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German Pages [256] Year 1980
Die „Katholischen" Briefe
Das Neue Testament Deutsch Neues Göttinger Bibelwerk In Verbindung mit Paul Althaus, Horst R . Balz, Jürgen Becker, Hans Conzelmann, Joachim Jeremias, Friedrich Lang, Eduard Lohse, Ulrich Luz, Helmut Merkel, Karl Heinrich Rengstorf, Jürgen Roloff, Wolfgang Schräge, Siegfried Schulz, Eduard Schweizer, Gustav Stählin, August Strobel und Heinz-Dietrich Wendland herausgegeben von Gerhard Friedrich und Peter Stuhlmacher
Teilband 10
Die „Katholischen" Briefe
12., durchgesehene und überarbeitete Auflage 2. Auflage dieser neuen Fassung
5 9 . - 6 2 . Tausend
Göttingen • Vandenhoeck & Ruprecht • 1980
Die „Katholischen" Briefe Die Briefe des Jakobus, Petrus, Johannes und Judas
Übersetzt und erklärt von Horst Balz und Wolfgang Schräge
Göttingen • Vandenhoeck & Ruprecht • 1980
Verzeichnis der Abkürzungen Abkürzungen und Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften im Gesamtwerk Mk. Mt. Lk.
Joh. ApgRom.
1.Kor. 2.Kor. Gal. Q =
Eph. Phil. Kol.
1.Tim. 2.Tim. Tit.
1.Thess. 2.Thess. Phlm.
Hebr. Jak. l.Petr.
2.Petr. 1.Joh. 2.Joh.
3.Joh. Jud. Offb.
(hypothetische) Quelle von Reden in M t . und Lk.
Altes Testament Am. 1., 2 . C h r o n . Dan. Esth. Ez. Hab. Hag. Hos. Jer. Jes. Jos.
Amos 1., 2. Buch der C h r o n i k Daniel Esther Ezechiel (Hesekiel) Habakuk Haggai Hosea Jeremia Jesaja Josua
1., 2 . K ö n . Mal. Mi. Nah. Neh. Ps. 1., 2.Sam. Sach. Spr. Zeph.
äth. Hen. Dam. Jub.
äthiop. Henochbuch Damaskusschrift (Qumran) Jubiläen (jüd.-priesterl.,
1., 2. Buch der Könige Maleachi Micha Nahum Nehemia Psalm 1., 2. Buch Samuel Sacharja Sprüche Zephanja
Jüdisches Schrifttum 1.12. Jh. v. Chr.
1 QM
2. J h . v. Chr.) Septuaginta (griedi. Übersetzung des A T ) 1 . - 4 . Buch der Makkabäer (LXX) Pseudo-Phhokylides (jüd.hellenist., Alexandria?) Psalmen Salomos ( L X X ) Loblieder, H ö h l e 1 von Qumran Kampf der Kinder des Lieh-
Apk.Mos. Ass.Mos. syr. Bar.
Apokalypse M o s e s Himmelfahrt M o s e s Baruch-Apokalypse
Barn.
Barnabasbrief (Ende 1./ Anf. 2. Jh.) Didache (Kirchenordnung, Ende 1. J h . , Syrien?) Hirt des Hermas (Offenbarung, M i t t e 2. Jh., R o m ) Ignatius(briefe) (um 100, Kleinasien) 1. Klemensbrief (ca. 96, Rom)
LXX 1.-4.Makk. Ps.Phokyl. Ps.Sal. 1 QH
1 QpHab 1 QS Sib. Sir. T e s t der 12 Patriarchen Tob. Weish.
tes gegen die Kinder der Finsternis, Höhle 1 von Qumran Habakuk-Kommentar, H ö h l e 1 von Q u m r a n Gemeindeordnung, Höhle 1 von Qumran Sibyllinische Orakel ( I - V , X I , XII und X I V ) Jesus Sirach ( L X X ) Testamente der 12 Patriarchen (Rüben usw.) Tobit (LXX) Weisheit Salomos ( L X X )
1.12. Jh. n. Chr. 4.Esra slav.Hen.
4. Buch Esra slav. Henoch
Christliches Schrifttum 1./2. Jh. n. Chr
Did. Herrn. Ign. l.Klem.
2.Klem. Od.Sal. Polyc.Phil. Sib.
2. Klemensbrief (Predigt, Mitte 2. Jh.) Oden Salomos (1. Hälfte 2. Jh., Syrien) = Polycarb, Philipperbrief (Mitte 2. Jh.) Sibyllinische Orakel (VI-VIII, XIII)
ISBN 3-J25-J1330-5 Umschlag: Karlgeorg Hocfcr, Ottenbach.
© Vandenhoeck
Sc
Ruprecht,
Göttingen 1936; 1973. Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus aui foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
DIE „ K A T H O L I S C H E N " B R I E F E Horst Balz Einleitung 1. Die Briefgruppe. Als „Katholische" Briefe galten in der griechisch sprechenden Kirche des Ostens spätestens vom Ende des 3. Jahrhunderts an alle Briefe des Neuen Testaments, die nicht dem Corpus Paulinum (einschließlich Hebr.) zugehörten. Es handelt sich um Jak., 1. und 2.Petr., 1.-3. Joh. und Jud. In dieser Reihenfolge stehen sie auch in den meisten alten Bibelhandschriften des Ostens. Durch Hieronymus wurde diese Anordnung in die lateinische Vulgataüberlieferung übernommen. Luther hat dagegen aus theologischen Gründen den Jak. und Jud. zusammen mit dem Hebr. vor die Offb. an den Schluß seines deutschen Neuen Testaments gerückt. Wahrscheinlich hat das im Osten sehr hoch gehaltene Ansehen des Herrenbruders Jakobus dazu geführt, daß der nach ihm benannte Brief an die Spitze der Katholischen Briefe gestellt wurde. Nach der Reihenfolge der „Säulen" von Gal.2,9 schlössen sich daran die Petrus- und Johannesbriefe an, während der kleine Jud. angehängt wurde. Dementsprechend hatten im Kanon der griechischen Kirche die Katholischen Briefe, die als die Schreiben der ursprünglichen Apostel galten, ihren Platz unmittelbar nach der Apg. und v o r den Paulusbriefen. Im Westen führten meist die Petrusbriefe unsere Briefgruppe an. Hier erhielten die Katholischen Briefe ihre Stellung h i n t e r den Paulusbriefen, was auch ihrer Bedeutung und den geschichtlichen Entstehungsverhältnissen entsprach. Gegenüber den paulinischen und deuteropaulinischen Briefen sowie dem Hebr., die stets mit dem Namen ihrer Adressaten angeführt werden, trugen die Katholischen Briefe schon in den ältesten erhaltenen Handschriften als Überschriften die Namen ihrer Verfasser. Dieser Umstand führt uns auf die Bedeutung der Bezeichnung „Katholische Briefe". 2. Der Name: Das Wort „katholisch" bedeutet: allgemein, allgemeingültig. Es kann die allgemeine, ganze Kirche im Gegensatz zur Einzelgemeinde bezeichnen (Ign. Smyrn. 8,2), aber auch von allgemeingültigen Gesetzen oder Wahrheiten verwendet werden. Zuerst ist wohl nur der 1. Joh., der keine Adressaten nennt, als katholischer Brief angesehen worden, und zwar zur Unterscheidung von den beiden kleinen Johannesbriefen, die an eine bestimmte Gemeinde bzw. an eine Einzelperson gerichtet sind. Eusebius überliefert entsprechende Aussagen des Dionysius von Alexandrien (um 260), der seinerseits diese Kennzeichnung des 1. Joh. schon übernommen haben dürfte (Eus. Hist. Eccl. VII, 25,7.10f.). Gegen Ende des 2. Jahrhunderts warf der römische Antimontanist Apollonius dem Montanisten Themiston vor, er habe in Nachahmung des Apostels einen katholischen Brief verfaßt, um den Herrn, die Apostel und die heilige Kirche zu schmähen (Eus. V, 18,5). Es ist möglich, daß sich in diesem Urteil die Abwertung der johanneischen Schriften durch die Antimontanisten widerspiegelt, so daß schon vor 200 auf den
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Die „Katholischen" Briefe in der alten Kirche
1. Joh. als katholischen Brief angespielt wäre. Darin kann also nicht seine allgemeine Gültigkeit und Anerkennung zum Ausdruck kommen, sondern lediglich sein Charakter als an die Allgemeinheit gerichtetes Schreiben. Ähnlich bezeichnet Origenes in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts in seinen Kommentaren l.Petr., l.Joh. und auch Barn, als katholische Briefe. Wenig früher nennt Clemens von Alexandrien das Schreiben der Apostel an die „Brüder in Antiochia, Syrien und Kilikien" (Apg. 15,23 £f.) „katholisch" (Strom. IV, 97,3). Eusebius kennt um 300 eine Gruppe von „sogenannten" katholischen Briefen, die von Jak. angeführt wird und auch den „sogenannten" Jud. enthält (II, 23,24f.). Die Mehrzahl dieser Briefe vermeldet er aber als umstritten. Wohl werden sie unter ehrwürdigem Namen überliefert und auch in den meisten Kirchen öffentlich verlesen, aber allgemein als echt anerkannt sind zur Zeit des Eusebius nur l.Joh. und l.Petr. (vgl. VI, 14, 1; III, 25,2 f.). Die Bedeutung des Wortes „katholisch" hat bei ihm allerdings bereits eine Erweiterung erfahren. Er berichtet nämlich auch, daß Dionysius von Alexandrien eine Reihe von katholischen Briefen an verschiedene Einzelgemeinden gerichtet habe (IV, 23, 1-10), und er kann damit nur die allgemein anerkannte Bedeutung dieser Briefe meinen. Als „Katholische Briefe" des Urchristentums gelten also, ausgehend vom l.Joh., allmählich alle nichtpaulinischen Briefe des Urchristentums, die an die Allgemeinheit gerichtet sind. Ihr Name kennzeichnet schließlich die allgemeine Gültigkeit dieser Briefe, selbst wenn einige von ihnen nicht von allen als apostolisch anerkannt wurden. Im Westen werden nach dem muratorischen Kanon um 200 Jud. und zwei Johannesbriefe „in der katholischen Kirche gehalten". Erst am Ende des 4. Jahrhunderts gilt die gesamte Gruppe als „kanonisch" (Decretum Gelasianum, 382 n. Chr.). Sie rückt als theologisches Pendant neben die Paulusbriefe: Während Paulus vom Glauben ohne Werke gesprochen habe, sei bei den anderen Aposteln der Glaube nur in Verbindung mit Werken anerkannt (Augustin, De fide et operibus XIV, 21). Mit der vollständigen Kanonisierung der Katholischen Briefe war der alexandrinische Metropolit Athanasius schon im Jahre 367 dem Westen vorangegangen. Das muratorische Fragment läßt erkennen, daß es zu ihrer Siebenzahl nicht zufällig gekommen sein dürfte, denn es betont schon früh, daß entsprechend den sieben Sendschreiben der Offb. auch die von Paulus angeschriebenen sieben Gemeinden für die Gesamtheit der über die Welt verstreuten Gemeinde stünden. 3. Die Eigenart der Briefe: Die beiden kleinen Johannesbriefe sind eindeutig nicht an einen größeren Kreis von Gemeinden gerichtet, und auch ihr Anliegen ist nicht von allgemeiner Bedeutung. Der l . J o h . spricht lediglich die johanneischen Gemeinden an, deren geographischer Raum sich nicht eindeutig bestimmen läßt. Der Verfasser des l.Petr. schreibt wahrscheinlich an Heidenchristen im nördlichen und westlichen Kleinasien. Nur im 2. Petr., Jak. und Jud. ist ein allgemeiner Leserkreis vorausgesetzt. Allein der l.Petr. und die beiden kleinen Johannesbriefe sind der Form nach echte Briefe; den übrigen fehlen stets die Schlußgrüße; der l . J o h . zeigt allenfalls Andeutungen eines Briefeingangs. Wir haben also überwiegend „Episteln" oder in Briefform eingekleidete Aufrufe und Mahnreden vor uns.
Abfassungsverhältnisse
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Die katholischen Briefe greifen die Lebens- und Glaubensfragen von Gemeinden auf, die unter dem Druck der fortschreitenden Zeit der Ermunterung zum standhaften Durchhalten und zum Kampf gegen die Irrlehre bedürfen: So fordert der Jak. mit Nachdruck die christliche Tat; der l.Petr. stellt seinen Lesern die Bedeutung ihres Heils vor Augen und ermahnt sie, in den Verfolgungen, die nun das ganze Imperium erfassen, geduldig durchzuhalten; der 2.Petr. warnt die Gemeinden, den falschen Propheten und den Versuchungen dieser Welt zu erliegen und dabei die Hoffnung auf die Parusie Christi aufzugeben; ihm steht der Jud. sehr nahe, der überdies im 2.Petr. weithin zitiert wird; die johanneischen Briefe fordern die strenge Scheidung der Gemeinde von frühen Vertretern einer gnostischdoketischen Theologie und predigen zugleich das unbeirrte Festhalten am Liebesgebot Jesu. Damit unterscheiden sich die Katholischen Briefe augenfällig von den originalen Paulusbriefen, die ein lebendiges Gespräch des Apostels mit seinen Missionsgemeinden vermitteln, und von denen selbst der Rom. ohne eine genauere Kenntnis der Situation und der Pläne des Paulus nicht recht zu verstehen ist. Nicht nur die meist allgemein gehaltenen Adressen der Katholischen Briefe haben sie also zu einer besonderen Gruppe zusammenwachsen lassen, sondern auch ihr Inhalt, der als eine allgemeingültige und von aktuellen Gemeindeverhältnissen losgelöste Botschaft verstanden werden konnte. Nach heutiger Kenntnis sind alle Katholischen Briefe, selbst wenn sie in der alten Kirche unter Verfassernamen geführt wurden, anonyme bzw. pseudepigraphische Schreiben. Dabei stehen wiederum die Johannesbriefe den frühen urchristlichen Briefen am nächsten. Im 2. und 3.Joh. handelt es sich lediglich um formale Anonymität - der „Älteste" war den Empfängern natürlich namentlich bekannt - , und auch der Verfasser des l . J o h . kann mit einer sehr engen Verbindung zu seinen Lesern rechnen. Wenn er seinen Namen zu Beginn seines Aufrufs nicht nennt, mag das daran liegen, daß er eben keinen eigentlichen Brief gestaltet hat. Erst durch die Überlieferung sind die Johannesbriefe dem Apostel Johannes zugeschrieben worden und damit in die Nähe pseudepigraphischer Schreiben gerückt. Anders steht es mit den übrigen Briefen. Sie sprechen mit der Autorität des Urapostels oder der Herrenbrüder Jakobus und Judas (Mk.6,3 par. Mt.13,55) in die Spätzeit des Urchristentums hinein, obwohl sie sich weder in der Sprache noch in der Theologie mit der Verkündigung ihrer großen Vorbilder berühren. Der Jak. dürfte von einem hellenistisch gebildeten Judenchristen aus der Diaspora geschrieben sein; auch die beiden Petrusbriefe sind hellenistisch beeinflußt; der erste steht Paulus recht nahe, während im 2. Petr. auf die paulinischen Schriften bereits zurückgeblickt wird (3,15 f.) und zudem der Jud. literarisch verwendet ist. Der pseudepigraphische Charakter der Katholischen Briefe - abgesehen von den drei Johannesbriefen - erklärt auch ihre unbriefliche Form. Waren die Schreiben in der Tat abgefaßt worden, um die Gemeinden in einer späten Zeit der Glaubensbedrohung neu auf die „Säulen" der von Jerusalem aus entstandenen Kirche zu gründen, so ist auch ihre Briefform fiktiv. Ein Brief des Apostels Petrus, der nach all unserem Wissen in Rom unter Nero das Martyrium erlitten hat, konnte in den 90er Jahren des 1. Jahrhunderts keine echten Adressaten mehr finden. Deshalb sind die Schreiben wahrscheinlich von ihren Verfassern als „lange vergessene Doku-
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Pseudepigraphie
mente" ans Licht gebracht und u . U . bei einer Mehrzahl von Gemeinden in Umlauf gesetzt worden. Ein solches Vorgehen war im hellenistischen wie im jüdischen Bereich der antiken Welt verbreitet, wenn in einer späteren Zeit im N a m e n und im Geist der großen Autoritäten und Lehrhäupter Mahnungen und Belehrungen ergehen sollten. D a ß es auch in der Spätzeit des Urchristentums zu pseudepigraphischen Schreiben k a m , zeigt uns, wie sich das junge Christentum mit fortschreitender Zeit zunehmend an seinen Anfängen und deren Übci lieferung durch die Botschaft der Apostel zu orientieren versuchte. D a ß es nötig erschien, neben dem überragenden Zeugnis des Paulus nun auch die Stimmen von anderen Aposteln und von Herrenbrüdern zum Reden zu bringen, ist bezeichnend für den Weg der frühen Kirche, die sich unter dem Vorzeichen der apostolischen Botschaft mit den neuen Beanspruchungen der Christen in der Welt auseinanderzusetzen hatte und in den originalen Paulusbriefen zu wenig Anhalt für die Bewältigung dieser Fragen zu finden glaubte.
DER JAKOBUSBRIEF Wolfgang Schräge Einleitung 1. Der Jakobusbrief ist seit Luther ein theologisch besonders umstrittenes Dokument des Neuen Testaments. Luther war von dem theologischen Widerspruch zwischen Jakobus und Paulus so fest überzeugt, daß er demjenigen seinen Doktorhut versprach, der beide „zusammenzureimen" vermöchte (Tischreden Bd. 3, 254). Im Vergleich zum Joh.-Ev., zu den Paulusbriefen und zum l.Petr. erschien der Jakobusbrief ihm „eine recht stroherne Epistel", die „keine evangelische Art an sich hat" (Deutsche Bibel Bd. 6,10). Ja, er konnte seinen sachkritischen Widerspruch bis zu der Aussage zuspitzen, er werde „einmal mit dem Jeckel den Ofen heizen" (Tischreden Bd.5,382) und ihn „schier aus der Bibel stoßen" (ebd. 414; vgl. 157). Dabei muß man jedoch beachten, daß dieses scharfe Urteil großenteils darauf beruht, daß Jak. „stracks wider St. Paulum und alle andre Schrift den Werken die Rechtfertigung gibt" und nicht „des Leidens, der Auferstehung, des Geistes Christi gedenkt" (Deutsche Bibel 7,384), so daß Luther sogar der Meinung sein konnte, „irgendein Jude" habe den Brief verfaßt, der dem christlichen Glauben „begegnen und schlecht die opera treiben" wolle (Tischreden Bd. 5,157). Das Urteil Luthers über den unausgleichbaren sachlichen Widerspruch zur Rechtfertigungslehre des Paulus besteht zu Recht, und keine Harmonisierungskünste vermögen ihn zu überbrücken, auch wenn die moderne Exegese erkannt hat, daß weniger Paulus selbst als vielmehr ein pervertierter Paulinismus von Jak. 2,14 ff. anvisiert wird (vgl. den Exkurs „Glaube und Werke bei Paulus und Jakobus" zu Jak. 2,26). Mit dieser Sachkritik, vor allem an der in Jak. 2,22.24 vorliegenden Addition von Werken und Glaube als Heilsbedingungen, wo Jak. in der Tat „der Sach' mit Geist, Verstand und Worten zu schwach gewesen" ist (Deutsche Bibel Bd. 7,386), ist nun aber keineswegs der Stab über den Brief als ganzen gebrochen. Schon Luther selbst konnte bei aller Reserve doch „viel guter Spruch" anerkennen. Herder erkannte „in dem Stroh viel starke, feste, nahrhafte, nur unausgelegte unausgetretene Frucht", und Kierkegaard wies darauf hin, daß Luther in einer anderen Zeit sehr wohl dafür plädieren würde, daß der Jak. „etwas hervorgezogen" werde, wenn nämlich das Lutherische „geradezu wie ein Feigenblatt für.das allerunchristlichste Sich-drücken" geworden sei. K. Barth endlich konnte fragen, ob der Brief, wenn es wirklich sein Sinn sei, „die Welt aus der Kirche hinauszutreiben" (A. Jülicher), nicht „das allernotwendigste Buch" des Neuen Testaments sei. Weniger auf der Kritik an dem von Luther nicht gewollten Dispens von den Werken oder auf dem neu entfachten Interesse an der Ethik basiert die Beachtung und Wertschätzung, die der Brief in der neueren exegetischen Forschung gefunden hat und die zu gewissen Korrekturen an der Sicht Luthers nötigte. Zwar ist von der unüberbrückbaren Spannung zum paulinischen sola gratia und sola fide nichts abzumarkten, aber die Nichterwähnung von Kreuz und Auferstehung etwa darf man dem Verfas-
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D e r J a k o b u s b r i e f : Einleitung
ser wohl nicht allzusehr anlasten. Sie erklärt sich wenigstens zum Teil aus der paränetischen Ausrichtung des Briefes, zum Teil aus seiner Polemik gegen ein bloß verbales, der Realisierung und Praktizierung ermangelndes Christentum, genauer wohl: gegen einen sich mißverstehenden und zugleich mißverstandenen Paulinismus. Zwar kann von einer klar konturierten Irrlehre keine Rede sein, aber daß 2 , 1 4 ff. ohne die Wirksamkeit und Verkündigung, aber auch Mißdeutung und Verfälschung des Paulus ganz undenkbar sind, wird die Exegese zeigen. 2. Die Intention des Verfassers ist jedenfalls nicht die Verkündigung des Kerygmas oder gar dogmatische Belehrung, sondern der Ruf zur tathaften Verwirklichung und gehorsamen Bewährung christlicher Existenz. Freilich bleibt auch bei dieser Einsicht in die primär ethische Orientierung des Briefes zu bedauern, daß von der Begründung und Motivierung dieser Ethik, die den vorherrschenden Imperativ (man hat in 108 Versen 54 Imperative gezählt) etwa als Konsequenz des Indikativs, also des zugesprochenen Heils, erscheinen ließe, im Brief nur wenig die Rede ist und von einer spezifisch christlichen bzw. christologischen Begründung erst recht kaum die Rede sein kann (vgl. „Glaube und Werke bei Paulus und Jakobus" nach 2 , 1 4 ff.). Gerade die oft genannte Verwandtschaft mit bestimmten Kapiteln der Paulusbriefe (Rom. 12-13; Gal. 5-6; 1. Thess. 4-5) und der Deuteropaulinen (Eph. 4-6; Kol. 3-4), aber auch mit dem 1. Petrusbrief und Hebräerbrief läßt dieses Defizit deutlich hervortreten. Ähnliches gilt auch beim Vergleich mit der Ethik Jesu, denn so sehr darin Ubereinstimmung besteht, daß es auf das „Tun des Wortes" ankommt (vgl. zu 1,22), so sehr ist solches Tun in den Evangelien auf die Verkündigung der Gottesherrschaft (Mk. 1,15) und auf das erfahrene Heilshandeln Gottes gegründet (Mt. 18,23ff.; L k . 6 , 3 6 u.a.). Trotz des Drängens auf einen radikalen und ganzen Gehorsam fehlt es dem Imperativ im Jakobusbrief auch an der Einheit: Zwar warnt der Verfasser vor der Zwiespältigkeit des Herzens (1,8; vgl. 3 , 1 1 f.; 4 , 4 f . ) und mahnt dazu, die neue Glaubenshaltung bis in scheinbar nebensächliche Angelegenheiten wie das Anweisen von Plätzen in der Gemeindeversammlung (2,1 ff.) oder das Beherrschen der Zunge (3,1 ff.) hinein ernst zu nehmen und konkret werden zu lassen; trotz dieser den ganzen Menschen beanspruchenden Frömmigkeit und trotz eines gewissen Vorrangs der Mahnung zu Liebe und Barmherzigkeit mangelt es dem Brief aber an einer einheitlichen Ausrichtung der göttlichen Forderung. Das Liebesgebot hat anders als Mk. 12,29 ff. und Rom. 13,8 ff. denselben Rang wie ein Gebot des Dekalogs, ja steht auf derselben Ebene wie jedes andere Gebot (vgl. weiter zu 2 , 8 ff.), wobei die Ritualgebote aber stillschweigend abgezogen werden (vgl. unten). 3. Formgeschichtlich gehört der Brief zur Gattung der Paränese. Seine Briefform ist bloße Einkleidung und Fiktion, wie schon die Tatsache andeutet, daß typische Briefmerkmale wie der auf das Präskript (V. 1) folgende Briefeingang, ferner Briefschluß und Grüße völlig fehlen. Auch eine konkrete Briefsituation oder aktuelle Veranlassung, wie sie für alle echten Briefe kennzeichnend ist, läßt sich nicht erkennen. Vom unvermittelten Anfang in 1,2 bis zum Schlußvers des Briefes in 5 , 2 0 folgen ohne deutlich erkennbaren Zusammenhang und Gedankenfortschritt Mahnungen
Der Jakobusbrief: Einleitung
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und Warnungen aufeinander. Dabei kann man zwischen Abschnitten mit lose aneinandergereihten Einzelsprüchen oder Spruchgruppen und Abschnitten mit einer relativ einheitlichen Thematik (so 2 , 1 - 3 , 1 8 ) unterscheiden. Die zuletzt genannten Abschnitte sind zugleich diejenigen, in denen der Verfasser offenbar am eigenständigsten formuliert und sein eigentliches Anliegen am deutlichsten zur Sprache bringt (vgl. besonders zu 2,14ff.). Im übrigen aber schöpft der Verfasser aus einem breiten paränetischen Traditionsstrom, der von vielfältigen Elementen antiker, vor allem jüdischer Ethik gespeist worden ist. Das hat zu der Hypothese geführt, der Brief sei eine nur leicht überarbeitete jüdische Schrift. Das scheitert freilich trotz des nur zweimal erwähnten Namens Jesu Christi in 1 , 1 und 2 , 1 und trotz der gegenüber Paulus und 1. Petr. weniger starken Christianisierung des paränetischen Stoffes sowohl an zahlreichen als christlich anzusprechenden Wendungen (vgl. 1 , 1 8 . 2 1 . 2 5 ; 2 , 7 ; 5 , 8 . 1 2 . 1 4 ) als auch an der Polemik in 2 , 1 4 - 2 6 . An der starken Traditionsbedingtheit des verarbeiteten Stoffes kann allerdings nicht der geringste Zweifel bestehen. Das meiste Material stammt dabei aus der alttestamentlich-jüdischen Weisheitstradition, wie die vielfältigen Parallelen aus Jesus Sirach, der Weisheit Salomos und den Sprüchen bestätigen; die Verwandtschaft zu diesen Weisheitsbüchern erstreckt sich nicht nur auf das Formale wie Vokabular und Stil (Spruchfonn, persönliche Anrede, Imperative u.a.), Bilder und Beispiele, sondern auch auf die ethischpraktische Ausrichtung und Theologie (Befolgung des Gesetzes, Durchhalten im Leiden, Tun-Ergehen-Zusammenhang, Bedeutung von Weisheit und Vollkommenheit u.a.). Aber auch die apokalyptischen Schriften sowie die hellenistischjüdischen Schriftsteller bieten in formaler wie inhaltlicher Hinsicht erstaunlich viel Ähnliches. Daneben hat auch die kynisch-stoische Popularethik direkt oder über den Umweg über das hellenistische Judentum manches an Form (vgl. die dialogischen Elemente, rhetorischen Fragen, fingierten Einwände u. ä.) und Inhalt beigesteuert, und nicht zuletzt ist hier auch die urchristliche Wortüberlieferung zu nennen (vgl. unten zum Verhältnis zu den Herrenworten). Immer wieder aufgefallen sind auch zahlreiche Berührungen mit dem Hirten des Hermas, der ja ebenfalls viel ähnliches Erbgut aus der paränetischen Tradition in sich aufgenommen hat. Es ist dabei nicht an literarische Abhängigkeit des einen vom anderen zu denken, sondern an die Verarbeitung derselben Uberlieferungen. Alle diese Überlieferungen sind vom Verfasser seiner vorherrschend paränetischen Absicht dienstbar gemacht worden. Dieser aus dem paränetischen Sammel- und Allgemeingut resultierende „interkonfessionelle" Eklektizismus, der theologisch durch die Annahme eines allgemein vorauszusetzenden Wissens um Gut und Böse möglich war, erklärt auch die relativ wenigen christlichen Züge. Jedenfalls liegt dem Verfasser nicht an Originalität, sondern an katechismusartiger Sammlung dessen, was er bei einer christlichen Lebensführung für unabdingbar hält. Man hat den Brief darum eine paränetische Lehrund Mahnschrift oder Didache genannt. 4. Zwei mit diesem paränetischen Charakter zusammenhängende Fragen sind nicht leicht zu beantworten: Zum einen die Frage der Disposition. Zumindest auf den ersten Blick macht der Brief wegen seines disparaten Stoffes und der großenteils nur locker verbundenen Sprüche und Spruchgruppen nicht den Eindruck, als
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Der Jakobusbrief: Einleitung
sei er nach einem bestimmten Plan aufgebaut. Manche Sprüche und Spruchgruppen sind rein formal durch Stichwortanschluß miteinander verbunden, ein beliebtes mnemotechnisches Hilfsmittel gerade in der mündlichen Überlieferung, das sich von daher aber auch oft in das schriftliche Traditionsstadium durchgehalten hat (vgl. 1,4—1,5; 1,12—1,13; 1,26—1,27; 2,12—2,13; 3,17—3,18 u.a.). Bisweilen aber läßt sich nicht einmal ein formaler Grund für die Aufeinanderfolge der einzelnen Komplexe angeben. Schon Luther hat ausgestellt, daß der Brief „so unordentlich eins ins andere" wirft (Deutsche Bibel Bd. 7,387) und „kein ordo noch methodus" habe (Tischreden 5,157). Es ist zwar mancher Scharfsinn und viel Psychologie aufgewandt worden, um den verborgenen roten Faden oder ein plausibles Ordnungsprinzip doch noch aufzuspüren, aber mit wenig Erfolg. So hat man, um die gewisse Unordnung und abrupten Übergänge zu erklären, die These vertreten, dem Brief liege als Gliederung die Durchführung einer Allegorie über Jakob und seine 12 Söhne, ihre Namen, Schicksale und Eigenschaften zugrunde. Von l . M o s e 4 9 an habe das 12-Stämme-Schema immer wieder als Rahmen theologischer und paränetischer Ausführungen auf der Basis onomastisch-allegorischer Ausdeutungen der Patriarchennamen gedient (vgl. die Testamente der 12 Patriarchen). Obschon sich nun der Brief als Schreiben „an die 12 Stämme in der Diaspora" (1,1) gibt, dürfte damit des Rätsels Lösung kaum gefunden worden sein. Abgesehen davon, daß diese These kaum nachprüfbar ist, weil der christliche Bearbeiter die vorausgesetzte jüdische Grundschrift gründlich zurechtgestutzt und auch die Namen selbst, die doch eine große Verstehenshilfe gewesen wären, ausgelassen haben soll, wird anders als sonst (vgl. z.B. Gal.4,24) auf die Allegorese auch gar nicht aufmerksam gemacht. Der geheime allegorische Faden würde zwar in einzelnen Fällen die Neueinsätze mit dem Übergang zu einer anderen Gestalt erklären können, aber das vorausgesetzte Maß an Künstlichkeit der Durchführung ist kaum zu überbieten. Warum sollte, um ein Beispiel zu nennen, die Anspielung auf den Namen Asser (aser heißt hebr. reich sein) erst 5,1 ff. und nicht schon 1,9ff. oder 2,5 ff. vorliegen? Die Proportionen und Dimensionen der einzelnen Anspielungen sind zudem sehr unterschiedlich veranschlagt: bisweilen sollen es einzelne Begriffe, bisweilen ganze Verse und Abschnitte sein, im Zentrum in 2,14 ff. fehlen die Beziehungen auf Patriarchen überhaupt. Man kann darüber hinaus fragen, ob nicht doch trotz aller unsystematischen und zusammenhanglosen Aufeinanderfolge der einzelnen Teile, der nur schwer möglichen Gliederung (die Einteilungen in der Auslegung sind z. T. nur Versuche) und der Wiederholungen gleicher Motive umrißartig bestimmte Ansätze einer nicht bloß formal bedingten, sondern sachlichen Disposition zu erkennen sind. Gewiß sind rein formale oder assoziative Anschlüsse (vgl. die erwähnte Stichwortverbindung) nicht zu bezweifeln. Gewiß wäre eine konsequent durchgeführte, auf einem einheitlichen Leitgedanken beruhende Disposition nur mit Gewaltsamkeit zu erreichen. Aber der Vergleich mit anderen paränetischen Schriften legt es nahe, eine ansatzweise zu erkennende Sachgliederung zu vermuten. So ist es wohl kaum Zufall, daß die eschatologisch motivierten Mahnungen 5,7-11 ebenso erst gegen Schluß des Briefes stehen (vgl. Rom. 13,11 ff.; Did. 16; l.Petr.4,7ff.) wie die die Kirchenordnung und „irrenden Brüder" betreffenden Passagen (vgl. die Parallelen zu
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5,12-20 wie l . J o h . 5,14 ff. u. ö.) und zumal die Empfehlung des Gebets (vgl. l.Thess.5,17; 2.Kor. 13,7; Phil.4,6; Phlm.22; E p h . 6 , 1 8 f . ; Hebr.13,18; Jud.20). Umgekehrt hängt das am Anfang im Mittelpunkt stehende Thema der Versuchungen mit der grundlegenden Bedeutung der Taufe zusammen (vgl. 1. Kor. 10,1 ff.; l . P e t r . 1 , 1 6 ; Mt.3,13-4, l l p a r . ) , auf die in 1,18.21 (ebenso 2,7) angespielt sein dürfte (vgl. zu 1,18: l . P e t r . 1 , 2 3 und zu 1,21: l . P e t r . 1 , 1 8 u. 2,1). Überhaupt fällt auf, daß die Parallelen zwischen Jak. und l.Petr. im allgemeinen in derselben Reihenfolge vorliegen (vgl. J a k . l , 2 f . : l.Petr. 1,6f.; J a k . l , 1 0 f . : l.Petr. 1,24; Jak. 1,18: l.Petr. 1,23; Jak. 1,21: l . P e t r . 2 , 1 ; J a k . 4 , 1 : l . P e t r . 2 , 1 1 ; Jak.4,6: l.Petr. 5,5; Jak.4,7: l . P e t r . 5 , 9 ; Jak.5,20: l . P e t r . 4 , 8 ) ; das deutet ebenfalls an, daß der Aufbau in einem bestimmten Maße vorgegeben war, auch wenn von literarischer Abhängigkeit des einen vom anderen oder von gemeinsamer Abhängigkeit von einem ausgeformten jüdischen oder christlichen Katechismus keine Rede sein kann. Die Parallelität betrifft oft selbst den Aufbau einzelner Abschnitte; das lehrt z.B. ein Vergleich von 4 , 6 ff. mit l.Petr. 5,5 ff., wo ein Zitat aus Spr.3,34,eine Mahnung zur Demut vor Gott und eine zum Widerstand gegen den Teufel aufeinanderfolgen. Deutlich ist auch, daß sachlich Verwandtes oder ähnliche Adressaten Betreffendes zusammengestellt worden ist (vgl. 3, lff.->-3,13ff. oder 4,13ff.-»-5,1 ff.-*-5,7ff.). Wird so der Aufbau des Briefes und seiner Abschnitte auch von bloßer Zufälligkeit und Willkür abgesetzt, so ist ein tieferer Sinn damit jedoch noch nicht gewonnen. Als methodische Konsequenz ergibt sich nach wie vor die Forderung größter Zurückhaltung gegenüber einer Auslegung vom Kontext oder Gedankenfortschritt her. H a t also die Einzelerklärung von Spruch und Spruchgruppe aus sich heraus den Vorrang, so ist jedoch die Frage, was der Verfasser sich bei der Verbindung von Sprüchen gedacht hat, damit nicht einfach verboten. 5. Mit dem paränetischen Charakter des Schreibens hängt auch die zweite Schwierigkeit zusammen, die Ausmaß und Grad der Situationsbezogenheit des Briefes und seiner Mahnungen betrifft. Daß der „Brief" kein Gelegenheitsbrief mit aktueller Veranlassung und situationsbezogener Zuspitzung ist, wurde schon festgestellt. Es ist aber umstritten, ob und inwieweit man überhaupt aus den einzelnen Mahnungen Rückschlüsse auf die besonderen Verhältnisse und Gefahren der Adressaten ziehen darf. Daß wegen des „usuellen", von besonderen Situationen absehenden und das Typische und Traditionelle bevorzugenden Charakters der Paränese solche Rückschlüsse nur mit größter Vorsicht zu geschehen haben, ist gewiß. Sicher ist auch, d a ß Beispiele wie in 2,2-4 und 2,15-16 konstruiert sind und man weder hier noch auch sonst an Vorkommnisse nur einer einzelnen Gemeinde denken darf. Und endlich ist unübersehbar, daß verschiedene Gruppen angeredet werden und nicht durchgängig dieselben oder alle Adressaten von den Mahnungen betroffen werden. Aber damit ist, wie schon die Überlegungen zum polemischen Charakter von 2,14 ff. andeuteten (auch die Polemik in 3,13 ff. hat wahrscheinlich bestimmte Leute im Auge), solche Rüdefrage nach dem Leserkreis und seiner Situation nicht prinzipiell ausgeschlossen. Wenn der Verfasser ernst genommen werden will, darf der Brief nicht sozusagen außerhalb von Raum und Zeit schweben, müssen solche Fälle wie der Andrang zum Lehramt (3,1), ein falsches Verständnis von „Weisheit" (3,13 ff.), die selbstsichere
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Rede von 4 , 1 3 oder die Unterdrückung und Ausbeutung der Armen (vgl. 2 , 6 ; 5 , 4 ) grundsätzlich möglich oder gar typisch gewesen sein. Obschon dabei im einzelnen nur schwer zu entscheiden ist, wieweit diese Phänomene außerhalb oder innerhalb (vgl. etwa 3 , 1 3 „unter euch") der Gemeinde anzusetzen sind, weil gezielte Anspielungen auf konkrete Gemeindeverhältnisse nicht zu erkennen sind, läßt sich indirekt doch einiges erschließen. So ist denn auch immer wieder mit gutem Grund vermutet worden, daß die Leser überwiegend zu den „ A r m e n " zählen. D a s bedeutet zunächst, daß sie sozial und gesellschaftlich zu den unteren Schichten und „kleinen Leuten" gehören. Zweitens aber ist damit gemäß der Selbstbezeichnung der Frommen als „ A r m e " im Sinne der Psalmen (vgl. Ps. 86, l f . ; 1 3 2 , 1 5 f . ) und der Urgemeinde (vgl. R o m . 1 5 , 2 6 ; G a l . 2 , 1 0 ) der Anspruch verbunden, die Heiligen und Erwählten des Gottesvolkes zu sein. Auch daß der Verfasser, dessen Sympathie deutlich diesen Armen gilt, schon einen gewissen Einfluß der Reichen und einen Konflikt in der Gemeinde befürchtet, ist nicht auszuschließen. Die wiederholten Ermahnungen und Warnungen, die sich auf die Reichen beziehen ( 1 , 9 f f . ; 2 , 5 ff.; 5 , 1 ff.), haben nur dann Sinn, wenn sich hier in irgendeiner Weise die kirchlichen und die gesellschaftlich-sozialen Verhältnisse der Adressaten widerspiegeln, auch wenn leider aus den T e x t e n keine Eindeutigkeit darüber zu erreichen ist, ob die Reichen innerhalb (dafür spräche 1 , 9 ff.), außerhalb (dafür spräche 2 , 6 f . und 5 , 1 ff.) oder am R a n d e (vgl. 2 , 1 ff.) der Gemeinde zu suchen sind. So gewiß man also in breitem U m f a n g mit allgemeingültigen Lebensregeln und im einzelnen wohl auch mit prophylaktischen M a h n u n g e n zu rechnen hat (vgl. I g n . M a g n . 1 1 , 1 ; Trall. 8,1), so sehr ist der Brief auch von akuter Sorge bewegt, der Geist der Welt möchte in die Gemeinden eindringen (vgl. 4 , 4 ) und die Verwirklichung des Wortes könnte zu kurz k o m m e n (vgl. 1,22). D a r u m ist auch stärker als bisher zu betonen, daß der Brief aus dem vielfältigen Reservoir paränetischer Tradition gerade die vorliegende Auswahl getroffen hat. D a s Auswahlprinzip dürfte jedoch nicht allein die persönliche Vorliebe des Verfassers für diesen oder jenen Gedanken gewesen sein, sondern auch der Hinblick auf die konkrete Wirklichkeit der in Aussicht genommenen Leser, wie besonders die Wiederholungen nahelegen. D a m i t gibt der Verfasser ein gutes Beispiel für das, w a s er auch von seinen Lesern verlangt: sich nicht nur als glaubendes Individuum zu sehen, sondern in Solidarität die kirchliche und soziale Realität der anderen nicht aus den Augen zu verlieren. 6. Schon die nachpaulinische Ansetzung von 2 , 1 4 ff. (vgl. dort) macht es unwahrscheinlich, daß der Brief in die älteste Zeit des Urchristentums zurückreicht und vom Herrenbruder Jakobus abgefaßt wurde. Andererseits aber erhebt der Brief zweifellos den Anspruch, von diesem Herrenbruder geschrieben zu sein. D a ß von den verschiedenen Männern des Neuen Testaments mit N a m e n J a k o b u s (vgl. 1: M k . 1 , 1 9 ; 3 , 1 7 u . ö . ; 2: M k . 3 , 1 8 par.; 3: M k . 1 5 , 4 0 par.; 4: L k . 6 , 1 6 ; 5: G a l . 2 , 9 u. ö.) nur ein M a n n mit anerkannter Autorität und allgemeinem Ansehen gemeint sein kann, bedarf keines Beweises. Der einzige, dessen bedeutsame Stellung aber aus dem Neuen Testament einwandfrei hervorgeht, ist der Herrenbruder J a k o b u s (der Zebedaide k o m m t schon d a r u m nicht in Frage, weil er bereits 44 n. Chr. hingerichtet wurde: Apg. 12,2). Er, der zu Lebzeiten Jesu der Botschaft und dem Wirken seines Bruders offenbar kritisch gegenüberstand (vgl. M k . 3 , 2 1 . 3 1 f f . ; J o h . 7 , 5 ) und erst
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durch eine Erscheinung des Auferstandenen bekehrt worden zu sein scheint (vgl. 1. Kor. 15,7; Hebr.-Ev.), zählte zunächst zu den „Säulen" der Urgemeinde (Gal. 2,9; vgl. Gal. 1,19 und 2,6), wurde später ihr maßgebender Mann (vgl. Apg. 12,17; 21,18; Gal. 2,9; Jud. 1) und wahrscheinlich 62 n. Chr. als Märtyrer hingerichtet (so Josephus Altertümer XX 200). Welchen Anteil die leibliche Verwandschaft bei der Übertragung des kirchenleitenden Amtes spielte, läßt sich kaum sagen (Apg. 1,14 darf in diesem Zusammenhang nicht bemüht werden, da es ein lukanisches Summarium darstellt). Jedenfalls aber war Jakobus nach Gal. 2,12 der Repräsentant der gesetzesstrengen Richtung des Judenchristentums, auch wenn man ihn nicht zum Kronzeugen der Judaisten machen darf (vgl. Gal. 2,9). Schon die Tatsache, daß die Jerusalemer bei aller Distanz zu den „eingeschlichenen Falschbrüdern" (Gal. 2,2ff.) und bei aller Anerkennung der gesetzes- und beschneidungsfreien Heidenmission nicht mit der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen einverstanden waren (zum Verständnis dieser Haltung vgl. Apg. 10,14.28; Jubil.22,16 u.a.), läßt nun aber an der Verfasserschaft des Herrenbruders erhebliche Zweifel aufkommen. Nirgendwo im Jakobusbrief ist auch nur der leiseste Hinweis auf die Geltung des Ritual- und Zeremonialgesetzes zu erkennen (vgl. die Spiritualisierung des Gottesdienstes in 1,27). Bei einem palästinensischen Verfasser mit aramäischer Muttersprache überrascht selbst bei angenommener Zweisprachigkeit auch das gepflegte Griechisch mit seinem ausgesprochenen Sinn für Stil, Rhythmus und rhetorische Kunstformen (Paronomasie, Parechese, Homoioteleuton u. ä.), das im Neuen Testament seinesgleichen sucht; ein reicher Wortschatz, die Verwendung von LXX-Zitaten, der griechische Briefstil (V. 1) und der Einfluß der Diatribe erschweren es weiter, an den Herrenbruder zu denken. Und soll man von einem Herrenbruder erwarten, daß so wenig an direktem Niederschlag von Jesu Worten aufgenommen wird, daß er in seiner Mahnung zur Leidensbereitschaft (5,10 f.) nur Hiob und nicht Jesus erwähnt und endlich „Christus" bereits als Eigennamen statt Appellativum verwendet (1,1)? 7. Das Verhältnis zu den Herrenworten ist freilich umstritten. Daß sich der Brief formal und inhaltlich mit gewissen Worten Jesu berührt, ist nicht zu leugnen, wie ja auch sonst im Neuen Testament gerade die Paränese direkte und indirekte Anklänge an die synoptische Spruchüberlieferung aufweist. Daß Jakobus die an die Herrenworte anklingenden Worte nie als solche zitiert oder kenntlich macht, spricht aber noch nicht für eine frühe Entstehung der Schrift. Einerseits kennt bereits Paulus neben mancherlei Berührungen und Anspielungen, die auf die synoptische Tradition zurückführen (Rom. 12,13.14.17 u. ä.), auch ausdrückliche Herrenwortzitate (1. Kor. 7,10.25; 9,14), andererseits aber werden noch in der Didache die dort oft verwendeten Herrenworte nicht als solche kenntlich gemacht. Bedeutsam ist, daß die Hauptmasse der Übereinstimmungen auch in der Zeit der sogenannten Apostolischen Väter noch durch gemeinsame mündliche Tradition zu erklären ist und nicht durch literarische Abhängigkeit. Auch nach Abfassung der Evangelien ist die mündliche Überlieferung ja noch weitergeflossen (vgl. Apg. 20,35). Daß dabei durchaus die Möglichkeit besteht, daß Jakobus die gegenüber den Evangelien ältere Fassung eines Herrenwortes aufbewahrt hat, zeigt der Vergleich zwischen Jak. 5,12 und
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M t . 5 , 3 7 . Während Jesus das Schwören überhaupt verbietet (Mt.5,34) und dafür eintritt, daß das J a des Menschen ein Ja und sein Nein ein Nein sei (so Jak. 5,12), hat M t . 5 , 3 7 statt dessen wieder eine in der Form der Verdoppelung bestehende Schwur- und Beteuerungsformel konzediert („ja ja" bzw. „nein nein"; vgl. slav. Hen. 49,1). Diese Priorität der Jakobusform ist freilich traditionsgeschichtlidi, nicht literarisch zu verstehen, darf also nicht zu dem Schluß verleiten, somit sei der Jakobusbrief vor dem Mt.-Evangelium entstanden. Das literarisch jüngere kann das traditionsgeschichtlich ältere Stadium der Überlieferung repräsentieren und umgekehrt (vgl. die Abendmahlsworte in 1. Kor. 11,23 ff. und Mk. 14,22ff.). Besteht so grundsätzlich die Möglichkeit, daß Jak. auch anderswo Traditionen aufgenommen hat, die auf Jesus selbst zurückgehen, auch wenn sie keine Parallelen in den Evangelien haben, so ist doch kaum anzunehmen, daß der Brief tatsächlich in nennenswertem Umfang solche Traditionen in sich birgt. Eine von vielen vermutete Abhängigkeit vom Mt.-Ev. - etwa die Hälfte der Parallelen findet sich in der Bergpredigt - läßt sich kaum hieb- und stichfest nachweisen, auch durch 1,4 im Vergleich mit Mt. 5,48 und durch 1,5 im Vergleich mit Mt. 7,7 nicht. Die Berührungen erklären sich vielmehr durch eine zugrundeliegende gemeinsame Tradition. Eine literarische Abhängigkeit vom ersten Evangelium würde im übrigen eine Abfassung des Briefes durch den Herrenbruder noch unwahrscheinlicher machen. Wäre der Brief tatsächlich vom Herrenbruder Jakobus abgefaßt, ließe sich auch schwer begreifen, wieso sich der Brief in der Kirche so schwer durchsetzen konnte. Er fehlt im Kanon Muratori (einem römischen Kanonsverzeichnis des ausgehenden 2. Jahrhunderts). Noch Origenes (t um 254) berichtet, daß er nicht allgemein zu den kanonischen Schriften gezählt wird, und auch Euseb rechnet ihn noch zu denjenigen Schriften, denen „widersprochen" wird (Antilegomena). Erst im 4. Jahrhundert wird er allgemein anerkannt. 8. Wann und wo das Schreiben abgefaßt wurde, läßt sich nicht genau sagen, jedenfalls aber vor dem Judasbrief (vgl. Einl. zu Jud.). Die Nähe zum nachapostolischen Christentum der sogenannten Apostolischen Väter - vor allem der Hirte des Hermas hat, wie schon angedeutet wurde und die Auslegung im einzelnen zeigen wird, viele mit Jak. übereinstimmende Traditionen und Tendenzen, aber auch die Verwandtschaft zu 1. Klem., Barn, und Did. wird immer wieder deutlich - spricht mehr dafür, daß der Brief nicht in der Früh-, sondern in der Spätzeit des Urchristentums anzusetzen ist. Dagegen läßt sich auch nicht die ausgesprochene Naherwartung des Briefes (vgl. 5 , 7 . 9 ) anführen. Diese wird vielmehr auch von neutestamentlichen Schriften am Ende des 1. Jahrhunderts (1. Petr. und Offb.) sowie von der Didache (vgl. Did. 10,6; 16,1-7), dem Hirten des Hermas u. a. bezeugt (vgl. Herrn. Vis. II 2,5 ff. u.ö.; 2. Klem. 12,1; Barn. 21,3 u.ö.). Außerdem ist noch offen, inwieweit der Vetfasser die Unmittelbarkeit der endzeitlichen Erwartung seiner Tradition tatsächlich teilt, da in 5 , 7 ein Einfluß der Parusieverzögerung unverkennbar ist. Auch die Eschatologie ist jedenfalls wie alles andere im Brief der Paränese untergeordnet, d. h. sie dient der Motivierung des christlichen Glaubens. Für eine frühere Datierung ließe sich dagegen anführen, daß die Verbindung zur Synagogengemeinde offenbar noch nicht problematisch ist (vgl. 2 , 2 und das Fehlen des Missionsgedankens im Zusammenhang mit der Paränese).
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9. D a ß sich so wenig Genaues über Verfasser, Zeit und Ort der Abfassung sagen läßt, mindert den Wert des Briefes in keiner Weise. M a n kommt zwar zumal gegenüber 2 , 2 2 . 2 4 um eine sachkritische Entscheidung nicht herum, und es besteht kein Grund zu der Annahme, nur der Jakobusbrief könne Paulus vor Verfälschung schützen, zur Zeit des Jakobusbriefes sei dessen Position unausweichlich gewesen oder sein Verfasser habe sich gar selbst auf der Basis des paulinischen Ansatzes so verstanden, d a ß er das von Paulus ursprünglich Gemeinte wiederherstellen wolle. Wer die Werke als Heilsbedingung versteht, der bildet keine Ergänzung, sondern eine Alternative zu Paulus und bedarf selbst der Korrektur. Wer nicht die Verklammerung von Glaube und Werk verkündigt, sondern die Werke dem Glauben vor- und überordnet, ist mit Paulus nicht zu harmonisieren, sondern von Paulus her zu kritisieren (vgl. den Exkurs über Glaube und Werke bei Paulus und Jakobus). Solche Sachkritik sollte jedoch nicht als Alibi dienen, den Jak. in Bausch und Bogen zu disqualifizieren oder als bloßen Moralismus abzutun. Gegenüber einem zu Erstarrung, Innerlichkeit oder Laxheit degenerierten Glauben, auch gegenüber einem verkrusteten oder hybriden Protestantismus, der sich die Werke schenken zu können meint, behält die Stimme des Jak. eine heilsame Korrektivfunktion, die niemand leichthin abtun sollte. Schon die Vielzahl der Argumente warnt davor, den ganzen Brief von 2 , 2 2 her zu verstehen. Es geht dem Verfasser primär nicht um eine neue Lehre von der Rechtfertigung oder u m eine mit theologischer Akribie geführte Debatte über den Glaubensbegriff, sondern um die Realisierung eines praktischen, leibhaftigen u n d konkreten Gehorsams, vor allem in der Liebe und Barmherzigkeit zu den anderen (vgl. 1,27; 2 , 1 ff.; 2 , 1 5 f. u. ä.). Wie wenig ihm an subtiler und präziser theologischer Formulierung liegt, bestätigt auch das in der Forschung oft diskutierte Verhältnis von Werken u n d Glaube, w o verschiedene Linien durcheinanderlaufen (vgl. den Exkurs zu 2,26). Der Verfasser ist in erster Linie eben nicht an theologischer Präzision u n d Lehre, sondern an der Praxis interessiert. So entscheidet sich der W e r t der „Weisheit" nach dem Verfasser allein an einer sittlich verantwortlichen Lebensführung (3,13 ff.). Auch seine lehrhaften Ausführungen wie in 2 , 8 ff. oder 2 , 1 4 ff. lassen diese primär praktische u n d ethische Orientierung seines Denkens nicht übersehen. Alles k o m m t darauf an, „Täter des Wortes" zu sein. Literatur Wissenschaftliche Kommentare: F.Spitta, Der Brief des Jakobus (Sonderdruck aus: Zur Geschichte und Literatur des Urchristentums II), 1896. - F.Hauck, Der Brief des Jakobus (Kommentar zum NT, hrsg. von Th. Zahn, 16), 1926. - H. Windisch/H. Preisker, Die katholischen Briefe (Handbuch zum N T 15), »1951. - A. Schlatter, Der Brief des Jakobus, '1956. - M. Dibelius, Der Brief des Jakobus, hrsg. und ergänzt von H. Greeven (MeyerK 15), "1964. - F. Mußner, Der Jakobusbrief (Herders Theologischer Kommentar zum N T XIII, 1), »1975. Allgemeinverständliche Auslegungen: G. Hollmann und W. Bousset, Der Jakobusbrief (Die Schriften des NT III), «1917. - A. Schlatter, Erläuterungen zum NT 9, 1950. H.Rendtorff, Hörer und Täter. Eine Einführung in den Jakobusbrief (Die urchristliche Botschaft 19), 1953. - F.Hauck, Die Kirchenbriefe (NTD 10), »1957. - J.Schneider, Die Kirchenbriefe (NTD 10), 101967. - J. Michl, Die katholischen Briefe (Regensburger NT 8), «1968. - G.Schiwy, Weg ins N T 4, 1970.
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Jak. 1,1: Briefeingang
Untersuchungen: A. Meyer, Das Rätsel des Jacobusbriefes (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 10), 1930. - G. Kittel, Der geschichtliche Ort des Jakobusbriefes, Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 41,1942, S. 7 1 - 1 0 5 . - K . Aland, Der Herrenbruder Jakobus und der Jakobusbrief, Theologische Literaturzeitung 69, 1944, S. 97-104. - M. Lackmann, Sola fide, 1949. - H.J.Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums, 1949, S. 343-349. - G.Eichholz, Jakobus und Paulus. Ein Beitrag zum Problem des Kanons (Theologische Existenz heute NF 39), 1953. - G.Eichholz, Glaube und Werk bei Paulus und Jakobus (Theologische Existenz heute NF 88), 1961. - E. Lohse, Glaube und Werke. Zur Theologie des Jakobusbriefes, Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 48, 1957, S. 1-22. - U. Luck, Weisheit und Leiden. Zum Problem Paulus und Jakobus, Theologische Literaturzeitung 92, 1967, S. 253-258. - U.Luck, Der Jakobusbrief und die Theologie des Paulus, Theologie und Glaube 1971, S. 161-179. R. Hoppe, Der theologische Hintergrund des Jakobusbriefes, 1977.
Briefeingang (Absender, Adressaten, Gruß): 1,1 1 J a k o b u s , Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi, grüßt die zwölf Stämme in der Diaspora.
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Im Unterschied zu den meisten ausführlicheren Briefeingängen des Neuen Testaments (Paulusbriefe, 1. Petr. u. a.) benutzt der Verfasser (vgl. dazu die Einleitung) die griechische Briefkonvention, die in der 3. Person Absender, Adressaten und G r u ß in einem Satz zusammenfaßt (vgl. Apg. 1 5 , 2 3 ) . Der Verfasser nennt sich „Knecht G o t t e s " (eigentlich: „Sklave G o t t e s " ) , eine Ehren- und Hoheitsbezeichnung, die ihn an die Seite der großen alttestamentlichen Gottesmänner (vgl. J o s . 2 4 , 2 9 ; Am. 3 , 7 ; Jer. 4 4 , 4 ; Ps. 1 0 5 , 2 6 . 4 2 u. ö.) rücken soll und den fehlenden Apostelnamen ersetzt. Z w a r kann etwa 1. Petr. 2 , 1 6 auch jeder andere Christ „Knecht G o t t e s " und in 1. Kor. 7 , 2 2 (vgl. Eph. 6 , 6 ) „Knecht Christi" genannt werden, doch will sich der Verfasser nicht aus Bescheidenheit mit anderen Christen auf eine Stufe stellen, sondern seine Autorität unterstreichen, jedoch damit zugleich seinen Dienst und seine Unterwerfung unter G o t t und den Herrn Jesus Christus zum Ausdruck bringen (vgl. R o m . 1 , 1 ; Gal. 1 , 1 0 ; auch Tit. 1 , 1 ; Offb. 1 , 1 ; 1 0 , 7 u. ö.). Die „zwölf Stämme in der D i a s p o r a " sind nicht im eigentlichen Sinn als das Zwölfstämmevolk Israel, sondern übertragen zu verstehen. Das geht schon daraus hervor, daß der Brief sich an Christen wendet. Aber auch „Diaspora" weist in diese Richtung (vgl. zu 1. Petr. 1 , 1 ) . Angesprochen ist somit das in der Welt zerstreute Gottesvolk, das das verheißene (vgl. Hos. 2 , 2 ; Jer. 3 , 1 8 ; Ez. 3 7 , 1 9 ; Ps. Sal. 1 7 , 4 4 ) , wahre Gottesvolk ist und aus Juden und Heiden besteht (vgl. Offb. 7 , 4 - 8 ; Gal. 6 , 1 6 ) . Der Brief ist also an die gesamte Christenheit in der Fremde der Welt adressiert. Der übliche Gruß beschließt das Präskript (im Neuen Testament sonst nur Apg. 1 5 , 2 3 ; 2 3 , 2 6 ) .
I. Über Versuchungen 1,2-18 Die erste Reihe von Spruchgruppen und Einzelsprüchen läßt sich in etwa unter das T h e m a „Versuchungen" subsumieren. D e r Verfasser beginnt mit einem Aufruf zur Freude in den Anfechtungen, die Beharrlichkeit und Vollkommenheit wirken ( V . 2 - 4 ) . V . 5 - 8 folgt dann mit formalem Stichwortanschluß ein Abschnitt über
Jak. 1,2-4: Freude und Bewährung in der Anfechtung
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Gebet und Zweifel, der sich aber wegen des Gebets um Weisheit inhaltlich durchaus passend anschließt. Für den in V.9 beginnenden Abschnitt (V.9-11), der vom Schicksal der Armen und Reichen handelt, ist ein Anschluß an das Vorhergehende nur schwer zu gewinnen. Der ähnlich lautende Schluß in V. 8 und 11 genügt kaum zur Erklärung, ebensowenig die antithetische Struktur beider Abschnitte. Vielleicht liegt in der Aufforderung zum „Ruhm" eine Wiederaufnahme der Aufforderung zur Freude (V.2) vor. Audi V. 12-18 werden vom Thema Versuchung nur äußerlich zusammengehalten. Der Makarismus für den Angefochtenen in V. 12 hat mit den folgenden Versen zunächst kaum etwas zu tun, denn es ist hier in ganz anderer Weise von Anfechtung die Rede; inhaltlich paßt V. 12 eher zu V. 2-4, weil die Anfechtung auch dort als positiv zu bewertende Bewährungsprobe aufgefaßt ist, während V. 13-15 sie als Ausfluß der Begierde in die Nähe von Sünde und Tod bringen. V. 16-18 endlich wollen ursprünglich wohl sagen, daß jede Gabe, sofern sie gut ist, von oben kommt; im jetzigen Zusammenhang aber wird der Gedanke unterstützt, daß Gott nicht der Urheber der Versuchung ist, weil von ihm nur Gutes kommt.
1. Freude und Bewährung in der Anfechtung (1,2-4) * Haltet es, meine Brüder, für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung geratet. * Ihr wißt ja, daß das Erprobungsmittel eures Glaubens Sündhaftigkeit bewirkt. 4 Die Sündhaftigkeit aber soll ein vollkommenes Werk nach sich ziehen, damit ihr vollkommen und unversehrt seid und euch nichts fehlt. Der erste Abschnitt wird mit einem im Deutschen nicht nachzuahmenden Wortspiel an den Gruß angeschlossen. V. 2 selbst entstammt einer Tradition, die wohl 2 aus dem Judentum kommt und auch l.Petr. 1,6 zugrunde hegt, im Unterschied zu dort und auch zu V. 12 hier aber nicht direkt eschatologisch begründet ist. Auch die Anfechtungen sind nicht speziell die endzeitlichen Bedrängnisse, sondern mehr die ständigen Gefährdungen und Versuchungen des Frommen in der Diaspora der Welt (vgl. 4,4). Dabei läßt sich nicht genauer sagen, welche konkreten Formen mit der „Mannigfaltigkeit" der Anfechtungen gemeint sind. Trotz des Risikos und der nicht verharmlosten Schärfe solcher Anfechtung ruft der Verfasser zur Freude (vgl. M t . 5 , l l f . ) . Allerdings ist die Anfechtung nicht eigentlich Gegenstand oder Grund der Freude, sondern ihr Anlaß. Es heißt nicht „Habt eure Lust an dem Leid, das ihr jetzt erduldet" (syr.Bar.52,6). Die Begründung für die Freude bringt vielmehr erst 3 V. 3. Sie erfolgt nicht wie in V. 12 und 5,11 durch eine endzeitliche Verheißung (vgl. syr. Bar. 48,50 u. ö.) oder durch die Gemeinschaft mit Christus (vgl. 1. Petr. 4 , 1 2 f.), sondern im Blick auf die gegenwärtige Bewährung des Glaubens, der auch in der Anfechtung an Gott festhält. Anfechtungen sind Erprobungs- und Erziehungsmittel, die Ausdauer und Widerstandskraft hervorbringen (vgl. Rom. 5,3), und zwar nicht im Sinn eines allmählichen Entwicklungsprozesses, sondern immer wieder neu, wenn Versuchungen hereinbrechen (zur Verknüpfung von Versuchung und Geduld vgl. schon Jub. 17,18; 19,3.8; Test. Jos. 2,7). Standhaftigkeit oder Geduld 4 bewirken jedoch nicht den Wandel der Zeiten zum Heil (syr. Bar. 44,7), sondern führen zu vollkommenem Wirken, das seinerseits den Menschen vollkommen macht. Das Tun und Wirken konstituiert das Vollkommensein des Menschen.
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Jak. 1,5-8: Gebet und Zweifel
„Vollkommenheit" meint daher keinen Perfektionismus (vgl. 3,2), sondern die Ganzheit, die Ungeteiltheit (vgl. 5. Mose 18,13; 1. Kön. 15,3), freilich in „vollkommenem Wandel" (1 QS 1,8; 3,9 u. ö.). Um das Durchhalten dieser Ganzheit des Glaubens geht es letztlich in der Anfechtung. Daß solches Durchhalten auch für Jak. nicht ohne eschatologische Vorfreude und Erwartung möglich ist, wird man im Vorgriff auf V. 12 auch hier zu berücksichtigen haben (vgl. 1. Petr. 1,5 ff.; Rom. 5,3 ff.).
2. Gebet und Zweifel
(1,5-8)
Wenn es aber einem von euch an Weisheit fehlt, der erbitte (sie) von Gott, der allen ohne Vorbehalt und Vorhalt gibt, und sie wird ihm gegeben werden. * Er bitte aber im Glauben, ohne im geringsten zu zweifeln. Denn der Zweifler gleicht der Meereswoge, die vom Wind bewegt und hin- und hergetrieben wird. 7 Ein solcher Mensch meine nur ja nicht, daß er etwas vom Herrn empfangen werde, 8 (ist er doch) ein Mann mit geteilter Seele, schwankend auf allen seinen Wegen. 5
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Mit Stichwortanschluß („fehlt") schließt V.5 an V.4 an. Wahrscheinlich hat aber auch die in der Weisheitsliteratur verbreitete Verbindung von Vollkommenheit und Weisheit eine Rolle gespielt (vgl. Weish. 9,6 und l.Kor. 2,6), zumal dort immer wieder vom Gebet um Weisheit die Rede ist (Spr. 2,3 ff.; Weish. 7,7.15 u. ö., vgl. auch Herrn. Sim. V 4,3) und Weisheit wie im Jak. primär als praktische Lebensweisheit verstanden ist (vgl. Hiob 28,18; Sir. 19,22). Man darf die Bedeutung der Weisheit für Jak. nicht mit Hinweis auf l.Kor. 1,26ff. herunterspielen, als ob für den Verfasser der Mangel an Weisheit bei einem sonst „Vollkommenen" noch am ehesten zu verschmerzen wäre. Die im l.Kor. attackierte bzw. entbehrlich erscheinende „Weisheit" ist nicht die praktisch orientierte Weisheit, sondern ein spekulativer Weisheitsmythos. Für den Jak. dokumentiert sich Weisheit dagegen vor allem in sittlich anständiger Lebensweise (vgl. 3,13ff.), und auch hier in V.5 ist primär nicht an eine theoretische Einsicht (etwa in die Wahrheit von V. 3) gedacht, sondern an eine dem „vollkommenen Werk" (V. 4) zugute kommende Erkenntnis des Willens Gottes und praktische Vernunft (vgl. Kol. 1,9; 4,12 u.ö.). Jak. versteht das in V. 5 empfohlene Gebet darum auch keineswegs auf innere Güter beschränkt (vgl. auch 5,15 ff.), etwa noch darum, weil enttäuschte Gebetserwartungen eine Reduktion des Gebets auf innere Phänomene veranlaßt hätten. Vielmehr wird um Weisheit in umfassendem Sinn gebetet, und eben in diesem Sinn ist Weisheit eine Gabe Gottes für den Betenden. Ohne die von Gott erbetene und geschenkte Weisheit gibt es - darin liegt eine gewisse Spannung gegenüber V. 4 - keine Vollkommenheit. Gott aber, der die Weisheit gewährt (vgl. auch 3,17), gibt sie „einfältig", was entweder heißt „gütig, freigebig" oder wahrscheinlicher „lauter, ohne Hintergedanken, ohne Nebenabsichten, ohne Vorbehalt". Außerdem gibt er anders als die Menschen, die viel vorrechnen und Vorwürfe machen (Sir. 18,18; 20,15), ohne Vorhalt und Bedenken.
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Voraussetzung der Gebetserhörung ist aber der allen Zweifel ausschließende Glaube (vgl. Mk. 11,24; Herrn. Mand. IX 1-2 und 5-7). Glaube ist also hier das unbedingte Vertrauen auf die Erfüllung der Bitte durch Gott (somit etwas anderes als in 2,14ff.). Die gegenteilige Haltung des Zweiflers wird durch ein geläufiges Bild
J a k . 1 , 9 - 1 1 : Arm und Reich in Gegenwart und Zukunft
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veranschaulicht (vgl. auch Eph.4,14). Der Zweifler wird zwischen Vertrauen und Einwänden, Bedenken und Gewißheit hin- und hergerissen. Er ist also kein radikaler Skeptiker, sondern jemand, der von seinen Vorbehalten nicht loskommt und in innerer Zerrissenheit umhergetrieben wird. Wer aber so in sich zerspalten bleibt, 7 empfängt nichts. Jak. geht es auch hier um die Ganzheit (vgl. V . 4 ) , wobei allerdings zu fragen ist, ob er noch weiß, daß Glaube immer überwundener Unglaube (vgl. M k . 9 , 2 4 ) und angefochtener Glaube ist. Daß Jak. vor allem auf das ungeteilte Vertrauen aus ist, bestätigt V. 8. Der Zweifler ist ein Mann mit „zwei Seelen", mit 8 geteiltem Herzen. Vor solchem zwiespältigen bzw. doppelten Herzen wird auch außerhalb des Neuen Testaments immer wieder gewarnt, und zwar auch außerhalb von Gebetsmahnungen (vgl. außer zu 4 , 8 und M k . 1 2 , 3 0 par., Mt. 6 , 2 4 ; weiter äth. Hen. 9 1 , 4 ; Sir. 1,28; 1 Q H 4 , 1 4 ; 1. Klem. 2 3 , 3 ; Ps.-Thom. 1 6 , 1 0 f . u. ö.). Der Schlußsatz generalisiert das Schwanken des Zweiflers noch: er ist wankelmütig in seiner ganzen Lebensführung. Wer Gott gegenüber keine Eindeutigkeit und Gewißheit erlangt, der wird auf allen seinen Wegen ohne Halt bleiben.
3. Arm und Reich in Gegenwart und Zukunft
(1,9-11)
' Es rühme sich aber der Bruder, der niedrig (gestellt) ist, seiner Erhöhung, 1 0 der Reiche aber seiner Erniedrigung, denn „wie eine Blume des Grases" wird er vergehen. 11 Denn die Sonne ist zusammen mit der Hitze aufgegangen, und „hat das Gras ausgetrocknet; seine Blume ist abgefallen", und die Schönheit ihres Aussehens ist dahin. So wird auch der Reiche mit (in) allen seinen Unternehmungen dahinwelken. Vers 10f.: i>gf.
¡es.40,6f.
Ein Motiv für den Anschluß dieser 3 Verse ist kaum anzugeben. Auch inhaltlich ist manches unbestimmt. Der Skopus der 3 Verse ist kaum der Untergang des Reichen. Die direkte Anrede und Mahnung steckt in V. 9, und V. 1 0 b („denn") und V. 11 sind nur die Begründung zu V. 9-10 a. Es geht dem Verfasser beim Kontrast des Armen und Reichen zunächst um die paradoxe Größe und den paradoxen Ruhm des wirtschaftlich und gesellschaftlich Niedrigen, während der Satz an die Adresse des Reichen zwar auch eine paradoxe Wert- und Größenordnung voraussetzt, aber nicht sicher ist, ob eine ironisch-sarkastische oder eine ernsthaft-positive Aufforderung vorliegt. Schon das Alte Testament weist den Selbstruhm als gottlos und töricht ab, und zwar gerade auch das Sich-Rühmen des Reichen (Jer. 9,23). Auch Paulus fordert anstelle des Sich-Rühmens, der sündigen Grundhaltung des seine Situation vor Gott verkennenden Menschen (Rom. 3 , 2 7 ; 1. Kor. 1,29), den paradoxen Ruhm des Kreuzes, der Schwachheit, des Herrn (Gal. 6 , 1 4 ; 2. Kor. 1 0 , 1 7 ; 12,9). Nach Jakobus soll sich der niedrige und unbedeutende Bruder entweder des- 9 sen rühmen, daß er bei Gott schon jetzt hochsteht und im Glauben reich geworden ist (so z. B. 2 , 5 ; vgl. Lk. 12,21 u. ö.), oder er soll sich der kommenden Umkehrung der irdischen Verhältnisse erinnern (vgl. Jes. 13,11 und vor allem Lk. 1,52f.). Für die zuletzt genannte Deutung könnte das Futur in V. 10 b sprechen, ferner 2 , 5 und 5 , 1 ff., wo im Zusammenhang mit Armut und Reichtum ebenfalls auf die eschato-
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Jak. 1,12: Lohn der Versuchung
logische Zukunft verwiesen wird, und endlich vor allem der auch sonst auf die eschatologische Weltverwandlung bezogene Vers aus Jes. 4 0 , 6 f. (vgl. syr. Bar. 8 2 , 6 f.; 10.11 8 3 , 1 2 ; 6. Esr. 1,50). Entsprechend würde dann auch der Reiche ( = der reiche „Bruder"?) nicht zur Niedrigkeit vor Gott gemahnt oder wie in 1. Tim. 6 , 1 7 f. davor gewarnt, seine Hoffnung auf den unsicheren Reichtum zu setzen. Die Mahnung bezöge sich vielmehr auf die künftige Umkehrung aller Verhältnisse. D a man aber ernsthaft einen Reichen eigentlich nicht zum Rühmen der bevorstehenden Erniedrigung ermahnen kann, wäre der Satz dann als Ironie zu verstehen. Sicher ist solche Auslegung aber nicht. Möglicherweise liegt auch eine ernstgemeinte Aufforderung vor, sich allein als von Gott erhöht und begnadigt zu verstehen, sich zu den Niedrigen zu halten (vgl. Rom. 12,16) und sich der Vergänglichkeit des Reichtums bewußt zu bleiben. Die Begründung, die wie erwähnt schon in der Apokalyptik die endzeitliche Umwertung aller Werte belegt, stammt aus Jes. 4 0 , 6 f. (vgl. 1. Petr. 1,24, wo die Stelle auf den Menschen überhaupt bezogen ist). Dieser eschatologische Horizont ist auch hier nicht verschwunden, auch wenn die Futura im Sinn des Jak. kaum allein auf die Parusie blicken, sondern zugleich etwa im Sinn von 1. Sam. 2 , 7 aufzufassen sind. Dafür sprechen auch die gnomischen Aoriste im Griechischen, die eine für alle Zeiten gültige Handlung umschreiben. Auch Apokalypsen können von der Vergänglichkeit sprechen, ohne das erwartete Ende aller Dinge zu berücksichtigen. So wie die versengende Sonne des Orients zusammen mit der Gluthitze (vielleicht auch: mit dem ausdörrenden Ostwind) aufgeht und das Gras mit seiner Blüte dahinschwinden läßt, so wird es mit den Lebenswegen des Reichen ein Ende nehmen (vgl. weiter zu 4,14), wobei das Wann in der Schwebe bleibt. Vielleicht hat der Verfasser in der Vergänglichkeit des „dahinwelkenden" Menschen eine Andeutung oder gewisse Vorwegnahme des eschatologischen Gerichts gesehen (vgl. auch zu 5,11).
4. Lohn der Versuchung (1,12) 12 Heil dem Mann, der der Versuchung standhält, denn als einer, der sich bewährt hat, wird er den Kranz des Lebens empfangen, den (Gott) verheißen hat denen, die ihn lieben.
12
In V. 12 wird denen, die die Anfechtung durchstehen, das Heil als Verheißung zugesprochen (vgl. 5 , 1 1 ) . Die Stilform der Seligpreisung (Makarismus) hat die Urchristenheit aus dem Judentum übernommen. Ihr eigentlicher Ort ist die alttestamentlich-jüdische Weisheit (vgl. Ps. 1 , 1 ; Sir. 2 5 , 8 f. u. ö.) und Apokalyptik (vgl. äth. Hen. 5 8 , 2 u. ö.); im Unterschied zur Weisheit bezieht und gründet sich das Seligsein in der Apokalyptik aber nicht auf das äußere Wohlergehen oder innere Glück des Menschen, sondern paradoxerweise werden gerade die selig gepriesen, denen irdische Lebenserfüllung versagt bleibt und Gott die einzige Hoffnung ist. Aus diesem Milieu sind die Makarismen offenbar in die eschatologisch orientierte Prophetie des Urchristentums übernommen worden (die Offb. enthält nicht zufällig die meisten Makarismen!). Auch inhaltlich bietet das Judentum Analogien zu Jak. 1,12 (z.B. „selig der Mensch, der in seiner Versuchung feststeht"), entscheidend
Jak. 1,13-18: Ursache der Versuchung
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ist aber die eschatologische Verheißung. Diese auf die Zukunft bezogene Verheißung (vgl. das Futur) besteht im „Kranz des Lebens", d. h. der Kranz ist das ewige Leben, das endzeitliche Heil (vgl. Offb. 2,10; 1. Petr. 5,4). Verheißen ist es denen, „die Gott lieben", was zwar eine jüdische Bezeichnung der Frommen ist (Sir. 1,10; Ps. Sal. 4,25; äth. Hen. 108,8 u. ö.), aber auch im Urchristentum bezeugt ist (l.Kor. 2,9; Eph. 6,24; vgl. Jak. 2 , 5 : ebenfalls im eschatologischen Kontext!). Wer Gott wahrhaft liebt, der hält ihm auch in der Anfechtung die Treue. 5. Ursache der Versuchung
(1,13-18)
19 Keiner, der versucht wird, soll sagen: „Ich werde von Gott versucht", denn Gott, der vom Bösen nidit versucht wird, versucht auch selbst niemanden. 14 Jeder wird vielmehr versucht, indem er von seiner eigenen Begierde fortgerissen und geködert wird. 15 Dann wird die Begierde schwanger und gebiert die Sünde, die Sünde aber, wenn sie ans Ziel gelangt, gebiert den Tod. 14 Irret euch nicht, meine geliebten Brüder: 17 Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben, vom Vater der Lichter, bei dem es keine Veränderung oder durch den Wandel (der Gestirne verursachte) Verfinsterung gibt. 18 Kraft seines Willens hat er uns hervorgebracht durch das Wort der Wahrheit, daß wir gewissermaßen Erstlingsfrüchte seiner Schöpfungen seien.
Trotz der positiven Bewertung der Versuchung wird sie nicht auf Gott zurück-13 geführt. Das ist wohl nicht dadurch zu erklären, daß im Zuge der Dualisierung des Denkens Gott immer stärker von allem Unheil und auch von der Versuchung abgerückt wurde (vgl. schon die Korrektur in l.Chron.21,1 an 2 . S a m . 2 4 , l ) und der Verfasser hier über das Theodizeeproblem reflektiert. Für ihn wie für das Judentum (vgl. Sir. 15,11 f.) sind nicht theoretische Spekulationen, sondern praktische Interessen kennzeichnend. Es geht ihm wohl schlicht und einfach um die Bekämpfung falscher Ausreden und demoralisierender Ausflüchte, auch wenn auffällig bleibt, daß er nicht nur Sünde und Tod, sondern schon die Versuchung von Gott absetzt (im Unterschied auch zum Judentum), implizit aber auch vom Satan (vgl. dagegen l.Thess. 3,5; 1. Kor. 7,5). Dem Menschen soll jede Möglichkeit einer Entschuldigung abgeschnitten werden. Sünde ist Schuld, nicht Schicksal oder Tragik (vgl. Ps. Sal. 9,4: „unser Tun geschieht nach unseres Herzens Wahl und Wille . . . " ) . Merkwürdig ist auch die Begründung: Gott ist selbst unversuchlich vom Bösen, ein Gedanke, der sich auch bei Philo, Marc Anton u. a. findet. Urheber der Versuchung ist nicht Gott, sondern die eigene Begierde, die hier und 14.15 im folgenden Vers fast wie ein personales Wesen auftritt, die dem Menschen gegenübertritt (auch Rom. 7 kann sie als widergöttliche Macht geradezu personifiziert auftreten). Sie reißt den Menschen fort und ködert ihn, was freilich wiederum den Blick von der eigenen Verantwortung nicht ablenken soll. In Form einer Kettenreihe wird vielmehr dargetan, wie wichtig es ist, bereits den Anfängen zu wehren, denn wenn erst einmal der erste Schritt getan ist, folgt alles andere geradezu automatisch. „Die Begierde ist der Anfang aller Sünde" (Apk. Mos. 19) und Wurzel allen Übels. Die Begierde „empfängt" bzw. „wird schwanger" - von wem, wird nicht gesagt und darf wohl auch kaum mit Hinweis auf alte Mythen beantwortet werden - und
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Jak. 1,12-18: Lohn und Ursache der Versuchung
gebiert die Sünde. Dabei scheint trotz der bei Jak. im Vordergrund stehenden konkreten Tatsünden (vgl. 2 , 9 ; 4 , 1 7 ; 5 , 1 5 f. 20) in V. 15 eine gewisse Differenzierung angedeutet zu sein: Die Sündenmacht (V. 15 a) gelangt nach V. 15 b in der konkreten Sündentat ans Ziel (vielleicht auch: sie gelangt am ganzen Menschen voll zur Wirkung). Die so vollendete Sünde aber bringt den T o d ein. Audi der T o d ist also weder ein schicksalhaftes Verhängnis noch gottgewollt (so etwa Sir. 4 1 , 3 f.), sondern vom Menschen selbst verschuldet, und zwar als Auswirkung und Konsequenz der Sünde (vgl. Rom. 5 , 1 2 ; 6,23). 16.17 V. 16-18 bestätigen, wie abwegig es ist, Gott für Versuchung, Sünde und T o d verantwortlich machen zu wollen. Von ihm kommt nur Gutes. Mit „Irret euch nicht" wird (wie G a l . 6 , 7 ; l . K o r . 6 , 9 ; 15,33) etwas den Lesern Bekanntes eingeleitet. Die obige Übersetzung ist nicht die einzig mögliche. Wer übersetzt „jede Gabe ist gut und jedes Geschenk vollkommen. Es kommt von oben . . . " , erklärt, es komme dem hier zitierten Sprichwort nicht auf das Was, sondern auf das Daß des Schenkens an (analog unserem: „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins M a u l " ) ; wenn aber schon jede Gabe gut sei, gelte das für Jakobus erst recht von dem treuen und zuverlässigen Gott, der alles gibt. Aber sinnvoller ist doch, daß allein jede gute und vollkommene Gabe Gott zugeschrieben wird, zumal da es ähnliche Äußerungen auch bei Philo gibt (vgl. z. B.: „Es gibt nichts Gutes, das nicht von Gott und göttlich ist; vgl. auch R. Chanina: „Es kommt nichts Böses von oben herab") und Jak. wissen wird, daß es auch ein „Geben" des Teufels (Mt. 4 , 9 ) und der Welt (Joh. 1 4 , 2 7 ) gibt, das eben nicht wie das Geben des Vaters (Mt. 7 , 1 1 ) gut ist. Gott als Geber aller guten Gaben wird als „Vater der Lichter", d. h. der Sterne (vgl. 1. Mose 1 , 1 4 ; Ps. 136,7), bezeichnet (vgl. Dam. 5 , 1 7 f . ; Apk. Mos. 36); damit wird der Vaterbegriff in sonst im Neuen Testament unüblicher Weise kosmologisch verstanden und mit den Gestirnen verbunden. Die Intention dieser Bezeichnung ergibt sich aus dem folgenden: Bei Gott gibt es keine Veränderungen oder durch die wechselnde Stellung der Gestirne bedingte Verfinsterungen, wie sie auf Erden vorkommen. Ist Gott aber unwandelbar in seiner Güte, kann von ihm nichts Böses und Unheilvolles ausgehen. 18
Von diesem Heilswillen Gottes spricht auch V. 18. Umstritten ist, ob er sich in der Schöpfung oder in der Erlösung manifestiert. Es paßt aber viel besser, hier Gottes positive Antwort auf Sünde und T o d zu finden: Die Sünde „gebiert" den T o d (V. 15), Gott aber „gebiert" Sünder zu neuen Geschöpfen (V. 18) und bleibt sich eben darin selbst treu, daß er sich auch nach Schöpfung und Fall nicht von seiner Güte abbringen läßt. Das ergibt auch in den Einzelheiten guten Sinn. Zwar kann das „Wollen" auch Gottes Schöpferwillen bezeichnen ( O f f b . 4 , 1 1 u. ö.), aber ebensogut auch Gottes erlösendes Heilshandeln (Eph. 1 , 4 f . ; 1. Tim. 2 , 4 u. ö.). Von „Gebären" ist zwar sonst nirgendwo die Rede, doch macht solche bildhafte Ausdrucksweise angesichts des oft auf die Taufe gehenden Gedankens der „Wiedergeburt" oder des „von neuem Geborenwerdens" keine Schwierigkeiten, und zwar auch ohne den Rückgriff auf eine mann-weibliche Urgottheit oder ähnliches. In den Umkreis der Neuschöpfungstheologie paßt auch das „Wort der Wahrheit", denn nach l . P e t r . 1 , 2 3 (vgl. Eph. 5 , 2 6 ) geschieht „Wiedergeburt" durchs Wort (vgl. auch V. 21). Dieses schöpferische Wort heißt nicht darum „Wort der Wahrheit" (vgl.
Jak. 1,19-27: Vom Hören und Tun des Wortes
21
2. Kor. 4,2 und 6,7), weil es ein Wort über die Wahrheit wäre, sondern darum, weil es selbst die Wahrheit bringt und aufleuchten läßt, d. h. Heilsbotschaft ist (vgl. Eph. 1,13; Kol. 1,5 u. zu 1. Petr. 1,22). Dessen schöpferische Kraft aber läßt alte zu neuen Menschen werden und damit zu „Erstlingen". So wie Christus als der „erste" der von den Toten Erweckten (1. Kor. 15,20.23) und der Geist als „Erstling" und Unterpfand (Rom. 8,23) die zukünftige Totenerweckung und universale Neuschöpfung verbürgen, so sind die neugeschaffenen Christen Gottes Bürgschaft für die Erneuerung aller Menschen oder wahrscheinlicher für die umfassende Neuwerdung alles Geschöpflichen (vgl. Rom. 8,18 ff.; Offb. 21,1 ff.): Christen sind als „neue Kreatur" (2. Kor. 5,17) göttliches Zeichen und Versprechen einer alles umgreifenden neuen Schöpfung (vgl. Jes. 65,17; syr. Bar. 32,6).
II. Vom Hören und Tun des Wortes 1,19-27 Wisset meine geliebten Brüder: Jeder Mensch sei schnell zum Hören (bereit), langsam zum Reden, langsam zum Z o r n . 2 0 Denn eines Mannes Zorn erwirkt keine Gottesgerechtigkeit. 21 Darum legt ab allen Schmutz und der Bosheit Fülle (und) nehmt an mit Sanftmut das eingepflanzte Wort, das eure Seelen zu retten vermag. 22 Seid aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer, die sich selbst betrügen. " Denn wenn jemand ein Hörer des Wortes ist und kein Täter, der gleicht einem Mann, der sein natürliches Gesicht im Spiegel betrachtet, u denn nachdem er sich betrachtet hat, geht er weg und vergißt sofort, was für einer er war. 2 5 Wer aber Einblick in das vollkommene Gesetz der Freiheit gewonnen hat und dabei verharrt, nicht zum vergeßlichen Hörer, sondern zum handelnden Täter geworden ist, der wird selig sein in seinem Tun. ** Wenn jemand meint, er sei fromm, obwohl er seine Zunge nicht im Zaum hält, sondern sein Herz betrügt, dessen Gottesdienst ist nichts wert. 27 Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Vater ist dies: nach Waisen und Witwen in ihrer Bedrängnis zu sehen und sich von der Welt ohne Fehl zu bewahren. Die zweite Gruppe von Mahnungen ist einheitlicher als die erste, auch wenn die gewählte Überschrift nur das Leitmotiv angibt, thematisch genau aber nur für den Mittelteil V. 21-25 zutrifft. Die vorangehenden Verse mit ihrer Mahnung zu schnellem Hören und langsamem Reden (V. 19) sowie ihrer Begründung (V. 20) sind ursprünglich allgemeiner gehalten und lassen den Bezug auf das göttliche Wort vermissen. Jak. aber hat dieser Tradition nun ihren Ort im Kontext des „Wortes der Wahrheit" (V.18) und des „eingepflanzten Wortes" (V.21) gegeben. Die tathafte Verwirklichung dieses Wortes im Gegensatz zum bloßen Hören (V.22) ist der Tenor der folgenden Verse, zunächst im Anschluß an Taufparänese (V.21a), dann unter Verwendung eines verbreiteten Bildes (V. 23-25). V. 25-26 behandeln dann das Thema des rechten „Gottesdienstes", der ohne Ethik sinnlos ist. Eine neue Aufforderung und Anrede eröffnet den neuen Abschnitt. V. 19 bringt 19.20 zunächst eine dreigliedrige Lebensregel, die viele Analogien in der Weisheitsliteratur hat (Spr.29,20; Sir.5,11; Pred.5,1; Ps.Sal.16,10 u. ä.). Schnell zum Hören und langsam zum Reden sollen die Menschen danach keineswegs allein im Verhältnis zu Gott bzw. zum Wort der Offenbarung oder der Predigt sein (vgl. allerdings Pred.
22
Jak. 1,19-27: Vom Hören und Tun des Wortes
4 , 1 7 und 5,1), sondern ganz allgemein im Umgang miteinander. Das zeigt vor allem die 3. Regel, insofern hier kein radikales Nein zum menschlichen Zorn ausgesprochen zu sein scheint (vgl. Aboth2,10 und 1,15, aber auch Eph.4,26), was Gott gegenüber undenkbar wäre (vgl. auch das verallgemeinernde „jeder Mensch"). So ist zunächst die Bereitschaft zum Zuhören sowie eine Warnung vor Geschwätzigkeit (vgl. weiter zu V.26 und zu 3,1 ff.) und Zornausbrüchen im Blick, wobei gerade die Warnung vor Zorn, nicht nur vor raschem und ungerechtem, im Judentum (vgl. Weish. 10,3; Sir. 10,18; Test. Dan 1-6; 1 Q S 5 , 2 5 u.ö.) wie im Neuen Testament (vgl. M t . 5 , 2 2 ; Rom. 12,19; Kol.3,8 u.ö.) weitverbreitet ist. Sie allein wird auch in V. 20 begründet, wobei die Bedeutung von „Gottesgerechtigkeit" umstritten ist. Entweder wird betont, daß der Zorn nicht Gottes Rechtsforderung verwirklicht, oder daß er Gottes heilschaffendes Rechtswirken nicht ins Werk setzt, oder aber, daß er nicht Gottes Gerechtsprechung einbringt. Im Zusammenhang mit V. 21 b und 2,14ff. liegt der letztere Sinn näher (vgl. Sir. 1,22): Dem Zornigen bleibt dann der auf Grund der Werke erfolgende Zuspruch der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, vorenthalten. Es ist aber auch möglich, daß nicht der forensische, sondern der ethische Sinn von Gerechtigkeit vorliegt oder Gottes eigene Rechtstat im Blick ist. Von dem übergeordneten Thema des Abschnitts her bleibt die Frage, ob nicht mindestens bei der ersten der drei Mahnungen von V. 19 - nur vom Zorn ist später nicht mehr die Rede, während die Zügelung der Zunge als Kennzeichen wahren Frommseins am Ende (V. 26) noch einmal auftaucht - auch an das Hören des „Wortes der Wahrneit" (V. 18) mitgedacht ist (vgl. auch das „Annehmen" des Wortes V. 21). Dann wäre von vornherein angedeutet, daß zum bereitwilligen Hören des Wortes, gerade weil das nach V. 22 f. nicht genügt, bestimmte Verhaltensweisen hinzugehören. Nicht darum, weil die Bereitschaft zum Hören im zwischenmenschlichen Dialog die Kommunikation mit Gott vorbereiten, einüben oder gar ersetzen könnte, wohl aber, weil ohne eine bestimmte Einstellung zum Mitmenschen der Gottesdienst ohne Wahrheit und Nutzen bleibt (vgl. V. 26 f.). 21
Weil ohne solche Voraussetzung Gottes Gerechtigkeit nicht zu erschwingen ist, gilt es, in umfassender Weise mit der Fülle der Bosheit Schluß zu machen. Folgerungspartikel und der Begriff „Ablegen" für das Abtun der von der Sünde bestimmten Vergangenheit, die z.T. in Lasterkatalogen illustriert wird, sind typisch für Taufparänese (vgl. Rom. 13,12; Eph.4,22; Kol. 3,8; l.Petr.2,1); aus ihr dürfte V. 21 stammen. Das bestätigt auch die positive Mahnung zum Annehmen des rettenden Wortes, das „eingepflanzt" worden ist (vgl. außer Barn. 9,9 auch 1 Q H 4 , 1 0 : „du hast dein Gesetz in mein Herz eingegraben"; vgl. 1 Q S 1 0 , 6 ff.). Jak. denkt offenbar an die Taufe (vgl. 1. Kor. 3 , 6 ; Barn. 1,2), bei der wie in V. 18 (vgl. l.Petr. 1,23 und die anderen zuV. 18 genannten Stellen) dem Wort die entscheidende Bedeutung zukommt. Leider sind V.21 a und V. 21 b nicht so miteinander verknüpft, daß man sagen dürfte, die Kraft zur Erfüllung der sittlichen Forderungen erwachse aus der Annahme des Wortes. Die Folgerungspartikel am Anfang des Verses bezieht sich nicht wie sonst auf das Zusprechen des Heils oder auf die in der Taufe erfahrene Erneuerung, sondern auf die Tatsache, daß nur der, der Gottes Forderung entspricht, gerechtfertigt wird. Zudem ist das rettende Wort mit dem „vollkommenen Gesetz der Freiheit" (V.25) identisch (vgl. auch 4,11). Immerhin ergibt sich aus der
Jak. 1,19-27: Vom Hören und Tun des Wortes
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Aufnahme von V. 21, daß beides, sowohl der Bruch mit der von unsittlichem Wesen geprägten Vergangenheit als auch die Annahme des die Heilszukunft erschließenden Wortes nicht auf den einmaligen Zeitpunkt der Taufe zu beschränken sind. Endzeitliche Rettung bzw. „Rettung vom Tode" (5,20) bewirkt solches „Annehmen des Wortes" (sonst = Glauben l . T h e s s . 2 , 1 3 bzw. Christwerden Apg. 8 , 1 4 ; 11,1) für Jak. aber nur, wenn es nicht dabei bleibt, wie 2 , 1 4 und der auch hier ausdrücklich genannte Begleitumstand solcher Annahme zeigt: in Sanftmut, d. h. entweder in wohlwollender Freundlichkeit (dem Gegenteil des Zorns) oder in der Niedrigkeit der Gebeugten, die auf das Wort warten (vgl. zu 3,13). Alles aber kommt darauf an, nicht beim Hören des Wortes stehenzubleiben, 22 sondern das Gehörte mit der Tat zu verwirklichen. Das Auseinanderklaffen von Hören und Tun wird von Jak. ebenso angeprangert wie das von Reden und Tun (2,12). Dabei befindet er sich nicht nur in Übereinstimmung mit der alttestamentlich-jüdischen Frömmigkeit (vgl. 5. Mose 3 0 , 8 ff.; Sir. 3 , 1 u.ö.), sondern auch mit der Verkündigung Jesu, die den, der hört und nicht danach tut, mit einem Bauherrn vergleicht, der ein Haus ohne Fundament baut, das bei Hochwasser zusammenbricht (Lk. 6,47ff. par.), oder mit einem Baum, der ohne Frucht bleibt und umgehauen wird (Mt. 7 , 1 9 ; vgl. Lk. 8 , 2 1 u. ö.). Auch nach Paulus wird nicht der Hörer und Kenner des Gesetzes, sondern der Täter gerechtgesprochen (Rom. 2,13). Bei Jak. fehlt allerdings jede theologische Problematisierung des Tuns, sei es von Gottes souverän beschenkender Güte her (vgl. etwa Mt. 2 0 , 1 ff.), sei es von der Priorität des Hörens der Heilsbotschaft her (vgl. Lk. 10,42) oder sei es von der Sackgasse des Gesetzesweges (Paulus!) her. Auch der „Selbstbetrug" des Menschen wird darum verschieden gesehen. Nach Paulus besteht der eigentliche Betrug darin, daß das Tun zum Leistungsstreben lind Selbstbehauptungswillen korrumpiert wird (vgl. Rom. 7), nach Jak. dagegen kann man sich nicht mit dem Tun, sondern nur mit dem NichtTun selbst betrügen, wenn es um die Rettung geht. „Das Wort tun" heißt dabei: das vom Wort Gebotene tun, also die Gebote (2,8 ff.), die Barmherzigkeit (2,13), das Gute (4,17). Wie in L k . 6 , 4 7 f f . par. wird der, der nur hört, ohne das Gehörte in 23.24 die Tat umzusetzen, mit einem eindringlichen Vergleich seines Selbstbetrugs überführt. Das Gleichnis ist zwar oft überinterpretiert worden. Aber es läßt sich mit gutem Grund fragen, ob der springende Punkt tatsächlich allein die Flüchtigkeit dessen ist, was haften bleibt, oder die Schnelligkeit, mit der derjenige, der sich im Spiegel angesehen bzw. der das Wort gehört hat, das Gesehene bzw. Gehörte aus dem Gedächtnis verliert. Daß die Schnelligkeit des Vergessens eines empfangenen Eindrucks im Vordergrund steht, läßt sich nicht leugnen. Daß dies aber als Vergleichspunkt genügt, ist darum nicht ganz sicher, weil nach V . 2 4 der, der in den Spiegel sieht, „sich selbst" erblickt, und weil er beim Fortgehen nicht nur vergißt, was er gesehen (sein Gesicht) oder wie er ausgesehen hat, sondern „was für einer" er war. Hier könnte von der Sache her das Bild verschoben worden sein. Offensichtlich soll damit angedeutet werden, daß der Hörer des Wortes die Gelegenheit hat, sich selbst im Wort wie in einem Spiegel zu erkennen (das entspräche auch der Verwendung des Bildes vom Spiegel bei Seneca), aber dieser Konfrontation nicht standhält. Auch der Anfang von V . 2 5 legt es nahe, nicht nur an das sofortige Ver- 25 gessen des Spiegelbildes zu denken: Es geht um das sorgsame, eifrige und vor allem
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Jak. 1,19-27: Vom Hören und Tun des Wortes
beharrliche Hineinschauen in das rettende Wort (V. 21). Dieses wird nun als „vollkommenes Gesetz der Freiheit" bezeichnet. Das den Ungetauften treffende und in der Predigt immer neu zu hörende Wort ist damit Heil (V.21) und Verhaltensnorm (V.25) zugleich. Evangelium und Gesetz sind für Jak. keine Gegensätze, sondern letztlich ein und dasselbe. D a ß das Gesetz der Freiheit „vollkommen" ist, weist bereits auf 2 , 8 ff. voraus, wo es um das „ganze" Gesetz geht (vgl. zu „vollkommen" V. 4), ist also nicht im Sinne der Vollendung des alttestamentlichen Gesetzes zu verstehen (vgl. M t . 5 , 1 7 ) . D a ß es frei macht, erinnert an hellenistische (vgl. Seneca und Epiktet, wo Gesetz freilich das Naturgesetz ist, dem man sich einfügt) wie jüdische Gedanken, unterscheidet sich aber von Paulus, nach dem das Gesetz den Menschen nicht befreit, sondern gerade versklavt. Für Jak. jedoch ist Freiheit nicht Freiheit vom Gesetz, sondern Freiheit durchs und im Gesetz (vgl. immerhin auch Gal. 6 , 2 ; 1. Kor. 9 , 2 1 ; Rom. 8,2). Wer dieses das Werk des Menschen fordernde Gesetz mit seiner T a t erfüllt, wird „selig in seinem T u n " , d. h. bei seinem Tun schon hier von Freude und Glück erfüllt, oder er „wird selig durch sein T u n " , was dann auf den himmlischen Lohn verwiese (vgl. V. 12). 26
V. 26-27 stellen solches Tun als den wahren Gottesdienst hin und nennen als Beispiele dafür die Fürsorge für Waisen und Witwen und die Distanz zur Welt. Negativ wird zunächst derjenige, der seine Zunge nicht zügeln kann, als scheinfromm und selbstbetrügerisch entlarvt, wobei auf V. 19 zurückgegriffen wird. Auch hier liegt keine spezielle Warnung vor religiösen Debatten, übertriebenem Bekehrungseifer, theologischen Phrasen oder ähnlichem vor, sondern allgemein wird gesagt, daß sich rechte Frömmigkeit mit ungezügeltem Reden nicht verträgt (vgl. 27 weiter zu 3, l£f.). Demgegenüber erweist sich der wahrhaft Fromme im Tun des sittlich Guten. Wie reserviert der Verfasser dem Kult- und Zeremonialgesetz gegenübersteht, ergibt sich aus der Aufnahme des Begriffes, der in der Übersetzung mit „Gottesdienst" wiedergegeben wurde, über das Kultische hinaus aber auch die Religionsausübung überhaupt bezeichnen kann. Wenn Jak. das Thema des „reinen" und „unbefleckten" kultischen und religiösen Verhaltens anschneidet, ohne des Ritualgesetzes auch nur mit einem Wort Erwähnung zu tun, ist das nicht nur von historischem, sondern auch theologischem Interesse. Das heißt: V. 27 ist einmal ein Hinweis auf das von Jakobus vertretene hellenistische Judenchristentum und seine prophetischen und jüdisch-hellenstischen Traditionen. Zum anderen aber bestätigt sich auch hier die Priorität der sittlichen und sozialen Dimension im theologischen Denken des Verfassers. Gott den Vater (vgl. zu l.Petr. 1,17) verehren kann nur der recht, der sich der Ärmsten der Armen, der Weisen und Witwen annimmt. Für Witwen und Waisen zu sorgen, ist eine im Alten Testament (2. Mose 2 2 , 2 2 ; Jes. 1 , 1 7 ; J e r . 2 2 , 3 ; S a c h . 7 , 1 0 u. ö.) und Judentum immer wieder eingeschärfte Verpflichtung (vgl. S i r . 4 , 1 0 ; slav. H e n . 4 2 , 7 f . ; 5 1 , 1 ) . Wie dort dürften Witwen und Waisen auch hier beispielhaft die Hilf-, Wehr- und Rechtlosen überhaupt vertreten. D a ß sich die christliche Gemeinde um die Witwen gekümmert hat, zeigt auch 1. Tim. 5 , 3 ff., doch Jak. ist der erste, der im Urchristentum expressis verbis auch von der Verantwortung der Christen für die Waisen spricht (vgl. später Herrn. Vis. II 4 , 3 ; B a r n . 2 0 , 2 u. ä.). Auch wer mit „besuchen" übersetzt (so Luther, die Zürcher Bibel u.a.), denkt nicht an Kondolenzbesuche, sondern an ein Sich-
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Kümmern um die, die man in ihrer Not und Bedrängnis, in ihrer Angst und Bedrückung nicht allein läßt. Schon damit ist klar, daß das „Unbeflecktsein" von der Welt nicht Rückzug von sozialem Engagement, sondern Eintreten für die Schwachen und Bedrückten meint. Audi die letzte Wendung des Satzes bestätigt die Ethisierung der Kultbegriffe, denn „ohne Fehl" - ursprünglich ein kultischer Begriff - ist im sittlichen Sinn verstanden. Die Welt mit ihren Praktiken und Maßstäben vermag solche Makellosigkeit zu gefährden. Eine alte Papyrushandschaft dieses Textes mahnt übrigens nicht, sich selbst rein zu bewahren, sondern dazu, Witwen und Waisen „vor der Welt zu schützen". Nicht grenzenlose „Weltoffenheit", sondern die Zuwendung zu dem in der Welt notleidenden und hilfsbedürftigen Mitmenschen ist rechter „Gottesdienst im Alltag der Welt" (vgl. Rom. 12,1 f.).
III. Gegen Bevorzugung der Reichen und für das ganze Gesetz
2,1-13 1 Meine Brüder, habt euren Glauben an unseren Herrn Jesus Christus in seiner Herrlichkeit nicht (zusammen) mit Bevorzugung von Personen. 1 Denn wenn in eure Synagoge ein Mann mit goldenen Fingerringen (und) prächtigem Gewand hereintritt, es tritt aber auch ein Armer in schmutzigem Gewand herein, 3 ihr aber kümmert euch (oder: wendet euren Blick) um den im prächtigen Gewand und sprecht: „Du da, setze dich hier bequem hin!" und zu dem Armen sprecht ihr: „Du da, stell dich dorthin!" oder „Setze dich unten an meine Fußbank!", 4 habt ihr da nicht bei euch selbst (unberechtigte) Unterschiede gemacht und seid Richter mit schlechten Entscheidungen geworden? 5 Hört, meine geliebten Brüder, hat Gott nicht die vor der Welt Armen als Reiche im Glauben und Erben des Reiches erwählt, das er denen verheißen hat, die ihn heben? • Ihr aber habt dem Armen die Ehre genommen. Sind es nicht die Reichen, die euch vergewaltigen und vor die Gerichte schleppen? Sind sie es nicht, die den guten Namen lästern, der über euch ausgerufen ist? 8 Wenn ihr jedoch der Schrift gemäß das königliche Gesetz erfüllt „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst", handelt ihr gut. * Wenn ihr aber bestimmte Personen bevorzugt, tut ihr Sünde, vom Gesetz als Übertreter überführt. 10 Denn wer das ganze Gesetz hält, aber in einem (Gebot) dagegen verstößt, der hat sich gegen alle (Gebote) verschuldet. 1 1 Denn der da sprach „Du sollst nicht ehebrechen!", hat auch gesagt „Du sollst nicht töten!". Wenn du zwar nicht die Ehe brichst, aber tötest, bist du ein Übertreter des Gesetzes geworden. 12 So redet und so handelt als solche, die durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werden. 1 3 Denn ein Gericht ohne Erbarmen (wird) über den (ergehen), der kein Erbarmen geübt h a t Erbarmen aber triumphiert über das Gericht.
Vers 8: 3.Mosel9,18;
Vers 11: 2.
Mose20,14.13.
Im Unterschied zu Kapitel 1 finden sich in den folgenden 3 Abschnitten (2,1 ff.; 2 , 1 4 ff. und 3 , 1 ff.) größere geschlossenere Blöcke, also nicht nur aneinandergereihte Einzelmahnungen oder Spruchgruppen. Das Thema von 2,1-13 wird gleich in V. 1 genannt: Keine Bevorzugung von Personen, d.h. speziell der Reichen! Das schließt sich sachlich durchaus passend an 1 , 2 6 f. an: in Sir.32 steht nebeneinander, daß
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Jak. 2,1-13: Gegen Bevorzugung der Reichen und für das ganze Gesetz
G o t t „kein Ansehen der Person zu Ungunsten des Armen k e n n t " (V. 16) und das Flehen der W a i s e und W i t w e nicht unbeachtet läßt (V. 17). Nach der T h e m a a n g a b e in V. 1 wird in V. 2 - 3 beispielhaft ein Einzelfall geschildert und daraus in V . 4 die Folgerung in F o r m einer Frage gezogen. V. 5-7 folgen weitere Fragen, die Gottes Vorliebe für die Armen und die Feindschaft der Reichen gegen die Christen betreffen. V. 8 - 1 1 bringt der Verfasser dann eine lehrhafte Behandlung des Verhältnisses von Einzelgebot und ganzem Gesetz, wobei die Parteilichkeit als Verstoß gegen Liebesgebot und Gesetz erscheint. Zwei Mahnungen mit Hinweis auf das Gericht beschließen den Abschnitt (V. 12 und 13). 1
D e r Neuansatz ergibt sich wieder aus der neuen Anrede. Der Glaube soll nicht vom „Ansehen der Person" (so die meisten Bibelübersetzungen), d . h . nicht von Parteilichkeit, Begünstigung, Bevorzugung begleitet sein. Das wohl im Anschluß an den Septuagintasprachgebrauch gebildete W o r t , das der Verfasser hier benutzt, bringt sonst im Neuen Testament zum Ausdruck, daß Gott selbst „die Person nicht ansieht" (Rom. 2 , 1 1 ; Eph. 6 , 9 ; Kol. 3 , 2 5 ; 1. Petr. 1 , 1 7 ) . Solches göttliche Verhalten wird hier zum Kriterium auch der Christen (vgl. auch V. 5). Nicht sicher ist die Ubersetzung der überladenen Wendung, die den Inhalt des Glaubens umschreibt. So wird man auch die Ubersetzung „an unseren Herrn der Herrlichkeit Jesus Christus" nicht ausschließen können; zu diesem Ehrenprädikat ist l . K o r . 2 , 8 zu vergleichen, w o es von G o t t (so äth. Hen. 2 2 , 1 4 ; 4 0 , 3 ; 6 3 , 2 u . ö . ) auf Christus übertragen ist. Besser ist es aber, den Genitiv „der Herrlichkeit" in der in der Übersetzung vorgeschlagenen Weise zu paraphrasieren (vgl. 1 , 2 5 : wörtlich „Hörer der Vergeßlichkeit"). M i t diesem Herrn, an den der Glaube glaubt, verträgt sich keine Haltung, die den „Reichtum der Herrlichkeit" Gottes (Rom. 9 , 2 3 ) vergißt und die trügerische „Herrlichkeit" des Reichtums der Menschen zum Grund von Bevorzugung werden läßt. D e r in 1 , 2 7 definierte „Kult" läßt sich mit einem „Personenkult" nicht vereinbaren (vgl. weiter zu V . 4 f.).
2-3
D a s Beispiel in V. 2 f. ist kein Fall, der sich bei den Adressaten tatsächlich so abgespielt hat und auf den sich der Verfasser wie etwa Paulus in l . K o r . 5 oder anderswo nun bezieht. M a n darf also aus dem fiktiven Beispiel keine Rückschlüsse auf die Situation der Gemeinden ziehen. D a ß der Einzelfall konstruiert ist, schließt aber nicht aus, d a ß so etwas auch faktisch einmal vorkommen konnte und sich bestimmte Erfahrungen widerspiegeln (vgl. V. 6 f . ) . Auch Einzelzüge des Beispiels können der Wirklichkeit entsprechen. D a s wäre z . B . der Fall, wenn hier das mit „Synagoge" übersetzte W o r t den Synagogenbau meinen würde und dabei der Baustil eines älteren Synagogentypus vorausgesetzt wäre, bei dem der Toraschrein nahe dem Eingang gestanden hätte, so daß der Reiche „hier" seinen Sitzplatz erhielt, der Arme aber mit einem Platz „ d o r t " , entfernt vom Toraschrein, vorliebnehmen
mußte.
Aber dabei würden nicht nur die unbestimmten Ortsangaben überbelastet, sondern es würde auch eine wahrscheinliche Sonderform zum Synagogentyp der neutestamentlichen Zeit schlechthin gemacht. Ist der Jakobusbrief eine von vorneherein christliche Schrift, kann von Kultzentrum oder Toraschrein ohnehin kaum die Rede sein. Endlich ist trotz der Erwähnung der Sitzgelegenheiten und des „Hereingehens" (vgl. M k . 1 , 2 1 ; L k . 4 , 1 6 ; A p g . 1 8 , 1 9 u.ä.) nicht einmal sicher, ob synagoge überhaupt ein Gebäude meint und nicht die „Versammlung" oder „Gemeinde". Das
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Beispiel von V. 2 f. ist aber in einer anderen Hinsicht noch aufschlußreicher. Obschon die Gemeinde überwiegend aus Armen besteht, wird hier nämlich vorausgesetzt, daß auch Reichen der Weg in die Gemeinde offensteht. Ob sie als noch Ungläubige oder als Gemeindeglieder kommen, wird zwar nicht gesagt, doch ist das erstere wahrscheinlicher, zumal auch das Anweisen der Plätze - guter Sitzplatz für den Reichen, Stehplatz für den Armen - mehr in diese Richtung weist (vgl. auch die in Mk. 12,39 erwähnten Ehrensitze in den Synagogen). Uber die Motive der verschiedenen Behandlung verlautet zwar nichts, doch wird es wohl so stehen, daß man sich von dem Reichen Subvention und Prestige verspricht. Wo solche den Armen 4 diskriminierende Bevorzugung erfolgt, da hat die Gemeinde falsche „Unterscheidungen getroffen" (oder: „sich untereinander geschieden"). Da ist sie Richtern vergleichbar, die „schlechte Entscheidungen" treffen (oder: „voll böser Gedanken" bzw. „schlechter Gesinnung" sind). Das ist kaum so zu verstehen, als ob einfach ein unparteiisches Verhalten gefordert wäre. Die Gemeinde soll durchaus Partei ergreifen, aber für die Armen (vgl. 1,27; 2 , 1 5 f . u.a.). Auch Gott hat das getan (vgl. 5 Sir. 32,16) und sich bei seinem Erwählungshandeln nicht an weltlichen Wertordnungen orientiert. Er hat vielmehr gerade die „an Welt" bzw. „für die Welt" Armen reich gemacht, und zwar „im Glauben" oder „durch Glauben" (vgl. l . K o r . 1,27 f.). Die nach dem Urteil der Welt Armen sind für den Glauben darum reich geworden, weil Gott sie erwählt und eben damit schon jetzt reich gemacht hat. Trotz dieses schon gegenwärtigen Reichseins der Armen, die Gott lieben (vgl. 1,12), ist ihr eigentlicher Reichtum aber der Zukunft vorbehalten: Sie werden das „Reich" und damit die Fülle der Verheißungen „ererben" (vgl. Lk. 6 , 2 0 ; Mt. 25,34). V. 6 stellt noch einmal die entehrende Behandlung des armen Mannes „in schmut- 6 zigem Gewand" (V. 2) den schlechten Erfahrungen gegenüber, die die Gemeinde mit „den Reichen" macht. Sie sind es doch, die die Christen „gewalttätig behandeln". Dieser Vorwurf gegen die Reichen wird mit demselben Wort schon im Alten Testament erhoben, vor allem in der sozialen Anklage der Prophetie gegen die reiche Oberschicht, die die Armen ausbeutet und ihnen Gewalt antut (Arnos 4 , 1 ; 8,4; Sach.7,10; Mich.2,2; M a l . 3 , 5 ; Ez.18,12; 2 2 , 7 ; Weish.2,10; 17,2 u.ö.). Damit stimmt auch überein, daß nicht einzelne, sondern die ganze Schicht angeklagt wird: der Artikel ist generisch, und das Präsens weist auf etwas Geläufiges. Zur sozialen Bedrückung kommt die Wehrlosigkeit vor Gericht, wo sich wirtschaftliche Macht ebenfalls ausspielen läßt (vgl. schon Jes. 1,23 und 10,1 f.; Ass. Mos. 5,6). Nicht eindeutig ist, ob V. 6 b neben der armenfeindlichen auch eine christenfeindliche Handlung im Blick hat. Dürfte man V . 7 schon hier mit heranziehen, würde dieses „vors Gericht Schleppen" nicht bloß als Unterdrückung der Armen, sondern als Prozessieren gegen die dem Reichtum gefährlich werdenden Christen zu verstehen sein. Die Apg. läßt erkennen, daß durch die christliche Botschaft die geschäftlichen Interessen und wirtschaftlichen Profite wohlhabender Bürger in der Tat in Gefahr geraten konnten (vgl. Apg. 16,16 ff. und 19,23 ff.), so daß solche Deutung auf gerichtliches Belangen der Christen hier durchaus möglich wäre. Doch V . 7 scheint neu einzusetzen, so daß es im Zusammenhang mit V. 6 a wohl doch allein darum geht, daß die Reichen die christlichen Habenichtse auch durch gerichtliche Verhaftimg und Verurteilung drangsalieren.
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Erst V . 7 bringt eindeutig eine christenfeindliche Haltung, die die Armen als Christen in ihrem Glauben angreift. Die Blasphemie gegen den „schönen Namen" richtet sich kaum gegen den Namen Gottes. Zwar „verleugnen" nach äth.Hen. 46,7 f. diejenigen, deren Macht auf ihrem Reichtum beruht und deren Glaube den selbstgemachten Göttern gehört, „den Namen des Herrn der Geister", also Gott, doch ist bei dem verlästerten „schönen Namen" an den Namen Jesu Christi zu denken (vgl. Mt. 10,22; Apg. 5,41). Er ist es ja, der bei der Taufe aus- und angerufen wurde (vgl. Apg.2,38; 10,48 u.a.). Durch diese Namensnennung wird der so Angerufene Herr über den Getauften und der Getaufte sein Eigentum (vgl. 5.Mose28,10). 8 V. 8-11 erörtern zwar das Verhältnis von Einzelgebot und dem ganzen Gesetz, gehen aber vom Vorhergehenden aus und lassen auch das Thema der Bevorzugung der Reichen, die als Verstoß gegen Gottes Gebot hingestellt werden soll, nicht ganz fallen (V. 9). Wer das „königliche Gesetz" hält, das den Nächsten zu lieben gebietet (3. Mose 19,18), tut gut daran. Aber dieser Nächste ist eben zunächst der Arme, dem der Reiche nicht vorgezogen werden darf. „Königlich" bezeichnet dabei nicht den besonderen Rang gerade dieses Gebots, so wie etwa bei Jesus und Paulus das Liebesgebot das erste und oberste Gebot ist (Mk. 12,29 ff. par.; Rom. 13,8 ff.; Gal. 5,14). „Königlich" ist das Gesetz vielmehr, weil es von Gott als dem König des Reiches kommt (vgl. l.Esr. 8,24; 2. Makk. 3,13), also göttlichen Ursprungs und von göttlicher Autorität ist und als solches keinen Widerspruch duldet (vgl. 4 , 1 1 f.). Im Fall, daß „königlich" die Vor- und Überordnung des Liebesgebots zum Ausdruck bringen sollte, hätte „Gebot" statt „Gesetz" viel besser gepaßt (vgl. Mk. 12,28.31). Auch hat V. 10 f. nur dann Sinn und ist nur dann eine Begründung, wenn das Liebesgebot hier nur ein Gebot unter anderen ist, wobei das Kult- und Zeremonialgesetz allerdings stillschweigend abgezogen ist. Es geht also nicht um das Verhältnis Hauptgebot-Einzelgebot, sondern darum, daß das Gesetz ein unteilbar ganzes 9 ist. Gewiß schließt gerade die Liebe eine parteiliche Bevorzugung des Reichen aus. Und doch ist solche Parteilichkeit nicht einfach als Verstoß gegen das Liebesgebot Sünde, sondern darum, weil dieses Liebesgebot ein Teil des ganzen Gesetzes ist. Als solches überführt es den, der die Reichen begünstigt, als Sünder. Das Liebes10 gebot hat somit denselben Rang wie irgendein anderes Gebot des Gesetzes. Von V. 10 her könnte man sogar den Eindruck gewinnen, als ob das Gesetz bis zum I-Tüpfelchen verpflichtend sei (vgl. Mt.5,18), doch da der Brief keinerlei Ritualgesetze bringt, meint der Verfasser offenbar allein das sittliche Gesetz, primär den Dekalog. Ganz ähnlich steht es ja auch im Mt.-Evangelium, wo im Gegensatz zu Mt.5,18, wonach kein Jota oder Gesetzeshäkchen vergehen wird, das Ritualgesetz ebenfalls keine Rolle spielt. Allerdings hat dort das Liebesgebot den absoluten Vorrang (vgl. M t . 9 , 1 3 ; 12,7; 22,38f.). Gal.3,10 und 5,3 wird zwar auch die unverkürzte Geltung des Gesetzes herausgestellt, aber nur für den Fall, daß das Gesetz als Heilsweg angesehen wird; 5. Mose 27,26 wird hier gerade zur Abschreckung zitiert. Daß auch für den Christen das Gesetz ohne Abstriche zu halten ist, sagt Paulus nicht, ja implizit kritisiert auch er die Ritualgesetze (vgl. Rom. 14,14.23 u. ä.), auch wenn er etwa Rom. 8,4 undifferenziert erklärt, daß die Rechtsforderung des Gesetzes durch die Christen erfüllt werde. Es kann aber kein Zweifel daran be-
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stehen, daß er nicht das Liebesgebot vom Gesetz, sondern das Gesetz vom Liebesgebot als dem „Gesetz Christi" (Gal. 6,2) her versteht und daran alle anderen Kriterien christlicher Lebensführung mißt (vgl. Rom. 13,8-10 u.a.). Der Verfasser des Jakobusbriefes urteilt hier anders, und zwar im Sinn der jüd.-atl. Tradition (vgl. außer 5. Mose 27,26 z. B. 1 QS 1,2ff.)- Trotz seines Nomismus denkt er allerdings nicht perfektionistisch, wie 3,2 zeigt. Ihm liegt vielmehr allein daran, daß die Geltung des Gesetzes unverkürzt festgehalten wird. Wer eines der Gebote übertritt, ist ein Übertreter des ganzen Gesetzes, denn Gottes Wille ist unteilbar. Derselbe, 11 der das 6. Gebot gab, der hat auch das 5. gegeben. Die Voranstellung des 6. Gebots vor das 5. entspricht hebräischen Kodices in 2. Mose 20 und der L X X in 5. Mose5 und 2. Mose 20. Im Neuen Testament bezeugen diese Reihenfolge auch Mk. 10,19 (bestimmte Handschriften), Lk. 18,20; Rom. 13,9. Daß gerade diese beiden Gebote angeführt werden, liegt nicht daran, daß die Verweigerung der Liebe als eine Art Mord und das Buhlen um die Gunst der Reichen als geistiger Ehebruch verstanden wären, sondern der Grund ist einfach der, daß das 5. und 6. Gebot traditioneller Anfang bei Zitationen von Dekaloggeboten ist (vgl. Mk. 10,19; Rom. 13,9; an der letzten Stelle ja ebenfalls in Zusammenstellung mit dem Liebesgebot). Die einzelnen Gebote gehören jedenfalls ebenso zusammen wie Unparteilichkeit und Liebe. Und 12 sie sind als Teil des alttestamentlichen Gesetzes auch Teil des „Gesetzes der Freiheit" (vgl. zu 1,25), das auch für die Christen gilt und Maßstab des endzeitlichen Gerichtes ist. „Reden" und „Tun" sind dabei trotz der Warnung von 3 , 1 gleichermaßen von Bedeutung. Daß auch die Christen das eschatologische Gericht noch vor sich haben, sagt beinahe das ganze Neue Testament (vgl. 2.Kor.5,10; Apg.17,31; l.Petr. 1,17; Offb.2,23 u.ö.), doch ist das Bestehen im Gericht nach dem Jakobusbrief von der Erfüllung des göttlichen Gesetzes abhängig, das auch den Christen als ganzes verpflichtet. Der isoliert und sentenzhaft wirkende Abschlußvers ist wieder 13 mit Stichwortanschluß angehängt worden. Der Verfasser will damit offenbar das Gericht an dem in V. 8 genannten Gebot und seinem Inhalt exemplifizieren, und zwar mit Hilfe des ius talionis (vgl. Mt. 5,38 u. ä.): Es wird unbarmherzig gegenüber Unbarmherzigen sein. Die Barmherzigkeit dagegen wird über das Gericht triumphieren. Daß der Barmherzige einst triumphierend auf das Gericht zurückblicken kann, setzt also wiederum nicht die alles überragende Stellung gerade der Barmherzigkeit voraus, sondern zeigt an einem sowohl der Tradition (vgl. Spr. 19,17; Test. Seb. 5 u. 8 u. ö.) als auch Jakobus wichtigen Beispiel, daß zwischen irdischem Verhalten und jenseitigem Gericht eine Entsprechung besteht (vgl. Mt. 5,7).
IV. Über Werke, Glaube und Rechtfertigung 2,14-26 14 Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben, aber keine Werke hat? Kann ihn etwa der Glaube retten? 15 Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt sind und Mangel an täglicher Nahrung leiden, " und jemand von euch sagt zu ihnen „Geht hin in Frieden, wärmt und sättigt euch" und ihr gäbt ihnen nicht das, wessen der Leib bedarf, was nützte das? 1 7 So ist auch der Glaube, wenn er keine Werke hat, für sich allein tot. 1 8 Aber es wird jemand einwenden „Du hast
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Glauben und ich habe Werke". (Dem entgegne ich:) Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, und ich will dir aus meinen Werken den Glauben zeigen. 19 Du glaubst, daß ein einziger Gott ist? Du tust recht (daran), (aber) auch die Dämonen glauben (das) und zittern. i 0 Willst du wohl einsehen, du leerer Mensch, daß der Glaube ohne die Werke nutzlos ist? " Ist nicht Abraham, unser Vater, aus Werken gerechtfertigt worden, „da er Isaak, seinen Sohn, auf dem Altar darbrachte"? 22 Du siehst, der Glaube wirkte mit seinen Werken zusammen, und aus den Werken gewann der Glaube die Vollendung. " Und die Schrift wurde erfüllt, die da sagt: „Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet", und er wurde „Freund Gottes" genannt. 2 4 Ihr seht, daß der Mensch aus Werken gerechtfertigt wird und nicht allein aus Glauben. 2 5 Ist ebenso nicht auch die Hure Rahab aus Werken gerechtfertigt worden, da sie die Boten aufnahm und auf einem anderen Weg heraus ließ? M Denn wie der Leib tot ist ohne Geist, so ist der Glaube tot ohne Werke. Vers 16: R|\!S,6; Vers 21: 1. Mose 22. 9 ff.; Vers 23: l.MoselS,6:
2.Chron.20,7;
Vers 25:
Jos.2,4.IS.
