Witzige Illumination: Studien zur Ästhetik Jean Pauls 9783110947403, 9783484180543


174 19 13MB

German Pages 350 [352] Year 1979

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
EINLEITUNG
I. ÜBER DEN WITZ
Zum IX. Programm der ›Vorschule der Ästhetik‹
1. Witzige Illuminationen
2. Der Text
3. Der Leser
4. Der ästhetische Prozeß
II. WITZ UND TRANSZENDENTALE POESIS
Witzige Verkörperung
1. Transzendentaler Witz oder Romantische Ironie
2. Transzendente Ästhetiker
3. Transzendentes Schachspiel oder Poetischer Idealismus
4. Poetischer Nihilismus
5. Übergewicht des Realen
6. Schöne Nachahmung
7. Witz – anschaulicher Verstand oder sinnlicher Scharfsinn
III. WITZ UND TRANSZENDENZ
Witzige Beseelung
1. Endlichkeit und Unendlichkeit. Zur Ontologie der ›Vorschule‹
2. Witziges Beseelen
3. Beseelte Natur
4. Phantasie
5. Nachahmung und Genie
IV. WITZ UND NATUR
Das individuelle Allgemeine oder die sterbliche Vernunft
1. Das »Freudenspiel« – eine Art Idylle
2. Humor – »schillernder Witz unter Tränen« oder eine Art Satire
3. Geschichtsphilosophie und Heilsgeschehen
V. WITZ UND POESIE
Humoristische Narrenfeste: grande diablerie
1. Teuflische Lust
2. »Himmellust«
SCHLUSS
LITERATUR
WERKREGISTER
PERSONENREGISTER
Recommend Papers

Witzige Illumination: Studien zur Ästhetik Jean Pauls
 9783110947403, 9783484180543

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR

Band 58

Herausgegeben von Wilfried Barner, Richard Brinkmann und Friedrich Sengle

Waltraud Wiethölter

Witzige Illumination Studien zur Ästhetik Jean Pauls

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1979

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wiethölter, Waltraud: Witzige Illumination : Studien zur Ästhetik Jean Pauls / Waltraud Wiethölter. - Tübingen : Niemeyer, 1979. (Studien zur deutschen Literatur ; Bd. 58) ISBN 3-484-18054-4

ISBN 3-484-18054-4

ISSN 0081-7236

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1979 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten

INHALT

EINLEITUNG

I. ÜBER D E N WITZ Zum IX. Programm der >Vorschule der Ästhetik< 1. 2. 3. 4.

Witzige Illuminationen Der Text Der Leser Der ästhetische Prozeß

II. WITZ U N D T R A N S Z E N D E N T A L E POESIS Witzige Verkörperung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Transzendentaler Witz oder Romantische Ironie Transzendente Ästhetiker Transzendentes Schachspiel oder Poetischer Idealismus Poetischer Nihilismus Übergewicht des Realen Schöne Nachahmung Witz - anschaulicher Verstand oder sinnlicher Scharfsinn

III. WITZ U N D T R A N S Z E N D E N Z Witzige Beseelung 1. 2. 3. 4. 5.

Endlichkeit und Unendlichkeit. Zur Ontologie der >Vorschule< . . . Witziges Beseelen Beseelte Natur Phantasie Nachahmung und Genie a) Witzige Analogie b) Genialer Witz c) Metaphysischer Witz

1

9 13 19 26 29

33 40 55 59 68 83 97 105

122 123 130 135 139 144 148 167 181

V

IV. WITZ UND NATUR Das individuelle Allgemeine oder die sterbliche Vernunft . . . . 1. Das »Freudenspiel« - eine Art Idylle 2. Humor - »schillernder Witz unter Tränen« oder eine Art Satire. . . a) Roquairol b) Schoppe c) Lord Horion d) Lebenshumor 3. Geschichtsphilosophie und Heilsgeschehen

V. WITZ UND POESIE Humoristische Narrenfeste: grande diablerie 1. Teuflische Lust 2. »Himmellust«

194 204 223 229 235 247 255 268

282 286 306

SCHLUSS

319

LITERATUR

331

WERKREGISTER

339

PERSONENREGISTER

341

VI

Aufklärung in allen Ständen besteht eigentlich in richtigen Begriffen von unsern wesentlichen Bedürfnissen. Georg Christoph Lichtenberg

EINLEITUNG

Als Eduard Berend 1909 der >Vorschule der Ästhetik < die erste Monographie widmete,1 ließ sich mit Fug und Recht von einer Pioniertat sprechen, nachdem es ein gutes Jahrhundert gedauert hatte, ehe Jean Pauls ebenso ungewöhnliches wie eigenwilliges Buch aus der Rolle eines bedenkenlos ausbeutbaren Zitatenschatzes heraustreten konnte und als selbständiges, integrales Werk zu Ehren kam. Im Schatten von Hegels Ästhetik und dessen negativem Urteil bestand für Jean Pauls unorthodoxe Methode, der Mischung aus Pragmatik und Theorie, aus Psychologie und Metaphysik ohnehin kaum eine Chance zu sachgemäßer Würdigung, ausgenommen die Kapitel über den Humor, die für die Diskussion des 19. Jahrhunderts eine gewisse Bedeutung hatten, wenn auch die Ablehnung dabei die positiven Momente überwog. Schon vom Stil her, dessen höchst persönlicher Prägung, schien diese Ästhetik den unmittelbaren Nachfahren, systembeflissen und harmoniebedürftig wie sie waren, ungenießbar, ja fast obsolet. Jean Paul wurde ineinsgesetzt mit dem subjektiven Idealismus Fichtes und sein vom Dualismus und nicht von der Versöhnung getragener Humor als philiströs empfunden. 2 Obwohl sie eine ganz andere Intention verfolgte, war es nur natürlich, daß auch Berends Arbeit von dieser Situation betroffen wurde. Es galt zunächst einmal, die unterbliebene Rezeption nachzuholen und die Fehleinschätzungen, wo möglich, dadurch zu revidieren, daß die >Vorschule< in ihrem zugehörigen historischen Kontext sichtbar wurde. Damit waren nicht nur die antiidealistischen Fragestellungen vorgezeichnet, es war auch eine mehr oder weniger positivistische Datensammlung präjudiziert, mit deren Hilfe auf Kosten sachlicher Differenzierung nur irgend Vergleichbares aus dem Umkreis zeitgenössischer Theorienbildung herangeholt und so Unvereinbares wie Kant und Schiller einerseits und die Romantik andererseits lebeneinander zitiert wurden. Aller sonstigen Verdienste ungeachtet ;ntstand auf diese Weise ein buntes Mosaik von historisch Gleichzeiti1 2

Eduard Berend: Jean Pauls Ästhetik. Berlin 1909. Repräsentativ für andere vgl. Friedrich Theodor Vischer: Ästhetik oder Wissenschaft vom Schönen. Zum Gebrauche für Vorlesungen. 2. Aufl., München 1922. Teil I: Die Metaphysik des Schönen. §§ 205ff: Das absolute Komische oder der Humor.

1

gem, das die spezifische Physiognomie von Jean Pauls Ästhetik mehr verdunkelte als erhellte. Nun läßt sich gewiß nicht behaupten, die Forschung habe sich mit diesem Resultat zufrieden gegeben, und dennoch ist Berend im Grunde ohne Nachfolge geblieben. Fortschritte gab es seither nur in Teilbereichen, nicht aber für die Ästhetik in ihrem schwierigen Gesamtspektrum, wobei nach wie vor der Humor, neuerdings aber auch in verstärktem Maße Idylle und Satire sowie die Romanpoetik im Mittelpunkt der Diskussion standen. Selbst die jüngsten Beiträge machen davon keine Ausnahme. Nirgendwo ist die >Vorschule< zum zentralen Thema geworden, auch wenn in einigen Arbeiten die Einzelaspekte und -analysen durch weiterreichende Perspektiven verdrängt wurden, weil sich das Interesse insgesamt vom Detail auf übergeordnete und zwangsläufig mehr im Bereich der Theorie angesiedelte Zusammenhänge verlagert hat. Die folgenden Überlegungen wollen diese Lücke schließen helfen. Auf den ersten Blick scheinen auch sie von einem einzigen und dazuhin noch von einem mehr peripheren Thema beherrscht, dem Witz; doch wird sich rasch zeigen, daß dieser Weg sowohl historisch wie systematisch ins Zentrum von Jean Pauls Ästhetik führt. Der Grund dafür liegt in den geschichtlichen Dimensionen des Witzbegriffs selbst, wie sie in der >Vorschule< noch deutlich präsent sind. Im deutschen Sprachbereich war bis ins 17. Jahrhundert hinein der >Witz< eine reine Verstandeskategorie und in dieser Bedeutung Jean Paul durchaus gegenwärtig: »daher kommt das Wort Witz, als die Kraft zu wissen« (V 171).J Ahd. >wizzi< und mhd. >witze< sind germanische Bildungen zu >wissen< und bezeichnen ganz allgemein die geistige Fähigkeit des Menschen. Im Mhd. bedeutete das stark flektierte Femininum >witze< so viel wie >VerstandKlugheitMutterwitzAberwitz< und einigen idiomatischen Wendungen - beispielsweise >viel WitzespritwitWitz< auf ein gemeinsames indogermanisches Etymon zurückgeht (ueid, vermutl. = >sehenesprit< wie engl. >wit< die Bedeutung des lateinischen >ingenium< in sich aufgenommen und mehr oder weniger abgewandelt fortentwickelt haben. 4 >Ingenium< umfaßte ursprünglich das gesamte menschliche Geistesvermögen, einerseits Scharfsinn und Erkenntnisfähigkeit, andererseits Erfindungskraft und Phantasie. Gemeint war die natürliche, intellektuelle und sinnliche Begabung zur Kommunikation und zum praktisch-gesellschaftlichen Handeln, bei der nicht zuletzt die Sprachbeherrschung eine ausgezeichnete Rolle spielte. >Ingenium< bezeichnete nicht umsonst einen der Schlüsselbegriffe der römischen Rhetorik, der den Einfallsreichtum und die Findigkeit des Redners wie die formale Brillianz der Rede betraf. >Ingenium< war Naturgabe, als rhetorische Fertigkeit zugleich aber auch lehr- und lernbar und in diesem Punkt zu vergleichen mit dem, was im Frankreich des 17. Jahrhunderts durch >esprit< umschrieben wurde und den Urbanen, höfisch-aristokratischen Menschen auszeichnete. 5 >Esprit< beruhte auf Erziehung und Bildung, beschränkte sich nicht nur auf rhetorische Fähigkeiten und literarischen Stil, sondern war das Zeichen einer umfassenden Lebensform. Voltaire differenzierte später diesen weitgefaßten >espritEsprit< definierte er als die Kunst, »ou de reunir deux choses eloignees ou de diviser deux choses qui paraissent se joindre ou de les opposer«. 6 Eine nahezu gleichlautende Definition hatte Locke für den englischen >witingenium< vgl. Heinrich Georges: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. 11. Aufl., Hannover 1962; Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Halle u. Leipzig 1732 - 1754. Zu >espritwitesprit< trat bei Bouhours der >bel espritjugement juste et delicatdelicatesse< des Denkens, in dessen >clarte< und >veritenoblesse< von Ausdruck und Haltung. Er hatte seine Wurzel im >bon goüt< bzw. >bon sensVorschule< und die ihr vom Gegenstand benachbarten Texte über die Grenzen der Disziplin hinausdrängen. Einen Vorgeschmack kann bereits das erste, mit einigen essayistischen Lizenzen ausgestattete Kapitel geben, eine Art >Prooimionobjektivieren< ließe. Was die Antworten und >Lösungen< im einzelnen betrifft, so tragen sie auf der argumentativen Ebene sichtlich noch die Spuren schlechten Gewissens, dessen, was sie eigentlich abstreifen wollten. Gewiß sind sie historisch zu sehen und nicht schlechthin reproduzierbar, da vor allem die ihnen zugrunde liegenden Bedürfnisse selbst, und seien sie noch so elementar, in ihrer Phänomenologie dem Alterungsprozeß der Geschichte unterliegen. Es kann daher in Auseinandersetzung mit Jean Pauls Poesie und seinen ästhetischen Reflexionen weder um Apologie noch ausschließlich um den Nachweis ideologischer Befangenheit gehen; wohl aber darum, den vom Werk beglaubigten Anspruch auf das scheinbar Unvernünftige, von der Vernunft prinzipiell nicht Einholbare wahrnehmlich und begreifbar zu machen, einen Anspruch, der von seiner Aktualität bis heute kaum etwas eingebüßt haben dürfte.

8

I.

Ü B E R DEN W I T Z

Zum IX. Programm der >Vorschule der Ästhetik
witzigen Illumination (vgl. V 146) aufgenommen hat, um damit die Erzählweise Jean Pauls zu beschreiben, 1 ist zu Recht getadelt worden. 2 Auch wenn ihm Einsichten in die Struktur dieser Prosa gelangen, die bis dato für die einschlägige Forschung keineswegs selbstverständlich waren, noch nicht einmal für die trotz ihrer fraglosen Mängel nach wie vor als bedeutendste Gesamtdarstellung gerühmte Monographie Max Kommerells, 3 läßt seine Studie, auf Detailuntersuchungen fixiert, doch jeden Hinweis vermissen, der über die spezifisch historische Eigenart und Leistungsfähigkeit von Jean Pauls Stil und der zugehörigen Ästhetik Aufschluß geben würde. Auf dem Hintergrund der vielerorts vorgetragenen Meinung, das Werk könne als Dokument der Entwirklichung, als »selbstsichere Verurteilung des Weltstoffs« 4 - was immer das heißen mag - gelesen werden, sieht Rasch in den sprachlichen Eigentümlichkeiten zum einen die willkürliche und völlig subjektivistische Handschrift eines selbstherrlichen Autors, der unbedingte Freiheit für sich in Anspruch nimmt, zum anderen aber eine Art Befreiung der Gegenstände zu sich selbst, ohne daß der Zusammenhang beider Thesen klar erkennbar würde. >Dissonanz< ist das Zauberwort, das die Widersprüche legitimieren soll. Sachlich ohne große Schwierig1

Wolfdietrich Rasch: Die Erzähl weise Jean Pauls. Metaphernspiele und dissonante Strukturen. In: Jost Schillemeit (Hrsg.): Interpretationen 3: Deutsche Romane von Grimmelshausen bis Musil. Frankfurt 1966, 82-117 (Ursprünglich erschienen München 1961). 1 Vgl. die - allerdings ziemlich kursorischen - Einwände von Engelhard Weigl: Subjektivismus, R o m a n und Idylle. Anmerkungen zur Jean-Paul-Forschung (1968-1973). In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Text + Kritik. Sonderband Jean Paul. 2. Aufl., 1974, 125-139; hier 126. 3 Max Kommereil: Jean Paul. Frankfurt 1933. Dazu U w e Schweikert: Jean Paul. Stuttgart 1970 (Metzler Realienbücher 91), 12. 4 Bernhard Böschenstein: Jean Pauls Romankonzeption. In: Reinhold G r i m m (Hrsg.): Deutsche Romantheorien. Beiträge zu einer historischen Poetik des Romans in Deutschland. Frankfurt/Bonn 1968, 111-126; hier 115. - D e m Grundsatz nach vertritt dieselbe These Peter Michelsen: Laurence Sterne und der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1962 (Palaestra 232).

9

keiten begründbar, wird ein solches Etikett jedoch dann problematisch, wenn es alle weiteren Fragen unterbindet und das Interpretationsgeschäft vor der Zeit beendet. Man darf annehmen, daß Jean Paul nicht grundlos der witzigen Manier den Vorzug gegeben hat vor der symbolischen Dichtung, zumal er bereits beim zeitgenössischen Publikum damit auf wachsende Ablehnung gestoßen ist.5 Genauso wenig, wie er die Fiktion einer bürgerlichen >Biographie< mit ihrer angeblich stringenten Kausalität aufrechterhalten mochte - seine ersten Romane tragen diesen Titel auf höchst ironische Weise6 -, so wenig war er bereit, sich den Forderungen klassischer Prosa und Komposition zu unterwerfen. Ihm lag im Gegenteil daran, alle derartigen Erwartungen, wo immer es ging, zu düpieren, sich vor seinen historienbegierigen Leser hinzustellen, wie er sagt, um ihn auszulachen. Mit gutem Grund; denn selbst das Vergnügen war allgemein noch von Nützlichkeitserwägungen, vom Sammel- und Besitzgeist bestimmt. Unterm Brotstudium, so wußte er, blieb »wenig Lust zu ästhetischen Spielen und Studien; ebenso hat man von einem der nützlichsten Haustiere bemerkt, daß es nie, auch nicht als Ferkel, scherze und spiele« (IV 723). Das war frivol, ja schon fast unanständig, und ein Werk, das »dem Lachen einen Tempel« baute und Stellen vorzuweisen hatte, »worin mehr als ein Sinn steckt, oder allerlei Bildliches und Blumiges zugleich, oder ein anscheinender Ernst, hinter welchem gar keiner ist, sondern lauterer Spaß« (II 22) - ein solches Buch mußte notgedrungen Mißtrauen erregen, weil es gegen ein kardinales Gesetz des bürgerlichen Tugendkanons verstieß, nicht für den Bedarf zu arbeiten: Ein gesetzter helldenkender Mann - sagen die verschiedenen Richter und Leser - schreibt seinen guten reinen netten stillen Stil, seine fließende Prosa, er drückt sich leicht aus; aber ewiges Witzeln wird jedem zum Ekel, »und wenn man vollends«, setzen sie dazu, »einem Geschäftsmann solchen Schaum auftischt! Ο weh!« (V 196)

Wenn ihm überhaupt ein Recht gewährt wurde, dann mußte das Amü5

Rasch, Erzählweise, 101, behauptet gerade umgekehrt, daß die durch das witzige Arrangement befreiten Zeichen bei Jean Paul zu Symbolen werden. Dabei ist Symbol ein Begriff, der hier grundsätzlich fehl am Platze ist; am wenigsten aber kann er mit dem Witz und dessen völlig andersartigem Stellenwert in der Geschichte der Ästhetik in Zusammenhang gebracht werden (vgl. Kap. III, 5). 6 Jean Pauls Strategie war so einfach wie provozierend: »Auch bei dem Schreiben mus man sich nirgends anzukommen vorsezen.« (Zitiert nach Wolf Gerhard Fieguth: Jean Paul als Aphoristiker. Mainz 1965, 117).

10

sement doch zumindest Solidität und Ordnung ausstrahlen, andernfalls es keine Befriedigung verschaffte. Auf den Roman übertragen bedeutete das klar gegliederte Sätze, flächige Bilder und geradliniges Erzählen - alles Erwartungen, denen sich Jean Paul permanent verweigerte. Im Verlauf der Untersuchungen wird noch deutlicher, warum. Vermutlich witterte er den ödipalen Charakter dieser Lust, der Neugier nach dem Ursprung und dem Ende, die mit fortschreitender Enthüllung der Geschichte gestillt wurde. 7 Allerdings beschränkte sich dieses infantile Interesse keineswegs auf die Romanlektüre, sondern fand sich auch sonst in den verschiedensten Formen wieder. Eindrucksvollstes Beispiel ist mit Abstand die zeitgenössische Wissenschaftspraxis, die sich bis zum Ende des Jahrhunderts weitgehend in den Formen und Methoden der Naturgeschichte, in pedantischer Deskription und musealer Registrierung von Fakten abspielte. 8 Das voyeuristische Moment daran hat Hegel präzise getroffen, indem er diesen Abschnitt in der Geschichte des Geistes die Epoche der beobachtenden Vernunft nannte, einer Vernunft, die sich darin erschöpft, daß sie »alle Eingeweide der Dinge durchwühlt, und ihnen alle Adern öffnet«. 9 Grausamkeit und Gewalt begleiteten sie. Die individuelle Physiognomie der Dinge wurde ausgelöscht und die Welt erbarmungslos in Klassen eingeteilt, ohne Ausnahme. Die Zahl regierte, und ein Mehr oder Weniger entschied über den Platz in der Hierarchie der Werte. Zahllos die Naturalienkabinette, in denen das entseelte Leben wohlgeordnet überdauerte und für den Sammelfleiß der stolzen Besitzer zeugte. Als satirisch bedachte Rumpelkammern sind sie ein genuines Stück Zeitgeschichte in der Romanwelt Jean Pauls, ähnlich den unzähligen Noten, Anmerkungen und Hinweisen im Kellergeschoß, die das Wissen von Jahrhunderten zitieren. 10 Und mehr noch: die unter allen nur denkbaren Vorwänden eingeschmuggelte Enzyklopädie rückt insgeheim der Sprache zuleibe, in der diese kompendienartige Gelehrsamkeit aufbewahrt 7

Zum Thema >Romanbefriedigung< macht einige Andeutungen Roland Barthes: Die Lust am Text. Frankfurt 1974, 17. 8 Neuerdings dazu auch Peter Sprengel: Enzyklopädie und Geschichte. Kritische Überlegungen zu Wolfgang Proß' Buch über »Jean Pauls geschichtliche Stellung«. In: JbJPG 11, 1976, 15-49. Die Einwände gegen Proß stützen sich sachlich auf Wolf Lepenies: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts. München 1976. ' H e g e l , Werke II, 191. 10 Ausführlich dazu der Aufsatz von Walther Rehm: Jean Pauls vergnügtes Notenleben oder Notenmacher und Notenleser. In: Rehm: Späte Studien. Bern/München 1964, 7-96.

11

und von der sie verwaltet wurde. Die wissenschaftliche Rede spiegelte die Gewalt wider, die den Dingen angetan worden war. Nach der Wende zur modernen Naturwissenschaft, die das Prinzip der Addition aufgab zugunsten der Subsumtion der empirischen Mannigfaltigkeit unter wenige Grundgesetze, war diese Sprache nicht etwa bescheidener geworden. Ausgestattet mit dem Begriff, den Kant bündig auf die Eigenschaft reduziert hatte, das Prädikat möglicher Urteile zu sein, verlangte sie bedingungslose Unterordnung. An die Stelle der Statistik war der noch einmal mit Hegel zu reden - »subjektive[...] Dogmatismus«" getreten, unter dessen Herrschaft sich auf raffiniertere Weise die Veräußerlichung der Substanz an ihre Merkmale wiederholte: Das ganze abstrakte Denken, die reine Identität mit sich wird festgehalten. Es wird gesagt, der Verstand kann nur Ordnung in den Dingen hervorbringen, die nichts an und für sich, nur subjektiv ist. So bleibt der Vernunft nichts als die Form ihrer Identität, Einheit; und diese reicht zu nichts, als die mannigfaltigen Verstandesgesetze und Verstandesverhältnisse zu systematisiren. Der Verstand findet Klassen, Arten, Gesetze, Gattungen; und diese ordnet dann die Vernunft, sucht sie in Einheit zu bringen.12

Vor diesem Hintergrund schließlich stellt sich der von Rasch ausgesparte Zusammenhang zwischen Subjektivismus und Sachgerechtigkeit her. Denn nicht von ungefähr schrieb Jean Paul 1804 ein Kapitel über den Witz, das sich historisch nicht auf die Frühromantik berief (vgl. Kap. II), vielmehr im Ansatz auf die frühe Aufklärung, auf Leibniz und den Polyhistorismus zurückging (vgl. Kap. III). Es war eine Reaktion auf die Sprache der scholastisch gewordenen Aufklärung und das ideologische Gerüst dessen, was Jean Paul den »Geschäftstil« nannte (II 23), mit dem die Vernunft nach Deutschland gekommen war, »daß alles Ding, alle Existenz, alles Thun und Lassen etwas Nützliches seyn sollte, d. h. eben das Ansich aufgehoben und nur für ein Anderes seyn sollte«.' 3 Der Witz dagegen, der im »Vergleichen überhaupt« (V 171) seine allgemeinste Form hat, suchte nicht zwischen Major und Minor Maß zu nehmen, sondern zwischen Ebenbürtigen eine Gleichung aufzumachen.

11

Hegel, Werke XIX, 554. Hegel, Werke XIX, 586f. 13 Hegel, Werke XIX, 553.

12

12

1. Witzige Illuminationen Was es heißt, einen Text witzig zu illuminieren, sollen zunächst einmal zwei Partien aus dem >Siebenkäs< veranschaulichen. Der erste Abschnitt (II 169-174), größtenteils als Dialog konzipiert, berichtet von einem der zahlreichen vergeblichen Versuche des Armenadvokaten Siebenkäs, mit Lenette, seiner Frau, zu einem Arrangement zu kommen, das ihr erlaubt, ihre Hausfrauenpflichten zu erfüllen, und ihm Ruhe und Muße beim Schreiben seiner Satiren gewährt. Nach mehreren Fehlschlägen schließlich hat Siebenkäs den glücklichen Einfall, seine Produktion auf den Abend zu verlegen, und während er beim Kerzenlicht über seinen Papieren zu sitzen gedenkt, soll sich Lenette mit einer geräuschlosen Näharbeit beschäftigen. Die Sache scheint sich zunächst auch recht gut und erfolgversprechend anzulassen - von Nektar- und Ambrosia-Abend ist die Rede (vgl. II 167) -, und das Ehepaar sitzt einträchtig um das gemeinsame Licht herum, bis sich dann, schon am zweiten Abend, an eben diesem Licht der eheliche Zwist entzündet, weil dem Advokaten die verhängnisvolle Idee gekommen war, daß seine Frau, nach dem Vorbild der Gattin des jüngeren Plinius, die ihrem Mann die Lampe gehalten hatte, über das gleichmäßige Brennen der Kerze wachen sollte, damit Siebenkäs ohne Störung in seinem Geschäft fortfahren könnte. Schließlich, da sich beide nicht darüber einigen können, wie oft der Docht beschnitten werden muß, dem Advokaten es einmal zu langsam, dann wieder zu schnell geht, endet das Experiment damit, daß jeder vor seiner eigenen Kerze sitzt. Soweit, knapp zusammengefaßt, die Geschichte. Es ist eine von den Passagen, die für Jean Paulsche Verhältnisse äußerst sparsam mit Erzählerbemerkungen ausgestattet ist. Es fehlen die geliebten Anmerkungen, Noten und Exkurse, die für gewöhnlich den Hauptteil seiner Texte ausmachen. Was den vorliegenden auszeichnet, ist ein virtuoses Sprachspiel um das obiectum probans: das Kerzenlicht und den herabbrennenden Docht. Unter Einbeziehung der wechselnden Epitheta finden sich auf diesem schmalen Raum nicht weniger als zweiundzwanzig Bezeichnungen für die umstrittene Lichtquelle. Zu Beginn der Szene taucht mehrfach die neutrale Vokabel »Licht« auf, auch schon die Zusammensetzung »Simultankerze« (II 170), signalisierend, daß sie vom Ehepaar Siebenkäs gemeinsam angesteckt worden ist. Sowie jedoch die Kerzenfrage zur ernsteren Auseinandersetzung gerät, beginnen die Verwandlungen: Das Licht wird zum »artigen Nachtlicht« und über eine Anspielung auf Correggios Bild >Die Nacht< mit dem Christuskind verglichen; es wird 13

zum Komödienlicht, zum Leuchter, zur Epiktetslampe, zur Leichenfakkel, zu den Hemmketten, die Siebenkäs von seiner Arbeit abhalten (II 170ff). Gleichzeitig sind diese Metamorphosen sehr genau auf den jeweiligen Kontext bezogen: »Licht« ist noch ganz indifferent, das »Nachtlicht«, in sich schon eine Antithese, und dazu noch mit dem ironischen Zusatz »artig« versehen, gesellt sich zu den Nachtgedanken des Autors, wobei außerdem »Licht« und »-gedanken« aufeinander zugeordnet sind und bei letzteren gleichzeitig noch in doppelsinniger Ambivalenz ein Wortspiel mit unterläuft, denn es handelt sich im wörtlichen Sinn um Nacht-Gedanken, des nachts gedacht und zugleich, metaphorisch, >schwarze< Gedanken, die es offen lassen, ob sich die Verfinsterung auf die Kerze oder auf die im Entstehen begriffene > Auswahl aus des Teufels Papieren< bezieht. Eine ähnliche Metaphernkette rankt sich um den schwarzen Docht: Lichtschnuppe - dummer Schwarz-Stummel - schwarzer Dorn der Lichtrose - Sonnenflecken - Kohlenmeiler - schwarzer Brandpfahl Esse (II 171) - verfluchte Licht-Schlacken - schwarzes Mutterkorn der reifen Lichtähre (II 172) - schwarze Wäsche (II 173) - LichtschnuppenSpieße - [Licht-]Räuber (II 174). Nur ein einziges Mal ist in dieser Szene schlicht vom »Lampendocht« (II 172) die Rede, und zwar dort, wo Siebenkäs an die vortreffliche Gattin des Plinius junior erinnert. An diesen Metaphern wird wieder deutlich, was sonst dem Bewußtsein entschwunden ist: daß sie im Grunde nichts anderes sind als verkürzte Vergleiche, deren tertium comparationis ausgespart bleibt. Hier aber macht sich die Lücke wieder bemerkbar, insofern als unvermittelte sprachliche Gleichsetzungen erfolgen, ohne daß die Brücke zum Verglichenen noch gewiesen wäre; der Leser hat sie sich selber zu bauen. Was ursprünglich nur »teilweise Gleichheit« (V 171) war, täuscht Identität vor, wobei auch diese Identität nur auf Widerruf existiert. Der rasche Metaphernwechsel läßt sie am Ende nicht zu. Hand in Hand damit geht ein vielfältiges Assoziationsspiel: »schwarzer Dorn der Lichtrose« erinnert an die Dornenkrone Christi, das Symbol des schuldlosen Leidens; »Sonnenflecken in der Sonne« fingieren ein Unglück kosmischen Ausmaßes; »Kohlenmeiler«, »Esse« und »LichtSchlacken« lassen im Blick auf das kümmerliche Vergleichsobjekt an überdimensionale Feuerstellen denken; »Brandpfahl« und »schwarze Wäsche« schließlich assoziieren das Schuldbewußtsein, das der Advokat gerne bei seiner Frau gesehen hätte, etc. Die Dinge werden gerade nicht bei ihrem geläufigen Namen genannt, sondern erscheinen verkleidet, maskiert, verzerrt, wobei der ganze Mummenschanz eine Metamorphose nach der anderen eingeht. Nichts bleibt, was es ist oder zu 14

sein vorgibt; das Licht nicht ein Licht, der Docht nicht der sonst unscheinbare Diener der Flamme. Völlig unvermittelt und ohne Vorwarnung wird identifiziert, ζ. B.: »das elende dünne Gedankenpaar, die Lichtputze mit der Lichtschnuppe« (II 171) - : nur ein Komma markiert hier den Vergleich. Oder eine Seite weiter noch knapper und dichter: »die Lichtschere und Lichtschnuppe, die ihm [Siebenkäs] immer im Kopfe steckt«, zwischen seine »geistigen Beine« sich drängend, »wie einem Pferde der Klöppel« (II 172). Überhaupt wird so manches Überraschende in Vergleich gebracht: das häusliche Arrangement mit der Kirchenverbesserung; das herabbrennende Licht mit einem Schwelger, der seinem Lebensende entgegengeht; der Kerzenstreit mit dem kirchlichen; verglichen wird die Lichtschere mit den Krebsscheren, durch die sich Herkules im Kampf mit der Hydra aufgehalten fand; der Schriftsteller mit Esel und Trampeltier; die satirischen mit den Nadelstichen und endlich der wiederhergestellte Hausfrieden mit dem Westfälischen. Die Antike kommt mit Nektar und Ambrosia, mit Herkules und Hydra, mit Plinius, Epiktet und den Stoikern ins Spiel, und bei Lenettes Argumentation für das Anbrennen der Kerze an ihrem dünneren Ende fällt ein gelehrter Blick auf Shaftesbury. Durch die Methode des sprachlichen In-Beziehung-Setzens werden sämtliche Sprach-, Denk- und Vorstellungsebenen durcheinandergemischt; für einen Augenblick gleichen sich ein Klöppel und ein Gedanke, weil sie gleich hinderlich sind, dem Pferd beim Gehen und dem Kopf beim Denken. Aber nicht nur die Dinge verwandeln sich, auch die Tätigkeiten verändern sich unter der Hand. Allein das Abschneiden eines Kerzendochts aktiviert in Anbetracht des bescheidenen Gegenstands ein überwältigendes sprachliches Reservoir. Er läßt sich schneuzen, abkneipen, amputieren; man kann ihn lichten, putzen, köpfen, auch stutzen, scheren und schneiden, je nach Bedarf. Auch sonst läßt sich diese Mobilität bis in die kleinsten Texteinheiten verfolgen, in denen heterogenstes Sprachmaterial zusammengezwungen ist, in Wortspielen, Paradoxien, Antithesen und Oxymora. Da gibt es eine »unsichtbare Finsternis« und eine Finsternis, die »sichtbar zunimmt« (II 172); es ist die Rede von »grimmiger Milde« (II 171), von »allergrößten Kleinigkeiten« (vgl. II 174), von »finstern Ferien«, in denen Siebenkäs »die schönste Muße« findet, gegen seine Ehefrau »anund aufzufahren« (II 174), bis das Maß des Absurden voll ist und der Armenadvokat bedauert, daß er »nicht wie ein glücklicher Armkrüppel mit dem Fuße unter dem Tische schreiben kann, oder wie ein Hellseher ganz im Finstern« (II 172). Die scheinbar unverbrüchlichsten sprachlichen Konventionen gelten nicht mehr: Es gehen nicht Menschen, son15

dem Gedanken vor die Hunde (vgl. II 172); nicht Ideen muß man sich aus dem Kopf schlagen, sondern die eheliche Hand (vgl. II 170). Andererseits werden neue Bezüge geschaffen. Zeugmatisch schneuzt man Nase und Licht (II 172), vertieft sich sowohl in das schreibende wie in das nähende Stechen, um Satiren und Hüte anzufertigen (II 173f), und redet schließlich, auf die etymologische Verwandtschaft bauend, der Putzmacherin die Lichtputze in die Hand (II 171). Neu ist auch die mit pseudosakraler Bedeutung aufgeschwellte »Lehre von der Lichteranzündung« (II 169), die Siebenkäs freilich nicht auf »Welt- und Kirchenlichter« (II 173), sondern nur auf ordinäre Kerzenlichter angewandt wissen möchte, um von ihnen »Licht [- wieder doppelsinnig -] für seine Arbeit« (II 171) zu beziehen. Der zweite, unmittelbar folgende Passus (II 174ff) handelt zunächst von der finanziellen Misere des Advokaten und seinen Überlegungen, wie ihr abzuhelfen wäre. Daß kein Geld mehr im Haus ist, wird ganz lapidar jedoch erst im zweiten Satz gesagt. Im ersten tritt die Armut, ironisch ins Lateinische transponiert, als Hausgöttin auf. Ihre stille Anhängerschaft, die Armen, werden mit einer unsichtbaren Kirche verglichen, die überall im Lande ihre Hausaltäre zu Opfer und Huldigung aufgerichtet hat. Ganz parallel formuliert ist die nächste Information. In einem winzigen Nachsatz wird dem Leser mitgeteilt, daß Siebenkäs unter keinen Umständen bereit sei, irgend etwas zu borgen. Dem voraus geht die Begründung: Borgen bedeutet Verlust von Ehre und Freiheit, und weil Siebenkäs beides nicht zu opfern bereit ist, will er den Gedanken daran noch nicht einmal erwägen. Im folgenden Satz holt der Erzähler noch weiter aus, indem er die nunmehr bloß fiktiven Schulden des Advokaten mit der englischen Nationalschuld vergleicht, die, Taler an Taler gereiht, einen zweiten Äquator bilden könne. Doch auch damit nicht genug. Die Staatsschulden des englischen Empires müssen noch mit einem Nasenring, der dem englischen Löwen angehängt wird, mit einer ringförmigen Finsternis und mit einem Hof um die - ein Vergleich im Vergleich - britische Sonne verglichen werden. Schließlich wird das Ganze als »negative Geldkatze« bezeichnet, die sich dem Advokaten als Stachelgürtel, Eisenring und Schmachtriemen um den Leib legen würde. An diese Vermutungen knüpfen sich weitere; der Erzähler kommt auf das Finanzgebaren der Staaten und Banken zu sprechen und muß es noch schnell mit dem kluger »Schuld- und Edelleute« (II 175) vergleichen, bis er schließlich wieder auf Siebenkäs zurückkommt, der sich entschlossen hat, statt Ehre und Freundschaft nur Möbel zu verpfänden. 16

Ein großes sprachliches Potential wird aufgewandt, um weniges zu sagen. Der Erzähler gerät vom Hundertsten ins Tausendste, auf allerhand unvorhersehbare Seitenpfade; die bloße Information wird, scheinbar willkürlich, aufgeschwemmt durch Anspielungen, weithergeholte Vergleiche, Bildungsreminiszenzen und kuriosen Wissensstoff, nicht zuletzt, um Gedanken fortzuspinnen, die, bei Licht besehen, gar nichts weiter zum Gegenstand haben als von der Sprache evozierte Einfälle. Die Metaphern heben sich in ihrem Wert gegenseitig nahezu auf, keine scheint wirklich ernst gemeint zu sein, und ihre Zahl ist so beliebig und so unendlich wie die Möglichkeiten der Dinge, miteinander in Beziehung zu treten. Das vermeintlich stabile Bezugssystem von Sprache und Welt wie das sprachimmanente von Bezeichnung und Bedeutung signifiant und signifie - scheinen hier außer Kraft gesetzt. Man beachte nur, um ein letztes Beispiel zu geben, wieviel sprachliche Metamorphosen allein das Zinngeschirr des Ehepaares Siebenkäs auf drei Druckseiten durchzumachen hat - es sind nicht weniger als siebzehn (II 175ff). Siebenkäs hält Heerschau im Schrank, wo ein Teller wie ein doppeltes Ausrufezeichen steht; er betrachtet die Eßgeschirre wie Vor- und Hintermänner, entscheidet sich schließlich für einen der letzteren, gibt »Reisegefährten und Refugies« zu, Heringschüssel, Sauciere und Salatiere nämlich, und ordnet die »restierende Mannschaft«. Danach beginnt das Feilschen um die »Geächteten« bzw. die »tätigen und leidenden Absonderungsgefäße«, die Siebenkäs und nun wechselt das Zinn aus dem militärischen in den musikalischen Bereich über - wie ein »vierstimmige[s] Quadro aus dem Zinn-Tone in den Silberton zu übersetzen [gedenkt] als ein guter Musikus« (II 175f). Seine Qualitäten in dieser Eigenschaft bleiben offenbar davon unbeeinflußt, daß er bei dieser Prozedur nicht bloß Optik und Akustik, sondern auch die Metalle vermischt. Alsbald, in der großen Rede des Advokaten an seine Frau, wechselt das Geschirr dann ins anatomische Fach, wird dort zum »Brust- und Herzgehenke«, gar zum »Herzbeutel« selber, oder, pathologisch schon fast, zum »Herzwurm«; darauf wird es als »Quark« ins lukullische überführt und in die Heilkunde endlich, wenn es, um die Not zu kurieren, wie Wurmpulver »in Stücken eingenommen und verschluckt« (II 177) werden soll. Die Zoologie kommt noch zu Wort, wo der Advokat das seiner Frau abgerungene Zinn mit dem Fang eines »schillernden Taubenhalses« vergleicht, und selbst ins Staatsökonomische versteigt sich der Hausherr am Ende durch den heimlichen Entschluß, »den Bettel beim Zinngießer wie eine Reichspfandschaft ewig sitzen« zu lassen (II 178f). 17

Exemplarisch für die Prosa Jean Pauls ist dies ein Text, der nicht gelesen werden kann, wie jeder andere, da die gewohnten sprachlichen Zuordnungsschemata aufgehoben sind. Informationstheoretisch gesprochen fehlt ihm die Redundanz, die bis zu einem gewissen Grade auch vom poetischen Text erwartet werden kann; es fehlen die Geläufigkeiten und die verläßlichen syntaktischen wie semantischen Bezüge, die, wenn nicht Eindeutigkeit, so doch Deutbarkeit verbürgen. Zwar wird das generell niemand den zitierten Passagen absprechen wollen, doch infolge der komplizierten, im vorigen nur zum Teil aufgedeckten Struktur vervielfältigt sich dieser Text kaleidoskopartig durch die zahllosen impliziten Anspielungen, Quer- und Rückverweise, durch das behende Spiel mit tausend Fäden, die sich bis in die kleinsten Einheiten hinein verflechten. Es müssen immer mehrere Texte zugleich gelesen werden, soll in die Mehrdeutigkeiten, fortlaufenden Bedeutungsverschiebungen, Vertauschungen, scheinbaren Identifikationen, Ambivalenzen und Metaphernspiele Sinn und Ordnung kommen. Oft genug ergeben sich absurd anmutende Vermischungen kategorial fremder Bezugssysteme, Kombinationen von Disparatem, das, einmal herausgelöst aus dem gewohnten Zusammenhang und nicht mehr systemgebunden, an irgendeinem Punkt eine neue, noch nicht dagewesene Verbindung eingeht. Witzige Illumination ist uneigentliches, verrätseltes oder, setzt man die Konventionen beiseite, gerade umgekehrt wörtliches Sprechen, das sich über die sprachlichen Gepflogenheiten nicht nur hinwegsetzt, sondern sie allererst einmal zu Bewußtsein bringt. In bezug auf die Sprache und ihre Grammatik ist der Witz ein Häretiker, der den Glauben an sie verloren bzw. nie geteilt hat. Er rührt, nimmt man ihn als sprachliches und ästhetisches Phänomen ernst, aus einer tiefen Skepsis gegenüber Syntax und Semantik. Dem naiv gewählten Wort kann er nicht vertrauen; er zwingt im Gegenteil die Sprache, ihr eigenes Verfahren zu reflektieren, indem er sie beim Wort nimmt, ihren immanenten Widerspruchsgeist herausfordert und jede Wendung, jede Fügung auf ihre Brauchbarkeit und ihren Wert hin prüft. Hinter jedem allzu sehr auf Eindeutigkeit pochenden Begriff wittert er das Vorurteil. Er begehrt auf gegen eine Sprache, die aufgrund der erstarrten Idiomatik und festgelegten Mechanismen jederzeit einsatzbereit und über die Dinge einschränkungslos zu verfügen scheint.

18

2. Der Text Da ist zunächst der Unterschied zwischen sprachlichem Zeichen und bezeichneter Sache, den der Witz wieder geltend macht. Imstande, »den Blick von der Sache zu wenden gegen ihr Zeichen hin« (V 194), macht er darauf aufmerksam, daß jede Sprache zwei Ebenen besitzt: die Zeichen- und die Bedeutungsebene, deren Differenz meist nur dann aktualisiert wird, wenn es zu Störungen in der Kommunikation kommt. Verstehen setzt die Kongruenz beider Systeme voraus, und je enger die Beziehung geknüpft ist, was konkret heißt, je konformer die Sprache gebraucht, je besser sie den geltenden Regeln angepaßt wird, desto reibungsloser funktioniert die Verständigung. Anders der Witz. Er nutzt die Störanfälligkeit der Sprache für seine Zwecke, indem er gerade die Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Systemen markiert: Genauer wird man sagen können: alle Möglichkeiten witziger Pointierung ergeben sich aus der Zeichenfunktion der Sprache. Das heißt, jede Pointe spielt offen oder insgeheim mit dem Verhältnis von Zeichen und Bedeutung, mit dem Bedeutungspotential und Bedeutungsspektrum von Wörtern und Sätzen, mit der Zuordnung von Wörtern, Wortverbindungen, Sätzen zu Objekten und Sachverhalten, mit dem Verhältnis zwischen Sprache und außersprachlichen Korrelaten, mit der Möglichkeit, Wörter und Sätze in verschiedene Kontexte einzustellen oder verschiedene Prämissen der Wort- und Satzbedeutung anzunehmen. Kein Gedanke und keine Gedankenverbindung ist und wirkt witzig, wenn sich nicht in der Aussage Gemeintes und Mittel des Meinens voneinander abheben. 14

Die sprachlichen Mittel erscheinen im Witz dem vordergründig Gemeinten, dem Bezeichneten gegenüber irgendwie unangemessen, derart, daß sich die sprachliche Darstellung vom Dargestellten zu emanzipieren, der Unterschied zwischen Zeichen und bezeichneter Sache plötzlich bemerkbar zu machen beginnt. Wo aber die Verbindung von Zeichen und Bedeutung nur noch auf Widerruf besteht oder gänzlich aufgehoben ist, werden die Zeichen selber als Dinge sichtbar und wird auf der anderen Seite die scheinbar naturgegebene Bedeutung der einzelnen Wörter und Begriffe zerstört. Sie können innerhalb desselben Textes mit wechselnden, ja einander ausschließenden semantischen Qualitäten auftauchen. Indem er die Sprachzeichen vertauscht, verschiebt, in neuen Oppositionen konfrontiert und gleichsetzt, was weit auseinander lag, aktiviert der Witz die Eigendynamik der Sprache und führt das Zuordnungssystem von Zeichen und Bedeutung ad absurdum. 14

Wolfgang Preisendanz: Über den Witz. Konstanz 1970 (Konstanzer Universitätsreden 13), 20f.

19

So werden »halbe, Drittel-, Viertel-Ähnlichkeiten zu Gleichheiten« (V 174), weil sie der Witz sprachlich zusammenzwingt. Indifferent zunächst gegenüber ihren Bedeutungskorrelaten, ist der Witz nur an den Zeichenkonstellationen interessiert, die er in immer neuen Variationen herzustellen weiß. Der Witz, »kalt gegen das Verglichene und gegen das Gleichende, löset beide in den geistigen Extrakt ihres Verhältnisses auf« (V 187). Dadurch entzieht er die Sprache dem direkten Zugriff, der sie zum bloßen Transportmittel von Information herabsetzt, und erweist sich als Methode par excellence, Sprache zu entpragmatisieren, d. h. sie eindeutiger Determinierbarkeit innerhalb eines bestimmten Zweckzusammenhangs zu entziehen. Witzige Texte sind komplexe Texte, deren einzelne sprachliche Elemente nicht im Textganzen aufgehen, sondern durch die überraschenden Kombinationen, die sie eingehen, die >StörungenVorschuleEntwirklichung< insofern, als nicht mehr die Bilder gemeint sind, die sich die Sprache von den Dingen gemacht hat. Der Bedeutungsüberschuß führt zur Aufhebung des Faktischen; das Gegenständliche, das Erzählte überhaupt verliert seine vorgebliche Objektivität. Auch wo Wirklichkeit aufgebaut, in Vergleichen herangeholt oder in Bildern evoziert wird, geschieht dies nur, um sie wieder rückgängig zu machen. Ein zweiter Vergleich führt den ersten ad absurdum, eine zweite Metapher relativiert die vorhergegangene in ihrer scheinbar gültigen Verbindlichkeit. Wenn alles mit allem verglichen oder gleichgemacht wird, bleibt schließlich nichts, oder zumindest nichts Greifbares, eben: »Rauschgold« (V 195). Der Witz macht jede unveränderlich scheinende Fiktion einer gegenständlichen Welt hinfällig. Wirklichkeit ist nur noch zur >ProbeScheinkrieges< (vgl. V 179), den die Sprache im Witz gegen sich selber entfacht. Wirklichkeit wird sichtbar als sprachliche Fiktion, folglich als geschichtlich bedingte und veränderliche Größe. Vor allem aber rebelliert der Witz gegen jene Sprache, die auftritt in der Form des kategorischen Urteils. Unter Verzicht auf die »grammatischen leeren Gedanken« (V 176) und die Legitimation der Schulphilosophie setzt er an die Stelle der diskursiven Logik den »weiblichen Vernunftschluß« (V 342). Weil bei ihm das »Licht« »aus der Wolke selber fährt« (V 172), braucht er seine Botschaft nicht zu entwickeln. Auf Begründungszusammenhänge wird verzichtet, die Logik dem »Volteschlagen der Sprache« (V 179) überantwortet und die Welt »umgekehrt verkauft«, »Ganzes für Teil, Ursache für Wirkung [...] und dadurch der ästhetische Lichtschein eines neuen Verhältnisses geworfen«. Gegen die universale Herrschaft der Kausalität wird die »taschen- und wortspielerische Geschwindigkeit der Sprache« (V 174), werden scheinlogische Beziehungen, metaphorische Exerzitien und zuweilen auch der bare Widersinn aufgeboten. Gegen die totale Determination und Berechenbarkeit führt der Witz den Zufall ins Feld: Der zweite wahre Reiz des Wortspiels ist das Erstaunen über den Zufall, der durch die Welt zieht, spielend mit Klängen und Weltteilen. Jeder Zufall, als eine wilde Paarung ohne Priester, gefällt uns vielleicht, weil darin der Satz der Ursächlichkeit (Kausalität) selber, wie der Witz, Unähnliches zu gatten scheinend, sich halb versteckt und halb bekennt. (V 193)

23

Die Sprache, so möchte man fast sagen, besinnt sich im Witz auf ihre Illegalität, auf die Möglichkeiten, die ihr von der Grammatik abgesprochen worden sind; sie macht sich frei vom syntaktischen und semantischen System, wird anti-grammatisch. Der Witz ist der »verkleidete Priester, der jedes Paar kopuliert« (V 173), der Beziehungen herstellt, die es von Gnaden der Logik gar nicht geben dürfte. Fast beiläufig werden in den Metaphern die gewohnten Verhältnisse umgestoßen, oder ihre würdevolle Ordnung verpufft in lustvollen Antithesen. Der Witz denkt in Brüchen - »er ist atomistisch, ohne wahre Verbindung« (V201) verknüpft frei, assoziativ, denn die Phantasie, die »uns nötigt, ohne Schluß und Übergang aus der schweren Materie das leichte Feuer des Geistes zu entbinden«, hat am Witz »den überwiegenden Anteil« (V 182). Doch dem Verzicht auf Methode verdankt er seine Durchschlagskraft. Der Funke entspringt dort, wo zwei Gedanken unvermittelt zusammenschlagen, gerade »im Widerspruch mit der Hausordnung und den Hausgesetzen des Geistes«.18 Die Grundform des Witzes ist die Paradoxie, eine Provokation gegenüber allem Definitiven. Gegen die »lange Reihe von Begriffen« (V 172), deren Erstarrung und scheinbar sakrosankte Hierarchie läuft die Sprache Sturm. Es ist gleichsam eine Revolte gegen die falsche, anmaßliche Ehrfurcht, die das Urteil genießt, weil es vorgibt, die Wahrheit allein zu verbürgen, weil es nur das Denken als logisches Kontinuum, nicht aber den »Sprung der Ansichten« (V 181), nicht das Unerwartete, weil es nur das Systematische zugelassen und, wissenschaftlich verbrämt, die Alleinherrschaft über die Welt an sich gerissen hat. Der Witz aber hält am Widerspruch fest. Seine Stärke liegt im Fragmentarischen, das er gegen jeden Integrationsversuch strikt behauptet, und in seiner Kürze. Da bleibt alles Nebensächliche beiseite, und nur die Vergleichspunkte, auf die es ankommt, werden »einsam in helle Strahlen scharf aneinander[ge]rückt« (V 176). Die sprachliche Kürze dient der » Verbesserung« (V 175) der Gedanken, bedeutet Klarheit (vgl. V 177), wenn auch auf eine andere Weise als die der begrifflichen Abstraktion. Denn der Witz entwickelt eine Heuristik eigener Art, als genialer Erfinder, der die Sprache in ein permanentes phantasievolles Experiment mit ihren eigenen Möglichkeiten hineinreißt und dessen literarische wie ästhetische Qualitäten sich am Überfluß messen, an dem, wie verschwenderisch er mit seinen Einfällen, den Wunderkindern, die er in die Welt setzt, umzugehen vermag (vgl. V 171). Darum muß der Witz »gießen, nicht tröpfeln« (V 199). Er schafft neue Verhält18

24

Kuno Fischer: Ueberden Witz. Heidelberg o. J. (vermutl. 2. Aufl., 1889), 54.

nisse, neue Konstellationen und sprachliche Innovationen, in denen die alten Bindungen aufgesprengt werden. Er schafft neue Bedingungen, unter denen Sprache und Realität aufeinandertreffen, sich neu einander zuordnen lassen, nachdem die konventionellen Schemata ihren Nimbus, ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Sprache hat sich so am Gegenstand wieder zu erproben, nachzuweisen, was sprachlich trägt und was schon längst hinfällig geworden ist. Sie hat sich mit sich selber als eine der zwingendsten, Wahrheit verhüllenden Konventionen auseinanderzusetzen und ihren Anspruch zu überprüfen, besser noch: ihre Macht in Frage zu stellen. Der Witz macht die Brüche in der Realität wieder kenntlich. Er zeigt die Unangemessenheit einer Sprache, die sie durch Begriffe und Systeme einzuebnen und über ihre Antagonismen hinwegzutäuschen sucht. Die witzigen Metaphern haben nicht mehr mimetische Funktion, indem sie gedanklich Präformiertes abbilden, sondern sie »reißen die erstarrte Realität hinein in die Möglichkeit einer Verwandlung durch die Geschichte«.19 Eben das gibt den Dingen etwas von ihrer Substanz zurück, die sie, eingefügt in bloße Zweckzusammenhänge, verloren haben. Der Witz stiftet Analogien, schafft Korrespondenzen, dehnt das verengte Bedeutungsfeld der Begriffe aus und teilt nicht zuletzt gerade das mit, was stillschweigend ausgeklammert worden war. Er nimmt sich die Freiheit, »statt des Feigenblattes oft nur dessen fein gearbeitetes Blatt-Gerippe« (V214) vorzuhängen, um die sprachlichen Tabus zu durchbrechen. Mit Hilfe der metaphorischen Dynamik setzt er die Welt wieder in Bewegung und löst die überkommenen Sprachmuster zu neuen Verknüpfungsmöglichkeiten auf, ohne sich bei einer von ihnen festzulegen. Auf »flüssigen Boden« führt die »Schwelgsünde« solcher Gleichnisse (V 187), wie es Jean Paul kokettierend nennt, da der Witz »das Gegenteil vom festen Besitz, nämlich beweglichen«20 schafft. Er vollzieht in der Sprache und gegen deren eigene Tendenz zur ideologischen Erstarrung die »Rückverwandlung des Wirklichen in den Horizont seiner Möglichkeiten«.21 Die Bedeutung, scheinbar ein für allemal festgelegt, macht wieder dem vielfältigen Angebot, vor allem aber dem Gegenstand selber Platz. Wahrheit ist nicht mehr eine von vornherein abgemachte Sache, sondern sprachliche Probe. Die Nu" Peter von Haselberg: Musivisches Vexierstroh. Jean Paul, ein Jakobiner in Deutschland. In: Uwe Schweikert (Hrsg.): Jean Paul. Darmstadt 1974 (Wege der Forschung 336), 181-207; hier 191. 20 Walter Höllerer im Nachwort zu Bd. I der Jean Paul-Ausgabe bei Hanser, 1335. 21 Schmidt, Ästhetizität, 40.

25

ance wird wieder entdeckt und die Möglichkeit zur Differenzierung. Sprache besinnt sich mit Hilfe des Witzes auf ihre primäre, in Verantwortung auszuübende Funktion, Wirklichkeit zu konstituieren und so mittelbar Geschichte - Geschichte im Reflex der Rede über die Ereignisse - in Gang zu bringen, und dies nicht auf den Bahnen des vorgefaßten Urteils, sondern mit dem unverzerrten Blick auf die Dinge selbst.

3. Der Leser Wie kaum ein anderes sprachliches Phänomen verlangt der Witz nach engem Kontakt mit seinem Adressaten. Wenn die Pointen ankommen wollen, müssen ihm dessen Sprach- und Denkgewohnheiten aufs genaueste vertraut sein. Vor allem aber muß er ihn als Rezipienten richtig einzuschätzen wissen, um ihn überhaupt herausfordern zu können. »Die Menschen«, so weiß Jean Paul aus langer, intimer Bekanntschaft zu berichten, »hoffen (in ihrem halben Lese-Schlafe) stets, im Vordersatze schon den Untersatz mitgedacht zu haben und mithin die Zeit, welche sie mit dem Durchlesen des letzten verbringen, angenehm zur Erholung verwenden zu dürfen - wie fahren sie auf (das kräftigt sie aber), wenn sie dann sehen, daß sie nichts errieten, sondern von Komma zu Komma wieder denken müssen!« (V 176) Und genau darin besteht die Provokation des Witzes gegenüber dem Leser, der bei einem witzig formulierten Text nicht mehr mit dem üblichen Maß an Redundanz rechnen kann, sondern in seinem Leserhabitus fortlaufend irritiert wird. Zum Witz gehört der Überraschungs-, ja Überrumpelungseffekt, 22 die plötzliche Peripetie, die den Leser zwingt, noch einmal zurückzulesen, um den Anfang einer Periode unter dem Licht, das von ihrem Ende her auf sie gefallen ist, neu zur Kenntnis zu nehmen und das erste Verständnis als voreilig und irrtümlich zu revidieren. Die Leseerfahrungen, über die der Rezipient verfügt, erweisen sich unter solchen Umständen als unzureichend. Was irritiert, sind in erster Linie die geringen, sich nahezu unmerklich in den Text einschleichenden Variationen, weil sie scheinbar auf die Erwartung des Lesers rekurrieren und ihn zuerst das Konventionelle assoziieren lassen, bis sich dann auf überraschende Weise das Unerwartete entpuppt.23 So führt der Witz systematisch seine Angriffe gegen die etablier22 23

26

Vgl. Preisendanz, Über den Witz, 27. Dazu auch Harald Weinrich: Semantik der kühnen Metapher. In: DVjs 37, 1963, 325-344: »Gerade die Nahmetaphern sind befremdend und verfremdend und erscheinen uns kühn. Fernmetaphern sind ungefährlich.« (335)

ten Lesegewohnheiten und die simple Deutung, die vorschnell ihr Genüge findet und an dem scheinbar Kapierten festhält. Durch Verkehrung der Gedankengänge, durch Perioden, die sich nur rückläufig erschließen lassen,24 kollabieren die Erwartungs- und Ordnungsschemata des Rezipienten.25 Der Witz nimmt dem Leser die sprachliche Orientierung und bedeutet ihm, daß er mit den Regeln, über die er verfügt, einem witzig illuminierten Text so ohne weiteres nicht beizukommen vermag. Deshalb bleibt ihm nur die Wahl, über »gestörten Nex« (V 206) zu jammern und das scheinbar Unverständliche auf sich beruhen zu lassen oder seine Vorurteile - gegebenenfalls auch seine Ängste - abzubauen und sich auf das noch keineswegs abzusehende Experiment einzulassen. Der erste Schritt zum Verstehen eines solchen Textes ist die Bereitschaft, sich an seiner Herstellung zu beteiligen, und zwar an der Herstellung des versteckten, des mitgemeinten Textes oder auch der verschiedenen Texte, die zuweilen simultan, manchmal aber auch als Kontrast zum oberflächlich präsenten Text intendiert sind. Das bedeutet, daß die Anspielungen erschlossen, das Ausgesparte, Verkürzte, die fehlenden Zwischenglieder ergänzt, die Leerstellen ausgefüllt werden müssen; daß mit dem Text und gegen den Text gelesen werden muß; daß ans Licht gebracht werden muß, was sich in den witzigen Vexierbildern verbirgt. Der versteckte Hintersinn ist zu entziffern; aufzufangen und zu begreifen, was in den Allusionen, disparaten Kombinationen, den Widersprüchen und den verblüffenden Oppositionen explosiv in Erscheinung tritt und sich zu Unsinnig-Sinnvollem neu verbindet.26 »Jede 24

»Gesetzt, ich sagte hier mehr Beispiels als Scherzes wegen: sonst im alten Rom bewahrten Tempel die Bibliotheken auf, jetzo aber Bibliotheken die Tempel [.. .], so zwäng' ich den Verstand in wenigen Worten und Augenblikken zu schnellem Umwenden und zweimaligem Durchlaufen einer Gedankenreihe.« Dazu die Anmerkung, die als fehlendes Zwischenglied ergänzt werden muß: »Denn unser Gottesdienst wird jetzo meist in Büchern gehalten.« (V 177) 25 Vgl. Preisendanz, Über den Witz, 28 u. 32f. 26 Zur Anspielung, eines der wichtigsten Mittel witzigen Sprechens, bemerkt Preisendanz, Über den Witz, 23f: »Die Anspielung suggeriert im Medium der Sprache Unausgesprochenes als ergänzenden Kontext des Ausgesprochenen, sie bewirkt die virtuelle Anwesenheit fehlender Komplemente. Die Leistung der Pointe besteht darin, einen expliziten Sachverhalt so darzubieten, daß dieser einen hintangehaltenen Sachverhalt zu substituieren zwingt. Mittels der Pointe wird das durch Sprache Bedeutete (Dinge, Umstände, Vorkommnisse, Äußerungen und so fort) wieder zu einem Signifikanten, dessen Signifikat der Hörer beziehungsweise der Leser als Sinn des Witzes entdecken muß.«

27

Unähnlichkeit erweckt die Tätigkeit« (V 176), behauptet Jean Paul, und man könnte hinzusetzen: jede Andeutung, jede Paradoxie, jeder schiefe Vergleich, beruft sich doch der Witz, wie gesagt, oft nur auf »teilweise Gleichheit« (V 171). So provoziert er die Denktätigkeit und den Scharfsinn des Lesers, der selbst zu vollziehen hat, was der Witz wohl andeutet, aber gleichzeitig auch wieder koboldartig verweigert, insofern im wohlkalkulierten Zufall das Gesetz der Folge »sich halb versteckt und halb bekennt« (V 193). Da sich die Sprachelemente zu isolierten Gebilden verselbständigen, liegt es allein an der Rezeption, einen sinnvollen Zusammenhang herzustellen und den Widerstand zu überwinden, den die autonomen Zeichen einer Integration entgegensetzen. Auf diese Weise sieht sich jedenfalls der Leser zu erheblichem geistigen Aufwand gezwungen, wenn er dem Text und seinen »elektrischen Kunststücken« (V 843) etwas abgewinnen will. Denn dieser rechnet keinesfalls mit einem >schlichten LeserWundergeburten< (vgl. V 171) sonst totgeborene Kinder sind. Die Pointe ist immer eine Blitzgeburt und wäre zum Tode verurteilt, wenn sie mühsam zutage gefördert würde. Durch den geheimen Widerspruch, der sich am schiefen Vergleich entzündet, wirken die Metaphern als motorische Kombinationen, 28 die Stoff und Leser nicht zur Ruhe kommen lassen. Jean Paul konnte sich nicht genugtun, diese Eigenschaft des Witzes hervorzuheben. Einer chemischen Substanz vergleichbar, die alte Verbindungen aufzulösen und neue einzugehen vermag, ist er der »schnellste^ .] Mittler des Verstandes« (V 341), das »schnellste Reizmittel für den Geist« (V 197), das die »unbewegliche[n] Güter« (V 842) des Verstandes, Bilder und Gedanken, wieder zu beweglichen macht. Läßt sich der Rezipient auf den »dialektische[n] Zickzack« (V 151) des Witzes ein, dann muß er alle sprachlichen Fixie27

Bei Gelegenheit des >Titan< ergehen folgende Klagen über Jean Paul: »Es geht nicht darum, zu erzählen, sondern es geht darum, geistreich zu erzählen, so, daß wir weniger das Erzählte als das witzige Denken des Erzählers selbst zur Kenntnis nehmen. Auch hier behauptet er seine Unabhängigkeit vom Gegenstand, den Geist, der über den Wassern schwebt. Eine solche Isolierung des Geistes jedoch, des Denkens an sich, empfindet der schlichte Leser als Kopfweh.« (Emil Staiger: Jean Paul: »Titan«. Vorstudien zu einer Auslegung. In: Staiger: Meisterwerke deutscher Sprache aus dem 19. Jahrhundert. 4. Aufl., Zürich 1961, 57-99; hier 93) 28 Vgl. Höllerer, Nachwort, I 1334.

28

rungen, Normvorstellungen und Einseitigkeiten verabschieden, will er nicht Schiffbruch erleiden. Er muß blitzschnell erfassen, kombinieren und komplettieren, und so flexibel sein, daß er bei den plötzlichen Richtungswechseln nicht >aufsitztAufsitzer< genannt wird. (Beispielsweise Josef Körner: Der Witz. Oskar Walzel zum 70. Geburtstag dargebracht. In: Preußische Jahrbücher 239, 1935, 128-149; hier 140) Auch Jean Paul wartet mit Beispielen auf, etwa dem folgenden: » >Es braucht viel Zeitbis eine Welt untergeht - weiter aber auch nichts.«< (V 180) Schmidt, Ästhetizität, 31. Schmidt, Ästhetizität, 14.

29

jektiver Willkür sich den Stoff einverleibt oder umgekehrt sich ihm bedingungslos überantwortet. Nur so kann es zu einer Ausschöpfung des Textes und zum angemessenen Verstehen kommen. Gerade der witzige Text zwingt den Rezipienten durch die gegen bloße Vereinnahmung und Konsumierung aufgebotenen Widerstände, ihn als Objekt zu würdigen, weil er sich mit ihm, so paradox das erscheinen mag, ernsthaft auseinandersetzen muß. Denn der Witz ist nicht bloß ein Spaß; durch ihn erhält das Objekt seine Würde als Gegenstand wieder zurück, während sich gleichzeitig der Leser dem sprachlichen Terror entzieht. Zwischen Subjekt und Objekt entsteht ein anderes Verhältnis, oder genauer gesagt, es gibt sie nicht mehr in dem Sinne, daß sie einander gegenüberstehen. Stattdessen bilden sie Prozeßvariable, die ihre Starrheit zugunsten der Relation aufgegeben haben, und zwar einer Relation, die ihrerseits wiederum genauso wenig statisch sein kann, weil sie sich nicht länger an festen Punkten orientiert. Was sich in der Rezeption vollzieht, hat konstitutive Bedeutung; aber durch die laufend geforderte Umstrukturierung kleinerer und größerer Texteinheiten wird der Rezeptionsprozeß selber thematisiert, und es rückt der Vorgang ins Blickfeld, durch den objektivierbarer >Sinn< überhaupt erst zustandekommt, nämlich durch Auswahl, Subsumtion und Urteil, wobei sich der Rezipient selber als entscheidendes Moment erfährt, das mit seiner Subjektivität und Manipulation am Ergebnis teilhat. Damit verbunden wird der subjektive Charakter jeder durch Sprache vermittelten Wirklichkeit offenbar. Indem aber der witzige Text sich der totalen Determination entzieht, unterläuft er den Absolutheitsanspruch des Begriffs und bekennt sich zum Entwurfscharakter von Sprache und Wirklichkeit. Er zeigt den jeweiligen »ontologischen Zustand des Wirklichen als perspektivisch Verfaßtes, also interessenspezifisch Konstituiertes«,32 d. h. in der Abhängigkeit von der Weise seiner sprachlichen Vermittlung. Weil der witzige Text nicht eine angeblich objektive Wirklichkeit, sondern deren Konstituierung durch Zuordnung von Sinn und Bedeutung mimetisch abbildet, präsentiert er sie als Korrelat der Sprache und ihrer Grammatik. Er weist darauf hin, daß Objektivität eine Funktion des Subjekts und seiner Begriffe ist. Der Rezipient erhält die Möglichkeit, die Welt als gesellschaftliches und geschichtliches Produkt zu begreifen, das solange wenig mit der Objektwelt zu tun hat, als diese Grundverfassung von Wirklichkeit unreflektiert bleibt. Aus der Distanz zum Text jedoch, die der Witz - »der 32

30

Schmidt, Ästhetizität,

42.

selber sogar den Charakter erkältet« (V 196, Anm. 1) - dem Leser aufnötigt, kann diese Reflexion stattfinden. Sie fordert dazu heraus, ein kritisches Bewußtsein von der Wirklichkeitsverfassung zu entwickeln und zu begreifen, daß sie nicht unwiderruflich diese oder jene Gestalt haben muß. Darin, daß er »den Zusammenhang von sinnsetzender Handlung und deren Bedingungen und dem als Wirklichkeit geltenden Sinn« 33 sichtbar macht und den Leser zur geistigen Emanzipation aufruft, indem er »ein freies Beschauen« (V 200) erzeugt, liegt im besonderen Maße der Erkenntnisgewinn des Witzes. Es ist der erste Schritt zur Unabhängigkeit, weil nur ein freier Geist sich von den rigorosen Festlegungen der Sprache zu distanzieren vermag. Unbefangenheit gegenüber den eigenen Setzungen tut not, und der Witz ist es, der die »Handhabung der Ideen lehrt« (V 842). Daraus resultiert ein »unschädlicher«, aber höchst wirkungsvoller »Zirkel«, der Freiheit und Gleichheit in ein umkehrbares Verhältnis von Bedingung und Folge bringt: Freiheit gibt Witz (also Gleichheit mit), und Witz gibt Freiheit.

(V 201)

Mit dieser These begründet Jean Paul die »Notwendigkeit deutscher witzigen Kultur« (V 199), zu einem Zeitpunkt, da das Systemdenken in Philosophie und Wissenschaft auf Kosten des Realitätssinnes und der praktischen Handlungsfähigkeit seine fatalen Triumphe feiert. Ironisch verkleidet geht die ästhetische Theorie in politische Satire über: Alle Nationen bemerken an der deutschen, daß unsere Ideen wand-, band-, niet- und nagelfest sind und daß mehr der deutsche Kopf und die deutschen Länder zum Mobiliarvermögen gehören als der Inhalt von beiden. (V 199)

Umso dringender und legitimer erscheint es, das Bedürfnis nach Witz wieder wachzurufen. Denn so sehr dieser aus allen zweckrationalen Zusammenhängen entbunden ist und »nichts [will] als sich«, das Spiel um seiner selbst willen (V 201), so wenig handelt es sich doch dabei um ein selbstgenügsames Glasperlenspiel. Wäre der »in Kartausen« (V 842) eingepferchte Geist zum Mitspielen bereit, so erführe er die ihn umgebende Wirklichkeit nicht mehr in der Form von Herrschaft und blinder Unterwerfung, sondern als Gegenstand schöpferischer Auseinandersetzung. In der »Spielstunde des Witzes« wird das Objekt aus dem System entlassen und verwandelt sich zu dem, was es war, ehe es vom »besonnenen Geschäftgeist« in Dienst genommen und zum Gegenstand seiner Willkür erniedrigt wurde (V 843). Zwar verfremdet der Witz, doch nur im Rahmen einer schon entfremdeten Welt. In Wirk" Schmidt, Ästhetizität,

43.

31

lichkeit treibt ihn die Achtung vor der Eigenständigkeit der Dinge, deren Objektstatus er negiert. Die Verbindlichkeit seiner spielerischen Experimente besteht in der Aufhebung des verbindlichen Begriffs und seines gebieterischen Urteils. Das aber bedeutet Emanzipation, »Geistes-Freiheit« (V 194) gegenüber dem anmaßenden Spruch. Und umgekehrt: daß die Wirklichkeit als Ganzes verwandelt wird, wenn »der Geist sich ganz frei gemacht hat« (V 202), daß eine neue >erfunden< wird (vgl. V 842), wenn die Strukturen von Herrschaft und Beherrschung im »Dithyrambus des Witzes« außer Kraft gesetzt sind und an ihre Stelle »die allgemeine Gleichheit und Freiheit« (V 202) der Gedanken und Ideen getreten ist. Der Sprache endlich wird eine wesentliche Qualität zurückgegeben, die dem rationalistisch verkürzten Verständnis nach in jedem einzelnen Begriff verleugnet werden muß: die Zukunftsdimension, an der sich entscheidet, wie human sie ist.

32

II.

WITZ U N D TRANSZENDENTALE POESIS

Witzige Verkörperung

Die knappen Anmerkungen zur Begriffsgeschichte haben bereits auf den Zusammenhang zwischen der Geschichte des Witz-Begriffs und der Poetik des 18. Jahrhunderts hingewiesen. Beide waren aufs engste miteinander verbunden, mehr noch: dieser Begriff selbst hat eine nicht unwesentliche Rolle in der Entwicklung der Ästhetik zu einer eigenständigen theoretischen Disziplin gespielt, insofern er durch die ihm allmählich zugewachsene Bedeutungserweiterung dem philosophischen Interesse neue Bereiche erschloß.1 Er vermittelte geradezu die Emanzipation der Phantasie gegenüber den anderen Erkenntnisvermögen. Denn was die klassisch-idealistische Ästhetik mit ihrem zentralen Begriff vom Genie meinte, war der »produktive«, der »schöpferische Witz«,2 den Kant auch als »das Vermögen der Darstellung ästhetischer Ideen«? bezeichnete. Damit war das Schöne, waren Kunst und Poesie endgültig vom Dogma bloßer Naturnachahmung befreit; dem begrifflich-analytischen Denken stand ein unabhängiges, »produktives Erkenntnisvermögen« zur Seite, »sehr mächtig in Schaffung gleichsam einer andern Natur, aus dem Stoffe, den ihr die wirkliche gibt«.4 Ich brauche nicht erst zu betonen, daß hier wesentliche Voraussetzungen für Jean Pauls poetische Heuristik liegen. Doch so, wie die >Vorschule< bei der älteren Bedeutung des Witzes anknüpft, reicht sie auf der anderen Seite historisch erheblich über Kant und die ihm folgende klassische Ästhetik hinaus; ihre Affinität zu den zeitgenössischen Positionen läßt sich nicht leugnen, und sie selbst, trotz aller Eigentümlichkeiten, die eine eindeutige epochale Zuordnung so schwierig machen, versteht sich als romantisch, in einem Sinn allerdings, der noch der Erläuterung bedarf. Jean Paul beruft sich, was gerade den 1

2

J 4

Zu den einzelnen Etappen vgl. Alfred Baeumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft. Repr. Nachdruck der 2. Aufl. von 1967, Darmstadt 1974. Immanuel Kant: Werke in zehn Bänden. Hrsg. v. W. Weischedel. Darmstadt 1968. Bd. II, 537. Kant, Werke VIII, 413. Kant, Werke VIII, 414.

