges enthalten" 42 •

Viele Male haben wir erfahren, dass, wenn Christus unter zwei oder mehr gegenwärtig ist, Er zu den Herzen spricht. Auch wenn wir nicht von Abtreibung, von Scheidung reden ... Wie oft haben sie uns anvertraut: "Ich will meine Ehe wieder zusammenfügen, der die Scheidung drohte", "Ich erwarte ein Kind ... , ich habe mich entschlossen, nicht abzutreiben ... " Nur Christus ist es, den wir durch die gegenseitige Liebe um jeden Preis unter uns zu halten versucht haben, der sich selbst bezeugt hat, der seine Wahrheit gesagt hat.

41 42

Johannes Paul 11., Die Frau: Erzieherin zum Frieden, Nr. 7.

Ibidem, Nr. 10.

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Für eine Wirtschaft in Gemeinschaft. - Wenn man mit diesem Geist in allen Bereichen der Gesellschaft tätig wird, in der Arbeit, im sozialen Bereich, merken wir, dass die Frau - gerade weil sie es versteht, im Leben auf den anderen hin ausgerichtet zu sein, aufmerksam auf jedes menschliche Wesen - einen unersetzlichen Impuls für die verschiedenen Formen von Engagement einbringt, um die Strukturen wieder zu vermenschlichen und ihnen neue Lebenskraft zu geben. Gemeinsam mit dem Mann ist sie imstande, sich für entscheidende Probleme der Menschheit einzusetzen, wie z. B. für das Problem der Wirtschaft, die eine zunehmende Kluft zwischen Reichen und Armen schafft und so permanent den Frieden gefährdet. Ich erinnere mich, als ich im Jahre 1991 in Brasilien war. Ich hatte mit eigenen Augen das Elend der Favelas gesehen, jenes Elend, das Kardinal Arns "die Dornenkrone" nennt, die Sao Paulo umgibt, eine Weltstadt voller Wolkenkratzer. Angesichts der gewaltigen Dimension dieser Problematik hatte ich den brasilianischen Fokalaren gesagt: "Man wird das soziale Problem Brasiliens nie lösen können ... ". Wir haben voll Glauben gebetet. Die kleinen Dinge können wir tun, doch die großen tut Er. Ich habe zu beten begonnen um einen Weg zur Lösung der Probleme dieses Landes. Wenige Tage, nachdem ich die eben erschienene Enzyklika "Centesimus annus" gelesen hatte, ist mir gerade in Brasilien die Idee gekommen, die "Wirtschaft in Gemeinschaft" zu lancieren, d. h. ein Projekt, das sich an der Kultur des Gebens inspiriert, die im Evangelium wurzelt, als Gegenmittei zur konsumorientierten Kultur des Habens. Heute beteiligen sich an diesem Projekt über 750 Betriebe, nicht nur in Brasilien, sondern auf der ganzen Welt. Wirtschaftsinstitute, Fachleute der Wirtschaft, Soziologen, Universitätsprofessoren interessieren sich dafür, in erster Linie in Südamerika und Osteuropa, wo das wirtschaftliche Ungleichgewicht am gravierendsten ist. Schon zeichnen sich Ansätze einer Theorie der Wirtschaft in Gemeinschaft ab, von der man hofft, dass sie eine Alternative zur jetzigen Wirtschaftstheorie werde.

Vß. Das 21. Jahrhundert: "Ära von Maria" für eine neue Gegenwart des Gottes des Friedens

Der Papst beschließt seine Botschaft mit einer Anrufung der Jungfrau Maria: Er bittet sie, "den Männem und Frauen beizustehen, die sich für den Aufbau des Friedens einsetzen", auf dass sie "mit ihrer Hilfe allen, vor allem jenen, die in der Finsternis und im Leiden lebend nach Gerechtigkeit

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hungern und dürsten, die liebende Gegenwart des Gottes des Friedens bezeugen können! " 43 Als "Ära von Maria" wird das neue Jahrhundert, das vor uns liegt, vielfach bezeichnet. Und spontan erhebt sich aus meinem Herzen ein Gebet an Maria:

"Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade": Freue dich, Maria, denn neue Gnaden werden in Fülle in diesem 21. Jahrhundert auf die Erde herabkommen. "Der Herr ist mit dir": Der Herr ist am Werk, um dir neue Ehre zu erweisen. "Du bist gebenedeit unter den Frauen": Neuer Segen ist im Kommen seitens deiner Kinder und vieler anderer, die dich bisher nicht kennenlernen wollten oder konnten. "Und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus": Überall, wo du dich in der Welt zeigen wirst, wird dein Sohn inmitten von vielen erstehen. "Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder", die aber in dieser Stunde auserwählt sind, um Kelch zu sein für deine neue Gegenwart auf Erden. " ... jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen."

43

lbidem, Nr. 12.

BOTSCHAFT SEINER HEILIGKEIT JOHANNES PAUL II. ZUR FEIER DES WELTFRIEDENSTAGES AM 1. JANUAR 1996 "BEREITEN WIRDEN KINnERNEINE FRIEDLICHE

ZuKUNFr!"

l. Am Ende des Jahres 1994, des internationalen Jahres der Familie, richtete ich einen Brief an die Kinder der ganzen Welt und ersuchte sie zu beten, daß die Menschheit immer mehr Familie Gottes und fähig werde, in Eintracht und Frieden zu leben. Ferner habe ich nicht versäumt, meiner großen Sorge um die Kinder Ausdruck zu verleihen, die zu Opfern kriegerischer Konflikte und anderer Formen von Gewalt werden, und habe dabei die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung auf Weltebene auf solche schwerwiegenden Situationen gelenkt.

Zu Beginn des neuen Jahres gehen meine Gedanken erneut zu den Kindem und ihren berechtigten Erwartungen nach Liebe und Geborgenheit. Dabei halte ich es für meine Pflicht, besonders an jene vom Leiden gezeichneten Kinder zu erinnern, die erwachsen werden, ohne jemals erfahren zu haben, was Friede eigentlich ist. Der Blick der Kleinen sollte immer Freude und Zuversicht ausstrahlen, statt dessen ist er bisweilen von Traurigkeit und Angst erfüllt: sie haben in den wenigen Jahren ihres Lebens schon zuviel gesehen und erlitten!

Bereiten wir den Kindern eine friedliche Zukunft! Das ist der Aufruf, den ich vertrauensvoll an die Männer und Frauen guten Willens richte, indem ich einen jeden einlade zu helfen, daß die Kinder in einem Klima echten Friedens aufwachsen. Das ist ihr Recht, das ist unsere Pflicht. Die Kinder als Opfer des Krieges 2. Die zahllosen Scharen von Kindem gehen mir durch den Sinn, denen ich im Laufe der Jahre meines Pontifikats begegnet bin, besonders während der apostolischen Reisen auf allen Kontinenten. Kinder voll Heiterkeit und Freude. An sie denke ich, während das neue Jahr beginnt. Allen Kindem der Welt gilt mein Wunsch, das Jahr 1996 in Freude zu beginnen und eine 8 Johannes Paul ll.

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heitere Kindheit zu erleben, wobei sie darin durch die Unterstützung verantwortungsbewußter Erwachsener Hilfe erfahren mögen. Ich würde mir wünschen, daß die harmonische Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern ein Klima des Friedens und echten Wohlstandes fördern möge. Leider gibt es nicht wenige Kinder auf der Welt, die zu unschuldigen Opfern von Kriegen werden. Millionen von ihnen sind in den letzten Jahren verwundet und getötet worden: ein regelrechtes Massaker. Der besondere Schutz, der den Kindern durch die internationalen Bestimmungen1 zugebilligt wird, ist weitgehend mißachtet worden, und die regionalen und interethnischen Konflikte, die über alle Maßen zugenommen haben, machen den von den humanitären Bestimmungen vorgesehenen Schutz zunichte. Die Kinder sind sogar zur Zielscheibe von Heckenschützen geworden, ihre Schulen sind vorsätzlich zerstört und die Krankenhäuser, in denen sie behandelt werden, bombardiert worden. Wie sollte man angesichts solcher ungeheuerlichen Verstöße nicht in einer einstimmigen Verurteilung seine Stimme erheben? Die vorsätzliche Tötung eines Kindes stellt eines der bestürzendsten Zeichen der Verfinsterung jeglicher Achtung vor dem menschlichen Leben dar. 2 Zusammen mit den getöteten möchte ich auch an die in und nach den Konflikten verstümmelten Kinder erinnern. Meine Gedanken gehen schließlich zu den während der sogenannten "ethnischen Säuberungen" systematisch verfolgten, vergewaltigten und getöteten Kindern. 3. Es gibt nicht nur Kinder, die die Gewalt der Kriege erleiden; nicht wenige unter ihnen werden gezwungen, zu deren Hauptfiguren zu werden. In einigen Ländern der Welt ist man an dem Punkt angekommen, Jungen und Mädchen, selbst in ganz jungen Jahren, zu zwingen, in den militärischen Verbänden der Kriegsparteien Dienst zu tun. Mit dem verlockenden Versprechen von Nahrung und Schulbildung werden sie in abgesonderte Lager verbannt, wo sie Hunger und Mißhandlung zu erleiden haben und dazu angestiftet werden, sogar Personen ihres eigenen Dorfes zu töten. Häufig werden sie als Voraustrupp zum Reinigen der Minenfelder ausgeschickt. Offensichtlich ist ihr Leben in den Augen derer, die sich ihrer auf solche Art bedienen, nicht viel wert! 1 Vgl. Konvention der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte der Kinder, besonders Art. 38; Genfer Konvention vom 12. August 1949 zum Schutz der Zivilpersonen in Kriegszeiten, Art. 24; Protokolle I und li vom 12. Dezember 1977, usw. 2 Vgl. Johannes Paul 11., Enzyklika Evangelium vitae (26. März 1995), 3: AAS 87 (1995), 404.

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Die Zukunft dieser Kinder unter Waffen ist oft vorgezeichnet. Nach jahrelangem Militärdienst werden einige einfach normalisiert und nach Hause geschickt, und es gelingt ihnen meistens nicht, sich wieder in das zivile Leben zu integrieren. Andere schämen sich, daß sie ihre Kameraden überlebt haben, und enden im Verbrecherturn oder in der Drogensucht. Wer weiß, welche gespenstischen Bilder ihre Herzen und Sinne immer wieder heimsuchen werden! Wird ihr Gedächtnis jemals frei sein von so vielen Erinnerungen an Gewalt und Tod? Lebhafte Anerkennung verdienen jene humanitären und religiösen Organisationen, die sich um die Linderung solch unmenschlicher Leiden bemühen. Und Dankbarkeit schuldet man auch den Personen guten Willens und den Familien, die die als Waisen zurückgebliebenen Kinder liebevoll aufnehmen und sich voll Aufopferung bemühen, sie von ihren Traumata zu heilen und ihre Wiedereingliederung in die ursprünglichen Gemeinschaften zu fördern. 4. Das Gedenken an Millionen getöteter Kinder, die traurigen Augen so vieler ihrer grauenvollleidenden Altersgenossen drängen uns, alle nur möglichen Wege zu beschreiten, um den Frieden zu bewahren oder wiederherzustellen, indem wir die Beendigung der Konflikte und Kriege anstreben. Im Vorfeld der im vergangenen September in Peking abgehaltenen IV. Weltfrauenkonferenz habe ich die katholischen Sozial- und Bildungseinrichtungen zu einer koordinierten und vordringlichen Strategie gegenüber den Mädchen und jungen Frauen, insbesondere den ärmsten unter ihnen, aufgefordert. 3 Diesen Aufruf möchte ich nun erneuern und ihn dabei in besonderer Weise auf jene katholischen Einrichtungen und Organisationen ausweiten, die sich den Minderjährigen widmen: helft den Mädchen, die auf Grund von Krieg und Gewalt gelitten haben; lehrt die Jungen, die Würde der Frau anzuerkennen und zu achten; helft den Kindern, die Zärtlichkeit der liebe Gottes wiederzuentdecken, der Mensch geworden ist und durch seinen Tod der Welt das Geschenk seines Friedens hinterlassen hat (vgl. Joh 14, 27).

Ich werde nicht müde zu wiederholen, daß wir alle aufgerufen sind, angefangen von den höchsten internationalen Organisationen bis hin zu den Vereinigungen auf lokaler Ebene, von den Staatsoberhäuptern bis hin zum einfachen Bürger, unseren Beitrag zum Frieden zu leisten und jegliche Unterstützung des Krieges abzulehnen. 3 Vgl. Botschaft an die Delegation des m. Stuhls bei der Iv. Weltfrauenkonferenz {29. August 1995): I.:Osservatore Romano, 30. August 1995, S. 1.

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Die Kinder als Opfer mannigfacher Formen von Gewalt 5. Millionen von Kindern leiden unter anderen Formen von Gewalt, wie sie sowohl in den von Verelendung heimgesuchten Gesellschaften als auch in den entwickelten Ländern anzutreffen sind. Dabei handelt es sich oft um Gewalttätigkeiten, die nicht so auffallend, aber deshalb nicht weniger furchtbar sind. Die internationale Konferenz für soziale Entwicklung, die heuer in Kopenhagen abgehalten wurde, hat den engen Zusammenhang zwischen Armut und Gewalt unterstrichen, 4 und bei dieser Gelegenheit haben sich die Staaten verpflichtet, die Geißel des Elends durch Initiativen auf nationaler Ebene ab 1996 entschiedener zu bekämpfen. 5 Dies waren auch die aus der vorangegangenen Weltkonferenz der UNO über die Kinder (New York, 1990) hervorgegangenen Leitlinien. Die Verelendung steht in Wirklichkeit am Anfang wahrhaft unmenschlicher Lebens- und Arbeitsbedingungen. In einigen Ländern werden die Kinder in zartem Alter zum Arbeiten gezwungen, sie werden mißhandelt, unter Gewaltanwendung bestraft und mit einem Hungerlohn ausgestattet: da sie sich nicht Geltung verschaffen können, sind sie sehr leicht zu erpressen und auszubeuten. Dann wiederum werden sie zu einem regelrechten Handelsobjekt 6 zum Zweck des Betteins oder, noch schlimmer, zur Verleitung zur Prostitution, auch im Zusammenhang des sogenannten "Sex-Tourismus", einem äußerst verwerflichen Phänomen, das die entwürdigt, die es ausüben, aber auch all jene, die es auf verschiedene Weise fördern. Außerdem gibt es Menschen, die Kinder skrupellos zu kriminellen Handlungen heranziehen, insbesondere zum Verkauf von Drogen, wobei sie unter anderem Gefahr laufen, persönlich von diesen Substanzen Gebrauch zu machen. Es sind nicht wenige Kinder, denen schließlich als einziger Lebensraum nur die Straße bleibt: von zu Hause ausgerissen oder von der Familie verlassen oder einfach seit jeher ohne familiäre Umgebung, leben sie von Notbehelfen, im Zustand völliger Verwahrlosung, von vielen als Abfall betrachtet, den man loswerden muß. 6. Die Gewalt gegen Kinder fehlt leider nicht einmal in den Familien, die in guten Verhältnissen und Wohlstand leben. Es handelt sich glücklicherweise nicht um häufige Vorkommnisse, dennoch ist es von Wichtigkeit, sie Vgl. Erklärung von Kopenhagen, Nr. 16. s Vgl. Aktionsprogramm, Kapitel II. 6 Vgl. Aktionsprogramm, Nr. 39 (e).

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nicht zu ignorieren. Bisweilen geschieht es, daß die kleinen Kinder innerhalb der häuslichen Mauern und gerade durch Menschen, in die man mit gutem Recht jedes Vertrauen setzen würde, Pflichtverletzungen und Gewalttätigkeiten ausgesetzt sind mit verheerenden Auswirkungen auf ihre Entwicklung. Viele Kinder befinden sich außerdem in einer Lage, in der sie die von den Spannungen zwischen den Eltern oder gar von dem Zerbrechen der Familien selbst herrührenden traumatischen Belastungen zu ertragen haben. Der Sorge um ihr Wohl gelingt es nicht, Lösungen Einhalt zu gebieten, die oft vom Egoismus und der Heuchelei der Erwachsenen diktiert werden. Hinter dem Anschein von Normalität und Heiterkeit, der durch den Überfluß an materiellen Gütern noch gewinnender wirkt, müssen die Kinder oft in trostloser Einsamkeit aufwachsen, ohne mit einer richtigen und liebevollen Führung sowie mit einer adäquaten Ausbildung rechnen zu können. Sich selbst überlassen, finden sie normalerweise ihren wichtigsten Bezugspunkt im Fernsehen, dessen Programme häufig Modelle eines unwirklichen oder korrupten Lebens vorstellen, auf die ihr schwaches Unterscheidungsvermögen noch nicht zu reagieren vermag. Sollte man sich da wundem, wenn eine derart vielgestaltige und heimtükkische Gewalt schließlich auch in das junge Herz der Kinder eindringt und ihre natürliche Begeisterung in Enttäuschung oder Zynismus, die spontane Gutherzigkeit in Gleichgültigkeit und Egoismus verwandelt? Wenn die Kinder trügerischen Idealen nachjagen, laufen sie Gefahr, dadurch, daß sie die Unzufriedenheit und die ihre Umgebung prägende Leere in sich aufnehmen, Verbitterung und Erniedrigung, Feindseligkeit und Haß zu begegnen. Es ist nur allzu gut bekannt, daß die Erfahrungen der Kindheit tiefgehende und bisweilen nicht wiedergutzumachende Auswirkungen auf den gesamten weiteren Lebensgang haben. Es ist schwer zu hoffen, die Kinder könnten eines Tages eine bessere Welt errichten, wenn es keinen engagierten Einsatz für ihre Erziehung zum Frieden gegeben hat. Sie müssen "den Frieden lernen": das ist ihr Recht, das nicht mißachtet werden darf.

Die Kinder und die Friedenshoffnungen

7. Ich wollte die mitunter dramatischen Verhältnisse nachdrücklich herausstellen, in denen sich viele Kinder heutzutage befinden. Ich halte das für eine Pflicht: sie werden ja die Erwachsenen des dritten Jahrtausends sein.

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Damit will ich jedoch weder dem Pessimismus das Wort reden noch die Faktoren ignorieren, die Ansporn zu Hoffnung sind. Wie könnte man zum Beispiel so viele Familien in jeder Ecke dieser Welt schweigend übersehen, in denen die Kinder in einer heiteren Umgebung aufwachsen; wie könnte man die Anstrengungen verschweigen, die so viele Personen und Organisationen unternehmen, um für Kinder in schwieriger Lage eine harmonische und frohe Entwicklung sicherzustellen? Es handelt sich um Initiativen öffentlicher und privater Einrichtungen, einzelner Familien und verdienter Gemeinschaften, deren einziges Ziel es ist, Kinder, die durch irgendwelche traumatischen Erlebnisse belastet sind, in ein normales Leben zurückzuführen. Im besonderen bestehen konkrete Vorschläge für Erziehungspläne, die eine volle Erschließung und Auswertung jeder im einzelnen Menschen potentiell vorhandenen Leistungsfähigkeit anstreben, um aus den Kindern und Jugendlichen echte Baumeister des Friedens zu machen. Auch darf das gesteigerte Bewußtsem der internationalen Gemeinschaft nicht vergessen werden, das während dieser letzten Jahretrotz Schwierigkeiten und Verzögerungen sich bemüht, die Problematik der Kinder mit Entschiedenheit und Methode anzugehen. Die erreichten Ergebnisse bestärken darin, in dem so lobenswerten Einsatz fortzufahren. Wenn die Kinder angemessene Hilfe und Zuneigung erfahren, können sie selber zu Vorkämpfern des Friedens, zu Baumeistern einer brüderlichen und solidarischen Welt werden. Mit ihrem Enthusiasmus und mit ihrer lebendigen Hingabe können sie zu "Zeugen" und "Lehrern" von Hoffnung und Frieden zum Wohl der Erwachsenen selbst werden. Um diese potentiellen Leistungsfähigkeiten nicht zu vergeuden, gilt es, den Kindern mit der gebotenen Achtung vor ihrer Persönlichkeit jede günstige Gelegenheit zu ausgewogener und offener Reifung zu bieten. Eine fröhliche Kindheit wird den Kindern gestatten, mit Zuversicht ins Leben und in die Zukunft zu blicken. Wehe dem, der in ihnen den freudigen Schwung der Hoffnung erstickt!

Die Kinder in der Schule des Friedens 8. Die Kinder lernen sehr schnell das Leben kennen. Sie beobachten die Handlungsweise der Erwachsenen und ahmen sie nach. Sie lernen schnell die Liebe und Achtung für die anderen, nehmen aber auch rasch und bereitwillig das Gift der Gewalt und des Hasses in sich auf. Die in der Familie gemachte Erfahrung beeinflußt entscheidend die Haltungen, die sie als Er-

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wachsene annehmen werden. Wenn also die Familie der erste Ort ist, wo sie sich der Welt öffnen, muß die Familie für sie die erste Friedensschule sein. Die Eltern besitzen eine besondere Möglichkeit, ihre Kinder für das Bewußtsein dieses großen Wertes zu öffnen: das Zeugnis ihrer gegenseitigen Liebe. Mit ihrer gegenseitigen Liebe ermöglichen sie dem Kind vom ersten Augenblick seines Lebens an, in einem Umfeld des Friedens aufzuwachsen, das von jenen positiven Faktoren durchdrungen ist, die an sich das wirkliche Familienvermögen darstellen: gegenseitige Achtung und Annahme, Zuhören, Teilen, Dankbarkeit und Vergebung. Dank der Reziprozität, die diese Werte fördern, stellen sie eine echte Erziehung zum Frieden dar und machen das Kind von seinem frühesten Alter an zum aktiven Erbauer des Friedens. Das Kind teilt mit den Eltern und Geschwistern dadurch die Erfahrung des Lebens und der Hoffnung, daß es sieht, wie die unausweichlichen Schwierigkeiten mit Demut und Mut angepackt werden, und unter allen Umständen in einer Atmosphäre der Wertschätzung für die anderen und der Achtung gegenüber den Meinungen lebt, die von den eigenen abweichen. Vor allem zu Hause müssen die Kinder, noch vor jedem Wort, in der sie umgebenden Liebe die Liebe Gottes zu ihnen erfahren und lernen, daß Er Frieden und gegenseitiges Verständnis unter allen Menschen will, die aufgerufen sind, eine einzige, große Familie zu bilden. 9. Aber außer der Grunderziehung in der Familie haben die Kinder ein Recht darauf, eine besondere Friedensbildung in der Schule und in den anderen Erziehungseinrichtungen zu erhalten, deren Aufgabe es ist, sie schrittweise dazu anzuleiten, das Wesen und die Erfordernisse des Friedens innerhalb ihrer Welt und ihrer Kultur zu erfassen. Sie müssen unbedingt die Geschichte des Friedens und nicht nur jene der gewonnenen oder verlorenen Kriege lernen. Es sollen ihnen daher Beispiele für Frieden und nicht für Gewalt geboten werden! Solche positiven Vorbilder lassen sich glücklicherweise in jeder Kultur und in jeder Geschichtsepoche finden. Es müssen angemessene Erziehungsmöglichkeiten aufgebaut werden, wobei man auf kreative Weise neue Wege suchen sollte, vor allem dort, wo die kulturelle und moralische Verelendung am drückendsten ist. Alles muß so vorbereitet werden, daß die Kinder zu Friedensboten werden. Die Kinder stellen keine Last für die Gesellschaft dar, sie sind kein Mittel zum Gewinnmachen, noch sind sie einfach rechtlose Personen; sie sind

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wertvolle Glieder der menschlichen Gesellschaft, deren Hoffnungen, Erwartungen und Möglichkeiten sie verkörpern.

Jesus, der Weg zum Frieden 10. Der Friede ist ein Geschenk Gottes; aber es hängt von den Menschen ab, es anzunehmen, um eine friedliche Welt aufzubauen. Sie vermögen es nur, wenn sie die Einfachheit des Herzens von Kindern haben. Das ist einer der tiefgründigsten und paradoxesten Gesichtspunkte der christlichen Botschaft: werden wie Kinder ist, noch eher als eine moralische Forderung, eine Dimension des Inkarnationsgeheimnisses.

Der Sohn Gottes ist in der Tat nicht in Macht und Herrlichkeit gekommen, wie es am Ende der Zeiten der Fall sein wird, sondern als Kind, bedürftig und unter armseligen Bedingungen. Indem Er unsere menschliche Natur zur Gänze mit Ausnahme der Sünde (vgl. Hebr 4, 15) mit uns teilte,

hat Er auch die dem Kindesalter eigene Schwachheit und Zukunftserwartung angenommen. Seit jenem entscheidenden Augenblick für die Ge

schichte der Menschheit bedeutet die Verachtung der Kinder gleichzeitig die Verachtung dessen, der die Größe einer Liebe offenbar machen wollte, die, um den Menschen zu erlösen, zur Selbsterniedrigung und zum Verzicht auf jeden Ruhm bereit war. Jesus hat sich mit den Kindern identifiziert, und als die Apostel darüber stritten, wer von ihnen der Größte sei, "nahm Jesus ein Kind, stellte es neben sich und sagte zu ihnen: Wer dieses Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat" (Lk 9, 47 -48). Der Herr warnte uns mit Nachdruck vor der Gefahr, die Kinder zum Bösen zu verführen: "Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verrührt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde" (Mt 18, 6). Die Jünger forderte Jesus auf, umzukehren und zu werden wie "Kinder", und als sie die Kleinen, die sich um ihn drängten, von ihm abzuhalten versuchten, wurde Er unwillig und sagte: "Laßt die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes. Amen, das sage ich euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen" (Mk 10, 14 -15). So verwarf Jesus die allgemein übliche Denkweise. Die Erwachsenen müssen von den Kindern die Wege Gottes lernen: von ihrer Fähigkeit zu Vertrauen und Hingabe können sie lernen, mit dem rechten Vertrauen "Abba, Vater" zu rufen!

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11. Klein werden wie die Kinder - total dem Vater anvertraut, bekleidet mit der Sanftmut des Evangeliums -ist außer einem sittlichen Imperativ ein Grund zur Hoffnung. Auch dort, wo die Schwierigkeiten so groß wären, daß sie mutlos machten, und die Kraft des Bösen so übermächtig, daß sie zum Absturz rührte, vermag der Mensch, der die Einfachheit des Kindes wiedererlangt, aufs neue Hoffnung zu schöpfen: das kann vor allem der Glaubende, der weiß, daß er auf einen Gott zählen kann, dessen Wille die Eintracht aller Menschen in der versöhnten, friedlichen Gemeinschaft seines Reiches ist; das kann aber in gewisser Weise auch derjenige, der, obwohl er das Geschenk des Glaubens nicht teilt, an die Werte der Vergebung und der Solidarität glaubt und in ihnen die Möglichkeit erahnt - freilich nicht ohne das geheime Wirken des Geistes -, der Erde ein neues Antlitz zu geben. Daher wende ich mich im Vertrauen an dieMännerund Frauen guten Willens. Schließen wir uns alle zusammen, um auf jede Form von Gewalt zu reagieren und den Krieg zu besiegen! Schaffen wir die Bedingungen, damit die Kinder als Erbe von unserer Generation eine geeintere und solidarischere Welt übernehmen!

Bereiten wir den Kindern eine friedliche Zukunft! Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1995. JOANNES PAULUS II

BEREITEN WIR DEN KINDERN EINE FRIEDLICHE ZUKUNFT Ludwig Schwarz SDB I. Einführung

Diese Botschaft, die der Papst anlässtich des XXIX. Weltfriedenstages verfasste, richtet sich sowohl an die Kirche und all ihre Institutionen, wie auch an die Staatsoberhäupter und alle Männer und Frauen guten Willens. Mit den Worten "Bereiten wir den Kindern eine friedliche Zukunft" umreißt Johannes Paul II. sehr klar das Thema und den universalen Aktionsradius, innerhalb dessen Überdenkung, Vertiefung und moralische Umsetzung dieses wichtigen Anliegens erfolgen sollen. Das päpstliche Dokument trägt das bedeutsame Datum des 8. Dezembers 1995, des Hochfestes der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau Maria, und wurde einige Tage später öffentlich präsentiert. 1 Der gesamte Text wird in 11 Nummern unterteilt. Ohne dem Pessimismus das Wort zu reden, aber innerlich bewegt und von lebendiger Hoffnung erfüllt, wählt der Papst als Ausgangspunkt für sein Schreiben jene dramatische Situation, in der sich heute Millionen von Kindern als Opfer der Kriege, der Gewalt und der materiellen und geistigenNot befinden. Di~ Botschaft des Papstes wird zu einem dringlichen Appell und einem konkreten Programm, das nicht nur die Ursachen der Gewalt gegen die Kinder bekämpfen möchte, sondern auch - und zwar fern von offiziellen Formulierungen- eine Zukunft des Lebens und des Friedens für alle Kleinen in der Welt konstruieren will.

Aus diesem Grund steht das Dokument in einem ideellen Zusammenhang mit der "Botschaft an die Frauen " 2 , wie auch mit dem "Brief an die Kinder", den derselbe Papst gegen Ende des Jahres 1994, den internationalen Jahres der Familie, geschrieben hat. Frauen und Kinder sind immer die beI Die Friedensbotschaft wurde von Kard. R. Etchegaray, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates Justitia et Pax, am 12. Dez. 1995 den Journalisten präsentiert. 2 Brief an die Frauen vom 29. Juni 1994.

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vorzugten Opfer der neuen "Herodes" und Kriegsherren gewesen. Während die ersten beiden Nummern des Dokumentes die moderne Welt auf diesen bitteren und beklagenswerten Zustand der Kinder als "Opfer" von Kriegen und verschiedenen Formen der Gewalt aufmerksam machen, schwenkt dann die Botschaft des Papstes auf den konstruktiven Teil (pars construens) über und zeigt einen positiven Weg mit Planungskonzepten auf, um in einzelnen Programmpunkten eine effektive Welt des Friedens für die Kinder aufzubauen. Die letzten beiden Nummern (Nr. 10 und 11) sind auf die biblische und christliche Sicht der Kinder zentriert, mit denen sich Jesus, das menschgewordene Wort des ewigen Vaters, identifiziert hat. Der globale Sinn der Botschaft findet in den Schlussworten des Papstes eine treffliche Zusammenfassung: "Voll Vertrauen wende ich mich an die Männer und Frauen guten Willens. Schließen wir uns alle zusammen, um auf jede Form von Gewalt zu reagieren und den Krieg zu besiegen! Schaffen wir die Bedingungen, damit die Kinder als Erbe von unserer Generation eine geeintere und solidarischere Welt übernehmen" (Nr. 11).

ß. Die Lebensbedingungen der Kinder in der heutigen Welt Ehe wir die Diagnose und Therapie des Papstes bezüglich der leidvollen Situation so vieler, ja zu vieler Kinder unserer Zeit bringen, könnte es für ein besseres Verständnis seiner pastoralen Hinweise nützlich sein, die Lage der Kinder in der Welt von heute aufzuzeigen. Die Daten können wir einem unfangreichen und detaillierten Bericht entnehmen, der vom Fonds der Vereinten Nationen für die Kinder als UNICEF (United Nations International Childrens Emergency Fund) 3 weltweit bekannt ist.

1. Geschichtliche Hinweise Dieses Organ der UNO wurde 1946 gegründet, um den enormen Bedürfnissen der Kinder entgegenzukommen, die unter den materiellen, familiären und moralischen Zerstörungen des 2. Weltkrieges gelitten hatten. Der Bericht beginnt mit den Worten, die Anne Frank kurz vor ihrem Tod in einem nazistischen Konzentrationslager ihrem Tagebuch anvertraute: "Ich sehe, wie sich die Welt allmählich in ein ausgestorbenes, trostloses Land verwandelt; ich höre den Lärm, der immer näher kommt und auch uns ver3 UNICEF, Die Situation der Kinder in der Welt 1996, Rom, Anicia, 1995. Im Text wird bei Zitaten die jeweilige Seite angegeben.

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nichten wird; ich fühle den Schmerz von Millionen von Menschen. Wenn ich aber die Augen zum Himmel erhebe, denke ich, dass alles gut gehen wird und dass auch diese Grausamkeit ein Ende haben wird" (S. 10). Nach mehr als 50 Jahren, seit diese Zeilen geschrieben wurden, erhebt sich eine schreckliche Symmetrie zwischen jenem Horror, den der 2. Weltkrieg hinterlassen hat, und den vielen anderen Kriegen, die in den letzten Jahrzehnten und in unserer Zeit die Welt mit Blut beflecken. Auch heute könnten unzählige Kinder und Jugendliche in Bosnien und Kosovo, im Sudan und in Zentralafrika, in Afghanistan und Athiopien jene Worte wiederholen, die oben das jüdische Mädchen Arme Frank geschrieben hat. "Wenn ich die Augen schließe, träume ich vom Frieden", hat das 14jährige Mädchen Aleksandar aus Ex-Jugoslawien gesagt, das durch eine Molotovbombe fürchterliche Verbrennungen erlitten hatte. Wie lange wird der Friede in der Welt für Millionen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nur ein "Traum" bleiben? Der UNICEF-Bericht widmet den zweiten Teil einer historischen Prospektive und zeigt auf, was in diesen letzten 50 Jahren zugunsten der Kinder in Notsituationen gemacht worden ist. Es sind verschiedene positive Daten vermerkt: An ersten Stelle muß gesagt werden, dass die Kindersterblichkeit sich um 50% vermindert hat. Dazu haben die Impfungen gegen epidemischen Krankheiten wesentlich beigetragen, wie z. B. gegen tropische Krankheiten, Tuberkulose, Augenleiden, Malaria und Lepra, alles Plagen, die in den Entwicklungsländern noch nicht zur Gänze überwunden sind, weil dort eben auch eine große Armut vorherrschend ist. In den letzten fünf Jahrzehnten hat man wie nie zuvor den Kindem und Jugendlichen Priorität, Aufmerksamkeit und Wertschätzung auch vonseiten der Regierungen entgegengebracht, zumindest auf der Ebene öffentlicher Erklärungen. Das Jahr 1979 wurde von der UNO als Jahr des Kindes begangen. Im Jahre 1990 trat die Konvention über die Rechte des Kindes in Kraft, die bis jetzt von mehr als 180 Ländern ratifiziert wurde 4 • Wenn man aber die konkreten Lebensbedingungen der Kinder in der heutigen Welt aus der Nähe betrachtet, muß man feststellen, dass über dem Horizont unserer Zivilisation noch viele dichte Wolken und dunkle Schatten liegen. Die Bilanz der letzten zehn Jahre liefert im Hinblick auf Kinder, die in Kriegsereignisse involviert sind, folgendes Bild: 2 Millionen Kinder sind getötet worden, 4 bis 5 Millionen wurden verletzt und verstümmelt, 12 Mil4 Convention on the Rights of the Child, adopted by the United Nations General Assembly on 20 November 1989.

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lionen haben ihr Zuhause verloren. Mehr als eine Million sind Waisen oder leben von den Eltern getrennt. Bei fast 10 Millionen wurde ein Trauma mit schweren psychischen Folgen verursacht (S. 13). Wenn es wahr ist, dass die Kinder und die Zivilbevölkerung schon immer in die Kriege einbezogen waren, so muss man konstatieren, dass in den Kriegen der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ihre Todesrate schwindelerregend angestiegen ist. Das ist vor allem auf die moderne Kriegstechnologie und -führung (Bombardierungen, Landminen, Gaseinsatz) zurückzuführen. Wenn in früheren Jahrhunderten nur ein geringer Teil der Kriegsopfer Zivilisten waren, so umfasst im 2. Weltkrieg der Prozentsatz ziviler Kriegsopfer schon zwei Drittel der Toten und erreicht in den Achtzigerjahren bereits 90 Prozent. Eine andere Ursache ist die Art der gegenwärtigen Kriegsführung: oft wird der Krieg nicht zwischen feindlichen Ländern oder sich gegenüberstehenden Heeren geführt, sondern im Inneren des Landes, zwischen ethnischen Gruppen, weswegen das gesamte nationale Territorium ein Schlachtfeld mit sich bekämpfenden Parteien wird. Bisweilen kommt es auch zu Kämpfen zwischen den sogenannten regulären Truppen und den Aufständischen. Im Jahre 1994 hat vonseitender UNO das Amt für humanitäre Angelegenheit mitgeteilt, dass 13 Staaten "umfassende Notzustände" dieser Art aufweisen und mehr als 20 Millionen Menschen als "verletzbar" zu bezeichnen sind. Es wurde auch eine Liste von anderen 16 Ländern erstellt, die potentielle Ausnahmezustände in sich bergen. In der perversen Logik einer "rassistischen Überlegenheit" oder einer "ethnischen Säuberung" - wie viele Kriege unserer Zeit sind doch davon inspiriert - sind die Familien und Kinder sehr leicht Zielscheibe, ja sogar spezifisches Objekt des Genozids. "Um die großen Mäuse auszurotten, muß man zuerst die kleinen töten" verkündete ein Radiosender aus Ruanda im Jahr 1994, wo noch im selben Jahr 300.000 Kinder ermordet wurden. Es genügt nicht, die Erwachsenen zu töten, man zielt darauf hin, auch die kommende Generation des Feindes zu eliminieren.(vgl. S. 14 u. 74).

2. Kindersoldaten Eine der bedauerlichsten Entwicklungen in der sogenannten "Kriegskunst" ist die Verwendung von Kindem als Soldaten, die dann ihrerseits zu Urhebern von Gewalt gegenüber anderen Unschuldigen werden. Kinder sind also nicht nur Opfer in Kriegen, sie sind auch Täter. In den letzten Jahren haben Kinder unter 16 Jahren in 25 Ländern mit der Waffe gekämpft.

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Schon im Jahr 1988 stieg ihre Zahl auf 200.000 an. Eines der Motive für diesen Missstand ist die Produktion von leichten Waffen. Zum Unterschied von früher, als die schweren Waffen vorherrschten, ist heute ein Kind mit einem Sturmgewehr oder einer russischen AK-47 oder einer amerikanischen M-16 ein furchterregender Rivale für jedermann, da es sich eben um Waffen handelt, die auch von einem 10jährigen zerlegt und zusammengesetzt werden können (S. 16 f.). In diesem Zusammenhang erinnern wir uns an ein ernstes Wort von Heinrich Böll: "Solange ein Mensch auf der Erde verhungert, ist jede Waffe eine Gotteslästerung". Jene Kinder, die in einem Klima der Gewalt leben und ihre Flunil.ien verloren haben, sind oft dazu verleitet, das Soldatendasein als eine Art Dauerlösung ihres Lebens zu betrachten5 , oder doch wenigstens als eine Art von Zuflucht und Ersatz für die Familie (z. B. Ruanda) 6 • Außer einem "freiwilligen" Anheuern kommt es in vielen Ländern (El Salvador, Äthiopien, Guatemala, Myanmar, Sri Lanka, Angola, Mosambik) zu einer erzwungenen Rekrutierung von Kindern 7 . Die Truppen von RENAMO hatten ungefähr 10.000 Kinder in ihren Reihen, wobei einige kaum 7 Jahre alt waren; in Uganda {1986) hatte das Heer des Nationalen Widerstandes mehr als 3.000 Heranwachsende, und viele von ihnen waren unter 16 Jahren. In diesem Herr waren auch 50% Mädchen. In Liberia gab es 20.000 Kindersoldaten zwischen 6 und 18 Jahren, die in den verschiedenen Kriegsparteien mitkämpften (vgl. S. 17 f.). Nach Auskunft des UN-Generalsekretärs für Kinder in Kriegssituationen (Olara Otunnu) werden heute schätzungsweise 300.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Kriegen und Kämpfen eingesetzt. Vor 5 Jahren waren es noch 250.000. Hinter diesen Zahlen verbergen sich ganz unterschiedliche Schicksale. Manche Kinder wachsen gleichsam in das Leben eines Kämpfers hinein - vor allem, wenn anhaltende Bürgerkriege Familien und Gemeinschaften zerreißen und ganze Generationen im Krieg groß werden. Dann können Kinder in der Armee eine Art Ersatzfamilie sehen oder auch einfach eine Chance zu überleben 8 .

5 Child Soldiers in Africa, AEFSN (Africa Europe Faith and Justice Network) Action Plan 2000, S 4 ff. 6 Hildegard Goss-Mayer, Wie Feinde Freunde werden, 1996, S 222 ff. 7 Claire Brisset, Un Monde qui devore ses enfants", Paris (Liana Levy), 1997. B Vgl. Terre des hommes, Kinder sind keine Soldaten, 20. Edition, 2/1999, S 1-27. Vgl. Zur Frage der Kindersoldaten, in: "Der Überblick", Quartalschrift der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst, 34. Jg. 4 I 1998, S. 4 ff.

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3. Missbrauchte Kinder Sowohl die Kindersoldaten wie auch jene im Zivilbereich erleiden noch andere Formen entsetzlicher Gewalt; unter diesen sind die Tortur und der sexuelle Missbrauch verbreitet. Die Tortur von Kindern wird angewandt, um ganze Gemeinschaften zu bestrafen oder von ihnen Informationen über ihre Eltern und Altersgenossen zu erpressen. Sexueller Missbrauch und Vergewaltigung werden vor allem im Verlauf ethnischer Konflikte praktiziert, wie z. B. in Ex-Jugoslawien (Bosnien, Herzegowina, Kroatien), in Ruanda und in Tschetschenien. Man hat errechnet, dass z. B. in Bosnien 20.000 muslimische Mädchen und Frauen vergewaltigt und dann gezwungen wurden, diese "Kinder des Feindes" zu gebären. In Ruanda wurden Frauen systematisch vergewaltigt, um die Bande dieser Frauen und Mädchen mit ihrer Stammesgemeinschaft zu zerstören. Viele von ihnen, die von ihren Familien und Dorfverbänden abgelehnt wurden, haben entweder ihr Kind weggelegt oder wegen der erlittenen Schmach Selbstmord begangen. Eine verheerende Folge dieser Notzucht ist die immer weitere Verbreitung des HIV-Virus und der AIDS-Erkrankung, z. B. in Uganda. Oft werden Kinder und Mädchen zu einem regelrechten Handelsobjekt zum Zweck des Betteins oder, noch schlimmer, zur Verleitung zur Prostitution, auch im Zusammenhang des sogenannten "Sex-Tourismus" 9 •

4. Heimatlose und hungernde Kinder So als würde es noch nicht genügen, gesellt sich zur Gewaltanwendung auch jenes andere Phänomen, dass Kinder von zu Hause entführt werden und so Heimat und Familie verlieren. In den letzten Jahren wurden zirka 53 Millionen Menschen, also einer von 115 der Weltbevölkerung, zur Flucht gezwungen. Zusammengepfercht in eilig errichteten Flüchtlingslagern, haben sich unter ihnen auch verschiedene Krankheiten und tödliche Epidemien ausgebreitet. So gab es z. B. im Jahre 1994 in Goma, das im östlichen Teil Kongos gelegen ist, eine Choleraepidemie, die in einem Monat den Tod von 50.000 Kindern verursachte (S. 19). In Verbindung mit diesem erzwungenen Exodus tritt ein anderes, ebenso schmerzvolles Phänomen auf: die Trennung der Kinder von ihren Familien. 9 Missio Austria, Werkmappe Weltkirche "Sextourismus bricht Kinderseelen (Aktion "Schutzengel"), Nr. 115/2000, S. 4 ff.

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Ende des Jahres 1994 gab es in Ruanda ungefähr 114.000 "nicht begleitete" Kinder, d. h. getrennt von ihren Eltern. Der aufsehenerregendste Fall ereignete sich gemäß dem UNICEF-Bericht im Sudan während des Bürgerkrieges: Ungefähr 20.000 junge Sudanesen, zum größten Teil Kinder und Heranwachsende zwischen 7 und 17 Jahren, legten enorme Strecken in der Wüste bis hin nach Äthiopien zurück und suchten verzweifelt dem Massaker zu entfliehen, das von den Regierungstruppen gegen sie geplant war (vgl.

s. 20).

Zu all diesen tragischen Ereignissen, die unsere vielgepriesene moderne Kultur verdunkeln, kommen noch andere ungelöste Probleme hinzu, wie z. B. der Hunger und die Krankheiten; das sind Probleme, die sich durch die zerstörenden Kriege untereinander immer mehr verstricken und verwikkeln. Tatsächlich macht der Kriegszustand in einem ganzen Land die Versorgung mit Nahrung und Wasser sowie der medizinischen Betreuung für das gesamte Volk nur noch schwieriger. Man hat z. B. errechnet, dass während der kriegerischen Konfliktsituation in Angola (1980 -1988) 330.000 Kinder und in Mosambik 490.000 Kinder den Entbehrungen und Nöten erlegen sind (S. 23). Ungezählt bleiben die psychischen Traumata, welche die Kinder infolge der Kriegseinwirkungen erleiden. Sie sind wirklich unschuldige Opfer und verschreckte Zeugen dieser Gräuel. Schließlich muß noch eine andere Ursache von unerhörter Gewalt aufgezeigt werden, die für unsere Zeit charakteristisch ist: es ist eine leidvolle Feststellung, dass die meisten Kriege unserer Generation in Entwicklungsländern ausgetragen wurden, oft in den ärmsten Ländern der Welt. In den letzten 35 Jahren sind die jährlichen Militärausgaben der Entwicklungsländer von 27 bis auf 140 Milliarden US Dollar angewachsen, wobei die ärmsten Länder das größte Wachstum verzeichnen (S. 25). Eine der tödlichen Waffen, die sich in den letzten Jahrzehnten ausbreitete und für die Kinder besonders gefährlich wurde, ist die Landmine. Nach Schätzungen gibt es in 64 Ländern der Welt 110 Millionen Landminen, die von einem Offizier der Roten Khmer als "perfekte Soldaten" bezeichnet wurden: "Sie sind mutig, sie schlafen nie, noch fehlt ihnen je das Ziel". Welch eine Ironie des Schicksals! Die Herstellung einer Landmine kostet bloß 3 Dollar, die Entfernung aus dem Erdreich kostet hingegen bis zu 1000 Dollar. Und wieder sind die Kinder die leichtesten Opfer dieser Todesmaschinerie (vgl. S. 26-29).

9 Johannes Paul II.

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5. Kinderarbeit Obwohl die Vereinten Nationen bereits 1959 eine 10-Punkte-Erklärung über die Rechte des Kindes verabschiedeten, in welcher der Schutz des Kindes und das Verbot der Kinderarbeit verankert sind, und obwohl1989 durch die UNO-Vollversammlung das Übereinkommen über die Rechte des Kindes genehmigt wurde, haben all diese Grundsätze bis heute keine praktische Auswirkung gefunden. Es kommt immer wieder zur Ausbeutung der Schwächsten. Weltweit arbeiten 250 Millionen Kinder von 5-14 Jahren unter schwersten Bedingungen: extrem lange Arbeitstage, miserable Bezahlung, ohne Aussicht auf Schul- und Berufsausbildung, aber mit drastischen Folgen für ihre Gesundheit. Die internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat analysiert, dass 120 Millionen Kinder "full time" arbeiten, d. h. 7 Tage in der Woche bis zu 14 Stunden täglich. Der Großteil von ihnen lebt in Asien (61 %), ein Drittel in Afrika und knapp 7% schuften in Lateinamerika. Der Sektor, in dem die meisten Kinder beschäftigt werden, ist die Landwirtschaft. Hier werden Schulden oft in Knechtschaftsverhältnissen "abgearbeitet". Die Kinder müssen mit ihrer Arbeit die Schulden bezahlen, die ihre Eltern oder Großeltern gemacht haben. Die Kinder sind de facto Sklaven und werden nie etwas anderes sein. Sie werden ihr Leben lang auf der Plantage bleiben und neue Sklaven zur Welt bringen. Viele Kinder werden in der Schattenökonomie beschäftigt, im Handwerk, im Kleinhandel oder beim Betteln. Die ILO will eine neue Konvention erstellen, die zumindest den schlimmsten Formen der Kinderarbeit- etwa der Sklaverei - Einhalt gebietet. Zu den gefährlichen Arbeiten, welche möglichst schnell verboten werden sollten, rechnet die ILO vor allem Tätigkeiten im Bergbau, im Bausektor und im Transportwesen sowie in der Verarbeitung von gefährlichen Substanzen in Industriebetrieben. Einen weiteren sehr schlimmen Bereich stellt die Arbeit als Hausbedienstete dar (im Maghreb, im Nahen Osten, in Westafrika und in Lateinamerika), da das Kind vielfacher Erniedrigung und Gewalt, zumal sexueller Art, ausgesetzt ist. Der Hauptgrund für diese Not ist die Armut, welche sich durch die ökonomische Globalisierung immer mehr verbreitet und vertieft. Von 6 Millionen Erdenbewohner sind 5 Millionen arm. Angesichts dieser Tatsache werden immer mehr Vereinigungen im Umfeld der ILO und der UNICEF aktiv, um einen der empörendsten Skandale unserer Zeit zu beenden 10 .

1o

Claire Brisset, Un Monde qui devore ses enfants, Paris (Liana Levy) 1997.

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m. Die Kinder als Opfer von Krieg und Gewalt in der Botschaft des Papstes

Wenn man diese oben angeführte Dokumentation vor Augen hat 11 und bedenkt, dass sie nur zu einem geringen Teil das ganze Ausmaß dieses ungeheuren Leides von Millionen von Kindem wiedergibt, kann man besser die Kraft und Stärke jener Überlegungen erfassen, die Papst Johannes Paul II. in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 1996 darlegt 12 . Man findet einen engen Parallelismus in Analyse und Darlegung zwischen dem UNICEF-Bericht und der Friedensbotschaft des Papstes. Eine gewisse Wiederholung der Begriffe lässt sich nicht vermeiden. Diese bekräftigt aber nur die historische Glaubwürdigkeit der Einschätzung des Papstes und die Gültigkeit der nachfolgenden pastoralen Vorschläge für eine friedliche Zukunft der Kinder in der Welt.

1. Gewalt und Wege zu deren Oberwindung Die Botschaft des Papstes für den Weltfriedenstag 1996 schaut mit einemer staunten, ja entsetzten Blick auf die Weite und Grausamkeit dieses modernen Phänomens, wo unschuldige Kinder in großer Zahl zu Opfern von kriegerischen Auseinandersetzungen und verschiedenen Formen der Gewalt werden; undalldas ohne Grund und Rechtfertigung. "Zu Beginn des neuen Jahres - schreibt der Papst - gehen meine Gedanken erneut zu den Kindem und ihren berechtigten Erwartungen nach Liebe und Geborgenheit. Dabei halte ich es für meine Pflicht, besonders an jene von Leiden gezeichneten Kinder zu erinnern, die erwachsen werden, ohne jemals erfahren zu haben, was Friede eigentlich ist. Der Blick der Kleinen sollte immer Freude und Zuversicht ausstrahlen, statt dessen ist er bisweilen von Traurigkeit und Angst erfüllt: sie haben in den wenigen Jahren ihres Lebens schon zuviel gesehen und erlitten" (Nr. 1). Unsere Zeiten sind von Kriegen gekennzeichnet: es gibt Kriege, von denen die ersten Seiten der Tageszeitungen berichten, andere verdienen nicht einmal die letzte Seite. Die Kriege hören nie auf. Oft beginnen sie wie ein kleines Feuer, das sich aber dann mit unerhörter Grausamkeit zu einem riesigen Flächenbrand entfaltet. 11 Vgl. Päpstliche Missionswerke, A better future for all the children in the world (Needs and Prospects), Rom 2000, S. 7 ff. 12 Die Angaben, die nun im Text folgen, beziehen sich auf die Nummern der Friedensbotschaft des Papstes. 9'

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Wer diese Gegenden und Brandherde bereist, sieht so viele Kinder, die ob dieser Konflikte fürchterlich leiden. Bei diesem Anblick kommen einem die Tränen: Tränen der Scham, Tränen des Mitleides, aber auch Tränen der Dankbarkeit für den unermüdlichen Einsatz so vieler Personen, die diesen armen Kindern helfen, damit sie mit Zuversicht in die Zukunft blicken können. Papst Johannes Paul li. hat diese Krisengebiete bereist. Er kennt den abgrundtiefen Kontrast zwischen frohen Kindern mit heiterem Blick und den verstümmelten, hungernden und furchtsamen Kleinen, deren Augen erloschen sind. Er fragt sich, warum der vereinbarte besondere Schutz für Kinder13 , der in internationalen Abkommen für Kriegszeiten festgelegt ist, missachtet wird und nicht zum Tragen kommt14 • Ein Kind mit voller Absicht töten, verstümmeln oder verletzen, stellt ein Zeichen der Verfinsterung jeglicher Achtung vor dem menschlichen Leben dar 15 . Dasselbe kann man von den systematisch Verfolgten, Vergewaltigten und bei sogenannten "ethnischen Säuberungen" getöteten Kindern sagen. Der Papst fühlt sich verpflichtet, immer wieder zu betonen, dass wir alle, alle ohne Ausnahme, gerufen sind, alle nur möglichen Wege zu beschreiten, um den Frieden zu bewahren oder wiederherzustellen, indem wir die Beendigung der Konflikte oder Kriege anstreben (vgl. Nr. 4).

2. Kinder brauchen gesunden Lebensraum Es gibt andere Kinder, die unter einer weniger auffälligen Gewaltanwendung leiden, die aber deswegen nicht weniger schrecklich ist. Es sind physische Gewalt und seelische Traumata, die viele Kinder im Schoß ihrer Familie erleiden. Ursachen hiefür sind familiäre Spannungen oder Trennung der Ehegatten. Wir können daher unsere berechtigte Sorge für die Unversehrtheit der Kinder nie von einem ernsten und dauerhaften Einsatz für die Familien trennen, die sich in Schwierigkeiten befinden und unsere wirksame Hilfe erwarten. Wir müssen die Familien stärken, damit Kinder in einer gesunden Umgebung aufwachsen können. Das ist das größte Geschenk für jedes Kind. Daher sollen sich alle Sektoren der Gesellschaft für den Schutz der Familie 13 Vgl. Konvention der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte der Kinder, besonders Artikel 38. 14 Genfer Konvention vom 12. August 1949 zum Schutz der Zivilpersonen in Kriegszeiten, Art. 24. 15 Johannes Paul li., Enzyklika Evangelium vitae (26. März 1995}, 3: AAS 87 (1995}, 404.

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einsetzen. Es besteht eine wichtige Interdependenz zwischen dem Wohl von Kindern, von Eltern und der ganzen Gesellschaft. Ob in reichen oder armen Ländern, Liebe ist für jedes Kind am allerwichtigsten. Nur so, betont auch die UNO-Menschenrechtskonvention, kann dem Kindesmissbrauch, der Kinderpornographie und der Kindesmisshandlung ein Riegel vorgeschoben werden. Wenn dieser Ambient fehlt, ist nicht nur die gesunde Entfaltung der misshandelten Kinder in Gefahr, sondern es besteht leider auch die Möglichkeit, dass sie sich der Verbitterung, der Feindseligkeit und dem Hass gegenüber anderen Personen oder der ganzen Gesellschaft anheim geben. Die Botschaft des Papstes drückt daher eine tiefe Anerkennung und Dankbarkeit allen gegenüber aus, die sich oft auch in schwierigen Situationen bemühen, den leidenden Kindern die Möglichkeit einer harmonischen und frohen Entwicklung sicherzustellen. Des weiteren ist der Einsatz internationaler Gemeinschaften lobenswert, die mit Entschiedenheit und richtiger Methode die Probleme dieser Kinder aufgreifen und eine gute Lösung anstreben. Mit viel Verständnis wird im Dokument auch jener bedauernswerten Kinder gedacht, die nicht nur passive Objekte der Gewalt in kriegerischen Auseinandersetzungen sind, sondern oft auch gezwungen werden, zu deren Hauptfiguren zu avancieren. In einigen Ländern der Welt ist man schon soweit, dass Jungen und Mädchen gezwungen werden, in den militärischen Formationen der streitenden Parteien Kriegsdienst zu leisten. Umschmeichelt mit dem Versprechen von Nahrung und Schulbildung, werden sie in Lager gesperrt, wo sie Hunger und Misshandlungen erleiden und dazu angestiftet werden, andere zu töten, selbst Personen ihres eigenen Dorfes. Oft werden sie auf Vorposten ausgeschickt, um Minenfelder zu räumen. Offensichtlich ist ihr Leben in den Augen derer, die sich ihrer auf solche Art bedienen, nicht viel wert. Kinder, die in einer solchen "Schule" der Gewalt und des Krieges aufgewachsen sind, bleiben fast immer für das ganze Leben gezeichnet. Nur schwerlich gelingt es ihnen, sich von diesen "Phantasmen" und Erinnerungen an Tod und Gewalt zu befreien, die ihre Augen gesehen haben. Auch ihre Reintegration in das Zivilleben ist eine schwierige Sache, weswegen sie sehr leicht eine Beute der Droge und des Verbrechens werden.

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3. Armut und Gewalt sind unmenschlich Die Kinder sind aber heute auch Opfer vieler anderer Formen der Gewalt, die es nicht nur in der vom materiellen Elend betroffenen Gesellschaft, sondern auch in den hochentwickelten Staaten gibt: "Dabei handelt es sich oft um Gewalttätigkeiten, die nicht so auffallend, aber deshalb nicht weniger furchtbar sind" (Nr. 5}. Johannes Paul II. erinnert in diesem Zusammenhang an die Richtlinien, die vor allem in der "Weltkonferenz der UNO für die Kinder" (New York 1990) erarbeitet wurden, sowie an jene, die in der Internationalen Konferenz für Soziale Entwicklung (Kopenhagen 1995} behandelt wurden. Letztere Konferenz zeigte die enge Verbindung zwischen Armut und Gewalt auf und hat die Staaten eingeladen, sich mit größerer Entschiedenheit zu engagieren, um die Geißel des Elends und der Armut auf internationaler Ebene zu bekämpfen. Darum schreibt der Papst: "Die Verelendung steht in Wirklichkeit am Anfang wahrhaft unmenschlicher Lebens- und Arbeitsbedingungen" (Nr. 5}. Das Spektrum dieser und ähnlicher Gewalttätigkeiten ist leider sehr breit: Ausnützung und Misshandlung bei der Kinderarbeit, Kauf und Verkauf von Kindern, Zwang zu Bettelei und Prostitution (ein beklagenswertes Phänomen, das sowohl jene, die es ausüben, wie auch jene, die es fördern, degradiert und entwürdigt). Außerdem gibt es Menschen, die Kinder skrupellos zu kriminellen Handlungen heranziehen, insbesondere zum Verkauf von Drogen, wobei sie unter anderem Gefahr laufen, persönlich von diesen Substanzen Gebrauch zu machen (Nr. 5}. Machtmissbrauch, Übergriffe und Gewalttätigkeit gegen Kinder fehlen leider nicht einmal - wie es die Tageszeitungen immer wieder ans Licht bringen- in den Familien, die in guten Verhältnissen und im Wohlstand leben; all das hat verheerende Wirkungen auf die psychische und affektive Entwicklung der Heranwachsenden. "Es ist nur allzu gut bekannt", sagt der Papst, "dass die Erfahrungen der Kindheit tiefgehende und bisweilen nicht wieder gut zu machende Auswirkungen auf den gesamten weiteren Lebensweg haben. (Nr. 6). Unter den Formen der Gewalt gegen Minderjährige, die sich innerhalb der häuslichen Mauern ereignen, sind vor allem jene traumatischen Belastungen zu erwähnen, die von Spannungen zwischen den Eltern oder gar von dem Zerbrechen der Familien selbst herrühren. Hinter dem Anschein von Normalität und Heiterkeit der durch den Überfluss an materiellen Gütern noch gewinnender wirkt, müssen die Kindern oft in trostloser Einsamkeit aufwachsen. Sich selbst überlassen, finden sie ihren wichtigsten Be-

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zugspunkt im Fernsehen, dessen Programme häufig Modelle eines unwirklichen, korrupten oder gewalttätigen Lebens vorstellen, auf die ihr schwaches Unterscheidungsvermögen noch nicht zu reagieren vermag (Nr. 6).

rv. Die Kinder in der Schule des Friedens

-

Der starke Akzent, den Johannes Paul II. auf die oft dramatischen Lebensbedingungen der Kinder in der heutigen Welt gelegt hat, möchte aber nicht zum Pessimismus verleiten. Auch in diesem Fall beschränkt sich seine Erklärung nicht auf ein Nein. Der negative Teil, der bis jetzt dargelegt wurde, ist nur der Horizont und Ausgangspunkt, um in positiver Weise eine Zukunft des Friedens für alle Kinder dieser Welt zu bauen. Außer dem Dank und Lob für alle nationalen und internationalen Organisationen im humanitären, religiösen, öffentlichen und privaten Bereich, die sich seit langem für die Verteidigung der Rechte der Kinder bemühen (Nr. 3 und 7), zeigt der Papst konkrete, operative Richtlinien auf, damit die Kinder selber zu Vorkämpfern des Friedens und zu Baumeistern einer geschwisterlichen, friedlichen und solidarischen Welt werden, die auch den Erwachsenen zum Vorteil gereicht (Nr. 7 und 9). "Eine fröhliche Kindheit", schreibt Johannes Paul li., "wird den Kindern gestatten, mit Zuversicht ins Leben und in die Zukunft zu blicken. Wehe dem, der in ihnen den freudigen Schwung der Hoffnung erstickt" (Nr. 7)!

1. Die Familie- erste Friedensschule Diese keineswegs utopische Hoffnung auf eine friedvolle Zukunft für die Kinder, welche die Erwachsenen von morgen sein werden, und welche heute schon die Zukunft und Hoffnung der Gesellschaft darstellen, wird vor allem in der Familie, ihrer ersten Schule des Friedens, unter der unersetzlichen, liebevollen Führung der Eltern aufgebaut. Die Kinder beobachten die Handlungsweise der Erwachsenen und ahmen sie nach. Sie lernen schnell die Liebe und Achtung für die Anderen, nehmen aber rasch das Gift der Gewalt und des Hasses in sich auf. Die in der Familie gemachte Erfahrung beeinflusst aber entscheidend ihre Haltung und Einstellung. Darum muß die Familie für sie die erste Friedensschule sein. Die Eltern besitzen eine besondere Möglichkeit, ihren Kindern diesen großen Wert bewusst zu machen: das Zeugnis ihrer gegenseitigen Liebe. Mit dieser Liebe ermöglichen sie es dem Kind, in einem Umfeld des Friedens aufzuwachsen, das von jenen positiven Faktoren durchdrungen ist, die an sich den wahren Wert der Familie

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darstellen: gegenseitige Achtung und Annahme, Zuhören, Teilen, Dankbarkeit und Vergebung. So bleibt die Familie auch in der heutigen Krise der Institutionen für die Kinder und Jugendlichen ein fester Anker. Sie ist ein ruhiger Zufluchtsort und ein wirklich gemüthafter Bereich. Sie schafft in der Regel zwischen Erwachsenen und Heranwachsenden diese positive und wertvolle Beziehung des gegenseitigen Respektes und der gesunden Selbstbestimmung16 . Die Bedeutung ihres erzieherischen und religiösen Einflusses um Frieden und gegenseitiges Verständnis unter allen Menschen zu fördern, ist immer neu zu betonen.

2. Die Schule- Ort der Friedensbildung In der Botschaft des Papstes wird betont, dass die Kinder außer der Grunderziehung in der Familie auch ein Recht haben, eine besondere Friedensbildung in der Schule und in den anderen Erziehungseinrichtungen zu erhalten. Deren Aufgabe ist es, die Kinder schrittweise dazu anzuleiten, das Wesen und die Erfordernisse des Friedens innerhalb ihrer Welt und ihrer Kultur zu erfassen.

Die heutige Welt ist einem schnellen und tiefgreifenden Wandel in allen Bereichen des Lebens unterworfen. Die Bevölkerungsexplosion, das Phänomen der Sozialisation und Globalisierung sowie sozio-kulturelle Entwicklungen habe eine bedeutsame Resonanz im schulischen Bereich. Deshalb verdienen die Schulen heute eine besondere Aufmerksamkeit, wobei sie nicht nur Wissen, sondern auch Werte vermitteln sollen. Hier nimmt die Erziehung zum Frieden einen wichtigen Platz ein, weil die Schule eine Gemeinschaft darstellt, die nicht nur Wissen weitergibt, sondern eine Begegnung zwischen Personen ist, wo der Lehrer wirklich Meister des Lebens in Wahrheit und Erzieher zu Gerechtigkeit und Frieden ist 17 • Die Schüler müssen unbedingt die Geschichte des Friedens und nicht nur jene der gewonnenen oder verlorenen Kriege lernen. Es sollen ihnen daher Beispiele für Frieden und nicht für Gewalt geboten werden. Solche positiven Vorbilder finden sich in jeder Kultur- und Geschichtsperiode (vgl. 8 und 9). Aus der Sicht des christlichen Humanismus wird die Schule stets den Wert der Person, des Gewissens, der menschlichen Natur, der Kultur und 16

Vgl. Kapitelakten des 23. Generalkapitels der Salesianer Don Boscos, Rom 1990,

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Besonders Generalkapitel der Salesianer Don Boscos, Rom 1972, S. 218 ff.

s. 48 ff.

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des sozialen Zusammenlebens in Friede und Gerechtigkeit betonen. Die Schulgemeinschaft ist also eine dem Dialog geöffnete Gemeinschaft. In ihr entfalten die Kinder und Jugendlichen in schöpferischer Weise ihre Persönlichkeit. Stets in Gemeinschaft, vertiefen sie die eigene Suche, bis sie den Sinn des Geschaffenen und der Geschichte entdecken, der sich in dem verbirgt, was sie studiert und in der fachlichen Ausbildung erlernt haben 18 .

3. Weitere Hilfen zum Frieden In der Familie und in der Schule wie auch im gesellschaftlichen Leben sollen die Kinder und Jungen dahin erzogen werden, dass sie die Würde der Frau anerkennen und achten. Auf diese Weise hilft man ihnen auch, die Zärtlichkeit der Liebe Gottes zu entdecken, die in Jesus Christus Mensch geworden ist. Er hat für uns gelitten und ist am Kreuz gestorben, um der Welt das Geschenk seines Friedens zu geben: "Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch" (Joh 14, 27). Als Auferstandener bringt er den Seinen Frieden und Freude (Joh 20, 21}. Allen gegenüber ruft der Papst mit Liebe in Erinnerung, dass die Kinder keine Last für die Gesellschaft darstellen, sondern wertvolle Glieder der menschlichen Gemeinschaft sind, deren Hoffnungen, Erwartungen und Möglichkeiten sie verkörpern (vgl. Nr. 9}.

V. Jesus Christus, Quelle und Maßstab des Friedens

Gegen Ende der Friedensbotschaft eröffnet der Papst eine dritte Ebene von Gedanken und Vorschlägen, welche eine Ergänzung zu jenen operativen Strategien darstellen, die weder die einfache menschliche Vernunft noch der sehr humane Bericht der UNICEF in Betracht gezogen haben. Es ist die Ebene, die uns vom christlichen Glauben erschlossen und durch die Vertrautheit mit dem reichen biblischen Erbe zugänglich gemacht wird. Die positiven Möglichkeiten einer glücklichen Kindheit, auch im Hinblick auf den hohen Wert des Friedens, werden im Lichte des Evangeliums des Friedens gesehen, der uns von Jesus Christus erwirkt und geschenkt wurde. Er ist "der Weg zum Frieden" und zur Versöhnung aller Menschen, die er durch seinen Tod und seine Auferstehung erlöst hat. Er hat die Harmonie zwischen Gott und den Menschen wiederhergestellt. Schönster Ausdruck 18

II. Vaticanum, GS 61.

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hiefür ist der Friede des Herzens. Der Friede ist wirklich ein Geschenk Gottes, aber es hängt von den Menschen ab, es anzunehmen, um eine friedliche Welt aufzubauen. Sie vermögen es nur, wenn sie die Einfachheit des Herzens von Kindern haben. Das ist einer der tiefgründigsten und paradoxen Gesichtspunkte der christlichen Botschaft: werden wie Kinder ist, noch eher als eine moralische Forderung, eine Dimension des Inkarnationsgeheimnisses (Nr. 10). Der Sohn Gottes ist in der Tat nicht in Macht und Herrlichkeit gekommen, sondern als Kind, bedürftig und unter armseligen Bedingungen. Indem er mit Ausnahme der Sünde unsere Menschennatur zur Gänze mit uns teilte, hat er auch die dem Kindesalter eigene Schwachheit und Zukunftserwartung angenommen. Seit jenem so wichtigen Augenblick für die Geschichte der Menschheit bedeutet die Verachtung der Kinder gleichzeitig die Verachtung dessen, der die Größe jener Liebe offenbar machen wollte, die für die Erlösung des Menschen zur Selbsterniedrigung und zum Verzicht für jeden Ruhm bereit war. Der Papst ruft uns nicht nur die Liebe Jesu zu den Kindern in Erinnerung, sondern auch die Spiritualität des Kleinseins, die er allen, die ihm nachfolgen, ans Herz legt: "klein werden wie die Kinder", um in das Reich Gottes einzutreten. "Die Erwachsenen müssen von den Kindern die Wege Gottes lernen (Vgl. Nr. 10 und 11). Abschließend darf man sagen, dass diese Friedensbotschaft von Papst Johannes Paul II. ganz gewiss ein entschiedenes und radikales Nein zum gegenwärtigen Massaker von Millionen von Kindern in der heutigen Welt ist. Sie ist ein entschiedenes Nein zur Gewalt und zum Missbrauch von Kindern, wie wir es leider auch im wohlhabenden Westen tagtäglich erleben. Diese Botschaft ist ebenso ein unabdingbares Ja zum Leben und zur Liebe, wovon die Kinder Symbol und Hoffnungsträger für die Zukunft der ganzen Menschheit sind. Wird es aber den einzelnen gelingen, den globalen und positiven Sinn dieses oftmals wiederholten Appells der Kirche an das Gewissen des modernen Menschen zu erkennen: dem Krieg und den hedonistischen Egoismen jede Unterstützung zu verweigern, um zusammen eine friedliche Zukunft zu bauen, auf die alle Kinder der Welt ein Recht haben? Schaffen wir mit persönlichem Einsatz und gemeinschaftlichem Engagement die Vorraussetzungen, damit die Kinder als Erbe von unserer Generation eine solidarische und friedvolle Welt übernehmen können!

Bereiten wir den Kindern eine friedliche Zukunft!

BOTSCHAFT SEINER HEILIGKEIT JOHANNES PAUL II. ZUR FEIER DES WELTFRIEDENSTAGES AM 1. JANUAR 1997 "BIETE DIE VERGEBUNG AN, EMPFANGE DEN FRIEDEN"

1. Nur drei Jahre trennen uns noch vom Anbruch eines neuen Jahrtausends, und das Warten wird zu einer Zeit des Nachdenkens, die uns gleichsam Bilanz ziehen läßt über den Weg, den die Menschheit vor dem Blick Gottes, dem Herrn der Geschichte, zurückgelegt hat. Sieht man sich das zurückliegende Jahrtausend und da vor allem dieses letzte Jahrhundert an, so muß man zugeben, daß in sozio-kultureller, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und technologischer Hinsicht auf dem Weg der Menschen viele Lichter entzündet worden sind. Im Gegensatz dazu gibt es leider lange Schatten, vor allem auf dem Gebiet der Moral und der Solidarität. Ein regelrechter Skandal ist ferner die Gewalt, die in alten und neuen Formen immer wieder viele Menschenleben heimsucht und Familien und Gemeinschaften zerreißt.

Es ist an der Zeit, daß wir uns dazu entscheiden, gemeinsam mit Entschlossenheit einen echten Pilgerweg des Friedens anzutreten, ein jeder aus der konkreten Situation heraus, in der er sich befindet. Die Schwierigkeiten sind manchmal sehr groß: Die ethnische Zugehörigkeit, die Sprache und die Kultur stellen oft ebenso Hindernisse dar wie die Religionszugehörigkeit Sich miteinander auf den Weg machen, wenn man traumatische Erfahrungen oder gar jahrhundertelange Spaltungen auf dem Rücken hat, ist kein leichtes Unterfangen. Da stellt sich die Frage: Welchen Weg soll man einschlagen, wonach soll man sich orientieren? Es gibt gewiss viele Faktoren, die unter Wahrung der Forderungen nach Gerechtigkeit und Menschenwürde die Wiederherstellung des Friedens günstig beeinflussen können. Aber kein Friedensprozeß wird sich je in Gang bringen lassen, solange nicht in den Menschen eine Bereitschaft zu aufrichtiger Vergebung heranreift. Ohne sie bluten die Wunden weiter und nähren in den nachfolgenden Generationen einen unaufhörlichen Groll, der Quelle von Rache und Ursache immer neuer Katastrophen ist. Die angebotene und empfangene Vergebung ist die unerlässliche Voraussetzung für den Weg zu einem echten und dauerhaften Frieden.

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Aus tiefer Überzeugung will ich daher an alle appellieren, das Ziel des Friedens auf dem Weg der Vergebung zu verfolgen. Ich bin mir völlig bewusst, wie sehr das Vergeben scheinbar im Widerspruch zur menschlichen Logik stehen kann, die häufig der Dynamik des Streites und der Rache gehorcht. Die Vergebung hingegen atmet aus der Logik der Liebe, jener Liebe, die Gott jedem Mann und jeder Frau, jedem Volk und jeder Nation, ja der ganzen Menschheitsfamilie erweist. Wenn aber die Kirche das zu verkünden wagt, was menschlich gesprochen als Torheit erscheinen könnte, so tut sie das eben auf Grund ihres unerschütterlichen Vertrauens in die grenzenlose Liebe Gottes. Gott ist, wie die Schrift bezeugt, reich an Erbarmen und hört nicht auf, denen zu vergeben, die zu ihm zurückkehren (vgl. Ez 18, 23; Ps 32, 5; 103, 3.8-14; Eph 2, 4-5; 2 Kor 1, 3). Gottes Vergebung wird in unseren Herzen zur unerschöpflichen Quelle des Verzeihens, auch in unseren Beziehungen untereinander, und hilft uns, sie im Zeichen echter Brüderlichkeit zu leben.

Die verwundete Welt sehnt sich nach Heilung 2. Wie ich soeben andeutete, ist und bleibt die moderne Welttrotz der vielen erreichten Ziele von zahlreichen Widersprüchen gezeichnet. Der Fortschritt in den Bereichen von Industrie und Landwirtschaft hat für Millionen Menschen eine Verbesserung des Lebensstandards mit sich gebracht und läßt für viele andere Gutes erhoffen; die Technologie erlaubt bereits das Überwinden großer Entfernungen; die Information, die in Sekundenschnelle erfolgen kann, hat die Möglichkeiten des menschlichen Wissens erweitert; die Achtung vor unserer Umwelt nimmt zu und wird allmählich zu einem Lebensstil. Eine Menge von Freiwilligen engagiert sich mit einer Hochherzigkeit, die oft völlig unbekannt bleibt, in allen Teilen der Welt unermüdlich im Dienst an der Menschheit, wobei sie sich vor allem dafür aufopfert, die Nöte der Armen und der Leidenden zu lindern. Sollte man diese positiven Zeichen unserer Zeit nicht mit Freude anerkennen? Die Bühne der heutigen Welt präsentiert aber leider auch viele gegenteilige Erscheinungen. Dazu gehören zum Beispiel der Materialismus und die zunehmende Geringschätzung des menschlichen Lebens, die beunruhigende Dimensionen angenommen haben. Es gibt viele, die in ihrer Lebensplanung einzig und allein den Gesetzen von Profit, Ansehen und Macht folgen. Die Konsequenz davon ist, daß sich zahlreiche Menschen in ihre innere Einsamkeit verbannt finden, andere ständig wegen ihrer Rasse, ihrer Natio-

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nalität oder ihres Geschlechts absichtlich diskriminiert werden, während die Armut ganze Massen an den Rand der Gesellschaft oder geradewegs in die Vernichtung treibt. Für allzu viele Menschen ist der Krieg zur harten Wirklichkeit des täglichen Lebens geworden. Eine Gesellschaft, die nur nach den materiellen oder vergänglichen Gütern sucht, neigt dazu, den an den Rand zu drängen, der nicht diesem Zweck dient. Vor diesen Situationen, die manchmal echte menschliche Tragödien darstellen, ziehen es manche vor, einfach die Augen zu verschließen, während sie sich hinter ihrer Gleichgültigkeit verschanzen. In ihnen wiederholt sich das Verhalten Kains: "Bin ich der Hüter meines Bruders?" (Gen 4, 9}. Es ist Pflicht der Kirche, jeden an die strengen Worte Gottes zu erinnern: "Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden!" (Gen 4, 10}. Das Leiden so vieler Brüder und Schwestern darf uns nicht gleichgültig lassen! Ihr Leid appelliert an unser Gewissen, an unser inneres Heiligtum, wo wir uns von Angesicht zu Angesicht vor uns selbst und vor Gott finden. Sollte man nicht anerkennen, daß wir alle, wenn auch in unterschiedlichem Grad, in diese Gewissenserforschung, zu der uns Gott aufruft, einbezogen sind? Wir haben alle die Vergebung Gottes und des Nächsten nötig. Deshalb müssen wir alle bereit sein, zu vergeben und um Vergebung zu bitten.

Die Last der Geschichte 3. Die mühsame Arbeit der Vergebung hängt nicht allein vom gegenwärtigen Geschehen ab. Eine schwere Bürde an Gewaltakten und Konflikten, der man sich nur schwer zu entledigen vermag, trägt die Geschichte mit sich. Übergriffe, Unterdrückungen und Kriege haben unzähligen Menschen Leid zugefügt. Auch wenn sich die Ursachen für jene schmerzlichen Vorgänge in längst vergangenen Zeiten verlieren, bleiben ihre Nachwirkungen auf quälende Weise lebendig. Sie nähren Ängste, Verdächtigungen und Haß. Sie lassen Bande zerbrechen zwischen Familien, ethnischen Gruppen und ganzen Völkern. Dies sind Tatsachen, die den guten Willen dessen auf eine harte Probe stellen, der sein Verhalten nicht davon bestimmen lassen möchte. Doch wahr bleibt, das man nicht Gefangener der Vergangenheit bleiben kann: Für die einzelnen und für die Völker bedarf es einer Art "Reinigung des Gedächtnisses", damit die Übel von gestern sich nicht wiederholen. Es geht nicht darum, das Geschehene zu vergessen, sondern es mit neuen Gefühlen noch einmal zu lesen und dabei gerade aus den erlittenen Erfahrungen zu lernen, daß allein die Liebe aufbaut, während der Haß Zerstörung

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und Verfall hezvorruft. An die Stelle der tödlichen Wiederholung der Rache muß die befreiende Neuheit der Vergebung treten. Dazu ist es unerläßlich, die Geschichte der anderen Völker lesen zu lernen, indem man einseitige Pauschalurteile vermeidet und sich darum bemüht, den Standpunkt der Angehörigen jener Völker zu verstehen. Das ist eine echte, auch pädagogische und kulturelle Herausforderung. Eine Herausforderung der Zivilisation! Wenn man gewillt ist, diesen Weg einzuschlagen, wird man entdecken, daß die Fehler niemals nur auf einer Seite liegen; man wird sehen, daß die Darstellung der Geschichte mitunter verzerrt, ja sogar manipuliert worden ist, was tragische Folgen nach sich zog. Ein korrektes nochmaliges Lesen der Geschichte wird die Annahme und Achtung der zwischen Personen, Gruppen und Volkern bestehenden sozialen, kulturellen und religiösen Unterschiede begünstigen. Das ist der erste Schritt zur Versöhnung, weil die Achtung der Unterschiede eine Bedingung und eine Dimension dessen ist, was echte Beziehungen zwischen einzelnen und Gemeinschaften brauchen und auszeichnen. Die Unterdrückung der Unterschiede kann einen Scheinfrieden entstehen lassen, sie erzeugt aber eine bedenkliche Situation, die in der Tat das Vorspiel für neue Gewaltausbrüche ist.

Konkrete Mechanismen zur Versöhnung

4. Auch wenn Kriege die Probleme, durch die sie entfacht wurden, "lösen", hinterlassen sie dabei nur Opfer und Zerstörungen, die auf den nachfolgenden Friedensverhandlungen lasten. Diese Erkenntnis muß die Völker, Nationen und Staaten veranlassen, die "Kultur des Krieges" endgültig zu überwinden, und zwar nicht nur in der höchst verabscheuungswürdigen, als Werkzeug der Gewalt gebrauchten Ausdrucksweise einer Kriegsmacht, sondern auch in jener weniger gehässigen, aber darum genauso verderblichen Anwendung von Waffengewalt, die als schnelles Mittel verstanden wird, um die Probleme anzugehen. Besonders in einer Zeit wie der unsrigen, die über die ausgeklügeltsten Vernichtungstechnologien verfügt, ist es dringend geboten, eine solide "Kultur des Friedens" zu entwickeln, die der unaufhaltsamen Entfesselung der bewaffneten Gewalt zuvorkommen und sie abwenden soll, und dabei auch Eingriffsmöglichkeiten vorzusehen, die das Anwachsen der Rüstungsindustrie und des Waffenhandels verhindern. Zuvor aber muß der aufrichtige Wunsch nach Frieden noch in den festen Entschluß umgesetzt werden, jedes Hindernis zu beseitigen, daß sich der

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Erreichung des Friedens in den Weg stellt. In diesem Bemühen können die verschiedenen Religionen in der Spur dessen, was sie schon wiederholt getan haben, einen wichtigen Beitrag dadurch leisten, daß sie ihre Stimme gegen den Krieg erheben und mutig den Folgegefahren entgegentreten. Aber sind wir vielleicht nicht alle aufgerufen, noch mehr zu tun, indem wir aus dem unverfälschten Erbe unserer religiösen Überlieferungen schöpfen? Wesentlich in diesem Anliegen bleibt freilich die Aufgabe der Regierungen und der internationalen Gemeinschaft, deren Sache es ist, zum Aufbau des Friedens durch die Förderung solider Strukturen beizutragen, die imstande sein sollen, den 'furbulenzen der Politik zu widerstehen und so Freiheit und Sicherheit für alle und unter allen Umständen zu gewährleisten. Einige dieser Strukturen bestehen bereits, müssen aber noch gestärkt werden. Die Organisation der Vereinten Nationen zum Beispiel hat in jüngster Zeit eine immer größere Verantwortung bei der Erhaltung oder Wiederherstellung des Friedens übernommen und ist so der Idee gefolgt, unter der sie einst ins Leben gerufen wurde. Gerade aus dieser Sicht scheint es fünfzig Jahre nach ihrer Gründung geboten, den Wunsch nach einer entsprechenden Anpassung der ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu äußern, um ihr die Möglichkeit zu geben, den neuen Herausforderungen unserer Zeit wirksam zu begegnen. Auch anderen Organisationen auf kontinentaler oder regionaler Ebene kommt eine große Bedeutung zu: Sie sind Werkzeuge zur Förderung des Friedens. Es gibt Anlaß zur Ermutigung, wenn man sieht, wie sie sich für die Entwicklung konkreter Versöhnungsmechanismen engagieren, indem sie vom Krieg gespaltenen Bevölkerungen dabei helfen, die Grundlagen für ein friedliches und solidarisches Zusammenleben wiederzufinden. Es sind Formen der Vermittlung, die Völkern in scheinbar ausweglosen Situationen Hoffnung bieten. Nicht unterschätzt werden darf ferner das Wirken der Organisationen vor Ort: Da sie in die Umgebung eingebunden sind, wo die Keime des Konflikts gesät werden, können sie die einzelnen Menschen direkt erreichen, zwischen den feindlichen Lagern vermitteln und das gegenseitige Vertrauen fördern. Der dauerhafte Friede ist jedoch nicht nur eine Frage der Strukturen und Mechanismen. Er stützt sich vor allem auf die Annahme eines Stils menschlichen Zusammenlebens, der von gegenseitiger Annahme geprägt und zu freundlicher Vergebung fähig ist. Wir brauchen alle die Vergebung unserer Brüder und Schwestern, wir müssen daher alle bereit sein, selbst zu vergeben. Vergebung erbitten und gewähren ist ein Weg, der zutiefst der Würde des Menschen entspricht; manchmal ist es der einzige Weg, um aus Situatio-

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nen herauszukommen, die von altem, gewalttätigem Haß gekennzeichnet sind. Sicher ist die Vergebung für den Menschen nicht etwas Spontanes und Natürliches. Aus ganzem Herzen vergeben, kann sich mitunter geradezu als heroisch erweisen. Der Schmerz über den Verlust eines Sohnes, eines Freundes, der eigenen Eltern oder der ganzen Familie auf Grund von Krieg, Terrorismus oder krimineller Handlungen kann dazu veranlassen, sich dem anderen gegenüber völlig zu verschießen. Jene, denen nichts geblieben ist, weil sie des Landes und des Hauses beraubt wurden, die Flüchtlinge und alle, die die Schmach der Gewalttätigkeit ertragen haben, können gar nicht anders, als die Versuchung zu Haß und Rache zu spüren. Nur die Warme menschlicher Beziehungen, die von Achtung, Verständnis und Annahme durchdrungen sind, kann ihnen helfen, diese Gefühle zu überwinden. Dank der heilenden Kraft der Liebe, die ihre erste Quelle in Gott hat, der die Liebe ist, kann die befreiende Erfahrung der Vergebung, freilich unter großen Schwierigkeiten, auch von einem verletzten Herzen erlebt werden.

Wahrheit und Gerechtigkeit als Voraussetzungen der Vergebung 5. Die Vergebung ist in ihrer wahrsten und höchsten Form ein Akt ungeschuldeter Liebe. Aber gerade als Akt der Liebe birgt sie auch Forderungen in sich. Die erste ist die Achtung der Wahrheit. Gott allein ist die absolute Wahrheit. Er hat jedoch das menschliche Herz dem Verlangen nach der Wahrheit geöffnet, die er dann im menschgewordenen Sohn in Fülle offenbart hat. Alle sind also aufgerufen, die Wahrheit zu leben. Wo jedoch Lüge und Falschheit gesät werden, blühen Verdächtigung und Spaltung. Auch Korruption und politische oder ideologische Manipulation widersprechen ihrem Wesen nach der Wahrheit: Sie stellen einen Angriff auf die eigentlichen Fundamente des bürgerlichen Zusammenlebens dar und bedrohen die Möglichkeit zu friedlichen sozialen Beziehungen.

Weit davon entfernt, die Suche nach der Wahrheit aufzuschließen, fordert die Vergebung sie sogar. Das Böse, das angerichtet wurde, muß zugegeben und, soweit als möglich, wiedergutgemacht werden. Gerade diese Forderung hat in verschiedenen Teilen der Welt dazu geführt, im Zusammenhang mit den Übergriffen zwischen ethnischen Gruppen oder Nationen geeignete Verfahren zur Wahrheitsfindung als ersten Schritt zur Versöhnung einzuleiten. Man braucht die vorsichtige Zurückhaltung nicht eigens zu betonen, an die sich in diesem, gleichwohl notwendigen Prozeß alle halten müssen, um nicht die Gegensätze zu verschärfen und dadurch die Versöhnung noch

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schwieriger zu machen. Nicht selten kommt es vor, daß in Ländern angesichts des fundamentalen Gutes der Aussöhnung die Regierenden einmütig eine Amnestie für alle beschlossen haben, die sich öffentlich zu den Untaten bekannten, die sie in Zeiten von Krieg und Aufruhr begangen hatten. Eine solche Initiative kann man insofern gutheißen, als diese Bemühung darauf abzielt, gute Beziehungen zwischen einst einander feindlich gegenüberstehenden Gruppen neu anzuknüpfen. Eine andere wesentliche Voraussetzung für Vergebung und Versöhnung ist die Gerechtigkeit, die ihr letztes Kriterium im Gesetz Gottes und in seinem Plan der Liebe und Barmherzigkeit für die Menschheit hat. 1 So verstanden, beschränkt sich die Gerechtigkeit nicht auf die Festlegung dessen, was zwischen den Konfliktparteien korrekt ist, sondern sie zielt vor allem darauf ab, wieder echte Beziehungen zu Gott, zu sich selbst und zu den anderen herzustellen. Es besteht also kein Widerspruch zwischen Vergebung und Gerechtigkeit. Denn die Vergebung beseitigt noch verringert sie die Forderung nach Wiedergutmachung, die wesentlich zur Gerechtigkeit gehört. Statt dessen strebt sie die Wiedereingliederung sowohl der Einzelpersonen und der Gruppen in die Gesellschaft als auch der Staaten in die Gemeinschaft der Nationen an. Keine Bestrafung vermag die unveräußerliche Würde dessen abzutöten, der Böses getan hat. Die Tür zu Reue und Rehabilitierung muß stets offen bleiben.

Jesus Christus, unsere Versöhnung 6. Wie viele Situationen bedürfen heute der Versöhnung! Angesichts dieser Herausforderung, von der der Friede maßgeblich abhängt, richte ich an alle Gläubigen und in besonderer Weise an die Mitglieder der katholischen Kirche meinen Aufruf, sie mögen sich aktiv und konkret dem Versöhnungswerk widmen. Der Glaubende weiß, daß die Versöhnung von Gott ausgeht, der immer bereit ist, allen, die sich an ihn wenden, zu vergeben und alle ihre Sünden hinter seinen Rücken zu werfen (vgl. Jes 38, 17). Die Unermeßlichkeit der Liebe Gottes übersteigt das menschliche Begreifen, wie die Heilige Schrift sagt: "Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht" (Jes 49, 15). 1 Vgl. Johannes Paul 11., Enzyklika Dives in misericordia (30. November 1980), 14: AAS 72 (1980), 1223.

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Die göttliche Liebe ist die Grundlage der Versöhnung, zu der wir aufgerufen sind. "Der dir all deine Schuld vergibt und a11 deine Gebrechen heilt; der dein Leben vor dem Untergang rettet und dich mit Huld und Erbarmen krönt ... Er handelt an uns nicht nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Schuld" (Ps 103, 3 -4.10). In seiner liebenden Bereitschaft zur Vergebung ist Gott soweit gegangen, sich selber der Welt in der Person des Sohnes zu schenken, der gekommen ist, um jedem einzelnen und der ganzen Menschheit die Erlösung zu bringen. Angesichts der Beleidigungen seitens der Menschen, die in seiner Verurteilung zum Kreuzestod gipfeln, betet Jesus: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lk 23, 24).

Die Vergebung Gottes ist Ausdruck seiner väterlichen Zärtlichkeit. Im Gleichnis der Frohen Botschaft vom "verlorenen Sohn" (vgl. Lk 15, 11-32) eilt der Vater dem Sohn sofort entgegen, als er ihn nach Hause zurückkommen sieht. Er läßt ihn nicht einmal die Entschuldigungen vorbringen: alles ist verziehen (vgl. Lk 15, 20-22). Die tiefe Freude über die angebotene und empfangene Vergebung heilt unheilbare Wunden, stellt die Beziehungen wieder neu her und läßt sie Wurzel fassen in der unerschöpflichen Liebe Gottes. Jesus hat sein ganzes Leben lang die Vergebung Gottes verkündet, hat aber gleichzeitig auf die Forderung der gegenseitigen Vergebung als Bedingung für ihre Erlangung hingewiesen. Im "Vaterunser" läßt er uns beten: "Und erlaß uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben" (Mt 6, 12). Mit jenem "wie" legt er uns das Maß in die Hand, nach dem wir von Gott gerichtet werden. Daß Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht, der wegen seiner Härte gegenüber seinem Kollegen bestraft wurde (vgl. Mt 18, 23-35), lehrt uns, daß alle, die nicht zum Vergeben bereit sind, sich dadurch selber von der göttlichen Vergebung aufschließen: "Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt" (Mt 18, 35). Sogar unser Gebet ist dem Herrn nur dann genehm, wenn ihm die aufrichtige Bereitschaft zur Versöhnung mit dem Bruder, der "etwas gegen uns hat", vorausgeht, und es so gewissermaßen in seiner Glaubwürdigkeit "garantiert" ist: Erst dann wird es uns möglich sein, Gott eine Opfergabe darzubringen, die angenommen wird (vgl. Mt 5, 23-24).

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Im Dienst der Versöhnung 7. Jesus hat nicht nur seine Jünger die Pflicht der Vergebung gelehrt, sondern er wollte, daß seine Kirche Zeichen und Werkzeug seines Versöhnungsplanes sein sollte, weshalb er sie zum Sakrament "der innigsten Vereinigung mit Gott und der Einheit der ganzen Menschheit" 2 gemacht hat. Auf Grund dieser Aufgabe bezeichnete Paulus den apostolischen Dienst als "Dienst der Versöhnung" (vgl. 2 Kor 5, 18-20). Aber eigentlich muß sich jeder Getaufte als "Diener der Versöhnung" fühlen, weil er, wenn er sich mit Gott und den Brüdern versöhnt hat, aufgerufen ist, mit der Kraft der Wahrheit und der Gerechtigkeit den Frieden aufzubauen. Wie ich in dem Apostolischen Schreiben Tertio millennio adveniente in Er innerung rufen konnte, sind die Christen, während sie sich dafür rüsten, die Schwelle eines neuen Jahrtausends zu überschreiten, dazu eingeladen, erneut Reue zu zeigen für "alle jene Vorkommnisse im Laufe der Geschichte, wo sie sich vom Geist Christi und seines Evangeliums dadurch entfernt haben, daß sie der Welt, statt eines an den Werten des Glaubens inspirierten Lebenszeugnisses, den Anblick von Denk- und Handlungsweisen boten, die geradezu Formen eines Gegenzeugnisses und Skandals darstellten". 3 Dabei haben die Spaltungen, die die Einheit der Christen verletzen, ein besonderes Gewicht. Während wir uns auf die Feier des Großen Jubeljahres 2000 vorbereiten, müssen wir miteinander die Vergebung Christi suchen, indem wir vom Heiligen Geist die Gnade der vollen Einheit erflehen. "Die Einheit ist schließlich Gabe des Heiligen Geistes. Von uns wird verlangt, dieser Gabe dadurch zu entsprechen, daß wir Leichtfertigkeiten und Unterlassungen im Zeugnis für die Wahrheit nicht nachsichtig übergehen":' Während wir in diesem ersten Vorbereitungsjahr auf das Jubiläum den Blick auf Jesus Christus, unsere Versöhnung, richten, wollen wir durch Gebet, Zeugnis und Tat alles uns Mögliche tun, um auf dem Weg zu einer größeren Einheit voranzukommen. Daß wird sicher auch nicht seinen positiven Einfluß auf die Befriedungsprozesse verfehlen, die in verschiedenen Teilen der Welt im Gange sind. Im Juni 1997 werden die Kirchen Europas in Graz ihre zweite Europäische Ökumenische Versammlung über das Thema "Versöhnung, Geschenk Gottes und Quelle neuen Lebens" abhalten. Als Vorbereitung auf diese Begegnung haben die Vorsitzenden der Konferenz der Kirchen Europas und 2

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li. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 1. Nr. 33: AAS 87 (1995), 25. Ebd., 34, a. a. 0 .. , 26.

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des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen eine gemeinsame Botschaft verbreitet, in der sie um einen erneuerten Einsatz für die Versöhnung, "Geschenk Gottes für uns und für die ganze Schöpfung", bitten. Sie haben auf einige der vielfältigen Aufgaben hingewiesen, die die kirchlichen Gemeinschaften erwarten: die Suche nach einer noch sichtbareren Einheit und der Einsatz für die Versöhnung der Völker. Das Gebet aller Christen möge die Vorbereitung dieses Treffens in den Ortskirchen unterstützen und konkrete Schritte zur Versöhnung auf dem ganzen europäischen Kontinent fördern, um dadurch den Weg zu ähnlichen Anstrengungen auch auf anderen Kontinenten zu eröffnen. In dem erwähnten Apostolischen Schreiben habe ich den lebhaften Wunsch ausgesprochen, daß die Christen auf diesem Weg in das Jahr 2000 die Bücher der Heiligen Schrift als ständigen Begleiter und Wegweiser haben sollen. 5 Ein äußerst aktuelles Thema, das auf diesem Pilgerweg Anleitung sein mag, könnte das Thema Vergebung und Versöhnung sein, das in den konkreten Situationen jedes einzelnen und jeder Gemeinschaft bedacht und ins Leben umgesetzt werden sollte.

Ein Aufruf an jeden Menschen guten Willens 8. Ich möchte diese Botschaft, die ich anläßlich des bevorstehenden Weltfriedenstages an die Gläubigen und an jeden Menschen guten Willens richte, mit einem Aufruf an jeden einzelnen abschließen, ein Werkzeug des Friedens und der Versöhnung zu werden. An erster Stelle wende ich mich an euch, meine Brüder im Bischofs- und Priesteramt: Seid ein Spiegel der barmherzigen Liebe Gottes, nicht nur in der Gemeinschaft der Kirche, sondern auch im Bereich der weltlichen Gesellschaft, besonders dort, wo nationalistische oder ethnische Kämpfe toben. Laßt trotz möglicher Leiden, die ihr ertragen müßt, nicht eure Herzen vom Haß durchdringen, sondern verkündet freudig das Evangelium Christi, indem ihr durch das Sakrament der Versöhnung die Vergebung Gottes ausspendet. Euch, liebe Eltern, bitte ich als erste Glaubenserzieher eurer Kinder, ihnen zu helfen, alle als Brüder und Schwestern anzusehen und dem Nächsten ohne Vorurteile vertrauensvoll zu begegnen und ihn anzunehmen. Seid für eure Kinder ein Spiegel der Liebe und Vergebung Gottes, und bemüht euch mit allen Kräften, eine geeinte und solidarische Familie aufzubauen. 5

Vgl. ebd., 40, a. a. 0 .. , 31.

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Und ihr, liebe Erzieher, die ihr berufen seid, die Jugend die wahren Werte des Lebens zu lehren, indem ihr sie in die ganze komplizierte Geschichte und Kultur der Menschheit einführt, helft den jungen Menschen, auf jeder Ebene die 'lUgenden der Toleranz, des Verständnisses und der Achtung zu leben, indem ihr ihnen jene als Vorbilder hinstellt, die Baumeister des Friedens und der Versöhnung waren. Ihr, liebe junge Menschen, die ihr im Herzen große Wünsche hegt, lernt, miteinander in Frieden zu leben, ohne untereinander Barrieren aufzurichten, die euch daran hindern, den Reichtum anderer Kulturen und Traditionen zu teilen. Antwortet auf die Gewalt mit Taten des Friedens, um eine versöhnte, von Menschlichkeit erfüllte Welt aufzubauen. Ihr Politiker, die ihr dem Gemeinwohl dienen sollt, schließt niemanden aus eurer Sorge aus, kümmert euch besonders um die schwächsten Gruppen der Gesellschaft. Setzt nicht den persönlichen Vorteil an die erste Stelle, indem ihr der Verlockung der Korruption nachgebt, und vor allem: Begegnet auch den schwierigsten Situationen mit den Waffen des Friedens und der Versöhnung.

Euch, die ihr im Bereich der Massenmedien arbeitet, bitte ich, die große Verantwortung wahrzunehmen, die euer Beruf mit sich bringt, und nie Botschaften anzubieten, die den Stempel von Haß, Gewalt und Lüge tragen. Habt immer die Wahrheit und das Wohl des Menschen im Blick, in dessen Dienst die mächtigen Massenmedien gestellt werden müssen. An euch alle, die ihr an Christus glaubt, richte ich schließlich die Einladung, treu auf dem Weg der Vergebung und Versöhnung weiterzugehen und euch im Gebet Christus abzuschließen, auf daß alle eins seien (vgl. Joh 17, 21). Ich fordere euch außerdem auf, dieses unablässige Flehen um Frieden mit Taten der Brüderlichkeit und gegenseitigen Annahme zu begleiten. An jeden Menschen guten Willens, der den Wunsch hat, unermüdlich mitzuwirken am Aufbau der neuen Zivilisation der Liebe, wiederhole ich: Biete die Vergebung an, empfange den Frieden! Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1996. JOANNES PAULUS II

BIETE DIE VERGEBUNG AN, EMPFANGE DEN FRIEDEN Joachim Kardinal Meisner I. Zur Ausgangslage der Weltfriedensbotschaft 1997: "Präsentische Eschatologie"

1. "Frieden gabst du schon, Friede muss noch werden "1 Ungefähr 700 Jahre vor Christi Geburt war es, also etwa zur Zeit des großen Homer, als der weniger bekannte, aber keineswegs unbedeutende griechische Dichter Resiod wirkte. In seiner "Theogonie", einem Werk über die Ursprünge der Götter und der Welt, hinterließ er uns die Erzählung von den aufeinander folgenden Epochen der Menschheit. Den Auftakt dieser Zeitenfolge macht das bis heute sprichwörtliche "Goldene Zeitalter", in dem Götter, Welt und Menschen in Frieden und vollkommener Harmonie miteinander lebten. Es spricht für sich, dass Hesiod, der große Protagonist der Wahrheit, sich selbst und seine Zeitgenossen in der "Eisernen Epoche" ansiedelt, die durch Unfriede und Egoismus gekennzeichnet ist. Er will ja keineswegs nur erbauen, sondern versteht seine Werke als "Lehrgedichte". Indem Hesiod seinen Mitmenschen die besseren Ursprünge vor Augen führt und in ihnen die Sehnsucht nach dem verlorenen Goldenen Zeitalter weckt, gibt er ihnen zugleich ein Ziel: die Wiedererlangung des Großen Friedens. Um das Jahr 700 vor Christus herum treten aber nicht nur Homer und Hesiod auf. In Juda, dem Südreich Israels, beruft Gott zu dieser Zeit den Propheten Jesaja. Auch dessen Botschaft - Fragen der Traditionsschichten und redaktionellen Bearbeitung dürfen wir hier vernachlässigen - weist verheißend und mahnend darauf hin, dass Gott die Hannonie seiner Schöpfung wieder herstellen will und wird. Besonders eindringlich und eindrucksvoll erscheint dieser Ausblick in der Vision vom Tierfrieden, die buchstäblich eine Wiederherstellung paradiesischer Zustände beschwört: "Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. 1

Aus dem Neuen Geistlichen Lied "Komm, Herr, segne uns".

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Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist" (Jes 11, 6-9). Anders als Hesiod es getan haben mag, kann Jesaja letztlich nicht darauf hoffen, dass menschliche Anstrengung und Tugend den paradiesischen Frieden wiederbringen werden. Aber er erwartet, kündigt sogar an, dass Gott selbst seinen Schöpferwillen durchsetzen wird. Zwar stellt der Friede durchaus ein Ziel realpolitischen und sozialen Strebens und Handeins dar; hier aber erhält er darüber hinaus eschatologische Qualität. Nicht zuletzt in den Psalmen wird das deutlich, etwa wenn es vom Friedenskönig und seinem Reich heißt: "Die Gerechtigkeit blühe auf in seinen Tagen und großer Friede, bis der Mond nicht mehr da ist" (Ps 72, 7). Konkrete, aktuelle Hoffnung auf einen gerechten Herrscher und eschatologische Erwartung des messianischen Königs vermischen sich hier miteinander. Allerdings fragt es sich, ob das, was dem Israeliten recht ist, dem Christen billig sein darf. Sicherlich, Juden wie Christen erwarten denjenigen "vom Himmel her ... , der uns dem kommenden Zorn Gottes entreißt" (1 Thess 1, 10). Was aber Israel als erste Ankunft des Messias versteht, ist für die Kirche Wiederkehr Christi. Das Neue Testament sagt uns ausdrücklich, dass wir in der "Endzeit" leben (Hebr 1,2), in der "letzten Stunde" (1 Joh 2, 18). Dürfen wir Christen da auf ein kommendes, noch ausstehendes "Goldenes Zeitalter des Friedens" hoffen? Das Königtum Gottes, das in "Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" besteht (Röm 14, 17), ist doch schon angebrochen unter uns. Hat nicht Christus, der messianische Friedensherrscher, sein Erlösungswerk auf Erden bereits vollbracht? Hat er uns nicht zugesagt: "Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht" (Joh 14,27)? Mehr noch: Ist Christus nicht selbst "unser Friede", der "die beiden Teile (Juden und Heiden)" vereinigte und "durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft" niederriss (Eph 2, 14)? Gewiss. Aber gerade weil der Gläubige im Wissen um die Menschwerdung Christi vor 2000 Jahren auf dessen zweite und endgültige Parusie hofft, lebt er zugleich im "schon" und im "noch nicht"; diese Spannung prägt seine Existenz bis ins Innerste. Klagt schon Ijob, das Leben des Menschen sei "Kriegsdienst" (7, 1), so verschärft sich diese Bedrängnis für die Christen. Sie wissen ja um den Anbruch der Gottesherrschaft, zugleich aber eben

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auch um die Hindernisse, die sich diesem in den Weg stellen. Apostel und missionarische Wanderprediger waren die ersten, die das Gottesreich gleichzeitig verkündigten und im Vaterunser erflehten. Dieser scheinbar so paradoxe Sachverhalt- die Diastase zwischen dem Anbruch der Gottesherrschaft auf Erden und ihrer Vollendung - liegt begründet in der Inkongruenz von Kirche und Welt. Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschheit sind leider häufig sehr wenig identisch mit Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Christenheit; das haben die Märtyrer aller Epochen und Kulturen am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Denn "das Evangelium vom Reich" (Mt 9, 35) ist nun einmal nur für denjenigen Frohbotschaft, der auf eben diese Herrschaft Gottes hofft; für jeden anderen ist es Drohbotschaft. Und so sagt derselbe, der als Auferstandener seine Jünger mit den Worten "Der Friede sei mit euch!" grüßt, diesen schon zu Lebzeiten voraus: "Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein" (Mt 10, 34). Damit ist nicht die Hoffnung auf endgültigen Frieden zunichte gemacht, den schon das Buch Jesaja für das "Ende der Tage" ankündigte: "Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort. Er spricht Recht im Streit der Volk er, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg (2, 3-4, vgl. Micha 4, 3). Aber das messianische Friedensreich wächst nun einmal nach dem Gesetz des Senfkornes. Die Prophezeiung Jesajas und Michas stellt einen Vorausblick auf die Endzeit dar, wenn sich das Königtum Gottes auf Erden durchgesetzt hat; das haben viele- namentlich die Anhänger der "Friedensbewegung" -übersehen. Natürlich wird auch jetzt schon jeder Christ all seine Kraft darauf verwenden, Frieden in der Welt zu schaffen und diese dadurch für das Heilshandeln Gottes zu disponieren. Dennoch ist es in der gegenwärtigen Periode nur allzu oft noch notwendig, Gewalt zu ertragen oder etwa für staatliche Instanzen- sogar selbst auszuüben, um Unrecht zu verhindern. Dies aber bedeutet die Umkehrung des berühmten Schlagwortes "Schwerter zu Pflugscharen", wie sie sich bei Joel findet: "Schmiedet

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Schwerter aus euren Pflugscharen und Lanzen aus euren Winzermessern! Der Schwache soll sagen: Ich bin ein Kämpfer" (4, 10).

2. Die Weltfriedensbotschaft in der Vorbereitung auf das Heilige Jahr 2000 So steht also auch die christliche Friedenshoffnung unter einem "eschatologischen Vorbehalt". Die Hoffnung auf einen endgültigen und umfassenden Frieden durchzieht den gesamten Zeitenfluss, seit es Menschen gibt; wie aber ein Wasserlauf seine Katarakte und Kaskaden hat, so weist auch der Strom der Zeit Perioden auf, in denen die eschatologische Friedenshoffnung besonders heftig aufwallt. Insofern kann es kaum verwundern, dass sich die Friedensbotschaft des Heiligen Vaters ebenfalls als erfüllt von eschatologischer Dynamik erweist, sofern sie eng mit der Vorbereitung des Heiligen Jahres 2000 verflochten ist, in deren zweite Vorbereitungsphase die Kirche justim Jahre 1997 eintrat. Diese folgte nach dem Willen des Papstes auf eine Zeit allgemeiner Einstimmung und Sensibilisierung für den kairas des bevorstehenden Jubeljahres. Mit dem Jahr 1997, das zugleich das Jahr der hier zu behandelnden Friedensbotschaft ist, begann die zweite Phase, die der unmittelbaren Vorbereitung, die sich bis 1999 erstreckte. Sie war trinitarisch strukturiert: An das "Jahr Jesu Christi" schloss sich 1998 das "Jahr des Heiligen Geistes" und 1999 das "Jahr Gottes des Vaters" an. Diese zweite Vorbereitungsphase mündete dann unmittelbar in das Jahr 2000, das "Jahr der Dreifaltigkeit". Christlicher Logik folgend, zeigte sich die gesamte Vorbereitungszeit ebenso wie das Jubeljahr selbst als "christozentrisch", ganz auf den menschgewordenen Gottessohn ausgerichtet, was sich auch im Generalthema niederschlug: "Jesus Christus, alleiniger Retter der Welt, gestern, heute und in Ewigkeit (vgl. Hehr 13, 8)". "Tertio millenio adveniente" (TMA), das päpstliche Schreiben zur Vorbereitung auf das Heilige Jahr 2000, gliedert die geprägten Jahre in ihre verschiedenen theologischen Aspekte auf, worunter sich beispielsweise jeweils eine sakramentale Aktualisierung oder Hinweise auf die ökumenische Dimension finden. Die wesentlichen Aspekte des Christusjahres 1997, die TMA aufführt, sind: • die Wiederentdeckung Christi als des Retters und des Verkünders des Evangeliums; • seine Menschwerdung von Maria, der Jungfrau;

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• die Heilsnotwendigkeit des Glaubens an Christus; • die Begegnung mit Gott dem Vater durch das Wort der biblischen Offenbarung; • die Wiederentdeckung der Taufe als der Grundlage christlicher Existenz; • die ökumenische Begegnung mit den anderen, eben durch die Taufe sakramental mit den Katholiken verbundenen Christen; • die Wiederentdeckung der Katechese; • Maria als Vorbild gelebten Glaubens. Bei der folgenden Darstellung und Erläuterung der Weltfriedensbotschaft des Heiligen Vaters von 1997 wird es wesentlich darum gehen, diese in die dargestellte eschatologische Dynamik der Vorbereitung auf das Heilige Jahr 2000 und die Jahrtausendwende einzuordnen und dabei die christologische Ausrichtung unter den aufgezählten Aspekten im Blick zu halten.

ß. "Biete die Vergebung an, empfange den Frieden": Die Weltfriedensbotschaft von 1997

1. Zum Motto der Weltfriedensbotschaft Der Zusammenhang von Vergebung und Friede ist angesiedelt im Herzstück christlichen Glaubens. Das kommt in der Osternacht, der "Mutter aller Vigilien", ja aller Eucharistiefeiern, eindrucksvoll zum Ausdruck. So heißt es im "Exsultet", dem großen Lobgesang an der Osterkerze: "Der Glanz dieser heiligen Nacht nimmt den Frevel hinweg, reinigt von Schuld, gibt den Sündern die Unschuld, den Trauernden Freude. Weit vertreibt sie den Hass, sie einigt die Herzen und beugt die Gewalten". Durch Tod und Auferstehung Christi ist uns die Unschuld neu geschenkt; wo aber die Schuld getilgt wird, da schwinden zugleich auch Hass und Unfriede. Nicht zufällig zeigt sich die Osternacht von alters her als bevorzugter Termin der Taufspendung, des primären Sakramentes der Sündenvergebung also. Auch die Absolutionsformel, die Lossprechung innerhalb des Bußsakramentes, bringt diesen Zusammenhang deutlich zum Ausdruck: "Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden." Mag dieser Zusammenhang von Christen aller Konfessionen noch in ökumenischer Gemeinsamkeit bejaht werden, so birgt das oben genannte Motto

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doch Sprengstoff in sich. Denn bei genauer Betrachtung stellt sich heraus, dass hier gar nicht primär von Gottes Vergebung die Rede ist, sondern von der des Menschen, und zwar im Sinne einer Voraussetzung, ja gewissermaßen eines "Tauschobjektes" des Friedens. Kann der Friede, den wir als Christen ersehnen, Produkt oder Konsequenz menschlichen Handeins sein? Kommt er nicht ganz und ausschließlich von Gott? Aber nur vordergründig handelt es sich hier um einen Widerspruch. Dass sich göttliches Handeln in menschlichem 'fun birgt, stellt nicht nur eine spezifisch katholische und orthodoxe Überzeugung dar, sondern eine biblische Grundweisheit. Auch das Gebet des Christen schlechthin, das Vaterunser, weiß um diesen Zusammenhang und fasst ihn in Gebetsworte. "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigem": Diese Bitte in ihrer heutigen, interkonfessionell gebräuchlichen Fassung mildert - wohlgemerkt! -die neutestamentlichen Originalformulierungen sogar noch ab. Denn während Matthäus sagt "wie auch wir vergeben haben unseren Schuldigem" und damit gewissermaßen eine von uns bereits erbrachte Vorleistung bezeichnet, klagt Lukas Gottes Vergebung geradezu als dessen moralische Pflicht ein, wenn er formuliert: " ... denn auch wir vergeben jedem, der uns schuldet". Dennoch brauchen wir angesichts dieser Offenbarungsworte den kürzlich erst formulierten Konsens mit dem Lutherischen Weltbund in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre nicht aufzukündigen. In der Tat steht am Anfang immer und unangefochten Gottes gnädiges Handeln, seine Liebe zu den Menschen. Aber diese Liebe will, eben weil sie Liebe ist, zum einen erwidert werden, zum andern sich unter den Menschen verbreiten. So kommt es zu dem zentralen christlichen Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe. Unverdient erhält jener Knecht in dem berühmten Gleichnis (Mt 18, 23-35) den Erlass seiner ungeheuren Schulden. Daraufhin hätte er nicht nur seinem Herrn dankbar sein, sondern desgleichen handeln sollen; und weil er genau dies nicht tat, sondern seinem Mitknecht gegenüber unbarmherzig war, wurde er "den Folterknechten übergeben, bis er die ganze Schuld bezahlt habe" (18, 34). Niemand anderer als Gott selbst ist der Quell der Gnade, der Versöhnung und des Friedens; er selbst ist es aber auch, der die Menschen dazu ausersehen hat, seine Liebe zu verbreiten. "Einen Mann erschlage ich für eine Wunde und einen Knaben für eine Strieme. Wird Kain Siebenfach gerächt, dann Lamech siebenundsiebzigfach", so rühmt sich Lamech der Blutrache (Gen 4, 23- 24) - und setzt damit ein unheilvolles Gesetz in Kraft, dass Hass, Gewalt und Unfriede multipliziert. Christus dagegen lehrt uns, den Frieden zu

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erwirken und zu verbreiten, indem wir unserem Nächsten "nicht sieben, sondern siebenundsiebzigrnal" vergeben (Mt 18,22). Wenn wir also wie jener undankbare Knecht Versöhnung und Frieden nicht weitergeben und so den "Kreislauf der Gnade" hemmen, begeben wir uns selbst der Versöhnung und des Friedens Gottes. Bieten wir dagegen in der Kraft göttlicher Gnade die Vergebung an, wie sie uns selbst von Gott geschenkt ist, dann empfangen wir unsererseits den Frieden - und zwar nicht nur den Frieden mit unseren Mitmenschen, sondern den großen, allumfassenden Frieden Gottes.

