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German Pages 274 Year 2002
CHRISTOPH TANGERMANN
Die völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern
Schriften zum Völkerrecht
Band 145
Die völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern Grundlagen und Grenzen
Von Christoph Tangermann
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Tangermann, Christoph: Die völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern : Grundlagen und Grenzen / Christoph Tangermann. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 145) Zug!.: Erlangen, Nürnberg, Univ., Diss., 2001 ISBN 3-428-10714-4
Alle Rechte vorbehalten
© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-10714-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @
Vorwort Die Gesetze, so soll Plutarch zufolge sein Gastfreund Anacharsis dem Athener Juristen Solon gegenüber eingewandt haben, die Gesetze, auf deren penible Ausgestaltung Solon so großen Wert legte, glichen den Spinnweben. Denn falle etwas Leichtes - sinnbildlich für die Kleinen und Schwachen - hinein, werde es festgehalten; sei es aber etwas Schweres - sc. die Mächtigen und Großen -, so schlage es durch und komme heil davon. Athens Gesetzgeber war bekanntlich optimistischer und akzeptierte diesen Einwand nicht. Allerdings berichtet Plutarch auch: "Die Dinge liefen [in der Folge] aber mehr wie Anacharsis vermutete, als wie Solon hoffte." Das war vor 2600 Jahren. Und heute? Gilt Anacharsis' Feststellung in Bezug auf das Verhältnis des (Völker-)Rechts zu den politischen "Schwergewichten" der Staaten noch immer, möglicherweise selbst dann, wenn einem im Amt befindlichen oder aus ihm ausgeschiedenen Staatsoberhaupt schwere Völkerrechts verstöße, allzumal gravierende Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen sind? Diese Untersuchung, die eben dieser Frage nachgeht, lag im Sommersemester 2001 der Juristischen Fakultät der Erlanger Friedrich-Alexander-Universität als Dissertation vor. Es entspricht guter akademischer Tradition, solche Arbeiten nicht ohne Worte des Dankes an diejenigen Personen zu veröffentlichen, die ihre Entstehung begleitet und gefördert haben. So sei es auch hier gehalten. Unbedingt zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang: Professor Dr. Christi an Hillgruber, mein Doktorvater, der mir - so engagiert er die zahlreichen fachlichen Diskurse über die hier behandelte Thematik bestritt - doch völlige wissenschaftliche Freiheit gelassen und nach Fertigstellung des Manuskripts alles daran gesetzt hat, das Promotionsverfahren zu beschleunigen; Professor Dr. Reinhold Zippelius, der sich freundlicherweise zur Anfertigung des Zweitgutachtens bereit erklärte und dieses in überobligatorisch kurzer Frist abgab; Professor Dr. Dr. h. c. Gerhard Hoffmann, der mich - obgleich damals schon Emeritus - während meiner Marburger Semester an das Völkerrecht herangeführt hat; Frau Bettina Schlie, die ihre knapp bemessene Freizeit für die Korrekturarbeiten opferte; nicht zuletzt meine Eltern Regine und Fritz Tangermann, die mir ein sorgenfreies Studium ermöglicht haben. Größten Dank schulde ich indes meiner Frau Gisa. Ihr, die mir auch in für sie persönlich belastender Zeit stets den Rücken gestärkt hat, widme ich diese Arbeit. Erlangen, im September 2001
eh. Tangermann
Inhaltsverzeichnis Einführung
Ausgangspunkte und Methode I. "Nürnberg ist überall" - das Erkenntnisinteresse ................................ 11. Gang der Untersuchung............................................................
19 19
23
Erster Abschnitt
Ein Jahrtausend Tatbestände I. Gerichtstag über Könige - vom neunten bis zum achtzehnten Jahrhundert .... 1. "Souveräne" und fremde Gerichtsbarkeit im Mittelalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eine Fürstin auf dem Schafott ......................................... .. ......... 3. Der Prozess, der nicht stattfand ................................... . ............... 4. Wem gehört Oranien? ............................................................. 11. Kuratel und Kriegsverbrechen - neunzehntes und erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts........................................................................ 1. Der braunschweigische Verfassungskonflikt und seine Folgen ................... 2. "Wie gut, dass niemand weiß ... " ................................................. 3. Willkür und Wiedergutmachung .................................................. 4. Die Geschütze des Sultans ........................................................ 5. "Hängt den Kaiser!" .............................................................. 111. Drogenhandel und Dissidentenverfolgung - von den Hauptkriegsverbrecherprozessen bis zum Beginn des dritten Millenniums ............................... 1. Staat oder Nichtstaat ... ........................................................... 2. Zweimal Honecker ................................................................ 3. Despoten, Exilanten - und ein "eiliger Vater" .................................... a) Kein Frieden in Florida ........................................................ b) Das O'Hair-Verfahren .................... .. ................... .. ............... c) Die Marcos-Prozesse ..................... .. .................................... d) Der "Pate von Panama" ........................................................ e) Aristide und die Witwe Lafontant .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . f) Die Karadic-Entscheidungen . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . 4. Ein mehraktiges Drama - der Fall Pinochet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. .. . . . a) Die Verhaftung und Entscheidung in erster Instanz............ . ............... b) Das erste Urteil der Law Lords ................................................ c) Zwischenakt und zweites Sachurteil ........................................... d) Die weitere Entwicklung. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 26 26
31 36 38
40 41 44 45 47 48 51 52 53 55 55 57 57 61 63 65 69 70 74 76 82
8
Inhaltsverzeichnis
Zweiter Abschnitt
Grundlagen einer völkerrechtlichen Immunität des Staatsoberhaupts I. Terminologie ........................................................................ 1. "Immunität" ....................................................................... 2. "Staatsoberhaupt" .................. ......... ........... ..... .......... . ........... a) Kriterien.............................................. .. ........................ b) Schlussfolgerungen für das Präjudizienmaterial ............................... aa) Höchstes Staatsorgan? ..................................................... bb) In internationalen Beziehungen stehender Staat? .... . ............. . ....... 11. Völkerrecht, Staatsoberhaupt und Immunität ........................... ...... ... 1. Die internationale Rechtsposition der Staatsoberhäupter ..... .......... . ......... a) Vorgaben ....................................................................... b) Völkerrechtliche Funktion und Befugnisse des Staatsoberhaupts ........ . . . . .. c) Schutz und Privilegien .......... .......... ........................... . ......... 2. Immunität - ein völkerrechtliches Grundprinzip. . . . . . .. .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . ... a) Wurzeln und Rechtsgrund des Immunitätskonzepts ........................... b) Erscheinungsformen und Regelungsinhalte ................... .. ............... aa) Diplomatische Immunität ................................... . .... ....... ... bb) Die Immunität der Staaten ........................ ... ...................... cc) Deduktion ... ....... ......... ... ....................... .. ................... c) Abgrenzungen . .. . .......... .. . ..... ...... ... . ......... ... .......... ... ......... aa) Staatenimmunität und Act of State-Doktrin .. . ................ ... ......... bb) Staaten- und Staatsoberhäupterimmunität ................................. 111. Stellung der Staatsoberhäupterimmunität im Vertragsvölkerrecht ............. 1. Vorläufer - die Statuten der Tribunale von Nürnberg und Tokyo ......... ..... ... 2. Aktuell geltendes Völkerrecht ...... ........ ........... ......... ....... ...... ......
85 85 86 88 88 96 96 99 104 104 104 112 113 119 120 125 126 130 141 144 144 146 152 153 157
Dritter Abschnitt
Im Licht der Staatenpraxis I. Die Entwicklung der Staatenpraxis bis zum achtzehnten Jahrhundert ......... 1. Strafrechtliche Präjudizien ........................................................ a) Praxis und Rechtsüberzeugung bis zum Maria Stuart-Prozess ........ . ........ b) Herausbildung neuen Gewohnheitsrechts? ................................. .. .. 2. Zivilrechtliche Präjudizien ........................................................ 11. Die Behandlung der Immunitätsproblematik vom neunzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ...... ..... ............................. ... .......... 1. Zivilrechtliche Präjudizien ......... ....... ............ ..... .................... . .. a) Die Übung der staatlichen Gerichte im Einzelnen ............................. aa) Deutscher Bund .................................. . ......................... bb) Frankreich ................................................................. cc) Italien und Belgien . .... ..... ...... .. . . .. ................. . ... ........ ...... dd) Staaten des common law - Großbritannien und die USA. . . . . . .. . . . . . . . . ..
162 162 162 163 168 176 179 180 180 180 181 184 186
Inhaltsverzeichnis
9
b) Zusammenfassung - die Grundtendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 190 2. Strafrechtliche Präjudizien ... . . . ...... . . . . . . . ......... . ..... . . ... .. . .. . . ... .. ..... 192 a) Entmachtung statt Strafe - Entmachtung als Strafe? . . .. . . .. .. .. .... ... . .. . .... 192 b) Anklagen und Strafprozesse ........ . ......... ... ....... . .................. . ... 197 aa) Die Praxis bis zum Ersten Weltkrieg ........ . ....... . ..... . . . ...... .. ..... 197 bb) Die Praxis nach 1918 - keine Immunität für die Urheber von Kriegsgräueln? ................................... .. ........ . .................. .. .. 198
111. Die Praxis der in den Vereinten Nationen organisierten Staatengemeinschaft - Grenzen der Immunität? ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Grundsätze .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Ausnahmsweise Statthaftigkeit fremder Jurisdiktionsausübung . . . . .. ... ... ... . .. a) Der Verzicht auf die Immunität .. . ... . . . .... ... .. . .... .. ...... . . . . ...... .. .. . .. b) Völkerrechtliche Verbrechen ...... ... .......................... .. .............. aa) Verantwortlichkeit des Staatsoberhaupts nach Maßgabe der "Nürnberger Prinzipien" ..... .. ............... . . . ....... . . .. ...... .. ........ . ........ .. .. bb) Die Staatsoberhäupterimmunität vor dem Hintergrund von Menschenrechtsverletzungen .. . .... . ..... . .. . ..... ..... . . . . . . .. . .. . .... .. ...... ..... . 3. Sonderprobleme .... ... ......................... . ......... ... ........ .. ...... .. .... a) Immunität für die Angehörigen eines fremden Staatsoberhaupts? .. ..... .. .... b) Fortwirkende Immunität trotz Wegfalls des Staats? . .. ..... . .. . .... . . .. . . . . . . . .
207 207 208 209 210
210 213 219 219 220
Schluss
Resümee und Ausblick
224
I. Ist "Nürnberg" überall? - Perspektiven ... ..... .. ....... . . .. . . ...... .. ....... . . ... 224 11. Fazit - für eine Gerechtigkeit ohne Illusionen .. . ........ .. ....... . ....... .. ...... 227 111. Sechzehn Thesen . . . . .. . .... . . . .. . . . .. . ....... . . .. . . ... . . . ... .... . .. . ... ...... ... . . . . 230
English Summary
I. 11. III. IV.
The Standards of Head of State Immunity in International Law from Medieval to Modem Times
234
Prelirninaries - The Importance of the Subject .. ......... . ........... . ........... The Cases - Twelve Centuries of Precedent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Foundations - Heads of States, Irnrnunity and International Law .............. Analysis - The Development of Head of State Irnrnunity in State Practice ... . . 1. Up to the Eighteenth Century . . . . ..... .. .. .. .. . .. .... .... . .... . ... ... ........ ... . . 2. Up to the First Half ofthe lWentieth Century .. .. ........ . .. . .... . .. . ....... .. ... 3. The Era of the United Nations . ...... . .. . ...... . .... .. . . .. ... ...... . .... . ... . .. .. .
234 234 235 236 237 237 237
Annex
Chronologie des Pinochet-Falls aus Sicht des Völker- und chilenischen Rechts
240
10
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis ....... .. . ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 249 Beiträge in Tageszeitungen .............. . ............ . .... .. .................... ... ..... 264 Quellen- und Entscheidungssammlungen ... ............... ... ..... . ......... . ......... 267 Stichwortregister ......................................................................... 269
Abkürzungsverzeichnis
AJIL AllE.R. [Rep.] ALR Alt. a.M. Am. Dec. Am. Hist. Rev. ANC Anm. Annuaire Annual Dig. AP art., Art. ASIL Aufl. AustrYIL AVR
anderer Auffassung am angegebenen Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Amtsblatt Absatz Abschnitt Law Reports, Appeal Cases, House of Lords and Privy Council (Großbritannien) American Convention on Human Rights Archiv der Gegenwart am Ende Admiralty and Ecclesiastical Cases (Großbritannien) alte Fassung Annuaire fran~ais de droit international Amnesty International American International Law Cases (Deak et al. , eds.) [Second, Third Series] American Journal of International Law The All England Law Reports [Reprint] (Preußisches) Allgemeines Landrecht Alternative am Main; anderer Meinung American Decisions (1765-1870) American Historical Review African National Congress Anmerkung, Anmerkungen Annuaire de \'Institut de droit international Annual Digest land Reports] of Public International Law Cases Associated Press (USA) articulo, Artikel, article The American Society of International Law Auflage The Australian Yearbook of International Law Archiv des Völkerrechts
Bd. BDGV Beav. Begr. BF
Band Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Beavan's Reports, Rolls Court (Großbritannien) Begründer Belgische Francs
a.A. a.a.O. ABGB ABI. Abs. Abschn. A.C. ACHR AdG a. E. A.&E. a.F. A.F.D.1. ai AILC [2nd , 3'd]
12 BfiDP BGB BGBI. BG[E] BGH[St,Z] B.I.L.C. BKA Bli. [N.S.] Brit. YB BT-Drucks. BV BVerfG[E] BVerwG[E] B. Y.I.L. bzw.
c.
Abkürzungsverzeichnis Blätter für internationale und deutsche Politik Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (nach Seiten: Deutschland; nach Nummern: Österreich) Bundesgericht (Schweiz) [Entscheidungssammlung] Bundesgerichtshof [Entscheidungssammlung in Strafsachen, in Zivilsachen] British International Law Cases (Vol. 7,8,9 ed. Parry) Bundeskriminalamt Bligh's Reports, House of Lords [New Series] Britannica Book of the Year Verhandlungen des Deutschen Bundestages - Drucksachen Bundesverfassung (Schweiz) Bundesverfassungsgericht [Entscheidungssammlung] Bundesverwaltungsgericht [Entscheidungssammlung] The British Year Book of International Law beziehungsweise
CTS
chapter, chapitre; canon contre circa California caput International Covenant on Civil and Political Rights Central Intelligence Agency Corpus iuris civilis Circuit clause Journal de droit international prive et de la jurisprudence comparee (Frankreich) colonna Columbia Law Review Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (Abteilung der Monumenta Germaniae Historica, hrsg. v. Schwalm) The Consolidated Treaty Series (ed. Parry)
D. DA DAZ DBA [D.]D.C. DDR ders. d.h. dies. Dig. U.S. Prac. DJZ DM
Digesten (Pandekten) Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Deutsche Allgemeine Zeitung Deutsche Bundesakte [District Court for the] District of Columbia Deutsche Demokratische Republik derselbe das heißt dieselbe, dieselben Digest of United States' Practice in International Law Deutsche Juristen-Zeitung Deutsche Mark
c.
ca. Cal. cap. CCPR CIA CIC Cir. cl. Clunet col. Col.L.Rev. Const.
Abkürzungsverzeichnis
13
Doc. Dok. Dowl. DRiZ DtZ DVBI.
Document Dokument Dowling's Practice Reports (Großbritannien) Deutsche Richterzeitung Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt
€ E
Euro Entscheidungssammlung Europa-Archiv (s. IP) European Convention on Human Rights Eastern District (mit US-Bundesstaat) edition, editor, edition, editors Europäische Gemeinschaft; Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Neufassung 1997) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte The English Historical Review European Journal of International Law (Italien) Eidgenössisches J ustiz- und Polizei departement Encyclopedia of Public International Law (ed. Bernhardt) Europäische Politische Zusammenarbeit et alii et suivant, et suivantes et sequens, et sequentes Europäische Union Europäische Grundrechte-Zeitschrift European Court of Human Rights (s. EGMR) Evangelisches Staatslexikon (hrsg. v. Herzog)
EA ECHR E.D. ed., ed., eds. EG EGMR E.H.R. EJIL EJPD EPIL EPZ etal. ets. etseq. EU EuGRZ Eur. Ct. H.R. EvStL
FBI FF FHIG Fla. Foro it. fr. FR FS F.Supp.
und der, die, das folgende(n) (Seite[n], Nummer[n], Paragraph[enJ) Folge Federal Reporter, Second [Third] Series (USA, Bundesberufungsgerichte) Frankfurter Allgemeine Zeitung Federal Bureau of Investigaton Französische Francs Fontes Historiae Iuris Gentium (hrsg. v. Grewe) Florida Il Foro italiano Francs Frankfurter Rundschau Festschrift Federal Supplement (USA, erstinstanzliche Bundesgerichte)
GA GBI. GG ggf.
General Assembly Gesetzblatt Grundgesetz gegebenenfalls
f., ff. F. F. 2nd [3 rd ]
FAZ
14
Abkürzungsverzeichnis
Giur. it. GVG GYIL
Giurisprudenza italiana Gerichtsverfassungsgesetz German Yearbook of International Law (ehemals JIR)
Harv. L. Rev. HbDG H.L.e. HRG
Harvard Law Review Handbuch der Deutschen Geschichte (hrsg. v. lust) Clark's Reports, House of Lords (Großbritannien) Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (hrsg. v. Erlerl Kaufmann) herausgegeben Herausgeber, Herausgeberin Hypertext Transfer Protocol [Worldwide Web] Hun's New York Appellate Division ReportslNew York Supreme Court Reports
hrsg. Hrsg. http://[www.]
Hun ibid. ICC LC.J. Reports
I.C.L.Q. ICTR ICTY L d. F. i.d.R. Le.S. IGH ILA Report ILC ILM I.L.R. IMT
IMTFE Int'IH. T. Int'IL.FORUM IP IPRax i. V. JA Jan. JBI. J.D.I. JGV JIR JöR [NF]
ibidem International Criminal Court International Court of Justice, Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders The International and Comparative Law Quarterly (Großbritannien) International Criminal Tribunal for Rwanda International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia in der Fassung in der Regel im engeren Sinne Internationaler Gerichtshof The International Law Asssociation, Report of the [ ... ] Conference International Law Commission International Legal Materials International Law Reports (LauterpachtlGreenwood, eds.) International Military Tribunal (mit nachgestellter [Band-]Ziffer: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg) International Military Tribunal for the Far East International Herald Tribune (USA) International Law FORUM du droit international (Niederlande) Internationale Politik (ehemals Europa-Archiv) Praxis des internationalen Privat-und Verfahrensrechts in Verbindung Juristische Arbeitsblätter January Juristische Blätter (Österreich) Journal du droit international [prive] (ehemals Clunet, Frankreich) Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich Jahrbuch für Internationales [und ausländisches öffentliches] Recht Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart [Neue Folge]
Abkürzungsverzeichnis
15
Jura JVR JW JZ
Juristische Ausbildung Jahrbuch des Völkerrechts Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
Kap. KG Kt.
Kapitel Kammergericht Kritische Justiz Kanton
f LG lit. LNTS loc. cit. L.R. lt. L.T.
Pfund Sterling Landgericht litera League of Nations Treaty Series loco citato Law Reports (Großbritannien) laut Law Times Reports (Großbritannien)
Mar. m.E. Mich.JIL Mich. L. Rev. Mio. Moo. Ind. App. m.w.N.
March meines Erachtens Michigan Journal of International Law Michigan Law Revue Millionen Moore's Indian Appeal Cases, Privy Council (Großbritannien) mit weiteren Nachweisen
n.Chr. N.D. NJ NJW No., N° NordJIL
NRW NStZ NYIL N. Y.[S. Ct.] N.Y.T. NZZ
nach Christi Geburt Northern District (mit US-Bundesstaat) Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift number, numero Nordic Journal of International Law - Acta scandinavica juris gentium (Dänemark) November Nummer, Nummern Nouveau Recueil general de traites et autres actes relatifs aux rapports de droit international (begründet v.Martens) Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht Netherlands Yearbook of International Law New York [Supreme Court] The New York Times Neue Zürcher Zeitung
OAS Oct. OGH o.J.
Organization of American States October Oberster Gerichtshof (Österreich) ohne Jahresangabe
KJ
Nov. Nr., Nr.n NRG
16
Abkürzungsverzeichnis
OLG 0.0. op. cit. o. T. o.V. ÖZöR[V]
Oberlandesgericht ohne Ortsangabe opere citato ohne Titel ohne Verfasserangabe Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht [und Völkerrecht]
p.,pp. pag. para., paras. P.C.I.J. P.D. Prot.BV
page,pages pagina paragraph, paragraphs Pennanent Court of International Justice (s. StIGH) Probate, Divorce and Admiralty Division (Großbritannien) Protokolle der deutschen Bundesversammlung (1817-66)
Q.B. qu.
Queen's Bench Reports, Adolphus and Ellis (Großbritannien) quaestio
RabelsZ RdC
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recueil des Cours de I' Academie de droit international de la Haye - Collected Courses of the Hague Academy of International Law Revue de droit international et de legislation comparee (Belgien) Randnummer, Randnummern Repertoire suisse de droit international public (ed. Guggenheim) Resolution respektive Revue internationale du droit maritime (Frankreich) Rivista di diritto internazionale Reichsgesetzblatt Revue generale de droit international public (Frankreich) Reichsgericht [Entscheidungssammlung in Zivilsachen] Recht in Ost und West Reichspatentamt Recht und Politik Russell's Reports, Chancery (Großbritannien)
R.D.I. Rdnr., Rdnr.n Rep. suisse Res. resp. R.I.D.M. Rivista RGBI. R.G.D.I.P. RG[Z] ROW RPA RuP Russ. S. $ s. [a.] sc. SC SchwJIR
S.Ct. S.D. sec. SED Sero SFRJ
Seite, Seiten US-Dollar siehe [auch] scilicet Security Council Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht - Annuaire suisse de droit international Supreme Court Reporter (USA) Southern Distriet (mit US-Bundesstaat) Section Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Series, serie Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien
Abkürzungsverzeichnis
17
SIA Sim.N.S. s.o. sog. Sp. StBG StGB StIGH StPO s. u. Supp. SZ
State Immunity Act (Großbritannien) Simson's Reports, Chancery, New Series (Großbritannien) siehe oben so genannte Spalte, Spalten Staatsbürgerschaftsgesetz (Österreich) Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafprozessordnung siehe unten; siehe unter Supplement, supplement Süddeutsche Zeitung
Tex. TIAS TVPA
Texas United States Treaties and other international Acts Series Torture Victim Protection Act (USA)
u.a. u.Ä. UdSSR (U.S.S.R.)
und andere, und anderes; unter anderem und Ähnliches Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Union of Soviet Socialist Republics) United Nations United Nations Organization United Nations Treaty Series Yearbook of the United Nations United States, United States Reports Vereinigte Staaten von Amerika (United States of America) United States Code und so fort unter Umständen
UN UNO UNTS UNYB US, U.S. USA U.S.C. usf. u.U.
v. v. V.
VwGO
vom, von versus Vers vor allem Vienna Convention on Consular Relations Vienna Convention on Diplomatie Relations Vienna Convention on the Law of Treaties Verfassung vergleiche Volume, volumes Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung
Wash. W.D. W.L.R. WSA
State of Washington Western Distriet (mit US-Bundesstaat) The Weekly Law Reports (Großbritannien) Wiener Schlussakte
v.a. VCCR VCDR VCLT Verf. vgl. Vol., vols. VVDStRL
2 Tangermann
18
AbkÜfzungsverzeichnis
Y. & C.Ex. YaleL.J. YBILC
Young and Collyer's Reports, Exchequer in Equity (Großbritannien) The Yale Law Journal Yearbook of the International Law Commission
ZANU-PF ZaöRV z.B. ZdK ZfRV zit. ZÖR ZPO ZRP z.T. ZVglRWiss
Zimbabwe African National Union - Patriotic Front Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zentralkomitee der deutschen Katholiken Zeitschrift für Rechtsvergleichung (Österreich) zitiert Zeitschrift für Öffentliches Recht (ehemals ÖZöR, Österreich) Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
Einführung
Ausgangspunkte und Methode "Wenn ihre Jugend sich verging, Mag sie's mit Gott abtun und ihrem HerzenIn England ist kein Richter über sie." Friedrich Schiller, Maria Stuart!
I. "Nürnberg ist überall" - das Erkenntnisinteresse Das britische Oberhaus, das House 0/ Lords, ist eine weithin bekannte Institution, deren Erwähnung nicht bloß bei Staatsrechtlem noch bis vor kurzem ein wissendes Kopfnicken auslöste: einzige Parlamentskammer Europas, deren überwiegend adlige oder dem anglikanischen Episkopat zugehörigen Mitglieder 2 auch nicht mittelbar demokratisch legitimiert sind, erst seit 1911 ohne entscheidende politische Bedeutung 3, in Geschäftsordnung und Erscheinungsbild jahrhundertealte Traditionen konservierend, ein wenig bizarr anmutend, kurzum, gewissermaßen ein lebendes Fossil des Verfassungsrechts. 4 Abgesehen davon war und ist das Interesse - soweit es nicht die im Vereinigten Königreich regelmäßig neu aufflammende Kosten-Nutzen-Debatte oder die Grundsatzfrage seiner Zeitgemäßheit im dritten Millennium ! Erster Akt, 1. Auftritt (V. 59-61). Text der Hanna Kennedy, lt. Darstellerverzeichnis Amme der in England gefangenen schottischen Königin Maria, "in heftigem Streit" mit Amias Pautet, deren "Hüter", sc. Wächter. 2 Der Zeitgeist hat sich auch auf diesem Terrain nicht aufhalten lassen: Zwar ist dem Oberhaus im Unterschied zum Bayerischen Senat das völlige Verschwinden erspart geblieben, das Mandat der Hereditary Peers entfiel mit dem Ende der 199ger Sitzungsperiode jedoch, vgl. Augstein, FAZ, Nr.258 v.5.11.l999, S.43; Watt, The Guardian, Oct. 27, 1999, p.1. 3 Infolge sec. I, para. I und sec. 2, para. I der Veto Bill, deutsche Übersetzung bei Kimmel (Hrsg.), Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, München 1987, S.417. 4 Hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen wäre diesen knappen Feststellungen aus verfassungsgeschichtlicher Sicht noch beizufügen, dass das auf den hochmittelaiterlichen Rat der Großen zurückzuführende Oberhaus bereits 1215 in der Magna Charta normativ verwurzelt wurde, vgl. McKechnie, Magna Charta, New York 1958, pp. 248 et seq. Die Mitwirkung an der Gesetzgebung ist seit 1297; die Trennung der Commons von den Lords erst ab 1352 nachweisbar, s. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, München/Berlin 1913, S. 213. Sehr informativ zum Ganzen auch Lowell, Die Englische Verfassung I, Leipzig 1913, S. 372-412 und Bailey, British Parliamentary Democracy, London 1958, pp. 33-55. 2*
20
Einführung: Ausgangspunkte und Methode
berührteS - an diesem in der Tat bemerkenswerten Organ und seiner Arbeit allgemein gering. Dies änderte sich jedoch - erstmalig und gleichsam über Nacht - am 25. November 1998, als sich in Westminster 6 unter reger Beteiligung internationaler Medien und vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein "einem Elfmeterschießen vergleichbares Justizdrama"7, wie ein Journalist es ausdrückte, abspielte. Im Anschluss an die den einzigen Tagesordnungspunkt der Sitzung bildende Abstimmung waren an den verschiedensten Orten der Erde Menschenmengen zu beobachten, die von Entrüstungs stürmen bis zu Freudentränen reichende Reaktionen zeigten. Was war geschehen? - Formal und vordergründig betrachtet hatte lediglich der Rechtsausschuss des Oberhauses, der insoweit als oberstes AppellationsgerichtS Großbritanniens fungiert, das Urteil in einer Auslieferungssache unter dem Kurzrubrum Regina v. Bartle and the Commissioner of Police for the Metropolis and Others gefällt. 9 Das allein vermag nun kaum einen nachvollziehbaren Anlass zu solcherlei Emotionsausbrüchen abzugeben. Verständlich werden sie allerdings bei Nennung der zwar inoffiziellen, aber gleichwohl bekannteren und umso prägnanteren Verfahrensbezeichnung: Die Affäre Pinochet lO • Auch ohne sich als Augur betätigen zu wollen, wird man die Prognose wagen dürfen, dass das Völkerrecht - eine sich zumeist nur langsam verändernde Materie - mit dem Ausklang des 20. Jahrhunderts zwei erhebliche Entwicklungsschübe erfahren hat. Zum einen und zuvorderst betrifft dies den durch die zum Luftkrieg eskalierte Kosovo-Krise wieder aufgeworfenen Themenkomplex der Relativierung des Gewaltverbots zugunsten einer effektiven Sicherung der Menschenrechte außerhalb von Kapitel VII UN-Charta, was unter dem Schlag- und Reizwort der Humanitären Intervention zusammengefasst wird. Hier muss auch noch mit einer (erneuten 11) Be5 Zur Entwicklung dieser Reformdiskussion sind spezielle Angebote im Internet verfügbar, u. a. die amtliche Website der Royal Commission on the Reform of the House of Lords - unter . 6 Der New Palace ofWestminster ist seit 1852 Tagungsort sowohl des Unter- als auch des Oberhauses. 7 Leader, The Guardian, Nov.26, 1998, p. 1; ebenso Barker, 48 I. C. L. Q. (1999), 937. 8 Insoweit wird hier an die ursprüngliche Aufgabe des Parlaments angeknüpft, die eine judizielle, keine legislatorische war, vgl. Hatschek (Anm. 3), S. 208; Mackenzie, The English Parliament, Harmondsworth 1959, pp. 10 et seq. Zu den Rechtsprechungsfunktionen der Lords of Appeal in diesem Jahrhundert s. Bailey (Anm. 3), S. 37 f.; Phillips/Jackson, Constitutional and Adminstrative Law, 7 th ed., London 1987, pp. 164-173. 9 Da es sich formal um zwei verbundene Verfahren handelte, lautete die volle amtliche Bezeichnung Regina v. Bartle and the Commissioner of Police for the Metropolis and Others (Appellants) Ex Parte Pinochet (Respondent) - Regina v. Evans and Another and the Commissioner ofPolicefor the Metropolis and Others (Appellants) Ex Parte Pinochet (Respondent), on Appeal from a Divisional Court. 10 Auf den Sachverhalt wird im Folgenden noch näher eingegangen (1. Abschn., Kap. 1II.4.). 11 Mit der sog. humanitären Intervention hatte sich der IGH schon im Nicaragua-Fall zu befassen, I.C.J.Reports 1986, 134 (para. 268).
I. "Nürnberg ist überall" - das Erkenntnisinteresse
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wertung durch den von Jugoslawien angerufenen IGH gerechnet werden. 12 Auf der anderen Seite bewegt sich die Staatengemeinschaft unübersehbar in Richtung einer Global-Justiz, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit ahndet, sowohl im internationalen Verbund - was die Zwischenerfolge bei der Errichtung des Ständigen Strafgerichtshofs in Rom 13 zeigen - als auch in staatlicher Eigenverantwortung, wofür der Fall des ehemaligen chilenischen Diktators Pinochet die Initialzündung darstellte -: in Richtung einer Justiz, vor der auch die Berufung auf ein Handeln in hoheitlicher Eigenschaft, zumal als Regierungsmitglied oder gar Staatsoberhaupt, den Betreffenden nicht von der rechtlichen Verantwortlichkeit freizeichnet. 14 Die vorgenannten "Zukunftsthemen" können im Übrigen nicht isoliert betrachtet werden; vielmehr stehen sie systematisch wie praktisch in enger Beziehung zueinander. Diesen Zusammenhang gilt es sich klarzumachen, will man die Tragweite der Frage nach der fortwirkenden Immunität von Staatsoberhäuptern erfassen. Zum einen geht es in beiden Fällen darum, bestimmten, für besonders bedeutsam erachteten Völkerrechtsregeln über ihre spezifische Existenz (d. h. Geltung) hinausgehend ihre spezifische Wirksamkeit (d. h. Effektivität) zu sichern. Zum anderen ist es evident, dass im Hinblick auf die zugrunde liegenden Ursachen Humanitäre Interventionen stets unvollkommene - und mithin ineffektive - Maßnahmen bleiben müssen, solange die staatlichen Machthaber selbst, die durch ihr Verhalten regelmäßig die - mutmaßliche - Notwendigkeit des Intervenierens heraufbeschworen haben, einer völkerrechtlich - vermeintlich? - zu achtenden Immunität wegen nicht zur Verantwortung gezogen werden können. 15 Es ist gleichermaßen bezeichnend wie folgerichtig, dass Bundesaußenminister Fischer beide Aspekte im Blick hatte, als er vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen anläßlich der Herbsttagung 1999 darauf abhob, die Achtung vor den inneren Angelegenheiten der Staaten dürfe "nicht länger als Schutzschild für Diktatoren und Mörder missbraucht werden"16. Wenn es noch eines im Normativen wurzelnden Beweises dafür bedurft hätte, wie stark beide Herausforderungen für das Völkerrecht und die internationa12 Die abweisenden Entscheidungen vom 2.6.1999 bezogen sich - mit Ausnahme der gegen Großbritannien und Spanien gerichteten Klagen - nur auf den beantragten vorläufigen Rechtsschutz, zurzeit abrufbar unter . Ein Judikat des IGH zur (fortwirkenden) Immunität von Staatsoberhäuptern ist dagegen ausgeblieben; obgleich Chile es im Verlauf der Pinochet-Affäre angedroht hatte (s. FAZ, Nr.221 v.23 .9.1999, S. 9), wurde in dieser Angelegenheit nie Klage erhoben oder der Erlass vorläufiger Maßnahmen beantragt. 13 Zwar ist am 17.7.1998 das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) beschlossen worden, da aber zu seinem ln-Kraft -Treten die hohe Anzahl von 60 Ratifikationen erforderlich ist (Art. 126),lässt sich der Zeitpunkt, an dem das Gericht seine Tätigkeit wird aufnehmen können, derzeit nicht absehen. Vor 2002/03 ist dies jedoch nicht zu erwarten, vgl. Levy, FAZ, Nr.225 v. 28.9.1999, S. 6; s. a. Pick, RuP 1999, 117. 14 Vgl. Charney/Reisman, 93 AJIL 2 (1999). 15 s. a. die Stellungnahme des ZdK; SZ v. 25.2.2000, S. 6. 16 So nochmals in einem dem SPIEGEL, Nr.42/l999 v. 18.10.1999, S. 36 gegebenen Interview.
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Einführung: Ausgangspunkte und Methode
le Politik aufeinander bezogen sind, kann dieser jedenfalls seit dem 24.5.1999 als erbracht gelten: An diesem Tag wurde, konsequent und quasi als völkerstrafrechtliches Spiegelbild der NATO-Intervention in Jugoslawien, die Anklage gegen dessen seinerzeitigen Präsidenten Milosevic von dem Haager UN-Tribunal zugelassen. 17 Das Zusammentreffen all dieser Entwicklungen verstärkt bei den Beobachtern den Eindruck, dass das Völkerrecht im Begriff ist, einen gewaltigen Sprung nach vom zu tun 18. Nur: Wie weit ist dieser gediehen, wie ist es jenseits des (rechts-)politisch mutmaßlich Wünschenswerten um die positiv-völkerrechtliche Seite bestellt? 19 Zieht das geltende Völkerrecht dem überkommenen Immunitätsprinzip bereits heute Grenzen? Und falls ja, wo verlaufen diese? Ins Bildhafte gewendet: Ist "Nürnberg" nunmehr tatsächlich überall, wie in Anspielung auf die Hauptkriegsverbrecherprozesse 1945/46 bereits unmittelbar nach der Verhaftung Pinochets in London optimistisch konstatiert wurde 20? Oder waren die Jubelstürme insbesondere im Lager der Menschenrechtsgruppen nach dem ersten und mehr noch nach dem zweiten 21 , bestätigenden Spruch der Lordrichter im Pinochet-Fall etwas voreilig?22 Diesen Fragen gilt es nachzugehen. In der ausländischen Wissenschaft ist die bahnbrechende Bedeutung des Falls Pinochet in seinen über dieses einzelne Ereignis hinausgehenden Auswirkungen (doch sind es auch Rechtswirkungen?), v. a. für die praktische Durchsetzung des Folterverbots, schnell erfasst worden. Bereits am 21.5.1999 war dies Gegenstand eines in den 17 Case No. IT-99-37; die Dokumente sind "online" verfügbar unter . 18 Zu einem solchen Vergleich fühlte sich nach dem zweiten Sachurteil im Pinochet-Fall auch die britische Völkerrechtlerin Denza gedrängt (,,[ ... ] Six Lords a Leaping", 48 I.c.L.Q. [1999], 952); s. a. Kessedjian, I Int'1 L. FORUM (1999), 10. 19 Frühzeitig skeptisch äußerte sich in diesem Zusammenhang Klabbers, 68 NordJIL (1999),86. 20 Vgl. DER SPIEGEL, Nr.44/1998 v.26.10.1998, S.185. 21 Vom 24.3.1999, nachdem am 17.12.1998 das erste Urteil "beiseite gelegt" werden musste, vgl. Bank, ZaöRV 59 (1999), 677; im Einzelnen s. u. 1. Abschn., Kap. III.4.c). - Allerdings verleitete die allgemeine "Aufbruchsstimmung" selbst die Kommentatoren des sonst eher für nüchterne Distanz bekannten Economist (Nov.28, 1998) schon nach dem ersten Urteil zu Schlussfolgerungen wie "a giant step towards establishing the rule of internationallaw" (p. 13) oder schlechthin "a triumph" (p.26). Ähnlich Mahmoud, J.D.I. 1999, 1021. 22 Zeitweilig schien es sogar, als wollten einzelne Gruppierungen die Lords of Appeal um des Ergebnisses willen zum völkerrechtlichen Norrngeber stilisierien. (Erstaunlich daran war nicht zuletzt, dass es sich dabei z. T. um die gleichen Personen handelte, die bis dahin in den "Perückenrichtern" nur eine Zumutung im modemen Staat erblicken konnten, s. Wilson, Prosecuting Pinochet in Spain unter ). In der Realitätsfeme des Überschwangs geriet aus dem Blick, dass die Law Lords - wie jedes nationale Gericht - den Fall in erster Linie vom innerstaatlichen Recht aus zu beurteilen hatten. Schon die Revisionsfrage des High Court machte dies deutlich, wonach diejenige Immunität streitentscheidend sei, die ein ehemaliges Staatsoberhaupt gegenüber Inhaftierungen und Auslieferungsverfahren im Vereinigten Königreich genießen sollte.