33

Witz betrifft, namentlich sogar auf Friedrich Schlegel (vgl. V 171),5 und zahlreiche Kategorien, mit denen er das Phänomen zu erfassen sucht, scheinen unmittelbar der romantischen Ästhetik entnommen. So definiert er beispielsweise den Witz als gesellige Kraft (vgl. V 171), 6 zieht einen der wichtigsten Schlegelschen Vergleiche heran, indem er von der geistigen C h e m i e des Witzes spricht (vgl. V 200), 7 gebraucht mehrfach die metereologische Metapher v o m »blitzende[n] Witz« (V 197), 8 betont seinen atomistischen Charakter, schließlich seine Indifferenz (vgl. V 201).' D e m n a c h scheint die Charakteristik des Witzes, wie Schlegel sie in einer seiner späteren Vorlesungen zusammenfassend gab, durchaus mit der >Vorschule< übereinzukommen: Das Unendliche des Witzes aber liegt in der höchsten Freiheit und Gesetzlosigkeit, in der unumschränkten Willkürlichkeit, Ungebundenheit der Phantasie und Fülle der Erfindung. Der Witz liegt dem Verstände näher als dem Herzen, und doch unterscheidet er sich bestimmt von dem Verstände. [...] Der Witz ist ein bloßes Gedankenspiel, der Verstand hingegen arbeitet mit den Gedanken nach Zweck und Absicht. Willkürlicher oder zweckmäßiger Gebrauch der Gedanken - das ist der Unterschied zwischen Witz und Verstand. [...] Soll der Witz göttlich sein, so ist die erste Bedingung, daß er von allen Gesetzen und Banden frei gegeben wird.10 Bereits früher hatte Schlegel formuliert: Der Witz ist wohl eigentlich] das Produkt und d[as] Gebiet d.[er] absoluten logischen Willkühr.11

5

Jean Paul zitiert hier das Lyc.-Fragm. Nr. 9 (vgl. Anm. 6). Eine fast gleichlautende Formulierung findet sich in Schlegels nachgelassenen Fragmenten, den Zusammenhang von Witz und Genie näher erläuternd: »Der Witz ist ein Synkr[etistisches] und Eklektisches] Vermögen; dieß scheint aber auch mit dem Genie d[er] Fall zu sein. Genie ist Witz + το ποιειν, das Bildungsvermögen. Witz ist also eigentlich] fragment.[arische] Genialität.-« (Friedrich Schlegel: Kritische Ausgabe. Hrsg. v. Ernst Behler. München/Paderborn/Wien 1958ff. Bd. XVIII, 102, Nr. 881) 6 Vgl. Schlegel, Lyc.-Fragm. Nr. 9: »Witz ist unbedingt geselliger Geist, oder fragmentarische Genialität.« (ΚΑ II, 148) 7 Die >chemische Natur< des Witzes kehrt bei Schlegel in zahlreichen Variationen immer wieder (vgl. ζ. B. Athen.-Fragm. Nr. 220; 366; 426). 8 Vgl. Ideen Nr. 26: »Witz ist die Erscheinung, der äußre Blitz der Fantasie.« (ΚΑ II, 258) 'Vgl. Friedrich Schlegel: Literary Notebooks. 1797-1801. Hrsg. v. Hans Eichner. London 1957, Nr. 2106: » W i t z die I n d i f f e r e n z « . Und LN Nr. 2143: » W i t z ist zwischen Kunst und Tugend - Liebe und Fantasie - die reinste Indifferenz«. 10 Schlegel, ΚΑ XI, 92f. 11 Schlegel, ΚΑ XVIII, 112, Nr. 1002. 34

Uneingeschränkte Freiheit ist derjenige Zug des Witzes, der sich durch die Facette der Schlegelschen Bestimmungen unangefochten durchhält, und Jean Paul scheint diese Ansicht vorbehaltlos zu teilen, wenn er den Witz als »bloßes Spiel mit Ideen« (V 201, Anm. 3) zunächst ohne Rücksicht auf deren sachliche Bedeutung betrachtet. Bis in den Duktus der Darstellung hinein scheint sich die Übereinstimmung also zu erstrekken. Somit hätte Jean Paul in diesem Kapitel seiner ästhetischen Untersuchungen sich vorbehaltlos zur Romantik bekannt, wäre poetologisch auf der Höhe seiner Zeit und der lästige Streit um seine literarhistorische Zugehörigkeit wenigstens in diesem Punkt entschieden? Daß dem nicht so ist, daß sich gerade an diesem Begriff, so sehr er an der Progression der ästhetischen Theorie des 18. Jahrhunderts beteiligt war, die Geister scheiden, zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf den unterschiedlichen kategorialen Rang und die verschiedenen Funktionen des Witzes innerhalb der ästhetischen Entwürfe.12 Um es vorweg zu sagen: die übergeordnete Kategorie des Witzes liegt für Jean Paul im Humor, für Schlegel in der Ironie. In beiden Fällen handelt es sich um keine zufällige oder gar willkürliche Zuordnung, sondern um die Konsequenz einer philosophischen Entscheidung von so grundsätzlicher Art, daß sich die Vergleichbarkeit zumindest von der Intention her am Ende auf einige wenige Äquivokationen beschränkt. Historisch wie systematisch trennt sie die sogenannte kopernikanische Wende in der Philosophie, die das 18. Jahrhundert in zwei Lager gespalten hat: in Realisten und Idealisten. Wie ein roter Faden durchzieht diese Auseinandersetzung auch die >Vorschule< und überlagert die theoretisch weit weniger ergiebige und zu damaliger Zeit im Grunde schon überholte Konfrontation zwischen der Schulpoetik der Aufklärung und der moderneren, dem schöpferischen Individuum verpflichteten Kunstauffassung, den von Jean Paul inszenierten Parteienhader zwischen »Stilistikern« und »Poetikern«, der die formale Anlage der >Vorschule< im dritten Teil bestimmt.13 Während Nicolai und seine Anhänger ohnehin historisch auf verlorenem Posten standen, kam die eigentliche Provokation für Jean Paul aus Jena. Über das wechselvolle persönliche Verhältnis Jean Pauls zu den Frühromantikern - im wesentlichen zu Friedrich Schlegel, Novalis und Tieck - ist bereits mehrfach gehandelt worden.14 So sehr Jean Paul von 12

Der Mangel solcher Differenzierungen macht die Darstellung Eduard Berends, Jean Pauls Ästhetik, so unergiebig. Sie begnügt sich damit, phänomenologisch Vergleichbares zusammenzustellen ohne Rücksicht auf den sachlichen Zusammenhang (zum Witz vgl. 185ff). 13 Vgl. Berend, Jean Pauls Ästhetik, 41-51. 14 Vgl. Berend, Jean Pauls Ästhetik, 19-35.

35

der »Wahrheit des poetischen Sinns«15 der neuen Schule überzeugt war und in mancher Hinsicht eigene Bestrebungen in ihr wiederfand, so bereitwillig er die kritische Leistung der Brüder Schlegel auch anerkannte, wovon noch ein Brief an Friedrich Schlegel von 1814 zeugt,16 so sehr war er doch entschlossen, »ihre Prinzipien«, 17 die er für falsch hielt, zu bekämpfen. Seine Kritik galt daher weniger den poetischen Erzeugnissen selbst, die hin und wieder ein lobendes Wort erfahren haben, obwohl auch sie der Satire nicht ganz entgingen, weil sie, gemessen am theoretischen Aufwand und Anspruch ihrer Autoren, doch aufs Ganze gesehen enttäuschten; 18 die Kritik galt in erster Linie der Theorie oder genauer ihrer Herkunft aus dem philosophischen Idealismus. Die Philosophie Kants und Fichtes bis hin zu Schellings Identitätsdenken und die »windeierhafte Poetik«19 Schlegels waren für Jean Paul ein paralleles Ereignis; die »fugapleni, der transzendente Fohismus«20 des idealistischen Philosophen und der »horror pleni« (IV 1018) des romantischen Ästheten ein und dasselbe. Beide zählten sie zu den »philosophischen Landstreichern«, 21 gegen die Jean Paul seinen Angriff formierte. Er schrieb gegen die »Fichtisten Schlegel« (III 1019), gegen die »Schleiermacher-Schlegel-Fichtische Teufels-Ackommodazion«, 22 oder kürzer und bündiger, gegen die »verfluchte Philosophen-Horde« 23 von Jena, die ihren gemeinsamen Ahnherrn in Königsberg hatte. So ist die Auseinandersetzung mit Fichtes Idealismus bloß die Fortsetzung der Kritik an der Transzendentalphilosophie, die sich bis in die frühen Satiren zurückverfolgen läßt; dort bereits erprobte Jean Paul sein spezifisches sprachliches Verfahren sowie die szenische Entfaltung seiner Argumente. 24 Substantiell unterscheiden sich diese nicht wesentlich von 15

>Ästhetische Untersuchungen U. 376 (348) (zit. nach Berend, Jean Pauls Ästhetik, 38). 16 SW III, 6, 402 (Brief vom 8. 10. 1814: »Wann werden Sie endlich der Aesthetik wiedergegeben werden, deren Richterstühle jetzo fast ohne Stuhl, Arme und Beine sind?«). 17 An Jacobi, 5. 12. 1798. SW III, 3, 131. lg Über das Mißverhältnis von ästhetischer Theorie und poetischer Praxis heißt es in den »Ästhetischen Untersuchungen (U. 138. (107)): »Wie wenig die richtige Tendenz und Theorie allein hilft, seh' ich an den Schlegeln. Sie schaden durch Beispiel ebensoviel der guten [darüber: oder besseren] Sache, als sie ihr durch Lehre nützten.« (zit. nach Berend, Jean Pauls Ästhetik, 38) " An Otto, 15. 8. 1798. SW III, 3, 84. 20 An Jacobi, 13. 10. 1798. SW III, 3, 106. Vgl. Hanser-Ausgabe IV, 1018. 21 An Jacobi, 22. 12. 1799. SW III, 3, 266. 22 An Jacobi, 21. 2. 1800. SW III, 3, 299. 23 An Otto, 15. 11. 1797. SW III, 3, 6. 24 Ein gutes Beispiel dafür bietet die 2. Szene im 1. Akt der >Baierischen KreuzerkomödieSelina< hinein nahezu allgegenwärtig -, während sich die satirische Methode auf dem Höhepunkt der Polemik, im >Brief über die Philosophie< aus dem Winter 1798/99 und vollends in der >Clavis< vom Dezember 1799, bis zur Meisterschaft entwickelte. Satirisch verfährt allerdings auch die >VorschuleClavis< betrachtet werden. 25 Hatte diese sich, von einigen Seitenhieben gegen die Brüder Schlegel abgesehen, auf die Jenaer Philosophie konzentriert, so führte die >Vorschule< ihre Attacke gegen die Jenaer Ästhetik. Beide machen sie Front gegen den Idealismus, nur mit dem Unterschied, daß die >Vorschule< dort entschieden Position bezieht, wo im satirischen Traktat - wenn man Jean Pauls eigenartige theoretische Prosa so nennen will - die positive Folie als die Transzendenz der Negation bloß hindurchschimmert. Reizvoll wäre in mancher Hinsicht auch ein Vergleich mit Heines >Romantischer SchuleClavis< sei »im Grunde das Produkt einer Literaturfehde [...], die mit nur peripheren Personagen der Philosophiegeschichte, eben mit den Schlegeln und Konsorten, ausgefochten wurde« (106). Wie diese Ansicht zu begründen wäre, ist mir nicht klar, nachdem sich die >Clavis< zuerst und zunächst mit den Prämissen von Fichtes Idealismus auseinandersetzt und selbst die Kritik an der frühromantischen Ästhetik in der >Vorschule< von dieser Basis ausgeht. Das Abhängigkeitsverhältnis ist also gerade umgekehrt; in der Ästhetik sah Jean Paul nur die Folge der Jenaer Philosophie und wurde damit auch der historischen Sachlage gerecht.

37

lieh in der Form des Fragments und damit bereits äußerlich signalisiert in der denkbar höchsten Spannung zum System selbst, völlig unbeachtet blieb; Tendenzen also, die zumindest Jean Paul so fremd nicht sein konnten. Aus dieser Spannung heraus erklärt sich erst der schillernde Doppelcharakter des Schlegelschen Witzes, der sich von Fichtes Idealismus her nicht erschließen würde. Doch weder das Ungenügen an der Abstraktheit des Gedankens, noch das Bewußtsein von der inneren Problematik der Theorie, das die frühe Romantik ja mit Fichte teilte, konnten unter der einmal gewonnenen Perspektive in ihrer Bedeutung wahrgenommen werden. Von hier aus erschien die Wandlung von der reinen Geistesspekulation zur Naturphilosophie lediglich als Mystizismus oder, schlimmer noch, als Obskurantismus. Darin waren sich Jean Paul und Heine einig, was umso erstaunlicher anmutet, als die >Vorschule< noch keineswegs unter dem Einfluß von Hegels Autorität und seiner einseitigen Fichte-Rezeption gestanden hatte, die für das ganze 19. Jahrhundert maßgeblich werden sollte.26 Mit unverhohlener Schadenfreude sah Heine die Revolution in der Konversion enden. Den Jenaer Kunstbetrieb verglich er mit dem Narrenhaus zu Charenton, was ihm noch geschmeichelt erschien für »jene deutsche Tollheit«, die einem Wahnsinn entsprang, der sich von anderen seiner Art dadurch unterschied, daß er »mit einer Pedanterie ohnegleichen, mit einer entsetzlichen Gewissenhaftigkeit« 27 noch Methode hatte. Es sind dies Gedanken, die fast gleichlautend in der >Vorschule< begegnen. Jean Paul verglich das Resultat des Idealismus mit dem »feuerbeständigen Zinnkalk« der Chemiker, »nihilum album« (III 1021); Heine nannte es ein »weißes Nichts«,28 Hegel fand in ihm den bloßen Schein des An- und Fürsichseienden, 29 und Kierkegaard, als dessen Schüler, sprach von der substanzlosen Negativität.30 Entsprechendes galt, vice versa, für die romantische Ironie.31 Hegel sah in den Vertretern der frühen Romantik lediglich literarische Abenteurer, die sich bewußt außerhalb jeder »Sphäre der Sittlichkeit, Rechtlichkeit, des Menschlichen und Göttlichen, Profanen und Heiligen«32 stellten: 26

Vgl. Hegel, Werke XIX, 61 Iff. Heinrich Heine: Sämtliche Schriften in zwölf Bänden. Hrsg. v. Klaus Briegleb. München 1976. Bd. V, 378. 28 Heine, Schriften V, 632; vgl. Jean Paul III 1021. 29 Vgl. Hegel, Werke XII, 101. 30 Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. Übers, v. Emanuel Hirsch. Düsseldorf 1954ff, 31. Abtl.: Über den Begriff der Ironie. Düsseldorf/Köln 1961, 277ff. 31 Vgl. Hegel, Werke XII, lOOff. 32 Hegel, Werke XII, 101. 27

38

Das [ironische] Subjekt weiß sich in sich als das Absolute, alles andere ist ihm eitel; alle Bestimmungen, die es sich selbst vom Rechten, Guten macht, weiß es auch wieder zu zerstören. Alles kann es sich vormachen; es ist aber nur Eitles, Heuchelei und Frechheit. Die Ironie weiß ihre Meisterschaft über alles dieses; es ist ihr Ernst mit nichts, es ist Spiel mit allen Formen. 33

Dem Inhalt nach hätte so auch Jean Paul formulieren können, und wie Hegel forderte er von der Kunst und dem Schönen wahrhaften Ernst, mit diesem zu reden: »eine in sich selbst gehaltvolle Sache, Wahrheit, Sittlichkeit u. s. f.«;34 die Frage war nur, auf welchem Wege die romantische Negativität zu überwinden sei. Und hier liegt auch der große Unterschied. Für Hegel war das verlangte substantielle Interesse doch immer nur wieder identisch mit dem Geist, der, wo es ihm gefiel, sich zum Besonderen herabließ, aber doch bloß, um befriedigt zu sich selbst zurückzukehren. Jean Paul dagegen nahm es bitter ernst mit der Substanz; er kämpfte um ihre Würde gegen die Willkür des Geistes. So war mit seiner Kritik an Kant und Fichte grundsätzlich das Urteil auch über Hegel gesprochen, ohne daß er dies explizit gemacht hätte. In dieser Differenz wird geradezu ein Lebensnerv der Jean Paulschen Dichtung sichtbar; aber es ist zugleich der Punkt, dessen Bedeutung nun wiederum Heine entgangen ist. Wohl hatte er die Einzigartigkeit, ja innerhalb seiner Zeit die Isolation des Phänomens Jean Paul, der Person wie des Werks, begriffen; seine Beobachtungen zum Stil sind bis heute unübertroffen. Daß sich die Ideen bei Jean Paul gegenseitig »die Köpfe zerstoßen«, daß dieser statt der Gedanken »eigentlich sein Denken selbst, [...] die materielle Tätigkeit seines Gehirns« 35 gibt etc., sind Bemerkungen, die präzise die innere Dramatik der Sprache Jean Pauls beschreiben. Was Heine aber nicht begriff, war ihr Sinn. Er beruhigte sich damit, das Ungewöhnliche dieses Stils unter die vielen anderen närrischen Eigenarten des Autors zu rechnen, und hielt daher die nach allen Richtungen hüpfenden Witze für »die Flöhe seines erhitzten Geistes«. 36 Er begriff nicht, daß sich gerade darin die wesentliche Auseinandersetzung Jean Pauls mit den beherrschenden Tendenzen nicht nur seiner, sondern auch der unmittelbar zukünftigen Zeit abspielte, die bedingungslos auf die Vernunft zu setzen schien, ohne daß sie sich der Folgen noch bewußt war. Eben diese witzigen »Flöhe« waren es, die Jean Paul dem blind ergriffenen Fortschritt entgegensetzte, eine gleichermaßen merkwürdige wie unscheinbare Waffe, und 33 34 35 36

Hegel, Hegel, Heine, Heine,

Werke XIX, 642. Werke XII, 101. Schriften V, 470. Schriften V, 470.

39

doch geführt mit dem ganzen Gewicht der Persönlichkeit. A m Ende resultiert daraus trotz inhaltlicher Übereinkünfte das unterschiedliche K l i m a der Satire Heines und der Jean Pauls. Heine vergnügte sich daran, eine bereits vergangene Epoche nicht nur endgültig für tot zu erklären, sondern in einigen ihrer Vertreter auch zu diskreditieren, als sei sie eigentlich überflüssig gewesen, wozu ihm das Mittel der persönlichen, nicht selten hämischen Invektive nicht zu heikel war; für Jean Paul hingegen stand mit der Poesie die eigene Person auf d e m Spiel. Er hatte sich mit seiner Sprache völlig identifiziert, sein Stil war er selber. 37 Entsprechend persönlich wurde daher auch die Auseinandersetz u n g mit der Frühromantik geführt, keinesfalls aber bloß subjektiv in d e m schlechten Sinne des Worts.

1. Transzendentaler Witz oder Romantische Ironie Eine knappe Notiz aus den >Ästhetischen U n t e r s u c h u n g e n weist auf den zentralen Punkt in Jean Pauls Kritik an der Romantik hin: Kritik[er] wollen jetzt, wie Philosophen das Wirkliche, so die Schönheit durch Begriff und Abstraktion nachmachen und deduzieren - da sie doch keine Farbe würden deduzieren wollen.38 D i e Bemerkung bezieht sich auf das sachlich wie methodisch grundlegende Prinzip der frühromantischen Ästhetik, die »intellektuale An37

Das klingt womöglich pathetisch, ist aber von Jean Paul her gesehen höchst nüchtern und sachlich gemeint. Darauf hat Rolf Vollmann in seinem biographischen Essay: Das Tolle neben dem Schönen. Jean Paul. Tübingen 1975, 46f, zu Recht hingewiesen. Das Erschreckendste an Jean Pauls Jugend sei die frühe und überaus zähe Zielstrebigkeit gewesen, mit der er sich auf seinen künftigen Schriftstellerberuf vorbereitet habe, wozu in erster Linie der Spracherwerb und die Ausbildung eines eigenen Stils gehörten. 38 Zit. nach Berend, Jean Pauls Ästhetik, 68. Das Folgende ist nicht darauf abgestellt, Schlegels Theorie umfassend darzustellen. Das kann nur in groben Zügen hier geschehen unter Hinweis auf die für Jean Pauls Kritik wesentlichen Punkte, also primär mit Blick auf die philosophischen Grundlagen und die damit verbundenen >ReizwörterVorschule< bezieht. Damit ist natürlich auch gleichzeitig der zeitliche Rahmen abgesteckt, in dem Schlegel zu Wort kommt. Ich beschränke mich in der Regel auf die frühen veröffentlichten Fragmente und Essays, zu deren Kommentierung ich nur gelegentlich die nachgelassenen Privataufzeichnungen heranziehe. Auf die Einbeziehung der anderen frühromantischen Autoren (etwa Novalis und Tieck) kann ich verzichten, da es hier lediglich um die Prinzipien geht und sich Jean Paul selbst, soweit es Fragen der Theorie betrifft, zumeist auf Schlegel bezieht. 40

schauung«, die Schlegel, Fichtes ursprüngliche Tathandlung mit der scientia intuitiva Spinozas begrifflich kontaminierend, zum »kategorischein] Imperativ der Theorie« 39 erhoben hatte. Die »eigentliche Kunstlehre der Poesie«40 sollte ausgehen von Fichtes Gleichung Ich = Ich, d. h. der »absoluten Selbstthätigkeit des Ich«,41 der reinen, nicht weiter deduzierbaren, ihrer selbst unbewußten Spontaneität; einem Satz, aus dem wie in Fichtes >Wissenschaftslehre< alle weiteren Bestimmungen der Ästhetik folgen mußten. So definiert Schlegel die Schönheit nicht als fixen, beschreibbaren Gegenstand, sondern Fichte entsprechend, nach dem die intellektuelle Anschauung »gar nicht auf ein Seyn, sondern auf ein Handeln« geht,42 als »eine der ursprünglichen Handlungsweisen des menschlichen Geistes«, als Gedanke und Sache zumal, »ein Faktum, nämlich ein ewiges transzendentales«. 43 Das heißt aber, daß es nicht mit etwas identifizierbar, daß es nicht festgehalten werden kann; Schönheit entsteht oder ist nur im jeweiligen künstlerischen Akt, der sich erst im Rückgang auf sich selbst begreift und als solcher nicht zur Ruhe kommen darf. Fichte hat den Prozeß der Selbstbestimmung und damit die Entstehung des reinen Bewußtseins in der Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit beschrieben. Die ursprüngliche Spontaneität ist zunächst nichts weiter als ein Begriff, 44 die »absolute Thesis« oder »die Ichheit überhaupt«. 45 Als das Unbedingte ist sie auch das Unbestimmte, was Fichte hin und wieder sehr zutreffend als »Schweben« bezeichnete, 46 da 39

Schlegel, Athen.-Fragm. Nr. 76, ΚΑ II, 176. Vgl. zum Begriff der >intellektualen Anschauung< den Aufsatz von John Neubauer: Intellektuelle, intellektuale und ästhetische Anschauung. Zur Entstehung der romantischen Kunstauffassung. In: DVjs 46, 1972, 294-319. Aufgrund der >romantischen< Schreibweise, die sich fast durchgängig von der Fichtes unterscheidet, weist Neubauer nach, daß der sachliche Einfluß Spinozas auf die frühromantische Theoriebildung nicht, wie häufig angenommen - vgl. ζ. B. Ingrid StrohschneiderKohrs: Die Romantische Ironie in Theorie und Gestaltung. Tübingen 1960 (Hermaea 6) - , erst seit der Jahrhundertwende, d. h. für Schlegel seit dem >Gespräch über die PoesieAthenäum< von 1798 beachtet werden muß, auch wenn sich die Denkstruktur noch weitgehend an Fichte orientiert.

40

Schlegel, Athen.-Fragm. Nr. 252, ΚΑ II, 207. Fichtes Werke. Hrsg. v. I. H. Fichte. Fotom. Nachdruck. Berlin 1971. Bd. I, 471. Fichte, Werke I, 472. Schlegel, Athen-Fragm. Nr. 256, ΚΑ II, 209. »Jenes Handeln ist eben der Begriff des Ich, und der Begriff des Ich ist der Begriff des Handelns, beides ist ganz dasselbe«. Fichte, Werke I, 460. Fichte, Werke I, 503. Ζ. B. Werke I, 233. In der 2. Einleitung zur >Wissenschaftslehre< hat Fichte

41

42 43 44

45 46

41

es ja nicht im eigentlichen Sinne gedacht werden kann, wozu es der Bestimmungen bedürfte, sondern ein spekulativer Begriff ist. Was hier benannt wird, ist lediglich der Moment eines Prozesses, in dem die Aufhebung schon mitgedacht ist, weil die Intelligenz » k e i n Bestehen« hat, reine Aktualität ist,47 nichts als die spontane Reflexion,48 die »in sich selbst zurückgehende Thätigkeit«.49 Fichte nennt sie auch die »ursprüngliche Beschränktheit«, da sie »das Setzen meiner selbst durch mich selbst bedingt«,50 folglich »Subject-Objectivität« ist.51 Im Vollzug dieser Handlung erfolgt bereits eine erste Bestimmung durch die Trennung von Ich und Nicht-Ich; Realität wird >gesetzt< durch Negation,52 in der sich zugleich das bewußtlose Tun begreift.53 Sie erfolgt spontan, also frei im Sinne ursprünglicher Selbstbestimmung, daher Fichte auch sagen kann: »ich habe zu einem solchen Objecte mit Freiheit mich gemacht«; 54 »alles Bewusstseyn [ist] durch das Selbstbewusstseyn bestimmt«. 55 Allerdings werden die »bestimmten Vorstellungen« stets auch von dem »Gefühl der Nothwendigkeit« begleitet. Doch da die Vernunft absolut ist, der »höchste Erklärungsgrund« der Dinge und also auch ihrer selbst, muß dieses Gefühl in den ihr eigenen »Gesetze[n] des Handelns« begründet sein: »sie fühlt in jenem Handeln die Schranken ihres eigenen Wesens«.56 Folglich handelt es sich bei der selbsttätigen Intelligenz stets um ein »freies, aber gesetzmässiges Denken«,57 womit für Fichte die Voraussetzung gegeben ist, seine systematische Ausfaltung als Transzendentalphilosophie zu bezeichnen.58 Denn der gesetzmäßige Gang der Vernunft ist von ihrem Ursprung her vorgediesen Tatbestand noch einmal erläutert: »denn ich bin ursprünglich weder das Reflectirende, noch das Reflectirte, und keins von beiden wird durch das andere bestimmt, sondern ich bin beides in seiner Vereinigung; welche Vereinigung ich freilich nicht denken kann, weil ich eben im Denken Reflectirtes und Reflectirendes absondere« ( Werke I, 489). 47 Fichte, Werke I, 440. 48 Vgl. Fichte, Werke I, 440. 49 Fichte, Werke I, 502. 50 Fichte, Werke I, 489. 51 Fichte, Werke I, 502. 52 Vgl. Werke I, 108: »Aber im Begriffe der Schranken liegt mehr, als das gesuchte X; es liegt nemlich zugleich der Begriff der Realität und der Negation, welche vereinigt werden, darin.« 53 Vgl. Fichte, Werke I, 461. 54 Fichte, Werke I, 427. 55 Fichte, Werke I, 477. 56 Fichte, Werke I, 441. 57 Fichte, Werke I, 448. 58 Vgl. Fichte, Werke 1,441.

42

zeichnet, wenn auch im Prinzip nicht abschließbar, weil das Denken dem Sollen, die Theorie der Praxis subsumiert bleibt. Der kategorische Imperativ übergreift die intellektuelle Bewegung, reißt sie von Bestimmung zu Bestimmung in ein »unendliches Streben«:59 »Dieses unendliche Streben ist ins unendliche hinaus die Bedingung der Möglichkeit alles Objects: kein Streben, kein Object.« 60 An diesem Modell hat Friedrich Schlegel das Konzept der Transzendentalpoesie entwickelt. In Analogie zu dem seiner selbst innewerdenden philosophischen Begriff spricht er von einer »Poesie der Poesie«, »deren eins und alles das Verhältnis des Idealen und des Realen ist«.61 So wenig wie für die Philosophie kann es für die Poesie, in der Theorie und Praxis identisch sind, eine vollständige Darstellung geben.62 Sie muß spekulativ bleiben, wie Schlegel es in einer seiner formelhaften Gleichungen ausdrückt: »Die absolute Pfoesie] = transcendentale oder speculative P[oesie].-«63 Absolut kann sie deshalb genannt werden, weil auch ihr eine ursprüngliche, von keinen äußeren Bedingungen initiierte Produktivität zugrundeliegt. »Das Wesen des poetischen Gefühls«, heißt es in den >AthenäumsKritik der Urteilskraft jede Systematik nachdrücklich ausgeschlossen. Für den Romantiker liegt hier jedoch kein Widerspruch, noch gar im Sinne einer Ausschließlichkeit. Die »freie Ideenkunst«, wie er sie konstruiert, strebt nach beider Koinzidenz: Witz ist »zugleich philosophisch] [...] und p[oetisch]«," 3 sich selbst nach der Seite seiner Materialität poetisch entfaltend, weshalb Schlegel schließlich sagen kann: »Aller p[oetische] Witz ist transcendental.« 114 Allerdings zeigt sich darin erst die eine Seite seiner Bestimmung. Die andere hängt mit dem spinozistischen Ingredienz der Schlegelschen Theorie zusammen, was sich bereits in den >LyceumsGrundlage der gesammten Wissenschaftslehre< von 1794 heißt es: »Die Wissenschaftslehre hält zwischen beiden Systemen bestimmt die Mitte, und ist ein kritischer Idealismus, den man auch einen Real-Idealismus, oder einen Ideal-Realismus nennen könnte.«

(Fichte, Werke I, 281) 48

auf ein Reales hinweist, das der intellektualen Anschauung - im Gegensatz zu Fichtes Vorstellungen - immer schon vorausliegen, also nicht selbst spontan hervorgebracht, sondern wiedergefunden werden soll.117 Im >Gespräch< und speziell in der >Rede über Mythologie< versucht Schlegel, sich diesem Inhalt mit verschiedenen Begriffen zu nähern: Natur, Geist, Poesie. Dabei ist die Relationsverschränkung wohl Absicht. In den »Mysterien des Realismus« soll sich der »Urquell der Poesie«" 8 zeigen, und in der Poesie selbst will Schlegel das »Organ« jenes »grenzenlose[n] Realismus«" 9 finden, der nur idealistisch wiedergewonnen werden kann. So heißt es im Zusammenhang: »es [ist] zu erwarten, daß dieser neue Realismus, weil er doch idealischen Ursprungs sein, und gleichsam auf idealischem Grund und Boden schweben muß, als Poesie erscheinen wird, die ja auf der Harmonie des Ideellen und Reellen beruhen soll«.120 Auf das »Göttliche im Zentrum der Materie« 121 soll die Poesie hindeuten, und umgekehrt sollen »die Mysterien der Poesie« ins »Innere der Physik«122 führen. Auch dieses Paradox ist bedingt durch die idealistische Logik und der ihr eigentümlichen Dialektik. In einem weiteren Fragment erläutert Schlegel das genauer: »Für den gemeinen Standpunkt ist die Poesie idealisch [...]. Für den Philosophen] ist sie das Centrum des Realismus.« 123 Daraus entspringt die Forderung nach einer neuen Mythologie, d. h. nach einem im Sinne des ironischen Progresses der Universalpoesie alles vereinzelte integrierenden Gedicht. Schlegel fordert das »künstlichste aller Kunstwerke [...], denn es soll alle andern umfassen, [...] selbst das unendliche Gedicht [sein], welches die Keime aller andern Gedichte verhüllt«.' 24 Poesie wird also nicht mehr nur als ursprüngliche Handlung, als absolut spontane Kreativität gedeutet, sondern auch als der »ursprüngliche Zustand des Menschen«. 125 Die idealistische Kategorie entpuppt sich zugleich als ontologische, und darin liegt zweifellos ein 117

Vgl. Schlegel, Gespräch über die Poesie, ΚΑ II, 319: »Weder dieser Witz noch eine Mythologie können bestehn ohne ein erstes Ursprüngliches und Unnachahmliches, was schlechthin unauflöslich ist«. 118 Schlegel, Gespräch über die Poesie, ΚΑ II, 325. 119 Schlegel, Gespräch über die Poesie, ΚΑ II, 315. 120 Schlegel, ebd. 121 Schlegel, Ideen Nr. 97, ΚΑ II, 266. 122 Schlegel, Ideen Nr. 99, ΚΑ II, 266. 123 Schlegel, LN Nr. 1666. Vgl. Ideen Nr. 96, KAII, 265: »Alle Philosophie ist Idealismus und es gibt keinen wahren Realismus als den der Poesie.« 124 Schlegel, Gespräch über die Poesie, ΚΑ II, 312. Vgl. zum Begriff der Mythologie ΚΑ XVIII, 103, Nr. 889: »Ist Mythologie nicht die idealistische Behandlung des Realen?-« 125 Schlegel, LN Nr. 1786.

49

beträchtlicher Bedeutungszuwachs, der die gesamte Terminologie in ein anderes Licht setzt. »Nichts ist platter«, heißt es nun, »als die leere Form der Ironie ohne Enthusiasmus und ohne Id[eal-]Re[alismus].«126 Neben der analytischen Dimension der Ironie steht gleichbedeutend die synthetische,127 und der Witz darf nicht nur als Erscheinungsweise der Ironie interpretiert werden, sondern auch als das Medium, in dem sich der Ursprung wieder erschließt: » D e r W i t z ist d i e R ü c k k e h r z u r Poesie.-« 1 2 8 Enthusiasmus ist mystischer Witz.129 Unter den nachgelassenen Fragmenten findet sich eine ganze Reihe, die diesen Gedanken variierend umkreisen: »Die allgemeine Vermittlungskunst und SchöpfungswissenschafU ist Mythologie, Mystik, Witz«;130 »Mit Mystik hat d[er] große moderne Witz angefangen und war seiner Art nach mystisch.«'3I Und schließlich: »Die Mythologie ist d[er] älteste Witz.«132 Sie glaubt Schlegel mit »jenem großen Witz der romantischen Poesie«133 noch einmal erneuern zu können im Gedanken an die »unbeschränkte Fülle neuer Erfindung«, 134 die alles verwandelnde, divinatorisch zur Einheit verknüpfende >ars combinatorial an die Jean Paul ebenfalls anknüpfen sollte, nur auf andere Weise. Daher Schlegels Behauptung, der kombinatorische Witz sei »wahrhaft prophetisch«,135 das Universum offenbarend. Ein Witz gilt auch ihm mehr als die sich in nichts auflösende Erwartung,136 er ist mehr als bloß komisch; die besten seiner Art sind von wahrhaft philosophischer Bedeutung, »echappies de vue ins Unendliche«.137 Auf diese Weise beschreibt der Witz nicht bloß den Gang der spekulativen Vernunft, sondern weist auf ein Ziel, das nicht in deren anfänglicher Verfügung steht. Er ist nicht nur als transzendentales Vermögen ein Moment der Reflexion und Selbstkritik, sondern darüber hinaus auch eine mystische Kraft, ja magisch. Nicht zufällig nennt Schlegel als höchste Potenz des Idealismus die 126

Schlegel, LN Nr. 1047. Schlegel, LN Nr. 1271: »Ironie ist [.. .] universell und S[yn]th[ese] von Reflexion und Fant[asie], von Harm[onie] und Enthusiasmus].« 128 Schlegel, LN Nr. 1786. 129 Vgl. Schlegel, LN Nr. 1143. 130 Schlegel, ΚΑ XVIII, 125, Nr. 32. 131 Schlegel, ΚΑ XVIII, 124, Nr. 10. 132 Schlegel, ΚΑ XVIII, 124, Nr. 15. 133 Schlegel, Gespräch über die Poesie, ΚΑ II, 318. 134 Schlegel, Gespräch über die Poesie, ΚΑ II, 315. 135 Schlegel, LN Nr. 920. 136 Vgl. Kant, Werke VIII, 437. 137 Schlegel, Athen.-Fragm. Nr. 220, ΚΑ II, 200. Es wird sich zeigen, daß Jean Paul der Form nach genauso hätte formulieren können, nur nicht unter diesen Voraussetzungen. 127

50

Magie.138 Wie in keinem anderen Begriff seiner Ästhetik gehen im Witz die Elemente fichtischer und spinozistischer Philosophie eine widerspruchsvolle Synthese ein. Entgegen der >Wissenschaftslehre< subsumiert Schlegel nicht die Theorie der Praxis, sondern vereinigt beide in der Poesie.139 Demnach bleibt es nicht beim actus purus der theoretischen Vernunft bzw. der progredierenden, ironischen Reflexion; der »kategorische Imperativ«, wie ihn das >Athenäums liegt. Witz ist »Transzendentale] Xoy[Logik]« und »fragmentarische Mystik«,152 »Naturmystik« und »Kunstmystik«' 53 in einem. Folglich wird nur diejenige intellektuelle Anstrengung, der zugleich ein passives Moment der Hingabe an eine unwillkürliche, wie auch immer verstandene natürliche Kraft innewohnt, die das einsträngige Reflexionskontinuum für einen Augenblick zerreißt, um dem Bewußtlosen Raum zu geben, ein Kunstwerk hervorbringen können. Während aber nun Schelling aus der ästhetischen Synthesis den Schluß zog, daß die Kunst »das wahre Organon der Philosophie«154 sei, weil nur der ästhetische Sinn jenes Unbewußte zur Anschauung bringt, 144

Schelling, System, ebd. Vgl. Schelling, System, 625, Anm. 1. 146 Vgl. Schelling, System, 617. 147 Vgl. Schelling, System, 618. 148 Schelling, System, ebd. Vgl. Dieter Jähnig: Schelling. Die Kunst in der Philosophie. Pfullingen 1966/69, II, 149, der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, wie sehr Schellings Formulierung an eine der zentralen Stellen in der >Kritik der reinen Vernunft< erinnert, wo Kant das Verhältnis von Verstand und Sinnlichkeit expliziert: »Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.« (Kant, Werke III, 98) 149 Schlegel, LN Nr. 505. 150 Schlegel, Gespräch über die Poesie, ΚΑ II, 313. ,M Schlegel, ΚΑ XVIII, 60, Nr. 402. 152 Schlegel, ΚΑ XVIII, 90, Nr. 730. 153 Schlegel, ΚΑ XVIII, 83, Nr. 646. 154 Schelling, System, 351. 145

52

forderte Schlegel, daß sich umgekehrt die Poesie »bis zur Höhe der Philosophie erheben«, 155 d. h. poetische Reflexion werden müsse in dem Sinne, daß sie ihre eigene systematische Funktion als die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt poetisiert oder, wie es in einem der zentralen > AthenäumsVorher< wie seines >Nachher< präzise bestimmender Dialektik ein Prinzip entwickelt hat, das in sich bereits eine Vielheit darstellt und sich nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch unterscheidet, indem der Fortgang weniger als strenges Nacheinander denn als Realisierung der Möglichkeiten, die jene anfängliche Einheit in sich faßt, zu denken ist »gemäß dem Schema eines sachlichen Zugleich«.163 Daß dieses Modell wesentlich leichter auf die Poesie übertragbar war, leuchtet ohne weiteres ein, denn es hatte den Vorzug, Prinzip und historische Mannigfaltigkeit konfliktlos miteinander zu verbinden. Progression heißt demnach für Schlegel die fortschreitende Entfaltung einer von Anfang an pluralen Einheit oder des Vielen in Einem. Dieses poetische Ideal wollte er im romantischen Roman verwirklicht sehen, der selbst keine Gattung im traditionellen Sinn mehr sein, sondern sie alle enthalten sollte,164 einschließlich der Wissenschaft resp. der Philosophie, der er substantiell die eigene Theorie verdankte. »Die Kunst ruht auf dem Wissen«, sagt Schlegel, »und die Wissenschaft der Kunst ist ihre Geschichte.«165 162

Schlegel, Athen.-Fragm. Nr. 22, ΚΑ II, 169. Harald Holz: Die Struktur der Dialektik in den Frühschriften von Fichte und Schelling. In: Manfred Frank/Gerhard Kurz (Hrsg.): Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen. Frankfurt 1975, 215-236; Zitat 227. 164 Vgl. Schlegel, Gespräch über die Poesie, ΚΑ II, 335: »Es muß Ihnen nach meiner Ansicht einleuchtend sein, daß und warum ich fodre, alle Poesie solle romantisch sein, den Roman aber, insofern er eine besondre Gattung sein will, verabscheue«. Der Zusammenhang von Schlegels Romantheorie und Schellings frühen methodischen Überlegungen, insbesondere mit der Schrift >Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt ist meines Wissens noch nirgends dargelegt worden, aber unbezweifelbar vorhanden. Die Schrift ist noch in Tübingen 1794 entstanden, also im selben Jahr wie Fichtes >Über den Begriff der WissenschaftslehreJubilateVorschule< den Kampf angesagt, ehe er überhaupt zur Sache ging· Dabei versuchte er klar zu machen, daß er nicht grundsätzlich gegen eine Verbindung von Philosophie und Ästhetik war, was gerade ihm, der seine eigene Schriftstellerei nicht mit poetischen, sondern mit philosophischen Texten begonnen, schlecht angestanden hätte.166 Kunst und Philosophie waren für Jean Paul zunächst durchaus gleichrangig, wie der >Hesperus< bezeugt: Viktor verdankte die Sieste seines Herzens - den Wissenschaften, besonders der Dichtkunst und der Philosophie, die beide sich wie Kometen und Planeten um dieselbe Sonne (der Wahrheit) bewegen und sich nur in der Figur ihres Umlaufs unterscheiden, da Kometen und Dichter bloß die größere Ellipse haben. (1 588)

166

Jean Paul begann 1780 mit den >Übungen im Denkern. Vgl. dazu den Brief an Jacobi vom 5. 12. 1798: »Bei mir war, wie bei den Deutschen, Philosophie früher als Dichtkunst«. (SW III, 3, 131) 55

Im >Komischen Anhang< zum >Titan< taucht dasselbe Bild in einer Variante noch einmal auf: Bloß die Philosophie und die Poesie sind die beiden Brennpunkte der genialischen Ellipse [ . . . ] (III 911)

Jean Paul spricht vom »Zwillingszeichen« (III 912), vom »Doppelchor, welches den ganzen vollstimmigen Menschen fodert« (V 50), und weist darauf hin, daß die Entwürfe eines Leibniz, Spinoza, Kant, Fichte gleich den großen Dichtungen »Geburten eines genialischen Augenblicks« (IV 1016) waren, die mit ebenso genialischem Sinn aufgenommen werden müssen.167 Jean Paul war selber viel zu sehr philosophisch interessiert, als daß er diese Leistungen gering geachtet hätte, auch wenn er sie im einzelnen sachlich nicht akzeptierte. Die große Philosophie war seiner Meinung nach dazu da, »sich überflüssig zu machen« (III 913), und umso mehr traf seine Verachtung die zahlreichen Sektierer und Epigonen, die »ganze Flotille von negativen Weisen« (IV 1017), die im philosophischen Kielwasser der Großen schwammen, zwar »statt der vorigen dunkeln Ideen klare« gaben, »aber keine neuen«, weil, so Jean Paul, »nur das ins Klare zu setzen ist, was eben schon dasaß im Dunkeln« (IV 1016). Das Imponiergehabe im zeitgenössischen Philosophiebetrieb verglich er mit dem Turmbau zu Babel, der ungeachtet seiner Substanzlosigkeit und der hybriden Selbstüberschätzung in immer größere Höhen getrieben wurde. Es ginge dabei wie beim »Eselrennen in Devonshire«, wo bloß der Esel gewinnt, der zuletzt ankommt. Dabei nimmt alles zu, nur nicht die Demut, und jeder füllt sich mit dem Winde, wovon er den andern heilt durch den Trokarstich; so daß nur die Aufgeblasenen wechseln, nicht die Aufblasung. (V419)

Zu den eifrigsten Arbeitern am Bau gehörten die »Herren Schlegel« (III 1030, Anm. 1), die ihre ästhetischen Taten »durch ästhetische Prachtgesetze heimlich zu beschirmen« (V 19) hatten. Aber selbst davon mußte noch das meiste als »fremdes Gut« gelten, »nämlich ihre philosophischen und ästhetischen Entdeckungen«, was vermuten lasse, daß sie manchen Widersacher beschämen [könnten], wenn sie einmal ganz leicht vorzählten und es nachwiesen, wie wenig - ihre Freunde werden gar sagen: nichts - von jenen (ζ. B. der so angefochtene Satz der drei Säkulums-Tendenzen) ihnen zugeschrieben werden könne und wie sehr sie bloß das treu wiederholet haben, was Kant, Fichte, Goethe längst gesagt. (III 1030, Anm. 1) 167

56

Vgl. III 910f (Art. 2 und 4 des >EinladungszirkularsAthenäumsClavis< einschob.168 Etwa ein Vierteljahrhundert später, nach kurzzeitiger Annäherung an die frühromantische Position, hatte er sich weiter denn je von ihr entfernt und holte in der >Nachschule< noch einmal satirisch aus über den »Wert des literarischen Schnitthandels oder Feilstaubs oder Blumenstaubs oder der Gedankenspäne oder Papierspäne u. s. w.«: Wer kein großes Ganze, kein System, kein Fertiges hat, der muß diese haben und geben. So gab Novalis Blumenstaub, Friedr. Schlegel Feilstaub oder Fragmente oder Sentenzen, andere taten Aussprüche von Gehalt, tiefe Blicke und so fort. Man nahm sich hier mit Recht die Käsemade zum Muster, welche, da sie nicht gehen kann, dafür außerordentlich springt, und zwar dreißigmal höher, als sie lang ist. Platner kehrte es um und gab unter dem Namen Aphorismen ein wirkliches System; aber wenn philosophische weniger als schöne Geister gern mit Sentenzen, Genieblicken, Genieblitzen und Feilstaub auftreten: so hält die Welt sie mit Vergnügen für Philosophen. Auch jede andere Wissenschaft vertreten gute Madensprünge leicht. (V491f)

Wie nahe dieser Vergleich, allen Beteuerungen Jean Pauls zum Trotz,169 an die Grenze der Personalsatire gerät, soll dahingestellt bleiben; jedenfalls läßt er an Anschaulichkeit wenig zu wünschen übrig. Die größere Provokation freilich lag nicht so sehr in der geschäftigen Art, mit der Schlegel philosophisches Fremdgut vertrieb, sondern in der spezifischen Verbindung von Theorie und Praxis, wie sie die Frühromantiker programmatisch entwarfen. Diese hielt Jean Paul nicht nur als dem Gegenstand für unangemessen, vielmehr betrachtete er ihre philosophischen Implikationen selbst, den Idealismus in allen seinen Ausprägungen, von Kant bis zu Schelling, ja Hegel, als kapitalen Irrtum. Eine transzendentale Ästhetik oder gar noch eine Transzendentalpoesie war ihm ein Unding. Seiner Meinung nach konnte sich daraus keine poetische Praxis entwickeln, was ihm die romantischen Arbeiten auch bestätigten: Aber was die meisten [...] unrein macht, [...] ist daß sie, anstat eine neue eigne Aera anzufangen aus ihrem Innersten und etwas darzustellen, blos die falschen Darstellungen darstellen und ihre ästhetischen Collegia verifizieren und so alle zusammenkriechen in ein Betler-Lexikon von Klagen und Poesien über Gemeinheit, falsche Sentimentalität], Schwäche etc. Sie streiten, stat zu zeugen; predigen Busse, anstat gute Werke zu thun.170 168

Zur Geschichte dieser Note vgl. Berend, Jean Pauls Ästhetik, 22f. Vgl. die Briefe an Otto vom 2. 10. 1798 und an Jacobi vom 5. 12. 1798. 170 An August Ferdinand Bernhardi, 5. 1. 1802. SW III, 4, 124. 169

57

Umgekehrt zählt Jean Paul ironisch das auf, was die Kritisierten ihrerseits bei ihm, dem »armen Vorschulmeister«, notgedrungen vermissen mußten, nämlich noch tiefsinnigere Wörter, poetische Indifferenzen des Absoluten und Menschlichen - objektive Erscheinungen des Göttlichen im Irdischen Durchdringungen des Raums und der Zeit in den unendlichen Ideen des Unendlichen als Religion - schwächerer Wörter wie negative und positive Polaritäten gar nicht zu erwähnen. (V 16)

Was Jean Paul von Jena unterschied, war ein grundsätzlich anderes Verhältnis zur Theorie. Den absoluten Vorrang hatte die poetische Praxis und Erfahrung, ja die Poesie selbst. Ihr hatte die Theorie zunächst zu dienen, statt daß umgekehrt sie sich, wie nach Schlegels Konzeption, zur Theorie hinaufzuläutern hätte. Der philosophischen Ästhetik setzte Jean Paul darum herausfordernd die »Ästhetik des Täters« (V 19) oder, wie er sich auch ausdrückte, »eine angewandtere für den Künstler« (V 25) entgegen, denn sie hatte die Aufgabe, in die Poesie hineinzuführen, nicht aber, diese in Philosophie und Wissenschaft aufzulösen.171 Am augenfälligsten läßt sich der Unterschied beider Auffassungen an jenem Ellipsen-Bild machen, das bekanntlich auch Schlegel zur Illustration seiner Theorie benutzte. Wo nämlich Jean Paul von Poesie und Philosophie als den beiden Brennpunkten spricht, da vergleicht Schlegel die Philosophie selbst mit einer Ellipse, in deren einem Zentrum die autonome Vernunft, in deren anderem die »Idee des Universums«172 stehe, die, wie oben erläutert, auch die Poesie mit einschließt, wenn nicht mit ihr identisch ist. D. h. daß die Poesie einerseits zwar jenes unauflösliche, magisch wiederzugewinnende Ursprüngliche ist, andererseits jedoch der Philosophie als einer ihrer Bezugspunkte funktional integriert bleibt bzw. sich selbst zur poetisch aufgeputzten Theorie erhebt. Das aber ist genau der Punkt, den Jean Paul nicht zu akzeptieren bereit war: den Glauben des Philosophen, mit dem Begriff der Poesie auch sie selbst zu haben. Das war, methodisch wie inhaltlich, der Ansatz von Jean Pauls Kritik und zugleich ihr zentrales Thema; sie betraf ebenso die Grundsätze der idealistischen Philosophie wie das Prinzip der Ästhetik, die auf dieser Basis entstanden war: Da im Brennpunkte der Philosophie alle Strahlen des großen Hohlspiegels aller Wissenschaften sich durchschneiden: so hält er [der »absolute Philo171

Vgl. V 19: »Die Ästhetik des Täters ist ein Oberons-Horn, das zum Tanzen, die des bloßen Wissenschaftlers oft ein Astolfos-Horn, das zum Entlaufen bläset«. 172 Schlegel, Ideen Nr. 117, K A U , 267.

58

soph«] den Punkt für den Spiegel und für den Gegenstand, und so den Besitzer aller wissenschaftlichen Form für den Besitzer aller wissenschaftlichen Materie. U n d die Anmerkung dazu: Denn was ist das vorgebliche Konstruieren in der Physik und Philosophie anders als eine häßliche Verwechslung der Form mit der Materie, des Denkens mit dem Sein, welche sich nie in der Wirklichkeit zu jener Identität umgestaltet, die im schwarzen Abgrunde des Absoluten so leicht zu gewinnen ist; denn in der Nacht sind alle Differenzen - schwarz; aber in der rechten, nicht in der der Sehenden, sondern in der Nacht der Blindgebornen, welche den Gegensatz zwischen Finsternis und Licht in der höhern Gleichung des Nicht-Sehens tilgt. (V418) Was Jean Paul praktisch und theoretisch bekämpfte, worin er die »allg e m e i n e Zuchtlosigkeit des Säkulums« sah, das war die ästhetische (artistische) und philosophische Trennung des Ichs von der Beschauung, als müsse nicht diese auf jenes wirken, es voraussezen, nur durch dasselbe gelten und darin früher und später wohnen als in der Abstraktion. Konkret auf die Texte bezogen, bedeute das, daß sowohl der Genus als das Prinzip der dargestelten (ästhetischen oder philosophischen) Gestalt ja nicht wieder in der Darstellung liegen könne. 173

3. Transzendentes Schachspiel oder Poetischer Idealismus Im Vorwort zur ersten Ausgabe der >Vorschule< nennt Jean Paul »zwei verschiedene Wege, nichts zu sagen«. Beide führten sie zu dem, was man eine »wissenschaftliche Konstruktion« nenne, deren einige neuerdings als Ästhetiken im Umlauf seien, von denen aber »der Philosoph nicht mehr als der Künstler« habe, »d. h. ein halbes Nichts«. Der erste Weg dahin sei der des »Parallelismus« (V 22), auf dem ganze Systeme zu errichten seien und den u. a. Schiller gegangen sei: man hält nämlich den Gegenstand, anstatt ihn absolut zu konstruieren, an irgendeinen zweiten (in unserm Falle Dichtkunst etwa an Philosophie, oder an bildende und zeichnende Künste) und vergleicht willkürliche Merkmale so unnütz hin und her [...] Ins Unendliche reichen diese Vergleichungen, und am Ende ist man nicht einmal beim Anfange.

173

An Jacobi, 3. 12. 1798. SW III, 3, 129. 59

Der »zweite Weg zum ästhetischen Nichts« führt über eben jene bereits apostrophierte absolute Konstruktion, deren Verfahren danach trachtet, in die weitesten Kunstwörter - jetzo von solcher Weite, daß darin selber das Sein nur schwimmt - das Gediegenste konstruierend zu zerlassen; ζ. B. die Poesie als die Indifferenz des objektiven und subjektiven Pols zu setzen.

Die Anspielung auf Schelling resp. Schlegel ist kaum zu überhören, und auf ihre Prämissen ist auch der nächste Satz gemünzt: Dies ist nicht nur so falsch, sondern auch so wahr, daß ich frage: was ist nicht zu polarisieren und zu indifferenzieren?(V 23)

Das war die entscheidende Frage, die Probe darauf, wieweit die idealistische Philosophie in der Sache ihrer Sprache standzuhalten vermochte oder sich womöglich eine sprachliche Konvention geschaffen hatte, die am Ende die Wahrheitsfrage gar nicht mehr aufkommen ließ. Gegenüber dem virtuosen Umgang mit dem sprachlichen Material schien zumindest Skepsis angebracht, denn der Verdacht lag nahe, daß der Idealismus einer Verführung durch die Sprache erlegen war, die sich in ihrer Eigendynamik längst aus den Sachbezügen herausgelöst haben mochte. Jean Paul hat diese Frage hier keineswegs zum erstenmal gestellt und auch nicht als erster; Jacobi, auf dessen Argumente sich Jean Paul im Zusammenhang dieser Auseinandersetzungen weitgehend stützte, hatte bereits in einer der Beilagen seiner Spinoza-Schrift auf das problematische Verhältnis der Erkenntnis zu ihrem sprachlichen Medium aufmerksam gemacht,174 und nicht zuletzt hatte das Thema im Zentrum der Bemühungen eines Mannes gestanden, der ebenfalls von größtem Einfluß auf Jean Paul war: Herder. Für ihn war die Metaphysik und die »wahre Kritik der reinen Vernunft« eine »Philosophie der menschlichen Sprache«.l7S Seine >Metakritik< ging von der Frage aus: 174

In Beilage VII heißt es dazu: »Die enge Verbindung zwischen Vernunft und Sprache erkennt ein jeder [ . . . ] - Die vollkommnere Wahrnehmung und mannichfaltigere Verknüpfung erzeugt, in eingeschränkten Wesen, das Bedürfniß der Abstraction und Sprache. So entsteht eine Vernunftwelt, worin Zeichen und Worte die Stelle der Substanzen und Kräfte vertreten. Wir eignen uns das Universum zu, indem wir es zerreissen, und eine unseren Fähigkeiten angemessene, der wirklichen ganz unähnliche Bilder-Ideen- und Wort-Welt erschaffen.« (Friedrich Heinrich Jacobi: Werke. Hrsg. v. Friedrich Roth und Friedrich Koppen. 6 Bde. Darmstadt 1968. Zitat: IVb, 131f.) '"Johann Gottfried Herder: Sprachphilosophische Schriften. Hrsg. v. Erich Heintel. Hamburg 1960, 184.

60

Wie kamst du zu dir und deinen Begriffen, wie hast du diese ausgedrückt und angewandt, verkettet und verbunden, woher kommts, daß du ihnen allgemeine, notwendige Gewißheit zueignest? 176

Jean Paul geht die Zweifel an der Rechtmäßigkeit philosophischer Beweise auf seine Weise an: satirisch. Leibgeber alias Schoppe, »der Fichtianer«, gibt folgenden Bericht über seine philosophischen Erfahrungen: »Die Wissenschaftslehre ist die philosophische Rechnung des Unendlichen. Ist man nur einmal aus der Region der endlichen und erklärlichen Größen in die der unendlichen und unerklärlichen hinausgestiegen: so versiert man in einer ganz neuen weiten Welt, in der man sich vermittelst der bloßen Sprache - denn weder Begriffe noch Anschauungen langen herauf oder halten in diesem Äther aus - wie auf einem Fausts-Mantel leicht hin- und herbewegt; so daß das Unerklärliche sozusagen ein Besen ist, über welchen die Hexe, nach dem Volksglauben, nicht wegschreiten kann, auf dem sie aber hoch über der Erde durch die Lüfte reitet.«

Kaum seriöser als ein Hexenritt erscheint das Unternehmen der idealistischen Avantgarde. Doch warnt Jean Paul davor, daß die »transzendente Kettenrechnung« ihre Tücken habe und zahlreiche Gelegenheiten biete, daß man sich verrechne. Denn unsere Sprache, so erläutert er, sei ursprünglich »bloß eine Zeichenmeisterin der äußern Wahrnehmungen« gewesen, ihrer Genese und ihrem Charakter nach also sensuell, weshalb der größte Teil ihres Vokabulars noch heute Quantitäten bezeichne. Den inneren Wahrnehmungen, geistigen Vorgängen und Erfahrungen stehe daher nur eine uneigentliche Sprache zur Verfügung; Qualitäten seien bloß »in die Kleider der Kleider gehüllt« (III 1024), d. h. metaphorisch auszudrücken und die Abstrakta also nur Bilder (vgl. I 799f). Begibt man sich nun sprachlich über den Erfahrungsbereich hinaus, so ergeben sich leicht Verwechslungen. Zum einen besteht die Gefahr, daß Qualitäten zu Quantitäten gemacht werden, »um diese Leiber und Substrate der Kräfte summieren und differenzieren zu können« (III 1024). Sowohl Wolff und seine Schüler wie die französischen Materialisten sind nach Jean Paul Opfer dieses sprachlichen Trugs geworden, die einen auf der Suche nach dem physischen Substrat der Seele, die anderen bei der Reduktion des Geistes auf die Sinne (vgl. III 1024 u. IV 1018). Ihr Verfahren läßt sich folgendermaßen beschreiben: Trieb, Gefühl, Instinkt, alles Unerklärliche leiden sie nicht öfter als einmal, nämlich oben am System als Haken, woran sie die Schlußketten festmachen. Ein Gegenstand 177 ist ihnen wie den norwegischen Feldmäusen ein Greuel, 176 177

Herder, Sprachphilosophische Schriften, ebd. Hier bezogen auf eine innere Erfahrung; vgl. die Beispiele, die Jean Paul im 61

weil er sie und die Mäuse im geraden Wege aufhält. Sie machen es daher so: sie ersinnen ein geräumiges, hinten und vornen offnes Wort, in das alles geht, und darein stecken sie alles. (IV 1018)

Jean Paul erinnert daran, welchen »atomistischen Nebel und Dunst« man auf diese Weise schon mit einer einzigen Metapher, ζ. B. der >Idee< und ihren sprachlichen Äquivalenten, um die geistige Tätigkeit gezogen habe, für die dieses Bild steht. Es komme dabei genauso viel heraus, als wenn man den Wert eines Gedichts nach Maß und Gewicht ermitteln wollte, »statt es durchzulesen«. Geht man aber umgekehrt vor, sucht »die Quantität zur Qualität, den Körper zum Geiste zu destillieren und hinaufzutreiben«, so ergibt sich freilich ein ähnliches Fazit. Denn da diese Operation nach Sachlage der Dinge niemals völlig, nicht einmal approximativ gelingen könne, so schleicht der [transzendente] Rechner entweder auf den ersten Irrweg zurück, oder er weiset bald eine ausgeblasene hohle Quantität hervor, um weiter zu rechnen, zu schließen und zu binden, bald eine Qualität, um zu setzen, eine wahre Bilderschrift wie auf alten Mundtassen, halb Buchstaben, halb Malereien [...] (III 1025)

Nach dieser Methode sei beispielsweise Fichte verfahren. Der Begriff der Schranke oder der Beschränkung des absoluten Ichs, mit dem Fichte die Setzung des Nicht-Ichs erfassen wollte, ist nach Jean Paul ein Quantitätswort, das bloß »nach der höchsten Abstraktion und Ausbälgung nur gerade so auf eine Qualität angewandt« werden könne, und der Fehlschluß sei nur deshalb möglich gewesen, weil man bei diesem blassen Wort nichts oder nur wenig denke (III 1025, Anm. 1). Daher gelange zur »höchsten Reflexion« nur, wer »der bloßen, von Begriff und Anschauung freien Sprache mächtig« sei. Der zentrale Begriff der >WissenschaftslehreWissenschaftslehreWörterschauspielHesperusBrief über die Philosophie< von 1799 (IV 1018ff).

186

65

aber, so fragt Jean Paul, »ist aus dieser atomistischen Dürre für das dynamische Leben zu gewinnen?« (V 85), zumal für die Poesie, die es ja nicht mit Begriffen, sondern mit Bildern und Gestalten zu tun hat. Worauf darf man bei dieser Theorie hoffen, wenn man ein wenig berechnet, welche ungeheuere Zuschüsse und alles erfassende StromArme dieses System durch die unabsehlichen Kombinationen der Chemie, Physik, Ästhetik, Moral und Metaphysik, des Brownianismus und Galvanismus und der - Metaphern gewinnen müsse [...]

Diese Stelle bezieht sich eindeutig auf Friedrich Schlegel; es ist die Frage, von Jean Paul hartnäckig gestellt, nach dem Sinn jener logischen ChemieNachschule< ist entsprechend vom frühromantischen Wasserkopf die Rede, »der nach Gall schon als physischer oft ein Zeichen eines geistreichen Gehirns an Kindern gewesen« (V 498). Hinter dem ungeheuren sprachlichen Aufwand dieser »logischen Gladiatoren« (III 1036, Anm. 2) vermöchte man nichts zu entdecken als das »metaphysische Differenzieren und Integrieren« (III 1024) mit unbekannten Größen oder eigentlich allem Vermuten nach mit lauter Nullen. Schlegels Terminologie parodistisch aufgreifend spricht Jean Paul vom »logischen Enthusiasmus« (III 1036, Anm. 2), der tatsächlich zu nichts anderem führe, als was die romantische Ästhetik auch angezeigt habe: zur Indifferenz. »[...] Die Synthese aller Antithesen, des In- und Außer-uns, des Stoffs und der Form, des Realen und Idealen, aller Differenzen ist die Indifferenz.« (V 445)

Doch im Gegensatz zu Schlegel kann Jean Paul darin nichts Sinnvolles entdecken, auf keinen Fall aber das Ziel der Poesie; ein philosophischer Kurzschluß dürfe nicht mit wirklich sachhaltiger Erkenntnis, die »potenzierte Aufgabe« der Philosophie nicht mit deren »Auflösung« (V445) verwechselt werden. Es gehe den Transzendental-Ästhetikern dabei wie den entsprechenden Philosophen: 66

Aber der alte unheilbare Krebs der Philosophie kriecht hier rückwärts, daß sie nämlich auf dem entgegengesetzten Irrwege der gemeinen Leute, welche etwas zu begreifen glauben, bloß weil sie es anschauen, umgekehrt das anzuschauen meint, was sie nur denkt. (V 23)

So ist denn die »transzendente« Algebra des Idealismus, »bloß welche die Töne der poetischen (V 25), im einen wie im andern

Ästhetik, nicht anders als die logische eine mathematische Klanglehre [...], Leier in Zahlen-Verhältnisse auflöset« Fall gleich unergiebig:

Hat nun hier schon der Philosoph nichts - was für ihn doch immer etwas ist -, so lässet sich denken, was der Künstler haben möge, nämlich unendlich weniger. (V 23)

Für die künstlerische Praxis ist dabei nichts zu gewinnen; weder Schellings Kunstphilosophie noch Schlegels poetische Reflexion führen zu brauchbaren Einsichten über die Poesie, die allein nach Jean Paul den Maßstab für die Tauglichkeit einer Ästhetik oder Poetik, zwischen denen er aus praktischen Gründen bewußt nicht unterscheidet, abgeben können. Über den Wert seiner eigenen soll daher das Maß an Erfahrung befinden, das er einzubringen hat; die Theorie wird allein durch die Praxis empfohlen, weshalb er selbst über die >Vorschule< »nichts zu sagen [habe], als daß sie wenigstens mehr von mir als von andern gemacht« und also die seinige sei (V25). Aus diesem Grunde sind die »metaphysischen breiten Schul-Worte« (V443), wie sie bei Schlegel und seinen Freunden im Umlauf seien, für ihn nicht zu gebrauchen, weil dieser metaphysische Schnee nicht wie der poetische Spiegel sondern nur ein unbestimmtes Schimmern zurückwirft.

Gestalten, (V 444)

Jean Paul glaubte zu beobachten, daß die philosophische Ästhetik, sobald sie die Theorie nicht selber wieder zu ihrem Gegenstand machte, sondern vor konkrete Aufgaben gestellt war, nicht Stich hielt. Er mißtraute ausdrücklich jener von Schlegel propagierten »reinste[n] und gediegenstein] Unverständlichkeit«, aus der, wie auch immer, schließlich ein Sinn hervorgehen sollte.188 Im Falle der idealistischen Philosophie war er nicht bereit, darauf zu vertrauen, »daß die Worte sich selbst oft besser verstehen, als diejenigen von denen sie gebraucht werden«. 189 Jean Paul sah diesen, a priori verbürgten, Sinit nicht. Was er aber zu sehen vermeinte, war - und das war sein Problem und sein Vorwurf gegenüber der frühen Romantik -, daß die »Jenaischen Paralogismen« 190 geradewegs entweder zu poetischem Nihilismus oder zu poetischem Mystizismus führten. 188

Schlegel, Über die Unverständlichkeit, ΚΑ II, 364. Schlegel, Über die Unverständlichkeit, ebd. 190 An Jacobi, 4. 3. 1799. SW III, 3, 166. 189

67

4. Poetischer Nihilismus Zum ersten öffentlichen Waffengang mit den ästhetischen Tendenzen seiner Zeitgenossen war Jean Paul bereits 1796 in der >Geschichte meiner Vorrede< zum >Quintus Fixlein< angetreten. Die Satire auf den Kunstrat Fraischdörfer, den »Galerieinspektor so vieler Schlachtstükke« (IV 20), sollte zwar in erster Linie den Ästhetizismus von Weimar treffen, doch erging hier auch ein erster Hieb gegen Schlegel, indem sich nämlich der genannte Kunstrat zum Beweis der formalen Priorität in der Dichtkunst auf ihn berief: Auf den Kubikinhalt komm' es der Form so wenig an, daß sie kaum einen brauche, wie denn schon der reine Wille eine Form ohne alle Materie sei [...]. Daher lasse sich der Ausspruch Schlegels erklären, daß, so wie es ein reines Denken ohne allen Stoff gebe [...], es auch vortreffliche poetische Darstellungen ohne Stoff geben könne (die sozusagen bloß sich selber täuschend darstellen). (IV 26)

Begnügte sich Jean Paul damals mit dem parenthetischen Hinweis, daß »dergleichen«, nämlich das tertium comparationis, Moral aus reinem Willen, »völliger Unsinn« sei (IV 26), so wurde er wenige Jahre darauf in der >ClavisClavis< warf Jean Paul den Romantikern »die Ertötung (statt Belebung) des Stoffes durch die Form« (III 1030) vor; in der >Vorschule< prangerte er immer wieder ihre Verächtlichkeit gegenüber dem Stofflichen an, der man es zuzuschreiben habe, daß die Dichtung »jetzo mehr im Vernichten als im Erschaffen« (V 383) lebe, einem »mit GiftFeuer gefällte[n] Blumenkranz« gleiche, »der das verzehrte, was er schmückte« (V 403). Daß Jean Paul dabei keineswegs von einer simplen Vorstellung über Charakter und Funktion poetischen Stoffs ausging, obwohl er sich nicht scheute, auch das poetische Handwerk zur Sprache zu bringen, dürften die einschlägigen Paragraphen der >Vor1,1

An Jacobi, 22. 12. 1799. SW III, 3, 265. An Jacobi, 22. 12. 1799. SW III, 3, 266. 19} Am 7. 12. 1799 schrieb Jean Paul an Thierot: »Ich halte jezt die Luftschlösser der philosophischen Lehrgebäude für eigentliche Spitzbubenherbergen und Schwefelhütten.« (SW III, 3, 259) 192

68

schule< mit ihren differenzierten Bemerkungen zur Frage der Naturnachahmung, die Kapitel über die »poetischen Materialisten«, über Phantasie und Genie hinreichend belegen. Ich komme darauf noch zu sprechen. Worauf sich Jean Paul hier bezog, war die »philosophische Auflösung alles Stoffs durch fortgesetztes Abstrahieren in durchsichige Form« (V 498), die sich ihm nun in der Poesie, und zwar bis zu deren völliger Auflösung in formale Spielereien, fortzusetzen schien. Es war die Achtung vor dem Objekt, die Achtung vor einem Inhalt, den die Poesie nicht in jedem Fall aus sich selbst hervorbringen konnte, sondern auf den sie sich allemal auch bezog, was er in Theorie und Praxis der Frühromantik, wo die Kunst sich ausschließlich selbst zum Thema hatte, schwinden sah. Wohl hatte Schlegel im >StudiumReales< ausgehenden interpretatorischen Kriminalistik. Auf den ersten Blick scheint Jean Paul dies zu übersehen, wenn er Schlegels Bemühen ironisch zunichte macht: Wenig kann daher das stärkste Geschrei nach Objektivität aus den verschiedenen Musen- und andern Sitzen verfangen und in die Höhe helfen, da zu Objektivität durchaus Objekte gehören, diese aber neuerer Zeiten teils fehlen, teils sinken, teils (durch einen scharfen Idealismus) gar wegschmelzen im Ich. (V 73)

Aber es geht nicht um vordergründig Reales, es geht um eine Prämisse. Was Jean Paul bei den frühromantischen Poeten vermißt und was er ihnen aufgrund ihrer philosophischen Überzeugung zugleich als praktisch für sie unerreichbar vorhält, ist Erfahrung im umfassenden Sinn, ist der Umgang, der persönliche Kontakt mit dem Wirklichen, jene Hingabe an die Dinge ohne theoretische Vorbehalte, die es bei den Griechen dahinbrachte, daß sich das Ich »in den Gegenstand« verlor (V 72). Erfahrung und Wirklichkeit war das, was der Romantik durch ihren idealistischen Standort vorenthalten blieb, ohne daß sie in ihrer Befangenheit durch die Reflexion sich dessen bewußt werden konnte. Der transzendentalphilosophische Begriff der Erfahrung war für Jean Paul eine höchst problematische Größe, nachdem Kant sie einer194 195

Entstanden 1795, veröffentlicht 1797. In dieser Version gebraucht Schlegel Schillers Begriff des Sentimentalischen.

69

seits abhängig gemacht hatte von apriorischen Anschauungsformen, die nicht im Objekt der Erfahrung, sondern im Subjekt liegen, und andererseits von den Spielregeln der reinen Apperzeption als den Bedingungen ihrer Möglichkeit überhaupt. Infolgedessen war nicht nur die Erfahrung ein Produkt des Intellekts, auch das Erfahrbare, die Objekte, waren nicht mehr >Dinge an sichMetakritikVorrede< zum >David Hume< schreibt Jacobi u. a., Kants Philosophie lasse »auch nicht einen Schatten von irgend einem Wesenhaften und Wahren für die Erkenntniß übrig« (Werke II, 17); durch die Sinne erführen wir nach Kant »überall nichts Wahres« (Werke II, 18), weshalb dessen theoretische Philosophie »zum Nihilismus führe, und zwar mit einer solchen allzerstörenden Kräftigkeit dahin führe, daß keine hintennach ersonnene Hülfe das ein für allemal Verlorne wiederbringen könne« ( Werke II, 19). Schließlich steht in einer Beilage über den transzendentalen Idealismus, Kant beweise, »daß sowohl die Gegenstände als ihre Verhältnisse bios subjective Wesen, bloße Bestimmungen unseres eigenen Selbstes, und ganz und gar nicht außer uns vorhanden seyen«. Irgendwie würden wir zwar von ihnen affiziert, doch bleibe »in der tiefsten Dunkelheit verborgen, wo diese Ursache, und von was Art ihre Beziehung auf die Wirkung sey«. Hinter dem, was Kant Erscheinung nenne, verberge sich der Materie wie dem realen Inhalt nach »nichts anders als unsre eigene Empfindung« ( Werke II, 305). 197 An Herder, 23. 11. 1798. SW III, 3, 119. 198 An Herder, 23. 11. 1798. SW III, 3, 122. 199 Ebd. Ganz ähnlich lautet die Frage in der >Clavis< (III 1034): »Die Kantianer tragen den Raum oder Behälter in sich und mithin, was darin liegt, sämtliche Natur; alles, was wir von dieser haben und wissen, wird in der Produktenkarte oder Bruttafel ihrer Kategorientafel ein einheimisches Gewächs unsers

70

in dem Grade subjektiv, daß er gar keine Existenz, die immer objektiv ist, zulassen, sondern die eigne immer als ein subjektives Handeln geben solte; kurz er solte die Schöpfung läugnen. 200 Mit der Wendung z u m absoluten Subjekt ist sie nämlich überflüssig geworden; sie wurde eingetauscht gegen eine »Schöpfung unter der Gehirnschaale«, 2 0 1 eine bloß gedachte Welt oder, wie dies der kantisch geschulte Teufel, der mit dem Armenadvokaten Siebenkäs in einen philosophischen Disput getreten ist, näher auszuführen weiß: Er tat mir dar [schreibt Siebenkäs vom Teufel], der Raum und die Zeit und die Kategorien wären an und für sich oder für andere Wesen ganz und gar nichts, aber für Menschen alles, und wir erschüfen uns durch diese Denkformen die ganze Sinnenwelt (so daß wir sie sogleich darauf oder darunter empfänden) - Inzwischen bezögen sich alle diese innen von uns gemachten äußern Erscheinungen unverhofft auf wahre echte Dinge an sich, auf wirkliche, ihm ganz unbekannte X's (wiewohl nicht auszumitteln sei, wie und warum) [...] Aber da er von diesem ganzen Inkognito-Universum nie, auch nicht nach dem Tode, etwas oder nur so viel zu sehen bekomme, als Hogarth auf seinen Nagel zeichnen könne, so seh' er nicht ab, warum er sich um ein ewig gleich dem Nichts verstecktes Etwas, um eine ewig unsichtbare Spiegelfolie sichtbarer Gestalten im geringsten so viel wie um gute hübsche Erscheinungen scheren solle, die er doch wenigstens als solche kenne.- Gelte nun das, so behalte er keine Welt übrig als die in seinen plastischen (Denk-)Formen gebackne, nämlich die von ihm ins durchsichtige verborgne weite X gewürkten und gestickten Figuren oder Erscheinungen [...] (IV 735f) D a aber nun ein jeder Herr über die ausschließlich in seinem » K o p f e seßhaften Phänomena« (IV 736) ist, ergibt sich daraus die schier unlösbare Frage, wer nun als wessen Erscheinung, Siebenkäs des Teufels Ichs: wozu nun noch die ganz müßige unsichtbare Phönixasche der Dinge an sich?« - Wie präzise dieser Vergleich mit dem Vogel Phönix hier gewählt ist, hat soeben Peter Sprengel: Herodoteisches bei Jean Paul. Technik, Voraussetzungen und Entwicklung des »gelehrten Witzes«. In: JbJPG 10, 1975, 213-248, ausgewiesen: dem Vogel Phönix liegt seiner Bedeutung nach NichtRealität zum Grunde, nachdem sich Jean Pauls Vergleichsmaterial nicht auf ein im Urbild, sondern nur als Abbild Existentes bezieht (vgl. bes. 218f). Das heißt also im obigen Kontext, daß das kantische >Ding an sich< nur der ausgebrannte Rest eines unsichtbaren Abbildes ist, von dem es kein Urbild, also nichts Substantielles gibt.- Auf seine Weise formuliert Jean Paul damit den von Jacobi mehrfach erhobenen Einwand, Kant verwickle sich in Widersprüche, wenn er einerseits den Inhalt der Vorstellungen für bloße Erscheinungen nimmt, die sich auf ein >Ding an sich< beziehen, zum anderen aber »aus dieser Benennung, (einzig und allein aus ihr) die Nothwendigkeit der Voraussetzung« folgert, - wieder also eine Verbal-Täuschung! (Jacobi, Werke II, 35; vgl. II, 309f) 200 An Jacobi, 1. 4. 1800. SW III, 3, 316. 201 An Herder, 23. 11. 1798. SW III, 3, 120. 71

oder umgekehrt, zu gelten habe, denn genau genommen »ist überhaupt, kantisch davon zu sprechen, nicht mehr als einer möglich« (IV 735), was nun ein jeder notgedrungen zu seinen Gunsten auslegen muß. Nach Fichtes Prämissen sind die sich erscheinenden Subjekte »Anti-Influxionisten«, die niemals wirklich in Kontakt miteinander kommen können, weil ein jeder die Erfindung des anderen ist (III 1038). Man kann daher nicht von der Welt sprechen, sondern stets nur von einer Vielzahl, da >Welt< für den Idealisten »doch nichts aussage als das optimistische Verhältnis des absoluten Ichs zum Nicht-Ich. Das geht aber andere Ichs nichts an.«202 Ohnehin kann der Idealist, »als streng-konsequenter Theoretiker, unmöglich mehrere Wesen glauben [...] als sein eignes« (III 1038), und nicht einmal das ist absolut sicher, denn das Ich, als leibhaftige Existenz und als Person, kann sich wiederum auch nur selbst erscheinen als eine seiner eigenen Fiktionen (vgl. J II 565). Folgerichtig begreift sich daher der kantische Teufel »als sein eigner optischer Betrug«, indem er sich bloß »auf ein solches in ihm angesessenes X [bezieht], welches eben der eigentliche Granitkern und das Ich seines Ichs sei« (IV 736). Die Unsicherheit solcher Verhältnisse läßt ihn schließlich zur Überzeugung gelangen, daß er gar nicht existiere (vgl. J II 563ff), so wie umgekehrt Siebenkäs berichtet, der Idealismus habe ihn zum »häßlichen Stoßvogel des ganzen Universums« gemacht, »der alles erwürgte und abrupfte« (IV 736), sich selber eingeschlossen, sofern es ihn je gegeben habe: durch den giftigen Samielwind des Philosophen waren alle Weltteile, sogar die unentdeckten, [...] wie weggeblasen - und es blieben kaum so viele Wesen stehen, als man mit einer Nachtmütze bedecken kann, welches nur ein einziges, nämlich ich unter meiner war. (IV 736f)

Selbst dem kritischen Philosophen war nicht mehr zu helfen gewesen, denn es mangelte ihm am Grundsätzlichsten, »es mangelte ihm an Existenz« (IV 737). Mit dergleichen Späßen sucht Jean Paul darzutun, daß Subjekt und Objekt oder Ich und Nicht-Ich der Transzendentalphilosophie lediglich »Wechselbegriffe« seien, die einander »keine Minute« überlebten, der Geist nicht seinen Gedanken, noch umgekehrt, da sie beide Geschöpfe des reinen Ich sind (III 1035). Die Philosophen, behauptet er, müßten es daher »wie die Seehasen« machen: Ohne etwas im Kopfe zu haben als das geistige Wesen darin, setzen sie sich hin und befruchten sich [...] selber und geben dann das Lexikon ihres Innern der Welt; gleich Glaskugeln, die sich, leicht gerieben, mit einem schönen innern Licht anfüllen, wenn sie luftleer sind. (IV 1020) 202

72

An Jacobi, 21.2. 1800. SW III, 3, 299.