2. Die Anliegen der Weltfriedensbotschaft 1997 Wie nicht anders zu erwarten, stellt sich Johannes Paul II., der "Papst der Jahrtausendwende", direkt zu Beginn seiner Botschaft hinein in eben die eingangs geschilderte Dynamik des Heiligen Jahres. Neben vielen großen Errungenschaften des zweiten Jahrtausends konstatiert er auch Schattenseiten: Verstöße gegen die Moral, gegen die Solidarität, insbesondere aber auch die Gewalt gegen Menschen, die ihm Anlass bietet, sich auf einen "Pilgerweg des Friedens" (n. 1) zu machen. Und hier kommt der Heilige Vater auf den Zusammenhang zu sprechen, der in den obigen Vorüberlegungen betrachtet wurde: Wir haben "das Ziel des Friedens auf dem Weg der Vergebung zu verfolgen" (n. 1). Und auch den ebenfalls oben schon bedachten Ursprung des Friedens lässt er nicht unerwähnt: "Gottes Vergebung wird in unseren Herzen zur unerschöpflichen Quelle des Verzeihens auch in unseren Beziehungen untereinander und hilft uns, sie im Zeichen echter Brüderlichkeit zu leben" (n. 1). Trotz mancher hoffnungsvollen Zeichen in der heutigen Zeit -technischer Fortschritte, gewachsenen Verantwortungsbewusstseins gegenüber Umwelt und Mitmenschen- stellt Johannes Paul Il. fest, dass unsere Welt verwundet ist und sich nach Heilung sehnt. Materialismus, Geringschätzung des Lebens, Diskriminierung, Armut und Krieg quälen die Menschheit weiterhin und fordern uns in unserem Gewissen heraus. Hier deutet sich der besagte Kreislauf von Verzeihung und Frieden an, der so leicht als utilitaristisches "do ut des" missverstanden werden könnte: "Wir haben alle die Vergebung Gottes und des Nächsten nötig. Deshalb müssen wir alle bereit sein, zu vergeben und um Vergebung zu bitten" (n. 2). Die Vergebung wird freilich erheblich erschwert durch "die Last der Geschichte" (n. 3). Die erbsündliche Verfasstheit der Schöpfung konkretisiert sich in schmerzlichen Erinnerungen an erlittenes oder begangenes Unrecht, in Angst, Wut und Hass. All dies ist nicht einfach zu vergessen, aber, so

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mahnt der Heilige Vater, man kann auch nicht "Gefangener der Vergangenheit bleiben" (n. 3). Bisher haben wir nur das eine aus der Geschichte gelernt, nämlich dass wir nichts aus der Geschichte lernen. Darum tut ein Neuanfang not: Wir müssen auch und gerade die Geschichte der anderen Völker und ihre daraus resultierenden, unterschiedlichen Standpunkte kennenlernen. Solche Unterschiede zu unterdrücken - darauf weist der Papst unverkennbar aus seiner Kenntnis Osteuropas heraus hin - schafft nur einen Scheinfrieden, der nicht von Dauer sein kann. Von eschatologischer Qualität ist der Friede, den die Christen erhoffen und erbitten. Aber weil Gott sowohl in seinem Schöpfungs- wie auch in seinem Erlösungswerk nach dem Gesetz der Inkarnation vorgeht, bedarf es ganz "konkrete(r) Mechanismen zur Versöhnung", will man die "Kultur des Krieges" durch eine "Kultur des Friedens" ablösen (n. 4). Wiederum ist es charakteristisch für den Heiligen Vater, dass er in diesem Kontext die Rolle der Religionen - keineswegs nur die des Christentums - erwähnt. Nicht um Synkretismus geht es ihm dabei, sondern um eine gemeinsam wahrgenommene Verantwortung. In erster Linie lastet diese freilich auf den Regierungen, die durch Strukturen und Organisationen wie die UNO und andere Zusammenschlüsse "auf kontinentaler oder regionaler Ebene" sowie "vor Ort" (n. 4) die Voraussetzungen für die weltweite, umfassende Versöhnung und den dauerhaften Frieden zwischen den Völkern schaffen müssen. Und auch hier, wo es scheinbar um rein organisatorische, logistische Notwendigkeiten und Ziele geht, kommt Johannes Paul II. wieder auf den "roten Faden" der Weltfriedensbotschaft zu sprechen: "Der dauerhafte Friede ist jedoch nicht nur eine Frage der Strukturen und Mechanismen .... Vergebung erbitten und gewähren ist ein Weg, der zutiefst der Würde des Menschen entspricht; manchmal ist es der einzige Weg, um aus Situationen herauszukommen, die von altem, gewalttätigem Hass gekennzeichnet sind" (n. 4). Dabei übersieht er nicht die bisweilen schier unüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten, die sich aus der bereits genannten Last der Vergangenheit ergeben; und dennoch - oder gerade deshalb - ermuntert der Papst alle Menschen, den Weg der Vergebung in der heilenden Kraft der Liebe zu gehen. Nicht zuletzt in der oben kurz erwähnten Rechtfertigungsproblematik wird oft von der angeblich "bedingungslosen Zuwendung Gottes" gesprochen, wo seine ungeschuldete und nicht zu erkaufende Liebe gemeint ist. Tatsächlich birgt echte Liebe jedoch immer und unausweichlich auch Forderungen in sich, deren "erste ... die Achtung der Wahrheit" ist (n. 5). Nicht Lüge und Korruption bringen Einigkeit mit sich; diese ist vielmehr Frucht

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der für jede Vergebung unabdingbaren Erkenntnis auch schmerzlicher Wahrheiten. So bezeichnet Johannes Paul Il. die behutsame Wahrheitsfindung als "ersten Schritt zur Versöhnung", der sogar in eine Amnestie münden kann (n. 5). Als wesentlich stellt sich aber auch die (wie die Wahrheit in Gott wurzelnde) Gerechtigkeit dar; der Heilige Vater greift hier seine Enzyklika "Dives in misericordia" von 1980 auf. Schon dort hat er darauf hingewiesen, dass sich Barmherzigkeit und Recht nicht gegenseitig widersprechen; vielmehr ist "das echte Erbarmen ... sozusagen die tiefste Quelle" und "auch die vollkommenste Inkarnation der Gerechtigkeit". 2 Angewandt auf das Thema des umfassenden Friedens zwischen den Volkern der Erde, bedeutet dies, dass die Vergebung "die Forderung nach Wiedergutmachung, die wesentlich zur Gerechtigkeit gehört" weder beseitigt noch verringert (n. 5).

Und wieder richtet der Papst den Blick auf die eigentliche Quelle allen Friedens, indem er hervorhebt, "dass die Versöhnung von Gott ausgeht" (n. 6). Diese göttliche Liebe ist Grundlageall unserer Vergebung. Wie radikal Gott seinen Vergebungswillen uns Menschen gegenüber umsetzt, zeigt sich daran, dass er "sich selber der Welt in der Person des Sohnes" geschenkt hat; "Jesus Christus ist selbst unsere Versöhnung" (n. 6). Hier kommt nun auch Johannes Paul II. auf das oben schon erwähnte Gebet des Herrn zu sprechen, in dem am deutlichsten wird, wie sehr "die Forderung der gegenseitigen Vergebung" geradezu eine Bedingung für die Erlangung der eigenen darstellt (n. 6). Und geradezu naturgemäß folgt der Hinweis auf das ebenfalls schon erwähnte Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht.

"Im Dienste der Versöhnung" (n. 7) steht nun nicht nur jeder einzelne Christ, sondern auch die Kirche als ganze, als Heilsrealität und -werkzeug. Hier kommt nun die Dynamik des Heiligen Jahres explizit zum Tragen: In der Vorbereitung auf die Jahrtausendwende sollen sich alle Christen ihrer Verfehlungen bewusst werden, die ihr Christuszeugnis trüben. Und wiederum spricht hier unverkennbar Johannes Paul II., diesmal als "Papst der Ökumene", wenn er Reue und Vergebungssuche der Gläubigen im Hinblick auf "die Spaltungen, die die Einheit der Christen verletzen" (n. 7), be sonders anmahnt. Denn wie die Spaltungen der Christenheit deren Glaubenszeugnis empfindlich beeinträchtigen, fügt sich umgekehrt jedes redliche, der Wahrheit verpflichtete ökumenische Bestreben ein in die Suche nach Einheit, Harmonie und Frieden der ganzen Schöpfung. Der Papst vergisst nicht, an dieser Stelle auf die zweite Europäische Ökumenische Versammlung in Graz hinzuweisen. In der Rückschau erkennen wir heute, dass diese 2

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tatsächlich einerseits manchen Aufbruch mit sich gebracht, andererseits aber auch gezeigt hat, wie tief sich Risse in die Ökumenische Bewegung selbst eingegraben haben. Seinen der Ökumene gewidmeten Einschub schließt der Heilige Vater mit einem erneuten Rekurs auf TMA und die dort gegebene Ermunterung, sich an der Heiligen Schrift zu orientieren - auch für "das Thema Vergebung und Versöhnung ... , das in den konkreten Situationen jedes einzelnen und jeder Gemeinschaft bedacht und ins Leben umgesetzt werden sollte" (n. 7). Wer Frieden sucht, sucht Einheit - aber nicht im Sinne von Uniformität, sondern von Harmonie, organischer Ergänzung verschiedener Teile. Und so muss auch das Friedensstreben selbst auf verschiedene Weisen vonstatten gehen, gemäß den jeweiligen Gaben und Aufgaben der Menschen. Insofern differenziert der Papst seinen Aufruf abschließend noch einmal: Bischöfe und Priester bittet er, die barmherzige Liebe Gottes zu verkörpern, und zwar nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch in der Gesellschaft, namentlich da, wo der Friede durch Rassismus und Nationalismus bedroht ist. Die Eltern erinnert er an ihre Aufgabe, die göttliche Liebe ihren Kindern nahezubringen und im Familienleben zu verwirklichen. Die Erzieher ruft Johannes Paul II. dazu auf, den Jugendlichen 'fugenden wie Toleranz, Verständnis und Achtung vorzuleben. Die Jugendlichen selbst sollen in Frieden miteinander leben, grade auch dann, wenn sie von Gewalt bedroht sind. Die Politiker mahnt der Papst zu selbstlosem, vergebungsbereitem Engagement insbesondere gegenüber den Schwachen. Auch die Verantwortung derjenigen, die im Bereich der Massenmedien arbeite(n), ruft er ins Gedächtnis. Alle Christgläubigen lädt der Heilige Vater dazu ein, in Gebet und Tat der Versöhnung und dem Frieden Christi zu dienen. Jede(m) Menschen guten Willens aber gilt das Motto, mit dem Johannes Paul II. die Weltfriedensbotschaft 1997 sowohl eröffnet hat und nun auch beschließt: "Biete die Vergebung an, empfange den Frieden!" (n. 8).

m.Resümee

Friedensbotschaften und Prophezeiungen haben eines gemeinsam: Sie werden daran gemessen, ob und wieweit das eintritt, was sie künden. Für eine prophetische Friedensbotschaft an der Schwelle zum dritten Jahrtausend gilt dieses Kriterium demnach doppelt. Gerade in dieser Hinsicht jedoch mag man an der christlichen Friedenshoffnung geradezu verzweifeln: Im Jahre 1997 lag die Wende im Osten gerade so weit zurück, dass man ermessen konnte, wie wenig berechtigt die mit ihr verbundenen Friedenshoff-

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nungen waren. Beendet war nicht nur der Kalte Krieg, sondern ebenso der Scheinfrieden innerhalb des Sowjetblockes. Gleichzeitig brachen weltweit immer neue Herde der Unruhe und der Auseinandersetzung auf, deren Eindämmung der westlichen Welt wiederum nur mit Hilfe militärischer Mittel gelang, und dies -wie zu befürchten steht - auch nur vordergründig. Stellt die Friedensbotschaft 1997 in dieser Hinsicht nicht eine- je nach Einstellung als rührend oder als ärgerlich zu bezeichnende- Naivität und Weltfremdheit dar, die die Kirche im Grunde als Dialogpartner im Bemühen um den Weltfrieden eher disqualifiziert? Versteht man den Begriff "Weltfremdheit" im rechten Sinne, so kann er den Christen und seinen Glauben durchaus angemessen charakterisieren. "Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist", mahnt der heilige Apostel Paulus die Römer (12, 2). Darin eben besteht sinnvolle Weltfremdheit: zu erkennen, was Gottes Wille ist und wo die gegenwärtige Welt von diesem abweicht. Christliche Prophetie ist wesensmäßig "weltfremd", weil Gott sein Wort an die Menschen bevorzugt dann ergehen lässt, wenn die Welt pervertiert und sich so vom Schöpferwillen entfernt. In gewisser Weise in den Fußspuren des Hesiod und mehr noch des Jesaja wandelnd, verkündet die Kirche buchstäblich das Paradies, das am Anfang der biblischen Offenbarung (Gen 2, 4b-25) ebenso steht wie an deren Ende (Apk 22). Die Menschen haben das Goldene Zeitalter des paradiesischen Friedens verspielt, aber tief in ihrem Inneren tragen sie immer noch die Ahnung, dass nicht "Krieg der natürliche Zustand der Menschen war, bevor die Gesellschaft gebildet wurde, und zwar nicht einfach der Krieg, sondern der Krieg aller gegen alle", wie Thomas Hobbes in seinen "Philosophischen Grundlagen über den Bürger" (1, 12) meinte. "Im Anfang war das nicht so" (vgl. Mt 19, 8), halten wir Christen dagegen; der wahre, dem Schöpferwillen entsprechende Urzustand, mit dessen Wiederherstellung Gott bereits begonnen hat, ist die Harmonie von Gott, Mensch und Universum: der Friede. So gehört also eine ganze Portion "utopischer" Kraft dazu, wenn man sich in den Friedensdienst Gottes stellen will. Im besten Sinne weltfremd muss sein, wer nicht dazu bereit ist, im Krieg den heraklitischen "Vater aller Dinge" zu sehen; wer angesichts des immer wieder neuen Versagens von Strukturen und Verträgen deshalb nicht resigniert, weil er den alles übersteigenden Frieden Gottes schon vor Augen hat, ja in seinem Herzen trägt; wer trotz der Begrenztheit seiner Kräfte nicht zusammenbricht, weil er nicht "Macher" des Friedens sein muss oder auch nur sein kann, sondern Frie11 Johannes Paul li.

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denswerkzeug in der je größeren Hand Gottes ist. Ein solches Streben aber stellt immer auch prophetische Existenz dar, die gerade dort das messianische Friedensreich verkündet, wo die Menschen untereinander buchstäblich heil-los zerstritten sind. Und doch- allem Anschein zum Trotz- ist diese "weltfremde", christliche Hoffnung nicht gegenstandslos. Das messianische Friedensreich ist nicht utopisch "im Sinne des Erfinders" dieses Begriffes, Thomas Morus, etwa wie das "Wolkenkuckucksheim" des Aristophanes oder gar Sebastian Brants "Schlaraffenland". Weil Christus selbst unser Friede ist, erweist sich die christliche Prophezeiung des eschatologischen Friedens immer auch als ein Stück vaticinium ex eventu. Wir Christen dürfen das Senf korn sähen, das wir aus der Hand unseres Herrn empfangen haben; darum ist unsere Hoffnung auf den großen Strauch, in dem die Vögel des Himmels nisten werden, bestmöglich begründet: in Gott selbst. Der Friede beginnt eben dort, wo Schuld vergeben wird - zunächst von Gott, dann auch von den Menschen untereinander. Um es mit Jean Paul zu sagen: "Der Mensch ist nie so schön, als wenn er um Verzeihung bittet oder selbst verzeiht". Denn diese Schönheit entströmt der Schöpfungsharmonie. "Biete die Vergebung an, empfange den Frieden!", so ruft uns der Heilige Vater in seiner Weltfriedensbotschaft von 1997 zu. Lassen wir uns darauf getrost ein; mit diesem Tausch machen wir ein gutes Geschäft.

BOTSCHAFT SEINER HEILIGKEIT JOHANNES PAUL II. ZUR FEIER DES WELTFRIEDENSTAGES AM 1. JANUAR 1998 "Aus DER GERECHTIGKEITDES EINZELNEN ERWACHST DER FRIEDEN FÜR ALLE"

1. Die Gerechtigkeit geht mit dem Frieden Hand in Hand und steht mit ihm in konstanter und dynamischer Beziehung. Gerechtigkeit und Frieden haben das Wohl des einzelnen und aller zum Ziel und erfordern deshalb Ordnung und Wahrheit. Wenn der eine bedroht ist, wanken beide; verletzt man die Gerechtigkeit, setzt man auch den Frieden aufs Spiel.

Die Gerechtigkeit des Einzelnen und der Frieden aller sind miteinander eng verbunden. Deshalb möchte ich mich in der vorliegenden Botschaft zum Welttag des Friedens vor allem an die Staatsoberhäupter wenden, wobei ich mir immer gegenwärtig halte, daß die Welt von heute in vielen Regionen von Spannungen, Gewalttätigkeit und Konflikten gezeichnet ist, aber nach neuen Gefügen und stabileren Gleichgewichten sucht im Hinblick auf einen wahren und dauerhaften Frieden für die ganze Menschheit. Gerechtigkeit und Frieden sind keine abstrakten Begriffe oder fernliegende Ideale; sie sind dem Herzen jeder Person als gemeinsames Erbe eingepflanzt. Einzelpersonen, Familien, Gemeinschaften und Nationen, alle sind aufgerufen, in der Gerechtigkeit zu leben und für den Frieden zu wirken. Keiner kann sich dieser Verantwortung entziehen. In diesem Augenblick denke ich an diejenigen, die wider Willen in schmerzliche Konflikte verwickelt sind: die Ausgegrenzten, die Armen und die Opfer aller Art von Ausbeutung. Sie sind Menschen, die am eigenen Leib den Mangel an Frieden und die schmerzlichen Auswirkungen der Ungerechtigkeit verspüren. Wer könnteangesichtsihrer Sehnsucht nach einem in Gerechtigkeit und wahrem Frieden wurzelnden Leben gleichgültig bleiben? Es ist die Pflicht aller, dafür zu sorgen, dass ihnen das ermöglicht wird: Volle Gerechtigkeit herrscht erst dann, wenn alle an ihr gleicherweise Anteil haben können. n•

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Die Gerechtigkeit ist gleichzeitig eine moralische 'fugend und ein Begriff des Gesetzes. Manchmal wird sie mit verbundenen Augen dargestellt; in Wirklichkeit gehört es sich gerade für die Gerechtigkeit, aufmerksam darüber zu wachen, dass das Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten gesichert ist und die gerechte Aufteilung der Kosten und Nutzen gefördert wird. Die Gerechtigkeit baut auf, sie zerstört nicht; sie versöhnt und trachtet nicht nach Rache. Genaugenammen hat sie ihre tiefste Wurzel in der Liebe, die ihren höchsten Ausdruck in der Barmherzigkeit findet. Darum wird die Gerechtigkeit, wenn sie sich von der barmherzigen Liebe trennt, kalt und zerstörerisch. Die Gerechtigkeit ist eine dynamische und lebendige 'fugend: Sie schützt und fördert die unschätzbare Würde der Person und sorgt sich um das Gemeinwohl, weil sie Hüterin der Beziehungen zwischen den einzelnen und den Volkern ist. Der Mensch lebt nicht allein, sondern steht vom ersten Augenblick seines Daseins an mit den anderen in Beziehung, so dass sein Wohl als Einzelmensch und das der Gesellschaft miteinander fortschreiten: Zwischen diesen beiden Aspekten besteht ein empfindliches Gleichgewicht.

Die Gerechtigkeit gründet auf der Achtung der Menschenrechte 2. Die menschliche Person ist von Natur aus mit allgemeinen, unantastbaren und unveräußerlichen Rechten ausgestattet. Aber diese sind nicht für sich allein da. Mein verehrungswürdiger Vorgänger Papst Johannes XXIII. sagt dazu, dass die Person "sowohl Rechte als auch Pflichten hat, die unmittelbar und gleichzeitig aus seiner Natur selbst erwachsen" .1 Auf dem richtigen anthropologischen Fundament dieser Rechte und Pflichten sowie auf ihrer engen wechselseitigen Beziehung gründet der ganze Schutzwall des Friedens. Diese Menschenrechte wurden in den letzten Jahrhunderten in verschiedenen maßgebenden Deklarationen wie auch in verbindlichen Gesetzgebungen formuliert. Ihre Proklamation wird in der Geschichte der nach Gerechtigkeit und Freiheit strebenden Völker und Nationen mit berechtigtem Stolz erwähnt, auch aus dem Grund, weil sie nach offensichtlichen Verletzungen der Würde von Einzelnen und von ganzen Völkern oft als ein Wendepunkt erlebt wurde. Vor fünfzig Jahren, nach einem Krieg, der für manche Völker sogar die Verneinung des Rechtes auf Dasein bedeutete, hat die Generalversammlung I

Enzyklika Pacem in terris (11. April1963), 1: AAS (1963), 259

Botschaft zum Weltfriedenstag 1998

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der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet. Es handelte sich um einen formalen Akt, zu dem man nach der traurigen Kriegserfahrung gelangt war, angetrieben von dem Willen, feierlich allen Personen und Volkern die gleichen Rechte zuzuerkennen. In diesem Dokument ist die folgende Bekräftigung zu lesen, die dem Lauf der Zeit standgehalten hat: "Die Anerkennung der allen Mitgliedern der Menschheitsfamilie angeborenen Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet das Fundament der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt". 2 Nicht weniger Aufmerksamkeit verdienen die Worte, mit denen das Dokument endet: "Nichts in der vorliegenden Erklärung darf in dem Sinn ausgelegt werden, dass es ein Recht irgendeines Staates, einer Gruppe oder Person impliziert, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Tat zu begehen, die auf die Zerstörung einiger in ihr formulierten Rechte und Freiheiten abzielt". 3 Es ist tragisch, dass diese Anordnung auch heute noch offenkundig verletzt wird, sei es durch Unterdrückung, Konflikte, Korruption oder in noch heimtückischerer Weise durch den Versuch, selbst die in der Allgemeinen Erklärung enthaltenen Formulierungen neu zu interpretieren, indem man sogar bewußt ihren Sinn verdreht. Die Erklärung ist unverkürzt dem Geist und dem Buchstaben nach einzuhalten. Sie bleibt- wie Papst Paul VI. ehrwürdigen Andenkens zu sagen pflegte - einer der rühmlichsten Verdienste der Vereinten Nationen, "besonders wenn man an die Bedeutung denkt, die ihr als sicherer Weg zum Frieden zugeschrieben wird" .4 Anlässlich des fünfzigsten Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der in diesem Jahr feierlich begangen wird, ist es angebracht daran zu erinnern, dass "die Förderung und der Schutz der Menschenrechte ein Gegenstand von vorrangiger Bedeutung für die internationale Gemeinschaft ist". 5 Auf diesem Jahrestag lasten jedoch die Schatten mancher Vorbehalte, die im Hinblick auf zwei wesentliche Eigenschaften des Begriffs der Menschenrechte selbst angemeldet wurden, und zwar in bezug auf ihre Universalität und auf ihre Unteilbarkeit. Diese Wesensmerkmale müssen entschieden bekräftigt werden, um die Kritikpunkte derer zu widerlegen, die das Argument der kulturellen Besonderheit dazu benützen wollen, um Verletzungen der Menschenrechte zu verdecken, wie auch derer, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Präambel. Ebd., Art. 30 4 Botschaft an den Präsidenten der 28. Vollversammlung der Vereinten Nationen Anläßtich des 25. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (10. Dezember 1973): AAS 65 (1973), 674. 5 Erklärung von Wien, Weltkonferenz über die Menschenrechte (Juni 1993), Präambel. 2

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die den Begriff der Menschenwürde aushöhlen, indem sie den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten jeden gesetzlichen Gehalt absprechen. Universalität und Unteilbarkeit sind zwei Grundprinzipien, die jedenfalls die Forderung voraussetzen, die Menschenrechte in den verschiedenen Kulturen zu verwurzeln und ihr gesetzliches Profil zu vertiefen, um ihre volle Respektierung sicherzustellen. Die Achtung der Menschenrechte bedeutet nicht nur ihren Schutz auf gesetzlicher Ebene, sondern muss alle Aspekte berücksichtigen, die aus dem Begriff der Menschenwürde erwachsen, die die Grundlage jeden Rechtes ist. Aus dieser Sicht wird es besonders wichtig, dem Erziehungsbereich die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Außerdem muss man auf die Förderung der Menschenrechte achten: Sie ist die Frucht der Liebe zur menschlichen Person als solcher, weil die Liebe "über das hinausgeht, was die Gerechtigkeit zu leisten vermag". 6 Insbesondere im Hinblick auf diese Förderung bedarf es weiterer Anstrengungen, um die Rechte der Familie zu schützen, die "der natürliche und grundlegende Baustein der Gesellschaft" 7 ist. Globalisierung in Solidarität 3. Die ausgedehnten geopolitischen Wandlungen, die 1989 aufeinander folgten, wurden von wahren Umwälzungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich begleitet. Die Globalisierung der Wirtschaft und Finanzen ist nunmehr Wirklichkeit geworden, und die Auswirkungen der mit der Informatiktechnologie verbundenen rapiden Fortschritte sind immer greifbarer wahrzunehmen. Wir stehen an der Schwelle eines neuen Zeitalters, das grobe Hoffnungen und beunruhigende Fragen mit sich bringt. Welche Folgen werden sich aus den gegenwärtig stattfindenden Wandlungen ergeben? Werden alle Menschen aus einem weltumspannenden Markt Nutzen ziehen können? Werden schließlich alle die Möglichkeit haben, im Frieden zu leben? Werden die Beziehungen zwischen den Staaten ausgewogener sein, oder werden die zwischen Völkern und Nationen bestehenden wirtschaftlichen Wettbewerbe und Rivalitäten die Menschheit in eine noch viel unsicherere Lage bringen? 6 ll. Ökumenisches Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 78. 7 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 16 § 3. Vgl. Charta der Familienrechte (22. Oktober 1983) in I.:Osservatore Romano deutsch Nr. 48 (2. Dezember 1983), s. 1. 4-5.

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Um eine gerechtere Gesellschaft und einen stabileren Frieden in einer Welt auf dem Weg zur Globalisierung zu erzielen, ist es dringende Pflicht der internationalen Organisationen, dazu beizutragen, dass das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl gefördert wird. Zu diesem Zweck darf man aber nie die menschliche Person außer acht lassen, die in den Mittelpunkt jedes sozialen Projektes zu stellen ist. Nur so können die Vereinten Nationen zu einer wahren "Familie der Nationen" werden, wie es ihrem ursprünglichen Auftrag entspricht, "den sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen in einer größeren Freiheit zu fördern". 8 Das ist der Weg, um eine Weltgemeinschaft aufzubauen, die auf "gegenseitigem Vertrauen, gegenseitiger Unterstützung und gegenseitiger Achtung" 9 gegründet ist. Die Herausforderung besteht also darin, eine Globalisierung in Solidarität, eine Globalisierung ohne Ausgrenzung zu sichern. Das ist eine offensichtliche Pflicht der Gerechtigkeit, die beachtliche moralische Implikationen in sich birgt, wenn das wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Leben der Nationen gestaltet werden soll.

Die schwere Last der Auslandsverschuldung 4. Auf Grund ihres schwachen finanziellen und wirtschaftlichen Potentials laufen manche Nationen und ganze Weltregionen Gefahr, aus einer sich weltweit zusammenschließenden Wirtschaft ausgeschlossen zu werden. Andere haben zwar größere Ressourcen, können aber aus verschiedenen Gründen daraus leider keinen Nutzen ziehen: wegen Unruhen, interner Konflikte wegen des Mangels an angemessenen Strukturen, der Umweltverschmutzung, der verbreiteten Korruption, der Kriminalität und aus noch anderen Gründen. Globalisierung muss sich mit Solidarität verbinden. Deshalb müssen besondere Mittel bereitgestellt werden, mit deren Hilfe Länder, die aus eigenen Kräften dem Weltmarkt nicht beitreten können, ihre derzeitige benachteiligte Lage zu überwinden vermögen. Dies ist man ihnen um der Gerechtigkeitwillen schuldig. In einer wahren "Familie der Nationen" darf niemand ausgeschlossen werden; im Gegenteil, der Schwächste, der Zerbrechlichste muß unterstützt werden, damit er seine Leistungsfähigkeit voll entfalten kann.

Statut der Vereinten Nationen, Präambel. Johannes Paul II., Ansprache an die 50. Generalversammlung der Vereinten Nationen (5. Oktober 1995), 14: L 'Osservatore Romano deutsch Nr. 41 (13. Oktober 1995), s. 4. B

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Hier denke ich an eine der größten Schwierigkeiten, die die ärmeren Nationen heute überwinden müssen. Ich möchte auf die schwere Last der Auslandsverschuldung eingehen, die die Wirtschaft dieser Völker beeinträchtigt, indem sie ihren sozialen und politischen Fortschritt bremst. In dieser Hinsicht haben jüngste Initiativen der internationalen Finanzinstitutionen einen bedeutenden Versuch zur koordinierten Reduzierung dieses Schuldenberges unternommen. Ich wünsche von Herzen, dass man auf diesem Weg unter flexibler Anwendung der vorgesehenen Bedingungen weiter so fortschreite, dass alle dazu berechtigten Nationen vor Beginn des Jahres 2000 daraus Nutzen ziehen können. Die reicheren Länder können dazu viel beitragen, indem sie bei der Anwendung der genannten Initiativen ihre Unterstüzung anbieten. Die Schuldenfrage gehört zu einem weiterreichenden Problem: die anhaltende, oftmals auch äußereste Armut und die wachsenden neuen Ungleichheiten, die den Globalisierungsprozess begleiten. Wenn das Ziel eine Globalisierung ohne Ausgrenzung ist, kann man eine Welt nicht mehr ertragen, in der Steinreiche und Allerärmste Seite an Seite leben, Besitzlose ohne das Lebensnotwendigste und Leute, die hemmungslos das vergeuden, was andere notwendig brauchen. Solche Kontraste sind eine Beleidigung für die Würde der menschlichen Person. Es mangelt gewiss nicht an geeigneten Mitteln, um der Not abzuhelfen, wie z. B. die Förderung konsistenter sozialer und produktiver Investitionen seitens aller weltwirtschaftliehen Instanzen. Das setzt jedoch voraus, dass die internationale Gemeinschaft mit der nötigen Entschlossenheit handeln will. Lobenswerte Schritte wurden in dieser Richtung bereits unternommen, aber eine dauernde Lösung erfordert die konzertierte Anstrengung aller, einschließlich die der betroffenen Staaten selbst.

Gefragt ist eine Kultur, auf dem Boden des Gesetzes zu handeln 5. Was ist über die im Innern der Nationen bestehenden schwerwiegenden Ungleichheiten zu sagen? Äußerste Armut ist, wo immer sie auftritt, die erste Ungerechtigkeit. Sie auszumerzen muss für alle auf nationaler und internationaler Ebene Priorität genießen. Man darf auch das Laster der Korruption nicht verschweigen, das die gesellschaftliche und politische Entwicklung vieler Völker unterminiert. Sie ist ein wachsendes Phänomen, das sich heimtückisch in viele Sektoren der Gesellschaft einschleicht, wobei das Gesetz umgangen und die Regeln der Gerechtigkeit und Wahrheit mißachtet werden. Die Korruption ist schwer

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zu bekämpfen, weil sie vielfältige Formen annimmt: Wird sie in einem Bereich getilgt, tritt sie bisweilen in einem anderen wieder auf. Man braucht schon Mut, um sie nur anzuprangern. Um sie zu tilgen, bedarf es des zähen Willens der Obrigkeiten wie auch der hochherzigen Mithilfe aller Bürger, die von einem ausgeprägten moralischen Gewissen gestützt sind. Schwere Verantwortung in diesem Kampf haben offenkundig die öffentlichen Amtsträger. Ihre Aufgabe ist es, sich für die gerechte Anwendung des Gesetzes und die Transparenz in allen Handlungen der öffentlichen Verwaltung einzusetzen. Zum Dienst an den Bürgern bestellt, ist der Staat der Verwalter der Güter eines Volkes, die er zugunsten des Gemeinwohls einsetzen soll. Gutes Regieren erfordert pünktliche Kontrolle und volle Korrektheit aller wirtschaftlichen und finanziellen Transaktionen. Auf keinen Fall darf es erlaubt sein, dass die für das Gemeinwohl bestimmten Mittel anderen Interessen privater oder sogar krimineller Natur dienen. Die betrügerische Verwendung der öffentlichen Geldmittel trifft besonders die Armen, die als erste unter dem Mangel der Grunddienste leiden, die für die Entfaltung der Person unerlässlich sind. Wenn dann die Korruption in die Verwaltung der Gerichtsbarkeit eindringt, sind es wiederum die Armen, die die Folgen am deutlichsten zu spüren bekommen: Verzögerungen, fehlerhafte Leistung, Notstände in der Struktur und Mangel an angemessenem Schutz. Oft bleibt ihnen nichts anderes übrig, als den Missstand zu ertragen.

Besonders schwere Formen der Ungerechtigkeit 6. Es gibt noch andere Formen von Ungerechtigkeit, die den Frieden gefährden. Ich möchte hier zwei davon nennen: vor allem die fehlenden Mittel für einen gerecht verteilten Zugang zum Kredit. Die Armen sind oft gezwungen, den normalen wirtschaftlichen Kreisläufen fernzubleiben oder sich an skrupellose Geldverleiher zu wenden, die übertriebene Zinsen verlangen; das hat die Verschlechterung einer schon von sich aus misslichen Lage zufolge. Deshalb ist es die Pflicht aller, sich dafür einzusetzen, dass ihnen der Zugang zum Kredit mit gleichen Bedingungen und günstigen Zinsen ermöglicht wird. In der Tat gibt es in verschiedenen Teilen der Welt bereits finanzielle Institutionen, die den Mikrokredit mit günstigen Bedingungen für Personen in Schwierigkeiten anwenden. Diese Initiativen sind zu ermutigen, denn das ist der Weg, auf dem man die schändliche Plage des Wuchers an der Wurzel fassen kann: dass man dafür sorgt, dass die für die menschen-

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Papst Jobarmes Paul 11.

würdige Entwicklung der Fcunilien und Gemeinschaften notwendigen finanziellen Mittel allen zugänglich sind. Und was ist über die leider zunehmende Epidemie der Gewalt gegenüber Frauen, Mädchen und Jungen zu sagen? Sie ist heute eine der weitestverbreiteten Verletzungen der Menschenrechte und tragischerweise zu einer Kriegswaffe und einem Instrument des Schreckens geworden: als Geiseln genommene Frauen, barbarisch ermordete Minderjährige. Hinzu kommt die Gewalt der Zwangsprostitution und der Kinderpornographie wie auch die Ausbeutung der Arbeitskraft von Minderjährigen unter den Bedingungen der Sklaverei. Um zu helfen, diese Formen der Gewalt aufzuhalten, sind konkrete Initiativen notwendig, insbesondere angemessene gesetzliche Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene. Eine schwierige Arbeit durch Erziehung und kulturelle Förderung scheint hier geboten, damit, wie ich häufig in früheren Botschaften betonte, die Würde jeder Person anerkannt und geachtet wird. Denn eine Komponente darf in dem ethischkulturellen Erbe der ganzen Menschheit und jeder einzelnen Person auf keinen Fall fehlen: das Bewusstsein, dass die Menschen in ihrer Würde alle gleich sind, dass sie denselben Respekt verdienen und dass sie Personen mit gleichen Rechten und Pflichten sind.

Frieden in Gerechtigkeit bauen ist Aufgabe aller und jedes Einzelnen 7. Der Frieden für alle erwächst aus der Gerechtigkeit des einzelnen. Niemand kann sich einer für die Menschheit so entscheidenden und wichtigen Aufgabe entziehen. Sie ruft jeden Mann und jede Frau zum Einsatz auf entsprechend der jeweiligen Kompetenz und Verantwortung. Ich appelliere vor allem an euch, Staatsoberhäupter und Verantwortliche der Nationen, denen die höchste Überwachung des Rechtsstaates in den einzelnen Ländern übertragen ist. Dieses hohe Amt auszuüben ist gewiss nicht leicht, aber es ist eine eurer vordringlichsten Aufgaben. Mögen die Staatsordnungen, denen ihr dient, Gerechtigkeit garantieren und Ansporn sein für die fortschreitende Entwicklung des Bürgersinns. Frieden in Gerechtigkeit bauen erfordert außerdem die Mithilfe aller gesellschaftlicher Kategorien, jede im eigenen Bereich und im Zusammenwirken mit den anderen Gliedern der Gemeinschaft. Ich ermutige besonders euch Lehrer, die ihr in der Bildung und Erziehung der jungen Generationen auf allen Ebenen tätig seid: Bildet sie heran nach den moralischen und gesellschaftlichen Werten, indem ihr in ihnen einen ausgeprägten Sinn für die

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Rechte und Pflichten weckt, ausgehend von der Schulgemeinschaft selbst. Zur Gerechtigkeit erziehen, um dadurch zum Frieden zu erziehen: Das ist eine eurer vorrangigsten Aufgaben. Für den Bildungsweg ist die Familie unersetzlich, die das günstigste Umfeld für die menschliche Formung der jungen Generationen darstellt. Von eurem Beispiel, liebe Eltern, hängt zum großen Teil die moralische Haltung eurer Kinder ab: Sie erwerben sie durch den Stil der Beziehungen, den ihr innerhalb und außerhalb der Familie bestimmt. Die Familie ist die erste Lebensschule, und die in ihr erworbenen Charaktereigenschaften sind entscheidend für die zukünftige Entwicklung der Person.

Schließlich sage ich zu euch, liebe Jugendlichen auf der ganzen Welt, die ihr spontan nach Gerechtigkeit und Frieden trachtet: Haltet das Streben nach diesen Idealen aufrecht, und habt die Geduld und Ausdauer, sie in euren konkreten Lebensumständen zu verwirklichen. Seid bereit, den Versuchungen von gesetzwidrigen Seitenwegen mit trügerischen Vorspiegelungen von Erfolg oder Reichtum zu widerstehen; habt hingegen das Gespür für das, was recht und wahr ist, auch wenn diese Ausrichtung Opfer verlangt und dazu verpflichtet, gegen den Strom zu schwimmen. So "erwächst aus der Gerechtigkeit des einzelnen der Frieden für alle".

Die Bereitschaft zum Teilen als Weg zum Frieden 8. Mit großen Schritten naht das Jubiläum des Jahres 2000, eine Zeit, die besonders Gott, dem Herrn der Geschichte, gewidmet wird; ein Anruf für alle im Hinblick auf die vollkommene Abhängigkeit des Geschöpfes vom Schöpfer. Aber in der biblischen Tradition war es auch eine Zeit der Sklavenbefreiung, der Landrückgabe an den rechtmäßigen Eigentümer, des Schuldenerlasses und der konsequenten Wiederherstellung der Formen von Gleichheit unter allen Volksangehörigen. Es ist deshalb eine günstige Zeit, um jene Gerechtigkeit zu verwirklichen, die zum Frieden führt. Kraft des Glaubens an Gott, der die Liebe ist, und der Teilhabe an der universalen Erlösung Christi sind die Christen gerufen, sich gerecht zu verhalten und mit allen in Frieden zu leben, weil "Jesus uns nicht einfach den Frieden geschenkt hat. Er hat uns seinen Frieden zusammen mit seiner Gerechtigkeit gegeben. Weil er Frieden und Gerechtigkeit ist, kann er unser Frieden und unsere Gerechtigkeit werden". 10 Ich habe diese Worte vor fast 10 Johannes Paul II., Homilie im Yankee Stadium von New York (2. Oktober 1979), 1: AAS 71 (1979), 1169.

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zwanzig Jahren gesprochen, aber vor dem Hintergrund der derzeitigen tiefgreifenden Wandlungen wird ihr Sinn noch konkreter und aktueller. Das Zeugnis des Christen, die Liebe zu den Armen, Schwachen und Leidenden ist heute mehr denn je gefragt. Diesen anspruchsvollen Auftrag zu erfüllen, erfordert eine totale Umkehrung der scheinbaren Werte, die dazu verleiten, das eigene Wohl zu suchen: die Macht, das Vergnügen, die skrupellose Bereicherung. Ja, gerade zu dieser radikalen Umkehr sind die Jünger Christi aufgerufen. Diejenigen, die sich diesen Weg zu gehen bemühen, werden wahrhaftig "Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" (Röm 14, 17) erfahren und "als Frucht den Frieden und die Gerechtigkeit" kosten (Hebr 12, 11). Für die Christen in aller Welt möchte ich die Mahnung des II. Vatikanischen Konzils wiederholen: "Zuerst muss man den Forderungen der Gerechtigkeit Genüge tun, und man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist" .11 Eine wirklich solidarische Gesellschaft wird dadurch aufgebaut, dass sich die Wohlhabenden nicht darauf beschränken, von ihrem Überfluß zu geben, um den Armen zu helfen. Es genügt auch nicht, materielle Güter anzubieten: Gefordert wird Bereitschaft zum Teilen, so dass die Möglichkeit, den Brüdern und Schwestern in Not eigene Hilfe und Aufmerksamkeit zu widmen, als Ehrensache betrachtet werden kann. Sowohl für die Christen als auch die Anhänger anderer Religionen und viele Männer und Frauen guten Willens erhebt sich heute der Ruf zu einem einfachen Lebensstil als Voraussetzung dazu, dass die gerechte Verteilung der Güter der Schöpfung Gottes Wirklichkeit werden kann. Wer in Not lebt, kann nicht länger warten: Jetzt braucht er das Lebensnotwendige und hat deshalb ein Recht darauf, es sofort zu bekommen.

Der Heilige Geist wirkt in der Welt 9. Am ersten Adventssonntag hat das zweite Jahr der unmittelbaren Vorbereitung auf das Große Jubiläum des Jahres 2000 begonnen. Es ist dem Heiligen Geist gewidmet. Der Geist der Hoffnung wirkt in der Welt. Er ist gegenwärtig im selbstlosen Dienst dessen, der an der Seite der Ausgegrenzten und Leidenden arbeitet, der die Einwanderer und Flüchtlinge aufnimmt, der sich mutig weigert, eine Person oder ganze Gruppe aus ethnischen, kulturellen und religiösen Gründen abzuweisen; er ist ganz besonders gegenwärtig im hochherzigen Handeln derer, die mit Geduld und Ausn Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem, 8.

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dauer den Frieden und die Versöhnung unter denen weiter fördern, die einst Feinde und Gegner waren. Auch diese sind Zeichen der Hoffnung, die dazu ermutigen, die Gerechtigkeit zu suchen, die zum Frieden führt. Der Kern der Botschaft des Evangeliums ist Christus, der Frieden und die Versöhnung für alle. Sein Antlitz erhelle den Weg der Menschheit, die sich anschickt, die Schwelle des 3. Jahrtausends zu überschreiten. Seine Gerechtigkeit und sein Frieden mögen allen Menschen ohne Ausnahme geschenkt werden! ,. ... dann wird die Wüste zum Garten, und der Garten wird zu einem Wald. In der Wüste wohnt das Recht, die Gerechtigkeit weilt in den Gärten. Das Werk der Gerechtigkeit wird der Friede sein, der Ertrag der Gerechtigkeit sind Ruhe und Sicherheit für immer" (Jes 32, 15 -17).

Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1997. JOANNES PAULUS II

AUS DER GERECHTIGKEIT DES EINZELNEN ERWÄCHST DER FRIEDE FÜR ALLE Paul Kirchhof Johannes Paul II hat in seiner Weltfriedensbotschaft 1998 "Aus der Gerechtigkeit des Einzelnen erwächst der Frieden für alle" dazu aufgerufen, den Frieden auf das Fundament der naturgegebenen Rechte und Pflichten jeder einzelnen Person zu gründen. In seiner vorrangig an die Staatsoberhäupter gewendeten Botschaft fordert der Papst anlässtich des 50. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, vor allem aber im Hinblick auf das Große Jubiläum des Jahres 2000 eine Anerkennung der allen Menschen angeborenen Würde und ihrer daraus folgenden gleichen und unveräußerlichen Rechte. Dieses sei die Grundlage für den Frieden in der Welt.

I. Das Fundament: Würde und Werte

Diese kirchliche Forderung setzt Maßstäbe für das allgemeine, in allen Staaten der Welt geltende Völkerrecht, für die Grundordnungen jedes Staates und für die Verantwortlichkeit des einzelnen Menschen. In der Mitte dieser Botschaft vom allgemeinen Frieden dank individueller Gerechtigkeit steht der Mensch in seiner Würde, die in der Natur des Menschen vorgefunden, nicht erst vom positiven Recht zugeteilt ist. Die menschliche Würde ist das Maßgebende, Parlamente und konventionsgebende Versammlungen empfangen diesen Maßstab aus ihrem Regelungsthema, dem Menschen in seiner Personalität und Individualität, in seiner Gemeinschaftszugehörigkeit und mitmenschlichen Verantwortlichkeit. Die Würde von Einzelnen und von ganzen Völkern bestimmt die Rechtsetzung, ebenso aber auch die Rechtsanwendung. Insoweit wirkt dieser Kerninhalt des allgemeinen Rechts 1 als ordnungstiftende und friedenwahrende Grundlage des mit1 Hasso Hofmann, Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: Christian Starck (Hrsg.), Die Allgemeinheit des Gesetzes, 1987, S. 9 (33 f.); Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Josef lsensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 1992, § 124 Rdnr. 153.

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menschlichen Gemeinschaftslebens, nimmt den rechtlichen Entscheidungen die Subjektivität und Voreingenommenheit, gibt den rechtlichen Feststellungen, Einschätzungen und Einsichten eine prinzipielle Ausrichtung2 • Die unmittelbar und gleichzeitig aus seiner Natur selbst erwachsenden Rechte und Pflichten jedes Menschen stehen auch in einer Demokratie nicht zur Entscheidung der Mehrheit. Das in der Würde des Menschen wurzelnde objektive Recht müßte sich gegen den einstimmigen Willen eines Staatsvolkes, gegen die übereinstimmende Auffassung von Regierung und Parlament, gegen eine gemeinsame Erklärung der Vereinten Nationen durchsetzen. Moderne Verfassungsstaaten suchen dieser Forderung durch eine Gewaltenteilung zu genügen, in der die Verfassungsgerichtsbarkeit die Menschenrechte auch gegen den Willen anderer Staatsorgane durchsetzt. Die unantastbaren und unveräußerlichen Menschenrechte sind Wesensmerkmal des Menschen, dem alles Recht dient und dem es letztlich gewidmet ist. Damit ist allen prozeduralen3 und konsensualen4 Erklärungen der Würdegarantie und ihrer Handhabung eine Absage erteilt.

1. Kirchliche und staatliche Entstehensquelle für Recht Die päpstliche Botschaft allerdings beschränkt sich nicht, wie das staatliche Recht, auf eine Rechtsordnung für die Menschen, die aus dieser Widmung ihren Sinn empfängt, sondern entwickelt diese friedenstiftende Gerechtigkeitsordnung aus der Kraft des Glaubens an Gott. Kraft der Teilhabe an der universalen Erlösung Christi seien die Christen gerufen, sich gerecht zu verhalten und mit allen in Frieden zu leben. Hier zeigt sich die Notwendigkeit, das Ideenfundament einer von einem religiös-weltanschaulich neutralen Staat gesetzten Ordnung durch kirchliche Sinnstiftung zu ergänzen: Wenn staatliches Recht "im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott" vom Staatsvolk gesetzt wird- so die Präambel des deutschen Grundgesetzes - , so ist dieses eher Ausdruck der Bescheidenheit und Demut des Verfassunggebers5, der nur "Menschenwerk", niemals eine perfekte Ordnung mit 2 Arthur Kaufmann, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte, Heft 7 (1989), s. 7 f. 3 Vgl. dazu Reinhold Zippelius, Im Irrgarten der Gerechtigkeit, Main2er Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Nr. 2, 1994, S. 17, 21. 4 Zur Diskurstheorie nonnativer Begründung Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978, S. 259 ff. s Zu dieser Fonn der nominatio dei vgl. Horst Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, 1996, Präambel Rdnr. 14 f.; Alexander Hollerbach, Grundlagen

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absolutem Wahrheitsgehalt hervorbringen kann. Dieser Gottesbezug enthält ein Bekenntnis zu den Schranken der verfassunggebenden Gewalt und zu der Begrenztheit der positiven Verfassunggebung6 . Die kirchliche Lehre hingegen formuliert ihre Forderungen stellvertretend für Gott oder zumindest in seinem Namen 7 , beansprucht also in der Sicherheit eines religiösen Bekenntnisses die Wahrheit und Richtigkeit der von ihr begründeten Fbrderungen. Wenn am Anfang der logos, das verbumsteht und dieses die Wurzel des religiösen Bekenntnisses ist, wird die daraus folgende Rechtsordnung zu einer Frage der Vernunft: Aus der einen Entstehens- und Erkenntnisquelle für Recht folgen die Grundprinzipien der Rechts- und Friedensordnung und ihres Geltungsanspruchs. Kirchliches Recht bekennt sich somit im Entstehensgrund für Recht, staatliches Recht bekennt sich in der positiven Erkenntnisquelle der unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte (so ausdrücklich Art. 1 Abs. 2 des deutschen Grundgesetzes). Dieser unterschiedliche Ansatzpunkt des Bekenntnisses ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde beschlossen mit dem Bemerken eines Kommissionsmitglieds: "Wir sind einig über diese Rechte unter der Bedingung, dass man nicht fragt warum"8. Dieses Einigsein über Rechte unter der Voraussetzung der Unbegründetheit oder gar der Unbegründbarkeit ist jedoch brüchig. Die Menschenrechte werden sich in der Bewährungsprobe einer drohenden Verletzung nur durchsetzen, wenn sie in einem kulturellen Fundament von großer Verlässlichkeit wurzeln. Hier zeigt sich erneut, dass Staat und Kirche in dem Anliegen von Frieden und Gerechtigkeit wechselseitig aufeinander angewiesen sind: Die staatliche Verfassung muß Religion und Kirchen schützen, Religion und Kirchen die Menschenrechte und die rechtsstaatliehen Verfassungen.

2. Die Universalität der Menschenrechte Die Friedensbotschaft betont sodann mit Nachdruck die Universalität der Menschenrechte, das ethisch-kulturelle Erbe der ganzen Menschheit und jedes Staatskirchenrechts, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 1989, § 138 Rdnr. 81. 6 Peter Badura, Staatsrecht, 2. Aufl. 1996, S. 66. 7 Zur invocatio dei im staatlichen Recht vgl. die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die griechische Verfassung, die irische Verfassung; dazu Horst Dreier, a. a. 0 .. , Präambel Rdnr. 14. B Zitiert nach Walter Kasper, Die theologische Begründung der Menschenrechte, in: D. Schwab u. a. (Hrsg.), Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft, Festschrift für Paul Mikat, 1989, S. 99 (100); Wolfgang Vögele, Menschenwürde zwischen Recht und Theologie, Heidelberger Habilitation (theol.), 1998, S. 36. 12 Johannes Paul II.

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der einzelnen Person: dass die Menschen in ihrer Würde alle gleich sind, dass sie denselben Respekt verdienen und dass sie Personen mit gleichen Rechten und Ffl.ichten sind. Diese universale Garantie von Menschenwürde und Menschenrechten handelt von Rechten und Pflichten, die jeder staatlichen Rechtsordnung ungeachtet des konkreten historischen Willens des jeweiligen Verfassunggebers als unverzichtbarer Bestandteil vorgegeben sind. a) Von der Menschenrechtsdeklaration zu den Rechten jedes Menschen Die universellen Jedermannsrechte allerdings sind in der Geschichte der Menschenrechte keineswegs selbstverständlich9 • Die Magna Charta libertatum (1215) spricht von geburtsständigen Privilegien und Rechten der freien Männer, nicht von Rechten der Abhängigen, der Hörigen und Leibeigenen. Die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1776) und die Verfassungen der Unionsstaaten verkünden zwar Rechte "aller Menschen"; die Verkünder waren jedoch überwiegend Sklavenhalter, die sich auf Menschenrechte beriefen, um die Loslösung von der britischen Krone gegenüber der politischen Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen und dennoch die englischen Bürgerrechte auch nach Loslösung vom Mutterland zu behalten. Die Französische Revolution (1789) begründete zwar einen umfassenden Autonomieanspruch gegen alle ursprünglichen Abhängigkeiten, Unmündigkeiten und Abstufungen, forderte also eine menschenrechtliche Freiheit gegen traditionelle Herrschaftsbefugnisse. Die "Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers" grenzte jedoch anfänglich die "Protestanten, Schauspieler und Henker" aus und ließ den menschenrechtliehen Schutz der Frauen, der Juden und der Farbigen in den Französischen Kolonien lange offen. 10 Erst in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts setzte sich die Auffassung durch, dass die Menschenrechte das sind, was sie sprachlich beanspruchen, nämlich Rechte jedes Menschen ungeachtet seiner Leistung, seiner Herkunft, seines Geschlechtes, seiner Hautfarbe, seiner Nationalität. Wenn hier die Friedensbotschaft des Papstes sich ausdrücklich gegen das Argument der kulturellen Besonderheit wendet, das Verletzungen der Menschenrechte verdecken will, sie zudem konkret die Gleichberechtigung der Armen und Schwachen und Leidenden betont, die praktischen Folgerungen des Lasters der Korruption, des fehlenden Zugangs zum Kredit, der Gewalt gegenüber 8 Hasso Hofmann, Die Entdeckung der Menschenrechte, Schriftenreihe der juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 161 (1990), S. 5 f. IO Hasso Hofmann, a. a. 0 .. , S. 6.

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Frauen, Mädchen und Jugendlichen, der Zwangsprostitution und Kinderpornographie sowie der Ausbeutung der Arbeitskraft von Minderjährigen anspricht, so wird der Schlüsselbegriff der universalen Menschenrechte als aufgegebenes, aber noch unerfülltes Postulat der Gegenwart in das Bewusstsein gerückt. Nicht die Deklaration, sondern der praktische Vollzug der Menschenrechte und Menschenpflichten verwirklicht Gerechtigkeit. Nicht die ausgrenzende individuelle Berechtigung, sondern der in die Solidargemeinschaft einbettende Rechtsstatus des Einzelnen, seiner Rechte und Pflichten sind der Kern einer rechtlichen, auf Gerechtigkeit hinwirkenden Friedensordnung. b) Menschenrechtliche Gewährleistung und grundrechtliche Verwirklichung Die Menschenrechte werden zwar universal gewährleistet, aber als Grundrechte, als Teilinhalt der jeweiligen Staatsverfassung verwirklicht. Jede rechtliche Gewährleistung braucht eine gewährleistende Institution. Die universalen Menschenrechte drängen deshalb auf den Schutz durch eine weltumspannende Institution wie die katholische Kirche, gewinnen daneben aber konkrete Geltungsmacht und deutlichere Inhalte aus den staatlichen Gewährleistungen 11 • Der in der Menschenwürdegarantie angelegte Anspruch auf Sicherung der individuellen Existenz mag in einigen Regionen der Welt durch die tägliche Handvoll Reis erfüllt werden, betrifft in Europa aber die Frage, ob zum Existenzminimum auch der gelegentliche Theaterbesuch und das häusliche Telefon gehören. Die Würde des Angeklagten mag in manchen Straf- und Strafprozessrechtsordnungen der Welt schon mit der Gewährung elementaren rechtlichen Gehörs erfüllt sein, findet im europäischen und amerikanischen Prozessrecht hingegen im Schweigerecht des Beschuldigten, in Beweisverwertungsverboten und in Prozesskostenhilfen seine konkrete Ausprägung. Der aus der Menschenwürde folgende Anspruch auf schuldangemessenes Strafen scheint in einigen Kulturen die Todesstrafe nicht auszuschließen, steht in unserem Rechtskreis aber sowohl der Todesstrafe als auch einer grundsätzlich lebenslänglichen Freiheitsstrafe12 entgegen.

11 Vgl. Klaus Stern, Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 1992, § 108 Rdnr. 13 f.; Paul Kirchhof, Der demokratische Rechtsstaat- die Staatsform der Zugehörigen, daselbst, Band IX, 1997, § 221 Rdnr. 62 ff. 12 Vgl. BVerfGE 45, 187 (227 ff.). 12'

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Die Friedensbotschaft betont deswegen zurecht, dass die kulturellen Besonderheiten eines Staates und einer Nation Verletzungen der Menschenrechte nicht verdecken dürfen, schließt aber nicht aus, dass die konkrete Ausgestaltung der Menschenrechte den jeweiligen kulturellen, ökonomischen und rechtlichen Standards zu folgen hat. Sie fordert ausdrücklich die Gleichheit unter allen Volksangehörigen, also die Gleichheit in der Solidargemeinschaft des jeweiligen Staatsvolkes sowie die Solidarität aller Menschen in einem weltumspannenden Markt, die einzelne Menschengruppen oder Regionen nicht ausgrenzen darf. Es gibt eine elementare menschenrechtliche Statusgleichheit aller Menschen in der Welt, die aber entsprechend dem jeweiligen Kulturniveau einer Nation und eines Staatsvolkes verfeinert, erweitert und veredelt werden kann und soll.

3. Die Unteilbarkeit der Menschenrechte Die Friedensbotschaft des Papstes warnt sodann davor, den Begriff der Menschenwürde dadurch auszuhöhlen, dass den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten jeder gesetzliche Gehalt abgesprochen wird. Auch die Unteilbarkeit der Menschenrechte sei ein Grundprinzip, das jedenfalls die Forderung voraussetze, die Menschenrechte in den verschiedenen Kulturen zu verwurzeln und ihr gesetzliches Profil zu vertiefen, um ihre volle Respektierung sicherzustellen. Hier ist insbesondere die liberale Lehre angesprochen, die menschenrechtliche Freiheit vor allem als Freiheit vom Staat versteht, also die persönliche Entfaltungsfreiheit dadurch gewährleistet sieht, dass der Staat sie nicht verletzt, er in Respekt vor der unantastbaren Menschenwürde, der ungestörten Religionsausübung, der unverletzlichen Wohnung untätig bleibt. Die Garantie der Menschenwürde allerdings verpflichtet auch nach positivem staatlichen Recht alle Staatsgewalt, "sie zu achten und zu schützen" (Art. 1 Abs. 1 S. 2 des deutschen Grundgesetzes). Der Staat genügt also als Garant der Menschenwürde seinem Schutzauftrag nicht schon, wenn er durch seine Organe diese Würde achtet; vielmehr ist er auch verpflichtet, jeden Menschen in seinem Verantwortungsbereich gegen Würdeverletzungen Dritter und gegen entwürdigende Lebensumstände zu schützen. Wenn ein Mensch abhörend, fotografierend, publizierend die Privatsphäre eines anderen verletzt, ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer entwürdigende Arbeitsbedingungen zumutet, ein privates wissenschaftliches Experiment die Identität eines Menschen verändert, kommerzielle Werbung bestimmte Menschengruppen verächtlich macht, ein Wirtschaftssystem einzelne Menschen an den Rand der Armut und Existenzgefährdung drängt,

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gesellschaftliche Gepflogenheiten einzelne Menschen oder Menschengruppen wegen ihrer individuellen Eigenart ausgrenzen, so muss der Staat durch seine Gesetzgebung, seine Organisations- und Finanzkraft Vorkehrungen gegen derartige drohende Verletzungen treffen und im Einzelfall eingetretene Verletzungen in ihren Folgen möglichst ausgleichen. Der Schutz der Menschenwürde und die daraus folgenden individuellen Rechte und Pflichten wehren also nicht nur staatlichen Machtmissbrauch ab, sondern verpflichten den Staat als Würdegaranten auch zur Gegenwehr gegen private, die Menschenrechte bedrohende Mächtigkeit und gegen Lebensumstände, die Würde und Freiheit des Einzelnen bedrohen oder verletzen. Der Staat wird so als potentieller Widersacher und als unverzichtbarer Garant der Menschenrechte in die Pflicht genommen. Die Friedensbotschaft weist uns nachdrücklich die Aufgabe zu, diesen potentiellen Angreifer zum verlässlichen Verteidiger der Würde jedes Menschen zu machen, den Staat in dieser Widmung zum stets rechtfertigungsbedürftigen13 , gewaltengeteilten, auf demokratische Legitimation angewiesenen Rechtsstaat zu formen 14 .

4. Die Menschenwürde als Basisnorm für Gerechtigkeit und Frieden a) Das christlich geprägte Menschenbild Der Papst hebt in seiner Botschaft hervor, dass die Menschen in ihrer Würde alle gleich sind, dass dieser radikale Gleichheitssatz das ethisch-kulturelle Erbe der ganzen Menschheit und jeder einzelnen Person ist, dass die Gerechtigkeit als dynamische und lebendige 'fugend die unschätzbare-Würde der Person schützt und fördert, dieses Jedermannsrecht aber zugleich die Beziehung des einzelnen Menschen mit den anderen regelt und so das Wohl des einzelnen Menschen und das der Gesellschaft miteinander verbindet. Die gesamte Friedens- und Gerechtigkeitsordnung findet in dem christlich geprägten Menschenbild eine Mitte. Die positiv-rechtliche Gewährleistung der Menschenrechte wird in der Kontinuität der philosophisch-kulturellen Überlieferung zu deuten sein 15 • Diese Interpretation wird auf antike Vorstellungen der dignitas, auf die christliche Idee der Ebenbildlichkeit Gottes, 13

Josef Isensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, JZ 1999,

S. 265 ff.

14 Paul Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBl. 1999, S. 637 ff. 15 Winfried Brugger, Menschenrechte im modernen Staat, in: AöR Bd. 114 (1989), s. 537 (570 ff.).

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auf die humanistisch-aufklärerische Vorstellung der mit Verstand begabten, zur selbstbestimmten Zwecksetzung befähigten Person, gegenwärtig vielleicht auch auf nützlichkeitstheoretische Erwägungen der Gegenseitigkeit zurückgreifen können. Alle diese Begründungen, Erklärungen und Auslegungen von Begriff und Rechtsfolge der Menschenrechte können die verfassungsrechtliche Gewährleistung festigen, anregen und gegenwartsgerecht erneuern. Im Kern finden alle diese Denkweisen aber im Christentum in seiner nunmehr 2000 Jahre alten Entwicklung ihr Fundament, das heute die Verfassungs- und Menschenrechtsordnungen nicht allein zu tragen hat, aber eine wesentliche - alternativenlose - Stütze der Menschenrechte bietet. Auch wenn die kirchliche Lehre selbstverständlich immer Ausdruck ihrer Zeit gewesen ist, sie also stets in der Sprache und Denkweise der jeweiligen Gegenwart die Welt und ihr Recht begriffen hat, versteht die christliche Lehre den Menschen von Anfang an als Gottesgeschöpf, das eigene Würde, eigene Verantwortung, eigene Schuldfähigkeit hat. Das Urchristentum anerkennt weder soziale Klassen noch Herrschaftsverhältnisse noch eine Staatsgewalt; Mann und Frau sind gleich gestellt; der Unterschied zwischen Herren und Sklaven gilt bereits als unvertretbar16 • In urchristlichen Gleichheitsvorstellungen wird zu einer umfassenden sozialen Gleichheit innerhalb der christlichen Gemeinde aufgerufen17 • Ein Verständnis der Welt, in der kein Personenunterschied bei der Berufung zum Heil besteht, in der erniedrigt wird, wer sich erhöht, in der die Zuwendung zu den Verachteten, Ausgestoßenen und Aussätzigen als Vorbild dient, fordert eine gleiche Rechtsverantwortung gegenüber jedem Menschen. Der Mensch hat "ohne Ansehen der Person" zu erkennen, zu handeln und zu richten18 • Diese Postulat festigt die verantwortliche Entscheidung in Unabhängigkeit gegenüber den Mächtigen und Reichen, warnt den Richter vor jeder Parteilichkeit und Bestechlichkeit, untersagt dem Herrn, seinem Sklaven und seiner Magd, die auf denselben Gott hoffen, in Bitterkeit, Enttäuschung oder Launen zu gebieten und gibt dem gewaltunterworfenen Sklaven eine eigene Würde gegenüber seinem Herrn19 • Dennoch stellen diese Gebote den Unterschied zwischen arm und reich, Richter und Gerichteten, damals auch zwischen Herrn und Sklaven 16 Ambrosius, De offi.cüs ministrorum, I, Opera omnia (herausgegeben 1880), ll 1, Kap. 28. 17 Felix Pflückiger, Die Geschichte des Naturrechts, Band 1: Alterturn und Frühmittelalter, 1994, S. 334 f. 18 Vgl. Ernst Dassmann, "Ohne Ansehung der Person". Zur Frage der Gleichheit aller Menschen in frühchristlicher Theologie und Praxis, in: Festschrift für Paul Mikat, 1989, S. 475. 19 Dassmann, a. a. 0 .. , S. 477 f.

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nicht in Frage, sondern suchen die Wahrnehmung der unterschiedlichen rechtlichen und sozialen Stellung durch die Gleichwertigkeit aller Menschen - modern gesprochen: durch ein Amtsethos und eine Sozialpnichtigkeit des Eigentümers - zu binden und dadurch die historisch überkommenen Unterschiede zu mäßigen. Auch heute wird die Gerechtigkeit oft mit verbundenen Augen dargestellt, um die Entscheidung "ohne Ansehen der Person" zu verdeutlichen. Der Papst fügt diesem Bild jedoch hinzu, dass es sich für die Gerechtigkeit gerade auch gehöre, "aufmerksam darüber zu wachen, dass das Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten gesichert ist und die gerechte Aufteilung der Kosten und Nutzen gefördert wird. Die Gerechtigkeit baut auf, sie zerstört nicht; sie versöhnt und trachtet nicht nach Rache". Dieser Gestaltungsauftrag meint die entwicklungsbegleitende Steuerung, die gegenwartsgerechte Ausprägung des jedem einzelnen Menschen verpflichteten Gleichmaßes und Übermaßverbotes. Das Versöhnungspostulat erinnert an das dritte, oft verschwiegene Postulat moderner demokratischer Rechtsstaaten: die Brüderlichkeit. b) Freiheit je nach erreichter Rechtskultur Die aufbauende und versöhnende Gerechtigkeit bestimmt auch den Grad der je nach verwirklichter Rechtskultur möglichen Freiheit. Wenn der elementare Status der Menschen in ihrem Anspruch auf Ernährung, Kleidung und Obdach zu sichern, der einzelne Mensch gegen Folter, Ächtung und Entrechtung zu schützen ist, fordert die Gerechtigkeit vor allem Gleichheit: Jeder Mensch ist in seinem Recht auf Existenz, auf Zugehörigkeit und Willkommen in einer Rechtsgemeinschaft, auf Teilhabe an den dort gewährten allgemeinen Rechten gleich. Das kulturelle Existenzminimum verlangt daneben, dass jeder Mensch und jede Menschengemeinschaft ihre Religion entfalten kann, sie ihre eigene Sprache pflegen darf, sie in den Traditionen ihrer Kultur und ihrer Bedürfnisse sich kontinuierlich entwickeln kann. Ist diese Rechtskultur elementarer Statusgleichheit aller Menschen gesichert, kann das Recht dem Einzelnen mehr Freiheiten gewähren. Wenn kein Mensch mehr verhungert, ist das Feld für die Berufs- und Eigentümerfreiheit eröffnet und eine soziale Marktwirtschaft möglich. Wenn das Faustrecht durch das Prinzip des inneren Friedens und ein Gewaltmonopol des rechtlich gebundenen Staates abgelöst worden ist, kann die Rechtsordnung Freizügigkeit, Bewegungsfreiheit und allgemeine Handlungsfreiheit anbieten. Solange eine Verfassung sich ihrer kulturellen Grundlage und der dar-

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aus folgenden Werte gewiß ist, kann sie sich für das Fremde, das Ungewohnte, auch das rechtliche Experimentieren öffnen. Eine freiheitliche Verfassung ist stets die Rechtsordnung der Hochkulturen. Deswegen muß gerade die freiheitliche Verfassung auch Vorsorge treffen, dass ihr kulturelles Fundament und die darin wurzelnde Wertordnung sich nicht in die Beliebigkeit verliert. Das Stichwort der "multikulturellen Gesellschaft"20 deutete demnach Zutreffendes an, wenn es die Offenheit des Zusammenlebens bei Anerkennung gemeinsamer Verfassungs- und Rechtsgrundlagen meint, also eine unantastbare Kulturgemeinschaft im Recht bewahrt und diese durch das Neue und Andere angeregt, belebt und bereichert sieht. Das Stichwort wäre hingegen verfehlt, wenn es die eigenen Grundsatzwerte zur Disposition stellen sollte. Der freiheitliche Staat anerkennt die Würde jedes Menschen in allen Lebenssituationen, erlaubt deshalb keine Herrschaft, die den politischen Gegner als Schädling definieren dürfte, den man ungestraft beseitigen könnte 21 . Die freiheitliche Verfassung gewährleistet die Gleichberechtigung von Mann und Frau und weicht nicht einem Prinzip, das die Frau zum Dienen gegenüber dem Mann verpflichten würde. Der Rechtsstaat garantiert Religionsfreiheit, verpflichtet niemals auf eine Staatsreligion. Demokratie folgt dem Prinzip der Macht auf Zeit, wehrt sich deshalb gegen die Forderung, dem Staatsführer lebenslänglich huldigen zu sollen. Wie die staatliche Friedensordnung eine gemeinsame Sprache, eine Mindestausbildung, eine gut organisierte Arbeitsteilung, staatliche und private Gemeinschaftsinstitutionen braucht, so benötigt sie auch eine Festigkeit in den "in der Verfassung festgelegten Sinnprinzipien des politischen Gemeinwesens" 22 . Diese Festigkeit finden wir in den universalen, also rechtlich vorgefundenen, in der Natur des Menschen angelegten23 Rechten, die in dem geschriebenen Verfassungsrecht aufgenommen werden, dieses Verfassungsrecht aber auch rechtfertigen, begrenzen und inhaltlich ausrichten24 . Dieses Freiheitsverständnis prägt auch die Kirche. Sie ist Überzeugungsgemeinschaft25 , die den Menschen durch Überzeugen, nicht durch Unterwerfen gewinnt. Der Bestand der Freiheit hängt davon ab, 20 Vgl. Paul Michael Lützeler, Europäische Identität heute: Vom Ethnozentrismus zur Multikultur, in: ders., Europäische Identität und Multikultur, 1997, S. 11 ff. 21 Vgl. zu diesem Charakteristikum totalitärer Herrschaft Hans Maier, Voraussetzungen und Durchbruch totalitärer Politik im 20. Jahrhundert, in: Hannah Ahrendtlnstitut (Hrsg.), Die Verfügungskraft des Thtalitären, Berichte und Studien Nr. 12, 1998, s. 13 (17). 22 Konrad Hesse, Stufen der Entwicklung der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit, JöR 1998, S. 1 (11). 23 HerbeTt Schambeck, Der Begriff der "Natur der Sache", 1964, S. 132 ff. 24 Vgl. Alexander Hollerbach, in: Lexikon der Bioethik, Band II, 1998, S. 738 (740). 25 Joseph Kardinal Ratzinger, Wahrheit, Werte, Macht, 1999, S. 24.

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dass dieses kulturelle Fundament bewahrt und immer wieder neu vermittelt wird.

ll. Gerechtigkeit in einer weltoffenen Gesamtwirtschaft

Die Botschaft stellt sodann fest, dass wir "an der Schwelle eines neuen Zeitalters" stünden, "das große Hoffnungen und beunruhigende Fragen mit sich bringt". Die Globalisierung der Wirtschaft und Finanzen seien nunmehr Wirklichkeit geworden, die Auswirkungen der mit der Informationstechnologie verbundenen rapiden Fortschritte seien immer greifbarer wahrzunehmen. Damit stelle sich die Frage, ob alle Menschen aus einem weltumspannenden Markt Nutzen ziehen könnten und die bestehenden wirtschaftlichen Wettbewerbe und Rivalitäten zwischen Völkern und Nationen die Menschheit in eine noch viel unsicherere Lage bringen werden. Die Herausforderung bestehe darin , eine Globalisierung in Solidarität, eine Globalisierung ohne Ausgrenzung zu sichern.

1. Berechtigung als Mensch oder als Nachfrager Der Staat sieht sich heute nicht mehr einer in seinem Gebiet tätigen "Volks"wirtschaft, einer "National"ökonomie gegenüber, sondern Wirtschaftsunternehmen, die staatenübergreifend organisiert und tätig sind. Diese in einem weltweiten Markt wirkenden Unternehmungen sind von staatsähnlicher Mächtigkeit, können durch einen internen Organisationsakt Kapital, Arbeitsplätze, Erträge und Steuerkraft verlagern, werden damit vom Rechtsunterworfenen zum Verhandlungspartner der Staaten bei der Gestaltung des Rechts. In dieser Offenheit des Austausches und der Begegnung liegt auch eine Gefährdung der Menschenrechte: In einem stark ökonomisch geprägten Weltgeschehen scheint der Menschenrechtsberechtigte weniger berechtigt, weil er Mensch ist; er gewinnt Zugang zum Marktgeschehen nur, wenn er Anbieter oder Nachfrager ist. Ein weltumspannendes Rechts- und Wirtschaftssystem , das sich auf den finanzkräftigen, nicht auf jeden Menschen ausrichtet, droht den armen und wirtschaftlich schwachen Menschen auszugrenzen.

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a) Mäßigung des Marktes durch Knappheit der Güter Zudem verändert sich das Wirtschaftsleben grundlegend dadurch, dass das bisherige Mäßigungsinstrument des Marktes, die Knappheit der Güter und der Geldmittel, teilweise entfallen ist. Bestimmte Wirtschaftsgüter, insbesondere Informationen, Filme, Lizenzen und sonstige Nutzungsrechte, können verkauft werden, ohne dass der Verkäufer dadurch ein Wirtschaftsgut verliert oder in der Substanz mindert. Eine handgeschriebene Bibel war das Lebenswerk eines Mönches, eine Gutenberg-Bibel immerhin noch ein wertvolles Wirtschaftsgut, der im Computer abrufbare Bibeltext ist zwar von gleichem ideellen Wert, wirtschaftlich aber nahezu wertlos. Der Nachfrager kann aufgrunddes Reichtums bestimmter Nationen, vor allem aber der Möglichkeiten privater Geldschöpfung mehr als das Notwendige nachfragen und auch dadurch den Markt erweitern. Dieser Markt ohne Knappheit drängt ins Grenzenlose, ins Maßlose. Deswegen sucht die Werbung das allein noch wirksame Mäßigungsinstrument des Marktes, die Nachfragebereitschaft des Konsumenten, gezielt auszudehnen. Die Kunst kommerzieller Verführung scheint die Ethik des Gleichmaßes und des Übermaßverbotes zu entmutigen, das Marktprinzip der Knappheit zu entgrenzen, das Postulat der Chancengleichheit zu entwurzeln, den allein im Menschen angelegten Bedarf zu enthemmen. Der Staat definiert immer weniger das Gemeinwohl, die industrielle Werbung weckt und erweitert individuellen und allgemeinen Bedarf. Damit bestimmen weniger Recht und Ethos, sondern gut organisiertes Erwerbsstreben die Maßstäbe ökonomischen Handelns.

b) Ein zunehmend abstraktes, virtuelles System des Wirtschaftens Hinzu tritt ein hoher Abstraktionsgrad bei der Zuordnung von Gütern und Unternehmen und der in ihr angelegten Herrschaftsbefugnisse. An die Stelle eines Marktes für Waren und individuelle Arbeitsleistung tritt ein Markt für Unternehmensbeteiligungen und Währungen, in dem der häufige Wechsel der Beteiligung an verschiedenen Unternehmen und Währungen den Erwerbserfolg bestimmt. Der Preis dieser Teilhabe drückt vielfach nicht den Wert eines produzierenden Unternehmens oder der von einer Volkswirtschaft getragenen Währung aus, sondern ist Spiegel der Hoffnungen und Erwartungen in zukünftige Entwicklungen, die wiederum durch Großanleger und Werbestrategien beeinflussbar sind. So werden aus dem

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Markt der Güter ein Markt der Spekulationen, aus konkreten Vorkehrungen für Erträge virtuelle Ertragsprognosen, aus dem seinen Arbeitnehmern und Kunden persönlich verantwortlichen Unternehmer ein zwischen den Unternehmen je nach Entgelt wechselnder Manager. Das globalisierte und abstrahierende Wirtschaftssystem droht seine Mitte, die individuelle menschliche Arbeit und ihre Entgeltwürdigkeit, den Zusammenhang von Honorar und Honor zu verlieren.

2. Macht der Technik Zudem erreichen moderne Informationstechnologien und Informationsdienste mit ihren Aussagen zur gleichen Zeit die Menschen in aller Welt. Jeder kann sich technisch nahezu beliebig der verfügbaren Daten bedienen. Dabei macht die Technik Vergangenes präsent und abrufbar, erweitert das menschliche Gedächtnis, schwächt die schonende Kraft des Vergessens. Die allgemeine Zugänglichkeit von Daten erleichtert die Freiheit der Information, drängt die Informationsbeteiligten jedoch auch in die Anonymität und damit gelegentlich in die rechtliche Nichtverantwortlichkeit. Die Möglichkeiten der Datenkombination machen Menschen in einer Weise sichtbar und durchsichtig, wie es die menschliche Beobachtungskraft nicht leisten könnte. Die ständige Orientierung an den Medien, die informieren und aufklären, aber auch unterhalten, skandalisieren und entlarven wollen, führt in die Orientierungslosigkeit. Die tägliche Kleinbühne des Fernsehens macht die Welt zur Kleinstadt, lässt aber die Weltprobleme ungelöst zu Hause zurück. In diesem offenen Meer der Unterrichtung, Unterhaltung, Provokation und Verführung sucht der Mensch einen festen Halt. Er braucht eine verlässliche Werteordnung, damit auch Institutionen und Organisationen, die alle Menschen an der globalen Welt teilhaben lassen, ihnen dafür aber auch die Maßstäbe und Instrumentarien mitgeben, um sich in dieser Teilhabe am Globalen nicht selbst zu verlieren und die Zugehörigkeit zu einer konkreten Werteordnung nicht einzubüßen. Vor dieser Aufgabe, zwischen globaler und konkret-individueller Ordnung zu vermitteln, ist das Wort der weltumspannenden Kirche besonders bedeutsam.

3. Souveräne Staaten und staatsübergreifendes Recht Als die Vorstellung staatlicher Souveränität, der Einheit und Einzigkeit gesetzgebender Gewalt des Staates26 entwickelt wurde, traf sie auf das

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Selbstverständnis der Kirche, die sich in einer Position des Gegenübers zum Staat sieht, in ihrem Verkündigungsanspruch die Vorläufigkeit, Endlichkeit und Begrenztheit der irdisch-politischen Macht betont 27 und ihre originäre, nicht vom Staat abgeleitete, sondern den Staat fordernde Kirchengewalt verteidigt 28 . So wurde der Herrscher zwar zeitweilig von seinen Gesetzen, keineswegs aber vom Recht als solchem entbunden 29 . Heute bestätigen die Staaten insbesondere mit der Religionsfreiheit und einem Staatskirchenrecht die Zuständigkeit der weltweit tätigen Kirche für die Beantwortung der Sinnfrage, der Frage nach der Transzendenz, die den Staatsbürger betrifft, ohne dass der weltanschaulich neutrale Staat darauf Antworten geben dürfte oder geben könnte. Auf dieser Grundlage fordert die Friedensbotschaft vor allem von den internationalen Organisationen, "dazu beizutragen, dass das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl gefördert wird". Die Kirche steht für die in der Natur des Menschen wurzelnde Ordnung, wirkt aber selbst als Überzeugungsgemeinschaft mit der Macht der Verkündigung, nicht des körperlichen Zwangs. Deshalb nimmt sie die 192 Staaten der Welt und die internationalen Organisationen für eine Gemeinwohlförderung in Verantwortung. Die Kirche wahrt in dieser Welt, die ihrer Natur nach einheitlich, ihrer Kulturentwicklung nach aber in Staaten aufgegliedert ist, die Basis von Gerechtigkeit und Frieden, sucht diese aber in der jeweils vorgefundenen politischen Organisationsstruktur zur Geltung zu bringen. Die Friedensbotschaft nutzt diese Strukturen, um ihre Lehren wirksam werden zu lassen, anerkennt sie aber nicht als Grundlage für eine nur abgeschwächte Verwirklichung der Menschenrechte. Sie fordert eine Globalisierung ohne Ausgrenzung. Man könne eine Welt nicht mehr ertragen, in der Steinreiche und Allerärmste Seite an Seite leben, Besitzlose ohne das Lebensnotwendigste auf Menschen treffen, die hemmungslos das vergeuden, was andere notwendig brauchen. Solche Kontraste seien eine Beleidigung für die Würde der menschlichen Person. 26 Dietrich Pierson, Die geschichtlichen Wurzeln des deutschen Staatskirchenrechts, in: Josef Listl/Dietrich Pierson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1. Band, 2. Aufl. 1994, S. 4 ff. 27 Paul Mikat, Kirche und Staat nach der Lehre der Katholischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, S. 111 (112 ff.). 28 Alexander Hollerbach, Der verfassungsrechtliche Schutz der kirchlichen Organisationen, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 1989, § 139 Rdnr. 10. 29 Hans Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 1994, S. 408 ff.

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m. Gerechtigkeitskultur innerhalb der Staaten Die Friedens- und Gerechtigkeitsbotschaft des Papstes wendet sich sodann auch dem inneren Frieden und der inneren Gerechtigkeit innerhalb eines Staates zu. Gefragt sei eine Kultur, auf dem Boden des Gesetzes zu handeln und dabei insbesondere schwerwiegende Ungleichheiten zu vermeiden. Mit dieser Zielsetzung sucht die Botschaft einerseits den inneren Frieden zu sichern, der vor allem Respekt vor der Autorität des Rechts verlangt, zugleich aber dieses Recht auf materielle Prinzipien zu verpflichten, weil eine Rechtsordnung auf Dauer nur Frieden stiften kann, wenn sie in ihren Gerechtigkeitswertungen überzeugt.

1. Weltverantwortung und Ortsverantwortung Ein Wort der Deutschen Bischofskonferenz zum Frieden vom 18. April 1983 30 wählt als Thema das Prophetenwort "Gerechtigkeit schafft Frieden" und erinnert an den biblischen Namen für die Botschaft Jesu, das Evangelium des Friedens. Diese Grundsatzsaussage nehmen die deutschen Bischöfe zum Anlaß, um Fragen der Umwelt und der Energieversorgung zu behandeln, sich zum Problem der Arbeitslosigkeit zu äußern, die Verantwortlichkeit für ausländische Arbeitnehmer, Flüchtlinge und Asylsuchende zu betonen, umfassend den Schutz des Lebens durch staatliches Recht und gesellschaftlichen Willen zu fordern. Ein Vergleich dieses Wortes der deutschen Bischöfe mit Blick auf die Weltkirche und der Botschaft des Papstes mit Blick auf die einzelnen Staaten und die innerhalb dieser Staaten bestehende kirchliche Verantwortlichkeit zeigt eine herausragende, seit nunmehr 2000 Jahren bewährte Stärke der katholischen Kirche: Der Papst definiert die Ziele und Grundprinzipien der kirchlichen Lehre und die daraus erwachsenden ethischen Forderungen; die Ortskirchen formen diese Grundsätze je für ihre Region und ihre Gegenwart konkreter aus und entscheiden insbesondere über die Mittel und Methoden, mit denen die gemeinsamen katholischen Anliegen verwirklicht werden können. Diese Arbeitsteilung bestimmt die Tradition und die Hoffnung, in der die Kirchenmitglieder dem Papst und jedem ihrer Bischöfe in Hochachtung und Respekt begegnen.

30

Herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 1983.

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a) Der Staat als Treuhänder Die Friedensbotschaft des Papstes versteht den Staat als Verwalter der Güter eines Volkes, die er zugunsten des Gemeinwohls einsetzen soll. Diese treuhändensehe Verantwortlichkeit des Staates und seiner Organe nimmt den demokratischen Kerngedanken der Staatsgewalt für das Volk auf und verdeutlicht ihn insbesondere für die zentralen Gegenwartsaufgaben des Staates, den Einsatz wirtschaftlicher und finanzieller Mittel zur Herstellung der Gerechtigkeit. Äußerste Armut sei die erste Ungerechtigkeit. Daneben unterminiere das Laster der Korruption die gesellschaftliche und politische Entwicklung vieler Völker. Eine den Frieden gefährdende Ungerechtigkeit liege auch in den fehlenden Mitteln für einen gerecht verteilten Zugang zum Kredit. Eine der am weitesten verbreiteten Verletzungen der Menschenrechte sei die zunehmende Epidemie der Gewalt, vor allem gegenüber Frauen, Mädchen und Jungen. Hier wird der Grundgedanke der Botschaft in seinem moralischen Ursprung wie in den konkreten Folgerungen besonders deutlich: Alle Menschen sind in ihrer Würde gleich, verdienen denselben Respekt und haben die gleichen Rechte und Pflichten. Deshalb ist die Rechtsordnung an dieser ihrer gemeinsamen Wurzel auszurichten. Wert und Würde sind die gemeinsame, das gleiche Anliegen einmal als Gemeinwohlprinzip und einmal als Individualrecht verbürgende Wurzel einer menschengerechten Ordnung. b) Die Rechtsverantwortung der Gesellschaft Der Appell des Papstes richtet sich sodann mit gleichem Nachdruck an die Lehrer, Familien, Eltern und Jugendlichen. Darin kommt zum Ausdruck, daß eine Gerechtigkeitsordnung in ihrer Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit vom Staat gewährleistet, aber von den gesellschaftlichen Gruppen getragen werden muß. Der Verfassungsstaat bietet mit seiner Rechtsordnung die Menschenrechte der Würde, der Freiheit und Gleichheit an, kann aber eine Friedensordnung nur herstellen, wenn die Freiheitsberechtigten dank ihrer inneren Bindung ihre Freiheit auch tatsächlich wahrnehmen und in den Dienst dieser Wert- und Würdeordnung stellen. Die Garantie der Menschenwürde sieht jeden Menschen dank seiner Individualität und Personalität im Besitz eines "absoluten inneren Wertes" 31 , verspricht deshalb jedem Menschen in dieser Rechtsgemeinschaft Achtung und 31

Vgl. Peter Häberle, a. a. 0 .. , § 20 Rdnr. 83 ff.

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Schutz, körperliche und seelische Unverletzlichkeit, soziale Anerkennung, die nicht allein durch staatliche Organisation und Hilfe gesichert ist, sondern von der Rechtsgemeinschaft und damit von jedem Menschen kulturell getragen werden muß. Freiheit ereignet sich demnach weniger - wie das Wettbewerbsszenario von Wirtschaftskampf, Meinungskampf, Arbeitskampf, Wahlkampf oder auch freizeitgestaltendem sportlichem Wettkampf nahelegt-im eigennützigen, allein der Selbstentfaltung dienenden Streit, sondern in einer aus dem Zusammenhalt der Freiheitsberechtigten getragenen Selbstbestimmung. 2. Die Freiheit als Angebot a) Die innere Bereitschaft zur Freiheitswahrnehmung Ein freiheitlicher Staat kann deshalb nur gelingen, wenn die Freiheitsberechtigten eine verlässliche gemeinsame Grundorientierung haben und danach handeln 32 • Der Staat macht in den Freiheitsrechten den Berechtigten Angebote, deren Annahme er nicht regelt und erzwingt, wohl aber erwarten und voraussetzen muß. Der Finanz- und Steuerstaat setzt darauf, daß die Bürger die ihnen angebotene Berufs- und Eigentümerfreiheit annehmen und sich für den Erwerb und die Pflege des Eigenen anstrengen. Würde die Mehrzahl der Bürger nach dem Vorbild des Diogenes in der Tonne leben, würde der Finanz- und Steuerstaat, ebenso die soziale Marktwirtschaft an ihrer eigenen Freiheitlichkeit scheitern. Der Staat sichert seine Zukunft an einer wohlerzogenen Jugend dadurch, daß er die Entscheidung für ein Kind und dessen Erziehung in die Verantwortung von Ehe und Familie stellt. Würden die Menschen sich gegen das Kind und dessen erzieherische Begleitung entscheiden, wäre der Staat ohne Zukunft. Der Kulturstaat baut darauf, daß die Bürger sich stetig um das wissenschaftliche Auffinden der Wahrheit, das künstlerische Empfinden des Schönen, die religiöse Frage nach dem Unermesslichen bemühen. Würden die Freiheitsberechtigten diese ihre Kulturfreiheit nicht wahrnehmen, bliebe der Kulturstaat in seiner Freiheitlichkeit gedanken-und sprachlos und verlöre sein Gesicht. Eine Demokratie schließlich baut darauf, daß die Wahler von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen; ginge keiner zur Wahl, gäbe es keine Demokratie.

32 Paul Kirchhof, Offenheit und Gebundenheit des demokratischen Rechtsstaates, in: Deutsche Sektion der internationalen Juristenkommission (Hrsg.), Mulikulturelle Gesellschaft und Wertegesellschaft, 2000, S. 1 ff.

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Eine freiheitliche Ordnung ist damit auf eine innere Bindung der Freiheitsberechtigten angewiesen, die eine verantwortliche Freiheitswahrnehmung sichert und den Zusammenhalt der Rechtsgemeinschaft nicht der individuellen Beliebigkeit überantwortet. Der Despotismus kommt ohne Glauben aus, die Freiheit nicht (Alexis de Tocqueville) 33 •

2. Freiheit und Bindung

Diese innere Bindung des Freiheitsberechtigten ist nicht Schranke und Grenze des Freiheitsrechts, sondern notwendiger Bestandteil des Freiheitsrechts selbst. Jedes Recht regelt Verbindlichkeiten gegenüber einem anderen Menschen, ist also durch die Verantwortlichkeit diesem Menschen gegenüber geformt und inhaltlich bestimmt. Auch das Freiheitsrecht gewährt deshalb nicht Verhaltensbeliebigkeit ungeachtet des Mitmenschen, sondern Entscheidungs- und Verhaltensfreiheit innerhalb der mitmenschlichen Friedensgemeinschaft. Diese Freiheit zur Bindung, der notwendige Zusammenhang von Rechten und Pflichten wird bewusst, wenn wir die Freiheitsrechte in ihrem Inhalt näher bestimmen und zwischen großen und kleinen Entscheidungsfreiheiten unterscheiden. Die kleine Entscheidungsfreiheit berechtigt zur alltäglichen Beliebigkeit, von der ein Dritter kaum rechtserheblich betroffen ist: Der Freie mag heute einen Kaffee trinken und morgen einen Tee; heute ein Buch lesen und morgen fernsehen; heute auf dem Berg und morgen im Tal spazieren gehen. Die großen Entscheidungsfreiheiten hingegen sind das individuelle Recht zur freiheitlich eingegangenen langfristigen Bindung, die Rechtsbeziehungen auf Dauer begründet und deshalb stärker gemeinschaftsgebunden ist: Der einzelne Mensch studiert, um einen Lebensberuf zu ergreifen. Er begründet mit der Eheschließung eine lebenslange Gemeinschaft von Mann und Frau und später eine Elternverantwortlichkeit. Er gründet eine Firma, die Generationen übergreifend wirksam werden soll. Er gehört für die Dauer seines Lebens seinem Staat und seiner Kirche an. Die Wahrnehmung dieser großen Freiheiten bietet individuelle Entscheidungsfreiheit im ersten Schritt, bindet dann aber denjenigen, der entschieden hat, in der Kontinuität der einmal getroffenen Entscheidung: Der Berufstätige muß in seinem Beruf dem Gemeinschaftsstandard der Berufsqualifikation und der einzelnen Leistungserbringung genügen. Der Eheschließende erlebt die Elternrechte vor allem als Elternverantwortlichkeit 33

Dazu Wolfgang Huber, Kirche in der Zeitenwende, 1998, S. 25 ff.

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gegenüber den Kindern. Der Staatsangehörige erfährt seinen demokratischen Mitwirkungs- und Legitimationsstatus vielfach vor allem als Rechtsbefolgungs- und Steuerzahlungspflicht. Freiheitsrechte sind immer Rechte, also in die Rechtsgemeinschaft eingebundene und dort begrenzte Berechtigungen. Dieser Zusammenhang von Freiheit und Bindung, der Zusammenhalt der Freiheitsberechtigten in der kulturellen Gemeinschaft eines Staatsvolks, die wechselseitige Ergänzung von Rechten und Pflichten wird gegenwärtig allgemein bewusst. Innerhalb der Europäischen Union wird gefordert, Europa müsse "eine Seele gegeben" werden34 • Das typisch Europäische wäre verfehlt, wenn die Union nur offener Markt und nicht auch Kulturgemeinschaft der Menschenrechte und der Friedenssicherung wäre. Diese europäische Seele aber findet nicht allein in Rechten und Pflichten ihre Grundlage, sondern lebt letztlich allein in der inneren Vergewisserung und Verantwortlichkeit der Freiheitsberechtigten. Der Wille zum Kind, die Kraft zur kulturellen Gestaltung, die Verantwortlichkeit im politischen Geschehen können nicht rechtlich angeordnet, sondern müssen von den Freiheitsberechtigten selbst entwickelt und entfaltet werden. Hier setzt die Friedensbotschaft des Papstes das Maß; sie ist maßgebend.

34 Vgl. Franz Kardinal König, Die Seele Europas, in: Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste, Band 25, Nr. X, 2000, S. 13; Eugen Biser, Europas Seele, daselbst, S. 17; Paul Kirchhof, Die kulturellen Voraussetzungen eines freiheitlichen Rechtssystems, daselbst, S. 41.

13 Johannes Paul li.

BOTSCHAFT SEINER HEILIGKEIT JOHANNES PAUL II. ZUR FEIER DES WELTFRIEDENSTAGES AM 1. JANUAR 1999 "IN DER ACHTUNG DER MENSCHENRECHTE LIEGT DAS GEHEIMNIS DES WAHREN F'RIEDENS"

1. In meiner ersten Enzyklika Redemptor hominis, die ich vor rund zwanzig Jahren an alle Männer und Frauen guten Willens gerichtet habe, unterstrich ich schon die Bedeutung der Achtung der Menschenrechte. Der Frieden wächst, wenn diese Rechte voll geachtet werden, während der Krieg aus der Verletzung dieser Rechte entsteht und noch größere derartige Verletzungen nach sich zieht. 1

Zu Beginn des neuen Jahres, des letzten vor dem Großen Jubiläum, möchte ich über dieses so außerordentlich wichtige Thema mit euch allen noch einmal nachdenken, mit euch Männern und Frauen in aller Welt, mit euch politischen Verantwortlichen und Religionsführern der Völker, mit euch, die ihr den Frieden liebt und ihn auf der Erde festigen wollt. Seht, das ist die Überzeugung, die ich euch im Hinblick auf den Weltfriedenstag als Herzensanliegen mitteilen möchte: Wenn die Förderung der Personenwürde das Leitprinzip ist, das uns beseelt, und wenn die Suche des Gemeinwohls die Aufgabe ist, die Vorrang hat, dann werden feste und dauerhafte Grundlagen zum Aufbau des Friedens gelegt. Wenn dagegen die Menschenrechte vernachlässigt oder gar missachtet werden, wenn die Wahrung von Eigeninteressen gegenüber dem Gemeinwohl ungerechterweise überwiegt, dann werden unweigerlich die Keime für Instabilität, Rebellion und Gewalt gesät.

Achtung der Menschenwürde, Erbe der Menschheit 2. Die Würde der menschlichen Person ist ein transzendenter Wert, der von allen, die ehrlich nach der Wahrheit suchen, stets anerkannt wird. Die 1 13°

Vgl. Redemptor hominis (4. März 1979), 17: AAS 71 (1979), 296.

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Papst Johannes Paul li.

gesamte Geschichte der Menschheit sollte eigentlich im Licht dieser Gewissheit gedeutet werden. Da jede Person als Bild und Gleichnis Gottes geschaffen (vgl. Gen 1, 26-28) und deshalb eindeutig auf ihren Schöpfer hin ausgerichtet ist, steht sie in ständiger Beziehung zu allen, die mit derselben Würde ausgestattet sind. Die Förderung des Wohls des Einzelnen wird so mit dem Dienst am Gemeinwohl verbunden, wenn die Rechte und Pflichten einander entsprechen und sich gegenseitig stärken. Die Zeitgeschichte hat in tragischer Weise die Gefahr verdeutlicht, die aus der Mißachtung der Wahrheit über die menschliche Person erwächst. Wir haben die Früchte von Ideologien wie die des Marxismus, Nationalsozialismus und Faschismus ebenso vor Augen wie auch die Mythen von Rassismus, Nationalismus und ethnischem Partikularismus. Nicht weniger gefährlich, wenn auch nicht immer so offensichtlich sind die Auswirkungen des materialistischen Konsumismus, in dem die Verherrlichung des Einzelnen und die egozentrische Befriedigung der persönlichen Wünsche zum letzten Lebenszweck werden. In dieser Sicht erscheinen negative Folgen für andere als völlig unerheblich. Dagegen ist zu sagen, dass kein Angriff auf die Menschenwürde unbeachtet bleiben darf - ganz gleich, welche Ursache zugrundeliegt, welche Erscheinungsform er annimmt oder wo er sich zuträgt. Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte

3. Im Jahre 1998 konnte der 50. Jahrestag der Annahme der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" begangen werden. Sie wurde ausdrücklich mit der Charta der Vereinten Nationen verbunden, da sie vom selben Geist durchdrungen ist. Die grundlegende Voraussetzung für die Erklärung liegt in der Bekräftigung, dass die Anerkennung der angeborenen Würde aller Glieder der Menschheitsfamilie wie auch der Gleichheit und Unveräußerlichkeit ihrer Rechte das Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt 2 ist. Alle darauf folgenden internationalen Dokumente über die Menschenrechte heben diese Wahrheit hervor, indem sie anerkennen und unterstreichen, dass diese Rechte aus der Würde und dem Wert erwachsen, die der menschlichen Person innewohnen. 3 Die Allgemeine Erklärung ist klar: Sie erkennt die Rechte, die sie verkündet, an, aber sie verleiht sie nicht; denn diese wohnen der menschlichen Per2

3

Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Präambel, erster Abschnitt. Siehe besonders Erklärung von Wien (25. Juni 1993), Präambel, 2.

Botschaft zum Weltfriedenstag 1999

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son und ihrer Würde inne. Daraus folgt, dass niemand irgendeinen seiner Mitmenschen dieser Rechte rechtmäßig berauben darf; denn das würde bedeuten, seiner Natur Gewalt anzutun. Alle Menschen ohne Ausnahme sind in der Würde gleich. Aus demselben Grund gelten diese Rechte für alle Lebensphasen und jeden politischen, sozialen, ökonomischen oder kulturellen Kontext. Sie bilden ein einziges Ganzes, das eindeutig auf die Förderung aller Aspekte des Wohls der Person und der Gesellschaft ausgerichtet ist. Die Menschenrechte lassen sich traditionsgemäß in zwei weit gespannte Bereiche einteilen: da sind einerseits die bürgerlichen und politischen Rechte und andererseits die ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte. Internationale Vereinbarungen definieren beide Kategorien in klarer Weise. Die Menschenrechte sind ja untereinander eng verflochten, da sie Ausdruck verschiedener Dimensionen eines einzigen Subjekts sind, das Person heißt. Die ganzheitliche Förderung beider Kategorien der Menschenrechte ist die wahre Garantie dafür, dass jedes einzelne Recht voll geachtet wird. Der Schutz der Universalität und der Unteilbarkeit der Menschenrechte ist entscheidend für den Aufbau einer friedlichen Gesellschaft und für die ganzheitliche Entwicklung des Einzelnen, der Vcilker und der Nationen. Die Bekräftigung dieser Universalität und Unteilbarkeit schließt ja berechtigte Unterschiede kultureller und politischer Ordnung bei der Verwirklichung der einzelnen Rechte nicht aus unter der Voraussetzung, dass in jedem Fall die von der Allgemeinen Erklärung für die ganze Menschheit festgesetzten Normen eingehalten werden. Während ich mir diese grundlegenden Vorbedingungen vor Augen halte, möchte ich nun auf einige besondere Rechte hinweisen, die heute mehr oder weniger offenen Verletzungen ausgesetzt scheinen.

Das Lebensrecht 4. Das erste ist das Grundrecht auf Leben. Das menschliche Leben ist heilig und unantastbar vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an bis zu seinem natürlichen Ende. "Du sollst nicht töten", lautet das göttliche Gebot, das eine äußerste Grenze setzt, die man nie überschreiten darf. "Die willentliche Entscheidung, einen unschuldigen Menschen seines Lebens zu berauben, ist vom moralischen Standpunkt her immer schändlich" .4

4

Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae (25. März 1995), 57: AAS 87

(1995), 465.

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Papst Johannes Paul II.

Das Recht auf Leben ist unantastbar. Das impliziert eine positive Entscheidung, eine Entscheidung für das Leben. Die Entwicklung einer in diesem Sinn ausgerichteten Kultur erstreckt sich auf alle Lebensumstände und gewährleistet die Förderung der Menschenwürde in jeder Lage. Eine wahre Kultur des Lebens sichert dem Ungeborenen das Recht, auf die Welt zu kommen, und schützt die Neugeborenen, insbesondere die Mädchen davor, dem Verbrechen des Kindesmordes zum Opfer zu fallen. In gleicher Weise garantiert es den Behinderten die Entwicklung ihrer Fähigkeiten sowie den kranken und alten Menschen angemessene Pflege. Die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Gentechnik bringen eine Gefahr mit sich, die tiefe Besorgnis erregt. Wenn die wissenschaftliche Forschung in diesem Bereich der Person dienen soll, muss sie auf jeder Stufe von wachsamer ethischer Reflexion begleitet sein, die sich in entsprechenden gesetzlichen Normen zum Schutz der Unversehrtheit des menschlichen Lebens niederschlägt. Nie darf das Leben zum Objekt degradiert werden. Das Leben wählen bedeutet eine Absage an jede Form von Gewalt: die der Armut und des Hungers, von denen so viele Menschen betroffen sind; die der bewaffneten Konflikte; die der kriminellen Verbreitung von Drogen und des Waffenhandels; die der leichtsinnigen Schädigung der Umwelt. 5 In jeder Situation muß das Recht auf Leben durch entsprechende gesetzliche und politische Sicherungen gefördert und geschützt werden, denn keine Verletzung des Rechtes auf Leben, die der Würde der Einzelperson entgegensteht, darf außer acht gelassen werden.

Die Religionsfreiheit, das Herz der Menschenrechte 5. Die Religion drückt die tiefste Sehnsucht der menschlichen Person aus, die Religion bestimmt ihre Weltanschauung und regelt die Beziehung zu den anderen: Letztlich gibt sie die Antwort auf die Frage nach dem wahren Lebenssinn im persönlichen und im sozialen Bereich. Die Religionsfreiheit bildet daher den Kern der Menschenrechte. Sie ist so unantastbar, dass sie fordert, dass der Person auch die Freiheit des Religionswechsels zuerkannt wird, wenn das Gewissen es verlangt. Denn jeder ist gehalten, dem eigenen Gewissen in jeder Situation zu folgen, und darf nicht gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln. 6 Gerade deshalb darf niemand gezwungen werden, unbedingt eine bestimmte Religion anzunehmen, welche Umstände oder Beweggründe es auch immer dafür geben mag. s Vgl. ebd., 10, a. a. 0., 412. e Vgl. II. Ökumenisches Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae, 3.

Botschaft zum Weltfriedenstag 1999

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Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte anerkennt, dass das Recht auf Religionsfreiheit auch das Recht einschließt, das eigene Bekenntnis sowohl als Einzelner als auch zusammen mit anderen in der Öffentlichkeit oder privat kundzutun. 7 Dennoch gibt es heute noch Orte, wo das Recht, sich zum Gottesdienst zu versammeln, entweder nicht anerkannt ist oder auf die Anhänger einer einzigen Religion beschränkt bleibt. Diese schwere Verletzung eines Grundrechtes der Person verursacht ungeheure Leiden für die Glaubenden. Wenn ein Staat einer Religion eine Sonderstellung einräumt, darf es nicht zum Nachteil der anderen geschehen. Bekanntlich gibt es aber Nationen, in denen Einzelne, Familien und ganze Gruppen auf Grund ihres religiösen Bekenntnisses weiterhin diskriminiert und ausgegrenzt werden. Ebensowenig darf ein weiteres Problem verschwiegen werden, das indirekt mit der Religionsfreiheit zusammenhängt. Manchmal kommt es zwischen Gemeinschaften oder Völkern verschiedener religiöser Überzeugungen und Kulturen zu Spannungen, die auf Grund der mitspielenden starken Leidenschaften schließlich in gewalttätige Konflikte ausarten. Gewaltanwendung im Namen des eigenen Glaubensbekenntnisses ist eine Verzerrung dessen, was die großen Religionen lehren. Wie verschiedene Religionsführer oft betont haben, so bekräftige auch ich, dass die Gewaltanwendung niemals eine begründete religiöse Rechtfertigung finden noch das Wachstum der wahren Religiosität fördern kann. Das Recht auf Teilhabe

6. Jeder Bürger hat das Recht, am Leben seiner Gemeinschaft teilzuhaben: Das ist heute eine allgemein verbreitete Überzeugung. Dennoch wird dieses Recht zunichte gemacht, wenn der Demokratisierungsprozess durch Begünstigung und Korruption bis zur Unwirksamkeit ausgehöhlt wird. Diese Phänomene verhindern nicht nur die berechtigte Teilhabe an der Machtausübung, sondern versperren sogar den Zugang zu einer gleichmäßig verteilten Nutzung der Güter und der öffentlichen Dienste. Selbst Wahlen können manipuliert werden zu dem Zweck, gewissen Parteien oder Personen zum Sieg zu verhelfen. Dabei handelt es sich um einen Angriff auf die Demokratie, der schwerwiegende Folgen mit sich bringt, denn die Bürger haben neben dem Recht auch die Pflicht zur Teilnahme. Wenn sie daran gehindert werden, verlieren sie die Hoffnung, wirksam eingreifen zu können. 7

Vgl. Art. 18.

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Papst Johannes Paul ll.

So überlassen sie sich einer Haltung passiver Gleichgültigkeit. Die Entwicklung eines gesunden demokratischen Systems wird damit praktisch unmöglich gemacht. Kürzlich wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um gesetzliche Wahlen in den Staaten sicherzustellen, die unter Schwierigkeiten vom totalitaristischen System zur Demokratie übergehen wollen. So nützlich und wirksam diese Initiativen in Notfällen auch sein mögen, entheben sie dennoch nicht von der Anstrengung, in den Bürgern eine Plattform allgemein geteilter Überzeugungen zu schaffen, durch die jede Manipulierung des Demokratisierungsprozesses endgültig verschwindet. Im Bereich der internationalen Gemeinschaft haben die Nationen und Volker das Recht auf Mitbeteiligung an den Beschlüssen, die ihre Lebensweise oft tiefgreifend verändern. Die fachliche Besonderheit bestimmter wirtschaftlicher Probleme fördert die Neigung, sie im engen Kreis zu diskutieren. Dabei entsteht die Gefahr, dass sich die politische und finanzielle Macht in einer begrenzten Anzahl von Regierungen oder Interessengruppen anhäuft. Die Suche des nationalen und internationalen Gemeinwohls erfordert auch im wirtschaftlichen Bereich eine wirksame Anwendung des Rechtes aller auf Mitbeteiligung an den Beschlüssen, die sie betreffen.

Eine besonders schwere Form der Diskriminierung 7. Eine der dramatischsten Formen von Diskriminierung besteht darin, den ethnischen Gruppen und nationalen Minderheiten das Grundrecht auf Existenz zu verweigern. Dies geschieht durch Unterdrückung, brutale Übersiedlung oder auch durch den Versuch, ihre ethnische Identität so zu schwächen, dass sie nicht mehr erkennbar ist. Kann man angesichts so schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit schweigen? Keine Anstrengung darf als übertrieben gelten, wenn es darum geht, solchen der menschlichen Person unwürdigen Verirrungen ein Ende zu setzen. Ein positives Zeichen für die wachsende Entschlossenheit der Staaten, die eigene Verantwortung für den Schutz der Opfer solcher Verbrechen zu erkennen und für den Einsatz, sie zu verhüten, stellt die jüngste Initiative einer Diplomatischen Konferenz der Vereinten Nationen dar. Sie hat mit besonderem Beschluss das Statut eines Internationalen Tribunals angenommen, das die Aufgabe hat, schuldhafte Taten festzustellen und diejenigen zu bestrafen, die für Verbrechen des Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggressionen verantwortlich sind.

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Wenn diese neue Institution auf guten gesetzlichen Grundlagen ruht, könnte sie mehr und mehr dazu beitragen, auf Weltebene den wirksamen Schutz der Menschenrechte sicherzustellen. Das Recht auf Selbstverwirklichung 8. Jeder Mensch besitzt angeborene F.ihigkeiten, die auf Entfaltung drängen. Das gehört zur vollen Verwirklichung seiner Persönlichkeit und auch zur entsprechenden Eingliederung in das soziale Gefüge seiner Umgebung. Deshalb ist es vor allem notwendig, für eine angemessene Erziehung und Bildung des jungen Lebens zu sorgen. Davon hängt sein künftiges Gelingen ab. Besteht aus dieser Sicht nicht aller Grund zur Besorgnis, wenn man beobachtet, dass sich in einigen Gebieten, die zu den ärmsten der Welt gehören, die Bildungsmöglichkeiten tatsächlich verringern - und das besonders im Hinblick auf die Grundschule? Bisweilen ist dafür die Wirtschaftslage des Landes verantwortlich, die den Lehrern keine Entlohnung zusichern kann. In anderen Fallen scheint Geld für Prestigeobjekte oder für Projekte der höheren Bildung, aber nicht für die Grundschule vorhanden zu sein. Wenn besonders die Bildungsmöglichkeiten für Mädchen eingeschränkt werden, dann schafft man diskriminierende Strukturen, die die ganze Entwicklung der Gesellschaft gefährden können. Die Welt würde schließlich nach einem neuen Kriterium aufgeteilt: auf der einen Seite die mit hochentwickelten Technologien ausgestatteten Staaten und Einzelpersonen, auf der anderen Seite die Länder und Personen mit äußerst begrenzten Kenntnissen und F.ihigkeiten. Das würde verständlicherweise die bereits vorhandenen akuten wirtschaftlichen Ungleichheiten nicht nur zwischen den Staaten, sondern auch in ihrem Innern verstärken. Erziehung und Berufsausbildung müssen sowohl in der Planung der Entwicklungsländer als auch in den Reformprogrammen für Stadt und Land der wirtschaftlich fortschrittlichsten Völker an erster Stelle stehen. Ein weiteres Grundrecht, von dessen Verwirklichung die Erlangung eines würdigen Lebensstandards abhängt, ist das Recht auf Arbeit. Wie kann man sonst Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und die Befriedigung vieler anderer Lebensbedürfnisse sicherstellen? Der Mangel an Arbeit ist heute jedoch ein schweres Problem. Unzählige Personen in allen Teilen der Welt sind von dem verheerenden Phänomen der Arbeitslosigkeit betroffen. Es ist notwendig und dringend für alle und insbesondere für diejenigen, die die politische und wirtschaftliche Macht haben, alles Mögliche

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zu tun, um einer so leidvollen Situation abzuhelfen. Man darf sich nicht auf Hilfsmaßnahmen beschränken im Fall von Arbeitslosigkeit, Krankheit oder ähnlichen Umständen, die sich der Kontrolle des Einzelnen entziehen. 8 Diese Hilfen sind notwendig, doch muß man sich auch darum bemühen, dass die Arbeitslosen die Möglichkeit erhalten, ihr eigenes Dasein selbst in die Hand zu nehmen und sich so von der Bestimmung demütigender Betreuung zu befreien.

Globaler Fortschritt in der Solidarität 9. Die rasch zunehmende Globalisierung der Wirtschafts- und Finanzsysteme weist ihrerseits darauf hin, dass dringend festgeschrieben werden muß, wer das globale Gemeinwohl und die Anwendung der ökonomischen und sozialen Rechte gewährleisten soll. Der freie Markt allein ist dazu nicht imstande, da es in Wirklichkeit viele menschliche Bedürfnisse gibt, die keinen Zugang zum Markt haben. "Noch vor der Logik des Austausches gleicher Werte und der für sie wesentlichen Formen der Gerechtigkeit gibt es etwas, das dem Menschen als Menschen zusteht, das heißt auf Grund seiner einmaligen Würde". 9 Die Auswirkungen der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrisen hatten schwerwiegende Folgen für unzählige Personen, die in äußerste Armut gerieten. Viele von ihnen hatten erst seit kurzem ihre Lage so weit verbessert, dass sie berechtigte Hoffnungen für die Zukunft hegen konnten. Ohne eigene Schuld sahen sie diese Hoffnungen grausam zerstört, was mit tragischen Folgen für sie selbst und für ihre Kinder verbunden war. Darf man darüber hinaus die Auswirkungen der Fluktuationen der Finanzmärkte außer acht lassen? Dringend notwendig ist eine neue Sicht des globalen Fortschritts in der Solidarität, die eine von der Gesellschaft getragene ganzheitliche Entwicklung vorsieht, so dass jedes ihrer Glieder seine eigenen Fähigkeiten entfalten kann. In diesem Zusammenhang richte ich einen dringenden Aufruf an die für die Finanzbeziehungen auf Weltebene Verantwortlichen, dass sie sich die Lösung des besorgniserregenden Problems der internationalen Verschuldung der ärmsten Nationen zu Herzen nehmen. Internationale Finanzeinrichtungen haben diesbezüglich eine konkrete Initiative in Gang gebracht, die Anerkennung verdient. Ich appelliere an alle, die sich mit diesem ProVgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 25, 1. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 34: AAS 83 (1991), 836. 8

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blem befassen, besonders an die Industrieländer, dass sie die notwendige Unterstützung gewähren, um dieser Initiative zum Erfolg zu verhelfen. Es ist eine rasche und kräftige Anstrengung notwendig, um es der Mehrheit der Länder im Hinblick auf das Jahr 2000 zu ermöglichen, aus einer nunmehr unhaltbaren Situation herauszufinden. Ich bin sicher, dass der Dialog zwischen den beteiligten Institutionen zu einer endgültigen und befriedigenden Lösung führen wird, wenn er vom Willen zum Einvernehmen getragen ist. Auf diese Weise wird den bedürftigsten Nationen eine dauerhafte Entwicklung ermöglicht, und das bevorstehende Jahrtausend wird auch für sie eine Zeit neuer Hoffnung werden.