Wie in 2 , 1 wird das Thema des neuen Abschnitts schon im Einleitungssatz zum Ausdruck gebracht: Nur Glaube und Werke zusammen bringen dem Menschen endzeitliche Rettung. Das wird dann in einem vor allem durch Stilelemente der Diatribe und der exegetischen Debatte geprägten theologischen Beweisgang entfaltet. Wahrscheinlich darf man 2 , 1 4 - 2 6 als sachliche Mitte des ganzen Briefes ansehen. Das ist nicht nur der Eindruck eines durch die Problemstellung der Reformation geschärften Blickes. Gewiß geht es dem Verfasser auch sonst um die tathafte Verwirklichung christlicher Existenz. Gleichwohl handelt es sich hier um das Herzstück des Briefes. Auffallend ist schon, daß sich in 2,14-26 am wenigsten traditionell paränetisches Uberlieferungsgut findet und der Verfasser stärker als sonst selbst das Wort führt. Nirgendwo sonst im Brief finden sich auch so viele nachdrückliche Wiederholungen (vgl. z.B. V. 17.20.26), und nirgendwo sonst begegnet ein doppelter „Schriftbeweis" (vgl. allerdings 4 , 5 f.). Gerade das Abrahambeispiel ist auch sonst im Judentum und Urchristentum (Paulus, Hebr.) von zentraler Bedeutung. Endlich ist der ganze Abschnitt wahrscheinlich nicht nur „usuell", sondern aktuell, situationsbezogen und polemisch. Obschon das Hauptthema von 2,14-26 nur indirekt etwas mit dem zentralen Problem des vorangehenden Abschnitts zu tun hat - käme es dem Verfasser vor allem auf einen Sachzusammenhang an, würde sich 2 , 1 4 ff. viel besser an 1,19-27 anschließen - , ist eine gewisse Verbindungslinie nicht zu übersehen. Die ursprüngliche Isolierung von V. 13 schließt solchen sachlichen Zusammenhang nicht aus. Der Verfasser konnte gerade durch die Einfügung von V. 13 einen Bogen zum Folgenden schlagen: Die „Rettung" von V. 14 geschieht eben im „Gericht" (V. 13) und wird durch „Werke" (V. 14) der „Barmherzigkeit" (V. 13) bewirkt. Nach der Themaangabe in V. 14 folgt auch hier ein Einzelfall (V. 15 f.), der freilich weniger als Beispiel denn als Vergleich für die Nutzlosigkeit eines Glaubens ohne Werke dient, allerdings nicht zufällig gerade der sozialen Sphäre entstammt und Werke der Barmherzigkeit im Auge hat. Nach einer Anwendung dieses Vergleichs auf das Verhältnis von Glaube und Werke (V. 17) folgt dann ein dialogisch bestimmter Abschnitt: Zunächst der Einwand eines fingierten Diskussionspartners (V. 18 a), der die die Möglichkeit eines Glaubens ohne Werke vertritt und vom Verfasser ad absur-
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dum geführt wird (V. 18b-20). V. 21-23 folgt dann als eine Art „Schriftbeweis" für die Rechtfertigung aus Werken das Abrahambeispiel und V. 24 die Folgerung daraus, V. 25-26 endlich das Rahabbeispiel und ein Resümee. Der mit neuer Anrede markierte neue Abschnitt beginnt mit der Frage nach dem 14 eschatologischen „Nutzen", der „Rettung" aus dem Gericht. Einem Christen, der von sich behauptet zu glauben, dem aber die Werke fehlen, wird die kritische Frage gestellt, ob etwa der Glaube (allein) zu retten vermag, worauf es im Sinn des Verfassers nur eine klare negative Antwort gibt. Daß nicht sogleich auch die andere Frage gestellt wird, ob das denn Werke allein vermögen, deutet schon an, daß sich der Verfasser allein gegen eine Verabsolutierung und exklusive Heilsbedeutung 15.16 des Glaubens wendet. Alles liegt daran, daß Werke vorliegen. Das in V. 15 f. gewählte Beispiel erwähnt den Glauben denn auch gar nicht mehr. Hier wird ja nicht betont, daß ein guter Baum gute Früchte bringt (vgl. Mt. 7,17.20, aber auch Jak. 3,12) und aus dem Glauben notwendigerweise Werke erwachsen. Denn nicht, daß religiöse Gesinnung und menschliches Wohlwollen gegenüber den Notleidenden nicht genügen, sondern daß gute Worte nicht genügen und Werke hinzukommen müssen, sagt der Verfasser. Es geht also nicht um den notwendigen Zusammenhang von Glaube und Werken, sondern um den fatalen Kontrast von guten Worten und guten Taten (vgl. Mt.7,21), und der Glaube gerät dabei in eine verdächtige Nähe zu bloßen Lippenbekenntnissen. Das Beispiel ist gut gewählt und eindrücklich. Jedermann leuchtet ein, daß man einen Mitchristen, dem es an notwendiger Kleidung und Nahrung fehlt, nicht mit guten Worten und Wünschen abspeisen kann, die dem Bedürftigen wie Hohn in den Ohren klingen müssen. Man darf nicht meinen, hier werde gegen salbungsvolle Phrasen und fromme Redensarten polemisiert, sondern gerade auch freundliche, wohlmeinende Worte reichen nicht aus. „Geht hin in Frieden" ist ja der alttestamentlich-jüdische Abschieds- und Geleitwunsch (vgl. l.Sam.1,17; 20,42; Mk.5,34; Apg.16,36 u.ä.). Aber davon wird der Hungernde nicht satt und der Frierende nicht warm. Er benötigt ebenso leibliche Unterstützung (vgl. Sir. 4,3; Spr.3,27; 1. Joh.3,17f.; Did.4,8). Dieses Manko an brüderlicher Solidarität und realer Nächstenliebe ist es offenbar, was der Verfasser als besonders widersinnig empfindet. Bei den folgenden problematischen Aussagen ist darum ihre Funktion, solchen Mißstand zu überwinden, nicht zu vergessen, auch wenn sie dadurch ihre Anstößigkeit nicht verlieren. Im übrigen darf man nicht meinen, die Notwendigkeit der „Werke" werde hier allein von den Bedürfnissen der Mitmenschen her begründet oder „Werke" seien ausschließlich im Bereich der Mitmenschlichkeit zu finden. Das zeigt schon V.21, wo selbst dann, wenn wegen des Plurals „Werke" und in Entsprechung zu Test. Abr.4,10; l.Klem. 10,7; Philo und V. 25 an die in 1. Mose 18 erwähnte Gastfreundschaft Abrahams zu denken wäre, ausdrücklich jedenfalls nur die sozialethisch nicht zu verrechnende Opferung Isaaks genannt wird. Daß die „Werke" wesentlich auch in ihrer sozialethischen Bedeutung in den Blick genommen sind und der Verfasser darin keine Spannung zu ihrer religiösen und individualethischen Rolle sieht, ist allerdings festzuhalten. Was dem Notleidenden irdisch „nützt", das bringt dem, der tatkräftig hilft, himmlischen „Nutzen" (vgl. V.14). V.17 bringt die Anwendung des Ver- 17 gleichs von V.15f.: Dem bloßen Reden entspricht der Glaube. Ohne Werke ist er
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nutzlos und tot. Erst die Werke verleihen ihm Leben und machen den Glauben „vollkommen" (V.22). „Für sich allein" dagegen hat er kein Heil zu erwarten. Vor Gott und d.h. im Gericht zählen allein die Werke. 18 V. 18 a kommt nun der gegnerische Einwand. Die Schwierigkeit besteht darin, daß der jetzt mit „du" angeredete Verfasser ja gerade „Werke" hat oder fordert, so daß man eigentlich erwarten sollte, daß der Gegenredner zu ihm sagen würde: „Du hast Werke, und ich habe Glauben" (so hat das denn auch eine altlateinische Handschrift geändert). Manche Exegeten erklären darum (so auch Joh. Schneider), der ursprüngliche Einwand des Gegners sei ausgefallen und müsse etwa so gelautet haben: „Was nützen Werke ohne Glauben? Dieser ist die Hauptsache, und den habe ich." Darauf würde dann der Verfasser selbst mit den Worten von V. 18 a antworten. Aber diese Lösung ist ein Gewaltstreich und zu hypothetisch. Geht man vom vorliegenden T e x t aus, so empfiehlt es sich, „du" und „ich" tonlos zu fassen und im Sinn von „der eine - der andere" zu umschreiben. Die Einrede würde also besagen: „Der eine hat Glauben, der andere Werke." Dagegen wird nun vom Verfasser in V. 18 b protestiert, und zwar vor allem gegen eine Isolierung des Glaubens. Nicht die Verflochtenheit oder gar Gleichwertigkeit von Glaube und Werk wird betont, sondern die Sinnlosigkeit eines behaupteten Glaubens ohne Werke (das Umgekehrte, Werke ohne Glauben, tritt überhaupt nicht in den Blick). Nur so gewinnt V. 18 b passenden Sinn: Man kann nicht vom Glauben auf Werke, sondern nur von Werken auf Glauben schließen. Werke demonstrieren den Glauben und erweisen damit ihre konstitutive Bedeutung. Der Glaube ist den Werken subordiniert und hat keinen eigenen Wert und keine eigene Bedeutung (vgl. V. 17). Könnte man von den bisherigen Aussagen des Abschnitts her vermuten, der Verfasser wende sich vor allem gegen einen zur Unsichtbarkeit verinnerlichten Glauben, so scheint im folgenden stärker die Antithese gegenüber einem bloß intellektuell-theoretischen Glauben im Sinn weltanschaulicher Überzeugung im Vordergrund zu stehen. 19
Inhalt solchen Glaubens, der dem Gegner eigen ist, ist das monotheistische Glaubensbekenntnis zur Einzigkeit Gottes (vgl. 5 . M o s e 6 , 4 ; Mk. 1 2 , 2 9 ; l . K o r . 8 , 6 ; Herrn. Mand. 11 u. ö.). Natürlich hat der Verfasser nichts gegen solchen Glauben einzuwenden, aber die Fortsetzung und der Hinweis auf die Dämonen sprechen dafür, daß hier ironisch geredet wird: Wahrlich, ein prächtiger Glaube - den auch die Dämonen haben! Solcher Glaube unterscheidet den Menschen also nicht von den Dämonen, sondern stellt ihn neben sie, ein in seiner massiven Degradierung des Glaubens kaum zu überbietender Satz. Vielleicht fehlt eine Erwähnung des speziell christlichen Glaubensinhaltes darum, weil der Verfasser sich nicht so weit vorzuwagen getraute, die Ähnlichkeit mit dem Dämonenglauben auch am Glauben an Jesus Christus zu exemplifizieren. Vielleicht wird aber auch darum nur der monotheistische Satz zitiert, weil er als exorzistische Formel bei der Dämonenbeschwörung gebraucht wurde. Das „Zittern" der so beschworenen bösen Geister zeigt, daß der Glaube allein nicht vor dem Verderben rettet, sondern geradezu zum Untergang verurteilt. 20 Wer jetzt immer noch nicht erkannt hat, daß solcher Glaube nutz- und wirkungslos ist, muß sich als gedankenloser leerer Mensch anreden lassen. Doch der 21 Verfasser hat sein Pulver keineswegs schon verschossen. Der weiteren Wider-
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legung der Devise „Glaube ohne Werke" und der positiven Darlegung der Rechtfertigung aus Werken dient nun die Verwendung des Abrahambeispiels, das jedoch nicht einfach aus dem Alten Testament entnommen ist, sondern in Anlehnung und Abgrenzung von der jüdischen Exegese dargestellt wird. Vor allem die Kombination von 1. Mose 2 2 , 9 ff. mit 1 5 , 6 war schon im Judentum üblich. Das Judentum sah in Abraham nicht nur den exemplarisch Gerechten und Gehorsamen (vgl. S i r . 4 4 , 1 9 f f . ; J u b i l . 2 3 , 1 0 u.a.), sondern auch das Vorbild des Glaubens. Solcher Glaube aber galt selbst als frommes Werk, und dementsprechend wurde 1. Mose 1 5 , 6 („er glaubte Gott") entweder auf das ganze Leben Abrahams (vgl. auch Hebr. 1 1 , 8 f.) oder auf die Opferung Isaaks (1. Mose 22) bezogen (vgl. l . M a k k . 2 , 5 2 ) . Damit ist dann aber klar, daß ein Jude die Alternative G l a u b e Werke niemals akzeptieren und 1. Mose 1 5 , 6 niemals isolieren und als Fundamentalsatz schlechthin verstehen könnte. Auch für Jakobus ist Abraham, „unser Vater" (vgl. Rom. 4 , 1 . 1 2 u.ö.), nicht das Modell der Rechtfertigung aus Gnaden wie in Rom. 4 , sondern das der „Rechtfertigung aus Werken". Rechtfertigung heißt entsprechend: Seine Gerechtigkeit wurde nicht hergestellt, sondern festgestellt. Er war kein Sünder, den Gott allein aus Gnade (sola gratia) freispricht wie bei Paulus, sondern ein Gerechter, und das hat Gott anerkannt. Die Partizipialwendung, die die Opferung Isaaks nennt, ist nicht bloß eine Zeitangabe, sondern eine Begründung (ähnlich V. 25). Das Werk des Abraham ist also der Grund seiner Rechtfertigung. V. 2 2 zieht eine erste Schlußfolgerung: Das wohl iterativ zu verstehende Imperfekt 22 deutet an, daß der Glaube den Werken Abrahams immer wieder als Gehilfe mitwirkend beigesprungen ist, und zwar zur Erreichung der Rechtfertigung, wie der Kontext eindeutig darstellt (vgl. auch 1 , 2 0 ) . Audi hier ist nicht davon die Rede, daß der Glaube der entscheidende Beitrag, die primäre Antriebskraft oder das den Werken Vorgeordnete wäre, ja er hat nicht einmal gleichen Wert wie die Werke. Alles kommt auf die Werke an. Der Glaube kann dabei (man muß im Sinn des Verfassers hinzufügen: nur) mithelfen. Das bestätigt V. 22 b, dessen Interpretation aber nicht ganz sicher ist: Entweder wird der Glaube durch Werke erst Glaube, sozusagen vollkommener Glaube, oder aber er gewinnt aus den Werken die Möglichkeit und Kraft, das Ziel zu erreichen: die Rechtfertigung. Nur mit diesen Bundesgenossen jedenfalls zählt und vermag er etwas. Nur als solcher kommt er zur Vollendung. Selbst der Hinweis auf 1. Mose 1 5 , 6 kann diese Überlegenheit der Werke nicht in 23 Frage stellen. Denn der Verfasser sieht wie die jüdische Exegese diese Schriftaussage durch die Bereitschaft zur Hingabe Isaaks und also das Werk Abrahams „erfüllt". Aus der zeitlichen Priorität von 1. Mose 15 gegenüber 1. Mose 2 2 wird also gefolgert (vgl. dasselbe methodische Verfahren mit anderem Ergebnis in Gal. 3 , 1 7 ) , daß 1. Mose 15 nur eine Voraussage war, die der „Erfüllung" bedurfte. „Erfüllung" heißt dabei nicht wie sonst oft im Neuen Testament eschatologische Erfüllung der alttestamentlichen Verheißung durch Gott (Mt. 1 , 2 2 ; 2 , 2 3 ; 4 , 1 4 u. ä.), sondern Verwirklichung des Gotteswortes durch die T a t des Abraham. Nichts anderes als das Werk Abrahams ist auch der Grund für die Verheißung des wohl aus J e s . 4 1 , 8 ; jüdischen Texten für sein Verhalten zuerkannt wird (vgl. Jubil. 1 9 , 9 ; Apk. A b r . 9 , 6 ; D a m . 3 , 2 u.ö.) und ihn als den von Gott Geliebten charakterisiert (vgl. auch 2. Chr. 2 0 , 7 herzuleitenden Ehrentitels „Freund Gottes", der Abraham auch in
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24 1. Klem. 10,1). Noch einmal wird als Quintessenz der exegetischen Beweisführung der über Abraham hinaus gültige (vgl. das Präsens) Hauptsatz eingeschärft, d a ß das „allein aus Glauben" (sola fidcj u n irriges Theologumenon ist, der Mensch also 25 „aus Werken gerechtfertigt wird und nicht allein aus Glauben". Im folgenden Rahabbeispiel wird der Glaube (vgl. Hebr. 11,31; 1. Klem. 12,1) gar nicht erst erwähnt, weil eben alles auf das „Gerechtfertigtwerden aus Werken" a n k o m m t , obschon davon im alttestamentlichen Text gar nicht die Rede ist. Möglicherweise bringt der Verfasser dieses Beispiel, weil Rahab als Typ der Proselytin zeigt, daß es auch für Nicht-Juden keine andere Möglichkeit der Rechtfertigung gibt als die aus Werken. Das Verdienst der Hure Rahab, das auch in der jüdischen Tradition verherrlicht wurde (vgl. auch 1. Klem. 12,1), besteht darin, d a ß sie die Kundschafter Josuas in Jericho aufgenommen und den Nachstellungen des Königs von Jericho dadurch entzogen hatte, daß sie sie heimlich mit einem Seil vom Dach herabließ (vgl. Jos. 2,4.15). 26 Das letzte Argument entnimmt der Verfasser der Anthropologie. So wie der Leib ohne den belebenden Geist - Geist ist hier im alttestamentlichen Sinn Lebensodem und Lebenskraft (vgl. 1. Mose 2 , 7 u. ä.) - ein Leichnam ist, so ist der Glaube ohne Werke dem T o d e verfallen (vgl. V. 17). Die Werke allein vermögen dem Glauben Leben, Sinn und Verheißung zu geben. Glaube und Werke bei Paulus und Jakobus. Die Exegese von 2,14-26 hat angedeutet, daß der Abschnitt polemischen Charakter hat und sich diese Polemik gegen die These von der Rechtfertigung allein aus Glauben richtet. Z w a r ist der als Stilmittel eingeführte fiktive Gegner nicht einfach der Repräsentant einer deutlich zu charakterisierenden Irrlehre, aber die Behauptung, d a ß der Glaube nicht retten (V. 14) und nicht allein rechtfertigen kann (V. 24), sondern es des Zusammenwirkens von Glaube und Werken bedarf (V.22), macht den Eindruck einer Antithese gegen paulinische Sätze, nach denen „der Mensch aus Glauben gerechtfertigt wird ohne des Gesetzes Werke" (Rom. 3,28). Die auffallenden Formulierungen bestätigen das: so a) „gerechtfertigt werden aus" (anstelle des sonst bezeugten „gerechtfertigt werden durch bzw. auf G r u n d " : vgl. 1.Klem.30,3; 32,4; Ps.50(51) 6 = R o m . 3 , 4 ) , b) die durchgängige Artikellosigkeit der an Paulus erinnernden Formeln „gerechtfertigt werden aus Werken" (V.21.24) bzw. „aus Glauben" (V.24) im Unterschied zu V. 18.20.22, c) „Mensch" (V.24). Auch die Verwendung des Abrahambeispiels macht deutlich, daß der Verfasser nicht nur eine praktische Verirrung, sondern eine mit bestimmten Formeln und Begründungen operierende Richtung im Auge hat. Und in der Tat kann kaum ein Zweifel daran bestehen, d a ß die Antithese des Jakobus erst dort möglich wurde, w o eine Berührung mit der paulinischen Verkündigung und Theologie stattgefunden hatte. Das Problem der „Rechtfertigung allein aus Glauben" begegnet denn auch nirgendwo vor Paulus und k a n n es auch schwerlich. Es geht hier nicht u m paulinische Originalität, sondern um die historische Feststellung, d a ß es für das Judentum die Alternative Glaube oder Werke gar nicht geben kann, weil (vgl. zu V.21) der Glaube unter dem Oberbegriff Werke rangierte und unter den Werken gebucht wurde. M a n hat zwar auf 4. Esr. 13,23
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(„wenn sie Werke haben und Glauben . . . " ; vgl. 9,7) verwiesen, aber diese Stelle beweist nur eine Unterscheidung von Glaube und Werken, nicht aber eine Entgegensetzung. Für jüdische Theologie ist es unvorstellbar, daß beide soteriologisch eine Alternative bildeten. Auch die Verknüpfung der „Rechtfertigung allein aus Glauben" mit dem Abrahambeispiel ist erst durch Paulus belegt. Zwar ist die Verbindung von 1. Mose 15 und 22 und auch die Interpretation der ersten durch die zweite Stelle (vgl. zu V.21) schon im Judentum vorgegeben, aber gerade dann ist das befürchtete Mißverständnis von 1. Mose 15 im Sinn des sola fide um so auffallender. Damit ist auch ausgeschlossen, die Berührung auf gemeinsame Abhängigkeit von jüdischer Tradition zurückzuführen. So ist denn auch weit und breit niemand anderes zu erkennen, der die Polemik des Jakobus provoziert haben könnte. Steht so fest, daß Jak. 2,14-26 eine Reaktion auf die Wirksamkeit des Paulus bildet, ist nun freilich zu fragen, ob die von Jakobus anvisierten „Paulinisten" bzw. ob die Ausführungen in Jak. 2,14-26 die paulinische Verkündigung richtig verstanden haben. Das ist mit aller Entschiedenheit zu verneinen. Der paulinische Glaubensbegriff kann hier nicht ausführlich expliziert werden. Kurz gesagt heißt Glauben bei Paulus: Sich auf den im Wort gegenwärtigen Herrn Jesus Christus einlassen. Diese Beziehung zu Jesus Christus, der als gekreuzigter und auferstandener Herr verkündigt wird, impliziert verschiedene Momente, von denen als wichtigste Gehorsam, Hoffnung, Vertrauen und Erkenntnis zu nennen wären. Entscheidend beim Vergleich mit Jakobus ist zweierlei: Erstens ist es allein dieser Glaube, der den Gottlosen in das rechte Verhältnis zu Gott bringt und d. h. „rechtfertigt" (Rom. 4,5); die Werke des Gesetzes dagegen sind keine Heilsbedingung mehr (Rom. 3,21.28; Gal.2,16). Obschon dabei zunächst der Sünder und Gottlose im Blick ist, gilt das „allein aus Glauben" (sola fide) nicht nur gegenüber der jüdischen Gesetzlichkeit, sondern gegenüber jedem Verdienst- und Leistungsdenken. Gott rechtfertigt auch nicht in Vorausschau oder unter der Bedingung künftiger Werke, sondern bedingungslos. Glaube bzw. Gnade und Werke schließen einander als Heilswege aus (vgl. Rom. 11,6; Gal. 3,2 f.). Das Gericht nach den Werken, auf das auch der Christ noch zugeht (2. Kor. 5,10 u. ö.), führt nicht durch die Hintertür doch wieder einen Synergismus ein, sondern ist die Probe aufs Exempel, ob das sola fide wirklich radikal durchgehalten worden ist, ob der Christ sich tatsächlich ganz und gar der Gnade überantwortet hat. So sehr also allein der Glaube den Menschen eschatologisch zu retten vermag und jede Verdienstlichkeit und Werkgerechtigkeit von Paulus ausgeschlossen wird, so sehr ist nun zweitens ebenso klar, daß alles, was nicht aus der Grund- und Ganzheitshaltung des Glaubens kommt, als Sünde zu gelten hat (Rom. 14,23), positiv ausgedrückt: daß der Glaube den radikalen Gehorsam impliziert, in der Liebe und durch die Liebe wirksam ist (Gal. 5,6) und das „Werk des Glaubens" aus sich heraussetzt (l.Thess. 1,3; Singular! vgl. auch 1.Kor.3,13ff.; Gal.6,4). Diese vom Geist gewirkte (Gal. 5,22; Phil. 1,11 u.ö.) einheitliche Wurzel, aus der heraus sich christliche Existenz und christliche Ethik entfalten, wird von Paulus in seiner Paränese dann beispielhaft konkretisiert. Die Rechtfertigung entläßt den Menschen
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also nicht aus der göttlichen Forderung, sondern befreit zum „Halten der G e b o t e " ( l . K o r . 7 , 1 9 ; R o m . 8,4) u n d z u m konkreten G e h o r s a m des Glaubens in der Welt. Die zur B e w ä h r u n g des Glaubens m a h n e n d e n Imperative stellen die das Heil zusprechenden Indikative aber nicht unter eine Bedingung - auch das notwendige W e r k k a n n ja das Heil nicht verdienen sondern werden gerade durch die bedingungslose Gültigkeit derselben als deren Konsequenz möglich u n d sinnvoll ( G a l . 5 , 2 5 u.a.). Demgegenüber ergab n u n Jak. 2,14-26, d a ß hier die Werke durchaus wieder als Heilsfaktor erscheinen u n d „synergistisch" mit dem Glauben die Rechtfertigung bedingen (V. 14.22.24). So ist denn auch A b r a h a m nicht mehr der T y p u s der Rechtfertigung des Gottlosen, sondern der des Gerechten, dessen Gerechtigkeit nicht von G o t t hergestellt, sondern festgestellt wird (V.21). Dabei ist freilich zu beachten, d a ß die verwendeten Begriffe z . T . etwas ganz anderes meinen u n d in einem anderen historischen Kontext u n d theologischen Koordinatensystem stehen. Die Frage etwa, was es u m die schlechthinnige Aussichtslosigkeit menschlicher H e i l s b e m ü h u n g oder was der G r u n d des Glaubens sei, wird v o m Jakobusbrief ü b e r h a u p t nicht gestellt. Auch v o m F u n d a m e n t der Ethik ist k a u m die Rede. Der ganze Abschnitt erw ä h n t w e d e r das Christusgeschehen noch den Geist noch die T a u f e (anders allerdings 1,18 u n d 2,7). D a m i t ist nicht behauptet, d a ß der ganze Brief vom Leistungsu n d Verdienstdenken beherrscht wäre oder der Verfasser nicht wüßte, d a ß Christen Empfangende (vgl. 1,17), Neugeborene (vgl. 1,18) und Erwählte (vgl. 2,5) sind. Aber als Ansatz und M o t i v i e r u n g der Ethik ist das nur in 1,5 und 3 , 1 7 f r u c h t b a r gemacht, nicht aber im Z e n t r u m des Briefes (2,14 ff.). Erst recht k o m m t dem Glauben in 2,14-26 nicht die Funktion einer Begründung der Werke zu. Z w a r geht es durchaus auch um die Frage nach der Echtheit und Bewährung des Glaubens (1,3) und nach seiner Manifestation u n d Verleiblichung in Werken (2,1 und 18). Die dabei offenbar noch im H i n t e r g r u n d stehende Sicht des Glaubens als Wurzel oder Voraussetzung der W e r k e (vgl. auch 1,19 ff.) bzw. als eine von vornherein mit W e r k e n verb u n d e n e H a l t u n g (so V. 23) wird jedoch nicht durchgehalten, sondern durch die Addition beider, ja die U n t e r o r d n u n g des Glaubens unter die W e r k e durchkreuzt. Im Interesse dieses D r ä n g e n s auf die t a t h a f t e Verwirklichung christlicher Existenz k a n n der Verfasser den G l a u b e n sogar bis zur bloßen theoretisch-intellektuellen Überzeugung degradieren (2,19), auch wenn andere M o m e n t e nicht ganz fehlen (vgl. 1 , 6 u n d 5 , 1 5 ) . Diese aber scheinen mehr der T r a d i t i o n zu e n t s t a m m e n (vgl. 1,3 mit l . P e t r . 1 , 7 ; 1 , 6 u n d 5 , 1 5 mit M k . 11,24; H e r r n . M a n d . IX 6-12; auch 2 , 1 . 5 im Sinn des Gläubigseins ist traditionell). Umgekehrt ist gerade das in der g e h ä u f t e n Verwendung von G l a u b e u n d glauben in 2,14-26 (14mal!) zu erkennende Verständnis von G l a u b e n charakteristisch f ü r den Glaubensbegriff des Verfassers selbst. M a g der Verfasser hier auch den entleerten Glaubensbegriff seiner Zeit o d e r der Pseudopaulinisten ü b e r n e h m e n , so teilt er ihn jedenfalls und läßt keinerlei Absicht erkennen, ihn zu korrigieren. Von diesem im Brief dominierenden Glaubensbegriff her ist es nicht verwunderlich, d a ß nicht n u r von Kooperation von G l a u b e u n d W e r k e n gesprochen w i r d (auffallend ist auch der Plural!) - wie sollte ein so intellektualistisch h e r u n t e r g e k o m m e n e r Glaube, der nicht die ganze Existenz betrifft u n d
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sich auf ein Für-Wahr-Halten reduziert, eschatologisch zu retten vermögen? sondern die Werke dem Glauben übergeordnet werden (vgl. zu V. 17.22 u. ö.). Man wird angesichts dieses Befundes nicht annehmen, daß der Verfasser des Jak. die paulinische Verkündigung wirklich kennengelernt und sich mit ihr auseinandergesetzt hat. Zwar ist die Annahme eines bewußten Mißverständnisses prinzipiell nicht ganz auszuschließen, zumal da Rom. 3 , 8 (vgl. auch Rom. 6,1) zu zeigen scheint, daß schon Paulus sich gegen gesetzesorientierte „Interpreten" abgrenzen muß, die seine Botschaft von der Rechtfertigung und Gesetzesfreiheit als libertinistische Predigt diskreditieren möchten. Aber ein solches Maß an Verzerrung, wie dann vorauszusetzen wäre, ist dem Verfasser, der nicht von billigen Siegen lebt, nicht zuzutrauen. Wahrscheinlicher ist doch, daß Paulus falsch verstanden und mißbraucht worden ist (vgl. die korinthischen Enthusiasten). Jak. würde dann einen verwilderten oder doch vergröberten Paulinismus im Visier haben. Es läßt sich allerdings nicht leugnen, daß seine Schüsse nicht nur die Pseudopaulinisten, sondern bisweilen auch Paulus selbst treffen, und für V. 22 gilt nach wie vor, daß das nicht mit Paulus „zusammenzureimen" ist. Das Fehlen einer ausdrücklichen Erwähnung der Gesetzestreue Abrahams, ja der Gesetzesbeobachtung überhaupt im Zusammenhang mit der Rechtfertigungsthematik in V. 14 ff. ist zwar nicht zu übersehen und dürfte damit zusammenhängen, daß die Gesetzesthematik inzwischen keine Rolle mehr spielt, doch sollte man das angesichts von V. 8-11 auch nicht überbewerten. Entscheidend ist und bleibt die Differenz in der Sicht der Rechtfertigung. Würde Jak. in einer Zeit eines libertinistisch verfälschten Paulus gegen solchen pervertierten Paulinismus kämpfen und dann stärker als Paulus die Werke betonen, so wäre das durchaus legitim. Aber Jak. geht darüber hinaus und trifft Paulus selbst, wenn er die Werke in die Rechtfertigung einbezieht und diese damit synergistisch korrumpiert. Hier scheiden sich die Geister, und evangelische Theologie und Verkündigung wird sich bei diesem Entweder-Oder auf die Seite des Paulus stellen (vgl. weiter die Einleitung). Sie wird dabei freilich die Intention des Jakobusbriefes, den Christen nicht aus der konkreten Bewährung und sozialen Verantwortung zu entlassen, aufnehmen und integrieren.
V. Von der gefährlichen Macht der Zunge 3,1-12 1 Werdet nicht so zahlreich Lehrer, meine Brüder; ihr wißt doch, daß wir ein strengeres Urteil empfangen werden. * Denn in vielem verfehlen wir uns alle. Wenn einer sich im Wort nicht verfehlt, ist dieser ein vollkommener Mann, der fähig ist, auch den ganzen Leib im Zaum zu halten. s Wenn wir den Pferden Zügel ins Maul stecken, damit sie uns gehorchen, lenken wir auch ihren ganzen Leib. 4 Sieh, auch die Schiffe, so groß sie auch sind und von heftigen Winden getrieben, werden von einem ganz kleinen Steuerruder (dorthin) gelenkt, wohin das Belieben des Steuermanns will. 5 So ist auch die Zunge ein kleines Glied und vermißt sich (doch) großer Dinge. Sieh, wie klein das Feuer ist (und) wie groß der Wald, den es in Brand setzt. 9 Audi die Zunge ist ein Feuer; als die Welt (oder: der Inbegriff) der Ungerechtigkeit
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tritt die Zunge unter unseren Gliedern auf, sie, die den ganzen Leib beschmutzt und das Rad des Lebens in Brand setzt, selbst in Brand gesetzt von der Hölle. 7 Denn jede Art von (wilden) Tieren und Vögeln, Kriechtieren und Tieren des Meeres wird von der menschlichen Natur gebändigt und ist gebändigt worden, 8 die Zunge aber vermag kein Mensch zu bändigen, ein unruhiges Übel, voll von todbringendem Gift. 9 Mit ihr preisen wir den Herrn und Vater, und mit ihr verfluchen wir die Menschen, die „nach Gottes Ebenbild" geschaffen worden sind. 10 Aus demselben Mund gehen Preis und Fluch hervor. Das darf nicht so sein, meine Brüder. 11 Läßt etwa die Quelle aus derselben Öffnung Süßes und Bitteres herausströmen? 12 Kann etwa, meine Brüder, ein Feigenbaum Oliven hervorbringen oder ein Weinstock Feigen? Ebensowenig kann eine salzige (Quelle) süßes Wasser hervorbringen. Vers 9: 1. Mose
1,27.
Der neue Abschnitt entfaltet in ziemlicher Breite ein Thema, das schon in 1,19 und 1 , 2 6 kurz angeklungen war: die dämonische Macht der Zunge. Die neuerliche Behandlung darf aber ebensowenig wie die spezielle Adressierung in V. 1-2 zu dem Trugschluß verleiten, die ganze ausführliche Darlegung sei nur zur Untermauerung und Begründung der Warnung vor dem Amt des Lehrers zu verstehen. Das „wir" in V . 3 und 9 z.B. soll den Autor mit der Gemeinde zusammenschließen, ist also nicht wie in V. 1 auf die Lehrer zu beziehen (das „wir" ist im übrigen nicht zu pressen, sondern bringt eine jedermann verständliche Erfahrung zum Ausdruck). Zwar erwartet die Lehrer ein strengeres Urteil, aber die Gefährdung durch die Zunge gilt nicht nur für sie. Erst recht wird man wie schon in 1 , 1 9 . 2 6 die Warnung vor den unübersehbaren Gefahren der Zungensünden nicht allein auf das Lehren in der gottesdienstlichen Versammlung der Gemeinde oder theologische Disputationen, etwa gar noch speziell über das Thema des vorangegangenen Abschnitts, eingrenzen dürfen. Ein Zusammenhang mit 2,14-26 ist nicht angedeutet. Auch die zahlreichen Parallelen aus der jüdischen Weisheitslehre und hellenistischen Popularphilosophie, die auch zu den Aussagen in V. 3 ff. und insonderheit zu den hier gehäuft auftretenden Bildern vorliegen, empfehlen eine allgemeine Fassung. Wahrscheinlich hat der Verfasser den Spezialfall von V. 1-2 mit der allgemeinen Paränese von V . 3 ff. verbunden. Das besagt allerdings nicht, daß der Verfasser den Lehrer völlig aus den Augen verloren habe und nicht auch an ihn dächte. Nach der Warnung vor dem Lehrerberuf (V. 1 a) und ihrer Begründung in V. 1 b-2 a leitet V . 2 b - c mit seiner Feststellung, daß die Selbstkontrolle beim Reden für den Menschen als ganzen symptomatisch ist, zu den allgemeinen Warnungen vor Zungensünden über. V. 3-5 veranschaulichen dann mit verschiedenen Vergleichen (ZügelPferd; Steuer-Schiff; Funke-Waldbrand) die große Macht der kleinen Zunge. V. 6 schildert ihre universale Verderbenswirkung, und V. 7-8 kontrastieren die mangelnde Beherrschung der Zunge mit der Bändigung der Tiere. V.9-10 machen auf die Unmöglichkeit aufmerksam, daß Preis und Fluch aus demselben Mund kommen, was V. 11-12 durch einen Hinweis auf die Natur (Quelle, Feigenbaum, Weinstock) illustrieren. 1
V. 1 ist wohl keine Warnung davor, bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit als Lehrer aufzutreten und mit allzu intensivem Belehrungseifer der Gemeinde auf die Nerven zu fallen, sondern davor, sich in großer Zahl zum Amt des
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Lehrers zu drängen. Ob finanzielle Motive bzw. die Aussicht auf Lebensunterhalt für die Attraktivität des Lehramtes und den Andrang dazu verantwortlich waren (vgl. Gal.6,6; Did. 13,2; l.Petr.5,2) oder das mit dem Amt verbundene Ansehen (vgl. schon Dan. 12,3; Sir. 39,7ff. u. ö.; Hebr. 13,7; Did.4,1), läßt sich nicht ausmachen. Man hat auch an eine allgemeine, gnostisch motivierte Hochschätzung der Erkenntnis und des sie vermittelnden Berufes gedacht. Uber die Aufgabe der Lehrer wird nichts gesagt. Da der Verfasser sich aber selbst als Lehrer bezeichnet, wird man vor allem an sittliche Unterweisung zu denken haben. Damit sind über die Ethik hinausgehende andere Lehraufgaben zwar nicht ausgeschlossen, doch bei der Geringschätzung theologisch-intellektueller Erkenntnisbemühung im Jakobusbrief wird mindestens der Verfasser selbst das Lehren vor allem als Anleitung zum Handeln nach Gottes Willen verstanden haben. Die Warnung wird begründet mit der strengeren Verurteilung der Lehrer beim Endgericht (vgl. auch die Polemik Jesu gegen die Schriftgelehrten Mk. 12,38-40; Lk.20,45-47; Mt.23,lff.). Diese Bestrafung setzt natürlich das voraus, was V. 2 dann „Verfehlung" nennt und bei 2 allen annimmt. Das Eingeständnis allgemeiner Sündhaftigkeit hat viele Parallelen, nicht nur im AT (Pred. 7,21) und N T (Rom. 3,9.23; l . J o h . 1,8), sondern auch innerhalb (vgl. 4.Esr.7,68; 8,35; 1 Q H 1 , 2 2 . 2 5 . 2 7 ; 4,29 f. u.ö,) wie außerhalb des Judentums (vgl. Sophokles Antigone 1023 f.; Seneca De Clem. I 6,3), wenn auch das Verständnis von „Sünde" dabei ein sehr verschieden tiefes ist. Für- Jak. ist V. 2 angesichts von 2,10 eine überraschende Feststellung, zumal sich der Verfasser in das Bekenntnis einschließt. Offenbar soll durch diese Konzession die bei solcher Ausgangslage beinahe unmöglich zu bewältigende Verantwortung und Versuchung des Lehramts angedeutet werden, mit der selbst ein berühmter Apostel kaum fertig wird, während sie von denen, die in so großer Zahl das Lehramt anstreben, nicht genügend in Rechnung gestellt wird. Derjenige aber, der selbst hier, wo der Mensch am leichtesten strauchelt („mit dem Wort" bzw. „im Wort"), nicht zu Fall kommt „und wer hätte sich nicht mit seiner Zunge versündigt?" (Sir. 19,16) - ist ein vollkommener Mann, also jemand, der ungeteilten, ganzen Gehorsam leistet. Wer seine Worte zu beherrschen vermag, der ist auch Herr über seinen ganzen Leib. Auffallend ist, daß dieser dem Verfasser seiner ganzen Einstellung nach naheliegende Gedanke der Selbstzucht nicht mehr auf den Lehrer angewandt wird, sondern ganz allgemein gehalten ist und damit schon die folgenden Mahnungen vorbereitet, die ursprünglich kaum etwas mit einer Warnung vor dem Lehramt zu tun gehabt haben werden. Das Thema der folgenden Verse ist in der paränetischen Tradition vielfach und 3-4 ausführlich vorbereitet worden. Vor allem die Weisheitsliteratur bietet viel Material, das die „Geißel der Zunge" (Hiob 5,21) anprangert, ihre verderbenbringenden Wirkungen schildert (vgl. Sir. 18,14 ff.; 22,27 f. u. ö.) oder dem Heil und Leben verheißt, der Gewalt über sie hat (Spr. 18,21; Sir. 14,1 u.ö.). Zunächst illustriert Jak. die große Macht der kleinen Zunge mit einem doppelten Vergleich, zu dem es Parallelen bei Philo und in der hellenistischen Popularethik gibt: durch die Zügel wird das Pferd und durch das Steuer das Schiff gelenkt. Obwohl das meist die positive Aussage veranschaulicht, daß der Mensch bzw. sein Geist sich und seinen Leib, seine Affekte und Leidenschaften oder auch seine Zunge zu beherrschen ver-
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mag, ist im J a k . eine pessimistische Deutung im Sinn von „kleine Ursache - große Wirkung" näherliegend: So wenig das Pferd gegenüber dem kleinen Zügel und so wenig das Schiff gegenüber dem Steuerruder etwas vermag, so wenig der Mensch gegenüber der Zunge. So klein die Zunge auch ist, so außerordentlich groß ist ihre 5 Macht. Dasselbe besagt das geläufige Bild vom Waldbrand, das die dämonische Gewalt der Zunge mit dem Feuer vergleicht (vgl. auch Spr. 1 6 , 2 7 ; Sir. 2 8 , 2 2 ; Ps. Sal. 1 2 , 2 f . ) , das einen Wald in Brand zu setzen vermag. Sie ist kein harmloses Übel, 6 sondern hat wie der Funke im Wald verheerende Folgen. Sie ist geradezu der „Inbegriff der Ungerechtigkeit" bzw. (so die wahrscheinlichere Deutung) „die Welt der Ungerechtigkeit" schlechthin. Der Verfasser gebraucht diese wohl aus der Apokalyptik übernommene Wendung (vgl. äth. Hen. 4 8 , 7 u.ö.), um das universale Ausmaß und eschatologische Verderben dieser verhängnisvollen Geißel anzudeuten. Ihre unheilvolle Rolle erstreckt sich denn auch nicht nur auf den ganzen Leib, sondern auch auf das „Rad des Lebens". Dieser Ausdruck wird meist aus der orphischen Lehre abgeleitet, wo er den schicksalhaften Kreislauf der Wiederverkörperungen bezeichnet, den die Seele bis zur Erlösung aus dem immer neuen Werden und Vergehen durchlaufen muß. Allerdings war diese Vorstellung in sprichwortartigen Wendungen schon längst mit der Anschauung vom wechselvollen Auf und Ab des Lebens verknüpft worden und ist in diesem Sinn des Lebensrades dann auch ins Judentum eingedrungen (vgl. Ps.-Phokyl.27 u.ö.). J a k . hat den Ausdruck, der wie der vorangehende apokalyptische recht unvermittelt auftritt, in diesem abgeblaßten Sinn aufgegriffen, um zu zeigen, daß der ganze Kreis irdischen Lebens von der Zunge in Brand gesetzt wird. Eine letzte Steigerung führt ihr unheilvolles Feuer 7 - 8 auf das Feuer der Hölle selbst zurück. Wie paradox die Ohnmacht des Menschen gegenüber der Zunge ist, erhellt aus einem neuen Vergleich: Alle Arten von Tieren sind vom Menschen gebändigt worden, über seine Zunge aber hat er keine Macht gewonnen. Das, was für Cicero, Seneca und andere ein Ruhmesblatt des Menschen ist, wird hier zur Anklage. Die Beherrschung der Natur läßt nur um so schmerzlicher bewußt werden, daß dieses unruhige und die ganze Welt beunruhigende Obel der Zunge, das „voll todbringenden Giftes" ist (vgl. 1 Q H 5 , 2 6 f.; Sib. Proömium 71), niemand zur Ruhe zu bringen vermag. 9-10
Während die vorangehenden V . 3 - 8 , die der Verfasser meist aus einer ins Judentum übernommenen hellenstischen Tradition schöpfte, die Wirkungen der Zunge allein im zwischenmenschlichen Bereich zu sehen schienen, wird nun ausdrücklich auch Gott einbezogen: Mit demselben Munde wird Gott gepriesen und Gottes Ebenbild verflucht. Solche unbegreifliche „Doppelzüngigkeit" wird auch in der jüdischen Paränese verurteilt (Sir.5,9 f. 14 f. L X X ; Test. Benj. 6 , 5 ; 1 QS 1 0 , 2 1 ff.), und zwar ebenfalls mit Hinweis darauf, daß der so verfluchte oder verachtete Mensch ein Geschöpf bzw. Ebenbild Gottes ist (vgl. slav. Hen. 5 2 , 1 f. 5 f.; 4 4 , 1 u. ö.). Ganz ähnlich fügt Jak. die Mahnung an, daß das so nicht sein darf (vgl. auch 11.12 R ö m . 12,14). Wie widersinnig und naturwidrig solche Zwiespältigkeit ist, wird zum Schluß noch an der Schöpfung demonstriert, wo nichts, was unvereinbar miteinander ist, aus ein und derselben Quelle hergeleitet werden kann: Eine Quelle gibt nicht süßes und bitteres Wasser zugleich, ein Feigenbaum keine Oliven, ein Wein-
J a k . 3,13-18: Uber die Kennzeichen himmlischer und irdischer Weisheit
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stock keine Feigen, eine Salzquelle kein Süßwasser. Diese Bilder, für die es wieder viele Analogien gibt (vgl. auch Mt. 7,16par.), unterstützen den Schlußsatz von V. 10 und zeigen, daß die ziemlich pessimistische Sicht, die in V.3ff. überwog, nicht im Sinn einer Kapitulation vor den sogenannten „Realitäten" verstanden werden darf. Audi die zugespitzten Sätze über die Unbezähmbarkeit der Zunge und menschliche Ohnmacht sollen offenbar gerade zu einem besonders intensiven Versuch herausfordern, die Gefahren der Zunge doch zu bannen.
VI. Über die Kennzeichen himmlicher und irdischer Weisheit
3,13-18 Wer ist weise und verständig bei euch? Der erweise an der guten Lebensführung seine Werke in Sanftmut der Weisheit. 14 Wenn ihr aber bittere Eifersucht und Streitsucht in euren Herzen habt, so rühmt euch (doch) nicht und lügt gegen die Wahrheit. 1 5 Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt, sondern eine irdische, 'psychische', dämonische. " D e n n wo Eifersucht und Streitsucht (herrschen), da ist auch Unordnung und alles schlechte Tun. 17 Die Weisheit aber, die von oben (kommt), ist erstens lauter, dann bereit zum Frieden, gütig, nachgiebig, voller Erbarmen und guter Früchte, ohne Zweifel (oder: unparteiisch) und ohne Heuchelei. 1 8 Die Frucht der Gerechtigkeit aber wird in Frieden gesät denen, die Frieden schaffen. 19
Der Zusammenhang mit dem vorangehenden Abschnitt ist wohl nicht allein im formalen Stichwortanschluß ( V . l l und V. 14: „bitter"), sondern auch darin gegeben, daß gerade vom Lehrer Weisheit verlangt und der „Weise" im jüdischen Bereich in sachlicher N ä h e zum Lehrer und „Schriftgelehrten" gesehen wurde (vgl. 1.Kor. 1,20; M t . 2 3 , 3 4 ) . Gewiß war schon V.3-12 nicht mehr auf den Spezialfall des Lehrers begrenzt, aber nichts nötigte andererseits zu der Meinung, Jak. habe V. l f . ganz vergessen. Z w a r wird man auch in dem „Weisen und Verständigen" von V. 13 ff. auf keinen Fall allein den Lehrer angesprochen finden dürfen, aber daß die geläufige Bezeichnung der Lehrer als „Weise" den Verfasser veranlaßt haben könnte, die Art und Weise rechter und falscher Weisheit gerade im Anschluß an V. 1-12 darzustellen, ist nicht auszuschließen. Ebensowenig ist auszuschließen, daß die in unserem Abschnitt implizierte Polemik, so wenig auch die Konturen bestimmter „Gegner" historisch genauer ins Licht treten, mit der Polemik in 3 , 1 f. und vor allem 2 , 1 4 ff. in irgendeiner Weise zusammenhängt. Schon die nur hier in V. 13 und 2,14 ff. auftauchenden „Werke" (sonst begegnet in 1,4.25 noch der Singular) könnten ein Hinweis darauf sein, ebenso das „Erweisen" (V. 13 und 2,18). So wie die Werke herausbringen, wo Glaube zu finden ist, so dokumentieren sie auch, wer Weisheit hat. D a s ist der beide Abschnitte verbindende Gedanke. Jedenfalls wird auch hier wieder bereits durch die ersten Worte klar, woran dem Verfasser vor allem liegt. D a ß er seinen Kriterien für wahre Weisheit unabhängig von einer bestimmten Frontstellung allgemeine Gültigkeit zuschreibt, ist mit allem unbestritten. Die Einheitlichkeit des Abschnitts (vielleicht mit Ausnahme von V. 18, der möglicherweise ursprünglich isoliert war) läßt vermuten, daß Jak. weitgehend selbst
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Jak. 3,13-18: Uber die Kennzeichen himmlischer und irdischer Weisheit
formuliert. Der Verfasser nennt zunächst, woran sich Weisheit zeigt (V. 13) und was sie vermissen läßt (V. 14): gute Lebensführung bzw. Eifer- und Streitsucht. Im letzteren Fall liegt dämonische Pseudoweisheit vor (V. 15), denn Eifer- und Streitsucht hat alles mögliche Böse im Gefolge (V. 16). Die Merkmale wahrer Weisheit aber zählt ein Tugendkatalog auf (V. 17), aus dem das Motiv des Friedenstiftens noch einmal besonders betont wird (V. 18). Die Frage nach dem Kennzeichen der „Weisen und Verständigen" (dieselbe Wendung 5. Mose 1,13; 4 , 6 ; Dan. 5,12) wird mit der Aufforderung beantwortet, Weisheit durch Werke sehen zu lassen, also nicht nur in weisen Worten zu bekunden (vgl. 1. Klem. 38,2). Wahrscheinlich ist aber darüber hinaus Weisheit überhaupt als Einprägung und Verwirklichung des Willens Gottes verstanden, so wie schon in der Weisheitsliteratur „weise" und „gerecht" parallel gebraucht wurden (vgl. Weish.4, 16 f.), als Anfang bzw. Krone der Weisheit die Furcht des Herrn galt (Spr. 1,7; 9,10; Sir. 1,14.18 u. ä.) und Weisheit als Erfüllung des Gesetzes verstanden wurde (Sir. 19,20). „Siehe, Furcht des Herrn, das ist Weisheit, und das Böse meiden, das ist Verstand" (Hiob 28,28). Auch für den Jakobusbrief ist nur eine sittlich verantwortliche Lebensführung, die an Werken erkennbar wird, ein Ausweis wahrer Weisheit. Speziell wird dabei noch - vielleicht auch in Antithese zum Selbstverwirklichungsideal anderer Weisheitskonzeptionen - die „Sanftmut" genannt (vgl. Sir. 1,27; 3 , 1 7 f ) , die hier vielleicht besser mir Gelassenheit und Bescheidenheit, die auch dem anderen Raum einräumt, wiederzugeben ist. Für diese Interpretation spricht V. 14 und 16. Vielleicht schwingt aber auch noch der Gedanke mit, daß die „Sanftmut", auch die rechte Weise ist, mit der die Weisheit angenommen werden soll (vgl. 14 1,21). Die Weisheit verträgt sich nicht mit der sich ereifernden Rechthaberei und Arroganz. W o „bitterer Eifer" und Streitsucht (andere Exegeten geben das nicht ganz eindeutige Wort auch mit Selbstsucht, Niedertracht, Ehrgeiz, Parteilichkeit u. a. wieder) vorliegen, soll man sich nur nicht der Weisheit rühmen. Damit würde man 15 der Wahrheit ins Gesicht lügen. Eine solche Pseudoweisheit kommt nicht „von oben", stammt also nicht von Gott, ist nicht göttlichen Ursprungs und Wesens. Sie ist vielmehr „irdisch", d . h . sie bleibt am Irdisch-Vergänglichen orientiert (vgl. Phil.3,19), „psychisch", d . h . sie ist nicht von Gottes Geist erfüllt (vgl. 1. Kor.2,13 f.; 15,44; Jud. 19; vergleichbar ist auch die sarkische = fleischliche Weisheit von 2. Kor. 1,12), und endlich „dämonisch", d . h . sie ist von den Dämonen eingegeben. So sicher diese Terminologie dualistisch-gnostischen Spekulationen entstammt (besonders die negative Wertung von „psychisch" ist ein deutlicher Hinweis darauf), so wenig darf man von hierher auf eine personhaft vorgestellte und als Offenbarer verstandene Weisheit schließen oder ein historisch genaues Portrait einer bestimmten Weisheitsspekulation erwarten. Immerhin kann man sich dem Eindruck nicht entziehen, d a ß der Verfasser hier nicht nur Schlagworte aneinanderreiht, sondern polemisiert und mit seiner Polemik bestimmte Leute im Auge hat. M a n wird k a u m fehlgehen, wenn man eine geistige Nähe zu den Vertretern der in 2,14 ff. angegriffenen Position annimmt. Dem Verfasser liegt freilich weniger an dem theologischen Hintergrund oder an einer theologischen Widerlegung solcher Weisheitslehre als 16 an ihren praktischen Konsequenzen. W o die mit der dämonischen Weisheit zusammenhängende Eifer- u n d Streitsucht (vgl. V. 14) vorliegt, da werden Ruhe u n d
Jak.4,1-12: Das Entweder-Oder
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Ordnung (doch wohl nicht der politischen Verhältnisse, sondern der Gemeinde) gestört, und allem Schlechten werden die Türen geöffnet. Rivalitäten und Spannungen in der Gemeinde fürchtet der Verfasser offenbar mehr als das Fehlen geistiger Auseinandersetzung und theologischer Differenzierung und Tiefe. „Besser ist der Gottesfürchtige, der an Einsicht zurücksteht, als der, der übermäßig gescheit ist und das Gesetz übertritt" (Sir. 19,24). Neben solcher Tradition können den Verfasser auch Entwicklungen in der Gemeinde (Einflüsse von Gnosis, Popularphilosophie, Rhetorik, Schriftgelehrsamkeit u. ä.) zu diesem Urteil bestimmt haben. Die wahre Weisheit dagegen, die „von oben" stammt (vgl. außer 1,5 und 1 , 1 7 auch 17 S p r . 2 , 6 ; Weish.7,16f.; Pred.2,26 u.ä.), zeichnet sich durch sittliche Qualitäten aus, die katalogartig aufgezählt werden. An erster Stelle steht die Lauterkeit, die sich von „krummen Wegen" fernhält (vgl. Spr.21,8). Dann folgen drei Begriffe, die sich auf den Frieden beziehen, der hier nicht im Gegensatz zum Krieg, sondern zur Zwietracht und Rechthaberei steht: Wahre Weisheit ist zum Frieden bereit und auf Ausgleich bedacht (vgl. Rom. 12,18). Sie ist nachsichtig und verliert auch gegenüber dem Andersdenkenden nicht ihre Freundlichkeit (vgl. Phil. 4,5). Sie ist nachgiebig und braucht nicht ängstlich oder eigensinnig das letzte Wort zu behalten. Auch zeichnet sie aus, was das Hauptkennzeichen christlicher Existenz überhaupt ist: Barmherzigkeit (vgl. 2,13) und „gute Früchte" = gute Werke (vgl. V. 13 und 2,14ff.). Endlich ist sie frei von Zweifel und Schwanken (vgl. 1,6; oder: von Parteilichkeit und Vorurteil, vgl. 2,4). So sehr sie offen für bessere Einsicht ist und sich nicht besserwisserisch versteift, so wenig mangelt es ihr an Eindeutigkeit („ohne Heudielei"). Der Same, aus dem die „Frucht der Gerechtigkeit" (vgl. Phil. 1,11) 18 erwächst, d. h. all die „Früchte" (V. 17) folgen, die vorher beispielhaft als Erkennungszeichen der wahren Weisheit aufgezählt wurden (vgl. Sir. 1,16: „Frucht der Weisheit"), wird nur dort tatsächlich in Frieden (in dem in V. 17 beschriebenen Sinn) „gesät" ( = verkündigt und gelehrt? vgl. Mk. 4 , 1 5 ; Mt. 13,9), wo die Saat bereits auf den Willen zum Frieden trifft. „Das Werk der Gerechtigkeit wird Friede sein" (Jes. 32,17). Nur wer Frieden schafft, ist wahrhaft weise und gerecht und kann endlich auch die „friedvolle Frucht der Gerechtigkeit" (Hebr. 12,11) ernten.
VII. Das Entweder - Oder 4,1-12 Woher kommen Streitigkeiten und woher Kämpfe unter euch? Nicht daher: aus euren Lüsten, die in euren Gliedern streiten? 2 Ihr begehrt und habt nichts. Ihr tötet (vielleicht: ihr seid neidisch) und eifert und könnt (doch) nichts erlangen. Ihr kämpft und führt Krieg (und) habt nichts, weil ihr nicht bittet. • Ihr bittet und empfangt nichts, weil ihr in der üblen Absicht bittet, (das Erbetene) durch eure Lüste zu verschwenden. 4 Ihr Ehebrecher, wißt ihr nicht, daß die Liebe zur Welt Feindschaft gegen Gott bedeutet? Wer also ein Freund der Welt sein will, der erweist sich (damit) als Feind Gottes. 5 Oder meint ihr, die Schrift sage umsonst „Eifersüchtig verlangt er (Gott) nach dem Geist, den er in uns wohnen ließ"? ' E r gibt aber noch größere Gnade. Darum heißt es: „Gott widersteht dem Hochmütigen, aber dem Demütigen gibt er Gnade." 1
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7 Unterwerft euch also Gott, aber widersteht dem Teufel, so wird er von euch fliehen. 8 Nahet euch Gott, so wird er sich euch nahen. Reinigt (eure) Hände, ihr Sünder, und heiligt (eure) Herzen, ihr Zwiespältigen! • Wehklagt, trauert und weint! Euer Lachen soll sich in Trauer verwandeln und (eure) Freude in Niedergeschlagenheit. 1 4 Erniedrigt euch vor dem Herrn, so wird er euch erhöhen! 11 Verleumdet einander nicht, Brüder! Wer einen Bruder verleumdet oder einen Bruder kritisiert, der verleumdet das Gesetz und kritisiert das Gesetz. Wenn du aber das Gesetz kritisierst, bist du kein Täter des Gesetzes, sondern (sein) Richter. 1 1 Einer ist Gesetzgeber und Richter, (der,) der retten und verderben kann. Aber du, wer bist du, der du den Nächsten kritisierst?
Vers 6: Spr. 3,34.
Obschon die Frage nach der Ursache von Kampf und Streit primär nicht Lehrstreitigkeiten im Auge hat, schließt sich der neue Abschnitt passend an. Die Charakterisierung der streitsüchtigen Pseudoweisheit als dämonisch (3,15) ist dem Verfasser wahrscheinlich zu mythologisch-metaphysisch, ja gefährlich (vgl. 1,13 ff.), denn es ließe dem Streitenden die Möglichkeit, die Verantwortung von sich abzuschieben. Die eigentliche Ursache findet er darum wie in 1 , 1 4 im Menschen selbst. Uberhaupt enthält der Abschnitt einige Anklänge an frühere Motive (vgl. V. 2 f. mit 1 , 6 ; V. 4 mit 1 , 2 7 ) ; vor allem aber erinnert das mehrfach anklingende Entweder-Oder an die Warnung vor der Zwiespältigkeit (vgl. V . 4 f . ; 7 f . mit 1 , 4 . 8 ; V. 6 mit 1,9). Formal wie inhaltlich ist der Abschnitt uneinheitlich und ohne erkennbaren Gedankenfortschritt oder ein Grundthema. Ein erster Abschnitt umfaßt V. 1-6, wo der Verfasser im Stil eines Bußpredigers als Wurzel des Übels das Begehren (V. 1-2 a), das fehlende oder falsche Beten (V.2d-3) und die Liebe zur Welt (V. 4) anprangert und das durch zwei Worte der „Schrift" verstärkt (V. 5-6). Den anklagenden Fragen und Feststellungen folgen mehrere Imperative verschiedenen Inhalts, die wohl einer 1. Petr. 5 , 5 - 9 verwandten Tradition entstammen, aber doch ebenfalls vor allem das Entweder-Oder einschärfen und an die „Zwiespältigen" (V. 8) appellieren, sich für Gott und gegen den Teufel zu entscheiden (V. 7-8), Buße zu tun (V. 9) und sich vor Gott zu erniedrigen (V. 10). In den Zusammenhang des Themas „Einfalt" gehört auch die Warnung vor Verleumden und Richten des Nächsten, die ausführlich begründet wird (V. 11-12). 1
Im Ton vorwurfsvoller Anklage und im Kontrast zur Darstellung der friedensstiftenden Weisheit wird der Grund von Kampf und Streit offengelegt: Der äußere Streit wurzelt in einem inneren. Dabei ist nicht an Krieg mit Waffen gedacht, als ob hier eine Erklärung für politisch-militärische Auseinandersetzungen gegeben und ein Weg zu ihrer Verhinderung gezeigt werden sollte. Nicht die politische, sondern die gemeindliche Wirklichkeit („unter euch") interessiert den Verfasser, auch wenn keine Differenzierung zwischen staatlichen und religiösen oder physischen und geistigen Kämpfen vorliegt (vgl. 2. Tim. 2,23 f. u. ö.) und der Verfasser in letzter Konsequenz auch handgreifliche oder gar blutige Konflikte nicht ausschließt („Kampf" wird im N T allerdings überwiegend vom Wortstreit gebraucht: 2. Tim. 2 , 2 3 ; Tit. 3 , 9 ) . So wie nach Cicero „aus den Leidenschaften Haß, Spaltung, Streit, Aufstand und Krieg entstehen" (De Fin. Bon. et Mal. I 44; ähnlich Plato, Lukian u. a.), so sieht der Verfasser in den menschlichen Begierden (vgl. 1,14; 4. Makk. 1,25)
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den Ursprungsort und den Ausgangspunkt der Streitereien. Sie verursachen einen ständigen Kriegszustand in den Gliedern, und dieser durch den Feind im Innern ausgelöste Kampf gefährdet nicht nur den Menschen selbst (vgl. l.Petr.2,11; Rom. 7,23; Apk. El.22,13 f.), sondern vor allem auch die Gemeinschaft. Das Vernunftwidrige solchen begehrlichen Haben-Wollens erhellt aus V.2: Das Begehren kommt nicht zum Ziel und läßt einen mit leeren Händen zurück. Selbst „Töten" und „Eifern" vermögen nichts zu erlangen. Der starke Ausdruck „Töten" (vgl. nuch 2,11 und 5,6) ist kaum ein Hinweis auf zelotische Gewaltaktionen, sondern entweder uneigentlich oder radikalisierend zu verstehen (vgl. einerseits etwa Sir. 28,21, wo die Zunge für den Tod verantwortlich gemacht wird, oder Sir. 31 (34) 22, wonach der ein „Mörder" ist, der seinem Nächsten den Lebensunterhalt entzieht, vgl. andererseits Mt. 5,21 ff.; 1. Joh. 3,15). Vielleicht hat man trotz der einhelligen Bezeugung des Textes aber auch phoneuete („ihr tötet") in phthoneite („ihr seid neidisch") zu konjizieren (vgl. die Verwechslungen in 1. Petr. 2,1). Dafür spräche, daß Neid und Eifer auch sonst zusammenstehen (1. Makk. 8,16; Phil. 1,15; 1. Tim. 6,14) und ein anderer Sinn von „Töten" als etwa im 5. Gebot in 2,11 nicht angedeutet ist (vgl. auch 1. Petr. 4,15).Jedenfalls bringt die Aggression bzw. der Neid dem Menschen ebensowenig etwas ein wie die leidenschaftliche Gier nach Besitz oder Lust. Nur an den sozialen Neid oder das eifrige Streben nach irdischen Gütern zu denken, besteht keine Veranlassung, auch wenn das im Vordergrund stehen mag. Der tiefste Grund für das „Nicht-Haben" ist der, daß die Leser nicht beten, oder vielmehr, daß sie nicht in der rechten Weise beten. Die Begierde verhindert das Gebet zwar nicht, verdirbt es aber. Es bleibt darum trotz der Verheißung von 1,5 (vgl. Mt. 7,7 par.) ohne Erhörung, was man zwar nicht als apologetische Einschränkung einer enthusiastischen Erhörungsgewißheit zu verstehen braucht (auch die Änderung von Lk. 11,13 gegenüber Mt. 7,11 dürfte andere Gründe haben), implizit aber eine bestimmte Verhaltensweise als Vorbedingung nennt (vgl. Herrn. Vis. III 10,6). Das Erbetene würde doch nur in den Lüsten verschleudert. Deshalb nennt der Verfasser solche Leute „Ehebrecher" (das im Griechischen gebrauchte Femininum umfaßt hier beide Geschlechter), also solche, die von Gott abgefallen sind. Zugrunde liegt das in der alttestamentlichen Prophetie gebrauchte Bild vom Ehebund Jahwes mit seinem Volk (vgl. Hos.1-3; Jes.1,21; 5 7 , 3 0 . ; Ez. 16 und 23), das auch in der synoptischen Verkündigung wiederkehrt (Mk. 8,38 par.). Wer sich darum an die Welt bindet, begeht einen Treuebruch gegenüber Gott, ist „ehebrecherisch". Man kann nicht Gott und die Welt (vgl. 1. Joh. 2,15), Gott und den „Mammon" (vgl. Mt. 6,24) zugleich lieben. Anders als bei Johannes liegt freilich hier kein metaphysisch-weltanschaulicher Dualismus, sondern ethischer Rigorismus vor: ein Entweder-Oder. Wer sich für die Welt (im Sinn einer den Menschen bindenden und bestimmenden, von Gott abziehenden Größe) entscheidet, entscheidet sich gegen Gott. Das wird durch zwei Zitate unterstützt. Das erste ist freilich trotz des Verweises auf die „Schrift" im Alten Testament nicht bezeugt (vgl. ähnlich 1. Kor. 2,9) und bestätigt so wieder den damals noch größeren Umfang des alttestamentlichen „Kanons". Die Schrift, aus der das Zitat stammt, ist nicht zu nennen, gehört also auch nicht zu den bekannten Apokryphen und Pseudepigraphen. Der nicht ganz eindeutige Sinn von V.5 ist wohl, daß Gott als „eifersüchtiger" Gott
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(2. Mose 20,5; 5. Mose 4,24) nach dem guten Geist (etwa = Herz), den er bei der Schöpfung (vgl. l . M o s e 2 , 7 und J a k . 2 , 2 6 ; Herm.Mand. III 1 u.ö.), also nicht bei der Taufe (vgl. 1. Kor. 6,19; Rom. 8,11 u.ä.), dem Menschen gegeben hat, Verlangen trägt (vgl. Hiob 14,15: „nach dem Werk deiner Hände sehnst du dich"). Er beansprucht das von ihm Geschaffene und dem Menschen als Geschenk Verliehene für sich allein und duldet nicht, daß der Mensch anderen „Geistern" Raum in sich 6 gewährt. Er hat den Menschen aber nicht nur geschaffen, sondern bietet ihm auch „größere Gnade" an, womit die Neuschöpfung (1,18) oder die Verheißung des „Reiches" (2,5) und der Erhöhung (V. 10) gemeint ist (vgl. auch 5 , I i ) . Voraussetzung ist jedoch, daß der Mensch seinen Hochmut und Stolz aufgibt (das Zitat aus Spr.3,34 auch l.Petr.5,5). Nur wer sich seiner Niedrigkeit vor Gott bewußt wird und auf alle eigenen Ansprüche, Forderungen, Rechte und Wege verzichtet, findet seine Gnade. 7 Weil Gott nur den Demütigen Gnade gibt, gilt es, sich Gott im Gehorsam zu unterwerfen, und zwar radikal. Darum können andere Mächte und Gewalten keine Autorität haben, sei es die Welt, sei es der Teufel. Wo dem Teufel Widerstand geleistet wird (vgl. l.Petr.5,8f.), flieht er (vgl. Test.Sim.3,5; T e s t . D a n 5 , l ; Test. Naphth. 8,4; Herm.Mand. X I I 5 , 2 ) . Wer sich aber Gott naht (vgl. Hebr.7,19), dem kommt Gott entgegen (vgl. Sach. 1,3; Mal.3,7). Solches „Nahen" hat keinen kultischen Sinn (so 2 . M o s e 3 , 5 ; 3 . M o s e 2 1 , 2 1 u.ö.), sondern geschieht im radikalen 8 Gehorsam. So ist auch die Mahnung, die Hände zu reinigen, nicht mehr kultisch (vgl. Mk. 7,3 f.), sondern sittlich zu verstehen (vgl. zu 1,27; vgl. auch Jes. 1,16). Und endlich ist auch der Aufruf zur Heiligung der Herzen trotz des ursprünglich kultischen Begriffs „heiligen" bzw. „reinigen" (vgl. Joh. 11,55; Apg.21,24.26) ein Ruf zu ungeteiltem Gehorsam, wie die Anrede „Zwiespältige" (vgl. 1,8) erweist. Gott will Herz und Hände ganz, wogegen „Sünder" die sind, die noch „zwei Seelen in ihrer Brust" haben, mit halbem Herzen bei der Welt sind. Eine schöne Parallele ist Sir. 2,12: „Wehe den furchtsamen Herzen und den schlaffen Händen und dem Sünder, der auf zwei Wegen geht" (vgl. auch Test. Ass. 3; Test.Benj.6; Did.2,4; 9 Herrn. Mand. IX 1). Darum ist Buße geboten. Dazu gehört nach alttestamentlichem Vorbild Wehklage, Trauer und Weinen (vgl. Mi. 1,8; Jes. 32,11 f.; Joel 1,8 ff.; Jer.4,8; Sach. 11,2f.). Lachen, das hier nicht wie in H i o b 5 , 2 2 und l . M o s e 2 1 , 6 Zeichen des Vertrauens, sondern wie in Sir. 21,20 und 27,13 Kennzeichen des Toren ist, soll sich in Trauer verwandeln, Freude dagegen, die hier nicht im Sinn von Phil.4,4 u.ö., sondern als Freude der Welt (vgl. Joh. 16,20) zu verstehen ist, in Niedergeschlagenheit. Wahrscheinlich hat der Verfasser hier ein ursprüngliches Drohwort mit Gerichtsweissagung (vgl. 5,1; Lk.6,21.25; aber auch Jes.3,26 u.ö.) 10 im Sinn eines Mahnwortes verwendet. Er schließt mit der noch einmal zusammenfassenden Mahnung zur Niedrigkeit und Demut „vor dem Herrn", die freilich ihrerseits in einer Verheißung gipfelt. Wer sich jetzt unter Gottes Willen beugt und alle Selbstsicherheit und Autonomie preisgibt, den wird Gott selbst „erhöhen". Das ist ein verbreiteter Gedanke (vgl. Hiob 5,11; 22,29; Spr.3,34; Sir.3,18; Ez.17,24; Test. Jos. 18,1), doch ist die „Erhöhung" hier nicht mehr im innerzeitlichen Sinn auf Ehre, Macht, Glück u. ä. zu beziehen, sondern wie auch sonst im Neuen Testament auf das eschatologische Heil (vgl. M t . 1 8 , 4 ; 23,12; Lk. 14,11; l.Petr.5,6).
Jak. 4,13-17: Uber eigenmächtiges Planen und Tun
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Zur ungespaltenen Einfalt des Menschen gehört nach jüdischer Tradition die 11 Zurückhaltung von Verleumdung und Tadel des Nächsten (so Test. Iss.3,4; Herrn. Mand. II 1 f.; Sim. VIII 7,2). Das paßt aber auch sachlich zu den Zwistigkeiten (V. 1) und läßt wieder erkennen, daß für Jak. die rechte Haltung gegenüber Gott sofort auch das rechte Verhalten zum Nächsten berührt. Besonders die Verleumdung wird schon im Alten Testament scharf angeprangert (vgl. 3. Mose 19,16; Ps. 100 [101] 5; Spr.20,13 L X X ; weiter auch Weish.1,11; T e s t . G a d . 5 , 4 u.ö.), aber auch in den christlichen Lasterkatalogen steht sie z . T . an führender Stelle ( l . P e t r . 2 , 1 ; l.KIem. 3 0 , 1 . 3 ; vgl. auch Rom. 1,30; 2. Kor. 12,20). Verleumdung und Verurteilung richtet sich nicht nur gegen den Nächsten, sondern zugleich auch gegen das Gesetz, womit hier konkret wohl das Liebesgebot gemeint ist (vgl. die Nähe von 3. Mose 19,16 zu 19,18 = Jak. 2,8). Diese Begründung bestätigt die Autorität des Gesetzes, die auch der Christ zu respektieren hat (vgl. 2 , 8 ff.), und macht aus der Sünde gegen den Nächsten zugleich Sünde wider Gott (vgl. Spr. 17,5; slav.Hen.44,1; Test. Ass.2,6; Test. Gad. 6,1 f.). Des Menschen Rolle aber ist nicht die des Richters und Kritikers, sondern die des „Täters des Gesetzes". Die indirekte Kritik, die der Verfasser selbst durch Nichtbeachtung des Zeremonialgesetzes übt, kommt ihm dabei nicht zum Bewußtsein. Er denkt audi hier nur an die sittlichen Forderungen, über die der Mensch nicht zu Gericht sitzen darf. Das wäre Anmaßung und ein Eingriff in Gottes Recht. Denn nur einer ist „Gesetzgeber und Richter", also der, der das Gesetz einst 12 gegeben hat und der dereinst den Menschen nach diesem Maßstab richten wird (vgl. 2 , 1 2 f.). Er allein kann dabei „retten (vgl. 2,14) und verderben" (vgl. 5. Mose 3 2 , 3 9 ; l . S a m . 2 , 6 ; Herm.Mand. XII 6,3). Wer aber seinen Nächsten richtet, will faktisch das Gericht Gottes vorwegnehmen und wird darum in seine Schranken verwiesen (vgl. außer 5 , 9 auch Mt. 7 , 1 f.; 1. Kor. 4 , 5 ) . „Wer bist du", dich solcher Hybris und Usurpation zu vermessen?
VIII. Über falsches Selbstvertrauen 4,13 - 5,6 1. Wider eigenmächtiges
Planen und Tun
(4,13-17)
Wohlan nun, ihr, die ihr sprecht: „Heute oder morgen werden wir in die und die Stadt reisen, dort ein Jahr zubringen, Handel treiben und Profit machen!" 14 und ihr wißt doch nicht (einmal), was morgen sein wird. (Denn) was ist euer Leben? Ein Dampf seid ihr doch, der für kurze Zeit in Erscheinung tritt und dann verschwindet 1 6 Statt dessen sollt ihr sagen: „Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun." 16 Nun aber rühmt ihr euch mit euren Prahlereien] Jede derartige Prahlerei ist von Übel. 1 7 Wer also Gutes zu tun weiß und es nicht tut, für den ist es Sünde. 14
Ohne direkten Zusammenhang mit dem vorhergehenden Abschnitt folgen die beiden nächsten Abschnitte, die formal gleich beginnen und im Stil prophetischer Predigt durchgeführt werden, aber auch eine inhaltliche Verwandtschaft aufweisen. Trotz der Selbständigkeit von 4,13 ff. wird man auch zum Vorhergehenden eine gewisse thematische Assoziation und Gedankenverbindung nicht in Abrede stellen
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J a k . 4 , 1 3 - 1 7 : Uber e i g e n m ä c h t i g e s Planen und T u n
können: An die Warnung vor Hochmut und Selbstsicherheit (V. 6 . 1 0 . 1 2 ) schließt sich die Strafpredigt an die vermessenen Plänemacher, die ihre Rechnung ohne Gott machen, und an die unsozialen Reichen, die das Ende nicht bedenken, durchaus passend an. Es gilt das Entweder-Oder (4,1-12) auch im geschäftlichen und gesellschaftlichen Alltag durchzuhalten und also auch im konkreten Leben sich nicht einer weltverfallenen Haltung zu überlassen. Das bedeutet, daß der Verfasser voraussetzt, daß seine Vorwürfe und Mahnungen von V. 4 , 1 3 ff. sehr wohl auch seine christlichen Leser betreffen. O b auch seine Droh- und Scheltworte von 5 , 1 ff. Christen warnen sollen oder er dort nur Nichtchristen im Auge hat, läßt sich nicht sicher ausmachen. Der Verfasser konfrontiert zunächst die Kaufleute und ihr selbstsicheres Reden (V. 13) mit der menschlichen Wirklichkeit, die durch Unsicherheit und Vergänglichkeit gekennzeichnet ist (V. 14). Die in der sog. conditio Jacobaea zum Ausdruck kommende Demut (V. 15) wird dann noch einmal dem menschlichen Rühmen gegenübergestellt (V. 16), und V. 17 beschließt den Abschnitt mit einem allgemeingültigen Ausspruch. 13
In lebhafter direkter Rede werden zunächst die Worte derjenigen zitiert, die über ihre Zeit und Zukunft eigenmächtig verfügen zu können wähnen. Speziell ist offenbar an Geschäftsleute gedacht. Es gab gerade in der jüdischen Diaspora viele Kaufleute, so daß vielleicht auch in den judenchristlichen Gemeinden mit handeltreibenden Christen zu rechnen ist. Diese Leute glauben nun nach Meinung des Verfassers zu Unrecht, bis ins Detail hinein zu wissen, wann und wohin und wie lange und wozu sie unterwegs sind. Damit soll gegen das Planen nicht als solches polemisiert oder einer fatalistischen Planlosigkeit das W o r t geredet werden, sondern angegriffen wird offenbar die Sicherheit (vgl. die wohl ursprünglichen Futura), mit der hier disponiert und kalkuliert wird, ohne des Herrn über alle Zeit zu gedenken. Wahrscheinlich wird diese Haltung der Sicherheit, die über die Zeit zu verfügen meint und Gottes souveränes Walten vergißt, nicht zufällig gerade an den Kaufleuten exemplifiziert (vgl. S i r . 2 6 , 2 9 ; T h o m . - E v . 6 4 ) . O b damit angedeutet werden soll, daß gerade die Geschäftigkeit des Geschäftemachens dem Menschen die Verfügungsgewalt über sich und seine Zeit einzureden vermag, ist nicht sicher. Jedenfalls soll auch das Gewinnstreben mit getroffen werden (vgl. 5 , 1 ff.), was um so näher liegt, als Handelsgeschäfte und Reichtum offenbar als zusammengehörig angesehen werden (Herrn. Vis. III 6 , 5 ) . Auch ist zu beachten, daß die hier erwähnten ausgedehnten Geschäftsreisen kaum von kleinen Krämern durchgeführt werden konnten, sondern kapitalkräftige Großhändler voraussetzen. Entscheidend
14 ist jedoch die Torheit, der Zukunft sicher zu sein, wie die Fortsetzung lehrt. Der Mensch weiß ja nicht einmal, was der morgige Tag bringen wird. Auch außerhalb des Alten und Neuen Testaments weiß man natürlich darum, daß es „Torheit ist, über ein ganzes Leben zu verfügen, ohne auch nur des morgigen Tages Herr zu sein" (so z.B. Seneca, Brief 1 0 1 , 4 ; vgl. weiter S p r . 2 7 , 1 ; S i r . l l , 1 8 f . ; Ps.-Phokyl. 116; Lk. 12,16ff.). Jakobus appelliert hier also zunächst an die jedermann einsichtige Lebenserfahrung (vgl. M t . 6 , 1 9 f . 2 6 f f . ) . Auch das Wissen um die Vergänglichkeit des Menschen ist jedem gegeben, auch wenn das Bild vom kurz sichtbar werdenden und dann verschwindenden Rauch nur im alttestamentlich-jüdischen Bereich vorzukommen scheint (vgl. Ps. 6 8 , 3 ; 1 0 2 , 4 ; Hiob 7 , 7 . 1 6 [„Hauch"]; 4 . E s r . 4 , 2 4 ; 1 Q M
Jak. 5,1-6: Wehe über die unsozialen Reichen
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15,10). Daß daraus ebenso die Konsequenz des Lebensgenusses gezogen werden konnte (Weish.2,4ff.), zeigt die Grenze solcher „natürlichen Theologie". Für den 15 Verfasser selbst aber ergibt sich daraus das, was man die conditio Jacobaea nennt. Auch sie ist freilich keineswegs spezifisch „jakobäisch", wie zahlreiche Belege der Antike zeigen (vgl. Plato Alkib. 135 d; Epiktet I 1,17 u.ö., Apg. 18,21; 1. Kor. 4,19; 16,7; Hebr. 6,3). Das nimmt der Wendung, falls sie nicht nur eine Formel bleibt, im Sinn des Verfassers aber nichts von ihrem Wert. Bei allem Überlegen und Planen soll Gott als der, der das letzte Wort über Leben und Tun des Christen behält, anerkannt werden. „Wenn der Herr will" heißt also nicht „wenn es Gottes Gebot entspricht", sondern „wenn es Gottes souveränem Walten im Geschick des Menschen entspricht". Daß dieser Gott für Jakobus kein in Resignation oder Verzweiflung treibendes Fatum ist, sein Wille also Heilswille ist (1,18), versteht sich von selbst (vgl. weiter auch 4 , 6 ; 5,11). Nicht desillusionierte Skepsis, sondern Vertrauen ist geboten. Statt sich dieser Abhängigkeit von Gottes Regiment Vertrauens-16 voll bewußt zu bleiben, gibt man sich aber selbstherrlichem Rühmen und Planen hin und verläßt sich auf das, was man noch gar nicht hat (Prahlerei steht auch 2. Tim. 3 , 2 neben Hochmut und Geldgier; vgl. auch 4.Makk. 1,26). Angesichts der Ungesichertheit und Hinfälligkeit menschlichen Lebens ist das ganz und gar verwerflich. V. 17 bietet noch eine allgemeingültige Sentenz, die ursprünglich einmal 17 isoliert umgelaufen sein wird, im jetzigen Zusammenhang aber nur lose mit dem Vorhergehenden verbunden ist. Jakobus schließt ja öfter mit solch einem allgemeiner gehaltenen Satz (vgl. 2,13; 3,18). Wer sein Wissen um das Gute nicht in die Praxis umsetzt, dem wird diese Unterlassung als Sünde angerechnet. Geht man davon aus, daß der Verfasser sich durch die Anfügimg des Satzes mit dem folgernden „also" etwas gedacht hat, hat man wohl anzunehmen, daß das Wissen um Gottes Regieren das Gute ist, die Nichtbeachtung dieses Wissens im selbstmächtigen In-Regie-Nehmen-Wollen des Lebens dagegen, insbesondere im Zusammenhang mit Ruhm- und Gewinnsucht, Sünde. 2. Webe über die unsozialen Reichen (5,1-6) 1 Wohlan nun, ihr Reichen, weint und klagt über die Drangsale, die über euch kommen. 2 Euer Reichtum ist verfault, und eure Gewänder sind von Motten zerfressen. s Euer Gold und Silber ist verrostet, und sein Rost wird zum Zeugnis wider euch sein und euer Fleisch wie Feuer fressen. Ihr habt Reichtümer angehäuft in den Tagen der Endzeit. 4 Siehe, der Lohn der Arbeiter, die eure Felder abgemäht haben, schreit, denn ihr habt ihn ihnen vorenthalten, und die Schreie der Ernteabeiter sind „zu den Ohren des Herrn Zebaoth gedrungen". 5 Geschwelgt habt ihr auf Erden und gepraßt, habt eure Herzen gemästet „am Schlachttage", • habt den Gerechten verurteilt und umgebracht; er setzt euch (ja) keinen Widerstand entgegen.
Vera 4: ¡es. 5,9; 1. Mose 4,10; Vera 5:
Jcr.12,3.
Der Sachzusammenhang mit dem vorigen Abschnitt ergibt sich nicht nur von derselben Grundstimmung auf Seiten des Verfassers her, sondern auch von der hier wie da vorausgesetzten Selbstsicherheit und dem schon in 4,13 erwähnten Gewinnstreben. Außerdem war ein Zusammenhang durch die Tradition vorgegeben, wie äth. Hen. 97,8 ff. zeigt, wo das Wehe des Apokalyptikers diejenigen trifft, die da
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Jak. 5,1-6: W e h e über die unsozialen Reichen
sagen: „Wir sind sehr reich geworden, haben Schätze und besitzen alles, was wir wünschen; jetzt wollen wir ausführen, was wir vorhaben . . . Euer Reichtum wird euch nicht bleiben, sondern plötzlich von euch hinwegfahren . . . " Auch in dem vor der eschatologischen Katastrophe warnenden Gleichnis in Lk. 12,16-20 ist der Bauer, der nicht mit Gott rechnet, ja ein reicher Bauer (vgl. auch Offb. 18,15-17 und die Texte der Weisheitsliteratur, die die Gefahr der Selbstüberschätzung und des Hochmuts beim Reichtum ins Auge fassen: Spr.28,11; Sir. 11,19 u.a.). Gleichwohl wird man wegen der massiven Anklagen von 5,1 ff. kaum annehmen, daß der Verfasser auch hier an Christen denkt. Mag immer ein warnender Ton an christliche Reiche mitschwingen, entscheidend ist jedoch, daß die Ankündigung des eschatologischen Gerichts durch den, der der Anwalt der Armen und Entrechteten ist (V.4), als Trost und Stärkung in den „letzten Tagen" (V. 3) gehört werden soll. Die Aufforderung an die Reichen zur Klage über die kommenden Drangsale in V. 1 wird in den folgenden Versen mit dem unsozialen Verhalten der Reichen begründet, wobei besonders Überfluß (V.2f.), Ausbeutung (V.4), Lebensgenuß (V.5) und Ungerechtigkeit (V. 6) angeprangert werden. 1 Wie in der alttestamentlichen Gerichtspredigt der Propheten beginnt der Verfasser mit einer Aufforderung zum Heulen und Wehklagen (vgl. Jes. 13,6; 14,31; Sach.11,2 u.ö.). Und wie diese Aufforderung dort mit dem kommenden Gerichtstag begründet wird („Heulet, denn der Tag des Herrn ist nahe" Jes. 13,6), so wird sie auch hier eschatologisch mit dem kommenden Unheil motiviert. Allerdings richtet sich die Gerichts- und Unheilsdrohung nun nicht an die Völker (so außer den genannten Stellen auch Jes.23,1.6.14; Jer.48,20 u.ö.) oder das Gottesvolk, sondern an die Reichen (vgl. auch Jer.5,26ff.; Ez.22,24ff.; Am.5,7ff.; Mi.2,lff.). Ihnen vor allem gilt das Verwerfungsurteil und das keine Ausnahmen und Abstufungen kennende Wehe der Apokalyptiker, ähnlich wie z.B. äth.Hen.94,8f.: „Wehe euch Reichen, denn ihr habt euch auf euren Reichtum verlassen und ihr werdet aus euren Schätzen heraus müssen; denn ihr habt in den Tagen eures Reichtums nicht an den Höchsten gedacht. Ihr habt Lästerungen und Ungerechtigkeiten begangen und den Tag des Blutvergießens, der Finsternis und des großen Gerichts verdient" (vgl. auch Lk. 6,24). Diese kommenden Schrecken sind so nahe 2-3 und sicher, daß sie die Reichen schon jetzt zu lauten Klagen veranlassen sollen. Diese Auslegung wäre noch zwingender, wenn der Verfasser hier die Endzeit als bereits angebrochen hinstellte und die Perfekta im prophetisch-eschatologischen Sinn das eintretende Unheil antizipierend bereits als vollendete Tatsache schildern würden. Es ist nicht ganz auszuschließen, daß der Verfasser in der Tat auch hier prophetische Redeweise imitiert und sich und die Leser bereits in die Zeit versetzt, in der es mit dem Reichtum der Reichen zu Ende ist. Vieles spricht aber dafür, daß der Verfasser mit der Schilderung von V. 2-3 die gegenwärtige Wirklichkeit beschreibt und sie als Grund für das kommende Gericht versteht. Der „Rost" wird ja nach V. 3 zum Anklagezeugnis werden, und zwar offenbar darum, weil er ein Beweis für den in sozialer Verantwortungslosigkeit angehäuften Uberfluß der Reichen ist. Diese lassen ihre Habe lieber von Rost und Motten zerfressen als den Bedürftigen zukommen (vgl. Lk. 12,33; Sir. 29,10: „Verliere lieber das Geld wegen des Bruders und Freundes und laß es nicht rosten . . . " ) . So soll das „Verfaulen" des Reichtums (an Getreide-
Jak. 5,1-6: Wehe über die unsozialen Reichen
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Vorräten?, vgl. V. 4), der Mottenfraß an den Kleidern und das Rosten von Silber und Gold (zum Rosten von Edelmetallen vgl. Ep.Jer. 10.23) wohl auch weniger an die Vergänglichkeit irdischen Reichtums erinnern (so Mt.6,19; syr.Bar. 83,17 u. ö.) als an das unbarmherzige, unsoziale Verhalten des Reichen. Das Ideal bzw. die Verpflichtung des Reichen ist aus Sib. III 241 ff. zu ersehen: Danach unterstützt der Reiche die Witwen und Bedürftigen nach Kräften mit Weizen, Wein und ö l und hilft denen im Volk, die nichts ihr eigen nennen, „so erfüllend Befehl und Gebot des großen Gottes, denn allen gemeinsam hat der Himmlische die Erde geschaffen" (vgl. auch Sir.29,8ff.; Lk.16,9; l.Tim.6,17f.). So aber werden nicht nur die Reichtümer, sondern auch die Reichen selbst (wörtlich: ihr Fleisch) vom Feuer verzehrt (vgl. zu dieser Ausdrucksweise Judith 16,17; Offb.17,16; 19,18.21). Haben sie doch ausgerechnet „in den letzten Tagen" ( = in der Endzeit) Schätze gesammelt (vgl. V.7ff.). V. 4 läßt erkennen, daß der Reichtum der Reichen auf unmenschliche Ausbeutung 4 zurückgeht und wahrscheinlich auch vorher schon von Großgrundbesitzern die Rede war. Sie haben den Erntearbeitern ihren Lohn vorenthalten. Schon Sir. 31 (34) 25 f. wird der, der den Armen auch noch ihren kärglichen Lebensunterhalt vorenthält, ein „Blutmensch" und „Mörder des Nächsten" genannt. Auch für den Verfasser handelt es sich hier um eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, denn schon 5. Mose 24,14 f. fordert, daß man „den bedürftigen und armen Tagelöhner nicht bedrücken" soll, „am selben Tag noch sollst du ihm seinen Lohn geben, daß die Sonne nicht darüber untergehe, denn er ist arm und sehnt sich danach" (vgl. 3.Mose 19,13; Jer.22,13; Tob.4,14). Von der Fortsetzung der Stelle in 5.Mose24,15 her („Er könnte sonst den Herrn wider dich anrufen, und es käme Schuld auf dich"; vgl. auch Herrn. Vis. III 9,6) erklärt sich wohl auch, daß es heißt, die Schreie der so Entrechteten seien „in das Ohr des Herrn Zebaoth ( = des Herrn der Heerscharen) gedrungen" (vgl. Jes.5,9; Ps. 18,7). Die Hörer dieser Worte werden daraus nicht nur eine soziale Anklage, sondern eben auch die Zusicherung entnommen haben, daß Gott selbst für das Recht der Ausgebeuteten und Entrechteten einsteht („Hoffnung und Zuflucht der Armen bist du, o Gott" Ps.Sal. 15,1) und ihr Schreien nicht ungehört verhallt (vgl. Lk. 18, lff.). V.5 kehrt zur Anklage der Reichen zurück und 5 wirft ihnen ihr allein vom Egoismus und Lebensgenuß beherrschtes Leben vor, das sie in Saus und Braus führen (vgl. Ass. Mos.7,4f.: „zu jeder Stunde des Tages gern schmausend und mit der Kehle schlingend,... der Armen (?) Güter fressend"). Sie prassen und schwelgen und „mästen ihre Herzen", wobei „Herz" hier als Sitz der physischen Lebenskraft zu verstehen ist (vgl. Ps. 104,15, wonach der Wein des Menschen Herz erfreut und Brot das Herz des Menschen stärkt; vgl. Lk.21,34). Und das „am Schlachttag". Das ist entweder ein Freudentag für die Reichen, an dem das Schlachtvieh geschlachtet wurde und es besonders hoch und üppig herging, oder es ist der Unglückstag, an dem die Armen von den Reichen gleichsam „geschlachtet" werden (vgl. äth.Hen. 100,7), oder aber es ist der eschatologische Gerichtstag, an dem den Reichen der Garaus gemacht wird. Die Parallelität zu „in den letzten Tagen" (V.3) und die apokalyptische Stimmung des ganzen Abschnitts (vgl. V. 1) sprechen für das letztere, zumal der Schlachttag Gottes ein fester Topos prophetischer Drohrede ist (vgl. Jer.12,3 LXX; Jes'.34,6; Jer.46,10; Zeph.1,17; Offb.
Jak. 5,7-11: Mahnung zu geduldiger Erwartung der Parusie
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1 9 , 1 7 f f . ; ä t h . H e n . 9 4 , 7 f . ; 1 Q H 15,17 u.ö.). Dann würde der Hinweis auf das bevorstehende Gericht noch einmal den Widersinn des genüßlichen Lebens jener Reichen hervorkehren, die offenbar von dem drohend bevorstehenden Gericht 6 nichts ahnen (vgl. Jer. 11,19). Als letzte und schwerste Anklage nennt V. 6 die Verurteilung und Ermordung des Gerechten. Obschon Jesus in A p g . 3 , 1 4 ; 7 , 5 2 und 2 2 , 1 4 ; l . P e t r . 3 , 1 8 ; l . J o h . 2 , 1 „der Gerechte" heißt, wird man nicht daran zu denken haben, daß hier den Reichen die Verantwortung für den T o d Jesu angelastet werden soll. Das würde weder historisch stimmen, noch zum Kontext passen (vgl. auch das Präsens). Der Gerechte ist vielmehr der Arme, was der „Armenfrömmigkeit" der Tradition entspricht, wo „fromm", „gerecht" und „arm" oft synonym sind (Ps.Sal. 1 0 , 6 ; 1 5 , 1 . 6 f . ; vgl. „der arme Gerechte" W e i s h . 2 , 1 0 ) . Hier begegnen auch vergleichbare Vorwürfe ( P s . 3 7 , 1 4 . 3 2 ; W e i s h . 2 , 1 0 f . 1 9 f . ; ä t h . H e n . 9 9 , 1 5 f . ; 103,15 u.ö.) und kommt auch der kollektive (generelle) Singular vor (vgl. den Wechsel von Singular und Plural in Ps.37). Das blutige Unrecht der Reichen ist um so verwerflicher, als ihnen kein Widerstand entgegengesetzt wird. Man wird hier kaum eine Anspielung auf die Forderung des Gewaltverzichts von Mt. 5 , 3 9 heraushören, sondern einfach die faktische Wehrlosigkeit als Kontrast zur brutalen Macht der Reichen und vielleicht auch als Ideal (so Herrn. Mand. VIII 10, vgl. auch Weish. 2 , 1 9 ; J e s . 5 3 , 7 ) . Nicht auszuschließen ist auch eine rhetorische Frage: „Widersteht er (nämlich Gort) euch nicht?" (vgl. 4 , 6 ) .
I X . Mahnung zu geduldiger Erwartung der Parusie 5 , 7 - 1 1 7 Wartet nun geduldig, Brüder, bis zur Ankunft des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die köstliche Frucht der Erde, indem er sie mit Geduld erwartet, während sie „Frühregen und Spätregen" empfängt. 8 So wartet auch ihr geduldig, stärkt eure Herzen, denn die Ankunft des Herrn ist nahe gerückt. 9 Seufzt nicht widereinander, Brüder, damit ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor der Tür. 10 Als Beispiel der Ausdauer im Leiden und der Geduld im Warten, Brüder, nehmt die Propheten, die im Namen des Herrn geredet haben. 11 Siehe, „wir preisen selig die, die standhaft geblieben sind". Von der Standhaftigkeit Hiobs habt ihr gehört, und um das Ende, das der Herr (bewirkte), wißt ihr, denn „voll Erbarmen und Mitleid ist der Herr".
Vers 7: Joel
2, 23; Jer. S, 24; Vers 11: Dan. 12,12
und Ps.103,8;
Iii,
4.
Der neue Abschnitt schließt sich aufgrund seiner eschatologischen Thematik gut an den vorhergehenden an. Schon in V. 1-6 war ja von „kommenden Drangsalen" (V. 1), „letzten T a g e n " (V.3) und „Tag der Schlachtung" (V.5) die Rede. Doch während dort im Stil prophetisch-apokalyptischer Drohung mehr das zukünftige Schicksal der wohl außerhalb der Gemeinde stehenden Reichen im Blick war, richtet sich der neue Abschnitt im Stil prophetischen Mahnens und Tröstens an die Christen (vgl. die neue Anrede „Brüder" V. 7 . 9 ) . Außerdem wird das erwartete Ende nun christologisch als „Parusie des Herrn" interpretiert. Der Abschnitt ist relativ ein-
Jak. 5 , 7 - 1 1 : Mahnung zu geduldiger Erwartung der Parusie
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heitlich, doch will die Mahnung von V. 9 nicht ganz passen, und V. 10 und 11 hatten ursprünglich wohl nicht im eschatologischen Kontext ihren Ort. Die Ermahnung von V . 7 a wird zunächst durch einen Vergleich veranschaulicht (V.7b) und dann wieder aufgenommen und eschatologisch begründet (V. 8). Der Mahnung von V. 9 folgt ebenfalls eine eschatologische Begründung, während die Beispiele von V. 10-11 nur die Hauptmahnung illustrieren, die Begründung am Schluß aber wieder sentenzhaft ist. Ob das „also" wie in 4 , 4 . 7 und 5 , 1 6 eine Konsequenz andeuten soll oder wie 7 vielleicht in 4,17 bloße Übergangswendung bildet, ist insofern nicht besonders wichtig, als an der eschatologischen Motivierung der Mahnung ohnehin kein Zweifel sein kann. Es allein auf die in V. 1-6 geschilderte wirtschaftlich-soziale Wirklichkeit zu beziehen, in der nur geduldiges Warten übrigbleibt, ist wenig sinnvoll. Die Christen gewinnen die Kraft zur Ausdauer im Warten nicht aus ihrer gesellschaftlichen Unterdrückung, sondern aus dem kommenden Heil. Allerdings spielt neben dem Heilsgedanken auch das Gerichtsmotiv eine Rolle (vgl. außer V . 9 auch V. 12). Das Gericht ist also keineswegs allein den Nichtchristen vorbehalten, sondern auch die Christen haben den endgültigen Urteilsspruch Gottes noch vor sich, was wie überall im Neuen Testament auch ein wirksames Motiv der Paränese ist. Im Vordergrund steht aber das heilverheißende Moment der Parusieerwartung. Mit „Parusie des Herrn" ist wie in 1.Thess.2,19; 3,13; 4,15 und 5,23 das machtvolle Erscheinen Jesu Christi in Macht und Herrlichkeit am Ende der Tage gemeint. Gewiß wird „Herr" im Jakobusbrief überwiegend von Gott selbst gebraucht (1,7; 3 , 9 ; 4 , 1 0 . 1 5 ; 5,15; anders in 1,1 und 2,1), und möglicherweise konnten auch jüdische Texte von der „Parusie Gottes" sprechen (vgl. neben Test. Jud. 2 2 , 2 auch Test. Abr. 13 Rez. A, wo aber vielleicht christliche Interpolation oder Umarbeitung vorliegt), und zwar im Sinn des Kommens oder Erscheinens Gottes (vgl. Mal. 3 , 1 f.; ä t h . H e n . l , 3 f . ; Ass.Mos. 10,3.12; 4.Esr.6,18f.). Trotzdem kann an der christologischen Deutung der „Parusie" in einem christlichen Brief nicht gut gezweifelt werden. Dem Vergleich von V. 7 b (zum Bild des Wartens auf die Frucht vgl. etwa Sir. 6,19) geht es vor allem um die Geduld des Bauern, mit der er während des Regens (vgl. Joel 2,23; Jer. 5 , 2 4 ; 4. Esr. 8,42) die Früchte erwartet und die Sorge um die Frucht Gott anheimstellt (vgl. Mk. 4,27 f.). Der Vergleichspunkt ist also nicht so sehr die Erwartung, sondern ihr Wie: die gelassene, geduldig ausharrende Erwartung (vgl. die Wiederaufnahme von „geduldig warten" in V. 8). Der Bauer kann das Wachsen und Reifen der Früchte nicht beschleunigen, sondern in der von Gott gewährten, durch Regen gesegneten Zeit nur mit unentwegter Geduld und Hoffnung erwarten. Entsprechendes gilt vom Christen und seiner Parusieerwartung. Diese betonte Mahnung, nicht die Geduld zu verlieren und den langen Atem zu behalten, scheint eine gewisse Verzögerung der Parusie vorauszusetzen. Solche Verzögerung bedeutet freilich keine Resignation und keinen Abschied von 8 der Naherwartung. Darum kann Jak. direkt daneben das unmittelbare Bevorstehen der Parusie betonen. Daß die Parusie „nahegekommen" ist (vgl. Lk. 21,20; Rom. 13,12; Hebr. 10,25), heißt: sie „steht vor der Tür" (vgl. V. 9). Die Zeit der Ernte „köstlicher Früchte" ist nicht mehr fern (zum Zusammenhang des „Naheseins vor der Tür" mit dem Bild von der Ernte vgl. Mk. 13,28 f.). Dann aber ist es nur
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Jak. 5,7-11: Mahnung zu geduldiger Erwartung der Parusie
konsequent, sich auch weiterhin „bis zum Ende" (vgl. Mt. 10,22; 2 4 , 1 3 ; Mk. 1 3 , 1 3 ; Offb. 2 , 2 6 u. ä.) in Geduld zu üben und die „Herzen zu festigen" (vgl. zu dieser Wendung Ri. 1 9 , 5 . 8 ; Ps. 104,15; Sir. 6 , 3 7 und vor allem 1. Thess. 3 , 1 3 , wo dieselbe Wendung im Zusammenhang mit der Parusieerwartung vorliegt). Audi in Anfechtungen und Zweifeln gilt es festzubleiben und die Erwartung nicht 9 aufzugeben. Die folgende Mahnung, nicht widereinander zu seufzen, hat offenbar mit der bisherigen Thematik wenig zu tun, denn es wird ja nicht vor einem Seufzen über die Parusieverzögerung oder auch über das leidvolle Schicksal vor der eschatologischen Vollendung (vgl. 2. Kor. 5 , 2 . 4 ; Rom. 8 , 2 2 ff.) gewarnt, sondern vor einem Seufzen gegeneinander. Daher scheint es so zu stehen, daß allein die eschatologische Begründung der Mahnung die Aufnahme von V. 9 an dieser Stelle veranlaßt hat. Aus dem Finalsatz „damit ihr nicht gerichtet werdet" ist vielleicht zu entnehmen, daß der Verfasser im Seufzen widereinander ein „Richten" gesehen hat, in dem man sich gegenseitig beschuldigt und die Liebe schuldig bleibt. Zu vergleichen wäre das angesichts des nahen Endes mit der Liebe unvereinbare „Murren" von l . P e t r . 4 , 9 und weiter Jak. 2 , 1 3 , wo im Zusammenhang mit dem Gerichtsgedanken das ius talionis begegnet, vor allem aber Jak. 4 , 1 1 (vgl. Mt. 7 , 1 ) . Beim „Vor-der-Tür-Stehen" des Richters ist natürlich nicht an die Herzenstür zu denken, sondern an das bevorstehende endgültige Kommen des Herrn (vgl. Mk. 1 3 , 2 9 ; Offb. 3 , 2 0 ) . Dieser Herr wird Richter geheißen, womit im jetzigen Kontext aber möglicherweise nicht nur der Gerichtsgedanke angesprochen wird, sondern zugleich auch an den Rechtshelfer gedacht wird, der den Bedrückten (vgl. V. 1 ff.) Recht verschafft. 10
Wie in Kapitel 2 Abraham und Rahab, so werden hier nun die Propheten und Hiob als alttestamentliche Vorbilder eingeführt. Von ihnen sollen die Leser das lernen, was schon in V . 7 f . Thema war: geduldiges Ausharren, auch wenn die eschatologische Motivierung und Ausrichtung hier fehlt. Hinzu kommt nun die Standhaftigkeit im Leiden, ob man sie nun (was im Griechischen möglich ist) der geduldigen Erwartung subordiniert oder koordiniert. Die vorbildhafte Bedeutung der Propheten (vor allem als Märtyrer) war weitverbreitet (vgl. M t . 5 , 1 2 ; 2 3 , 2 9 f f . ; A p g . 7 , 5 2 ; Hebr. 1 1 , 3 2 ff.). Sie, die im Auftrag des Herrn geredet haben, sind von Leiden und Geduldsproben nicht verschont geblieben, haben aber standgehalten
11 und sind darum selig zu preisen. Als Beispiel solcher Standhaftigkeit im Leiden, die trotz aller Anfechtung den Glauben nicht verlor, wird Hiob herausgegriffen, der auch im Judentum als Vorbild standhaltenden Duldens gilt (vgl. Test. Hiob 26,5). Schwierig ist das Verständnis des Satzes über die Wendung, die in der Übersetzung mit „Ende, das der Herr bewirkte" umschrieben wurde, wörtlich aber mit „Ende des Herrn" wiederzugeben wäre. Damit ist aber weder der T o d Jesu gemeint („Herr" im folgenden Zitat ist Gott selbst) noch die Parusie Jesu (dann wäre die Vergangenheitsform des Verbums unmöglich). Vielmehr ist an das Ende zu denken, das der Herr bei Hiob herbeigeführt hat. Möglich ist zwar, daß der Verfasser auch an den guten Lebensausgang Hiobs bzw. die Errettung aus seinem Leiden und die Wiederherstellung seines Wohlstandes (vgl. Hiob 4 2 , 1 0 . 1 2 f.) denkt, doch ist es kaum wahrscheinlich, daß der Verfasser allein den innerzeitlichen Segen
J a k . 5 , 1 2 - 2 0 : Schlußmahnungen
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herausstellen will. Vielleicht sieht er im irdischen Segen ein Vorzeichen himmlischen Segens, wenn auch solche Annahme wegen der Kritik an den Reichen nicht sehr wahrscheinlich ist (vgl. aber zu 1,11). Näher liegt es darum, daß Jakobus nur an den „ewigen" Ausgang der Leidenszeit Hiobs gedacht hat, den der Herr gewirkt hat (vgl. Test.Benj.4,1; Test. Ass.6,4; Hebr.13,7). Entsprechend sollen sich auch die Christen an das ewige Ziel erinnern, das der Herr im Auge hat. Trotz aller Anfechtungen und Leiden meint es der Herr gut, denn „er ist voller Erbarmen und Mitleid", wie der Verfasser mit den Worten von Ps. 1 0 3 , 8 ; 111,4 sagt.
X . Schlußmahnungen 5,12-20 12 Vor allem aber, meine Brüder, schwört nicht, weder beim Himmel noch bei der Erde noch irgendeinen anderen Eid. Vielmehr sei euer Ja ein Ja und das Nein ein Nein, damit ihr nicht unter das Gericht fallt! 1 3 Erleidet jemand ein Unglück unter euch, so bete er; ist jemand froh, so singe er Loblieder. 14 Ist jemand unter euch krank, so rufe er die Gemeindeältesten zu sich, und die sollen über ihm beten und ihn mit Ol salben im Namen des Herrn. 15 Und das Gebet des Glaubens wird den Kranken heilen, und der Herr wird ihn aufrichten. Und wenn er Sünden begangen hat, wird ihm vergeben werden. 18 Bekennt also einander die Sünden und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet. Viel vermag das Gebet eines Gerechten, das ja Wirkung hat. 17 Elia war (auch nur) ein Mensch, von gleicher Art wie wir, und er betete inständig, daß es nicht regne, und es regnete nicht auf der Erde drei Jahre und sechs M o n a t e . 1 8 Und wiederum betete er, und der Himmel gab Regen, und die Erde brachte ihre Frucht hervor. " Meine Brüder, wenn einer unter euch von der Wahrheit abgeirrt ist und jemand ihn zur Umkehr bringt, 8 0 soll er (oder: sollt ihr) wissen: Wer einen Sünder von seinem Irrweg zur Umkehr gebracht hat, der wird dessen Seele vom Tode retten und eine Menge von Sünden bedecken.
Vers 17: 1. Kön. 17,1; Vers 18: vgl. 1. Kön. 18.42; Vers 20: Spr. 10,12.
Die Mahnungen zum Schluß des Briefes betreffen verschiedene Lebensgebiete, doch überwiegen Fragen der Kirchen- und Lebensordnung. Das Schwurverbot in V. 12, das wohl auf die Jesusüberlieferung zurückgeht, taucht zwar ziemlich unvermittelt auf, es schließt sich aber mit dem Hinweis auf das eschatologische Gericht gut an den vorhergehenden Abschnitt an, wenn es nicht ursprünglich sogar einmal direkt auf V . 9 folgte. V. 13-15 bringen einzelne Regeln, vor allem über das Gebet in Unglück und Krankheit; auch V. 16-18 ist vom Gebet die Rede, wobei V. 17-18 wieder ein alttestamentliches Beispiel (Elia) einführen. V. 19-20 endlich schließen mit einer Mahnung, die es mit von der Wahrheit abirrenden Brüdern zu tun hat, die in Analogie zu anderen Briefen wohl als Irrlehrer anzusprechen sind. Es ergab sich schon in der Einleitung, daß Jak. 5 , 1 2 mit seinem radikalen Schwur- 12 verbot gegenüber M t . 5 , 3 7 die ältere Fassung darstellt und wahrscheinlich auf ein aus der mündlichen Tradition übernommenes Herrenwort zurückgeht. Obschon das
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Jak. 5,12-20: Schlußmahnungen
auffallenderweise nicht angedeutet wird, ist das jedenfalls viel wahrscheinlicher als ein Rückgang auf jüdische oder andere Schwurverbote. Auch das Judentum kannte allerdings nicht nur zahlreiche Eide und Beteuerungen, sondern polemisierte auch gegen leichtfertiges und gedankenloses Schwören. Das zeigt etwa Sir. 23,9-11: „Ans Schwören gewöhne deinen M u n d nicht, und mache es nicht zu deiner Gewohnheit, den N a m e n des Heiligen zu nennen . . . Ein M a n n , der viel schwört, begeht Ungerechtigkeit in Fülle." Darüber hinaus aber gibt es wie bei griechischen Autoren (Sophokles, Plutarch u.a.) auch bei den Juden ein grundsätzliches Schwurverbot. Josephus berichtet über die Essener: „Alles, was sie sagen, ist gewisser als ein Eid. Z u schwören aber lehnen sie ab, da sie es für schlimmer halten als den Meineid" (Jüd. Krieg II 135); wir wissen freilich auch von eidlichen Aufnahmeverpflichtungen bei den Essenern (vgl. II 139 u. 1 QS 5,8ff.; D a m . 15,8ff.). Jedenfalls lehnt V. 12 auch Ersatzeide ab, die im Judentum zur Vermeidung des heiligen Gottesnamens üblich waren, und fordert unbedingte Wahrhaftigkeit. W o ein Ja wirklich ein Ja und ein Nein ein Nein ist, da ist jeder Eid überflüssig. Der Hinweis auf das Gericht verstärkt die Mahnung. W a r u m gerade diese M a h n u n g dem Verfasser „vor allem" wichtig ist (vgl. dagegen das gut verständliche „vor allem" in l . P e t r . 4 , 8 ) , läßt sich nicht sagen. 13
V. 13 mahnt dazu, in guten wie in bösen Tagen Gott nicht aus den Augen zu verlieren. Wem Leid und Unglück zu tragen gegeben sind, der soll beten (vgl. Ps. 50,15), und zwar offenbar nicht nur um innere Leidensbereitschaft oder Durchhaltevermögen. Von der gegenteiligen Voraussetzung in V. 13 b her („froh, guten Muts sein") mag man zwar schließen, daß auch in V. 13 a die seelische Belastung im Vordergrund steht, doch läßt sich gerade von den folgenden Gebetsbeispielen her kaum sagen, daß das Gebet nur auf die Kraft zum Tragen, nicht aber auf die Beseitigung der N o t ziele (vgl. auch 2. Kor. 12,8; Ps.Sal. 15,1 u.ö.). Wem es gut geht, der soll Psalmen bzw. Loblieder singen. Das entspricht mehr Sir. 17,28 („wer lebt und gesund ist, lobt den Herrn") als E p h . 5 , 1 9 und Kol. 3,16, w o der Lobpreis als Dank für Gottes Heilstat in Jesus Christus und also unabhängig von guten Verhältnissen geboten wird. D a r a n zeigt sich wieder die alttestamentlich-jüdische Tradition, die den Menschen auch in seinen geistigen und leiblichen Freuden und Leiden 14 in Beziehung zu Gott stellt. So wird auch die Krankheit nicht stoisch hingenommen oder rein naturhaft verstanden. Wer krank ist, soll vielmehr die Ältesten der Gemeinde (vgl. zu l.Petr. 5 , 1 ff.) rufen, die einzigen Träger eines Amtes, die Jak. kennt. Diese sollen den Kranken durch Gebet und ö l s a l b u n g gesund machen, da sie offenbar als zu Krankenheilung befähigt gelten (vgl. 1. Kor. 12,9.28.30). Dabei fällt auf, daß statt charismatischer Unverfügbarkeit offenbar institutionelle Bindung solcher Heilungskräfte vorausgesetzt wird, da von „den" Presbytern die Rede ist. Die ö l s a l b u n g soll jedenfalls nicht als „letzte Ölung" den Kranken auf das Sterben vorbereiten, sondern ihn gerade gesund machen. Dabei k o m m t dem ö l entweder als Medizin Heilkraft zu (vgl. M k . 6 , 1 3 ; Lk. 10,34), oder aber es wird ihm, da Krankheiten ja weithin auf D ä m o n e n zurückgeführt w u r d e n (vgl. M t . 9 , 3 2 ; 12,22; 15,22 u.ä.), exorzistische Kraft zugeschrieben (vgl. Test. Sal. 18,34; A p k . M o s . 9,13 u. ä.). Sakramentale Vorstellungen fehlen dagegen hier. Entscheidend ist, d a ß Gebet und ö l s a l b u n g „im N a m e n des Herrn" geschehen, was wohl heißt: im Auftrag,
Krankenheilung
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unter Anrufung und in der Kraft des Herrn (vgl. Mt.7,22; Lk.10,17; Apg.3,6; 4,7.10; 19,13). Daß die Heilwirkung vor allem dem Gebet zugeschrieben wird, 15 bestätigt V. 15, auch wenn in diesem Vers nicht mehr von den Presbytern gesprochen wird und offenbar jedes Gebet des Glaubens die Gesundung des Kranken bewirken kann (vgl. Sir. 38,9: „Wenn du krank bist, so verabsäume es nicht, sondern bete zum Herrn, und er wird dich heilen"). Der dabei aufgenommene Glaubensbegriff ist im Unterschied zu 2,14 ff. stärker dem in der synoptischen Tradition begegnenden verwandt (Mk. 5,34; Mt. 21,22 u. ä.). Wie wenig ö l oder auch Gebet magischautomatische Wirkung zukommt, zeigt, daß ausdrücklich erwähnt wird, der Herr selbst werde den Kranken wieder „aufrichten" (vgl. Mk. 1,31; 9,27). Obwohl die zusätzliche Bedingung „und wenn er Sünden begangen hat" ausschließt, daß jeder Kranke eo ipso als Sünder gilt (vgl. Joh.9,2), ist die Möglichkeit, daß Sünden die Ursache von Krankheiten sind, vorausgesetzt. Das zeigt außer V. 16 ja auch die Tatsache, daß die Verbindung von Heilung und Sündenvergebung schon traditionell ist (vgl. Sir. 38,9 f.; Mk. 2,5). Auch die Aufforderung von V. 16, sich gegen- 16 seitig die Sünden zu bekennen und füreinander zu beten, ist offenbar hier auf den Krankheitsfall beschränkt, denn der Zweck solchen Tuns wird ja ausdrücklich hinzugefügt: „damit ihr geheilt werdet". Wie schon in V. 15 ist auch hier nicht mehr allein an Presbyter gedacht. Ebensowenig läßt sich V. 16 entnehmen, daß das Sündenbekenntnis öffentlich in der Gemeindeversammlung (so Did.4,14) erfolgen soll. Offenbar kann hier jeder ebenso für den anderen beten wie ihm die „Beichte" abnehmen und die Vergebung zusprechen. Noch einmal unterstreicht der Verfasser, daß das Gebet der Gerechten ( = Frommen, vgl. V. 6; Spr. 15,29) viel vermag. Fast tautologisch wird noch hinzugesetzt, daß es ja Wirkung habe. Krankenheilung. Trotz teilweise massiver legendarischer Ausmalung (vgl. Mk. 5,1 ff.; 6,56; Apg.5,15; 19,12) kann kein Zweifel daran bestehen, daß Jesus wie die Apostel Kranke geheilt haben, wie sich sowohl aus zahlreichen Einzelberichten als auch aus Summarien ergibt (vgl. Mk. 1,34 par.), die oft Heilungstätigkeit unmittelbar neben die Reich-Gottes-Verkündigung rücken (vgl. Mt. 4,23; Lk. 9,11 u. ö.). Solche Krankenheilungen waren für den antiken Menschen auch als Heilungswunder nichts Ungewöhnliches (vgl. Epidauros), wie die zahlreichen Berichte über Heilungswunder im Heidentum und Judentum zeigen. Besonders im Stil der neutestamentlichen Heilungsberichte zeigt sich deutlich ein Einfluß der antiken Topik. Typische Formmerkmale sind z. B. vorangegangene vergebliche Heilungsversuche (Mk. 5,26; Lk. 8,43), bestimmte Gesten wie Handauflegung (Mk. 8,23.25; 6,5), die Plötzlichkeit der eintretenden Heilung (Mk. 10,52; Lk. 8,47), die Demonstration des Heilerfolges (Mk. 2,12; Joh. 5,8 f.) usw. Es läßt sich sowohl ein Wachsen der mirakelhaften Züge (vgl. Lk. 22,51) als auch ihre Reduktion erweisen (vgl. die matthäischen Bearbeitungen der markinischen Heilungsberichte: etwa Mt. 8,28 ff.; 9,18 ff. u. ä.). Betont werden der Glaube (vgl. Mk. 5,36 par., 6,6 par.; Mt. 8,10; 15,28) und die Heilsmacht des Wortes Jesu (vgl. Mk. 1,25.27.41 par.; 2,10 f. par.; 5,41; 7,34; Mt. 8,8 par. u. ä.). Heilungen signalisieren wie andere Wunder die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen und den Anbruch der messianischen Heilszeit (Mt. 11,5; Lk. 4,18). Sie erweisen, daß sich das Heil nicht auf eine bloß innerliche Sphäre beschränkt, sondern Wort und Glaube ihre Macht auch gegenüber
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Jak. 5 , 1 2 - 2 0 : Schlußmahnungen
den konkreten leiblichen Nöten behaupten. Entmythologisierung darf darum nicht zur Spiritualisierung werden, auch wenn die Heilungen etwa im Joh.-Evangelium eine typisch johanneische Doppeldeutigkeit und Symbolik gewinnen (vgl. Joh. 9, l f f . ) . Jesu Heilungstätigkeit ist auch in der Urkirche fortgesetzt worden, und zwar nicht nur durch die, denen nach M k . 3 , 1 4 f . ; 6 , 7 par. schon Jesus selbst die Vollmacht zur Heilung übertragen haben soll (vgl. die Veranschaulichung durch Heilungsberichte Apg. 3 , 1 ff.; 8 , 7 ) , sondern auch durch andere Apostel wie Paulus (vgl. Apg. 1 4 , 8 ff.; 1 6 , 1 6 f f . ; 2 8 , 8 f.). Heilung erfolgte „im Namen Jesu Christi" (Apg. 3 , 6 ) - also nicht „durch eigene Kraft" (Apg. 3 , 1 2 ; vgl. 9 , 3 4 : „Jesus Christus macht dich gesund") - und „auf Grund des Glaubens an seinen Namen" (Apg. 3 , 1 6 ) . Während hier die Heilungsaufgabe auf die Apostel beschränkt erscheint (ähnlich wie J a k . 5 , 1 4 auf die Presbyter), sieht Paulus in ihr ein Charisma, von dem er freilich nur in den Aufzählungen der Gnadengaben spricht (1. Kor. 1 2 , 9 . 2 8 . 3 0 ) . Gerade Paulus läßt bei allem Wissen um die durch Gottes Erbarmen bewirkte Gesundung (Phil. 2 , 2 7 ) erkennen, daß Heilung unverfügbares Zeichen ist und das Ausbleiben der Heilung nicht im Widerspruch zu Heil und Gnade zu stehen braucht (vgl. 2. Kor. 1 2 , 7 ff.). 17.18
In V. 17 f. folgt wieder ein alttestamentliches Beispiel, diesmal für wirksames Beten. Im Unterschied zu anderen neutestamentlichen Aussagen, die in Elias vor allem den vor dem Anbruch des Endes erwarteten Vorläufer des Messias sehen und ihn mit Johannes dem Täufer identifizieren (vgl. M k . 9 , 1 f. u.ö.), wird Elias hier ausdrücklich „als Mensch wie wir" bezeichnet. Dabei wird nur indirekt auf die Uberlieferung zurückgegriffen, nach der Elias das Ausbleiben und Wiedereinsetzen des Regens bewirkt haben soll ( l . K ö n . 1 7 , 1 und 1 8 , 1 ) . Anders als an den beiden genannten Stellen oder S i r . 4 8 , 3 („durch das Wort des Herrn verschloß er den Himmel") wird das hier nämlich auf die Macht seines Gebetes zurückgeführt (ähnlich betet Elias nach 4. Esr. 7 , 1 0 9 „für die, die den Regen empfingen"). Das wird aus l . K ö n . 1 7 , 2 1 und 1 8 , 4 2 erschlossen worden sein. Abweichend vom Alten Testament ( l . K ö n . 1 8 , 1 ) wird auch die Dauer der Dürre mit 3'/2 Jahren angegeben (ebenso L k . 4 , 2 5 ) , was wohl als runde Zahl galt. Die Änderungen gehen wahrscheinlich auf jüdische Tradition zurück. Entscheidend ist dem Verfasser allein, daß hier „ein Mensch wie wir", also kein mit übernatürlichen Kräften ausgestattetes Himmelswesen, mit seinem Gebet sogar den Himmel zu verschließen und zu öffnen vermochte.
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Die letzte Mahnung zielt auf die Wiedergewinnung irrender Brüder, die den Weg der Wahrheit verlassen haben. Daß der „Brief" mit dieser Mahnung schließt, beweist nicht die besondere Dringlichkeit gerade dieser Paränese. Vielmehr scheint der Verfasser einem verbreiteten formgeschichtlichen Gesetz zu folgen, nach dem Mahnungen über Irrlehrer am Schluß von Briefen stehen (vgl. G a l . 6 , 1 1 ff.; l . K o r . 1 6 , 2 2 ; J u d . l 7 f f . ; 2 . P e t r . 3 , 2 f f . ; Did.16 u.ö.). Auch der Zusammenhang mit der Heilung scheint vorgegeben (vgl. l . K l e m . 5 9 , 4 u.a.). Zwar liegt keine direkte Warnung vor Irrlehrern vor (das gilt auch für den l.Petr.), doch sind V. 19-20 indirekt auch als Mahnung zu verstehen, nicht selbst den „Weg der Verirrung" (vgl. Weish. 1 2 , 2 4 ) zu betreten. Wichtiger ist dem Verfasser allerdings, den, der von
Jak. 5,12-20: Schlußmahnungen
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der Wahrheit abgekommen ist (vgl. Weish.5,6; 2. Petr. 2,2), dahin zurückzubringen (vgl. Gal. 6,1; Mt. 18,15). Dabei wird der ganzen Intention des Briefes entsprechend die" Abweichung im praktischen Verhalten im Vordergrund stehen (vgl. V. 20 „Sünder"), was auch durch die zahlreichen Belege für „Weg" und „Verirrung" in der jüdischen Literatur bestätigt wird. Daß daneben die Abirrung von der Wahrheit auch die falsche Lehre mitmeinen kann, ist nicht auszuschließen (vgl. außer 3 , 1 f. das Nebeneinander in äth.Hen.99,2 „Wehe denen, die die Worte der Wahrheit fälschen, das ewige Gesetz übertreten" und weiter l . T i m . 6 , 5 ; 2.Tim.2,18; 3,8; 4,4; Tit. 1,14). Wer einen solchen dem Irrtum verfallenen Bruder „bekehrt", der 20 wird ihn bzw. „seine Seele" vom ewigen Tod erretten, und zwar darum, weil der eingeschlagene Weg als solcher ein Weg zum Tode ist (vgl. Spr.2,18; 12,28; 14,12; äth.Hen.94,2f.; 4.Esr.7,48; syr.Bar.85,13). Die „Seele" ist also trotz Ez.3,21 die „Seele" des anderen. Ebenso wie 1. Tim. 4,16 und 2. Klem. 15,1 erhält aber auch der, der den anderen vor dem Verderben bewahrt, selbst eine Verheißung. Im Unterschied zu 1. Petr. 4,8, wo ebenfalls Spr. 10,12 zitiert wird, bezieht sich nämlich der Spruch wahrscheinlich auf denjenigen, der den Sünder zur Umkehr bewegt. Er „bedeckt" mit dieser Tat nicht die Sünden des anderen, was nach der „Rettung der Seele" eine Abschwächung bedeuten würde, sondern eine Menge eigener Sünden. Das entspricht zwar nicht Spr. 10,12, wohl aber der Verwendung des Spruches in 2.Klem. 16,4 (1.Klem.49,5?; vgl. auch Sir.3,30; 28,2; Did.4,6 u.a., wo die Vergebung eigener Sünden von Almosen u.a. abhängig gemacht wird). An dieser Aussage, die dem eigenen Verhalten sündentilgende Kraft zuschreibt, wird am Ende noch einmal die ganze Problematik deutlich, die der Brief bei aller Eindringlichkeit seines Rufes zum Gehorsam der Tat an diesem heilsentscheidenden Punkt einer am sola gratia orientierten Theologie bereitet.