Fichtes Wort vom »materialen Spinozism« 203 aufnehmend, das gegen den philosophischen Dogmatismus, das »Spinozische Fatum«, 204 gefallen war, kehrt es Jean Paul gegen Fichte selbst, wenn er die absolute Tathandlung mit Spinozas natura naturans ineins setzt, einem Wesen, » [ . . . ] das, sich ausgenommen (denn es wird nur, und ist nie), alles macht, mein absolutes, alles gebärendes, fohlendes, lammendes, heckendes, brechendes, werfendes, setzendes Ich [...]!« (III 1037)

Nicht nur, daß »die ganze Natur ein blos im Raum in uns gefassetes und von den Kategorien figuriertes und ausgezaktes Gebäk« 205 ist und also nicht mehr als ein Phantom; Jean Paul geht um ein beträchtliches weiter und scheint den »kantischen und fichtischen Idealisten« (IV 1068) zu unterstellen, sie würden sich nicht allein auf die fiktive Welt in ihrem Geiste beschränken, sondern sie darüberhinaus auch noch materialiter hervorbringen. Der »echte Idealist« mache alles selber, »alle Sterne am Himmel und die physische und die gelehrte Welt« (IV 1069): Ein guter Idealist senket, er mag uns so viele unbekannte X für U machen, als er will, stets den Pumpenstiefel in sich hinab und schöpft alles aus sich herauf, die physische Welt und mithin auch die nur in sie eingefleischte fremde geistige. (IV 1068)

Daß Jean Paul hier vom Standpunkt der Fachphilosophie bis hart an die Grenze des Legitimen geht, ist offensichtlich. Solipsismus ließ sich weder Kant noch Fichte im Ernst vorwerfen. Genauso unsinnig ist es aber, Jean Paul seinerseits zu unterstellen, er habe die idealistische Philosophie in der Tat einer derartig absurden Konsequenz bezichtigt. 206 Die Vorrede zur >Clavis< (vgl. III 1013) sowie einer seiner Briefe207 bekunden zweifelsfrei, daß er keinesfalls einem Irrtum erlegen war. Jean Paul war kein philosophischer Dilettant, sondern wußte im Gegenteil sehr genau, was er tat und warum er es tat. Der Vorwurf, er sei Fichte nicht gerecht geworden, 208 trifft nicht, insofern er ihm gar nicht gerecht 203 204 205 206

207

208

Fichte, Werke I, 155. Vgl. Jean Paul III 1034. Fichte, Werke I, ebd. An Herder, 23. 11. 1798. SW III, 3, 122. Die Geschichte dieses Vorwurfs belegt Harich, Jean Pauls Kritik des philosophischen Egoismus, 99ff. Bei aller Vorsicht, mit der Karl Brose: Jean Pauls Verhältnis zu Fichte. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte. In: DVjs 49, 1975, 66-93, das Thema behandelt, spricht er doch auch von einem »Hauptirrtum« Jean Pauls (ebd. 83). An Thierot, 7. 3. 1800. SW III, 3, 303: »Sein [Fichtes] System wil kein transsz. Egoismus sein, weil sonst die Moralität zerstiebt; aber konsequent mus man es, wie ich gethan, hinauffolgern.« Brose, Jean Pauls Verhältnis zu Fichte, 83, schreibt: »Die Clavis trifft nicht, so meinen wir, den Kern der Lehre Fichtes.«

73

werden wollte, aus Gründen, die ich noch erläutern werde. Es ging dem eine Entscheidung voraus, die außerhalb philosophischer Kompetenz lag, und sie bestimmte nicht bloß Jean Pauls Haltung zur Philosophie, sondern auch die Art und Weise seiner Auseinandersetzung mit ihr. Vorläufig genüge der Hinweis auf eines der Motive, die hier wirksam waren: die Literatur. Es war die Sorge, die Romantik verwechsle tatsächlich die notwendige poetische Freiheit mit der von Schlegel gepriesenen Willkür, indem sie die absolute Freiheit des erkenntnistheoretischen Subjekts umstandslos auf das dichterische übertrug. Theoretisch hatte Schlegel den Begriff zwar in seiner systematischen Paradoxic gerechtfertigt,209 nicht aber seine Wendung in die Praxis bedacht, wie Jean Paul sie verstand. Er hegte den Verdacht, daß die romantischgeniale Verachtung gegenüber dem »Studium der Natur« und den Problemen poetischer Nachahmung »aus der gesetzlosen Willkür des jetzigen Zeitgeistes [folgte] - der lieber ichsüchtig die Welt und das All vernichtet, um sich nur freien Spiel-Raum im Nichts auszuleeren« (V 31); daß man es also beim philosophischen wie beim poetischen Idealismus hinsichtlich des Subjekt/Objekt-Bezugs mit ein und demselben nihilistischen Phänomen zu tun habe und daß die romantische Poesie, getreu ihren Prämissen ausschließlich subjekt-orientiert, genauso achtlos und selbstherrlich mit der Wirklichkeit verfahre wie die Theorie. Das Teufelscredo im >Luftschiffer Giannozzo< lautet: »Die Poesie aber muß frei sein und bloße Form, [...] wenn man sie nicht wie einige Teufel von mehr Herz als Kopf zum Stoff verkörpern will« (III 962). Daß Jean Paul den Brüdern Schlegel und ihren Freunden diese Eigenschaft nicht zugute halten wollte, bezeugt ein eigens ihnen zugeschriebenes Kapitel über den »Liebe-Mangel« in der Poesie (V 420-426). Was gemeint ist, soll später noch erörtert werden. Jean Paul entging nicht der Wille, Überkommenes neu zu formulieren, beispielsweise die erstarrten Regeln der Aufklärungspoetik zu zerbrechen und der Kunst eine zeitgemäße soziale Orientierung zu geben: Das Streben der jetzigen Zeit dringt und schifft nach der poetischen neuen Welt, deren Himmel romantisch ist durch Wolken und Farben und Sterne und deren Erdboden plastisch durch grüne Fülle und Gestalten aller Art. Die Dichtkunst soll, will man, nicht etwa eine Hof-Dichtkunst oder eine Volk-, eine Kirchen-, Katheder-, Weiber- oder sonstige Dichtkunst sein, sondern eine Menschen- und womöglich eine Geister-Poesie; sie soll ohne zufällige, einengende, Geister-trennende Zwecke, wie ein Gesetz der Natur und die moralische Freiheit, alle beherrschen, befreien, beschirmen, binden und höher leiten. (V 382) 209

74

durch die dialektische Struktur von Freiheit und Notwendigkeit, s. o.

Ohne weiteres hätte sich Jean Paul zu diesem Programm bekennen können, das nicht bloß einen bürgerlichen Gegenentwurf zur feudalen Tradition darstellte, sondern die Utopie einer schlechthin autonomen, menschlichen Bedürfnissen entsprechenden Kunst, wenn nicht dies ganze Bemühen »mit einem häßlichen Janus-Gesicht« aufgetreten wäre, weil die Romantiker »Streben schon für Zweck und Palmenpreis, statt für Mittel und Weg« (V 382) hielten. So war das romantische Streben nach dem Unendlichen 210 tatsächlich nur um der Unendlichkeit des Strebens willen und hatte sonst kein weiteres Ziel, »als wäre nicht das Größte gerade wirklich, das Unendliche« (V 31). Ihr »Sinn für die Zukunft«, 2 " der ihnen eine neue Welt erschließen sollte, der endlos vernichtende ironische Progreß, der kein Ding um seiner selbst willen unangetastet lassen konnte, das unaufhörliche Potenzieren der romantischen Poesie: all dies führte dazu, sagt Jean Paul, daß die »Neuern« die Zukunft für eine ewige Jagd durch das Weltall ausgeben und mit Vergnügen von den Sternsehern immer mehre Welten als Kauffahrteischiffe in Empfang nehmen, um sie mit Seelen zu bemannen, welche wieder auf - Schiffen anlanden, und mit neuen immer tiefer in die Schöpfung hineinsegeln [...] (V 78)

Mit einem Wort: der Progreß führt ins Leere, weil die Ironie, die »ästhetische Schlegelsche Erhebung über die Erhebung alles Positive unter Termen-Schnee vergräbt«. 212 Die fortschreitende Vernichtung des Endlichen läßt den Poeten schließlich die ganze Erde einbüßen. Was aber bleibt dann dem auf dem Glanz-Schwanz eines poetischen Kometen nachschwimmenden Schreiber, wenn ihm der Kometen-Kern der Wirklichkeit plötzlich zermalmt wird?

Antwort: Er ist dann ohne Halt des Lebens, oder wie das Volk sich richtig ausdrückt, nicht mehr bei Tröste. (V401)

Jean Paul spricht in diesem Zusammenhang von einem regelrechten »Trost-Defekt« (V 401), den er allgemein unter seinen Zeitgenossen beobachte und an dem der poetische Idealismus nicht unbeteiligt sei. Doch glücklicherweise, heißt es ironisch, sei man »seit fünf Jahren« das bezieht sich präzise auf den Zeitraum, da die frühromantischen 210 2,1 212

Vgl. Schlegel, Ideen Nr. 42, ΚΑ II, 260. Schlegel, Athen.-Fragm. Nr. 326, ΚΑ II, 221. An Jacobi, 13. 10. 1798. SW III, 3, 106.

75

Aktivitäten ihren Höhepunkt hatten, also etwa auf die Jahre 1798 bis 1803213 - »mehr im Tollsein vorgerückt, so daß man beinahe lieber mit demselben erscheint, als ohne solches auffällt und Ausnahme macht« (V 402). Dennoch kommt Jean Paul eingehend auf die »Tollbeeren des Parnasses« (V401) zu sprechen. Dazu gehört erstens der Dichterwunsch, »neu zu zaubern, wozu man nach dem Volkglauben stets Worte ohne allen Sinn nehmen muß, ζ. B. Abrakadabra« (V 402), ein Verfahren, das die Romantiker unter »Versäumung aller Wirklichkeit« bis zu dem Punkt treiben, da sie »sich immer weicher und dünner ins gesetzlose Wüste verflattern«, um sich endlich »in der höchsten Höhe ins kraft- und formlose Leere [zu] verlieren« (V 34). Sie malen nicht, weil sie schauen, sondern umgekehrt, um zu schauen (vgl. V 401), und holen auf diese Weise »die Natur aus dem Gedicht, anstatt das Gedicht aus der Natur« (V 34). Das führt so weit, daß sie, wo sie dann doch »an die harten, scharfen Gebote der Wirklichkeit stoßen«, sich »lieber in die Öde der Phantasterei verfliegen, wo sie keine Gesetze zu befolgen finde[n] als eigne, engere, kleinere, die des Reim- und Assonanzen-Baues« (V 31). Darin besteht denn auch das zweite, den sicheren Weg zur Tollheit führende poetische Rezept: »das Sinn und Sache verlassende Arbeiten an bloßen Reimen, Assonanzen, Wortspielen und Füßen der guten Sonette« (V 402), das ruhige Vertrauen also darauf, daß sich der Gehalt des Gedichts schon einstellen werde, wenn der Form Genüge getan ist. Mit Vorliebe hat sich Jean Paul gerade über diesen Punkt satirisch ausgelassen, hinter der romantischen Neigung zu musikalisch nachempfundenen Figurationen das pure Unvermögen witternd, das bloß zur Folge hatte, daß sich an jeden glücklichen Einfall ein Rattenschwanz von Nachahmern hängte, der ihn mit Sicherheit allmählich den Lebens213

76

1798-1800 erschien das >AthenäumKritischen Fragmente< sowie den >StudiumHerzensergießungen< und Tiecks >VolksmärchenPhantasus< zusammengefaßt; 1798 >Franz Sternbalds Wanderungen^ 1799 Wackenroders nachgelassene und durch Tieck ergänzte »Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst< neben Fr. Schlegels >Lucinde< und Novalis' >Christenheit oder EuropaHymnen an die Nacht< und Schellings sog. Hauptwerk, das >System des transzendentalen IdealismusGodwiBrief über die Philosophie^ der ebenfalls auf die letzten Monate des Jahres 1798 zu datieren ist (vgl. IV 1022). Vgl. dazu Brose, Jean Pauls Verhältnis zu Fichte, 67f. 234 Vgl. Fichte, Werke V, 179-189, bes. 188. 215 Fichte, Werke 212. 234 An Jacobi, 13. 8. 1802. SW III, 4, 166. 237 An Jacobi, ebd. 238 Vgl. an Jacobi, 4. 3. 1799. SW III, 3, 167. 239 An Jacobi, 13. 8. 1802. SW III, 4, 166. 240 An Jacobi, 27. 7. 1800. SW III, 3, 357. 241 An Jacobi, 4. 3. 1799. SW III, 3, 167. 233

85

schaftlicher Jean Paul nach einem positiven Entscheid verlangte, desto hellhöriger wurde er angesichts der gebotenen Lösungen. Seine eigenen Bücher suchen ausnahmslos jenen Komplex zu gestalten, den er im >Hesperus< programmatisch genannt hatte: »die Natur, die Freiheit, die Tugend und Gott« (I 841). Mit der Freiheit stand unmittelbar die Moral zur Debatte, und die Freiheitsfrage war für seine Begriffe nicht zu lösen ohne zureichende Antwort auf die Gottesfrage. Sein Augenmerk galt daher vornehmlich der praktischen Seite der Philosophie und der Erkenntnistheorie im engeren Sinne nur, sofern sie die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik präjudizierte. Von daher gilt die Behauptung, Jean Paul habe die eigentliche Problematik der >WissenschaftslehreVorschule< ergänzt: Wären wir uns unserer ganz bewußt, so wären wir unsre Schöpfer und schrankenlos. (V 60)

242

Vgl. Brose, Jean Pauls Verhältnis zu Fichte, 69f. An Jacobi, 21.2. 1800. SW III, 3, 299. 244 An Jacobi, 21.2. 1800. SW III, 3, 300. 243

86

Der Verdacht liegt nahe, daß die Wahrheit von Fichtes Philosophie eine Frage seiner Autorität ist. Denn das moralische Gesetz, das reine Sollen, das der ursprünglichen Tathandlung des Ich vorausgeht, beweist in seiner formalen Abstraktheit noch gar nichts, weder, daß Freiheit existiert, noch daß ein handelndes Ich angenommen werden darf. Damit aber steht und fällt die >WissenschaftslehreVorschule< fragt Jean Paul: Das Gesetz ist nur der sittliche Idealismus; aber wo ist der sittliche Realismus? Wo ist denn die unendliche Materie zu dieser unendlichen Form? (V 445)

Kein Weg scheint bei Fichte »in die Endlichkeit und Existenz« zu führen, »da sich im Zentrum seines existierenden Universums die Existenz, wie im Schwerpunkt einer Welt die Schwere, durch die Bestimmungslosigkeit aufhebt« (III 1014). Doch Moral, überhaupt sittliches Handeln, wenn es nicht nur platonisch, nicht nur eine Idee bleiben soll, setzt eine reale Welt voraus, weil das reine Ich als bloßer Begriff »nicht wollen [Anm.: »Wollen wäre schon eine Bestimmung des Unbestimten oder Unendlichen«] und also nicht handeln«245 kann. Entweder ist das absolute Handeln, oder es ist nichts.246 Jean Paul rührt damit an den Grund von Fichtes Philosophie, der ja wahrhaft grundlos ist, da die absolut freie Tätigkeit als schlechterdings gegeben vorausgesetzt werden muß, theoretisch, begrifflich nicht zu erklären ist. Zwar behauptet Fichte, es sei keine theoretische Vernunft denkbar, die nicht zugleich praktisch sei; aber bei näherem Zusehen entpuppt sich diese Praxis als Theorie, als theoretische Praxis; und wenn Fichte überhaupt damit etwas gesagt haben will, dann war es, nach Jean Paul, eine Tautologie. Sollen setzt ein Sein voraus wie das Denken eine Existenz. Es ist der alte cartesianische Beweis, der sich dahinter verbirgt: Ich soll, also bin ich. Bei Fichte hieß der entscheidende Satz: »ich kann, denn ich soll«.247 Es war für Jean Paul, der auf dem Dasein der praktischen Vernunft insistierte, ein bloßer Formalismus. Wer denn sollte das Sittengesetz erfüllen, wenn nicht ein reales Subjekt, das mit seiner Person dafür haftete? 245

An Otto, 7. 7. 1800. SW III, 3, 350. Vgl. >ClavisClavis< ahnen konnte, war er daher im Recht, so nachdrücklich auf sinnlicher Realität, und das hieß philosophisch, auf der Substanz zu bestehen. Es war keineswegs bloßer Schabernack, wenn er für Ich und Nicht-Ich ein wirkliches Ich und ein wirkliches Du setzte (vgl. § 8, III 1034), sondern geschah aus Einsicht in die tiefste Problematik der >WissenschaftslehreDie Bestimmung des Menschern formulieren sollte: nämlich als das Trauma des >schwebenden< Ich, das sich in der Bilderflut seines Bewußtseins selbst nicht festzuhalten vermag; der Inhalt des Denkens, die reine Subjektivität scheint nur ein Traum. Fichte kommt hier der >Clavis< sehr nahe.248 Was Jean Paul als närrische Vision des Leibgeberianismus dargestellt hatte, wird nun bestätigt als die größte Bedrohung des Subjekts. Wie sich zeigt, ist der drohenden Selbstauflösung nur durch die Anerkennung des anderen Subjekts zu begegnen, und zwar nun nicht mehr mit Hilfe der theoretischen Spekulation, die den anderen wiederum bloß zum Bild, zur eigenmächtigen Vorstellung degradieren würde, sondern durch den Glauben an ein selbständiges, in sich gegründetes, unabhängiges, wahres Wesen. Allein das reale Du gibt dem Ich Halt und Existenz. Wenn es nicht für sich selbst das Phantom des eigenen Gedankens bleiben soll, dann muß das Subjekt seiner vernichtenden Reflexion eine Grenze ziehen. Für Fichte bedeutet das zugleich die Absage an den privaten Egoismus und die Erfüllung der Sittlichkeit.249 Faktisch hat Fichte seinen Gegner im Narrenkostüm nachträglich rehabilitiert. Wenn die moralische Weltordnung in der Tat das oberste 248

Vgl. Fichte, Werke II, 240-247, mit den §§ 13-15 der >ClavisProtektorium< merkt Jean Paul an (III 1021, Anm. 2): »Fichte sagt popular (und eben darum unverständlich): >mit einem Hauch< kann unser Geist das Universum ins Nichts zurückwerfen. Im Sinne seines Systems heißet das: unser absolutes unendliches Ich kann seine Einschränkung, d. h. sein Setzen des Nicht-Ichs (des Universums) aufheben, folglich mit dem Ob- auch das Subjekt oder das bewußte Ich, mithin alles Sein; denn es selber ist nicht, wiewohl es stets wird oder handelt.« Fichte schreibt (Werke II, 241): »Die Vorstellung aber ist mir nur Bild, nur Schatten einer Realität; sie kann mir an sich selbst nicht genügen, und ist an sich selbst nicht von dem geringsten Werthe. Ich könnte mir gefallen lassen, dass diese Körperwelt ausser mir in eine blosse Vorstellung verschwände, und in Schatten sich auflösete; an ihr hängt mein Sinn nicht; aber nach allem Bisherigen verschwinde ich selbst nicht minder denn sie; ich gehe selbst über in ein blosses Vorstellen ohne Bedeutung und ohne Zweck.« Und Werke II, 245: »Ich weiss überall von keinem Seyn, und auch nicht von meinem eigenen. Es ist kein Seyn. - Ich selbst weiss überhaupt nicht, und bin nicht.«

249

Vgl. dazu das 3. Buch mit dem lapidaren Titel >Glaube< ( Werke II, 248ff).

88

Prinzip sein und vom kategorischen Imperativ nicht »nur die dramatische Kunst der Tugend [...] profitieren« sollte, dann durfte die praktische Vernunft nicht bloß als Theorem verstanden werden. Ist aber Sittlichkeit, dann ist erstens auch ein reales Ich und nicht nur »ein übender Gliedermann meiner Moralität« (III 1042), und zweitens, weil Moral ihren vollen Sinn erst als soziales Phänomen erhält, sind dann ebenso notwendig reale fremde Ichs und nicht bloß optisch vorgestellte »moralische Voltigierpferde meiner Übung«. Die »Gewißheit fremder Moralität« aber, so Jean Paul, »ist nur eine sinnliche« (III 1043), weil sie sich nur in der Erfahrung entfaltet und zu dem wird, was sie sein soll, durch sinnliche Media vermittelt. Jean Paul hatte also recht, wenn er »den fichtischen Idealismus mit dem apodiktischen Dasein fremder Mit-Ichs [...] umzubrechen« (III 1013) suchte. Wird dem Handeln wirklich Raum gegeben, dann eröffnet sich ihm auch Realität. In diesem und nicht im Sinn der autonomen Spekulation spricht Jean Paul von einem »geistig-organische[n] Zirkel«, in dem »Freiheit und Notwendigkeit oder Wollen und Denken sich wechselseitig voraussetzen« (V 60f). Achtet man das Objekt in seiner eigenständigen Realität, anstatt es bloß zum Zweck willkürlicher Vernichtung zu >setzenWissenschaftslehre< als dem >umgekehrten SpinozismusVorschuleClavis< (III 1043): »Wahrlich das Buchstabieren, dem Heinecke alles Elend zuschrieb, besonders die Unfähigkeit zu lesen, kann nicht schlimmer sein als das Philosophieren, dieses transzendente Buchstabieren, das auch das Lesen im Buch der Natur erschwert.«

tisch, d. h. in sinnlich bestimmter Gestalt. Das ist der Grund, warum Jean Paul die Dichtung der Wissenschaft vorzieht. Im >Hesperus< fällt die Bemerkung, daß es wohl »leere Worte« gäbe, »aber keine leeren Empfindungen« (I 841).

6. Schöne N a c h a h m u n g Sinnlichkeit der Poesie - das war es, was Jean Paul der romantischen Ästhetik im Blick auf die Literaturgeschichte, auf die großen Beispiele von Homer, Shakespeare und Goethe entgegenhielt: Alle dichterische Darstellungen, welche eine Zeit nach der andern bewundert, zeichnen sich durch neue sinnliche Individualität und Auffassung aus. (V 33) 288

Empfindung gehört daher zu den zentralen Begriffen von Jean Pauls Ästhetik. Empfindung »als das gestaltlose Prometheus-Feuer«, aus dem sich die Form erst entwickeln muß, ist »die Mutter und der Zunderfunke aller Dichtung« (V 272).289 Sie ist das, was dem poetischen Material erst Leben gibt. Nicht von ungefähr stellt sich hier die physiologische Metapher ein. Proß hat gezeigt, daß man es in diesem spezifischen Sinn bei Jean Paul mit einer >sensualistischen< Kunstauffassung zu tun hat, deren Grundlagen in den physiologischen Implikaten der anthropologisch-medizinischen Forschungen seines ehemaligen Leipziger Lehrers Ernst Platner zu suchen sind.290 Am deutlichsten werden sie greifbar in dem kleinen Aufsatz >Über die natürliche Magie der Einbildungskraft von 1795, in dem es u. a. heißt: Die fünf Sinne heben mir außerhalb, die Phantasie innerhalb meines Kopfes einen Blumengarten vor die Seele; jene gestalten und malen, diese tut es auch; jene drücken die Natur mit fünf verschiedenen Platten ab, diese als sensorium commune liefert sie alle mit einer. Die Phantasie ist zwar nicht der matte Nachklang der Sinne, [ . . . ] aber doch das Unisono derselben. (IV 195)

Einige Zeilen weiter wird die Phantasie als »der goldene Abend-Widerschein der Sinne« (IV 199) bezeichnet. Auf dieser Basis erklärt sich die zunächst befremdlich erscheinende Bemerkung, daß die Poesie ihrem Wesen nach »eigentlich dramatisch« sei, weil sie Empfindungen male (IV 202). Das soll heißen, daß sie innere Bewegungen nachzeichnet, deren materielles Substrat physiologisch nachweisbar ist. 288 289

290

Hervorhebung von mir. Vgl. V 273, wo Jean Paul die Empfindung den »Blutumlauf aller Dichtkunst« nennt. Vgl. Wolfgang Proß, Jean Pauls geschichtliche Stellung, bes. 73ff; 112 u. 156.

97

Allerdings warnt Jean Paul in der >Vorschule< vor einem Mißverständnis: die »bloße Empfindung« mache noch keinen Dichter, wie umgekehrt der »bloße Dichter« keine Empfindungen (V 484). Jene braucht, um überhaupt kommunizierbar zu sein, die künstlerische Form, die Komposition, kurz: eine Gestalt; wie die Malerei, sagt Jean Paul, so muß auch die Poesie »Seelen durch Gestalten« abbilden (V 292). Dieser aber, der Dichter, braucht Erfahrung; er muß sich mit dem Leben eingelassen haben, weil ihn nur das davor bewahren kann, daß seine Empfindungen, und wären sie noch so schön und tief, rein literarisch bleiben, bloß Papier. Nicht einmal der Lyriker kann sich mit dem unmittelbaren Aussprechen seiner Gefühle begnügen, geschweige denn der Epiker; er »kann nur durch den Gegenstand die Empfindung geben und darf also mit dieser nicht beginnen, nur beschließen« (V 285). Es widerspricht ein wenig dem Bild, das sich die Literaturgeschichtsschreibung unter Berufung auf das bekannte Schlegelsche Urteil aus dem >Athenäum< von Jean Paul gemacht hat, wonach er nicht einmal ein mäßiger Erzähler sei,291 daß gerade er sich über weite Passagen der >Vorschule< einläßlicher als mancher seiner zeitgenössischen Kollegen mit Fragen der Nachahmung, der Motivierung, des Stils, des Verhältnisses von Held und Fabel beschäftigt hat. So wäre denn die These von der Wirklichkeitsauflösung bzw. im modischeren Terminus von der hermetischen Innerlichkeit Jean Paulscher Erzählkunst auch unter diesem Gesichtspunkt zu überprüfen und genauer zu fragen, was hier zu Lasten eines gattungsapriorischen Moments des modernen bürgerlichen Romans geht und was Jean Paul darüberhinaus im speziellen zuzurechnen ist.292 Jedenfalls darf man sich von seinen nachgelassenen 291 292

98

Vgl. Schlegel, Athen.-Fragm. Nr. 421, ΚΑ II, 246f. Vgl. Schweikert, Jean Paul (Stgt. 1970), 93.- Zur These der Wirklichkeitsauflösung s. Kap. I, Anm. 4; außerdem Bernhard Böschensteins Studien zur Dichtung des Absoluten, Zürich/Freiburg 1968, sowie die Rezension durch Peter Krumme und Burkhardt Lindner: Absolute Dichtung und Politik. Tendenzen der Jean-Paul-Forschung. In: Text und Kritik. Sonderband Jean Paul, 116-124.- Am radikalsten urteilte bisher in diesem Zusammenhang Hartmut Vinson: Topographie: Innenwelt - Außenwelt bei Jean Paul. München 1970. Seiner Meinung nach besteht Jean Pauls Welt nur noch in »Aussichten« von innen her, hat also reinen Projektionscharakter, während die Innenwelt mangels Kontakts mit der Außenwelt zunehmend zwanghafte Züge erhält. Das mag tendenziell vielleicht richtig sein, doch betrifft es erstens nur einen Teil des Werks, und zweitens übersieht Vinfon, daß die Sprache schon immer das »Außen« reflektiert, d. h. die Konstruktion der Innenwelt nicht ohne Reflex auf die Außenwelt möglich ist, ein Problem, das Jean Paul insbesondere für die witzigen Gleichnisse bedacht hat. Die grundsätzliche Frage muß also auf die für diesen Autor spezifische Vermittlung von Innen und Außen abzielen. Außerdem ist hinsichtlich des Begriffs >Innerlichkeit
Vorschule< sein Verständnis von Naturnachahmung gegen die romantischen »Verächter der Wirklichkeit« darzulegen sucht. Noch immer ist für ihn das »Studium der Natur« (V 31) unabdinglich; wie die großen Beispiele der Literatur zeigen, muß sich der Poet mit Wirklichkeit geradezu sättigen, ehe er an die Produktion geht: Wer hat mehr die Wirklichkeit bis in ihre tiefsten Täler und bis auf das Würmchen darin verfolgt und beleuchtet als das Zwillingsgestirn der Poesie, Homer und Shakespeare? Wie die bildende und zeichnende Kunst ewig in der Schule der Natur arbeitet: so waren die reichsten Dichter von jeher die anhänglichsten, fleißigsten Kinder, um das Bildnis der Mutter Natur andern Kindern mit neuen Ähnlichkeiten zu übergeben. Will man sich einen größten Dichter denken, so vergönne man einem Genius die Seelenwanderung durch alle Völker und alle Zeiten und Zustände und lasse ihn alle Küsten der Welt umschiffen: welche höhere, kühnere Zeichnungen ihrer unendlichen Gestalt würd' er entwerfen und mitbringen! Die Dichter der Alten waren früher Geschäftmänner und Krieger als Sänger; und besonders mußten sich die großen Epopöen-Dichter aller Zeiten mit dem Steuerruder in den Wellen des Lebens erst kräftig üben, ehe sie den Pinsel, der die Fahrt abzeichnet, in die Hände bekamen. [...] Wie wurden nicht Shakespeare und noch mehr Cervantes vom Leben durchwühlt und gepflügt und gefurcht, bevor in beiden der Blumensame ihrer poetischen Flora durchbrach und aufwuchs! Die erste Dichterschule, worein Goethe geschickt wurde, war nach seiner Lebenbeschreibung aus Handwerkerstuben, Malerzimmern, Krönungsälen, Reicharchiven und aus ganz Meß-Frankfurt zusammengebauet. (V 31 f) Vorsicht geboten, denn er hat nicht per se ausschließlich negative Aspekte, wie Vinson es voraussetzt. Der Begriff bezog sich zunächst auf die positiv einzuschätzenden freigewordenen psychischen Energien des emanzipierten Subjekts und protestierte gegen die ihm heteronom auferlegte Ordnung. Historisch erschloß die Empfindsamkeit ein gewichtiges und nicht ohne weiteres funktionalisierbares Potential. Davon zehrte nicht zuletzt auch die Philosophie (vgl. zu Kants Subjektbegriff Th. W. Adorno: Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften, Bd. 7. Frankfurt 1970, 177). Wo Jean Paul hier einzuordnen ist, müßte erst noch geklärt werden; νϊηςοη jedenfalls bleibt dies schuldig, indem er, ohne Einschränkung und ohne auf die Genese des Phänomens und deren Bedingungen einzugehen, Innerlichkeit als Fluchtraum interpretiert.

99

Im Sinne solcher Realitätssättigung spricht Jean Paul davon, daß im Gegensatz zur Romantik aus Jena in seinen Werken »fast nur auf Materie gesehen werde« (IV 27f), und dies, wie er meint, zu deren Vorteil. Bildung, Wissen, der Umfang dessen, was sich ein Autor durch Studium und Erfahrung erschlossen habe, sei seinen Produkten ohne allen Zweifel abzumerken. Daran mißt sich nicht zuletzt ihr Gehalt, und darum »ist dem reinen durchsichtigen Glase des Dichters die Unterlage des dunkeln Lebens notwendig, und dann spiegelt er die Welt ab« (V 33).293 Die Poeten müßten erst die »Erde berühren [...], damit sie reden lernten« (V33), erst die »Kräfte der Wirklichkeit« anerkennen, damit ihr poetischer Traum Bestand habe (V 236). Selbst die trivial erscheinende Realgeschichte hat keinen geringen Rang für die Poesie, sonst hätten nicht die Großen zu historischen Stoffen gegriffen. »Ist nicht die Geschichte«, fragt Jean Paul, »das höchste Trauer- und Lustspiel?« (V 31) Erst auf dieser Basis lassen sich die spezifischen Erzählprobleme erörtern. Hier gilt nun auch für die Darstellung der Grundsatz der Sinnlichkeit. Jean Paul will »plastische[..] Schöpfung« (V 284), d. h. der Autor soll »vorschaffen«, indem er seine Gestalten vor den Augen des Lesers entstehen läßt, statt sie bloß beim Namen zu nennen. Wörter allein geben keine Anschauung (vgl. V 285). So braucht jede Landschaft ihren »eignen einzigen Ton« (V 289), jede Empfindung muß sich individualisieren (vgl. V 291), und die Bilder dürfen nicht »bloßer Anputz«, weder willkürlich noch allein um des äußeren Effektes willen gewählt sein. Denn das hieße, die Poesie veräußern, und damit auch jenen Sinn, der sich nur in diesem Medium mitteilen läßt, die spezifische poetische Erkenntnis (vgl. V 293). Für das Epos bzw. den Roman verlangt Jean Paul »äußere Handlung« (V 236), die aus dem Spannungsmoment von Fabel und Held hervorzugehen hat. Wie Notwendigkeit und Freiheit bedingen sie sich wechselweise, »weil ohne Geschichte sich kein Ich entdecken und ohne Ich keine Geschichte existieren kann« (V 229). Bei der Stoffwahl mag der Zufall seine uneingeschränkte Rolle spielen; hier ist der Autor so frei, daß er »gleich einem Gotte, vorn am ersten Tage der Schöpfung seine Welt setzt«, von nichts anderem bedrängt als der »Allmacht der Schönheit« (V 246). Dann aber muß auch er sich dem einmal gewählten Material unterordnen. In der Durchführung herrscht das strenge Gesetz der Einheit. So »chamäleontisch und buntfarbig« der fiktive 293

Parallel dazu V 288: Die Realität »muß dem unsichtbaren Dufte die Unterlage leihen«.

100

Charakter auch ist (V 224), seine Wahl bindet den Schöpfer. Denn »unser Ich empört sich gegen Willkür, an einem fremden verübt« (V 235). An dieser Stelle reicht das Realitätsprinzip in die Fiktion hinüber, und das bedeutet, daß sich der Autor bei aller Erfindungsgabe hier an die Bedingungen zu halten hat, die seinem Stoff nach Herkunft und Erfahrung notwendig eingeschrieben sind. Es geht um Stimmigkeit, um die Einheit dessen, was das »geistige Lebenszentrum« des ganzen Werks werden soll (V 224): »Ohne innere Notwendigkeit ist die Poesie ein Fieber, ja ein Fiebertraum.« (V 230) Nach Jean Paul bilden die Charaktere, die Helden der Geschichte, das Zentrum; sie organisieren den Stoff: »durch Geister kommt Bestimmung ins Unbestimmte des Mechanischen« (V 230).294 Oder in der für Jean Pauls Bezugsrahmen typischen Metaphorik: »Die Geschichte ist nur der Leib, der Charakter des Helden die Seele darin« (V 268). Darum muß der Erzähler ihr Gesetz respektieren: »Geister darf er nicht ändern« (V 230). Doch heißt das nicht, daß damit das Gebot der Anschaulichkeit außer Kraft wäre, im Gegenteil. An seinem Helden muß die Individualisierungskunst des Autors ihre eigentliche Probe bestehen. Bemerkenswerterweise wiederholt Jean Paul an dieser Stelle das wichtige Argument seiner theoretischen Einwände gegen den Idealismus; es gilt für die Philosophie wie für die Poesie: auf einer ausgestorbenen Welt ohne Geister gibts kein Schicksal und keine Geschichte. Nur am Menschen entfaltet sich Freiheit und Welt mit ihrem Doppelreiz. (V 230)

Dieses Individuum muß die Fiktion zur leibhaftigen Figur erschaffen, weshalb der Dichter sein »Geschöpf mit den individualisierenden Habseligkeiten der Wirklichkeit« ausstatten muß (V 211). Das kann zur Folge haben, daß sich deren Widersprüche und Konflikte in ihm fortsetzen und widerspiegeln, daß sehr problematische Figuren entstehen, wie sie im (Euvre Jean Pauls selbst nicht selten sind. Aber das spricht nur für ihre Wahrheit; als innerlich zerrissene Gestalten sind sie doch Individuen und nicht nur ein bunter Klecks aus jenen »leis'wandelbaren, hin- und herschillernden, halb auslöschenden, halb auftragenden Farben unserer meisten romantischen Schreiber« (V 225f). Allenthalben begegnet im Zusammenhang dieser Erörterungen der Gedanke des Plastischen, der sich unvermittelt darstellenden schöp2,4

An anderer Stelle heißt es zum Roman: »Jeder Roman muß einen allgemeinen Geist beherbergen, der das historische Ganze ohne Abbruch der freien Bewegung, wie ein Gott die freie Menschheit, heimlich zu einem Ziele verknüpfe und ziehe« (V 253). 101

ferischen Sinnlichkeit, mit der die Antike so faszinierend dem 18. Jahrhundert entgegentrat. Auch Jean Paul, der die Griechenbegeisterung seiner Zeit nur zögernd teilte, weil sie ihm durch ästhetisierende Nachahmung die moderne Kunst in die falsche Richtung zu drängen schien, hat ihr in der >Vorschule< Reverenz erwiesen. Bei allem Vorbehalt gegenüber distanzloser Rezeption und gegenüber Assimilierungsversuchen, für die es historisch keine Chance geben konnte, vermochte sie doch unschätzbare Orientierungshilfe zu leisten, das Fremde und das Eigene gleichermaßen zu Bewußtsein zu bringen. Obwohl der »herzige, trauende Naturglaube« (V73), der nach Meinung ihrer späten Interpreten die antike Kunstwelt geschaffen hatte, unwiederbringlich der Vergangenheit angehörte, war damit ein Maß der Vollendung erreicht, in der die Kunst selbst ohne Widerspruch und Verzerrung ihren eigenen Ursprung aus »sinnliche[r] Empfänglichkeit« (V 72) zu verkörpern schien und mit sich selbst und ihren Bedingungen identisch war. Die »vergötterte Natur« (V74) und die »sinnliche Seligkeit« (V81) der griechischen Götter schienen über den historischen Moment des ruhigen, heiteren Gelingens hinaus die Einsicht in die prinzipielle Verfassung der Kunst bewahrt zu haben. War sie der Antike unmittelbar Gestalt geworden, so schien diese Erkenntnis »durch das steigende Sonnenlicht der Abstraktion«, wie sie die christliche Welt charakterisierte, immer mehr verschüttet worden zu sein (V 91), obwohl aller Unterdrükkung zum Trotz ihre Abkunft selbst in der hochgesteigerten Spiritualisierung der christlichen Kunst durch komplizierte psychische und ideologische Prozesse hindurch doch sichtbar blieb. Denn wo immer sich künstlerisches Tun entfaltete, machte sich die verdrängte Sinnlichkeit frei. Auch der lange historische Weg der Verinnerlichung vermochte daran nur wenig und nur oberflächlich etwas zu ändern; die Kunst hätte sich selbst aufgeben müssen, hätte sie ihre Abkunft verleugnet. Mit der theoretisierenden Romantik schien allerdings diese Grenze erreicht, ja die Schwelle überschritten. Was der fortschreitenden Subjektivierung nicht gelungen war, die Substanz anzutasten, schien hier als Programm formuliert. Denn die totale Ironisierung war gleichbedeutend mit der völligen Entleerung, Entsubstantialisierung der Sinnlichkeit, entpuppte sich doch die »wilde Subjektivität« (V 72), wie Jean Paul sie nennt, als absolute Negativität, die nichts anderes hervorbringen konnte als abstrakte Identität. Geplant schien die ironische Vernichtung der Wirklichkeit als ganzer, zugunsten einer Kunstwelt aus theoretischem Kalkül. Selbstverständlich ließ sich die Geschichte nicht mehr zurücknehmen, und Jean Paul lag es völlig fern, den Anteil der Subjektivität am neuzeitlichen Weltbild zu verkennen. Aber für ihn 102

war dies ein Problem, das nicht durch den bloßen Machtspruch des Subjekts zu lösen war, sondern in seiner Bedeutung begriffen sein wollte. Der Kunst kam dabei eine besondere Rolle zu, insofern sie nicht a priori zugunsten des Subjekts oder Objekts entschied, sondern ihrem Charakter, ihren genetischen Bedingungen nach das Theorie/PraxisVerhältnis prinzipiell reflektierte. Sie war weder ausschließlich theoretisch noch praktisch, sondern ihre wesentliche Leistung bestand in der Vermittlung. Sie stellte ausdrücklich einen Wirklichkeitsbezug her. Ich habe oben schon angedeutet, daß man Jean Paul keinen naiven Nachahmungsbegriff unterstellen darf. Dagegen verwahrt er sich mit Bestimmtheit; die Natur »treu zu kopieren« hat kaum einen Sinn (V 34). Wenn er von geistiger oder schöner Nachahmung spricht, meint er damit die poetische Verwandlung der Wirklichkeit anstelle ihrer romantisch-ironischen Vernichtung. Roh sei weder der »Stoff der Natur« noch deren Form brauchbar: Die Nachahmung des erstem setzt ein höheres Prinzip voraus; denn jedem Menschen erscheint eine andere Natur; und es kommt nun darauf an, welchem die schönste erscheint. (V 38)

Dieser Hinweis darf nicht primär subjektivistisch gedeutet, sondern muß im Sinne der individuellen Auseinandersetzung mit dem gegebenen Material verstanden werden. Eben darin liegt der »prosaische oder poetische Unterschied«, ob ein »Sklavenkapitän oder ein Homer« (V38) zu schreiben beginnt: »Die äußere Natur wird in jeder innern eine andere«. Die Eigentümlichkeit der poetischen Nachahmung besteht darin, daß das »Abbild mehr als das Urbild enthält, ja sogar das Widerspiel gewährt«, und zwar »weil eine doppelte Natur zugleich nachgeahmt wird, die äußere und die innere«, beide sich wechselseitig spiegelnd (V43). Jean Paul unterscheidet zwischen dem »äußern mechanischen Stoff, womit uns die Wirklichkeit (die äußere und die psychologische) umgibt und oft überbauet« (V 62), und dem »innern Stoff« (V63), über den es keine weitere Aufklärung gibt, jedenfalls keine, die ihn auf psychologische Faktoren reduzierte. Jean Paul versucht sich mit Begriffen wie Instinkt oder auch dem Unbewußten (vgl. VI 1182) heranzutasten, aber er reicht damit nicht weiter als die mythologisierende Rede vom Genie. 295 »Dieser Stoff«, resümiert er, »macht die geniale Originalität, welche der Nachahmer bloß in der Form und Manier sucht«. Er ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß er nicht der Willkür unterliegt und also beliebig verfügbar wäre; es hat nichts mit dem von Schlegel gemeinten poetischen Mystizismus zu tun, 2,5

Vgl. zu diesem Komplex Kap. III, 5.

103

wenn Jean Paul ihn die »angeborne unwillkürliche Poesie« (V63) nennt. Was das sachlich zu bedeuten hat, werde ich später noch erläutern. Einem voreiligen Schluß steht entgegen, daß Jean Paul dem genialen Instinkt die Besonnenheit gleichgewichtig zur Seite stellt. Das eine wie das andere ist eine Bedingung des Genies. Nur diejenige Produktivität, die sich begrenzt, und zwar nicht im Sinne Fichtes durch die selbstgeschaffene Welt, sondern mit der wirklichen, führt zum Werk. Und darum bedarf es der Besonnenheit: Sie setzt in jedem Grade ein Gleichgewicht und einen Wechselstreit zwischen Tun und Leiden, zwischen Sub- und Objekt voraus. (V 56f)

Sie ist die grundlegende Voraussetzung, daß sich Ich und Welt unterscheiden lassen und als Realität wahrgenommen werden, denn sie bewirkt das »Äquilibrieren zwischen äußerer und innerer Welt« (V 57) und hält die beiden Pole in der Schwebe, daß keiner übermächtig wird und den anderen vernichtet. Sie ist das Vermögen des Bewußtseins, zwischen sich und seinem Inhalt zu differenzieren, was für den Poeten heißt, sein Ich trennen zu können von seiner Phantasiewelt. Geschieht dies nicht, dann entsteht weder ein Wirklichkeitsbezug noch läßt sich die Freiheit gewinnen, die allein vor dem Selbstverlust in die Traumund Wunschwelt schützt: Die innere Freiheit der Besonnenheit wird für das Ich durch das Wechseln und Bewegen großer Kräfte vermittelt und gelassen, wovon keine sich durch Übermacht zu einem After-Ich konstituiert, und die es gleichwohl so bewegen und beruhigen kann, daß sich nie der Schöpfer ins Geschöpf verliert. (V 57)

Allein aus solcher Ausgewogenheit kann ein klassisches Werk hervorgehen. Für Jean Paul ist der Begriff nicht auf die Antike festgelegt. »Klassisch« ist »jedes Höchste in seiner Art«, und darum in jeder Kunstperiode aufs neue hervorzubringen. Da der »ästhetische Wert« sich aber nicht anders darstellen kann, als daß er »die Körperteile sich anbildet«, d. h. die Konstituentien des Kunstwerks in ein Verhältnis setzt, muß das klassische Werk »jenes sein, das Stoff und Form zugleich zu einem Höchsten verschmelzt«. Was man nach der gängigen Vorstellung von Jean Paul nicht erwartet hätte: er spricht von »Maß« (V 353) und reklamiert damit einen Begriff, der sonst der Klassik vorbehalten zu sein pflegt, nicht bloß für die Romantik, gemeinhin den Inbegriff des Nicht-Klassischen, sondern für jedes Kunstwerk, das nach dem ihm eigenen Gesetz vollendet ist. Das wirklich Geniale ist das Klassische; in ihm durchdringen sich »von selber Stoff und Form«, »erschaffen sich gegenseitig« - die Metaphorik ist bereits bekannt »Seel' und Leib« (V 354). 104

7. Witz - anschaulicher Verstand oder sinnlicher Scharfsinn Jean Paul war überzeugt vom sinnlichen Ursprung der Sprache.296 Darum hatte er in seiner Polemik gegen Fichtes »Verbal-Weisheit« 297 ausgerufen: »Für die Sinnen sei die Sprache!«298 Aufgrund ihrer Herkunft schien sie ihm grundsätzlich kein taugliches Instrument für logische Operationen zu sein; der einzige ihr angemessene Gebrauch war der ästhetische, denn »alles sinliche ist malend, weil alles ähnlich und verbunden ist«.299 Was die Sprache leisten kann ohne die Gefahr, inhaltslos zu werden, sind die »Schlüsse aus der Anschauung«, 300 und darum ist der Witz, eben jene geniale Spontaneität, die an die geheime Korrespondenz der Dinge rührt, nichts anderes als »anschaulicher Verstand oder sinnlicher Scharfsinn« (V 122),301 ein Vermögen also, das mit dem Verstand die analytische Kompetenz teilt, sich dem ausschließlichen Anspruch der Rationalität aber gleichwohl entzieht. Unausgesprochen knüpft Jean Paul damit an eine Tradition an, die in ihren grundlegenden Zügen von Leibniz bis zur >Kritik der Urteilskraft^ reicht. Am Anfang wie am Ende aller Versuche war es darum gegangen, das Problem der sinnlichen Erkenntnis, des analogon rationis, befriedigend zu lösen, d. h. die logischen Gesetze mit der individuellen Existenz zu verbinden und zusammenzudenken. 302 Bei Leibniz bekam der Gedanke individueller Substanzen zum erstenmal entschieden Gewicht. Es stellte sich das Problem des Konkreten, das sich dem Zugriff des allein auf Prinzipien ruhenden Denkens schlechthin ent296

S. o. S. 61 f. An Jacobi, 21.2. 1800. SW III, 3, 300. 298 An Jacobi, 10. 11. 1799. SW III, 3, 253. 299 An Jacobi, ebd. 300 An Jacobi, ebd. 301 Vgl. die wörtliche Wiederholung V 175. 302 Die Geschichte dieser Bemühungen hat Baeumler, Das Irrationalitätsproblem, vorzüglich aufgearbeitet. Obwohl der Grundthese des Buchs, der Identifikation des Individualitätsdenkens mit dem Irrationalismus gegenüber in der Tat Vorsicht geboten ist, hat es dennoch das Verdienst, wichtige Zusammenhänge nicht nur im Blick auf Kant, sondern auch hinsichtlich jener Stränge, die nicht in die Transzendentalphilosophie münden, offengelegt zu haben, was bisher merkwürdig wenig Beachtung gefunden hat. Das gilt zum Beispiel auch für Proß, Jean Pauls geschichtliche Stellung, der viel zu einseitig die physiologische Komponente der Erkenntnistheorie des 18. Jahrhunderts betont hat, ohne die auch für diese Variante wichtige historische Tradition zu beachten, aus der sich die Kritik am Idealismus gespeist hat. Baeumlers Darlegungen sind derart kenntnis- und detailreich, daß ich mich im folgenden auf sie stützen kann (insbes. Teil I A, Kap. 1 u. 7; B, Kap. 1 u. 4). 297

105

zog. Deshalb wollte Leibniz die von ihm inspirierte >ars combinatorial eine Art universaler, streng nach Begriffshierarchien gegliederter Mathematik, mit deren Hilfe die gesamte Enzyklopädie der Wissenschaften auf Elementarbegriffe zurückgeführt werden sollte, durch die >ars inveniendilogica probabilium< die >ars inveniendi< abzusichern und die Erfahrungsdaten für die Wissenschaft zu erschließen, zumal der Witz-Begriff sich von der verengten Festlegung auf die analytische Bedeutung allmählich emanzipiert und die tradierten Inhalte des >ingeniumWahrheiten< entdeckte. Witz war nahezu gleichbedeutend mit Erfindungsfähigkeit, an der nicht bloß der Verstand, sondern ganz wesentlich eine sinnliche Komponente beteiligt war. Der >ars inveniendi rationalis< gesellte sich gleichbedeutend die >ars inveniendi sensualis< mit ihrem ausdrücklich empirisch-experimentellen Charakter,303 der auch in diesem Traditionszusammenhang mit physiologischen Momenten verbunden war.304 Reimarus, beispielsweise, dessen Argumente sich Jean Paul namentlich zu eigen machte,305 führte den Witz auf die Empfindung verborgener Ähnlichkeiten zurück.306 Sulzer, dessen >Allgemeine Theorie der schönen 303

Vgl. Baeumler, Das Irrationalitätsproblem, 191. Platners Überlegungen erweisen sich so singulär also nicht. Da Jean Paul diese Literatur zum größten Teil bekannt war, ist anzunehmen, daß er hier nicht personal so fixiert war, wie Proß es darstellt, denn innerhalb dieser Tradition war die Verbindung von Physiologie und Ästhetik durchaus allgemeiner präsent. 305 In dem oben erwähnten Aufsatz Viktors über die Verbindung von Geist und Körper (I llOOff). 306 Vgl. Hermann Samuel Reimarus: Allgemeine Betrachtungen über die Triebe der Thiere hauptsächlich über ihre Kunstthriebe. 4. Aufl., Hamburg 1798, § 26,

304

106

Künste< im Bewußtsein des ausgehenden 18. Jahrhunderts durch Kants Ästhetik keinesfalls vollständig verdrängt worden war, brachte die Genialität u. a. mit einer ausgeprägten Empfindsamkeit, einer besonderen Reizbarkeit der Sinne und des Nervensystems in Zusammenhang. 307 Im Artikel über den Witz nennt Sulzer ihn eine »Gabe des Geistes«, die vornehmlich in der Fertigkeit besteht, die mancherley Beziehungen und Verhältnisse eines Gegenstandes gegen andre schnell einzusehen und lebhaft zu fühlen. [ . . . ] Wie nun der Verstand überall auf deutliches und entwickeltes Denken zielet, so scheinet der Witz auf sinnliche, aber lebhafte, sehr klare Vorstellungen zu lenken. [ . . . ] Aehnlichkeit, Contrast, und jede andere, innere oder äußere Beziehung, bringt dem witzigen Kopf, indem er eine Vorstellung lebhaft empfindet, jene andere damit verbundene zugleich in die Phantasie. 308

Die Nähe zu Jean Paul bzw. der Gedankenfundus, auf den die >Vorschule< zurückgreifen konnte, wird an solchen Texten offensichtlich. Doch ich habe zeitlich vorgegriffen. Zunächst ging es darum, den Zufall, das Singuläre logisch in den Griff zu bekommen oder, in der Sprache der Logik: individuelle Begriffe zu finden, die das einzelne nicht unter dem Abstraktionszwang von vornherein mißachteten. Wolff war auf dem Wege, doch gelang es ihm nicht, die verschiedenen Ansätze in einer Konzeption zu verbinden; noch hatte die gesuchte Erfindungskunst bloß den Wert psychologischer Erkenntnis, nicht aber den Rang der Vernunfterkenntnis. Baumgarten gelang dann im Rückgriff auf Anregungen Bodmers und Breitingers der Durchbruch. Im Rahmen der Theodizee rechtfertigte die >AestheticaVernunftlehreAesthetica< zusammen: >cognitio sensitivaunten< aber, zur Bestimmtheit des einzelnen hin, heißt die Einheit der sinnlichen Fülle wahrnehmen. Beides leistet die Metapher; sie determiniert und individualisiert. Darin liegt der Sinn des ästhetischen Denkens und die Aufgabe der Poesie. Konsequent unterscheidet Baumgarten zwischen formaler und materialer, zwischen logischer und ästhetischer Wahrheit. Die letztere, die sinnliche Wahrheit, ist metaphysischer Art, »die Ordnung von Vielem in Einem«,310 und hat ihre eigene, vom Intellekt nicht erfüllbare Vollkommenheit. Sie ist autonom, da ihr Ursprungsort das »analogon rationis, nicht die ratio« 3 " ist. Baumgartens >Aesthetica< hatte Signalcharakter. Zum erstenmal war die Legitimität der Sinnlichkeit und die Bedeutung sinnlicher Erkenntnis überzeugend zur Sprache gekommen. Der Weg, der sich damit eröffnet hatte, wurde energisch weiter beschritten, zunächst von der Wölfischen Schule selbst, dann aber auch von anderen, die sich die Anregungen zu eigen machten, u. a. - daran ermißt sich der Wirkungsgrad von Vertretern so unterschiedlicher Interessen wie Mendelssohn und Herder.312 Schließlich aber führte er in mehrfacher Hinsicht zur >Kritik der Urteilskraft^ die sich, wenn auch auf einer anderen Stufe der Reflexion, im Grunde vor dasselbe Problem gestellt sah, nämlich das Verhältnis der Individualität, sei es als organischer Natur, d. h. als Lebewesen im weitesten Sinne, sei es als Kunstwerk, zum Kausalprinzip zu bestimmen. In beiden Fällen nämlich war dessen universale Gültigkeit, wenn nicht in Frage, so doch vor eine Schranke gestellt, an der die Welt der 310

Baeumler, Das Irrationalitätsproblem, 223. Baeumler verweist in diesem Zusammenhang auf die frühere Schrift Baumgartens, die >Meditationes philosophicae de nonnullis pertinentibus< von 1735, in der bereits wichtige Gedanken der >Aesthetica< vorausgenommen sind. 311 Baeumler, Das Irrationalitätsproblem, 226. 312 Ich erwähne die beiden Autoren, weil sie für die >Vorschule< eine Rolle spielten. Während Mendelssohn der Berliner Aufklärung zugerechnet wurde, von der sich Jean Paul in jeder Beziehung absetzen wollte, war Herder einer seiner wichtigsten Orientierungspunkte. Mendelssohn definierte Schönheit als die »sinnlich vollkommene Vorstellung« (vgl. >Ueber die Hauptsätze der schönen Künste und Wissenschaftern, 1757. Hinweis bei Baeumler, Das Irrationalitätsproblem, 213, Anm. 3).

108

reinen Verstandesgesetze endete und das vieldeutige Reich der Gestalten begann. Sie setzten das mechanische Schema von Ursache und Wirkung außer Kraft, weil sich weder ihre Existenz damit begründen, noch ihre Organisation erklären ließ; sie stellten eine eigene, in sich ruhende Wirklichkeit dar, die das Erklärungsbedürfnis jedoch umso mehr herausforderte, je bedürfnisloser sie in dieser Hinsicht selbst erschien. Ich würde nicht so weit gehen und sagen, daß die dritte Kritik den Gesetzesbegriff überwunden habe,313 denn er galt nach wie vor; daß er erheblich eingeschränkt wurde, nachdem er sich für einen ganzen Wirklichkeitsbereich als unzureichend erwiesen hatte, ist indessen keine Frage. Obgleich Freiheit für Kant ein überschwenglicher Begriff war, insofern er keine Realität objektiv zu bestimmen vermochte, war aufgrund der Bedingungen des menschlichen Verstandes weder die Natur noch die Kunst anders zu begreifen als mit Hilfe eines regulativen Prinzips. 314 Nur wenn sie auf einen Zweck hin gedacht werden konnten, mochten sich ihre Gestalten erschließen. Kant sah sich gezwungen, in diesem Fall auf eine Art intuitiven Verstandes zurückzugreifen, für den es nur ein Bedingungsverhältnis gab: die Bestimmtheit der Teile durch das Ganze; methodisch aber setzte er das der reinen Vernunft und ihrem deduktiven Verfahren obsolet gewordene Analogieprinzip notgedrungen wieder in seine alten Rechte ein. Analogie nämlich liegt zugrunde, wenn er vom poetischen Geist, einem neuen Synonym des Witzes, sagt, »dieses Prinzip sei nichts anders, als das Vermögen der Darstellung ästhetischer Ideen«. 315 Unter einer ästhetischen Idee aber versteht er diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch ein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann.316

Ästhetisches Denken ist also begriffloses Denken. Kant sieht in ihm ein Gegenstück zur Vernunftidee; wie dieser keine Anschauung entsprechen kann, so den Bildern der Seele317 keine Sprache, genauer: keine begriffliche Sprache. Denn was sich in der ästhetischen Idee artikuliert, ist die Subjektivität nicht als formales Gesetz aller Erfahrung, sondern das Gemüt in seinem individuellen Erleben, seinen »innern Anschauungen«, die über die in allgemeingültigen Gesetzen faßbare Er313 314 315 316 317

Baeumler, Das Irrationalitätsproblem, Vgl. Kant, Werke VIII, 521. Kant, Werke VIII, 413. Kant, Werke VIII, 413f. Vgl. Kant, Werke VIII, 413.

166.

109

fahrung hinausliegen, weshalb ihnen »kein Begriff völlig adäquat sein kann«.318 Dahin reichen allein die »ästhetischen Attribute« kraft ihres Vermögens, »Vernunftideen von unsichtbaren Wesen [...] zu versinnlichen«. 3 ' 9 Mit dem Hinweis, daß die ästhetischen Ideen ihren eigentlichen Entfaltungsbereich in der Poesie haben, entwirft Kant hier eine Theorie der Metapher. So stellen die ästhetischen Attribute im Unterschied zu logischen nicht die kausalen Zusammenhänge, sondern etwas anderes vor, was der Einbildungskraft Anlaß gibt, sich über eine Menge verwandter Vorstellungen zu verbreiten, die mehr denken lassen, als man in seinem durch Worte bestimmten Begriff ausdrücken kann [.. .]320

Statt die Vernunft in die vorgeschriebenen diskursiven Bahnen einzubinden, eröffnen sie der Phantasie die freie »Aussicht in ein unabsehliches Feld verwandter Vorstellungen«.321 Gerade in solchen Formulierungen konzentriert sich die philosophische Tradition. Nicht nur, daß Kant nahezu wörtlich Gedanken Baumgartens aufgreift; in seiner Auslegung der Metapher kehrt das Prinzip der Leibnizschen Monade wieder: die Einheit in der Vielheit nicht bloß im numerischen Sinn, sondern in metaphysischer Bedeutung als die Leistung eines unverwechselbar individuellen, genialen Geistes, der »über die Schranken der Erfahrung hinaus« greift und jene Erfahrungen sinnfällig macht, »für die sich in der Natur kein Beispiel findet«.322 Sind Kants Hinweise in dieser Beziehung ernst gemeint, und davon muß man ausgehen, so rührt das teleologische Denken an die selbstauferlegten Tabus der Vernunft. Wenn sich die Kunst mit Liebe und Tod, Moral und Glaube beschäftigt,323 dann vollzieht sich in ihr doch so etwas wie Sinngebung, was die Kompetenz der reinen Vernunft deutlich überschreitet. Ist damit aber, daß die schöpferische Einbildungskraft den Begriff »auf unbegrenzte Art ästhetisch erweitert«,324 und das heißt, ihm eine sinnlich-individuelle Gestalt anerschafft, ist damit also die mühsam disziplinierte Vernunft rückfällig geworden? Hat, historisch gewendet, den >Alleszermalmer< Kant doch die Geschichte wieder überwältigt? Eine Stelle im >HesperusKritik der Urteilskraft^ ging es ihm doch auch hier wie stets um das Gesetz. Es ging nicht um das Subjekt, sondern um die Allgemeinheit der Subjektivität selbst dort, wo sie ästhetisch angesprochen wird. Die >Anthropologie in pragmatischer Hinsicht< stellt dies eindeutig klar; nicht die unmittelbare Empfindung, »das Materiale der Vorstellung des Gegenstandes«, sondern primär die Form ist es, die das Wohlgefallen hervorruft, weshalb »die Allgemeingültigkeit dieser Lust für jedermann [...] sich von der Wahl durch bloße Sinnenempfindung [...] unterscheidet [und] den Begriff des Gesetzes bei sich [führt]«. 327 Wenn sie auch das Paradoxon, daß sich das Allgemeine individuell manifestiert, nicht leugnen konnte, so blieb doch die letzte Kritik immer noch Transzendentalphilosophie und das Schöne ein Urteil. Was sich dem Begriff nicht verschwistert, heißt nicht Genie, sondern Schwärmerei. 328 Zwar gesteht Kant zu, daß die »dichtende«, d. h. die sinnlich-produktive Einbildungskraft »eine Art von Umgange mit uns selbst« stiftet, weist jedoch im selben Atemzug darauf hin, daß die bösen Folgen nicht lange auf sich warten lassen: Sie schwärmt in demjenigen, der in der Stille der Nacht lukubriert, oder auch mit seinem eingebildeten Gegner zankt, oder, in seinem Zimmer herumgehend, Luftschlösser baut. Aber alles, was ihm da wichtig zu sein scheint, verliert an dem auf den Nachtschlaf folgenden Morgen seine ganze Wichtigkeit; wohl aber fühlt er mit der Zeit von dieser üblen Gewohnheit Abspannung der Gemütskräfte.329

Daher rät Kant zur psychologischen Diät; der Phantasie, in Anbetracht der Strenge des Gedankens, bleibt bei aller Wertschätzung der Geruch der Ausschweifung. Das Primäre am ästhetischen Urteil ist die Reflexion, nicht die Lust.330 Sachlich ist damit gleichzeitig die Distanz bezeichnet zur Schulphilosophie der Aufklärung einerseits und zur >Vorschule< andererseits. Wo die Aufklärung bemüht war, ihre Logik in Richtung auf die Ästhetik zu erweitern, da attackiert Jean Paul ihren total gewordenen 326 327

328 329 330

Vgl. dazu Kants Brief an Carl Leonhard Reinhold vom 28. 12. 1787. Kant, Werke X, 565f.

Vgl. Kant, Werke X, 472. Kant, Werke X, 484. Vgl. Kant, Werke VIII, 264f.

111

Anspruch mit ästhetischen Mitteln. Das ist präzise die Funktion seines Witzes. Jean Paul macht sich die philosophische Tradition, die noch im kantischen System wider Willen ihr Leben fristet, zu eigen, um sie gegen diese Philosophie zu mobilisieren. Das ist zugleich der historische Aspekt seines Witzes. Im Namen der Humanität rebelliert er gegen das System, vor dessen >Spiegelwand< das Subjekt sich immer nur selbst wiederfindet: Wäre nicht der Mensch sogar in seinen Begierden und Wünschen so systematisch - ging' er nicht überall auf Zuründungen sowohl seiner Arkadien als des Reichs der Wahrheit aus: so könnt' er glücklich sein und mutig genug zur Wahrheit - [ . . . ] (I 982)

Sobald jedoch der Gedanke absolut über den Menschen herrscht, wird ihm sein Ich zum Gespenst: Ich! Ich! du Abgrund, der im Spiegel des Gedankens tief ins Dunkle zurückläuft - Ich! du Spiegel im Spiegel - du Schauder im Schauder! (I 939)

Die Szene aus dem >Hesperus< - eines seiner Kernstücke - hat, neben unzähligen Varianten im gesamten Werk, gewissermaßen eine Urform in den bereits genannten Teufelssatiren, die gegen die kantische Philosophie geschrieben worden waren. Was sich im Roman metaphorisch konzentrierte, war dort poetisches Gleichnis: der in seiner Existenz bedrohte Teufel sieht sich plötzlich selbst im Spiegel: »wer (fragt' ich entsezlich erbosset) gestikulirt mir da im Spiegel nach? wilst du mir, du Gestalt, auch mein Dasein vorspiegeln und machest mich deswegen nach? Oder mach' ich vielleicht dich nach? Und welchen Schwanz hör' ich auf der Stube herumbürsten und schleifen, thuts deiner oder meiner?« (J II 563f)

Ist die Wirklichkeit einmal in die Abhängigkeit des reinen Bewußtseins geraten, läßt sich nicht mehr zweifelsfrei zwischen Urbild und Abbild, zwischen Denkendem und Gedachtem unterscheiden. Der Gedanke beginnt, bloß sich selbst zu reflektieren. Für seine auffällige Spiegelmetaphorik hat Jean Paul eigens eine Begründung gegeben: ist die reine Vernunft ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, dann entstehen reine mathematische Unendlichkeiten, die kein qualitatives Merkmal mehr unterscheidet; es entsteht eine Vernunftgleichung der leeren Identität: Nim einen unendlich grossen Spiegel und noch einen - aber bei der unendlichen Theilbarkeit reichen 2 endliche zu - jeder repetiert die Gallerie des andern, dieser sich und das Repetierwerk, jener das Repetierwerk des Rep., dieser das R. des R. des R. - kurz eine Unendlichkeit von Unendlich keilen. Wären diese nicht wirklich, sondern in der Vernunft, welche Systeme wür112

de[n] die hohlen Anagrammatiker der Natur in diese werfen!331

Mit keiner Figur hat Jean Paul das Spiegelmotiv so eng verbunden wie mit Schoppe; hatte es im >SiebenkäsTitan< zum beherrschenden Faktor. Ohne an die Macht der Vernunft zu glauben, weil allzu intim mit ihren lächerlichen Seiten vertraut, erprobte sie Schoppe doch aufs äußerste. Er narrte sie mit ihren eigenen Masken; schließlich aber endete die Herausforderung tödlich für ihn, weil er sich selbst in den unendlichen Doppelungen verstrickte. Die Spiegel, über die sonst Schoppe gebot - die Redoutenszene ist der Höhepunkt seiner Inszenierungen (III 242ff) begannen eine eigene Dynamik zu entfalten und ihren Meister zu überwältigen, dem es nicht mehr half, daß er sie zerschlug. Er, dessen Lebensgesetz Freiheit hieß (vgl. III 785) und der nichts auf der Welt fürchtete, weil er sie selbst nur für ein tolles Gleichnis hielt, ängstigte sich doch, daß ihn am Ende sein reines Ich einhole: »>der Ich könnte kommen, ja, ja!Alles kann ich leiden,< (sagte Schoppe) >nur nicht den Mich, den reinen intellektuellen Mich, den Gott der Götter [.. .]TitanaufzuhebenVorschuleigentliche< Sprechen, das sie sonderte, erst aus der späteren Entwicklung hervorging. Daraus ergibt sich aber nun die Aufgabe der Poesie: das Getrennte wieder zu vereinigen, die Materie zu beleben und dem Geist eine Gestalt zu geben. Denn erst so kann für den Menschen, der seiner Natur nach an beidem teilhat, ein Sinn entstehen. Beides vermag die Metapher, und Jean Paul nennt sie darum »die verkürzte Personifikation«, wobei das »Beseelen des Körperlichen« weit einfacher sei als das » Verkörpern des Geistigen«: 333

Die sorglose Terminologie Jean Pauls in § 50 der >Vorschule< könnte, wie so oft in diesem Buch, Anlaß zur Verwirrung geben. Paragraph 49 (V 182) erklärt Jean Paul, daß am bildlichen Witz im Gegensatz zum unbildlichen »die Phantasie den überwiegenden Anteil« habe, Paragraph 50 aber (V 187), daß »der Weg des bildlichen Witzes« sich von der bildlichen Phantasie »weit ab« schlage, und er versucht zu gewichten: der Witz färbt bloß, wo die Phantasie malt; den Witz interessieren nur Verhältnisse, er zersetzt, wo die Phantasie Gestalten schafft etc. Und schließlich als Pointe: »Daher beseelet lieber die Poesie das Tote, wenn der Witz lieber das Leben entkörpert.« (V 187) Wenn nun zum Eingang des Paragraphen kein Widerspruch entstehen soll, läßt sich das nur so verstehen, daß Jean Paul auch hier, wie an anderen Stellen explizit (vgl. V 200f), Witz und Phantasie nicht immer als identisch betrachtet, beim einzelnen Witz an der analytischen Komponente festhält und ihn der poetischen Synthese - »Einheit der Bilder« (V 187) - integriert.

115

Überall sind für die Phantasie Körper schwerer zu schaffen als Geister. (V 185)

Viel leichter sei es daher zu sagen: der Sturm zürnet, als: der Zorn ist ein Sturmwind, denn »Körper begehren schärfere Individuation; Gestalten sind bestimmter als Kräfte, folglich verschiedener« (V 185). Historisch-anthropologisch hält Jean Paul das metaphorische Verkörpern für die später erworbene Fähigkeit. Doch interessiert sie hier zunächst. Gemeint ist damit nämlich nichts anderes als wiederum ein Vergleichen nach >untenunten< demaskiert die Idee erbarmungslos und zerstört den auratischen Bann des Gedankens. Plötzlich wird sichtbar, welche Diskrepanz besteht zwischen Theorie und Praxis und wie illegitim die Macht war, die sich die Vernunft angemaßt hatte. Nach Beispielen braucht man im Jean Paulschen Werk nicht lange zu suchen, tragen doch alle seine sogenannten theoretischen Arbeiten einschließlich der entsprechenden Texteinschübe in den Erzählungen und Romanen den Stempel dieser Erkenntnis. Überall, wo die Vernunft in ihr Gegenteil umzuschlagen drohte, setzte er ihr, wie Lenette ihrem Eheherrn Siebenkäs, »etwas Starkes entgegen, Shaftesbury's Probierstein der Wahrheit, das Lächerliche« (II 170). Auf diese Weise suchte Jean Paul auch dem »idealistischen Hokuspokus«334 in Philosophie und Poesie beizukommen, um ihre »Saifenblasen-Montgolfieren«,335 die sich in immer luftigere Höhen bewegten und doch nichts trugen, platzen zu lassen. Ihrer anmaßenden Haltung zu begegnen, schrieb er seine »spaßhaften Aufsätze« (IV 1015), die sämtlich, wenn auch mutwillig verkleidet, die sehr ernste Frage stellen, ob Vernunft der Realität Stich hält, ob das reine Denken vor dem Kleinen, Unbedeutenden, dem Krimskrams des Lebens die Probe besteht. Was sie leisten wollen, ist Aufklärung, und zwar von der Basis her, der Sprache. So erklärt sich die Eigenheit von Jean Pauls Vergleichen, erklärt sich, warum sie sich selten mit einfachen Reihen begnügen können und stattdessen assoziierend sich die Bilder jagen, bis sie sich selber zuweilen aufzuzehren drohen. Aber Jean Paul ist der Meinung, daß »bloß die Allmacht und Schnelle der sinnlichen Anschauung« die Logik gegen ihr ehernes Gesetz zwingt und in das witzige, ja aberwitzig scheinende »Irr-Spiel« hineinreißt (V 111). Es erklärt sich damit auch die sinnliche Drastik, das Skurrile und Groteske der Vergleiche - ich erinnere hier nur an den Pumpenstiefel, mit dem die Philosophen ihre Welt aus sich schöp334 335

An Thierot, 23. 2. 1800. SW III, 3, 294. An Jacobi, 29. 5. 1800. SW III, 3, 338.

117

fen: die Metapher steht für die Selbstreflexion des Geistes (vgl. IV 1069); ich erinnere an den Vergleich des philosophischen Axioms mit einem Hexenbesen (vgl. III 1016), der Philosophen mit Seehasen und Glaskugeln, die ein Vakuum einschließen (vgl. IV 1020) etc. Das sind tatsächlich Späße, die über den momentanen Genuß der komischen Lust hinaus viel zu denken geben, wie Kant es formuliert hat. Je größer der Abstand zum Begriff, je höher der Vergleichspunkt, desto augenfälliger der Unverstand, der sich in ihm entdeckt. Jean Paul läßt die Vernunft - wenn das Bild erlaubt ist - mit den Zähnen knirschen. Innerhalb der Sprache bildet der Witz einen Kontrapart, der sich querstellt zur Abstraktion. Wort für Wort wird das Identische aufgewogen durch das Nichtidentische, wobei sich an den Reibungsflächen in der Regel eine Fülle von Assoziationen ergibt, die den baren Vergleich komplizieren. Über den konkret ausgefächerten Begriff legt sich ein ganzes Netz von Korrespondenzen, das sich endlos fortspinnen ließe. Deshalb die scheinbare witzige Kryptik des Stils. Doch der Eindruck des Zufalls, der Kunstlosigkeit trügt; nicht nur einmal hat Jean Paul darauf hingewiesen, welche sprachliche Disziplin zum Gleichnismachen erforderlich sei.336 Es leuchtet ein, daß ein derartig individualisierender Stil nicht lakonisch sein kann. Er bedarf zu seiner Entfaltung weiträumiger Formen, wie sie sich Jean Paul sehr konsequent nach dem Vorbild Sternes und Hippels in seinen sonderbar komponierten Romanen geschaffen hat. So bündig der einzelne Witz auch auftreten mag, so muß er sich doch in jedem Satz regenerieren. Mehrfach betont Jean Paul, daß der Witz nur in der sprachlichen Aktualität wirkt; er läßt sich nicht konservieren und noch weniger von der sinnlichen, materiellen Präsenz abziehen, denn dann ist er bereits kein Witz mehr. Sein Trumpf ist daher der Überfluß, und darum erschöpfen sich Jean Pauls Texte kaum einmal bei einmaliger Lektüre. Ihr Reichtum, gerade weil er in der labyrinthischen Vielfalt liegt, entdeckt sich erst allmählich, mit Geduld. An Sterne, an Homer lobt Jean Paul die »Fülle sinnlicher Nebenzüge«, die »üppige Ausmalung« der Gleichnisse, die »orientalischen Metaphern« (V 142f). So >barock< - hier hat die vielzitierte Vokabel vielleicht Sinn - sein Stil auch ist, so hat er doch Methode. Er will keineswegs bloß einen aus Jahrhunderten zusammengetragenen »Kuriositätenschatz« 337 aufhäufen, sondern er sucht den Reflex der Idee in den Dingen selbst, um damit dem Denken wieder einen Inhalt zu schaffen: 336

337

Sprengel, Herodoteisches, hat dies am Beispiel des Phönix-Gleichnisses und seiner Varianten anschaulich gemacht. Schweikert, Jean Paul (Stuttgart 1970), 101.