Verantwortung gegenüber der Umwelt 10. Mit der Förderung der Menschenwürde ist das Recht auf eine gesunde Umwelt verbunden. Denn dadurch wird die Dynamik der Beziehungen zwischen Einzelperson und Gesellschaft deutlich. Ein Paket internationaler, regionaler und nationalerNormen in bezugzur Umwelt gibt diesem Recht allmählich juridische Fbrm. Dennoch genügen die gesetzlichen Maßnahmen für sich allein nicht. Die Gefahr schwerwiegender Schäden für die Erde und das Meer, für das Klima, für Flora und Fauna erfordert einen tiefgreifenden Wandel im Lebensstil der modernen Konsumgesellschaft, besonders in den reichen Ländern. Ebensowenig darf eine weitere - wenn auch weniger drastische- Gefahr unterschätzt werden: Von der Not gedrängt, nutzen arme Landbewohner den geringen Boden, über den sie verfügen, oft über Gebühr. Deshalb ist eine spezifische Ausbildung zu fördern, die sie lehrt, wie sie die Bodenkultur mit der Achtung der Umwelt vereinbaren können. Die Gegenwart und Zukunft der Welt hängen von der Bewahrung der Schöpfung ab, da zwischen der menschlichen Person und der Natur eine dauernde Wechselwirkung besteht. Das Wohl des Menschen in den Mittelpunkt der Achtung für die Umwelt zu stellen ist in der Tat der sicherste Weg, die Schöpfung zu bewahren; denn auf diese Weise wird das Verantwortungsbewußtsein jedes Einzelnen gegenüber den natürlichen Ressourcen und ihrer gewissenhaften Nutzung verstärkt.

Das Recht auf Frieden 11. Die Förderung des Rechts auf Frieden sichert in gewisser Weise die Achtung aller anderen Rechte, weil sie dem Aufbau einer Gesellschaft Vor-

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schub leistet, in der im Hinblick auf das Gemeinwohl Beziehungen der Zusammenarbeit anstelle von Machtkämpfen treten. Das derzeitige Geschehen bestätigt zur Genüge, dass Gewaltanwendung kein Mittel zur Lösung politischer und sozialer Probleme ist. Krieg baut nicht auf, sondern zerstört; er unterhöhlt die moralischen Fundamente der Gesellschaft und schafft neue Spaltungen und anhaltende Spannungen. Und doch verzeichnet die Chronik weiterhin Kriege und bewaffnete Konflikte mit zahllosen Opfern. Wie oft haben meine Vorgänger und ich selbst das Ende dieser Schrecken herbeigerufen! Ich werde damit so lange fortfahren, bis man verstehen wird, dass der Krieg den Niedergang jedes wahren Humanismus bedeutet. 10 Gott sei Dank, dass in einigen Gebieten beträchtliche Fbrtschritte in der Festigung des Friedens erzielt wurden. Anzuerkennen ist das große Verdienst jener mutigen Politiker, die es wagten, die Verhandlungen auch dann fortzuführen, als die Situation es nicht zu erlauben schien. Aber muß man nicht zugleich auch die Massaker anprangern, die in anderen Gebieten andauern, wo ganze Völker aus ihrer Heimat vertrieben und ihre Häuser und Ernten zerstört werden? Angesichts dieser Opfer, die man nicht mehr zählen kann, rufe ich die Verantwortlichen der Nationen und die Menschen guten Willens auf, all jenen zu Hilfe zu kommen, die - besonders in Afrika - in grausame, bisweilen von äußeren Wirtschaftsinteressen angezettelte Konflikte verwickelt sind, und ihnen dabei helfen, den Auseinandersetzungen ein Ende zu setzen. Ein konkreter Fbrtschritt in dieser Richtung ist gewiß die Unterbindung des Waffenhandels mit den kriegführenden Ländern und die Unterstützung der Verantwortlichen jener Völker, wieder den Weg des Dialogs zu suchen. Das ist der Weg, der des Menschen würdig ist. Das ist der Weg des Friedens! Meine Besorgnis gilt denen, die im Kontext des Krieges leben und aufwachsen, denen, die nichts anderes als Krieg und Gewalttätigkeit kennengelernt haben. Die Überlebenden werden für den Rest ihres Lebens unter den Wunden einer solch schrecklichen Erfahrung zu leiden haben. Was soll man über die minderjährigen Soldaten sagen? Kann man je akzeptieren, dass kaum erwachte Menschenleben so ruiniert werden? Müssen diese Kinder, die zum Töten ausgebildet werden und oft auch gedrängt sind, es zu tun, nicht schwerste Probleme bei ihrer nachfolgenden Eingliederung in die bürgerliche Gesellschaft haben? Ihre Ausbildung wird unterbrochen, und ihre beruflichen F.ihigkeiten werden unterdrückt. Welche Folgen wird das 1o Vgl. diesbezügliche Aussagen im Katechismus der Katholischen Kirche,

Nr. 2307-2317.

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für ihre Zukunft haben! Die Kinder brauchen Frieden. Sie haben ein Recht darauf. Neben diesen Kindern möchte ich noch an die minderjährigen Opfer der Landminen und anderer Kriegswaffen erinnern. Trotz der bereits gemachten Anstrengungen zur Zerstörung der Minen ist man jetzt Zeuge eines unglaublichen und unmenschlichen Paradoxons: Entgegen dem ausdrücklichen Willen der Regierungen und Völker, endgültig auf den Gebrauch einer so heimtückischen Waffe zu verzichten, hört man nicht auf, weitere Minen auch in bereits sanierten Gebieten auszustreuen. Keime des Krieges werden auch durch die gewaltige und unkontrollierte Weitergabe kleiner und leichter Waffen verbreitet, die scheinbar ungehindert von einem Konfliktherd zum anderen wandern und auch unterwegs Gewalt anheizen. Es ist Aufgabe der Regierungen, angemessene Maßnahmen zur Kontrolle der Produktion, des Verkaufs, der Ein- und Ausfuhr solcher Todesinstrumente zu ergreifen. Nur auf diese Weise ist es möglich, dem Problem des gewaltigen unerlaubten Waffenhandels insgesamt wirksam zu begegnen.

Eine Kultur der Menschenrechte, Verantwortung aller 12. Es ist nicht möglich, an dieser Stelle noch ausführlicher zu werden. Aber ich möchte unterstreichen, dass keines der Menschenrechte sicher ist, wenn man sich nicht bemüht, alle zu schützen. Wenn man tatenlos der Verletzung eines der menschlichen Grundrechte zusieht, geraten alle anderen in Gefahr. Deshalb sind eine globale Annäherung an das Thema der Menschenrechte und ein gewissenhafter Einsatz zu ihrem Schutz unerläßlich. Nur wenn eine Kultur der Menschenrechte, die die unterschiedlichen Traditionen achtet, wesentlicher Bestandteil des moralischen Erbes der Menschheit wird, kann man hoffnungsvoll und gelassen in die Zukunft blicken. Es ist doch so: Wie könnte es Kriege geben, wenn jedes Menschenrecht respektiert würde? Die ganzheitliche Achtung der Menschenrechte ist der sicherste Weg, um feste Beziehungen unter den Staaten aufzubauen. Die Kultur der Menschenrechte kann nur eine Kultur des Friedens sein. Jede Verletzung birgt die Keime eines potentiellen Konfliktes in sich. Schon mein ehrwürdiger Vorgänger, der Diener Gottes Pius XII., hat am Ende des Zweiten Weltkrieges die Frage gestellt: "Wenn ein Volk mit Gewalt unterdrückt wird, wer hätte den Mut, der übrigen Welt Sicherheit im Kontext eines dauerhaften Friedens zu verheißen?" .11

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Um eine Kultur der Menschenrechte zu fördern, die die Gewissen durchdringt, ist die Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte notwendig. Ich möchte besonders auf die Rolle der Medien hinweisen, die bei der Bildung der öffentlichen Meinung und damit für die Orientierung des Verhaltens der Bürger so wichtig sind. Wie könnte man eine gewisse Verantwortung ihrerseits für die Verletzungen der Menschenrechte verkennen, die ihren Ursprung in der Verherrlichung der von ihnen unter Umständen kultivierten Gewalt haben. Ebenso muß man ihnen das Verdienst der edlen Initiativen für Dialog und Solidarität zuschreiben, die dank der von ihnen verbreiteten Botschaften zugunsten des gegenseitigen Verständnisses und Friedens entstanden sind.

Zeit der Entscheidungen, Zeit der Hoffnung 13. Das neue Jahrtausend steht vor der Tür. Sein Näherrücken hat in den Herzen vieler Menschen die Hoffnung auf eine gerechtere und solidarischere Welt genährt. Es ist ein Bestreben, das verwirklicht werden kann. Ja, es muß verwirklicht werden! Mit diesem Ausblick wende ich mich jetzt insbesondere an euch, liebe Brüder und Schwestern in Christus, die ihr in vielen Teilen der Welt das Evangelium als Lebensregel annehmt: Seid Botschafter der Menschenwürde! Der Glaube lehrt uns, dass jede Person als Gottes Bild und Gleichnis ge..: schaffen wurde. Auch wenn der Mensch sich verweigert, die Liebe des himmlischen Vaters bleibt immer treu; seine Liebe hat keine Grenzen. Er hat Jesus, seinen Sohn, gesandt, um jede Person zu erlösen, indem er ihr die volle Würde zurückgab. 12 Wie könnten wir angesichts einer solchen Haltung jemandem unsere Zuwendung entziehen? Im Gegenteil, wir müssen Christus in den Ärmsten und Ausgegrenzten erkennen, zu deren Dienst uns die Eucharistie, die Kommunion mit dem für uns hingegebenen Leib und Blut Christi verpflichtet. 13 Wie das Gleichnis vom reichen Mann, der für immer namenlos bleiben wird, und vom armen Lazarus deutlich zeigt, "steht Gott in dem schreienden Kontrast zwischen gefühllosen Reichen und notleidenden Armen auf der Seite der letzteren". 14 Auf deren Seite sollen auch wir uns stellen. n Ansprache an eine Kommission von Vertretern des Kongresses der Vereinigten Staaten von Amerika (21. August 1945): Ansprachen und Radiobotschaften von Pius XII., VII (1945 -1946), 141. 12 Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 13-14: AAS 71 (1979), 282-286. 13 Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1397.

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Das dritte und letzte Vorbereitungsjahr vor dem Jubiläum ist von einem geistlichen Pilgerweg zum Vater geprägt: Jeder ist zu einem Weg wahrer Umkehr eingeladen, der mit der Absage an die Sünde und der positiven Entscheidung für das Gute verbunden ist. An der Schwelle des Jahres 2000 ist es unsere Pflicht, mit neuem Einsatz die Würde der Armen und Ausgegrenzten zu schützen und konkret die Rechte derer anzuerkennen, die keine Rechte haben. Erheben wir unsere Stimme für sie, indem wir die Sendung, die Christus seinen Jünger anvertraut hat, voll verwirklichen! Das ist der Geist des bevorstehenden Jubiläums. 15 Jesus hat uns gelehrt, Gott mit Vater, Abba, anzureden, und so unsere tiefe Verbindung mit ihm offenbart. Grenzenlos und ewig ist seine Liebe zu jeder Person und zur ganzen Menschheit. Treffend drücken das die Worte Gottes im Buch des Propheten Jesaja aus: "Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände" (49,15-16).

Nehmen wir die Einladung zur Teilhabe an dieser Liebe an! In ihr liegt das Geheimnis der Achtung der Rechte jeder Frau und jedes Mannes. Der Anbruch des neuen Jahrtausends wird uns dann bereit finden, gemeinsam den Frieden zu bauen. Aus dem Vatikan, am 8. Dezember des Jahres 1998. JOANNES PAULUS ll:

14 Johannes Paul n., Angelus vom 27. September 1998: UOsservatore Romano, 28./29. September 1998, S. 5. 15 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Tertia millennio adveniente (10. November 1994), 49-51: AAS 87 (1995), 35-36.

IN DER ACHTUNG DER MENSCHENRECHTE LIEGT DAS GEHEIMNIS DES WAHREN FRIEDENS Karl Korinek Immer wieder haben die Päpste in ihren Weltfriedensbotschaften auf die Wahrheit hingewiesen, dass es wahren Frieden ohne Achtung der Menschenwürde nicht geben kann. 1 Wie der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist, 2 wie - wie es im Opferungsgebet der m. Messe nach tridentinischem Ritus so großartig formuliert ist- Gott den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erneuert hat, so hat er den Menschen auch den Frieden als Teil der Schöpfung zum Geschenk gemacht.3

I. Menschenrechte im Dienste der unteilbaren Menschenwürde

Achtung und Förderung der Menschenrechte im Interesse der Verwirklichung der Menschenwürde verlangt der ffi. Vater in seiner, insoweit an seine Enzyklika "Redemptor hominis" anknüpfenden Botschaft, die es in diesem Beitrag zu reflektieren gilt, in umfassender Weise. Denn "Menschenrechte" werden zu Recht als Ausfluss der Menschenwürde verstanden. 4 Der 1 Vgl. die Weltfriedensbotschaft Seiner Heiligkeit Papst Paul VI., 1969, "Menschenrechte, der Weg zum Frieden" in: Donato Squicciarini (Hg.), Die Weltfriedensbotschaften Papst Pauls VI., Berlin 1979,45 ff.; dazu: Alfred Verdroß, ebenda, 51 ff. sowie Die Weltfriedensbotschaften Seiner Heiligkeit Papst Johannes Pauls ll., 1981 (Um dem Frieden zu dienen, achte die Freiheit; dazu Wladyslaw Bartoszewski), 1988 (Religionsfreiheit, Bedingung für friedliches Zusammenleben; dazu Heribert F. Köck), 1989 (Um Frieden zu schaffen, Minderheiten achten; dazu Felix Ermacora) und 1991 (Wenn du den Frieden willst, achte das Gewissen jedes Menschen; dazu Josef Ratzinger), alle in: Donato Squicciarini (Hg.), Die Weltfriedensbotschaften Papst Johannes Pauls II., Berlin 1992, 59 ff. und 69 ff., 211 ff. und 221 ff., 239 ff. und 248 ff. und 277 ff. und 289 ff. sowie die in diesem Band vorstehend abgedruckte Weltfriedensbotschaft 1998 (Aus der Gerechtigkeit des einzelnen erwächst der Frieden für alle). 2 Gen. 1, 26-28; dazu die Weltfriedensbotschaft 1999, Rz 2 und 13. 3 Weltfriedensbotschaft 1982 "Frieden: Gottes Geschenk, den Menschen anvertraut"; dazu Rudolf Kirchschläger, in: Donato Squicciarini (Hg.), Die Weltfriedensbotschaften Papst Johannes Pauls ll., Berlin 1992, 89 ff. insb. 90 f. 4 Vgl. zB Rene Marcic, Der unbedingte Rechtswert des Menschen, in: Alois Dempf/Hannah Arendt/Friedrich Engel-Janosi (Hg.), Politische Ordnung und

14 Johannes Paul li.

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Begriff der Menschenrechte wird dabei vom ID. Vater denkbar weit verstanden: Es werden alle fundamentalen Bedingungen für die Entfaltung des Menschen in einer seinen Anlagen entsprechenden Weise 5 als Menschenrechte benannt: Klassische Grundfreiheiten6 ebenso wie demokratische Teilhaberechte, 7 Bedingungen für soziale Gerechtigkeit und angemessene Teilhabe am wirtschaftlichen Wohlstand und die Sicherung der Lebensgrundlagen sowie schließlich im Interesse der Sicherung aller dieser Grundpositionen auch die Notwendigkeit des weltweiten Friedens und der Zusammenarbeit. 8 Wenn dabei von "Förderung" der Menschenrechte die Rede ist, so meint dies ein Doppeltes: Nicht nur- wie dies der kontinentaleuropäischen Terminologie entspräche- bloß die Aufgabe, die Menschenrechte und sonstigen fundamentalen Bedingungen zu achten und zu schützen, sondern auch die Aufgabe, die realen Bedingungen zu schaffen, in denen sich die Menschenrechte und die sonstigen fundamentalen Bedingungen für die Verwirklichung des Menschen in einer seinen Anlagen entsprechenden Weise entfalten können und in denen ein menschen(rechts)würdiges Dasein ermöglicht wird. Als erstes zentrales Anliegen des Dokuments ist daher zu registrieren, dass es zeigen möchte, dass die Menschenwürde unteilbar ist. Sie ist in den Menschenrechten zu verwirklichen, ein Begriff den der ID. Vater - wie schon gesagt - weit und nicht juristisch versteht und der in diesem umfassenden Verständnis sozusagen die korrespondierende Größe zur Menschenwürde darstellt. Der Begriff der Menschenrechte wird dabei im Sinne naturrechtlich begründeter Postulate verwendet. 9 Die Umsetzung auf jene Ebene, auf der Menschenrechte konkret und juristisch durchsetzbar gewährleistet werden, verlangt freilich nach Differenzierung. So hat Herbert menschliche Existenz, FS Erle Voegelin, München 1962, 360 ff.; Alfred Verdroß, Die Würde des Menchen in der abendländischen Rechtsphilosophie, in: Joseph Höffner I Alfred Verdroß/Francesco Vito (Hg.), Naturordnung in Gesellschaft, Staat, Wrrtschaft, FS Johannes Messner, Innsbruck 1961, 353 ff.; Johannes Messner, Die Idee der Menschenwürde im Rechtsstaat der pluralistischen Gesellschaft, in: Gerhard Leibholz/Hans Joachim Faller/Paul Mikat/Hans Reis (Hg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, FS Willi Geiger, Tiibingen 1974, 225 ff.; Herbert Schambeck, Die Grundrechte im demokratischen Verfassungsstaat, in: Alfred KloseI Herbert Schambeck/Rudolf WeileriValentin Zsifkovits (Hg.), Ordnung im sozialen Wandel, FS Johannes Messner, Berlin 1976, 445 ff. s Weltfriedensbotschaft 1999, Rz 8; dazu näher unten bei FN 49 bis 57. e Ebenda, Rz 4, 5. 7 Ebenda, Rz 6. B Ebenda, Rz 7 bis 11. 9 Vgl. jüngst Josef Seifert, Zur Erkenntnis der Menschenrechte, in: Josef Seifert (Hg), Wie erkennt man Naturrecht?, Heidelberg 1998, 65 ff., insb. 78 ff.

Achtung der Menschenrechte

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Schamheck darauf hingewiesen, dass die Lehre der Kirche von den Grundrechten ihrem Anspruch nach zeitlich und räumlich allgemein gehalten sein muss und der "orts-und zeitgebundenen" Ausführung bedarf. 10 Weiters ist es im Interesse der Durchsetzung notwendig, die den Menschenrechten (im Sinne naturrechtlicher Postulate) je und je adäquate Rechtsform zu finden für die Freiheitsrechte (Menschenrechte im juristischen Sinn) sind diese naturgemäß andere als für politische Teilhaberechte und für die Grundbedingungen des Menschen im wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Umfeld. Will man die Botschaft des In. Vaters richtig würdigen, ist es notwendig, zu bedenken, dass sie nicht auf der konkreten staatsrechtlichen Ebene zu verstehen ist, sondern auf einer gesellschaftspolitischen Ebene. Vieles an Missverständnissen in der staatsrechtlichen und politischen Diskussion um "soziale Grundrechte" ist letztlich darauf zurückzuführen, dass die verschiedenen Ebenen der Argumentation nicht ausreichend auseinander gehalten werden; eben deshalb ist es notwendig, auf der juristischen Ebene Termini zu vermeiden, die etwas ankündigen, was nicht eingelöst werden kann, etwa indem als "Recht auf" bezeichnet wird, was nur als Staatsgestaltungsauftrag, aber nicht als subjektives Recht normiert werden soll. 11 Aus der Palette der im Sinn naturrechtlich begründeter Postulate und umfassend- die Botschaft verwendet mehrfach den Begriff "ganzheitlich"verstandenen Menschenrechte hebt der In. Vater einige Aspekte hervor: Er betont ihre Bedeutung dort, wo er sie aktuell gefährdet sieht. In diesem Sinn kommt der Botschaft "Antwortcharakter" zu: Sie antwortet mit eindringlichen Argumenten dort, wo es aktuelle Bedrohungspotentiale erfordert. Das bezieht sich auf Aspekte der Freiheitsrechte ebenso wie auf soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Grundbedürfnisse, auf politische Teilhaberrechte ebenso wie auf die vom In. Vater zu Recht als notwendig erkannte weltweite Solidarität. Für Österreich gilt es zunächst einmal, auf den oftmals übersehenen Umstand aufmerksam zu machen, dass das Anliegen des Schutzes der Menschenwürde in Österreich verfassungsrechtlich verankert ist, 12 und zwar 10 HerbeTt Schambeck, Die Grundrechte in der Lehre der Kirche, Osservatore Romano I Dt. Wochenausgabe Nr. 36 I 1986, 5. 11 Vgl. schon HerbeTt Schambeck, Grundrechte und Sozialordnung, Berlin 1969, insb. 31 ff. sowie später Karl Korinek, Recht auf Arbeit, in: Das Recht auf Arbeit, Bd 211979 der Schriftenreihe des Dr. Karl Kummer-Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform, Wien 1979, 32 ff. 12 In der Standardliteratur in Osterreich wird darauf nicht Bedacht genommen: Vgl. etwa Robert Walterl Heinz Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechts9, Wien 2000 (in diesem Werk findet sich der Begriff "Menschenwürde" !4•

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Karl Korinek

zunächst schon dadurch, dass die Präambel der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK), die Verfassungsrang aufweist, auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1998 verweist, die mit den Worten beginnt: "Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet, (verkündet die Generalversammlung die vorliegende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ... )" .13 Zum zweiten ist darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgerichtshof den Rechtsgrundsatz der Menschenwürde als "allgemeinen Wertungsgrundsatz unserer Rechtsordnung" bezeichnet, 14 der es insb. ausschließt, dass ein "Mensch jemals als bloßes Mittel für welche Zwecke immer betrachtet und behandelt werden darf". Die Botschaft des In. Vaters geht davon aus, dass die Menschenrechte "der menschlichen Person und ihrer Würde innewohnen" und dementsprechend von der Staatengemeinschaft zwar anerkannt, aber nicht verliehen wurden. Dieser Sicht entspricht die herrschende Österreichische Staatsrechtslehre bekanntlich nicht, die - ihrer positivistischen Grundposition entsprechend - alle Rechtspositionen als vom Staat verliehen ansieht/ 5 dabei wird freilich nicht nur die eben referierte positivrechtliche Grundlage in der Präambel zur EMRK außer Acht gelassen; es widerspricht diese Sicht auch der Geschichte der Menschenrechtsverbürgungen, 16 dem Grundverständnis unserer Rechtsordnung und der positiven Regel des § 16 ABGB, der zu Recht als "Zentralnonn unserer Rechtsordnung" bezeichneten Vorschrift,17 in der es heißt: "Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte". 18

nicht einmal im Sachregister); Theo Öhlinger, Verfassungsrecht4 , Wien 1999 (dieser Autor weist im Zusammenhang mit Art 3 EMRK aber immerhin auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur fundamentalen Bedeutung der Menschenwürde hin, vgl. Rz 748) oder Heinz Mayer, B-VG- Kurzkommentar, Wien 1997 (in diesem Buch ist die Präambel zur EMRK nicht einmal abgedruckt). 13 Vgl. auch den Verweis auf die beiden genannten Dokunlente in der Weltfriedensbotschaft 1999, Anm. 2 und 3. 14 VfSlg. 13.63511993 unter ausdriicklichem Hinweis auf die ausführliche Ableitung und Auseinandersetzung zum Rechtsgrundsatz der Personen- und Menschenwürde bei Franz Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, Wien 1988, 171 ff., hic: 176. Vgl. dazu insb. auch Walter Berka, Die Grundrechte, Wien 1999, Rz 376 ff. 15 Vgl. etwa Walterl Mayer (FN 12) Rz 1 ff., 1317. 16 Vgl. zur Geschichte etwa Berka (FN 14) Rz 36 ff. (mwH). 17 Vgl. die Hinweise bei Josef Aicher, in: Run1mel, ABGB 12 , Wien 1990, § 16 Rz 2. 16 Vgl. grundlegend Franz von Zeiller, Das natürliche Privatrecht, Wien 1802, 1 ff., 18 ff.

Achtung der Menschenrechte

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Die Differenz ist in einer Rechtsordnung, die die Freiheit und Würde der Person garantiert und auf den verfassungsmäßigen Prinzipien von Demokratie, Gewaltentrennung und Rechtsstaat, auf der grundsätzlichen Trennung von Staat und Gesellschaft und auf dem Prinzip der rechtlichen Gebundenheit des Staates aufbaut/ 9 nicht wirklich erheblich. 20 Denn jedenfalls sind die Grund- und Menschenrechte insoweit Gegenstand staatlicher Regelung, als der Staat sie anerkennt, ihre Verletzung sanktioniert und dem Einzelnen Instrumente in die Hand gibt, seine menschenrechtliehen Positionen auch durchzusetzen. 21 In diesem Sinn ist der Standard in Österreich besonders hoch, denn die Österreichische Rechtsordnung geht davon aus, dass alle Menschenrechtsverbürgungen durchsetzbar sein müssen, 22 und zwarwie die jüngere Lehre näher aufgezeigt hat - angesichts der umfassenden grundrechtliehen Bindungswirkung nicht nur gegenüber Verletzungen durch den Staat. 23

ll. Aktuelle Gefährdungen der klassischen Menschenrechte und Grundfreiheiten

Vier Aspekte sind es, die dem Hl. Vater aktuell Sorgen bereiten: Der Rassismus, der ungenügende Schutz des Lebens in a11 seinen Phasen, die Gefährdung der Religionsfreiheit und der Freiheit zu deren Ausübung und die Missachtung von Minderheiten. Der Hl. Vater formuliert diese Sorge und seine Forderungen nach Achtung und Schutz dieser Grundpositionen naturgemäß nicht aus der Sicht einzelner Staaten oder Regionen, sondern aus der Erfahrung der Weltkirche und seiner Verantwortung für sie. Und er argu19 Vgl. dazu Karl Korinek, Die verfassungsrechtliche Grundlegung der Österreichischen Sozial- und Wirtschaftsordnung, in: Alois Mock/Herbert Schamheck (Hg.), Verantwortung in Staat und Gesellschaft, Wien 1977,245 ff. 2o Vgl. Karl Korinek, Zur Interpretation von Verfassungsrecht in: Heinz Mayer u. a. (Hg.), Staatsrecht in Theorie und Praxis, FS Robert Walter, Wien 1991, 363 ff., insb. 369 f.; in diesem Sinne auch Berka (FN 14), Rz 32 ff. 21 In diesem Sinn verlangt sowohl die Enzyklika Johannes XXIll. "Pacem in terris" vom 11. 4. 1963 als auch die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" des Zweiten Vatikanums den gesetzlichen Schutz der Menschenrechte, also ihre Aufnahme in einen positiven Katalog der Menschenrechte, um so ihre Durchsetzung zu sichern; dazu näher Verdroß (FN 1) 56 f. (mwH). 22 Der Zusammenhang von Grundrechtsgewährleistungen und Grundrechtsdurchsetzung prägt die Österreichische Rechtsordnung seit den ersten Grundrechtsverbürgungen, die im Gefolge der bürgerlichen Revolution des Jahres 1848 festgeschrieben wurden. 23 Vgl. etwa Berka (FN 14) Rz 84 ff., 186 ff. Zur umfassenden Bindungswirkung der Grundrechte vgl. grundlegend Michael Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, Wien 1997, insb. 154 ff.

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mentiert auch hier nicht auf der juristischen Ebene der Um- und Durchsetzung der grundlegenden Postulate, sondern auf einer gesellschaftspolitischen und grundlegenden Ebene. Dennoch sei es in diesem Zusammenhang gestattet, die besondere Relevanz für Österreich in den Blick zu nehmen und der Frage nachzugehen, ob den Postulaten in der konkreten Österreichischen Rechtsordnung ausreichend entsprochen ist.

1. Das Verbot rassischer Diskriminierung In beeindruckender Weise stellt der In. Vater den Zusammenhang von Geringachtung der Menschenrechte und den "Mythen von Rassismus, Nationalismus und ethnischem Partikularismus" heraus. 24 Der Zusammenhang wurzelt in der Idee der Würde jedes Menschen: sie ist entscheidender Grund für die Anerkennung der Menschenrechte und Rassismus und Nationalismus sind Ausdruck ihrer tiefen Missachtung. In diesem Zusammenhang ist auf die grundlegende, die zentrale Norm des Art 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 konkretisierende UNO-Konvention über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung hinzuweisen. 25 Sie verpönt jede sich auf Rasse, Hautfarbe, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft gründende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, die Anerkennung, den Genuss oder die Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in gleichberechtigter Weise im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens zu vereiteln oder zu beeinträchtigen. In Österreich ist diese Konvention durch ein eigenes Bundesverfassungsgesetz umgesetzt worden. 26 Es verbietet alle Formen rassischer Diskriminierung, wobei der weite Begriff der UNO-Konvention übernommen wurde, und verpflichtet Gesetzgebung und Vollziehung, "jede Unterscheidung aus dem alleinigen Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft zu unterlassen".

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner jüngeren Judikatur allen Menschen ein subjektives Recht auf Einhaltung dieser Verbürgungen und darWeltfriedensbotschaft 1999, Rz 2. BGBl. 377 I 1972. 28 BGBl. 390/1973; dazu Karl Korinek, Der gleichheitsrechtliche Gehalt des BVG gegen rassische Diskriminierung, in: Stefan Griller/Karl Korinek/Michael Potacs (Hg.), Grundfragen und aktuelle Probleme des öffentlichen Rechts - FS Heinz Peter Rill, Wien 1995, 183 ff. 24

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über hinaus auch ein subjektives Recht auf Gleichbehandlung aller Ausländer und auf Unterlassen jeder staatlichen Willkür eingeräumt. 27 Damit werden in Österreich alle Fonnen des Rassismus in ganz besonderer Weise rechtlich verpönt und allen Menschen ist ein wirkungsvolles Instrument in die Hand gegeben, allfällige Übergriffe zu bekämpfen. Dies kontrastiert in bemerkenswerter Weise damit, dass die völkerrechtliche Isolierung Österreichs durch die anderen Mitgliedstaaten der EU mit dem Argument begründet wurde, die amtierende Bundesregierung gefährde die Einhaltung der Menschenrechte und den Kampf gegen Rassismus. Damit machten sich unter anderem auch Staaten zum Richter über das Verbot der rassischen Diskriminierung in Österreich, die bei weitem nicht das rechtsstaatlich hohe Niveau des Kampfes gegen alle Fonnen rassischer Diskriminierung erreicht haben, wie es in Österreich verfassungsrechtlich festgelegt und verfassungsgerichtlich durchsetzbar und inzwischen durch den sog. "Weisenbericht" auch allgemein anerkannt ist. 2. Das Lebensrecht Johannes Paul II. lässt auch die Gelegenheit der Botschaft über die Notwendigkeit der Achtung der Menschenrechte im Interesse des Friedens nicht vorübergehen, ohne den Finger auf die offene Wunde zu legen, dass das Grundrecht des Lebens "heute mehr oder weniger offenen Verletzungen ausgesetzt" ist und unterstreicht in wenigen, geradezu dramatisch fonnulierten Sätzen die Unantastbarkeit des Rechts auf Leben: "Das menschliche Leben ist heilig und unantastbar vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an bis zu seinem natürlichen Ende. 'Du sollst nicht töten', lautet das göttliche Gebot, das eine äußerste Grenze setzt, die man nie überschreiten darf."28 Der Hl. Vater postuliert eine "Kultur des Lebens" und verweist auf die Brennpunkte seiner Sorge: Die Lage des Schutzes der Ungeborenen, die Verpflichtung, den Behinderten die Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu garantieren und die Phase des Alters und der Krankheit. Mit großer Eindrücklichkeit fonnuliert er: "In jeder Situation muss das Recht auf Leben durch entsprechende gesetzliche und politische Sicherungen gefördert und geschützt werden, denn keine Verletzung des Rechtes auf Leben, die der Würde der Einzelperson entgegensteht, darf außer Acht gelassen werden." 27 VfSlg. 14.191/1995; 14.393/1995; 14.516/1996; 14.728/1997, 14.729/1997; 15.173 I 1998 u. v.a. Diese Judikatur wurde insb. auch durch die in FN 26 zit. Untersuchung literarisch vorbereitet. 28 Weltfriedensbotschaft 1999, Rz 4.

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Die Österreichische Lage entspricht dort, wo es um das Recht des Ungeborenen geht, auf die Welt zu kommen, den Anforderungen nach wie vor nicht: Zwar ist die Tötung ungeborenen Lebens auch strafrechtlich verpönt- nach richtiger Auffassung normiert § 97 StGB nur einen Strafausschließungsgrund für den unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommenen Abbruch der Schwangerschaft innerhalb der ersten drei Monate - 29 , doch sind die Bedingungen für den Strafausschluss ungeheuer großzügig, ist die Praxis in höchstem Maße unangemessen und ist die Bevölkerung ungeachtet der Tatsache, dass der Schwangerschaftsabbruch nach § 96 StGB nach wie vor strafbar ist, weitgehend der Meinung, "Abtreibung" sei innerhalb der ersten drei Monate "zulässig". 30 Was die vom m. Vater postulierte Förderung von behinderten Mitmenschen anlangt, ist für Österreich zum einen darauf hinzuweisen, dass die Verfassung - im Zusammenhang mit der Verbürgung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes - den Behinderten einen besonderen Schutz verheißt,31 eine Verbürgung, die keinesfalls bloß als sanktionslose Programmregel zu verstehen ist und insbesondere bewirkt, dass jede (auch nur relative) Verschlechterung der Position Behinderter vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufzuheben wäre. Zum anderen ist auf eine im Großen und Ganzen behindertengerechte Rechtsordnung zu verweisen, wenn es auch nach wie vor Bereiche gibt, in denen Verbesserungen anzustreben wären.32 Nur zwischen den Zeilen spricht der ID. Vater die Probleme des Behandlungsabbruchs an, lässt aber keinen Zweifel daran, dass er die dabei auftretenden Fragen im Kontext einer umfassend verstandenen "Kultur des Lebens" sieht. In dieser Beziehung ist die Botschaft zweifelsohne so zu verste29 Vgl. auch Peter Lewisch, Strafrecht Besonderer Teil I, Wien 1997, 93. Nicht zu überzeugen vermag dagegen die Einordnung der Fristenlösung als Tatbestandseinschränkung (so etwa Helmut Fuchs, Österreichisches Strafrecht Allgemeiner Teil 13 , Wien 1998!1 225) oder Rechtfertigungsgrund (so etwa Otto Leukauf I HerbeTt Steininger, StGB , § 97 Rz 1); die Indikationenlösung wird hingegen eher als Rechtfertigungsgrund zu sehen sein. 30 Diese Einschätzung ist sowohl semantisch ("Fristenlösung") begründet, als auch durch die öffentliche Diskussion bewirkt, die sich so geriert, als ob für Schwangere eine Wahlfreiheit bestünde. 31 Art 7 Abs 1, zweiter und dritter Satz B-VG. 32 Vgl. den vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes hgg. Gesamtbericht der Arbeitsgruppe zur Durchforstung der Österreichischen Bundesrechtsordnung hinsichtlich behindertenbenachteiligender Bestimmungen (1999). Für den Bereich der Landesrechtsordnungen ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass die Bauordnungen der österr. Bundesländer die allgemein anerkannt einen hohen Standard aufweisenden einschlägigen ÖNORMEN (vgl. insb. die ÖNORM B 1600) noch inlmer nicht zur Gänze verbindlich erklärt bzw. umgesetzt haben.

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hen, dass der oben wiedergegebene Satz von der Notwendigkeit der Förderung und Sicherung des Rechts auf Leben "in jeder Situation" und der in ihm enthaltene Hinweis auf die Grenzen, die die Würde des Menschen allen Maßnahmen setzen, auch und gerade für die Antwort auf die hier auftretenden Fragen Geltung beansprucht. 33

3. Religionsausübungsfreiheit In Rz 5 seiner Botschaft betont der ID. Vater erneut,34 dass die Religionsfreiheit den Kern der Menschenrechte bildet und unterstreicht insbesondere das mit dem Recht auf Religionsfreiheit untrennbar verbundene Recht auf Religionsausübungsfreiheit. Es entspricht einer allgemeinen Erfahrung, dass eine menschenrechtliche Verbürgung von Religionsfreiheit und Religionsausübungsfreiheit vor allem für religiöse Minderheiten von Bedeutung ist. Die Botschaft spricht derartige Situationen explizit an und wendet sich mit Nachdruck gegen Diskriminierungen auf Grund eines bestimmten religiösen Bekenntnisses. Dies ist zu betonen, da die Postulate der Botschaft in Gesellschaften mit vorwiegend christlicher Bevölkerung angesichts ihrer offenen, von großer Toleranz getragenen Formulierung auf die Gewährleistung der Religionsfreiheit für die nicht-christliche Bevölkerung gerichtet sind. Den hohen Stellenwert dieser Grundrechtsverbürgungen für religiöse Minderheiten erweisen in Österreich jene verfassungsgerichtlichen Judikate der letzten Jahre, die etwa das rituelle Schächten aus den dem Tierschutz dienenden Straftatbeständen eximieren35 oder in Gefängnissen den Zuspruch durch Seelsorger kleiner religiöser Gemeinschaften auch dann gewährleisten, wenn der Gefangene gar nicht Mitglied der religiösen Gruppe ist, aber glaubhaft macht, dass er sich mit ihren Lehren auseinandersetzen möchte. 36

33 Vgl. hiezu insb. Enrique H. Prat, Die Verhältnismäßigkeit als Kriterium für die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch und Martin Schlag, Zwei Spezialprobleme des Behandlungsabbruchs im Lichte des katholischen Lehramtes, beide in: Imago Hominis 1999, 7 ff.; 33 ff. 34 Der Hl. Vater hatte diesem Thema bereits die Weltfriedensbotschaft 1988 gewidmet (vgl. FN 1). Grundlegend hiezu ist die Erklärung des Zweiten Vaticanums "Dignitas humanae" von 1965. Vgl. dazu Josef Isensee, Die katholische Kritik an den Menschenrechten, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde/Robert Spaemann (Hg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, 138 ff. 35 VfSlg. 15.394/1998. 3& VfGH v. 6. 10. 1999, B 15 I 99.

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4. Minderheitenschutz Auch der Minderheitenschutz wird vom Hl. Vater neuerlich37 angesprochen. Leider besteht dazu nach wie vor begründeter Anlass: Schon vor zehn Jahren hatte Felix Ermacora darauf hingewiesen, dass es auch in Europa eine Reihe von Staaten gibt, die dem Volksgruppen- und Minderheitenschutz gegenüber skeptisch sind und verwies zum einen auf Frankreich und zum anderen auf mehrere osteuropäische Staaten, 38 in denen die Situation aus der Sicht der Menschenrechtsgewährleistungen zwar besser geworden, aber nach wie vor nicht zufriedenstellend ist. 39 Den hohen Standard des Minderheitenschutzes verdankt Österreich insb. internationalen Verträgen, vor allem dem Staatsvertrag von Wien40 und einer besonders minderheitenfreundlichen Rechtsprechung, die sich weder scheut, auch sog. "positive Diskriminierungen" zuzulassen, 41 noch davor zurückschreckt, den Gesetzgeber zu minderheitsfördernden Maßnahmen zu verpflichten. 42

m. Sicherung der Menschenrechte durch Sicherung der Grundbedürfnisse des Menschen

Wie die Menschenrechte (ieS) Ausfluss der Menschenwürde sind, so ist es auch die Sicherung der demokratischen, kulturellen, ökonomischen und sozialen Grundbedürfnisse des Menschen. All diesen liegt ein einheitliches 37 Vgl. insb. die Weltfriedensbotschaft 1989 (vgl. FN 1) und zusammenfassend: Rudoll Grulich, Die Stellung des Heiligen Stuhls zu Minderheitenrecht und Volksgruppenfragen, in: Dieter BlumenwitziGilbert H. GornigiDietrich Murswieck (Hg.), Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit des europäischen Minderheitenschutzes, Köln 1998, 107 ff. 38 Ermacora (FN 1) 248 ff., insb. 251 und 253; zur Situation der Korsen, Basken und Bretonen in Frankreich siehe zB Patrick Kinz, in: Blumenwitz u. a. (FN 37) 25 ff. 39 Vgl. etwa den vom Generalsekretariat der OSCE hgg. Annual report 1999 on OSCE activities oder aus der Literatur Valerie HeubergeriAmold SuppaniElisabeth Vystonzil (Hg.), Brennpunkt Osteuropa-Minderheiten im Kreuzfeuer des Nationalismus, Wien-München 1996. 40 Art. 7 des Staatsvertrags betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, BGBl. 152 I 1955; in Verfassungsrang gern. BGBl. 5911964. 41 So hat der VfGH in VfSlg. 9224 I 1981 ausgesprochen, dass der Schutz der Minderheiten es sogar erfordern könne, die Minderheit in gewissen Belangen zu bevorzugen; in VfSlg. 12.245 I 1989 wurde einer restriktiven Interpretation von Minderheitsschutzbestimmungen eine Absage erteilt. Vgl. dazu auch Berka (FN 14) insb. Rz 1014 und Rz 1022 f. 42 So jüngst hinsichtlich einer Bestimmung des Minderheitenschulrechtes in Kärnten VfGH v. 9. 3. 2000, G 2- 4 I 99.

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Menschenbild zugrunde. 43 Das rechtfertigt es auch, diese Grundbedürfnisse in einer Botschaft über die Notwendigkeit der Achtung der Menschenrechte im weiteren, über den juristischen Menschenrechtsbegriff hinausgehenden Sinn44 im Interesse der Sicherung des Friedens zu nennen und aktuelle Gefährdungen aufzuzeigen und mahnende Worte zu sprechen. Der ID. Vater betont dabei zuvorderst ein Recht auf Teilhabe, wobei er Teilhabe sowohl im politischen Sinn einer demokratischen Mitgestaltungsmöglichkeit als auch im ökonomischen Sinn versteht. Dazu mahnt er auch andere Grundbedürfnisse ein: Das "Recht auf Arbeit" und die Aufgabe, über Staatsgrenzen und Generationen hinaus eine intakte Umwelt zu sichern.

1. Das Postulat nach politischer Teilhabe Seit der insofern grundlegenden Weihnachtsansprache 1944 Pius Xll! 5 hat sich die Katholische Kirche immer wieder für die Sicherung demokratischer Mitgestaltung ausgesprochen und eingesetzt. Sie hat vor unzureichenden Mitgestaltungsmöglichkeiten ebenso gewarnt wie vor Manipulationsgefahren und der Loslösung des Ergebnisses demokratischer Prozesse von den essentiellen Werten der Menschenwürde, des Gemeinwohls und der Subsidiarität.46 Aus aktuellem Anlass sieht sich der ID. Vater auch in seiner Weltfriedensbotschaft 1999 wieder veranlasst, auf Gefahren mangelnder demokratischer Ausgestaltung des Staatswesens und demagogischer Manipulationen aufmerksam zu machen; dabei hebt er drei Aspekte besonders hervor: • Die Entwicklung eines "gesunden demokratischen Systems" verlangt einerseits den Verzicht auf Manipulation, andererseits aber auch die Aktivierung der Bürger zur politischen Teilhabe. Denn andernfalls "verlieren sie die Hoffnung, wirksam eingreifen zu können. So überlassen sie sich einer Haltung passiver Gleichgültigkeit". 47

43 Vgl. dazu insb. Herbert Schambeck, Bild und Recht des Menschen in der Europäischen Sozialcharta, in: Theo Mayer-Maly I Albert Nowak/Theodor Tomandl (Hg.), FS Hans Schmitz, Wien 1967, 216 ff., insb. 219 ff. 44 Vgl. die Darlegungen eingangs dieses Beitrags. 45 Abgedruckt bei Arthur-Fridolin Utzl Joseph Fulko Groner, Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens, Soziale Summe Pius XII., Freiburg 1954 und 1961, Rz 3467 ff. Vgl. dazu Karl Korinek, Der Beitrag Pius XII. zur katholischen Lehre vom demokratischen Staat, in: Herbert Schambeck (Hg.), Pius XII. zum Gedächtnis, Berlin 1977, 563 ff. 46 Vgl. näher Korinek (FN 45) 581 ff. 47 Weltfriedensbotschaft 1999, Rz 6.

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• Die Forderungen nach demokratischer Mitgestaltung sind auch auf supranationale und internationale Gemeinschaften auszudehnen. Denn die Nationen und Völker müssten das Recht auf Mitbestimmung an deren Beschlüssen haben, da diese ihre Lebensweise oft tiefgreifend verändern. Im konkreten Kontext der für Österreich aktuellen politischen Probleme liest sich dies wie ein dringender Appell an die Europäische Union, demokratische Legitimationen zu verbessern, Maßnahmen zu unterlassen bzw. zurückzunehmen, die ohne jedes vorangegangene Verfahren und ohne dem Betroffenen auch nur die Möglichkeit der Erklärung seiner Position zu geben, undifferenzierte "Sanktionen" an Staatsakte knüpft, aber auch allgernein Bürokratisierungstendenzen gegenzusteuern und vor allem auch den nunmehr in Art 5 EGV explizit angeführten Grundsatz der Subsidiarität48 zu verwirklichen. • In diesem Zusammenhang weist der m. Vater auch auf die große Gefahr hin, dass ökonomisch schwierige Fragen bloß im kleinen Kreis diskutiert werden und postuliert, dass an der Vorbereitung und Diskussion von Beschlüssen alle jene mitzuwirken haben sollten, die die Beschlüsse letztlich betreffen.

2. Voraussetzungen für die Entfaltung des Menschen Der Staat hat nach der katholischen Staatsauffassung die- naturrechtlich begründete - Verpflichtung, dem Einzelnen einen Freiraum zu garantieren, der es ihm erlaubt, sich zu entfalten und seinen Anlagen entsprechend und nach seinem Willen Selbstverwirklichung und Vervollkommnung zu suchen.49 Da die politische Gerneinschaft um des Gerneinwohls willen besteht,50 weist der ID. Vater- ganz in der Tradition der Katholischen Soziallehre stehend5 1 -in Rz 8 seiner Botschaft dem Staat auch die Aufgabe zu, die Grundbedingungen zu schaffen, die erforderlich sind, damit die Menschen "zur vollkommenen Verwirklichung ihrer Persönlichkeit" gelangen können. 48 Vgl. dazu etwa die Beiträge von Manfred Brunner, Das Subsidiaritätsprinzip als europäisches Prinzip; Thrsten Stein, Subsidiarität als Rechtsprinzip ? und Detlef Merten, Subsidiarität als Verfassungsprinzip, alle in: Detlef Merten (Hg.), Die Subsidiarität Europas, Berlin 1993, 9 ff., 23 ff. und 77 ff., die Komrnentierung des Art 5 EGV durch Gerd Langguth in: Carl Otto Lenz (Hg.), EG-Vertrag- Kommentar, Köln 1999, 95 ff. sowie insb. Brigitte Gutknecht, Das Subsidiaritätsprinzip als Grundsatz des Europarechts, in: Johannes Hengstschläger u. a. (Hg.), Für Staat und Recht, FS Herbert Schambeck, Berlin 1994, 921 ff., die den Zusammenhang des gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips mit dem von der christlichen Soziallehre als sozialethischem Sollensprinzip entwickelten Subsidiaritätsprinzip hervorhebt. 49 Vgl. dazu Korinek (FN 45) 582. so Vgl. Rz 74 der Pastoralkonstitution des Zweiten Vaticanums "Gaudium et spes". 51 Vgl. schon die Enzyklika "Rerum novarum" Leo XIII. von 1891; dazu Oswald von Nell-Breuning, Soziallehre der Kirche, Wien 1977, 38 ff.

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Der Hl. Vater greift dabei zwei dieser Grundvoraussetzungen heraus und betont zum einen die Notwendigkeit einer jedenfalls die Grundschule umfassenden Bildungsmöglichkeit und zum anderen die Notwendigkeit, allen Menschen Arbeit zu sichern. Er warnt vor dem Verzicht auf die Grundschulbildung für alle 52 und betont die darin schlummernde Gefahr, dass die dadurch bewirkten diskriminierenden Strukturen die ganze Entwicklung der Gesellschaft gefährden könnten. Es könnte zu einem immer größer werdenden Auseinanderklaffen kommen, wo auf der einen Seite die mit hoch entwickelter Technologie ausgestatteten Staaten, auf der anderen Seite die Länder und Personen mit äußerst begrenzten Kenntnissen und Fähigkeiten lägen, was notwendigerweise "die bereits vorhandenen akuten wirtschaftlichen Ungleichheiten" verstärken müsste. Zum anderen verlangt der Papst den aktiven Einsatz der Politik im Interesse der Schaffung von Arbeit für möglichst viele Menschen: Es genüge nicht, sich auf Hilfsmaßnahmen für den Fall von Arbeitslosigkeit, Krankheit oder ähnlichen Umständen zu beschränken; diese Hilfen seien notwendig, doch müsse man sich auch bemühen, dass die Menschen die Möglichkeit erhalten, "ihr eigenes Dasein selbst in die Hand zu nehmen und sich von der Bestimmung demütigender Betreuung zu befreien". Damit betont der Hl. Vater, dass die Verwirklichung der politischen Forderung nach einem (wieder als naturrechtlich fundiertes Postulat zu verstehenden) "Recht auf Arbeit" sich nicht in der Gewährung von Arbeitslosenversicherungsleistungen, Sozialhilfen oder Grundsicherung erschöpfen darf; 53 vielmehr geht es vor allem darum, für die Menschen Möglichkeiten zur Arbeit zu schaffen. Denn nur wenn der Mensch die Möglichkeit hat, zu arbeiten und dafür einen gerechten Lohn zu erhalten, ist es ihm möglich, als selbstbestimmter Mensch sich seinen Anlagen entsprechend zu entfalten. 54

3. Verpflichtung gegenüber der Umwelt Eindringlich betont der Hl. Vater, dass zu den im Interesse der Sicherung der Menschenrechte und des Friedens erforderlichen Grundbedürfnissen des Menschen das "Recht auf eine gesunde Umwelt" zählt, wobei auch hier 52 Vgl. zum Standard nach der EMRK insb. Karl Spielbüchler, Das Grundrecht auf Bildung, in: Rudolf Machacek/Willibald Pahr/Gerhard Stadler (Hg.), 40 Jahre EMRK. Grund- und Menschenrechte in Österreich, Bd 2, Straßburg 1992, 149 ff. 53 Häufig - so etwa auch im Text der Europäischen Sozialcharta -wird das "Recht auf Arbeit" zu sehr auf die Dimension der wirtschaftlichen Sicherung des Lebensunterhaltes reduziert; vgl. auch Schambeck (FN 11) 59 ff. 54 Vgl. auch hiezu grundlegend die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes", u. zw. insb. Rz67.

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das Wort "Menschenrecht" nicht in einem juristischen Sinn zu verstehen ist. 55 Die Bedeutung nationaler, regionaler und internationaler rechtlicher Regelungen zur Verwirklichung der "Staatsaufgabe Umweltschutz" 56 wird nicht verkannt. 57 Doch betont der ID. Vater, dass gesetzliche Maßnahmen für sich allein nicht genügen. Er fordert einen "tiefgreüenden Wandel im Lebensstil der modernen Konsumgesellschaft" und betont mit Recht, dass Umweltschutz nicht als Selbstzweck, sondern im Interesse des Wohles der Menschen zu sehen ist: "Das Wohl des Menschen in den Mittelpunkt der Achtung für die Umwelt zu stellen, ist in der Tat der sicherste Weg, die Schöpfung zu bewahren".

Iv. Frieden -Menschenwürde- Gerechtigkeit Nachdem der In. Vater auf die Notwendigkeit der internationalen Solidarität bei der Teilhabe an den Gütern der Welt hingewiesen58 und dabei insb. einer solidarischen Lösung des Problems der Verschuldung der ärmsten Nationen das Wort geredet hat, 59 eindrucksvolle Worte für das Anliegen der friedlichen internationalen Zusammenarbeit gefunden und den Krieg als den Niedergang jedes wahren Humanismus gegeiselt und dabei die Schrecken der Kriegsopfer und insbesondere der Kinder als Opfer von Kriegen angeprangert hat, 60 geht er daran, abschließend eine Summe zu ziehen: Der eingangs der Botschaft formulierten These, dass die Menschenwürde unteilbar sei, entspricht die in Rz 12 zum Beginn seiner Schlussüberlegungen betonte weitere Grundthese, dass keines der Menschenrechte sicher ist, wenn man sich nicht bemüht, alle zu schützen. Alle Menschenrechte gerieten in Gefahr, wenn man tatenlos der Verletzung eines der menschlichen Grundrechte zusieht, betont der In. Vater und schließt damit konsequent an die These von der Unteilbarkeit der Menschenwürde an. Vgl. oben bei FN 9. Vgl. Doris Hattenberger, Der Umweltschutz als Staatsaufgabe, Wien 1993. 57 Vgl. aus der Österreichischen Literatur etwa Peter Pernthaler I Karl Weber I Norbert Wimmer (Hg.), Umweltpolitik durch Recht, Wien 1992; Ferdinand Kerschner (Hg.), Staatsziel Umweltschutz, Wien 1996 oder Brigitte Gutknecht, BVG Umweltschutz, in: Karl KorinekiMichael Holoubek, Osterreichisches Bundesverfassungsrecht, Wien 1999. 58 Vgl. grundlegend die Enzyklika Pauls VI. "Populorum progressio" von 1967. 59 Vgl. insb. Rz 9 der Weltfriedensbotschaft 1999. eo Vgl. insb. Rz 11 der Weltsfriedensbotschaft 1999; grundlegend dazu Rz 80 ff. der Pastoralkonstitution des Zweiten Vaticanums "Gaudium et spes" von 1965. 55 56

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Vor dem Hintergrund des eingangs herausgestellten Umstandes, dass der Begriff der Menschenrechte in der Weltfriedensbotschaft nicht im juristischen Sinn zu verstehen ist, sondern sowohl die klassischen Freiheitsrechte wie auch demokratische Teilhaberechte und die Sicherung der Grundbedürfnisse des Menschen im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Sinn umfasst, erhält der Appell des m. Vaters seine gesamte Dimension: Es reicht nicht, die klassischen Menschenrechte zu schützen, wenn man die Aufgabe, die Güter der Welt solidarisch zu teilen, gering achtet oder die Anforderungen, den Menschen eine ausreichende Grundbildung und umfassende Arbeitsmöglichkeiten zu sichern, vernachlässigt oder die Bemühungen um eine intakte Umwelt und den Frieden auf der Welt vernachlässigt. All das hängt miteinander zusammen; zwar bedürfen die verschiedenen "Menschenrechte" je und je unterschiedlicher rechtlicher Umsetzung: die Realisierung der Grundanliegen etwa der Grundbildung oder Schaffung von Arbeit muss juristisch anders erfolgen, als die Realisierung der Grundanliegen demokratischer Teilhabe oder der klassischen Menschenrechte. 61 Was der ID. Vater aber- und das mit guten Gründen- postuliert, ist, dass man die Anliegen insgesamt in einer umfassend zu verstehenden "Kultur der Menschenrechte" umsetzt, von der zweierlei verlangt wird: Dass sie eine Kultur ist, die die unterschiedlichen Traditionen achtet und dass sie eine Kultur ist, die im Dienst des Friedens steht. Damit wird an die Einsicht angeknüpft, dass Friede eine Frucht von Recht und Gerechtigkeit ist 62 und die Wahrung von Recht und Gerechtigkeit in erster Linie die Achtung und den Schutz der Menschenrechte verlangt. 63 Diese Kultur der Menschenrechte, die- und hierin liegt die zusammenfassende abschließende These der Botschaft - deren umfassende Sicherung im Auge haben muss, erfließt aus der unteilbaren Würde des Menschen. 64 Um das zu unterstreichen, betont der ID. Vater abschließend nochmals, dass jede Person als Gottes Bild und Gleichnis geschaffen wurde und dass darin der letzte Grund für die Menschenwürde und für die Verpflichtung jedes Christen, diese zu achten und zu schützten, liegt. Er betont, dass jeder Mensch im Besitz dieser aus seiner Gottesebenbildlichkeit erfließenden Würde sei, auch die Ärmsten und Ausgegrenzten, und er betont die Verpflichtung jedes Christen, die das Evangelium als Lebensregel annehmen, 61 Vgl. etwa Karl Korinek, Über die Auswirkungen einer Grundrechtsrefonn auf das bestehende Recht, in: Reinhard Rack (Hg.), Grundrechtsrefonn, Graz 1985, 95 ff., insb. 103 ff. 62 Vgl. dazu den Beitrag von Herbert Schambeck in diesem Band. 63 Vgl. Verdroß (FN 1) 51 ff. 64 Vgl. aus der reichen Literatur etwa die in FN 4 und 9 genannten Arbeiten von Marcic, Verdroß, Messner, Schambeck und Seifert, alle mwH.

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Botschafter der Menschenwürde und Förderer der Menschenrechte zu sein. Diese sind nach wie vor eine "zarte Pflanze" 65 und bedürfen der Pflege durch alle, die dem Gottesknecht nachfolgen wollen, von dem Isaias so wunderbar gesagt hat: "Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja er bringt wirklich das Recht." 88

Diese Gesinnung verlangt aber heute mehr denn je auch nach der sie realisierenden Tat: Konkrete Sicherung vor Gefährdungen der Menschenrechte ist dabei ebenso notwendig, wie es für alle Staatsorgane und alle Mitglieder der Gesellschaft notwendig ist, ihr Handeln in den Dienst der Realisierung der Menschenrechte zu stellen, was letztlich nur durch lebendige Erfüllung des Gebots der Nächstenliebe zu verwirklichen ist. 67 Eben darin "liegt das Geheimnis des wahren Friedens".

65 So Gerald Stourzh in seinem Vortrag "Begründung und Bedrohung der Menschenrechte in der europäischen Geschichte" auf der Festsitzung der Österr. Akademie der Wissenschaften am 17. Mai 2000 in Wien. 66 Isaias 42, 3. 67 Vgl. auch das Dokument "De justitia in mundo" der Römischen Bischofssynode 1971, Rz 31 ff.

BOTSCHAFT SEINER HEILIGKEIT JOHANNES PAUL II. ZUR FEIER DES WELTFRIEDENSTAGES AM 1. JANUAR 2000 "F'RIEDE AUF ERDEN DEN MENSCHEN, DIE GO'IT LIEBT"

1. Diese Verkündigung der Engel, die vor 2000 Jahren die Geburt Jesu Christi begleitete (vgl. Lk 2,14), wird zu unserer Freude in der heiligen Weihnachtsnacht, in der das Große Jubiläum feierlich eröffnet wird, wieder erschallen.

Die hoffnungsfrohe Botschaft, die uns aus der Grotte von Betlehem erreicht, wollen wir wieder an den Anfang des neuen Jahrtausends stellen: Gott liebt alleMännerund Frauen auf Erden und schenkt ihnen die Hoffnung auf eine neue Zeit, eine Zeit des Friedens. Seine Liebe, die in dem Mensch gewordenen Sohn, in Fülle offenbar wurde, ist das Fundament des universalen Friedens. Wenn sie im tiefsten Herzensgrund angenommen wird, versöhnt sie jeden mit Gott und mit sich selbst. Sie macht die Beziehungen der Menschen untereinander neu und weckt jenes Verlangen nach einer Haltung, die Brüdern und Schwestern eigen ist und die Versuchung der Gewalt und des Krieges zu vertreiben vermag. Das Große Jubiläum ist unlösbar mit dieser Botschaft der Liebe und Versöhnung verbunden, welche die eigentlichen Sehnsüchte der Menschheit unserer Zeit am glaubwürdigsten zum Ausdruck bringt. 2. Im Ausblick auf ein so bedeutungsträchtiges Jahr wünsche ich erneut allen von Herzen Frieden. Allen sage ich, dass der Friede möglich ist. Er muß als ein Geschenk Gottes erfleht, aber auch mit seiner Hilfe Tag für Tag durch Werke der Gerechtigkeit und Liebe aufgebaut werden. Sicher gibt es viele und sehr komplexe Probleme, die den Weg zum Frieden steinig, ja oft zu einem entmutigenden Vorhaben machen. Dennoch ist der Friede ein Bedürfnis, das im Herzen eines jeden Menschen tief verwurzelt ist. Man darf deshalb nicht in dem Willen nachlassen, immer wieder nach ihm zu suchen. Dabei müssen wir uns vom Bewußtsein leiten lassen, dass Gott die Menschheit, so sehr sie auch von der Sünde, von Haß und Gewalt gezeichnet ist, dazu berufen hat, eine einzige Familie zu bilden. Diesen 15 Johannes Paul II.

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Papst Johannes Paul 11.

göttlichen Plan gilt es anzuerkennen und dadurch zu unterstützen, dass man sich dafür einsetzt, harmonische Beziehungen unter den einzelnen Menschen und zwischen den Völkern zu suchen, und diese in eine Kultur gegenseitigen Austausches einbindet, in der es um Öffnung für das Transzendente, um Förderung des Menschen und um Achtung vor der Natur geht. Das ist die Botschaft von Weihnachten, das ist die Botschaft des Jubiläums, das ist mein Wunsch am Anfang eines neuen Jahrtausends.

Mit dem Krieg bleibt die Menschlichkeit als Verlierer zurück 3. In dem Jahrhundert, das wir hinter uns lassen, ist die Menschheit hart heimgesucht worden von einer endlosen und schrecklichen Folge von Kriegen, Konflikten, Völkermorden und "ethnischer Säuberungen", die unsagbares Leid verursacht haben: Abermillionen von Opfern, zerrissene Familien und zerstörte Länder, Flüchtlingsströme, Elend, Hunger, Krankheiten, Unterentwicklung, Verlust unermeßlicher Ressourcen. Die Wurzel so großen Leides ist eine Logik der Unterdrückung, die genährt wird von dem Verlangen nach Beherrschung und Ausbeutung anderer, von Ideologien der Macht oder eines totalitären Utopismus, von unheilvollen Nationalismen oder Formen alten Stammeshasses. Mitunter war es notwendig, der brutalen systematischen Gewalt, die es sogar auf die völlige Ausrottung oder Versklavung ganzer Völker und Regionen abgesehen hatte, bewaffneten Widerstand zu leisten. Das 20. Jahrhundert hinterlässt uns als Erbschaft vor allem eine Mahnung: Kriege sind häufig Ursache weiterer Kriege, weil sie tiefe Haßgefühle nähren, Unrechtssituationen schaffen sowie die Würde und Rechte der Menschen mit Füßen treten. Sie lösen im allgemeinen die Probleme nicht, um deretwillen sie geführt werden. Daher stellen sie sich, außer dass sie schreckliche Schäden anrichten, auch noch als nutzlos heraus. Mit dem Krieg bleibt die Menschlichkeit als Verlierer zurück. Nur im Frieden und durch den Frieden ist die Achtung vor der Würde der menschlichen Person und ihrer unveräußerlichen Rechte zu gewährleisten. 1 4. Angesichts des Kriegsszenariums des 20. Jahrhunderts wurde die Ehre der Menschheit von denen gerettet, die im Namen des Friedens gesprochen und gehandelt haben. Es ist eine gebührende Pflicht, der unzähligen Menschen zu gedenken, die zur Erklärung der Menschenrechte und zu ihrer feierlichen Verkündigung, I

Vgl. Johannes Paulll., Botschaft zum Weltfriedenstag 1999, Nr. 1.

Botschaft zum Weltfriedenstag 2000

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zur Besiegung totalitärer Regime, zum Ende des Kolonialismus, zur Entwicklung der Demokratie und zur Schaffung großer internationaler Organisationen beigetragen haben. Leuchtende und prophetische Beispiele stellten uns jene vor Augen, die ihren Lebensentscheidungen den Wert der Gewaltlosigkeit verliehen haben. Thr Zeugnis für konsequente Treue, das oft bis zum Martyrium ging, hat wunderbare und lehrreiche Seiten in das Buch der Geschichte geschrieben. Unter denen, die im Namen des Friedens gewirkt haben, darf man die Männer und Frauen nicht vergessen, deren Einsatz auf allen Gebieten von Wissenschaft und Technik großartige Fortschritte ermöglicht hat, was die Überwindung schrecklicher Krankheiten sowie die Verbesserung der Lebensqualität und höhere Lebenserwartung erlaubte. Nicht unerwähnt lassen kann ich sodann meine Vorgänger ehrwürdigen Angedenkens, die der Kirche im 20. Jahrhundert vorstanden. Durch ihr erhabenes Lehramt und ihr unermüdliches Wirken haben sie die Kirche bei der Förderung einer Kultur des Friedens gelenkt. Gleichsam als Sinnbild für dieses vielfältige Wirken steht die glückliche und weitblickende Eingebung Pauls VI., der am 8. Dezember 1967 den Weltfriedenstag einführte. Dieser hat als fruchtbare Erfahrung der Reflexion und gemeinsamer Schritte zum Frieden von Jahr zu Jahr mehr Gestalt angenommen.

Die Berufung, eine einzige Familie zu sein 5. "Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt!" Der Wunsch aus dem Evangelium läßt uns die bange Frage stellen: Wird das beginnende Jahrhundert im Zeichen des Friedens und einer wiedergewonnenen Geschwisterlichkeit unter den Menschen und Völkern stehen? Sicher können wir die Zukunft nicht voraussehen. Dennoch dürfen wir ein anspruchsvolles Prinzip festschreiben: Es wird in dem Maße Frieden herrschen, in dem es der

ganzen Menschheit gelingt, ihre ursprüngliche Berufung wiederzuentdekken, eine einzige Familie zu sein, in der die Würde und die Rechte der Perso-

nen jeden Standes, jeder Rasse und jeder Religion als vorgängig und vorrangig gegenüber jeglicher Unterschiedenheit und Art anerkannt werden.

Von diesem Bewusstsein her kann die von der Dynamik der Globalisierung gekennzeichnete Verflochtenheit unserer heutigen Welt Seele, Sinn und Richtung erhalten. In diesen Entwicklungen, die freilich nicht ohne Risiken sind, liegen gerade im Hinblick darauf, dass aus der Menschheit eine auf den Werten von Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität gegründete 1s•

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einzige Familie entstehen soll, außerordentliche und vielversprechende Chancen. 6. Dazu ist eine völlige Umkehr der Sichtweise nötig: Bei allem darf nicht mehr das besondere Wohl einer Gemeinschaft, die auf politischen Gründen, Rassenzugehörigkeit oder kulturellen Motiven gründet, an erster Stelle stehen, sondern das Wohl der ganzen Menschheit. Das Bemühen um die Erreichung des gemeinsamen Wohles einer einzelnen politischen Gemeinschaft darf nicht im Gegensatz zum Gemeinwohl der ganzen Menschheit stehen, das in der Anerkennung und Achtung der Menschenrechte zum Ausdruck kommt, wie sie von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 sanktioniert wurden. Daher müssen die oft durch starke wirtschaftliche Interessen bedingten und bestimmten Konzepte und Praktiken überwunden werden, die das Faktum Nation oder Staat für absolut halten und diesem deshalb jeden anderen Wert unterordnen. Aus dieser Sicht sind die politischen, kulturellen und institutionellen Unterschiede und Differenzierungen, in die sich die Menschheit aufgliedert und organisiert, in dem Maße zulässig, als man sie mit der Zugehörigkeit zur Menschheitsfamilie und mit den sich daraus ergebenden sittlichen und rechtlichen Forderungen in Einklang bringen kann.

Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit 7. Aus diesem Grundsatz ergibt sich eine Konsequenz von enormer Tragweite: Wer die Menschenrechte verletzt, beschädigt das Bewusstsein des Menschseins selbst. Er verletzt die Menschheit als solche. Die Verpflichtung zum Schutz dieser Rechte übersteigt daher die geographischen und politischen Grenzen, innerhalb der sie verletzt worden sind. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit können nicht als interne Angelegenheiten einer Nation betrachtet werden. Die in die Wege geleitete Errichtung eines internationalen Gerichtshofes, der über diese Verbrechen, wo und wie auch immer sie geschehen, zu befinden hat, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Wir müssen Gott danken, wenn im Bewusstsein der Völker und der Nationen die Überzeugung weiter wächst, dass es für die Menschenrechte keine Grenzen gibt, weil sie universal und unteilbar sind. 8. In der heutigen Zeit hat sich die Zahl der Kriege zwischen den Staaten verringert. Diese an sich tröstliche Tatsache wird freilich stark eingeschränkt, wenn man auf die bewaffneten Konflikte schaut, die innerhalb der Staaten entstehen. Sie sind leider sehr zahlreich, praktisch auf allen Kontinenten vorhanden und verlaufen nicht selten äußerst gewaltsam. Sie

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haben meistens weit in die Geschichte zurückreichende ethnische, stammesbedingte oder auch religiöse Gründe, zu denen jetzt noch weitere Ursachen ideologischer, sozialer und wirtschaftlicher Natur hinzukommen. Diese internen Konflikte, die im allgemeinen mit einem erschreckenden Einsatz kleinkaiihriger oder sogenannter "leichter", in Wirklichkeit aber äußerst mörderischer Waffen ausgetragen werden, haben oft schwerwiegende Auswirkungen, die über die Grenzen des betreffenden Staates hinausgehen und auswärtige Interessen und Verantwortlichkeiten hineinziehen. Auch wenn es stimmt, dass es wegen ihrer hochgradigen Komplexität sehr schwer fällt, die auf dem Spiel stehenden Ursachen und Interessen zu begreifen und zu bewerten, ergibt sich doch eine unumstößliche Tatsache: Die dramatischsten Folgen dieser Konflikte hat die Zivilbevölkerung zu tragen. Denn weder die allgemeinen noch selbst die für Kriegszeiten geltenden Gesetze werden eingehalten. Weit davon entfernt, geschützt zu werden, sind die Zivilpersonen häufig das erste Ziel der gegnerischen Streitkräfte, wenn sie selbst nicht in einer perversen Spirale, die sie zugleich als Opfer und als Mörder anderer Zivilpersonen sieht in direkte bewaffnete Kampfhandlungen hineingezogen werden. Zu zahlreich und zu schrecklich waren und sind noch immer die düsteren Szenarien, wo Kinder, Frauen und wehrlose alte Männer völlig schuldlos und gegen ihren Willen zu Opfern der Konflikte gemacht werden, die unsere Tage mit Blut beflecken; es sind in der Tat zu viele Konflikte, um nicht den Augenblick für gekommen zu halten, mit Entschlossenheit und großem Verantwortungsbewußtsein einen anderen Weg einzuschlagen.

Das Recht auf humanitäre Hilfe 9. Gegen alle mutmaßlichen "Gründe" für den Krieg muß angesichts ebenso dramatischer wie komplexer Situationen der herausragende Wert des humanitären Rechtes und damit die Pflicht, das Recht auf humanitäre Hilfe für die leidende Bevölkerung und die Flüchtlinge zu gewährleisten, bekräftigt werden. Die Anerkennung und die tatsächliche Erfüllung dieser Rechte dürfen nicht den Interessen einer Konfliktpartei unterliegen. Es ist im Gegenteil dringend geboten, alle jene institutionellen und nicht institutionellen Möglichkeiten ausfindig zu machen, die die humanitären Zielsetzungen am besten verwirklichen können. Die moralische und politische Legitimation dieser Rechte beruht nämlich auf dem Grundsatz, wonach das Wohl der

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menschlichen Person vor allem den Vorrang hat und jede menschliche Institution überragt. 10. Ich möchte hier noch einmal meine tiefe Überzeugung bekräftigen, dass angesichts der modernen bewaffneten Konflikte das Mittel der Verhandlung zwischen den Parteien- mit geeigneten Vermittlungs- und Befriedungsinterventionen von seiten internationaler und regionaler Stellen allergrößte Bedeutung gewinnt, sei es, um den Konflikten selbst zuvorzukommen, oder sie, wenn sie einmal ausgebrochen sind, dadurch beizulegen, dass durch eine unparteiische Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte und Interessen der Friede wiederhergestellt wird. Diese Überzeugung von der positiven Rolle von Vermittlungs- und Befriedungsorganen muß auf die humanitären Organisationen, die nicht einer Regierung zugeordnet sind, und auf die religiösen Einrichtungen ausgeweitet werden, die diskret und ohne Berechnung den Frieden zwischen den unterschiedlichen Gruppen fördern und helfen, alte Gefühle der Verbitterung zu überwinden, Feinde zu versöhnen und den Weg in eine neue und gemeinsame Zukunft zu eröffnen. Wahrend ich ihnen für ihre edle Hingabe an die Sache des Friedens meine Hochachtung ausspreche, möchte ich mit tiefbewegter Anerkennung all derer gedenken, die ihr Leben hingegeben haben, damit andere leben können: für sie erhebe ich mein Gebet zu Gott und lade auch die Gläubigen ein, dasselbe zu tun.

"Einmischung aus humanitären Gründen" 11. Wenn die Zivilbevölkerung Gefahr läuft, unter den Schlägen eines ungerechten Angreifers zu erliegen, und die Anstrengungen der Politik und die Mittel gewaltloser Verteidigung nichts fruchteten, ist es offensichtlich legitim und sogar geboten, sich mit konkreten Initiativen für die Entwaffnung des Aggressors einzusetzen. Diese Initiativen müssen jedoch zeitlich begrenzt und in ihren Zielen klar bestimmt sein, sie müssen unter voller Achtung des internationalen Rechtes durchgeführt und von einer auf übernationaler Ebene anerkannten Autorität garantiert werden. Keinesfalls dürfen sie der reinen Logik der Waffen überlassen bleiben. Daher wird man umfassend und bestmöglich das anwenden müssen, was von der Charta der Vereinten Nationen vorgesehen ist. Zusätzlich gilt es, wirksame Mittel und Möglichkeiten einer Intervention im Rahmen des internationalen Rechts festzulegen. In diesem Zusammenhang muß die Organisation der Vereinten Nationen selbst allen Mitgliedsstaaten eine angemes-

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sene Gelegenheit zur Beteiligung an den Entscheidungen bieten, indem sie Bevorzugungen und Diskriminierungen überwindet, die ihre Rolle und Glaubwürdigkeit schwächen. 12. Hier öffnet sich ein sowohl für die Politik wie für das Recht neues Feld der Überlegung und Beratung, ein Feld, von dem wir alle wünschen, dass es mit Leidenschaft und Weisheit bestellt wird. Dringend notwendig und unaufschiebbar ist eine Erneuerung des internationalen Rechtes und der internationalen Institutionen, die als Ausgangspunkt und grundlegendes Organisationskriterium den Vorrang des Wohles der Menschheit und der einzelnen menschlichen Person vor allem anderen hat. Diese Emeuerung ist um so dringender, wenn wir das Paradoxon des Krieges in unserer Zeit betrachten, wie es auch in den jüngsten Konflikten zutage getreten ist, wo der größtmöglichen Sicherheit für die Soldaten erschüttemde ständige Gefahrensituationen für die Zivilbevölkerung gegenüberstanden. Es gibt keine Art des Konflikts, die das Recht der Zivilpersonen auf Unversehrtheit zu verletzen legitimiert. Grundlegend bleibt jenseits der juristischen und institutionellen Perspektiven die Verpflichtung aller Männerund Frauen guten Willens, die dazu berufen sind, sich für den Frieden einzusetzen: die Verpflichtung, zum Frieden zu erziehen, Friedensstrukturen und Mittel der Gewaltlosigkeit zu entwickeln, alle nur möglichen Anstrengungen zu untemehmen, um Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen.

Der Friede in der Solidarität 13. "Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt!" Von der Problematik des Krieges wendet sich der Blick naturgemäß einer anderen Dimension zu, die mit dieser in besonderer Weise verbunden ist: die Frage der Solidarität. Die vomehme und anspruchsvolle Aufgabe des Friedens, die der Berufung der Menschheit, Familie zu sein und sich als Familie zu bekennen, innewohnt, hat ihre Stärke in dem Prinzip von der universalen Bestimmung der Güter der Erde, ein Prinzip, das dem Menschen das Recht auf Privateigentum nicht abspricht, sondem dessen Verständnis und Verwaltung für seine unabdingbare soziale Funktion erschließt, zum allgemeinen und besonders zum Wohl der schwächsten Glieder der Gesellschaft. 2 Dieses Grundprinzip bleibt leider weitgehend unbeachtet: Das beweist das fortbestehende und 2 Vgl. Johannes Paul 11., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 30-43: AAS 83 (1991), 830-848.

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sich noch ausweitende Gefälle zwischen dem Norden der Welt, wo eine steigende Übersättigung mit Gütem und Ressourcen ebenso festzustellen ist wie eine wachsende Überalterung, und dem Süden, wo sich inzwischen die große Mehrheit der jungen Generationen konzentriert, die noch immer ohne glaubwürdige Aussicht auf soziale, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung sind. Niemand möge sich der Täuschung hingeben, die bloße Abwesenheit von Krieg, so wünschenswert sie ist, sei gleichbedeutend mit dauerhaftem Frieden. Es gibt keinen echten Frieden, wenn mit ihm nicht Gleichheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Solidarität einhergehen. Jedes Vorhaben, das zwei untrennbare und voneinander abhängige Rechte, das Recht auf Frieden und das Recht auf eine unverkürzte und solidarische Entwicklung, auseinanderhalten möchte, ist zum Scheitem verurteilt. "Ungerechtigkeiten, krasse Unterschiede in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht sowie Neid, Mißtrauen und Stolz, die unter den Menschen und den Nationen wüten, bedrohen unablässig den Frieden und führen zu Kriegen. Alles, was untemommen wird, um diese Übel zu besiegen, trägt zum Aufbau des Friedens und zur Vermeidung des Krieges bei". 3 14. Am Beginn eines neuen Jahrhunderts ist die Armut von Milliarden Männern und Frauen die Frage, die mehr als jede andere an unser menschliches und christliches Gewissen appelliert. Die Dramatik dieser Frage wird noch erhöht durch das Wissen darum, dass die größten wirtschaftlichen Probleme unserer Zeit nicht auf den Mangel an Ressourcen, sondem darauf zurückgehen, dass die heutigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Strukturen Mühe damit haben, den Anforderungen einer echten Entwicklung zu entsprechen. Mit Recht verlangen die Armen - sowohl jene der Entwicklungsländer wie auch jene der wohlhabenden, reichen Länder- "das Recht, an der Nutzung der materiellen Güter teilzuhaben und ihre Arbeitsfähigkeit einzubringen, um eine gerechtere und für alle glücklichere Welt aufzubauen. Die Hebung der Armen ist eine große Gelegenheit für das sittliche, kulturelle und wirtschaftliche Wachstum der gesamten Menschheit". 4 Sehen wir die Armen nicht als ein Problem an! Sie können in unseren Augen zu Trägem und Vorkämpfer einer neuen und menschlicheren Zukunft für die ganze Welt werden.

3 4

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Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2317. Johannes Paul 11., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 28: AAS 83 (1991),

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Die Wirtschaft muß umdenken 15. Aus dieser Perspektive muß man sich auch die Frage über jenes wachsende Unbehagen stellen, das heutzutage viele Gelehrte und Wirtschaftsexperten spüren, wenn sie über die Rolle des Marktes, über die alles durchdringende Währungs- und Finanzdimension, über das Auseinanderklaffen zwischen dem ökonomischen und dem sozialen Bereich sowie über andere ähnliche Themen wirtschaftlicher Aktivität nachdenken. Es geht dabei um Probleme, die sich im Hinblick auf die Armut, den Frieden, die Ökologie und die Zukunft der Jugend stellen. Vielleicht ist der Augenblick für eine neue und vertiefte Reflexion über den Sinn der Wirtschaft und ihrer Ziele gekommen. In diesem Zusammenhang scheint es dringend notwendig, dass das Verständnis dessen, was Wohlstand eigentlich ist, neu überdacht wird, damit es nicht von einer verengten Nützlichkeitsperspektive beherrscht wird, die Werten wie Solidarität und Altruismus nur abseits und ganz am Rande Raum lässt. 16. Hier möchte ich die Vertreter der Wirtschaftswissenschaften und die Manager selbst sowie auch die verantwortlichen Politiker auffordern, die dringende Notwendigkeit zur Kenntnis zu nehmen, dass das wirtschaftliche Handeln und die entsprechenden politischen Maßnahmen das Wohl eines jeden Menschen in seiner Ganzheitlichkeit anstreben sollen. Das ist nicht nur eine Forderung der Ethik, sondern auch einer gesunden Wirtschaft. Die Erfahrung scheint nämlich bestätigt zu haben, dass der wirtschaftliche Erfolg zunehmend davon abhängt, dass die Menschen und ihre Fähigkeiten aufgewertet, die Beteiligung gefördert, Kenntnisse und Informationen stärker und besser vermittelt werden und die Solidarität wächst. Es handelt sich dabei um Werte, die der Wirtschaft in Wissenschaft und Praxis keineswegs fremd sind und dazu beitragen, daraus eine Wissenschaft und eine Praxis zu machen, die ganz und gar "human" sind. Eine Wirtschaft, welche die ethische Dimension unbeachtet läßt und sich nicht darum kümmert, dem Wohl eines jeden Menschen in seiner Ganzheitlichkeit zu dienen, kann sich eigentlich gar nicht "Ökonomie" nennen, wenn man diese im Sinne einer vernünftigen und wohltätigen Verwaltung des materiellen Reichtums versteht.

Für welche Entwicklungsmodelle soll man sich entscheiden? 17. Obgleich die Menschheit dazu berufen ist, eine einzige Familie zu sein, wird sie noch immer auf dramatische Weise von der Armut in zwei Teile ge-

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spalten: Am Beginn des 21. Jahrhunderts leben mehr als eine Milliarde und vierhundert Millionen Menschen in äußerster Armut. Deshalb ist ein Oberdenken der Modelle, welche die Entscheidungen für die Entwicklung inspirieren, besonders dringend geboten. In diesem Zusammenhang wird man die berechtigten Forderungen nach wirtschaftlicher Effizienz besser mit den Forderungen nach politischer Beteiligung und sozialer Gerechtigkeit in Einklang bringen müssen, ohne wieder in die im 20. Jahrhundert begangenen ideologischen Fehler zu verfallen. Konkret bedeutet das: Das Netz der gegenseitigen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Abhängigkeiten, auf dessen Verstärkung die stattfindenden Globalisierungsprozesse abzielen, sollte mit Solidarität verknüpft werden. Diese Prozesse verlangen ein Umdenken der internationalen Zusammenarbeit, die sich in einer neuen Kultur der Solidarität buchstabiert. Als Same des Friedens verstanden, darf sich die Zusammenarbeit nicht auf Hilfe und Beistand beschränken und dabei gar noch auf Vorteile abzielen, die auf die zur Verfügung gestellten Finanzmittel zurückfließen. Statt dessen muß sie ein konkretes und greifbares Bemühen um Solidarität zum Ausdruck bringen, das die Armen zu Vorkämpfern ihrer eigenen Entwicklung macht und es möglichst vielen Personen erlaubt, in den konkreten wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen, in denen sie leben, die Kreativität zu entfalten, die ein typisches Merkmal der menschlichen Person ist und von der auch derReichturn der Nationen abhängt. 5 Besonders ist es geboten, endgültige Lösungen für das alte Problem der internationalen Verschuldung der armen Länder zu finden und gleichzeitig auch die Bereitstellung der nötigen finanziellen Mittel für den Kampf gegen Hunger, Unterernährung, Krankheiten, Analphabetismus und den Verfall der Umwelt zu gewährleisten. 18. Dringender als in der Vergangenheit stellt sich heute die Notwendigkeit, das Gewissen für universale moralische Werte zu bilden, um sich den Problemen der Gegenwart stellen zu können. Deren gemeinsames Merkmal besteht ja in der weltweiten Dimension, die sie annehmen. Die Förderung des Friedens und der Menschenrechte; die Beilegung der bewaffneten Konflikte innerhalb und außerhalb der Staaten; der Schutz der ethnischen Minderheiten und der Migranten; der Umweltschutz; der Kampf gegen furchtbare Krankheiten; das Vorgehen gegen Drogen- und Waffenhänd5 Vgl. Johannes Paul 11., Ansprache vor den Vereinten Nationen am 50. Jahrestag ihres Bestehens (5. Oktober 1995), 13: Insegnamenti 18/2 (1995), 739-740.

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ler und gegen politische und wirtschaftliche Korruption: das sind Probleme, die heute keine Nation allein zu bewältigen vermag. Da sie die gesamte menschliche Gemeinschaft betreffen, müssen sie durch gemeinsames Handeln angegangen und gelöst werden. Man muß einen Weg finden, um in einer verständlichen und gemeinsamen Sprache die Probleme zu diskutieren, die von der Zukunft des Menschen aufgeworfen werden. Grundlage dieses Dialogs ist das allgemeine Sittengesetz, das dem Menschen ins Herz eingeschrieben ist. Wenn die menschliche Gemeinschaft dieser "Grammatik" des Geistes folgt, kann sie die Probleme des Zusammenlebens anpacken und sich unter Achtung des Planes Gottes auf die Zukunft hinbewegen. 6 Aus der Begegnung zwischen Glaube und Vernunft, zwischen religiösem Sinn und sittlichem Bewusstsein leitet sich ein entscheidender Beitrag ab, um dem Dialog und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern, Kulturen und Religionen eine Richtung zu geben.

Jesus, das Geschenk des Friedens 19. "Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt!" Auf der ganzen Welt sind die Christen im Hinblick auf das Große Jubiläum damit beschäftigt, in feierlicher Form das Gedächtnis der Menschwerdung Gottes zu begehen. Während sie die Botschaft der Engel über dem Himmel von Betlehem neu hören (vgl. Lk 2,14}, gedenken sie des Ereignisses aus dem Bewusstsein heraus, dass Jesus "unser Friede ist" (Eph 2,14). Er ist das Geschenk des Friedens für alle Menschen. Seine ersten Worte an die Jünger nach der Auferstehung lauteten: "Friede sei mit euch!" (Joh 10,19. 21. 26). Er ist gekommen, um zu einen, was getrennt war. Er hat die Sünde und den Hass zunichte gemacht und so in der Menschheit die Berufung zu Einheit und Geschwisterlichkeit wiedererweckt. Deshalb ist er "Ursprung und Urbild dieser erneuerten, von brüderlicher Liebe, Lauterkeit und Friedensgeist durchdrungenen Menschheit, nach der alle verlangen". 7 20. In diesem Jubiläumsjahr will die Kirche im lebendigen Gedenken an ihren Herrn ihre Berufung und Sendung bekräftigen. Sie will in Christus "Sakrament" sein, das heißt Zeichen und Werkzeug des Friedens in der Welt und für die Welt. Erfüllung ihrer evangelisatorischen Sendung bedeutet für die Kirche Arbeit für den Frieden. "So ist die Kirche, Gottes alleini6 7

Vgl. ebd., 3: a. a. 0., 732. li. VAT. KONZil.., Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 8.

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ge Herde, wie ein unter den Völkern erhobenes Zeichen. Indem sie dem ganzen Menschengeschlecht den Dienst des Evangeliums des Friedens leistet, pilgert sie in Hoffnung dem Ziel des ewigen Vaterlandes entgegen". 8 Der Einsatz zum Aufbau von Frieden und Gerechtigkeit ist für die katholischen Christen daher keine nebensächliche, sondern eine wesentliche Aufgabe, der sie mit Offenheit gegenüber den Brüdern und Schwestern der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, gegenüber den Gläubigen anderer Religionen und gegenüber allen Männern und Frauen guten Willens, mit denen sie dieselbe Sorge um Frieden und Brüderlichkeit teilen, nachkommen sollen.

Sich hochherzig für den Frieden einsetzen 21. Anlaß zu Hoffnung gibt die Feststellung, dass trotz vielfältiger und schwerwiegender Hindernisse weiterhin durch die hochherzige Zusammenarbeit so vieler Menschen täglich Friedensinitiativen und Friedensprojekte entstehen. Der Friede ist ein Gebäude, an dem ständig gearbeitet wird. An seinem Aufbau wirken mit: - die Eltern, die in der Familie den Frieden leben und bezeugen und so ihre Kinder zum Frieden erziehen; - die Lehrer, die es verstehen, echte Werte weiterzugeben, die sich auf jedem Wissensgebiet sowie im historischen und kulturellen Erbe der Menschheit finden; - die Männer und Frauen in der Arbeitswelt, die sich darum bemühen, ihren jahrhundertelangen Kampf für die Würde der Arbeit weiterzuführen im Angesicht der neuen Verhältnisse, die auf internationaler Ebene Gerechtigkeit und Solidarität erfordern; - die Regierenden, die als Mittelpunkt ihres eigenen und des politischen Handeins ihrer Länder die feste Überzeugung gewählt haben, sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen. - alle, die in den internationalen Organisationen oft mit wenigen Mitteln an vorderster Front tätig sind, wo es auch im Hinblick auf die persönliche Unversehrtheit ein gefährliches Unterfangen ist, als "Friedensstifter" zu wirken; - die Mitglieder der regierungsunabhängigen Organisationen, die sich durch Studium und aktiven Einsatz in verschiedenen Teilen der Welt und a II. VAT. KONZIL, Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio, 2.

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in den unterschiedlichsten Situationen der Vorbeugung und der Lösung von Konflikten widmen; - die Gläubigen, die aus der Überzeugung, dass der echte Glaube niemals Quelle für Krieg oder Gewalt sein kann, durch den ökumenischen und den interreligiösen Dialog die Argumente fördern, die für den Frieden und die Liebe sprechen. 22. Meine Gedanken wenden sich besonders Euch zu, liebe Jugendliche. Ihr erfahrt ja in besonderer Weise den Segen des Lebens, das Ihr nicht vergeuden dürft. Laßt Euch in den Schulen und an den Universitäten, in der Arbeitswelt, in Freizeit und Sport, in allem, was Ihr tut, ständig von diesem Gedanken leiten: Friede sei in Euch und um Euch. Immer sei Friede, Friede mit allen und Friede für alle. Die jungen Menschen, die leider die tragische Erfahrung des Krieges erlebt haben und Gefühle des Hasses und der Vergeltung empfinden, flehe ich an: 'fut Euer Möglichstes, um auf den Weg der Versöhnung und Vergebung zurückzufinden! Dieser Weg ist steinig. Doch es ist der einzige Weg, der es Euch erlaubt, hoffnungsfroh in die Zukunft zu blicken für Euch, für Eure Kinder, Eure Länder und für die ganze Menschheit. Ich werde Gelegenheit haben, diesen Dialog mit Euch, liebe Jugendliche, fortzuführen, wenn wir uns im kommenden August in Rom treffen anlässlich des Jugendtages im Jubeljahr, der eigens Euch gewidmet ist. Papst Johannes XXIII. hat sich in einer seiner letzten Ansprachen noch einmal an "die Menschen guten Willens" gewandt, um sie einzuladen, sich für ein Friedensprogramm einzusetzen, das auf dem "Evangelium des Gehorsams gegenüber Gott, der Barmherzigkeit und des Verzeihens" ruht. Und er fügte hinzu: "Dann wird sich ohne Zweifel die helle Fackel des Friedens ihre Bahn brechen. Sie wird ihren Weg gehen, während sie auf der ganzen Erde in den Menschen die Freude entzündet und das Licht und die Gnade in deren Herzen ausgießt. Über alle Grenzen hinweg dürfen sie Gesichter von Brüdern und Schwestern, Gesichter von Freunden entdecken". 9 Mögt Ihr, Jugendliche des Jahres 2000, Gesichter von Brüdern und Schwestern, Gesichter von Freunden entdecken und entdecken lassen! In diesem Jubiläumsjahr, in dem sich die Kirche durch besondere Fürbitten dem Gebet für den Frieden widmen wird, wenden wir uns in kindlicher Verehrung an die Mutter Jesu und rufen sie an als Königin des Friedens. In reichem Maß möge sie die Gaben ihrer mütterlichen Güte ausspenden und 9

455.

Anläßtich derüberreichungdes Balzanpreisesam 10. Mai 1963: AAS 55 (1963),

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der Menschheit helfen, eine einzige Familie zu werden in Solidarität und Frieden. Aus dem Vatikan, am 8. Dezember des Jahres 1999. Joannes Paulus II

FRIEDE AUF ERDEN DEN MENSCHEN, DIE GO'IT LIEBT Egon Kapellari Im Heiligen Jahr 2000 leuchten die Fassaden vieler alter römischer Kirchen nach ihrer Renovierung in neuem Glanz. Das gilt auch für die Barockkirche Santa Maria della Pace, die dem Priesterkolleg Santa Maria dell'Anima benachbart ist. Je ein in Stein geschriebener biblischer Text in lateinischer Sprache am rechten und am linken Rand der nach vorne schwingenden Fassade spricht vom Frieden und verweist so auf den Titel dieser Kirche: Heilige Maria vom Frieden. "Et erit opus justitiae pax, et cultus justitiae silentium, et securitas usque in sempiternum"- "Und das Werk der Gerechtigkeit wird Friede sein, und das Walten der Gerechtigkeit wird Stille geben und Sicherheit ohne Ende" lautet die Inschrift auf der rechten Seite. "Opus justitiae pax" lautete auch der Wahlspruch Papst Pius XII. Seine Familie wohnte nicht weit entfernt von der Pace-Kirche. Der junge Eugenio Pacelli ging wohl viele Male an diesem Gotteshaus vorüber und wurde so mit diesem Spruch besonders vertraut, der aus dem Jesaiabuch des Alten Testaments (Jes 32, 17) genommen ist. Auf der linken Seite der Kirchenfassade liest man eine Verheißung über einen Friedenskönig. Sie ist genommen aus dem 72. Psalm der Bibel (Ps 72, 7) und lautet: "Orietur in diebus ejus justitia, et abundantia pacis donec auferatur luna" - "In seinen Tagen wird Gerechtigkeit sprossen und Friede in Fülle, bis der Mond nicht mehr scheint". Friede war eines der großen Themen des Pontifikats der meisten Päpste des XX. Jahrhunderts seit Benedikt XV., und Papst Johannes Paul II. führt diese Tradition über die Schwelle eines neuen Jahrhunderts hinweg weiter. Seit Paul VI. am 8. Dezember 1967 den Weltfriedenstag einführte, ist dieser Tag - jeweils der 1. Jänner des Jahres - für die Päpste ein wiederkehrender Anlass, um Grundsätzliches und auch bedrängend Aktuelles zum Thema Friede zu sagen. Die am 8. Dezember 1999 veröffentlichte Botschaft Johannes Paul II. zum Weltfriedenstag 2000 ist wohl auch für den Papst selbst so etwas wie die Krönung seiner bisherigen Botschaften zu diesem Anlass. Und bezogen auf das Heilige Jahr, dem diese Botschaft zugeordnet ist, kann

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schon am Ende seiner ersten Hälfte mit dem 94. Psalm der Bibel zu Gott gesagt werden: "Du hast das Jahr mit deiner Güte gekrönt." (Ps 65, 12).

I. Die Liebe Gottes als Quellgrund des Friedens Das Thema des Weltfriedenstages 2000 ist aus dem Weihnachtsevangelium nach Lukas genommen. Er lautet: "Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt." Durch lange Zeit war nur eine Übersetzung von Lk 2, 14 verbreitet, die sagt: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind." Richtig übersetzt lautet der Text aber "Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Frieden bei den Menschen seiner Gnade." In biblischer Sicht ist der Friede nicht zuerst eine Leistung des Menschen, sondern eine Gabe Gottes. Der Mensch muss auf diese Initiative Gottes hin nur antworten, um solchen Frieden zu empfangen. "Nicht wir haben Gott zuerst geliebt", sagt aus gleicher Sicht der erste Johannesbrief des Neuen Testamentes, "sondern er hat uns geliebt und hat uns seinen Sohn gesandt als Sühnopfer für unsere Sünden" (1 Jo 4, 10). Gewiss ist der Friede ein Werk der Gerechtigkeit, wie die Heilige Schrift im Jesaiabuch sagt und wie an der Fassade von Santa Maria della Pace in Rom zu lesen steht. Papst Johannes Paul n. verweist in Kapitel 1 seiner Weltfriedensbotschaft für den 1. Jänner 2000 aber auf eine tiefere Wurzel des Friedens, als es die Gerechtigkeit ist, nämlich auf die Liebe: "Gott liebt alle Männer und Frauen auf Erden und schenkt ihnen die Hoffnung auf eine neue Zeit, eine Zeit des Friedens. Seine Liebe, die in dem Mensch gewordenen Sohn in Fülle offenbar wurde, ist das Fundament des universalen Friedens. Wenn sie im tiefsten Herzensgrund angenommen wird, versöhnt sie jeden mit Gott und mit sich selbst. Sie macht die Beziehungen der Menschen untereinander neu und weckt das Verlangen nach einer Haltung, die Brüdern und Schwestern eigen ist und die Versuchung zu Gewalt und Krieg zu vertreiben vermag."

n. Friede ist möglich In Kapitel 2 wiederholt der Papst, was schon Paul VI. eindringlich gesagt hat: Der Friede ist möglich. "Er muss als ein Geschenk Gottes erfleht, aber auch mit seiner Hilfe Tag für Tag durch Werke der Gerechtigkeit und Liebe aufgebaut werden." Hier geht es nicht um eine Utopie, als könnte die Welt durch menschliche Leistung in ein Paradies verwandelt werden. Es geht

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vielmehr um einen christlichen Realismus, der um das Gewicht des Bösen trotz prinzipieller Erlösung der Welt durch Jesus Christus weiß; der die Lehre von der Erbsünde und die anthropologischen Hinweise auf die menschliche Triebstruktur ernst nimmt und dennoch nicht kapituliert. Der Dienst am Frieden braucht Geduld und Zähigkeit. Er gleicht, nach einem in anderem Zusammenhang gesprochenen Wort Max Webers, dem "Bohren harter Bretter". Der Papst verweist auf die komplexen Probleme, "die den Weg zum Frieden steinig, ja zu einem oft entmutigenden Vorhaben machen", verweist aber zugleich auf das tiefe Bedürfnis nach Frieden "im Herzen eines jeden Menschen". Gott hat die Menschheit, "so sehr sie auch von der Sünde, von Hass und Gewalt gezeichnet ist, dazu berufen ... eine einzige Familie zu bilden". Es bedarf einer "Kultur gegenseitigen Austausches, in der es um Öffnung für das Transzendente, um Förderung des Menschen und um Achtung vor der Natur geht".

m. Kriege bringen keinen nachhaltigen Gewinn Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es weltweit einige hundert Kriege gegeben. Manche dienten einer unvermeidlichen Verteidigung, und der Papst sagt dazu: "Mitunter war es notwendig, der brutalen systematischen Gewallt, die sogar auf die völlige Ausrottung oder Versklavung ganzer Völker abzielte, bewaffneten Widerstand zu leisten." Im Ganzen gilt aber jedenfalls, dass Kriege häufig Ursachen weiterer Kriege sind und die "Menschlichkeit als Verlierer" zurückbleibt, weil diese Kriege tiefe Hassgefühle nähren, Unrechtssituationen schaffen und Würde wie Rechte der Menschen mit Füßen treten (3). Vor der dunklen Folie des globalen Kriegsszenarios im 20. Jahrhundert leuchtet umso heller der Beitrag unzähliger "Peacemaker", die "im Interesse des Friedens gesprochen und gehandelt haben": Es waren Kämpfer für Menschenrechte, wahre Demokratie und Gewaltlosigkeit, wofür manche auch das Martyrium auf sich genommen haben. "Peacemaker" waren auch jene Männer und Frauen, deren Einsatz auf allen Gebieten von Wissenschaft und Technik großartige Fortschritte ermöglicht hat, was die Überwindung schrecklicher Krankheiten sowie die Verbesserung der Lebensqualität und höhere Lebenserwartung erlaubte. Der Papst würdigt in diesem Zusammenhang auch seine Amtsvorgänger im 20. Jahrhundert: Sie haben die Kirche "bei der Förderung einer Kultur des Friedens gelenkt" (Kap. 4). 16 Johannes Paul II.

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Egon Kapellari Iv. Chancen einer Globalisierung

Unbeirrt von der düsteren Diagnose des Thomas Hobbes, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei, drängt der Papst darauf, die ursprüngliche Berufung der ganzen Menschheit wieder zu entdecken, derzufolge sie eine einzige Familie sein soll, "in der die Würde und die Rechte der Personen jeden Standes, jeder Rasse und jeder Religion als vorgängig und vorrangig gegenüber jeglicher Unterschied und Art anerkannt werden. Von diesem Bewusstsein kann die von der Dynamik der Globalisierung gekennzeichnete Verflochtenheit unserer heutigen Welt Seele, Sinn und Richtung erhalten. In diesen Entwicklungen, die freilich nicht ohne Risiken sind, liegen gerade im Hinblick darauf, dass aus der Menschheit eine auf den Werten von Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität gegründete einzige Familie entstehen soll, außerordentliche und vielversprechende Chancen" (5). Diese Chancen, so betont der Papst, sind freilich gebunden an eine Umkehr der Sichtweise. Das Wohl der ganzen Menschheit muss über dem Wohl von Gemeinschaften stehen, die auf politischen Gründen, Massenzugehörigkeit oder kulturellen Motiven aufbauen. Nation oder Staat, politische, kulturelle Unterschiede, in die sich die Menschheit aufgliedert, müssen mit der Zugehörigkeit zur Menschheitsfamilie und den daraus resultierenden sittlichen und rechtlichen Forderungen vereinbar sein. "Verbrechen gegen die Menschlichkeit können dann nicht mehr als interne Angelegenheiten einer Nation betrachtet werden" (7). Der Papst begrüßt die Errichtung eines internationalen Gerichtshofes, der über solche Verbrechen befinden soll. Zahlreiche kriegerische Konflikte entstehen heute nicht zwischen den Staaten, sondern innerhalb der Staaten selbst. Sie machen die Zivilbevölkerung zu Opfern und oft auch zu Mördern anderer Zivilpersonen. Alle diese schrecklichen Szenarien rufen nach humanitärer Hilfe für die leidende Zivilbevölkerung, nach Vermittlungs- und Befriedungskationen und im Extremfall auch zur Einmischung aus humanitären Gründen mit dem Ziel, einen Aggressor zu entwaffnen. Dabei ist freilich das internationale Recht voll zu achten und als Organisationskriterium zum Wohl der Menschheit weiterzuentwickeln (12).

V. Soziales Elend verhindert den Frieden

Von den 6 Milliarden Menschen, die unsere Erde bevölkern, leben mehr als eine Milliarde und 400 Millionen in äußerster Armut (17). Ohne eine wachsende Solidarität aus dem Wissen um die universale Bestimmung der

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Güter der Erde besonders zum Wohl der schwächsten Glieder der Gesellschaft wird es keinen dauerhaften Frieden geben (13), schreibt der Papst. Es ist eine IDusion zu glauben, man könne das Recht auf Frieden als Abwesenheit von Krieg durchsetzen ohne zugleich das Recht auf eine solidarische Entwicklung zu achten. Milliarden von Armen haben "das Recht, an der Nutzung der materiellen Güter teilzuhaben und ihre Arbeitsfähigkeit einzubringen, um eine gerechtere und für alle glücklichere Welt aufzubauen". Der päpstliche Appell an die vielen Nationen zu weltweiter Solidarität gipfelt in den bewegenden Worten: "Sehen wir die Armen nicht (nur) als ein Problem an! Sie können in unseren Augen zu Trägem und Vorkämpfern einer neuen, einer menschlicheren Zukunft für die ganze Welt werden" (14). Dies verlangt freilich auch ein Umdenken in der Wirtschaft im Blick auf die Probleme von Armut, Frieden, Ökologie und Zukunft der Jugend. Der Papst spricht das Unbehagen auch vieler Wirtschaftsexperten an, angesichts der Rolle des Marktes, der alles durchdringenden Währungs- und Finanzdimension und des Auseinanderklaffens von ökonomischem und sozialem Bereich: "Vielleicht ist die Zeit für eine neue und vertiefte Reflexion über den Sinn der Wirtschaft und ihrer Ziele gekommen" (15). Wirtschaft und Politik sollen auf das Wohl des Menschen in seiner Ganzheitlichkeit zielen. Davon hängt letztendlich auch der wirtschaftliche Erfolg ab. Mit dem Thema Wirtschaft verbinden sich nationale wie globale Perspektiven. Papst Paul VI. hat in der Enzyklika "Populorum progressio" das geflügelte Wort geprägt: "Entwicklung ist ein anderer Name für Frieden". Auch die Friedensbotschaft von Johannes Paul II. zum Millennium stellt eindringlich die Frage, für welche Entwicklungsmodelle man sich ange~ sichts von Hunger, Unterernährung, Krankheiten, Analphabetismus und Verfall der Umwelt entscheiden solle (17). Unverzichtbar für die Lösung dieser Probleme sind die Bildung des Gewissens für universelle moralische Werte und die Bildung von Allianzen im internationalen Dialog (18). VI. Friedensstifter

"Selig die Friedensstifter, denn sie werden Kinder Gottes heißen" sagt Jesus in der Bergpredigt (Mt 5, 0). Der Papst nennt im vorletzten Kapitel seiner Weltfriedensbotschaft für das Jahr 2000 sieben Gruppen von Menschen, von welchen Herausragendes für den Frieden schon getan wird oder getan werden könnte (22). Es sind dies Eltern, Lehrer, Männer und Frauen in der Arbeitswelt, Regierende, Mitglieder internationaler Organisationen, Mitglieder regierungsunabhängiger Organisationen (NGOs) und religiös Glau16'

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bende, besonders auch durch den ökumenischen und interreligiösen Dialog. Im Schlusskapitel spricht der Papst die Jugendlichen an. Den durch Kriege verstörten jungen Menschen sagt er: "'I'ut Euer Möglichstes, um auf den Weg der Versöhnung und Vergebung zurückzufinden! Dieser Weg ist steinig. Doch es ist der einzige Weg, der es Euch erlaubt, hoffnungsfroh in die Zukunft zu blicken für Euch, für Eure Kinder, Eure Länder und für die ganze Menschheit" (22). Vß. Pax Europaea -Pax Christi

Nach zwei furchtbaren Weltkriegen, die von Europa ausgegangen waren, haben vor allem Katholiken wie Robert Schuman und Konrad Adenauer das Projekt "Vereintes Europa" in Gang entwickelt und in Gang gesetzt. Die gemeinsame Produktion von Kohle und Stahl, Grundlagen für die damalige Rüstungsindustrie, sollte Staaten wie Deutschland und Frankreich, die gegeneinander Krieg geführt hatten, in Zukunft vor einem solchen Krieg bewahren. Diese Wirtschaftsunion wurde indessen enorm ausgeweitet und entwickelt sich zu einer immer umfassenderen politischen Union. Eine solche Union wird aber nicht Bestand haben, wenn ein zum geflügelten Wort gewordenes Postulat des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors missachtet wird. Der Sozialist und Katholik Delors hat gesagt "Europa braucht eine Seele". An dem, was hier metaphorisch "Seele" genannt wird, hatte das Christentum seit seiner Einwurzelung in Europa den wohl am stärksten prägenden Anteil. Mit einer anderen Metapher, die der Welt der Finanzen entlehnt ist, kann man vielleicht sagen, das Christentum sei die "Leitwährung" Europas. Das Gedeihen einer sich ausbreitenden "Pax Europaea" wird im 21. Jahrhundert wesentlich davon abhängen, wie stark hier die PAX CHRISTI ist. Weit entfernt von Rom, dem damaligen Zentrum politischer Weltmacht, und auch abseits von Griechenland, dem damaligen Quellgrund großer Philosophie und Kunst, ist Jesus leise in die Geschichte eingetreten, von dem die Christen glauben, dass er zugleich die höchste Aufgipfelung des Menschseins und die radikalste Selbstentäußerung Gottes in Welt und Geschichte hinein war und bleibt. Fremd war das Kind von Bethlehem an den 'lUren der Menschen, und als Fremder ist der Mann von Nazareth draußen vor den Toren der Stadt Jerusalem gekreuzigt worden. Auch heute ist er an vielen 'lUren in Europa nicht willkommen und unsere Epoche wird von vielen als eine nachchristliche angesehen. Aber auch heute hat er in Millionen von Häusern und Herzen auf

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diesem Kontinent Europa Heimat, und jene Christen, die wirklich aus seiner Kraft leben, sind ein Großteil von dem, was man metaphorisch die Seele Europas nennt. "Wo ist dein Reich?" hat der römische Prokurator Pontius Pilatus Jesus gefragt, der ihm wehrlos, aber in stummer Würde gegenüberstand. Wo ist dein Reich?- die Antwort Christi auf diese Frage lautet: Mein Reich ist in euch, wenn ihr wirklich an mich glaubt, und es ist zugleich die Klammer, die euch als Kirche verbindet. Dieses Reich Christi ist so stark wie ein Kind, das stark ist durch seinen Charme. Und es ist so schwach wie ein Kind, gemessen an seiner geringen physischen Kraft. Die "Magna Charta" dieses Reiches ist die Bergpredigt. Mit der Bergpredigt kann man keinen Staat regieren, hat ein Staatsmann im 19. Jahrhundert zu Recht gesagt. Dem ist aber hinzuzufügen: Ohne reichlich vorhandene Spurenelemente gelebter Bergpredigt verkommen eine Gesellschaft und ein Staat zu einer Räuberbande, wie Augustmus gesagt hat. Unsere sogenannte postmoderne Gesellschaft ist geprägt durch viel Beliebigkeit. Der sie tragende ethische Grundkonsens ist schmäler geworden und schmilzt anscheinend noch weiter ab. Wir leben in vieler Hinsicht gefährlich und in erheblichem Maße auch auf Kosten künftiger Generationen. Eine unbändige Unterhaltungssucht verdeckt für viele den Anspruch auf rettende Umkehr zu Wesentlichem. Die Kirche kann ihre spirituellen Energien in dieser Situation nur beschränkt einsetzen, weil man sie von außen und oft auch von innen auf zweitrangige Strukturprobleme fixiert. Wer sie in Ruhe wirken und helfen lässt, der hilft indirekt der ganzen Gesellschaft. An der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend soll aber nicht die Klage dominieren, sondern ein hoffnungsvoller Realismus. "Ich will euch Hoffnung und Zuversicht geben!" (Jer 29,11) lautet eine der großen biblischen Zusagen Gottes an sein Volk. "Friede den Menschen auf Erden, die Gott liebt" (Lk 2,14),1autet eine andere dieser Zusagen an der Schwelle zu einerneuen Epoche, zu einem neuen Aion. "Du bist von Gott geliebt", sagt der Papst zu jedem Christen, zu jedem anderen Menschen, der es hören kann und will, an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend christlicher Zeitrechnung.

II. BEITRÄGE ZUR KATHOLISCHEN SOZIALLEHRE

DER SCHUTZ DES LEBENS UND DER FRIEDE Wolfgang Waldstein Nach den Greueln des Zweiten Weltkrieges haben die Vereinten Nationen am 10. Oktober 1948 eine "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" verkündet. In der Präambel zu dieser Erklärung wird als erster Grund für deren Verkündigung angeführt, daß "die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet". Im zweiten Absatz wird festgestellt, daß "Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben". Im dritten Absatz wird hervorgehoben, daß "es wesentlich ist, die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechtes zu schützen" .1 Aus diesen Aussagen ergibt sich bereits ganz allgemein die Bedeutung der Menschenrechte auch für den Frieden. Weil das Recht auf Leben das grundlegendste Menschenrecht ist, von dessen Schutz gleichzeitig der Schutz aller anderen Menschenrechte abhängt, ist es auch für den Frieden von größter Bedeutung. Daher hat auch Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Evangelium vitae unter anderem festgestellt: "Es kann in der Tat keine echte Demokratie geben, wenn nicht die Würde jeder Person anerkannt wird und seine Rechte nicht respektiert werden. I ( I kennzeichnet den Beginn eines neuen Absatzes im Originaltext) Und es kann auch keinen wahren Frieden geben, wenn man nicht das Leben verteidigt und fördert. Daran erinnert Paul VI.: ,Jedes Vergehen gegen das Leben ist ein Attentat auf den Frieden, besonders wenn dabei die Sitten des Volkes verletzt werden [ ... ]. Wo aber die Menschenrechte wirklich ernst genommen und öffentlich anerkannt und verteidigt werden, dort kann der Friede zu einer Atmosphäre werden, in der sich das soziale Zusammenleben glücklich und wirkungsvoll entwickelt'. " 2 Wie bereits erwähnt, stellt die Präambel der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" fest, daß "die Anerkennung der allen Mitgliedern der 1 Angedruckt bei Hans R. Klecatsky I Siegbert Morscher, Das Österreichische Bundesverfassungsrecht, 3. Aufl. 1982, S. 1052. 2 Evangelium vitae 101, Hervorhebungen im Original.

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menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet". Daher möchte ich im folgenden zunächst 1. etwas näher auf die Frage eingehen, was dies konkret für das unveräußerliche Recht auf Leben bedeutet. Dann möchte ich 2. den Zusammenhang zwischen dem Schutz des Rechtes auf Leben und dem Frieden besonders an Hand einiger wichtiger Aussagen der Enzyklika Evangelium vitae aufzeigen. Schließlich will ich 3. die Ergebnisse kurz zusammenfassen.

I. Das unveräußerliche Menschenrecht auf Leben

Es bedarf keiner näheren Begründung, daß es im vorgegebenen Rahmen nicht möglich ist, die vielfältigen Aspekte dieser Frage zu behandeln. 3 Einen guten allgemeinen Überblick gibt Felix Ermacora. 4 Er geht auch auf Art. 2 EMRK und Art. 6 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ein. 5 Ermacora sagt dazu: "Art. 6 Pakt begründet ein dem ,menschlichen Wesen' (human being) inhärentes Recht auf Leben. Die Formulierung ,human being' bestimmt einen (im Verhältnis zu Art. 2 EMRK) umfassenderen persönlichen Geltungsbereich. Er schließt zweifelsfrei das ungeborene Leben mit ein". 6 Dazu wird auf§ 22 ABGB verwiesen, derbestimmt: "Selbst ungeborene Kinder haben von dem Zeitpunkte ihrer Empfängnis an einen Anspruch auf den Schutz der Gesetze. Insoweit es um ihre 3 Ausführlichere Darlegungen bei Wolfgang Waldstein, Das Menschenrecht zum Leben, Beiträge zu Fragen des Schutzes menschlichen Lebens (Schriften zum öffentlichen Recht Band 423), Berlin 1982, künftig abgek. zitiert: Menschenrecht; ders., Lebensschutz und Rechtsstaatlichkeit, in: Der Status des Embryos, Wien 1989, S. 174184; ders., Vita e vita sociale: pluralismo e regole sociali, in: Quale vita? La bioetica in questione, A cura di Angelo Scala, Mondadori Editore, Milano 1998, S. 323-347, dort besonders ab S. 340; ders., Zur Stellung des nasciturus im römischen Recht, in: Abonis bona discere, Festgabe für Jänos Zlinszky zum 70. Geburtstag, hrsg. von Orsolya M. Peter/Bela Szab6, Miskolc 1998, S. 41-61; ders., Pluralistische Gesellschaft und Naturrecht, in: Wolfram Ellinghau.s (Hrsg.): Universelle Werte, Für Toleranz, Gegen orientierungslosen Pluralismus (Pädagogische Schriftenreihe Band 4), Harsewinkel 1999, S. 49-68; und ders., The "good" of the patient, in: The Dignity of the Dying Person, Proceedings of the Fifth Assembly of the Pontifical Academy for Life, Edited by Juan de Dios Vial Correa and Elio Sgreccia, Citta del Vaticano 2000, S. 344-347. In diesem Band zahlreiche weitere Beiträge zu Fragen des Schutzes des menschlichen Lebens. In allen genannten Beiträgen zahlreiche weitere Hinweise auf Lit. Besonders hinweisen möchte ich auf die Zeitschrift für Lebensrecht, hrsg. von der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e. V. und auf Rainer Beckmann, Der Streit um den Beratungsschein, Würzburg 2000, mit einer umfangreichen Dokumentation aller wichtigen Dokumente im Anhang. 4 Grundriß der Menschenrechte in Österreich, dort das dritte Kapitel: "Das Recht aufLeben", S. 50-55. 5 In Österreich veröffentlicht im BGBl. 1978 I 591. 6 Grundriß S. 51. Die Hervorhebungen sind im Original in Fettdruck.