DER ERSTE
PETRUSBRIEF
Wolfgang Schräge Einleitung 1. Der sogenannte erste Petrusbrief ist eine der bedeutendsten und überzeugendsten Schriften des Neuen Testaments. Für Luther war der l.Petr. neben dem Joh.-Evangelium und den Paulusbriefen „der rechte Kern und Mark unter allen Büchern, welche auch billig die ersten sein sollten" (Vorreden zum N T , 1522), und er nannte den Brief in seiner Auslegung des Jahres 1523 „eins der edelsten Bücher im Neuen Testament und das rechte lautere Evangelion" (Weimarer Ausgabe 12,260). Das hier und auch sonst zum Ausdruck kommende Gespür Luthers für die sachliche Verwandtschaft der Botschaft des l.Petr. mit der der Paulusbriefe ist von der modernen Exegese bestätigt worden. In welchem Maße der Brief paulinische und deuteropaulinische theologische Voraussetzungen und Anschauungen teilt, wird die Exegese des Briefes ergeben. Daß der Brief paulinische Verkündigung und Theologie voraussetzt, heißt nicht, daß er literarisch von den Paulusbriefen abhängig sei und diese exzerpiert habe. Gleichwohl ist die theologische Nähe und Berührung bis in die Terminologie hinein nur im Ausstrahlungsbereich paulinischer Gedanken möglich, wodurch auch die Verwandtschaft zu den Deuteropaulinen, vor allem zum Epheserbrief, ihre Erklärung findet. Gewisse Gemeinsamkeiten werden allerdings auf das Konto gemeinsamer Tradition gehen, etwa die christologischen Stücke, die die Heilsbedeutung des Todes Jesu betonen (1,18 ff.; 2 , 2 1 ff.; 3 , 1 8 ff.), ferner die paränetischen Abschnitte, die zur Unterordnung mahnen (vgl. besonders l . P e t r . 2,13 ff. mit Rom. 13,1 ff.) oder in Form von Tugend- und Lasterkatalogen das christliche oder vorchristliche Leben illustrieren (vgl. besonders 4 , 3 und Rom. 1,28); auffällig ist auch die übereinstimmende Kombination und Abänderung alttestamentlicher Zitate, die wohl auf einer gemeinsam benutzten Auslegungstradition basiert (vgl. die Form von Jes. 2 8 , 1 6 und 8 , 1 4 in 1. Petr. 2 , 6 und Rom. 9 , 3 3 , aber auch Barn. 6,2-4). Neben solch gemeinsam benutzter Tradition bleibt aber genug anderes, das als typisch paulinisch anzusprechen ist und im 1. Petr. wiederkehrt; man vergleiche nur die Stichworte „in Christus" (3,16; 5 , 1 0 . 1 4 ) , Charisma (4,10), Freiheit (2,16), Teilhabe an den Christus-Leiden (4,13), Offenbarung (1,7. 13; 4,13), Gewissen (2,19) oder das unten zu erörternde Verhältnis von Indikativ und Imperativ. Obwohl die Wortstatistik kein eindeutiges Indiz ist, fällt auf, daß z. B. „Gnade" in 1. Petr. nicht weniger als zehnmal vorkommt - schon im Präskript wird das Prae der Gnadenwahl Gottes herausgestellt - und damit viel öfter als in anderen Schriften der deuteropaulinischen Literatur. Das ist nicht nur Zeichen einer in Ausbildung begriffenen konventionellen religiösen Sprache, sondern Ausdruck dafür, daß der 1. Petr. an einem zentralen Punkt die paulinische Botschaft festgehalten hat. Daß auch Verschiebungen auftreten, versteht sich von selbst. So wird beispielsweise das stärker formelhaft gewordene „In-Christus"-Sein offenbar
Der erste Petrusbrief: Einleitung
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nicht mehr im Sinn des Im-Leibe-Christi-Seins verstanden. Im V o r d e r g r u n d des Kirchenbegriffs steht im 1. Petr. einseitig der G o t t e s v o l k - G e d a n k e ( K a p . 2), und zwar recht unproblematisch und undialektisch, w a s d a s Verhältnis z u m Gottesvolk des alten B u n d e s angeht. N e b e n C h a r i s m e n l e h r e ( 4 , 1 0 f.), allgemeinem Priestertum ( 2 , 5 . 9 ) u n d E r b a r m e n G o t t e s ( 2 , 1 0 ) w i r d die Ekklesiologie auch durch die nachpaulinische Presbyterialverfassung ( 5 , 1 ff.) b e s t i m m t . Auch in der C h r i s t o l o g i e (vgl. d a s V o r b i l d m o t i v 2 , 2 1 ) , A n t h r o p o l o g i e (vgl. den hellenistisch-dualistischen Einfluß in 2 , 1 1 ) und P a r ä n e s e (vgl. die Spiritualisierung in 3 , 3 f.) zeigt sich der Wandel gegenüber Paulus, w o b e i manche S p a n n u n g e n sich einfach durch andere T r a d i t i o n e n erklären. Andererseits aber ist der 1. Petr. bisweilen „ p a u l i n i s c h e r " als Paulus selbst, wenn er etwa in 2 , 1 6 d a s Verhalten der Christen gegenüber den staatlichen Instanzen mit der christlichen Freiheit begründen kann. 2. Auch abgesehen von den mit Paulus g e m e i n s a m e n Traditionen
ist der Brief von
einem breiten S t r o m urchristlicher Uberlieferung gespeist w o r d e n , w o b e i er vor allem in K e r y g m a und P a r ä n e s e viel traditionelles G u t a u f g e n o m m e n hat, d a s seine Entsprechung z . B . im Hebräerbrief (vgl. die Parallelen zu 1 , 1 . 2 . 2 3 ; 2 , 2 4 ; 3 , 1 8 u. ö.) oder 1. Klemensbrief (vgl. die Parallelen zu 2 , 9 ; 4 , 8 ; 5 , 5 u. ö.) findet. Diese T r a d i t i o n w i r d ebenfalls nicht in schriftlich fixierter F o r m , etwa als frühchristlicher Katechismus, sondern mündlich auf den Vf. g e k o m m e n sein. S o hat m a n urchristliche Lieder u n d B e k e n n t n i s f o r m e l n g e f u n d e n (vgl. z u 1 , 2 0 ; 2 , 2 1 ff.; 3 , 1 8 ff.) u n d vor allem p a r ä n e t i s d i e F o r m e n , die im urchristlichen o d e r alttestamentlich-jüdischen R a u m vorgebildet w a r e n u n d d a m i t auch die N ä h e z u m J a k o b u s b r i e f erklären. D a s gilt i n s b e s o n d e r e f ü r A n k l ä n g e an H e r r e n w o r t e (vgl. 3 , 9 m i t M t . 5 , 3 9 . 4 4 b z w . L k . 6 , 2 7 f . , a b e r auch R o m . 1 2 , 1 7 ) o d e r an die Spruchweisheit, f ü r die locker aneinandergereihten Spruchreihen o d e r deren B e g r ü n d u n g e n (vgl. e t w a d a s Z i t a t a u s S p r . 3 , 3 4 , d a s sich s o w o h l in 5 , 5 wie J a k . 4 , 6 findet, o d e r 1 , 5 f. u n d 4 , 1 2 f. mit J a k . 1 , 2 f.). Auch die ausführlichen alttestamentlichen Z i t a t e haben ihre Parallelen (zu J e s . 53 vgl. 2 , 2 2 - 2 5 und 1. K l e m . 16; zu Ps. 3 4 vgl. 3 , 1 0 - 1 2 und 1. Klem. 22). Offensichtlich l a g d e m Vf. weniger an Originalität und Individualität als an d e m A u f n e h m e n und Aktualisieren b e w ä h r t e r Sätze. D a s bedeutet keinesw e g s eine W i e d e r h o l u n g o d e r Repristination der P r o b l e m e a u s der ältesten Zeit des Urchristentums. D a die Z e i t nicht still steht, lassen sich auch theologische Probleme nicht einfach konservieren. Fragen, die z. Z . des Paulus in der Kirche noch leidenschaftlich umstritten w a r e n , spielen keine Rolle m e h r : D a s gilt f ü r die G e setzesfrage e b e n s o wie f ü r die inzwischen selbstverständlich g e w o r d e n e Heidenmission. D i e G e m e i n d e n z. Z . der A b f a s s u n g des 1. Petr. hatten andere Sorgen. Sie stehen in Anfechtung und Leid. Nicht von u n g e f ä h r begegnet d a s W o r t „ L e i d e n " hier mit A b s t a n d a m häufigsten in allen neutestamentlichen Briefen. T r o t z der Anlehnung an die T r a d i t i o n w a r der Vf. nicht s o naiv anzunehmen, m a n k ö n n e solcher B e w ä h r u n g s p r o b e mit d e m bloßen Rezitieren traditioneller Sätze oder liturgischer F o r m u l a r e begegnen. Alle kerygmatischen, hymnischen, katechetischen u. a. Überlieferungen sind s o verwertet und u m g e f o r m t w o r d e n , d a ß sie den Christen in ihrer Anfechtung K r a f t und T r o s t vermitteln. D a s gilt auch f ü r die Tauftraditionen,
die
kein Eigengewicht haben, sondern vor allem die Ethik begründen sollen. D i e viel-
62
Der erste Petrusbrief: Einleitung
fad» geäußerte These, im 1. Petr. liege eine Taufliturgie, ein Passataufritual oder auch nur der Niederschlag einer Taufansprache vor, ist kaum zutreffend. Die keineswegs im Vordergrund des Interesses stehenden Anspielungen auf die Taufe sind auch anders deutbar denn als Anhaltspunkte für eine Taufpredigt oder einen Taufgottesdienst, der dann sekundär vom Vf. in Briefform gegossen worden sein soll. Die Erinnerung an die Taufe und die Mahnung, mit ihrer Wirklichkeit ernst zu machen, hat im Urchristentum ihren Ort nicht nur im Taufgottesdienst (vgl. Rom. 6 u. ä.), falls es einen solchen in der vorausgesetzten Form damals überhaupt schon gegeben hat, wenn es natürlich auch möglich bleibt, daß sich einzelne Reminiszenzen an urchristliche Tauffeiern auch in den Briefen finden. 3. Schwieriger ist das oft diskutierte Problem der literarischen Einheit des Briefes, d. h. eine Antwort auf die Frage, ob der 1. Petr. aus einem Guß ist oder erst sekundär aus zwei verschiedenen Teilen, von denen der erste (1,3-4,11) ursprünglich selbständig gewesen sein soll, zusammengestellt worden ist. Unbestritten sollte sein, daß der Brief in beiden Teilen vom selben Vf. stammt, wie die sich durchhaltende Sprache und Thematik zeigen (z. B. „Versuchung" 1,6 und 4 , 1 2 ; Verbindung von Offenbarung und Herrlichkeit 1,7 und 5 , 1 ; künftiger freudiger Jubel 1,8 und 4,13; Leiden nach dem Willen Gottes 3,17 und 4,19; Seligpreisung der Leidenden 3,14 und 4,14). Wer nun zwischen 4,11 und 4,12 eine Nahtstelle annimmt, erklärt meist, in 4,12 f. sei eine andere Situation der angesprochenen Gemeinden vorausgesetzt als im übrigen Briefkorpus. Genauer: in 1,3-4,11 werde das Leiden als ein mögliches charakterisiert, in 4,12 ff. dagegen als gegenwärtige Realität. Die nicht zu leugnenden Unterschiede werden aber oft übertrieben. Zum einen ist auch in 1,3-4,11 schon von Leidens- und Verfolgungserfahrungen die Rede (1,6; 2 , 1 2 ; 3,16; 4,1.4), zum anderen wird in 4,12 ff. auch ausdrücklich auf vorhergehende Äußerungen zum Thema „Leiden" zurückgegriffen (vor allem mit dem Terminus „Christusleiden" in 4,13 auf 2,21 ff. und 3,18 ff.). Außerdem dürften einzelne Spannungen, die den Brief trotz seines weitgehend einheitlichen Stils und Grundthemas auch sonst durchziehen, auf das Fehlen einer konsequent durchgeführten Disposition (vgl. 6) und nicht ganz miteinander ausgeglichene Traditionen zurückgehen (vgl. einerseits die wohl traditionelle Erwartung einer positiven Reaktion der Umwelt auf das christliche Tun des Guten und andererseits ihre tatsächliche Einstellung: 2,12; 2 , 1 4 f . ; 3,1 f. 13 bzw. 2,19f.; 3 , 9 . 1 6 ; 4,4.15; 5,9f.). Gerade Mahnungen, die vom Leiden hypothetisch reden, stehen im Zusammenhang mit der Hoffnung auf eine Honorierung des guten Werkes durch eine tolerante Einstellung der Umwelt (vgl. zu 2,14 und 3,13 f.). Daneben aber steht die vor allem von der Christologie her gewonnene und durch die Realität bestätigte Erkenntnis, daß es christliches Leiden trotz guter Werke gibt. Außerdem ist es gut begreiflich, daß der Vf. mehrfach auf das Hauptthema zurückkommt und zum Schluß eine Steigerung vornimmt. Eine letzte Unsicherheit bleibt, und sie sollte nicht mit der Hypothese von Diktierpausen, schlaflosen Nächten, neuen Nachrichten oder zwei verschiedenen Empfängerkreisen kaschiert werden. Jedenfalls aber hätte der Vf. auch dann, wenn 1,3-4,11 ursprünglich eine andere Situation voraussetzen würde, dieses Stück nun in die neue Lage übernommen und in den jetzigen Kontext eingespannt.
D e r erste Petrusbrief: Einleitung
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4. Die Situation z. Z. der Abfassung aber ist im einzelnen kaum genauer rekonstruierbar. Vieles ist weniger konkret und singulär als allgemein und unbestimmt. Nur eines ist sicher: die Lage der Christen ist gekennzeichnet durch Leid und Verfolgung. Die Adressaten werden verdächtigt und geschmäht, ja offenbar auch schon um ihres Christseins willen angeklagt und vor Gericht gestellt, ohne daß sich genauer sagen ließe, wie weit die Behörden, die wohl nur auf Anzeigen hin eingriffen, in ihrer christenfeindlichen Haltung schon gegangen sind. Dem Verfasser liegt daran, daß unnötige Konfrontationen und Provokationen vermieden werden, um den Heiden jeden Vorwand für ihre Beschuldigungen zu nehmen. Zwar kann von einer regelrechten staatlich organisierten Verfolgung wohl noch nicht gesprochen werden, sondern eher von einer feindseligen Einstellung der Umwelt, aber die auf Grund des neuen nonkonformistischen Lebensstils der Christen eingetretene gesellschaftliche Entfremdung hatte eben nicht nur zu privaten Diskriminierungen und Schikanen geführt, sondern auch zur Kriminalisierung, die durch das Aufgreifen der Beschuldigungen seitens der Behörden eine gefährliche Verschärfung der Lage bewirkt hatte, die nicht mehr lokal begrenzt war. W o man die Adressaten zu suchen hat, ist nicht ganz sicher. Wahrscheinlich handelt es sich bei Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien (1,1) um die römischen Provinznamen, auch wenn Pontus und Bithynien für die römische Verwaltung längst eine Einheit bildeten. Wie auch die seltsame Reihenfolge der Provinznamen andeutet, ist der Vf. über die geographischen Verhältnisse Kleinasiens offenbar nicht besonders gut orientiert. Zwar hat man verschiedene andere Lösungen vorgeschlagen, doch reflektiert die Reihenfolge wohl weder eine Größenskala noch die Reiseroute des Briefüberbringers (vgl. die Nachbarschaft von Pontus und Bithynien) noch eine abgestufte Dringlichkeit des Briefes etwa für die am Anfang und Ende stehende Doppelprovinz. Auch die Auslassung der anderen Provinzen Kleinasiens erklärt sich nicht dadurch, daß die nichterwähnten Namen in den genannten mitgemeint seien oder sich die in der Adresse fehlenden Gebiete eine kirchliche Einmischung von außen verbeten hätten, sondern eben dadurch, daß der Vf. keine klare geographische Vorstellung hat, was für einen in der fernen Hauptstadt Lebenden durchaus vorstellbar ist. Unklar ist auch, wie man sich die Übermittlung des Briefes an ganze Kirchenprovinzen vorstellen soll. Sicher ist nur, daß es sich bei den Adressaten um Heidenchristen handelt ( 1 , 1 4 . 1 8 ; 4 , 3 ) ; daß sie dagegen in ihrer vorchristlichen Zeit in besonderer Weise durch Sprache und Gedankenwelt der antiken Mysterienreligionen geprägt gewesen sein sollten, läßt sich trotz einer Reihe von Bildern und Ausdrücken, die in den Mysterienkulten Parallelen haben (vgl. zu 1 , 3 ; 2 , 2 . 1 2 ) , aber alle durch das hellenistische Judentum vermittelt zu sein scheinen, nicht zeigen. Sicher ist wohl auch, daß man den Absender seiner eigenen Angabe nach in Rom suchen soll. Das in 5 , 1 3 erwähnte Babylon ist nämlich als Deck- und Geheimname für R o m gut bezeugt. In Analogie zu dem gottlosen Babel des Alten Testaments (vgl. Jes. 13; 4 3 , 1 4 ; J e r . 5 0 f . ) wurde es in der Apokalyptik geheimer Name für die Hauptstadt des Imperiums ( 4 . E s r . 3 , 2 8 f . , syr. B a r . 6 7 , 7 u. ä.; O f f b . 1 4 , 8 ; 16-18). Damit wird seine Dämonie angeprangert und sein Verfallensein an das göttliche Gericht angesagt. Zu R o m als Abfassungsort paßt auch die Erwähnung des Markus
Der erste Petrusbrief: Einleitung
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in 5 , 1 3 (vgl. 2. T i m . 4 , 1 1 mit 1 , 1 7 ) , doch ist es möglich, daß der Vf. wegen der angeblichen Abfassung des Briefes durch Petrus zu der Angabe gekommen ist, da Petrus die letzte Zeit seines Lebens vermutlich in R o m verbracht hat (im sog. Kanon Muratori, einem römischen Kanonverzeichnis des 2. Jahrhunderts, fehlt der l . P e t r . auffallenderweise). D a die Entsprechung von Babylon und R o m wahrscheinlich erst unter dem Eindruck der Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.) aufgekommen ist, Petrus aber schon 6 4 n . C h r . in R o m den Märtyrertod starb, ist damit zugleich ein erster Hinweis auf die nicht-petrinische Verfasserschaft und die Abfassungszeit
gegeben. Da der Brief im frühen zweiten Jahrhundert durch 2. Petr.
3 , 1 und den Philipperbrief des Polycarp ( 1 , 3 ; 1 0 , 2 u. ö.) bezeugt wird, hat man ihn wohl in die letzten Jahrzehnte des ersten Jahrhunderts zu datieren. 5. Der Verfasser selbst nennt sich Petrus, benutzt also die griechische Übersetzung des aramäischen
Beinamens
Kephas
(vgl. zu M t . 1 6 , 1 8 ) . Diesen
Ehrennamen
(„Fels") wird Symeon (Apg. 1 5 , 1 4 ; 2. Petr. 1,1) bzw. Simon (Mk. 1 , 1 6 ) als erster Auferstehungszeuge (1. Kor. 1 5 , 5 ; Luk. 2 4 , 3 4 ) wahrscheinlich erst vom Auferstandenen erhalten haben (anders freilich die verschiedenen Antworten in M k . 3 , 1 6 ; M t . 1 6 , 1 7 f f . ; J o h . 1 , 4 2 ) . Der N a m e Petrus ist also eine Erinnerung daran, daß dieser M a n n , der nach den Evangelien, der Apostelgeschichte und Gal. 1 , 1 8 der Sprecher des Zwölferkreises und später einer der „drei Säulen" der Urgemeinde war (Gal. 2 , 9 ) , durch sein Osterwiderfahrnis und -bekenntnis zum Fels der Kirche geworden ist. D a ß Simon sich aber jemals mit seinem Ehrennamen im Sinn eines Eigennamens genannt haben sollte, ist kaum anzunehmen. Vor allem die schon erwähnte Nähe zur paulinischen Theologie aber ist ein durchschlagendes Argument gegen Petrus als Verfasser. D a ß ein Repräsentant des Judenchristentums eine solch paulusnahe Theologie vertreten und so selbstverständlich im überwiegend paulinischen Missionsgebiet geltend gemacht haben sollte, bleibt auch dann, wenn man Petrus nicht zum Ahnherrn des Judaismus macht, eine äußerst schwierige Annahme. Hinzu kommt, daß der Vf. ein gepflegtes, flüssiges Griechisch schreibt, das sich sogar durch mancherlei literarisch-rhetorische Stilformen und Kunstmittel auszeichnet; als Beispiel vergleiche man nur die kunstvoll gegliederte hymnische Eulogie in 1 , 3 - 1 2 , die aus einem einzigen Satz mit sorgfältigen Partizipalkonstruktionen besteht. Die durchgängige Zitierung der Septuaginta, mit der der Vf. auch sonst intensiv vertraut sein muß (vgl. die florilegienhafte Zusammenstellung von L X X - Z i t a t e n in 2 , 1 ff.), gehört ebenfalls hierher. Das alles ist für einen galiläischen Fischer (vgl. M k . 1 , 1 6 ; Lk. 5 , 3 ) , der nach Apg. 4 , 1 3 „ungebildet und unstudiert" war, undenkbar. Auch ein starker Einfluß hellenistischen Geistes (z. B. in der Anthropologie, vgl. 2 , 1 1 ) ist unbestreitbar. Nun haben einige Exegeten, veranlaßt durch 5 , 1 2 , mit der sog.
„Sekretärshypo-
these" die genannten Schwierigkeiten zu umgehen versucht. M a n nimmt an, Petrus habe dem Silvanus zwar die Themen und Richtlinien für den Inhalt gegeben, die eigentliche Abfassung aber, bis auf den eigenhändigen Schluß in 5 , 1 2 ff., Silvanus überlassen, der sich dieser Aufgabe dann mit großer Freiheit unterzogen habe. Auf diese Weise habe man für das gute Griechisch und die Nähe zu Paulus eine plausible Erklärung und könne doch daran festhalten, daß hinter dem Brief letztlich die
Der erste Petrusbrief: Einleitung
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apostolische Autorität des Petrus steht. Alle Schwierigkeiten scheinen sich also in Wohlgefallen aufzulösen. Nun ist von Silvanus (in der Apg. = Silas) aber nur dies bekannt, daß er der Überbringer des Aposteldekrets gewesen sein soll (Apg. 15, 22.27.32), daß er auf der sog. 2. Missionsreise mit Paulus und Timotheus das Evangelium verkündigt hat (Apg. 15,40; 2. Kor. 1,19) und nach Apg. 15,22 aus der Jerusalemer Urgemeinde zu stammen scheint. Das aber empfiehlt ihn letztlich ebensowenig wie Petrus als Verfasser. Auch von einer besonderen Beziehung zu Petrus verlautet nichts. Außerdem ist darauf hingewiesen worden, daß „schreiben durch" (5,12) nur den Diktat-Schreiber oder aber den Überbringer eines Briefes bezeichnen kann. Darüber hinaus ist aber sehr zweifelhaft, ob überhaupt ein Mann der 1. Generation als Vf. in Frage kommen kann. Dagegen spricht nicht nur der nachpaulinische Charakter des Briefes, sondern auch die vorausgesetzte Situation der Gesamtkirche im Innern (vgl. die Presbyterialverfassung und dazu 5,1) und im Äußeren (vgl. die Ausdehnung der Kirche in fast ganz Kleinasien und ihre Anfeindung im ganzen Imperium). Im Grunde wäre auch nicht viel gewonnen, wenn Silvanus in so hohem Maße die Verantwortung für den Brief trüge, denn dann bestünde zwischen Sekretärsarbeit und Pseudepigraphie nur noch ein relativ kleiner Unterschied. 6. Die Intention des Schreibens ist aus dem Briefschluß in 5,12 zu erschließen. Dort charakterisiert der Verfasser seinen Brief selbst: einerseits als ein Trost- und Mahnschreiben, durch das er Mut zum getrosten Unterwegssein machen, zur Standhaftigkeit in der sich abzeichnenden Verfolgungssituation ermuntern und zur Bewährung des Gehorsams in den irdischen Ordnungen und Konfliktbereichen aufrufen will. Andererseits spricht er von „Bezeugung", und zwar offenbar der empfangenen Gnade und der himmlischen Hoffnung in Jesus Christus. Beides steht nicht beziehungslos nebeneinander, sondern die Zusage von Heilsgegenwart und -Zukunft begründet und motiviert wie bei Paulus die Ermahnung und Verpflichtung. Zwar fehlt dem 1. Petrusbrief zumal bei der Explikation der indikativischen Heilszusage die theologische Schärfe, Tiefe und Originalität der paulinischen Gedankenführung; das einzige neue, aber kaum auf den Verfasser selbst zurückgehende Theologumenon ist die Vorstellung von der Hadesfahrt und Hadespredigt Christi in 3,19 f. Zwar dienen die übernommenen Bekenntnisse und Hymnen trotz ihres überschießenden Eigengewichts meist allein der Motivierung christlichen Verhaltens. Auch scheint die Begründung der Paränese oft bloß formelhaft zu sein. Die entscheidende Verklammerung von Zuspruch und Anspruch aber ist nicht aufgegeben worden und bestimmt den ganzen Brief. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Imperative wie bei Paulus aus dem zuvor entfalteten Indikativ gefolgert werden (vgl. 1,13; 2,1; 4,7 b u.ö.) oder aber - so meist - die Imperative voranstehen und hinterher begründet werden (vgl. 1,16.23; 2,21 ff.; 3,18ff. u.ö.). Jedenfalls wird das Tun des Menschen mit dem Tun Gottes begründet und die „Heiligung" als Sache des Geistes selbst verstanden (1,2). Mit besonderem Nachdruck werden die leidenden und angefochtenen Christen auf den leidenden und angefochtenen Christus, auf die eschatologische Herrlichkeit
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D e r erste P e t r u s b r i e f : E i n l e i t u n g
und auf die Taufe verwiesen, wobei vor allem der eschatologischen Hoffnung eine zentrale Bedeutung zukommt, die die der Taufe - sie ist keineswegs das Leitmotiv des Briefes! - noch erheblich übersteigt. Die Taufe selbst zielt auf „lebendige Hoffnung" (1,3). Auch der Glaube ist für den l.Petr. konstitutiv Hoffnung (1,21; 3,15 u.ö.). Und auch die Paränese ist wesensmäßig durch die Eschatologie begründet (4,7ff. u.ö.). Inhaltlich bewirkt die Erwartung der Heilsvollendung eine radikale Nüchternheit und Desillusionierung (1,13; 4,7). Die Fremdheit gegenüber der Welt (vgl. die grundlegenden Sätze 2,11 und außerdem 1,1.17), in der das Gottesvolk unterwegs und zerstreut ist, hat aber keine Emigration, Isolierung und Abkapselung, sondern Bewährung in der Alltagswirklichkeit der Gesellschaft zur Folge (2,11-3,7). Dabei spielt die missionarische Verantwortung (3,1 f.) und das Motiv der Rücksichtnahme auf das Urteil der Nichtchristen (2,12; 3,16) eine besondere Rolle, auch wenn das Wissen um den Bruch mit den Gepflogenheiten der Umwelt und mit der Vergangenheit nie verleugnet wird (1,14.18; 4 , 4 u. ä.). Wenn so bestimmte Schwerpunkte zu erkennen sind (vgl. auch die Mahnung zur Furchtlosigkeit 3 , 6 . 1 4 und Bruderliebe 1,22; 3,8), so kann doch von einer straffen Disposition und konsequenten Gedankenführung nicht gesprochen werden. Die Gliederungen in der Exegese sind z. T. nur Versuche, eine gewisse Ubersicht zu ermöglichen. Wiederholungen sind nicht selten, und sachlich Zusammengehöriges, wie etwa 4 , 1 0 f. und 5,1 ff. steht nicht immer beieinander. Die lockere und oft bloß assoziative Aufreihung der einzelnen Mahnungen ohne feste Ordnung und Systematik ist ein typisches Kennzeichen paränetischer Überlieferung (vgl. die Einleitung zum Jakobusbrief). Immerhin lassen sich wie beim Jakobusbrief, dessen parallele Stellen im allgemeinen dieselbe Reihenfolge wie im 1. Petr. haben, gewisse Ansätze eines Dispositionsschemas nicht leugnen. So ist es kaum zufällig, daß wieder die Taufbezüge vor allem in Kapitel 1 zu finden sind (vgl. 1,2.3.23), während die eschatologischen Aussagen ebenso wie die Fragen der Kirchenordnung vor allem gegen Schluß des Briefes auftauchen (4,7.13.17 bzw. 5 , 1 ff.; vgl. weiter die Einleitung zum Jakobusbrief). Die klare Ordnung der „Haustafel" in Kap. 2 und 3, die die Christen zu guten Werken innerhalb der Strukturen dieser Welt ermahnt, ist dem Verfasser schon vorgegeben. Trotz des losen Zusammenhangs erreicht der Brief mit seltener Eindringlichkeit, sein Hauptanliegen überzeugend darzustellen und die Christen zu Gehorsam im Leben und Leiden zu ermutigen. Literatur Wissenschaftliche Kommentare: R.Knopf, Die Briefe Petri und Judä (MeyerK 12), 7 1912. - G. Wohlenberg, Der erste und zweite Petrusbrief und der Judasbrief (Kommentar zum NT, hrsg. von Th. Zahn, XV), '1923. - A. Schlatter, Petrus und Paulus nach dem 1. Petrusbrief, 1937. - H. Windisch/H. Preisker, Die katholischen Briefe (Handbuch zum N T 15), "1951. - E.G.Selivyn, The First Epistle of St. Peter, '1952. - F.W.Beare, The First Episde of Peter, '1961. - K. H. Schelkle, Die Petrusbriefe. Der Judasbrief (Herders Theologischer Kommentar zum N T XIII, 2), »1964. - L. Goppelt, Der erste Petrusbrief (MeyerK XII 1), 1978. -N.Brox, Der erste Petrusbrief (Evangelisch-katholischer Kommentar zum N T XXI), 1979. Allgemeinverständliche Auslegungen: M.Luther, Epistel Sanct Petri gepredigt und ausgelegt, 1523 (Weimarer Ausgabe 12, S. 259-399). - H. Gunkel, Der erste Brief des Petrus
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(Die Schriften des N T III), '1917. - E.Schweizer, Der 1. Petrusbrief (Zürcher Bibelkommentare), '1949. - A.Schlatter, Erläuterungen zum N T 9, 1950. - H.Rendtorff, Getrostes Wandern. Eine Einführung in den 1. Brief des Petrus (Die urchristliche Botschaft 20), 7 1951. - F.Hauck, Die Kirchenbriefe (NTD 10), «1957. - ]. Schneider, Die Kirchenbriefe (NTD 10), " 1 9 6 7 . - ]. Michl, Die katholischen Briefe (Regensburger N T 8), '1968. G. Schiwy, Weg ins N T 4 , 1 9 7 0 . Untersuchungen: R. Perdelwitz, Die Mysterienreligionen und das Problem des 1. Petrusbriefes, 1911. - E. Lohse, Paränese und Kerygma im 1. Petrusbrief, Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 45, 1954, S. 68-89. - C.F.D.Moule, The Nature and Purpose of 1. Peter, New Testament Studies 3, 1956/57, S. 1-11. - W. C. van XJnnik, The Teaching of Good Works in 1 Peter, New Testament Studies 1, 1954/55, S.92-110. R.Bultmann, Bekenntnis- und Liedfragmente im ersten Petrusbriefe, in: Exegetica, 1967, S. 285-297. - K. Philipps, Kirche in der Gesellschaft nach dem ersten Petrusbrief, 1971. - H. Goldstein, Paulinische Gemeinde im Ersten Petrusbrief, 1975. - H. Millauer, Leiden als Gnade. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zur Leidenstheologie des ersten Petrusbriefes, 1976.
I. Briefeingang 1,1-12 1. Absender, Adressaten und Gruß
(1,1-2)
1 Petrus, Apostel Jesu Christi, den auserwählten Fremden in der Diaspora von Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien * nach der Vorauswahl Gottes des Vaters, durch die (oder: in der) Heiligung des Geistes, zu Gehorsam und Besprengung mit dem Blut Jesu Christi. Gnade und Friede werde euch reichlich zuteil.
Der Brief beginnt mit dem üblichen Briefeingang (Präskript), der anders als Jak. 1,1 (vgl. dort) formal der orientalisch-jüdischen Briefkonvention entspricht, inhaltlich aber mit zentralen Glaubensaussagen, die bereits einige Leitmotive des Briefes signalisieren, geradezu überladen ist. Der Verfasser nennt sich Apostel Jesu Christi. Da der Apostelbegriff im ganzen 1 Brief nur in der Absenderangabe vorkommt, ist eine genaue Aussage über den Sinn dieser Selbstbezeichnung schwierig. Im Zusammenhang mit der Reklamierung petrinischer Verfasserschaft liegt der Gedanke an die durch Jesus Christus geschehene Beauftragung und Autorisierung am nächsten. Vom Gesamttenor des Briefes her darf das aber kaum nur als Mittel zur Steigerung der Autorität aufgefaßt werden. Vielmehr scheint der Genitiv „Jesu Christi" einige Bedeutung zu haben. Dann aber nimmt nach Meinimg des Verfassers auch Petrus nicht einfach kraft eigener Vollmacht und in eigener Sadie und Verantwortung das "Wort, sondern ist bevollmächtigter Bote eines anderen. Jesus Christus allein verdankt er Mandat und Legitimation, die Gemeinden zu trösten und zu ermahnen. Die Adressaten werden sofort auf ihr Verhältnis zu Gott und zur Welt angesprochen und auserwählte (vgl. 2 , 4 . 6 . 9 ) Fremde genannt. Damit wird gleich am Anfang deutlich, daß die Briefempfänger einerseits von Gottes zuvorkommender Gnade endzeitlich erwählt (vgl. zu 2,9), andererseits aber als solche noch unterwegs zu ihrer eigentlichen Heimat sind. Dort, wo sie sich jetzt für kurze Zeit aufhalten, sind sie nicht heimisch (vgl. 2,11; Hebr. 11,13; Herrn.Sim. I 1; 2.Klem. 5,1 u.ä.). Diese Fremde, in der die Christen nicht zu Hause sind, ist die Welt, ihre
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Heimat aber, in der sie jetzt schon Bürgerrecht genießen (Phil. 3,20), auf die sie aber noch zugehen, ist der Himmel. Dabei schwingen sowohl räumliche (V.4) als auch zeitliche (V. 5) Vorstellungen mit; ob der Verfasser nun stärker vom Gegenüber von Erde und Himmel her oder von Gegenwart und Zukunft her denkt, entscheidend ist jedenfalls: die Christenheit ist noch nicht am Ziel, sie lebt noch im Provisorium und in der peregrinatio (vgl. das Motiv vom wandernden Gottesvolk im Hebr.). Für den Gedanken der Fremdlingschaft konnte der Verfasser auf die Septuaginta zurückgreifen, wie die alttestamentliche Anspielung in 2,11 zeigt (vgl. auch das Zitat von 1. Mose 23,4 in Hebr. 11,13). Anspielungen auf die alttestamentliche Geschichte, etwa Israels Zeit in Ägypten (vgl. Apg. 7,6; 13,17), fehlen dagegen. Schon die Septuaginta hat die Fremdlingstypologie betont und damit eine Verbindung zum hellenistischen Dualismus geschaffen; ähnliche Vorstellungen sind aber auch in die Apokalyptik eingedrungen (vgl. 4. Esr. 8,39; 14,13 f.; 16,41; l Q H 5 , 7 f . ) und bringen dort die Heimatlosigkeit in dieser Zeit und Welt im Gegensatz zum kommenden Äon zum Ausdruck, stehen also nicht im Gegensatz zu Naherwartung, Endgericht und ähnlichen apokalyptischen Vorstellungen. In denselben Gedanken- und Motivkreis gehört hier auch der Ausdruck „Diaspora" (vgl. Jak. 1,1). Der Vorstellungszusammenhang mit der Charakterisierung der Christen als Fremde schließt eine nicht übertragene Bedeutung dieses Wortes im Sinne der zerstreuten Juden außerhalb Palästinas (vgl. Joh. 7,35) ebenso aus wie die Tatsache, daß wir es im 1. Petr. mit heidenchristlichen Adressaten zu tun haben. Nicht die Zerstreuung der Juden oder Judenchristen unter den Heiden ist gemeint, sondern die Zerstreuung der christlichen Gemeinde in der Welt. Daß durch die übertragene Bedeutung auch die harte soziologische Realität der Isolation in der Gesellschaft durchscheint, sollte freilich nicht übersehen werden. Die junge Christenheit lebt tatsächlich als unangepaßte Minorität in der Welt. Darüber darf die Nennung ganzer Provinzen nicht hinwegtäuschen (zu deren Reihenfolge vgl. die Einleitung). 2
Die drei Bestimmungen von V.2 beziehen sich sämtlich auf die Adressaten und ihre Erwählung zu Fremden. Die erste „nach der Vorauswahl Gottes des Vaters" betont Gottes freie Gnadenwahl bei der Erwählung und damit die alleinige Initiative Gottes am Anfang und Grund des Christenweges. Daß Gott die Seinen vor aller Zeit (vgl. V. 20 und Eph. 1,4) erwählt hat, schließt zwar für den Verfasser sicher auch ein, daß Gott vorausschauend Anfang und Ende der Wanderschaft kennt, entscheidend aber ist nicht der Gedanke an Gottes Vorherw^'ssew, sondern an seine V o r h e m d / (vgl. Rom. 8,29 f.). Diese aber ist nicht die Willkür eines blinden Schicksals, das in ängstlichen Fatalismus und verzweifelte Resignation treibt, sondern Gnadenwahl des Vaters (vgl. dazu 1,17), wie ja überhaupt die Vorstellung einer Prädestination im Neuen Testament das Prae der Gnade betonen, nicht aber Spekulationen provozieren will. Die am Uranfang gefallene Entscheidung manifestiert sich „in der Heiligung des Geistes" oder „durch die Heiligung des Geistes". Die folgende Zielangabe spricht hier stärker für die letzte Deutung, wobei man wohl konkret an die Taufe zu denken hat (vgl. l.Kor. 6,11), aber da die so verwirklichte Heiligung auch weiterhin das Leben der Christen bestimmt (vgl. zu V. 15 f.), ist damit die erste Deutung eingeschlossen. Die Heiligung ist also Mittel und Vollzug der Erwählung, und zwar als Sache des Geistes selbst. Denn wie in der
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vorangehenden und folgenden Wendung ist der Genitiv auch hier ein Genitivus subjectivus. D. h. der göttliche Geist selbst ist Subjekt der Heiligung, nicht der Mensch (vgl. 2.Thess.2,13). Durch das Eingreifen des Geistes wird der Mensch in der Taufe dazu erwählt, sein Leben inmitten dieser Welt als Leben in der Fremde zu führen. Die letzte Wendung: „zu Gehorsam und Besprengung mit dem Blut Jesu Christi" bereitet eine gewisse Schwierigkeit. Klar ist, daß Erwählung auf Gehorsam zielt. Bei der Blutbesprengung wird meist an eine Entsprechung zur Besprengung Israels mit dem Bundesblut bei der Bundesschließung gedacht (2. Mose 24,8), die übrigens auch dort auf die Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber den von Mose vorgetragenen Rechtssatzungen Gottes folgt. So wie Israel von Mose in den alten Bund aufgenommen worden sei, so die Christen von Christus in den neuen (vgl. Hebr. 9,19 ff.). Dabei ist aber natürlich nicht an eine wirkliche kultische Besprengung zu denken, sondern „Blut" steht hier als anschauliches und die Heilsbedeutung interpretierendes Symbol für den Tod Jesu Christi (vgl. Rom. 5,9 mit 5,10). Diesem Tod eignet sühnende und bundesschließende Kraft. Eine nochmalige Bezugnahme auf die Taufe (Hebr. 10,22) oder gar auf einen bestimmten Akt der Tauffeier anzunehmen, ist nicht nötig. Offenbar geht es dem Verfasser nicht nur um eine einmalige „Besprengung" und Zueignung der Heilskraft des Todes Jesu, sondern darum, daß die Leser in dem durch Gehorsam bestimmten und durch den Heilstod Jesu begründeten Bund bleiben (vgl. Barn. 8,3, wo das „Besprengen" als Verkündigen der Sündenvergebung gedeutet wird). „Sichbesprengenlassen" heißt demnach, die Heilsbedeutung des Todes Jesu im Gehorsam annehmen. Die Form des Grußes (Salutatio) ist bis auf das hinzugefügte Verb die der paulinischen Briefe (siehe dort). 2. Lobpreis für gegenwärtiges
und zukünftiges Heil
(1,3-12)
Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu lebendiger Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, 4 zu einem unvergänglichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das im Himmel aufbewahrt ist für euch, 5 die ihr in der Kraft Gottes beschützt werdet durch den Glauben für das Heil, das bereit steht, offenbart zu werden in der letzten Zeit. 6 In ihr werdet ihr jubeln, die ihr jetzt eine kurze Frist, wenn es sein muß, in mancherlei Anfechtungen betrübt werdet, 7 damit die Echtheit eures Glaubens, ungleich wertvoller als vergängliches Gold, das durch Feuer erprobt wird, sich erweise zu Lob, Herrlichkeit und Ehre bei der Offenbarung Jesu Christi. 8 Den liebt ihr, ohne ihn gesehen zu haben, an den glaubt ihr, ohne ihn jetzt zu schauen. In unaussprechlicher verklärter Freude aber werdet ihr jubeln, * wenn ihr das Ziel eures Glaubens davontragt, die Rettung (eurer) Seelen. 10 Nach diesem Heil haben die Propheten gesucht und geforscht, die von der Gnade für euch geweissagt haben, 11 indem sie nachforschten, auf welche oder was für eine Zeit der Geist Christi in ihnen hinweise, der die für Christus bestimmten Leiden und die folgenden Herrlichkeiten im voraus bezeugt hat. 1 2 Ihnen ist offenbart worden, daß sie nicht sich selbst, sondern euch dienen sollten mit dem, was euch jetzt verkündigt worden ist durch die, die euch in dem vom Himmel gesandten Heiligen Geist das Evangelium verkündigt haben, worin auch die Engel Einblick zu gewinnen begehrten. 3
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1. Petr. 1,3-12: Lobpreis für gegenwärtiges und zukünftiges Heil
Wie im 2. Kor. u n d Eph. folgt auf das Präskript ein kunstvoll gegliederter Lobpreis hymnischen Charakters. Z u m a l die Benediktionsformel (V.3), der partizipial geprägte Stil u n d die zahlreichen Präpositionen erinnern stark an Eph. 1,3 ff. Der eigentliche Lobpreis, der auf der Wiedergeburt zur lebendigen Hoffnung gründet (V. 3 f.), geht allerdings immer mehr in tröstende und ermahnende Aussagen über (vgl. schon das „euch" V.4). V.6-9 konfrontieren dabei besonders die jetzige Zeit des Glaubens, der Anfechtung u n d der Verborgenheit mit der kommenden Zeit des Jubels, der Herrlichkeit und des Offenbarwerdens. V. 10-12 machen die unvergleichliche G r ö ß e des Heils daran deutlich, daß es Propheten und Engeln nicht zuteil wurde. 3 D a n k an die Gottheit am Anfang eines Briefes entspricht antikem Briefstil, doch bezieht sich das dort auf Gesundheit, äußeres Wohlergehen u. ä. In der Form lehnt sich V . 3 an das hymnische Lob des A T an (vgl. Ps.72,18; 2 . C h r o n . 2 , l l u . ö . ; im N T : Lk. 1,68) und läßt darin die gottesdienstlich geprägte Sprache ebenso erkennen wie in der aus liturgischer Tradition stammenden Wendung „der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus". Diese durch einen Artikel zusammengefaßte Gottesprädikation, deren Genitiv sich wahrscheinlich auf „Gott und Vater" bezieht, soll entweder die Uberordnung Gottes auch über Jesus Christus betonen oder aber zum Ausdruck bringen, d a ß Gott der Gott ist, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat. Nicht auszuschließen ist aber, d a ß sich der Genitiv allein auf „Vater" bezieht und als christliche Interpretation des Gottesbegriffes zu verstehen ist: Gott, das ist f ü r den christlichen Glauben eben eo ipso der Vater unseres Herrn Jesus Christus. Dieser Gott wird hier d a r u m gepriesen, weil er die Christen wiedergeboren hat. Die Verwandtschaft dieser Ausdrucksweise zur Sprache und Vorstellungswelt hellenistischer Mysterienkulte, die das Sterben des alten Menschen und die Geburt eines neuen Menschen verhießen, ist unbestreitbar. Der Sinn ist freilich ein anderer. Der Wiedergeborene wird nach dem 1. Petr. nicht zur Unsterblichkeit wiedergeboren oder magisch-naturhaft verwandelt, sondern er bleibt auch als Wiedergeborener vergängliches „Fleisch" u n d „verdorrendes Gras" (V.24). So wenig „Wiedergeburt" also ein den Menschen in eine Uberwelt entrückender Vergottungsritus ist, so wenig ist sie bloß ein Bild oder Symbol für innere Erlebnisse, mystische Stimmungen oder ekstatische Schauungen. Sie ist vielmehr eine von Gott selbst geschaffene neue Lebenswirklichkeit, von der sachgemäß darum nicht im Blick auf fromme Seelenvorgänge des Menschen, sondern im Blick auf Gottes Handeln in Jesus Christus die Rede ist. In dieses wird der Mensch (nach Tit. 3 , 5 in der Taufe) einbezogen (vgl. weiter zu 1,23). Das setzt keine religiöse oder moralische Disposition voraus, sondern „Gottes große Barmherzigkeit", sein grundloses Erbarmen. Die radikal als Gottes eigenes W e r k verstandene Wiedergeburt stellt den Menschen in „lebendige H o f f n u n g " . Lebendig ist diese H o f f n u n g nicht, weil sie selbst Leben aus sich heraussetzen k ö n n t e oder besonders intensiv wäre, sondern weil sie im Unterschied zu den T r ä u m e n , Sehnsüchten u n d Illusionen, die zu den „nichtigen und trügerischen H o f f n u n g e n " (Sir. 34,1) zählen, verbürgte und gewisse Hoffnung ist. Verbürgt aber ist sie „durch die Auferstehung Jesu Christi von den T o t e n " (vgl. V. 21, wo die Hoffnung ebenfalls als Konsequenz des totenerweckenden Handelns Gottes an Christus verstanden ist, ebenso l . T h e s s . 4,14). N u r w o H o f f n u n g in dem Osterereignis
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gründet und mit dem lebendigen Christus rechnet, wird sie nie als gegenstandslos ersterben. V. 4 nennt den Inhalt der Hoffnung. Wiedergeborene sind Kinder Gottes. Kinder 4 aber sind Erben (vgl. Rom. 8 , 1 7 ) . Hoffnungsgut ist darum das eschatologische „Erbe" (vgl. 3 , 7 . 9 ) . Dieses wird in dreifacher Weise negativ umschrieben, was aber kaum als polemische Anspielung auf Mysterienbräuche aufzufassen ist. Auch apokalyptische Texte sprechen oft vom „Erbe" im Sinn des himmlischen Erbes und verstehen darunter das „Erbe des ewigen Lebens", der „Königsherrschaft Gottes" (vgl. außer den Belegen aus Ps. Sal., äth. und slav. Hen. im N T M k . 1 0 , 1 7 ; 1. Kor. 6 , 9 f.; 1 5 , 5 0 u.ö.). Auf diesen Vorstellungshintergrund weist wohl auch die einzige positive Aussage in V . 4 („im Himmel aufbewahrt"); denn nach apokalyptischer Anschauung liegen die Heilsgüter bereits seit der Urzeit im Himmel bereit (vgl. außer syr. Bar. 4 , 3 . 6 u.a. auch M t . 2 5 , 3 4 ; A p k . 2 1 , 2 f f . ) . Gerade darum ist das Erbe als himmlisches und ewiges „unvergänglich" (vgl. Rom. 2 , 7 ; 1. Kor. 9 , 2 5 ) und „unverwelklich", also anders als die Dinge der Natur und der Welt (vgl. V. 24) nicht der Vergänglichkeit unterworfen; anders als irdisches Erbe ist es nicht bedroht und verlierbar, aber auch unbefleckt von Sünde und Unrecht der jetzigen Zeit (vgl. syr. Bar. 2 1 , 1 9 ; 4 4 , 9 ) . D a ß das „Erbe" den Augen und dem Zugriff der Welt entzogen ist, ist freilich nur 5 dann eine Verheißung, wenn Gott seine Hand auch über den Erben hält. Das ist um so nötiger, als das irdische Gedränge den Christen nicht erspart wird. V . 5 sagt darum, daß die Christen „Bewahrte" sind. Dabei ist „Gottes M a c h t " entweder als Wächter vorgestellt („durch") oder als Sphäre („in"), in der die Glaubenden (vgl. zu V. 21) bewahrt und festgehalten werden, bis in der „letzten Zeit" (vgl. zu V . 2 0 ) das bereitstehende Heil endgültig und umfassend hervortritt. Dann werden die 6 Erlösten jubeln. Zwar weiß der l . P e t r . auch von einer gegenwärtigen Freude (vgl. Jak. 1,2), diese wird aber vom kommenden Jubel bei der Erscheinung Jesu Christi in 4 , 1 3 ausdrücklich unterschieden. Christliche Freude mitten im Leid ist weder mit bloßer Vorfreude noch aber in schwärmerischer Weise mit endzeitlichem Jubel zu verwechseln; sie ist vielmehr Präludium und Vorschein der „unaussprechlichen und verklärten Freude" (V. 8), auf die die Christen zugehen (vgl. auch Ps. 1 2 6 und Apk. 19,7). Erst dann werden auch die „vielfachen Versuchungen" zu Ende sein, die die Christen als Glieder des endzeitlichen Gottesvolkes treffen (vgl. auch zu 4 , 1 2 f.) und das heraufziehende Ende signalisieren. Diese Bedrängnisse und schmerzlichen Erfahrungen, vor denen wahre Hoffnung nicht die Augen zu verschließen braucht, sind zum einen zeitlich begrenzt, ja im Vergleich zur kommenden Herrlichkeit geradezu auf einen Augenblick zusammengedrängt (vgl. 5 , 1 0 u. R o m . 8 , 1 8 ; 2. Kor. 4 , 1 7 f.), zum anderen aber geschehen sie nach Gottes Plan (vgl. zu diesem „Müssen" Mk. 8 , 3 1 ; Apg. 9 , 1 6 u. ö.); das konditionale „wenn" deutet dabei an, daß nicht an eine zwangsläufig und mechanisch ablaufende Ereignisfolge eines unabänderlichen Schicksals gedacht ist, sondern Gott allein weiß, ob und wann es dazu kommt (vgl. 3 , 1 4 . 1 7 ) . Sie sind jedenfalls kein Verhängnis oder Rätsel, sondern zielen auf Be- 7 Währung und Manifestation des Glaubens. Der Glaube bewährt seine Echtheit wie das Gold im Feuer. Der springende Punkt dieses Bildes ist also die Bewährung und Erprobung (vgl. J a k . 1 , 3 . 1 2 ) , nicht aber Läuterung und Reinigung. Auch an anderen Stellen ist im Alten (Spr. 1 7 , 3 ; 2 7 , 2 1 ; Weish.3,6) wie Neuen Testament ( l . K o r .
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l.Petr. 1,3-12: Lobpreis für gegenwärtiges und zukünftiges Heil
3 , 1 3 ) oft nur von Prüfung, nicht Läuterung (so Ps. 1 2 , 7 ; 6 6 , 1 0 ; Offb. 3 , 1 8 ) die Rede. Der Verfasser will also nicht sagen, daß sich im „ F e u e r " ( 4 , 1 2 ) nach und nach der reine G l a u b e entwickelt, sondern daß sich im „Feuer" herausstellt, was Glaube ist und was nicht. D e r bewährte Glaube ist aber kostbarer als G o l d , weil er beim „Offenbarwerden Jesu Christi" zu „ L o b , Herrlichkeit und E h r e " führen wird. Diese „Offenbarung Jesu Christi" in Herrlichkeit (vgl. außer 4 , 1 3 auch 1. Kor. 1 , 7 ) bringt auch das Offenbarwerden des Heils (V. 5) mit sich. Soteriologie ohne Christologie ist auch für den 1. Petr. undenkbar, wie V. 13 bestätigt. 8
Obschon erst diese „ O f f e n b a r u n g " am Ende der Zeit der Verborgenheit Jesu Christi ein Ende macht (vgl. 2. Kor. 5 , 7 ) , sind die Christen mit ihrem Herrn aber nicht durch einen apokalyptischen Fahrplan verbunden, sondern
in Liebe
und
Glaube. Obschon sie Jesus Christus weder gesehen haben noch sehen, lieben sie ihn und glauben sie ihm (vgl. Polyc. Phil. 1 , 3 ) . Diese Liebe und dieser G l a u b e beruhen also nicht auf persönlicher Kenntnis oder ekstatischer Schau. Sie gründen vielmehr auf dem „Evangelium" bzw. auf dem „ W o r t " (vgl. V. 12 und 2 5 ; 2 , 8 und 4 , 1 7 ) . D a ß die H ö r e r gegenüber der ersten G e n e r a t i o n benachteiligt seien oder ihnen hier besonders schmerzvolle Probleme entstünden, ist nicht zu erkennen. Glaube und Liebe wider den Augenschein und wider den
Leidensdruck
(V. 6 f.) als exklusive Bindung und Hingabe an den verborgenen Herrn ist freilich nur dann durchzuhalten, wenn in diesem „ J e t z t " das künftige „Ziel des G l a u b e n s " im Blick bleibt. Die dann anbrechende himmlische Freude (vgl. zu V. 6) über9
steigt menschliches Sprach- und Vorstellungsvermögen
(„unaussprechlich").
Das
damit verbundene „Ziel des G l a u b e n s " ist also etwas, auf das der G l a u b e noch hofft und zugeht und nicht dasjenige, das er in sich trägt (zum endzeitlichen „Erlangen" vgl. 5 , 4 ) . Der G l a u b e ist nicht als solcher die „ R e t t u n g der Seele", sondern er erwartet sie. Von Heil bzw. Rettung der „Seelen" ist im Neuen T e s t a ment nur selten die Rede (vgl. J a k . 1 , 2 1 ; 5 , 2 0 ) . Hat hier die griechisch-hellenistische Anschauung von der Unsterblichkeit der Seele Einfluß genommen? Leider ist die Deutung von „Seele" nicht ganz sicher, da neben der dualistischen Sicht im Sinne eines höheren Wesenteils (so z . B . 2 , 1 1 ) „Seele" auch in der ganzheitlichen Bedeutung von lebendiger Person v o r k o m m t ( 1 , 2 2 ; 3 , 2 0 ) . D a aber auch die A p o kalyptik von Errettung der Seele sprach ( ä t h . H e n . 4 8 , 8 ; 1 Q H 5 , 1 3 ) und damit wie in J a k . 1 , 2 1 die endzeitliche Rettung des Menschen im Gericht meinte, scheint es v o m eschatologischen K o n t e x t her am wahrscheinlichsten, d a ß der Dualismus von Leib und Seele das biblische Ganzheitsdenken hier nicht überfremdet und verkürzt hat. Läge eine Spiritualisierung vor, so w ä r e sie sachkritisch an der sonstigen neutestamentlichen Sicht des Menschen und der Heilsvollendung zu messen. 10
V. 1 0 - 1 2 wird die G r ö ß e des durch Christus erwirkten Heils, dessen gegenwärtige Realität jetzt stärker als vorher mit u m f a ß t ist, und die Auszeichnung der Christen verdeutlicht: W a s Propheten und Engeln entzogen oder verborgen blieb, wurde den Christen zuteil. Merkwürdigerweise wird die T ä t i g k e i t der alttestamentlichen Propheten, die G o t t e s gnädiges Handeln geweissagt haben, hier als Suchen und Nachforschen bezeichnet. D a s paßt nicht recht zu den Propheten und ihrer
11 D r o h - und Heilsverkündigung. Auch die in V. 11 genannte Frage nach dem endzeitlichen W a n n und W i e erinnert weniger an die Propheten als an jüdische Apokalyp-
l . P e t r . 1 , 1 3 - 2 1 : Heiligung im Horizont der Hoffnung und Erlösung
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tiker (vgl. D a n . 9 , 2 ; ä t h . H e n . 6 5 , 1 0 ; 1 Q p H a b 7 , 1 ff.), die darauf ja z.B. durch Beobachtung der Zeitumstände und Erklärung der Schrift eine Antwort suchten. Überraschend ist auch die Vorbehaltlosigkeit, mit der hier summarisch die alttestamentliche Prophetie als vom „Geist Christi" inspiriert erklärt wird. Wichtig ist dem Verfasser dabei weniger der nur indirekt zu erschließende Gedanke an die Präexistenz Christi (vgl. V. 20) oder gar an seine geisthaite Existenz als vielmehr dies, daß das „jetzt Verkündigte" (V. 12) schon „vorherbezeugt" worden ist, also im Zusammenhang mit der alttestamentlichen Verheißungsgeschichte steht. Als Inhalt der „Vorherbezeugung" werden im Anschluß an die zentralen Stücke der urchristlichen Heilsbotschaft (vgl. 1. Kor. 15,1 ff.) die für Christus bestimmten „Leiden" und „Herrlichkeiten", also vor allem Tod und Auferweckung Jesu Christi, genannt (zum Plural „Leiden" vgl. 4 , 1 3 und Phil. 3 , 1 0 u. ö., zu „Herrlichkeiten" vgl. 3,22). Zugleich aber wurde den Propheten „geoffenbart", daß sie mit ihrem 12 Zeugnis im Dienst derjenigen stehen, die die Erfüllung der Heilszeit erleben (vgl. äth. Hen. 1,2). Auch das ist trotz der Zukunftsorientierung alttestamentlicher Prophetie und trotz Stellen wie Hab. 2 , 2 f. u.ä. nicht so sehr im Blick auf die Propheten als im Blick auf die Christen gesagt, um ihnen ihren singulären geschichtlichen Ort in der Heilsgeschichte und ihre unvergleichliche Begnadung deutlich zu machen (vgl. Lk. 10,24). Das wird noch verstärkt durch die Bevorzugung der Christen selbst gegenüber den Engeln (vgl. Hebr. 1,5 ff.), die in das „hineinzuschauen begehrten", was den Christen verkündet wird. Ob die Engel genauen Einblick zu gewinnen suchten oder nur einen verstohlenen Blick in Gottes Heilsplan zu werfen wünschten, ob sie es vorwitzig oder aus echtem Erkenntnisdrang taten, darf man nicht fragen. Dem Verfasser kommt es allein darauf an, daß selbst Engeln, die doch normalerweise als Offenbarungsvermittler galten(vgl. Offb. 1,1 u.ö.; anders slav. Hen. 2 4 , 3 ) , verschlossen blieb, was den Christen verkündigt wird. Solche Verkündigung des in T o d und Auferstehung Jesu Christi eröffneten Geheimnisses (vgl. Rom. 16,25 f. u.ö.), auf das die ganze Heilsgeschichte zulief, geschieht durch die Boten des Evangeliums, die dazu des Heiligen Geistes bedürfen (vgl. 1. Kor. 2 , 4 . 1 0 u. ö.). Dieser Geist ist göttlichen Ursprungs („vom Himmel gesandt"). Auch wenn der Vf. an der Selbigkeit dieses „Heiligen Geistes" mit dem in der atl. Prophetie wirksamen „Geist Christi" (V. 11) nicht zweifeln wird - die Kontinuität liegt also auf seiten Gottes! so treibt er sein eigentliches Werk doch erst in der Gegenwart, in der Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi gepriesen werden können.
II. Allgemeine Mahnungen zum rechten Leben auf Grund des gegenwärtigen und zukünftigen Heils 1,13-2,10 1. Gehorsam und Heiligung im Horizont der Hoffnung und Erlösung (1,13-21) 1 9 Darum umgürtet die Lenden eures Sinnes, seid ganz nüchtern und setzt eure Hoffnung auf die Gnade, die euch bei der Offenbarung Jesu Christi zuteil wird. 1 4 Macht euch als Kinder des Gehorsams nicht den Begierden konform, die ihr früher in eurer Unwissenheit hattet, 1 5 sondern nach dem Willen dessen, der euch
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l.Petr. 1,13-21: Heiligung im Horizont der Hoffnung und Erlösung
berufen hat und heilig ist, sollt auch ihr in eurer ganzen Lebensführung heilig werden. " Denn es steht geschrieben: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig." 1 7 Und wenn ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person nach eines jeden Werk richtet, so wandelt in Furcht während der Zeit eures Aufenthaltes in der Fremde, 1 8 im Wissen darum, daß ihr nicht mit Vergänglichem, mit Silber oder Gold, losgekauft worden seid von eurer nichtigen, von den Vätern überkommenen Lebensweise, 1 8 sondern mit dem kostbaren Blut Christi als eines fehl- und makellosen Lammes. 1 0 Der war schon vorher ausersehen worden, vor Grundlegung der Welt, offenbar geworden aber ist er am Ende der Zeiten um euretwillen, 2 1 die ihr durch ihn zum Glauben gekommen seid an Gott, der ihn von den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit gegeben hat, so daß euer Glaube zugleich Hoffnung auf Gott ist. Vera 16: vgl. 3. Mose 11, 44 f.; 19,2;
20,7.
Die Konsequenz des durch Christus erwirkten Heils wird in der folgenden Paränese zunächst mehr grundsätzlich als konkret umschrieben (1,13-2,10). Die erste Reihe von Mahnungen ruft zu Aufbruch, Nüchternheit und Hoffnung (V. 13), zu Nicht-Konformität mit dem früheren Lebensstil (V. 14) und einem Leben in Heiligung (V. 15). Das wird mit Gottes eigener Heiligkeit begründet (V. 16) und durch den Hinweis auf das Gericht verstärkt (V. 17). Die Erlösung durch Christus ist ein weiteres Motiv rechter Lebensführung (V. 18f.). Eine der Tradition entnommene christologische Aussage (V. 20) führt den Verfasser dann auf die Auferweckung Jesu, aus der die Hoffung resultiert (V. 21). 13
Das erste Wort ist hier das wichtigste („darum"), denn damit wird die folgende Mahnung als Folgerung aus dem vorangehenden Abschnitt eingeführt. Das besagt: Gottes gegenwärtiges und zukünftiges Heilshandeln in Jesus Christus ist Basis und Motiv des Handelns der Christen. Ganz wie bei Paulus ist die Ethik auch hier nicht verselbständigt, sondern in unlöslicher Verklammerung mit dem Tun Gottes gesehen. Ohne Wiedergeburt kein neuer Gehorsam, ohne Hoffnung keine Bewährung der christlichen Existenz. „Darum" - das heißt also: als von Gott durch die Auferstehung zur Hoffnung Wiedergeborene werden die Leser angesprochen und aufgerufen, als solche nun auch zu leben. Schon der erste Imperativ bestätigt den Rückgriff auf V . 3 - 1 2 auch konkret: Weil die Angeredeten durch die Wiedergeburt in die Hoffnung gestellt worden sind, sollen sie das ernst nehmen und nun auch hoffen, Hoffnung fassen, Hoffende werden, die Hoffnungslosigkeit fahrenlassen. Vor diesem Imperativ stehen im Griechischen zwei Partizipien, die aber wohl nicht eine Vorbedingung für die Hoffnung angeben, sondern wie 2 , 1 2 . 1 8 und auch sonst öfter (Rom. 1 2 , 9 ff.) im Sinn von Imperativen stehen. Die Christen sollen sich demnach „die Lenden aufschürzen" (eigentlich: die langen, bei der Arbeit oder beim Gehen hinderlichen Kleider mit einem Gürtel hochbinden), was nicht eine Anspielung auf den Exodus Israels sein soll (vgl. 2. Mose 12,11), sondern in übertragenem Sinn auch sonst (vgl. Jer. 1,17; Spr. 3 1 , 1 7 ; im N T Lk. 1 2 , 3 5 ; Eph. 6,14) begegnet, im Sinn von: sich bereitmachen zum Aufbruch. Diese Bereitschaft soll sich vor allem in der Denkart und Denkkraft als geistige Entschlossenheit zeigen. Das ist keine allgemeine Wahrheit im Sinn einer Mahnung zum ständigen Unterwegssein, sondern
„Heilig" im Alten und Neuen Testament
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Zurüstung zur endzeitlichen Offenbarung des Herrn, von der am Ende des Verses die Rede ist. Der Aufbruch der Christen hat ein Ziel. Auch die Mahnung zu „völliger Nüchternheit" steht in eschatologischem Horizont (vgl. 4 , 7 und l . T h e s s . 5 , 6 ) . Nüchtern ist, wer sich nicht durch diese Weltzeit berauschen läßt und im Wissen um das, was wahrhaft zählt, in Selbstzucht nach dem Kommenden Ausschau hält. Von der zukünftigen „Offenbarung Jesu Christi" in Herrlichkeit her (vgl. V. 7 und 4 , 1 3 ) wird die Welt radikal demaskiert und zu einem einzigen Provisorium. Solche Desillusionierung wird freilich nicht einfach durch die Einsicht in die Vergänglichkeit aller Dinge bewirkt, sondern durch die Hoffnung. Und diese hat ein Woraufhin,
einen Inhalt: „die Gnade bei der Offenbarung Jesu ChristiDiese
„Gnade" ist auch
hier keine zeitlose gnädige Gesinnung, aber im Unterschied zu Paulus ist sie auch nicht die Heilstat Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu. Sie ist vielmehr zukünftig verstanden (vgl. Did. 1 0 , 6 ) und wohl inhaltlich identisch mit „Heil" ( V . 5 . 9 . ) . Nicht ganz sicher ist der Sinn des in der Übersetzung als Relativsatz Wiedergegebenen. Entweder ist gesagt, daß die endzeitliche Gnade schon jetzt in der Verkündigung als Verheißung an die Hörer herangetragen wird, oder aber, daß sie ihnen bei der Wiederkunft zuteil wird bzw. auf sie eindringt. Hoffende aber sind die Christen nur als Gehorsame, als „Kinder des Gehorsams" 14 (andere Beispiele für diese semitisierende Ausdrucksweise in E p h . 2 , 3 ; 5 , 8 u.a.: vgl. „Kind seiner Zeit"). Wer vom Gehorsam geprägt ist, wird sich nicht wieder an das Schema der Vergangenheit angleichen wollen, sondern am Kontrast zu den „früheren" Verhaltensmustern festhalten (vgl. R o m . 12,2). Denn diese Vergangenheit war bestimmt von den Begierden, die dem Willen Gottes widerstreiten (4,2). Gewiß müssen auch und gerade die Christen vor ihnen gewarnt werden, weil sie auch ihnen noch zusetzen ( 2 , 1 1 ) und weil sie von der Vergangenheit als Gegenwart umgeben sind, aber sie sind ihnen nicht mehr wehrlos ausgeliefert. Griechischhellenistischem Erbe gemäß führt der Verfasser die früheren Begierden auf Unwissenheit zurück (vgl. 2 , 1 5 ; anders etwa R o m . 1 , 1 8 ff.; 2 , 1 4 f . ) . Nicht als ob Wissen Macht über das Begehren verhieße, aber den trügerischen Begierden und ihren illusionären Einflüsterungen wird der durch Hoffnung nüchtern Gewordene erst recht keinen Glauben mehr schenken (vgl. E p h . 4 , 2 2 ) . Er läßt sich nicht mehr durch 15.16 die vagabundierenden Begierden bestimmen, sondern von dem, der ihn berufen hat. Und das heißt, der ihn sowohl eingeladen als auch erwählt hat (Rom. 8 , 3 0 ) . Dieser erwählende Gott ist heilig. Seine Heiligkeit aber ist Grund und Motiv der Mahnung, daß nun auch die Christen „in der ganzen Lebensführung" heilig sein sollen (vgl. 1. Thess. 4 , 3 ; 1. Klem. 3 0 , 1 ) ; das aber heißt: ganz und gar Gott gehören, sich auch inmitten der Welt ungeteilt von ihm in Anspruch nehmen lassen. Das wird durch ein alttestamentliches Schriftwort „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig" begründet . „Heilig" im Alten und Neuen Testament. Heilig ist das, was Gott eignet. J a h w e ist „der Heilige" schlechthin ( J e s . 5 , 1 6 ; 6 , 3 ; 4 0 , 2 5 u.ö.), der Göttliche, der „ganz Andere" im Gegensatz zu allem Geschöpflichen und Profanen: „Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte" (Hos. 1 1 , 9 ) . Der „heilige G o t t " ist der „eifernde" G o t t (Jos. 2 4 , 1 9 ) , der seine Gottheit und sein gottheitliches Recht mit niemandem teilt. Heilig ist also nicht ein Oberbegriff für alles Numinose und Reli-
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l.Petr. 1,13-21: Heiligung im Horizont der Hoffnung und Erlösung
giöse auch abgesehen vom Bezug auf Gott, sondern das, was Gottes Gottheit ausmacht, was unvergleichlich ihm gehört. Heilig ist darum sein N a m e (Ps.30,5; 97,12 u.ö.), heilig auch der Himmel (Ps.20,7; Jer. 25,30 u. ö.) und die Engel (Ps. 89,6; Dan. 8,13 u. ö.). Aber heilig ist auch; was Gott „heiligt", was er aus der Profanität ausgrenzt, in seine Sphäre zieht und zu seinem Eigentum erklärt. Solche Heiligkeit hängt vor allem mit dem Kult zusammen. Heilig sind Zelt und Lade, Jerusalem und der Tempel, Opfer und Priester, Erstgeburt und Zehnter, Tage und Jahre usw. Dabei sind zweifellos auch befremdliche, magisch-dingliche Vorstellungen und Praktiken mit im Spiel (vgl. 2. Sam. 6,6 f.). Andererseits ist aber zu beachten, daß hier Gottes Heiligkeit als machtvolle Wirklichkeit erscheint und jede Reduzierung der Heiligkeit auf bloß innerliche oder unweltliche Phänomene dem radikalen Anspruch Gottes unangemessen ist. Auch die personale Auffassung der Heiligkeit, die vor allem von der prophetischen Predigt gefördert wurde, darf so nicht mißverstanden werden. Entscheidend für das neutestamentliche Verständnis wird, daß die Heiligkeit von Gott ausgeht: „Ich bin der Herr, der euch heiligt" (3. M o s e 2 2 , 3 2 ; vgl. 10,3). Israel kann diese Heiligung, durch die Gott sich ein Volk erwählt, nur anerkennen, nicht schaffen: „Du bist ein dem Herrn, deinem Gott, heiliges Volk, dich hat der Herr, dein Gott, aus allen Völkern, die auf Erden sind, für sich erwählt, daß du sein eigen seist" ( 5 . M o s e 7 , 6 ; vgl. 26,19). Das Judentum hat den atl. Sprachgebrauch natürlich weithin übernommen, und so ist auch hier vom „heiligen H e r r n " oder „dem großen Heiligen" die Rede, vom heiligen Geist und seinem heiligen Namen, von heiligen Engeln und vom heiligen Himmel, vom heiligen Gesetz und der heiligen Schrift, vom heiligen Land und vom heiligen Berg, vom heiligen Tempel und Opfer, von heiligen Gewändern und Gefäßen, heiligen Festen u n d Reden, heiligen Propheten und vom heiligen Volk. Allerdings rückt im rabbinischen Judentum stärker der moralische und negative Aspekt in den Vordergrund. Heilig ist nicht nur, wer die Gebote hält und ein gottwohlgefälliges Leben f ü h r t , sondern auch, wer sich absondert, sich von den Heiden und von der Sünde, besonders der Unzucht, fernhält (heilig wird z.B. synonym zu keusch). Z u m anderen aber tritt in der Apokalyptik und in den Qumranschriften der eschatologische Charakter hervor: Die Glieder dieser sich als endzeitliches Gottesvolk verstehenden Gemeinschaften nennen sich z. B. „die Gerechten, Heiligen, Auserwählten" (äth.Hen.48,1) oder „die Gemeinde deiner Heiligen" (1 Q M 12,7 u.ä.), „die Heiligen seines Volkes" (1 Q M 6,6) bzw. „die Gemeinde der Heiligen und Auserwählten" (äth.Hen.62,8) u . ä . Auch das Neue Testament nennt im Anschluß an Sprache und Sache des Alten Testaments Gott heilig, allerdings selten: außer an unserer Stelle (1,15 f.) nur im dreimaligen „Heilig" des himmlischen Lobgesanges (Offb. 4,8) und im Gebet, einmal im Gebet der Märtyrer: „heiliger und wahrhaftiger H e r r " (Offb. 6,10) und einmal in der Anrede im hohenpriesterlichen Gebet Jesu: „heiliger Vater" (Joh. 17,11). Auffallend ist die fast völlige Zurückdrängung des Attributs „heilig" bei den im Alten Testament und Judentum damit verbundenen Begriffen. An traditionellen Wendungen, die z . T . als Zitate erscheinen (Lk. 1,49; 2,23), begegnen vereinzelt „die heiligen Engel" ( M k . 8 , 3 8 ; Lk.9,26; Offb. 14,10), „die heilige Stadt" (Mt.
1. Petr. 1,13-21: Heiligung im Horizont der Hoffnung und Erlösung
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4,5), „die heiligen Propheten" (Lk. 1,70), „heilige Schriften" (Rom. 1,2), das heilige Gesetz" und „Gebot" (Rom. 7,12), dazu das „Heilige" und „Allerheiligste" (Hebr. 9,3). Diese Zurückhaltung ist nicht Zufall. Vor allem das völlige Fehlen einer kultischen (nur in übertragener Bedeutung: Rom. 12,1; 1. Kor. 3,17) oder rituellen Heiligkeit ist als bewußte Umorientierung zu verstehen. Jesu geradezu revolutionäres Wort, daß nichts, was von außen in den Menschen eingeht, ihn unrein machen kann (Mk. 7,15), war das Ende aller Kult- und Zeremonialgesetze über Rein und Unrein, Heilig und Profan, implizierte also fraglos einen Bruch mit dem alttestamentlichen und jüdischen Heiligkeitsverständnis. Der Begriff „heilig" spielt in der Verkündigung Jesu offenbar überhaupt keine große Rolle. In der Christenheit ist „heilig" dagegen oft gebraucht worden, und zwar wesentlich in Glaubensaussagen über Christus und über die Kirche, vor allem aber über den Heiligen Geist. Jesus wird Mk. 1,24 und Joh. 6,69 in offenbar altertümlicher Weise „der Heilige Gottes" genannt und damit ganz und gar der Seite Gottes zugerechnet (vgl. auch l . J o h . 2 , 2 0 ) . Offb.3,7 wird das Gottesattribut (6.10) auf den Erhöhten übertragen: ihm kommt die Heiligkeit Gottes zu. Apg.3,14 („der Heilige und Gerechte") und 4 , 2 7 . 3 0 („dein heiliger Sohn bzw. Knecht") liegen messianische Würdeprädikate vor. Weitaus am häufigsten aber ist im Neuen Testament vom „heiligen Geist" die Rede, vor allem im lukanischen und paulinischen Schrifttum, was hier nur notiert, nicht aber expliziert werden kann. „Heilig" ist der Geist als „Geist Gottes" (Mt. 3 , 1 6 ; 12,28; R ö m . 8 , 9 . 1 4 ; l . K o r . 3 , 1 6 ; l . P e t r . 4 , 6 . 1 4 u.ö.) und Geist Christi (Rom. 8,9; Phil. 1,19; 1. Petr. 1,11), der als übernatürliche Wundermacht an Menschen wirkt und damit auch sie „heilig" bzw. zu „Heiligen" macht in der „Heiligung des Geistes" (1.Petr. 1,2; 2. Thess.2,13). Wie sich schon zeigte, wird die Heiligkeit der Christen mit der Taufe verbunden (1. Kor. 1,30; 6,11), woran deutlich wird, daß die Christen nicht durch eigene Anstrengung und Leistung zu „Heiligen" werden, sondern durch Gottes eigene Tat, durch die er die Getauften zu seinem Eigentum erklärt und für sich beschlagnahmt. Dasselbe kann auch dadurch zum Ausdruck gebracht werden, daß Paulus die Christen „geheiligt in Christus Jesus" (1. Kor. 1,2) nennt oder der Hebr., der ja in breiter Weise kultische Vorstellungen zur Interpretation der Heilstat Jesu Christi heranzieht, Jesus Christus als den die Christen „heiligenden" bezeichnet (2,11). Wie wenig „heilig" ein moralischer Begriff ist, geht auch daraus hervor, daß alle Christen als „Heilige" und „Geheiligte" angesprochen werden (Rom. 1,7; 1.Kor. 1,2 u.ö.), was eben heißt: „von Gott geliebt und auserwählt" (Kol. 3,12), zur endzeitlichen Gemeinde gehörig, zum „heiligen Volk" (1. Petr. 2,9), zum „heiligen Tempel im Herrn" (Eph. 2 , 2 1 , vgl. 1. Kor.3,16 f.). Wird der Christ zu aktiver Heiligung gerufen (1. Thess. 4 , 3 . 7 u.ö.), so handelt er bereits als Heiliger und Geheiligter und nicht, um erst heilig und geheiligt zu werden. Weil die am Christen geschehene Heiligung den Menschen als ganzen erfaßt (1.Thess.5,23), kann und soll er nun auch bis in seine Leiblichkeit hinein sich an der Heiligung orientieren (Rom. 6,19), sich ganz und gar Gott zur Verfügung stellen. Das schließt besondere heilige Bezirke oder besonders heilige Verhaltensweisen aus. Dieser personale und totale Charakter der Heiligkeit wird nur vereinzelt durchbrochen, so wenn etwa Judas 20 „heilig" superlativisch
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l . P e t r . 1 , 1 3 - 2 1 : H e i l i g u n g i m H o r i z o n t der H o f f n u n g u n d E r l ö s u n g
gebraucht wird (vgl. auch die Rede vom „heiligen Berg" 2. Petr. 1,18) oder „heilig" teilweise wieder in die Nähe einer einseitig moralischen Kategorie gerät. Gerade dem l . P e t r . geht es aber um die Heiligkeit „in der ganzen Lebensführung", also um die Ungeteiltheit, Ganzheit und Ausschließlichkeit dieses „heiligen" Lebens, das sich nach 2 , 1 2 nicht in Isolation und Rückzug aus der Welt vollzieht, sondern inmitten der Heiden und der Welt in der Distanz zu ihren Kriterien und Standards bewährt sein will. 17
V. 17-21 bilden einen einzigen Satz, dessen Mahnung (V. 17) zwar nicht direkt eine Folgerung aus Gottes Heiligkeit zieht, inhaltlich aber mit diesem Gedanken in Zusammenhang steht. Das Neue und Besondere ist die umfangreiche Begründung der Mahnung, die nun unter Aufnahme von urchristlichen Traditionen christologisch-soteriologischer Art ist, also nicht mehr durch alttestamentliche Motive erfolgt. Der Verfasser geht davon aus, daß Gott als „Vater" angerufen wird. Diese Vaterschaft Gottes erweist sich nach V. 2 in der Erwählung, nicht im Kosmos (so im Hellenismus). Gott ist nicht einfach Vater aller Menschen, die qua Geburt seine Kinder wären, sondern er ist Vater für die Wiedergeborenen. Dieses Vatersein Gottes soll nun offenbar vor dem Mißverständnis geschützt werden, als o b die ' Christen damit von der Bewährung dispensiert wären und sich in Sicherheit wiegen dürften (vgl. M t . 3 , 9 ) . Darum der Hinweis, daß es niemand anders ist als der „Richter", der als Vater angerufen wird. D a ß Gott „unparteiisch" und „nach dem Werk eines jeden" richtet, entspricht alttestamentlich-jüdischer Tradition (vgl. 5 . M o s e 1 0 , 1 7 ; P s . 6 2 , 1 3 ; P s . S a l . 2 , 1 5 f . l 8 ; ä t h . H e n . 6 3 , 8 f . u.ö.). Aber auch die Christen haben das Gericht noch vor sich (vgl. 2 . K o r . 5 , 1 0 u.ö.). Dabei kommt es weniger auf die Addition und Summe der Werke an als vielmehr auf das Werk, „die ganze Lebensführung" (V. 15), die Furcht, den Gehorsam. Das Gericht nach den Werken zielt nicht auf eine neue Werkgerechtigkeit. Es ist vielmehr die Probe aufs Exempel, ob das in V. 18-21 umschriebene Wissen um Gottes Heilshandeln in Jesus Christus auch wirklich radikal ernst genommen worden ist und Frucht hervorgebracht hat. Die Mahnung zur „Furcht" (vgl. 3 , 2 . 1 6 ) soll alle falsche Sicherheit zerstören und die Christen in der Verantwortung halten (vgl.2. K o r . 5 , 1 1 ; R o m . 1 1 , 2 0 ; P h i l . 2 , 1 2 ) . Noch sind sie unterwegs, aber der Blick auf das Ziel hilft die Gefahren der Wanderschaft durch die „Fremde" dieser Welt meiden. Nicht vor der Fremde der Welt sollen sie sich fürchten, sondern in der Fremde (vgl. zu V. 1) vor Gott.
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In V. 18-19 wird nun ein spezifisch christliches Motiv für den rechten Wandel hinzugefügt: das Wissen des Glaubens um die Erlösung durch Christi Tod. Der benutzte griechische Begriff für das „Erlöst- oder Losgekauftwerden" spielt auch im Alten Testament eine Rolle, und zwar besonders für die durch Gottes machtvolle Intervention bewerkstelligte Erlösung Israels aus der ägyptischen und babylonischen Gefangenschaft ( 2 . M o s e 6 , 6 ; J e s . 4 5 , 1 3 ; 5 2 , 3 ) . Außerhalb der Bibel dient das Wort für den Freikauf von Kriegsgefangenen oder den sakralen Sklavenloskauf. Die Knechtschaft, aus der die Christen herausgerissen werden, ist ihre „nichtige, von den
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Vätern überkommene Lebensart". Mit „nichtig" wird nicht nur das Trügerische, Zweck- und Sinnlose hervorgehoben, sondern alttestamentlichem Sprachgebrauch gemäß zugleich das Abgöttische und Hybride des Verhaltens, das dem 1. Gebot zuwiderläuft und den „Nichtsen" (3. Mose 17,7 L X X ) Raum gibt (vgl. Apg.14,15; Eph.4,17). Vor solcher Nichtigkeit und Illusion des Scheins ist auch das Ererbte, „von den Vätern Überkommene", nicht geschützt (vgl. Sib.V494). Losgekommen von der Bindung an diese traditionelle götzendienerische Lebensweise aber sind die Christen nicht durch vergängliche Dinge wie Silber und Gold, wie das etwa beim sakralen Sklavenloskauf möglich war, wo der Sklave durch das von ihm selbst oder anderen im Tempelschatz hinterlegte Geld freikam. Frei von ihrer Vergangen- 19 heit sind sie vielmehr durch den Tod Jesu Christi geworden. Die Bedeutung dieses Todes (zu „Blut" vgl. V.2) wird nun durch die Vorstellung eines Opfers interpretiert, wie die beiden Begriffe „fehl- und makellos" zeigen, die termini technici der Opfersprache sind. Beim Vergleich Christi mit dem Lamm ist wohl nicht an Jes.53,7 zu denken, wo der leidende Gottesknecht mit einem Lamm verglichen wird (vgl. Apg. 8,32), sondern an das Passalamm, für das nach 2. Mose 12,5 „Fehllosigkeit" verlangt war. Die jüdische Auffassung, daß neben dem Blut der Passalämmer beim Auszug aus Ägypten auch dem Blut der Passalämmer in der Endzeit erlösende und sühnende Kraft zukommt, ist in der Urchristenheit früh zum Verständnis des Todes Jesu herangezogen worden (vgl. 1. Kor. 5,7). Die christologische Aussage von V . 2 0 geht offenbar auf Tradition zurück. Das 20 erweist der Partizipialstil, ferner das auch in anderen Traditionsstücken begegnende Schema von urzeitlicher Vorherbestimmung und endzeitlicher Offenbarung und endlich das mit anderen Aussagen unseres Briefes konkurrierende Verständnis von Offenbarung und Eschatologie. Vielleicht war V . 2 0 die erste Doppelzeile eines dreistrophigen Liedes, das in 3 , 1 8 . 2 2 aufgenommen wird. V. 20 stellt der Offenbarung in der Endzeit allerdings nicht die frühere Verborgenheit des Geoffenbarten gegenüber (vgl. Rom. 16,25 f.; Kol. 1,26), sondern Gottes ewigen Ratschluß „vor Grundlegung der Welt" (vgl. 2 . T i m . l , 9 f . ; Tit. 1,2f.). Die Struktur des Urzeit und Endzeit umspannenden Handelns Gottes (vgl. das Passiv) ist aber dieselbe (vgl. auch Jes.37,26; 4 . E s r . 6 , 1 ff.). Was in Christus endgültig in Erscheinung getreten ist von der Offenbarung in Christus spricht der Verfasser sonst stets als zukünftiger ( 1 , 5 . 7 . 1 3 ; 4 , 1 3 ; 5 , 1 . 4 ) —, ist in Gottes vor aller Zeit getroffener Entscheidung und damit sicher gegründet. Schon vor der Weltschöpfung wurde der ausersehen, der am Ende als Gottes Offenbarer auftreten sollte. Mit dem Offenbarwerden Christi ist „das Ende der Zeiten" also nach diesem Glaubenssatz bereits angebrochen (im Unterschied zu V . 5 ; 4 , 7 u.ö.), was urchristlicher Glaubensüberzeugung entspricht (vgl. 1. Kor. 10,11 u.ö.). Mit dem Hinweis auf Gottes ewigen Heilsplan sollen nicht theologische Spekulationen angeregt werden. Vielmehr zielt alles, was am Ende der Geschichte Ereignis und schon vor aller Geschichte entschieden wurde, auf das hinzugesetzte „um euretwillen". Damit wird die unvergleichliche Größe des Christusgeschehens (vgl. V. l l f : ) , in das die Christen einbezogen sind, nochmals hervorgehoben. Die Wirkung der endzeitlichen Erscheinung Jesu Christi ist der 21 Glaube der Leser, der hier unzweideutig als Werk des Offenbarers selbst verstanden ist (vgl. Phil. 1,29; Joh. 1,7; Apg.3,16). Dieser durch Jesus Christus gewirkte
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l.Petr. 1,22-25: Bruderliebe aus dem Wort
Glaube richtet sich, anders als in V. 8, nicht auf ihn selbst, sondern auf den, der ihn von den Toten erweckt und verherrlicht hat (vgl. Apg. 3,13.15). Glaube an Jesus Christus und Glaube an Gott gehören für den l.Petr. zusammen. Der Gott, an den der Glaube glaubt, ist ja der, der sich in Christus als Gott geoffenbart hat. Und der Christus, an den der Glaube glaubt, ist der, an dem Gott zum Heil der Welt ein für allemal gehandelt hat. Dem, der sich für die gebundenen Menschen selbst hingegeben hat, ist von Gott Recht und Ruhm gegeben worden. Wie sehr auch bei Auferweckung und Verherrlichung Jesu Christi alles auf den Glauben ankommt, ergibt sich aus dem anschließenden Konsekutivsatz, der den Glauben nun präzisiert. Weil Gott Jesus von den Toten erweckt und erhöht hat, kann der Glaube als Hoffnung bestimmt werden (vgl. V.3), und daran liegt dem Verfasser offenbar. Zu übersetzen ist nicht „auf daß euer Glaube und eure Hoffnung sich auf Gott richten" (dadurch entstünde nur eine Wiederholung von V. 21a, aber keine Steigerung), sondern „auf daß euer Glaube zugleich Hoffnung auf Gott ist". Auferweckung und Herrlichkeit Jesu Christi lassen den Glaubenden zum Hoffenden werden und geben dem Glaubenden die Hoffnung darauf, daß auch er nicht im Tode zu bleiben braucht. Damit wird gleichzeitig zum Ausgang in V. 13 zurückgelenkt. Am Anfang und Ende der ersten Reihe von Mahnungen steht die Hoffnung. Die Hoffnung ist hier unübersehbar die entscheidende Antriebskraft christlicher Existenz. 2. Bruderliebe
aus dem Wort
(1,22-25)
Habt ihr eure Seelen im Gehorsam gegenüber der Wahrheit zu ungeheuchelter Bruderliebe geheiligt, so liebt einander angespannt von Herzen, 23 weil ihr wiedergeboren seid nicht aus vergänglichem, sondern unvergänglichem Samen, dem lebendigen und bleibenden Wort Gottes, 2 4 Denn „alles Fleisch ist wie Gras und all seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und seine Blume abgefallen. 25 Das Wort des Herrn aber bleibt in Ewigkeit". Dies aber ist das Wort, das euch verkündigt worden ist. 22
Vers 24 f.: vgl. Jes. 40, 6-9.
Herzstück dieses Abschnitts ist die Mahnung zur Bruderliebe (V. 22), die von zwei Partizipien umgriffen und motiviert wird. Sachlich haben sie dasselbe im Blick und greifen auf V.2 und 3 zurück. Besonderes Gewicht hat das die Bruderliebe begründende Motiv der Wiedergeburt durch das Wort Gottes (V.23). Dieses in Ewigkeit bleibende Wort wird im Anschluß an Jes. 4 0 , 6 f. der Vergänglichkeit des Menschen gegenübergestellt (V.24-25a) und mit dem verkündigten Evangelium identifiziert (V.25b). 22
Zunächst werden die Adressaten daran erinnert, daß sie „ihre Seelen geheiligt haben". Das hier verwendete griechische Wort meint ursprünglich die kultische Reinigung (vgl. Joh.11,55), wird aber auch in Jak.4,8 und l . J o h . 3 , 3 übertragen gebraucht. Möglicherweise liegt hier wieder eine Anspielung auf die Taufe vor (im Griechischen steht ein Perfekt, das auf das weiterhin Geltende verweist). Da die Heiligung aber „im" bzw. „durch Gehorsam" erfolgt, wäre damit die Taufe selbst
l . P e t r . 1 , 2 2 - 2 5 : Bruderliebe aus dem W o r t
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ein Akt des Gehorsams, und zwar gehorsame Annahme der „Wahrheit". Insofern die Christen nicht einer philosophischen, weltanschaulichen oder mysteriösen Wahrheit gehorsam gewesen sind, heißt Wahrheit hier nichts anderes als Gottes Offenbarung, wie sie im „Wort der Wahrheit" (Eph. 1,13; Kol. 1,5; 2. Tim. 2,15) den Menschen trifft (vgl. V. 25) und sich als Wahrheit im Gehorsam erschließt. Wahrheit und Heiligung aber betreffen stets den ganzen Menschen. „Seele" meint ihn in seiner Lebendigkeit. Sie bringen den Gehorsamen nicht dahin, daß er sich in seinem tiefsten Seelengrunde rein erhält, sondern dahin, daß er sich in der Liebe engagiert, konkret: in der Bruderliebe. Die Gemeinde ist familia dei (Familie Gottes, vgl. Mk. 3,31 ff.; Mt. 23,8 u. ä.), in der Bruderschaft herrscht. Das liegt dem Verfasser offenbar besonders am Herzen (vgl. 2 , 1 7 ; 3,8), vielleicht darum, weil in der Verfolgung und Anfechtung für die in der Diaspora der Welt Zerstreuten kaum etwas wichtiger ist als der Rückhalt gemeindlicher Bruderschaft (vgl. 5,9), wahrscheinlich aber auch darum, weil Kirche für ihn nicht zuerst Institution und Organisation ist, sondern Gemeinschaft derer, die durch Gott zu Brüdern wurden (vgl. V. 23). Drei Punkte werden besonders betont: die Liebe soll „ungeheuchelt" sein, also ohne falschen Schein, ohne Verstellung (vgl. Rom. 12,9; 2. Kor. 6,6). Sie soll „von Herzen" kommen, also aus dem Zentrum des Menschen heraus (vgl. Mk. 12,30; 1. Tim. 1,5). Und sie soll „angespannt" sein, was sowohl die Intensität wie die Beharrlichkeit meint. V.23 führt als weiteres Motiv die nochmalige Erinnerung an die Wiedergeburt 23 ein (vgl. zu V. 3), die die Menschen zu Kindern Gottes und damit eben zu Brüdern macht (vgl. l . J o h . 5 , 1 ) . Bewirkt wurde die Wiedergeburt „nicht durch vergänglichen Samen, sondern durch unvergänglichen" (vgl. Joh. 1,13; 3 , 5 f.), nämlich den Logos. Damit ist primär nicht der Inhalt, sondern der Verkündigungsvollzug gemeint, wie V . 2 5 b zeigt. Dadurch kommt stark die Macht und Wunderkraft des verkündigten Wortes heraus. Wort ist im Alten und Neuen Testament nie „bloßes Wort". Es ist vielmehr schöpferisches Wort, das neue Wirklichkeit setzt (vgl. Jer.23,29; Jes.55,11; Ps.33,9). So wie die erste Schöpfung durch Gottes machtvolles Wort heraufgeführt wurde, so auch die Neuschöpfung (vgl. 2. Kor. 4 , 6 ; Jak. 1,18). Die Attribute „lebendig" und „bleibend" beziehen sich entsprechend auf das Wort, nicht auf Gott (vgl. V . 2 5 a ) . Die „Lebendigkeit" des Wortes ist seine Wirksamkeit (vgl. Hebr.4,12), und seine Wirksamkeit schafft Leben (vgl. „Wort des Lebens" Phil.2,16); es bringt vom Tod zum Leben (vgl. Rom.4,17). Was „bleibend" heißt, interpretiert der Verfasser durch V. 25 a: verbum dei manet in aetemum. Es verliert seine Gültigkeit und Verläßlichkeit in Ewigkeit nicht (vgl. Mk. 13,31). Einen Mk. 13,31 vergleichbaren Kontrast reißt auch V . 2 4 auf, der aus J e s . 4 0 , 6 f . 24 stammt und bis auf wenige Einzelheiten mit der Septuaginta übereinstimmt. So wie einst den Exulanten in der Verzweiflung und Resignation der babylonischen Gefangenschaft die Verheißung des Wortes „unseres Gottes" (so in Jes. 40,6) entgegentrat, so stellt der l.Petr. der Vergänglichkeit und Nichtigkeit des Menschen (vgl. etwa auch 1 Q H 7 , 2 9 . 3 2 ; 10,3 f.) die unvergängliche Wirklichkeit des Wortes „des Herrn" gegenüber. Dieses Wort aber ist nichts anderes als das den Lesern ver- 25 kündigte Evangelium.
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l.Petr.2,1-10: Christus, der Eckstein - die Gemeinde als Volk Gottes
3. Christus, der Eckstein - die Gemeinde als Gottes Haus und Volk
(2,1-10)
1 Legt also ab alle Bosheit und allen Trug und Heucheleien und Neidereien und alle Verleumdungen. 1 Wie neugeborene Kinder verlangt nach der geistlichen unverfälschten Milch, damit ihr durch sie zum Heil heranwachst, J wenn ihr wirklich „geschmeckt habt, daß der Herr gütig (freundlich) ist". 4 Zu ihm tretet heran, dem lebendigen „Stein", der von den Menschen zwar verworfen, von Gott aber „auserlesen und kostbar" ist, 5 und laßt euch selbst auferbauen als lebendige Steine zu einem geistlichen Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um geistliche Opfer darzubringen, die Gott durch Jesus Christus wohlgefällig sind. * Darum steht in der Schrift:
„Siehe, ich lege in Zion einen (Stein, einen) auserlesenen kostbaren Eckstein, und wer an ihn glaubt, wird gewiß nicht zuschanden werden." 7 Euch nun, den Glaubenden, wird die Ehre zuteil. Den Ungläubigen aber ist der „Stein, den die Bauleute verworfen haben, gerade zum Eckstein geworden" 8 und „ein Stein des Anstoßes" und „ein Fels des Ärgernisses". Sie stoßen sich daran, weil sie dem Wort nicht gehorchen, wozu sie auch bestimmt sind. * Ihr aber seid „ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum", „damit ihr die Wundertaten dessen verkündigt", der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat, 1 0 die ihr einst „Nicht-Volk" wart, nun aber „Gottes Volk" seid, einst „ohne Erbarmen", jetzt aber Erbarmen gefunden habt. Vers 3: Ps.34,9; Vers 4: ¡es. 28,16; Ps. I I S , 22; Vers 6: ¡es. 28,16; Vers 7: Ps.US.22; Vers 9: ¡es. 43, 20 f. LXX; 2. Mose 19, 6; 13,22 LXX; Vers 10: Hos. 1,9 f.; 2, 25.
Vers 8: ¡es. 8, H;
Eng verknüpft mit dem Vorhergehenden folgt eine weitere Reihe von Mahnungen und paränetisdien Begründungen, die im Stil und in der Art der Verbindung von Indikativ und Imperativ 1,13-25 ähnelt und sich vor allem um bestimmte Bilder und Bibelworte gruppiert: Auf den Lasterkatalog (V. 1) folgt eine Aufforderung, als Wiedergeborene nach der Grundnahrung, der „Milch" des Wortes, zu verlangen (V.2), wobei der Verfasser an die Erfahrung der Leser appelliert (V.3). Sie sollen zum auferstandenen Christus, dem „lebendigen Stein", herantreten (V.4), sich als „lebendige Steine" in das „geistliche Haus" der Kirche einfügen lassen und Gott „geistliche Opfer" darbringen (V.5). V . 6 - 8 folgt ein ausgedehnter „Schriftbeweis' für die doppelte Funktion des „Ecksteins" Christus, der Gottes Gnade und Gericht in einem offenbart: J e s . 2 8 , 1 6 bringt zunächst die Heilsbedeutung (V.6-7a), Ps. 118,22 und J e s . 8 , 1 4 die Unheilsbedeutung zum Ausdruck ( V . 7 b - 8 a).Zu dieser Unheilswirkung kommt es in der Begegnung mit dem Wort (V. 8 b). Im Unterschied zu den Ungehorsamen werden die Christen dann, und zwar vor allem mit L X X Wendungen, als das Gottesvolk gekennzeichnet (V.9-10). 1
Wieder folgt die Mahnung aus der Heilszusage, konkret: Aus der Wiedergeburt durch das Wort (1,23), worauf V . 2 ausdrücklich zurückgreift, ergibt sich das „Ablegen" dessen, was mit der Liebe und dem neuen Lebensstil unvereinbar ist (zum übertragenen Gebrauch von „Ablegen" vgl. Rom. 1 3 , 1 2 ; Eph. 4 , 2 2 ; Kol. 3 , 8 ) . Der Verfasser konkretisiert das in einem sogenannten „Lasterkatalog", einem konventionellen Schema zeitgenössischer antiker Ethik. Wie die Katalogform so sind auch die einzelnen Glieder mehr oder weniger traditionell, wie etwa ein Vergleich
l.Petr. 2,1-10: Christus, der Eckstein - die Gemeinde als Volk Gottes
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mit anderen Katalogen zeigt: so kehren in Rom. 1,29 von den fünf beispielhaft zu verstehenden Gliedern aus l . P e t r . 2,1 nicht weniger als vier wieder (vgl. weiter Rom. 13,13; 1. Kor. 6,9f.; 2. Kor. 12,20; Eph. 4,31; Kol. 3,8; Tit. 3,3 u. ö.). Für den Verfasser ist das Abtun dieser die Bindung an die Vergangenheit (vgl. 1,18 und 4,3) dokumentierenden Verhaltensweisen darum aber keine Belanglosigkeit, sondern Ausweis der neuen, von Lieb- und Bindungslosigkeit befreiten Existenz (vgl. weiter zu 4,3). V.2 vergleicht die Christen mit neugeborenen Kindern, die von Milchnahrung 2 leben. Während aber in l . K o r . 3 , l f . , Hebr. 5,12 f. mit „Milch" die Grundelemente und Anfangsgründe von Lehre und Verkündigung bezeichnet werden, über die die angesprochenen Christen eigentlich schon hinaus sein sollten, wird die Milch durch das Attribut „geistlich" und durch V. 3 hier eindeutig positiv gewertet. Das entspricht den Vorstellungen und der Kultpraxis der Mysterienreligionen, wo es kultisch-sakrale Milchtränke und Milchtaufen als heilbringende Nahrung für die wiedergeborenen Mysten gab. So sehr der 1. Petr. von hier sein Sprach- und Anschauungsmaterial beziehen mag (vgl. immerhin auch 1 Q H 7 , 2 1 f . und 9,35 f.), so eindeutig ist, daß er unter „Milch" nicht Gnosis und Mysterien, sondern das verkündigte Evangelium versteht (1,23.25). Diese geisterfüllte worthafte Speise aber bewirkte das Wachsen (vgl. 2. Kor. 10,15; Kol. 1,10; 2. Petr. 3,17f.), so daß nicht nur die Geburt, sondern auch das Heranwachsen des neuen Menschen in Ausrichtung auf das Heil ein wunderhafter Vorgang, nicht aber organische Selbstvervollkommnung ist. Dabei bleibt die „Milch" des Wortes die Grundnahrung der Christen, über die sie nicht wie über ein Anfangsstadium sakramental oder rational hinauswachsen, sondern nach der sie wie hungrige Säuglinge vitales Verlangen haben sollen. Das Wort ist durch kein Sakrament und durch keine Gnosis zu überholen. Da 3 die Christen die Freundlichkeit des Herrn bereits geschmeckt haben (vgl. Hebr. 6,5), wie es im Anschluß an Ps. 34,9 heißt, können sie gemahnt werden, weiterhin danach Verlangen zu haben. Dieser Appell an die Erfahrung bezieht sich nicht auf das Schmecken des Herrn im Abendmahl, sondern auf die Güte des Herrn in seinem Wort bei der Neuwerdung des Menschen. V.4 beginnt zwar mit einem Bildwechsel, bestätigt aber, daß der Verfasser zu 4 Getauften spricht. Sie werden nicht missionarisch aufgefordert, den entscheidenden Schritt zu tun, sondern sollen immer neu an den „lebendigen Stein" herantreten. Da der Stein normalerweise als Sinnbild des Toten gilt, ist „lebendiger Stein" eine höchst paradoxe Wendung. Man braucht aber zum Verständnis nicht weit hergeholte Parallelen zu bemühen und an den schwarzen Meteorstein der phrygischen Göttin, an Unsterblichkeit verbürgende Zaubersteine oder den heilkräftigen Stein der Weisen zu erinnern; vielmehr ist der mit Christus gleichgesetzte „Stein" bereits aus dem alttestamentlichen Zitat von V. 6 vorweggenommen. „Lebendig" soll dabei auf die Auferstehung deuten (vgl. 1,3). Der „lebendige Stein" ist also der auferstandene Christus. Dieser aber ist zugleich der „verworfene", womit bereits V.7 anklingt; allerdings wird nicht nur von den „Bauleuten", sondern umfassend von „den Menschen" gesprochen, und außerdem deutet das griechische Perfekt daraufhin, daß Christus auch nach der Auferstehung der „Verworfene" bleibt und das an ihm entstandene Ärgernis durch die Auferstehung nicht einfach überholt ist.
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1. Petr.2,1-10: Christus, der Eckstein - die Gemeinde als Volk Gottes
Dadurch d a ß G o t t an ihm gehandelt und ihn auferweckt hat, ist er aber zugleich „auserwählt und kostbar", womit ebenfalls auf V. 6 vorgegriffen wird. Wer sich an seine Seite stellt, partizipiert jedoch nicht nur an seinen Leiden (4,13), sondern auch an seinem Leben. 5 Als „lebendiger Stein" hat Christus auch die Christen lebendig gemacht und von der Macht des Todes befreit. Als solche „lebendigen Steine" sollen sie sich (allerdings ist auch eine indikativische Fassung des griechischen Wortes möglich) „aufbauen lassen" zu einem „geistlichen Haus", zum „Haus Gottes" (4,17). Die Hoffnung auf den endzeitlichen Tempel Gottes, dessen wunderbare Errichtung vor allem die Apokalyptik erwartete (Jub.1,17 u. ä.) und offenbar schon auf die Gemeinde übertragen hatte (vgl. äth. H e n . 5 3 , 6 ; l Q S 8 , 5 f f . ; l Q H 6 , 2 6 f . ) , galt in der Urchristenheit als erfüllt (1. Kor. 3,16; wahrscheinlich auch M k . 14,58). Die diristliche Gemeinde ist das endzeitliche H a u s Gottes, in dem als dem „geistlichen H a u s " der Geist Gottes herrscht (vgl. l . K o r . 3 , 1 6 ) . So gewiß dieses H a u s nicht durch den Zusammenschluß der Glaubenden, sondern vom Geist geschaffen wird, so gewiß sollen sie sich in den auf Christus gegründeten Bau (vgl. V. 7) einfügen lassen und an ihm die Funktion der Priester ausüben. Da alle angesprochen sind, ist die Unterscheidung zwischen „Priestern" und „Laien" aufgehoben. Alle Christen sind „Priester", die „geistliche O p f e r " darbringen. Die schon im Alten Testament begonnene „Spiritualisierung" des Kultes, wonach Gebet, Lob, Dank und Buße die wahren O p f e r sind (Ps. 5 0 , 1 4 ; 51,19; Hos. 6,6; Mi. 6 , 6 ff. u. ä.), ist hier konsequent zu Ende geführt. Die geforderten „geistlichen O p f e r " meinen aber nicht nur innerliche geistige Wirklichkeiten, sondern das Opfer der gesamten Existenz (vgl. Rom. 12,1; Phil. 4,18; Hebr. 13,15 f. u. ö.). Gott „wohlgefällig" werden sie „durch Jesus Christus" (so die wohl wahrscheinlichere Beziehung von „durch Jesus Christus"), erst durch sein Eintreten erhalten sie Sinn und Wert. 6
V. 6-8 bringen nun die schon stichwortartig angeklungenen Schriftworte und zeigen, d a ß der „Stein" eine schon im Alten Testament belegte Doppelwirkung hat, die unausweichlich zur Scheidung unter den Menschen führt. Der Verfasser zitiert dabei sehr frei und fragt nicht nach dem ursprünglichen Sinn und Zusammenhang der alttestamentlichen Worte. O b der in Jes. 28,16 verheißene „Eckstein" ursprünglich auf den Grundstein des neuen Tempels, den Glauben oder etwas anderes hinweisen sollte, jedenfalls meinte er nicht den Messias, und zwar auch nicht in der Septuaginta, w o der Text in den meisten Handschriften sekundär an das Neue Testament angeglichen worden ist. Die christliche Gemeinde hat die auch im Judentum messianisch gedeutete Stelle dagegen auf Christus bezogen und ihn durch den Zusatz „an ihn" zum Grund und Gegenstand des Glaubens gemacht. Solcher Glaube wird im Endgericht nicht zuschanden (ebenso Rom. 9,33; 10,11; vgl. die Einleitung S. 60 und 64). Obschon das Wort „Eckstein" auch den krönenden AbschluNstcin des Baus über dem Portal oder in der Kuppel meinen kann, ist in 1. Petr. 2,6 wie in Jes. 28,16 der tragende Grund- und Eckstein gemeint (vgl. V. 8). In Christus allein 7 hat das „ H a u s Gottes" ein tragfähiges Fundament (vgl. 1. Kor. 3,9-11). V. 7 a zieht die Konsequenzen aus dem Jes.-Wort und seiner Verheißung f ü r den Glaubenden. Die, die im Gericht nicht zuschanden und verdammt werden (vgl. 1. Joh. 2,28), erhalten „Ehre" (vgl. 1,7). Es ist also wohl nicht die jetzige Ehre u n d Würde der
l . P e t r . 2 , 1 - 1 0 : Christus, der Eckstein - die G e m e i n d e als Volk G o t t e s
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Christen gemeint, sondern Ehre erhalten die Glaubenden, wenn sie vor den Augen des Richters bestehen werden. V.7b zitiert demgegenüber Ps. 118,22, wo der von den Bauleuten verworfene Stein das von den vorderorientalischen Großmächten geringgeschätzte Israel ist, das durch Gott zu Ehren kommt. Die jüdische Exegese verstand diesen Vers nur z. T. und erst spät messianisch, bezog ihn aber charakteristischerweise auf die Herrlichkeit des Messias. Im Urchristentum dagegen wird zwar der 2. Teil des Psalmverses auf die Erhöhung Jesu Christi gedeutet (so Mk. 12,10; Apg.4,11), die „Verwerfung" aber stets auf Passion und Tod Jesu. Wie in V. 6 kann auch hier (im Griechischen steht allerdings ein anderer Ausdruck) nicht der krönende Abschlußstein gemeint sein, sondern nur der spitze Eckstein an einem Bau, an dem man zu Fall kommen kann. Nur ein solcher Stein kann zum „Stein des Anstoßes" und „Fels des Straucheins" werden, das heißt: Nur so gewinnt das in V. 8 folgende 8 Zitat aus Jes. 8,14 Sinn. Während nach Jes. 8,14 Israel an Gott selbst zu Fall kommt, wenn es in seiner Politik nicht mit Gott rechnet, stolpert der Unglaube nun über Christus. Zu diesem Anstoß aber kommt es nirgendwo anders als in der Begegnung mit dem Wort. Indem man „dem Wort nicht gehorcht", stößt man sich und fällt. Der „Stein" übt immer eine doppelte Wirkung aus, und niemand kommt unverändert an ihm vorüber. Wer nicht glaubt und sich nicht als „lebendiger Stein" in das „Haus Gottes" einfügen läßt, der strauchelt und wird zuschanden. Ob der Christus zum Stein des Heils oder des Unheils wird, entscheidet sich allein am Glauben oder Unglauben gegenüber dem Wort. Das ist für das Verständnis der letzten Wendung des Satzes („wozu sie auch gesetzt sind") im Auge zu behalten. Man darf freilich die Härte der Aussage nicht abschwächen und erklären, Gottes Vorherbestimmung beziehe sich gar nicht auf diejenigen, die sich im Unglauben stoßen, sondern nur auf die Folgen ihres Anstoßens, nämlich das Fallen. Beide Gedanken liegen vielmehr ineinander und werden durch ein einziges Wort („sich stoßen") zum Ausdruck gebracht. Nach der Meinung des Verfassers sind also in der Tat diejenigen vorherbestimmt, die über den „Stein" stolpern. Aber damit ist nicht aufgehoben, daß alles auf das Hören des Wortes ankommt. Offenbar muß beides zugleich betont werden, selbst wenn die Regeln der Logik darüber zerbrechen: Gottes Initiative und des Menschen Verantwortung (vgl. Phil. 2,12 f.). Entscheidend ist.im übrigen die schon in 1,2 angesprochene und hier in V. 9 wiederum sofort genannte positive Seite des prädestinatianischen Gedankens: Daß die Christen nicht zu Fall gekommen sind, sondern zum Gottesvolk zählen, können sie nur als ein von Gott selbst kommendes Wunder verstehen. Im starken Kontrast zu den „Ungehorsamen" werden die Leser nun mit einer 9.10 Fülle von Ehrenprädikaten als das wahre Gottesvolk angesprochen. Der Verfasser überträgt dabei traditionelle Aussagen und Ehrentitel, die ursprünglich Israel galten, auf die Kirche und betont damit deren Kontinuität zum Bundesvolk des Alten Testamentes. Das geschieht so selbstverständlich und undialektisch, daß das „Israel nach dem Fleisch" (l.Kor. 10,18) anders als bei Paulus kein Problem mehr zu sein scheint. Die verschiedenen Wendungen sind dabei erst vom Verfasser zusammengestellt worden, wobei Jes. 43,20 f. in der Septuagintafassung sozusagen den Rahmen angibt.
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„Auserwähltes Geschlecht"
„Auserwähltes Geschlecht" zu sein - das zugrunde liegende hebräische Wort für „Geschlecht" wird in der Septuaginta meist mit „Volk" übersetzt - war der besondere Stolz Israels. Diese Auszeichnung verdankt es nicht eigenen Vorzügen, sondern Gottes unbegreiflicher Liebe (vgl. 5. Mose 7 , 6 ff.), auch wenn das Bewußtsein um Gottes Freiheit nicht immer lebendig blieb, wie die prophetische Kritik am Erwählungsdogma und der damit verbundenen securitas zeigt (vgl. Hos. 1 , 6 . 9 , worauf in V. 10 angespielt wird). Auch im l.Petr. ist der Erwählungs- und Gottesvolkgedanke nicht mit dem Verdienstgedanken (vgl. etwa syr. B a r . 4 8 , 2 0 : „diese sind das Volk, dem gleich du keines gefunden hast") verbunden. In V. 10 wird der Gottesvolk-Gedanke im Anschluß an Hos. 2 , 2 5 durch den der Barmherzigkeit interpretiert: Die Glieder des Gottesvolkes sind die, die Gottes Erbarmen aus dem „Nicht-Volk" zum „Volk Gottes" verwandelte. Werden Heiden zum Gottesvolk, so zeigt sich daran exemplarisch, daß Gliedschaft am Gottesvolk weder durch geschichtliche noch naturhafte oder andere Vorzüge begründet ist, sondern allein Gottes Erbarmen das Gottesvolk zum Gottesvolk macht. Ebenso wichtig ist, daß der Erwählungsgedanke nicht individualistisch verengt wird, sondern der einzelne eingefügt ist in das „erwählte Geschlecht". Entscheidend aber ist das christologische und eschatologische Vorzeichen: Vom „erwählten Geschlecht" kann nur gesprochen werden, weil es den „erwählten Eckstein" (V.6) gibt, den endzeitlich „lebendigen Stein", der „bei Gott erwählt" ist (V.4). Nur darum ist dieses Geschlecht auch das „heilige", durch Christus geheiligte „Volk" (vgl. zu 1 , 1 5 ) , dessen Eigentümer („Volk zum Eigentum") Gott ist. Daß das ganze Gottesvolk in allen seinen Gliedern aus Priestern besteht, sagte schon V. 5. Hier heißt es „königliche Priesterschaft" - das ist die Septuaginta-Übersetzung von „Königreich von Priestern" (2. Mose 1 9 , 6 ; 2 3 , 2 2 L X X ) während im Anschluß an eine andere Tradition in Offb. 1 , 6 und 5 , 1 0 beides koordiniert wird (vgl. auch Offb. 2 0 , 6 ) und so auch die Teilhabe an der Machtausübung (in Offb. 5 , 1 0 und 2 0 , 6 als Verheißung für die Zukunft) betont wird. Manche übersetzen auch V. 9 die mit „königliche Priesterschaft" wiedergegebene Wendung, als ob das erste Wort kein Adjektiv, sondern ein Substantiv wäre: „ein Königshaus" (bezogen auf die Bewohner, nicht den Bau), „eine Priesterschaft". Das ist an sich möglich (vgl. 2. M a k k . 2 , 1 7 ) , doch die vorher und nachher stehenden zweigliedrigen Bezeichnungen sprechen dagegen. Wichtiger ist, daß solche Auszeichnung kein Selbstzweck ist. Gottes Volk lebt nicht zur Kultivierung der eigenen Frömmigkeit und kann sich nicht in selbstgenügsamer Isolierung gegen die Welt einigeln (vgl. 3 , 1 5 ) . Gott hat die Christen darum zu seinem Volk gemacht, damit sie seine „Macht- und Wundertaten öffentlich verkündigen" (das Jes.-Zitat hat „erzählen"). Auch sie selbst sind ja durch die Verkündigung aus der „Finsternis", d.h. aus Gottesferne und Unheil, aus Sünde, Irrtum und T o d , in „sein wunderbares Licht" gerufen worden (vgl. E p h . 5 , 8 ; l . T h e s s . 5 , 4 f . ; Apg. 2 6 , 1 8 ; 1. Klem. 5 9 , 2 ) . Dieser wirksame Ruf aber soll weitergetragen werden. Wie die Welt aussieht, in die dieser Ruf ergehen soll, läßt sich zum Teil aus den folgenden Abschnitten erschließen, die zur Bewährung des Christen in der Alltagswirklichkeit dieser Welt mahnen.
1. Petr. 2 , 1 1 - 1 2 : Christliche Existenz in der Welt
S7
III. Konkrete Mahnungen 2,11-4,11 Die Christen im Alltag der Welt und ihren Ordnungen, in Leid und Verfolgung Mit 2,11 beginnt der zweite Hauptteil des Briefes, der bis 4,11 reicht und die Christen zur Bewährung im Alltag der Welt und ihren Ordnungen ruft. 2,11-12 bringen noch einmal eine grundsätzlicher gehaltene Mahnung und deren Begründung. Es folgen dann im Schema einer sogenannten „Haustafel" Mahnungen zum rechten Wandel in den Strukturen und Bezügen dieser Welt, vor allem des „Hauses", wobei 2,13-17 und 3,8-12 sich an alle Christen, die dazwisdienstehenden Mahnungen nur an bestimmte Gruppen richten. In 3,13 kommt der Verfasser dann zu seinem eigentlichen Thema: Wie die Christen Leid und Verfolgung durch ihre feindliche Umwelt bestehen können. In diese Aussagen wie auch in die konkrete Paränese sind mehrfach kürzere oder längere kerygmatisdie, vor allem christologische Abschnitte eingefügt, die die enge Verflechtung von Zuspruch und Anspruch, Kerygma und Paränese bestätigen (vgl. außer der Einleitung und 2,11 vor allem 2,16.21-25; 3,18-22; 4,1). Am Ende tritt besonders der Zusammenhang von Eschatologie und Ethik wieder in den Vordergrund (4,5.7). 1. Christliche Existenz unter den Heiden
(2,11-12)
Geliebte, ich ermahne dazu, euch als Gäste und Fremde der fleischlichen Begierden zu enthalten, die gegen die Seele streiten. 12 Eure Lebensführung unter den Heiden sei eine gute, damit sie, falls sie euch als Übeltäter verleumden, aufgrund eurer guten Werke, wenn sie (genauer) hinsehen, Gott am Tage der Heimsuchung preisen. 11
Der neue Abschnitt beginnt mit neuer Anrede. „Geliebte" ist wohl mehr als eine 11 Floskel, auch wenn sich nicht genauer sagen läßt, von w:m die Adressaten nach Meinung des Verfassers geliebt sind. Vom Absender? Von den Brüdern? Wahrscheinlich: „von Gott" (Rom. 1,7). Viel größeres Gewicht als Motivation der folgenden Mahnungen haben aber zweifellos die beiden anderen Begriffe, mit denen die Leser angesprochen werden und die beide schon begegneten (1,1 und 1,17). Ihre Wiederholung und betonte Verwendung am Eingang der spezielleren Ermahnungsreihe unterstreicht noch einmal die grundlegende Bedeutung, die gerade dem Gedanken der Fremdlingschaft der Kirche in der Welt nach dem l.Petr. zukommt. Rechtes christliches Leben wie die Ermunterung und Aufforderung dazu stehen unter diesem Vorzeichen. Gerade auch die Stellung der Christen in den irdischen Institutionen ist ohne diesen alles umwertenden und neue Maßstäbe setzenden Gesichtspunkt nicht zu verstehen. Auch als Bürger des Staates, auch als Sklaven und Freie, als Ehegatten und sonstige Verwandte, in Familie und Gesellschaft, sind sie bei aller Verantwortung, mit der sie ihre staatlichen, gesellschaftlichen und familiären Verpflichtungen erfüllen, doch solche, die ihre wahre Heimat woanders haben als in dieser Welt, die ihr Heil und ihre Zukunft bei allem Engagement der Liebe von einem anderen erwarten. Sie emigrieren zwar nicht aus der Gesellschaft, aber erfahren sich doch gerade auf Grund ihres andersartigen Lebens-
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l.Petr. 2,11-12: Christliche Existenz in der Welt
stils als Fremde in ihr. Als erstes ruft der Verfasser seine Leser dazu auf, nicht die vom „Fleisch" ausgerichteten „Begierden" über die „Seele" Gewalt gewinnen zu lassen. Schon 1,14 hatte der Verfasser vor den Begierden, die dort als typisch für die vorchristliche Lebensweise erscheinen, gewarnt (vgl. auch 4,2). Hier also wird noch klarer, d a ß sie auch f ü r den Christen noch eine bedrängende Realität sind. Sie ziehen ihn in einen Kampf hinein, der ein Kampf in und um ihn selbst ist. Das scheint eine Verwandtschaft zu Gal.5 (Gegenüber von „Fleisch" u n d „Geist", Kampfsituation des Menschen) nahezulegen, doch anstelle eines kosmisch-endzeitlichen Mächtedenkens liegt in 1. Petr. Einfluß hellenistischer Dichotomie in der Anthropologie vor. Z w a r kennt auch der 1. Petr. eine Doppelheit in der Verwendung des Begriffes „Fleisch": auf der einen Seite den alttestamentlichen „neutralen" Gebrauch (1,24; 4,2), nach dem Fleisch die Kreatürlichkeit des natürlichen Menschen bezeichnet. Hier in 2 , 1 1 dagegen liegt die negative Sicht vor, die aber anders als bei Paulus die eines hellenistischen Dualismus ist (vgl. auch Did. 1,4; 4 . M a k k . 1,32). Fleisch ist nicht umfassend die Macht der Sünde, die z . B . auch das Streben nach „eigener Gerechtigkeit" bestimmt (Phil. 3,4ff.), sondern die ungebändigte Triebhaftigkeit u n d Sinnlichkeit. Der Unterschied zu Paulus wird am Gegenüber der „Seele" noch deutlicher. Denn anders als in Gal.5 der „Geist" ist die „Seele" hier (vgl. dagegen 1,22 und 3,20) der bessere geistige Teil im Menschen selbst, der von dem niederen herabgezogen zu werden droht. Im Ernstnehmen dieser Gefahr der Anfechtung steht der Verfasser allerdings in einer Linie mit Paulus. Auch weiß er, d a ß der so Angefochtene der Offensive der Begierden gegenüber auf die Kraft Gottes rechnen kann (vgl. 5,10). 12
V. 12 nennt zum ersten Mal ein Motiv, das auch sonst in der Paränese des Briefes eine Rolle spielt: die Berücksichtigung dessen, d a ß der Wandel der Christen sich nicht nur im Rahmen der Gemeinde und vor den Augen Gottes vollzieht, sondern auch vor den Augen der Welt. Damit ist zweifellos eine gewisse Übereinstimmung über das, was als gut und böse zu gelten hat, zwischen Christen u n d ihrer Umwelt vorausgesetzt, auch wenn sich christliche Lebensführung nicht einfach im humanitären Verhalten erschöpft. Viel bedrängender und für den Verfasser und seine Leser aktueller aber ist, daß sich die Welt nicht als neutrale, sondern als böswillig voreingenommene Instanz darstellt. Die Christen werden von ihrer Umgebung als Übeltäter, wenn nicht als Verbrecher verleumdet. Wie das konkret aussehen konnte, läßt sich etwa aus Tacitus entnehmen, w o in Annalen X V 44 davon die Rede ist, d a ß die Christen in Rom, w o nach Tacitus „alle Greuel u n d Abscheulichkeiten der ganzen Welt zusammenströmen", „wegen ihrer Schandtaten verhaßt" waren und des „allgemeinen Menschenhasses" bezichtigt w u r d e n ; dabei waren grobe Mißverständnisse (etwa des Abendmahls, bei dem angeblich Menschenfleisch und -blut verzehrt werde) ebenso im Spiel wie ein Gespür d a f ü r , d a ß die Christen diese Welt tatsächlich nur als Fremde (V. 11) betrachteten und ihr distanziert gegenüberstanden (vgl. zu 4,4). Um so weniger aber sollen nach Meinung des Verfassers Vorwürfe der Heiden im sittlichen Versagen der Christen Anlaß u n d Grund haben (vgl. weiter 3 , 1 6 ; 4 , 1 4 f . ) . Nicht Rückzug und Isolation, sondern „gute Lebensweise" und „gute Werke" sind am Platz (vgl. 2 , 1 5 . 2 0 ; 3 , 1 . 6 . 1 7 ) , damit die Heiden „die guten Werke sehen" (vgl. Mt. 5,16; Test. N a p h . 8,4) und Gott am „ T a g der
l.Petr. 2,13-17: Die Christen und der Staat
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Heimsuchung" preisen. Was mit dem „Tag der Heimsuchung" gemeint ist, läßt sich nicht sicher sagen. „Heimsuchung" hat im Alten Testament und Judentum sowohl positiven als auch negativen Sinn und kann also Gnade oder Gericht bedeuten. Der Anklang an Jes. 10,3 spricht für „Jüngster Tag", an dem Gott die Heiden in Gericht oder Gnade heimsucht, die Parallele in 3,2 für den Tag der individuellen Bekehrung, an dem Gott den Verleumdern durch das Tatzeugnis der Christen die Augen öffnet.
2. Die Christen und der Staat
(2,13-17)
11 Ordnet euch jedem menschlichen Geschöpf unter um des Herrn willen, sei es dem Kaiser als dem, der die Obergewalt besitzt, 14 sei es den Statthaltern, die von ihm gesandt sind zur Bestrafung der Übeltäter, zum Lob aber derer, die recht handeln. 1S Denn das ist der Wille Gottes, da£ ihr durch das Tun des Guten die Unkenntnis der unverständigen Leute zum Schweigen bringt, " als Freie und nicht, als ob ihr die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit hättet, sondern als Knechte Gottes. 17 Alle ehret, die Bruderschaft liebt, „Gott fürchtet", „den Kaiser" ehret!
Vers 17: vgl. Spr.
24,21.
2,13-17 ist der erste Teil der sogenannten „Haustafel", die die Haltung der Christen in den verschiedenen weltlichen Institutionen wie Staat, Ehe und Familie zu ordnen versucht. Es handelt sich um eine verbreitete, wahrscheinlich auf dem Umweg über das hellenistische Judentum aus der antiken Volksethik übernommene Form der Paränese. Formal hebt sie sich von der sonst sehr lockeren und regellosen Aufreihung der Mahnungen durch ihre Geschlossenheit und sachgemäße Gliederung heraus. Dadurch ist die Haustafel leicht zu übersehen, zu verstehen und zu behalten. Sie ist als ganze weder ad hoc formuliert noch auf eine einzelne Gemeinde zugeschnitten, sondern hat einen stark traditionellen Charakter. Nicht von ungefähr besteht gerade zwischen 2,13-17 und Rom. 13,1-7 eine große Verwandtschaft. Andererseits verwehren es die neutestamentlichen Haustafel-Beispiele (Kol.3,18ff.; Eph.5,22ff.; l.Tim.2,8ff.; 1.Joh.2,12ff.), an eine katechismusartige unveränderliche Fixierung zu denken. Die Variationsbreite läßt zugleich auch erkennen, daß die Übernahme des Haustafelschemas und seiner inhaltlichen Aussagen durch das Urchristentum nicht unbesehen und vorbehaltlos, sondern kritisch erfolgte. Das wird auch und gerade l.Petr.2,13ff. bestätigen (vgl. weiter zu Kol. 3,18 ff.). Die am Anfang der Verchristlichung hinzugefügten Wendungen „im Herrn" (Kol. 3,18 ff.), „um des Herrn willen" (1. Petr. 2,13) sind nicht bloß äußerlich aufgeklebte Formeln. Sie sollen vielmehr andeuten, daß das Leben der Christen auch in den konkreten Ordnungen und Bezügen der Welt dem Herrn Jesus Christus unterstellt ist. Die Christen leben nicht nach einer aus den Strukturen dieser Ordnungen abgeleiteten Eigengesetzlichkeit, sondern alle Verwirklichung christlicher Existenz ist in den Horizont der Herrschaft Jesu Christi gerückt. „Fremde", die unterwegs sind, respektieren zwar die Ordnung des Gastlandes, aber sie werden sich kaum an kasuistischen oder revolutionären Programmen beteiligen, sondern kritisch den provisorischen Charakter aller innerweltlichen Regelungen im
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l.Petr. 2,13-17: Die Christen und der Staat
Auge behalten. Gerade die Haustafel des 1. Petr. rechnet darum auch nüchtern mit Konfliktsituationen. Rom. 13,1-7 wie 1. Petr. 2,13-17 lassen erkennen, daß der Umkreis der „Haus"Tafel auch das Verhalten zum Staat umfaßte, was schon für die stoischen Pflichtentafeln gilt. Es wird freilich hier ebensowenig wie in Rom. 13 eine Staatslehre entworfen und über Ursprung, Wesen und Funktion des Staates gehandelt. Das war schon darum unnötig, weil Christen damals nach Lage der Dinge keine aktive oder gar führende Rolle im Staatsleben spielten. Andererseits war die rechte Stellung der Christen zum Staat gerade angesichts der sich abzeichnenden Verfolgungssituation von besonderer Dringlichkeit (vgl. etwa Offb. 13). Die Gesamttendenz ist eine ähnliche wie in Rom. 13: Das Imperium Romanum mit seinen Machtträgern ist zwar gewiß keine göttliche oder gottähnliche, aber doch auch keine dämonisch-satanische, sondern eine sittliche Macht. Gleichwohl ist eine Akzentverlagerung gegenüber Rom. 13 unverkennbar; auffällig ist vor allem, daß eine Parallele zu Rom. 13,1 b-2 a und damit eine Aussage über die göttliche Einsetzung und Beauftragung der staatlichen Autoritäten fehlt. Wie Rom. 13,1 beginnt V. 13 a mit einer Mahnung zur „Unterordnung", wobei beispielhaft der Kaiser und dessen Statthalter genannt werden (V. 13b-14a). V. 14 b deutet wie Rom. 13,2b-3 deren Funktion an. V. 15 begründet die Mahnung damit, daß das dem Willen Gottes entsprechende Tun des Guten, das auch die Unterordnung einschließt, den Christen einen positiven Einfluß auf die heidnische Umwelt ermöglicht. V. 16 nennt als einen weiteren Grund und als Weise der Unterordnung die Freiheit und Bindung an Gott, und V. 17 ordnet das rechte Verhalten gegenüber dem Kaiser in den Rahmen von Verhaltensweisen ein, die über den Horizont des Staates hinausgehen. 13
Die staatlichen Behörden werden weder als „von Gott eingesetzt" oder als „Anordnung Gottes" bezeichnet noch auch als „Gottes Diener" (Rom. 13,4 und 6). Der Verfasser spricht vielmehr von „jedem menschlichen Geschöpf". Die meisten Kommentare übersetzen zwar mit „Ordnung". Aber das griechische Wort ktisis heißt nie Ordnung, sondern Schöpfung oder Geschöpf (vgl. Rom. 8,39; Hebr.4,13), wobei es von V. 13 b-14 und 17 (vgl. auch die personale Fassung der „Unterordnung" in 2,18-3,1 und 5,5) her naheliegt, mit „Geschöpf" zu übersetzen. Geschöpfe aber sind eben „menschliche" und nicht göttliche Wesen. V. 13 ist dann ähnlich wie Eph.5,21 als eine umfassende Uberschrift und Grundregel zu verstehen. Der Gehorsam der Christen erfolgt nicht, weil jede Autorität vom Herrn kommt oder der Staat zu einer gottgewirkten Schöpfungsordnung gehört, sondern „um des Herrn willen", und zwar konkreten Menschen gegenüber, die auch als Träger staatlicher Macht Geschöpfe bleiben. Die Art dieses Gehorsams wird in Anlehnung an entsprechende Aussagen der Umwelt „Unterordnung" genannt (ebenso 2,18 und 3,1). Damit ist keine entwürdigende oder servile Untertänigkeit gemeint (vgl. V. 16), sondern loyale Einordnung. Das folgt schon aus 1. Kor. 15,28, wo dasselbe Wort für Christi Stellung gegenüber Gott gebraucht wird (vgl. auch 1. Kor. 16,16 und 1. Petr. 5,5). Die Orientierung an damaligen politischen und gesellschaftlichen Leitbildern ist zwar nicht zu leugnen, impliziert aber kritische Vorbehalte. Die Mahnung wird als erstes am Verhalten gegenüber dem Kaiser konkretisiert;
1. Petr. 2,13-17: Die Christen und der Staat
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eigentlich heißt es „König", doch ist das im Osten des Reiches die übliche Bezeichnung für den Kaiser. V. 14 nennt als dem Kaiser untergeordnete Instanzen die kai- 14 serlichen Statthalter (praesides provinciarum), die „von ihm gesandt" sind und ihn repräsentieren. Ihre Funktion wird ähnlich wie in Rom. 13,3 f. beschrieben. Die negative Seite, daß den Statthaltern die Bestrafung der Übeltäter und Verbrecher obliegt, ist leicht zu begreifen. Obschon man damals weniger scharf zwischen moralischen und kriminellen Delikten unterschied als heute, wird vor allem an Mord, Raub, Diebstahl u. ä. gedacht sein. Schwieriger ist die positive Seite des Auftrags der Statthalter zu bestimmen. Meist wird daran erinnert, daß im antiken Staatsleben Ehrungen und Auszeichnungen von verdienten Staatsbürgern in Form von Kränzen, Inschriften, Titeln u. ä. verbreitet waren. Wegen des traditionellen Charakters der Aussage (vgl. zu V. 20) ist kaum an positiv ausgelaufene Christenprozesse zu denken. Allenfalls meldet sich hier eine gewisse Hoffnung, vom römischen Staat als einem Rechtsstaat Gerechtigkeit und Toleranz zu erfahren, da Christen sich ja durch „Gutestun" auszeichnen. Dabei bleibt hier außer Diskussion, daß es zwischen dem „Willen Gottes" (V. 15) und dem Willen des Staates zum Konflikt kommen und aus dem Rechtsstaat ein Unrechtsstaat werden kann. Immerhin wird das von Christen geforderte Gute (vgl. V. 15) nicht nur das legale Verhalten sein, das der Staat als Gutes belobigt (V. 14), sondern die „gute Lebensführung" und die „guten Werke" (V. 12). Daß beides übereinstimmt, ist zwar prinzipiell nicht auszuschließen, aber auch nicht prinzipiell gegeben. Der Verfasser 15 freilich erwartet offenbar, daß gerade das von Gott gebotene Tun des Guten eine positive Wirkung auf die heidnische Umgebung ausübt. Jedenfalls ist es „Gottes Wille", daß die Christen durch das Tun des Guten „die Unwissenheit törichter Menschen zum Schweigen bringen". Ob dabei an Situationen vor Gericht zu denken ist, muß offenbleiben. Man kann unwissende Reden, etwa Vorwürfe und Verleumdungen, ja auch anderswo als vor Gericht zum Verstummen bringen. Mit „Unwissenheit" wird an die vorchristliche Zeit der Leser selbst erinnert (1,14) und damit um ein gewisses Verständnis für das unverständliche Verhalten der Umwelt, vielleicht auch des Staates, geworben. V. 16 bringt eine weitere Begründung für die Mahnung zum Sich-„Unterord- 16 nen" und sichert es zugleich vor Fehldeutungen. Gehorsam der Christen gegenüber den staatlichen Autoritäten ist Gehorsam der „Freien". Frei sind die Christen von der Versklavung durch die Mächte der Sünde und der Sorge (vgl. 5,7), freigemacht durch Christus vom Wandel in Eitelkeit und Nichtigkeit (1,18) und vom Schatten des Todes (1,3). Die Freiheit ist der Grund und Modus des Gehorsams. Nicht obwohl, sondern weil und indem sie frei sind, sollen die Christen gehorchen. Kadavergehorsam und unkritischer Untertanengeist ist damit ausgeschlossen. Das alles atmet ebenso paulinischen Geist (vgl. 1. Kor. 3,21 ff.; 7,29ff.) wie die Tatsache, daß die Freiheit sofort von ihrer pervertierten Form abgegrenzt wird (vgl. Gal.5,13f.): Freiheit ist Freiheit zum Dienst und also nicht zur Bemäntelung der Bosheit. Auch die Zusammengehörigkeit von Freiheit und Knechtschaft („Knechte Gottes") ist gut paulinisch (1. Kor. 9,19 ff. u.ö.). In solcher an Gott gebundenen Freiheit tritt der Christ der Welt gegenüber. Damit wird indirekt auch die Grenze des Gehorsams genannt: der Gott unterworfene Freie kann nie dem Staat zuliebe
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seinen Gehorsam gegenüber Gott aufgeben. Libertinismus und Servilität sind zugleich verbannt. Vier eindringliche kurze Imperativsätze beenden den Abschnitt. Allen soll die 17 Ehre erwiesen werden. In der Gemeinde als Bruderschaft soll Bruderliebe herrschen (vgl. 1 , 2 2 ) . Die nicht zufällige Zusammenstellung der letzten beiden Mahnungen aber wirft noch einmal Licht auf das Verhältnis der Christen zu den Vertretern der staatlichen Macht. Während es Spr. 2 4 , 2 1 heißt „Fürchte Gott und den Kaiser", modifiziert der Verfasser das, und zwar nicht nur aus stilistischen Gründen. Furcht gebührt allein Gott (vgl. 1 , 1 7 und 3 , 1 4 ) . So wie der l . P e t r . nicht sagt, daß die staatlichen Beamten „Gottes Diener" sind, so hütet er sich, Gott und den Kaiser auf eine Ebene zu stellen. Die Freien fürchten sich nicht vor dem Kaiser, sondern allein vor Gott. Dem Kaiser gegenüber aber wird dieselbe Einstellung gefordert wie gegenüber „allen": Ehrerbietung und Respekt. Furcht und Liebe dagegen gelten Gott bzw. den Brüdern.