118

Es erquickt den Geist ungemein, wenn man ihn zwingt, im Besondern, ja Individuellen [ . . . ] nichts als das Allgemeine anzuschauen, in der schwarzen Farbe das Licht. (V 143)

Metaphern nennt Jean Paul deshalb die »Brotverwandlungen des Geistes« (V 184), was sagen will, daß der Gedanke erst produktiv wird, wenn er sich mit Materie verbindet, denn »im Geiste ist die nährende Materie zugleich die zeugende«. Daran wird auch deutlich, daß das witzige Sprachspiel, so sehr es sich selbst zu genügen scheint, doch nicht ganz in Selbstvergessenheit aufgeht; es ist, worauf ich oben schon hingewiesen habe, »durch ein schöneres Ziel bestimmt« (V 202); und der Witz, auch wenn er »atomistisch« heißt, weil er die konventionellen Bindungen zerreißt, ist eben nicht identisch mit der kritisierten »atomistischen Dürre« der frühromantischen Ästhetik (V 85). Nicht umsonst zieht die >Vorschule< so genau die Grenze zwischen der erlaubten Willkür, die spielerisch die sprachlichen Möglichkeiten erprobt (vgl. V 195), und der häßlichen Willkür, die, statt Freiheit zu gewähren, auch noch über die Spielregeln gebietet. Dazu heißt es: »Das Wort des Spiels muß ich finden, nicht machen« (V 194), denn die Poesie ist trotz ihres hohen Phantasiepotentials zuerst eine »Findkunst« (V 202). Nur wo sich das witzige Spiel mit dem »Sach-Witz gattet« (V 194), entspringt der göttliche Funke und bringt Licht in die Sprache. Mit Recht muß also bedacht werden, daß bloßer Witz als solcher [ . . . ] nur abmattend ergötze, sobald er auf seinen bunten Spielkarten nicht etwas Wesentliches, ζ. B. Empfindung, Bemerkung etc. etc., zu gewinnen gibt. Der Scharfsinn ist das Gewissen des Witzes, und er erlaubt ihm wohl eine Spielstunde, aber desto verdrüßlicher sitzt er selber der nächsten Lehrstunde entgegen. (V 197)

An späterer Stelle ergänzt Jean Paul: »was den Menschen begeistere, sei unmöglich ein leeres Wort, sondern stets irgendein Sinn« (V 449).338 Über den »mechanischen Wiz« seiner Zeitgenossen hatte er sich schon früh satirisch ausgelassen: Ζ. B. sinreiche Gedanke[n] zeugen können nur wenige Günstlinge des Zufals; aber sinreiche Gedankenstriche (ein Hauptzweig des mechanischen Wizes) hervorzubringen ist eine Geschiklichkeit, wozu die Natur allefn] Händen Anlage eingepflanzt, die nur einen kurzen Beistand der Kunst erwarten. (J I 742)

Wenn daher in der >Vorschule< mehrfach vom witzigen Chaos die Rede ist, so deckt sich das keinesfalls mit dem Schlegelschen Begriff.339 Einmal bezieht sich das nicht auf einen mystischen Zustand, von dem das 338

Die Hanser-Ausgabe schreibt »eine leeres Wort«.

339

Vgl. Schlegel, bes. >Rede über Mythologien

119

künftige Heil erwartet wird, sondern ohne alle Einschränkung auf die sinnliche Welt, die der Witz chaotisch durcheinanderwirbelt, indem er an den kategorialen Bezügen rüttelt; zum anderen aber soll daraus eine ganz andere Art von Freiheit hervorgehen, nämlich nicht die ironische absolute Freiheit der Subjektivität, sondern die Freiheit aus Gleichheit (vgl. V 201), d. h. diejenige Freiheit, die entsteht, wenn Subjekt und Objekt wieder gleichen Rang haben, und zwar nicht zuletzt auch in dem Sinne, daß sich das Subjekt in seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen nicht mehr selbst zum Objekt degradiert. Damit wäre für Jean Paul »der Weg zur dichterischen und zur philosophischen Freiheit und Erfindung aufgetan« (V 202). Nennt er, Schlegel zitierend, den Witz fragmentarische Genialität, so erhält das einen ganz anderen Sinn (vgl. V 171). Gemeint ist eben nicht ein Moment, das vom System aufgesogen, ein Einzelnes, das um des Ganzen willen vernichtet wird, sondern gemeint ist ein Störenfried, der in einzelnen, aber sehr effizienten Aktionen gerade umgekehrt das System attackiert. Von der Phantasie heißt es einmal, sie mache »alle Teile zu Ganzen« (V 47). Das steht in genauem Gegensinn zu dem, was für Schlegel die Ironie bedeutet, die ihre eigene Geschichte aufhebt, ohne doch - denn sie ist ja noch nicht die Ironie der Hegeischen >Phänomenologie< - das Wesen dessen zu bewahren, worin sie sich dargestellt hatte. Spricht Schlegel von der endlosen Selbstbespiegelung der romantischen Poesie,340 so Jean Paul vom poetischen Spiegel, der »Himmel und Erde wiedergibt« (V 64). Zum Abschluß vielleicht noch einmal ein Wort zu Jean Pauls FichteKritik und seiner scheinbar unerlaubten >anthropomorphen< Deutung. Nach allem, was ich hier darlegen konnte, entsprach sie zwar nicht den Gepflogenheiten philosophischer Diskussion, wohl aber dem Anliegen Jean Pauls, der erkannt hatte, daß eben diese Konventionen sich der Wahrheitsfindung entgegenstellten. Die Zeit der naiven Aufklärung war vorbei, da das Bewußtsein fraglos identisch war mit seinem Gegenstand. Noch vor seinem Ende war die Vernunftgläubigkeit eines ganzen Jahrhunderts erschüttert worden durch die Erfahrung, daß sich Identität im formalen Schein des Gleichen erschöpfen oder ein Ausdruck von Gewalt sein kann. So hatte sich die revolutionäre Vernunft als bürgerliche und nicht als humane zu erkennen gegeben. Wenn nach dem Ort gefragt wird, wo Jean Pauls Auseinandersetzung mit der Revolution stattgefunden hat, dann muß auf seine Sprache verwiesen werden; sie ist deren authentischstes Zeugnis. Nicht zufällig hat sie einen ausgesprochen anti-hierarchischen Zug, der sich bis in die Syntax hinein, im 340

Vgl. Schlegel, Athen.-Fragm. Nr. 116, KAII, 182f.

120

überwiegend parataktischen Satzbau seiner Texte bemerkbar macht. Alles andere als eine kauzige Marotte, war sein Stil ein präzis und bewußt gehandhabtes Instrument der Demaskierung, man könnte ebenso gut sagen der Ideologiekritik. Unter diesem Aspekt und im Sinne seines metaphorischen Verfahrens blieb Jean Paul auch gegenüber Fichte konsequent. Darin liegt eben der >Witzverkörpertich< sagen kann. Das Dasein selbst scheint ihm ein ausreichender Rechtsgrund gegen die abstrakte Vernunft. Genaugenommen ist das gesamte (Euvre Jean Pauls der Versuch, in verschiedenen Rollen und Kostümen >ich< zu sagen, das Ich nicht als Prinzip vorzuführen, sondern als die von der Geschichte und der Natur341 betroffene Existenz. Das dürfte einer der Gründe sein, warum die Bücher Jean Pauls so bestürzend privat, ja intim und distanzlos anmuten. Nur erscheint eine Kategorie wie Narzißmus in diesem Fall - so sehr sie unter anderen Aspekten dienlich sein mag - zur Erklärung nicht hinreichend,342 denn das Private hat hier offensichtlich Allgemeincharakter, insofern das Ich weder bloß von sich noch allein für sich spricht, sondern von der Subjektivität als exemplarischer Erfahrung. Der Schwierigkeiten war sich Jean Paul durchaus bewußt. Es war viel einfacher, das Allgemeine in Begriffe zu fassen als »durch individuelle Formen auszusprechen, den Gott Mensch, ja einen Juden werden und ihn doch glänzen zu lassen. Aber«, setzte er hinzu, »geschehen muß es, auch der Engel hat sein bestimmtes Ich« (V 217).

341 342

Vgl. Kap. IV. So Minder, der Jean Pauls stilistischen Eigenheiten pathologische Ursachen zuschreibt. An Stellen, wo die Lektüre mühsam wird, rät er deshalb zum »Geheimrezept aller Literaturwissenschaft«: dem »Darüberhinweglesenkönnen«, um den »Teufelskreis der wildgewordenen Lesefrüchte« so rasch als möglich hinter sich zu bringen. (Robert Minder: Jean Paul oder die Verlassenheit des Genius. In: Uwe Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 266-276; Zitat 267. Vgl. Schweikert, Jean Paul, (Stuttgart 1970), 13f.) Ratschläge dieser Art unterstellen von vornherein Inhaltslosigkeit. Zum Beweis, wie sachhaltig diese »Lesefrüchte« sind, die sich dem raschen Zugriff widersetzen, verweise ich noch einmal auf die Arbeit von Sprengel, Herodoteisches; sie belegt Präzision bis ins kleinste Detail.

121

III. W I T Z UND TRANSZENDENZ

Witzige Beseelung

Der Satz, daß sich in der Poesie das Allgemeine im Besonderen zu erkennen geben muß, hätte für die >Vorschule< freilich keine Gültigkeit, wenn nicht auch seine Umkehrung gelten würde: daß sich im Besonderen das Allgemeine ausspricht, im Sinnlichen sich Geistiges spiegelt. Beide Sätze haben jeweils ihre poetologische Konsequenz: der erste, wie beschrieben, in der Theorie des >witzigen VerkörpernsBeseelenseinen Engel< hat. Leibgeber, der Name, der so sichtbar die Körperlichkeit statuiert, hat, als Metapher der Hülle, 1 gleichfalls diesen Doppelsinn; spannungsvoll weist er auf den nur unzulänglich im Sinnlichen sich manifestierenden Geist hin. Mit Bezug auf die inhaltliche Systematik geht es dabei um die Entfaltung der Formel, die Jean Pauls Auffassung von romantischer Dichtung wiedergibt: er nennt sie eine »verkörperte Geisterwelt« (V 62).

1

Vgl. dazu den kleinen Aufsatz von Bernhard Böschenstein: Leibgeber und die Metapher der Hülle. In: Text und Kritik. Sonderband Jean Paul, 44-48.

122

1. Endlichkeit und Unendlichkeit. Zur Ontologie der >Vorschule< Die Wirklichkeitsauffassung Jean Pauls ist durchgängig dualistisch. Ihre grundsätzliche Duplizität läßt sich mit dem Begriffspaar Endlich/Unendlich beschreiben, ein Gegensatz, in dem der ontologische von Himmel und Erde und der ihm entsprechende anthropologische von Körper und Geist bzw. Leib und Seele vermittelt sind. Kaum verhüllt kehren in dieser schroffen Opposition die Descartesschen Seinsattribute der res extensa und res cogitans wieder, den schon Historie gewordenen offiziellen Gang der Philosophie, die Fragestellungen und Problemlösungen, die sie in diesem Zusammenhang seit den Anfängen der Aufklärung entwickelt hat, scheinbar außer acht lassend. Wenn Makrokosmos und Mikrokosmos als Maschine charakterisiert werden, betrieben von einem blinden, gleichermaßen unbekannten wie undurchschaubaren Mechanismus, und der menschliche Körper als Teil und Analogon der großen »Welt-Maschine« (V 97) gilt, so deutet dies zumindest auf kompromißlose Substanzentrennung hin. In der »wilden Riesenmühle des Weltalls« (V 96) sieht Jean Paul dasselbe eiserne Gesetz herrschen, von dem das »mit Erdenblei und Bleierde ausgegossene Schwungrad des Körpers« (IV 601) bewegt wird. Körper und Geist erscheinen als absolut distinkte Sphären; der grenzenlosen Geisterwelt steht die enge Sinnenwelt gegenüber (vgl. V 89). Allenthalben ist die Körpermetaphorik Jean Pauls von der Vorstellung toter Materie geprägt: Automat, Statue, Mumie, Wachsbüste sind ihre stellvertretenden Bilder. Zur ursprünglichsten Selbsterfahrung Jean Paulscher Gestalten gehört das Bewußtsein, daß »kein Ich von einem so vielgehäusigen Karzer ummauert [ist] als das menschliche« (IV 586). Mitunter erscheint der eigene Körper als das Tote schlechthin: »Das ist die Nachtleiche - der verschlackte, der verkohlte Mensch - in solche starre Klumpen sind die Ich geklebt und müssen sie wälzen - [. . .]« (I 939)

Darin bekundet sich eine Einschätzung, die dem Denken der Aufklärung allerdings völlig fremd gewesen wäre, da aus ihr nicht der Optimismus des sich emanzipierenden Bewußtseins spricht, sondern die aus einem fundamental veränderten Weltbild resultierende Angst, die Mechanik könnte, losgelöst vom Geist, der sie beherrschte, universelle Gültigkeit beanspruchen. Mit Kants Vernunftkritik und ihrer radikalen Entmythologisierung der Natur hatte das rationalistische Erklärungsmodell seine Potenz erst voll entfaltet. Danach konnte der Dualismus nicht mehr als Befreiung empfunden werden, sondern mußte als schreckliches Verhängnis des menschlichen Geistes gelten, dem aus sei123

ner körperlichen Verstrickung, dem physiologisch Naturhaften, und der Unterwerfung unter das Gesetz der Kausalität eine unabsehbare Leidensgeschichte zu erwachsen schien. Erneut kam dadurch die metaphysische Brisanz der Descartesschen Philosophie, die in Leibniz' Harmoniesystem weitgehend entschärft worden war, zum Vorschein. Wie präsent die Zusammenhänge noch waren, zeigt in schöner Deutlichkeit Jean Pauls Rückgriff auf das Uhrengleichnis, an dem traditionellerweise das Verhältnis von Körper und Geist demonstriert worden war. Freilich benutzt Jean Paul es nur, um seine Unhaltbarkeit abermals unter Beweis zu stellen,2 nun aber nicht mehr mit der Intention, eine schon mehr oder weniger akademisch gewordene Streitfrage zu lösen, sondern um den naturalistischen Tendenzen entgegenzutreten, die er als die Kehrseite des philosophischen Subjektivismus erkannt hatte. Der Vergleich des »unaufhörlichen Parallelismus des Körpers und der Seele« mit »zweigehäusigen englischen Uhren«, deren erstes und zweites Gehäuse stets »miteinander gelitten und gewonnen hätten« (IV 601), soll dartun, daß zwar Körper und Geist zwei inkommensurable Größen sind, »weil die Abhängigkeit des Uhrwerkes vom Gehäuse [...] ja nicht die Identität von beiden oder gar den Satz beweiset, die Uhr bestehe aus lauter Gehäusen« (IV 604), daß es darum jedoch weder einen reinen Körper noch einen reinen Geist gibt, sondern der Körper »die Tastatur der innern Harmonika durch alle Glocken hindurch« (IV 603) sei. Diese These, aufgestellt an der Schwelle zum 19. Jahrhundert, erfordert aber zugleich einen Erkenntnisverzicht. Alle Versuche, das Problem des commerciums von Leib und Seele, das die philosophische Anstrengung über Generationen herausgefordert hatte, auf theoretischem Wege zu lösen, mußten im Licht der spätaufklärerischen Theodizeekritik und des sich neu formulierenden Wissenschaftsbegriffs vergeblich erscheinen. Das galt sowohl für das von Jean Paul exemplarisch angeführte »Bonnetsche Unterziehkörperchen« wie das »inkorporierte Platnersche Seelen-Schnür-Le/foA^«« (IV 602), zwei zeitgenössische Theoreme, die aus dem Bemühen hervorgegangen waren, nach dem Vorbild von Descartes' >esprit animaux< die Substanzenüberschreitung durch sogenannte Zwischengeister oder Mittelkräfte zu erklären, ohne das Unsterblichkeitsdogma der Seele antasten zu müssen. Die Ironie in Jean Pauls Zitation ist unüberhörbar, obgleich er selbst lange Zeit hindurch unter dem Eindruck von Platners physiologischen Hypothesen gestanden hatte. Bis in die späten Erörterungen über den Tod und das Fortleben der Seele ist dieser Einfluß greifbar, 2

Ein entsprechender Passus findet sich in der >SelinaRhapsodien< hervor, einer Sammlung aphoristischer Notizen über die verschiedensten Gegenstände: Die Vereinigung unseres Körpers mit unsrer Sele bleibt das ewige Rätsel iedes Philosophen; wir wissen nicht, sol er unsre Weisheit oder Torheit, unser Glük oder Unglük befördern; uns ist unbekant, was wir ihm zu danken haben, wenig, viel oder alles. Man hat Recht, wenn man sagt, daß unsre Sele sich den meisten Stof zu Ideen nur vermittelst ihres Körpers verschaffe, und daß er das meiste zur Entwiklung ihrer Fähigkeiten beitrage [...] Neben der inhaltlichen Kongruenz bekundet eigens ein namentlicher Vermerk, daß dieser Abschnitt im Kontext von Platners >Aphorismen< 4 entstanden ist, mit denen Jean Paul philosophisch eine Art skeptischen Sensualismus' teilte. Verantwortlich dafür war einerseits, daß er den Optimismus der Theodizee nicht mehr bedingungslos zu teilen vermochte, mit der Folge, daß sich der Systemanspruch der Erkenntnis notgedrungen bescheiden mußte; andererseits aber - 1781 war das Erscheinungsjahr der >Kritik der reinen VernunftÜber die Fortdauer der Seele und ihres Bewußtseins< (J II 776ff) über Viktors Bemerkungen im 9. Hundposttag des >Hesperus< (I llOOff) und das >Kampaner Tal< (bes. 506. Station, IV 600ff) bis zur >Selina< (VI 1172ff). - Vorzugsweise anhand dieser Texte und ihren animistischen Residuen versucht Proß, die schwer bestimmbare geschichtliche Stellung Jean Pauls herauszuarbeiten ( Jean Pauls geschichtliche Stellung). 4 Ernst Platner: Philosophische Aphorismen. 3. Aufl., Leipzig 1793. 5 Ausführlich dazu Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel, bes. 183ff. 125

Kleinen in seinem Körper ab, wie die Sonne im trüben Wassertropfen. Der Tod wird uns erst das Gewand geben, das die Entfaltung keiner unsrer Reize weder verhindert noch verbirgt. - (J I 283) Hier bereits ist die Leibnizsche Metapher, 6 in der Jean Paul künftig seine Anthropologie darstellen wird, den eigenen Überlegungen integriert: der Körper erscheint als die endliche Hülle eines unendlichen Geistes. Dafür gibt es zahlreiche Varianten. Jean Paul spricht von der »körperlichen Baumrinde« (IV 601), von der »Puppenhaut«, die im Tode abspringen, von der »Körper-Glasur«, die zerbröckeln wird (IV 607). A l s plumpe »Erdenlarve« gilt die menschliche Existenzform (I 535), als »Fleischstatue« die physische Gestalt, »worein unsre Geister eingekettet sind« (I 581). Der Mensch ist das »vermummte Wesen« (vgl. I 581), sein Ich bleibt verborgen unter der Maske der zeitlichen Erscheinung (vgl. V 208), Schon für die frühen Satiren, insbesondere seit den oben zitierten Teufelssatiren von 1784/85, läßt sich feststellen, wie die Maschinenmetapher als Ausdruck menschlicher Körperlichkeit auf d e m Rückzug begriffen ist; an ihre Stelle tritt die Metapher der Hülle. Wie die Allegorie >Was der Tod ist< zeigt, ist sie noch vor d e m Beginn des Erzählwerks voll entfaltet: ein Engel, der an sich selbst die menschliche Todeserfahrung machen will, schlüpft in einen Körper, den er im Sterben wieder abwirft: so schlug seine Entzückungsflamme über das geborgte irdische Gebäude hinaus, die mürben Bande des Körpers gingen auseinander und der tiefste aber vorüberfliegende Schlummer deckte vor ihm den Lichthimmel und die Engel auf, deren Stralenstrom ihm über den umgefallnen irdischen Damm entgegenwallte. (J 11169) 6

Vgl. dazu den § 77 der Monadologie, der die Unsterblichkeit der Seele, Maschinen- und Hüllenmetapher kombinierend, auf eben diesen Gedanken gründet (Ich zitiere nach der Ausgabe Meiner: Gottfried Wilhelm Leibniz: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade. Monadologie. Hrsg. v. Herbert Herring. Hamburg 1969): »Ainsi on peut dire que non seulement l'Ame (miroir d'un univers indestructible) est indestructible, mais encore l'animal meme, quoi que sa Machine perisse souvent en partie, et quitte ou prenne des depouilles organiques.« (62) Im übrigen lebt die Hüllen-Metapher zum Ausdruck des Leib/Seele-Verhältnisses nicht allein bei Jean Paul fort; auch Herder beispielsweise bedient sich ihrer. Zum Beleg sei nur ein Passus aus den >Ideen< zitiert: »Der Leib der Menschen ist eine zerbrechliche, immer verneuete Hülle, die endlich sich nicht mehr erneuen kann; ihr Geist aber wirkt auf Erden nur in und mit dem Leibe. Wir dünken uns selbstständig und hangen von allem in der Natur ab; in eine Kette wandelbarer Dinge verflochten müssen auch wir den Gesetzen ihres Kreislaufs folgen, die keine andre sind als Entstehen, Seyn und Verschwinden.« Herders Sämmtliche Werke. Hrsg. von Bernhard Suphan, Bd. 14, Berlin 1909, 204.

126

Der Text läßt zugleich die Voraussetzung erkennen, unter der sich die Ablösung der Metaphorik vollzog: die metaphysische Auslegung der menschlichen Existenz in der Kategorie der Zeit, an der Jean Paul unter Berufung auf Jacobi mit entschiedener Wendung gegen die Funktionalisierung des Personbegriffs auch nach dem Ende der Theodizee festhielt. So ist die Maschinenmetapher in der >Vorschule< auf eine eindeutig negative Position gerückt, während die Metapher der Hülle zwar die Substanzentrennung prinzipiell nicht aufhebt, »da in unserm Ich sich eigentlich das anfängt, was sich von der Welt-Maschine unterscheidet« (V 97), aber doch auf eine Art Zusammenhalt hinweist, der Jean Paul von der innigen »Anastomosierung zwischen dem innern und äußern Menschen« (IV 603), in der >Vorschule< gar von der »Harmonie zwischen Leib und Seele« sprechen läßt, einer Symbiose - allerdings auf Zeit die es zuläßt, daß »der Leib die Seele und sich zugleich ausspricht« (V 97). Noch stellt sich der Begriff des Organischen nicht ein, der dann in der >Selina< vermitteln konnte: Der Organismus oder das Leben unterscheidet sich vom Unorganischen oder Toten am stärksten dadurch, daß er oder das Leben lauter ungleichartige Stoffe unter ein Gesetz und eine Form zusammenzwingt, welchem Gesetze wieder alle neuen gehorchen müssen, indes das Unorganische in großen Massen aus gleichartigen Teilen [.. .] die Erde füllt. (VI 1179)

Die >Vorschule< verfährt dagegen so, daß sie den anthropologischen Dualismus mit dem von Himmel und Erde parallelisiert und beide in dem metaphysisch gedeuteten Gegensatz von Endlichkeit und Unendlichkeit aufgehen läßt. Die jeweiligen Antipoden sind einander zugeordnet und als wesensgleich bestimmt, da »die Endlichkeit nur an Körpern haftet und da in Geistern alles unendlich ist oder ungeendigt« (V 93). Derselbe Gegensatz manifestiert sich also in der Welt als ganzer und in jedem einzelnen Individuum. Himmel und Erde, Körper und Geist haben ein analoges Verhältnis. Für Jean Paul ist der Mensch das Abbild Gottes und, weil Gott selbst »durch die Schöpfung Mensch geworden« (IV 593), der »verhüllte Gott in der Statue« (IV 603). Dieser Auffassung entspricht eine Äußerung von 1781, in der es heißt, daß der Körper des Menschen »für diese Erde gemacht« sei, »aber demungeachtet ist's so deutlich, so unverkenbar, daß er nur ein unreifer Himmelsbewoner ist« (J I 193). Für dieses »doppelsinnige Geschöpf, das in einem Simultaneum zweier Welten lebt« (IV 563), müssen daher immer zugleich »Himmel- und Erdkarten« hergestellt werden, wobei eines feststeht: daß die Erdkarten »nur durch Himmelskarten« gemacht werden können (V 66). 127

Das Primat des Geistes ist absolut: »durch Geister kommt Bestimmung ins Unbestimmte des Mechanischen«; letztes ist »tote Materie des Zufalls« (V 230). Im Geist gründet die Teleologie der Dinge, er schafft Ordnung, Zusammenhang und innere Notwendigkeit (vgl. V 231). Er ist die Macht über die Natur, die er sich - in Grenzen - anverwandelt. 7 Das Unendliche ist das Maß des Endlichen (vgl. V 444), mehr noch: das Wesen, das alle bloße Erscheinung zum Schein und Wesenlosen herabdrückt: Jedes Körper- und Welten-Reich wird endlich und enge und nichts, sobald ein Geisterreich gesetzt ist als dessen Träger und Meer. (V 97)

Damit wäre der Gegensatz als endgültig beschieden. Doch Jean Paul versucht darüber hinauszukommen, indem er die beiden analogen Dualismen von Körper und Geist, Erde und Himmel zueinander vermittelt. Wenn der Mensch trotz seiner »binomische[n] Wurzel« (IV 563) das Ebenbild Gottes ist, d. h. wenn Gott als Mensch erscheint und sich in endlicher Gestalt verkörpert, dann ist die ganze Endlichkeit eine Erscheinungsform Gottes: Ja, es wird, kann man sagen, sobald man nur einmal einen Menschengeist mit einem Menschenkörper annimmt, dadurch das ganze Geisterreich, der Hintergrund der Natur mit allen Berührkräften gesetzt; ein fremder Äther weht alsdann, vor welchem die Darmsaiten der Erde zittern und harmonieren. Ist eine Harmonie zwischen Leib und Seele, Erden und Geistern zugelassen: dann muß, ungeachtet oder mittelst der körperlichen Gesetze, der geistige Gesetzgeber ebenso am Weltall sich offenbaren, als der Leib die Seele und sich zugleich ausspricht [...] (V 97)

Auf diese Weise wird das ursprüngliche Urbild/Abbild-Verhältnis von Gott und Mensch auf die gesamte Natur ausgedehnt, und die anthropomorphe Naturdeutung - Natur als Ebenbild des Menschen (vgl. V 183) - erweist sich im Grunde als metaphysische. Nach dieser Konstruktion begegnet der Mensch in der Natur sich selbst, denn beide sind sie von göttlicher Abkunft und wesensmäßig durch die göttliche Offenbarungsstrategie bestimmt. Von daher ist es dann nur konsequent, daß Jean Paul die Metapher der Hülle auf die Natur überträgt und alle ihre 7

Dieser Vorstellung entspricht die poetologische von sinnlichem Bild und poetischem Geist: »Diese Anschauung einer doppelten Poesie [...], einer innern und einer äußern, kann, da nur die innere Lebendigkeit sich eine äußerliche anbilden kann, keiner dürftigen Prachtgesetze bedürfen.« (V 293) Und in bezug auf die Stoff/Form-Problematik des Kunstwerks: »Kann sich denn der ästhetische Wert, d. h. der geniale, gleichsam als Seele anders darstellen als in den ebengedachten ästhetischen Merkmalen, die er als die Körperteile sich anbildet?« (V 353)

128

Manifestationen als »Hüllen geistiger Wesen« begreift (IV 621). »Der Mensch«, heißt es in der >Vorschulebeseelte< (vgl J I 1168), d. h. ihm durch seinen Geist Leben gab, so muß der Mensch die gesamte Natur beseelen, um deren wesentlichen Sinn zu entdecken. Im >KatzenbergerSiebenkäsSelinaHesperusGiannozzo< wie der traumhafte Ballonflug aus »Sehnsucht nach den Sternen« (IV 625) im >Kampaner Tal< entwickeln. Ein ähnlich glückhafter Aufflug steht Viktor bevor, auch wenn die Metapher hier im Unterschied zu den zahlreichen Baiionaufstiegen, die Jean Paul geschildert hat, nur ein Wunschbild malt: Ach wenn er sich in die Wolken hätte hinaufstürzen können, um auf ihnen durch den wehenden Himmel über die unübersehliche Erde zu ziehen! - Ach wenn er mit dem Blütendufte hätte über die Blumen hinüberrinnen, mit dem Winde über die Gipfel, durch die Wälder hätte strömen können! (1617)

In diesem Fall hat sich die Flugmetaphorik mit einer zweiten, der Wassermetaphorik, verbunden; über >WolkeDuftWind< und >Strom< lösen sie sich praktisch ineinander auf. Beide entstammen sie der mystischen Sprachtradition, und beide haben sie die Funktion, Entgrenzung und Transzendenz anzuzeigen. In gegenseitiger Steigerung konstituieren sie den Text bis zu dem Punkt, an dem sie zu dem mystischen >Urbild< des Spiegels zusammenschießen. Dem Höhepunkt korrespondiert die Ouvertüre des Naturtheaters, obgleich hier noch getrennt ist, was sich am Ende restlos amalgamieren soll: 14

Zu den verschiedenen Bedeutungen des Flugsymbols bei Jean Paul vgl. Dorothee Solle: Realisation. Studien zum Verhältnis von Theologie und Dichtung nach der Aufklärung. Darmstadt u. Neuwied 1973, 243-246.

135

Draußen schwammen alle Grasebenen und Samenfelder im Tropfbad des Taus und im kalten Luftbad des Morgenwinds. (1614)

Nach diesem Auftakt und einer leisen Andeutung auf die künftige Bildersynopse - »wenn die Morgenwolken um den Menschen tauen« (1614) - wird das »Labyrinth der Schönheit« (1616) schrittweise inszeniert. Viktor wirft sich ins »tropfende Gras«, kühlt sein Gesicht mit »flüssigem Juniusschnee« und »watet« durch den Tau. Daneben »entflammt« der Morgen mit »Rosenwolken«, die »singende Welt der Luft« hängt »jauchzend in den Morgenfarben und im Himmelblau«, »Funken von Wolken« »hüpfen«, endlich »wehen« »Flammen der Sonne über die Erde herein« (I 614f). Dann beginnen die Verklammerungen: »Im Anfluge« breitet sich die Natur zur Landschaft aus, »und eine Wolke trunkner, spielender, schwirrender Kleinwesen aus Seidenstaub zog und hing über das wallende Gemälde her.« (I 615f) Die Kontamination schließlich führt eine der ausgreifenden, für Jean Paul in solchen Zusammenhängen typischen »wenn«-Perioden herbei: Nachdem Viktor durch »Perlenschnüre betaueter Gewebe«, »durch sumsende Täler«, über »singende Hügel« gegangen ist und die Natur »alle Röhren des Lebenstromes« und »alle ihre Springbrunnen« geöffnet hat, dann, heißt es, »wurde Viktor, der [...] durch diese fliegenden Ströme ging, von ihnen gehoben und erweicht; dann schwamm sein Herz bebend wie das Sonnenbild im unendlichen Ozean, wie der schlagende Punkt des Rädertiers im flatternden Wasserkügelchen des Bergstroms schwimmt.« (1617) In solchen Koppelungen wie »fliegende StrömeVorschule< spricht (ζ. Β. V 170), wirft den Funken nicht nur in schleppende Gedankenketten, sondern schafft auch solche epiphanischen Augenblicke. Er fährt »nicht bloß aus der schwarzen Wolke [...], sondern auch zuweilen aus dem hellen Blau« (VI 1132). »Da gibt es Blitze«, sagt Jean Paul, »welche den ganzen H i m m e l fliehend aufreißen, den wir suchen« (V 446). Der produktive Witz entbindet den »Seelenblitz«, den wir Leben nennen, und von welchem wir nicht wissen, aus welcher Sonnenwolke er fährt, [er] schlägt ein in die Körperwelt und schmelzt die spröde Masse zu einem Gehäuse um, das fortglüht [ . . . ] (V 5 8 7 f )

137

Genau das geschieht im >Hesperusunio mystica< ist erreicht: Alles ward eins - alle Herzen wurden ein größtes - ein einziges Leben schlug - die grünenden Bilder, die wachsenden Bildsäulen, der Staubklumpe des Erdballs und die unendliche blaue Wölbung wurden das anblickende Angesicht einer unermeßlichen Seele— (1617)

Wie in einem Fokus konzentriert sich in dieser Apotheose noch einmal Jean Pauls Theorie des witzigen Beseelens. Aufs Detail wie aufs Ganze bezogen kann man die Szene im Licht des Jean Paulschen Begriffs der Personifikation betrachten. Denn sie schildert nicht nur die Verwandlung eines Objektes - der Natur - in ein Subjekt - »anblickendes Angesicht« sondern führt sie im sprachlichen Vollzug, das Inkommensurable ineins setzend, unmittelbar vor Augen. Zu Beginn wird eine Morgenlandschaft ausgebreitet aus relativer Distanz. Relativ deshalb, weil bereits die ersten Metaphern - Luftbad, Tropfbad - eine gewisse anthropomorphe Aufladung erkennen lassen. Dann werden diese Bilder metaphorisch in Bewegung gesetzt, wobei mit jeder Variante ein Mikrovergleich von Geistigem und Körperlichem zustandekommt. Die Vergleichsglieder entsprechen sich in der Regel; meist repräsentiert das Verb das geistige, das Substantiv das materielle Element. Durch das sprachliche Medium >leiht< sich das Subjekt dem Objekt; die Dinge werden beseelt. Nach der Romanfiktion spielt sich dieser Prozeß zwischen der Landschaft und dem reisenden Helden ab, doch lassen sich von einem gewissen Stadium an Wirkung und Gegenwirkung der Beseelung kaum mehr hinreichend auseinanderhalten. Einmal in Gang gesetzt, scheint sich der Prozeß aus der Spannung zu seinen beiden Polen heraus selbsttätig aufzuschaukeln. Dem »Morgenland voll unübersehlicher Hoffnungen« (I 614) antwor138

tet Viktor mit der »Feuertaufe einer Liebe, die alle Menschen und alle Wesen in ihre Flammen fassete« (I 618). Äußere und innere Bewegung intensivieren sich gegenseitig. Entscheidend ist freilich, daß Viktor seine Reise als »Seelenwanderung« geplant, d. h. die psychische Erregung bereits vorgegeben hatte, ehe er sie nun in der Natur wiederfindet. Daß er sie wiederfindet, erscheint ihm allerdings metaphysisch gesichert: Denn der Unendliche hat in den Himmel seinen Namen mit glühenden Sternen gesäet, aber auf die Erde hat er seinen Namen in sanften Blumen gesäet. (I 889)

Stern, Blume und Herz sind eins; trunken ist Viktors Herz und die ihn umgebende Natur, durch die es gehoben wird. Er geht mit »saugendem Herzen« durch sie hindurch, bis sie sich selbst zum Herzen weitet. Die Natur ist Leben und Bild zugleich: »die grünenden Bilder«. Der ekstatisch gesteigerten Seele erscheinen sie als »wachsende Bildsäulen«, die sich schließlich zum Gesicht Gottes wandeln (I 617). Wie der Mensch, der nach der einen Seite seiner Abkunft an ihr teilhat, das Ebenbild Gottes, ist die Natur, wenn auch verhüllt, sein Spiegelbild: Die Schöpfung hängt als Schleier, der aus Sonnen und Geistern gewebt ist, über dem Unendlichen, und die Ewigkeiten gehen vor dem Schleier vorbei und ziehen ihn weg von dem Glänze, den er verhüllet. (I 891)

Sichtbare Gestalt und mitteilbares Zeugnis solcher epiphanischer Momente ist die Poesie, die durch witzige Transsubstantiation das göttliche Wesen enthüllt. Sie kann es dank eines Vermögens, das Jean Paul als das höchste der menschlichen Befähigung gilt: der Phantasie.

4. P h a n t a s i e Der Witz ist ein Produkt der Phantasie: Wie an dem unbildlichen Witze der Verstand, so hat am bildlichen die Phantasie den überwiegenden Anteil [ . . . ] (V 182)

Grundsätzlich gilt das für den verkörpernden Witz ebenso wie für den beseelenden; denn in beiden Fällen bedarf es der Vermittlung zwischen Inkommensurablem, und nur ein ausgeprägtes Vorstellungsvermögen vermag die Idee in sinnliche Gestalt umzusetzen bzw. die diversen Dinge als Zeichen eines Geistes zu deuten. Indes bringt erst letzteres die Phantasie voll zur Entfaltung, insofern Jean Paul sie als die eigentliche Kraft zur Transzendenz bestimmt. In Anlehnung an die traditionelle Vermögenslehre sind beide, Witz und Phantasie, Seelenvermögen, doch 139

übersteigt die Phantasie, wenngleich sie sich »leicht zum Witz einbükken« (V 200) kann, die witzige Potenz bei weitem. Sie bildet das Zentrum aller Vermögen: sie ist die Welt-Seele der Seele und der Elementargeist der übrigen Kräfte; darum kann eine große Phantasie zwar in die Richtungen einzelner Kräfte, ζ. B. des Witzes, des Scharfsinns u. s. w., abgegraben und abgeleitet werden, aber keine dieser Kräfte lässet sich zur Phantasie erweitern. (V 47)

Ist der Witz das »spielende Anagramm der Natur«, das, Geist und Körper tauschend, ihre Ordnung stört und sie mutwillig zum rätselhaften Vexierbild macht, so die Phantasie »das Hieroglyphen-Alphabet derselben, wovon sie mit wenigen Bildern ausgesprochen wird« (V 47). Phantasie deutet die Natur, übersetzt deren Chiffren und vermittelt sie im Medium einer ästhetisch modellierten Sinnlichkeit auf ihre eigene, sonst verhüllte Bedeutung hin. In diesem Sinne, als produktive, die Endlichkeit transzendierende >KräfteQuintus FixleinÜber die natürliche Magie der Einbildungskraft^ gilt die Phantasie als die zentrale anthropologische Bestimmung, weil es allein in ihrer Macht steht, der grundsätzlich der Transzendenz bedürftigen menschlichen Natur Ausdruck zu verleihen. Neben den fünf Sinnen spricht Jean Paul von einem »Sinn des Unendlichen« (IV 205) oder vom »Sinne des Grenzenlosen« (IV 200), der mit Naturnotwendigkeit die Phantasiepotentiale im Menschen in Gang setzt. Später wird die Phantasie ausdrücklich von dem Begriff der Einbildungskraft abgehoben, der seiner philosophischen Tradition nach die freien Formen künstlerischer Produktivität von dem grundlegenden, Gegenständlichkeit überhaupt konstituierenden, produktiv-reproduktiven Vermögen der Synthesis nicht unterschied. Phantasie aber ist nach Jean Paul »etwas Höheres« (V 47), da sie unabhängig von Gesetzen völlig frei ihre inneren Bilder erzeugt (vgl. IV 195). Lediglich den unabweisbaren Trieb zur Produktion teilt sie mit den anderen, nicht weniger natürlichen Sinnen: Da der Spielraum der Sinne enger ist als der Phantasie: so entsteht die Täuschung, daß wir uns jene nur in den Ketten des Körpers und diese nur in den Zügeln des Willens denken, da wir doch ebensowohl in einem fort phantasieren als empfinden müssen. (IV 195)

Aufgrund dieser, noch einmal auf die Koppelung an physiologische Abläufe hinweisenden Analogie, heißt die Phantasie auch eine »transzendente Empfindung« (IV 196). Für Jean Paul ist sie »natürliche Magie«, wobei die Betonung auf beiden Komponenten liegen muß. Denn zum einen ist sie in der Tat Natur, eine eingeborene psychische Potenz, 140

die sich zwar in unterschiedlichem Maße entfaltet und nach außen sichtbar manifestiert, aber virtuell doch jedem Menschen innewohnt. Ganz ausgebildet wird sie nur im Genie. Zum anderen jedoch ist sie nicht bloß nicht Natur, der bei Jean Paul immer auch der Sinn von Endlichkeit anhaftet, sondern dank ihres psychischen Charakters zugleich etwas Widernatürliches, eine Geheimkunst der Seele, die sie von den Bedingungen der Natur befreit. Unter diesem Aspekt erklärt sich denn auch, warum in der >VorschuleandereUrerlebnissesVorschule< sagt, daß es die Phantasie »näher und anschaulicher vor den sterblichen Menschen [führt]« (V 48). Diese Formulierung scheint direkt auf Hegels Begriff des Kunstschönen vorauszuweisen, der die Vernunft in der Kunst sinnlich gegenwärtig, die Wahrheit im ästhetischen Schein verkörpert sieht. Ähnlich heißt es im >Magieaufsatz< von der Phantasie, daß sie die Natur in »scheinbare Grenzenlosigkeit« verwandle, »um in eine wahre hinüberzuschauen« (IV 201). Auch in der Malerei oder Plastik muß das Schöne darum ein »besonderes Verhältnis« (IV 203) zur Phantasie haben. Denn nicht ein planes Spiegelbild, das seinen Gegenstand unverändert zurückwirft, gefällt, sondern ein Bild; nicht die - mechanisch - nachmodellierte Wachsfigur, sondern die Statue entzückt. An der mehr oder weniger vollendeten Ähnlichkeit von Ur- und Abbild kann der Unterschied also kaum liegen; es ist vielmehr gerade die >Unähnlichkeit< im Sinne des Inkommensurablen, die das Interesse erklärt. Denn »der Mensch achtet [...] nur das, was nicht mechanisch nachzumachen ist« (V 59). Was er im Kunstwerk sucht, ist das Unähnliche, der Geist, der aus dem Bild hervortritt: Wir stellen uns am Christuskopfe nicht den gemalten, sondern den gedachten vor, der vor der Seele des Künstlers ruhte, kurz die Seele des Künstlers, eine Qualität, eine Kraft, etwas Unendliches. (IV 203)

Dieser Kunstbegriff ist eine unmittelbare Folge der Dualismen, die die menschliche Existenz als ihre Bedingungen beherrschen. An ihnen liegt es, daß »wir ewig nur Körper sehen«, und daß wir, wollen wir ihren Sinn begreifen, »unsere Seele in fremde Augen, Nasen, Lippen übertragen« (IV 203f) müssen: Kurz, durch Physiognomik und Pathognomik beseelen ber - später alle unorganisierte Körper.

wir erstlich alle Lei-

Bereits hier im >Magieaufsatz< ist die Vorstellung von der »Sprachmenschwerdung« der Natur, wie sie später in die Witz-Theorie eingehen sollte, vorformuliert: 143

Dem Baume, dem Kirchturme, dem Milchtopfe teilen wir eine ferne Menschenbildung zu und mit dieser den Geist. Die Schönheit des Gesichts putzet sich nicht mit der Schönheit der Linien an, sondern umgekehrt ist alle Linien- und Farbenschönheit nur ein übertragener Widerschein der menschlichen. (IV 204)

Daß wir so von Natur aus an ein »ewiges Personifizieren der ganzen Schöpfung« gewohnt sind, hat zur Folge, »daß eine schöne Gegend uns ein malerischer oder poetischer Gedanke ist« und die Kunstwerke »nichts sind als die schöne echte Physiognomie der großen Seelen«, die sie geschaffen, »um in homogenem Körpern zu wohnen, als die eignen sind« (IV 204). Es ist dieselbe Kraft, die uns die Naturschönheit, ihren Geist und Sinn, und die Schönheit der Kunst vermittelt: die Phantasie, einmal als »genießende«, einmal als »schaffende« Kraft (IV 205). Analog spricht die >Vorschule< vom passiven und vom produktiven Genie, in denen sich der Unendlichkeitssinn in verschiedener Weise ausgeprägt hat, zuweilen differenzierter in einer »poetische[n] Seele« als im schöpferischen Genius, der »ihn versorgt und nährt, oft ohne ihn zu haben« (IV 205), d. h. ohne daß er seiner völlig bewußt wäre. Denn seine Wirksamkeit entfaltet dieser >Sinn< durchaus unterhalb der Bewußtseinsschwelle, im Unbewußten.

5. Nachahmung und Genie Unversehens hat die Interpretation damit einen Phantasiebegriff entwickelt, der sich schwerlich noch in das rationalistische Konzept einer nach Analogien verfahrenden >ars inveniendi< fügen will, stattdessen seinen Attributen und seiner Funktion nach auf eine Ästhetik verweist, die den ursprünglichen Zusammenhang mit der Logik endgültig getilgt und die Spuren ihrer ehemaligen Vormundschaft abgestreift zu haben scheint. Bei näherem Zusehen freilich wird sich zeigen, daß damit nur die äußerste Tendenz eines sehr viel breiteren, von den historischen Verschiebungen unmittelbar betroffenen und in Bewegung geratenen Bedeutungsspektrums erfaßt ist. Aufs Ganze gesehen zeichnet sich Jean Pauls Ästhetik gerade dadurch aus, daß sie das ältere Konzept nicht völlig aufgegeben hat, sondern es in vielerlei Hinsicht, unter gewissen Veränderungen und Deformationen, auch in ihren progressiven Partien mitschleppt. Die Witz-Theorie ist dafür ein exemplarischer Fall. An ihr läßt sich demonstrieren, wie in der >Vorschule< zwei völlig unterschiedliche Vorstellungen aufeinanderprallen, ohne sich gegenseitig restlos zu absorbieren. Nicht zuletzt aus dieser Tatsache leitet sich 144

die Ratlosigkeit der Interpeten ab, die sich mit diesem Programm beschäftigt haben; seine geheime Heterogeneität hat bisher jedem Versuch, es auf einen einheitlichen Nenner zu bringen, spürbaren Widerstand entgegengesetzt. Wölfel sprach recht treffend von dem Janusgesicht des Jean Paulschen Witzes und nannte ihn seiner ihm innewohnenden Paradoxien wegen einen »ahnungsvollen Geisterleugner«. 15 Anstatt jedoch den Widerspruch auf seine möglichen historischen Implikationen zu befragen, suchte er ihn ausschließlich systematisch zu erklären, indem er ihn auf die Widersprüchlichkeit des im Witz zum Vorschein kommenden Verhältnisses von Innen und Außen zurückführte. 16 Der Sache nach ist dies durchaus mit Texten zu belegen; im historischen Längsschnitt der Witz-Theorie aber, den Wölfel völlig außer acht läßt, betrifft diese Auslegung nur deren jüngste Schicht, die in ihrer inhaltlichen Problematik erst das Resultat eines gravierenden und folgenreichen geschichtlichen Einschnitts ist. Und genau hier liegt der entscheidende Punkt. Dieser Einschnitt bzw. der Umstand, daß Jean Paul ihn nicht bedingungslos und mit allen sachlichen Konsequenzen mitvollzogen hat, muß letzten Endes verantwortlich gemacht werden für den Riß, der nicht nur durch die Witz-Theorie hindurchgeht, sondern der >Vorschule< insgesamt, gemessen an der zeitgenössischen Diskussion, eine merkwürdig ambivalente, ja bezogen auf das >GenreStilbruchVorschulefluidum nervumMittelkraftRehistorisierung< Jean Pauls, d. h. um die historische Genese seiner Poetik, eine lineare Entwicklung und damit die hermetische Abdichtung einmal gewonnener Positionen gegenüber möglicherweise provozierenden Konfrontationen 18

Vgl. Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel, 202. "Vgl. Proß, Jean Pauls geschichtliche Stellung, bes. 154ff. 20 Vgl. Proß, Jean Pauls geschichtliche Stellung, 193ff.

146

mit neuen Gedanken unterstellen. Gewiß, der Genie-Typus, den beispielsweise das >Kampaner Tal< herausstellt, beruht auf dem Konzept der >ars combinatorial die keinen Unterschied zwischen dem ästhetischen und dem wissenschaftlichen Genie kannte, und es finden sich darüber hinaus bei Jean Paul zahlreiche Stellen - einige habe ich oben bereits erwähnt die Philosophie und Poesie als gleichrangige geniale Leistungen bezeugen. Verräterisch daran bleibt nur, daß Jean Paul genötigt war, die philosophischen Systeme unter ästhetische Gesichtspunkte zu stellen, ehe er ihnen diesen Rang zusprechen konnte. Ausdrücklich und sicher nicht zufällig ist von ihrer »poetischen Erzeugung« die Rede; sie gelten, nicht anders als die großen Kunstwerke, als »Geburten eines genialischen Augenblicks« (IV 1016). Aus der Tatsache allein, daß Jean Paul gegen Kants Ausführungen in der >Kritik der Urteilskraft das Genie eines Newton neben das von Shakespeare oder Leibniz stellt, kann daher m. E. nicht geschlossen werden, er habe durchgängig, wenn auch auf modifizierte Weise, am Geniebegriff der Aufklärung festgehalten. Jedenfalls hat die Genielehre der >Vorschule< wenig mehr mit ihm gemein. Den Primat der Einbildungskraft hat Jean Paul zwar stets gegen die Usurpationsversuche der Vernunft und die Überdimensionierung des subjektivistischen Bewußtseins verteidigt, doch ist damit noch keinesfalls präjudiziert, daß der Begriff selbst nicht einen anderen Inhalt bekommen hätte. Ich werde im folgenden zeigen, in welche Nähe seine Genielehre zur >Kritik der Urteilskraft gerückt ist. Denn weder der Begriff der Schönheit, noch der des Ideals oder des Unbewußten, wie die >Vorschule< sie entwickelt, lassen sich auf der Grundlage idealisierter physiologischer Substrate erschöpfend interpretieren, auch wenn deren Spuren noch nachzuweisen sind.21 Auf >Empfindungen< mehr oder weniger geistiger Art lassen sie sich nicht mehr ausschließlich reduzieren. Die Argumentation des >Hesperus< für den Vorrang der Poesie gegenüber der Philosophie, gestützt auf die größere Wirklichkeitssättigung der Empfindung gegenüber dem Gedanken, ist deshalb kein Gegenbeweis, weil auch dieser Begriff - das muß zur Differenzierung hier ergänzend gesagt werden22 - bereits eine neue Qualität erhalten hat oder doch an einer Bedeutungsschwelle steht, die ihn mit neuem Inhalt aufzuladen beginnt. Gefühl trifft daher eher, was hier gemeint ist. Der Abstand wird schlagartig klar, sobald man zum Vergleich einen Text aus den >Übungen zum Denken< von 1780 heranzieht, in dem der junge Jean Paul die Frage stellt, ob es nicht analog zu 21

Vgl. Proß, Jean Pauls geschichtliche Stellung, 73f u. 92. "Vgl. Kap. II, 5; 97.

147

den Ideenassoziationen auch Empfindungsassoziationen gäbe, mit deren Hilfe die Einbildungskraft einen Inhalt genauso anschaulich sich vergegenwärtigen könne (vgl. J I 78); beides ließ sich problemlos parallelisieren, während nun Gedanke und Gefühl völlig unterschiedliche, geradezu oppositionelle Fähigkeiten und Kompetenzen repräsentieren. Offensichtlich konnte es Jean Paul trotz seiner generellen Abwehr des sich durchsetzenden Subjektivismus nicht hindern, daß seine Ästhetik schließlich in den Sog der Vernunftkritik und ihrer Folgelasten geriet. Zumindest setzt das Verständnis ihrer Grundbegriffe deren philosophische Kategorien voraus. Am deutlichsten greifbar wird die Auseinandersetzung der Vernunftkritik mit der Theodizee dort, wo das ehemalige Prinzip ästhetischer Erkenntnis selbst und damit also das eigentliche Kriterium für die poetologische Zeitenwende zur Debatte steht, im Witz. Widersprüchlich und synthetisierend zugleich verläuft die Auseinandersetzung zwischen Aufklärungs- und Genieästhetik mitten durch die Witz-Theorie. a) Witzige Analogie Daß Jean Paul mit seiner einleitenden Witz-Definition an die Tradition der Aufklärung anknüpft, hat schon Wölfel bemerkt. 23 Es spielt dabei keine Rolle, daß die hergebrachte Formel, die im Witz das Vermögen sieht, entfernte Ähnlichkeiten aufzuspüren, als zu unpräzise zurückgewiesen wird (vgl. V 169), denn von der Sache her liegt sie auch den differenzierteren Bestimmungen zugrunde, um die sich die >Vorschule< bemüht. Die Grundstruktur - Vergleich und Analogie - bleibt dieselbe, ob nun der Witz »im engern Sinn« »das Verhältnis der Ähnlichkeit, d. h. teilweise Gleichheit, unter größere Ungleichheit versteckt«, oder als Scharfsinn »das Verhältnis der Unähnlichkeit, d. h. teilweise Ungleichheit, unter größere Gleichheit verborgen«, findet oder am Ende als Tiefsinn die Identität des scheinbar Ungleichen entdeckt (V 171 f). Zunächst ist eine »so vielfach und leicht spielende Tätigkeit« (V 175) gemeint, die alle diese Möglichkeiten umfaßt; allenfalls vom >Objekt< her, d. h. vom Zweck und Resultat der Operation, lassen sich Unterscheidungen vornehmen (vgl. V 171). Teilweise Gleichheit als der gemeinsame Nenner - den dritten Fall ausgenommen - bedeutet Kontrast und Ähnlichkeit in einem; wie das Verhältnis dann gedeutet wird, erscheint lediglich als eine Frage der Perspektive. Auch Ähnlichkeit ist streng genommen »ewig wahre Gleichheit, obwohl nur eine von wenigeren Teilen« (V 169). 23

Vgl. Wölfel, Ein Echo, 291.

148

Freilich ist dies alles andere als eine rechnerische Spitzfindigkeit. Damit ist eine grundlegende Aussage getroffen, in der nicht nur die logische Voraussetzung des Witzes liegt, sondern ebenso seine ontologische. Denn nicht formale Gleichheit ist hier gemeint, vielmehr metaphysische. Allein sie ist imstande, das Vertrauen in den Zufall, der die Assoziationen des Witzes steuert, zu begründen. Die Vereinzelungen des Seienden als Teile eines Seins umfassend, garantiert sie der Kombination auch des Heterogensten Sinn; Nähe und Ferne schrumpfen zusammen, das Entfernteste ist, bezogen auf einen Einheitsgrund, das Gleiche. Obwohl Jean Paul mehrfach darauf hingewiesen hat, daß er sich selbst aus Gründen des äußerst prekären Freiheitsbegriffs, der sich durch die Abgeschlossenheit der seit Beginn der Schöpfung ihr Schicksal in sich tragenden Monade und durch den universalen Determinationszusammenhang auf den Moment der Schöpfungswahl Gottes reduzierte und damit praktisch paralysiert war, und zum anderen aufgrund der wachsenden Diskrepanz zwischen vernunftmäßig garantiertem Fortschritt und geschichtlicher Realität nicht als orthodoxen Leibnizianer und Anhänger des Glaubens an die beste aller möglichen Welten betrachtete, zögerte er doch sichtlich, das harmonisch gefügte Weltbild aufzugeben. Typisch für seine Haltung ist das hintergründig paradoxe Bekenntnis: »Ich bin sein Schüler nicht, aber ich hoff es in der andern Welt zu werden.« (J I 288) Die endgültige Entscheidung wird also ins Jenseitige prolongiert, die sich aufdrängende Einsicht beschwichtigt. An die Stelle der philosophisch deduzierten Gewißheit ist der Glaube getreten, der es Jean Paul ermöglichen sollte, Theodizeevorstellungen in modifizierter Gestalt über die Vernunftkritik hinüberzuretten. Der Identifikation mit der reinen Lehre dieses oder jenes Systems stand ohnehin eine früh entwickelte Skepsis gegenüber jeder Form von Dogmatik entgegen, von der er im Falle der Theologie behauptete, daß sie die Wahrheit umgrenze »wie die sinesische Mauer Sina«, auf daß die Wissenschaft von Gott »weniger dazu dient, neue Einsichten zu verschaffen, als neue Einsichten zu verweren, und dazu geschikt ist, aus Dummen Kezzermacher, und aus Klugen die Schlachtopfer derselben zu machen« (J I 347). Dasselbe gilt für philosophische Systeme. »Nichts«, meinte schon der Siebzehnjährige, ist unsrer denkenden Natur mer gemäs, als Wahrheiten im Zusammenhange zu denken [ . . . ] allein nichts kan uns auch mer irre füren, als eben dieses. Denn wir stellen uns dan die Dinge nicht so vor, wie sie sind, sondern wie wir sie in unser System hinein haben wollen - wir schnizzeln und formein so lang' an dem Dinge, bis es in unsre Ideenreihen hineinpast. (J I 58)

149

Entsprechend vorbehaltlich kreisen daher auch die Gedanken um das große Harmoniesystem: Man teilte sonst die ganze Schöpfung in Geist und Materie ein. Leibniz hat erwiesen, daß es gar keine Materie giebt - daß alles Geist ist, nur durch Stufen von einander verschieden. Vielleicht giebt's Wesen, die sich gegen uns verhalten, wie wir uns zur Materie - die uns so zu sagen für Materie halten. Recht betrachtet ist dieser lezte Gedanke nicht übertrieben [...]

Es folgt ein Gedankenstrich und der Satz: »man mus aber ein Leibnizianer sein«. Daß darin zweifellos eine Verlockung lag, verrät kurz darauf die tastende, deutlich nach Bestätigung suchende Frage: Geht nicht durch die ganze Schöpfung eine unermesliche Kette - wo die ersten und hintersten Glieder einander zum Erstau[n]en unänlich sehen, deren Änlichkeit und Verbindung aber nur der Vater aller Geister entdekken kan? (J I 46)

Im nächsten Abschnitt scheinen dann alle Vorbehalte vergessen zu sein. Unter dem programmatischen Titel >Wie sich der Mensch, das Tier, die Pflanz' und die noch geringem Wesen vervolkommen< wird der Gedanke der hierarchisch gegliederten, nach allen Seiten beziehungsvollen und jedem Ding seine Entelechie einschreibenden Seinsordnung weiter diskutiert. Ganz im Sinne von Leibniz' dynamisch-immaterieller Ontologie heißt es thetisch: Alles ist Sele - aber eine Sei' ist nur besser als die andre. Vom Menschen bis zum unförmlichen Kiesel herab herscht Vervolkomnung Seiner selbst. In ieder Minute seines Daseins leidet iedes Ding Veränderung - entweder es wirkt, oder es leidet. Durch beides wird's anders, als es vorher war - beides entfaltet seine Kräfte, strengt sie an - kurz vervolkomnet sie. (J I 47)

Nach dem Muster der >Monadologie< beschreibt Jean Paul die »Wunder der Schöpfung«, räsoniert über Präformation und Unsterblichkeit. Jedes Ding, jede Pflanze und jedes Lebewesen ist Substanz, Monade, Seele: »wenn Leibniz Recht hat«. Auch hier also die Einschränkung und taktierende Distanz, die aber wie oben ähnlich rasch zurückgenommen wird: In der Welt ist eins mit dem andern verbunden; in iedes wird gewirkt, oder wirkt selbst - und dies alles nicht umsonst. (J I 53)

Obwohl sich Jean Paul nicht entscheidet, scheint dennoch die Affirmation den Vorbehalt zu überwiegen. Noch die >Selina< wird nach der Wende zum sogenannten naturwissenschaftlichen Zeitalter den Gedanken der prinzipiellen Immaterialität des Seienden erproben: 150

was ist denn eigentlich die Materie, die wir stets dem Geiste entgegensetzen? (VI 1178)

Gut leibnizianisch schlägt Jean Paul vor, sie als »Kraft« zu betrachten: Gelangen wir nun zu dem Innern der Materie: so ist ihr Schein aufgelöst, in einen Kräfteverein; und da wir uns schlechterdings nichts Absolut-Totes denken können, und eine tote Kraft (nicht eine gehemmte) so viel ist als ein totes Leben und wir nur die geistige kennen: so wird uns die scheinbare Körperwelt zu einer lebendigen Unterseelenwelt, zu einem (Leibnizianischen) Monadensystem. Kurz alles ist Geist, nur verschiedner. Nur darin ist nicht der ganze Leibniz lebendig zitiert, daß er einer Seele oder Monade in seiner vorherbestimmten Harmonie die ganze Welt und Geschichte aus ihrem angebornen Knäul abwinden und zusammenweben läßt, ohne den kleinsten angesponnenen] Faden von außen; denn in der Wahrheit greift und drängt das ungeheure Seelenmeer wirkend ineinander, obwohl mit verschiedener Richtung und Einschränkung. (VI 1178f)

Der experimentelle Charakter solcher Überlegungen ist offenkundig; sie wollen nicht die Materie realiter spiritualisieren, sondern aus der starren Antithese herausführen. Nichts anderes leistet ja auch der Begriff des Lebens, den Jean Paul im wesentlichen von Jacobi und Herder bezogen und der ihm schließlich sogar eine Brücke zur Klassik geschlagen hat. Mit seiner Hilfe konnten Natur und Geist wieder als Einheit gedacht und einem neuen Verständnis des Organischen der Weg gebahnt werden. Experimente, denen gleichwohl nicht Unverbindlichkeit unterstellt werden darf, waren aber genau genommen auch die Denkübungen des jungen Jean Paul. Auch wenn er ihnen den systematischen Abschluß vorenthielt, bildeten sie doch das philosophische Gerüst seiner frühen Poetik und einen Gedankenfundus, aus dem noch die spätere schöpfte, am greifbarsten die Witz-Theorie. Aber auch anderswo finden sich Spuren. So ist beispielsweise die schon erwähnte Bemerkung aus dem § 3 der > Vorschulen daß es im Universum keine »Schein-Leichen« gäbe (V 38), ebenso wie der obige Abschnitt der >Selina< eine unmittelbare Variante des § 69 der >MonadologieÄhnlichkeit< bis zur >Vorschule< sich unverändert erhalten hat, sondern, was noch verblüffender erscheint, daß hier wie dort derselbe Wahrheitsbegriff vorausgesetzt wird, und zwar ein Begriff, der sich nur deshalb auf Zahlen, d. h. Quantitäten kaprizieren kann, ohne sich zu veräußern, weil er seiner metaphysischen Würde sicher ist. Vor diesem Hintergrund verwahrt sich noch die >LevanaVorschuleVorschule< nicht getilgt sind. Zumal der unbildliche oder Reflexionswitz erscheint davon betroffen. Hieß es in den >Übungen im D e n k e n c Eine Idee erwekt die andre, entweder als Grund und Folge, und umgekert oder als Teil des Ganzen und umgekert - oder endlich, weil beid' oft mit einander sind erwekt worden. (J I 78)

- so spricht die >Vorschule< davon, »daß eine Idee sich selber sich entgegensetzt«. Von ungefähr erscheint dem zu ewigem Fortschreiten gezwungenen Geist dieselbe Idee »als ihre eigne Widersacherin«, ihn durch Gleichheit nötigend, »einige Ähnlichkeit zwischen ihr selber auszukundschaften«. Nun wird erst einsichtig, warum Jean Paul den w i t zigen Zirkel< als die »wahre causa sui« begreift (V 179). Für ihn stellt 153

die Sprache ein Analogon dar zum mechanischen Weltmodell der Aufklärung: Welt und Sprache - so der ursprüngliche Entwurf, der später gründlich revidiert wurde - bilden jeweils ein rational durchkonstruiertes, reibungslos funktionierendes System, verbunden durch ein Gesetz, das sie beide gleichermaßen verpflichtet. Mechanisch produziert der Witz die weitläufigsten Assoziationen, kombiniert scheinbar blind äußerlich völlig isolierte Weltpartikel. In diesem und nicht etwa im Sinne bewußtloser Naturproduktion, wie es der Schellingsche Begriff später tat, definiert der junge Jean Paul das Genie: Gleich dem Amor, ist das Genie zwar geflügelt, aber auch blind.

(J I 500)

Daß dennoch Sinn und Zusammenhang entsteht, ist metaphysisch beschlossen, der Zufall kalkuliert. Dies vorausgesetzt, wird auch das so unzeitgemäße >Vorschulgelehrten Witz< und die unter den veränderten historischen Bedingungen befremdliche Utopie des Polyhistorismus zugänglich, das witzige Chaos möge sich als fruchtbar erweisen nicht bloß im Sinne der Kunst, sondern ganz konkret geschichtlich: Nämlich zuletzt muß die Erde ein Land werden, die Menschheit ein Volk, die Zeiten ein Stück Ewigkeit; das Meer der Kunst muß die Weltteile verbinden; und so kann die Kunst ein gewisses Vielwissen zumuten. (V 205)

Der Abstand zu den frühromantischen Chaosvorstellungen, auf den ich bei früherer Gelegenheit schon hingewiesen habe, wird hier vollends sichtbar. Als Bezugspunkt für das Ganze kann die Einzelheit Sinn für sich beanspruchen; sie braucht nicht für einen Zweck außerhalb ihrer selbst >vernichtet< zu werden. 29 Wohl spricht auch Jean Paul von Willkür, insonderheit mit Bezug auf den weiten allegorischen Spielraum des Witzes (vgl. V 189) und dessen unbegrenzte Allusionsfähigkeit (vgl. V § 55); doch gerade nicht im subjektivistischen Sinn. Willkür meint hier nur die kombinatorische Freiheit innerhalb eines Systems. Daß das »Korrespondenzmodell von Witz und Harmonie« als »abgeschwächtes Derivat von prästabilierter Harmonie und Kombinatorik« zu verstehen sei, gilt nicht bloß für den frühen Satiriker und seine einmalige Exzerptenenzyklopädik, 30 sondern rudimentär ebenso für den späteren Vorschulmeister. Gegen die erklärten Absichten und im 29

30

Mit diesen Thesen befinde ich mich in Gegensatz zu Wölfel und seiner Behauptung: »Wenn im witzigen Vergleichen die kombinierten Dinge untergehen, hinter den zwischen ihnen hergestellten Beziehungen verschwinden, dann ist die Bedingung dafür die Mißachtung ihres an sich bestehenden Eigen-Sinnes und -Wertes.« (Ein Echo, 295)

Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel, 211.

154

Widerspruch zu dem veränderten Selbstverständnis rumort die ihm durch ihre Vertreter längst obsolet gewordene Aufklärungspoetik auch noch in seiner Ästhetik. Anders jedenfalls wäre es nicht zu erklären, warum Jean Paul hartnäckig am Witz als heuristischem Prinzip festhält. Er betont es immer wieder: Der Witz erfindet, er entdeckt. In dem Zusammenhang sei noch einmal an die eigentümliche, für ihre Zeit ziemlich antiquierte Charakterisierung der Poesie als »Findkunst« (V 202) erinnert, ein Terminus, der unzweifelhaft in den Rahmen der älteren Poetik gehört und auch nur in diesem Kontext Bedeutung hat. Denn er bezieht sich auf einen Kunstbegriff, der das Werk in Analogie zur Schöpfung bringt und den Künstler als eine »kleine Gottheit« - »comme une petite divinite« 31 - betrachtet, die in ihrer »kleinen Welt« imitiert, »ce que Dieu fait dans le grand«. 32 Nach Leibniz ist die ganze Schöpfung ein grandioser Vergleich Gottes mit sich selbst,33 die einzelne Monade eine mehr oder weniger gelungene Nachahmung der göttlichen Vollkommenheit.34 Gott >vergleicht< die Substanzen, um sie einander anzumessen; und so der Witz. »Alles ist ihm gleich«, heißt es von ihm, »sobald es gleich und ähnlich wird« (V 201). Und an anderer Stelle: »Jede Unähnlichkeit erweckt die Tätigkeit« (V 176). Wie sich jetzt zeigt, nicht bloß aus Gründen der Logik, sondern aus metaphysischem Harmoniebedürfnis. Die Ungleichung provoziert. Darum schafft das witzige Gleichnis ein Entsprechungsverhältnis (vgl. V 187), wie es für diesen Begriff von Poesie grundsätzlich gilt: sie steht in einem Verweisungsverhältnis zur Schöpfung, ist altera natura. Den Witz ein »antispirituelles Vermögen« zu nennen, 35 gibt deshalb gerade vor diesem Hintergrund nicht nur keinen Sinn, sondern ist einfach falsch. Für das von Leibniz geprägte rationalistische Weltbild war der Gegensatz von Spirituellem und Nicht-Spirituellem gar nicht existent, und der Begriff der Nachahmung stand weit davon ab, wie ein derartiges Urteil indirekt zu verstehen gibt, eine minderwertige Sorte von Poesie zu meinen, bezog er sich doch allenfalls mittelbar auf empirische Realität im Sinne einer für sich bestehenden Objektenwelt. Natur war immer schon Vernunftnatur, und der Subjekt/Objekt-Konflikt entsprechend stillgestellt. Genausowenig wie der Gedanke bildete 31 32

33 34 35

Leibniz, Monadologie, § 83, 64. Leibniz, Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade, § 14, 20; vgl. § 147. Vgl. Leibniz, Monadologie, § 52. Vgl. Leibniz, Monadologie, § 48. Wölfel, Ein Echo, 291.

Theodizee

155

die Kunst einen Gegensatz zur Natur. Aufgrund der vollkommenen Ordnung, die sich in ihr spiegelte, hatte sie ohnehin eine natürliche Affinität zur Ästhetik. Noch erübrigte es sich, wie die klassizistische Kunsttheorie zwischen Natur- und Kunstschönheit zu unterscheiden. Die poetische Nachahmung bezog sich denn auch in erster Linie auf die vernünftige Ordnung des Kosmos. Das Übersinnliche war ihr so natürlich wie das Reale, in dem die Aufklärung lediglich einen abkünftigen Modus des Möglichen sah. An ihm bzw. dem Wahrscheinlichen orientierte sich ihr Poesiebegriff, dem daher ein ausgesprochen rationales Moment von Kalkül und Konstruktion, genauer: Rekonstruktion eignete. Dies hat der junge Jean Paul in dem ihm unauflöslich geltenden Zusammenhang von Gedächtnis und Einbildungskraft reflektiert. Dabei hat Gedächtnis noch einen völlig anderen Charakter als im späteren >Magieaufsatzars inveniendi< bzw. der >logica inventiva< hat. Die >Grönländischen Prozesse< kündigten außerdem eine »neue Logik« an, in der die einzelnen traditionellen Elemente neu definiert und die verschiedenen Schlußarten durch eine einzige, die metaphorische Rede, ersetzt werden sollten (vgl. J I 505). Obwohl ihnen die Zeit keineswegs günstig war, entwickelten diese Vorstellungen ein erstaunliches Beharrungsvermögen. Davon zeugen nicht nur die späteren Romanhelden Jean Pauls, die trotz des antiquierten Inhalts nach diesem Ideal modelliert sind.36 Das dokumentiert auch die >LevanaUnsichtbaren Loge< stammt. 37 Nach rund fünfzehn, ja 36 37

Vgl. Proß, Jean Pauls geschichtliche 16. Sektor, II 135.

Stellung,

192.

157

zwanzig Jahren, wenn man die zweite Auflage der >Levana< zugrundelegt, sah sich Jean Paul nicht bemüßigt, sich zeitgemäßeren Trends anzupassen und im Kern seiner >Erziehlehre< etwas zu ändern. Lediglich die Tatsache, daß er die größte Effektivität des Witzes in der Geschichte des Bewußtseins in eine Phase verlegt, die der Separation von Reflexion und Phantasie vorausliegt, darf als Indiz für eine neue Zeit gelten. 38 Der Aufklärung war dies noch kein Thema. >Inventio< hieß die sinnlich-anschauliche Darstellung eines Gedankens oder Begriffs; Phantasie beschränkte sich auf die kanonischen >figuraeVorschule< deutlich eine ästhetische Wertminderung erfahren hat, ist dieser Zusammenhang präsent geblieben. Jean Paul läßt keinen Zweifel daran, daß der Witz ursprünglich im Dienst der Allegorie gestanden hat. Denn der grundlegende Begriff des Programms - Personifikation bzw. die Theorie des >Leihens< meint nichts anderes als die allegorische Versinnlichung und Darstellung eines Sachverhalts durch gleichnishaften Verweis, der das Abstrakte nicht nur konkretisiert, sondern zugleich deutet und auslegt.40 Die Doppelfunktion des Witzes, einerseits zum Begriff Bild und Gestalt zu finden, andererseits unter den Konkreta durch Beziehungen das ihnen Gemeinsame aufzuspüren, charakterisierte seit je die Allegorie. »Die rechte Allegorie«, heißt es, »knüpft in den unbildlichen Witz den bildlichen« und »zwingt« umgekehrt den Geist durch das, was für ein einfaches Gleichnis »zu weit liegt« (V 189). Dank ihrer metaphysischen Absicherungen wird die Allegorie von derartigen Einschränkungen nicht betroffen, im Gegenteil; es erhöht sich der kombinatorische Reiz mit der wachsenden Differenz der Konstituentien. Mit allem Nachdruck hat der junge Jean Paul die »weithergeholte[n] Ver38

Vgl. >LevanaGrönländischen Prozesse< jedenfalls war das Vertrauen in die unbegrenzte Tauschbarkeit der Erscheinungen intakt; die Welt ließ sich gar nicht ausschöpfen in ihren Entsprechungen. Der Erfindungsgeist eines Autors bewährte sich gerade daran, den Spannungsbogen so weit wie möglich zu dehnen. Nur der ausschweifende, zuweilen auch bizarre Witz schuf wirklich Vergnügen, indem er das Widerstrebende zusammenspannte. Und dazu bedurfte es einer entsprechend großzügig ausgelegten Lizenz, die Jean Paul aus der traditionellen Formel ableitete: Die Amtspflicht des Wizes ist wie bekant entfernte Ideen gleichsam durch Kanäle zu verbinden; aber Entfernung findet in einem spannenlangen Gebiete nicht stat [ . . . ] (J I 477) 41

Für Jean Pauls angekündigte »Metaphernlogik«, aus der er eine Probe eine Allegorie der Allegorie - zum besten gibt, liegt daher in der Distanzierung das grundlegende Prinzip: »Ein Sorites ist eine Reihe von solchen Ähnlichkeiten, mit deren Anzahl man füglich ihre Entfernung wachsen läst. Eine solche Allegorie - so hätten die Alten den Sorites nennen sollen - gleicht einem sogenanten trojanischen und nur auf die römischen Tafeln ganz aufgetragnen, wilden Schwein, in welches man kleinere Thiere verbarg, in die man noch kleinere verbarg, bis endlich eine Nachtigal die Konklusion des wolschmekkenden Sorites machte.« (J I 505)

Hier wird Jean Pauls Allegorienbegriff nicht bloß definiert, sondern in aller Anschaulichkeit demonstriert. In der Regel sind die frühen Texte nach diesem Muster aufgebaut: eine sich gleichsam selbst fortpflanzende Reihe, in der aus jedem Gleichnis ein neues schlüpft, eines das andere erzeugend. Damit hängt zusammen, daß Jean Pauls Allegorien gewissermaßen immer unterwegs sind; sie kommen niemals wirklich ans Ziel, es sei denn, was praktisch undenkbar ist, das Netz der Korrespondenzen könnte zu Ende geknüpft werden. Doch die Welt selbst ist auf dem unendlichen Weg zur Vollkommenheit, und so lange dies der Fall ist, gibt es statt Identität immer wieder Neues zum Vergleich. Deshalb bleibt dem allegorischen Erfinden der Schlußpunkt, willkürlich gesetzt, äußerlich; er bringt es nur momentan zur Ruhe. Diese Beweglichkeit, halsbrecherisch, zuweilen krude, am Rande der Gewalt41

Hervorhebung von mir.