11. Gang der Untersuchung
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Niederlanden abgehaltenen internationalen Symposiums. 23 Demgegenüber war in Deutschland längere Zeit noch eine gewisse Zurückhaltung zu verzeichnen. 24
11. Gang der Untersuchung Diese Lücke zu schließen, ist Ziel der vorliegenden Arbeit. Hierfür sollen zunächst - in Anwendung einer induktiven Methode und unter Ausschaltung einer vorschnellen rechtlichen Würdigung - die Sachverhalte der "Präzedenzfalle" vorgestellt werden, die als Basis für die Beurteilung der maßgeblichen Staatenpraxis im Bereich der völkerrechtlichen Immunität von Staatsoberhäuptern unerlässlich sind. 25 Nach einer systematischen Einordnung des Gegenstands und seiner Abgrenzung zu anderen Erscheinungsformen völkerrechtlicher Immunitäten und Privilegien wird alsdann versucht, anhand der so gewonnen Erkenntnisse über die entsprechenden Grundprinzipien eine vorläufige Antwort, gleichsam als Arbeitshypothese, auf die Frage zu erhalten, ob Staatsoberhäupter - zumal über ihr aktives Regime hinaus 26 - Exemtion von fremdstaatlicher Gerichtsbarkeit genießen. Im Anschluss daran gilt es, dieses Zwischenergebnis auf der Grundlage des eingangs erschlossenen Tatsachenmaterials zu verifizieren, aus der Staatenpraxis Schlussfolgerungen für das positiv geltende Völkerrecht zu ziehen. Bei alledem interessiert im Besonderen, ob und ggf. inwieweit die internationale Rechtsordnung eingangs des dritten Jahrtausends eine persönliche straf- oder zumindest deliktsrechtliche 27 Verantwortlich23 Dieses fand unter der Schinnherrschaft der Foundation The Hague Joint Conferences on International Law in Den Haag statt; den Vorsitz bei der Sitzung zum genannten Thema führte Lady Hazel Fox vom British Institute 01 International and Comparative Law, welche die Pinochet-Verfahren auch verschiedenflich im 1.c.L.Q. kommentierte. 24 Hinzuweisen ist indes auf Ambos, JZ 1999, 16 und 564; sowie Rensmann, IPRax 1999, 268. Erst mit Verzögerung erschienen die Beiträge von Bank (Anm. 21) und Wirth, Jura 2000, 70. Gornigs - über den Pinochet-Fall weit hinausgreifende - Untersuchung (in: FS Rauschning, Köln/Berlin 2001, S.457-485) wurde erst veröffentlicht, nachdem dieses Manuskript bereits abgeschlossen war. 25 Die Notwendigkeit dieser Vorgehensweise lässt sich im Übrigen sehr treffend durch eine Feststellung verdeutlichen, die der Kriminalschriftsteller A.C. Doyle (A Scandal in Bohemia [1887]) seinem Meisterdetektiv Holmes in den Mund legte: "It is a capital mistake to theorise before one has data. Insensibly one begins to twist facts to suit theories, instead of theories to suit facts." Vgl. auch Gmür, SchwJIR 7 (1950),17. 26 Das Augenmerk muss auf diesen Aspekt gerichtet sein, da die Thematik praktische Relevanz typischerweise erst bei nicht mehr amtierenden Staatsoberhäuptern gewinnen wird - was der Pinochet-Fall bestätigt hat. 27 Mit diesem Problemkreis, wenn auch nicht aus spezifisch völkerrechtlicher Sicht, sondern v. a. anhand des Nonngefüges und der Praxis der USA, und dementsprechend ohne die völkerrechtliche Immunität gerade der Staatsoberhäupter weiter in den Blick zu nehmen, befasst sich insbesondere Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, Berlin 1997.
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Einführung: Ausgangspunkte und Methode
keit des ehemaligen - und möglicherweise selbst des noch im Amt befindlichen - Staatsoberhaupts 28 speziell vor dem Hintergrund gravierender Menschenrechtsverletzungen zulässt. In diesem Kontext wird auch darauf einzugehen sein, wie sich die Immunitätsproblematik zu völkerrechtlichen Bestrafungspjlichten verhält. Zusammenfassend und abschließend sei nochmals darauf hingewiesen: Die Frage, ob fremde Staatsoberhäupter beispielsweise in Bezug auf im Ausland belegene Sachwerte für Schulden aus privaten Geschäften in Anspruch zu nehmen sind, steht nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit - wenngleich sich ggf. auch aus derartigen Fallkonstellationen eine Grundtendenz staatlicher Praxis im Umgang mit völkerrechtlichen Immunitäten ableiten ließe. Befasst man sich heute mit dieser Thematik - die, da sie schließlich kaum mehr als 600-700 Personen weltweit29 unmittelbar betrifft, prima fade in höchstem Maße speziell und dementsprechend eher von theoretisch-grundsätzlichem Interesse zu sein scheint - ein trügerischer Eindruck 30 -, so geschieht dies im Hinblick auf eine konkrete Form der Effektivierung des internationalen Menschenrechtsschutzes 31 • Der mit dieser Untersuchung verfolgte Zweck ist es, die Beschränkungen, aber auch die Möglichkeiten aufzuzeigen, die das Völkerrecht - jenseits des Spekulativen - hinsichtlich dieser Ausprägung des Menschenrechtsschutzes heute tatsächlich beinhaltet und bereithält. Die Aktualität dieser Fragestellung bleibt bedauerlicherweise auch "jenseits von Pinochet", trotz seines gleichsam überstürzten Verschwindens aus Europa unmittelbar nach der - von manchen befürchteten, von manchen herbeigesehnten - Entscheidung des britischen Innenministers, das Auslieferungsverfahren aus humanitären Gründen zu beenden, ungemindert. Bedarf es noch besonderer Hervorhebung, dass sich augenblicklich weltweit zahlreiche weitere vormalige Machthaber, deren Regierungsjahre - manches Mal Jahrzehnte - und Herrschaftsmethoden gleichfalls juristische Aufarbeitung heischen, zu der deren Heimatländer indes oftmals nicht geneigt und noch öfter nicht imstande sind 32, stellvertretend seien nur Idi Amin 33 ,
28 Die sich im Verlauf der Jahrhunderte völkerrechtlich heraus gebildete Sonderstellung der Staatsoberhäupter erachtet auch Lüke in ihrer jüngst erschienenen Berliner Dissertation (im Rahmen der Immunität[enl staatlicher Funktionsträger generell) zu gering; s. dagegen Gornig (Anm.24). 29 Schätzung unter Einbeziehung der nicht mehr amtierenden Staatsoberhäupter. 30 So auch Watts, 247 RdC (1994-III), 19. 31 Vgl. Mahmoud (Anm. 21),1024 et s., 1029. 32 Vgl. Gornig, NI 1992,5. 33 Idi Amin Dada riss 1971 nach einem Militärputsch gegen Präsident Milton Obote die Macht in Uganda an sich und herrschte bis 1979, als nach Grenzzwischenfällen tansanische Truppen, unterstützt von exil-ugandischen Kräften, in Uganda einmarschierten und ihn absetzten. Er fand Zuflucht in Saudi-Arabien (vgl. AdG 1979,23091).
11. Gang der Untersuchung
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Jean-Claude Duvalier 34 und Mengistu Haile Mariam 35 genannt, unbehelligt von jeder Gerichtsbarkeit ihrer Freiheit und ihres Vermögens erfreuen?36
34 Der als "Baby Doc" bekannte haitianische Politiker ließ sich 1971 nach dem Tod seines Vaters Fran~ois, der ebenfalls ein diktatorisches Regierungssystem mit starken Zügen einer persönlichen Willkürherrschaft geführt hatte, zum Präsidenten auf Lebenszeit ernennen. Unter dem Druck sozialer Unruhen floh er 1986 nach Frankreich (vgl. AdG 1986,29599). Dort wurde durch die neue Regierung Haitis ein Zivilverfahren gegen ihn angestrengt, da er sich im Amt rechtswidrig bereichert und diese Gelder ins Ausland transferiert habe - ohne Erfolg (Duvalier c. Etat hai"tien, letztinstanzlich entschieden von der Cour de Cassation, Urteil v.29.5.1990, J.D.I. 1991, 137 = 113 I.L.R. 448). 35 1974 an der Entthronung Kaiser Haile Selassis maßgeblich beteiligt, war Mengistu seit 1977 Staats- und Parteichefin Äthiopien. 1991 gestürzt, ging er ins Exil nach Simbabwe. Initiiert durch die neue Regierung, begann 1994 gegen ihn in Abwesenheit ein - ergebnisloser- Prozess in Addis Abeba (vgl. AdG 1994,39555). 36 Die gleiche Frage warf auch Bale, The Times, Mar. 3,2000, p.4 auf. - Zwei der seltenen Fälle, in denen es gelang, einen früheren Staatschef wegen im Amt begangener Menschenrechtsverletzungen nicht allein gerichtlich - strafrechtlich gar - zu belangen, sondern der (Freiheits-)Strafe auch zuzuführen, betrafen 1994 einen ehemaligen Diktator von Paraguay, Lufs Garcfa Meza, und Ende der 80er-Jahre den nicht zuletzt wegen des Vorwurfs des Kannibalismus berüchtigten zentralafrikanischen Exkaisers Bokassa. Allerdings war Letzteres nur möglich, weil dieser unvorsichtig genug war, 1986 in seine Heimat zurückzukehren; die Elfenbeinküste, wo ihm Asyl gewährt worden war, hatte diverse Auslieferungsersuchen bereits abgelehnt (vgl. Dahrn/Delbrück/Wolfrurn, Völkerrecht 1/1, 2. Autl., BerlinlNew York 1989, S. 256). Und selbst dieses Beispiel lässt sich kaum ohne zwiespältige Gefühle anführen, denkt man daran, dass "einer der übelsten Tyrannen Afrikas" (NZZ v. 5.11.1996, S. 2), der neben anderem für ein Massaker an 100 Schulkindern verantwortlich war, bereits nach fünf Jahren Strafvollzug amnestiert wurde (zum Ganzen AdG 1994,39437 sowie 1993, 38309; 1996,41546).
Erster Abschnitt
Ein Jahrtausend Tatbestände Die Unterwerfung eines Staatsoberhaupts unter fremde I Gerichtsbarkeit ist - auch wenn es nach dem bisher Gesagten den Anschein haben mag - kein Phänomen unserer Tage. Im Gegenteil lassen sich derartige, allerdings unterschiedlich erfolgreiche, Bemühungen bis ins neunte Jahrhundert zurückverfolgen 2 •
I. Gerichtstag über Könige - vom neunten bis zum achtzehnten Jahrhundert 1. "Souveräne" und fremde Gerichtsbarkeit im Mittelalter Auf den ersten Blick ist der Befund erstaunlich für eine vom Gedanken an den durch göttlichen Willen und göttliches Recht legitimierten Herrscher geprägte Epoche, doch stellt das Mittelalter für souveräne Fürsten, was gerichtliche Durchgriffe anbelangt, eine eher unsichere Zeit dar. 3 Dies wird erstmals 818 n. ehr. anhand des Schicksals König Bernhards von Italien deutlich. Ein Jahr zuvor hat der römisch-fränkische Kaiser Ludwig I. 4 auf einer Versammlung der geistlichen und weltlichen Großen in Aachen unter Umgehung des bis dahin geltenden Teilungsprinzips eine Nachfolgeordnung verfügt: Dem ältesten Sohn, Lothar, ist die Kaiserwürde und für die Zeit nach Ludwigs Tod der Anspruch auf das I Die Freiheit amtierender oder vormaliger Staatsoberhäupter von der Gerichtsbarkeit des eigenen Staats ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung, so dass sich ein Eingehen auf die Prozesse z. B. gegen den schottischen Regenten Morton 1581, König Ludwig XVI. von Frankreich 1792/93 oder, aus neuerer Zeit, den Paraguayer Garcia Meza (hierzu s.o.) erübrigt. 2 Die Begrenzung des Zeitraums folgt aus der Sache; erst in der rund ein halbes Jahrtausend umfassenden Epoche des frühen und hohen Mittelalters konstituierte sich allmählich die Vielzahl gleichrangiger europäischer Staaten, zwischen denen sich die Völkerrechtsordnung herausbildete, die "seitdem eine Konstante der europäischen Geschichte war" (Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, München 1994, S. 89) und für das heutige Völkerrecht maßgeblich ist. 3 Dabei sind die bekannten Quasi-Prozesse, die seitens der Päpste gegen römisch-deutsche Kaiser abgehalten wurden, des spezifisch religiösen Hintergrundes wegen noch nicht eirunal berücksichtigt. So fand 1245 in Lyon ein juristisch verbrämtes Exkommunikationsverfahren gegen den Stauferkaiser Friedrich 11. statt; zu erinnern ist auch an das dem Kirchenbann gegen Heinrich IV. und dem "Gang nach Canossa" vorgelagerte Prozedere, vgl. Moraw, in: Schultz, Große Prozesse, 2. Aufl., München 1997, S. 58, 62. 4 Gemeinhin "der Fromme" genannt.
I. Gerichtstag über Könige
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Gesamtreich zuerkannt, Lothars Brüdern Pippin und Ludwig S die Stellung von Unterkönigen und Herrschaftsrechte in Aquitanien bzw. Bayern eingeräumt worden. 6 Unberücksichtigt gelassen hat der Kaiser seinen Neffen Bernhard, den noch von Karl dem Großen eingesetzten König von Italien 7. Dieser jedoch ist davon überzeugt, als Erbe der Rechte seines Vaters - Ludwigs älterem Bruder - Anspruch auf den Kaisertitel zu haben. Zum Äußersten getrieben, geht er daran, sein Recht mit Waffengewalt geltend zu machen; sein Vorhaben wird aber durch den Bischof von Verona dem Kaiser verraten, der sofort den Heerbann des Frankenreichs gegen ihn aufbringt. Bernhard, der einen militärischen Erfolg seinerseits im Ansatz vereitelt sieht, beschließt, sich mit Ludwig zu arrangieren und wird dabei in eine Falle gelockt. Als eine Delegation erscheint, die ihn auffordert, er möge den Kaiser persönlich um Verzeihung bitten und ihm dabei unter Eidschwüren freies Geleit zusichert, folgt er ihr. Gleichwohl wird Bernhard, sowie er an Ludwigs Hof angelangt ist, vor ein Gericht fränkischer Großer gestellt und zum Tode verurteilt. Vom Kaiser zur Blendung "begnadigt", verstirbt er in Folge davon drei Tage darauf. 8 Allgemein bekannter dürfte der nächste zu schildernde Fall sein, auf den sich auch jedenfalls das ältere Völkerrechts schrifttum im Zusammenhang mit den "Staatshäuptern" und ihrer Stellung gegenüber fremder Jurisdiktion des Öfteren bezieht9 : Gemeint sind Prozess und Hinrichtung Konradins von Schwaben in Neapel 1268, die zugleich den Schlussakkord im Abstieg der Staufer darstellen 10. Knapp zwei Dezennien früher hat es der Tod des in Palermo residierenden Kaisers Friedrich 11. 11 Papst Innocenz IV. ermöglicht, nach Italien zurückzukehren. Seine Hoffnungen auf eine rasche Unterwerfung des nunmehr herrenlosen Königreichs Sizilien 12 unter die päpstliche Regierung und mithin die Beendigung der kaiserli5 Später als "der Deutsche" bezeichnet. Mit seinem Namen verbunden ist in sprachhistorischer Hinsicht der Eid zu Straßburg 841, in (völker-)rechtsgeschichtlicher der Vertrag von Verdun im August 843. 6 Diese Regelung hatte bekanntlich keinen Bestand, da Ludwigs zweite Gemahlin - die Welfin Iudith - alsbald daranging, die Ordnung von 817 zugunsten ihres Sohnes Karl ("Kar! der Kahle") umzustoßen, vgl. Kirn, in: Goetz, Propyläen-Weltgeschichte I1I, Ber!in 1932, S.131. 7 Kar! der Große war seit 774 nicht nur König der Franken, sondern als Träger der Langobardenkrone zugleich - in Personalunion - König von (Ober-)Italien, vgl. Randa, Handbuch der Weltgeschichte 11, Freiburg i. Br. 1956, Sp. 1277, 1295. 8 Die Darstellung folgt Sehlosser's (sie) Weltgeschichte V, Frankfurt a. M. 1846, S. 413f. 9 Vgl. nur Rivier, Lehrbuch des Völkerrechts, 2. Aufl., Stuttgart 1899, S. 252; HeffterlGeffeken, Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart, 8. Aufl., Berlin 1888, S.125 m. w. N. 10 Vgl. Engels, Geschichte der Staufer, 3. Aufl., Stuttgart/Ber!in 1972, S.159f. 11 Die bleibende Bedeutung dieses Herrschers für die Rechtsgeschichte resultiert aus den von ihm wesentlich mitgeprägten Konstitutionen von Melji, die im August 1231 herausgegeben wurden, einer Sammlung des Staats- und Verwaltungsrechts. Dabei handelte es sich um die erste große Kodifikation eines staatlichen Verwaltungsrechts seit Iustinian, vgl. Kantorowiez, Kaiser Friedrich der Zweite I, Düsseldorf/München 1963, S. 203,273. 12 Das Königreich Sizilien umfasste zu Beginn des 13. Iahrhunderts über die gleichnamige Insel hinaus noch Unteritalien und war somit weitgehend deckungsgleich mit dem heutigen
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1. Abschnitt: Ein Jahrtausend Tatbestände
chen "deutschen Umklammerung" des Kirchenstaats haben sich indes nicht erfüllt; er hat sich nicht gegen die sich dort festigende Regentschaft unter Manfred, dem legitimierten Sohn des Kaisers aus einer Verbindung mit der italienischen Gräfin Lancia, durchzusetzen vermocht. Vollends das Erscheinen des deutschen Königs Konrad IV. 13 - ebenfalls ein Sohn Friedrichs 11. - in Unteritalien scheint die Position der Staufer zum Nachteil der päpstlichen Machtinteressen wiederherzustellen. Innocenz sucht jetzt ausländische Hilfe und verhandelt - zunächst ohne Erfolg - mit Angehörigen des englischen wie auch des französischen Königshauses, die die Krone Siziliens aus päpstlicher Hand als Lehen entgegennehmen sollen. Der Tod Konrads IV. ändert die Lage nur vorübergehend, da nunmehr Manfred seine Herrschaft ausbauen und zweimal päpstliche Heere schlagen kann. 14 Der Eindruck dieser Erfolge führt schließlich zum Schulterschluss des französischen Königs Ludwig IX. mit dem Papst. 1261 kommt ein Vertrag zustande l5 , der Ludwigs Bruder, Karl von Anjou, das Königreich Sizilien zuspricht (das allerdings praktisch erst noch gewonnen sein will). Die Ansprüche des jungen Konradin, des Sohnes König Konrads IV. und Enkel Kaiser Friedrichs 11., der in Süddeutschland unter der Vormundschaft Herzog Ludwigs von Bayern lebt, glaubt man übergehen zu können. Dank der Unterstützung starker französischer Kontingente trägt Karl 1266 den Sieg davon; Manfred fällt in der Schlacht bei Benevent am 12. Februar. Schon denkt er daran, nach Byzanz und Jerusalem auszugreifen, als Konradin auf den Plan tritt. Sizilianische Flüchtlinge, die - nicht zu Unrecht, wie sich später zeigen wird - eine das Land ausbluten lassende Steuerpolitik des stets in Geldnöten befindlichen Karl von Anjou befürchten, haben ihn herbeigerufen. Aber Konradins "etwas buntscheckiges" 16 Heer wird trotz anfänglicher Erfolge bei Tagliacozzo am 23.8.1268 besiegt; bald danach fällt er Karl in die Hände. Dieser setzt daraufhin ein Gericht ein und lässt Konradin förmlich den Prozess machen. Er habe sich "wider Recht" gewaltsam in den Besitz Siziliens bringen wollen; seine Auffassung, als Sohn Konrads IV. und Enkel Friedrichs 11. unmittelbar - im Wege der Erbfolge - Herr des sizilischen Königreichs geworden zu sein, sei irrig: eine solche Sukzession stehe im Widerspruch zur päpst"Mezzogiorno". Friedrich 11. hatte es von seiner Mutter Konstanze (Witwe Kaiser Heinrichs VI.) ererbt; zum römisch-deutschen Reich gehörte es nicht. Eine bei angemessenem Umfang sehr detaillierte Darstellung der bewegten Geschichte dieses Gebiets bietet die EncycJopredia Britannica unter dem Stichwort ltaly and Sicily; auch abrufbar unter . 13 Konrad IV. hatte die Kaiserwürde nie inne; er wurde 1237 zum römischen, 1250 zum deutschen König gewählt. 14 Die Darstellung folgt insoweit Werner, in: Kern, Historia Mundi VI, Bern 1958, S.168. 15 Dieser Vertrag wurde 1265 insoweit revidiert, als der Papst seine Territorialansprüche - zunächst sollten unteritalienische Gebiete Siziliens an den Kirchenstaat abgetreten werden - zurücknahm, vgl. Herde, Karll., Stuttgart/Berlin 1979, S.44 ff.; Raumer, Geschichte der Hohenstaufen IV, Reutlingen 1829, S.431. 16 Werner (Anm. 14), S. 169.
I. Gerichtstag über Könige
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lichen Entscheidung 17. Doch das Verfahren nimmt eine unvorhergesehene Wendung. Obschon Karl von Anjou die Richter selbst ausgewählt hat, sind dennoch alle bis auf einen 18 der Meinung, das Konradin jedenfalls im guten Glauben an sein Recht gegen Karl ins Feld getreten und schon deshalb von jeder Strafe frei sei. 19 Teilweise wird auch darauf hingewiesen, dass es sich bei Konradin um "einen im Kriege gefangenen König" 20 handele, den man nicht wie einen beliebigen Rechtsbrecher der "peinlichen Gerichtsbarkeit" überantworten könne. Die eine Stimme aber, die Konradins Tat - da die eines "Aggressors" - für todeswürdig erklärt, genügt Kar!. Auf diese Erklärung hin, die er als Spruch des Gerichts bekannt gibt, lässt er Konradin am 29.10.1268 in Neapel öffentlich enthaupten. 21 Eine ähnliche Gefahr droht 45 Jahre später, als der Kampf um die Vorherrschaft in Italien in eine neue Phase tritt, Karls von Anjou Enkel Robert 22 • Heinrich VII. ist am 27.11.1308 zum deutschen König gewählt worden und zieht nun über die Alpen, um in Rom die Kaiserkrone zu erwerben und die traditionellen Reichsrechte in Italien wiederherzustellen, die während des Interregnums 23 ihre praktische Bedeutung nahezu ganz eingebüßt haben: In Süditalien herrscht von Neapel aus noch immer die mächtige Dynastie der Anjou, und in Nord- und Mittelitalien ist die politische, militärische und wirtschaftliche Macht der Städte weiter gewachsen. 24 Letztere gehen alsbald dazu über, durch Robert von Neapel maßgeblich unterstütze5 , Heinrich offen Widerstand zu leisten. Sie wollen den ihnen zugewachsenen Spielraum nicht (wieder) durch imperiale Vorherrschaftsbestrebungen beschnitten sehen. Kämpfe flammen auf, in deren Verlauf Cremona und Brescia überrannt und gebrandschatzt werden. Währenddessen haben die toskanischen Städte 17 Das bezieht sich nicht allein auf den Vertrag mit Karl: Bereits am 20./24.3.1239 hat Papst Gregor IX., der in Konradins Großvater Friedrich 11. den "leibhaftigen Antichrist" sah, diesen gebannt, seiner Herrschaft für verlustig erklärt und alle Untertanen von ihren Gehorsamspflichten entbunden, vgl. Raumer (Anm.15), S. 17 f. Damit hat sich - aus päpstlicher Sicht- die legitime Herrschaft über Sizilien "erledigt" (nicht erst seit 1245, s.o. Anm.3). 18 Nach Raumer (Anm. 15), S. 530, handelte es sich dabei um den Adligen Robert von Bari. 19 Vgl. dazu Schlosser's Weltgeschichte VII, Frankfurt a. M. 1847, S. 324. 20 Kantorowicz (Anm. 11), S. 620. Dieser Einwand dürfte von Guido von Suzara oder Graf Robert von Flandern stammen, vehementen Verteidigern Konradins in jenem Prozess, vgl. Herde (Anm. 15), S. 64 und Raumer (Anm.15), S. 530,532. 21 Tatsächlich wurde auf den Verurteilten eine Bestimmung aus den Konstitutionen seines eigenen Großvaters (Friedrich 11., s. Anm.ll) angewandt, wonach ein Aggressor (invasor regni) sich des Majestätsverbrechens (crimen lese maiestatis) schuldig machte, worauf die Todesstrafe stand; Herde (Anm. 15), S. 63. - Konradin von Schwaben war zum Zeitpunkt seiner Hinrichtung 16 Jahre alt. 22 Robert 1., genannt "der Weise" (ca. 1275-1343), König von Neapel- Inselsizilien ist den Anjou in der Sizilianischen Vesper 1282 verloren gegangen. 23 Dieser Begriff für die "königslose" Periode zwischen dem Tod Konrads IV. 1254 und der Wahl Rudolfs von Habsburg 1273 hat sich eingebürgert, obgleich er historisch ungenau ist; es gab eher zu viele Könige, die in Deutschland um die Macht rangen. 24 Schulze, Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter 3, Stuttgart/Berlin 1998, S. 235. 25 Vgl. Heimpel, HbDG 1(1957), V. Abschnitt, S.45.
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1. Abschnitt: Ein Jahrtausend Tatbestände
Zeit zum Aufrüsten gewonnen und sperren den Weg nach Rom. 26 Auch hierin zeigt sich König Roberts Machtposition in Mittelitalien, für deren Gewinnung - aus Heinrichs Sicht: fatalerweise - das Amt des Reichsvikars, das die Anjou seit dem Interregnum innehaben, mit ausschlaggebend gewesen ist. Heinrich VII. kann die Ewige Stadt nur auf dem Seeweg erreichen. Am 29.6.1312 wird er zum Kaiser gekrönt, nicht ohne dass Robert von Neapel zuvor scharf dagegen protestiert hat: Das Kaisertum sei ein Ärgernis und ein "Verbrechen" gegenüber allen friedliebenden Fürsten der Welt. Zudem hat er versucht, Heinrich im Gegenzug für eine Duldung der Kaiserkrönung politische Zugeständnisse abzunötigen. Heinrich hat erkannt, dass Robert eine dauerhafte Gefahr für seine Position in Italien darstellt. Zwar hat der Papst dessen Drängen auf eine Abschaffung des Kaisertums nicht nachgegeben, gleichzeitig aber Heinrich bei Strafe des Kirchenbanns verboten, gegen Robert militärische Gewalt auszuüben. Hiergegen verwahrt sich der Kaiser schon am 1.8.1312: Im weltlichen Bereich habe der Papst dem Kaiser nicht zu befehlen 27 ; er führe auch nicht "Krieg" mit König Robert von Neapel, sondern wolle einen "Rebellen" züchtigen 28 , der seinen Kaiser und dessen Recht bekämpfe. Nicht in Rom, das er sieben Wochen nach seiner Krönung verlässt, sondern - nach dem Rat seiner Juristen - auf Reichsboden in Arezzo fordert er im September 1312 kraft kaiserlicher Allgewale9 den König als Majestätsverbrecher vor sein Gericht 30 und lässt ihm - da er trotz dreimaliger Ladung nicht erscheint3l - in Abwesenheit in aller Form den Prozess machen 32 • In Pisa wird am 26.4.1313 feierlich das Todesurteil über den als ehrlos Geächteten und Abgesetzten 33 gefällt. 34 Um 26 Die Darstellung folgt Grundmann, in: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte 5, Stuttgart 1999, S. 149f. sowie Schneider, Kaiser Heinrich VII., Greiz/Leipzig 1928, S. 145 ff., 166,262ff. 21 Ausfluss der aus dem 5. Jahrhundert stammenden Gelasianischen Zweigewaltenlehre (s. das päpstliche Schreiben an Kaiser Anasthasios 1.; FHIG I, S. 274). 28 Grundmann (Anm. 26), S. 153; Heimpel (Anm. 25), S.47; ebenso Schneider (Anm. 26), S.281. 29 Des Weiteren auch als Lehnsherr der - damals noch nicht französischen, sondern zum Reich gehörigen - Grafschaft Provence, die Robert über seinen Großvater Kar! geerbt hatte. 30 Grundmann (Anm. 26), S. 153; Schneider (Anm. 26), S. 283; zum Ganzen auch eingehend Ullmann, 64 E.H.R. (1949),1. Da Robert von Neapel bereits alle Maßregeln getroffen hatte, um keinem Boten des Kaisers den Zutritt in sein Gebiet zu gestatten, erfolgte die Ladung durch öffentlichen Anschlag der Urkunde am Portal des Bischofspalastes (vgl. die heutigen, ähnlichen Regelungen der §§ 203 Abs. 2, 204 ZPO). 3\ Vgl. Schulze (Anm.24), S.237. 32 Vgl. Const.IV/2, Nr.n 848f., 913. 33 Quaritsch, Staat und Souveränität I, Frankfurt a. M. 1970, S. 85. - Die Verurteilung Roberts von Neapel erfolgte zwar in dessen Abwesenheit, hingegen beruhte sie nicht auf dem rein formalen Grund des Ungehorsams gegenüber der Ladung, wie es bei dem berühmten Prozess Heinrichs des Löwen 1178-80 der Fall gewesen war. Vielmehr waren tatsächlich die materiellrechtlichen Gründe ausschlaggebend; man sah die Vorwürfe ohne weiteres als erwiesen an (s. a. Schneider [Anm. 26], S. 285). 34 Const. IV/2, Nr.946.
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es zu vollstrecken, rüstet Heinrich zum Angriff. Dem anschließenden Zug nach Neapel ist freilich kein Erfolg beschieden: Der Kaiser erkrankt plötzlich und stirbt am 24. August; sein Heer zerstreut sich. 35 Kaum dass er dies erfahren hat, hebt Papst Clemens V. den Richterspruch gegen Robert auf. 36 Er regiert unangefochten noch weitere 30 Jahre. Der vierte und letzte Beispielsfall dieser Epoche hat wieder die Anjoudynastie zum Bezugspunkt, unterscheidet sich aber im Übrigen auffallend von den Vorigen: Robert, dessen einziger Sohn schon 1328 gestorben war, hat das Königreich Neapel seiner Enkelin Johanna 37 hinterlassen. Diese hat einen ungarischen Prinzen geheiratet, der, nachdem er das Ansinnen gestellt hatte, vom bloßen Gatten der Königin selbst zur Königswürde aufzusteigen, von Dienern Johannas ermordet worden ist. Sogleich werden Stimmen laut, die Königin Johanna der Beteiligung an dieser Tat bezichtigen. 38 Als der ungarische König, der Bruder des Getöteten, Sühne fordernd mit seinem Heer vor Neapel erscheint, ergreift Johanna die Flucht in ihr anderes Erbland, die Provence. Sie begibt sich nach Avignon, wo seit 1309 die Päpste residieren. 39 Johanna ist sich darüber im Klaren, dass für sie nur dann eine reelle Chance auf die beabsichtigte baldige Rückkehr besteht, wenn sie sich von den Mordvorwürfen befreien kann. Papst Clemens VI. beruft auch tatsächlich ein aus Kardinälen zusammengesetztes Richterkollegium, vor welchem Königin Johanna als Angeklagte erscheinen soll. Der Prozess findet im Juni 1348 statt; Johanna hält eine Verteidigungsrede. Über Einzelheiten dieses Verfahrens ist kaum mehr überliefert, als dass es einem in Szene gesetztem Schauspiel geglichen haben soll.40 Johanna wird für unschuldig erklärt. 41
2. Eine Fürstin auf dem Schafott Nicht etwa nur, wie sich denken ließe, der dichterischen Phantasie Schillers entsprungen, sondern durchaus historisch ist der Prozess Maria StuartS. 42 Da zu ihrer Goetz, in: ders., Propyläen-Weltgeschichte IV, Berlin 1932, S.417. Bulle Pastoralis cura, vgl. Quaritsch (Anm. 33) m. w. N. 37 Johanna I. von Neapel (ca. 1309-82). 38 Tatsächlich sprechen gewichtige Indizien für eine solche Beteiligung; der Prinz wurde erst nach langen Kämpfen erdrosselt, während sich Johanna in einem Nebenzimmer befand; auch hat sie die Verfolgung der Mörder unterbunden. - Schlosser' s Weltgeschichte VIII, Frankfurt a. M. 1847, S. 193. 39 Vgl. Nys, Droit international 11, BfÜssel1912, p.333. 40 Vgl. Sismondi, Biographie Universelle XXI, p. 2; Schlosser (Anm. 38), S. 199. 41 Königin Johanna starb zwar später in Kerkerhaft, allerdings war dieser keinerlei Gerichtsverfahren, schon gar kein fremdstaatliches, vorausgegangen. Die vereinzelt anzutreffende Annahme, sie sei wie später Maria Stuart (hierzu sogleich) zum Tode verurteilt worden, ist irrig. 42 Der (Völker-)Rechtskonflikt um Maria Stuart nimmt in dem gleichnamigen Schillerschen Drama breiten Raum ein, was sich insbesondere an den Szenen im ersten (1. Auftritt [V. 86-109], dem gesamten 2. Auftritt, 5. Auftritt [Y. 373-378]. 7. Auftritt [V. 710-736] 35
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Person zahlreiche ausgezeichnete geschichtswissenschaftliehe Werke 43 (und literarische Adaptionen 44 ) verfügbar sind, mit denen in Konkurrenz zu treten nicht Ziel dieser Arbeit sein kann, dürfen die folgenden Ausführungen auf die wesentlichen Aspekte beschränkt bleiben. Allerdings gilt im Fall der Queen of Seots 45 in besonderem Maße, was auch schon für die im vorhergehenden Abschnitt geschilderten Verfahren zutraf - dass der Prozess von Fotheringhay Castle wirklich nur in einem größeren europäischen Zusammenhang verstehbar ist. 1568, nach einem fehlgeschlagenen Versuch, ihre innenpolitischen Gegner militärisch zu überwinden, muss die Königin der Schotten nach England fliehen. Von Anfang an, seit sie 1561 aus Frankreich zurückgekehrt war, um die Nachfolge ihres Vaters anzutreten, hat sie in Schottland einen schweren Stand gehabt, was sich auf den konfessionellen Gegensatz 46 , aber auch auf Streitigkeiten wegen der Machtambitionen der Lairds (sie) zurückführen lässt. Dass sie angeblich - was heute als erwiesen gelten darf - ihren Ehemann, Henry Darnley, hat ermorden lassen, brachte sie in weitere Bedrängnis. Vollends unhaltbar ist ihre Situation geworden, als sie den der Tat Hauptverdächtigen (James Hepburn, 4. Earl von Bothwell 47 ) geheiratet hat. Maria bittet die englische Königin Elisabeth um Asyl und Hilfe. Diese gerät in eine prekäre Lage: Einerseits hegt sie, in begreiflichem fürstlichen Widerwillen gegen die Revolution, wenig Sympathien für Untertanen, die ihren angestammten, rechtmäßigen Monarchen zu beseitigen trachten. 48 Aus diesem Grund, und um sich nicht den Anschein einer Billigung der Geschehnisse in Schottland zu geben, verbietet sie ihrem Edinburgher Botschafter Throckmorton, bei der Krönung des neuen Königs zugegen zu sein 49 • Andererseits hat ihr der Zufall eine Konkurrentin in die Hände gespielt, die bereits früher ausdrücklich Anspruch auf ihren eigenen, d. h. den englischen, Thron erhoben hatte 50 • Die Entfernung der Stuart von der Macht kommt 8. Auftritt [Y. 961-974]), zweiten (3. Auftritt [V. 1314-1325]) und dritten Akt (4. Auftritt [Y. 2295-2304]) zeigt.