3. Christen in der Sklaverei
(2,18-25)
1 8 Ihr Sklaven ordnet euch in aller Furcht den Herren unter, nicht allein den gütigen und milden, sondern auch den verdrehten. 19 Denn das ist Gnade, wenn einer wegen des Bewußtseins um Gott Leiden erträgt und dabei ungerecht leidet. 2 0 Denn was ist das für ein Ruhm, wenn ihr euch vergeht und dafür Mißhandlungen aushalten müßt? Aber wenn ihr Gutes tut und dann leidend aushaltet, das ist Gnade bei Gott. 2 1 Denn dazu seid ihr berufen, denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein VorbUd hinterlassen, damit ihr seinen Spuren folgtet. 2 2 Er, der „keine Sünde getan hat und in dessen Mund kein Trug gefunden wurde", 2 3 der geschmäht nicht wieder schmähte, der im Leid nicht drohte, sondern es dem anheimstellte, der gerecht richtet. 2 4 Der unsere „Sünden selbst hinaufgetragen h a t " mit seinem Leib auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. „Durch seine Strieme wurdet ihr geheilt." 2 5 Denn ihr wart „wie umherirrende Schafe", aber jetzt seid ihr hingewendet worden zum Hirten und Hüter eurer Seelen.
Vers 22: vgl. ¡es. 53,9;
Vers 24: vgl. Jes. 53,12
u. 53,5;
Vers 25: vgl.
]es.S3,6.
Um die Mahnung an die Sklaven recht zu verstehen, muß man sich vergegenwärtigen, daß die neutestamentliche Zeit durch ein Riesenheer von Sklaven gekennzeichnet war, das aus dem Sozial- und Wirtschaflsgefüge der Antike nicht wegzudenken ist. Auch die urchristlichen Gemeinden zählten viele Sklaven zu ihren Gliedern. Das erweisen die vielen Sklavennamen in den Grußlisten der Briefe oder Stücke wie 1. Kor. 7 , 2 0 ff., der Phlm.-Brief u. a. Von daher ist es verständlich, daß die Paränese an der Sklavenfrage nicht vorübergehen konnte, zumal Sätze wie G a l . 3 , 2 8 oder K o l . 3 , 1 1 , nach denen „in Christus" alle innerweltlich-natürlichen Unterscheidungen und Wertungen aufgehoben sind, offenbar leicht mißzuverstehen
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waren. Da die neutestamentlichen Autoren aber wegen ihres starken eschatologischen Glaubens (vgl. 4,7) keine sozialreformerischen oder gar -revolutionären Programme verfolgt haben, sind sie auch nicht für eine Befreiung der Christen aus der Sklaverei oder gar für eine allgemeine Abschaffung der Sklaverei eingetreten. Sie hätten als kleine Minderheit einen solchen Plan ohnehin nicht realisieren können. So wenig allgemeine Sklavenemanzipation gefordert wurde, so wenig wurde andererseits die Institution der Sklaverei als gottgewollt sanktioniert. Während es Paulus darum ging, daß der Christ auch als Sklave in der noch verbleibenden Zeit seinen Gehorsam dort bewährt, wo ihn der Ruf des Herrn getroffen hat (l.Kor. 7.20 ff.), und der Sklave als „geliebter Bruder" (Phlm. 16) respektiert wird, legt der l.Petr. den Akzent auf einen anderen Punkt: Worauf es ihm ankommt, ist schon aus der umfangreichen Begründung in den Versen 21-25 zu ersehen, die unter Aufnahme christologischer Tradition den leidenden Christus als Vorbild gerade für die Sklaven hinstellt. Nicht weil die christlichen Sklaven besonders renitent oder emanzipationssüchtig gewesen wären, sondern weil die Sklaven innerhalb heidnischer Häuser besonderen Gefahren und Belastungen ausgesetzt waren und ihr Leiden exemplarisch die christliche Existenz in der Konformität zum leidenden Christus verdeutlichen kann, werden sie so ausführlich auf das Leiden Jesu Christi verwiesen. Und darum wird die Mahnung an die Sklaven auch den anderen Mahnungen vorangestellt sein (vgl. dagegen die Reihenfolge in Kol. 3,18 ff.; Eph. 5 . 2 1 ff.). Vielleicht (!) ist dies auch ein Grund, warum Mahnungen an die Herren der Sklaven fehlen, doch ist es auch möglich, daß Vertreter dieses Standes in der Gemeinde kaum vertreten waren. Auch die Mahnung an die Sklaven ist inhaltlich wenig konkret. V. 18 beginnt wieder mit der Mahnung zur Unterordnung. Nachdem ungerechtes Leiden um Gottes willen als Gnade hingestellt worden ist (V. 19-20), folgt die ausführliche Erinnerung an die Christus-Leiden (V. 21-25). Schon die direkte Anrede „ihr Sklaven" ist keineswegs selbstverständlich, denn 18 Parallelen außerhalb des Neuen Testaments dafür fehlen. Es wird also an die eigene Verantwortung der Sklaven appelliert, die ihnen kein irdischer Herr abnehmen kann. Ihr Verhalten soll dem der Staatsbürger entsprechen (V. 13): Unterordnung! „In aller Furcht" dagegen wird sich kaum auf das Verhalten des Sklaven zu seinem Herrn beziehen. Sollte die Differenzierung des vorhergehenden Verses (im Gegenüber zu Spr.24,21) so schnell vergessen worden sein? Außerdem bezieht sidi „in der Furcht", das hier durch „aller" noch gesteigert ist, in 1,17 und 3 , 2 auf Gott; endlich wird 3 , 1 4 vor Menschenfurcht ausdrücklich gewarnt (vgl. auch Kol.3,22). Also liegt eine Anspielung auf das „Fürchte Gott!" (V. 17) vor. Gerade darin dokumentiert sich ja die christliche Freiheit (V. 16). Nicht Furcht, sondern Gehorsam ist gefordert, und zwar nicht nur gegenüber den gütigen, nachsichtigen und rechtlich denkenden, sondern auch gegenüber den verdrehten (Luther: wunderlichen) und schikanösen Herren, die ihre Sklaven hart, unbillig und launisch behandeln. Christliches Verhalten ist eben keineswegs einfach reactio. Christen werden auch innerhalb der bestehenden Gesellschaftsformen, aus denen sie nicht entlassen werden und in denen sie ihre Verpflichtungen gewissenhaft zu erfüllen haben, auf den gewiesen, der der eigentliche Herr und allein zu fürchten ist. Daß Unbilligkeit gegenüber den Sklaven „Unrecht" ist, daran läßt der Verfasser 19
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l.Petr. 2,18-25: Christen in der Sklaverei
allerdings keinen Zweifel (vgl. Kol. 4 , 1 ) . Aber wer Unrecht leidet, erfährt eine besondere Gnade von Gott (vgl. Phil. 1,29, aber auch 1. Petr. 3 , 1 4 und 4 , 1 4 ) . Solches Leid besteht sicher nicht nur aus Seelenschmerzen und Gewissensnöten. Auch harte äußere Behandlung, also Beschimpfungen, Mißhandlungen, Schläge usw. sind mitgemeint. Nicht die Leidenserfahrung als solche ist freilich „Gnade", die Anteil an Christus und seinem Geschick gibt (4,13), sondern das Ertragen des unschuldig Erlittenen „um des Bewußtseins um Gott willen", also in der inneren Bindung an 20 Gott und im Respekt vor seinem Willen (vgl. V. 15 u. ö.). Auch das Ertragenkönnen von Strafen als solches ist kein Ruhmesblatt. Der Verfasser stellt die christlichen Sklaven nicht in eine Reihe mit solchen, die sich etwas darauf einbildeten, Schläge unempfindlich aushalten zu können. Nicht an stoischem Gleichmut liegt ihm, sondern daran, daß die Ohrfeigen oder Mißhandlungen nicht durch die eigenen Verfehlungen des christlichen Sklaven provoziert werden. In Gottes Urteil ist nur das Gnade (nicht Ruhm!), wenn diejenigen, die in ihrer Leiderfahrung ausharren und so in den „Spuren" Christi bleiben, Gutes tun. Gerade auch sie müssen leiden, und das ist zweifellos realistischer als die traditionelle Aussage von V. 14 b und steht auch in einer gewissen Spannung dazu. Daß der Christ, der Gutes tut, vom Staat oder vom Herrn des Sklaven „Lob" erfährt, war wohl nicht gerade die Regel. D a ß er trotzdem lieber leidet als Böses tut (3,17), gibt Sinn und Hoffnung allein in der Nachfolge Jesu Christi, wie sich im folgenden zeigt. 21-25
In V. 21 ff. liegt geformte christologische Tradition vor, die der Verfasser nicht ad hoc formuliert, sondern übernommen und kommentiert hat (die oben in der Übersetzung eingerückten Sätze bildeten wahrscheinlich die Tradition). Auf den traditionellen Charakter verweisen die Relativsätze, ein typisches Stilmerkmal; weiter die Tatsache, daß die angestrebte Begründung für die Mahnung an die Sklaven weit über diese paränetische Funktion hinausweist (vgl. den Stellvertretungs- und Sühnegedanken!); endlich der Übergang von der 2. in die 1. Person (vgl. V. 24), wobei V . 2 1 a („für euch") wohl vom Verfasser in die 2. Person umgesetzt wurde (zum einzelnen vgl. die Auslegung). O b es sich um ein Lied oder ein katechetisches Lehrstück handelt, kann dabei offenbleiben. Wie die vielen, vom Verfasser noch vermehrten Anspielungen auf die LXX-Fassung von J e s . 5 3 erweisen, stammt die Tradition aus dem hellenistischen Judenchristentum. Der Verfasser des 1. Petr. hat die Tradition zwar in erster Linie darum aufgegriffen und interpretiert, weil er in dem Leidensschicksal des Christus vor allem anspornendes Urbild und Vorbild gesehen hat (vgl. V. 21 b), doch hat er die Wendungen, die darüber hinausgehen und von der erlösenden Macht des Todes Jesu sprechen (vgl. schon 1 , 1 8 f.), sicher nicht nur aus Orthodoxie oder Traditionstreue übernommen.
21
Schon das begründende „denn" am Anfang zeigt, daß es auch dem Verfasser nicht nur um ein Exemplum, sondern zugleich auch um Begründung und Motivierung christlicher Leidensnachfolge geht. Erst recht übersteigt der der Tradition entstammende Gedanke der Sühne und Stellvertretung („für euch": „euch zugute" bzw. „an Stelle von euch") den Entsprechungsgedanken, weil es hier keine Konformität zwischen dem Schicksal des Christus und der Christen mehr gibt. Im „Leiden" des Christus ist dabei auch der T o d mit eingeschlossen (vgl. 3 , 1 8 ; Lk. 2 2 , 1 5 ; 2 4 , 2 6 . 4 6 ; Apg. 1 7 , 3 u. ö.). V. 2 1 b ist Interpretation des Verfassers, die
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deutlich macht, worauf es ihm hier vor allem ankommt: Christus ist „Vorbild" der Seinen, oder - wie es mit einem anderen Bild heißt - er ist der, in dessen Spuren sie bleiben. Der Weg, auf dem sie ihm folgen, ist der Leidensweg (vgl. Hebr. 12,2; Offb. 14,4; Mk. 8 , 3 4 f . u. ö.). Mit dem Relativsatz wird die Tradition wie- 22 der aufgegriffen, in der Jesu Tod als Erfüllung des Schicksals des deutero-jesajanischen Gottesknechts interpretiert ist. Mit den Worten von Jes. 5 3 , 9 wird betont, daß Christus als Unschuldiger gelitten hat. Statt „Gesetzlosigkeit" (so Jes. 5 3 , 9 LXX) ist von „Sünde" die Rede, vielleicht in Angleichung an V. 20 implizit als Mahnung zu verstehen, auch harten Herren gegenüber nicht in Sünde zu verfallen. V. 23 stammt trotz des Relativstils wohl wieder vom Verfasser (vgl. im Griechischen 23 das sonst in V. 22 und V. 24 nicht vorkommende Imperfekt) und ist vom Kontext der Sklaven- und Leidensmahnung her motiviert: Jesus trug sein Leiden nicht nur unschuldig, sondern schweigend (vielleicht liegt auch hier ein leiser Anklang an Jes. 5 3 , 7 vor; vgl. auch Mk. 14,60 f. u. ä.) und ohne Gleiches mit Gleichem zurückzugeben. Schmähungen beantwortete er nicht mit Schmähungen (vgl. Lk. 23,39 f.) und Leiden nicht mit Drohungen, wodurch er den Teufelskreis der Vergeltung mit seinem üblichen Reaktionsautomatismus zerbrach (vgl. Mt. 5 , 3 9 ; Rom. 12,14.17. 21). Der paränetische Charakter dieser Feststellung erhellt aus 3,9. Wie Jesus auf alle eigene Vergeltung verzichtet und seine Sache Gott anheimstellt, so sollen auch die Christen das Gericht Gottes nicht in eigener Regie vorwegzunehmen suchen (vgl. Rom. 12,19), und sei es auch nur in Wünschen oder Drohungen. Wie in V. 21 wird auch hier das intendierte Vorbildmotiv von der Tradition 24 überboten. Könnte man in V. 21 immerhin noch erwägen, ob dort nicht das Sühnemotiv fehlt und allein der Stellvertretungsgedanke vorliegt und ob nicht auch Sklaven u. U. stellvertretend leiden können, so wird die Beispielhaftigkeit hier vollends unmöglich. Es geht nämlich unter Aufnahme von Jes. 5 3 , 1 2 (vgl. auch 5 3 , 4 und 11) um die sündentilgende Kraft von Jesu Kreuzestod. So wie der Gottesknecht die Sünden der Vielen auf sich lädt (vgl. auch 3. Mose 16,21 f.), so hat Christus „unsere Sünden" auf sich genommen, indem er sie „auf das Holz hinaufgetragen" hat. „Holz" meint wie Gal.3,13 das Kreuz (vgl. apch Apg.5,30; 10,39; 13,29). Christus hat die Sünden „an seinem (eigenen) Leibe" (vgl. Kol. 1,22; Hebr. 10,10) in geschichtlicher Tat getilgt (vgl. 1,19) und im Tode gelassen. Betont aber ist der Finalsatz in V . 2 4 b , der über den Sühnegedanken hinausgeht: Der Tod Jesu hat die Sünden nicht nur gesühnt, sondern er hat von der Knechtschaft der Sünden frei und los gemacht (vgl. 1,18). Diese Befreiung, in die man durch die Taufe hineingezogen wird, zielt auf das „Leben für die Gerechtigkeit" (vgl. Rom. 6,18). In dem etwas nachhinkenden V . 2 4 c , wo der Verfasser nun zur Anrede in der 2. Person zurückkehrt, wird noch einmal unterstrichen, daß gerade die „Strieme" bzw. „Wunde" Christi Heilung und Heil bewirkte. Das wird wohl nicht nur um der Bedeutung des Todes Jesu willen hinzugefügt - ein „Leben für die Gerechtigkeit" ist eben nicht Therapie, sondern Erweis eingetretener, durch Christus bewirkter Heilung - oder damit die Angesprochenen als Geheilte nicht mehr in der Manier von Kranken oder Rückfälligen leben, die ihre alten Gebrechen noch mit sich herumschleppen; vielmehr wird der Verfasser wohl auch die Striemen
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im Auge haben, die die Schläge der Sklavenherren bewirkten und unter denen sich die christlichen Sklaven der Wunden ihres Herrn erinnern sollen. 25 Noch einmal lenkt der Verfasser den Blick auf das Einst (vgl. 1 , 1 4 . 1 8 ) . In Anspielung auf J e s . 5 3 , 6 (vgl. auch Mt. 9 , 3 6 ) werden die Angeredeten „irrenden Schafen" verglichen, die ohne Hirten dem Verderben ausgeliefert sind. Aus dieser Heillosigkeit sind sie „nun" dadurch heraus, daß sie zum „Hirten und Hüter der Seelen" „hingewendet worden" sind (die passivische Übersetzung ist wegen der Parallelität zu V . 2 4 c vorzuziehen). Christus, der „Oberhirte" (5,4; vgl. Hebr. 13,20), ist der, der auf die „Seelen" (im Sinn von 1,9) achtgibt und sie auch inmitten des Leidens in seine Hut nimmt (vgl. 1,5). Eine Anspielung auf das dem Verfasser wahrscheinlich unbekannte (vgl. 5 , 1 ) Bischofsamt, in dem Christus wirkt, ist nicht zu erkennen. 4. Christen in der Ehe
(3,1-7)
1 Ebenso ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, damit, auch wenn einige dem Wort nicht gehorchen, sie durch die Lebensführung ihrer Frauen ohne Wort gewonnen werden, 1 wenn sie auf eure lautere Lebensführung in der Gottesfurcht blicken. 8 Ihr Schmuck sei nicht der äußerliche: (kunstvolles) Haargeflecht, Anlegen von Goldschmuck oder Anziehen von Gewändern, 4 sondern der verborgene Mensch des Herzens mit dem unvergänglichen Wesen des freundlichen und stillen Geistes, der vor Gott kostbar ist. 5 Denn so schmückten sich einst auch die heiligen Frauen, die ihre Hoffnung auf Gott setzten. Sie ordneten sich ihren Männern unter, 6 wie Sara dem Abraham gehorchte, „indem sie ihn Herr nannte". Deren Kinder seid ihr geworden, sofern ihr Gutes tut und „keine Einschüchterung fürchtet". 7 Ihr Männer ebenso, wohnt mit Einsicht bei dem weiblichen als dem schwächeren Geschlecht und erweist ihnen Ehre als Miterben der Gnade des Lebens, damit eure Gebete nicht verhindert werden.
Vers 6: vgl. 1. Mose IS, 12;
Spr.3,2S.
Wie in allen Haustafeln des Neuen Testaments bietet auch der l.Petr. Mahnungen an die Frauen und Männer in der Ehe. Daß die christliche Botschaft auch für das Leben der Frau z. T . tiefgreifende Veränderungen mit sich brachte, läßt sich vor allem den Evangelien und den Paulusbriefen entnehmen. Der Frau wird die gleiche Würde und der gleiche Wert zuerkannt wie dem Mann, was der fast durchgängigen Auffassung von der Inferiorität und Diskriminierung der Frau in der Antike widersprach und nicht ohne praktische Konsequenzen blieb (vgl. etwa Rom. 16, l f f . ; 1. Kor. 1 1 , 5 u. ä.). Das bedeutete aber nicht die Einebnung der geschlechtlichen Differenzierung oder der gesellschaftlich-sozialen Gegebenheiten, wie gerade die Haustafeln zeigen, die weithin (z. B. in der patriarchalischen Struktur der Ehe) der damaligen Konvention entsprechen. Mit Ausnahme von V. l b und V. 6 b ist denn auch die Mahnung an die Frauen in keiner Weise spezifisch christlich und könnte weithin ebensogut in einer jüdischen Paränese stehen. Vor allem V . 3 - 6 a haben mit der besonderen Situation der Frau im Urchristentum nichts zu tun. Im Unterschied zur vorhergehenden Mahnung an die Sklaven fehlt auch eine umfassende Begründung, wenn natürlich auch die Aussagen von 2 , 2 1 ff. nicht auf die Sklaven beschränkt sind. V . l b und 6 b lassen erkennen, woran dem Verfasser bei
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seiner Mahnung besonders gelegen war: an der missionarischen Aufgabe der Frau und ihrem Widerstand gegen Einschüchterungsversuche. Beides setzt Mischehen voraus. Solche Mischehen, vor allem zwischen christlichen Frauen und nichtchristlichen Männern (vgl. aber 1. Kor. 7 , 1 2 . 1 4 b. 16 b), werden gerade in der ersten Zeit der Kirche nicht selten gewesen sein, obwohl sie eine Fülle von Problemen und Konflikten vor allem im Alltag der Ehe mit sich bringen mußten. Auch V. 1 beginnt wieder mit einer Mahnung zur Unterordnung (V. 1 a) und nennt dann als deren Ziel die Gewinnung des ungläubigen Mannes durch die Lebensführung der Frau (V. l b - 2 ) . V.3-4 konfrontieren der Veräußerlichung das innere Wesen als das vor Gott Kostbarere, und V. 5-6 a führen als Beispiele die Frauen des Alten Testaments an. V. 6 b nennt als Kennzeichen christlicher Frauen Gutestun und Furchtlosigkeit. In V. 7 folgt dann eine Mahnung an die Männer zu verständigem und rücksichtsvollem Umgang mit ihren Frauen als „Miterben des Lebens". Zunächst mahnt der Verfasser in Übereinstimmung mit Kol. 3 , 1 8 ; Eph.5,24, aber auch mit Plutarch u. a. die Frauen zur „Unterordnung" gegenüber ihren (nicht: den!) Männern. Der Finalsatz zeigt, daß der Verfasser dabei vor allem Mischehen im Auge hat, Unterordnung also anders als bei Plutarch gerade nicht impliziert, daß die Frau auch die Götter ihres Mannes verehrt. Wie bei Paulus, nach dem der christliche Ehepartner solange an der ehelichen Gemeinschaft festhalten soll, solange auch der Nichtchrist einwilligt (1. Kor. 7 , 1 2 ff.), steht auch hier das missionarische Motiv im Vordergrund. Die Charakterisierung der Männer („die dem Wort nicht gehorchen") bestätigt, daß Christsein nach dem 1. Petr.-Brief in Gehorsam gegenüber dem Wort besteht. Um so auffallender ist, daß der „Lebensführung ohne Wort" auch dann eine Chance eingeräumt wird, wenn das Wort selbst nicht zum Ziel gekommen ist. Das ist nur so zu verstehen, daß die Existenz von Christen auch „ohne Wort" ein vom Wort bestimmtes und als solches erkennbares Tatzeugnis ist. Nicht nur Verkündigung - die Abweisung des „Wortes" dürfte vor allem das Wort der Predigt meinen - , sondern auch das als Ausstrahlung solcher Verkündigung verstandene Christenleben kann „gewinnen". Damit ist nicht die innere Rückgewinnung oder Schaffung eines erträglichen Eheklimas in einer solchen Mischehe gemeint, sondern die Bekehrung (vgl. 1. Kor. 9 , 1 9 ff.). Die Ehefrau soll sicher nicht mit jedem Schritt einen penetranten Bekehrungseifer verbinden, aber doch wissen, daß ein Leben in „Lauterkeit" und „Gottesfurcht" die Echtheit des Evangeliums sichtbar werden läßt. Die Männer werden gerade auch im häuslichen und familiären Alltag auf ihre Frauen „sehen" (dasselbe Wort und Motiv wie 2,12) und auch damit der Wirklichkeit des christlichen Glaubens begegnen. V. 3 wird nun sehr speziell und hat mit dem übergeordneten Gedanken von V. 1 b-2 wenig zu tun. Der Verfasser wird vielleicht meinen, daß er durch die Warnung vor „Äußerlichkeit" zugleich von einem zum Scheitern verurteilten „Gewinnen-Wollen" des Mannes abrät. Übertriebener Schmuck und Luxus der Frau ist freilich zu allen Zeiten eine Zielscheibe der Kritik gewesen (vgl. Jes.3,18ff.; l . T i m . 2 , 9 ) , auch außerhalb der Bibel, bei Kynikern, Stoikern und auch im Judentum. Allerdings warnt der Verfasser nicht einfach vor Kosmetik, Schmuck und Pomp an sich, sondern es geht ihm vor allem um den Kontrast zu dem im Herzen verborgenen Menschen und seinem Wert, der der äußeren, durch Frisur, Schmuck
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und Kleidung zu erreichenden Schönheit überlegen ist. Sanftmut bzw. Freundlichkeit und Stille des Geistes sind nach Meinung des Textes der wahre Schmuck der Frau und vor Gott allein wertvoll. Daß Gott das Innerliche mehr schätzt als das Äußerliche und der innere Mensch als der wahre Mensch gilt, ist wohl auf helle5 nistischen Einfluß zurückzuführen. Solche Warnung vor Veräußerlichung und Empfehlung der seelischen und geistigen Werte soll aber wohl auch im Sinn des Verfassers nicht zu falscher Introvertiertheit und Spiritualisierung führen, in der vergessen wird, daß Gott den ganzen Menschen beansprucht und sich der Gehorsam 6 auch im Leiblichen realisiert. Der Verfasser selbst ist der Meinung, auch das Alte Testament auf seiner Seite zu haben, was freilich nicht für die in V. 3 f. zugrunde liegende Anthropologie gilt. Zunächst werden „die heiligen Frauen" Israels allgemein genannt, die ihre Hoffnung auf Gott setzten und deren Schmuck ihre Unterordnung unter ihre Ehemänner war. Das wird in V. 6 aufgenommen und erwiesen durch die Tatsache, daß Sara den Abraham „Herr" nannte. Das war freilich übliche orientalische Sitte (vgl. 1. Mose 18,12) und besagt darum wenig. Von größerem Interesse ist der Relativsatz in V. 6 b, der wieder christliches Kolorit hat. Die christlichen Frauen werden angeredet als solche, die Kinder Saras geworden sind. Das erinnert an die Kennzeichnung der Christen als „Kinder Abrahams" (vgl. Gal.3,7.29 u. ä.), doch ist nun nicht der Glaube (R.öm.4,llf.), sondern das aus solchem Glauben erwachsende Tun des Guten Kennzeichen solcher Kindschaft. Der Zweck solchen Tuns ist freilich nicht, das eigene Heil zu sichern, sondern auch andere daran teilhaben zu lassen (vgl. V. 1 f.). Daß solche über sich hinausweisenden guten Werke in ihrem Zeichencharakter nicht durch begrenzte Konflikte diskreditiert werden und „Unterordnung" nicht einfach Nachgiebigkeit meint, erweist das andere Kennzeichen der Sara-Kindschaft: Furchtlosigkeit (vgl. Spr. 3,25). Christliche Frauen brauchen sich durch Einschüchterungsversuche ihrer nicht-christlichen Ehemänner, mit denen sie sie etwa zum Verlassen der Gemeinde oder Verleugnen des Glaubens bewegen wollen, nicht entmutigen zu lassen. Wieder bestätigt sich, wie sehr der Brief darum bemüht ist, in den bis in die engste Gemeinschaft eingreifenden Gefahren die Menschenfurcht zu bannen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Haustafel: Tritt der Christ den staatlichen Behörden, den nichtchristlichen Herren und Ehepartnern gegenüber, dann als Freier in Respekt, Ehrerbietung und Unterordnung, aber nicht in sklavisch-serviler Untertänigkeit und Furcht. 7 Man kann fragen, warum die Mahnung an die Männer im Vergleich zu den anderen Mahnungen so kurz gehalten ist. Weil die Zahl der Männer in den angesprochenen Gemeinden geringer war? Weil der Mann in den Konflikten weniger gefährdet war? Oder zollt der Verfasser hier einfach seiner Zeit Tribut? Sieht man sich die Umwelt des Neuen Testaments an, ist es nämlich keineswegs selbstverständlich, daß sich überhaupt Mahnungen an den Mann zum rechten Verhalten gegenüber der Frau finden. Und dort, wo solche vorliegen, erschöpfen sie sich meist auf die Fürsorgepflicht, oder es heißt gar „Beherrsche die Frau!". Der traditionelle Charakter von V.7 ist im Unterschied zu V.3-6a denn auch viel weniger wahrscheinlich. Außerdem hat der Verfasser jetzt offenbar Ehen zwischen Christen im Auge, denn die Frauen werden ja „Miterben der Gnade des Lebens" genannt. In
l.Petr. 3,8-12: In der Gemeinde und in feindlicher Umwelt
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dieser Wendung, die das Vorzeichen des Zusammenlebens sein soll, steckt die eigentliche Spitze der Mahnung. Gewiß liegt die das ewige Leben gewährende Gnade als „Erbe" (vgl. dazu 1,4) noch in der Zukunft, aber diese gemeinsame Erwartung der künftigen Heilsgüter läßt das Verhältnis von Mann und Frau auch hier und jetzt im ganzheitlich zu verstehenden „Zusammenwohnen" (vgl. Sir. 25,8) nicht unberührt. Wer weiß, daß Gott ihn gelten läßt und er sein ewiges Leben der Gnade verdankt, der kann sich nicht als Haustyrann aufspielen und den anderen nicht gelten lassen. Der Mann wird eben nicht aufgerufen, eine führende Rolle zu spielen oder gar auf seinen Privilegien und seiner Dominanz zu bestehen, sondern dazu, Rücksicht und Achtung auch im Alltag der Ehe sichtbar werden zu lassen, der Frau mit einsichtsvollem und liebendem Verständnis zu begegnen. Das wird mit der Rücksicht auf die größere Schwachheit (vgl. Rom. 15,1) der Frau begründet. Die ursprünglich ziemlich despektierliche Kennzeichnung der Frau als „Gefäß" ist ähnlich wie „Zusammenwohnen" kaum speziell im sexuellen Sinn verstanden, denn da die Frau auch abgesehen vom Geschlechtsverkehr als „Gefäß" bezeichnet wurde, ist die Mahnung wohl auf das gesamte eheliche Zusammenleben zu beziehen (vgl. 1. Thess. 4,4). Nur dort, wo die Männer ihren Frauen gegenüber eine verständnisvolle Haltung an den Tag legen und ihnen „Ehre erweisen" - im Vergleich zu 2,17 zeigt sich, daß nicht nur die Schwächeren und Untergeordneten zur Ehrerbietung verpflichtet sind, sondern auch die Stärkeren - , werden ihre Gebete nicht verhindert. Dabei ist nicht an Störung durch häuslichen Lärm und eheliche Zwistigkeiten gedacht, aber auch nicht an das Ausbleiben einer „Gebetsstimmung", sondern an eine grundsätzliche geisdiche Unfähigkeit zum Gebet. Lieb- und Rücksichtslosigkeit im Verhältnis zu den Menschen belastet und zerstört auch das Verhältnis zu Gott (vgl. Mt. 5,23 f.; 1. Joh. 4,20 u. ä.). „Eure" heißt wohl: eure gemeinsamen. Die eheliche Verbundenheit bei den Christen dokumentiert sich auch im Gebet (vgl. 1. Kor. 7,5).
S. Die Christen in der Gemeinde
und in der feindlichen
Umwelt
(3,8-12)
Endlich aber seid alle eines Sinnes, mitfühlend, voll Bruderliebe, barmherzig, demütig. ' Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Schmähung mit Schmähung, sondern im Gegenteil segnet, denn dazu seid ihr berufen, daß ihr Segen erbt. 1 0 Denn „wer das Leben liebgewinnen und gute Tage sehen will, der halte seine Zunge vom Bösen zurück und seine Lippen davon, Trug zu reden. 11 Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes, er suche Frieden und jage ihm nach. 11 Denn die Augen des Herrn (sind) auf die Gerechten (gewendet) und seine Ohren auf ihr Gebet, doch das Angesicht des Herrn (kehrt sich) gegen die, die Böses tun". 8
Vers 10-12: vgl. Ps. 34,13-17.
Im Anschluß an die Haustafel mit ihren Mahnungen an die verschiedenen Stände läßt der Verfasser nun eine Mahnung an „alle", d. h. die Gemeinde als ganze, folgen, formal wieder in traditioneller Form: zunächst ein fünfgliedriger Tugendkatalog
100
l.Petr.3,8-12: In der Gemeinde und in feindlicher Umwelt
(V. 8), dann eine Mahnung mit Anklang an Herrenworte oder andere paränetische Tradition (V.9) und endlich ein langes Zitat aus P s . 3 4 , 1 3 - 1 7 (V. 10-12). 8 Anders als in 2 , 1 mit seinem fünfgliedrigen Lasterkatalog findet sich nun ein entsprechender Tugendkatalog, aber anders als in 2 , 1 nicht aus Substantiven, sondern aus Adjektiven. Eine Gliederung ist auch hier nicht zu erkennen. Daß die Gemeinde „eines Sinnes" sein und im Wollen und Denken zusammenstehen soll, wird vor allem von Paulus immer wieder eingeschärft (Rom. 1 2 , 1 6 ; 15,5; 2. Kor. 1 3 , 1 1 ; Phil. 2 , 2 ; 4,2). Da dieses erste ebenso wie das dritte Glied („Bruderliebe") ein innergemeindliches Verhalten umschreibt, wird das auch für das dazwischenstehende „mitfühlend" gelten. Ein Bruder soll an Freud und Leid des anderen verstehend und mitfühlend Anteil nehmen (vgl. 1. Kor. 1 2 , 2 6 ; Rom. 12,15). Die Mahnung zur Bruderliebe begegnete schon 1 , 2 2 . Ob die beiden letzten Begriffe über die Gemeinde hinausführen und gewissermaßen einen Ubergang zu V. 9 bilden, ist nicht sicher, doch wird dem Verfasser kaum an scharfen Abgrenzungen gelegen sein. Das hier gebrauchte griechische Wort für „barmherzig" kommt nur noch Eph. 4 , 3 2 vor, und zwar mit Bezug auf die Gemeinde. „Demütig" endlich meint wohl weder das Verhältnis zu Gott (so 5,6) noch das zu den Heiden, sondern ebenfalls das zu den Brüdern (vgl. 5 , 5 ; Phil. 2,3), in dem man den anderen höher einschätzt als sich selbst. 9 V . 9 greift der Verfasser eine Mahnung aus einem breiten Strom paränetischer Überlieferung heraus, die sich sachlich mit dem Herrenwort berührt, die Feinde zu lieben und für die Verfolger zu beten (Mt. 5,44) bzw. die Fluchenden zu segnen (Lk. 6,28). Sehr viel näher und wörtlicher ist aber die Verwandtschaft zu Rom. 1 2 , 1 7 , w o ebenfalls dazu gemahnt wird, „nicht Böses mit Bösem zu vergelten" (vgl. auch l . T h e s s . 5 , 1 5 ; Spr. 1 7 , 1 3 ) . Damit klingt schon an, was V. 13 ff. entfaltet wird: das Verhalten der Christen gegenüber einer feindlichen Umwelt, die der Gemeinde mit „Bösem" und mit „Schmähungen" begegnet. Anders als der Staat (2,14) sollen Christen aber nicht Böses mit Bösem beantworten, sondern wider alle Logik und Moral wie Christus (2,23) auf das Heimzahlen mit gleicher Münze verzichten (vgl. slav. Hen.50,3f.). Ja, sie sollen nicht nur von eigener Vergeltung Abstand nehmen, sondern dem Bösen das Gute entgegensetzen und Gottes Gnade auf die Schmähenden herabrufen („segnen"; vgl. Rom. 1 2 , 1 4 ; 1. Kor. 4,12). Dazu, Segen zu „ererben", also Gottes Segen unverdientermaßen als Geschenk zu empfangen, sind die Christen ja auch selbst berufen. 10-12
In ziemlich genauer Ubereinstimmung mit der L X X folgt das alttestamentliche Psalmwort, das merkwürdigerweise gar nicht als solches markiert ist, obschon es das umfangreichste Zitat des 1. Petr. aus dem Alten Testament ist (vgl. 1. Klem. 22,2ff.). Die Hoffnung des Psalmisten, ursprünglich fraglos im Kontext weisheitlicher Lebenserfahrung innerweltlich von „guten Tagen" im irdischen Leben verstanden, wird vom Verfasser auf das Leben im Sinn von V. 7 gedeutet. Allerdings wird jetzt nicht der Geschenkcharakter der eschatologischen Verheißung betont, sondern deren Voraussetzung. Dazu zählt im Anschluß an den Psalm, daß man sich von Zungensünden freihält (eine auch sonst weitverbreitete Mahnung; vgl. nur S p r . 1 8 , 2 1 ; S i r . 2 2 , 2 7 u.ö.; im Neuen Testament Jak. 1 , 2 6 ; 3 , l f f . ) . Neben der Bedeutung, die hier einer ursprünglichen Klugheitsregel eingeräumt wird, ist auch
l.Petr.3,13-17: Leiden in Gerechtigkeit und Furchtlosigkeit
101
wieder (vgl. zu V.9) die Analogie zum Verhalten Jesu zu beachten. Wie sich im Munde Jesu kein Trug fand (2,22), so soll es auch beim Christen sein. V. 11 ruft 11 nochmals (vgl. 2 , 1 4 . 1 5 . 2 0 ; 3,6) das Tun des Guten in Erinnerung und mahnt dazu, dem „Frieden nachzujagen". Dabei hat Friede hier nicht den umfassenden Sinn des Heils (so 1,2; 5,14), sondern des zwischenmenschlichen Einvernehmens (vgl. Mt, 12 5,9; Rom. 12,18). V. 12 schiebt ein „denn" in das Zitat, begründet also V. 10-11 mit V. 12 und weist damit auf Kraft und Horizont der Mahnungen. Christen und Nichtchristen, „Gerechte" und die, „die Böses tun", leben vor Gottes Angesicht. Seine Zuwendung und Nähe umfängt beide, aber in verschiedener Weise. Daß seine Augen auf seine Gerechten gerichtet sind, bedeutet Trost, wie auch die zweite Zeile zeigt: Seine Ohren sind ihren Bitten geöffnet. Für die Missetäter aber bedeutet die Zuwendung Gottes Drohung. 6. Die Christen als in der Welt Leidende a) Christliches Leid in Gerechtigkeit
(3,13-4,6)
und Furchtlosigkeit
(3,13-17)
Und wen gibt es, der euch Böses zufügen könnte, wenn ihr Eiferer um das Gute seid? 14 Aber selbst wenn ihr um der Gerechtigkeit willen leiden solltet, seid Duselig. „Was euch aber an ihnen Furcht einjagt, fürchtet nicht, noch laßt euch in Verwirrung bringen." 15 „Heiligt" aber „den Herrn" Christus in euren Herzen, allezeit bereit zur Verantwortung gegenüber jedem, der von euch Rechenschaft verlangt über die Hoffnung, die in euch (lebt). 1 ( (Tut dies) jedoch mit Sanftmut und Furcht als solche, die ein gutes Gewissen haben, damit, wenn ihr schlecht gemacht werdet, die beschämt werden, die eure gute Lebensführung in Christus schmähen. 17 Denn es ist besser, als solche, die Gutes tun, zu leiden, wenn es Gottes Wille sein sollte, denn als solche, die Böses tun. 19
Vers 14 f.: Jes.S, 12 f.
Mit V. 13 kommt der Vf. grundsätzlicher zu dem, was ihm angesichts der Drohungen und Anfeindungen besonders am Herzen liegt: Mut zu machen, das Christsein in leidendem Gehorsam zu bewähren. Bestimmte Motive waren schon angeklungen; vor allem der Hinweis auf Leid und Verleumdung (vgl. 1,6; 2,12.15. 19.23; 3,6.9), doch wird das nun ausführlicher entfaltet und begründet. Besonders wichtig ist das neue christologische Traditionsstück in 3,18-22, das den Horizont der Paränese zwar wieder transzendiert, aber vor allem im Blick auf das Leiden der Christen eingeschoben wird. 4,1-6 folgen dann wieder Mahnungen, die das Leiden vor allem mit der Distanz zur heidnischen Lebensweise erklären. An und für sich handelt es sich in 3,13-4,6 um einen zusammenhängenden Abschnitt, der hier nur der Übersichtlichkeit wegen nochmals unterteilt wird. V. 13 äußert zunächst in Frageform die Hoffnung, daß denen, die Gutes tun, kein Leid zugefügt wird. V. 14 a schränkt das aber wieder ein, V. 14 b preist die um Gerechtigkeit willen Leidenden selig, und V. 14 c mahnt trotz des Leidens zur Furchtlosigkeit. Es folgt eine Mahnung zur Heiligung und zur Apologie der Hoffnung (V. 15). V. 16 charakterisiert die Art und Weise sowie das Ziel dieser Apologie und dringt wieder besonders auf eine einwandfreie Lebensführung. Christen sollen jedenfalls nur unschuldig leiden (V. 17), womit bereits anklingt, was V. 18-22 dann am Vorbild Christi verdeutlichen.
102 13
l . P e t r . 3 , 1 3 - 1 7 : Leiden in G e r e c h t i g k e i t u n d F u r c h t l o s i g k e i t
V. 13 beginnt mit einer Frage, deren envartete Antwort („niemand!") in deutlicher Spannung zu den vorausgesetzten Konflikten steht. Man hat diese Spannung so zu lösen versucht, d a ß man erklärte, das Böse, das den Christen nicht treffe, sei der „Schaden an der Seele" (Mt. 16,26). Das ist zwar nicht ganz auszuschließen (vgl. auch R o m . 8,18), doch wird zwischen innerer Unverletzlichkeit auf der einen und äußerer M i ß h a n d l u n g auf der anderen Seite nicht deutlich unterschieden. Auch das „Böse" von 3 , 9 schließt die „äußere" böse Behandlung gewiß ein, und das griechische W o r t f ü r „Böses antun" meint im Neuen Testament sonst stets Leiden (Apg.7,6.19) oder Verfolgungen (Apg.12,1; 14,2; 18,10). So wird man die Diskrepanz zu 2 , 1 9 f.; 3 , 9 und anderen Stellen auf andere Weise zu erklären haben. Entweder steht hier noch der aus der Tradition stammende Glaube im Hintergrund, d a ß Böses auch im Sinn des Leidens seine eigentliche Ursache in der Sünde hat (vgl. den ursprünglichen Sinn von V. 10 oder Sir. 7,1: „Tue nichts Böses, so wird dir nichts Böses widerfahren") und darum eigentlich nur Böse treffen kann. Das entspräche der traditionellen Aussage von 2,14 mit ihrer Erwartung einer positiven Einstellung der heidnischen Behörden gegenüber den Christen, wenn sie Gutes tun, aber auch dem Vertrauen von 2,12, mit einwandfreier Lebenspraxis Diffamierung und Kriminalisierung zu überwinden. Oder aber der Verfasser will die Offenheit der Situation bei jedem einzelnen betonen und gerade so leidenschaftliches Engage-
14 ment f ü r das Gute stimulieren. Auch die vorsichtige und zurückhaltende Ausdrucksweise in V. 14 (im Griechischen Optativ: „wenn etwa") zeigt, d a ß der Verfasser offenbar noch die H o f f n u n g hegt, Leiden und Verfolgungen ließen sich bei entsprechend guter Lebensführung wenigstens im Einzelfall vermeiden. Andererseits aber lehrt die Fortsetzung ebenso wie der übrige Brief, daß der Verfasser spürt, daß die Rechnung so nicht aufgehen wird, ja es gerade ein Leiden nicht trotz, sondern „um der Gerechtigkeit willen" gibt (vgl. Mt. 5,10). Deshalb wird nun die positive Seite des Leidens herausgestellt, jeder Resignation und Verängstigung entgegengetreten und in Anlehnung an die Heilsworte urchristlicher Propheten den Bedrängten M u t und Trost zugerufen („selig!", vgl. außer zu 4,14 auch Mt. 5,3 ff. sowie zur Form der Seligpreisung die Auslegung von Jak. 1,12). Wie den Israeliten einst die Angst vor den Assyrern genommen werden sollte, will der Verfasser nun unter Rückgriff auf Jes. 8,12 der Gemeinde die Angst vor den Verfolgern nehmen. Der Schrecken, der von ihnen ausgeht, braucht Christen, die in Gottes Hand stehen (1,5; 2,25), 15 nicht Furcht einzujagen oder Verwirrung zu bringen. Sie sollen freilich den Herrn Christus heiligen, also als den anerkennen, dem sie ganz und gar gehören (vgl. zu 1,15 f.), und zwar bis ins „Herz", was nicht heißt: im Gefühl oder Gemüt, sondern im geistigen und seelischen Zentrum der Person und Existenz (vgl. 1,22). Die so erreichte Freiheit von der Menschenfurcht braucht nicht durch einen Rückzug aus der Gefahrenzone der Welt erkauft zu werden, sondern kann sich inmitten der Welt bewähren. Die Welt ist in und trotz aller Feindschaft doch als eine fragende zu verstehen, wobei nicht gesagt wird, ob dieses Fragen aus ernsthaftem Suchen oder oberflächlicher Neugier, aus ablehnendem Hochmut oder behördlicher Pflicht k o m m t , ob es privat oder öffentlich geschieht. Den Fragen gegenüber sollen Christen nicht ängstlich zurückweichen, sondern Rede und Antwort stehen. Solche „Apologetik" ist nicht neunmalkluge Besserwisserei für alle Fragen zwischen Himmel und
Die Christen und das Leid
103
Erde, sondern die Antwort auf das allein Frag-Würdige: die Sache des christlichen Glaubens. Und diese ist nach dem Verfasser zuerst und vor allem die christliche Hoffnung (vgl. 1,3.13.21 u. ö.). Wird der Christ nach dem Kern des Glaubens ge- 16 fragt, so ist er nach der Hoffnung gefragt. Auf seine Hoffnung aber kann sich der Christ nichts einbilden. Schon darum kann seine „Apologie" der Hoffnung niemals überheblich und anmaßend, aggressiv und feindselig sein, sondern nur in Freundlichkeit und Gottesfurcht geschehen. Das ist freilich nicht als Warnung vor einer Verkürzung des von den Aposteln hinterlassenen Glaubensgutes (depositum fidei) zu verstehen. Das Wissen um die Verantwortung vor dem Herrn soll vielmehr auch in der Verantwortung gegenüber der Welt nicht vergessen werden. Gerade so können Christen ein „gutes Gewissen" haben (vgl. 1. Tim. 1,5.19; 3,9; Hebr. 13,18 u. ö.). Das bezieht sich nicht allein auf die „Apologie", sondern auf die gesamte Existenz des Christen, die die Apologetik decken soll (vgl. zu V. 21). Die Lebensführung der Christen aber wird, obsdion sie eine „gute" genannt wird, geschmäht. Das „Gute" provoziert also trotz 2,12 u . a . Aussagen auch Vorwürfe und Verleumdungen. Die christliche Lebensweise ist eben eine gute „in Christus", was hier wohl heißt: sie gründet in Christus und wird von ihm bestimmt (vgl. 5,10.14). Trotz dieser Verdächtigungen ist der Verfasser der Hoffnung, daß gerade dieser gute Lebensstil auch einen Umschlag bewirken kann (vgl. 2,12; 3,1). V. 17 faßt 17 gegenüber solchen Hoffnungen wie V. 14 doch wieder den Fall ins Auge, daß die Christen trotz ihrer guten Taten leiden müssen. Das ist jedenfalls „besser" als Unrecht zu tun (vgl. schon 2,20). Ob es dazu kommt, ist aber offenbar nicht sicher, sondern hängt allein von Gottes Willen ab (vgl. 1,6; 3,14 und 4,19). Die Christen und das Leid. Schon im Alten Testament und im Judentum spielt die Frage nach dem Leid des Frommen eine erhebliche Rolle. Verschiedene Antworten, die im Lauf derZeit gegeben worden sind, kehren auch im Neuen Testament wieder. Daß Jahwe als Herr des Lebens und der Geschichte auch das Leid wirkt (vgl. Am. 3,6), und zwar vor allem als Strafe für Schuld (vgl. 1.Mose 6-8 u.ö.), bedeutete zunächst, daß der Fromme vom Leid verschont bleibt: „Dem Frommen widerfährt kein Leid, den Gottlosen aber Unheils die Fülle" (Spr. 12,21; vgl. 13,21 u.a.). Daneben wird das Leid aber auch als heilsame Zucht und Prüfung verstanden (vgl. Spr.3,11 f.; Hiob5,17 u.ö.), zumal man gewiß war, daß Gott alles „zu seiner Zeit" kommen läßt (Pred. 3,1 ff.) und Zeiten des Leides und Zeiten der Freude einander ablösen (Spr.14,13; Tob.3,22f.). Das Problem unschuldigen Leidens bricht elementar vor allem im Hiobbuch auf, das damit endet, daß der Mensch vor Gottes unbegreiflicher und wunderbarer Größe verstummt (42,3). Andere Antworten verweisen auf die Unbeständigkeit des Glücks der Gottlosen (Ps.37 u.ö.), auf die stellvertretende Bedeutung des Leidens des „Gottesknechts" für die Ungerechten (Jes.53) oder auf die allem Leid überlegene Gemeinschaft mit Gott („Wenn ich nur dich habe" Ps.73,25f.). Später wird die „kurze Qual" mit der Aussicht auf „große Wohltaten" im unvergänglichen Leben überstanden (Weish.3,5), aber auch die Überlegenheit von Vernunft und Tugend über Leid und Schmerz (4. Makk. 8-12) und die stellvertretende Sühne der Leiden für das Volk gepriesen (4. Makk. 6, 23 f.; 17, 22). Im apokalyptischen Judentum vor allem wird dann für die Zeit nach den „messianischen Wehen", in denen die Leiden dieser Welt ihren Kulminationspunkt
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Die Christen und das Leid
erreichen (4. Esr. 14,16 „denn je schwächer die Welt vor Alter wird, um so mehr werden die Leiden . . . " ; syr.Bar.25,2 f. u. ä.), der neue Äon mit dem Ende allen Leids erwartet (4. Esr. 8,53 f.; slav.Hen.65,9), dessen Herrlichkeit in keinem Verhältnis zum jetzigen Leid stehen wird (syr. Bar. 48,50). Das Neue Testament übernimmt in breitem Umfang Motive dieser alttestamentlich-jüdischen Tradition, z.T. in ausdrücklichen Zitaten. Das Leid wird vereinzelt auch hier als Folge der Sünde angesehen, wenn auch eine spekulative Theorie über Kausalzusammenhänge zurückgewiesen wird (Lk. 13,1 ff.) und der Blick von der Ursache auf den Sinn und Zweck des Leides gerichtet wird (Joh. 9,2ff.). Der Gedanke, daß Gott den „züchtigt, den er liebhat", begegnet Hebr. 12,5 f. und Offb. 3,19 in ausdrücklicher Anlehnung an S p r . 3 , l l f . (vgl. auch J a k . l , 2 f . ) . Auch die apokalyptische Sicht, daß vor dem Einbruch der Gottesherrschaft die „messianischen Wehen" über die Erde kommen (Mk. 13,8) und „die Leiden der gegenwärtigen Zeit nicht wert sind der kommenden Herrlichkeit" (Rom. 8,18), teilt das Neue Testament. Das schließt nicht aus, daß das Leid tiefe Anfechtung mit sich bringt, und zwar selbst für den Christus, dessen Leiden nach Mk. 8,31 und 14,21 doch dem göttlichen Heilsplan entsprechen (vgl. die Gethsemane- und Kreuzigungsberichte Mk. 14,32ff.; 15,34; Hebr.5,7f.). Die eigentliche Deutung der Leiden der Christen - vor allem bei Paulus - erfolgt von Leid und Tod Jesu her. Weil dem Leiden und Sterben Jesu eschatologische, Zeit und Raum übergreifende Bedeutung zukommt, werden die Christen in die „Christusleiden" (2. Kor. 1,5; vgl. Phil. 3,10) hineingezogen, so daß die Existenz der Christen nun ein „Mitleiden" mit Christus genannt werden kann (Rom. 8,17). Solches „Mitleiden" ist Voraussetzung des „Mitverherrlichtwerdens" (Rom. 8,17; vgl. Apg. 14,22; 2. Tim.2,11 f.; Hebr. 2,10 u. ö., aber auch die Worte von der Kreuzesnachfolge Mk. 8,34 u.ö.). Auch das Vorbildmotiv spielt eine Rolle (vgl. Hebr.5,7 f.; 12, lff.). Die Theodizeefrage wird von der Gewißheit der Liebe Gottes in Christus abgefangen (Rom. 8,35 ff.). Auch wenn bereits mitten im Leid die Freude aufbricht (Mt. 5,11 f.) und das Leiden bzw. die Schwachheit paradoxerweise der Ort des Lebens und der Kraft genannt werden kann (vgl. 2. Kor. 4,7ff.; 6,4ff.; 12,9), wird erst die eschatologische Vollendung die Auflösung aller Rätsel und das Ende des Leidens bringen. Erst wenn „alles neu" gemacht worden ist, wird „kein Leid noch Geschrei noch Schmerz" mehr sein (Offb. 21,4f.). In diesen Rahmen fügen sich auch die Aussagen des l.Petr. ein: die „Feuersglut" der Leiden ist offenbar für die angeredeten Christen etwas Befremdliches und Beunruhigendes (4,12). Zwar teilt der Verfasser an einigen Stellen die Meinung, daß die Schmähungen und Verleumdungen, die Feindschaft und Verfolgung bei guter Lebensführung der Christen zu vermeiden seien (2,12; 3,13 u.ö.), und er mahnt darum, nicht aus moralischen Gründen die Leiden zu provozieren (4,15), aber es überwiegt doch bei weitem die positive Einschätzung des Leidens der Christen. Leid ist Gnade (2,20) und Gericht (4,17). Die Leidenden werden darum selig gepriesen (3,14). Dabei begegnen die schon bekannten Gesichtspunkte, daß Leiden zur Prüfung und Bewährung geschickt werden (1,7; 4,12) und im Vergleich mit der ewigen Herrlichkeit nur eine kurze Episode darstellen (1,6; 5,10). Auch der christologische
l.Petr. 3,18-22: Das Vorbild Christi
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Aspekt ist in doppelter Weise bedeutsam: Die Leiden der Christen geben Anteil an dem Leiden Christi und verbürgen darum auch Anteil an seiner Herrlichkeit (4,13; 5 , 1 ) . Außerdem ist das Vorbild des leidenden Christus ein besonderer Ansporn (2,21 ff.; 3 , 1 8 ff.). Neben diese Gemeinschaft mit Christus tritt die Solidarität der leidenden Brüder (5,9). Wenn auch hier im Leid bereits Freude herrscht (vgl. zu 1,6) und „der Geist Gottes" auf den Leidenden ruht (4,14), so wird doch darüber hinaus die Zeit erwartet, in der aus der Freude endzeitlicher Jubel werden wird (1,8; 4 , 1 3 ) . Leiden kann eben auch noch als etwas Widergöttliches verstanden werden (5,8). Die Vielschichtigkeit der „Erklärungen" zeigt auch ihre Vorläufigkeit. Auch der 1. Petr. hat keinen Patentschlüssel, um Leiden in den Griff zu kriegen, er orientiert sich aber primär am leidenden Christus. b) Das Vorbild
Christi
3,18-22
1 8 Denn auch Christus hat einmal für die Sünden gelitten, ein Gerechter für Ungerechte, damit er euch zu Gott hinführe, getötet nach dem Fleisch, aber lebendiggemacht nach dem Geist; 1 9 dabei ist er auch hingegangen und hat den Geistern im Gefängnis gepredigt, 80 die einst ungehorsam waren, als die Langmut Gottes abwartete in den Tagen Noahs, als die Arche gebaut wurde, in die (nur) wenige, nämlich acht Seelen, durchs Wasser gerettet wurden. 21 Dessen Abbild rettet auch euch jetzt, nämlich die Taufe, die nicht ein Abtun körperlichen Schmutzes ist, sondern Bitte zu Gott um ein gutes Gewissen, durch die Auferstehung Jesu Christi, 2 2 der zur Rechten Gottes (sitzt), aufgefahren gen Himmel, wobei ihm Engel, Gewalten und Mächte unterworfen wurden.
Wie in 2 , 2 1 ff. schiebt der Verfasser zur Begründung und Motivierung der Leidensparänesc einen (¿Histologischen, z. T . auf Tradition zurückgehenden Abschnitt ein, der wohl nicht erst vom Verfasser aus lauter Einzelelementen zusammengestellt wurde. Das Schicksal Jesu Christi soll der bedrängten Gemeinde als Urbild und Ermunterung vor Augen gestellt werden. Aber während Kapitel 2 allein Christi Leiden und Sterben zum Thema hatte, wird nun neben der Erniedrigung auch seine Erhöhung angeführt, wodurch die sieghafte Leidensüberwindung und Verherrlichung als weiteres Motiv erscheint. Durch die Hoheitsaussagen geht die Bedeutung Jesu Christi weit über das Beispiel- und Vorbildhafte für die Leidensbewältigung hinaus. Daß der Verfasser sich einer Tradition anschließt, ist sicher, doch läßt sich bei ihrer genaueren Herausschälung keine Eindeutigkeit erzielen (die hier nicht umfassend zu begründende mögliche Rekonstruktion der übernommenen Sätze in V. 18 d und 2 2 b - c ist in der Übersetzung wieder eingerückt). Der formelhafte Charakter von V. 18 d (Partizipialstil!) mit seinem an das Traditionsstück von 1. Tim. 3 , 1 6 erinnernden Gegensatz der Sphären des Fleisches und des Geistes liegt auf der Hand. Ähnliches gilt für V. 22 b-c (vgl. außer 1. Tim. 3 , 1 6 auch das Christuslied Phil. 2, besonders V . 9 f . ) . Möglicherweise gehörte als erste Doppelzeile ursprünglich 1 , 2 0 zu dem hier wieder aufgegriffenen Lied, wofür vor allem die formale Analogie (im Griechischen das m e n - d e ) spricht. Auch hier ist die Über-
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l.Petr. 3,18-22: Das Vorbild Christi
lieferung vom Verfasser des Briefes wieder kommentiert worden, vor allem in dem großen Mittelstück, das in Prosa gehalten und ohne lied- oder bekenntnishaften Klang ist (auch inhaltlich wäre die Vorstellung von der Höllenfahrt Christi im Umkreis der neutestamentlichen Bekenntnis- und Hymnenaussagen singulär): also Hadesfahrt und Hadespredigt Christi (V. 19), als deren Adressat das als besonders verworfen geltende Sintflutgeschlecht genannt wird (V.20a) und dann die Errettung Noahs und der Seinen (V. 20 b), die als Typus der Taufe interpretiert wird (V. 21). 18 V. 18 beginnt wie in 2,21 mit einer Aussage über Jesu „Leiden" (da Sühneiod die geläufigere Vorstellung gegenüber Sühneleiden ist, wird das ursprüngliche „er litt" in der Mehrzahl der Handschriften verdrängt worden sein). Obwohl sie einer traditionellen Aussage nachgebildet ist (vgl. 1. Kor. 15,3), wird sie wohl nicht die Einleitung des zitierten Liedes gebildet haben, sondern vom Verfasser stammen. Ursprünglich wäre dann nicht die Heilsbedeutung der Passion Jesu betont, sondern das Gegenüber von Tod und Lebendigmachung (vgl. ähnliche Lieder: Phil. 2 , 6 ff.; 1. Tim. 3,16). Der Verfasser aber will gerade die Bedeutung des „Leidens" hervorheben und betont darum den Sühne- („für die Sünden") und Stellvertretungsgedanken („ein Gerechter für Ungerechte"), das letztere wahrscheinlich in Gedanken an V. 14. Daß dieser Heilstod „einmal" geschah, soll ihn nicht von mysterienhafter Wiederholung oder mystischem Nachvollzug abgrenzen, sondern die Suffizienz des durch Jesu einmalige Hingabe erwirkten Heils herausstellen (vgl. Rom. 6,10; Hebr. 9,26.28). Der Finalsatz (in Phil.2,10 und l . P e t r . 2 , 2 4 pointiert am Schluß!) bietet eine weitere Deutung: Christus hat den Zugang zu Gott wieder eröffnet (vgl. Rom. 5 , 2 ; Eph.2,18; 3,12; Hebr. 7,25; 10,19ff.). Da „hinzuführen" oft forensischen Sinn hat, ist vielleicht gemeint, daß Christus vor den Richter führt, freilich nicht zur Verurteilung, sondern zum Freispruch (vgl. Rom. 8,33 f.). Während die bisherigen Interpretationen des „Leidens" Jesu im Urchristentum mehr oder weniger verbreitet waren, führt V. 18 d in ein anderes Milieu. Ursprünglich war diese doppelzeilige Aussage auf Tod und Auferstehung Jesu zu beziehen: In der Sphäre des Fleisches wurde er getötet, in der des Geistes lebendig gemacht. Das Einschieben der Hadesfahrt in V. 19 f. und vor allem die ausdrückliche Erwähnung der Auferstehung in V. 21 spricht aber dafür, daß der Verfasser selbst es nun anders versteht. Vielleicht hat er zwischen leibloser Lebendigmachung im Geist und leiblicher Auferstehung unterschieden. Vielleicht zerlegt er auch die Auferstehung in Hadesfahrt und Himmelfahrt (zweimal steht im Griechischen dasselbe Wort „hingegangen" V. 19 und V. 22). Jedenfalls aber war das Leiden und Sterben im Machtbereich des „Fleisches" (vgl. 4,1.6) nichts Definitives, sondern wurde durch das „Lebendiggemachtwerden" (vgl. Rom. 4,17; 8,11 u. ö.) überholt. 19-20a
Das Heilswirken des getöteten und auferweckten Christus aber besteht nach V. 19-20 a nun darin, daß er in das unterirdische Gefängnis, also den Ort der Toten, hinabgestiegen ist. Der Sinn dieser Hadesfahrt ist die Predigt an die dort befindlichen „Geister". Damit sind nicht, wie die altkirchliche Exegese annahm, die Seelen der Gerechten des alten Bundes gemeint, sondern nur die „Geister" (vgl. Hebr. 12,23) der ungehorsamen Zeitgenossen des Noah (V. 20). Vielleicht sind als Adres-
Die Höllenfahrt Jesu Christi
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säten der Hadespredigt aber auch die gefallenen Engel von 1. Mose 6 mit im Blick. Diese sollen nämlich nach äth. Hen. 15-21, Jud. 6 u. ö. im unterirdischen „Gefängnis" (vgl. äth. Hen. 21,10; Offb. 20,7) ihren Strafort haben; außerdem wurden Engelfall und Sintflut öfter verbunden und als etwa gleichzeitige Ereignisse angesehen (vgl. äth. Hen. 106,14f.; Weish. 14,6; 2. Petr. 2,4f.). Entscheidend ist nun, daß die Sintflutgeneration meist als besonders gottloses und verwerfliches Geschlecht angesehen wurde. Das besagt: Gerade die Verworfensten und unrettbar Verlorenen werden mit dem Evangelium konfrontiert. Damit ist zu vergleichen, daß nach äth. Hen. 6-16 auch Henoch zur Predigt in das unterirdische Gefängnis hinabgestiegen sein soll, den gefallenen Engeln aber nicht das Heil verkündigte, sondern die Botschaft, daß auf keine Vergebung und keinen Frieden zu hoffen ist (12,5; 16,4). Auf diesem Hintergrund gewinnt die Aussage des 1. Petr., daß Christus im Hades das Heil verkündigte (vgl. 4,6), besondere Bedeutung. Die Höllenfahrt Jesu Christi. So gewiß also die Hadesfahrt Christi nach der Meinung des 1. Petr. in der Hadespredigt gipfelt, die vor allem im Raum der Apokalyptik ihre Parallelen hat, so sehr ist die Hadesfahrt selbst auch in Verbindung mit anderen religionsgeschichtlichen Vorstellungen zu sehen, in denen der Mythos von einem Abstieg ins Totenreich in vielfältiger Variation begegnet. Man hat auf die Höllenfahrten der babylonischen Ischtar aufmerksam gemacht oder auf andere babylonische und assyrische Mythen, außerdem auf Analogien in den Hadesfahrten der griechischen Mysterien (Orpheus, Heracles u. a.), auf den siegreichen Kampf des ägyptischen Sonnengottes Re mit dem Drachen, die Unterwerfung des Höllenfürsten durch den mandäischen Gott Hibil-Ziwa oder den Triumph des gnostischen Erlösers im Hades (vgl. Od. Sal. 42). Auch ein Einfluß alttestamentlicher Stellen, die den Kampf des Auserwählten in den Wassern und Abgründen des Leidens und Todes schildern (Ps. 18,5ff.; 42,8; 69,2ff.; 88,4ff. u. ö.), ist behauptet worden. Jedenfalls ist hier ein Stück des antiken, wohl in Vegetationsund Sonnenmythen gründenden Erlösermythos auf Christus übertragen worden. Das ist aber darum nicht einfach als krause Phantasie abzutun, sondern bringt mit den mythologischen Vorstellungsmitteln der damaligen Zeit das Vertrauen zum Ausdruck, daß die erlösende Kraft Christi in kosmischer Universalität bis in die tiefsten Tiefen der gottfernen Welt hineinreicht und seine Macht auch an der Grenze des Todes nicht haltmacht, und zwar nicht nur des geistigen oder moralischen Todes (vgl. auch M t . 2 8 , 1 8 ; Apg.2,24; Röm.10,7; Eph.4,9f.; Hebr. 12,23; Offb. 1,18). Außerdem ist die besondere Interpretation des l.Petr. zu beachten, die den Mythos modifiziert. Zum einen wird das Wirken Christi im Totenreich im Wort gesehen, und die Reichweite und Bedeutung der Verkündigung kann wirksamer kaum angedeutet werden, als es hier geschieht. Zum anderen aber ist diese Verkündigung, obwohl sie an die gefallenen Engel und das gottlose Sintflutgeschlecht ergeht, Heilsund nicht Unheilsverkündigung, was der Verfasser möglicherweise paradigmatisch versteht. Auch die tiefste Verlorenheit und Abgründigkeit kann aufgehoben, auch die Todesbande können durch das Wort des Herrn gesprengt werden. Man darf die Aussage von 1. Petr. 3,19 f. allerdings nicht so verstehen, als ob auch in Zukunft allen Toten noch einmal die Möglichkeit zur Entscheidung gegenüber dem Evangelium geboten und eine Wiederbringung aller (Apokatastasis panton) in Aussicht
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1. Petr. 3,18-22: Das Vorbild Christi
gestellt würde; es sind ja wahrscheinlich nicht einmal alle Frommen des alten Bundes im Blick (vgl. aber zu 4,6). Auch über Erfolg oder Wirkung der Hadespredigt Christi wird nichts gesagt. Entscheidend ist allein, daß das in Christus erschienene Heil und die Macht seines Wortes bis in die Welt des Todes vordringt und auch äußerste Heillosigkeit überwinden kann. 20 b Denjenigen, die in den Tagen Noahs ungehorsam waren und im Hades noch mit der Heilsbotschaft konfrontiert wurden, werden in V. 20 b die „wenigen" gegenübergestellt, die gerettet wurden. Diese Rettung erfolgte „durch das Wasser" (vgl. Herrn. Vis. 1113,5), was freilich für Noah nicht recht paßt, da er ja vor dem Wasser gerettet wurde. Man erklärt die Ausdrucksweise entweder so, daß (bei lokaler Bedeutung) Noah „durch das Wasser hindurch" gerettet wurde oder aber (bei instrumentaler Bedeutung) „mittels des Wassers". Weil der Verfasser schon an die 21 Taufe denkt, ist das letztere wahrscheinlicher. Die Rettung Noahs und der Seinen wird ja in V.21 als Typos der Rettung durch die Taufe hingestellt (vgl. 1. Kor. 10,6). Von der eschatologischen Wende in Christus her erkennt der Glaube in den alttestamentlichen Geschehnissen Vorabbildungen und Vorausdarstellungen der „nun" geschehenen Rettung. Diese rettende Wirkung der Taufe besteht nicht in einer bloß äußerlichen Waschung, und sei sie kultischer Art, sondern in der „Bitte um ein gutes Gewissen", eine von den sonstigen Taufaussagen des Neuen Testaments ziemlich abweichende Anschauung. Manche Exegeten sprechen statt von „Bitte" von „verpflichtendem Bekenntnis zu einem guten Gewissen", doch schwingt diese Nuance allenfalls mit. Ist tatsächlich von „Bitte" die Rede, kann man vermuten, daß damit ein magisches Taufverständnis ausgeschlossen und der Geschenkcharakter betont werden soll. Dabei steht dem Verfasser allerdings fest, daß solche Bitte eine wirksame Bitte ist, die nicht unbeantwortet bleibt. Die durch die Taufe geschehende Rettung ist Gottes Gabe auf des Menschen Bitte. Diese rettende Wirkung der Taufe aber hängt an der Auferstehung Jesu Christi, wie die Wiederholung der Verbindung von Taufe und Auferstehung zeigt (vgl. 1,3). 22 Nicht sicher ist, ob alle drei Aussagen von V.22 („Sitzen zur Rechten", Himmelfahrt, Unterwerfung der Engelmächte) auf das Christuslied zurückgehen oder aber ein ursprünglich zweigliedriger Vers erst vom Verfasser erweitert worden ist. Da in allen anderen Gliedern des Liedes aber Zweigliedrigkeit vorliegt und der griechische Aorist steht, wird das im Präsens gehaltene erste Glied wohl erst vom Verfasser stammen. Auch die auffallende Reihenfolge - eigentlich gehört die Himmelfahrt ja vor das „Sitzen zur Rechten" - spricht für solche Annahme. Andererseits ist zu beachten, daß das „Sitzen zur Rechten" auch sonst in urchristlichen Hymnen begegnet (vgl. Eph. 1,20), wenn dort auch ohne das Zwischenglied der Himmelfahrt das auf die Auferstehung folgende „Sitzen zur Rechten" mit der Herrschaft über die Mächte verbunden ist. Jedenfalls aber wird nun durch den Verfasser mit Hilfe der aus der urchristlichen Tradition stammenden Bekenntnisaussage das „Sitzen zur Rechten Gottes" (vgl. Ps. 110; Rom. 8,34; Eph. 1,20; Kol. 3,1; Apg. 2,33; 5,31; Hebr. 1,3) als Ziel der Himmelfahrt genannt; das 2. und das 3. Glied sind also vorzeitig zu übersetzen. Zugleich mit der Himmelfahrt aber hat der Auferstandene die feindlichen Engelmächte unterworfen. Der Weg nach oben führte ja nach antikem Weltbild mitten durch die bösen Mächte, die ihren Herrschaftsbereich
l.Petr. 4,1-6: Christen in der Distanz zur Vergangenheit
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in der Zwischenregion zwischen Erde und Himmel haben (vgl. Eph.2,2; 6,12), hindurch; aber natürlich ist nach der Meinung des Textes ihre Macht nicht nur vorübergehend bei der Auffahrt Christi durchbrochen worden, sondern die Mächte müssen nun die Herrschaft Christi für immer anerkennen. Die Erhöhung Christi ist der Beginn seiner Herrschaft. Die nach Paulus noch ausstehende Unterwerfung der Mächte (1. Kor. 15,24) wird ja gerade in den hymnischen Aussagen des Neuen Testaments als schon geschehen besungen (vgl. Eph. 1,20; Kol. 2,15; vgl. auch Polyc. Phil. 2,1): Der Sieg Jesu Christi über alle Welt und alle Mächte ist schon errungen, die Mächte und Gewalten sind entmachtet. Was diese Proklamation Jesu Christi als des Herrn der Welt in der Situation der Verfolgung bedeutet, ist leicht zu begreifen. Gleichwohl liegt das eigentliche Interesse nicht bei den Hoheitsaussagen, sondern beim „Leiden" Christi, wie der Eingang des nächsten Kapitels zeigt, wo der Verfasser über die hymnischen Aussagen hinweg auf 3,18 zurückgreift. c) Das Leiden der Christen in der Distanz zur Vergangenheit
(4,1-6)
1 Da nun Christus am Fleisch gelitten hat, wappnet auch ihr euch mit derselben Einsicht - denn wer am Fleisch gelitten hat, der hat mit der Sünde gebrochen 8 damit ihr die noch verbleibende Zeit im Fleisch nicht mehr den Begierden der Menschen, sondern dem Willen Gottes lebt. 'Denn es ist genug, daß ihr die vergangene Zeit den Willen der Heiden getan habt, indem ihr dahinlebtet in Schwelgereien, Begierden, Trunksucht, ES- und Trinkgelagen und frevelhaftem Götzendienst. 4 Dabei befremdet es sie, daß ihr euch nicht (mehr) in denselben Strom der Liederlichkeit stürzt, und sie lästern, 5 wofür sie dem Rechenschaft ablegen werden, der bereitsteht, Lebende und Tote zu richten. * Denn dazu ist auch den Toten das Evangelium verkündigt worden, damit sie zwar, wie es den Menschen gemäß ist, am Fleisch gerichtet wurden, aber, wie es Gott gemäß ist, im Geist das Leben haben.
Der Anfang des neuen Kapitels bestätigt zunächst einmal wieder, daß Bekenntnisund Liedgut der Kirche vor allem aus paränetischen Gründen zitiert werden, Credo und Hymnus also zur Realisierung des Gehorsams verhelfen sollen (vgl. wieder das folgernde „nun"). Zum anderen schließt zwar 4,1 als Konsequenz an den vorhergehenden Abschnitt an, bezieht sich aber in erster Linie nicht auf die dortigen Erhöhungsaussagen, sondern auf den leidenden Christus. V. 1 betont darum zunächst die Zusammengehörigkeit von Christus-Leid und Christen-Leid und damit auch eine Änderung der Verhaltensnorm: diese soll jetzt der Wille Gottes (V.2) und nicht mehr wie früher der durch einen weiteren Lasterkatalog illustrierte Wille der Heiden sein (V.3). Diese Distanz zum früheren Lebensstil aber bewirkt Befremden und Lästerung bei den Heiden (V.4), was mit dem Gericht bedroht wird (V.5a). Daß Lebende wie Tote sich vor Gott verantworten müssen (V. 5 b), begründet V. 6 mit der Predigt auch an Tote, die trotz des Gerichts am Fleisch doch im Geist leben sollen. Audi die Christen, so lautet die Folgerung aus 3,18-22 für die bedrängte Kirche, 1 stehen in einem Kampf, für den es sich zu wappnen gilt. Die rechte Waffenrüstung der Christen (vgl. zu diesem Bild Rom. 13,12; Eph. 6,11 ff. u. ö.) aber ist die, gleiche Einsicht wie Christus zu haben. Diese Einsicht besteht entweder darin, daß die Leiden
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1. Petr. 4,1-6: Christen in der Distanz zur Vergangenheit
auch das „Fleisch" treffen und gerade so dem Leben im „Geist" zugutekommen, oder aber in dem, was dann im folgenden Satz expliziert wird. Der Inhalt auch dieses Satzes ist allerdings nicht eindeutig. Wenig wahrscheinlich ist, d a ß der Mensch durch das Leiden die Sünde sühne und dadurch frei von ihr werde. Das widerspräche der Exklusivität der sündentilgenden Kraft des Todes Jesu (vgl. zu 2,24). Nicht ganz ausschließen wird man dagegen, d a ß nach Ansicht des Verfassers das von N a t u r leidensscheue „Fleisch" vom Leiden besiegt u n d durch diesen Sieg über das „Fleisch", das ja nach Paulus der Ort des sündhaften Begehrens ist, auch der Sieg über die Sünde errungen wird. Das wäre freilich wenig deutlich ausgesprochen. Gleiches gilt von der Meinung, daß hier ähnlich wie in R o m . 6 an das Sterben des aiten Menschen in der T a u f e gedacht sei, durch das der Mensch von der Sünde freikommt. Wahrscheinlich handelt V. 1 b aber auch gar nicht vom Christen, 2 sondern vom Christus, dessen T o d die Macht der Sünde gebrochen hat. Das würde auch eine zureichende Begründung für V. 2 sein (vgl. das „denn" in 2 , 2 1 und 3,18). Nicht aus der durch Leiden erreichten Sündlosigkeit der Christen folgt die Mahnung zu einem Leben, das sich statt an den eigenmächtigen „Begierden" (vgl. 1,14; 2,11) am Willen Gottes orientiert, sondern aus der rechten Z u r ü s t u n g (V. 1 a) oder aus der durch Christi T o d erreichten Freiheit. Solche Freiheit ist immer auch Freiheit von den Menschen und ihren auch die Vergangenheit der Christen beherrschenden 3 und immer noch Konformitätsdruck auslösenden N o r m e n . V. 3 spricht die Gemeinde wieder auf ihre frühere heidnische Existenzweise an, die noch einmal in einem Lasterkatalog (vgl. 2,1) veranschaulicht wird. Auffallend ist die große Verwandtschaft zu den Katalogen von Gal. 5 , 2 0 f. und Rom. 13,13 f., was wieder den traditionellen Charakter dieser paränetischen Form anzeigt. Gegenüber 2 , 1 fährt der Verfasser jetzt erheblich schwereres Geschütz auf. Das Bild, das er von der heidnischen Lebensweise zeichnet, ist ein sehr dunkles, was natürlich weder heißt, d a ß es verzerrt ist, noch d a ß es die antike Welt in all ihrer geistigen und moralischen Differenziertheit zutreffend einfängt. 4 Jedenfalls hat die Tatsache, daß die Christen sich von ihrer früheren Lebensform getrennt haben, Konflikte mit der Umwelt heraufbeschworen und Unbeliebtheit und Isolation bewirkt. Diese Distanzierung von der Vergangenheit bedeutete freilich nicht nur den Bruch mit dem Laster, sondern auch mit alltäglichen Lebensgewohnheiten der Gesellschaft, vor allem auch mit der gemeinsamen Religion und Kultausübung (vgl. „Götzendienst" in V. 3), wobei man sich klarmachen m u ß , d a ß auch das kulturelle und öffentliche Leben von kultischen Elementen durchsetzt war. Distanz aber schafft Ressentiment und Befremden. Wer das gängige Schema sprengt u n d nicht mehr im „Strom der Liederlichkeit" mitschwimmt, der gilt nicht nur als Sonderling u n d Außenseiter, als Störenfried u n d Spielverderber, sondern der wird beargwöhnt, verdächtigt und verunglimpft. Daraus ersehen die Christen Blasphemie. Vorwürfe dieser Art gegen die Gemeinde sind letztlich Vorwürfe gegen 5 Gott selbst, dessen Willen die Christen respektieren. D a f ü r aber werden sich die Lästernden vor dem Richter (nach 1,17 und 2 , 2 3 ist damit Gott gemeint) verantworten müssen. Gottes Gericht ist ein universales über Lebende und T o t e (vgl. Apg. 10,42; 2. Tim. 4,1) u n d steht unmittelbar bevor (vgl. 1,5, w o sich dasselbe W o r t 6 „bereit" findet, und Jak. 5,9). Aber darf das Gericht alle Toten treffen? Zur Be-
l . P e t r . 4 , 7 - 1 1 : Als Charismatiker in der eschatologischen Situation
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antwortung dieser Frage greift der Verfasser nochmals auf die Hadespredigt zurück und will damit beweisen, daß es niemanden gibt, der das Evangelium nicht zu hören bekommen hätte. Als Adressaten werden darum nicht mehr nur die gefallenen Engel und das Sintflutgeschlecht genannt, sondern „auch (die) Toten". Schon der Kontext macht klar, daß das nicht nur die in der Sünde geistig Toten sind, die das Evangelium zu ihren Lebzeiten gehört haben, sondern wie im vorhergehenden Vers die leiblich Toten. Gemeint sind freilich auch hier nicht etwa alle künftig Sterbenden, sondern die Toten bis zur Zeit Christi, die vorher mit der Heilsbotschaft noch nicht konfrontiert worden waren. Wie man sich das vorstellen soll, insbesondere auch im Verhältnis zu 3,19 f., hat dem Verfasser offenbar keine Sorge bereitet. Der Zweck dieser einmaligen Hadespredigt Christi wird in einem nicht ganz eindeutigen antithetisch gegliederten Finalsatz genannt. Das „Gerichtetwerden am Fleisch" meint wohl den leiblichen Tod, der damit nicht als natürliches Lebensende, sondern als Strafe für das dem „Fleisch" verfallene Leben verstanden ist (vgl. Rom. 5,12; 6,23), was jüdischer Anschauung entspricht (vgl. 4.Esr.3,7; syr.Bar.54,15 u.ö.). Der eigentliche Zweck der Verkündigung an die Toten aber ist das Leben, das Leben „nach Gottes Art", also ewiges, vollendetes, vom Geist Gottes inspiriertes und geschenktes Leben (vgl. 3,18). Es gibt keine Zeit und keinen Raum, worin die Menschen nicht das Evangelium und damit die Möglichkeit zum Leben angeboten bekämen. 7. Die Christen als Charismatiker in der eschatologischen
Situation
(4,7-11)
Das Ende aller Dinge ist nahegekommen. Seid darum besonnen und nüchtern zum Gebet. 8 Vor allem habt inständige Liebe zueinander, denn „Liebe deckt eine Menge Sünden zu". * Seid gastfrei zueinander ohne Murren.10 Ein jeder (gebrauche) die Gnadengabe, die er empfangen hat, und dient damit einander als gute Verwalter der vielgestaltigen Gnade Gottes. 11 Wenn jemand redet, (seien seine Worte) wie Worte Gottes. Wenn jemand dient, (tue er es) aus der Kraft, die Gott verleiht, damit in allem Gott durch Jesus Christus verherrlicht werde. Sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen. 1
Vers 8: vgl. Spr. 10,12.
Bevor der Verfasser in 4,12-19 und 5,6-11 nochmals auf die Leiden zu sprechen kommt, bringt er in diesem Abschnitt eine eschatologisch motivierte Reihe von Mahnungen, die dazu aufrufen, angesichts des nahen Endes aller Dinge die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Aus der Nähe des Endes (V.7a) folgen also die verschiedenen Mahnungen (V.7b), vor allem die zur Liebe (V. 8 a), die sich z.B. in der Vergebung bewährt (V. 8 b). Nach einer Mahnung zur Gastfreundschaft (V.9) wird zum gegenseitigen Dienst mit der spezifischen Gnadengabe aufgerufen, in denen sich Vielfalt und Reichtum der Gnade manifestiert (V. 10). V. 11 bringt dann zwei Beispiele und zum Abschluß eine Doxologie. Wie 1,5 f. bezeugt auch 4,7 die urchristliche Naherwartung (vgl. Rom. 13,12), 7 doch weil der Verfasser nicht auf eine Belehrung über die Eschatologie hinaus will, läßt er es mit einem kurzen Satz bewenden. Ihm dient die Enderwartung (wie in Kap.2 und 3 die Christologie) hier zur Motivierung der Ethik (vgl. l.Thess.5,l£f., Rom. 13,11 ff., aber auch Mt.24 und 25, Hebr. 10,25; Offb.22,12 u.ö.). Diese ist
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1. Petr. 4,7-11: Als Charismatiker in der eschatologischen Situation
freilich auch in diesem Fall nicht Ersatz, sondern Konsequenz der Eschatologie. Wie in 1,13 wird aus dem Wissen um die endzeitliche Stunde die M a h n u n g zur Nüchternheit abgeleitet (vgl. dort). Weil der Christ um die Vorläufigkeit alles Innerweltlichen weiß, kann er auch wahrhaft besonnen und verständig sein und Vorletztes nicht für Letztes halten. Solche verständige und nüchterne Haltung, die sich über die wahre Weltsituation nichts mehr vorzumachen braucht, treibt zum Gebet. 8 Zeigt schon die betende Haltung der Christen, d a ß Eschatologie nicht Interesselosigkeit und Untätigkeit bewirkt, sondern Engagement, so bestätigt das erst recht die Wiederholung der M a h n u n g zur Liebe (vgl. zu 1,22). Gerade der Nüchterne und Wartende ist auch der zur Liebe Befähigte. Solche inständige bzw. angespannte Liebe ist das „vor allem" Dringliche und Wichtige. Diese Vor- und Uberordnung des Liebesgebots entspricht der Verkündigung Jesu (Mk. 12,31 par.) wie der des Paulus (Rom. 13,8 ff.; Gal.5,14). Solche Liebe hat die Kraft, Sünden zuzudecken (dasselbe Zitat auch J a k . 5 , 2 0 ; l . K l e m . 4 9 , 5 ; 2.Klem. 16,4). Nach der altkirchlichen und katholischen Exegese sind damit die eigenen Sünden gemeint, die im Gericht von der Liebe zugedeckt werden (so auch 2. Klem. 16,4). Aber schon in Spr. 10,12 ist gesagt, d a ß die Liebe die Sünden der Nächsten zudeckt, also vergebend übersieht. Solche Deutung empfiehlt sich auch vom Kontext in 1. Petr. 4 her, w o ja in V. 8 a wie V. 9 jeweils der andere, der Bruder, im Blick ist (vgl. auch Test. Jos. 17,2). Sie empfiehlt sich endlich von der Soteriologie des Briefes her (vgl. 2,24 und 3,18). Die Liebe legt also die Fehler der anderen nicht bloß, zerrt sie nicht 9 an die Oberfläche, sondern deckt sie vergebend zu. Auch die M a h n u n g zur Gastfreundschaft gehört in den Horizont des Liebesgebots und hat auch sonst vielfache Parallelen in und außerhalb des Neuen Testaments. Die Urkirche hat großen Wert auf die Übung der Gastfreundschaft gelegt (Rom. 12,13; Hebr. 13,2; 1 . T i m . 3 , 2 ; Mt. 25,35 u. ö.). Sie wurde besonders gegenüber den Brüdern empfohlen, die als Apostel, Evangelisten usw. sozusagen dienstlich unterwegs waren (vgl. 3. Joh. 5-8). Das Wissen um die Gemeinsamkeit der Fremde in dieser Welt (2,11) öffnet auch den buchstäblich Fremden leichter die Türen. Die Verfolgungssituation wird ein übriges getan haben, die M a h n u n g einzuschärfen. Daß Gastlichkeit auch beschwerlich sein kann und Zeit und Geld kostet, zeigt der Zusatz „ohne M u r r e n " (vgl. Ps. Sal. 5,13). Wer aber murrt, der liebt nicht. 10
Die beiden folgenden Verse erinnern stark an die paulinische Charismenlehre in 1. Kor. 12 und Rom. 12. D a ß jeder Christ eine besondere konkrete Zumessung der Gnade in Gestalteines Charisma empfängt, sagt auch Paulus (1.Kor.7,7; 12,7; vgl. Eph.4,7). Solche Gnadengaben sind ja nicht nur exzeptionelle Aufträge wie das Apostolat oder imponierende Geistwirkungen wie Glossolalie und Wunderkraft, sondern auch die höchst prosaischen Dienstleistungen des Alltags (vgl. l . K o r . 12,28; 7,7; Rom. 12,6ff.). Gottes Gnade ist immer „vielgestaltig" und verschiedenartig, nie nivellierend und uniform. Ist Gottes Gnade mannigfaltig und mehrfarbig, kann die Gemeinde nicht einfarbig und monoton sein, kann kein Charismatiker sich isolieren und verabsolutieren. Jeder einzelne ist an seinem Ort ein „Sachwalter (wörtl.: Haushalter, Verwalter) der vielfältigen Gnade Gottes" (vgl. Lk. 12,42 ff.; 1. Kor. 4 , 1 f. u. ö.). Wer als Glied der Gemeinde leugnet, vom Geist begabt zu sein, leugnet den Reichtum der Gnade Gottes. „Charisma" ist freilich keine Möglichkeit
l.Petr. 4,12-19: Nochmalige Mahnung zur Bewährung im Leiden
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des Menschen, sondern stammt „von Gott" (1. Kor. 7,7) und kann darum nur als Gabe „empfangen" werden. Vor allem aber gibt es Charismen nicht als Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung, sondern nur als Dienst (Diakonia; vgl. 1. Kor. 12,4 f.) und in bezug zur Gemeinde. Jeder soll die ihm spezifischen Begabungen in die Gemeinde einbringen. Aus der Fülle der Charismen greift V. 11 zwei heraus, die des Wortes und der 11 helfenden Tat. Bei dem ersteren wird an Propheten, Evangelisten, Katecheten u. ä. gedacht sein. Ihr Wort soll Gott und nicht sie selbst zur Sprache bringen. Im Wort der Gemeinde will Gott selbst begegnen, und wer redet und predigt, soll sich dessen bewußt sein, daß Gott selbst das Menschenwort in Dienst nimmt und zu seinem Reden macht. Das ist Verheißung und Drohung in einem. Als weiteres nennt der Verfasser die Diakonia, jetzt nicht in dem umfassenden Sinn von V. 10, sondern im spezielleren der konkreten Dienstleistung (vgl. Apg.6,lff. u.a.). Auch das helfende Tun der Gemeinde beruht nicht auf eigener Kraft, sondern auf derjenigen, die Gott darreicht, immer wieder darreicht (Präsens!). Im Reden wie Tun der Seinen ist also Gott selbst am Werk, und niemand braucht zu fürchten und niemand soll vorgeben, daß er auf sich selbst steht (vgl. 1 . K o r . 4 , 7 u.a.). Ist er es aber, der hinter allem Reden und Tun der Christen steht, so ist er es auch, dem allein die Ehre gebührt. J a nach V. 11 b ist es überhaupt der tiefste Sinnn aller Worte und Taten, daß Gott „in allem geehrt" werde. Der Lobpreis Gottes ereignet sich im Dienst der Gemeinde. Zum Schluß steht eine Doxologie, die wohl jüdischer Liturgie nachgebildet ist (vgl. 5, ll).Wichtig ist der Indikativ („ist", nicht: „sei"; ebenso Rom. 1,25; 2. Kor. 11,31): Gott wird nicht etwas Fehlendes zugesprochen, sondern es wird das ihm Zukommende aufgenommen und lobend gepriesen.
IV. Weitere Mahnungen 4,12-5,11 1. Nochmalige Mahnung zur Bewährung im Leiden (4,12-19) 12 Geliebte, laßt euch durch die Feuersglut, die zur Erprobung über euch gekommen ist, nicht befremden, als widerfahre euch damit etwas Unerhörtes, 13 sondern da ihr an den Leiden Christi teilhabt, freut euch, damit ihr euch auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit voller Jubel freuen könnt. 1 4 Wenn ihr im Namen Christi geschmäht werdet, (seid ihr) selig, denn (dann) ruht der Geist der Herrlichkeit und Gottes auf euch. 16 Niemand von euch darf nämlich leiden als Mörder oder Dieb oder Verbrecher oder als einer, der sich in fremde Angelegenheiten mischt (vielleicht: als Denunziant oder als einer, der unterschlägt). 16 Wenn er aber als Christ (leiden muß), soll er sich nicht schämen, sondern Gott in diesem Namen verherrlichen. 17 Denn die Zeit (ist gekommen), daß das Gericht anfange beim Hause Gottes. Wenn es aber bei uns (beginnt), was wird (dann) das Ende derer sein, die dem Evangelium Gottes nicht gehorchen? 18 Und „wenn der Gerechte kaum gerettet wird, wo wird (dann) der Gottlose und Sünder zu sehen sein"? "Folglich sollen auch diejenigen, die nach Gottes Willen leiden, ihre Seelen dem treuen Schöpfer im Tun des Guten anvertrauen.
Vers 18: vgl. Spr. 11,31 LXX.
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1. Petr. 4,12-19: Nochmalige Mahnung zur Bewährung im Leiden
Die mit Amen abschließende D o x o l o g i e in V . 11 markiert eine gewisse Zäsur, die auch die neue Anrede in V . 1 2 bestätigt, zwingt aber nicht zur Annahme eines ursprünglichen Briefschlusses (vgl. dieselbe D o x o l o g i e Offb. 1 , 6 ) . Inhaltlich aber nimmt V. 12 das schon öfter gestreifte T h e m a der Leidenserfahrungen der Christen wieder auf (vgl. 1 , 6 ; 2 , 1 2 ; 3 , 1 6 ; 4 , 1 u . ö . ) und greift dabei z . T . deutlich auf Früheres zurück: z . B . mit dem Stichwort „Leiden Christi" (V. 13) auf die ¿Histologische Begründung des Leidens in 2 , 2 1 ff. und 3 , 1 8 £f. oder mit der M a h n u n g zum unschuldigen Leiden in V. 15 auf 2 , 1 9 f . u n d 3 , 1 3 f f . (vgl. weiter die Einleitung). Am wahrscheinlichsten ist es immer noch, d a ß die große Bedeutung, die dem Leiden der Christen vom Verfasser zuerkannt wird, ihn zu erneutem Zuspruch veranlaßt und zu neuen Aspekten der Leidensdeutung führt. Als Mitbetroffener (vgl. 5 , 1 ) will er die bedrängte Gemeinde nicht von außen, sondern in brüderlicher Solidarität das Leiden verstehen und bestehen lehren. Nach V. 12 zielen die Leiden auf Erprobung, nach V. 13 stellen sie in die Gemeinschaft mit dem leidenden Christus und damit auch in die Erwartung seiner Herrlichkeit, und nach V. 14 ruht auf dem Leidenden der Geist. V. 15-16 heben das Leiden der Christen von dem selbstverschuldeten Leid der Übeltäter ab. V. 17 a nennt das Leiden den Anfang des eschatologischen Gerichts, und V. 17 b-18 schließen von da aus auf das furchtbare Ende des Gottlosen. V. 19 zieht die Schlußfolgerung: Die nach Gottes Willen Leidenden sollen sich Gott anvertrauen und im T u n des Guten nicht nachlassen. 12
Leiden die Christen, so ist das nichts Befremdliches und Außergewöhnliches. D a m i t soll das Leid nicht bagatellisiert werden. Es ist vielmehr
„Feuersglut",
deren Wirklichkeit nicht romantisch zu verniedlichen ist. Es hat aber seinen Sinn darin, daß es der Erprobung, Bewährung und Einübung des Glaubens dient (vgl. 13 1 , 7 ) . Die eigentliche „Erklärung" bringt V . 1 3 : W a s die Gemeinde jetzt trifft, ist Anteil an den „Leiden Christi" und stellt darum in enge Verbindung mit dem angefochtenen und erniedrigten Christus, und zwar nicht als mystisches oder kontemplatives Nacherleben oder Sich-Versenken, sondern im Sinn realer T e i l h a b e am Leid. Diese Gemeinschaft mit dem leidenden Christus verbürgt auch den Anteil an seiner Herrlichkeit in der eschatologischen Vollendung. V o n dieser die Anwartschaft auf das kommende Heil implizierenden Gemeinschaft mit dem Christusschicksal her versteht es sich, daß schon das Drinstehen im Leid als Grund zur Freude hingestellt wird, die bei der Offenbarung der Herrlichkeit Christi (vgl. 1 , 7 . 1 3 ) zur jubelnden Freude werden wird (vgl. zu 1 , 6 . 8 ) . 14
Wer „im Namen Christi", d. h. um des Bekenntnisses zu diesem Namen willen (vgl. M t . 1 9 , 2 9 ; J o h . 1 5 , 2 1 ; Apg. 5 , 4 1 ; 9 , 1 6 u . ö . ) geschmäht wird (vgl. Hebr. 1 3 , 1 3 ) , kann darum selig gepriesen und damit des Glücks und der Geborgenheit der göttlichen Verheißung versichert
werden
(vgl. 3 , 1 4 ) . Die Erwähnung
des
„Namens Christi" läßt aber zugleich erkennen, d a ß der Grund der Schmähungen nicht nur ein allgemeines Befremden darüber ist, d a ß die Christen mit ihren früheren Lebensgewohnheiten gebrochen haben (vgl. 4 , 4 ) . D e r Grund ist vielmehr das Christsein der Christen (vgl. V. 16). V. 14 b begründet den Heilsruf über die Geschmähten: Schon jetzt ruht als G a b e der Endzeit Gottes Geist auf ihnen und verleiht ihnen als Unterpfand der eschatologischen Vollendung (vgl. R o m . 8 , 2 3 u. ö.) Kraft und Gewißheit.
l.Petr.4,12-19: Nochmalige Mahnung zur Bewährung im Leiden
115
V. 15 schärft nochmals ein, daß nicht das Leid als solches - wie die anschließenden Beispiele zeigen, ist damit jetzt mehr als nur Schmähung gemeint - die Verheißung hat und kein Christ straffällig werden soll (vgl. 2,19 f.), um allen verleumderischen Unterstellungen den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Neben dem Mörder und Dieb erwähnt der Verfasser allgemein den Verbrecher oder strafrechtlich zu belangenden Übeltäter und außerdem einen Ausdruck, dessen Bedeutung umstritten ist. Das Wort, das oben mit „einer, der sich in fremde Angelegenheiten mischt" übersetzt worden ist, wird von anderen speziell auf Hehler, Spitzel, Denunzianten, Treuhändler, die sich Veruntreuung und Unterschlagung zuschulden kommen lassen, oder gar ungebetene Sittenprediger bezogen; allerdings muß die damit umschriebene Handlungsweise strafbar sein. Christen aber sollen mit dem Strafgesetz nicht in Konflikt kommen. Nur das Leiden „als Christ" („Christianos" kommt sonst nur noch Apg. 11,26; 26,28 vor) ist keine Schande und braucht niemandem peinlich zu sein. Es gibt eine falsche Scham, die zum Abfall führt und zu überwinden ist (Mk. 8,38; vgl. auch 2. Tim. 1,8.12), und eine berechtigte Scham (Rom. 6,21). Der Verfolgung braucht man sich ebensowenig zu schämen wie etwa des Evangeliums (Rom. 1,16). Sie ist vielmehr ein Anlaß, Gott mit Wort und Tat zu verherrlichen (vgl. 2,12). Hinzu kommt, daß die Leiden nach Gottes Plan zur endzeitlichen Stunde gehören, eine in der Apokalyptik verbreitete Anschauung. Der Zeiger der Weltuhr ist bereits so weit vorgerückt, daß gesagt werden kann, das Jüngste Gericht beginne. Dieses End- und Weltgericht aber beginnt beim „Hause Gottes", also der Gemeinde (vgl. 2,5). Das entspricht alttestamentlicher Prophetie (Am. 3 , 2 ; Jer. 25,29; Ez. 9,6), aber auch urchristlicher Erwartung, nach der das Ausliefern der Christen an Synedrialgerichte zu den eschatologischen Wehen zählt (Mk. 13,9). Läßt Gott aber so das Endgericht mit den Leiden seines Volkes beginnen, was wird es dann erst mit den Ungläubigen für ein Ende nehmen (vgl. Lk. 23,31)! Dieses „Ende" derer, die dem Evangelium nicht Gehorsam geleistet haben, wird freilich anders als etwa Offb. 6,15 ff. nicht ausgemalt. Vielmehr liegt dem Verfasser daran, die Christen zur Annahme ihres als Gericht verstandenen Leidens willig zu machen. Verfolgungen sind nicht nur eine besondere Bosheit der Verfolger oder gar ein Mißverständnis, sondern der erste Akt des großen Enddramas, das die Christen der Vollendung entgegenbringt. Der Verfasser bestätigt sich seine Erklärung durch ein Schriftwort; dabei transponiert er wie 3,10-12 einen ursprünglich innerzeitlich gemeinten Weisheitsspruch ins Eschatologische. Während es Spr. 11,31 heißt, daß dem Gerechten und darum erst recht dem Frevler und Sünder „auf Erden" vergolten wird, denkt der l.Petr. ans eschatologische Gericht. Schon der Christ, so meint der Verfasser, kann das in den Leiden erfahrene endzeitliche Gericht kaum bestehen, um wieviel weniger der Ungläubige.
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Die Schlußfolgerung aus dem ganzen Abschnitt: Leiden die Christen, so tun sie es 19 nach Gottes Willen (vgl. 1,6; 2,15; 3,17), und es besteht kein Anlaß zu Irritation, Dramatisierung oder Zweifel an Gottes Treue und Fürsorge. Dabei lenkt der Verfasser den Blick vom eschatologischen und christologischen Kontext stärker zum Schöpfungs- und Vorsehungsglauben. Gott bleibt als Schöpfer auch Herr über das Schicksal der leidenden Christen. Er behält auch im turbulenten Ende der Geschichte die Zügel in der Hand und vermag die „Seele", d . h . das Leben (vgl. zu 1,9.22),
116
l.Petr.5,1-5: Mahnung an die Ältesten und die Jüngeren
das ihm die Angefochtenen anvertrauen sollen (vgl. Ps. 31,6), zu bewahren. Er ist treu und verläßlich und hält seinen Geschöpfen gerade dann die Treue, wenn sie in Anfechtung stehen (vgl. 1. Kor. 10,13). Wer so in seiner Hut ist, kann auch in der Verfolgung Gutes tun (vgl. 2,12.14f.20; 3,2.6.8 ff. 12f. 17). Auch die stärksten Drohungen können die Christen nicht in Resignation und Weltflucht abdrängen. 2. Mahnung an die Ältesten und die Jüngeren
(5,1-5)
1 Die Altesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge für die Leiden Christi, zugleich auch Teilhaber an der bald offenbar werdenden Herrlichkeit: ! Weidet die Herde Gottes bei euch nicht gezwungen, sondern bereitwillig nach Gottes (Willen), nicht aus schändlicher Gewinnsucht, sondern mit Hingabe 3 , und nicht als Herren über die zugeteilten (Gemeinden), sondern als Vorbilder der Herde. 4 Und wenn der oberste Hirte erscheinen wird, werdet ihr den unverwelklichen Kranz der Herrlichkeit erlangen. 5 Ebenso sollt ihr Jüngeren euch den Ältesten unterordnen. Alle aber umkleidet euch im Umgang miteinander mit Demut, denn „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Niedrigen gibt er Gnade".
Vers 5:
Spr.3,34.
5,1 beginnt wieder eine speziellere Mahnung, die sich nun nicht wie in Kapitel 2-3 an die einzelnen Stände des „Hauses", sondern an die des „Hauses Gottes" richtet, wobei im Unterschied zur charismatischen Gemeindestruktur von 4,10 f. nun institutionelle Momente der Gemeindeverfassung hervortreten und offenbar nicht als Alternative empfunden werden. Nach Anrede und ausführlicher Selbstcharakterisierung des Verfassers in V. 1 wird in V. 2-3 eine offenbar traditionelle Amtsanweisung aufgegriffen, die das „Weiden der Herde Gottes" mit dreifacher Antithese entfaltet. V. 4 erinnert an das endzeitliche Erscheinen des „Oberhirten" Christus. V.5 a mahnt die „Jüngeren" zur Unterordnung und V. 5 b die ganze Gemeinde zur Demut. 1 Vor allem aus V. 2-3 ergibt sich eindeutig, daß „Älteste" hier eine Amtsbezeichnung ist. Die Gegenüberstellung von „Ältesten" (V. 1-4) und „Jüngeren" (V.5) könnte zwar auf die Vermutung führen, daß verschiedene Altersgruppen angesprochen seien, doch nach V. 1-4 bezeichnet „Älteste" nicht die dem Lebensalter (allerdings kommt das Wort auch als Altersbezeichnung vor: Joh. 8,9; Apg. 2,17 u.ö.) oder die der Gemeindeerfahrung nach Ältesten, sondern die Presbyter. Obwohl das Wort auch im griechisch-hellenistischen Raum in titularem Sinn vorkommt, übernahm es die Kirche aus dem Judentum, das die Mitglieder des „Ältestenrats" = Synedrium so nannte. Die Institution der Presbyter taucht im Urchristentum entgegen der Darstellung der Apg. erst verhältnismäßig spät auf. Die Paulusbriefe kennen noch keine Presbyterialverfassung. Die Funktion des Presbyteramtes in der nachapostolischen Zeit erhellt etwa aus Apg. 20,17ff.: Sie hatten die apostolische Tradition gegen Gefahren von innen und außen zu bewahren. Auch l . P e t r . 5 , 1 bestätigt Bedeutung und Ansehen der Presbyter. Nennt sich kein Geringerer als Petrus selbst „Mit-Ältester", so stellt er damit die Presbyter an die Seite der Apostel, auch wenn die Selbstbezeichnung zunächst als Bescheidenheitsstil anzusprechen ist. Die folgende Selbstcharakterisierung des Verfassers deutet nicht auf einen Augen- und Ohrenzeugen der Passion Jesu - nirgendwo sonst im Brief findet
l.Petr.5,1-5: Mahnung an die Ältesten und die Jüngeren
117
sich eine Anspielung auf Augenzeugenschaft sondern der Verfasser spricht von seiner eigenen Teilhabe an den „Leiden Christi" (vgl. 2. Kor. 1,7; Offb. 1,9). Dafür spricht die parallele Wendung in V. 1 c: Als einer, der die Leiden nicht nur vom Hörensagen, sondern aus eigener Leidenserfahrung kennt und an den allen Christen auferlegten Leiden Christi Anteil hat, wird er auch Anteil an der kommenden Herrlichkeit haben (vgl. 4,13 u.a.). Schon die Selbstaussagen des Verfassers implizieren eine Mahnung. Da „MitÄltester" und „Zeuge für die Leiden Christi" durch einen Artikel zusammengeschlossen sind und am Anfang der Presbytermahnung stehen, sollen die Ältesten wohl auch ein Vorbild im Leiden sein. V. 2-3 gehen nun offenbar im Anschluß an 2 eine urchristliche Amtsanweisung spezieller auf ihre Amtspflichten ein. Sie sollen ihre Hirtenfunktion gegenüber der Gemeinde ernst nehmen (vgl. Eph.4,11; Apg. 20,28). Das Bild der Herde für das Gottesvolk ist schon alttestamentlich (Jes.40,11; Ez.34,1 ff. u.ö.), wird aber auch an anderen Stellen im Neuen Testament verwendet (vgl. Lk. 12,32; Joh. 10,16), und zwar auch im Zusammenhang mit den Hirtenpflichten der Ältesten (Apg.20,28; vgl. auch Herrn. Sim. IX 31,5; Dam. 13,9; 4. Esr.5,17f.). Die „Herde" ist und bleibt freilich „Gottes" Herde (vgl. Joh. 21,16: „meine" Schafe), die ihnen anvertraut ist. Der eigentliche Hirte der Herde ist zwar Christus (2,25; 5,4), aber auch die Presbyter haben auf ihre Gemeinde achtzugeben, haben sie zu sammeln und zu leiten, zu betreuen und zu schützen. Sie sollen ihr Hirtenamt nicht gezwungen, sondern bereitwillig, aus freien Stücken ausüben (vgl. Hebr. 13,17), was wohl eine Wahl und förmliche Übertragung des Amtes auf längere Zeit (vgl. Apg. 14,23), aber damit natürlich noch nicht eine sakramental begründete Institution voraussetzt. Möglicherweise sind auch bestimmte Gefahren und Schwierigkeiten nach innen und außen im Blick. Jedenfalls sollen sie ihren Dienst als Gottes Auftrag und nach Gottes Willen verstehen. Weiter sollen sie nicht aus schändlicher Gewinnsucht, sondern mit Eifer, Hingabe und innerem Einverständnis bei der Sache sein. Daraus läßt sich schließen, daß sich Älteste in ihrem Amt offenbar bereichern können, was entweder heißt, daß sie die Gemeindegelder verwalteten (vgl. 2. Kor. 8,20), oder aber, daß sie Ansprüche auf Unterhalt hatten (vgl. 1. Kor. 9 , 7 ff.), was zu einem Versorgungs- und Funktionärsdenken führen kann (vgl. auch 1. Tim. 3,3; Tit. 1,7; Did. 15,1; Polyc. Phil. 6,1). Eine weitere Gefahr ist Herrschsucht oder Machtgier, woraus vielleicht zu ent- 3 nehmen ist, daß die Ältesten auch disziplinarische Vollmachten hatten, die sie zu ihrem eigenen Vorteil im Sinn geistlichen Bevormundens und kirchlichen Herrschens ausnutzen konnten. Herrschen in der Gemeinde aber ist nicht erlaubt (vgl. Mk. 10,42 f.; Mt. 23,11; vgl. auch 2. Kor. 1,24). Umstritten ist, worüber sie keine Herren werden sollen. Wörtlich: über die Lose, die Anteile. Wahrscheinlich sind damit nicht Bestandteile der einzelnen Gemeinde gemeint, die den Presbytern zugewiesen werden, sondern Einzelgemeinden der angeschriebenen Kirchengebiete und nicht andere durch Los bestimmte Gemeindeämter (vgl. Apg. 1,17.26; 1 QS 9,7). Statt ihre Amtsgewalt zu mißbrauchen und sich als Herren zu gebärden, sollen die Presbyter Vorbild sein. Nicht Autoritätsansprüche, sondern vorbildhaftes Verhalten charakterisieren gemeindeleitende Funktionen in der Kirche. Solches Verhalten hat die 4
118
l.Petr.5,6-11: Leiden in Sorglosigkeit, Wachsamkeit und Gotteskraft
Verheißung, daß einst der „unverwelkliche Kranz der Herrlichkeit" empfangen werden kann. Damit ist kaum ein Gegensatz zu den verwelklichen Kränzen intendiert, die die Sieger sportlicher Wertkämpfe (vgl. 1. Kor. 9,24) oder gute Verwalter politischer Ämter erhielten. In der Apokalyptik ist die Verwendung des Kranzes in bildhafter Bedeutung für die eschatologische Herrlichkeit schon traditionell (vgl. außer 0 f f b . 2 , 1 0 und 2. Tim. 4,8; Jak. 1,12 weiter Test. Benj. 4 , 1 ; 1 QS 4,7f.; syr. Bar. 15,8). Auch für den l.Petr. ist es einfach ein anschauliches Bild für die endzeitliche Herrlichkeit, von der schon 1,11; 4,13; 5,1 die Rede war (vgl. auch V. 10). Erlangt aber wird dieser Kranz beim Erscheinen des „Oberhirten" Christus. Durch die Verwendung dieses singulären (vgl. immerhin Hebr. 13,20) und wohl volkstümlichen Titels wird die Hirtenfunktion der Presbyter zum Schluß klar begrenzt und in die Verantwortung gegenüber dem Christus gestellt. 5
Die „Mahnung an die Jüngeren" besteht nur aus einem Satz. Die „Jüngeren" sind trotz der Zuordnung zu der Presbytermahnung kaum eine besondere Gruppe mit besonderen Funktionen oder die ganze Gemeinde (diese wird erst in V. 5 b angesprochen), sondern die dem Lebensalter nach Jüngeren. Form und Inhalt der Mahnung entsprechen 2,13 u. ö. (vgl. dort), sind also traditionell (vgl. Polyc. Phil. 5,3, aber auch 1. Kor. 16,16 und Lk. 2,51) und nicht in der besonderen Aufsässigkeit der Gemeindejugend gegen kirchliche Ordnung begründet. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, daß die Jüngeren in den Gemeinden besondere Aktivität entfaltet, selbständig neue Wege gesucht oder in der Verfolgung eine andere Taktik als die Presbyter befürwortet haben, doch sind das alles nur Hypothesen. Der Verfasser beläßt es aber auch hier nicht bei der Mahnung zur Unterordnung der einen unter die anderen, sondern ruft „alle" auf, im Umgang miteinander Mut zur Niedrigkeit und Selbstlosigkeit, zum selbstvergessenen Dienst und Aufbruch („Umkleiden" erinnert vielleicht an 1,13; vgl. „Anziehen" Kol. 3,12 u.ö.) zu haben. Das meist mit Demut im Sinn der Selbsterniedrigung übersetzte Wort hat entgegen der üblichen Abwertung im Griechentum wohl durch die Christologie positive Bedeutung gewonnen (vgl. Phil. 2,3.8). Diese Grundeinstellung gegenüber den Menschen (vgl. auch Eph. 4,2; Kol. 3,12) - in V. 6 dann ebenso als Grundhaltung gegenüber Gott verstanden - wird hier durch das bekannte Schriftwort aus Spr. 3,34 begründet, das auch Jak. 4,6; 1. Klem. 30,2 und Ign. Eph. 5,3 zitiert wird und so seine Beliebtheit erweist (vgl. zu Jak. 4,6). 3. Leiden in Sorglosigkeit,
Wachsamkeit
und der Krafl Gottes
(5,6-11)
* So demütigt euch nun unter die starke Hand Gottes, damit er euch erhöhe in der (letzten) Zeit. 7 Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er kümmert sich um euch. 8 Seid nüchtern, seid wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, zieht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. • Dem widersteht, fest im Glauben und im Wissen darum, daß dieselben Leiden eurer Bruderschaft in der (ganzen) Welt auferlegt sind. 10 Der Gott aller Gnade aber, der euch zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus berufen hat, der wird euch, die ihr (jetzt) eine kurze Zeit zu leiden habt, selbst ausrüsten, stärken, kräftigen, gründen. 11 Sein ist die Macht in alle Ewigkeit. Amen. Vers 7: Ts. SS, 23.
l.Petr.5,6-11: Leiden in Sorglosigkeit, Wachsamkeit und Gotteskraft
119
Auch am Schluß seines Briefes kommt der Verfasser wieder auf sein Hauptthema zurück. Die im Unterschied zum vorhergehenden Abschnitt wieder recht locker miteinander verbundenen Mahnungen werden durch den Bezug auf die Leidenssituation zusammengehalten. Allerdings werden dabei einige Spannungen zu den bisherigen Ausführungen über die Leiden sichtbar. V. 6 schließt zunächst stichwortartig an V. 5 eine Mahnung zur Beugung unter Gottes starke Hand an. V. 7 folgt eine Mahnung zur Sorglosigkeit, V. 8a zur Nüchternheit und Wachsamkeit. V. 8 b begründet das mit dem beutegierig umherziehenden Teufel. V.9 ruft unter Hinweis auf das weltweite Ausmaß der Christenleiden zum Widerstand, und V. 10 sichert den jetzt Bedrängten in vierfacher Umschreibung Gottes Beistand zu. Eine Doxologie in V. 11 beschließt den Abschnitt. Mit Stichwortanschluß (vgl. dazu Jak.) schließt V. 6 an V. 5 an. Rechte Demut ist 6 die Konsequenz des Wissens, daß Gott die Niedrigen erhöht, wie sowohl das „darum" am Anfang als auch der Finalsatz am Schluß zeigen. Sie ist damit zugleich Vertrauen auf Gottes „starke Hand". Gottes Hand (mit und ohne das Attribut „stark") ist Symbol und Zeichen für Gottes Wirksamkeit und Allmacht, sei es im Sinn kraftvoller Hilfe (Ps. 10,12 u.ö.), sei es im Sinn der Züchtigung und Strafe (Ps.32,4; Hiob30,21). Die Gemeinde erfährt auch in der Verfolgung Gottes Hand. Sie kann und soll diese nicht aufbegehrend und murrend abzuschütteln versuchen, sie kann und soll aber auch nicht resignierend und fatalistisch unter ihrem Drude verzweifeln, sondern, da es in Gericht und Gnade die Hand Gottes ist, sich unter sie beugen. Wieder folgt der Hinweis auf die letzte Zeit (vgl. 1,5), in der die hier nur positiv verstandene Umkehrung stattfinden wird (vgl. Lk. 1,52; 14,11 u.ö.). Aber der Verfasser vertröstet die Gemeinde auch hier nicht nur auf das Ende, 7 sondern er ruft mit einer Anspielung auf Ps.55,23 (vgl. Herrn. Vis. IV 2,5) dazu auf, auch hier und jetzt in der Feuersglut mit Gottes Fürsorge zu rechnen. Sorglosigkeit ist Ausdruck rechten Vertrauens (vgl. M t . 6 , 2 5 ; Phil.4,6f.), wobei hier wohl weniger an eine allgemeine Sorgenfreiheit als an die spezifische Sorge der Verfolgungssituation gedacht ist. Wer sich unter Gottes Hand beugt, der darf sich auch auf sie verlassen, der darf wissen, daß Gott des Menschen Sorge zu seiner eigenen macht. Noch einmal folgt eine Mahnung zur Nüchternheit (vgl. 1,13; 4,7); die großen 8 und kleinen Sorgen zwischen den Zeiten sind nicht das Letzte. Auch der Ruf zur Wachsamkeit — gemeint ist die geistige Wachsamkeit im Gegensatz zur Trägheit, Gleichgültigkeit und Sicherheit - ist sonst eschatologisch motiviert (l.Thess.5,6; Mk. 13,34 ff. par.; Offb. 3 , 2 f. u. ö.) und wohl auch hier mitzuhören. Die Begründung der beiden Imperative erfolgt aber jetzt nicht ausdrücklich vom Kommenden her, sondern mit dem unter dem Bild des brüllend umherziehenden Löwen dargestellten Teufels (vgl.Ps.22,14; 2. Tim. 4,17). Obschon er „Widersacher" (eigentlich: Prozeßgegner) genannt wird, ist er hier nicht als himmlischer Anklagevertreter gesehen (vgl. den Prolog des Hiob), sondern als dämonische Macht, die ihre Angriffe kurz vor dem Ende gerade gegen die Gemeinde richtet und sich hinter den Verfolgungen der Christen verbirgt (vgl. Offb.2,10; 12,17; 13,7). Eine Spannung zu 3,17; 4 , 1 2 f. 17 ff. und anderen Stellen, wo die Leiden als Gottes Fügungen erscheinen, ist unverkennbar. Die Lösung ist wohl so zu umschreiben: Gott zielt mit Leid und Ver-
120
1. Pete. 5,12-14: Briefsdiluß
folgung auf Bewährung, Einübung, Gericht und Gnade, der Teufel will zum Abfall 9 bewegen und die Abgefallenen als seine Beute „verschlingen". Dem gilt es zu widerstehen, fest im (wohl nicht: durch) Glauben. Tröstlich ist auch, daß das Leid der Christen weltweit geworden ist und die Brüder in der ganzen Welt von demselben Schicksal betroffen sind. Solidarität des Schicksals macht das Schicksal leichter. Zudem steht die angefochtene und leidende Christenschar nicht auf verlorenem Posten. Der Widerstand gegen den Teufel wäre nur dann zum Scheitern verurteilt, 10 gälte nicht, was V. 10 nachdrücklich versichert: Gott selbst ist nicht Zuschauer oder Schiedsrichter im Kampf der Christen, sondern Bundesgenosse und machtvoller Helfer im Streit. Er bleibt auch inmitten des Kampfes „der Gott aller Gnade". So wie am Anfang des Christenweges Gottes wirksamer Anruf stand, so ist von Anfang an das Ziel dieses Weges im Auge, das dieses innerzeitliche Zwischenstadium („kurze Zeit", vgl. 1,6) der Leiden übergreift. Gott aber wird auch auf diesem Wege selbst den Bedrängten zu Hilfe kommen und ihnen Kraft verleihen. Die 4 Verben sind eine einzige Entfaltung der Aussage von V. 9 („fest im Glauben"), nur daß jetzt unmißverständlich deutlich gemacht wird, woher solche Festigkeit und Kräftigkeit überhaupt kommt. Nicht nur der Anfang des Glaubens (1,21) in der Berufung (1,15; 2 , 9 . 2 1 ) , sondern auch der Fortgang, die Dauer und Festigkeit des Glaubens sind vom Menschen selbst nicht zu bewerkstelligen. „Er selbst" - das wird nicht umsonst betont - ist der Bürge für die Bewährung des Glaubens. 11 Darum ist es nur konsequent, daß der Verfasser mit einer Doxologie schließt, nach der die Macht allein Gott zukommt. Gott allein eignet in alle Ewigkeit die Stärke, die Tage der Mächtigen aber sind gezählt.
V. Briefschluß Persönliches, Grüße, Friedenswunsch
(5,12-14)
Durch Silvanus, den, wie ich denke, treuen Bruder, habe ich euch in Kürze geschrieben, um euch zu ermahnen und zu bezeugen, daß dies die wahre Gnade Gottes ist, in die ihr euch stellen sollt. 13 Es grüßt euch die miterwählte (Gemeinde) in Babylon und mein Sohn Markus. 14 Grüßt einander mit dem Kuß der Liebe. Friede mit euch allen, die ihr in Christus (seid). 12
12
Ein paar persönliche Nachrichten fiktiver Art, Grüße und Friedenswunsch beschließen den Brief. Zur sogenannten Sekretärshypothese ist in der Einleitung das Nötige gesagt. Mit Silvanus ist wohl kein Unbekannter, sondern der in l.Thess. 1 , 1 u.ö. erwähnte Paulusbegleiter gemeint, zumal auch der in V. 13 erwähnte Markus als Mitarbeiter des Paulus bekannt ist (Phlm.24). Silvanus gilt als „treuer" Bruder, ohne daß gesagt wäre, worin seine Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit genauer besteht. Der Brief wird als kurzes Schreiben bezeichnet, was natürlich nicht einen Vergleich mit anderen, etwa den längeren Paulusbriefen zum Ausdruck bringen oder die Bedeutungslosigkeit des Briefes herausstellen will, sondern andeuten soll, daß der Verfasser sich auf einige Hauptpunkte beschränken wollte (vgl. Hebr. 13,22). Inhaltlich aber charakterisiert der Verfasser sein Schreiben als Mahnen und Trösten (das zugrunde liegende griechische Wort hat hier anders als 2 , 1 1 und 5 , 1
l . P e t r . 5 , 1 2 - 1 4 : Briefschluß
121
wahrscheinlich diese Doppelbedeutung) und Bezeugen, eine durchaus zutreffende Charakterisierung des Briefes. Das erste erwies sich darin, daß der Verfasser in vielen paränetischen Passagen Mahnungen brachte und den Gemeinden Mut und Trost in ihren Anfechtungen zusprach. Das konnte er aber nur darum, weil er zugleich die Heilstaten Gottes verkündigte, vor allem in den diristologischen und eschatologischen Partien. Ohne Bezeugung dessen, was Gott getan hat und tun wird, hätten Mahnung und Trost keinen Grund und keinen Sinn gehabt. Der Verfasser kann wie in V. 10 alles, von der Berufung bis zur himmlischen Herrlichkeit, als „wahre Gnade Gottes" zusammenfassen. In diesen alles umgreifenden Horizont göttlicher Gnade, die auch in der Anfechtung durch das gegenwärtige Leiden das einzig Wahre und Wirkliche ist, sollen sich die Leser hineinstellen. Wie üblich folgen Grüße. Erwähnt wird mit dem apokalyptischen Decknamen die 13 „miterwählte" Gemeinde in Rom (vgl. die Einleitung) und Markus, der als „mein Sohn" bezeichnet wird. Damit ist in Analogie zu 1. Kor. 4 , 1 5 ; Phlm. 10 u. ä. die geistliche Vaterschaft gemeint. Die Aufforderung, sich einander mit dem „Kuß der 14 Liebe" (Paulus sagt: „heiliger Kuß") zu grüßen, findet sich auch am Schluß paulinischer Briefe ( R ö m . 1 6 , 1 6 ; l . K o r . 1 6 , 2 0 ; 2 . K o r . l 3 , 1 2 ; l . T h e s s . 5 , 2 6 ) . Dieser Kuß war als Zeichen gegenseitiger Bruderliebe Teil des urchristlichen Gottesdienstes. Z u m Schluß wiederholt der Verfasser nochmals den Friedensgruß (vgl. 1,2). Friede in umfassendem Sinn, Friede auch inmitten äußeren Unfriedens, während der Löwe noch brüllt (V. 8), gibt es allein für die „in Christus".
DER ZWEITE
PETRUSBRIEF
Wolfgang Schräge Einleitung 1. Der 2. Petrusbrief ist die späteste und in ihrer theologischen Bedeutung fragwürdigste Schrift des Neuen Testaments, ja, er gilt innerhalb des Kanons heute geradezu als klassisches Dokument des sogenannten Frühkatholizismus und seiner theologischen Probleme, Prämissen und Konsequenzen. Während früher vor allem die Pseudonymität, die Abhängigkeit vom Judasbrief oder die Entstehung im 2. Jahrhundert als problematisch empfunden wurden und der Brief eigentlich nur in den Einleitungen eine gewisse Rolle spielte, ist das Schreiben heute neben Jak. 2,14 ff. zu einem beliebten Exempel der kontroverstheologischen Kanonsdiskussion geworden. In der Tat bildet seine Stellung und sein Stellenwert im neutestamentlichen Kanon für die evangelische Theologie und Kirche ein weithin ungelöstes Problem. Es läßt sich nicht leugnen, daß das Schreiben theologische Anschauungen enthält, die in ihrer Ungebrochenheit und Verabsolutierung sowohl mit dem Zentrum der neutestamentlichen Aussagen als auch mit evangelischen Grundpositionen unübersehbar konkurrieren. 2. Zunächst ist es wieder das im Anschluß an den Judasbrief stark betonte Gewicht der apostolischen Lehrtradition und ihrer normativen Geltung, das in einer dem Neuen Testament sonst nicht eigenen Einseitigkeit alles beherrschend in den Vordergrund rückt. Die Glaubwürdigkeit dieser Tradition wird nach Meinung des Verfassers von den Aposteln als Augen- und Ohrenzeugen göttlicher Epiphanie auf Erden (vgl. 1,16 ff.) und als Weissagern endzeitlicher Erscheinungen (vgl. 3,3 und die Futura in 2 , 1 ff.) garantiert. Von daher ist auch die im Unterschied zum Judasbrief von Anfang bis Ende konsequent durchgehaltene Fiktion der Abfassung durch Petrus zu erklären, die nirgendwo sonst im Neuen Testament so nachdrücklich zur Geltung gebracht wird. Der ganze Brief soll als apostolisches Testament aufgefaßt und von der Kirche respektiert werden (1,12ff.). Allein das von den Aposteln überlieferte objektive Glaubensgut, das als „vorhandene Wahrheit" (1,12) für die Kirche verfügbar und als Lehrgesetz („Gebot" 3,2) normativ ist, vermag nach Meinung des Verfassers die Gemeinden in ihrem Kampf gegen verderbliche Häresien zu „befestigen". Ein solcher Rückgriff auf apostolische Überlieferungen ist als solcher natürlich nicht zu beanstanden und entspricht dem geschichtlichen Charakter der Offenbarung; bei der Größe der Gefahr, die von den enthusiastischen Irrlehrern ausging und die Kirche offenbar in die Defensive zwang, wird das erst recht verständlich. Auch daß es der Kirche an prophetischem Charisma und schöpferischen Kräften fehlte, wird man ihr nur schwer zum Vorwurf machen können. Leider aber wird die Tradition ganz undialektisch geltend gemacht, und leider ist das, was der Verfasser als apostolisches Erbe ausgibt, nur ein stark verdünnter Rest dessen, was die apostolische Zeit tatsächlich an Glaubensinhalten geschaffen hatte.