159

tätigkeit gegenüber dem oft spröden Material, ist zum charakteristischen Merkmal Jean Paulscher Prosa geworden, schließlich auch zum Motor seiner spezifischen Phantasie. Neben konventionelleren Stücken - etwa im >Lob der DumheitGrönländischen ProzesseÜber die Schriftsteileren, kommt Jean Paul u. a. auf den Autorenstolz und dessen Berechtigung zu sprechen (J I 397-401). Dafür werden die verschiedensten Argumente aufgeboten, darunter das der Unwissenheit »der iezigen Skribenten, die der Nachwelt noch laute Bewunderung abnöthigen wird«. Charakteristischerweise werden aber die Argumente nicht direkt vorgetragen, sondern indirekt, durch den Vergleich. So erscheint ζ. B. gleich die erste Behauptung, daß »grosse Köpfe ihren Trieb nach Ideen durch Aufgeblasenheit zufrieden zu stellen [wissen]« vor der Folie eines in seiner Aktivität entgegengesetzten, gleichwohl aber parallelen Vorgangs, dem Umstand nämlich, daß »durch Einzwängung des Bauches [...] einige den Stachel des Hungers [stumpfen]« (J I 397). In dem Vorsatz, so liest man weiter, »nichts zu lernen«, lesen besagte Autoren ausschließlich ihre eigenen Schriften. Vergleichbares kennt schon die Tierwelt: »so tränkt sich die Kamelziege mit ihrem eignen Speichel, so frist der Straus seine Exkremente«. Damit nicht genug; die Unwissenheit zu vervollkommnen, tun jene Autoren ein übriges: Wie die Richter Diebe und Arme wahllos bestehlen oder manche Juristen ihre Kenntnisse den Akten statt dem Lehrbuch entnehmen, so beziehen sie ihr Wissen durch geistige Anleihen aus Büchern und Zeitungen, im Notfall sogar aus Wörterbüchern, und gleichen damit jener Klapperschlange, die »eine Wasserraze bei dem Schwänze zu fressen« anfing. Da ihnen klar ist, daß die Dummheit »wie der Wiesenfuchsschwanz, in sumpfigen Örtern am besten gedeiht«, wird sie fleißig mit Tränen befruchtet. Die Frage schließlich nach dem Zweck so sorgfältig gepflogener Ignoranz weist abermals und noch entschiedener ins Naturreich, zu dem hier auch die Menschheitsgeschichte zählt. Jede Begründung wird sorgfältig mit detaillierten Beobachtungen belegt. Ζ. B. enthält sich das Genie bewußt jeder geistigen Nahrung nach dem Vorbild der Sparter, deren Kinder desto größer wurden, »ie weniger ihre Eltern ihnen zu essen gaben«. Genügsam wartet es darauf, daß es sich von selbst entfalte, so wie man »an einigen Orten die nächtlichen Laternen nicht an[zündet], weil man auf das Aufgehen des Mondes harret«, auch wenn dies oft bis Tagesanbruch dauern sollte. Für die 160

Richtigkeit des Verzichts auf profunde Gelehrsamkeit »zum Besten der Nachwelt« (J I 398) spricht außerdem das Beispiel von Ochse und Pferd: So verbessert ein Ochs die Weide, indem sie ein Pferd verschlechtert. Denn dieses mähet sein Futter bis an die Wurzel hinweg, da iener, vermöge seines Mauls, nur die obersten Spizen des Grases frisset. (J I 399)

Weideland und Gelehrsamkeit sind sich also darin gleich, daß nur die Dummheit sie schont. Wie nämlich der Gaul Raubbau treibt, so auch »immerwährendes Forschen« (J I 398), da es notgedrungen die Quellen der Wahrheit erschöpfen muß. Ein anderer Grund dieser Askese liegt in der schwerwiegenden Befürchtung, womöglich dem »Pöbel« gleich zu werden, der neuerdings selbst zum Wissen drängt. Darum machen die Autoren es wie die mexikanischen Mönche, die sich in der weihnachtlichen Mitternachtsmesse in Teufel und die Laien in Engel verkleiden; sie machen es wie die Schnecken, die ihren Verstand durch Gefühl ersetzen, weil ihnen das »die Aufspürung der Wahrheit in dunkeln Örtern« erleichtert; oder machen es wie die Kraniche, deren Schnäbel mit »Fühlspizen« begabt sind, »damit sie ihre Nahrung im Schlamme leichter finden«. Um besser zu sehen, drücken sie ihr Auge zu, wie der Stutzer, der »mit halbgeschlossenem Auge den Gegenstand seiner Affektazion anblinzelt«. Und so weiter, quer durch die Welt der Erscheinungen und Kuriosa. Die Parallelen reichen vom musikliebenden Blindenorden in Japan bis zur Lyrik der Zeitgenossen; von den Vers- bis zu den Lnsektenfüßen; dem verstümmelten Silbenmaß bis zu den abgehackten Beinen der Gäste des Prokrustes; den Flöten aus Eselsknochen bis zur »gedankenlosen Harmonie« (J I 399) der neuesten Dichter - vom Schlage des >SiegwartDefinition< Jean Pauls entspricht. Kaum einmal gibt er sich mit einer einzigen Metapher zufrieden, sondern generiert aus jedem Gedanken eine ganze Kette. Natürlich entspricht diese Art der Allegorie nicht mehr den strengen Konventionen christlich-mittelalterlicher oder barocker Literatur; das Zuordnungsverhältnis von Bild und Begriff hat sich erheblich gelockert, das Repertoire allegorischer Bilder 161

seine kanonische Verbindlichkeit weitgehend eingebüßt zugunsten des freien Assoziationsspiels. Eigentlich gehört nur noch die in persona auftretende Dummheit unmittelbar ins Reich allegorischer Figuren. Jedoch ändert das nichts daran, daß Jean Pauls poetisches Verfahren zu Recht allegorisch genannt werden kann, und dies, wie gesagt, nicht einmal nur mit Bezug auf das frühe Satirenwerk, sondern, mit Einschränkungen, auch auf die späteren Texte. Immer wieder läßt sich nämlich beobachten, wie sich die frühe grundlegende Technik der Allegorisierung durchsetzt, beispielsweise in einer Passage wie der folgenden aus dem >KatzenbergerGleichheit< als Bedingung des Vergleichbaren vorausgesetzt wird. Meist geschieht dies so unauffällig, daß man dessen kaum gewahr wird, wie etwa in dem folgenden Satz: Nun liefen vier Menschen wie vier Akte immer näher in dem Brennpunkt eines fünften zusammen. (VI 229)

162

Man könnte dies als bloß formales Überbleibsel einer jahrelang geübten Technik deuten, enthielte nicht der obige Text einen methodischen Hinweis, der das poetische Verfahren im Sinne der Aufklärungspoetik selbst interpretiert: aus den diversen Vergleichen sollte Theodas Verhalten >abgeleitetornatus< erfüllt sah, sondern ganz wesentlich in ihrer instrumentellen Verwendbarkeit als Mittel der Beweisführung. 42 Die argumentative Bedeutung der Allegorie rangierte daher deutlich vor ihrer ästhetischen. In erster Linie galt die Sache, die sie vertrat, und erst in zweiter, wie dies geschah, d. h. ob sie auf angenehme und ergötzliche Weise vorgetragen wurde. Allein durch ihre Sachhaltigkeit legitimierte sich der Scheincharakter der Dichtung. Es ist keine Frage, daß Jean Pauls frühe Texte diesem Prinzip gehorchen. Besonders eindrucksvoll zeigt dies die zitierte Passage aus den >Grönländischen ProzessenLevana< wieder wie selbstverständlich im Vokabular der leibnizschen Philosophie: Da kein Endliches die unendliche Idealität wiederholen, sondern nur eingeschränkt zu Teilen zurückspiegeln kann: so dürfen solche Teile unendlich verschiedene sein; weder der Tautropfe, noch der Spiegel, noch das Meer gibt die Sonne in ihrer Größe, aber alle geben sie rund und licht zurück. (V 563) 42

43 44

Vgl. Hans-Peter Herrmann: Naturnachahmung und Einbildungskraft. Zur Entwicklung der deutschen Poetik von 1670 bis 1740. Hamburg/Berlin/Zürich 1970, 69. Bloch, Über Gleichnis, 146. Bloch, ebd.

163

An der philosophischen Herkunft dieser Formulierungen, die indirekt noch einmal die Poetik des Witzes rechtfertigen, kann kein Zweifel bestehen. Sie ist auch da präsent, wo Jean Paul in der >Vorschule< die Allegorie in doppelter Hinsicht »voraussetzend« nennt (V 205): in bezug auf die Vernunft und in bezug auf die Natur. Die Allegorie setzt den Begriff und seine prinzipielle sinnliche Darstellbarkeit voraus, umgekehrt aber auch den universalen Zeichencharakter der Natur, der es erlaubt, die ganze Fülle der Erfahrung auf die Natur zu applizieren und zugleich als wahr zu bestätigen.45 Zu Recht wurde das Verfahren von Jean Pauls allegorischen Jugendsatiren deduktiv genannt,46 insofern sie den metaphysisch legitimierten moralischen Anspruch der Theodizee, modifiziert durch den Fortschrittsgedanken der Aufklärung, daß die Welt wohl noch nicht die beste aller denkbaren sei, aber gewiß sich dahin entwickle, mit der geschichtlichen Wirklichkeit konfrontieren. Die Sicherung ihrer Argumentation liegt darin, daß Moral- und Naturgesetz zwar nicht identisch, aber doch einander analog sind wie die sekundäre Schöpfung des Poetischen der primären Gottes. Daher die Eindeutigkeit der Allegorie - und der allegorischen Satire - im Gegensatz zur Vieldeutigkeit des bloßen Gleichnisses. Dieses Umstands war sich Jean Paul bewußt, da er ihn als die Grenzlinie angibt, an der sich die beiden Formen des Vergleichs deutlich scheiden (vgl. V 205). Der Unterschied zu späteren, insbesondere satirischen Texten, läßt sich anhand eines Beispiels rasch darlegen. Wenn es von Siebenkäs heißt, er habe sich in den guten, alten Großvaterstuhl »hineingesetzt und auf dessen gepolsterten Arme seine magern hingestreckt« (II 38), so ist das ein Gleichnis, in dem es weder eine eindeutige Perspektive, noch die für die Allegorie charakteristische Hierarchie von Begriff und sinnlicher Konkretion gibt. Hier wird nichts bewiesen, nichts begründet. Vielmehr ist die Konstellation in der Schwebe gehalten, da zwischen den beiden Vergleichsgliedern Egalität besteht, freilich nicht mehr von der Art metaphysisch gesicherter Gleichheit. Zwar spielen auch hier Kontrast und Identität spannungsvoll ineinander, doch beides nicht mehr mit Selbstverständlichkeit. Höllerer, der das Beispiel seiner für Jean Pauls Prosa exemplarischen Bedeutung wegen ebenfalls zitiert,47 meint sehr treffend, daß dieses Gleichnis wie so oft bei ihm »in die Grenzwelt von Dingen« führt, »die menschliche Qualitäten, menschliches Arom angenommen haben, und von menschlichen Glie45

46 47

Vgl. Burkhardt Lindner: Satire und Allegorie in Jean Pauls Werk. Zur Konstitution des Allegorischen. In: JbJPG 5, München 1970, 7-61. Vgl. Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel, 17Iff. Im Nachwort zum 6. Band der Hanser-Ausgabe, VI 1339.

164

dern, denen die Sache, die sie nach dem kleinen Sprung des Todes sein werden, in diesem Vergleichs-Augenblick deutlich anzusehen ist« (VI 1340). Nicht Vertrauen, sondern Unruhe und Erschrecken erwächst aus dieser Art von Auswechselbarkeit, bei der sich Belebtes und Unbelebtes so beängstigend nahekommen. Statt daß die Tauschbarkeit der Dinge wie sonst die satirische Argumentation stützt, indem sie den Standpunkt, von dem aus der Angriff erfolgt, als Norm rechtfertigt, wird sie hier selbst zum Motiv und Gegenstand der Satire. Der Grund ist die Erkenntnis, daß die Harmonie keineswegs prästabiliert, sondern höchst instabil ist; daß nicht sie, sondern in Wirklichkeit das Geld die Dinge vermittelt. Dieser Zusammenhang wird von Siebenkäs ausdrücklich hergestellt: 48 Viele von den Stühlen wurden im Frühjahr um vierthalbes Geld erstanden, und sind solche vielleicht niedlich.- Aber mein alter guter Großvaterstuhl [ . . . ] geht den Stühlen vielleicht im Großvatertanz voran; wie sie so sanft ruhen Arm auf Arm. (II 38)

In der Tat läßt der >Tanz< nicht lange auf sich warten und zerstört die friedvolle Allianz. Nachdem ihn ein mächtiger Verwandter um seine Erbschaft gebracht hat, bleibt dem Armenadvokaten aus barer Überlebensnot nichts anderes übrig, als Stück um Stück seiner Einrichtung »forttanzen« (II 191) zu lassen, nämlich unmetaphorisch gesprochen ins Pfandhaus zu tragen. In regelmäßigen Abständen setzt Siebenkäs sein »Versilbergesicht« (II 190) auf, um seine wenigen Habseligkeiten zu befühlen und zu schätzen »wie ein Fleischbeschauer« (II 192). Auch hier erweist sich die Präzision der Metaphorik: nach wie vor sind die Dinge im Vergleich austauschbar, Silber bedeutet Fleisch, doch hat sich das ehemalige Verhältnis gegenseitiger Stellvertretung einseitig in fatale Abhängigkeit gewandelt; es ist nicht mehr einfach umkehrbar. Die »alchemische Verwandlung« (II 203) vollzieht sich nur noch in einer Richtung. Das Gleichgewicht ist empfindlich gestört. Wo einst »Arm auf Arm« ruhte, hat sich, nachdem schließlich auch der alte Großvaterstuhl »im ganzen losgeschlagen« (II 202) worden ist, die Lage derart zugespitzt, daß man »vom Sessel leben« (II 203) muß. Zu dieser komprimierten Formel ist der einstige Vergleich geschrumpft, das Äußerste an Vergleichbarem in dem Moment festhaltend, da der eine Teil den anderen vernichtet und das ursprüngliche Gleichnis zerfällt. 48

Ähnlich in den >Flegeljahren< (1. Bändchen Nr. 37. Rosenholz), wo es Jean Paul gelingt, eigentliche und uneigentliche Rede in unlösbarer Ambivalenz und auf die denkbar kürzeste Weise auszusagen: »Die Musikanten schweigen, von dem Spielteller das Silber speisend, der umgelaufen war.« (II 712)

165

Ästhetisch reflektiert sich darin der Zusammenbruch der Theodizee. Zerstört ist das System universaler Repräsentation, in dem der Zufall aufgewogen war durch den Einheitsgrund aller Dinge. Nun ist er bloßgelegt in seiner Unberechenbarkeit. Weder die Hierarchie der Erscheinungen ist gesichert, da die Ordnung sich in jedem Augenblick verkehren, der Geist in materielle Abhängigkeit geraten kann; noch ist auf das Gleiche Verlaß: unvermittelt entpuppt es sich als Schein. Statt Harmonie herrscht der Kampf zwischen den nunmehr isolierten Dingen. In der Entwicklung von Jean Pauls Witz-Begriff und der ihm entsprechenden Metapherntechnik dokumentiert dieses Beispiel eine Art Übergang, der sich als fortschreitende Subjektivierung des Allegorischen beschreiben läßt, wobei unerheblich bleibt, daß sich das historisch Ungleichzeitige in ein und demselben Text künftig zusammenfindet. Global von der Ablösung der Allegorie durch das Symbol zu sprechen, was durch Jean Pauls Zeitgenossenschaft mit der Weimarer Klassik naheläge, erscheint jedoch nicht nur aus diesem Grund, sondern viel mehr noch angesichts der unausgestandenen Diskussion dieser Fragen allzu problematisch, es sei denn, wie ich noch begründen werde, in dem speziellen und systematisch legitimierten Sinn der kantischen Ästhetik. Obgleich gerade sie letzten Endes folgenreiche Ansätze für die Theorie einer symbolischen Dichtung geboten hat, ziehe ich es im Falle Jean Pauls vor, mit Lindner von einem allegorischen Problemzusammenhang zu reden, 49 was die Sache um so eher trifft, als sie sich in dieser Form, als Zusammenhang, in der >Vorschule< noch zu erkennen gibt. Deren Eigentümlichkeit beruht gerade darauf, daß sie den geschichtlichen Konnex nicht zerreißt, sondern in ihn verstrickt bleibt. Will man aber um der historischen wie sachlichen Differenz willen polarisieren, so steht am einen Ende die witzige Allegorie mit ihrem klaren Zuordnungsgefüge, am anderen das schillernde, in seinen impliziten Bezügen weitaus vieldeutigere witzige Gleichnis, das nahezu beliebig mit Bedeutung aufgeladen und schließlich - dann allerdings wieder mit eindeutiger Orientierung - im Akt witzigen Beseelens zum Mittel der Transzendenz gemacht werden kann. Dies verlangt aber nicht nur eine andere Form der Metaphorik, sondern basiert auf konsequenzenreichen Voraussetzungen sozialgeschichtlich-politischer, philosophischer und ästhetischer Art. Ausgehend vom letzten Punkt 50 sei diese Behauptung wiederum zunächst an einem Beispiel illustriert. 49 50

Lindner, Satire und Allegorie, 36. Über die allgemeinen sowie literatursoziologischen Bedingungen, die Jean Pauls Werk zutiefst bestimmt haben, liegt mit der Dissertation von Burkhardt Lindner, Jean Paul, eine einläßliche Studie vor. Danach steht der Übergang vom frühen Satirenschreiben zum späteren Erzählwerk in Zusammenhang mit einem gesamtgesellschaftlichen, als Reaktion auf die gescheiterte Franzö-

166

b) Genialer Witz Um aus Anschauungsgründen die motivische Kontinuität zu wahren, wähle ich einen Passus aus dem >Hesperusso - wieMachensZeugung< im Sinne der einmaligen, schöpferischen Tat.51

51

sische Revolution zu begreifenden >KommunikationsbruchHesperusstimmt< - in diesem Fall der Hofgesellschaft mit einem Zoo, der die sonderbaren Launen der Natur versammelt -, bürgt allein der, der ihn geschaffen; jeder weitere Hinweis auf das Zeugnis von Fakten erübrigt sich von selbst. Der Autor steht für die Authentizität seines Produkts. Daraus leiten sich weitreichende Konsequenzen ab nicht nur für die Poesie, sondern ebensowohl für die Poetik. Denn das zweite, was an diesem Text exemplarisch gezeigt werden kann, ist die gegenüber dem Frühwerk grundlegend andere Präsentationsform, die sich nach neueren Untersuchungen über die Auktorialisierung des satirischen Diskurses und die ihm entsprechende Autorrolle - des Satirikers - spätestens mit den >Teufelspapieren< und der in ihrer Prototypik für den künftigen Romanerzähler schon weitgehend ausgeprägten Hasus-Figur herausgebildet hat.52 Dieser Vorgang schuf die Voraussetzung dafür, nun auf der Ebene des Romans, der inhaltlich und formal einen weitaus größeren Spielraum bot, erneut Heterogenstes zusammenzuzwingen und damit jenen für Jean Paul bezeichnenden Romantypus zu schaffen, der nach den Kategorien der >Vorschule< zur »deutschen Schule< zählt (vgl. V § 72). An die Stelle des »zureichenden GrundesJean Paul< getreten.53 Er allein stellt Vergleiche an, befindet über den Grad der Ähnlichkeit, setzt Figuren in Szene, hält - wie im obigen Beispiel einen Zeusel zurück, der ihm während des als gegenwärtig fingierten Schreibaktes ins Bild laufen will. Er als Autor, der angeblich auf der 52

Vgl. das erwähnte Buch von Lindner, Jean Paul, dessen Thesen zu diesem Thema in einem eigenen Aufsatz mit dem Titel: Jean Paul als J. P. F. Hasus. Verinnerlichung der Aufklärungssatire und auktoriale Selbstdarstellung im Frühwerk. In: Uwe Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 411-450, veröffentlicht worden sind. "Lindner, Jean Paul, bes. 139ff. Der Terminus »Generalautor« stammt aus der Arbeit von Walther Rehm, Jean Pauls vergnügtes Notenleben oder Notenmacher und Notenleser.

168

bloß literarisch existenten - Insel St. Johannis sitzt, um aus dem ihm in Abständen durch einen Hund zugetragenen Stoff eine Biographie zu machen, verarbeitet das Material ausschließlich nach eigenem Gutdünken, inszeniert ζ. B. mitten im Romankapitel eine kleine Komödie, in die er zudem noch ein satirisches Extrablättchen über die »größere Freiheit in Despotien« einflicht, eine Satire, durch deren witzige Variationen im übrigen noch der traditionelle allegorische Vergleich des Staates mit einem beseelten Körper, wie ihn Jean Paul im >Lob der Dumheit< ironisch eingesetzt hatte, greifbar hindurchschimmert. Weniger an der Satire selbst, die hier ein in sich geschlossenes, in hohem Maße selbständiges Stück darstellt, als an dem Rahmen, der sie zum übrigen Text vermittelt, läßt sich der Subjektivierungsprozeß ablesen, dem die poetische Allegorese ausgesetzt war. Bestes Indiz dafür ist unbeschadet seiner selbstironischen Züge der ausdrückliche Hinweis, daß die Satire als Lückenbüßer eingesetzt wird, weil der traktierte Stoff im Moment nichts mehr hergibt: Da wahrlich jetzt der erhabne Akt [der Benefizkomödie] aus wäre, wenn ich nichts sagte: so wird mir doch nach vielen Wochen einmal erlaubt sein, ein Extra-Blättchen zu erbetteln und anzuhenken und darin etwas zu sagen.

(I 638f) Aus solch geschäftig-produktiver Verlegenheit läßt sich nur der Schluß ziehen, daß offenbar die Deutung der Welt einschränkungslos ins subjektive Belieben gestellt ist. Das veränderte, sich derart manipulativ im Text dokumentierende Selbstverständnis des Autors läßt aber weiterhin nicht bloß Rückschlüsse auf einschneidende Veränderungen im außerliterarischen Beziehungsgefüge zum Leser und Publikum zu, sondern ebenso auf eine neue Definition und Funktionsbestimmung der Literatur. Unter diesem Aspekt der Neuorientierung und Anpassung an die allgemeine Entwicklung, die zum Begriff der Literatur als Kunst in dem esoterischemphatischen, ihren ehemaligen Gebrauchscharakter entschieden abwehrenden Sinn führte, muß die >Vorschule< gesehen werden. An ihr ist der Weg noch abzulesen, auf dem die ästhetische Praxis schließlich der Theorie subordiniert wurde. Als spannungsvolle Nahtstelle zweier Kunstauffassungen hat das Witz-Programm einen Sonderstatus, der es weder dem ersten - theoretischen - noch dem zweiten - praktischen Teil eindeutig zuordnet, ein Umstand, der in der Forschung zu kontroversen Beurteilungen geführt hat. Nach Berend, der Jean Pauls WitzBegriff ausschließlich als Seelenvermögen interpretiert, stünde das Kapitel besser im allgemeinen Teil,54 während Schweikert unter dem Ge54

Vgl. Berend, Jean Pauls Ästhetik,

185.

169

sichtspunkt, daß es sich hierbei lediglich um technische Fragen des witzigen Schreibens handelt, an der Programmfolge keinen Anstoß nimmt.5S Grund solcher Divergenzen ist, daß sich in diesem Kapitel, am Leitbegriff des Genies, der Umbruch vollzog. Bedeutete der Witz »sonst das ganze Genie« (V 171), so war sich Jean Paul zur Zeit der >Vorschule< völlig im klaren darüber, daß der Begriff in seiner traditionellen Bestimmung diesem Anspruch nicht mehr genügte. Nachdem die kantische Vernunftkritik das metaphysische Weltbild der Aufklärung zerstört und die ausgewogene Subjekt-Objekt-Relation zugunsten des Subjekts verschoben hatte, mußte auch dessen künstlerische Produktivität in einem neuen Licht erscheinen. Mit dem Augenblick, da die Wirklichkeit eine Funktion des Subjekts geworden war, war automatisch der Begriff der Nachahmung gegenstandslos geworden. Das analogisierende Vermögen des Witzes konnte allenfalls noch von sekundärer Bedeutung sein; substantiell jedenfalls trug es zu einer seriösen, wissenschaftlich gesicherten Erkenntnis nichts mehr bei. Ästhetisch wurde der Witz zur literarischen Spielmarke ohne Wahrheitsanspruch; er sank zur Technik herab. Für das neu entstandene Problembewußtsein war dieser Schritt nur konsequent. Unter anderen Auspizien, in anderer Gestalt zwar, aber doch dem Prinzip nach war schärfer denn je der Descartessche Dualismus wieder aufgebrochen, und umso angestrengter, weil sich nun kein philosophischer Weg zur Lösung mehr anbot, wurde die Kunst mit ihrem spezifischen Gegenstandsbezug und der ihr eigenen Art von Wirklichkeit zum Bereich der Hoffnungen stilisiert. In ihr, dem Genieprodukt, sollte die allen Naturgesetzen widersprechende Vermittlung von Notwendigkeit und Freiheit geleistet werden, sollte Freiheit paradigmatisch sich verwirklichen. So ablehnend sich Jean Paul dem erkenntnistheoretischen Subjektivismus gegenüber auch zeigte, so wenig konnte er sich doch der neueren Kunstauffassung entziehen, die durch Winckelmann, Herder und die Bewegung des Sturms und Drangs vorbereitet, schließlich durch Kant ihr theoretisches Fundament erhielt. Ohne die >Kritik der Urteilskraft< ist weder die Genielehre der >VorschuleMagieaufsatzes< denkbar, wobei die Übereinstimmungen, wie sich bei einem Gang durch die einschlägigen Paragraphen sehr rasch erweisen wird, trotz der unterschiedlichen Akzentuierungen, keineswegs bloß formaler Natur sind. Genausowenig - das muß vorab gleichfalls gesagt werden - wie die terminologischen Eigenheiten Jean 55

Vgl. Uwe Schweikert, Jean Paul (Stuttgart 1970), 48.

170

Pauls, die sich im Gegensatz etwa zu Schillers Sprachgebrauch dem kantischen Jargon dezidiert verweigern. U. a. liegt das darin begründet, daß das in ihnen sedimentierte historische Bewußtsein nicht einfach preisgegeben, sondern auf komplizierte Weise umgearbeitet wird, wobei sich Jean Paul die an gewissen Punkten in der Geschichte auftretende Disponibilität der Begriffe, gewisse Bedeutungsunschärfen, die sie vom Rande her auflockern, zunutze macht. Aufs Ganze gesehen halten sich Assimilation und Abwehr der Genieästhetik, soweit sie sich von Kant herschreibt, wohl die Waage. Ob allerdings »Unverbindlichkeit« - ein Urteil, das Szondi nicht von vornherein pejorativ verstanden wissen will und das sich freilich auf eine oberflächliche Betrachtung der zahlreichen begrifflichen Gegensatzpaare der >Vorschule< stützt - Jean Pauls »Stellung zwischen den Fronten« der zeitgenössischen Parteiungen richtig kategorisiert, ist, auch wenn daselbst das Wort vom Äquilibrieren fällt (vgl. V 57), noch sehr die Frage.56 Grundsätzlich muß bezweifelt werden, ob sie sich im Abwägen von Nomenklaturen überhaupt beantworten läßt. »Vielkräftigkeit«, der das Genie-Programm der >Vorschule< einleitende Begriff, wiederholt indirekt Kants Unterscheidung zwischen der Kunst des Genies und Kunst im Sinne technischer Fertigkeit, zwischen >creatio< und >techneKritik der Urteilskräfte, bes. §§ 10-17.

171

der ausschließlich auf dem Weg rein theoretischer, noch rein praktischer Synthesis. Auf diesem Boden steht auch Jean Paul mit seiner wesentlichen Bestimmung des Genies, denn erst im Kontext solcher Vorstellungen wurde die Unterscheidung von Talent und Genie, der die >Vorschule< ein relativ großes Gewicht beimißt, überhaupt belangvoll. Wo das Talent sich innerhalb des Kommensurablen bewegt, zwar Überdurchschnittliches hervorbringt, aber eben doch nur im Grade sich vom Mittelmaß abhebt, da ist das Genie das wahrhaft Exzeptionelle und Einmalige. Das Talent ist einseitig begabt, das Genie gebietet über sämtliche Möglichkeiten: Nur das einseitige Talent gibt wie eine Klaviersaite unter dem Hammerschlage einen Ton; aber das Genie gleicht einer Windharfen-Saite; eine und dieselbe spielet sich selber zu mannigfachem Tönen vor dem mannigfachen Anwehen. Im Genius [...] stehen alle Kräfte auf einmal in Blüte; und die Phantasie ist darin nicht die Blume, sondern die Blumengöttin, welche die zusammenstäubenden Blumenkelche für neue Mischungen ordnet, gleichsam die Kraft voll Kräfte. (V 56)

In der schon bekannten sanften Blumenmetaphorik werden die Talentprodukte als »poetische Blumenblätter« abqualifiziert, »die gleich den botanischen bloß durch das Zusammenziehen der Stengelblätter entstehen«. Anders gesagt: »Das Talent hat nichts Vortreffliches, als was nachahmlich ist«. Das bedeutet umgekehrt, daß es kaum eine Einzelleistung gibt, die nicht auch das Talent erreichen könnte, nur »das Ganze nicht« (V51). Das Ganze ist das Geheimnis des Genies, jedenfalls mehr als die Summe aller Talente, wie aus dem folgenden Gleichnis zu entnehmen ist: Dieses sind die Menschen von Talent, deren Inneres eine Aristokratie oder Monarchie ist, so wie das genialische eine theokratische Republik. (V 50)

Der Vergleich zeigt präzise an, wie das Genie letzten Endes verstanden wird: nämlich als göttlich oder doch gottähnlich. Darum die Rede vom »heiligen Geist«, der jeden Regelkanon als Nötigung empfinden und den im »niederen Seelenvermögen< anzusiedeln, wie es die Aufklärung getan hatte, als »Sünde« erscheinen muß (V56). Was das Genie vor dem Normalmaß auszeichnet, ist neben dem göttlichen Instinkt (vgl. V§§ 13/14) seine »göttliche Besonnenheit« (vgl. V § 12). Besonnenheit ist bereits oben als dasjenige Vermögen vorgestellt worden, das die prekäre Balance zwischen Subjekt und Objekt schaffen und erhalten soll. Es ist die fundamentale Voraussetzung der Genieproduktion. Auch wenn Jean Pauls Kunstauffassung im Grundsatz nicht damit übereinkommen wird, sondern die entschiedene Gegen172

position darstellt, so assoziiert dieser Begriff doch das kantische Paradox des interesselosen WohlgefallensKritik der Urteilsk r a f t den eigentümlichen Gegenstandscharakter des Schönen beschrieben hat. Dieser zeichnet sich dadurch aus, daß er die unbewußte, Gesetze entwerfende Produktivität des Subjekts im Vorfeld des Erkenntnisakts aussetzt und mittels seiner Andersartigkeit den geheimen ontologischen Charakter auch der selbstkritischen Vernunft explizit macht. Gegenständlichkeit überhaupt erwies sich nach der kopernikanischen Wende in der Philosophie prinzipiell als subjektbedingt. Sollte nun aber Freiheit realiter statthaben, mußte sich ein grundsätzlich herrschaftsfreies Verhältnis von Subjekt und Objekt herstellen lassen. Kant glaubte dies erreicht in den formalen Bedingungen des ästhetischen Urteils: dem freien Spiel der Erkenntniskräfte, einer Art subjektiver, lustvoller Gestimmtheit, zu der sich die verschiedenen Seelenvermögen zusammenfinden. Weder motiviert dieser Zustand zu einseitigem logischem Zugriff, noch ist er von praktischem Interesse oder Bedürfnis bestimmt. Reines, uninteressiertes Wohlgefallen prägt das Verhältnis zum schönen Objekt. Trotz seiner im höchsten Grade kontemplativen Züge wohnt dem eine besondere Dynamik inne.58 Im freien gegenseitigen Gewährenlassen wird die einseitige Polarität zum beziehungsvollen Geschehen, bei dem das Subjekt, seiner Besitzansprüche bar, frei vom Imperativischen Soll, seiner selbst inne wird durch ein gesteigertes Selbstgefühl und auf der anderen Seite das Objekt des Wohlgefallens in seiner Präsenz unangetastet bleibt. Dies Moment der Objektivität, das sich gegen die allgemeine Subjektivierungstendenz in Kants Ästhetik dialektisch durchsetzt, muß gegen den herrschenden Trend der Kantexegese und speziell mit Blick auf Jean Pauls noch zu explizierenden und vor diesem Hintergrund weit subjektivistischer erscheinenden Romantikbegriff betont werden. Verinnerlichung, das zumindest wird daran erkennbar, ist für die Beurteilung Kants keine eindeutige Kategorie. Auf ambivalente Weise verschränken sich im Kunstwerk Nähe und Distanz. Statt von Naturkausalität im Sinne der Mechanik spricht Kant von i n n e r e r Kausalität^ über die nicht mehr das Subjekt verfügt, sondern die der ästhetische Prozeß aus sich entwickelt: »Wir weilen bei der Betrachtung des Schönen, weil diese Betrachtung sich selbst stärkt und reproduziert«. 59 Den gleichen Sachverhalt faßt Jean Paul in ein Uhrengleichnis: 58

59

Vgl. dazu die Bermerkungen in Kap. I zu dem Phänomen des ästhetischen ProzessesSelinaNouveaux Essais< entwickelt hatte, nahm der Instinkt durch seine Nähe zu den sogenannten >petites perceptionsVorschule< spricht Jean Paul ineins vom »Instinkt des Unbewußten« (V 59) und »Instinkt des Geistes« (V61). Obwohl die Kategorie in der Tat Erkenntnisse der Psychoanalyse antizipiert, wie Lindner bei Gelegenheit mit Recht betont, 64 steht sie hier doch deutlich im Kontext der Leibnizschen Harmonie- und Kontinuitätsvorstellungen. Wenn die >Selina< von einer »geistigen einfachen Kraft« spricht, so steht dahinter noch Leibniz' Modell einer durchgängigen, die Welt zum Universum bindenden Dynamis. Sie wirkt »von den Instinkttaten an bis zu den menschlichen Ideenschöpfungen«, sie schafft, wie es zuvor an anderer Stelle heißt, »den unbegreiflichen Bund zwischen dem unaussetzenden Entstehen und Emporspringen der Vorstellungen und ihrer Abhängigkeit von einem Wollen« (VI 1186), beides zur Zweckmäßigkeit bestimmend.

62

Vgl. Jose Maria Ripalda: Die geschichtliche Bedeutung der Instinkttheorie bei Leibniz. In: Akten des II. Internationalen Leibniz-Kongresses. Hannover, 17.-22. Juli 1972. Bd. III: Metaphysik - Ethik - Ästhetik. Monadenlehre. Wiesbaden 1975, 175-185. " Ripalda, Instinkttheorie, 180. 64 Lindner, Jean Paul, 37.

177

Diese Formulierungen erinnern an eine von Jean Pauls frühesten Äußerungen über die Einbildungskraft. Er nannte sie in den >Rhapsodien< »eine dunkle Werkstat geheimer Kräfte« (J I 283). Und diese Grundelemente sollten ihr bis in die späteren ästhetischen Reflexionen erhalten bleiben: Die Phantasie ist natürliche Magie, ist »die Kraft voll Kräfte« (V 56). Es paßt in dieses Konzept, daß Jean Paul im Traum ein Analogon zur Kunst und vor allem zur Geniekunst sieht. Auch der Traum gehört in den Zusammenhang der dunkel-verworrenen Perzeptionen. An ihm kann man den »unwillkürlichen Vorstell-Prozeß [...] sogar der Dichter« studieren (IV 98 lf). Träumer und Poet sind sich darin gleich, daß in ihnen »nichts wacher und stärker als die passive und fühlende Natur« (IV 980) ist. Trotz oder gerade wegen seiner physiologischen Abhängigkeiten ist der Traum »unwillkürliche Dichtkunst«, denn er zeigt, daß der Dichter mit dem körperlichen Gehirne mehr arbeite als ein anderer Mensch. Warum hat sich noch niemand darüber verwundert, daß er in den Scenes detachees des Traums den agierenden Personen wie ein Shakespeare die eigentümlichste Sprache, die schärfsten Merkworte ihrer Natur eingibt, oder vielmehr daß sie es ihm soufflieren, nicht er ihnen? Der echte Dichter ist ebenso im Schreiben nur der Zuhörer, nicht der Sprachlehrer seiner Charaktere, d. h. er flickt nicht ihren Dialog nach einem mühsam gehörten Stilistikum der Menschenkenntnis zusammen, sondern er schauet sie wie im Traum lebendig an, und dann hört er sie. (IV 978f)

Ähnliches sagt Jean Paul von Mozart: er »hört bloß sein Inneres an«, die Melodie »steigt in neuen, fremden Gestalten aus den Tiefen der Empfindungen empor«. Dasselbe gilt für die Rezeption; daß Kunst ihre Wirkung ausüben kann, liegt darin begründet, daß sie auf eben dieses Unbewußte trifft, im Rezipienten »weckt, was schwieg« (VI 1187). Daraus folgt die wichtigste Aussage über das Genie in der >VorschuleSelinaKritik< kündigte sich dieses Verständnis im Begriff des Naturzwecks an. Mit Blick auf das Organische wurde ihr das Vermögen unterstellt, nach Zwecken, und das heißt mit Vernunft zu handeln. Nach den Maximen der Urteilskraft gewann die Natur Subjektcharakter; die Ordnung und Einheitlichkeit, die sich in ihren Schöpfungen phänomenologisch ausprägten, ließen auf ein genuines Prinzip schließen, nach dem sie sich selbst hervorbrachte, organisierte und schließlich zu ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit vermittelte.65 Auch diese Entwicklung hat in der >Vorschule< ihren bedeutsamen Niederschlag gefunden. Schon im >Magieaufsatz< behauptete Jean Paul, daß die Natur selbst es sei, die uns zwinge, den Übergang von der Körperwelt zum Geist zu machen und in der Materie den Ursprung der Freiheit zu suchen (vgl. IV 203f). In der >Vorschule< häufen sich solche Bemerkungen. Gleich eingangs findet sich der Hinweis, daß die Frage nach der poetischen Nachahmung in die neue übergehe, »nach welchem Gesetze, an welcher Hand die Natur sich in das Gebiet der Poesie erhebe« (V 35). Es wird ausgeschlossen, daß die Vermittlung auf andere als natürliche Weise gelingen könnte: 65

Vgl. >Kritik der Urteilskraft^ Einleitung, Abschnitt V, und >Kritik der teleologischen Urteilskraft^ §§ 64/65. 179

Den ungeheuren Sprung vom Sinnlichen als Zeichen ins Unsinnliche als Bezeichnetes [...] vermittelt nur die Natur, aber keine Zwischen-Idee; zwischen dem mimischen Ausdruck des Hasses ζ. B. und zwischen diesem selber, ja zwischen Wort und Idee gibt es keine Gleichung. (V 107)

Es sei denn, es »erzwingt« sie, wie es im Witz-Kapitel heißt, »ein Instinkt der Natur« (V 172). So schafft der Traum eine »besondere freiere willkürliche Vereinigung der geistigen Welt mit der schweren, als einen Zustand, wo die Tore um den ganzen Horizont der Wirklichkeit die ganze Nacht offen stehen« (V 97). So schafft die Phantasie allenthalben »Ähnlichkeit« (V 172). Beide gelten Jean Paul als Naturkräfte, jenem schöpferischen, göttlichen Instinkt zu Gebote stehend. Aber die Phantasie reicht mit ihrer totalisierenden Intention über die bloße »Gleichung zwischen sich und außen« (V 172), zwischen Idee und Materie, bei weitem hinaus. Sie erzeugt die »geniale Gleichheit« (V 63), und das heißt für die >Vorschule< ein Ganzes, oder das »geniale Ideal« (V§ 15), das eben nicht die äußerliche Anpassung zweier gegensätzlicher Momente meint, sondern ein qualitativ Neues, in dem sich die Teile gegenseitig bestimmen. Es ist der Versuch, wie er für die Klassik insgesamt maßgeblich wurde, das Kunstideal der Griechen unter veränderten historischen Bedingungen wiederherzustellen. War jenes die »schöne Objektivität der Unbesonnenheit« (V72), so könnte man dieses nun das Ideal der Besonnenheit nennen, schöne Natur, durch Reflexion vermittelt. Auch Jean Paul scheint ein Versöhnungsparadigma zu konstruieren. Das Genie stellt »das Ganze des Lebens« (V64) dar; es gibt »die Ansicht des Ganzen« (V66), »versöhnet [...] das unbehülfliche Leben mit dem ätherischen Sinn« (V 67), »und die Aussöhnung beider Welten ist das sogenannte Ideal« (V 66). Im >Brief über die Philosophie< hieß es schon, daß der Dichter »Vater einer, mit der äußern erzeugten, innern Welt« werde und »wie dieser einen metamorphotischen Spiegel aufstelle], vor welchem die verrenkten verwickelten Glieder der Wirklichkeit in eine leichte runde Welt zusammengehen« (IV 1016). So soll das Genie »mit dem Teil« ein »All ersetzen und erschaffen« (V 66), um »eine Anschauung des Universums« (V 53) zu geben: Formulierungen, die Jean Pauls Überlegungen an den klassizistischen Begriff des Kunstsymbols zu verweisen scheinen. Auch dafür hatte auf der Vorarbeit von Winckelmann Kants Ästhetik die philosophischen Grundlagen geschaffen mit eben jenen ästhetischen Ideen, auf deren analogische Struktur bereits hingewiesen wurde. Das Denken in Analogien, die indirekte, sinnlich-anschauliche Darstellung in der Kunst hatte Kant als symbolische Erkenntnis< interpretiert und als die einzige legitime Weise bestimmt, nach dem Ende 180

der Metaphysik von der Transzendenz und von Gott zu reden. Kunst ist »ein Symbol für die Reflexion«, 66 und wenn Kant darauf hinweist, daß schon die Sprache qua Natur zum Symbolischen neige, so heißt dies, daß sie ihrer Natur nach ästhetisch verfährt. Und das ist exakt der Punkt, an dem sich Jean Paul ganz grundsätzlich von Kant und der klassisch-romantischen Ästhetik distanzierte. Denn er weigerte sich, die obsolet gewordene metaphysische Weltauslegung der Aufklärung gegen eine ästhetizistisch-symbolische einzutauschen, und versuchte stattdessen, den neuzeitlichen Subjektivismus mit dem christlichen Denken und Glauben unmittelbar zu verbinden. Sachlich bedeutete dies, daß er seinem Kunstbegriff zwar die Genieästhetik assimilierte, gleichzeitig jedoch den Säkularisierungsprozeß, aus dem sie als Resultat hervorgegangen war, nicht mitvollzog. Das ergab natürlich Komplikationen, und entsprechend problematisch war das Ergebnis, wie sich zeigen wird. Auf eine Formel gebracht: Jean Paul deutete die Genieästhetik nicht philosophisch, sondern theologisch. c) Metaphysischer Witz Das führt direkt zurück zur Witz-Theorie. Statt nämlich den universellen Sprachcharakter der Natur mit Kant symbolisch zu interpretieren, knüpft Jean Paul an die christlich-patristische Tradition an: Er deutet den beseelenden Witz im Rahmen des ontologisch und hermeneutisch bedeutsamen augustinischen Schemas von >signum< und >ressigna< auf anderes verweisen, setzen sie die hermeneutische Bewegung zu den Sachen selbst in Gang. Innerhalb der >ressigna< gehören - »jedes ist auch eine Sache« unterscheidet Augustinus zwischen den eigentlichen, den wahren Dingen, die geeignet sind, den Menschen selig zu machen - >summa res< ist die Trinität -, und den uneigentlichen, die ihn dorthin verweisen und auf den Weg bringen sollen. Demnach hat die gesamte Schöpfung Zeichenfunktion, deren Zweck im rechten Gebrauch liegt. Mit Jean Paul: die Erde ist 66

Kant, Werke VIII, 460. 181

eine »Geisterinsel«, die über sich hinausweist, »in ein fremdes Meer« (V 183). Die Applikation dieses Schemas auf die Genielehre bleibt selbstverständlich nicht folgenlos. Es ist eben kein Zufall, daß Jean Paul den Dualismus von Himmel und Erde, den die Kunst versöhnen soll, nicht in die abstrakte Begrifflichkeit der Vernunftphilosophie >übersetztVorschule< eine nicht unbedeutende Rolle spielt, so organisiert er doch nicht Vermittlung im strengen Sinne; der Gegensatz wird nicht aufgelöst, sondern für den Augenblick des künstlerischen Gelingens befriedet: ein göttlicher Friede wird kunstvoll gestiftet. Die Phantasie erscheint als glänzender »Farben- und Friedenbogen« (V49), der die Erde zum Himmel öffnet, den geschlossenen Horizont transzendiert. Was die Phantasie bearbeitet, erscheint »wie eine Erde am Himmel« (V 49). Sie läßt eine »ganze Himmelskugel« entstehen, »und die Erdkugel wird zwar klein, aber rund und glänzend darin schwimmen« (V 66). Es scheint, als brauche das Genie nicht einmal die Konkurrenz mit Christus zu scheuen, denn der »rechte«, der >beseelende< Dichter, so schreibt die >VorschuleKantateVorschuleBriefes über die Philosophie^ IV 1023f) und Moritz (im >Hesperus< porträtiert in der Gestalt des Emanuel) haben dafür Modell gestanden. 68 Ich formuliere dies im Gegensatz zu Proß, Jean Pauls geschichtliche Stellung, 137, da es sich in der Tat, wie sich zeigen soll, um ein historisches Korrektiv< handelt, dessen Bedeutung nicht so sehr in dem - vergeblichen - Bemühen lag, den Dualismus auszugleichen, als vielmehr in der kritischen Frontstellung selbst, die es gegen die Vernunftphilosophie behauptete (vgl. Kap. IV).

182

nicht bloß unterschwellige Bedeutung hat die Formel vom »Sinn des Grenzenlosen« und »Instinkt des Göttlichen« ohne Zweifel (V 66). Die Doppeldeutigkeit der grammatischen Struktur ist durchaus beabsichtigt: als genitivus subjectivus spielt der Terminus auf das autonome Schöpfer-Ich des Genies an; als genitivus objectivus orientiert er sich am Göttlichen als seinem ihm übergeordneten Ziel. In dieser Bedeutung spricht die >Vorschule< auch vom »himmlischen« und »überirdischen« Trieb (V62), mehr noch: sie identifiziert die Genialität des Künstlerindividuums mit dem christlichen Schöpfergott, als spreche Gott in Person aus ihm: Ein unauslöschliches Gefühl stellet in uns etwas Dunkles, was nicht unser Geschöpf, sondern unser Schöpfer ist, über alle unsre Geschöpfe. So treten wir, wie es Gott auf Sinai befahl, vor ihn mit einer Decke über den Augen. (V 60)

Mit Recht wurde auf den engen Zusammenhang von Jean Pauls Genievorstellungen und seiner Konzeption des >Hohen Menschen< aus der >Unsichtbaren Loge< hingewiesen, in der die stellvertretende Erhebung des Genies zum Gattungssubjekt, dem Sachwalter der Menschheitsinteressen, und die persönliche religiöse Andacht eine eigenartige Verbindung eingegangen sind.69 Gegenüber dem bloß großen Menschen gibt es den hohen, der zu seinen Vorzügen noch etwas setzt, was die Erde so selten hat - die Erhebung über die Erde, das Gefühl der Geringfügigkeit alles irdischen Tuns und der Unförmlichkeit zwischen unserem Herzen und unserem Orte, das über das verwirrende Gebüsch und den ekelhaften Köder unsers Fußbodens aufgerichtete Angesicht, den Wunsch des Todes und den Blick über die Wolken. (I 221)

In diesem Sinne beschwört der Emanuel des >Hesperus< seinen Schüler, sich nicht mit der Erde zu begnügen: Nur deine zweite Welt fülle dieses Haupt und dieses Herz aus - und die kleine dunkle Erde befriedig' es nie! (I 679)

Daß der Wille und Wunsch zur Transzendenz überhaupt erwacht und tätig werden will, ist jenem natürlichen Instinkt und der Phantasie zu danken, die er zu entwickeln vermag. »Wär' er nicht«, heißt es in der >Vorschulesigna< als vorläufig, unwahr und darum als nichtig gelten zu lassen. Demnach ist das latente »Gefühl der irdischen Nichtigkeit«, auf das die Ästhetik reflektiert (V 90), schon von ihrem theologischen Modell her nahegelegt, von dem sie ihr Selbstverständnis bezieht. Zuweilen geht die >Vorschule< darin sogar so weit, daß sie das Irdische völlig getilgt wissen will. Sie nennt den »überirdischen Engel des innern Lebens« zugleich den »Todesengel des Weltlichen im Menschen« (V61) und spricht vom »Vernichtungkrieg ohne Möglichkeit des Vertrags« (V 62). Das sind zwar Äußerungen, die Jean Paul in dieser Radikalität nicht durchhält, aber sie entsprechen ihrer Tendenz nach doch der Logik des zugrundegelegten Schemas. Die Tatsache, daß der Begriff des Spiels in der Witz-Theorie gegenüber der allegorischen Verbindlichkeit der Metaphorik in den Vordergrund tritt und im Unterschied etwa zu der Deutung Schillers in den >Briefen zur ästhetischen Erziehung< als zentraler anthropologischer Kategorie zunächst mit negativen Vorzeichen, ist nicht allein eine Folge des Autonomisierungsprozesses der Literatur als Kunst, sondern geht ganz wesentlich auf das Konto der theologischen Weltdeutung, die mit der Entwertung des Wirklichen auch einem Zug zur Willkür gegen das minderwertige Irdische nachgibt. Aus Briefen an den Freund Emanuel geht hervor, daß sich Jean Paul dieses Zusammenhangs sehr wohl bewußt war: wenn einmal die moralische Ergebenheit gegen den Schöpfer durch ein körperliches Zeichen ausbrechen sol: so ist die Wahl des Zeichens, da jedes körperliche gleich unendlich weit vom Geistigen absteht, gleichgültig und zwischen Taufwasser und Vorhaut [...] ist als körperliche Handlung kein Unterschied [.. .]70 Alles was wir körperlich oder äusserlich vor dem Unendlichen thun, kurz nicht Gedanke ist, [. ..] könte eben so gut im Gegentheil bestehen [. . .]71

WEIS

Bemerkenswert ist allerdings, daß dank ihrer ontologischen Prämissen indirekt wieder eine Kategorie Bedeutung für die Ästhetik gewinnt und von Jean Paul auch in Anspruch genommen wird -, die seit Kant aus der Diskussion verbannt und tabu gewesen war: die Wahrheit der Kunst nämlich. Aufgrund ihres Pseudocharakters als Medium der Erkenntnis mußte sie sich mit einem subjektiven Wahrheitsbegriff zufriedengeben. Für Jean Paul gilt nun gerade das Gegenteil. Für ihn ist 70 71

SW III, 2, 69; Brief vom 3. 4. 1795. SW III, 2, 78; Brief vom 15. 4. 1795.

184

es die Phantasie, die zur Wahrheit führt; ihre traumartigen Bilder »leiden keine Vergleichung mit irgend etwas, das die Erde gibt« (IV 197). Das Schlußurteil der >Vorschule< spricht der Kunst eine geradezu exzeptionelle Erkenntnisleistung zu: Sie soll die Wirklichkeit, die einen göttlichen Sinn haben muß, weder vernichten, noch wiederholen, sondern entziffern. (V 447)

War die witzige Analogie als eine Art von Heuristik bestimmt worden, mit deren Hilfe sich verborgene Sinnbezüge aufspüren ließen, so erscheint die Poesie in ihrer beseelenden, d. h. die konkret-körperlichen >Zeichen< auf ihr geistiges Wesen hin transzendierenden Funktion als eine umfassende geistliche Hermeneutik, die das höchste Sein erschließt. Vorausgesetzt ist dabei die Möglichkeit verläßlicher Bezugnahme: »als wäre nicht das Größte gerade wirklich, das Unendliche« (V31). Dies war der Einwand, den Jean Paul der frühromantisch-idealistischen Konstruktion einer transzendentalen Poiesis,72 dem ausschließlich selbstbezogenen Handeln des absoluten Ich, entgegenhielt. Kunst sollte mehr sein als bloß hermetische Konzentration auf sich selbst; stattdessen sollte sie hinweisen auf ein anderes: Das All ist das höchste, kühnste Wort der Sprache, und der seltenste Gedanke: denn die meisten schauen im Universum nur den Marktplatz ihres engen Lebens an, in der Geschichte der Ewigkeit nur ihre eigene Stadtgeschichte. (V 31)

Das Ergebnis dieser Überlegungen ist ein Poesie-Begriff, dem in letzter Konsequenz die Vorstellung eines metaphysischen Realismus zugrundeliegt, wie ihn Kant als philosophisch unhaltbar ausgewiesen hatte. Den sachlich unlösbaren Konflikt, der sich auf der Bewußtseinsstufe der Vernunftkritik damit abzeichnete, suchte Jean Paul dadurch zu neutralisieren, daß er den Bereich der Transzendenz zur >romantischen Subjektivität< unmittelbar in Beziehung setzte und sich, wenn das Paradox erlaubt ist, in der Weise von Jacobis Glaubensphilosophie auf eine Art subjektiver Metaphysik berief. Der Ort der Transzendenz wird zurückverlegt in die innere »Unendlichkeit des Subjekts« (V 124), die mit der Unendlichkeit Gottes direkt korrespondiert. Ein kursiv gesetzter Satz im >Hesperus< lautet:

72

Vgl. Hans Freier: Ästhetik und Autonomie. Ein Beitrag zur idealistischen Entfremdungskritik. In: Bernd Lutz (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 3: Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz 1750-1800. Stuttgart 1974, 329-383. Zum Begriff der »transzendentalen Poiesis« 345.

185

[...] Er denkt nur uns, wenn wir ihn denken.- Alles Unendliche und Unbegreifliche im Menschen ist sein Widerschein [...] (I 891)

An dieser Stelle - der einzigen - ist der Schleier, der als Schöpfung »über dem Unendlichen [hängt]« (I 891), aufgerissen. Entsprechend spielt sich die >poetische Himmelfahrtrepraesentatio dei< gerückt ist. Dennoch wäre der naheliegende Schluß, Jean Paul trenne in solchen Momenten nichts oder nicht mehr viel von dem Subjektivismus Fichtes und seiner romantischen Nachfolger, voreilig. Reflexion führt bei ihm nicht in die autonome Bewegung zum Absoluten, sondern bleibt auf eine, wenn auch verblaßte Vorstellung von Harmonie »zwischen diesem Wasserstäubchen und meinem Geiste« bezogen, einer »vorherbestimmte^] Harmonie«, die, wie es von Viktor heißt, »zwischen der äußern Natur und seinem Herzen« (I 681) waltet. Nicht der selbstbewußte philosophische Gedanke, sondern das Gefühl vermittelt hier zwischen äußerer und innerer Natur. Selbstredend indiziert das eine völlig andere Weise der Objektivier- und Mitteilbarkeit. Nicht zufällig entfaltet sich das göttliche Wesen der Natur in der emotional gestimmten Sphäre von Freundschaft und Liebe, sei dies im unmittelbaren, suggestiven Kontakt wie in der Maienthaler Szene, oder wie auf 186

dem Weg nach Kussewitz mittelbar in der Beschwörung von Erinnerungen: »Wir waren sonst beisammen.« (I 623) Unverkennbar sind dies Zeugnisse der Gefühlskultur des 18. Jahrhunderts und besonders sinnenfällige Belege für die Ansicht Wolfdietrich Raschs, daß die exaltierten Freundschaftsbeziehungen dieser Zeit eine säkularisierte Form der ursprünglichen kirchlichen Gemeinschaft darstellen und ihr pseudosakraler Charakter sich aus dieser Genese herleitet. 73 Ersatz für die geschwundene personale Gottesbindung suchte man in der heiligen Freundschaft, während die kleine Gruppe mit ihrer ausgesuchten Intimität an die Stelle der instabil gewordenen, zumeist pietistisch gefärbten Gemeinde trat. Dabei mag die seit Piaton latent im abendländischen Bewußtsein vorhandene Einsicht vom erotischen Charakter der Erkenntnis des höchsten Guts eine gewisse Rolle gespielt haben, auch wenn es die unvergleichlichen historischen Prämissen verbieten, eine direkte Verbindung herzustellen. Die zunehmend gewichtigere Rolle der Subjektivität für die Konstitution von Welt und Transzendenz betrachtet Jean Paul nicht als Gegenstand persönlichen Beliebens, sondern im Kontext der historischen Entwicklung und deren maßgeblichem Faktor, dem Christentum. Die Geschichte des Abendlandes und die Geschichte der christlichen Religion sind für ihn nahezu identisch. Seit dem Ende der Antike hat das Christentum die gesamte Wirklichkeit wie ein Ferment durchdrungen und Denken und Handeln im europäischen Raum bestimmt. Im Anschluß an Herder wird der Norden aus seinem Gegensatz zum Süden als eine Art Wegbereiter für diese Ideologie gesehen, die indische Religion als verwandt empfunden. Beiden ist gemeinsam die Abwendung vom Äußeren: Die altnordische, mehr ans Erhabne grenzende [Religion] fand im Schattenreiche ihrer klimatischen verfinsterten Schauernatur, in ihren Nächten und auf ihren Gebirgen zum Gespensterorkus eine grenzenlose Geisterwelt, worin die enge Sinnenwelt zerfloß und versank [ . . . ] Die indische Romantik bewegt sich in einer allbelebenden Religion, welche von der Sinnenwelt durch Vergeistigung die Schranken wegbrach [.. .] (V 89)

Es konnte nicht ausbleiben, daß diese Haltung auch einen Wertcharakter erhielt, der sich zuerst im orientalischen Bereich ausprägte und das Äußere zum bloß Äußerlichen herabsetzte (vgl. V 90). Eine »höhere Liebe« initiierte das Christentum, »das mit seinem Feuereifer 73

Wolfdietrich Rasch: Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schrifttum des 18. Jahrhunderts. Vom Ausgang des Barock bis zu Klopstock. Halle 1936, bes. 112.

187

gegen das Irdische den schönen Körper in eine schöne Seele zerschmelzt, um ihn dann in ihr lieben zu lassen, also das Schöne im Unendlichen« (V 91). Unter christlichem Einfluß wurde die Abkehr von der Welt zur dezidiert vollzogenen Wende nach Innen, wobei sich der philosophische Subjektivismus des 18. Jahrhunderts und der ihm eigentümliche Hang zur Abstraktion lediglich als eine säkularisierte Spielart dieser Entwicklung darstellen: Das Christentum vertilgte, wie ein Jüngster Tag, die ganze Sinnenwelt mit allen ihren Reizen, drückte sie zu einem Grabeshügel, zu einer Himmels-Staffel zusammen und setzte eine neue Geister-Welt an die Stelle. Die Dämonologie wurde die eigentliche Mythologie [...] der Körperwelt [...]; alle Erden-Gegenwart war zu Himmels-Zukunft verflüchtigt. Was blieb nun dem poetischen Geiste nach diesem Einstürze der äußern Welt noch übrig? - Die, worin sie einstürzte, die innere. (V 93)

Wie sich hier schon angedeutet hat, bestimmt Jean Paul auf diesem Boden Wesen und Aufgabe der christlichen Poesie, die zugleich die romantische ist.74 Die Begriffe sind in diesem Zusammenhang austauschbar. Solange es christliche Dichtung gab, war sie romantisch. Sie setzt jenen extremen Verinnerlichungsprozeß voraus, der zugleich einer der Transzendierung ist. Ihr Stoff ist das Unendliche in doppelter Weise: als unendliche Relation, d. h. als Akt der Transzendenz selbst, »das Verhältnis unserer dürftigen Endlichkeit zum Glanzsaale und Sternenhimmel der Unendlichkeit« (V 88); und als Gegenstand: »so blühte in der Poesie das Reich des Unendlichen über der Brandstätte der Endlichkeit auf« (V 93). Da sie auf diese Weise die Transzendenz freisetzt, hat innerhalb des christlichen Kulturbereichs die Poesie den höchsten Rang unter allen Kunstübungen. Der Formel vom Schönen im Unendlichen entspricht die andere, in der die romantische Poesie als Produkt »einer ins Schöne frei gelaßnen Phantasie« (V 88) erscheint. In Abhebung vom Erhabenen ergibt sich daraus schließlich die Jean Paulsche >DefinitionÄsthetiksignum< und >res< subjektiviert, indem er es lediglich auf die Innerlichkeit bezieht und die Bedeutung - nicht bloß die Deutung - der Zeichen zu deren Funktion macht: alle Quantitäten sind für uns endlich, alle Qualitäten sind unendlich. Von jenen können wir durch die äußern Sinne Kenntnis haben, von diesen nur durch den innern. Folglich ist jede Qualität für uns eine geistige Eigenschaft.

Dabei wiederholt sich der schon bekannte Entgrenzungseffekt; die Bedeutung wird unendlich: Geister und ihre Äußerungen stellen sich unserem Innern ebenso grenzenlos als dunkel dar. (IV 202)

So führt der »Sinn des Grenzenlosen« ins Ungefähre. Es ist »das Weite«, wie es einmal heißt, »welches bezeichnet« (V 88), und wo könnte dies widerstandsloser statthaben als in der Innerlichkeit des Subjekts: Es ist noch ähnlicher als ein Gleichnis, wenn man das Romantische das wogende Aussummen einer Saite oder Glocke nennt, in welchem die Tonwoge wie in immer ferneren Weiten verschwimmt und endlich sich verliert in uns selber und, obwohl außen schon still, noch immer lautet. (V 88)

An diesem Bild wird vollends augenfällig, daß die unendliche Bedeutung, die ja die wahre der Zeichendinge sein soll, im Subjekt erst Inhalt gewinnt. Die Unendlichkeit der Bedeutung, die Qualität grundsätzlich, scheint das unendliche Innere zu sein, das Subjekt im Akt des Besee75

Zum Begriff vgl. Walter Schulz: Philosophie gen 1972, 254; zu Augustin ebd., 254ff.

190

in der veränderten

Welt. Pfullin-

lens - denn um nichts anderes handelt es sich hier - den Dingen bloß sich selbst mitzuteilen. Zurückbleibt, das ist die Kehrseite, krude Realität, bare Stofflichkeit, die zu völliger Bedeutungslosigkeit verurteilt ist. Die Zweideutigkeit dieses Vorgangs, der seine prekärste Seite darin hat, daß mit der unmittelbaren Bindung der >signa< an das einzelne Subjekt der ehemals von einem Kosmos getragene Ordo und die Hierarchie der Dinge zerstört sind, muß Jean Paul zumindest gespürt haben, denn er kommt auf dieses Problem zu sprechen im Zusammenhang mit der Poesie des Aberglaubens (vgl. V § 24). Er deutet an, daß die Verinnerlichungsbewegung zunächst in ein totales Vakuum führte, das vor die Alternative stellte, zwischen Gott und dem Teufel zu wählen. Entweder füllte es »unendliche Sehnsucht«, »zeit- und schrankenlose Verdammnis« oder aber »unaussprechliche Seligkeit« (V 93). Freilich: »In der weiten Nacht des Unendlichen war der Mensch öfter fürchtend als hoffend.« (V 93f) Eindeutig als defizitärer Zustand ist die innere Unendlichkeit gekennzeichnet; mit dem Verlust der antiken Mythologie schwinden auch die faßbaren Göttergestalten. An ihre Stelle treten geistige Wesen, die sich allenfalls allegorisch darstellen lassen: »Engel, Teufel, Heilige, Selige und der Unendliche hatten keine KörperFormen [...] und Götter-Leiber«, sagt Jean Paul; was sichtbar wurde im Umkreis des Christlichen war lediglich Zeichen. Aber »dafür öffnete das Ungeheuere und Unermeßliche seine Tiefe« (V 93). Geisterfurcht und Aberglaube nahmen Platz. An diesem Punkt der Analyse jedoch vollzieht Jean Paul die für ihn typische und das Ausmaß der Aporien seiner Argumentation entblößende Kehrtwendung. Wiederum läuft es auf eine Substitution hinaus, die das Negative ins Positive umdeutet, die Furcht zum Zeichen Gottes erklärt, die »innere Nacht« zur Göttin erhebt (vgl. V 97). Es läuft auf die Behauptung hinaus, daß sich Gott unmittelbar im Innern und dessen Unendlichkeit offenbare, daß diese Nacht nicht schwarz, sondern heilig sei. Weissagung, die Verwandlung »der Erde in ein dämmerndes Reich der heiligen Ahnung und in einen Isthmus zwischen erster und zweiter Welt« (V91) ist daher die eigentliche Funktion der Poesie, ist das Ziel romantischer Verklärung. Der Genius hat die Aufgabe, wo die Philosophie und der reine Gedanke versagen, aus den Bildern der Furcht mittels der »poetischen Unendlichkeit« (V 44) Bilder der Hoffnung zu machen. Ahnung des Ewigen (vgl. V 78) ist seine wahre Bestimmung und die grundlegende Bedeutung seines Instinktes: Dieser Instinkt des Geistes - welcher seine Gegenstände ewig ahnet und fodert ohne Rücksicht auf Zeit, weil sie über jede hinauswohnen - macht es möglich, daß der Mensch nur die Worte Irdisch, Weltlich, Zeitlich u. s. w. 191

aussprechen und verstehen kann; denn nur jener Instinkt gibt ihnen durch die Gegensätze davon den Sinn. Wenn sogar der gewöhnlichste Mensch das Leben und alles Irdische nur für ein Stück, für einen Teil ansieht: so kann nur eine Anschauung und Voraussetzung eines Ganzen in ihm diese Zerstükkung setzen und messen. Sogar dem gemeinsten Realisten, dessen Ideen und Tage sich auf Raupenfüßen und Raupenringen fortwälzen, macht ein unnennbares Etwas das breite Leben zu enge; er muß dieses Leben entweder für ein verworren-tierisches, oder für ein peinlich-lügendes, oder für ein leeres zeitvertreibendes Spiel ausrufen, oder, wie die ältern Theologen, für ein gemeinlustiges Vorspiel zu einem Himmel-Ernst, für die kindische Schule eines künftigen Throns, folglich für das Widerspiel der Zukunft. So wohnt schon in irdischen, ja erdigen Herzen etwas ihnen Fremdes, wie auf dem Harze die Korallen-Insel, welche vielleicht die frühsten Schöpfung-Wasser absetzten. (V61)

Kein Zweifel: auch in diesem Zusammenhang argumentiert Jean Paul mit dem Paradigma von Jacobis Glaubensphilosophie, zu deren wesentlichsten anthropologisch-ontologischen Kategorien die Ahnung zählt. Die eingeborene Ahnung eines anderen, Nicht-Subjektiven, das sichere Gefühl und der Glaube daran sind die grundlegenden Voraussetzungen dafür, daß dem Subjekt überhaupt eine Welt entsteht. Zugleich aber dient sie zum Beweis für den chimärischen Charakter reiner Immanenz, ein Schluß, dem die hoffnungsbedürftige Natur willig folgt: Inzwischen [sagt Viktor im >HesperusVorschule< auf einem einzigen, das Verkörpern wie das Beseelen legitimierenden Prinzip beruht: dem Glauben. Es ist der Glaube an die Realität der Welt, der es erlaubt, ja gebietet, die reine Vernunft an das sinnlich Konkrete, an die Natur zu binden; und es ist der Glaube an die Realität Gottes, der eben diese Natur als lebendiges Wesen begreift. Für Jacobis Glaubensphilosophie, auf deren Autorität sich das eine wie das andere Bekenntnis beruft, bedingen sich beide unmittelbar; ist eine Welt, an deren Evidenz das Gefühl uns zwingt zu glauben, dann ist auch ein Gott, der das Wunder der Realität vollbringt. Kein Zweifel, daß sich diese Philosophie, die eher einer Option gleichkam, nicht mit dem intellektuellen Niveau des kantischen Kritizismus messen konnte, und daß es eines Entschlusses bedurfte, sich auf ihre Seite zu schlagen. Gewiß hat Harich nicht unrecht, wenn er darin Züge einer sich selber auferlegten geistigen Genügsamkeit sieht. 1 Dokumente aus dieser Zeit, vor allem die brieflichen Äußerungen lassen darauf schließen, daß sich die einmal errungenen Ansprüche nicht restlos und nicht ohne aktive Nachhilfe zurückdrängen ließen. Deren Ausmaß läßt sich aus Jean Pauls Ruf nach dem »königlichen Beschüzer seines Glaubens« 2 nur ahnungsweise erschließen. Im >Hesperus< findet sich dazu ein Satz, der die Situation vermutlich sehr präzise wiedergibt: »Es gibt Wahrheiten«, heißt es da, »von denen man hofft, große Menschen werden stärker von ihnen überzeugt sein, als man es selber sein kann; und man will daher durch ihre Überzeugung die seinige ergänzen.« (I 684) Trotz des entschiedenen Willens, den Zweifeln entgegenzutreten, blieb ein Unbehagen, blieb das Bedürfnis nach Verbündeten. Umso dringender stellt sich die Frage nach der Motivation, von deren Beantwortung es wesentlich abhängen wird, wie der offenbare Ver1 2

Vgl. Harich, Jean Pauls Kritik des philosophischen A n Jakobi, 13. 10. 1798; SW III, 3, 106.

194

Egoismus,

95.

zieht Jean Pauls auf die autonome Vernunft und sein Plädoyer für den Glauben zu beurteilen sind. Gerade in jüngster Zeit fehlte es dazu nicht an Stellungnahmen, insbesondere seitens der kritisch um die Ursachen und Mechanismen bürgerlicher Ideologienbildung bemühten Forschung. Jean Paul war unter diesem Aspekt der vielleicht provokanteste Fall aus der Aufbruchzeit des deutschen Bürgertums, weil er in seltener Schärfe und scheinbar ohne jegliche Vermittlung progressive und restaurative Tendenzen in seinem Werk gegeneinanderstellte. In einer ersten, inzwischen überwundenen Phase ideologiekritischer Sichtung zögerte man nicht, das biedermeierlich gefärbte Bild vom harmlos-frommen Idyllendichter durch ein jakobinisches Porträt zu ersetzen, Jean Paul das Attribut des Spießigen, den in mehrfacher Hinsicht verhängnisvollen Schlafrock aus- und die rote Mütze aufzuziehen. 3 Gegen diese in gewisser Weise notwendige Einseitigkeit wurden jedoch rasch Bedenken laut, die zu differenzierteren Einsichten führten. Der Widerspruch zwar blieb, aber wenn er sich nicht auflösen ließ, so mußte er doch erklärbar sein. Mit Ausnahme der wenig sachhaltigen und kaum ernst zu nehmenden Vermutungen Harichs, daß Jean Pauls religiöse Kapitulationsverweigerung vor der Vernunftautonomie nur erfolgte, »damit liebgewordene Gefühle weiter ihr Dasein fristen« 4 konnten, verbunden mit dem albernen Hinweis, daß ein Humorist, »soll er gehaltvolle Werke schaffen«, ohnehin gut daran täte, »an heiligen Gefühlen zu hängen« -, 5 mit Ausnahme also dieser, aus Interesse an der Aktualisierung des revolutionären bürgerlichen Potentials der Vergangenheit das Problem bagatellisierenden Erläuterungen zeichnet sich mittlerweile quer durch die verschiedenen Forschungspositionen im Grundsatz eine Art Übereinkunft ab. Mehr oder weniger direkt wird das sich sichtlich verstärkende religiöse Bedürfnis Jean Pauls mit der allgemeinen Misere zum Ausgang des 18. Jahrhunderts und der aussichtslos gewordenen Lage des Bürgertums nach dem Scheitern der Französischen Revolution in Zusammenhang gebracht. Es wird ausschließlich als Resignations- und Kompensationsphänomen gedeutet, das die einstige konkrete Utopie, wie sie aus den latenten Normen des satirischen Jugendwerks rekonstruierbar erscheint, 6 ins christliche Jen3

Vgl. Haselberg, Musivisches Vexierstroh. - Der Titel »Verhängnis im Schlafrock« stammt von Nietzsche: Menschliches Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, Bd. II, Abschnitt 2, Nr. 99. 4 Harich, Jean Pauls Revolutionsdichtung, 84. 5 Harich, Jean Pauls Revolutionsdichtung, 85. 6 A m weitesten geht darin wiederum Harich, Satire und Politik, sowie das erste Kapitel von Jean Pauls Revolutionsdichtung. Vgl. dazu die meines Erachtens zutreffende Kritik von Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel, 29ff.

195

seits verlagert habe. 7 Insbesondere der Humor und dessen wachsende Dominanz über die Satire gelten dafür als Beleg.8 Neueste Beiträge modifizieren die These insofern, als sie in den wie immer verstandenen soziologischen Ansatz die dem bürgerlichen Selbstverständnis innewohnenden Widersprüche miteinbeziehen. Bemerkenswert ist hier vor allem das bereits mehrfach erwähnte Buch Burkhardt Lindners, 9 das die fortschreitende Verinnerlichung der Satire zwar ebenfalls in den politisch-sozialen Fakten des 18. Jahrhunderts begründet sieht, darüber hinaus aber in der, damit aufs engste verbundenen radikalen Umbruchsituation, die sich in dem durch die Aufklärung konstituierten Bereich der literarischen Öffentlichkeit vollzog und zum einen die Literatur ihrer kommunikativen Grundlagen und ihrer daraus bezogenen Bedeutung beraubte, zum anderen aber auch dem schreibenden Ich die gesellschaftliche Basis, die Basis seiner schriftstellerischen Praxis im weitesten Sinne und der Verständigung mit deren Adressaten entzog. Die Folgen waren ein verändertes Selbstverständnis - der Literatus wurde zum Dichter - und eine soziale Isolierung, die Jean Paul für seine Person - und die seiner Humoristen - in tragische Selbsterfahrung umdeutete und die schließlich aus der Erfahrung historischer Ohnmacht den Rückzug auf Gott erzwang. Wörtlich wird das Absolute auch hier lediglich als »Fluchtinstanz«, 10 die Glaubensmetaphysik »als Schwundstufe einer aufklärerischen Geschichtsphilosophie« interpretiert, »welche das historische Telos der Menschengattung auf die private Jenseitszukunft rückprojiziert und so die Illusion einer universellen Kommunikation bewahren will«." Dabei spielt die Revolution in Frankreich weniger eine ursächliche, als vielmehr eine die vorhandenen Tendenzen nur verschärfende Rolle. So einleuchtend dies erscheint und so 7

Beispielsweise die Beiträge von Marie-Luise Gansberg: Welt-Verlachung und »das rechte Land«. Ein literatursoziologischer Beitrag zu Jean Pauls »Flegeljahren«. Ursprünglich in: DVjs 42, 1968, 373-398. Wiederabgedruckt in: Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 353-388; von Helmuth Widhammer: Satire und Idylle in Jean Pauls »Titan«. Mit besonderer Berücksichtigung des Luftschiffers Giannozzo. In: JbJPG 3, 1968, 69-105; sowie in den Arbeiten Burkhardt Lindners, besonders: Innenwelt und Buchwelt. Literatursoziologische Probleme der Jean-Paul-Forschung. In: JbJPG 6, 1971, 131-169. 8 Vgl. Volker Ulrich Müller: Die Krise aufklärerischer Kritik und die Suche nach Naivität. Eine Untersuchung zu Jean Pauls Titan. In: Bernd Lutz (Hrsg.), Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 3: Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz 1750-1800, 455-507, bes. die einleitenden Bemerkungen zur Forschungssituation 456f. 9 Lindner, Jean Paul. 10 Lindner, Jean Paul, 116. 11 Lindner, Jean Paul, 104.

196

differenziert das Buch vorgeht, indem es sich hütet, die Reflexe auf die reale Ausgangssituation als unmittelbare Reaktionen zu deuten, so typisch ist es dennoch für den Ansatz, dem es folgt, und für die ganze Forschungsrichtung, die sich ihn zu eigen gemacht hat. Was sie auszeichnet, ist ein Geschichtsbild, in dem die Aufklärung, als Zeitalter der erwachenden Vernunft, einen eindeutig positiven Rang hat. Dies Bild ist offensichtlich bereits so mythisch geworden, daß es der Kritik nicht mehr ausgesetzt zu werden braucht. Andere Kriterien jedenfalls kommen nicht in Anschlag. So hat dieser Fortschrittsmythos auch bei Lindner seine unangefochtene Bedeutung. »Aufklärung«, wird gegen Ende rekapituliert, »ließ sich näher bestimmen als historische Bewegung, mit dem Ziel, die bestehenden Verhältnisse der Kritik der autonomen Vernunft auszusetzen und die gesellschaftlichen Interaktionsbereiche nach dem Prinzip rationaler Durchsichtigkeit und uneingeschränkter, vorurteilsfreier Kommunikation einzurichten.« 12 Zwangsläufig muß unter solchen Prämissen jede Form des Zweifels an dieser Vernunft, an ihrer universalen Zuständigkeit und Leistungsfähigkeit als unvernünftig und irrational erscheinen, was ausnahmslos alle von der Forschung in solchen Zusammenhängen gebrauchten eskapistischen Metaphern deutlich genug anzeigen. Jenseitshoffnungen und religiöse Sicherungen, auf die Jean Paul offensichtlich nicht verzichten konnte, gelten von vornherein als Opponenten der Vernunft, ohne daß sich überhaupt die Frage stellen würde, ob die ihr unterstellte Autonomie, durch die sie sich in der Geschichte realisieren soll, womöglich nur eine Fiktion, das Produkt eines vielleicht seinerseits irrationalen Wunschtraumes ist. Daß dem so sein könnte, daß die Aufklärung so rational nicht war, wie sie sich selbst verstand, legt ein Begriff nahe, der von Anfang an die Sphäre der Vernunft komplettierte: Natur. Er sollte sich zum Unruhefaktor dieses Bündnisses entwickeln und zum entscheidenden Widerpart der Vernunft. Zunächst erschien die Einheit unverbrüchlich: die Natur war vernünftig und die Vernunft natürlich. Auf diese Identität baut noch das kantische Naturreich der Zwecke, eine planvolle Schöpfung unterstellend. Vernunftnatur wurde dem Aufgeklärten zum Signum seiner Gattung. Im Namen der Natur forderte er das Vernünftige; im Namen der Vernunft das Natürliche. Die Natur entwickelte sich zum Inbegriff des vernünftigerweise Wünschbaren, zum Sammelbekken des gesellschaftlich Verdrängten, zu dem per definitionem freien Bereich, in den die Vorstellungen und Hoffnungen von Totalität, von 12

Lindner, Jean Paul, 227.