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und nicht um die Rechte eines Dritten zu tun ist, werden sie als Geborene angesehen". Dieser Anspruch wird durch Art. 2 EMRK und Art. 6 Pakt bekräftigt. Ermacora sagt: "Beide Normen verlangen für dieses Recht einen ,gesetzlichen Schutz'. Beide Normen verbieten die Vornahme einer willkürlichen Tötung". 7 Art. 2 Abs. 1 EMRK lautet in der nicht authentischen deutschen Fassung: "Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt." Die authentischen Fassungen in Englisch und Französisch stellen jedoch, ähnlich wie Art. 6 Pakt, mit "everyone" und "toute personne" 8 auf das menschliche Subjekt allgemein ab. Dementsprechend hat das deutsche Bundesverfassungsgericht in seiner wichtigen Entscheidung vom 25. 2. 1975 zur "Fristenlösung" zu dem mit Art. 2 Abs. 1 EMRK sachlich übereinstimmenden Art. 2 Abs. 2 Satz 1 verdienstvoll festgestellt: "Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt auch das sich im Mutterleib entwickelnde Leben als selbständiges Rechtsgut". 9 Dagegen hat die damalige Österreichische Bundesregierung in ihrer Äußerung zum Antrag der Salzburger Landesregierung10 mit einer Interpretation in fraudem legis 11 aus der Tatsache, daß in § 22 das Wort "Mensch" nicht vorkomme, abgeleitet, daß Regelungen, welche die Qualität "Mensch" voraussetzen, wie Art. 2 EMRK, auf den Ungeborenen nicht anwendbar seien. 12 "Mensch" könne nur den geborenen Menschen bezeichnen.13 Dieser Interpretation hat sich der Österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) angeschlossen. Ermacora stellt in seiner allgemeinen Würdigung zum "Fristenlösungs-Erkenntnis" des VfGH fest: "Es gibt keine 7 Grundriß 51. Auch hier die Hervorhebung im Original in Fettdruck. a Vgl. untenAnm.13. 9 BVerfGE 39 (1975), Nr. 1, S. 36. 10 Antrag vom 15. März 1974 "auf Aufhebung des § 97 Abs. 1 Z. 1 des Strafgesetzbuches ... wegen Verfassungswidrigkeit", abgedruckt bei Waldstein, Menschenrecht 131-149; Äußerung der Bundesregierung vom 21. Mai 1974 dort 150-163. 11 Vgl. Paul. dig. 1, 3, 29: Contra legem facit, qui id facit, quod lex prohibet, in fraudem vero, qui salvis verbis legis sententiam eius circumvenit. 12 Waldstein, MenschenrechtS. 38. 13 Dazu eingehend Waldstein, Menschenrecht (Anm. 3), 52 ff. und 135 f. Der dort 136 wiedergegebene au thentische Text lautet in Englisch: "Everyone's right to life shall be protected by law"' in Französisch: "Le droit de toute personne a la vie est protege par la loi". Dazu dort eingehend die Ausführungen der Salzburger Landesregierung in ihrem Antrag vom 15. März 1974 an den Verfassungsgerichtshof, "§ 97 Abs. 1 Z. 1" des StGB 1974 (betreffend die "Fristenlösung") "wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben" (vgl. dort 131). Im römischen Recht bestand kein Zweifel, daß "everyone" und "toute personne" auch das ungeborene Kind umfaßt. So formuliert etwa der hochklassische Jurist Julian in dig. 1, 5, 26: "Die im Mutterschoße (in utero) sind, werden fast im ganzen Bereich der Rechtsordnung als existierende Personen angesehen", dazu Waldstein, Das Menschenrecht 20 ff.; dazu ders., The legal Position of the Unborn Child in Roman Law, in: Identity and Statute of Human Embryo, Proceedings of Third Assembly of the Pontifical Academy Fbr Life, edited by Juan de Dios Vial Correa and Elio Sgreccia, Citta del Vaticano 1998, S. 405-410.

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sachliche Rechtfertigung für diese Erkenntnis eines Höchstgerichts in Mitteleuropamit jenen Traditionen, die der Präambel der EMRK verpflichtet sind. Das Erkenntnis hat gesellschaftsändernden Bestrebungen einer einfachen Parlamentsmehrheit Rechnung getragen" .14 Wenn man die vermeintliche persönliche oder nationale Nützlichkeit zum entscheidenden Maßstab erhebt, wird, wie schon in der Antike erkannt wurde, die Gerechtigkeit umgestürzt. Der Maßstab für das, was man für sich als gerecht ansieht, ist dann in der Tat rein subjektiv. Wie bereits Cicero klar gesehen hat, kann es dann aber überhaupt keine Gerechtigkeit geben. Sie hängt in ihrem Bestand von der Objektivität ihres Maßstabes ab. Auch dies hat schon Cicero an Hand zahlreicher Beispiele illustriert. So sagt er in seinem Werk über die Gesetze: "Es ist ein Recht, durch das die menschliche Gesellschaft zusammengehalten wird, und dieses ist durch ein Gesetz festgesetzt; dieses Gesetz ist die richtige Ordnung15 des Befehlens und Verbietens; wer es nicht kennt, der ist ungerecht, gleichgültig ob dieses Gesetz irgendwo aufgeschrieben ist oder nicht". 16 Dann sagt er weiter: "Wenn das Recht durch Volksbeschlüsse, Erlasse der Fürsten oder Entscheidungen von Richtem begründet würde, dann wäre es Recht zu rauben, Recht die Ehe zu brechen, Recht, falsche Testamente zu unterschieben, wenn das durch Abstimmungen oder Verordnungen der Menge gutgeheißen würde .... In Wahrheit können wir jedoch ein gutes Gesetz von einem schlechten nach keiner anderen Norm als jener der Natur unterscheiden" .17 Ich mußte bereits bei verschiedenen Gelegenheiten darauf hinweisen, daß es nicht ein NS-Jurist war, sondem der angesehene deutsche Strafrechtslehrer der Weimarer Zeit Karl Binding, der bereits 1920 für "die Tötung unheilbarer Kranker und Blödsinniger" eingetreten ist, weil "Volksvermögen und Arbeitsaufwand durch die Pflege solcher ,Ballastexistenzen' produktiven Zwecken entzogen würden" 18 • Hier wird die nationale Nützlichkeit 14 Grundriß S. 55. HelVorhebungen im Original in Fettdruck. Ermacora drückt dort auch Zustimmung zu meiner Kritik an diesem Erkenntnis (bes. Menschenrecht 58-66) aus. 15 Cicero verwendet hier wie an anderen Stellen den Ausdruck recta ratio, der gewöhnlich mit "gesunde Vernunft" oder ähnlich übersetzt wird. Ratio hat jedoch in vielen Texten zweileilos auch die Bedeutung von Ordnung, Regel, wofür ich hier nicht den Beweis im einzelnen führen kann. 16 Cic. leg. 1, 42. Der lateinische Text lautet: est enim unum ius, quo devincta est hominum societas, et quod lex constituit una; qua lex est recta ratio imperandi atque prohibendi; quam qui ignorat, is est iniustus, sive est illa scripta uspiam sive nusquam. 17 Cic.leg. 1, 43. 16 Vgl. Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933-1940, München 1988, S. 497. Titel der Originalschrift Karl Binding und Alfred Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Fbrm, Leipzig 1920.

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zum absoluten Maßstab erhoben. Die NS-Diktatur brauchte daraus nur die Konsequenzen zu ziehen. Es dürfte erhellend sein, hier einige Äußerungen von Binding im Wortlaut zu zitieren, zumal seine Schrift nicht leicht erreichbar sein dürfte. Binding spricht vom "Maß von oft ganz nutzlos vergeudeter Arbeitskraft, Geduld, Vermögensaufwendung, um lebensunwerte Leben so lange zu erhalten, bis die Natur- oft so mitleidslos spät- sie der letzten Möglichkeit der Fortdauer beraubt" und von der "Pflege nicht nur absolut wertloser, sondern negativ zu wertender Existenzen" (S. 27). Er sagt über die "unheilbar Blödsinnigen": "Ihr Leben ist absolut zwecklos, aber sie empfinden es nicht als unerträglich. Für ihre Angehörigen wie für die Gesellschaft bilden sie eine furchtbar schwere Belastung.... Da sie großer Pflege bedürfen, geben sie Anlaß, daß ein Menschenberuf entsteht, der darin aufgeht, absolut lebensunwertes Leben für Jahre und Jahrzehnte zu fristen. Daß darin eine furchtbare Widersinnigkeit, ein Mißbrauch der Lebenskraft zu ihrer unwürdigen Zwecken, enthalten ist, läßt sich nicht leugnen." Er sagt dann weiter: "Wieder finde ich weder vom rechtlichen, noch vom sozialen, noch vom sittlichen, noch vom religiösen Standpunkt aus schlechterdings keinen (sie! Die offensichtlich irrtümliche doppelte Verneinung führt ungewollt zum Gegenteil der ausgedrückten Meinung) Grund, die Tötung dieser Menschen, die das furchtbare Gegenbild echter Menschen bilden, ... , freizugeben." Dann kommt eine Aussage, die den Begriff der Sittlichkeit selbst vollkommen pervertiert: "In Zeiten höherer Sittlichkeit - der unseren ist aller Heroismus verloren gegangen - würde man diese armen Menschen wohl amtlich von sich selbst erlösen. Wer aber schwänge sich heute in unserer Entnervtheit zum Bekenntnis dieser Notwendigkeit, also solcher Berechtigung auf" (alles S. 31 f.). Nun, die "Herrenmenschen", die den von Binding gemeinten "Heroismus" und die "höhere Sittlichkeit" hatten, ließen nicht lange auf sich warten. Der Nationalsozialismus hat das Programm Bindings in die Tat umgesetzt. Aber nicht nur der Nationalsozialismus hat sich dieser Ideen bedient. Ein Internationales Ärztliches Bulletin, Zentralorgan der Internationalen Vereinigung Sozialistischer Ärzte, hat die Ideen Bindings in einem Beitrag zum Thema: "Vernichtung lebensunwerten Lebens" aufgenommen19 . Zunächst wird darauf hingewiesen, daß "der Berner Stadtarzt Dr. Hauswirth im Großen-Rat diese Frage angeschnitten hat. Damit löste er einen großen Sturm 19 Als Verfasser zeichnet Dr. F. Limacher, Bern. Erscheinungsort Prag, Nummer 12, Dezember 1934, neu abgedruckt in: Florian Tennstedt/Christian Pross/Stephan Leibfried, Beiträge zur Nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik: 7, Internationales Ärztliches Bulletin, Zentralorgan der Internationalen Vereinigung Sozialistischer Ärzte Jahrgang I- VI (1934-1939) Reprint, Berlin 1989, S. 181-183.

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der Entrüstung aus, der den Grundton heuchlerischer Reaktion deutlich gezeigt und der sich in gouvernementalen Kreisen bis heute noch nicht ganz gelegt hat." Der Verfasser fügt dann hinzu: "Dies ist auch nicht zu verwundern, denn noch nie sind in der Weltgeschichte neue Ideen aufgetaucht, die logisch so verankert sind, daß man ihnen mit realen Gründen nicht beikommen könnte, die aber aus reaktionären Gründen fanatisch bekämpft wurden." Dafür wird dann das Beispiel der Verurteilung Galieis durch den Papst angeführt. Am Ende wird Ärzten und Juristen die Schrift von Binding/Hoche "bestens zum Studium empfohlen", mit dem ahnungslosen Zusatz: "insofern die Auflage von den Machthabern im Dritten Reich nicht vernichtet worden ist." Der Verfasser jenes Beitrages wußte nicht, daß gerade der Nationalsozialismus diese Ideen in die Tat umsetzen würde. Anläßlich der großartigen Feiern zum 6. Juni des Jahres 1995, dem 50. Jahrestag des Beginnes der Befreiung Europas von der NS-Diktatur, wurde darauf hingewiesen, daß dies die entscheidende Wende zur Schaffung des neuen Europa in Freiheit und Frieden war. Soweit ich die Reden verfolgen konnte, wurde mit keinem Wort auf das Problem hingewiesen, daß eben dieses Europa inzwischen Verbrechen des Nationalsozialismus, die dieser nicht offen durch gesetzliche Regelung begehen konnte, sondern nur heimlich und durch Geheimerlasse des Führers, nun auf der Grundlage demokratischer Gesetzgebung ganz offen begeht. In dieser Freiheit und in diesem Frieden sind inzwischen mehr Menschen getötet worden als in den beiden Weltkriegen zusammen. Leiber völlig unschuldiger, hilfloser, allein dem Schutz anderer Menschen ausgelieferter Menschen werden mit bewußter und kalter Präzision zerstückelt und landen im Mülleimer. Sind das nicht ungeheure Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Menschenrechte, die in der Vernichtung unerwünschter Menschen selbst den Grausamkeiten des Balkankrieges in der Sache nicht nachstehen, an Zahlen aber weit übersteigen? Wie gesagt, der Nationalsozialismus konnte das noch nicht offen zulassen. Das Gewissen des deutschen Volkes war damals noch so wach, daß man selbst die auf eugenische Indikation beschränkte Abtreibung nur auf der Grundlage eines Geheimerlasses des Führers durchführen konnte. Und heute? Wenn man es heute wagt, auf das Unrecht gegenüber diesen Menschen hinzuweisen, kann man wütenden Reaktionen begegnen, die das "Recht auf Abtreibung" selbst über das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung stellen. Es darf darüber nicht gesprochen werden, weil man sich in seinem "guten Gewissen" nicht stören lassen will. Weil man es will, hält man es für gerecht. Inzwischen ist in den Niederlanden der logisch nächste Schritt vollzogen worden. Es ist ganz klar, daß die prinzipielle Preisgabe des Lebensschutzes an einer Stelle alles weitere zur Frage der Zweckmäßig-

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keit macht. Damit ist nun ganzEuropaund die ganze Welt der Verwirklichung dessen näher gekommen, was bereits 1975 auf einem an der Universität Bielefeld veranstaltetes Symposion erklärt wurde. Damals wurde bereits "die Schaffung von völlig neuen Körperschaften zur Entscheidungsfindung" vorgeschlagen, die "ähnlich wie Geschworenengerichte ... über Leben und Tod" zu entscheiden hätten. Dies wäre ein Weg "zur WiederbelebUng demokratischer Entscheidungsfindung", der "dazu helfen könnte, die neuen gesellschaftlichen Verantwortungsbereiche zu verteilen, die uns die moderne Wissenschaft aufzwingt: die Verantwortung dafür, daß wir den ,lieben Gott' spielen "20 • In diesen Worten eines wohl niederländischen Teilnehmers an jenem Symposion ist genau die Antithese zu jenem Grundwert ausgedrückt, der im deutschen Grundgesetz von 1949 die erklärte Grundlage der dort verankerten Menschenrechte darstellt und in der Präambel mit den schlichten Worten ausgedrückt wird: "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ... hat das deutsche Volk ... dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen". Schon 1980 hat Ethel L. Behrendt in einer eingehenden und überaus beachtenswerten Untersuchung mit dem Titel "Gott im Grundgesetz, Der vergessene Grundwert ,Verantwortung vor Gott'" 2 \ die seitherige Entwicklung analysiert. Der Befund läßt die schrittweise Verdrängung dieses Grundwertes klar erkennen, mit dem eine menschenwürdige Ordnung gesichert werden sollte22 • Keine dreißig Jahre später konnte statt der "Verantwortung vor Gott" bereits "die Verantwortung dafür, daß wir den ,lieben Gott' spielen", gefordert werden. In den Niederlanden sind inzwischen auch bereits die praktischen Folgerungen aus dieser Theorie gezogen worden.

20 N. N. Kittrie, in: Albin Eser (Hrsg.), Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem. Medizin und Recht 1, 1976, S. 390. 21 München, Verlag Meta A. Behrendt, 1980. 22 Dies wird vor allem durch die Ausführungen des Abgeordneten Süsterhenn verdeutlicht, über die Behrendt (vorige Anm.) 38 f. folgendes berichtet: "Er sprach davon, daß diese Präambel ,Direktionskraft' haben müsse, daß sie von einem ,bestimmten Geist getragen' sein müsse, wenn sie in Anspruch nehme, ,das Volk zu großen geistigen Entscheidungen aufzurufen'; die Präambel müsse ,diese geistige Ausrichtung' geben, diese sittliche, ethische Qualifikation'. Nur mit so verstandener Direktionskraft vermöge sie zu verhindern, daß die zentralen Gedanken des Grundgesetzes ,einfach durch Mehrheitsentscheide beseitigt werden könnten' .... So sei die Zusammenstellung der ,konstitutiven Faktoren' in der Präambel (R. Schmidt, V. Mangoldt) zwar durchaus nötig, aber die Verankerung der ewigen menschlichen Freiheitsrechte im Metaphysischen - in der Präambel und in Art. 1 GG - sei gleichwohl unverzichtbar. Um diese zusätzliche Verankerung zu gewährleisten, forderte Süsterhenn als erster und mit dem Rechtfertigungsbemühen an erster Stelle bleibend die Aufnahme einer invocatio dei in die Präambel des Grundgesetzes. I Mit diesen Argumenten überzeugte er - über Parteigrenzen hinweg."

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Robert M. Byrn hat bereits 1973 die dahinter stehende Ethik als die menschenmörderische Hochmagik einer Ethik der Lebensqualität genannt. Er sagt, die amerikanische Jurisprudenz ist mit der Zulassung der Abtreibung in dieser Ethik untergetaucht. Der Magier wisse es am besten. Er bietet uns la dolce vita, auch wenn es uns tötet, oder jedenfalls die unter uns tötet, die so unbequem abhängig und lästig sind, daß sie unserem "guten Leben" im Wege stehen23 • Daß jeder von uns eines Tages zu diesen Menschen gehören kann und wohl auch wird, wenn wir zu alt werden, ist keine Horrorvision mehr. Wenn die objektive Gerechtigkeit einmal preisgegeben ist, kann es auch keine unantastbaren Menschenrechte mehr geben. Die Menschheit fällt in jene Barbarei zurück, vor der die Menschenrechtserklärungen und Konventionen nach dem zweiten Weltkrieg schützen sollten. Das vielleicht beschämendste Beispiel dieser Entwicklung ist die Diskussion um den Art. 1 der 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossenen Konvention über die Rechte des Kindes. Während die Deklaration von 1959 dem Kinde den gesetzlichen Schutz sowohl vor als auch nach der Geburt zugesichert hatte, konnte man sich dreißig Jahre später dazu nicht mehr durchringen, weil inzwischen fast alle Staaten die Abtreibung zugelassen hatten. Daher wurde der Begriff des Kindes nun vage definiert als jedes menschliche Wesen unter dem Alter von 18 Jahren24 . Damit bleibt offen, ob dies erst ab der Geburt oder schon vorher gilt. Die Diskussion hat aber schließlich zu dem Kompromiß geführt, daß die Formulierung aus der Erklärung von 1959, wo auf das Kind sowohl vor als auch nach der Geburt abgestellt ist, in die Präambel der Konvention von 1989 aufgenommen wurde. Dies gibt dann den Juristen Anlaß zu den sattsam bekannten Interpretationsmöglichkeiten25 . Die Intention ist erklärtermaßen, das 23 America (1973) 511. Die englischen Entsprechungen sind die "homicidal high magic of the quality-of-life ethic", und: "The magician knows best. He is going to give us la dolce vita even ü it kills us, or at any rate, kills those of us who are so inconveniently dependent and burdensome as tostandin the way of the good life". Vgl. auch Waldstein, Menschenrecht (oben Anm. 3) 94 mit Anm. 287. u Der englische Text lautet: "every human being below the age of eighteen years unless, under the law applicable to the child, majority is attained earlier". 25 Vgl. zur Diskussion den Bericht International Legal Materials, vol. XXVTII, nr. 6, November 1989, Introductory Note by Cynthia Price Cohen S. 1450. Es erscheint mir wichtig, hier den ganzen betreffenden Abschnitt wiederzugeben: "During the second reading, four areas emerged as what might be called ,hot topics' or highly controversial issues. These were the rights of the unborn child, ... The rights of the unborn child were an issue from the moment drafting began on the article 1 definition of the ward ,child' right through to the end of the second reading. There were delegations and NGO's which argued that the rights of the unborn were protected to some degree by the law of every State, regardless of its nationallaws relating to abortion, and that to ignore these protections by omitting reference to them in the Convention was patently disingenuous. The carefully worded compromise language of article 1 which defines a child simply as ,every human being ... ,' and leaves it to the State

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nun einmal praktizierte Unrecht den Staaten auch in dem Augenblick weiter unangetastet zu lassen, in dem man eigens eine Konvention über die Rechte des Kindes schafft. Damit ist der moralische Bankrott auch jener Organisation besiegelt, die nach dem zweiten Weltkrieg die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte herausbrachte. Diese spricht, wie bereits erwähnt, davon, daß "Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben". Weil sie heute das in dieser Hinsicht offenbar nicht mehr vorhandene Gewissen der Menschheit auch nicht mehr verletzten können, werden sie im Namen einer die Menschenrechte des Kindes betreffenden Konvention nun offiziell zugelassen. Irland, das mit Art. 40.3.3 seiner Verfassung eine Bestimmung hat, mit der das Recht des ungeborenen Kindes auf Leben uneingeschränkt anerkannt und dessen Schutz garantiert wird26 , konnte mit "Protokoll (Nr. 6) zum Vertrag über die Europäische Union und zu den Verträgen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (1992)" ein Übereinkommen über folgende Bestimmung erwirken, die dem Vertrag ... beigefügt wird: "Der Vertrag über die Europäische Union, die Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie die Verträge und Akte zur Änderung oder Ergänzung der genannten Verträge berühren nicht die Anwendung des Artikels 40.3.3 der irischen Verfassung in Irland'm. Nur so konnte Irland sicherstellen, daß es gegen Vertragsbestimmungen geschützt bleibt, die zur Einschränkung des Schutzes des Lebens ungeborener Kinder nötigen würden.

ll. Zur Bedeutung des Lebensschutzes für den Frieden

Es ist klar, daß der Entzug des Rechtsschutzes für bestimmte Gruppen von Menschen und die daraus resultierende straflose Tötung solcher Menschen in sich eine Mentalität erzeugt, in der die Achtung vor dem menschlichen Leben allgemein gemindert wird. Von dort aus ist der Schritt in die Grausamkeiten auch gegenwärtiger Kriege oder kriegsähnlicher Vorgänge Parties to give their own meaning to the words ,human being' according to their nationallegislation, was not specific enough to satisfy some delegations. A further compromise was finally hammered out during the second reading, when the Preamble to the Convention was expanded to include a paragraph quoting the 1959 Declaration which refers to ,appropriate legal protection, before as well as after birth' ". 26 Art. 40.3.3 1. Satz lautet: "The State acknowledges the right to life of the unborn and, with due regard to the equal right to lüe of the mother, guarantees in its laws to respect, and, as far as practicable, by its laws to defend and vindicate that right." 27 Vgl. Protokoll (Nr. 6), abgedruckt im Anschluß an den Text des Vertrages über die Europäische Union vom 7. Februar 1992, in der mirvorliegenden Ausgabe S. 267. 17 Johannes Paul II.

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fast auf der ganzen Welt jedenfalls kleiner geworden. Daher ist bereits in der Antike klar erkannt worden, daß wahre Gerechtigkeit, die nur auf der Grundlage von "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten" bestehen kann, die Grundlage des Gemeinwohls und des Friedens ist. Diese Menschenrechte wurden, wie der oben aus Ciceros Werk über die Gesetze zitierte Text zeigt (leg. 1, 42), im Naturrecht erkannt. Hier ist nicht der Ort, dies im Detail auszuführen. 28 Im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. bezeichnete die Pax Romana "die durch Rechtsnormen und ethische Grundwerte gesicherte Friedensordnung des Römischen Reiches". 29 Der hl. Augustmus hat in seinem Gottesstaat ein ganzes Kapitel dem Frieden gewidmet3°, den auch er auf dem Naturrecht (lex naturae) gegründet sieht. Nach der Darstellung des Friedens in verschiedenen Lebensbereichen sagt er: pax omnium rerum tranquillitas ordinis. Ordo est parium dispariumque rerum sua cuique loca tribuens dispositio (der Friede aller Dinge ist die Ruhe der Ordnung. Ordnung ist die Disposition, die gleichen und ungleichen Dingen den ihnen jeweils zukommenden Platz anweist). Dieser Aussage liegt deutlich die auf Platon zurückgehende und im römischen Recht aufgenommene Definition der Gerechtigkeit zugrunde, die bei Ulp. dig. 1, 1, 10, 1 in der Kurzform lautet: suum cuique tribuere31 • Der Katechismus der Katholischen Kirche kann auf der Grundlage dieser Erkenntnisse, die seit der Antike bis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und zur EMRK "ein gemeinsames Erbe an geistigen Gütern " 32 bilden, in Nr. 1909 erklären: "Zum Gemeinwohl gehört schließlich der Friede, das heißt die Dauerhaftigkeit und Sicherheit einer gerechten Ordnung. Es setzt somit voraus, daß die Autorität durch rechte Mittel die Sicherheit der Gesellschaft und deren Glieder gewährleistet." Damit ist klargestellt, daß der Friede eben in der "Dauerhaftigkeit und Sicherheit einer gerechten Ordnung" besteht. Zu einer gerechten Ordnung gehört aber ohne Zweifel als grundlegendste Voraussetzung der Schutz des menschlichen Lebens, wie der Katechismus besonders in den Nm. 2273-2279 klarstellt. In Nr. 2317 wird gesagt: "Ungerechtigkeiten, krasse Unterschiede in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht sowie Neid, Mißtrauen und Stolz, die unter den Men28 Vgl. dazu meinen Beitrag Zur juristischen Relevanz der Gerechtigkeit bei Aristoteles, Cicero und Ulpian, in: Der Gerechtigkeitsanspruch des Rechts, Festschrift für Theo Mayer-Maly zum 65. Geburtstag, hrsg. von M. Beck-Mannagetta/H. Böhm/ G. Graf (RechtsethikBd. 3), Wien/NewYork 1996,8.1-71. 29 Vgl. Lexikon Alte Kulturen 3 (1993), S. 121 zum Stichwort Pax. 30 Aug. civ. 19, 13. 31 Dazu ausführlich Waldstein, Ist das suum cuique eine Leerformel? In: Studia et Documenta Historiae et Iuris 61 (1995), S. 179-215. 32 Vgl. die Präambel zur EMRK Abs. 5.

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sehen und den Nationen wüten, bedrohen unablässig den Frieden und führen zu Kriegen. Alles, was unternommen wird, um diese Übel zu besiegen, trägt zum Aufbau des Friedens und zur Vermeidung des Krieges bei." Die Enzyklika Evangelium vitae ist nun zweifellos ein grundlegender Beitrag zur Überwindung dieser Übel. Freilich kann er nur wirksam werden, wenn die Menschen ihn auch aufnehmen und im Leben umsetzen. Der Papst selbst sagt dazu: "Unser Handeln als ,Volk des Lebens und für das Leben' verlangt daher, richtig ausgelegt und mit Sympathie aufgenommen zu werden." Die Bedeutung dieser Enzyklika legt es daher nahe, einige für das hier zu behandelnde Thema besonders wichtige Texte ausführlicher zu dokumentieren. Der Papst sagt im Anschluß an den soeben zitierten Satz: "Wenn die Kirche die unbedingte Achtung vor dem Recht auf Leben jedes unschuldigen Menschen- von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Tod- zu einer der Säulen erklärt, auf die sich jede bürgerliche Gesellschaft stützt ,will sie lediglich einen humanen Staat fördern. Einen Staat, der die Verteidigung der Grundrechte der menschlichen Person, besonders der schwächsten, als seine33 vorrangige Pnicht erkennt'." Dann sagt der Papst weiter:

"Das Evangelium vom Leben ist für die Gesellschaft der Menschen da. Für das Leben eintreten, heißt zur Erneuerung der Gesellschaft durch den Aufbau des Gemeinwohls beitragen. Denn ohne Anerkennung und Schutz des Rechtes auf Leben, auf dem alle anderen unveräußerlichen Rechte des Menschen beruhen und sich entwickeln, läßt sich das Gemeinwohl unmöglich aufbauen. Noch kann eine Gesellschaft gesicherte Grundlagen haben, die - während sie Werte wie Würde der Person, Gerechtigkeit und Frieden geltend macht- sich von Grund auf widerspricht, wenn sie die verschiedensten Formen von Mißachtung und Verletzung des menschlichen Lebens akzeptiert oder duldet, vor allem, wenn es sich um schwaches oder ausgegrenztes Leben handelt. Nur die Achtung vor dem Leben kann die wertvollsten und notwendigsten Güter der Gesellschaft, wie die Demokratie und den Frieden, stützen und garantieren. I Es kann in der Tat keine echte Demokratie geben, wenn nicht die Würde der Person anerkannt wird und seine Rechte nicht respektiert werden. " 34 Im anschließenden Absatz zitiert Papst Johannes Paul II. die bereits oben angeführte Aussage von Paul VI.: "Jedes Vergehen gegen das Leben ist ein Attentat auf den Frieden, besonders wenn dabei die Sitten des Volkes verletzt werden". Nun ist es eine unbestreitbare Tatsache, daß auf der ganzen 33 In der vom Vatikan herausgegebenen deutschen Übersetzung steht an dieser Stelle irrtümlich "ihre". 34 Evangelium vitae 101, Hervorhebungen im Original. 17°

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Welt ständig nicht nur blutige Konflikte und regelrechte Kriege stattfinden. Auch in fast allen Ländern, in denen formeller Friede herrscht, werden nach Schätzungen der Vereinten Nationen jährlich 50 bis 60 Millionen ungeborene Kinder getötet. Dies geschieht groBteils auf der Grundlage von Gesetzen, die von demokratischen Mehrheiten beschlossen wurden. Und weil dies so ist, hat sich immer mehr die Überzeugung durchgesetzt, daß dies auch Recht und mit wahrem Frieden vereinbar sei. Es wird als in der Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen begründetes Recht angesehen. Deswegen ist es nötig, dazu einige klare Aussagen der Enzyklika in Erinnerung zu rufen. In Evangelium vitae 19 geht der Papst auf die Frage ein: "Wo liegen die Wurzeln eines derart paradoxen Widerspruchs?" Er sagt dann nach der Darlegung verschiedener Gründe unter anderem: "Noch einen tiefgehenderen Aspekt gilt es zu unterstreichen: die Freiheit verleugnet sich selber und macht sich zur Vernichtung des anderen bereit, wenn sie ihre grundlegende Verbindung mit der Wahrheit nicht anerkennt und nicht mehr respektiert. Jedesmal, wenn die Freiheit sich von jeder Tradition und Autorität befreien will und sich den wesentlichen Klarheiten einer objektiven und gemeinsamen Wahrheit als dem Fundament für das persönliche und soziale Leben verschließt, hört der Mensch auf, als einzigen und unanfechtbaren Anhaltspunkt für seine Entscheidungen (irrt.: nicht mehr) die Wahrheit über Gut und Böse anzunehmen, sondern nur noch seine subjektive und wandelbare Meinung oder gar sein egoistisches Interesse und seine Laune. 20. In dieser Auffassung von Freiheit wird das soziale Zusammenleben tiefgreifend entstellt. . . . das ursprüngliche, unveräußerliche Recht auf Leben wird auf Grund einer Parlamentsabstimmung oder des Willens eines - sei es auch mehrheitlichen- Teiles der Bevölkerung in Frage gestellt oder verneint. Es ist das unheilvolle Ergebnis eines unangefochten herrschenden Relativismus: das »Recht« hört auf Recht zu sein, weil es sich nicht mehr fest auf die unantastbare Würde der Person gründet, sondern dem Willen des Stärkeren unterworfen wird. Auf diese Weise beschreitet die Demokratie ungeachtet ihrer Regeln den Weg eines substantiellen Totalitarismus. . . . I Alles geschieht scheinbar ganz auf dem Boden der Legalität, zumindest wenn über die Gesetze zur Freigabe der Abtreibung und der Euthanasie nach den sogenannten demokratischen Regeln abgestimmt wird. In Wahrheit stehen wir lediglich einem tragischen Schein von Legalität gegenüber, und das demokratische Ideal, das es tatsächlich ist, wenn es denn die Würde jeder menschlichen Person anerkennt und schützt, wird in seinen Grundlagen selbst verraten: ,Wie kann man noch von Würde jeder menschlichen Person reden, wenn die Tötung des schwächsten und unschuldigsten Menschen zugelassen

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wird? Im Namen welcher Gerechtigkeit begeht man unter Menschen die ungerechteste aller Diskriminierungen, indem man einige von ihnen für würdig erklärt verteidigt zu werden, während anderen diese Würde abgesprochen wird?' Wenn diese Zustände eintreten, sind bereits jene Dynamismen ausgelöst, die zum Zerfall eines echten menschlichen Zusammenlebens und zur Zersetzung der staatlichen Realität führen." Es müßten hier nun alle weiteren Ausführungen der Enzyklika berücksichtigt werden, um zu verstehen, was die Ursachen für die Mißachtung des grundlegendsten Menschenrechtes auf Leben sind und welche Folgen diese Mißachtung unweigerlich hat. Ich kann hier nur jene Texte ausführlicher dokumentieren, die unmittelbar für die Frage des Friedens relevant sind. In Evangelium vitae 70 zeigt der Papst die "Gemeinsame Wurzel all dieser Tendenzen" auf und stellt zunächst fest, sie "ist der ethische Relativismus, der für weite Teile der modernen Kultur bezeichnend ist." Dann sagt der Papst weiter: "Manche behaupten, dieser Relativismus sei eine Voraussetzung für die Demokratie, weil nur er Toleranz, gegenseitige Achtung der Menschen untereinander und Bindung an die Entscheidungen der Mehrheit gewährleisten würde, während die als objektiv und bindend angesehenen sittlichen Normen zu Autoritarismus und Intoleranz führen würden. I Doch gerade die Problematik der Achtung vor dem Leben zeigt, welche Mißverständnisse, begleitet von entsetzlichen praktischen Folgen, sich hinter dieser Einstellung verbergen." Dann folgen Aussagen, die im Hinblick auf die Relevanz für den Frieden wenigstens teilweise im Zusammenhang wiedergegeben werden müssen. Unmittelbar im Anschluß an die eben zitierten Absätze sagt der Papst: "Es stimmt, daß die Geschichte Fälle kennt, in denen im Namen der ,Wahrheit' Verbrechen begangen worden sind. Aber nicht minder schwere Verbrechen und radikale Leugnungen der Freiheit wurden und werden weiter auch im Namen des ,ethischen Relativismus' begangen. Faßt eine parlamentarische oder gesellschaftliche Mehrheit, wenn sie die Rechtmäßigkeit der unter bestimmten Bedingungen vorgenommenen Tötung des ungeborenen menschlichen Lebens beschließt, nicht vielleicht einen ,tyrannischen' Beschluß gegen das schwächste und wehrloseste menschliche Geschöpf? Das Weltgewissen reagiert mit Recht auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mit denen unser Jahrhundert so traurige Erfahrungen gemacht hat. Würden diese Untaten vielleicht nicht mehr länger Verbrechen sein, wenn sie, statt von skrupellosen TYrannen begangen worden zu sein, durch des Volkes Zustimmung für rechtmäßig erklärt worden wären?"

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Wenn der Papst hier von "Rechtmäßigkeit" spricht, so meint er damit nicht Rechtmäßigkeit im technischen Sinne, sondern die gesetzliche "Freigabe der Abtreibung" (20) in dem Sinne, daß sie in den gesetzlich vorgesehenen Fällen sanktionslos (straffrei) erfolgen kann. Die Strafe aber ist der einzige Schutz für ein Rechtsgut, der dem Staate seit jeher zur Verfügung steht. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat daher noch in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 in den Leitsätzen 1 und 8 unter anderem festgestellt: "Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen". Hiebsichtlich des Verbots, einen zu wenig wirksamen Schutz sicherzustellen, wird im Leitsatz 8 gesagt: "Das Untermassverbot ... läßt es nicht zu, auf den Einsatz auch des Strafrechts und die davon ausgehende Schutzwirkung für das menschliche Leben frei zu verzichten. "35 Allerdings folgt dann im Leitsatz 11 eine Feststellung, "die mit den vorangegangenen Leitsätzen in diametralem Gegensatz steht" 36 und der dazu führte, daß dieser Rechtsschutz für die Frühphase der Schwangerschaft durch eine "Beratungslösung" ersetzt und damit faktisch beseitigt wurde. Wenn man diesen Schutz beseitigt, dann bleibt das Rechtsgut ungeborenes Kind letztlich schutzlos der Tötung preisgegeben. In diesem Sinne sagt der Papst in Evangelium vitae 72: "Die Gesetze, die Abtreibung und Euthanasie zulassen und begünstigen, stellen sich also nicht nur radikal gegen das Gut des einzelnen, sondern auch gegen das Gemeinwohl und sind daher ganz und gar ohne glaubwürdige Rechtsgültigkeit. Tatsächlich ist es die Nicht-Anerkennung des Rechtes auf Leben, die sich, gerade weil sie zur Tötung des Menschen führt - in dessen Dienst zu stehen die Gesellschaft ja den Grund ihres Bestehens hat -, am frontalsten und irreparabel der Möglichkeit einer Verwirklichung des Gemeinwohls entgegenstellt. Daraus folgt, daß ein staatliches Gesetz, wenn es Abtreibung und (oder) Euthanasie billigt, eben darum kein wahres, sittlich verpflichtendes staatliches Gesetz mehr ist." Nach den oben bereits zitierten Abschnitten aus Evangelium vitae 70 wendet sich der Papst dem "Wert der Demokratie" zu und betont, daß diesen "auch das Lehramt der Kirche wiederholt hervorgehoben hat." dann sagt er weiter: "Aber der Wert der Demokratie steht und fällt mit den Wer35 Zitiert nach Walter Gut, Der Staat und der Schutz des ungeborenen Lebens, Kriens 1998, S. 32 f. 36 So Gut, Der StaatS. 34. Er sagt dort weiter: "vorausgesetzt, die «indikationenfreie Frühphase» werde sachgemäss als Fristenlösung mit Beratungspflicht diagnostiziert. Diesen krassen Gegensatz kann man sich nur mit dem sachfremden staatspolitischen Druck des Gelingens des Einigungsvertrages mit den neuen Bundesländern erklären." Die DDR hatte unter der Herrschaft der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands längst die Fristenlösung, auf welche um des Einigungsvertrages willen zu verzichten politisch als nicht möglich erschien, zumal bereits vor dem Einigungsvertrag auch in der Bundesrepublik starke Kräfte in diese Richtung drängten.

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ten, die sie verkörpert und fördert: grundlegend und unumgänglich sind sicherlich die Würde jeder menschlichen Person, die Achtung ihrer unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte sowie die Übernahme des ,Gemeinwohls' als Ziel und regelndes Kriterium für das politische Leben." Dann folgen zwei Absätze, deren zweiter und letzter der Nr. 70 direkt in die Frage des Zusammenhanges des Lebensschutzes mit dem Frieden führt. Zunächst knüpft der Papst an die vorher besprochenen Werte der Demokratie an und sagt: "Grundlage dieser Werte können nicht vorläufige und wechselnde Meinungs,mehrheiten'37 sein, sondern nur die Anerkennung eines objektiven Sittengesetzes, das als dem Menschen ins Herz geschriebenes 38 ,Naturgesetz' normgebender Bezugspunkt eben dieses staatlichen Gesetzes ist. Wenn infolge einer tragischen kollektiven Trübung des Gewissens der Skeptizismus schließlich sogar die Grundsätze des Sittengesetzes in Zweifel zöge, würde selbst die demokratische Ordnung in ihren Fundamenten erschüttert, da sie zu einem bloßen Mechanismus empirischer Regelung der verschiedenen und gegensätzlichen Interessen verkäme. Mancher könnte sich vorstellen, daß in Ermangelung eines Besseren auch eine solche Funktion um des sozialen Friedens willen anerkannt werden müsse. Selbst wenn man in einer solchen Einschätzung einen gewissen Wahrheitsaspekt anerkennt, muß man doch sehen, daß ohne eine objektive sittliche Verankerung auch die Demokratie keinen stabilen Frieden sicherstellen kann, um so mehr als der Friede, der nicht an den Werten der Würde jedes Menschen gemessen wird, nicht selten eine illusorische Angelegenheit ist." Hier ist nochmals an den bereits zitierten39 Satz zu erinnern: "Nur die Achtung vor dem Leben kann die wertvollsten und notwendigsten Güter der Gesellschaft, wie die Demokratie und den Frieden, stützen und garantieren."

m. Zusammenfassung Wenn wir nun zum Ausgangspunkt dieser Überlegungen zurückkehren, nämlich zu der in der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" getrof37 Im Original ist das erste Anführungzeichen verkehrt gesetzt: «mehrheiten«. Im lateinischen Originaltext sind «maiores partes» unter Anführungszeichen, weshalb es richtig ist, nur den Teil "mehrheiten" unter Anführungszeichen zu setzen. 38 Im Original: "geschriebene". 39 Vgl. oben bei Anm. 34.

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fenen Feststellung, daß "die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet", so kann zunächst gesagt werden: Diese Grundlagen einer menschenwürdigen Ordnung sind seit der vorchristlichen Antike erkannt worden. Diese Erkenntnisse bilden auch die Grundlage unserer Rechtskultur und der modernen Menschenrechte, unter denen das Recht auf Leben das grundlegendste ist. Auf diesen Grundlagen konnte die EMRK in der Präambel an "ein gemeinsames Erbe an geistigen Gütern" anknüpfen. Dieses gemeinsame Erbe ist jedoch durch die zunehmende Mißachtung gerade des grundlegendsten Menschenrechtes auf Leben in einer Weise verlassen worden, daß die Demokratie damit ihre eigenen Grundlagen zu zerstören begann. Bereits in der Antike ist erkannt worden, daß auch die Demokratie dann, wenn die Mehrheit grundlegende Rechte zu mißachten beginnt, in ihre Entartung umschlägt und zu einer '!Yrannis der Mehrheit wird. Angesichts dieser Entwicklung hat Papst Johannes Paul Il. das, was die Präambel zur "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" sagt, in seiner Enzyklika Evangelium vitae in umfassender Weise aufgegriffen und vertieft. Wenn er die Konsequenzen aufzeigt, die aus der "Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte" folgten und "zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben", dann tut er das nicht aus einer "antidemokratischen" Haltung, die man glaubte ihm vorwerfen zu müssen. Er tut es vielmehr, um die Demokratie vor ihrer Entartung zu bewahren und sie zu ihren wahren Grundlagen zurückzuführen. Auch wenn dieses "Evangelium des Lebens" in der gegenwärtig vorherrschenden Mentalität weithin nicht beachtet oder nicht verstanden wird, so hängt doch eine menschliche Zukunft der Menschheit davon ab, in welchem Maße es künftig angenommen wird. Ich möchte hier nur noch eine Aussage des römischen Staatsmannes und Philosophen Cicero anfügen, die deutlich macht, daß die Mißachtung grundlegender Rechte ein Weg ist, der zwar momentan Annehmlichkeiten mit sich bringen kann, aber letzten Endes in eine Katastrophe führt. In seiner Schrift über den Staat sagt Cicero nach der Darlegung, was Naturrecht ist: "Diesem Gesetz etwas von seiner Gültigkeit zu nehmen, ist Frevel, ihm irgendetwas abzudingen, unmöglich, und es kann ebensowenig als Ganzes außer Kraft gesetzt werden. Wir können aber auch nicht durch den Senat oder das Volk von diesem Gesetz gelöst werden, ... noch wird in Rom ein anderes Gesetz sein, ein anderes in Athen, ein anderes jetzt, ein anderes später, sondern alle Völker" 40 wird zu allen Zeiten ein ein-

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ziges, ewiges und unveränderliches Gesetz umschließen (continebit) "und einer wird der gemeinsame Meister gleichsam und Herrscher aller sein: Gott! Er ist der Erfinder dieses Gesetzes, sein Schiedsrichter, sein ... ,Gesetzgeber', wer ihm nicht gehorcht, wird sich selber fliehen und das Wesen des Menschen verleugnend wird er gerade dadurch die schwersten Strafen büßen, auch wenn er den übrigen Strafen, die man dafür hält, entgeht. "41 . Es ist besonders bemerkenswert, daß Cicero die Mißachtung des Naturrechts als ein Fliehen des Menschen vor sich selbst bezeichnet und sagt, daß der Mensch "gerade dadurch die schwersten Strafen büßen" wird müssen. Denn er zerstört damit die Grundlagen wahrer Menschlichkeit. Keine tyrannische Macht hat das je geglaubt, deren "Akte der Barbarei ... das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben". Wenn das Gewissen der Menschheit nochmals erwacht und erkennt, welche Folgen die jetzigen Akte der Barbarei haben, kann die Bedeutung der Enzyklika Evangelium vitae erst in der vollen Tragweite verstanden werden. Wenn sich dieses Verständnis dann allgemein durchsetzt, wird die Heilung der Demokratie in ihren Grundlagen möglich sein. Denn: "Nur die Achtung vor dem Leben kann die wertvollsten und notwendigsten Güter der Gesellschaft, wie die Demokratie und den Frieden, stützen und garantieren. "42

40 Bei den nun folgenden Worten kann ich der Übersetzung von Karl Büchner, Sammlung Tusculunt, nicht folgen, auch die von K. Atzert in Goldmanns Gelbe Taschenbücher scheint mir den nächsten Satzteil zwar besser, aber auch nicht ganz dem lateinischen Text gerecht zu übersetzen, denn das continebit heißt nicht "bestehen", sondern zusammenhalten, verbinden, erhalten, bewahren, umschließen etc. 41 Cicero, rep. 3, 33. 42 Evangelium vitae 101.

OHNE MENSCHENRECHTE KEIN FRIEDE Helmut Liedermann Schon von Anbeginn, seit der Kreation des ersten Weltfriedenstages im Jahre 1968, hat der Heilige Stuhl seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, daß dem wahren Frieden bei allen Völkern und Menschen größte Bedeutung zukommt. Die Friedensbotschaften des Oberhauptes der Katholischen Kirche legen ein beredtes Zeugnis dafür ab, welch hohen Stellenwert die päpstlichen Initiativen für die gesamte Menschheit haben. Botschaften, die an alle gerichtet sind, die teilhaben an der Verantwortung für den Frieden: an die Regierungen der Volker, an die Mitarbeiter internationaler Gremien, an die Politiker und Diplomaten, aber auch an die Bürger eines jeden Landes. Alles, was mit der Problematik der Gewährleistung und Festigung des Friedens zusammenhängt, kann nicht nur mit Worten zielgerecht realisiert werden. Tiefe Überzeugung und totaler Einsatz sind erforderlich. Entschlossener Friedenswille muß mit klaren Begriffen verbunden werden. Der rechte Weg zu einer Weltgemeinschaft, in der Gerechtigkeit und Fiiede ohne Grenzen unter allen Volkern und auf allen Kontinenten herrschen, ist der Weg der Solidarität, des Dialoges, der universellen Brüderlichkeit und nicht zuletzt der Achtung der ethischen und moralischen Grundwerte, die jedem Menschen innewohnen. Dazu gehören vor allem die Menschenrechte, ohne deren Achtung ein wahrer Fiiede zwischen Volkern und Menschen nicht möglich ist. Papst Paul VI. hat anläßlich des 20. Jahrestages der Beschlußfassung der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" verkündet, daß die Achtung der Menschenrechte ein wichtiges Mittel zur Erreichung des Weltfriedens ist. Der Fiiede ist zutiefst mit der Anerkennung und Achtung der Menschenrechte verbunden. Eine grundsätzliche Feststellung, die von allen Nachfolgern auf dem Stuhl Petri, bis heute zu Johannes Paul II., geteilt wurde und wird. Dem Heiligen Stuhl kam schon von altersher eine besondere Friedensfunktion zu. Zurecht wurde er als die erste ständige Vermittlungsinstanz der Volker, welche die Weltgeschichte kennt, bezeichnet. Die Friedensbotschaften von Papst Johannes Paul II. sind in ihrer Eindringlichkeit Beweis dafür, daß die Katholi-

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sehe Kirche alles tut, um die Präsenz des Heiligen Stuhls in der internationalen Gemeinschaft als tragendes Element im Bestreben um Verwirklichung und Gewährleistung des Friedens zu stärken und zu intensivieren sowie auf die vorbehaltlose Anerkennung und Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten hinzuwirken. Die Menschenrechte- weltweit ein Begriff von großer Aktualität und Bedeutung und in der Vorstellungswelt der Menschheit schon lange vorhanden, wurden erst verhältnismäßig spät in das positive Recht transformiert. Die Entwicklung der Menschenrechte hängt eng zusammen mit dem allen Menschen innewohnenden Streben nach persönlicher Freiheit. Im Kampf um diese Rechte stehen Menschen verschiedener Nationalitäten und Hautfarbe, verschiedener sozialer Gruppierungen und verschiedener Glaubensbekenntnisse in unterschiedlichen Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen unserer Welt in einer Reihe. Es fehlt nicht an Beteuerungen auf politischer Ebene und kaum eine Regierung versäumt es, die Menschenrechte formal anzuerkennen, ohne daß bisher im Anwendungsbereich ein weltweiter Durchbruch erzielt werden konnte. Dennoch besteht Grund zur Hoffnung, weil der Ruf nach vorbehaltloser Verwirklichung der Menschenrechte überall immer stärker wird. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich fand die Idee der Menschenrechte ihren ersten weithin überzeugenden Ausdruck. Die weltweit erste offizielle Erklärung der Menschenrechte in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 beginnt mit den Worten: "Wir halten es für offenkundig, daß alle Menschen von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräusserlichen Rechten bedacht wurden." In dieser Erklärung ist die biblische Grundlage der Menschenrechte noch klar erkennbar. In der französischen Deklaration der Menschenrechte in der Verfassung von 1793 ist dies nicht mehr der Fall. Eine Garantie der Menschenrechte einerseits und der Kampf um diese Rechte andererseits schien lange Zeit nur im Verhältnis des Bürgers zum eigenen Staat vorstellbar. Erst aus den Schrecken des zweiten Weltkrieges erwuchs die Einsicht, daß die Menschenrechte als Gemeingut der Menschheit auch im internationalen Rahmen garantiert werden müßten. Die Gründung der Vereinten Nationen im Jahre 1945 ist daher eng mit dem in ihrer Charter formulierten Bekenntnis zu den Menschenrechten verknüpft. Diese menschenrechtliche Zielsetzung der neugegründeten Weltorganisation wurde

Ohne Menschenrechte kein Friede

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bereits im Jahr 1948 mit der feierlichen Proklamation der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" eindrucksvoll bekräftigt.

Europarat

Besonders dringlich wurde die Notwendigkeit einer rechtlich verbindlichen internationalen Festlegung der Menschenrechte in dem vom zweiten Weltkrieg verwüsteten Europa empfunden. Die im Europarat zusammengeschlossenen westeuropäischen Demokratien erarbeiteten daher schon 1950 die rechtsverbindliche Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die dem einzelnen Bürger der Mitgliedstaaten einklagbare Rechte gibt. Um die Durchsetzung dieser Rechte zu ermöglichen, wurden durch diese Konvention ständige Institutionen im Rahmen des Europarates geschaffen: nämlich die Europäische Kommission für Menschenrechte und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

Vereinte Nationen

Auch im grösseren Rahmen der Vereinten Nationen wurde die begrenzte Rechtsverbindlichkeit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als unbefriedigend empfunden. Nach jahrelangen Arbeiten wurden 1966 die Pakte der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte einerseits und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte andererseits geschaffen. Auch eine Vielzahl anderer Konventionen der Vereinten Nationen enthalten Bestimmungen über einzelne Aspekte der Menschenrechte, wie z. B. das Übereinkommen betreffend die Beseitigung jeglicher Form der Diskriminierung von Frauen und das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Insbesondere die unermeßlichen Leiden der Menschen während des zweiten Weltkrieges waren es, welche die organisierte Staatengemeinschaft in ihren Dispositionen nicht nur auf das Verhalten der Staaten zueinander, sondern auch auf das Los der Menschen ausgerichtet haben . So lesen wir im Art. 1 dritter Absatz der Charter der Vereinten Nationen unter den Zielen dieser Weltorganisation, eine internationale Zusammenarbeit zu erzielen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder humanitärer Art zu lösen und die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für jedermann ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion zu fördern und zu festigen.

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Alles Zielsetzungen, welche die Satzung des Völkerbundes, der nach dem ersten Weltkrieg geschaffen wurde, noch nicht kannte.

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Ein Schritt von großer Bedeutung war die Beschlußfassung der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorn 10. Dezember 1948 über die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte", die in ihrer Bedeutung durchaus mit den menschenrechtliehen Kodifikationendes 18. Jhd. verglichen werden kann. Allerdings ist sie nicht einem Druck von unten zu danken, sondern war das Werk von Diplomaten, Wissenschaftlern und Politikern, denen es gelungen ist, in nur drei Jahren ein so schwieriges Werk zu vollenden. Der Inhalt der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" aus dem Jahre 1948 entspricht im wesentlichen den klassischen Vorstellungen und Vorbildern des westlichen Kulturkreises und orientiert sich an den Deklarationen des Jahres 1789 in Frankreich. Die Allgerneine Erklärung ist ein Kornprorniß zwischen liberalem, sozialem und christlichem Gedankengut, das in den drei klassischen Grundrechten kulminiert: Leben, Freiheit, Eigentum. Auch wurden darin sozialrechtliche Vorstellungen und bestimmte Pflichten aufgenommen. Die Entstehungsgeschichte der Allgerneinen Erklärung aus dem Jahre 1948 war von ideologischen Gegensätzen überschattet. Die totalitär regierten Staaten vertraten die Auffassung, daß diese Erklärung in die inneren Angelegenheiten der Staaten eingreift und daß die Verpflichtungen des Einzelnen gegenüber dem Staat zu wenig Berücksichtigung finden. Erwähnt werden muß hier, daß die Allgerneine Erklärung der Menschenrechte kein völkerrechtliches Rechtsgeschäft im klassischen Sinne dieses Begriffes ist und demgemäß keine Rechte und Pflichten im engeren Sinne begründet. Es fehlen ihr die Merkmale eines Vertrages. Die Erklärung ist aber eine Resolution der Generalversammlung als rechtssetzendes Organ der Vereinten Nationen und erlangte auf diese Weise ebenso bindende Wirkung, wie die anderen Resolutionen der Generalversammlung. Da sich nicht nur der Internationale Gerichtshof in seinen Urteilen, sondern auch die Vertreter von Staaten aller Lager immer wieder auf sie berufen, ist die Erklärung jedenfalls als eine derjenigen Entschließungen der Vereinten Nationen zu werten, denen politisch und moralisch höchste Verbindlichkeit zukommt. Ob sie zum Gewohnheitsrecht wird, kann erst die Zukunft erweisen.

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Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen

An sich stand die Schaffung einer Kodifikation der völkerrechtlich relevanten Menschenrechte und Grundfreiheiten im Vordergrund der Bemühungen der Vereinten Nationen und ihrer Organe. Die Arbeit an einem völkerrechtlichen Vertragswerk über die Menschenrechte und Grundfreiheiten wurde von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationentrotz schwieriger Bedingungen der ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West schon im Jahre 1949 aufgenommen. Es dauerte aber bis zum Jahre 1966, bis die Generalversiunmlung der Vereinten Nationen über ein solches Vertragswerk Beschluß fassen konnte. Die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, die mit einer Resolution der Generalversammlung vom 19. Dezember 1966 verabschiedet wurden, enthalten den zumindest damals modernsten und umfassendsten Katalog der Menschenrechte. Es handelt sich um: - die Konvention zum Schutze der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, - die Konvention zum Schutz der bürgerlichen und politischen Rechte und - das dieser Konvention angeschlossene ZusatzprotokolL Die Konvention zum Schutz der bürgerlichen und politischen Rechte enthält Existenzrechte der Person. Dazu gehören das Recht auf Leben, persönliche Freiheit und Sicherheit, Bewegungsfreiheit, das Recht, seinen Aufenthaltsort frei zu wählen, Aus- und Wiedereinwanderung, Gleichbehandlung vor Gericht, Rechtsfähigkeit, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Schutz der Familie, u. a. In der Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind Ansprüche umrissen, die der Einzelne gegenüber dem Staat geltend machen kann. Dem Menschen soll ein menschenwürdiges Dasein gesichert werden. Dazu gehören Recht auf Arbeit, sowie angemessene, befriedigende Arbeitsbedingungen, Recht auf Bildung von Gewerkschaften, soziale Sicherheit, Schutz der Familie, angemessene Lebenshaltung, Recht auf Bildung, u. a. Es ist deutlich zu erkennen, daß sich hier zwei große Gruppen von Menschenrechten herausgebildet haben: einerseits die bürgerlichen und politischen Rechte als im wesentlichen gegen den Staat gerichtete Abwehrrechte, die liberal-aufklärerischem Gedankengut entsprechen, und die Gruppe der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechte, zu deren Entstehung insbesondere die "Soziale Bewegung" und die christlichen Kirchen beigetra-

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gen haben. Diese Doppelgleisigkeit spiegelt auch verschiedene Auffassungen wider, die in den ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West begründet waren. Der Westen betonte die Bedeutung der politischen und bürgerlichen Rechte, der Osten diejenigen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen. Wenn aber heute von Menschenrechten gesprochen wird, ist man sich auch im "Westen" durchaus bewußt, daß damit nicht nur die klassischen, individuellen Menschenrechte, sondem auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen gemeint sind. Die Forderung auf Befreiung von Not, Krankheit und Unwissenheit gewinnt immer mehr an Bedeutung. Die anzustrebende Verwirklichung dieser Rechte erfordert die Befriedigung wichtiger Grundbedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten als Voraussetzung eines menschenwürdigen Daseins. Die Bedeutung der Menschenrechtspakte aus dem Jahre 1966 wird gemindert durch Gesetzesvorbehalte, Ausführungsvorbehalte und Einschränkungen der Menschenrechte für den Fall des Notstandes. Die Effektivität der Menschenrechte hängt aber weitgehend von deren rechtlicher Durchsetzbarkeit ab. Zwar wird in der Präambel der Pakte anerkannt, daß sich die darin angeführten Rechte aus der dem Menschen innewohnenden Würde herleiten und originäre, unveräußerliche Rechte sind, doch sind den beiden Pakten Schranken der Grundrechte zu entnehmen: so heißt es im Artikel4 der Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, daß der Staat die Ausübung aller der von ihm in Übereinstimmung mit diesem Pakt gewährten Rechte im Rahmen der Gesetze beschränken kann, wenn auch dies nur insoweit für zulässig erklärt wird, als solche Beschränkungen mit der Natur der im Pakt verbrieften Rechte vereinbar sind. Gemäß Artikel 4 der Konvention über bürgerliche und politische Rechte können die Teilnehmerstaaten in Zeiten eines öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht und der offiziell verkündet worden ist, Maßnahmen treffen, die ihre Verpflichtungen aus diesem Pakt aufhebt, soweit dies die Erfordemisse der Situation verlangen. Dies sind Kautschukbestimmungen, die mißbraucht werden können. Immerhin enthält das Zusatzprotokoll über die bürgerlichen und politischen Rechte Bestimmungen über ein Instrumentarium zur Gewährleistung dieser Rechte.

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Instrumentarium Zur Durchsetzung der in der Allgemeinen Erklärung niedergelegten Grundsätze dienen insbesondere folgende Einrichtungen der Organisation der Vereinten Nationen: - Die Menschenrechtskommission, die sich seit ihrer Errichtung im Jahre 1946 bis in die jüngste Zeit hinein in erster Linie mit der Kodifikation allgemeiner Grundsätze und Normen zum Schutz der Menschenrechte befaßt. - Der Menschenrechtsausschuß, der vor allem drei Mittel zum Schutz des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 vorsieht: Staatenbericht, Staatenbeschwerde und die sehr wichtige Einzelbeschwerde. Der Pakt selbst enthält aber keine Vorschriften über Einzelbeschwerden von Bürgern und Personengruppen. Diese Frage wurde in einer gesonderten Vereinbarung, nämlich dem "Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte" geregelt. Sein Verfahren findet nur Anwendung, wenn derbetreffende Staat dem Protokoll beigetreten ist. - Das Prüfungsverfahren nach dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der allerdings keine Individual- oder Staatenbeschwerde vorsieht. - Gemäß dem Zusatzprotokoll zum Pakt über bürgerliche und politische Rechte können Einzelpersonen, die behaupten, Opfer einer Menschenrechtsverletzung geworden zu sein, beim Menschenrechtsausschuß Klage erheben. Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die beiden Pakte haben Regierungen auf der ganzen Welt nachhaltig beeinflußt. In vielen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sind die darin eingegangenen Verpflichtungen in die Verfassungen und nationale Gesetzgebung eingedrungen. Die Richter des internationalen Gerichtshofes haben sie als Grundlage für ihre Rechtsgutachten herangezogen.

Minderheiten Am 18. Dezember 1992 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen nach 14 Jahre dauernden Arbeiten die Erklärung über die Rechte von Minderheitsangehörigen angenommen. Es handelt sich um die erste universelle Erklärung dieser Art. Sie ist insofern bemerkenswert, als sie eine Pflicht der Staaten zum Schutz und zur Förderung von Minderheiten vor18 Johannes Paul II.

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sieht. Darüber hinaus haben Minderheitsangehörige das Recht auf effektive Teilnahme arn kulturellen, religiösen, sozialen, wirtschaftlichen sowie öffentlichen Leben und insbesondere auch ein Recht auf effektive Teilnahme an Entscheidungsprozessen in Minderheitenangelegenheiten. Eine allgemein anerkannte Definition des Begriffes "Minderheit" gibt es aber noch nicht, da bisher keine Einigung möglich war. Auch fehlt noch der Schritt von Individual- zu kollektiven Rechten.

Flüchtlinge

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen schafft in ihrem Artikel 14 den Bezug zwischen den Flüchtlingen und den Menschenrechten und besagt, daß "jeder Mensch das Recht hat, in anderen Ländern wegen Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen". Die wichtigsten Verträge, die sich mit Flüchtlingen selbst beschäftigen, sind die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 und das 1967 in Kraft getretene Zusatzprotokoll. Diese beiden Instrumentarien sind die umfassendsten, die je auf internationaler Ebene geschaffen wurden, um die Rechte der Flüchtlinge zu sichern und ihren Status in den Asylländern zu regeln. Sie gelten als Grundlage der internationalen Regelung des Schutzes von Flüchtlingen.

Vertriebene

Auch der Schutz der Menschenrechte von innerhalb ein und desselben Landes Vertriebenen ist heute von besonderer Aktualität und stellt hohe Anforderungen an die Solidarität und moralische Verantwortung der internationalen Staatengemeinschaft, die ein entschlossenes Engagement notwendig macht. Worte allein genügen nicht; wirksame Maßnahmen, die nicht nur das Leid der Flüchtlinge lindern helfen, sondern auch die Ursachen für das Entstehen der Flüchtlingsströme angehen, sind erforderlich. Die Vereinten Nationen hatten im Jahre 1977 in Genf eine diplomatische Konferenz einberufen, um eine Konvention über territoriales Asyl zu erarbeiten, welche den durch die Entwicklung des Flüchtlingsproblems entstandenen Raum der Rechtsunsicherheit hätte füllen können. Leider schlug die Initiative, hauptsächlich wegen der ideologischen Gegensätze zwischen den damals bestehenden politischen Blöcken, fehl.

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Heute, viele Jahre später, wäre die Völkergemeinschaft in einem neuen geopolitischen Kontext erneut aufgerufen, ein wirksames juristisches Instrument zu schaffen, mit dem Ziel, allen Flüchtlingen in unserer heutigen Welt angemessenen Schutz zu sichern.

Menschenrechte -Voraussetzung für den Frieden

Wesentlich für den Erfolg aller Bemühungen, den Menschenrechten zum Sieg über jede Art von Unterdrückung zu verhelfen, ist die Erkenntnis, daß der Friede im eigenen Haus beginnt. Friede ist mehr, als in keinen Krieg verwickelt zu sein. Friede heißt Freiheit von Gewalt, das Recht auf eigenen Weg für Staaten, Völker und Menschen, auf eigene Entwicklung. Wir alle müssen davon ausgehen, daß Menschen ebenso wie Regierungen eine lebenswichtige Rolle bei der Schaffung von Stabilität und Vertrauen auf internationaler Ebene zukommt und daß die vorbehaltlose Verwirklichung der Menschenrechte ein unerläßliches Element für die Gewährleistung des Friedens in der Welt ist. Unser Dialog kann nicht dort aufhören, wo die Rechte des Individuums anfangen. Keinesfalls darf es sich bei den Menschenrechten um ein abstraktes Prinzip handeln, das einer beliebigen Auslegung unterzogen werden kann. Schon die Wurzeln der Naturrechtslehre, von der Sophistik über die Stoa bis zur christlichen Philosophie, führen uns zu der Erkenntnis, daß es sich bei den Menschenrechten um originäre, unabdingbare, unveräußerliche und unentziehbare Rechte von weltweiter Gültigkeit handelt. Die Menschenrechtsdeklarationen vertreten zurecht den Standpunkt, daß die Menschenrechte in der Würde des Menschen wurzeln und somit unveräußerliche und unabdingbare, originäre Rechte sind, an welche die Staatsgewalt für alle Zeiten und gegenüber allen Menschen gebunden ist. In den Deklarationen der Menschenrechte wurde also nicht nur ein rechtsphilosophischer Anspruch erhoben. Wir finden darin auch grundsätzliche Betrachtungen über die Natur des Menschen und seiner Würde sowie daraus entstehende rechtliche Konsequenzen. Die Naturrechts-Philosophie für veraltet zu erklären, würde bedeuten, auch an den Grundfesten der Menschenrechte zu rütteln, die heute aktueller sind denn je. Die Frage nach dem Recht und Grenzen staatlicher Gewaltanwendung, Machtansprüchen und Gesetzgebung, d . h. die Frage nach dem Sinn des Begriffes Recht in Verbindung mit Staat und Gesetz, wird immer aktuell bleiben. Das ist die zentrale Problematik, welche die Menschen !8•

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immer wieder beschäftigt hat und in ihrer Entwicklung zu immer klareren Formulierungen gebracht werden muß. Hier möchte ich auch die Parallelen aufzeigen, die sich zwischen Stoa als einer der Wurzeln der Naturrechtslehre und Christentum ergeben, welches der Vielfalt der Staaten die Einheit der Weltkirche gegenüberstellt, die zwar im Irdischen besteht, aber auf ein überirdisches Reich verweist. Der Mensch hört auf, nur Staatsbürger zu sein. Er wird zugleich Glied des Gottesreiches auf Erden und genießt als solches eine besondere, vom Staat unabhängige Würde. Daraus ergeben sich bestimmte Rechte, die ihm keine irdische Gemeinschaft entziehen kann. Auch hier kommen wir zu den Wurzeln jener Lehre, die von unabdingbaren, unveräußerlichen und unentziehbaren Menschenrechten spricht, da solche Rechte nur dauerhaft bestehen können, wenn die Ordnung des Staates durch eine übergeordnete begrenzt wird. In unserer Zeit ist die ganze Menschheit zu einer Überlebensgemeinschaft geworden, mit gemeinsamer Verantwortung für einen umfassenden Frieden, Überwindung der Gegensätze und für den Schutz der Umwelt. Friede ist also mehr als das Unterbleiben von militärischen Konflikten. Friede, das heißt: unsere Welt menschlicher zu machen, Freiheit, Leben und Überleben zu gewährleisten und zu sichern und das Leben lebenswert zu gestalten.

Wegweiser in eine bessere Zukunft dürfen nicht die Feindbilder von gestern sein, sondern der Wille der Völker und Menschen, in Frieden und Freiheit ihr Dasein zu verbringen. Je mehr Gemeinsamkeit wir auf diesen Weg mit seiner zutiefst humanitären Ausrichtung entwickeln, desto mehr werden wir der Friedenssehnsucht der Menschheit entgegenkommen, die allen Menschen innewohnt; gleichgültig, welcher Nation, welcher Glaubensgemeinschaft oder welcher politischen Überzeugung sie angehören, denn der Friede ist unteilbar, die Friedenssehnsucht aller Menschen gleich stark, gleich lebenswichtig und das Recht auf Frieden unabdingbar. Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)

Inmitten einer geschichtlichen Wende stehen wir heute in Europa am Beginn einerneuen Ära, welche die Nachkriegsepoche abzulösen im Begriff ist. Mit der fortschreitenden Überwindung der Folgen der Spaltung Europas wächst das Bewußtsein europäischer Gemeinsamkeit. Es bildet sich ein Eu-

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ropa heraus, in dem sich alte und neue Demokratien zusammenfinden. Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, in dem die Völker Europas so viel Leid erdulden mußten, findet Europa in seiner Gesamtheit zu sich selbst. Nach und nach wird das neue Europa entstehen. Es geht darum, aus der fruchtbaren Vielfalt für alle Bürger Europas Nutzen zu ziehen, gemeinsame Positionen für wichtige Belange zu finden. Die epochalen Ereignisse, die wir erleben, sind das Ergebnis langwieriger und mühevoller Entwicklungen, zu denen die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) einen bedeutenden Beitrag geleistet hat; eine Konferenz, in die ursprünglich keine großen Erwartungen gesetzt wurden. Zu oft hat sich in der Geschichte Europas das Gleichgewicht der Kräfte für sich allein als zu labil und damit für die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit als nicht ausreichend erwiesen. Deshalb erhebt sich die Frage, welche zusätzlichen Faktoren allen europäischen Staaten, ob klein oder groß, ein verläßliches und vertrauenswürdiges Mehr an Sicherheit bieten könnten. Denn Friede und Sicherheit werden nur unter der Voraussetzung in einem möglichst hohen Ausmaß gewährleistet sein, wenn es gelingt, eine enge Verflechtung von geordneten Verhaltensmaßregeln der Staaten zu schaffen, deren Verletzung mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringt, sodaß die Achtung fremder Interessen auch im eigenen Interesse gelegen ist. Daraus ergibt sich, daß die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nicht Selbstzweck sein durfte, sondern nur Mittel zum Zweck, nach Faktoren zu suchen, die geeignet sind, uns ein höheres Ausmaß an Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu bringen und damit auch den Frieden zu gewährleisten. Sicherheit ist kein Vorgang, den man auf einer Konferenz nur zu beschließen braucht, sondern das Ergebnis eines allmählichen Prozesses, der durch eine ganze Reihe von Faktoren mitbestimmt wird. Es war also ganz wesentlich, bei der Redaktion der Schlußakte der Konferenz substanzlose politische Leerformeln ohne praktische Bedeutung zu vermeiden, somit nichts anderes zu tun, als wohlklingende Phrasen niederzuschreiben, die uns keinen einzigen Schritt vorwärts bringen würden, ja sogar das Gegenteil von dem bewirken hätten können, was die Völker von dieser Konferenz erwarten. Denn ebenso, wie Sicherheit für den einen nicht unbedingt Sicherheit für den anderen bedeutet, können abstrakte Begriffe, die nicht mit konkretem Inhalt erfüllt werden, einer durchaus unterschiedlichen Auslegung unterzogen werden.

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So wie es die vornehmste Aufgabe des Staates ist, für das Wohl seiner Bürger zu sorgen, soll auch der Mensch im Mittelpunkt des Sicherheitsbedürfnisses der Staaten in der internationalen Staatengemeinschaft stehen. Nach längeren und sehr schwierigen Verhandlungen begann sich ein gemeinsamer Nenner für die Tagesordnung der Konferenz abzuzeichnen, für die seitens des Westens einschließlich der neutralen neben dem ersten (Fragen der Sicherheit) und dem zweiten (Wirtschaftliche Zusammenarbeit) ein dritter Tagesordnungspunkt vorgeschlagen wurde, der humanitäre und verwandte Bereiche zum Gegenstand hatte. Der erste Tagesordnungspunkt befaßt sich mit Fragen der Sicherheit in Europa. In diesem Rahmen wurden zehn Prinzipien formuliert, die jeder Teilnehmerstaat in seinen Beziehungen zu den anderen Teilnehmerstaaten, ungeachtet ihrer politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Systeme sowie ihrer Größe, ihrer geographischen Lage oder ihres wirtschaftlichen Entwicklungsstandes anzuwenden hat. Alle diese Prinzipien, die im Text der Schlußakte der KSZE konkretisiert worden sind, bilden ein einheitliches Ganzes - keines ist dem anderen übergeordnet; sie sind alle gleichermaßen von grundlegender Bedeutung. Es ist hier nicht möglich, sich mit jedem einzelnen der 10 Prinzipien zu befassen. Neu war u. a. das Prinzip der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit. Damit hat die Konferenz auf internationaler Ebene eine Neuerung eingeführt. Die weltweit geltenden Texte, wie etwa die Charter der Vereinten Nationen, bezeichnen die Menschenrechte nicht als Prinzip, sondern nur als politisches Ziel, und stellen sie somit auf eine weniger hohe Stufe als die Prinzipien, welche die Beziehungen zwischen den Staaten in der Schlußakte der KSZE bestimmen. Dies ist sehr wichtig in dem Sinne, als seither eine Intervention aus humanitären Gründen, die ein Teilnehmerstaat bei einem anderen zu unternehmen als opportun erachtet, nicht mehr als Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieses Staates angesehen werden kann. Nur wer die damaligen Verhältnisse kennt, kann ermessen, daß es sich hierbei um einen Durchbruch ersten Ranges gehandelt hat. Keinesfalls handelt es sich bei den Menschenrechten und Grundfreiheiten um ein abstraktes Prinzip, das einer beliebigen Auslegung durch die Teilnehmerstaaten der Konferenz unterzogen werden kann. Im Gegenteil, die Ausformulierung des VII. Prinzips der Menschenrechte und Grundfreiheiten enthält ganz konkrete Verpflichtungen.

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Die Schlußakte der KSZE hat im Rahmen der zwischenstaatlichen Beziehungen auch insoferne neue Gebiete von damals fundamentaler Bedeutung erschlossen, indem sie auch die "menschliche Dimension" als integrierten Bestandteil der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa aufgenommen hat. Die Schlußakte geht davon aus, daß Menschen ebenso wie Regierungen eine wichtige Rolle bei der Schaffung von Stabilität und Vertrauen auf internationaler Ebene zukommt. Deswegen ist auch die Achtung des Prinzips der Menschenrechte in allen seinen Erscheinungsformen und Ausgliederungen ein wesentlicher Bestandteil des Friedens. Auch dem Dritten Abschnitt (Korb) der Schlußakte betreffend die Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen kommt in diesem Zusammenhang große Bedeutung zu. An erster Stelle sind in diesem Abschnitt der Schlußakte die "Menschlichen Kontakte" genannt. Die Teilnehmerstaaten setzen sich darin zum Ziel, freiere Bewegung und Kontakte auf individueller und kollektiver, sei es auf privater oder offizieller Grundlage zwischen Personen, Institutionen und Organisationen der Teilnehmerstaaten zu erleichtern und zur Lösung der humanitären Probleme beizutragen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben. Es handelt sich hier um Familienbesuche, Familienzusammenführung, Eheschließungen zwischen Bürgern verschiedener Staaten, Reisen aus persönlichen und beruflichen Gründen, Verbesserung der Bedingungen für den Tourismus auf individueller oder kollektiver Grundlage, Begegnungen der Jugend, Sport und Erweiterung der Kontakte zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen bzw. Vereinigungen. Alles in allem Verpflichtungen, die bis dahin noch in keinem internationalen Instrument enthalten waren. Schon aus der Natur des dritten Korbes ergibt es sich, daß die Delegation des Heiligen Stuhls in diesem Bereich ihre spezifischen Interessen zu vertreten hatte. Reisen au~ religiösen Motiven, ebenso wie Kontakte zwischen Angehörigen und Würdenträgern religiöser Bekenntnisse, Institutionen und Organisationen haben einen, über den generellen Aspekt von Reisen aus persönlichen oder beruflichen Gründen hinausgehenden Charakter; ebenso wie Informationen, die sie auszutauschen beabsichtigen. Auch in diesem Zusammenhang hat es die nach allen Seiten hin sehr umsichtig verhandelnde Delegation des Heiligen Stuhls erreicht, daß ihrer spezifischen Interessenlage in der Schlußakte der Konferenz Rechnung getragen worden ist. In einem besonders plazierten Text bestätigen die Teilnehmerstaaten der Konferenz, daß religiöse Bekenntnisse, Institutionen und

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Organisationen, die im verfassungsmäßigen Rahmen der Teilnehmerstaaten wirken, sowie ihre Vertreter in den Bereichen ihrer Tätigkeit untereinander Kontakte und Treffen haben sowie Informationen austauschen können. Der umsichtigen Verhandlungsführung der Delegation des Heiligen Stuhls ist es zu danken, daß schon im Mandat für die Konferenz (Schlußempfehlungen der Helsinki-Konsultationen) die Gedanken-, Gewissens-, Religions-, oder Oberzeugungsfreiheit ausdrücklich in das Prinzip der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einbezogen worden ist. Im Rahmen dieses Prinzips heißt es in der Schlußakte, daß die Teilnehmerstaaten die Freiheit des Individuums anerkennen und achten werden, sich allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu einer Religion oder einer Überzeugung in Obereinstimmung mit dem, was sein Gewissen ihm gebietet, zu bekennen und sie auszuüben. Im größeren Zusammenhang darf hier die pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et Spes" zitiert werden, wo es im Abschnitt 76 (Politische Gemeinschaft und Kirche) folgendermaßen heißt: "Sehr wichtig ist besonders in einer pluralistischen Gesellschaft, daß man das Verhältnis zwischen der politischen Gemeinschaft und der Kirche richtig sieht, sodaß zwischen dem, was die Christen als Einzelne oder im Verbund im eigenen Namen als Staatsbürger, die von ihrem christlichen Gewissen geleitet werden, und dem, was sie im Namen der Kirche zusammen mit ihren Hirten tun, klar unterschieden wird. Die Kirche, die in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf, noch auch an irgendein politisches System gebunden ist, ist zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person. Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. Beide aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen. Diesen Dienst können beide zum Wohl aller umso wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen. Der Mensch ist ja nicht auf die zeitliche Ordnung beschränkt, sondern inmitten der menschlichen Geschichte vollzieht er ungeschmälert seine ewige Berufung. Die Kirche aber, in der Liebe des Erlösers begründet, trägt dazu bei, daß sich innerhalb der Grenzen einer Nation und im Verhältnis zwischen den Völkern Gerechtigkeit und Liebe entfalten. Indem sie nämlich die Wahrheit des Evangeliums verkündet und alle Bereiche menschlichen Handeins durch ihre Lehre und das Zeugnis der Christen erhellt, achtet und fördert sie auch die politische Freiheit der Bürger und ihre Verantwortlichkeit."

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Auswirkungen der Schlußakte der KSZE

Wenn man den Gesamtinhalt der Schlußakte der KSZE von Helsinki in Betracht zieht, handelt es sich aus damaliger Sicht um alles andere als Routineangelegenheiten. Der Weg, die so viele Lebensbereiche umfassenden Ziele der am 1. August 1975 in Helsinki unterzeichneten Schlußakte der KSZE in die Staatenpraxis umzusetzen, war nicht einfach. Aber weit mehr, als man damals für möglich hielt, ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Vor 11 Jahren ist der Ost-West-Konflikt von der Bühne der Geschichte verschwunden. Das Drama endete schneller als irgend jemand zu träumen gewagt hätte. Das bipolare System löste sich auf, weil das östliche System an seinen eigenen Widersprüchen zerbrach. Dieser ungeheuere Umbruch hat sich im Wesentlichen friedlich vollzogen. Das ist nicht zuletzt das Verdienst der von vielen unterschätzten Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der KSZE. Als der KSZE-Prozeß begann, ist er viel Mißtrauen begegnet, welches sich nicht als gerechtfertigt erwies, was mit nachstehenden Ausführungen klar ersichtlich gemacht wird: Im ersten Abschnitt der Schlußakte der KSZE von Helsinki betreffend Fragen der Sicherheit in Europa ist die bedeutsame "Erklärung über die Prinzipien, die die Beziehungen der Teilnehmerstaaten leiten", enthalten. Im Rahmen der 10 darin aufgenommenen Prinzipien betrifft das dritte Prinzip die "Unverletzlichkeit der Grenzen" der Teilnehmerstaaten. Die Warschauer-Pakt-Staaten haben lange Zeit auf einer anderen Formulierung bestanden. Die Warschauer-Pakt-Staaten wollten nicht den Begriff der Unverletzlichkeit, sondern den der Unabänderlichkeit der Grenzen verwenden, was einen fundamentalen Unterschied macht und daher vom Westen, einschließlich der Neutralen, strikte abgelehnt wurde, weil dies die definitive Festschreibung des politischen und territorialen Status quo in Europa im Rahmen eines "Ersatz-Friedensvertrages" zur Folge gehabt hätte. Abgesehen davon hat der Westen darauf bestanden, im ersten der 10 Prinzipien betreffend "Souveräne Gleichheit und Achtung der der Souveränität innewohnenden Rechte" zum Ausdruck zu bringen, daß die Grenzen der Teilnehmerstaaten der Konferenz, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, durch friedliche Mittel und durch Vereinbarungen verändert werden können.

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Dies ist, obwohl das damals noch niemand für möglich gehalten hätte, 15 Jahre später durch die Wiedervereinigung Deutschlands Realität und damit zu einem überragenden Erfolg auch des KSZE-Prozesses geworden. Das Prinzip der "Unverletzlichkeit der Grenzen" ist nichts anderes, als ein Gewaltverzicht, der schon in der Charter der Vereinten Nationen enthalten ist. - Die Anerkennung des territorialen und politischen Status Quo der Nachkriegszeit, - die Teilung Deutschlands und Europas, - die Untergrabung der Atlantischen Allianz, - die Hinausdrängung der USA und Kanadas aus Europa sind durch die KSZE nicht erfolgt. Im Gegenteil, die KSZE erwies sich langfristig für den Warschauer-Pakt als Sprengsatz in den eigenen Reihen. Abgesehen davon handelt es sich bei der Schlußakte der KSZE, die am 1. August 1975 in Helsinki unterzeichnet wurde um keinen Vertrag, sondern um eine auf höchster politischer Ebene erfolgte Absichtserklärung und somit auch um keinen Friedensvertrag. Von Interesse ist zweifellos auch, daß es mit Hilfe der Einigung auf ein Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen gelungen ist, wesentliche Fortschritte im Bereich der Menschenrechte und der humanitären Dimension zu erzielen. Heute bestreitet niemand mehr den bedeutenden Beitrag, den die KSZE zur Überwindung der Spaltung unseres Kontinents geleistet hat: - Mit der Schlußakte von Helsinki 1975 erhielten die auf Demokratisierung gerichteten politischen Kräfte im Osten Europas endlich ein Instrument, das es ihnen ermöglichte, für Freiheit und Menschenrechte einzutreten. - Der KSZE-Prozeß hatte eine neue Dimension der Zusammenarbeit eröffnet: erst systemübergreifend, dann systemöffnend, schließlich systemüberwindend. - Folgende Elemente haben wesentlich zur Erosion der Machtordnung beigetragen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa entstanden war:

- erstens: die Menschenrechte erhielten Vorrang vor dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates.

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In Istanbul ist im November 1999 von der- jetzt Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Charta für europäische Sicherheit verabschiedet worden. Dort wird festgestellt, daß auch interne Konflikte in einem Teilnehmerstaat eine Angelegenheit aller OSZE-Mitglieder sind, weil sie die gemeinsame Sicherheit bedrohen können. In dieser Charta heißt es im Abschnitt I. I 2.: "Im letzten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts wurde im OSZE-Gebiet Beachtliches erreicht; Zusammenarbeit trat an die Stelle von Konfrontation, doch ist die Gefahr von Konflikten zwischen Staaten nicht gänzlich gebannt. Wir haben überwunden, was Europa einst trennte, doch kommen neue Risiken und Herausforderungen auf uns zu. Seit wir die Charta von Paris unterzeichnet haben, wird immer deutlicher, dass eine Bedrohung unserer Sicherheit sowohl von Konflikten innerhalb von Staaten, als auch von Konflikten zwischen Staaten ausgehen kann. Wir haben Konflikte erlebt, die in vielen Fallen auf eklatante Verletzungen der OSZE-Normen und -Prinzipien zurückgingen. Wir waren Zeugen von Greueltaten, von denen wir dachten, dass sie längst der Vergangenheit angehörten. In diesem Jahrzehnt wurde deutlich, dass jeder derartige Konflikt die Sicherheit aller OSZETeilnehmerstaaten in Frage stellen kann."

Und im Abschnitt III. I 19.: "Wir bekräftigen, dass die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit der Grundpfeiler des umfassenden Sicherheitskonzepts der OSZE ist. Wir verpflichten uns, einer Bedrohung der Sicherheit etwa durch Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und überzeugungsfreihet, und Äußerungen der Intoleranz, des aggressiven Nationalismus, des Rassismus, des Chauvinismus, der Fremdenfeindlichkeit und des Antisemitismus entschlossen entgegenzutreten."

- zweitens: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entfalteten eine große Anziehungskraft und - drittens: Vertrauensbildung wurde zum beherrschenden Prinzip der Zusammenarbeit, einschließlich jener Maßnahmen, die auch auf militärischem Gebiet Offenheit und Transparenz herstellen sollen. Bewaffnete Konflikte 1998 I 1999

In den Jahren 199811999 ist der Krieg unerwartet in einen Teil Europas zurückgekehrt: Die Sicherheitsprobleme auf unserem Kontinent sind damit konfrontiert, dass schwache Staaten den Umbau ihrer Politik, ihrer Wirtschaft, ihrer Gesellschaft und ihrer Kultur gleichzeitig zu leisten haben. Diese Probleme hängen mit dem Zerfall von Staaten zusammen, in denen Staats- und Kulturgrenzen auseinanderfallen und haben auch mit Kräften zu tun, die diese

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Spannung zum eigenen Machterwerb oder Machterhalt instrumentalisieren. Wir sind in unserem Denken und Handeln immer noch stark darauf fixiert, auf Konflikte zu reagieren, anstatt sie im Vorfeld durch vorausschauendes, planvolles Handeln zu verhindern. Von dieser "Kultur der Prävention", zu deren Entwicklung der Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan uns alle aufgefordert hat, sind wir noch weit entfernt. Sie erfordert ein fundamentales Umdenken. Das kann nur gelingen, wenn wir uns auf grundlegende Werte rückbesinnen. Zwei Voraussetzungen erscheinen dabei wichtig:

- Erstens eine gerneinsame Wertegrundlage. Sie muß die Einhaltung der

Menschen- und Minderheitenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und das Prinzip der Marktwirtschaft umfassen. Unter den Bedingungen globalen Wettbewerbs der Marktwirtschaft darf das Attribut "sozial" nicht fehlen.

- Die zweite Voraussetzung liegt in der Erkenntnis, dass wirksame Prävention heute nur multilateral erfolgen kann. Keine internationale Krise lässt sich mehr im nationalen Alleingang verhindem oder bewältigen. Dazu aus dem Abschnitt III. I 12. der Charta für Europäische Sicherheit (Istanbul Nov. 1999): "Den Risiken und Herausforderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind, ist ein einzelner Staat oder eine einzelne Organisation nicht gewachsen. Im Verlauf des letzten Jahrzehnts haben wir große Anstrengungen unternommen, um eine neue Zusammenarbeit zwischen der OSZE und anderen internationalen Organisationen zu begründen. Wir bekennen uns zu einer noch engeren Zusammenarbeit zwischen den internationalen Organisationen, um die Ressourcen der internationalen Gemeinschaft bestmöglich nutzen zu können." Wenn wir diese beiden Grundsätze auf Europa anwenden, dann ist die OSZE wie keine andere Organisation dazu prädestiniert, Vorreiter dieser "Kultur der Prävention" zu sein, um noch einmal Kofi Annan zu zitieren: Die OSZE ist die einzige euroatlantische Klammer, die alle Staaten Europas, Russland, die Ukraine und die anderen Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion mit den alten Demokratien Europas und Amerikas zusammenführt. Sie bezieht sie alle in einen Wertekonsens ein, in dem die Einhaltung der Menschenrechte mit der Aufrechterhaltung und Festigung von Stabilität und Frieden gekoppelt werden. Sicherheit in Europa wird heute weniger durch Machtansprüche einzelner Staaten bedroht, als vielmehr durch das Anfachen von Gruppenantagonismen in einzelnen Staaten.

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Die neuen Sicherheitsrisiken sind mit den klassisch-militärischen Mitteln der Sicherheitspolitik nicht mehr erfaßbar: Soziale Ungleichgewichte, die Auswirkungen der internationalen Finanzkrisen, ethnische Konflikte, fundamentalistische Gewalt, Drogenhandel, transnationale Kriminalität. Eine nachhaltige Entwicklung in den Transformationsländern kann nur mit zivilen Mitteln erreicht werden. Der Grundgedanke des KSZE-Prozesses, der in der OSZE weiterlebt, ist heute aktueller denn je: Demokratie, Rechtsstaat und die Freiheit des Einzelnen, das sind die besten Garantien für ein friedliches Zusammenleben nicht nur der Einzelnen, sondern auch der Völker. Sie sichern eine gemeinsame wirtschaftliche Entwicklung. Sie lassen eine stabile internationale Ordnung entstehen. Die OSZE verfolgt mit ihrem Konzept der "Zivilgesellschaft", d. h. der Demokratisierung aller gesellschaftlichen Teilbereiche, bereits eine aktive Konfliktverhütungsstrategie. Es kommt nur darauf an, dieses Konzept auch als eine Aufgabe der präventiven Außenpolitik zu begreifen. Darum soll die OSZE ihre Aktivitäten bewusst auf die Entwicklung pluralistischer demokratischer Strukturen in den Teilnehmerstaaten ausrichten. Sie müssen zu der Grundvoraussetzung politischer und wirtschaftlicher Stabilität werden. Auf dieser Grundlage hat die OSZE in den vergangenen Jahren schon ein beachtliches Instrumentarium für Prävention und zivile Konfliktbewältigung entwickelt, insbesondere: - den Hohen Kommissar für nationale Minderheiten, - das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, - den OSZE-Beauftragten für die Medienfreiheit, - die Langzeitmissionen der OSZE. Sie alle haben in vielen Fällen maßgeblich dazu beigetragen, daß sich Krisen nicht zu gewaltsamen Konflikten entwickelten oder daß Konflikte begrenzt werden konnten: als Beispiele dafür nenne ich die erfolgreiche Regelung von Minderheitenkonflikten in Estland und Lettland, die Stabilisierung Mazedoniens und die Verhinderung eines erneuten Kriegsausbruchs in der Republik Moldau. Auf dem Balkan ist heute das sogenannte "Peace Building", der Aufbau ziviler Strukturen, zur wichtigsten Aufgabe geworden. So werden die Voraussetzungen geschaffen, damit die öffentliche Ordnung aufrechterhalten werden kann, damit demokratische Institutionen aufgebaut werden kön-

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nen, damit freie Wahlen organisiert, damit pluralistische Medien gefördert und zivilgesellschaftliche Strukturen gestärkt werden können. In der Gipfelerklärung der OSZE von Istanbul vom November 1999 heißt es unter Punkt 11: "Aus unseren Erfahrungen in Südosteuropa wird deutlich, dass eine gesamtheitliehe Sicht der Region notwendig ist. Wir begrüßen daher die Verabschiedung des Stabilitätspakts für Südosteuropa durch die Ministerkonferenz am 10. Juni 1999 in Köln, der auf eine Initiative der Europäischen Union zurückgeht und dem bei der Zusammenarbeit mit anderen teilnehmenden und fördernden Staaten, internationalen Organisationen und Institutionen eine Führungsrolle zukommt. Wir bekräftigen die Botschaft des Gipfeltreffens von Sarajewo: Die regionale Zusammenarbeit wird als Katalysator die Einbindung der Länder in der Region in breitere Strukturen bewirken. Die OSZE, unter deren Schirmherrschaft der Stabilitätspakt steht, hat im Hinblick auf seinen Erfolg eine ausschlaggebende Rolle zu spielen, und wir beauftragen den Ständigen Rat, eine regionale Strategie zur Unterstützung der Ziele des Paktes auszuarbeiten. Die OSZE wird eng mit ihren Teilnehmerstaaten und mit nichtstaatlichen Organisationen in der Region zusammenarbeiten."

Rückschläge Die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens- , Religions- oder Überzeugungsfreiheit ist heute mehr denn je ein Gebot der Zeit. Wir sind aber mit der Tatsache konfrontiert, daß ungeachtet der zahlreichen, auf internationaler Ebene übernommenen Verpflichtungen viele Menschen durch Gewaltanwendung ihr Leben verlieren, Städte und Dörfer zerstört werden. Die Menschenrechte und Grundfreiheiten stehen dort nur auf dem Papier, was die strukturellen Schwächen der zur Verfügung stehenden internationalen Instrumente sehr deutlich in Erscheinung treten läßt. Neu aufgebrochene ethnische und nationale Konflikte, die mancherorts nicht zuletzt dadurch entstehen, daß die posttotalitären Gesellschaften ihren Zusammenhalt durch Betonung des Nationalen fördern wollen, führen uns vor Augen, daß es noch kein ausreichendes Instrumentarium für den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich des gebotenen Minderheitenschutzes, gibt. Umso größere Bedeutung kam der Weltkonferenz der Vereinten Nationen über Menschenrechte zu, die im Juni 1993 in Wien stattfand und die Aufmerksamkeit der Welt neuerlich auf die große Bedeutung dieses Themas konzentrierte.

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Jeder, der sich intensiv mit der Kodifizierung der Menschenrechte befaßt, wird immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob es überhaupt noch einen Sinn hat, sich damit abzugeben. Die rauhe Wirklichkeit spricht doch eine ganz andere Sprache und kümmert sich nicht im geringsten darum. Eine solche Argumentation ist nicht leicht zu nehmen. Uns allen sind viele Fälle bekannt, die eine erschütternde Verletzung verbriefter Menschenrechte bedeuten. Trotzdem liegt hier ein schwerwiegender Irrtum vor. Zwar machen wir uns keine lllusionen darüber, daß nicht auch in Zukunft grobe Verletzungen internationaler Verpflichtungen auf dem Gebiete der Menschenrechte vorkommen werden. Es wäre aber höchst ungerecht, zu übersehen, daß durch internationale Gremien in sehr vielen Fällen Abhilfe geschaffen werden konnte. Es wäre daher nicht richtig, sich entmutigen zu lassen. Die unablässigen Bemühungen, weltweit auf vorbehaltlose Gewährleistung und Anwendung der Menschenrechte zu dringen, müssen also trotz aller Rückschläge fortgesetzt werden. In erster Linie wird es aber immer an den Staaten bzw. an den Teilnehmern bewaffneter Auseinandersetzungen selbst liegen, dafür zu sorgen, daß in ihrem Einflußbereich Menschenrechtsverletzungen hintangehalten werden. Denn die Staaten sind keine abstrakten Gebilde, sondern eine organisierte Gemeinschaft von Menschen, und es sind Menschen, die Politik machen und Menschen, für die es bestmögliche Bedingungen zu schaffen gilt, um miteinander in Frieden zu leben und auskommen zu können. Schlußfolgerungen

Die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit ist heute mehr denn je ein Gebot der Zeit. Die Problematik des Prinzips der Menschenrechte und Grundfreiheiten besteht heute darin, daß es sich weniger um eine Frage der Zusammenarbeit zwischen den Staaten handelt, als um eine Verpflichtung, die auf eigenem Territorium auch gegenüber den eigenen Staatsbürgern wirksam ist, was es erschwert, von außen auf die Erfüllung dieser Verpflichtung hinzuwirken. Schon die Präambel der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" besagt, daß die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt

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bildet. Analoges finden wir in der Präambel der Charter der Vereinten Nationen. Die Effektivität der Menschenrechte hängt aber von ihrer Durchsetzbarkeit ab. Gemäß Art. 51 der Charter der Vereinten Nationen beeinträchtigt diese Charter im Falle eines bewaffneten Angriffes gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung. Keine Bestimmung der Charter trifft aber Verfügungen für den Fall, daß ein bewaffneter Angriff - noch dazu in großem Umfang - gegen eigene Staatsbürger auf eigenem Staatsgebiet erfolgt, denen analog ebenfalls die Möglichkeit einer individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung offen stehen muß, will man nicht schweren Menschenrechtsverletzungen Vorschub leisten. Artikel eins der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" der Vereinten Nationen besagt, daß alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind. Gemäß Artikel zwei hat jedermann Anspruch auf die in dieser Erklärung proklamierten Rechte und Freiheiten ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Vermögen, Geburt oder sonstigen Status. Weiters darf keine Unterscheidung gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört, ohne Rücksicht darauf, ob es unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder irgendeiner anderen Beschränkung seiner Souveränität unterworfen ist. Am 9. April 1999 hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, in Genf im Hinblick auf die Ereignisse im Kosovo folgendes festgestellt: "Wir stehen unter der dunklen Wolke des Völkermordes" und hinzugefügt, daß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht zu einem Refugium derjenigen werden dürfe, die unter dem Deckmantel der Souveränität schlimmste Verstöße gegen die Menschenrechte tätigen. Schon am 20. April1994 hat das Europäische Parlament die Staaten der Europäischen Union ausdrücklich aufgerufen, an dem rechtsbildenden Prozeß zur Anerkennung eines Rechtes auf humanitäre Intervention aktiv mitzuwirken. Zu diesem Zweck hat es Kriterien aufgestellt, die bei einer humanitären Intervention erfüllt sein müssen:

Ohne Menschenrechte kein Friede

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- der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird seinem Gewaltmonopolaus welchen Gründen auch immer- nicht gerecht, - der betreffende Territorialstaat ist zur Verhinderung der Menschenrechtsverletzungen oder zur Abwendung der humanitären Katastrophe nicht bereit oder nicht in der Lage, - alle anderen Lösungsversuche, soweit sie möglich und vernünftig sind, sind ausgeschöpft und erfolglos geblieben. - Unter diesen Voraussetzungen kann eine begrenzte militärische Operation unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel durchgeführt werden. Demnach ist es nach Auffassung des Europäischen Parlamentes als ultima ratio möglich, auch ohne Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen bewaffnete Streitkräfte zur Verhinderung schwerster und systematischer Menschenrechtsverletzungen oder zur Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden humanitären Katastrophe einzusetzen. DerUN-Sicherheitsrat hat seit 1998 mehrfach festgestellt, daß die durch die Unterdrückung der albanisch-stämmigen Kosovaren ausgelöste Situation eine Bedrohung des Friedens in der Region darstellt. Verhandlungsbemühungen war kein Erfolg beschieden. Militärische Sanktionen der Vereinten Nationen sind aber nicht erfolgt. Wenn die internationale Staatengemeinschaft ihren Verpflichtungen für das Gemeinwohl, die Achtung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie für das humanitäre Volkerrecht aus welchen Gründen auch immer nicht nachkommt oder nicht nachkommen kann, darf daraus keinesfalls ein Anspruch auf Duldung von Volkerrechts- bzw. Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in einem so verheerenden Ausmaß, entstehen, wie wir es auf dem Balkan beklagen. Unrecht darf niemals Recht werden; das würde auch den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, einer der drei Rechtsquellen des Volkerrechts, diametral zuwiderlaufen. Nach dem Kalten Krieg haben viele geglaubt, daß die Welt in eine nie dagewesene Periode von Frieden und Wohlstand eintreten wird. Die Lehre des "Gerechten Krieges" (bellum iustum) galt im Zeitalter des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen als überholt. Dementsprechend hat die Charter der Vereinten Nationen nur Maßnahmen für den Fall internationaler Konflikte vorgesehen. Es hat sich jedoch gezeigt, daß gerade bewaffnete innerstaatliche Konflikte, die oft mit großer Brutalität ausgetragen werden, einen besonderen 19 Johannes Paul II.

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Helmut Liedermann

Gefahrenherd bilden, auf welche die Charter der Vereinten Nationen dem Buchstaben nach keine unmittelbare Anwendung findet. Gewalt als Mittel der Politik hat im Laufe der Jahre immer mehr besorgniserregende Formen angenommen. Angesichts der Greuel auf dem Balkan, durch welche die Grundrechte der Person schwerstens verletzt und dem Gemeinwohl größter Schaden zugefügt wurde, kann gewaltsame Auflehnung gegen gewaltsames Unrecht durchaus rechtens sein, will man nicht die Ziele und Grundsätze der Charter der Vereinten Nationen gänzlich außer acht lassen. Schließlich geht das neuzeitliche "ius gentium", ein Begriff, der sich schon im römischen Recht findet, in wesentlichen Elementen auf die Naturrechtier des 16. Jahrhunderts zurück. Die Werke von Francisco de Vitoria ("De iure belli ") und Francisco Suarez ("De legibus") und des niederländischen Juristen Hugo Grotius ("De iure belli ac pacis") haben unmittelbar auf die Ausprägung des modernen Völkerrechtes eingewirkt. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, der 1993 mit einer Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen eingesetzt wurde, ist gemäß seinem Statut befugt, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die für seit 1991 im Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangene schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verantwortlich sind. Zu diesen Verstößen zählen u. a. schwere Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949, gegen das Kriegsrecht, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Vertreibung, Versklavung und Vergewaltigung. Wer eines dieser Verbrechen begangen, geplant oder angeordnet hat oder auch nur an deren Planung, Vorbereitung oder Ausführung beteiligt war, ist im Sinne des Statutes des Gerichtshofes individuell dafür verantwortlich. Ausdrücklich wird in dem Statut bestimmt, daß die amtliche Stellung eines Beschuldigten - "ob als Staats- oder Regierungschef oder als verantwortlicher Amtsträger der Regierung" - diesen nicht der strafrechtlichen Verantwortung enthebe und auch nicht als Strafmilderungsgrund gilt. Da der Internationale Strafgerichtshof auf Basis einer Resolution des Sicherheitsrates eingesetzt wurde, die sich auf Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen (Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen) und nicht auf Kapitel VI (Friedliche Beilegung von Streitigkeiten) stützt, ist der Einwand, es handle sich um "innere Angelegenheiten", irrelevant.

Ohne Menschenrechte kein Friede

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Schon in der Völkermord-Konvention der Vereinten Nationen heißt es, daß die Täter zu bestrafen sind, gleichviel, ob sie regierende Personen, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind. Die staatliche Souveränität ist ein Begriff des Völkerrechtes und von dessen Entwicklung abhängig. Was zum Gegenstand des Volkerrechtes wird, sei es durch Abschluß von Verträgen oder durch die Entwicklung von Normen des allgemeinen Völkerrechtes, ist der staatlichen Alleinzuständigkeit entzogen. Die fortschreitende Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen hat zu einer Verringerung des Bereiches der Angelegenheiten geführt, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit des Staates gehören. Menschenrechte und Grundfreiheiten spielen hiebei eine bedeutsame Rolle. Die Erfahrungen der beiden Weltkriege haben 1945 mit der Charter der Vereinten Nationen zu einem ersten Paradigmenwechsel geführt, der in den Folgejahren durch zahlreiche Verträge innerhalb der Vereinten Nationen noch wesentlich vertieft wurde. Ein Schritt von großer Bedeutung bestand darin, daß der vormals auf die staatliche Ebene beschränkte Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu einer Aufgabe der Staatengemeinschaft wurde. Die Herausnahme der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten aus den "inneren Angelegenheiten" eines Staates bietet die rechtliche Basis für die Einforderung der Achtung dieser Rechte von außerhalb. Jedwede solche Aktion zur Abwehr von Menschenrechtsverletzungen darf nur die Wiederherstellung der Respektierung der Menschenrechte zum Ziel haben. So wie es die vornehmste Aufgabe des Staates ist, für das Wohl seiner Bürger zu sorgen, soll auch der Mensch im Mittelpunkt des Sicherheitsbedürfnisses der Staaten in der internationalen Staatengemeinschaft stehen, denn die Staaten sind keine abstrakten Gebilde, sondern eine organisierte Gemeinschaft von Menschen, und es sind Menschen, die Politik machen und Menschen, die miteinander leben und auskommen müssen. Jede staatliche Souveränität ist eine relative; sie ist nicht Selbstzweck, sondern gleich dem Staat überhaupt, nur ein Mittel zur Herbeiführung des Wohles aller Menschen, die der Volkergemeinschaft angehören.

Der Verfasser bringt in seinem Beitrag seine persönlichen Auffassungen zum Ausdruck.

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FAMILIE UND SOZIALE ORDNUNG KlausKüng

Friedensbewegungen -eine musion? Slogans wie "Niemals wieder Krieg" haben sich bis jetzt noch immer als illusorisch erwiesen. Die Menschheitsgeschichte zeigt, daß immer wieder Konstellationen entstehen, die Kriegsgefahr mit sich bringen. In der jüngsten Vergangenheit wurde diese Erfahrung in tragischer Weise neuerlich bestätigt. Angesichts der Häufigkeit kriegerischer Auseinandersetzungen und der offenkundigen Ohnmacht - auch der Mächtigen -, friedensstiftend einzugreifen, könnten Zweifel aufkommen, ob Friedensbewegungen sinnvoll sind. Müssen wir nicht davon ausgehen, daß es immer Menschen geben wird, die ihr Machtstreben rücksichtslos durchsetzen, in der Konfliktbewältigung zu Verhandlung unfähig oder in der Gefahreneinschätzung unrealistisch sind? Es genügen ein paar Kriminelle oder Krankhafte, um einen Krieg auszulösen.

Friedensbewegungen- nötiger denn je Wenn trotz aller Erinnerungen an das moralische Grundprinzip, daß jedem das Seine zukommt, trotz bestehender Rechtsordnung, trotz Bestrafung von Diebstahl überall auf der Welt Stehlen häufig vorkommt, stellt dies die Notwendigkeit nicht in Frage, Eigentum gesetzlich und durch geeignete Maßnahmen der Exekutive zu schützen sowie zu Achtung vor Hab und Gut des anderen zu ermahnen. Im Gegenteil, je häufiger diesbezügliche Delikte vorkommen, desto wichtiger und dringender wird es zu überlegen, wie gegen einen solchen Mißstand Abhilfe geschaffen werden kann. Zugleich wird es nötig sein, sich mit den Hintergründen zu befassen, die für die Situation auslösend sind: extreme Annut, Arbeitslosigkeit, große soziale Gegensätze, Verwahrlosung mancher gesellschaftlicher Kreise, Drogen usw. können eine Rolle spielen.

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KlausKüng

In ähnlicher Weise ist es von größter Bedeutung, das Anliegen des Friedens immer wieder bewußt zu machen. Zum einen ist dies in unserer Zeit dringender denn je, weil die modernen Waffen und technischen Möglichkeiten Zerstörungen herbeiführen, welche die ganze Menschheit bedrohen und zu unermeßlichem Leid führen. Zum anderen ist es gerade auch beim Verlangen nach Frieden für die Menschheit erforderlich, die Grundfragen zu beachten, die für das Entstehen von Frieden und für seine Beständigkeit wichtig sind. Zu diesen Grundfragen gehört das Thema Familie.

Die Familie als Friedensschule Die Echtheit einer Friedensbewegung wird sich immer darin zeigen, daß jene, die sie zu verwirklichen suchen, auch persönlich, im eigenen Umfeld im Zusammenleben und Zusammenwirken mit anderen- um Friedfertigkeit bemüht sind. Nicht nur in diesem Sinn- als konkreter "Übungsplatz" dieser Tugend - kommt der Familie eine hervorragende Bedeutung zu. Die Familie spielt eine grundlegende (wörtlich gemeint) Rolle, ohne deshalb die Komplexität und Vielfalt der Faktoren zu übersehen, die für das Bestehen des sozialen und politischen Friedens Voraussetzung sind. Vielleicht läßt sich dieser Zusammenhang am leichtesten an den negativen Auswirkungen erkennen, die sich fast immer einstellen, wenn die Familie fehlt oder ihre Aufgaben nicht wahrnimmt.

Ohne Familie keine gesunde Entwicklung der Gesellschaft In den Vereinigten Staaten von Amerika sind vor einigen Jahrenaufgrund der Art der Vergabe sozialer Hilfen in Notfällen, die auch bei Schwangerschaften von alleinstehenden Frauen in Anspruch genommen wurden, Entwicklungen mit derart starken gesellschaftlichen, aber auch budgetären Folgewirkungen aufgetreten, daß Änderungen der Gesetzeslage nötig wurden. Frauen aus sozial schlecht gestellten Verhältnissen zogen dem Erwerb durch Arbeit ein Kind vor, da sie durch die Sozialhilfe fast mehr oder gleich viel "verdienten" wie durch ihre Arbeit. Die Zahl unehelicher Kinder stieg überproportional stark an (wie inzwischen auch in anderen Ländern). Präsident Clinton sah sich genötigt, den Antrag zu stellen, die Zahlungen im Falle von Schwangerschaft auf zwei Jahre zu beschränken und Schulungsprogramme einzurichten, die den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern. Die meisten dieser Kinder "landeten" später, nach Beendigung

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der Karenz, in Waisenhäusern, undtrotzbester Dotierung und Professionalisierung des Personals der sozialen Einrichtungen in Amerika sind solche Kinder in einem hohen Prozentsatz durch Drogenabhängigkeit und Kriminalität gefährdet, was wiederum- abgesehen von den damit verbundenen menschlichen Tragödien - schwerste finanzielle Belastungen der öffentlichen Hand verursachte. Langzeittherapie und Betreuung von Drogenabhängigen sind bekanntlich extrem kostenintensiv. Der Amerikanische Kongreß hat schließlich- nach weiteren persönlichen Interventionen von Präsident Clinton -, die Vergabe der Sozialhilfe neu geregelt, sodaß die Familie nicht benachteiligt und dem Trend zu unehelichen Kindern entgegengewirkt wird. 1 Wir müssen aber nicht bis nach Amerika reisen, um die außerordentlich große Bedeutung geregelter Familienverhältnisse für die gesunde Entwicklung der Persön-lichkeit des Menschen festzustellen. Es genügt ein Besuch der verschiedenen Einrich-tungen der Caritas und anderer sozialer Institutionen in unserem Land: Seelsorger und Sozialarbeiter, Psychotherapeuten und Ärzte, alle, die mit Alkoholkranken und Drogenabhängigen, mit Menschen zu tun haben, die mit unserer Leistungs- und Konsumgesellschaft nicht zurecht kommen, sagen dasselbe: Der Mangel an Zuwendung liebevoller Eltern, das Fehlen von Geborgenheit in der Kindheit, die nicht vorhandene Solidarität einer Familie sind neben sexuellem Mißbrauch wie ein roter Faden, der sich durch fast alle Vorgeschichten tragischer Lebensverläufe zieht. Der Begriff "Familie" unscharf?

Beim Großteil der Bevölkerung, aber ebenso bei Fachleuten- Seelsorgern, Ärzten, Psychotherapeuten, Lehrern, Sozialarbeitern usw. -besteht auch in unserer Zeit die Überzeugung, daß die Familie für das Wohlbefinden der Menschen, insbesondere für die gesunde Entwicklung der Kinder von größter Bedeutung ist. Auch bei der Jugend steht der Wunsch nach einer stabilen, glücklichen Familie weiterhin außerordentlich hoch im Kurs. Weniger klar ist die Übereinstimmung, wenn man Familie genauer definieren will. Die Zahl der Ehescheidungen ist in vielen Ländern - insbesondere der Wohlstandswelt- derart stark angestiegen, daß in den letzten Jahren als Folge eine Vielzahl von "Familienformen" entstanden ist: Geschiedene gehen neue Bindungen ein, viele heiraten nicht mehr, sondern leben in ehe1

Aceprensa Nr. 24, 29. Juni 1994.

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ähnlichen Gemeinschaften mit einer mehr oder weniger festen Bindung. In nicht wenigen Familien stammen die Kinder teils aus früheren Verhältnissen der Frau oder des Mannes, dazu kommen die gemeinsamen Kinder. Die gesellschaftliche Entwicklung Die Gesetzgebung hat sich unter dem Druck der gesellschaftlichen Entwicklung den "neuen" Verhältnissen weitgehend angepaßt: Ehescheidungen werden leicht gemacht und inzwischen ist die Situation derart, daß Familien auf der Grundlage einer unauflöslichen Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, also Familien "im traditionellen Sinn" (wie unpassender Weise gesagt wird) und Lebensgemeinschaften ohne rechtliche Bindung vor allem in finanzieller Hinsicht fast gleichberechtigt sind. Singles, Familien mit wenigen oder keinen Kindern bzw. Zusammenlebende sind gegenüber kinderreichen Familien eindeutig im Vorteil. Neuerdings bestehen in nicht wenigen Ländern von bestimmten Pressuregroups zum Teil sehr heftig vorangetriebene Bestrebungen, möglichst auch die gesetzliche Gleichstellung von Lebensgemeinschaften gleichgeschlechtlich orientierter Personen mit der Ehe zwischen Mann und Frau zu erreichen. 2 Mit anderen Worten: In vielen Ländern - insbesondere in Europa und Nord-amerika, aber auch in anderen Wohlstandsländern- hat sich bezüglich Einstellung zu Ehe und Familie in den letzten Jahrzehnten ein starker Wandel vollzogen, der teils durch die neuen Lebensverhältnisse, teils durch die neue Bildungssituation (insbesondere der Frau), teils durch andere Faktoren, nicht zuletzt durch die geringere Bindung vieler an die Kirche und den Glauben der Kirche bedingt ist. Dies führt zu vielfältigen Folgeerscheinungen, die sich in den jüngeren Generationen immer stärker und generalisierter zeigen: Im allgemeinen ist davon auszugehen, daß kein Kind die Scheidung der Eltern ohne tiefe seelische Verwundung und ohne gewisse Probleme in der Persönlichkeitsentwicklung übersteht. Viele Jugendliche, deren Eltern sich scheiden ließen oder getrennt leben, flüchten aus einer großen Sehnsucht nach Geborgenheit und Familie viel zu früh in Freundschaften und Verhältnisse, für die sie nicht die nötigen Voraussetzungen mitbringen. Oft wiederholt sich dann in ihrem eigenen Leben, was sie so 2

Das europäische Parlament fordert in seiner Entschließung vom 27. Oktober

1999, Art. 55 und 56 im Zusammenhang mit den Jahresberichten 1998-99 über die Beachtung der Menschenrechte in der EU aus Gründen der Nicht-Diskriminierung die Anerkennung der gleichen Rechte für Alleinerzieher, in Lebensgemeinschaft zu-

sammenlebende, nicht verheiratete und gleichgeschlechtliche Paare wie für Familien

im traditionellen Sinn.