Der zweite Petrusbrief: Einleitung
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Vor allem diese einseitige Auswahl wirkt sehr befremdlich. Von Paulus weiß der Verfasser nur zu nennen, daß in seinen Briefen einiges schwerverständlich ist und von den Ketzern verdreht wird (3,15 f.). Die Briefe von Aposteln, deren Auslegung ebenso wie die „der übrigen Schriften" kontrovers ist (vgl. 3,16 und 1,20) und darum der normativen Lehrtradition der Kirche unterworfen werden (vgl. zu 1,20), gelten zwar als Besitz und Basis der ganzen Kirche (vgl. 1,15), aber nicht mehr als Ersatz für das lebendige Wort der mündlichen Verkündigung. Von einem Vertrauen auf die bezwingende Macht der Proklamation des Evangeliums ist nichts mehr zu erkennen. Dem Enthusiasmus und der Spekulation der gnostischen Häretiker wird allein die als Summe objektiver Glaubenssätze verstandene apostolische Tradition entgegengesetzt. Das betrifft auch die Christologie. Die Überlieferung von der Verklärung Jesu (1,16 ff.) dient lediglich dazu, den Verfasser als Augen- und Ohrenzeugen zu legitimieren und die Parusieleugner zu widerlegen. Von christologischen Bekenntnissen und Liedern, die noch im 1. Petrusbrief eine so bedeutsame Rolle spielten, ist wenig zu finden. Die wenigen diristologischen Aussagen werden nicht expliziert und wirken eher formelhaft (vgl. die häufigste Bezeichnung Christi als unser „Herr und Retter" 1,11; 2 , 2 0 ; 3,18) und doketisch (vgl. das Gottesprädikat für Christus in 1,1 und die außerordentlich problematische Redeweise in 1,3, wo sich Christus geradezu in eine unpersönliche „göttliche Kraft" aufzulösen scheint); betont wird nur seine göttliche Herrlichkeit und Wundermacht (1,3.16f.), seine Offenbarungsvermittlung an den Apostel (1,14) und sein Erkanntwerden durch die Gläubigen (1,2f. 8; 2 , 2 0 ; 3,18). Von Kreuz und Auferstehung Jesu schweigt der Verfasser. Gottes „Gerechtigkeit" ist nicht sein Heilshandeln in Jesus Christus wie bei Paulus, sondern seine allen das gleiche zuteilende Billigkeit (1,1). Auch in der Eschatologie, zu deren Verteidigung der Brief vor allem geschrieben wurde, herrscht ein auffallendes christologisches Defizit. Das ganze kosmische Drama des Endes ist letztlich eine universale Demonstration der Vergeltungslehre und dient der Belohnung oder Bestrafung der Menschen (vgl. 1,11; 2,5ff.; 3,7.11f.). Statt von der Parusie des Herrn, die Sieg und Recht des Christus der ganzen Welt offenbar machen wird, ist von einer Partizipation der Gläubigen an der „göttlichen Natur" die Rede (1,4). 3. Schon dieses naturhaft-dualistische Kategoriensystem demonstriert deutlich den hellenistischen Einschlag, der allerdings durch das hellenistische Judentum vermittelt sein kann. Nirgendwo sonst im Neuen Testament wird eine so von hellenistischer Metaphysik überfremdete Erwartung gehegt. Dem hellenistischen Ideal entspricht auch das, was der Verfasser als sittliche Leistung des Christen fordert (vgl. 1,4-11). Von einer Begründung des sittlichen Anspruchs durch den Zuspruch der Gabe des Heils verlautet wenig, um so mehr aber von menschlicher Bemühung und Anstrengung (vgl. 1,10 u. ö.) und dem „überlieferten heiligen Gebot" (2,21), dessen Befolgung dem Frommen den Eingang in das himmlische Reich verbürgt (1,11). Hier zeigt sich, daß neben dem starken Einfluß hellenistischen Geistes auch jüdisches Gedankengut übernommen wurde. Außer in der gefährlich verselbständigten Moral läßt sich das vor allem in der Eschatologie beobachten, wo mehrere apokalyptische Mythologeme auftauchen, besonders bei der Apologie der
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Zukunftserwartung in 3 , 5 f f . (vgl. aber auch 2,4ff.): der Hinweis auf den schon einmal geschehenen Weltuntergang bei der Sintflut, die Erwartung eines Weltenbrandes, vor allem aber die bedenkliche Vorstellung von einer möglichen Beschleunigung der Parusie durch frommes Verhalten der Menschen - das alles stammt wohl aus jüdischen Kreisen. Dabei fehlt aber die sonst bei der Rezeption apokalyptischer Anschauungen zu beobachtende Modifizierung und Ausrichtung durch die Christologie (vgl. dagegen Paulus und die Joh.-Offb.); entsprechend wird als Reaktion auf die präsentisch-enthusiastische Eschatologie der Häretiker (vgl. unten) eine rein futurische Eschatologie gelehrt, die das endzeitliche Geschehen an den äußersten Rand der Geschichte abdrängt und zu einer kosmologischen Weltbrand- und anthropologischen Vergeltungslehre abgleiten läßt, die Gegenwart aber der Tradition und Moral ausliefert. Daneben spielt auch das Alte Testament eine gewisse Rolle, doch wird dessen rechte Auslegung von dem an die Kontinuität zur normativen apostolischen Überlieferung gebundenen Geist abhängig gemacht (1,20f.). D a solcher Geist aber nur in der Kirche zu finden ist, ist nur eine kirchlich autorisierte Auslegung rechte Auslegung. 4. Die stärksten Anleihen aber hat der Verfasser beim Judasbrief gemacht, von dem eine bis in den Wortlaut gehende literarische Abhängigkeit besteht. Das gilt in Kap. 1 und 3 zwar nur für einzelne Verse (vgl. 1,5 mit Jud. 3; 1,12 mit J u d . 5 ; 3 , 2 f. mit Jud. 17f.; 3 , 1 4 mit J u d . 2 4 ; 3,18 mit Jud.25), in breitem Umfang aber lassen sich solche sprachlichen und inhaltlichen Entlehnungen für Kap. 2 nachweisen, wo der Verfasser fast in jedem Vers (zudem in gleicher Reihenfolge!) die Bekanntschaft mit dem Judasbrief verrät: vgl. 2 , 1 mit Jud. 4; 2 , 4 mit Jud. 6; 2 , 6 mit Jud. 7; 2,9 mit J u d . 6 ; 2,10 mit J u d . 7 und 8; 2,11 mit J u d . 9 ; 2,12 mit Jud. 10; 2,13 mit Jud. 12; 2,15 mit J u d . l l ; 2 , 1 7 mit J u d . l 2 f . ; 2,18 mit Jud.16. Dabei wirkt der 2. Petrusbrief durch seine Kürzungen oder Hinzufügungen ohne den Judasbrief oft dunkel und unverständlich; man vergleiche etwa die allgemeine Aussage über die Sünde der Engel in 2 , 4 und ihr Zurückscheuen vor blasphemischem Urteil in 2,11 mit den entsprechenden Aussagen des Jud. (V. 6 bzw. 9). Eine Rolle spielt wohl auch, daß die dabei im Judasbrief noch als unproblematisch geltenden Anspielungen auf apokryphe Schriften oder gar das ausdrückliche Zitat aus der Henoch-Apokalypse inzwischen als anstößig empfunden und darum im 2. Petr. unterdrückt oder verdunkelt wurden (vgl. die Ausführungen über den Engelfall in J u d . 6 , den Streit Michaels mit dem Teufel über den Leichnam des Mose in J u d . 9 und die Henochprophetie in Jud. 14f. mit den erwähnten Parallelen im 2. Petr.). Die drei alttestamentlichen Strafbeispiele in Jud. 5-7 (V. 5: Wüstengeneration; V. 6: Engelfall; V . 7 : Sodom und Gomorrha) werden in 2. Petr. 2,4-9 geändert (V.4: Engelfall; V . 5 : Sintflut; V.6: Sodom und Gomorrha), um eine chronologische Ordnung und die auch sonst begegnende Zusammenstellung von Gericht durch Wasser und Feuer zu erreichen. Der Grund für die weitgehende Übernahme der Aussagen des Judasbriefes ist wohl darin zu suchen, daß die dortige Abrechnung mit den Irrlehrern dem Verfasser auch für seine eigene Ketzerpolemik zu passen schien, auch wenn er sie um den Hauptvorwurf der Parusieleugnung noch erweitern mußte. Das im Unterschied
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zum Judasbrief gebrauchte Futurum der Weissagung soll zwar die Irrlehrer als von den Aposteln längst vorausgesagte Erscheinung verständlich machen und das Zutrauen der Leser zu den Gegenargumenten des Verfassers verstärken (2,1 ff.; 3,3), es kann aber nicht verdecken, daß es sich bei der Häresie um eine gegenwärtige Größe handelt; es wird denn ja auch von Aussagen im Präsens (2,10.12 ff. 20 f. u. ö.) und in der Vergangenheit (2,15.22) durchkreuzt. Eine Verschiebung gegenüber dem Judasbrief steckt auch darin, daß von gemeinsamen Agapemahlfeiern zwischen Irrlehrern und Gemeinde keine Rede mehr ist (vgl. zu 2,13). Sonst aber bestätigt sich der Gesamteindruck, den schon der Judasbrief vermittelte. Zunächst fällt wieder die massive, klischeehafte und pauschale Art auf, mit der die Häretiker beschuldigt und erledigt werden. Dabei nimmt besonders der Vorwurf der Unmoral wieder breiten Raum ein (vgl. 2,2.10.13.14.18) und läßt auch hier trotz aller Vergröberung und allen Unverständnisses an den Libertinismus der Gnostiker denken (vgl. auch wieder die Verachtung der Engelmächte 2,10 f.). Besonders 2,19 legt es nahe, die Freiheitsparole als gnostisdie Losung zu verstehen, so wie das „mir steht alles frei" nach 1. Kor. 6,12 und 10,23 eine Maxime der korinthischen Enthusiasten war (vgl. außer Irenaus I 12,3 und Hippolyt VI 19,7 auch die in der Einleitung zum Judasbrief zitierten Belege). Damit sind die Irrlehrer aber keineswegs radikale Hyperpauliner, die die paulinische Freiheitspredigt pervertiert haben; auch die korinthische Gnosis ist nicht einfach als Fortentwicklung und Verfälschung paulinischer Gedanken zu begreifen, sondern es handelt sich zugleich um eine von außen eindringende Bewegung. Immerhin dürften die Irrlehrer die Briefe des Paulus in ihrem Sinn und für ihre Zwecke ausgebeutet haben, weshalb der Verfasser versucht, Paulus den Häretikern zu entreißen (3,16). In diesen Zusammenhang gehört vielleicht auch 1,20, woraus man folgern könnte, daß die Häretiker auch die alttestamentliche Prophetie gnostisch umgedeutet haben. Außer den zuletzt genannten Zügen ist gegenüber der Charakterisierung der Irrlehrer im Judasbrief der folgende neu: Die Häretiker werden in 2,1 ausdrücklich als Pseudo- oder Irrlehrer bezeichnet, woraus wohl zu schließen ist, daß die Häretiker nicht nur eine bestimmte libertinistische Praxis befolgten, sondern diese auch „lehrten" (vgl. Offb. 2,14 f. 20); jedenfalls dürften damit nicht nur solche gemeint sein, die sich fälschlich als Lehrer ausgaben, sondern die eben auch Falsches lehrten. Dem entsprechen auch die in 1,16 erwähnten „ausgeklügelten Mythen" und die „gefälschten" oder „erdichteten" Worte von 2,3, die die Gegner wahrscheinlich auf den Geist zurückführten (vgl. weiter zu 2,3). Der Hinweis auf die Pseudopropheten in 2,1, der vielleicht eine prophetische Wirksamkeit bei den Häretikern in der Gegenwart voraussetzt (vgl. auch 1,21), weist in dieselbe Richtung. 5. Das eigentlich Neue und dem Verfasser offensichtlich besonders bedrohlich Erscheinende an dieser Irrlehre aber ist ihre Leugnung der Parttsie. Daß die in Kapitel 2 kritisierten Libertinisten mit den Parusieleugnern identisch sind, folgt aus 3,3, wo den Parusieleugnern derselbe Vorwurf wie in 2,10.18 gemacht wird. Zwar ist es ein beliebter Zug aller Ketzerpolemik, den Ketzern auch moralisch am Zeuge zu flicken, um ihre Position zu untergraben - kann einer die Wahrheit auf seiner Seite haben, der so handelt? - , doch paßt beides gerade bei Gnostikern auch
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sachlich gut zusammen. Alle gnostisch beeinflußten Gruppen haben eine stark präsentisch und perfektionistisch akzentuierte „Eschatologie". Schon die korinthischen Gnostiker haben nach 1. Kor. 15 die dann in 2. Tim. 2,18 auch ausdrücklich belegte enthusiastische These vertreten, daß „die Auferstehung schon geschehen" sei. Irenaus berichtet später von den Anhängern des Gnostikers Menander, daß sie schon durch die Taufe die Auferstehung empfangen und nicht mehr sterben können (Gegen die Häresien I 23,5), und nach den Simonianern und Karpokratianern soll die Auferstehung nichts anderes sein als die Erkenntnis ihrer sogenannten Wahrheit (II 31,2; vgl. Justin Apol.126,4). Auch original gnostische Texte bestätigen das. Im Rheginusbrief 45,26 ff. heißt es, daß die Gnostiker schon auferstanden und in den Himmel gefahren sind (vgl. 49,11 ff.), und auf die Frage „wann wird die Ruhe der Toten eintreten und wann wird die neue Welt kommen?" gibt das Thomas-Evangelium die Antwort: „Die, die ihr erwartet, ist gekommen" (Logion 51). Volle Gegenwärtigkeit des Heils aber macht die urchristliche Enderwartung überflüssig. Ist die Leugnung der Parusie gnostisch motiviert, kann die in der Spötterfrage von 3 , 4 vorliegende Begründung mit der weiterlaufenden Zeit freilich nicht das entscheidende Argument gewesen sein, zumal Gnostiker kaum von „Schöpfung" gesprochen haben und kaum behauptet haben werden, seit Anfang der Schöpfung habe sich nichts geändert. Möglicherweise hat der Verfasser die eigentliche Begründung der Parusieleugnung nicht durchschaut und einen ganz anders motivierten Zweifel (vgl. l.Klem.23,3f.; 2 . K l e m . l l , 2 ) auch im Hintergrund des gnostischen Parusiezweifels gesehen, oder aber der Verfasser formuliert die Frage bewußt als rhetorische, um bei seiner Widerlegung leichteres Spiel zu haben. Ohnehin bestätigt sich auch hier, was schon im Judasbrief zu beobachten ist: Der Verfasser sieht keine Veranlassung, durch genaues Referieren der häretischen Position eine sozusagen objektive Auseinandersetzung zu ermöglichen oder die Gemeinden überhaupt erst mit den gefährlichen Gedanken der Irrlehrer vertraut zu machen. Immerhin begnügt er sich nicht wie der Judasbrief mit Verdammungsurteilen und Strafandrohungen, sondern versucht außerhalb von Kapitel 2 doch auch Gegenargumente vorzubringen (vgl. besonders 3,5-10). 6. Wie schon angedeutet, bringt der Verfasser den Anspruch, vom Apostel Petrus geschrieben zu sein, nicht nur im Briefpräskript (1,1) zum Ausdruck. Vielmehr bezeichnet er sich ausdrücklich als Augen- und Ohrenzeugen (1,16.18); ferner will er auch schon den 1.Petrusbrief geschrieben haben (3,1), und in 3,15 stellt er sich neben Paulus und beansprucht dieselbe apostolische Autorität. Der Brief ist also nicht nur beiläufig oder gar nachträglich, sondern von vorn bis hinten folgerichtig und nachdrücklich als petrinische Schrift etikettiert. Genauer soll er als Testament des Petrus angesichts seines nahen Todes aufgefaßt werden (1,12-15), was einer beliebten Fiktion und Literaturgattung entspricht, die schon in den Abschiedsreden des Alten Testaments ihre Vorläufer hat (vgl. 1. Mose 47,29 ff.; Jos. 23; 1. Sam. 12 u. ö.) und deren Zahl dann vor allem in der Literatur des Judentums stark anwuchs (vgl. außer l.Makk.2,49ff.; 2.Makk.7 u. a. vor allem die angeblichen Testamente des Abraham, der zwölf Patriarchen, des Hiob, des Salomon usw.). Auch das Neue
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Testament hat viele Beispiele (vgl. Joh. 13-17; Apg. 20,17ff. u. ö.). Im 2. Petr. ist wie in syr. Bar. 78 ff. und im 2. Timotheusbrief aus der Abschiedsrede ein Abschiedsbrief geworden. Fast übereinstimmend wird der Brief mit Recht als pseudepigraphisches Schreiben angesehen. Wenn schon der 1. Petrusbrief nicht von Petrus stammt, kann es der 2. Petrusbrief, der sich auf ihn beruft (3,1), noch viel weniger. Dabei ist es unerheblich, ob der Verfasser selbst den 1. Petrusbrief für echt hält oder nicht. Daß beide Briefe nicht von ein und demselben Verfasser herzuleiten sind, erweisen die großen Unterschiede in Sprache und Theologie. Vor allem die Abhängigkeit von dem ebenfalls pseudepigraphischen Judasbrief und die stark hellenistisch beeinflußte Terminologie und Anschauungswelt (vgl. 1,3 f. u. ä.) verbieten die Annahme einer Abfassung durch Petrus oder einen anderen der Apostel. Der 2. Petrusbrief gehört mit Sicherheit erst ins 2. Jahrhundert. Darauf weist auch der Hinweis auf die Sammlung von Paulusbriefen und die Kontroverse um ihre Interpretation sowie der mit „den übrigen Schriften" in den Blick kommende Kanon (3,15 f.). Schon in der alten Kirche war der Brief umstritten. Im 2. Jahrhundert wird er nirgendwo erwähnt. Origenes ist der erste, der ihn bezeugt, aber zu den umstrittenen Schriften zählt. Euseb hält ihn für unecht und Didymus für gefälscht. Erst im 4. Jahrhundert gewinnt er trotz des nicht verstummenden Widerspruchs wachsende Anerkennung. Wo der Brief abgefaßt worden ist, läßt sich nicht sagen. Jedenfalls richtet er sich trotz 3,1, wonach der Vf. dieselben Adressaten ansprechen will wie der»l. Petr., an die ganze Kirche, nicht nur an einen bestimmten oder begrenzten Kreis von Adressaten. 7. Obschon es dem Brief an theologischer Tiefe und geistlicher Kraft fehlt und er von anderen Aussagen des Neuen Testaments her zu Widerspruch provoziert, ist er nicht einfach wertlos. Zunächst vermittelt er historische Einblicke in eine durch die Häresie des 2. Jahrhunderts verursachte Krise der Kirche, in der der Verfasser die Gemeinden, die von der Infragestellung der Parusie nicht unberührt geblieben waren, nicht allein läßt. Wie weit er ihnen mit seinem Schreiben aus ihrer Verlegenheit geholfen hat, ist freilich schwer zu sagen. Weiter ist der Brief ein lehrreiches Beispiel dafür, wohin eine einseitige, die urchristliche Dialektik von Geist und Tradition, von Prophetie und Lehre sowie von präsentischer und futurischer Eschatologie zerbrechende These führt, und zwar bei den Häretikern wie bei den Rechtgläubigen, die auf die Einseitigkeit der Häretiker ebenso einseitig reagieren. Außerdem zwingt gerade ein so epigonales Schreiben, das in seinem nachapostolischen „Sitz im Leben" der heutigen Situation näher steht als die apostolische Zeit, zur Reflexion der eigenen Möglichkeiten. Gerade dafür bringt der Brief bei aller Unzulänglichkeit doch Gesichtspunkte zur Geltung, die in Zustimmung oder Widerspruch die Kirche auch heute mitbestimmen. Niemand sollte sich die notwendige Auseinandersetzung zu einfach machen. Wer sich zum Widerspruch herausgefordert sieht, sollte nicht übersehen, daß die Zeit nicht stillsteht und die Antworten des 1. Jahrhunderts nach Meinung des Verfassers in der neuen Gefahr nicht mehr auszureichen schienen. Wer dagegen die Antworten für in der damaligen Situation verständlich hält und mit diesem historischen Urteil die Gültigkeit der damaligen
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Lösung schon .relativiert glaubt, sollte nicht übersehen, daß der Brief durchaus nicht nur eine einmalige Notsituation, sondern dauernd gültige Regelungen im Auge hat. Trotz der von der Mitte des Neuen Testaments her nötigen Distanz zu den frühkatholischen und hellenistischen Anschauungen des Briefes wird man sowohl aus einzelnen Aussagen als auch aus dem Hauptanliegen des Briefes, der Verteidigung der christlichen Zukunftserwartung, sicher auch manches lernen und beherzigen können, auch wenn man dabei z . T . über den Verfasser zur ursprünglichen Bedeutung seiner Tradition (vgl. 1 , 1 9 oder 3 , 1 3 ) zurückgehen oder (vgl. die Bedeutung des göttlichen Wortes 3 , 5 und 7) unbetonte Züge stärker hervortreten lassen und aus ihrer Funktion im Rahmen der Ketzerpolemik herauslösen muß. Letzten Endes bleibt man jedoch in Aporien stecken, wenn man den Brief nicht von der Mitte des Neuen Testaments her mißt und kritisiert. Literatur Wissenschaftliche Kommentare: R. Knopf, Die Briefe Petri und Judä (MeyerK 12), '1912. - G. Wohlenberg, Der erste und zweite Petrusbrief und der Judasbrief (Kommentar zum NT, hrsg. von Th. Zahn, XV), '1923. - H. Windisch/H.Preisker, Die katholischen Briefe (Handbuch zum NT 15), »1951. - K.H.Schelkle, Die Petrusbriefe. Der Judasbrief (Herdes Theologischer Kommentar zum NT XIII, 2), *1964. Allgemeinverständliche Auslegungen: G. Hollmann und W. Bousset, Der Brief des Judas und der zweite Brief des Petrus (Schriften des NT III), '1917. - A. Schlatter, Erläuterungen zum NT 9, 1950. - F.Hauck, Die Kirchenbriefe (NTD 10), "1957. - J.Schneider, Die Kirchenbriefe (NTD 10), 101967. - ). Michl, Die katholischen Briefe (Regensburger NT 8), «1968. - G. Schiwy, Weg ins NT 4, 1970. - W. Grundmann, Der Brief des Judas und der zweite Petrusbrief (Theologischer Handkommentar zum NT 15), 1974. Untersuchungen: H. Werdermann, Die Irrlehrer des Jud. und 2. Petr., 1913. - E. Käsemann, Eine Apologie der urchristlichen Eschatologie, in: Exegetische Versuche und Besinnungen, I, «1970, S. 135-154. - W. Marxsen, Der „Frühkatholizismus" im NT, 1958. Ch.H. Talbert, II Peter and the Delay of Parousia, Vigiliae Christianae 20, 1966, S. 139-145. - T. Fordberg, An Early Church in a Pluralistic Society. A Study of 2 Peter, 1977.
2. Petrusbrief Briefeingang
(Absender,
Adressaten,
Gruß):
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1 Symeon Petrus, Knecht und Apostel Jesu Christi, an die, die einen dem unseren gleichwertigen Glauben zugeteilt erhalten haben durch die Gerechtigkeit unseres Gottes und Retters Jesus Christus. 2 Gnade und Friede werde euch reichlich zuteil durch Erkenntnis unseres Gottes und Herrn Jesus, 3 da seine göttliche Kraft uns ja alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit (führt), geschenkt hat durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat in seiner Herrlichkeit und Wundermacht, 4 wodurch uns die kostbaren und größten Verheißungen geschenkt worden sind, damit ihr durch sie Anteil an der göttlichen Natur bekommt, nachdem ihr der durch die Begierde in der Welt herrschenden Vergänglichkeit entflohen seid.
Der Brief beginnt mit der im Präskript üblichen Absender- und Empfängerangabe. Der Gruß dagegen ist ungewöhnlich ausgeweitet, da V . 3 - 4 offensichtlich unmittelbar an ihn anknüpfen (vgl. Ign. Philad. Praeskript).
2. Petr. 1,1-4: Briefeingang
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Der Verfasser nennt sich mit dem auch sonst im Neuen Testament vorkommenden 1 Doppelnamen, der eine Kombination von Eigen- und Ehrenname darstellt; anders als in der sonst üblichen Form Simon Petrus wird neben die griechische Ubersetzung des Beinamens Kephas (Petrus) der Eigenname Symeon in transkribierter Form gestellt, der für Petrus sonst nur noch Apg. 15,14 vorkommt. Diese altertümelnde Form soll wohl den Eindruck petrinischer Verfasserschaft verstärken. Auch die Kombination der beiden Titel „Knecht" (vgl. zu Jak. 1,1 und Jud. 1) und „Apostel" soll nicht Demuts- und Hoheitsbezeichnung gegeneinander ausbalancieren, sondern die besondere Ehren- und Autoritätsstellung des Verfassers herausstellen. Zwar erinnert die Kombination an Rom. 1,1 und Tit. 1,1, doch meint „Apostel" nun anders als bei Paulus den Augen- und Ohrenzeugen (vgl. V. 16-18). Statt einer konkreten Adresse findet sich dann eine dogmatische Charakterisierung der Leser: Sie sind solche, die durch Gott einen den Aposteln gleichwertigen Glauben erhalten haben; dabei bezieht sich die Gleichwertigkeit nicht auf dieselbe subjektive Intensität oder Ergriffenheit, die den Normaldiristen mit den Aposteln verbindet, sondern auf den objektiven Inhalt des Glaubens (vgl. zu Jud. 3 und 20). Glaube ist also hier im Sinn der Glaubenslehre zu verstehen, die in der Traditionskette nichts von ihrer Dignität und Integrität eingebüßt hat, sondern immer noch das gleiche dogmatische Gcwicht und denselben objektiven Wert hat wie in der apostolischen Zeit. Die göttliche „Zuteilung" bleibt dank apostolischer Vorsorge und vor allem dank göttlicher Gerechtigkeit unverändert; dieselbe göttliche Gerechtigkeit bewirkt, daß trotz der apostolischen Privilegien auch in den späteren Generationen niemand benachteiligt wird. Es ist dies die Gerechtigkeit Jesu Christi, der hier als „unser Gott und Retter" bezeichnet wird. Daß sich auch „unser Gott" auf Christus bezieht, ergibt sich aus dem gemeinsamen Artikel und den parallelen Wendungen in 1,11 und 3,11 (vgl. auch 3,2; 2,20; Joh. 20,28; Tit. 1,4; 2,13; Ign. Eph. praesc.). Der Titel „Retter" bzw. „Heiland" begegnet fast nur in jüngeren Schriften des Neuen Testaments (vgl. immerhin Phil. 3,20; in Jud. 25 u. ö. übrigens auf Gott bezogen), vielleicht darum, weil er auch eine geläufige Bezeichnung hellenistischer Heilsgötter (Asklepius, Serapis u. a.) war und auch im Herrscherkult eine Rolle spielte. Der erste Teil des Segenswunsches ist wohl in bewußter Angleichung an l.Petr. 2 1,2 gestaltet. Gnade wie Friede kommen im 2. Petr. nur noch je einmal vor (3,14.18), was den konventionellen Charakter bestätigt. Wichtig ist dem Verfasser dagegen, daß den Lesern beides durch das Mittel der „Erkenntnis" zukommt. Erkenntnis ist dabei aber nicht ein rein rationaler Vorgang, sondern impliziert eine ihr entsprechende Lebenshaltung (vgl. 1,3.8; 2,20 und 3,18, wo die Erkenntnis immer dasselbe Objekt hat: Christus, was eine gewisse formelhaft-orthodoxe Verwendung, aber wohl auch eine bewußte Konzentration auf das Entscheidende gegenüber den gnostischen Spekulationen anzeigt). Im Grunde ist das, was „erkannt" wird, identisch mit dem, was „gewußt" wird (1,12): die von den Aposteln überlieferte normative Glaubenswahrheit (vgl. „Erkenntnis der Wahrheit" J. Tim. 2,4; 2. Tim. 2,25; 3,7 u. ö.), die Christus als Herrn, Retter und Gott erschließt. Die Anerkennung dieser apostolisch-kirchlichen Lehrtradition unterscheidet den wahrhaft „Erkennenden" vom Gnostiker. Daß „Erkenntnis" für den Verfasser nicht eine
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2. Petr. 1 , 1 - 4 : B r i e f e i n g a n g
intellektuelle Theorie meint, unterscheidet ihn dagegen noch nicht von der Gnosis; das ist vielmehr nur insofern der Fall, als im Unterschied zu ihrer libertinistischen 3 Spielart auch an eine sittliche Lebensführung gedacht ist. Der Weg solchen Lebens ist ja geebnet, die Bedingung der Möglichkeit von „Leben und Frömmigkeit" gegeben, gottwohlgefälliges Verhalten also möglich (der hier und vor allem in den Pastoralbriefen für das fromme Leben stehende Begriff eusebeia steht in 3 , 1 8 im Plural und parallel zu „heiliger Lebensführung"). Nicht Leben und Frömmigkeit selbst sind geschenkt, sondern das ganze dazu notwendige Instrumentarium, vor allem die apostolische Tradition. Gegeben aber wurde es von „seiner göttlichen Kraft". Diese der griechischen Religiosität entsprechende unpersönliche Redeweise von der „göttlichen Kraft" ist mit Recht als theologisch bedenklich empfunden worden (vgl. auch die „göttliche Natur" in V. 4). Scheint hier doch ein göttliches Es, eine neutrische göttliche Potenz an die Stelle des personalen Christus zu treten und Verkündigung damit zur Weltanschauung zu werden (vgl. 4. Makk. 1 8 , 3 ; Apg. 1 7 , 2 9 ) . Diese göttliche Kraft hat sich als Wunderkraft manifestiert, und zwar in der himmlischen Herrlichkeit (vgl. V. 17) und übernatürlichen Qualität, die nach dem Vf. schon dem irdischen Jesus eigen war. Dieser Jesus, der also die Selbstbekundung Gottes in seiner Göttlichkeit und übermenschlichen Art ist - hier droht fraglos ein christologischer Doketismus! - und darum schon in V. 1 und 2 Gott genannt werden konnte, hat die Apostel zum Apostelamt „berufen". Anders als in den synoptischen Berufungsgeschichten ist dabei nicht sein machtvolles Wort das Entscheidende, 4 sondern seine göttliche Wundermacht. Seiner epiphanen Wundermacht sind auch die ein für allemal geschenkten „Verheißungen" zu verdanken. Diese sind vom Ziel des ganzen Briefes her eindeutig als Verheißungen der Parusie und der eschatologischen Vollendung zu verstehen (vgl. 3 , 4 . 9 . 1 2 f . ) . Durch das erstmalige Auftauchen dieser Verheißung werden hier gleichsam schon die eschatologischen Weichen gestellt: Das Zentralmoment der Christologie fehlt. Nicht daß Gott und sein Christus wirklich Herr werden und zu ihrem Recht kommen, steht im Mittelpunkt, sondern die Erfüllung menschlicher Hoffnung (vgl. V. 11), die hier mit den Kategorien hellenistischer Metaphysik interpretiert wird, insofern der Dualismus zwischen irdisch-materiellem, vergänglichem Sein einerseits und göttlich-geistigem, unvergänglichem Sein andererseits vorausgesetzt wird. Verheißen wird die Verwandlung in die „göttliche Natur" (Physis), also Vergottung, Anteilhabe an der Seligkeit und Unvergänglichkeit göttlichen Wesens. Zwar wird nicht gesagt, daß der Mensch von Natur aus bereits göttlichen Wesens oder gottverwandt ist (vgl. Apg. 17,28 f.), wie das die Religionen und die Religionsphilosophien behaupten; er ist nicht particula bzw. pars dei [Teil(chen) Gottes] wie in der pantheistischen Stoa oder mythologischen Gnosis. Gleichwohl liegt hier eine ziemliche Verschiebung der urchristlichen Eschatologie vor. Der Einfluß hellenistischen Geistes zeigt sich auch daran, daß Voraussetzung der Teilhabe an der „göttlichen Natur" die Flucht aus der Vergänglichkeit dieser Welt ist (vgl. Piaton Theaitetos 176 a. b, wonach die „Verähnlichung mit G o t t " die „Flucht" aus der sterblichen Natur ist, aber auch die Gnosis, die als Bedingung der „Vergöttlichung" ein „Fremdwerden gegenüber der Welt" verlangt [Corp. Herrn. XIII 1, vgl. I 2 8 ] , die ja „die Fülle der Schlechtigkeit" ist VI 4). Die Vergänglichkeit hat ihren Ort in der Welt (vgl. 2 , 2 0 ) und ihre Ursache in der Begierde und Sinnen-
2. Petr. 1,5-11: Mahnung zu tugendhaftem Leben
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lust (vgl. 1. Joh. 2,17). Die Gefangenschaft durch diese Sinnlichkeit und Sinnenwelt ist hier die eigentliche Sünde des Menschen, nicht seine Selbstbehauptung. Entsprechend bringt nicht Glaube, sondern Weltflucht und Askese dem Menschen Heil (vgl. auch 2,20).
1. Mahnung zu tugendhaftem Leben als der Eintrittsbedingung für das himmlische Reich (1,5-11) 5
Eben darum sollt ihr allen Eifer aufbieten und in eurem Glauben die Tugend darbieten, in der Tugend aber die Erkenntnis, * in der Erkenntnis die Selbstbeherrschung, in der Selbstbeherrschung die Standhaftigkeit, in der Standhaftigkeit die Frömmigkeit, 7 in der Frömmigkeit die Bruderliebe, in der Bruderliebe die Liebe. 8 Denn wenn diese Eigenschaften bei euch vorhanden sind und zunehmen, lassen sie euch nicht unbrauchbar und unfruchtbar in bezug auf die Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus. " Wem diese (Eigenschaften) nämlich fehlen, der ist blind und kurzsichtig und hat die Reinigung von seinen früheren Sünden vergessen. 10 Darum, Brüder, bemüht euch um so mehr, eure Berufung und Erwählung zu festigen. Denn wenn ihr das tut, werdet ihr (gewiß) nie mehr einen Fehltritt tun. 11 Denn so wird euch der Einzug in das ewige Reich unseres Herrn und Retters Jesus Christus reichhaltig ausgestaltet werden (oder: reichlich gewährt werden). In V. 5 ff. wird nun als Konsequenz der eschatologischen Zusage von V. 4 der in V. 3 genannte Weg zu Frömmigkeit und Leben konkretisiert. Dabei benutzt der Verfasser einen achtgliedrigen kettenartig ineinandergreifenden Tugendkatalog (V. 5-7). V. 8 f. umschreiben die Begründung und Bedeutung solcher religiös-sittlichen Lebensführung zunächst positiv (V. 8), dann negativ (V. 9). V. 10 folgt eine neue Mahnung, und V. 11 verheißt den Tugendhaften den glänzenden Einzug in das himmlische Reich. Angesichts der großen Verheißungen appelliert der Verfasser nun an die sittliche 5 Verantwortung der Leser. Die ethische Forderung ist also zwar eschatologisch motiviert, doch wird das gebotene Verhalten dadurch nicht wie bei Paulus oder im 1. Petrusbrief durch das schon zugesprochene Heil ermöglicht und begründet. Darauf weist auch das hier gebrauchte Wort „darbieten", das man eigentlich mit „durch eigenen Kostenaufwand herstellen" übersetzen müßte (vgl. im Unterschied dazu etwa die pneumatisch-charismatische Begründung des Tugendkatalogs in Gal.5, wo die „Tugenden" als „Früchte des Geistes" bezeichnet werden). Der Tugendkatalog selbst hat mit ähnlichen Aufzählungen gemeinsam, daß keine logische Ordnung und Systematik herrscht (vgl. zu 1. Petr. 3,8 und die dort genannten Parallelen). Allerdings fällt im Unterschied zu ähnlichen Katalogen auf, daß formal eine Kette vorliegt, in der das nächste Glied das letzte wieder aufnimmt, und daß inhaltlich vor allem Begriffe vorherrschen, die dem Ideal der hellenistischen Frömmigkeit entsprechen. Wie wenig man aber von einer Klimax sprechen darf, erhellt schon daraus, daß der bisherige Oberbegriff „Frömmigkeit" (V. 3) nun inmitten der anderen Glieder steht und auch die sonst übergeordnete „Tugend" hier koordiniert wird. Immerhin wird es nicht Zufall sein, daß die Kette mit dem Glauben beginnt und in der Liebe gipfelt (vgl. außer 1. Kor. 13,13 weiter Ign. Eph. 14,1: „der Anfang
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2. Petr. 1,5-11: Mahnung zu tugendhaftem Leben
der Glaube, das Ende die Liebe"; ähnlich Herrn. Vis. III 8,3-5; Sim. IX 15,2). Das heißt freilich nicht, daß auch der Verfasser selbst den Glauben als Grundkraft des neuen Lebens und die Liebe als seine Vollendung verstünde, zumal beide (abgesehen von der objektiven Fassung des Glaubens in V. 1) sonst im ganzen Brief überhaupt nicht mehr vorkommen. Viel eher könnte man sagen, daß der Verfasser zwischen die traditionellen Anfangs- und Endpunkte der Reihe das geschoben hat, was ihm wichtiger zu sein scheint; das gilt jedenfalls für Frömmigkeit und Erkenntnis. Nach dem Glauben, der hier den Glauben an die apostolischen Glaubenswahrheiten meinen wird (oder ist pistis mit „Treue" zu übersetzen, wie das in profanen Katalogen der Fall ist?), erscheint die Tugend, der zentrale Moralbegriff der Antike (im Neuen Testament nur noch Phil.4,8), das sich z.B. in den vier Kardinaltugenden entfaltende sittliche Gute schlechthin, Vollendung und Gipfelpunkt sittlicher Leistung. Danach erscheint die Erkenntnis, die hier zum dritten Mal genannt wird (vgl. V. 2 und 3), was ihre besondere Bedeutung unterstreicht; ihr Auftauchen in einem Tugendkatalog bestätigt, daß sie den intellektuellen Bereich übersteigt, auch wenn sie hier das sittliche Unterscheidungsvermögen einschließen wird (vgl. Phil. 1,9; Kol. 6 1,9 u. ö.). Der wahrhaft Erkennende ist im Unterschied zum libertinistischen Gnostiker auch der, der sich in Zucht nimmt. Selbstbeherrschung meint hier nicht speziell die sexuelle Askese, sondern allgemein die Selbstzucht (ebenso Apg. 24,25 ;Gal. 5,23; Tit. 1,8, an den letzten beiden Stellen ebenfalls im Rahmen eines Tugendkatalogs). Vor allem die Standhaftigkeit oder Geduld hat in den späteren Katalogen des Neuen Testaments einen bevorzugten Platz neben Glaube und Liebe (l.Tim. 6,11; 2. Tim. 3,10; Tit. 2,2); während Geduld bei Paulus und in der Joh.-Offb. vor allem das durch Hoffnung ermöglichte Ausharren in den Leiden und den Modus der Erwartung umschreibt (vgl. 2 . K o r . l , 6 ; Röm.8,25; O f f b . 2 , 2 f . 19; 13,10 u.ö.), erwächst sie hier wohl mehr aus der Selbstbeherrschung. Wer sich selbst in Zucht hält, ist auch geduldig. Er ist auch der wahrhaft Fromme. Frömmigkeit meint wie schon in V.3 nicht die kultische Verehrung oder ehrfurchtsvolle Scheu, sondern 7 das fromme Leben, die sittliche Übung der Frömmigkeit (vgl. 3,11). Diese aber zeigt sich innerhalb der Gemeinde als Bruderliebe (vgl. zu 1. Petr. 1,22; 3,8), hat aber dort wohl auch für den Verfasser nicht ihre Grenze, sondern mündet in der Liebe. Neben der Bruderliebe kann damit eigentlich nur die Liebe zu allen Menschen gemeint sein (vgl. zu l.Thess. 3,12; Gal. 6,10; Mt. 5,43ff.). 8 Die Praktizierung der genannten Tugenden bewirkt eine Zunahme der Erkenntnis. Damit ist klar, daß die sittliche Bewährung für den Verfasser Voraussetzung und Bedingung der Erkenntnis ist. Daß die Erkenntnis das Ergebnis der Tugend ist, steht freilich in Spannung zu anderen Aussagen des Briefes, wo die Erkenntnis nicht Ziel, sondern Grund des tugendhaften Lebens ist (vgl. 2,20 f.; 3,10f.). Wahrscheinlich darf man aber beides nicht allzu scharf fassen und gegeneinander ausspielen. Der Verfasser selbst wird den Widerspruch kaum als solchen empfunden haben. Man sollte freilich aus der Not auch keine Tugend und aus der Unlogik keine Zirkelstruktur machen. Mehr als dies, daß für den Verfasser irgendeine Wechselbeziehung zwischen Erkenntnis und Sittlichkeit bestanden haben wird, läßt sich nicht sagen. Dabei wird es ihm gegenüber den Häretikern vor allem auf die 9 Unablösbarkeit der Erkenntnis von anständiger Lebensführung ankommen. Wo die-
2. Petr. 1,12-21: Die Garantie christlicher Hoffnung
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ses sittliche Handeln und Vorankommen dagegen fehlt, liegt Blindheit und Kurzsichtigkeit vor, was natürlich im übertragenen Sinn die geistig-geistliche Verblendung als Gegensatz zur Erkenntnis meint (vgl. zum übetragenen Gebrauch von blind Mt. 15,14 par.; Joh.9,39ff.; Röm.2,19; Offb.3,17; l.Joh.2,11). Außerdem ist die Taufbegnadigung, das „Abwaschen" der vor der Taufe begangenen Sünden (vgl. 1. Kor. 6,11; Eph.5,26; Hebr. 1,3) vergessen. Die Taufe ist hier also primär als Schlußstrich unter die Vergangenheit und Verpflichtung für die Zukunft verstanden, nicht aber als Ausrüstung und Befähigung zum Praktizieren der geschenkten Freiheit zum Gehorsam. Weil nur die sittliche Bewährung Erkenntnis bewirkt und 10 Blindheit verhindert, sollen sich die Adressaten um so mehr anstrengen, ihre Berufung und Erwählung zu festigen. „Festigen" gehört offenbar zur Taufsprache (vgl. 2. Kor. 1,21), doch ist es jetzt nicht mehr der Herr, der „festmacht" (so außer 2. Kor. 1,21 auch 1. Kor. 1,8), sondern die Christen selbst werden nachdrücklich dazu ermahnt, durch ihre sittliche Anstrengung der Erwählung Festigkeit und Gültigkeit zu verleihen. Der Unterschied dieses problematischen Satzes zu anderen neutestamentlichen Aussagen kommt auch darin zum Ausdruck, daß hier „Berufung" und „ Erwähl ung" nicht mehr das große Prä Gottes betonen (Rom. 8,30 und 9,11); hier realisiert sich Erwählung auch nicht durch das Evangelium, so daß nur im Blick auf Gottes und nicht des Menschen Tun von ihr gesprochen werden kann (l.Thess. 1,4f.), sondern hier wird Gottes Tat durch des Menschen Tat überhaupt erst „fest". Bei solcher Kooperation in sittlicher Anstrengung wird nach Ansicht des Verfassers Sündlosigkeit erwirkt. Da sich das bis in die Terminologie hinein („fallen") mit Jak.3,2 stößt, hat man das „nicht fallen" entschärft, indem man es als „nicht ins Unglück geraten" verstand (darum geht es in diesem Zusammenhang aber gar nicht) oder als „auf dem Weg ins Himmelreich nicht fallen". Aber die Übersetzung der Vulgata (peccabitis) wird durch Jak. 2,10 und 3,2 voll gerechtfertigt. Nur denen, die sich so bewähren, wird ein glorreicher Einzug in das Reich 11 Christi zuteil. Der Verfasser scheint im Unterschied zu 1. Kor. 15,24, wo Christus am Ende die Herrschaft dem Vater übergibt, mit einer ewigen Dauer des Reiches Christi zu rechnen (vgl. Dan. 7,14.27; Lk. 1,33). Der ganze Abschnitt zielt also darauf, die Christen an ihre sittliche Pflicht und Schuldigkeit zu erinnern, weil nur eine verantwortungsbewußte Lebenseinstellung, die den genannten Forderungen nachkommt, den triumphalen Einzug in das eschatologische Reich Christi verbürgt. 2. Die Garantie christlicher Hoffnung
(1,12-21)
Darum beabsichtige ich, euch immer an diese Dinge zu erinnern, obwohl ihr darum wißt und in der vorhandenen Wahrheit gefestigt seid. 13 Ich halte es aber für recht, solange ich in diesem Zelte lebe, euch durch Erinnerung wachzuhalten;14 denn ich weiß, daß der Abbruch meines Zeltes schnell erfolgen wird, wie auch unser Herr Jesus Christus mir geoffenbart hat. 16 Ich bin aber bestrebt, daß es euch auch nach meinem Hingang jederzeit möglich ist, euch dieser Dinge zu erinnern. 18 Denn wir sind nicht ausgeklügelten Mythen gefolgt, als wir euch die Macht und Parusie unseres Herrn Jesus Christus kundgetan haben, sondern wir sind eingeweihte Zeugen seiner Majestät gewesen. 17 Denn wie er von Gott dem Vater Ehre und Herrlichkeit empfing, als von der hocherhabenen Herrlichkeit diese Stimme an ihn erging: „Mein geliebter Sohn ist dieser, auf den ich mein Wohlgefallen gelegt habe" 12
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2. Petr. 1,12-21: Die Garantie christlicher Hoffnung
1 8 und diese Stimme haben wir vom Himmel her daherfahren hören, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren. " Und wir haben um so zuverlässiger das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, darauf zu achten als auf ein Licht, das an finsterem Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen. 20 Das erkennt in erster Linie, daß keine Weissagung der Schrift eine eigenmächtige Auslegung zuläßt. 8 1 Denn niemals ist eine Weissagung durch menschlichen Willen zustande gekommen, sondern vom heiligen Geist getrieben haben Menschen von Gott gesprochen.
Mit V. 12 kommt der Verfasser zum eigentlichen Zweck seines Briefes, die Zuverlässigkeit der christlichen Hoffnung zu garantieren. Dabei wird in diesem Abschnitt die Fiktion apostolischer Verfasserschaft besonders stark verfochten und als ein wesentliches Moment in die Argumentation eingebaut. Zwar beginnt der Abschnitt mit einem allgemeinen Appell an das Wissen der Leser (V. 12), doch die nächsten Verse werden als Testament des Petrus ausgegeben, der kurz vor seinem T o d Vorsorge trifft, daß der Gemeinde auch nach seinem T o d eine zuverlässige Basis ihrer Hoffnung bleibt (V. 13-15). Die Glaubwürdigkeit der eschatologischen Verkündigung der Apostel beruht auf ihrer Augenzeugenschaft, die für die als Parallele zur Parusie verstandene Verklärung einsteht (V. 16-18). Aus dieser teilweisen Erfüllung folgt die Bedeutung des prophetischen Wortes (V. 19), von dessen rechter Auslegung dann V. 20-21 handeln. 12
Weil es der ganzen Anstrengung der Christen bedarf, das eschatologische Ziel zu erreichen, will der Verfasser nicht nachlassen, die Leser zu „erinnern" (vgl. dazu Jud. 5 und 17). Audi daß die Leser längst das notwendige Wissen besitzen, hat schon Judas 5 gesagt (vgl. die dort genannten Parallelen), soll aber möglicherweise auch an den l.Petr. erinnern (vgl. 3 , 1 ) . Wichtiger ist dem Verfasser aber, daß sie bei der definitiv formulierten und von den Aposteln überlieferten Lehre verharren. Daß „gefestigt sein" in diesem Sinn zu verstehen ist, lehrt deutlich 3 , 1 7 (vgl. auch 3 , 1 6 und vielleicht 2 , 1 4 , wo das negative „ungefestigt" ebenfalls mit Bezug auf die rechte Lehre gebraucht wird). Die „vorhandene Wahrheit" ist wie der „ein für allemal überlieferte Glaube" von Jud. 3 die in der apostolischen Tradition vorliegende normative Glaubenswahrheit (vgl. 1. Tim. 6 , 5 ; 2 . T i m . 2 , 1 8 ; Tit. 1,14), über die die Kirche verfügen kann und die im Gegensatz steht zu den selbsterdachten Mythen 13 von V. 16. Die Leser durch Erinnerung an dieses apostolische Glaubensgut wachzuhalten, wird der angebliche „Petrus" um so mehr veranlaßt, als er um seinen baldigen Tod weiß. Die als apostolisches Vermächtnis ausgegebene letztwillige Verfügung des „Petrus", für die es zahlreiche Parallelen gibt (vgl. Josephus Altertümer IV 8 , 2 ; syr. Bar. 7 8 , 5 ; 8 4 , 1 ; Ass. Mos. 1,15 ff.; slav. Hen. 55 u. ä.), soll dem Brief offenbar besonderes Gewicht verleihen. Der T o d selbst ist dabei vorgestellt als Abbruch (eigentlich: „Ablegen", so daß hier an ein Kleid gedacht wäre; ähnliche Vermischung der Bilder 2. Kor. 5 , 2 ) des als Leib zu verstehenden Zeltes (vgl. Jes. 3 8 , 1 2 ; Weish. 9 , 1 5 ; 2. Kor. 5 , 4 ; Corp. Herrn. XIII 15). Im Unterschied zu 2. Kor. 5 hören wir nichts von einer Furcht vor Leiblosigkeit, was wohl auch damit zusammenhängt, daß die griechisch-hellenistische Lehre im Hintergrund steht, nach der die
14 Seele den vergänglichen Leib verläßt. Der Verfasser spricht vom „baldigen" Tod. Davon weiß er nicht nur aus der Ankündigung des Herrn, wie das „auch" zeigt. In
2. Petr. 1,12-21: Die Garantie christlicher Hoffnung
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den Kommentaren wird hier oft von Vorahnungen, prophetischem Ahnungsvermögen oder vom Greisenalter gesprochen, was aber rein spekulativ bleibt. Immerhin liegt der ganzen Fiktion entsprechend eine „übernatürliche" Erklärung näher (vgl. auch Apg. 20,25 ; 2. Tim. 4,6), was auch die „Offenbarung" durch den Herrn bestätigt (vgl. Test. Levi 1,2). Manche erinnern an Joh. 21,18 f., wo Petrus offenbar für das Alter der Märtyrertod angekündigt wird. Das Entscheidende, nämlich der „baldige" Tod, ist aber von dieser Szene her, die sich ja unmittelbar nach Ostern abspielen soll, nicht zu erklären. Also soll man wohl an eine besondere Vision oder Offenbarung des „Petrus" denken (vgl. Apg. 21,11; Martyrium Polyk. V 2). Jeden- 15 falls soll auch nach seinem Tod (wörtl.: Exodus, Fortgang; vgl. Lk. 9,31; Weish. 3,2; 7,6) den Lesern zu jeder Zeit der Rückgriff auf den vorliegenden Brief als schriftliche Hinterlassenschaft möglich sein. Die Kontinuität und Tradition soll nicht allein durch mündliche Weitergabe, sondern durch schriftliche Fixierung gesichert werden. Den Wert und die Bedeutung des vom Apostel schriftlich hinter- 16 legten Glaubensgutes begründet V. 16: Inhalt der apostolischen Verkündigung und Lehren („wir" bezieht sich auf alle Apostel, vgl. V. 1) waren nicht „ausgeklügelte Mythen". Der Sinn dieses Ausdrucks ist nicht eindeutig. Wenn das als Antithese gegen die gnostische Irrlehre verstanden werden soll, wären die Mythen das Gegenteil der authentischen kirchlichen Wahrheit, also häretische Lehren. Man könnte dann an ähnliche Vorwürfe der Pastoralbriefe erinnern (vgl. 1. Tim. 1,4; 4,7; 2. Tim. 4,4; Tit. 1,14), wo von „endlosen Genealogien", d. h. gnostischen Äonenund Emanationsspekulationen die Rede ist, die den Ursprung von Welt und Mensch, von Heil und Unheil erklären sollen. Vom Inhalt der genuinen apostolischen „Kundgabe" her könnte man aber auch an christologische oder eschatologische Irrlehren denken. Endlich ist nicht auszuschließen, daß die Häretiker selbst die kirchliche Eschatologie und Evangelientradition wie die Verklärung als „Mythen" zu disqualifizieren suchten. Die Polemik der Pastoralbriefe scheint aber ebenso wie 2,3 mehr dafür zu sprechen, daß der Verfasser selbst Häresien als Fabeln attackiert, die sich die Häretiker selbst ausgedacht haben. Anders als die erdichteten Mythen haben die Apostel „die Macht und Parusie unseres Herrn Jesus Christus" sicher bezeugt. Auch das damit Gemeinte ist nicht klar erkennbar. Ist an die „göttliche Macht" Jesu gedacht, die auf Erden z. B. in seinen Wundern manifest geworden ist? Dafür spräche außer V. 3 auch, daß im folgenden von der Verklärung Jesu berichtet wird und „Majestät" am Schluß von V. 16 etwas Ähnliches meint wie „göttliche Macht" oder „Ehre und Herrlichkeit" (V. 17). Entsprechend würde dann auch „Parusie" abweichend vom sonstigen Neuen Testament nicht die Ankunft, Macht und Glorie am Ende der Tage sein (vgl. Mt. 24,3.27; 1. Thess. 4,15; 5,23; Jak. 5 , 7 f . u. ö.), sondern die „Parusie" im Fleisch (so später Ign. Philad. 9,2 u. a.). Das ist vom hellen istischen Sprachgebrauch her, wo parousia ein sakraler Begriff ist und die Epiphanie eines Gottes oder göttlichen Herrschers meint, durchaus möglich. Schwierig bleibt freilich, daß der Verfasser in 3,4.12 Parusie im üblichen Sinn verwendet. Wahrscheinlich liegt bewußte Doppeldeutigkeit vor. Die breite Entfaltung der Verklärung Jesu soll offensichtlich die Zuverlässigkeit seiner eschatologischen Parusie gewährleisten. So wie damals auf Erden seine göttliche Herrlichkeit (vgl. Mk. 9,3) und Natur sichtbar wurde, so wird sie es am Ende der Tage werden und
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2. Petr. 1,12-21: Die Garantie christlicher Hoffnung
den Christen an ihr Anteil gewähren (vgl. 3 f.). Die erste „Parusie" antizipiert und garantiert die zweite. Diese erste aber ist nach Meinung des Verfassers sicher bezeugt, weil von den Aposteln, die dieser mysterienhaften Schau als Augen- und 17.18 Ohrenzeugen (vgl. Lk. 1,2) gewürdigt wurden, unbezweifelbar überliefert. Damals ist der einst Wiederkommende vor ihren Augen auf dem „heiligen Berg" (vgl. Ps. 2,6; anders Mk. 9 , 2 . 9 par.) verherrlicht worden (Mk. 9 , 2 ff. par.). Obwohl im Unterschied zur synoptischen Verklärungsgeschichte die dabei ergehende Stimme nicht aus den Wolken (Mk. 9 , 7 par.), sondern vom Himmel erschallt, „von der hocherhabenen Herrlichkeit" (vgl. l . K l e m . 9,2) bzw. „vom H i m m e l " (V. 18), ihr göttlicher Ursprung also verstärkt zum Ausdruck gebracht wird, ist in der Stimme selbst das entscheidende „den sollt ihr hören" ausgelassen. Im Mittelpunkt des Interesses steht nicht das Hören auf den Christus, sondern die Tatsache, d a ß die Apostel selbst die Gottesstimme gehört haben und ihre Tradition d a r u m letztlich himmlischer Herkunft ist. Bei der im Anschluß an Mt. 17,5 (gegenüber Mk. 9,7 ist hier das aus der Taufgeschichte stammende „an dem ich Wohlgefallen gefunden habe" hinzugefügt) formulierten Himmelsstimme ist wohl nicht an Adoption zu denken, sondern an eine feierliche Bestätigung der wesenhaften Gottessohnschaft. Warum der Verfasser nicht statt der Verklärungsgeschichte die Auferstehung Jesu erwähnt, läßt sich nicht sicher sagen. Vielleicht, weil der Verfasser noch wußte, daß diese ursprünglich nicht als singuläres Faktum, sondern als Beginn der allgemeinen Totenauferstehung verstanden wurde und mit der nahen Parusie enger zusammenhing, als ihm lieb sein konnte; vielleicht, weil sich an ihr eher die Auferstehung des Leibes als die vom Verfasser verheißene Teilhabe an der „göttlichen N a t u r " demonstrieren ließ; vielleicht, weil sie von den Gnostikern oft enthusiastisch mißverstanden wurde (vgl. 1. Kor. 15) oder sich die Gegner selbst auf Visionen und Offenbarungen des Auferstandenen beriefen, während die Teilnahme an der Verklärung das Privileg der apostolischen Autoritäten war; vielleicht, weil er die Verklärungsgeschichte noch als Ostergeschichte kannte. 19 Weil die Verklärung also eine Vorwegnahme und Garantie der Parusie ist und die Apostel als Augen- und Ohrenzeugen die schon teilweise geschehene Erfüllung der alttestamentlichen Prophetie (vgl. 2,16; 3,2) verbürgen, hat das „prophetische W o r t " nun um so größere Zuverlässigkeit gewonnen. Subjekt des „Habens" sind auch weiterhin die Apostel (das apostolische „wir" wird erst im nächsten Satz vom „ihr" der Gemeinde abgelöst). Natürlich ist dadurch, d a ß den Aposteln die Prophetie noch glaubwürdiger geworden ist, in abgeleiteter Weise auch der Gemeinde eine bessere Vertrauensbasis geschenkt. Die Glaubwürdigkeit der Schrift beruht nach Meinung des Verfassers nicht so sehr auf ihrer Selbstevidenz oder auf der Selbstidentifizierung Gottes mit dem Christus im Christusereignis oder der Verkündigung, sondern auf der von den Aposteln verbürgten Tradition. Dieses durch die Apostel in ihrer Zuverlässigkeit verstärkte W o r t ist wie ein Licht an einem finsteren Ort. Aus den Parallelen zu diesem Bild (vgl. Sir. 4 8 , 1 ; 4.Esr. 12,42; T h e o p h . A u t o l . i l 13) folgt, d a ß der finstere O r t die gegenwärtige Welt ist (vgl. auch l . T h e s s . 5 , 4 f . ) . In ihr vermag das prophetische W o r t allein Licht zu verbreiten, bis der eschatologische „Tag" anbricht (vgl. R o m . 13,12 u. ö.). Schwierig ist das „Aufgehen des Morgensterns in den Herzen", nicht weil das Bild nicht ganz stimmig
2. Petr. 1 , 1 2 - 2 1 : D i e G a r a n t i e christlicher H o f f n u n g
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ist (der Morgenstern geht ja schon vor der Dämmerung auf), sondern sachlich. Wahrscheinlich ist „Morgenstern" ursprünglich ein Bild für den wiederkommenden Christus (vgl.4.Mose24,17; D a m . 7 , 1 8 f . ; Offb.22,16; Ign.Eph. 19,2). Ist hier die ursprünglich kosmische Dimension der Parusie psychologisch umgebogen und individualistisch verengt? Dies wird sich trotz des Festhaltens an der Parusieerwartung kaum bestreiten lassen. Zwar ist sicherlich nicht an den Tag der Bekehrung gedacht (dann verlöre die Befristung „bis" ihren Sinn), wohl aber liegt der ganze Akzent dieser eschatologischen Erwartung auf der Erleuchtung der Herzen, also auf der individuellen Bedeutung der Parusie. V . 2 0 warnt vor einer „eigenen Auslegung" der Schriftprophetie. Wie schon für 20 den Verfasser des l.Petr. (vgl. zu 1. Petr. 1,10), so ist auch für den Verfasser des 2. Petr. Prophetie eo ipso alttestamentliche Prophetie; außerdem scheint ihm das ganze Alte Testament zur Prophetie geworden zu sein. Die Eigenmächtigkeit und Verkehrtheit solcher unbefugten Auslegung kann nach V. 21, wo die Prophetie auf Inspiration zurückgeführt wird, nur darin bestehen, daß sie nicht vom Geist gewirkt ist. Was vom Geist stammt, kann auch nur vom Geist recht verstanden und recht ausgelegt werden. Aber mit dem Hinweis auf den Geist und die Authentizität der von ihm stammenden Auslegung ist keinerlei Eindeutigkeit gewonnen, da vermutlich auch die Gegner nicht bestreiten würden, daß es Auslegung mit dem Geist zu tun hat. Gerade die Gnostiker waren ja der Meinung, daß der Schrift ein geheimer Sinn zugrunde liegt, der nur von Eingeweihten entschlüsselt werden kann. Man darf annehmen, daß auch der Verfasser darum weiß, daß die Gegner sich auf den Geist beriefen und als Pneumatiker verstanden (vgl. zu Jud. 19). Dann wird man so zu verstehen haben, daß den Irrlehrern auch hier der Geist abgesprochen werden soll (vgl. auch 2,1: Pseudopropheten und -lehrer). Damit aber kann auch ihre Schriftauslegung nur eigenmächtige Spekulation sein, die nicht auf den Geist zurückgeht. Eine andere Frage ist, ob damit alle Glieder der rechtgläubigen Gemeinde den Geist besitzen, der zur Auslegung befugt. Von einem kirchlichen Lehramt im späteren Sinn ist zwar noch nicht die Rede, wohl aber hat der Verfasser eine durch die Apostel und ihre Tradition autorisierte und durch die Kirche und ihre Rechtgläubigkeit domestizierte Interpretation im Auge. Auch von der theologischen Ausrichtung des Briefes her ist es wahrscheinlich, daß hier der Geist an die apostolische Tradition gebunden wird, also nur eine in Kontinuität zur apostolischen Überlieferung stehende Kirche die rechte Auslegung verbürgen kann. So wie sich die „Gleichwertigkeit" der Glaubenswahrheit an der Apostolizität bemißt (V. 1), so stellt auch für die richtige Deutung der von den Aposteln in ihrer Glaubwürdigkeit garantierten Prophetie (V. 19) die Apostolizität das entscheidende Regulativ dar. „Heilige Apostel" (Eph. 3,5) und „heiliger Geist" gehören für diese Zeit untrennbar zusammen (vgl. Apg. 5 , 3 2 und 15,28!). Weil allein Gott und sein Geist Prophetie wirken, 21 kann auch die rechte Deutung nur von ihnen kommen. Weder die Entstehung (wahrscheinlich soll damit gegenwärtige Prophetie diskreditiert werden, vgl. 2,1) noch die Auslegung der Prophetie gehen auf menschlichen Willen und menschliches Vermögen zurück (für diese Inspirationslehre, die die ganze Schrift auf das Diktat des Heiligen Geistes zurückführt, gibt es zahlreiche Parallelen in Judentum und Hellenismus, im Alten und Neuen Testament; vgl. Jer. 23,16; Ez. 13,3; Mk. 12,36;
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2. Petr.2,1-13 a: Drohendes Strafgericht über gottloses Treiben
2. Tim. 3,16). Geist, Prophetie, Schrift und Auslegung gehören zusammen, und der Schlüssel zu allem sowie die Norm für alles ist die apostolische Lehrtradition. 3. Das drohende
Strafgericht
über das gottlose
Treiben
der Irrlehrer
(2,1-13
a)
1 Es sind aber auch falsche Propheten im Volk aufgetreten, wie es auch unter euch falsche Lehrer geben wird, die heimlich verderbliche Sonderlehren (oder: Spaltungen) einführen werden, den Herrn, der sie erkauft hat, verleugnen und rasches Verderben über sich heraufführen. 2 Und viele werden ihren Ausschweifungen folgen, um deretwegen der Weg der Wahrheit gelästert werden wird. * Und in (ihrer) Habgier werden sie euch mit erdichteten Worten kaufen. Das Gericht über sie stockt seit jeher nicht, und ihr Verderben schlummert nicht. 4 Denn wenn Gott nicht (einmal) Engel, die in Sünde fielen, nicht verschont, sondern sie in finstere Höhlen des Tartarus ( = der Hölle) hinabgestoßen und sie so verwahrt dem Gericht überantwortet h a t ; 6 und wenn er die alte Welt nicht verschont, sondern (nur) Noah, den Prediger der Gerechtigkeit, als achten (d. h. mit sieben anderen) bewahrt hat, als er die Sintflut über die Welt der Gottlosen brachte; ® und wenn er die Städte von Sodom und Gomorrha eingeäschert und zum Untergang verurteilt hat und sie dadurch als (warnendes) Beispiel für künftige Gottlose hingestellt h a t ; 7 und wenn er den gerechten Lot, der von dem ausschweifenden Lebenswandel der Frevler zermürbt, errettet hat, - 8 denn durch Sehen und Hören fühlte der Gerechte, der unter ihnen wohnte, T a g für T a g durch die gesetzwidrigen Werke seine gerechte Seele gefoltert - , • so weiß der Herr Fromme aus der Versuchung zu erretten, Ungerechte aber für den Tag des Gerichts unter Züchtigung aufzubewahren, 1 0 vor allem diejenigen, die in Gier nach Befleckimg hinter dem Fleisch her sind und die Herrschermacht verachten. Anmaßende Frechlinge, die nicht davor zurückscheuen, Herrlichkeits(engel) zu lästern, 1 1 wo doch Engel, größer an Kraft und Macht, kein lästerndes Urteil gegen sie beim Herrn vorbringen. l i Diese aber, wie vernunftlose Tiere, die als Naturwesen dazu geboren sind, gefangen zu werden und umzukommen, lästern da, wo sie nichts verstehen, und werden im Verderben jener auch verderben, 13 gestraft mit dem Lohn für (ihre) Ungerechtigkeit.
Vers 2: ]es.S2,S;
Vers 4: 1. Mose6.1-*;
Vers 5: l.Mose8,18;
Vers 6: 1. Moie 19,24 f.
Während in Kapitel 1 die Irrlehrer nur andeutungsweise und indirekt im Blick waren und nur spärliche Belege für die Benutzung des Judasbriefes vorlagen, nimmt der Verfasser sich jetzt mit großer Ausführlichkeit und Schärfe der Häretiker an, und zwar in deutlicher Abhängigkeit von Sprache und Gedankengang der Irrlehrerpolemik des Judasbriefes. Dabei versucht er zunächst den Eindruck zu erwecken, als ob er, der angebliche Petrus, das Auftreten der Häretiker geweissagt habe (V. 1-3). Darauf bringt er in geschichtlicher Reihenfolge drei alttestamentliche Strafbeispiele (V. 4-6) und nach dem Fall des schon in V. 5 erwähnten Noah ein weiteres Beispiel für die Rettung der Gerechten (V. 7f.), um dann mit einer allgemeingültigen Deutung daraus das Fazit zu ziehen (V. 9). V. 10-12 charakterisieren die Häretiker als libertinistische und blasphemische Frechlinge, denen Gottes Strafgericht droht. 1
Obschon der Weissagungscharakter der Irrlehrerdrohung nicht durchgehalten wird, beginnt der Verfasser zunächst im Stil der Weissagung und bezeichnet die Irrlehrer vom Standpunkt des „Petrus" aus als zukünftige. Dabei scheint ihm die vorhergehende Frage nach der rechten Auslegung der Prophetie der geeignete Ort
2. Petr. 2,1-13 a: Drohendes Strafgericht über gottloses Treiben
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zur Abrechnung mit den Pseudopropheten. Freilich spricht er nur für die alttestamentliche Zeit von Pseudopropheten (vgl. zu den falschen Propheten des Alten Testaments etwa 1. Kön. 22; Jes. 28,7ff.; Jer. 28-29; Ez. 13; Mi. 3; 5. Mose 13, 2 ff.), während er im Unterschied dazu (vgl. zu 1,20) für die Kirche Pseudolehrer ankündigt (anders M t . 2 4 , 1 1 ; Offb.16,13; 19,20; l . J o h . 4 , 1 ; Did. 11,3ff.). Wie die Kirche keine christlichen Propheten mehr kennt (vgl. dagegen z. B. 1. Kor. 12 und 14), so gibt es auch keine Pseudopropheten, sondern Nachfolger der falschen Propheten des Alten Bundes sind die „Pseudo- bzw. Irrlehrer". Da das keine gängige Etikettierung war (Pseudolehrer kommt nur hier im Neuen Testament vor), läßt sich daraus wohl schließen, daß sie nicht nur eine bestimmte verwerfliche Praxis befolgten, sondern solche auch „lehrten" (vgl. Offb. 2 , 1 4 f . 20). Als erstes wird den künftigen Irrlehrern vorgeworfen, daß sie verderbliche „Hairesien" einschmuggeln werden. Damit ist nicht neutral eine Schule, Schulrichtung oder Partei gemeint (so Apg. 5,17; 15,5; 26,5), sondern entweder falsche Lehrmeinungen, Sonderlehren, also Häresien und Sekten (vgl. Ign. Eph. 6,2; Trall. 6,2) oder aber Spaltungen (vgl. 1. Kor. 11,18 f. und 1,10ff.). Beides würde zu Gnostikern passen. Der zweite Vorwurf, daß sie den „Gebieter" verachten werden, entspricht Jud. 4 (vgl. dort), doch ist im Unterschied zu Jud. 4 bei „Gebieter" eindeutig nur an Christus gedacht. Er ist der, der sie „erkauft" und zu seinem Eigentum gemacht hat. Das ist weniger eine Heilsaussage (vgl. zur Vorstellung des „Freikaufens" 1. Kor. 6,20; 7,23; Offb.5,9) als eine Verschärfung des Vorwurfs. Darum werden sie in Bälde das ewige Verderben über sich bringen, wenn das eschatologische Verdammungsurteil über alle Häretiker gesprochen werden wird. Trotzdem werden sie viele 2 Anhänger finden. Nach der Vorstellung des Verfassers sind es offenbar nicht die falschen Lehren, die den meisten Eindruck machen und Anklang finden, sondern das ausschweifende und hemmungslose Leben der Irrlehrer (vgl. V. 7 . 1 0 . 1 4 . 1 8 ) . „Der Weg der Wahrheit" aber (vgl. dazu außer Ps. 119,30; Jubil. 2 3 , 2 1 ; Weish. 5 , 6 u. ö. auch V. 21), das heißt wohl: die rechtgläubige, in der apostolischen Glaubenstradition verharrende (zu diesem Verständnis von „Wahrheit" vgl. 1,12) Kirche, wird um der der Häresie zuneigenden Christen willen gelästert. Diese Lästerung geschieht wohl nicht durch Außenstehende, die der Kirche, weil sie sich nicht deutlich genug von den Irrlehrern distanziert hat, die Sünden der Häretiker nun selbst aufs Konto setzen (vgl. Rom. 2 , 2 4 ; Tit. 2,5). Vielmehr geschieht sie eben durch die Irrlehrer selbst, die sich durch ihren Anhang, der sich aus den Reihen der abfallenden Christen rekrutiert, veranlaßt sehen, die Kirche zu verhöhnen und ihre Wahrheit zu verleumden (vgl. Jud. 8 und 10 und 2. Petr. 2,10). In Wahrheit ist das Frevel gegen Gott. Irrlehre ist also Blasphemie, ist Rebellion gegen Gott und die Kirche. Ihre Worte sind freilich erdichtet, gefälscht, erlogen. Ob damit ihre Offenbarungen 3 und Lehren gemeint sind, mit denen sie ihren Libertinismus begründen (vgl. Jud. 8), oder aber ihre mythologischen Spekulationen (vgl. 1,16) oder andere Abweichungen wie Engellästerungen o. ä., läßt sich nicht sagen. Am besten denkt man sowohl an ihre Mythen und Lehren als auch an ihr libertinistisches Programm. Beides aber predigen sie nach Meinung des Verfassers, um die Gemeinden auszunehmen und ihre Taschen zu füllen (zur Habgier als einem typischen Vorwurf gegen Irrlehrer vgl. außer der Einleitung zum Jud. und zu Jud. 11 und 16 auch 2. Petr. 2,14.15).
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Es folgt eine Gerichtsdrohung (vgl. V. 1): Dabei ist primär nicht an ein immer schon latent wirksames Gericht gedacht, sondern daran, d a ß das geradezu personifiziert vorgestellte (zum Nicht-Schlummern Gottes vgl. Ps. 121,4) endgültige Verderben unaufhaltsam näher kommt und die Irrlehrer treffen wird. Für das Gericht, das an den Irrlehrern vergleichbaren Leuten vollzogen wurde, folgen nun wie im Judasbrief drei alttestamentliche Beispiele: Engelfall (V. 4), Sintflut (V. 5) und Sodom und Gomorrha (V. 6). Wie schon gezeigt, ändert der 2. Petr. gegenüber Judas die Reihenfolge und bringt vielleicht unter Einfluß von 1. Petr. 3,20 anstelle des Untergangs des Wüstengeschlechts das Beispiel der Sintflut: Als erstes Beispiel in der historischen Abfolge erscheint der Fall der Engel (vgl. die Parallelen zu Jud.6). Im Unterschied zu J u d . 6 wird ihre Sünde nur angedeutet. Die Ausmalung der Strafe dagegen verrät wie Jud. 6 Kenntnis apokrypher Uberlieferungen, obschon der Verfasser das zu verbergen sucht. Statt von Aufbewahrung mit „ewigen Fesseln in Finsternis" spricht er von „finsteren Höhlen" in der Unterwelt, in die die gefallenen Engel verbannt sind (vgl. die zu Jud. 6 genannten Stellen aus äth. Hen., vor allem 22,2f.). Dabei identifiziert er im Anschluß an apokalyptische Vorbilder (vgl. äth. Hen. 20,2; Sib. IV185) den unterirdischen Strafort der Engel mit dem Tartaros, der bei den Griechen als unterirdischer Strafort der Toten gilt. Entscheidend ist, daß selbst Engel von Gott „nicht verschont" worden sind. Als zweites Beispiel führt der Verfasser nun neu die Sintflut ein (1. Mose 7; äth. Hen. 65; 1. Petr. 3,20; Jud. 5 u. ö.), auf die er auch in 3 , 6 noch einmal zu sprechen kommt. Gott hat auch die „alte Welt nicht verschont". Dabei gingen mit der „alten Welt" nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Himmel und Erde unter; d. h. die Sintflut wird hier als Weltkatastrophe kosmischen Ausmaßes verstanden, so d a ß die nachnoachitische Welt bereits die zweite ist (vgl. weiter zu 3,6). Der universale Weltuntergang demonstriert freilich zugleich Gottes Gerechtigkeit, insofern alle Gottlosen zugrunde gingen, aber der gerechte N o a h zusammen mit sieben anderen errettet wurde (1. Mose 7,1; 8,18; Weish. 10,4; Sir. 44,17; 4. Esr. 3,11; äth. Hen. 6 5 , l l f . ; 106,18; slav. Hen. 35,1; Jub. 5,19; 1. Petr. 3,20). „Prediger der Gerechtigkeit" ist N o a h erst in jüdischen Schriften (Jub. 7,20 ff.; Sib. 1128 f. 150 ff.; vgl. auch 1. Klem. 7 , 6 ; 9,4). Als letztes Beispiel wird das Schicksal von Sodom und G o m o r r h a erwähnt (vgl. die Parallelen zu Jud. 7), ohne daß wie in Jud. 7 der Grund des Feuergerichts angegeben wird. Statt von „ewigem Feuer" (Jud. 7) spricht der Verfasser wie Philo von „Einäscherung" der Frevelstädte, die als ein von Gott gesetztes M a h n m a l und warnendes Beispiel für alle Gottlosen der Z u k u n f t zu verstehen ist. Ebenso wichtig wie die damit intendierte Abschreckung ist jedoch die dabei gleichzeitig sichtbar gewordene Rettungsmöglichkeit für Gerechte. So wie N o a h der Sintflut entkam, wurde auch der gerechte Lot von Gott aus dem Strafgericht aus Sodom und Gomorrha errettet, was V. 7 breit ausführt. W ä h r e n d die Sagen im 1. Buch M o s e eher ein zwiespältiges Bild von Lot vermitteln u n d die Rabbinen in Lot großenteils gar einen Gottlosen u n d Gottesverräter sahen (vgl. auch Jub. 16,8 f.), wird Lot in Weish. 10,6 als Gerechter bezeichnet u n d in eine Reihe mit N o a h , Abraham u . a . gestellt (vgl. 1. Klem. 11,1). Dies Urteil ist nach dem Verfasser u m so berechtigter, als Lot das sittenlose Treiben der Sodomiter mit ansehen mußte u n d unter ihrer ausschweifen-
8 den Lebensführung innerlich litt (vgl. l . M o s e l 9 , 4 f f . ) . Die Parenthese in V . 8 be-
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gründet verallgemeinernd die Seelenqualen des Gerechten, die er inmitten einer verderbten Umwelt Tag für Tag auszustehen hatte, wenn er ihr gesetzloses Tun sehen und hören mußte. Indirekt ist damit auch die Gefahr der Infektion durch das Zusammenleben mit Libertinisten angesprochen (vgl. 1. Kor. 15,33), die der nächste Vers mit dem Stichwort „Versuchung" aufnimmt. V. 9 zieht aus V. 4-8 in Form einer 9 allgemeingültigen Wahrheit die doppelte Konsequenz: der Herr vermag Gottesfürchtige aus der Versuchung zu erretten, Ungerechte aber bewahrt er für das Gericht als solche, die ihre Strafe erhalten. Dabei ist „Versuchung" nicht mehr die Bedrängnis des Glaubenden in dem großen endzeitlichen Entscheidungskampf, den es nach apokalyptischer Anschauung zu bestehen gilt (vgl. Offb.3,10; Mt.6,13), sondern die dauernde Gefährdung des Frommen in einer gottlosen Welt (vgl. 1. Tim. 6,9 u.ö.). So gewiß Gott Gerechte aus solcher Versuchung rettet (vgl. l.Kor. 10,13), so gewiß wird er Ungerechte unter Strafen und Züchtigungen bis zum Gericht aufbewahren. Entweder ist an die Zeit zwischen Tod und Weltgericht gedacht, in der die Sünder am Strafort Qual und Pein auszuhalten haben, bis das endgültige Gerichtsurteil über sie fällt (vgl. 4.Esr.7,75ff.; äth.Hen.22; auch Lk. 16,23), oder aber sie werden als solche aufbewahrt, die nach dem Schuldspruch des Gerichtstages solche Strafen und Züchtigungen erfahren werden. Für die erste Deutung spricht die Analogie in V.4. Solches Strafgericht wird vor allem diejenigen treffen, die sich dessen schuldig 10 machen, was der Verfasser nun im folgenden anführt. Dabei kehrt er zur Charakterisierung der Irrlehrer zurück, und zwar ohne weiterhin die Fiktion ihres erst zukünftigen Auftretens aufrechtzuerhalten. Zunächst wird ihr Verhalten in Anlehnung an das der Sodomiter und an Jud. 7-8 als Libertinismus beschrieben; dabei fehlt nur der Hinweis auf die Widernatürlichkeit ihres zügellosen Verhaltens (bei Fleisch ist „andersartiges" ausgelassen), so daß ihr auf Befleckung gerichtetes bzw. Befleckung bewirkendes (je nach dem, ob man an einen Genitivus object. oder qualitatis denkt) sexuelles Begehren allgemeiner gefaßt ist. „Hinter dem Fleisch hergehen" soll aber trotz des übereinstimmenden Sprachgebrauchs kaum andeuten, daß die Irrlehrer die „Nachfolge" (vgl. Mk. 1,17) ihres Herrn verlassen haben oder diese „Fleischesnachfolge" lächerlich machen. Auch der nächste Vorwurf, daß die Häretiker die Herrschermacht verachten, entspricht Jud. 8, wobei auch hier keine größere Klarheit über das Gemeinte vorliegt als dort. So wird man wegen des Singulars auch hier eher an die Herrenstellung Gottes oder Christi denken, die die Irrlehrer mit ihrem alle sittlichen Normen überspringenden Libertinismus für nichts achten (vgl. V. 1). Neu ist ihre vieldeutige Kennzeichnung als „anmaßende Frechlinge" (andere Exegeten fassen beide Worte substantivisch: Anmaßende und Verwegene o. ä.). Ihre Unverschämtheit liegt in der Lästerung der Herrlichkeitsengel (vgl. zu Jud. 8), wobei auch hier letztlich unwichtig ist, ob gefallene oder gute Engelmächte gemeint sind, auch wenn anders als in Jud. 8 mehr Anlaß besteht, an böse Mächte zu denken (vgl. V . 4 und 11). Ein Grund für ihre Lästerung wird nicht genannt, doch wird es auch hier so stehen, daß das gnostische Freiheits- und Uberlegenheitsbewußtsein im Hintergrund steht, das sich über die Mächte des Gesetzes und der Ordnung erhaben dünkte oder die Unberührbarkeit durch das Satanische zu demonstrieren suchte (vgl. auch Offb.2,14). Die Anmaßung der Irrlehrer ist um so 11
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verwegener, als nicht einmal die an Kraft und Macht überlegenen Engel eine solche Lästerung gegen gefallene Artgenossen (oder Irrlehrer?) vorzubringen wagen. Diese Aussage, die dem Streit Michaels mit dem Teufel (Jud. 9) entspricht, ist gegenüber Jud. 9 blasser und unverständlicher geworden. Der Grund für die Verallgemeinerung ist nicht in einer kritischeren Einstellung gegenüber apokalyptischer Engelmythologie zu suchen, sondern in der größeren Anstößigkeit, die der Verfasser an direkten 12 Entlehnungen aus apokryphen Schriften nimmt (vgl. die Einleitung). An dem folgenden Vergleich der Häretiker mit dem vernunftlosen Vieh dagegen nimmt er keinen Anstand, sondern gestaltet ihn noch abträglicher für die Irrlehrer, wenn auch nicht klarer. Die Tiere folgen nicht nur vernunftlos ihren Instinkten (Jud. 10), sondern sind von Natur aus zu Gefangenschaft und T o d bestimmt. So werden auch die Irrlehrer dem sicheren Untergang nicht entrinnen. Daß sie „im Verderben jener (also der Tiere) verderben", wird man am besten auf den kommenden Weltuntergang beziehen, der Tiere und Menschen in die Vernichtung hineinzieht (vgl. 3 , 1 0 ff.). Daß dabei nicht nur die Irrlehrer, sondern alle Menschen ihr Ende finden werden und die Irrlehrer ja nicht einfach wie die Tiere ohne Gericht vergehen, ist kaum ein hinreichender Grund, hier vor allem an das natürliche innerzeitliche Vergehen zu denken. Gerade der vorgegebene und wenig glücklich geänderte Vergleich warnt vor überscharfer Differenzierung. Allenfalls enthält der Begriff „Vergehen" auch hier ein metaphysisches Element im Sinn der in 1 , 4 und 2 , 1 9 erwähnten Vergänglichkeit (dasselbe griechische Wort!). Ganz daneben aber ist der zwischen V. 12 a und V. 12 c stehende Partizipialsatz geraten, da er die Lästerung des Unverstandenen in den Vergleich mit hineinzieht. Daß die Gnostiker bei ihrer Blasphemie der Engelwesen und trotz ihrer angeblichen Einsicht in tiefste Geheimnisse in Wirklichkeit nur überheblich sind und keine Ahnung von dem haben, was sie schmähen, hatte schon 13a Jud. 10 gesagt. Für all ihre Ungerechtigkeit aber werden sie mit der dafür vorgesehenen Strafe bestraft werden.
4. Abrechnung
mit den libertinistischen Irrlehrern (2,13
b-22)
1 8 6 Für ein Vergnügen halten sie Schwelgerei am (hellen) Tag. Schmutz- und Schandflecken (sind sie) und schwelgen in (ihren) Lüsten, wenn sie mit euch zusammen schmausen. 1 4 Ihre Augen sind voller (Begehren nach der) Ehebrecherin und blicken ruhelos nach Sünden aus. Sie ködern ungefestigte Leben und haben ein Herz, das in Habgier geübt ist, (sind) Kinder des Fluches. 1 5 Den geraden Weg haben sie verlassen und sind in die Irre gegangen, sie sind dem Wege Bileams, des Sohnes, Beors, gefolgt, der den Lohn der Ungerechtigkeit liebte, 1 9 aber Zurechtweisung für seine Gesetzwidrigkeit empfing. Ein stummes Lasttier, das in menschlicher Sprache redete, wehrte dem Wahnsinn des Propheten. 17 Diese sind wasserlose Quellen und Nebelwolken, die vom Sturm getrieben werden, denen das Dunkel der Finsternis aufbewahrt ist. 1 8 Denn durch hochtrabendes Reden von Nichtigkeit ködern sie auf dem Gebiet der fleischlichen Begierden durch Ausschweifungen diejenigen, die kaum denen entflohen sind, die im Irrtum leben, 1 9 verheißen ihnen Freiheit, wo sie selbst Sklaven des Verderbens sind. Denn wem man unterliegt, dem ist man versklavt. i 0 Wenn sie nämlich, den Befleckungen der Welt durch die Erkenntnis des Herrn und Retters Jesus Christus entronnen, wiederum in diese verstrickt werden und
2. Petr. 2,13 b-22: Abrechnung mit den libertinistisdien Irrlehrern
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unterliegen, (dann) ist bei ihnen der spätere Zustand schlimmer als der frühere. Denn es wäre besser für sie, sie hätten den Weg der Gerechtigkeit nicht kennengelernt, als daß sie sich, nachdem sie ihn kennengelernt haben, wieder von dem ihnen überlieferten heiligen Gebot abwenden. n Ihnen ist widerfahren, was das wahre Sprichwort sagt: „Ein Hund kehrt zu seinem eigenen Auswurf zurück", und „ein Schwein badet sich, um sich im Kot zu wälzen." 81
Vers 15: 4. Mose 31,16;
Vers 22: Spr. 26,11.
Der vom Vorhergehenden nicht klar abgesetzte neue Abschnitt fährt in der scharfen Abrechnung mit den Irrlehrern fort. Auch diese Charakterisierung und Kritik der Häretiker schließt sidi in Wort- und Bildwahl wie in Gedankengang und Sache wieder eng an den Judasbrief an. Auch wird die Irrlehre eindeutig als gegenwärtige Erscheinung gesehen. Im Vordergrund steht die Polemik gegen den Libertinismus, doch tritt neben dem ausschweifenden Treiben auch der verführerische Charakter solchen Wesens stärker hervor (vgl. V. 14.18 f.). V. 13b-14 wird ihnen in einer Reihe von Partizipien und Adjektiven besonders die Schwelgerei und Gier vorgeworfen. V. 15 folgt dann eines der drei alttestamentlichen Beispiele von Jud. 11, das aber in V. 16 stark ausgeweitet wird. V. 17 bringt eine Auswahl aus den Bildern von Jud. 12 f., die in V. 18 offenbar gedeutet werden. V. 19, der das Freiheitsversprechen mit der tatsächlichen Sündenknechtschaft kontrastiert, mündet in eine allgemeine Sentenz. V. 20-22 warnen Verführer und Verführte vor dem Abfall nach der Bekehrung und enden in einem derben Sprichwort. Die Aufzählung der neuen Vorwürfe beginnt damit, daß die Irrlehrer als solche 13b gekennzeichnet werden, die schon am hellichten Tag ihrer Genußgier frönen und üppig schwelgen, was offenbar als besonders anstößig gilt (vgl. Jes.5,11; Pred. 10,16; Ass. Mos. 7,4). Dann wird „Schmutzflecken" (Jud. 12) zu „Schmutz- und Schandflecken" gesteigert. Auch das „Zusammenschmausen" stammt aus Jud. 12, doch ist es offenbar nicht mehr auf die Liebesmahle der Gemeinde bezogen. Es gibt allerdings Handschriften, die anstelle von apatais (Lüste oder Betrügereien) agapais (Liebesmahle) lesen, doch ist das offensichtlich Angleichung an Jud. 12, die von den meisten und besten Textzeugen nicht unterstützt wird. Entweder war der Vorwurf des Judasbriefes zur Zeit des 2. Petr. nicht mehr aktuell, so daß er allgemeiner gefaßt wurde, oder der Verfasser versteht unter „Agapen" nicht mehr Herrenmahlfeiern mit wirklichen Sättigungsmahlen (vgl. 1. Kor. 11,17ff.), sondern schon außergottesdienstliche Mahlzeiten als karitative Einrichtung. An beabsichtigte Ironie oder Karikierung wäre nur dann zu denken, wenn der Verfasser bei seinem Leserkreis die Kenntnis des Judasbriefes voraussetzen würde. Jedenfalls ißt man nach Meinung des Verfassers noch mit der Gemeinde zusammen und kann dort seinen Lüsten freien Lauf lassen. Zur Gier nach Schwelgerei tritt die sexuelle Gier 14 (zum sexuellen Libertinismus vgl. die Einleitung zum Jud.). Die Augen dieser Leute sind voller Lüsternheit, mit der sie in jeder Frau eine mögliche Ehebrecherin sehen oder mit der sie nach einer Frau Ausschau halten, die zum Ehebruch bereit wäre. Darüber hinaus sind ihre Augen unruhig und unersättlich auf weitere Sünde gerichtet. Auch ködern oder verlocken sie „Unbefestigte", womit entweder Neubekehrte gemeint sind (V. 18) oder aber solche Christen, die die überlieferten apostolischen
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Normen nicht genügend beherzigen (vgl. zu 1 , 1 2 und 3 , 1 6 f . ) . Im Gegensatz zu diesen unmündigen Gemeindegliedern, die auf die häretische Propaganda hereinfallen, steht deren gekonnte Ausnutzung durch die in Habgier geübten Häretiker (vgl. V. 3). Bevor der Verfasser das im Anschluß an den Jud. näher illustriert, belegt er sie noch mit dem alttestamentlich klingenden Verdikt, „Kinder des Fluches" zu sein (vgl. zu dieser semitisierenden Ausdrucksweise Jes. 5 7 , 4 ; Eph. 2 , 2 ; Apg. 1 3 , 1 0 15 u.ö.). Als passendes alttestamentliches Exempel hat sich der Verfasser aus Jud. 11 das Bileam-Beispiel herausgegriffen und auf Kain und Korah verzichtet. Den „geraden W e g " (vgl. l . S a m . 1 2 , 2 3 ; Ps. 1 0 7 , 7 ; Hos. 1 4 , 9 ; Spr. 2 , 1 3 . 1 5 ; Apg. 13,10), d. h. die von den Geboten gewiesene Bahn (vgl. V. 21), haben die Irrlehrer verlassen; sie sind in die Irre gegangen (eine naheliegende Aussage über Häretiker, vgl. 2. Tim. 3 , 1 3 u.a.) und sind den Spuren Bileams gefolgt (vgl. zu Jud. 11). Wie Jud. 11 folgt auch 2. Petr. 2 , 1 5 der die biblischen Texte ausspinnenden jüdischen Auslegungstradition und sieht den Stammvater aller Häretiker Bileam vor allem 16 von Geldgier bewegt. Audi der vom Verfasser neu eingeführte Zug, daß Bileam dafür eine demütigende Zurechtweisung durch ein Tier erfuhr, ist 4. Mose 2 2 , 2 2 ff. nicht zu entnehmen, insofern der Engel des Herrn selbst es war, der ihn an der Verfluchung Israels hinderte. D a ß ein sonst stummer Esel spricht, soll wohl den göttlichen Ursprung der Zurechtweisung erkennbar machen; daß ein sonst dummer Esel den Bileam zur Besinnung rufen muß, erweist die Torheit, ja den Wahnsinn dieses Propheten. 17
V. 17 nimmt in neuer Kombination einige Elemente aus dem Bildmaterial von Jud. 12 f. auf; dabei werden aus den dem Verfasser wohl nicht verständlich genug erscheinenden „wasserlosen Wolken" zunächst „wasserlose Quellen", ohne daß damit sachlich etwas anderes zum Ausdruck käme: sie enttäuschen den, der etwas von ihnen erwartet. Derselbe Vergleichspunkt ist beabsichtigt, wenn dann aus den Wolken „Nebelwolken" werden, die von Sturmwinden vertrieben werden, so daß der von den Wolken erhoffte Regen ausbleibt. Die letzte Wendung in V. 17 c paßt viel besser auf die als mythologische Sterngeister zu verstehenden Irrsterne in Jud. 13, aber nicht hier; so muß man sie wohl auf die Irrlehrer beziehen, denen die Ver-
18 bannung in die höllische Finsternis angedroht wird. V. 18 begründet das Vorhergehende nun ohne Bild: Die geschwollenen Reden der Gnostiker (Jud. 16) erfahren auch hier keine nähere Konkretion; der Verfasser sieht in ihnen vor allem leere Phrasen und trügerische Versprechungen, wie sowohl die Charakterisierung durch „nichtig, inhaltslos, leer" als auch V. 17 erweisen; vor allem aber wird er in ihnen das libertinistische Programm gesehen haben, das Freiheit verheißt und Knechtschaft einbringt. Neben den falschen Verheißungen aber hat auch die libertinistische Praxis eine Köderwirkung. Zumal die dem Irrtum der Heiden kaum entronnenen 19 Neubekehrten erliegen so den Verführungskünsten der Libertinisten. Gerade die Freiheitspredigt der Gnostiker scheint immer wieder eine faszinierende Wirkung ausgeübt zu haben. Das beweist schon das von Paulus zurechtgerückte Schlagwort der korinthischen Gnostiker „Mir ist alles erlaubt" (vgl. 1. Kor. 6,12 f. und die Einleitung zum Judasbrief). Aber ihre zur Willkür und Bindungslosigkeit pervertierte Freiheit ist in Wahrheit Sklaverei. Allerdings spricht der Verfasser nicht von einer
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Versklavung an Sünde oder an sich selbst (vgl. Rom. 6,17.20; Joh. 8,34 u. ö.), sondern von einer solchen an die Vergänglichkeit (vgl. außer 1,4 und 2,12 auch Rom. 8,21; 1. Kor. 15,42 u. ö.). Dieser Sklaverei sind die Irrlehrer selbst schon verfallen, was natürlich die Mahnung impliziert, ihrer den Menschen unfrei machenden Freiheitspredigt nicht auf den Leim zu gehen. Der Vers schließt mit der sprichwortartigen, antikem Kriegsrecht entstammenden Aussage, daß der Besiegte zum Versklavten des Siegers wird. Der exegetische Streit darüber, ob sich V. 20-22 an die Irrlehrer oder an die von 20 ihnen gefährdeten Gemeindeglieder richten, sollte nicht überspitzt werden. Gewiß hat der Verfasser der polemischen Intention des ganzen Kapitels nach und im Anschluß an V. 19 auch hier vor allem die Irrlehrer im Auge. Aber gerade wegen der von ihnen ausgehenden Wirkung und Gefahr, die von V. 13 a an immer wieder durchschien, sind die Verse indirekt auch als Warnung zu hören, sich von den Verführern verführen zu lassen. Die Verführer werden als Renegaten bezeichnet, die sich nach der durch die „Erkenntnis des Herrn und Retters Jesu Christi" (vgl. dazu 1,2f. 8; 2,20) bewirkten „Flucht aus den Befleckungen der Welt" (vgl. zu 1,4) wieder von den Stricken der Welt haben binden lassen. Solcher Rückfall ist nach Meinung des Verfassers schlimmer als das frühere Heidentum vor der Bekehrung (vgl. Mt. 12,45par.; Herm.Sim. IX 17,5; vgl. auch das Problem einer „zweiten Buße" Hb. 6,6). „Das Ende ist schlimmer als der Anfang", denn dieses Ende ist ja nun eine bewußte Absage an den einmal erkannten und anerkannten Herrn. Es wäre 21 darum besser, die abgefallenen Häretiker hätten „den Weg der Gerechtigkeit" und „das überlieferte heilige Gebot" nie kennengelernt. Trotz alttestamentlich-jüdischer Herkunft der ersten Wendung (vgl. Hiob 24,13; Spr. 8,20; 21,16 u. ö.) meint beides das Christentum als sittliche Nonngröße, die von den Aposteln tradiert und verpflichtend gemacht wird. Orthodoxie („Weg der Wahrheit" V. 2) und Orthopraxie („Weg der Gerechtigkeit") gehören für den Verfasser zusammen. Das „heilige Gebot" ist weder einfach das alttestamentliche Gesetz (Rom. 7,12) noch das Liebesgebot (Joh. 13,34), sondern die christlich-apostolische Sittenordnung (vgl. weiter noch zu 3,2). Da die Irrlehrer ungeniert gegen sie verstoßen, kann der Verfasser 22 hier nur ein Sprichwort als erfüllt ansehen, mit dem er die Polemik gegen die Libertinisten abschließt und ihr Treiben mit dem von Hunden und Schweinen vergleicht. In Wahrheit handelt es sich um zwei sprichwortartige Redewendungen. Die erste entspricht der Kennzeichnung des Toren in Spr. 26,11. Die zweite, die gewöhnlich auf den „Volksmund" zurückgeführt wird, hat ebenfalls Parallelen (vgl. den sog. Ardiikarroman: „Du warst mir . . . wie ein Schwein, das in ein Bad gegangen war, und als es eine schlammige Grube sah, ging es hinab und badete darin. Und es rief seine Gefährten: Kommt, badet"; Zusammenstellung von Hund und Schwein auch Mt. 7,6). Wie Hunde Ausgespieenes wieder auffressen, so nehmen die Irrlehrer ihre einst abgelegte Sünde wieder an; wie die Schweine nach dem Baden sich wieder im Kot wälzen, so kehren die Irrlehrer nach der „Reinigung von den früheren Sünden" (1,9) im „Bad der Wiedergeburt" (Tit. 3,5) in den Schlamm der „Befleckungen der Welt" (V. 20) zurück. Beide lassen wie die Irrlehrer jede sittliche Ordnung vermissen.
146 5. Apologie
2. Petr.3,1-13: Apologie der Zukunftshoffnung der Zukunftshoffnung
gegen ihre Leugner
(3,1-13)
Dies, Geliebte, ist schon der zweite Brief, den ich euch schreibe. In ihnen (beiden) halte ich durch Erinnern euren lauteren Sinn w a c h , : daß ihr der von den heiligen Propheten vorausgesagten Worte und des von euren Aposteln (überlieferten) Gebotes des Herrn und Retters gedenkt. 9 Dies aber sollt ihr vor allem wissen: Am Ende der Tage werden Spötter mit Spott kommen, die ihr Leben nach ihren eigenen Begierden führen 4 und sprechen: Wo ist die Verheißung seiner Parusie? Denn seit die Väter entschlafen sind, bleibt alles wie von Anfang der Schöpfung an. 5 Denen, die das behaupten, entgeht, daß seit alters Himmel waren und eine Erde aus Wasser und durch Wasser Bestand hatte kraft des Wortes Gottes. 4 Durch dieses (wörtlich: durch diese) ging die damalige Welt zugrunde, vom Wasser (der Sintflut) überflutet. 7 Die jetzigen Himmel aber und die (jetzige) Erde sind durch dasselbe Wort für das Feuer aufgespart, bewahrt für den Tag des Gerichts und des Untergangs der gottlosen Menschen. 1
6 Dies eine aber soll euch, Geliebte, nicht verborgen sein, daß ein Tag bei dem Herrn wie tausend Jahre sind und „tausend Jahre wie ein Tag" sind. 9 Der Herr verzögert nicht die (Erfüllung der) Verheißung, wie einige es für Trägheit halten, sondern er ist langmütig gegen euch, da er nicht will, daß einige zugrunde gehen, sondern alle zur Umkehr gelangen. 10 Kommen aber wird der Tag des Herrn wie ein Dieb; an ihm werden die Himmel unter Geprassel vergehen. Die Elemente aber werden sich von Glut verzehrt auflösen, und die Erde und die Werke auf ihr werden (nicht mehr, oder: zerschmolzen) gefunden werden. 11 Wenn dies alles sich so auflöst, wie müssen dann in heiliger Lebensführung und Frömmigkeit beschaffen sein, 12 die in Erwartung stehen und die Parusie des Tages Gottes beschleunigen, um dessentwillen die Himmel sich in Feuer auflösen und die Elemente brennend zerschmelzen werden. " Neue Himmel aber und eine neue Erde erwarten wir nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.
Vers 8: vgl. Ps. 90, 4. Vers 13: vgl. Jes. 65,17;
66, 22.
Mit 3,1 nimmt der Verfasser das in Kapitel 2 verlassene Thema von Kapitel 1 wieder auf. Anders als im vorigen Kapitel, das überwiegend aus Drohungen und Schmähungen bestand und die Vorlage des Judasbriefes voraussetzte, hat 3,1-13 stärker argumentativen Charakter und ist bis auf V. 2 f. vom Judasbrief unabhängig. Zwar ist auch dieser Abschnitt polemisch gegen Parusieleugner gerichtet, doch bemüht sich der Verfasser um eine Rechtfertigung und Erläuterung der christlichen Parusiehoffnung. Nach einer Erwähnung des ersten Briefes, den der Verfasser geschrieben haben will (V. 1), charakterisiert er ihn im Anschluß an Jud. 17 als eine Mahnung dazu, die Worte der Propheten und Apostel im Gedächtnis zu behalten (V.2), vor allem aber die Weissagung vom Auftreten von Spöttern in der Endzeit (V.3). Gegen den Zweifel an der Parusie (V.4) bringt er dann 4 Argumente vor: 1. habe es bereits einen Weltuntergang und eine Weltneuschöpfung gegeben (V. 5-7), 2. habe Gott ein anderes Zeitmaß (V. 8), 3. sei die Verzögerung gar keine Verzögerung, sondern Langmut Gottes (V. 9) und 4. komme der Tag des Herrn wie ein Dieb (V. 10 a). V. 10 b schildert das „Wie", und V. 11 zieht die Konsequenz für das Verhalten der Christen, die die Parusie sogar beschleunigen können (V. 12 a). Sie bringt die Weltkatastrophe (V. 12 b), aber auch neue Himmel und eine neue Erde (V. 13).
2. Petr. 3,1-13: Apologie der Zukunftshoffnung
147
Der Verfasser erinnert zunächst an „seinen" ersten Brief, um noch einmal durch das Andeuten der apostolischen Verfasserschaft die Autorität auch dieses Briefes zu unterstreichen. Dieser erste Brief ist kaum ein verlorenes oder unbekanntes Schreiben, sondern der 1. Petrusbrief. Weil der Brief aber kaum Kenntnis des 1. Petr. erkennen läßt und auch die Charakterisierung nicht recht zum Inhalt und Skopus des 1. Petr. paßt, ist das freilich nicht unbestritten. Uberhaupt gibt es kaum inhaltliche Berührungen mit dem 1. Petr. (mit Ausnahme der Grußform in 1,2). Wahrscheinlich genügte dem Verfasser aber die Abfassung jenes Briefes durch einen „Apostel", um zu vermuten, daß ein solcher Brief dann auch den Sinn der Leser für die apostolische Tradition wachhalten müsse. Der Apostel ist jetzt eben eo ipso der Garant der Überlieferung, und zwar nicht allein der christlichen (vgl. 1,16 ff.), sondern auch der alttestamentlichen Tradition; als solche wird sie tradiert und in Erinnerung gerufen (vgl. 1,12 f.). So werden die Leser zunächst an die Worte der „heiligen Propheten" erinnert (vgl. 1,20 f.), wobei an die prophetischen Verheißungen des „Tages des Herrn" und andere eschatologische Weissagungen zu denken ist. Ais zweites wird das von den Aposteln überlieferte Gebot des „Herrn und Retters" erwähnt, das aber wohl in inhaltlicher Ubereinstimmung mit dem prophetischen Zeugnis gesehen wird und also eschatologische Hoffnung gebietet. Eigentlich stehen damit drei Größen für die Parusie ein: die Propheten, der Herr und (vgl. Jud. 17, wo nur zur Erinnerung an die Worte der Apostel gemahnt wird) die Apostel. Diese werden durch das Possessivpronomen der 2. Person Plur. näher bestimmt. D. h.: die Apostel, die „euch" und damit allen gehören, sind hier als eine einheitliche, der ganzen Kirche zu- und vorgeordnete Größe ins Auge gefaßt. Sie vermitteln das „Gebot" des Herrn. Wie in 2,21, wo das „heilige Gebot" die sittliche Lehre des Christentums bezeichnete, so meint „Gebot" hier seine eschatologische Lehre, die als verbindliche Glaubensforderung und maßgebliches Lehrgesetz eingeschärft wird. Dabei soll in erster Linie bedacht werden, daß in der Endzeit Spötter auftreten werden, wie der Verfasser im Anschluß an Jud. 18 sagt (vgl. die dort genannten Parallelen), dabei aber wieder in den Stil der fiktiven Zukunftsweissagung verfällt (vgl. die Einleitung). Daß die Spötter ihr Leben nur nach ihren Begierden ausrichten, entspricht zwar auch Jud. 18, deutet aber zugleich an, daß der Verfasser Libertinisten und Parusieleugner für identisch hält. Außerdem aber soll durch den Hinweis auf ihre lose Moral (vgl. den bis in den Wortlaut gehenden Rückgriff auf 2,10) wohl auch die Distanz zu den Spöttern verstärkt werden (vgl. 2,18). Das Neue gegenüber dem Judasbrief besteht nun darin, daß die Spötter zu Leugnern der christlichen Zukunftshoffnüng werden und die traditionell skeptische Frage stellen „wo i s t . . . " (vgl. Ps. 42,4.11; Jer. 17,15; Mal. 2,17; Joel 2,17). Die Begründung ihres Zweifels an der Parusie, die in dieser Formulierung kaum auf Gnostiker zurückgeführt werden kann (vgl. die Einleitung), setzt als Form der Parusieerwartung die Naherwartung voraus (Mk. 13,30; 1. Thess. 4,15.17; 1. Kor. 15,51; vgl. weiter den folgenden Exkurs). Daß diese Erwartung des nahen Endes getrogen hat, weil „die Väter" (natürlich der ersten christlichen Generation oder Generationen und nicht der des Alten Testaments wie Lk. 1,55; Joh. 6,31; Rom. 9,5; Hebr. 1,1) inzwischen verstorben sind, läßt sich vom Verfasser natürlich nicht bestreiten (indirekt ergibt sich daraus natürlich auch der Tod des Petrus). Was er aber bestreitet, ist die
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2. Petr. 3 , 1 - 1 3 : Apologie der Zukunftshoffnung
daraus gezogene Konsequenz, als sei es mit der Parusieerwartung überhaupt vorbei. Weiter ist in der Begründung des Zweifels die Voraussetzung gemacht, daß Parusie und Weltende bzw. Welterneuerung zusammengehören. Allerdings kann man vermuten, daß der Verfasser auch um der Erleichterung seiner Widerlegung willen nicht sagt, seit dem Tode der Väter warte man vergeblich auf das Kommen des Herrn, sondern statt dessen, es habe sich seit Anfang der Schöpfung nichts geändert. 5 Die Reihe der Gegenargumente eröffnet der Verfasser denn auch mit einem Gegenbeweis gegen die These, daß seit Weltbeginn alles beim Alten geblieben sei. Der Verfasser erinnert daran, daß es schon einmal einen Weltuntergang und eine Weltneuschöpfung gegeben hat, nämlich bei der Sinflut. Die unausgesprochene Folgerung daraus lautet: Also wird auch die gegenwärtige Welt vergehen. Auch Mt. 24,37-39 und Lk. 17,26-29 werden Sinflut und Parusie miteinander verglichen, und im „Leben Adams und Evas" 49 wird ausdrücklich von einem zweifachen Weltuntergang gesprochen: „Um eurer Übertretungen willen wird unser Herr über eure Nachkommen sein Zorngericht bringen, zuerst mit Wasser, zum zweiten Mal mit Feuer" (anders meist im Neuen Testament, wo das erwartete Weltende „den ersten Himmel und die erste Erde" trifft, Offb. 21,1). Schwierig ist die weltanschauliche Vorstellung, daß die Welt nicht nur „aus Wasser" bestand (diese Vorstellung vom Wasser als Urstoff hat viele Parallelen: vgl. nur 1. Mose 1,2.6 f. und den Satz des Thaies, daß alles aus Wasser ist und zu Wasser wird), sondern auch „durch Wasser". Wahrscheinlich kommt es wie in vergleichbaren kosmologischen Aussagen (Rom. 11,36; 1. Kor. 8,6) weniger auf die Differenzierung zwischen den einzelnen Präpositionen an als darauf, das Umfassende der Aussage zu betonen: Wasser ist das Urelement. Die Schöpfung ist also weder ein bloßes Naturereignis aus und in sich selbst, noch ist sie als creatio ex nihilo (Schöpfung aus dem Nichts; vgl. syr. Bar. 48,8; slav. Hen. 24,2) vorgestellt; vielmehr scheint das Wort Gottes die Elemente in Dienst zu nehmen (vgl. Weish. 11,17). Daß Gottes Schöpferwort die Welt schafft und erhält, ist eine oft ausgesprochene Anschauung (vgl. 1. Mose 1; Ps. 33, 6 6.9; Hebr. 11,3). Dasselbe Wort aber bewirkte nicht nur die Schöpfung, sondern auch die Vernichtung der „damaligen Welt" durch die Sintflut (vgl. 2,5 und 1. Klem. 27,4), was für den Verfasser wohl auch eine Bestätigung seines dualistisch gebrochenen pessimistischen Weltverhältnisses ist (vgl. 1,4 u. ö.). Damit ist keineswegs allein die Menschenwelt gemeint, wie sowohl V. 5 und 7, die von Himmel und Erde sprechen (vgl. besonders V. 7: „die jetzigen Himmel"), als auch religionsgeschichtliche Parallelen zeigen, die ebenfalls einen vollständigen Weltuntergang bei der Sintflut kennen (äth. Hen. 83,3-5; 1. Klem. 9,4). Die jetzigen Himmel und die jetzige Erde haben also eine gewisse Zwischenstellung zwischen der ersten, der „damaligen Welt", und den neuen Himmeln und der neuen Erde. Das am Anfang des Verses stehende „durch diese" kann sich kaum auf Wort und Wasser beziehen, da das Wasser ja im Relativsatz noch ausdrücklich genannt wird, sondern ist zu verbessern in „durch dieses" (nämlich das Wort: di' hou) oder in das 7 auch handschriftlich schwach bezeugte „um dieses (Wortes) willen" (di' hon). Dasselbe Wort endlich, das die erste Weltschöpfung und den ersten Weltuntergang bewirkte, ist auch das Mittel, durch das die gegenwärtige Welt, die ja für den Verfasser nicht weniger heillos ist als die schon vergangene, für das Endgericht
2. Petr. 3,1-13: Apologie der Zukunftshoffnung
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aufbewahrt wird. Dabei wird dann das Feuer die Welt vernichten. Die nur hier im Neuen Testament auftauchende Vorstellung vom Weltbrand hat zahlreiche Parallelen im Judentum (vor allem in den Sibyllinen: Sib. II 196ff.; III 83ff.; IV 172ff.; V 155 ff. 206 ff.; weiter 1 Q H 3 , 2 9 ff. u.ö.) und Griechentum (vgl. schon Plato Timaios 22 c), vor allem in der stoischen Lehre von der immer wiederkehrenden Weltverbrennung. Nach Seneca (Natur. Quaest. III 29) soll die Lehre von den regelmäßigen Flut- und Feuervernichtungen von den Babyloniern stammen. Trotz gewisser Unterschiede (Einmaligkeit, keine Ausmalung) kann also kein Zweifel daran bestehen, daß der Verfasser auch hier verbreitete mythologische Weltanschauungsmotive aufgreift. Allerdings geht es dem Verfasser, nach dem Schluß des Verses zu urteilen, weniger um Naturvorgänge als um das Gericht an den „gottlosen Menschen" (vgl. 2 , 5 f.) im Sinn des definitiven Verderbens. Während das erste Argument mehr die prinzipielle Möglichkeit einer Welt- 8 katastrophe erwies, auf die Frage nach der Verzögerung der Parusie aber überhaupt nicht eingegangen war, macht das zweite Gegenargument nun geltend, daß bei Gott andere Zeitmaßstäbe gelten als bei den Menschen. Für diese Relativierung der Zeitkategorien wird P s . 9 0 , 4 weiterentwickelt. Während es dort nur heißt, daß tausend Jahre in seinen Augen wie der gestrige Tag ist, kehrt der Verfasser diesen Satz auch um: ein Tag ist beim Herrn wie tausend Jahre (ähnlich J u b . 4 , 3 0 und Barn. 1 5 , 4 ; der Verfasser übernimmt also einen bekannten Umrechnungskoeffizienten, der freilich sonst nicht auf die Verzögerungsthematik angewendet wird). Der Sinn dieser Umkehrung ist nicht einfach, daß angesichts der Ewigkeitsdimension die menschliche Zeit zu einem Nichts zusammenschrumpft (dazu hätte der Psalmvers gereicht), sondern daß menschliche Zeitbegriffe überhaupt untauglich sind, um Gottes Zeitplan zu erfassen. Sind irdische Kategorien aber inadäquat, dann ist die Parusieverzögerung nach Ansicht des Verfassers kein Problem mehr, was dann freilich zugleich die Naherwartung aufhebt. Gott allein führt den Tag nach seinem Plan herauf (vgl. l Q p H a b . 7 , 1 3 f . ) . Der Anfang des Verses deutet im übrigen an, daß auch die Gemeinde selbst von der Gefahr der Parusiezweifel bedroht ist und durch die Gründe der Irrlehrer, die eben nicht einfach nur an den Haaren herbeigezogen sind, in Verlegenheit geraten ist. Auch V . 9 bestätigt, daß die Gemeinde nicht einfach ein Hort eschatologischer 9 Orthodoxie ist, sondern die Parusieverzögerung auch für sie ein Problem bildet. Denn die mit dem imbestimmten „einige" Apostrophierten sind wohl nicht die Parusieleugner, sondern Gemeindeglieder, wie V . 9 b zeigt („gegen euch"). Die Gemeinde ist nach Meinung des Verfassers jedoch nicht einer Verzögerung ausgeliefert, sondern erfährt die Langmut ihres Herrn. Der Verfasser ist in der Anwendung des Grundsatzes von V. 8 so konsequent, daß er nicht einmal von „Verzögerung" sprechen will. Daß Gott sich nicht verspätet und bei ihm nicht von Trägheit und Saumseligkeit die Rede sein kann, ist auch sonst alttestamentlichjüdische Auffassung (vgl. J e s . 4 6 , 1 3 ; H a b . 2 , 3 ; Sir.32 (35), 22; syr. Bar. 4 8 , 3 9 ; vgl. auch M t . 2 4 , 4 8 ) . Was aussieht wie Zögern und Zaudern, ist in Wahrheit göttliche Geduld und Langmut (vgl. 2. Mose 3 4 , 6 ; Ps. 1 0 3 , 8 ; vor allem syr. Bar. 21,20f.), die auf das Gericht zwar nicht verzichtet, aber es noch aufschiebt (vgl. syr. Bar. 1 2 , 4 ; 4. Esr. 7 , 3 3 ; Rom. 9 , 2 2 ) und Zeit zur Umkehr einräumt. Gott will, daß alle, d. h.
150
2. Petr. 3,1-13: Apologie der Zukunftshoffnung
vor allem: alle Christen, umkehren und keiner ins Verderben gerät (vgl. 2 , 1 ff.; 3 , 7 . 1 6 ) . D a ß Gottes Langmut auf Umkehr zielt, ist ein ebenso geläufiger Satz (vgl. R o m . 2 , 4 ; Herrn. Sim. VIII 1 1 , 1 ) wie die Hoffnung, daß sich alle zu G o t t bekehren (vgl. Weish. 1 1 , 2 3 f.; R o m . 1 1 , 3 2 ; 1. T i m . 2 , 4 ; 1. Klem. 8 , 5 ) . 10
In V. 10, w o nun neben die W a r n u n g vor Ungeduld die vor Sicherheit tritt, greift der Verfasser urchristliches Bildmaterial auf. D a s Bild vom „ D i e b " begegnet nur in solchen Abschnitten, die das „ W a n n " der Wiederkunft Jesu zum T h e m a haben. Der Vergleichspunkt ist dabei die Plötzlichkeit und Überraschung, das Unvermutete und Unberechenbare des Kommens. W ä h r e n d das Bild M t . 2 4 , 4 3 und Lk. 1 2 , 3 9 f. im Rahmen eines Gleichnisses begegnet und in O f f b . 3 , 3 und 1 6 , 1 5
allegorisierend
auf den Herrn selbst bezogen wird, k o m m t die gleichnisartige Verwendung in l . T h e s s . 5 , 2 unserer Stelle am nächsten. D e r die Plötzlichkeit betonende Vergleich paßt freilich nicht mehr so recht in das eschatologische Koordinatensystem des Verfassers. M a n kann eigentlich nicht einerseits Jahrtausende relativieren und dann doch die Plötzlichkeit oder gar wie in V. 12 die N ä h e betonen (dieselbe Inkonsequenz M t . 2 5 , 1 3 ) . Allerdings ist V. 10 mit V. 8 f. auch nicht ganz unvereinbar, da V. 8 f. nicht die Parusieerwartung, sondern die Naherwartung in Frage stellt. Nach den verschiedenen Gegenargumenten gegen den Zweifel an der Parusie schildert der Verfasser nun kurz das „ W i e " von Parusie und Weltuntergang. Die Himmel werden vergehen
(vgl. M k . 1 3 , 3 1
par.; O f f b . 2 1 , 1 ) , und zwar
„unter
Geprassel, mit Gezisch", was wohl nach V. 7 und 12 auf das Zischen beim Weltbrand hinweisen soll. Unklar ist, was sich „von Glut verzehrt a u f l ö s t " . Die Elemente (so die Zürcher und Luther-Bibel) im Sinn der Ur- bzw. Grundstoffe können kaum gemeint sein, denn wenn Himmel und Erde vergehen, sind die Elemente selbstverständlich mitgemeint. S o wird man entweder an personifizierte kosmische Geistwesen und Engelmächte dämonischer Art denken (dieselbe Bedeutung hat stoicheia auch Gal. 4 , 3 und wohl auch Kol. 2 , 8 . 2 0 ) ; dazu würde auch T e s t . Levi 4 , 1 passen, wonach G o t t die „unsichtbaren Geister zerschmelzen w i r d " (auch V. 12 spricht von „Zerschmelzen"; vgl. auch 2 , 4 ) . O d e r aber es sind die Gestirne gemeint (vgl. M k . 1 3 , 2 5 par.; O f f b . 6 , 1 3 ) . D a ß sie neben den Himmeln noch besonders erwähnt werden, könnte mit der Bedeutung des Sternglaubens in der damaligen Zeit zusammenhängen (ähnlich wird in Offb. 2 1 , 1 neben H i m m e l und Erde ausdrücklich das M e e r erwähnt, weil das M e e r offenbar der unheimliche O r t
dämonisch-
chaotischer Bedrohung war). D a n a c h erwähnt der Verfasser das Vergehen der Erde und der von Menschen geschaffenen W e r k e auf ihr. Die besseren Handschriften bieten freilich den T e x t : „die Erde und die W e r k e auf ihr werden
gefunden
werden". „Gefunden werden" haben die meisten Handschriften sekundär in „verbrannt werden" verbessert. Ursprünglicher ist aber sicher die zuerst
genannte
schwierige Lesart. D a diese aber wenig Sinn ergibt, wird man am einfachsten mit der sahidischen Ubersetzung ein „nicht" einfügen (vgl. für solchen Sprachgebrauch Offb. 1 6 , 2 0 ; 1 8 , 2 1 ; 2 0 , 1 1 ) oder mit dem Papyrus 7 2 „aufgelöst". Einige Exegeten konjizieren den überlieferten T e x t und nehmen an, daß ursprünglich statt „ W e r k e " (erga) „leer" (arga) im T e x t stand („und die Erde und das, was auf ihr ist, wird öd und leer gefunden werden"), womit gesagt wäre, d a ß die W e l t ins Chaos von 1. M o s e 1 , 2 zurückfiele (vgl. zu V. 13).
2. Petr. 3 , 1 - 1 3 : Apologie der Zukunftshoffnung
151
Angesichts dieser Weltkatastrophe - das darin eingeschlossene Verderben V . 7 c 11 und 9 und das mit V. 7 und dem „Tag des Herrn" V. 10 indizierte Gericht wird nicht ausdrücklich erwähnt - gilt es die rechten Konsequenzen zu ziehen. Diese können nur in heiliger Lebensführung und Frömmigkeit bestehen (der im Griechischen gebrauchte Plural weist auf die konkreten Erscheinungsformen solcher Haltung), wenn man im drohenden Gericht bestehen will. Die Parusieverzögerung dispensiert auf keinen Fall von der Verpflichtung zu einer sittlichen Verhaltensweise (vgl. 1 QpHab. 7 , 7 ff., wonach auch dann, wenn sich die letzte Zeit hinzieht, die Hände nicht müde werden sollen), sondern soll wie die Enderwartung die ethische Verantwortung dringlich machen (vgl. zu 1. Petr. 4,7). Solche verantwortungsbewußte 12 Lebenseinstellung ist um so notwendiger, als sie nicht nur der Erwartung Ausdruck gibt, sondern nach Ansicht des Verfassers die Ankunft des letzten Tages zu beschleunigen vermag. Das entspricht dem oft bezeugten Glauben des rabbinischen Judentums, daß durch vorschriftsmäßiges Halten des Gesetzes das Kommen der messianischen Erlösung beschleunigt werden kann (vgl. auch Apg.3,19 f.). So ungewöhnlich sich diese Vorstellung im Neuen Testament ausnimmt, so ungewöhnlich ist auch die Bezeichnung dessen, was beschleunigt wird. Sonst findet sich entweder „Parusie" oder „Tag" (auch „Tag Gottes" ist ungewöhnlich), während hier beides kombiniert ist. Um der Ankunft dieses eschatologischen Tages willen, also nicht aus naturgesetzlicher Notwendigkeit, vergeht die Welt im Feuer. Inwiefern der Endtag 13 die Weltkatastrophe veranlaßt, folgt aus V. 13: die neue Welt Gottes bricht an. Auch hier bezieht sich der Verfasser auf alttestamentlich-jüdische Verheißung und Erwartung, vor allem auf Jes.65,17, wo eine universale Neuschöpfung angesagt wird, in die die Gesamtheit alles Geschaffenen (auch der Himmel, der also nicht das sog. Jenseits ist) einbezogen ist: „siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde" (vgl. 66,22; äth.Hen.72,1 u.a.). Diese prophetische Verheißung ist im Judentum in zweifacher Weise aufgenommen worden: Einmal in der Vorstellung einer Renovierung oder Restitution, wo nicht ein radikales Ende und eine radikale Neuwerdung, sondern nur die Umwandlung der alten Welt erhofft wird, so daß hier ein Weltuntergang auch abgelehnt wird (vgl. syr. Bar. 4 , 1 ; äth.Hen. 45,4; Jub. 1,29). Andererseits gibt es Texte, wo nicht nur an eine Erneuerung gedacht ist, sondern an einen Weltuntergang, bei dem die Welt in ihr uranfängliches Chaos zurücksinkt und es zu einer zweiten, völlig neuen Schöpfung kommt (vgl. syr.Bar.31,5; äth.Hen.83,3f.; 4.Esr.7,29ff.; hierher gehört auch Offb.21,1.5). Obschon sich beide Vorstellungen nicht immer klar trennen lassen oder ausschließen (vgl. die Belege für die eine oder andere Vorstellung in denselben Schriften), ist 2. Petr. 3,13 den zuletzt genannten Belegen zuzuzählen, die ein radikales Ende und ein radikal Neues erwarten. Wie weit der Verfasser die universal-kosmische Dimension dieser Neuschöpfung selbst noch teilt (von 1,4 her besteht Grund, daran zu zweifeln und also anzunehmen, daß er sie nur als Tradition weitergibt), ist eine ganz andere Frage. Beachtenswert ist noch der Schlußsatz. Mag immer der Begriff Gerechtigkeit moralisiert worden sein (vgl. 1,1 und 2,8.21), so bleibt doch von Bedeutung, daß „neue Himmel und neue Erde" hier nicht phantasiereich ausgemalt oder als paradiesischer Platz uneingeschränkten Glückes und frommer Seligkeit
152
Parusieverzögerung
dargestellt werden, sondern als Ort einer neuen gerechten O r d n u n g (vgl. Jes. 32, 16 ff.; äth. Hen. 10,18; Ps. Sai. 17,26 f.; slav. Hen. 65,8; 4. Esr. 7,114). Parusieverzögerung. Es kann kein Zweifel daran bestehen, d a ß weder f ü r Jesus n o d i die ersten Christen das Problem der Parusieverzögerung eine Rolle spielte. Z e n t r u m von Jesu Heilsbotschaft war die Verkündigung der unmittelbaren Nähe der Gottesherrschaft, die in seinem Ruf und seiner Wirksamkeit zeichenhaft schon in diese Welt einbricht (Mk. 1,15; Mt. 12,28 u. ä.). Die ältesten christlichen Gemeinden aber, die in T o d und Auferstehung Jesu die Äonenwende gekommen und in Jesu Auferweckung den Anbruch der allgemeinen Totenauferstehung sahen, erwarteten Jesu Parusie in Macht und Herrlichkeit noch zu ihren Lebzeiten (vgl. M k . 13,30; l . T e s s . 4 , 1 5 . 1 7 ; 1.Kor. 15,51 f.). Gewiß bildeten einzelne Todesfälle von Gemeindegliedern ein gewisses Problem, aber das führte zu keiner Modifizierung oder Aufgabe der Naherwartung (vgl. l . T h e s s . 4 , 1 3 ff.). Eine Entwicklung innerhalb der paulinischen Eschatologie von einer futurisch-apokalyptischen Hoffnung auf die Parusie Jesu Christi zu einer vergeistigten hellenistisch-individuellen H o f f n u n g auf ein Leben nach dem Tode, w o dann die Parusie mehr oder weniger überflüssig wurde, ist nicht zu beobachten (vgl. zu 2. Kor. 5 , 1 ff.). Wie sollte das auch möglich sein, da doch gerade Paulus die christliche H o f f n u n g fest an die Person Jesu bindet (Grund und Ziel seiner Hoffnung ist das „Sein-mit-Christus" l . T h e s s . 4 , 1 7 ; 5 , 1 0 ; 2. Kor. 13,4 u. ö.) und es ihm wesentlich um den Sieg Christi über alle Mächte und die Alleinherrschaft Gottes geht (1.Kor. 15,23 ff.). Gerade bei Paulus ist auch zu erkennen, w a r u m die Parusieverzögerung nicht zu einer tiefgreifenden Krise des Urchristentums wurde: darum, weil die N a h e r w a r t u n g nur eine besonders intensive Form der Zukunftshoffnung überhaupt darstellt und in das dialektische Spannungsverhältnis zwischen Heilsgegenwart und Heilszukunft integriert war. Der Erwartete ist ja der Gekommene, in dem Gott endgültig zum Heil der Welt gehandelt hat. Auch im sonstigen Neuen Testament, wo dann deutliche Spuren der Parusieverzögerung unübersehbar werden, ist von einem einschneidenden Bruch nichts zu spüren. W ä h r e n d zunächst die ganze gegenwärtige Generation Zeuge des Endgeschehens sein sollte (Mk. 13,30), wurden es schließlich nur noch „einige" (Mk. 9,1), bis es d a n n zur Torheit wurde, die Wartezeit bis zur Parusie zu unterschätzen ( M t . 2 5 , 1 ff.). Trotzdem hat sich die N a h e r w a r t u n g der Parusie bis in die spätesten Schriften des Neuen Testaments hinein gehalten, wie die unter Domitian verfaßte Johannes-Offenbarung (vgl. O f f b . 1 , 1 ; 2 2 , 1 0 . 1 2 . 2 0 ) oder der etwa gleichzeitige 1. Petrusbrief (vgl. l . P e t r . 4 , 7 ) zeigen (vgl. weiter auch Jak. 5 , 7 f f . und die in der Einleitung zum Jakobusbrief genannten Stellen aus den sogenannten Apostolischen Vätern). W o die H o f f n u n g auf die Parusie ganz zurücktrat, hatte das k a u m in der Erstreckung der Zeit liegende Gründe, sondern da lag das entweder an einer starken Akzentuierung der präsentischen Eschatologie (Joh.-Ev.) oder gar an einem schwärmerisch-enthusiastischen Übergehen des eschatologischen Vorbehalts (so bei den korinthischen Auferstehungsleugnern, wahrscheinlich aber auch in bestimmten neutestamentlichen Hymnen). Auch dort, w o die N a h e r w a r t u n g aufgegeben worden war und die Eschatologie keine bestimmende und das Ganze tragende Bedeutung mehr hatte, sondern zu einem Kapitel über die „letzten Dinge" geworden
2. P e t r . 3 , 1 4 - 1 8 : Schlußmahnungen
153
war, wurde die Parusieerwartung doch nicht aufgegeben (so im Lukas-Ev.: Lk. 17,22ff.; 21,25ff.). Dafür scheint ein Argument von besonderer Bedeutung gewesen zu sein, das in der Apologie des 2. Petr. fehlt: das Nichtwissen von Zeit und Stunde derParusie (Mk. 13,32 par.; Apg. 1,7), die eben auch damit (vgl. 2. Petr.3,8) menschlicher Berechnung entzogen ist. Aufs Ganze gesehen zeigt sich, daß der Maranatha-Ruf („Komm, Herr Jesus" l.Kor. 16,22; Offb. 22,20) von der Dehnung der Zeit nicht sonderlich in Frage gestellt wurde. Damit bestätigt sich, daß auch der Parusiezweifel der Irrlehrer des 2. Petr. noch anders als mit dem Zitat von 2. Petr. 3,4 begründet worden sein wird (vgl. die Einleitung). 6. Scblußmahnungett
(3,14-18).