197

Humanität, vom wahren Wesen des Menschen projiziert werden konnten. In diesem Sinne geriet Natur zu einem durch sich selbst legitimierten Anspruch und zum emanzipatorischen Entwurf, den das Bürgertum den feudalen Mächten entgegenhielt, wobei der Begriff die Inhalte künftiger Erfüllung sowohl anzeigte wie garantierte. In dem Maße jedoch, in dem es nicht gelang, die aufgerufenen Potenzen gesellschaftlich einzuholen, begann die Natur, aus dem Schatten der Vernunft herauszutreten und sich gegen sie zu wenden. Die Risiken und die Brisanz des Rufes nach der Natur begannen sichtbar zu werden, sobald Natur gleichbedeutend wurde mit der nicht verwirklichten Vernunft. 13 Eine Macht war beschworen, vor der die Vernunft zu resignieren drohte, je deutlicher die Natur sich ihrer »erfreulichen Prädikate«, ihrer nur scheinbar beglückenden Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit entblößte und ihre »bedrohlichen« hervorkehrte: »Ohnmacht der Vernunft etabliert die Macht des zur Vernunft Anderen, die Macht der Natur.« 14 Hervortraten vor allem die unbewältigten, von der sich überlegen dünkenden Vernunft unterschätzten Energien. Wie sehr schon im Keim die definition noire der Natur 15 gegen das Widerlager der Vernunft rebellierte, vermochte neuerdings Paul Mog unter dem Leitgedanken einer Dialektik der Aufklärung bereits am Beispiel Rousseaus zu zeigen.' 6 Die »existence absolue« des »homme naturel« führt zu einem psychischen »Nullzustand«, in dem das befreite Ich wenig mehr trennt vom totalen Selbstverlust. Mit der »bloßen Wende zur Natur« gelangt Rousseau an eine Grenze, an der es »offenbar keine Chance einer wirksamen und lebbaren Unterscheidung zwischen Vernichtung und Befreiung« mehr gibt.17 Gegen Ende des Jahrhunderts sollte sich die Situation endgültig zu der Alternative »Unbehagen in der Kultur - Leiden an der Natur« 18 zuspitzen, sollte mit Werther, dem das zweideutige Glücksversprechen der Natur umschlägt »in blinde Verfallenheit«,' 9 »die Hoffnung auf eine natürliche Rettung vor der 13

14

15 16

17 18 19

Vgl. Odo Marquard: Über einige Beziehungen zwischen Ästhetik und Therapeutik in der Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts. In: Frank/Kurz (Hrsg.), Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen, 341-377; hier 346. Marquard, Über einige Beziehungen, 346; zu den hervorgehobenen Termini 347. Zum Begriff vgl. Marquard, Über einige Beziehungen, 347. Paul Mog: Ratio und Gefühlskultur. Studien zu Psychogenese und Literatur im 18. Jahrhundert. Tübingen 1976. (Studien zur deutschen Literatur 48) 77-91. Marquard, Über einige Beziehungen, 348. Mog, Ratio, 119. Mog, Ratio, 135.

198

Geschichte und Zivilisation zu Grabe getragen« werden. 20 Dafür jedoch, daß sich die Vernunft nicht widerstandslos, wenn auch immer noch in Illusionen befangen, der Natur preisgab, hat sie in Schiller, dessen ästhetische Schriften den angestrengten Willen zu einer vernünftigen Natur bekunden, ihren Kronzeugen: »Wir waren Natur [...], und unsere Kultur soll uns, auf dem Wege der Vernunft und der Freyheit, zur Natur zurückführen.« 2 1 Diese ist die schöne, die humane, die wahre Natur. 22 Es geht darum, »mit der physischen Welt als der Bewahrerin unserer Glückseligkeit, in gutem Vernehmen zu bleiben«, 23 ohne dem »blinden Andrang der Naturkräfte« willenlos nachzugeben. 24 Die durch Natur entbundenen Freiheiten »dürfen mithin kein einseitiger Ausbruch der Begierde seyn, denn alles, was aus bloßer Bedürftigkeit entspringt, ist verächtlich«. 25 Reine, nicht rohe Natur will die Vernunft. Und doch bleibt der bedrohliche Zirkel. »Vernünftig handelt die ganze Natur«, heißt es noch in der relativ späten Schrift >Über das ErhabeneSystems des transzendentalen IdealismusShakespear's Klage< von 1789, die zunächst als »ernsthafter Zwischenakt« für die >Baierische Kreuzerkomödie< ausgearbeitet worden war und später als >Rede des toten Christus< in den >Siebenkäs< eingegangen ist. Hier sind die Zerstörungsenergien der Natur bis auf ihre äußerste tödliche Konsequenz bloßgelegt: - Ich hör' nur mich und hinter mir wird vernichtet. In dieser weiten Leichengruft der Natur ist alles allein wie das Nichts und von diesem Ur-Orkan, der auf dem Chaos kräuselt und redet, wird iedes Wesen einsam getragen oder einsam verschart. Aber warum werden wir noch getragen? Wer hält den Zufal ab - als wieder der Zufal daß er nicht den Sonnenfunken austrit und durch das Sternen-Schneegestöber schreitet und Sonne um Sonne auswehet, wie vor dem eilenden Wanderer Thautropfen um Thautropfen ausblinken? Und du, armer gaukelnder Mensch, dessen Leben der Seufzer der Natur oder das Echo dieses Seufzers ist - dessen Todtenasche die sichtbare abgekrazte Spiegelfolie ist, die einen Lebendigen vorlog und schuf - dessen Sein ein Holspiegel ist, der ein wackelndes eingewölktes Ding in die Luft hinstelte: schaue hinunter in den Abgrund, über welchem die Todesaschenwolken des Untergegangnen ziehen und denke noch in deinem Zerstieben: ich bin! (J II 59lf) 3 5

Vor solcher Kulisse wird die Frage laut, ob die natürliche Vernunft in der ihr durch die Aufklärung zugebilligten selbstgenügsamen Immanenz überhaupt eine angemessene Kategorie der Geschichte sein und deren Hoffnungen tragen kann, da der Weltlauf solange Naturgeschichte bleibt, als er die Vergänglichkeit in ihrer absoluten Gestalt anerkennen muß. »Es gibt eine wichtige ungeheure Weltgeschichte, die der Sterbenden«, schreibt Jean Paul, »aber auf der Erde werden uns ihre Blätter nicht aufgeschlagen.« (J III 351) Diese Geschichte des Todes scheint dem Gang der vernünftigen Geschichte nicht bloß zuwiderzulaufen, sondern sie schlechthin aus den Angeln zu heben: Der große Augenblick des Todes. Es m u ß verwundern, daß jeder, so alltäglich auch das Leben ist und die Wunder ihm wenigstens verbirgt, am Ende seiner Wochentäglichkeit etwas erlebt, was über den Kreis aller Geschichte und der Erde und der Erfahrungen hinaus geht, das Sterben; ein neuer unfaßlicher Zustand; und brächt' er Vernichtung so blieb' er doch beides. 36

burgers: Das Todesproblem bei Jean Paul. Ursprünglich in: DVjs 7, 1929, 446-474. Jetzt wieder in: Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 74-105. 35 Ähnlich die Vernichtungsvision Ottomars, VI 257ff. 36 S W I I , 4, 167.

201

Gleichgültig, wie der Tod eingeschätzt wird, er sprengt alle Kategorien, und er bedeutet genaugenommen das Ende der Geschichte. Auf die Natur zu setzen, muß darum geradezu als widervernünftig erscheinen; sie ist nicht bloß das verheißungsvolle Versprechen, daß sich die Vernunft auf natürliche Weise eines Tages die Wirklichkeit anverwandeln und die Antagonismen versöhnen werde; sie ist zugleich die äußerste Bedrohung, an der die Anstrengungen zunichte werden. Die Zukunft der Natur ist der Untergang des Lebens; sie erscheint als die stärkere Macht und als das Unüberwindliche schlechthin. Aus dieser Einsicht heraus wendet sich Jean Paul gegen die bürgerliche Naturideologie, die in ihr nur das verlorene und wiederzugewinnende Paradies, nicht aber das schlechthin Bedürftige, Notvolle und Nötigende, schließlich die rücksichtslos zerstörende Gewalt sehen will. Ihr Bild von der guten und unschuldigen Natur bleibt abstrakt, solange sie nicht bereit ist, auch deren destruktive Kräfte anzuerkennen und einzukalkulieren. Hier, an ihren grundlegenden Prämissen, und nicht erst angesichts der Inhumanität der Revolution, setzt die Kritik Jean Pauls an der bürgerlichen Geschichtsphilosophie an. Weil sie blind gegen ihre eigene Natur war, mußte die Vernunft scheitern, mußte, da sie ihrer Natürlichkeit unmittelbar vertraute bzw. sie schließlich einfach verdrängte, ihre unliebsamen Seiten aus dem Gedächtnis verschwinden ließ, abstrakt bleiben und ihr, noch ehe sie sich selbst an ihren historischen Aufgaben bewähren konnte, rettungslos anheimfallen. Die bürgerliche Beschwörung der reinen Natur als Gehilfin der Vernunft erwies sich so trügerisch wie der naive Glaube, sie sei der schützende Hort des verratenen, ursprünglichen Wesens, in dessen Namen sich die Revolution beglaubigt wähnte. Je unvermittelter die Natur zum Zeugen berufen wurde, desto höher trieb der Wildwuchs der Vernunft, desto fataler pervertierte sie in Unnatur. Statt die Erfüllung zu bringen, brachte sie die Katastrophe. Danach wird verständlich, warum sich Jean Paul dem gängigen Naturverständnis des 18. Jahrhunderts, das sie einseitig als Refugium und Promotor der Vernunft verherrlichte, nicht ohne weiteres anschließen konnte. Natur war für ihn nicht primär der Bereich, in dem sich umstandslos die gesellschaftlich-politischen Utopien des Bürgertums ansiedeln ließen, noch konnte sie den Grund abgeben, der eine vernünftige Geschichte verhieß. Jean Pauls Kritik kehrt sich daher gleichzeitig gegen zwei historisch wie sachlich unvereinbare Positionen: gegen die Philosophie der natürlichen Vernunft u n d gegen die spätere philosophische Wende zur Natur, die Schelling in einer Umkehrung des Transzendentalismus mit seiner >Systemschrift< um 1800 vollzog, die Natur 202

als das »Letzte in uns« behauptend, »auf welches das ganze Bewußtseyn mit allen seinen Bestimmungen aufgetragen ist«.37 Wollte man die Geschichte nicht endgültig preisgeben, so durfte sie eben - gleich in welcher Form - gerade nicht dem Prinzip Natur überlassen werden, das nach Schelling ein »blinder Mechanismus«, ein »blindes Produciren« ist.38 Natur und Vernunft sind nicht, wie es die Geschichtsphilosophie der Aufklärung und, indem sie die Natur als das objektive System der Vernunft konstruierte, auch die Naturphilosophie behauptete, identisch, was zur Folge hat, daß die Geschichte instrumentell allein nicht zu bewältigen ist. Solche Art Praxis endet, weil sie sich über die konkrete natürliche Bedürftigkeit hinwegsetzt, sowohl für das Allgemeine wie für das besondere Individuum tödlich, was Jean Paul in seinen >Revolutionsdichtungen< und an seinen >Revolutionären< - Ottomar, Lord Horion, Schoppe - nicht müde wurde zu demonstrieren. Betroffen von dieser Erkenntnis sind aber vor allem jene Seiten seines Werks, die von idyllischen und satirischen Elementen geprägt sind. Und dies nicht ohne Grund. Denn es sind diejenigen Formen der Poesie, die Schiller als die der Moderne angemessensten bezeichnet und in dem Bezugsfeld von Natur und Ideal bestimmt hatte. Was sie unterschied, war weniger der Gegenstand selbst - ihren gemeinsamen utopischen Fluchtpunkt hatten sie im goldenen Zeitalter der Vernunft, das nach dem Verlust des Paradieses im Durchgang durch die Reflexion der zur Mündigkeit gereiften Gattung eine »höhere Harmonie«, eine geläuterte Natur versprach -; 39 der Unterschied lag vielmehr in der Perspektive, der Frage, ob der Autor »mehr bey der Wirklichkeit« oder »mehr bey dem Ideale verweilen« wollte.40 In beiden Fällen bleiben sich die Parameter gleich: »In der Satyre wird die Wirklichkeit als Mangel, dem Ideal als der höchsten Realität gegenüber gestellt«,41 während die Idylle »die Natur [sucht], aber in ihrer Schönheit, [...] in ihrer Übereinstimmung mit Ideen«, 42 und das Ziel der Geschichte als Gegenwart vorstellt: »Der Begriff dieser Idylle ist der Begriff eines völlig aufgelösten Kampfes sowohl in dem einzelnen Menschen, als in der Gesellschaft, einer freyen Vereinigung der Neigungen mit dem Gesetze, einer zur höchsten sittlichen Würde hinaufgeläuterten Natur, kurz, er ist kein andrer als das Ideal der Schönheit auf das wirkliche 37

Schelling, System, 610. Vgl. Marquard, Über einige Beziehungen, 346f. Schelling, System, 608. 39 Schiller, Werke XX, 472. 40 Schiller, Werke XX, 441. 41 Schiller, Werke XX, 442. 42 Schiller, Werke XX, 450. 38

203

Leben angewendet.« 43 Hält man diese, mit der unbedenklichen Autorität der Geschichtsphilosophie aufgestellten Normen an die Werke Jean Pauls, so läßt sich leicht erkennen, daß ihm nur »eine Art Idylle«, wie der Untertitel zum Schulmeisterlein >Wutz< es anzeigt, und analog dazu nur >eine Art Satire< gelungen ist, nicht aus Ignoranz gegenüber den ästhetischen Kriterien, wie man sicher unterstellen darf, sondern - so die These - aus Protest gegen die illusionären Kategorien der bürgerlichen Ästhetik.

1. D a s »Freudenspiel« - eine A r t Idylle Auf den ersten Blick ergeben sich zwischen den Idyllenkonzeptionen Schillers und Jean Pauls durchaus Übereinkünfte. Dazu zählt zunächst ein poetologisches Kriterium, da für beide die Tradition der Gattung im engeren Sinne nicht mehr verbindlich war. Die >Vorschule< subsumiert die Idylle, oder besser: das Idyllische ohne weiteres dem R o m a n ; als »Nebenblüte« der drei »Romanschulen« gehört es in den weitgefaßten Bereich des Epischen. In der Praxis nehmen die Idyllen Jean Pauls denn auch die Form kleiner Romane an. Wie bei diesen orientiert sich die Klassifizierung an Stillage und Sujet: »Darstellung des Glücks« ( V 2 5 8 ) bei »mäßige[m] Aufwand von Geist und Herz« (V 260) in einem positiven Sinn, den das Bild von der Schaukel erläutert: »in kleinen Bogen«, »ohne Mühe«, »ohne Stöße« soll die Idyllensprache in »den unschuldigen sinnlichen kleinen Freudenkreis des Schäfers« (V 260) ihren Leser einwiegen. Der Schäfertopos darf dabei nicht mehr wörtlich genommen werden. Denn die bukolische Staffage und die Projektion der Idylle ins »goldne Alter der Menschheit« beruhen nach Jean Paul auf einer illegitimen Interpretation der Geschichte, sind die Folgen einer »Verwechslung« (V 258). Darüber hinaus wird mit ähnlichen Argumenten wie bei Schiller die vermeintlich unumstößliche Norm der Geschichtslosigkeit des Idyllischen moniert: Das Schäferleben an sich bietet ohnehin außer der Ruhe und Langweile wenig mehr als das Ganshirtenleben dar, und die selige Erde des Saturns ist kein Schafpferch, und das himmlische Bett und der Himmels-Wagen desselben ist kein Schäferkarren. (V 259)"

43 44

Schiller, Werke XX, 472. Als bloßes Regressionsphänomen, so Schiller, ist die Idylle uninteressant, »und ihr einförmiger Kreis ist zu schnell geendigt« (Werke XX, 469).

204

Adressat dieser Ironie ist die historische Naivität herkömmlicher Idylliker, zumal die eines Geßners, über den sich Jean Paul an anderen Stellen namentlich mokiert: Belesene Mädchen, die im Sommer aufs Land gehen, machen aus den Landleuten wandelnde Geßnerische Idyllen-Ideale. Die Landleute idealisieren ihrerseits wieder die Mädchen zu Prinzessinnen der Marionetten und der Historienbücher hinauf. (IV 199)

Diese ständisch bedingte Form gegenseitiger kritikloser Verklärung hat Jean Paul von beiden Seiten her aufs Korn genommen.45 Der »Komische Anhang< zum >Titan< bringt sowohl die Idyllen-Parodie von >Hafteldorns Idylle auf das vornehme Leben< wie die Satire des Giannozzo auf die adlige Bauernhochzeit im »Schwitzbad Herrenleis«. Im einen Fall handelt es sich um den »Wunder-Bauer[n] Hafteldorn in St. Lüne«, der »bei einer dürftigen Lektüre [...] und einer noch dürftigern leiblichen Kost [...] oft abends nach dem Ackern auf einem Blatte, das er aus dem durchschossenen Kalender reißet, prosaische Idyllen ausarbeitet]« (III 868f), in Anlehnung an Geßners >Abels Tod< beispielsweise wie folgt anhebend: Schneide, ο Muse, ins Haberrohr ein Loch und pfeife vom Stadtmann! (III 869)

In ihrer Komik sind die Verse kaum überbietbar, und doch über den vordergründigen literarhistorischen Spaß hinaus äußerst konkret: Kein Geld ist unter den schuld-losen Arkadiern; wie heilige Mönche tragen sie keines bei sich und spielen scherzend nur um gefärbtes Elfenbein. (III 871)

Eine dieser im 18. Jahrhundert so beliebten adligen Schäferszenen begleitet Giannozzo mit seinem bissigen Kommentar: »Der Zug zog [...] die Bauerngarnitur sah freilich mehr wie eine Schnur gedörrter Birnen aus, es waren Krebse in der Mäuse, nämlich unter dem Schein der Schalenpanzer nur eiweiche Naturen«, während die Kulisse, die 45

Mit kaum übertreffbarer Ironie wird die falsche bürgerliche Naturverklärung durch den Katzenberger als pubertäres Phänomen entblößt: »Nur einmal mag ich, als verliebter Geßners-Schäfer und Primaner, so wie in Krankheiten sogar die Venen pulsieren, in Poetasterei hineingeraten sein, vor einem dummen Dinge von Mädchen - Gott weiß, wo die Göttin jetzt ihre Ziegen melkt. - Ich stellte ihr die schöne Natur vor, die schon dalag, und warf die Frage auf: sieh, Suse, blüht nicht alles vor uns wie wir, der Wiesenstorchschnabel und die große Gänseblume und das Rindsauge und die Gichtrose und das Lungenkraut bis zu den Schlehengipfeln und Birnenwipfeln hinauf? Und überall bestäuben sich die Blumen zur Ehe, die jetzt dein Vieh frißt! - « (VI 107)

205

wirklichen Bauern, »höflich und stumpf« blieben (III 1001). Das Bild von den Mönchen aufnehmend, zeigt der Satiriker, wie es in Wirklichkeit mit der Unschuld der Herren bestellt ist: Wie Mönche bewohnen sie die fruchtbarsten Gegenden Europas [...] Ich sag' euch, so wie Vornehme in Frankreich die Rechtschreibung ihrer Werke gern vom Setzer und Korrektor annehmen, so würden sie die moralische Orthographie ihres Lebens von ihrem Beichtvater und Leichenredner mit Vergnügen empfangen, wär's ihnen nur vorher gegönnt, ein recht unorthographisches zu führen. (III 1002f)

Umgekehrt hat die wahre Unschuld - »ihr festen unschuldigen Landleute und Böheimer« (III 1002) - überhaupt keine andere Wahl; aus barer Not ist sie zur Tugend verdammt: Ihr habt zwar nichts mit dem Edelmann gemein als das Ackern mit dem polnischen; aber ihr seid doch keine Badgäste, sondern gesunde Badwirte Ihr seid, wenn nicht zu Rittern, doch zu Bauern geschlagen - [ . . . ] (III 1004)

Die nachfolgenden Epitheta der bäuerlichen Existenz - »Ihr seid (das bedenkt) arbeitsam, stark, jung, froh, keck, fest, feist« (III 1004) - unterlaufen demonstrativ den falschen Schein der bürgerlichen Pastorale. Die Idylle muß sich daher andere Vorbilder suchen. Hier verweist Jean Paul auf Theokrit und Voß, »die Dioskuren der Idylle« (V 259), die sich über den zeitlichen Abstand hinweg in dem einen entscheidenden Punkt doch vergleichen lassen: der ausdrücklichen Thematisierung des spannungsreichen Verhältnisses von Natur und Kultur, von Natürlichem und Artifiziellem. 46 Erst aus solcher Spannung heraus, die ja auch Schiller für seine Begriffsopposition von >naiv< und >sentimentalisch< mitreflektiert hatte,47 lassen sich Charakteristika, wie sie Jean Paul der theokritischen Idylle zuschreibt - »naiv, charakteristisch, farbig, fest und wahrhaft« (V 261) - begründet vertreten. Drei Gesetze, die Jean Paul - ob zu Recht oder Unrecht, sei dahingestellt - mit der Idyllenpoetik Geßners identifiziert, werden daher überflüssig: die Wahl eines bestimmten Schauplatzes, eines bestimmten Standes und die Projektion der Erzählung an den Anfang der Geschichte. Zum locus amoenus eignet sich jeder Ort, »ob Alpe, Trift, Otaheiti, ob Pfarrstube oder Fischerkahn - denn die Idylle ist ein blauer Himmel, und es bauet sich derselbe Himmel über die Felsenspitze und über das Gartenbeet, und über die schwedische Winter- und über die italienische Sommernacht herüber«. Desgleichen braucht sich das idyllische Personale nicht auf 46

Vgl. Renate Böschenstein: Idylle. Stuttgart 1967 (Metzler Realienbücher 63),

47

Vgl. u. a. Szondi, Poetik I, 166 ff.

8.

206

das klassische genus humile zu beschränken; die »Wahl des Standes« ist frei und die Forderung unsinnig, daß die Idylle »ihre Blumen außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft anbaue«. Damit hängt zusammen, daß sich für die Idylle, sofern sie nur in der ihr notwendigen Bescheidung »die Gewalt der großen Staatsräder« ausschließt (V 261), jedes Ereignis und jede Stunde eignet: So kann ζ. B. die Ferienzeit eines gedruckten Schulmannes - der blaue Montag eines Handwerkers - die Taufe des ersten Kindes - sogar der erste Tag, an welchem eine von Hoffesten mattgehetzte Fürsten-Braut endlich mit ihrem Fürsten ganz allein (das Gefolge kommt sehr spät nach) in eine volle blühende Einsiedelei hinausfährt - kurz alle diese Tage können Idyllen werden und können singen: auch wir waren in Arkadien. (V 259)

Für diese, wie sie Jean Paul an anderer Stelle nicht ohne Ironie nennt, »mikroskopischen Belustigungen« (IV 11), die »so schön aus dem Weg des genialischen Glücks auf den des häuslichen einbeugen« (IV 13), spricht außerdem die grundsätzliche Skepsis, daß die Geschichte am Ende der Zeit in ein neues goldenes Zeitalter einmünde. Den Spekulationen seiner Zeitgenossen, und damit auch den elysischen Hoffnungen Schillers, hält Jean Paul entgegen, daß durch nichts, auch »nicht durch die Behauptung mehrer Philosophen« bewiesen sei, »daß der Blütengipfel aller unserer Bildung die Wiederholung des goldenen Alters werde, und daß die Völker nach recht vollendetem Erkennen und Leben das Paradies mit beiden Bäumen dieses Namens wiedergewinnen« (V 259). Dies sagt Jean Paul, für ein »flüchtiges goldnes Zeitalter« (I 1091) plädierend, wie es sich in der »Schäferwelt« (I 1080) Maienthals realisieren ließ, bis die »Gartentüre des Paradieses« (I 1077) ins Schloß fiel, obgleich er selbst den >Titan< in einer Art arkadischer, wenn nicht elysischer Freudensphäre hatte enden lassen. Nicht ohne Grund stellte sich gerade bei diesem Roman und seinen zahlreichen »glückseligen Inseln«, die nicht bloß formaliter den traditionellen Topoi der Idyllik angehören, 48 sondern die idyllischen Szenerien selbst aufs intensivste beschwören: »der helle Schnee des gesunknen Mondes liegt nur noch auf den Hainen und Triumphbogen und auf dem Silberstaube der Springwasser [von Lilar], und die aus allen Wassern und Tälern quellende Nacht schwimmt über die elysischen Felder des himmlischen Schattenreichs, in welchem dem irdischen Gedächtnisse die unbekannten Gestalten wie hiesige Otaheiti-Ufer, Hirtenländer, daphnische Haine und Pappelinseln erscheinen« -, nicht grundlos also stellte sich mit diesem »Reiche des Lichts«, in dem Albano nach der Zukunft 48

Vgl. Böschenstein, Idylle, 18.

207

fragt - »O wo wohnest du [...] drüben im grünen arkadischen Häuschen?« (III 124) - der Begriff der »hohen Idylle« ein,49 der inhaltlich sehr wohl den utopischen Vorstellungen Schillers entsprechen konnte. Diese Inselparadiese sind in der Tat dazu angetan, die Menschheitsträume erfüllbar erscheinen zu lassen: »so wurde doch aus ihrem silbernen Zeitalter durch die Sympathie mit Albanos Taumel wieder ein goldenes« (III 24). Indes endet der Taumel nicht in der Historie, sondern »in der Verklärung, worin der Himmel ihm nur der Vergrößerungsspiegel einer schimmernden Erde war« (III 823).50 Den geschichtsphilosophischen Skeptizismus und die Prämissen der Idyllentheorie scheint die Praxis mit diesem Widerspruch Lügen zu strafen, freilich nur dann, wenn man ein Moment nicht beachtet, das selbst in diese glanzvollen Gefilde des >Titan< seine Schatten wirft: den Tod. Mitten im »gelobten Lande« (III 54) wird Albano das Memento mori entgegengeworfen (vgl. III 48), wird die lichte Insel in »Totenfarbe« getaucht und wird der Frühling, »wo immer der Tod sein blumiggeschmücktes Opfertor aufbauet«, zum beklommenen, auf das Ende weisenden »Schattenspiel« (III 54): »ein kaltes Erstarren vor unsern Gedanken und vor einer neuen unfaßlichen Welt sperrt den warmen Strom, und das Leben wird Eis« (III 50). Dieses letzte, bei Jean Paul häufig wiederkehrende Bild der völligen Erstarrung bezeichnet den äußersten Gegensatz zu den harmonisch befriedeten Idyllenbildern und ihrer utopischen Dimension. Es läßt sich nicht einmal mit dem eigenen, philosophisch weitaus weniger anspruchsvollen Idyllenbegriff vereinbaren, da die fragilen arkadischen Glücksmomente, auf die Jean Paul die Schillersche Konzeption reduzierte, solcher Gewalt nicht gewachsen sind. Allenfalls einige »laue Regenwölkchen« dürfen sich »in diese stillen Himmel mischen«, nicht aber »heiße Wetterwolken [...] mit ihren Donnern« (V 260), wenn das Freudenspiel und die »Auftritte der Wonne« (V 257) gelingen sollen. Den Doppelsinn dieser Grenzziehung verhehlt Jean Paul keineswegs, im Gegenteil; ihn bringt die berühmte Idyllenformel vom >Vollglück in der Beschränkung< offen zum Ausdruck (vgl. V 258). Unmißverständlich weist sie darauf hin, daß die Idylle per definitionem ihre Substanz nicht allein von dem bezieht, was sie einschließt, sondern ebenso wesentlich von dem, was sie ausschließt. Ihre kleine heitere Welt ist eine den ringsum drohenden Gefahren abgetrotzte kostbare Insel, und das Maß der Anstrengung, das notwendig ist, sie zu verteidigen und auf49 50

Vgl. Widhammer, Satire und Idylle, 91-98. Zum Problem der Romanschlüsse bei Jean Paul vgl. Gansberg, Welt-Verlachung, 378-384.

208

rechtzuerhalten, gibt jeweils Auskunft darüber, wieweit der Glückstraum außerhalb der Fiktion, d. h. in der Geschichte realisiert ist. Welcher Belastung in dieser Hinsicht Jean Pauls eigene Produktion ausgesetzt war, hat Wuthenow in einem für die Erforschung der Jean Paulschen Idyllendichtung gewiß bahnbrechenden kleinen Aufsatz gezeigt.51 Die Glücksgefährdung von außen reicht so weit, daß sie die selbstauferlegte Beschränkung bis zu dem Punkt treibt, da sie, um ein Minimum des Versprochenen noch einzulösen, zu geistiger Selbstaufgabe, zu nahezu totaler Beschränktheit nötigt. Die Geschichte vom Schulmeisterlein Wutz, in gewisser Weise das Paradigma aller künftigen Idyllen Jean Pauls, erzählt weniger von der Freude schuldlosen Daseins als von den seelischen Krümmungen und täglich wiederholten unsäglichen Mühen, »das Unerträgliche [...] ins Ertragbare« zu verwandeln. 52 Sie lassen die liebenswerten Züge des kleinen Lebenskünstlers schließlich als das erscheinen, was sie sind: zähe, verbissene Vorkehrungen gegen die Wahrheit und gegen die Wirklichkeit. Je strenger die Idylle auf ihren Grundsatz der Bescheidung verpflichtet wird, desto sicherer pervertiert sie zur Selbstkarikatur, verkehren sich ihre affirmativen Potentiale in anklagende Fratzen. Bis zu diesem Punkt stimmen Theorie und Praxis bei Jean Paul überein. In beiden Fällen sucht er die Einsicht zu vermitteln, daß die Idylle - wie es Wuthenow formuliert - »ihre Unbefangenheit verloren« habe.53 Jahre bevor Schiller sie geschichtsphilosophisch aufwertete, kehrte Jean Paul die Fragwürdigkeit des arkadischen »Vollglücks« mit analytischem Gespür hervor. 54 Die Herausforderung lag jedoch nicht allein in der hoffnungslosen, die bukolischen Freiräume seit je desavouierenden realen Geschichte, sondern sie kam aus der vorbehaltlosen und ideologiekritischen Prüfung dessen, was jenes »umzäunte [...] Gartenleben« tragen sollte. Bei genauer Betrachtung legten sich Schatten auf das Bild der reinen Natur, und die »Idyllen-Seligen« (V261) selbst mußten sich als Sterbliche erkennen, mußten begreifen, daß die Vergänglichkeit von Anfang an in dem Keim nistet, aus dem sich die Utopie entfalten sollte. So nennt der erste Satz des >Wutz< Leben und Sterben in einem Atem, und es ist sicher keine ungebührliche Drastik, 51

52 53 54

Ralph-Rainer Wuthenow: Gefährdete Idylle. Ursprünglich in: JbJPC 1, 1966, 79-94. Jetzt wieder in: Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 314-329 (danach wird im folgenden zitiert). Wuthenow, Idylle, 322. Wuthenow, Idylle, 328. Der >Wutz< datiert von 1790/91, während Schillers Programmschrift >Über naive und sentimentalische Dichtung< erst 1794-96 entstanden ist.

209

wenn man sagt, daß sich in der ganzen dann folgenden Geschichte Verwesungsgeruch in den »Idyllen-Duft« (V 259) mischt. An der Seite des sterbenden »Alumnus der Natur« (in Anlehnung an I 440) hört der Erzähler den Tod die Uhr stellen und den »Menschen und seine Freuden käuen, und die Welt und die Zeit schien in einem Strom von Moder sich in den Abgrund hinabzubröckeln!...« (I 460) Es sind dies Bilder, die unmittelbar an die Vernichtungsapokalyptik der >ShakespeareChristusklage< anknüpfen. Dort ist von dem »Leichnam der Natur« die Rede und dem einzelnen Sterblichen, der »sich selber abbrökkelt von der Leiche« (II 270f); von der leeren Zeit, die auf dem Chaos liegt, es zernagend und ewig wiederkäuend (vgl. II 273). Dem Toten wünscht der Erzähler, daß sein Grab »ein Lustlager bohrender Regenwürmer, rückender Schnecken, wirbelnder Ameisen und nagender Räupchen« werde, »indes du tief unter allen diesen mit unverrücktem Haupte auf deinen Hobelspänen liegst und keine liebkosende Sonne durch deine Bretter und deine mit Leinwand zugeleimten Augen bricht« (I 461). So schrumpft denn nach dem unaufhaltsamen Gang der Natur das verheißungsvolle Blatt »aus dem Buche der Seligen« (V261) auf ein Nichts zusammen, während die einzigen überlebenden >Freudenspieler< die Aasfresser sind. Der Nachruf auf das vergnügte Schulmeisterlein - »Als er noch das Leben hatte, genoß ers fröhlicher wie wir alle« (1462) - klingt ausgesprochen zweideutig angesichts dieser wenig diskreten Naturalistik. An ihr zerschellt mit Gewißheit auch die >ars gaudendi< jener von der >Vorschule< benannten liliputanischen Glücksucher, »denen ein Blumenbeet ein Wald ist, und welche eine Leiter an ein abzuerntendes Zwergbäumchen legen« (V 262). Auf die Gegenwärtigkeit des Todes in ausnahmslos allen Idyllen Jean Pauls hat Wuthenow und, in einer Art Nachfolgearbeit zu diesem Aufsatz, auch Tismar hingewiesen, letzterer mit so ausführlichen Belegen, daß ich hier auf eine weitere Darstellung verzichten kann. 55 Ob in den hohen oder in den mikrologischen Paradiesen, überall begegnet die Nachtseite der Natur und gibt den glücklichen Winkeln eine Farbe, »die zur Idylle nicht mehr passen will«.56 Dazu wird ganz richtig bemerkt, entscheidend sei weniger, daß, sondern wie der Tod einbezogen werde. Von ausschlaggebendem Gewicht für die Gattung der Idylle ist »nur die durchgehaltene Intensität des Todes«, 57 zumal der theokriti55

Jens Tismar: Gestörte Idyllen. Eine Studie zur Problematik der idyllischen Wunschvorstellungen am Beispiel von Jean Paul, Adalbert Stifter, Robert Walser und Thomas Bernhard. München 1973. Zu Jean Paul 12-42. 56 Wuthenow, Idylle 323. 57 Wuthenow, Idylle, 324.

210

sehen Tradition, auf die Jean Paul ja ausdrücklich in positivem Sinn hinweist, wie dem antiken Modell überhaupt das Phänomen in diesem Umkreis nicht grundsätzlich fremd war.58 Solange der Tod nicht die gesamte Idyllenwelt in Frage stellte oder gar zerstörte, ließ er sich in den arkadischen Frieden integrieren. Bei Jean Paul ist jedoch schon das sanfte Sterben eines Wutz von derart einschneidender atmosphärischer Wirkung, daß Tod und Idyllik zum Antagonismus werden. Wohl aus diesem Grund hat Jean Paul seinen Idyllenbegriff nicht, wie es nach dem antiken Vorbild möglich gewesen wäre, erweitert, sondern hat umgekehrt darauf verzichtet, das Bild der frommen, in Wahrheit aber heillosen Natur weiterzumalen. Interessant ist nun, daß beide mit diesem Thema beschäftigten Interpreten, obwohl sie die Exklusivität des Todes gegenüber allen sonstigen nachweisbaren Gefährdungen für die Idylle übereinstimmend betonen, am Ende ihrer Ausführungen Jean Pauls Kritik doch nur auf den, wenn man so will, sozial inspirierten Protest gegen die Formen falscher Naturverklärung verkürzen; in beiden Fällen wird die absolute kategoriale Ausnahmeerfahrung des Todes erkannt, ohne daß daraus entsprechende Schlüsse gezogen würden. Sicher: die bewußte und gezielte Kompromittierung der Gattung durch Jean Paul deutet »auf die historische Stunde«; 59 aber wie sehr diese in ihren grundlegenden Wertvorstellungen betroffen wurde, ist dabei noch nicht in den Blick gekommen. Zur Diskussion stand nämlich ein Naturbegriff, der wiederum durch die kantische Philosophie als der fortgeschrittensten Position des wissenschaftlichen Bewußtseins etabliert worden war und der sich in seinen weitreichenden positiven wie negativen Konsequenzen an der Wende des Jahrhunderts erst allmählich abzuzeichnen begann. Es handelte sich um ein neues, rein technologisches Verständnis der Natur, das, so paradox es auch erscheinen mag, ein Komplementärprodukt der ästhetischen Naturbetrachtung, der Einsichtnahme in ihre autonomen, schöpferischen Leistungen war, wie sie exemplarisch im Naturgenie zum Ausdruck kamen. Statt der Befreiung zu sich selbst, versprach dieser Begriff aber die totale technische Verfügung über die Natur, um den Preis - das war die andere Seite der Medaille -, daß sich das Wissen um sie auf die formalen, technisch reproduzierbaren mechanischen Abläufe beschränkte, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, wie sehr dem allgemeinen Bewußtsein dadurch die Natur selber entglitt. 58 59

Vgl. Böschenstein, Idylle, 9. Wuthenow, Idylle, 329. 211

Dazu bedarf es einiger Erläuterungen. Das Neue und in gewisser Weise Revolutionäre, mit dem die >Kritik der Urteilskraft aufwartete, bestand darin, daß sie in Anbetracht der organischen Natur das alte mathematische Erkenntnisideal aufgab und an die Stelle der physikalischen Betrachtungsweise, die nach dem damaligen Verständnis gleichbedeutend war mit der mechanischen, eine teleologische setzte. In Analogie zur freien Selbstbestimmung des Subjekts faßte Kant die Natur im Hinblick auf diejenigen ihrer Bildungen, »die so beschaffen sind, daß ihrer Möglichkeit nach eine Idee von denselben in unserer Urteilskraft zum Grunde gelegt werden muß«,60 als eine Art Subjekt und verglich sie mit Hilfe des von ihm entwickelten Begriffs einer »Technik der Natur« 61 mit der Kunst: Die Natur verfährt in Ansehung ihrer Produkte als Aggregate mechanisch, als bloße Natur; aber in Ansehung derselben als Systeme, ζ. B. Kristallbildungen, allerlei Gestalt der Blumen, oder dem innern Bau der Gewächse und Tiere, technisch, d. i. zugleich als Kunst.62

Zwei wichtige Vorentscheidungen waren mit dieser Analogie verbunden: einmal stand die Natur von vornherein unter dem ausschließlichen Gesichtspunkt der Produktivität, was die Frage ihrer Verwertbarkeit gewissermaßen automatisch nach sich zog; zum anderen war sie, dem Selbstverständnis der Transzendentalphilosophie und den systematischen Bedürfnissen der Urteilskraft gemäß, als ein geschlossenes System konzipiert, wodurch alle jene Aspekte, die sich dieser Kategorie verweigerten, ohne Beachtung blieben. Dem gesamten Ansatz nach konnte sich auch die organische bzw. reale Technik der Natur, indem sie die Dinge als Naturzwecke vorstellte, nur auf die Zweckmäßigkeit alles Besonderen, nicht aber auf eine besondere Zweckmäßigkeit beziehen,63 d. h. die Natur wurde allein nach Maßgabe ihrer Systemangemessenheit im Sinne eines rational durchkonstruierten Regelkreises beurteilt. Unter keinen Umständen durfte die Naturzweckmäßigkeit intentional verstanden werden, da dies das selbstauferlegte Gesetz der Immanenz durchbrochen und eine »sich ins Überschwengliche versteigende Vernunft« 64 erfordert hätte. Obgleich ein »Analogon der Kunst«,65 wird die Natur in Wirklichkeit nicht aus den Fesseln der 60

Kant, Werke VIII, 194. Kant, Werke VIII, 190. Zum Begriff vgl. Gerhard Lehmann: Die Technik der Natur. In: Lehmann: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants. Berlin 1969, 289-294. « K a n t , Werke VIII, 194. 63 Vgl. Lehmann, Beiträge, 344. 64 Kant, Werke VIII, 213. "Kant, Werke VIII, 486. 61

212

Mechanik entlassen; ihre »natürliche Technik« ist nur »das zufällige Zusammentreffen mit unseren Kunstbegriffen und ihren Regeln«,66 ist also nur »relative Zweckmäßigkeit«, die »zu keinem absoluten teleologischen Urteile« berechtigt67 und nichts darüber ausmacht, »ob irgend etwas, das wir nach diesem Prinzip beurteilen, absichtlich Zweck der Natur sei«.68 Daher ergibt sich für die Natur eben keine »besondere Art von Kausalität«,69 wie sie der Zweckbegriff zunächst in Aussicht stellte, sondern nicht anders als in der Physik dominiert in der gesamten Naturwissenschaft nach Kant die Ursache über die Wirkung. Folgerichtig wird der Zweck lediglich als Zweckursache interpretiert, d. h. als dasjenige Moment, das die Produktion in Gang hält; was es von der physikalischen Kausalität unterscheidet, ist bloß die Verlagerung vom Ursprung auf das Ziel des Prozesses und insofern unerheblich, als dieser Prozeß selbst zyklisch gedacht wird. Die Natur erscheint als Kreislauf, in dem Mittel und Zweck zwangsläufig konvergieren: der Keim wird Pflanze, die Pflanze Frucht, und die Frucht enthält den Samen, der den neuen Keim abgibt. Auf diesem Schluß beruht die Maxime der teleologischen Urteilskraft: Alles in der Welt ist irgend wozu gut; nichts ist in ihr umsonst; und man ist durch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Produkten gibt, berechtigt, ja berufen, von ihr und ihren Gesetzen nichts, als was im Ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten. 70

Die Vernunft hatte die Natur so konstruiert, daß sie sich ihr füglich anvertrauen konnte: ein verläßliches, in jeder Phase kontrollierbares System, in dem es scheinbar keine Überraschungen gab, denn der Zyklus garantierte die stete Wiederkehr des Gleichen. Es erübrigt sich, auf die folgenschweren Konsequenzen dieser Optik hinzuweisen; sie sind, im Positiven wie Negativen, evident: ihr ist die wissenschaftlich-technische Beherrschung der Natur und im Anschluß daran deren industrielle Nutzung zu danken, zugleich aber auch die völlig einseitige Selektion der Aspekte, die auf lange Sicht eine katastrophale Fehleinschätzung bewirkte. Zwei Dinge sind es im wesentlichen, die der Faszination durch das Allgemeine und das abstrakte Produktionsprinzip aufgeopfert werden: das Individuum und die Tatsache, daß die Natur auch eine materielle, durch Ausbeutung nicht faßbare Seite hat und nicht bloß in der reinen Selbsterzeugung aufgeht. 66 67 68 69 70

Kant, Kant, Kant, Kant, Kant,

Werke Werke Werke Werke Werke

VIII, VIII, VIII, VIII, VIII,

505. 479. 492. 505. 492.

213

Beides hängt unmittelbar zusammen. Weil das einzelne durch die ewige Selbstbewegung von Mittel und Zweck verschlungen wird, erhebt sich an* keiner Stelle dieses Kreislaufs die Frage, welche Bedeutung Phänomene wie Wachstum, Blüte oder Frucht für ein höher organisiertes Wesen eigentlich haben. Das Telos der Entwicklung wird in diesem Modell mit dem mechanischen Ende schlichtweg identifiziert; und Vollendung etwa ist eine Kategorie, die hier nicht greift, weil sie fehl am Platze ist. Teleologie ist in diesem Fall keine qualitative, sondern eine formale Bestimmung. Wie ihr daher das Veränderliche an den Erscheinungen selbst entgeht, da sie nur das Identische sucht, entgeht ihr - und das ist das zweite - das Moment des Vergänglichen, die Fähigkeit der Natur, zugrunde zu gehen. Fixiert auf den Gedanken der Verwertbarkeit - »ob die Gräser für das Rind oder Schaf, und ob dieses und die übrigen Naturdinge für den Menschen da sind« -,71 wird dieses Denken des Umstands nicht gewahr, daß auch ein Organismus als ganzer zusammenbrechen kann. Die Quintessenz des Zyklusgedankens liegt darin, daß er den Tod negiert, daß ihm, auf Produktivität festgelegt, unbegreiflich bleiben muß, warum die Natur in ihren Einzelwesen nur eine begrenzte Zukunft hat. An diesem abstrakten Naturbegriff tritt in aller Deutlichkeit das Grundgebrechen der Transzendentalphilosophie zutage, das Ding an sich, die Materie, und zwar in ihrer Einzelheit und individuellen Substantialität, nicht in Gedanken fassen zu können. Genau besehen sprengte schon der Organismusbegriff ihre Schranken, indem er mit der organischen Natur Erscheinungen und Objekte entdeckte, die sich zwar selbst hervorbringen, aber nicht unabhängig sind von der Materie, die zwar produktiv, aber nicht autonom sind im strengen Sinn der Definition. Da das Subjekt sich mit einem nicht unerheblichen Teil seiner Bedingungen darin notwendig wiedererkennen mußte, bedrohte diese Einsicht nicht nur seine Autarkie, sondern auch seine Interessen, den uneingeschränkten, durch den rigiden Dualismus von Subjekt und Objekt konservierten Herrschaftsanspruch über die Natur. Offensichtlich war die Problematik derart brisant, daß ihr Kant erst im Opus Postumum nachzugeben wagte. Dort schließt durch die endliche Anerkennung des transzendentalen Subjektes als Natur das System der reinen Vernunft mit der Philosophie der Natur und dem Aufbau einer organischen Physik, in der die »ursprüngliche (unabsichtliche) Organisation des Menschen die Basis aller realen Naturtechnik ist«.72 71 72

Kant, Werke VIII, 492. Lehmann, Beiträge, 348f (dort gesperrt).

214

Die Geschichtsphilosophie freilich datiert noch vor dieser Revision. Sie basiert auf einem völlig entmaterialisierten Begriff von Natur und deren nicht weniger abstrakt gedachtem inneren Antagonismus. Er machte es nicht nur leicht, die reale Vernichtungsmacht zu ignorieren; der allgemeine Fortschrittsoptimismus gebot dies geradezu. Es ist sicher erlaubt, in diesem, deutlich in der Aufklärung wurzelnden Zusammenhang von einer kollektiven Verdrängung zu sprechen; über das Todesbewußtsein dominiert der Glücksanspruch und die Sehnsucht nach Vollkommenheit. 73 Obgleich sich das Gesamtklima in dieser Hinsicht bereits zu verändern begonnen hatte, klagt diese Haltung noch der >Hesperus< ein: »wir alle werfen das Bild des Todes aus unserer Seele« (I 1187). Wiederum ist es Schiller, der die geheimen Interessen der bürgerlichen Philosophie unfreiwillig belegt, indem er sein Idyllenkonzept auf ein traditionelles Mißverständnis gründet. Er integriert nämlich die berühmten Worte »Et in Arcadia ego«, die ursprünglich dem Tod in den Mund gelegt waren, 74 seinen geschichtsphilosophischen Vorstellungen und deutet sie, den Naturstand der Menschheit mit der Kindheit des Individuums parallelisierend, in deren Sinne um. Daß ihm als Historiographien ausgerechnet an dieser Stelle nicht das philologische Gewissen schlägt, dürfte kaum ein Zufall, sondern symptomatisch für die hier wirksamen unbewußten Motive sein. Diese treten offen zutage in einem Brief an Humboldt vom November 1795, in dem Schiller die Idee einer ihrem Begriff in allen Zügen entsprechenden, reinen sentimentalischen Idylle entwickelt. Ohne »die menschliche Natur« zu verlassen, soll diese Dichtung vom »Übertritt des Menschen in den Gott« handeln. Und das heißt, daß der Tod eliminiert werden muß: »Denken sie sich den Genuß, lieber Freund, in einer poetischen Darstellung alles Sterbliche aufgelöst, lauter Licht, lauter Freiheit, lauter Vermögen keinen Schatten, keine Schranke, nichts von dem allem mehr zu sehen.« 75 In aller Deutlichkeit treten hier die Bedingungen der Schillerschen Idylle hervor. Sie kann nur dann poetische Wirklichkeit werden, wenn zugleich die menschliche Natur aufgehoben, die Sterblichkeit überwunden wird. Die hinfällige Natur kann das utopische Versprechen in der Geschichte nicht einlösen. Daß Schillers Idyllenplan schließ73

Vgl. dazu den Abschnitt über die Aufklärung in Walther Rehm: Der Todesgedanke in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik. 2. Aufl., Darmstadt 1967, 244ff. 74 Vgl. Horst Rüdiger: Schiller und das Pastorale. In: Euphorion 53, 1959, 229-251; hier 240. 75 Zitiert nach Rüdiger, Pastorale, 242. 215

lieh scheiterte, mag vielerlei Gründe gehabt haben, die u.a. in der grundsätzlichen Unvereinbarkeit der Idee des naiven Kunstwerks mit der modernen Literatur und ihren historischen Bedingungen lagen; jedenfalls wurde schon im ersten Ansatz klar, daß sein Ziel, die Versöhnung der Vernunft mit ihrer Natur, auf natürlichem Wege nicht erreichbar war. Jean Paul, dem früh ein strenges Bewußtsein der Endlichkeit des Natürlichen zu eigen wurde, konnte diese Illusion zu keiner Zeit teilen. »Die Menschen«, schreibt der >HesperusFruchtstück< im >SiebenkäsVorschule< den vierarmigen »Paradiesesstrom der Idyllen« (V 259) nennt und der auf seiner Insel alles versammelt, was zu einem solchen Paradies gehört: ein »Lustlager in den Wogen« (II 417) -, als ihn in der allgemeinen Verzauberung der Frühlingsnacht 216

»auf einmal der Blitz der Erinnerung über [s]ein ganzes dunkles Wesen« (II 437) trifft, eine Art verkehrter, >schwarzer< Epiphanie, nicht Verklärung, sondern Vernichtung weissagend: Es gibt schauerliche Dämmeraugenblicke in uns, wo uns ist, als schieden sich Tag und Nacht - als würden wir gerade geschaffen oder gerade vernichtet das Theater des Lebens und die Zuschauer fliehen zurück, unsre Rolle ist vorbei, wir stehen weit im Finstern allein, aber wir tragen noch die Theaterkleidung, und wir sehen uns darin an und fragen uns: »Was bist du jetzo, Ich?« (II 437)

Wie die Texte zeigen, tritt hier die Hüllenmetapher wieder in Funktion, nun ihre materiale Seite betonend. Denn die Hülle ist das Vergängliche an der Gestalt, ist das, was den Gesetzen der Natur unterworfen bleibt. Auch die anderen Sinnbilder der Körperlichkeit - Maske, Larve, Wachsfigur - gehören in diesen Zusammenhang, 76 weil das Lebendige immer zugleich das Sterbende ist und »wir hienieden nur als trügerischfeste und rot gefärbte Gebilde neben unsern Höhlen stehen« (II 477). »Die Masken«, so heißt es in den >FlegeljahrenUnsichtbaren Loge< den Aufstieg seines Schützlings aus der Höhle und damit die eigentliche Geburt Gustavs zum Leben auf der Erde »Sterben« nennt. Der Zeitpunkt, der ihm den »unendlichen Tempel der Natur« (I 57) eröffnet, wird ihm durch die Todesblume, die Lilie, angezeigt (vgl. I 58f). Noch ehe er der »großen Natur ins Angesicht schauen darf« (161), kündigen sich die Schatten an. Freude und Angst begleiten die »Auferstehung« (vgl. I 62) und den Auftritt auf dem »große[n] Theater des menschlichen Leidens und Tuns«, das »mit dem ganzen Gedränge der Schöpfung« vor Gustav aufgeht (I 60). Von Beginn an ist klar, daß es ein »Freudenspiel« auf Zeit sein wird, was ihn auf dieser Bühne erwartet; schon die Gegenwart wird als Vergangenheit antizipiert: eine in der Erinnerung seiner Seele »untergesunkne grüne Insel hinter tiefen Schatten gelagert« (I 60). So 76 77

Vgl. Kap. III, 1. SW II, 1, 156. Der Vermutung des Herausgebers nach stammt der Text vom Januar 1781. 217

überwältigend ihn das »unendliche Leben« (I 63) auch empfängt, allerorts pulsierend in Bewegung, so ist es doch gleichwohl ein »Leben voll Toter« (164) und die Erde eine Larve, die »uns Zeit lasset, zu sein« (I 63). Der Geburtstag weist auf das natürliche Ende voraus: Das Schicksal steht stumm hinter der Larve; die menschliche Träne steht dunkel auf dem Grabe; die Sonne leuchtet nicht in die Träne. (I 64)

Was sich in dieser Szene auf gedrängtem Raum vollzieht, ist der Angriff auf die Technologisierung der Natur, mit deren Hilfe das Subjekt versucht, sie sich Untertan zu machen. Da es aber die eigene Natur

nicht abzustreifen vermag, muß dieser Versuch scheitern. Denn die Natur ist in Wahrheit nicht zyklisch, wie der philosophische Begriff es vorgibt; was sie so erscheinen läßt, ist lediglich das zeitliche Nebeneinander von Entstehen und Vergehen, Geburt und Tod. In Wirklichkeit erfaßt der Zyklus bloß die schale, das Einzelschicksal ausklammernde anonyme Präsenz. So gesehen steckt in der merkwürdigen Szene eine präzise Analyse: sie beginnt mit der allegorischen Darstellung des Jahres, in der die Jahreszeiten als die vier Lebensalter auftreten, »vier Priester [...] im weiten Dom der Natur« (I 62). Auch an anderen Stellen bedient sich Jean Paul dieser Analogie, die zum ältesten Bilderbestand der Literatur zählen dürfte. Mit Gustavs Eintritt in die Welt wird der Kreis ewiger Selbstverjüngung jedoch unterbrochen. Durch seine Teilhabe an der Natur erhält diese einen Fluchtpunkt, in dem nicht mehr das Allgemeine, sondern das Individuelle steht. Bereits ein Bruchstück aus den >Rhapsodien< verlangte, über den Tod »weder wie ein Theolog, noch Philosoph«, stattdessen aber »wie ein Mensch« zu denken (J I 305), verändert sich doch damit radikal die Bedeutungsdimension, weil die Natur für das einzelne Leben nicht endlose Wiederholungen bereithält, wohl aber, wie es im >Kampaner Tal< heißt, »das Ende der Folgen, die Vernichtung« (IV 621). Analog bestimmt dieses Gesetz auch das Verhältnis von Gattung und Individuum: »Der Sterbliche hält sich hier für ewig, weil das Menschengeschlecht ewig ist; aber der fortgestoßene Tropfe wird mit dem unversiegenden Strome verwechselt; und keimten nicht immer neue Menschen nach, so würde jeder die Flüchtigkeit seiner Lebenterzie tiefer empfinden« [...] (I 1068)

Hiermit legt Jean Paul den Kern des philosophischen Naturbegriffs bloß. Das bürgerliche Naturvertrauen ist durch eine vom Wunschdenken genährte Sicht bedingt, die im Grunde darauf zielt, die Natur überhaupt zu verdrängen. Was ihr wirkliches Wesen ist, gerät unter dieser Perspektive völlig aus dem Blick. Dagegen sucht Jean Paul die 218

Gewichte zurechtzurücken. Natur und Geschichte sind zwar unzertrennliche Größen, aber es ist gerade die Geschichtlichkeit der Natur, die ihr den Übergang in die Utopie verwehrt, weil diese erstens eine geschichtslose Natur voraussetzt - bei aller historischen Reflexion unterscheidet sich die Schillersche Idyllenkonzeption in ihrer Zielvorstellung nicht wesentlich von ihren Vorgängerinnen; auch sie ist von dem Gedanken getragen, die Zeit möchte am Ende stille stehen - und weil zweitens die Natur aus individuellen Geschichten besteht, deren Gang unumkehrbar ist. Schon Herder hatte, noch ehe die kritische Philosophie auf den Plan getreten war, auf die prinzipielle Individualität des Lebendigen verwiesen, und der Sache nach knüpft Jean Paul dort wieder an.78 So ruft Vult sich und seinen Bruder energisch aus allen diesbezüglichen Träumen: »Die unschuldigen Kinderfreuden kommen nie wieder, Walt!« (II 669) In ähnlicher Weise gibt sich Viktor Rechenschaft darüber, daß der »Garten der Kindheit« (I 562) geschlossen bleibt. Irgendwann muß sich ein jeder mit den »einschrumpfenden Lustgärten und Lustwälder[n] des Lebens« (II 477) vertraut machen: »und darauf legt sich der Mensch nicht weit vom Grabe nieder auf die Erde und hofft hienieden nicht mehr« (I 562f). Hoffnungslos im eigentlichen Sinn ist die Natur, die natürliche Gebrechlichkeit ihrer Geschöpfe, und ein goldenes Zeitalter auf ihrem Boden daher nicht denkbar. Das bedeutet jedoch nicht, daß Jean Paul den von der Aufklärung einst erhobenen und zum treibenden Moment der Emanzipationsanstrengungen gewordenen Glücksanspruch aufgehoben hätte, im Gegenteil; vom >Kampaner Tal< bis zur >Selina< ist er in stets erneuter Bekräftigung gegenwärtig. Denn die »Forderung der Glückseligkeit« gehört, wie Solle richtig bemerkt, auch bei Jean Paul zur Würde des Lebendigen;7* es hat ein Recht darauf, ein freudloses Dasein abzuweisen (vgl. VI 1205), nicht zuletzt deshalb, weil es offensichtlich zur Freude geschaffen wurde. Als Indiz dafür gilt der natürliche »Reichtum der Kräfte« und die Schönheit der gesamten Natur, für die Kategorien wie Notwendigkeit und Nutzen nicht zureichen: »Es läßt sich eine Welt denken«, sagt Jean Paul, »deren tierisches Räderwerk bloß durch die Gewichtsteine der Schmerzen ohne irgendein Öl der Freude umliefe; denn die Scheu vor gewiß dastehenden Schmerzen spornte so unauf78

19

In seiner Jugendschrift >Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit< vertrat Herder einen Teleologiebegriff, der als Ziel und Zweck der Geschichte nicht nur die Vervollkommnung der Gattung, sondern daneben auch diejenige des Individuums, des einzelnen Volks wie des einzelnen Menschen, im Blick hatte. Vgl. Dorothee Solle, Realisation, 275.

219

haltsam fort als die ungewisse und zuletzt entbehrliche Lust anlocken würde« (VI 1204). Tatsache aber ist ein unleugbarer Überfluß, die geradezu verschwenderische Haushaltung der Natur, für die es keine andere Erklärung gibt, als daß sie existiert, um genossen zu werden. Schon das macht sie zu einem weiteren gewichtigen Argument gegen eine Naturansicht ausschließlich unter dem Aspekt der Technik und der instrumentellen Zweckmäßigkeit, in deren System die Schönheit nicht allein entbehrlich, sondern, da ohne Funktion, sogar ein Störfaktor wäre. Ähnliches wandte Jean Paul bereits gegen die geschlossene Deduktion des fichteschen Systems ein, da ihm angesichts der offenbaren Funktionslosigkeit vieler Erscheinungen, die in keinem erkennbaren Bezug zu irgendeinem Bedürfnis, es sei denn der selbstgenügsamen Daseinsfreude, stehen, in der Beweisführung der Philosophen »manches zu hinken« schien (III 1053). Allein in dem Umstand, daß die Natur, ohne auf den Nutzen zu achten, »mit Aufgängen und Schöpfungen wuchert« (VI 1140), lag für ihn ein Einwand, dem durch keine Logik zu begegnen war und der, abgesehen einmal von der moralischen Seite der Sache (vgl. III 1044, Anm. 2), den geheimen Terror des so schlicht erscheinenden Denkens in den zwanghaften Zweck-Mittel-Relationen des Konsums entblößte: Was nun für alle Wesen gilt, dies gilt auch für das tiefste so gut wie für das erhobenste, ja noch weit mehr und der Wurm an der Angel war nicht bloß für die Angel erschaffen oder für den Vorteil der Fischesser. Kein Wesen kann auf seine ewigen Kosten zum breitgequetschten Unterbau des vollsten Lustschlosses für das ganze All daliegen und es würde das übrige All als seinen Schuldner und Räuber anklagen. (VI 1205)

Nicht also das »Recht auf Glücklichsein« (VI 1203) wird von Jean Paul bestritten; seine Zweifel beziehen sich auf die Überzeugung, daß es sich je voll erfüllte, solange die Vergänglichkeit im Gesetz der Natur liegt. Neben der Präsenz des Todes ist es daher die Sehnsucht, die den idyllischen Frieden nicht weniger einschneidend durchbricht und den Rückzug auf das einfache Leben verhindert. Die kleine, in die >Flegeljahre< eingeschobene idyllische Erzählung über »Das Glück eines schwedischen Pfarrers« mag hier zum Exempel dienen. Scheinbar versammelt das Stück alle Merkmale der bürgerlichen Idylle: die begrenzte, ländlich-naturnahe Szenerie, ein überschaubares Personal, dessen Stand überdies von der Erwartung her die großen Emotionen ausschließt und ein in gemächlichen Rhythmen sich bewegendes Dasein verspricht: gedämpftes, ruhiges Glück. Diesem äußeren Gang widerstrebt jedoch von Anfang an ein gegenläufiges Moment, das die vorgebliche Gegenwärtigkeit des Erzählten - eines der wichtigsten Charakteristika 220

des Idyllischen - Zug um Zug unterläuft. Bedingt durch die Binnenfiktion steht die ganze Geschichte gewissermaßen in einer Klammer; Walt phantasiert seine eigene Zukunft, indem er sich selbst an die Stelle des Protagonisten denkt. Dieselbe Struktur wiederholt sich in der Erzählung selbst. Nirgendwo nämlich genießt der gedachte Pfarrer das Glück des Augenblicks, sondern stets ein anderes, bloß phantastisches. Die schwedische Sommernacht bringt ihm »das halbe Italien«, die Winternacht »die halbe zweite Welt« (II 598); der Genuß von Orangenzucker erinnert ihn an das »schöne Welschland«, der Mond an die Lorbeerbäume des Südens, das Posthorn imaginiert »blumige Länder«, ein welkes Rosenblatt den Paradiesvogel etc. (vgl. II 600). Treibt er diese Vorstellungen weit genug, »so wird er«, heißt es, »kaum mehr wissen, daß er in Schweden ist, wenn das Licht gebracht wird und er verdutzt die fremde Stube ansieht. Will ers noch weiter treiben, so kann er sich daran ein Wachskerzchen-Endchen anzünden, um den ganzen Abend in die große Welt hineinzusehen, aus der ers herhat« (II 600). Wie die ganze Geschichte ein Sehnsuchtsgebilde des dichtenden Notars, so ist in ihr jedes Ereignis ein Anlaß zur Sehnsucht. Der Blick verweilt nicht bei den Dingen selbst; ein jedes dient bloß dazu, den Absprung in die Phantasie zu schaffen. Die Gegenwart löst sich in ein unbestimmtes Etwas auf, von dem noch nicht einmal zu sagen ist, ob es die Zukunft bedeutet. Hier wird kein gelassenes Glück präsentiert, sondern allenfalls ein noch ausstehendes. Von Erfüllung ist nicht die Rede. Fast zwanghaft drängen sich die Bilder vor das Dasein, das am Ende völlig schwindet im Sog der Wünsche: Der Pfarrer denkt an sein fernes Kindheitsdörfchen und an das Leben und Sehnen der Menschen und wird still und voll genug. (II 602)

Ohne Ausnahme gleichen sich hierin alle Idyllen Jean Pauls. Genauso zweideutig wie der Rat des >WutzFlegeljahre< (II 668f). Johanniswürmchen, Dorfglocken und Hirtengeschrei bereiten die Atmosphäre, ehe es dann weiter heißt: »In Mitternacht glomm es leise wie Apfelblüte an, und liebliche Blitze aus Morgen spielten herüber in das junge Rot. Die nahen Birken dufteten zu den Brüdern hinab, die Heu221

Szene fast wörtlich schon im >WutzSelberlebensbeschreibung< wie ein Blitz in das behagliche Joditzer Idyllenleben schlug und dessen enge Grenzen aufhob: das Muster sollte allenthalben wiederkehren. Alle Sehnsüchte sind die Abkömmlinge dieses zunächst »gegenstandlose[n] Sehnen[s]« (VI 1077), dem die Liliputanerwelt der Idylle offenbar nicht gewachsen war. Was bedeutet es? Die >Selina< spricht von einer unendlichen, unstillbaren Sehnsucht, nennt sie »ein beinahe quälendefs] seltsame[s] Heimweh nicht nach einem alten verlassenen sondern nach einem unbetretenen Lande«, »nicht nach einer Vergangenheit, sondern nach einer Zukunft« (VI 1208). Sie gründet in der »Unförmlichkeit zwischen unserem Wunsche und unserem Verhältnis« (IV 614), zwischen unserer Glückserwartung und der realen Geschichte, und sie »ergreift uns wider Erwarten gerade nicht in Leiden, sondern in unsern Freuden« (VI 1208), d. h. sie fällt mitten ins Glück und läßt es unter der veränderten Perspektive unaufhaltsam schrumpfen: Aber vom Genüsse des Mondscheins und des Sonnenglanzes und der Abendröte an bis hinauf zum Erhabenen der Gebirge und der Künste und bis zum Hingeben und Sterben vor unendlicher Liebe und bis zu den Wonnetränen vor Rührung regiert die Sehnsucht nach etwas Höhern und das Herz fließt über und wird doch nicht gefüllt. So gleicht denn im Genüsse das Herz dem Zugvogel, welcher obwohl im warmen Zimmer aufbewahrt, doch zur Zeit, wo andere Vögel in die schönen wärmern Länder ziehen, sich ihnen nachsehnt und davonfliegen will. (VI 1208)

Was sich hier kundtut, ist die durch keine Utopie zu beschwichtigende Bedürftigkeit der Natur, ihre grundsätzlich eingeschränkte Autonomie, ihr genereller, stets auf Kompensationen angewiesener Mangelcharakter. Während aber beispielsweise Schillers Kulturbegriff seinem Selbstverständnis nach darauf aus ist, dieses Bedürfnis am Ende zu tilgen, um die Freiheit an seine Stelle zu setzen, ist für Jean Paul auf ganz elementare Weise der Fortschritt nicht bloß der Gattung, sondern des einBerge unten dufteten hinauf. Mancher Stern half sich heraus in die Dämmerung und wurde eine Flug-Maschine der Seele.« 222

zelnen Individuums an dieses Bedürfnis gebunden, ganz davon abgesehen, daß es seiner Erfahrung nach kaum je gelingen könnte, es restlos zu befriedigen. Dazu ist der Mensch - auch der sozialisierte - zu sehr Natur; auf diese ernüchternde Erkenntnis sucht Jean Paul aufmerksam zu machen. Seiner Meinung nach bleibt es ein gleichsam blindes und vergebliches Unterfangen, das >alte verlassene LandVorschule< auffallend spärliche, dazu meist abwertende Bemerkungen zur Satire gegenüber, die kaum den Titel Theorie verdienen dürften und ihn wohl auch nicht beanspruchen wollen. Umso gewichtiger nimmt sich daneben das Kapitel über den Humor aus, in dem Jean Paul selbst seinen originellsten Beitrag zur Ästhetik gesehen und das über weite Strecken der Literaturgeschichte die selbstverständliche Grundlage der Interpretation abgegeben hat, zumal der Autor es als ein Stück Selbstauslegung verstanden und diese Methode eigens autorisiert zu haben schien. Daß hier ein für das gesamte Werkverständnis ausschlaggebendes Problem liegen könnte, trat erst mit der skizzierten Interessenverlagerung der Forschung zutage. Offensichtlich stehen bei Jean Paul die Aufwertung des Humors und die Abwertung der Satire in einem reziproken Bedingungsverhältnis. Andererseits läßt sich gewiß nicht behaupten, daß die Satire in der Praxis ebenfalls - quantitativ oder qualitativ - auf dem Rückzug begriffen wäre; eher ist das Gegenteil der Fall.81 Mit zunehmender Distanzierung vom Programm der Aufklärungspoetik wird die Satire freier, schärfer, treffsicherer, ja ich möchte sagen realitätsgerechter, nachdem angesichts der historischen Implikationen von Jean Pauls Ästhetik die von Schmidt-Biggemann empfohlene Zurückhaltung gegenüber der Anwendung gattungsgeschichtlicher Kriterien und deren über die Erlebniskategorie gesteuerten Applikation auf politische Geschichte unbedingt geboten scheint. 82 Die allegorisierende Satire ist durch ihre starke Bindung ans poetologische Reglement in ihren aggressiven Aktionen weitaus vermittelter, während der allgemeine Subjektivierungsprozeß der Ästhetik durch den erheblich größeren Spielraum, den er gewährt, einen wesentlich direkteren und konkreteren Zugriff ermöglicht, auch wenn dies paradox erscheinen mag im Blick auf die damit 81

Gegen die lange Zeit herrschende Gepflogenheit, Jean Pauls satirisches Jugendwerk in Gegensatz zu seinen späteren >reifen< Arbeiten zu setzen, um jenes abzuqualifizieren und in diesen das Wahre und Zeitlose zu genießen, erinnerte Harich mit Nachdruck daran, »daß die Satire auch nach 1790 ein nicht fortzudenkendes Element seines Schaffens geblieben ist« (Satire und Politik, 1488). 82 Vgl. Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel, 29.

224

einhergehende Entwicklung größerer Beliebigkeit in der Wahl des Objekts, der wachsenden Verselbständigung des witzigen Allegorisierens und des möglichen Umschlags in Skurrilitäten, schließlich der weitgehenden Verlagerung der satirischen Angriffsobjekte auf die imaginierte Gehirnbühne des Autors - Faktoren, die Lindner einleuchtend als Verinnerlichungstendenzen der Satire gedeutet hat.83 Die Steigerung des Aggressionspotentials der Jean Paulschen Satire, die zu einem nicht geringen Teil von der Genauigkeit der Wirklichkeitsanalyse abhängt, scheint mir unbestreitbar selbst dann, wenn man komplementär dazu die erhöhte Neigung zu ästhetischen Unverbindlichkeiten beobachten muß. Dieser etwas merkwürdige Umstand liegt u. a. darin begründet, daß die Satire bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr isoliert, als Einzelwerk erscheint, sondern eingebettet in einen humoristischen Roman, der aufs Ganze gesehen den Attacken im einzelnen bis zu einem gewissen Grade die Spitze wieder nehmen muß. Der Humor, so scheint es, neutralisiert die Satire. In der Theorie schließlich wird sie als eigenständige poetische Form völlig an den Rand gedrängt und von der Ästhetik des Humors gewissermaßen absorbiert. Die Frage stellt sich nach den Motiven, die sich zweifellos zunächst einmal im Umkreis der faktischen historischen Ereignisse ansiedeln lassen, dann aber doch den Eindruck vermitteln, als würden sie sich darin keineswegs erschöpfen und ihre argumentative Durchschlagskraft auch dann noch bewahren, wenn der geschichtliche Verlauf ein anderer gewesen wäre und die ökonomische Emanzipation des Bürgertums auch die politische bedeutet hätte. Wie sich zeigen soll, stellt Jean Paul gerade diesen Punkt ausdrücklich zur Diskussion. Auf den Nenner der Resignation jedenfalls läßt sich das Problem nicht reduzieren. Die Abschwächung der aggressiven Tendenzen hat unmittelbar mit den Bedingungen der Satire zu tun und betrifft ihre neuralgischste, über Gelingen oder Mißlingen grundsätzlich entscheidende Seite: die Frage ihrer Legitimation. Nicht von ungefähr hat sich seit der Antike »die Tradition der satirischen Apologie herausgebildet« 84 und die Geschichte der Satire begleitet. Stets ist es um die Frage der »gerechte[n] Empörung« 85 gegangen, und weil die Satire, wie kaum eine andere Form der Literatur, wenn sie sich nicht selbst um ihren Sinn bringen will, auf Wirkung und auf Verbündete angewiesen ist, weil sie mit ihrem Anliegen grundsätzlich überzeugen muß, gehört die Rechtferti83

Lindner, Jean Paul als J. P. F. Hasus. Jürgen Brummack: Zu Begriff und Theorie der Satire. In: DVjs 45, 1971, Sonderheft Forschungsreferate, 275-377; hier 347. 85 Brummack, Satire, 347. 84

225

gung des Angriffs - explizit oder implizit - zu ihren wichtigsten Aufgaben. Als »ästhetische Darstellung und Kritik des Falschen (Normwidrigen), mit der Implikation: zu sozialem Zweck«,86 hat sich die Satire in jedem Fall als rechtmäßig vor der Öffentlichkeit auszuweisen, da partikulare Interessen und private Aggressionen diesen Anspruch unmöglich begründen können. Mit besonderem Nachdruck hat Schiller auf diesen Punkt hingewiesen: »Bei der Darstellung empörender Wirklichkeit kommt daher alles darauf an, daß das Nothwendige der Grund sey, auf welchem der Dichter oder der Erzähler das Wirkliche aufträgt«.87 Schiller fügt hinzu, daß dies nicht einmal ausgesprochen werden müsse, »wenn der Dichter es nur im Gemüth zu erwecken weiß«.88 Für ihn wie für die gesamte Aufklärung, an deren Tradition Jean Pauls Satire unmittelbar anknüpft, war das Notwendige aber die Vernunft. »Nur durch die Vernunft«, heißt es, darf die Poesie »zu unserm Herzen den Weg nehmen«, alles andere »ist der Dichtung unwürdig«.89 Vernunft war das Maß, an dem sich der Schein vom Wesen sondern,90 an dem sich das allgemeine Handeln orientieren und die Wirklichkeit ausrichten mußte. Sie war gleichbedeutend mit der »Idee der Menschheit«,91 dem humanen Ziel der Geschichte. »Sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen«, wie Kant es in seinem berühmten kleinen Aufsatz über die Aufklärung formulierte, 92 hieß konkret, sich »seiner Naturgaben« bewußt zu werden und der falschen Autoritäten im Denken wie im Handeln, der überkommenen und durch nichts als das Alter ausgewiesenen Vorurteile, der institutionalisierten Privilegien zu entledigen, kurz: das »Joch der Unmündigkeit« 93 endlich abzuschütteln und damit der ursprünglichen Bestimmung der Gattung, dem Fortschritt der Aufklärung zu folgen, nachdem »die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen« 94 hatte. Zur Aufklärung, meinte Kant und faßte damit die opinio communis seines Zeitalters zu einer streitbaren Formel zusammen, braucht es nichts weiter als die Freiheit, »von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen«.95 Nicht nur Schiller, auch schon Gottsched war davon überzeugt, daß die Satire darum das 86

Brummack, Satire, 276. Schiller, Werke XX, 443. 88 Schiller, Werke XX, 442. 89 Schiller, Werke XX, 443. 90 Vgl. Schiller, Werke XX, 444. 91 Schiller, Werke XX, 437. 92 Kant, Werke IX, 57. 93 Kant, Werke IX, 54. 94 Kant, Werke IX, 53. 95 Kant, Werke IX, 55.

87

226

geeignete Mittel sei, den natürlichen Rechtsanspruch des Menschen geltend zu machen. Da es ihr um das allgemeine Wohl geht, ist ihr Forum die Öffentlichkeit, sind Vernunft und Wahrheit ihre einzigen Verbindlichkeiten. 96 Sie geltend zu machen, braucht es keiner besonderen Berufung; aufgerufen ist jeder moralisch Integre, den die Sorge um das Gemeinwesen treibt: »Ist nicht ein jeder rechtschaffener Bürger verbunden, für sich selbst, zur Aufnahme und Wohlfahrt der Republik so viel beyzutragen, als er kann?« 97 Ähnliches, vielleicht noch schärfer akzentuiert, läßt sich bei Sulzer nachlesen, für den die Satire ein nahezu unentbehrliches Instrument der Aufklärung ist: »ein Werke, darin Thorheiten, Laster, Vorurtheile, Mißbräuche und andre der Gesellschaft, darin wir leben, nachtheilige, in einer verkehrten Art zu denken oder zu empfinden gegründete Dinge [...] vorgehalten werden«. 98 Im Blick auf das Allgemeine muß die Satire »unter die wichtigsten Werke des Geschmaks« gerechnet werden, indem sie die Vernunft gegen die »im Verstand, Geschmak oder dem sittlichen Gefühl herrschende Unordnung«, die wesentlich gefährlicher ist »als eine blos vorübergehende [physische] Noth«, 99 in Erinnerung bringt. Mehr noch: ihre Bedeutung für »die ganze Gattung« 100 liegt in der eindeutig therapeutischen Funktion, ihrer heilenden Wirkung,' 01 weshalb sich ein »wahrer Satirendichter«, obgleich er »etwas seltenes seyn müsse«, da sich in ihm das »Interesse für Wahrheit« und die »lachende Laune«, der Moralist und der Spötter zusammenzufinden haben, 102 in jedem Fall verdient macht um das Ganze: Wer demnach ein Volk, oder nur einen Stand in der bürgerlichen Gesellschaft, von einer Thorheit, oder irgend einer andern verderblichen Abweichung von dem geraden Weg der Natur und Vernunft, zurüke bringen kann, hat ihm eine sehr wichtige Wohlthat erwiesen. 103

Wie sich zeigt, hat sich der höchste Begriff der aufgeklärten Philosophie, die ihre Inhalte und Schranken selbst bestimmende Vernunft, unverändert auch in der Ästhetik bzw. Poetik niedergeschlagen. Im 96

Vgl. Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Nachdruck der 4. vermehrten Auflage, Leipzig 1751, 5. Aufl., Darmstadt 1962, 557. 97 Gottsched, Critische Dichtkunst, 558. 98 Sulzer, Allgemeine Theorie IV, 130. "Sulzer, Allgemeine Theorie IV, 132. 100 Sulzer, Allgemeine Theorie IV, 131. 101 Vgl. Sulzer, Allgemeine Theorie IV, 132. 102 Sulzer, Allgemeine Theorie IV, 134. 103 Sulzer, Allgemeine Theorie IV, 132.