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gerne vermieden hätten: auch ihre Partnerschaft zerbricht wie die der Eltern. Die Angst vor einem möglichen Scheitern erschwert ihnen auch die Entscheidung, eine feste, durch zivile und kirchliche Trauung grundgelegte Beziehung einzugehen, ein Phänomen, das heute nicht nur aus diesem Grund unter Jugendlichen weit verbreitet ist. Auch diese Angst vor Bindung hat oft negative Folgen für die Dauerhaftigkeit der Ehen. Vor allem aber werden bei jenen, die nicht in einer Familie mit Vater und Mutter aufwachsen, nicht ausreichend die grundlegenden sozialen 'lUgenden entwickelt, die für die Wahrnehmung von Verantwortung, für Zusammenarbeit, Dienstbereitschaft, auch Konfliktfähigkeit wichtig sind. Zu den großen Problemen der Wohlstandsländer gehört die zu geringe Kinder-zahl. Man spricht von der "Vergreisung Europas" wegen der allmählich dramatischer werdenden Alterspyramide. Die Zahl der Kinder pro Familie bzw. Frauen im gebärfähigen Alter ist derart niedrig, daß die natürliche Regeneration der betroffenen Nationen nicht mehr zur Gänze gegeben ist und die Defizite an jungen Arbeitskräften zur Aufrechterhaltung des Arbeitsmarktes und der Generationenbilanz nur durch Einwanderung von Ausländern voll abgedeckt werden können. Das wirft eine weitere Frage auf, die zu einer tatsächlichen Gefährdung des gesellschaftlichen und politischen Friedens führen kann, wenn die Integration der ausländischen Gruppen nicht gelingt oder Aversionen gegen Ausländer gehegt werden. Insbesondere bei Auftreten wirtschaftlicher Schwankungen oder bei bestimmten internationalen Ereignissen können brisante Situationen entstehen. Die Ausländerfrage zählt zu den besonders delikaten Problemen der Gegenwart. Ehe und Familie -keine bloß konventionellen Werte Es ist sehr wichtig, sich bewußt zu machen, daß die Wesensbestimmung von Ehe und Familie nicht einfach der menschlichen Willkür unterliegt. Es handelt sich bei Ehe und Familie nicht bloß um konventionelle Werte, die je nach persönlichem Geschmack so oder so gestaltet werden können, ohne daß dies Folgen hätte. Das II. Vatikanische Konzil hat in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute gelehrt: "Die innige Gemeinschaft des Ehelebens und der ehelichen Liebe, vom Schöpfer begründet und mit einer eigenen Gesetzlichkeit versehen, wird durch den ehelichen Vertrag, d. h. durch eine unwiderrufliche gegenseitige Zustimmung gestiftet. So entsteht durch menschliches '1\ln, indem sich die Eheleute einander hingeben und anneh-

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men, ein nach göttlicher Anordnung fester Stand auch vor der Gesellschaft. Dieses heilige Band unterliegt im Hinblick auf das Wohl der Eheleute und der Nachkommenschaft sowie das Wohl der Gesellschaft nicht menschlicher Willkür. Gott selbst ist Urheber der Ehe, die mit verschiedenen Gütern und Zielen ausgestattet ist; sie alle sind von größter Bedeutung für das Weiterleben des Menschengeschlechtes, für den persönlichen Fortschritt der einzelnen Familienmitglieder und ihr ewiges Heil; für die Würde, die Festigkeit, den Frieden und das Wohlergehen der Familie selbst und der ganzen menschlichen Gesellschaft" 3 • Nach dem Verständnis der katholischen Kirche sind also Ehe und Familie in der Schöpfungsordnung begründet. Wenn sie z. B. lehrt, daß die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau die Merkmale der Einheit und der Unauflöslichkeit besitzt sowie die prinzipielle Bereitschaft voraussetzt, Kindern das Leben zu schenken, so gilt dies nach ihrer Auffassung nicht nur für "die Gläubigen", sondern für alle Menschen. Die Gründe dafür liegen im Wesen von Mann und Frau selbst, in ihrer biologischen und leibseelischen Identität, im Geheimnis der menschlichen Liebe, die ein Abbild der göttlichen Liebe ist und bestimmte Eigenschaften hat, und in den Bedürfnissen der Kinder, die sich zu gesunden Menschen entwickeln sollen. Kinder bedürfen der Geborgenheit einer festen Bindung der Eltern, ihrer Liebe und Treue. Ihre Zuwendung und ihr Vorbild sind für sie von fundamentaler Bedeutung. Für jeden Menschen ist das Aufwachsen in der Familie grundlegend. Das Manko eines zerrütteten oder nicht vorhandenen Elternhauses hängt dem Betroffenen in der Regel ein Leben lang nach. In Ehe, Beruf, auch auf einem geistlichen Weg bleibt es fast immer in irgendeiner Weise an bestimmten Reaktions- und Verhaltensweisen erkennbar, wenn jemand eine schwierige Kindheit oder Jugend hatte. Es wurde schon erwähnt, daß kaum ein Kind die Scheidung der Eltern ohne Schaden übersteht. Besonders schlimm ist es für das Kind, wenn die Eltern nur in einer losen Lebensgemeinschaft beieinander sind, ein Vater- oder Mutterwechsel ist für das Kind kaum verkraftbar. Eine "Wiederheirat" der Mutter oder des Vaters ist in der Regel für die Kinder die schlechteste Lösung. Wenn sich die Mutter bzw. der Vater dazu entschließen, nicht mehr zu heiraten und mit den Kindern allein zu leben, ist das für die Kinder meist der bessere Weg. Wichtig ist das richtige Verständnis von Ehe und Familie auch für die Ehepartner selbst. Bei Nichteingehen einer Bindung im Sinne einer endgültigen Entscheidung füreinander und Eheschließung kann sich Liebe nicht 3

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entfalten. Dasselbe gilt, wenn jede Krise zur Auflösung der eingegangenen Bindung, zur Trennung oder Scheidung führt. Jemand hat einmal treffend gesagt: "Die sogenannte freie Liebe ist weder frei noch Liebe." Gemeint ist damit, daß sich jene, die sich auf eine Lebensgemeinschaft einlassen, ohne sich richtig zu kennen und ohne sich vorher endgültig zu einer Ehe entschlossen zu haben, in eine Situation der Unfreiheit begeben: Sie sind zu früh zusammengezogen; wieder auseinanderzugehen, weil Probleme auftreten, wird schwierig, weil es eine Enttäuschung für den anderen oder für beide bedeutet; besonders schwierig wird es, wenn eine unerwartete Schwangerschaft eintritt. Das Kind kann beinahe zu einem Vorwurf werden, zur Heirat genötigt zu sein. Solche Paare sind aber in der Regel nicht nur nicht ganz frei, auch ihre Liebe kann nicht wachsen, wenn sie es nicht lernen, Krisen gemeinsam zu "bearbeiten" und zu überwinden. Für die Entfaltung der Liebe sind auch Kinder wichtig. Heute besteht ein Trend zur Lebensgemeinschaft ohne Kind. In der Regel wird sich ein Ehepaar mit einem echten Ehe- und Familienverständnis mehrere Kinder wünschen. Kinder brauchen Geschwister, um sich zu reifen, verantwortungsbewußten, teamfähigen Menschen zu entwickeln, und die Eltern haben von Gott ein weites Herz empfangen, das zu einer großen Liebe (nicht nur für ein Kind) fähig ist. Wenn nur ein Kind mit der "ganzen" Liebe überschüttet wird, tut dies auch dem Kind nicht gut. Es wird oft von klein auf zum Egoismus erzogen. In der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute lehrte das II. Vatikanische Konzil: "Ehe und eheliche Liebe sind ihrer Eigenart nach auf die Erzeugung und Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet. Die Kinder sind fürwahr das vorzüglichste Geschenk der Ehe und tragen zum Wohl der Eltern sehr viel bei. Gott selbst hat gesprochen: ,Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei' (Gen 2, 28) und ,der den Menschen von Anfang an als Mann und Frau schuf' (Mt 19, 14) und ihm eine besondere Teilnahme an seinem Schöpfungswerk mitteilen wollte, segnete Mann und Frau und sprach: ,Wachset und mehret euch' (Gen 1, 20). Ohne die übrigen Ziele der Ehe hintanzusetzen, sind deshalb die echte Gestaltung der ehelichen Liebe und die ganze sich daraus ergebende Natur des Familienlebens darauf ausgerichtet, daß die Eheleute von sich aus entschlossen und bereit sind, mit der Liebe des Schöpfers und Erlösers mitzuwirken, der durch sie seine Familie von Tag zu Tag vergrößert und bereichert4 • Nicht selten hängt die Einsamkeit der Menschen im Alter damit zusammen, daß es ihnen an Großzügigkeit, unter anderem auch bezüglich Kinderzahl, gefehlt hat. 4

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Wenn Ehe und Familie so verstanden werden, wie sie von der Kirche beschrieben und erklärt werden, dann ist es leicht einsichtig, daß Ehe und Familie für die innere Gesundheit und Stabilität der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung eines Landes von größter Bedeutung sind.

Eine Herausforderung für den Staat

In den letzten Jahren scheint es allmählich wieder etwas stärker bewußt zu werden, daß die Familie für die gesellschaftliche Entwicklung der Länder wichtig ist. Als charakteristisch für einen gewissen Trend, der in diese Richtung weist, können manche Vorgänge in der EU angesehen werden. Familie und Familienpolitik kamen in den Gemeinschaftsverträgen der EU gar nicht vor. Für diesen Bereich ist auch kein politisches Ressort vorgesehen. Es besteht nur ein "Observatorium", das heißt eine Stelle, welche die nationale Familienpolitik in den EU-Mitgliedsstaaten beobachtet. Mit den Beschlüssen von Amsterdam konnten zwar mehrere sozialpolitische Ergänzungen erreicht werden, aber die auf nationaler und internationaler Ebene durchaus vorhandenen Stimmen, die auf eine stärkere Berücksichtigung des familienpolitischen Aspektes drängten, konnten sich im Vorfeld von Amsterdam nicht durchsetzen- im Unterschied zu sozial- und frauenpolitischen Aspekten, hinter denen allerdings auch politisch viel wirksamere Kräftegruppierungen standen. In Wirklichkeit läßt sich Familienpolitik nicht auf die nationale Handlungsebene begrenzen, da sie - wie M. Wingen betont - als gesellschaftliche "Querschnittspolitik" zu betrachten ist5 . Die "Europäische Beobachtungsstelle für die nationale Familienpolitik" hat in ihrem Bericht 1996 festgestellt, nicht nur die Mitgliedsstaaten, sondern auch die Europäische Kommission schenkten den Auswirkungen, die ihre Maßnahmen und politischen Aktionen auf Familien haben, zu wenig Beachtung6 . In diesem Zusammenhang verdient "die Entschließung zum Schutz der Familie und des Kindes" des Europäischen Parlamentes vom 6. Jänner 1999 besondere Beachtung. Nach dieser Entschließung hält es das Europäische Parlament für erforderlich, die Leitlinien einer umfassenden Familienpolitik festzulegen. Diese habe (1) der Unterschiedlichkeit der Familienmodelle Rechnung zu tragen, 5 Vgl. Ma:c Wingen, "Die familienpolitische Verantwortung in der Gemeinschaftspolitik der EU", S 332. 6 Europäische Beobachtungsstelle für Nationale Familienpolitik, Bericht 1996, "Eine Synthese", S 72.

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(2) einen rein wirtschaftlichen Ansatz einer bloßen Leistungspolitik zu überwinden und (3) den Grundsatz der Chancengleichheit von Männern und Frauen zu fördern. Die Mitgliedsstaaten werden aufgefordert, eine Familienpolitik zu betreiben, die die Familie wirtschaftlich und bei ihrer erzieherischen Aufgabe sowie im Hinblick auf die Solidarität zwischen den Generationen unterstützt und schützt. Die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben für Mütter und Vater wird als ein wesentlicher Faktor einer modernen Familienpolitik angesehen; dabei werden von den Mitgliedsstaaten Initiativen erwartet, die Vater stärker als bisher in der Kindererziehung einbeziehen. Das Kind wird in der Entschließung besonders in den Blickpunkt gerückt. Aus der Forderung nach Ausarbeitung einer geschlossenen und abgestimmten Familienpolitik, die das Kind in den Mittelpunkt der europäischen Diskussion zu stellen habe, wird die weitere Forderung abgeleitet, daß allen Vorschlägen für gemeinschaftliche Rechtsakte eine Bewertung der Auswirkungen auf die Familie unter dem Aspekt des Wohlergehens des Kindes beigefügt wird. Das Europäische Parlament fordert weiters die verschiedenen Verantwortungsträger zur Unterstützung bildungspolitisch relevanter Einrichtungen und Maßnahmen auf 7 . Eine gewisse Entwicklung läßt sich also erkennen. Ein Durchbruch zur An-erkennung bzw. entschlossenen Förderung der Familie ist aber bis jetzt nicht gelungen, außerdem herrscht jener Familienbegriff vor, der praktisch alle Formen des Zusammenlebens mehrerer Generationen - auch homosexueller Lebensgemeinschaften- als Familie bezeichnet. Seitens der internationalen Familienverbände bestehen Bestrebungen, weitere Verbesserungen zu erreichen: unter anderem die Einführung einer "Familienklausel", durch die festgeschrieben wird, dass bei den jeweiligen Maßnahmen der EU die Familienbelange zu beachten, Konflikte und Nachteile für das familiäre Zusammenleben, die sich aus der Durchführung von Maßnahmen der EU ergeben können, möglichst zu vermeiden sind. Weiters besteht das Bestreben, die Bedeutung der Familie in einer zu erarbeitenden verfassungsmäßigen Ordnung für die Gemeinschaft zu berücksichtigen. Zu einer Verfassung im eigentlichen Sinne dürfte es zwar zunächst nicht kommen, aber was sich abzeichnet, ist das Projekt eines Verfassungsvertrags für die EU. Die Familien, die elementar zum europäischen Gesellschaftsmodell gehören, müssen in einem solchen Verfassungsvertrag einen Platz finden. Dadurch würden sie als Bestandteil der Rechtsordung eine besondere Qualität erhalten8 . 7 Vgl. Ma:r Wingen, "Die familienpolitische Verantwortung in der Gemeinschaftspolitik der EU" S 331. B EbendaS 334.

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Die Familienpolitik betrifft in den meisten Ländern die Errnöglichung und finanzielle Abgeltung der Leistungen, die durch Familien erbracht werden: Erziehungsurlaub, Erziehungsgeld, Kindergeld, Steuerfreistellung des Existenzminimums, Regelung des Kindschaftsrechtes. Das Thema der Vereinbarkeit beruflicher Arbeit mit der Familie findet in den letzten Jahren in steigendem Maße Beachtung9 • Eine wirkliche Wende zu einer Farnilienförderung, wie sie wünschenswert wäre, ist aber nicht in Sicht: Notwendig wäre eine klare gesetzliche Verankerung und Stützung der Familie (insbesondere der kinderreichen) auf der Grundlage der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau. Diese Forderung ist wohl begründet und betrifft nicht bloß eine Minderheit. Die Familien gehören konstitutiv zum europäischen Gesellschaftsmodell. Laut M. Wingen sind schätzungsweise die Mitte der 70er Jahre geborenen Kinder in den alten Ländern Europas bis zu knapp 80%, in den neuen bis zu knapp 70% bei ihren eigenen leiblichen Eltern aufgewachsen 10 . Dieser Forderung widerspricht nicht, daß auch Alleinerzieher, wiederverheiratete Geschiedene und Lebensgemeinschaften die ihnen für die Kinder gebührenden Zuwendungen empfangen müssen; es dürfen aber dadurch nicht Trends gefördert werden, die letztlich für die Gesellschaft und für nicht wenige ihrer Glieder zum Schaden werden. Die von negativen Entwicklungen am stärksten Betroffenen sind meist die Kinder, die ein "Recht" auf Vater und Mutter haben. Diese Problematik zeigt sich ganz besonders in der Frage der von man.., chen beabsichtigten rechtlichen Gleichstellung von Lebensgemeinschaften homosexueller Personen mit der Ehe verbunden mit Recht auf Adoption von Kindem für solche Paare. Bei allem Respekt vor Menschen mit homosexueller Neigung und Verständnis für das Bedürfnis, ihre Lebensverhältnisse gesetzlich abzusichern- was auch zivilrechtlich möglich ist, wogegen es keinen Einwand gibt -, kann doch nicht Ungleiches für gleich erklärt werden und niemand hat "ein Recht" auf ein Kind. Dringend wären ehestabilisierende Maßnahmen wie Unterstützung von Bildungstätigkeiten (z. B. der kirchlichen) zugunsten der Familie, Einrichtung von Eheberatungsstellen, Revision des Scheidungsrechtes, Schlichtungsversuche vor jeder intendierten Scheidung, vor allem aber die Förderung der Widmung an die Familie: Mütter müßten wenigstens die freie Wahl haben, sich den Kindem und der Familie widmen zu können, was eine ent9 Einen guten Überblick über die rechtliche Stellung und finanzielle Stützung der Familie in den einzelnen Ländern Europas bietet der Artikel von Univ. Prof. Dr. Herbert Schambeck "Die Familie in der europäischen Gesetzgebung", in: Zeitschrift Familia et Vita, Heft 1, 1997. 1o M. Wingen, "Europäische Familienpolitik als Aufgabe", P.P.Bachem VerlagS 3.

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sprechende finanzielle Grundlage voraussetzt; die Erziehung durch die eigenen Eltern müßte mit allen Mitteln gestützt werden. Von größter Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Förderung bzw. wenigstens Ermöglichung der Wertevermittlung für jene Kinder, deren Eltern dies wünschen, durch Unterstützung entsprechender Privatschulen, Elternfortbildung usw. All diese Maßnahmen sind für die gesellschaftliche und politische Stabilität, für die Lebenskraft eines Volkes von größter Bedeutung. Eine Familie ohne Kinder stirbt aus, Völker, die sich wegen zu geringer Kinderzahl nicht zu regenerieren vermögen, werden sich auf Dauer nicht halten; das gilt auch für den politischen Frieden, der nicht von innen her, von den Menschen, getragen wird. Der Familie kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu.

Eine große Aufgabe der Kirche

Die Kirche hat aufgrund ihrer spezifischen Sendung die besondere Verantwortung, bei allem Respekt vor der Freiheit der Menschen und unabhängig von vorübergehenden Zeiterscheinungen und momentanen oder örtlichen Mehrheitsverhältnissen ihre Stimme zu erheben und auf die von Gott geoffenbarten Wahrheiten hinzuweisen. Das gilt besonders für die Bereiche von Ehe und Familie, die für die Entwicklung der wichtigsten Werte des Menschen - das Leben und die Liebe - von grundlegender Bedeutung sind. Die Kirche leistet auf diese Weise ihren Beitrag zum Wohlergehen des Menschen, wenn sie ihre Aufgabe wahrnimmt. Dies tut sie einerseits, indem sie in der Öffentlichkeit der Meinungsvielfalt einer pluralistischen Gesellschaft die Inhalte der Glaubensbotschaft einbringt, andererseits indem sie dem einzelnen Christen bei der Umsetzung des Evangeliums im Alltag des eigenen Lebens beisteht. Es genügt nicht, theoretisch und prinzipiell die der menschlichen Liebe zwischen Mann und Frau innewohnenden Gesetzmäßigkeiten und die idealen Voraussetzungen aufzuzeigen, die für die gesunde Entwicklung des Kindes und für die Vertiefung ehelicher Liebe wichtig sind. Die Hilfe, die die Kirche anbietet, ist besonderer Art: Letztlich ist die Kirche ein Werkzeug Christi. Er hat die Kirche gegründet und die Apostel eingesetzt, die in seinem Namen tätig sind, in seiner Vollmacht wirken und Ihn selbst vergegenwärtigen. Durch Christus können die Menschen den Frieden finden, den Weg zum Vater und den Weg zu wahrer Liebe. Durch die Wirksamkeit der Kirche empfangen daher jene, die an Christus glauben, nicht nur theoretische und praktische Richtlinien für ihre Lebensweise, sie empfangen zugleich Gottes Hilfe, um trotz aller persönlichen Schwächen auf dem als richtig erkannten Weg gehen zu können.

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Heute wird nicht selten behauptet, die Kirche lehre ein "Ideal", das nur von sehr wenigen erreicht werde; sie sei realitätsfremd. Tatsächlich sollte nicht vergessen werden, daß Christus davon gesprochen hat, der Weg, den man gehen müsse, sei schmal und steil, und die Tür, durch die man eintreten müsse, sei eng; zugleich ist nicht zu übersehen, daß die Kirche insbesondere in den Wohlstandsländern (auch in Afrika und anderen Entwicklungsländern, dort aber unter anderen Vorzeichen) gerade bezüglich Ehe und Familie stark zu kämpfen hat. Die Situation der Familie hat sich insbesondere in der zweiten Hälfte des vor kurzem zu Ende gegangenen Jahrhunderts sehr stark gewandelt. Die Erwartungen an die Familie sind einerseits sehr hoch- oft sogar stark überzogen: man möchte Geborgenheit, Harmonie, Ausgleich zu Arbeit und Streß, Erholung und Entspannung, Erfüllung in jeder Hinsicht. Andererseits sind die Lebensverhältnisse in mancher Hinsicht für die Familie schwieriger geworden: die Berufstätigkeit beider Ehepartner ist in vielen Fällen großen Belastungen durch Arbeit und vielfältige Engagements ausgesetzt, der moderne Lebensrhythmus erschwert die Gemeinschaft der Familie, die große Mobilität aller (oder fast aller) Familienmitglieder bringt Vorteile mit sich, aber auch Nachteile; die vielfältige und oft starke Beeinflussung von außen (Medien, Schule, Werbung, Freunde) ist ein Faktor, mit dem sowohl der einzelne, als auch die Familie leben lernen muß. Dazu kommt, daß bei Auftreten von Problemen durch die an sich positiven beruflichen Möglichkeiten und die größere Unabhängigkeit der Frau viel rascher als früher eine Scheidung in Betracht gezogen wird. Unter diesen Umständen setzt der Entschluß zur Gründung einer Familie und zur Wahrnehmung der damit verbundenen Verantwortung viel mehr Initiative seitens der Braut- bzw. Eheleute als früher voraus, als die Lebensabläufe und die Rollenverteilung in den meisten Familien ähnlich, die Ansprüche weniger hoch und die Möglichkeiten, sich bei Auftreten von Schwierigkeiten zu trennen, schon aus finanziellen Gründen kaum gegeben waren. Einstellung und Verhaltensweisen müssen heute von innen her entwickelt werden. Freilich sind auch die Verkündigung der Kirche und der pastorale Einsatz durch diese neuen Lebensverhältnisse stark gefordert. Die Kirche muß teilweise neue pastorale Wege suchen. Die Kirche stößt außerdem heute gerade im Zusammenhang mit manchen, Ehe und Familie betreffenden Fragen auf heftigen Widerspruch, auch in den Reihen der Gläubigen, weil insbesondere ihre Aussagen über Sexualität, Empfängnisregelung, Abtreibung und Unauflöslichkeit der Ehe in starkem

Familie und soziale Ordnung

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Kontrast zu den unter vielen Menschen verbreiteten Meinungen und Haltungen stehen. Die Anliegen, die dem diesbezüglichen kirchlichen Lehramt zugrunde liegen, sind trotzdem von größter Bedeutung. Vieles wird noch nicht erkannt: z. B. wie groß die Hilfe des Evangeliums für die Gestaltung und Bewältigung des Alltags gerade auch in der Familie ist; wie sehr Gebet im familiären Leben zum Halt werden kann; wie heilend und belebend die von Gott erlangte und einander gewährte Versöhnung wirkt. Die Sakramente sind eine unersetzbare Quelle des Lichtes und der Kraft für das familiäre Miteinander in allen Höhen und Tiefen, Freuden und Leiden. Auch die negativen Auswirkungen mancher heute weit verbreiteter Verhaltensweisen werden noch viel zu wenig erfaßt: z. B. daß "die Probeehe" sich nicht bewährt; daß vorschnell eingegangene und daher meist nur kurze Zeit dauernde intime Verhältnisse oft tiefe Verwundungen zurücklassen; daß sich Empfängnisverhütung auch innerhalb der Ehe auf die Beziehung negativ auswirkt; oder wie schwerwiegend die Fblgen mangelnder Treue oder der Scheidung sind, vor allem für die Kinder, aber auch für die Eheleute selbst. Es sind große Aufgaben, die es zu verwirklichen gilt, nicht nur von dafür ausgebildeten Seelsorgern, sondern auch von Ehepaaren, die ihre Erfahrungen anderen vermitteln. Die christlichen Familien selbst können und müssen zu Trägern der Hoffnung und des Friedens werden. Heute sind aus vielen Gründen viel intensivere und gründlichere Auseinandersetzungen mit den Möglichkeiten und Aufgaben einer christlichen Familie nötig, denn von der Schule und anderen Bildungseinrichtungen werden Werte nur mehr in geringem Maße oder gar nicht mehr vermittelt, und so ist Familie als Schule des Lebens, der Liebe und des Glaubens wichtiger denn je. Andererseits sind die Familien dafür nicht vorbereitet. Die jungen Familien bedürfen der Begleitung. Auch diesbezüglich bestehen vielerorts in den Diözesen Angebote, die sehr hilfreich sind, dennoch muß die Kirche große Anstrengungen unternehmen, um den Christen unserer Zeit in ihrem Bemühen um ein aufrechtes christliches Leben, um die Entfaltung christlicher Familien, die ihre Aufgabe wahrnehmen, noch wirksamer beizustehen. Eine große Aufgabe der Kirche besteht ohne Zweifel auch darin, jenen, die gescheitert sind, beizustehen. Es gehört zum Urauftrag aller jener, die Jünger Jesu Christi sind, Wunden zu heilen, Trauernde zu trösten, Wege der Hoffnung zu eröffnen. Solche, die in ihrer Ehe scheitern, müssen in der Kirche Trost finden, Alleinerzieher Halt, solche, die in irregulären Verhältnissen leben, Hilfe. Vieles geschieht bereits, noch mehr muß geschehen. 20 Johannes Paul

n.

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Zusammenfassung Frieden wächst von innen her, hängt mit der Überwindung von Leidenschaft und Egoismus zusammen. Friede ist eng verbunden mit der Liebe der Menschen zueinander. Die kleinste und zugleich wichtigste Zelle, in der diese Liebe entsteht und wächst, ist die Familie. Sie befähigt zu Verantwortung, Dienstbereitschaft, Solidarität und Konfliktfähigkeit; sie entwickelt soziale Einstellungen, die ein friedliches Zusammenleben ermöglichen. Familien leiden am meisten unter Krieg. Die Familie ist wohl der beste und verläßlichste Träger der Friedensbotschaft. Sie ist ein konstitutives Element für den Frieden. Die Familie zu fördern, gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Kirche und des Staates in Gegenwart und Zukunft.

DEMOKRATIE UND FRIEDE Herbert Schamheck Demokratie und Friede drücken Möglichkeit und Ziel menschlichen Handeins aus. Die Demokratie ist jenes politische Ordnungssystem, das auf eine Identität von Herrscher und Beherrschten gerichtet ist. In der Demokratie ist der Mensch im öffentlichen Leben Person und Untertan zugleich: Person, weil er an der Legitimation der öffentlichen Ordnung mitwirkt und Untertan, weil er an die derart demokratisch zustande gekommene Ordnung gebundenist-1 Der Friede ist die Ruhe der Ordnung2 , er ist auf die Herstellung einer Eintracht auf dem Wege der Ordnung gerichtet. So mannigfach die zu ordnenden Aufgaben und Probleme sein mögen, so vielfältig können auch die Möglichkeiten sein, welche zu einem derartigen Frieden hinführen können. 3 Jedes Ordnungsproblem bedarf daher der hiezu geeigneten Fri.edensbemühung. Der Beziehung von Demokratie als Mittel und dem Frieden als Ziel eignet daher eine entsprechende Dynamik. Verantwortung tragen in der Demokratie für den Frieden verlangt daher Aufgeschlossenheit, Problembewußtsein und Handlungsbereitschaft. Diese in der Beziehung von Demokratie und Frieden gegebene Dynamik ist aber kein Selbstzweck, sie steht vielmehr im Dienst eines höheren Wertes, welchen der Glaube in der Schöpfungsordnung erkennen läßt. 1 Näher Herbert Schambeck, Demokratie, Rechts- und Verfassungsstaat - Werte, ihr Konflikt und Schutz, in: Democracy - Some Acute Questions, hrsg. von Hans F. Zacher, Pontificiae Academiae Scientiarum Socialium Acta 4, Vatican City 1999, S. 145 ff. 2 Beachte Aurelius Augustinus, De Civitate Dei XIX, 11-13, 14: pax est ordinata concordia. 3 Dazu Herbert Schambeck, Dimensionen des Friedens, in: Frieden und Gesellschaftsordnung, Festschrift für Rudolf Weiler, hrsg. von Alfred Klose, Heribert Franz Köck und Herbert Schambeck, Berlin 1988, S. 59 ff. sowie Heribert Franz Köck, Institutionelle Grundlagen einer gesicherten Friedensordnung, in: Frieden und Gesellschaftsordnung, S. 115 ff. und Gabriele Andreae, Ich denke Gedanken des Friedens, Ideen dazu aus philosophischer, religiöser und politischer Sicht, Frankfurt am Main 1997. 20'

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Die katholische Kirche und in ihr der Papst können zu diesem letztlich in der Schöpfungsordnung begründeten Frieden hinführen. Seit Papst Paul VI. bemühen sich alle Nachfolger Petri, und in den letzten mehr als zwei Jahrzehnten Papst Johannes Paul II., besonders in ihren jährlichen Weltfriedensbotschaften4 um diese Wegweisung. Erfüllte, weil verstandene Demokratie kann als Mittel hiezu einen Beitrag leisten. I.

Die Demokratie als politisches Ordnungssystem ist sowohl in der Staatsform der Monarchie wie der der Republik möglich. In beiden Fallen ist die Anerkennung der politischen Verantwortung des Menschen und damit seine Legitimation einerseits zur direkten, plebiszitären bzw. andererseits zur indirekten repräsentativ-parlamentarischen Staatswillensbildung Voraussetzung für die Verwirklichung der Demokratie. Die Demokratie gibt den Menschen die Chance, anstelle der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung in der Politik zu gelangen. Wie die Demokratie im Einzelfall gestaltet wird und welche Möglichkeiten sie den Menschen bietet, wird jeweils verschieden sein. Als Form der Staatswillensbildung ist die Demokratie selbst wertneutraL Die katholische Kirche selbst verbindet sich weder mit einer bestimmten Form des Staates noch mit der eines politischen Ordnungssystems; sie anerkennt jede Staatsform und jedes politische Ordnungssystem, vorausgesetzt, daß diese die Menschenwürde anerkennen und dem Gemeinwohl dienen. 5 Die katholische Kirche setzt sich für die Anerkennung einer auf der Gottesebenbildlichkeit und damit der Würde des Menschen beruhenden öffentlichen Ordnung ein. Die Demokratie tritt in verschiedenen Teilen der Welt in verschiedenen Formen mit unterschiedlichen Einrichtungen der Staaten sowie Bezeichnungen auf. Sie hat neben der Entkolonisierung im Pontifikat Papst Johannes Paul II. durch die von ihm wesentlich mitermöglichten politischen Wende6 und der damit verbundenen Beendigung der Teilung Europas eine Vermehrung erfahren. 7 Diese zahlenmäßige Vermehrung an Demokratie in der 4 Beachte, jeweils von Donato Squicciarini herausgegeben, Die Weltfriedensbotschaften Papst Paul VI., Berlin 1979, und Die Weltfriedensbotschaften Papst Johannes Paul II., Berlin 1992. 5 Näher Hans Maier, Katholizismus und Demokratie, Freiburg im Breisgau 1983 und Herbert Schambeck, Kirche, Staat und Demokratie, Berlin 1992. 6 Siehe Donato Squicciarini, Der Papst und die "Wende", in: derselbe, Dialog in Wahrheit und Liebe, hrsg. von Egon Kapellari und Herbert Schambeck, Graz-WienKöln 1997, S. 398 ff.

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Welt zeigt auch, welche Verantwortung, Möglichkeiten und Gefahren mit den einzelnen Formen der Herrschaft des Volkes verbunden sind. 1991 stellte Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Centesimus annus fest: "Aus diesem historischen Prozeß sind neue Formen der Demokratie hervorgegangen. Sie geben Hoffnung auf einen Wandel in den brüchigen politischen und sozialen Strukturen, die nicht nur von der Hypothek schmerzlicher Ungerechtigkeit und Verbitterung, sondern auch von einer geschädigten Wirtschaft und schweren sozialen Konflikten belastet sind. " 8 Die Demokratie ist aber leichter gefordert als menschenwürdig verwirklicht. 9 Sie setzt ein bestimmtes nämlich positives Menschenbild10 , ein Wertdenken und einen entsprechenden Staatsaufbau voraus; jede dieser Bestimmungsmomente ist neben der Verwirklichung der Demokratie auch zu der des Friedens von Bedeutung.

n. Der Friede ist eine Form der Ordnung, welche sich nicht in einer bloßen Stille ausdrückt oder in einem Gleichgewicht des Schreckens, auch nicht in einer Grabesruhe, sondern in einem verstehenden und deshalb auch harmonischen Miteinander, das sich mit einem Wertedenken verbindet. In seiner Botschaft zur Feier des Weltfriedenstagesam 1. Januar 2000 mahnte Papst Johannes Paul II.: "Niemand möge sich der Täuschung hingeben, die bloße Abwesenheit von Krieg, so wünschenswert sie ist, sei gleichbedeutend mit dauerhaften Frieden. Es gibt keinen echten Frieden, wenn mit ihm nicht Gleichheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Solidarität einhergehen. (Nr. 13)" Dieser Friede wird daher nicht als Gabe, Zufall oder Fügung bloß erwartet, er muß zustande gebracht werden und das nicht einmalig, sondern in einem ständigen Bemühen des Entgegen-Kommens, Verstehens sowie Mit- und Zueinanders. Wegweisend sagte Papst Johannes Paul II. in dieser seiner letzten Weltfriedensbotschaft: "Allen sage ich, daß der Friede möglich ist.

7 Näher HerbeTt Schambeck, Politik und Verfassungsordnung postkommunistischer Staaten Mittel- und Osteuropas, in: derselbe, Zu Politik und Recht, Ansprachen, Reden, Vorlesungen und Vorträge, hrsg. von den Präsidenten des Nationalrates und den Präsidenten des Bundesrates in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Parlamentarischen Gesellschaft, Wien 1999, S.157 ff. B Papst Johannes Paul 11., Enzyklika Centesimus annus, Vatikanstadt 1991, Nr. 22, s. 46. 9 Siehe u. a. Josef Isensee, Am Ende der Demokratie - oder am Anfang, Berlin 1995. 10 Dazu HerbeTt Schambeck, Menschenbild und Staatsform, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görresgesellschaft 1977, Köln 1978, S. 26 ff.

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Er muß als ein Geschenk Gottes erfleht, aber auch mit seiner Hilfe Tag für Tag durch Werke der Gerechtigkeit und Liebe aufgebaut werden. Sicher gibt es viele und sehr komplexe Probleme, die den Weg zum Frieden steinig, ja oft zu einem entmutigenden Vorhaben machen. Dennoch ist der Friede ein Bedürfnis, das im Herzen eines jeden Menschen tief verwurzelt ist. Man darf deshalb nicht in dem Willen nachlassen, immer wieder nach ihm zu suchen. Dabei müssen wir uns vom Bewußtsein leiten lassen, daß Gott die Menschheit, so sehr sie auch von der Sünde, von Haß und Gewalt gezeichnet ist, dazu berufen hat, eine einzige Familie zu bilden. (Nr. 2)" Die Demokratie ist zur Erreichung dieses Zieles des Friedens insofern besonders geeignet, als sie auf der Anerkennung der Freiheit, Gleichheit und Würde aller Menschen beruht und daher in jedem Staat eine Menschheitsfamilie erleben lassen kann; dies setzt aber die Einsicht in die Bedingungen, Möglichkeiten und auch Grenzen der Demokratie voraus.

m. Die Demokratie ist eine Form der politischen Willensbildung, die als solche gegenüber den Zielen und Zwecken des politischen Wollens wertneutral ist. Die Möglichkeit der Mitwirkung der Menschen an der Staatswillensbildung setzt die Anerkennung der Menschen und damit eine Wertung voraus; in welcher Weise aber in der Folge Politik betrieben wird, ist von der Demokratie selbst unabhängig. Das Zustandekommen und Gebrauchen von Demokratie sind zwei einander zwar bedingende, aber selbständige Vorgänge; sie verlangen den aktiven, nämlich verantwortlich denkenden und handelnden Menschen, der sich zu Werten bekennt und diese verwirklicht; er muß die Chance, die ihm die Demokratie bietet, nutzen. Diese Verantwortung kann ihm niemand abnehmen. Von dieser Verantwortung kann keiner in der Demokratie entbunden werden. Hans Zacher verwies auf diesen Umstand: "Die Demokratie hat zu den sittlichen Werten ein relatives Verhältnis. Die Demokratie ist eine Chance für die Werte, die in der Gesellschaft lebendig sind. Aber sie kann den Werten nicht auf Dauer eine größere Geltung verschaffen, als diese in der Gesellschaft haben. Die Demokratie bringt nicht selbst Werte ein. Und sie bringt nicht selbst Werte hervor. It mediates between values. " 11 Dies ist die Aufgabe der Menschen selbst in der Demokratie; sie haben die Verantwortung, die Demokratie zur Verwirklichung der von ihnen erkannten und erfaßten Werten zu nutzen. 11 Hans F. Zacher, Democracy: Common questions, in: Democracy, Pontificiae Academiae Scientiarum Socialium, Miscellanea 1, Vatican City 1998, S. 134.

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Die Demokratie selbst bietet nur die Möglichkeit zur Werteverwirklichung, aber keinen Automatismus zu ihrer Erkenntnis, diese ist der Eigenverantwortung des Menschen aufgetragen, für welche die katholische Kirche Wegweisungen zur Werterkenntnis in Wahrheitsfindung gibt. Dem Relativismus der Demokratie 12 , der sich vor allem in der Verschiedenheit der Entwicklungen von Demokratien, insbesondere deren Abstimmungsergebnissen zeigt, ist für die Katholiken die Wahrheit des Glaubens gegenüberzustellen. Sie führt etwa über der Lehre von der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen zur Anerkennung der Menschenwürde und damit zur Humanität der Ordnung des Staates sowie zum Gemeinwohlprinzip 13 . Joseph Kardinal Ratzinger hat bereits betont, "daß die Wahrheit nicht Produkt der Politik (der Mehrheit) ist, sondern ihr vorangeht und sie erleuchtet: Nicht die Praxis schafft Wahrheit, sondern die Wahrheit ermöglicht rechte Praxis"a und erklärt: "daß es einen Bestand von Wahrheit gibt, der nicht dem Konsens unterworfen ist, sondern ihm vorangeht und ihn ermöglicht. " 15 Aus diesem Grund hat auch Karl Rahner mit Recht von der "Demokratie als sittlichen Imperativ" 16 geschrieben. Mit der Demokratie ist eine große Verantwortung verbunden, nämlich die Möglichkeit diese besondere Fbrm der Staatswillensbildung so zu nutzen, daß die Rechtssetzung im Dienste der Wahrheits/indung und nicht einer wertneutralen Machtausübung steht. Das II. Vatikanische Konzil, das zwar an keiner einzigen Stelle das Wort Demokratie verwendet, hat auf diese besondere Verantwortung in seiner Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et spes" hingewiesen. 17

12 Siehe insbesondere Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tiibingen 1929, S. 101 ff. und dazu Joseph Kardinal Ratzinger, Macht, Werte, MachtPrüfsteine der pluralistischen Gesellschaft, 3. Aufl., Freiburg im Breisgau 1993, S. 70 ff. sowie Herbert Schambeck, Fede, Stato e Democrazia: un contributo sul confronto tra il cardinale Joseph Ratringer e Hans Kelsen, in: Alla scuola della Verita, I settanta anni di Joseph Ratzinger, a cura di Josef Clemens e Antonio Tarzia, Milano 1997, s. 319 ff. 13 Dazu Johannes Messner, Das Gemeinwohl, 2. Aufl., Osnabrück 1968 und Arthur F. Utz, Ethik des Gemeinwohls, gesammelte Aufsätze 1983-1998, hrsg. von Wolfgang Ockenfels, Paderbom- München- Wien- Zürich 1998. 14 Ratzinger, a. a. 0., S. 70. Siehe dazu auch derselbe, Vom Wiederauffinden der Mitte- Grundorientierungen, Freiburg-Basel-Wien 1997, S. 233 ff. 15 Ratzinger, Vom Wiederauffinden der Mitte, S. 247. 16 Karl Rahner, Demokratie als staatsrechtliches Prinzip, in: Staatsethik, hrsg. von Walter Leisner, Köln 1977, S. 159. 17 Siehe besonders in Gaudium et spes, Nr. 31, Die Verantwortung und die Beteiligung und Nr. 75, Die Mitarbeit aller am öffentlichen Leben.

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Diese Wahrheitsfindung ist in einer aus vielen Gründen pluralistischen Gesellschaft nicht leicht. Aus religiösen, weltanschaulichen, ideologischen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Gründen nehmen die Menschen, je größer die Gesellschaft und somit umfassender die Demokratie ist, eine unterschiedliche bis gegensätzliche Stellung ein. Aus diesem Grund ist, je stärker die Pluralität in einer Gesellschaft ist, umso wichtiger das Zustandekommen und Bewahren eines Grundkonsenses an Werten sowie bei deren Mehrzahl deren Rangordnung. Allgemein anerkannte Werte sind die Voraussetzung für den Bestand einer Demokratie in Gesellschaft und Staat, widrigenfalls entsteht ein orientierungsloses und deshalb der Willkür und dem Zufall überlassenes Gemeinwesen. Dieser Relativismus beginnt beim Einzelmenschen im privaten Leben und kann sich im öffentlichen Leben fortsetzen. So ist es, wie Walter Schmitt-Glaeser unterstrichen hat, "nicht weniger wichtig, daß der Relativismus der pluralistischen Gesellschaft gerade auch die alltägliche erforderliche Orientierung und Verläßlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft penetrant zur Auflösung bringt. Orientierungsdefizite und daraus erwachsende Sinnkrisen scheinen zur inneren Logik der pluralistischen Gesellschaft zu gehören. . .. Es geht vornehmlich um zentrale Werte, die den '!YPus des liberalen Rechtsstaates prägen: Fleiß, Ordnungsliebe, Disziplin und Enthaltsamkeit neben Arbeitsscheu, Unzuverlässigkeit und Genußsucht; feste Familienbezogenheit auch in Form kirchlich geschlossener Ehen neben nicht ehelichen Lebensgemeinschaften von heterosexuellen und homosexuellen Paaren; Wille zum Kind als Gottesgeschenk neben Abtreibung; tiefer Glaube neben religiöser Gleichgültigkeit und überzeugten Atheismus; unbedingte Opferbereitschaft gegenüber Schwachen neben planvoller Ausbeutung sozialer Gemeinschaften; freie soziale Marktwirtschaft neben Umverteilungs-Sozialismus; finanzielle Korrektheit neben Korruption in allen Bereichen bis hinein in die Hilfsorganisationen und Sportverbänden. " 18 Gerade in einer Zeit der pluralistischen Gesellschaft und Mehrzweckeverwendung des Staates mit seiner Mehrzweckegesetzgebung verdeutlicht sich die Notwendigkeit der Bewahrung eines Grundkonsenses im privaten und öffentlichen Leben, verbunden mit einem ethischen Minimum, welches Platz für Gewissensentscheidungen 19 des Einzelnen läßt. Der Mensch muß sich geradezu in einer Demokra18 Walter Schmitt-Glaeser, Ethik und Wirklichkeitsbezug des freiheitlichen Verfassungsstaates, Berlin 1999, S. 15. 19 Beachte Alfred Klose, Gewissen in der Politik, Ethik für die Entscheidungskrise, Graz- Wien- Köln 1982.

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tie mit seinem Wtssen und Gewissen gefordert sehen; denn wie es im Art. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes der Republik Österreich deutlich heißt, geht "Ihr Recht vom Volk aus". 20

V.

Die Bedeutung des Volkes für das Recht in der Demokratie zeigt sich in den repräsentativen und plebiszitären Komponenten der Staatswillensbildung, nämlich auf dem Wege der parlamentarischen Gesetzgebung und in vielen Fällen auch unter Heranziehung von Einrichtungen der direkten Demokratie, wie z. B. Volksabstimmung, Volksbegehren und Volksbefragung.21 Das Recht bietet die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit des Handeins im Staat, sei es im Rahmen der Autonomie von Privatpersonen, sei es auf Grund der Verfassungs- und Gesetzesgebundenheit der Staatsorgane. Auf diese Weise wird Rechtssicherheit22 gewährt, ohne welche ein staatliches Gemeinwesen nicht auf Dauer bestehen kann. Das Recht dient damit der Demokratie und der Rechtsstaaf 3 ist nicht Selbstzweck, sondern erfüllt eine Gemeinwohlfunktion. Hiezu ist aber erforderlich, daß der demokratische Rechtsstaat durch entsprechende Grundsätze und Rechtseinrichtungen gewährleistet ist wie das demokratische Wahlrecht, die parlamentarische Staatswillensbildung, die Verfassungsmäßigkeit und Gesetzesgebundenheit des Staatshandelns, den Grundrechtsschutz, die Unabhängigkeit der Gerichte, die Justizmäßigkeit der Verwaltung, die Gewaltenteilung, die Gerichtsbarkeit öffentlichen Rechts sowie die Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Rechnungs- und Gebarungskontrolle und die Amtshaftung. Die Rechtseinrichtungen und Verfassungsgrundsätze im einzelnen werden besonders, je nach Tradition, Rechtsbewußtsein und politischen Verantwortungsdenken in der jeweiligen Staatsordnung ihr eigenes Gepräge haben und damit auch dem Recht die Möglichkeit bieten, der Demokratie zu dienen. 24 20 Näher Herbert Schambeck, Die Verantwortung in der modernen Demokratie, in: Verantwortung in Staat und Gesellschaft, hrsg. von Alois Mock und Herbert Schambeck, Wien 1977, S. 37 ff sowie derselbe, Die Demokratie, in: Das Österreichische Bundes- Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, hrsg. von demselben, Berlin 1980, s. 149 ff. 21 Art. 41 ff. B-VG. 22 Näher Herbert Schambeck, Ethik und Staat, Berlin 1986, S. 73 ff. 23 Dazu Klaus Stern, Der Rechtsstaat, Krefeld 1971 und Hans F. Zacher, Was kann der Rechtsstaat leisten?, in: Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern, hrsg. von Joachim Burmeister, München 1997, S. 393 ff. 24 Siehe u. a. Demokratie und Rechtsstaat, Festgabe zum 60. Geburtstag von Zaccaria Giacometti, Zürich 1953, darin besonders: Werner Kägi, Rechtsstaat und De-

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Der Rechtsstaat selbst nahm im Lauf der Zeit seine eigene Entwicklung25, in seiner rechtspositivistischen Prägung setzt er den Rechtsbegriff mit dem des positiven Rechts gleich. 26 Der Rechtspositivismus selbst ist wertneutral und kann als bloßer Rechtswegestaat den Rechtsstaat zu verschiedenen politischen Zwecken verwenden; auch autoritäre und totalitäre Regime wußten dies zu nutzen und verwendeten, wie der Nationalsozialismus und Kommunismus, auch das Recht zu unmenschlichen Zwecken. Es kommt daher darauf an, mit der Rechtsform auch den Rechtsinhalt bei der Herstellung, Gestaltung und Beurteilung des Rechtsstaates zu beachten und zu beurteilen. In diesem Zusammenhang sei Adolf Merkl, mit Hans Kelsen ein Mitbegründer der Wiener Rechtstheoretischen Schule, zitiert, der betonte: Weil das Recht "aber als allzu menschliche Einrichtung zwischen dem Versuch und der Karikatur der Gerechtigkeit schwankt, bedarf die Rechtstheorie der Ergänzung durch eine Rechtsethik' 127, und damit auch die Rechtsformenlehre der Ergänzung durch eine Rechtsinhaltsbetrachtung. Diese setzt aber voraus, den Rechtsbegriff nicht in dem des positiven Rechts aufgehen zu lassen und zu erkennen, daß das Recht auch Werten zu dienen hat, welche insoferne, im wahrsten Sinne des Wortes präpositiv sind, daß sie der demokratischen Staatswillensbildung vorausgehen und nicht von dieser selbst geschaffen wurden. 28

VI.

Ein solcher Höchstwert ist vor allem die Freiheit und Würde des Menschen; in dem Wort Anerkennung bei Grundrechtsformulierungen drückt mokratie (Antinomie und Synthese), S. 107 ff. und Adolf Merkl, Idee und Gestalt der politischen Freiheit, S. 163 ff. 25 Näher HerbeTt Schambeck, Vom Sinnwandel des Rechtsstaates, Berlin 1970. 26 Dazu Hans Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, Neudruck in: Die Wiener Rechtstheoretische Schule, Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, hrsg. von Hans Klecatsky, Rene Marcic und Herbert Schambeck, Band 1, Wien- Salzburg 1968, S. 281 ff. 27 Adolf Merkl, Zum 80. Geburtstag Hans Kelsens, Reine Rechtslehre und Moralordnung, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 1961, S. 313; Neudruck in: derselbe, Gesammelte Schriften, hrsg. von Dorothea Mayer-Maly, Herbert Schamheck, Wolf-Dietrich Grussmann, Erster Band, Erster Teilband, Berlin 1993, S. 629 ff.; dazu auch HerbeTt Schambeck, Ethik und Demokratie bei Adolf Merkl, in: Adolf J. Merkl, Werk und Wirksamkeit, hrsg. von Robert Walter, Wien 1990, S. 267 ff. 28 Siehe Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat - Gesellschaft - Kirche, Freiburg 1982, S. 67 und derselbe, Staatliches Recht und sittliche Ordnung, in: derselbe, Staat, Nation, Europa, Studien zur Staatslehre, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie, Frankfurt am Main 1999, S. 208 sowie Ratzinger, Vom Wiederauffinden der Mitte, s. 233.

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sich diese Präpositivität auch verbal aus. 29 Ihre Wahmehmung setzt ein entsprechendes Seinsverständnis und ein Ethos voraus. Dies führt zur Erkenntnis jener Präpositivität im Rechtsdenken, welche der Begriff des Naturrechts30 umfaßt. 31 Dieses vermag eine Sozialgestaltungsempfehlung für eine humane Ordnung des Staates durch das positive Recht zu geben. Dabei muß man aber differenzieren. Ernst-Wolfgang Böckenförde hat es schon verdeutlicht: "Die naturrechtliehen Prinzipien erlauben ihrer Art nach schlußfolgernde Ableitungen nicht für alle Bereiche politischen Handelns, sondern nur für diejenigen, wo ein unmittelbarer ethisch-sittlicher Bezug in Frage steht. Das sind in erster Linie die ,personnahen' Bereiche des individuellen Lebensrechtes, von Ehe und Familie, Erziehung und Schule, religiöser Betätigung, aber schon nicht mehr der notwendig vielfach vermittelte, in historisch gewordenen Institutionen und Formen sich verwirklichende Bereich der politischen Ordnung. Diejenigen Bereiche, deren ethisch-sittlicher Bezug vermittelt (oft mehrfach vermittelt) ist, wie eben der gesamte Bereich der Organisation der politischen Freiheit (Staats- und Regierungsform), die Art der Wirtschaftsordnung, weite Bereiche der Sozial-, Gesellschafts- und Bildungspolitik, schließlich die eigentliche Innen- und die gesamte Außenpolitik fallen aus dieser naturrechtliehen Determinierbarkeit weitgehend oder ganz heraus. " 32 Man übersehe auch nicht, schon Papst Pius XII. erkannte die Grenze des Naturrechts und die Notwendigkeit des positiven Rechts vor allem zur Ergänzung dessen, "was nach den Grundsätzen der Natur nicht mit Sicherheit feststand ... worüber die Natur schwieg" .33 In diesem Bereich, der nicht präpositiv bedingt ist, besteht in der Demokra-

Hiezu Gottfried Dietze, Über Fbrmulierung der Menschenrechte, Berlin 1956. Dazu Johannes Messner, Das Naturrecht - Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik, 5. Aufl., lnnsbruck- Wien- München 1966. 31 Beachte u. a. HerbeTt Schambeck, Idee und Lehren des Naturrechts, in: Naturordnung in Gesellschaft, Staat, Wirtschaft, Festschrift für Johannes Messner zum 70. Geburtstag, hrsg. von Joseph Höffner, Alfred Verdross und Francesco Vita, Innsbruck -Wien- München 1961, S. 437 ff.; Hans Dieter Schelauske, Naturrechtsdiskussion in Deutschland, Köln 1968; Heribert Franz Köck, Die Funktion des Naturrechts in einer pluralistischen Gesellschaft, in: Das Naturrechtsdenken heute und morgen, Gedächtnisschrift für Rene Marcic, hrsg. von Dorothea Mayer-Maly und Peter M. Simons, Berlin 1983, S. 803 ff. und RudolfWeiler, Herausforderung Naturrecht, Graz 1996. 32 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Kirchliches Naturrecht und politisches Handeln, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. von Franz Böckle und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, S. 99 f. 33 Papst Pius XII., Die internationale Gemeinschaft, Ansprache gehalten am 13. Oktober 1955, in: Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens - Soziale Summe Pius XII., ill. Band, hrsg. von Arthur-F. Utz und Joseph-F. Groner, Freiburg 1961, Nr. 6286; dazu HerbeTt Schambeck, Der rechts- und staatsphilosophische Gehalt der Lehre Papst Pius XII., in: Pius XII. zum Gedächtnis, hrsg. von demselben, Berlin 1977, S. 447 ff., Neudruck in: Kirche, Staat und Demokratie, S. 169 ff., sowie Karl Korinek, Der Beitrag Pius XII. zur katholischen Lehre vom demokratischen Staat, in: Pius XII. zum Gedächtnis, S. 563 ff. 29

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tie eine besondere politische Verantwortung. Hier kommt es in der Kultur-, Rechts-, Staats-, Sozial- und Wirtschaftsordnung darauf an, Wege und Entscheidungen zu finden, die mit der Freiheit und Würde des Menschen vereinbar und gemeinwohlgerecht sind. Mit ihren Grundsätzen der Autorität, Subsidiarität, Solidarität, leistungsgemeinschaftlichen bzw. partnerschaftliehen Ordnung hat die katholische Kirche in ihrer Soziallehre hiezu besondere Sozialgestaltungsempfehlungen gegeben. Sie hat aber schon im ll. Vatikanischen Konzil verdeutlicht, daß es mehrere Möglichkeiten und Wege gibt, zeit- und ortsorientiert diese Sozialgestaltungsempfehlungen 34 auszuführen, ohne eine einzige davon als die ausschließlich richtige zu bezeichnen. Das ll. Vatikanische Konzil anerkennt ausdrücklich "Die richtige Autonomie der irdischen Wirklichkeiten" 35 und betont, "daß in solchen Fällen niemand das Recht hat, die Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in Anspruch zu nehmen". 36 In diesem Sinne hat auch Papst Johannes Paul 11. in seiner Enzyklika "Centesirnus annus" erklärt: "Die Kirche achtet die berechtigte Autonomie der demokratischen Ordnung. Es steht ihr nicht zu, sich zu Gunsten der einen oder anderen institutionellen oder verfassungsmäßigen Lösung zu äußern. Der Beitrag, den sie zu dieser Ordnung anbietet, ist die Sicht von der Würde der Person, die sich im Geheimnis des Mensch gewordenen Wortes in ihrer ganzen Fülle offenbart. " 37 Die katholische Kirche hat daher auch weder im ll. Vatikanischen Konzil noch in der Folge etwa in einer päpstlichen Lehräußerung bei verschiedenen Formen der denkbaren demokratischen Staatsordnungen eine als die besonders richtige empfohlen. 38 In diesem Bereich gibt die katholische Kirche und für sie in ihren päpstlichen Lehräußerungen die Nachfolger Petri auf aktuelle Notwendigkeiten bezogene Sozialgestaltungsernpfehlungen, die auf allgernein zugängliche Werteeinsichten hinweisen. Dadurch kann bei entsprechendem Verständnis unter den Einzelrnenschen in einer pluralistischen Gesellschaft auf demokratischem Weg 34 Beachte Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, hrsg. von Arthur F. Utz und Brigitta Gräfin von Gallen, Band I- Iv, Aachen 1976, sowie Alfred Klose, Die katholische Soziallehre - ihr Anspruch, ihre Aktualität, GrazWien-Köln 1979; Rudolf Weiler, Einführung in die katholische Soziallehre, GrazWien-Köln 1991 und Anton Rauscher, Kirche in der Welt, Erster und Zweiter Band, Würzburg 1988, Dritter Band, Würzburg 1998. 35 Nr. 36 der Pastoralkonstitution Gaudium et spes. 36 Pastoralkonstitution Gaudium et spes Nr. 43; vgl. Herbert Schambeck, Glaube und Weltverantwortung der Katholiken. Gedanken nach dem II. Vatikanischen Konzil, in: Pax et iustitia - Festschrift für Alfred Kostelecky, hrsg. Hans W. Kaluze, Hans R. Klecotsky, Heribert F. Köck und Johannes Paarhammer, Berlin 1990, S. 37 ff. 37 Papst Johannes Paul 11., Centesimus annus, Vatikanstadt 1991, Nr. 47. 36 In diesem Sinne auch Karl Rahner, a. a. 0. S. 160.

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ein Konsens erreicht werden, der Frieden zu stiften vermag. Die Kirche selbst verzichtet auf konkrete eigene politische Aktionen, sie ist aber Ratgeber und weist mit ihrer Lehre immer wieder auf die Menschenrechte hin. 39 Dadurch kann die Kirche in der Demokratie auch friedensstiftend sein.

vn. Joseph Kardinal Ratzinger hat es schon betont, die Kirche muß "sich dabei gegenwärtig halten, daß ihr die Quellen des Rechtes zum Hüten anvertraut sind, aber daß sie über keine spezifische Erleuchtung für die konkreten politischen Fragen verfügt. Sie darf sich nicht als alleiniger Träger der politischen Vernunft hinstellen. Sie zeigt der Vernunft Wege, aber deren eigene Verantwortung bleibt" .40 In dieser Verantwortung liegt besonders die Anerkennung der menschlichen Würde; ihr kann nach den jeweiligen Orts-, Sozial- und Zeitumständen auf dem Weg der Demokratie durch den Rechtsstaat gesichert entsprochen werden. Wo diese Werteeinsicht nicht gegeben ist, wandelt sich, wie Papst Johannes Paul II. hervorhob, "eine Demokratie ohne Werte, wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus". 41 Zu diesen Werten will die Kirche die Menschen und besonders diejenigen, die in der pluralistisch geprägten Demokratie in der Politik als Repräsentanten Verantwortung für die Rechtssetzung und Rechtsvollziehung42 tragen, hinführen.' 3 In diesem Zusammenhang kommt allen Kirchen und Religionsgesellschaften über die Grenzen der Länder, Staaten und Kontinente eine besondere Bedeutung zur Anerkennung, Be39 Siehe Die Kirche und die Menschenrechte, hrsg. von der Päpstlichen Kommission Iustitia et Pax, 1. Aufl., München 1976; Herbert Schambeck, Die Grundrechte in der Lehre der Kirche, L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 36, 1986, S. 5; Päpstlicher Rat Iustitia et Pax, Die Kirche und die Menschenrechte, historische und theologische Reflexionen, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1991 und Giorgio Filibeck, Human Rights in the Teaching of the Church from John XXID. to John Paul II., Vatican City 1994. 40 Joseph Kardinal Ratzinger, Wendezeit für Europa? Diagnosen und Prognosen zur Lage von Kirche und Welt, Freiburg 1991, S. 41. 41 Papst Johannes Paul 11., Enzyklika Centesimus annus Nr. 46. 42 Näher Herbert Schambeck, Die Grundwerte des öffentlichen Lebens, in: Objektivierung des Rechtsdenkens, Gedächtnisschrift für Ilmar Tammelo, hrsg. von Werner Krawietz, Theo Mayer-Maly und Ota Weinberger, Berlin 1984, S. 321 ff. und derselbe, Politik und Recht, in: Wege zur Ganzheit, Festschrift für Hanns Pichler zum 60. Geburtstag, hrsg. von Geiserich E. Tichy, Herbert Matis und Fritz Scheuch, Berlin 1996, s. 225 ff. 43 Siehe Paul Kirchhof, Strategien zur Entfaltung der Werte- Wie kann man in einer pluralistischen Gesellschaft unter den Bedingungen einer Demokratie für Werte eintreten, Vortrag auf der VI. Plenartagung der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften im Vatikan am 23. Feber 2000 (in Druck).

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Herbett Schamheck

achtungund Bewahrung jener Werte in Politik und dann im Recht des Staates zu, die nicht vom Staat erzeugt, sondern vorgegeben sind und bewußt gemacht werden müssen. Papst Johannes Paul II. hat in diesem Sinn bereits in seinen Enzykliken Sollicitudo rei socialis (Nr. 47) 1987, Centesimus annus (Nr. 60) 1991 und Fides et ratio (Nr. 104) 1998 auf die Bedeutung der christlichen Religionen, des Judentums, der großen anderen Weltreligionen und aller Menschen guten Willens hingewiesen. In diesem zu einer Werteeinsieht führenden und so verstehenden Miteinander können Wertegrundlagen vermittelt, und so auch eine Demokratie vor Deformierungen bewahrt werden. Johannes Schasching schreibt sehr treffend, weil besonders verstehend, von der "Notwendigkeit einer Ökumene der wertestiftenden Kräfte".44

vm. Je allgemeiner und umfassender die Werteeinsicht in einer Demokratie mit pluralistischer Gesellschaft ist, desto mehr besteht die Möglichkeit, daß Unterschiedlichkeiten zum Meinungsaustausch und zu einer gemeinwohlgerechten Staatswillensbildung auf dem Weg demokratischer Rechtssetzung führen. Dies verlangt in einem demokratischen Verfassungsstaat von den Grundrechten ausgehend ein entsprechendes materiales Verfassungsverständnis, 45 und damit auch eine Werteeinsicht mit einer Rangordnung der Werte. Die katholische Kirche hat dabei immer wieder auf die vorrangige und grundlegende Bedeutung des Rechtes auf Leben, beginnend mit dem Schutz des ungeborenen Lebens hingewiesen. 46 Auch Papst Johannes Paul II. hat dies in den mehr als zwei Jahrzehnten seines Pontifikats immer wieder getan; so erklärte er in seiner Weltfriedensbotschaft 1999 "In der Achtung der Menschenrechte liegt das Geheimnis des wahren Friedens": "4. Das Johannes Schasching, Brief an den Verfasser vom 11. Februar 1999. Näher Herbert Schambeck, Die Grundrechte im demokratischen Verfassungsstaat, in: Ordnung im sozialen Wandel, Festschrift für Johannes Messner zum 85. Geburtstag, hrsg. von Alfred Klose, Herbett Schambeck, Rudolf Weiler und Valentin Zsifkovits, Berlin 1976, S. 445; in Bezug auf Österreich Karl Korinek, Entwicklungstendenzen in der Grundrechtsjudikatur des Verfassungsgerichtshofes, Wien 1992; Walter Berka, Der Freiheitsbegriff des "materiellen Grundrechtsverständnisses", in: Für Staat und Recht, Festschrift für Herbett Schambeck, hrsg. von Johannes Hengstschläger, Heribert Franz Köck, Karl Korinek, Klaus Stern und Antonio Truyol y Serra, Berlin 1994, S. 339 ff. und Herbert Schambeck, Demokratische Verfassungsstaatlichkeit und Verfassungsgerichtsbarkeit - dargestellt am Beispiel Österreichs und Deutschlands, in: Zu Politik und Recht, S. 157 ff., bes. S. 164 ff. 46 Siehe u. a. die Weltfriedensbotschaft Papst Paul VI. 1977 "Wenn Du den Frieden willst, verteidige das Leben" und dazu Herbert Schambeck, in: Die Weltfriedensbotschaften Papst Paul VI., S. 169 ff. 44 45

Demokratie und Friede

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erste ist das Grundrecht auf Leben. Das menschliche Leben ist heilig und unantastbar vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an bis zu seinem natürlichen Ende". • 7 Papst Johannes Paul II. spricht von einer wahren Kultur des Lebens, sie ist auch die Voraussetzung für den Frieden, denn wie könne es in einer Demokratie einen Frieden geben, ohne einen Schutz des elementarsten Rechtes, nämlich dem auf das Leben. In dieser Sicht gibt die katholische Kirche durch den Glauben den richtungsweisenden Hinweis für das mögliche Wertedenken im demokratischen Staat. Auch wenn nämlich Kirche und Staat unabhängig voneinander sind, besteht doch ein bewußt oder unbewußt gegebenes Aufeinanderbezogensein• 8 , wodurch auch Glaube und Recht in der Demokratie zum Frieden beizutragen vermögen. Ein Dialog in Wahrheit und Liebe49 kann hiezu Unabweisbares beitragen und die katholische Kirche, was Papst Johannes Paul II. auch mit all seinen Pastoralreisen in verschiedene Teile der Welt vorlebt, unterwegs mit den Menschen sein lassen. 5°

Siehe in diesem Buch hiezu auch den Beitrag von Karl Korinek. Beachte Pau.l Kirchhof, Auf christlichem Nährboden, Rheinischer Merkur vom 7. April2000, Nr. 14, S. 8. 49 Dazu Donatu.s Squ.icciarini, Dialog in Wahrheit und Liebe. so Hiezu Papst Johannes Pau.l 11., Centesimus annus, II. Kapitel, Der Mensch ist der Weg der Kirche sowie Johannes Schasching, Unterwegs mit den Menschen, Kommentar zur Enzyklika "Centesimus annus" von Johannes Paul II., Wien-Zürich 1991. 47

48

GERECHTIGKEIT UND FRIEDE Johannes Schasching In seinem Rundschreiben "Centesimus annus" sagt Johannes Paul II. ein bedeutendes Wort: "Friede und Wohlfahrt sind Werte, die dem ganzen Menschengeschlecht gehören. Es ist nicht möglich, sie zu Recht und auf Dauer zu genießen, wenn sie zu Lasten anderer Völker und Nationen erworben und behalten werden, indem sie deren Rechte verletzen oder sie von den Quellen des Wohlstandes ausschließen ... Europa wird nicht im Frieden leben können, wenn die vielfältigen Konflikte, die als Folge der Vergangenheit aufbrechen, sich durch wirtschaftlichen Niedergang, geistige Unzufriedenheit und Verzweiflung verschärfen" 1 . In seinen drei Sozialenzykliken "Laborem exercens" (1981), "Sollicitudo rei sozialis" (1987) und "Centesimus annus" zeichnet Papst Johannes Paul II. den dreifachen Weg zu einer Gesellschaft in Gerechtigkeit und Frieden:

I. Die wirtschaftliche Dimension: "Die Erdengüter sind für alle da"

"Gott hat die Erde dem ganzen Menschengeschlecht geschenkt ohne jemand auszuschließen oder zu bevorzugen, auf dass sie alle seine Mitglieder emähre. Hier liegt die Wurzel der universalen Bestimmung der Erdengüter"2. In dieser Aussage Johannes Pauls II. sind zwei Herausforderungen enthalten: Erstens eine Tatsache: Die Erdengüter sind von Natur aus knapp und noch nicht konsumreif. Also müssen sie "produziert" werden. Daraus ergibt sich die entscheidende Frage, ob dies am besten dadurch geschieht, dass alle alles besitzen oder dass es Privateigentum gibt. In der Tradition der katholischen Soziallehre vertritt Johannes Paul II. das sozial-gebundene Eigentum, das freie Untemehmertum, den Markt.

1 2

Johannes Paul 11., Centesimus annus, N.28. Johannes Paul 11., Centesimus annus, N. 31.

21 Johannes Paul li.

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Johannes Schasching

Gleichzeitig aber betont er, dass Wirtschaft nie einen bloßen Sachprozess darstellt, sondern eine Zusammenarbeit von Menschen. "Denn der Zweck des Unternehmens ist nicht bloß die Gewinnerzielung, sondern auch die Verwirklichung einer Gemeinschaft von Menschen, die auf verschiedene Weise die Erfüllung ihrer grundlegenden Bedürfnisse anstreben" 3 . In Laborem exercens bezeichnet es Johannes Paul II als das Recht des Menschen, "mehr Mensch zu werden" in und durch die Arbeit. Darum hat die Arbeit auch das Recht der Organisation und Mitbestimmung: Es braucht den "großen gemeinsamen Einsatz der Arbeiterbewegung, dessen Ziel die Befreiung und die umfassende Forderung des Menschen ist" 4 • Es braucht aber darüber hinaus auch die Tätigkeit des Staates. Denn "die Wirtschaft, insbesondere die Marktwirtschaft, kann sich nicht in einem institutionellen, rechtlich und politischen Leerraum abspielen. Im Gegenteil, sie setzt die Sicherung der individuellen Freiheit und des Eigentums sowie eine stabile Währung und leistungsfähige öffentliche Dienste voraus" 5 . D.h. mit anderen Worten: Der Staat hat das Recht und die Pflicht zum gesellschaftspolitischen Handeln, das nicht nur das Marktgeschehen am Gemeinwohl orientiert, sondern auch die Verantwortung für eine zukunftsfähige Umwelt sichert. Mit diesen knappen Aussagen ist die erste Herausforderung umschrieben: Wie gelingt ein Wirtschaftsprozess, der die von Natur aus knappen und noch nicht konsumreifen Güter in sachgerechter, menschengerechter und gesellschaftsgerechter Weise zur Verfügung stellt. Damit ist aber die Herausforderung "die Erdengüter sind für alle da" noch keinenwegs erfüllt. Um es mit Sollicitudo rei socialis zu sagen: Dadurch, dass es der modernen Wirtschaft gelingt, eine ständige Produktivitätssteigerung zu erreichen und damit Reichtum zu erzeugen, ist noch keineswegs gesagt, dass er "für alle da ist". Hier spricht die Sozialenzyklika Johannes Pauls II. von einem "Drama der Armut", das sich sowohl innerstaatlich darstellt als auch in einer Verbreitung des Grabens zwischen dem entwickelten Norden und dem unterentwickelten Süden6 • Dieses Drama spielt sich in den Industrieländern in Form der neuen Armut ab, die zu einer "Nivellierung nach unten" führt; in den Entwicklungsländern aber zu einer massiven Verschuldung und zu einem Rückfall der 3 4 5 6

Johannes Paulll., Centesimus annus, N. 35. Johannes Paulii., Centesimus annus, N. 43. Johannes Paul 11., Centesimus annus, N. 48. Johannes Paulll., Centesimus annus, N. 14.

Gerechtigkeit und Friede

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Entwicklung. Wieder kehrt Johannes Paul II. an seine Grundforderung zurück "Die Armen verlangen das Recht, an der Nutzung der materiellen Güter teilzuhaben und selbst ihre Arbeitskraft nutzbringend einzusetzen, um eine gerechtere und für alle glücklichere Welt aufzubauen" 7 . Natürlich weiß auch Johannes Paul II., dass das Drama der Unterentwicklung verschiedene Ursachen hat und dass auch die Entwicklungsländer selber zur Verantwortung aufgerufen sind. Trotzdem hält er an seiner Grundforderung fest: "Wie es auf nationaler Ebene möglich und geboten ist, eine Wirtschaft aufzubauen, die das Funktionieren des Marktes am Gemeinwohl orientiert, genauso müssen auf internationaler Ebene geeignete Maßnahmen getroffen werden " 8 • Das betrifft vor allem den Abbau der Schuldenlast der Entwicklungsländer und die Zusicherung einer langfristigen Entwicklungshilfe. Johannes Paul II. nennt dies "die furchtbare Herausforderung" am Ende des 2. Jahrtausends, weil "die größere Herausforderung bei dem liegt, der mehr hat und mehr kann " 9 • D. Die soziale Dimension: "Die selbstverantwortliche Gesellschaft"

Für Johannes Paul Il. ist die Wirtschaft zweifellos ein grundlegender Baustein einer Gesellschaft in Gerechtigkeit und Frieden. Aber gleichzeitig sagt er: "Die Wirtschaft ist nur ein Aspekt und eine Dimension der Vielfalt des menschlichen Handelns" 10 • Die Wirtschaft ist auf der einen Seite wesentlich auf den gesellschaftlichen Zusammenhang hingeordnet und auf der anderen Seite von dem mitbestimmt, was Johannes Paul II. mit dem neuen Begriff "Humanökologie" bezeichnet. Das heißt mit anderen Worten: Wie es in einer menschengerechten Wirtschaft Baugesetze gibt, die nicht übergangen werden können, so enthält auch eine menschengerechte Gesellschaft Bauelemente, die zu ihrem Bestand wesentlich sind. Es ist bezeichnend, dass Johannes Paul II. hier nicht mit abstrakten soziologischen Begriffen beginnt, sondern mit der grundlegenden Feststellung: "Der Mensch ist selbst ein Geschenk Gottes an den Menschen" 11 • Das will besagen: Eine menschengerechte Gesellschaft ist nicht primär das Produkt eines "human engineering" im Sinn einer vorgeplanten Blaupause. Sie hat Johannes Paul II., Centesimus annus, N. 28. Johannes Paul II., Centesimus annus, N. 52. 9 Johannes Paul II., Sollicitudo rei socialis, N. 47. 1o Johannes Paul II., Centesimus annus, N. 39. 11 Johannes Paul II., Centesimus annus, N. 38. 7

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Johannes Schasching

von der Würde und Zielbestimmung des Menschen auszugehen. Die katholische Soziallehre fonnuliert sie knapp so: Der Mensch ist als Abbild Gottes auf die selbstverantwortliche und solidarische Verwirklichung der in ihm grundgelegten Werte und Ziele hingeordnet. In diesem knappen Satz sind die zwei tragenden Prinzipien der katholischen Soziallehre mit angesprochen: Auf der einen Seite das Solidaritätsprinzip: Der Mensch kann die in ihm grundgelegte Wertfülle nur in gestufter Solidarität mit anderen verwirklichen. Darum ist er von Natur aus zur gesellschaftlichen Kooperation verpflichtet. Auf der anderen Seite das Subsidiaritätsprinzip: Das, was der einzelne aus sich heraus zu leisten vennag, darf ihm nicht von der Gesellschaft abgenommen werden und das, was die kleinere gesellschaftliche Einheit selber verwirklichen kann, darf keine höhere Gemeinschaft an sich ziehen. Johannes Paul II. konkretisiert diese Grundprinzipien in der Tradition der katholischen Soziallehre so: "Der erste und grundlegende Faktor zur Entfaltung der ,Humanökologie' ist die Familie" 12 . "Außer der Familie erfüllen auch andere gesellschaftliche Zwischenkörper wichtige Aufgaben und bilden spezifische Solidaritätsnetze. Sie entwickeln sich zu echten Gemeinschaften von Personen, beleben das gesellschaftliche Gefüge und verhindern, dass es in die Anonymität und in eine unpersönliche Vennassung absinkt" 13 . Darin besteht der eigentliche "Subjektcharakter der Gesellschaft". Zur Verwirklichung der Humanökologie gehört nach Johannes Paul II. zweifellos auch der demokratische Staat. Seine Aufgabe besteht in der "Herstellung der notwendigen Bedingungen für die Förderung der einzelnen Menschen durch die Erziehung und Bildung im Geist der echten überlieferten Werte, als auch für die Erstellung des ,Subjektcharakters' der Gesellschaft durch die Schaffung von Strukturen der Beteiligung und Mitverantwortung"14. Damit ist klar ausgesagt, dass die Gemeinwohlpolitik des Staates einen wesentlichen Bestandteil der Humanökologie darstellt, der sich keineswegs auf die innerstaatlichen Aufgaben beschränken kann, sondern zunehmend kontinentalen und globalen Charakter anzunehmen hat. Denn "mehr als in der Vergangenheit werden sich die Menschen dessen bewusst, durch ein gemeinsames Schicksal verbunden zu sein, das man vereint gestalten muss, wenn die Katastrophe für alle vennieden werden soll" 15 . 12

Johannes Paul 11., Centesimus annus, N. 39.

15

Johannes Paul 11., Sollicitudo rei socialis, N. 26.

13 Johannes Paul 11., Centesimus annus, N. 49. 14 Johannes Paul 11., Centesimus annus, N. 46.

Gerechtigkeit und Friede

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In diesem Zusammenhang stellt Johannes Paul II. zwei bedeutsame Forderungen. Die erste betrifft die eigene Kirche: "Angesichts von Notfällen kann man nicht einen Überfluss an Kirchenschmuck und kostbaren Geräten für die Liturgie vorziehen. Im Gegenteil. Es könnte verpflichtend sein, solche Güter zu veräußern, um den Bedürftigen dafür Speise und Trank, Kleidung und Wohnung zu geben" 16 • Die zweite Forderung betrifft die ökumenische Zusammenarbeit im Bemühen um Gerechtigkeit und Frieden: "Wie wir Katholiken die christlichen Brüder einladen, sich an unseren Initiativen zu beteiligen, so erklären wir uns in diesem Sinne auch bereit, an den ihrigen mitzuarbeiten, indem wir die an uns gerichteten Einladungen annehmen. Bei diesem Bemühen um die ganzheitliche Entwicklung des Menschen können wir vieles auch zusammen mit den Gläubigen der anderen Religionen tun" 17 •

m. Die Dimension der Werte: "Jenseits von Angebot und Nachfrage" Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Dimension sind zweifellos unabdingbare Bausteine des Weges zu Gerechtigkeit und Frieden. Aber sie genügen nicht, weil sie selber wieder "von Grundhaltungen abhängen, die sich für den Menschen als absolute Werte darstellen" 18 . Diesen Werten liegt ein Grundwert zugrunde, den Johannes Paul II. als "Solidarität" bezeichnet. Es ist auffallend, dass der Papst hier nicht den Begriff "Nächstenliebe" gebraucht. Dahinter steht seine Überzeugung, dass die Lösung der globalen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Aufgaben eine Wertebasis benötigt, die von möglichst breiten Schichten der Weltbevölkerung akzeptiert wird, obwohl sie für die Christen zweifellos ihre letzte Begründung im Evangelium hat. Diese Solidarität aber darf nicht "ein Gefühl vagen Mitleids oder oberflächlicher Rührung" sein, sondern ist "die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das ,Gemeinwohl' einzusetzen" 19 und sich in der Option für die Armen zu konkretisieren. Das verlangt auf der einen Seite den Mut zur gesellschaftlichen Kritik. Johannes Paul II. führt dafür selber einige Beispiele an: die Kritik am internationalen Handelssystem, am gegenwärti16 17

18 19

Johannes Paul 11., Johannes Paul II., Johannes Paul 11., Johannes Paul II.,

Sollicitudo rei socialis, N. 31. Sollicitudo rei socialis, N. 32. Sollicitudo rei socialis, N. 38. Sollicitudo rei socialis, 38.

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Johannes Schasching

gen Währungs- und Finanzsystem, an den bestehenden internationalen Organisationen. Seine Kritik umfasst aber auch die inneren Fehler und Schwächen der Entwicklungsländer selber: Korruption, Egoismus, Nationalismus. Dann aber muss sich diese Solidarität auch in positiven Initiativen zeigen: Durch Abbau der Verschuldung, durch Förderung von Bildung und Erziehung, durch verstärkte Entwicklungshilfe. Die Solidarität muss sich aber genauso im innerstaatlichen Bereich konkretisieren: in der eben dargestellten Wirtschaft und in den sozialen und politischen Dimensionen. Denn "eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich ... leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus" 20 • Damit stellt sich die entscheidende Frage von selber: Woher bezieht die Gesellschaft die für ihre Existenz so notwendigen Werte jenseits von Angebot und Nachfrage? Die katholische Soziallehre weiß um die Gefahr des Wertezwanges innerweltlicher Heilslehren, die glauben, "im Namen einer angeblichen wissenschaftlichen oder religiösen Ideologie den anderen Menschen ihre Auffassung von dem, was wahr und gut ist, aufzwingen zu können " 21 • Dann fügt Johannes Paul II. sehr bewusst hinzu: "Die christliche Wahrheit ist nicht von dieser Art ... wann immer die Kirche die transzendente Würde des Menschen betont, macht sie die Achtung der Freiheit zu ihrem Grundanliegen und ihrem Weg" 22 • Das heißt mit anderen Worten: Werte, die eine demokratisch verfasste Gesellschaft dringend braucht, können nicht aufgezwungen werden, vor allem nicht mit Hilfe der politischen Macht. Werte entstehen im vielstufigen Leben der Gesellschaft. Die staatliche Autorität hat die Pflicht, Voraussetzungen zu schaffen, die diesen gesellschaftlichen Werte-Grund sichern und fördern. Dass hier Ehe und Familie eine zentrale Aufgabe haben, wurde in einem anderen Zusammenhang bereits erwähnt. Sie sind der Ort, wo "der Mensch die entscheidenden Anfangsgründe über die Wahrheit und das Gute empfängt. Wo er lernt, was lieben und geliebt werden heißt und was konkret besagt, Person zu sein" 23 . Weitere Zubringer von Werten sind Schule und Erziehung. Auch hier geht es nicht darum, der Jugend Werte aufzuzwingen, wohl aber darum, in den verschiedenen Fachern Leitbilder und Motivation zur persönlichen Werte-

20 21 22 23

Johannes Paul Il., Centesimus annus, 46. Ebd. Ebd. Johannes Paul Il., Sollicitudo rei socialis, 39.

Gerechtigkeit und Friede

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Entscheidung anzubieten. In diesem Zusammenhang spielen die freien Vereinigungen und all das, was man unter "Zivilgesellschaft" versteht, eine wichtige Rolle. Hier geschehen Werte-Erfahrungen, die nicht nur für das persönliche Erleben, sondern auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unabdingbar sind. Für Johannes Paul II. sind Religion und Kirchen wesentliche Vermittler von Werten. In seinem Rundschreiben Centesimus annus sagt er sehr bewusst: "Wenn es keine transzendente Wahrheit gibt, der gehorchend der Mensch zu seiner vollen Identität gelangt, gibt es kein sicheres Prinzip, das gerechte Beziehungen zwischen den Menschen gewährleistet" 24 . Aber auch hier ist sich die Kirche bewusst, dass sie Werte anbieten und zu Werten erziehen kann, nie aber "was wahr und gut ist" aufzwingen darf. "Wann immer die Kirche die transzendente Würde des Menschen betont, macht sie die Achtung der Freiheit zu ihrem Grundanliegen und ihrem Weg" 25 • Es ist bedeutsam, dass Johannes Paul II. gerade in der Wertebegründung und Wertevermittlung immer wieder auf die Ökumene zurückkommt. Er appelliert zwar erst an "die Söhne und Töchter der Kirche", dass sie Vorbilder der gelebten Werte seien, lädt aber gleichzeitig die anderen Christen ein, einstimmig Zeugnis zu geben von unseren gemeinsamen Überzeugungen über die Würde des Menschen" 26 .

Der Papst richtet diesen Appell aber auch an die Juden, die Moslems und "ebenso an alle Anhänger großerWeltreligionen" 27 • Der Papst ist überzeugt, "wie sehr der Friede und als eine notwendige Bedingung die Entwicklung eines jeden und aller Menschen auch eine religiöse Frage sind" 28 • Johannes Paul II. lädt aber nicht nur die verschiedenen christlichen Kirchen und großen Weltreligionen zum Dialog und zur Zusammenarbeit in der Wertevermittlung ein, sondern auch "alle Menschen guten Willens" 29 • Der Papst ist davon überzeugt, dass die Religionen im Bemühen um Gerechtigkeit und Frieden durch ihre Wertebegründung und Wertevermittlung eine entscheidende Aufgabe haben. Er anerkennt aber gleichzeitig, dass es auch eine Wertebegründung und Wertevermittlung auf humanistischer Ebene gibt, die in die von ihm angestrebte Ökumene der Werte voll einzubauen sind. Johannes Paul 11., Centesimus annus, N. 44. Johannes Paul 11., Centesimus annus, N. 44. 26 Johannes Paul 11., Sollicitudo rei socialis, N.47. 27 Johannes Paul 11., Sollicitudo rei socialis, N.47. 28 Johannes Paul 11., Sollicitudo rei socialis, N.47. 29 Johannes Paul 11., Centesimus annus, N. 60. 24 25

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Johannes Schasching

Gerechtigkeit und Frieden sind für Johannes Paul li. zwei Bereiche, die eng aufeinander bezogen sind. Sie brauchen zu ihrer Verwirklichung drei Dimensionen: eine wirtschaftliche, eine sozial-politische und eine Dimension der Werte.

WIRTSCHAFT UND FRIEDE Anton Rauscher Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von den Bemühungen der Familien, der Sippen und Völker, die wirtschaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen zu schaffen und den Aufbau von Kultur und Religion voranzubringen. Am ehesten gelingt dies, wenn der Wille zur Zusammenarbeit besteht und der Friede gesichert ist. Die Geschichte ist aber ebenso geprägt von ungezählten Kämpfen, Streitigkeiten und Kriegen; es geht um wirtschaftliche, soziale, ethnische, religiöse und politische Belange. Die Menschen sehnen sich nach Frieden und machen dennoch die Erfahrung, wie sehr er gefährdet ist und immer neu gesichert werden muß. Die Sorge um den Frieden hat auch die Christenheit bewegt, seitdem Jesus diejenigen selig gepriesen hat, die Frieden stiften. Zu den Ursachen, die den Frieden bedrohen, gehören seit jeher die wirtschaftlichen Verhältnisse, besonders dann, wenn die Versorgung der Menschen mit den für das Überleben notwendigen Gütern nicht gewährleistet ist oder wenn große Unterschiede in der Lebensgestaltung der Familien, der Völker und Regionen entstehen. Der Kampf um die Nahrung und um die Anbaugebiete hat lange Zeit das Denken und Trachten der Menschen bestimmt, so wie heute in den fortgeschrittenen Industrieländern der Wettbewerb um Marktanteile und um Arbeitsplätze gelegentlich groteske Züge annimmt. Um dem Frieden in der Welt eine neue Chance zu geben, ergriff Papst Paul VI. die Initiative. Er rief für den 1. Januar 1968 den "Tag des Friedens" aus und erließ dazu eine eigene Botschaft. Er begründete damit die Tradition der Weltfriedenstage, die Papst Johannes Paul II. fortführt. Jeweils zu Beginn eines Jahres werden die Christen und alle Menschen guten Willens daran erinnert, daß der Friede den Menschen und Völkern nur geschenkt wird, wenn sie selbst alles tun, um einerseits die Ursachen, die zu Spannungen und kriegerischen Verwicklungen führen können, zu erkennen und zu beseitigen, um andererseits die Voraussetzungen und Bedingungen einer friedlichen Entwicklung in der Welt zu entdecken und sich für ihre Verwirklichung einzusetzen. Eine besondere Verantwortung für den Frieden liegt bei den Regierenden, die sich um das Gemeinwohl der Völker und Staaten mü-

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Anton Rauscher

hen sollen. Immer neu die Weichen so zu stellen, daß der Friede überall in der Welt eine Chance hat, gehört zu den vorrangigen Aufgaben der Regierenden. I. Die Bereitschaft zum Teilen

Überblickt man die Leitthemen der bisher erschienenen 33 Weltfriedensbotschaften, so fällt auf, daß keine direkt auf den Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Frieden eingeht. Dies hängt natürlich damit zusammen, daß der Friede zwischen den Völkern in erster Linie eine Angelegenheit der Politik und der politischen Ethik ist. Deshalb hat die Kirche immer das Gemeinwohl und die Gerechtigkeit, die Solidarität und die Liebe, die Wahrheit und die Versöhnung, die Menschenwürde und die Menschenrechte in den Mittelpunkt des öffentlichen Bewußtseins zu rücken versucht. Auch ist sie nicht müde geworden, den Dienst anzumahnen, den die Regierenden, die Massenmedien, die Erziehenden für den Frieden und seine Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung leisten sollen. Friede ist mehr und etwas anderes als die Abwesenheit von Krieg. Paul VI. hat in seiner Sozialverkündigung häufig auf die Forderungen der Gerechtigkeit im Wirtschaftsleben und auf die Notwendigkeit einer Neuordnung des Welthandels hingewiesen und in der Enzyklika Populorum progressio die "Entwicklung" der Völker als neuen Namen für Frieden proklamiert. Seine Weltfriedensbotschaften jedoch waren noch ganz von der Situation des "kalten Krieges" zwischen den Blöcken in Ost und West bestimmt; jedenfalls ging er nicht näher auf das Verhältnis von Wirtschaft und Frieden ein. Auch Johannes Paul II., obwohl er drei Sozialenzykliken erließ: Laborern exercens (1981), Sollicitudo rei socialis (1987), Centesimus annus (1991), kommt in seinen Weltfriedensbotschaften nur vereinzelt auf wirtschaftliche Aspekte zu sprechen. In der Botschaft des Jahres 1993 setzte er sich mit der Armut auseinander, die sowohl Ursache als auch Folgewirkung von Konflikten sein könne, wobei der Verschuldung armer Länder besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die Bekämpfung der Armut erleichtert den Abbau von Konfliktpotentialen und dient dem Frieden. Diese Frage wird in der Botschaft des Jahres 1998 erneut aufgegriffen, und zwar im Zusammenhang mit der sogenannten Globalisierung und einer weltweiten Solidarität und Gerechtigkeit. Ausdrücklich wird die "Bereitschaft zum Teilen als Weg zum Frieden" eingefordert und auf die Grundnormen der Nächstenliebe und der Solidarität, der Gerechtigkeit und der Caritas verwiesen.

Wrrtschaft und Friede

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Die Kirche hat von Anfang an die Christen dazu gedrängt, den Menschen, die in Not geraten sind, zu helfen. Getreu dem Wort Jesu: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" erweist sich der christliche Glaube in der barmherzigen Tat für die Armen und Bedrängten. Die Nächstenliebe, die mit der von Jesus geübten Barmherzigkeit verwandt ist, geht über die von Natur aus geforderte Mitmenschlichkeit und Solidarität hinaus, insofern sie auf den gemeinsamen Vater aller Menschen verweist und für das zukünftige Heil des Menschen relevant ist. In der alten Agrargesellschaft war primär die Großfamilie dafür zuständig, daß ihre Mitglieder gegen die Risiken des Lebens gesichert waren. Wer immer jedoch die Beheimatung in der Großfamilie verloren hatte, der war in besonderer Weise auf die "Bereitschaft zum Teilen" angewiesen, auf die "milden Gaben" als Ausfluß der Nächstenliebe und der Caritas. Überall wo Christen leben, organisierte die Kirche auf den Ebenen der (Pfarr-)Gemeinde und der Diözese karitative Strukturen. Hinzukamen im Laufe der Geschichte die vielen Frauen- und Männerorden, die den Armen und Notleidenden, den Waisenkindern und Verlassenen, den Kranken, Behinderten und auf sich gestellten alten Menschen Hilfe und Unterstützung brachten. In Ländern ohne christliche Gemeinden und ohne das Engagement von Ordensgemeinschaften fehlten und fehlen weitgehend diese karitativen Strukturen. Durch die karitativen Strukturen wurde die Nächstenliebe nicht nur von Mensch zu Mensch wirksam, sondern auch auf der gesellschaftlichen Ebene. Dies war wichtig in einer Zeit, in der es sehr viel mehr "Arme" gab als heute unter den Bedingungen des Sozialstaats. Die Ursachen für die weit verbreitete Armut, die noch heute in vielen Entwicklungsländern in Afrika zu beobachten ist, liegen bei den wirtschaftlichen Verhältnissen, wenn die Wirtschaft nicht in der Lage ist, auch nur die für das Überleben der Bevölkerung notwendigsten Güter zu produzieren. Unter derartigen Bedingungen bekam das Teilen und Mitteilen noch einen ganz besonderen, nämlich gesellschaftlichen Stellenwert, weil nur auf diesem Wege die ökonomische Defizienz aufgefangen werden konnte. Der kirchliche Appell des Mitteliens richtete sich an alle, die dazu in der Lage waren, vornehmlich an die Besitzenden, Vermögenden und an die "Reichen". ß. Die Sorge um das Überleben

Die Güterfülle, die die moderne leistungsstarke Wirtschaft hervorbringt und die die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Diensten auf sehr

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hohem Niveau ermöglicht, läßt viele Menschen nicht mehr nachvollziehen, wie schwierig die Versorgungslage in früheren Zeiten war. Soweit wir die Geschichte zurückverfolgen können, waren die Menschen in Europa bestrebt, Wälder zu roden, um anbaubares Ackerland zu gewinnen. Da die Böden in den verschiedenen Regionen von sehr unterschiedlicher Beschaffenheit und Fruchtbarkeit waren, kam es zwischen den Sippen und Völkerschaften zu andauernden Streitigkeiten, zu Landbesetzungen und gewaltsamen Vertreibungen der angestammten Bevölkerung, zu Kriegen. Auch die "Völkerwanderung" war hauptsächlich durch die Suche nach Nahrung und fruchtbaren Anbaugebieten ausgelöst. Wie sehr die Sorge um das Überleben nicht nur die Traditionen der bäuerlichen Großfamilien, sondern auch das öffentliche Bewußtsein bestimmte, zeigt sich auch an den Auswirkungen von Naturkatastrophen auf die Bevölkerung. Seuchen und Hungersnöte dezimierten oft genug die Bevölkerung, so daß ganze Landstriche nicht mehr bebaut werden konnten und verödeten. Damals gab es noch nicht genügend Transportmittel, um bei Ausfall von Ernten durch ausreichende Importe aus anderen Ländern der Welt die Hungersnöte zu lindern. Die Situation spitzte sich in Europa noch zu, als die Bevölkerung etwa seit 1750 langsam anstieg. Die Bemühungen, die Kinder- und Müttersterblichkeit zurückzudrängen und durch verbesserte Hygiene und Wasserversorgung den Seuchen vorzubeugen, hatten erste Erfolge gebracht. Da aber die Erzeugung von Nahrungsmitteln mit der Bevölkerungsentwicklung nicht Schritt hielt - noch war der Kunstdünger nicht erfunden - und obendrein die Ernteerträge schwankten, konnten viele Familien nur durch Auswanderung, vor allem in die USA überleben. Erst mit der Industrialisierung und mit dem wirtschaftlichen Wachstum der Produktion und der Produktivität besserten sich die Voraussetzungen für die Versorgung der Menschen mit quantitativ und qualitativ ausreichenden Gütern. Das starke Anwachsen der Bevölkerung in vielen europäischen Ländern im 19. Jahrhundert erleichterte einerseits die Industrialisierung, andererseits verstärkte es die Suche nach Lebensraum, den manche Bewegungen vor allem in den Weiten Osteuropas ausmachten. Im 20. Jahrhundert kommt es in Auswirkung des Weltkrieges zur Vertreibung von Millionen Menschen, zu Flüchtlingsströmen und zu Wanderungsbewegungen großen Stils. Viele Menschen aus Osteuropa und aus stark bevölkerten Staaten Asiens machen sich auf, nach den USA und in andere Länder Lateinamerikas auszuwandern, so wie viele Flüchtlinge und Asylsuchende aus Osteuropa und aus den Ländern des Nahen Ostens in Mittel- und Westeuropa sich niederlassen

Wirtschaft und Friede

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wollen, weil sie hier wesentlich günstigere Bedingungen für das wirtschaftliche Fortkommen und für die Entfaltung ihrer Kinder erblicken. Die Kriege und bewaffneten Auseinandersetzungen um Nahrungsmittel sind nach dem Zweiten Weltkrieg subtileren Formen der Auseinandersetzung gewichen. Die im Gang befindlichen Migrationswellen, aber auch der Streit um ausreichende Wasser- und Energieversorgung sind nach wie vor Konfliktpotentiale mit enormen Sprengsätzen.

m. Die "kapitalistische" Wirtschaft und die Gefährdung des sozialen Friedens Wenn die Thematik Wirtschaft und Frieden in den Weltfriedensbotschaften der Päpste bisher eher nur am Rande behandelt wurde, so dürfte dies auch mit den Schwierigkeiten zusammenhängen, die die Kirche mit der Struktur und den Funktionsweisen der modernen "kapitalistischen" Wirtschaft hatte. Dies war früher anders, als die Kirche noch ein bestimmender Faktor in der Agrargesellschaft war. Bischöfe und Pfarrherren, Klöster und Ordensgemeinschaften, die Stiftungen für kirchlich-kulturelle, soziale und gemeinnützige Zwecke hatten ein großes Interesse an einer ertragreichen Wirtschaft. Das breitgestreute, wenn auch abgestufte Eigentum an Grund und Boden und seine gute Bewirtschaftung bildeten die Voraussetzung dafür, daß die Versorgung der Menschen mit den lebensnotwendigen Gütern gesichert war und die Armut in Grenzen gehalten werden konnte. Die Kirche hatte weiterhin großen Anteil daran, daß zusammen mit der Landwirtschaft die handwerklichen Zünfte und die Künste, ebenso viele soziale und sozialkaritative Werke und Einrichtungen aufblühten. Oft waren die Klöster und kirchliche Güter vorbildliche Zentren, von denen neue Ideen und Anstöße zur Verbesserung der Produktstruktur und der Produktivität ausgingen. Zugleich gab es beachtliche Ansätze einer Wirtschaftsethik, die sich Gedanken machte über gerechte und solidarische Strukturen des Zusammenarbeitens und -lebens, über die gerechte Preisgestaltung auf den Märkten, über die Bedeutung der Geldwertstabilität, über die Schädlichkeit von Monopolen. Auch das Zinsverbot, das die Kirche durchsetzte, war für eine stationäre Wirtschaft und Gesellschaft von Bedeutung, weil und solange keine Nettoinvestitionen getätigt wurden und deshalb das Zinsnehmen schnell zum Wucher werden konnte. Ohne eine für ihre Zeit leistungsfähige Wirtschaft wäre die Kultur des Mittelalters in den europäischen Landen nicht möglich gewesen. Sie trug

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wesentlich zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Menschen und Völker bei und damit auch zur Stabilisierung des Friedens. Diese Situation änderte sich gründlich seit der Entstehung von Nationalstaaten und mit dem Aufkommen der industriellen Wirtschaftsweise im 19. Jahrhundert. Diese ist gekennzeichnet durch Arbeitsteilung, funktionale Trennung der Produktionsfaktoren von Arbeit und Kapital, Wissenschaft und Technik, Innovationen und Investitionen, freien Wettbewerb und eine umfassende Ausdehnung der Märkte. Die ökonomische Wissenschaft und die herrschende liberale Bewegung gingen davon aus, daß die industrielle Wirtschaft die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern sehr viel besser leisten, die Armut überwinden und die ständigen wirtschaftlichen Schwankungen zurückdrängen werde. Diese Erwartungen traten jedoch nicht ein. Im Gegenteil: Überall dort, wo die Industrialisierung voranschritt, kam es zur Verelendung vieler Arbeiter und ihrer Familien. Es fehlte an gerechten Löhnen, an humanen Arbeitsbedingungen, an Ansätzen zu einer gerechten Vermögens- und Eigentumsverteilung im Hinblick auf das ständig steigende Produktivkapital. Ein viel zu hoher Anteil der Wirtschaftserträge und der Gewinne wurde wiederum investiert, ohne daß die Kaufkraft der Arbeiter entsprechend gestiegen wäre. Die Absatzkrisen dieser "kapitalistischen Wirtschaft" nahmen zu. In den Industriegesellschaften war der soziale Friede durch die ständigen Auseinandersetzungen zwischen den Fabrikbesitzern ("Kapitalisten") und Arbeitern ("Proletariern"), zwischen den Arbeitgebern/Unternehmern und den Arbeitnehmern stark gefährdet. Oft genug entluden sich die Spannungen in Streiks und Aussperrung, wodurch nicht nur die Industriebetriebe, sondern auch große Teile der Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wurden. Von einer gedeihlichen und friedvollen Zusammenarbeit konnte nicht mehr gesprochen werden; häufig war die Atmosphäre vergiftet. Die Klassenspaltung der Gesellschaft begünstigte das Aufkommen der großen Ideologien und auch die Entwicklung der politischen Extreme auf der Rechten und auf der Linken. Die klassenmäßige Organisierung der wirtschaftlichen Interessen und Verhältnisse hat die Solidarität und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit geschwächt und den Blick für gerechte Lösungen der wirtschaftlichen und sozialen Konflikte verdunkelt. Die sozialen Gegensätze haben wesentlich dazu beigetragen, daß die totalitären Systeme in Rußland und 1933 in Deutschland an die Macht gelangten.

Wirtschaft und Friede

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Iv. Die katholische Soziallehre und die Lösung der "sozialen Frage"

Die Kirche, die mit der Bedarfsdeckungswirtschaft in der alten Agrargesellschaft vertraut war, tat sich schwer, die neuen Faktoren, Zusammenhänge und Funktionsweisen der industriellen Wirtschaft zu durchschauen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeichneten sich zwei Richtungen ab, wie die Kirche auf die "soziale Frage" reagieren könnte. Die eine Richtung war nach rückwärts gewandt und wollte nicht nur die kapitalistische Klassengesellschaft, sondern auch die kapitalistische Wirtschaftsweise verurteilen. Der Lohnarbeitsvertrag galt in sich als ungerecht, der "Kapitalismus" als unheilbar. Auf der anderen Seite gab es eine christlich-soziale Richtung, die erkannte, daß die neue, die "kapitalistische" Produktionsweise ungleich besser in der Lage war, die stark angewachsene Bevölkerung in den urbanen Zentren mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Aber dem "Kapitalismus" mußten soziale Strukturen eingezogen werden, wenn die sozialen Gegensätze zwischen den Klassen überwunden und der soziale Friede wiedergewonnen werden sollten. Diese Richtung vertrat die moderne Sozialverkündigung der Kirche, die mit der Enzyklika Rerum novarum (1891) einsetzte. Papst Leo XIII. verurteilte die Ungerechtigkeiten und die schamlose Ausbeutung der Arbeiter aufs schärfste. Die Sozialverkündigung der Kirche verharrte aber nicht bei der Kritik und bei der Forderung tiefgreifender Reformen. Man kann es gar nicht hoch genug einschätzen, daß die Kirche schon in Rerum novarum und dann in Quadragesima anno der Klassenspaltung der Gesellschaft das Prinzip der "Sozialpartnerschaft" zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern entgegengesetzt hat, weil Arbeit und Kapital wechselseitig aufeinander angewiesen sind: "So wenig das Kapital ohne die Arbeit, so wenig kann die Arbeit ohne das Kapital bestehen" (Rn 15, Qa 53). Nicht die Abschaffung des Privateigentums und des Staates, auch nicht die Ideologie der klassenlosen Gesellschaft, wie sie der revolutionäre Sozialismus forderte, sondern die Überwindung der Klassengesellschaft durch die Integration der Arbeiterschaft in die moderne Gesellschaft und den Aufbau einer gerechten Sozialordnung bildeten die Grundforderungen der katholischen Soziallehre. Die Entwicklung des Sozialstaates, die vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg in den europäischen Ländern eingesetzt hat, ist dem von der katholischen Soziallehre entworfenen Bild einer menschenwürdigen und leistungsfähigen Wirtschaft und einer gerechten Sozialordnung gefolgt. Der soziale Friede ist keine Utopie geblieben.

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Auch der Aufbau leistungsfähiger Wirtschaften in Entwicklungsländern muß das Prinzip der Sozialpartnerschaft beachten und einem falschen Klassendenken widerstehen. In Lateinamerika spricht man heute von einem "verlorenen Jahrzehnt". Die radikalen Richtungen der "Theologie der Befreiung" hatten auf die marxistische Analyse von Wirtschaft und Gesellschaft gesetzt und die Bekämpfung der großen Armut auf diesem Kontinent von einer Politisierung nach links in Kirche und Gesellschaft erhofft. Die Dependenztheorie wiederum wirkte sich verheerend aus. Sie vertrat die These, daß die Menschen in den Entwicklungsländern deshalb arm seien, weil sie von den reichen Industrienationen abhängen, die ihren Wohlstand nicht teilen wollen. Auf eine kurze Formel gebracht: Die Menschen in den Entwicklungsländern sind arm, weil die Menschen in den Industriestaaten reich sind. Sicherlich tragen die reichen Industrieländer eine besondere Verantwortung dafür, daß in den armen Agrarländern die Entwicklung der Wirtschaft in Gang kommt. Sie müssen die finanziellen Mittel hierfür bereitstellen und dafür sorgen, daß die Menschen durch gezielte Bildungsmaßnahmen befähigt werden, neue Produktionen und eine höhere Produktivität zu entwikkeln, die auch die wirtschaftlichen Erträge und damit die Versorgung der Bevölkerung langfristig und nachhaltig verbessert. Nach der Wende von 1989/90 und dem Niedergang des Sozialismus in den mittel- und osteuropäischen Staaten sah sich die katholische Soziallehre bestätigt und erhielt neue Anziehungskraft. Die Kirche mußte jetzt nicht mehr befürchten, durch die Anerkennung der Strukturen der modernen Marktwirtschaft in die Nähe des "Kapitalismus" gerückt zu werden. In der Sozialenzyklika Centesimus annus, die 1991 aus Anlaß der hundertsten Wiederkehr von Rerum novarum veröffentlicht wurde, legte Papst Johannes Paul II. die Sicht der Kirche dar. Der Zusammenbruch des Marxismus habe Auswirkungen von großer Tragweite auf die Spaltung der Erde in voneinander abgeschlossene und miteinander eifersüchtig ringende Welten. Er rücke die Wirklichkeit der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker klarer ins Licht und ebenso die Tatsache, daß die menschliche Arbeit von Natur aus dazu bestimmt ist, die Völker zu verbinden, nicht aber sie zu spalten. "Friede und Wohlfahrt sind Werte, die dem ganzen Menschengeschlecht gehören. Es ist nicht möglich, sie zu Recht und auf Dauer zu genießen, wenn sie zu Lasten anderer Völker und Nationen erworben und behalten werden, indem sie deren Rechte verletzen oder sie von den Quellen des Wohlstandes ausschließen" (Nr. 27). Und: "Europa wird nicht im Frieden leben können, wenn die vielfältigen Konflikte, die als Folge der Vergangenheit aufbrechen,

WJ.rtschaft und Friede

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sich durch wirtschaftlichen Niedergang, geistige Unzufriedenheit und Verzweiflung verschärfen" (Nr. 28). Die Bedeutung, die einer guten Wirtschaft für die Lösung vieler Konflikte zukommt, diese Feststellung gilt auch für die Marktwirtschaft, die die frühere Bedarfsdeckungswirtschaft abgelöst hat und in der die Märkte den Austausch zwischen den Produzenten und den Konsumenten besorgen. Für Karl Marx gab es nur zwei Gesellschaftstypen: die "sozialistische" und die "kapitalistische" Gesellschaft. Mit dieser mangelhaften Unterscheidung räumt die Enzyklika gründlich auf. Sie zeigt sich erfreut darüber, daß sich "in einigen Ländern ... nach der Zerstörung des Krieges auf verschiedenen Gebieten ein positives Bemühen zum Aufbau einer demokratischen Gesellschaft, die sich von sozialer Gerechtigkeit leiten läßt", vollzieht und so "dem Kommunismus sein revolutionäres Potential entzieht". Dieses Bemühen "wird im allgemeinen durch die Methoden der freien Marktwirtschaft unterstützt" (CA 19, 2). In der Enzyklika wird auch der Begriff "Kapitalismus" geklärt. Wird damit "ein Wirtschaftssystem bezeichnet, das die grundlegende und positive Rolle des Unternehmens, des Marktes, des Privateigentums und der daraus folgenden Verantwortung für die Produktionsmittel, der freien Kreativität des Menschen im Bereich der Wirtschaft anerkennt", dann ist dieser "Kapitalismus sicher positiv" zu bewerten. Wird aber darunter ein System verstanden, "in dem die wirtschaftliche Freiheit nicht in eine feste Rechtsordnung eingebunden ist, die sie in den Dienst der vollen menschlichen Freiheit stellt und sie als eine besondere Dimension dieser Freiheit mit ihrem ethischen und religiösen Mittelpunkt ansieht, dann ist die Antwort ebenso entschieden negativ" (CA 42,2). "Der Papst lehnt also eine rechtlich nicht geordnete, sozusagen wilde und wertfreie Marktwirtschaft ab" (Lothar Roos). Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Frieden ist der Gedanke neu, daß der Mensch durch seine Arbeit in eine "Solidaritätskette" eingeordnet ist. Deshalb darf er das aus der Arbeit entstehende Eigentum an Produktionsmitteln niemals nur für sich gebrauchen: Das Eigentum an Produktionsmitteln wird "rechtswidrig", wenn es bei dringendem Investitionsbedarf und Mangel an Arbeitsplätzen nicht produktiv eingesetzt wird oder gar der "Unterdrückung", der "unzulässigen Ausbeutung", der "Spekulation" und dem "Zerbrechen der Solidarität in der Welt der Arbeit" diene (CA 43, 3).

22 Johannes Paul li.

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V. Gerechtigkeit im Dienst des Friedens

Auf den Propheten Isaias geht das Wort zurück, das sich Papst Pius XII. als Leitwort wählte: Opus Iustitiae Pax: Das Werk der Gerechtigkeit ist der Friede. Nur wenn die Wirtschaft eines Landes so gestaltet wird, daß die Bevölkerung das Bewußtsein haben kann, sie sei "gerecht", wird sie zur Quelle des innergesellschaftlichen Friedens. Ähnliches gilt nicht minder für das internationale Handelssystem und die sich abzeichnende Weltwirtschaftsordnung. Wenn die Wirtschaft die Voraussetzungen und Bedingungen für eine friedliche Entwicklung schaffen soll, dann hängt dies in besonderer Weise von der Verteilungsgerechtigkeit ab. In der arbeitsteiligen Wirtschaft kommt es in erster Linie darauf an, ob die Einkommen der Erwerbstätigen im Verhältnis einerseits zu der erbrachten Leistung und andererseits zu den übrigen Einkommen stehen. Dieser Maßstab umfaßt alle Erwerbstätigen, sowohl die Selbständigen als auch die abhängig Beschäftigten, ebenso die Beamten. Die moderne Gesellschaft ist zwar in ständiger Veränderung begriffen. Es entstehen immer neue Berufsfelder und Tätigkeitsbereiche, während andere Tätigkeitsbereiche und Berufsfelder weniger gefragt sind und womöglich auslaufen. Diese Dynamik der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft muß sich auch in der Einkommensstruktur, in den Löhnen und Gehältern widerspiegeln. Sie müssen der Nachfragestruktur nach Gütern und Diensten in der Bevölkerung entsprechen. Auch die in Tarifverhandlungen vereinbarten Entgelte können nicht über einen längeren Zeitraum von den ständigen Anpassungssprozessen ausgenommen sein, weil sich sonst Privilegien bilden und die Zufriedenheit der Menschen gefährdet wäre. Am volkswirtschaftlichen Ertrag müssen nicht nur die Erwerbstätigen beteiligt sein, sondern auch die Kinder und Jugendlichen, die sich noch in der Ausbildung befinden und sich auf ihre Aufgabe in der Gesellschaft vorbereiten. Früher, als die Kosten für die nachwachsende Generation praktisch auf alle Glieder der Gesellschaft verteilt waren, waren die Familien dafür zuständig. In einer Gesellschaft jedoch, in der schon die Einkommenshöhe der Familie davon abhängt, ob beide Eltern arbeiten und verdienen, entstehen erhebliche Unterschiede in den Belastungen. Noch stärker werden diese, wenn der Teil der Erwachsenen, die keine Kinder haben, ebenso der Singles ansteigt. Die Gerechtigkeit verlangt unter diesen Umständen den Familienlastenausgleich. Die Begründung liegt darin, daß auch die Singles und die Erwachsenen ohne Kinder im Alter, in der Pflege ober

Wirtschaft und Friede

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bei Krankheit auf Dienste angewiesen sind, die von Erwerbstätigen erbracht werden. Die monetären Beiträge zu den Systemen der sozialen Sicherheit können den generativen Beitrag nicht ersetzen. Die Familie darf heute nicht vernachlässigt werden; sie ist ein Kernelement des Friedens, was Papst Johannes Paul II. in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1994 betonte. Vom volkswirtschaftlichen Ertrag müssen auch die Menschen leben, die aus welchen Gründen auch immer - nicht erwerbstätig sind oder nicht für die Risiken des Lebens vorsorgen können. Der Sozialstaat ist dafür verantwortlich, daß alle, die zur staatlichen Gemeinschaft gehören, auch menschenwürdig leben können. Dazu gehören auch die Asylanten oder die Flüchtlinge, die aufgenommen wurden. Die Verteilungsgerechtigkeit erstreckt sich aber nicht nur auf die erarbeiteten Einkommen, sondern auch auf die Einkommen aus Vermögen und Eigentum. Gerade für die fortgeschrittene Industriegesellschaft, in der die Investitionen und damit auch die Produktivität und die dazugehörigen Einkommen aus Ersparnissen und Kapital immer mehr zunehmen, wird diese Frage immer wichtiger. Schon in der Enzyklika Rerum novarum wurde die Beteiligung der Arbeiter am volkswirtschaftlichen Produktivkapital als eine Forderung der Gerechtigkeit behandelt. Dieses Anliegen ist im Hinblick auf das gewaltige Aktienvermögen und die davon ausgehenden Investitionsentscheidungen vordringlich. Ohne eine gerechte Beteiligung der breiten Schichten werden Unzufriedenheit und Neid und damit mögliche Konfliktpotentiale zunehmen und erneut den sozialen Frieden gefährden. In einer zusammenwachsenden Welt bekommt die Verteilungsgerechtigkeit eine neue Dimension: das Verhältnis zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern. Dabei geht es auch um die ärmsten Länder, denen es trotz mancher Anstrengungen nicht gelungen ist, eine einigermaßen funktionsfähige Wirtschaft aufzubauen. Der Schuldenerlaß allein wird an dieser traurigen Situation wenig ändern, wenn den Menschen in diesen Ländern nicht in viel stärkerem Maße gezeigt wird, wie sie eine Wirtschaft, einen Rechtsstaat und eine Demokratie gestalten können. Für den Frieden in der Welt ist eine gute Wirtschaftsordnung unerläßlich. Die Kirche wird in ihrer Sozialverkündigung noch mehr auf diese Zusammenhänge eingehen müssen, zumal sie die erforderliche Glaubwürdigkeit besitzt, weil sie im Kern weder wirtschaftliche noch nationale Interessen vertritt. 22°

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Literaturverzeichnis Baader, Roland, Fauler Zauber. Schein und Wirklichkeit des Sozialstaates, 1997, 292

s.