14 Darum, Geliebte, weil ihr dies erwartet, bemüht euch, ohne Fehl und Makel vor ihm in Frieden erfunden zu werden, 15 und haltet die Langmut unseres Herrn für Heil, gleichwie euch auch unser geliebter Bruder Paulus nach der im verliehenen Weisheit geschrieben hat, " w i e überhaupt in allen Briefen, in denen er davon spricht. In ihnen ist einiges schwer verständlich, was die Unkundigen und Ungefestigten zu ihrem eigenen Verderben verdrehen, wie (sie es) auch mit den übrigen Schriften (tun). 17 Ihr also, Geliebte, weil ihr dies im voraus wißt, hütet euch davor, damit ihr nicht, durch die Verirrung der Frevler mit fortgerissen, aus der eigenen Befestigung herausfallt. 18 Wachset vielmehr in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Retters Jesus Christus. Ihm gehört die Herrlichkeit jetzt und bis zum Tag der Ewigkeit.
Auf die Apologie der Zukunfbhoffnung folgt als Konsequenz eine Mahnung an die Gemeinde, die noch einmal zu sittlicher Lebensführung aufruft (V. 14) und erreichen will, daß die auf Gottes Langmut zurückgehende Parusieverzögerung auch von der Gemeinde als heilsam verstanden wird (V. 15 a). Dafür beruft sich der Verfasser auf Paulus, der wegen schwerverständlicher und leicht falsch interpretierter Passagen auch von den Irrlehrern in Anspruch genommen und „verdreht" wird (V. 15b-16). Eine letzte Warnung vor der Verführung durch die Libertinisten, eine Mahnung zum Fortschritt in Gnade und Erkenntnis sowie eine Doxologie beschließen den Brief (V. 17-18). Aus der Erwartung der Parusie und der neuen Himmel und neuen Erde (V. 14 14 benutzt dasselbe Wort wie V. 12 und 13) folgt menschlicher Eifer und menschliches Streben nach dem Guten. Wer die neue Welt erwartet, kann nicht selbst im alten Wesen verharren (vgl. V. 11). Eschatologie und Ethik gehören für den Verfasser im Guten wie im Bösen zusammen; die libertinistischen Parusieleugner sind 2,13 negativ mit denselben Worten gekennzeichnet, die der Verfasser hier gebraucht: Schmutz- und Schandflecken. Nur wer sich von solchem Fehl und Makel reinhält (1. Petr. 1,19 wird mit denselben Worten Christus als Lamm charakterisiert), kann beim Gericht im Urteil („vor ihm") des Herrn bestehen, weil er im befriedeten Verhältnis („im Frieden") zu ihm dasteht. Zu solchem einwandfreien Leben 15 läßt die Verzögerung der Parusie, die eben nicht göttliche Langsamkeit, sondern göttliche Langmut ist (V.9), der Gemeinde noch Zeit. Das ist zugleich die Chance, das Heil zu erlangen. Solches Verständnis wird nach dem Verfasser auch von Paulus
154
2. Petr.3,14-18: Schlußmahnungen
unterstützt. Dieser wird hier als Bundesgenosse und Apostelkollege in Anspruch genommen („unser B r u d e r " ; Bruder ist hier =
Amtsbruder, vgl. E p h . 6 , 2 1 ; Kol.
4 , 7 ; die 1. Person Plural bezieht sich wie 1 , 1 auf die Apostel). Aber Paulus wird hier nicht nur bescheinigt, daß er zum Kreis der Apostel zählt (anders z . B . die Apg.!), sondern als einer der beiden urchristlichen Hauptautoritäten (vgl. außer der Apg. auch l . K l e m . 5 ; I g n . R ö m . 4 , 3 ) wird ihm auch besonderes L o b gezollt: Ihm war „Weisheit" gegeben, was nicht im Sinn von 1. Kor. 2 , 6 f. zu verstehen ist, sondern ihm die richtige apostolische Theologie im Sinn kirchlicher O r t h o d o x i e bescheinigen soll (vgl. 1 , 2 1 ) . Auch er hat „euch", d. h. der ganzen Kirche (vgl. dazu die Einleitung!), geschrieben und apostolisches, mit dem 2. Petrusbrief übereinstimmendes Lehrgut hinterlassen. Sich an dem Ratespiel zu beteiligen, worauf der Verfasser genauer in den paulinischen Briefen anspielen will, ist wenig sinnvoll. Jedenfalls 16 soll eine Bestätigung des in V. 14-15 a Gesagten herauskommen. W a s der Apostel aber der einen Gemeinde schreibt, das schreibt er auch in allen anderen Briefen. Sie gelten also bereits als allgemein bekannt (zum Austausch von Briefen vgl. Kol. 4 , 1 6 ; Polyc. Phil. 1 3 , 2 ) und als eine theologische Einheit. Aus der Parallelisierung mit „den übrigen Schriften" folgt weiter, daß sie bereits kanonisches Ansehen haben und als normativ für Glauben und Leben der Kirche gelten. Freilich ist diese Sammlung der Paulusbriefe nach Auffassung der damaligen Kirche nicht nur ein kostbarer Schatz und ein verpflichtendes Erbe, sondern zugleich auch eine große Gefahr für die Rechtgläubigkeit. In ihnen steht manches Schwerverständliche, und was schwer zu verstehen ist, das ist leicht mißzuverstehen. Was der Verfasser speziell für mißverständlich hält, läßt sich nicht sagen. Im Zusammenhang der Berufung auf Paulus als eines Gewährsmannes läge es am nächsten, an ein Mißverständnis seiner Geist- und Freiheitslehre (vgl. 2 , 1 9 ) oder aber seiner Eschatologie (1. Kor. 1 5 , 5 0 z. B. ist von ein verpflichtendes Erbe, sondern zugleich auch eine große Gefahr für die Rechtgläubigkeit. In ihnen steht manches Schwerverständliche, und was schwer zu verstehen ist, das ist leicht mißzuverstehen. W a s der Verfasser speziell für mißverständlich hält, läßt sich nicht sagen. Im Zusammenhang der Berufung auf Paulus als eines Sekundanten läge es am nächsten, an ein Mißverständnis seiner Freiheits- und Pneumalehre (vgl. 2 , 1 9 ) oder aber seiner Eschatologie ( 1 . K o r . 1 5 , 5 0 z . B . ist von den Gnostikern in ihrem Sinn aufgegriffen worden) zu denken, doch bleibt das eine bloße Vermutung. Jedenfalls aber sind die Paulusbriefe nach Meinung des Verfassers durch die Irrlehrer „verdreht", also falsch ausgelegt worden (vgl. 1 , 2 0 ) . Diese Pseudoexegeten sind „unkundig" und „ungefestigt". Ihre Ignoranz ist nicht einfach Unbelehrbarkeit oder Lernunwilligkeit (nach 2. T i m . 3 , 6 f. sind die Irrlehrer gerade solche, die „immerzu lernen"). Unwissend sind sie vielmehr darum, weil sie das Falsche lernen und ihr Lernen und Lehren nicht an der kirchlich-apostolischen N o r m orientieren. Auch „ungefestigt" ist wohl keine Anspielung auf ihre sittliche Labilität, vielmehr fehlt ihnen der Halt an der in der Kirche anwesenden Wahrheit (vgl. 1 , 1 2 und 2 , 1 4 ) . Kurzum: sie beharren in ihrer Auslegung der Paulusbriefe nicht bei der rechten Lehre. Ihre Exegese ist eine Bedrohung der O r t h o d o x i e . Und genauso beuten sie nicht nur Paulus, sondern auch „die übrigen Schriften" für ihre Sache aus. D a ß die Gnostiker nicht nur Paulus, sondern auch andere Schriften des Alten und Neuen Testaments „exegesierten", ist ja bekannt (vgl. das Thomas-Evangelium oder
2 . P e t r . 3,14-18: Schlußmahnungen
155
die Johannesauslegung des Heracleon). Diese falsche Beschäftigung mit den Schriften kann nur zu eschatologischem Verderben führen. Um so wichtiger ist eine noch- 17 malige Warnung, sich nicht in den verführerischen Strudel der Irrlehre hineinreißen zu lassen und aus der Befestigung in der christlichen Wahrheit herauszufallen. Die Leser sind nun gewarnt („vorausschauen" läßt ein letztes Mal die Fiktion einer prophetischen Warnung vor den Häretikern durch Petrus anklingen). Mit der 18 Mahnung zum Wachsen in Gnade und Erkenntnis kehrt der Verfasser zum Anfang seines Schreibens zurück (1,2). Die Doxologie gilt hier anders als sonst meist im Neuen Testament Christus selbst (ebenso nur 2.Tim.4,18; vgl. dagegen z.B. l.Petr. 4,11). Ihm eignet die eschatologische Herrlichkeit jetzt und „bis zum Tag der Ewigkeit". Dieser Tag ist entweder der Tag, an dem die Ewigkeit anbricht, oder der Tag, der die Ewigkeit selber ist (vgl. Sir. 18,10). Es ist kaum Zufall, daß der Brief damit zum Schluß noch einmal das ins Gedächtnis ruft, was ihm besonders dringlich war: die Erinnerung an die christliche Zukunftserwartung.
DIE
JOHANNESBRIEFE Horst Balz Einleitung
1. Die Johannesbriefe in der alten Kirche: Keiner der drei Johannesbriefe nennt den Namen seines Verfassers. Ihre Verwandtschaft in der theologischen Sprache und ihre unverkennbare Nähe zum Stil und zum Denken des Johannesevangeliums haben jedoch dazu geführt, daß sie vom Ende des 2. Jahrhunderts an einzeln oder als geschlossene Gruppe mit dem Zebedäussohn Johannes, einem der zwölf Apostel, in Verbindung gebracht wurden, der seit der gleichen Zeit allgemein als der Verfasser des Johannesevangeliums galt. Ein Blick auf die altkirchlichen Nachrichten zeigt allerdings, dal? diese Zuordnung nicht einheitlich erfolgt ist. Unumstritten ist von den ältesten Zeugnissen an die Geltung des l.Joh. Schon Papias (um 140 n.Chr.) hat ihn nach Auskunft des Euseb (11139,17) benutzt. Irenaeus von Lyon hat ihn um 180 n.Chr. zusammen mit dem vierten Evangelium als Schrift des Herrenjüngers (und Apostels) Johannes bezeichnet. Etwa zur gleichen Zeit erwähnt ein Kanonsverzeichnis aus dem Bereich der westlichen Kirche (Canon Muratori) neben dem ausdrücklich zitierten l . J o h . einen weiteren Brief, der dem Jünger und Apostel Johannes zugeschrieben wird: „Mit der Aufschrift Johannes werden zwei Briefe in der katholischen Kirche gehalten." Einen der beiden kleinen Johannesbriefe scheint der Verfasser des Verzeichnisses nicht gekannt zu haben; vielleicht hat er ihn auch nicht als echt angesehen. Erst für Clemens von Alexandrien (Beginn des 3. Jahrhunderts) ist uns die Kenntnis aller drei Johannesbriefe bezeugt. Er soll sie nach Euseb (VI 14,1) in seiner kurzen Auslegung der gesamten Bibel unter den Schriften erklärt haben, die zur Zeit des Euseb (Anfang des 4. Jahrhunderts) als „katholisch" gelten. Schon ein bis zwei Generationen nach Clemens spricht der alexandrinische Bischof Dionysius vom l.Joh. als dem „katholischen" Brief, den der Evangelist Johannes unter Verzicht auf die Nennung seines Namens verfaßt habe; ihm schreibt er auch die beiden kurzen Briefe des „Ältesten" als den „sogenannten" 2. und 3.Joh. zu (Eus. VII 25,7f. 10 f.). Dem steht aber gegenüber, daß eben diese Briefe nach Äußerungen von Orígenes und Euseb bis ins 4. Jahrhundert hinein bei einer Reihe von Gemeinden nicht als apostolisch angesehen werden (Euseb VI 25,10; III 25,2 f.). Im Lauf des 4. Jahrhunderts fanden die drei Johannesbriefe als geschlossene Gruppe apostolischer Schriften in weiten Bereichen der Kirche allgemeine Anerkennung. Bekanntestes Dokument dafür ist das Kanonsverzeichnis des Metropoliten Athanasius von Alexandria (367 n. Chr.). Die großen Pergament-Bibelhandschriften, die uns vom 4. Jahrhundert an erhalten sind und zur Grundlage für die modernen kritischen Ausgaben des griechischen Neuen Testaments geworden sind, bestätigen diese Anerkennung.
Die Gemeinde und ihre Gegner
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2. Die Empfänger des l.Joh.: Der l.Joh. richtet sich wahrscheinlich an eine Gruppe von Gemeinden, die untereinander in Verbindung stehen. Er will diese Gemeinden im Glauben stärken, zur brüderlichen Liebe ermahnen und zum Festhalten am rechten Glauben auffordern. Er verlangt von ihnen zugleich die strikte Abkehr von einer Irrlehre, deren Wurzeln in der johanneischen Gemeinde selbst liegen (2,19). Uber die angesprochenen Gemeinden erfahren wir wenig Konkretes. Sie werden als „Kinder" (8mal) und „Geliebte" (6mal) bezeichnet. Zu dem Schreiber scheinen sie in einem engen Vertrauensverhältnis zu stehen. Nirgends können wir aber das geistliche oder alltägliche Leben dieser Gemeinden in Einzelzügen erkennen; nie werden Namen genannt. Wahrscheinlich hat der Verfasser nicht so sehr an die praktischen Nöte seiner Gemeinden gedacht, als vielmehr an die umfassende Bedrohung seiner Kirche durch bestimmte Verführer, deren Auftreten für ihn mit dem Kommen des „Antichristen" zusammenfällt (2,18). 3. Die Herkunft der Irrlehrer: Es ist nicht leicht, die im l . J o h . bekämpften Irrlehrer einer bestimmten religiösen Strömung zuzuweisen. So viel erscheint sicher: Sie halten sich für Christen (2,19). Sie betonen ihre Erkenntnis Gottes (2,4) und pochen auf ihre geistliche Überlegenheit über andere Christen (4,1). Sie glauben, allein durch ihre enge Gemeinschaft mit Gott gerettet zu sein, ohne daraus Konsequenzen für ihr alltägliches Verhalten zu ziehen (1,6). Wie sie den ins menschliche Dasein („ins Fleisch") gekommenen Christus verwerfen (4,3), so verachten sie auch die in der johanneischen Kirche gepflegte Überlieferung des Willens Jesu ( 2 , 7 f . ) . Sie haben mit der gefallenen Welt gemeinsame Sache gemacht und konnten deshalb von der weltüberlegenen Gemeinde im Grunde schon besiegt werden (4,4). Aber ihr Einfluß ist weiterhin gefährlich, ja er zeigt die großen Verwirrungen vor dem Ende der Zeit an (2,18). All das spricht dafür, daß die Gegner des l . J o h . einer gnostisch-enthusiastischen Bewegung zuzurechnen sind, welche die Überlieferungen der johanneischen Tradition zu einem streng dualistisch-metaphysischen Denken weiterentwickelt haben. Vielfach wurde angenommen, der l . J o h . verwerfe die Irrlehre des Kerinth, der gegen Ende des 1. Jahrhunderts in Kleinasien wirkte. Diese Vermutung wurde dadurch gestützt, daß Irenaeus die Häresie des Kerinth als direktes Gegenüber zu der Botschaft des Johannesevangeliums darstellt. Er gibt sogar eine Anekdote wieder, nach der Johannes in Ephesus eine Badeanstalt entsetzt verlassen habe, weil er Kerinth, den „Feind der Wahrheit", dort getroffen habe (Adv. Haer. III 3,4). Es lassen sich aber im l . J o h . weder die Unterscheidung zwischen einem oberen und einem unteren Gott noch die strenge Trennung zwischen dem geistigen Christus und dem niederen Jesus in der Weise finden, wie sie Kerinth lehrte. Näher verwandt mit den Gegnern des l . J o h . könnten schon die „Doketen" sein, die zu Beginn des 2. Jahrhunderts durch Ignatius von Antiochien bekämpft wurden: Sie nahmen die Menschlichkeit und Geschichtlichkeit Christi nicht ernst, wollten nichts von der Erlösung und Sündenvergebung durch den Kreuzestod Jesu wissen und ließen es vor allem an der Liebe untereinander fehlen. Die Irrlehrer des l . J o h .
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Die Adressaten des 2. u. 3.Joh.
haben mit den genannten Richtungen vieles gemeinsam, auch wenn sie sich mit keiner von ihnen direkt identifizieren lassen. 4. Die Empfänger der beiden kleinen Jobannesbriefe: Die beiden kleinen Johannesbriefe machen deutlichere Angaben. Der 2. Job. richtet sich an eine Gemeinde, die als „Herrin" angesprochen wird (V. 1.5). Die Gemeinde, aus welcher der Verfasser schreibt, ist die „auserwählte Schwester" der Herrin (V. 13). Der Brief fordert zum Kampf gegen die gleichen Irrlehrer auf, die uns aus dem l . J o h . bekannt sind. Sie sollen weder begrüßt noch ins Haus aufgenommen werden (V. 10 f.). Der Schreiber, der sich „Ältester" nennt, weiß sich für die Schwestergemeinde verantwortlich. Seine Autorität scheint dort unbestritten zu sein. Nur im 3. Job. spielen einzelne Personen und ihre Namen eine Rolle. Der „Älteste" schreibt an Gajus, der vielleicht von ihm getauft oder bekehrt worden ist und nun in einer fremden Gemeinde - zusammen mit Freunden (V. 15) - vorbildlich lebt (V. 2-4). Dort regiert ein gewisser Diotrephes, der den „Ältesten" nicht anerkennt (V. 9 f.). Die Gemeinde des Diotrephes dürfte bereits eine Frühform der zentral geleiteten Kirche darstellen, während die Gemeinden des „Ältesten" vor allem durch den gemeinsamen Glauben und das gemeinsame Bekenntnis gegen die Irrlehre zusammengehalten wurden. Der „Älteste" versucht nun, seine Autorität zu verteidigen, indem er seine „Kinder" (V. 4) auffordert, sich für die von ihm vertretene freie Mission über die Gemeindegrenzen hinaus einzusetzen (V.5-8.11 f.). So zeigen die beiden kleinen Johannesbriefe die Fronten, gegen die der Verfasser anzugehen hat: In erster Linie die gnostisch-doketische Irrlehre; daneben eine innerkirchliche Opposition, die sich wahrscheinlich im Namen eines veränderten Kirchenverständnisses gegen seine Autorität wendet. Nach allem, was wir von Ignatius und Irenaeus über die kleinasiatischen Irrlehrer und von Ignatius zusätzlich über die frühe Form des monarchischen Bischofsamtes wissen, sind beide Fronten gut in Kleinasien denkbar. 5. Die Abfassung der drei Briefe: N u r der 2. und 3. Job. weisen auf ihren Verfasser direkt hin, den „Ältesten". Beide Briefe stehen sich im Umfang, in der Diktion, in der Konkretheit des Anliegens und in den brieflichen Schlußwendungen sehr nahe. Sie sind wohl vom gleichen Schreiber abgefaßt, aber sie hängen nicht so eng miteinander zusammen, daß man hinter dem Schreiben des „Ältesten" an Diotrephes (3.Joh. 9) etwa den kanonischen 2.Joh. vermuten könnte. Wer war dieser „Älteste", der sich nach verschiedenen Seiten zugleich zu verteidigen hatte. Er brauchte seinen Namen nicht zu nennen, weil er als „Ältester" bzw. „Presbyter" schon hinlänglich bekannt war. Von Presbytern spricht Papias von Hierapolis, der sie nach neuerem Verständnis als Schüler der Apostel und besonders zuverlässige Übermittler der apostolischen Lehre ansieht. Einer dieser Presbyter heißt bei ihm „Johannes". Zugleich wissen wir, daß in den späteren urchristlichen Gemeinden den Ältesten die Aufgabe der Gemeindeführung und der Wahrung der rechten Lehre zukam, was die Tätigkeit eines oder mehrerer „episkopoi" (wörtlich: Aufseher, dann: „Bischof") als Leiter der Gemeinde nicht ausschloß (vgl. l . T i m . 3 , 1 f.; 4,14; 5,1; Apg.20,17.28 u. ö.). Der „Älteste" des 2. und 3.Joh. dürfte ein besonders hervorragender Vertreter der Presbytergeneration ge-
Abfassungsverhältnisse
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wesen sein, der als Haupt und „Vater" eines Kreises von Gemeinden galt. Vielleicht ist er mit dem „Presbyter Johannes" identisch, den Papias kennt, und von dem Euseb annimmt, er habe in Ephesus gewirkt. Dieser Zusammenhang läßt sich aber nur vermuten. Der l.Joh. ist mit den kleinen Johannesbriefen schwer zu vergleichen. Er befaßt sich mit wenigen Grundthemen und läßt die praktischen Lebensverhältnisse der Adressaten im Dunkel. Die drei Schreiben berühren sich allerdings vielfach in der theologischen Sprache: 2.Joh.4-8 steht l.Joh.2,5-7 nahe; die Auseinandersetzung mit den Irrlehrern von 2.Joh.7 berührt sich eng mit den Formulierungen von l.Joh.4,2f.; Ausdrücke wie „bleiben in . . . , in Wahrheit", sowie die Hervorhebung des Liebesgebotes bilden Klammern über das Johannesevangelium und die johanneischen Briefe hinweg. Dennoch ist nicht zu übersehen, daß der Dualismus von Licht und Finsternis, Lüge und Wahrheit, Aus-Gott-Sein und Aus-der-Welt-Sein, der den l.Joh. entscheidend prägt (vgl. l.Joh. 1,5; 2,4; 4,5f.), in den beiden kleinen Briefen nicht begegnet. Darüber hinaus ist zu fragen, ob sich der „Älteste" nicht auch im l.Joh. mit seiner Ehrenbezeichnung genannt hätte, wenn er diesen Brief geschrieben hätte. Die Lösung des Problems dürfte darin liegen, daß alle drei Johannesbriefe aus der johanneischen Gemeinde stammen und somit stark von dem Eindruck der Verkündigung und der Sprache des Johannesevangeliums geprägt sind. Den durch seinen Umfang und seine Gedankenführung aus dem johanneischen Briefkorpus herausragenden l.Joh. wird nicht der „Älteste" geschrieben haben, sondern ein Anonymus, der wie der „Älteste" bei den Gemeinden großes Ansehen besaß. Er bot seine Autorität als Zeuge des Lebens (1,1-3) auf, um die Gemeinden vor dem Abgleiten in die Irrlehre zu bewahren. Hätte er mit der Autorität eines Apostels sprechen können, dann hätte er auf einen entsprechenden Hinweis sicher nicht verzichtet. Wahrscheinlich gehören der l.Joh. und die Schicht der sogenannten Redaktion des Johannesevangeliums eng zusammen. Für beide ist das Motiv der rechten Zeugenschaft bezeichnend (vgl. Joh. 19,35; 21,24f. mit l.Joh. 1,1-3). Beide sehen in der Sondertradition des Johannesevangeliums die echte und zuverlässige Kunde von der Menschwerdung und dem Heilshandeln Jesu Christi, die es in einer späteren Situation für den Glauben und das Leben einer bestimmten Gruppe von Gemeinden zu aktualisieren gilt. Der l.Joh. mag dabei in der Mitte zwischen dem ursprünglichen Johannesevangelium und den Briefen des „Ältesten" stehen. Da er nach dem Evangelium und vor Papias geschrieben ist (vgl. Abschnitt 1), haben wir mit seiner Abfassung am Ende des 1. oder Anfang des 2. Jahrhunderts zu rechnen. 6. Der l.Joh. und das Johannesevangelium: Theologische Grundfragen können in beiden Schriften unterschiedliche Beantwortung finden, selbst wenn der Brief die Ausdrucksweise des Evangeliums vielfach aufnimmt. Beide Schriften sprechen von einem scharfen Gegensatz zwischen Licht und Finsternis. Während aber das Evangelium Christus oder den Logos als das Licht ansieht, das die Finsternis erleuchtet (Joh. 1,4; 8,12), bezeichnet der l.Joh. die
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Vergleich mit dem Johannesevangelium
Wirklichkeit Gottes als Licht, das vom Bereich der Finsternis grundsätzlich getrennt ist (1,5). Aus dem Gegensatz der Christusoffenbarung zu der unverständigen und heillosen Welt wird dadurch der innerchristliche Gegensatz zwischen denen, die ihren Bruder lieben und damit im Licht sind, und denen, die ihren Bruder hassen und damit in der Finsternis leben (2,8-11). Die Wendung „im Anfang" bzw. „seit Anfang" wird im Evangelium vom absoluten Anfang (Joh. 1,1) und vom Anfang der Jüngerschaft der Nachfolger (Joh. 15,27) verwendet. Auch der 1. Joh. kann mit der W e n d u n g „seit Anfang" auf den Uranfang zurückblicken (1,1; 2,13 f.; 3,8). Daneben findet sich aber auch ein neues Verständnis des Ausdrucks, das auf den Anfang der johanneischen Verkündigung als das Urdatum der rechten Kirche hinweist (2,7.24; 3,11; auch 2 . J o h . 5 f . ) . Darin verrät sich eine spätere kirchliche Situation. Ein ähnlicher Unterschied zeigt sich bei der A u f n a h m e des Liebesgebotes Jesu (Joh. 13,34) in 1. Joh. 2 , 7 f. (vgl. 2. J o h . 5 f.). Dieses nach dem Evangelium - gegenüber der unerlösten Welt - „neue" Gebot ist für den Verfasser des l . J o h . bereits ein „altes" Gebot, das „seit Anfang" die Mitte der johanneischen Kirche gebildet hat. Als solches hat es dann aber auch den Charakter des grundsätzlich „neuen" Gebotes, das den Forderungen dieser Welt voraus ist und auch von „Erneuerungen" durch die Häretiker nicht überholt werden kann. Vor allem gehört die Eschatologie hierher. Nach dem Evangelium geschieht im Glauben bzw. im Unglauben des einzelnen Menschen schon das Gericht Gottes, das in der Stellung des Menschen zu Christus vorweggenommen wird (Joh. 3,16-21). Natürlich steht auch für das Johannesevangelium der zukünftige Vollzug dieses Gerichtes noch aus. Gott wird die durch Christus vollzogene Scheidung zwischen Geretteten und Verlorenen endgültig machen (Joh.5,24-29). Im l . J o h . gerät diese Zukunft aber bereits unter den Aspekt des geschichtlichen Zeitverlaufs, so daß der Verfasser die Gegenwart seiner Kirche mit ihrer Bedrohung durch den „Gegenchristus" als die „letzte Stunde" vor dem Ende ansehen k a n n (2,18). Aus der eschatologischen „Stunde" der Offenbarung, die die Botschaft Jesu mit dem Glauben der Gemeinde und dem endgültigen H a n d e l n Gottes zusammenschließt (Joh. 5,25), wird so im l . J o h . eine neue Sicht der gegenwärtigen Situation der Kirche als der letzten und entscheidenden „Stunde". Diese theologischen Beobachtungen lassen sich noch durch zahlreiche Hinweise auf den unterschiedlichen Stil und die unterschiedliche Sprache beider Schriften ergänzen. Im Brief fehlen Wörter wie „richten, Gericht, Herrlichkeit, verherrlichen, senden, suchen, Herr", die für das Evangelium charakteristisch sind. Andrerseits sind 39 Wörter und Wendungen des Briefes dem Evangelium fremd. Dem Evangelium gilt zudem der Geist als Paraklet, d. h. „Beistand, T r ö s t e r " (z. B. Joh. 14,16), dem Brief Christus selbst (2,1). Dazu k o m m e n noch auffallende Unterschiede im Gebrauch von Präpositionen. Im Gegensatz zum Evangelium enthält der Brief keine Zitate aus der „Schrift", wenn auch einzelne alttestamentliche Motive nicht fehlen (vgl. 3,12: Kain). Auf die Verkündigung Jesu greift der Brief letztlich nur auf dem Umweg über den Text des Evangeliums zurück (vgl. 2 , 7 f . mit Joh. 13,34). All das spricht dafür, daß die Verfasser der beiden Schriften nicht identisch sind.
F o r m und Stil
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So wenig der Apostel Johannes, Sohn des Zebedäus und Bruder des Jakobus, als Verfasser des Johannesevangeliums gelten kann, so wenig kann er hinter dem 1. Joh. stehen. Die kirchliche Uberlieferung des 2. Jahrhunderts, die aus der johanneischen Gestalt des Jüngers, den Jesus liebhatte (Joh. 13,23-25), und aus den Angaben des Nachtragskapitels (Joh. 2 1 , 7 . 2 0 . 2 4 f.) auf den Herrenjünger (und Apostel) Johannes als den Intimus Jesu und Verfasser des Evangeliums schloß und von daher die gesamte johanneische Literatur mit dem Zebedäussohn in Verbindung zu bringen versuchte, hatte keine eigenständige Kenntnis der johanneischen Gemeinde und ihrer Geschichte mehr. Wenn auch die Feststellung, der 1. Joh. sei ein „johanneischer Pastoralbrief" (H. Conzelmann) sehr gewagt ist, weil in ihm die spezifischen Probleme der Gemeindeordnung keine Rolle spielen, so läßt sich doch sagen, daß der l . J o h . ein Dokument der Selbstbesinnung der johanneischen Kirche auf ihre besondere Überlieferung, ihr praktisches Gemeindeleben und ihre Abgrenzung gegenüber der nun in der Kirche selbst gefährlich werdenden Lehre dieser Welt darstellt. 7. Form und Stil der Johannesbriefe: Der l.Joh. ist kein echter Brief, sondern eher ein predigtartiger Aufruf. Man hat ihn auch als „Traktat" oder „Manifest" bezeichnet. Die Elemente eines Briefes könnte man allenfalls in dem barock gestalteten Eingangsteil (1,1-4) mit der Andeutung eines Grußes in V.4 und in dem Schlußteil Kap. 5,13-21 sehen, der in V. 13 auf das Vorhergehende zurückweist. Das Schreiben endet allerdings in Kap. 5 , 2 1 sehr abrupt. Briefliche Schlußgrüße sind nicht einmal angedeutet. Wohl versucht der Verfasser durch die Wendungen „ich schreibe euch" (13mal) eine enge Verbindung zu seinen Lesern herzustellen. Dennoch gilt sein Aufruf nicht nur einem bestimmten Kreis johanneischer Gemeinden, sondern es geht ihm um die Wahrung der rechten Christusbotschaft und der rechten Lebenspraxis angesichts der Einflüsse der christusfeindlichen Welt überhaupt. Aus diesem Grund mag er auf die typischen Formelemente des Briefes verzichtet haben; denn durch die genaue Benennung der Adressaten wäre diese umfassende Geltung des Aufrufs nur eingeengt worden. Dionysius von Alexandrien hat deshalb mit einem gewissen Recht den l . J o h . als „katholischen", d.h. für die Allgemeinheit bestimmten Brief bezeichnet (vgl. Abschnitt 1). Ganz anders sind der 2. und 3. Joh. gestaltet. Beide verwenden die zweiteilige orientalisch-jüdische Form des Briefeingangs, die schon durch die paulinischen Briefe vorgegeben war, und beide bieten echte Briefschlüsse. Entsprechend sind auch die Aussagen dieser kleinen Briefe, die je für sich etwa ein normales Papyrusblatt gefüllt haben, auf bestimmte Adressaten und auf ein konkretes Anliegen beschränkt. Stilistisch gehören der 2. und 3. Joh. eng zusammen. Sie sprechen eine recht frische Sprache. In beiden Briefen finden sich antithetische Aussagen (vgl. 2. Joh. 9 mit 3. Joh. I I b ) . Der l . J o h . hebt sich von ihnen jedoch durch besondere Stileigentümlichkeiten ab. Keine neutestamentliche Schrift weist so viele Wiederholungen von Ausdrücken und eine so starke Gleichförmigkeit bestimmter Wendungen auf wie der l.Joh. Ein logischer Fortschritt oder eine gedankliche Struktur, die größere Zusammen-
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Die Quellenfrage
hänge bestimmen könnte, lassen sich nur schwer erkennen. Die Sprachformen des l . J o h . bestehen vielmehr aus kleinen Einheiten: Der Parallelismus verbindet eine positive Aussage mit einer negativen (vgl. 2 , 4 f . ; 4,7f.). Der antithetische Parallelismus verschärft die Spannung solcher Aussagen durch die Entgegensetzung zentraler theologischer Ausdrücke (vgl. 1,5). Während sich in 1,5 die beiden Glieder der Aussage über Gott antithetisch entsprechen, kann der Verfasser auch kleinere Abfolgen gestalten, in denen sich zwei- bzw. dreigliedrige Sätze jeweils antithetisch gegenüberstehen (vgl. 1,6-10; 3,7-10). Bestimmte Ausdrücke verklammern die Einzelaussagen zu einer lockeren thematischen Einheit (vgl. 2 , 7 f.: altes/neues Gebot; 3,4-10: Sünde/Gerechtigkeit; 3,13-24: lieben/hassen/bleiben). An manchen Stellen werden die Gedanken assoziativ miteinander verbunden (vgl. l . J o h . 4 , 1 - 6 ; Stichworte: Geist/glauben/bekennen). Die Sprache des Briefes erhält dadurch einen weithin statischen Charakter, der durch die zahllosen Explikationen und Abgrenzungen noch verstärkt wird. Dennoch ist das Schreiben kaum als schwungloses Alterswerk anzusprechen, das allein wegen seines Stils etwa schon auf den „Alten" von Ephesus zurückzuführen sei. Neben den Antithesen und den lapidaren, sentenzartigen Sätzen bietet der l . J o h . nämlich auch größere paränetischhomiletische Partien, die mit ihrem praktischen Anliegen und ihrem eindringlichen Bestehen auf den Grundforderungen christlichen Lebens nicht den Eindruck von Beschaulichkeit erwecken. 8. Die Quellenfrage im l.Joh.: Im Anschluß an E. v. Dobschütz vermutete R. Bultmann 1927 einen aus antithetischen Zweizeilern bestehenden gnostischen Offenbarungstext mit starkem dualistischem Gepräge als Vorlage des l . J o h . , den er in 32 Versen des Schreibens wiederfand (bes. 1,5-10; 2 , 4 f . 9-11; 3,4.6-10). H. Braun sah jedoch 1951 diese Vorlage als christlich an, und W. Nauck dachte 1957 gar an einen strophischen Text, den der Verfasser des l . J o h . zu einem früheren Zeitpunkt selbst geschrieben habe. Andere Ausleger wie E. Käsemann, E. Haenchen und R. Schnackenburg halten an der Einheitlichkeit des Schreibens fest und führen die Unterschiede des Stils und der theologischen Akzentsetzung auf das Nebeneinander von Tradition und Explikation bzw. von antithetischer Auseinandersetzung mit den Gegnern und homiletischer Ermahnung der Gläubigen zurück. Ähnlich steht es mit den redaktionellen Zusätzen, die Bultmann vor allem in den eschatologischen Aussagen des l . J o h . und in 5,13ff. gesehen hatte, und den 12 Einzelabschnitten jüdischer Herkunft, die J . C. O'Neill in christlicher Bearbeitung durch den Verfasser im l . J o h . wiederfinden möchte. Ist erst der spätere Ort des l . J o h . gegenüber dem Johannesevangelium erkannt, dann dürfen auch theologische Aussagen, die über das Evangelium hinausführen, nicht ohne weiteres als spätere Zusätze zum Brief angesprochen werden. Wir müssen vielmehr versuchen, das gesamte Schreiben als Einheit zu verstehen, selbst wenn sich die vielfachen Wiederholungen, Stilwechsel und formalen Probleme des l . J o h . zunächstgegen eine solche Auslegung zu sperren scheinen. Unser Wissen um die zweifache Aufgabe des Verfassers (vgl. Abschnitt 2) bietet uns den Schlüssel zum Verständnis des Schreibens.
Theologie und Religionsgeschichte
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9. Das theologische Profil der Johannesbriefe: Die theologischen Aussagen der Johannesbriefe bestechen zunächst durch den Anschein großer Einfachheit und Einheitlichkeit. Die Schwierigkeiten zeigen sich erst bei eingehendem Lesen. Dem Verfasser geht es vornehmlich um die Gemeinschaft mit Gott oder das Bleiben in Gott, das jede Verbindung der Glaubenden mit dieser Welt der Lüge und des Hasses ausschließt. Nur die gehören zu Gott, die sich in allem an Jesus Christus halten und ihr Leben ganz von seinem Heilswerk, aber auch von seinem Liebesgebot her bestimmen lassen. Deshalb gibt es kein Erkennen Gottes ohne das Halten des Gebotes Jesu, und es gibt keine Liebe zu Gott ohne die Liebe zum Bruder. Obwohl die Glaubenden nach dem l . J o h . wissen, daß Christus für die Sünden der Welt gestorben ist (2,1 f.), so daß bei denen, die aus Gott sind, die Sünde nicht mehr herrscht (3,9), bekennen sie sich doch als sündige Menschen, um nicht die grundsätzliche Bedeutung der Erlösungstat Christi zunichte zu machen (1,8-10). Bei der Entfaltung seines Themas liegt dem Verfasser alles an der Unterscheidung von echtem und falschem Christusglauben (vgl. 2,22 f.; 4 , 2 f.). Deshalb das unmittelbare Nebeneinander von Paränese und Antithese. Wer die Liebesgemeinschaft mit seinen christlichen Brüdern verläßt, um sich einer spiritualistisch-gnostischen Religiosität hinzugeben, der fällt in die bereits überwundene Welt zurück (4,4-6). Für solchen Rückfall kommt nicht einmal die Fürbitte der Gemeinde in Frage, denn die Betreffenden haben die Gemeinschaft mit Gott längst von sich aus zerrissen (vgl. 5,17f.). Die johanneische Sprache ist in den Johannesbriefen bereits zu einer „Kirchensprache" geworden, deren Wendungen vielfach formelhaft abgeschliffen sind. Wenn bestimmte Kernsätze dieser Sprache (z.B. 1 . J o h . 4 , 8 . 1 6 ) in der Gegenwart als Programm eines „weltoffenen" und „undogmatischen" Christentums aufgefaßt werden, so ist ihre eigentliche Intention verkannt. Wohl trieb die johanneische Kirche Mission (vgl. 3. J o h . 2 . 5 - 8 . 1 1 ff.); sie isolierte sich aber gleichzeitig zunehmend von der „Welt", die sie außerhalb und innerhalb des Christentums in Erscheinung treten sah. 10. Der religionsgescbichtliche Hintergrund: Der l . J o h . bedient sich der Offenbarungssprache gnostischer und synkretistischer Gruppen („aus Gott sein, Gott erkennen, Gemeinschaft mit Gott haben, Licht-Finsternis, Wahrheit-Lüge" usw.). Es zeigt sich aber, daß diese Wendungen im l . J o h . anders verstanden werden als in der Gnosis. Der Verfasser schlägt seine Gegner mit ihren eigenen Waffen. Weil die Gegner die entscheidenden Inhalte und Vokabeln der johanneischen Tradition in einem spekulativ-dualistischen Sinn entstellt haben, läßt er sich zunächst auf ihre Sprache und ihr Denken ein, um nun seinerseits zu zeigen, daß es nicht um Wissen, Erkenntnis und Heilssicherheit geht, sondern um die Gemeinschaft mit Gott, um die Wahrung des überlieferten Bekenntnisses und um die brüderliche Liebe in der Gemeinde. Der Verfasser des l . J o h . steht näher beim Johannesevangelium und bei verschiedenen Strömungen des frühen Judentums als bei der Gnosis.
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Zusammenhänge mit dem Judentum
Antithesen von der Art des l . J o h . finden sich in der synkretistisch-gnostischen wie in der jüdischen Literatur (Midraschim, Mischna). Thetische Sätze im partizipialen oder konditionalen Stil kennt besonders die antike Reditssprache, die auch im alttestamentlich-jüdischen Bereich beheimatet ist. Der häufige Wechsel zwischen antithetischem und homiletischem Stil hat Vorbilder in der rabbinischen Sprache. Die einfache Diktion des l . J o h . könnte seinen Verfasser als einen der griechischen Iiteratursprache fernstehenden Schreiber ausweisen. Er bildet keine längeren Perioden, gebraucht Präpositionen und Partikeln recht sparsam, zeigt eine Vorliebe für Verbindungen mit „und" sowie für substantivierte Partizipien in Verbindung mit „jeder, der". Zwar beherrscht er die griechische Umgangssprache (Koine), aber das Aramäische scheint ihm näher gestanden zu haben als das Griechische (vgl. 5,18). Dafür spricht auch, daß sich im 1. Joh. keinerlei Berührungen mit der zeitgenössischen hellenistischen Philosophie erkennen lassen. Auch mit Schriften von jüdischen bzw. judenchristlichen Autoren wie Philo und Paulus, die dem griechisch sprechenden Diasporajudentum entstammen und sich sprachlich ihrer griechischen Umwelt stark anpassen konnten, läßt sich der l . J o h . kaum vergleichen. Auch wenn der Verfasser des l . J o h . auf alttestamentliche Vorstellungen nur vereinzelt direkt anspielt, zeigt er sich doch mit der jüdischen Überlieferung vertraut. Er kennt den Teufel bzw. den Bösen als den Verführer zur Sünde (3,8), er spricht vom Bittgebet und von der Fürbitte (3,22; 5,16), er weiß zwischen der Sünde zum Tode und nicht zum Tode zu unterscheiden (5,16 f., vgl. Num. 15,22-31), und er nimmt schließlich die apokalyptischen Vorstellungen vom Auftreten der widergöttlichen Mächte in der „letzten Stunde" (2,18) und vom Tag des Gerichts (4,17; 2,28) auf. Einige Berührungen ergeben sich zwischen dem l . J o h . und den Schriften der essenischen Gemeinschaft von Qumran. Dort finden sich schon in vorchristlicher Zeit dualistische Gegensatzpaare, die dem johanneischen Dualismus vergleichbar sind, wie Licht-Finsternis, Gott-Teufel (Belial), Wahrheit-Lüge (Verkehrtheit), Liebe-Haß. Die priesterlich und gesetzlich orientierten Frommen von Qumran sahen sich in einen scharfen Widerspruch zu den „Söhnen der Finsternis" gestellt, die dem Belial und dem Geist des Frevels zugehörten. In gleicher Weise sieht der Verfasser des l . J o h . in dem Zerbrechen der einheitlichen Lehre und des gemeinsamen Bekenntnisses der johanneischen Gemeinden den Bruch zwischen denen wirksam werden, die aus Gott sind, und denen, die aus der Welt sind und vom Geist der Lüge beherrscht werden. Die genannten alttestamentlich-jüdischen Vorstellungen sind durch die Vermittlung der johanneischen Gemeinde auf den Verfasser des l . J o h . gekommen, und es ist auf jeden Fall zu bedenken, daß der Verfasser die geläufigen Vokabeln von seiner Christologie her und im Dienst der Auseinandersetzung mit den Irrlehrern mit neuen Inhalten füllt. Dennoch helfen uns die Bezüge zu einzelnen Strömungen des Judentums, den religionsgeschichtlichen Hintergrund des l . J o h . zu erkennen.
Literaturhinweise
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DER ERSTE
JOHANNESBRIEF
Horst Balz Der l . J o h . besitzt einen deutlich erkennbaren Eingang (1,1-4) und einen entsprechenden Schluß (5,13-21). Den Hauptteil des Schreibens machen drei in sich relativ geschlossene Gedankenkreise aus: I. 1,5-2,27: Die rechte Botschaft und die Irrlehre (weiterführendes Stichwort: „Bleiben" in 2 , 2 4 . 2 7 und 2 , 2 8 ; 3 , 2 4 ) . II. 2,28-3,24: Das T u n der Christen und ihre Zugehörigkeit zu Gott (weiterführendes Stichwort: „Geist" in 3 , 2 4 und 4 , 1 - 3 . 6 ) . III. 4,1-5,12: Glaube und Liebe gehören zusammen, weil Gott der Liebende schlechthin ist (auf die Rahmenteile hinweisendes Stichwort: „Leben" in 5 , 1 1 f., vgl. 1 , 1 f. und 5 , 1 3 . 2 1 ) . Wenn man sich die „Situation" des l . J o h . vergegenwärtigt, wird man ihn nicht als eine nach literarischen Kunstregeln aufgebaute Meditation über die Themen „Glaube, Hoffnung, Liebe" o. ä. auffassen wollen. Der l . J o h . ist durchweg unliterarisch angelegt. Die oben angegebene einfache Einteilung läßt sich jedoch schon dadurch rechtfertigen, daß jeder der genannten Abschnitte durch deutlich erkennbare Schlußwendungen begrenzt wird. Die Verse 2 , 2 6 f. blicken auf die Auseinandersetzung mit den Irrlehrern zurück; in 3 , 2 3 f. werden die Aussagen über das rechte Handeln (vgl. 2 , 2 9 ) und über das „Bleiben" in Christus (2,28) abgeschlossen; die Verse 5 , 1 0 - 1 2 beenden den Disput über rechten und falschen Glauben (vgl. 4 , 1 ) und führen mit dem Stichwort „Leben" zugleich zum Eingang des Schreibens zurück. Die Hauptabschnitte lassen sich aber auch thematisch als Einheiten erkennen. 1 , 5 - 2 , 2 7 ist entsprechend der antithetischen Grundthese (1,5) zunächst von sechs aneinandergereihten Gegenüberstellungen bestimmt ( 1 , 6 - 2 , 1 1 ) . Anschließend werden die beiden Fronten klar umrissen: Die Gemeinde (2,12-17) und die endzeitlichen Christusleugner (2,18-25). Der Verfasser schreitet also vom Grundsätzlichen zum Konkreten fort. In den sechs Gegenüberstellungen wird jeweils eine Behauptung der Gegner mit ihrer (verfehlten) Haltung bzw. mit der rechten Praxis der Gemeinden konfrontiert. Der zweite Hauptabschnitt entfaltet unter dem Gesichtspunkt des „Bleibens" die Praxis derer, die aus Gott sind. Auch hier lenken Antithesen und Gegenüberstellungen den Blick auf das Handeln derer, die dem Teufel zugehören (vgl. 3 , 4 f. 6 . 7 f . 9 f. 14 f. 18). In 4 , 1 - 5 , 1 2 greift der Verfasser die Stichworte Liebe und Glaube aus 3 , 2 3 auf und hebt sie auf die theologische H ö h e der johanneischen Botschaft. Die Glaubenden antworten auf die Liebe Gottes, indem sie ihre Brüder lieben. Damit bedeutet der Glaube den Sieg über die Welt und das wahre Leben. Auch hier kann die Auseinandersetzung mit den Verführern nicht fehlen ( 4 , 1 - 6 . 2 0 ; 5 , 1 0 . 1 2 ) . Der Schluß (5,13-21) betont das Moment der Heilsgewißheit und prägt die Absage an „diese Welt" und ihre „falschen Götter" endgültig ein.
l . J o h . 1 , 1 - 4 : Das Zeugnis vom W o r t des Lebens
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Der Eingang des Schreibens 1 , 1 - 4 1 Was vom Anfang her gewesen ist, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen haben, was wir angeschaut haben, und unsere Hände haben es berührt, es handelt sich um das „Wort" des Lebens 2 und das Leben erschien, und wir haben gesehen und bezeugen und tun euch kund das ewige Leben, das beim Vater war und uns erschienen ist - , 3 was wir (also) gesehen und gehört haben, das tun wir euch kund, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt. Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. 4 Dies schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei.
Der l . J o h . beginnt nicht mit den üblichen Eröffnungsformeln eines Briefes, sondern er setzt mit dem großen Atem einer Rede oder eines Aufrufes ein. Die grammatikalische Konstruktion des Eingangs ist unübersichtlich, während sich der Sinn des Zusammenhangs recht schnell erfassen läßt. Der Verfasser hat in einem einzigen Satz (V. 1-3 a) eine Fülle von Einzelaussagen zusammengefügt. Subjekt und Prädikat finden sich erst am Ende: „wir tun euch kund" (V.3a). Die vorangestellten kurzen Relativsätze in V. 1 bestimmen den Gegenstand dieser Kunde näher. Sie werden in V. 3 a zusammenfassend wiederaufgenommen und weitergeführt, während der gesamte V. 2 als Einschub zu verstehen ist, der sich an das Stichwort „Wort des Lebens" (V. 1) anschließt. Die Konstruktion des Satzes wird dadurch belastet, daß auch in diesem Einschub vom „Kund-tun" gesprochen wird und damit das Hauptverbum des Satzes vorweggenommen ist. Diese Verdoppelung der Aussagen macht deutlich, daß es dem Verfasser vor allem um die Verkündigung des Lebens bzw. des Lebenswortes geht. Das Gerüst des überlangen Einleitungssatzes hat also folgende Gestalt: „ . . . in bezug auf das Wort des Lebens . . . , was wir gesehen und gehört haben, das tun wir euch kund . . . " Der Verfasser will von einer Sache, einer Botschaft sprechen; deshalb die neutralen Relativsätze in V. 1. Zugleich liegt das Besondere seiner Aussage darin, daß die Bekundung dieser Sache mit der Bezeugung einer Person zusammenfällt, die in V. 3 b abschließend genannt wird: Jesus Christus, der Sohn. Der Eingang des l . J o h . lehnt sich an den Prolog des Johannesevangeliums an. Eine Gegenüberstellung macht den Zusammenhang deutlich: l.Joh. 1 1: Vom Anfang her 1-3: Wir haben gehört, gesehen . . . 1: Das Wort des Lebens 2: Das Leben erschien 2: Es war beim Vater
Joh.l 1: Am Anfang 14: Wir schauten seine Herrlichkeit 4: In ihm war Leben 14: Das Wort ward Fleisch (vgl. V. 9.11) 1.2: Das Wort war bei Gott (vgl. V.18)
Es bestehen aber auch Unterschiede. Im johanneischen Prolog geht es um das Zusammentreffen des göttlichen Wortes, das in der Gestalt eines Menschen in die Welt kam, mit dieser Welt des Todes und der Finsternis. An der Stellung der Welt zu dem fleischgewordenen Wort entschied sich das Schicksal der Menschen, voll-
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l . J o h . 1,1-4: Das Zeugnis vom Wort des Lebens
zog sich endgültig die Trennung zwischen der Finsternis und den Kindern Gottes (Joh. 1 , 4 f. 9 - 1 3 ) . Für den l . J o h . liegt diese grundsätzliche Entscheidung schon zurück. Er wendet sich an die, welche das W o r t des Lebens angenommen haben (vgl. J o h . 1 , 1 2 ) , für welche die Grenze zwischen Licht und Finsternis also bereits zur Grenze zwischen Glaubenden und Verlorenen geworden ist. Es geht nicht mehr darum, wie Jesus Christus als der in die W e l t gesandte Gottessohn recht verstanden werden kann, sondern es geht um die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit der überlieferten johanneischen Botschaft. 1
An exponierter Stelle spricht der 1. J o h . vom Anfang aller Dinge, aber es ist nicht vom Anfang an sich die Rede wie in J o h . 1 , 1 , sondern von dem, was „vom Anfang h e r " ist, in Jesus Christus konkrete Gestalt gewonnen hat und seither weiterwirkt in der Botschaft der Zeugen (vgl. 1. J o h . 2 , 1 3 f.). Dieser Rückverweis auf den Uranfang verbindet das „ W o r t des L e b e n s " mit der durch die Sünde und den Teufel noch nicht entstellten (vgl. l . J o h . 3 , 8 ) Urwirklichkeit der Schöpfung Gottes. An anderen Stellen gebraucht der Verfasser die Wendung „seit A n f a n g " in engerem Sinn, nämlich vom Anfang des Hörens der Botschaft und des Glaubens der Kirche ( 2 , 7 . 2 4 ; 3 , 1 1 ; vgl. 2 . J o h . 5 f . ) . Er hält also daran fest, d a ß in seiner Botschaft der Anfang aller Dinge präsent ist, aber auch die rechte christliche Überlieferung, die noch nicht durch die Neuerungen Späterer verzerrt wurde. Die angeschlossenen akkusativischen Relativsätze führen zu der Frage, wie diese Botschaft recht vermittelt werden kann. D e r Inhalt der Botschaft, das was das W o r t des Lebens ausmacht, konnte sinnlich wahrgenommen werden. Eine nur geistige Wahrnehmung ist nachdrücklich ausgeschlossen. D a s unmittelbare Sehen und das körperliche Berühren des Auferstandenen begegnet nebeneinander in der Thomasgeschichte (Joh. 2 0 , 2 4 f. 2 7 - 2 9 ) , das Schauen der Herrlichkeit des
fleisch-
gewordenen Wortes in J o h . 1 , 1 4 . In l . J o h . 1 , 1 ff. geht es aber über die T h o m a s geschichte hinaus nicht allein um die Realität des Auferweckten, sondern darum, daß das göttliche Leben in Jesus Christus überhaupt gegenwärtig wurde. W e r sind aber die „ W i r " , die als Zeugen gelten? Es sind auf jeden Fall Glaubende, die nicht nur den Menschen Jesus sahen wie seine jüdischen Zeitgenossen, sondern in ihm die Erscheinung des Lebens erkannten. D e m l . J o h . geht es nicht um historische Dokumentation, sondern um die Heilserfahrung, die die Glaubenszeugen mit Jesus gemacht haben. Das läßt uns verstehen, wieso sich der Verfasser des l . J o h . in den Kreis dieser Jünger und Zeugen Jesu hineinstellen kann, obwohl er in einer späteren Situation schreibt und in seiner eigenen Verkündigung bereits von der Botschaft des Johannesevangeliums
abhängig ist (vgl. die Einleitung, Ab-
schnitte 5 . 6 . 9 ) . Selbst wenn er nicht Jünger Jesu ist, versteht er sich doch als echten Zeugen des Lebens, denn zum ersten hat er an der geschichtlichen Vermittlung des ursprünglichen Zeugnisses durch die johanneische Tradition Anteil, und zum zweiten entspricht die Glaubenserfahrung der Späteren der Sinneserfahrung der Urzeugen darin, daß beide durch Jesus Christus der Wirklichkeit Gottes begegnen. Der Verfasser betont die sinnliche W a h r n e h m u n g des Lebens nicht deshalb, weil er sich vor seinen Lesern als Jünger und Apostel Jesu ausweisen will, sondern weil er von Anfang an den Kampf mit den Irrlehrern aufnimmt: W ä h r e n d diese ihren Christus fernab v o m Wirken und Verkündigen J e s u gewinnen wollen (vgl. 2 , 2 2 f.;
l.Joh. 1,1-4: Das Zeugnis vom Wort des Lebens
169
4 , 2 f.), liegt dem Verfasser alles an dem wirklichen Gebot und Willen Jesu als dem „Wort" des Lebens selbst. Auch am Anfang des Johannesevangeliums begegnet dieses „Wir" der glaubenden Gemeinde (1,14). Der l . J o h . nimmt es auf. Er spitzt das „Wir" aber auf seine Situation der Auseinandersetzung zu, indem er es nicht auf die Glaubenden schlechthin anwendet, sondern auf die besonders hervorgehobene Gruppe der autoritativen Zeugen. Die Wendung „es handelt sich um das Wort des Lebens" ist syntaktisch ungeschickt angefügt. Der Fluß der Relativsätze wird unterbrochen, weil für den Verfasser der Rückbezug auf den Anfang selbst und die sinnliche Wahrnehmung der Person Jesu Christi erst in ihrer Gesamtheit das Wort des Lebens ausmachen. Viele, die Jesus hörten und sahen, sahen ihn eben nicht als das Wort des Lebens. „Wort" hat hier, wie schon in Joh. 1 , 1 - 4 . 1 4 , einen personhaften Sinn (vgl. die Auslegung des Johannesevangeliums). Jesus Christus hat in seiner Person den ewigen Willen und das ewige Wesen Gottes verkörpert und dadurch den Menschen Leben gewährt. Er ist das göttliche Wort, die Offenbarung Gottes, indem er Leben von Gott her vermittelt und die Menschen in einen Gegensatz zu dieser „Welt" hineinstellt. Dadurch erhalten die Glaubenszeugen Jesu Gemeinschaft mit Gott ( V . 3 b ) , genauer: Sie haben Anteil an dem von Gott durch Christus gewährten Leben. Die späteren mandäischen Texte sprechen ebenfalls vom „Wort des Lebens"; sie haben allerdings die direkte Beziehung auf die Verkörperung dieses Lebens in Jesus Christus aufgegeben. Insofern stehen sie näher bei den Gegnern des l . J o h . als bei der johanneischen Theologie selbst. Daß die Sinnes- und Glaubenszeugen Jesu Christi tatsächlich das Wort des 2 Lebens wahrgenommen haben, wird in einem Einschub entfaltet. Wie vorher das „Wort", so ist auch hier das „Leben" personifiziert gedacht (vgl. J o h . 1 1 , 2 5 ; 14,6); denn was das Leben bedeutet, das ist durch die geschichtliche Erscheinung Jesu Christi offenbar geworden. Das „ewige Leben" ist nichts anderes als das Leben selbst (vgl. J o h . 3 , 3 6 ; 5 , 2 4 ) ; das Adjektiv hebt nur hervor, daß dieses - in Christus offenkundig gewordene - Leben allem zerstörbaren, vergänglichen und unvollkommenen Leben dieser Welt überlegen ist, daß es den Anfang (1,1) und somit auch das Ende (vgl. 2 , 2 8 ) der Welt darstellt, daß es die eigentliche Heilsmacht Gottes ist, mit der er in der Erscheinung Christi der Welt zur Hilfe gekommen ist. Das Zentrum der Heilsbedeutung Jesu Christi liegt hier wie schon im Evangelium in der Menschwerdung. Dabei ist die Konkretheit des inkarnierten Wortes bzw. Lebens gegenüber dem Evangelium noch gesteigert. So muß eine Theologie von Christus denken, die von dem scharfen, dualistischen Gegensatz zwischen Gott und Welt, Leben und T o d ausgeht und das Heil in der einmaligen Überbrückung dieses Gegensatzes durch das Kommen des göttlichen „Wortes" in diese Welt gegeben sieht. Für Paulus ist der Gedanke der Menschwerdung bzw. Sendung des Gottessohnes stärker von der Vorstellung des sühnenden und stellvertretenden Leidens Jesu, also vom Kreuz her bestimmt (vgl. G a l . 4 , 4 ; Phil. 2,5-11). Aus der johanneischen Theologie konnte sich das Mißverständnis entwickeln, als gingen das Wort, das Leben oder die Wahrheit lediglich die Erkenntnis des Menschen an. Bereits der Verfasser des l . J o h . muß dieses Denken als eine Glaubensverwirrung verwerfen, die die Kirche spaltet. Sein Beharren auf der überkommenen Theologie
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1. Joh. 1,1-4: Das Zeugnis vom Wort des Lebens
der Menschwerdung trägt also antihäretische Züge. Auf diese Weise bereitet sich in der johanneischen Gemeinde ein innerkirchlicher Konfessionalismus vor. 3 Daß in V . 3 vom „Sehen und Hören" in anderer Reihenfolge die Rede ist als in V. 1, erklärt sich aus dem Zusammenhang. An das „Erscheinen" (V. 2) schließt sich sinngemäß zunächst das „Sehen" an, während dem „Wort" (V. 1 Ende) an erster Stelle das „Hören" entspricht. Durch die Aufeinanderfolge der Verben in V.3 entsteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem „Hören" und dem „Weitersagen", was auch eigens hervorgehoben wird: Wir tun es auch euch kund. Spätere griechische und lateinische Handschriften haben dieses „auch" im Interesse einer Glättung des Stils ausgelassen. Ziel der Verkündigung - und damit auch des 1. Joh. ist die Gemeinschaft der Leser mit den Zeugen. Der polemische Akzent ist auch hier deutlich. Nur diese Gemeinschaft vermittelt auch Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Angesichts der bedrohten Lage der angesprochenen Gemeinden ist ein freies und individualistisches Direktverhältnis zum Vater nicht mehr möglich (vgl. die noch anders lautenden Formulierungen von Joh. 8 , 4 2 ; 14,7). Natürlich gilt weiterhin, daß den Vater hat, wer mit dem Sohn verbunden ist (vgl. Joh. 10,30; 14,9; 1. Joh. 2,22-24), aber diese Verbindung ist nicht auf ein Wissen von Christus beschränkt, sondern sie wird erst in der vollen Gemeinschaft der Christen mit den wahren Zeugen Jesu Christi wirksam, dann also, wenn sie sich im praktischen Leben bewährt. Von „Gemeinschaft" ist zwar nur in 1. Joh. 1,3 und 1 , 6 f. die Rede, aber das Thema Gemeinschaft bestimmt in den Motiven des Seins oder Bleibens in Gott das gesamte Schreiben (vgl. 2 , 5 f . 2 4 . 2 7 f . ; 3 , 2 4 ; 4 , 1 3 ) . Das Nachwort zeigt in 5 , 1 3 , daß die Angesprochenen die Gemeinschaft mit Gott nicht erst gewinnen müssen, sondern bereits haben. Dem rechten Verständnis dieses „Habens" gilt das Hauptanliegen des 1.Joh. Aus der Gemeinschaft mit Gott fallen die heraus, die über dem Erkennen Gottes das Tun des Willens Gottes nach den Geboten Jesu vergessen ( l . J o h . 4 2,15-17). Mit seinem Abschluß leitet der Eingangsteil zu diesem Ziel des gesamten Schreibens über; in 5 , 1 3 wird es dann zusammenfassend wieder aufgegriffen. Es war in antiken Briefen üblich, den Adressaten Freude, Frieden oder Segen zu wünschen. Hier geht es aber um mehr. Freude ist in der johanneischen Sprache ein Inbegriff des Heils. Der Jesus der johanneischen Abschiedsreden verheißt den Seinen die Teilhabe an seiner Freude, d.h. seiner Verbundenheit mit dem Vater, und spricht ihnen damit vollkommene Freude zu ( J o h . 1 5 , 1 1 ; 1 6 , 2 2 . 2 4 ; 17,13; vgl. 2. Joh. 12). Für die Glaubenden bedeutet diese Freude schon inmitten dieser Welt ihre Befreiung zum wahren Leben. An unserer Stelle nimmt der Absender im Namen der Zeugen und Verkünder diese Freude für sich selbst, nicht für die Adressaten in Anspruch. Seine Freude ist dann ungetrübt und ein Ausdruck der vollkommenen Verbindung mit Gott, wenn er sich mit den Glaubenden zusammen in der wahren Gottesgemeinschaft verbunden weiß.
1. Joh. 1 , 5 - 2 , 1 1 : Die rechte Botschaft und die Irrlehre
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Der Hauptteil des Schreibens 1, 5 - 5 , 1 2 I. Abschnitt: Die rechte Gestalt der Botschaft und ihre Entstellung durch die Irrlehrer 1 , 5 - 2 , 2 7 1. Die grundsätzliche
Gegenüberstellung
1,5-2,11
5 Und das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch weitergeben: Gott ist Licht, und es gibt keinerlei Finsternis in ihm.
Wenn wir sagen: „Wir haben Gemeinschaft mit ihm" und gehen unseren Weg in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. 7 Wenn wir aber unseren Weg im Licht gehen, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut Jesu, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde. 6
Wenn wir sagen: „Wir haben keine Sünde", so führen wir uns selbst in die Irre, und die Wahrheit ist nicht in uns. ' Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, uns die Sünden zu vergeben und uns zu reinigen von allem Unrecht. 8
10 Wenn wir sagen: „Wir haben nicht gesündigt", so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns. 2 , 1 Meine Kinder, das schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt! Wenn aber einer sündigt, so haben wir einen Beistand beim Vater, Jesus Christus, der gerecht ist; 2 er ist das Sühneopfer für unsere Sünden, jedoch nicht nur für unsere, sondern für die ganze Welt.
Daß wir ihn erkannt haben, erkennen wir daran, daß wir seine Gebote halten: Wer sagt: „Ich habe ihn erkannt" und seine Gebote nicht hält, der ist ein Lügner, und in ihm ist nicht die Wahrheit. 5 Wer aber sein Wort hält, wahrhaftig ist in dem die Liebe Gottes zum Ziel gekommen. 3 4
Daß wir in ihm sind, erkennen wir daran: 6 Wer sagt, er bleibe in ihm, muß so, wie jener seinen Weg gegangen ist, auch selbst seinen Weg gehen. 7 Geliebte, kein neues Gebot schreibe ich euch, sondern ein altes Gebot, das ihr von Anfang an gehabt habt; das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt. 8 Andrerseits schreibe ich euch (doch) ein neues Gebot; das ist wahr im Blick auf ihn und auf euch, weil die Finsternis weicht und das echte Licht bereits scheint. • Wer sagt, er sei im Licht, und haßt seinen Bruder, der ist bis jetzt in der Finsternis. 10 Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und es ist kein Makel an ihm. 11 Wer aber seinen Bruder haßt, der ist in der Finsternis und geht seinen Weg in der Finsternis; er weiß nicht, wohin er geht, weil die Finsternis seine Augen blind gemacht hat.
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l.Joh. 1,5-2,11: Licht und Finsternis
Die These 1,5 5
Im Prolog des l.Joh. begründete der Verfasser sein Recht, die angesprochenen Gemeinden in der Gemeinschaft mit den wahren Zeugen und dadurch mit dem Vater und dem Sohn festzuhalten. Nun formuliert er thetisch den Inhalt seiner Botschaft: Wo Licht ist, ist kein Schatten, geschweige denn irgendwelche Finsternis. Der Vergleich mit l . J o h . 2 , 8 , wo eine zeitliche Ablösung der Finsternis durch das Licht in den Blick kommt, macht deutlich, daß in 1,5 angesichts der Irrlehre radikal antithetisch gedacht wird. Der Verfasser gibt an, er habe diese Botschaft über Gott zusammen mit seinen Mitverkündern von Jesus Christus gehört. Er greift damit auf das Johannesevangelium zurück. Der Jesus des Evangeliums gilt selbst als das Licht und bezeichnet sich als das Licht (insgesamt etwa 20 Belege, vgl. Joh. 1,4f. 7-9; 3,19; 8,12), nicht aber Gott. Das von Gott ausgehende Licht des Lebens haben die Menschen in ihrer Finsternis nicht angenommen (Joh. 1,4 f.). Christus hat aber als das wahre Licht die Dunkelheit erleuchtet, weil er Nachfolger fand (Joh. 8,12, vgl. 3,21). Die Gottesaussage von l . J o h . 1,5 verallgemeinert die johanneischen Lichtaussagen ins Grundsätzliche. Daß das Licht die Finsternis ausschließe, bedurfte noch im Johannesevangelium keiner eigenen Erwähnung. Hier hilft es jedoch, die Abgrenzung gegen pseudochristlidie Gruppen zu vollziehen. l.Joh. 1,5 definiert also ebensowenig wie l . J o h . 4 , 8 . 1 6 („Gott ist Liebe") das Wesen Gottes an sich, sonst müßte man auch umgekehrt sagen können, die Liebe bzw. das Licht sei Gott; es geht vielmehr um das Verhalten der Menschen gegenüber Gott, das Gott entweder vollkommen entspricht oder aber ihn vollkommen verfehlt. Damit wird noch ein weiterer Aspekt dieser Gottesaussage deutlich: Für den Verfasser ist der geschichtliche Abstand seiner Gemeinden von Jesus als dem Lichtbringer bereits zum Problem geworden. Deshalb bewirkt für ihn die durch Jesus Christus eröffnete Botschaft der Zeugen nun selbst die klare Trennung zwischen Licht und Finsternis (vgl. 1,6 f.; 2,9 f.). Auf diese Weise leben die Glaubenden, die das Gebot Jesu halten, bereits in dieser Welt von dem wahren Licht, das sich gegen die Finsternis durchsetzt (vgl. 2,8). Die Lichtaussagen des Johannesevangeliums sind also in einer veränderten geschichtlichen Situation neu verstanden. Licht und Finsternis. Im Alten Testament begegnet das Leuchten des Lichtes im Gegensatz zum Dunkel der Nacht als Bild für das Heil der Frommen (vgl. Ps. 119, 105; H i o b l l , 1 7 ; vom endzeitlichen Licht, zu dem die Völker zusammenströmen Jes. 60,1-3). In der Philosophie Piatons hängen dagegen das wahre Sein des Menschen sowie die Erkenntnis der Wahrheit mit der Lichtstruktur des eigentlich Seienden im Bereich der Ideen zusammen. Nach griechischen Nachrichten (Plutarch) soll im Iran bereits Zarathustra in ähnlicher Weise mit seinem Dualismus von Gut und Böse die Vorstellung von zwei Gottheiten verbunden haben, von denen die eine, Ahura Mazda, dem Licht gleiche, die andere, Ahriman, der Finsternis. Ein ausgeprägter Dualismus von Licht und Finsternis läßt sich allerdings erst in den späteren iranischen, mandäischen und manichäischen Texten nachweisen. Dort bezeichnet „Licht" das Wesen oder den Bereich der Gottheit, während „Finsternis" für die gesamte Welt des Materiellen steht. Verstreute Lichtfunken sind in den
1. Joh. 1 , 5 - 2 , 1 1 : Der Weg in der Finsternis und im Licht
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Leibern der Menschen gefangen. Sie bewirken in den Menschen die Sehnsucht, wieder zum Licht aufzusteigen und damit erlöst zu werden. Dieser Dualismus, der die Gnosis wie die hellenistische Mystik beherrscht, trennt also scharf zwischen zwei Prinzipien (metaphysisch) oder Welten (kosmologisch) und wird so zum Ausdruck einer Erlösungshoffnung, die auf die jenseitige Welt des Lichtes und des Guten gerichtet ist. Der l . J o h . steht wie schon das Johannesevangelium der mit solchen Vorstellungen verbundenen Terminologie nahe. Inhaltlich schließen sich die johannneischen Schriften aber enger an die alttestamentlich-jüdische Überlieferung an. Hier läßt das Schöpfungsdenken keinen grundsätzlichen Dualismus von Gut und Böse, Licht und Finsternis zu (vgl. besonders Jes. 45,5-7 in persischer Zeit!). Das Gegensatzpaar Licht und Finsternis wird aber verschiedentlich in bezug auf zwei Gruppen von Menschen bzw. zwei entgegengesetzte Verhaltensweisen verwendet. Für die Frommen von Qumran gelten zwar Licht und Finsternis als polare Mächte, aber greifbar werden sie erst in dem Gegenüber der Frommen der Gemeinschaft und der Außenstehenden. Wer in die Gemeinschaft eintritt, verpflichtet sich, „alle Söhne des Lichtes zu l i e b e n , . . . aber alle Söhne der Finsternis zu hassen" (1QS 1,9 f.). „In der Hand des Fürsten des Lichtes liegt die Herrschaft über alle Söhne der Gerechtigkeit, auf den Wegen des Lichtes wandeln sie. Aber in der Hand des Engels der Finsternis liegt alle Herrschaft über die Söhne des Frevels, und auf den Wegen der Finsternis wandeln sie" ( l Q S 3 , 2 0 f . ) . Ähnliche Aussagen finden sich in den Testamenten der Zwölf Patriarchen: „Erwählt euch selbst entweder das Licht oder die Finsternis, entweder das Gesetz oder die Werke Beliars!" (Test.Levi 19,1). Audi das äthiopische Henochbuch kennt das ewige Licht als die Heilsgabe für die Gerechten, während die Finsternis als der Ort der Vernichtung der Sünde gilt (äth. Hen.58,3-6; 92,5). Man hat deshalb für den jüdisch-urchristlichen Bereich im Unterschied vom metaphysischen Dualismus der Gnosis einen ethischen Dualismus angenommen. In 1. Joh. 1,5 wird mit den Vokabeln der johanneischen Tradition zugleich die Gedankenwelt einer religiösen Sehnsucht der Antike aufgenommen. Der Satz könnte an sich auch von einem Gnostiker gesprochen sein. Dennoch polemisiert er gerade gegen Gnostiker. Wer behauptet, mit dem Licht Gemeinschaft zu haben, ohne an dem Licht, das die Botschaft von Jesus Christus vermittelt, Anteil zu haben, der ist weiterhin in der Finsternis. Die folgenden Gegenüberstellungen entfalten diese These.
Die erste Gegenüberstellung 1,6-7 Von V. 6 an beginnt ein neues, rhetorisches „Wir". Es sprechen nicht mehr die 6 Zeugen und Verkünder, sondern der Verfasser stellt in plastischer Weise zwei Gruppen von Menschen einander gegenüber: eine pseudochristliche Gruppe, die bestimmte Behauptungen aufstellt, und eine christliche Gruppe, die durch ihr Verhalten und ihren Bezug zu Jesus Christus gekennzeichnet ist. Dadurch werden die angesprochenen Gemeinden angeleitet, den Gegensatz zwischen Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge in ihrer gegenwärtigen Lage neu zu erkennen. Die Irrlehrer können nicht Gemeinschaft mit Gott haben, wenn sie gleichzeitig ihren Weg in der Finsternis gehen. Ihre Behauptungen sind Lügen, und zwar in dem
174
1. Joh. 1,5-2,11: Sünde und Vergebung
tieferen Sinn der Lebenslüge, des grundsätzlich verfehlten Lebens. „ W i r tun die W a h r h e i t nicht" heißt: wir gehören
der Wirklichkeit und dem
Lebensbereich
Gottes nicht zu (vgl. 2 , 4 ) . W i e der W e g der Finsternis aussieht, wird in 2 , 1 1 unmißverständlich gesagt: W e r seinen Bruder haßt, ist in der Finsternis und geht seinen W e g in der Finsternis (vgl. 4 , 2 0 ) . In V . 6 meint die W e n d u n g noch allgemein die Ferne von Gott und vom Willen Gottes, wie ihn Jesus in seinem G e b o t ( 2 , 3 ff.) und seinem vorbildhaften Leben nahegebracht hat. 7
Einen anderen W e g gehen die Christen. Im Unterschied von V. 5 ist nun G o t t nicht selbst Licht, sondern er ist „im Licht", wie auch die Christen ihren W e g „im Licht" gehen (vgl. J o h . 8 , 1 2 ) . V . 5 w a r also keineswegs als Definition zu verstehen. Den Christen hegt nichts an einer individualistisch/mystischen Gemeinschaft mit G o t t , wie sie die Gnostiker suchen, sondern sie haben Gemeinschaft untereinander und dadurch auch mit G o t t (vgl. 1 , 3 ) . Alte Abschreiber haben diese Besonderheit nicht mehr verstanden und den T e x t an V . 6 angeglichen. Das Leben im Licht ist aber keine ursprüngliche Möglichkeit des Menschen, wie die Gegner sagen, sondern eine von Christus neu eröffnete Möglichkeit, die nur innerhalb der wahren Christusgemeinde verwirklicht werden kann. V o n Sünde und Vergebung spricht der Verfasser auch 1 , 8 f.; 1 , 9 - 2 , 2 ; 3 , 4 - 6 und 5 , 1 6 - 1 8 . Er stellt dem eingebildeten Perfektionismus seiner Gegner eine T h e o l o g i e der Sündenvergebung gegenüber, die er in Grundzügen aus der johanneischen Uberlieferung aufnehmen konnte (vgl. J o h . 6 , 5 1 b - 5 9 ; 2 0 , 2 3 ; 1. J o h . 5 , 5 - 8 ) . W e n n auch der Böse keine M a c h t mehr über die Christen hat ( 5 , 1 8 f.), so müssen sie sich dennoch vor dem Erlahmen der Bruderliebe oder dem Rückfall in die „ W e l t " hüten. Innerhalb der Gemeinde kann der K a m p f gegen die Sünde mit Erfolg geführt werden, weil in ihr seit Christus die M a c h t der Sünde gebrochen ist und die Christen der Vergebung ihrer tatsächlichen Sünden gewiß sein können. W e r aber behauptet, er sei ohne Sünde, macht das sühnende O p f e r Christi (vgl. 2 , 2 ) überflüssig und tritt aus dem Bereich der Vergebung heraus; gerade damit beweist er also, daß er der M a c h t des Bösen und der Finsternis ungeschützt ausgeliefert ist. Die zweite Gegenüberstellung
8
1,8-9
Das neue Schlagwort von der Sündlosigkeit weist die Gegner als Gnostiker aus, wenn sie auch noch kein gnostizistisches Erlösungssystem entwickelt haben dürften. D i e Gnostiker verstehen sich schon allein durch ihre pneumatische („geistbestimmte") Natur als erlöst, denn das Pneumatische in ihnen könnten keinerlei äußere Handlungen mehr zerstören (Iren. Adv. Haer. I 6 , 2 f. über die Valentinianer). Die Verwerfung solcher Behauptungen wird gegenüber V. 6 b verschärft. G o t t ist darin w a h r und wirklich, daß er - im Gegensatz zu den Menschen - frei von Sünde und Finsternis ist. W e r Gleiches von sich behauptet, hat mit G o t t nichts zu tun und
9 täuscht sich über sich selbst. D i e Christen kennen G o t t dagegen als den vergebenden und liebenden G o t t . Wie sie Jesus Christus als den fleischgewordenen Gottessohn bekennen (4,2), so bekennen sie auch ihre jeweiligen Sünden (Plural!). Daraus ist wahrscheinlich nicht die Institution eines öffentlichen Sündenbekenntnisses in der johanneischen Gemeinde abzulesen, wie sie aus J a k . 5 , 1 6 und Did. 1 4 , 1 erschlossen
l.Joh. 1,5-2,11: Christus, der Beistand
175
und hinter l.Joh.5,16 u.U. vermutet werden kann. Dem Verfasser geht es um ein Exempel für die Stellung der Christen zu Gott, nicht um die „Beichtpraxis". Nach dem Alten Testament steht Gott treu und gerecht (Ex. 34,6 f.; Dt. 32,4) zu seinen Forderungen und Verheißungen. Es ist sein Wesen, daß er Sünden „nachlassen" und sündige Menschen vollkommen rein machen kann (vgl. Jes. 1,15-18; Jer.31,34). Statt „Sünde" sagt der Verfasser am Ende von V.9 „Unrecht", um den Gegensatz zwischen dem gerechten Gott und dem ungerechten Menschen ganz deutlich zu machen (vgl. auch 3,4). V. 9 ist im Ganzen durch Spr. 28,13 vorbereitet: Wer seine Sünden bekennt und läßt, der findet Erbarmen. Die Gegner wissen also nichts von dem Gott Israels und Vater Jesu Christi. Sie verfehlen nicht nur die durch Christus gewirkte Vergebung innerhalb der Gemeinde (V.7), sondern die Grundlage des christlichen Gottesbekenntnisses, das ein Sündenbekenntnis ist, überhaupt. Die dritte Gegenüberstellung
1,10-2,2
Wieder geht es um die allgemeine (Perfekt) Behauptung der Sündlosigkeit. Für 10 den Verfasser ist diese Behauptung letztlich Frevel gegen Gott, denn sie stellt sich gegen sein Wort, seine Verheißung der Vergebung und des Erbarmens (V.9). Träfe sie zu, dann wäre Gott in sich selbst unwahr. Anschließend verläßt der Verfasser 2,1 den bisherigen rhetorischen Stil der Auseinandersetzung, um sich seinen „Kindern" direkt zuzuwenden. Die Leser sollen nicht meinen, es sei ihnen mit der Sühnung und Vergebung der Sünden auch die Freiheit zu neuer Sünde eröffnet, die nur bekannt werden müßte, um alsbald Vergebung zu finden. Die Verse 2,1 f. knüpfen an 1,7 und 9 an und fassen sie für die Lage der Gemeinden zusammen. Wer Gott als den Vergebenden und Christus als den Sühnenden kennt, der ist auch in der Lage, gegen die Sünde anzugehen. „Sündigt nicht!" heißt also: „Lebt entsprechend der durch Christus geschaffenen Sühnung eurer Sünden!" Einzelne Fälle der Schwachheit bedeuten dann nicht mehr einen Rückfall in die Sünde überhaupt - im Gegensatz dazu die Sünde zum Tode (5,16 f.) - , sondern sie weisen die Christen an die Vergebung Gottes (vgl. 3,19). Wie Gott gerecht ist, so auch Christus. Er heißt „parakletos" = Beistand, Fürsprecher der Christen vor dem Vater (vgl. inhaltlich Rom. 8,34; Hebr.7,25). Der Paraklet begegnet sonst im Neuen Testament nur noch in den Abschiedsreden des Johannesevangeliums (Joh.14,16.26; 15,26; 16,7). Jesus verheißt ihn als den Geist der Wahrheit oder heiligen Geist, der vor der Welt für Christus Zeugnis ablegen wird und ewig bei den Jüngern bleiben wird. l . J o h . 2 , 1 ist demgegenüber weiterentwickelt. Der zum Himmel erhöhte Christus gilt selbst als Beistand der Christen, wie schon Israel und das Judentum eine Reihe von Zeugen und Fürsprechern vor Gott kannten, z.B. Abraham (Gen. 18,22ff.), Mose (Ex.8,26f.), Michael (äth.Hen.68,4), Henoch (äth.Hen. 13,4 ff.), der „Metatron" = der beim göttlichen Thron Verweilende (hebr. Hen. 15B2.4), der Geist (Sap.Sal.l,5ff.; Lev rabba 6 [109 a] zu 5,1, wo er „synegor" = Verteidiger heißt). Für den Verfasser steht allerdings nicht die Vorstellung vom himmlischen Gerichtsforum im Vorder- 2 grund, sondern er denkt eher an die hohepriesterliche Funktion Christi, der durch seinen Opfertod die für alle Menschen gültige Fürsprache bei Gott schon geleistet
176
1. Joh. 1,5-2,11: „Gotteserkenntnis" und die Gebote
hat. Welt ist hier neutral verstanden (vgl. Joh. 1,29; 3,16f.), nicht negativ wie z.B. in 1. Joh.4,4f.; 5,5. Gilt die Sühnung also auch den überheblichen Gnostikern? Das will der Verfasser keinesfalls sagen. Ihm liegt nur daran, daß das Erlösungswerk Christi umfassend und endgültig ist, so daß über dieses Heilswerk hinaus keine neue Heilslehre mehr vertreten werden kann. Auch in 2,1 f. geht es also um eine klare Trennung zwischen der Christusgemeinde und der Verirrung und Finsternis, die draußen herrscht. Der Ausdruck „Sühneopfer" (vgl. 4,10; nicht im Johannesevangelium) gehört einer alten, urchristlichen Überlieferung an (vgl. Rom. 3,25). Die Verbindung der Prozeßvorstellung mit dem Sühnegedanken findet sich besonders in der Theologie des Hebräerbriefes (vgl. Hebr.2,17; 7,25-9,15). Wie der Hebräerbrief, so hat auch der l . J o h . das alttestamentliche Vorbild des Sühneopfers (vgl. Lev.4,1-5,13 vom Blutopfer zur Sühnung der Sünde; Lev. 16) in universaler Weise ausgeweitet: Indem der Gerechte für die Ungerechten sein Blut vergoß, hat er für sie die Sühnung ihrer Sünden, d. h. die Versöhnung mit Gott, bewirkt.
Die vierte Gegenüberstellung 3
2,3-5 a
Mit dem Thema der Gotteserkenntnis setzt der Verfasser nicht etwa zu einem neuen Gedankengang an, sondern er nimmt eine weitere Behauptung der Gegner auf, wie V.4 („wer s a g t . . . " ) deutlich zeigt. Für die Gegner war die „gnosis" = Erkennen Gottes das Heilsziel selbst. Gnosis konnte in Mystik und in Ekstase, aber auch durch vernünftige Einsicht und durch die allmähliche Lösung des Menschen von der niedrigen Welt der Materie gewonnen werden. Dagegen setzt der Verfasser das alttestamentlich-jüdische Verständnis des Erkennens Gottes, wo es nicht um ein höheres Wissen von Gott geht, sondern um eine lebendige und aktive Beziehung zwischen Mensch und Gott. Der Mensch weiß um Gott, weil Gott sich ihm bekannt gegeben hat und nun sein Verhalten bestimmt. Die Behauptungen der Gegner lassen sich also daran prüfen, ob sie die Gebote Gottes haken (vgl. dazu Joh. 14,15.23; 15,10; l . J o h . 3 , 2 2 . 2 4 ; 5,3). Ähnlich war schon vorher gesagt, daß der Wandel des Menschen über sein Sein im Licht oder in der Finsternis Auskunft gibt (1,6 f.). 4 Zwischen den Behauptungen und dem Leben der Gegner besteht ein Widerspruch. Sie sind nicht nur in sich selbst unglaubwürdig, sondern sie sind auch fern von Gott. So sehr sie sich ihrer Erkenntnis rühmen, so wenig hat die Wirklichkeit 5a Gottes (vgl. 1,8) bei ihnen Raum. Die rechten Christen aber halten sein Wort, d. h. sie halten sich an seinen Willen, den er bekanntgegeben hat (vgl. 1,10). Dadurch kommt die Liebe, die von Gott ausgeht (Gen. subj.) in ihnen zu ihrem Ziel. Während für die einen Gott ein Bild ihres von allem Niedrigen befreiten Selbstgefühls darstellt, halten die anderen sich an das, was von Gott selbst ausgeht, nämlich die Kundgabe seines Willens und die Kraft seiner Liebe, die es ihnen leicht macht, die Gebote zu erfüllen. V.5 nimmt Worte des johanneischen Jesus aus Joh. 14,15-25 und 15,9-17 auf. Die Gebote Gottes sind also die Gebote Jesu. Wer diese Gebote
1. Joh. 1 , 5 - 2 , 1 1 : Altes und Neues Gebot
177
hält, steht in einem vollendeten Verhältnis zu Gott, das weder durch Gnosis noch durch ekstatische Mystik überboten werden kann. Die fünfte Gegenüberstellung
2,5 b-8
Nun wird das gnostische Stichwort von der Gottesgemeinschaft aufgegriffen, das 5 b auch für den Verfasser selbst einen Schlüsselbegriff für das Gottesverhältnis der Christen darstellt (vgl. 2,28; 3 , 2 4 ; 4,12-15). Nur wer in Christus bleibt, wer also 6 das Leben Jesu in seinem eigenen Leben abbildet und nachahmt (vgl. Joh. 13,15; 1. Kor. 11,1), bleibt in Gott. Erkenntnisgrund und Realgrund für die Behauptung von Gotteserkenntnis und von Gemeinschaft mit Gott kann also nur der praktische Anschluß der Christen an Christus sein. Damit nickt die Christologie immer mehr ins Zentrum der Argumentation des Verfassers. Seine Aussagen über Gott sind zugleich Aussagen über Christus. Mit 2 , 7 f. richtet sich der Blick auf einen besonders gewichtigen Streitpunkt, 7 nämlich auf die Behauptung der Gegner, gegenüber der übernommenen Christusbotschaft eine neue Heilslehre vertreten'zu können. Die erneute Anrede verstärkt die Eindringlichkeit der Aussage. Die Irrlehrer hielten sich wohl für fortschrittlich (vgl. 2. Joh. 9). Sie werden zwar kaum neue „Gebote" vertreten haben, aber eben die Christusüberlieferung der Zeugen und Verkünder als überholt abgetan haben. Der Verfasser tritt ihnen mit dem Jesuswort vom neuen Gebot der Liebe (daher der auffallende Singular in V. 7) entgegen, das die Jünger vor jedermann als zu Jesus gehörig ausweist (Joh. 1 3 , 3 4 f . ; vgl. 15,12.17). Sein Gebot hatte die Gemeinde seit Beginn. Es ist also - geschichtlich gesehen - alt. Als Wort des Herrn gehört es 8 aber auch in die Botschaft vom Wort des Lebens, welche die Zeugen gehört haben und weiterverkünden; als solches ist es grundsätzlich neu. Nicht deshalb, weil etwa vor Jesus die Liebe nie gefordert worden wäre, sondern weil der Spender des Lebens den Seinen auch die Verwirklichung der Liebe letztgültig ermöglicht hatte. Seither weicht die Finsternis dem Licht, denn das Gebot des Lichtbringers wirkt neues Leben. Blickte das Johannesevangelium auf das Kommen des Lichtes in die Welt zurück (1,9) und sah es neben dem Licht auch die Finsternis noch weiterhin wirksam (Joh. 3,19), so daß die Menschen durch Christus in die Gerichtssituation der Entscheidung für das Licht gestellt wurden (Joh. 3 , 2 0 f.; 12,35 f.), so leben für den l . J o h . die Christen seit Jesus in einer neuen Zeit, die definitiv vom Licht bestimmt wird. Indem sie die Botschaft Christi hören und seine Gebote halten, markieren sie in der Christusgemeinde selbst die Grenzen gegenüber der Finsternis der Heillosen. Sie leben in der Zeit vor dem Ende (vgl. Rom. 13,11 f.; l . K o r . 7 , 2 9 . 3 1 ; Eph. 5,8-14), d.h. das Gebot, von dem sie leben, ist end-gültig neu. Die weithin entsprechende Aussage über das „alte" Gebot in 2. Joh. 5 kennt die Spannung, die unsere Stelle beherrscht, nicht. Die sechste Gegenüberstellung 2,9-11 Die letzte Gegenüberstellung knüpft unmittelbar an die Zusammengehörigkeit 9 von Licht und Bruderliebe an. Sie führt damit die theologische Auseinandersetzung wieder an ihren Ausgangspunkt zurück (vgl. 1,5-7). Wie keine Zwischenwerte zwischen Licht und Finsternis anerkannnt werden, so auch keine Ubergangsstufen
178
1. Joh. 2,12-17: Der Standort der Gemeinde
von einem neutralen Verhältnis zum Bruder hin zur Bruderliebe. „Hassen" heißt nach dem Alten Testament (vgl. Spr. 13-24; Dt. 21,15-17) „nicht lieben". Der Verfasser zielt also nicht auf den besonderen Affekt des Hassens ab. Wer das Liebesgebot Jesu verfehlt, hat damit auch nicht Anteil an dem Licht, das sich schon jetzt gegen die Finsternis durchsetzt. Er ist - bis jetzt, d. h. trotz der Offenbarung des 10 Lichts - in der Finsternis. Damit ist endlich die Forderung Jesu ausgesprochen, die die Brüder verbindet und dennoch zugleich zwischen Christen und Pseudochristen trennt, die Summe aller Aussagen des Johannesevangeliums wie des 1. Joh. über das Verhalten der Christen (vgl. 1. J o h . , 3 , 1 1 ff.; 4 , 7 f f . 20 f.; J o h . 13,31 ff.; 15,9ff.). Der Verfasser denkt hier sicher nicht nur an die Liebe im Kreis der christlichen Brüder, denn von ihr spricht er meist als von der „gegenseitigen Liebe" ( 3 , 1 1 . 2 3 ; 4 , 7 ) . Die Bruderliebe der Christen umfaßt vielmehr die Hingabe an alle Menschen als Brüder, wie sich auch Christus für sie hingegeben hat (vgl. zu 3,11-17). Zwar stehen die Glaubenden der heillosen Welt der Finsternis als Sieger gegenüber (4,4), aber nie wird von ihnen der Haß gegen die Außenstehenden gefordert, wie er z. B. die Gemeinde von Qumran bestimmt hatte. Durch solches Nicht-lieben würden sich die Christen ja selbst außerhalb des Lichtes stellen, ihr Bleiben in Gott und Christus 11 verlieren und mit dem Makel der Finsternis behaftet werden. Damit wird deutlich, worin der Bruderhaß der Gegner besteht. Sie haben sich von der Gemeinde getrennt (2,19) und so die Lebensgemeinschaft mit ihren engsten Brüdern aufgegeben. Sie mögen an ihrem Ort ihre gesellschaftlichen und staatsbürgerlichen Liebespflichten erfüllen. Weil sie sich aber von dem Bereich des Liebesgebotes Jesu losgesagt haben, gehen sie ihren Weg draußen. Vom Wandeln in der Finsternis war die Auseinandersetzung ausgegangen (1,6). Abschließend hat sie jetzt klar gezeigt, was diesen Wandel letztlich ausmacht. Wer in der Finsternis ist, findet keinen Weg (vgl. Joh. 1 2 , 3 5 . 4 0 ) . Weil seine Augen längst blind waren, konnte er sich aus dem Wirkungsbereich des Lichtes entfernen. Mit seiner Trennung von der Christusgemeinde ist er also zugleich in die Finsternis zurückgefallen, die vor Christus herrschte und seither außerhalb der Gemeinde noch wirksam ist; seine Augen können - paradoxerweise - nun nicht mehr sehen, wo das Licht ist. Damit sind die theologischen Gegensätze klar ausgesprochen. Der Verfasser kann nun von den Gruppen handeln, die sich als die Vertreter von Licht und Finsternis gegenüberstehen. 2. Die konkreten Die angesprochenen
Fronten
2,12-25
Gemeinden
2,12-17
12 Euch schreibe ich, Kinder, daß euch kraft seines Namens die Sünden vergeben sind. 1 3 Euch schreibe ich, Väter, daß ihr den erkannt habt, der vom Anfang her ist. Euch schreibe ich, Jünglinge, daß ihr Sieger seid über den Bösen. 1 4 Ich schreibe euch (wirklich), Kinder, daß ihr den Vater erkannt habt. Ich schreibe euch (wirklich), Väter, daß ihr den erkannt habt, der vom Anfang her ist. Ich schreibe euch (wirklich), Jünglinge, daß ihr stark seid, und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr seid Sieger über den Bösen.
1. J o h . 2 , 1 2 - 1 7 :
Die Alten und die Jungen
179
15 Liebt nicht die Welt, noch das, was in der Welt ist! Wenn einer die Welt liebt, ist die Liebe zum Vater nicht in ihm. 16 Denn alles, was in der Welt ist, das fleischliche Verlangen und die Gier der Augen und das Gehabe des (äußerlichen) Lebens, das stammt nicht vom Vater, sondern von der Welt. 1 7 Die Welt jedoch vergeht samt ihrer Begierde; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt für ewig bestehen.
Die vorangegangenen Gegenüberstellungen konnten die Leser hinsichtlich ihres eigenen Heilsstandes beunruhigen. Der Verfasser wendet sich nun ausdrücklich ihnen zu. In zwei parallelen Aussagereihen spricht er sie zunächst insgesamt als „Kinder" an, die das Heil der Sündenvergebung (V. 12) und der Gotteserkenntnis (V. 14 a) schon haben. Anschließend geht er jeweils gesondert auf die Väter und die jungen Männer ein als die Repräsentanten der Altersschichten der Gemeinden. Die Väter haben die Erkenntnis Christi, die Söhne den Sieg über den Bösen (V. 13. 14 bc). Die Wiederholungen vermitteln den Lesern die Nachdrücklichkeit, aber auch die Überschwenglichkeit der Behauptungen. Der Verfasser will sie ihres Seins im Heil gewiß machen. Daß er in V. 14 dreimal den Aorist „ich habe euch geschrieben" verwendet, ist eine stilistische Variation gegenüber der ersten Aussagenreihe. Im Blick auf die späteren Leser eines Briefes gebrauchte der Schreiber für seine Tätigkeiten bei der Abfassung gerne die Vergangenheitsform (vgl. Gal. 6,11). V. 14 ist also nicht auf frühere Aussagen zu beziehen, sondern er unterstreicht durch seine Entsprechung zu den Versen 12 f. nur die Eindringlichkeit des Gesagten. Die sechs „Daß"-Sätze in V. 12-14 könnten sprachlich auch als Kausalsätze 12 wiedergegeben werden. Bei dieser Interpretation würde aber nicht deutlich, daß der Verfasser den Gliedern der Christusgemeinde das Heil direkt zuspricht. Die Erwähnung der Sündenvergebung knüpft an 1 , 7 . 9 ; 2 , 1 f. an. Was dort über das Heilswerk Christi gesagt war, ist nun mit der knappen Wendung „kraft seines Namens" aufgenommen. Damit wird nicht auf die Taufe „im Namen Christi" (vgl. M t . 2 8 , 1 9 ; Apg. 10,48) angespielt, sondern der grundsätzliche Unterschied zwischen dem Bereich der Vergebung und dem der Gottesferne markiert: Wo der Name Christi, d.h. seine Person, gilt und die Glaubenden von seinem Heilswerk her leben (vgl. 2 , 1 f.), da ist auch Vergebung. Einzelne Altersgruppen der Gemeinden 13 werden auch in den Pastoralbriefen angesprochen (vgl. Tit. 2,1-8). Hier geht es jedoch nicht um Ermahnungen, sondern um Feststellungen. Die ältere Generation repräsentiert die Christuserkenntnis und steht damit den Zeugen und Verkündern von 1,1-3 besonders nahe. Was Erkenntnis heißt, ist bereits in 2,3-5 a entfaltet. Die Jüngeren im Alter von 2 4 - 4 0 Jahren gelten wohl deshalb als Sieger über den Bösen, weil sie sich bei den Angriffen der Neuerer besonders zu bewähren hatten (vgl. V. 14 c). Durch ihre Standhaftigkeit blieben sie in dem aktuellen Kampf gegen den uranfänglichen Gegner Christi (vgl. 3,8) überlegen (vgl. 5,18). Die Christuserkenntnis und der Sieg über den Bösen werden in V. 14 unter 14 dem Oberthema der Gotteserkenntnis (vgl. 2,3-5 a) zusammen gesehen. Auch mit dieser Wendung geht es wie in V. 12 um das Heil bzw. die Gottesgemeinschaft der Leser schlechthin. Lediglich für die Jünglinge wird noch eigens hervorgehoben, daß sie (im Glauben, in der Treue) stark sind und das Wort Gottes bleibend in sich bewahren (im Gegensatz zu den Irrlehrern 1,10). Ihr Sieg über den Bösen besteht
180
1. Joh.2,12-17: Überlegenheit über die Welt
also in der Tat in ihrem Ausharren bei der an sie ergangenen Heilsbotschaft. Einen Appell an „Jugendliche" darf man nicht hier, sondern allenfalls in V. 16 suchen. 15 Auf den „Indikativ" des Heils folgt der „Imperativ", diese Überlegenheit auch gegenüber der „Welt" zu bewähren. Damit ist nicht die Liebe zu den Menschen oder zu der gesamten Schöpfung gemeint, sondern die Christen sollen keinen Gefallen finden an „dieser Welt", die voll ist von Lüge, Sinnlichkeit, Nichtigkeit und Vergänglichkeit (vgl. 4,17; 1. Kor. 3,19; 7,31). Sie ist nicht im gleichen Sinne heillos wie die widergöttliche Welt des Materiellen im metaphysischen Dualismus der Gnostiker. Gefährlich für die Glaubenden ist sie vielmehr aufgrund des Verhaltens ihrer Menschen und aufgrund des äußerlichen und uneigentlichen Lebens, das in ihr gilt. In ihr schien das Licht, ohne daß es aufgenommen wurde (Joh. 1,9-11); dadurch hat sie sich selbst das Gericht zugezogen (Joh. 12,31; 16,11). Wohl hat Christus in umfassender Weise für die Sünden der ganzen Welt gesühnt (1. Joh. 2,2), aber die Menschen, die sich gegenüber seinem Heilswerk verschlossen und damit aus der Christusgemeinde ausgeschlossen haben, leben auch jetzt von der Welt her. Es geht dem Verfasser also nicht um Spekulationen über die Welt und das Böse als Gegenmächte Christi, sondern um die scharfe Trennung zwischen dem Wirkungsbereich der Liebe einerseits und der Gesetzlichkeit dieser Welt andrerseits. Wohl haben die Christen noch in ihr zu leben, aber sie können an ihr keinen Gefallen finden („sie nicht lieben"). Ansonsten gälte ihre Liebe nicht Gott; die Zuneigung zur Welt hätte den Ort ihrer Liebe zum Vater gleichsam besetzt (vgl. auch Jak. 4,4). Die Liebe zum Vater ist nur eine Antwort auf die Liebe, die vom Vater kommt. Sie wird von den Christen geleistet, indem sie Gott wiederlieben und zu16 gleich die Brüder lieben (vgl. 4,16b-5,3a). V. 16 zeigt, daß hier das Hauptgewicht auf der Liebe „zum Vater" liegt, denn wer an der Welt Freude hat, verschließt sich dem, was von Gott her bestimmt ist, liebt ihn also nicht und weiß damit auch von seiner zuvorkommenden Liebe nichts. Die gefährlichen Begierden erwachsen aus dem äußerlichen, sinnlichen und uneigentlichen Leben der Welt. Sie umfassen sexuelles Verlangen, Gier nach Macht und Geld und alles weitere Streben nach den Angeboten eines zivilisierten, aber leeren Lebens. In dieser Welt leben die Christen vom Vater her, d.h. im Ausstrahlungsbereich der Liebe. Sie können mit der Welt 17 umgehen, ohne von ihr beherrscht zu werden. Wie die Eigengesetzlichkeit der Welt nämlich zum Unwesentlichen gehört, so ist sie auch vergänglich. Hinter dieser Aussage steht nicht eschatologische Hochstimmung und Naherwartung, sondern einfach das Wissen um die Überlegenheit der Liebe über die Gesetze von Ansehen und Macht. Diese Überlegenheit hat paradoxen Charakter. Sie kommt der kleinen Gruppe von Gemeinden zu, die eben im Begriff ist, sich gegen die Neuerer und Verwirrer abzuschließen (vgl. 3,13 f.). Sie ist dennoch nicht allein Ausdruck eines übersteigerten Bewußtseins, denn sie gründet sich auf die Verwirklichung von Liebe, die das Leben der Gemeinschaft als ein Tun des Willens Gottes bestimmt. Wer so lebt, bleibt! Er ist der Vergänglichkeit des Unwesentlichen durch die Botschaft und durch seine eigene existentielle Entscheidung entnommen und hat jetzt schon eigentliches Leben. Im Blick auf 2,28 f. und 4,17 f. ist dabei der Gedanke an das bevorstehende Gericht Gottes nicht auszuschließen. Es wird für die Christen nichts
1. Joh. 2,18-25: Der Antichrist - die Gegendiristusse
181
anderes bringen als die endgültige Anerkennung dessen, was jetzt schon von Gott her bestimmt ist. Die Abwehr
der „Gegencbristusse"
2,18-25
Kinder, es ist letzte Stunde; wie ihr gehört habt, daß ein Gegenchristus kommt, so sind nun viele Gegenchristusse erstanden. Daran erkennen wir, daß es letzte Stunde i s t 1 8 Aus unserer Mitte sind sie hervorgegangen, aber sie gehörten nicht zu uns; wenn sie nämlich zu uns gehört hätten, wären sie auch in unserer Mitte geblieben; es sollte aber an ihnen offenkundig werden, daß nicht alle (die unter uns sind) zu uns gehören. 2 0 Aber ihr habt die Salbung von dem Heiligen empfangen und seid alle Wissende. 2 1 Ich schreibe euch nicht, daß ihr die Wahrheit nicht kennt, sondern daß ihr um sie wißt, und daß keinerlei Lüge aus der Wahrheit kommt. 2 2 Wer ist der Lügner, wenn nicht der, der bestreitet, daß Jesus der Christus sei? Der ist der Gegenchristus, der den Vater und den Sohn leugnet. 2 3 Jeder, der sich vom Sohn lossagt, hat auch den Vater nicht; wer sich zum Sohn bekennt, hat auch den Vater. 2 4 Für euch gilt: Was ihr von Anfang an gehört habt, soll in euch bleiben. Wenn in euch bleibt, was ihr von Anfang an gehört habt, so werdet auch ihr im Sohn und im Vater bleiben. 2 5 Das ist nämlich die Verheißimg, die er uns gegeben hat: das ewige Leben. 18
Nachdem von den Gemeinden die Rede war, die Sündenvergebung und Gottes- 18 erkenntnis haben und allenfalls noch von den Verlockungen dieser Welt gefährdet werden können, wird nun gesagt, wer die Neuerer und Irrlehrer sind, worauf ihre Lehre zielt, und was ihr Auftreten für die Heilserwartung der Gemeinden bedeutet. Das Thema, das hier unter dem Stichwort der „Lehre" behandelt wird (vgl. 2 , 2 0 b. 2 1 . 2 4 . 2 7 b c), wird später unter dem Stichwort „Geist" noch einmal aufgenommen ( 3 , 2 4 - 4 , 6 ) . „Antichristos"-Antichrist begegnet im Neuen Testament nur hier und in 2 , 2 2 ; 4 , 3 ; 2. Joh. 7. Die Vorstellung von einem endzeitlichen Gegenspieler des Messias/ Christus stammt aus der frühjüdisdien Apokalyptik. Man rechnete damit, daß der Widerspruch der Mächte dieser Welt gegen Gott und seinen Heilbringer sich auf seinem Höhepunkt in einer mächtigen, gotteslästerlichen Person konzentrieren würde, die schließlich vom Messias selbst bezwungen würde. Auf diese Weise konnte mit dem Wirken bestimmter Herrscher, unter denen die Frommen besonders zu leiden hatten, die Hoffnung auf das unmittelbar bevorstehende Kommen des Erlösers verbunden werden (z.B. in der Zeit des Antiochus Epiphanes IV. 1 7 5 - 1 6 4 v. Chr., vgl. Dan. 7 , 7 f . 11-14; 8 , 5 - 1 2 ; 9 , 2 7 ; 1 1 , 3 0 - 1 2 , 3 ) . Die Vorstellung ist allerdings im Judentum nicht einheitlich entwickelt (vgl. noch syr. Bar. 36-40; 4 . E s r a 5 , 6 ; Sib. 3 , 6 3 ff.; Ass. Mos. 8-10). Sie hat auf die urchristliche Enderwartung, vor allem in ihren späteren Ausdrucksformen, eingewirkt (vgl. 2 . T h e s s . 2 , 3 f f . ; Offb. 1 3 , 1 ff.; 1 9 , 1 9 ff.; M k . 13,14ff.), auf welche sich der Verfasser ausdrücklich bezieht („wie ihr gehört habt"). Im nachpaulinischen 2.Thessalonicherbrief wie in Offb. 13 tritt vor dem Kommen Christi eine endzeitliche Gegengestalt bzw. Gegenmacht auf, die in der Johannesoffenbarung direkt die Züge des römischen Weltherrschers trägt (Nero/Domitian). Die Kirche des 2. Jahrhunderts hat im Zusammenhang mit den Christenverfolgungen diese Vorstellung weiter ausgebaut (vgl.
182
1. Joh. 2,18-25: Die „letzte Stunde"
Did. 16,3-8; Barn. 4,3; Hippolyt, De antichristo). Der Verfasser verbindet diese Anschauung eigenständig mit der augenblicklichen Situation seiner Gemeinden, wenn er in den Christusleugnern den Geist des Gegenchristus schlechthin am Werk sieht (4,3) und sie deshalb in einem "Wortspiel „Gegenchristusse" bzw. „Antichriste" (nur hier der Plural!) nennt. Sie stellen sich gegen Christus und verkörpern damit zugleich den Gegenchristus. Davon, daß die Gegenmacht das Kommen Christi noch aufhält (vgl. 2.Thess.2,3 ff.), ist nicht die Rede. Der Text beschäftigt sich nicht mit der Verzögerung der Wiederkehr Christi (vgl. 2. Petr. 3,1-10), sondern sagt die endzeitliche Auseinandersetzung an, in der die Christen allerdings schon längst als Sieger feststehen (2,13f.20f.; 4,4-6; 5,4ff.). Es wird also eine „mythische" Gestalt vergeschichtlicht, und zugleich eine geschichtliche Gruppe in das Konzept einer apokalyptischen Erwartung eingeordnet. Wo der Vater und der Sohn geleugnet werden (V. 22), da ist letzte Stunde im Sinne der endgültigen Krisensituation der Welt vor dem Gericht Gottes. Gegenüber dem Johannesevangelium ist damit eine Gewichtsverschiebung eingetreten. Im Evangelium bedeutet das Kommen Jesu die entscheidende „Stunde" für die Welt, in der alles zusammenfällt, was für das Heil bedeutsam ist (vgl. Joh.4,23-25; 5,25). Auch im Glauben und in der Verkündigung der Gemeinde ist diese „Stunde" präsent, so daß man von ihr her auf die Erfüllung des Heils am Ende hoffen kann (Joh. 5,26-29; 16,25-32), ohne dem Heil, das Christus bedeutet, noch etwas wesenhaft Neues hinzuzusetzen (Joh. 11,24-27). Für den 1. Joh. läßt sich nun der eschatologische Charakter der Zeit auch an Begebenheiten der „Kirchengeschichte" ablesen. Die „Stunde" Jesu wird weitergedacht zur „letzten Stunde", die die Zeit vom Kommen Jesu bis zu seiner Wiederkehr (2,28) umfaßt. In die johanneische Theologie sind damit Elemente des apokalyptischen Denkens und der geschichtlichen Erfahrung eingetragen worden. Der Verfasser will aber nicht Spekulationen fördern, sondern seinen Gemeinden sagen, daß ihre Zeit wirklich die Zeit der eschatologischen Scheidung zwischen Geretteten und Verlorenen ist. 19
Als Gegenchristusse erweisen sich die Verwirrer auch dadurch, daß sie sich selbst für Christen halten (vgl. Mk. 13,21 f.; 2. Tess. 2,9-12). Sie kommen aus der (johanneischen) Gemeinde und bedrohen diese nun von innen und von außen her. Es ist nicht gesagt, daß sie ausgeschlossen worden seien oder sich selbständig organisiert hätten. Sie scheinen nur ihre Lehre mit besonderer Aktivität zu verbreiten (vgl. 2. Joh. 7-11). Schon zur Zeit des 1. Joh. ist also die sichtbare Gemeinde nicht mehr mit der wirklichen Gemeinde identisch. Aus einem verzerrten Verständnis des
20 Glaubens ist eine Bedrohung des Glaubens geworden. Vom „Wir" der Zeugen und vom „Ihr" der Leser des l . J o h . sind die Christusleugner allerdings deutlich als bereits Außenstehende geschieden. Wie sie das Liebesverhältnis zu den Brüdern aufgegeben haben (2,9-11), so werden sie auch Gemeindeversammlungen nicht mehr besucht haben. Im l . J o h . werden sie jedenfalls nirgends direkt angesprochen. Im Gegensatz zu ihnen hat die Gemeinde die „Salbung" und das „Wissen". Mit „Salbung" (bzw. „Salböl") ist der Geist Gottes gemeint, den die Angesprochenen seit ihrer Taufe haben (vgl. 2,27; 2. Kor. 1,21) und durch ihren Glauben als echten und wirksamen Besitz erweisen (vgl. das Bild vom „Samen" in 3,9). Vielleicht haben die „Gegenchristusse" schon in der frühen Zeit des l . J o h . behauptet, sie be-
1. J o h . 2 , 1 8 - 2 5 : Jesus ist der Christus
183
säßen die wahre Geistsalbung, wie wir es in späteren gnostischen Texten belegt finden. Spender der Salbung ist Christus selbst als der Heilige (vgl. Mk. 1,24; Joh. 6,69), der damit an die Stelle des heiligen Gottes (vgl. Jes.5,16; Hab.3,3; Offb.4,8; 6,10) tritt. Durch ihre Gemeinschaft mit Gott ist die Christusgemeinde der überheblichen „Gnosis" der Verwirrer überlegen. Als die wahren Geistbegabten haben 21 die Christen mit dem Geist der Wahrheit (Joh. 14,17; 15,26; 1. Joh. 4,6) ein Wissen, das nicht nur ihre Erkenntnis, sondern ihr gesamtes Leben bestimmt. V. 21 spricht den Lesern negativ und positiv zu, daß sie die Wahrheit kennen und selbst gegen die Irrlehre als eine widergöttliche Lüge Stellung beziehen können. Deshalb bedürfen sie keiner neuen Unterweisung, auch eigentlich nicht durch den Verfasser (vgl. 2,27), sondern lediglich der Ermahnung zum Bleiben (2,24-28). Sie erweisen sich der Gemeinschaft mit den Zeugen und Verkündern würdig, die der Verfasser durch sein Schreiben zu festigen versucht (1,3 f.). Nun erst kommt die Lehre der Verwirrer zur Sprache, die eben als Lüge be- 22 stimmt worden war. Der Verfasser geht also durchaus polemisch vor. Die Gegner haben die Mitte des christlichen Bekenntnisses bestritten, daß Jesus von Nazareth der Christus sei. Da sie aus der christlichen Gemeinde hervorgegangen sind (V. 19), haben sie sicher irgendeine Form des Christusglaubens vertreten. Es finden sich auch keine Hinweise darauf, daß sie die grundsätzliche Polemik des zeitgenössischen Judentums gegen die Messianität Jesu übernommen hätten. Sie lehnten vielmehr ab, daß der Christus und Gottessohn mit dem Menschen Jesus identisch sei (vgl. 4 , 2 f . ; 2. Joh. 7), weil der überweltliche Gott des Lichtes und der Wahrheit nichts mit einem Menschen, der aus dieser Welt hervorgegangen sei, gemein haben könne. Deshalb leugnen sie für den Verfasser auch den Vater und den Sohn, weil sie nämlich Jesus nicht als den Sohn des Vaters und damit als den endgültigen Repräsentanten des wahren und ewigen Lebens für die Menschen anerkennen (vgl. dazu Joh. 1,18; 10,30; 1 4 , 6 f . l 0 f f . ; 1 7 , l l f f . ) . Von daher erhalten die Aussagen des Briefeingangs ihr volles Gewicht: Wer 23 das Leben gesehen hat und es bezeugt, der weiß, daß die Verwirklichung des wahren Lebens nur in der Erfüllung des Liebesgebotes Jesu möglich ist. Wer aber im Dualismus der Gnosis befangen ist und die Offenbarung des Lebens von dem konkreten Träger dieses Lebens abhebt, der ist damit selbst fern vom Leben, vom Licht und von der Wahrheit. Er steht auch jetzt noch in der Finsternis derer, die damals schon den Träger des Lebens verworfen haben. Der Verfasser denkt konsequent christologisch von dem Ärgernis her, das das Auftreten des Christus und Gottessohnes in Niedrigkeit bedeutet, und er denkt damit konsequent christlich. Gegenüber dem öffentlichen Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Sohn, der Gott den Menschen nahegebracht hat, so daß sie ihn als Vater „haben" können (vgl. 2. Joh. 9), gibt es auch innerhalb der verschiedenartigen christlichen Gruppen nur noch die Alternative der Verweigerung dieses Bekenntnisses, die einem Rückfall in die frühere Gottesferne gleichkommt. Die Paradoxie der Göttlichkeit des Christus („Sohn") und seiner Menschlichkeit („Jesus") ist konsequent durchgehalten. All das wissen die Angesprochenen schon seit Anfang (vgl. 2,20 f. 3,11; 2,7). Sie 24 bedürfen keiner neuen Lehre und schon gar nicht einer lehramtlichen Instanz. Der Verfasser legt sie aber auf dieses Wissen fest wie schon in 1,5-2,11 und betont
184
1. Joh. 2,26-27: Die Glaubenden bedürfen keiner Belehrung
damit (verstärkt durch das betonte „Für euch gilt") die bestehenden Gegensätze. Wenn sie diese Botschaft in sich bewahren, werden sie dadurch in der Gemein25 Schaft mit dem Sohn und dem Vater bewahrt (vgl. Joh. 15,4-7). Der Inhalt der Botschaft war schon in 1,1-3 entfaltet. Weil sie zentral vom wahren und unverlierbaren Leben handelt (1,2), schließt sie die Verheißung solchen Lebens durch Jesus ein. Sprach der johanneische Jesus den Seinen dieses Leben unmittelbar zu (Joh. 3,36; 5,24; 11,25 f.), so stellte er sie damit in die Spannung zwischen Zuspruch und endgültiger, umfassender Verwirklichung des Lebens hinein (Joh. 6,27. 33-40.54; 12,25; 17,1-26). Die johanneische Gemeinde weiß ebenso wie der Jesus der johanneischen Abschiedsreden, daß die Glaubenden vor der Welt, die an Jesus gescheitert ist, jetzt noch nicht als die wahrhaft von Gott her Lebenden offenbar geworden sind (3,1 f.). Die absolut gültige Heilszusage Jesu tritt für sie also wieder mehr unter den Aspekt der „Verheißung". (Die entsprechenden Vokabeln fehlen sonst in den johanneischen Schriften!). Den gleichen Vorgang können wir mehrfach in den späteren urchristlichen Schriften beobachten (vgl. 1. Tim. 4,8; Hebr. 4 , 1 ; 2. Petr.3,4.9). Damit wird gegenüber dem Johannesevangelium die Zukunftserwartung von denen, die das Leben schon haben und es noch in dieser Welt führen müssen (vgl. 3,13 f.), in neuer Weise als ein Teil des Heils selbst erfahren. 3. Abschließende
Ermahnung und Überleitung
2,26-27
Das schreibe ich euch über die, die euch verführen wollen. 27 Von euch aber gilt: Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr habt nicht nötig, daß euch einer belehre; vielmehr, wie euch seine Salbung über alles belehrt, so ist es wahr und gewiß keine Lüge, und wie sie euch gelehrt hat, so bleibt in ihm ( = Christus)! M
26
Der Verfasser blickt auf das Geschriebene zurück. Zusammenfassend kann er die Christusleugner als Verwirrer und Irreführer bezeichnen (vgl. 1,8; 2 , 4 . 1 1 ; 3,7; 27 4 , 6 ; 2. Joh. 7). Aus ihnen spricht der Geist der widergöttlichen Lüge. Was sie versuchen, erreichen sie bei den Lesern nicht, denn diese haben von Jesus Christus (vgl. V. 20) den Geist erhalten, der sie nun zur Christusgemeinde zusammenschließt. Also brauchen sie auch nichts mehr hinzuzulernen, weder durch den Verfasser noch von anderer Seite; denn was es von Gott und Christus, dem Sohn, zu wissen gibt, das ist bei ihnen mit der von Anfang an gehörten Botschaft lebendig (vgl.5,18-20). Die abschließende Ermahnung könnte das Bleiben in der Salbung oder auch in dem von der Salbung Gelehrten zum Inhalt haben. Wahrscheinlicher ist aber die Bezugnahme auf das Bleiben in Christus (vgl. 2,24.27 a). Diese Aussage schließt die anderen mit ein und erlaubt es dem Verfasser zugleich, den nächsten großen Abschnitt mit dem Aufruf zur Bewährung dieses Bleibens in Christus zu beginnen. II. Abschnitt: Die Praxis der Christen 2,28-3,24 1. Das Thema: In Christus bleiben und die Gerechtigkeit
tun 2,28-29
Und nun, Kinder, bleibt in ihm, damit wir, wenn er erscheint, freie Zuversicht haben und nicht zuschanden werden vor ihm bei seiner Ankunft. 20 Wenn ihr wißt, daß er gerecht ist, so erkennt ihr, daß auch jeder, der die Gerechtigkeit verwirklicht, aus ihm stammt. 28
1. Joh.2,28-29: Bleiben in Christus
185
Von V. 28 an wird das Bleiben in Christus in immer neuen Gedankengängen 28 entfaltet. Aus dem „Wissen" der Leser (V.29a) muß „nun also" auch das entsprechende Tun folgen, nicht als etwas Neues gegenüber dem Wissen, sondern als der die ganze Existenz betreffende Vollzug dieses Wissens. Dem zurückliegenden Erscheinen Christi (1,2) entspricht sein künftiges Erscheinen, das hier (singulär in den johanneischen Schriften) als Parusie bezeichnet wird (vgl. sonst l.Thess. 2,19; 1. Kor. 15,23; Mt.24,27). Diese Ankunft Christi bedeutet nichts anderes als die endgültige Durchführung des Gerichts, das mit dem Kommen des Gottessohns in die Welt gegeben war (Joh.3,18-21). Wer in der Gemeinschaft mit Christus bleibt und damit bereits in dieser Welt das wahre Leben hat, ist je schon gerettet; alle anderen sind verloren (vgl. Joh.5,24-29). Die Glaubenden gehen auf dieses Gericht, über dessen Nähe oder Ferne hier nicht nachgedacht wird, freimütig und ohne Furcht zu (vgl. 4,17). Sie werden nicht zuschanden, d . h . der Richter wird sie nicht von sich wegstoßen, wenn sie jetzt treu sind und ihr Leben bewahren. Damit greift der Verfasser ein allgemeines paränetisches Motiv der späteren urchristlichen Verkündigung auf. Je mehr für die Gemeinde die Heilszusage Jesu in die Vergangenheit rückte, so daß diese Welt in ihrer Unerlöstheit zunehmend als Bedrohung erfahren wurde, desto mehr hofften die Glaubenden auf die Bestätigung ihres schon empfangenen Heils in dem noch ausstehenden vollkommenen Offenbarwerden Gottes und seines Heilbringers als Herrn der Welt. Wie Gott ist Christus gerecht (1,9; 2,1). Also gilt es, den Forderungen Christi 29 zu entsprechen und von der Vergebung der Sünden zu leben (vgl. 3,4), um dadurch in Gott und Christus zu bleiben. Damit erweisen die Christen, daß sie aus Gott gezeugt sind. Sprachlich könnte dieser Nachsatz zwar noch auf Christen bezogen sein, aber der Verfasser denkt hier bereits an die nachfolgenden Aussagen über die Gotteskindschaft (3,1 f.) bzw. das Gezeugtsein aus Gott (3,9 f., vgl. Joh. 1,13; 3,3-8; 1. Joh. 4,7; 5,1.4.18). Wieder zeigt das „Jeder" eine Grenze an (vgl. 1,5-2, 11; 3,4.6-10). Das Gezeugtsein aus Gott ist natürlich nicht physisch zu verstehen. Es meint: „aus Gott sein" (vgl. 3,9 und 10). Nach dem johanneischen Denken gibt es Menschen, die von Gott her die grundsätzliche Möglichkeit haben, das Wort des Lebens aufzunehmen und damit Gotteskinder zu werden (vgl. Joh. 1,12f.). Seit Christus erweist sich ihre Gotteskindschaft in ihrem Bleiben in Christus und damit in ihrem Tun. Wer seit Christus weiterhin sündigt, zeigt damit an, daß er diese grundsätzliche Möglichkeit nicht hatte (vgl. Joh. 3,6), daß er also auf der Seite des Teufels steht (3,8.10). Von einem „Gezeugtsein aus dem Teufel" spricht der Verfasser allerdings nicht. In der alttestamentlich-jüdischen Tradition ist von der Gottessohnschaft der Frommen mehr bildhaft im Sinne der innigen Zugehörigkeit zu Gott die Rede. Näher liegen dem johanneischen Denken die Aussagen der hellenistischen Mystik und der Gnosis, die von einer wesenhaften Geburt bzw. Neugeburt des Menschen aus Gott sprechen und diese mit der Gewinnung der Gotteserkenntnis oder der ekstatischen Gottesschau verbinden. Dem Verfasser kommt es aber darauf an, daß sich die vorgängige Gotteskindschaft der Menschen sowie ihre Zugehörigkeit zum Teufel direkt an ihrem Verhalten erkennen lassen. Aus Gott
186
l.Joh.3,1-3: Die Glaubenden als Kinder Gottes
ist also, wer in der Zeit vor der Parusie in Jesus als dem Gottessohn bleibt und ihn zugleich durch das Tun des gerechten Willens Gottes bleibend in sich hat. 2. Das Heil der Gotteskinder
als Hoffnung
3,1-3
1 Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat, daß wir Kinder Gottes heißen, und wir sind es auch. Darum erkennt die Welt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat. 1 Geliebte, wir s i n d jetzt Gottes Kinder, aber es ist noch nicht offenkundig geworden, was wir sein w e r d e n . Wir wissen (jedoch): Wenn er erscheinen wird, werden wir ihm gleich sein, weil wir ihn sehen werden, wie er ist. * Jeder aber, der diese Hoffnung auf ihn hat, heiligt sich selbst, wie jener heilig ist.
1
Durch Stichwortassoziation kommt der Verfasser zum Thema der Gotteskindschaft. Er spricht damit voll von der Wirklichkeit des endzeitlichen Heils, auf dem er allein die folgenden Ermahnungen aufbauen kann. Der Vater hat in Christus den Gegensatz zwischen sich und den Menschen überbrückt und die Glaubenden aus Liebe zu Kindern gemacht, so daß sie jetzt seiner Nähe gewiß sind (vgl. Joh. 1,12). Das angehängte Sätzchen „wir sind es auch" betont die gegenwärtige Realität des Kindseins, die gerade aus dem Gegensatz zur Gottesferne und Blindheit der Welt zu erfahren ist. Die Welt könnte die Kinder Gottes nur erkennen und anerkennen, wenn sie selbst in der Nähe Gottes wäre (vgl. Joh. 15,19; 17,25; 1. Joh. 3,13 f.). Sie hat aber „ihn", d. h. Gott in seinem Sohn (vgl. V. 2), nicht erkannt. Die Christen sind nicht Söhne Gottes, sondern - im Unterschied von Christus - Kinder. Das Unverständnis gilt ihnen aber in der gleichen Weise wie dem Sohn. Sie haben das Heil also, aber sie haben es unter den Bedingungen dieser noch nicht vollendeten Zeit.