43 Insbesondere ist hier Henderson - Mary, Environment and Tragedy, New York 1905 - zu nennen. 44 Es sei insoweit nur auf die Trilogie von Algernon Charles Swinburne (1865/74/81) hingewiesen. 45 Die Bezeichnung ist offiziell; einen König resp. eine Königin "von Schottland" gab es nicht. 46 Maria war katholisch; in Schottland hatte sich weitestgehend die radikal-calvinistische Lehre John Knox' (1505-72) durchgesetzt. 47 Auch Bothwell geriet später vor ein fremdstaatliches, sc. dänisches, Gericht; König Friedrich II. ließ ihn im Juni 1573 wegen Seeräuberei (!) verurteilen und einkerkern. Da er jedoch - im Gegensatz zu dem von ihm beseitigten Damley - niemals die schottische Königswürde innehatte, ist sein Fall im Rahmen dieser Untersuchung unmaßgeblich. 48 Vgl. Marcks, in: Goetz, Propyläen-Weltgeschichte V, Berlin 1930, S.287; Schlosser's Weltgeschichte XIII, Frankfurt a. M. 1852, S. 158. 49 Walker, History of the Law of Nations I, Cambridge 1899, p. 170. 50 Maria Stuart, eine Urenkelin des englischen Königs Heinrich VII., hatte schon 1559 Königswappen und -titel von England angenommen; der ein Jahr später ausgehandelte Edin-
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Elisabeth nicht ungelegen. Nichtsdestoweniger bedeutet schon deren bloße Anwesenheit in England für ihr eigenes, religiös noch gespaltenes Reich eine latente Gefahr. 51 Soll man sie stattdessen nach Frankreich abschieben? Auch diese Möglichkeit wird erwogen und wieder verworfen, denn dort leben viele einflussreiche britische Emigranten, die in ihr die legitime Erbin der englischen Krone sehen und für die sie zur Symbolfigur einer katholischen Rückeroberung der Insel zu werden droht. Der Staatsrat entscheidet schließlich dahin gehend, Maria unter Überwachung zu stellen, "as taken by right of War, and not be delivered, till she gave Satisfaction for usurping the Title of England 52 , and answered for the Death of Lord Damley53 her Husband, who was a native Subject of England."54
Dieser Schwebezustand währt 17 Jahre, dann spitzt sich der Konflikt zu. Das Massaker an französischen Hugenotten in der sog. Bartholomäusnacht 1572, vom König von Frankreich durchgeführt und vom Papst gebilligt, hat die Befürchtungen der englischen, protestantischen Führung verstärkt. Eine französisch-spanische Invasion - hinter der die römische Kurie steht - wird als nicht mehr unwahrscheinlich angesehen. Schon 1570 hatte Papst Pius V. vermittels der Bulle Regnans in excelsis Königin Elisabeth gebannt, sie für abgesetzt erklärt und ihre Untertanen von der Treuepflicht gegen sie entbunden; sein Nachfolger hat dies bestätigt. Derartige Anatheme wirken sich keineswegs nur kirchenintem aus - teilweise wird offen erklärt, es sei gerechtfertigt, ja gottgefällig, den Betreffenden zu töten: Erst 1584 ist Prinz Wilhelm von Oranien, Statthalter der Niederlande, umgekommen, der vier Jahre zuvor gleichfalls exkommuniziert worden war 55 • Und Maria Stuart - um einen Verbündeten für sich zu gewinnen, Protektion zu erhalten und die Freiheit wiederzuerlangen - hat bereits zweimal (1577 und 1585) ihre königlichen Herrschaftsansprüche auf Schottland und England an Philipp 11. von Spanien abgetreten. 56 Sie soll ausgeschaltet werden; vor einem heimlichen Mord schreckt man am englischen Hof andererseits zurück: So wird nach einem Anlass gesucht, der es ermöglicht, die Fürstin "legal" zu beseitigen. Eine solche Gelegenheit bietet sich 1586 anlässlich des landläufig als "Babington-Verschwörung" bekannten Komplotts. Anthony Babington hat gemeinsam mit burgher Vertrag, in dem sie hierauf verzichtete, wurde nicht ratifiziert, vgl. Schlosser (Anm.48), S. 141. 51 Kluxen, Geschichte Englands, 4. Aufl., Stuttgart 1991, S. 222; Marcks (Anm.48). 52 Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass sich die englischen Könige ihrerseits bis ins 18. Jahrhundert hinein in Staatsurkunden u. a. als Kings 01 France bezeichneten, vgl. Martens, Völkerrecht I, Berlin 1883, S. 305. 53 Im Original "Darly". 54 Zitiert nach Camden, Elizabeth, late Queen of England, Chicago 1970 (1" ed. London 1630), p. 91. Camden hatte die fraglichen Ereignisse am Londoner Hof noch miterlebt. 55 Mander, in: Schultz (Anm.3), S. 135. - Die Parallele zu anderen Religionsführern, die auch noch im späten 20. Jahrhundert zu Anschlägen gegen Glaubensabtrünnige aufforderten, ist offensichtlich. 56 Vgl. Kluxen (Anm. 51), S. 223 f. 3 Tangennann
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einer Gruppe junger Katholiken - beeinflusst von Marias Botschafter in Frankreich - beschlossen, Elisabeth umzubringen und Maria auf den englischen Thron zu setzen. 57 Der englische Geheimdienst, von Anfang an im Bilde, hat den Briefwechsel zwischen Babington und Maria in die Hand bekommen, in dem von beiden Seiten von dem Anschlag auf Königin Elisabeths Leben die Rede gewesen ist. Zwar hat Maria Stuart dieses Vorhaben weder expressis verbis noch indirekt gutgeheißen, doch ist dieser Umstand unschädlich: Nach dem 1584 in Kraft getretenen Actfor the Queen's Savety macht sich nicht nur strafbar58 , wer der Königin nach dem Leben trachtet, sondern überdies auch derjenige, zu dessen Gunsten dies geschieht, zumal wenn er von dem Attentatsplan Kenntnis hat. 59 Die Verhandlung findet am 14./15. Oktober statt, allerdings nicht vor einem regulären englischen Gericht; vielmehr ist ad hoc ein Gremium von 46 "handverlesenen" Commissioners 60 berufen worden. Eine weitere Besonderheit61 : Diesen ist nur die Untersuchung hinsichtlich der erhobenen Vorwürfe - und, darauf fußend, ein prinzipieller rechtlicher Schluss, schuldig oder nicht schuldig - anvertraut; eine konkrete Rechtsfolge sollen sie nicht anordnen. Noch bis unmittelbar vor Sitzungseröffnung hat es den Anschein gehabt, dass der Prozess ohne Beteiligung der Hauptbetroffenen würde ablaufen müssen. Auf die Ladung hin hat Maria Stuart unmittelbar erklärt, sie verwerfe das Gericht und dazu ausgeführt: ,,[ ... ] it seemeth strange to me, that the Queen should command me as a subject, to submit my self to a Trial. I am an absolute Queen, and will doe nothing which may be prejudicial either to Royal Majesty, or to other Princes of my place and rank. ,,62
Daraufhin ist ihr erwidert worden, man werde in jedem Fall, auch in ihrer Abwesenheit, verhandeln. 63 Sie begebe sich durch ein Fernbleiben - die Möglichkeit einer zwangs weisen Vorführung hat man nicht in Erwägung gezogen - nur der Gelegenheit einer persönlichen Verteidigung. Als die Fürstin dann vor den Commissioners erscheint, wiederholt sie ihre Verwahrung, will ihren Rechtsstandpunkt protokolliert wissen. 64 Letzterem kommt man nach, betont aber sogleich das Gewicht und die Tragweite der zu überprüfenden Vorwürfe, vor deren Hintergrund ihrem Einspruch Vgl. Camden (Anm.54), pp. 227 et seq. s.a. Nys (Anm.39). Walker (Anm.49), p. 171. 59 Vgl. Bowen, Maria Stuart, Berlin 1934, S.434, 453. Duchein (Maria Stuart. Die Frau und der Mythos, Zürich/Düsseldorf 1998, S. 390) bemerkt zutreffend, dass dieses Gesetz schon den Zeitgenossen skandalös erschien, da dem englischen Recht eine "Kollektivschuld" fremd war. 60 Camden (Anm. 54), pp. 239 et seq. führt sie namentlich auf. 61 Zumindest verglichen mit den oben in Kap. I. 1. geschilderten Fällen sowie in kontinentaleuropäischer Hinsicht; der englischen Strafprozessrechtstradition entspricht eine derartige "Aufspaltung" durchaus, vgl. insoweit nur Bailey/Gunn, The Modern English Legal System, 2 nd ed., London 1991, pp. 749-822. 62 Zitiert nach Camden (Anm.54), p.242 (Camdens Bericht basiert auf den [nicht mehr zugänglichen] gerichtlichen Protokollen; die Orthographie ist authentisch). 63 V gl. ibid., p. 243. 64 lbid., p. 248; Walker (Anm. 49), p. 172. 57
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jedenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung zuwachsen könne. Der Lordkanzler65 verweist auf die - sich mit der seinigen deckenden - Rechtsauffassung des Staatsrats, wonach jeder - gleich welchen Ranges oder Amtes -, der in England gegen englisches Recht verstoße, auch eben diesem Recht unterworfen und verantwortlich sei. 66 Im Verlauf des sich anschließenden Verfahrens wird das durch den (nun aktenkundigen) Protest der Angeklagten virulent gewordene Problem ihrer etwaigen, innerstaatlich oder völkerrechtlich zu achtenden, persönlichen Freiheit von der Gerichtsbarkeit erneut zur Sprache gebracht. 67 Wie es englischer Prozesstradition entspricht, bemüht sich die Kommission um Präjudizien 68 und führt in diesem Zusammenhang u. a. die eingangs geschilderten69 Beispielsfälle an 70 • Im Übrigen ziehen sich die Richter vereinzelt auf andere Rechtspositionen zurück, die sie für den konkreten Fall als bedeutsam erachten, nämlich dass es sich bei der Queen 01 Scols lediglich um eine Titularkönigin handele bzw. sie sich dem Rechtsspruch selbst unterstellt haben soll.71 Die Verurteilung erfolgt am 25.10.1586 bei nur einer Gegenstimme mit der Feststellung, dass Maria unter Zuwiderhandlung gegen den Ac! von 1584 verderbliche Anschläge auf das Leben und die Sicherheit von Königin Elisabeth unternommen haben. Die Rechtsfolgenfestsetzung - grundsätzlich ist, da der fragliche Ac! den Tatbestand als Hochverrat definiert, in konsequenter Weiterführung die Todesstrafe zu erwarten 73 - wird vorerst noch aufgeschoben; Königin Elisabeth beruft, ausschließlich dieser Sache wegen, das Parlament ein und lässt bei den Kammern das Urteil der Commissioners vorlegen. Sowohl das House 01 Lords als auch das der Commons zeigen sich mit den Richtern übereinstimmend, bitten die Königin, deren Spruch zu bestätigen und Maria Stuart zum Tode zu verurteilen. Dies geschieht am 25. November; mit dem Ausführungs-, d. h. Hinrichtungsbefehl zögert sie noch bis zum Februar. 74 In dem Bemühen, die Verantwortlichkeit für die Exekution von sich Sir Thomas Bromely, einer der Commissioners. VgL Walker (Anm. 64). 67 Abgesehen von der reinen Tatfrage spielte noch ein weiteres Rechtsproblem eine Rolle, und zwar, ob die normative Grundlage der Verurteilung nicht möglicherweise unzulässig genau im Hinblick auf Maria Stuart persönlich, und nur auf sie, geschaffen worden war, es sich demnach - um diesen Terminus zu verwenden - um ein ,.Einzelfallgesetz" handelte. Die englische Regierung hat sich gegen diese Unterstellung nachdrücklich verwahrt, s. Camden (Anm. 54), p.261. 68 Vgl. nur Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 6. Autl., München 1998, S. 32 ff.; BaileylGunn (Anm. 61), pp. 369-407. 69 V gl. oben sub Kap. I. 1. 70 Vgl. Walker (Anm. 49), pp. 172 et seq. 71 Dazu im Einzelnen s. u. 3. Abschn., Kap. I. 1. b). 72 ,,[ ••• ) hath compassed and imagined within this Realm of England divers Matters to the hurt, death and destruction of the Royal Person [ ... ), contrary to the Form ofthe Statute in the Commission aforesaid specified", zitiert nach Camden (Anm. 54), p. 259. 73 Vgl. Bowen (Anm. 59), S. 453. 74 Vgl. Schlosser (Anm. 48), S. 252. 65
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zu weisen, verordnet sie zunächst die Anbringung des Großsiegels auf der Urkunde und gebietet anderntags ihrem Kabinettssekretär Davison orakelhaft, nicht übereilt zu handeln; er möge wissen, was zu tun sei. 75 In der Ungewissheit darüber, welches der eigentliche Wille der Königin ist, wendet sich Davison an den Staatsrat16, der konstatiert, die Königin habe alles ihrerseits Erforderliche getan, so dass man nun ohne weiteres zur Vollziehung des Urteils schreiten könne. 77 - Am 8.2.1587 (dem 18.2. des neuen Kalenders) besteigt Maria Stuart das Schafott.
3. Der Prozess, der nicht stattfand 1654 versetzt Königin Christina, Tochter und Erbin des legendären Schwedenkönigs Gustav 11. Adolf, ihr Reich und ganz Europa in Erstaunen, indem sie - um nicht aus dynastischen Gründen eine Ehe eingehen zu müssen und zum Katholizismus konvertieren zu können 78 - freiwillig dem Thron entsagt. 79 Nichtsdestoweniger hat sie sich die Zuerkennung königlicher Ehren, eine großzügige Alimentierung durch den schwedischen Staat sowie volle Rechtsgewalt über die Angehörigen ihres Gefolges und Haushalts ausbedungen. In den kommenden Jahren lebt sie an verschiedenen Orten in Italien und (dort insbesondere) Frankreich, wo man ihr ebenfalls, ungeachtet der Abdankung, die üblichen Majestätsrechte bezeugt 8o • Zwischenzeitlich ist ihr politischer Ehrgeiz erwacht; sie tritt in Geheimverhandlungen mit dem französischen Premierminister Kardinal Mazarin und dem Herzog von Modena ein, um das (noch unter der spanischen Krone stehende) Königreich Neapel zu erwerben, welches dann nach ihrem Ableben einem französischen Prinzen 81 zufallen soll. Am 22.9.1656 gipfeln die Absprachen in einem - gleichfalls geheim gehaltenen - Vertragsabschluss. 82 Dieser Pakt scheint indes gegen Ende 1657 in europäischen Diplomatenkreisen bekannt zu werden. Christina, die sich gerade in Fontainebleau aufhält, befiehlt daher - auf den bloßen Verdacht hin - die Exekutierung ihres Kammerherrn Monaldeschi unter dem lbid., S. 253. Zunächst an dessen Mitglied William Cecil (Lord Burleigh), der dann die übrigen Räte in Kenntnis setzte. 77 Ob es sich, wie Kluxen (Anm. 51), S. 225 meint, hier um eine Eigenmächtigkeit i. e. S. oder eher um vorauseilenden Gehorsam entsprechend dem wirklichen Willen Elisabeths I. gehandelt hat - so Schlosser (Anm.48), S. 253 f. -, ist bis heute unklar. 78 Vgl. Stolpe, Königin Christine (sic) von Schweden, Frankfurt a.M. 1962, S.65, 128. 79 Dass ein Monarch rein privater Motive wegen abdankt, ist also keineswegs erstmals 1791 (Markgraf Alexander von Brandenburg-Ansbach und Bayreuth) oder gar erst 1936 (Edward VIII. von Großbritannien) vorgekommen. 80 Vgl. nur Calvo, Le droit international I, 3e ed., Paris 1880, p. 572. 81 Philipp von Anjou, Bruder Ludwigs XlV. 82 Der sog. Geheimvertrag von Compiegne ist von dem schwedischen Historiker Martin Weibull gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Paris aufgefunden und von dessen Sohn Curt veröffentlicht worden, vgl. Stolpe (Anm. 78), S. 272. 75
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Vorgeben, er habe ihr Vorhaben den Spaniern hinterbracht. 83 Mitglieder ihrer Leibgarde erdolchen ihn. 84 Der Tod Monaideschis sorgt für erhebliche Irritationen. Die Handlungsweise Christinas, die man allgemein sogleich als Urheberin der Bluttat ansieht, erscheint grausam und vor allem willkürlich. Schon kommen Stimmen auf, die regelrechte Untersuchung der Angelegenheit und, falls tragfähig, eine Mordanklage fordern; ein Verbrechen bliebe auch dann ein solches, wenn es von Angehörigen eines Herrscherhauses begangen werde 85 • Christina hält dem entgegen: Nicht nur, dass sie - ihrer königlichen Stellung wegen - in dem Sinne einer Nichtverantwortlichkeit vor der französischen Justiz gewissermaßen exterritorial 86 sei, sondern auch dergestalt, dass ihr Vorgehen durchaus rechtens gewesen wäre 87 : Die Exterritorialität beinhalte neben der Abwehrfunktion noch das gewissermaßen positive Element, selbst Rechtsprechungsfunktionen ausüben zu dürfen 88 • Monaideschi habe sich einer todeswürdigen Unternehmung gegen sie schuldig gemacht; folglich sei sie befugt gewesen (und zwar vorrangig befugt, obschon seine Tat zweifelsfrei auf französischem Ter83 Schilderung nach: EncycIopredia Britannica, Christina of Sweden unter . Mit die detaillierteste Darstellung übermitteln Martens' "Nouvelles causes celebres" 11, Leipzig/Paris 1843, p. 534 et s. 84 Am 10.11.1657; Martens, loc. cit. 85 Einen Rechtfertigungsversuch unternahm dagegen Leibniz in "De Jure Suprematus", o. O. 1677 (Neudruck Berlin 1963), cap. VIa. 86 Eine erst wenige Jahrzehnte früher von Grotius in "De iure belli ac pacis" begründete Fiktion; Liber 11, cap. XVIII, § IV, 5. 87 Sowie auch im sittlichen Sinne "gerecht", vgl. Stolpe (Anm. 78), S. 283. 88 Bijnkershoek, De foro legatorum, Leiden 1721, cap. III. - Eine umfassende Berechtigung der Staatsoberhäupter, auffremdem Territorium Prozesse durchzuführen und Urteile zu fallen, war völkerrechtlich zu keiner Zeit anerkannt. Aus diesem Grund musste auch Heinrich VII., um das Verfahren gegen Robert von Neapel eröffnen zu können, zuerst Rom verlassen und sich wieder auf Reichsboden begeben (s. o. Kap. I. 1. [dort bei Anrn. 30]). Zu den besonderen Jurisdiktionsbefugnissen des Staatsoberhaupts im Ausland über seine Suite, die "Souveränen" früher grundsätzlich zugestanden wurden und die auch Christina von Schweden im Fall Monaideschi für sich in Anspruch nahm, vgl. Despagnet, Cours de droit international public, 2< ed., Paris 1899, p.245; Phillimore, Commentaries upon International Law 11, 3,d ed., London 1882, p. 137 m. w. N. Christina hatte die (Völker-)Rechtslage verkannt; nach der Staatenpraxis kam allenfalls die Wahrnehmung der Zivi/gerichtsbarkeit in Betracht. Die Ausübung einer absoluten Gewalt über Personen des Gefolges wurde demgegenüber jedenfalls in der Neuzeit nicht mehr gebilligt, worauf Despagnet, loc. eit. und Jennings/Watts, Oppenheim 's International Law 1 (2), 9th ed., London 1992, p. 1039 (note 12) m. w. N. in Bezug auf Auslandsaufenthalte des türkischen Sultans resp. des Schahs von Persien hinweisen. Hinzuzufügen ist, dass Christina im Ausland ein Recht - ohne förmliches Gerichtsverfahren die Todesstrafe zu verhängen - geltend machte, weIches ihr nicht einmal während ihrer Regierungszeit auf eigenem Territorium zukam. Für das heutige Völkerrecht gilt, dass sich vergleichbare Judikativakte auf fremdem Staatsgebiet ohne den Willen des betreffenden Staats generell verbieten, vgl. die Entscheidung des StlGH im Lotus-Fall (P.C.I.J. Sero A No. 10 [1927], 18, 68); Doehring, Völkerrecht, Heidelberg 1999, Rdnr. 88; Geck, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts I, 2. Aufl., Berlin 1960, S.795.
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ritorium geschehen wäre), ihn, der ihrem Gefolge zuzurechnen war, kraft des Rechts der Völker selbst abzuurteilen 89 • Im Einzelnen brauche sie hierüber keine Rechenschaft abzulegen. Dazu kommt es in der Tat nicht. Noch bevor sich das Parlement de Paris, dessen Richter sich zumindest nicht von vornherein für unzuständig erklären wollen, näher mit dem Fall befassen kann, handelt die französische Regierung - und beschränkt sich darauf, Christina von Schweden des Landes zu verweisen. 90,91 4. Wem gehört Oranien? Bekanntlich besteht heutzutage für die UN-Mitgliedstaaten eine aktive 92 Verpflichtung 93, zwischen ihnen schwelende Streitigkeiten, einschließlich solcher territorialer Natur, durch friedliche Mittel, zu denen anerkanntermaßen gerichtliche oder schiedsgerichtliche Verfahren zählen, beizulegen. 94 Doch auch schon in früheren Jahrhunderten sind derartige Bemühungen und Erfolge nachweisbar; haben souveräne Fürsten Gebietskonflikte keineswegs allein mit Waffengewalt auszutragen verstanden. 95 Für deren Lösung stattdessen einen ordentlichen gerichtlichen Prozess einzusetzen, bemühten sich die Fürsten von Nassau im sog. Oranischen Erbfolgestreit96 mit zwei preußischen Königen. 97 Alsbald nach seiner Rangerhöhung wird der Hohenzoller Friedrich I., seit 1701 König in (sie) Preußen, öffentlich als Beklagter vor ein niederländisches Gericht ge89 Vgl. Feraud-Giraud, Etats et Souverains I, Paris 1895, p. 177 et s.; HeffterlGeffcken (Anm.9), S. 130. 90 Vgl. Bluntschli, Das modeme Völkerrecht der civilisirten Staten, 2, Aufl., Nördlingen 1872, S. 119; Martens (Anm. 83), p, 545 ets.; Phillimore (Anm, 88), p.150, 91 In gleicher Weise war 56 Jahre zuvor, übrigens entgegen der Stellungnahme seiner Kronjuristen, König Heinrich IV. von Frankreich mit Carl Emanuell. verfahren. Der auf den französischen Thron spekulierende savoyische Herzog, anders als Christina damals noch regierend, hatte sich nach dem für ihn ungünstigen Frieden von Lyon (1601) - mit heimlicher Unterstützung Spaniens - auf eine Konspiration gegen Heinrichs Leben eingelassen (v gl. d' Aubigne, Histoire universelle III, Amsterdam 1626, V/5-14). 92 Als notwendige Ergänzung des Gewaltverbots, vgl. die Nordsee-Festlandsockel-Fälle, I. C. J. Reports 1969, 47 (para. 86). 93 Art. 2 Nr. 3; s, a, Art. 1 Nr.l und Kapitel VI der Charta. 94 So hatte sich der IGH in zahlreichen Fällen mit der Frage zu befassen, ob ein bestimmtes streitiges Gebiet rechtmäßig zu einem bestimmten Staat gehört. Aus neuerer Zeit seien beispielhaft die Entscheidungen zu den Grenzstreitigkeiten zwischen EI Salvador und Honduras (I.C.J.Reports 1992,351) sowie Libyen und dem Tschad (Reports 1994,6) erwähnt. 95 Hier ist insbesondere der Schiedsspruch Papst Alexanders VI. zu nennen, der die anlässlich der überseeischen Entdeckungen aufgekommenen territorialen Interessenkonflikte zwischen dem spanischen und portugiesischen König zum Ausgleich brachte, was mit dem Vertrag von Tordesillas (7.6.1494) besiegelt wurde. 96 Zu den Hintergründen vgl. Vetter, in: Lademacher, Oranien-Nassau, die Niederlande und das Reich, Münster 1995, S.102-104. 97 Inwieweit die Alternative der gewaltsamen Selbsthilfe in diesem Konflikt andererseits überhaupt bestanden hatte, braucht hier nicht vertieft zu werden,
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laden. Nach dem kinderlosen Tod Wilhelms III. von Oranien-Nassau 98 hat er die Grafschaften Moers und Lingen in seinen Besitz gebracht, die ihm - sofern sie ihm nicht ohnedies bereits gehört haben sollten 99 - jedenfalls als Rechtsnachfolger des Verstorbenen zustünden. 100 Daraufhin legt der Gerichtshof von Holland auf Antrag der Mutter und Vormundschaft des Prinzen Friso von Nassau-Dietz, den Wilhelm III. zum Erben eingesetzt hat, am 3.3.1703 Arrest auf sämtliche vom Preußenkönig beanspruchten in dieser Provinz befindlichen Nachlassgüter 101 • 102 In der Ediktalladung wird Friedrich I. angedroht, aller seiner Ansprüche verlustig zu gehen, falls er nicht persönlich im Haag erscheine oder sich zumindest durch einen Bevollmächtigten ordnungsgemäß vertreten lasse. Obschon der König an dieser Behandlung Anstoß nimme 03 , weist er seinen Gesandten bei den Generalstaaten an, zunächst an seiner statt vor dem Gerichtshof aufzutreten, unternimmt aber im Lauf der nächsten Jahre, u. a. eigens zu diesem Zweck, auch selbst mehrere Reisen in die Niederlande und gibt streitige Erklärungen zur Sache ab 104. 105 Als 1716 eine für die Hohenzollern ungünstige Entscheidung fallt, legt Friedrich Wilhelm I., der seinem Vater zwischenzeitlich auf den Thron gefolgt ist, Berufung hiergegen ein. Im weiteren Verlauf des Rechtsstreits geht es aus aktuellem Anlass nun überdies um die Nachfolgeansprüche an dem Fürstentum Oranien 106, das der König im Frieden von Utrecht 107 ungeachtet scharfer Proteste beider Nassauer Häuser an Frankreich abgetreten 108 hat. Obgleich er diesen Prozess in der Folgezeit dann 98 1650-1702, seit 1672 Statthalter von Holland und Seeland sowie "Generalkapitän" der Niederländischen Republik. 1688 wurde Wilhe1m III. als Nachfolger seines Schwiegervaters Jakob 11. Stuart zudem König von England - dazu gehörte auch Irland - und Schottland. 99 Als zu Kleve resp. Tecklenburg gehörende Gebietsteile. 100 s. die bei de Lamberty, Memoires 11, 2" ed., Amsterdam 1735, p. 359-363 abgedruckten Gutachten der preußischen Regierung. - Im Übrigen machten auch die Fürsten von NassauSiegen Ansprüche geltend. 101 Gleiches war bereits 1668 dem spanischen König Karl 11., 1689 dem Herzog von Mecklenburg und 1696 den Erben Herzog Jakobs von Kurland auf Betreiben ihrer holländischen Gläubiger widerfahren; vgl. Bijnkershoek (Anm. 88), cap. IV. s. a. unten in Anm. 164 (Kap. 11.4.). 102 V gl. de Lamberty (Anm. 100), p. 367. 103 lbid., p. 374. - Näheres zum "Stein des Anstoßes" unten in Abschnitt 3, Kap. I. 2. 104 Vgl. Phillimore (Anm. 88), p. 142. 105 Eine weitere Komplikation trat durch die Einmischung Kaiser Josephs I. ein, der Friedrich 1706 (auch) für Moers in den Reichsfürstenstand erhob. 106 Nach seiner Hauptstadt auch "Orange", vonnals eine südfranzösische Enklave. 107 Wiedergegeben in 28 CTS 141. 108 Ludwig XIV. hatte Oranien im Rahmen seiner sog. Reunionspolitik bald nach seinem Regierungsantritt besetzen lassen. Im Zusammenhang mit den entsprechenden Nachfolgeansprüchen wurde 1682 bzw. 1687 auch schon Wilhelm III. selbst in Prozesse verwickelt (vgl. deLamberty [Anm. 100], p. 369,379,398). Unangefochten herrschten die Nassauer dort nur etwas über fünf Jahre lang, nachdem ihnen der Besitz dieses Fürstentums im Rijswijker Frieden (20.9.1697, 21 CTS 409 [dort Art. XIII]) bestätigt worden war. Dennoch bemächtigte sich der Prinz von Conty bereits ein Jahr nach dem Tod Wilhe1ms III. des Landes und überließ es dem König von Frankreich erneut.
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1. Abschnitt: Ein Jahrtausend Tatbestände
nicht weiter vorantreibt, ergeht schließlich (18.7.1719) ein weiteres Urteil, welches den Spruch der Vorinstanz aufhebt. 109 Endgültig beigelegt wird der Erbfolgestreit indes erst dreizehn Jahre darauf im Vergleichs wege durch den Vertrag von Dieren 110 werden 111.
11. Kuratel und Kriegsverbrechen - neunzehntes und erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Im Verlauf des 19. Jahrhunderts beginnen sich die Präjudizien zu häufen. Immer öfter werden Staatsoberhäupter - teilweise amtieren bzw. regieren sie noch, teilweise nicht - vor die Rechtsprechungsorgane fremder Staaten zitiert. Ebenso rufen sie nun auch selbst solche Gerichte an ll2 • Anders als in den vorangegangenen Epochen handelt es sich dabei nicht mehr vornehmlich um von dem Gedanken an Schuld und Sühne geprägte "Nebenkriegsschauplätze" der großen Politik, sondern erstmals auch um (es sei mit aller Vorsicht gesagt) "gewöhnliche" Zivilprozesse. Diese betreffen z. B. einmal die nicht bezahlten Brillanten der ehemaligen Königin von Spanien 113; dann wieder sind der Aufbau einer Verwaltungsfachschule in Ägypten im Auftrag des dortigen Herrschers 114 oder die offenen Rechnungen für durch Sultan Said Ali von Sansibar in Anspruch genommene Heilmassagen 115 Verfahrensgegenstand. Doch kommt es gleichermaßen vor, dass historisch bedeutsame Ereignisse quasi zivilrechtliche Schatten werfen, wie in der durch den Pariser Juwelier Lemaltre anhängig gemachten Klage gegen Kaiser Franz Joseph von Österreich. Dabei geht es um eigens angefertigte Ordenszeichen, die Maximilian von Mexiko (ebenfalls ein Habsburger) bestellt hatte - und die, da das kurzlebige mexikanische Kaiserreich bereits wieder Geschichte ist, niemals abgenommen worden sind. 116,117 Ein weiteres aus dem Rahmen fallendes, von der völkerrechtlichen Literatur manches Vgl. Bijnkershoek (Anm. 101). Vom 14.5./16.6.1732,33 CTS 487. 111 s. Vetter (Anm. 96), S. 104. 112 An dieser Stelle seien nur die Prozesse König Ferdinands VII. von Spanien mit dem Handelshaus Hullet & Widder, (1828) 2 Bli. N.S. 31, (1833) 7 BIi. N.S. 359, die Auseinandersetzung des österreichischen Kaisers (in seiner streitigen Eigenschaft als König von Ungarn) mit dem ungarischen Exilpolitiker Laszl6 Kossuth 1861, der bereits die Ausgabe einer neuen Landeswährung betrieb (1 B.I.L.C. 22,45) sowie aus dem 20. Jahrhundert der Sorgerechts streit um - den heute regierenden Fürsten - Rainier von Monaco ([ 1937] 157 L. T. 231) und der bekannte Sultan of Johore v. Abukabar Tunku-Fall ([1952] A.c. 318) erwähnt. 113 Vgl. deHeyking, L'exterritorialite, Paris 1926, p.129. 114 Ibid.; Phillimore (Anm.88), pp. 145 et seq. Der Kläger leistete seine Dienste, musste nach zunehmenden Problemen mit der ägyptischen Administration Kairo verlassen und verlangte Schadensersatz. 115 Vgl. Clunet44 (1917),1465. 116 Vgl. R.D.1. IV (1872), 153,655; V (1873), 245; Auszüge des Urteils auch bei FeraudGiraud (Anm. 89), 11, p. 351. 111 Zu weiteren Präjudizien aus dem genannten Zeitraum vgl. unten 3. Abschn., Kap. 11. 1. 109 110
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Mal zitiertes, aber seinen Hintergründen nach wenig bekanntes Beispiel hierfür stellt das Verfahren dar, das der - entthronte - Herzog von Braunschweig 1843 gegen den König von Hannover anstrengt - vor einem britischen Gericht. 118 1. Der braunschweigische Verfassungskonflikt und seine Folgen 13 Jahre früher war der seit längerem schwelende braunschweigische Verfassungskontlikt l19 zum offenen Aufstand eskaliert, hat Herzog Karl überstürzt das Land verlassen 120 und sich zunächst zu seinem Onkel, König Wilhelm IV. von Großbritannien und Hannover, nach Brighton begeben. Unterdessen haben die Wortführer der Braunschweiger Revolte 121 die Herzogskrone bereits Karls jüngerem Bruder Wilhelm angetragen. Um den eigenen -legitimistischen - Rechtsstandpunkt nicht preiszugeben, lässt Karl sich überzeugen, dem Bruder zunächst eine auflösend bedingte Vollmachtl 22 zu erteilen: Wilhelm solle als Generalgouverneur vorläufig die Regierung führen, jedoch nur provisorische Ernennungen vornehmen und an den Verfassungs grundlagen nichts ändern. Der Bruder ist mit dieser Lösung zufrieden; doch die Minister, die Landstände und Stadträte warnen ihn - erst ernst, dann drohend -: Auf den verhassten Karl dürfe er sich nicht beziehen, sonst breche der Aufruhr von Neuem los. Als kurze Zeit später die Volksmenge auf dem Burgplatz zusammenströmt und abwechselnd "Nieder mit Karl" schreit und Hochrufe auf den "neuen Herzog Wilhelm" ausbringt, verkündet Wilhelm, er habe sich "veranlasst gefunden, die Regierung bis auf weiteres zu übernehmen" - wie es jedermann erscheinen muss (und soll), aus eigenem Antrieb; die Vollmacht seines Bruders erwähnt er nicht. Karl, der argwöhnt, sein Bruder habe ihn und sein Thronrecht dem eigenen Ehrgeiz geopfert, greift zur Selbsthilfe. Ein gewaltsamer Restaurationsversuch gerät indes zur Groteske. Nachdem er verschiedene Proklamationen an "sein Volk" erlassen hat, die von Mal zu Mal größere Versprechungen "ultrademokratischer" 123 Art enthielten, will er schließlich an der Spitze in Preußen geworbener 118 Was dem ersten Anschein nach kurios wirkt, erklärt sich zwanglos aus der deutschen Geschichte des 18./19. Jahrhunderts, hier konkret den Bindungen der sowohl in Braunschweig als auch Hannoverregierenden welfischen Fürstenhäuser und der von 1714-1806 und 1813-37 andauernden Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover. 119 Hierzu s. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte 11, 3. Autl., Stuttgart/Berlin 1988, S.46ff. m. W.N. 120 Tatsächlich handelt es sich bei dem Fall Karls 11. um die einzige Absetzung - nicht etwa Abdankung, wie z. B. bei Ferdinand I. von Österreich 1848 - eines deutschen Fürsten im 19. Jahrhundert infolge revolutionärer Entwicklungen. 121 Ausgezeichnete Darstellungen der Ursachen und der historischen Einzelheiten finden sich bei Böse, Kar! 11., Braunschweig 1956, S. 95ff. und Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert IV, Neue Ausgabe, Leipzig 1927, S. 98 ff. 122 Nicht, wie Huber (Anm. 119), S. 54 annahm, "bis auf Widerruf'; die Vollmacht war erklärtermaßen nur für die Zeit der Abwesenheit von seinen Erblanden konzipiert; wiedergegeben bei Böse, a. a. 0., S. 149. 123 Zumindest aus damaliger Sicht, u. a. "völlige Steuer- und Abgabenfreiheit für die ärmeren Volksklassen", gleiches Wahlrecht und hinsichtlich der Gemeinden Selbstverwaltung so-
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1. Abschnitt: Ein Jahrtausend Tatbestände
Abenteurer (an die er als Erkennungszeichen - ausgerechnet - französische Revolutionskokarden verteilt hat) die Grenze überschreiten, ergreift aber mitsamt seinen "Truppen" augenblicklich die Flucht, als sich die bereits aufmarschierte braunschweigische Infanterie zum Feuern fertig macht. 124 Nunmehr handelt auch der Frankfurter Bundestag. Der Bundesbeschluss vom 2.12.1830 fordert Prinz Wilhelm auf, die Regierung in Braunschweig bis auf weiteres zu führen. Die Hauptfrage, nämlich welchem der Brüder die Regierungsgewalt des Landes rechtmäßig zustehe, lässt er dagegen offen. Wissend, dass dies nach dem Legitimitätsprinzip - für den Deutschen Bund ein Fundamentalgrundsatz - evident Karl ist, dass die geschaffenen Fakten andererseits ohne eine militärische Intervention in Braunschweig nicht wieder rückgängig zu machen sind - wofür sich keine Mehrheit findet -, ermächtigt der Bundestag die welfischen Agnaten 125 , die definitive Entscheidung vorzubereiten. Obschon sich Herzog Karl sogleich gegen diesen Beschluss verwahrt, ergeht die Entscheidung der Agnaten - auf preußisches Betreiben 126 - mit dem zu erwartenden Inhalt: Am 10.3.1831 teilen sie dem Bundestag mit, sie hätten sich von der "absoluten Regierungsunfähigkeit" Herzog Karls überzeugt; daher sei die Regierung des Herzogtums "als erledigt" zu betrachten, ihres Erachtens wäre die Herrschaft damit definitiv auf Herzog Wilhelm als den nächsten männlichen Verwandten des "depossedierten Fürsten" übergegangen. 127 Hierbei bleibt es; der Bundestag kommt 1832 nur insoweit auf die Angelegenheit zurück, als er förmlich auf eine weitere Sachentscheidung - die er sich ursprünglich vorbehalten hat - zu dem Beschluss der Agnaten verzichtet l28 und sich so diesen zu Eigen macht. Im Hinblick auf den unternommenen Restaurationsversuch (und befürchtete weitere) sehen sich die Agnaten alsbald zu einem zweiten Schritt genötigt: Herzog Karls beträchtliches, z. T. in Großbritannien belegenes Privatvermögen wird unter wie Wahl ihrer Beamten und Richter. Abdruck der Proklamationen bei Ilse, Die braunschweigisch-hannoverschen Angelegenheiten, Berlin 1863, S.448ff. 124 Vgl. nur Gervinus, Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts seit den Wiener Verträgen VIII, Leipzig 1866, S. 695 f. sowie Treitschke (Anm. 121), S. 111. - Es ist nur zu offensichtlich, dass dem Herzog bei dieser Aktion eine Rückkehr nach dem Muster der Landung Napoleons in Cannes am 1.3.1815 vorschwebte. 125 (Männliche) Verwandte im Mannesstamm. Konkret waren dies insbesondere König Wilhelm IV. von Großbritannien und WilheIm von Braunschweig selbst, so dass Letzterer in eigener Sache entschied, was - so Huber (Anm. 119), S. 57 - "nicht unbedenklich" war. 126 Denkschrift des preußischen Außenministeriums vom 9.1.1831. - Da Herzog Karl stets mit Metternich kooperiert hatte (vgl. Böse [Anm. 121], S. 92 f., 108 ff.), Wilhelm dagegen vor der Besteigung des Braunschweiger Throns Major im preußischen Heer gewesen war, lag das, was sich Berlin von dem RegierungswechseI versprach - einen Verbündeten zu gewinnen und den österreichischen Einfluss im Bundestag zurückzudrängen - für alle Beteiligten offen zu Tage; vgl. Kaufmann, Politische Geschichte Deutschlands, Berlin 1900, S.183f. 127 Prot.BV, 10.3.1831,8. Sitzung, §62. 128 Prot.BV, 12.7.1832,25. Sitzung, §236.