227

Fall der Satire lag dies insofern besonders nahe, als die Vernunft, wie Kant sagt, sich »in allen ihren Unternehmungen der Kritik unterwerfen«, 104 d. h. sich selbst dem Prozeß der Aufklärung unterziehen muß. Ohne Kritik würde sie »gleichsam im Stande der Natur« 105 verharren, die sie sich doch ihrer Bestimmung nach aneignen sollte, um sie vernünftig zu machen. Dabei muß sie sich fortlaufend zum eigenen Maßstab erheben, da sie »keinen anderen Richter erkennt, als selbst wiederum die allgemeine Menschenvernunft, worin ein jeder seine Stimme hat«. 106 Vernunft, heißt es, werde »schon von selbst durch Vernunft [...] gebändigt« 107 und könne daher »ihr eigen Interesse besorgen«. 108 Kant sprach nur stellvertretend für die allgemeine Überzeugung; noch Herders Satirebegriff von 1803 - dem Entstehungsjahr der >Vorschule> entwickelt in einem allegorischen Gespräch, in dessen Verlauf die Satire im Namen der Vernunft durch die Kritik ordiniert wird, zeugt von dieser Maxime. 109 Der Glaube an die Selbstdisziplin der Vernunft war jedoch der Punkt, an dem die Zweifel Jean Pauls einsetzten und seine satirische Tätigkeit zum Problem werden ließen. Dies, wie gesagt, nicht aus Gründen der politisch »scheiternden Aufklärung«," 0 deren Konzept einer allgemeinen Vernunftkontrolle mangels Demokratie kläglich zunichte wurde, sondern nach Maßgabe seiner Einsicht in das öffentlich verdrängte wahre Wesen der Natur, ihrer nur zu einem Teil bewältigten und u. U. überhaupt nie völlig bewältigbaren destruktiven Kräfte, einer Erkenntnis, die im wesentlichen Selbsterkenntnis war und voraussetzte, daß die eigene - sterbliche - Natur akzeptiert wurde. Die sich daran anschließende, ihrerseits nun nicht weniger kritische Frage war die nach dem Schicksal einer Vernunft, die sich dazu um keinen Preis verstehen wollte, weil sie ihrer Konzeption nach eben diese Natur bedingungslos hinter sich lassen mußte. Daß deren Bedürfnisse nicht ausschließlich durch Vernunft geregelt, geschweige gestillt werden könnten, lag jenseits des Denkbaren. Von vornherein war die Natur so kalkuliert, daß sie sich den Argumenten der Vernunft beugen mußte. An Widerstand war auf die Dauer nicht gedacht. Jean Paul hingegen demonstriert die ruinösen Folgen des aufklärerischen Vernunftinzests; er zeigt, daß die Rechnung auf ver104

Kant, Werke IV, 630. Kant, Werke IV, 639. 106 Kant, Werke IV, 640. 107 Kant, Werke IV, 637. 108 Kant, Werke IV, 634. 109 Vgl. Herders Sämmtliche Werke, Bd. XXIV, 188-197. 1,0 So die Grundthese Lindners, Jean Paul. 105

228

schiedene Weise nicht aufgehen kann, wenn die Vernunft sich selbst überlassen bleibt. Im gleichen Maße wird nämlich auch die Natur sich selbst überantwortet und wird umso unvernünftiger, je mehr die abstrakte Selbstreflexion sich in die Höhe schraubt. Keine neue Einheit kommt auf diesem Weg zustande, wie Schiller sie erhoffte, 1 " sondern eine elementare Bedrohung wird heraufbeschworen. Da im Kulturstand die ursprünglichen Sicherungen verloren sind, pervertiert die menschliche Natur nahezu zwangsläufig und schlägt um in reine Begierde, in Wahnsinn und Selbstvernichtung. Wo Gottsched noch an die gesunde Vernunft glauben und appellieren konnte," 2 da wartet Jean Paul mit ihrer Pathologie auf. a) Roquairol Fichteanismus und Ästhetizismus sind die beiden wichtigsten und durchaus zutreffenden Kategorien, die sich die Forschung zur Charakterisierung Roquairols, einer der exponiertesten Gestalten Jean Pauls, zurechtgelegt hat. Das gilt fast unverändert von den ersten größeren Interpretationsversuchen etwa durch Nerrlich" 3 bis hin zu Harichs umfangreichem Buch, dessen höchst konventionelle Deutung in diesem Bereich" 4 darauf schließen läßt, wie wenig offensichtlich die alte Monographie Rohdes inzwischen überholt ist und trotz des modischen Aufputzes neuerer Auslegungen im großen und ganzen noch immer den Standard der >TitanRoquairolHesperus< verkörpert, Technokratie, und erreichte damit jene moralische Indifferenz, die sie ohne weiteres dazu disponierte, unter bestimmten Umständen, in Extremsituationen, in Gewalt umzuschlagen, wobei sie dann, wie Jean Paul es am Beispiel des Lords demonstriert, die in diesem abstrakten Mechanismus wirksamen anarchischen Kräfte und Tendenzen freisetzte und neben ihren Feinden auch ihre Sachwalter traf. Die Französische Revolution war ein solcher Augenblick, der, statt daß er die Natur in Moral und Sittlichkeit überführt, ihr eine dem geschichtlichen Bewußtsein angemessene, vernünftige Form gegeben hätte, das Verdrängte in geradezu eruptiven Gewaltakten ans Licht holte. Kein Wunder, daß auch in diesem Zusammenhang bei Jean Paul wieder das Bild der Sphinx begegnet, und zwar nicht erst in dem späten >CordayNatur< zurück entlassen [sind], aus dem sie die Geschichtsphilosophie der Aufklärung gerade erst geborgen hatte, indem sie Gesellschaft und Staat als die moralischen Aufgaben des Menschen deklariert, und sie ihm als seine eigenen Werke übergab«. 156 Falsch ist jedoch, für Jean 155

156

Im einzelnen dazu Johannes Schwartländer: Der Mensch ist Person. Kants Lehre vom Menschen. Stuttgart 1968, 98. Kurt Wölfel: Zum Bild der Französischen Revolution im Werk Jean Pauls.

250

Paul daraus einen »Deutungs-Umschlag« der geschichtsphilosophischen Prognose ableiten zu wollen, denn dafür fehlt es an jeder Grundlage. Jean Paul hat zu keiner Zeit in diesem Punkt die Prämissen der Aufklärung geteilt, vielmehr bekämpfte er deren geheime mechanistische Tendenzen und kritisierte sie, weil sie ihre wahre Chance verabsäumt hatte. Daß ihm die späteren Revolutionsereignisse als Pervertierung der ursprünglichen Intention der historischen Vernunft erscheinen mußten, war durchaus konsequent. Die verleugnete Natur begann sich umso rücksichtsloser zu rächen, je weniger der Geschichtsoptimismus sie hatte wahrhaben wollen. Es war nicht Jean Paul, der die Geschichte dem unhistorisch gedachten »bösen Prinzip« wieder anheimstellte, nachdem die moralischen Hoffnungen praktisch gescheitert waren,157 sondern die Aufklärung selbst, die sich ihre Verblendung notgedrungen als historische Schuld zumessen lassen mußte. Niemals hätte sie sich damit begnügen dürfen, den Fortschritt des Menschengeschlechts unter Absehung einer die ganze, nicht bloß die juridische Person verpflichtenden Moral von dem Zuwachs an Legalität zu erwarten, wie es in der kantischen Philosophie vorgesehen war.158 Denn auf diese Weise nötigte sie sich selbst, die Entwicklung in eine bessere Zukunft dem formalen, sich gewaltsam durchsetzenden »Zwang der Natur« - »wir mögen wollen oder nicht«159 - anzuvertrauen. Was dies hieß, hatte Kant ohne Umschweife zu erkennen gegeben: der ohnmächtigen Vernunft muß die Natur durch »böse Gesinnungen«,160 »jene selbstsüchtige[n] Neigungen« auf die Sprünge helfen, durch die das Individuum, »wenn gleich nicht ein moralisch-guter Mensch, dennoch ein guter Bürger zu sein gezwungen wird«.161 Worauf es ankommt, ist die wenigstens äußerliche Disziplinierung der sich antagonistisch gegenüberstehenden Individuen, so daß zumindest »in ihrem öffentlichen Verhalten der Erfolg eben derselbe ist«,162 in der vagen Hoffnung, »die Gesellschaft werde sich endlich in ein moralisches Ganzes verwandeln«.163 Einstweilen aber muß der Mensch zum Zwecke des Ganzen seinen »natürlichen Triebfedern«, 164 als da sind »Ehrsucht, In: R. Brinkmann u. a.: Deutsche Literatur und Französische ben Studien. Göttingen 1974, 149-171; hier 162. 157 Vgl. Wölfel, Zum Bild der Frz. Revolution, 161. 158 Vgl. Kant, Werke IX, 365. 159 Kant, Werke IX, 223. 160 Kant, Werke IX, 224. 161 Kant, Werke IX, 223 f. 162 Kant, Werke IX, 224. 163 Kant, Werke IX, 38. 164 Kant, Werke IX, 39.

Revolution.

Sie-

251

Herrschsucht,oder Habsucht« überlassen werden.165 Auf der Basis des uneingeschränkten Liberalismus wurde so ein System der Bedürfnisse propagiert, auf dessen noch im Rahmen der Feudalordnung sichtbar werdende Folgen bereits Rousseau hingewiesen hatte.166 Statt den Menschen mündig und fähig zu machen, seine wohlverstandenen Interessen zu wahren, sollte er erneut an die Kette gelegt, zum Sklaven anarchischer und schließlich, weil seine Autonomie auf die ungehemmte Wirtschafts- und Konsumfreiheit reduziert wird, künstlicher Bedürfnisse erniedrigt werden. Nicht im Namen der Vernunft, sondern im Namen von Besitz und Macht, die das moralische und psychische Elend wie einen Schatten mit sich führten, sollte der Fortschritt auftreten. So wurden nicht freie Bürger, sondern »moralische Blinde« (I 1028) produziert, die sich den angeblichen Notwendigkeiten bedingungslos anzupassen hatten; nicht zur Moral, sondern zur doppelten Moral erzog die Gesellschaft: »Menschen mit zwei Seelen, die an andere zu denken scheinen, in Wirklichkeit aber nur an sich denken«.167 Ein halbes Jahrhundert später schreibt Jean Paul die Satire auf die »so wichtige Tugend der Niederbückung« nicht mehr ausschließlich gegen den aus bürgerlicher Perspektive grundsätzlich als unmoralisch geltenden Höfling, sondern mit unveränderten Argumenten nun auch gegen den Bürger, der offensichtlich die Nachfolge hierin angetreten hat (vgl. I 1118ff). Wie ein Hund will er »nicht gerade, sondern gekrümmt und niedergebückt verbleiben [. ..), bloß um recht zu fressen« (I 965). Was sich hier abspielt, ist ein langsamer, psychischer Tod, die kleine, miese Version falscher Befriedigungen, die jedes Glanzes, und sei es des verkehrten, aber doch auf seine Weise auch genialischen eines Roquairols, entbehrt. »Am allerelendesten«, so klagt Viktor, ist das bürgerliche [Leben], auf das ich jahrelang losziehen könnte, bloß weil es nichts hat als lange Tröge für den Magen, aus denen die Ketten für die Phantasie herabhängen - weils den Menschen zum Kleinstädter umsetzt 165 146

167

Kant, Werke IX, 38. In einer Anmerkung zum 1. Discours schrieb Rousseau: »Les Princes voyent toujours avec plaisir le gout des Arts agreables et des superfluites dont l'exportation de l'argent ne resulte pas, s'etendre parmi leurs sujets. Car outre qu'ils les nourrissent ainsi dans cette petitesse d'äme [...] si propre ä la servitude, ils savent tres-biens que tous les besoins que le Peuple se donne, sont autant de chaines dont il se charge.« (Jean Jacques Rousseau: (Euvres Completes. BibliothSque de la Pleiade, 1959ff, III, 7.) Rousseau, (Euvres, IV, 250: »Je ne compte pas non plus I'education du monde, parce que cette education tendant a deux fuis contraires, les manque toutes deux; eile n'est propre qu'a faire des hommes doubles, paraissant toujours rapporter tout aux autres, et ne rapportant jamais rien qu'a eux seuls.«

252

weils unser fliehendes Dasein aus einem Fruchtacker zur Säemaschine macht - weils einen fatalen Dunst ausdampft, der sich dick vor das G r a b und über den Himmel ansetzt, und in dem sich der arme Expeditionrat von Mensch schwitzend, käuend, feist, beschmieret, ohne einen warmen Sonnenstrahl für sein Herz, ohne ein Streiflicht für sein Auge herumtreibt, bis ihn der FallBock des Pflasterers [des Todes] auf den morastischen Drehplatz einrammt. (I 940f) D a ß dies Elend nicht aus m a t e r i e l l e m M a n g e l k o m m t , dessen G e w i c h t Jean Paul sehr w o h l aus e i g e n e r Erfahrung e i n z u s c h ä t z e n w u ß t e u n d darum, w o i m m e r es u m g e s e l l s c h a f t l i c h e P r o g n o s e n ging, den Z u s a m m e n h a n g v o n T u g e n d und Freiheit v o n physischer N o t sich realistisch gegenwärtig hielt (vgl. ζ. Β. I 873)' 68 - , daß dies Elend also nicht allein u n d nicht zuerst der ä u ß e r e n N ö t i g u n g entsprang, s o n d e r n der scheinbar e m a n z i p i e r t e Bürger das O p f e r falscher G l ü c k s b e g r i f f e g e w o r d e n ist, gibt Jean Paul deutlich zu verstehen. V o n Viktor, der die M ö g l i c h keiten eines h u m a n e n D a s e i n s z u m i n d e s t der Intention nach a m reinsten darstellt, heißt es, d a ß i h n »die m e n s c h l i c h e U n t e r j o c h u n g unter das G l ü c k [ekelte]« (I 944), und ergänzend dazu an anderer Stelle, d a ß » e i n Mensch v o n T a l e n t e n « , u m dessen Entfaltung es der P h i l o s o p h i e ursprünglich g e g a n g e n war, u n d » e i n Bürger v o n T a l e n t e n « e i n a n d e r 168

Dazu nur beispielshalber die folgende Passage aus der >Erklärung der Holzschnitte unter den zehen Geboten des KatechismusKampaner Tals< (IV 681): »Ach man sollte sich mitten im frohesten Kommentar guter Holzplatten bei den moralischen komplizierten Brüchen und Wunden aufhalten, welche der Staat dem innern Menschen durch die Aushungerung des äußern schlägt! Denn wie können die Millionen Stubenbettler unserer Staaten, die von einem Kreuzer zum andern leben, ζ. B. 150 000 Spinner im Österreich, die zu jedem sanften Ton in ihrem kakophonischen Dasein die Saite erst aus 120 Wollenfäden spinnen müssen wie man zum C auf dem Kontrabaß ebenso viele Darmfäden von 12 Hammeln nimmt, deren Wolle jene verspinnen wie können diese Armen einen elenden Groschen verachten, auf den sie den ganzen Tag losarbeiten? Wie zusammengeknüllet und zusammenfahrend muß nicht eine Seele werden, die der Magen im Hungerturm des Staatsgebäudes parforce jagt und die wieder auf die Vorjagd des nächsten Bissens geht? Woher will die Humanität des froh lebenden Griechen, die Moralität des freiem, vom Glücke emanzipierten Menschen einem müden Geiste kommen, der keinen größern Zirkel von Ideen kennt als den seines Spinnrades und keine andern Radien als die der Weife, und der keine Lust hat als Eßlust? - Solange daher noch das Erdgeschoß des Staates ein Amsterdamer Raspelhaus voll Arbeitsstuben ohne Ruhebänke bleibt - und dieses bleibt so lange, als im höchsten Stockwerk des Staates nichts als Braut- und Grahams himmlische Betten stehen, die man nur verändert und nie verlässet so geb' ich nicht so viel, als ein altes Weib in einem Tag erspult, um die Kultur des Volks und um tausend andere Sachen.« 253

hassen müßten (I 906). Letzterer war geradezu die Verkehrung dessen, was die Geschichte aus ihm hätte machen müssen. Repräsentativ für die bürgerliche Wirklichkeit am Ende des 18. Jahrhunderts scheint daher eine Sozietät wie die flachsenfingische, »wo man sein Leben und seine Seele verfrißt und versäuft« (I 759), wo die Schönheit nur nach ihrem ökonomischen Nutzen berechnet wird und wo man im Bewußtsein physischer Robustheit »weniger seinen Geist erhöhen will als seinen Pacht«: Der volle Mond machte bei ihnen volle Krebse, aber keine volle Herzen, und das, was sie darin pflanzten, damit er den Wachstum begünstigte, war nicht Liebe, sondern - Kohlrüben. (1 761)

Mit einem Wort, das Leben ist in dieser Art trostlos, weil es keine Perspektive hat außer der kurzatmigen Befriedigung immer wiederkehrender gleicher Bedürfnisse, weil doch, wie Jean Paul bissig bemerkt, »der Magen das größte deutsche Glied ist« (I 726), und weil, nun ohne ironische Note, der Bürger um sein wahres Glück betrogen wird. Das hat trotz mancher asketischen Züge, die bei Jean Paul zuweilen sichtbar werden, wenig zu tun mit einer puritanischen Tugendideologie, die mit allen Mitteln auf den Verzicht einschwören und die natürlichen Triebe rigoristisch verdammen will, um sämtliche materiellen Ansprüche zu unterdrücken. »Tugend als Herrschaftsmittel«, wie Horkheimer sie in der bürgerlichen Anthropologie und insbesondere in deren Egoismuskritik am Werk sieht,169 wird von Jean Paul gerade nicht gepredigt. Die beißenden Satiren auf den bürgerlichen Geiz sollen im Gegenteil dartun, daß die vernunftlose Begierde und der Reichtum ein teures »Schmerzengeld« (1 962) fordern, nämlich auch hier den Genuß. Mandevilles berühmter, den Egoismus als die Grundlage der Gesellschaft verkündigender >Bienenfabel< setzt Jean Paul seine >Hamsterfabel< entgegen: die Geschichte vom Geizhals, der aus Profitgründen sich den Genuß so lange versagt, bis sich das Objekt seiner Wünsche aufgelöst hat (vgl. I 1174). Diese Form der Selbstversklavung, die alle Lust in sich tötet, nennt Viktor die »Privat-Narrheit« des Bürgers: Ο ihr armen Menschen! fangt doch nach den Flügel- und Schwanzfedern der Freude unter den Gewalt-Märschen euerer Tage! Ο ihr Armen! Will denn kein guter Freund einen Imperialfolianten zusammenschmieren und euch dartun, daß ihr wenig Zeit habt, gleich dem Teufel in der Apokalypsis? Ach der G e n u ß verspricht so wenig - die Hoffnung hält so wenig - der Säe- und 169

Max Horkheimer: Egoismus und Freiheitsbewegung. Zur Anthropologie des bürgerlichen Zeitalters (1930). In: Horkheimer: Traditionelle und kritische Theorie. Vier Aufsätze. Frankfurt 1973, 95-161; Zitat 102.

254

Pflanztage der Freude stehen im berlinischen Kalender so wenige - wenn ihr nun vollends so dumm wäret und ganze Stunden und Olympiaden voll Lust als Eingemachtes wegsetztet und aufhöbet im Keller, um, der Henker weiß wenn, darüber zu geraten über ganze eingepökelte marinierte 50, 60 Jahre — ich sage, wenn ihr nicht an jeder Stundentraube die Minutenbeere auskeltertet wenigstens mit einigen Zitronendrückern was würde denn am Ende daraus werden? . . . weiter nichts als die Moral zu meiner ersten und letzten Fabel [ . . . ] (11174)

Diese aber macht auf drastische Weise klar, daß die angeblich tugendhafte bürgerliche Vorratshaltung der Lust einem Selbstbetrug gleichkommt, weil sie, ohne die geleisteten Versagungen nur im geringsten aufzuwiegen, den Menschen der Erfüllung seiner Sehnsüchte nicht näher bringt. Er wird vielmehr degradiert zu einer vernunftlosen Existenz, da die Freiheit, sobald sie ausschließlich in den Bann ihrer eigenen Gesetzgebung gerät, ein leerer Zirkel bleibt.

d) Lebenshumor Jean Paul sieht das Problem wesentlich als eine Frage der Bindung. Die Forderung nach Selbstbestimmung wird erst dann sinnvoll und zu einer echten Emanzipationschance, wenn sie dazu wahrgenommen wird, sich zu etwas zu bestimmen. Einer der in diesem Zusammenhang und für das Verständnis des gesamten (Euvres grundlegendsten Sätze überhaupt dürfte daher der folgende aus der >Vorschule< sein, mit dem die Koordinaten angedeutet werden, innerhalb derer die Freiheit Gewicht erhält: »1st Freiheit kein würdigster Zweck?« - »Freiheit wovon ist keiner und leer ohne die Freiheit woran und wozu\ sonst wäre Nichtsein die größte negative Freiheit. [...]« (V 444)

Es galt also, die Freiheit aus ihrer selbstgewählten, selbstverschuldeten Immanenz herauszunehmen, sie zu einem positiven Moment" zu machen, sollte sie sich nicht selbst zur Absurdität verurteilen oder geradezu in ihr Gegenteil verkehren. Der Intention nach ging es darum, Freiheit nicht als einen Modus der Ungebundenheit zu verstehen, sondern ihr eine Orientierung und damit Inhalte zu verschaffen. Der erste Schritt in diese Richtung ist das Eingeständnis, daß die Kette der sich selbst erzeugenden natürlichen Bedürfnisse niemals, es sei denn durch willkürliche Repressionen, abreißen und das Leiden kein Ende haben wird, da die Befriedigungen wohl legitim, aber nicht anhaltend sind: 255

alle unsere Begierden sind nur Abteilungen eines großen unendlichen Wunsches. [...] Alle unsere Affekten führen ein unvertilgbares Gefühl ihrer Ewigkeit und Überschwenglichkeit bei sich - jede Liebe und jeder Haß, jeder Schmerz und jede Freude fühlen sich ewig und unendlich. (IV 200)

Der »Sinn des Grenzenlosen«, von dem die Phantasie ihre Impulse empfängt, ist ein »Instinkt der Ewigkeit« (VI 1210), genauer: nach Ewigkeit. Weil aber das Leben den Bedingungen der Zeit unterliegt, lassen sich die »Wünsche unserer Psyche« (VI 1211), die für Jean Paul eben aufgrund dieser unveränderlichen Bedingungen allenfalls in ihren phänomenalen Modifikationen von historischer, im übrigen aber von grundsätzlich anthropologischer Qualität sind, faktisch nicht erfüllen, weshalb sich notwendig »die Arme des Menschen [...] nach der Unendlichkeit ausstrecken]« (IV 200). Das heißt, der Kern aller seiner Wünsche, seines Glücksverlangens zielt auf die Überwindung seiner vergänglichen Natur. Solange diese als die elementarste aller Bedrohungen nicht bewältigt ist, herrschen die Furcht (vgl. IV 200) und deren Folgen: die kleinlichen Vorkehrungen gegen die Zukunft, die Klebrigkeit gegenüber den Dingen, die Zuflucht zum Besitz, in der geheimen, aber trügerischen Hoffnung, dieser könnte vor der Zeit schützen und Dauer vermitteln. Jean Paul verweist damit auf die Spur eines der ältesten psychologischen Mechanismen, den Glauben, der Tod könnte käuflich sein. Ist aber auch das als Illusion durchschaut, dann stellt sich unabweisbar, zumal unter dem forcierten Bildungs- und Fortschrittsdruck der Aufklärung, die Sinnfrage für jeden einzelnen: »und warum? damit, wenn [der Mensch] als ein schöner Halbgott sogar mitten in den Ruinen seines veralteten Körper-Tempels aufrecht und erhaben steht, die Keule des Todes den Halbgott auf ewig zerschlage?« (IV 620f) Für Jean Paul gibt es nur eine sinnvolle Möglichkeit, dem lähmenden, das Leben schon vor seinem physischen Ende zerstörenden »dummen Gedanken des Vergehens« (VI 1148) zu begegnen: der »Überschwenglichkeit« der Vernunft Raum zu geben und trotz der »Unwissenheit über die zweite Weltkugel« (IV 609) der Natur zu vertrauen, als hätte ein Gott sie geschaffen. Der zweite Schritt führt in den Glauben. Es ist damit der Punkt erreicht, der bisher unter kritischen Interpreten die größten Vorbehalte hervorgerufen hat, denn spätestens hier, so schien es, war der große Satiriker Jean Paul bestechlich, war aus eigenem Trostbedürfnis zum Renegaten geworden, der die Vernunft verriet; der Ideologieverdacht schien sich endgültig zu bestätigen. Nun läßt sich nicht leugnen, daß die Hinwendung zur Metaphysik Folgen hatte, die sich kaum anders bewerten lassen; dazu später noch ein Wort. Zunächst aber kommt es darauf an, die Intention Jean Pauls 256

zu verstehen, der in der Metaphysik das kritische und notwendige Korrektiv gegen den Vernunftabsolutismus sah und im übrigen hinreichend aufgeklärt war, das Prekäre einer solchen Entscheidung nicht zu verkennen. Und um eine Entscheidung, eine bewußte Option handelte es sich, nachdem das Gottvertrauen keine Selbstverständlichkeit mehr war. So artikuliert einer seiner Gesprächspartner in der >Selina< das intellektuelle Risiko sehr deutlich: »>In Untersuchungen und Fragen über die Welt hinaus [...] ist alles kühn und das Glauben noch kecker als das Zweifeln.Kampaner Tal< und der ursprünglich als Fortsetzung geplanten >Selina< mit >Beweisen< zu tun. Nichts aber lag Jean Paul ungeachtet des spürbaren Wunsches danach ferner. Wie man bei ihm von einem »Experimentalnihilismus« sprechen kann,171 so auch von einem >Experimentalglaubenals ob< in dem strengen kantischen Sinne und sollen der Vernunft eine Perspektive weisen, die sie über ihre Introversion hinausblicken und mit der Praxis, den Erfahrungen der wirklichen Menschen in Berührung kommen läßt. >Als ob< bedeutet nicht »eine transzendente Schäferwelt, von der wir weder ein Ab- noch Urbild kennen«, kein »Dunst-Universum, auf dem aus der entlaubten verdorrten Seele ein neuer Leib ausschlage« (IV 602); nur so viel, daß der Tod nicht mehr aus dem Leben verdrängt werden muß und dieses zumindest der Möglichkeit nach eine andere Dimension erhält; daß sich ferner die isolierten Individuen an einem gemeinsamen Ziel orientieren und danach ihr Handeln bestimmen kön170

Ähnlich äußert sich Jean Paul in dem Aufsatz >Über den Gott in der Geschichte und im Lebenc »Es ist ebenso kühn, über diese Sache ein Ja als ein Nein auszusprechen; doch noch kühner wär' es, nach dem Ja einer besondern Vorsehung zu leben« (V 933).- Schoppe schließlich bringt den Widerspruch von Wunsch und Einsicht auf seine kürzeste und anschaulichste Formel: »Kann ich nicht ein Verstorbner sein, der voll Unglauben an die zweite Welt in solche gefahren ist und nun da gar nicht weiß, wo er hinaus soll vor Lust?« (III 700) 171 Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel, Kap. VIII, 258ff. 257

nen; schließlich, daß der moralische Formalismus über die abstrakte Pflicht hinaus einen sicheren Grund gewinnt, in dem das Gefühl gegenseitiger Verantwortung spontan entspringen kann. Ohne Glauben, so das >Kampaner TalSelinaRadikalität< in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen.

259

»Kein Staat ist frei, als der sich liebt; das Maß der Vaterlandliebe ist das Maß der Freiheit. [...]« (I 1016)

Liebe aber bedeutet, im Bürger zuerst den Menschen zu sehen (vgl. I 1017) und das »Glück des Ganzen« nicht »auf einzelne Opfer [zu] gründen« (I 1018). In Opposition zum technokratischen Staat läßt Jean Paul durch seine Protagonisten erklären: »Dann spei' ich aufs Ganze, wenn ich das Opfer bin, und verachte mich, wenn ich das Ganze bin.« [ . . . ] »Besser ists, das Ganze leidet freiwillig eines einzigen Gliedes wegen, als daß dieses wider seine gerechte Stimme für das Ganze leide.« (I 1018)

Sätze dieser Art stellen die Geschichtsteleologie der Aufklärung geradezu auf den Kopf, und eine in diesen Zusammenhang gehörende Anmerkung zu den >Palingenesien< macht deutlich, gegen wen sie formuliert sind: Zwei Revolutionen, die gallische, welche der Idee oder dem Staate die Individuen und im Notfall diesen selber opfert, und die kantisch-moralische, welche den Affekt der Menschenliebe liegen lässet, weil er so wenig wie Verdienste geboten werden kann, diese ziehen und stellen uns verlassene Menschen immer weiter und einsamer auseinander, jeden nur auf ein frostiges unbewohntes Eiland; ja die gallische, die nur Gefühle gegen Gefühle bewaffnet und aufhetzt, tut es weniger als die kritische, die sie entwaffnen und entbehren lehrt, und die weder die Liebe als Quelle der Tugend noch diese als Quelle von jener gelten lassen kann. (IV 728f, Anm. 4)

Im Jean Paulschen Idealstaat dagegen werden unter dem Vertrauensvorschuß des Glaubens Tugend, d. h. in erster Linie Liebe, und Freiheit identisch, und die Würde der Person schließt nicht nur ihr Recht, sondern auch ihre natürlich vorhandene Bedürftigkeit ein (vgl. I 1016f). Mit der Kritik an der Geschichtsphilosophie geht konsequenterweise auch die Kritik an der Satire einher. Erstmals akut wurde sie in der Ablösungsphase der Aufklärungspoetik durch die Genieästhetik, in der die Satire nach dem Verlust ihrer alten metaphysischen Beglaubigungen sich erneut legitimieren mußte. Angesichts der Revolution, die in den Augen Jean Pauls den Formalismus der bürgerlichen Ethik endgültig bloßlegte, sollte sich die Problematik dramatisch zuspitzen. Kein Zufall also, daß auch zu dieser Diskussion der >Hesperus< durch seine generelle Thematik das geeignete Forum bot; hier wurde die Selbstkritik der satirischen Vernunft vollends explizit, und zwar an demjenigen Punkt, der mithin den Nerv der bürgerlichen Argumentation betraf: die der moralischen Angriffstaktik auf den Absolutismus zugrundeliegende Trennung von privater und öffentlicher Sphäre, von 260

Mensch und Institution, bei gleichzeitiger entschiedener Zuordnung der humanen Qualität auf die eine, der Machtfaktoren auf die andere Seite.173 Damit sollten die Repräsentanten der Macht gezwungen werden, ihre Herrschaftsansprüche moralisch zu rechtfertigen. Gelang ihnen das nicht, fielen sie der moralischen Gerichtsbarkeit anheim. Denn der strategisch entscheidende Gewinn dieser Konstruktion lag darin, daß der moralische Dualismus eine geheime Gleichung enthielt: Der Mensch steckt nicht im König, der König steckt im Menschen, und wie der Mensch ist, so ist der König. 174

Den politischen Nutzen aus dieser Logik zog dann die Revolution, indem sie mit den feudalstaatlichen Institutionen zugleich deren Träger beseitigte.175 Im >Hesperus< läßt sich die zunehmende Bewußtwerdung dieser Dialektik, die ihrem Resultat nach der Individualethik Jean Pauls aufs äußerste widersprechen mußte, sehr genau verfolgen. Viktor tritt das ihm aufgezwungene Hofamt in der erklärten Absicht an, sich dadurch in keinem Fall moralisch kompromittieren zu lassen und seinen oppositionellen politischen Vorstellungen freimütig Ausdruck zu geben. Er kündigt satirische Gefechte, für sich selbst die Rolle des Hofnarren an (vgl. I 709), der nicht davor zurückschrecken wird, dem Fürsten die Folgen seiner Herrschaft unmittelbar vor Augen zu führen. Im Gegensatz zu den höfischen Repräsentationsbegriffen 176 unterscheidet aber auch er von vornherein zwischen dem Amt und seinem Inhaber: Auch liebte er am Fürsten nur den Menschen; der Minister nur den Fürsten.

(1819) Indessen geschieht dies nun nicht, um den Inhaber seines Amtes wegen zu verurteilen, sondern um ihn gerade davon auszunehmen und die Zwänge der Institution von der Person zu trennen: Als nun Viktor in dieser bittern Laune neben einem Spieltisch zusah und über die ganze Assemblee sich innerliche Vorlesungen hielt, lectures upon heads [wie Steevens, so die Anmerkung, »sein satirisches Kollegienlesen« nannte]: so fiel [ . . . ] der ganze Eispanzer, der sich um sein Herz wie um eine ,73

Vgl. Koselleck, Kritik und Krise, bes. 123ff. F. C. Frhr. von Moser: Politische Wahrheiten. Zürich 1796, I, 31 (zitiert nach Koselleck, Kritik und Krise, 216). 175 Vgl. Koselleck, Kritik und Krise, 217. 176 Zur Unterscheidung von höfischer und bürgerlicher Repräsentation vgl. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. 5. Aufl., Neuwied und Berlin 1971, 17ff.

174

261

Blume gelegt hatte, zerflossen herab, und sein erwärmtes Herz sagte mit der ersten heutigen Freude: »Warum hass' ich denn diese ebenso gequälten als quälenden Gestalten so hart? Sind sie nur meinetwegen? Haben sie nicht auch ihr Ich? Müssen sie sich mit diesem mangelhaften, gepeinigten Selbst nicht durch die ganze Ewigkeit schleppen? [...] Nein, ich will die Menschen bloß lieben, weil sie Menschen sind.« (I 1109f)

Indem Viktor auf diese Weise für sich selbst Ernst zu machen sucht mit dem bürgerlichen Moralanspruch, der, will er überzeugend sein, keine Ausnahmen zulassen dürfte, verpflichtet er die Vernunft auf ihre eigenen Argumente. Er will nicht bloß Moralkritik, sondern auch eine moralische Kritik. Obgleich seine Integrität niemals in Frage gestellt ist, weil seine Sorge dem Allgemeinen gilt (vgl. I 897), macht er doch eine Art Erziehungsprozeß durch, in dessen Verlauf ihm klar wird, daß sich die Satire, ordnet sie sich nicht der Ethik unter und setzt damit der reinen Vernunft Schranken, um ihre Glaubwürdigkeit und den Satiriker um seine Identität bringen muß: Unserm Viktor wurde so leicht wie nach einem Gewitter; das Bitterste, womit uns Beleidigungen angreifen, ist, daß sie uns zu hassen nötigen. Auf der andern Seite fühlte er jetzo, wie unrein unser für Tugend ausgegebener Widerstand gegen Schlimme sei [...] (I 1110)

Haß, so erläutert Viktor in einem Brief, der als >Erstes Fruchtstück< in den >Siebenkäs< aufgenommen wurde, verkehre »jede Tat in ein ganzes Leben - jede Eigenschaft in eine Person« (II 425). Schuld daran sind die unkontrollierten Affekte und der Egoismus, die der Vernunft gerade dann in den Rücken fallen, wenn sie sich ihrer selbst allzu sicher wähnt: »nichts als Wiederholungen des Ich sucht sie um sich zu haben« (II 430). Vor der Anmaßung, die das Gute u. U. in sein Gegenteil verkehrt, kann jedoch nur eine Selbstkritik bewahren, die sich auf die allen Individuen gemeinsamen Bedingungen besinnt: »[...] Nein, unter diesem Leben im Flug sollte doch das Ding, das so prestissimo hinschießt aus einem Regenschauer in den andern und von Gewölke zu Gewölke, doch nicht in einem fort den Schnabel aufsperren zum Gelächter . . . Ich las heute wo: der Mensch hat dritthalb Minuten, und nur eine zum Lächeln « (I 548)

Die »menschenliebende Seelenwanderung« (II 430) oder präziser: das Mitleid 177 ist infolgedessen die Voraussetzung einer gerechten, ihren eigenen Prämissen genügenden Satire. Es geht darum, die »Feinde zu bekämpfen, ohne sie anzufeinden« (1 1110). Exakt hier verlief für Jean Paul die Grenze zwischen humaner und inhumaner Kritik. Nachdem 177

S. o. S. 322ff.

262

dies einmal erkannt war, bemühte er sich um weitere Differenzierung, insbesondere am Beispiel der satirischen »Milchbrüder« Leibgeber und Siebenkäs (vgl. II 70), durch deren nicht nur aufs Äußere bezogenes, sondern die innere Verwandtschaft widerspiegelndes Doppelgängertum die Nuancen umso mehr ins Gewicht fallen mußten. Obgleich die grundlegende Intention beider identisch ist, erwächst dem Vertreter der reinen Vernunft hier ein Widerpart. Von der »Unähnlichkeit ihrer ungleichnamigen Pole« ist die Rede: »denn Siebenkäs verzieh, Leibgeber bestrafte lieber, jener war mehr eine horazische Satire, dieser mehr ein aristophanischer Gassenhauer mit unpoetischen und poetischen Härten« (II 40). Leibgebers »Zornfähigkeit« (II 70), der Unversöhnlichkeit seines »moralische[n] Ingrimm[s]«, der »zuweilen zu viel vom Schein der Rachsucht an[nahm]« (II 389), steht die schonungsvolle Versöhnlichkeit Siebenkäsens, dessen »ganzes mildes liebevolles Wesen« (II 390) gegenüber. Wo Leibgeber das Individuum bloß als Gattungswesen und mit der wachsenden Disproportionalität von Vernunft und Wirklichkeit das ganze Geschlecht als eine unabsehliche Reihe sich fortzeugender Narren sah (vgl. sein Schreiben über den RuhmTitanSiebenkäsdie Gefühle der Menschenliebe helfen nichts ohne Grundsätzen - >Und Grundsätze [...] nichts ohne Gefühlen« (II 421) Dabei sind nicht die allgemeinen Moralge- und -verböte gemeint, sondern die Rede ist »von den misanthropischen und philanthropischen Gefühlen« (II 421, Anm. 1), im sprachlichen Kontext des 18. Jahrhunderts also von einer aus natürlicher Verbundenheit entwachsenen, positiv zugewandten Grundhaltung gegenüber allem Menschlichen, die der Entscheidung im einzelnen vorausliegt und diese bestimmt. Sie ist nach Jean Paul kein Reflex der Vernunft, sondern eine ursprüngliche Disposition, die allerdings zu ihrer Entfaltung der Hilfe und der Orientierung bedarf, um sich nicht an die »unfriedlichen«, den Egoismus in den gerechten Zorn mischenden »Triebe« zu verlieren. Die moralische Satire fordert »das Opfer des selbstgefälligen Vergnügens« (II 433). Wie man sieht, hatten sich anhand der Jean Paulschen Version einer poetischen Metakritik zur >Kritik der reinen Vernunft< die für den Humor wesentlichen Kategorien längst herausgebildet, ehe sie dann in der >Vorschule< zur Formulierung eines ästhetischen Programms dienten. Die Kenntnis dieser kritischen Genese erscheint mir freilich unentbehrlich für die Beurteilung, weil nur sie mit Bezug auf den historischen Kontext darüber entscheiden kann, inwieweit die erneute, von Jean Paul gegen die verbreitete Meinung und die ernstlichen philosophischen Bedenken der Zeitgenossen proklamierte Bindung der Vernunft an die Metaphysik, und sei's nur zur >ProbeOpferreine< auftritt, stattdessen in sinnlicher Gestalt, verkörpert, in die Bedingungen der Individuation verwickelt. Nur jeweils ein bestimmtes, lebendiges, sterbliches Individuum hat Vernunft, auch wenn diese ihrem Selbstverständnis nach in Vertretung des Allgemeinen »nicht einmal im größten Tempel eingeschlossen ist« (V 139) und über die Natur hinauswill. Dieser, für Jean Paul unauflösbaren Paradoxie halber grenzt der Humor, indem er sie einbekennt und doch oder vielmehr gerade deshalb vernünftig bleibt, scheinbar an den Wahnsinn. Wie aber die Geschichte von Schoppe lehrt, bedarf diese humoristische Freiheit eines metaphysischen Halts, damit der verkehrten Vernunft das wahnsinnige »Scheinen nicht zum Sein« (V 133) werde. Dabei muß allerdings auffallen, daß zwischen den Romanen und der >Vorschule< eine merkbare Verschiebung eingetreten ist. Die nachträgliche Selbstinterpretation nämlich sucht die Vernunft Schoppes ein265

schränkungslos ins Positive zu kehren und seine aus der Totale angreifende Kritik als »Welt-Humor« zu sanktionieren, demgegenüber Siebenkäs' menschenfreundliche Satire nur noch als »Laune« erscheint (vgl. V 126). Der Grund: In der Theorie werden im Unterschied zur behutsamen Argumentation des >Kampaner Tals< und der >Selina< die Grenzen eines auf das Subjekt bezogenen metaphysischen Regulativs deutlich überschritten, indem das anthropologisch unleugbare Faktum des Todes ontologisiert und das problematische Verhältnis von Natur und Vernunft dualistisch im Sinne einer hierarchischen Seinsordnung gedeutet wird. Gegenüber der göttlichen Vernunft ist die endliche hoffnungslos unzulänglich und die »Erde« gegenüber dem »Himmel« auch hier wieder die bekannte Metaphorik (vgl. V 129) - eine »Irrenanstalt« (II 39; V 128). Die Folgen: Sobald der Glaube den experimentellen Charakter aufgibt und anstelle von Perspektiven metaphysische Wahrheiten setzt, müssen sich die Unterschiede nivellieren, und der Humorist sieht »keine einzelne Torheit, keine Toren, sondern nur Torheit und eine tolle Welt« (V 125). Offenbar ist Jean Paul hier zum Opfer seiner eigenen Kritik geworden. Statt die Vernunft vor dem Absturz in die leere Reflexion zu retten, scheint er sie überhaupt preiszugeben, als hätte sie grundsätzlich keine Chance (vgl. V 125). Aber weder das eine - den realen »Gegensatz von Vernunft und Unvernunft im Gelächter still[zustellen]178 - noch das andere - die prinzipielle Suspension der Vernunft - lag wirklich in seiner Absicht. Nicht leugnen läßt sich, daß die potentiell in dem von Jean Paul vorgeschlagenen Ausweg aus dem drohenden Vernunftzirkel angelegten ideologischen Gefahren der Humortheorie offen zutage treten. So legitim seine Kritik an dem Bestreben der Aufklärung war, den Menschen auf die Ratio als dem alleinigen Weg zum Glück hinzuweisen, so problematisch ist seine Alternative, weil sie tendenziell darauf hinausläuft, die irrationale Vernunftideologie durch eine ebensolche Seinsideologie zu ersetzen. Wohl hat Jean Paul dem Glaubenspositivismus theoretisch Einhalt geboten, praktisch aber waren die Verführungen wohl doch zu groß, das metaphysische Regulativ nicht zuweilen auch für eine tröstliche Tatsache zu nehmen. Dabei sind nun allerdings Momente in Rechnung zu stellen, die sich nicht in der persönlichen Problematik erschöpfen, sondern abermals auf den historischen Kontext verweisen. Jean Paul sah sich nämlich in der schwierigen, im Grunde schon absurden Lage, seine Ethik inner178

Peter Krumme: Satirischer Humor. In: Text + Kritik. Sonderband Jean Paul, 71-74; hier 72.

266

halb einer Tradition begründen zu müssen, in der einerseits die praktische Philosophie noch nie ernsthaft den Rang einer wissenschaftlichen Disziplin besessen hatte, weil sie ihrem Charakter nach dezisionistisch, d. h. in letzter Instanz nicht objektivierbar war und daher dem rationalen Wissenschaftsverständnis von vornherein widersprach; 179 die andererseits aber im Gegensatz etwa zum ethischen Pragmatismus der klassischen griechischen Philosophie Begründungen unentbehrlich machte. Solange die Theorie selbst noch metaphysisch fundiert war und die praktische Philosophie ihren Platz in einer allgemeinen Seinslehre hatte, konnte das Dilemma verborgen bleiben. Der Konflikt brach erst auf mit dem Ende der Metaphysik im herkömmlichen Sinn. Obwohl Kant die praktische Philosophie der theoretischen überordnete, mußte er zugleich darauf hinweisen, daß sie den Forderungen des geltenden, an den Naturwissenschaften orientierten methodischen Ideals nicht genügen konnte und sich darum auf die Darstellung der formalen Prämissen zu beschränken hatte. Wollte man sich nun weder mit derartig leeren Zielvorstellungen abfinden noch die Ethik der Politik unterordnen, wofür es, anders als bei den westlichen Nachbarn, in Deutschland keinerlei überzeugende Grundlagen gab und was den Eindruck erwekken mußte, daß es dem eigenen Anliegen, die Individualethik zur Grundlage des politischen Handelns zu machen, zuwiderlief, so war guter Rat teuer. Offenbar blieb in dieser Situation nur der möglichst undogmatische Rückgriff auf die Metaphysik, der - schließlich nicht unähnlich der kantischen Version - das aufgeklärte Denken kompromißhaft mit dem Glauben zu verbinden und das moralische Bewußtsein in die Dialektik von Freiheit und Seinsordnung wieder einzufügen suchte. Daß Jean Paul im Grunde das Unmögliche unternahm, der Vernunft eine ihrem endlich errungenen Selbstbewußtsein widersprechende Subordination abverlangte, wird sichtbar an dem immer wieder neu diskutierten problematischen Verhältnis von Philosophie und Poesie und dem in theoretischen und poetischen Texten unterschiedlich beobachtbaren Überzeugungsgrad, mit dem die Glaubensinhalte behauptet werden. Doch gegen besseres Wissen nahm Jean Paul lieber die verjährte Metaphysik in Kauf als eine abstrakte Moral, an der nicht nur das Individuum, sondern aufs Ganze gesehen auch die Politik, d. h. die gesellschaftliche Vernunft scheitern mußte. Eher sollte sich die Vernunft mit diesem Widerspruch abfinden, als daß sie aus Mißachtung des Lebens und seiner Bedürfnisse diejenigen zerstörte, die ihre Sache vertraten. Wenn die >Vorschule< vom »Lebenshumor« 179

Vgl. Schulz, Philosophie

der veränderten

Welt, 6 3 l f ; 635-639; 700ff.

267

als dem Ferment eines humanen Aufklärungsprozesses spricht (V 132), so ist das im Zusammenhang dieser Auseinandersetzung wörtlich zu nehmen. Was Jean Paul selbst vor der völligen Ideologisierung bewahrte, war das Bemühen, diesen Widerspruch - je länger, je mehr - unversöhnt festzuhalten. Die Genese des Doppelgängermotivs hängt direkt damit zusammen, nachdem der erste Versuch eines Ausgleichs mit Viktor gescheitert war. Schoppe und Siebenkäs, Vult und Walt sind Verkörperungen der Spannung zwischen Vernunft und Natur, zwischen rationaler Bewältigung der historischen Aufgaben im Hinblick auf eine bessere Zukunft und derjenigen beharrlichen Bedürfnisse, die kein noch so großer historischer Fortschritt dem sterblichen Individuum befriedigen kann. Der Tod ist das Unveränderliche an der Natur, das sich der Umwandlung in vernünftige Geschichte schlechthin widersetzt. Obwohl natürlich ein Zusammenhang besteht zwischen der »Rücknahme des satirischen Gestus« und der Tendenz zu »hierarchischer Auflösung« der Dualismen, ist er sachlich nicht derart zwingend, wie etwa Lindner es schon von seinem Ansatz her unterstellen mußte.180 Bezog die Selbstbescheidung der Satire ihre Legitimation aus dem anthropologisch bedingten und von der Aufklärung nahezu ignorierten Faktum, daß die Vernunft als das Allgemeine ans Individuum gebunden bleibt, daß der Appell ans transzendentale Subjekt nur so lange zu überzeugen vermochte, als es nicht konkret zu werden brauchte, so lag darin noch nicht die Notwendigkeit zur metaphysischen Überhöhung der Vernunft im Humor. Diese ist abgesehen von den genannten philosophischen Schwierigkeiten in der Tat nur verständlich im Kontext einer - erst noch zu schreibenden - Seelengeschichte des Bürgertums.

3. Geschichtsphilosophie u n d Heilsgeschehen Ein typisches Produkt dieser komplikationsreichen Gedankengänge sind Jean Pauls eigene, in unmittelbarer Auseinandersetzung mit den Überlegungen seiner Zeitgenossen entstandenen geschichtsphilosophischen Reflexionen, deren es neben den gelegentlich eingestreuten Bemerkungen zwei essayartige, in sich geschlossene und sachlich zusammengehörige Stücke gibt: den wichtigen 6. Schalttag aus dem >HesperusÜber die Wüste und das gelobte Land des Menschengeschlechts^ und 180

Vgl. Lindner, Jean Paul als J. P. F. Hasus, bes. Kap. IV (die Zitate 435 u. 442), und ders., Jean Paul, 105-121.

268

den anderthalb Jahrzehnte später geschriebenen Aufsatz >Über den Gott in der Geschichte und im Leben< aus den >Dämmerungen natürliche Leitfaden< m der Betrachtung verloren. Die Geschichte wird unabsehbar und vollends eine moralische Teleologie unmöglich: Wir werden also aus der allgemeinen Welthistorie dann am besten prophezeien können, wenn die erwachenden Völker ihre paar Millionen Nachtragbände gar dazu gebunden haben werden. - Alle wilde Völker scheinen nur unter einem Prägstock gewesen zu sein; hingegen die Rändelmaschine der Kultur münzet jedes anders aus. (I 869)

Mit Spott werden diejenigen bedacht, die mit der Wünschelrute der Aufklärung in der Hand die Geschichte »den großen Wäldern ähnlich [finden], in deren Mitte Schweigen, Nacht und Raubvögel sind, und deren Rand bloß Licht und Gesang erfüllen« (I 870). Will man der Geschichte gerecht werden, so läßt sich realiter nur wenig aus dem bisherigen Gang ableiten, allenfalls die mähliche und mühsame Annäherung der Völker nach Besitz und Anspruch durch die gemeinsame Teilhabe an der Erkenntnis und der durch sie eröffneten Naturbeherrschung (vgl. I 872f u. V 927f). Die einzige Notwendigkeit im Bereich der Geschichte ist daher die der »prophetischen Demut« (I 870). Man wird es Jean Paul zugestehen müssen, daß sein Verhältnis zur Geschichte wesentlich realistischer und in dem strengen Sinn historischen ist als dasjenige der zeitgenössischen deutschen Philosophie. Weder kann die Natur als Garant einer moralischen Vollkommenheit noch diese als Bürge künftigen Glücks gelten, wie es die teleologischen 181

Vgl. Kant, Werke IX, 34.

270

Entwürfe vorgesehen hatten, denn »die Geschichte ist keine Ausgleichung zwischen Glück und Wert« (V 935). Sie bequemt sich weder dem Wunsch, noch der philosophischen Prophetie: Alles lehrt uns, daß wir, was geschehen wird, nicht wissen können. [ . . . ] Das ewige Akkommodieren, das bei uns so sehr im Schwange geht und, wie Gleim sagt, noch am Ende eine Milch-Barbarei hervorbringen wird, ist nicht meine Sache. Ich begreife nicht einmal den Stolz, der sich Wahrheit zu verwalten untersteht [ . . . ] (V 930)

Jean Paul erscheint hier aufgeklärter als selbst die futurische Geschichtsdeutung der Aufklärung. Doch schließt eben dieser Satz mit einer Bemerkung, die den Grund der eigenen Zurückhaltung offenbart: die Wahrheit, so heißt es, »ist Gottes Sache« (V 930). Daran zeigt sich, daß es für Jean Paul nicht nur der individuellen, auch der gesamten Weltgeschichte gegenüber einer transzendierenden >Perspektive< braucht; die prophetische Demut wird durch Hoffnung kompensiert: Dem Menschen geziemts, bei dem demütigsten Herzen gleichwohl ein gläubig-offnes Auge für das Außerweltliche zu bewahren, um nicht Blumenstaub und Schwefelregen der Zukunft für bloßen Straßenstaub seines Wegs zu halten. Uns geziemt es, Begebenheiten, welche witzigen Einfällen des Ungefährs gleich scheinen, nachzusinnen, weil auch der Witz des Zufalls wie der menschliche zuletzt auf Regel und Besonnenheit beruht [ . . . ] (V 935)

Wiederum ist die an der Realistik der konkreten Konfrontation mit der Geschichte gesteigerte Verzweiflung das Argument für diese Wendung (vgl. V 923), bei der sich Jean Paul abermals nicht auf >Beweise< und nicht auf die zur Selbstüberschätzung neigende Vernunft beruft, sondern auf das Gefühl: Darum trau' ich mehr der Wahrheit, die ich klar empfinde, als ich meiner Vorsicht traue, die mich täglich irreführt, und als dem Dünkel meiner Weisheit. (V 930)

Begründet ist dieses Gefühl in einer von der Geschichte und ihren immanenten Versprechen nicht tilgbaren Erfahrung der grundsätzlichen Unangepaßtheit, die sich aus den widerspruchsvollen Konditionen der menschlichen Existenz herleiten, Natur- und Vernunftwesen zugleich zu sein: Den erwarteten Gott der Ewigkeit kenn' ich denn schon in meinem jetzigen Innern, das eben in Zeil und Geschichte wandelt; folglich hab' ich durch den mir im Erden-Herz mitgegebnen Ewigkeits-Gott schon ein jetziges Verhältnis oder Mißverhältnis mit der gleichzeitigen Erde mitbekommen und zu erkennen. (V 923 f)

271

Auf der Basis dieser >Erkenntnis< ist der Satz zu verstehen, daß die Verzweiflung »der einzige echte Atheismus« sei, sowie der sich anschließende Appell Jean Pauls: »Hole zum Glauben mit einem besonnenen Überglauben aus« (V 936). Schon die Formulierung weist darauf hin, daß es sich nicht um naive Gläubigkeit handeln kann, vielmehr um eine Maßnahme, die sich ihres intellektuellen Problemcharakters wohl bewußt ist. Dennoch scheint dies das kleinere Risiko gegenüber einer distanzlosen Auslieferung an die Geschichte und ihr »trostloses« - weil perspektiveloses - »Ansehen« (V 925). An anderer Stelle der >DämmerungenErziehung des Menschengeschlechts^ einer Art Grundentwurf dieser Tradition,183 sichtbar geschlagen, nur daß sich die seit je damit verbundene Frage, ob es Gott allein ist, der die Menschheit zur Vollkommenheit führt, oder ob der Fortschritt auch abhängig ist von den menschlichen Leistungen, bei Jean Paul in weitaus zugespitzterer Form aufdrängt. Das hängt einerseits zusammen mit seinen kompromißlosen moralischen Maßstäben, die ihn in ein äußerst heikles Verhältnis zum Bereich des 182

Heidemarie Bade: Jean Pauls politische Schriften. Tübingen 1974 (Studien zur deutschen Literatur 40), 49. 183 Vgl. Wilhelm Kamiah: Utopie, Eschatologie, Geschichtsteleologie. Kritische Untersuchungen zum Ursprung und zum futurischen Denken der Neuzeit. Mannheim u. a. 1969, 39.

272

öffentlichen politischen Handelns bringen; obwohl es auch Gegenbeispiele gibt - etwa die Geschichte der Charlotte Corday, in der sogar der politische Mord legitimiert wird -, sind allenthalben die Hemmungen greifbar, die sich lähmend über den Tatwillen legen184 und zu Ersatzhandlungen zwingen, gelegentlich sogar zu prinzipiellen Verzichtserklärungen führen wie am Schluß der geschichtsphilosophischen Reflexionen: »vertraue und schweige; wage aber nicht; sondern bete nur durch fromme Taten die unbegreiflichen an« (V 936). Andererseits aber verbot sich ein derartiger Geschichtsfatalismus nahezu von selbst, nachdem Jean Paul die dogmatischen Sicherungen des Glaubens aufgegeben hatte. So suchte er die Geschichte der »unseligen Alternative«l85 von >sola gratia< und einer in sich selbst begründeten praktischen Vernunft zu entziehen, ohne daß ihm dies freilich befriedigend gelungen wäre. Der gedankliche Bruch ließ sich trotz aller Bemühungen nicht vertuschen. Am klarsten tritt er zutage in der Schlußpassage des 6. Schalttags, wo die hochgespannten säkularen Erwartungen ohne jede Zäsur in Weltuntergangsvisionen enden: es kann keine andern Jahrhunderte geben als solche, wo Einzelwesen sterben, wenn Völker steigen, wo Völker zerfallen, wenn das Menschengeschlecht steigt; wo dieses selber sinkt und stürzt und endigt mit der verstiebenden Kugel . . . Was tröstet uns? (I 874f)

Unvermittelt, ja angstvoll beschworen stehen sich die eschatologischen Hoffnungen - »es muß eine Vorsehung geben« (I 875) - und die einläßliche Beschäftigung mit den konkreten gesellschaftlichen Institutionen und deren rationaler Konstruktion im Sinne der klassischen Utopie gegenüber. Lindners energischer Einwand gegen die These von der Weltflucht Jean Pauls verdient daher nachdrückliche Unterstützung. 186 Neben dem Glaubensappell steht der Hinweis, daß sich bei der Unvergleichbarkeit von Diesseits und Jenseits jede Welt selber rechtfertigen müsse (vgl. V 923). Das heißt, daß die Hoffnungen in der Tat sinnlos wären, wenn sie nicht auch der realen Geschichte gelten würden. Den befreienden Wert der Aufklärung, die kritische Durchleuchtung überkommener Verhältnisse hat Jean Paul im großen und ganzen daher 184

Vgl. Wölfel, Zum Bild der Frz. Revolution, 151-156; 166 bis 169, sowie Heinz Schlaffer: Epos und Roman. Tat und Bewußtsein. Jean Pauls »Titan«. In: Schlaffer: Der Bürger als Held. Sozialgeschichtliche Auflösungen literarischer Widersprüche. Frankfurt 1973, 15-50. 185 Kamiah, Utopie, 35. 184 Burkhardt Lindner: Politische Metaphorologie. Zum Gleichnisverfahren in Jean Pauls Politischen Schriften. In: Text + Kritik. Sonderband Jean Paul, 103-115; hier 113.

273

nicht bestritten, sondern gegenteils die große politische Chance in ihr gesehen. »[...] wo wäre die Unmöglichkeit«, schreibt er, »daß die Kultur nicht endlich Volk nach Volk erfasse und präge, und nicht vielmehr die Notwendigkeit, daß ihre wachsende Herrschaft nichts zur Allherrschaft bedürfe als nur Zeit?« (V927) Zweifel dagegen erhoben sich angesichts der Überzeugung vieler, mit den idealen Institutionen - vorausgesetzt, sie ließen sich verwirklichen - sei automatisch das Glück der Menschen begründet. Nach Jean Pauls Erfahrung war gerade diese Hoffnung naiv. Zwar würden »die Menschen es leichter haben, gut zu leben, weil sie es leichter haben, überhaupt zu leben« (I 873), doch ein vollkommenes Glück, das neben der materiellen Befriedigung auch die emotionale, die psychische beinhalten müßte, läßt sich institutionell nicht vermitteln, zumindest nicht dort, wo das Leben auf seine äußerste natürliche Grenze stößt, die sich gerade dadurch definiert, daß sie alle Bindungen aufhebt. Diese Illusion klagt Jean Pauls Glaubensphilosophie gegen eine allzu kurzschlüssige Geschichtsteleologie ein. Zu Recht ist festgestellt worden, daß sich seine Jenseitshoffnungen keinesfalls »bruchlos [...] in ein irdisches Reich der Freiheit« säkularisieren ließen.187 Wo Jean Paul von der Geschichte in Naturgleichnissen spricht, sind diese entweder mythisch wie im Falle des >HesperusVon der äußersten Grenze aller praktischen PhilosophieHesperus< - für den Weisen und Tugendhaften ein »goldnes Zeitalter« als schon gegenwärtig imaginiert wird (I 873). Es sind dies keine geschichtsphilosophischen Spekulationen, sondern Sätze aus dem Umkreis der eschatologischen Hoffnungen, die das gute Ende antizipatorisch vorausnehmen, ohne die Wirklichkeit dabei in Gedanken aufzulösen. Denn Jean Paul geht im Vergleich zu Fichte und dem Deutschen Idealismus gerade den umgekehrten Weg, indem er sich des vergessenen Bedürfnisses annimmt und dort den spontanen Ursprung des Freiheitswillens aufsucht. Nicht das reine Interesse führt seiner Meinung nach in die Freiheit, sondern das unreine, von Trieben und Wünschen genährte Bedürfnis mit seinem unauflösbaren, harten, in dem komplexen Verhältnis von Vernunft und Natur gelegenen realen Kern. Nicht der unter Ausschluß der Empirie selbsterzeugte Antrieb der Vernunft, sondern das unausrottbare, eingeborene Bedürfnis, 201 202

Kant's Gesammelte S. Kap. II.

Schriften,

XIX, Nr. 6560.

277

genauer: die grundsätzliche Bedürftigkeit des Menschen ist ihm der »eiserne Schlüssel zur Freiheit« (IV 613). Deren wesentlichster Impuls bleibt das Ungenügen, die in der Natur verankerte Mangelsituation und Hinfälligkeit, die den Willen zur Veränderung, die Sehnsucht nach Vervollkommnung unmittelbar entfacht und zuletzt darauf aus ist, die Sterblichkeit abzustreifen und den Tod zu überleben. In dieser Absicht rücken Trieb und Handeln zusammen, mehr noch, sie werden identisch, und die Praxis erhält ihren Grund in den Bedingungen des Daseins selbst, mit dem tentativen Ziel, die Bedürftigkeit und mit ihr die prinzipiellste aller Repressionen, die Endlichkeit des Lebens schließlich zu überwinden. Im Gegensatz zur Transzendentalphilosophie war der systematisch zu sichernde Übergang von der reinen Vernunft zur Sinnlichkeit bei diesem Ansatz ohne Belang; die schwierige Vermittlungsfrage stellte sich erst gar nicht, da die Natur hier selbst den Willen zur Befreiung in sich trägt. Der Imperativ der praktischen Vernunft, »ihr Sol, was sie von der theoretischen unterscheidet, trent sie doch nicht von den Begierden, deren Aeusserung nur ein eingeschränkteres bedingteres Sol ist«.203 Unmittelbar ist die Vernunft an die Natur verwiesen; ihre Zukunft liegt keinesfalls in ihrer Autonomie, ist nicht allein die Folge eigener Einsichten und daraus resultierender praktischer Maximen, sondern hängt entscheidend ab von der Dynamik des Bedürfnisses. Keine Gesellschaft kann es sich daher leisten, es sei denn, sie wolle sich selbst zugrunde richten, die Natur ins unverwertbare Irrationale abzuschieben. Erkenntnisse scheinen sich hiermit anzubahnen oder besser gesagt: wieder ans Licht zu drängen, deren sich die bürgerliche Gesellschaft aus Anlaß etwa der Kritik an Hobbes und dessen energischer Konzeption einer allgemeinen Bedarfsdeckung seit langem und im Zuge der machtvollen Durchsetzung des kapitalistischen Prinzips an der Schwelle zum 19. Jahrhundert in steigendem Maße ideologisch erwehren mußte. Dabei darf nicht vergessen werden, daß Jean Pauls Forderungen weit über Hobbes und dessen brutalen Pragmatismus hinausgingen. Denn das von ihm anvisierte Bedürfnis ließ sich gerade nicht beheben mit Hilfe instrumenteller Vernunft, die sich nach den inzwischen gemachten Erfahrungen in der Reproduktion der Bedürfnisse erschöpfen würde; vielmehr nur im Zusammenhang mit der Entwicklung und dem Angebot qualitativer Sinnkriterien, die einer Gesellschaft erst die notwendigen humanen Bedingungen verschaffen bzw. sie überhaupt lebensfähig machen konnten. Das aber setzte erstens eine inhaltlich be203

An Otto, 5. u. 16. 11. 1794. SW III, 2, 35.

278

stimmte Moral voraus und zweitens - und da lag Jean Pauls eigentliches politisches Ziel daß auf der Grundlage der individuellen Erfahrung, des Bewußtseins der endlichen, kreatürlichen Individuation der Vernunft sich die Individualethik zu einer allgemeinen wandeln mußte. Und damit begannen nun allerdings die Vermittlungsprobleme Jean Pauls, die er zuletzt nicht anders als über eine metaphysische Instanz zu lösen wußte. Um das Bedürfnis vor dem Abgleiten in die Begierde zu sichern, seine moralische Entfaltung zu gewährleisten, sah er keine andere Möglichkeit, als es mit dem göttlich inspirierten, sittlichen Trieb zu identifizieren, dem sein Gegenstand, die Freiheit, von Anfang an eingeschrieben ist. »Der Mensch«, heißt es im >HesperusPrimärbezug< des Willens zu seinem Ziel muß angenommen werden, »weil ein Wille eben so wenig seine eigne Richtung zum Gegenstand seiner Richtung machen kan (das hiesse, der erste Wille sezte einen vorersten voraus) als es eine Form ohne Materie geben kan oder ein Sehen des Sehens«.205 Abermals berief sich der >Realist< mit seiner schon eingeübten Formel gegen die reflexive Weltkonstitution durch das Subjekt auf die Ahnung, um sie am Ende - per Analogie die sorgfältige Unterscheidung Kants zwischen pathologischem und reinem praktischem Wohlgefallen sowie die kategoriale Differenz ihrer beider Gegenstände außer Kraft setzend 206 - als Gewißheit zu behaupten: Kurz: die Bemerkung Piatos [ . . . ] daß die Begierde (nämlich das erstemal bei ihrer Geburt) den Gegenstand kennen (ahnden) müsse, um ihn zu begehren (wobei freilich das Verhältnis des Triebes zu seiner Nahrung, die er nie geschmekt, und sein Sehnen darnach unerklärlich ist) - also eben diese Bemer204

205 206

An solchen Beispielen werden Sinn und Nützlichkeit einer historischen Anthropologie deutlich, wie sie von Lepenies gefordert wird. Sie würde ermöglichen, exakt zu differenzieren zwischen anthropologischen Komplexen wie der Reproduktion des Lebens, der Sexualität, des Todes etc., die als konstant gelten dürfen, und deren variabler historischer Phänomenologie, d. h. der kulturell und geschichtlich Unterschiedlichen Überformung der elementaren Bedürfnisse. (Wolf Lepenies: Probleme einer historischen Anthropologie. In: Reinhard Rürup (Hrsg.): Historische Sozialwissenschaft. Beiträge zur Einführung in die Forschungspraxis. Göttingen 1977, 126-152) A n Otto, 5. u. 16. 11. 1794. SW III, 2, 35. Vgl. Kant, >Kritik der Urteilskraft, §§ 3-5.

279

kung wend' ich auf die Richtungen der praktischen Vernunft an, deren Gegenstand nicht diese Richtung selber (obwol diese Richtung etwas vom Umrisse des Gegenstandes, wie die Sehnsucht des Triebes vom Umrisse des seinigen giebt) sondern etwas ausser ihr sein mus: inwiefern nun das Gott und Glükseligkeit ist, das kan Jakobi ausführen zumal wenn er oder ein anderer gezeigt hat, inwiefern und warum die Glükseligkeit allemal der Sitlichkeit geopfert werden müsse und in[wie]weit Identität dieser beiden sich mit der Unterordnung der einen vertrage.207

Zum Schluß also auch hier der philosophische >Salto mortale< und die Hypostasierung des Unerklärlichen zum Grund der Dinge, wobei am Thema der Geschichte der Formalismus der Argumentation noch sehr viel deutlicher erkennbar wird als in der erkenntnistheoretischen Diskussion. So erscheint Jacobis Ursprungserfahrung, aus der die Vernunft im Erkennen und Handeln ihre Sicherheit beziehen soll, nicht weniger grundlos als die Selbstreflexion Fichtes. Mit sicherem Gespür für die Schwächen des Fundaments hatte Jean Pauls Kritik an den Axiomen der Vernunft gerüttelt und war auf die im System der Transzendentalphilosophie verborgenen Untiefen, die Unschärfen an seinen Rändern gestoßen, wo das ausgetriebene Irrationale noch lauerte, um den Preis, daß sie dort, wo sie dann notgedrungen selbst Position beziehen mußte und mangels eines Halts, der sich im historischen Prozeß herausgebildet und der anthropologischen Realität nicht entfremdet hätte, ausgerechnet der bekämpften Tugendideologie Ansätze bot, ihre Ausbeutungsstrategien zu rechtfertigen in dem Sinne, wie es Lichtenberg bereits sarkastisch kommentiert hatte: Die Furcht vor dem Tod, die den Menschen eingeprägt ist, ist zugleich ein großes Mittel, dessen sich der Himmel bedient, sie von vielen Untaten abzuhalten [. . ,]208

Glück und Moral, das macht auch der soeben zitierte Text von Jean Paul deutlich, lassen sich nicht ohne weiteres ineinsdenken, sobald die Metaphysik und ihr implizites, immer noch aus der christlichen Ethik genährtes Wertegefälle als Garantiemächte aufgerufen sind: »ein zweites Gewissen neben dem ersten« (I 970). Dennoch bleibt die Glaubensphilosophie Jean Pauls gerade darum zweideutig, weil sich Negation und Position auf keinen gemeinsamen Nenner bringen lassen. In der Unvermitteltheit, mit der sich beide Seiten gegenüberstehen, werden Einsichten freigegeben, die auch der religiöse Trostspruch nicht mehr wettmachen, geschweige denn zurück207 208

An Otto, 5. u. 16. 11. 1794. SW III, 2, 35f. Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe. Hrsg. v. Wolfgang Promies. München 1968ff. Bd. I: Sudelbücher, Heft A, Nr. 40.

280

nehmen kann. Vermutlich liegen die Dinge sogar so, daß es die metaphysische Zuflucht war, unter deren Schutz sich eine realistischere Geschichtsbetrachtung als die des philosophischen Futurismus anstellen ließ und den ungefügen, vom teleologischen Prinzip unterdrückten Momenten des Widersinns, der Ungesetzlichkeit, des Außerplanmäßigen die Möglichkeit gab, sichtbar in Erscheinung zu treten. Allem Anschein nach bedurfte es des Prinzips der Hoffnung, um die Geschichte unideologisch, d. h. ohne das vorgefaßte glückliche Ende und somit in der Tat als ein partielles Naturgeschehen zu erkennen und die Aussichtslosigkeit einer rein technischen Bewältigung zu begreifen. Die Glaubensphilosophie Jean Pauls ist darum nicht einfach ein blinder, nach verlorenen Sicherungen greifender Reflex auf die politische Wirklichkeit von 1800, sondern der zwar problematische, doch gleichwohl ernstzunehmende sachhaltige Indikator der Unzulänglichkeit einer Vernunft, die sich aufgrund falscher Selbsteinschätzung absolut wähnte und doch der komplexen Realität des Ich, seiner andrängenden Natur, der Ängste und Sehnsüchte nicht gerecht zu werden vermochte, und die Gefahr lief, die Geschichte zu naturalisieren, statt sie human zu machen. Der Sache nach ist Jean Pauls Wende zur Metaphysik ein Ausdruck der grundsätzlich in der menschlichen Existenz als eines natürlichen Wesens gelegenen Aporie, die in Konfrontation mit dem Tod ihre äußerste Zuspitzung erfährt. Inwieweit man Jean Pauls dualistisches Denken prinzipiell als ideologische Befangenheit auslegen will, ist daher in erster Linie eine Frage des eigenen Geschichtsbegriffs, d. h. konkret der Entscheidung darüber, ob die Versöhnungsprognose der idealistischen Geschichtsphilosophie bzw. deren materialistischer Umkehrung durch Marx als wirklichkeitsgerecht akzeptiert werden kann oder nicht. Vom Standpunkt Jean Pauls aus könnten jedenfalls auch diese Utopievorstellungen als Regressionsprodukte und als Maßnahmen erscheinen, die - wie es von Jean Paul behauptet wurde - »vor den Widersprüchen der historischen Realität schützen« sollen.209 Weil das Leiden an der Natur, an der eigenen Vergänglichkeit nicht einfach >aufzuheben< ist - genausowenig übrigens wie das asoziale Begehren nach Lust durch die Relegationen des Sozialisationsprozesses 210 -, könnte sich die Dialektik als Betrug am Individuum, der generöse Hinweis auf das Allgemeine als philosophischer Zynismus erweisen. Humanität, die es ernst meint, schließt daher nach Jean Paul die Erkenntnis vom Partialcharakter der Versöhnung ein bzw. hat ihre Aufgabe geradezu in dem Unversöhnbaren von Natur und Vernunft. 209 210

Lindner, Jean Paul, 104. Vgl. Kap. V.

281

V.

W I T Z U N D POESIE

Humoristische Narrenfeste: grande diablerie

Die Restauration einer Kunstmetaphysik im Rahmen der Genieästhetik des 18. Jahrhunderts, so läßt sich nun formulieren, ist im Falle Jean Pauls als Reaktion zu sehen auf den bürgerlichen Vernunftbegriff, der sich gegenüber der zwar modifizierbaren, aber niemals vollständig zu tilgenden ersten Natur als untauglich erwiesen hatte und folglich in seinem globalen Anspruch auf die Geschichte als Vermessenheit des von allen empirischen Belangen losgelösten, reinen Geistes erkannt worden war. Auf schmerzliche Weise hatte sich die Einsicht durchgesetzt, daß diese Vernunft dazu angetan war, den Traum einer gerechten, nicht mehr von der Willkür beherrschten Gesellschaft bereits im Ansatz, noch ehe es zum politischen Schwur kam, zunichte zu machen. Das Verhängnis war gewissermaßen schon programmatisch vorweggenommen durch die totale Entleerung des Naturbegriffs; schwerlich ließ sich auf dieser rein funktionalistischen Basis etwas anderes als abstrakte Identität herstellen. Zwangsläufig zog die Abstraktion von der Natur eine abstrakte Vernunft nach sich, die sich der Gewalt des Natürlichen umso mehr ausgesetzt sah, je weniger sie deren materiellen Status und Bedürfnischarakter wahrnahm. Dazu bot sich freilich kaum eine Chance, nachdem ihr die Grundlagen dafür systematisch verwehrt wurden durch eine Anthropologie, die alle physiologischen Momente als unerheblich für die Kenntnis vom Menschen aus ihren Betrachtungen ausschloß. Über die Natur, so Kant, läßt sich »hin und her [...] vernünfteln«, ohne Aussicht auf brauchbare Erkenntnisse, weshalb allein das von Interesse sein kann, was der Mensch, »als freihandelndes Wesen, aus sich selber macht, oder machen kann und soll«. Von anthropologischem Wert war lediglich das an der Natur, was ohnehin vernünftig, was aktiv ergriffen werden konnte, während das, »was die Natur aus dem Menschen macht«, d. h. das ihm Widerfahrende, die »erlittenen Empfindungen«, 1 rigoros ausgeklammert blieb, und dies, weil - wie Schleiermacher in seiner Kritik der kantischen Anthropologie das grundlegende philosophische 1

Kant, Werke X, 399.

282

Defizit artikulierte - »weil bekanntlich das Ich bei [Kant] keine Natur hat«. Wie in anderen Zusammenhängen auch, trieb dieser Formalismus einmal mehr zu Widersprüchen, die, gleichsam zu einer Ehrenrettung wider Willen, auf den »verborgenen Realismus« aufmerksam machten, »dem Kant, nachdem er ihn selbst umgestürzt und zertrümmert hat, noch immer einen geheimen Baalsdienst erweiset«. 2 Mit Genugtuung beobachtet Schleiermacher, wie das Physiologische sich selbst innerhalb der Grenzen der idealistischen Anthropologie machtvoll zu Wort meldet, die Abhängigkeit des Geistes vom Körper demonstrierend: »So und nicht anders muß man es erklären, daß die Ruhe nach der Arbeit und die Freuden einer guten Tafel als Hauptmomente unvermerkt immer wiederkommen, und daß die Affekten und mehreres andere, was im Gemüt vorkommt, ordentlich als Verdauungsmittel behandelt werden.« 3 Jean Pauls Kritik am transzendentalen Subjekt, sein beharrlicher Hinweis auf das Individuationsprinzip alles organischen Lebens, war also keineswegs eine Einzelerscheinung, sondern stand in Einklang mit einer allgemeineren Bewegung, die sich um die Revision dieser Anthropologie bemühte. Namen wie Sulzer, Lavater, Herder, Moritz, denen Jean Paul persönlich entscheidende Anregungen verdankte, waren dabei von Gewicht. Ihre im Detail sehr unterschiedlichen, zum Teil Leibnizsches Gedankengut aktualisierenden Ansätze - man denke an Moritz' >Magazin zur Erfahrungsseelenkunde< - kamen insgesamt darin überein, daß sie den materialistischen Tendenzen offenkundig nachgaben und auf diese Weise zumindest nach einer Seite hin auf der Linie von Jean Pauls dualistischem, vom Schock über die massive Realität der Materie zutiefst geprägtem Denken lagen. Gegenüber der Romantik, die in der eingeschlagenen Richtung fortschritt und die Anfänge auf den verschiedensten Gebieten, insbesondere der Medizin, weiterentwickelte, hatte letzteres überdies den Vorzug, daß es nahezu resistent blieb gegen die erneute Aufhebung der Gegensätze in der naturphilosophischen Spekulation. Eine Ausnahme machte lediglich das vielleicht populärste Phänomen dieser Zeit, der Mesmerismus, gegen dessen Faszinationskraft Jean Paul nicht ganz immun blieb. Nach anfänglicher Ablehnung hatte die neue Heilslehre vom allgemeinen Stimmungsumschwung der Jahrhundertwende begünstigt auch in Deutsch2

3

Friedrich Schleiermacher: Anthropologie v. Immanuel Kant. Königsb. 98. In: Athenäum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Ausgew. u. bearb. v. Curt Grützmacher, Reinbek b. Hamburg, 1969. II, 118-122; hier 120. Schleiermacher, Anthropologie Kants, 121.