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Giersch, Herbert (Hrsg.), Probleme und Perspektiven der weltwirtschaftliehen Entwicklung. Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik, Gesellschaft für Wirtschaftsund Sozialwissenschaften, Reihe: Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 148, 1985,623 s.

Justitia et Pax/Päpstlicher Rat, Gesellschaftliche und ethische Aspekte der Ökonomie. Ein Kolloquium im Vatikan, Reihe: Arbeitshilfen, Nr. 107, 1993, 158 S.

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ASPEKTE DER FRIEDENSPOLITIK IM PROZESS DER ÖKONOMISCHEN ENTWICKLUNG Klaus Liebscher Es sind zwei historisch bedeutende Ereignisse in der jüngeren europäischen Geschichte, die - neben ihren ökonomischen und gesellschaftspolitischen Konsequenzen - zurecht immer wieder mit dem Friedensbegriff in Zusammenhang gebracht werden: Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems und damit der Zentralverwaltungswirtschaften einerseits und die Errichtung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion anderseits. Mit dem Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaften ist ein jahrzehntelang relevantes Konfliktpotenzial verschwunden; und mit der währungspolitischen Integration Europas sowie den ihr zugrundeliegenden Impulsen in Richtung einer politischen Union wird das gesellschaftliche Prinzip der "Konkurrenz" in zunehmendem Maß auf die ökonomische Leistungsfähigkeit reduziert. Freilich müssen wir erkennen, dass die konflikterzeugende Struktur von "Macht" durch diese Fortschritte zwar abgebaut wird, aber keineswegs verschwunden ist.

I. Friedensaspekte im Wandel der technologischen und sozialökonomischen Entwicklung Die Beschäftigung mit dem Frieden als eigenständiges Thema ist eng mit dem Wandel unseres Bewusstseins verbunden, der von materiellen und geistigen Inhalten bestimmt wird. Die materielle Grundlage dieser Vorgänge sind technologische Innovationen, aber die eigentlichen Motive, Normen und Ziele des menschlichen Handeins werden vom ethischen Bewusstsein bestimmt. Mit der Frage nach dem konkreten (materiellen) "Erfolg" ist also stets eine Bewegung verbunden, die mit Eigenschaften wie "gerecht und gut", also mit der Einsicht in das "Richtige" zu tun hat. Diese Struktur lässt sich auch beim Friedensproblem erkennen. Allein die Fortschritte auf den Gebieten des Militärwesens und der Waffentechnologie

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haben ein verändertes Bewusstsein gegenüber diesem Thema entstehen lassen. Die Friedensbewegung als Teil gesellschaftlicher Interessen und Ziele ist maßgeblich von dieser Realität und vom Potenzial der materiellen Mittel, also der Waffensysteme, und der daraus resultierenden strategischen Möglichkeiten beeinflusst, mit einem Wort: vom Schrecken des Krieges. Gleichzeitig aber sind die Inhalte der Friedensbewegung durch den latenten Wandel der ethischen Zielsetzungen geformt worden. So ist die Idee internationaler friedenserhaltender Schiedsgerichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts- und daher lange vor der im Jahr 1920 erfolgten Gründung des Völkerbundes -entstanden; und zwar vor dem Hintergrund der industriellen Revolution, die gerade in dieser Periode im Verkehrswesen (Eisenbahn, Dampfschiffe) ihren Schwerpunkt hatte und dadurch die Militärstrategie von Grund auf veränderte. Die Gründung des "Roten Kreuzes" und die "Genfer Konvention zum Schutz der Verwundeten und Kranken im Krieg" sowie die schon erwähnte Idee eines Schiedsgerichts zur Wahrung des Weltfriedens waren somit Ergebnisse eines neuen ethischen Bewusstseins, das die veränderten materiellen Bedingungen hervorgebracht hatten. Aus der hier beispielhaft dargestellten historischen Sicht einzelner Friedensaspekte gewinnen wir die Erkenntnis, dass Friedenspolitik im Wesen aus Machtbegrenzung besteht und dass die Fortschritte der Friedenspolitik aus dem Zusammenspiel von materiellen und geistigen (ethischen) Bedingungen erklärbar sind. Die Möglichkeit, den Krieg als Mittel der gesellschaftlichen Auseinandersetzung "wegzudenken" setzt allerdings weit mehr voraus als den rechtlich gesicherten Respekt vor den "anderen" im Konkurrenzsystem: Aber die "Fahigkeit zu lieben" ist nun einmal eine Kategorie, die wir- in ihrer Bedeutung für gesellschaftliche Prozesse- nur unter das "Prinzip Hoffnung" einordnen können1 . Neben der Philosophie ist es natürlich die Religion, die auf diesem Boden ihre Wirkung entfalten kann. Welche Bedeutung haben nun Veränderungen wie die eindeutige Dominanz demokratisch strukturierter Marktwirtschaften oder eine währungspolitische Integration in friedenspolitischer Hinsicht? Nun, es sind "FortSchritte" im ursprünglichen Sinn des Wortes; Fortschritte, die es ermöglichen, "Zeit zu kaufen" und unsere Welt so zu gestalten, dass weitreichende kriegerische Konflikte immer weniger wahrscheinlich werden.

1 Vgl. dazu auch: Carl Friedrich von Weizsäcker, Der Garten des MenschlichenBeiträge zur geschichtlichen Anthropologie, München-Wien, 1977.

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ß. Grundlegende Erscheinungsformen aktueller ökonomischer Prozesse

Die ökonomische Ideenwelt ist prinzipiell ein aus Erfahrungen gewonnenes Gebilde. Die einschlägige theoretische Entwicklung setzt naturgemäß Abstraktionen voraus. Zum Teil haben solche Abstraktionen eine wichtige didaktische Funktion in dem Sinn, dass sie ökonomische Denkvorgänge fördern. Weiters besteht eine negative Korrelation zwischen zunehmender Abstraktion und unmittelbarer wirtschaftspolitischer Anwendbarkeit von Ergebnissen. Hier soll jedoch auf eine besondere Form der Abstraktion hingewiesen werden, die unser Thema direkt berührt. Der Siegeszug des marktwirtschaftliehen Prinzips beruht auf den Optimierungs-Eigenschaften der vollständigen Konkurrenz. Die ethische Legitimierung dieses Prinzips ist im Wesentlichen aus dem ersten soliden ökonomischen Standardwerk ableitbar (Adam Smith: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776) 2 • Die Idee, dass die "unsichtbare Hand" des Marktes den übergeordneten gesellschaftlichen Interessen dann am besten dient, wenn das individuelle Streben nach Gewinnmaximierung keinen Beschränkungen unterliegt, ist der Kern der "endogenen", also der systemimmanenten Ethik der Marktwirtschaft. Dieser Aspekt ist aus friedenspolitischer Sicht von erheblicher Bedeutung: Denn er enthält einen starken Impuls in Richtung Machtbegrenzung. Wenn man sich etwas näher mit dem Werk von Adam Smith beschäftigt, kommen einige Punkte zu Tage, mit denen wir uns in Zusammenhang mit der hier gestellten Aufgabe unbedingt auseinander setzen müssen. Zunächst ist zu erwähnen, dass - wie so oft in der Geistesgeschichte - auch dieses Werk eine "Gegenposition" darstellt, in diesem Fall zur merkantilistischen und damit staatswirtschaftlich motivierten Politik des 18. Jahrhunderts. Vor allem aber würde man den großen Fehler einer geradezu monokausalen Interpretation begehen- und damit einer Abstraktion, die dem Originalwerk nicht gerecht wird- wenn man die "spontane Harmonie der Interessen" zum alleinigen Prinzip der Marktwirtschaft erklärt. Nun hat allein das Entstehen von Großunternehmen- inzwischen auch auf dem Sektor der Dienstleistungen- die Vorstellung einer gleichverteilten Marktmacht ad absurdum geführt, aber Kontrollmechanismen wie das Wettbewerbsrecht und die Fusionskontrolle sind entstanden, um potenzielle Fehlentwicklungen zu verhindern. Das bedeutet, dass geeignete Interven2

E. Cannan edition, London 1950.

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tionen des Rechtssystems dazu geführt haben, dass das Prinzip der "spontanen Harmonie der Interessen" den modernen sozialökonomischen Bedingungen angepasst worden ist. Diese Adjustierungen sollten aber in keinem Fall als bedauerliche Abweichungen von einer "reinen Lehre" interpretiert werden. Denn nicht von ungefähr hat schon Adam Smith von "politischer Ökonomie" gesprochen und - nebenbei bemerkt - auch protektionistische Maßnahmen zum Schutz der regionalen Industrieentwicklung unterstützt. Vor allem lässt sich aus den Hypothesen der klassischen Nationalökonomie sehr wohl ableiten, dass der Marktmechanismus einen angemessenen gesetzlichen und institutionellen Rahmen erfordert. Die Vorteile der Konkurrenzwirtschaft sind also mit dem Prinzip der spontanen Harmonie, das aus der Politik des "laissez faire" resultiert, nicht ausreichend erklärt. Von dieser Erkenntnis ausgehend sollen in der Folge Phänomene beschrieben werden, die unsere aktuelle sozialökonomische Umwelt charakterisieren. Sie können in der Tat - wie sich gleich zeigen wird - als Fortschritte im Sinn einer friedenspolitischen Entwicklung gesehen werden. Werfen wir zunächst einen Blick auf einige grundlegend veränderte Rahmenbedingungen: Gemeint sind beispielsweise die sogenannte "Ostöffnung", die weltweit fortschreitende Integrationsdynamik, die sich in regionalen (wirtschafts-)politischen Konzepten wie EU, NAFTA oder ASEAN abbilden sowie das Heranwachsen von Entwicklungs- und Schwellenländern zu Konkurrenten in einem zunehmend tiefer integrierten globalen Markt. Viele Länder haben erkannt, dass ein verlässliches politisches System und Rechtswesen, eine transparente und systematische Wirtschaftsund Währungspolitik, attraktive Finanz- und Kapitalmärkte sowie eine ausreichende Qualität der Produkte und Dienstleistungen entscheidende Voraussetzungen für ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit sind. Diese Entwicklung wird durch liberalisierte Finanzmärkte, durch die rasanten Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie und generell durch den raschen technischen Fortschritt weiter beschleunigt. Der Lebenszyklus erfolgreicher Produkte und Dienstleistungen verkürzt sich zusehends, der Stellenwert des Lernens ändert sich grundsätzlich: Lernen ist als permanenter Prozess zu sehen, weil wir ständig lernen müssen, mit Veränderungen umzugehen. Aus der Sicht außenwirtschaftlicher Beziehungen, die schließlich von wesentlicher Bedeutung für die Optimierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt in einer arbeitsteiligen Welt sind, signalisieren diese Entwicklungen eine

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neue internationale Arbeitsteilung. Bemerkenswert daran ist, dass sich das Konkurrenzprinzip als sozialökonomisches Strukturelement stärker durchsetzen wird. Die wesentliche Eigenschaft der "Konkurrenz" ist dynamisch, nicht statisch. Denn zunächst wird - etwa durch technische Innovation oder durch Rationalisierung - ein Vorsprung vor den übrigen Mitbewerbern erzielt. Das ist die "produktive Phase" des Wettbewerbs. Dann werden die Mitbewerber versuchen, diesen Vorsprung durch Nachahmung einzuholen; das ist die "distributive Phase" des Wettbewerbs. Wettbewerb beruht also auf Dynamik, und da wir auf allen Ebenen mit einer intensiveren Konkurrenz rechnen müssen, wird es entsprechend mehr Wandel und Veränderung geben. Die Integrationsbewegungen sind eine geradezu natürliche, vollständig plausible Antwort auf die technologische Innovation, auf die Liberalisierungsphilosophie und auf die erwähnte Bewegung in Richtung einer "multilateralen, offenen Welt". Integration ist - ökonomisch gesehen - die Erhöhung der Intensität wirtschaftlicher Interdependenz. Der Anstoß dazu ist dem marktwirtschaftliehen Prinzip systemimmanent: Denn dieses Prinzip entwickelt aus seinem Wesen heraus eine Eigendynamik in Richtung von Integrationsprozessen. Der Integrationsprozess besteht sowohl aus den rein ökonomisch motivierten Impulsen als auch aus unvermeidbaren institutionell-politischen Maßnahmen. In diesen zuletzt genannten "Sektor" der Integration fallen dann auch die Fragen bzw. Lösungen von Verteilungsaspekten, zumeist in Form von komplexen fiskalischen Transfersystemen. In der Praxis finden Integrationsprozesse stets in einem Spannungsfeld statt, geht es doch letztlich um die "Hingabe" von Souveränität zugunsten einer "Gemeinschaft". Das lässt sich zum Beispiel im Rahmen der Europäischen Union aus den oft schwierigen Verhandlungen, und zwar auch über detaillierte Fragen wie solche der Steuerpolitik, deutlich erkennen. Dennoch lässt sich das Phänomen der Integration hinsichtlich seiner friedenspolitischen Bedeutung eindeutig bestimmen: Integrationsprozesse sind im wesentlichen Vorgänge, die in irgendeiner Form "Macht" begrenzen; sie können den Krieg nicht überwinden, aber sie sind definitiv Mittel der Frie-

denspolitik.

Wenden wir uns nun - in Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Prozess der ökonomischen Entwicklung - dem zweiten großen Themenkomplex zu, nämlich der "Globalisierung", also dem Erscheinungsbild weltweit liberalisierter Märkte und freier Konkurrenzbeziehungen. Hier entsteht die Frage,

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ob die daraus entstehenden Interdependenzen zu sozialen Spannungen oder sogar zur sozialen Desintegration führen. 3 Aus der hier vorgetragenen Argumentation heraus ergibt sich folgende Antwort: Wenn wir "Integration" als einen Vorgang sehen, der zwei konstituierende Merkmale hat, nämlich die Automatik ökonomischer Beziehungen einerseits- freilich auf der Grundlage eines anerkannten Wettbewerbsrechts - und die institutionell-politische Seite anderseits, dann sollte die Globalisierung die Integrationsdynamik beschleunigen und verstärken. Im Ergebnis - nämlich als Folge wirtschaftspolitischer Reaktionen und Rahmenbedingungen -müsste somit "Integration" unter der Voraussetzung von "Globalisierung" in friedenspolitischer Sicht erst recht erfolgreiche Ergebnisse bringen. Vor dem Hintergrund der Globalisierung kann man diese Zusammenhänge etwa so darstellen: Die technologischen und ökonomischen Zwänge der "Zivilisation" und damit jener sozialen Techniken, in der das "Instinktive" durch das "Rationale" beherrscht wird, treffen auf unterschiedliche Kulturen, also auf bestimmte Vorstellungen über "Werte". Das konfuzianische Weltbild Südostasiens und auch jenes der islamischen Kultur ist geprägt vom Vorrang der Gesellschaft gegenüber dem Individuum. Das ist - aus europäischer Sicht - gleichbedeutend mit einem Manko an Demokratie und individueller Verantwortung sowie individueller Freiheit. Das nordamerikanische Modell beruht auf einer selbstsicheren Ideologie, wonach jeder seines Glückes Schmied ist. Daraus resultiert - wieder vom europäischen Standpunkt aus -eine unterentwickelte soziale Komponente. Das europäische Modell lässt sich als ein Mittelweg darstellen, der sich aus der abendländischen Geschichte und Philosophie sowie aus den gesellschaftlichen Grundhaltungen ihrer religiösen Überzeugungen ableiten lässt. Es erkennt den Wettbewerb als Ordnungsprinzip an, postuliert aber klare Grundsätze der Wettbewerbsfreiheit, und es sucht in diesem Zusammenhang auch den sozialen Ausgleich in Fbrm der praktischen Sozialpolitik. Die weitere Integration Europas zur Wirtschafts- und Wahrungsunion ist als Voraussetzung dafür zu sehen, dass das kulturelle europäische Erbe und die daraus abgeleiteten gesellschaftspolitischen Ziele erhalten und weitergeführt werden können. An dieser Stelle sei noch kurz auf die Hypothese eingegangen, die Dyna-

mik der Globalisierung zerstöre alle regionalen Bezüge. Ein grundsätzlicher 3 Dani Rodrik, Has Globalization gone too far?, Institute for International Economics, Washington 1997.

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Widerspruch zwischen Globalisierung und dem "Regionalen" besteht meiner Meinung nach nicht. Das "Regionale" lässt sich in einer globalisierten Welt sowohl kulturell als auch ökonomisch begründen. Zur ökonomischen Begründung gehört vor allem die Tatsache, dass im Zuge der Globalisierung auf regionaler Ebene neue Bedürfnisse und Berufsbilder entstehen, so zuletzt auf vielen Gebieten des Dienstleistungssektors, wie etwa im Bereich der Informationstechnologie und Telekommunikation. Übrigens gilt selbst für Unternehmen, die im globalen Markt agieren, dass Produkte und Standards "differenzierbar" sind, d. h. nicht allein der Preis, sondern auch die Qualität entscheidet über den Absatzerfolg.

m. Die friedenspolitische Bedeutung der Währungspolitik und des Finanzsektors

Vom Standpunkt des Friedensproblems aus betrachtet sind Währungspolitik und Finanzwesen im Prinzip neutrale Sozialtechniken. Die Aufgaben der Geldversorgung und der Erhaltung des Geldwertes sowie der Kumulierung und Vermittlung von Geldvermögen sind grundsätzlich unabhängig vom Systemstatus. Der Systemstatus entscheidet allerdings darüber, ob und wie diese Aufgaben gelöst werden. Währungspolitik und Funktion der Finanzmärkte in Krisenfällen, begonnen von Liquiditätskrisen bis zur Kriegsfinanzierung, sind ein eigenes Kapitel der Geldgeschichte bzw. der ökonomischen Forschung sowie der praktischen Geld- und Finanzpolitik. Die friedenspolitische Bedeutung der Währungspolitik und generell des Finanzsektors kann nur über bestimmte "Vermittler" erkannt werden. Aus diesem Grund wurden im zweiten Abschnitt dieses Beitrags die wichtigsten Erscheinungsformen der gegenwärtigen sozialökonomischen Entwicklung besonders angesprochen. Daher kann nun die begründete Hypothese formuliert werden: Die währungspolitische Integration Europas liefert einen starken friedenspolitischen Impuls. Das Attribut "stark" wird hier ganz bewusst verwendet. Denn die Integrationskraft einer Währung ist wesentlich mehr ausgeprägt als jene aller anderen Formen und Instrumente der Wirtschaftspolitik. Die besondere Bedeutung und starke Integrationskraft einer Währung für Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Politik wird jedenfalls immer dann manifest, wenn Währungskrisen und Währungsreformen angesagt sind. Die Geschichte unseres Kontinents kennt viele Ansätze zu einem "europäischen" Denken und Handeln. Sie reichen von elitären Kreisen über pazifistische Bewegungen bis zu politisch und ökonomisch motivierten Vorschlä-

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gen. Dass sie lange Zeit hindurch nicht erfolgreich waren, hat wahrscheinlich mit der Tatsache zu tun, dass es noch nie gelungen ist, die Europa-Vision in ein Gebilde einzubinden, das aus mehreren konstruktiven Elementen besteht: nämlich aus einer zumindest "mitgedachten" ethischen Idee, zugleich aber aus einer Rechtsgemeinschaft und bestimmten institutionellen Trägern eines gesellschaftspolitischen Gesamtwillens. Nun öffnet die einheitliche Währung ein großes Tor zu einer europäischen Zukunft, die erstmals in der Geschichte des Kontinents die Kräfte des Partikularismus beherrschen kann. An Stelle des Partikularismus tritt die Idee der Subsidiarität, die aus der katholischen Soziallehre stammt. Daraus lässt sich unmittelbar die Frage nach der besten Organisation einer Gesellschaft ableiten, das Problem der Hierarchie des "Entscheidens und Verantwortens". Die Suche nach einer optimalen Hierarchie des Entscheidens und Verantwortens wird Kräfte auf den Plan rufen, die bestimmte Formen einer politischen Union begünstigen. Als Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) liegt mir daran, rückblickend die Österreichische Währungspolitik gleichsam als Modell für die europäische währungspolitische Integration darzustellen. Denn die Strategie der OeNB konzentrierte sich seit den Siebzigerjahren auf ein Wechselkursziel, ausgedrückt in einer engen Anhindung des Schilling an die DM. Für eine kleine offene Volkswirtschaft wie Österreich sind die spezifischen Stabilisierungseigenschaften dieser Vorgangsweise evident, aber diese Eigenschaften sind nicht konstant, sie ändern sich im Zeitverlauf. In unserem Fall war zunächst von einem wirksamen Stabilitätsimport im Sinn der Preisstabilität auszugehen. Verhältnismäßig niedrige Preiselastizitäten der Importe, die hohe Importquote sowie ein erheblicher Anteil von Faktunerungen in ausländischer Währung waren dafür die ausschlaggebenden Gründe. Wesentliche Voraussetzung für unsere erfolgreiche Wahrungsanbindung waren insbesondere auch ein funktionsfähiger sozialer Dialog, abgebildet in der vielzitierten Österreichischen Sozialpartnerschaft, und damit eine produktivitätsorientierte, in das wirtschaftspolitische Gesamtkonzept eingebundene Einkommenspolitik. 4 Gegen Ende der Siebzigerjahre sowie in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre hat sich das Bild allerdings entscheidend gewandelt. Die Liberalisierungstendenzen auf den Finanzmärkten, die hohe Sensibilität der Marktteilnehmer gegenüber Zinsänderungen oder die Entwicklung neuer Finanzdienstleistungen haben gleichsam einen qualitativen Sprung verursacht. 4

Stefan Koren, Die Österreichische Hartwährungspolitik, in: Wirtschaftspolitische

Blätter, 1 I 1988.

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Die Stabilisierung positiver Erwartungen und eine hohe Glaubwürdigkeit der Währungspolitik wurden zu entscheidenden Parametern. Diese neue Dimension rechtzeitig zu erkennen, darauf rechtzeitig zu reagieren und vor allem auch die wirtschaftspolitisch maßgebenden Kräfte von der Relevanz der damit verbundenen neuen Herausforderungen zu überzeugen, war ein wichtiges Kapitel österreichischer Wirtschafts- und Währungsgeschichte. Die Österreichische Wirtschaftspolitik ist im Allgemeinen durch einen hohen Grad an "Basiskonsens" gekennzeichnet, der durch bestimmte institutionelle Voraussetzungen - wie etwa der Sozialpartnerschaft - erleichtert wird. Ohne diese Voraussetzungen wäre schon jene Kombination von Währungs-, Budget- und Einkommenspolitik nicht möglich gewesen, welche die heimische Wirtschaftspolitik in den Siebzigerjahren - in ihrer Reaktion auf den Ölpreisschock-geprägt hat (sog. "Austro-Keynesianismus"). Die gegenwärtig vorherrschende Kombination der wirtschaftspolitischen Bemühungen in Österreich unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten von jenen der Siebzigerjahre: Erstens sind strukturpolitische Zielvorstellungen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt und zweitens ist- auch wegen der eingegangenen Verpflichtung zur Wahrung des Stabilitäts- und Wachstumspakts- die Budgetpolitik nunmehr grundsätzlich auf Konsolidierung ausgerichtet.

Konsensorientierte Konfliktlösungen auf den Gebieten der Fiskal-, Sozial- und Einkommenspolitik sind meines Erachtens wesentliche Voraussetzungen für eine langfristig erfolgreiche Anpassung einer wettbewerbsorientierten Volkswirtschaft an veränderte realwirtschaftliche Bedingungen, wenn Wechselkurse als Anpassungsinstrument nicht mehr existieren. In diesem Sinn hat die in den siebziger und achtziger Jahren erfolgreich betriebene Wirtschaftspolitik Österreichs Modellcharakter für Europa. Das hier gezeichnete Bild betont die friedenspolitische Bedeutung der Integration und stellt die währungspolitische Integration an die Spitze der integrierenden Kräfte. Stabile monetäre Rahmenbedingungen und verlässliche, effiziente wirtschaftspolitische Entscheidungsstrukturen sind die besten Voraussetzungen dafür, dass Finanzmärkte von spekulativen Attacken verschont bleiben. 5 Das gilt nicht nur für Europa. Die Diskussion um eine effiziente neue "Finanzarchitektur" zur internationalen Bewältigung von wirtschaftlichen Krisenfällen zeigt deutliche Schwerpunkte in Richtung Krisenvorbeugung auf, ein Ansatz, der genau in jene Gedankenwelt passt, 5 Helmut Pech, Global capital flows and their implications for the functioning of the international monetary system, Gesterreichische Nationalbank, Wien 1992 (Unveröffentlichtes Manuskript).

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die in diesem Aufsatz zum friedenspolitischen Beitrag von "Integration und Globalisierung" dargestellt worden ist. In diesem Zusammenhang soll noch darauf verwiesen werden, dass ein Schuldennachlass - als ein generell anwendbares Instrument der Finanzpolitik - kein konstruktiver Beitrag zur Lösung von Verschuldungsproblemen und zum Abbau internationaler Spannungen erscheint. Nicht die temporäre Aufhebung substanzieller marktwirtschaftlicher Regeln löst diese Probleme, sondern - im Gegenteil - ihre grundsätzliche, globale Anwendung und Einhaltung. Das bedeutet: Liberalisierung und damit die Chance zur Wahrnehmung komparativer Vorteile in außenwirtschaftliehen Beziehungen, aber nicht unter dem Diktat der "spontanen Harmonie der Interessen" und ohne Rücksicht auf die Kosten externer Effekte. Es sollte zum Beispiel nicht unsere Aufgabe sein, die europäischen Grundsätze der Sozialpolitik anderen Ländern aufzuzwingen. Aber im Interesse der Friedenspolitik sollte jedes Gesellschaftssystem zur "sozialen Frage" eine transparente und sichtbare Antwort haben.

Zusammenfassung

Die Ergebnisse dieses Beitrags über Aspekte der Friedenspolitik im Prozess der ökonomischen Entwicklung können wie folgt zusammengefasst werden: - Friedenspolitik ist im Kern die Begrenzung von Macht. - Im System der Marktwirtschaft liegt eine implizite Dynamik der Integration, die jedoch von institutionell-politischen Rahmenbedingungen gelenkt und kontrolliert werden muss. - Integration und Globalisierung sind keine Gegensätze. Die von der Globalisierung ausgehenden Zwänge verstärken den Druck zur Integration, die ihrerseits im Prinzip machtbegrenzend wirkt und daher positive friedenspolitische Impulse auslöst. - Das Friedensproblem ist- realistisch gesehen- im Sinn der Zielvorstellung eines "ewigen Friedens" nicht vollständig lösbar. Aber es lässt sich zeigen, dass in unserer Gegenwart merkbare und deutliche Fortschritte erzielt werden. Das erreichte sozialökonomische Niveau und die daraus gewonnen ethischen Überzeugungen spielen dabei eine entscheidende Rolle. - Die Währungspolitik hat im Rahmen jeder Integration ein starkes Gewicht. Das gilt sowohl innerhalb von Integrationsräumen als auch für in-

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temationale außenwirtschaftliche Beziehungen. Stabile Währungen und leistungsfähige wirtschaftspolitische Institutionen reduzieren Systemrisiken nachhaltig und haben somit eine besonders wichtige friedenspolitische Bedeutung. Literaturverzeichnis Koren, Stefan , Die Österreichische Hartwährungspolitik, in: Wirtschaftspolitische Blätter, 1 I 1988. Pech, Helmut , Global capital flows and their implications for the functioning of the

international monetary system, Oesterreichische Nationalbank, Wien 1992 (Unveröffentlichtes Manuskript).

Rodrik, Dani , Has Globalization gone too far?, Institute for International Economics, Washington 1997. Smith, Adam, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, E.

Cannan edition, London 1950.

Weizsäcker, Carl Friedrich von , Der Garten des Menschlichen - Beiträge zur ge-

schichtlichen Anthropologie, München-Wien, 1977.

INTERNATIONALE ORGANISATIONEN UND FRIEDE Heribert Franz Köck I. Einleitende Bemerkungen Der enge Zusammenhang zwischen dem Frieden und den internationalen Organisationen ergibt sich aus einem rechten Verständnis des ersteren als Teil des internationalen Gemeinwohls. Es hängt mit dem Niedergang der Naturrechtslehre und dem Aufkommen des Rechtspositivismus im Laufe des 19. Jh. zusammen, dass der Gedanke eines internationalen Gemeinwohls als Ziel der Völkergemeinschaft und ihres Rechts, des Völkerrechts, erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh. wieder allmählich ins Bewusstsein getreten ist. 1 ll. Das Gemeinwohl Das allgemeine Streben nach höherer Sicherheit und wirtschaftlicher Prosperität ließ den Gedanken eines internationalen Gemeinwohls zumindest in Ansätzen hervortreten: im allgemeinen Gewaltverbot und der kollektiven Sicherheit im Rahmen der Vereinten Nationen, in der Beschränkung der Rüstung durch verschiedene Abkommen, von denen der Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen von 1968 der bekannteste ist, in der Proklamierung einerNeuen Internationalen Wirtschaftsordnung, kombiniert mit einem Aktionsplan und einer Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten. All das war der Wissenschaft, deren Aufgabe es ist, die Rechtswirklichkeit in ein sinnvolles System zu bringen, Anstoß, den Gedanken des Gemeinwohls auch im internationalen Bereich zur 1 Es waren die als Fblgerung aus der Gerechtigkeit angesehenen Ansprüche der Staaten der sog. Dritten Welt, die nicht auf das herkömmliche positive Völkerrecht {allein) gestützt werden konnten, sondern nach dessen Korrektur unter dem (höheren) Aspekt eben dieser internationalen Gerechtigkeit riefen, die weltweit zu einer Neubesinnung hinsichtlich des Wesens der internationalen Gemeinschaft und der Stellung des einzelnen Staates in derselben, einschließlich seiner Grundrechte und pflichten, führten. Vgl. Karl Josef Partsch, Human Rights and Humanitarian Law, in: Rudolf Bernhardt {Hrsg.), EPIL, Vol. II, Amsterdam-Lausanne-New York-OxfordShannon-1bkio 1995, 910 ff.

23 Johannes Paul II.

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reflektieren. Hier ist vor allem Alfred Verdross zu nennen, der 1977 die Ausweitung des herkömmlichen Gemeinwohlbegriffs zum Begriff des Weltgemeinwohls forderte. 2 Dabei konnte er sich auf verschüttete Ansätze stützen, die schon in der frühen Neuzeit von Vertretern jener Richtung formuliert worden waren, die als Schule von Salamanca nicht nur die kirchliche Staats- und Gesellschaftslehre bis heute nachhaltig geprägt, sondern auch die sog. weltliche Naturrechtslehre, im 17. und 18. Jh. vor allem getragen von protestantischen Staats- und Vcilkerrechtslehrern, beeinflusst hat. 3

1. Staatliches Gemeinwohl Der klassische Gemeinwohlbegriff sieht den ersten Zweck von Staat und Recht im Frieden. Dieser erschöpft sich aber nicht in einem bloßen "Stillehalten" allerkraftrechtlichen Gewaltverbots und staatlichen Gewaltmonopols, sondert fordert, dass diese Friedensordnung auch ein Mindestmaß an Freiheit und Wohlfahrt verwirklichen müsse, um für alle akzeptabel zu sein. In diesem Sinn spricht man auch von einer gerechten Friedensordnung. Im staatlichen Bereich hat der gesellschaftliche Druck deren schrittweise Realisierung erzwungen, und zwar in Form einer Einfügung von Grundrechtskatalogen in vielen europäischen oder in der europäischen Tradition stehenden Verfassungen, beginnend mit der Constitution of the United States von 1789 I 91, 4 in zunehmenden Maße allerdings erst ab etwa der zweiten Hälfte des 19. Jh., sowie im Sinne einer Wandlung des liberalen Nachtwächterstaates zum sozialen Wohlfahrtsstaat im 20. Jh. Diese Entwicklung ist freilich vorerst auf jene Staaten beschränkt geblieben, die man sich als "westliche" zu bezeichnen gewöhnt hat, während im "Osten" der dort herrschende Reale Sozialismus Freiheit und Ansprüche des Individuums zugunsten des Kollektivs zurückstellte, sodass dort erst ab der politischen Wende von 1989/91 ein entsprechendes Nachholverfahren begonnen hat. In den Staaten außerhalb dieser (west-)europäischen Tradition kommt der individuellen Freiheit und Wohlfahrt auch nicht derselbe Stellenwert wie in Europa zu; vielmehr wurde sie oft als Ausfluss des Egoismus und damit eher als Hindernis auf dem Weg zu einer raschen (hauptsächlich als wirtschaftliche verstandenen) Entwicklung betrachtet. 2 Vgl. Alfred Verdross, Der klassische Begriff des "bonum comrnune" und seine Entfaltung zum "bonum comrnune humanitatis", in: 28 ÖZöRV 1977, 143 ff. 3 Vgl. Ernst Reibstein, Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Idee in Lehre und Praxis, 2 Bde., Freiburg i. Br. 1958 und 1962. 4 Dazu allgemein Herbert Schambeck I Helmut Widder I Marcus Bergmann, Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin 1993.

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Auf das Verhältnis der Staaten untereinander, also auf die internationale Gemeinschaft übertragen gibt das Gemeinwohl entsprechende Ziele vor: Frieden als Verzicht auf die Austragung von Streitigkeiten durch andere als ausschließlich friedliche Mittel, insbesondere (grundsätzlicher5 ) Verzicht auf den Krieg 6 als eine Form der Austragung solcher Streitigkeiten; Freiheit, die nicht nur die Freiheit der einzelnen Staaten vor Einmischung seitens der anderen meint, sondern auch den internationalen Schutz der Menschenrechte umfasst; und schließlich Wohlfahrt als angemessener Zugang aller Staaten zu den Gütern dieser Welt, wieder nicht für sich selbst, sondern für jene Menschen, für die der betreffende Staat die Verantwortung trägt. 7 Die Anerkennung von Grundrechten und -pflichten der Staaten ist ein Ausdruck dieses internationalen Gemeinwohlgedankens; die Fortbildung des Völkerrechts im wirtschaftlichen Bereich im 20. Jh., die über die Ausbildung eines bloßen Entwicklungsvölkerrechts hinausgeht und in manchen Aspekten des Seerechts ebenso ihren Niederschlag gefunden hat wie in bestimmten wirtschaftsrechtlichen Grundsätzen wie die dauernde Souveränität der Staaten über ihre Naturreichtümer oder- gleichsam als Pendant dazu - das sog. Gemeinsame Erbe der Menschheit, das der Aneignung keines Staates unterliegt. 8

2. Völkergemeinwohl Das internationale Gemeinwohl ist - was immer festgehalten werden muss - nicht als ein Inbegriff bloßer staatlicher Rechte zu begreifen. Vielmehr muss man sich auch hier immer vor Augen halten, dass jede Rechtsordnung, die des Völkerrechts so gut wie die des Staates, zuletzt immer dem Menschen dient, sodass Rechte der Staaten nur insoweit sinnvoll sein und als bestehend angenommen werden können, als sie im Dienste des Menschen stehen. Aus diesem Grunde könnte man das internationale Gemeinwohl auch als Menschheitsgemeinwohl begreifen, wie dies Verdross getan hat, was der von im verwendete Terminus bonum commune humanitatis be5 Vgl. zu den Grenzen des Gewaltverzichts bzw. -verbots Heribert Franz Köck, Legalität und Legitimität der Anwendung militärischer Gewalt. Betrachtungen zum Gewaltmonopol der Vereinten Nationen und seinen Grenzen, in: 54 ZÖR 1999, 17 ff. 6 Und jeder sonstigen Form militärischer Gewaltanwendung. 7 Dies sind in erster Linie die eigenen Staatsangehörigen; aber nicht nur diese. s Dieser Gedanke hat sich vor allem in dem in der Seerechtskonvention enthaltenen Regime über die Tiefsee und die Nutzung der dortigen Ressourcen niedergeschlagen, liegt aber tendenziell auch schon dem Antarktisvertrag von 1959 und dem Weltraumvertrag von 1968 zugrunde. 23"

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weist; er zeigt, dass es nicht um ein bloß zwischenstaatliches Gemeinwohl, sondern um das allen Menschen gemeinsame 9 Wohl geht.

m. Vom Staat zum Weltstaat? Die Realisierung des Gemeinwohls 10 kommt der politischen Organisationsform der Gesellschaft zu. Dies war ursprünglich die Sippe, Horde oder Stamm; die höher organisierten Gesellschaften bildeten schließlich den Staat aus. Für den innerstaatlichen Bereich 11 ist also heute die Verwirklichung des Gemeinwohles Aufgabe des Staates; das Gemeinwohl bildet dessen Zweck, sozusagen die raison d'etre des Staates. Die Aufgaben des einzelnen Staates beziehen sich jeweils auf einen bestimmten Personenkreis (vor allem die sog. Staatsangehörigen) und ein bestimmtes Gebiet (vor allem das sog. Staatsgebiet). Weltweit fehlt es an einer analogen Organisationsform, sozusagen an einem Weltstaat. Dieser wurde daher auch schon früh unter diesem Gesichtspunkt als wünschenswert angesehen und sein Fehlen folglich beklagt/ 2 freilich wurde auch die aus der Existenz bloß eines Staates für die Freiheit drohende Gefahr schon früh erkannt und daraus ein Argument für eine Mehrheit von Staaten gewonnen. 13 Schließlich wurde lange Zeit die Realisierung eines Weltstaates schon aus technischen Gründen für praktisch unmöglich und damit der Weltfriede als zwar anzustrebendes, aber nicht auf Dauer zu sicherndes Ziel angesehen. 14 9 Zum Gemeinwohl als das allen Gliedern einer Gemeinschaft gemeinsame Wohl vgl. Alfred Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Wien 1963, 78 ff. (79). 10 Zum internationalen Gemeinwohl vgl. grundlegend Alfred Verdross, Der klassische Begriff des "bonum commune" und seine Entfaltung zum "bonum commune humanitatis", in: 28 ÖZöRV 1977, 143 ff. 11 Vgl. hiezu Roman Herzog et al., Gemeinwohl, in: Joachim Ritter (Hrsg.), HWPh, Bd. 3, Basel 1974, 248 ff.; Valentin Zsifkovits, Gemeinwohl, in: Alfred KloseiWolfgang MantliValentin Zsifkovits (Hrsg.), KathSL, 2. Aufl., Innsbruck-Wien-München-Graz-Köln 1980, 854 ff.; Walter Kerber I Alexander Schwan I Alexander Hollerbach, Gemeinwohl, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), StL, Bd. 2, Freiburg-Basel-Wien 1986, 857 ff. 12 So von Bartalus de Saxoferrato, Tractatus represaliarum (1354), der den Zerfall "der hierarchisch gegliederten einheitlichen Ordnung des früheren Mittelalters [in] eine Reihe von Flächenstaaten, wodurch der ehemalige Universalismus durch einen politischen Pluralismus abgelöst wurde" (Alfred Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Wien 1963, 102), als Folge "unserer Sünden" erklärt. Vgl. auch Alfred Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., Wien 1964,96. 13 So Augustinus, De civitate Dei, IV; c.15; vgl. Alfred Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Wien 1963, 67. 14 Vgl. Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Rechtslehre. Das Völkerrecht,§ 61, Das Weltbürgerrecht, § 62, 2. Aufl.,

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IV. Zwischenstufe internationale Organisation

Jedenfalls ist die Realisierung des Welt- oder Menschheitsgemeinwohls bis heute grundsätzlich dezentralisiert und bei den einzelnen Staaten angesiedelt; diese haben aber die Aufgabe zu einer entsprechenden Kooperation. Die Koordination fällt dabei der internationalen Gemeinschaft zu, die dies durch Jahrhunderte bloß in nichtorganisierter Form und damit eher mehr schlecht als recht bewerkstelligt hat. Seit dem 19. Jh. haben sich aber organisierte Formen der Zusammenarbeit, dementsprechend internationale Organisationen genannt, herausgebildet, die entweder weltweit oder nur für einen bestimmten Bereich (beispielsweise für eine bestimmte Region) tätig werden und in diesem ihrem Bereich in ähnlicher Weise für die Realisierung des internationalen Gemeinwohls zuständig sind wie der Staat in dem seinen. So ist etwa die Friedenswahrung universell der Organisation der Vereinten Nationen anvertraut, regional den (nach dem Sprachgebrauch der UN-Charta so genannten) Regionalorganisationen/ 5 sie wird aber auch von anderen organisierten Staatenverbindungen, die (zumindest auch) zu diesem Zwecke gegründet wurden oder ihn später zu einem ihrer Ziele gemacht haben, wahrgenommen. Die Organisierung der internationalen Gemeinschaft ist deshalb entscheidend, weil nur eine internationale Friedensorganisation die zwischenstaatliche Gewalt eindämmen bzw. in geordnete Bahnen leiten kann. Letzteres ist erforderlich, weil der Friede zwar als der erste Zweck der internationalen Gemeinschaft und ihrer Rechtsordnung, des Völkerrechts, 16 anzusehen, jedoch nicht ihr ausschließlicher Zweck ist; denn die Herstellung einer gerechten Ordnung 17 macht gelegentlich die Anwendung von Gewalt notwendig; dies ist die Grundlage der Lehre vom gerechten Krieg. 18 ÜberKönigsberg 1798; vgl. weiter ders., Idee zu einer allgemeinen Geschichte in Weltbürgerlicher Absicht, Königsberg 1795. 15 Vgl. Michael Schweitzer I Waldemar Hummer, Regionale Abmachungen, in: Bruno Sinlma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, München 1991, 636 ff.; Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, Wien 1997' 359 ff. 1& Vgl. Alfred Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., Wien 1964, 13 ff. 17 Vgl. Heribert Franz Köck, Der erste Staatszweck in einer pluralistischen Gesellschaft, in: Herbert Miehsler I Erhard Mock I Bruno Simmal flmar Tammelo (Hrsg.), Ius Humanitatis. FS zum 90. Geburtstag von Alfred Verdross, Berlin 1980, 89 ff. 18 Vgl. James Brown Scott, The Catholic Conception of the Law of Nations, Washington 1934; Robert Tegout, La doctrine de la guerre juste de Saint Augustin a nos jours d'apres les theologiens et les canonistes catholiques, Paris 1935; John Eppstein, The Catholic Tradition of the Law of Nations, London 1937, Rene Coste, Le problerne du droit de guerre dans la pensee de Pie Xll, Lyon 1962; Alfred Verdross, Die christliche Kriegsdoktrin im Wandel der Geschichte, in: Hans Lentzellnge Gampl (Hrsg.), Speculum iuris et ecclesianum. FS für Willibald M. Plöchl zum 60. Geburtstag, Wien

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dies kann - wie die Erfahrung zeigt - nur die organisierte internationale Gemeinschaft das Individuum vor Übergriffen seitens eines Staates schützen, weil in einem solchen Fall gerade der innerstaatliche Rechtsschutz nicht immer ausreicht. Aus diesem Grund hat man erkannt, dass eine wirksame Garantie dieser Freiheiten nur dadurch gewährleistet werden kann, wenn zum nationalen Rechtsschutz ein entsprechender internationaler hinzutritt. Freilich muss derselbe auch wirksam sein; dies macht einen wesentlichen Unterschied zwischen dem regionalen, von der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) 19 geleisteten (und auch nur auf die Region "Europa" bezogenen) Rechtsschutz und jenem aus, der aufgrund der Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen besteht, 20 wobei der springende Punkt hier wie in anderenZusammenhängen die Frage einer obligatorischen Gerichtsbarkeit ist, der die Staaten unterworfen sind. Im Rahmen der EMRK macht die Einrichtung der sog. Individualbeschwerde den Menschenrechtsschutz noch wirksamer. 21 V. Friedensorganisationen

Die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen ist allerdings nur dort erforderlich, wo sich die Gesellschaft noch nicht in einer solchen Weise organisiert hat, dass alle Streitigkeiten grundsätzlich friedlich ausgetragen werden können. Wir haben schon erwähnt, dass ein solches Organisationsniveau, das insbesondere durch ein räumlich und sachlich "flächendeckendes" System organisierter Rechtsprechung und Rechtsdurchsetzung gekennzeichnet ist, und eine dem einzelnen Rechtssubjekt übergeordnete Gewalt zur Grundlage hat, 22 typisch für den Staat ist, und zwar in seiner bereits höher entwickelten23

1967, 411 ff.; Margit Hintersteininger, Der Kosovo-Konflikt und die Renaissance der belluni iustum-Doktrin, in: 99 Wiener Blätter zu Friedensforschung 2 I 1999, 24 ff. 19 Vgl. Peter Fischer/ Heribert Franz Köck, Europarecht, 3. Aufl., Wien 1997, 226 ff. 20 Vgl. Peter Fischer/ Heribert Franz Köck, Allgemeines Völkerrecht, 4. Aufl., Wien 1994, 175 f. 21 Dazu vgl. unten, Anm. 164. 22 Vgl. Friedrich August Freiherr von der Heydte, Die Geburtsstunde des souveränen Staates, Regensburg 1952; Helmut Quaritsch, Staat und Souveränität I, Frankfurt 1970. 23 Man kann hier an den Begriff des "zivilisierten" Staates in Art. 38 Zif. 1 lit. c IG-Statut denken. Vgl. dazu Peter Fischer/ Heribert Franz Köck, Allgemeines Völkerrecht, 4. Aufl., Wien 1994, 36 und 41 f.; Hermann Mosler, General Principles of

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Form; in primitiven Staatswesen kann die Rechtsdurchsetzung ganz oder teilweise dem Individuum oder bestimmten Gruppen überlassen bleiben. 24 1. Der Krieg als Obel

Während ein Zustand permanenter zwischenmenschlicher Gewalt offenbar schon immer als unerträglich angesehen wurde und daher in allen gesellschaftlichen Organisationsformen ein grundsätzliches Friedensgebot bzw. Gewaltverbot festzustellen ist, hat man sich mit der Gewalt zwischen jeweils für sich politisch organisierten Gesellschaften viel länger abgefunden,25 ja dieselbe oft als unausrottbar und gelegentlich sogar als (zumindest in bestimmter Weise) nützlich angesehen. 26 Andererseits wurde aber auch, gerade weil zwischenstaatliche Gewalt die Praxis wesentlich prägte, in der Theorie auch schon früh anerkannt, dass der Krieg ein Übel27 und mit der Vernunft des Menschen eigentlich unvereinbar 8 sei. 29 Law, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, Amsterdam-Lausanne-New YorkOxford-Shannon-Tokio 1995, 511 ff. 24 Vgl. das Fehdewesen im Staat des Mittelalters; dazu Ekkehard Kaufmann, Fehde, in: Adalbert Erler/Ekkehard Kaufmann (Hrsg.), Wörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, 1083 ff .. ; Odilo Engels, Vorstufen der Staatswerdung im Hoch-Mittelalter. Zum Kontext der Gottesfrieden-Bewegung, in: 97 I 98 HistJB 1978, 71 ff.; ders., Gottesfrieden-Bewegungen und die Grundlagen moderner Staatlichkeit, in: 16 Geschichte, Politik und ihre Didaktik 1988, 65 ff. Dann die Blutrache in vielen (relativ) primitiven Gemeinwesen, aber z. B. auch im Alten Testament; vgl. Ludger Schwienhorst-Schönberger, Blutrache, in: Walter Kasper (Hrsg.), LTK, Bd. 2, Freiburg-Basel-Rom-Wien 1994, 539 f.; in den islamisch geprägten Staaten bis zur Obernahme europäischer Rechtsvorstellungen im 19. und 20. Jh. Vgl. Egbert Meyer, Blutrache, in: Klaus Kreiser/Werner Diern/Hans Georg Majer (Hrsg.), Lexikon der Islamischen Welt, Bd. 1, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1974, 109. 25 Die ersten Anstöße für konkrete Pläne dieser Art kamen übrigens von außen. Der Kreuzzugsgedanke konnte offenbar auf Dauer nur erfolgreich realisiert werden, wenn die europäischen Staaten ihre Streitigkeiten untereinander friedlich beilegen und ihre militärische Kraft nach außen entsprechend bündeln würden. Das Friedensgebot nach innen sollte also dem gemeinsamen Kampf nach außen nützen; der Friede um seiner selbst willen stand noch nicht im Vordergrund. Das ritterliche Ideal war noch von der aus der Völkerwanderungszeit überkommenen, der germanischen Tradition entsprechenden Vorstellung geprägt, dass Kampf und Krieg das eigentliche Handwerk des Mannes seien. 26 Hier lassen sich Zitate von Heraklith, der den Krieg als den "Vater aller Dinge" bezeichnet haben soll, bis herauf in unsere Zeit finden, wo er noch zu Beginn des ersten Weltkriegs in Leitartikeln und Zeitungskommentaren als eine Art Reinigungsbad für "Leib und Seele" des Volkes bezeichnet wurde. 27 Vgl. die Lehre vom belZum iustum von Augustinus, in: Peter Fischer/ Heribert Franz Köck, Allgemeines Völkerrecht, 4. Aufl., Wien 1994. 28 Francisco Stui.rez, De legibus ac Deo legislatore; vgl. Alfred Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Wien 1963, 96 ff. 29 Erst das Anknüpfen an die antike Zivilisation, wie es in der Rezeption des römischen Rechts, in Humanismus und Renaissance Ausdruck und Grundlage fand, sowie der Einfluss des Christentums ließen den Frieden als ein so hohes Gut erscheinen, dass man sich über seine Einschränkung durch die Lehre vom gerechten Krieg hi-

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Heribert Fcanz Köck

2. Pläne zur Oberwindung des Krieges

Aus diesem Grunde wurden schon früh Überlegungen dahingehend angestellt, wie die Staatengemeinschaft organisiert werden müsste, um Kriege möglichst zu verhindern. 30 Derartige Überlegungen lassen sich seit dem 15. Jh. immer wieder feststellen; selbst im 19. Jh., das mit seinen Machtstaatstheorien31 den Krieg zu einem bloß anderen Mittel der Politik32 und damit das Völkerrecht ihm gegenüber vorübergehend indifferent machte, 33 zeigt sich mit dem Entstehen der Pazifismus-Bewegung34 eine zu diesem Phänomen gegenläufige Entwicklung. Seite dem letzten Drittel des 19. Jh. hat auch der Heilige Stuhl in verstärkter Weise von seiner Friedensfunktion Gebrauch gemacht; einmal, indem er in internationalen Streitfällen vermittelnd auftrat, 35 dann aber vor allem durch seine immer substantiellere Darlegung der Prinzipien eines Systems internationaler Friedenssicherung. 36 Hier seien nur als besonders naus Gedanken über seine institutionelle Sicherung machte. Dies erschien umso wichtiger, als die bellum iustum-Doktrin zur Lehre vom bellum utrique iustum aufgeweicht wurde und damit viel von jener Wirkkraft einbüßte, die sie ohnedies mehr im doktrinären als im praktischen Bereich besessen hatte. ao Dante Alighieri wollte dem Kaiser wenigstens noch ein Schiedsrichteramt über die faktisch bereits als souverän zu betrachtenden Fürstentümer und Stadtstaaten zugestehen. De Monarchia, Cap. XIV. Vgl. Hans Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri, Wien-Leipzig 1905; Alfred Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., Wien 1964, 25. Statt des damals noch unbekannten Souveränitätsbegriffes (vgl. dazu unten, bei Anm. 31) war damals für die (später so genannten) "Souveräne" die Fbrmulierung superiorem in terris non recognoscentes gebräuchlich. 31 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Rechtsphilosophie, in: Alfred Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Wien 1963, 159 ff.; Hermann Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke, 2. Aufl., Aalen 1963; Werner von Trott zu Solz, Hegels Staatsphilosophie und das internationale Recht, Düsseldorf 1932. 32 Der politisch denkende General Carl von Clausewitz bezeichnete den Krieg als "Fbrtsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel"; vgl. Max Horst, Clausewitz, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht -Wirtschaft -Gesellschaft, Bd. 2, 6. Aufl., Freiburg 1958, 486 ff. (487). 33 Vgl. Peter Fischer/ Heribert Franz Köck, Allgemeines Völkerrecht, 4. Aufl., Wien 1994, 278 ff., 281. 34 Vgl. Bert V. A. Röling, Pacifism, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Inst. 4, Amsterdam-New York-Oxford 1982, 71 ff.; Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 81 ff. (83). 35 Als erfolgreiches Beispiel ist der von den Streitparteien Spanien und Deutsches Reich angenommene Vermittlungsvorschlag Leos XIII. im Streit um die Inselgruppe der Karolinen 1885 anzusehen. Vgl. Hans Norbert Götz, Karolinenstreit, in: Karl Strupp/Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), WBVR, Bd. 2, 2. Aufl., Berlin 1961, 203 ff.; zur übersieht auch Köck I Fischer, ibid., 83 ff. ("Die kirchliche Lehre von einer Friedensorganisation "). 36 Vgl. dazu Heribert Franz Köck, Papsttum, Weltfriede und Völkerbund. 18991919: Der Kampf um eine institutionelle Sicherung des Friedens, in: 15 RHM 1973, 143 ff.; ders., Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls, Berlin 1975, 6. Kap.: Die besondere Friedensfunktion des Heiligen Stuhls, 459 ff.; Herbert Schambeck

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markante Erklärungen die Friedensbotschaft Benedikts XV. von 1917,37 die Enzyklika Pius XII. "Summi pontificatus" von 1939,38 die Enzyklika "Pacem in terris" Johannes XXII. von 1963 39 sowie die von Paul VI. begründete und von Johannes Paul II. fortgeführte Tradition des alljährlichen Weltfriedenstages zu nennen; die dazu ergangenen päpstlichen Botschaften behandeln in vielfacher Weise auch Aspekte der Sicherung des Weltfriedens durch die intemationalen Organisationen. 40 Zu beachten auch die einschlägigen Aussagen des II. Vatikanischen Konzils in der Pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute, Gaudium et spesY Im 20. Jh. waren beide Weltkriege in gewissem Sinne wars to end war;42 dementsprechend war es nur logisch, dass die Friedensordnung, die in ihrem Gefolge jeweils etabliert werden sollte, auch eine Organisation zur Sicherung des Weltfriedens einschloss. Damit nahm nach einem ersten Anlauf auf der (1.) Raager Friedenskonferenz von 189943 und ihrer Fortsetzung auf einer 2. solchen Konferenz 1907,44 deren Ergebnisse aber Stückwerk blieben,45 der Gedanke der Weltfriedensorganisation Gestalt an.

(Hrsg.), Pro Fide et Iustitia. FS für Agostino Kardinal Casaroli zum 70. Geburtstag, Berlin 1984; Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997,84. 37 Offizieller (französischer) Text in: 9 AAS 1917, 417 ff. Dazu Richard Ares, L'eglise catholique et l'organisation de la societe internationale contemporaire (19391949), Montreal1949, 18 und passim. 38 31 AAS 1939, 427 ff. 39 55 AAS 1963, 257 ff. 40 Vgl. dazu Donato Squicciarini (Hrsg.), Die Weltfriedensbotschaften Papst Pauls VI., Berlin 1979; ders., Die Weltfriedensbotschaften Papst Johannes Pauls ll., Berlin 1992. 41 58 AAS 1966, 1025 ff.; No. 85 ff. 42 Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson rechtfertigte mit diesem Ausspruch den Beitritt Amerikas zum Ersten Weltkrieg. Vgl. auch Peter Fischer/ Heribert Franz Köck, Allgemeines Völkerrecht, 4. Aufl., Wien 1994, 281. 43 Über die politischen Gründe, die zur 1. Haager Friedenskonferenz führten, vgl. Peter Schneider, Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907, in: Karl Stropp I Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), WBVR, Bd. 1, Berlin 1960, 739 ff. 44 Vgl. umfassend Walter Schü.cking, Der Staatenverband der Haager Konferenzen. Das Werk vom Haag, Bd. 1, München 1912; James Brown Scott, The Hague Conventions and Declarations of 1899 and 1907, New York 1915, V ff.; ders., The proceedings of the Hague peace conference, 5 Bde., 1920/21; zusammenfassend Jörg Manfred Mössner, Hague Peace Conferences of 1899 and 1907, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. ll, Amsterdam-Lausanne-New York-Oxford-Shannon-Tokio 1995, 671 ff. 45 Vgl. in Übersicht Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 98 ff.

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3. Der Volkerbund Der 1919 gegründete Völkerbund46 war freilich weder von seiner mangelhaften Konstruktion noch von seiner fehlenden Universalität her geeignet, den Weltfrieden zu sichern; in den Dreißigerjahren verlagerte sich damit die Weltpolitik wiederum in die traditionellen, vorinstitutionellen Foren und Verfahren zwischenstaatlicher Diplomatie. Aus diesem Grunde sah man sich 1945 veranlasst, den Völkerbund durch eine neue universelle Friedensorganisation zu ersetzen.

4. Die Vereinten Nationen Diese Organisation der Vereinten Nationen 47 stellt institutionell zwar einen gewissen Fortschritt gegenüber dem Völkerbund dar, ist aber immer noch mit so vielen Mängeln behaftet, dass sie ihre Hauptaufgabe, eben die Friedenssicherung, lange Zeit hindurch nicht ausreichend wahrnahm, ja sie selbst heute noch nur in einem sehr beschränkten Umfang wahrnehmen kann.

5. Gemeinsames in den Plänen für eine internationale Friedensorganisation Es ist hier nicht Gelegenheit, die verschiedenen Entwürfe für eine Friedensorganisa tion im einzelnen auch nur übersichtsweise darzustellen; 48 auf entsprechende Versuche darf verwiesen werden. 49 Es lässt sich aber zei46 Vgl. Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 145 ff. 47 Vgl. ibid., 193 ff. 48 Die Idee einer solchen Organisation ist fast tausend Jahre alt; über dreihundert Juristen und Politiker, aber auch Philosophen und Dichter haben sich seit dem Mittelalter mit ihr auseinandergesetzt und versucht, ihr gedankliche Gestalt zu geben. Vgl. Alfred Verdross, Volkerrecht, 5. Aufl., Wien 1964, 26 f. (Die Idee der zwischenstaatlichen Organisation); Hans-Ulrich Scupin, Peace, Historical Movements 'lbwards, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPll.., Vol. m, Amsterdam-New York-LausanneOxford-Shannon-Singapur-'lbkio 1997, 913 ff.- Im Gegensatz dazu sind die "Verwaltungsunionen" ihrer Idee nach viel jünger; ihre Gründung wurde, wie erwähnt, erst durch die industrielle Revolution und die dadurch entstehenden neuen Möglichkeiten für die Internationalisierung der Wirtschaft angestoßen. 49 Vgl. Jacob ter Meulen, Der Gedanke der internationalen Organisation in seiner Entwicklung, Bd. I: 1300- 1800, Den Haag 1917, Bd. II: 1789-1899, ibid. 1929; HansJi.i.rgen Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, Bonn 1953; Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 74 ff.- Als die wichtigsten Entwürfe sind zu nennen: jener von Pierre Dubois vom

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gen, dass sie in den wichtigsten Punkten übereinstimmen, weil sich dieselben - wenn auch in abgewandelter Form - in allen diesen Entwürfen finden und somit eine Art communis opinio über die Voraussetzungen einer funktionierenden Friedensorganisation zum Ausdruck bringen. 50 Anfang des 14. Jh.; Dante Alighieris fast gleichzeitige Schrift "De Monarchia" (um 1312); Anton Marinis für den Böhmenkönig Georg von Podjebrad 1461 verfasster Entwurf einer europäischen Staatenföderation, das erste auch organisatorisch durchgestaltete Projekt seiner Art; Francisco Sutirez Werk "De legibus ac Deo legislatore" aus der zweiten Hälfte des 16. Jh., das den wichtigen Hinweis enthält, das Naturrecht (im Sinne der naturrechtliehen Grundlagen der zwischen den Völkern bestehenden Beziehungen) ennögliche es den Staaten, den Krieg als Mittel zur Rechtsdurchsetzung durch eine übergeordnete Instanz mit Zwangsgewalt zu ersetzen; die Schrift von Emeric Cruce (oder de la Croix) "Le nouveau Cynee ou Discours des occasions et moyens d'etablir une paix generale et la liberte du commerce pour taut le monde" aus 1623; der "Grand Dessin" des Maximilien Sully, Herzog von Bethune, der zwischen 1611 und 1638 entstanden ist; Samuel Pufendorfs Werk "De iure naturae et gentium" aus 1672, wo die Gründung eines ständigen Staatenkongresses gefordert wird, dessen Hauptaufgabe es sein sollte, die friedliche Beilegung von Streitigkeiten herbeizuführen; William Penns "Essay on the Present and Future Peace of Europe" von 1693; Jeremy Benthams Schrift "On a universal and perpetual peace" aus 1785 und Immanuel Kants Schrift "Zum ewigen Frieden" aus 1795. Das wichtigste Projekt, das bis ins 19. Jh. hinein wirkte und sogar noch die Abfassung der Völkerbund-Satzung beeinflusste, ist die 1713 erschienene Schrift "Le projet de paix perpetuelle" von Charles Irenee Castel, besser bekannt unter dem Namen Abbe de Saint-Pierre. so Die vorgenannten und andere Entwürfe haben seit langem eine vielfältige Kommentierung im Schrifftum gefunden. Aus der großen Vielzahl an Untersuchungen vgl. H. Markgraf, Über Georg von Podjebrads Projekt eines christlichen Fürstenbundes zur Vertreibung der Türken aus Europa und Herstellung des allgemeinen Friedens innerhalb der Christenheit, in: 21 Sybels Historische Zeitschrift 1869; Ernest Nys, Histoire litteraire du Droit international.- Apropos de la Paix perpetuelle de l'abbe de Saint-Pierre et Ernerle Cruce et Ernest, Landgrave de Hesse-Rheinfels, in: 22 RDI 1890, 371 ff.; Franz Staudinger, Kants Traktat vom ewigen Frieden, Berlin 1897; Hans Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri, Wien-Leipzig 1905; Ernst Schwitzky, Der europäische Fürstenbund von Georg Podjebrad, Marburg a.d. Lahn 1907; Emil Heinrich Meyer, Die staats- und völkerrechtlichen Ideen von Peter Dubois, Marburg 1908; J. Drouet, L'Abbe de Saint-Pierre: l'homme et l'reuvre, Paris 1912; Hans Prutz, Der Friedensgedanke im Mittelalter, in: Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Historisch Philosophische Klasse, Bd. 1, 1915, 1 ff.; Oscar Kraus, Jeremy Benthams Grundsätze für ein künftiges Völkerrecht und einen dauerhaften Frieden, Halle 1915; P. L. Lucas, Unplande paix generale et de liberte du commerce au XVIIe siecle -le nouveau cynee d'Emeric Cruce, Paris 1919; E. York, Leagues of Nation, Ancient, Medieval and Modern, 1919; Jacob ter Meulen, Les Franais a la recherche d'une societe des nations depuis le roi Henri IV jusqu'aux combattants de 1914, Den Haag 1920; Veit Valentin, Geschichte des Völkerbundgedankens in Deutschland, Berlin 1920; L. C. Bonnard, Essai sur la conception d'une societe des nations avant le XXe siecle, Paris 1921; J.-T. Delos, Le problerne de I'autorite internationale d'apres les principes du droit public chretien et les publicistes espagnoles du XVIe siecle, in: 34 RGDIP 1927, 505 ff.; Robert Redslob, La paix perpetuelle du philosophe Immanuel Kant, Paris 1933; William Penns Entwurf zum gegenwärtigen und künftigen Frieden Europas durch Schaffung eines europäischen Reichstages, Parlamentes und Staatenbundes (1693), in: 41 FW 1941, 263 ff.; Elizabeth V. Souleyman, The Vision of World Peace in Seventeenth- and Eighteenth-Centwy France, New York 1941; Hans Nef, Krieg und Frieden im Staatsdenken von Kant bis Hegel, St. Gallen 1942; Hans Wehberg, Zum 200. Todestage des Abbe de Saint-Pierre, in: 43 FW 1943, 105 ff.; Stephan Verosta, Neue Wege zu Dante, in: 23 ZÖR 1943, 40 ff.; Sylvester John Hemleben, Plans Fbr World Peace Through Six Centuries, Chicago 1943; L. Ledermann, Les precurseurs de l'organisation internationale, 1945; Robert Ludwig

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a)Fiiedenszweck Der Fiiede ist unbestrittenennaßen Hauptzweck51 jeder derartigen Organisation; 52 dies zeigt schon ihre Bezeichnung als Friedensorganisation. Als wesentlicher Aspekt des internationalen Gemeinwohls wird er aber schon vom Völkerrecht angezielt; 53 das Völkerrecht hat, vvie jedes Recht, 5 4 primär einen Fiiedenszweck. 55 Nur: seine Streitigkeiten nicht mit Gewalt, sondern durch Mittel der friedlichen Streitbeilegung austragen, das kann man aber auch ohne Fiiedensorganisation; sonst hätte ja vor der Gründung des Völkerbundes 1919 56 keine Streitigkeit anders als durch Krieg ausgetragen werden können. John, Dante, Wien 1946; Emilia Fogelklou, William Penn, Leipzig 1948; Edith Wynner I Georgia Lloyd, Searchlight on Peace Plans, 2. Aufl., New York 1949; Stephan Verosta, Die Gesellschaftsphilosophie des Templers Dante, in: 2 ÖZöR 1950, 444 ff.; Karl Jacob Burckhardt, Sullys Plan einer Europaordnung, Harnburg 1952; Kurt von Raumer, Ewiger Friede, München 1953; Andre Puharre, Les Projets d'organisation europeenne d'apres le Grand Dessein, Paris 1954; Louis Monastier I Helene Monastier, William Penn, aventurier de paix, Genf 1954; Helmut Steinsdorfer, Ernerle Cruce: Le nouveau Cynee. Die Begründung der modernen Friedensbewegung, in: 54 FW 1957, 35 ff. und 146 ff.; Hans-Jü.rgen Schlochauer (oben, Anm. 49); Hans Wenzel, Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, Berlin 1958; M. L. Perkins, The Moraland Political Philosophy of the Abbe de Saint-Pierre, London 1959; Alan Love, Die Rechtsphilosophie Jeremy Benthams, in: 11 ÖZöR 1961, 201 ff.; Kurt von Raumer, Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, in: Der geplante Friede, Freiburg-München 1972, 19 ff.; Josef Soder, Francisco Suarez und das Völkerrecht. Grundgedanken zu Staat, Recht und internationalen Beziehungen, Frankfurt am Main 1973; Peter Fischer, William Penn: Visionär einer Europäischen Union, in: Johannes Hengstschläger/Heribert Franz Köck/Karl Korinek/Klaus Stern/ Antonio Truyol y Serra (Hrsg.), Für Staat und Recht. FS für Herbert Schamheck zum 60. Geburtstag, Berlin 1994, 13 ff.; Hans-lnrich Scupin, Peace, Historical Movements 'lbwards, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. m, Amsterdam-Lausanne-New York-Oxford-Shannon-Singapur-'lbkio 1997,913 ff. 51 Vgl. u. a. Alfred Verdross, Regles generales du droit international de la paix, in: 30 RdC 1929/V, 271 ff.; Arthur Charles Frederick Beales, The History of Peace. A Short Account of the Organised Movements for International Peace, New York 1931; Boris Mirkine-Guetzevich, Le droit constitutionnel et l'organisation de la paix, in: 45 RdC 1933/ill, 667 ff.; Hans-Jü.rgen Schlochauer, Das Problem der Friedenssicherung in seiner ideengeschichtlichen und völkerrechtlichen Entwicklung, Köln 1946; Wilhelm Wengler, Friedenssicherung und Weltordnung, 1947; Robert Redslob, Le problerne de la paix, Basel1954. 52 Vgl. Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 67 ff. 53 Vgl. Heribert Franz Köck, Recht in der pluralistischen Gesellschaft. Grundkurs über zentrale Fragen zu Recht und Staat, Wien 1998, 187 ff. (188); Alfred Verdross, Der klassische Begriff des "bonum commune" und seine Entfaltung zum "bonum commune humanitatis", in: 28 ÖZöRV 1997, 143 ff. 54 Vgl. Alfred Verdross, Die Rechtsidee, Vcilkerrecht, 5. Aufl., Wien 1964, 13 ff.; Peter Fischer/ Heribert Franz Köck, Allgemeines Vcilkerrecht, 4. Aufl., Wien 1994, 11 f. (Die Funktion des Vcilkerrechts). 55 Vgl. u. a. Ernst Reibstein, Vcilkerrecht. Eine Geschichte seiner Idee in Lehre und Praxis, 2 Bde., Freiburg i. Br. 1958 und 1962. 56 Vgl. C. Howard Ellis, The Origin, Structure and Working of the League of Nations, New York 1928; William E. Rappard, The Beginnings of World Government,

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b) Präventions- und Repressionszweck Eine Friedensorganisation hat daher eine etwas andere Stoßrichtung; und ihre Gründung verfolgt einen ganz besonderen Zweck. Sie existiert ja, so könnte man formulieren, nicht um der friedlichen Staaten willen, sondern wegen der potentiellen Friedensbrecher, also jener, die sich über das völkerrechtliche Friedensgebot hinwegsetzen und versuchen, ihre Interessen ohne Inanspruchnahme der- damit aber auch ohne Unterwerfung unter diefriedlichen Methoden internationaler Streitbeilegung durchzusetzen. Die internationale Friedensorganisation dient der Erhaltung des Friedens durch Abschreckung eines potentiellen und der Wiederherstellung des Friedens durch In- die-Schranken-Weisen eines aktuellen Friedensbrechers. 57

aa) Kollektive Sicherheit Dabei ging und geht man vom Gedanken aus, dass kein Staat, wie mächtig immer er auch sein mag, stark genug ist, sich gegenüber der geschlossenen Front der übrigen Staaten zu behaupten. 58 Die Gründung einer internationalen Friedensorganisation bezweckt daher die Einrichtung eines Mechanismus, der sicherstellt, dass im Falle eines Friedensbruches die Staatengemeinschaft als ganze59 dem Friedensbrecher entgegentritt, sei es, dass sie einige ihrer Mitglieder mit der Exekution gegen letzteren beauftragt, 60 sei es, dass wirklich (so gut wie alle) zusammenstehen, um den Frieden auch 1931; Leo Grass, Der logische Widerspruch im Pazifismus und die Änderung der Völkerbundsatzung, in: 12 ZÖR 1932, 687 ff.; Kurt von Raumer, Ewiger Friede, Friedensrufe und Friedenspläne seit der Rainaissance, Freiburg-München 1953; F. B. Walters, A History of the League of Nations, 2 Bde., London 1952. 57 Zwar konnten sich auch schon früher angegriffene Staaten zur Wehr setzen und andere ihnen zu Hilfe eilen; dieses "natürliche" Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung ist noch heute im Rahmen der UNO in Art. 51 der Charta anerkannt. Es leuchtet aber ein, dass hier kleine und schwache Staaten gegenüber großen und mächtigen im Nachteil waren. Letztere konnten daher, wie viele Beispiele aus der Geschichte zeigen, auch ungerechte Gewalt üben, um ihre Interessen gegenüber dem Recht eines Schwächeren durchzusetzen. Es geht daher darum, gegen jeden (potentiellen oder aktuellen) Friedensbrecher, wie mächtig er auch immer sein mag, eine Allianz zustande zu bringen, die ihrerseits mächtig genug ist, um ihn entweder abzuschrecken oder, wenn diese Abschreckung nichts gefruchtet hat, ihn in die Schranken zu weisen. 58 Es kann hier fürs erste dahingestellt bleiben, ob dieser Gedanke auch im Zeitalter atomarer Supermächte noch bedingungslos gilt. 59 Zum Begriff der Staatengemeinschaft als ganzer, der nicht identisch ist mit der Summe aller Staaten, vgl. Art. 52 WVK, wo es um das ius cogens geht. 60 Im UN-System ist vorgesehen, dass der Sicherheitsrat darüber entscheidet, ob militärische Sanktionen von allen oder bloß von einzelnen Mitgliedern durchgeführt werden. Vgl. Art. 48 Zif. 3. Vgl. dazu Brun-Otto Pryde, Kommentar zu Art. 48, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, München 1991, 606 ff. Dem entspricht die in Art. 43 Zif. 1 enthaltene Verpflichtung aller Mitglieder,

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gegen seine Verletzung durch eine Großmacht wiederherzustellen. 61 Dieses Zusammenstehen "aller für einen" zur Erhaltung und gegebenenfalls Wiederherstellung des Friedens nennt man das Prinzip der kollektiven Sicherheit;62 und weil dieses Prinzip nur auf der Grundlage eines Mechanismus funktionieren kann und die Staatengemeinschaft dazu ausreichend organisiert sein muss, ist die Einrichtung eines solchen funktionsfähigen Mechanismus der eigentliche Zweck einer internationalen Friedensorganisation und damit die kollektive Sicherheit deren wichtigster Grundsatz. (1) Als Bundesexekution Tatsächlich taucht dieser Gedanke in allen prominenten Entwürfen63 für eine derartige Friedensorganisation auf. 64 In den verschiedenen Entwürfen stellt der Gedanke der kollektiven Sicherheit meist nur einen Aspekt dessen dem Sicherheitsrat Streitkräfte, Hilfe und Begünstigungen einschließlich Durchmarschrechte zur Verfügung zu stellen, soweit dies zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nötig ist. Zu diesem Zweck sieht Art. 43 Zü. 3 den Abschluss von Sonderabkommen zwischen einzelnen Mitgliedern oder Gruppen von ihnen und dem Sicherheitsrat über dessen Initiative vor. Vgl. Jochen Abr. Frowein, Kommentar zu Art. 43, ibid., 591 ff. 61 Vgl. Art. 2 Zü. 5 UN-Charta: "Alle Mitglieder gewähren den Vereinten Nationen bei jeder von diesen gemäß der vorliegenden Satzung ergriffenen Maßnahme jede Unterstützung ... " Vgl. auch Art. 25. "Die Mitglieder der Vereinten Nationen kommen überein, die Beschlüsse des Sicherheitsrates gemäß der vorliegenden Satzung anzunehmen und durchzuführen." Dazu einerseits Jochen Abr. Frowein, Kommentar zti Art. 2 Zü. 5, in: Simma, ibid., 90 ff.; und Jost Delbrü.ck, Collective Security, in: Rv.dolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. I, Amsterdam-New York-London-Tokio 1992, 656 ff.; andererseits Edv.ardo Jimenez de Arechaga, United Nations Security Council, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL,Inst. 5, Amsterdam-New York-Oxford 1983, 345 ff.; und Jost Delbrü.ck, Kommentar zu Art. 25, in: Simma, ibid., 374 ff. 62 Vgl. Pierre F. Brv.giere, La securite collective, 1919-1945, Paris 1946; Manfred Lachs, Die kollektive Sicherheit, Berlin 1956; Hans Kelsen, Collective Security in International Law, Washington 1957; Krysztof Skv.biszewski, Use of Force by States. Collective Security. Law of War and Neutrality, in: May Sorensen (Hrsg.), Manual of Public International Law, London-Melbourne-Toronto 1968, 739 ff.; Otto Kimminich, Was heißt kollektive Sicherheit?, in: Dieter S. Lutz (Hrsg.), Kollektive Sicherheit in und für Europa- eine Alternative, Baden-Baden 1985, 47 ff.; Thomas Georg Weiss, Collective security in achanging world, Boulder-Colorado 1993. 63 Meist findet er sich dort aber nicht unter dem ausschließlichen Gesichtspunkt einer Abwehr angedrohter oder angewendeter Gewalt; eine solche sehr formale Betrachtungsweise war früheren Generationen fremd und tritt uns erst im System der Völkerbundsatzung entgegen. Dies hängt mit der Ablösung des Begriffs des ungerechten durch jenen des unerlaubten Krieges zusammen; an die Stelle (dem Naturrechtsdenken verpflichteter) Wertbetrachtung darüber, ob ein Anspruch als "gerecht" zu qualifizieren sei und gegebenenfalls auch gewaltsam durchgesetzte werden könnte, treten (im Gefolge des Rechtspositivismus) positivrechtliche Kriegsverbote. Der Krieg wird damit nicht mehr als gerecht oder ungerecht qualliiziert, sondern als erlaubt oder unerlaubt, was aber nunntehr in erster Linie von der Einhaltung oder Nichteinhaltung bestimmter Verfahren oder dem Vorliegen bestimmter Voraussetzungen und nicht von der Qualität des geltend gemachten Anspruchs abhängt.

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dar, was man als "Bundesexekution" 65 bezeichnen könnte. Diese richtete sich zwar auch gegen einen Angreifer, der ohne Inanspruchnahme der vorgesehenen Mittel zur friedlichen Streitbeilegung zu den Waffen griff; als Regelfall erscheint aber jener, wo ein Verfahren zu einer solchen friedlichen Streitbeilegung vorgesehen war und ein Staat sich dann weigerte, das Ergebnis desselben zu akzeptieren. In diesem Fall sollte dasselbe gegen ihn gewaltsam durchgesetzt werden, um der anderen Streitpartei zu ihrem Recht zu verhelfen. 66 Trotz der in erster Linie formalen Ausrichtung der kollektiven Sicherheit im Rahmen der UNO findet sich dieser Aspekt einer Bundesexekution ebenfalls in der Charta, weil der Sicherheitsrat gegen einen Staat, der seiner Verpflichtung, ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs nicht zu erfüllen, Maßnahmen zu Durchsetzung desselben ergreifen kann. 67 64 Vgl. Hans-Jii.rgen Schlochauer, Das Problem der Friedenssicherung in seiner ideengeschichtlichen und völkerrechtlichen Entwicklung, Bann 1946; Kurt von Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Freiburg-München 1953; Hans-Jii.rgen Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens. Ein überblick über Entwicklung und Gestaltung des Friedenssicherungsgedankens auf der Grundlage einer Quellenauswahl, Bann 1953; Robert Redslob, Le problerne de la paix, Basel 1954; Richard A. Falk I Saul H. Mendlovitz (Hrsg.), The Strategy of World Order, 4 Bde., New York 1966; Louis B. Sohn, Peace, Proposals for the PreseiVation of, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. ill, Amsterdam-Lausanne-New York-OxfordShannon-Singapur-Tokio 1997, 926 ff. 65 Als Beispiel für eine positivrechtlich vorgesehene Bundesexekution können Art. 31-34 der Wiener Schlussakte gelten; Vgl. G. Neusser, Deutscher Bund, in: Adalbert Erler I Ekkehard Kaufmann (Hrsg.), Wörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, 687 ff., 694. 66 Nach Art. 13 Abs. 4 Satz 2 VB-Satzung sollte im Falle der Nichtausführung eines Urteils oder Schiedsspruches der VB-Rat die notwendigen Schritte vorschlagen, um ihm Wirkung zu verschaffen. Diese Regelung teilte also die Schwäche der kollektiven Sicherheit nach der VB-Satzung, wo der Rat, falls ein Mitglied entgegen den in den Artikeln 12, 13 und 15 übernommenen Verpflichtungen zum Krieg schritt, gemäß Art. 16 Abs. 2 zwar verpflichtet war vorzuschlagen, mit welchen Land-, See- oder Luftstreitkräften jedes Bundesmitglied für sein Teil zu der bewaffneten Macht beizutragen habe, die den Bundesverpflichtungen Achtung zu verschaffen bestimmt war. Da damit Sanktionen nicht verhängt, sondern nur vorgeschlagen, also empfohlen waren, waren die Mitglieder nicht verpflichtet, den Vorschlägen Folge zu leisten und sich an den militärischen Sanktionsmaßnahmen zu beteiligen. Vgl. G. de Ressegnier, Les sanctions militaires de la Societe des Nations, Paris 1930; Maurice Bourquin, Le problerne de la securite collective, in: 49 RdC 1934, 473 ff.; Heinrich Rogge, Kollektivsicherheit, Bündnispolitik, Völkerbund. Theorie der nationalen und internationalen Sicherheit, Berlin 1937; AlbertE. Highley, The first sanctions experiment, Genf 1938; Pierre F. Brogiere (oben, Anm. 62); Gerhart Niemeyer, The Balance-Sheet of the League Experiment, in: 6 IntOrg 1952, 537 ff. 67 Und zwar gemäß Art. 94 Zif. 2 UN-Charta. Dazu vgl. E. K. Nantwi, The Enforcement of International Judicial Decisions and Arbitral Awards in Public International Law, Leiden 1966; W: Michael Reisman, Nullity and Revision. The Review and Enforcement of International Judgments and Awards, New Haven-London 1971; Karin Oellers-Frahm, Zur Vollstreckung der Entscheidungen internationaler Gerichte im Völkerrecht, in: 36 ZaöRV 1976, 654 ff.; Hermann Mosler, Kommentar zu Art. 92, in:

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(2) Voraussetzung für Funktionieren Um seine friedenserhaltende oder friedenswiederherstellende Funktion auch tatsächlich erfüllen zu können, muss der Grundsatz der kollektiven Sicherheit freilich organisatorisch entsprechend durchgebildet sein. Seine Wirksamkeit hängt -analog zur Geltung des Rechts überhaupt - davon ab, dass er sich regelmäßig durchsetzt, 68 im Regelfall also "greift". Damit dies gesichert erscheint, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehört, dass der (potentielle oder aktuelle) Friedensbrecher69 nicht selbst darüber bestimmen darf, ob gegen ihn Maßnahmen angedroht oder ergriffen werden. 70 Dies scheint für den Laien selbstverständlich und das Gegenteil geradezu absurd; tatsächlich können aber gegen keines der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, auch wenn es sich einer Bedrohung oder eines Bruches des Friedens zuschulden kommen ließe, seitens dieses Organs Maßnahmen ergriffen werden, weil jedes von ihnen einen entsprechenden Beschluss durch sein "Veto" 71 verhindem könnte. 72 Bruno Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, München 1991, 927 ff. 68 Vgl. dazu Heribert Franz Köck, Recht in der pluralistischen Gesellschaft. Grundkurs über zentrale Fragen zu Recht und Staat, Wien 1998, Kap. XXXVII, 187 ff. 69 Da das einem oder mehreren Staaten individuell eingeräumte Vetorecht nicht nur diese Staaten selbst, sondern allenfalls auch solche anderen schützt, die zu deren jeweiliger politischer Klientel gerechnet werden können, stellt ein solches Recht das größte institutionelle Hindernis für ein Funktionieren des Systems der kollektiven Sicherheit oder gar einer wirksamen umfassend(er)en Bundesexekution dar. Während den historischen Entwürfen für diese Frage entweder das Problembewusstsein mangelt oder sie durch die Existenz von Großmächten einfach determiniert sehen, gelegentlich auch durch Stimmengewichtung in der Staatenversammlung ohne eigentliches Vetorecht umgehen, hat dasselbe in der Praxis immer eine große Rolle gespielt. So war es im Völkerbundrat in exzessiver Weise dadurch verankert, dass in demselben der Einstimmigkeitsgrundsatz herrschte, freilich mit der Einschränkung, dass Streitparteien im Verfahren vor dem Völkerbundrat, auch wenn sie dessen Mitglieder waren, kein Stimmrecht hatten. Das schloss freilich nicht aus, dass ein Staat, der selbst Streitpartei war und damit jedenfalls keine Stimme in eigener Sache hatte, durch ein anderes Völkerbundratsmitglied geschützt werden konnte, wenn zwischen ihm und diesem eine enge politische Verbindung bestand. 70 Diese Fbrderung entspricht an sich nur dem Satz nemo iudex in re sua, der zweifellos als Allgemeiner Rechtsgrundsatz i.S.v. Art. 38 Zif. 1lit. c IG-Statut anzusehen ist. Dazu vgl. Peter Fischer I Heribert Franz Köck, Allgemeines Völkerrecht, 4. Aufl., Wien 1994, 270 ff. Dimitris Bourantonis, A United Nations for the twenty-first centucy; peace, security and development, Den Haag et al. 1996; Andrew M. Dorman, European security. An introduction to security issues in post-Cold War Europe, Aldershot-Hants et al. 1995. 71 Das sog. Veto-Recht der Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates beruht auf Art. 27 UN-Charta, wo es heißt: "[ ... ]2. Beschlüsse des Sicherheitsrates über Verfahrensfragen werden mit Zustimmung von neun [von insgesamt 15; Anm. d. Verf.] Mitgliedern gefasst. 3. Beschlüsse des Sicherheitsrates über alle anderen Fragen werden mit Zustimmung von neun Mitgliedern gefasst, inbegriffen die Zustimmung aller ständigen Mitglieder [ ... ]. " -Im strengen Sinn handelt es sich hier freilich um kein Vetorecht, weil ein solches an sich einen gültig zustande gekommenen Beschluss eines Organs voraussetzt, der danach durch den Einspruch eines anderen Organs wieder

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(3) Mangelhafte UN-Charta In diesem Punkt weist die Organisation der Vereinten Nationen einen schweren Mangel auf, weil im Verfahren zur friedlichen Streitbeilegung vor dem Sicherheitsrat nur die Parteien eines Streites, 73 nicht aber die Beteiligten an einer bloßen (wenn auch friedensgefährdenden) Situation sich der Stimme enthalten müssen, das sog. "doppelte" Veto 74 es aber jedem ständivernichtet wird, während im Sicherheitsrat der Beschluss erst gar nicht zustande kommt. Die Praxis hat übrigens das Erfordernis der Zustimmung seitens aller fünf Ständigen Sicherheitsratsmitglieder dahingehend gemildert, dass bloß keines von ihnen dagegen stimmen muss; Stimmenthaltung eines oder mehrerer Ständiger Mitglieder hindert also nicht das Zustandekommen des Beschlusses, solange er von insgesamt neun Mitgliedern unterstützt wird. Vgl. dazu Hanns Engelhardt, Das Vetorecht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in: 10 AVR 1962/63, 377 ff.; Constantin A. Stavropoulos, The Practice of Voluntary Abstantions by Permanent Members of the Security Council under Art. 27 (3) of the Charter, in: 61 AJIL 1967, 737 ff.; Sidney D. Bailey, Veto in the Security Council, in: IntConc, No. 566, 1968; ders., Voting in the Security Council, Bloomington 1969; ders., New Light on Abstentions in the Security Council, in: 50 lA 1974, 154 ff.; ders., The Procedure of the UN Security Council, Oxford 1975, 2. Aufl., 1988; Georg Lennkh, Willensbildung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in: 18 OZA 1978, 5 ff.; Fritz Miinch, Veto, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Inst. 5, Amsterdam-New York-Oxford 1983, 389 ff.; Bruno Simmal Stefan Brunner, Kommentar zu Art. 27, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, München 1991, 173 ff. 72 Auch im Rahmen der OSZE (früher KSZE) hat es lange gedauert, bis sich anstelle des Einstimmigkeitsgrundsatzes der Grundsatz "alle minus 1" durchgesetzt hat und damit dem betroffenen Staat die Möglichkeit genommen ist, sich gegen eine Behandlung einer Frage quer zu legen. Vgl. zur Entwicklung der KSZE (OSZE) Helmut Liedermann, Von Helsinki über Belgrad nach Madrid. Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa aus der Sicht eines Österreichischen Konferenzteilnehmers, in: Peter Fischer/Heribert Franz Köck/ Alfred Verdross (Hrsg.), Völkerrecht und Rechtsphilosophie. Internationale FS für Stephan Verosta zum 70. Geburtstag, Berlin 1980,427 ff.; ders., Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), in: Herbert Schamheck (Hrsg.), Pro Fide et Iustitia. FS für Agastino Kardinal Casaroli zum 70. Geburtstag, Berlin 1984, 489 ff.; William R. Smyser, Der dritte Anlauf zu einer europäischen Friedensordnung: Wien 1814, Versailles 1919, Paris 1990, in: 46 EA 1991, 289 ff.; Curt Gasteyger, Ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem?, in: 47 EA, 475 ff.; Massimo Coccia, Helsinki Conference and Final Act on Security and Cooperation in Europe, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, Amsterdam-Lausanne-New York-Oxford-Shannon-Tokio 1995, 693 ff.; Sigmar Stadlmeier, Die Europäische Sicherheitskonferenz (KSZE) und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), in: Peter Fischer/Heribert Franz Köck, Europarecht, 3. Aufl., Wien 1997, 272 ff.; Sigrid Pöllinger, Der KSZE-OSZE ProzessEin Abschnitt europäischer Friedensgeschichte, Wien 1998, dies., Der Beitrag der KSZE/OSZE zu einem Europäischen Sicherheitssystem, in: Heribert Franz Köck/ Margit Hintersteininger (Hrsg.), Sammelband zu sicherheitspolitischen Fragen (in Vorbereitung). 73 Art. 27 Abs. 3 HS 2: "dabei ist vorausgesetzt, dass bei Beschlüssen gemäß Kapitel VI und gemäß Artikel 52, Absatz 3, eine an einem Streitfall beteiligte Partei sich der Abstimmung enthält." 74 Unter "doppeltem" Veto versteht man die Sicherung des Vetorechts in Zusammenhang mit einer Frage durch Einlegen eines Vetos in einer damit in Zusammenhang stehenden anderen Frage, die insoweit eine Vorfrage darstellt. Neben dem in Nachstehendem zu besprechenden Qualifikationsproblem (Situation oder Streitfall; vgl. auch Anm. 75), das in der Charta selbst, nämlich in Art. 27 Zü. 3 HS 2 grundgelegt ist, gibt es auch das Qualüikationsproblem einer Frage als Verfahrens- oder 24 Johannes Paul II.

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gen Sicherheitsratsmitglied ermöglicht, auch einen Streit als bloße Situation qualifizieren zu lassen 75 und sich damit sein Stimmrecht zu sichern. Für den noch wichtigeren Bereich von Kapitel VII UN-Charta betr. "Maßnahmen bei Bedrohung des Friedens, bei Friedensbrüchen und Angriffshandlungen", wo das Vorliegen eines solchen Tatbestandes festgestellt1 6 und gegebenenfalls ein Beschluss über nicht-militärische oder militärische Sanktionen gefasst werden soll, 77 ist keine Stimmenthaltung für Streitparteien Nicht-Verfahrens-("Substanz"-)Frage. Dass auch hier das Vetorecht greift, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut von Art. 27 Abs. 2, sondern lediglich aus einer Erklärung der Großmächte vom 7. Juni 1945. Vgl. Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 235. Damit soll jedem Ständigen Mitglied des Sicherheitsrates Schutz davor geboten werden, dass sein Vetorecht mit der Qualifikation einer Substanzfrage als Verfahrensfrage unterlaufen wird. Dass dies nicht geschehen soll und jedem Ständigen Mitglied des Sicherheitsrates auch ein gewisses Ermessen bei der Qualifikation zustehen muss, ergibt sich aus dem Wesen des Vetorechts und der ihm zugrunde liegenden rechtspolitischen Überlegung (zu dieser vgl. unten, bei Anm. 77 und 78); insoweit entspricht die Erklärung dem Geist von Art. 27. Gleiches kann man von den in der Erklärung genannten Kriterien zur Unterscheidung von Verfahrens- und Substanzfragen nicht sagen, weil mit der dort aufgestellten chain of events-Theorie auch Verfahrensfragen als Substanzfragen i.S.v. Art. 27 Abs. 3 gelten, wenn ein Beschluss Auswirkungen haben könnte, die den Sicherheitsrat in der Fblge zu Maßnahmen veranlassen könnten.- Zum "doppelten" Veto vgl. ausführlich Leo Gross, The Question of Laos and the Doubleveto in the Security Council, in: 54 AJIL 1960, 118 ff.; Franciszek Przetacnik, The Doubleveto in the Security Council of the United Nations: A new Appraisal, in: 58 RDISD 1980, 153 ff.; vgl. auch die in Anm. 71 gegebene Literatur. 75 Die Abgrenzung einer (bloßen) friedensbedrohenden Situation von einem Streitfall ist schwierig, weil sie in Wahrheit nicht gänzlich voneinander zu trennen sind. Ein häufig genanntes Unterscheidungsmerkmal soll darin bestehen, dass im Streitfall die beteiligten Staaten ihren Standpunkt bereits bezogen haben, in einer Situation aber nicht. In Wahrheit wird aber jede friedensbedrohende Situation, wenn sich der Sicherheitsrat einmal mit ihr befasst, dazu führen, dass die beteiligten Staaten ihren (politischen und/oder rechtlichen) Standpunkt beziehen; insoweit sind sie dann notwendig Partei eines Streitfalles. Dies kann nur noch durch semantische oder rechtliche Tricks verschleiert werden; das "doppelte" Veto ist ein solcher. 78 Art. 39 HS 1 UN-Charta: "Der Sicherheitsrat hat jedesmal festzustellen, dass eine Bedrohung des Friedens, ein Friedensbruch oder eine Angriffshandlung vorliegt". -In diesem Zusammenhang geht es also um die Frage, wer der (ein) Aggressor ist. Vgl. dazu C. G. Fenwick, When is there a Threat to the Peace?- Rhodesia, in: 61 AJIL 1967, 753 ff ..; Jaroslav Zourek, Enfin une definition de l'aggression, in: 20 AFDI 1974, 9 ff.; Gert Meier, Der Begriff des bewaffneten Angriffs, in: 16 AVR 1974/75, 375 ff.; Joachim Arntz, Der Begriff der Friedensbedrohung in der Satzung und Praxis der Vereinten Nationen, Berlin 1975; Albrecht Randelzhofer, Die Aggressionsdefinition der Vereinten Nationen, in: 30 EA 1975, 621 ff.; T. Pruhar, Die Definition der Aggression, 1980; Yoram Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, Cambridge 1988; Benjamin B. Ferencz, Aggression, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. I, Amsterdam-London-New York-Tokio 1992, 58 ff.; Hanspeter Neuhold, Peace, Threat to, ibid., Vol. m, Amsterdam-Lausanne-New York-Oxford-Shannon-Singapur-Tokio 1997, 935 ff. Vgl. allgemein Jochen Abr. Frowein, Kommentar zu Art. 39, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, München 1991, 559 ff. 77 lbid., HS 2: "[Der Sicherheitsrat] erstattet Empfehlungen oder beschließt, welche Maßnahmen gemäß Arti.kel41 und 42 zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu ergreüen sind." Vgl. dazu allgemein David Ruze, Organisations internationales et sanctions internationales,

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vorgesehen; vielmehr gilt dort die allgemeine Regelung des Art. 27 Zif. 3, der für alle anderen Entscheidungen als solche in Verfahrensfragen Einstimmigkeit erfordert. Daher kann dort, wenn es Streitpartei ist, jedes nicht-ständige Sicherheitsratsmitglied das Zustandekommen einer ausreichenden Mehrheit von neun Stimmen (zumindest) erschweren, jedes ständige Mitglied den Beschluss aber durch seine Gegenstimme verhindern. Daher ist, was die eine tragende Säule einer internationalen Friedensorganisation, nämlich die kollektive Sicherheit, anlangt, festzustellen, dass dieselbe auch derzeit noch verfahrensmäßig so mangelhaft ausgestaltet ist, dass mit einem Funktionieren des Systems der kollektiven Sicherheit nicht von vornherein gerechnet werden kann; mehr noch, dass die Wahrscheinlichkeit eher für das Gegenteil, also das Nichtfunktionieren spricht. Dies zeigt schon der empirische Befund, nach dem es zahlreiche Fälle gegeben hat, in denen ein Eingreifen der UNO durch das Veto eines 78 (oder zweier79 ) Sicherheitsratsmitglieder verhindert wurde, 80 aber bisher keinen einzigen Paris 1970; Rosaly Higgins, The Advisory Opinion on Namibia: Which UN Resolutionsare Binding under Article 25 of the Charter?, in: 21 ICLQ 1972, 275 ff.; Wilhelm A. Kewenig, Die Problematik der Bindungswirkung von Entscheidungen des Sicherheitsrates, in: Horst Ehmke (Hrsg.), FS für Ulrich Scheuner, Berlin 1973, 259 ff.; Jean Combaceau, Le pouvoir de sanction de l'ONU, Paris 1974.- Nach Art. 41 kann der Sicherheitsrat "Maßnahmen, bei denen Waffengewalt nicht zur Anwendung kommt [ ... ] Diese können die vollständige oder teilweise Unterbrechung der wirtschaftlichen Beziehungen, der Eisenbahn-, Schiffs-, Luft-, Post-, Telegraphen-, Radio- und sonstigen Verbindungen und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen umfassen." Vgl. dazu Margaret P. Doxey, Economic Sanctions and International Enforcement, 2. Aufl., London 1980. Jochen; Abr. Frowein, Kommentar zu Art. 41, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, München 1961, 576 ff.Art. 42 bestimmt: "Sollte der Sicherheitsrat zur Auffassung gelangen, dass die in Ar-: tikel 41 vorgesehenen Maßnahmen nicht genügen oder sich als ungeeignet erwiesen haben, kann er durch Luft-, See- oder Landstreitkräfte die Operationen durchführen, die zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nötig sind. Solche Maßnahmen können Demonstrationen, Blockaden oder andere Operationen von Luft-, See- oder Landstreitkräften von Mitgliedern der Vereinten Nationen umfassen." Vgl. Eric Stein, Collective Enforcement of International Obligations, in: 47 ZaöRV 1987, 56 ff.; Jochen Abr. Frowein, Collective Enforcement of International Obligations, ibid., 67 ff.; ders., Kommentar zu Art. 42, in: Simma, ibid., 585 ff. 78 Statistisch betrachtet, verteilen sich die bisherigen Vetos im Sicherheitsrat wie folgt: China 4-5 (die Volksrepublik China konnte den ständigen Sitz im Sicherheitsrat erst 1971 einnehmen; bis dahin war er von Nationalchina besetzt gewesen) Frankreich 18, Großbritannien 32, Sowjetunion/Russland 120, USA 72. Vgl. unter http:// www. globalpolicy.org. (Abfrage im April 2000). 79 So im Suez-Konflikt von 1956 Frankreich und Großbritannien; heute im zunehmenden Maße China und Russland. Vgl. Hilmar Werner Schlüter, Die Politische Funktion des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, Bonn 1970, 198 ff.; N. D. White, The United Nationsand the maintenance of international peace and security, Manchester 1990, 192; Sigmar Stadlmeier, Völkerrechtliche Aspekte des Kosovo-Konflikts, in: 37 ÖMZ 1999, 576 ff. BO Beispielsweise während des Ungarn-Aufstandes 1956, der Libanon-Krise 1958 und der Kongo-Frage 1960; vgl. mrich Scheuner, Kollektive Sicherheit, in: Karl 24•

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Fall, in dem militärische Sanktionen durch die UNO selbst ergriffen worden wären. Am nächsten kommt noch die Empfehlung des Sicherheitsrates aus 1949 81 an alle Mitglieder, dem von Nordkorea angegriffenen Südkorea Hilfe zu leisten, und die Anerkennung einer entsprechenden internationalen Streitmacht unter UN-Flagge, aber Leitung der USA. Ähnlich ist die mehr als vierzig Jahre später erlassene Sicherheitsratsresolution im Golfkrieg nach dem Überfall des Iraks gegen Kuwait 82 zu bewerten, weil auch sie nicht zu Maßnahmen der Organisation als solcher, sondern dazu führte, dass die militärischen Handlungen von einem Bündnis verschiedener Staaten gesetzt wurden, die selbst und lediglich über Empfehlung des Sicherheitsrates zugunsten des angegriffenen Staates gegen den Aggressor tätig wurden. 83

bb) Friedliche Streitbeilegung Müssen wir für die erste Säule jeder Friedensorganisation einen bedenklichen Konstruktionsfehler feststellen, so steht es um die zweite nicht besser. Fällt der Krieg84 und jede sonstige Anwendung von Gewalt85 als legales Struppl Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), WBVR, Bd. 2, Berlin 1961, 248; vgl. auch Hilmar Werner Schlüter, Die Politische Funktion des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, Bonn 1970, 166 ff. 81 Vgl. SC-Res.1950/83vom27. 6.1950. 82 Vgl. SC-Res. 1990 I 678 vom 29. 11. 1990. 83 Vgl. Sigmar Stadlmeier!Heinz Vetschera, Dauernde Neutralität und kollektive Sicherheit im Lichte des Golfkrieges 1990/91, in: 28 ÖMZ 1991, 314 ff.- Ähnlich zu bewerten ist auch der unter Leitung der NATO stehende Einsatz der IFOR (Implementation Fbrce) bzw. SFOR (Stabilization Fbrce) in Bosnien und der Herzegovina zur Überwachung der Durchführung des Dayton-Abkommens von 1995; Grundlage war die SR-Res. 1931 vom 14. 12. 1995. Vgl. Sigrid Pöllinger, Code of Conduct on Politic-Military Issues and Democratic Control of Armed Fbrces in Bosnia-Herczegovina, in: 90 Wiener Blätter zur Friedensforschung 1997, 40 ff. -Entsprechendes gilt für die unter NATO-Leitung stehende KFOR im Kosovo aufgrund der SR-Res. 1999/ 1244 vom 10. 6. 1999, Annex 2, Vgl. dazu Sigmar Stadlmeier, Völkerrechtliche Aspekte des Kosovo-Konflikts, in: 37 ÖMZ 1999, 576 ff. 84 Die Völkerbundsatzung enthielt zwar ein generelles, aber noch kein absolutes, sondern nur ein relatives Kriegsverbot, und zwar dahingehend, dass gegen einen Staat, der sich dem Urteil einer (Schieds-)Gerichtsinstanz oder des Völkerbundrates unterwarf, überhaupt nicht, in allen anderen Fallen aber nicht vor Ablauf von drei Monaten zum Krieg geschritten werden durfte. Vgl. die Artikel 12, 13 und 15 sowie oben, bei Anm. 59 f.- Der Locarno-Pakt von 1925 enthielt zwar ein absolutes Kriegsverbot (mit Ausnahmen, wie sie auch die UN-Charta mutatis mutandis in Kap. vn kennt; solche waren ein Verteidigungskrieg und Sanktionsmaßnahmen nach Art. 16 Völkerbundsatzung), doch bezog es sich nur auf das Verhältnis zwischen Frankreich und Belgien einerseits, dem Deutschen Reich andererseits; vgl. Werner Moroay, Locarno Treaties (1925), in: Rudolf Bern hardt (Hrsg.), EPIL, Vol. In, Amsterdam-Lausanne-New York-Oxford-Shannon-Singapur-Tokio 1997, 242 ff.- Ein generelles und absolutes Kriegsverbot enthielt schließlich der Briand-Kellogg-Pakt von 1928. Nach Art. I dieses auch als Kriegsächtungspakt bezeichneten Vertrages "verurteilen" die Parteien "den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle" und "ver-

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Mittel zur Austragung von Streitigkeiten weg, sollen Streitigkeiten aber auch nicht auf Dauer ungelöst bleiben müssen bzw. können, so bedarf es eines funktionierenden Systems der friedlichen Streitaustragung. 86 Unter einem funktionierenden System ist dabei ein solches zu verstehen, das auch tatsächlich die Beilegung jeder Streitigkeit garantiert. Da einem Streit eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei oder mehreren Staaten87 (die für einen konkreten Streitpunkt aber immer nur zwei Streitparteien bilden können, von denen die eine einen bestimmten Standpunkt vertritt und die andere diesen Standpunkt bestreitet88 ) zugrunde liegt, 89 über den sie sich zichten" auf ihn "als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen." Vgl. dazu David Hunter-Miller, The Pact of Paris, Washington 1928; Kar! Strupp, Der Kellogg-Pakt im Rahmen des Kriegsvorbeugungsrechts, Leipzig 1929; Hans Wehberg, Die Achtung des Krieges, Berlin 1930; Quincy Wright, The meaning of the Pact of Paris, in: 27 AJIL 1933, 39 ff.; Cynthia D. Wallace, Kellogg-Briand-Pact (1928), in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. ill, Amsterdam-Lausanne-New YorkOxford-Shannon-Singapur-Tokio 1997, 79 ff.- Gemeinsam mit dem Saavedra Lamas-Vertrag von 1933, einem Kriegsverhütungs-, Nichtangriffs- und Schlichtungsabkommen für lateinamerikanische Staaten (vgl. Hermann Meyer-Lindenberg, Saavedra Lamas Treaty [1933), in: Bernhardt, ibid., Inst. 1, Amsterdam-New York-Oxford 1981, 189 ff.) bildete der Briand-Kellogg-Pakt eine (fast) "flächendeckende" völkerrechtliche Barriere gegen Angriffskriege, die freilich weder die Aggression Italiens gegen Abessinien 1935/36 noch die HitZersehen Angriffskriege ab 1939 hintanhalten konnte. Immerhin waren die vor dem Nürnberger Tribunal 1946 erhobenen Anklagen wegen "Verbrechens gegen den Frieden" auf die Verpflichtungen gestützt, die sich für das Deutsche Reich und seine führenden Politiker und Militärs aus dem Briand-Kellogg-Pakt ergaben. Vgl. dazu Hans-Heinrich Jeschek, Nurernberg Trials, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. m, Amsterdam-Lausanne-New York-Oxford-Shannon-Singapur-Thkio 1997, 747 ff. 85 Das Gewaltverbot in Art. 2 Zif. 4 UN-Charta versucht, die Schwierigkeit, den Begriff des Kriegs in allgemein akzeptabler Weise zu definieren, zu umgehen, indem es auch andere Fbrmen militärischer Gewalt ausschließt. Die Suche nach etwaigen Umgehungsmöglichkeiten muss daher heute an einem anderen Punkt des Kriegsverhinderungssystems ansetzen; dass dabei die Frage, wer von zwei in einen militärischen Konflikt verstrickten Staaten der Aggressor ist, eine entscheidende Rolle spielt, zeigt der mühselige Weg zu einer Definition des Angreifers, die überdies nur zu einer Vermutung führt, die durch eine abweichende Feststellung des Sicherheitsrates widerlegt wird. Vgl. dazu Andreas F. Bauer, Effektivität und Legitimität; die Entwicklung der Friedenssicherung durch Zwang nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen unter besonderer Berücksichtigung der neueren Praxis des Sicherheitsrats, Berlin 1996; Amos Yoder, The evolution of the United Nations system, Washington D.C. et al. 1993; Res. 3314 (=Definition des Angreifers), sowie die oben, Anm. 76, angegebene Literatur. 86 Vgl. allgemein Howard H. Bachrach, Practical Aspects of International Litigation-Arbitration, in: 64 AJIL 1970, 251 ff.; J. G. Merrills, International Dispute Settlement, London 1984; Hans-Jii.rgen Schlochauer, Arbitration, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. I, Amsterdam-London-New York-Thkio 1992, 215 ff.; Karl-Josef Partsch, Fact Finding and Inquiry, ibid., Vol. II, Amsterdam-Lausanne-New YorkOxford-Shannon-Thkio 1995, 343 ff.; Helmut Steinberger, Judicial Settlement of International Disputes, ibid., Vol. m, Amsterdam-Lausanne-New York-Oxford-Shannon-Singapur-Thkio 1997,42 ff. 87 Zum Begriff des internationalen Streites oder Disputes vgl. Peter Fischer I Heribert Franz Köck, Allgemeines Völkerrecht, 4. Aufl., Wien 1994,250 ff. 88 Deshalb können in einem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof höchstens zwei Richteradhoc gemäß der Bestimmungen des Art. 31 Zif. 2 und 3 IG-Statut

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jedenfalls bisher nicht geeinigt haben (andernfalls läge ja kein Streit mehr vor 90 ), kann sich ein funktionierendes System der friedlichen Streitbeilegung nicht darauf beschränken, die Streitparteien auf Streitbeilegungsmittel zu verpflichten, die nur dann zu einer Beilegung des Streites führen, wenn beide Streitparteien einer bestimmten Lösung zustimmen, sich also letztlich einigen. 91 Eine solche Lösung durch Einigung der Streitparteien zusätzlich für die Richterbank des Gerichtshofes namhaft gemacht werden. Vgl. Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 278. 89 Auseinandersetzungen über akademische Fragen stellen keinen "Streit" im Sinne des Völkerrechts dar und können daher beispielsweise auch nicht Gegenstand eines Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof sein; nur die sog. Moot Courts als Ausbildungslehrveranstaltungen an den Law Schools beschäftigen sich mit "gestellten" Problemen; dort ist die "Richterbank" aber auch nicht mit internationalen Richtern oder von den Parteien bestellten Schiedsrichtern, sondern mit den Lehrveranstaltungsleitern besetzt; und die entscheiden auch nicht den Fall, sondern beurteilen die "Parteien".- Dass nur ein realer Streit (in der englischen Terminologie nach dem Vorbild von Art. m, Section 2 [1] der Verfassung der USA auch als "case or controversy" bezeichnet) und keine purely academic question Gegenstand eines Gerichtsverfahrens sein kann, ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der sich direkt aus dem Prinzip der Verfahrensökonomie, aber auch durch einen Umkehrschluss aus dem Zweck eines solchen Verfahrens, nämlich dem Interesse der internationalen Gemeinschaft an der Beilegung von Streitfällen (interest res publica ut sit finis litium) ergibt; denn die Beantwortung akademischer Fragen ist nicht Aufgabe der Gesellschaft im allgemeinen oder ihrer gerichtlichen Institutionen, sondern spezifisch der Wissenschaft. Vgl. dazu Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 160 f. und 179. Daher ist auch Art. 36 Zü. 2 IG-Statut in diesem Sinne zu verstehen, wo es heißt: "Die Staaten, welche das vorliegende Statut angenommen haben, können jederzeit die Erklärung abgeben, dass sie ipso facto und ohne besondere Abkommen gegenüber jedem anderen die gleiche Verpflichtung übernehmenden Staat die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes in allen Rechtsstreitigkeiten anerkennen, welche zum Gegenstand haben: [ ... ] b) irgendwelche Fragen des internationalen Rechtes; [ ... ]. " Vgl. dazu Michael Fraas, Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und Internationaler Gerichtshof, Frankfurt am Main 1998, sowie Ibrakim F. I. Sihata, The Power of the International Court to Detennine Its Own Jurisdiction, Den Haag 1965; Franz Matschet; Standing Before International Courtsand Tribunals, in: Rudolf Bemhardt (Hrsg.), EPIL, lnst. 1, Amsterdam-New York-Oxford 1981, 191 ff. 90 Auch hier stellt der Internationale Gerichtshof auf die tatsächliche Lage ab; daher streicht er einen bei ihm anhängigen Fall aus seinem Register, wenn er zur Auffassung gelangt, dass der Konflikt als beigelegt anzusehen ist. Vgl. dazu die Nuclear Test-Fälle, ICJ Reports 1974, 253 ff. und 457 ff., wo der Gerichtshof bereits die von einer Partei gegenüber den Medien gemachten Absichtserklärungen als ausreichend für eine Einstellung ansah. Vgl. dazu Axel Berg, Nuclear Tests Cases (Australia v. France; New Zealand v. France), in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. ill, Amsterdam-Lausanne-New York-Oxford-Shannon-Singapur-Tokio 1997, 727 ff. 91 Art. 33 Zü. 1 UN-Charta nennt an solchen Streitbeilegungsmitteln, die zu einer Einigung der Parteien führen sollen, "Verhandlungen, Untersuchungen. Vermittlung [und] Vergleich". Vgl. dazu Karl Heinz Kurzmann, Friedliche Streitbeilegung, in: Karl Strupp/Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), WBVR, Bd. 3, Wien 1962, 402 ff.; Norbert Ropers (Hrsg.), Friedliche Konfliktbearbeitung in der Staaten- und Gesellschaftswelt, Bonn 1995; Photini Pazartzis, Les engagements internationaux en matiere de reglement pacüique des differends entre etats, Paris 1992; Marieke Kleiboer, The multiple realities of international mediation, Boulder-Colorado et al. 1998; Peter Fischer I Heribert Franz Köck, Allgemeines Völkerrecht, 4. Aufl., Wien 1994, Kap. VII, 250 ff., 254.