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Kuratel gestellt l29 ; zum Treuhänder wird zunächst der Herzog von Cambridge, dann Ernst August l3O , seit 1837 König von Hannover, ernannt. Hiergegen wendet sich Karl, der die Verfügungs gewalt über sein Vermögen wiedererlangen will, durch die Eröffnung eines zunächst auf Rechnungslegung gerichteten Zivilprozesses. 131 Darf aber ein englisches Gericht eine Klage gegen einen ausländischen Monarchen überhaupt zur Entscheidung annehmen? Wie schon bei der Verhandlung gegen Maria Stuart wird diesem Aspekt zentrale Bedeutung beigemessen. Der Master 01 the RoUs 132 - Lord Langdale - vertritt die Auffassung, das Verfahren sei jedenfalls nicht prinzipiell unzulässig. Es bestünde die Möglichkeit, führt er aus, dass die streitrelevanten Handlungen und Transaktionen des Beklagten mit dessen Eigenschaft als eines fremden Staatsoberhaupts keinerlei Berührungspunkte aufwiesen, und der Prozess somit gleichsam nur scheinbar, doch nicht der Sache nach, gegen den "König von Hannover" gerichtet sei I33. Doch wie es sich im vorliegenden Fall verhalte, sei nicht ohne weiteres ersichtlich. Infolgedessen treffe den Herzog die "Darlegungslast" für den Charakter der für den Rechtsstreit maßgeblichen Handlungen des Beklagten. 134 Diesbezüglich habe er nichts Himeichendes vorgetragen: Bei Unklarheiten müsse daher die Nichtverantwortlichkeit Ernst Augusts, die ihm als - zudem regierender - "sovereign prince" zukomme, den Ausschlag geben. - Die Klage wird abgewiesen. 135 Die Lords 01 Appeal 136 bestätigen diesen Spruch. 137 129 Das Abkommen zwischen dem britisch-hannoverschen König Wilhelm IV. und Herzog Wilhelm vom 6. 2. bzw. 14.3.1833 ist vollständig in beiden englischen Urteilen abgedruckt, die in dieser Sache ergangen sind. 130 Beide waren Brüder Wilhelms IV. 131 Charles, Duke of Brunswick v. The King of Hanover - (1844) 6 Beav.1.; s. a. 3 B.l.L.C. 113. 132 Damals fungierte der Master noch nicht - wie seit 1881 - als Präsident des Court of Appeal. Dass ein für die Archivaufsicht verantwortlicher Funktionsträger in diese Position ,,hineinwuchs", ist (wie so vieles in England) nur historisch zu erklären. 1838 wurde das Archivwesen neu organisiert; auf Anfrage bei einem Richter, ob er vorübergehend die Verantwortung dafür übernehmen wolle, erklärte dieser sich "für kurze Zeit" bereit, und dieses Provisorium besteht bis auf den heutigen Tag. Unter George Jessel, der es 1873 antrat, erlangte das Amt des Master eine derartige Reputation, dass kein Gericht eine Entscheidung des Master of the RoUs zu überprüfen wagte, vgl. Blumenwitz (Anm. 68), S. 77; Romberg, Die Richter Ihrer Majestät, Stuttgart/Berlin 1965, S.173. 133 6 Beav. 56. - Diesen Umstand hatten bereits auch die Anwälte des Herzogs hervorgehoben (6 Beav.7-1O). 134 Zum Ganzen vgl. gegen Ende der Entscheidungsgründe, insbesondere 6 Beav.58-61. I35 Die bei Rivier (Anm. 9), S. 215; HeffterlGeffcken (Anm.9), S. 125 und Martens (Anm.52), S. 317 anzutreffende gegenteilige Behauptung, die Klage sei zugelassen worden, da sie nicht gegen den Beklagten in dessen Eigenschaft als König von Hannover gerichtet gewesen war, hält einer "Quellenkontrolle" nicht stand. Phillimore (Anm. 88), p. 142, auf den Rivier und HeffterlGeffcken sich bezogen, äußerte sich zu den gerichtlichen Schlussfolgerungen überhaupt nicht; irreführend Bluntschli (Anm.90), S. 124. 136 Hierzu bereits oben im Einführungsabschnitt, Kap.l. (dort Anm. 8). 137 Duke ofBrunswickv. King ofHanover, (1848) 2 H.L.C. 1; auch abgedruckt in 3 B.l.L.e. 138.
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2. "Wie gut, dass niemand weiß ... " Nehmen wir an, ein Staatschef weile im Ausland und sei bei dieser Gelegenheit privat-, genauer gesagt familienrechtliche Verbindlichkeiten eingegangen. Könnte er von den Gerichten des Aufenthaltsstaats zur Erfüllung dieser Verpflichtungen angehalten oder wegen ihrer Nichteinhaltung mit Sanktionen belegt werden? Dürfte man - oder müsste gar - anders entscheiden, wenn das betreffende Staatsoberhaupt bei alledem als Privatmann, noch dazu unter falschem Namen aufgetreten wäre? Was sich auf den ersten Blick wie eine typische Kopfgeburt anlässlich rechtswissenschaftlicher Examina ausnimmt, beschäftigt gegen Ende des 19. Jahrhunderts ernsthaft die britischen Gerichte. 1885 hat der Sultan von Johore 138 , der unter dem Namen Albert Baker 139 England bereiste, dort ein Fräulein Mighell kennen gelernt und ihr die Ehe versprochen. Bevor diese Verbindung zustande kommen konnte, war er wieder in sein Land zurückgekehrt. 1891 hält er sich erneut - unter demselben Pseudonym - in Großbritannien auf, als er sich unvermittelt mit einer (Schadensersatz-)Klage wegen eines gebrochenen Heiratsversprechens konfrontiert sieht. Fräulein Mighell hat zwischenzeitlich ihre wahre Identität gelüftet. 140 Im Prozess 141 zieht ihr Barrister u. a. 142 die vorerwähnten Fälle um den Herzog von BraunBemerkenswerterweise vertrat besagter Karl von Braunschweig als selbst von einer Klage Betroffener einen völlig anderen Rechtsstandpunkt als den in seinem Prozessgebahren gegenüber dem König von Hannover zum Ausdruck gekommenen. 1829 hatte er einer Lady eine Leibrente von f200 jährlich ausgesetzt, die er anschließend nicht zahlte. In dem so ausgelösten Verfahren Charlotte Munden v. The Duke ojBrunswick, (1847) 10 Q.B. 656 beantragte er Klageabweisung allein schon aus dem Grund, dass er zur Zeit des Vertragsschlusses souveräner Fürst und als solcher für keine seiner damals vorgenommenen Handlungen einer Gerichtsbarkeit - zumal einer fremden - unterworfen gewesen sei. Abgesehen davon, dass er nach wie vor der rechtmäßige Herrscher des Herzogtums Braunschweig sei, müsse die Nichtverantwortlichkeit für Handlungen während seiner effektiven Regierungszeit - und zwar für sämtliche Handlungen - jedenfalls fortwirken. Der High Court wies diese Argumentation zurück, vgl. 10 Q.B. 661-662. 138 Z. T. auch "Johor". Dieses auf der Halbinsel Malakka gelegene Fürstentum bildet heute als nur partiell völkerrechtsfähiger Gliedstaat einen Bestandteil der Federation oj Malaysia (gemäß Art. 1, cl. 2 [al und Art. 73 der malaysischen Verf.), vgl. Peaslee, Constitutions of Nations H [2], 3,d ed., Den Haag 1966, pp. 652 et seq. sowie . 139 Sich eine Zeitlang unter einern Pseudonym im Ausland aufzuhalten, war für Staatsoberhäupter früherer Zeiten generell nichts Ungewöhnliches, vgl. Martens (Anm. 52), S. 315; Rivier, Principes du droit des gens I, Paris 1896, p.419. So gab sich z. B. Zar Peter der Große während seiner ersten Europareise 1697/98 als Pjotr Michailow aus; der römisch-deutsche Kaiser Joseph H. führte zuweilen den Aliasnamen Graf v. Falkenstein. Watts, 247 RdC (1994-III), 75 nennt als - soweit ersichtlich - jüngstes Beispiel einen Aufenthalt des venezolanischen Präsidenten Castro in Frankreich 1908. 140 Vgl. R.G.D.I.P. 1 (1894), 75; Cobbett/Bellot, Leading Cases I, 4 th ed., London 1922, pp. 94 et seq. 141 Mighell v. Sultan oj Johore, (1894) 1 Q.B. 149. 142 Des Weiteren die (übrigens vorn Prozess gericht getroffene) Entscheidung in Sachen Wadsworth v. Queen oj Spain - (1851) 17 Q.B. 171.
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schweig 143 heran und argumentiert: Selbst wenn es sich so verhielte, dass der Sultan "als solcher", d. h. in Bezug auf Handlungen, die er in speziell dieser Eigenschaft - als Oberhaupt eines fremden Staats - vorgenommen habe, Immunität genieße, so sei das für den zu beurteilenden Fall irrelevant. Dies erhelle sich aus nichts deutlicher als gerade der Tatsache des Inkognitos - dass der Beklagte eben nicht als Sultan, sondern als Mr. Baker in Erscheinung getreten sei. Man müsse infolgedessen einen Umkehrschluss vornehmen: Der Beklagte, eher zufällig auch der Sultan von Johore, sei bei Abgabe des Eheversprechens rein privat tätig geworden, ergo könne er im Zusammenhang damit keine Freiheit von der englischen Gerichtsbarkeit beanspruchen. Doch die Richter der Queen' s Bench mögen dieser Interpretation nicht folgen und erklären sich für unzuständig 144. Fräulein Mighell geht leer aus. Ein strukturell- nicht dem Streitgegenstand nach - ähnlicher Fall hat sich bereits zwanzig Jahre zuvor ereignet: Damals (1873) war der niederländische König Wilhelm 111., der gerade aus privaten Gründen am Genfer See weilte, wegen eines kleineren Vergehens von dem zuständigen Gericht in Clarens (Kt. Waadt) in Unkenntnis seiner Identität zu einer Geldstrafe verurteilt worden. 145 Als der König sein Inkognito aufgab, unterblieb daraufhin nicht nur die Beitreibung l46 der Strafe, sie wurde förmlich aufgehoben. 147
3. Willkür und Wiedergutmachung Der italienische Völkerrechtler Pasquale Fiore teilt in seinem Hauptwerk l48 folgenden Fall mit: Franz V. aus dem Haus Habsburg, Herzog von Modena, hat vor Ausbruch des italienischen Kriegs von 1859, der ihn letztlich seinen Thron kosten wird, 80 - kürzlich abgeurteilte - politische Gefangene nach Mantua 149 verlegen lassen, wohin er sich nach der Schlacht von Magenta (4.6.1859) selbst absetzte. Die Friedensartikel von Villafranca haben zwar Franz' Wiedereinsetzung in Aussicht s.O. Anm. 129, 135. In gleicher Weise verfuhr die englische Justiz 1912, als in einer Scheidungsangelegenheit die Klage auch auf den Gaekwar von Baroda (ein Fürstentum in der Nähe Mumbais, damals Bombay) ausgedehnt werden sollte - er wurde beschuldigt, mit der Gattin des Klägers Ehebruch begangen zu haben -, d. h. man untersuchte zunächst den Status Barodas, dann den des Gaekwar und kam zu dem Schluss, dass sich aus seiner Eigenschaft als "regierender Souverän" auch die von ihm in Anspruch genommene Immunität ergebe - Statham v. Statham and His Highness the Gaekwar 01 Baroda, [1911-13] All E. R. Rep. 320. 145 Vgl. Despagnet (Anm. 88). 146 Insoweit missverständlich Watts (Anm. 139). 147 Vgl. BonfilslFauchille, Lehrbuch des Völkerrechts für Studium und Praxis, 3. Autl., Berlin 1904, S. 351; Rivier (Anm. 9), S. 253; ders. (Anm. 139), p.418. 148 Nouveau Droit international public I, 2'M., Paris 1885. 149 Die Stadt war 1785-1866 Teil der österreichischen Lombardei. 143 144
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genommen, welche später indes unterblieben ist 150. Am 20.8. desselben Jahres bestätigt ein Plebiszit den Verlust seiner Souveränität. Gleichwohl erteilt er die "Instruktion", dass die betreffenden Gefangenen auf jeden Fall weiterhin in Haft zu halten seien, und diese Anordnung wird vom österreichischen Festungskommandanten, sei es wegen der verwandtschaftlichen Bindung des entmachteten Herzogs mit dem Kaiserhaus oder aus Gründen der Rücksichtnahme auf einen früheren Verbündeten, auch befolgt. Erst 1861, als Mantua durch italienische l5l Truppen besetzt wird, kommen die letzten vier frei. 152 Diese vier ehemaligen Häftlinge begehren nunmehr Wiedergutmachung von Herzog Franz. Schon ihre ursprüngliche Verurteilung sei der "Akt eines Tyrannen" gewesen, erst recht aber dessen nach seiner Entthronung gegebener Befehl, sie den Rest ihrer unrechtmäßig verhängten Strafe in einer österreichischen Festung verbüßen zu lassen 153. Und tatsächlich wird den Klägern - im Hinblick auf deren zweites Argument - Schadensersatz zugesprochen. 154 Daraufhin lässt der Herzog, der die Jurisdiktionsbefugnis des Genueser Gerichtshofs stets bestritten hat, Revision einlegen. In sichtlichem Bemühen um ein salomonisches Urteil in der politisch heiklen Angelegenheit endet das Rechtsmittelverfahren zwar mit einer grundsätzlichen Bestätigung der erstinstanzlichen Feststellung, jedenfalls die Anordnung auf Fortdauer der Festungshaft sei als widerrechtlich einzustufen, dessen ungeachtet hätte Franz von Habsburg gleichwohl nicht zu Wiedergutmachungszahlungen verurteilt werden dürfen 155: Man habe nicht berücksichtigt, dass der Beklagte weder italienischer Staatsangehöriger noch in Italien wohnhaft sei; aus diesem Grund sei die Verurteilung aufzuheben. 156 Von Anfang an weniger Glück hat 1870 die französische Staatsbürgerin Masset, als sie vom russischen Zaren FF 500.000 als Ausgleich für den Schaden fordert, den sie durch die seitens der örtlichen Polizeibehörde - ungesetzlich - erzwungene 150 Am 11.7.1859 schlossen die Kaiser Franz Joseph und Napoleon III. ein vorläufiges, am 10.11.1859 dann das endgültige Friedensabkommen (Definitivfrieden von Zürich, vgl. NRG XVI [2], p.516). 15\ Das Königreich Italien war ein halbes Jahr zuvor, am 17.3.1861, proklamiert worden. \52 Vgl. Fiore (Anm. 148), p.436. \53 Hinzu kam, dass schon der Präliminarfrieden von Villafranca eine Generalamnestie vorgesehen hatte. \54 Urteil v. 12.12.1868. \55 Die Entscheidung des Kassationsgerichtshofs Turin v. 8.7.1871 ist nur im italienischspraehigen Original veröffentlicht (Francesco d' Este - Contadini ed altri, Giur. it. 1871, I, coI.487). \56 Aber eben allein aus diesem Grund, ein Umstand, den Fiore (Anm. 148), p. 438 - wonach das Urteil aufrechterhalten wurde - mitzuteilen vergaß; zutreffend dagegen Calvo (Anm. 80), p. 573 und Loening, in: FS Fitting, Halle/Saale 1903, S.317 (dort Fußnote 1). Das italienische Zivilprozessrecht wurde diesen Punkt betreffend später reformiert, was 1921 ein Urteil zuungunsten eines anderen Habsburgers - des letzten österreichischen Kaisers - ermöglichte (s. u. 2. Abschn., Kap. 11. 1. b) [dort Anm. 194]).
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Schließung ihres Handelsetablissements in Sankt Petersburg erlitten haben will 157 • Die Pariser Gerichtshöfe lehnen es überhaupt ab, sich mit der Angelegenheit zu befassen. 15S 4. Die Geschütze des Sultans Ende Oktober 1876 verfügt der Präsident des Antwerpener Ziviltribunals die Zulässigkeit einer zum Nachteil Sultan Abd ul-Hamids 11. zu bewirkenden Beschlagnahme von 41 kruppschen Kanonen, die gerade zur Verstärkung des türkischen Heeres nach Konstantinopel verschifft werden sollten. Er folgt dabei dem Antrag einer belgischen Handelsgesellschaft, die behauptet hat, Gläubigerin von Forderungen in Höhe von insgesamt BF 47.845,80 aus diversen mit dem Sultan getätigten Geschäften 159 geworden zu sein und sich auf diese Weise zu sichern gedenkt. 160 Seitens der Pforte wird erwidert, dass die belgischen Geschäftspartner ihrer Pflicht zur rechtzeitigen Leistung nicht nachgekommen seien. Im Einzelnen müsse diese Streitigkeit eigentlich, den vertraglichen Vereinbarungen entsprechend, durch ein Schiedsgericht beigelegt werden. Hiervon sei man zwar bereit Abstand zu nehmen und habe infolgedessen die Gesellschaft auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesen, doch dabei keinen Zweifel daran gelassen, dass man darunter die türkischen Gerichtshöfe verstanden wissen wolle. 161 Keinesfalls werde sich der Sultan auf eine Vorladung und eine Sachentscheidung durch ein belgisches Tribunal einlassen. Vielmehr lässt dieser, vertreten durch den türkischen Gesandten in Brüssel, unverzüglich den verhängten Arrest angreifen. 162 In seinem Auftrag erstattet der Münchener Straf- und Völkerrechtler Franz v. Holtzendorjf ein Gutachten 163, in dem er darlegt, dass die belgischen Gerichte in der Hauptsache keine Jurisdiktion über den Sultan ausüben dürften und sich somit auch ein Arrestverfahren verbiete. Anderes indizierende Präjudizien seien nicht vorhanden. 164 Der Arrest ließe sich allenfalls rechtfertigen, wenn Vennögensstücke be157 Masset c. L'Empereur de Russie, Urteil v. 23.8.1870 (abgedruckt bei Feraud-Giraud [Anrn.116], p. 349); vgl. Martens (Anrn. 52), S. 318; Bonjils/Fauchille (Anm. 147), S. 350; Calvo (Anm. 80), p.568 m. w. N. 158 Ebenso scheiterte im gleichen Zeitraum vor einem New Yorker Berufungsgericht der Versuch, den ehemaligen dominikanischen Präsidenten - der zu dieser Zeit in den USA Asyl genoss - wegen angeblich unrechtmäßig erlittener Haft in Anspruch zu nehmen, vgl. Hatch v. Baez, 7 Hun 596 (N. Y.S.Ct.1876) =5 AlLe 434. 159 Namentlich an Hochöfen ausgeführte und für die Eisenbahnlinie von Skutari (Üsküdar) nach Izmit bestimmte Konstruktionsarbeiten. 160 Vgl. HoltzendorjJ,]GV 1877, 179. 161 Ibid., 180. 162 Vgl. deHeyking (Anm.I13), p.130. 163]GV 1877, 181 ff. 164 HoltzendorjJ verwies diesbezüglich auf die bereits oben eingangs Kap. 11. 1. erwähnten Entscheidungen, zumal die - französische - im Fall Solon (Schulaufbau in Ägypten), da dort
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1. Abschnitt: Ein Jahrtausend Tatbestände
troffen wären, die in Belgien selbst ihren Bestand hätten l65 , was bei in Deutschland produzierten beweglichen Sachen verneint werden müsse. Hinzu komme, dass es sich bei den Geschützen nicht um "Gegenstände fiskalischer Privatberechtigung" handele, sondern um Güter, die der türkische Sultan nur in eben dieser Eigenschaft angekauft habe und über die er in seiner Person auch nur als Staatsoberhaupt des Osmanischen Reichs als "verfügungsberechtigter Eigentümer anzusehen" sei: Zu allen Zeiten habe das Völkerrecht eine besondere Beziehung des Staatsoberhaupts zu seinen Truppenkörpern, Kriegsvorräten und Waffen statuiert. 166 Belgische Gerichte seien nicht befugt, durch zivilprozessuale Maßregeln gegen ein fremdes Staatsoberhaupt bzw. dessen Eigentum in letzter Konsequenz die territoriale Integrität und den Fortbestand von dessen durch Krieg oder Aufstand bedrohten Staat in Frage zu stellen. - Der Antwerpener Gerichtshof schließt sich diesen Ausführungen vollumfänglich an, hebt die Beschlagnahmeverfügung wieder auf und erklärt dieses Urteil, bemerkenswerterweise ungeachtet eines sofort angekündigten Rechtsmittels der belgischen Gesellschaft, ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar. 167 Die Geschütze können den Hafen verlassen.
5. "Hängt den Kaiser!" Am 11.11.1918 ist der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen. Die Art. 227-230 des Versailler Vertrags 168 legen der deutschen Regierung die Verpflichtung auf, Militärwie Zivilpersonen zur Aburteilung auszuliefern, sofern diesen vorgeworfen wird, internationale Gesetze oder geltende Kriegsbräuche verletzt zu haben. Die alliierten Staatsmänner legen besonderes Augenmerk auf die Erfüllung dieser Forderungen, ebenfalls Art. 14 des in Frankreich wie Belgien gleichennaßen geltenden Code civil eine Rolle spielte. Mit dem zwar nicht zeitlich, aber thematisch viel näher liegenden Arrest, den das (niederländische) Gericht zu VIissingen 1668 über drei dem König von Spanien gehörende Kriegsschiffe verhängt hatte - der allerdings nach scharfen Protesten des spanischen Botschafters und auf Betreiben der Generalstände hin wieder aufgehoben worden war - sowie den weiteren in Anm. 101 genannten Fällen, obgleich diese Arreste ungeachtet der ausdrücklichen Rüge von Völkerrechtsverletzungen durch die betroffenen Fürsten aufrechterhalten wurden (vg!. Bijnkershoek [Anm. 101]), befasste HoltzendorjJ sich nicht. 165 Vg!. Holtzendorjf(Anm. 160), 182. - Auf denforum rei sitae-Aspekt ließ zu Beginn des Oranischen Erbfolgestreits auch der Preußenkönig Friedrich I. durch seinen Gesandten hinweisen (Kap. 1.4.); s. hierzu bei de Lamberty (Anm. 100), p. 372. 166 JGV 1877, 183. Einen Eingriff in diese Positionen meinte HoltzendorjJ in Übereinstimmung mit der Staatenpraxis nur für den Kriegszustand - zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Neutralität oder aus Gründen der Repressalie - rechtfertigen zu können, dann aber auch nur, wenn die Beschlagnahme von der belgisehen Regierung angeordnet würde (a. a. 0., S.184).
167 Tribunal civil d' Anvers, Urteil v. 11.11.1876; s. Clunet 3 (1876), 340; Feraud-Giraud (Anm. 116), p. 342. 168 225 CTS 188; FHIG III/2 (einschließlich des französischen Texts), S.683; auch RGB!. 1919, S. 687.
H. Kuratel und Kriegsverbrechen
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schließlich haben sie ihre gesamten Propagandamaßnahmen seit 1914 mit moralischen Argumenten untermauert und deutschen Politikern und Heerführern - allen voran Kaiser Wilhelm 11. 169 - die Schuld am Ausbruch des Kriegs zugewiesen und sie überdies für Grausamkeiten, begangen an den Fronten und im besetzten Gebiet, verantwortlich gemacht. 170 Die Regierungen der Entente sind zu der Überzeugung gelangt, dass sich Deutschlands vormalige Machthaber, wie auch zahlreiche seiner Offiziere, schwerwiegender Verbrechen schuldig gemacht hätten und daher nach dem Sieg auf das Strengste bestraft werden müssten. 171 Großbritanniens Premierminister Lloyd George gewinnt im Dezember 1918 sogar die sog. Khaki-Wahlen mit der Parole "Hang the kaiser! ".172 Die - neue, republikanische - deutsche Regierung hat von Anfang an keine Zweifel daran gelassen, dass die Durchführung der Auslieferungsforderungen nicht bloß bei den damit befassten Behördenvertretern, sondern im gesamten Volk auf erhebliWilhelm II. wird in Art. 227 tatsächlich sogar namentlich genannt. Eine gewichtige Rolle spielte - nicht nur moralisch, sondern durchaus völkerrechtlich bedeutend (wenngleich sich fragt, ob ein Völkerrechtsbruch so ohne weiteres mit einem individuelle Verantwortlichkeit nach sich ziehenden völkerrechtlichen Verbrechen gleichgesetzt werden kann) - die Verletzung der belgischen und luxemburgischen Neutralität bei der deutschen Westoffensive 1914: Dieser Neutralitätsstatus war beiden Staaten in den Londoner Verträgen v.19.4.1839 (88 CTS 445 [dort Art. 7D und 11.5.1867 (135 CTS 1 [Art.IIID seitens der europäischen Großmächte - unter Einschluss Preußens - garantiert worden. 171 Ins Rollen kamen diesbezügliche Bemühungen bereits infolge der tragischen Versenkung des Passagierschiffs Lusitania - mit nahezu 1.200 Todesopfern - durch ein deutsches U-Boot. Im Mai 1915 erhob die (britische) Jury von Kinsale Mordanklage gegen "the Govemment of Germany" , aber auch gegen Kaiser Wilhelm H. persönlich (Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane, Bonn 1952, S.48). Dieses Verfahren schlief allerdings ein. Die vom US-Distriktsgericht für Süd-New York anlässlich des Lusitania-Unglücks gefällte Entscheidung v. 24.8.1918 - 12 AJIL 862- hatte nur die Schadensersatzpflicht des Reichs zum Gegenstand. 172 MichaelislSchraepler, Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart IV, Berlin o. J., S. 13. - Lloyd George hatte ein Jahr zuvor noch die Bestrafung Deutschlands (sie) als eines "criminal State" gefordert; vgl. Jescheck, a. a. O. Unabhängig von den Ereignissen in Großbritannien und den USA beschäftigte man sich in Frankreich schon kurz nach Kriegsbeginn mit der Aburteilung deutscher Kriegsverbrechen. So empfahl die Societe Generale des Prisons 1915 die Errichtung eines speziellen (nationalen) Strafgerichtshofs für die politisch und militärisch Verantwortlichen, was die französische Regierung begrüßte. Gegen Kriegsende unterrichtete sie das britischen Kabinett jedoch von ihrem nunmehrigen Entschluss, jedenfalls den - damals noch regierenden - Kaiser vor ein interalliiertes Tribunal zu stellen (Niehoff, Internationale Strafgerichtshöfe, Frankfurt a. M. 1999, S. 19 m. w. N.). Das in diesem Zusammenhang in Auftrag gegebene Gutachten der Professoren Larnaude und de Lapradelle pflichtete dem Rechtsstandpunkt der Pariser Regierung, wonach dies zulässig sei, bei; stützte sich dabei aber in erster Linie auf von Grotius, Vitoria und Vattel aufgestellte Theorien über die Strafbarkeit eines un(ge)rechten Kriegs an sich. Hinsichtlich der eigentlich interessierenden Staatenpraxis im strafrechtlichen Umgang mit fremden Staatsoberhäuptern dagegen enthält diese Untersuchung wenig bis keine Substanz; vgl. Clunet 46 (1919), 131-159. 169 170
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I. Abschnitt: Ein Jahrtausend Tatbestände
che Widerstände stoßen würde. 173 Grundsätzlich erklärt sie sich bereit, Schuldige zur Verantwortung zu ziehen - indes nur vor deutschen Justizstellen. Ein Gesetz wird erlassen, welches die strafrechtliche Verfolgung nachweislich verübter Kriegsverbrechen vorsieht und denjenigen Ausländern Wiedergutmachung verspricht, die durch derartige Handlungen geschädigt worden sind. 174 Man hofft, so zugleich den zu erwartenden Auslieferungsbegehren der Sieger zuvorzukommen und es den betreffenden Personen zu ermöglichen, sich vor einem deutschen Gericht zu verteidigen. 175 Der Versuch der Alliierten, zunächst der Person des nach Holland geflüchteten Exkaisers 176 habhaft zu werden, schlägt fehl. Ein vom französischen Ministerpräsidenten Clemenceau abgefasstes Schreiben an die niederländische Regierung, den "Haupturheber der Verletzung der wesentlichsten Grundsätze der Völkergemeinschaft" auszuliefern 177, wird abschlägig beschieden 178. Von einer diesbezüglichen Rechtspflicht könne keine Rede sein. 179 Einer zweiten, noch dringenderen Aufforderung kommt Den Haag ebenfalls nicht nach. Die niederländische Regierung versichert lediglich, dass sie entsprechende Vorsorgemaßnahmen treffen werde, um jeden Versuch des Asyl genießenden Kaisers, wieder politischen Einfluss in Deutschland zu gewinnen, von vornherein zu unterbinden 180. Diese eindeutige Haltung eines neutralen Staats gibt der Berliner Regierung einen starken Rückhalt. In einer Note 181 weist sie eindringlich darauf hin, dass jede Staatsführung in Deutschland sich auf schwere politische und wirtschaftliche Erschütterungen gefasst machen müsse, die es auf sich nähme, die Auslieferung ehemals führender Persönlichkeiten mit Gewalt durchzusetzen. Sie schlägt den Alliierten vor, J73 Nach der Stellungnahme der Reichsregierung (5.11.1919, DAZ, Nr.64 v. 4.2.1920, abgedruckt bei Michaelis/Schraepler, a. a. 0., S. 15 f. [Dok. Nr. 805]) hielt man es in diesem Zusammenhang generell für untragbar, dem früheren Feind "Volksgenossen" auszuliefern. Besondere Vorbehalte hinsichtlich der Person Wilhelms 11., des eigenen früheren Staatsoberhaupts, wurden nicht angebracht. 174 Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen v. 18.12.1919 (RGBI., S.2125). 175 Führende nationale Kreise Deutschlands missdeuteten - wohl bewusst - diese Maßnahme als einen "weiteren Verrat" und sahen darin "Handlangerdienste für die Alliierten". 176 Was nicht ohne erhebliche Proteste seitens der niederländischen Öffentlichkeit abgegangen war; vgl. Premierminister Ruys de Beerensbrouck, Clunet 46 (1919), 161 ets. 177 Zitiert bei Michaelis/Schraepler (Anm. 172), S. 17 ff. (Dok. Nr.808). 178 Antwort der Königlich Niederländischen Regierung v. 21.1.1920, abgedruckt bei Michaelis/Schraepler, a. a. 0., auch bei Jescheck (Anm. 171), S. 62. 179 Vgl. das vorbereitende Gutachten Simons', Clunet 46 (1919), 961. Im Einzelnen hierzu noch unten 3. Abschn., Kap. 11. 2. b) bb). 180 Niederländische Note v. 6.3.1920. - Hier tauchen die gleichen Argumentationsmuster auf, die Frankreich selbst Ende 1586 in Bezug auf Maria Stuart bemüht hatte, s. u. sub 3. Abschn., Kap. I. I. b). 181 Deutsche Note v.25.1.1920, abgedruckt bei Michaelis/Schraepler (Anm. 172), S.20 (Dok. Nr.809).
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mit Hilfe des bereits erwähnten Gesetzes vor dem Reichsgericht in Leipzig Strafverfahren unter alliierter Beteiligung einzuleiten, wovon sich die Entente allerdings nicht beeindruckt zeigt. Sie verlangt weiterhin 182 die ÜbersteIlung von insgesamt 895 Personen, darunter der Kronprinz und andere deutsche Fürsten, die zumeist ein hohes Kommando innegehabt haben. 183 Mit dem Bescheid bezüglich des Exkaisers selbst müssen sich die Alliierten jedoch zufrieden geben. 1942 stirbt Wilhelm 11. in seinem niederländischen Exil.