2
V.2 hebt diesen Gedanken noch besonders hervor. Der gegenwärtigen Geschichte steht das künftige Ereignis des Offenbarwerdens Christi (vgl. 2,28) gegenüber, welches das eigentliche Sein und Wesen der Christen an den Tag bringen wird. Die Christen wissen jetzt schon um ihr wahres und erst künftig voll verwirklichtes Sein, aber was sie eigentlich sind, ist noch nicht offenkundig; einmal vor der Welt und zum anderen auch an ihnen selbst; es fehlt ihnen noch die Gleichgestaltung mit Christus, von der sie jetzt lediglich wissen, und es fehlt ihnen damit noch die unmittelbare Erkenntnis und Erfahrung des Verherrlichten selbst (vgl. Joh. 17,24f.). Sie werden einst nicht andere sein als jetzt, aber sie werden das, was sie jetzt im Glauben und in der Hoffnung haben, einst real haben. Der Differenz zwischen dem wahren Sein der Christen und ihrem Dasein, wie es in der Welt möglich ist und von der Welt beurteilt werden kann, entspricht also die Differenz zwischen der Gegenwart und der noch ausstehenden vollkommenen Erfüllung des Heils, in der der Gottessohn als Herr und Gott vor der gesamten Welt offenbar werden wird (vgl. Joh. 12,45; 14,9f.; 20,28f.; l . J o h . 5 , 2 0 ) . Sprachlich wäre es auch möglich, V . 2 b unpersönlich aufzufassen: „Wenn es erscheinen wird" (nämlich das, was wir sein werden), so daß sich damit eine Aussage über die künftige Gleichheit der Christen mit Gott ergeben könnte. Ziel der Heilsvollendung wäre dann die Schau Gottes, während in dieser Welt Gott nur im Bild seines Sohnes geschaut werden konnte (Joh. 1,18; 5,37 f.; l . J o h . 4 , 1 2 . 1 9 ; auch
1. Joh. 3,1-3: Die Heilserfüllung steht noch aus
187
1,1-3). Für den oben entfalteten Bezug auf Christus spricht entscheidend der Zusammenhang mit 2,28; für die zweite Auffassung könnte man ins Feld führen, daß in 3,1-2 a jedenfalls von Gott die Rede ist, so daß der Verfasser erst mit „jener" in V.3 Christus ins Spiel bringen würde. Für den Verfasser besteht aber keine inhaltliche Alternative zwischen beiden Auffassungen. Aus diesem Grund konnte er auch den Text sprachlich so schwebend formulieren. Wie die Welt nach V. 1 b Gott in Christus nicht erkannt hat, so wissen auch die Geretteten, daß Christus und der Vater eins sind (vgl. Joh. 16,26-28; 17,11 f.), ja daß der Sohn im Vater ist und der Vater im Sohn (Joh. 17,21-23). Nach den Abschiedsreden des Johannesevangeliums besteht das Heil der Glaubenden darin, daß sie die ewige Herrlichkeit dessen, den sie als das fleischgewordene Wort kennen, sehen werden und damit unmittelbar bei dem Verherrlichten sein werden (Joh. 17,24). Wie der Sohn den Menschen den Vater vermittelt hat (Joh. 17,25 f.), so werden die Glaubenden am Ende durch ihn am Vater Anteil haben (vgl. Rom. 8,17-19; l.Kor. 13,12; 2. Kor.3,18); nicht als Gottgleiche - das wäre gnostisch-mystischer Pantheismus, der eine Vergottung des Menschen annimmt - , sondern als solche, die den Sohn als den Geist des wahren Lebens in sich haben und in ihm bleiben, so daß sie durch ihn und mit ihm zum Vater kommen werden. All das legt es nahe, V. 2 b direkt auf Christus zu beziehen. V.3 bestätigt diese Interpretation vollends, denn er spricht von der Hoffnung 3 auf Christus und von der Heiligung der Christen, die sich damit dem Heiligen (vgl. 2,20) angleichen (vgl. Joh. 17,17-19!). Es ergibt sich, daß die Eschatologie des l.Joh. den Abschiedsreden des Johannesevangeliums, insbesondere dem Abschiedsgebet in Joh. 17 sehr nahe steht, so daß man u. U. sogar einen engen Zusammenhang zwischen der späteren johanneisdien Gemeinde und gewissen Formulierungen von Joh. 17 annehmen könnte. Die Heiligung entzieht die Glaubenden dem Bereich der Welt, wie schon im Kult das Heilige dem Profanen entzogen war. Konkret heißt das: Wie Christus frei von Sünde war (vgl. 3,5), so sind die Glaubenden als die Kinder Gottes schon in dieser Welt von der Macht der Sünde frei; sie sind auch in der Lage, diese Freiheit zu bewahren (Indikativ!). Daß ihr eschatologischer Heilsglaube als Hoffnung bezeichnet wird, ist in der johanneisdien Literatur singulär. Es kommt darin zum Ausdruck, daß der Verfasser anders als das Evangelium - die Geschichte seiner Gemeinden in dieser Welt vor Augen hat; eine Geschichte, die zwischen den beiden entscheidenden Offenbarungen Gottes in seinem Sohn verläuft und für die Glaubenden nach vorne, auf das Hoffnungsziel hin, gerichtet ist. 3. Am Tun des Menschen läßt sieb seine Zugehörigkeit erkennen 3,4-10
zu Gott oder zum Teufel
* Jeder, der die Sünde tut, verstößt (damit) auch gegen die Gerechtigkeit (Gottes), denn die Sünde ist der Verstoß gegen die Gerechtigkeit.6 Ihr wißt aber, daß jener erschienen ist, damit er die Sünden beseitige; in ihm ist keine Sünde. * Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht; jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen und ihn nicht erkannt.
188 7
4
1. Joh.3,4-10: Die Gegner verstoßen gegen das Recht Gottes
Kinder, niemand soll euch in die Irre führen: Wer die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, wie jener gerecht ist; 8 Wer die Sünde tut, gehört dem Teufel zu, weil der Teufel von Anfang an sündigt. Dazu ist der Gottessohn erschienen, daß er die Werke des Teufels zerstöre. 9 Jeder, der aus Gott gezeugt ist, tut keine Sünde, weil sein (Gottes) Same in ihm bleibt; ja er kann nicht sündigen, weil er aus Gott gezeugt i s t . 1 0 Darin ist offenkundig, wer die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels sind. Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, gehört Gott nicht zu, - und der nicht seinen Bruder liebt.
Nach der Entfaltung der Heilszuversicht der Glaubenden nimmt der Verfasser das zweite Anliegen seines Ausgangsthemas von 2 , 2 8 f. auf: Das Sein aus Gott und das Tun der Gerechtigkeit. Damit greift er auch auf die Gedanken von 1 , 7 - 2 , 2 zurück. In 3 , 4 ff. spricht er aber nicht über die Sünden, die auch in der christlichen Gemeinde noch aus Schwachheit möglich sind (vgl. 2 , 1 ) , sondern es geht ihm um das Sündigen der widergöttlichen Welt schlechthin (vgl. 3 , 1 ) , in das auch die Christusleugner zurückgefallen sind. V . 4 ist am ehesten in Verbindung mit der Grandaussage von 2 , 2 9 (vgl. 3 , 7 ) zu verstehen. Der „Verstoß gegen die Gerechtigkeit" („anomia") steht im Gegensatz zu der Gerechtigkeit selbst, die bei den Gotteskindern gelebt wird. Es geht also um ein bewußtes Sich-Vergehen am Recht Gottes, das in seinem Fordern und in seiner Barmherzigkeit zugleich zum Ausdruck kommt (vgl. 1,9). In diesem Sinn scheint der Ausdruck „Rechtsverstoß, Rechtsbruch" bei den Lesern des Briefes wie auch bei ihren Gegnern unmittelbar als negatives Urteil verstanden worden zu sein, während die Gegner die Rede von der Sünde nicht mehr ernst genommen haben (1,8.10). Daß auf das allgemeine bürgerliche Rechtsempfinden angespielt wird, ist unwahrscheinlich. Die eigentlich Angesprochenen sind ja die Leser, die den Ausdruck sofort als Verstoß gegen Gott verstehen können, ja ihn vielleicht sogar mit dem endzeitlichen Auftreten des widergöttlichen Gegenspielers zusammenbringen können (vgl. 2. T h e s s . 2 , 7 f . ) .
5
Wer also - wie die Gegner - behauptet, sündlos zu sein, spricht - paradoxerweise - mit dem Mund der gottfeindlichen Kräfte selbst. Er steht im Gegensatz zu Christus, der allein von Sünde frei ist und erschienen ist, um die Sünden der Menschen wegzunehmen (vgl. 1 , 9 ; 2 , 1 f.). Hier ist allerdings nicht auf die Tilgung der Sünden durch das sühnende Blut Christi angespielt, sondern auf die Befreiung der Glaubenden von der Macht des Teufels (vgl. V. 8 b). V. 10 macht das vollends deutlich: Das Tun der Gerechtigkeit bewährt sich in der Bruderliebe, die Jesus vorgelebt und geboten hat. W o sie gilt, ist folglich kein Verstoß gegen die Gerechtigkeit mehr gegeben, ist das Sündigen fortgenommen. Dem Verfasser geht es also nicht allein um die Sündlosigkeit Jesu (vgl. J o h . 8 , 4 6 ; H e b r . 4 , 1 5 ) , sondern in gleicher Weise um die bleibende Wirkung seines Gekommenseins für die, die in ihm
6 bleiben. Wer in ihm bleibt und die Brüder liebt, der ist fern von der Sünde. Wer sündigt - wer die Brüder nicht liebt, wie die Verwirrer und Neuerer - , der hat ihn nicht als Heilbringer erkannt, selbst wenn er von ihm weiß. M a n könnte im Blick auf den Eingang des Schreibens auch sagen: Er lebt fern von der wahren Christus-
1. Joh. 3,4-10: Wer aus Gott ist, sündigt nicht
189
und Gottesgemeinschaft, weil er fern von der Gemeinschaft der Zeugen und Verkünder lebt; also befindet er sich im Machtbereich der Sünde. Gleich anschließend wird deutlich, daß wirklich von den Verwirrern die Rede 7 war. Das „Tun der Gerechtigkeit" ist keinesfalls juristisch zu verstehen, sondern es geht um ein Verhalten, das der Forderung Gottes an die Menschen entspricht und von Christus vorbildhaft verwirklicht worden ist. Mit Recht hat diese Forderung deshalb zu tun, weil Gott selbst in seinem Zorn und seiner Liebe, in seinem Gebot und seiner erbarmungsvollen Zuwendung zu den Menschen ein Beziehungsverhältnis zwischen sich und den Menschen schafft, das die Menschen bei aller kreatürlichen Abhängigkeit von Gott doch zugleich frei macht zu einem selbstverantworteten Leben. Vom Gott Jesu und des Alten Testaments ist also die Rede, vom Schöpfer und Richter, vom fernen und zugleich nahen Gott, der die Menschen in der Freiheit des gottentsprechenden Tuns leben läßt. Im Gegensatz dazu steht der Gott der Gnostiker, der Teufel, der nicht Wider- 8 sacher Gottes selbst sein kann, sondern nur Gegner Christi. Von Anfang an sündigt er in den Menschen, denn er erkennt in ihnen das Recht des Schöpfers über seine Schöpfung nicht an. Von Anfang an hat er als „Menschenmörder" die Menschen in der Lüge ( = Gottesferne) gefangen (Joh. 8,44). Er ist die Kraft, die den Abfall der Menschen von Gott betrieben hat. Noch einmal: Der Teufel ist nicht als mythischer Gegenspieler Gottes vorausgesetzt — der Verfasser dächte sonst selbst gnostisch - , sondern er wird als die Macht in den Menschen erkennbar, die sich mit ihrem gesamten Leben dem Beziehungsverhältnis zwischen Gott und den Menschen entziehen. Letztlich deutlich wurde er aber an dem Kommen des Gottessohns, das seinen Werken, seiner Herrschaft über das Leben der Menschen, ein Ende gemacht hat. Seither ist ein Leben möglich, das frei ist vom widergöttlichen Tun; faktisch hat dieses Leben in der Christusgemeinde Verwirklichung gefunden. War bisher der Gegensatz zwischen den Gotteskindern und den Teufelskindern 9 in zwei Antithesen entfaltet worden (V. 6.7 b-8 a), so faßt ihn nun eine dritte Antithese abschließend zusammen. Die Christen stehen nicht lediglich einer indifferenten Welt von Nichtchristen gegenüber, sondern einem Machtbereich, dem sie allein durch ihr Bleiben in dem Widersacher des Teufels, in Christus, entnommen sind. Vom Samen Gottes ist im Bild der Zeugung aus Gott die Rede. Konkret angespielt wird damit auf die Neugeburt der Glaubenden durch den Geist Gottes (vgl. Joh. 3,6-8). Die Möglichkeit eines Lebens im Widerspruch zur Sünde geht allein von Gott aus. Wer von diesem Geschenk her lebt, verfällt nicht dem Wahn der Gnostiker, selbst sündlos zu sein, sondern er entspricht der von Gott eröffneten Möglichkeit des eigentlichen Lebens. Weil er der Macht der Sünde entnommen ist (vgl. 1 , 7 . 9 ; 2 , 1 f.), kann er nicht sündigen (non posse peccare!), aber er hat gerade dieses Nicht-Sündigen nicht als eine eigene Möglichkeit. Den Behauptungen der 10 Gnostiker, die von dem fordernden und liebenden Gott nichts wissen, steht also eine Lebenswirklichkeit gegenüber, die zentral von Christus her bestimmt ist; denn aus Gott ist, wer Gott in der gleichen Weise entspricht wie Jesus Christus. Wer am Christusgebot der Bruderliebe scheitert, der gehört dem Teufel zu. Eine dritte Möglichkeit gibt es für den Verfasser nicht. Er denkt Gott radikal von Jesus Chri-
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1. Joh.3,11-17: In der Gemeinde herrscht Bruderliebe
stus her, weil es ihm um die Bewahrung des Christusglaubens unter den Bedingungen dieser Welt geht. Am Beispiel des Kain wird er sogleich zeigen, daß sich am Liebesgebot Christi wirklich der Bereich des Bösen von der Lebenswirklichkeit der Christusgemeinde scheidet. 4. Die Bruderliebe
als der Erweis des Lebens aus Christus
3,11-17
11 Denn das ist die Botschaft ( = Auftrag), die ihr von Anfang an gehört habt, daß wir einander lieben sollen; 11 es soll nicht sein wie bei Kain, der dem Bösen zugehörte und seinen Bruder hinmordete. Weshalb hat er ihn nämlich hingemordet? Weil seine Werke böse waren, die seines Bruders aber gerecht. 14 Wundert euch nicht, Brüder, wenn euch die Welt haßt. Wir wissen, daß wir aus dem Tod ins Leben hinübergeschritten sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod. 1 S Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Menschenmörder, und ihr wißt, daß kein Menschenmörder ewiges Leben in sich bleibend hat. " Daran haben wir erkannt, was Liebe ist, daß jener sein Leben für uns hingegeben hat; so sollen auch wir unser Leben für unsere Brüder hingeben. 17 Wer immer sein Auskommen in der Welt hat und seinen Bruder in Not sieht und doch sein Herz gegen ihn verschließt, - wie bleibt (da) die Liebe Gottes in ihm?
11
V. 11 begründet die Feststellung von V. 10 und greift zugleich zurück auf die umfassende Formulierung der Botschaft Jesu Christi gegen die Irrlehrer in 1,5. Ging es dabei um die „Rechtgläubigkeit" schlechthin, so geht es jetzt um das Liebesgebot als den entscheidenden Inhalt der Botschaft an die Glaubenden. Orthodoxie (im johanneischen Verständnis) und Orthopraxie sind also direkt aufeinander bezogen. Die Heilszusage hat auch den Charakter der Forderung, des Auftrags (vgl. 2,7-11). Das Liebesgebot ist im Anschluß an das Gebot des johanneischen Jesus formuliert (vgl. Joh. 13,34 f.). Es geht um die Liebe im Kreis der Glaubenden; denn nur dort, wo Menschen von Christus her das wahre Leben haben, kann auch Liebe geübt werden. Eine Möglichkeit für die gesamte Welt wäre die Liebe erst, wenn die Welt Jesus als den Vermittler des wahren Lebens erkennte. Das bedeutet aber nicht, daß die Christen sich durch die Grenzen der Gemeinde auch die Grenzen des Liebesgebotes abstecken lassen könnten. Für sie ist grundsätzlich jeder Mensch ein Bruder, weil Christus für die Sünden der ganzen Welt gestorben ist (2,2; vgl. 3,16 f.). Selbst die Christusleugner, die die Lebensverbindung zu ihren christlichen Brüdern abgebrochen haben, werden nicht dem Haß ausgeliefert. Ihnen gegenüber wie gegenüber dieser Welt überhaupt gilt aber der Aufruf zur Trennung von allem, was die Christen in ihrem wahren, eigentlichen Leben schädigen könnte.
12
Gegenbild der Liebe ist Kain, der das Blut seines Bruders vergoß und damit anzeigte, daß er dem Bösen zugehörte (vgl. Gen.4,7ff.). Er repräsentiert die Teufelskinder schlechthin und verkörpert damit die Lebensgesetze dieser Welt. Die Antwort auf die Frage nach dem Grund seiner Tat macht das besonders deutlich: Im Mord des Kain an seinem Bruder konkretisierte sich der Gegensatz zwischen bösen und gerechten ( = Gott entsprechenden) Taten bis hin zum Höhepunkt des existenzbedrohenden Kampfes des Bösen gegen das Gerechte in dieser Welt. In gleicher Weise stand die ungläubige Welt Christus gegenüber (vgl. Joh. 3,19; 7,7). Wieder ist die scharfe Trennung der beiden Machtbereiche zu erkennen: Liebe ist
1. J o h . 3 , 1 1 - 1 7 : In der Welt herrscht Haß
191
nur im Wirkungsbereich Gottes, d. h. in der Christusgemeinde, möglich; außerhalb - im Machtbereich des Bösen - herrschen Lüge und Finsternis und damit der Verstoß gegen das Gottesrecht; also auch der Bruder- bzw. Menschenmord als die letzte Konsequenz des Hasses ( = des Fehlens von Liebe, s. zu 2,9-11). Wie Abel 13 für Kain der Bruder war und auch im eigentlichen Sinn hätte Bruder sein können, so könnten grundsätzlich auch die Christen und die Außenstehenden dieser Welt Brüder sein, aber faktisch gibt es — eben aufgrund der heillosen Situation dieser Welt - hier nicht Bruderschaft, also nur Haß. Wie Abel leiden auch die Christen das Schicksal, von der Welt gehaßt zu werden. Damit ist gegenüber 2,15-17 die negative Sicht der Welt bedeutend verschärft. Es geht hier ja um das Gegenüber von Heil und Unheil, Gotteskindschaft und Zugehörigkeit zum Teufel. Den Christen wird damit nur bestätigt, daß sie nicht von der Welt sind (vgl. J o h . 1 4 , 1 7 ; 15,18-27; 16,33; 18,36). Für die Christen ist der 14 Haß der Welt - im Unterschied von Abel - noch dadurch verstärkt, daß sie aus dem Bereich des Todes in den Bereich des Lebens hinübergeschritten sind (vgl. Joh. 5,24). Hassen heißt also Tod, Lieben heißt Leben. Wie der Tod das Leben haßt, indem er es vernichtet, so sperrt sich auch die Welt gegenüber der Liebe, weil sie durch die Liebe in ihrer Eigengesetzlichkeit entmachtet würde. Dem wahren Leben steht natürlich nicht allein der physische Tod gegenüber, sondern das vergängliche und nichtige Leben dieser Welt insgesamt, das sich in der Gottesferne abspielt und damit Finsternis, Lüge wie auch Tod bedeutet. Das weiß die Gemeinde, und sie bewährt ihr Wissen in der Liebe. Sie schafft sich also nicht durch die Liebe erst das Leben, sondern die Bruderliebe ist das Zeichen bzw. der praktische Erkenntnisgrund ihres Lebens. Der Haß, das Nidit-Lieben, ist demgegenüber die 15 schärfste Verfehlung gegen das Leben selbst, die Vernichtung von menschlichem Leben (vgl. M t . 5 , 2 1 f . ) . Er ist Frevel gegen das Recht des Schöpfergottes (vgl. 3 , 4 . 8 ) und zieht damit den endgültigen Ausschluß aus der Heilsgemeinschaft Gottes nach sich. Wie jeder Mörder sein physisches Leben verwirkt hat (Gen. 9,6), so erst recht die Möglichkeit des eigentlichen und bleibenden Lebens vor Gott. Gott wird ihn richten. Sollte der Hassende - wie die Christusleugner - einst zur Gemeinschaft des Lebens gehört haben und sich durch den Ausschluß aus der Gemeinde aus dem Wirkungsbereich der Liebe ausgeschlossen haben, so hat er damit auch sein wahres Leben endgültig verwirkt. Damit ist die antithetische Theologie des 1. Joh. auf einem Höhepunkt angekommen: Lieben oder Nicht-Lieben bedeutet das Gleiche wie Leben oder Tod, Heil oder Unheil, Christentum oder Nicht-Christentum. Der einzige Weg vom Tod zum Leben führt über Christus und die Christusgemeinde, in der die Liebe verwirklicht wird. Anschließend werden diese Grundaussagen konkretisiert. Was Liebe ist und wie 16 sie sich bewährt, erkennt die Gemeinde an Jesus Christus, genauer, an seiner Hingabe für die Seinen, die im Leiden für sie gipfelte (vgl. Joh. 10,11-18: der gute Hirte). Diese Erkenntnis ist seither in der Gemeinde wirksam (Perfekt!). Die Hingabe Jesu ist aber nicht nur ein Modell für die Wesensart der Liebe, sondern sie schließt zugleich das Angebot solcher Liebe an die Glaubenden mit ein, denn durch den liebenden Einsatz und Selbstverzicht Jesu Christi wurde ihnen das Leben als
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1. Joh. 3,18-22: Lieben heißt Handeln
die Möglichkeit der Liebe erst eröffnet. Also besteht jetzt das Leben der Christen darin, daß sie ihren Brüdern nicht den Lebensraum nehmen - wie Kain - , sondern ihnen gerade dadurch Lebensraum gewähren, daß sie ihr eigenes Leben für sie einsetzen. Nur so stellen sie Christus ganz vor der Welt dar (vgl. 3 , 3 . 7 a). Das folgende zweite Beispiel macht sogleich deutlich, d a ß damit nicht Liebe einseitig als Selbstpreisgabe bestimmt werden soll. Der Gedanke der Hingabe bringt vielmehr - im Gegensatz zur Selbstbehauptung des Bösen - eine letzte Konsequenz dieser Liebe zum Ausdruck (vgl. Joh. 15,13), sozusagen die Grundbereitschaft, welche die Liebe erst möglich macht, weil sie die Christen ganz von Christus her leben läßt. Praktisch wird diese Liebe dort verwirklicht, wo die Gebote Jesu, die die Gebote des Vaters sind, gehalten werden (Joh. 15,9-11; 1.Joh.2,7-11; 3,10). 17 Wenn einer angesichts der N o t des Nächsten - denn das ist der Bruder hier - nicht auf einiges von dem verzichten kann, woran er genug hat, wie kann er da Anteil haben an der Liebe, die das wahre Leben ausmacht? Damit spielt der Verfasser sicher auf das urchristliche Almosengeben an (vgl. L k . l 2 , 3 3 f . ; A p g . 2 , 4 4 f . ; 3,2ff.; Jak. 2,14 f.), das schon vorher in der jüdischen Synagogengemeinde eifrig geübt wurde (vgl. M t . 6 , 2 - 4 ; Dt. 15,7f.; Test.Sebul.7f.). Damit sollen die Christusleugner in ihrem Verhalten vollends demaskiert werden. Letztlich geht es aber darum, daß die praktische Förderung des Nächsten nur der leisten kann, der sein eigenes Leben von Christus her nicht als Besitz, sondern als Möglichkeit für andere verstehen kann. Ohne Mitleid also keine Gotteserkenntnis, ohne Gotteserkenntnis keine Bereitschaft für den Nächsten und Bruder. 5. Das Tun der Liebe bewirkt Heilszuversicbt
3,18-22
18
Kinder, laßt uns nicht nur mit Reden unserer Zunge lieben, sondern in einem wirklichen T u n ! 18 Darin werden wir erkennen, daß wir der Wahrheit zugehören, und werden vor ihm unser Herz beschwichtigen, 8 0 d a ß dann, wenn unser Herz uns verurteilt, Gott größer ist als unser Herz und alles erkennt. 21 Geliebte, wenn das Herz (uns) nicht verurteilt, haben wir freie Zuversicht zu Gott, 22 und was wir bitten, erhalten wir von ihm, weil wir seine Gebote halten und tun, was vor ihm Gefallen findet. 18
Mit der neuen Anrede „Kinder" k o m m t der Verfasser zu einem letzten Aspekt dessen, was das Tun der Gerechtigkeit im T u n der Liebe (vgl. 2,29; 3,10) ausmacht. Er wendet den Blick vom Gegensatz der Gotteskinder zur Welt wieder zur Gemeinde selbst zurück. Auch sie m u ß ermahnt werden, von der Liebe nicht nur in leeren Worten zu reden, sondern sie in wirklichen Taten zu erweisen (vgl. Jak. 1,25; 2,14-18). 19.20 Daran knüpfen unmittelbar die Verse 19 f. an. Ihre Konstruktion ist unübersichtlich. D a ß der Text nachträglich verdorben worden sei, m u ß jedoch nicht angenommen werden. V. 19 b ist ein selbständiger Satzteil, der auf das „darin" von V. 19 a zurückgreift und durch das „daß" von V. 20 a entfaltend weitergeführt wird. Im Griechischen wird dieses „daß" gleichbedeutend in V. 20 b wiederholt, so daß es in der Übersetzung um des Sprachflusses willen ausgelassen werden kann (so schon alte ägyptische und lateinische Handschriften). Im T u n der Liebe kön-
1. Joh. 3 , 2 3 - 2 4 : Glauben und Lieben gehören zusammen
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nen die Christen ihr Sein aus der Wahrheit, d. h. aus Gott erkennen (vgl. 2,28 f.). In V. 17 hatte der Verfasser auf das Innere des Menschen (das Herz, den Ort des Mitgefühls und des Gewissens) angespielt. Nun bedenkt er in seelsorgerlicher Weise, daß auch die Christen in der Liebe nicht stets vollkommen sind und wegen mancher Fälle des Versagens mit ihrem Gewissen in Konflikt geraten mögen. Wenn sie aber im Tun der Liebe treu bleiben, können sie die Selbstanklagen, die aus ihrem Herzen kommen, beschwichtigen. Gott ist über ihr „schlechtes Gewissen" erhaben, denn er ist der Fordernde und Vergebende zugleich. Er sieht ihr gesamtes Leben und damit auch das, was sie fortwährend an Liebe verwirklichen. Dieser Gedanke steht der Aussage über das Sündigen aus Schwachheit (2,1 f.) sehr nahe. Hier wie dort vermittelt er Heilszuversicht. Als den christlichen „Normal- 21.22 fall" nimmt der Verfasser jedoch an, daß die Gemeinde die Liebe vollkommen in die Tat umsetzt und das tut, was Gott gefällt (vgl. auch Rom. 12,1 f.). Nur wenn das Herz die Christen nicht verurteilt, können sie zuversichtlich vor Gott als dem Richter stehen (vgl. 2 , 2 8 ; 4,17). Als Liebende sind sie frei von Furcht und von Selbstvorwürfen. Sie leben so vollkommen aus Gott, daß ihnen die Erhörung aller ihrer Bitten gewiß ist (vgl. Joh. 14,12-14; 15,7). Man darf hier nicht die lutherische Rechtfertigungslehre suchen wollen, die den Menschen im fortwährenden Widerspruch von Sünde und Gnade allein von der Gnade leben läßt. Dem Verfasser geht es vielmehr praktisch darum, daß selbst Schwachheit und mögliches Versagen die Christen nicht von Gott trennen können, wenn ihm auch alles am vollkommenen Tun der Liebe liegt. An verschiedene Stufen der christlichen Vollkommenheit und der Gottesnähe ist noch nicht gedacht. Der Tenor liegt ganz im Zuspruch der Heilszuversicht. 6. Abschluß und Überleitung
3,23-24
Das aber ist sein Gebot: Wir sollen glauben an den Namen seines Sohnes Jesus Christus und einander lieben, wie er uns aufgetragen hat. 2 4 Wer seine Gebote hält, der bleibt in ihm (sc. Gott) und er (sc. Gott) in ihm; und daran erkennen wir, daß er in uns bleibt, nämlich an dem Geist, den er uns gegeben hat. M
V.23 nimmt direkt das Halten der Gebote Gottes von V.22 auf, spricht nun 23 aber singularisch von dem Gebot schlechthin. Das Liebesgebot war vorher in Verbindung mit dem Tun des gerechten Willens Gottes angeführt worden (3,10) und dann im Gegensatz zum Haß der Welt auf ein wirkliches und fortwährendes Tun der Christen hin entfaltet worden. Dabei war die theologische Begründung des Liebesgebotes nur angeklungen (3,13-16). Sie wird erst in 4,7ff. ausführlich dargestellt werden. Also war das gesamte 3. Kapitel von der Behauptung des Verfassers in 2 , 2 9 her bestimmt, daß der, der die Gerechtigkeit tut, aus Gott stammt. Deshalb kann der Abschluß des Kapitels rückblickend generell vom Gebot Gottes sprechen. Zugleich wird jedoch auch deutlich ein Vorgriff erkennbar. Zum erstenmal im l . J o h . fällt hier nämlich das Stichwort „glauben" (vgl. 4 , 1 . 1 6 ; 5 , 1 . 5 . 1 0 . 1 3 ; „Glaube" in 5 , 4 ) . Entscheidend für den Verfasser ist nicht allein die Praxis der Christen, sondern die Verbindung von Glauben und Praxis, ja das Glauben wird nun bei der Entfaltung des Gottesgebotes dem Lieben sogar vorgeordnet. Die
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l . J o h . 4 , 1 - 6 : Die Prüfung der Geister
Verse 23 f. leiten also zum Thema von Kapitel 4,1-5,12 über. Glaube bedeutet in den johanneischen Schriften ein „Bekennen" bzw. „Anerkennen" Gottes oder Jesu Christi. Der „Name" Jesu Christi meint seine Person (vgl. 2,12). An seinen Namen glauben heißt also, Jesus Christus als den Gottessohn anerkennen und bekennen (vgl. 5,10.13; Joh.1,12; 3,18). 24 Auch in V. 24 stehen wie schon in V. 23 Rückblick und Vorwegnahme direkt zusammen. Wer die Gebote Gottes hält, bleibt in ihm (vgl. 2,28; 3,9.15.22). Vom wechselseitigen Bleiben ist anschließend noch in 4,13.15 die Rede. V. 24 geht aber noch einen Schritt über diese paränetische Zusage hinaus und spricht vom Geist, den die Christen von Gott her als Erkennungszeichen ihrer Gemeinschaft mit Gott haben (vgl. 4,13). Audi dieses Stichwort erscheint hier - in einer wohl traditionell geprägten Wendung - zum erstenmal und leitet damit zu dem neuen Thema von 4 , 1 ff. über. Nachdem der Verfasser gezeigt hat, welche Gruppen sich gegenüberstehen (1,5-2,27) und woran sie sich in ihrem praktischen und alltäglichen Leben voneinander unterscheiden (2,28-3,22), schöpft er nun die volle theologische Bedeutung dieser Gegenüberstellung aus, indem er von dem Heil spricht, das Gott denen zugewendet hat, die an Christus glauben. Zeichen dieses Heiles ist der Geist (vgl. 2,20.27), der sich im rechten Bekenntnis und Glauben der Christen äußert und sie im Wirkungsbereich der Liebe Gottes ebenfalls Liebe wirken läßt. Man könnte hier „Geist" mit „neues Bewußtsein" bzw. „neues Selbstverständnis" wiedergeben. Die Gemeinde hat ihn nicht als eine magische Kraft, sondern als die lebenbestimmende Kraft der Heilsgegenwart Christi. Echte Pneumatiker, d. h. mit dem Geist Begabte, sind die Christen nicht als Ekstatiker oder vollendete Gnostiker, sondern als Glaubende, Bekennende und Liebende. III. Abschnitt: Der rechte Glaube führt zur rechten Praxis 4,1-5,12 1. Geist Gottes und Christusbekenntnis gehören zusammen
4,1-6
Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind, denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen. 1 Daran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesus Christus als den im Fleische Gekommenen bekennt, ist von Gott, ' und jeder Geist, der Jesus nicht (so) bekennt, ist nicht von Gott; das ist nämlich der Geist des Gegenchristus, von dem ihr gehört habt, daß er kommt, und nun ist er schon in der Welt. 4 Ihr gehört zu Gott, Kinder, und habt den Sieg über sie (die falschen Propheten), denn der in euch wirkt, ist größer als der, der in der Welt wirkt.' Sie gehören zur Welt; deshalb reden sie von der Welt her, und die Welt hört auf sie. • Wir gehören zu Gott; wer Gott erkennt, hört auf uns, wer nicht zu Gott gehört, hört nicht auf uns. Daraus erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist der Verwirrung. 1
1
Da Glauben und Lieben letztlich im Geist Gottes begründet sind, kommt es für die Glaubenden darauf an, die Geister zu prüfen, ob sie wirklich aus Gott sind. Entsprechend der Zugehörigkeit der Menschen zu Gott oder zum Teufel gibt es für den Verfasser auch zwei verschiedene Kräfte, die in den Menschen wirksam werden: den Geist Gottes oder Geist der Wahrheit und den Geist der Verwirrung (4,6). Die Glaubenden haben den Geist Gottes bereits als Unterpfand für das
l.Joh. 4,1-6: Der Geist Gottes wirkt das Christusbekenntnis
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Bleiben Gottes und des Gottessohns in ihnen (2,20.27; 3,24). Sie können also nicht einen anderen Geist anerkennen und ihm vertrauen, so daß sie ihm vollends verfallen könnten. „Glauben" in 4 , 1 a ist daher im gleichen Sinn zu verstehen wie in 3,23, nicht als ein bloßes „Trauen". Damit ergibt sich wie schon im Bereich des Tuns nun auch im Bereich des Glaubens der grundsätzliche Gegensatz zwischen dem Christusglauben und dem Verfallensein an den Geist des Bösen. Von der Prüfung (vgl. 1. Kor. 12,3) der vielen „Geister" ist deshalb gesprochen, weil der Geist der Verführung bzw. des Gegenchristus (4,3) in einer Vielzahl von Pseudopropheten wirksam ist. Im Grunde gibt es aber nicht viele Geister von lediglich unterschiedlichem Wert, sondern nur den einen wahren Geist und sein widergöttliches Gegenbild (anders 1. Kor. 12,4 ff., wo von den verschiedenen Geistesgaben die Rede ist). Mit den Pneumatikern der korinthischen Gemeinde haben die Pseudopropheten nichts zu tun, denn in ihnen verrät sich nicht nur ein Mißverständnis des göttlichen Geistes, sondern eben der Geist der Irreführung selbst. Die Gabe der Unterscheidung der Geister wird hier nicht wie in l.Kor. 12,10 als ein besonderes Charisma angesehen, sondern sie wird von der ganzen Gemeinde erwartet (vgl. 2,20.27). Die Gegner dürften ihre Lehre mit einem quasi-prophetischen Anspruch vertreten haben (vgl. 2.Petr. 2,1) und sich zum Schaden der Gemeinde auf eine göttliche Legitimation berufen haben (vgl. Mt. 7,15; im Alten Testament die lügnerischen Propheten Jer.23,9ff.). Vielleicht hat der Verfasser auch an die endzeitlichen Falschpropheten gedacht (vgl. Mk. 13,22 Par.; Offb.16,13; 20,10). Er betont jedenfalls, daß sie in großer Zahl durch die Gemeinden ziehen und weltweit auftreten (vgl. 2. Joh.7) und eine Botschaft als christlich ausgeben, die in Wirklichkeit in den Bereich der Finsternis und Verwirrung (vgl. 2,11.21 f. 27) hineingehört. V.2 zeigt, daß der Geist als eine Kraft gedacht ist, die sich im Bekenntnis der 2 Glaubenden bzw. in den Maximen der Gegner ausspricht. In Verbindung mit 3,23 f. ergibt sich folgende Aussage: W o der Geist Gottes die Glaubenden zum rechten Bekenntnis führt, da ist auch das Tun der Gerechtigkeit (des rechten Willens Gottes) und die Verwirklichung der Liebe als Zeichen der Gottesgemeinsdiaft gegenwärtig. Der rechte Glaube bekennt Jesus Christus als im Fleische gekommen, so daß er als Gottes Sohn und als Mensch von Fleisch und Blut auch die Sühnung für die Sünden der Welt schaffen konnte (2,2), mit seinem Gebot der Bruderliebe in Wahrheit das Gebot Gottes an die Menschen weitergab (3,16 f.) und schließlich den Seinen in greifbarer Realität das wahre und unvergängliche Leben vermittelte (1,1-3; 2,25). Ähnliche bekenntnisartige Formulierungen wie in 4,2 finden sich in 2,22; 4,15; 5,1.5; 2.Joh.7. Gegen den Doketismus, aber auch gegen die eingebildete Sündlosigkeit der Gegner wird damit die große Heilsaussage von Joh» 1,14 als Gott preisendes und zugleich die Kirche abgrenzendes Bekenntnis festgehalten. Verkürzt folgt die Gegenthese der Christusleugner. Schon früh haben 3 Abschreiber diese knappe Aussage über Jesus durch Zusätze wie „Herr, Christus, im Fleische gekommen" erweitert. Andere haben schon von der Mitte des 2. Jahrhunderts an von dem Geist gesprochen, der „Jesus zunichte macht", also die rechte Lehre von ihm außer Kraft setzt. Diese Variante ist im Neuen Testament singulär und auffällig, so daß manche Ausleger sie für den originalen Text halten. Dennoch
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l.Joh.4,1-6: Die Glaubenden haben den Sieg
dürfte sie nicht ursprüngliche Lesart sein, sondern vom antignostischen Kampf der Kirche des 2. Jahrhunderts her geprägt sein. Die entsprechenden Formulierangen in 2,22f. bleiben jedenfalls im Rahmen der Bekenntnisterminologie: Bekennen und leugnen ( = das Bekenntnis bestreiten). Waren die Gegner in 2,18.22 mit dem endzeitlichen Gegendiristus ineinsgesetzt worden, so wird hier gesagt, daß sein Geist oder sein Wesen in ihnen am Werk ist. Das bedeutet, daß der Gegendiristus jetzt schon (vgl. 2,18) in der Welt ist. Er gilt also für den Verfasser nicht mehr als eine mythische Gestalt, die nur Schauder und Angst auslösen könnte, sondern als eine geschichtliche Wirklichkeit, gegen die sich die Christen zur Wehr setzen können, indem sie ihr rechtes Bekenntnis bewahren. Die alte Erwartung des Endfeindes wird konkretisiert; der Kampf gegen die Christusleugner erhält zugleich einen endzeitlichen Aspekt. 4 Warum spricht der Verfasser nach 2,18 £f. in 4,1 ff. noch einmal vom falschen Bekenntnis der Irrlehrer? Sicher nicht, weil seine Leser noch unsicher wären und wiederholter Ermahnungen bedürften, denn er versichert sie an beiden Stellen ausdrücklich ihres echten Wissens und ihrer Überlegenheit (2,20 f. 26 f.; 4,4-6). Die Wiederholung dürfte eher damit zusammenhängen, daß in 4,1-5,12 wie in 1,5-2, 27 eine theologische Gegenüberstellung des rechten und des falschen Verhältnisses zu Christus unternommen wird. Wurden in 2,18 ff. die Irrlehrer als die Verkörperung der endzeitlichen Gegenmacht angesehen, so geht es in 4 , 1 ff. um die Begründung des rechten Glaubens/Bekennens aus dem Geist Gottes. Daß auch die falschen Propheten den Namen Christi im Munde führen können, macht sie noch lange nicht zu Gliedern der Christusgemeinde. Im Gegenteil: Sie gehören der Welt an, wie man an ihren Taten und ihrer Leugnung des Sohnes Gottes (2,22; 4,3) sieht. Damit sind sie den Gliedern der Gottes- bzw. Christusgemeinde von vorn5 herein unterlegen (vgl. 2,13 f.; 5,4 f.). Aus ihnen spricht nicht nur der erwartete endzeitliche Gegenchristus, sondern mit ihm der Böse schlechthin, der in dieser Welt seit jeher als Gegenspieler Gottes und des Gottessohnes wirkt (3,8). Es geht hier also im zugespitzten Sinn um die gottfeindliche Welt (vgl. 3,1.13; 5,19), nicht nur die Welt der Begierden und Äußerlichkeiten, die die Christen von der Liebe zu Gott abhalten könnte (2,15-17; vgl. 2,2; 4,1). Man kann in der Welt von Gott her leben, aber auch von der Macht des Bösen her, indem man seine Werke tut. Wie der Gottessohn diese Welt besiegt hat (5,18-20; Joh. 16,33), so haben auch die Glaubenden den Sieg. Wer von der Welt her redet, hat natürlich Erfolg in ihr, vielleicht mehr als die Glaubenden (vgl. Joh. 15,18f.); denn er entzieht sich und seine Hörer der paradoxen Botschaft, daß das wahre göttliche Leben in dem Menschen Jesus Christus schon erschienen ist und seither in der Gemeinde gelebt wird. 6 Abschließend sieht sich der Verfasser mit seinen Lesern zusammen in der gemeinsamen Front gegen die Welt: Wo Gotteserkenntnis ist, wird auch die Botschaft gehört. Gotteserkenntnis ist aber nur dort, wo der Wille Gottes getan wird (2,3-5 a), d. h. dort, wo die Menschen durch Christus Gott zugehören (vgl. 2,29; 4,7 f.). Diese Aussagen sind in V.6 verkürzt zusammengezogen. Das Sein im Heil geht also auf ein Angebot Gottes, nicht allein auf eine menschliche Entscheidung zurück. In gleicher Weise scheint aber auch das Verbleiben im Unheil wie eine grundsätzliche Bestimmung über gewissen Menschen zu liegen (3,1; 4,6 c). Der
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1. Joh. 4,7-12: Gott ist Liebe
Brückenschlag war nur da möglich, wo Göttliches und Weltliches, Gottes Sohn und menschliches Dasein (Fleisch) vorübergehend eine enge Verbindung miteinander eingegangen sind. Seither trägt der Geist Gottes im Glauben und Bekenntnis der Gemeinde dieses Heil durch die Geschichte. Wer sich dieser Botschaft verschließt, bleibt an seinem alten Ort in der Welt des Bösen und gehört somit dem Geist der Verwirrung an. Der Grundirrtum dieser Welt und ihrer falschen Propheten ist es also, die Geschichte Jesu nicht als das umfassende und seither gültige Aufleuchten des unvergänglichen Lebens in dieser Welt zu verstehen. 2. Das Verhältnis der Glaubenden stimmt 4,7-12
zu Gott und zueinander
ist von der IJebe
be-
7 Geliebte, laßt uns einander lieben, denn die Liebe stammt aus Gott, und wer liebt, ist aus Gott gezeugt und erkennt Gott. 8 Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe." Darin wurde die Liebe Gottes zu uns offenkundig, daß Gott seinen Sohn, den einziggezeugten, in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn das Leben hätten. 10 Das macht die Liebe aus: nicht daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und seinen Sohn als Sühne(opfer) für unsere Sünden gesandt hat. 11 Geliebte, wenn Gott uns so geliebt hat, dann sind auch wir es schuldig, einander zu lieben. 12 Keiner hat Gott je geschaut; wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns zum Ziel gekommen. Von der Liebe hat der Verfasser schon in den vorangehenden Auseinandersetzungen mit den Irrlehrern gesprochen (vgl. 2,7-11; 3,1.10.11-17.18.23). Das Tun der Liebe unterschied den Lichtbereich der Gottesgemeinschaft von der Finsternis und dem Haß dieser Welt. Es ist auch schon gesagt, daß die Glaubenden an der Hingabe Christi für die Seinen erkennen können, was Liebe ist (3,16). Diese Aussagen werden nun aufgenommen und im Anschluß an die Themen des Gottesgeistes und des Christusbekenntnisses auf der Ebene behandelt, die ihnen zusteht, nämlich als Aussagen über die grundsätzliche Zuwendung Gottes zu der Welt selbst. Was Liebe ist und was die praktische Bruderliebe bedeutet, kann die Gemeinde 7 erst dann recht erkennen, wenn sie versteht, daß es das Wesen Gottes ausmacht, Liebe zu spenden (vgl. 3,1). Liebe geht nicht nur von Gott aus, sondern sie bezeichnet den Wirkungsbereich Gottes überhaupt, ähnlich wie das Nicht-Lieben (Hassen) den Wirkungsbereich des Bösen kennzeichnet. Wer Liebe übt, gehört also zu Gott und „erkennt" ihn (vgl. 2,3ff.), d.h. er lebt schon jetzt bleibend in mittelbarer Nähe Gottes (vgl. zu 3 , 1 f.). Wer nicht Liebe übt, ist fern von Gott und 8 damit gleichermaßen fern vom Licht, von der Erkenntnis, vom Glauben und vom wahren Leben. Gott ist Liebe; sein Wesen, das sein Wirken an den Menschen ausmacht, besteht in der Liebe. Mit dieser lapidaren Aussage, die in V. 16 wiederholt wird, ist ähnlich wie in 1,5 oder in Joh. 4,24 („Gott ist Geist") keineswegs Gott „definiert", d. h. so eingegrenzt, daß man über ihn verfügen könnte. Vielmehr gilt: Keiner hat je Gott geschaut (4,12, vgl. V.20). Man kann deshalb auch nicht von der Liebe als dem Inbegriff von Freundschaft, Mitmenschlichkeit, Partnerschaft und selbstloser Hilfe ausgehen und sagen, diese Liebe sei Gott. Auch ist nicht gemeint, daß Gott seit Christus nicht mehr als der mächtige, heilige und gerechte Richter
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1. Joh.4,7-12: Die Liebe geht von Gott aus
anzusehen sei (vgl. 1,9), sondern nur noch als die Liebe schlechthin zu verstehen sei. Es soll hier nur zum Ausdruck gebracht werden, daß die auf jeden Fall Gott verfehlen, die an der Liebe scheitern, wie andrerseits die Gott zugehören, die sich von seiner Liebe ergreifen lassen (vgl. das schon zu 1,5 Gesagte). In diesem Sinn ist hier in der Tat die gesamte Theologie des l . J o h . auf eine prägnante Formel gebracht. Dieses Verständnis wird dadurch gestützt, daß es unmittelbar nebeneinander heißen kann: „Gott ist Liebe" und „die Liebe stammt von Gott" (V.7) bzw. „die Liebe Gottes wurde offenkundig" (V. 9). Seit Christus wissen die Glaubenden, daß die Liebe nicht wesenhaft als innere Regung aufgefaßt werden kann, sondern als eine Erfahrung des Angenommenseins, der Rettung und Befreiung zu verstehen ist, die die ganze Existenz des Menschen betrifft. Die Aussage von der „Liebe Gottes zu uns" könnte auch als „Offenkundigwerden der Liebe Gottes unter uns" wiedergegeben werden. Die Verse 11 und 16 sprechen jedoch für die erste Ubersetzung. Die inhaltliche Differenz ist unwesentlich. Die Liebe geht von Gott als Liebestat aus (vgl. 3,1). Sie äußert sich in der Sendung des Gottessohns (vgl. Joh. 3,16f.; 5,36; 10,36; 17,18). Nur die johanneischen Schriften sprechen von dem „einziggezeugten" Gottessohn (Joh. 1,14.18; 3,16.18). Dem einzigen Kind gilt die ganze Liebe seiner Eltern; seine Krankheit oder gar sein Tod treffen sie besonders schwer (der entsprechende Ausdruck nur in Lk. 7,12; 8,42; 9,38). Hier wie schon in Joh. 3,16 macht die Hingabe des einzigen Gottessohnes dementsprechend die Größe der Liebe Gottes selbst aus. Gott bleibt nicht in seiner Heiligkeit und ungreifbaren Herrlichkeit bei sich selbst, sondern sendet in Jesus Christus das Licht, das Leben, die Wahrheit, die Liebe in die Welt, so daß den Menschen in der Finsternis der Gottesferne wahres Leben möglich wird. Weil Jesus Christus Mittler und Vorbild dieses Lebens ist, ist er Sohn Gottes, d. h. der, der die Menschen Gott selbst in Unmittelbarkeit erfahren ließ und durch seinen Geist weiterhin erfahren läßt. Was das Wesen der Liebe ist, weiß man nur dort, wo Christus geschaut wurde und bezeugt wird; also in der christlichen Gemeinde; denn nur sie lebt wirklich von dem Erlösungswerk (vgl. zu 2,2) her neu in dieser Welt. Vorher und außerhalb gibt es keine wahre Liebe, weil das Wissen der Menschen um den gerechten und zugleich liebenden Gott verschüttet ist von Überheblichkeit (1,5 ff.), Verwirrung (4,6) und feindseliger Gleichgültigkeit (3,13 f. 17). Nachdem der Imperativ von V.7 entfaltet und auf das Wirken Gottes an den Menschen zurückgeführt ist, wird er noch einmal aufgenommen, denn nun muß von der Antwort der Glaubenden auf die Liebe Gottes die Rede sein. Damit wird auch die Aussage von 3,16 sachlich wiederholt. Wer in dieser Welt nicht auf der Seite der Heillosigkeit stehen will, kann nicht anders, als selbst Liebe zu üben. Neu ist der Gedanke, daß sich diese antwortende Liebe nicht direkt auf Gott richten kann (vgl. 4,20; Joh. 1,18), wie es wohl die Irrlehrer mit ihrem Verlangen nach unmittelbarer Gottesschau vertreten haben. Gott hat also nicht die Welt geliebt, um wieder geliebt zu werden; sonst wäre seine Liebe nicht vollkommen freie Zuwendung zu den Menschen, sondern ein Wirken, das ihn von der Reaktion der Menschen abhängig macht. Dann könnten die Menschen in der Tat über Gott
1. Joh.4,13-21: Wer den Sohn bekennt, bleibt in Gott
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verfügen wie die Verwirrer, die „ihren" Gott haben wollen. Liebe wäre dann nur ein innerlicher, geistiger Vorgang. Gottes Liebe ist aber so konkret, daß sie nur dort angenommen werden kann, wo sie zugleich praktiziert wird, wo es also ein liebesbedürftiges Gegenüber gibt. Wie Gott die Welt zu ihrem Heil liebt, so die Christen ihre Brüder, ja den Nächsten schlechthin. Nur so bleiben sie in der von Gott ausgehenden Bewegung des wahren Lebens, und seine Liebe, die von ihnen erfahren wurde, kommt darin zum Ziel, daß sie schon in dieser Welt zur Lebensordnung der Erlösten und von der Macht des Bösen Befreiten wird. Damit ist die Liebe der Glaubenden auch Liebe zu Gott (vgl. 2 , 1 5 ) , weil sie es den Glaubenden möglich macht, Gott zu entsprechen (vgl. 3 , 1 0 f . ; 4,21). 3. Das Christusbekenntnis zuversicht 4,13-21
als Bekenntnis
zur Liebe
Gottes
schenkt
freie
Heils-
1 3 Daran erkennen wir, daß wir in ihm bleiben und er in uns, nämlich an seinem Geist, an dem er uns Anteil gegeben hat. 1 4 Und wir, wir haben geschaut und bezeugen, daß der Vater den Sohn als Retter der Welt gesandt hat. 1S Wenn einer bekennt, daß Jesus der Sohn Gottes ist, so bleibt Gott in ihm und er in G o t t . 1 6 Und wir, wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und an sie geglaubt. Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm. 17 Darin ist die Liebe bei uns zu ihrem Ziel gekommen, daß wir freie Zuversicht haben (werden) am Tag des Gerichts, denn wie jener ist, so sind auch wir (schon) in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, 1 8 sondern die vollendete Liebe treibt die Furcht hinaus, denn die Furcht verrät Angst vor Strafe; wer sich jedoch fürchtet, ist in der Liebe nicht zum Ziel gekommen. 19 Laßt uns Liebe üben, weil er uns zuerst geliebt hat. 2 0 Wenn einer sagt: „Ich liebe Gott", und haßt seinen Bruder, (so) ist er ein Lügner; denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er vor Augen hat, der kann Gott, den er nicht vor Augen hat, (auch) nicht lieben. 1 1 Dieses Gebot haben wir aber von ihm, daß wer Gott liebt, auch seinen Bruder lieben soll.
Das Stichwort „Bleiben" läßt den Verfasser auf eine Wendung seiner Verkün- 13 digungssprache zurückgreifen, die er schon in 3 , 2 4 b aufgenommen hat. Er wiederholt sie hier und bringt damit zum Ausdruck, daß der Geist Gottes, an dem die Christen Anteil haben, sie im Glauben wie in der Liebe der bleibenden Gemeinschaft mit Gott versichert. Im Geist bekennen sie Jesus Christus als den ins Fleisch gekommenen Gottessohn und sind damit Empfänger wie Täter der Liebe zugleich. Also ist ihre Liebe eine Mitmenschlichkeit, die sich von dem durch Jesus vermittelten neuen Geist getragen weiß. Lieben und Bekennen gehören zusammen. Sie sind Zeichen der geretteten Welt, die in der Gemeinde der Zeugen und Verkünder (vgl. 1,1-3) bereits zum Vorschein kommt (vgl. 2 , 8 ) . Gott kann keiner schauen, aber den „Retter der Welt" (vgl. noch Joh. 4 , 4 2 ) , dem in der Antike politische wie individuell-religiöse Heilshoffnungen galten, haben die Zeugen der Gemeinde geschaut (vgl. V. 9). Die Liebe der Glaubenden gründet sich also im Gegensatz zur Gnosis der Gegner auf eine erfahrbare geschichtliche Wirklichkeit. Audi sie „haben" Gott (noch, vgl. 3,1-3) nicht unmittelbar, aber im Geist des Glaubens und Bekennens haben sie Jesus als den Sohn Gottes, als den universalen Heilsmittler Gottes bei sich. Sie wissen daher, was die Liebe Gottes bedeutet („die Sendung") und wie
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1. Joh.4,13-21: Liebe und Furcht sind unvereinbar
sich diese Liebe konkretisiert („das Gebot"). Indem sie Jesus als Heilsmittler bekennen, vertrauen sie darauf, daß die Liebe den Heilswillen Gottes schlechthin ausmacht. Es ist bezeichnend für die Theologie des l.Joh., daß der Verfasser vom Christusbekenntnis nidit nur dann spricht, wenn er die Grenzen der Kirche bestimmt (2,22 f.; 4,2 f.), sondern auch dann, wenn es ihm um das Wesen der Liebe geht. Weil Liebe nicht Gefühl, sondern Praxis ist, und weil das Bekenntnis nicht allein Lehre, sondern in der Lehre grundsätzlich existentielle Entscheidung ist, sieht er beides zusammen. Weder die Liebe ohne das Bekenntnis noch das Bekenntnis ohne die Liebe könnten den Bereich der konkreten Christus- und Gottesgemeinschaft wirklich von dem Bereich der Verwirrung und des uneigentlichen, vergänglichen Lebens unterscheiden. Damit ist der Aufruf zur Liebe letztlich selbst ein Bekenntnis. 17 In Verbindung mit dem Bekenntnis und dem Glauben kommt der Verfasser wieder auf den Gedanken der Vollendung der Liebe zu sprechen (vgl. 2,5; 4,12). Die göttliche Liebe findet bei den Glaubenden ihr Ziel darin, daß sie vollkommene Heilszuversicht haben (vgl. 2,28; 3,21; 5,14). Der bevorstehende Gerichtstag Gottes (vgl. von der Parusie Christi 2,28) ist für sie nicht die Stunde der letzten Entscheidung über ihr Heil, sondern die Stunde der Bewährung ihrer Liebe; denn sie sind schon jetzt in dieser Welt von der Art, die auch Christus, den künftigen Richter, kennzeichnet. Vom Zusammenhang her kann dieser knapp und prägnant formulierte Begründungssatz nur meinen, daß der himmlische Christus von der gleichen Liebe geprägt ist, wie sie die Glaubenden in ihrem Leben erfahren und verwirklichen. Sie haben Jesus zum Vorbild ihres Handelns (2,6.29; 3,3.7). Abgesehen von 2,29 wird er dabei stets „jener" genannt wie auch in 4,17. Die Pointe dieser Aussage liegt jedoch darin, daß die Glaubenden den himmlischen Herrn und Richter schon vor seiner Parusie kennen: er trägt die Züge Jesu von Nazareth (anders wird von Gott gesprochen, vgl. 3,2; 4,11.20). Als der Gerechte ist Jesus Christus auch der Richter (vgl. 2,1.29; 3,3.7). Die Liebenden aber sind je schon gerettet. Sie haben das künftige Gericht Gottes, das der Verfasser zusammen mit der gemeinurchristlichen Erwartung bevorstehen sieht, im Grunde schon hinter sich (vgl. Joh.3,17-21; 5,24-29). Die Heilsaussagen des Johannesevangeliums werden also aufgenommen. Der Gerichtsgedanke ist aber im Blick auf das Gegenüber der schon Geretteten und der jetzt bereits Verlorenen noch verschärft. Die geschichtliche Wirklichkeit der Kirche, die sich in der Auseinandersetzung mit der heillosen Welt befindet, verlangt nach der umfassenden Endoffenbarung Gottes, in welcher die jetzt schon vorhandene Scheidung zwischen Heil und Unheil endgültig verwirklicht wird. Heilszuversicht und Furcht schließen sich aus; also schließt auch die Liebe, die die Heilszuversicht begründet, Furcht aus. Furcht ist hier nicht wie im Evangelium die Angst vor Feinden, insbesondere den Juden (Joh.7,13; 9,22; 19,38). Furcht meint aber auch nicht die Bedrängung und Angst der Glaubenden in der heillosen Welt (Joh. 16,20-22.33), sondern die Furcht vor Strafe, die hier unmittelbar dem 18 richtenden Gott gilt (vgl. Mt. 10,28). Eine allgemeinverständliche Sentenz, daß der Liebende sich keiner Verfehlung wegen zu fürchten habe, wird damit zu einem eschatologischen Zuspruch von Heilszuversicht (vgl. Mt.25,46). Durch die voll-
l . J o h . 5 , 1 - 4 : Wer Gott liebt, liebt die Brüder
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kommene Liebe wird die Furcht, die als Gottesfurcht im Judentum und Urchristentum eine bedeutende Rolle spielt (vgl. Dt.6,5.13; Röm.11,20; 2 . K o r . 5 , l l ; Phil. 2,12; Hebr. 12,28; l.Petr.2,17), radikal beseitigt (vgl. Augustin: ama et fac quod vis - „Liebe und tu', was du willst!"). Aus dem vordergründigen Gegensatz von Furcht und Zuversicht (vgl. Joh. 7,13) ist damit ein endgültiger geworden. Es ist klar, daß nicht die Liebe als menschliche Aktivität diese uneingeschränkte Heilszuversicht leisten kann, sondern nur das Leben in der von Gott her erfahrenen Liebe. Wo die Glaubenden also noch besorgt um die vollkommene Verwirklichung ihres Heils fürchten könnten, sollen sie den „Sprung" in die vollkommene Liebe wagen. Sie braudien nicht ins Ungewisse zu springen, denn sie kennen ja Jesus Christus. Konsequent wird deshalb der Aufruf zur Bruderliebe abschließend noch einmal 19 wiederholt (vgl. 4 , 7 . 1 1 f.). V. 19 spricht zunächst vom Lieben allgemein, ohne daß ein Objekt zu ergänzen wäre. Initiator der christlichen Liebe ist Gott. Wer be- 20 behauptet, Gott zu lieben, ohne die Bruderliebe zu verwirklichen, ist ein Lügner, d.h.: seine Behauptung ist falsch, und er lebt zugleich fern von Gott. Ja, durch sein Hassen (Nicht-Lieber) steht er im Gegensatz zu Gott (vgl. 2,4.9-11; 3,10.13). Sondern sich die Gnostiker also von der Gemeinde ab, dann trennen sie sich zugleich von Gott. Gott will, daß die Glaubenden ihre Gottesliebe in ihrer Bruderliebe er- 21 weisen und damit zeigen, daß sie wirklich in der von Gott ausgehenden und in Jesus Christus konkret gewordenen Liebesbewegung stehen. Der Verfasser nimmt dabei das im synoptischen Jesusgut überlieferte Doppelgebot der Liebe auf (Mk. 12,28-31 Par. mit Zitaten aus Dt.6,4f. und Lev. 19,18), spricht aber nicht von der Liebe zum Nächsten, sondern wie schon der johanneische Jesus in Joh. 13,34 (vgl. 1. Joh. 2,7-11) von der Liebe untereinander bzw. der Bruderliebe (vgl. weiter 3,10; 14.16). Nach 3 , 1 1 ff. kann der Bruder der Liebesbedürftige schlechthin sein. In der konkreten Frontstellung gegen die Irrlehrer geht es hier aber darum, daß die Gegner sogar an der Verwirklichung der Liebe innerhalb der Gemeinde gescheitert sind. Ohne Bruderliebe also gewiß keine Nächstenliebe; ohne sie aber ganz gewiß keine Gottesliebe!
4. Die Christusgemeinde ist im Glauben und in der Liebe der Welt überlegen 5,1-4 Jeder, der glaubt, daß Jesus der Christus ist, ist aus Gott gezeugt, und jeder, der den liebt, der ihn gezeugt hat, liebt auch den, der aus ihm gezeugt ist. 2 Daran erkennen wir, daß wir die Kinder Gottes lieben: wenn wir Gott heben und seine Gebote erfüllen. s Darin besteht nämlich die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer; * denn alles, was aus Gott gezeugt ist, besiegt die Welt; und das ist der Sieg, der die Welt überwunden hat, unser Glaube. 1
Die Verse 1-3 begründen die Eingrenzung der Liebe auf den Kreis der glaubenden 1 Gemeinde damit, daß allein im Bereich des Glaubens die Gemeinschaft der Menschen mit Gott geschaffen ist, in welcher Gottes Wille geschieht und die widergöttliche Welt ausgeschlossen ist. Es wird auf die schon in 4,13 ff. dargestellte enge Verbindung von Glauben/Bekennen und Lieben zurückgegriffen. Der Verfasser wendet sich also deutlich wieder seinen Lesern zu. Die Glaubenden haben Gott zum
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l.Joh.5,1-4: Gottes Gebote sind leicht
Vater (vgl. 4 , 2 . 4 . 6 . 1 5 f.). Wer seinen Vater liebt, liebt natürlicherweise auch seine Brüder. Diese allgemeine Erfahrung gilt auch für die Gemeinde. Sie widerspricht nicht etwa den Aussagen von 4,11 f. 20, denn dort ging es vor allem um die leere 2 Behauptung von Gottesliebe, die keine Taten zur Folge hat. Vielmehr wird jetzt das Doppelgebot von 4,21 nach einer anderen Seite hin entfaltet. Hieß es zuerst: Nur an der Bruderliebe zeigt sich auch die echte Gottesliebe, so gilt jetzt: Die Liebe zu Gott führt in der Gemeinde der Glaubenden von selbst zur Bruderliebe. Die Glaubenden sollen ihre Liebe nicht an die Welt verschwenden und damit in den Sog eines längst überwundenen Daseins hineingeraten (vgl. 5,4f.; 2,15-17). Wenn die Liebe zu Gott sich im Halten seiner Gebote äußert, dann spielt sich auch die praktische Seite dieser Gottesliebe von selbst im Heilsbereich der Gemeinde ab. Es kann also in der Tat auch die Gottesliebe zum Erkenntnisgrund für die Bruderliebe werden, insofern nämlich, als sie untrennbar ist vom Tun des Willens Gottes (vgl. 3,10.23 f.; 4,21). Diese Konsequenz ergibt sich aber erst, nachdem das Wesen der Liebe grundlegend entfaltet ist (4,7ff.). 3
V. 3 bestätigt diese Auffassung. Die Liebe zu Gott wird über das Halten der Gebote wieder zusammengeschlossen mit der Liebe zu den Brüdern; denn in den Geboten geht es um den Glauben an Christus als Heilsmittler und um die Liebe zu den Brüdern nach seinem Auftrag (3,23f.; vgl. Joh. 14,15). Der Nachsatz spricht den Glaubenden Mut zu und leitet damit zu dem neuen Gedanken über, daß die Gemeinde den Sieg über diese Welt und ihre Lebensgesetze schon hat (vgl. 4,4-6). 4 Der Wille Gottes ist für sie leicht zu erfüllen (vgl. Mt. 11,30). Daraus spricht ein überzeugtes und geradezu stolzes Heilsbewußtsein, das wir schon in 2,12-14; 3,19-22 und 4 , 4 . 1 7 f. erkannten. Es gründet auf der Überlegenheit des Christusglaubens über alles, was in der Welt ist. Das Tun des Willens Gottes wird von den Glaubenden als Kampfgeschehen verstanden. Sie stehen im Grunde im Kampf mit der Welt, der sie selbst durch ihr irdisches Dasein noch angehören, obwohl sie ihr durch den Glauben und das wahre Leben bereits voraus sind. Von der Welt scheint zunächst in einem mehr neutralen Sinn die Rede zu sein (vgl. 2,2.15-17; 4,1). Aber der Nachsatz über den bereits errungenen Sieg Christi macht wieder deutlich, daß hinter dieser Welt die gottwidrige Macht des Bösen steht, die überall dort zum Zuge kommt, wo die Heilsmacht Gottes nicht im Glauben und in der Liebe angenommen wird. Singulär in den johanneischen Schriften begegnet hier das Substantiv „Glaube". Der Verfasser hat in einem großen Gedankenbogen die Zusammengehörigkeit von Glaube und Liebe (3,23) als die praktische Heilswirklichkeit der christlichen Gemeinde entfaltet. Abschließend kann nun von der Gewißheit gesprochen werden, mit der die Glaubenden die weltüberwindende Kraft ihres Christusglaubens erfahren haben. Damit wird die in 4,1-6 begonnene Glaubensauseinandersetzung vollends zum Abschluß gebracht. 5. Die Gewißheit des wellüberwindenden
Christusglaubens
der Gemeinde
5,5-12
Wer hat nun den Sieg über die Welt? Nur der, der glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist! * Dieser ist es, der durch Wasser und Blut gekommen ist, Jesus Christus; nicht im Wasser allein, sondern im Wasser und im Blut. Und der Geist ist es, der (dafür) Zeugnis ablegt, denn der Geist ist die Wahrheit. 7 Denn drei sind es, die 5
1. Joh.5,5-12: Jesus, der Gottessohn
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Zeugnis ablegen, 8 der Geist und das Wasser und das Blut, und die drei stimmen überein. * Wenn wir (schon) das Zeugnis von Menschen annehmen, so ist (doch) das Zeugnis Gottes gewichtiger; darin besteht nämlich das Zeugnis Gottes, daß er (bereits) Zeugnis über seinen Sohn abgelegt hat. 1 0 Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat sein Zeugnis in sich; wer Gott nicht glaubt, hat ihn zum Lügner gemacht, denn er hat dem Zeugnis, das Gott über seinen Sohn (bereits) abgelegt hat, nicht vertraut. 11 Das aber ist das Zeugnis (Gottes): Ewiges Leben hat Gott uns gegeben, und dieses Leben ist in seinem Sohn (da). 12 Wer den Sohn hat, hat das Leben; Wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht. Nicht jeder mögliche Gottesglaube hat den Sieg über die Welt. Keinesfalls der 5 der Verwirrer, die Jesus als den fleischgewordenen Gottessohn bestreiten (vgl. 2,22f.; 4 , 2 f . 15; 5,20 und die Auslegung zu diesen Stellen). Vielmehr ist in aller Gottesschau und behaupteter Gottesliebe die Welt immer noch mächtig, weil sie sich nicht der entscheidenden Krisis gestellt hat, die mit dem Kommen Jesu Christi in die Welt gegeben war. Die nächsten Verse begründen die Behauptung, daß allein der Glaube an Jesus Christus als den Gottessohn der Heilszuwendung Gottes zur Welt entspricht, weil er nämlich auf zuverlässige und unbestreitbare „Zeugnisse" aufbaut. Jesus Christus ist „durch Wasser und Blut" bzw. „in Wasser und Blut" gekom- 6 men, d. h., allein Jesus, der getauft und gekreuzigt worden ist, ist der Gottessohn. Nicht um das göttliche Wesen des Gottessohns geht es hier, sondern um sein heilbringendes Kommen in die Welt. Daß aber dieses Kommen wirklich Gott in die Welt gebracht hat, darauf liegt wie im Johannesevangelium das ganze Gewicht. Die christologische Erörterung über das Verhältnis von Göttlichem zu Menschlichem in Jesus steht noch aus, weil auch der Trinitätsgedanke erst in bekenntnishaften Ansätzen entwickelt ist. V. 6 b zeigt, daß die Hinweise auf die Taufe und das Kreuz Jesu einen Kontroverspunkt bilden. Die Gegner haben den blutigen Kreuzestod Jesu nicht als Sühnung für die Sünden der Welt anerkannt (vgl. das zu 1 , 7 . 9 f . ; 2 , 1 f.; 3,16; 4 , 9 f. Gesagte). Wohl aber konnten sie auf der Basis einer doketischen Christologie (vgl. die Einleitung, Abschnitt 3) die Auffassung vertreten, daß sich der göttliche Geist in der Taufe mit dem Menschen Jesus verbunden habe (vgl. Joh. 1,32-34; Mk. 1,10f. Par.). Für den Verfasser gründet sich der Glaube jedoch auf beide geschichtlichen Ereignisse, die Taufe Jesu als die Proklamation des Gottessohns (Joh. 1,34) und das Kreuz als die grundsätzliche Heilswende der Welt von der sündhaften Gottesferne hin zur Nähe Gottes im Wirkungsbereich der Sündenvergebung (Joh. 1,19; 19,33-35; 1.Joh. 1,7; 2,2; 4,10). Wie Jesus geschichtlicher Mensch war, gehören auch diese Geschehnisse in die Geschichte; weil er als der Gottessohn bekannt wird, sind diese geschichtlichen Ereignisse zugleich auch die Grunddaten des Heiles selbst. Sie markieren in der Geschichte die Bewegung Gottes auf die Menschen zu. Ob der Verfasser direkt die Gnosis des Kerinth vor Augen hat, die den Gottesgeist von Jesus vor dem Leiden wieder weichen sah, ist fraglich. Eher könnte man schon an die von Ignatius bekämpften Doketen denken, die nicht
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1. Joh.5,5-12: Das dreifadie Zeugnis
an das Blut Christi glauben, die Liebespflicht versäumen und sich von der Eucharistie fernhalten (Ign. Smyrn. 6,1-7,1; vgl. auch die Einleitung, Abschnitt 3). Das Gewicht liegt hier aber noch nicht auf der Feier des Herrenmahls, sondern es geht allein um die Heilsbedeutung des Sühnetodes Jesu. An sich sagen weder die Taufe noch der Kreuzestod Jesu ihre Bedeutung für das Heil unmißverständlich aus, wie man an den Irrlehren der Gegner sieht. Der Geist aber, in dem die Glaubenden ihrer Gottesgemeinschaft gewiß sind (vgl. 3,24; 4,13), bringt ihnen die Wirklichkeit Gottes selbst nahe. In der Botschaft der Zeugen und Verkünder (1,1-3) ist der Geist lebendig, so daß die Leser als Hörende und Glaubende dieses Zeugnis bei sich haben (vgl. 4 , 2 f . 6 ; 2,20f.24-27; Joh. 15,26 f.; 16,13). Also ist den Glaubenden ihre Glaubenserfahrung in der Welt und in der Gemeinde selbst die Bezeugung der Wahrheit ihres Glaubens. 7.8 Zum Geist als Zeugen treten nun überraschenderweise das Wasser und das Blut (vgl. auch Joh. 19,34), die vorher als die Kennzeichen des Kommens des Gottessohns (Anfang und Ende seines irdischen Wirkens) vom Geist bezeugt worden waren. Wasser und Blut müssen daher jetzt als Wirklichkeiten angesehen werden, die wie der Gottesgeist seit Jesus und auf ihn hin das Leben der Gemeinde bestimmen. Die Geschehnisse, die das Kommen Jesu als Gottessohn umschreiben, werden dabei auf ihre gegenwärtige, sakramentale Heilsbedeutung hin transparent. „Durch" oder „in Kraft" von Wasser und Blut war Jesus Gottessohn. Taufe und Herrenmahl sind nun auch die gegenwärtige Konkretisierung der grundsätzlichen Heilsfakten des Lebens Jesu: die Taufe, indem sie den Glaubenden am Geist Gottes Anteil gibt; das Herrenmahl, indem es die Gemeinde in die Sühnewirkung des Todes Christi hineinnimmt. Gerade von der Liebesgemeinschaft des Herrenmahls dürften sich die Irrlehrer längst ausgeschlossen haben (vgl. zu 2,19 f.). Der Geist jedoch bestimmt das Glaubens- und Liebesleben der Gemeinde insgesamt. Es ist sicher nicht an eine dritte sakramentale Handlung der Salbung mit dem Geist zu denken, die an den Täuflingen vor der Wassertaufe und der Eucharistie vollzogen worden wäre. Es fällt auf, daß von den Sakramenten als den Zeugen mehr verschlüsselt als offenkundig geredet wird; weiterhin, daß die Auferweckung Jesu Christi in diesem Zusammenhang wie im ganzen 1. Joh. überhaupt nicht begegnet. An anderen Stellen spricht der l . J o h . wohl von der Taufe (2,20.27), aber höchstens andeutungsweise vom Mahl (1,7). Man darf jedoch nicht schließen, daß das Herrenmahl und die Verkündigung der Auferweckung in den Gemeinden keine Bedeutung gehabt hätten. Wir haben im l.Joh. einen Aufruf vor uns, nicht aber einen Katechismus oder eine Lebensordnung der johanneischen Gemeinden. Gegenüber den paulinischen und nachpaulinischen Gemeinden jedoch dürfte die Verkündigung der johanneischen Kirche auch in später Zeit so stark vom Gedanken der Fleischwerdung des Wortes geprägt gewesen sein, daß nicht die Auferweckung des Gekreuzigten die Mitte dieser Botschaft bildete, sondern die Bezeugung des in der Welt erschienenen wahren Lebens (vgl. Joh. 1,14; 3,16; 20,30f.). In den Aussagen des l . J o h . über die endzeitliche Situation der Gemeinde und die bevorstehende Parusie Christi ist aber auf jeden Fall - wie im Evangelium - das Wissen um die Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi zum Herrn und Richter mitgesetzt (vgl. Joh.5,25-29; 20,9.17; l . J o h . 2,18.28; 4,17).
1. Joh.5,5-12: Drei himmlische Zeugen - ein Zusatz
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Das sogenannte „Comma ( = Satz) Johanneum". Die Verse 7-8 finden sich seit dem 4. Jahrhundert in einem lateinischen Traktat von Priscillian oder seinem Schüler Instantius, seit dem 5. Jahrhundert in vereinzelten altlateinischen Bibelhandschriften, seit dem 8.13. Jahrhundert in zahlreichen Vulgatahandschriften und schließlich am Ende des Mittelalters in nur vier griechischen Minuskelhandschriften in erweiterter Form mit (etwa) folgendem Wortlaut vor: „Und drei sind, die da zeugen im Himmel: der Vater, das Wort und der Geist; und die drei stimmen überein. Und drei sind, die da zeugen auf der Erde: der Geist, das Wasser und das Blut; und die drei stimmen überein." Diese Erweiterung ist - wahrscheinlich schon im 273. Jahrhundert in Nordafrika (Cyprian) - als allegorisch-dogmatische Randglosse entstanden und in den Text eingefügt worden. Der gesamten griechischen Kirche ist sie unbekannt, und auch in die späten griechischen Handschriften ist sie erst sekundär aus der Vulgata eingedrungen. Anhand der Vulgata nahm auch die berühmte complutensische Polyglotte des spanischen Kardinalprimas Ximenes (1516) den Zusatz in den griechischen Text des Neuen Testaments auf. Erasmus berücksichtigte ihn erst (nach einer der Vulgata angeglichenen griechischen Handschrift des frühen 16. Jahrhunderts: Min. 61) in der dritten Auflage seines griechischen Neuen Testaments (1522), wobei er seine Zweifel an der Echtheit in einer Anmerkung zum Ausdruck brachte. In die Lutherbibel fand die Erweiterung nachträglich durch einen Frankfurter Drucker Einlaß (1581), während sie in der offiziellen Sixto-Clementinischen Vulgataausgabe von 1592 als authentischer Text angesehen wurde. Diese Entscheidimg wurde noch 1897 durch das Sacrum Officium, den höchsten Gerichtshof der römischen Kirche, mit ausdrücklicher Billigung und Bestätigung durch Leo XIII. verteidigt. Erst eine neuerliche Erklärung des Sacrum Officium hat 1927 auch katholischen Exegeten die textgeschichtliche Erforschung des Comma Johanneum freigegeben. Inhaltlich wird durch diese Glosse die Trias der von der Gemeinde direkt vernehmbaren und erfahrbaren Zeugen durch eine Trias himmlischer Zeugen erweitert. Die Dreiheit der Zeugen hat also schon recht früh Leser des 1. Joh. veranlaßt, Überlegungen über die Dreieinigkeit des himmlischen und sich offenbarenden Gottes anzustellen. Die Trinität Gottes erschloß sich ihnen in der sukzessiven Offenbarung des Vaters im „Wort" und im heiligen Geist und war doch in der Übereinstimmung der himmlischen Zeugen als eine Einheit zu denken. Diese Überlegungen sind aber an den Text herangetragen und zeigen das Verständnis einer späteren Zeit. Eine menschliche Aussage gilt als glaubwürdig, wenn sie durch zwei oder drei 9 Zeugen bestätigt wird. Gottes Zeugnis ist aber gewichtiger und verläßlicher als ein menschliches Zeugnis. Wahrscheinlich hat der Verfasser auf Joh. 5,30 ff. zurückgeblickt, wo dem Zeugnis des Täufers über Jesus und dem Zeugnis Jesu über sich selbst das Zeugnis des Vaters gegenübergestellt wird, das größer ist als das des Johannes und an den Werken Jesu erkannt werden kann. Gott tritt nun in V.9 selbst als Zeuge neben die bereits genannten Zeugen. Er hat für seinen Sohn Zeugnis abgelegt bzw. sich dafür verbürgt, daß Jesus zu Recht als Gottessohn geglaubt und bekannt wird. Sein Zeugnis ist auch in den anderen Zeugnissen wirksam. Geschieht-
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1. Joh.5,5-12: Die Glaubenden haben schon das Heil
lieh gesehen geht es aber dem Geist, der Taufe und dem Herrenmahl als den jetzt wirksamen Zeugen der Gemeinde voraus (Perfekt!), indem es sie begründet. Für den Verfasser dokumentiert das Johannesevangelium und damit die gesamte Uberlieferung der ursprünglichen Zeugen und Verkünder des Lebenswortes dieses 10 Zeugnis Gottes über seinen Sohn. V. 10 führt nicht etwa V . 6 weiter, so daß die Verse 7-9 als kirchliche Redaktion anzusehen wären (so Bultmann), denn es ist vom Zeugnis Gottes, nicht dem des Geistes die Rede. Die Glaubenden bedürfen keines äußeren Zeichens für die Gewißheit ihres Glaubens. Ihr Bekenntnis zu Jesus als dem Gottessohn ist in sich schon Zeugnis genug, weil es ihnen zeigt, daß sie Gott zugehören und an seinem Geist Anteil haben (vgl. 4 , 2 . 1 5 ; 5 , 1 ) . Sie haben dieses Zeugnis in sich, wie sie Gott bleibend in sich haben (vgl. 3 , 2 4 ; 4 , 1 3 ) . Antithetisch steht dazu die Aussage über die Nichtglaubenden, die das Zeugnis, in dem Gott sich erfahren lassen wollte - eben die Möglichkeit des Glaubens - , verwarfen. Sie vergehen sich in gleicher Weise gegen die Wahrhaftigkeit Gottes wie die, die von sich behaupten, sie hätten nicht gesündigt (1,10). Der Glaube, der sich auf Gott richtet, ist also zugleich der Glaube an das Zeugnis Gottes, d. h. das Bekenntnis zu Jesus als dem Gottessohn. Als Glaube, Gottvertrauen und Gottunmittelbarkeit „an sich" ist der Glaube für die johanneische Theologie wie für die urchristliche Theologie überhaupt undenkbar. 11
Was macht also das Zeugnis Gottes für die Gemeinde aus? Das Zeugnis Gottes, das die Zeugen und Verkünder der Gemeinde erfahren haben und weitergeben, hat
12 sie nicht nur überzeugt, sondern damit auch gerettet. So haben sie mit ihrem rechten Bekenntnis nicht nur Gott (vgl. 2 , 2 3 ) oder sein Zeugnis in sich (5,10), sondern auch den Sohn und damit das ewige Leben. Den Zugang zu diesem Heil ermöglichte ihnen ihr Glaube an Jesus Christus als den Gottessohn, der ihnen durch das (geschichtliche) Zeugnis Gottes und durch das gegenwärtige Zeugnis des Geistes und der Sakramente in der Gemeinde verbürgt ist. Damit haben sie auch den Sieg über die Welt. Den Entstellungen des Glaubens durch die Verwirrer und Christusleugner sind sie durch ihren Glauben und ihr Leben in der Christusgemeinde je schon überlegen. Damit hat der Verfasser zu den Eingangsversen seines Schreibens zurückgelenkt. Dort hatte er mit Nachdruck den Zeugnischarakter der Botschaft vom Wort des Lebens betont und die angesprochenen Gemeinden zur vollkommenen Teilhabe an der Gottesgemeinschaft der Zeugen und Verkünder aufgerufen. Jetzt erkennen wir, daß die Botschaft der Zeugen und Verkünder die geschichtliche Vermittlung des Zeugnisses Gottes über Jesus Christus selbst leistete und damit die Gemeinden auch in ihrem geschichtlichen Abstand von Jesus beim Glauben und beim wahren Leben erhielt. Die Auseinandersetzungen und Mahnungen des Schreibens sollten also nicht etwa die Gemeinde erst auf den rechten Weg bringen und dadurch vor dem Abfall in die Irrlehre bewahren, sondern es lag alles daran, daß das treue Bleiben der Leser in der Gemeinschaft mit den Zeugen und Verkündern auch ihr Bleiben in Gott und Christus und damit ihr unvergängliches Leben bedeutete. Das Wirken und das Geschick Jesu, das Zeugnis Gottes für ihn als seinen Sohn, die Botschaft der Zeugen und Verkünder, der antwortende Glaube der Gemeinde und ihr Gott entsprechendes Leben in der Bruderliebe machen also ihr Heil aus.
l . J o h . 5 , 1 3 - 2 1 : Zuversicht und Erhörungsgewißheit
Der Schluß des Schreibens
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5,13-21
18 Das habe ich euch geschrieben, damit ihr (wirklich) wißt, daß ihr ewiges Leben habt, die ihr an den Namen des Sohnes Gottes glaubt. 14 Und das ist die freie Zuversicht, die wir zu ihm haben: Wenn wir etwas nach seinem Willen erbitten, so erhört er uns. 1 5 Und wenn wir wissen, daß er uns erhört, was wir auch erbitten, so wissen wir (auch), daß wir von ihm Erbetenes erfüllt bekommen. 19 Wenn einer seinen Bruder sündigen sieht, und es handelt sich nicht um eine Sünde zum Tode, so soll er (für ihn) bitten, und er (sc. Gott) wird ihm Leben geben - denen, die nicht zum Tode sündigen. Es gibt (aber) eine Sünde zum Tode; nicht von ihr sage ich, daß einer (Gott) bitten soll. 17 Alles Unrecht ist Sünde, doch gibt es auch Sünde, die nicht zum Tode führt. 18 Wir wissen: Jeder, der aus Gott gezeugt ist, sündigt nicht; vielmehr, wenn er aus Gott gezeugt wurde, so bewahrt ihn Gott, und der Böse tastet ihn nicht an. 18 Wir wissen: Wir gehören Gott zu, aber die ganze Welt liegt unter der Macht des Bösen. 2 4 Wir wissen: Der Gottessohn ist gekommen und hat uns einen Sinn gegeben, den zu erkennen, der wirklich Gott ist. Und wir sind in dem, der wirklich Gott ist, weil wir in seinem Sohn Jesus Christus sind. Dieser ist der wirkliche Gott und ewiges Leben. 21 Kinder, hütet euch vor den falschen Göttern!
Die Verse 13-21 vereinen paränetische und doxologische (bekennende, preisende) 13 Aussagen zu einem eindringlichen Schluß des 1. Joh. V. 13 blickt auf die unmittelbar vorhergehenden Sätze über den Glauben und das unvergängliche Leben zurück und führt damit zugleich das Grundthema des gesamten Schreibens zu Ende (vgl. 1,1-3 mit 5,11 f. und weiter 2,12-14; 3,13 f. 4,4). Den rechten Glauben setzt der Verfasser bei seinen Lesern voraus; neue Lehre hat er ihnen nicht mitzuteilen (vgl. 2,20f.27). Als Glaubende haben sie schon das wahre Leben. Dennoch ermahnt er sie, ihr Heil gegen die Welt und ihre Verwirrer in dem sicheren und wachen Wissen um ihr unvergängliches Leben zu bewahren. Die Formulierung des Glaubensbekenntnisses steht 3,23 (s. dort) nahe. Die angeschlossenen Ermahnungen sind von dem in V. 13 gegebenen Stichwort des „Wissens" bestimmt ( i , 1 5 zweimal; V. 18.19.21 jeweils in betonter Hervorhebung) und erweisen sich schon damit als geschlossener Zusammenhang. Der 1. Joh. hat also kaum ursprünglich mit 5,13 geschlossen (so Bultmann, der in V. 13 einen Briefschluß angedeutet sieht). Die Verse 14-17 leiten die Glaubenden zum rechten Verhalten in ihrer Situation 14 an. Sie sind noch den Bedrohungen durch den Abfall der Verwirrer und durch den Rückfall aufgrund ihrer eigenen Schwachheit ausgesetzt. Vor Gott haben sie volle Zuversicht, daß er ihre Gebete erhört, wenn sie seinem Willen entsprechen. Diese Bedingung bedeutet eine vorsichtige Einschränkung bedenkenlosen Bittens und Betens, die in Joh. 15,7 und 16,23-28 schon angedeutet ist und in 1. Joh. 3,21 f. im Hinweis auf das Halten der Gebote und das gottgefällige Leben der Glaubenden enthalten ist. Die Gewißheit der Erhörung wird in V. 15 noch verstärkt als ein festes 15 Wissen formuliert. Erhörung und Erfüllung der Gebete fallen zusammen für die, die
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l.Joh.5,13-21: Grenzen der Fürbitte
als Kinder Gottes (vgl. 3,1; 5,18 f.) ihren Vater bitten wie der eine Gottessohn 16 selbst seinen Vater gebeten hat (Joh. 11,41 f.). In V. 16 wird deutlich, auf welche Situation diese Aussage über die Erfüllung der Gebete hinzielt. Es geht um die Fürbitte für einen Bruder, der sündigt, jedoch nur für den Fall, daß seine Sünde nicht „zum Tode" ist. Solche Fürbitte wird der Vater erfüllen, indem er dem Bruder Leben gibt, d. h. eigentlich, ihm sein wahres Leben wiederherstellt. Angesichts des Sündigens aus Schwachheit kennen die Christen also nicht nur den Zuspruch der Sündenvergebung und die Gewißheit, daß Christus ihnen beisteht (1,7.9; 2,1 f.), sondern auch die Fürbitte der Brüder füreinander. Diese drei Momente gehören zusammen, aber die Praxis der Fürbitte läßt in besonderer Weise erkennen, daß die Gemeindeglieder zur Solidarität und gegenseitigen Hilfe angehalten werden. Im Alten Testament gelten vorsätzliche Übertretungen („mit erhobenen Händen") des Gottesgebotes (vgl. Num. 15,30 f.) und grundsätzliche, schwere Verstöße gegen die Heiligkeit und Reinheit Gottes und seines Volkes wie Unzucht, Verehrung fremder Götter, Kinderopfer, Blutvergießen usw. als unvergebbar (vgl. Lev. 18,26-30; 19,1-8; 20,1-27). Gort fordert die Ausrottimg des Täters aus der Mitte des Volks. Sein Tod ist die Sühne für seine Tat. Demgegenüber können Übertretungen, die aus Unwissenheit begangen werden und erst später an den Tag kommen (vgl. Lev. 4,2 ff.; 5,1 ff.; Num. 15,22-29), durch ein Opfer gesühnt werden, sofern es sich nicht um schwere Verstöße gegen das sakrale Gottesrecht handelt, zu denen auch das Beispiel einer Sabbatentheiligung gehört (Num. 15,32-36). Auch im Judentum steht der „Sünde zum Tode" bzw. „Todsünde" (vgl. babylonischer Talmud, Traktat Sota 48 a; Jub.21,22; 33,13.18) vielfach die Sünde aus Unwissenheit (vgl. Jub. 22,14; 41,25; Test. Jud. 19,3 f.; Test. Seb. 1,5; 1 Q S 8 , 2 4 ; 9,1) gegenüber. In 1. Joh. 5,16 greift der Verfasser auf entsprechende Ausdrucksweisen zurück, um damit eine Art des Sündigens zu bestimmen, die unvergebbar ist und keine Fürbitte verdient. „Tod" meint hier den Verlust des wahren Lebens, d. h. den Ausschluß aus dem Sein in der Gottesgemeinschaft. Da der Verfasser nicht von einem kasuistischen Kultgesetz her denkt, ist es unwahrscheinlich, daß er lediglich Sünden aus Unwissenheit für der Fürbitte würdig erachtete. Eher dürfte er schon die Unterscheidung zwischen Sünden aus Schwachheit und grundsätzlichen und schweren Verstößen gegen den Willen Gottes im Blick haben, also z.B. an die „Leugnung des Sohnes" (vgl. 2,22f.) oder an die Verehrung falscher Götter (vgl. 5,21) gedacht haben. Als Parallelen könnten Stellen wie M k . 3 , 2 9 Par.; Hebr.6,4-8; 10,26-31; 2.Petr.2,20-22; Herrn. Sim. VI, 2 f. genannt werden, ohne daß sich das besondere Moment des mutwilligen Sündigens bereits Bekehrter in unserem Text belegen ließe. Es werden hier also wie schon in 1,9; 2,1 f.; 3,20 f. gelegentliche Sünden (aus Schwachheit) der Christen der Fürbitte der Brüder empfohlen, während es als sinnlos gilt, angesichts solcher Sünden zu bitten, die den Täter längst von Gott und seiner Gemeinde getrennt haben. Bedenkt man, daß für den Verfasser selbst der Haß (das Nicht-Lieben) in letzter Konsequenz Mord ist (vgl. 3,15-17) und daß die Leugnung des Christusbekenntnisses dem Auftreten des Gegenchristus schlechthin gleichkommt, so wird man auch hier an die „Brüder" denken, die sich von der Gemeinde abgespalten haben (vgl. 2,19). Sie haben das Leben nicht, gehören dem
l.Joh.5,13-21: Die Überlegenheit der Gemeinde
209
Bösen zu und sind so grundsätzlich von Gott geschieden, daß es für sie keine Möglichkeit der Vergebung und Rückkehr mehr gibt. Die scharfe Trennung zwischen Glaube und Verwirrung, Licht und Finsternis, Gott und Welt des Bösen zieht sich also mitten durch die empirische Gemeinde, ja sie bestimmt das Gebet der Gemeinde. Solche vermeintlichen „Brüder" haben sich selbst dem Gericht Gottes ausgeliefert. V. 17 bestätigt diese Auffassung. Nur wenn die Christen die Gerechtigkeit 17 Gottes tun, sind sie aus Gott (vgl. 2,29ff.). Jede Verfehlung bedeutet für sie einen Rückfall, ein Sich-Entfernen von Gott, aber eben auch ein Tun, das im Bereich des Glaubens und Lebens Vergebung, Beistand und Fürbitte findet. Spätere Abschreiber haben diesen Gedanken dadurch entstellt, daß sie das „nicht" wegließen, um die Aussage von V. 16 in V. 17 noch zu steigern. Dieser Warnung setzt der Verfasser nun ein triumphierendes dreifaches „Wir 18 wissen" entgegen, das die Heilsaussagen von V. 13 wieder aufnimmt. Die Gemeinde mußte einsehen, daß es auch ein falsches Einstehen für „Brüder" und einen Mißbrauch der Erhörungsgewißheit gibt. Wer aus Gott gezeugt ist, sündigt nicht (vgl. 3,9!), denn er entspricht in seinen Taten Gott (vgl. zu 3,4ff.). Erweist er durch seinen Glauben und seine Taten seine Zugehörigkeit zu Gott, dann bewahrt dieser ihn auch, so daß der Böse ihm nichts anhaben kann. Grundsätzlich könnte V.18b auch auf Christus als den Gottgezeugten bezogen werden, der dann den Glaubenden bewahren würde. Aber Christus heißt nie im Neuen Testament „gottgezeugt", sondern stets „Sohn" oder „einziggezeugt" (vgl. zu 4,9). Deshalb wird eine dem Hebräischen angenäherte Satzkonstruktion anzunehmen sein, welche die hier vorausgesetzte Übersetzung nahelegt. Möglich wäre auch die Übersetzung: „Der aus Gott Gezeugte bewahrt ihn (Gott)" bzw. „sich selbst", wie es einige Handschriften ausdrücklich formuliert haben. Alle diese Möglichkeiten gäben aber die Gewißheit, von der Macht der Sünde frei zu sein, nicht voll wieder. In dieser Gewißheit fallen für die Glaubenden der Heilsindikativ und der Imperativ zusammen; denn selbst der Imperativ, gegen die Sünde anzugehen, steht unter der Zusage, daß Gott die Überwindung des Bösen vollzogen hat und weiterhin ermöglicht (vgl. 2,12-14; 4,4-6). Wohl können die Glaubenden noch von der Welt her gefährdet werden (2,15-17), aber im Wissen um ihre grundsätzliche Überlegenheit über die Welt vermögen sie diesen Gefährdungen zu widerstehen. Zum zweiten wissen die Glaubenden, daß sie Gott zugehören (vgl. 3,9) und 19 damit von der Welt geschieden sind, die der Macht des Bösen unterliegt. Man wird V. 19 nach 3,4 ff. in diesem starken Sinn interpretieren müssen, nicht nur neutral abgemildert, daß die Welt im argen liege. Der ganze 1. Joh. hat gezeigt, daß aus solchen Urteilen nicht der Hochmut oder das esoterische Heilsbewußtsein einer kleinen Gruppe spricht, sondern das Anliegen, die einzigartige Heilsbedeutung Jesu Christi in einer auf das Ende zugehenden Welt festzuhalten. Bleibt als drittes und grundsätzliches Wissen der Gemeinde ihr Bekenntnis 20 dazu, daß der Gottessohn gekommen ist und ihr die wahre Gotteserkenntnis und Gottesgemeinschaft vermittelt hat. Die griechische Formulierung seines Gekommenseins schließt ein, daß es seither für die Glaubenden bleibende Wirkung hat (vgl. Joh. 8,42). Durch den Sohn haben die Christen einen neuen Sinn, die Fähigkeit, den allein wahren und wirklichen Gott zu erkennen. Wie in 2,3-5 a meint dieses Er-
210
1. Joh.5,13-21: In Christus hat die Gemeinde Gott selbst
kennen nicht etwa eine innere Gottesschau, sondern eine bleibende Beziehung zwischen den Glaubenden und Gott, was auch in V . 2 0 b deutlich wird. Das „Wissen" von V. 20 steht in einer gewissen Spannung zu den Aussagen vom Zeugnis Gottes über seinen Sohn in 5 , 9 ; denn hier ist es der Sohn, der den Glaubenden den allein wirklichen Gott erschließt. Eben diese Spannung ist aber in der johanneischen Überlieferung schon vorgegeben. Nach Joh. 17,1-5 gehören das Wirken des Vaters und des Sohnes zusammen. Der Sohn verherrlicht den Vater vor den Menschen und bedarf zugleich der Verherrlichung durch den Vater. Das Leben, das er den Menschen gab, besteht darin, d a ß sie den wirklichen Gott und seinen Gesandten, Jesus Christus, erkennen (17,3). Wie schon Israel und das Judentum die Verläßlichkeit und Treue seines Gottes gegenüber falschen Göttern betonte (vgl. Jes.65,15; E x . 3 4 , 6 ; 3 . M a k k . 6 , 1 8 ) , so auch das Urchristentum (vgl. l . T h e s s . 1,9 in einer Missionsformel; neben Joh. 17,3 auch Joh. 1,9; 7,28; O f f b . 3 , 7 . 1 4 ) . Die Glaubenden haben den, der wirklich Gott ist und damit das Wirkliche, Bleibende, von Finsternis und Verwirrung Freie im Gegensatz zum heillosen Zustand der Welt schlechthin ausmacht. Sie erkennen ihn u n d sind in ihm, weil sie durch Jesus Christus sein Leben haben. O h n e ihn wüßten sie nichts vom Licht, von der Wahrheit, vom Leben und von der Liebe - und damit auch nichts von Gott. Weil Christus das Leben ist (1,2; 4,11; Joh. 11,25), kann er nun auch selbst wirklicher Gott genannt werden. Er ist nicht nur göttlicher Bote u n d Mittler, sondern als der Sohn, der beim Vater war und zum Vater gegangen ist, vom Wesen Gottes selbst (vgl. Joh. 1,1.18; 20,28). Damit erreicht der 1. Joh. in einer abschließenden Steigerung seiner Heilsaussagen einen H ö h e p u n k t des Christusbekenntnisses, der schon im Rahmen des Evangeliums (Prolog und Ostergeschichten) seine Vorbilder hat. Natürlich weiß der Verfasser sonst zwischen Gott u n d Christus zu unterscheiden (vgl. das zu 3 , 2 und 4,17 Gesagte). Christus ist aber der offenbare Gott, soweit ihn die Glaubenden jetzt schon erkennen können. W e r Gott unter Umgehung Christi haben will, hat nicht den 21 wirklichen Gott. Also: „Hütet euch vor den falschen Göttern!" (vgl. l . T h e s s . 1,9; 1. Kor. 8,4), nämlich vor dem Gottesbild der Christusleugner, das der Macht der Finsternis u n d dem Geist der Verwirrung entstammt. Als W a r n u n g vor Götzenbildern und heidnischen Kulten wäre dieser Satz am Ende des 1. Joh. sinnlos. Vorher ging es ja um eine zunächst „innerchristliche" Auseinandersetzung. Jetzt aber, am Schluß des gesamten Schreibens, liegt es auf der H a n d , d a ß die Separatisten und Christusleugner den Boden des Christentums selbst verlassen haben u n d wieder „Welt" geworden sind wie die Heiden. Ihr Gott ist ein Götze. Damit ist das Christusbekenntnis der Zeugen und Verkünder radikal zu Ende gedacht. Unvermittelt u n d unliterarisch endet der 1. Joh. Der Verfasser hat nicht theologische Theorien entfaltet, sondern gemahnt, gestärkt und gewarnt. Er hat mit seiner entschlossenen Absage an die Vorläufer der doketischen und gnostischen Bewegungen ein Kapitel der Kirchengeschichte zu schreiben begonnen, das erst mit den großen Bekenntnisformulierungen der ökumenischen Konzilien zu einem Abschluß gebracht wurde. Zur Entstehung dieser Bekenntnisse hat seine Theologie - wie die johanneische Theologie überhaupt - Entscheidendes beigetragen.
DER ZWEITE
JOHANNESBRIEF
Horst Balz Im Unterschied vom l . J o h . zeigt der 2.Joh. einen einfachen Aufbau, klaren Gedankengang und zielstrebige Kürze. Auf den reich ausgestalteten Briefeingang mit seinem traditionell klingenden Segenswunsch (1-3) folgt eine Anerkennung der Gemeinde, die mit der Mahnung zum Festhalten am überlieferten Gebot verbunden ist (4-6). Die Warnung vor den Verwirrern (7-11) bildet das eigentliche Thema des Briefs, der mit einem formelhaft wirkenden Briefschluß (12-13, vgl. 3.Joh. 13-15) endet. Der Briefemgang
1 -3
Der „Älteste" an die (von Gott) erwählte „Herrin" und ihre „Kinder", die ich wahrhaftig liebe - nicht allein ich, sondern auch alle, die die Wahrheit erkannt haben — * um der Wahrheit willen, die bei uns bleibt, ja mit uns wird sie sein in Ewigkeit. 8 Es werden mit uns sein Gnade, Erbarmen und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in Wahrheit und Liebe. 1
Der Verfasser des 2. Joh. schreibt mit der Autorität eines allseitig von den johan- 1 neischen Gemeinden anerkannten „Vaters" im Namen seiner eigenen Gemeinde an eine Schwestergemeinde (vgl. V. 13), um sie zur rechten Haltung gegenüber Verwirrern zu ermahnen, die von Gemeinde zu Gemeinde ziehen (V. 10). Er hat Nachrichten über die angesprochene Gemeinde (V.4) und will sie besuchen (V. 12). Die Frage nach dem Verfasser und seiner Selbstbezeichnung haben wir bereits in der Einleitung (Abschnitt 5) behandelt. Er hatte sicher in seiner eigenen Gemeinde eine führende Funktion und war zugleich als betagter Zeuge der wahren Glaubensüberlieferung anerkannt. Man kannte ihn als den „Ältesten" und sprach ihm damit weniger eine Amtsbezeichnung („Presbyter") als eher die Autorität eines „Vaters" zu. Diese Autorität nimmt er hier in Anspruch (vgl. V. 8.10 f.), wobei er sich allerdings nicht als Kirchenregent versteht, sondern als Repräsentant der von ihm betreuten Gemeinden (V. 1 b. 13). „Erwählte Herrin" ist eine Umschreibung für Kirche bzw. Gemeinde (vgl. V . 5 . 1 3 ; l.Petr. 5,13 und auch Rom. 8,33; l.Petr.1,1; Offb.17,14). Auch politische Gemeinden konnten in der Antike ehrenvoll als „Herrin" bezeichnet werden. Die „Kinder" der Herrin sind also die Glieder der Gemeinde (vgl. V.4; Jes.54,11-13). Zwar sind die Glaubenden gemäß der johanneischen Verkündigung aus Gott gezeugt, indem sie den Willen des Vaters tun (vgl. V. 4; l.Joh.2,29ff.). Aber die Gemeinde bietet ihnen Schutz und Lebensraum wie eine Mutter; wer in ihr lebt, lebt im Heilsbereich Gottes. Es mag sein, daß in dieser bildhaften Sprache auch die Vorstellung von der Gemeinde als der „Braut" Christi mitanklingt (vgl. Eph. 5 , 2 3 f . ; Offb.21,9; 22,17; 2 . K o r . l l , 2 ) . Der „Älteste" und alle die, die durch die Offenbarung des Gottessohns die Wirklichkeit Gottes erfahren haben, lieben die angesprochene Gemeinde aufrichtig.
212
2. Joh. 4-6: Lob der Gemeinde und Mahnung
2 V. 2 gibt den Grund für diese Liebe an: Die durch Christus erschlossene Wirklichkeit Gottes bleibt in den Glaubenden, ja sie bedeutet für sie einen unvergänglichen und unverlierbaren Beistand. Die Liebe der Gemeinden untereinander ist also in der gemeinsamen Anteilhabe an der Wirklichkeit Gottes begründet. Sie sind vor allem dadurch geeint, daß Christus ihnen bleibend die Nähe und den Beistand Gottes zugesichert hat. 3 Von diesem Zuspruch geht die Aussage gleitend in den Segenswunsch über, der üblicherweise den Eingang antiker Briefe beschloß und in neutestamentlichen Briefen - vor allem bei Paulus - eine sehr prägnante Form gefunden hat. Wie in V. 2 ist dieser Segenswunsch hier allerdings als eine zuversichtliche Hoffnung formuliert, die allen johanneischen Gemeinden gemeinsam gilt (vgl. V. 1 2 c ; 1. Joh. 1,4). Entbot in allgemeinen griechischen Briefen der Absender dem Empfänger einen schlichten Gruß (so auch Jak. 1 , 1 ; Apg. 1 5 , 2 3 ; vgl. 2 . J o h . 10f.), so sprach Paulus seinen Adressaten Gnade und Frieden zu, während in 1 . T i m . 1 , 2 ; 2 . T i m . 1 , 2 und im 2. Joh. die Trias „Gnade, Erbarmen und Friede" begegnet. Die Dreiergruppe ist traditionell und nicht typisch für die johanneische Sprache („Gnade" dort nur in Joh. 1 , 1 4 . 1 6 f., „Friede" nur in Joh. 1 4 , 2 7 ; 1 6 , 3 3 ; 2 0 , 1 9 . 2 1 . 2 6 , „Erbarmen" nur hier). Alle drei Ausdrücke umfassen in gleicherweise das von Gott den Glaubenden zugewendete Heil; „Gnade" und „Erbarmen" mehr unter dem Aspekt des Geschenks, „Friede" mehr als die zwischen Gott und den Menschen geschaffene Heilsordnung. In der dreifachen Formel bleibt der alttestamentlich-jüdische Segenswunsch „(Erbarmen und) Friede über euch!" (vgl. G a l . 6 , 1 6 ; J u d . 2 ; N u m . 6 , 2 5 f . ; R i . 6 , 2 3 ; Ps. 125,5; syr.Bar.78,2) erhalten, während der Zuspruch von „Gnade" wahrscheinlich den allgemeinen griechischen Gruß („charis - chairein") aufnimmt und auf die theologische Ebene hebt (vgl. das Nebeneinander des jüdischen und des griechischen Grußes in Barn. 1,1). Die Verbindung von Friedensgruß und Gnadengruß ist wohl Paulus zuzuschreiben. Die besondere johanneische Prägung dieses Segenswortes vermitteln erst die angeschlossenen Wendungen: Gott, der Vater, und der Sohn Jesus Christus sind die Urheber und Spender des Heils (vgl. J o h . 1 4 , 2 7 ; 16,33; ähnlich im Eingang des 1. und 2. Tim.). Das Heil wirkt sich bei den Glaubenden bleibend in Wahrheit und Liebe aus, denn sie haben an der Wirklichkeit Gottes Anteil und tun seinen Willen (vgl. 4-6). Damit sind die Stichworte für den nächsten Abschnitt gegeben. Anerkennung
der Gemeinde und Mahnung zum Festhalten am Gebot Gottes 4-6
4 Ich habe mich sehr gefreut, daß ich unter deinen Kindern solche angetroffen habe, die ihren Weg in Wahrheit gehen gemäß dem Gebot, das wir vom Vater empfangen haben. s Nun aber bitte ich dich, Herrin - nicht um dir ein neues Gebot zu zu schreiben, sondern (nur) das, das wir seit Anfang hatten - , daß wir (alle) einander lieben. ' D a r i n besteht aber die Liebe, daß wir unseren Weg nach seinen Geboten gehen. Das sagt (also) das Gebot, wie ihr es seit Beginn gehört habt, daß ihr euern Weg in ihr (der Liebe) gehen sollt.
4
Die Bekundung der Freude hat einen festen Ort am Anfang antiker Briefe. In den beiden kleinen Johannesbriefen ist es die Freude über die Bewährung der Adressaten (vgl. 3. Joh. 3); die paulinischen Briefe kennen den Dank an Gott bzw.
2. J o h . 7 - 1 1 : W a r n u n g vor Irrlehrern
213
den Lobpreis Gottes (vgl. Rom. 1,8; 1. Kor. 1,4; Phil. 1,3; anders Gal. 1,6). Der „Älteste" hat einige Gemeindeglieder angetroffen, die aufrichtig (in Wahrheit) nach den Geboten des Vaters leben. Möglich ist auch die übertragene Bedeutung, er habe sie als solche „erfunden". Wenn man nämlich die Situation von 3.Joh.3 zum Vergleich heranziehen darf, kann man annehmen, daß er aus der angesprochenen Gemeinde Besuch empfangen hat, ja vielleicht gerade durch diesen Besuch erfahren hat, daß sein Eingreifen notwendig werden könnte. Das Lob geht deshalb sogleich 5 über zu der Mahnung an die gesamte Gemeinde, am alten Gebot Jesu festzuhalten. Mit Wendungen, die stark an Joh. 13,34 und l . J o h . 2,7f. (vgl. die dortige Auslegung) anklingen, macht der Verfasser der Gemeinde klar, daß er nicht mit Neuerungen an sie herantritt. Er bittet sie vielmehr, das kirchenbegründende Gebot der Bruderliebe zu bewahren und damit den Willen Gottes voll zu erfüllen (vgl. l.Joh. 3,11). Damit hat er einen wichtigen Schritt auf sein eigentliches Anliegen zu getan: Er hat versucht deutlich zu machen, daß es um die Treue zu der überlieferten Botschaft geht, daß in den Gemeinden selbst und im Verhältnis der Gemeinden zueinander die Liebe herrschen soll, und daß ein Mangel an Liebe schließlich den Heilsstand der Gemeinde in Frage stellt (vgl. l . J o h . 1,9-11; 3,10f. 14f.23f.; 4 , 7 f . 12.20f.). V . 6 sichert das Verständnis dieser Mahnung. Liebe heißt: nach den 6 Geboten Gottes leben. Das Grundgebot (der Liebe), das die Gemeinde seit ihren Anfängen schon hat, fordert in erster Linie die Verwirklichung von Liebe (vgl. l . J o h . 3 , 1 7 f . ) im alltäglichen Leben. Die Gemeinde wird also angehalten, ihr Wissen um das Gebot Gottes, das ihr die Gegenwart und den Beistand des wirklichen Gottes versichert, praktisch zu bewähren, und zwar ganz besonders in dem konkreten Fall, der gleich anschließend zur Sprache kommt. Die Warnung vor jeglicher Gemeinscbafl
mit Irrlehrern
7-11
7 Denn es sind viele Verführer in der Welt ausgezogen, die Jesus Christus nicht als den im Fleisch Kommenden bekennen; das ist der Verführer und der Gegenchristus. 8 Nehmt euch in acht, daß ihr nicht preisgebt, was ihr euch erworben habt, sondern vollen Lohn empfangt! * Jeder, der darüber hinausgeht und nicht in der Lehre Christi bleibt, hat Gott nicht; wer in der Lehre bleibt, der hat den Vater und auch den Sohn. 10 Wenn einer zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und verweigert ihm (sogar) den Gruß! 11 Wer ihn nämlich grüßt, beteiligt sich an seinen bösen Werken.
Mit einem begründenden „denn" kommt der „Älteste" nun zu seinem Anliegen: 7 Es sind viele Verführer weltweit aufgetreten, die das Bekenntnis der Glaubenden zu dem inkarnierten Jesus Christus bestreiten. Die Kennzeichnung der Irrlehrer als Verführer und als der Gegenchristus schlechthin ist uns bereits aus 1. Joh. 2,18.22 f. 27; 4,1-6 bekannt. Hier ist im Unterschied von l . J o h . 4,2 vom Kommen Christi in die Welt präsentisch die Rede. Das heißt aber nicht, daß etwa auf seine Wiederkunft angespielt wäre; denn diese geschieht nicht „im Fleisch", sondern in Herrlichkeit (vgl. Joh. 17,2-5.11.24; Phil.3,20f.; Röm.8,17f.). Jesus Christus wird vielmehr in Aufnahme johannneischer Formulierungen (Joh.3,31; 6,14; 11,27; l . J o h . 5 , 2 0 ) als der zeitlos gültig von Gott in die Welt gesandte Heilsmittler an-
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2. Joh. 7-11: Das Bleiben im rechten Bekenntnis
gesehen. Dahinter dürfte - noch eher als in 1. Joh. 4,2 - eine bekenntnishafte Formulierung stehen. Die Erwähnung des endzeitlichen Verführers und Gegenchristus ist ungeschickt angefügt und klingt wie eine Reminiszenz an 1. Joh.2,18ff. (s. dort). Man gewinnt den Eindruck, daß die Gemeinde die endzeitliche Funktion der Irrlehrer schon kennt und nur mehr zur scharfen Zurückweisung solcher Leute an8 gehalten werden muß. Das zeigt auch die folgende Mahnung. Das Heil der Leser selbst steht auf dem Spiel. Nehmen sie sich nicht in acht (vgl. Mk. 13,9 in eschatologischem Zusammenhang) vor der endzeitlichen Gefahr, so geben sie das Heil preis, das sie sich - mühsam und unter Verzichten, wie in Handarbeit - erworben haben. Ihr „voller Lohn", d. h. die Erfüllung ihrer Gottesgemeinschaft im wahren, unvergänglichen Leben vor Gott (vgl. V.9; 1. Joh. 2,25; 3,1-3; 5,11 f. 20), wäre preisgegeben. Der apokalyptische Zusammenhang hat diese bildhafte Ausdrucksweise hervorgerufen. Sie gehört eher in die jüdische Theologie (vgl. Ruth 2,12) als in die johanneische Botschaft, wo allenfalls Stellen wie Joh. 3,19-21; 4,36-38; 5,28 f. zum Vergleich herangezogen werden könnten. Inhaltlich stehen die Sendschreiben der Johannesoffenbarung sehr nahe (vgl. Offb.2,2-5.10.19-28; 3,3.11.15-21). Abschreiber haben in den Text eingegriffen und formuliert: „Was wir euch erworben haben"; dementsprechend erhielten vielfach alle Verben des Satzes das Subjekt „wir". Durch diese Veränderungen sollte die Autorität des „Ältesten" über die angesprochene Gemeinde noch verstärkt betont werden, denn er erscheint so als ihr Begründer und Verkünder. Sein behutsames Vorgehen im ganzen Brief weist aber eher auf eine fremde Gemeinde hin (vgl. auch V. 13). 9 Nun folgt antithetisch die Demaskierung der Verführer und derer, die mit ihnen gemeinsame Sache machen. Damit gelangt der kurze Brief auf seinen Höhepunkt. Die Gegner gehen über die überlieferte Christuslehre hinaus (vgl. 1. Joh. 2,7 f. 24.27). Sie meinten wohl, als Gnostiker eine vollkommene Form des Glaubens und der Gotteserkenntnis ohne jede Verhaftung an das Irdische und Materielle verwirklichen zu können. Also hielten sie nichts vom irdischen Jesus als dem Christus. Der „Älteste" stellt fest: Wer sich von ihnen mitziehen läßt, hat Gott nicht. Es ergibt sich eine Entsprechung zwischen dem Bleiben der Wahrheit ( = Wirklichkeit Gottes) bei den Glaubenden (V.2.9) und ihrem Bleiben in dem, was sie gelehrt wurden (V.9). Die Wirklichkeit Gottes ist nicht identisch mit der Lehre, aber sie ist nur in der Gestalt der rechten Christuslehre bei den Glaubenden. Ist damit die Lehre Christi oder die Lehre über Christus gemeint? Schon nach Joh. 7,16 f. bringt Jesus nicht seine eigene Heilslehre, sondern die des Vaters (vgl. 8,28), und der Geist selbst lehrt die Glaubenden, indem er sie an die Worte Jesu erinnert (14,26). Im l.Joh., der das Substantiv „Lehre" nicht kennt, werden die Glaubenden durch ihre Salbung mit dem Geist in rechter Weise über Christus belehrt (2,27), so daß sie keine neue Belehrung nötig haben. Die Christuslehre ist als die von Christus ausgehende Lehre also zugleich auch die rechte Lehre über Christus. Durch das Bekenntnis der Zeugen und Verkünder ist sie von Anfang an in der Gemeinde lebendig. Jede Neuerung über Jesus und das Zeugnis von Jesus Christus hinaus wäre ein Verlassen der durch Jesus und das Christusbekenntnis vermittelten Gottesgemeinschaft.
2 . J o h . 7 - l l : Die Verweigerung der Gastfreundschaft
215
Die Christuslehre der johanneischen Gemeinden ist alles andere als ein christologisches Lehrsystem. Sie ist ihrem Wesen nach das der Gemeinde überlieferte und in ihr gültige Christusbekenntnis (vgl. auch Apg.5,28). Wird im Neuen Testament der Gegensatz der Heils lehre zu anderen Lehren hervorgehoben, so wird meist ein eigener Ausdruck („didaskalia") dafür gebraucht (besonders in den Pastoralbriefen, vgl. l.Tim. 1,10f.; 4,6; 2.Tim.4,3; Tit. 1,10; 2,1; in ähnlichem Sinn begegnet „didache" in Hebr. 6, l f . und 13,9). Im 2. Joh. geht es also weniger um Lehre als um ein kurzes und einprägsames Bekenntnis. Dieses Bekenntnis entscheidet darüber, ob einer den Vater und den Sohn hat (vgl. 1. Joh. 2,23 f.), oder aber Gott überhaupt nicht hat. Damit sind auch in diesem Einblatt-Brief die Fronten klargestellt. Die Ge- 10 meinde soll umherziehenden Gnostikern und Doketen die Gastfreundschaft, ja selbst den Gruß verweigern. Dieser entschiedenen Warnung gilt im Grunde der ganze Brief. Sie begegnet hier zum erstenmal im frühen Christentum, wurde jedoch später vermehrt ausgesprochen (vgl. Ign.Eph.7,1; 9,1; Ign.Smyrn.4,1; 7,2; D i d . l l , l f . ) : Mit umherziehenden Irrlehrern soll man möglichst nicht zusammentreffen und nicht öffentlich oder privat mit ihnen sprechen. Ihnen gegenüber gelten also weder die in der Antike hochgehaltenen Gesetze der Gastfreundschaft noch das Gebot der Bruderliebe (vgl. auch Jud.23; Mt.10,14; Lk.l0,10f.). Während Ignatius die Fürbitte für derartige „Tiere in Menschengestalt" noch erlaubt, wenn man sich nur dessen bewußt ist, daß allein Christus darüber Vollmacht hat (Smyrn.4,1), kennt die johanneische Gemeinde auch diese Möglichkeit nicht (vgl. 1. Joh.5,16f.). Die detaillierten Anweisungen über die Aufnahme und Beurteilung von wandernden Lehrern und Propheten in Did. 11 f. zeigen, wie sehr die späten urchristlichen Gemeinden um die Bewahrung ihres Glaubens zu kämpfen hatten. In einer auf das bevorstehende Ende ausgerichteten Kirche kam alles auf das entschlossene Durchhalten bis zum Kommen des Herrn an. Wer Gott ohne Jesus von Nazareth haben wollte, stellte sich außerhalb des Heils und bedrohte die Glaubenden. Wer einen 11 solchen vermeintlichen Bruder grüßt und ihm damit Gemeinschaft und Segen anbietet, gibt ihm Anteil an sich selbst und gewinnt zugleich Anteil an ihm. Er wird also mitverantwortlich für sein Tun und gerät in den gefährlichen Sog dieser Welt der Verführung und der Gottesferne. Die vermeintlichen Christen würden sich zudem weiterhin für Glieder der Gemeinde halten und dadurch die Existenz der Gemeinde selbst zerstören. Es wird also in einem Atemzug gesagt: „Liebet einander", und „Laßt sie nicht ins Haus", weil die Gemeinde unter den Bedingungen dieser Welt das eine nur mit dem anderen zusammen haben kann. Woran die Gemeinden Wanderprediger als Irrlehrer erkennen sollen, wenn sie ihnen nicht einmal einen Gruß entbieten dürfen, wird nicht erklärt. Das macht den grundsätzlichen Charakter dieser Warnung deutlich. Es kann aber nicht um die Meidung aller umherziehenden Verkündiger gehen, denn nach 3. Joh. 5-9.11 f. waren die eigenen Missionare der johanneischen Gemeinden auf die Gastfreundschaft ihrer christlichen Brüder angewiesen. Wahrscheinlich setzt der „Älteste" voraus, daß die angesprochene Gemeinde die wandernden Verführer bereits kennt (vgl. die zu V.4 ausgesprochene Vermutung), ohne ihnen bisher entgegen-
2. Joh.12-13: Abschluß
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getreten zu sein. Die Sendboten des „Altesten" waren wohl stets mit Empfehlungsschreiben ausgerüstet (vgl. 3.Joh.9.12) und somit von den Verwirrern klar zu unterscheiden. Der Briefschluß
12-13
Vieles hätte ich euch (noch) zu schreiben, doch ich will es nicht mit Papier und Tinte (tun); ich hoffe vielmehr, daß ich zu euch kommen kann und mündlich mit euch sprechen kann, damit unsere Freude vollkommen sei. 13 Es grüßen dich die Kinder deiner erwählten „Schwester". 12
12
Der Schluß des 2. Joh. entspricht fast wörtlich dem des 3. Joh. Beidemal kündigt der „Älteste" seinen Besuch an, um Einzelheiten zu regeln. Ob es sich um weitere Mahnungen und Warnungen handelt, läßt sich nur erraten. Immerhin wäre dann sein persönliches Erscheinen ein Akt der gegenseitigen Liebe und Hilfe (vgl. V.5). Die angehängte Wendung, „damit unsere Freude vollkommen sei", begegnet wört13 lieh in 1. Joh. 1,4. Ein Schlußgruß schloß das Papyrusblatt ordnungsgemäß ab. Der Verfasser grüßt die Leser im Namen seiner eigenen Gemeinde (vgl. 1. Kor. 16,19 f.; Phil.4,21 f.). Diese ist die „erwählte Schwester" der angesprochenen „Herrin". Beide gehören also auf jeden Fall zum Kreis der johanneischen Gemeinden. Eine Minuskelhandschrift hat im 11. Jahrhundert die Worte „in Ephesus" ergänzt und damit den Verfasser mit dem „Ältesten" Johannes von Ephesus (s. Einleitung, Abschnitt 5) identifiziert. Die Gemeinde des 2. Joh. und ihr Sprecher haben sich noch stärker von der „Welt" der Verführung und des Irrglaubens abgeschlossen, als es im Johannesevangelium und im l.Joh. zu erkennen ist. Die Bedrohung der Gemeinden scheint sich gegenüber dem l . J o h . verschärft zu haben. Aus diesem Grund mag der Verfasser mehrfach auf den l . J o h . zurückgegriffen haben, den er wohl in seinen Grundzügen bei den johanneischen Gemeinden als bekannt voraussetzen darf (s. Einleitung, Abschnitt 5). Daß der 2. Joh. insgesamt kein echter Gemeindebrief sei, sondern in Anlehnung an den 1. und 3. Joh. als Rundbrief des „Ältesten" fingiert worden sei (Bultmann), läßt sich vermuten, aber nicht durchschlagend einsichtig machen. Die beiden kleinen Johannesbriefe sind eher als Schreiben des „Ältesten" an verschiedene Gemeinden und angesichts verschiedenartiger Probleme verständlich.
DER DRITTE JOHANNESBRIEF Horst Balz Wie der 2.Joh. ist auch der 3. Joh. ein kurzes Gelegenheitsschreiben, das behutsam und zielstrebig zugleich formuliert ist. Es wendet sich nicht an eine Gruppe von Gemeinden (wie 1. Joh.) und auch nicht an eine einzelne Gemeinde (wie 2. Joh.), sondern als Privatbrief an eine Einzelperson namens Gajus. Wir haben im 3. Joh. eine reizvolle „Momentaufnahme" aus dem Leben der johanneischen Gemeinden vor uns. Wir erfahren gleichsam nebenbei, daß die johanneische Kirche mit der sich herausbildenden (bischöflichen?) Großkirche in Konflikt geraten konnte. Wir können diese Situation allerdings mehr erahnen als eindeutig rekonstruieren. Nach einer knappen Adresse an den Empfänger (1) lobt der „Älteste" Gajus wegen seines christlichen Lebenswandels und seiner Gastfreundschaft und legt ihm ans Herz, die umherziehenden Brüder weiterhin zu unterstützen (2-8). Der Gemeindeleiter Diotrephes nimmt nämlich (gegen seine Pflicht) die Abgesandten des „Ältesten" nicht auf und verhängt sogar über deren Freunde in der Gemeinde den Ausschluß aus der Kirche. Der „Älteste" will deshalb (bald) kommen und ihn zur Rede stellen (9-10). Gajus soll sein Vorbild keinesfalls nachahmen; für Demetrius wird von allen das beste Zeugnis ausgestellt (11-12). Mit dem für ihn wohl typischen Briefschluß stellt der „Älteste" sein baldiges Kommen in Aussicht (13-15). Der Briefeingang 1 1
Der „Älteste" an den geliebten Gajus, den ich wahrhaftig liebe.