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ist zwar wünschenswert, weil auf diese Weise am ehesten gesichert erscheint, dass die gefundene Lösung auch tatsächlich für beide Seiten zumindest ausreichend zufriedenstellend ist; 92 sie ist aber, wie die Erfahrung zeigt, nicht immer zu erreichen, sei es, weil einer Seite der gute Wille abgeht, 93 sei es, weil jede Seite im (subjektiv) guten Glauben am eigenen Standpunkt als dem rechtmäßigen festhält. 94 (1) Internationale Gerichts- oder Schiedsgerichtsbarkeit Daraus folgt, dass nur solche Verfahren zur friedlichen Streitbeilegung auch tatsächlich unabhängig vom guten Willen der beiden Streitparteien zu einem Ergebnis führen, bei denen dieses Ergebnis nicht von der Zustimmung der einen oder anderen Seite abhängt, sondern von einer von beiden Seiten unabhängigen Instanz verfügt wird. Dies wird grundsätzlich nur von den Verfahren der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit95 oder Gerichts92 Das ist auch jenes Argument, welches gelegentlich gegen die obligatorische Gerichts- oder Schiedsgerichtsbarkeit vorgebracht wird. Ein anderes, von den ehemaligen Staaten des realen Sozialismus verwendetes Argument ging dahin, dass es nicht angehe, einen souveränen Staat dem Urteil einer oder mehrerer Menschen zu unterwerfen, die als solche ja keine Volkerrechtssubjektivität genössen. Vgl. dazu Theodor Schweißfurth, Socialist Conceptions of International Law, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Inst. 7, Amsterdam-New York-Oxford 1984, 417 ff., 423.- Abgesehen davon, dass dieses Argument schon deshalb schief ist, weil diese Menschen ja nicht als solche, sondern als Organwaltereines internationalen Organs, nämlich eben des Gerichts oder Schiedsgerichts tätig werden, und auch Staaten nur durch Organe, d. h. aber letztlich durch Menschen als Organwalter handeln können, insoweit also zwischen beiden (dem internationalen Gericht oder Schiedsgericht und dem Staat) kein Unterschied besteht- auch innerstaatlich unterwirft sich (zumindest) ein Rechtsstaat dem Urteil der eigenen (insbesondere Höchst-)Gerichte, sogar in politisch so heiklen Dingen wie dem Anlegen des Verfassungsmaßstabes an einfache Gesetze oder bei der Einforderung subjektiv öffentlicher Rechte durch ein sich verletzt erachtendes Individuum. Vgl. dazu Robert Walterl Heinz Mayer, Grundriss des Österreichischen Bundesverfassungsrecht, 8. Aufl., Wien 1996, 354 ff., 391 ff., 476 ff.; Theo Öhlinger, Verfassungsrecht, 4. Aufl., Wien 1999, 262 ff., 280 ff., 412 ff. 93 In einem solchen Fall muss dann entweder ohne Aussicht auf Erfolg weiterverhandelt oder die Verhandlung (und eine allfällige Einschaltung eines Dritten) wegen Aussichtslosigkeit ganz abgebrochen werden.- Dass es auf der internationalen Ebene Falle gibt, wo Staaten offenbar wider besseres Wissen an Rechtsstandpunkten festhalten, macht eine Lektüre so manchen Rechtsgutachten des (früheren) Ständigen Internationalen Gerichtshofes und des {jetzigen) Internationalen Gerichtshofes deutlich. Vgl. etwa Auslegung der Friedensverträge mit Bulgarien, Rumänien und Ungarn, ICJ Reports 1950, 221 ff.; oder Zulassungsbedingungen zur Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, ICJ Reports 1947 I 48, 57 ff. 94 Solange sein Standpunkt eine gewisse Plausibilität hat, ist dies einem Staat nicht vorzuwerfen. - Man könnte hier geradezu von einer Übertragung des moralischen Ansatzes des sog. Probabilismus aus dem Bereich der Individualmoral in jenen der Volkermoral sprechen. Vgl. Klaus Demmer, Moralsysteme, in: Walter Kasper {Hrsg.), LTK, Bd. 7, Freiburg i. Br.-Wien et al. 1998, 461 f. 95 Unter internationaler Schiedsgerichtsbarkeit versteht man die Entscheidung von Staatsstreitigkeiten durch ein vor oder nach der Entstehung von Meinungsverschiedenheiten seitens der Parteien gebildetes Schiedsgericht aufgrund der durch sie

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barkeit 96 garantiert. 97 Aus diesem Grund finden sich auch in den genannten Entwürfen für eine internationale Friedensordnung stets irgendwelche Vorkehrungen für eine Art schiedsgerichtlicher Beilegung von Streitigkeiten. 98 bezeichneten oder zugelassenen Nonnen; vgl. Hans-Jürgen Schlochauer, Schiedsgerichtsbarkeit, Internationale, in: Karl Strupp/Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), WBVR, Bd. 3, Wien 1962, 177 ff. 96 Unter internationaler Gerichtsbarkeit versteht man die Entscheidung von Staatsstreitigkeiten durch ein vor oder nach der Entstehung von Meinungsverschiedenheiten seitens der Parteien gebildetes Schiedsgericht aufgrund der durch sie bezeichneten oder zugelassenen Nonnen; vgl. Schlochauer, ibid., Bd. 2., Wien 1961, 56 ff. 97 Es verdient festgehalten zu werden, dass ungeachtet des in der Völkerrechtswissenschaft herausgearbeiteten Unterschieds zwischen internationaler Schiedsgerichtsbarkeit und internationaler Gerichtsbarkeit (vgl. oben, Anm. 96 und 98) die VB-Satzung keine derartige Differenzierung vornimmt. Sie spricht vielmehr grundsätzlich nur von Schiedsgerichtsbarkeit, schiedsrichterlicher Lösung und Schiedsgericht, will darunter aber offenbar auch die Gerichtsbarkeit mitinbegriffen sehen. Andernfalls hätte der in Art. 14 programmatisch vorgesehene Gerichtshof gar keine Funktion im Rahmen der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten auf der Grundlage der VB-Satzung gehabt; tatsächlich muss die Verpflichtung nach Art. 13 Abs. 1 VBSatzung, wonach von den Parteien eine Streitfrage, "die nach ihrer Ansicht einer schiedsgerichtlichen Lösung zugänglich ist [ ... ,] in ihrer Gesamtheit der Schiedsgerichtsbarkeit unterbreitet werden" sollte, so gelesen werden, dass sie auch die gerichtliche Lösung und damit die Unterbreitung unter ein Gericht mitumfasste. Dies war zur Zeit des Völkerbundes auch die herrschende Auffassung. Vgl. dazu allgemein Olof Hoijer, La solution pacüique des litiges internatio nauxavant et depuis la Societe des Nations, Paris 1925. Vgl. auch oben, Anm. 59. sa Dubois überantwortete die Kompetenz zu schiedsgerichtlichen Beilegung einer ständigen Staatenversammlung. Vgl. Alfred Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., Wien 1964, 25 f. Bei Dante Alighieri kam die Funktion des Schiedsrichters dem Kaiser zu; diesem sollten insoweit alle (christlichen) Fürsten unterworfen sein. Vgl. ibid. Das Projekt Podjebradl Marini kannte ein eigenes Bundesgericht. Vgl. ibid., 26. Suarez erkannte dem Papst das Schiedsrichteramt zu, gestand aber ein, dass es im Zeitalter der Glaubensspaltung schwierig sei, diesen Anspruch durchzusetzen. Emeric Cruce ist insoweit eine gewisse Ausnahme, dass er einerseits neben den christlichen Staaten auch das Osmanische Reich zu seiner (eben universellen) Friedensorganisation zulassen wollte - ein Gedanke, der erst mehr als 225 Jahre später, durch den Pariser Feieden von 1856, realisiert wurde, demzufolge schließlich das Osmanische Reich zu den Vorteilen des "droit public Europeen" zugelassen wurde-, dieser Staatenversammlung aber andererseits hauptsächlich streitschlichtende, nicht streitentscheidende Funktion zuerkennen wollte. Vgl. ibid., 26. Ähnliches gilt auch für den Generalrat der von Sully entworfenen Europäischen Föderation. Vgl. ibid., 26 f. Friedliche Streitbeilegung war auch die Hauptaufgabe des von Samuel Pufendorf ins Auge gefassten Ständigen Staatenkongresses. Vgl. ibid., 27, sowie Alfred Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Wien 1963, 134. Verbindliche Entscheidungen in zwischenstaatlichen Streitigkeiten sollte der von William Penn ins Auge gefasste Europäische Staatenbund treffen können. Im Europäischen Staatenbund des Abbe de Saint-Pierre war eine Kommission des Hauptorganes Senat (d. h. der Staatenversammlung) zur Durchführung eines Vermittlungsverfahrens, das Plenum zur schiedsgerichtlichen Entscheidung zuständig. Vgl. Alfred Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., Wien 1964, 27. Bei Jeremy Bentham schloss die Organisierung der Staatengemeinschaft auch obligatorische Gerichtsbarkeit in sich. Vgl. ibid., 27 f. In Kants Völkerbund kommt demselben auch die Entscheidung von Streitigkeiten zu. Vgl. ibid., 28 f.; Immanuel Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, Königsberg 1795, 7. Satz. - Auch in der sich mit internationalen Fragen befassenden katholischen Theologie und den Forderungen der Päpste kommt seit dem (Ausgang des) 19. Jh. die Forderung nach Organisierung der internationalen Gemeinschaft zum Zwecke der ~edlichen Streitbeilegung immer größeres Gewicht zu. Besonders deut-

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(2) Voraussetzung für Funktionieren Allein auf die Bereitstellung eines solchen Verfahrens durch die internationale Friedensorganisation kommt es freilich nicht an. 99 Vielmehr muss dasselbe in jene notwendigen rechtlichen Voraussetzungen eingebettet sein, die sein tatsächliches Zustandekommen ebenso garantieren wie die Ausführung der einmal ergangenen Entscheidung. (a) Obligatorium Dies bedeutet zum einen, dass die Einleitung des Verfahrens nicht davon abhängen darf, ob sich beide Parteien freiwillig demselben unterwerfen. Vielmehr muss es die Möglichkeit geben, in einem Streitfall100 die Entscheilieh ist dies in den Äußerungen Benedikts XV. während des Ersten und Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs. Vgl. Heribert Franz Köck, Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls. Dargestellt an seinen Beziehungen zu Staaten und internationalen Organisationen, Berlin 1975, 620 ff. und 686 ff. Vgl. auch die Enzyklika "Pacem in terris" von Papst Johannes XXIII. und die Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils, 2. Teil, 5. Kap., 2. Abschnitt: Der Aufbau der internationalen Gemeinschaft, Art. 83 ff. Vgl. dazu Köck, ibid., 709 ff. 99 Schon auf der (I.) Raager Friedenskonferenz von 1899 hat man den Parteien des Abkommens über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten ein Instrument in der Fbrm des Ständigen Raager Schiedshofes angeboten, wobei sie freilich von diesem Angebot im Falle eines Streites nur einvernehmlich Gebrauch machen konnten (und können). Vgl. Hans-Jii.rgen Schlochauer, Permanent Court of Arbitration, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. m, Amsterdam-Lausanne-New York-Oxford-Shannon-Singapur-'Ibkio 1997, 981 ff. Dieser Schiedshof hat zwar bisher bereits in mehr als 20 Fällen entschieden, wurde aber bereits 1919, bei der Schaffung des Völkerbundes, als nicht ausreichend angesehen, weshalb die VB-Satzung in Art. 14 Satz 1 bestimmte: "Der Rat wird mit dem Entwurf eines Planes zur Errichtung eines ständigen internationalen Gerichtshofes betraut." Dieser (dann mit großen Anfangsbuchstaben geschriebene) Ständige Internationale Gerichtshof litt aber unter dem gleichen Mangel wie der Ständige Schiedshof; denn nach Satz 2 sollte dieser Gerichtshof "über alle ihm von den Parteien unterbreiteten internationalen Streitfragen" entscheiden. (Hvhbg. vom Verf.) Die Verwendung des Plural "Parteien" macht klar, dass der Ständige Internationale Gerichtshof nicht von einer Partei allein (und damit einseitig) angerufen werden konnte. Dieser Mangel fand seine korrespondierende Bestimmung in Art. 36 Zif. 1 Satz 1 des Gerichtshofstatuts, nach welchem sich "[d]ie Zuständigkeit des Gerichtshofs [ ... ] auf alle Angelegenheiten [erstreckt], welche die Parteien ihm vorlegen [ ... ]",und hat sich mit dem Statut auf seinen Nachfolger, den Internationalen Gerichtshof (gegr. 1945) vererbt. (Hvhbg. vom Verf.) 1oo In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es für die Durchführung eines Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahrens weder prozedurale noch materiale absolute Beschränkungen geben darf. Dies bedeutet, dass keine Angelegenheit als der bindenden Beurteilung durch einen unparteüschen Dritten nicht zugänglich angesehen werden kann. Die im 19. Jh. aufkommende Unterscheidung zwischen Rechts- und Interessensstreitigkeiten, von denen nur die ersteren, nicht aber die letzteren einer Schiedsgerichtsbarkeit oder Gerichtsbarkeit zugänglich sein sollen, ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt eines funktionierenden Systems friedlicher Streitbeilegung verderblich, sondern auch unbegründet. Ihr liegt entweder ein verengter Rechtsbegriff zugrunde, der nicht alle Ansprüche zwischen Staaten einer rechtlichen Beurteilung unterwerfen zu können glaubt, oder die Auffassung, dass der

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dungsinstanzauch einseitig anzurufen101 und auf diese Weise ein Verfahren einzuleiten, in das sich die andere Seite einlassen muss. 102 Dabei ist entscheidend, dass keine der beiden Parteien in der Lage ist, die Verfahrenseinleitung unbeschränkt zu verschleppen. 103 Staat berechtigt sei, seine Interessen auch dann zu verfolgen, wenn sie im Recht keine Deckung finden. Dies läuft zuletzt auf das Recht des Stärkeren hinaus, wie es von Hegel geradezu zum System erhoben wurde; ein solches System ist aber mit einer internationalen Friedensordnung, in der das Recht der Macht durch die Macht des Rechts ersetzt ist, unvereinbar. 101 Diese Möglichkeit zeichnet das innerstaatliche Rechtssystem aus und hebt es damit vom internationalen ab. Man darf aber nicht übersehen, dass sich ein persönlich, sachlich und zeitlich "flächendeckender" gerichtlicher Rechtsschutz auch im Staat erst zu Beginn der Neuzeit herausgebildet und damit die Fehde, das belZum privatum, endgültig entbehrlich gemacht hat. Die sog. Ewige Landfriede im Heiligen Römischen Reich stammt erst aus dem Jahr 1495 und ging Hand in Hand mit der Einrichtung des Reichskammergerichtes. Vgl. dazu A. Laufs, Reichskammergericht, in: Adalbert Erler/Ekkehard Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1990, 655 ff., H. Angermeier, Ewiger Landfriede, in: Adalbert Erler/Ekkehard Kauf mann (Hrsg.), Wörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, 1030 ff. Wahrend es auf universeller Ebene bisher noch keine obligatorische Gerichtsbarkeit gibt, existiert sie im regionalen Bereich in Europa im Rahmen der EMRK und der drei Europäischen Gemeinschaften. Nach Art. 33 EMRK i.d.F. 11. ZP EMRK, ETS No.5 i.V.m. ETS 155 kann jede Partei der EMRK gegen jede andere wegen behaupteter Verletzung eines in derselben oder in einem ihrer Zusatzprotokolle bei Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gewährleisteten Rechts eine Staatenbeschwerde, jedes Individuum, das sich in einem solchen Recht verletzt erachtet, gemäß Art. 34 EMRK i.d.F. 11. ZP EMRK, ETS No. 5 i.V.m. ETS 155 eine Individualbeschwerde einlegen. Nach Art. 227 EGV par. kann jedes Mitglied der Gemeinschaften gegen ein anderes wegen behaupteter Verletzung des Gemeinschaftsrechts eine Aufsichts- (Vertragsverletzungs-)Klage beim EuGH (Europäischen Gerichtshof) einbringen, jeder Marktbürger kann einen Mitgliedstaat, durch den er infolge Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht in einem gemeinschaftsrechtlich begründeten Recht verletzt wurde und einen Schaden erlitten hat, auf Schadenersatz klagen. Dazu und zu den näheren Voraussetzungen für eine erfolgreiche Geltendmachung eines solchen Schadens vgl. Peter Fischer I Heribert Franz Köck, Europarecht, 3. Aufl., Wien 1997, 439 ff. 102 Diese Einlassungspflicht ist die andere Seite der einen Münze "obligatorische Gerichtsbarkeit" und damit auch das Pendant zum Recht, ein Gericht einseitig anzurufen; sie ist also (mit) ein Kriterium für die moderne Staatlichkeit. Es zeugt vom hohen Integrationsgrad in Europa, dass diese Einlassungspflicht für alle Mitgliedstaaten der EMRK im Falle einer gegen sie gerichteten Staaten- oder Individualbeschwerde und für die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaften bei gegen sie eingebrachte Vertragsverletzungsverfahren ebenso gilt wie die Rechtmäßigkeit des Handeins oder Nichthandeins der Gemeinschaftsorgane aufgrund einer entsprechenden Klage der Kontrolle durch den EuGH unterliegt. Vgl. dazu einerseits Peter Fischer/ Heribert Franz Köck, Europarecht, 3. Aufl., Wien 1997, 422 ff.; andererseits Christoph Thun-Hohensteinl Franz Cede, Europa recht, 3. Aufl., Wien 1999,212 ff. 103 Ein wichtiger Grundsatz ist in diesem Zusammenhang auch jener, nach welchem jedes Gericht oder Schiedsgericht selbst über seine Zuständigkeit und damit über das ausreichende Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen entscheidet. Dies ist nur ein Teilaspekt des noch allgemeineren Grundsatzes, wonach jedes internationale Organ - soweit nicht positivrechtlich etwas anderes vorgesehen ist - über seine eigenen Kompetenzen entscheidet. Vgl. dazu das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes im Fall Gewisse Ausgaben der Vereinten Nationen, ICJ Reports 1962, 150 ff., 160. Dieser Grundsatz soll der Funktionsfähigkeit einer internationalen Organisation oder Institution, auch der eines Gerichtes, dienen. Ohne ihn könnte sich

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Eng verknüpft mit der gerade besprochenen Bedingung für ein funktionierendes System friedlicher Streitbeilegung ist das Bestehen einer ständigen Gerichts- oder Schiedsgerichtsinstanz. Obligatorische (Schieds-) Gerichtsbarkeit setzt voraus, dass es eine entsprechende Einrichtung gibt, an die eine Klage oder ein sonstiger Akt zur Einleitung des Verfahrens 104 gerichtet werden kann. jeder Staat beliebig über Beschlüsse internationaler Organe, Entscheidungen internationaler Gerichte und Schiedsgerichte unter dem Vorwand hinwegsetzen, das betreffende Organ, das betreffende Gericht oder Schiedsgericht sei in Wahrheit gar nicht kompetent gewesen. Ist die von einer internationalen Gerichts- oder Schiedsgericht vorgenommene Autodetermination seiner Zuständigkeit tatsächlich das letzte Wort in dieser Frage? Der Internationale Gerichtshof hat im gerade genannten Fall Gewisse Ausgaben der Vereinten Nationen die Grenze dort gezogen, wo ein exces de pouvoir vorliege. Vgl. ICJ Reports, 1962, 150 ff., 160. Einen solchen nimmt er bei den von einem internationalen Organ in Anspruch genommenen Kompetenzen dort an, wo dieselben durch Ziel und Zweck (object and purpose) der Organisation, wie sie sich aus dem Gründungsvertrag er geben, nicht mehr gedeckt erscheinen. Diese Grenze ist wohl auch bei internationalen Gerichten und Schiedsgerichten zu ziehen, wobei Ziel und Zweck eines solchen aber nicht zu allgemein mit Rechts- oder Schiedssprechung bzw. {noch weiter) mit friedlicher Beilegung von Streitigkeiten gleichgesetzt werden dürfen, weil die Zuständigkeit dann immer angenommen werden müsste. Will man andererseits nicht die {im konkreten Fall ja gerade in ihrer Auslegung umstrittenen) Kompetenzregelungen im relevanten Vertrag allein zur Grundlage für die Kompetenzbestimmung eines Gerichts oder Schiedsgerichts nehmen, dem Gericht oder Schiedsgericht vielmehr jenes Ermessen zubilligen, das der genannte Grundsatz der Autodetermination offenbar auch für eine funktionierende Gerichts- oder Schiedsgerichtsbarkeit als notwendig erachtet, so wird man die Grenze wohl als von der Materie bestimmt ansehen müssen, für deren Regelung der betreffende Vertrag, der auch die Regelungen über ein Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahren enthält, abgeschlossen wurde. Ermessen für das seine Zuständigkeit selbst beurteilende Gericht oder Schiedsgericht muss hier in Analogie zur Feststellung der Kompetenzen eines sonstigen {nichtrichterlichen) internationalen Organs freilich ebenso gelten wie das Exzessverbot Das letzte Urteil liegt damit immer bei den an der Organisation bzw. am Verfahren vor dem Gericht oder Schiedsgericht beteiligten Staaten, die ihrerseits nach dem Grundsatz der Selbstbeurteilung vorgehen. Zu diesem vgl. Leo Gross, States as Organs of International Law and the Problem of Autointerpretation, Law and Politics in the World Community. FS für Hans Kelsen, Berkeley 1953, 59 ff.; Trevor C. Salmon, Quelques Observations sur la qualification en droit international public, in: Institut d'etudes juridiques europeennes {Hrsg.), Melanges Fernand Dehousse, Paris-Brüssel1979, Bd. I, 97 ff.; Alfred Verdross/ Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 1984, Rz. 41 und passim. 104 Wie immer er im einzelnen konzipiert und welche Bezeichnung er tragen mag. Nach Art. 33 EMRK i.d.F. 11. ZP EMRK kann jede Vertragspartei jede andere wegen jeder behaupteten Verletzung der Konvention und der Protokolle dazu vor dem Gerichtshof belangen.; man spricht hier von einer Staatenbeschwerde. Überdies kann nach Art. 34 EMRK i.d.F. 11. ZP EMRK jede natürliche oder juristische Person des Privatrechts den Gerichtshof mit einer Beschwerde befassen wenn sie behauptet, durch eine Vertragspartei in einem der in dieser Konvention oder den Protokollen dazu anerkannten Rechte verletzt zu sein. Hier spricht man von einer Individualbeschwerde. Nach Art. 227 Abs. 1 EGV kann "[j]eder Mitgliedstaat [ ... ] den Gerichtshof anrufen, wenn er der Auffassung ist, dass ein anderer Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstoßen hat." Nach Art. 226 Abs. 2 hat auch die Kommission ein Klagerecht, wenn sie nach Abs. 1 zur Auffassung gelangt, "ein Mitgliedstaat [habe] gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstoßen." Neben dieser Vertragsverletzungsklage gibt es zur Wahrung der Rechtmäßigkeit des Handeins von Gemeinschaftsorganen nach Art. 230 EGV die Nichtigkeitsklage, gegen

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(b) Zwangsdurchsetzung Zum anderen muss dafür gesorgt sein, dass eine einmal ergangene Entscheidung auch erfüllt wird. 105 Zwar wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die Beteiligung an einem Verfahren zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten als logische Konsequenz auch die Bereitschaft in sich schließt, das Ergebnis desselben zu akzeptieren106 und sich dementsprechend zu verhalten, 107 doch darf auch dies nicht allein vom guten Willen einer Streitpartei abhängen. 108 Dies gilt schon dann, wenn in einem System, in dem es an Unterlassung rechtlich gebotenen Handeins nach Art. 232 auch die Untätigkeitsklage. Klagsberechtigt sind jeder Mitgliedstaat, Rat und Kommission (Art. 230 Abs. 2 und 232 Abs. 1) sowie, in beschränktem Umfang, auch Parlament, Rechnungshof und EZB (Europäische Zentralbank) (Art. 230 Abs. 3 und Art. 232 Abs. 1); soweit er unmittelbar und individuell betroffen ist, auch ein Marktbürger (Art. 230 Abs. 4 und Art. 232 Abs. 3). 105 Es geht nicht nur darum, dass es unökonomisch wäre, bliebe das durchgeführte gerichtliche oder schiedsgerichtliche Verfahren ohne entsprechenden Niederschlag in den staatlichen Verhältnissen; der Streit kann erst mit der Umsetzung des Urteils oder Schiedsspruches als beigelegt angesehen werden. Und das ist das eigentliche gesellschaftlich erwünschte Ziel; auf den zweiten Teil des schon einmal (oben, Annl. 89) zitierten Satzes interest res publica ut sit finis litium ausdrücklich verwiesen: der Streit soll auch wirklich ein Ende haben; und dies setzt voraus, den für Recht erkannten Anspruch auch zu befriedigen. 106 Art. 13 Abs. 4 VB-Satzung enthielt einerseits die Verpflichtung für alle Mitglieder, einen Schiedsspruch oder ein Urteil nach Treu und Glauben zu erfüllen, gab diesem fundamentalen Grundsatz jeder Rechtsprechung also positiv-rechtlichen Ausdruck; andererseits war aber mit der Fbrmulierung "und gegen kein Bundesmitglied, das sich dem Schiedsspruch fügt, zum Kriege zu schreiten. Im Falle der Nichtausführung des Spruches schlägt der Rat die Schritte vor, die ihm Wirkung verschaffen sollen" auch für den Fall Vorsorge getroffen, wo der Grundsatz verletzt werden sollte. Was das Verfahren vor dem Rat anlangt, so "verpflich[te]ten sich die Bundesmitglieder" in Art. 15 Abs. 6, bei Einstimmigkeit der Ratsmitglieder (ausgenommen nur die Parteien), "gegen keine Partei, die sich dem Vorschlage fügt, zum Kriege zu schreiten." Tat sie dies nicht, so enthielt Art. 15 keinen Hinweis darauf, dass die Durchsetzung in irgendeiner Weise vom Rat zu organisieren sei; dies schloss aber nicht aus, dass der Rat entsprechende Empfehlungen abgab; dafür bot schon Art. 4 Abs. 4 ("Der Rat befindet über jede Frage, die in den Tätigkeitsbereich des Bundes fällt oder die den Weltfrieden berührt") eine ausreichende Grundlage. Raffte sich der Rat nicht zu einer Empfehlung auf, dann blieb es offenbar bei der Selbstdurchsetzung seitens der anderen Seite, mit oder ohne Hilfe der übrigen Staaten. Zu (Selbstbeurteilung und) Selbstdurchsetzung vgl. grundsätzlich Alfred Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., Wien 1964,96, der darauf hinweist, dass dieses System schon im "Tractatus represaliarum" des Kommentators Bartolus de Saxoferrato grundgelegt und durch die Aufgabe des mittelalterlichen Universalismus zugunsten einer Mehrheit unabhängiger Staaten bedingt war. 107 Letztlich kommt es auf dieses Verhalten an. Dementsprechend heißt es in Art. 94 Zif. 1 UN-Charta: "Jedes Mitglied der Vereinten Nationen verpflichtet sich, in jedem Streitfall, in dem es Partei ist, sich der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes zu fügen." Vgl. dazu Hermann Mosler, Kommentar zu Art. 94, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, München 1991, 953 ff., bes. 954 f. Auf die Möglichkeit einer Exekution des IG-Urteils durch den Sicherheitsrat nach Art. 94 Zif. 2 UN-Charta wurde schon oben, bei Annl. 67, hingewiesen. Vgl. überdies auch Mosler, ibid., 955 ff. lOB Zwar wird immer wieder betont, dass die internationale Gemeinschaft kein Herrschaftsverband sei (vgl. Alfred Verdross I Bruno Simma, Universelles Völker-

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sich keine obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit oder Gerichtsbarkeit gibt, im konkreten Fall strittig ist, ob sich beide Parteien der Gerichtsbarkeit der betreffenden Drittinstanz auch tatsächlich unterworfen haben. In einem solchen Fall kommt, wie allgemein anerkannt ist, die Entscheidung darüber der Drittinstanz selbst zu, 109 ist also den Streitparteien entzogen; 110 in diesem Sinne könnte man von einem (freilich auf die Frage der Zuständigkeit beschränkten) "obligatorischen Element" sprechen, das jedem internationalen System innewohntY 1 (Würde man der Drittinstanz die Entscheidung über ihre eigene Zuständigkeit nicht zubilligen, so entzöge man in einem auf die freiwillige Unterwerfung der Staaten abstellenden System jeder drittinstanzliehen Streitentscheidung den Boden gerade dort, wo allein durch eine Vorwegvereinbarung einer solchen Entscheidung in möglichen Streitfällen zwischen den Beteiligten mangels obligatorischer Schiedsgerichtsbarkeit oder Gerichtsbarkeit wenigstens ein Ansatz zu einer quasi-rechtsstaatliehen Lösung internationaler Streitigkeiten gegeben ist. 112} recht, 3. Aufl., Berlin 1984, Rz. 41 und passim), doch bezieht sich dies nur auf deren sog. nicht-organisierten Zustand, der durch Organisierung überwunden werden kann. Dass dies wünschenswert und damit "kein Herrschaftsverband" keine positiv zu bewertende Qualität ist, lässt sich leicht in Analogie zum Verhältnis vorstaatlicher und staatlicher Zustand des Menschen zeigen. Auch der Mensch untersteht im vor~ staatlichen Zustand- der freilich nur ein Gedankenexperiment ist und dem auch historisch kein gesellschaftlicher Zustand entsprochen hat (vgl. dazu Horst Jürgen Helle, Gesellschaft, in: Alfred Klose/Wolfgang Mantl/Valentin Zsifkovits (Hrsg.), KathSL, 2. Aufl., Innsbruck-Wien-München-Graz-Köln 1980, 923 ff.)- keinem Herrschaftsverband; aber wegen der von einem solchen wahrzunehmenden Friedens- und Schutzfunktion wird ein solcher, eben in Fbrm des Staates, von den Staatstheoretikern gerade der sog. (Gesellschafts-)Vertragstheorien als dem vorstaatlichen "Naturzustand" vorzuziehen angesehen. Vgl. dazu Thomas Hobbes, in: Hermann Klenner (Hrsg.), Leviathan or the matter, form, and power of a Commonwealth ecclesiastical and civil, Harnburg 1996. Dementsprechend ist auch der nicht-organisierte Zustand der internationalen Gemeinschaft ein sehr unvollkommener und von daher die Qualität des mangelnden Herrschaftsverbandscharakters eine negative und keine - wie vielleicht kurzschlüssig aus der Vorstellung damit verbundener größerer Freiheit gefolgert werden könnte - positive. Diese Auffassung hat vor allem in der kirchlichen Naturrechtslehre des 20. Jh. ihren deutlichen Niederschlag gefunden. Vgl. dazu Otfried Höfte/ Klaus Demmerl Alexander Hollerbach, Naturrecht, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), StL, Bd. 3, 7. Aufl., Freiburg-Basel-Wien 1987, 1296 ff.; Johannes Messner, Naturrecht, in: Alfred Klose/Wolfgang Mantl!Valentin Zsifkovits (Hrsg.), KathSL, 2. Aufl., Innsbruck-Wien-München-Graz-Köln 1980, 1890 ff. 109 Art. 36 Zif. 6 IG-Statut ("Ist die Zuständigkeit des Gerichtshofes bestritten, so entscheidet der Gerichtshof über diese Frage") stellt sich demgemäß nur als Anwendungsfall dieses Grundsatzes dar. 110 Der Umstand, dass es gegen die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs wie überhaupt, so auch in der Zuständigkeitsfrage kein Rechtsmittel an eine andere internationale Instanz gibt, schließt nicht aus, dass die Parteien hinsichtlich dieser Entscheidung die Missbrauchsprüfung unter dem Aspekt eines eventuellen exces de pouvoir vornehmen. Vgl. dazu oben, Anm. 103. Da die Zulässigkeit von Missbrauch grundsätzlich auszuschließen ist, kann Art. 36 Ziff. 6 auch nicht als Verzicht auf eine solche Missbrauchskontrolle angesehen werden. 111 Vgl. dazu oben, Anm. 103.

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Die Notwendigkeit, einen Schiedsspruch oder ein Urteil auch gegen den Willen der unterlegenen Partei durchsetzen zu können muss natürlich umso mehr in einem System mit obligatorischer Zuständigkeit einer Drittinstanz gelten, weil dort schon das Verfahren vor dieser Instanz ohne Zutun der anderen Seite eingeleitet und damit auch dann durchgeführt und zu einer Entscheidung gebracht werden kann, wenn diese Seite von vornherein mit einem Unterliegen rechnen sollte und daher gar nicht bereit wäre, sich (wenn es darauf noch ankäme) der Drittinstanz aus freien Stücken zu unterwerfen. cc) Zusammenklang von kollektiver Sicherheit und friedlicher Streitbeilegung

Für die Durchsetzung der im friedlichen Streitbeilegungsverfahren ergangenen Entscheidung gilt das Gleiche wie für die Erzwingung des Friedens: wer sich weigert, die Entscheidung zu erfüllen, muss mit entsprechenden Zwangsmaßnahmen rechnen, 113 an denen sich grundsätzlich alle Staa112 Es ist bedauerlich, dass man sich weder im Volkerbund noch in der Vereinten Nationen zu einem eindeutigen Bekenntnis zum Obligatorium durchringen konnte. Beim Volkerbund stand dem in Art. 12 VB-Satzung enthaltenen Bekenntnis zur Schiedsgerichtsbarkeit bzw. Gerichtsbarkeit oder zum Verfahren vor dem Rat die Zuständigkeitsregelung in Art. 36 StiG-Statut ebenso entgegen wie dem Bekenntnis zur friedlichen Streitbeilegung in Art. 2 Zü. 3 UN-Charta die (im wesentlichen unverändert gebliebene) Zuständigkeitsregelung in Art. 36 IG-Statut. m Die von Alfred Verdross I Bruno Simma, Universelles Volkerrecht, 3. Aufl., Berlin 1984, Rz. 227 ff. beklagte Lücke im internationalen Rechtsschutzsystem, die daraus resultiert, dass es einerseits keine obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit oder Gerichtsbarkeit gibt und andererseits aufgrunddes allgemeinen Gewaltverbots in Art. 2 Zü. 4 UN-Charta einem Staat auch die Durchsetzung eines Anspruchs mit militärischen Mitteln (Selbstdurchsetzung) verwehrt ist, falls alle friedlichen Versuche, den Streit über den Anspruch beizulegen, gescheitert sind und daher jede Seite auf die Selbstbeurteilung zurückverwiesen ist. Zur Selbstbeurteilung und Selbstdurchsetzung als Charakteristika der nicht-organisierten Staatengemeinschaft vgl. oben, Anm. 106. Nicht verboten ist unter dem Gewaltverbot der UN-Charta die (nichtmilitärische) Repressalie als Beantwortung eines rechtswidrigen Aktes mit einem ebensolchen, der durch den Zweck, nämlich den Rechtsbrecher zur Rückkehr auf den Weg der Rechtsmäßigkeit zu veranlassen, gerechtfertigt ist. Zur Repressalien vgl. Karl Josef Partsch, Repressalie, in: Karl StruppiHans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), WBVR, Bd. 3, Berlin 1962, 103 f.; ders., Reprisals, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, lnst. 9, Amsterdam-New York-Oxford-Tokio 1986, 330 ff.- Von der Repressalie unterscheidet sich die Retorsion als unfreundlicher, aber nicht rechtswidriger Akt. Vgl. dazu Karl Josef Partsch, Retorsion, in: Strupp I Schlochauer, ibid., 110; ders., Retorsion, in: Bernhardt, ibid., 935. Ob (bloß) unfreundliche Akte im Vollcerrecht grundsätzlich, also z. B. zur Durchsetzung von (politischen) Interessen, denen kein Rechtsanspruch korrespondiert, oder nur zur Beantwortung von (zumindest auch) unfreundlichen Akten (und argumento a minori ad maius auch von rechtswidrigen Akten), erlaubt (und damit rechtmäßig) sind, ist umstritten. Ersteres muss aber jedenfalls dort als rechtswidrig angesehen werden wo die betreffenden Staaten zu freundlichem Umgang miteinander kraft besonderer völkerrechtlicher Regelung verpflichtet sind. Dies ist z. B. im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgrund der Präambel zum EUV, Art. 1, 2 EUV, sowie Art. 10 EUV für die GASP bzw. Art. 10 EGV der Fall. Aus diesem Grund sind die von den übrigen 14 EU-Staaten am

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ten beteiligen, damit keiner, auch nicht der stärkste Staat, damit rechnen kann, sich seinen Verpflichtungen aus einer solchen Entscheidung entziehen zu können. 114 dd) Mängel der UN-Charta

Gemessen an den seit langem für notwendig erkannten Voraussetzungen für eine funktionierende friedlichen Streitbeilegung erscheinen die entsprechenden Einrichtungen und Verfahren, wie sie zu Zeit des Völkerbundes bestanden und heute im System der UNO gegeben sind, als unzureichend. Lediglich der Erfordernis der Permanenz einer Gerichts- oder Schiedsgerichtsinstanz115 ist seit der Gründung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs 1920 116 und seiner Fortsetzung im Internationalen Gerichtshof seit 1945 117 erfüllt. Für das in Zusammenhang mit seiner Zuständigkeit er31. Jänner 2000 gegen Österreich verhängten "bilateralen" Sanktionen zumindest insoweit vertragswidrig, als sie geeignet sind, Rechte Österreichs unter dem EUV oder EGV einschließlich des Rechts auf Begegnung in einer Fbrm, wie sie unter EU-Partnern üblich ist, in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen. Vgl. dazu Heinrich Schneider, Österreich wird geprügelt, aber von wem?, in: Die Furche Nr. 6 vom 10.Februar 2000; und Heribert Franz Köck, Österreich - Partner oder Prügelknabe?, in: Die Presse vom 8.Februar 2000. 114 Dass dieses Problem in der VB-Satzung nur unbefriedigend gelöst war und auch heute in der UN-Charta noch nicht völlig zufriedenstellend gelöst erscheint, wurde schon weiter oben bemerkt. Vgl. bei Anm. 67. 115 Was den auf der Ersten Haager Friedenskonferenz 1899 geschaffenen Ständigen Haager Schiedshof (dazu vgl. oben, Anm. 43 ff. und 99) anlangt, so kann man denselben trotz seines Namens insoweit nicht als ständiges (Schieds-)Gericht betrachten, weil bei ihm nur die Kanzlei (das Sekretariat) und die (Schieds-)Richterliste ständig sind, nicht hingegen die (Schieds-)Richterbank. Vielmehr müssen die Parteien dieselbe erst im konkreten Schiedsfall einvernehmlich bestimmen. Dies stellt einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor dar, wie ein Beispiel aus einem anderen Bereich zeigt. Der Internationale Gerichtshof war gezwungen, in seinem Rechtsgutachten betreffend die Auslegung der Friedensverträge mit Bulgarien, Rumänien und Ungarn, ICJ Reports 1950, 221 ff., resignierend festzustellen, er könne diese Friedensverträge nur auslegen, nicht aber umschreiben und daher nichts dagegen tun, dass sich alle drei Staaten - wenn auch vertragswidrig - weigerten, jeweils ihren Schiedsrichter für die in den Friedensverträgen vorgesehenen Schiedsverfahren zu benennen, und damit deren Durchführung zu vereitelten. Einer solchen rechtswidrigen Blockade kann freilich dadurch vorgebeugt werden, dass für einen solchen Fall die Ernennung (des oder) der Schiedsrichter(s) von einer anderen Seite vorgesehen wird. Eine analoge Regelung findet sich im Anhang zur WVK (Wiener Vertragsrechtskonvention) 1969 für das dort vorgesehene Vergleichsverfahren mit schiedsgerichtlichem Einschlag. Vgl. dazu Peter Fischer/ Heribert Franz Köck, Allgemeines Völkerrecht, 4. Aufl., Wien 1994, 49 ff., 57. 116 Vgl. zu diesem Jan H. W. Verzijl, The Jurisprudence of te World Court. A Case by Case Commentary. Bd. 1: Permanent Court of International Justice 1920-1946, Leiden 1965. Für einen Evaluierung der Tätigkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes und eine Nutzanwendung für einen präsumtiven Nachfolger vgl. Manley 0. Hudson, International Tribunals: Past and Future, New York 1944. 117 Vgl. zu diesem Edvard Hambro, The Case Law of the International Court. ARepertoire oft the Judgments, Advisory Opinions and Orders of the International Court

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forderliche Obligatorium trifft dies hingegen ebensowenig zu wie für eine gesicherte Exekution seiner Entscheidungen. 118 Auch hinsichtlich der zweiten tragenden Säule einer funktionierenden internationalen Friedensorganisation ist das derzeitige, im Rahmen der UNO bestehende System also defizient. VI. Organisationen zur "technischen" Zusammenarbeit 1. Verwaltungsunionen

Organisationen, durch die die Staaten auf Teilgebieten zusammenarbeiteten, die insgesamt das betreffen, was man die Wohlfahrt nennt und was früher in einem im Vergleich zu heute noch wesentlich größerem Maße nicht durch die Gesetzgebung, sondern durch die Verwaltung wahrgenommen wurde, 119 wurden schon mehr als ein halbes Jahrhundert vor der ersten Weltfriedensorganisation gegründet. Die technische Revolution, die auch den Verkehr120 revolutionierte, machte es notwendig, dass sich die Staaten of Justice, 14 Bde. (teilweise in Teilbänden), Leiden 1952; Jan H. W. Verzijl, The Jurisprudence of the World Court. A Case by Case Commentary, Bd. 2: The International Court of Justice 1947-1965, Leiden 1967; Hans Wehberg I Hans Waldemar Goldschmidt, Der Internationale Gerichtshof. Entstehungsgeschichte, Analyse, Dokumentation, Berlin 1973; Leo Gross (Hrsg.), The Future of the International Court of Justi-' ce, 2 Bde., Dobbs Ferry 1976; Edward McWhinney, The World Court and the Contemporary International Law-making Process, Alphen aan den Rijn 1979; Taslim 0. Elias, The ICJ and the UN, Den Haag 1984, Shabtai Rosenne, The Law and Practice of the International Court, 2 Bde., Neudruck Dordrecht 1985; Lori FisZer Damrosch (Hrsg.), The International Court of Justice at a Crossroads, Dobbs Ferry et al. 1987; Shabtai Rosenne, The World Court. What It Is. How It Works, 4. Aufl., Leiden 1989; Taslim 0. Elias, United Nations Charterand the World Court, Den Haag 1989; Edward McWhinney, Judicial Settlement of International Disputes. Jurisdiction, Justiciability and Judicial Law-making on the Contemporary International Court, Dordrecht 1991; Shabtai Rosenne (Hrsg.), Documents on the International Court of Justice, 3. Aufl., Dordrecht 1991; Mark W. Janis (Hrsg.), International Courts for the '1\ventyfirst Century, Dord recht-Boston, 1992; Fontes Juris Gentium, World Court Digest, Bd. 1, Berlin 1993. 118 Vgl. dazu oben, Anm. 105 ff. 119 Diese staatliche Tätigkeit fiel ursprünglich unter den Polizeibegriff; Polizei war also nicht nur alles, was Maßnahmen für Aufrechterhaltung und allfällige Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung betraf, sondern auch alles, was der Staat "im Rahmen der Gesetze" für die allgemeine Wohlfahrt unternahm. Durch die Beschränkung der Verwaltung in den Rechtsstaaten auf jenes Handeln, für das eine gesetzliche Grundlage besteht ("aufgrund der Gesetze") - vgl. Art. 18 Abs. 1 österreichisches BVG -, ist dieser weitere Polizeibegriff obsolet geworden. 12o Die Dampfmaschine revolutionierte sowohl die Warenerzeugung (Übergang von der Manufaktur zur industriellen Fertigung) als auch deren Distribution durch den Einsatz von Dampfschiffen und den Ausbau von Eisenbahnnetzen. So entstanden mehr als ein halbes Jahrhundert vor der Gründung der ersten universellen Friedensorganisation die ersten Organisationen zur "technischen" Zusammenarbeit.

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zur gemeinsamen Besorgung von Angelegenheiten zusammenschlossen, die bisher von jedem für sich im internen Bereich im Rahmen der Verwaltung wahrgenommen worden war. So entstanden die (damals so genannten) Verwaltungsunionen, beginnend mit dem Welttelegraphenverein von 1865 121 und dem Weltpostverein von 1874/78. 122

2. Verwaltungsunionen und Völkerbund Zur Zeit der Gründung des Völkerbundes gab es schon ein ansehnliches Geflecht von derartigen Organisationen, die in dem sich immer stärker herausbildenden milieu intersocial viele Bereiche des Wirtschafts-, Kulturund Gesundheitswesens 123 abdeckten. Dem Völkerbund war an sich die Aufgabe zugedacht, die Tätigkeit dieser Organisationen zu koordinieren; 12• doch gelang ihm dies nur sehr unvollkommen, da die "alteingesessenen" Verwaltungsorganisationen an einer Zusammenarbeit unter der Ägide des Völkerbunds nur wenig interessiert waren. 125

3. Die UN-Spezialorganisationen Erst mit der Gründung der Vereinten Nationen fand man eine Form der Anhindung der wichtigsten universellen technischen Organisationen an die Weltfriedensorganisation, die ersteren bei letzterer einen privilegierten Status gab und ihnen gleichzeitig ihre Selbstständigkeit erhielt. Jede internationale Organisation, die zumindest ihrer Tendenz nach universell ist und einen Zweck verfolgt, der auch zu den (neben dem Frieden als Hauptzweck stehenden) Nebenzwecken der UNO gehört, kann durch Abschluss eines Vertrags mit dem Wirtschafts- und Sozialrat den Status einer Spezialorganisation der Vereinten Nationen erhalten. 126 Dieser Status als Mitglied der "Familie der Vereinten Nationen" schafft wechselseitige Rechte, insbesondere auf Teilnahme an Organtagungen durch Beobachter sowie auf ausreichende Information. Die meisten Spezial121 Vgl. Heribert Franz Köck I Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997,411 ff. 122 Vgl. ibid., 414 ff. 123 Vgl. ibid., 131 ff. m Vgl. Art. 24 VB-Satzung; dazu Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 615. 125 Vgl. ibid., 131 ff. (140). 126 Vgl. ibid., 242 ff. (243). 25 Johannes Paul II.

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organisationenhaben darüber hinaus das in Art. 96 Z.2 UN-Charta vorgesehen Recht eingeräumt bekommen, den Internationalen Gerichtshof um ein Rechtsgutachten zu ersuchen. 127 Dieses Rechtsgutachten hat zwar an sich nur Empfehlungscharakter, ist also nicht verbindlich, doch kann die betreffende Spezialorganisation beispielsweise mit einem Staat vereinbaren, den zwischen ihnen bestehenden Rechtsstreit durch ein Rechtsgutachten klären zu lassen, welches als verbindlich anzusehen sich beide Seiten verpflichten. Auf diese Weise ist auch den Spezialorganisationen der Zugang zum Gerichtshof für ein quasi-streitiges Verfahren128 eröffnet, weil im (echten) streitigen Verfahren nur Staaten Partei vor dem IG sein können. 129 Derzeit gibt es 19 Spezialorganisationen der Vereinten Nationen, die verschiedene Aspekte des internationalen Gemeinwohls abdecken. Für den wichtigen Bereich der Wirtschaft sind, aufgeteilt wiederum nach verschiedenen Sparten, beispielsweise die WTO, 130 die ffiRD, 131 die MIGA 132 und die IMF 133 zu nennen, für die Kultur die UNESC0, 134 für die Gesundheit die WH0 135 und für den sozialen Bereich einerseits die bereits "klassische" ILO, 136 andererseits für die Entwicklung die UNID0. 137

4. Entwicklungsorganisationen und -agenturen

In diesem Bereich sind auch weitere Agenturen tätig, die zwar nicht den Status einer Spezialorganisation besitzen, aber trotz ihrer formellen Stellung als autonome (Unter-) Organe der Vereinen Nationen eine organisationsähnliche Struktur haben. Hierher gehört zum Beispiel die UNCTAD. 138 Vgl. ibid., 284 ff. Das gutachterliehe Verfahren vor dem IG erlaubt allen interessierten Seiten, ihren Standpunkt vorzutragen, sodass es sich materiell vom streitigen Verfahren nicht allzuweit entfernt. Vgl. Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 285. 129 Vgl. Art. 34 Abs. 1 IG-Statut. 130 Vgl. Heribert Franz Köck I Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997,462 ff. 131 Vgl. ibid., 441 ff. 132 Vgl. ibid., 453 f. 133 Vgl. ibid., 436 ff. 134 Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, Dazu vgl. Heribert Franz Köck I Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997,454 ff. 135 Vgl. ibid., 424 ff. 136 Vgl. ibid., 427 ff. 137 Vgl. ibid., 476 ff. 138 Vgl. ibid., 429, 471 ff., 476. 127 128

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Gerade die Organisationen und autonomen Agenturen im Entwicklungsbereich sind von besonderer Bedeutung, denn - wie es Papst Paul VI. einmal ausgedrückt hat- "Entwicklung ist heute nur ein anderes Wort für Frieden".l39 Leider muss man feststellen, dass die verdienstvolle Tätigkeit dieser Institutionen bis heute nicht den gewünschten Erfolg, nämlich die Schließung der Kluft zwischen Arm und Reich in der Welt, gezeitigt hat. Zwar hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen schon 1974 auf einer Sondersession eine Neue Internationale Wirtschaftsordnung samt einem dazugehörigen Aktionsprogramm verabschiedet und beiden Resolutionen auf der Ordentlichen Session im selben Jahr eine Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten hinzugefügt, 140 doch haben diese Ansätze grundsätzlich ebensowenig Erfolg gezeitigt wie die verschiedenen Bemühungen der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNID0) 141 um einen Anschluss oder wenigstens eine Annäherung der Staaten der Dritten Welt an den Entwicklungsstand der Industriestaaten.

5. Globalisierung Freilich hat sich gezeigt, dass die Entwicklung nicht überall in gleichem Maße voranschreitet oder zurückbleibt. Eine Reihe von Staaten in Asien haben so große wirtschaftliche Fortschritte gemacht, dass sie mit ihren Produkten zu ernstzunehmenden Konkurrenten der klassischen (westlichen) Industrieländer geworden sind, auch wenn die soziale Entwicklung dabei nicht Schritt gehalten hat. Ähnliches kann für einzelne Staaten in Lateinamerika gesagt werden. Hingegen erscheint die wirtschaftliche Situation im Bereich Schwarzafrikas vielfach geradezu verzweifelt. Es bleibt abzuwarten, ob die sog. Globalisierung der Weltwirtschaft, deren rechtlich-institutioneller Ausdruck die neue Welthandelsorganisation (WT0) 142 mit dem in Enzyklika papularum progressio, 59 AAS 1967, 257 ff. Peter Fischer I Heribert Franz Köck, Allgemeines Völkerrecht, 4. Aufl., Wien 1994, 31 f.; Otto Kimminich, History of the Law of Nations since World War ll, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Inst. 7, Amsterdam-New York-Oxford, 1984, 262 ff., 272 f. 141 Pau! C. Szaz, United Nations Industrial Development Organisation, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Inst. 5, Amsterdam-New York-Oxford, 1983, 329 ff., sowie oben, Anm.137. 142 Heribert Franz Köck I Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 462 ff., Ralf J. Langhammer, The WTO and the Millenium Round, Kiel1999. 139 140

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ihrem Rahmen bestehenden "neuen GATT" 143 ist, hier eine Änderung nach sich ziehen wird. Ohne entscheidende Hilfsmaßnahmen seitens der Industriestaaten wird eine Besserung nicht zu erzielen sein; hiezu zählt zweifellos ein möglichst weitreichender Schuldenerlass für zumindest die ärmsten Länder der Dritten Welt, wie ihn der Heilige Stuhl schon vor Jahren dringend gefordert hat. 144 Es wird Aufgabe der internationalen Finanzorganisationen145 sein, hier einfallsreichere Konzepte als bisher zu entwickeln; dies ist nicht nur eine moralische Forderung, sondern auch ein Gebot der Klugheit, um eine Radikalisierung jener Länder und ihrer Bevölkerungen hintanzuhalten. Vß. Der Schutz der Freiheit

1. Nationaler Schutz Ist die Freiheit ein wesentlicher Teil des Gemeinwohls - und dass dies heute zumindest von den "westlichen" Staaten anerkannt wird, zeigt deren (auch Selbst-) Qualifikation als freiheitlich-demokratische Rechtsstaaten-, so ist diese Freiheit auch entsprechend zu schützen, und zwar nicht nur durch darauf gerichtetes konkretes politisches Handeln, sondern auch durch einen entsprechend ausgebildeten Rechtsschutz, der seinerseits wiederum eine ausreichende rechtliche Verankerung entsprechender Freiheiten in der jeweiligen Rechtsordnung zur Voraussetzung hat.

2. Internationaler Schutz Freilich ist die Freiheit des einzelnen oft gerade von jener Seite bedroht, die das Individuum und seine Freiheitssphäre schützen soll, nämlich von jenem Staat, der einen unmittelbaren Zugriff auf den einzelnen hat (und der in der Regel sogar dessen eigener Staat ist, auch wenn das Problem selbst143 Heribert Franz Köck I Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 457 ff.; Günther Jaenicke, General Agreement on Tariffs and Trade, in: Rudolf Bernhardt {Hrsg.), EPIL, Inst. 5, Amsterdam-New York-Oxford, 1983, 20 ff. 144 Vgl. Kommission Weltkirche {Hrsg.), Internationale Schuldenkrise - eine ethische Herausforderung, Erklärungen der Kommissionen, Nr. 7, 1988. 145 Beispielsweise die Weltbank, der Internationale Wahrungsfonds, der IFC; vgl. Heribert Franz Köck I Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 441 ff., Stephen A. Silard, Financial Institutions, Intergovernmental, in: Rudolf Bernhardt {Hrsg.), EPIL, Vol. n, Arnsterdam-Lausanne-New York-Oxford-Shannon-Tokio 1995, 378 ff.

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verständlich nicht nur hinsichtlich eigener Staatsangehöriger, sondern auch hinsichtlich Fremder, also Ausländer, die Staatsangehörige eines anderen Staates sind, und hinsichtlich Staatenloser besteht, die und insoweit sie sich im betreffenden Staat aufhalten). Zwar wird der Schutz der Menschenrechte im innerstaatlichen Bereich teilweise durch das Prinzip der Gewaltenteilung146 gefördert, indem etwa das Verhalten der Exekutive der Kontrolle durch die Judikative unterliegt, 147 doch ist wegen des die Gewaltenteilung relativierenden Prinzips der Gewaltenverbindung, wie sie gerade den modernen Staat kennzeichnet, 148 dieser Schutz ebenfalls von vornherein nur ein relativer.

a) Universelle Ebene Trotzdem hat das klassische Freiheitskonzept abendländischer Tradition vorerst eine weltweite Akzeptanz in Form der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 149 gefunden und sich auch in den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen von 1966 150 niedergeschlagen. Überdies hätte man nach dem Zerfall des Ostblocks und der Reduzierung der Zahl jener Staaten, die ihr gesellschaftliches System als Ausdruck des Realen Sozialismus 151 ansehen 152 oder doch ausgeben/ 53 annehmen sollen, dass sich die Menschenrechte, die über den "humanitären Korb" der Konferenz 146 Vgl. Robert Walter I Heinz Mayer, Grundriss des Österreichischen Bundesverfassungsrechts, 8. Aufl., Wien 1996, 71; Theo Ohlinger, Verfassungsrecht, 4. Aufl., Wien 1999, 250 ff. 147 Zur Frage des judicial review und seine frühe Positivierung im US-amerikanischen Verfassungsrecht vgl. den Fall Marbury vs. Madison, 5 U.S. 137 (1803), unter http://supct.law.cornell.edu/supct; allgemein auch HerbeTt Schambeck I Helmut Widder I Marcus Bergmann, Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin 1993. 148 Vgl. Anm. 139 sowie Gerhard Holzinger, Der Bundesstaat in der Verfassungswirklichkeit, in: HerbeTt Schambeck (Hrsg.), Bundesstaat und Bundesrat in Osterreich, Wien-Linz 1997, 235 ff., 236. 149 Text in Bruno Simmal Ulrich Fastenrath, Menschenrechte- Thr internationaler Schutz (Beck-Texte im dtv 5531), 5 ff. 150 Und zwar im Pakt über wissenschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGBl. 1978/590, sowie im Pakt über bürgerliche und politische Rechte, BGBl. 1978/591. 151 Heribert Franz Köck, Recht in der pluralistischen Gesellschaft. Grundkurs über zentrale Fragen zu Recht und Staat, Wien 1998, 86 ff. 152 So z. B. Kuba; Vgl. Werner Pade (Hrsg.), Sozialismus in Kuba, Berlin 1988; Pau! Marlor Sweezy, Sozialismus in Kuba, Frankfurt am Main 1970. 153 Wie die Volksrepublik China, vgl. Encyclopedia Britannica Vol. 4, Chicago et. al. 1983, 15th ed., 259 ff., 290; oder Nordkorea, Encyclopedia Britannica, Vol. 10, Chicago et al. 1983, 15th ed., 516 ff., 521; auch Nordvietnam Encyclopedia Britannica Vol. 15, Chicago et al. 1983, 15th ed., 132 ff., 142; vgl. weiters unter http://www. britannica.com.

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für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 154 einen wesentlichen Anstoß zum Zusammenbruch des Kommunismus in Europa gegeben hatten, nunmehr auch weltweit durchsetzen würden. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall; wie die Debatten auf der Wiener UN-Menschenrechtskonferenz 1994 gezeigt haben, nimmt die Akzeptanz der "klassischen" Menschenrechte in Asien und Afrika eher ab; sie werden dort oft als bloß unwillkommene europäisch-koloniale Tradition betrachtet. 155 Aus diesem Grunde hat sich das Rechtsschutzsystem der UN-Menschenrechtspakte von 1966 156 als weitgehend wirkungslos erwiesen; gerade jene Staaten, gegen deren Verhalten in Menschenrechtssachen ein internationales Verfahren die einzige Abhilfe bieten könnte, haben sich einem solchen bisher nicht unterworfen. b) Regionale Ebene Umso wichtiger erscheint es, dass zumindest in der Region Europa durch die von Europarat157 initiierte Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 158 ein wirksamer internationaler Menschenrechtsschutz 159 entwikkelt wurde, dessen sich auch das Individuum, 160 sogar gegen seinen eigenen Heimatstaat, bedienen kann. Da die Reformstaaten Mittel- und Osteuropas bei der Umstellung vom System des realen Sozialismus zum freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat die Aufnahme in den Europarat suchen, um sich dort bewähren und anschließend auch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union erreichen zu können, 161 hat das Rechtsschutzsystem der 154 Vgl. Heribert Franz Köckl Peter Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997, 373 ff.; vgl. auch Peter Fischer/ Heribert Franz Köck, Europarecht, 3. Aufl., Wien 1997,274 ff. 155 Emmanuel G. Bello, Human Rights, African Developments, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, Amsterdam-Lausanne-New York-Oxford-Shannon-Tokio 1995, 902 ff. 156 Dieses sieht ein periodisches, obligatorisches Berichtssystem, eine fakultative Staatenbeschwerde und eine fakultative Individualbeschwerde vor; vgl. Hanspeter Neuhold I Waldemar Hummer I Christoph Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Wien 1997,252 f. 157 Peter Fischer! Heribert Franz Köck, Europarecht, 3. Aufl., Wien 1997, 121 ff.; Christoph Thun-Hohensteinl Franz Cede, Europarecht, 3. Aufl., Wien 1999, 105 ff. 158 Peter Fischer! Heribert Franz Köck, Europarecht, 3. Aufl., Wien 1997, 131 ff., 329 ff. 159 Heute ausgeübt durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der am 1. November 1998 durch das am 31. Oktober 1998 in Kraft getretene XI. ZP zur EMRK neu gestaltet wurde. 160 In Fbrm der sog. Individualbeschwerde vgl. Art. 43 EMRK i.d.F. 11. ZP EMRK, ETS No. 5 i.V.m. ETS 155.

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EMRK heute bereits so gut wie alle 162 europäischen Staaten erfasst. Dieses System kann zweifellos als vorbildlich für andere Regionen gelten. Vlß. Zusammenfassung

Internationale Organisationen stellen die derzeit 163 höchste Organisationsform der internationalen Gemeinschaft zur Verwirklichung des Menschheitsgemeinwohles164 dar. Ihre Fortentwicklung zu einem wirksamen flächendeckenden System ist eine Aufgabe aller Staaten, die auch als Verpflichtung angesehen werden kann, die sich aus ihrer Gemeinwohlfunktion gegenüber ihren je eigenen Gesellschaften ergibt. Gemeinwohlverwirklichung nach innen und nach außen stellt nämlich nur zwei Seiten einer und derselben Münze dar, die voneinander nicht ohne Schaden für den Einzelnen getrennt werden können. Und Staaten wie internationale Organisationen gewinnen und erhalten ihre Existenzberechtigung ja allein aus der ausreichenden Wahrnehmung ihrer Gemeinwohlfunktion.

161 Peter Fischer I Heribert Franz Köck, Europarecht, 3. Aufl., Wien 1997, 333 ff.; Tanja Wielgoß, Die Europäi sehe Union vor ihrer ersten Osterweiterung, Berlin 1997; Jii.rgen Backhaust Dieter Cassel (Hrsg.), Europäische Integration als ordnungspoliti-

sche Gestaltungsaufgabe; Probleme der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union, Berlin 1998. 162 Ausgenommen nur die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro). 163 Solange es keinen Weltstaat gibt; dazu vgl. Andreas Khol, Zwischen Staat und Weltstaat, Wien 1969. 164 Zu diesem vgl. oben, Anm. 2.

GEDANKEN ZUM FRIEDEN* Gabriele Andreae In jedem Herzen gibt es eine tiefe Sehnsucht nach Frieden. Aber ist die Menschheit in der Verwirklichung dieses Zieles weitergekommen? Frieden ist ein brennendes Thema. I.

Zunächst müssen wir erklären, was wir unter Frieden verstehen: nur die Abwesenheit von Krieg, oder Frieden mit Freiheit, Menschenrechten, Wohlstand? Dann würde der Begriff ganz unscharf, und es ließe sich alles unter ihm zusammenfassen. Sprachlich geht das Wort ,Friede' wie ,frei' und ,Freund' auf die indogermanische Wurzel ,Pri' ,lieben', althochdeutsch ,Fridu' zurück. 1 Dabei ist mehr an aktive Hilfe gedacht als an gefühlsmäßige Zuneigung. Der germanische Begriff bezeichnet einen Zustand des sozialen Lebens, während die christliche Theologie ,Pax' zu einem kosmischen Ordnungsgefüge erhob. 2 Frieden bedeutete Sicherheit und Geborgenheit, und das war nur in einer Rechtsgemeinschaft möglich. Rechtsbruch war zugleich Friedensbruch. Es gab abgestufte Formen: Haus-, Stadt- und Landfrieden. Neben diesem Frieden im Sinne von ,securitas' gab es den Frieden in der Bedeutung von ,caritas' und ,gratia' im Unterschied zum strengen Recht. Wir finden immer wieder die Paare: ,Friede und Recht', ,Friede und Sicherheit', ,Friede und Ruhe', ,Friede und Gnade'.

• Dieser Beitrag geht auf mein Buch zurück "Ich denke Gedanken des Friedens. Ideen dazu aus philosophischer, religiöser und politischer Sicht." Frankfurt 1997. Dort finden sich weiterführende Literaturangaben. 1 Brockhaus Lexikon, Bd. VI, Frankfurt 1984, S. 127. 2 Wilhelm Janssen, Friede, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd II, hrsg. von Otto Brunner, Wemer Conze und Reinhart Koselleck, Stuttgart 1975, S. 543 ff.

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Die Taube, die nach der großen Flut mit einem Ölzweig zurückkam, wurde zum Symbol des Friedens. 3 In Griechenland wurde der Friede personifiziert als Göttin Eirene. In Rom entstand die Ara Pacis. Auch hier wurde der Friede weiblich gesehen, während Ares, der Krieg, männlich war. Die Pax Romana bezeichnete den Friedenszustand im gesamten Reich, der durch unbedeutende Grenzstreitigkeiten nicht beeinträchtigt wurde. Dieser Friede galt im eigentlichen Sinne nur dem römischen Bürger, die unterworfenen Völker lebten unter einem Diktatfrieden. 4 Für Augustinus und Thomas von Aquin war ein Frieden um jeden Preis nicht denkbar. Zur Verteidigung höherer Güter war auch Krieg erlaubt. Sie orientierten sich an der Idee, daß der irdische Friede nur ein Abbild des himmlischen Friedens sei. Die Idee des absoluten Wertes des Friedens, verbunden mit Gerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, Achtung der Menschenrechte, Wohlstand, ohne Unterschied von Geschlecht, Religion, Volk, ist durch das Christentum besonders gefördert worden: Frieden, der sich nicht auf eine sich durch bestimmte Merkmale abgrenzende Gemeinschaft bezieht, sondern die ganze Welt umfaßt, Ächtung des Krieges und Pazifismus sind sehr moderne Entwicklungen. Nach diesem kurzen Überblick wenden wir uns dem Alten Testament zu. Der Begriff ,Shalom' ist umfassender als unser Wort Friede. Es meint nicht den Gegensatz zum Krieg, sondern ,vollständig, heil machen'! 5 Aber der Friede bezieht sich eher auf eine Gemeinschaft. Es ist ein rein weltlicher Begriff. Dieser Friede wird nicht von Gott geschenkt oder von Menschen gestiftet, sondern er gehört zum Wesen einer Gemeinschaft. Er ist der normale Zustand der Gesellschaft. 6 Tierfrieden und die pflanzliche Natur in ihrer Vollendung sind Ausdruck des paradiesischen Friedens. Wenn im ganzen Land Friede herrscht, - das heißt, wenn das Volk Gottes Gebote achtet-, dann wird auch die Natur neu belebt, dann herrschen Gerechtigkeit und Liebe.

I Mos 8. 8-12. Klaus Wengst, Pax Romana, Anspruch und Wirklichkeit7 Münchell1986. 5 Hans Heinrich Schmidt, Salom, Frieden im Alten Orient und im Alten Testament, Stuttgart 1971. 6 Heinrich Groß, Die Idee des ewigen und allgemeinen Weltfriedens im Alten Orient und im Alten Testament, 2. Aufl., Trier 1967. 3

~

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Bei den Propheten ist entscheidend, daß es sich nicht nur oder nicht in erster Linie um den Herzensfrieden handelt, sondern durchaus um äußere Sicherheit, fast immer verbunden mit einem Triumph des Siegers. Aber es klingen auch schon Hinweise auf einen gewaltlosen Frieden an, mit Schonung der Schwachen, Befreiung der Gefangenen usw. Hier werden Heil und Friede ein Begriffspaar. 7 Frieden ist jetzt nicht mehr der Normalzustand, sondern oft schon etwas Eschatologisches: Nur wenn Israel mit Gott in Frieden lebt, kann es mit anderen Völkern Frieden haben 8 • Im Neuen Testament geht es um den Frieden mit Gott und den Menschen. Man soll nach Möglichkeit mit allen in Frieden leben. Die Friedensstifter beziehen sich auf den Frieden innerhalb der Gemeinde. ,Gnade und Friede' wird nun zum häufigsten Begriffspaar, womit schon angedeutet wird, daß der Friede ein Geschenk Gottes ist. In fast allen Religionen finden wir Vergöttlichungen des Friedens, aber oft wird der Krieg noch mehr verherrlicht.

Der umfassendste Versuch einer Friedensordnung war die ,Pax Romana'. Aber leider müssen wir sie von ihrer Gloriole befreien. Dem römischen Bürger gewährte sie alle Rechte, für den Nicht-Bürger galt das ,Ius Gentium'. Ein anderer Versuch eines zeitlich und örtlich begrenzten Friedens war der Gottesfriede: Man setzte sich nicht die illusionäre Beseitigung des Krieges zum Ziel, sondern die Eingrenzung und Humanisierung. ,Friede und Recht' ist jetzt der Schlüsselbegriff. Interessant an dieser Friedensordnung ist, daß sie neben und oft unabhängig von der staatlichen Gewalt eine Art Selbsthilfeorganisation war, aber mit strengen Regeln und auch einer gewissen Durchsetzungskraft. 9 Im Mittelalter findet ein besonderes Schrifttum zu großer Beliebtheit: die politischen Testamente und die Fürstenspiegel, eine Art Erziehungsschrift für die jungen Prinzen. Neben den Regeln zur Kriegsführung finden wir auch verstärkt Vorschriften zur Erhaltung und Wiederherstellung des Friedens. Besonders berühmt wurden zwei Schriften von Erasmus von Rotter7 B

9

JESAJA61. JESAJA 4, 1-6 und 11, 1-10. Hartmut Hoffmann, Gottesfriede und Treuga Dei, Stuttgart 1964.

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dam: Die ,Klage des Friedens' und ,Die Erziehung des christlichen Fürsten'.10 ll.

Neben diesen Schriften mit einem praktischen politischen Zweck wecken andere utopische Hoffnungen und sprechen von Träumen und Erwartungen der Menschen. Sie machen teils genaue Angaben zu Zeit und Ort der Erscheinung eines Friedenskaisers, verbunden mit scharfen Angriffen gegen die kirchliche und staatliche Gewalt. Auch wenn es sich nur um Wunschvorstellungen handelt, lassen sie uns doch die Sehnsüchte der Menschen erkennen; und sie haben auch politisch eine Rolle gespielt. 11

Staatspolitische Schriften machen oft konkrete Vorschläge, wie man dem Ziel eines ,ewigen' Friedens näherkommen könne. Bekannt sind die Namen Pierre Dubois, Georg Von Podiebrad, Maximilien De Bethune -Herzog von Sully, Hugo Grotius, Thomas Hobbes, William Penn, Charles-Irenee Castel Abbe De Saint-Pierre, Jean-Jacques Rousseau, Gottfried Leibniz- aber vielleicht am nachhaltigsten hat die kleine Schrift von Immanuel Kant ,Entwurf zum ewigen Frieden' nachgewirkt. Er beschreibt nicht mehr, wie noch Thomas Morus, einen Idealstaat, sondern eine völkerrechtliche Ordnung als Voraussetzung für den ewigen Frieden und wünscht eine sich ,bis ins Unendliche fortschreitende Annäherung' eines Friedens, der nach und nach erreicht werden soll. Es ist hier nicht der Platz, verschiedene Friedensverträge zu untersuchen, aber es soll wenigstens auf drei, sehr unterschiedliche hingewiesen werden. Der Westfälische Frieden ist vielleicht der letzte, geglückte Versuch einer umfassenden europäischen Friedensordnung. Er hat viele Gegner gefunden und wird oft für den Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verantwortlich gemacht. Man muß sich aber darüber im Klaren sein, daß es keine andere praktikable Alternative gab. 12 Der Wiener Kongreß hat noch einmal eine Neuordnung Europas versucht. 10 Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften, Bd V, 2. Aufl., Darmstadt 1990. 11

Bernhard Töpfer, Das kommende Reich des Friedens, Berlin 1963.

12 Jörg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag, Stuttgart 1979.

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Der Versailler Vertrag kann nur als Beispiel eines mißglückten Friedens dienen. 13 Im Westfälischen Frieden wurde die Gegenseite noch zu den Verhandlungen zugelassen und angehört, auch wenn sie selbstverständlich Einbußen hinnehmen mußte. Zwischen den Vertretern der verschiedenen Parteien entstanden sogar Freundschaften. Gegenseitige Achtung bestimmte den Ton, und es wurden keine unerfüllbaren Auflagen gemacht. 14 Im Versailler Vertrag wurde der Verlierer von allen Verhandlungen ausgeschlossen. Er besaß keinerlei Rechte. Man suchte bewußt die Demütigung des Gegners und wollte Rachegelüste befriedigen. Die Reparationen waren so hoch angesetzt, daß sie praktisch unerfüllbar waren. Der nächste Krieg war somit vorprogrammiert. 15 Für Friedensverständnis und Friedensbemühungen wurden in unserer Zeit die päpstlichen und andere kirchliche Verlautbarungen, insbesondere die päpstlichen Weltfriedensbotschaften richtungsweisend. 16 Sowohl vor dem 1. als auch vor und während des 2. Weltkriegs waren die Päpste eng mit den diplomatischen Bemühungen verbunden, und sie wirkten auch entscheidend mit, die Kriege zu beenden. 17 Besonders sei hier auch auf die Bemühungen des gegenwärtigen Papstes Johannes Paul II. hingewiesen, ohne den die Beendigung des Kalten Krieges, die Aufhebung der Spaltung in einen Ost- und Westblock und die Wiedervereinigung Deutschlands nicht so rasch und fast gewaltlos vor sich gegangen wäre! Man kann nicht von Frieden reden, ohne die allgemein bekannte Rolle der Vereinten Nationen zu erwähnen. Als Frau liegt mir natürlich auch am Herzen, auf die Rolle der Frauen hinzuweisen. Man darf sie nicht idealisieren - wir alle kennen ja auch die Heldenverehrung durch die Frauen. Frauen waren aber mit unter den ersten, die die generelle Ächtung des Krieges verlangten.

Bertha von Suttner mit ihrem aufrüttelnden Buch ,Nie wieder Krieg' soll für alle Frauen stehen. Lächerlichmachung, Spott, Verachtung konnten sie A.a. 0 .. Fritz Dickmann, Der Westfälische Friede, 6. Aufl., Münster 1992. 15 Fischer, a. a. 0 .. 16 Hubert Mader (Hrsg.), Quellen zum Friedensverständnis der katholischen Kirche seit Pius IX., Wien 1985. 17 A. a. 0 .. 13

14

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nicht daran hindern, sich mit allen Kräften für ihr Ziel einzusetzen. Sie war alles andere als eine weltfremde Idealistin. 18 Wir treten jetzt in die Welt des Pazifismus ein. Hier müssen wir zwischen einem realistischen und einem radikalen Pazifismus unterscheiden, der allzuoft in Intoleranz und Schwärmerei ausartet.

m. Frieden wird durch zähe Verhandlungen und mühsame Detailarbeit erreicht. Für uns heute ist Frieden ohne MenSchenrechte nicht mehr vorstellbar. Schon in den ältesten Zeiten hat man Freiheit als eine Grundvoraussetzung für Frieden verstanden, die Einhaltung der Menschenrechte geht noch darüber hinaus. Man ist sich heute bewusst, daß Frieden nicht teilbar ist. Ein Friede, der bestimmte Menschengruppen oder Staaten ausschließt, ist nur sehr unvollkommen. Wohlstand, Erziehung, Freiheit von Hunger usw. gehören vielleicht zu einem idealen Frieden. Hier wird die Unterscheidung zwischen dem ,positiven' und dem ,negativen' Frieden sinnvoll. Aber wer einmal einen Krieg erlebt hat, wird auch den negativen Frieden, die Abwesenheit von Krieg, nicht geringschätzen. Unabdingbar für jeden Frieden sind Freiheit und äußere Sicherheit. Friede entsteht nicht nach der Devise ,seid nett zueinander'. Zum Frieden muß man erziehen, aber es ist eine lllusion zu glauben, daß friedfertiges Verhalten im privaten Bereich schon einfach den Frieden zwischen den Nationen nach sich ziehe. Natürlich kann niemand Frieden wirken, der mit sich selbst uneins ist. Aber Frieden verlangt mehr als Herzensruhe. Was für einen unermüdlichen Einsatz er kostet, sehen wir vielleicht besonders klar an Menschen wie Dag Hammarskjöld, der selbst sein Leben im Dienst für den Frieden verloren hat. 19 In der heutigen Zeit sollen Bischöfe, Priester, Missionare und Laien genannt werden, besonders Erzbischof Oscar Arnulfo Romero von San Salvodor, der wegen seines Einsatzes für den Frieden während eines Gottesdienstes starb, und Bischof Carlos Filipe Belo SDB von Timor, der nur knapp dem gleichen Schicksal entging. 18 Gisela Brinker-Gabler (Hrsg.), Bertha von Sv.ttner, Eine Kämpfetin fur den Frieden, Frankfurt 1982. 19 Archiv der Vereinten Nationen.

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Es braucht Idealismus, Mut und Unerschrockenheit, sich für den Frieden einzusetzen. Man muß aus den gewohnten Gedankenbahnen ausbrechen. Man darf kein Phantast sein, man muß bis an die Grenze des Möglichen gehen. Frieden ist auch eine Frage der Toleranz und Achtung anderer Ansichten und Prioritäten. Man kann nicht für den Frieden ,kämpfen', das ist ein Widerspruch in sich selbst! Aber man kann sich mit allen Kräften für ihn einsetzen und die Bedingungen schaffen, die ihn ermöglichen. Bei Friedensverhandlungen ist es wichtig, wie man mit dem Gegner umgeht. Wir haben das schon am Beispiel des Westfälischen Friedens und des Versailler Vertrags gesehen. Es ist eine alte Erkenntnis, dass man ohne Rücksichtnahme auf die berechtigten Interesse des Gegners keinen wahren Frieden schließen kann. Schon Cicero bemerkte: "Was sind das für Friedensverhandlungen, in denen man der Partei, mit der man Frieden schließen will, keine Zugeständnisse machen darf?" 20 Eine eigene Friedensforschung gibt es erst seit dem Ende des 2. Weltkrieges. Die Veröffentlichungen sind ins Unüberschaubare gestiegen. Natürlich gab es schon vorher Schriften, die sich mit dem Problem des Friedens befaßten, aber eher vereinzelt und oft nicht sehr systematisch. Einige Namen ragen heraus: Johan Galtung, dem wir die brauchbarsten Definitionen zum Frieden verdanken, u. a. den Begriff der strukturellen Gewalt. 21 Für ihn ist Frieden Abwesenheit von Gewalt. Auf deutscher Seite sind besonders bekannt Ernst-Otto Czempiel, Georg Picht und Dieter Senghaas. 22 Auf die Unterscheidung zwischen ,positivem' und ,negativem' Frieden wurde schon hingewiesen. IV.

Bei allen Friedensfragen spielt das Problem der Rüstung eine große Rolle. Hier prallen die Meinungen hart aufeinander. Die einen denken, nur eine starke militärische Macht könne den Frieden sichern. Andere halten die Rüstung für eines der Hauptprobleme und gehen bis zu einseitigen Abrüstungsschritten; als sicher hat sich erwiesen, daß Aufrüstung immer die Cicero, Stellen zum Frieden nach Handlexikon, S. 504 ff. Johan Galtung, Essays in Peace Research, 5 Bde., Copenhagen 1975 22 Ernst-Otto Czempiel, Friedensstrategien, Opladen 1986; Georg Picht, Studien zur Friedensforschung, Stuttgart 1970; Dieter Senghaas, Europa 2000, Ein Friedensplan, Frankfurt 1990. 20 21

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Tendenz zur Eskalierung hat. Aber es wäre naiv zu denken, man könne ganz ohne militärische Macht auskommen. Die ,Bergpredigt' ermutigt uns in den Bemühungen, Frieden zu stiften. Es gibt zahllose Schriften zur ,defensiven' Verteidigung. Der gegenwärtige Papst ist ein unermüdlicher Mahner für den Frieden geworden. Unter vielen Aspekten hat er sich zu diesem Thema geäußert und dabei besonders den Frauen als den ersten und wichtigsten Erziehern ihre Aufgaben gezeigt. 23

Die Erziehung muß zu Hause und bei den Kindem beginnen. Wichtig dafür ist auch die Einsicht der heutigen Psychologie, dass Spiele ohne Gewinner und Verlierer durchaus befriedigend sein können. Gegen eine zu große Rüstung spricht nicht nur die sich daraus ergebende Krlegsgefahr, sondern auch die Tatsache, daß man mit den Kosten einer einzigen Bombe viele Kinder vor dem Verhungern bewahren könnte. Man spricht davon, daß man eine Streitkultur entwickeln müsse. Gemeint ist damit die Fähigkeit zur fairen Auseinandersetzung mit den Ansichten anderer. Frieden ist nicht das Ergebnis einer schwächlichen Haltung ohne eigenen Standpunkt, ein Nachgeben, weil man sich nicht traut, seine Meinung zu vertreten. Nur aus innerer Stärke heraus kann man den anderen gelten lassen. Bei dem Wort ,friedfertig' ist uns kaum noch die aktive Bedeutung bewußt: ,den Frieden verfertigen'. Ein weiteres Phänomen unserer Zeit sind die großen Friedensbewegun-

gen.24 Es hat natürlich schon früher kleine Gruppen gegeben, die Militär-

dienst ablehnten und jeden Krieg als Unrecht ansahen. Aber ohne Rücksicht auf religiöse oder politische Überzeugungen, sozusagen quer durch alle Lager, gibt es erst seit der Zeit nach dem 2. Weltkrieg Massenbewegungen, die für Märsche oder Demonstrationen die Menschen auf die Straße brachten. Man hat versucht, diese Bewegungen als anarchistisch und kommunistisch abzutun, aber das greift nicht, wenn sich auch oft kommunistische Kreise diese Bewegung zunutze zu machen versuchen. Inzwischen sind Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen in einzelnen Staaten gesetzlich anerkannt. 23 .Papst Johannes Paul II., "Women as Teachers of Peace", Sunday Examiner, Hong Kong, 8. Dezember 1994. 24 Wilfried von Bredow, Krise und Protest. Ursprünge und Elemente der Friedensbewegung, Opladen 1987.

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Schon immer waren Kinder diejenigen, die von Kriegen am meisten betroffen wurden. Unserer Zeit blieb es vorbehalten, Kinder als Soldaten einzusetzen. Es gibt Länder, in denen Kinder von Revolutionsarmeen mißbraucht werden. Für manche Kinder ist dies die einzige Gemeinschaft, die sie erleben. Laut einer Studie von 1988 standen damals 200.000 Kinder unter Waffen, heute dürften es eher noch mehr sein. "Viele Überlebende erleiden körperliche Verletzungen und dauernde psychische Störungen ... In Südafrika (durften damals) schon Kinder unter 7 Jahren ohne Benachrichtigung der Eltern inhaftiert werden ... Vielfach überschreiten die Gewalterfahrungen die Grenzen der psychischen Belastbarkeit ... Im Iran wurden Kinder unter 10 Jahren als Minenräumer eingesetzt. " 25

V.

In der gesamten Kultur spielt das Thema des Friedens eine große Rolle. Es gibt Bilder und Plastiken, Friedenstempel, Friedenshymnen und Gebete, und natürlich auch viele Gedichte. Diese Literatur wächst zu Zeiten des Krieges, wo das Fehlen des Friedens als schmerzlich empfunden wird. Bekannt sind uns erschütternde Gedichte des Gryphius, die uns die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges ahnen lassen. Ein Gedicht von Ingeborg Bachmann bringt uns mit der Taube wieder an den Ausgangspunkt und soll so diesen Beitrag abschließen: Nach dieser Sintflut möchte ich die Taube, und nichts als die Taube, noch einmal gerettet sehen. Ich ginge ja unter in diesem Meer! Flög sie nicht aus, brächte sie nicht in letzter Stunde das BLATT.

25 illi Britten, Kinder und Jugendliche in bewaffneten Konflikten, in: Jahrbuch Frieden 1990, München 1989, S. 57 ff. 26 Johannes Paul ll.

FORSCHUNGEN ZUM FRIEDEN Rudolf Weiler I. Das Konzil zur Friedensförderung und Ächtung des Krieges

Die Einführung der Weltfriedenstage durch Papst Paul VI. mit dem jährlichen Datum zum 1. Jänner, also am Anfang des Kalenderjahres, fällt in die Zeit nach Abschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils (von 1962 bis 1965). Die Pastoralkonstitution des Konzils "Über die Kirche in der Welt von heute" wurde unmittelbar vor Ende des Konzilsam 7. Dezember 1965 verabschiedet. Unter den behandelten Einzelfragen stand das Kapitel "Die Förderung des Friedens und der Aufbau der Völkergemeinschaft" am Schluß. Der erste Abschnitt des Kapitels befaßte sich mit der Vermeidung des Krieges (siehe Nr. 79 bis 82) und mündete in die Verurteilung des "totalen Krieges" unter den heutigen Bedingungen (Nr. 80). Das Konzil befaßte sich jedoch auch realistisch mit dem damaligen Rüstungswettlauf, "der kein sicherer Weg ist, den Frieden zu sichern", und mahnte, "die Frist, die uns noch von oben gewährt wurde", zu nützen, um "Methoden zu finden, unsere Meinungsverschiedenheiten" zu lösen (Nr. 81). Die Mahnungen des Konzils richteten sich hier zunächst darauf, "durch eine weltweite Aktion" und "absolute Ächtung des Krieges" diesen zu verhindern (Nr. 82). Über die Probleme des Friedens und der Abrüstung seien, so das Konzilsdokument, schon tiefe, mutige und unermüdliche Forschungen angestellt worden. Internationale Kongresse befaßten sich damit. Das Konzil begrüßte daher solche "erste Schritte zur Lösung dieser so schwierigen Fragen" und wünschte, sie "für die Zukunft noch intensiver zu fördern". Dies geschehe auch hinsichtlich der Überprüfung der "eigenen Einstellung". Mit der Wendung, "sich nur auf die Anstrengung einiger zu verlassen, ohne die eigene Einstellung zu überprüfen", ist die Aufforderung verbunden gewesen, es mögen "unermüdliche Forschungen angestellt werden" und die Pflege einer neuen "Friedensgesinnung" in unserer Zeit allseits gefördert werden (Nr. 82). Erst dann, im zweiten Abschnitt des Kapitels, wird unter der Überschrift "Der Aufbau der internationalen Gemeinschaft" (Nr. 83 bis 90) das Friedenswerk in der internationalen Gemeinschaft positiv dargelegt. 26'

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In der zweiten Enzyklika seines Pontifikates, in Populorum progressio, verfaßte Paul VI. eine Sozialenzyklika zur Entwicklung der Völker. Hier findet sich das berühmt gewordene Wort: "Die Entwicklung der Völker ist der Name für Frieden." (Nr. 76). In der Schlußmahnung dieser Enzyklika wendet sich der Papst "an alle Menschen guten Willens", jeder an seinem Platz, um dem Frieden zu dienen. Im Jahr des Erscheinens dieser Enzyklika hat dann auch Papst Paul VI. Schritte unternommen, um mit Datum jedes Jahresbeginnes, seit 1968, einen jährlichen Päpstlichen Weltfriedenstag einzuführen. ß. Von der "Friedenswissenschaft" der Friedensbewegungen

zur_Friedensforschung als Wissenschaft

Die Dynamik der Friedensidee reicht in der Ideengeschichte der Menschheit weit zurück. 1 Sie verbindet sich im Lauf der Geschichte immer wieder auch mit Friedensbewegungen. Der Pazifismus des frühen Christentums war ursprünglich keine politische Bewegung mit direkter politischer Auswirkung. Er brachte dennoch die Idee des Friedens mit dem Pazifismus in Zusammenhang und weist auf den "Ewigen Frieden" als hohen sittlichen Wert hin, der sein soll, dessen reale Verwirklichung aber in historischer Sicht immer noch ausstehe. 2 Immer am Ende großer kriegerischer Auseinandersetzungen und der Erreichung zumindest eines begrenzten Friedens, besonders nach den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts, erhebt sich die Friedensidee als wirkmächtige Sehnsucht über die realpolitische Wirklichkeit. Die Zeit der Friedensbewegung im heutigen Sinn, sich mittels Organisation und politischer Tätigkeit im überstaatlichen Raum der Gesellschaft für den Frieden nach einer bestimmten Idee und einem Konzept einzusetzen, kommt erst nach den napoleonischen Kriegen auf. Mit dem Wiener Kongreß hatte sich allerdings ein Pluralismus souveräner Staaten vollends durchgesetzt. Das Völkerrecht wurde in erster Linie als Vertragsrecht dieser Staaten voll ausgebildet. Zudem kam es mit der Aufklärung und dem Säkularistischen Denken zu einem weltanschaulichen Pluralismus unter Vorherrschaft autonomen Interessendenkensund dem Verlust solidarischer Gemeinwohlverantwortung der staatlichen Akteure. Aus dem christlichen Erbe eines radikalen Flügels der Reformation, den sogenannten Fiiedenskirchen, entstet 2

Vgl. RudolfWeiler, Internationale Ethik, 1. Band, Berlin 1986, S. 141 ff. Vgl. Ma.r SeheZers Vortrag: Die Idee des Friedens und des Pazifismus, Berlin 1931

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hen aber nun die ersten Friedensbewegungen (1815 in den USA und bald darauf in Großbritannien, nämlich die Peace Societies). Unter dem Einfluß des liberalen Bürgertums kommt es 1849 zu den ersten bedeutenden Friedenskongressen. 1864 wird mit der Genfer Konvention das Rote Kreuz begründet. Die bürgerliche Friedensbewegung geht besonders auf das Wirken von Alfred Fi'ied (1864 -1921) zurück, der als Begründer des klassischen Pazifismus gilt. Hier wäre noch Bertha von Suttner und der Einfluß beider auf die Haager Friedenskonferenzen um die Jahrhundertwende 1900 zu nennen. Von diesen wurde allerdings auf Betreiben Italiens der Heilige Stuhl ausgeschlossen. Es sollte bewußt auf Unterstützung durch die katholische Kirche verzichtet werden. 3 Zeitverschoben, bereits am Vorabend des Ersten Weltkrieges, setzte damals die Friedensbewegung der Sozialistischen Internationale ein. Auch die Bürger müßten wie das Proletariat unter dem Krieg leiden. Die Ächtung des Krieges könne aber nur durch den Sieg des Sozialismus und der Arbeiterklasse in der ganzen Welt erreicht werden. Mit der Wende in Europa von 1989 I 90 war dann diese Friedensutopie und die Erwartung eines allgemeinen Pazifismus realpolitisch "zumindest vorläufig" vorüber.

m. Von der Friedensforschung der Sechziger Jahre zu ihrer Entwicklung in den neunziger Jahren vor der Millenniumswende

Nach den ersten Ansätzen zur Entwicklung der Friedensforschung als politologischer Teildisziplin der Wissenschaft von den internationalen Beziehungen in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bringt die Eskalation des Ost-West-Konfliktes mit der wechselseitigen Abschreckung und Aufrüstung der Kernwaffen eine Blüte der mit Friedensforschung oder Peace Research betitelten Wissenschaft, die vor allem auch an von Universitäten unabhängigen Instituten gepflegt wird.. Angesichts der besonderen Interessenlage Europas nach der Entstehung des Eisernen Vorhanges durch die Mitte des Kontinents kommt es zumindest in den Randlagen wie in Norwegen und Schweden (1963 in Oslo und 1970 in Stockholm) zu öffentlich geförderten Instituten, dann aber auch zu bis heute sehr verdienstvoll wirkenden Instituten in der BRD an der Grenzzone des Eisernen Vorhangs durch das geteilte Deutschland. 4 3 Vgl. Heribert Franz Köck, Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen, Berlin 1975, S. 615 ff., ebenso Beatrix Kempf, Bertha von Suttner, Wien 1964. ~ Dieter Senghaas, Perspektiven, Friedens- und Konfliktforschung in Zeiten des Umbruchs, hrsg. Günther Baechler, Zürich/Chur 1992, 14 f.

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Zur derzeitigen Situation schreiben die Herausgeber des "Friedensgutachtens 1999": "Friedensforschung ist mit ihrem wissenschaftlichen Anspruch qua definitione nicht identisch mit Pazifismus, auch wenn die Gleichsetzung ... Tradition hat. Und Friedensforschung gibt nicht vor, auf alles eine Antwort zu wissen. Wir verstehen unsere Arbeit als Ansporn, zur Verringerung von Gewalt und zur Vermeidung von Krieg beizutragen und unsere Ergebnisse dazu als Vorschläge in die gesellschaftliche und politische Diskussion einzubringen". 5 Damit scheint heute ein zeitweiliger Boom der Friedensforschung mit zahlreichen Ideen und Vorschlägen in der Publizistik und Öffentlichkeit zugunsten einer Rückkehr zur Politik einerseits und der Wissenschaftlichkeit in Verbindung mit Grundsatzfragen eingekehrt zu sein. Die Friedensgutachten der etablierten Institute befassen sich hauptsächlich mit Analysen der Sicherheitsfragen, der Konfliktursachen und dem Stand der Abrüstungsproblematik im Weltsystem. Dieter Senghaas schrieb zum Thema "Friedensforschung an der Schwelle der neunziger Jahre" unter Hinweis auf die verschiedenen Szenarien der internationalen Politik, es seien nur hinsichtlich des Ost-West-Konflikts gravierende Änderungen zu verzeichnen: "Was tritt an seine Stelle? Zum einen hervorgehobene bilaterale Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion ... , zum anderen eine sich im gesamten Europa herausbildende Friedens- und Sicherheitsstruktur, die ... kooperativ angelegt sein wird. Der Schwerpunkt der Veränderungen liegt also in Europa, und deshalb wird die Friedensforschung nicht umhin kommen, sich mit diesen Veränderungen und ihrer wünschenswerten Zielrichtung zu beschäftigen." Das "vertraute analytische Instrumentarium" sei daher weiter verwendbar, müsse sich aber insbesondere mit der "Analyse der West-West-Beziehungen sowie der Nord-Süd- und der Süd-Süd-Beziehungen" befassen. 6 Die Betonung der Kernfragen für die Friedensforschung liegt nach demselben Autor gemeinsam mit Michael Zürn in vorliegendem Buch auf der Analyse, mündet aber in die Sollensfrage, "welche Welt es sein soll" oder "welches Modell von der Welt ist angemessen", also in der Sollensfrage bei der Beobachtung zukünftiger Prozesse und Entwicklungen. 7 Dies hatte schon Ernst-Otto Czempiel zum Thema "Friedensforschung" gesehen, als er nach einer Anfangsphase der Friedensforschung für die zweite Hälfte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zwei Richtungen s Münster 1999, S. V 6 Dieter Senghaas, Perspektiven, Friedens- und Konfliktforschung in Zeiten des Umbruchs, hrsg. Günther Baechler, Zürich/ Chur 1992, 14 f. 7 s. 379 ff.

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derselben hervorhob. 8 Die eine sei mehr politologisch-praktisch, die andere mehr soziologisch-philosophisch orientiert gewesen, obwohl sich beide auf die Konfliktforschung reduzierten. Schon damals aber setzte in einer zweiten Phase unter Rückgang der als "kritisch ausgerichteten Friedensforschung" eine "zunehmende Fokussierung auf aktuelle Probleme des OstWest-Konflikts, der europäischen Friedensordnung und der Konflikte in der Dritten Welt (Süd-Süd-Konflikte)" ein. Mit dieser Ausrichtung komme es zu einer Neuorganisation der Friedensforschung, insbesondere in der westlichen Welt. Ernst Otto-Czempiel resümiert den von ihm aufgezeigten Wandel der Staatenwelt zur Gesellschaftswelt im Sinne eines neuen Verständnisses der internationalen Beziehungen und seiner Veränderungen im internationalen System mit Folgen für die internationale Politik. Es sei nun Hauptaufgabe der Außenpolitik, zu verhindern, "daß die ,Geisel der Menschheit, der Krieg' wiederkehrt". 9 Für die Außenpolitik entstehe aber damit die Begründungsfrage der Souveränität der Staaten und ihrer Bestimmung zur Einheit in der eins gewordenen Welt. Damit erhebt sich mit der Frage nach den universellen Akteuren in der Weltpolitik die Frage der Grundlegung ihrer Politik und der Verantwortung für die eine Menschheit und deren Verfassung. Ausgang kann die Satzung der OVN sein, aber sie ist noch keine verfaßte Weltordnung. Damit kommt die Frage nach der Friedensforschung zurück auf die Frage der Philosophie und vor allem der praktischen Philosophie, der Ethik, nach den Gründen der gesellschaftlichen Ordnung im Menschenleben, einfach gesprochen nach dem Menschen- und Gesellschaftsbild und dem Zusammenhang mit dem Ethos der Menschheit und deren Willen und Einsicht zum und in den Frieden. Der Verfasser sieht sich in seinen Gedanken zur Friedensforschung bestätigt, die er im ersten Band seines Buches "Internationale Ethik" unter dem Übertitel "Die Wissenschaften vom Leben der Vdlkergemeinschaft" gebracht hat. 10

8 Ernst-Otto Czempiel, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, Band 2, 7. Aufl., Freiburg 1986, Sp. 755. Ähnlich wird diese Entwicklung im Oxford Campanion of Philosophy, 1995, S. 413 f. unter dem Stichwort "international relations, the philosophy of" gesehen. Die Konfliktforschung in der besonderen Sicht der Friedensforschung muß sich bei realistischer Betrachtung der internationalen Beziehungen dennoch den Fragen des Rechts und der Rechtfertigung {Volkerrecht und Frage des "Gerechten Krieges") philosophischen Fragen und der Frage der Grundwerte stellen! 9 Ernst-Otto Czempiel, Kluge Macht, Außenpolitik für das 21. Jahrhundert, München 1999, S 244 ff. 1o R. Weiler, Internationale Ethik ... S 1 ff.

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Es zeigt sich hier die besondere Wichtigkeit des Ausgangs der christlich orientier ten Friedensforschung, wie sie das Institut für Theologie und Frieden in Harnburg durch eine Reihe von Neuerscheinungen und Studien seit den siebziger Jahren vorgelegt hat unter Hinweis auf die spanische Spätscholastik und ihre Leistungen für die Entwicklung des traditionellen Naturrechts.im Völkerrecht aus dem ius gentium zum ius intergentesund die Weiterentwicklung der traditionellen Lehre "zum gerechten Krieg". 11 Es sei erinnert an die Hervorhebung der Idee eines bonum commune totius generis humani, eines Weltgemeinwohles und einer weltweiten seinsmäßig und im Rechtsbewußtsein verankerten Solidarität, wie sie 1995 Johannes Paul II. in der Enzyklika "Evangelium vitae" anspricht: "Eine neue Kultur des Lebens als Frucht der Kultur der Wahrheit und der Liebe" möge in unserer Zeit entstehen (Nr. 77)! Dieser "neuen Kultur des Lebens" widmet der Papst das IV. Kapitel seines Rundschreibens (Nr. 78 bis 102). Auch das moderne Völkerrecht kehrt zu seiner zweiten Quelle, dem Naturrecht, in Anwendung auf die Friedensproblematik zurück. Es ist daher im Kern auch als Naturrechtsethik unter Sollensverständnis in die internationale Politik mit dessen Vertragsrecht einzumahnen. Hier sei auf den Abschnitt "Über die Völkergemeinschaft"in Johannes Messners Hauptwerk "Das Naturrecht" verwiesen.Die Völkerrechtsordnung umschließe "drei Arten von Recht; das naturrechtliche, das gewohnheitsrechtliche und das positiv-rechtliche Völkerrecht" .12 Von brisanter Aktualität erweist sich das natur rechtliche Völkerrecht heute in Fragen des Menschenrechtsschutzes, insbesondere beim Schutz von Volksgruppen, gegebenenfalls auch durch internationale direkte Eingriffe - mit oder ohne Deckung durch den Sicherheitsrat der OVN - in nationale als absolut beanspruchte Souveränitätansprüche.

11 Das Institut für Theologie und Frieden war 1978 vom Katholischen Militärbischof in der BRD "zum Zweck, friedenstheologische Fbrschung zu unterstützen", errichtet worden. Zuerst war eine Bibliographie "Theologie und Frieden" herausgegeben worden. Neben aktuellen Gegenwartsfragen im Zeitalter des Kalten Krieges war auch der Entwicklung der Volkerrechtswissenschaft nachgegangen worden, hier insbesondere dem Werk Franciscos de Vitorias. Band 7 und 8 des Instituts war der Herausgabe seiner Vorlesungen I und n lateinisch und deutsch mit Kommentar gewidmet worden. 12 Berlin 1984, S 665 bis 722.8. das 5. Internationale Symposium der Johannes Messner Gesellschaft im Jahr 1999 und die dieses Jahr erfolgende Publikation unter dem Titel "Volkerrechtsordnung und Volkerrechtsethik", Hrsg. von Rudolf Weiler, Berlin 2000

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rv. Die Einführung der Feier des Päpstlichen Weltfriedenstages durch das Institut für Friedensforschung der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Wien An der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien hatte der Ordinarius für Moraltheologie O.Univ.-Prof. Prälat Dr. Karl Hörmann die Idee der Errichtung eines eigenen theologischen Instituts für Friedensforschung gehabt und als Mitvorstand den 1966 in Nachfolge von Prälat Dr. Johannes Messner berufenen Univ.-Prof. Dr. Rudolf Weiler, Ordinarius für Ethik und Sozialwissenschaften, Verfasser dieser Zeilen, gewonnen. 13 In Auswirkung des Konzils war schon vorher ein eigenes Forschungsinstitut an der Fakultät für Atheismusforschung entstanden, das im Zusammenhang mit dem Lehrstuhl und Institut für Christliche Philosophie geführt wurde. Dazu war ein eigener Assistentenposten vom Ministerium bewilligt und eingerichtet worden. Dies ergab sich aus der Tatsache, daß dem Wiener Erzbischof Kardinal DDr. Franz König damals der in Rom neu geschaffene Päpstliche Rat für die Nichtglaubenden zur Leitung übergeben worden war, hat doch der Wiener Erzbischof den Ehrenvorrang des Großkanzlers der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien. Bei der Errichtung des Instituts für Friedensforschung war es hingegen zur Auflage gemacht worden, daß mit dessen Bewilligung durch die staatlichen Stellen keine zusätzlichen Kosten, vor allem Personalkosten, entstehen dürften. So war es allein von der Arbeitskraft der beiden Vorstände abhängig, die Friedensforschung zu entwickeln. Die Mitvorstände suchten mit kleinen Forschungsgesprächen. einen Weg, über Zusammenarbeit mit anderen Fachwissenschaften und Kollegen an der Universität insbesondere im Kontakt z. B. mit der Rechtsphilosophie, dem Völkerrecht und den politischen Wissenschaften zumindest zu einer Verbreiterung im Sinne der Friedensforschung an der Universität zu kommen. Wichtig war, daß von der Philosophischen Fakultät Univ.-Prof. Dr. Heinrich Schneider als dritter Kovorstand zur Mitarbeit gewonnen werden konnte. Schneider war im Begriff, an der Philosophischen Fakultät mit seiner Berufung 1966 ein eigenes Institut für Politikwissenschaften zu errichten. Für die Philosophische Fakultät war auch dies Neuland, da die Politologie ähnlich wie die Soziologie als Sozialwissenschaft in Wien erst aufgebaut werden sollte. Durch seine Habilitation deckte er aber die klassische Sozialphi13 S. Karl Hörmann, Die Anfänge des Institutes für Friedensforschung in: wiener blätterzur friedensforschung, 1. Jg., Nr. 1 I Jänner 1974, S 2.3 Inders. Nummer weitere Beiträge zu erster Entwicklung und Ausbau des Institutes von Rudolf Weiler, Valentin Zsifkovits und Heinrich Schneider

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losophie in Verbindung mit der politischen Ideengeschichte ab. Aufgrund dieser guten Voraussetzungen seitens der drei Kovorstände konnte die Friedensforschung in Wien an der Katholisch-Theologischen Fakultät fächerübergreifend und auf geisteswissenschaftlicher Basis auf- und weitergebaut werden. Schließlich gelang es, zur Förderung der Friedensforschung beim Ministerium die Anstellung eines zweiten Assistenten am Institut für Ethik und Sozialwissenschaften in Verbindung mit dem Institut für Friedensforschung zu erreichen. 14 Die Päpstliche Nuntiatur in Wien lud angesichts der Tatsache, daß Wien auch dritter Sitz von Organisationen der OVN war, zur ersten Feier des Päpstlichen Weltfriedenstages im Jahr 1972 in Wien ein. Festreden hielten damals der Universitätsprofessor für Völkerrecht an der Juridischen Fakultät Dr. Stephan Verosta und Erzbischof Kardinal DDr. Franz König. Verosta, ehemaliger Diplomat und Botschafter Österreichs und bedeutender Völkerrechtslehrer der Wiener Universität, war von den ersten Schritten an dem neu entstandenen Institut für Friedensforschung an der Kath. Theol. Fakultät verbunden gewesen. So entstand auch Wunsch und Plan, durch eine eigene Veranstaltung des Instituts für Friedensforschung im Zusammenhang mit dem Päpstlichen Weltfriedenstag jährlich an der Universität Wien in Erscheinung zu treten. Seit dem Jahr 1973 bis 1996 wurde also ein Festvortrag zu den jeweiligen Gedanken des Heiligen Vaters im Sinne seines Jahresaufrufes von einem Fachprofessor einer der Fakultäten der Universität Wien abgehalten. Die Veranstaltung erfreute sich jeweils des Ehrenschutzes des Hwgsten Päpstlichen Nuntius in Wien, des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten und des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung. Die Einladung erfolgte durch den Rektor. Wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Wissenschaft waren neben den Studenten zur Teilnahme eingeladen. Zum Abschluß lud dann immer der Herr Rektor zu einem Empfang in die Räume des Rektorates ein. Bei der ersten Veranstaltung im Hahr 1973 sprach der damalige Rektor der Wiener Universität selbst, Univ.-Prof. Dr. Günther Winkler zum Thema "Das Recht - ein Instrument des Friedens". Diese und die ersten Veranstaltungen fanden im Großen Festsaal, später im Senatssitzungssaal oder im Kleinen Festsaal mit musikalischer Umrahmung (zuerst durch einen Chor oder später durch ein Streichquartett) statt. 15 14 Mit Datum vom 5. 6. 74 konnte Univ. Doz. Dr. Arno Anzenbacher eingestellt werden, der später ab 1981 zum Professor für christliche Philosophie an der Kath. Theol. Fakultät der Universität Mainz berufen wurde.

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V. Friedensförderung durch jährlicheWeltfriedenstage

Mit dem Aufruf Papst Pauls VI., jährlich einen eigenen Weltfriedenstag in gewissem Sinne der katholischen Kirche zu feiern, begab sich der Papst auf politisches Terrain. Es war schon lange Tradition z. B. im kommunistischen Internationalismus gewesen, mit einer eigenen Friedensbewegung auch weltweit zu Friedenstagen jährlich Anfang September aufzurufen. Besonders in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts war die Friedensfrage politisiert, und Friedensbewegungen unterlagen häufig auch bestimmten politischen Zielsetzungen. Hier herein spielt die Frage der vatikanischen Ostpolitik. Über die Grundzüge sogenannter päpstlicher "Ostpolitik" schreibt Donatus Squicciarini unter Berufung auf den damaligen Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli, sie stehe "im Zeichen der Seelsorge, der Interessenahwägung zugunsten des Heils der Menschen. Der Kirche mußte es in ihrer Auseinandersetzung mit den Machthabern der marxistisch-leninistischen Staatsideologie um das ,Überleben der Kirche' mit den Prioritäten15 Mit Ausnahme des ersten im Jahr 1973 abgehaltenen Festvortrags konnten in der Zeit von 1974 bis 1996 in den wiener blättern zur friedensforschung Namen der Vortragenden aus dem Kreis der Lehrenden an der Wiener Universität und deren Themen regelmäßig zur Dokumentation der Veranstaltung bis zur im Jahr 1996 erfolgten Emeritierung des Autors und Institutsvorstandes publiziert werden. Nachstehend die detaillierten Angaben: 197 4: Marian Heitger, Fragen der Friedenserziehung 1975: Heinrich Schneider, Versöhnung und Politik 1976: Gerhard Bruckmann; Nisi vis bellum, para pacem 1977: Herbert Schambeck, 10 Jahre Weltfriedenstag, die Friedensbotschaft des Papstes 1978: Felix Ermacora, Die Menschenrechtsdeklaration der VN 1979: Hans Strotzka, Psychoanalyse und Friedensforschung 1980: Norbert Leser, Wahrheit und Frieden 1981: RudolfWeiler, Friede, Menschenrechte und Grundfreiheiten 1982: Jacob Kremer, Der Friede, ein Geschenk Gottes 1983: Leo Gabriel, Schöpferischer Dialog und Friedensgestaltung 1984: Marian Heitger, Friede und Bekehrung des Herzens: Friedenserziehung, eine aktuelle und immerwährende Aufgabe 1985: Valentin Zsifkovits, Friede und Jugend, gemeinsam unterwegs 1986: Robert Prantner, Nord- Süd, Ost- West, ein einziger Friede 1987: Peter Kampits, Entwicklung und Solidarität- der Schlüssel zum Frieden 1988: JosefWeismaer, Religionsfreiheit, Bedingung für friedliches Zusammenleben 1989: Ignaz Seidl-Hohenveldern, Minderheiten respektieren, um Frieden zu stiften 1990: Alfred Klose, Friede mit Gott, dem Schöpfer- Friede mit der ganzen Schöpfung 1991: Heribert Franz Köck, Willst Du den Frieden, achte das Gewissen jedes Menschen 1992: Johann Reikerstorfer, Friede im "Reich Gottes auf Erden" 1993: RudolfWeiler, Von der bellum iustum-Lehre zum gerechten Frieden 1994: Herbert Schambeck, Die Familie als Verfassungsauftrag 1995: Brigitte Rollett, Die Frau, Erzieherin zum Frieden 1996: Rudolf Weiler, "über die Schwelle der Hoffnung"- zum Recht der Kinder auf Frieden

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setzungen ,Kult, Lehre und Leben' gehen. Diese bewußte Option des Heiligen Stuhles hat sich als richtig erwiesen. Und das Wiederaufblühen des katholischen Lebens zeugt von der Richtigkeit dieser pastoralen Leitlinien der päpstlichen ,Ostpolitik'" .16 Als Pastoralpolitik verstanden, suchte sie auf Religionsfreiheit in den kommunistischen Ländern hinzuwirken, ebenso aber auch war sie als Beitrag zur Vermeidung eines atomaren Konfliktes zwischen den beiden, die Welt teilenden Machtblöcken gedacht. Es galt, die Sicherheitspolitik der Staaten zu internationalisieren und zu stabilisieren, zugleich aber den Weg zu Rüstungskontrolle und Abrüstung zu finden. 17 Für das Institut für Friedensforschung und einen angeschlossenen Verein, Universitätszentrum für Friedensforschung, ergab sich in dieser Zeit auch hinsichtlich der politischen Lage Österreichs als immerwährend neutrales Land die Möglichkeit und Aufgabe der Vermittlung zwischen den beiden ideologischen Blöcken in Ost und West. Schlüsselbegriff war das damals auch in seiner ersten Enzyklika Ecclesiam suam zum Antritt seines Pontifikats herausgestellte Wort Papst Pauls VI. vom "Dialog", zu einem "Schlüsselwort des Zeitbewußtseins" geworden. Die Kirche müsse zu einem Dialog mit der Welt kommen, in der wir nun einmal lebten! Bekanntlich hatte die kommunistische Weltfriedensbewegung in den sechziger Jahren versucht, in Wien ihr Hauptquartier zu errichten. Durch geschickte administrative Maßnahmen Österreichs wanderte diese vom "Weltfriedensrat" geleitete Bewegung mit seinem zur unerwünschten Person erklärten indischen Generalsekretär Romesh Chandra dann nach Prag weiter und von dort wieder in das neutrale Finnland nach Helsinki. Somit war Österreich vor agitatorischer Tätigkeit dieser Friedensbewegung nicht mehr direkt betroffen. In Wien aber verblieb ein kleines wissenschaftliches "Internationales Institut für den Frieden" unter Leitung eines sowjetischen (russischen) Beamten. Zwischen diesem Institut und dem kleinen in Wien damals etablierten wissenschaftlichen Institut für Friedensforschung an der Universität Wien, hier an der Katholisch-Theologischen Fakultät, ergaben sich folglich Kontakte und schließlich gegenseitige Einladungen zu wissen16 In: Dialog in Wahrheit und Liebe , Hrsg. von Egon Kapellari I Herbert Schambeck, Graz 1997, Vortrag am Institut für Ethik und Sozialwissenschaften der Kath. Theol. Fakultät der Universität Wien , 19. Jänner 1995 "Die Päpste als Friedensstifter", ( S. 346 bis 359) S. 355 17 Zur vatikanischen Ostpolitik in jener Periode vgl. Hans-Jakob Stehle und Karl Josef Hummel (Herausgeber), Vatikanische Ostpolitik unter Johannes XXill. und Paul VI. 1958 bis 1978, Paderborn 1999. Letzteres Buch verzeichnet unter dem polnischen Papst Johannes Paul n. einen gewissen Wandel der Ostpolitik, einerseits durch Verschiebung der endgültigen Organisation der Diözesangrenzen in der früheren DDR und andererseits durch aufkommenden Zweifel an der Dauer des Sowjetimperiums im Ostblock.

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schaftliehen Veranstaltungen, insbesondere auch mit Wissenschaftern aus dem Ostblock und insbesondere der Sowjetunion. 18 Dabei muß man sich vor Augen halten, daß der Kreis dieser Personen aus dem Osten für Auslandsreisen politisch kontrolliert war. Aus Gesprächen der Institutsleitungen kam es dann doch- trotz des von der Paulus-Gesellschaft veranstalteten Dialog-Kongresses von Christen und Marxisten in Marlenbad in der Tschechoslowakei {1967) angesichtsder Nicht-Teilnahme von Vertetern aus der Sowjet-Union und den ein Jahr später erfolgten Ereignissen in Prag {1968)- zu einem ersten Dialog unter hochrangiger Teilnahme von christlichen (z. B. der bekannte Jesuitenpater aus Rom und Kritiker des Marxismus-Leninismus, Professor P. Gustav A. Wetter) und von marxistischen Experten vornehmlich auch aus der Sowjet-Union (z. B. Professor Nikolai A. Kowalski, Direktor eines Institutes des Sowjetischen Akademie der Wissenschaften für internationale Arbeiterbewegungen) zu Fri.edensfragen.

VI. Friedensförderung durch universellen Sozialhumanismus Friedensförderung ist der bleibende Auftrag an die Wissenschaft, der sich neben den Sozialwissenschaften im Zeitgeschehen insbesondere auch an die Wissenschaften vom Menschen in seiner Stellung in der Welt richtet. Die Welle der Friedensforschungsinstitute war im vergangenen Jahrhundert auch von der internationalen Situation getragen. Seit dem Wandel in Europa mit dem Jahr 1989/1990 haben die Schwerpunkte der wissenschaftlichen Befassung mit der Förderung des Friedens und dem Aufbau der Völkergemeinschaft gewechselt, vor allem aber sind wieder die Grundfragen über die sittliche Ordnung und über Sein und Würde des Menschen als ethische Fragen hervorgetreten, die sich ebenso als Frage der Bestimmung des Menschen in theologischer und heilsgeschichtlicher Sicht innerhalb der Menschheit als universelle Schicksalsfragen erweisen. Nach dem im gleichen Zeitraum mit seiner 1996 erfolgten Emeritierung und dem personellen Wechsel an der Wiener Kath.- Theol. Fakultät sieht sich der Verfasser ange18 Ein Rückblick auf diese Veranstaltungen findet sich in Buchpublikationen: Christen und Marxisten im Friedensgespräch, Hrsg. vom Institut für Friedensforschung und vom Internat. Institut für den Frieden, Band I, Wien 1976, Band II Wien 1979, ein dritter Band hrsg. von Rud.olf Weiler, Friedensdiskurs, Berlin 1988. Ebenso zeigt die Einbindung russisch-orthodoxer kirchlicher Würdenträger in diese Kontakte der Artikel von Rud.olf Weiler, ",Christen und Marxisten im Friedensgespräch' Vom Höhepunkt des Kalten Krieges bis in die 90er Jahre, in Russland und Österreich", hrsg. im Auftr. Der Stütung pro oriente von Alfred Stirnemann und Gerhard Wilflinger, Innsbruck, 1999, S. 196 bis 201

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Rudolf Weiler

sichts des Auslaufens der bis dahin noch bestehenden eigenen Abteilung für Internationale Ethik- und Friedensforschung an der Fakultät jedenfalls bestärkt in der Annahme einer Kernaufgabe katholischer Sozialethik mit Ausrichtung auf die internationale "Soziale Frage" des Weltfriedens. Die analytische und strategische Friedensarbeit wird angesichts der politischen Fragen der Menschheit weiterhin in etablierten Instituten unter dem Titel der Friedensforschung ihren Sitz und ihre Bedeutung behalten. 19 Ebenso werden nach Schwerpunkten der Forschungsarbeit und insbesondere nach Richtungen über die Auffassungen vom Sein des Menschen und der Gesellschaft im Bezug auf die Sollensordnung in der Menschheit sich diese Auffassungen über die Frage des Friedens in Gerechtigkeit Unterschiede ergeben. Die Friedensfrage der Menschheit ist aber von einem universellen Zugang vom Denken über den Menschen und die Gesellschaft bedingt und würde sich diesen Zugang über wertfreie Hypothesen oder vorläufige Annahmen allein versperren. Das gilt auch, wenn versucht würde, die interdisziplinäre Zusammenarbeit über die bestehenden und sich wandelnden Ergebnisse der Friedensforschung allein in Verbindung mit einer Theologie des Friedens praktisch zu machen. Ziele des Friedens und Ursachen der Konflikte bedürfen einer umfassenden wissenschaftlichen Zusammenarbeit auf einer gemeinsamen universellen Wertebasis der Menschenwürde und des Humanum, des Menschlichen in der Gesellschaft. Dies sei unter Rückgriff auf den klassischen Strang der Naturrechtslehre von der Ethik her zur Begründung eines Sozialhumanismus erreicht. 20 Dieser müsse sich providentiell in der Menschheit von heute dem Licht des Evangeliums und insofern dem Beitrag der Theologie mit dem Ziel des Friedens öffnen. Mit der Kultur eines sozialen Humanismus im Zeichen des sittlichen Naturgesetzes gewinnt das Wort unseres Heiligen Vaters von der Notwendigkeit der Neuevangelisierung heute - unter Hinweis auch auf den Beitrag der monotheistischen Religionen ganz allgemein- auf dem Weg der Menschheit zum Frieden in Gerechtigkeit schicksalhafte Bedeutung für Bestand und Erhaltung der menschheitlichen Kultur.