III. Drogenhandel und Dissidentenverfolgung von den Hauptkriegsverbrecherprozessen bis zum Beginn des dritten Millenniums Auch in den letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts sind mehrere Präzedenzfälle vorfindbar, zum einen "rein privatrechtlicher" 184.185, zum anderen "hochpolitischer" Natur, wenn auch die in der Öffentlichkeit wohlbekannten - und diesen Zeitraum einläutenden - Hauptprozesse vor den Internationalen Militärtribunalen von Nürnberg und Tokyo in Bezug auf die Immunität von Staatsoberhäuptern kein 182 Am 16.2.1920 erklärte der Oberste Rat der Alliierten, dass die Siegermächte - unter ausdrucklicher Aufrechterhaltung ihrer Rechtspositionen - auf die ggf. gewaltsame Durchsetzung ihrer Auslieferungsanspruche zunächst verzichten würden, s. Michaelis/Schraepler, a. a. 0., S.26 (Dok. Nr. 814). 183 Vg\. ibid., S. 25 (Dok. Nr. 813). - 100 Personen sollten an Großbritannien ausgeliefert werden, je 334 an Belgien und Frankreich, 29 an Italien, 41 an Rumänien und 53 bzw. 4 an die neu entstandenen Staaten Polen und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Nur am Rande sei erwähnt, dass sich auch Kronprinz Rupprecht von Bayern unter den angeforderten Persönlichkeiten befand. 184 Hierfür seien an dieser Stelle drei beispielhafte Verfahren genannt, zum einen lsbrandtsen Tankers,lnc. v. The President oflndia, 442 F.2nd 1198 (2nd Cir. 1971) -dabei ging es um einen Getreidetransport -, dann der in Frankreich durchgeführte Prozess einheimischer Couturiers gegen den vormaligen König von Ägypten wegen nicht bezahlter Modeartikel (Farouk d' Egypte c. ChristianDior, 241.L.R. 228 und Sociüe JeanDesses c. Prince Farouk, 65 I.L.R. 37) und schließlich die einen durch Fürst Franz Joseph 11. von Liechtenstein (vg\. SeidlHohenveldern, 10 NYIL [1974], 103, 106) verschuldeten Autounfall betreffende OGH-Entscheidung v. 25.6.1964 (JB\. 1964,567) . 185 Desgleichen sind in diesem Zusammenhang wiederum Rechtsstreitigkeiten zu verzeichnen, in denen Staatsoberhäupter selbst als Kläger auftraten, so erst vor einiger Zeit in der Bundesrepublik Fürst Hans Adam 11. von Liechtenstein, der in einern die Herausgabe eines Gemäldes betreffenden Verfahren bis vor das BVerfG zog - ohne Erfolg (IPRax 1998, 482). Erwähnung verdient gerade dieser Prozess seines besonderen völkerrechtlichen Hintergrunds wegen, da der Vater des Fürsten den fraglichen Kunstgegenstand durch eine Enteignung verloren hatte, die in der damaligen Tschechoslowakei mit Blick auf seine deutsche Volkszugehörigkeit (nicht etwa Staatsbürgerschaft) auf der Basis des 12. Benesch-Dekrets, d. h. im Rahmen der Vertreibung der deutschen Minderheit durchgeführt worden war; s. den Kommentar von Doehring, IPRax 1998, 465).
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1. Abschnitt: Ein Jahrtausend Tatbestände
Anschauungsmaterial bereitstellen 186: der "Führer und Reichskanzler" hat sich dem Zugriff jedweder Justiz durch Selbstmord entzogen, und hinsichtlich des japanischen Tennö 187 kommt es nicht einmal zu einer Anklageerhebung. 188
1. Staat oder Nichtstaat ... Bezüglich der hier thematisierten Periode ist generell auffallig, dass sich mit der gestiegenen Bedeutung eines einzelnen Mitglieds der Völkerrechts gemeinschaft - der USA - auch die "amerikanischen" Präjudizien mehren. 189 Ein eher skurril anmutender Fall ereignet sich 1971 in Jackson (Mississippi). Dort stürmt das FBI am 18.8. das Hauptquartier einer afroamerikanischen Bürgerrechtsvereinigung namens Republic of New Africa, die in dem Verdacht steht, eine terroristische Tarnorganisation zu sein. Nach einem Schusswechsel wird die Führungsspitze der RNA festgenommen und wegen Verschwörung 190 angeklagt. Im Prozess geschieht etwas Erstaunliches: Richard Bullock Henry, Präsident der RNA, beruft sich auf ein völkerrechtliches Immunitätsprivileg. Nicht die USA - die es nur okkupiert hielten - sondern die am 31.5.1968 proklamierte Republik Neu-Afrika sei der rechtmäßige Souverän über das Territorium von Mississippi, Louisiana, Alabama, Georgia und South Carolina, diejenigen Gebiete, in weIche die Vorfahren ihrer Bürger zu Zeiten der Sklaverei verschleppt worden seien und in denen die negroide Bevölkerung im Verhältnis zu den "Weißen" seither stets die Überzahl gehabt habe. 191 USPräsident Johnson habe bereits 1865 das Recht der befreiten Sklaven, Herren über das von ihnen bewohnte und bearbeitete Land zu sein, anerkannt. 192 Bei der Ausrufung der RNA vor drei Jahren habe die afroamerikanische Nation nur ein Recht ausgeübt, das mittlerweile niemand mehr in Frage stellen könne - das der Selbstbestimmung. So wie eine eigene Staatsangehörigkeit der RNA existiere, amtiere (in der Hauptstadt Jackson) auch eine Regierung, der er, Henry, als Präsident vorstehe. Die ihm zur Last gelegten Handlungen habe er in eben dieser Eigenschaft und auf dem 186 Wie auch deren Folgeprozesse, zu denen Militärgerichtsverfahren der einzelnen Alliierten in Deutschland (s. Brand, 26 B. y.1.L. [1949],418) sowie in den von Deutschland im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten zählen. 187 Wörtlich "Herrscher des Himmels" (Kaiser Hirohito [1901-89]). 188 Auf die diesbezüglichen Hintergründe wird noch einzugehen sein (2. Abschn., Kap. III. 1.), s. a. dort wegen des vormaligen Reichspräsidenten Karl Dönitz. 189 Vgl. Bass, 97 YaleL.J. 299 (1987). 190 Die conspiracy ist eine besondere Strafbarkeitsform im anglo-amerikanischen Rechtskreis (v gl. hierzu Liebseher, ZfRV 1979, 46f.), die auch im Rahmen der Hauptkriegsverbrecherprozesse 1945/46 zum Tragen kam; s. Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, Baden-Baden 1999, S. 83; Jescheck (Anm. 178), S. 272-276. Der deutsche § 30 Abs.2 StGB entspricht ihr wegen der erforderlichen hinreichenden Konkretisierung des verabredeten Verbrechens nach Ort, Zeit und Inhalt nur teilweise. 191 Zitiert nach der Berufungsentscheidung in Sachen U.S. v. Henry et al., 528 F. 2nd 1005 m. w. N. (5 th Cir. 1976). Das Urteil ist ebenfalls in 24 AILC 1 zu finden. 192 V gl. ibid.
III. Drogenhandel und Dissidentenverfolgung
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Gebiet der Hauptstadt seines Landes vorgenommen. Infolgedessen dürften USamerikanische Gerichte keine Jurisdiktion über ihn ausüben. 193 - Wie kaum anders zu erwarten, wird Henry dennoch verurteilt. Das Gericht - später durch die Berufungsinstanz bestätigt - billigt ihm kein Recht zu, eine Head of State lmmunity geltend zu machen, da diese ohne einen ausländischen "state", dem sie folge, irrelevant sei. Wie auch immer aber die sog. Republik Neu-Afrika juristisch eingeordnet werden müsse, handele es sich doch evident nicht um einen fremden Staat, zumindest nicht - und darauf komme es an - vom Standpunkt der US-Regierung aus, die weder die RNA als Völkerrechts subjekt noch Henry als deren Präsidenten anerkannt habe 194. Aus der 111 Jahre alten Erklärung Präsident Johnsons könne heute keine Bindung des Gerichts in einem andern Sinn abgeleitet werden. 195
2. Zweimal Honecker Ein Bürger der damaligen DDR hat Ende der 70er-Jahre einen systemkritischen Brief an den seinerzeitigen Staats- und SED-Parteichef Erich Honecker geschrieben. Da dieser auch in westdeutschen Medien veröffentlicht wurde, ist der Betreffende wegen sog. staatsfeindlicher Hetze zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und nach 193 Eine Argumentationsstruktur dieser Art wäre z. B. auch im Zuge des Verfahrens gegen den PKK-Führer Abdullah Ö~alan in der Türkei 1999 zu erwarten gewesen, dessen Verteidiger sich hiervon jedoch offensichtlich - wohl zu Recht - keinen Erfolg versprachen. 194 Ebenso wenig wie irgendein anderes Mitglied der Völkerrechtsgemeinschaft dies getan hat, was für die US-Justiz indes irrelevant war. - Eine ähnliche Situation lag im Übrigen während der Amtszeit des besagten Präsidenten Andrew Johnson schon einmal vor. Gegen Ende des Sezessionskriegs wurde das noch amtierende Oberhaupt der Konföderierten Staaten von Amerika, Jefferson Davis, von Kavalleristen der Union gefangen genommen und bald darauf des Hochverrats und der Anstiftung zur Misshandlung Kriegsgefangener angeklagt. Der Prozess zog sich innenpolitischer Schwierigkeiten wegen in die Länge; bevor ein Urteil ergehen konnte, wurde Davis (wie auch andere Südstaatenpolitiker) 1868 amnestiert; CobbettlBellot, Leading Cases 11, 4th ed., London 1924, p. 180; Niehols, 31 Am. Hist. Rev. 266 (1926). Auch die Confederaey war 1861-65 - bei der sich weitere Vergleiche mit der RNA 1968-71 von selbst verbieten - zu keinem Zeitpunkt als Staat im Sinne des Völkerrechts anerkannt, weder seitens der US-Regierung noch (auf deren Betreiben) seitens der europäischen Mächte; Hillgruber, Die Aufnahme neuer Staaten, Frankfurt a. M./Berlin 1998, S. 109-116. Dass Jefferson Davis für Handlungen während seiner Präsidentschaft, wenigstens solche amtlicher Natur - und andere standen nicht zur Debatte - eventuell Immunität als (früheres) Staatsoberhaupt zustehen könne, wurde vom Distriet Court für Virginia nicht einmal entfernt in Betracht gezogen. 195 Vgl. 528 F. 2nd 1016 = 24 AILC 15. Dem Wortlaut nach mehrdeutig war die Feststellung des Berufungsgerichts - welches Henrys Insistieren auf seine Immunität im Übrigen als "unanständig" bezeichnet hatte -, dass "he has no license to commit murder or any other crimes in any part of the United States". Nur aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils ergibt sich, dass man damit nicht zum Ausdruck bringen wollte, selbst wenn die Eigenschaft Henrys als fremdes Staatsoberhaupt dahingestellt bliebe, ihm diese Stellung keinen Schutz vor gerichtlicher Verfolgung bei Begehung von Straftaten in den USA gewähre. Es sollte einfach betont werden, dass die fraglichen Gebiete zu keiner Zeit Territorium einer "RNA", sondern integraler Bestandteil der USA waren.
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deren Verbüßung in die Bundesrepublik abgeschoben worden. Dort erstattet er gegen Honecker Strafanzeige. Im Zusammenhang hiermit - da die angezeigte Freiheitsberaubung außerhalb des Geltungsbereichs der deutschen StPO begangen wurde, der Beschuldigte keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik besitzt und andere Anknüpfungspunkte für den Gerichtsstand 196 nicht vorliegen - beantragt der Generalbundesanwalt, der BGH möge gemäß § 13 a StPO das zuständige Gericht bestimmen. Der 2. Strafsenat lehnt dies ab: Die DDR sei ein Staat im Sinne des Völkerrechts, der Staatsratsvorsitzende Honecker dessen Oberhaupt 197 und als solcher nach § 20 Abs. 2 GVG von der bundesdeutschen Gerichtsbarkeit befreit. 198 Der Beschluss löst z. T. heftige Empörung aus 199, weniger des Ergebnisses als der angewandten Rechtsgrundlage wegen: Was mag das oberste ordentliche Gericht dazu veranlasst haben, dem Staatsratsvorsitzenden entgegen der bundesverfassungsgerichtlichen Interpretationzoo des 1973 in Kraft getretenen "Grundlagenvertrags"ZOI völkerrechtliche Immunität zuzuerkennen, und die 1984 im Vorfeld eines geplanten Honecker-Besuchs in der Bundesrepublik eigens ins GVG eingeführte Vorschrifeo2 des § 20 Abs. 1, die schlicht auf die Repräsentanten "anderer" - nicht fremder! - Staaten 203 abhebt, zu übergehen?204 Weniger Entgegenkommen seitens der deutschen Justiz erfährt Erich Honecker, als er am 12.11.1992 gemeinsam mit anderen Angehörigen der ehemaligen DDRPartei- und Staatsführung - u. a. Willi Stoph - wegen der Mitverantwortung am "Schießbefehl" und mithin der Tötung von Menschen an der innerdeutschen Grenze unter Anklage gestellt wird. Infolge des am 3.10.1990 vollzogenen Beitritts der DDR zum Bundesgebiet nach Maßgabe des Art. 23 GG a. F. sei eine völkerrechtlich notwendige Immunitätsgewährung für den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden nicht Im Sinne der §§ 7-10 StPO. Vgl. Brunner, in: FS Carstens 11, Köln/Berlin 1984, S. 520ff. 198 BGHSt 33, 97 bzw. NJW 1985,639. 199 Vgl. nur Blumenwitz, JZ 1985,614; Si/agi, ROW 1985, 166. 200 BVerfGE 37, 57 bzw. NJW 1974,893, wonach die DDR im Verhältnis zur Bundesrepublik gerade kein "Ausland", sondern - wenn auch zweifeIsfrei ein Staat - ein "anderer Teil Deutschlands" war. 201 Vgl. Gesetz v. 6.6.1973 (BGBI. 11, S.421). 202 2. Gesetz zur Änderung des Zentralregistergesetzes v. 17.7.1984 (BGBI. I, S. 990). 203 §20 Abs.l GVG war- obwohl dies in der amtlichen Begründung (BT-Drucks. 10/1447, S. 14) nicht eingeräumt wurde - augenscheinlich in solchem Maß auf die Person des damaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden "zugeschnitten", dass diese Norm allgemein als lex Honecker bezeichnet wurde, vgl. Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, Frankfurt a. M. 1994, S. 86; Si/agi (Anm. 199), 168. 204 Gemutmaßt wurde, der 2. Strafsenat habe die allzu neue Vorschrift "übersehen" (so in derFAZ, Nr.28 v.2.2.1985, S.2), dagegen mit Recht Blumenwitz (Anm.199), 615, 618. Die zutreffende Erklärung dürfte sein, dass Immunität dem Wortlaut der Norm nach ausschließlich während des Aufenthalts - auf staatliche Einladung - in der Bundesrepublik gewährt wird, im Übrigen nicht; allein der Umstand laufender Strafverfahren gegen Honecker aber eine Verschlechterung der deutsch-deutschen Beziehungen befürchten ließ. 1%
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länger in Betracht zu ziehen. 205 Gleichwohl gelangt die Sache nicht zur Urteilsreife; die Verfahren gegen Honecker und Stoph werden im Hinblick auf deren vorgebliche dauernde Verhandlungsunfähigkeit gemäß § 206 a StPO eingestellt. 206 In dem späteren Prozess gegen den letzten Staatsratsvorsitzenden, Egon Krenz 207 , wird die Immunitätsproblematik dann keinerlei Bedeutung mehr erlangen. 208 3. Despoten, Exilanten - und ein "eiliger Vater" Während der 80er- und 90er-Iahre finden sich US-amerikanische Gerichte mehrfach mit Klagen gegen fremde Machthaber konfrontiert. Zunächst handelt es sich dabei um Zivilprozesse gegen einen ehemaligen Präsidenten, ein anderes Mal um ein Strafverfahren - gegen einen entmachteten Iuntachef -, schließlich wieder um Schadensersatz- und Schmerzensgeldklagen, wobei im ersten Fall ein gewählter, aber gestürzter Präsident - doch nach dem Urteil wird er in sein Amt zurückkehren -, im zweiten dann ein Volksgruppenführer, der sich gerade in der Konsolidierungsphase seiner Herrschaft befindet, betroffen ist. Den Auftakt bildet jedoch (eine dem späteren Pinochet-Fall insoweit nicht unähnliche Konstellation) ein Auslieferungsverfahren, von dem ein lateinamerikanischer Exdiktator betroffen ist.
a) Kein Frieden in Florida Marcos Perez Jimenez 209 , nach einem Staatsstreich gegen die Regierung von Präsident Gallegos in Venezuela zunächst Mitglied einer Militärjunta 21O , hat nach einer 205 Vom BVerfG bestätigt wurde diese Rechtsauffassung anlässlich einer Verfassungsbeschwerde von Willi Stoph, der 1973-76 ebenfalls Vorsitzender des DDR-Staatsrats war, s. DtZ 1992,216. Vgl. auch Hobe/Tiedje, 37 GYIL (1994), 402 et seq. 206 Vgl. die Beschlüsse des LG Berlin und des KG in NStZ 1993, 297ff., hierzu vor dem Hintergrund des GG Bartlsperger, DVBI. 1993, 333 ff. - Honecker reiste daraufhin nach Chile aus, in dessen Moskauer Botschaft er bereits im Dezember 1991 um "diplomatisches Asyl" nachgesucht hatte (s. die Berichte in der SZ v.13. [S.l] und 14./15.12.1991, S.l, 5). 207 Krenz amtierte nur zwischen dem 24. 10. und 6.12.1989 als Staatsratsvorsitzender der DDR. Anders als im Fall Honeckers und Stophs kam es hier nicht nur zur Anklageerhebung (9.1.1995), sondern auch zur Verurteilung (25.8.1997). Seine 61h-jährige Freiheitsstrafe hat er zwischenzeitlich angetreten (FR v.13.1.20oo, S.l, 4). 208 Die Ansicht Lükes (Immunität staatlicher Funktionsträger, Berlin 2000, S. 167 f.), Krenz habe im Prozess vorgetragen, an Beschlüssen zum "Grenzregime" als Mitglied des DDR-Verteidigungsrats mitgewirkt zu haben, mit der Folge, jedenfalls wegen dieser Eigenschaft allgemeine völkerrechtliche Organimmunität zu genießen und seine anschließende Verfassungsbeschwerde u. a. auch darauf gestützt,lässt sich vor dem Hintergrund des Nichtannahmebeschlusses v. 12.1.2000 (2 BvQ 60/99, ) nicht halten. Auch das kürzlich abschlägig beschiedene, von Krenz angestrengte Verfahren vor dem EGMR hatte statt Fragen der Immunität solche des Rückwirkungsverbots (Art. 7 [l] ECHR) zum Gegenstand. 209 Vollständige Namensform, so wie sie in spanischsprachigen Ländern üblich ist, im folgenden - wie im Verfahren, obgleich nicht korrekt - Jimenez. 210 Vgl. AdG 1950,2670.
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1. Abschnitt: Ein Jahrtausend Tatbestände
gut vierjährigen Periode schärfster Unterdrückung jedweder Oppositionsbewegung im November 1952 Wahlen (von zweifelhafter Rechtmäßigkeit) abhalten lassen, die fünf Monate später - wie nicht anders zu erwarten - zu seiner Bestätigung im Präsidentename ll durch den Nationalkongress führten. 212 1958, nach einem erneuten Militärputsch, muss er in den USA Zuflucht suchen. Da er über beträchtliche finanzielle Mittel verfügt (die er allerdings aus dem venezolanischen Staatsvermögen "abgezweigt" haben soll), kann er sich in Florida ein komfortables Exil einrichten. Die neuen Machthaber in Caracas nehmen dies nicht hin. Auf ihr Betreiben erlässt ein US-Distriktsrichter einen Haftbefehl gegen Jimenez; man beschuldigt ihn des vierfachen Mordes an Regimegegnern und insbesondere, öffentliche Gelder in Millionenhöhe zur persönlichen Bereicherung unterschlagen und ins Ausland transferiert zu haben. 213 Die Regierung - zwischenzeitlich sind die Militärs durch eine zivile Exekutive abgelöst worden - will den früheren Monokraten für seine kriminellen Handlungen zur Rechenschaft gezogen sehen und beantragt in Washington seine Auslieferung 214 • Jimenez, der auch tatsächlich festgenommen wird, versucht vergebens die Aufhebung des Haftbefehls zu erreichen. In der Berufungsinstanz unterliegt er ebenfalls. 215 Die Immunität als (vormaliges) Staatsoberhaupt Venezuelas, auf die er mehrfach insistiert hat, hält das Gericht zwar für dem Grunde nach beachtlieh, doch im konkreten Fall nicht einschlägig - dazu müsse er nämlich "wirklich", nicht nur "scheinbar" venezolanisches Staatsoberhaupt gewesen sein - und trennt zwischen Präsidenten auf der einen und Diktatoren auf der anderen Seite216 : "Even though characterized as a dictator, appellant was not hirnself the sovereign-government of Venezuela [ ... ]. He was chief executive, a public officer, of the sovereign nation of Venezuela."
"Sovereign authority" habe Jimenez hingegen nicht besessen. 1963 kommt es zur Auslieferung. Jimenez wird in Caracas zu einer Gefangnisstrafe verurteilt. 217 211 Die "provisorische Präsidentschaft" hatte Jimenez bereits am 3.12.1952 übernommen; AdG 1952,3766,3775. 212 Vgl. AdG 1953, 3957. 213 Vgl. 31 I.L.R. 374. - Ähnlich lautende Vorwürfe wurden übrigens bereits 1831 gegen den entthronten Herzog von Braunschweig (s. o. Kap. II. 1.) laut. In den späteren Jahrzehnten bemühte sich die Regierung des Herzogtums mehrfach (vergeblich), vor französischen und schweizerischen Gerichten die Herausgabe auf die Flucht mitgenommener 350.000 Taler sowie diverse Kostbarkeiten einzuklagen, vgl. nur Treitschke (Anm. 121), S. 125. Erst nach Karls 11. Tod kam es zu einer Vergleichslösung. 214 Die Jimenez vorgeworfenen Taten stellten Auslieferungsverbrechen nach Maßgabe des zwischen den USA und Venezuela geschlossenen Auslieferungsabkommens v. 19./21.1.1922 (40 LNTS 435) dar. 215 Jimenez v. Aristeguieta, 311 F. 2nd 547 (5 th Cir. 1962). Bei Letztgenanntem handelte es sich um den am Verfahren beteiligten venezolanischen Generalkonsul. 216 311 F. 2nd 557. s. a. Watts (Anm. 139), 22, 24. 217 Vgl. den Beitrag unter ; query: Perez Jimenez, Marcos.
III. Drogenhandel und Dissidentenverfolgung
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b) Das O'Hair-Verfahren
Ähnlich wie das bereits geschilderte Verfahren Mighell v. Sultan 0/ Johore 218 erscheint auch der folgende Fall einer Sammlung juristischer Absonderlichkeiten entnommen zu sein, der einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen einen gleichermaßen religiösen wie staatlichen Repräsentanten betrifft - den Papst: 1979 soll Johannes PaulII. erstmals die Vereinigten Staaten besuchen. In diesem Rahmen wünscht er auch auf Washingtons Mall, unter freiem Himmel, eine Messe zu zelebrieren. Das US-Innenministerium stimmt dem Vorhaben nach Maßgabe versammlungsrechtlicher Vorschriften zu. Gegen diesen Akt öffentlicher Religionsausübung, noch dazu auf Amerikas "Regierungsmeile", beschreitet noch im Vorfeld des Papstbesuchs der US-Bürger O'Hair den Rechtsweg; per gerichtlicher Verfügung möge Johannes Paul 11. das Abhalten der Messe zunächst untersagt werden 219 : erfolglos. Ungeachtet der Stellung des Antragsgegners als Repräsentant einer der weltgrößten Glaubensgemeinschaften, entscheidet das Gericht, verbiete sich in jedem Fall ein Verfahren gegen das Oberhaupt des Staats der Vatikanstadt, und gerade gegen dieses sei das Rechtsschutzbegehren gerichtet. 220 c) Die Marcos-Prozesse
Ferdinand Marcos ist erstmals 1965 und erneut 1969 zum philippinischen Präsidenten gewählt worden. In dieser Eigenschaft hat er die Washingtoner Politik in Südostasien (besonders in Vietnam) unterstützt und den USA die Errichtung von Militärstützpunkten auf den Philippinen ermöglicht. Im Inneren mit sich verschärfenden sozialen Spannungen und zumal den Aktivitäten kommunistischer und islamistischer Guerillagruppen konfrontiert, wurde ein diktatorischer Kurs eingeschlagen und 1972 das Kriegsrecht verhängt. 221 In mehreren 222 (umstrittenen 223 ) Abstimmungen lässt er sich in seinem Amt bestätigen. 224 Nach dem Tod seines größten innenpolitischen Gegners, Benigno Aquino, der kurz nach dessen Rückkehr aus dem amerikanischen Exil ermordet wird, und aufgrund der massiven Wahlfälschungen bei den Präsidentschaftswahlen von 1986 zu seinen Gunsten 225 , muss Marcos unter starkem Druck der Bevölkerung - und nun auch der US-Regierung, die ihren Prote(1894) 1 Q.B. 149; s.o. bei Kap. 11.2. O'Hair v. Wojtyla, zitiert nach 811.L.R. 607. 220 lbid., 608. 221 Vgl. RavenholtlRavenholt, 49 Brit. YB (1987),6 et seq. 222 1973, 1975, 1976 und 1977. 223 Vorwurf der Manipulation. 224 Alsbald nach Aufhebung des Kriegsrechts erreichte Marcos im Juni 1981 erneut seine Wahl zum Präsidenten (mit großen Vollmachten). 225 Vgl. RavenholtlRavenholt (Anm. 221), 12. 218
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1. Abschnitt: Ein Jahrtausend Tatbestände
ge nicht länger halten kann - auf die Präsidentschaft verzichten, woraufhin er mit seiner Familie nach Hawaii ins Exil geht. 226 Die Ruhe dort währt nur kurz: Alsbald nach seiner Ankunft reichen mehrere philippinische Bürger vor dem örtlichen Bundes-Distriktsgerichtz27 Klage gegen ihn ein - mit der Begründung, sie seien während der Verhängung des Kriegsrechts ungesetzlicher Inhaftierung 228 und Folter durch von Marcos gesteuerte paramilitärische Kräfte ausgesetzt gewesen 229 • Die Kläger werden indes abschlägig beschieden 230 , allerdings ohne dass für den Beschluss der "Immunität als früheres Staatsoberhaupt" - auf die Marcos sich ausdrücklich berufen hatz 3! - eine entscheidende Rolle zukommt. Den Ausschlag gibt vielmehr die Act of State-Doktrin 232 , wonach die staatlichen Gerichte keine Befugnis zur Überprüfung der Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit von Hoheitsakten eines anderen Staats oder dessen Behörden besitzen und Einwendungen gegen derartige Akte mithin nur auf diplomatischem Wege geltend gemacht werden können 233 • Jedoch hat dieser Beschluss nicht lange Bestand. Der Court of Appeals hebt ihn im Juni 1989 auf, verweist das Verfahren an das Distriktsgericht zurück 23 \ und als Marcos kurze Zeit später stirbt 235 , wird das Verfahren gegen seinen Nachlass weitergeführt. Zwischenzeitlich haben auch andere Opfer des Marcos-Regimes - vor anderen amerikanischen Gerichten - gleichartige Prozesse anhängig gemacht. 236 Um eine größere Effizienz und eine einheitliche Rechtsprechung zu gewährleisten, fasst man die einzelnen Klagen zusammen und bestimmt Chief Judge M. Real vom Ibid., 13. U. S. District Court for the District of Hawaii. 228 Man findet also wieder eine erstaunlich ähnliche Situation wie bereits 120 Jahre früher im Falle des Prozesses gegen Franz V. (s. o. bei Kap. H. 3.) vor. 229 "Plaintiffs seek compensatory and punitive damages arising out of Marcos' alleged tortius acts resulting in mass torture, murder, disappearance and presumed death of thousands of citizens of the Republic of the Philippines." - Bei besagten punitive damages handelt es sich um eine US-typische Besonderheit des Schadensersatzrechts, Ersatz für immaterielle Schäden, was dem Schmerzensgeld des BGB jedoch nur bedingt vergleichbar ist - zumal im Hinblick auf die Höhe der gewöhnlich zugesprochenen Beträge; vg!. Brockmeier, Punitive damages, Tübingen 1999, S. 10 ff. Steht bei Letzterem nach wie vor der Ausgleichs- (und Genugtuungs-)gedanke im Vordergrund, ist es in den USA die Sühnefunktion. 230 Hilao etal. v. Marcos, auszugsweise wiedergegeben in AVR 26 (1988), 240. 231 Vg!. Gliederungspunkt III B der Entscheidungsgründe. 232 III C der Entscheidungsgründe. 233 So der US-Supreme Court, vg!. die Entscheidungen in Sachen Underhill v. Hernandez -168 U.S. 250 (1897) und Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino- 376 U.S. 398 (1964), s. 58 AJIL 779 (1964) sowie DahmlDelbrück/Woljrum, Völkerrecht I/I, 2. Aufl., Berlin/New York 1989, S.487 ff.; Fonteyne, Acts of State, EPIL 10 (1987), p. 1, jeweils m. w. N. 234 V g!. 878 F. 2 nd 1438 (9 th Cir. 1989). 235 Am 28.9.1989. 236 V g!. nur das Verfahren Guinto v. Marcos - 654 F. Supp. 276 (S. D. Ca!. 1986), in dem es um die Zensierung eines Films während des Kriegsrechts ging, und Trajano v. Marcos and Another - 878 F. 2 nd 1439 (9th Cir. 1989). 226 227
111. Drogenhandel und Dissidentenverfolgung
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District Court für Hawaii 237 als allein zuständiges Gericht. Nunmehr wird den Klagen der Opfer stattgegeben. 238 Die Berufungsinstanz bestätigt das Urteil 239 : Es bestehe - nach den dramatischen Entwicklungsschüben, die das Völkerrecht hinsichtlich der Stellung des Individuums seit dem Zweiten Weltkrieg erfahren habe - kein Zweifel mehr daran, dass grausame, unmenschliche oder erniedrigende Bestrafungen (oder sonstige Behandlungsweisen) universelles internationales Gewohnheitsrecht verletzten. Zwar könne man nicht so weit gehen, jedweden nach Völkerrecht eventuell menschenrechtswidrigen Akt durch die Eröffnung einer Klagemöglichkeit240 in den Vereinigten Staaten zu sanktionieren; doch sei es nicht angängig, den Opfern so gravierender Menschenrechtsverletzungen, wie sie im Fall brutaler Folterungen bejaht werden müssten 241 , die Rechtsverfolgung gegen ihre Peiniger mit dem Hinweis auf die angeblich staatlich-hoheitliche Natur ihrer Taten, die es zu respektieren gelte und die nicht überprüfbar seien, zu verweigern. Früher zu einer Genugtuung kommen die Kläger im "Fall Domingo", die bereits zu Beginn der 80er-Jahre ihre Anträge auf Schadensersatz und "Strafsummen"242 bei dem Distriktsgericht im US-Bundesstaat Washington eingereicht haben. Den Hintergrund bildet die Tatsache, dass 1981 der Gewerkschaftsfunktionär und Marcos-Gegner Silme Doming0 243 - mutmaßlich im Auftrag des philippinischen Geheimdienstes - in Seattle ermordet worden ist; Marcos ist hier nur einer unter mehreren Prozessgegnern der als Klägergemeinschaft auftretenden Hinterbliebenen Domingos 244 . Marcos' Anwälte beantragen, die Klage abzuweisen; wieder im Hinblick auf die Immunität, die ihm als (wenn auch gegenwärtig nicht - mehr - amtierendes) 237 Die Dokumentation unter nennt hierfälschlich - den District Court für Zentralkalifornien. 238 Am 23.2.1994 sprach die Jury den Klägern - auch hier unter "pönalisierenden" Gesichtspunkten, vgl. Anm. 229 - die Summe von $1,2Mio. zu; 25 F. 3n! 1469 (9th Cir. 1994). 239 Vgl. Hilao v. Estate 01 Marcos, 25 F. 3,d 1467; ebenfalls abgedruckt in 4 AILC 3n! 2083 (1994). 240 Für den oder die von einem solchen Akt nachteilig betroffenen Personen. 24\ 23 F.3'd 1475:
,,[T]he right to be free from official torture is fundamental and universal, a right deserving the highest stature under internationallaw, a norm of ius cogens. The crack of the whip, the clamp of the thump screw, the crush of the iron maiden, and, in these more efficient modem times, the shock of the electric cattle prod are forms of torture that the international order will not tolerate. To subject a person to such horrors is to commit one of the most egregious violations of the personal security and dignity of a human being." Dieses an Anschaulichkeit wohl schwer zu übertreffende Zitat entnahm Richter Tang dem (ebenfalls vom Neunten Circuit) zuungunsten eines fremden Staats, der Argentinischen Republik, entschiedenen Siderman de Blake-Fall, 965 F. 2nd 717 (1992) == 103 I.L.R. 473. 242 S. o. Anm.229. 243 Sowie eines weiteren Oppositionellen (G. Viernes). 244 Das Verfahren war nicht allein gegen Marcos, sondern v. a. auch gegen den philippinischen Staat gerichtet: Estate 01 Domingo v. Republic olThe Philippines et al., 694 F. Supp. 782 (W.D. Wash. 1988) == 15 AILC2nd 75.
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1. Abschnitt: Ein Jahrtausend Tatbestände
Staatsoberhaupt der Philippinen gebühre. Bei Erhebung der Klage habe Marcos zudem noch unangefochten regiert; tatsächlich ist das Gericht zunächst davon ausgegangen, Marcos müsse aus dem Kreis der Beklagten ausscheiden, nachdem das USState Department245 in einem Schriftsatz die Auffassung vertreten hatte 246 , seine Stellung als Präsident schütze ihn davor, sich verantworten zu müssen 247 . Richter Rothstein nimmt dagegen einen anderen Standpunkt ein: Nunmehr, da Marcos entmachtet sei, habe sich eine neue Situation ergeben, die eine Abänderung der früheren gerichtlichen Position rechtfertige. Zwar werde er für Entscheidungen, die er als Amtsträger getroffen habe und für die er, solange er dieses Amt innehatte, nicht zur Verantwortung zu ziehen war, nach dessen Verlust nicht automatisch doch verantwortlich. Aber anders als noch einige Jahre zuvor, fehle nun eine auf die neue Lage eingehende suggestion 0/ immunity von offizieller Seite. Nur Marcos persönlich reklamiere wie ehedem schon Immunität für sich, doch "neither the State Department, nor the Philippine government has interceded on Marcoses,248 behalf in the present dispute"249. Des Weiteren müsse dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der ehemalige Präsident der Philippinen mittlerweile als Privatmann dauernd im Inland lebe, nachdem er den US-Bundesstaat Hawaii als Exilort gewählt habe. 250 Daher könne der Beklagtenstatus gleichsam wieder aufleben. 25 1,252
In weiteren Aufsehen erregenden Zivilverfahren, angestrengt durch die neue philippinische Regierung, ist Marcos (und mit ihm seiner Ehefrau Imelda Romualdez) zur Last gelegt worden, Staatsgelder in Höhe von $ 103 Mio. beiseite geschafft zu haben 253, um damit für sich und seine Angehörigen Kunstschätze und Grundstücke Außenministerium der Vereinigten Staaten. Vgl. Mal/ory, 86 Col. L. Rev. 175 (1986). 247 Vgl. 694 F. Supp. 783. 248 Der Plural erklärt durch den Umstand, dass sich u.a. auch Marcos' Ehefrau unter den Beklagten befand. 249 694 F. Supp. 786. 250 lbid. - ,,[Marcos] is now an alien with no official status who has chosen to take up residence in this country." 251 Letztlich dürfte das Gericht auch Zweifel an dem Punkt gehabt haben, dass Marcos' Beteiligung an der Ermordung Domingos im eigentlichen Sinn als amtliche oder "offizielle" Handlung einzustufen wäre. Dieser Umstand wurde aber nicht weiter thematisiert; lediglich die Formulierung ,,[ ... ] must defend the legality of private (Hervorhebung vom Verfasser) acts committed in the United States" deutet in diese Richtung. 252 Zu einem "Endurteil" kam es in der Sache dennoch nicht. 1991 verglichen sich Marcos' Witwe und übrige Erben mit den Klägern auf$2Mio. Schadensersatz (N. Y.T., May21, 1991, p.AI8). 253 V gl. oben Kap. III. 3. a). - Mit gleichen Begründungen hatte die iranische Regierung nach dem Umsturz 1979 vor New Yorker Gerichten gegen den abgesetzten Schah prozessiert (Jslamic Republic of/ran v. Pahlavi et al.). Hier schlossen die USA nach Verhandlungen mit Iran jedoch im Januar 1981 das Übereinkommen von Algier, wonach sie sich ihren Gerichten anzuzeigen verpflichteten, dass von Seiten der amerikanischen Administration diesen Klagen die Act of State-Doktrin oder Bedenken bezüglich einer "Sovereign Immunity" nicht entgegen245
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III. Drogenhandel und Dissidentenverfolgung
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in den USA zu erwerben 254 . In diesen Fällen argumentieren die Appellationsgerichte, im Unterschied zum Domingo-Urteil, wieder im Wesentlichen mit der Act of State-Doktrin 255 ; allerdings haben die Klagen hier schon frühzeitig Erfolg 256 : Kann man wirklich von Staatsakten sprechen, wenn ein Präsident Gelder ..abzweigt"? Und muss nicht berücksichtigt werden, dass es gerade der philippinische Staat ist, der die Klage erhoben hat?