Der 3. Joh. beginnt wie ein hellenistischer Privatbrief. Der obligatorische Gruß 1 fehlt jedoch. An seine Stelle treten die Bezeugung der Liebe (V. 1 b) und ein christlich gehaltener Wunsch, der vom Briefeingang abgetrennt ist und die eigentlichen Mitteilungen eröffnet (V.2). Gajus ist uns sonst in der johanneischen Literatur nicht bekannt. Sein Name ist häufig und begegnet mehrfach im Neuen Testament (1. Kor. 1,14; Rom. 16,23; Apg. 19,29; 20,4). Nach V.4 rechnet ihn der „Älteste" unter seine „Kinder" oder stellt ihn zumindest diesen gleich. Jetzt lebt er, zusammen mit Freunden, in einer Gemeinde, die von Diotrephes bestimmt wird. Nach den Apostolischen Konstitutionen (VII, 46; 4. Jahrhundert) soll Gajus von Johannes als Bischof von Pergamon eingesetzt worden sein, Demetrius (V. 12) als Bischof von Philadelphia. Der historische Wert dieser Nachricht ist aber fraglich. Der „Älteste" liebt Gajus aufrichtig (vgl. 2. Joh. 1) und spricht ihn als „Geliebten" an (vgl. V.5.11), wie schon der Verfasser des 1. Joh. seine „Kinder" angesprochen hatte (l.Joh.2,7; 3,2.21; 4,1.7.11; vgl. Rom. 1,7; 16,5.8f.l2; Phlm.l). Lob für Gajus und Bitte um weitere Unterstützung der missionierenden Brüder 2-8 * Geliebter, ich wünsche, daß es dir in jeder Hinsicht wohl ergeht und da gesund bleibst, wie es (ja sdion) mit deiner Seele gut steht. 3 Denn ich freute mich sehr, als Brüder kamen and für dein Sein in der Wahrheit Zeugnis abgaben, wie du näm-
218
3.Joh.2-8: Lob für Gajus
lieh in Wahrheit deinen Weg gehst. * Eine größere Freude habe ich nicht als die zu hören, daß meine Kinder ihren Weg in der Wahrheit gehen. 5 Geliebter, du handelst treulich in dem, was du für die Brüder, zumal für (orts-) fremde leistest.' Sie haben für deine Liebe vor der Gemeinde Zeugnis abgelegt; du wirst recht daran tun, sie in gotteswürdiger Weise für ihre Weiterreise auszurüsten. 7 Denn zu Ehren des Namens (Christi) sind sie ausgezogen, ohne Unterstützung von den Heiden anzunehmen.8 Also sind wir verpflichtet, solche Leute gastfreundlich aufzunehmen, damit wir uns als Mitarbeiter (am Werk) der Wahrheit erweisen. 2
Grüße und Wünsche gehören zu Briefen. So auch hier. Der Wunsch des „Ältesten" ist zugleich eine Bitte an Gott, die allerdings im Unterschied von allgemeinen Briefwünschen eine besondere Pointe aufweist. Der Schreiber weiß, daß es um die „Seele", d.h. um die christliche Existenz des Gajus (vgl. Mk.8,35-37; l.Petr. 3 1,9.22), zum besten steht. Das hat er von den zurückgekehrten Brüdern erfahren, die mit Gajus Umgang hatten (V. 3) und seine Gastfreundschaft genießen konnten (V.5 f.). So wie es mit seinem christlichen Leben steht, möge es ihm nun in allen Bereichen des Lebens gehen. In den johanneischen Gemeinden wurde also das Leben in dieser Welt nicht einfach ausgeklammert; als verwerflich galt allerdings das Vertrauen und das Bauen auf die Dinge dieser Welt (vgl. 1.Joh.2,15-17). Diese Anerkennung des Gajus steht natürlich im Zusammenhang mit den nachfolgenden Mitteilungen. Der „Älteste" hat ja ein Anliegen vorzutragen. Gajus hat an der Wahrheit, d. h. an der Wirklichkeit des wahren Gottes Anteil (vgl. auch von Demetrius V. 12). Das bedeutet: Er lebt nach dem Willen Gottes, wie ihn Jesus Christus offenbart und vorbildhaft verwirklicht hat (vgl. 1. Joh. 1,6.8; 2,3-6; 3 , 1 8 f . 2 3 f . ; 4,20f.; 2.Joh.4-6). Der Nachsatz, der vom Lebensweg des Gajus spricht, entfaltet und begründet die Feststellung seines „Seins in der Wahr4 heit". Bei dieser Gelegenheit flicht der „Älteste" ein, daß ihm solche Nachrichten über seine „Kinder" größte Freude bereiten. Das gilt auch von Gajus. Wie eng sein Verhältnis zu dem „Ältesten" ist, läßt sich der knappen Aussage nicht deutlich entnehmen. Auf jeden Fall ist er der Gemeinde des „Ältesten" dadurch verbunden, daß er dort Freunde hat und auch selbst die beiderseitigen Freunde in seiner eigenen Gemeinde einzeln grüßen kann (V. 15). Er steht also - im engeren oder weiteren Sinn - dem Schreiber des Briefes und den von ihm ausgesandten missionierenden Brüdern nahe. 5
Mit V.5 wendet sich der Schreiber direkt der Beherbergung umherziehender Missionare der johanneischen Gemeinden zu. Gajus hat ortsfremde Brüder aufgenommen und unterstützt. Durch solche wandernden Brüder hatten die Gemeinden Kontakt untereinander, indem sie Briefe und Mitteilungen austauschten und
6 sich gegenseitig im Glauben förderten. Durch sie ist Gajus wegen seiner Liebe zu den Brüdern von der versammelten Gemeinde gelobt worden. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um die Gemeinde des „Ältesten" oder wenigstens eine ihr nahestehende Gemeinde. V. 6 b verbindet dieses Lob mit dem unmittelbaren Anlaß des Briefes. Gajus tut gut daran, weiterhin die Brüder aufzunehmen und für die Weiterreise auszustatten. Damit stellt sich der „Älteste" ausdrücklich gegen Diotrephes, von dessen Machenschaften er bereits weiß (V. 9 f.). Wenn Demetrius den
3. Joh.2-8: Die Sorge für die Missionare
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Brief überbracht hat, was naheliegt, dann weilt er schon bei Gajus, während dieser noch liest. Der Konfliktfall ist also gegeben, und der „Älteste" gedenkt den Konflikt durchzustehen. Die Verse 7-8 legen die Gründe dafür dar. Die Brüder sind nicht im eigenen In- 7 teresse unterwegs, sondern im Dienst für den Namen (vgl. das zu l.Joh.2,12 Gesagte) Christi (vgl. Rom. 1,5; auch Apg.5,41; Phil.2,9). Sie wollen nicht als Wanderphilosophen und Bettelprediger Menschen gegen Entgelt erbauen, sondern es geht ihnen um das Heil der Welt (vgl. Joh.3,16; 1. Joh. 2,2; 4,9). Ihre Legitimation besteht im Gegensatz zu den umherziehenden Gnostikern und Doketen in ihrer Christusverkündigung und in ihrer Aussendung durch den Herrn (Joh. 20,21). Das Herrenwort (Lk.10,7, vgl. Mt.10,9-14; l.Kor.9,14; l.Tim.5,18) gesteht den Missionaren zwar zu, von ihrer Arbeit am Evangelium zu leben. Schon Paulus konnte aber in neugegründeten Gemeinden auf dieses Recht verzichten, weil er seine Verkündigung nicht als eine freiwillig gewählte Lohnarbeit ansah, sondern als einen unbedingten Auftrag Christi, den er ohne Rücksicht auf sein persönliches Ergehen durchzuführen hatte (1. Kor. 9,4-18; 4,11 f.; vgl. Apg. 18,2f.; 2.Thess.3,6-9; anders bei den Philippern, vgl. Phil.2,25; 4,10-19). Wie auch andere urchristliche Missionare boten also die johanneischen Sendboten ihre Verkündigung „umsonst" dar (vgl. Mt. 10,8). Sie waren deshalb auf die Unterstützung durch die bereits bestehenden Gemeinden angewiesen. Diesen war die 8 Aufnahme und Versorgung der umherziehenden Brüder eine christliche Pflicht (vgl. Rom. 15,23 f. 28; 16,23: Paulus ist zu einem späteren Zeitpunkt Gast des Korinthers Gajus!; 1.Kor. 16,6f. 10f.; Apg.21,16; Mt.10,40; Joh. 13,20; Hebt. 13,lf.; Did. 11,3-6). In Did. 11,9.12 werden die Pseudopropheten daran erkannt, daß sie sich in den Häusern einnisten wollen und nach Geld und anderen Gütern schielen! Es Uegt also an den „alten" Gemeinden, ihren Missionaren eine freie und dem Evangelium gemäße Arbeit zu ermöglichen. Das ist ihr Beitrag zur Mission und somit ihre Mitarbeit am Werk der Wahrheit, die durch den Dienst der Verkündiger die Menschen erreicht. Die johanneischen Gemeinden haben sich zwar radikal von Irrlehrern und Verführern getrennt (vgl. bes. 2. Joh. 7-11) und auch das äußerliche Leben dieser Welt als eine Gefahr gemieden (vgl. 1. Joh. 2,15-17); sie haben jedoch ihre Botschaft vom wahren Leben nicht als religiösen Privatbesitz angesehen, sondern in der Welt verbreitet, wie auch schon Christus zum Heil der "Welt gekommen war (vgl. Joh.3,16; 1.Joh.2,2; 4,9). Die johanneische Gemeinde dachte nicht esoterisch, wie man aufgrund des 1. und 2. Joh. annehmen könnte, sondern missionarisch. Dtotrephes als Gegner des „Ältesten" und seiner Gesandten 9-10 * Ich habe kurz an die Gemeinde geschrieben; Diotrephes jedoch, der sich darin gefällt, bei ihnen an der Spitze zu stehen, erkennt uns nicht an. 10 Wenn ich komme, werde ich deshalb seine Werke in Erinnerung bringen, die er begeht, indem er mit bösen Worten über uns herzieht und, nicht genug damit, selbst die Brüder nicht aufnimmt und auch die Willigen davon abhält und über sie den Ausschluß aus der Gemeinde verhängt.
220 9
3.Joh.9-10: Scharfe Kritik am Gemeindeleiter
Das Lob des Gajus und die an ihn gerichtete Bitte erhalten ihr besonderes Profil auf dem Hintergrund des scharfen Tadels, der über Diotrephes ausgesprochen wird. Wenn Gajus in der Gemeinde des Diotrephes gewohnt hat, konnte ihm diese Kritik am Verhalten des herrschsüchtigen Gemeindeleiters im Grunde nichts Neues sagen. Er soll aber wissen, daß der „Älteste" und seine Missionare voll und ganz auf seine persönliche Hilfe angewiesen sind. Diotrephes hat bereits ein Empfehlungsschreiben des „Ältesten" unterdrückt oder auch öffentlich zurückgewiesen, was man aufgrund von V. 10 annehmen könnte. Dieser Brief ist uns nicht erhalten. Ihn im 2.Joh. wiedererkennen zu wollen, wäre völlig verfehlt, denn dort geht es um die Abweisung von Irrlehrern, nicht um die Aufnahme von johanneischen Missionaren. Wenn Diotrephes diesen Brüdern die den Gemeinden gebotene Hilfeleistung versagt, stellt er sich nicht nur gegen die Missionspraxis der urchristlichen Gemeinden, sondern auch der Autorität des „Ältesten". Von Diotrephes hören wir sonst nichts in der frühchristlichen Literatur. Von ihm wird hier mit einem völlig singulären Ausdruck gesagt, daß er Freude an der Herrschaft über die Gemeinde findet. Die Übersetzung „der unter ihnen gern der Erste wäre" (Zürcher Bibel) ist verfehlt, denn Diotrephes führt bereits die Gemeinde und verhängt über sie strenge Maßnahmen der Kirchenzucht. Der „Älteste" sieht solche Führungsansprüche als fragwürdig an und bezweifelt vor allem die persönliche Integrität des Diotrephes. Daß dieser ein Irrlehrer sei, kann er ihm allerdings nicht vorwerfen, denn sonst hätte seine Kritik eine ganz andere Gestalt gewonnen. Eher scheint Diotrephes der Botschaft des „Ältesten" und seiner Missionare nicht zu trauen. Wir können vermuten, daß er den frühen Typus des episkopalen Leiters einer lokal abgegrenzten Gemeinde bzw. Kirche repräsentiert, während der „Älteste" noch die freie Organisation und Leitung der Gemeinden durch ein Kollegium von „Presbytern" vertritt und keine Begrenzung der Kirche auf einen bestimmten Kirchenbezirk kennt (s. Einleitung, Abschnitt 5). Sicher gilt der „Älteste" dem Diotrephes nicht als Ketzer, so daß er selbst der Exkommunikation anheimgefallen wäre. Seine Botschaft ist ja wie die der johanneischen Kirche zentral am urgemeindlichen Christusbekenntnis orientiert, das wiederum auch der „Älteste" dem diktatorischen Gemeindeleiter nicht absprechen kann und will. Also bleibt letztlich die Sonderstellung der johanneischen Theologie und ihrer Gemeinde im späten Urchristentum. Sie ist erst von der Mitte des 2. Jahrhunderts an als „apostolisch" anerkannt worden (s. Einleitung, Abschnitt 1.6). Mit ihrer Missionspraxis dürften die Gemeinden des „Ältesten" allerdings den Anfängen des Urchristentums sowie den Paulusgemeinden näher gestanden haben als die Gemeinden, die sich hinter Diotrephes vermuten lassen. Ihr heftiger Kampf gegen die gnostischen und doketischen Wanderboten aus ihren eigenen Reihen (vgl. 1. und 2.Joh.) weist uns auf den Punkt hin, an dem sich der Argwohn der übrigen Gemeinden entzünden konnte: die Nähe der johanneischen Theologie zur frühen Gnosis.
10
Bei seinem baldigen Besuch (V. 14) will der „Älteste" Diotrephes zur Rede stellen und sein böses Tun vor den anderen Gemeindegliedern in Erinnerung rufen. Gedacht ist nicht an eine Maßnahme der Kirchendisziplin, sondern an eine ernste Auseinandersetzung um der Mission und der Gemeindestruktur willen. Der „Älte-
3.Joh. 11-12: Empfehlung des Demetrius
221
ste" zeigt Gajus damit, daß er über Diotrephes wohl informiert ist und deshalb auch die Schwierigkeiten, die durch die Aufnahme der Missionare entstehen können, recht genau kennt. Folgende Vorwürfe hat er zu machen: 1. Diotrephes spricht verantwortungslos und verleumderisch über den „Ältesten". Darin vermischen sich persönliche und sachliche Angriffe. Diotrephes wollte den „Ältesten" jedenfalls nicht als einen Träger überregionaler Autorität anerkennen; vielleicht hat er ihm sogar den Mangel an echter „apostolischer" Legitimation vorgeworfen. 2. J a noch mehr, Diotrephes nimmt als Konsequenz seiner grundsätzlichen Haltung die wandernden Brüder nicht auf und verstößt damit gegen seine Pflichten als Gemeindeleiter. 3. Die dazu Willigen hindert er. Ob auch Gajus davon betroffen wurde, erfahren wir nicht. Nachdem die Missionare des „Ältesten" aber schon bei ihm weilen, hat er mit dem Einspruch des Diotrephes zumindest in der nächsten Zeit zu rechnen. 4. Diotrephes schließt sogar Gemeindeglieder, die seine Anordnungen nicht befolgen, aus der Gemeinde aus. Die Wendung „ausschließen" ist uns nicht als Terminus technicus für den Kirchenbann oder die Exkommunikation bekannt. Ähnliche Ausschlüsse, besonders aus der Abendmahlsgemeinschaft, kennen wir aber auch sonst aus dem Urchristentum (vgl. Mt. 18,15-17; 1. Kor.5,1-13; Tit.3,10 f.; auch Gal. 1,8 f.; 1. Joh.5,16f.). Stets handelt es sich dabei um die Verweigerung der Gemeinschaft aufgrund schwerer Sünden oder Glaubensverwirrungen. Diotrephes hat also eine Übung der urgemeindlichen „Kirchenzucht" in seinem eigenen Machtinteresse mißbraucht, denn er schließt nun sogar solche aus, die dem Gebot der Bruderliebe folgen. Wir müssen annehmen, daß Diotrephes seine Maßnahmen in der Tat ergriffen, nicht nur geplant oder angedroht hat. Die Gemeinde scheint sich ihm aber nicht ohne weiteres gefügt zu haben, so daß es bei einseitigen Erklärungen und Anordnungen blieb. Bei seinem Besuch hofft der „Älteste" jedenfalls, Diotrephes vor versammelter Gemeinde seines Amtsmißbrauchs (vgl. l.Petr.5,2f.) zu überführen. Mahnung und Empfehlung
des Demetrius
11-12
11 Geliebter, ahme nicht das Böse nach, sondern das Gute! Wer Gutes tut, gehört Gott zu; wer Böses tut, hat Gott nicht gesehen. 11 Für Demetrius ist von allen und von der Wahrheit selbst ein (gutes) Zeugnis abgelegt worden; und auch wir legen für ihn ein (solches) Zeugnis ab, und du weißt, daß unser Zeugnis wahr ist.
Damit ist klar, wie sich Gajus in dieser Konfliktsituation zu verhalten hat. Von 11 ihm fordert der „Älteste" nur das, was im Urchristentum allgemein gilt, nämlich sich recht zu verhalten. Diotrephes wird nicht als schlecht bezeichnet, aber er gibt ein schlechtes Beispiel. Wer so handelt, schließt sich selbst aus der Gottesgemeinschaft der Glaubenden aus (vgl. die Antithesen von 1. Joh.2,3-6.10 f.; 3,6.10; 4 , 7 f . 2 0 f . ; 5,1-3). Die Verben „Gutes tun" bzw. „Böses tun" begegnen zwar sonst nicht in den johanneischen Schriften, aber sie sind der allgemeinen urchristlichen Paränese vertraut (vgl. l.Petr.3,17). V . l l stellt den christlichen Gemeindeleiter wegen seines Verhaltens auf eine Stufe mit den Irrlehrern und den Menschen dieser Welt und verrät damit die Tradition der johanneischen Gemeinden (vgl. 1. Joh. 2,3-11), die auch Gajus kennt. Demetrius ist uns sonst nicht bekannt. Er genießt 12
3. Joh. 13-15: Abschluß
222
das volle Vertrauen des „Ältesten" und seiner Gemeinde, ja die Wahrheit selbst zeugt für ihn. Damit soll gesagt werden, daß er nicht nur vor Menschen, sondern auch vor Gott anerkannt ist (vgl. V . l . 3 f . ; 2.Joh. 1-3.4). Er entspricht in seinem gesamten Leben dem Willen Gottes, den Christus offenbart hat, und er hat damit den entscheidenden Zeugen für sich. Daß von der Wahrheit hier personifiziert die Rede ist, klingt formelhaft. An eine besondere Geisterfahrung ist aber nicht zu denken (anders beim Zeugnis über den Gottessohn in 1. Joh.5,6ff.). Mit einer aus Joh. 19,35 bekannten Wendung bezeichnet der „Älteste" seine eigene Empfehlung des Demetrius als wahr und glaubwürdig. Um der Bruderliebe willen kann Gajus gar nicht anders, als Demetrius aufzunehmen. Der Briefschluß
13-15
13 Vieles hätte ich dir (noch) zu schreiben, doch will ich (es) dir nicht mit Tinte und Feder schreiben. 14 Ich hoffe aber, dich bald zu sehen, und dann werden wir mündlich miteinander reden. 15 Friede sei mit dir! Es grüßen dich die Freunde. Grüß' du die Freunde, jeden persönlich!
13
Wie im 2. Joh. versichert der „Älteste" auch hier, daß er noch viel zu schreiben hätte. Er will aber alles weitere „von Mund zu Mund" besprechen. Gegenüber 2. Joh. 12 ist hier von Tinte und Schreibrohr und vom „baldigen" Kommen die Rede. Der gesamte Schluß klingt formelhaft und schließt sich eng an allgemeine Briefsitten an. Ähnlich formelhaft wiesen auch der ursprüngliche (Joh. 20,30) und der redaktionelle (Joh. 21,25) Schluß des Johannesevangeliums darauf hin, daß über die Taten Jesu noch viel mehr geschrieben werden könnte, als nun im Evangelium vorliegt. Man wird daraus allerdings nicht schließen dürfen, daß der „Älteste" auch hinter solchen Wendungen des Evangeliums steht. Eher ist es möglich, daß in der johanneischen Gemeinde vom Johannesevangelium her die Botschaft vom Leben als die umfassende und unerschöpfliche Fülle des Heils schlechthin verstanden wurde (vgl. Joh. 1,16; 15,11; 16,24; 17,13; 1. Joh. 1,4; 2. Joh. 12), so daß sich die Verkündiger der Gemeinde immer wieder genötigt sahen, auf die 14 Fülle dessen, was gesagt werden müßte, hinzuweisen. Dem „Ältesten" lag darüber hinaus an einem innigen Kontakt zu seinen Gemeinden und verstreuten Freunden, die er kaum als kirchlicher Visitator besucht haben dürfte, sondern mit der Autorität eines von allen geliebten und geschätzten Vaters. 15 In kurzer Form schließt sich der alttestamentlich-jüdische Friedensgruß an, der eigentlich ein Heilswunsch ist (vgl. 2 . J o h . 3 ; l.Petr.5,14; Joh. 2 0 , 1 9 . 2 1 . 2 6 ; in erweiterter Form in Rom. 15,33; Gal. 6,16; 2. Thess.3,16). Die üblichen Grüße richten sich nicht an die gesamte Gemeinde, in der Gajus lebt, sondern nur an seine Freunde, die anscheinend in der Gemeinde des Diotrephes eine untereinander eng verbundene Gruppe bilden. Ebenso grüßt der „Älteste" nicht für seine Person, sondern im Namen der gemeinsamen Freunde in der johanneischen Gemeinde. So ist auch der Schluß des 3. Joh. nicht frei von den Spannungen, die sich zwischen den Anhängern der johanneischen Botschaft und den Vertretern einer andersgearteten Auffassung von Kirche und Gemeinde ergeben haben.
DER JUDASBRIEF Wolfgang Schräge Einleitung 1. Der kleine Judasbrief hat in der Kirche nicht zu Unrecht meist nur ein Schattendasein geführt, und auch die wissenschaftliche Exegese läßt ihn meist links liegen. Das liegt nicht an dem bescheidenen Umfang (vgl. den Philemonbrief, der ein ganz anderes Interesse findet), sondern eher an seiner bescheidenen Theologie. Enthält er doch nicht viel mehr als massive Ketzerpolemik, die sich zudem großenteils mehr in Entrüstungen, Beschimpfungen und Strafandrohungen als in theologischer Auseinandersetzung ergeht und sich dem bekämpften Gegner nicht wirklich stellt; zum Teil wird der Spieß einfach umgedreht. Die Position der Irrlehrer selbst ist nur indirekt zu erschließen, manchmal verzeichnet, manchmal nur zu erahnen. Nun sind auch andere Dokumente des Neuen Testaments, die sich mit Häresien auseinanderzusetzen haben, nicht an objektiven Referaten häretischer Anschauungen interessiert, aber sie lassen doch eine differenziertere Konzeption, ein anderes Format und vor allem eine begründete theologische Argumentation erkennen. Davon ist der Judasbrief weit entfernt. Seine einzige Waffe und seine einzige Position ist die der apostolischen Tradition, die er als „ein für allemal überlieferte" (V. 3), „heiligste" (V. 20) Größe dem Geistenthusiasmus der Häretiker entgegenstellt. Die Widerlegung beschränkt sich im wesentlichen auf die Behauptung, daß das Auftreten der Irrlehrer von den Aposteln längst vorausgesagt worden sei (V. 17 f.) und das böse Ende derselben schon aus den Beispielen des Alten Testaments hervorgehe (V. 5-7. 11). Man vergleiche gerade am Punkt des Hauptvorwurfs der Unzucht etwa Paulus, um sich des Unterschieds bewußt zu werden: Zwar zählt Paulus die Unzucht auch einfach in allgemein gehaltenen Lasterkatalogen auf, aber in Auseinandersetzung mit bestimmten Mißständen (vgl. 1. Kor. 5,1; 6,13 u. ä.) bringt er eine ganze Kette von Argumenten, um das den Irrlehrern entgegengehaltene Verbot der Unzucht zu begründen (1. Kor. 6,12 ff.). Das Kerygma selbst kommt im Judasbrief nicht zur Entfaltung. Die Christologie wirkt recht formelhaft. Ghristus ist die hinter den kirchlichen Autoritäten stehende und sie legitimierende Instanz (V. 1 und 17), der die sittliche Lebensordnung gebietende Herr (V.4) und der Barmherzigkeit und ewiges Leben mit sich bringende Erwartete (V.21). Allein in der traditionellen Formel „durch Christus" in der liturgischen Sprache der den Brief abschließenden Doxologie klingt seine das Heil vermittelnde Funktion noch nach. Überhaupt ist die Doxologie neben dem Briefeingang das einzige, was den Heilscharakter des christlichen Glaubens noch wachhält. Zwar gibt es durchaus auch andere indikativische Aussagen, aber sie weisen allein auf das, was als verpflichtende apostolische Tradition auf die Gemeinde gekommen ist und ihr nun als autoritative Norm und Richtschnur dienen soll. 2. Daß die Häresie, die der Verfasser aufs Korn nimmt, eine ernst zu nehmende und bedrohliche Gefahr darstellt, soll damit nicht in Abrede gestellt werden. Wie
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Der Judasbrief: Einleitung
aus V. 23 zu erschließen ist, hat sie schon tiefe Einbrüche in der G e m e i n d e bewirkt u n d eine W i r k u n g erzielt, die zu einer unzweideutigen Abgrenzung zwang. Dies w a r um so notwendiger, als die G e m e i n d e die G e f a h r nicht zu erkennen scheint, sondern die offenbar von außen eingedrungenen Irrlehrer (vgl. V. 4) in ihrer Mitte duldet (V. 12), ja vielleicht sogar finanziell unterstützt (vgl. V. 11). W a s man dem Brief trotz des fast völligen Fehlens k o n k r e t e r Z ü g e u n d ihrer M o t i v a t i o n entnehmen kann, ist dies, d a ß als „ H a u p t s ü n d e " der Irrlehrer d e m Verfasser Unzucht und Ausschweifung in den Blick fielen (V. 4 . 7 . 8 . 1 3 . 1 6 ) . M a n m u ß sich freilich vor dem Mißverständnis hüten, dies einfach als U n m o r a l zu verstehen. Es h a n d e l t sich auch nicht einfach u m den schon traditionellen V o r w u r f , der oft in der jüdischen Polemik gegen das H e i d e n t u m begegnet. W e n n der Brief auch oft genug in den typischen Stil der Ketzerpolemik verfällt und von der später oft wiederholten M a n i e r nicht frei ist, die Sache des Gegners durch dessen moralische Diskreditierung zu erledigen, wird man doch nicht behaupten k ö n n e n , der Verfasser h a b e alles, w a s er über das unsittliche Wesen der Irrlehrer schreibt, an den H a a r e n herbeigezogen. Will man den Hintergrund des libertinistiscken Verhaltens der Irrlehrer, das dem Verfasser offensichtlich am meisten Sorge bereitet, verstehen, m u ß m a n über den Brief hinaus auf Texte zurückgreifen, die sich mit der dualistischen Erlösungsreligion der Gnosis u n d ihren sittlichen Konsequenzen beschäftigen. Leider sind die in Frage k o m m e n den Texte spät u n d meist aus der Sicht kirchlicher K e t z e r b e k ä m p f u n g gestaltet, doch lassen sie trotz auch hier zu b e o b a c h t e n d e n Unverständnisses u n d moralischer Entrüstung einige wichtige Punkte deutlich w e r d e n , die mutatis m u t a n d i s auch f ü r die Irrlehrer des Judasbriefes ein besseres Verständnis erlauben. N a c h Irenäus ist das libertinistische P r o g r a m m der Gnostiker z. B. ein d u r c h a u s konsequenter Schluß aus der n a t u r h a f t e n Heilslehre der Gnosis: Der präexistente göttliche Wesenskern, den der Gnostiker unverlierbar aus der himmlischen Lichtwelt mitgebracht hat, garantiert seine Rückkehr in die Lichtheimat, w a s i m m e r er auch tut: „Wie nämlich das G o l d im Kote seine Schönheit nicht verliert u n d seine N a t u r bew a h r t . . . , so werden auch sie nicht beschädigt noch verlieren sie ihr pneumatisches Wesen, da ihnen die materiellen H a n d l u n g e n nichts a n h a b e n k ö n n e n " (Irenäus, Gegen die H a e r . I 6 , 2 ; vgl. I 6 , 3 ; 2 5 , 4 ; H i p p o l y t VI 19,5). Allerdings ist die durch die göttliche A b s t a m m u n g garantierte u n d von der L e b e n s f ü h r u n g gänzlich u n abhängige Erlösung nicht die einzige M o t i v i e r u n g des Libertinismus. Das Auft r u m p f e n der Gnostiker mit ihrem g r o ß e n Uberlegenheits- u n d Freiheitsgefühl ist wahrscheinlich auch antinomistischer Protest gegen die M o r a l o r d n u n g dieser Schöpfungswelt, die die Gnostiker auf einen bösen Schöpfergott z u r ü c k f ü h r t e n , der sie durch. Gebote böser Engelmächte zu versklaven u n d zu tyrannisieren suche (vgl. Irenäus I 2 3 , 3 ; Clemens Alexandrinus, T e p p i c h e 11134,3). Von d a h e r ist auch die radikale A b w e r t u n g der Welt und des Leibes zu verstehen, die deutlich in V. 23 durchschimmert, w o r a u s z w a r normalerweise Askese folgte (vgl. z . B . 1. Kor. 7 u n d 1. T i m . 4,3), aber aus derselben G r u n d v o r a u s s e t z u n g k o n n t e eben auch Libertinismus gefolgert w e r d e n . Für solchen gnostisch motivierten Libertinismus gibt es außer dem Judasbrief auch noch a n d e r e neutestamentliche Zeugnisse (vgl. neben l . K o r . 5 - 6 auch O f f b . 2 , 6 . 1 4 f . 2 0 f f . ) . Außer d e m im Judasbrief a m stärksten h e r v o r t r e t e n d e n Libertinismus bestätigen
Der Judasbrief: Einleitung
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auch andere Züge einen gnostisch-dualistischen Hintergrund der Irrlehre. Der deutlich antithetisch formulierte V. 19 läßt vermuten, daß die typisch gnostische Unterscheidung zwischen den Pneumatikern, die die göttliche Natur in sich haben, und den bloßen Psychikern angesprochen wird (vgl. zu V. 19). Und V. 8 läßt am ehesten an Offenbarungsvisionen denken, die auch nach dem 1. Korintherbrief bei den Gnostikern beliebt waren. Eine weitere Parallele zu den korinthischen Gnostikern nennt wohl V. 12: Wie aus 1. Kor. 11 zu erschließen ist, herrschte in Korinth bei den Sakramentsfeiern ein ausgeprägter Heilsindividualismus, und auch nach Jud. 12 läßt man nicht kultisches oder sakramentales Interesse, sondern Rücksicht auf die anderen vermissen und ist nur auf das eigene Wohl und die eigene Seligkeit aus. Vielleicht spielt das „ohne Furcht" dabei auch noch auf ihre securitas und massive Sakramentsmagie an (vgl. 1. Kor. 1 0 , 1 ff.), während der Erfüllungsenthusiasmus, der sich schon in der esdiatologischen Vollendung wähnt, nicht angedeutet scheint. In den gleichen religionsgeschichtlichen Zusammenhang gehört auch die Lästerung der Engelmächte (V. 8; vielleicht auch V. 16); zwar kennen bestimmte Strömungen der Gnosis auch einen Engelkult oder Engelverehrung (vgl. Kol. 2 , 1 8 und den Hebräerbrief), aber ebenso ist auch Überlegenheit über die Engelwelt und Verachtung der „weltschaffenden Archonten" (Urwesen) bezeugt (vgl. Irenaus I 23 und 2 4 ; Clemens Alexandrinus III 3 4 , 3 ; Hippolyt VII 32). Gewiß begegnen auch einzelne Vorwürfe, die nicht typisch gnostisch sind, sondern eher zum stereotypen Bestand der Ketzerpolemik zählen (so: Habsucht und Geldgier V. 11 u. 16; vgl. außer 2 . P e t r . 2 , 3 . 1 4 . 1 5 auch 1 . T i m . 6 , 5 . 1 0 ; 2 . T i m . 3 , 2 ; Tit. 1 , 1 1 ) und eher in die Nachbarschaft gewinnsüchtiger Wanderprediger und Goeten passen (auch Paulus muß sich dagegen abgrenzen: 1. Thess. 2 , 5 ; 2. Kor. 1 2 , 1 4 - 1 8 u. ö.), im ganzen aber scheint es nach allem geraten, die vom Judasbrief bekämpfte Häresie als gnostisch anzusprechen. Das ist um so eher möglich, als der Brief wahrscheinlich recht spät anzusetzen ist. 3. Dagegen scheint der Verfassername zu sprechen, denn es kann kaum zweifelhaft sein, daß der sich als „Bruder des J a k o b u s " einführende Verfasser ein Bruder Jesu sein will. Zwar gibt es im Urchristentum einige Männer mit dem Namen Judas (vgl. Lk. 6 , 1 6 ; Joh. 1 4 , 2 2 ; Apg. 1 5 , 2 2 u. a.), aber nur unter den Herrenbrüdern kennen wir aus dem Neuen Testament ein Bruderpaar mit den Namen Jakobus und Judas (Mk. 6 , 3 ; M t . 1 3 , 5 5 (vgl. die Einleitung zum Jak.). Nun kann der Brief aber unmöglich von einem Bruder Jesu stammen. Abgesehen von der „katholischen" Adresse und der künstlichen Briefform (vgl. z. B. das Fehlen des üblichen Briefschlusses), die eine solche „Enzyklika" in der frühen Zeit unwahrscheinlich machen, ist auch hier (vgl. 1. Petr. und Jak.) wieder auf das gepflegte Griechisch hinzuweisen. Entscheidend für eine spätere Abfassungszeit sprechen aber die der Zeit des beginnenden Frühkatholizismus angehörenden theologischen Vorstellungen und Anschauungen des Briefes, wie sie vor allem in V. 3 und 17 zum Vorschein kommen. Hier wird nicht nur auf die apostolische Zeit als Vergangenheit und als Zeit der Weissagung zurückgeblickt, hier redet der Verfasser nicht nur wie jemand, der selbst nicht zum Kreis der „Apostel unseres Herrn Jesu Christi" gehört (V. 17), sondern hier gewinnt die „ein für allemal" der Kirche überlieferte und fest formulierte Glaubenstradition ein Gewicht, das sie bei allem Verständnis für „Erinne-
226
Der Judasbrief: Einleitung
rung" (1. Kor. 4 , 1 7 ; 11,2) und Uberlieferung (1. Kor. 15,3 u. ö.) in der apostolischen Zeit selbst so nicht gehabt hat (vgl. weiter die Auslegung der betreffenden Stellen). Audi ein Ausdruck wie „unser hochheiliger Glaube" (V. 20), der den Superlativ von „heilig" zum einzigen Mal im Neuen Testament verwendet, ist erst in später Zeit möglich. Fragt man, warum der Brief von einem „Bruder des Jakobus" geschrieben sein will, so liegt die Antwort auf der Hand: Der Hinweis auf den Herrenbruder Jakobus soll offenbar die unbestrittene Autorität dieses in der Urkirche berühmten Mannes auch für den vorliegenden Brief ausnutzen. Merkwürdig ist, daß der Verfasser sich nicht unzweideutig „Bruder des Herrn" nennt (vgl. G a l . 1 , 1 9 ; l . K o r . 9 , 5 ; M k . 6,3 u.ö.). Hatte er zuletzt doch Angst vor der eigenen Courage? Spielt schon die spätere Anschauung hinein, daß Jesus gar keine leiblichen Brüder hatte? Sollen die verwandtschaftlichen Beziehungen zum Herrn gerade relativiert werden? Wäre der die Frage, warum gerade der Name Judas als Pseudonym gewählt wurde, läßt sich nur sehr schwer beantworten. Nach Hegesipp (bei Euseb, Kirchengeschichte III 20, lff.) sollen gegen Ende der Regierungszeit Domitians zwei Enkel des Judas als Davididen vom Kaiser verhört worden sein und den Gemeinden bis in die Tage Trajans vorgestanden haben. Das könnte immerhin erklären, daß der Name dieses Herrenbruders, der in M k . 6 , 3 erst an 3. und in Mt. 1 3 , 5 5 erst an 4. Stelle steht, zu späterer Zeit besonders bekannt und angesehen war. Die Kenntnis und Zitierung jüdischer Legenden und Apokalypsen wie des Henochbuches und der Himmelfahrt des Mose ( V . 6 . 9 . 1 1 . 1 4 f.) spricht dafür, daß der Verfasser ein hellenistischer Judenchrist war. 4. Erst recht tappt man im Dunkeln, will man Genaueres über Abfassungsort und -zeit sagen. Sicher ist nur, daß der 2. Petr. den Judasbrief bereits benutzt hat (vgl. die Einleitung zum 2. Petr.), vielleicht auch, daß der Verfasser den Jakobusbrief bereits kennt und darum nicht selbst den Namen dieses Herrenbruders in Anspruch nimmt. Das würde etwa um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert sein können (vgl. auch die Nähe der Irrlehrer zu denen von Offb.2). Da der Brief keine konkrete Adresse hat, ist er vermutlich an einen größeren Leserkreis gerichtet. Der Brief muß verhältnismäßig früh verbreitet und anerkannt worden sein, wie ja schon seine Benutzung durch den Verfasser des 2. Petr. zeigt. Audi der Kanon Muratori (römisches Kanonverzeichnis des 2. Jahrhunderts), Tertullian und Clemens Alexandrinus halten ihn für kanonisch. Später hört man allerdings von Widerspruch und Bedenken. Literatur Wissenschaftliche Kommentare: R. Knopf, Die Briefe Petri und Judä (MeyerK 12), 7 1912. - G. Wohlenberg, Der erste und zweite Petrusbrief und der Judasbrief (Kommentar zum NT, hrsg. von Th. Zahn, XV), '1923. - H.Windisch/H.Preisker, Die katholischen Briefe (Handbuch zum NT 15), '1951. -K.H.Schelkle, Die Petrusbriefe. Der Judasbrief (Herders Theologischer Kommentar zum NT XIII, 2), '1964. - W. Grundmann, Der Brief des Judas und der zweite Brief des Petrus (Theologischer Handkommentar zum NT 15), 1974. Allgemeinverständliche Auslegungen: G. Hollmann, und W. Bousset, Der Brief des Judas und der zweite Petrusbrief (Schriften des NT III), '1917. - A. Schlatter, Erläuterungen zum NT 9, 1950. - F. Hauck, Die Kirchenbriefe (NTD 10), '1957. - /. Schneider, Die Kirchen-
Jud. 1-2: Briefeingang
227
briefe (NTD 10), " 1 9 6 7 . - J.Michl, Die katholischen Briefe (Regensburger N T 8), «1968. G. Scbiury, Weg ins N T 4, 1970. Untersuchungen: A. Meyer, Das Rätsel des Jacobusbriefes (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 10), 1930, S. 82-85.
Briefeingang (Absender, Adressaten, Segensgruß)
V.l-2
1 Judas, Knecht Jesu Christi, Bruder des Jakobus, den Berufenen, die in Gott dem Vater geliebt und für Jesus Christus bewahrt werden.1 Erbarmen, Friede und Liebe möge euch reichlich zuteil werden. Der Brief beginnt dem antiken Briefschema entsprechend mit Absender- und Empfängerangabe (V. 1) sowie dem Gruß (V. 2). In der Einleitung ist begründet worden, daß mit Judas nur der Herrenbruder 1 gemeint sein kann. „Knecht Jesu Christi" ist wie in Jak. 1,1 und 2.Petr.l,l nicht eine für alle Christen gültige Charakterisierung, sondern besonderer. Ehrentitel, der dem Verfasser Autorität und Gehör sichern soll. Die gleiche Absicht verfolgt er, wenn er sich als „Bruder des Jakobus" einführt, denn Jakobus soll zweifellos der älteste Bruder Jesu sein (vgl. Einleitung). Die Adressaten werden in traditioneller urchristlicher Sprache als „Berufene" bezeichnet (vgl. Rom. 8,28; Offb. 17,14), was besonders an die Adresse einiger Paulusbriefe erinnert (1. Kor. 1,2; Rom. 1,6). Ihre Berufung wird durch ihr Geliebt- und Bewahrtwerden näher bestimmt, meint also nicht nur Einladung im Unterschied zur Erwählung (so aber Mt.22,14), sondern impliziert die Erwählung. Auch daß die Christen als „geliebt" bezeichnet werden, erinnert an paulinische (vgl. l.Thess.1,4; Rom. 1,7) und deuteropaulinische (vgl. Kol. 3,12; 2. Thess. 2,13) Ausdrucksweise. Darum denkt der Verfasser wohl nicht daran, daß die Adressaten von ihm selbst „in Gott" geliebt werden, sondern daß sie in Gottes Liebe geborgen sind. Auch die passivische Formulierung „Bewahrte" weist in dieselbe Richtung und soll wiederum die von Gott ausgehende Bewahrung hervorheben. V.21 warnt allerdings davor, die göttliche Initiative allzu stark zu betonen. Für den Verfasser gehören Bewahrtwerden und Sichbewahren, göttliche und menschliche Aktion untrennbar zusammen. Gleichwohl liegt in der Adresse wie in der Doxologie (V. 24) der Ton darauf, daß Gott es ist, der bewahrt. Vielleicht sind die Perfektpartizipien nicht zufällig gewählt und deuten schon an, daß bei anderen das einst begonnene Geliebt- und Bewahrtwerden eben keine Dauer hatte. Gleichwohl liegt der Akzent in der Adresse auf der Zusicherung göttlichen Schutzes bis zur eschatologischen Vollendung, wenn Jesus Christus in Macht und Herrlichkeit erscheinen wird („für Jesus Christus"). Solche Zusicherung unterstreicht bei 2 aller Formelhaftigkeit auch der dreiteilige Segenswunsch, der den Adressaten Erbarmen, Friede und Liebe als Gaben Gottes wünscht. Gemeint sind keine zwischenmenschlichen Verhaltensweisen, sondern Gottes Zuwendung zum Menschen (zu ähnlichen Segenswünschen vgl. vor allem l.Tim. 1,2; 2. Tim. 1,2; Tit. 1,4; 2. Joh.3).
Warnung vor Irrlehrern
(V.3-23)
1. Veranlassung des Schreibens
(V.3-4)
Geliebte, als ich midi mit allem Eifer daran machte, euch über unser gemeinsames Heil zu schreiben, sah ich mich genötigt, euch durch ein Schreiben zu mah3
228
Jud.3-4: Veranlassung des Schreibens
nen, daß ihr für den Glauben kämpft, der den Heiligen ein für allemal überliefert worden ist 4 Es haben sich nämlich gewisse Leute eingeschlichen, die schon längst für dieses Verdammnisurteil vorgemerkt sind, Gottlose, die die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung umsetzen und unseren einzigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen. 3
In etwas umständlicher Weise berichtet der Verfasser zunächst über die Veranlassung seines Schreibens. Manche Exegeten deuten die Eingangsworte so, als habe der Verfasser zunächst die Absicht gehabt, eine umfangreiche Schrift über das Heil zu schreiben; dann aber habe er diesen Plan fallengelassen oder dessen Verwirklichung unterbrochen, um mit dem kurzen Judasbrief den inzwischen aufgetretenen Irrlehrern entgegenzutreten. Wahrscheinlich nennt das oben als Modalsatz aufgelöste Partizipium aber die näheren Umstände und Absichten bei der Abfassung des vorliegenden Briefes. Er will also den Eifer und die Hingabe betonen (vgl. R o m . 1 2 , 8 . 1 1 ; 2 . K o r . 7 , 1 1 f.), mit denen er sich ans Werk machte, über das „gemeinsame", also Apostel und Gemeinde verbindende (vgl. Tit. 1 , 4 ; 2. Petr. 1,1) „Heil" zu schreiben. Heil ist dabei noch nicht die in Mysterien verbürgte Unsterblichkeit, sondern wie in V. 23 Rettung im Endgericht, die vom Festhalten an der Glaubens- und Bekenntnistradition abhängt. Zu der Absicht des Verfassers, die Leser über das Heil zu belehren, trat darum die Notwendigkeit, sie wegen einer aktuten Gefahr zu ermahnen. Diese Gefahr sieht er in Angriffen auf „den ein für allemal den Heiligen überlieferten Glauben". Der hier auftauchende Glaubensbegriff im Sinn einer der Kirche anvertrauten feststehenden Summe endgültiger, festformulierter Glaubenssätze (depositum fidei) ist zweifellos der der sich ausbildenden frühkatholischen Kirche. Zwar weiß auch Paulus z.B. neben dem durch Gehorsam, Vertrauen und Hoffnung konstituierten Glaubensafei um einen Inhalt des Glaubens (fides quae creditur; vgl. 1. Kor. 1 5 , 3 ; 1 1 , 2 u.ö.), aber nun gilt das Credo offenbar als abgeschlossen, unantastbar und sakrosankt (vgl. auch 2. Petr. 1 , 1 ; l . T i m . 1,19; 2 , 7 ; 4 , 1 ; 6 , 2 0 f . ; Tit. 1 , 4 ; Polyc.Phil.3,2; 4 , 2 ) . Für diesen objektiven Glaubensbesitz gilt es nach Meinung des Verfassers zu „kämpfen" (zum „Kampf" des Christen vgl. 1. Kor. 9 , 2 4 ff.; Eph. 6 , 1 0 ff.; l . T i m . 6 , 1 2 u.ö.), was nur heißen kann: sich im Kampf gegen häretische Abweichungen und Neuerungen für die überlieferte Glaubenslehre einsetzen. Denn die von den „heiligen Aposteln" (Eph. 3,5) überkommene Tradition an Glaubensformeln ist ja allen „Heiligen" (vgl. zu 1. Petr. 1,15 f.) anvertraut und nicht dem Belieben von einzelnen oder von Gruppen ausgeliefert.
4
Diese Mahnung zur Verteidigung der normativen Lehrtradition ist dringend notwendig, denn es haben sich „gewisse Leute eingeschlichen", die diesen Glauben gefährden. Offenbar sind die Irrlehrer als von außerhalb kommende Wanderprediger und -propheten in die Gemeinde eingedrungen, wie das auch sonst öfter der Fall war (vgl. G a l . 2 , 4 ; 2 . K o r . l l , 4 ; 2 . T i m . 3 , 6 ; I g n . E p h . 7 , 1 ; 9 , 1 ) ; sie geben sich aber nicht als Andersdenkende zu erkennen, sondern versuchen offenbar eine Synthese mit dem herkömmlichen Glauben, um so die Gemeinde von innen her mit ihren Anschauungen zu durchsetzen. Ohne daß der Verfasser etwas über den Inhalt der Irrlehre mitteilte, qualifiziert er ihre Vertreter als „gewisse Leute" ab (zum ver-
Jud. 5-7: Drei warnende Beispiele des Alten Testaments
229
ächtlichen Sinn dieser Wendung vgl. 2. Kor. 10,12; Gal. 1,7) und bedroht sie mit dem eschatologischen Verdammnisurteil. Sie sind längst für die Verurteilung vorgemerkt, wobei wohl die Vorstellung vom Aufzeichnen der Sünden oder Sünder in himmlischen Büchern oder Tafeln vorausgesetzt wird (vgl. äth.Hen. 81,4; 106,19; 108,7; syr.Bar.24,1; J u b . 5 , 1 3 f . ; Test. Ass.7,5). Sie sind ja „Gottlose", d.h. sie leugnen Gott in ihrem Leben und in ihrer Lehre (vgl. V. 15.18). Zum einen verkehren sie Gottes Gnade in Ausschweifung. Das ist wohl nicht nur eine in der Ketzerpolemik beliebte moralische Diskreditierung des Gegners, sondern ein erster Hinweis auf ihren Libertinismus, von dem immer wieder die Rede ist (vgl. V.7.8. 13.16); von den Motiven und Hintergründen dieses Libertinismus erfährt man aber nichts. Der Verfasser erklärt nur, daß sie die Gnade, also Gottes Freispruch, zu einem Freibrief für die Sünde pervertieren (vgl. Röm.3,8; 6,1; Gal.5,13; Offb. 2,24; 2.Petr. 2,19). Außerdem sollen sie den einzigen Gebieter und Herrn Jesus Christus leugnen, ein nicht ganz eindeutiger Vorwurf. Zunächst ist nicht klar, ob nur von Christus oder von Gott und Christus die Rede ist. In jüdischen wie christlichen Texten ist das Bekenntnis zu Gott als dem Gebieter bzw. „einzigen Gebieter" oft bezeugt (vgl. außer Philo und Josephus Weish.6,7; 8,3; Jud. 9,12; 3.Makk. 2,2; im Urchristentum: Lk. 2,29; Apg. 4,24; Offb. 6,10; zu „einzig" als Gottesprädikat vgl. Joh. 5 , 4 4 ; 17,3; Rom. 16,27; 1. Tim. 1,17). Von daher liegt es nahe, an eine zweigliedrige Formel zu denken, zumal V. 25 ebenfalls einen Nachhall des monotheistischen Bekenntnisses bietet. 2. Petr. 2,1 zeigt aber, daß auch Christus „Gebieter" genannt werden konnte (aber ohne das Adjektiv „einzig"!), so daß die Entscheidung nicht ganz sicher ist. Die Leugnung des einzigen Herrn ist nach Meinung des Verfassers wohl primär nicht als Bestreitung seiner Macht über die ganze Schöpfung im Sinne des schöpfungsfeindlichen gnostischen Dualismus zu verstehen (obschon das nach dem Selbstverständnis jener Irrlehrer und nach V. 3 gut passen würde), erst recht nicht als theoretisch-abstrakter Atheismus, sondern als praktische Mißachtung seiner Herrschaft in einer gegen die Gebote verstoßenden Lebensführung (vgl. Tit. 1,16). Der Verfasser attackiert jedenfalls weniger die theologischen Begründungen und Motive als vielmehr die praktischen Konsequenzen.
2. Drei warnende Beispiele des Alten Testaments
(V.S-7)
Ich will euch aber, obschon ihr alles ein für allemal wißt, daran erinnern, daß der Herr, als er das Volk aus dem Lande Ägypten errettet hatte, die, die nicht glaubten, das zweite Mal vernichtete, 8 und daß er (die) Engel, die ihren Herrschaftsbereich nicht einhielten, sondern ihren Wohnsitz verließen, bis zum Gericht des großen Tages mit ewigen Fesseln in der Finsternis (der Unterwelt) verwahrt; 7 wie (denn auch) Sodom und Gomorrha und die sie umgebenden Städte, die in ähnlicher Weise Unzucht trieben und fremdem Fleisch nachliefen, als (abschreckendes) Beispiel daliegen, die Strafe ewigen Feuers erleidend. 5
Vers 5: 4. MoseU.ll.26ff.;
Vers«: l.Mose6,l-4;
Vers 7: 1. Mose
19,4-15.
Der Verfasser erinnert zunächst an drei warnende Beispiele aus dem Alten Testament, die zeigen, daß auf Frevel Strafe und Gericht Gottes folgen: Wüstengeschlecht (V. 5), Engelfall (V. 6) und Sodom und Gomorrha (V. 7). Die Erinnerung an diese 5
230
Jud.5-7: Drei warnende Beispiele des Alten Testaments
Beispiele ist nach Meinung des Verfassers eigentlich überflüssig, da den Lesern mit dem Glauben (V. 3) auch das nötige Wissen „ein für allemal" mitgeliefert worden ist. Das ist keine Ironie, sondern verbreitete captatio benevolentiae (vgl. l.Thess. 4,9; Rom. 15,14; 2. Petr. 1,12; 1. Joh. 2,21.27; Barn. 1,2ff.; 4,9; l.Klem. 53,1; Ign. Eph. 3,1; 8,1), vielleicht sogar mehr als das, nämlich tatsächlicher und vom Verfasser respektierter Anspruch. Zu „alles" wird man nicht so sehr an jüdische Apokalyptiker (vgl. äth. Hen. 1,2) oder gar an Sirenen und Brahmanen zu erinnern haben als vielmehr an Gnostiker, denen gegenüber schon Paulus den Stückwerkcharakter des Wissens und Erkennens betonen mußte (vgl. 1. Kor. 13,9; Irenaus Haer. II 28,8f.; Rheginusbrief 45,6; 49,9f.). Dem Einfluß solcher Gnosis zollt der Verfasser hier ebenso Tribut wie dem Frühkatholizismus, der solches Wissen „ein für allemal" sicher verwahrt in den Händen der Kirche wähnt. Daß der Verfasser auf eine vergegenwärtigende Erinnerung dennoch nicht verzichtet, läßt erkennen, daß gerade die Situation der Anfechtung immer neue Aktualisierung auch des längst Bekannten fordert (vgl. 1. Kor. 11,2; 4,17; Rom. 15,15; l.Thess. 4,1; Phil. 3,1; 2. Tim. 2,8.14; Tit. 3,1 u. ö.), was für den Verfasser freilich primär heißt: das apostolische Erbe in Erinnerung rufen (V. 17; vgl. 2. Petr. 1,12 f.; 3,1 f.). Das erste Beispiel erinnert an den Untergang der aus Ägypten Geretteten, die wegen ihres Unglaubens (vgl. 4. Mose 14,11) in der Wüste umkamen (4. Mose 14,26ff.), ein auch sonst beliebtes Beispiel (Sir. 16,9 f.; l.Kor. 10,1 ff.; Hebr. 3,7ff.). Trotz der erfahrenen Wundertaten Gottes bei der Befreiung aus Ägypten ereilte sie das Gericht, eine deutliche Warnung an die Irrlehrer, nicht im Abfall vom rechten Glauben zu verharren, und an die Gläubigen, sich ihnen nicht anzuschließen, 6 wenn sie nicht demselben Schicksal anheimfallen wollen. Als zweites Beispiel führt der Verfasser die mythologische Fesselung der gefallenen Engel an. Dabei greift er aber über den Bericht von 1. Mose 6 vom Engelfall hinaus auf spekulative Uberlieferungen des Judentums, und zwar wohl vor allem auf den äth. Hen. (vgl. V. 14 f.), zurück. Entsprechend diesen Spekulationen hatten die Engel ihnen besonders zugewiesene Herrschaftsgebiete (vgl. 5. Mose 32,8 LXX; äth. Hen. 78-82) und Aufenthaltsorte (vgl. außer den folgenden Belegen aus äth. Hen. auch Eph. 2,2; 3,10); die aber haben sie verlassen, was an äth. Hen. 12,4 erinnert: „Verkünde den Wächtern des Himmels, die den hohen Himmel, die heilige ewige Stätte verlassen, mit den Frauen sich befleckt haben . . . " (vgl. 15,3.7). Das Verlassen der Himmelsräume war also mit einer Vermischung mit irdischen Frauen verbunden (vgl. außer V.7 weiter äth.Hen.6-7.10.12; syr.Bar.56,12f.; J u b . 5 , l f f . ; Test.Rub.5,6; Dam. 2,18 f. u. ä.). Deshalb wurden sie gefesselt in Finsternis aufbewahrt (vgl. äth. Hen. 10,4 f.; 18,11 ff.; 21,1 ff.; slav. Hen. 7,1) bis zum Gericht am „großen" = jüngsten Tag (Apg.2,20; Offb.6,17; 16,14). Das Beispiel soll vor allem eine Warnung vor der ewigen Strafe auch solcher Leute sein, die außergewöhnlich begnadet waren, und außerdem eine Anspielung auf den Grund dieser Strafe: die widernatürliche Unzucht, die ja auch im dritten Beispiel erscheint und in V. 8 den Irrlehrern selbst vorgeworfen wird. 7 Das dritte Beispiel erinnert an den Untergang von Sodom und Gomorrha, ein ebenfalls oft zitiertes Exempel göttlichen Strafgerichts. Schon im Alten Testament selbst ist das Schicksal der beiden verkommenen Städte (l.Mose 18,20f.; 19,1 ff.)
Jud. 8-16: Kritik der Irrlehrer
231
für die prophetische Predigt ein eindrückliches Beispiel (Jer.23,14; Ez. 16,48 ff.), das sich dann in die jüdischen ( J u b . l 6 , 5 f . ; 3 6 , 1 0 ; 3 . M a k k . 2 , 5 ; T e s t . N a p h . 3 , 4 ; 4 , 1 ; Test. Ass. 7 , 1 u.ä.) und neutestamentlichen Schriften hinein durchhält (Mt. 10,15; 1 1 , 2 4 ; R o m . 9 , 2 9 ) ; die mitbetroffenen Nachbarstädte sind nach 5.Mose 29,23 und Hos. 11,8 Adma und Zeboim (vgl. auch Weish. 10,6; Zoar dagegen blieb nach 1. Mose 19,20ff. auf Grund der Bitte Lots ausgespart). Der Frevel der Bewohner dieser Städte war (anders als Jes. 1 , 1 0 ; 3 , 9 ; J e r . 2 3 , 1 4 ; Ez. 16,49) ähnlich dem der Engel von V. 6. Wie diese mit den Frauen der Menschen Unzucht trieben, so haben die Bewohner der genannten Städte die zu Lot gesandten Engel geschlechtlich mißbraucht. Engel haben nach dieser mythologischen Vorstellung trotz ihrer Verleiblichung „andersartiges Fleisch", so daß der Verfasser auch hier widernatürliche Unzucht sieht. Im Unterschied zu seiner Annahme ist in 1. Mose 19 aber nur von einem (mißglückten) Versuch und nur von den Bewohnern Sodoms die Rede. Ob der Verfasser auch hier auf jüdische Traditionen zurückgeht oder aber seine Bibel nicht genügend kennt, muß offenbleiben. Wahrscheinlich liegen zumindest der Aussage, daß die Frevelstädte zu ewiger Feuerstrafe verurteilt wurden, jüdische Vorstellungen zugrunde, nach denen das in 1. Mose 19,24 f. geschilderte bzw. das über die gefallenen Engel verhängte Gerichtsfeuer als ewiges Höllenfeuer unter dem Toten Meer weiterbrennt (äth. Hen. 67; vgl. Offb. 2 1 , 8 ; Weish. 10,7 nennt als Zeuge u. a. „verödetes Land in fortwährend rauchendem Zustand").'Entscheidend aber ist dem Verfasser in all diesen spekulativen Gedanken die Warnung vor frevelhafter, göttliche Strafe nach sich ziehender Unzucht. 3. Kritik der Irrlehrer
(V.8-16)
Ebenso beflecken auch diese (visionären) Träumer das Fleisch, verwerfen die Herrschermacht, lästern (die) Herrlichkeit(sengel). * Und doch hat selbst der Erzengel Michael, als er im Wortgefecht mit dem Teufel um den Leichnam des Mose stritt, es nicht gewagt, ein lästerndes Urteil vorzubringen, sondern (nur) gesagt: „Der Herr strafe dich!" 1 4 Diese aber lästern, was sie nicht kennen; an dem aber, was sie von Natur wie die vernunftlosen Tiere verstehen, gehen sie zugrunde. 11 Wehe ihnen, daß sie auf den Weg des Kain gegangen sind und sich gegen Bestechung der Verirrung Bileams hingegeben und sich durch die Auflehnung Korahs ins Verderben gestürzt haben. 1 2 Diese (Leute) sind es, die bei euren Liebesmahlen als Schandflecken mitschmausen, ohne Scheu sich selbst weiden, wasserlose Wolken, die von Winden fortgerissen werden, Bäume im Spätherbst ohne Früchte, zwiefach erstorben und entwurzelt, 1 3 wilde Meereswogen, die ihre eigene Schande emporschleudern (wie Gischt), Irrsterae, denen das Dunkel der Finsternis für ewig aufbewahrt ist. 8
1 4 Eben diesen hat Henoch, der Siebente von Adam an, geweissagt: Siehe, es kommt der Herr mit seinen heiligen Zehntausenden, 15 um Gericht über alle zu halten und alle Gotdosen zu strafen wegen all ihrer gottlosen Werke, die sie gottlos verübt haben, und wegen all ihrer unerträglichen (Worte), die sie als gottlose Sünder gegen ihn gesprochen haben. 1 4 Diese sind mit dem Schicksal hadernde Murrköpfe, die ihren Weg nach ihren Begierden gehen, und ihr Mund redet Hochtrabendes, und um (ihres) Vorteils willen schmeicheln sie einem ins Gesicht."
Vers 9: Sach.3.2;
Vers 11: 1. Mose 4, 8; 4. Mose 31,16 u. ö.
232
Jud. 8-16: Kritik der Irrlehrer
Der Abschnitt beginnt mit Vorwürfen gegen die Irrlehrer: Verwerfung der Herrschaft und Lästerung der Engel (V. 8), kontrastiert das mit dem Verhalten Michaels (V. 9) und bringt dann einen Vergleich mit vernunftlosen Tieren (V. 10). Dann folgt ein Rückgriff auf die atl. Ahnherren Kain, Bileam und Korah (V. 11). Nach einem Hinweis auf die gemeinsamen Liebesmahle und vier bildhaften Kennzeichnungen der Irrlehrer in V. 12-13 folgt ein Henoch-Zitat mit einer Gerichtsankündigung (V. 14-15). In Anknüpfung daran werden noch einmal Worte und Taten der Häretiker attackiert (V. 16). 8
Auf die drei abschreckenden Beispiele mit Freveltaten u n d Strafgerichten folgt nun der vergleichende Blick auf die Irrlehrer. Trotz der warnenden Beispiele, die die Häretiker eigentlich hätten zur Vernunft bringen müssen, vergehen sie sich in ähnlicher Weise wie Sodom und G o m o r r h a u n d schlagen die W a r n u n g der biblischen Tradition in den Wind. Statt dessen beruft m a n sich offenbar auf Traumgesichte. Die Charakterisierung der Häretiker als „ T r ä u m e r " ist trotz des ironischen Untertons weder eine metaphorische Umschreibung ihrer Abweichung von der Wahrheit und Wirklichkeit des rechten Glaubens noch erst recht eine Anspielung auf wollüstige Träume. Vielmehr sind die Traumgesichte wohl als Offenbarungsvisionen zu verstehen (vgl. die Parallelität von „ T r ä u m e h a b e n " und „Gesichte haben" in Apg. 2,17 im Anschluß an Joel 3,1; vgl. auch das Nebeneinander von Prophet und Träumer 5. Mose 13,1-5; Jer. 27 [34] 9). Außer in der Apokalyptik waren Visionen und Ekstasen auch in der Gnosis beliebt (vgl. Corp. Herrn. I 1.4.30, aber auch 2. Kor. 12,1 ff.). Wahrscheinlich wurden die häretischen Verirrungen mit besonderen Offenbarungen begründet, die nur den Pneumatikern zuteil werden u n d auch ihre Überlegenheit und Überheblichkeit erklären. Der erste Vorwurf lautet: sie beflecken ihr Fleisch. T r o t z der Verbindung mit V. 7 („ebenso") hat man dabei wohl nicht speziell an widernatürlichen Geschlechtsverkehr, sondern allgemein an sexuellen Libertinismus zu denken, wie er in gnostischen Kreisen nicht selten vorkam (vgl. die Einleitung). Der zweite Vorwurf ist weniger eindeutig. Mit „Verwerfung der Herrschermacht" ist entweder die Verachtung der Herrschaft Gottes oder Jesu Christi gemeint (vgl. V. 4 und 16) oder aber wie im dritten Vorwurf die Ablehnung von Engelmächten, die auch in Kol. 1,16 und Eph. 1,21 mit demselben Wort bezeichnet werden (ebenso äth. Hen. 61,10). Gerade der Zusammenhang mit dem ersten Vorwurf erinnert an die Kennzeichnung gnostischer Irrlehrer, die das Gesetz auf Menschen versklavende Engelmächte zurückführen (Clem. Alex. III 34,3; vgl. schon Gal. 3,19), die „weltschaffenden Archonten" verachten (Hipp. VII 32) oder Macht über „Fürsten und Schöpfer dieser Welt" zu haben behaupten (Irenäus I 24). Der dritte Vorwurf fügte dann nur noch die Blasphemie gegenüber einer besonderen Engelklasse, den Herrlichkeitsengeln, hinzu. Da aber das mit „Herrschermacht" übersetzte W o r t sonst auf Engel bezogen nur im Plural steht, ist vielleicht doch eher an Gott oder Christus als Träger der Herrschermacht zu denken (vgl. Did. 4 , 1 ; Herrn. Sim. V 6,1). An der Deutung des dritten Vorwurfs im Sinn der Lästerung gegen die kurz „Herrlichkeiten" genannten Engel der Herrlichkeit (so z. B. Test. Lev. 18,5; vgl. auch Hebr. 9,5) kann aber kein Zweifel sein. In dem allen dokumentiert sich nicht Skepsis, sondern schrankenloses
Jud. 8-16: Kritik der Irrlehrer
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Freiheits- und Überlegenheitsgefühl, das schon bei den korinthischen Enthusiasten zu erkennen ist (vgl. weiter zu 2. Petr. 2,10). Dieser Anspruch der Häretiker ist nach Meinung des Verfassers nun um so ver- 9 werflicher, wenn man ihn mit dem vergleicht, was von Michael berichtet wird. Dieser hat es nämlich einst beim Streit um den Leichnam des Mose nicht gewagt, den Teufel zu lästern. Damit spielt der Verfasser auf eine Legende an, die nach altkirchlichen Zeugnissen aus der apokryphen „Himmelfahrt des Mose" stammt; diese nur fragmentarisch erhaltene Schrift, in der die betreffende Szene über Tod und Begräbnis des Mose leider fehlt, hat sich bei der Schilderung des Streites zwischen Michael und dem Teufel an Sach. 3 , 2 angelehnt; sie wird, wie auch aus einer slawischen Mosesage hervorgeht, berichtet haben, wie Michael den Mose begraben sollte (daß Gott selbst das getan haben soll, wurde anders als 5. Mose 3 4 , 6 wohl inzwischen als zu anthropomorph empfunden), vom Satan aber daran gehindert wurde, weil Mose nach 2. Mose 2 , 1 2 als Mörder zu gelten habe. Michael selbst aber, obschon „Erzengel" oder, wie es in der Apokalyptik heißt, „der große Engel" (Dan. 12,1; 1 0 , 1 3 . 2 1 ; äth.Hen.20,5; 40,4-9 u.a.), hat sich jeder Lästerung und Schelte des Teufels enthalten und das Urteil Gott anheimgestellt. Diese Zurückhaltung Michaels, der doch als Kämpfer gegen den Teufel gilt (vgl. auch Offb. 12,7), selbst gegenüber dem Obersten der bösen Geistennächte mußte dem Verfasser natürlich vorzüglich in sein Konzept passen. Um wieviel vermessener ist dann die Blasphemie der Häretiker gegenüber den Engeln der Herrlichkeit! Das wird noch dadurch verstärkt, daß sie keine Kenntnis der Geistermächte 10 haben. Hier wird der Spieß vom Verfasser offenbar einfach umgedreht. Die, die als Gnostiker tiefste Einsicht in die göttlich-pneumatische Welt zu haben vorgeben und solche Erkenntnis den Psychikern verschlossen glauben (vgl. 1. Kor. 2,7ff.), werden nun ihrerseits als unwissend hingestellt (vgl. V. 19). Ihre Gnosis ist eine Pseudognosis, die den natürlichen Bereich nicht transzendiert. Ja, sie sind dem vernunftlosen Vieh zu vergleichen, das allein den Trieben und Instinkten folgt. Mit solcher Lebensweise, die sich auf Fressen (vgl. V. 12) und Geschlechtsverkehr (vgl. V. 8) versteht, werden sie sich das Verderben zuziehen. Wüßte man nicht aus anderen Quellen um die wahren Hintergründe des gnostischen Libertinismus, würde man die Irrlehrer einfach für unmoralisch und verkommen halten. Noch einmal führt der Verfasser drei alttestamentliche Prototypen sittlicher 11 Verdorbenheit an, ohne daß freilich ganz sicher ist, worin ihnen die Irrlehrer gleichen. Kain, der seinen Bruder erschlug, soll wohl wie bei Philo u. a. als Typus der Sündhaftigkeit, Rebellion gegen Gott und Verstrickung in die Sinnenwelt gelten, so wie er nach l . J o h . 3 , 1 2 der Repräsentant der Teufelskinder und später als ein Ahnherr der sogenannten Kainiten, einer gnostischen libertinistisch-antinomistischen Sekte, gilt. Bileam stiftete die Midianiter nach 4. Mose 31,16 dazu an, Israel zu Götzendienst und Unzucht zu verführen (vgl. Offb. 2,14; in 4. Mose 25,1 f. selbst ist davon keine Rede); in der jüdischen Literatur ist er dann Urbild und Vater aller Häretiker, Libertinisten und (vgl. 4. Mose 2 2 , 2 2 ff.) Engelverächter. Dem Verfasser liegt indessen besonders daran, daß Bileam, der schon nach 4. Mose 2 2 , 6 f. 17 und 24,13 vom Moabiterkönig Balak zur Verfluchung Israels bestochen werden sollte,
Jud. 8-16: Kritik der Irrlehrer
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sich tatsächlich „um Lohnes willen" dazu hergab (vgl. auch 5. M o s e 2 3 , 5 und die jüdische Auslegungstradition). Der Verfasser unterstellt also auch den Irrlehrern, d a ß sie sich die Verbreitung ihrer verführerischen Ansichten (wohl auch hier
=
Götzendienst und Unzucht) auch noch bezahlen lassen (vgl. V. 16 und weiter 2. Kön. 5,22ff.; 2 . K o r . l 2 , 1 6 f .
und die in der Einleitung
angeführten Belege).
Korah
endlich, der nur hier im Neuen T e s t a m e n t e r w ä h n t wird, das H a u p t einer gegen Mose gerichteten Auflehnung und E m p ö r u n g (4. M o s e 16), soll wohl die Widersetzlichkeit der Irrlehrer gegen kirchliche Ordnung und ihre Repräsentanten aufzeigen und zugleich dartun, daß das Ende solchen Verhaltens nur das Verderben in göttlichem Gericht sein kann. 12
Während V. 11 trotz aller Typisierung indirekt gewisse Rückschlüsse auf die Irrlehrer zu erlauben schien, läßt sich der bildhaften Beschimpfung von V. 12-13 nur wenig Genaues entnehmen. N u r die erste Charakterisierung ist konkret und aufschlußreich. Demnach stehen die Irrlehrer noch in kirchlicher Gemeinschaft mit den Adressaten und nehmen gemeinsam an den Herrenmahlfeiern teil. Ihre Bezeichnung als Agapen (Liebesmahle) und das mögliche „Mitschmausen" setzt voraus, daß die Abendmahlsfeiern noch im R a h m e n wirklicher Mahlzeiten gefeiert wurden (vgl. 1. Kor. 1 1 , 2 0 ff. 25 und Did. 9 - 1 0 ) und noch nicht als rein kultische „Eucharistie" von den Sättigungsmahlen getrennt waren. W a s der Verfasser will, ist nicht ganz klar. Fordert er eine Ausschließung der Irrlehrer? Von V. 23 her liegt das nahe. Jedenfalls macht er darauf aufmerksam, d a ß es eine Schande ist, wenn solche „Schmutzflecken" (nicht ganz auszuschließen ist auch die Bedeutung: „unter der Oberfläche des Meeres verborgene Klippen", an denen man zerschellen kann) an den Agapen teilnehmen. Sie sind ungeniert nur darauf bedacht, „sich selbst zur Weide zu führen" (vgl. Ez. 3 4 , 8 ) , sich selbst leiblich und religiös zu mästen (vgl. das Verhalten der die brüderliche Gemeinschaft mißachtenden Reichen bei den korinthischen Herrenmahlfeiern l . K o r . 1 1 , 2 1 f.; vgl. auch die Einleitung). Es folgen vier Bilder: 1) Die Irrlehrer sind wasserlose Wolken (Spr. 2 5 , 1 4 :
„Wolken und
Wind und doch kein Regen, - so ist ein M a n n , der mit Gaben prahlt und nie gibt"), die von den Winden hin und her getrieben werden (vgl. Weish. 5 , 1 4 ; ein anderer Vergleichspunkt Eph. 4 , 1 4 ; Hebr. 1 3 , 9 ) . Sie halten also nicht, was sie auf den ersten Blick versprechen und bringen kein „Wasser des Lebens". 2) Sie sind Bäume, die im Spätherbst (d. h. entweder vor Einbruch des Winters oder zur Erntezeit) ohne Früchte dastehen (vgl. M t . 7 , 1 6 f . ; 1 2 , 3 3 ) , entwurzelt (vgl. Weish. 4 , 4 f . ) und erstorben (vgl. M t . 3 , 1 0 ; 7 , 1 9 ) . D a ß sie „zweimal" erstorben sind, meint entweder, daß sie in diesem und jenem Leben (vgl. zum „zweiten T o d " Offb. 2 , 1 1 ;
20,6;
2 1 , 8 ) oder vor und nach der Bekehrung dem T o d verfallen sind, in jedem Falle 13 aber im T o d e bleiben (vgl. l . J o h . 3 , 1 4 ; J o h . 3 , 3 6 ) . 3) Wilde Meereswogen, die den Schmutz und Unrat emporschleudern und auf den Strand spülen (vgl. Jes. 5 7 , 2 0 ) sind sie wohl darum, weil sie ihre eigenen Schändlichkeiten nicht verbergen, sondern schamlos vor aller Augen aufwühlen, wohl ein Hinweis auf das unbändige Freiheitsbewußtsein der Irrlehrer. Und endlich sind sie 4) „Irrsterne", womit nicht einfach Kometen und M e t e o r e gemeint sind, sondern, wie die W e i t e r führung („denen das Dunkel der Finsternis aufbewahrt ist") zeigt, mythologische Sterngeister bzw. gefallene Engel, die als Planeten ihre Bahn verlassen haben und
Jud. 17-23: Mahnung an die Gemeinde
235
dafür gefesselt in einen grausigen Abgrund von Feuer geworfen werden (äth.Hen. 18,13 ff.; 21,3 ff.; 90,24). Ebenso haben auch die Irrlehrer Gottes Ordnung verlassen und Gottes Gericht zu erwarten. Daß der Verfasser tatsächlich an die Mythologie des Henochbuches denkt, be- 14-15 stätigt das folgende Zitat aus dieser apokalyptischen Schrift, das die Strafandrohung belegen soll. Der Verfasser der in Wahrheit pseudepigraphischen Schrift wird als „siebenter" Mensch nach Adam bezeichnet. Das soll nicht nur als eine genealogische Feststellung gehört werden (vgl. zu dieser Genealogie l.Mose5,18ff.; l.Chron. 1,1-3; äth.Hen.60,8; 93,3), sondern auch den uralten und mysteriösen Charakter der Weissagung hervorheben, die dem Verfasser des Judasbriefes zweifellos als inspiriert und kanonisch gilt (andere Zitate, die das große Ansehen der Schrift auch im Urchristentum bestätigen, finden sich z.B. Barn.4,3; 16,5). Das Zitat selbst entspricht Hen. 1,9, wobei es z.T. der äthiopischen, z.T. der hier auch erhaltenen griechischen Version näherkommt. „Es kommt" ist zwar im Griechischen Aorist, drückt aber als prophetisches Praeteritum die Gewißheit des von der Zukunft Erwarteten aus. Unter dem Kommenden wird der Verfasser nun wohl statt Gott wie in Henoch 1,9 den mit seinen „heiligen Myriaden" ( = himmlischen Heerscharen, vgl. Dan. 7,10; Hebr. 12,22; Mt. 25,31) zum Gericht erscheinenden Christus verstehen; die von diesem Gericht betroffenen „Gottlosen" aber sind ihm die Irrlehrer, denen damit wiederum und zwar für ihre Taten ebenso wie für ihre Worte das Strafgericht angedroht wird. V. 16 fährt in der Bloßstellung der Irrlehrer fort und nennt sie zunächst „Murr- 16 köpfe" und stellt sie so in eine Linie mit dem gegen Mose und damit letztlich gegen Gott „murrenden" Volk (2. Mose 15-17; 4. Mose 14-17), das mit seinem Schicksal hadert und Gottes Führung kritisiert. Ob sich die Kritik der Gnostiker speziell auf die Gemeinde- oder Schöpfungsordnung bezieht oder auf die von den Gnostikern bemängelte Einkerkerung des aus der himmlischen Sphäre stammenden göttlichen Kerns in den Leib, läßt sich nicht sagen; vielleicht ist eine allgemeine Kritiksucht gemeint, mit der unbequeme Leute ja gern diskreditiert werden. Noch einmal wird erwähnt, daß sie den Begierden folgen. Ihre „hochtrabenden Worte" sind wohl die schon in V. 8 und 10 erwähnten Schmähungen der göttlichen Herrschaft und Majestät (vgl. äth.Hen.5,4; 27,2; 101,3; Ass.Mos.7,9), vielleicht aber auch andere dem Enthusiasmus der Gnosis entstammende Äußerungen (vgl. l.Kor. 12,3). Schließlich wird noch der Vorwurf erhoben, daß sie sich um ihres (wahrscheinlich finanziellen) Vorteils willen (vgl. V. 11) an begüterte oder einflußreiche Leute heranschmeicheln, wieder ein stereotyper Vorwurf gegen Irrlehrer (vgl. auch schon Ass. Mos. 5,5).
4. Mahnung an die Gemeinde (V. 17-23) 17 Ihr aber, Geliebte, gedenkt der Worte, die von den Aposteln unseres Herrn Jesu Christi vorausgesagt worden sind, 1 8 denn sie sagten euch: Am Ende der Zeit werden Spötter auftreten, die nach ihren gottlosen Begierden ihr Leben führen. 18 Diese sind es, die die Spaltungen (in verschiedene Klassen von Menschen) verursachen, Psychiker ( = die nur eine irdisch-vergängliche Seele haben), die den
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Jud. 17-23: Mahnung an die Gemeinde
Geist nicht haben. 2 0 Ihr aber, Geliebte, erbaut euch auf eurem heiligsten Glauben! Betet im heiligen Geist! 21 Bewahrt euch in der Liebe Gottes, und wartet auf das Erbarmen unseres Herrn Jesus Christus zum ewigen Leben! 2 2 Und der einen, die zweifeln, erbarmt euch, 2 5 und rettet 'sie, indem ihr sie aus dem Feuer herausreißt. Der anderen erbarmt euch in Furcht und haßt auch den vom Fleisch befleckten1 Rode! Nach einer Erinnerung an die Vorhersage der Apostel (V. 17), die das Auftreten von Irrlehrern in der Endzeit geweissagt haben (V. 18), und einer Absage an häretische Klassifizierungen (V. 19) mahnen V. 20-23 die Gemeinde zur richtigen Reaktion: Sich auf dem Fundament der orthodoxen Glaubenstradition erbauen (V. 20), sich in der Liebe Gottes bewahren und warten (V. 21). Der Abschnitt schließt mit einer zweigliedrigen Verhaltensregel: einmal gegenüber den Schwankenden (V. 22) und zum anderen gegenüber denen, die der häretischen Propaganda bereits erlegen sind (V. 23). 17
Nach der Irrlehrerpolemik wendet sich der Verfasser zum Schluß wieder an die Gemeinde und versucht ihr zunächst klarzumachen, daß das Auftreten von Irrlehrern sie nicht zu überraschen braucht, sondern sozusagen planmäßig erfolgt. Die Apostel - hier wird klar, daß der Verfasser nicht zu ihnen gehört - haben das längst vorausgesagt, so daß es nur der Erinnerung an die die geschichtliche Entwicklung voraussehenden Worte dieser maßgebenden Autoritäten bedarf, um dem ärgerlichen Phänomen der Häresie seinen Stachel zu nehmen. Während die apostolische Zeit ganz unneutestamentlich als Zeit der Voraussage von der Endzeit abgesetzt wird (dadurch zugleich als von Abfall und Irrlehre noch freie heilige Vergangenheit), gilt die Gegenwart als letzte Zeit und damit als Zeit der Erfüllung der
18 apostolischen Weissagung. Daß es in den letzten Zeiten zu Abfall und Irrlehre kommen wird, ist ebenso verbreitete apokalyptische Anschauung (vgl. Sib. III 68; II 165f.; Ass.Mos.7; M k . l 3 , 6 . 2 2 p a r . ; l . T i m . 4 , 1 ; 2 . T i m . 3 , l f f . ; Did. 16,3) wie die Annahme, daß sittliche Auflösungserscheinungen ein Zeichen des Endes sind (vgl. 4. Esr. 5 , 1 f.; ä t h . H e n . 9 1 , 6 f . ; Sib. V 7 4 ; l Q p H a b . I I 5 f f . ; Ass. Mos. 7 , 3 ff. u.ö.; M t . 2 4 , 1 2 ; 2 . T i m . 3 , l f f . ; Did. 1 6 , 3 f . ) . Die damit als endzeitliches Phänomen charakterisierten Irrlehrer werden hier als „Spötter" bezeichnet. Worüber sie gespottet haben, wird nicht gesagt und darf nicht von 2. Petr. 3 , 3 f. her erschlossen werden. Vielmehr ist Spott hier allgemein die durch Hybris und Mutwillen gekennzeichnete Geringschätzung der nach V. 3 ein für allemal fixierten (vgl. auch V. 20) kirchlichen Lehre, wozu natürlich auch Ethik und Eschatologie zählen. Wieder müssen die Begierden herhalten, um die Abweichung der vorausgesagten Spötter wenigstens auf dem Gebiet der Moral andeuten zu können. 19
V. 19 klingt wie eine Antithese zur Lehre der hier eindeutig als gnostisch zu kennzeichnenden Häretiker, die sich den normalen Christen z. B. durch esoterische Offenbarungen und exzessive Freiheit (vgl. V. 9) überlegen wußten. Sie haben die Unterscheidung zwischen den Pneumatikern, die den göttlichen Lichtfunken der himmlischen Welt (Pneuma) in sich haben, und den Psychikern, die dieses Element der göttlichen Sphäre nicht besitzen, sondern nur eine irdisch-vergängliche niedrige „Seele" (Psyche) haben, eingeführt (vgl. dieselbe Unterscheidung in 1. Kor. 2 , 1 3 ff.,
Jud. 17-23: M a h n u n g an die G e m e i n d e
237
wo Paulus die Terminologie der korinthischen Gnostiker übernimmt; vgl. auch 15,44). Damit aber haben sie „Abgrenzungen" und „Zerteilungen" vorgenommen (vgl. zu 2. Petr. 2,1), die der Verfasser nun umdreht und gegen die Irrlehrer richtet: Die angeblichen Pneumatiker haben das Pneuma (nun verstanden im Sinn des Geistes Gottes) gerade nicht. Sie werden nicht vom Geiste Gottes bewegt, gelenkt und belehrt, sondern von dem, was dieser Welt gehört. V. 20-23 mahnen zum rechten 20 Verhalten gegenüber den Irrlehrern und der von ihnen ausgehenden Gefahr. Im Unterschied zu ihnen, die das solide und unantastbare Fundament der apostolischen Lehrtradition verlassen haben, sollen sich die Leser auf dem „hochheiligen Glauben" (wieder verstanden als Summe der kirchlichen Glaubenssätze) als der einzig tragfähigen Grundlage auferbauen (zum Bild vgl. 1. Kor. 3,10ff., wo aber anders als hier und Eph. 2,20 Christus selbst das Fundament ist). Dazu soll das Gebet im heiligen Geist treten. Ob das als Antithese zu einer gnostischen Kritik am Gebet zu verstehen ist, wie sie etwa im Thomas-Evangelium (Spruch 6 und 14) vorliegt, ist nicht zu sagen, doch da den Gegnern der Geist bestritten wird, der ja als treibende Kraft zum Gebet nötig ist (vgl. Rom. 8,15.26; 1. Kor. 12,3; Gal. 4,6; Eph. 6,18), rechnet der Verfasser offenbar nicht damit, daß die Irrlehrer beten. Es gilt freilich, 21 sich nicht allein auf das Wirken des Geistes zu verlassen, sondern auch selbst dafür Sorge zu tragen, daß man in dem vom Geist und der Liebe Gottes erfüllten Raum bleibt. Da wahrscheinlich'„Gottes" ein gen. subj. ist (vgl. außer V. 2 weiter Rom. 5,5; 8,39; anders z. B. Lk. 11,42; 2. Thess. 3,5), würde damit möglicherweise auch hier ein Zusammenwirken (Jak. 2,22) von Gott und Mensch gepredigt. Vielleicht hat man die Mahnung aber auch mehr im Sinn der paulinischen Paradoxie (vgl. Phil. 2,12 f.) oder des johanneischen „Bleibens" (Joh. 15,9; 1. Joh. 3,17 u. ö.) und „Bewahrens" (1. Joh. 2,5 u. ö.) zu verstehen (vgl. V. 24f., wo das Bewahren Tat Gottes ist). Jedenfalls bleibt der Christ einer, der auf dieses Erbarmen Christi zu „warten" hat (vgl. Lk. 2,25; Rom. 8,23.25; Tit. 2,13 u. ö.). Diese Barmherzigkeit ist hier mit dem endzeitlichen Erscheinen Christi in der Zukunft verknüpft (zum eschatologischen Sinn von „Erbarmen" vgl. äth. Hen. 27,3; Ps. Sal. 18,6; Mt. 5,7; 2. Tim. 1,18), wenn er die Christen zum „ewigen Leben" führt. In der Mahnung 22-23 V. 22-23 ist der Text sehr unsicher überliefert, so daß je nach der textkritischen Entscheidung eine zwei- oder dreigliedrige Verhaltensregel herauskommt. Die oben der Übersetzung zugrunde gelegte zweigliedrige Textform scheint die schwierigere und ursprünglichere zu sein, aus der heraus sich die dreigliedrige entwickelt hat, doch sicher ist das nicht. Kommt diese Entscheidung für die Zweigliedrigkeit dem Urtext am nächsten, dann werden zwei Gruppen unterschieden. Die erste sind die Zweifler, die offenbar durch die Argumente der Irrlehrer beeindruckt und verwirrt worden sind und der Wahrheit der kirchlichen Orthodoxie nicht mehr unkritisch gegenüberstehen, sondern zwischen dem Für und Wider hin und her schwanken (vgl. Jak. 1,6). Der Verfasser hält sie für so gefährdet, daß sie gerade noch dem Feuer entrissen werden können, um gerettet zu werden, so wie Paulus in 1. Kor. 3,15 erklärt, der „schlechte Baumeister" könne wie ein schon angekohltes Holzscheit mit knapper Not dem Feuer noch entkommen (vgl. Am. 4,11; Sadi. 3,2). Allerdings dürfte der Verfasser das „Feuer" anders als Paulus nicht mehr nur als Bild, sondern als Gerichtsfeuer (vgl. V. 7) verstehen. Um so dringlicher ist das er-
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Jud. 24-25: Der abschließende Lobpreis Gottes
barmende Eingreifen der Gemeinde. Bei der zweiten Gruppe mahnt der Verfasser nach dem überlieferten T e x t zwar auch zu einem Sich-Erbarmen (manche Exegeten konjizieren den T e x t und ändern das eleate in ekbalete oder elasate: „verstoßt sie" oder „treibt sie aus", was natürlich besser passen würde), gleichwohl hält er hier jeden direkten Kontakt der Gemeinde mit ihr für beängstigend und aussichtslos. Diese Gruppe gilt offenbar schon als hoffnungslos verloren. Bei aller Sorge um das Heil auch dieser Leute und bei aller Fürbitte für sie (so ist das Sich-Erbarmen wohl am ehesten zu interpretieren, vgl. Ign. Smyrn. 4 , 1 ; Did. 2 , 7 ) ist hier eher „Furcht" am Platz; denn sie sind offenbar so sehr von der Wahrheit ihrer Lehre überzeugt, daß die Gemeinde dabei nur vom Bazillus der Häresie infiziert werden kann. Nicht nur die geistige Nähe, sondern „auch der vom Fleisch (hier wohl = von Ausschweifung) befleckte Rock" ist zu meiden. Entweder heißt das, daß die pneumatische oder dämonische Art eines Menschen bis in seine Kleidung hinein ausstrahlt und ansteckt (vgl. M k . 5 , 2 7 f . ; Apg. 19,11 f.). Oder aber der Verfasser spricht auch hier die Sprache seiner Gegner (vgl. auch 2. Petr. 1 , 1 4 : „Ablegen") und meint mit dem von Unsittlichkeit befleckten „Rock" den Leib. Dieser wird ja so oder ähnlich oft in gnostischen Texten charakterisiert: „fehlerhafter R o c k " (Ginza 4 9 6 , 1 3 ) , „schmutziges und unreines Kleid" (Thom.-Acten 111), „zerschlissene Fetzen" (Ev. der Wahrheit 2 0 , 3 1 ; dasselbe W o r t Chiton z.B.: Corp.Herrn. VII 2 f . u.ö.). Selbst die Offb. bestätigt solche Ausdrucksweise, wenn sie in 3 , 4 die „Befleckung der Kleider" als Unzucht mit dem Leibe versteht (vgl. Offb. 1 4 , 4 ) und unter den erwarteten „weißen Kleidern" wie andere Stellen (äth. Hen. 6 2 , 1 5 f. u. ä.) die himmlischen Leiber. Jeder persönlichen Berührung mit den Irrlehrern, die bis in ihre Leiblichkeit hinein von ihrem libertinistischen Wesen geprägt sind, ist mit Abscheu aus dem Wege zu gehen. Jetzt erst zeigt sich ganz, wie groß die von den Irrlehrern ausgehende Gefahr tatsächlich ist.
Der abschließende
Lobpreis Gottes (V. 24-25)
Dem aber, der die Macht hat, euch vor dem Fall zu bewahren und euch ohne Fehl in Jubel vor seine Herrlichkeit zu stellen, ** dem alleinigen Gott, unserem Retter durch Jesus Christus, (kommt) Herrlichkeit, Majestät, Kraft und Herrschaft (zu), vor aller Zeit, jetzt und in Ewigkeit. Amen. 14
24
Der übliche Briefschluß fehlt. Stattdessen beschließt eine feierliche Doxologie den Brief (vgl. 2. Klem. 2 0 , 5 ) . Die Feierlichkeit der liturgischen Sprache steht in starkem Kontrast zu den z. T . grellen T ö n e n der Irrlehrerpolemik. Freilich ist auch der liturgische Stil traditionell, wie die Parallelen in Rom. 1 6 , 2 5 - 2 7 ; Eph. 3 , 2 0 ; 1. Thess. 5 , 2 3 ; 1. Tim. 1 , 1 7 ; 6 , 1 5 f . ; 1. Petr. 4 , 1 1 ; Mart. Polyc. 2 0 , 2 erweisen. Das schließt bestimmte Besonderheiten wie einzelne Hinweise auf die Irrlehrer nicht aus. Der Lobpreis richtet sich an Gott. Der aber wird nun gepriesen als derjenige, der die Gemeinde vor Abfall und Abweichung zu bewahren vermag, womit noch einmal die Größe der durch die Gnostiker heraufbeschworenen Gefahr anklingt. N u r die, die auf Grund seiner Macht nicht dem Libertinismus verfallen und ohne Tadel vor ihm in seiner offenbaren Herrlichkeit zu stehen vermögen (vgl. 1. Thess. 3 , 1 3 ; 5 , 2 3 ; 1. Kor. 1 , 8 u. ä.), werden in den eschatologischen Jubel (vgl. zu 1. Petr. 1 , 6 und 4 , 1 3 )
25 einstimmen können. Das nochmalige Bekenntnis zu dem einen Gott ist kaum als
Jud. 24-25: Der abschließende Lobpreis Gottes
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Antithese zum Dualismus der Gnosis oder zum Polytheismus des Heidentums zu hören, sondern gehört zum liturgischen Stil (Rom. 16,27; 1.Tim. 1,17; 6,15f.; Offb. 15,4). Zweifellos mußte es dem Verfasser aber sehr willkommen sein, in gottesdienstlicher Sprache noch einmal (vgl. V.4) die Einheit des Schöpfer- und Erlösergottes betonen zu können. So wird auch der Titel „Retter" nicht wie sonst überwiegend im Neuen Testament dem Christus, sondern Gott zuerkannt (ebenso Lk.1,47; 1.Tim. 1,1; 2,3; 4,10; Tit. 1,3; 2,10; 3,4), und zwar eben als dem Heilbringer, der aus ewigem Unheil, aus Tod und Verderben herausreißt. Er rettet und erlöst freilich allein „durch Christus". Allerdings könnte „durch Christus" entsprechend Rom. 16,27; Kol. 3,17; 1. Petr. 4,11 auch zur Doxologie gezogen werden. Allein Gott eignet zu aller Zeit Herrlichkeit, Majestät, Kraft und Herrschaft (ähnliche mehrgliedrige Formeln l.Chron.29,11; Offb.5,13; 7,12 u.ö.). Zwar kommt ihm solche Herrlichkeit und Herrschaft auch ohne die Menschen zu (die oft vorgenommene Ergänzung des Satzes durch die Prädikats-Kopula „sei" ist eine Abschwächung und schon durch „vor aller Zeit" sinnwidrig), aber die Gemeinde soll mit ihrem Hymnus in den ewigen Lobpreis einstimmen und ihn vermehren (vgl. 2. Kor. 4,15).
Namen- und Sachweiser Bearbeitet von Gotthold
Holzhey
Die im Bibeltext enthaltenen Namen und Begriffe können in den biblischen Nachschlagewerken, Konkordanzen u. ä. aufgesucht werden; darum sind in diesen Namen- und Sachweiser nur solche Stichworte aufgenommen, zu denen in der Texterklärung Ausführungen vorliegen. Dies gilt auch für weniger bekannte Fachausdrücke, die im Duden nicht oder unzureichend erklärt sind. Die Zahlen beziehen sich demnach auf die Erklärungen zu den betreffenden Textabschnitten. Um Wiederholungen zu vermeiden und doch die in vielerlei inneren Beziehungen zueinander stehenden Begriffe möglichst vollständig darzubieten, sind entsprechende Hinweise gegeben, wobei der vorwärts oder rückwärts gerichtete Pfeil (-* *-) stets auf das Stichwort verweist, unter dem zu suchen ist. Die bei einzelnen Erklärungsabschnitten hinzugefügten besonderen „Ausführungen" sind mit dem Buchstaben A gekennzeichnet Abendmahl [Agape, Eucharistie, Herrenmahl, Liebesmahl] (-»• Sakrament) l.Petr. 2,12; 2.Petr. 2,13b; l.Joh. 5,6; Jud. 12 Abfall vom Glauben, von Gott [Rückfall] (-»-Unglaube) l.Petr.5,8; 2.Petr. 2,20; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 9; l.Joh. 1,7; 2,23; 3,8.14; 5,12.14.17; Jud. 18.24 f. Abraham Jak. 2,21 ff.; 2,26 A; l.Petr. 3,6 Älteste, „der": Einl. Joh.-Br. Abschnitt 4.5; 2.Joh. 1.8.11 f.; Einl. 3.Joh.; 3.Joh.2ff. 9 f.13 ff. Älteste [namt] (Presbyter) Jak. 5,14 ff.; 1. Petr.5,1 ff.; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 5; 3.Joh. 9 Antichrist [Gegenchristus] Einl. Joh.-Br. Abschnitt 2.6; l.Joh. 2,18 ff.; 3,4; 4,1 ff.; 5,16; 2.Joh.7ff. Apokalyptik [jüdische und urchristliche Vorstellungswelt und Literaturgattung mit Enthüllungen (griech.: apokalypsis) über Gottes Geschichtsplan, das „Jenseits", Naherwartung u.ä. (vgl. Einleitung zur Offb.)] (i. A.) Jak. 1,10.11.12; 5,1; l.Petr. 1,1.9; 2,5; 3,19-20a A; 4,17; Einl. 2. Petr. Abschnitt 3; 2.Petr. 2,4; l.Joh. 2,18; Jud. 17 Apostelamt (Glaubens- und Lehrtradition) 1.Petr. 1,1; 5,1; Einl. 2.Petr. Abschnitt 2; 2.Petr. 1,1.3.16 ff.; Einl. Jud. Abschnitt 1.3; Jud. 3.17 Armen, die [Armut] Einl. Jak. Abschnitt 5; Jak. 1,9 ff.27; 5,2 ff. Auferstehung Einl. zu Jak. 1,2-18; l,2ff,12; Einl. l.Petr. Abschnitt 2; l.Petr. 1,6.8;
4,19; 5,12; Jud. 5. ~ [Auferweckung] Jesu Christi: Einl. Jak. Abschnitt 1; Jak. 2,26 A; 1.Petr. 1,3.11.13.20; 2,4; 3,18 ff.21; 2.Petr. 1,17.18; 3,13 A; l.Joh. 1,1; 5,7.8. ~ der Toten: Einl. 2.Petr. Abschnitt 5; 2.Petr. 1,17.18; 3,13 A Babel, Babylon (Rom) Einl. l.Petr. Abschnitt 4; l.Petr.5,13 Barmherzigkeit [Erbarmen] (Gottes) Jak. 2,13; 3,17; 5,11; l.Petr. 1,3; 2,9.10; 3,8; 2.Joh. 3; Einl. Jud. Abschnitt 1; Jud. 2.21 Begehren, Begierde Jak. 1,14.15; 4,1-12.1 ff.; 1.Petr. 1,14 ff.; 2,11; 4,1; 2.Petr. 1,4; 2,10. 13b.l4; 3,3; l.Joh. 2,16; Jud. 8 ff. Bekenntnis [Glaubensbekenntnis] zu Gott und Christus: l.Petr.4,1-6; Einl. Joh.Br. Abschnitt 10; l.Joh. 1,9; 2,22 f.; 3, 23 f.; 4,1 ff.13 ff.; 5,1.9ff.l3.20f.; 2.Joh. 9; Jud. 3f~5 Berufung l.Petr. 2,9.10; 2.Petr. 1,10 Bewahrung l.Petr. 1,5; 4,19; Jud. 21 Bewährung (im Glauben) l.Petr. 1,13; 2,9. 10; 4,12; 5,8 ff. Bileam 2.Petr. 2,15 f.; Jud. 11 Bleiben (in Gott und Christus): Einl. Joh.Br. Abschnitt 9; Einl. l.Joh.; l.Joh. 2,6 ff. 10.27.28 f.; 3,2.5.9.23 f.; 4,1.11; 5,12; 2.Joh. 2.9; Jud. 21 Blindheit (bildl.) 2.Petr. 1,9; l.Joh. 2,11; 3,1 Blut Jesu Christi ( - * Sühne) l.Petr. 1,2.19; l.Joh.5,6 ff.; 5,7.8 A Böse[s] l.Petr. 3,9.12 f.; l.Joh. 1,7; 2,15; 3,16; 4,1.4.6; 5,4.16.18. ~ und Gutes l.Petr. 3,9; l.Joh. 1,5 A; 5,19; 3 . J o h . l l .
Namen- und Sachweiser ~ vergelten -»-Vergeltung. „der": -»Teufel Bosheit l.Petr. 2,1.16 Bruderhaß [Brudermord] (-+ Haß) Einl. Joh.-Br. Abschnitt 6; l.Joh. 1,6; 2,9 ff.; 3,11 ff. Bruderliebe [Bruderschaft] (->- Liebesgebot, -»-Nächstenliebe) l.Petr. 1,22 ff.; 2,17; 4,8 f.; 5,14; 2.Petr.l,7; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 6.9.10; Einl. l.Joh.; l.Joh. 2,9.15; 3,5.10.11 ff.; 4,2.7ff.19 ff.; 5,lff.l2; 2.Joh. 2.4 ff.; 3.Joh. 10 Buße [Umkehr, Bekehrung] Jak. 4,9; 5,20; 1.Petr.3,1 f.; 2.Petr. 3,9 Charisma Gnadengabe Christen[heit] (->- Kirche, ->- Gottesvolk) und Heiden: l.Petr.2,12.15; 4,3£f. Staat und -«-. ~ und Welt: -- Apokalyptik, -»- Endgericht, -> Eschatologie, -»- Parusieerwartung) Jak. 5,1-6; l.Petr. 1 ff.8; 2,7.11; 4,711.7; 5,7 f.; Einl. 2. Petr. Abschnitt 2.3.5.7; 2.Petr. 3,13 A;3,18; Einl. Joh.-Br. Ab-
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schnitt 6; l.Joh. 2,18.25; 4,17 f.; 2.Joh. 10; Jud. 18 Endgericht (Strafgericht, Weltgericht) Jak. 2,12f.; 3,1; 5,1-6.2-3; 5,7.9; l.Petr. 1,9; 2,6f.l2.23; 4,5.17 f.; 2.Petr.3,7; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 6; l.Joh. 2,17 f.28; Jud. 4.5 ff.14.23 Engel [mächte] (-»- Mächte) l.Petr. 1,12; 2.Petr. 2,10 f.; 3,10; Einl. Jud. Abschnitt 2; Jud. 6 f.8. gefallene: l.Petr. 3,19-20a; 3,19-20a A; 2.Petr.2,4; Jud. 6 f. Erbarmen -»-Barmherzigkeit Erbe[n] (eschatologisdi) l.Petr. 1,4f.; 3,7 Erhöhung Jesu Christi l.Petr. 3,18-22; 1.Joh. 2,1; 5,7.8. ~ der Menschen Jak. 4,10; l.Petr.5,6 Erkennen, Erkenntnis (-»- Gnosis) Gottes und Jesu Christi: 2.Petr. 1,2.5 ff.; 2,20; 3,18; Einl. Joh.-Br. Absdinitt 9; l.Joh. 2,3.6.12-17.13 f.21; 3,17; 4,6.7; 5,20; 2.Joh. 9 Erlösung Jak. 1,18; l.Petr. 1,18; 2,18; Einl. Joh.-Br. Absdinitt 3.9; l.Joh. 1,5 A; Einl. Jud. Abschnitt 2. ~ durch Jesu Tod: l.Petr. 1,18; 3,19-20 A; l.Joh.2,2 Erniedrigung Jesu l.Petr. 3,18-22; l.Joh. 2,23; 4,2 Erscheinung Gottes und Jesu Christi Jak. 5,7; l.Petr. 1,6.21; l.Joh. 1,2; 3,2 Erwählte, Erwählung (->- Vorherbestimmung) Einl. Jak. Absdinitt 5; l.Petr. 1,1 f. 15.16; 2,9.10; 2.Petr. 1,10; Jud. 1 f. Esdiatologie [Auffassungen von Endzeit, Endgericht und endgültigem Heil] (i. A.) (—>• Enderwartung, -»• Endgericht) Jak. 1,12; 3,6.17 A; Einl. l.Petr. Abschnitt 6; 1.Petr. 4,7 f.; Einl. 2.Petr. Abschnitt 2.5.7; 2.Petr. 1,4; 3,2.13 A; Einl. Joh.-Br. Absdinitt 6; l.Joh. 2,9.18; 3,3; 4,4; 5,7.8; Jud. 18 Ethik [Sittlichkeit] (i.A.) ( - • Tat, Tugend) Einl. Jak. Absdinitt 2.3; Jak. 2,26 A; 2.Petr. 3,11.14 Evangelium l.Petr. 1,25; 2,2; 4,6 Feuer[sglut] Jak. 3,5; l.Petr.1,7; 4,12; 5,7; 2.Petr. 3,5.7.12; Jud. 23 Finsternis l.Petr. 2,9.10; 2.Petr.l,19; Einl. Joh.-Br. Absdinitt 6; l.Joh. 1,1-4.5; 1,5 A; 1,6; 2,11; 3,12f.; 5,20f. ~ und Lidit-eFleisch l.Petr. 2,11; 3,18-22.18; 4,1.6; 2.Petr.2,14. ~ und Geist -Endgericht) Jak.4,12; 5,1-5.7; l.Petr. 1, 17; 2,12; 4,5 f.; 5,6; 2.Petr. 3,9.14; Einl. Joh.-Br. Absdinitt 6; l.Joh. 3,21 f.; 4,17; 5,16. ~ Jesu Christi (-»-Richter) l.Joh. 4,17; Jud. 14. ~ nach den Werken: -- Antichrist) l.Petr. 2, 13-17.13.17; l.Joh.2,18 Kanon, neutestamentlicher: Einl. Kath. Abschnitt 1.2; Einl. Jak. Abschnitt 7; Einl. l.Petr. Abschnitt 1; Einl. 2.Petr. Abschnitt 1.6; 2.Petr. 3,16; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 1; Einl. Jud. Abschnitt 4 Katholische Briefe Einl. Kath. Abschnitt 1-3; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 1. Verhältnis zu den Paulusbriefen: Einl. Kath. Abschnitt 1.2.3; Einl. Jak. Abschnitt 1 Kerygma [Heilsbotschaft, -zusage] Einl. l.Petr. Abschnitt 2; Einl. Jud. Abschnitt 1 Kinder Gottes (Christen; Gotteskindschaft) l.Petr. 1,4.17.23; l.Joh. 1,1-4; 2,29; 3,1 ff.
6.13.18; 5,15; 2 . J o h . l ; 3.Joh. 1.4. ~ des Teufels: l.Joh.3,12f.; Jud. 11 Kirche [Christenheit] (-»-Gemeinde) l.Petr. 1,22; 2,9.10; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 5; 3.Joh.3,9f.l5; Einl. Jud. Abschnitt 3 Kirchenordnung Einl. l.Petr. Abschnitt 6 Kirchenzucht 3.Joh.9f. Knecht Gottes und Christi (Gottesknecht): Jak. 1,1; l.Petr. 2,22.24; 3,17 A; 2.Petr. 1,1; Jud. 1 f. Knechtschaft und Freiheit ~ und Sünde: -»- Tod Jesu Christi Krankenheilungen Jak. 5,14 ff.; 5,16 A; 1. Petr. 2,24 Krankheit Jak. 5,14 ff. ~ und Sünde Jak. 5,15 f. Kreuz Jesu Christi Einl. Joh. Abschnitt 1; Jak. 2,26 A; l.Petr. 2,24; 2.Petr.3,13 A; 3,17 A; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 3; l.Joh. 1,2; 5,6 Langmut Gottes 2.Petr. 3,9.15 Lasterkatalog Jak. 1,21; 4,11; l.Petr.2,1; 4, 3; Einl. Jud. Abschnitt 1 Lästerung (-»- Gotteslästerung) 2.Petr. 2,2. 10 ff.; Jud. 9 f. Lauterkeit Jak. 3,17; l.Petr. 3,2 Leben, ewiges Jak. 1,12; l.Petr.3,7; 4,6; l.Joh. 1,2; 2,22.25 ; 5,12.13; 2.Joh.8; Einl. Jud. Abschnitt 1; Jud. 21. wahres: Einl. l.Joh.; l.Joh. 1,4; 2,22.25.28; 3,11. 14 f.; 4,2.5; 5,7.8.13; 2.Joh.8,3; 3.Joh.8. ~ aus Christus: l.Joh. 1,2; 2,23; 3,11 ff.; 4,5.9; 5,20. ~ und Tod: l.Joh. 1,2; 3,14 f. Lehrer, Lehramt Jak. 3,1-12.1 f.13-18 Lehrtradition -> Apostelamt Leid, Leiden Jak. 5,10 f.; Einl. l.Petr. Abschnitt 2.3.4.6; l.Petr. 3,17 A; 4,12-19. ~ Christi: Einl. l.Petr. Abschnitt 6; l.Petr. 1,11; 2,7.18-25.21-25.21 £f.; 3,17 A; 3,1822.18; 4,1-6.12-19.13; 5,1; l.Joh. 1,2; 3, 16. Verhältnis der Christen zum: l.Petr.2,19 f.21 ff.; 3,13-17.13 ff.; 3,17 A; 3,18-22.22; 4,1-6.1.12ff.; 5,1.8ff. ~ und Sünde: l.Petr.3,17 A Leugnung Gottes und Christi (->- Irrlehrer) l.Joh. 2,18 ff.22£f.26 f.; 3,4.15.17; 4,3; 5, 5.16.21; Jud. 4. ~ der Wiederkunft Christi: ->- Wiederkunft Libertinisten (-»-Irrlehrer) Einl. 2.Petr. Abschnitt 4; 2.Petr. 2,3.8.10.13b ff.; Einl. Jud. Abschnitt 2; Jud. 4,9 ff. Licht l.Joh. 1,5 A; 1,7; l.Petr.2,9.10. ~
Namen- und Sachweiser und Finsternis: Einl. Joh.-Br. Abschnitt 6; l.Joh. 1,1-4.5; 1,5 A; 1,6; 2,8 ff.23; 4,9. ~ Gott und Christus: 2.Petr. 1,19; l . J o h . 1,5; 1,5 A; 1,7; 2,22; 4,9; 5,20 Liebe 2.Petr. 1,5 f.7; Einl. l . J o h . ; l . J o h . 3, 15 f.18 ff.; 4,1.7 £f,13 ff. Gott (Christus) ist: l.Joh. 4,7 ff.; 5,20. ~ Gottes: l.Petr. 2,9.10; l . J o h . 2,5a.l5; 3,7; 4,7ff. 13 ff.; Jud. 2,20 f. ~ Christi: Liebesgebot. ~ zu Gott und Christus: J a k . 1, 12; l.Petr 1,8; 2,17; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 9; l . J o h . 2 , 1 5 f.; 4,12.13 ff.; 5,1 £f. ~ zu den Brüdern -»-Bruderliebe. ~ zu den Feinden: l.Petr. 3,9. ~ und Furcht: Liebesgebot [Jesu] (-»-Bruderliebe, - > G e bot) Einl. Kath. Abschnitt 3; Einl. J a k . Abschnitt 2; Jak. 2,18 ff.; 2,26 A; 4,11; l.Petr.4,8; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 6.9; l.Joh.2,7.9ff.23; 3,5.16 f.23; 4,19ff. Lobpreis [Gottes und Christi] (Hymnus) Jak.5,13; l.Petr. 1,3.12.18.22; 4,1-6; 5, 11; 2.Pctr. 3,18; Einl. Jud. Abschnitt 1; Jud. 24 f. Logos -»-Wort Lot 2.Petr. 2,7; Jud. 7 Lüge l.Joh. 2,15; 3,8.12 f. ~ und Wahrheit Macht, Mächte (-»- Engelmächte) himmlische und irdische: Jak. 3,13 ff.; l.Petr. 3,22; 2.Petr.3,13 A. ~ Gottes und Christi: l.Petr. 1,5; 5,6.10; 2.Petr. I , 3 f . l 6 ; 2, 10; l.Joh. 3,12ff. Mann und Frau (-»-Ehe) l.Petr.3,1 ff.7 Menschenfurcht -»-Furcht Mensch [sein] J a k . 3,9.10; 4,5; l.Petr. 1,24; 3,4; 2.Petr. 1,14. Vergänglichkeit Menschwerdung Jesu ->- Erniedrigung, -*Sohn Gottes Messiaserwartung —>- Enderwartung Michael 2 . P e t r . 2 , l l ; Jud. 9 f. Mission -»-Heidenmission Mysterienkult(e) [Götterkulte, die in geheimen Mysterien (Einweihung, Reinigung, Wiedergeburt u. a.) Vergottung und Leben im Jenseits versprechen] l.Petr. 1,3; 2,2 Mythos, Mythologie 2.Petr. 1,16; 2,3; 3,7
l.Petr.3,19-20a
A;
Nächste[nliebe] (-»- Bruderliebe, -»• Liebesgebot) J a k . 2,8 ff.; 4,11; l.Petr. 4,8; l . J o h . 3,16 f.; 4,12.21
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Naherwartung -»-Wiederkunft Christi Name Jesu Christi (-»-Taufe) J a k . 2 , 7 ; 5, 14; l.Petr. 2,12; l.Joh. 3,23. Dienst im: 3 . J o h . 3 Neid Jak. 4,2; l.Petr. 2,1 Niedrigkeit Jak.4,6.10; l.Petr.5,5. ~ Jesu -»• Erniedrigung Noah l.Petr. 3,19-20a; 3,20b.21; 2.Petr.2 r 5 Nüchternheit l.Petr 1,13; 4,7; 5,8 Obrigkeit -*• Staat Offenbarung Gottes (in Christus) l.Petr. 1,3-20ff.; l . J o h . 3 3 ; 5,7.8 A . ~ Jesu Christi: l.Petr. 1,7.13; 4,13; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 6; l . J o h . 3,12; 5,20; 2 . J o h . l ölsalbung -»-Salbung Opfer[kult] l.Petr. 1,19; 2,5. geistliche: 1.Petr. 2,5 Opfertod Christi -»-Sühnopfer, -»-Tod Paränese [ethische Ermahnung; auch Schrift ermahnenden Inhalts] Einl. Jak. Abschnitt 3 u. ö. Parusieerwartung -»-Wiederkunft Jesu Passalamtn l.Petr. 1,19 Paulusfbriefe], Verhältnis zu anderen Briefen: -»-Kath. Briefe, -»-Jakobusbrief, -*• Joh.-Briefe, -»-Petr.-Briefe, -»-Judasbrief Petrus Einl. Kath. Abschnitt 3; Einl. l.Petr. Abschnitt 1.4.5; l.Petr.5,1; Einl. 2.Petr. Abschnitt 2.6; 2.Petr. 1,1.13 f. Petrusbriefe (Verfasser, Empfänger u. a.) Einl. Kath. Abschnitt 1.3.5; Einl. l.Petr. Abschnitt 1-6; l.Petr. 1,1; 5,1.12; Einl. 2.Petr. Abschnitt 1-7; 2.Petr. 1,1.12-20. 13 ff.; 3,1. Verhältnis zur paulinischen Verkündigung: Einl. l.Petr. Abschnitt 1.5.6; l-Petr. 2,11.13-17.16; 3,8; 3, 17 A; 4,1.8.10; Einl. 2.Petr. Absdinitt 2. 4-5; 2.Petr. 3,13 A; 3,15 f. Verhältnis zum Judasbrief: Einl. 2.Petr. 1,4; 2.Petr. 2,1.4.13b ff.; Einl. Jud. Abschnitt 4 Plan[en] Gottes l.Petr. 1,6. menschlidies: Jak. 4,13-17.13 ff. . Pneumatiker [Geistträger; in der Gnosis die höchste Stufe des Menschseins] Jud. 19 Prädestination -»-Vorherbestimmung Präskript [Briefeingang] Jak. 1,1; l.Petr. 1,1 usw. Presbyter -»-Älteste Priester[tum] l.Petr. 2,5.9.10 Propheten, alttestamentliche: Jak. 5,1.10; 1.Petr. 1,10 ff.; Einl. 2.Petr. Abschnitt 4; 2.Petr. 1,19 ff.; 3,2. falsche: Einl.Kath.
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Namen- und Sachweiser
Abschnitt 3; 2.Petr.2,l; l.Joh.4,l£f.; 3.Joh. 8 Prüfung (->• Versuchung) des Geistes l.Joh. 4,1 Psydiiker Jud. 19 Quelle[n] Jak. 3,11-12. wasserlose: 2.Petr. 2,17 Qumran Einl. Joh.-Br. Abschnitt 10; l.Joh. 1,5 A; l.Joh.2,10 Rechtfertigung[slehre] Einl. Jak. Abschnitt 1; Jak.2,14£f.; 2,26A Reich Gottes und Christi (->- Gottesherrschaft) Jak. 2,5; 2.Petr.l,ll Reichen, die [Reichtum] Jak. 1,9ff.; 2,2ff.; 4,13-17; 5,1 ff.1-6 Reinigung, kultische (-»-Heiligung) Jak.4, 8; l.Petr. 1,22 Retter: Gott und Christus (->- Heiland) 2.Petr. 1,1 f.; 2,20; 3,2; l.Joh.4,14; Jud. 23 f. Rettung (aus dem Gericht) Jak. 2,14; 2,26 A; l.Petr. 1,9; 3,20b; 2.Petr.2,9; l.Joh. 2,28
Richter: Gott und Christus (-»-Gericht): Jak.4,11; l.Petr. 1,17; 3,7; 4,8; l.Joh.4, 17; 5,7.8; Jud. 14 Rom (-»-Babylon) l.Petr. 2,13-17. Gemeinde in: l.Petr. 5,13 Sakrament[e] (->• Abendmahl, ->- Taufe) l.Petr.2,2; l.Joh.5,7.8.12. gnostische: Einl. Jud. Abschnitt 2 Salböl, Salbung Jak.5,14; l.Joh.2,20.27; 5,7.8 Sanftmut Jak. 1,21; 3,13; l.Petr.3,4 Sara l.Petr. 3,6 Satan ->- Teufel Schöpfung [Neuschöpfung] Gottes Jak. 1, 18; 4,5; l.Petr. 1,23; 2,13; 4,19; 2.Petr. 3,5£f.l3; l.Joh. 1,1; 1,5 A; 3,7f.l5; Jud. 23 f. Schrift, heilige (Schriftauslegung) 2.Petr. 1, 19 f.; 3,16 Schwurverbot Jak. 5,12-20 Seele Jak.5,20; l.Petr. 1,9.22; 2,11; 4,19 Selbstruhm, Selbstsicherheit Jak. 1,9 ff.; 4, 6.10.12; 5,1-6; l.Petr. 1,17; 5,8 Selbstvertrauen, falsches Jak. 4,13 ff. Seligpreisung Jak. 1,12.23.24; 5,11; l.Petr. 3,14; 4,14 Sieg (Christi) über die Welt: l.Joh. 4,5; 5,3 f. 5.12. ~ über böse Mächte (Satan) 2.Petr.
3,13 A; l.Joh. 2,13 f.; 3,5.8 f. ~ über den Tod: l.Petr. 3,19-20a A Silvanus Einl. l.Petr. Abschnitt 5; l.Petr. 5, 12 Sintflutfgeschlecht] l.Petr. 3,18-22.19-20a; 3,19-20a A; 2.Petr.2,4f.; 3,5 f. Sittlichkeit Ethik Sklaven, Sklaverei l.Petr. 2,18-25.18 ff.; 2.Petr. 2,18 f. Sodom und Gomorrha 2.Petr.2,6; Jud. 7 Sohn Gottes (Christus) [->- Gottessohnschaft] 2.Petr. 1,17.18; l.Joh. 1,1-4.9; 2, 23; 4,13; 5,20. Menschwerdung, Sendung: l.Joh. 1,2; 2,22; 4,9 Sorge, Sorglosigkeit l.Petr. 5,7 f. Spott, Spötter 2.Petr.3,3 f.; Jud. 18 Staat (und Obrigkeit) l.Petr. 2,13-17. ~ und Christen: l.Petr. 2,13 ff.; 3,1.13 Standhaftigkeit Jak. I ß f.; 5,10; Einl. l.Petr. Abschnitt 6; 2.Petr. 1,6 Stein[e], lebendige[r] l.Petr. 2,4 ff. ~ des Anstoßes: l.Petr. 2,7 Strafgericht -> Gericht Gottes Stunde, lerne Einl. Joh.-Br. Abschnitt 6; 1. Joh. 2,18. ~ Jesu: l.Joh. 2,18 Sühne l.Petr. 1,2; 2,21.24; l.Joh. 1,2; 2,1 f.; 5,16 Sühneleiden [-opfer, -tod] Jesu Christi (-»Blut, -*• Tod) l.Petr.3,18; 4,1; l.Joh. 1, 7; 2,1 f. 15; 3,11; 4,2; 5,6ff.; 5,16 Sünde[r] Jak. 1,13 ff.; 2,26 A; 3,2; 4,8.11.17; l.Petr.2,22; 3,13; 4,8; 2.Petr. 1,4.9; 2,19; l.Joh. 1,7; 3,4.20 ff.; 5,16; Jud. 4. ~ und Krankheit: -• Abfall vom Glauben) l.Petr. 2,8; 4,17f.; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 6; Jud. 6 Unzucht Einl. Jud. Abschnitt 1.2; Jud. 5 £f. 23 Vater (Gott) Jak. 1,16.17; l.Petr. 1,3.17; 1. J o h . 2,23; 5,1 Verfolgung -»- Christenverfolgung Verführer, Verführung (-*• Antichrist, -*Irrlehrer) 2.Petr. 2,20; 2 . J o h . 7 f f . Geist der: •*Vergänglichkeit J a k . 4,13 ff.; l.Petr. 1,24; 2. Petr. 1,4; 2,12.19; 3,5; l . J o h . 2,15 ff.; 3, 14; 5,19 Vergebung ->- Sündenvergebung Vergeltung[slehre] Einl. 2.Petr. Abschnitt 2. 3. Verzicht auf: l.Petr.2,23; 3,9 Verheißung Jak. 1,12; 2.Petr. 1,4 f.; 3,13; 1.Joh. 1,9 Verklärung Jesu Einl. 2.Petr. Abschnitt 2; 2.Petr. 1,16 ff. Verleumdung Jak. 4,11; l.Petr. 2,1. ~ der
247
Christen (-»- Christenverfolgung) l.Petr. 2,12; 3,13-17.16 Versuchungen] Einl. zu Jak. 1,2-18; 1,2 ff. 12 ff.; l.Petr. 1,6; 2.Petr.2,9 Vollkommenheit Jak. 1,4_5; 3,2; l.Joh. 3, 21,22 Vorbestimmung l.Petr. 1,1 £.20; 2,8 Vorbild Christi (-.-Leiden) l.Petr. 2,21 ff.; 3,18 ff. Vorsehungsglaube l.Petr. 4,19 Wachsamkeit l.Petr.5,8 Wahrheit Jak.5,19; l.Petr. 1,22; 2.Petr.l, 12; 2,2; l.Joh.2,21; 5,6; 2.Joh. 1.3.4. Gott der: l.Joh.2,22. Christus ist die: l.Joh. 2,23; 4,9; 5,21. Geist der: ~ und Lüge: l.Joh. 1,6; 2,21 f. Waisen, die: Jak. 1,26 f. Wandel der Christen [i. A.] l.Petr. 1,18; 2, 11 f.13-17.14 Wasser 2.Petr.3,5; l.Joh.5,6ff.; 5,7.8 A Weisheit(slehre) Jak. 1,5; 3,13-18.13 ff. Weissagung[en] 2.Petr. 1,19 ff.; 2,1; 3,2 Welt l.Joh.2,2.15. ~ und Christen (Kirche): Jak. 4,4; Einl. l.Petr. Abschnitt 6; l.Petr. 2,11 £.13-17; l . J o h . 2 , 1 5 f . ; 3,3.12f.; 4,17; 5 , 3 f . l 8 . ~ gottfeindlich (gegen Christus): l.Petr. 2,12; 3,15f.l9-20a A; Einl. l.Joh.; 1.Joh. 1,1-4.2; 2,15; 3,4.12ff.; 4,5 f.; 5, 3f.l9f. von Gott geliebt: -»-Liebe. von Christus besiegt: -»-Sieg Weltbrand Einl. 2.Petr. Abschnitt 3; 2.Petr. 3,7.12 Weltende, Weltuntergang (-»-Sintflut) 2. Petr. 2,5.12; 3,4.5 ff.13 Weltgericht -»- Endgericht Werke (gute): Jak.2,14£f.; 3,17; l.Petr. 1, 17; 2,14. Gericht nadi den: Jak. 2,26 A. ~ und Glaube: -»- Glaube, -»- Rechtfertigung Wiedergeburt Jak. 1,18; l.Petr. 1,3.13.17. 23; l.Joh. 3,9; 5,18; 2 . J o h . l Wiederkunft Christi [Parusieerwartung] (-»-Enderwartung, -»-Eschatologie) Einl. Kath. Abschnitt 3; Einl. Jak. Abschnitt 8; Jak. 1,10.11; 5,7ff.; l.Petr. 1,13; Einl. 2.Petr. Abschnitt 3; 2.Petr. 1,4.16ff.; 3, 1 ff.10.14; l.Joh. 2,18.28; 4,17f.; 5,7.8; 2. Joh. 7,10; Jud. 1 £.21. Naherwartung der: Jak. 5,8; 2.Petr. 3,4.10; 3,13 A. Verzögerung der: Jak. 5,7; 2.Petr. 3,13 A; 3,15. Leugnung der: Einl. 2.Petr. Abschnitt 4.5.7; 2.Petr. 3,1 ff. Wille Gottes tun Jak.4,15; l.Petr. 2,14 f.;
248 4,2.4.19; 5,2; l.Joh. 1,1.3.6; 2,5a.17.29; 4,6; 5,4.14; 2.Joh. 1,3.5 Witwen Jak. 1,26 f.; 5,2-3 Wort Gottes (Logos) l.Petr. 1,23ff.; 2,2f.8; 2.Petr. 1,19; 3,5; 4,11; Einl. Joh.-Br. Abschnitt 6; l.Joh. 2,5a.8. ~ Christi l.Petr. 3,19-20a A. fleischgewordenes: Christus l.Joh. 1,1-4; 1,1 f.; 2,8; 3,2; 5,7.8. 12. prophetisches: 2.Petr. 1,19. ~ der Wahrheit: Jak. 1,18.19.20. Gehorsam gegen das: ~ und Tat (->• Hören, -*•
Tat) Einl. Jak. Abschnitt 5.9; Jak.l,19ff.; 2,12.15.16; l.Petr. 4,11 Z e i t p l a n ] Gottes Jak.4,13 ff.; 2.Petr. 3,8; l.Joh. 2,18 Zeugen, Zeugnis (Gottes) l.Joh. 1,1 f j ; 2,1. 7 f.13; 5,6 ff.; 5,7.8; 5,9 ff.; 2.Joh.9 Zorn (Gottes) Jak. 1,19.20; l.Joh.3,7 Zukunftserwartung ->- Enderwartung Zungefnsünden] Jak.3,1ff.; 3,1-12; l.Petr. 3,10.12 Zweifel, Zweifler Jak. 1,6 ff.; J u d . 2 2 f .
Inhalt H O R S T BALZ
Die „katholischen" Briefe (Einleitung)
1
WOLFGANG SCHRÄGE
Der Jakobusbrief
5
WOLFGANG SCHRÄGE
Der erste Petrusbrief Der zweite Petrusbrief
60 122
H O R S T BALZ
Die Johannesbriefe (Einleitung) Der erste Johannesbrief
156 166
Der zweite Johannesbrief
211
Der dritte Johannesbrief
217
WOLFGANG SCHRÄGE
Der Judasbrief
223
Verzeichnis der Ausführungen Glaube und Werke bei Paulus und Jakobus
34
Krankenheilung
57
„Heilig" im Alten und Neuen Testament
75
„Auserwähltes Geschlecht"
86
Die Christen und das Leid
103
Die Höllenfahrt Jesu Christi
107
Parusieverzögerung
152
Licht und Finsternis
172
Das sogenannte „Comma (— Satz) Johanneum"
205
DAS N E U E TESTAMENT DEUTSCH Herausgegeben von Gerhard Friedrich und Peter Stuhlmacher 1
Eduard Schweizer • Das Evangelium nach Markus 15., neubearh. Auflage. (87. Tsd.), 227 Seiten, kartoniert
2
Eduard Schweizer - Das Evangelium nach Matthäus 14. Auflage (81. Tsd.) (2. Aufl. dieser Bearbeitung), 374 Seiten, kartoniert
3
K. H . Rengstorf • Das Evangelium nach Lukas 17. Auflage (74. Tsd.), 298 Seiten, kartoniert
4
Siegfried Schulz - Das Evangelium nach Johannes 14., verbess. Aufl. (73. Tsd.) (3. Aufl. dieser Bearbeitung), 300 Seiten, kartoniert
5
Gustav Stählin - Die Apostelgeschichte 15. Auflage (60. Tsd.) (6. Aufl. dieser Bearbeitung), 347 Seiten, 4 Karten, 7 Pläne, kartoniert
6
Paul Althaus • Der Brief an die Römer 13. Auflage (65. Tsd.), 164 Seiten, kartoniert
7
Heinz-D. Wendland • Der Brief an die Korinther 14. Auflage (62. Tsd.), 274 Seiten, kartoniert
8
Die kleineren Briefe des Apostel Paulus Jürgen Becker: Der Galaterbrief / H. Conzelmann: Der Epheserbrief / Gerhard Friedrich: Der Philipperbrief / H. Conzelmann: Der Kolosserbrief / Gerhard Friedrich: Die Briefe an die Thessalonicher / Der Brief an Philemon. 14., neubearb. u. erg. Auflage (62. Tsd.) 299 Seiten, kartoniert
9
Joachim Jeremias / August Strobel • Die Briefe an Timotheus • Der Brief an die Hebräer 11., neubearb. Auflage (56.Tsd.) 269 Seiten, kartoniert
10
Wolfgang Schräge / H . R . Balz • Die „Katholischen" Briefe Die Briefe des Takobus, Petrus, Judas. Johannes 12., durchges. Auflage (62. Tsd.), 245 Seiten, kartoniert
11
Eduard Lohse • Die Offenbarung des Johannes 11., durchges. Aufl. (60. Tsd.), 129 Seiten, kartoniert
Das Werk ist auch in vier Leinenbänden erhältlich.
Vandenhoeck & Ruprecht • Göttingen und Zürich
DAS ALTE TESTAMENT DEUTSCH Herausgegeben von Otto Kaiser und Lothar Perlitt
2 / 3 / 4 Gerhard von Rad • Das erste Buch Mose (Genesis) 10., durchges. Aufl., Neusatz. 372 Seiten, kartoniert 5
Martin Noth • Das zweite Buch Mose (Exodus) 6. Aufl., 235 Seiten, kartoniert
6
Martin Noth • Das dritte Buch Mose (Leviticus) 4. Aufl., 184 Seiten, kartoniert
7
Martin Noth • Das vierte Buch Mose (Numeri) 3. Aufl., 228 Seiten, kartoniert
8
Gerhard von Rad • Das fünfte Buch von Mose (Deuteronomium) 8., durchgesehene Aufl., 152 Seiten, kartoniert
9
H. W. Hertzberg • Die Bücher Josua, Richter, Ruth 5. Aufl., 285 Seiten, kartoniert
10
H. W. Hertzberg • Die Samuelbücher 5. Aufl., 347 Seiten, kartoniert
11/1
Ernst Würthwein • Das erste Buch der Könige (Neu) Kap. 1 - 1 6 (Das Reich Salomons): 220 Seiten, kartoniert
13
Artur Weiser • Das Buch Hiob 6., durchgesehene Aufl., 272 Seiten,
kartoniert
14/15 Artur Weiser • Die Psalmen 1. Teil: Psalm 1 - 6 0 : 9. Aufl., 300 Seiten, kartoniert 2. Teil: Psalm 6 1 - 1 5 0 : 9. Aufl., 315 Seiten, kartoniert 16
H. Ringgren, W. Zimmerli, A, Weiser • Sprüche, Prediger, Das Hohe Lied, Klagelieder, Das Buch Esther 4., neu bearb. Aufl. in Vorbereitung
17/18 Otto Kaiser • Der Prophet Jesaja Kap. 1 - 1 2 : 4. Aufl., 152 Seiten, kartoniert und Leinen Kap. 1 3 - 3 9 : 2 . , verbesserte Aufl., 327 Seiten, kartoniert und Leinen 19
Claus Westermann • Der Prophet Jesaja Kap. 4 0 - 6 6 : 3., durchges. und ergänzte Aufl., 344 Seiten, kartoniert und Leinen
20/21 Artur Weiser • Der Prophet Jeremia 1. Teil: Kap. 1 - 2 5 , 1 4 : 7., durchges. und erg. Aufl. 263 Seiten, kartoniert 2. Teil: Kap. 2 5 , 1 5 - 5 2 , 3 4 : 6., durchges. Aufl., 232 Seiten, kartoniert 22
Walther Eichrodt • Der Prophet Hesekiel 1. Teil: Kap. 1 - 1 8 : 4. Aufl., 199 Seiten, kartoniert 2. Teil: Kap. 1 9 - 4 8 : 2 . Aufl., 307Seiten, kartoniert
23
Norman W.Porteous • Das Danielbuch 3., verb. und erweiterte Aufl., 165 Seiten, kartoniert und Leinen
2 4 / 2 5 Das Buch der zwölf Kleinen Propheten 1. Teil: Artur Weiser: Hosea, Joel, Arnos, Obadja, Jona, Micha.. 7., durchges. Aufl., 294 Seiten, kartoniert 2. Teil: Karl Elliger: Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacbajar, 7., durchges. Aufl., 219 Seiten, kartoniert
Maleachi;
Vandenhoeck & Ruprecht • Göttingen und Zürich