Vgl. Emst-Otto Czempiel, Friedensstrategien, Frankfurt/Main, 2A. 1998 Vgl. den Artikel von Johannes Messner, Der soziale Humanismus, in: Festschrift für Karl Kummer, Wien, 1965, 15-23 19

20

VERGEBUNG- DER WEG ZUM FRIEDEN Walter Brandmüller Schon in seinem Apostolischen Schreiben Tertio millennio adveniente, mit dem Johannes Paul II. die Gläubigen zur Vorbereitung auf die Feier des Bimillenniums der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus aufgerufen hatte, hatte er auch das Thema »Sünde und Schuld in der Vergangenheit der Kirche« angeschlagen und damit eine breite und kontroverse Diskussion ausgelöst. Mit spürbarer Genugtuung wurde seitens der Kirche ablehnend gegenüberstehender Kreise eine Reihe von Fällen genannt, in denen der Kirche der Vergangenheit Versagen, ja Verbrechen vorgeworfen werden müsse. Billigung von Sklaverei, Zwangsbekehrungen zum Christentum, Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverfolgung, Diskriminierung und Unterdrückung der Frauen, aber auch Knebelung der Freiheit des Denkens und der Forschungman nennt hier noch immer Galileo Galilei und Giordano Bruno - sowie willfährige Kooperation mit dem Nationalsozialismus-all dies wurde, vermehrt um manch andere Anklage, in der Folge als Sünde der Kirche bezeichnet. Nicht ohne selbstgerechte Attitüde glaubte man nun, Genugtuung über die Selbsterkenntnis der Kirche ausdrücken und das längst fällige Sündenbekenntnis des Oberhauptes der Kirche vor der Welt loben zu sollen.1 I. Möglicherweise ist es auf solche Mißverständnisse der Intention des Papstes zurückzuführen, daß in der Bulle Incamationis mysterium, mit welcher 1 Z. B. L. Acattoli, Quando il Papa chiede perdono. 'futti mea culpa di Giovanni Paolo li, Milano 1997. Hier die Nota bibliografica S. 205; G. Biffi, Casta meretrix. Saggio sull' ecclesiologia di Sant' Ambrogio, Casale Monferreto 1996; K. Repgen, Kirche, Schuld, Geschichte, in: Die Neue Ordnung 53 (1999) 293-301. Schon im Vorfeld V. Messori, Pensare la storia, Bolzano 1993; A. Baumgartner, Aufarbeitung der Vergangenheit. Sozialethische Zugänge zum Problem fortwirkender Schuld, in: Münchener Theologische Zeitschrift 45 (1994) 533-541; Ders., Stichwort ,strukturelle Sünde', in: Katechetische Blätter 109 (1984) 601-605. Nach dem 12. März 2000 die Kommentare W. Schweidler, Gemeinschaft im Irrtum. Über die Grenzen der kollektiven Entschuldigung, in: Neue Züricher Zeitung 25./26. März 2000 S. 86; P. Köster, Abkehr von der Apologie? Anmerkungen zum päpstlichen Schuldbekenntnis, ebd S. 85.

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Johannes Paul li. das Große Jubiläum verkündete, Formulierungen gewählt wurden, die geeignet waren, solcherlei Mißdeutungen vorzubeugen, wenn darin unter anderem auch vom Verhältnis der Kirche von heute zu Sünde und Schuld in ihrer Vergangenheit gesprochen wird. Insbesondere hat der Papst die Internationale Theologische Kommission beauftragt, dieses Problem zu studieren, die daraufhin ein Dokument mit dem Titel Erinnern und Versöhnen erarbeitete2 , das am 7. März 2000 der Presse vorgestellt wurde. Bei dieser Gelegenheit hat der Vorsitzende der Kommission, Joseph Kardinal Ratzinger, bemerkenswerte Ausführungen gemache, die geeignet waren, den schon im Voraus lebhaft diskutierten und mit Spannung erwarteten Bußakt richtig zu interpretieren, ehe ihn der Papst am 1. Fastensonntag des Jubiläumsjahres in feierlicher, um nicht zu sagen dramatischer Form angesichts des berühmten romanischen Kruzifixus von S. Marcello al Corso in St. Peter vollzog. Wie Johannes Paul li. diesen Bußakt verstanden wissen will, hat er alsdann u. a. in den während seiner Pilgerreise in das Heilige Land gehaltenen Ansprachen mehrfach selbst zu erkennen gegeben. So bekannte er bei seinem Besuch im Oberrabbinat zu Jerusalem: "Persönlich wollte ich immer zu jenen zählen, die sich auf beiden (!) Seiten für die Überwindung alter Vorurteile einsetzten. " 4 Noch deutlicher ist die Aussage anläßlich der Interreligiösen Begegnung vom 23. März: "Wir alle wissen um die Mißverständnisse und Konflikte der Vergangenheit, die auch heute noch schwer auf den Beziehungen zwischen Juden, Christen und Muslimen lasten. " 5 Dieses Wissen aber soll - so der Papst des weiteren - dazu anspornen, alles zu tun, "damit sich das Bewußtsein der vergangeneu Kränkungen und Sünden verwandelt in den festen Entschluß zum Aufbau einerneuen Zukunft. " 6 Es geht also dem Papst darum, "das aus der Vergangenheit ererbte Mißtrauen und Gegeneinander zu überwinden", um ein davon unbelastetes neues Miteinander zu ermöglichen. 7 Dies aber ist nicht einfach durch menschliches Bemühen zu erreichen. Vielmehr sei das Heilige Jahr 2000 "eine geeignete Zeit für uns, um zum Herrn umzukehren und um Vergebung zu bitten für die Wunden, die die Mitglieder unserer Kirchen in den Jahren einander zugefügt haben. " 8 2 Erinnern und Versöhnen. Die Kirche und die Verfehlungen in ihrer Vergangenheit. Ins Deutsche übertragen und hrsg. v. G. L. Müller. Johannes Paul II., Ansprache mit Vergebungsbittten, Einsiedeln 32000 (= EV). 3 Osservatore Romano- deutsche Wochenausgabe vom 17. 3. 2000, S. 11 f. 4 Osservatore Romano- deutsche Wochenausgabe vom 7. 4. 2000, S. 9. 5 OR 7. 4. 2000, S. 10. 6 Ebd. 7 OR 14. 4. 2000, S. 8. a OR 14. 4. 2000, S. 9.

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Ihren Höhepunkt erreichten die diesbezüglichen Aussagen des Papste bei seinem Besuch im Yad Vashem-Monument am 23. Marz. Hier fielen bemerkenswerte Worte über die Bedeutung der Erinnerung und damit des Geschichtsbewußtseins überhaupt: "Wir erinnern uns, aber ohne jedes Verlangen nach Rache oder Ansporn zum Haß. Für uns bedeutet Erinnerung, für Frieden mit Gerechtigkeit zu beten und uns dieser Sache zu verpflichten. Nur eine Welt im Frieden mit Gerechtigkeit für alle kann eine Wiederholung der Verfehlungen und grauenvollen Verbrechen der Vergangenheit verhindern. " 9 Darauf folgte die nicht anders denn feierlich zu nennende Erklärung: "Als Bischof von Rom und Nachfolger des Apostels Petrus versichere ich dem jüdischen Volk,·daß die katholische Kirche - vom Gebot des Evangeliums zur Wahrheit und Liebe, und nicht von politischen Überlegungen motiviert - zutiefst betrübt ist über den Haß, die Taten von Verfolgungen und antisemitischen Ausschreitungen von Christen gegen die Juden, zu welcher Zeit und an welchem Ort auch immer. " 10 Daß all dies nicht der Kirche, dem Christentum, zur Last zu legen ist, hatte Johannes Paul II. zuvor betont, als er die Frage gestellt hatte: "Wie konnte der Mench eine solche Verachtung des Menschen entwickeln?" Und die Antwort: "Weil er- der Mensch- den Punkt der Gottesverachtung erreicht hatte. Nur eine gottlose Ideologie konnte die Ausrottung eines ganzen Volkes planen und ausführen. " 11 Mit diesen Aussagen führte der Papst weiter aus und interpretierte damit selbst, was er in seiner Predigt am Tag der Vergebung, dem 1. Fastensonntag, 12. März, ausgesprochen hatte. Mit erneuter Berufung auf seine Aufforderung zur »Reinigung des Gedächtnisses« hatte der Papst dazu aufgerufen, daß "die Kirche, gestärkt durch die Heiligkeit, die sie von ihrem Herrn empfängt, in diesem Jahr der Barmherzigkeit vor Gott niederkniet und von ihm Vergebung für die Sünden ihrer Kinder aus Vergangneheit und Gegenwart erfleht." Diese Bitte um Vergebung, hier und jetzt ausgesprochen, ist "in der objektiven Verantwortung begründet [ ... ], die die Christen als Glieder des mystischen Leibes zusammenführt und die Gläubigen von heute im Licht einer genauen historischen und theologischen Prüfung antreibt, zusammen mit den eigenen Verfehlungen auch die der Christen von gestern einzugestehen. " 12 Der theologischen Präzisierung dient es, wenn dann der Papst die Zugehörigkeit zu dem mystischen Leib Christi, in dem die Erlösten aller Genera9

OR 31. 3. 2000, S. 2.

to Ebd. 11 Ebd.

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tionen miteinander verbunden sind, als Grund dafür benennt, daß die Lebenden "die Last der Verfehlungen und Vergehen derer, die uns vorausgegangen sind" 13 , mitzutragen haben. Im Hintergrund dieses Gedankens stehen wohl die Paulus-Worte aus dem Galaterbrief (6,2): "Einer trage des anderen Last" und aus dem 1. Korintherbrief (12,26): "Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit." Höchst bemerkenswert alsdann die Einschränkung, daß mit dieser Vergebungsbitte- die ihrer Natur nach die Existenz von Schuld voraussetztdem "Urteil Gottes, der allein die Herzen kennt" nicht vorgegriffen werden dürfe. 14 Dies ist die notwendige Vorbemerkung dafür, daß nun gesagt wird, wir könnten "die Treulosigkeiten gewisser unserer Briider dem Evangelium gegenüber nicht übersehen, besonders im Laufe des 2. Jahrtausends." 15 Die Bitte um Vergebung, die alsdann ausgesprochen wird, bezieht sich auf "Spaltungen, die unter den Christen vorgekommen sind, auf die Gewalt, die einige im Dienst der Wahrheit ausgeübt haben und auf die mißtrauische und feindselige Haltung den Anhängern anderer Religionen gegenüber. " 16 Es sollte nicht übersehen werden, daß der Papst nicht nur um Vergebung der Sünden der Christen bittet, sondern namens der Kirche auch Vergebung "für die von anderen uns gegenüber begangenen Verfehlungen"gewährt; "Im Laufe der Geschichte haben auch Christen um ihres Glaubenswillen zahllose Schikanen, Anmaßungen, Verfolgungen erduldet. Wie die Opfer solcher Beleidigungen vergeben haben, so vergeben auch wir. " 17 Es ist zu beachten, daß in dieser Formulierung deutlich zum Ausdruck kommt, daß sowohl Bitte um Vergebung wie deren Gewährung nur unter Lebenden sinnvoll möglich ist und alles Dariiberhinausgehende von der political correctness Diktierte bloße Rhetorik wäre. Der hermeneutische Horizont, vor dem Schuldbekenntnis und Vergebungsbitte des Papste zu interpretieren sind, weist jedoch noch ein anderes Element auf. Gemeint ist das beeindruckende Gedächtnis der Märtyrer des 20. Jahrhunderts 18 , gemeint sind auch die im Pontifikat Johannes Pauls II. in bisher nicht erlebter Zahl vorgenommenen Selig- und Heiligsprechungen. Indem der Papst schon in der Vorbereitung auf das Jubiläumsjahr allen Bischofskonferenzen Auftrag er12 13 14 15 18 17 18

EV 115.

Incarnationis mysterium, Nr. 11

EV 115. EV 116. EV 116.

EV117. So geschehen in einer ökumenischen Feier im Colosseum am 7. Mai 2000

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teilt hatte, die Namen all derer festzustellen und festzuhalten, die in dem betreffenden Land den Glauben an Christus mit dem Opfer ihres Lebens bezeugt haben 19 , und indem er gerade im Jubiläumsjahr zahlreiche Beatifikationen bzw. Kanonisationen vornimmt, stellt er in eindrucksvoller Weise die von Gliedern der Kirche in allen Jahrhunderten, gerade aber im vergangenen, heroisch gelebte Heiligkeit heraus. Vor diesem Hintergrund und im Lichte der bereits erwähnten vorhergegangenen und nachfolgenden päpstlichen Ansprachen sind also die bei dem feierlichen Bußakt des 1. Fastensonntags ausgesprochenen Schuldbekenntnisse und Vergebungsbitten zu interpretieren, wenn dabei kein Zerrbild der Kirche entstehen soll.

ß.

Es waren insgesamt sieben Bitten um Vergebung, die von Vertretern der Römischen Kurie eingeleitet und vom Papst in einem Gebet vor Gott ausgesprochen wurden. Dabei wurde auch jeweils ein Schuldbekenntnis formuliert. Da war davon die Rede, daß "auch Menschen der Kirche im Namen des Glaubens und der Moral in ihrem notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit mitunter auf Methoden zurückgegriffen haben, die dem Evangelium nicht entsprechen. " 20 "Sünden, die die Einheit des Leibes Christi verwundet und die geschwisterliche Liebe verletzt haben" 21 werden bekannt, wobei offenbar nicht nur die Sünden der Katholiken gemeint sind. Den Juden gegenüber hätten -so die 4. Bitte- "nicht wenige" Sünden begangen 22 und den Anhängern anderer Religionen, wie auch Einwanderern und Zigeunern sei "manchmal" von Christen durch Stolz, Haß, Herrschsucht oder Feindschaft Unrecht geschehen, wobei Christen "oft das Evangelium verleugnet und der Logik der Gewalt nachgegeben" haben. 23 Ebenso wurde für die Erniedrigung und Diskriminierung von Frauen24 , sowie für die Mißachtung der Personwürde von Armen, Ausgegrenzten, Verlassenen um Vergebung gebeten. Dem schließt sich - und damit wird der

19

Vgl. etwa H. Moll, Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20.

Jhs., Faderborn 2 2000 20 EV 122. 21 EV 123. 22 EV 124. 23 EV 125. 24 EV 126.

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Duktus der Vergebungsbitte verlassen- die Fürbitte für die im Mutterschoß getöteten oder gar zu Forschungszwecken benützten Kinder an. 25 In der Formulierung dieser Bitten geht es um Sünden der Gegenwart wie jene der Vergangenheit gleichermaßen. Aus einer systematischen Analyse all dieser Äußerungen des Papstes ergibt sich, welche Haltung gegenüber Schuld und Sünde in der Vergangenheit der Kirche er einnimmt - und von der Kirche nachvollzogen wissen will. Zum ersten ist eindeutig klar: Nicht die Kirche hat gesündigt, sondern "einige unserer Brüder", und Haltungen des Mißtrauens und der Feindseligkeit gegenüber Angehörigen anderer Religionen wurden von Gliedern der Kirche "manchmal" eingenommen. Damit wird deutlich zwischen der Kirche als der makellosen Braut Christi und ihren durchaus immer wieder sündigenden Gliedern unterschieden. Es ist kaum nachzuvollziehen, wenn zu lesen ist: "In diesem (in welchem?!) Sinn kann man auch von Sünden nicht nur der einzelnen Glieder der Kirche, sondern auch von den Sünden der Kirche sprechen, besonders wenn sie von denen begangen wurden, die ermächtigt waren, in ihrem Namen zu handeln. " 26 Ebenso wie bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit man davon sprechen kann, daß "die Kirche lehrt", ist dies auch gefordert, wenn umgekehrt gesagt werden sollte, daß "die Kirche" gesündigt habe! Wann und wo aber wäre dies geschehen? 27 Eine Unterscheidung zwischen der Kirche und den Gliedern der Kirche ist aber notwendig, da die Zugehörigkeit des Einzelnen zur Kirche dessen Personsein und damit die individuelle Verantwortlichkeit des Einzelnen für sein sittlich relevantes Handeln keineswegs aufhebt. Ein kollektivistischer Kirchenbegriff, der eine Verantwortlichkeit des Ganzen für das Handeln des einzelnen Kirchengliedes bzw. ein Aufgehen des Einzelnen im Ganzen statuieren würde, widerspricht sowohl dem Wesen der menschlichen Person als auch dem der Kirche. Infolgedessen ist auf die Kirche in analoger Weise anwendbar, was das 2. Vatikanische Konzil in Nostra aetate von der Verantwortlichkeit des Volkes Israel für den Tod Jesu feststellt: "Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen. u28 EV 127. EV- Einleitung- 13. 27 Nichtsdestoweniger sprach der Vf. auch in einem KNA-Inte:rview vom 24./25. Februar 2000 von "Verfehlungen von Mitglieqem der Kirche und der Kirche selbst." 25 26

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Dieser Text spricht also von der Unmöglichkeit einer kollektiven Verantwortung der gleichzeitig Lebenden für das Geschehen von Golgatha, ebenso aber auch von der Unmöglichkeit, die späteren Generationen damit zu belasten. Nach dem gleichen Grundsatz kann der ganzen Kirche eine Kollektivverantwortung für das 'Iim oder Lassen der einzelnen Christen, und a fortiori nicht für das Handeln längst vergangener Generationen aufgebürdet werden. Dennoch tragen wir heute lebenden Glieder der Kirche - durch das gnadenhafte Band des mystischen Leibes Christi mit den Gliedern aller Generationen verbunden - die Last der Irrtümer und der Schuld jener, die uns vorausgegangen sind, mit diesen mit. Ein Vergleich mag dies veranschaulichen: Der Erbe eines verschuldeten Hofes erbt, übernimmt mit diesem die Hypotheken, die ihn belasten, ohne daß er selbst in irgendeiner Weise am Zustandekommen der Verschuldung beteiligt sein konnte. Seine Aufgabe ist es, die Hypotheken abzulösen. 29 Dies ist wiederum ein Ausdruck der generationenübergreifenden Solidarität, die in diesem Falle durch die Familienzugehörigkeit begründet ist. Zugleich wird damit anerkannt, daß es auch in der eigenen Familie »Schwarze Schafe« gegeben hat. Was nun die Kirche betrifft, drückt diesen Sachverhalt in treffender Weise das Evangelium aus, wenn dort zu lesen ist, daß im Netz des Petrus "gute und schlechte Fische" zu finden sind, und daß der gute Weizen auf dem Acker der Kirche bis zum Tag der Ernte mit Unkraut vermischt bleibt. Aus dem Gesagten ergibt sich für jeden Versuch eines historischen und gar eines theologisch-moralischen Urteils über Phänomene der kirchlichen Vergangenheit ein gewichtiger Vorbehalt. Wie auch die Theologenkornmission betont, ist für jedes derartige Urteil eine "genaue historische und theologische Klärung" notwendig. 30 Damit ist allerdings mit wenigen Worten auf ein großes und kompliziertes Problem hingewiesen, auf das Problem historischen Urteilens, das hier freilich nur andeutungsweise dargestellt werden kann. Möglich ist zweifellos der Aufweis von Ursachen, Zusammenhängen und Folgen historischen Handelns. Insofern ist mit der gebotenen Vorsicht auch die Frage nach der VerNostra aetate Nr. 4. dem entspricht die Feststellung: "Die sittliche Leistung, die dieser Generation abverlangt wird, ist nicht die Anerkennung einer Verantwortung für die Vergangenheit, sondern die innere Bereitschaft, die Erblasten zu übernehmen, die Hypotheken aus der Vergangenheit, für die sie, obwohl nicht selbst verantwortlich, in Mithaftung genommen sind." (Baumgartner, Aufarbeitung 539). Das gilt natürlich nicht nur für die Katholische Kirche. 30 EV 69-79. 2s 29

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antwortung hierfür zu beantworten. Ob ein bestimmtes historisches Geschehen nun aber positiv oder negativ beurteilt werden soll, hängt doch in hohem Maße vom Standpunkt des Betrachters ab. Nicht minder aber kommt es auf die Kriterien an, an denen ein solches Urteil sich orientiert. Zudem ist auf die zeit- und kulturbedingte Relativität solcher Kriterien hinzuweisen. Nach welchen Maßstäben wären etwa die noch im 15. Jh. üblichen Menschenopfer der Azteken - und dementsprechend das Vorgehen der spanischen Kolonisatoren dagegen- zu beurteilen? Es ist allein schon daraus ersichtlich, wie problematisch historische Urteile überhaupt sind. Die von der Theologenkommission geforderte sorgfältige historische Klärung stößt aber noch vor jedem Versuch, ein Urteil auszusprechen, auf erhebliche Schwierigkeiten. In einer Reihe von Fällen, in denen die sog. öffentliche Meinung eindeutiges Versagen der Kirche zu erkennen meint, sind selbst die Voraussetzungen für ein seriöses historisches Urteil nicht gegeben. Die Erforschung von Kreuzzügen, Inquisition und Hexenprozessen um nur die bekanntesten Punkte zu nennen - befindet sich erneut in einem Stadium, in welchem neue Fragestellungen, neue Methoden, neue Quellen zu gelegentlich überraschenden Ergebnissen führen, die den bisher selbstverständlich kolportierten Klischee-Vorstellungen den Boden entziehen. Unter solchen Voraussetzungen dennoch in diesen oder in anderen derartigen Fällen ein Urteil aussprechen zu wollen, wäre wissenschaftlich nicht zu verantworten. Besonders gewichtig ist aber ein zweiter vom Papst genannter Vorbehalt: kein Historiker, kein Theologe, auch nicht die Kirche, kann über das Gewissen und damit über die Schuld oder Unschuld eines anderen Menschen richten. Das 2. Vatikanische Konzil spricht dies in deutlich aus: "Gott allein ist der Richter und Prüfer der Herzen, darum verbietet er uns, über die innere Schuld von irgend jemandem zu urteilen." 31 Damit spricht das Konzil eine elementare sittliche Forderung des Neuen Testaments aus. Es waren offenbar derartige Überlegungen, die den Papst bewogen haben, wohl auf "Problemfelder" hinzuweisen, wo dergleichen geschehen sein kann, aber keinerlei konkrete Fälle zu nennen, in welchen Sünde konstatiert werden müßte. Es zeugte von großer Umsicht und realistischer Geschichtsbetrachtung, wenn etwa die Spanische Bischofskonferenz einerseits für die während des Bürgerkriegs verübten Greuel um Vergebung durch Gott gebeten, es jedoch vermieden hat, für das Verhalten des Episkopats zur Zeit des Franco-Regimes um Verzeihung zu bitten, da die historischen Sachverhalte zu ungeklärt und verwickelt seien, als daß man heute schon darüber urteilen könnte. 32 31

Gaudium et spes Nr. 28.

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Solche Vorsicht bedeutet keineswegs, die Existenz von Sünde in der Vergangenheit der Kirche in Abrede zu stellen. Die Kirche war sich dessen stets bewußt, daß sie zu jeder Zeit ebenso wie Heilige auch Sünder zu ihren Gliedern zählt. Eine Erkenntnis, die sich in der religiösen Praxis der Kirche ausdrückt, die in ihrer Liturgie Sündenbekenntnis und Bitte um Vergebung, der Buße gewidmete Zeiten des Kirchenjahres, vor allem aber das Sakrament der Sündenvergebung kennt. 33 Deshalb eignet dem im Hinblick auf das Große Jubiläum des Jahres 2000 besonders akzentuierten Schuldbekenntnis des Papstes keinesfalls der Charakter des Außerordentlichen, Spektakulären, wiewohl das immerwieder behauptet worden ist. Es verdient außerdem Aufmerksamkeit, daß der Papst entgegen vielen Erwartungen Schuldbekenntnis und Vergebungsbitte für Sünden von Gliedern der Kirche in der Vergangenheit nicht Menschen oder menschlichen Gemeinschaften unserer Zeit gegenüber ausgesprochen, sondern beides in Form von Gebeten an Gott gerichtet hat. Gott allein ist der Richter über die Gewissen der Menschen, weshalb auch die Vergebung ihm vorbehalten ist wenigstens dann, wenn jene Menschen, denen Unrecht geschehen ist, selbst nicht mehr um Verzeihung gebeten werden können. Es wurde also Gott gebeten, jenen ihre Schuld zu vergeben, die im Laufe der Kirchengeschichte gesündigt haben. Aber auch das ist nur ein Spezialfall der täglich in der Liturgie geübten Fürbitte für die verstorbenen Glieder der Kirche. Eben dieser Gedanke, daß alles, was hinter der Schwelle der Gegenwart liegt, ein für allemal dem Gericht und der Barmherzigkeit Gottes anheimgefallen ist, hat es auch unmöglich gemacht, irgendwelche posthume Rehabilitationen auszusprechen. Forderungen nach Aufhebung der Exkommunikation Martin Luthers, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder erhoben worden waren, konnten und können ebensowenig erfüllt werden, wie jene nach Rehabilitation Girolama Savonarolas oder gar Giordano Brunos.Von allem anderen abgesehen ist allein schon der Begriff der Rehabilitation- sofern es sich um Personen der Geschichte handelt- in sich höchst problematisch und außerdem durch die bekannte marxistisch-leninistische Praxis belastet. Indes hat Johannes Paul li. nicht gezögert, Schmerz und Bedauern darüber auszudrücken, daß etwa der vom Konstanzer Konzil als Häretiker ver32 A. ROUCO, "El futuro no se construye sobre falsificaciones de le historia". El discurso del Cardenal Antonio Maria Rouco en la inauguracion de la LXXIV Asamblea Plenaria de la Conferencia Episcopal Espaiiola, in : Ecclesia, 15. 04. 2000, 585590, hier 586. 33 So Kard. Ratzinger bei der Präsentation von EV am 7. März 2000 (OR, 17. 03. 2000)

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urteilte Jan Hus der weltlichen Gewalt und damit dem Feuertod überantwortet worden ist. 34 In ähnlicher Weise hat der Papst es bedauert, daß Galileo Galilei unter Maßnahmen kirchlicher Organe zu leiden hatte. 35 Darüber hinauszugehen hat der Papst jedoch mit Bedacht vermieden. Ein solcher Schritt, der nichtsdestoweniger immer wieder im Sinne der politcal correctness gefordert worden war, hätte bedeutet, daß Vorgänge und Urteile, denen im Kontext und nach den Kriterien ihrer Zeit keineswegs Unrechtscharakter anhaftete, im Zuge solcher "Rehabilitationen" im Nachhineinund zwar im Abstand von Jahrhunderten - an den Maßstäben unserer Gegenwart gemessen und kriminalisiert worden wären. In einem solchen Verfahren hätten ganze Epochen der Kirchengeschichte auf die Anklagebank der Gegenwart verwiesen werden müssen, wobei, um nur ein Beispiel zu nennen, der Apostel Paulus des Einverständnisses mit der Sklaverei zu bezichtigen gewesen wäre. Die Absurdität eines solchen Anachronismus springt in die Augen! Es war also unmöglich, daß der Papst hierin einer wenig problembewußten öffentlichen Meinung folgte. Bei seinem durchaus kritischen Rückblick auf zweitausend Jahre Kirchengeschichte hat der Papst außerdem Schuld und Sünde nicht nur bei den Gliedern der Kirche gesucht. Es ist auch von Verfehlungen die Rede, deren Opfer die Kirche selbst geworden ist.

m. Der päpstliche Bußakt vom 12. März 2000 sowie die ihn vorbereitenden oder auch nachfolgenden vertiefenden Äußerungen Johannes Pauls II. weisen - wie bemerkt - eine unübersehbare Zukunftsorientierung auf. Dem Papst ging es um die nur von der Barmherzigkeit Gottes zu erwartende Bereinigung der Vergangenheit als unerläßliche Voraussetzung für eine von den Belastungen der Geschichte befreite Gestaltung der Zukunft. Was seitens der Menschen um dieses Zieles willen geschehen kann und geschehen muß, drückt Johannes Paul II. mit dem Schlüsselbegriff "Purificatio memoriae" -Reinigung des Gedächtnisses aus. Dies ist in der Tat ein sehr glücklich geprägter Begriff. Er formuliert das Gemeinte weit zutreffender als jene Formel, die bei der Vorbereitung des historischen Treffens zwischen Paul VI. und Patriarch Athenagaras im Jahre Grußwort an den Huskongreß im Dez. 1999 in Rom; OR 17. 12. 99. Ansprache an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, im Oktober 1992, in: Discorsi dei Papi alla Pontificia accademia delle Scienze 1936- 1993, Vaticano 1994, 271-280. 34

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1971 eher als Verlegenheitslösung gefunden worden war, als man die Frage zu beantworten hatte, wie man sich beiderseits zu den folgenreichen gegenseitigen Exkommunikationen des Jahres 1054 zu stellen habe. Damals hat man davon gesprochen, daß diese "aus dem Gedächtnis der Kirche getilgt werden" sollten. 36 Eine solche Redeweise konnte allerdings den Anschein erwecken, als solle man die Augen vor der historischen Realität verschließen -ein Verhalten, das an das pathologische Phänomen der "Verdrängung" erinnern könnte, das selbst wieder seelische Fehlverhalten verursacht. Demgegenüber hat der Begriff der "Purificatio memoriae" den Vorteil, daß er auf eine aktive Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Wirklichkeit, auf deren intellektuelle und existenzielle Bewältigung aus der Kraft und im Lichte des Glaubens verweist. Eben dies aber fordert der Papst nicht nur von den Gliedern der Kirche, sondern von allen "Menschen guten Willens". Damit hat der Papst einen unumgänglichen Weg zu Versöhnung und Frieden überhaupt gewiesen. Dies ist nun des Näheren auszuführen. Wer immer nach den Wurzeln heutiger Konflikte forscht, muß in der Tat tief graben. Ereignisse, die Jahrhunderte zurückliegen, entfalten noch in der Gegenwart ihre unheilvollen Folgen, werden zu Ursachen von Krieg und Gewalt. Der Beispiele hierfür sind zu viele, als daß sie hier aufgeführt werden könnten. Es gibt kaum ein Volk, eine religiöse Gemeinschaft, in deren Vergangenheit nicht eine solche Drachensaat augestreut worden wäre. Lange Zeit beschrieb man etwa das Verhältnis zwischen Franzosen und Deutschen als Erbfeindschaft. Die blutigen Attentate und Straßenschlachten im heutigen illster sind ohne die .fest im Gedächtnis haftende Erinnerung an die politisch-religiöse Unterdrückung Irlands seit dem 17. Jahrhundert nicht denkbar. Bis in unsere Tage hat das Schicksal des Jan Hus die Beziehungen zwischen Deutschen bzw. Österreichern und Tschechen belastet. Ebenso ist die Erinnerung an die Eroberung und Plünderung Konstantinopels durch das Heer des 4. Kreuzzuges im Jahre 1204 noch immer ein schwereres Hindernis für die Verständigung der griechischen Orthodoxie mit Rom als etwa die dogmatische Differenz bezüglich des "Filioque". Den Römern wiederum bleibt der 6. Mai 1527 unvergeßlich, an dem die "Lanzichenechi", die Landsknechte Karls V., das Rom der Renaissance in einer Orgie der Verwüstung untergehen ließen. Zu zahlreich und zu vielgestaltig sind die aus der Vergangenheit erwachsenden Belastungen, als daß sie auch nur annähernd namhaft gemacht wer36

Tornos Agapis, Rome-Istanbul1971, Nr. 127-130, S. 278-297.

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den könnten. Am meisten genannt wird in unseren Tagen die Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten, die bis heute und mit immer noch tiefgreifenden Konsequenzen ihre Schatten auf das Verhältnis Israels zu Deutschland, ja sogar zur katholischen Kirche wirft. Es läßt sich- ganz allgemein - kaum ein Konflikt finden, für den es keine historischen Wurzeln gibt, der nicht durch bewußt am Leben erhaltene Erinnerung immer neu genährt würde. So etwa ist der Hintergrund beschaffen, vor dem Johannes Paul II. seit Beginn seines Pontifikats zum Frieden mahnt, Wege zum Frieden weist, zur "Purificatio memoriae" aufruft. Die Notwendigkeit dieser Reinigung aber beruht, wie angedeutet, auf der vorausgegangenen Verunreinigung des kollektiven Gedächtnisses, der Erinnerung und damit der Traditionen von politischen wie religiösen Sozialgebilden. Nicht selten sind - und das verschärft das Problem - solche "vergiftete" Erinnerungen geradezu zu Kristallisationspunkten für deren nationale oder auch religiöse Identität geworden. Der päpstliche Appell zur Purificatio memoriae ist darum in höchstem Maße aktuell. Er richtet sich naturgemäß in erster Linie an die Zunft der Historiker. Sie waren es, die bis in die Gegenwart hinein ihre Aufgabe allzuoft darin gesehen haben, politischen, ökonomischen, ja sogar religiösen Interessen der eigenen Gemeinschaft zu dienen - mittels einer selektiven, bewußt akzentuierenden Geschichtsdarstellung, oder sogar mittels einer die Tatsachen wenn nicht manipulierenden so doch verfärbenden Art der Darstellung. Wurde, wird eine solche nationalistische, konfessionalistische Geschichtsschreibung zudem noch durch Dichtung, Theater, bildende Kunst und Folklore in die breiten Schichten von Völkern hineingetragen, so gelang auf diese Weise die Vermittlung eines Geschichtsbildes, das - vorwiegend in den Farben Schwarz und Weiß gemalt - einerseits die Identifikation mit der eigenen Gemeinschaft und ihren Traditionen begründen, andererseits aber zur mehr oder weniger emotionalen Ablehnung des »schwarzen« Anderen führen konnte. So gewiß es nun in der Tat eine wesentliche Aufgabe der Geschichtsschreibung ist, durch die Erhellung und Bewußtmachung der Herkunft einer Gemeinschaft soziale Identität zu stiften, so unabweisbar ist es, daß dies sinnvoll und verantwortbar nur auf der Grundlage der unverfälschten historischen Wahrheit geschehen kann- und darf. Insofern richtet sich der Appell zur Reinigung des Gedächtnisses in erster Linie an die historische Wissenschaft.

Vergebung- der Weg zum Frieden

427

Für sie - Profan- wie Kirchenhistoriker - muß als Programm gelten, was Leo XIII. anläßlich der Öffnung des Vatikanischen Geheimarchivs in seinem Schreiben "Saepe numero considerantes" vom 18. 8. 1883 den Historikernmit Worten Ciceros - ins Stammbuch geschrieben hat: "Primum esse historiae legem ne quid falsi dicere audeat deinde ne quid veri non audeat, ne qua suspicio gratiae sit in scribendo ne qua simultatis. " 37 "Non abbiamo paura della pubblicita dei documenti"- das war ein weiterer Kommentar zur Öffnung des Archivs.

Es wird also die Erforschung der historischen Wahrheit - sofern diese durch die Geschichtswissenschaft überhaupt erlaßbar ist - zum obersten Leitsatz erkoren. Damit aber ist ein entschlossener Verzicht auf jederlei Instrumentalisierung der geschichtlichen Wahrheit kategorisch gefordert. Diese gilt es vielmehr ans Tageslicht zu heben, sie sachgerecht zu interpretieren und zu einem realistischen Geschichtsbild auszuarbeiten, in dem die lichten wie die dunklen Farben nicht nach Sympathie oder Antipathie, auch durch keine Interessen getrübt, der erkannten Wahrheit entsprechend aufgetragen sind. Die Liebe des Historikes zu seinem Volk, zu seiner religiösen Gemeinschaft, darf nie in Konkurrenz zu seiner Liebe zur wissenschaftlich erarbeiteten Wahrheit treten. Hier beginnt die Purificatio memoriae. Siegeschieht dadurch, daß auf der "eigenen" Seite Irrtum oder Verbrechen ebenso zur Kenntnis genommen und als tatsächlich geschehen anerkannt werden wie auf der "anderen" Seite Erfolg, Leistung, Größe, und umgekehrt. Daß eine solche Geschichtsbetrachtung nicht nur eine intellektuelle Anstrengung erfordert, sondern eine bewußte Überwindung überlieferter Ressentiments, macht die Purificatio memoriae nicht leichter. Indes kann der Respekt vor der historischen Wahrheit und die Verantwortung ihr gegenüber den Geschichtsschreiber hierzu befähigen, selbst wenn auf diese Weise manches Heroendenkmal stürzt, das bislang Verehrung genoß. Die Forderung, der erkannten historischen Wahrheit die Ehre zu geben, bedeutet jedoch nicht, vom Historiker Standpunktlosigkeit oder Preisgabe seiner Identität zu verlangen. Wohl aber ist von ihm die Bereitschaft zum Verstehen und der Verzicht auf schnelles oder gar parteiisches Urteil zu erwarten. Der Beruf des Historikers, auch des historischen Schriftstellers oder des Geschichtslehrers, ist weder der eines Anklägers noch jener des Verteidigers oder auch des Richters. Der Relativität und der damit gegebenen Überholbarkeit seiner Einschätzungen und Beurteilungen bewußt, wird der Historiker, der sich für die Reinigung des Gedächtnisses in die Pflicht genommen weiß, sein Bemühen auf die möglichst lückenlose Ermittlung der 37

Acta Leonis Xill, m Romae 1884, 268.

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Walter Brandmüller

Tatsachen und auf die Frage nach deren Ursachen, vielfachen Verflechtungen und Folgen konzentrieren, ehe er mit aller Behutsamkeit Bewertungen vornimmt. Der Anerkennung der geschichtlichen Wahrheit folgt alsdann als zweiten Schritt eine Stellungnahme zu ihr. Eine solche ist jedoch nicht möglich ohne den vorhergegangenen Versuch, das Geschehene aus seinen Gründen und Umständen und mit seinen Folgen zu verstehen. Daß die historische Methode selbst bei Anwendung ihres gesamten Instrumentars hierbei häufig an Grenzen stößt, kann nicht verwundern, sind doch historische Handlungen schon des Individuums und erst recht solche von Gemeinschaften Ergebnisseletztenendes undurchdringlicher Geflechte von menschlicher Freiheit, äußeren und inneren Voraussetzungen und Bedingungen, ganz zu schweigen von den latenten Auseinandersetzungen im Inneren des Menschen zwischen Gnade und Sünde. Ohne Anerkenntnis der Realität der Sünde, aber auch der Gnade kann der Lauf der Geschichte kaum oder nur oberflächlich verstanden werden. Indem all die genannten Faktoren und insbesondere das nicht selten unvermeidliche "non liquet" beim Entwurf eines zutreffenden Geschichtsbildes gebührend in Anschlag gebracht werden, geschieht "Reinigung des Gedächtnisses". Daß indes hierbei nicht nur per defectum sondern auch per excessum gefehlt werden kann, lehrt die Erfahrung. Je ernster der Wille zur Reinigung des Gedächtnisses ist, desto leichter kann es geschehen, daß in der Vergangenheit der eigenen Gemeinschaft- Nation oder Kirche- dienegativen Elemente schärfer in den Blick gefaßt werden, als die positiven. Unter solchen Umständen kann ein Geschichtsbild entstehen, das die für die Existenz der betroffenen Gemeinschaft wesentliche Identifikation mit der eigenen Geschichte belastet, wenn es nicht sogar zur Distanzierung von ihr, ja geradezu zur Selbstverachtung führt. Die sozialpsychologischen Folgen einer solchen Haltung sind leicht mit jenen zu vergleichen, die sich im analogen Fall beim Individuum einstellen, das seine eigene Herkunft bzw. Vergangenheit anzunehmen verweigert. Was sich aus solchen Überlegungen klar ergibt, ist die Notwendigkeit einer vorgängigen Versöhnung mit der eigenen Geschichte, ehe es zur Versöhnung mit anderen Personen oder Gemeinschaften kommen kann. In jedem Falle wird der Weg über die manchmal auch Mut und Selbstverleugnung erfordernde Anerkennung der Realität des Bösen in der eigenen Vergangenheit führen müssen, und damit zur Bitte um Vergebung durch Gott - der sich, wenn solche, denen Unrecht geschehen ist, noch am Leben sind, die Bitte um deren Verzeihung anzuschließen hat. Wenn dergestalt die eigene

Vergebung- der Weg zum Frieden

429

wie die fremde Vergangenheit dem Urteil und der Barmherzigkeit Gottes überantwortet werden, eröffnet sich die Möglichkeit, sich dieser Vergangenheit vorurteilslos zu stellen und sie mit innerer Gelassenheit anzunehmen. Dann allerdings ist auch der Augenblick gekommen, in dem die Historia als vitae magistra ihr Wirken entfalten kann. Dies könnte etwa im Bezug auf die von Johannes Paul II. eigens apostrophierten Spaltungen der Kirche geschehen. In dem Maße, in dem die Erkenntnis wächst und sich durchsetzt, welch entscheidende Rolle bei nahezu allen Spaltungen politische, kulturelle, ja selbst ökonomische, also ganz und gar sachfremde profane Faktoren gespielt haben, könnte es möglich werden, zu prüfen, ob nach Wegfall der genannten Gründe nicht der Weg zur Wiedervereinigung beschritten werden könnte. Auf diese Weise könnte der vom Papst gewiesene Weg der "Purificatio memoriae" in der Tat zum Frieden zwischen den christlichen Konfessionen, aber auch zwischen den Völkern und. den Religionen führen.

IV.

In dieser Perspektive erscheint der Bußakt des Papstes vom 12. März in seiner eigentlichen Tragweite. Vor dem Hintergund der vor 2000 Jahren durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus bewirkten Zeitenwende bringt der Oberste Hirt der Kirche Jesu Christi zweitausend Jahre christlicher, ja menschlicher Geschichte vor Gottes Angesicht. Er spricht dabei Dank und Lobpreis für den niemals zu erfassenden Reichtum an Wahrheit und Gnade aus, der in diesem Bimillennium der Menschheit durch das Evangelium - und die Kirche - geschenkt wurde, und bekennt, wie bruchstückhaft und ungenügend die menschliche Antwort, auch die Antwort der Glieder der Kirche, darauf gewesen ist. Ein Versagen, das allein die Vergebung durch Gott heilen kann. Nun gilt es, daß Kirchen, religiöse Gemeinschaften, Völker, diesem Beispiel des Papstes folgen, der hier als Hirt der Kirche, ja der Völker gesprochen und gehandelt hat. Unbekümmert um Mißverständnis und Mißdeutung hat er an der Schwelle zum dritten christlichen Millennium der Menschheit den Weg in eine durch Gottes Barmherzigkeit von den Belastungen der Vergangenheit befreite Zukunft - gewiesen. Dieser Weg muß nun gegangen werden.

HERAUSGEBER- UND MITARBEITERVERZEICHNIS Gabriele Andreae, Dr., früher o. Professorin an der Sophia Universität in Tokyo, Frankfurt am Main Walter Brandmüller, Dr., Prälat, em. Professor an der Universität Augsburg, Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften, Vatikanstadt Paul Josef Cordes, Dr., Titularerzbischof von Naisso, Präsident des Päpstlichen Rates "CorUnum", Vatikanstadt Egon Kapellari, Dr., Diözesanbischof der Diözese Gurk-Klagenfurt Paul Kirchhof, Dr., o. Professor an der Universität Heidelberg, Richter des Bundesverfassungsgerichtes a.D. Thomas Klestil, Dr., Bundespräsident der Republik Österreich Karl Korinek, Dr., o. Professor an der Universität Wien, ViZepräsident des Verfassungsgerichtshofes Heribert Franz Köck, Dr., M. C. L., o. Professor und Dekan an der Universität Linz Klaus Küng, DDr., Bischof von Feldkirch Klaus Liebscher, Dr., Gouverneur der Österreichischen Nationalbank, Wien Helmut Liedermann, Dr., Botschafter des Souveränen Malteser Ordens in der Slowakischen Republik und bei den Vereinten Nationen, Wien Alfonso Kardinal L6pez Trujillo, Dr., Präsident des Päpstlichen Rates für die Familie, Vatikanstadt Chiara Lubich, Gründetin und Präsidentin der Fbkolar-Bewegung, Rom Joachim Kardinal Meisner, Dr., Erzbischof von Köln Anton Rauscher SJ., Dr., em. o. Professor an der Universität Augsburg, Direktor der Kath.-Sozialwissenschaftlichen Zentrale Mönchengladbach HerbeTt Schambeck, Dr., o. Professor an der Universität Linz, Präsident des Bundesrates i. R. Johannes Schasching SJ, Dr., em. o. Professor an der Päpstlichen Universität Gregoriana, Wien

432

Herausgeber- und Mitarbeiterverzeichnis

Ludwig Schwarz, SDB, Dr., Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich, Wien Donato Squicciarini, DDr., Titularerzbischof von Tiburnia, Apostolischer Nuntius in Österreich, Wien Wolfgang Waldstein, Dr., em. o. Professor an der Universität Salzburg RudolfWeiler, DDr., Prälat, em. o. Professor an der Universität Wien

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 1 Joh 1Kor 1 Thess 2Kor 2 Petr 2 Thess

Erster Brief des Johannes (NT) Erster Brief an die Korinther (NT) Erster Brief an die Thessalonicher (NT) Zweiter Brief an die Korinther (NT) Zweiter Brief des Petrus (NT) Zweiter Brief an die Thessalonicher (NT)

AA AAS

Apostolicam actuositatem Acta Apostolicae Sedis Atomare /Biologische I Chemische Waffen Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Absatz Adgentes Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Anmerkung Die Apostelgeschichte (NT) Artikel Vereinigung südostasiatischer Staaten Acta Sanctae Sedis Altes Testament Auflage Bundesgesetzblatt Bundesrepublik Deutschland Bundes-Verfassungsgesetz beziehungsweise Centesimus annus canon(es) Rat der Europäischen Bischofskonferenzen Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium Christus Dominus Organisation für internationale Zusammenarbeit und Solidarität Tschechoslowakische Föderative Republik Tschechoslowakische Sozialistische Republik Deutsche Demokratische Republik dasheißt Dignitatis humanae Doktor deutsch

ABC-Waffen ABGB Abs AG AEMR Arun

Apg Art ASE AN ASS AT Aufl BGBl BRD B-VG bzw CA can(n) CCEE CCEO CD CIDSE CSFR CSSR DDR dh

DH

Dr dt

28 Johannes Paul II.

434 Dtn ebd ECOSOC EG EMRK Eph etc EU

Abkürzungsverzeichnis Das Buch Deuteronomium (AT) ebenda Wirtschafts- und Sozialrat der UNO Europäische Gemeinschaft( en) Europäische Menschenrechtskonvention Der Brief an die Epheser (NT) et cetera Europäische Union

EV

Evangelium vitae

Ez

Das Buch Ezechiel (AT) folgend(e) Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation Fußnote Festschrift Der Brief an die Galater (NT) Welthandelsabkommen

f(f)

FAO FN FS Gal GATT GE Gen GS GUS Hebr Hg/Hrsg hl Hos IAEAIIAEO IBRD IHF

ILO IMF

IRO IWF Jer Jes Joh KEK KKK Kol KSZE/CSCE LG Lk Mich Mk Msgr Mt NAFTA

Gravissimum educationis

Das Buch Genesis (AT)

Gaudium et spes

Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Der Brief an die Hebräer (NT) Herausgeber heilig Das Buch Hosea (AT) Internationale Atomenergie-Organisation Weltbank Internationale Helsinki Föderation für Menschenrechte Internationale Arbeitsorganisation Internationaler Wahrungsfonds der UNO UN-Flüchtlingshilfswerk Internationaler Wahrungsfonds Das Buch Jeremia (AT) Das Buch Jesaja (AT) Das Evangelium nach Johannes (NT) Konferenz Europäischer Kirchen Katechismus der Katholischen Kirche Der Brief an die Kolosser (NT) Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Lumen Gentium

Das Evangelium nach Lukas (NT) Buch Micha (AT) Das Evangelium nach Markus (NT) Monsignore Das Evangelium nach Matthäus (NT) Nordamerikanisches Freihandelsabkommen

AbklirzlUlgsverzeichrris NATO NGO Nr NS NT

OA OAS OeNB Offb OR OSZE/OSCE Petr Phil PO PP Prof Ps PT

QA

RGBl RH RN Röm SALT SC Sir Sr SRS TMA

ua UdSSR Univ-Prof Univ-Doz UNCTAD UNESCO UNHCR UNICEF UNIDO UNO UNOV UNRRA UR

USA 28°

435

Nordatlantische Vertragsorganisation RegierungslUlabhängige Organisation Nummer Nationalsozialismus Neues Testament Octogesima adveniens Organisation Amerikanischer Staaten Gesterreichische Nationalbank Die Offenbarung des Johannes (NT) OsseiVatore Rarnano Organisation für Sicherheit lUld Zusammenarbeit in Europa Brief des Apostels Petrus (NT) Der Brief an die Phitipper (NT) Presbyterorum ordinis Populorum progressio Professor Die Psalmen (AT) Pacem in terris Quadragesima anno Reichsgesetzblatt Redemptor hominis Rerum novarum Der Brief an die Römer (NT) VerhandllUlgen über die Beschränkung strategischer Nuklearwaffen Sacrosanctum Concilium Das Buch Jesus Sirach (AT) Schwester Sollicitudo rei socialis Tertia millennio adveniente lUlter anderem Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Universitätsprofessor Universitätsdozent Handel- lUld EntwickllUlgskonferenz der Vereinten Nationen Organisation der Vereinten Nationen für ErziehlUlg, Wissenschaft lUldKultur Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Organisation der Vereinten Nationen für Industrielle EntwickllUlg Organisation der Vereinten Nationen Büro der Vereinten Nationen in Wien Organisation der Vereinten Nationen für Hilfe lUld Wiederaufbau Unitatis redintegratio Vereinigte Staaten von Amerika

436

vgl Weish WHO

wro

zB

Abkürzungsverzeichnis vergleiche Das Buch der Weisheit (AT} Weltgesundheitsorganisation Welthandelsorganisation zum Beispiel

BIBELSTELLEN Die im Register verwendeten römischen Ziffern I, II, Ill beziehen sich auf die drei Bände der Weltfriedensbotschaften.

Altes Testament Gen 1,4 ff. II 268 Gen 1,20 m 299 Gen 1,26-27 I 53; II 91 Gen 1,26-28 m 196, 209 Gen 1,27 II 63; ill 53 Gen 1,28 II 262 Gen 1,31 II 262 Gen 2,2 II 262 Gen 2,4b-25 m 161 Gen 2,23 Ill 81 Gen2,24 ill53 Gen 2,28 m 299 Gen3,16 ill90 Gen 3,17 II 262 Gen4,6-9 11109 Gen 4,9 III 141 Gen 4,10 m 141 Gen 4,12 II 262 Gen4,23-24 m 156 Gen 8,8 -12 m 394 Gen11,7-9 11109 Dtn 10,18 II 246 Dtn 30,15-20 II 287 Ijob 7,1 111 152 Ijob 15,21 I 96 Ps 8,2 II 268 Ps8,6-7 I53 Ps 19,13 II 293, 299 Ps 32,5 m 140 Ps 65,12 111 240

Ps 68,31 II 19 Ps 72,7 II 199, 204; ill 152,239 Ps 72,13f II 199 Ps 96 II 269 Ps 103,3-4.10 m 146 Ps 103,3.8-14 m 140 Ps 104,1 ff. II 268 Ps 127,3 ff. I 199 Ps 148 11269 Weish 1,14 I 145 Weish 11,24 II 19 Weish 13,3-5 II 268 Sir 39,16.33 II 268 Sir43,1-9 11268 Jes 2,3-4 m 153 Jes 2,4 I 158 Jes 9,5 I 200; II 302 Jes 11,6-9 m 152 Jes32,15-17 ill173 Jes 32,17 I 39, 51 f., 66, 98; II 20, 133, 144; m 15, 62, 239 Jes 38,17 m 145 Jes 42,3 m 224 Jes 42,4 II 296 Jes 49,15 m 145 Jes49,15-16 ill207 Jes 61 m 395 Jes 66,12 II 78

438

Bibelstellen

Jer 6,14 I 96 Jer 29,11 II 302; III 245

Hos 4,3 II 263 Joel

Ez 18,23 II1 140 Ez 36,26 II 137

m 154

Mich 4,3 III 153

Neues Testament Mt 5,5.9 II 19 Mt 5,9 I 25, 49, 76, 117, 127, 134, 200; II 23, 26, 31, 50, 84,136,220, 308;III64, 243 Mt5,13-14 III61 Mt 5,16 III 50 Mt5,17.21-22 I159 Mt5,21-26 I64 Mt 5,23 ff. I 76 Mt 5,23-24 II1 146 Mt 5,25 II 109 Mt 5,38-41 II 163 Mt 5,38-42 II 84 Mt 5,38-48 I 64 Mt 5,39 I 160, 163 Mt 5,40 I 160 Mt 5,43-48 II 84 Mt 5,44 I 161 Mt 6,12 I 161; III 146, 156 Mt 6,14-15 I 76 Mt 6,19-20 II1 28 Mt6,24 III46 Mt6,32 III46 Mt 7,7 ff. I 134 Mt 7,12 I 76, 84, 199 Mt 8,20 II1 29, 46 Mt 9,35 III 153 Mt 10,11-13 II 84 Mt 10,25 II1 29 Mt 10,34 II 164; III 153 Mt 11,19 II1 29 Mt 11,30 II 300 Mt 13,22 II1 29 Mt 18,6 III 120 Mt 18,20 II1 101 Mt 18,21-22 II 84 Mt 18,21-35 I 63

Mt 18,22 III 157 Mt 18,23 ff. I 161 Mt 18,23-35 III 146, 156 Mt 18,34 m 156 Mt 18,35 III 146 Mt 19,8 III 161 Mt 19,11 I 178 Mt 19,14 III 299 Mt 19,24 III46 Mt 19,29 I 177 Mt 22,39 II 306 Mt 23,8 I 75, 77, 159 Mt 25,31 ff. I 92 Mt 25,31-46 I 93 Mt 25,35-36 II 86 Mt 25,35-37 m 29 Mt 25,40 I 188; III 97 Mt 26,52 I 158, 197 Mt 28,20 II 219, 238; III 59 Mk 1,15 II 136 Mk 4,19 III 46 Mk 10,14-15 m 120 Mk 11,25 I 161 Mk 12,31 II 306 Mk 16,15 II 219 Lk 1,37 II 307 Lk 1,46-55 III 86 Lk 1,52-53 III 106 Lk 2,14 I 7, 118, 193; II 84; III 12, 225, 235,240,245 Lk 2,51f II 200 Lk 4,18 II 199 Lk 6,20 III 29 Lk 6,37 I 161 Lk 9,47-48 III 120

Bibelstellen Lk 10,5 II 31 Lk 10,27 II 306 Lk 10,29-37 II 80 Lk 10,33 II 84 Lk 11,4 III 156 Lk 12,7 III 97 Lk 13,32 II 160 Lk 14,31 I 173 Lk 14,33 III 28 Lk 15,11-32 III 146 Lk 15,20-22 III 146 Lk 16,10 I 192 Lk 17,16 II 84 Lk 18,9-14 II 293 Lk 22,32 II 287 Lk 23,24 III 146 Lk 24,13-35 II 160 Lk 24,26 II 157 Joh 3,16.20 II 287 Joh 4,16 III 89 Joh 8,32 II 287 Joh 8,36 II 67 Joh 8,40. 41. 44 II 49 Joh 10,10 I 65; II 19, 246; III 11 Joh 10,19. 21. 26 III 235 Joh 11,52 II 175, 187 Joh 12,25 I 131, 177 Joh 13,34 ff. I 201; II 219 Joh 14,6 II 287 Joh 14,27 I 134; II 136, 219, 307; III 29, 59, 115;I11137, 152 Joh 17,21 II 96, 246; III 149 Joh 17,23 I 147 Joh 20,19 II 84; III 59 Joh 20,19.26 II 308 Joh 20,21 III 137 Apg 4,12 Apg 10,34 Apg 10,38 Apg 17,26 Apg 19,9 Apg 22,4

II 212 II 296 I 90 II 241 II 161 II 161

439

Röm 2,1-16 II 293 Röm 2,14f II 295 Röm 2,15 II 278 Röm 4,18 II 176 Röm5,3 I 117 Röm 5,20 II 175 Röm 7,15-19 II 144 Röm 8,20-21 II 262 Röm 8,21 II 262 Röm 8,28 I 117 Röm 12,2 III 161 Röm 12,5 II 84 Röm 12,14 I 161 Röm 13,4 I 159 Röm 14,17 III 152, 172 1 Kor 1,10; 12,12-27 I 147 1 Kor 12,26 III 418 1 Kor 13 III 33 1 Kor 13,13 III 90 1 Kor 14,33 II 306 2 Kor 1,3 III 140 2 Kor 3,17 II 67 2 Kor 5,18 I 146; II 137, 146 2 Kor 5,18-20 m 147 2 Kor 12,2.3 III 61 Gal5,1 II 18 Gal 5,22 I 147 Gal6,2 III418 Eph 1,10 II 86, 262 Eph 2,4 I 134 Eph 2,4-5 III 140 Eph 2,11 I178 Eph 2,14 I 15, 25, 99, 118; II 32, 137, 175, 187, 199, 236, 302; II1 152, 235 Eph 2,14-16 I 147 Eph 2,16 II 84 Eph 2,17 II 137 Eph 2,18.19 II 246 Eph 2,20-22 II 247 Eph 3,15 III 60 Eph 3,19 II 157

440

Bibelstellen

Eph 4,15 II 288 Eph 6,15 I 10, 25; II 85, 307

Hebr 12,11 III 172 Hebr 13,8 III 154

Phil2,6-7 m 29 Phil4,7 I 148 Phil 4,9 I 177

2 Petr 1,4 II 157 2 Petr 3,13 II 262

Kol1,19-20 11262 1 Thess 1,10 III 152

1 Joh 2,18 1 Joh 2,20 1 Joh 3,2 1 Joh 4,10 1 Joh 4,16

III 152

II 297 II 157 m 240 II 219

2 Thess 3,15 II 78 Hebr 1,2 III 152 Hebr 4,15 II1 120

Offb 3,20 I 169 Offb 21,5 II 262 Offb 22 m 161

LEHRAMTLICHE DOKUMENTE Die im Register veiWendeten römischen Ziliern I, II, Bände der Weltfriedensbotschaften.

m

beziehen sich auf die drei

Adgentes ill235

Immertale Dei II 224

Ad gentes divinitus II 226

Incarnationis mysterium

Acerba animi I 56

Iustitiam et Pacem I 244

Amoris Officio ill 31

Katechismus der Katholischen Kirche m 59, 70, 81, 204, 206, 232, 258

Apostolatus peragendi ill 71 Apostolicam actuositatem ill 172 Caritas Christi I 56 Catholicam Christi Ecclesiam I 244 Centesimus annus II 56, 147, 209, 310, 313; Ill 24, 110, 202, 231 f., 309, 316 ff., 321 ff., 330, 336f Dignitatis humanae I 80, 222; II 213, 216, 225, 234, 281, 284; m 198, 217 Dilectissima nobis I 56

m 145, 159

Dives in misericordia

Divini Redemptoris I 56 Dominum et vivificantem II 217 Ecclesiam suam I 29, 121, 185; II 15, 104;ill412 Evangelium vitae ill 68, 70, 74, 114, 132, 197 f., 249 f., 259 ff., 408,418 ff. Familia a Deo instituta ill 71f Familiaris consortio

m 59 f., 70, 83

m 415, 418

Laborern exercens II 72, 78; 330

m

321 f.,

Lumen Gentium I 59, 89 f., 223; ill 16 f., 147 Materet Magistra I 79, 262; ill 52 Miserentissimus Redemptor I 56 Mit brennender Sorge I 56 Mulieris dignitatem ill 70, 81 f., 88, 90f Nostra aetate II 281, 304; m 420f

Octogesima adveniens I 185; II 61 Optatissima pax I 234 Pacem, Dei munus pulcherrimum I 230; II 75 Pacem in terris I 18, 25, 57, 65, 67, 80, 117, 120, 126, 145, 170, 183, 185, 234, 249, 262; II 17, 31, 42, 56, 59 f., 69, 83, 134, 212, 239; m 12, 79 f., 85, 164, 213, 361,377

Fides et ratio Ill 318

Pastorbonus ill 31, 33

Gaudium et spes I 51, 57, 66, 100, 102, 120, 124, 143, 152, 224, 237, 242, 262; II 63, 87, 94, 107, 109, 154, 175, 212, 226, 236, 239, 278, 287; m 15 f., 24, 42, 53, 55, 59, 61 ff., 66, 70, 137, 166, 213, 220, 222, 280, 299, 311, 316, 361, 377, 403,422

Popworum progressio I 67, 69, 78, 120, 139 f., 183, 185, 236, 245, 249, 262; II 119, 189 f., 193, 198, 202 f., 208; m 80, 222,243,330,387,404

Gratissimam sane (Brief an die Familien) m 62, 68, 70, 74, 76

Reconciliatio et Paenitentia ill 40

Humanae vitae ill 70

Quadragesima anno I 30, 56, 83; m 335 Quanta cura II 224 Rerum novarum I 27, 256; II 56, 119; m 220, 335 f., 339

442

Lehramtliche Dokumente

Redemptor hominis li 47, 216, 229, 234; m 55, 195, 206, 209 Sollicitudo rei socialis II 118, 208 f., 244, 313; m 29, 40, so, 318, 321 ff., 330

Syllabus errorum li 224 Tertio millennio adveniente 154,160,207,415

m

147 f.,

Studiorum ducem I 231

Ubi arcano Dei I 230

Summi pontificatus I 232; lli 361

Unitatis redintegratio I 147; m 16, 236

PERSONENREGISTER Die im Register verwendeten römischen Ziffern I, II, Bände der Weltfriedensbotschaften. Abbe de Saint Pierre III 396 Abel, bibl. II 109, 132 Abraham, bibl. II 160, 178 Abs, Hermann J. I 120, 267; II 11 Adam, bibl. II 262 Adenauer, Konrad III 244 Anstee, Margaret Joan III 15 Aischylos II 300 Andreae, Gabriele III 393 Annan, Kofi III 284, 288 Apollo II 299 Ares III394 Aristophanes m 162 Aristoteles I 84 Arns, Kardinal III 110 Athenagaras III 424 Auer, Albert I 86 Augustinus, hl. I 36, 60, 65 f., 84 f., 102, 124, 143 f., 166, 182 f., 185; II 75, 89, 296 f.; m 63, 65, 67 ff., 245, 258, 394 Bachmann, Ingeborg III 401 Balthasar, Hans Urs von II 159, 300; m 106 Bartoszewski, Wladyslaw II 14, 67,317 Basilius, hl. II 295, 297 Behrendt, Ethel L. III 255 Belo, Carlos Filipe III 398 Benedikt XV., Papst I 7 f., 120, 228 ff.; II 17, 75; Ill 13, 239, 361, 377 Benelli, Giovanni I 186, 260 Benn, Gottfried I 179, 181 Berbeyrac, Jean I 54 Berger, Heribert I 189 Bergson, Henri I 38f Bethune, Maximillen de III 396

m beziehen sich auf die drei

Binding, Karl III 252 ff. Bismarck, Otto von I 222 Blix, Hans III 15 Böckenförde, Ernst-Wolfgang III 315 Böll, Heinrich III 127 Brandmüller, Walter III 415 Brant, Sebastian III 162 Breschnew, Leonid II 146 Brigitta von Schweden, hl. m 88 Broermann, Johannes I 14; II 11,21 Bruckmann, Gerhard III 411 Bruno, Giordano II1 415, 423 Buddha II 159 Bunche, Ralphe I 261 Byrn, Robert M. III 256 Campos, Mauricio De Maria Y m 15 Cardinale, H. E. I 91 Capotorti, F. II 250 Casaroli, Agastino Kardinal I 150, 263; 11 117, 311; m 411 Castel, Charles-Irenee III 396 Cato III64 Ceirano, Giovanni III 14 Cicero III 63, 252, 258, 264 f., 399, 427 Chandra, Romesh III 412 Claudel, Paul I 192 Clinton, Bill III 294f Coly, Fulgence m 38 Coly, Maixent Ill 38 Comte, Auguste III 44 Cordes, Paul Josef Ill 31, 38 Cusanus, Nikolaus II 42 Czempiel, Ernst-Otto III 399, 406f

444

Personenregtster

Damian de Veuster, P., sel. I 88 Dechene II 250 Delors, Jacques III 244 Dewey, John I 38 Diagenes Ill 191 Dubois, Pierre Ill 396 Eirene Ill 394 Eisenhower, Dwight D. I 261 Eklund, Sigvard I 9; III 15 Elisabeth, bibl. III 86 Engels, Friedrich III 51 Erasmus von Rotterdam Ill 395 Ermacora, Felix II 17,248, 317; III 218, 250 f., 411 Esquivel, Adolfo Perez II 164 Eva, bibl. II 262; II1 91 Falconi, Msgr. I 228 Feuerbach, Ludwig III 44 Fermi, Enrico I 261 Frank, Anne III 124f Franz von Assisi, hl. II 88, 164, 270, 303 Fried, Alfred m 405 Fromm, Erich I 136 Gabriel, Leo III 411 Gagnon, Edouard Kardinal Ill 71f Gajowniczek, Franz III 49 Galilei, Galileo m 254, 415, 424 Galtung, Johan III 399 Gandhi, Mahatma I 138, 159; II 315; III 98 Giacomelli, Giorgjo m 15 Giordani, Igino III 93, 101 Giovanetti, Msgr. I 263f Goretti, Maria, hl. II1 98 Gottwald, Klement I 179 Görres, Albert II 292 Gregor von Nyssa, hl. I 53 Gregor XVI., Papst II 224 Grotius, Hugo III 290, 396 Gryphius, Andreas Ill 401 Guitton, Jean I 149

Hammarskjöld, Dag I 261 f.; III 398 Haupt, Hermann II 13, 271, 317 Hauswirth, Dr. III 253 Havel, Vaclav II 139 f., 145, 147f Heitger, Marian II 15, 34, 317; III 411 Herodes, bibl. II 160; III 29, 124 Hesiod I 179; III 151 f., 161 Himmler, Heinrich II 292 Hitler, Adolf I 210; II 181, 292, 299 Hobbes, Thomas I 124, 127; II 162, 228; III 161, 242, 396 Hoche, Alfred III 254 Homer III151 Hölderlin, Johann Christian Friedrich n 162 Hörmann, Karl I 65, 267; II 11; III 409 Hugo, Victor II 146 Hume, David I 35 Hus, Jan III 424f lmboden, Max I 191 Isaak, bibl. II 160, 178 Jackson, Robert I 264 Jakob, bibl. II 160, 178 James, William I 38 Jaspers, Karl I 179; II 70, 95 Jeanne d'Arc, hl. m 88 Jesaja, Prophet I 51, 158; II 20, 133, 144; m 152 f., 161, 201, 224, 338 Jesus Christus I 84, 223, 237; II 14, 18, 31 f., 50, 67, 79, 84 f., 95, 109, 137, 143, 157, 159 f., 163 f., 175, 200, 203, 219 f., 288, 293, 296 f., 307; III 16, 39, 41, 43, 50, 59, 76, 90, 94 ff., 99 ff., 111, 120, 124, 137' 146 f., 154 ff., 171, 189, 206 f., 225, 235, 241, 243 ff., 329, 331, 415, 429 JoiH, Prophet m 153 Johannes, Evangelist II 67, 219, 297 Johannes der Täufer II 187 Johannes XXIII., Papst, sel. I 18 f., 25, 57, 65, 67, 79 f., 88, 117, 120 f., 126, 145, 170, 183, 185, 195, 234 f., 249, 260,262;1117,31,56,59, 69, 239,311; III 52, 79 f., 85, 164,213,237, 361, 377

Personenregister Johannes Paul 1., Papst I 14, 19, 92, 126; 11 17; m 13 Josef, hl. II 200 Kain, bibl. I 132; II 109, 132; ill 141 Kampits, Peter ill 411 Kant, Immanuel I 179; ill 77, 396 Kapellari, Egon II 16, 159, 317; ill 239 Karl V., Kaiser ill 425 Kasteel, Karel ill 38 Katharina von Siena, hl. II 312; m 88 Kelsen, Hans ill 314 Kennedy, Robert I 138 Khane, Abd-el Rahman I 9; ill 15 Killian, Pater I 259 King, Martin Luther I 138 Kirchhof, Paul ill 175 Kirchschläger, Rudolf I 8, 10, 17, 267; II 11, 13, 89, 317 Klestil, Thomas m 9 Klose, Alfred m 411 Knox, James R. Kardinal ill 72 Köck, Heribert Franz I 14, 218, 267; II 11, 14, 221, 317; m 353, 364, 411 Kolbe, P. Maximilian, hl. I 88; ill 49 König, Franz Kardinal I 9, 14, 149, 267; II 11; ill409f Korinek, Karl I 187; ill 209 Kowalski, Nikolai A. m 413 Kremer, Jacob m 411 Krippendorff, Ekkehart II 55 Kuchta, Dieter H. II 21 Küng, Klaus m 293 Lamech, bibl. ill 156 Laotse II 159 Laurentius, Diakon, hl. ill 49 Lazarus, bibl. Ill 206 Lehret, Pater I 264 Leibniz, Gottfried Wilhelm ill 396 Leo XIII., Papst I 27 f., 87, 226 ff., 255; 11 56, 119, 224, 274; m 335, 360, 426 Leser, Norbert II 54 f.; ill 411 Liebscher, Klaus ill 341 Liedermann, Helmut II 15, 111, 311, 317; m 267

445

Ligutti, Msgr. I 260 Litt, Theodor I 32 L6pez Trujillo, Alfonso Kardinal ill 61, 72 Lorenz, Konrad I 136 Lubac, Henri de ill 43 Lubich, Chiara ill 87 Lukas, Evangelist ill 240 Lukaseder, Walter ill 17 Luther, Martin ill 423 Luxemburg, Rosa I 128 Magariftos, Carlos ill 15 Maria, Gottesmutter I 8, 12, 40; II 20, 33, 178, 200; m 13, 46 f., so, 86, 90 ff., 97, 99, 101 f., 104, 106, 110 f., 154 f., 238 Maria von Magdala ill 102 Martin, Francisco Azcon San ill 38 Martin von Tours, hl. ill 49 Marx, Karl II 35; ill 51, 337 Maiziere, Ulrich de I 180 Majdanski, Kazimierz m 71 Medi, Professor I 261 Meisner, Joachim Kardinal ill 151 Merkl, Adolf ill 314 Messner, Johannes I 81, 83, 85, 100, 267; 11 11, 55; m 408f Micha, Prophet m 153 Moises, Maria Herlinde I 186 Molotow, Wjatscheslaw I 179 Morse, David I 263 Morus, Thomas, hl. ill 162, 396 Moses, bibl. 11160 Murawjew, Graf I 226 Myrdal, Alva I 38 Neves, Lucas Moreira Kardinal ill 71 Newman, John Henry Kardinal II 297 Newton, lsaac I 105 Nguyen Van Thuan, Francois Xavier ill 94 Nietzsche, Friedrich ill 44 Nikolaus II., Zar I 28 Nirmala, Sr. ill 37 Noe, Vrrgilio Kardinal ill 71

Personenregister

446 Orest li 299f Otunu, Olara m 127 Ozanam, Frederic, sel.

m 51

Pacelli, Eugenio (später Papst Pius XII.) ill239 Pallas Athene li 300 Pascal, Blaise li 178 Paul,Jean m 162 Paulus, Apostel I 146; li 67, 137, 144, 293, 295 f., 299; m aa, 147, 161, 418, 424 Penn, William m 396 Peressin, Mario m 14 Perrin, Henri m 44 Petrus, Apostel I 223 f.; li 287, 310; m 417,421 Picasso, Pablo I 181 Picht, Georg m 399 Pilatus, Pontius m 245 Pius IX., Papst, sel. li 224 Pius X., Papst, hl. I 227f Pius XI., Papst I 30, 56, 83, 87, 230 f.; li 17,134 Pius XII., Papst I 7 f., 55 ff., 67, 79 f., 88, 101, 120, 125, 183 ff., 195, 232 ff., 261; li 17, 20, 237, 311; m 13, 92, 205 f., 219, 239, 315, 338, 361, 377 Platon I 84; li 159; m 258 Podiebrad, Georg von m 396 Popper, Karl R. I 31, 33 Prantner, Robert I 15, 77, 267; li 11, 15, 21, 178, 317; m 411 Pufendorf, Samuel I 54 Quilici, Oriano I 9, 261, 264; m 14

Bad, Gerhard von li 142 Rahner, Karl m 311 Rampolla, Mariano Kardinal I 226f Ranke, Leopold von li 159 Ratzinger, Josef Kardinal li 15, 289, 317; m 311,317,416 Rauscher, Anton m 329 Reichmann, Hans I 162, 267; li 11 Reikerstorfer, Johann m 411

Reisch, Erich I 89 Riedmatten, Henri de I 261 Rita von Cascia, hl. m 88 Roberts, Michael I 80 Röling, Bert V. A. I 37 Rollett, Brigitte m 411 Romero, Oscar Arnulfo m 398 Roncalli, Angelo (später Papst Johannes XXIII.) I 260 Roos, Lothar m 337 Rossi, Opilio Kardinal m 71 Rouamba, Seraphim m 38 Rousseau, Jean-Jacques m 396 Rühl, Lothar li 146 Sachs, Nelly li 161 Savonarola, Girolamo m 423 Schambeck, Herbert I 14, 179, 267; li 11, 16, 117, 309, 317; m 211, 307, 411 Schasching, Johannes li 16, 202, 317; ill318, 321 Scheler, Max I 39 Schmitt-Glaeser, Walter m 312 Schneider, Heinrich m 409, 411 Schuman, Robert m 244 Schwarz, Ludwig m 123 Scipio Africanus m 64 Segur, Heinrich li 13, 139, 317 Seidl-Hohenveldern, Ignaz li 53; m 411 Senghaas, Dieter m 399, 406 Siazon, Domingo L. m 15 Silvestrini, Achille Kardinal li 116 Simon, Norbert li 20; m 17 Smith, Adam m 343f Sokrates li 159 Solschenizyn, Alexander li 164 Spellman, Kardinal Francis I 261 Squicciarini, Donato I 7, 267; li 7, 21, 317; ill7, 17,411 Stalin, Josef li 292, 299 Stein, Edith, hl. m 88 Strattmann OP, P. Franziskus I 128 Strotzka, Hans m 411 Suarez, Francisco I 85; m 290 Suavet, Thomas li 96

Personenregister Suhard, Kardinal Emmanuel m 43 Suttner, Bertha von m 397,405 Tacitus I 113, 173 Teresa von Kalkutta, Sr. I 88; II 316; m 37 Thomas von Aquin, hl. I 54, 103, 105, 182, 231; 11 298; m 394 Thomas, Albert I 256 Tocqueville, Alexis de m 192 Tomko, Josef Kardinal m 71 U Thant, Sithu I 192, 236, 262f Ungar, Leopold I 135, 267; II 11 Varro ill63 Vasquez de Menchaca, Fernando I 54 Verdross, Alfred I 51, 267; II 11, 52; m 354 f., 364 Verosta, Stephan I 14, 255, 268; II 11 Vmzenz von Paul, hl. I 88; m 49 Vitoria, Francisco de m 290 Vlk, Miloslav Kardinal m 99

447

Waldheim, Kurt I 153; II 9, 17, 317 Waldstein, Wolfgang m 249 Weber, Max m 42, 45, 48, 241 Weiler, Rudolf I 27, 268; II 11, 13, 51, 317; m 403, 40.9, 411 Weismayer, Josef m 411 Weizsäcker, Carl Friedrich von I 38 Wetter, P. Gustav A. m 413 Whitehead, Alfred N. I 34 f., 40 Wllson, Thomas Woodrow I 229, 257 Wmgen, Max m 300, 302 Wmkler, Günther I 202, 268; II 11; m 410 Wise, John I 54 Wuthe, Paul m 17 Zacher, Hans m 310 Zemanek, Karl I 14, 249, 268; II 11 Zenari, Mario m 14 Zsifkovits, Valentin m 411 Zürn, Michael m 406

GEOGRAPIDSCHES /TOPOGRAPHISCHES REGISTER Die im Register verwendeten römischen Ziffern I, II, Bände der Weltfriedensbotschaften. Afghanistan m 125 Afrika I 7; II 191; III 12, 21, 106 f., 130, 204,304,331,387,390 Albanien m 34 Amazonas II 310 Amerika m 22, 73, 284, 295 Amsterdam m 300 Angola II 90; III 127, 129 Armenia III34 Armenien II 254 Asien I 7; m 12, 21, 74, 100, 130, 332, 346,387,390 Assisi II 8, 96, 199, 201, 203, 212, 218, 235,270,303 Atlantik II 146 Athen III264 Äthiopien m 125, 127, 129 Auschwitz III 49 Australien III 35 Babel II 109 Balkan II 8, 17, 187; III 32, 99, 285, 289f Bangkok III 74 Banjul III38 Belgien II 185; III 35, 43 Berlin I 179, 181; II 126, 186, 311; III 11 Bern III253 Bethlehem III 101, 225, 244 Bielefeld III 255 Bogota I 186 Bombay II 16 Bonn I 180; II 122, 146 Bosnien-Herzegowina III 21, 56, 90, 125, 128 Brasilien I 252; III 47, 110

m beziehen sich auf die drei

BRD II 184, 252; III 405 Bremen I 181 Bretton Woods I 263 Brüssel I 263 Budapest III 32, 51 Buenos Aires III 73 Bulgarien III 99 Burgund II 165 Burkina Faso III 38 Burundi I 267 Canterbury I 222 Castel Gandolfo II 11 Chiang Mai III 100 Chile m 36 CSFR II 139 DDR II 184; III 104 Deutschland II 117; m 32, 44, 244, 255, 282,334,397,405,426 Den Haag I 28, 226 f.; III 32, 361,405 Drogheda II 50 Dumbarton Oaks I 232, 258 El Salvador III 127 Ernmaus II 157, 160 Ephesus II 160 Estland III 285 Europa I 212, 227, 251, 257, 259; II 9, 17 f., 20, 52, 90, 93, 116, 118 ff., 146 f., 174, 180, 186, 188, 202, 221, 249 ff., 256, 258, 311, 314; m 9, 11, 21, 73 f., 89, 102, 105, 110, 147, 158, 193, 218, 244 f., 252, 254 f., 269, 276 ff., 281 ff., 286, 296 f., 302, 308, 321, 332, 335 f., 341, 346 ff., 354, 358, 390, 396, 405 f., 413

Geographisches I Topographisches Register Falklandinseln III 50 Fatima III 92 Finnland III 412 Florenz m 100 Fontem III 107f Frankfurt am Main I 38; II 258 Frankreich I 257; II 185, 253; III 32, 218, 244, 268f Galiläa II 160 Gambia III38 Genf I 256, 259, 262 ff.; II 174; III 274, 288,290,342,405 Golfregion II 8 Goma III 128 Granada III73 Graz II 16, 317; III 147, 159 Griechenland II 253; III 244, 394 Großbritannien I 257; III 405 Gränland II 310 Guatemala III 127 Guinea-Bissau III 40 Gurk-Klagenfurt II 16, 317 Harnburg III 408 Hadern I 186 Heidelberg I 54 Heiligenkreuz II 15 Heiliges Land III 416 Helsinki I 28, 156, 194; II 52, 116, 118, 120 ff., 174, 311; m 280 ff., 412 Hippo III 67 Hiroshima I 159, 172 Hot Springs I 258, 260 Heuston I 138 lnnsbruck I 189 Irak II 90; III 372 Iran I 252; III 401 Irland n 50, 90; m 37,257,425 Israel III426 Istanbul III 32, 41, 43, 283 f., 286 Italien I 28, 227, 229, 256; II 185, 255; m 35 ff., 100, 107 f., 405 Jalta I 258 Japan I 195 29 Johannes Paul II.

449

Jerusalem I 89, 128; II 78, 109, 160, 182; III244, 416 Juda m 151 Jugoslawien II 17, 19 f., 253, 311; III 125,290 Kairo m 32, 41 Kalkutta II 316; III 37 Kamerun III 106f Kanada III 35, 282 Karibik m 33, 38 Kenia III35 Kevelaer II 117 Köln III286 Kolumbien I 186; III 34, 38 Kongo III 36, 128 Königsberg I 179 Konstantinopel I 222; III 425 Konstanz III 423 Koupela III38 Kopenhagen II 125, 252; III 41, 116, 134 Kosovo III 34, 125, 288 Kroatien II 17, 20; III 102, 128 Kuwait II 90; I1I 372

Lateinamerika I 259; III 33, 38, 110, 130,332,336,387 Leipzig I 210 Lettland m 285 Liberia m 127 Linz I 267; II 14, 16, 317 Lome rr 174 Loppiano m 100 Madrid II 63, 121 Maghreb III 130 Mailand I 235 Mall III40 Malta III32 Manchester III 51 Manila I 186 Manizales III 38 Marlenbad III 413 Mauretarnen III 40 Mazedonien II 253; III 34, 99, 285

450

Geographisches I Topographisches Register

Mexiko m 36, 74 Moldawien m 285 Monterrey m 74 Mosambik m 32, 127, 129 Moskau li 252, 294 München I 135 Myanmar m 127 Naher Osten I 7; li 186; m 130, 332 Nazareth li 200; m 101, 244 New Delhi li 316 New York I 120, 125, 186, 190, 236, 261 ff.; m 41, 116, 134 Niamey ill40 Niederlande m 254f Niger ill40 Nordamerika m 296 Nordkorea m 372 Norwegen m 50, 405 Oslo li 125; m 405 Österreich I 152, 267 f.; li 9, 13, 17, 21, 255, 258, 317 f.; m 7, 9, 14, 17, 211, 214 ff., 220, 313, 348 f., 410, 412 Ozeanien m 74 Palästina I 234; m 37 Paris I 181, 229, 255, 257, 260; li 93, 124 ff., 255; m 43, 51, 283 Peking m 41, 85, 115 Pereira ill34 Piyi I 181 Polen li 13, 69, 252, 317 Port Louis m 74 Portugal m 36 Prag li 126; m 412f Prizren ill34 Rio de Janeiro m 75 Rom I 8, 224, 256, 260 f.; li 17, 144, 318; m 32, 36, 49, 51, 69, 73 ff., 237, 240, 244,264,394,409,413,417,425 Rovereto m 98 Ruanda m 36 f., 98, 126 ff. Rumänien li 251, 253; m 99 Rußland I 257; li 183; m 284, 334

Salamanca I 54; m 354 Salzburg li 317 Sahara II 191 Sahelzone m 33, 37, 40 Samaria II 160 San Francisco I 233, 258 Santiago di Compostela II 165 Santo Domingo m 22 Sao Paolo m 110 Sarajewo m 99, 286 Schweden m 405 Schweiz m 14 Senegal m 38 Serbien m 99, 102 Sevilla ill74 Slowenien II 17, 184 Sowjetunion I 257; II 90; m 284, 406, 413 Spanien m 36 Sri Lanka m 127 Stockholm II 123; m 32, 405 Straßburg I 87, 263 Sudan m 36, 125, 129 Südafrika 11 184; m 401 Südkorea m 372 Südtirol II 25 Taipeh ill74 Taize 11165 Thailand II 191; ill 100 Timor ill398 Tirol II 255 Tondo I 186 Toronto ill74 Toulouse II 140 Trient m 89, 93, 98, 100, 104 Tschad ill40 Tschechoslowakei II 252; m 413 Tschenstochau II 165 Tschernobyl II 310 Tschetschenien m 128 Türkei II 253f Uganda Ukraine

m 127f m 284

Geographisches /Topographisches Register Ulster ill425 Ungarn li 253 Ural li 146 USA I 138, 229, 257, 261; m 35, 268, 282,294,332,354,372,405f Vatikan I 26, 50, 149, 161, 201, 232, 262; li 33, 50, 68, 88, 110, 116, 138, 158, 177, 201, 220, 247, 270, 288, 308; m 29, 60, 86, 121, 149, 173, 207, 238

Venedig I 228; m 43f Versallies

m 397,399

Vorderer Orient ill 41

29°

451

Warschau I 181; li 127; m 51, 281f Washington I 228, 260 Weimar ill252 Wien I 9, 13 ff., 28, 128, 251, 261, 263 f., 267 f.; li 13 ff., 17, 21, 52, 93, 116, 118, 121, 123 ff., 174, 317 f.; m 9, 14 f., 218, 286, 390, 396, 404, 409 f., 412 Yad Vashem m 417 Ypern li 114

Zagreb ill 99, 102 Zinguinchor m 38 Zentralafrika m 125 Zypern I 181; li 90, 253

SACHREGISTER Die im Register verwendeten römischen Ziffern I, II, m beziehen sich auf die drei Bände der Weltfriedensbotschaften. Abrüstung I 62, 68 f., 139, 158 f., 163, 194, 227, 229 f., 236, 239 f., 250 f.; II 52, 123, 135, 138, 174, 197' 307' 403, 410 Arbeitm 322 - Arbeiterschaft I 252, 255f - Arbeitslosigkeit m 25 - Kinderarbeit m 130 - Recht auf Arbeit m 201, 219, 221 Armut m 232 ff., 242 f., 322, 330f - als Folge von Krieg m 26 ff. - Option für die Armen m 325 - Pflicht zur Hilfe ill 24 - Proletarisierung I 105 - und Friede m 21 ff., 31 ff. Barmherzigkeit I 161; m 50, 164 Brüderlichkeit I 74 ff., 84, 89, 109, 128, 150 f., 154, 159, 186; m 183 Demokratie - als Wert m 262f - Recht auf Teilhabe m 199 f., 219f - Gefährdungen der Demokratie II 182 - und Friede m 307 ff. - und KSZE II 124f - und Menschenrechte ill 249, 259, 264f - und Rechtsstaat m 313f - und Wahrheit m 31lf - und Werte m 310 ff. Dialog I 147; II 48, 57, 78, 171 ff., 193, 244,412f - interreligiöser Dialog II 286, 304 ff., 312, 315; m 102, 105,237,244 - ökumenischer Dialog II 304 ff.; m 102, 105,237,244 - und Friede II 15, 40 f., 99 ff., 111 ff., 138, 162, 187; m 206

- zwischen Christen und Marxisten ill 413 - zwischen Mann und Frau III 94 Diplomatie I 157; II 51 - als Kunst des Friedens II 312 - des Heiligen Stuhls II 7; m 9 - multilaterale Diplomatie I 264 Drogenproblem m 26, 72 f., 115 f., 134 Entwicklung(shilfe) I 69, 79, 91 f., 97 f., 101 f., 106 ff., 114, 124, 138 f., 151 f., 186, 243, 245 f., 251 f., 264; II 16, 169 ff., 196, 202 ff.; m 24, 32 ff., 232, 242 f., 322 f., 330 ff., 386f - ganzheitliche E. des Menschen II 194 f., 202, 207 - Hindernisse für Entwicklung II 196 ff., 204 ff. - Lome-Abkommen II 174 - Schulden (Erlaß bzw Nachlaß) I 131; 11 173, 196, 205; m 25, 167 f., 202 f., 234,323,326,339,350,388 - "Strukturen der Sünde" II 208 f.; m 40,50 - und Frieden II 134, 155 f., 189 ff., 202 ff., 242 Erziehung I 115, 143, 146, 151 f., 166, 221 f., 241, 245, 250; m 400 - als Recht der Eltern I 221 - als Recht des Staates I 221 - Erziehung zum Frieden I 59 ff., 65 ff., 142, 153, 215 ff., 221, 247; II 11, 15, 23 ff., 34 ff., 93 f., 136, 162 f.; m 79 ff., 87 ff., 117 ff., 170f - Mißbrauch von Erziehung II 34 - religiöse Erziehung II 280 - Schule und Friedenserziehung m 136f - zu den Menschenrechten I 88 - zur Fairneß I 153

Sachregister - zur ökologischen Verantwortung li 268 Evangelium I 134, 160; li 18, 32, 49 f., 58, 175 f.; m 7, 14, 39 f., 52, 237, 421, 429 - Bergpredigt I 64, 70, 117, 127, 134, 138, 182; n 19, 163 f., 220, 308; m 46 f., 243,245 - des Friedens I 223; II 23, 50; ill 137 - Magnifikat ill 46 f., 86, 91, 106f - Neuevangelisierung li 18; m 22, 70 f., 414 - und Kinder m 120 f., 138 - Vater unser I 161; m 146, 156 Familie I 81, 153; m 8, 25, 53 ff. - Bedrohungen der Familie li 197 f., 205; m 55 ff., 134, 304f - Charta der Familienrechtem 67 - Elternamtl 199 - Familienlastenausgleich m 338f - offen für Geschenk des Lebens m 66 - Päpstlicher Rat für die Familie ill 71 ff. - und Ehe m 66, 76, 80 ff., 109, 191, 297 ff., 326 - und Frieden m 13, 53 ff., 61 ff., 83 f., 135 f., 293 ff. - verschiedene "Familienformen" m 295 ff., 301f Frau - Maria als neuer Frauentyp m 90 ff. - Erzieherin zum Frieden m 79 ff., 87 ff. - in Einheit mit dem Mann III 93f · - Internationales Jahr der I 145 - und Frieden 136 - und gesellschaftliches Leben I 145 - Vermittlerinder Versöhnung I 145f - Weltfrauenkonferenz m 115 - Würde der Frau m 82, 88 Freiheit I 177, 185; n 228 ff.; m 388 ff. - Beeinträchtigungen der Freiheit I 197, 211; n soff. - der Kinder Gottes II 67f - der menschlichen Person I 79, 183, 232; li 56, 62, 212 ff., 226f - Förderung der Freiheit li 63 ff. - Mißbrauch der Freiheit li 64 - und Bindung ill 192f - und Frieden 14, 59 ff., 69 ff. - und Rechtskultur m 183 ff. - und Wahrheit m 260

453

Friede I 91, 122, 147, 150 f., 153, 162 f., 166, 169, 183, 191, 194, 205, 208, 215, 219 f., 227 ff., 233, 237,239, 241,258 - als Geschenk/Gabe Gottes li 13, 33, 75 ff., 89 ff., 146, 212, 307; III 29, 62, 120,138,240 - als Gut/Wert I 218, 221; li 154 ff., 167 ff., 178 ff. - als Ideal I 130, 142 - als ökumenische Aufgabe li 88, 96 - als Pflicht/Gebot! 131, 139, 182 - als "Ruhe der Ordnung" I 84, 114, 124, 198; m 64, 307 - als Schlagwort li 25 - als Weg li 160f - als "Werk der Gerechtigkeit" I 237; li 133; m 15, 239, 338 - Bedrohungen des Friedens I 129, 144, 156, 165, 195; n 48, 51, 65 f., 70 ff., 76 f., 129 ff., 149 f., 161, 168 ff., 311; m 21 f., 65 - beginnt im eigenen Haus li 94f - beginnt im Herzen li 12 f., 129 ff., 139 ff., 151, 171; m 13, 138 - Begriff/Bedeutung/Idee I 95 f., 102 f., 113, 116, 131 ff., 156, 169 f., 179, 183, 194, 202 ff., 211, 221; n 38, 143; m 393 ff. - BeitragderChristenii31f., 85f., 95f., 109 f., 136 f., 139, 157 f., 199 f., 219 f., 301 ff. - Dialektik von Frieden und Gewalt I 203 ff. - Friedensbewegung I 28 f., 181; m 293 ff., 342, 360, 400, 404f - Friedensforschung I 29 ff., 36 f.; li 80 ff.; m 399, 403 ff. - Friedensrhetorik I 149 - Friedenssehnsucht I 150; li 19, 24, 27, 31, 33, so, 99, 111 f., 161; m 276 - Friedensstifter li 27' 30; m 241 - Friedensvertrag I 203; III 396 ff. - Gebet für den Frieden II 33, 87 f., 90, 96, 137,220,303f - in staatspolitischen Schriften III 396, 404 - Ja zum Frieden I 193 ff., 202 ff. - Koexistenz, friedliche I 69 - Pazifismus I 41, 127, 237; II 114, 134, 145; m 360, 398, 404f

454

-

Sachregister

pax est ordinata concordia I 183 Recht auf Frieden m 203 ff. Siegfrieden I 228 "sozialer" Frieden I 205 und Armut siehe Armut und Bildung II 39 und Demokratie siehe Demokratie und Dialog siehe Dialog und Entwicklung siehe Entwicklung und Erziehung siehe Erziehung und Familie siehe Familie und Freiheit siehe Freiheit und Gerechtigkeit siehe Gerechtigkeit und Gewalt siehe Gewalt und Gewissensfreiheit siehe Gewissen und Leben siehe Leben und Lüge 43 ff., 51 ff. und Information II 92f und Internationale Organisationen siehe Internationale Organisationen und Jesus Christus siehe im Personenregister unter Jesus Christus und Jugend I 60, 67, 143, 151 f., 154, 199, 216 f., 241; II 16, 29, 135, 149 ff., 159 ff.; m 237 und Menschenrechte siehe Menschenrechte und Minderheiten siehe Minderheiten und Politiker II 30 f., 135; m 149 und Recht siehe Recht und Religionsfreiheit siehe Religion und Solidarität siehe Solidarität und Sprache II 27f und Toleranz II 40 und Wahrheit siehe Wahrheit und Wirtschaft siehe WJ.rtschaft unter eschatologischem Vorbehalt m 151 ff. Verzichtfrieden I 160

Gemeinwohl I 75, 82, 85, 92, 131, 142 f., 219, 235; 11 66 f., 77, 217, 229 f.; m 8, 169, 190, 262 f., 324, 353 ff. - als bonum commune humanitatis I 186;ill355 - der Welt/Völker/Staatenfamilie I 82, 121, 235; 11 172, 191 f.; m 202, 228, 353 ff., 391, 408 Gerechtigkeit I 51 f., 66, 68, 74, 95 ff., 103, 105, 130, 139 f., 144, 146, 158 ff.,

164, 183, 200, 219 f., 228 f., 250, 265; II 142, 155f - Friede als Werk der Gerechtigkeit I 237; 11 133; m 15, 239, 338 - Frieden und Gerechtigkeit I 150, 237; 11 19 f., 45, 71, 78, 133 f.; m 163 ff., 175 ff., 321 ff. - Verteilungsgerechtigkeit m 338f Gesellschaft - hat Familie als Fundament m 53 f., 294f - Konsumgesellschaft II 64, 70 f.; m 28 - multikulturelle Gesellschaft m 184 - pluralistische Gesellschaft I 220 - Säkularisierung der Gesellschaft II 18 - Verstöße gegen Religionsfreiheit II 232f - Wohlstandsgesellschaft I 187 - Zivilgesellschaft m 285, 327 Gewalt I 113, 164 f., 182, 193 ff., 202 ff., 211 ff., 231, 238, 250; II 150, 170; II 201 - Charakteristik von Gewalt I 202 ff. - Dialektik von Frieden und Gewalt I 203 ff. - Fehdei 136 - Fblter I 69, 73 - Gewaltlosigkeit I 159, 238 - Gewalttätigkeit I 195 ff. - Rache I 195 - Terrorismus/Terror I 68 f., 73, 137, 165, 175, 196, 203, 210 ff.; II 28, 61, 129, 179 ff., 192, 244 Gewissen I 150, 157, 194 f., 251; II 131, 140 f., 226, 230 f.; m 40o - Begriff II 295 ff. - Gewissensbildung II 279f - Gewissenserforschung I 162 - Gewissensfreiheit und Friede I 184; II 15,39,63, 78,92,214,277ff. - und Christ II 286 ff. - und Wahrheit II 289 ff. Glaube I 177; II 32 - christlicher I 127 - Spiritualität m 95f - und Naturwissenschaft II 275 Gleichheit I 74, 85; m 183f Globalisierung m 95, 98, 130, 166 ff., 185, 202, 227, 345 ff., 387f - der Solidarität m 166 ff., 185, 188, 202 f., 234

Sachregister Heiliger Stuhl/Vatikan I 256 f., 262 - dauernde Neutralität des I 257 - Friedensfunktion, -mission I 226, 231; n 7 ff.; m 267 f., 360f - Lateranverträge I 256 - Ostpolitik ll 311; m 411f - Päpstlicher Rat "Cor Unum" ill 31 ff. - Päpstlicher Rat für die Familie ill 71 ff. - Päpstlicher Rat "Iustitia et Pax" I 87, 244, 263; m 31f - Päpstlicher Laienrat m 71 - Römische Frage I 256 - Souveränität des Heiligen Stuhles I 256 - Staatssekretariat I 259 f., 262 - und Internationale Organisationen m 14 - ~anderungsamti259 Heiliges Jahr - 1975 I 146 f., 150 - 2000 m 7, 11, 35, 61 f., 75, 154 f., 157, 171 f., 175, 195, 225, 235, 237' 239, 416, 418 f., 234 Ideologien I 156; ll 77, 131, 149 f., 176, 192,216 - Faschismus n 181, 196 - Fundamentalismus n 281 f., 306, 315 - Imperialismus I 157; ll 60 - Individualismus n 175 - Kolonialismus I 157 - Kornmunismus/Sozialismus I 209; ll 146, 251, 313; m 11, 44, 46, 336, 341, 354, 389 f., 405 - Konsumismus ll 175; m 55, 196 - Liberalismus I 185, 209 - Marxismus I 185; ll 181; m 51, 196, 336 - Materialismus m 157 - Nationalismus I 67, 144, 152, 156, 209, 231; n 57, 77, 258 f.; m 160, 196, 214 - Nationalsozialismus ll 181; m 44, 196, 253 f., 415 - Rassismus I 67, 143, 152, 209; ll 57; m 160, 196, 213 ff. Internationale Organisationen - Arbeitsamt, Internationales I 256, 263 - Arbeits-Konferenz, Internationale I 256,263 - ASEANill344

455

- Europäische Gemeinschaften I 263; ll 174,248,251,257 - Europäische Union m 9, 193, 220, 244, 257' 288 f., 300 f., 344 ff., 390 - Europarat I 87, 263; ll 221, 248, 251 f., 256; m 269, 390 - FAOI260;ill41 - GA'ITill388 - IAEA/IAEO I 9, 234, 261; ll 16, 316; ill14f - ffiRDill386 - ILO I 255 ff., 263; m 130, 386 - IMFill386 - IROI259 - ~I263 - MIGAill386 - NAFI'A m 344 - NATOill99 - UNCSAT I 264 - UNCTAD I 263 f.; ll 174; m 386 - und Frieden 83, 135 f.; m 353 ff. - UNESCO I 145, 260; m 43, 386 - UNICEF m 124 f., 130, 137 - UNIDO I 9, 264; m 14 f., 386f - UNO siehe Vereinte Nationen - UNRRAI259 - ~eltpostverein I 257 - ~elt-Telegraphen-Union I 257 - ~o I 260 f., 263; m 386 - ~Oill386f Kinder - brauchen eine friedliche Zukunft m 113 ff., 123 ff. - brauchen Eltern m 83, 299 - im Evangelium m 120 f., 138 - als Soldaten m 56, 126 ff., 133, 204, 401 - Konvention über die Rechte der Kinder m 125, 130, 256 - OpfervonKrieg und Gewaltm 113 ff., 123 ff.' 131 ff. - sexueller Mißbrauch m 74, 116, 128, 133,170,179 - Straßenkinder m 57 Kirche - Auftrag/Sendung der Kirche m 16, 41 f., 235f - Bewegungen und Gemeinschaften m 89,92 - depositum fidei I 224, 240; ll 236

456

Sachregister

- dient der Einheit und Versöhnung II 175 f.; m 147 ff., 159f - Einsatz für Ehe und Familie ill 303 ff. - Fokolar-Bewegung ill 105, 107f - Friedensmission I 218, 223, 225, 245, 247 - soll Spaltungen überwinden II 85 - ist an kein politisches System gebundenill280 - Kirchenstaat I 256f - Lehramt der Kirche I 224 - Märtyrer des 20. Jahrhundertsill 418f - Pax-Christi-Bewegung I 68 - politisches Handeln ill 45 f., 48 ff. - Reinigung des Gedächtnissesill 424 ff. - Religionsfreiheit in der Kirche II 253 ff. - Schuld und Sünde der Vergangenheit ill419ff. - und Minderheiten II 246f - und Ökumenismus I 147; II 304 ff.; ill 16, 147, 159 f., 237, 325, 327,419 Kommunikationsmittel, soziale II 28, 61, 80, 108 f., 280 - Massenmedien I 153, 217, 251; II 136; ill149 - Meinung, öffentliche I 133, 135, 143, 217; II 44, 48, 80 Konflikt - Klassenkampf! 67, 72 - zwischen Nord und Süd I 252; II 130, 169,176 - zwischen Ost und West II 130, 169, 176; m 281, 405, 407 Krieg I 71, 112, 122, 132, 136 f., 154, 157, 180 f., 195, 197, 238; II 101, 112, 179 ff.; m 23, 26 ff., 44, 226 f., 283f - als Übel m 359 ff. - Angriffskrieg II 180 - Ächtung des Krieges I 143, 240 - bedroht die Schöpfung II 276f - begrenzter Krieg I 197; II 101 - Bürgerkriege I 203; II 187 - Eindämmung von Kriegen I 145 - Einstellung zu Krieg und Frieden I 121 - entsteht im sündigen Herzen II 131 f., 144f - Erster Weltkrieg I 7, 115, 120, 228, 230, 255; 11 75, 114; m 92

- "gerechter Krieg" I 137 f., 220; 111 289, 359,408 - Golfkrieg II 17, 187,309 - in Jugoslawien II 17; m 290 - Kalter Krieg I 174, 204, 207; ill 397 - Notwehr I 163 - Sechstagekrieg I 7; ill 12 - Vergeltung I 160f - Verteidigung I 137 f., 156 - Weltkriege I 180; II 17, 309; ill 291 - Zweiter Weltkrieg I 7, 18, 28, 68, 72, 80, 100, 115, 120, 132, 169, 180 f., 212, 232, 257 ff.; 11 100, 112, 119; m 44, 92, 94,124,126,205,241,268,333,335 KSZE/OSZE I 19, 28, 87, 156, 184; II 15; 52, 63, 116 ff., 174, 214, 216, 221, 248, 311;ill390 - Beginn, Verlauf und Ergebnisse m 276 ff. - und der Heilige Stuhl II 116; m 279f - und Dialog II 119 ff. - und Menschenrechte II 118 f., 121; ill 278 ff. - und Minderheitenschutz II 252, 257 Leben - Abtreibung I 174, 188 f., 199; II 65, 194; m 109, 216, 251, 254, 256, 260 ff., 304 - Achtung vor dem Leben I 173 - Angriff auf das werdende Leben I 199 - Beginn des Lebens I 188, 189 - Empfängnis I 175, 188 - Euthanasie m 252 f., 260 ff. - ist unantastbar und heilig I 174f - Ja zum Leben I 198f - Kultur des Lebensill 70, 77, 198, 215, 319,408 - Kultur des Todes m 68 f., 76 - Recht auf Leben I 186, 190; ill 85, 197 ff., 215 ff., 250 ff., 318 - Schutz des (ungeborenen) Lebens I 169, 174, 176, 179, 186, 189 f., 198; II 227 f.; m 72, 249 ff., 318 - soziales Leben I 187 - Unverletzlichkeit des Lebens I 176f Liebe I 161, 183; II 134 f.; m 96 ff. -Agape I 89 - als Kunst des Friedens I 153 - brüderliche I 161, 250

Sachregister - Caritas I 88 ff., 245, 247, 252; m 32 ff., 45 f., 331 - Feindesliebe m 97 - Gott ist Liebe ill 89f - in Ehe und Familie m 299f - Nächsten- und Gottesliebe I 163, 167, 177, 252; 11 a; m 48 ff., 156, 224, 331 - Zivilisation der Liebe I 171; ill 62, 66, 68 f., 74, 77, 87, 94, 149 Macht - Machtmißbrauch I 211 - Machtmonopole I 67 - Machtpolitik I 212 - Mythos der Macht I 149 Mensch - Abbild Gottes II 73, 91, 153, 159, 262; m 53, 66, 99, 181, 196, 206, 209, 223 f., 324 - als animal sociale I 82 - als zoon politikon I 82 - Alte I 190 - Behindertem 216 - Humanismus/Menschlichkeit I 35, 144, 184, 187f - Kranke I 190 - Menschheit I 131, 158 ff., 170 - Menschheit als Familie ill 225, 227, 233,238,242 - Personalität I 211 - Transzendenz des Menschen II 278 - und Wahrheit II 54 - Würde des Menschen I 33 ff., 52 ff., 74, 77 ff., 102, 131, 135, 154, 183, 232, 235, 237, 250, 253; II 20, 40, 152, 154, 156, 175, 187, 190, 212 f., 216, 225; m 22, 79, 175 f., 179 ff., 195 ff., 275, 315 ff. Menschenrechte (und Friede) I 22, 30, 45, 48, 51 ff., 72, 78, 80, 86 f., 102, 107, 116, 135, 139, 176, 183 f., 215, 234, 250, 253 f., 258; II 65 f., 82 f., 95, 107, 117 ff., 134, 175, 190, 203 f., 211 ff., 221 ff., 254; m a, 52, 164 ff., 195 ff., 209 ff., 228 f., 249 ff., 267 ff., 398 f., 408 - AEMR I 75, 78, 86, 107, 130, 258, 262; II 47, 57, 63, 66, 118, 203, 211, 221, 254; m 54, 165, 175, 177, 196, 199, 212, 214, 228, 249, 257 f., 263 f., 267, 269 f., 273 f., 288, 389

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- Begriff derMenschenrechtem 210f - Erklärung der Menschenrechte, amerik. I 54 f.; II 228; m 178, 268, 354 - Erklärung der Menschenrechte, franz. 1 55, 78; m 178, 268 - Europäische Menschenrechtskonvention II 221; m 250 ff., 258, 264, 269, 358,390f - Kultur der Menschenrechte ill 205 f., 223 - Meinungsfreiheit I 225 - Menschenrechtspakte 1966 I 52 f.; ill 250, 269, 271 ff., 389f - Überzeugungsfreiheit I 184 - Verbot der rassischen Diskriminierung m 213 ff. Migration m 26, 332f - Flüchtlinge I 259; m 34, 274f - Fremdenfeindlichkeit II 192, 205 Minderheiten II 16, 239 ff., 248 ff. - Begriff II 248 ff. - ihre Rechte und Fflichten II 242 ff. - internationaler Rechtsschutz II 254 ff.; ill273f Naturrecht I 55, 83 f., 209; II 230; ill 258, 263 ff., 290, 408 - "Goldene Regel" I 76, 81, 84 ff.; II 230; ill96 - Naturrechtslehre I 82, 84 f.; II 58, 227, 237; m 275 f., 353 f., 414 - Naturrechtsordnung I 85; II 57 - Sittengesetz, natürliches I 85 - und positives Recht ill 315f Papst - als Stellvertreter Christi I 181; m 11 - Fastenbotschaft des Papstes m 32 - Friedensfunktion, -mission I 226, 231; 11 7 ff.; m 267 f., 360f - Lehrgewalt II 298 - Papsttum I 122 - Pastoralreisen Pauls VI. I 186 - Pastoralreisen Johannes Pauls II. II 9; ill7,9 - Petrusamt I 8 - "Stütung Johannes Paul II." 111 33, 37f - "Stiftung Populorum Progressio" 111 33, 38f

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Sachregister

Recht - als (Wert) Ordnung I 186, 206 ff., 213 - auf Arbeit m 201, 219, 221 - auf Entwicklung m 24 - auf freie Entfaltung I 211, 220 - auffreie Existenz I 211 - auf Frieden m 203 ff. - auf gesunde Umwelt I1 266; m 203, 221f - auf humanitäre Hilfe m 229f - auf Leben siehe Leben - auf Selbstverwirklichung m 201 - auf politische Teilhabe m 199 f., 219f - "Auge um Auge, Zahn um Zahn" I 154; II 163 - Frieden und Recht I 208, 210 ff. - Gewohnheitsrecht! 101 - pacta sunt servanda I 158, 164 - positives Recht I 206 ff.; m 314 f., 353 - Quellen des Rechts m 176f - Richter I 164 Relativismus II 57 - der Wahrheit II 51,56 - der Werte I 220; II 54; m 260 f., 312 Religion - Beitrag für den Frieden II 8, 41 f., 301 ff. - Religionsunterricht I 245; II 243 - Weltfriedensgebet in Assisi II 8, 96, 199, 201, 203 f., 212, 218, 235, 302f Religionsfreiheit II 211 ff., 221 ff.; m 184, 188, 198 ff., 217' 278 ff., 286f - im Lauf der Geschichte II 223 - und Friede I 107, 184, 225 f.; II 14, 63, 211 ff., 221 ff., 243, 277, 283, 306; m 198f Revolution I 196 f., 252 - gewaltsame I 157 - Recht zur Revolution I 139

Solidarität I 237, 253, 260; II 151, 266 ff.; m8, 325 - Globalisierung der Solidarität m 166 ff., 185, 188, 202 f., 234 - internationale Solidarität I 236; II 168, 171 ff., 313; m 166 ff., 222 - Kultur der Solidarität m 234 - Solidaritätsprinzip I 85; m 324 - und Friede II 16, 71, 115, 189 ff., 202 ff., 231f Soziallehre, Katholische I Christliche I 36 f., 101 ff., 185; 11 21, 72, 187; m 11, 52, 220, 247 ff., 316, 321 ff., 335 ff., 348 - Almosenlehre I 242f - Eigentum I 139; m 321, 335 - (neue) Soziale Frage I 36, 83; m 335 - Personprinzip I 77, 79f - Solidaritätsprinzip I 85; m 324 Soziale Gerechtigkeit I 185 - Sozialpartner(schaft) II 29; m 335, 348f - Sozialreform I 36 Sozialrevolution I 36 - Subsidiaritätsprinzip I 79; II 147; m 324,348 - Theologie der Befreiung I 139; m 336 Staat - Diktatur I 139 - Nationalstaaten I 250 - Souveränität I 107, 164 f.; m 187 f., 291,407 - sozialer Rechtsstaat I 187 - und Familie m 57 f., 300 ff., 338f - und Minderheiten II 239 ff.; m 218 - und Religionsfreiheit II 214 ff., 231 f.; m 184,188 - und Weltstaat m 356 - Zwecke des Staates II 27 f.; m 190 ff., 356

Schöpfung m 28 - Bedrohung der Schöpfung I 187, 261, 263 f., 310 - biblischer Schöpfungsbericht II 262f - Kosmos II 271 ff. - Recht auf gesunde Umwelt I1 266; m 203, 221f - und Friede II 90 f., 143 f., 261 ff., 271 ff.;m8 - Verantwortung der Christen II 269f

Vatikan siehe Heiliger Stuhl Vereinte Nationen (UNO) I 8, 19, 28, 36, 52,78, 87, 101 f., 107, 115, 120, 125, 136 f., 145, 186, 190, 192, 194, 233 f., 241, 250 f., 258 ff.; II 17, 158, 233, 272, 309; m 41, 43, 125 f., 143, 176, 196, 230, 268 ff., 353 ff., 397, 409f - als Familie der Nationen m 167 - Büro in Wien (UNOV) m 14f

Sachregister - Flüchtlings-Hochkommissar I 259, 263 - friedliche Streitbeilegung m 372 ff., 382 ff. - Generalversammlung I 236, 261 - Internationaler Gerichtshof I 255; m 367' 375 ff., 386 - Internationaler Strafgerichtshof für Ex-Jugoslawien m 290 - Internationales Jahr der Jugend II 158f - Internationales Jahr der Familie m 54,60 - Internationales Jahr des Friedens II 167,176,187 - Internationales Jahr des Kindes m 125 - Internationales Jahr für die Heimatlosen II 192, 206 - kollektive Sicherheit m 365 ff., 382 ff. - Sicherheitsrat I 233, 258; m 289, 369 ff. - Spezialorganisationen siehe Internationale Organisationen Vergebung - braucht Wahrheit und Gerechtigkeit m 144ff. - Dienst der Kirche m 147f - Geist der Versöhnung I 150, 153f - und Friede m 139 ff., 151 ff., 415 ff. - Versöhnung als Weg zum Frieden I 145 ff., 2oo; 11 50; m 142 ff. - Versöhnung mit Gott I 146; m 428f Völkerbund I 28, 229 f., 255, 257 f.; m 342,362,364,385 Völkerrecht I 85 f., 100, 164, 227 f., 232, 263; II 53 - Charta der Familienrechtem 67 - Grundnorm II 52f - humanitäre Intervention m 230 f., 288f - internationale (Schieds-)Gerichtsbarkeit 163,227, 229; m 375 ff. - Konvention über das Recht der Verträge I 263 - Konvention über diplomatische Beziehungenl263 - Konvention über die Rechte der Kinder m 125, 130, 256 - Konvention über konsularische Beziehungenl263

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- Vertragsrecht I 101, 164 - Völkermord I 113 - Weltautorität m 15f Waffen I 22, 30, 69, 73, 103, 156, 158, 174,182,195,238,239,251 - ABC-Waffen I 8; m 12 - Abrüstung siehe Abrüstung - Atomwaffensperrvertrag I 62 - Auf-, Wettrüsten I 103, 113 f., 131, 156, 170, 173 f., 240, 250; II 24, 48, 61, 87, 107; m 16, 399 f., 403 - Gleichgewicht der I 150, 156, 183 f., 239 f., 257 - Landminen m 129, 133, 205 - Nuklearwaffen I 69, 179 f.; II 94, 169 - Waffenhandel I 156; II 106, 169; m 205 Wahrheit I 177; II 133, 275, 278f - setzt sich selbst durch II 278 - und Demokratie m 311f - und Dialog II 102 ff., 113f - und Freiheit m 260 - und Frieden I 183; II 13, 42 ff., 51 ff. - und Gewissen II 289 ff. - und Religionsfreiheit II 213 - und 'lbleranz II 57f - Wahrhaftigkeit I 105, 182; II 52 - Wesen der Wahrheit II 55f Wehrpflicht I 137 - Wehrdienstverweigerung I 238; m 400 Weltfriedenstag I 8 ff., 245; II 7, 11 f., 310 f.; m 13 ff. - an der Kath.-Theol. Fakultät Wien m 409 ff. - Feier der Wiener Nuntiatur I 8 f.; m 14 f., 410 - Idee/Proklamation von Paul VI. I 8, 27, 121, 237, 249; 11 23; m 13 Wendejahr 1989 II 12, 16 f., 90, 146 f.; m 336,354,405,413 Werte I 103; II 153 ff., 167 ff.; m 346 - Entscheidungen und Werte II 153 - und Demokratie m 310 ff. - Werterkenntnis I 220 Widerstand - gewaltloser I 138 - Recht zum Widerstand I 139 - Widerstandsrecht des Volkes I 36

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Sachregister

Wirtschaft - ist Zusammenarbeit der Menschen m 322 - als virtuelles System m 186f - gefährdetMenschenrechtem 185 - kapitalistische Wirtschaftsweise m 333 ff., 343 ff. - muß umdenken m 233, 243 - und Friede m 329 ff., 341 ff. - und Globalisierung m 202

- Währungspolitik m 347 ff. - Weltwirtschaftsordnung I 101, 241, 251; m 185f - wirtschaftliche Integration m 345 ff. Zweites Vatikanisches Konzil I 8, 27, 57, 66, 68, 70, 83, 89, 100, 102, 120, 124, 140,143,147,152,237 ff., 244, 262;m 16,61,361,403,420,422