Strafrechtliche Konsequenzen ergeben sich für Marcos bei alledem nicht. Unter anderen Umständen können diese im Verhältnis zu den zivilgerichtlichen Bemühungen, die ..Untaten" fremder Despoten zu bewältigen, dagegen durchaus sogar im Vordergrund stehen, wie der Fall des panamaischen Machthabers Noriega beweist. d) Der "Pate von Panama" Manuel Noriega Morena 257, 1968 als General am Putsch gegen den panamaischen Präsidenten Arias beteiligt gewesen, hat in den Folgejahren als Geheimdienstchef reüssiert. Nominell ..nur" Oberbefehlshaber der "Nationalen Verteidigungskräfte"258 bzw. Chef der Nationalgarde, steht er als Drahtzieher und eigentlicher Machthaber hinter den Regierungen Barletta (1984/85) und Delvalle (1985-88).259 Seit Mitte der 6Oer-Jahre wegen enger Zusammenarbeit mit der CIA ungeachtet seiner stünden, 81 I.L.R. 558. Der Zusammenhang mit den Befreiungsbemühungen für die im gleichen Zeitraum in der Teheraner US-Botschaft festgehaltenen Geiseln bedarf gewiss keiner näheren Darlegung. Gleichwohl erklärten sich die Gerichte letztlich für unzuständig, begründeten dies aber mit der Selbsteinstufung als .. ungeeignetes" Forum (forum non conveniens). Der französische Prozess Duvalier c. Etat hairien (1. D. I. 1991, 137 = 113 I. L. R. 448) hatte den gleichen sachlichen Hintergrund. Die Klage gegen "Baby Doc" Duvalier war selbst in letzter Instanz erfolglos, was sich allerdings - dem Pariser Kassationsgerichtshof zufolge - damit erklärte, dass man einen Rechtsstreit zwischen einem fremden Staat und dessen ..Führung" annahm, der öffentlich-rechtlicher Natur sei und für den es keine die Zuständigkeit der französischen Justiz eröffnende Norm im französischen Prozessrecht gebe. In dem Urteil wurde weder der Umstand, dass Duvalier mittlerweile Privatmann war noch die Frage nach einer (fortwirkenden?) völkerrechtlichen Immunität als Staatsoberhaupt aufgegriffen. 254 AdG 1988, 32788. 255 806 F. 2 nd 344 (2 nd Cir. 1986), 818 F. 2 nd 1473 (9 th Cir. 1987); zitiert nach 10 AILC2 nd79, 324. - Aus dem gleichen Grund, d. h. wegen der Anwendung der Act 0/ State-Doktrin, scheiterte bereits 1975 - damals regierte Marcos noch und besuchte gerade die USA - eine ähnliche Klage; vgl. Psinakis et al. v. Marcos, 1975 Dig. U.S. Prac. 344-345, auszugsweise auch wiedergegeben in 81 I.L.R. 605. 256 Die Mitbeklagte Imelda Romualdez wurde jedoch 1990 freigesprochen. Der immense politische Einfluss, den diese in ihrer Heimat ausübte, steht außer Zweifel, doch konnte sie -m.E. zu Recht- wederde iure noch de/acto (s. u. 2. Abschn., Kap. I. 2.) als philippinische (Ko-)Präsidentin betrachtet werden; auch wenn später ein anderes US-Distriktsgericht in einem obiter dictum ebendies behauptete; s. u. Kap. III. 3. e), Anm. 278. 257 Im Folgenden nur Noriega (vgl. Anm.209). 258 Seit 1983. 259 50 Brit. YB (1988), 78.
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gleichzeitigen Verstrickung in Drogengeschäfte von den USA unterstützt260, wird Noriega - vor dem Hintergrund, dass Panama im Jahr 2000 die vollen Hoheitsrechte über den Panamakanal übernehmen S01l261 - im Februar 1988 in Miami u. a. wegen Rauschgifthandels angeklagt. Die Präsidentschaftswahlen im Mai 1989 lässt Noriega annullieren; er ernennt eine "provisorische Regierung" und nimmt sich bald darauf diktatorische Vollmachten. 262 Nach der amerikanischen Invasion in Panama (20.12.1989)263 sucht Noriega schließlich am Heiligen Abend Zuflucht in der vatikanischen Botschaft; seine Bemühungen, Asyl in einem Drittland zu erhalten scheitern jedoch, nicht zuletzt am Widerstand der USA, die davon überzeugt sind, dass er seine "verbrecherischen Aktivitäten" von jedem "anderen Punkt der Erde als einer amerikanischen Gefangniszelle" aus weiter fortsetzen würde. 264 Auch in der neuen panamaischen Regierung kommt es kurzzeitig zu Differenzen über Noriegas Schicksal. Justizminister Cruz, der der Auffassung ist, Panama müsse die Aufarbeitung seiner Vergangenheit selbst in die Hand nehmen, will den General im eigenen Land zur Rechenschaft gezogen sehen. Dem widerspricht, in Übereinstimmung mit Washington, Präsident Endara: Öffentlich brüskiert er seinen Minister, indem er darauf hinweist, Panamas Justiz sei nach den Jahren der Noriega-Herrschaft dermaßen korrumpiert, dass ein ernst zu nehmendes Verfahren gegen den früheren Machthaber nicht erwartet werden könne. Anders sei die Lage in den Vereinigten Staaten, die ihm bereits einen fairen Prozess zugesichert hätten. 265 In dieser ausweglosen Situation stellt Noriega sich am 3.1.1990 den die Nuntiatur belagernden US-Truppen. 266 Tatsächlich bekommt er in Florida das versprochene faire, d. h. dem amerikanischen Straf- und Strafprozessrecht267 gemäße Verfahren - vor einer Jury, mit Verteidigern an seiner Seite. Dennoch verurteilt ihn das Gericht letztendlich zu einer Gefängnisstrafe von 40 Jahren, obgleich er u. a. geltend gemacht hat, ein Kriegsgefangener zu sein, der allein aufgrund einer völkerrechtswidrigen Intervention in die Gewalt der USA geraten sei 268 und darüber hinaus als ehemaliges Staatsoberhaupt Panamas, als "Führer der panamaischen Nation", Immunität genießen müsse. Das Ibid. Vgl. AdG 1988,32007; 1992, 3697l. 262 AdG 1989,33340. 263 Z. T. wurde die Auffassung vertreten, Noriegas Gefangensetzung sei überhaupt der eigentliche Grund für die US-Invasion gewesen, vgl. Henkin, 216 RdC (l989-IV), 31l. 264 Zu diesen Vorgängen vgl. AdG 1990,34118. 265 Ibid. 266 Vgl. auch Seidenberger (Anm.203), S. 275 m. w.N. 267 Des Weiteren hatte die Regierung Endara in den USA eine Zivilklage gegen Noriega eingereicht - wegen Mordes, Folterung und "Plünderung des Staatsschatzes" (AdG 1991, 36004). Vgl. hinsichtlich des Letzteren oben Anm. 253 sowie 213 und den zugehörigen Text. Ebenso wie an manch anderen Punkten der Geschichte drängt sich auch hier Nietzsches Gedanke von der "ewigen Wiederkehr des Gleichen" (Also sprach Zarathustra [1884], Vom Gesicht und Rätsei 2) auf. 268 Vgl. nur AdG (Anm.264) sowie die Folgeentscheidung zu diesem speziellen Punkt, 808 F. Supp. 791 (S. D. Ra. 1992). 260
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letztere Argument weist das Gericht mit der Begründung zurück, auch wenn der Angeklagte de facto (was sich schwerlich leugnen lässt) Panamas Geschicke gelenkt habe 269 , so sei er doch nicht - auch nicht nach panamaischem Verfassungsrecht - das rechtmäßige Staatsoberhaupt jenes Landes gewesen, und da insbesondere die USA ihn zu keinem Zeitpunkt als solches anerkannt hätten, verdiene er auch keine Immunität27o • Noriega legt Berufung ein, aber der Court of Appeals bestätigt das Urteil 271 • Er greift die Argumentationsstruktur der Vorinstanz auf272 , führt allerdings im Weiteren noch zwei andere Aspekte an, zum einen die Tatsache, dass Panamas neue Regierung nicht um Immunität für Noriega nachgesucht habe, zum anderen die persönliche Bereicherung, der seine Drogengeschäfte ausschließlich gedient hätten 273 •
e) Aristide und die Witwe Lafontant Jean-Bertrand Aristide - ein ehemaliger Priester, und eben erst demokratisch gewählter Präsident des krisengeschüttelten Haiti - soll durch einen Staatsstreich beseitigt werden. Ein führender Kopf der Verschwörung ist Roger Lafontant, der viele Jahre eine Schlüsselrolle in der haitianischen Politik eingenommen hat274 • Der Versuch misslingt; Lafontant wird wegen seiner Beteiligung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. 275 Eines Nachts wird er von einem Wachmann aus der Zelle geholt und erschossen. Zwei Tage darauf276 stürzt das Militär Aristide, der in die USA flieht. 277 Nachdem er dort ein Jahr im Exil gelebt hat, begehrt Lafontants Witwe von ihm die Zahlung einer Hinterbliebenenrente; da Aristide dies verweigert, kommt es zum Prozess 278 , in dessen Verlauf sie anführt, Aristide selbst habe den Befehl zur "Exekutierung" ihres Mannes erteilt. 279 Selbst nach haitianisehern Recht stelle sich dies nicht einfach als Überschreitung Aristides "offizieller", sc. präsidialer Kompetenzen, sonU.S. v. Noriega, 746 F. Supp. 1520 (S.D. Fla. 1990), auch abgedruckt in 99 I.L.R. 143. Ibid., 1519 ("[00'] in absence of executive recognition of his status"). 271 Berufungsentscheidung in der Strafsache U.S. v.Noriega, 117 F.3 nt 1206 (11 th Cir. 1997), auszugsweise auch wiedergegeben in 111 Harv. L. Rev. 849-854 (1998). 272 "Noriega never served as the constitutionalleader of Panama [. ooj", 117 F. 3,d 1212. 273 Ibid. - Derselbe Gedanke wurde auch im vorerwähnten Fall limenez v. Aristeguieta, 311 F. 2nd 558 (5 th Cir. 1962) aufgegriffen. 274 Unter dem Diktator Jean-Claude Duvalier, dessen enger Vertrauter er war, versah er u. a. das Amt des Polizeiministers. 275 AdG 1991,35320. 276 Am 30.9.1991. 277 53 Brit.YB (1991),492. 278 Lafontantv. Aristide, 844 F. Supp.128 (E.D.N. Y. 1994); von Dellapenna in 88 AJIL 528 (1994) kommentiert. 279 Diese Beschuldigung hatte auch der neue haitianische Machthaber, General C6dras, erhoben; vgl. AdG 1991,36079. 269
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dem als strafbare Handlung dar. 280 Das State Department dagegen ergreift für Aristide Partei. Zurzeit sei ernach wie vor das rechtmäßige Staatsoberhaupt Haitis 281 ; von daher genieße er Immunität 282 • 283 Ein etwaiger Verzicht hierauf, wie es in dem vor kurzem abgeschlossenen Verfahren gegen einen ehemaligen Militärrnachthaber (gleichfalls ein Haitianer) der Fall gewesen wäre 284, sei nicht erklärt worden - was die Klägerin bestreitet: Die gegenwärtige und effektive Regierung Haitis habe sehr wohl mögliche Immunitätsvorrechte ihres Expräsidenten preisgegeben, was allein schon das von ihr vorangetriebene Strafverfahren gegen Aristide 285 beweise 286 • Das Gericht nimmt demgegenüber den Standpunkt ein, dass dies aber gerade die unrechtmäßige und von den USA nicht anerkannte Regierung und deren Verzichtserklärung - so denn eine solche vorläge - mithin unbeachtlich sei. 287 Eine andere Wertung würde bedeuten, die Entscheidung der außenpolitisch zuständigen US-Stellen darüber, wen die USA als in den bilateralen Beziehungen zur Vertretung Haitis zuständig ansähen, 280 Folgerichtig hatte ein Gericht in Port-au-Prince am 6.11.1991 auch einen Haftbefehl gegen Aristide erlassen (103 I.L.R. 581). 281 Die USA hatten bereits Anfang 1991 klargestellt, dass eine Putschregierung in Haiti nicht mit ihrer Anerkennung durch Washington rechnen könne (AdG 1991,35320). Präsident Bush bekräftigte dies nochmals unmittelbar nach dem Staatsstreich in einer Rede vor der OAS-Generalversammlung (2.10.1991), zitiert nach den Entscheidungsgründen, 844 ESupp.130. 282 Darauf hatte Aristide sich explizit berufen. - Eine spezielle Immunität als Chef einer haitianischen Exilregierung dagegen machte weder Aristide geltend noch wurde dies im Urteil erwogen: Hierfür war auch kein Raum, da die Duldung einer Exilregierung auf dem eigenen Staatsgebiet in Friedenszeiten völkerrechtswidrig ist; vgl. KimminichlHobe, Das Völkerrecht, 7. Aufl., TübingenlBasel2000, S.102. 283 In gleicher Weise hatte sich das State Department einige Jahre früher in einem u. a. gegen den seinerzeit (anders als Aristide unzweifelhaft) amtierenden mexikanischen Präsidenten Miguel de la Madrid angestrengten Zivilprozess geäußert. Hintergrund dieses Verfahrens waren vom Kläger, übrigens einem US-Bürger, behauptete Menschenrechtsverletzungen (Festhalten und Bedrohung von Demonstranten) durch Bedienstete des mexikanischen Konsulats in Los Angeles. Der District Court billigte dem Präsidenten absolute Freiheit von amerikanischer Gerichtsbarkeit zu. Die Berufungsinstanz hob das Urteil hinsichtlich bestimmter anderer Mitbeklagter auf und verwies den Rechtsstreit zurück; stellte aber in einem obiter dictum fest, dass es dem Kläger erlaubt sein müsse, .. [ ... ) to amend his complaint, if he wishes, to gain jurisdiction over the other defendants as weIl". Wie dies jedenfalls in Bezug auf de la Madrid, der hiervon ebenfalls umfasst war - an den man andererseits eventuell überhaupt nicht weiter gedacht hatte-, möglich sein sollte, wurde nicht angedeutet. Im Folgeprozess wurde de la Madrid dann allerdings auch nicht mehr in Anspruch genommen. s. lack Gerritsen v. de La Madrid and Others, 819 E 2nd 1511 (9th Cir. 1987). 284 Die Feststellung war zutreffend. Es handelte sich um den vor dem Bundes-Distriktsgericht für Südflorida verhandelten Prozess PauL and Others v. Avril, 812 E Supp. 207 (1993). Dieser Immunitätsverzicht warf keine Probleme auf, da Aristide ihn, namens der Republik Haiti, noch vor dem Putsch vom 30.9.1991 erklärt hatte (vgl. E Supp. 210). 285 s. o. Anm. 280. 286 Vgl. 844 E Supp. 134. 2871bid.
III. Drogenhande1 und Dissidentenverfolgung
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zu konterkarieren. 288 Gladys Lafontants Klage wird abgewiesen. 289 - Im Oktober 1994 kehrt Aristide in den Präsidentenpalast von Port-au-Prince zurück.
f) Die Karadiic-Entscheidungen Der Bürgerkrieg auf dem Balkan tobt bereits, als im Mai 1992 der Psychotherapeut und Lyriker Radovan Karadzi6 Präsident der von den bosnischen Serben ausgerufenen Republika Srpska wird 290. Schon vor dem Ausbruch der offenen Feindseligkeiten hat er eine extrem nationalistische Linie verfolgt; alsbald nach seinem Amtsantritt häufen sich die Meldungen über Massenexekutionen und Hungertode in serbischen Gefangenenlagern (v. a. Omarska). Und noch im Dezember 1992 sieht sich der UN-Sicherheitsrat dazu veranlasst, die "systematische Vergewaltigung insbesondere muslimischer Frauen" in Bosnien-Herzegowina, von den serbischen Milizionären mit offener Unterstützung ihrer Führung als eines der Mittel im Rahmen der sog. ethnischen Säuberungen291 eingesetzt292 , als "Akte unaussprechlicher Brutalität" zu verurteilen. 293 Als am 4.2.1993 in New York die Verhandlungen über den Vance-Owen-Friedensplan beginnen, nimmt auch Karadzi6 daran teil, obwohl er bereits als mutmaßlicher Kriegsverbrecher eingestuft ist. Die US-Regierung hat ihm - in realistischer Einschätzung der Lage, dass sich über die bosnisch-serbische Führung hinweg ohnedies keine ernst zu nehmenden Resultate erzielen lassen würden 294 - die Einreise gestattet, seine Bewegungsfreiheit jedoch auf das Areal um das UN -Hauptquartier beschränkt. Dennoch geschieht etwas Unvorhergesehenes: Opfer des Bürgerkriegs, überwiegend Frauen, laden ihn vor ein New Yorker Bundesgericht und verlangen Schadens288 Ibid., 132, 139. Auch Präsident Clinton hatte sich die Haltung seines Amtsvorgängers in Bezug auf Aristide zu Eigen gemacht, s. o. Anm. 281. 289 844 F. Supp. 140. 290 Zuvor hatte Bosnien-Herzegowina gegen den Widerstand der serbischen Abgeordneten, die daraufhin ein eigenes Parlament bildeten, am 15.10.1991 sein Ausscheiden aus dem - serbisch dominierten - jugoslawischen Staats verband erklärt. Während v. a. die Muslime an der Idee eines trinationalen Staats festhielten, verfolgten die bosnischen Serben das Ziel der Sammlung aller Serben in einem Staat. Zur Arrondierung ihrer Siedlungsgebiete und bis zu deren offiziellem Rückzug (Juni 1992) direkt unterstützt von der jugoslawischen Armee, besetzten ihre Verbände in kurzer Zeit mehr als zwei Drittel des Territoriums von Bosnien-Herzegowina (AdG 1992,36539,36743; s.a. Hillgruber [Anm.194], S.662ff.). 291 Zu "ethnischer Säuberung" und Völkerrecht s. deZayas, AVR 35 (1997), 29. 292 Hierbei zielten die Täter darauf ab, die betreffenden Frauen - möglichst nachdem sie ein "Serbenkind" geboren hatten - in den Augen der bosnisch-muslimischen Männer ein für allemal zu "entehren", so dass sie für künftige Familiengründungen nicht mehr in Frage kamen. Vgl. auch den Report des UN-Sonderberichterstatters Mazowiecki in EA 1995 #12, 94ff. 293 UN Doc. S/RES/789 (1992) v.18.12.1992. 294 Die beiden Vermittler Vance und Owen befürchteten allein schon ein Unmöglich werden der Verhandlungen, wenn ihre "serbischen Partner" am Konferenztisch mit etwas Derartigem nur in Verbindung gebracht würden; AdG 1993,37617.
5 Tangennann
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1. Abschnitt: Ein Jahrtausend Tatbestände
ersatz - und, wie in den USA üblich, "Strafsummen" - im Hinblick auf von ihm verschuldete Morde, Vergewaltigungen und weitere schwere Menschenrechtsverletzungen. 295 Dieses Ziel verfolgen die Klägerinnen im Wege zweier Sammelklagen296.297; die Zuständigkeit des Bundesgerichts versuchen sie über die Zustellung der Klageschrift innerhalb des Gerichtsbezirks zu begründen 298 . Die Übergabe des Schriftsatzes kann überraschend in Karadfics New Yorker Hotel bewerkstelligt werden - einem Mann namens Jonathan Saroko ist es gelungen, sich an den Serbenführer heranzumachen, obgleich dessen Leibwächter zunächst einen Attentatsversuch auf ihn vermutet haben. 299 Am 7.9.1994 werden die Klagen abgewiesen. 3OO Zentrale Bedeutung kommt dabei der Frage der völkerrechtlichen Anerkennung seitens der Vereinigten Staaten zu: Zum einen, führt Richter Leisure aus, gebe es keine Anspruchsgrundlage, da die Republika Srpska nicht anerkannt worden sei; zum anderen müsse eine Entscheidung zwangsläufig und unzulässigerweise eher einem Rechtsgutachten als einem Urteil gleichen 301 , da ebendie se Anerkennung schließlich jederzeit erfolgen könne 302 • Zunächst sei es ein Faktum, dass die US-Regierung Karadfics Serbische Republik nicht als Staat anerkannt habe. An diese Entscheidung der Exekutive - einen 295 Von Seiten der bosnisch-herzegowinischen Zentralregierung war bereits am 21.4.1992 ein (Straf)verfahren gegen Karadzic eingeleitet worden; er sollte befohlen haben, Sarajevo unter Artilleriebeschuss zu nehmen; AdG 1992,36743. Es verlief im Sande. 296 Sog. class action; wie auch im derzeit (März 200 1) noch nicht endgültig beigelegten Fall der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter im nationalsozialistischen Deutschland. 297 Jane Doe et al. v. Karadzic sowie S. Kadic et al. v. Karadzic (866 F. Supp. 734 [S.D.N. Y. 1994], auch abgedruckt in 104 I.L.R. 135). Bei den Ersteren handelte es sich überwiegend um Hinterbliebene zu Tode gekommener bosnischer Männer, im Kadic-Fall hauptsächlich um Vergewaltigungsopfer. Die Klagen wurden gemeinsam verhandelt und beschieden. - Bei der zugrunde liegenden Fallgestaltung ausgerechnet eine ,,Jane Doe" als Klägerin vorzufinden, mag vielleicht befremden, erklärt sich aber durch die Praxis US-amerikanischer Gerichte, in außergewöhnlichen Konstellationen von Amts wegen den Namen John bzw. Jane Doe für die berechtigterweise anonym zu bleiben wünschende Klägerseite zu verwenden. 298 Dieser Weg musste eingeschlagen werden, da KaradZic - anders als Marcos oder Aristide in den zuvor geschilderten Fällen - nicht in den USA wohnhaft war. Andererseits ist es nach US-Recht möglich, durch die Übergabe der Klageschrift auch an bloße Durchreisende die Zuständigkeit der örtlichen Gerichte für den jeweiligen Rechtsstreit zu begründen (transient jurisdiction); vgl. Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, Berlin 1997, S. 173 f. 299 Dies bezog sich auf die Klageschrift in der Sache Jane Doe et al. v. Karadzic (vgl. 866 F. Supp. 737). Der Schriftsatz der Klägerinnen im Kadic-Fall wurde weniger spektakulär über einen Sicherheitsbeamten zugestellt. - In der Folgezeit verhandelte KaradZic auch in Genf. Dort kam es nicht zu vergleichbaren Ereignissen. 300 Karadzic war in diesem Prozess zwar anwaltlich vertreten; er selbst hatte die USA jedoch unmittelbar nach der Gesprächsrunde verlassen und ihren Machtbereich seither begreiflicherweise nicht wieder betreten. 301 Bundesgerichte haben verbindlich über Cases und Controversies zu urteilen, Art. III, sec. 2 US-Verf. 302 Vgl. hierzuCohen, N.Y.T., Mar.13, 1994, p.AlO.
III. Drogenhandel und Dissidentenverfolgung
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ausländischen Staat (oder seine Regierung 303 ) anzuerkennen oder nicht - seien amerikanische Gerichte gebunden. 304 Folglich müsse man davon ausgehen, dass Karadzic als Privatmann, als bosnisch-herzegowinischer Staatsbürger 305 gehandelt habe; Folterhandlungen einer Privatperson verstießen aber nicht gegen das Völkerrecht. 306 Sobald jedoch die USA den bosnischen Serbenstaat anerkennen würden, genösse Karadzic als dessen Präsident absolute Immunität. 307 Dies würde ein Urteil in der Sache notwendig zum Rechtsgutachten abwerten, da es dann ein Exekutivorgan in der Hand habe, eine Judikativentscheidung nach eigenem Ermessen hinfällig zu machen. 30s Die Berufungsinstanz hebt das Urteil am 13.10.1995 auf; die Verfahren werden zur neuerlichen Verhandlung zurückverwiesen. Materiell-rechtlich, insoweit wird die Ausgangsposition des District Court bestätigt, komme es tatsächlich auf eine Verletzung von Normen des Völkerrechts durch den Beklagten an. Doch dass Richter Leisure sich wegen der Nichtanerkennung der Republika Srpska durch die USRegierung daran gehindert sah, die Vorwürfe gegen Karadzic als derartige Verletzungen zu qualifizieren, beruhe auf einer Fehleinschätzung: Ein Staat sei auch dann an das Völkerrecht gebunden, wenn andere ihn nicht anerkannt hätten; nicht die Legitimität eines Staats oder seiner Regierung sei im Hinblick auf die Haftung für Völkerrechtsverletzungen der maßgebliche Anknüpfungspunkt, sondern vielmehr die tatsächliche Herrschaft über ein Gebiet 309 - was im konkreten Fall unzweifelhaft zu bejahen war 31O • 311 Eine Immunität sei Karadzic demgegenüber weder vor dem Hintergrund der Umstände der konkreten Klageerhebung 312 noch generell zuzuerkennen. Fest stehe, Vgl. das oben anlässlich der Entscheidung Lafontant v. Aristide Gesagte. Vgl. hierzu Brownlie, Principles ofInternational Law, 5 th ed., Oxford 1998, pp. 97-103.Sofern ein Staat die völkerrechtlichen Anforderungen an einen solchen erfüllt, kann er zwar, auch wenn die USA ihn nicht anerkennen, nicht als Nullum behandelt werden; US-Gerichte dürfen seinen Akten jedoch nur eingeschränkt Wirkung verschaffen; vgl. Scheffler (Anm. 298), S. 143 m. w. N. 305 Die USA - wie auch die EG-Mitglieder im Rahmen der EPZ - hatten Bosnien-Herzegowina als unabhängigen Staat am 7.4.1992 anerkannt (AdG 1992,36650). 306 866 F. Supp. 740. - Auch der Torture Victim ProtectionAct (28 U.S.C. sec. 1350) erfasse "faktische" Folterhandlungen, die ein Privatmann begehe, nicht; F. Supp. 742. 307 Insoweit stützte sich das Gericht ausdrücklich auf das Urteil im Lafontant-Fall. 308 Vgl. 866 F. Supp. 738. 309 De facto-Regime werden unstreitig als völkerrechtlich aktiv deliktsfahig betrachtet; vgl. das Rechtsgutachten des IGH zu den "Legal consequences for States of the continued presence of South Africa in Namibia", I.C.J. Reports 1971,54 (para. 118) sowie Frowein, De facto Regime, EPIL 10 (1987), p. 73. 310 Im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung beherrschten die bosnischen Serben effektiv weite Teile Bosnien-Herzegowinas. 31l Vgl. zum Ganzen die Entscheidung des Court of Appeals, 70 F. 3n1 232 (2 nd Cir. 1995) = 104 I.L.R. 149; s. a. 90 AJIL 658 (1995). 312 Karadzics Anwälte verwiesen auf das Sitzstaatsabkommen v. 26.6.1947 zwischen den USA und den Vereinten Nationen (11 UNTS 11 = UNYB 1947/48, 199) und sahen bereits in 303
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dass die USA derzeit weder die Serbische Republik als Staat - und das Gericht setzt hinzu: als "friendly nation" - noch Karadfi6 als dessen Oberhaupt anerkannt hätten; Spekulationen über zukünftige Entwicklungen seien fehl am Platz. 313 Gewiss könne man die (außen)politische Brisanz der gesamten Materie, in welche die amerikanischen Gerichte sich in dieser Angelegenheit hineingezogen fanden, nicht leugnen. Doch bedingt dieser Umstand - wie Karadfics Prozessvertreter meinen - zwangsläufig die Nichtjustiziabilität des Falls? "Wir vermögen uns dem nicht anzuschließen", heißt es; letztlich berühre jeder Fall mit Auslandsbezug politische Fragen 314 , trotzdem sei der US-Gesetzgeber davon ausgegangen, dass fremde Staatsangehörige oder Staatenlose wegen im Ausland erlittener Schäden aus unerlaubten Handlungen, allzumal Menschenrechtsverletzungen, vor amerikanischen Gerichten klagen dürften 315 • Des Weiteren hätten die außenpolitisch verantwortlichen Stellen der USA bereits ihrer Ansicht Ausdruck verliehen, wonach es sich vorliegend um keinen "political case" handele. 316 In Betracht zu ziehen sei allenfalls die Act 0/ StateDoktrin 317 • Diese aber habe man weder in dem gegenwärtigen (Berufungs-) noch in dem vorausgegangenen Verfahren zur Sprache gebracht; auch sei es in höchstem Maße zweifelhaft, ob ein Rückgriff auf diese Doktrin in einer Konstellation wie im konkreten Fall, insbesondere im Hinblick auf die erhobenen Vorwürfe von historischer Dimension, überhaupt noch statthaft wäre. 318 Da in der gegenwärtigen politischen Situation auch kein anderer, "geeigneterer" Gerichtsstand 319, v. a. nicht im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, erkennbar sei, dürfe sich die US-Justiz ihrer Verantwortung nicht entziehen. dem Umstand, dass ihr Mandant mit der Einleitung eines Zivilverfahrens konfrontiert wurde, eine Pflichtverletzung der USA. Diese dürfen nach dem besagten Abkommen (Art. IV, sec. 11 [5]) die UNO nicht in ihrer Tätigkeit behindern. Das sollte aber der Fall sein, wenn man die Anwesenheit Karadzics am Sitz der UNO in New York zum Zwecke von Friedensverhandlungen für die Einleitung von Prozessen gegen ihn "missbrauche". Doch da die Zustellungen nicht auf UN-Gelände stattfanden und sowohl das State Department ("Habib Letter" v. 24.3.1993) als auch die Vereinten Nationen selbst darin keine Beeinträchtigung von Karadzics Zugang zu UN-Einrichtungen erblicken konnten, erachtete das Gericht diesen Punkt als unerheblich; vgl. 70 F. 3m 247m. w. N. 313 lbid., 248. 314 lbid., 249; dort auch Näheres zu den Voraussetzungen der sog. politieal question-Doktrin. 315 Neben dem bereits in Anm. 306 erwähnten TVPA ist in diesem Zusammenhang auch das damalige Alien Tort Statute resp. Alien Tort Claims Aet (ebenfalls 28 U.S.c. sec. 1350; der Kongress hatte den TVPA 1991 dem Statute angefügt) zu nennen. 316 Statement olInterest des US-Außenministeriums; vgl. 70 F. 3fJ, also derjenige, auf den zutrifft, was schon in einer Parlamentsakte des englischen Königs Heinrich VII. zum Ausdruck kommt: dass dieses unbeschränkte rechtliche Können nicht mit dem rechtlichen Dürfen des Bundespräsidenten nach dem Kompetenzgefüge des Grundgesetzes deckungsgleich ist. 54 Und nicht, wie Stern, Staatsrecht 11, München 1980, S. 202 meint, an der (willkürlichen und austauschbaren) Titulierung als "Präsident". 55 Heintschel v.Heineigg, in: Ipsen (Anm. 25), § 10, Rdnr. 17. 56 "Verfassung" ist hier rein materiell zu verstehen; wird das alte Verfassungsrecht - und das alte Staatsoberhaupt ggf. zugleich - durch Verfassungsbruch, sc. Revolution beiseite geschoben, so gilt die neue Verfassung, und wer als Staatsoberhaupt fungiert, richtet sich nunnehr nach ihr. Bereits Bluntschli (Das modeme Völkerrecht der civilisirten Staten, 2. Aufl., Nördlingen 1872, S. 112) brachte dies pointiert mit der Feststellung "Das Völkerrecht hat den Stat zu nehmen, wie er ist" - nicht, wie andere ihn sich wünschen - zum Ausdruck. Demnach ist kein Staat dazu berufen, sich zum Gutachter und Richter über die Verfassungsfragen Dritter aufzuschwingen; s. a. Doehring (Anm. 35), Rdnr.n 482,670 m. w. N.; Watts, 247 RdC (1994-111), 26. Dass insbesondere die USA zeitweilig gleichwohl diesbezügliche Tendenzen zeigen, lässt sich an den Präjudizien zu Noriega und, noch deutlicher, Jimenez (s. o. 1. Abschn., Kap. 111. 3. d) und 111.3. a» demonstrieren. 57 s. u. Kap. 11. 1. a). Dass eine solche Bestimmung getroffen ist, wird vom Völkerrecht allerdings vorausgesetzt; vgl. Doehring, a. a. O. 58 Vgl. Martens, Völkerrecht I, Berlin 1883, S.312. 59 Vgl. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts I, BerlinlLeipzig 1929, S. 193; Bluntschli (Anm.56), S. 117. Nichtsdestotrotz dürfte es sich insoweit "nur" um Akte der Courtoisie handeln; s. a. Watts (Anm. 56), 32. 60 Anzilotti, a. a. 0., S. 194; Liszt, Das Völkerrecht, 6. Aufl., Berlin 1910, S.IIO; Rivier, Principes du droit des gens I, Paris 1896, p. 420. Bei Pinochet traf dies bereits unmittelbar nach dem Militärputsch zu, so dass die englischen Gerichte zu Recht von seiner frühzeitigen Eigenschaft als chilenisches Staatsoberhaupt, bereits bevor er im Dezember 1974 Präsident wurde, ausgingen (High Court [FundsteIlen s. 1. Abschn., dort Anm. 342], para.45 [Lord Bingham of Comhill]; [1998] 4 AllE.R. 919 h-j [Lord Lloyd ofBerwick]).