283

land Eingang gefunden und seit 1814, zunächst in der Form von »Mutmaßungen über einige Wunder des organischen MagnetismusKomet< und schließlich als therapeutische Praktik in der >Selina< ihren Einfluß auf Jean Paul dokumentiert, ohne allerdings - das sei vorausgeschickt - das geschärfte Bewußtsein für den historischen Schnitt zwischen der alten Metaphysik und der kritischen Phase der Aufklärung auszulöschen. An ihm hat der Wunsch nach Einheit und Überwindung der dualen Strukturen immer wieder seine Grenze gefunden, und noch die späten romantisch-magischen Experimente sind von dieser Erkenntnis durchdrungen. Sie gleichen Absencen - Kain redet im Magnetschlaf die das Alltagsbewußtsein nur momentan durchbrechen, mitnichten aber von der Realität und ihren Zwängen entbinden. Im Schlaf fürchtet Kain das Erwachen: »Die schreckliche Stunde steht schon nahe, trägt mir meine Furienmaske entgegen und deckt sie auf mein Gesicht!« Wenn »das Glöckchen läutet« (VI 1004), wird sich sein Leidensweg fortsetzen, und er wird in seinem selbsterzeugten Wahn nicht Gott, sondern den Teufel anbeten. Wie immer die Funktion der spektakulären Erneuerung animistischer Theorien eingeschätzt werden muß -, durch die Erwähnung des Ledermenschen ist ein Komplex berührt, der mit dem Ausgangsproblem, dem Verhältnis von Vernunft und Natur nicht nur unmittelbar in Verbindung steht, sondern das Thema erst in vollem Umfang exploriert und in seiner historischen Spezifik erkennbar werden läßt. Es handelt sich um die schon mehrfach zur Sprache gekommenen Beziehungen von Wahn und Wirklichkeit, die in der anthropologischen Diskussion der Zeit einen geradezu explosiven Stoff darstellten, weil die Antworten darauf für die idealistische Auffassung von der Ätiologie der Gemütskrankheiten gewissermaßen die Nagelprobe bedeuteten und schwerwiegende Vorentscheidungen in Justiz und Medizin implizierten. Für Kant fiel das Phänomen, ausgenommen einige wenige Fälle von »körperliche[r] Verschrobenheit« 4 grundsätzlich in die Zuständigkeit der Philosophie. Der Wahn und seine vielfältigen Formen galten in erster Linie als »Fehler des Erkenntnisvermögens«5 und als Abweichungen von den Normen der Vernunft, verursacht durch eine prinzipiell behebbare Schwäche oder Lässigkeit im Umgang mit dem gesunden Menschenverstand, für die in der Regel der Kranke selbst zu haften hatte. Welche praktischen Auswirkungen dies zeitigte, läßt sich denken; statt Hilfe erhielten die Betroffenen in der Regel derart dra4 5

Kant, Werke X, 528f. Kant, Werke X, 512.

284

konische Strafen, daß sich die Vermutung eines unbewußten Abwehrmechanismus nahelegt. »Die Irren«, so Dörner, »stehen nicht nur selbst unter dem Pflichtgesetz, für dessen philosophische Herrschaft die Möglichkeit einer körperlich bedingten Verhinderung nicht akzeptiert wird, sie dienen auch für die Allgemeinheit seines Geltungsanspruchs als warnendes Exempel, - immer noch ähnlich, wie sie zuvor als Besessene den Herrschaftsanspruch der Kirche zu demonstrieren hatten.« 6 Voraussetzung und Folge der Vernunftkultur, so zeigt sich, war die rigide Ausgrenzung der Unvernunft. Auf den ersten Blick scheint die Figur des zitierten Kain dieser Konzeption vollkommen zu entsprechen. In den Augenblicken des magnetisch erzeugten Schlafs, da ihn die wahnhaften Zwänge loslassen, macht er sich selbst verantwortlich für sein Schicksal: er sei »alles Böse durch Denken [gewesen] - Mordbrenner - Giftmischer - Gottleugner [...] innerer Schauspieler von Satansrollen und am meisten von Wahnwitzigen, in welche ich mich hineindachte, oft mit Gefühlen, nicht herauszukönnen« (VI 1003). Manches erinnert hier an Roquairol, nicht nur die Teufelsattribute, auch der Umschlag des Vernunftabsolutismus in den gleich verhängnisvollen der Phantasie. Wo aber jener in seinem Egoismus befangen blieb, hat Kain allen Anzeichen nach eine Mission zu erfüllen, die - und das ist wesentlich - an seinen Wahn gebunden ist. Denn im Gegensatz zu dem völlig abgedichteten, autistischen Wahn des Nikolaus Marggraf (vgl. VI 974) scheint dieser eine Funktion zu haben, die über die Person des Kranken hinausreicht: Kain, der Widersacher, hält Gericht. Und offenbar spricht aus dem Wahnsinnigen die Wahrheit, wird in dieser Verkehrung sonst Verborgenes sichtbar, das die Welt des Normalen mit ihren Gesetzen und sorgsam gepflegten Sicherungen zu erschüttern vermag. Indem die elementarsten Konventionen aufgehoben und die üblichen Verbindlichkeiten im Wahn außer Kraft gesetzt werden, lockern sich entsprechend auch die Tabus, die notwendig waren, jene durchzusetzen und aufrechtzuerhalten. Die Ordnung wird fragwürdig: »Es ist närrisch auf der Erde«, sagt Kain, ehe der magnetisch erzeugte Schlaf ihn überfällt (VI 1002). Während die Narreteien des eingebildeten Fürsten deutlich regressive Züge haben und den Sandkastenspielen der Kinder gleichen (vgl. VI 963), verrät der Wahnsinn Kains angsterregende Hellsicht, und mehr noch: er scheint in geheimer Beziehung zu stehen zu einer übermenschlichen Vernunft. Nur so läßt sich die heftige Reaktion jener selben Umgebung 6

Klaus Dörner: Bürger und Irre. Zur Sozialgeschichte und Wissenssoziologie der Psychiatrie. Frankfurt 1969, 241.

285

erklären, die auf die wahnhaften Ideen ihres Fabelfürsten ohne weiteres einzugehen und ihm den Hof zu machen bereit war. »Alle«, so heißt es nach dem Auftritt des rasenden Kain, »traten weit von ihm hinweg, nicht aus Furcht, sondern vor Entsetzen.« (VI 1004) Die Frage ist, was sich durch diese Besessenheit hindurch Ausdruck verschafft; von welcher Art das Böse ist, das im Namen des Teufels solche Wirkung ausübt; schließlich, ob der Mythos einen präzisierbaren historischen Gehalt hat, der sich in analytischen Kategorien fassen läßt. Einen wichtigen Schlüssel dazu hat Jean Paul mit der doppelbödigen Geschichte des Feldpredigers Schmelzle gegeben, einem Text, der seinem Entstehungsdatum nach mit der ersten Konzeption des >Komet< zusammenfällt und deshalb so aufschlußreich ist, weil er erstens die Mechanismen in statu nascendi zeigt, die das Verhältnis von Wahn und Vernunft konstituieren, und zweitens in diesem Zusammenhang Hinweise auf die historische Funktionsbestimmung der humoristischen Poesie durch Jean Paul gibt, eine Frage, die in diesem Schlußkapitel geklärt werden soll. Es geht um die Erläuterung der >VorschulSchmelzle< jedenfalls handelt es sich um keine gewöhnliche touristische Unternehmung, sondern um eine Reise in die Psychologie des bürgerlichen Individuums und darüber hinaus in die einer ganzen Epoche.

1. Teuflische Lust Attila Schmelzle, seines Zeichens ehemaliger Feldprediger im Schabakerschen Regiment, ist in einem sonderbaren Wahn befangen. Die Sorge um Leib und Leben hält ihn derart in Atem, daß die unternommenen Sicherheitsvorkehrungen seine geistigen und physischen Kräfte völlig absorbieren und die seine Regungen bis in die intimsten Verrichtungen hinein beherrschende Vorsicht ihn schließlich die Stellung und damit die Grundlage seiner Existenz gekostet hat. Um der beständig 286

drohenden Angst Herr zu werden, handelt Schmelzle nach der Devise: »je weniger Gefahr, desto kleiner die Furcht«. Seine unablässigen Anstrengungen zielen darauf ab, die Gefahr möglichst klein zu halten oder ihr überhaupt zuvorzukommen, damit sie sich erst gar nicht entfalte. Denn besser als alle unüberlegten Mutproben sind seiner Meinung nach »Lagen [...], wo man ganz und gar von Furcht nichts weiß« (VI 17). So kommt es, daß Schmelzle nach eigenem Zeugnis in jedem Fall »wenigstens zehn Äcker weit« vom Badeufer spazieren geht, »bloß weil ich gewiß voraussehe, daß ich, falls einer [der »Badgäste«] ertrinken wollte, ohne weiteres (denn das Herz überflügelte den Kopf) ihm, dem Narren, rettend nachspringen würde, in irgendeine bodenlose Tiefe hinein, wo wir beide ersöffen« (VI 14); daß Schmelzle niemals, und sei es bei »ganz heiterem Himmel«, ohne Regenschirm ausgeht, nachdem dieser sich auch als Blitzschirm gebrauchen läßt, »von dessen Giebel sich eine Goldtresse als Ableitungskette niederzieht, die durch einen Schlüssel, den sie auf dem Fußsteig nachschleift, jeden möglichen Blitz leicht über die ganze Erdfläche ableitet und verteilt«, ganz zu schweigen von dem großartigen Schutz, den der »Paradonner« im Herbst vor umherirrenden Kugeln gewährt, die, sobald sie im Winkel von 45° abgefeuert werden, den Naturgenuß des Spaziergängers erheblich beeinträchtigen könnten (VI 18). Allein vor dem Mond, gegen den es überhaupt kein Mittel zu geben scheint, muß auch der beste Schirm versagen, und der Moment ist abzusehen, da ein empfindsamer Katechet von seinem nächtlichen Lustwandel »als zerquetschter Brei wieder nach Hause gehen« muß, weil »mitten im Gefühl [...] ihn der absurde Satellit [erwirft]« (VI 19). Entsprechend unbegreiflich bleibt es daher dem umsichtigen Feldprediger, daß es Menschen gibt, die ins Bett gehen, »ohne zu bedenken, daß sie vielleicht im ersten Schlafe sich aufmachen als Nachtwandler und auf Dächer hinauskriechen und irgendwo erwachen, wo sie den Hals brechen und den Rest« (VI 51). Er freilich weiß dem planvoll zu begegnen, indem er allabendlich um seine rechte Fußzehe einen Faden wickelt, der zur linken Hand seiner Frau führt und ihn im Ernstfall vor dem verderblichen Schritt bewahren kann. Im übrigen ist der Schlaf selbst voller Tücken, da »mit dem Ganzen« auch das eine oder andere Gliedmaß einschlafen und, wird keine Abhilfe geschaffen, »am Morgen zum Amputieren gereift daliegen« könnte, weshalb sich Schmelzle häufig wecken läßt, »damit nichts einschläft« (VI 51f). Dieselbe Vorsicht und nicht etwa Feigheit, wie ihm böswillig unterstellt wurde, hatte ihn an dem bewußten Tag im Gefecht sich frühzeitig hinter die Linien zurückziehen lassen, wo ihn die »Leute, sobald sie geschlagen worden, notwendig treffen mußten«. Und da 287

kein Rückzug schicklicher, weil ordnungsgemäßer zu machen ist »als eben vor dem Treffen, wo man ja noch nicht geschlagen ist« (VI 15), fühlte sich Schmelzle durch die unehrenhafte Entlassung von Grund auf mißverstanden und in seiner Ehre zutiefst gekränkt, weshalb er nun auszieht, um sich zu rehabilitieren. Natürlich stellt diese Reise mit ihren zahlreichen Unwägbarkeiten vor ganz neue und sehr viel größere Probleme, die seine Energien in doppeltem Maße herausfordern müssen. Doch unverdrossen macht sich Schmelzle ans Werk; er ordnet seine Habe, erläßt »Hausgesetze und Reichs-Abschiede« (VI 22), packt »entgegengesetzte Arzneien« ein, um gegen jede Anfechtung gerüstet zu sein, kramt alte Schienen »gegen Arm- und Beinbrüche bei Wagen-Umstürzen« hervor (VI 23) und heuert schließlich zum persönlichen Schutz seinen Schwager, den Dragoner, an, dessen körperliche Stärke ihm uneingeschränktes Vertrauen einflößt. Einmal abgefahren, sitzt er, seinen »vielleicht tot zurückreisenden Leichnam« im Kopf (VI 24), lauernd im Wagen, ob sich nicht etwas Verdächtiges an dem »unbekannte[n] Gesindel« zeige, in dessen Begleitung er notgedrungen die Fahrt verbringen muß (VI 25). Mit dem Postilion liegt er ohnehin bald im Streit, weil dieser nur mit größter Mühe sich bewegen läßt, jede Viertelstunde anzuhalten, damit Schmelzle seine Notdurft verrichten und auf diese Weise, wie er fest glaubt, der möglichen Bildung von Blasensteinen vorbeugen kann. Hatte er um dieser Vorsichtsmaßnahme willen schon die rührendsten Szenen auf dem Theater versäumt, so schien ihm ein Abweichen von seiner Gewohnheit durch die halsstarrigen Obstruktionen eines gemeinen, von physiologischen Zusammenhängen nichts ahnenden Postknechts schwerlich zumutbar. Daß Schmelzle auf diese Weise überhaupt sein Ziel erreicht und nach drei abenteuerlichen Stationen tatsächlich im Flätzer Gasthof »Zum Tiger« - wo sonst! - absteigen kann, grenzt schon fast an ein Wunder. Es ist denn auch der einzige Reiseerfolg, da alle übrigen Vorhaben und ihre eigentlichen Anlässe zu keinem Ziel führen. Weder gelingt es Schmelzle, seinem ehemaligen Vorgesetzten die erhoffte »katechetische Professur« (VI 21) zur Wiedergutmachung der erlittenen Schmach abzuringen, noch vermag er bei den Freunden zu Hause, denen er Rechenschaft zu geben sucht, jene »unsinnige[n] Gerüchte« (VI 15) zu entkräften, die ihn der Feigheit beschuldigten. Je mehr er sich in Feuer schreibt zum Ruhme seiner Taten, desto mehr gleicht sein Bericht einer unfreiwilligen Selbstanalyse, die ihn nicht nur in dem vordergründigen Sinn der unfreiwilligen Ironie entlarvt. Unter den Kapriolen und Schrullen des Sonderlings tritt nämlich eine in hohem 288

Grade pathologische Persönlichkeit hervor, die, ohne es zu wollen, die Geschichte ihrer Neurose entwickelt. Wichtigster Anhaltspunkt dafür ist die ins Auge springende Unverhältnismäßigkeit der Mittel, die Schmelzte zur Besänftigung seiner Ängste aufbringt und die, statt daß sie das Unglück abwenden würden, erst recht zu seinem Nachteil ausschlagen. Das betrifft nicht nur den beruflichen Eklat, sondern macht sich schon in Kleinigkeiten bemerkbar. So weiß Schmelzte genau, daß er zu viel Geld auf die Reise mitnimmt oder daß, statistisch gesehen, »unter Millionen kaum ein Mensch an der Gewitterwolke stirbt« (VI 32), und kann es doch nicht hindern, sich selbst und seinen Mitmenschen, sofern sie in seine Kreise treten, die größten Unbequemlichkeiten und absurdesten Maßnahmen abzunötigen. Schmelzte selbst ist ratlos, ja hilflos dem Zwang ausgeliefert, der seine unentwegten Bemühungen in ihr Gegenteil verkehrt und ihn ein ums andere Mal über seine eigenen ausgeklügelten Sicherungen stolpern läßt. Dies einerseits, der sich prompt einstellende Mißerfolg, und die Rigidität, die Besessenheit andererseits, mit der Schmelzte vorgeht, lassen vermuten, daß die ihn treibende Angst nicht allein und nicht primär der realen Lebensgefahr gilt, sondern daß sie dahin verschoben ist, weil sie sich in dieser Form leichter eingrenzen, leichter bearbeiten läßt und sogar in einem gewissen Maß auf das Verständnis der anderen rechnen kann. Unter Umständen kann die Angst vor dem Tod recht vernünftig sein, zumindest ist sie durch keine allzu strengen moralischen Sanktionen belastet. Offensichtlich aber gelingt die Abwehr der eigentlichen Angst nur unvollkommen, denn die auffälligen Aktionen Schmelzles sind ein sicheres Zeichen dafür, daß sein Gleichgewicht empfindlich gestört ist. Tatsächlich lebt er in der beständigen Furcht, die ursprünglichen Triebenergien könnten sich trotz alter Vorkehrungen aufs neue bemerkbar machen und die mühsam aufgerichteten Kontrollschranken durchbrechen. An prominenter Stelle im Text berichtet er denn auch, freilich ohne den wahren Sinn dessen zu begreifen, was ihn wirklich quält. Es ist die Angst vor der eigenen Phantasie: Wie furchtbar war nicht meine Phantasie schon in wenn der Pfarrer die stumme Kirche in einem fort Gedanken: »Wie, wenn du jetzt geradezu aus dem schrieest: ich bin auch da, Herr Pfarrer!« so glühend Grausen hinaus mußte!

der Kindheit, wo ich, anredete, mir oft den Kirchenstuhle hinauf ausmalte, daß ich vor (VI 13)

In dieser, in Varianten wiederkehrenden >Urszene< konzentrieren sich die Grundängste Schmelzles, hier wurzeln seine Neurose und die psychischen Mechanismen, die ihn beherrschen. Keine Frage, daß sich in 289

solchen Phantasien elementare Wünsche anmelden, daß die Vorstellung, in der Kirche von der Bank aus das Wort zu ergreifen und damit die geheiligte und mächtige Ordnung auf den Kopf zu stellen, sich an dem Repräsentanten dieser Macht zu rächen, lustvoll besetzt ist. Im selben Augenblick jedoch meldet sich die Zensur, und die Lust schlägt in Angst um. Der Gedanke, es könnte eine Norm verletzt, es könnten Konventionen mißachtet werden, versetzt das Kind in panischen Schrecken. Aus Angst vor Bestrafung bestraft es sich selbst, indem es seiner Phantasie zu mißtrauen und sie zu unterdrücken beginnt. Je heftiger sich das Begehren regt und mit den schönen Bildern lockt, desto gewaltsamer muß es abgewehrt und umbesetzt werden. Aus Furcht, die Kontrolle über sich zu verlieren, wird jedes Unvorhergesehene verdächtig, weil es an die primären, aber verbotenen Wünsche rührt. Systematisch wird die Umgebung, das eigene Leben vor Überraschungen abgesichert, was nicht bedeutet, daß die abenteuerlichen Wünsche nicht doch auf Umwegen befriedigt werden. Denn Schmelzles Sicherheitsbestreben, sein unter dem Mantel der Vorsicht kaschierter Verfolgungswahn ist in Wirklichkeit nicht weniger phantastisch als der kindliche Ausbruchversuch. Außerdem läßt sich an den Energien, die das tägliche Schutzmannöver verschlingt, die Resistenz des Verdrängten ermessen. Spontan spürt Schmelzle, daß unter allen Passagieren der rot gekleidete »Jean Pierre oder Jean Paul« die größte Gefahr bedeutet, weil er ihn indirekt dazu auffordert, genau das zu tun, was er fürchtet: die psychischen Zwänge zu lockern und seinen Wünschen nachzugeben, was aber gleichzeitig hieße, daß sich Schmelzle seiner eigentlichen Angst stellen müßte. Der hintergründige, vor allem poetologisch interpretierbare Sinn wird sich an anderer Stelle noch deutlicher zu erkennen geben. Schmelzle jedenfalls wehrt der Verführung mit allen Kräften, denn er fühlt sich auf unbestimmte Weise durchschaut. Der »blinde« Passagier ist ein »sehender« Mann, dem Schmelzle nicht zum erstenmal begegnet, und sein roter Mantel verschmilzt ihm optisch mit dem des Scharfrichters, der - und damit ist die Beziehung vollends klar - »in vielen Gegenden trefflich Angstmann heißt« (VI 28). Schmelzle in seinem Anpassungseifer durchschaut nicht, was ihm widerfährt, warum seine Phantasie ihn derartig bedrohlichen Konflikten aussetzt. Die Anfechtungen kommen über ihn, fallen ihn ohne Vorwarnung an, ein >Etwas< in ihm, dem er, wenn es sich einmal erhoben hat, nicht steuern kann. »Gott weiß«, schreibt er, »wer mir allein jene toll-kecken Phantasien und Gelüste eingeknetet hat« (VI 42) und weshalb sie ausgerechnet ihn, einen Mann, »der sich nie gern vergessen 290

will« (VI 44), heimsuchen müssen. Es ist, als rege sich in solchen Augenblicken etwas ihm völlig Fremdes, und mit einer bezeichnenden Mischung aus Lust und Schuldgefühl erinnert er sich an den Tag seiner Ordination zum Geistlichen, als ihm der Einfall kam, »mitten im Empfange des heiligen Abendmahls verrucht und spöttisch zu lachen«. Von diesem Moment an entbrannte in ihm der Kampf, von dem er im voraus wußte, daß er ihn verlieren, daß er »zu lachen anfangen würde, ich möchte innen weinen und stöhnen, wie ich wollte« (VI 42). Gesenkten Kopfes stand Schmelzle vor dem Pfarrer, die Oblate im Mund, während »an den Mundwinkeln alle Lachmuskeln sardonisch zu ziehen anfingen«, bis er endlich grinste »wie ein Affe«. »Mein Nebenmann«, fährt Schmelzle fort, »der Bürgermeister, redete ganz mit Recht, als wir hinter den Altar um gingen, mich leise an: >Um Gottes Willen, sind Sie ein ordinierter Prediger oder ein Pritschenmeister? - Lacht denn der lebendige Gott-Seibeiuns aus Ihnen?< - >Ach Gott! wer denn sonst?< sagt' ich« (VI 43). Die unbekannte Macht im Innern wird als das Böse erfahren; Schmelzle, der es verkörpert, schlüpft in die Gestalt des Teufels nicht viel anders als Kain, nur daß dieser sich mit seinem Wahn identifiziert, Schmelzle aber ihn durch die Flucht in die Neurose zu bekämpfen sucht. Die Frage ist, welchen Sinn diese Bilder haben, welche konkrete Bedeutung dem Mythos beigemessen werden muß, zumal Schmelzle selbst als gebildeter und aufgeklärter Mensch ihn nicht wörtlich nehmen will, wenn er auch aus der eigenen Verunsicherung heraus »jeden Einfältigem« in Schutz nimmt, »der sonst dergleichen dem Teufel anschrieb« (VI 42). Trotz aller Ambivalenz ist doch hier die Distanzierung vom Teufelsglauben unüberhörbar. Eine erste Klärung ergibt sich durch die genaue Analyse der Situationen, in denen Schmelzle von seinen phantastischen Einfällen behelligt wird. Ausnahmslos gleichen sie sich nämlich darin, daß sich in irgendeiner Form Macht darstellt, durch die Kirche nicht weniger als den Hof (vgl. VI 42) oder - auf anderer Ebene - den Posthalter, vor dessen physischer Stärke nur die Kapitulation bleibt (vgl. VI 32). In allen diesen Fällen muß sich Schmelzle angstvoll seiner Selbstbeherrschung versichern, »weil meine Phantasie mir immer vorspiegelt, ich könnte vielleicht aus Zufall oder wider Willen ihnen ein recht höhnisches und impertinentes Gesicht schneiden und mir solche Gesellen auf den Hals hetzen, und darauf spür' ich schon Ziehen von Mienen« (VI 32). Gelingt die Selbstdisziplinierung nicht, dann steht die Existenz auf dem Spiel. Mit dieser Tatsache ist Schmelzle von Kind auf so vertraut, daß sich die Angst vor nicht konformem Verhalten automatisch 291

in ihm reproduziert. Die Umwandlung der Fremd- in Selbstzwänge, Bedingung und Erscheinungsform jenes jahrhundertelangen europäischen Zivilisationsprozesses, wie er durch Norbert Elias als umfassender, Bewußtseins- und Triebstrukturen gleichermaßen betreffender Rationalisierungsprozeß beschrieben worden ist,7 und im Zusammenhang damit die Ausbildung eines strengen und verläßlichen Über-Ichs sind für Schmelzte eine Existenzfrage. Seiner speziellen Physiognomie nach ist er ein typisches Produkt der ausgehenden Vernunftkultur des 18. Jahrhunderts, der Spätzeit des Absolutismus und der Aufstiegsphase des Bürgertums. Er lebt in einer relativ gesicherten, durchorganisierten und im Inneren befriedeten Welt, wie sie den modernen Staat charakterisierte, in der beispielsweise eine Reise keine lebensgefährliche Unternehmung mehr war. Man konnte mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, daß man seinen Bestimmungsort erreichen würde. Umso überflüssiger und irrationaler die Befürchtungen des reisenden Feldpredigers, und umso kenntlicher deren neurotische Stellvertreterfunktion. Denn der äußeren Ordnung mußte eine innere, der äußeren Disziplinierung des gesellschaftlichen Lebens die jedes einzelnen entsprechen. Die Naturbeherrschung mußte sich im Inneren fortsetzen, das gesamte Triebleben gedämpft und kontrolliert werden. Sehr treffend spricht Elias davon, daß sich im Verlauf dieses Vorgangs der Kriegsschauplatz in gewissem Sinn nach innen verlagert habe und das, was einst im Kampf zwischen den Menschen ausgetragen worden sei, nun der Mensch in sich selbst zu bewältigen habe. 8 In der Folge entstünden zwangsläufig Spannungen zwischen Ich und Unbewußtem, zwischen Vernunft und Trieb, Störungen des gesamten Affekthaushaltes, die in irgendeiner Weise ausgetragen werden müssen. Ungewiß ist allerdings jeweils der Ausgang dieses Prozesses. Entweder können die unerwünschten Energien umgepolt und anderswo positiv eingesetzt werden, oder die psychische Deformation ist derart wie bei Schmelzle, daß die ursprünglichen Impulse überhaupt nicht mehr sinnvoll verwandt werden können. Seine Kompensationsversuche schießen weit übers Ziel hinaus, weil seine Ängste ihn daran hindern, die Dimensionen der Dinge realistisch einzuschätzen. Erschwerend kommt hinzu, daß Schmelzle in seiner Position unter einem besonders hohen Anpassungsdruck steht und eine unbedachte Äußerung ihn um alle Aufstiegschancen bringen 7

8

Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bde. Frankfurt 1977. Wichtig und bis heute unüberholt vor allem die Zusammenfassung und theoretische Explikation Bd. II, 312ff: >Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation^ Vgl. Elias, Zivilisation II, 330.

292

könnte. Dem General, so räsoniert er, stünden jene »Gelüste« weit mehr an als gerade dem Feldprediger (vgl. VI 42), der sich in seiner unsicheren sozialen Lage kaum eine spontane Regung leisten kann. Nur ein geschärftes Wahrnehmungsvermögen und die rigorose Unterdrückung aller gegenteiligen Bestrebungen sind erfolgversprechend. Die Anpassung, ja die Überanpassung hat keine Alternative. Zu welchen Verkrümmungen und Selbstentäußerungen sie führt, wird an der folgenden Szene deutlich: Nach seinem mißglückten Bittgang beim General kauft sich Schmelzle einen neuen Hut, den er jedoch vorläufig in der Hand trägt, weil er den alten noch aufbehält. Unterwegs kommt ihm der General entgegengefahren, und Schmelzle hat die Wahl, entweder sich der Unhöflichkeit schuldig oder lächerlich zu machen: Schwenkt' ich nämlich bloß den feinen Filz, den ich schon in der Hand trug, behielt aber den verschossenen auf dem Kopfe: so könnt' ich einem Grobian von Haus aus ähnlich sehen, der nichts abzieht; zog ich hingegen den alten vom Kopfe und hofierte damit: so spielten zwei Filze auf einmal (ich möchte nun den andern mitbewegen oder nicht) die Sache ins Lächerliche.

Und wie entscheidet sich Schmelzle in dieser Lage? [ . . . ] kurz und gut, ich ließ eben geradezu den Putz-Hut aus der Hand in den Kot fallen, um mich instand zu setzen, den Sudel-Hut einsam abzunehmen und mit nötiger Höflichkeit zu schwenken ohne einen Anstrich von Lächerlichkeit. (VI 48)

Um nur das Gesicht zu wahren, demütigt sich Schmelzle aufs äußerste und gibt sogar das preis, was er sich zum Trost und gewissermaßen zur seelischen Wiederaufrichtung im unmittelbaren Anschluß an das fehlgeschlagene Gnadengesuch teuer erstanden hat. Mag er sich immer in heroische Träume und Sehnsüchte hineinphantasieren, um seine Nichtigkeit, sein Dasein als »bloßer Staats-Schoßhund«, als »Hunds-Hund«, als »Ex-Ex« (VI 48), wie er sich ausdrückt, zu vergessen oder zu kompensieren: die Realität wird sein, daß er nach Hause fährt und sich vom Geld seiner, der Herkunft und der Bildung nach weit unter ihm stehenden Frau einen Titel kauft, um seine soziale Schande damit zu bedecken. In mehr als einem Sinn endet das kurze Aufbegehren in einer Säuberungsaktion, wobei, wie die Geschichte mit dem Hut höchst anschaulich zeigt, der Handlungsspielraum auf ein kaum mehr faßbares Minimum geschrumpft ist, die winzige Genugtuung, den öffentlich verleugneten »brillantierten Fein-Fein-Fein-Filz« früher ausbürsten zu lassen als den »Kotsassen-Hut«, den Schmelzle in seiner Not gezogen hat (VI 48). 293

Die Korrelation von Triebverzicht und Angst, nach Elias die entscheidenden Koordinaten in der Geschichte des gesellschaftlichen Lebens, läßt sich an diesem Beispiel aufs anschaulichste studieren. Selbst in dem Augenblick, als Schmelzle nichts mehr zu verlieren hat, üben die verinnerlichten Ängste noch ihre restriktive Macht. Ehe der Prozeß an die Öffentlichkeit kommt, ist das Urteil schon gesprochen. Verständlich und charakteristisch für seine Zeitgenossenschaft, daß er, der sich unter Aufbietung aller Kräfte den herrschenden Forderungen der Vernunft unterwirft, vor allen Formen der Unvernunft tiefen Abscheu hegt. Dazu gehört alles, was in irgendeiner Weise von der Norm abweicht im natürlichen oder im Sinne der Konvention. Der Gedanke, daß eine »höchst wahrscheinliche Hure« die Kutsche mit ihm teilt (VI 25), beunruhigt ihn nicht weniger als die Gesellschaft eines Zwergs und eines Riesen, die sich auf dem Flätzer Jahrmarkt dem Publikum für Geld präsentieren wollen, ein Vorhaben, das durchaus den Gepflogenheiten der Zeit entsprach und auf einer Linie lag mit den spektakulären Schaustellungen abnormer Naturerscheinungen, den sogenannten >IrrendemonstrationenTierischeExperimentalmetaphysik< daher offener, ja in gewissem Sinn sogar weniger ideologisch als der Idealismus Hegels. Was Jean Paul anstrebte, war, symbolisiert im Bild des Regenbogens, eine Art bedingten Friedensschlusses zwischen Vernunft und Natur. Die Behauptung, er habe sich am Ende von »bloßer romantischer Traum-Vergaffung ins Nicht-Jetzt« losgerissen und dem Willen zum »utopischen Präsenz« das letzte Wort gelassen, ist falsch.19 Denn seine poetische Utopie ist so zweidimensional wie sein Witz, der das Nichtidentische gegen den Einheitswillen des Begriffs kritisch ins Feld führt, um im selben Augenblick daraus den Hoffnungsfunken einer Identität mit dem Ewigen zu schlagen. Das Inkommensurable als die irdische condition humaine ist ihm gleichbedeutend mit der Bürgschaft des Himmels. Infolgedessen imaginiert die Utopie zwar eine bessere Geschichte, aber sie geht nicht darin auf; Wünsche und Sehnsüchte suchen auch Arkadien heim. Für das gesamte Spektrum der Fragen, seien sie politisch, philosophisch, psychologisch oder ästhetisch orientiert, gilt, daß sich Jean Paul nicht auf die blanke Alternative reduzieren läßt. Daraus leitet sich nicht etwa die Lizenz ab, die Wahrheit in 18 19

Hegel, Werke XIX, 610. Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung.

Frankfurt 1977, 366. 327

der legendären Mitte zu suchen, vielmehr die höchst unbequeme Aufgabe, den vieldeutigen, oft widerspruchsvollen Facetten nachzugehen. Wenn sich kaum eine These einschränkungslos vertreten läßt, so darf nicht vergessen werden, daß Jean Pauls Werk wie das seiner Zeitgenossen in Theorie und Praxis das Produkt der Entfremdung ist, des Wissens vom Glauben und des Alltags von der Kunst, ein historisches Faktum, das selten so nachdrücklich zu Bewußtsein gebracht wird wie gerade hier. Von Jean Paul stammt der Satz: »Nur wer nicht handeln kann, arbeitet für Pressen.« Als vermeintlich politisches Bonmot, das die Praxisferne der Deutschen kritisieren sollte, wird dieser Satz häufig mißbräuchlich, weil aus dem Kontext gerissen, zitiert. Dabei versteht er sich weit präziser, als angenommen, indem er sich auf die schlechteste Konkretisation von Praxis beruft, aufs Geschäft nämlich, an dem sich Wert und Unwert des bürgerlichen Subjekts bemessen: »- der Handel ernährt seinen Mann; aber Bücherschreiben ist nicht viel besser als Baumwolle spinnen, und Spinnen ist das Nächste am Betteln . . . « (II 24) Schonungslos geradezu wird die gepriesene Autonomie der Kunst als die Tugend der Not entlarvt, eine unfreiwillige und fragwürdige Ehre, die ihr im Guten wie im Bösen den Stempel aufdrückte. Wo die Kunst dem »ausgehungerten Herzen« zum »Entsatz« dienen mußte, um »einen bessern Blumensamen aufzuschwellen, als in dem nächsten Boden aufgeht« (II 25), da konnte sie leicht den Boden überhaupt verlieren. Schon der junge Jean Paul hatte in einer der ersten Notizen zur >Vorschule< von »zweierlei Aufklärung« gesprochen, der höheren und der niederen, »jene[r] des Herzens, diese[r] des Kopfes«.20 Worum es ihm aber ging, waren diejenigen Wahrheiten - und diese waren zweifelsfrei die »wichtigern« »die weder der Kopf noch das Herz aufschließet - allein, sondern beide zusammen« (III 1027). Das zielte nicht auf das Ende der Aufklärung, wohl aber auf deren Korrektur, zu der die Kunst aufgerufen war. Sie huldigte nicht blindlings der Euphorie des Allgemeinen, in der das Besondere einfach verschwand, sondern hielt dieses und jenes zugleich fest. Je allgemeiner sie ist, behauptet Walt, »desto mehr Besonderes geht hinein« (II 773). Vermittlung allerdings wäre hier nicht die richtige Kategorie, das Verhältnis zureichend zu beschreiben; genauer trifft Leibniz' Begriff der Repräsentanz, wie er dem erläuternden Gleichnis zugrundeliegt, nicht das Subjektive, sondern das Individuelle zum Allgemeinen erhebend:21 20 21

Zitiert nach Berend, Jean Pauls Ästhetik, 11. Vgl. dazu Kap. II, 7: Programm und Stil kommen hiernach vollkommen überein.

328

Und wo wohnen denn beide [Kunst und Natur], so groß sie auch sind, als nur in einzelnen Menschen? - Wohl mag er sie sich daher zueignen, als wären sie für ihn allein. Die Sonne geht vor Schlachtfeldern voll Helden - vor dem Garten der Brautleute - vor dem Bette eines Sterbenden zugleich auf, ja in derselben Minute vor andern unter; und doch darf jeder nach ihr sehen und sie an sich heranziehen, als beleuchte sie seine Bühne nur allein und stimme ein in sein Leid oder in seine Lust; und ich möchte sagen, gerade so wie man Gott so anruft als den seinigen, indes doch ein Weltall vor ihm betet. (II 773)

Die simple Dichotomie von Reaktion und Fortschritt führt in die Irre bei Jean Paul, der nichts weniger wollte, als den kritiklosen Umschlag in die Irrationalität, die Regellosigkeit und Willkür, wie er sie von der Frühromantik auf den Schild gehoben glaubte. Seiner Meinung nach tauschten deren Vertreter bloß eine neue Inhumanität gegen die alte ein. Der Humor, »Frucht einer langen Vernunft-Kultur« (IV 27), gab seine Herkunft nicht preis; doch war das Narrengelächter in der Maske des Wahnsinns ungleich anspruchsvoller und ungleich bescheidener als die reine Vernunft. Es wollte Versöhnung, die nicht allein durch den Gedanken betrieben wurde, sondern den schwelenden Konflikt zwischen Ratio und Gefühl beenden konnte. Es forschte nach einer Rationalität, die sich auch jener von der Vernunft nicht befriedigbaren Bedürfnisse - der Lust, der Liebe, und schließlich der Hoffnung - anzunehmen vermöchte, ohne sie sogleich mit dem Makel der Unvernunft versehen zu müssen, und die in dem schwierigen Emanzipationsprozeß auch die Gelassenheit hätte, der Schwerkraft der Seele Raum zu geben, um in der komplizierten psychischen Dynamik eine lebbare Balance von Progression und Regression zu schaffen. Gefühlsbildung im Sinne einer Diätetik der Seele war für Jean Paul politisch und sozial nicht weniger entscheidend als die Aufklärung des Geistes. Was seine Ästhetik auszeichnete gegenüber den verschiedenen Konzepten transzendentaler Poesis, die ihren systematischen Bezugspunkt in der dritten Antinomie von Kants >Kritik der reinen Vernunft< hatten, 22 war der unmittelbar verstandene Zugriff, die poetische Einübung in Seelenlagen. Auch wenn die >Vorschule< wichtige Elemente der Genielehre aufgenommen hatte, so begriff sie doch weder das Schöne als Symbol der Sittlichkeit, das die Lust aus Interesselosigkeit zu chimärischem Dasein verurteilte, noch als den indifferenten psychischen Nullzustand, der das Subjekt zur Sittlichkeit erst bestimmen sollte. Entsprechend ablehnend reagierte Jean Paul auf den Schillerschen Spielbegriff. 23 So 22

Zu diesen Zusammenhängen im einzelnen vgl. Freier, Ästhetik und Autonomie. 23 Vgl. V 4 4 4 sowie Berend, Jean Pauls Ästhetik, 16, wo die entsprechenden Notizen aus den >Ästhetischen Untersuchungen abgedruckt sind.

329

hoch er den Witz als figura ludens einschätzte - ein Spiel, das nichts als sich selber will 24

so durfte das Unverbindliche daran nur ein Mo-

ment, das Spiel nur, wie es schon sehr früh mit Blick auf Schiller hieß, die »Parodie des tieferen Ernstes«25 sein. Jean Paul formulierte eine dem Kunstidealismus der Klassik und der Romantik entgegengesetzte Poetik des >interessierten WohlgefallensHesperusc 205-235) Böschenstein, Bernhard: Studien zur Dichtung des Absoluten. Zürich/Freiburg 1968 (zu Jean Paul 11-58) - Jean Pauls Romankonzeption. In: Reinhold Grimm (Hrsg.): Deutsche Romantheorien. Beiträge zu einer historischen Poetik des Romans in Deutschland. Frankfurt/Bonn 1968, 111-126 - Leibgeber und die Metapher der Hülle. In: Text + Kritik. Sonderband Jean Paul, 44-48 Brose, Karl: Jean Pauls Verhältnis zu Fichte. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte. In: DVjs 49, 1975, 66-93 Fieguth, Wolf Gerhard: Jean Paul als Aphoristiker. Mainz 1965 Gansberg, Marie-Luise: Welt-Verlachung und »das rechte Land«. Ein literatursoziologischer Beitrag zu Jean Pauls »Flegeljähren«. In: Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 373-398 Hamburger, Käte: Das Todesproblem bei Jean Paul. In: Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 74-105 Harich, Wolfgang: Satire und Politik beim jungen Jean Paul. In: Sinn und Form 19, 1967, 1482-1527 331

-

Jean Pauls Kritik am philosophischen Egoismus. Frankfurt 1968 Jean Pauls Revolutionsdichtung. Versuch einer neuen Deutung seiner heroischen Romane. Reinbek b. Hamburg 1974 Haselberg, Peter von: Musivisches Vexierstroh. Jean Paul, ein Jakobiner in Deutschland. In: Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 181-207 Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft. Hrsg. v. Kurt Wölfel. Iff, 1966ff (Abk.: JbJPG) Kommerell, Max: Jean Paul. Frankfurt 1933 Krumme, Peter : Satirischer Humor. In : Text + Kritik. Sonderband Jean Paul, 71-74 Krumme, Peter/Lindner, Burkhardt: Absolute Dichtung und Politik. Tendenzen der Jean-Paul-Forschung. In: Text + Kritik. Sonderband Jean Paul, 116-124 Lindner, Burkhardt: Satire und Allegorie in Jean Pauls Werk. Zur Konstitution des Allegorischen. In: JbJPG 5, 1970, 7-61 - Innenwelt und Buchwelt. Literatursoziologische Probleme der Jean-Paul-Forschung. In: JbJPG 6, 1971, 131-169 - Politische Metaphorologie. Zum Gleichnisverfahren in Jean Pauls Politischen Schriften. In: Text + Kritik. Sonderband Jean Paul, 103-115 - Jean Paul als J. P. F. Hasus. Verinnerlichung der Aufklärungssatire und auktoriale Selbstdarstellung im Frühwerk. In: Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 411-450 - Die gestaltete und die verdrängte Revolution. W. Harichs Versöhnung zwischen Lukäcs und Jean Paul als Problem materialistischer Literaturgeschichtsschreibung. In: JbJPG 9, 1974, 30-62 - Jean Paul. Scheiternde Aufklärung und Autorrolle. Darmstadt 1976 (Canon 1) Michelsen, Peter: Laurence Sterne und der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1962 (Palaestra 232) (>Spaltung: Jean Paule 311-394) Minder, Robert: Jean Paul oder die Verlassenheit des Genius. In: Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 266-276 Müller, Volker Ulrich: Die Krise aufklärerischer Kritik und die Suche nach Naivität. Eine Untersuchung zu Jean Pauls Titan. In: Bernd Lutz (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 3: Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz 1750-1800. Stuttgart 1974, 455-507 Naumann, Gisela: Predigende Poesie. Zur Bedeutung von Predigt, geistlicher Rede und Predigertum für das Werk Jean Pauls. Nürnberg 1976 (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft 55) Nerrlich, Paul: Jean Paul. Sein Leben und seine Werke. Berlin 1889 Profitlich, Ulrich: »Der seelige Leser«.. Untersuchungen zur Dichtungstheorie Jean Pauls. Bonn 1968 (Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur 18) Proß, Wolfgang: Jean Pauls geschichtliche Stellung. Tübingen 1975 (Studien zur deutschen Literatur 44) Rasch, Wolfdietrich: Die Erzählweise Jean Pauls. Metaphernspiele und dissonante Strukturen. In: Jost Schillemeit (Hrsg.): Interpretationen 3: Deutsche Romane von Grimmelshausen bis Musil. Frankfurt 1966, 82-117 Rehm, Walther: Roquairol. Eine Studie zur Geschichte des Bösen. In: Rehm: Begegnungen und Probleme. Studien zur deutschen Literaturgeschichte. Bern 1957, 155-242 - Jean Pauls vergnügtes Notenleben oder Notenmacher und Notenleser. In: Rehm: Späte Studien. Bern/München 1964, 7-96

332

Rohde, Richard: Jean Pauls Titan. Berlin 1920 Schlaffer, Heinz: Epos und Roman. Tat und Bewußtsein. Jean Pauls » T i t a n « . In: Schlaffer: Der Bürger als Held. Sozialgeschichtliche Auflösungen literarischer Widersprüche. Frankfurt 1973, 15-50 Schmidt-Biggemann, Wilhelm: Maschine und Teufel. Jean Pauls Jugendsatiren nach ihrer Modellgeschichte. München 1975 (Symposion 49) Schweikert, Uwe: Jean Paul. Stuttgart 1970 (Metzler Realienbücher 91) Schweikert, Uwe (Hrsg.): Jean Paul. Darmstadt 1974 (Wege der Forschung 336) (Abk.: Schweikert (Hrsg.): Jean Paul) Solle, Dorothee: Realisation. Studien zum Verhältnis von Theologie und Dichtung nach der Aufklärung. Darmstadt/Neuwied 1973 (»Transzendenz und Weltveränderung bei Jean Paule 168-280) Sprengel, Peter: Herodoteisches bei Jean Paul. Technik, Voraussetzungen und Entwicklung des »gelehrten Witzes«. In: JbJPG 10, 1975, 213-248 - Enzyklopädie und Geschichte. Kritische Überlegungen zu Wolfgang Proß' Buch über »Jean Pauls geschichtliche Stellung«. In: JbJPG 11, 1976, 15-49 - Korrektur der Phantasie. Jean Pauls späte Rehabilitation der Prosa bürgerlicher Gesellschaft. In: Sprache im technischen Zeitalter 59, 1976, 184-200 - Innerlichkeit. Jean Paul oder Das Leiden an der Gesellschaft. München 1977 Staiger, Emil: Jean Paul: »Titan«. Vorstudien zu einer Auslegung. In: Staiger: Meisterwerke deutscher Sprache aus dem 19. Jahrhundert. 4. Aufl. Zürich 1961, 57-99 Ter-Nedden, Gisbert: Schwierigkeiten bei der Aktualisierung Jean Pauls. Eine Auseinandersetzung mit Wolfgang Harichs Buch über »Jean Pauls Revolutionsdichtung«. In: JbJPG 9, 1974, 7-29 Tismar, Jens: Gestörte Idyllen. Eine Studie zur Problematik der idyllischen Wunschvorstellungen am Beispiel von Jean Paul, Adalbert Stifter, Robert Walser und Thomas Bernhard. München 1973 νίηςοη, Hartmut: Topographie: Innenwelt - Außenwelt bei Jean Paul. München 1970 Vollmann, Rolf: Das Tolle neben dem Schönen. Jean Paul. Ein biographischer Essay. Tübingen 1975 Walser, Martin: Goethe hat ein Programm, Jean Paul eine Existenz. (Über » W i l h e l m Meister« und »Hesperus«) In: Hans Christoph Buch (Hrsg.): Literatur-Magazin 2: Von Goethe lernend Fragen der Klassikrezeption. Reinbek b. Hamburg 1974, 101-111 Weigl, Engelhard: Subjektivismus, Roman und Idylle. Anmerkungen zur JeanPaul-Forschung (1968-1973). In: Text + Kritik. Sonderband Jean Paul, 125-139 Widhammer, Helmuth: Satire und Idylle in Jean Pauls »Titan«. Mit besonderer Berücksichtigung des Luftschiffers Giannozzo. In: JbJPG 3, 1968, 69-105 Wölfel, Kurt: »Ein Echo, das sich selber in das Unendliche nachhallt«. Eine Betrachtung von Jean Pauls Poetik und Poesie. In: Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 277-313 - Zum Bild der Französischen Revolution im Werk Jean Pauls. In: Richard Brinkmann u. a.: Deutsche Literatur und Französische Revolution. Sieben Studien. Göttingen 1974, 149-171 Wuthenow, Ralph-Rainer: Gefährdete Idylle. In: Schweikert (Hrsg.): Jean Paul, 314-329 - Deformation im Schuldienst: Florian Fälbeis programmatische Reise ins Fich-

333

telgebirge. In: Laermann u. a.: Reise und Utopie. Zur Literatur der Spätaufklärung. Frankfurt 1976, 151-169

III. Weitere Quellen: Baumgarten, Alexander Gottlieb: Aesthetica. Frankfurt 1750. Repr. Nachdruck Hildesheim 1961 Bouhours, Pere Dominique: Entretiens d'Artist et d'Eugene. 1671 Fichtes Werke. Hrsg. v. Immanuel Hermann Fichte. Fotom. Nachdruck. Berlin 1971 Fichte, Johann Gottlieb: Briefwechsel. Hrsg. v. Hans Schulz. 2 Bde. Leipzig 1925 Freud, Siegmund: Gesammelte Werke. Hrsg. v. Anna Freud. London, 1940-68 Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Nachdruck der 3., vermehrten Auflage, Leipzig 1751, 5. Aufl., Darmstadt 1962 Hegel, Georg Wilhelm: Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe. Hrsg. v. Hermann Glockner. 4. Aufl., Stuttgart-Bad Cannstatt 1964 Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften in zwölf Bänden. Hrsg. v. Klaus Briegleb. München 1976 Herders Sämmtliche Werke. Hrsg. v. Bernhard Suphan. Berlin 1877ff Herder, Johann Gottfried: Sprachphilosophische Schriften. Hrsg. v. Erich Heintel. Hamburg 1960 Jacobi, Friedrich Heinrich: Werke. Hrsg. v. Friedrich Roth u. Friedrich Koppen. 6 Bde. Darmstadt 1968 Kant's Gesammelte Schriften. Hrsg. v. der königl.-preuß. Akademie der Wissenschaften. Berlin 1902ff Kant, Immanuel: Werke in zehn Bänden. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel. Darmstadt 1968 Kierkegaard, Sören: Gesammelte Werke. Übers, v. Emanuel Hirsch. Düsseldorf 1954ff Leibniz, Gottfried Wilhelm: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade. Monadologie. Hrsg. v. Herbert Herring. Hamburg 1969 - Die Theodizee. Übers, v. Artur Buchenau. 2. Aufl., Hamburg 1968 Lichtenberg, Georg Christoph: Schriften und Briefe. Hrsg. v. Wolfgang Promies. München 1968ff Mendelssohn, Moses: Ästhetische Schriften in Auswahl. Hrsg. v. Otto F. Best. Darmstadt 1974 Nietzsche, Friedrich: Werke in drei Bänden. Hrsg. v. Karl Schlechta. Darmstadt 1963 Platner, Ernst: Philosophische Aphorismen. 3. Aufl., Leipzig 1793 Reimarus, Hermann Samuel: Allgemeine Betrachtungen über die Triebe der Thiere hauptsächlich über ihre Kunstthriebe. 4. Aufl., Hamburg 1798 Rousseau, Jean Jacques: CEuvres Completes. Bibliotheque de la Pleiade. 1959ff Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Ausgewählte Werke. Darmstadt 1975f Schiller, Friedrich: Werke. Nationalausgabe. Weimar 1943ff Schlegel, Friedrich: Kritische Ausgabe. Hrsg. v. Ernst Behler. München/Paderborn/Wien 1958ff (Abk.: KA) - Literary Notebooks. 1797-1801. Hrsg. v. Hans Eichner. London 1957 (Abk.: LN)

334

Schleiermacher, Friedrich: Anthropologie v. Immanuel Kant. Königsb. 98. In: Athenäum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Ausgew. u. bearb. v. Curt Grützmacher. 2 Bde. Reinbek b. Hamburg 1969, II, 118-122 Schopenhauer, Arthur: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Arthur Hübscher. 2. Aufl., Wiesbaden 1946ff Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der schönen Künste. Repr. Nachdruck der 2., vermehrten Auflage, Leipzig 1794, Hildesheim 1967 Vischer, Friedrich Theodor: Ästhetik oder Wissenschaft vom Schönen. Zum Gebrauche für Vorlesungen. 2. Aufl., München 1922 Voltaire: Dictionnairephilosophique, pertatif, ou introduction ä la connaissance de l'homme. 2. Ed., Lyon 1756

IV. Weitere Literatur: Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften 7. Frankfurt 1970 Aries, Philippe: Studien zur Geschichte des Todes im Abendland. Aus dem Französischen v. Hans-Horst Henschen. München 1976 Baeumler, Alfred: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft. Repr. Nachdruck der 2. Aufl. 1967, Darmstadt 1974 Barthes, Roland: Die Lust am Text. Frankfurt 1974 Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. 4. Aufl., Frankfurt 1977 - Tübinger Einleitung in die Philosophie 2. Frankfurt 1964 Böckmann, Paul: Formgeschichte der deutschen Dichtung. Bd. I. Hamburg 1949 Böschenstein, Renate: Idylle. Stuttgart 1967 (Metzler Realienbücher 63) Brummack, Jürgen: Zu Begriff und Theorie der Satire. In: DVjs 45, 1971, Sonderheft Forschungsreferate, 275-377 Dörner, Klaus: Bürger und Irre. Zur Sozialgeschichte und Wissenssoziologie der Psychiatrie. Frankfurt 1969 Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bde. Frankfurt 1977 Ellenberger, Henry F.: Die Entdeckung des Unbewußten. Bern u. a. 1973 Fischer, Kuno: Heber den Witz. Heidelberg o. J. (vermutl. 2. Aufl., 1889) Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Frankfurt 1973 Freier, Hans: Ästhetik und Autonomie. Ein Beitrag zur idealistischen Entfremdungskritik. In: Bernd Lutz (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 3: Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz 1750-1800. Stuttgart 1974, 329-383 Georges, Heinrich: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. 11. Aufl., Hannover 1962 Grimm, Jacob u. Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1854ff Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. 5. Aufl., Neuwied/Berlin 1971 Herrmann, Hans Peter: Naturnachahmung und Einbildungskraft. Zur Entwicklung der deutschen Poetik von 1670 bis 1740. Hamburg/Berlin/Zürich 1970

335

Holz, Harald: Die Struktur der Dialektik in den Frühschriften von Fichte und Schelling. In: Manfred Frank/Gerhard Kurz (Hrsg.): Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen. Frankfurt 1975, 215-236 Horkheimer, Max: Egoismus und Freiheitsbewegung. Zur Anthropologie des bürgerlichen Zeitalters (1930). In: Horkheimer: Traditionelle und kritische Theorie. Vier Aufsätze. Frankfurt 1973, 95-161 Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Amsterdam 1947/1968 Jähnig, Dieter: Schelling. Die Kunst in der Philosophie. 2 Bde. Pfullingen 1966/69 Kamiah, Wilhelm: Utopie, Eschatologie, Geschichtsteleologie. Kritische Untersuchungen zum Ursprung und zum futurischen Denken der Neuzeit. Mannheim u. a. 1969 Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. v. W. Mitzka. 20. Aufl., Berlin 1967 Könneker, Barbara: Wesen und Wandel der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant - Murner - Erasmus. Wiesbaden 1966 Körner, Josef: Der Witz. Oskar Walzel zum 70. Geburtstag dargebracht. In: Preußische Jahrbücher 239, 1935, 128-149 Koselleck, Reinhart: Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Frankfurt 1973 Langen, August: Zur Geschichte des Spiegelsymbols in der deutschen Dichtung. In: GRM 28, 1940, 269-280 - Verbale Dynamik in der dichterischen Landschaftsschilderung des 18. Jahrhunderts (Vorstudie zu einer Sprachgeschichte des 18. Jahrhunderts). In: ZfdPh 70, 1948/49, 249-318 - Der Wortschatz des deutschen Pietismus. 2. Aufl., Tübingen 1968 Lehmann, Gerhard: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants. Berlin 1969 Lepenies, Wolf: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts. München 1976 - Probleme einer historischen Anthropologie. In: Reinhard Rürup (Hrsg.): Historische Sozialwissenschaft. Beiträge zur Einführung in die Forschungspraxis. Göttingen 1977, 126-152 Lippe, Rudolf zur: Naturbegriff, gesellschaftliche Wirklichkeit, Ästhetik bei Schiller. In: zur Lippe: Bürgerliche Subjektivität: Autonomie als Selbstzerstörung. Frankfurt 1975, 132-155 Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Neuwied/Berlin 1970 Marquard, Odo: Über einige Beziehungen zwischen Ästhetik und Therapeutik in der Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts. In: Frank/Kurz (Hrsg.): Materialien zu Schellingsphilosophischen Anfängen. Frankfurt 1975, 341-377 - Exile der Heiterkeit. In: Wolfgang Preisendanz/Rainer Warning (Hrsg.): Das Komische. München 1976 (Poetik und Hermeneutik VII), 133-151 Meier, Christel: Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Allegorie-Forschung. Mit besonderer Berücksichtigung der Mischformen. In: Frühmittelalterliche Studien 10, 1976, 1-58 Mog, Paul: Ratio und Gefühlskultur. Studien zu Psychogenese und Literatur im 18. Jahrhundert. Tübingen 1976 (Studien zur deutschen Literatur 48)

336

Neubauer, John: Intellektuelle, intellektuale und ästhetische Anschauung. Zur Entstehung der romantischen Kunstauffassung. In: DVjs 46, 1972, 294-319 Preisendanz, Wolfgang: Über den Witz. Konstanz 1970 (Konstanzer Universitätsreden 13) Rasch, Wolfdietrich: Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schrifttum des 18. Jahrhunderts. Vom Ausgang des Barock bis zu Klopstock. Halle 1936 Rehm, Walther: Der Todesgedanke in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik. 2. Aufl., Darmstadt 1967 Ripalda, Jose Maria: Die geschichtliche Bedeutung der Instinkttheorie bei Leibniz. In: Akten des II. Internationalen Leibniz-Kongresses. Hannover 17.-22. Juli 1972. Bd. III: Metaphysik - Ethik - Ästhetik. Monadenlehre. Wiesbaden 1975, 175-185 Robert, Paul: Dictionnaire alphabetique et analogique de la langue frangaise. Paris 1969 Rüdiger, Horst: Schiller und das Pastorale. In: Euphorion 53, 1959, 229-251 Sauder, Gerhard: Empfindsamkeit. Bd. I: Voraussetzungen und Elemente. Stuttgart 1974 Schmidt, Siegfried J.: Ästhetizität. Philosophische Beiträge zu einer Theorie des Ästhetischen. München 1971 (Grundfragen der Literaturwissenschaft 2) Schmidt-Hidding, Wolfgang: Europäische Schlüsselwörter. Bd. I: Humor und Witz. München 1963 Schulz, Walter: Philosophie in der veränderten Welt. Pfullingen 1972 Schwartländer, Johannes: Der Mensch ist Person. Kants Lehre vom Menschen. Stuttgart 1968 Sternberger, Dolf: Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert. Frankfurt 1974 Strohschneider-Kohrs, Ingrid: Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung. Tübingen 1960 (Hermaea. Germanistische Forschungen. Neue Folge 6) Szondi, Peter: Poetik und Geschichtsphilosophie I. Studienausgabe der Vorlesungen Bd. II. Frankfurt 1974 Timm, Hermann: Gott und die Freiheit. Studien zur Religionsphilosophie der Goethezeit. Bd. I: Die Spinozarenaissance. Frankfurt 1974 (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts 22) Trier, Jost: Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes. Die Geschichte eines sprachlichen Feldes. Bd. I: Von den Anfängen bis zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Heidelberg 1931 Weinrich, Harald: Semantik der kühnen Metapher. In: DVjs 37, 1963, 325-344 Wieland, Wolfgang: Die Anfänge der Philosophie Schellings und die Frage nach der Natur. In: Frank/Kurz (Hrsg.): Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen. Frankfurt 1975, 237-279 Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Halle/Leipzig 1732-1754

337

WERKREGISTER

Ästhetische Untersuchungen 36, 40, 80,329 Auswahl aus des Teufels Papieren 70, 126, 152 f, 1 6 8 , 2 9 6 , 3 1 2 - 3 1 7 Abrakadabra oder die Baierische Kreuzerkomödie 36, 72, 112 Meine Beantwortung der Berliner Preisaufgabe: »ob man den Pöbel aufklären dürfe« 312 Unpartheiische Beleuchtung und Abfertigung der vorzüglichsten Einwürfe . . . 37 Jean Pauls biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin 250 Briefe und bevorstehender Lebenslauf 73, 118, 178, 182, 309f Brief über die Philosophie (in: Briefe und bevorstehender Lebenslauf) 36f, 56, 61-65, 72, 78, 80, 85, 94, 96, 117f, 147, 180, 182 Über Charlotte Corday (in: Katzenberger) 2 5 0 , 2 7 3 Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana 36-38, 56f, 61-66, 68, 70, 72f, 81, 86-89, 93f, 96, 118, 220, 236, 238, 241, 328 Einladungs-Zirkulare (in: Titan, Komischer Anhang) 56 Des Rektors Florian Fälbeis und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg (in: Quintus Fixlein) 297f Politische Fastenpredigten 275 Leben des Quintus Fixlein 140, 207 Geschichte meiner Vorrede zur zweiten Auflage des Quintus Fixlein 65, 68, 100, 321, 329

Flegeljahre 165, 217, 219-222, 240f, 2 6 3 , 2 6 8 , 3 2 3 - 3 2 6 , 328-330 Über die Fortdauer der Seele und ihres Bewustseins 125 Fragmente aus der Muluszeit 2 17 Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch (in: Titan, Komischer Anhang) 4f, 74, 135, 205f, 263 Über den Gott in der Geschichte und im Leben (in: Dämmerungen für Deutschland) 257, 269-281 Grönländische Prozesse 154, 157-163, 167 Hafteldorns Idylle auf das vornehme Leben (in: Titan, Komischer Anhang) 205 Herbst-Blumine 201 Hesperus oder 45 Hundposttage 55, 61, 64f, 86, 91, 94-97, 106, 110, 112, 114, 123, 125f, 134-139, 142f, 147, 167-169, 182f, 185f, 192, 194, 207, 215-219, 223, 246-255, 259 bis 262, 268-281, 302, 309, 313, 325-327 Erklärung der Holzschnitte unter den zehen Geboten des Katechismus (in: Kampancr Tal) 253 Das Kampaner Tal oder über die Unsterblichkeit der Seele 77, 95f, 123 bis 129, 135, 147, 218f, 222f, 242f, 256-258,266,278 [Neues] Kampaner Thal 201 Dr. Katzenbergers Badereise 129, 162f, 205 Der Komet oder Nikolaus Marggraf 284-286, 291, 299, 306, 308, 324, 327

339

Konjektural-Biographie (in: Briefe und bevorstehender Lebenslauf) 182

Levana oder Erziehlehre 28, 32, 90f, 153, 157f, 163, 223, 325f, 330 Das Lob der Dumheit 149, 160, 162, 169, 311f Die unsichtbare Loge 157, 183, 217f, 311 Über die natürliche Magie der Einbildungskraft (in: Quintus Fixlein) 97, 131-133, 136, 140-144, 156, 170, 179, 182, 185, 189f, 205, 256, 330 Eine Abhandlung aus dem Jahre 3059 über den mechanischen Witz des 18. Jahrhunderts 119 Etwas über den Menschen 127 Mutmaßungen über einige Wunder des organischen Magnetismus (in: Museum) 284,310

Des todten Shakespear's Klage . . . daß kein Gott sei (in: Baierische Kreuzerkomödie) 201, 210, 234 Siebenkäs 10, 12-18, 113, 117, 134, 164f, 201, 210,216f, 219,239f, 258, 262-264, 266, 268, 302f, 304-306, 318, 320f, 323, 326, 328, 330 Titan 28, 113f, 207f, 229-246, 248, 257, 263, 265, 285, 315f, 327 Übungen im Denken 147-150, 153, 156f, 316

Palingenesien 10, 71f, 260, 315

Die Vernichtung (in: Katzenberger) 201, 258 Vorschule der Ästhetik (einschl. Nachschule) lf, 7, 9f, 12, 14, 19-35, 37f, 40, 55-60, 65-69, 74-83, 85-87, 89-91, 93-95, 97-105, 107f, 111, 114-123, 126-134, 137, 139-145, 147f, 151-155, 158, 164, 166, 168 bis 172, 174-185, 187-194, 204, 206- 210, 216, 223f, 228, 240, 255, 264-268, 286, 301-304, 308, 311, 317-319,323-326,328-330

Rhapsodien 125f, 149, 157, 178, 218

Was der Tod ist 126, 129

Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz 286-306, 317f Selberlebensbeschreibung 142 Seiina oder über die Unsterblichkeit der Seele 103, 124f, 127, 134, 137, 15Of, 176-178, 219f, 222, 244f, 247, 256-258, 266, 284, 308f, 311

Über die Wüste und das gelobte Land des Menschengeschlechts (in: Hesperus, 6. Schalttag) 268-281 Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal (in: Unsichtbare Loge) 204, 209-211, 22 lf

340

PERSONENREGISTER

Adorno, Theodor W. 99, 3 2 1 - 3 2 3 Aries, Philippe 2 9 8 Arnold, Heinz Ludwig 9 Augustinus, Aurelius 181, 184, 190 Bach, Hans 249 Bade, Heidemarie 272, 274 Baeumler, Alfred 33, 105-109 Barthes, Roland 11 Baumgarten, Alexander Gottlieb 107f, 110, 116 Beguin, Albert 309 Behler, Ernst 34 Berend, Eduard lf, 35f, 4 0 , 5 7 , 80, 82, 169,328-330 Bernhardi, August Ferdinand 57 Bloch, Ernst 158, 163, 327 Bodmer, Johann Jacob 107 Böckmann, Paul 2, 4 Böhme, Jakob 81 Böschenstein, Bernhard 9, 98, 122 Böschenstein, Renate 206f, 2 1 1 Bonnet, Charles 124 Bouhours, P£re Dominique 3 Brant, Sebastian 319 Breitinger, Johann Jakob 107 Brentano, Clemens 76 Briegleb, Klaus 38 Brinkmann, Richard 251 Brose, Karl 73, 85f, 113 Brummack, Jürgen 225f Buch, Hans Christoph 246 Cervantes Saavedra, Miguel de 99 Correggio, Antonio Allegri, gen. 13 Darwin, Charles 323 Descartes, Rene 123f, 170 Dörner, Klaus 285, 294, 2 9 8

Eichner, Hans 34 Elias, Norbert 292, 2 9 4 Ellenberger, Henry F. 311 Emanuel s. Osmund Erasmus von Rotterdam 311 Fenelon, F r a n c i s de Salignac de la Mothe 81 Fichte, Immanuel Hermann 41 Fichte, Johann Gottlieb 1, 36-39, 4 1 bis 43, 48f, 51f, 54, 56, 6 2 - 6 5 , 7 0 - 7 3 , 7 9 , 8 3 - 9 0 , 9 2 , 9 5 , 104f, 113f, 12Of, 189, 220, 229, 236, 277, 2 8 0 Fieguth, Wolf Gerhard 10 Fischer, Kuno 24 Foucault, Michel 298f, 301, 307, 319 Frank, Manfred 54, 84, 198 Freier, Hans 185, 329 Freud, Anna 304 Freud, Sigmund 304, 306, 3 1 0 Friedrich II. 313 Gall, Franz Joseph 66 Gansberg, Marie-Luise 196, 208 Gassner, Johann Joseph 311 Georges, Heinrich 3 Geßner, Salomon 205f Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 271 Glockner, Hermann 5 Goethe, Johann Wolfgang von 56, 77f, 96f, 99, 233 Gottsched, Johann Christoph 226f, 229,307 Grimm, Jakob und Wilhelm 2 Grimm, Reinhold 9 Grützmacher, Curt 2 8 3 Guyon, Jeanne Marie Bouvier de la Mothe 89 Habermas, Jürgen 2 6 1 341

Hamburger, Käte 200f Harich, Wolfgang 37, 73, 93, 113, 194f, 2 2 4 , 229, 2 5 9 Haselberg, Peter von 25, 195 Hegel, Georg Wilhelm 1, 5f, 1 If, 38f, 57, 114, 120, 143, 158, 188, 297, 299f, 307, 327 Heine, Heinrich 3 7 - 4 0 , 83, 286 Heinecke, Samuel 96 Heinrich IV. 2 6 9 Heintel, Erich 60 Herder, Johann Gottfried 60f, 70f, 73, 79, 91, 108, 126, 129, 151, 170, 174f, 182, 187, 219, 228, 269, 283 Herder, Karoline 79 Herring, Herbert 126 Herrmann, Hans-Peter 163 Hippel, Theodor Gottlieb von 118 Hirsch, Emanuel 38 Hobbes, Thomas 278 Höllerer, Walter 25, 28, 164 Holz, Harald 54 Home, Henry 78 Homer 97, 99, 118 Horkheimer, Max 254, 3 2 1 - 3 2 3 Hübscher, Arthur 3 1 0 Humboldt, Wilhelm von 2 1 5 Hume, David 92 Jacobi, Friedrich Heinrich 36, 55, 57, 59f, 6 2 - 6 5 , 67f, 70-72, 75, 79, 81, 8 5 - 8 7 , 8 9 - 9 5 , 105, 113, 117, 127, 129, 151, 185, 192, 194, 2 8 0 Jähnig, Dieter 52f Kamiah, Wilhelm 272f, 275 Kant, Immanuel 1, 5, 12, 33, 36, 39, 48, 5 0 - 5 2 , 56f, 65, 69-73, 78, 83f, 90f, 94, 99, 105, 107, 109-112, 118, 123, 142, 145, 147, 156, 166, 170f, 173-176, 179-181, 184f, 194, 197, 2 1 1 - 2 1 4 , 226, 228, 232, 2 4 1 - 2 4 5 , 2 5 0 - 2 5 2 , 2 5 7 , 2 6 0 , 2 6 7 , 270, 2 7 5 bis 2 7 7 , 279, 2 8 2 - 2 8 4 , 299, 308, 322f, 325, 3 2 9 f Karl d. Gr. 2 6 9 Kierkegaard, Sören 38 Kleist, Heinrich von 76, 80 Klopstock, Friedrich Gottlieb 77 Kluge, Friedrich 2

342

Könneker, Barbara 3 0 8 Koppen, Friedrich 60 Körner, Josef 2 9 Kommerell, Max 9, 2 3 5 f Koselleck, Reinhart 249, 261 Krumme, Peter 98, 2 6 6 Kurz, Gerhard 54, 84, 198 Laermann, Klaus 297 Langen, August 133f, 174 Lavater, Johann Kaspar 283 Lehmann, Gerhard 212, 214 Leibniz, Gottfried Wilhelm 12, 105f, 110, 124, 126, 145-147, bis 152, 155, 163, 174, 176f, 274, 283, 328 Lepenies, Wolf 11, 2 7 9 Lessing, Gotthold Ephraim 78, 272

56, 150 179, 158,

Lichtenberg, Georg Christoph 2 8 0 Lindner, Burkhardt 6, 98, 113, 164, 166, 168, 177, 183, 196f, 225, 228, 268,273-275,281,302,307 Lippe, Rudolf zur 2 0 0 Locke, John 3 Ludwig X I V . 2 6 9 Lutz, Bernd 185, 196 Mandeville, Bernhard de 254 Marcuse, Herbert 22 Marquard, Odo 198, 200, 203, 303 Marx, Karl 6 Meier, Christel 158 Mendelssohn, Moses 108 Mesmer, Franz Anton 3 1 1 Michelsen, Peter 9 Minder, Robert 121 Mog, Paul 198f, 326 Morhof, Daniel Georg 176 Moritz, Karl Philipp 158, 182, 2 8 3 Moser, F. C. Frhr. v. 2 6 1 Mozart, Wolfgang Amadeus 178 Müller, Volker Ulrich 196, 229, 238, 240 Murner, Thomas 3 0 8 Napoleon I. Bonaparte 2 6 9 Naumann, Gisela 3 1 1 , 322 Nerrlich, Paul 229, 257 Neubauer, John 4 1 , 5 1

Newton, Isaak 147 Nicolai, Christoph Friedrich 3 5 Nietzsche, Friedrich 195, 3 2 3 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 3 5 , 4 0 , 5 7 , 7 6 , 80 Oertel, Friedrich Benedikt von 6 4 Osmund, Emanuel 184 O t t o , Christian Georg 3 6 , 5 7 , 6 5 , 7 9 , 84,87,94,259,278-280 Peucer, Daniel 176 Pinel, Philippe 3 0 7 Platner, Ernst 5 7 , 7 8 , 9 7 , 106, 124f, 146 Piaton 187 Preisendanz, Wolfgang 19, 2 6 f , 3 0 3 Profitlich, Ulrich 3 2 2 Promies, Wolfgang 2 8 0 Proß, Wolfgang 5, 11, 9 7 , 105f, 125, 146f, 157, 182 Rasch, Wolfdietrich 9f, 12, 187 R e h m , Waither 11, 1 6 8 , 2 1 5 , 2 3 2 Reichard, Heinrich August O t t o k a r 313 Reimarus, Hermann Samuel 106f Reinhold, Karl Leonhard 8 4 , 111 Ripalda, J o s e Maria 177 R o b e r t , Paul 3 R o b i n e t , J e a n Baptiste 2 7 2 Rohde, Richard 2 2 9 , 2 3 6 , 2 4 0 R o t h , Friedrich 6 0 Rousseau, Jean Jacques 189, 198, 2 3 0 , 2 5 2 , 3 2 2 , 325 Rüdiger, Horst 2 1 5 Rürup, Reinhard 2 7 9 Sauder, Gerhard 3 2 2 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 3 6 , 5 1 - 5 4 , 5 7 , 6 0 , 6 7 , 7 6 , 8 4 f , 154, 200,202f Schillemeit, J o s t 9 Schiller, Friedrich von 1, 5 9 , 6 9 , 171, 184, 199f, 2 0 3 f , 2 0 6 - 2 0 9 , 2 1 5 f , 2 1 9 , 222, 226, 229, 329f Schlaffer, Heinz 2 7 3 Schlegel, August Wilhelm 36f, 5 5 f , 7 4 , 283 Schlegel, Friedrich 3 4 - 3 8 , 4 0 f , 4 3 - 5 8 ,

60, 6 6 - 6 9 , 7 4 - 7 7 , 8 0 , 82, 98, 103, 119, 120, 2 8 3 Schleiermacher, Friedrich 36, 8 1 , 2 8 2 f Schmidt, Siegfried J . 2 1 , 2 5 , 2 9 - 3 1 Schmidt-Biggemann, Wilhelm 5, 125, 146, 154, 164, 1 6 7 , 195, 2 2 4 , 2 5 7 , 296, 313f, 316f Schmidt-Hidding, Wolfgang 2 - 4 Schopenhauer, Arthur 3 1 0 , 3 2 3 , 3 2 5 f Schulz, Hans 8 4 Schulz, Walter 190, 2 6 7 Schwartländer, J o h a n n e s 2 5 0 Schweikert, Uwe 9 , 2 5 , 9 8 , 118, 121, 145, 1 6 8 - 1 7 0 , 196, 2 0 1 , 2 0 9 Shakespeare, William 7 7 - 7 9 , 9 7 , 9 9 , 147,178 Solle, D o r o t h e e 135, 2 1 9 Spener, Philipp J a k o b 8 1 Spinoza, Baruch 4 1 , 4 8 , 5 1, 5 6 , 6 0 , 7 3 , 89 Sprengel, Peter 6, 11, 7 1 , 118, 121, 317 Staiger, Emil 2 8 Sternberger, Dolf 3 2 3 Sterne, Laurence 118 Strohschneider-Kohrs, Ingrid 4 1 Sulzer, Johann G e o r g 106f, 2 2 7 , 2 3 3 , 283 Suphan, Bernhard 126 Szondi, Peter 171, 2 0 6 Tauler, Johann 8 1 Ter-Nedden, Gisbert 113 Theokrit 2 0 6 , 2 lOf Thierot, Paul Aemil 6 8 , 7 3 , 117 Tieck, Ludwig 3 5 , 4 0 , 7 6 Timm, Hermann 9 0 - 9 3 Tismar, Jens 2 lOf Trier, J o s t 2, 4 ν ί η ς ο η , Hartmut 9 8 Vischer, Friedrich T h e o d o r 1 Vollmann, R o l f 4 0 Voltaire 3, 7 8 V o ß , Johann Heinrich 2 0 6 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 7 6 Walser Martin 2 4 6 Warning, Rainer 3 0 3 Weigl, Engelhard 9

343

Weinrich, Harald 26 Weischedel, Wilhelm 33 Weise, Christian 4 Werner, Zacharias 76, 80 Wernicke, Christian 4 Wernlein, Konstantin Friedrich 93 Widhammer, Helmuth 196, 208, 229, 235f Wieland, Wolfgang 83f

344

Winckelmann, Johann Joachim 158, 170, 174, 180 Wölfel, Kurt 145, 148, 154, 155, 250f, 273 Wolff, Christian 4, 61, 106-108 Wuthenow, Ralph-Rainer 209-211, 297 Zedier, Johann Heinrich 3