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2. Abschnitt: Die Grundlagen ,,[tjhat he, who is actually king, whether by election or by descent 61 , yet being once king, all acts by hirn done as king, are lawful and justifiable, as by any king. "62
Typisch - doch nicht konstitutiv 63 - für als Staatsoberhäupter fungierende Personen sind im Übrigen bestimmte Titel, wie die eines Kaisers, Königs, Zaren 64 , Sultans 65 , Emirs 66 oder - republikanisch schlicht - Präsidenten. Auch ein "Erbstatthalter 67 " ist in der Geschichte anzutreffen. 68 Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts liegen hierin nicht unerhebliche Unterschiede begründet; pflegt man im internationalen Verkehr, was die ihnen zukommenden Vor- und Ehremechte anbelangt, zwischen Oberhäuptern monarchisch verfasster Staaten und solcher von Republiken zu differenzieren. 69, 70 Eine praktische Auswirkung dieser abweichenden Behandlung Hervorhebung vom Verfasser. (1494) 2 Henr.7, c. 1. 63 So entspricht es in monarchischen Staaten seit jeher den Gepflogenheiten, nahen Angehörigen (v. a. der Gattin) des Staatsoberhaupts ebenfalls dessen Titel beizulegen; folglich haben diese nicht mehr als bloße Indizwirkung. Die Königin von Dänemark beispielsweise ist Staatsoberhaupt ihres Landes; die norwegische (derzeit) dagegen nicht. In Großbritannien führen zurzeit sowohl das Staatsoberhaupt als auch deren gleichnamige Mutter den Titel "Her Majesty TheQueen". Andererseits verzichtete in Deutschland AdolfHitler, der-1933 bereits Reichskanzler geworden - nach Hindenburgs Tod (2.8.1934) diesen im Amt des Staatsoberhaupts "beerbte", darauf, den Reichspräsidententitel anzunehmen und trat stattdessen fortan auch amtlich unter dem bislang inoffiziell mit seiner Person verbundenen "Führer"-Begriff in Erscheinung, vgl. Leisner (Anm. 22), S. 435. 64 Einen solchen hatte nicht nur - wie allgemein bekannt - Russland, sondern während des Mittelalters und 1908-46 auch Bulgarien vorzuweisen. 65 Heute z.B. in Brunei und Oman. 66 Neben Kuwait u. a. in Katar. 67 So in den Niederlanden 1747-95. 68 Teilweise (vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum [Anm. 25j, S. 250) wird in diesem Zusammenhang auch der "Generalgouverneur" - z. B. von Australien - angeführt. Dies geschieht m. E. zu Unrecht. Staatsoberhaupt Australiens ist - das jüngst gescheiterte Referendum über die Einführung der Republik hat hieran nichts geändert - ausschließlich der jeweilige Inhaber des britischen Throns (derzeit Elisabeth 11., "Queen of Australia"). Sec. 2 der Verf. (zitiert nach bestimmt: "A Governor-General appointed by the Queen should be her Majesty's representative in the Commonwealth". Er ist also nicht, wie es für ein Staatsoberhaupt erforderlich wäre, Repräsentant des Australischen Bundes nach außen (und sei es in Stellvertretung), sondern vertritt für verfassungsrechtliche Zwecke - die Krone ist nach britischer Tradition Bestandteil des Parlaments - die Königin intern, und auch das nur, wenn diese (wie zumeist) nicht in Australien weilt. Entsprechendes gilt für Kanada, wie der malaysischeHigh Court 1987 in einem gegen Elisabeth 11. in ihrer Eigenschaft als kanadisches Staatsoberhaupt anhängig gemachten Zivilverfahren festgestellt hat; dieser Prozess hatte Maklerprovisionen wegen der Veräußerung von Immobilien, die dem Personal der kanadischen Botschaft gedient hatten, zum Gegenstand (87 I.L.R.223). 69 V gl. Martens (Anm. 58), S. 309; Ullmann, Völkerrecht, 2. Autl., Freiburg i. Br. 1898, S. 85. Rivier (Anm. 60), p. 424 hielt fest: "Les souverains ne traitent pas le chef d 'Etat republicain en pair. Les Etats sont egaux, mais cette egalite n'a point pour effet de rendre egaux leurs chefs qui ne sont [ ... j". 61
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I. Terminologie
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speziell für auf die hier interessierende Immunitätsproblematik71 ist jedoch zu keiner Zeit nachweisbar - der britische State lmmunity Act z. B., von dem im vorhergehenden Abschnitt bereits die Rede war, unterscheidet zwar zwischen Monarchs und (sonstigen) Staatsoberhäuptern, aber eben nur terminologisch, nicht materielf 2 -, und mit der zunehmenden Etablierung parlamentarischer Demokratien und dem quantitativen Schwund der Monarchien seit dem Ende des Ersten Weltkriegs - zählt man 1914 in Europa noch siebzehn Monarchien und drei Republiken, so wird sich ihre Anzahl vier Jahre später bereits aneinander angeglichen haben - hat sich die diesbezügliche Staatenpraxis ohnehin gewandelt. Mittlerweile kann über die Gleichheit der Staaten hinaus auch die der Staatsoberhäupter73 konstatiert werden: Zwar sind Reste früherer Unterschiede noch in gewissen protokollarischen Ehrenbezeugungen erkennbar; doch auch das nur vereinzelt und nicht mehr als Ausdruck völkerrechtlicher Pflichten; sie entsprechen allenfalls der Courtoisie. 74 •75 Insgesamt kann also festgehalten werden: Ein Staat verfügt notwendig auch über ein Staatsoberhaupt. 76 Bei diesem handelt es sich um das dem Rang nach höchste staatliche Organ, welches jenen in seinen internationalen Beziehungen repräsentiert77 •78 Bluntschlis (Anm.56, S. 118) abweichende Haltung erscheint demgegenüber weniger von der seinerzeitigen Staatenpraxis - er behauptete auch nichts Gegenteiliges - als von dogmatischen Grundsatzerwägungen beeinflusst. 70 In weichem Grad diese speziell monarchischen Vorrechte, aus heutiger Sicht eine pittoreske Förmeiei, politisch-praktisch bedeutsam werden konnten, zeigt das Beispiel Napoleons III., der- unter seinem bürgerlichen Namen Louis Napoleon Bonaparte-, bereits seit 1848 französisches Staatsoberhaupt (Präsident), 1852 zum Kaiser der Franzosen proklamiert wurde; übrigens ein Titelwechsel, der 1976 dem Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik, Bokassa, als Vorbild diente. Der russische Zar behandelte Napoleon protokollarisch indes wie zuvor, was allein dadurch zum Ausdruck kam, dass er ihn in offizieller Korrespondenz "mon cher ami" anstatt, wie einem Kaiser gebührend, "mon frhe" nannte. Die Beziehungen zwischen Russland und Frankreich, das hierin auch eine Missachtung selbst getroffener verfassungsrechtlicher Grundentscheidungen erblickte (das Kaisertum war in einem Plebiszit mit 7 ,8 gegen 0,25 Mio. Stimmen gebilligt worden), kühlten nicht zuletzt deshalb daraufhin ab, was letztendlich im Krimkrieg eskalierte; s. Martens (Anm.58), S. 314; Phillimore, Commentaries upon International Law 11, 3'd ed., London 1882, p.135. 71 Was namentlich dann der Fall wäre, wenn Gerichte eines monarchisch strukturierten Staats einem amtierenden oder früheren republikanischen Staatsoberhaupt keine resp. nur eine eingeschränkte Immunität zugebilligt hätten. (Ebenso unter umgekehrten Vorzeichen.) 72 In sec. 20 (1). 73 Daran vermag auch ein im Konsens herbeigeführtes rechtliches Ungleichgewicht, namentlich wenn sich ein Staat vertraglich unter den Schutz eines anderen begibt, nichts zu ändern (s. a. Watts [Anm. 56],25). Dies war die völkerrechtliche Position, in der sich im 19. Jahrhundert zahlreiche indische oder malaiische Fürstenstaaten - wie Baroda oder Johore, s. o. im ersten Abschnitt, Kap. 11. 2. - und deren Oberhäupter befanden. 74 s. a. Berber (Anm. 43), S. 274; DahmlDelbrücklWolfrum (Anm. 68). 75 Im Ganzen zu dem fremden Staatsoberhäuptern "geschuldeten" Respekt vgl. Stowe 11, 31 AJIL 302 (1937). 76 Nicht nur "üblicherweise", wie z. B. Barberis, Representatives, EPIL 10 (1987), p.354 annimmt.
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
b) Schlussfolgerungen für das Präjudizienmaterial aa) Höchstes Staatsorgan? Anhand des bisher Gesagten zeigt sich bereits, dass zunächst einer der ersten unter den eingangs geschilderten Fällen, obschon vom - älteren - Völkerrechtsschrifttum öfter im Zusammenhang mit den einem Staatsoberhaupt im Hinblick auf fremde Jurisdiktion zugute kommenden Befreiungen und Privilegierungen erörtert 79 , als bloßes "Scheinpräjudiz" an dieser Stelle auszuscheiden ist: Es unterliegt keinen Zweifeln, dass sich der vorstehenden Definition nach der Staufer Konradin nicht als Staatsoberhaupt (im heutigen Sinn), auch nicht als ehemaliges Staatsoberhaupt, einstufen lässt 80; vielmehr ist dieser zum Zeitpunkt seines Prozesses in Neapel als Herzog von Schwaben 81 Reichsfürst und als solcher Vasall (wenngleich ein herausragender) des deutschen Königs 82 • 83 Zwar hat er bereits selbst eine Zeitlang einen Königstitel geführt - den von Jerusalem 84 -, doch entsprach dem niemals eine tatsäch77 DahmlDelbrücklWolfrum (Anm.25), S. 249; Meyer-Lindenberg, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts 11, 2.Aufl., Berlin 1961, S. 670; JenningslWatts (Anm.44), p. 1033. 78 In diesem Sinne kein Staatsoberhaupt ist z. B. der in den Medien gelegentlich verkürzt und verfälschend als "EU-Präsident" bezeichnete Präsident der EG-Kommission (da die EG, und ebenso die EU, auch nach dem Vertrag von Amsterdam nicht als Staat konzipiert ist), dessen Vorrechte - im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten -, einschließlich der Immunität, sich aus Art. 291 EG i. V. mit Art. 12, 20 des Protokolls v.8.4.1965 (ABI. EG 1967 Nr.152/13) ableiten. Staatsoberhaupt Irans ist demzufolge daher nicht der Faqih (s. o. Anm. 39): Zwar hat dieser das höchste Staatsamt inne; als in den internationalen Beziehungen der Islamischen Republik auftretender ranghöchster Repräsentant fungiert indes der Präsident, der von Iran dem Ausland gegenüber auch - konsequent - als sein Staatsoberhaupt bezeichnet wird (obgleich er nach der iranischen Verfassung unter dem Faqih steht, vgl. ). 79 SO Z. B. von Zouche, De iure feciali inter gentes, Oxford 1650, pars 11/2, qu. 6; Rivier, Lehrbuch des Völkerrechts, 2. Aufl., Stuttgart 1899, S. 252 und HeffterlGejfcken, Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart, 8. Aufl., Berlin 1888, S.125 m. w. N.; im 20. Jahrhundert noch Jellinek, DJZ 1919, Sp.44 und Gornig, NJ 1992,5. 80 Ebenso wenig wie z. B. Heinrich der Löwe 1178, weswegen auch auf dessen - wenngleich für die Rechtsgeschichte bedeutenden - Prozess (hierzu s. Heinemeyer, in: Demandt, Macht und Recht, München 1996, S. 74-1 (0) nicht einzugehen war; oder, um ein Beispiel aus neuerer Zeit anzuführen, der britische Prinz Charles, der 1978 vor ein US-Gericht zitiert werden sollte; vgl. 26 AILC 242 = 811.L.R. 605 (Kilroy v. Windsor). Es sei aber an dieser Stelle betont, dass nach damaliger Auffassung auch die anderen Könige Europas überhaupt keine "Staatsoberhäupter", Repräsentanten im heutigen Sinn, sondern "Landesherren" und nach Abschluss der allmählichen Vereinigung aller öffentlichen Gewalt in ihrer Person Souveräne, "Verkörperungen der Souveränität" waren; s. Kimminich (Anm.43), 135. 81 Seit dem Tod seines Vaters am 21.5.1254. 82 Dessen Krone sich damals allerdings gerade verschiedene Fürsten gegenseitig streitig machten, s. 1. Abschn., Kap. I. 1. (dort Anm. 23). 83 Die Stammesherzogtümer erstarkten erst in der Folgezeit allmählich zur "Staatsqualität"; vgl. RandelzhoJer, Völkerrechtliche Aspekte des Heiligen Römischen Reichs, Berlin 1967, S.43ff. 84 Ein Relikt der Kreuzzüge.
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liche Herrschaft im Heiligen Land: und auch die mittelalterliche Staatsauffassung verlangt für eine wirksame Thronfolge mehr als eine Wahl oder den Erbfall als solchen, sondern darüber hinaus "Besitzergreifung am Reich" durch den Prätendenten, symbolisch dargestellt durch Thronsetzung, Krönung und Erwerb der Reichsinsignien 85 • Folgerichtig ist Konradin von Schwaben insoweit allenfalls ein Titularkönig 86 ; und selbst dies nur unter Einschränkungen: Zum einen hat seine Würde als König von Jerusalem in Europa - überhaupt in der damals bekannten Welt - keineswegs ungeteilte Anerkennung gefunden 87 , zum anderen ist dieser Königstitel noch fragwürdiger geworden, seit ihn Papst Clemens IV. - vier Monate vor seiner Gefangennahme 88 - feierlich exkommuniziert, des Königreichs Jerusalem für verlustig erklärt und seine Vasallen vom Treueid entbunden hat 89 • Sollte Konradin dagegen, worauf er sich vor seinen Richtern beruft, nach dortigem Verfassungsrecht allein im Wege der Erbfolge tatsächlich bereits König von Sizilien geworden sein, so ist dieser Status bei seiner Verurteilung schon obsolet (nicht etwa erst mit ihr geworden), denn nun übt Karl von Anjou, der Sieger von Tagliacozzo, als Siziliens neuer König - dessen Herrschaft bereits gefestigt ist90 - sizilische und mithin, maßgeblich für die Zielrichtung dieser Untersuchung, keine fremde Gerichtsbarkeit über ihn aus. Die entsetzten Reaktionen, die diese Aburteilung und insbesondere die Hinrichtung 91 bei ihrem Bekanntwerden in Europa auslöst"Wie können Deutsche nur leben, wenn sie an dieses Ende denken! Ihr Bestes haben sie verloren und Schmach geerntet! Nehmen sie nicht bald Rache, so sind sie entehrt!" 92_ Vgl. MitteislLieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 19. Aufl., München 1992, S.138. Hierzu Ftfraud-Giraud, Etats et Souverains I, Paris 1895, p. 163 et s. - Ein neueres Beispiel für einen solchen "titular king" bietet der Fall Maharaj lndrajitsinghji Vijaysinghji v. H. H. Maharaja Rajendrasinghji Vijaysinghji (von 1955, 22 LL.R. 244). Der Bombayer High Court erachtete den Maharaja zwar für grundsätzlich "immunitätsfahig", dies aber nur, weil ein indisches Gesetz ihn entsprechend privilegierte. Aus völkerrechtlicher Sicht war lediglich der Vater des Beklagten zu seinen Lebzeiten Oberhaupt eines "freien" indischen Fürstenstaats (welcher also nicht bloß ein Teil Britisch-Indiens war) gewesen. 87 Der Königstitel war Konradin nur in Deutschland und Italien allgemein zuerkannt worden. Vgl. Herde, Karl I., Stuttgart/Berlin 1979, S. 64. 88 Am 5.4.1268, d. h. schon bald nachdem Konradin nach Italien aufgebrochen war und für Karl von Anjou, den päpstlichen Verbündeten, zu einer Gefahr zu werden drohte. 89 Vgl. Herde (Anm. 87), S. 56. 90 Vgl. Raumer, Geschichte der Hohenstaufen IV, Reutlingen 1829, S. 465 f., 478-490. 91 Die Gefangennahme und Inhaftierung als solche wurde während des Kriegszustands weder damals - "rittennäßige" Behandlung vorausgesetzt - noch in späteren Zeiten, auch wenn tatsächlich ein Staatsoberhaupt betroffen war, von der Staatengemeinschaft als problematisch angesehen. Bekannte Beispiele hierfür sind die Kriegsgefangenschaften des Kurfürsten von Hessen 1866, falschlich in einem Manifest des Herzogs von Nassau als "in der Geschichte der Civilisation einzig dastehend" bezeichnet, sowie des französischen Kaisers Napoleon III. 1870n1; vgl. Bluntschli (Anm. 56), S. 119, 125; Martens (Anm. 58), S. 313. 92 So die Klage eines namentlich nicht bekannten Venezianers, zitiert nach Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite I, Düsseldorf/München 1963, S.620. 85
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zeigen zwar plastisch, dass man Karls von Anjou Vorgehen als skandalös und rechtswidrig ansieht 93 • Ausschlaggebend hierfür sind freilich in erster Linie Umstände, die - wenngleich gut nachvollziehbar - entweder nur bedingt juristische Qualität aufweisen (das jugendliche Alter des Herzogs, sein Handeln bona fides, die fürstliche Abstammung) oder aber eine Rechtsfrage aufwerfen, die speziell im Kriegsrecht und mithin jenseits des für die vorliegende Thematik Bedeutsamen liegt 94 • Gewisse Probleme wirft auch, wenngleich aus gänzlich anderen Gründen als im Fall Konradins, die Frage nach der Stellung Manuel Noriegas 95 auf. Obschon seit 1984 sukzessive zum faktischen (Allein-)Herrscher in Panama aufgestiegen, kann er nach den oben dargelegten Anforderungen an den Begriff Staatsoberhaupt bis zum Sommer 1989 dennoch nicht als solches bezeichnet werden. 96 Schwieriger zu durchschauen ist sein Status während der darauf folgenden Monate innerer Unruhen - nachdem das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vom Mai 1989 auf Noriegas Betreiben annulliert worden ist - bis zur amerikanischen Invasion. Nun fungiert Noriega nicht länger allein als Streitkräftechef und im Übrigen "graue Eminenz" im Hintergrund, vielmehr hat er sich auch formell diktatorische Vollmachten übertragen lassen. Greift also die qui actu regit-Regel ein, ist Noriega der "tatsächliche König"? Man scheint kaum umhin zu können, es zu bejahen; andererseits darf aber nicht außer Acht bleiben, dass besagte Normen den Sinn haben, vom völkerrechtlichen Standpunkt aus das notwendige Oberhaupt eines Staats in Zweifelsfällen bestimmen zu können. Für diese ist indes nur dann Raum, wenn ein Staat sein Oberhaupt nicht - wie üblich - den anderen gegenüber notifiziert und so klarstellt, wer seiner autonomen Entscheidung nach als höchster völkerrechtlicher Repräsentant amtieren soll. Das jedoch geschieht: Am 31.8.1989 beschließt der panamaische Consejo de Estado, dem auch Noriega angehört, mittels Notverordnung die Bildung neuer Staatsorgane; die Staatsführung soll danach für eine Übergangszeit von einem Zweierkollegium wahrgenommen werden 97 • Mit Ley N° 2 vom selben Tag wird angeordnet, dass dieses mit Francisco Rodriguez und Carlos Ozores zu besetzen sei98 , panamaischen Politikern, die zwar wohl in noch größerem Ausmaß als die bisheri93 Insbesondere auch seitens anderer Staaten; Ludwig IX. von Frankreich, immerhin Karls von Anjou eigener Bruder, griff ihn heftig an, und der aragonesische König schrieb über ihn, er sei "grausamer als Nero"; Quellennachweise bei Raumer (Anm. 90), S. 537. 94 Für rechtswidrig wurde das Todesurteil gegen Konradin von den Zeitgenossen (Nachweise bei Loening, in: FS Fitting, Halle/Saale 1903, S.175 [dort Fußnote 1]) - zumindest in erster Linie - deshalb erachtet, weil er, da nach offenem Kampf in die Hände des Siegers gefallen, als Kriegsgefangener hätte behandelt werden müssen. 95 Hierzu s. oben 1. Abschn., Kap. 111. 3. d). 96 Als Inhaber des höchsten Staats amts der Republik und den Präsidententitel führend zeigte Panama der Staatengemeinschaft in diesem Zeitraum zunächst Nicolas Barletta und anschließend Eric Delvalle an, die auch beide nach außen hin - z. B. auf offiziellen Besuchen in anderen Ländern - in dieser Eigenschaft auftraten; AdG 1984, 27657, 28035; 1985, 29202. 97 Präsident De1valle wurde dabei aus dem Amt gedrängt; zum Ganzen s. AdG 1989,33723. 98 Ibid.
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gen Präsidenten von Noriega abhängig sind; Noriega selbst beansprucht das (neue) höchste Staatsamt allerdings nicht für sich persönlich. 99 Im völkerrechtlichen Verkehr repräsentieren im Folgenden daher Rodriguez und Ozores die Republik Panama, so tritt beispielsweise Erstgenannter - als "Interimspräsident" bezeichnet - am 3.10.1989 vor die UN-Generalversammlung 1oo• Alles in allem ist festzuhalten, dass General Noriega - seines erheblichen politischen Einflusses ungeachtet - weder zum Zeitpunkt seiner Anklage vor dem Bundes-Distriktsgericht für Südflorida im Februar 1988 als panamaischer Staatschef amtiert, noch bei der Prozesseröffnung 1990 als solcher amtiert hat und somit eine Immunität als Staatsoberhaupt für ihn in der Tat nicht in Betracht kommt. Kann dem District Court und dem Berufungsgericht für den elften Circuit insoweit beigepflichtet werden, ist dennoch darauf hinzuweisen, dass dieses Ergebnis unproblematisch und zwangsläufig (bereits) aus allgemein-faktischen, objektiven Kriterien folgt; um es zu erhalten, hätte es des Abstellens auf hinsichtlich ihrer völkerrechtlichen Relevanz jedenfalls anzweifelbare Tatsachen 101 nicht bedurft. bb) In internationalen Beziehungen stehender Staat? Waren die Beispiele Konradins von Schwaben und Manuel Noriegas auszuscheiden, da deren Stellung keine solche an der Spitze eines fremden Staats war, so steht in zwei weiteren Fällen ein anderes Problem im Vordergrund: Das Oberhaupt eines Staats darf - und soll- eben diesen in seinen internationalen Beziehungen repräsentieren. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass es zunächst auf die Existenz eines 99 Welche Motive für diese Entscheidung Noriegas den Ausschlag gaben, lässt sich nicht sicher ennitteln. Gleichwohl ist sie nicht zuletzt vor dem Hintergrund bemerkenswert, als er zu dieser Zeit schon von der Absicht der USA, ihm den Prozess zu machen, Kenntnis hatte und - wie seine späteren Einlassungen zeigten - davon überzeugt war, dass Staatsoberhäupter auch über ihre Amtszeit hinaus nach dem Völkerrecht stets absolute Immunität genössen. So gesehen hätte es nahe gelegen, selbst die (Ko-)Präsidentschaft anzustreben. Zur Erklärung für diese Passivität bieten sich drei Thesen an: Noriega mag es für rechtlich irrelevant gehalten haben, nach bereits erfolgter Anklage noch Staatsoberhaupt zu werden. Wahrscheinlicher ist, dass ihm dies (tatsächlich) zwecklos erschien, da ihm das Schicksal Jimenez' vor Augen stand, der in Florida verurteilt worden war, obwohl sich dieser fonnell zum venezolanischen Staatsoberhaupt gemacht hatte. Vennutlich aber dürfte es ihm schlicht überflüssig erschienen sein, da er davon ausging, ohnehin längst das "wahre" Staatsoberhaupt Panamas zu sein. 100 AdG 1989, 33848. - Nach der US-Intervention am 20.12.1989 trat Guillenno Endara das Amt des panamaischen Staatspräsidenten an. 101 Insbesondere: Noriega als Staatsoberhaupt einzustufen, ließe sich mit der geschriebenen panamaischen Verfassung nicht vereinbaren, zudem hätten die USA ihn als solches nicht anerkannt"the United States govemment has never accorded Noriega head of state status, but rather continued to recognize President Eric Arturo Delvalle as the legitimate of Panama while Noriega was in power" 746 ESupp. 1519 (S.D. Fla. 1990), bestätigt durch 117 E3 rd 1206 (11 th eir. 1997).
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Staats selbst ankommt 102. Im Fall Richard Bullock Henrys 103 - dessen rang- wie führungsmäßige Spitzenstellung innerhalb der Republic 0/ New Africa nicht weiter fraglich war 104 -lässt sich diese Frage freilich nicht positiv beantworten. Gemessen an den Kriterien der überkommenen und der internationalen Praxis nach wie vor zugrunde liegenden Drei-Elementen-Lehre I05 entbehrt die RNA, Henrys Herrschaftsverband, in den Jahren 1968-71 überhaupt jeglicher Staatsqualität, nicht allein der speziellen Eigenschaft eines ,,/oreign state". 106 Demzufolge verneint der Fünfte Circuit 1976 eine Immunität Henrys als Staatsoberhaupt im Ergebnis zu Recht. Jedoch: Selbst wenn die US-Administration die RNA als ausländisches Staatswesen anerkannt hätte - ein Punkt, dem im Urteil ein erhebliches Gewicht zukommt - ergäbe sich nichts anderes. So wenig die Nichtanerkennung einen vorhandenen Staat zu beseitigen imstande ist, so wenig vermag umgekehrt der Akt der Anerkennung einen Nichtstaat zum Staat zu machen. 107 Diese Problematik kommt auch im Karadzic-Fall 108 zum Vorschein 1994 billigt der District Court für Süd-New York dem damals amtierenden Präsidenten der sog. Serbischen Republik Immunität hinsichtlich der gegen ihn erhobenen Schadensersatzklagen zu, da jederzeit die Anerkennung dieser Republik durch die USA erfolgen könne; ein Jahr darauf verweigert ihm die Berufungsinstanz die Immunität als Staatschef mit der Begründung, dass die Anerkennung "seiner" Serbenrepublik - und zwar als eines befreundeten, ausländischen Staats - gegenwärtig nicht er102 Eine andere Frage ist, was geschieht, wenn dieser Staat - der logischerweise zunächst einmal vorhanden sein muss, bevor von einem "Staatsoberhaupt" und dessen Positionen nach Völkerrecht überhaupt gesprochen werden kann - später gänzlich oder doch als eigenständiges Völkerrechtssubjekt untergeht. Dann hat es immerhin (wenigstens einen) solche(n) Repräsentanten gegeben: Sind diese wie alle ehemals amtierenden Staatsoberhäupter zu behandeln (was das Problem im Honecker-Fall war)? 103 Oben 1. Abschn., Kap. III. 1. 104 Henry sah sich dabei höchstwahrscheinlich in der Tradition des Sinn Fein-Führers Eamon De Valera, der sich als Präsident der beim Osteraufstand 1916 als unabhängig proklamierten "Irischen Republik" bezeichnete und den die Briten anschließend aburteilten und inhaftierten (dem folglich ebenfalls keine Head of State lmmunity zugebilligt wurde); vgl. Lyons, in: Vaughan, A new history ofIreland VI, p. 218. 1932-54 - mit Unterbrechungen - amtierte De Valera dann als Taoiseach (Regierungschef, nicht Staatsoberhaupt) Irlands. 105 Vgl. in diesem Abschnitt Kap. 1.2. a) (dort Anm.29f., 33 ff.). 106 Hierdurch sollte die RNA vermutlich von US-amerikanischen "states" wie Mississippi, Louisiana, Alabama, Georgia und South Carolina abgegrenzt werden, deren Territorien die RNA für sich beanspruchte. 107 Vgl. Kimminich/Hobe, Das Völkerrecht, 7. Autl., Tübingen/Basel 2000, S. 77 m. w. N. - Auch bei Zugrundelegung eines ,,konstitutiven" Ansatzes im Lauterpacht' schen Sinne gelangte man zu keinem abweichenden Ergebnis. Begründete nach ständiger Übung und Rechtsüberzeugung tatsächlich erst die Anerkennung die Staatseigenschaft eines Herrschaftsverbands ("A State is, and becomes, an international person through recognition only and exclusively"), so hieße dies nicht, dass im Übrigen die drei objektiven Staatsmerkrnale im Verhältnis zur Anerkennung zweitrangig oder gar gänzlich verzichtbar wären. 108 s. o. 1. Abschn., Kap. III. 3. f).
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folgt sei. Hierbei ist es bis heute geblieben. Sollten die USA - und mit ihnen die gesamte Völkerrechts gemeinschaft - tatsächlich zwar einen nur als Fiktion existenten Balkanstaat 109 anerkennen, einen real in dieser Region vorhandenen dagegen nicht? Andererseits würde dies nach dem vorstehend Gesagten für die völkerrechtliche Einordnung der Republika Srpska und mithin ihres sie vertretenden Präsidenten Radovan Karadzic keinen Unterschied machen. Es fragt sich dementsprechend allein, ob die besagte Serbenrepublik als Staat im Sinne des Völkerrechts und daher als Völkerrechtssubjekt gewertet werden muss oder ob dies nicht der Fall ist. Noch kurz vor der Proklamation der Republika Srpska - ein Vorgang, mit dem die bosnischen Serben auf das von der muslimisch-kroatischen Parlamentsmehrheit angesetzte und von ihnen boykottierte Referendum über die Unabhängigkeit und Souveränität Bosnien-Herzegowinas reagierten - spricht Karadzic in Bezug auf die Sezessionsbestrebungen der anderen Volksgruppen im Land von einer "Kriegserklärung an die Serben [ ... ], die weiter zu Jugoslawien gehören wollten" 110. Diese Haltung spiegelt sich konsequent einmal in Art. 3 der Verfassung wider, die in der "Serbischen Republik von Bosnien-Herzegowina" am 28.2.1992 schließlich in Kraft tritt - danach konstituiert sich der neue Serbenstaat als integraler Bestandteil eines Bundesstaats Jugoslawien 111 - und zum anderen, auch wenn dies zunächst erstaunlich anmutet, in der Unabhängigkeitserklärung vom 7.4.1992 selbst. Anders als Slowenien und Kroatien im Juni 1991 und auch Bosnien-Herzegowina am 6.3.1992 erklärt sich die Republika Srpska eben gerade nicht für schlechthin unabhängig 112, d. h. als souveränen Staat, der um Aufnahme in die Völkerrechtsgemeinschaft als gleichberechtigtes Mitglied ersucht 113 , sondern postuliert stattdessen nur ihre Unabhän109 Sc. die Republik Bosnien-Herzegowina; vgl. Hillgruber (Anm. 34), S. 669,671. Deutlicher noch Judge ad hoc Milenko Kreta in seiner Dissenting Opinion zur Entscheidung über die Anwendbarkeit der Genozidkonvention zwischen Bosnien-Herzegowina und Jugoslawien; I.C.J.Reports 1996 (11), 691 (para.26): ,,[ ... ]legally, the recognition ofBosnia and Herzegovina [ ... ] represented the recognition of a non-existent State. It was granted exclusively on the basis of political considerations since [ ... ] Bosnia and Herzegovina did not fulfill the minimum requirements for recognition as a new State." 110 AdG 1992, 36542. Erst 1991 hatte die serbische Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas (in einem eigenen Referendum) für den Verbleib im "gemeinsamen Staat Jugoslawien" votiert. Hille, ZÖR 51 (1996),215 bezweifelt deshalb die demokratische Legitimierung des - in der Konstituierung der KaradZit-Regierung in Pale zum Ausdruck kommenden - Staatsbildungswillen. Abgesehen von der Unwesentlichkeit dieser Frage für den Vorgang der Staatsentstehung, muss festgestellt werden, dass der Wille zur Bildung staatlicher, effektiver Strukturen - noch dazu, um so den Verbleib in einem bestimmten, souveränen Staat zu ennöglichen - etwas anderes ist als der Wille, neben Jugoslawien und den übrigen Staaten selbst Völkerrechtssubjekt zu sein bzw. zu werden. III Vgl. Hillgruber (Anm.34), S.668 m. w.N. - Vgl. auch Art. 23 Abs.2 baden-württembergische Verf. oder Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Verf. NRW. 112 So aber Hille (Anm. 110), 212. m Vgl. in Bezug auf Bosnien-Herzegowina die Feststellungen von Judge ad hoc Kreta (I.C.J.Reports 1996 [11], 671 [paras. 15, 16]; 723 [para. 59]).
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gigkeit von dem gerade von westeuropäischer und US-Seite anerkannten Gesamtstaat Bosnien-HerzegowinaI1 4 • Im Übrigen strebt die bosnisch-serbische Führung die Durchsetzung des Verbleibs ihres Herrschaftsverbands bei Jugoslawien und später die Eingliederung an das (territorial vergrößerte) serbische "Mutterland" anYs 1994 haben die bosnischen Serben nicht bloß eine eigene Verwaltung aufgebaut und ein eigenes Parlament gebildet, sie hatten auch eine Regierung, einen Präsidenten - eben Karadfic - und kontrollierten überdies rund zwei Drittel des Gebiets von Bosnien-Herzegowina. Im Unterschied zu der 1991 ausgerufenen "Republik der serbischen Krajina"116 kann die Herrschaft der Serben in Bosnien zudem durchaus als stabilisiert betrachtet werden. 117 Lässt sich nach alledem die Staatsqualität der Republika Srpska zum Zeitpunkt des ersten KaradZic-Prozesses in den USA schwerlich bestreiten, so ist doch festzuhalten, dass daraus allein nicht ohne weiteres deren Völkerrechtssubjektivität resultiert. Die bosnische Serbenrepublik selbst beansprucht diese jedenfalls nicht für sich, sondern geht davon aus, Teil(staat) einer völkerrechtsfahigen Föderation 118 zu sein. Territoriale Subeinheiten eines Staats im Sinne des Völkerrechts sind jedoch per se keine Völkerrechtssubjekte, regelmäßig auch dann nicht, wenn sie Staatscharakter besitzen. Zwar sind in der internationalen Praxis Ausnahmen von diesem Grundsatz und daher zumindest partiell völkerrechtsfähige Gliedstaaten nachweisbar l19 , der jugoslawischen Tradition entspricht Derartiges allerdings nicht I2O. Zweifelsfrei erlangt die Republika Srpska erst mit Vgl. Hillgruber (Anm. 111). AdG 1992,36743. 116 Hierzu Hillgruber (Anm. 34), S. 608 f. 117 s. Hille (Anm.llO), 210, 214. - Dagegen vermochte die bosnisch-herzegowinische Zentralregierung zeitweilig nicht einmal die eigene Hauptstadt unter ihre Kontrolle zu bringen. 118 Zunächst noch der Südslawen allgemein, dann der Serben, keinesfalls aber Teil eines Bundes- oder gar Einheitsstaats Bosnien-Herzegowina. Diesem Selbstverständnis steht nicht entgegen, dass das aus Serbien und Montenegro gebildete Rest-Jugoslawien seinerseits erklärte, dass es keine territorialen Ansprüche auf Bosnien-Herzegowina oder andere ehemals zur SFRJ gehörende Gebiete erheben wolle (AdG 1992,36669). 119 Für die deutschen Bundesländer s. Art. 32 Abs. 3 GG. Die Aktivität von Ländervertretern gemäß Art. 23 Abs. 6 GG hat dagegen mit einer Völkerrechtsfähigkeit der Länder nichts zu tun, da insoweit der Bund nur die Wahrnehmung seiner EU-Mitgliedschaftsrechte delegiert. Zu der besonderen Problematik der völkerrechtlichen Immunität von Oberhäuptern von Gliedstaaten eines Bundesstaats - für die Bundesländer z. B. fungieren hier die Ministerpräsideten - gibt die Praxis kaum etwas her. Die wenigen existierenden Judikate deuten indes darauf hin, dass man diesen, selbst bei teilweiser Völkerrechtsfähigkeit ihres Gliedstaats, keine Immunität zu gewähren verpflichtet zu sein wähnt (vgl. die australische Entscheidung von 1983 in Sachen Kubacz v. Shah, 118 I.L.R. 293, in Bezug auf den malaysischen Sultan von Selangor). 120 Mit dem sozialistischen Staats(selbst)verständnis war jegliche Gewalten- und Kompetenzenteilung inkompatibel, also auch der Föderalismus, obgleich sich Jugoslawien und die UdSSR diesen Anstrich gaben (vgl. Ivancevic, in: Huber/pemthaler, Föderalismus und Regionalismus, Wien 1988, S. 63; Schweisfurth, ZaöRV 52 [1992], 550). Noch weniger konnten diese Staaten ein wie auch immer geartetes außenpolitisches Tätigwerden ihrer "Unionsrepubliken" dulden. Die - so empfundene - permanente Bevormundung seitens der Belgrader resp. Moskauer Zentrale war es schließlich gerade, die das Auseinanderfallen dieser faktischen Einheitsstaaten bewirkt hat. 114
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dem Daytoner Abkommen 121 diesen Status 122 und kann seither sowohl objektiv wie auch dem eigenen Rechtsverständnis nach als zwar nicht vollständig, aber doch nahezu souveränes, in internationalen Beziehungen stehendes Staatswesen bezeichnet werden. 123 Nach "Dayton" tritt Karadfic indessen von allen politischen Ämtern zurück. Für das 1996 wieder aufgenommene, gegenwärtig noch in der Schwebe befindliche Schadensersatzverfahren 124 steht daher die Frage nach der etwaigen Immunität Karadfics als (nunmehr ehemaliges) Oberhaupt eines Staats im Sinne des Völkerrechts - auch unabhängig von der (unterbliebenen) Anerkennung durch die US-Regierung - einem Klageerfolg nicht mehr im Wege: Um einen solchen Staat hat es sich bei der Serbischen Republik zum Zeitpunkt der für diesen Prozess maßgeblichen Handlungen 125 jedenfalls nicht gehandelt; infolgedessen kann eine völkerrechtliche Immunität Karadfics als Staatsoberhaupt außer Betracht bleiben. 126 Im Gegensatz zu den vorstehend erörterten Herrschaftsverbänden lässt sich das Sultanat Johore in den 1890er-Jahren jedoch durchaus als Staat im völkerrechtlichen Sinne und den von seiner englischen Verlobten verklagten Sultan 127 als dessen Oberhaupt klassifizieren, und nicht etwa als ein - aus Opportunitäts- und Höflichkeitsgesichtspunkten - lediglich wie ein solches behandelter 128 fremder Adliger. Zwar trifft es zu, dass sich das malaiische Fürstentum Ende des 19. Jahrhunderts in o. Anm. 320 des ersten Abschnitts. Vgl. Hillgruber (Anm. 34), S. 676 (dort Fußnote 56). 123 Als Annex 4 wurde eine neue Verfassung für Bosnien-Herzegowina Teil des Daytoner Abkommens, deren Art. 3, para. 2 den sog. Entitäten weitreichende eigene Kompetenzen im zwischenstaatlichen Verkehr einräumt: Nach lit.a können diese in völkerrechtliche Beziehungen mit Nachbarstaaten Bosnien-Herzegowinas eintreten, sofern diese nur nicht gegen die Integrität des Gesamtstaats gerichtet sind - eine ähnliche Regelung traf der Westfälische Friede 1648 (l CTS 119,271; FHIG 11, S.183, 188) zugunsten der Reichsstände-; lit. b ennöglicht dies, wenn die Zustimmung der gemeinsamen Parlamentarischen Versammlung vorliegt, auch im Hinblick auf andere Staaten und Internationale Organisationen. 124 Vgl. . Dieses Internet-Angebot informiert unter dem Indexeintrag "Karadzic" auch über neue Entwicklungen in der Angelegenheit und enthält weitere Verweise. Verfahrensfortschritte, insbesondere ein Urteil, sind andererseits nicht zu erwarten, solange Karadzic - der dem District Court bereits am 28.2.1997 angezeigt hat, dass er selbst nicht zur Sache verhandeln wolle - anwaltlich vertreten ist, ein Versäumnisurteil also nicht in Frage kommt. Eine Sachentscheidung zuungunsten KaradZics wäre allein von grundsätzlicher, nicht aber praktischer Bedeutung, da - anders als beispielsweise im Marcos-Fall- keine in den USA befindlichen Vennögenswerte existieren, in welche die Klägerinnen vollstrecken könnten. 125 D.h. 1992/93. 126 Warum auch sollte ein Herrschaftsverband - selbst wenn er die Elemente der Staatlichkeit vorweist -, der nicht alle internationalen Verpflichtungen eines Völkerrechtssubjekts gegenüber der Staatengemeinschaft erfüllen will (ggf. auch nicht kann), aller völkerrechtlichen Rechte und Privilegien teilhaftig werden? In jedem Fall ennöglicht ihm dies weder die vollständige Freiheit von völkerrechtlichen Verhaltensanforderungen, noch ist er deswegen aus internationaler Sicht gleichsam "vogelfrei". 127 Vgl. 1. Abschn., Kap. 11. 2. 128 So aber Berber (Anm.74). 121 S.
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einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zum Vereinigten Königreich befindet: So hat sich Johore vertraglich verpflichtet, sich außenpolitisch von Großbritannien vertreten zu lassen; das Abkommen 129 geht aber davon aus, dass beide Staaten Partner und Verbündete seien. 130 Ein derartiger Zusammenschluss, obwohl auf ungleicher Basis, führt allerdings nicht notwendig zum Erlöschen der Völkerrechtsfähigkeit des Abhängigen. Sofern dieser seine Handlungsfähigkeit nicht ganz oder weitestgehend verliert, was in Bezug auf Johore bestritten werden muss, bleibt er- wie es auch Beispiele aus der Gegenwart zeigen 131 - dennoch Völkerrechtssubjekt. 132
11. Völkerrecht, Staatsoberhaupt und Immunität 1. Die internationale Rechtsposition der Staatsoberhäupter Nachdem vorhergehend geklärt wurde, was überhaupt unter dem häufig und in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen gebrauchten Begriff des Staatsoberhaupts zu verstehen ist, sollen im Folgenden dessen Position(en) im Völkerrecht näher beleuchtet werden. Insgesamt bietet sich ein vielgestaltiges Bild. a) Vorgaben
Das Völkerrecht beinhaltet keine Norm in Bezug auf die Anzahl der Oberhäupter eines Staats. Zwar wurde und wird diese Funktion in aller Regel von einer Einzelperson ausgeübt, doch ebenso ist eine aus zwei 133 oder mehr Personen "kollektiv" 134 Von 1885 (Martens, NRG 2e sero XIII, p.498). Vgl. CobbettlBellot, Leading Cases I, 4th ed., London 1922, p.95. 131 Anzuführen wäre Z. B. das Verhältnis Monacos zu Frankreich oder dasjenige zwischen San Marino und Italien; s. Epping (Anm. 25), Rdnr.24. 132 Entsprechendes galt für Baroda - dessen Herrscher 1912 in England verklagt wurde (1. Abschn., Kap. 11. 2. [dort Anm. 144]) - zwischen 1805 und dem Anschluss dieses Fürstentums an die Indische Union 1947; 58 CTS 133,68 CTS 133. m Man denke an das antike Doppelkönigtum der spartanischen Verfassung oder die Konsuln der altrömischen sowie der ersten französischen Republik. Im Fall Andorras, das teilweise als Beispiel herangezogen wurde, dürfte es sich bis in die 90er-Jahre hinein dagegen um ein sog. Kondominium und somit nicht um ein Völkerrechtssubjekt gehandelt haben (so auch Epping [Anm.25], Rdnr.26; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 9. Aufl., Köln/Berlin 1997, Rdnr. 1132; abweichend dagegen der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof, Eur. Ct. H.R. Ser.A No. 240, 29 [para. 89]). Erst mit dem In-Kraft-Treten der Verfassung von 1993 (AdG 37669, 38007) können der französische Präsident und der spanische Bischof von Urgel als wirkliche andorranische Ko-Staatsoberhäupter angesehen werden. Beispiele für Ko-Staatsoberhäupter in historischen Ausnahmesituationen bieten Maria und Henry Stuart (Lord Damley) 1565-67 für Schottland, S. 1. Abschn., Kap. I. 2. sowie Wilhelm 111. und Maria 11. 1689-94 für England, Irland und Schottland; aus neuerer Zeit (kurzzeitig) Francisco Rodriguez und Carlos Ozores in Panama, vgl. bei oben im Text bei Anm. 98 f. 134 Ein solches besaßen insbesondere Staaten des ehemaligen "Ostblocks", so die DDR mit dem Staatsrat seit dem Tod ihres ersten und einzigen Präsidenten Wilhelm Pieck, vgl. Gesetz 129
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11. Völkerrecht, Staatsoberhaupt und Immunität
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gebildete Staatsspitze theoretisch vorstellbar und in der Praxis auch vorzufinden. 135 In derartigen Fällen bestimmt das jeweilige Verfassungsrecht allerdings oft, dass die völkerrechtliche Vertretung nicht dem Gremium als Ganzem resp. jedem seiner Mitglieder gleichermaßen, sondern vielmehr ausschließlich dem Vorsitzenden obliegt 136 - mit der Folge, dass dem ersten Anschein entgegen tatsächlich doch wieder nur ein Einzelner als Staatsrepräsentant völkerrechtlich in Erscheinung tritt. I37 Systematisch wird auch heute noch vielfach - obschon für das Völkerrecht mittlerweile belanglos 138; ein gewohnheitsmäßiges Überbleibsel aus früheren Zeiten, als diese Unterscheidung sich nicht vollständig deckender Rechtspositionen wegen notwendig war - eine Einteilung der Staatsoberhäupter nach sog. Monarchen 139 und republikanischen Präsidenten vorgenommen. 140 Indes ist diese Differenzierung auch deshalb wenig glücklich, da es kaum je gelungen ist, eindeutige Zuordnungskriterien zu entwickeln. 141 Gängigerweise hält man bei einer Monarchie zweierlei, die Bestimmung des Staatsoberhaupts nach dynastischen, d. h. familien- und erbrechtlichen Regelungen, sowie seine Bestellung auf Lebenszeit für kennzeichnend. 142 Dennoch kamen bzw. kommen von diesem Muster abweichende Fälle vor; zu denken wäre beispielsweise an das römisch-deutsche Reich vor 1806, den vormaligen Kirchen- und heutigen Vatikanstaat mit dem Papst 143 sowie Malaysia, wo ungeachüber die Bildung des Staatsrates v. 12.9.1960 (GBI. I, S. 505). Aber ebenso verfügt die Schweizerische Eidgenossenschaft mit dem Bundesrat über ein Kollegialorgan als Staatsoberhaupt; auch nach der jüngsten Verfassungsrefonn (Art. 184, 175 BV, in Kraft seit 1.1.2000, zitiert nach JöR NF48 [2000],281; auch abrufbar unter ). Selbst die Volksvertretung könnte als Staatsoberhaupt fungieren, wie es für das hellenische Altertum in Frage kam; s. Bluntschli (Anm. 56), S. 112; Heilborn (Anm. 20), S. 145. 135 Im Vertragsvölkerrecht spiegelt sich dies in Art. 1 (1) (a) des Übereinkommens betreffend Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen ("Diplomatenschutzkonvention") v. 14.12.1973 (1035 UNTS 167, deutscher Text s. BGBI. 197611, S. 1746) wider. 136 Im Falle des DDR-Staatsrats bestimmte dies Art. 107 Abs.2 der Verf. von 1949 i.d.F. von 1960 sowie Art. 66 Abs. 2 der Verf. von 1968; näher hierzu Brunner, in: FS Carstens 11, Köln! Berlin 1984, S. 514ff., 521 ff. - Dementsprechend stufte die Berliner Justiz Erich Honecker und Willi Stoph in den Strafverfahren um den "Schießbefehl" zutreffend als ehemalige Staatsoberhäupter der DDR ein (1. Abschn., Kap. 111.2. a.E.). 137 Anders beim schweizerischen Bundesrat, der die Eidgenossenschaft tatsächlich als Kollegialorgan völkerrechtlich vertritt (Art. 184 Abs. 1, 2 BV). 138 Dieser Punkt wurde bereits oben (Kap. I. 2.) angesprochen. 139 Wörtlich "Alleinherrscher", was historisch erklärbar ist - Monarchie war für die antiken Denker der Gegenpart der Demokratie, s. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 13. Aufl., München 1999, S. 163 - heute aber nur der Verfassungslage der wenigsten "Monarchien" wirklich entspricht (so im Königreich Saudi-Arabien). 140 So beispielsweise Watts (Anm. 56), 21. 141 s. a. Bernatzik, Republik und Monarchie, 2. Aufl., Tübingen 1919, S.2-7. 142 Vgl. Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 29. Aufl., München 1994, S.61, 63; Maurer (Anm.53), §7, Rdnr.lO. 143 Die Staatengemeinschaft sah den Papst im Übrigen auch während der Jahrzehnte (1870-1929) "wie" ein - monarchisches - Staatsoberhaupt an, als dieser aufgehört hatte, Oberhaupt eines unabhängigen Staats, eben des Kirchenstaats (Patrimonium Petri), zu sein. Selbst
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tet der Wahl des Staatsoberhaupts dennoch allgemein anerkannt wurde l44 und wird, dass es sich um Monarchien handelt oder gehandelt hat. Auf der anderen Seite sind "republikanische Dynastien" - scheinbar ein Oxymoron - auch heute ein Faktum. 145 Was schließlich die lebenslange Amtsdauer anbelangt - nach manchen Autoren das eigentlich ausschlaggebende Merkmal 146 - ist darauf hinzuweisen, dass z. B. die Dogen der alten italienischen Republik Venedig 147 und, um weniger weit zurückzugehen, im 20. Jahrhundert diverse Präsidenten ebenfalls auf Lebenszeit amtiert haben 148; dagegen wird in Malaysia der König auf Zeit, für eine fünfjährige Amtsperiode gewähltl 49 • Tatsächlich unterscheiden sich diejenigen Staatsoberhäupter, die als Monarchen bezeichnet werden, von ihren republikanischen Pendants nur noch durch eine überkommene besondere Art der Amtseinführung (Krönung) und traditionelle monarchische Titel (Anrede als "Majestät" 150 u. Ä.). In Bezug auf die Entscheidung für diese oder jene Form des Staatsoberhaupts sind die Staaten, wie bereits angeklungen ist, frei; dies gilt auch für einen vollständigen Wechsel 151. 152 Hier kommt das Staatengrundrecht auf freie Wahl und Entheute wird, personalisiert durch den Papst, der Heilige Stuhl als eigenständiges Völkerrechtssubjekt neben dem Vatikanstaat angesehen. Die Entscheidung im O'Hair-Fali (81 I.L.R. 607; s. o. 1. Abschn., Kap. III. 3. b» hätte dementsprechend auch ungeachtet der Stellung des Papstes als Staatsoberhaupt nicht anders ausfallen können. 144 Freilich nicht durchweg. Bodin z.B. behauptete (1576) durchaus, das Heilige Römische Reich sei keine Monarchie, sondern eine aristokratische Republik, was aber erhebliche Entrüstung hervorrief. Andererseits verweigerte der Wiener Hof dem polnischen Herrscher Jan III. Sobieski 1683 bei einem Besuch in Österreich die Bezeugung der königlichen Ehren mit der Begründung, er sei kein "wirklicher", sondern - was zutraf - (nur) ein gewählter König; s. Fauchille, Traite du droit international public 1/3, 8e ed., Paris 1926, p. 11. Allerdings trat Polen selbst im internationalen Verkehr auch als Republik auf (Hejfter/Gejfcken [Anrn. 79], S.124). 145 Zu nennen sind hier insbesondere Nordkorea unter der Herrschaft der Kims und Syrien unter der der Assad-Familie; darüber hinaus auch das - mittlerweile historische - Beispiel der Duvaliers auf Haiti (s. a. Kap. II der Einführung [dort Anm. 34]). Ohne die europaweiten Umbrüche des Jahres 1989 müsste man heute höchstwahrscheinlich auch Rumänien, das sich praktisch im Privatbesitz des Ceau~escu-Clans befand, in diese Reihe stellen. 146 U.a. Stoerk, in: Holtzendorff, Handbuch des Völkerrechts II, Hamburg 1887, S.667 a.E. 147 Vgl. Bluntschli, Lehre vom modernen Staat II, 6. Aufl., Stuttgart 1885, S.150. 148 Hastings Kamuzu Banda, der erste Staatspräsident Malawis, war nach Art. 9 der Verf. von 1966 zum "Präsidenten auf Lebenszeit" berufen; Watts (Anm.56), 23. Er amtierte bis 1994. Weniger eindeutig war die Rechtslage dagegen in Spanien unter Franco, der zwar bis zu seinem Tod an der Macht blieb, seit In-Kraft-Treten des Nachfolgegesetzes von 1947 aber genau genommen nicht mehr als republikanischer Staatschef, sondern eher als "Reichsverweser" des wieder errichteten Königtums einzustufen war. 149 Art. 33, cl. 2 malaysische Verf. Eine ähnliche Regelung besteht in den Vereinigten Arabischen Emiraten. 150 Dies war ursprünglich sogar nur einem bestimmten Monarchen, dem römisch-deutschen Kaiser, vorbehalten. 151 So war Spanien im 20. Jahrhundert zunächst Königreich, dann Republik; nunmehr wiederum "Monarchie" (s.a. Anm.148).
11. Völkerrecht, Staatsoberhaupt und Immunität
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wicklung des gesellschaftlichen und politischen Systems 153 zum Tragen. Das war nicht von jeher anerkannt: So legte die sog. Wiener Schlussakte von 1820 154 in Art. 57 noch für alle Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes die tradierte Staatsform völkerrechtlich fest und bestimmte folglich - abgesehen von Frankfurt a. M. und den Hansestädten - einen Monarchen als deren Oberhaupt. Desgleichen garantierten 1863 Großbritannien, Frankreich und Russland vertraglich gerade die monarchische Verfassung Griechenlands. 155 Auf der anderen Seite darf aus der - zumindest heute - geltenden "Verfassungsprärogative", der vorrangigen Bestimmung desjenigen, der Staatsoberhaupt sein soll, nach Maßgabe des jeweiligen Verfassungsrechts, keinesfalls der Schluss gezogen werden, dass somit eben auch nur das entsprechend der betreffenden Staatsverfassung, "ordnungsgemäß" in seine Position gelangte Staatsoberhaupt, nicht dagegen der Usurpator, völkerrechtlich von Relevanz sei. Dies liefe auf eine Gewährleistung des Interesses der legitimen Staatsoberhäupter an der Innehabung ihrer Stellungen hinaus, was dem Völkerrecht jedoch fremd ist l56 - eine grundgesetzwidrige Verdrängung des Bundespräsidenten und seine Ersetzung durch ein erbliches Kaisertum der Deutschen, wie es der Verfassungsentwurf der Paulskirche 157 vorgesehen hatte, wäre dementsprechend nicht völkerrechtswidrig. So waren beispielsweise der Lordprotektor Cromwell, dann König Karl 11. und später Wilhelm III. von Oranien "in gleicher Weise rechts- und handlungsfähige Repräsentanten Englands" 158 und sind von den übrigen Staaten Europas konsequent als solche angesehen worden. Ist aber vom völkerrechtlichen Standpunkt aus auch das vom Blickwinkel der innerstaatlichen Verfassung her umechtmäßige, ja sogar "unmögliche" 159 Staatsoberhaupt annehmbar, so müssten diesem folgerichtig auch 152 Dies bezieht sich ausschließlich auf das Völkerrecht. Im Gegensatz dazu stehen verfassungsrechtliche Festlegungen - die vom Völkerrecht gleichfalls akzeptiert werden -, wie in Deutschland (zugunsten einer republikanischen Staatsspitze) gemäß Art. 79 Abs. 3 i. V. mit 20 Abs.1 GG. 153 Dieses - neuere - Staatengrundrecht (VerdrossISimma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 1984, S. 272 f., 275) fand unter lit. e als Ausprägung des Prinzips der souveränen Gleichheit in der Friendly Relations-Deklaration (Res. UN GA 2625 [XXV], FundsteIle: 65 AJIL 243 [1971]) seinen Niederschlag. 154 Wiedergegeben u. a. bei Huber, Dokumente 1,3. Aufl., Stuttgart/Berlin 1978, S. 91 (Dok. Nr.31). 155 Unter Punkt III des Vertrags hieß es: "La Grece, sous la souverainete du Prince Guillaume de Danemark, et la garantie de 3 Cours. forme un Etat monarchique, independant, constitutionnel." Wiedergegeben in NRG 2e ser. XXXII, p.79; 128 CTS 37. 156 So bereits Heilborn (Anm. 20), S. 142. 157 Vom 28.3.1848, abgedruckt bei Huber (Anm.154), S. 375 (Dok. Nr. 108); im Einzelnen §§69,70. 158 Martens (Anm.58); s. a. HeffterlGeffcken (Anm. 79). 159 Der vorerwähnte hypothetische "Kaiser der Deutschen" wäre ein "unmögliches", weil vom Standpunkt des Grundgesetzes generell nicht in Frage kommendes (s. o. Anm. 152); ein entgegen Art. 54 Abs. I GG nicht von der Bundesversammlung gewählter, sondern vom Bun-
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
alle einem Staatsoberhaupt nach Völkerrecht zukommenden Befugnisse und ebenso Vorrechte - wie z. B. eine wie auch immer geartete Immunität - zuzuerkennen sein 160: ein Punkt, der insbesondere deshalb praktisch bedeutsam ist, weil es nicht zuletzt durch Putsche, Palastrevolten u. Ä. in ihre Funktion gelangte Machthaber sind, die im weiteren Verlauf ihrer Herrschaft diese durch teilweise erhebliche Menschenrechtsverletzungen zu festigen suchen, und die - sollte es zu einem Gerichtsverfahren kommen - mit dem Einwand, fremde Staaten dürften dem Völkerrecht entsprechend keine Jurisdiktion über sie ausüben, sogleich bei der Hand waren 161 oder noch sein werden 162. Dies leitet zur Frage der Anerkennung von Staatsoberhäuptern über. Wenn es schon der Praxis entspricht, dass die Staaten sich jeden Wechsel an ihrer Spitze anzeigen, braucht es dann nicht möglicherweise zumindest eines Anerkennungsakts, um die völkerrechtlichen Rechte und Privilegien des Staatsoberhaupts ausüben und genießen zu können? 163 Wie die vorstehenden Ausführungen bereits deutlich gemacht haben dürften, kann man das nur verneinen. Das Völkerrecht kennt derzeit nur die Anerkennung von Staaten 164 und Regierungen 165,166 sowie - mit Berührungspunkten hierzu - von Internationalen Organisationen 167 resp. de Jacto-Regimen 168,169; gegenläufige in den USA zu verzeichnende und nicht von der Staatengemeinschaft aufgegriffene Tendenzen 170 genügen nicht, den Nachweis für die Hedes tag ausgerufener Präsident ein zwar widerrechtlich amtierendes, aber bei - Bestehen der Wählbarkeitsvoraussetzungen - durchaus legal denkbares Staatsoberhaupt. 160 Der gegenteilige Standpunkt wäre, dass der Usurpator im Amt des Staatsoberhaupts für sein Land zwar völkerrechtliche Bindungen wirksam eingehen könnte, ihm aber keine etwaigen Vorrechte und Privilegien eingeräumt werden müssten. Das ist nicht unvorstellbar, aber inkonsequent und im Ganzen wenig einleuchtend. Wie sollte sich die Gleichheit aller Staaten, ungeachtet ihrer politischen Ausrichtung, mit der Existenz von Staatsoberhäuptern "erster" und "zweiter Klasse" (s. o. in Kap. I. 2. und bei Anm. 153) in Einklang bringen lassen? 161 So die lateinamerikanischen Exdiktatoren Jimenez und Pinochet. 162 Dies kann man, ohne Prophetie zu betreiben, getrost prognostizieren - zu denken wäre in diesem Zusammenhang u. a. an Idi Amin. 163 Diesen Zusammenhang glaubt Gloria, in: Ipsen (Anm. 25), § 26, Rdnr. 29 herstellen zu können; desgleichen Berber (Anm. 43), S. 275 und Gornig (Anm. 17), S. 457 a. E. 164 Hierzu grundlegend Hillgruber (Anm. 34). 165 Vgl. hierzu Peterson, Recognition of Governments, Houndmills/New York 1997. 166 Vgl. Blumenwitz, JZ 1985,616; ehen, Law of Recognition, London 1951, pp.3 et seq. 167 s. Doehring (Anm. 35), Rdnr.n 965 f. 168 Vgl. Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, Köln/Berlin 1968, S. 9ff. 169 Allerdings beinhaltet die Anerkennung eines Neustaats auch diejenige seines zu diesem Zeitpunkt amtierenden Staatsoberhaupts, vgl. Meyer-Lindenberg (Anm.77). Deutliche Beispiele für ein solches Zusammenfallen bilden die Anerkennungen des "napoleonischen" Königreichs Westfalen unter Jeröme Bonaparte durch Russland und Preußen im Zuge des Friedens von Tilsit 1807 (59 CTS 233, 259). 170 s. o. bei Anm. 56 und 10 I. Auch in dem Verfahren Lafontant v. Aristide (844 F. Supp. 128 [E.D.N. Y. 1994]; vgl. l. Abschn., Kap. II1.3. e» warfür das Urteil ausschlaggebend, dass die USA - in diesem Fall in offenem Widerspruch zu den machtpolitischen Tatsachen - nur Aris-
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rausbildung diesbezüglich neuen, universellen Gewohnheitsrechts 171 zu erbringen. Die - nicht seltenen - Fälle einer Zeitlang verweigerten und oft nur unter Vorbehalten erfolgten Anerkennung einzelner Fürsten durch andere Staaten stehen dem nicht entgegen; als Napoleon I. den Höfen Europas, die ihn nicht als Kaiser der Franzosen 172 betrachten wollten, zur Antwort gibt, er bedürfe "ihrer Anerkennung gerade so sehr [ ... ], wie die Sonne derselben bedürftig sei"173, bezieht sich dies nicht auf seine Stellung als Repräsentant des französischen Staats, sondern um die Anerkennung speziell seines sich selbst beigelegten Titels. 174 Ist demnach eine Anerkennung für die völkerrechtliche Eigenschaft, den Status als Staatsoberhaupt nicht konstitutiv, so dürfte sie für sich aus dieser Stellung ergebende völkerrechtliche Pflichten und Rechte einschließlich eines Vorrechts der Immunität gleichfalls unbeachtlich sein. 175.176 tide als haitianisches Staatsoberhaupt ansehen wollten. Für die Judikative ebenso wie die Exekutive der Vereinigten Staaten scheint die Immunität einer Person als (ggf. ehemaliges) fremdes Staatsoberhaupt - genauer gesagt: die Gewährung des Immunitätsprivilegs - ausschließlich Folge eines Akts der Selbstbindung, eben durch Anerkennung, zu sein. Demgegenüber hebt z. B. die britische Gerichtspraxis stärker auf objektive Kriterien ab, wenn sie bei unklaren Gegebenheiten im Wege desfactfinding die Staatsqualität eines Territoriums, und wer diesem zu einem bestimmten Zeitpunkt "vorsteht", in den Blick nimmt; vgl. in Bezug auf den ägyptischen Khediven (persisch für "Herr") den Fall The Charkieh, (1873) L.R. 4 A. & E. 59 (Sir Phillimore) = 3 B.I.L.e. 275. Die jüngste Bestätigung des amerikanischen Standpunkts, Immunität für ein fremdes Staatsoberhaupt komme nur der Person zu, die die US-Exekutive als "offizielle" Staatsspitze ansehe (unter Verwendung des völkerrechtlich relevanten Begriffs Recognition; vgl. insoweit Blumenwitz [Anm. 166], 618), findet sich im Fall lungquist v. Sheikh Sultan al-Nahyan, 940 F. Supp. 312,321 (D.D.C. 1996) = 113 I.L.R. 522, 531, wo es um die Folgen eines Bootsunfalls ging, den der Enkel des Herrschers von Abu Dhabi infolge übermäßigen Alkoholgenusses verschuldet hatte. 171 Allerdings war zu Anfang Oktober 2000, nachdem sich Berichte über Fälschungen bei den jugoslawischen Präsidentschaftswahlen häuften, mittels derer sich der diktatorisch regierende Amtsinhaber Milo~evic - letztlich vergebens - an der Macht zu halten versuchte, in zahlreichen westlichen Hauptstädten kurzzeitig davon die Rede, dass man nurmehr den Gegenkandidaten Ko~tunica als "rechtmäßiges Staatsoberhaupt Jugoslawiens anerkennen" wolle. Durch Milo~evics raschen Rücktritt erledigte sich dieser Punkt. 172 Seit 2.12.1804. 173 Zitiert nach Martens (Anm. 58). 174 Ähnliche Fälle aus der vornapoleonischen Ära - u. a. die Annahme des (preußischen) Königstitels durch Markgraf Friedrich 111. von Brandenburg betreffend - führt Fauchille (Anm.I44), p.8, 9 an. Nur scheinbar in diese Reihe gehören die neueren Beispiele Viktor Emanuels 111. von Italien, der sich nach der Annexion Abessiniens den Titel eines "Kaisers von Abessinien" beilegte, woraufhin sich eine Reihe von Staaten weigerte, ihre diplomatischen Vertreter beim König von Italien unter diesem Titel beglaubigen zu lassen; vgl. Meyer-Lindenberg (Anm. 77). Hier war nicht (mehr) die Berechtigung zum Tragen der (kaiserlichen) Würde als solcher streitig, sondern die mittelbare Anerkennung der Hoheitsgewalt über das im Titel erwähnte Gebiet. Ebenso verhielt es sich, als König Faruk 1952 den Titel eines Königs von Ägypten und Sudan usurpierte (v gl. DahmlDelbrücklWolfrum [Anm.68]). 175 Nicht so bei diplomatischen Missionschefs und Leitern konsularischer Vertretungen - im Verhältnis zum Staatsoberhaupt nachrangigen Organen des völkerrechtlichen Verkehrs -, bei
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
Hängt es allein von den Staaten ab, wer als Staatsoberhaupt anzusehen ist 177 , stellt sich im Kontext etwaiger völkerrechtlicher Vorgaben nur noch die Frage, ob sich die freie Bestimmung der Staaten über die konkrete Person ihrer Oberhäupter nicht wenigstens innerhalb gewisser, vom Völkerrecht gesetzter Schranken zu bewegen hat. Im 19. Jahrhundert wird diese Problematik vor dem Hintergrund, ob das Oberhaupt eines Staats zugleich Bürger oder anderweitig Rechtsunterworfener l78 eines anderen Landes 179 sein könnte, akut. Ein Gutachten der Rechtsberater der britischen Krone anlässlich der Berufung des englischen Generalkonsuls in Borneo - Sir James Brooke - zum Raja von Sarawak l80 (1841/42) erklärt eine derartige Konstellation für völkerrechtlich prinzipiell unzulässig 181; ebenso werden in der politischen Szene Stimmen - die Rechtshindernisse befürchten -laut, als 1893 Prinz Charles Edward, zweitältester Sohn der Queen Victoria und Admiral der Royal Navy aus Erbfolgegründen regierender Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha werden soll. Allerdings vermögen sich die Skeptiker 182 mit ihrem Standpunkt nicht durchzusetzen, der denen die Statusbegründung und mithin deren Vorrechte und Privilegien eines Zustimmungsakts des Empfangsstaats bedarf (Agnfment, Art. 4 VCDR; Exequatur, Art. 12 VCCR). In diesen Fällen kommt den Staaten tatsächlich das Recht zu, darüber zu entscheiden, wen sie als zur Vertretung fremder Staaten zuständig erachten wollen, das die USA im Aristide-Fall umfassend für sich in Anspruch nehmen wollte (1. Abschn., Kap. 111. 3.e) [dort Anm.288 und zugehöriger Text]). 176 Etwas anderes wäre allenfalls in Konstellationen vorstellbar, wo das eigentliche Problem in der fehlenden Anerkennung - die auch bewusst unterlassen wird - des repräsentierten Staats liegt, vgl. oben Anm. 169. In einer solchen Situation, ohne dass die Frage der Immunität hier aber je virulent wurde, befanden sich z. B. die Präsidenten der in den 80er-Jahren von Südafrika in die "Unabhängigkeit" entlassenen vormaligen Homelands Transkei (K. D. Matanzima) und BophuthaTswanas (Lucas Mangope) sowie der Staatschef der nur von der Türkei anerkannten Republik Nordzypern (v gl. Hillgruber [Anm. 34], S. 751 f.), Rauf Denkta§. 177 Die völkerrechtliche qui actu regit-Regel (s.o. Kap. I. 2., bei Anm.60) steht dazu nicht im Widerspruch: Zwar ergibt sich aus ihr, dass es in letzter Konsequenz das Völker-, nicht das Staatsrecht ist, welches das Staatsoberhaupt festlegt, dennoch ist dies in jedem Einzelfall durch die jeweilige innerstaatliche Ebene vorgegeben. 178 Was, sofern dies möglich ist, auch für eine Freiheit des betreffenden Staatsoberhaupts von der Gerichtsbarkeit jenes konkreten Staats von Bedeutung sein dürfte. 179 Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen das Staatsoberhaupt eines Landes zugleich auch das eines (oder mehrerer) anderer ist, wie die britische Königin als Königin von Australien, Kanada und Neuseeland, oder der französische Präsident - gemeinsam mit dem Bischof von Urgel- als (Ko-)Staatsoberhaupt Andorras. 180 Heute ein Gliedstaat Malaysias. 181 Wiedergegeben bei McNair (Anm. 42), 29 et seq. Die Gutachter gingen davon aus, dass die Berufung in das Fürstenamt nur mit der Zustimmung Großbritanniens völkerrechtlich wirksam sei. 182 Der damalige Kanzler v. Caprivi bekundete am 5.2.1894 vor dem Reichstag seine Überzeugung, ein deutscher Landesherr könne niemals gleichzeitig Untertan einer fremden Macht sein (R.G.D.I.P. 1 [1894], 155) - dem vom Ansatz her, nicht auf diesen Fall bezogen, beipflichtend Heilborn (Anm. 20), S. 168. Britischerseits befürchteten verschiedene Unterhausabgeordnete Loyalitätskonflikte und insbesondere - im Hinblick auf die Apanage des Prinzen-, dass am Ende die Steuerzahler des Vereinigten Königreichs einen ausländischen Monarchen
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indes auch auf einer Fehleinschätzung der (Völker-)Rechtslage basiert. Tatsächlich kann auf zahlreiche "Vorbilder" aus der Staatenpraxis verwiesen werden, die allgemein akzeptiert worden sind 183; so dass eine grundsätzlich bestehende Inkompatibilität zwar in der Theorie unterstellbar, eine faktische Inkompatibilität hingegen nicht beweisbar istI84.185. Besteht aber nicht einmal im Hinblick auf eine Situation, die per se leicht zwischenstaatliche Konflikte auszulösen imstande ist, eine generelle Einschränkung der Wahlfreiheit der Staaten, wer als ihr Oberhaupt fungieren soll; dann scheint die Antwort auf die - nicht fernliegende - Frage, ob es einem Staat (von Völkerrechts wegen) verwehrt wäre, eine völkerrechtlicher Verbrechen verdächtige oder auch schuldige Person zu seinem Staatsoberhaupt zu erheben bzw. in diesem Amt zu belassen 186 negativ ausfallen zu müssen. Ein entsprechend lautender Satz ist denn auch weder zurzeit im allgemeinen Völkerrecht nachzuweisen, noch zeichnet sich die Aufnahme einer "Karadzic-Klausel" 187 überhaupt ab. dotieren sollten (R. G. D.1. P., 154, 278). Der Umstand, dass das betreffende Land als deutscher Bundesstaat zwar über Völkerrechtssubjektivität - aber doch nur eine eingeschränkte - verfügte (s. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches 11, 5. Aufl., Tübingen 1911, S. 167-172), wurde bei alledem nicht problematisiert. 183 Als Beispiele für die Unterworfenheit von Oberhäuptern eines Staats unter die Rechtshoheit eines anderen bieten sich die deutschen Landesherren - wie Christian von AnhaltZerbst - an, die als Generäle in der preußischen (nicht etwa kaiserlichen; dafür mochten besondere Maßstäbe gelten) Annee dienten. Entsprechendes gilt von regierenden Fürsten italienischer Kleinstaaten vor 1860 im österreichischen Heer; s. Rivier (Anm. 79), S. 253 (dort Fußnote 4). Auch der peruanische Präsident M. Pardo war in den I 870er-Jahren gleichzeitig chilenischer Offizier (Feraud-Giraud [Anm. 86], p. 165). Staatsoberhäupter und zugleich Bürger eines anderen Landes waren (1786) der regierende Bischof von Osnabrück, ein englischer Herzog und Mitglied des House of Lords - wie auch 1837-66 die Könige Ernst August und Georg V. von Hannover; nicht dagegen, wie gelegentlich angenommen wird, Hitler zwischen dem Tod Hindenburgs (vgl. Anm.63 a. E.) und dem sog. Anschluss 1938: Der Eintritt in den braunschweigischen Landesdienst, erkennbar allein zu dem Zweck, Hitler so die für seine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl '32 notwendige Reichsbürgerschaft zu vennitteln - vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte VII, StuttgartlBerlin 1984, S. 928 f. -, verwirklichte gemäß § 10 Abs. I Nr.n I, 2 StBG (BGBI. Nr. 285/1925) bereits zwei Verlusttatbestände nach österreichischem Staatsangehörigkeitsrecht. 184 Wie hier Fauchille (Anm. 144), p. 6; HeffterlGeffcken (Anrn. 79), S. 122; Liszt (Anm. 70), S.III; Phillimore (Anm.70), p.136 und Rivier (Anm.60), p.419. 185 In Einzelfällen kann selbstverständlich eine "echte Unverträglichkeit" eintreten, die man der Staatenpraxis nach dadurch auflöst, dass eines der beiden Verhältnisse suspendiert wird; vgl. Bluntschli (Anrn.56), S.120. Diese Situation ergab sich 1914 bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha - wiederum ein Engländer - sein britisches Regimentskommando niederlegte. 186 Im nächsten Schritt wäre zu ergänzen: und für den Betreffenden alle sich daraus ergebenden herkömmlichen völkerrechtlichen Vorrechte zu reklamieren. 187 Für diesen Einzelfall existiert tatsächlich ein (vertrags)völkerrechtlicher Ausschluss einer bestimmten Personengruppe von staatlichen Funktionen generell- erst recht von der des Staatsoberhaupts - vgl. Art. V des Daytoner Abkommens, i. V. mit dessen Annex 4 (Inkorporation der neuen Verfassung von Bosnien-Herzegowina) und dort Art. IX, para. I: "No person who is serving a sentence imposed by the International Tribunal for the Fonner Yugoslavia, and no person who is under indictment by the Tribunal and who has failed to
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
b) Völkerrechtliche Funktion und Befugnisse des Staatsoberhaupts In deutlichem Gegensatz zu der Indifferenz, mit der das Völkerrecht der Person, Titulatur und internen verfassungsrechtlichen Stellung der Staatsoberhäupter gegenübersteht - was mit zu ihrem höchst unterschiedlichen Erscheinungsbild beiträgt -, stehen deren gleichartige völkerrechtliche Funktionen, Aufgaben und (damit verbunden) eine anerkannte spezifische "Rechtsmacht" 188. Neben der schon oben erwähnten 189 • Vertragsschließungskompetenz (Art. 7 [2] [al VCLT) sind als weitere international relevante und dem Staatsoberhaupt nach Völkerrecht zustehende 190 besondere Befugnisse außerdem • das Recht, Krieg zu erklären 191 und Frieden zu schließen 192, • die Ernennung eigener sowie Beglaubigung und Empfang fremder diplomatischer Vertreter 193 sowie • das (allgemeine) ius repraesentationis omnimodae zu nennen. 194.195 comply with an order to appear before the Tribunal, may stand as a candidate or hold any appointive, elective, or other public office in the territory of Bosnia and Herzegovina." Zitiert nach . 188 Vgl. Heilborn (Anm. 20), S. 159. 189 Vgl. Kap. I. 2., bei Anm. 37. 190 Dem steht grundsätzlich nicht entgegen, dass das Verfassungsrecht einzelner Staaten möglicherweise eine andere Entscheidung trifft; s. im Zusammenhang mit der völkerrechtlichen Vertragsschließungsbefugnis des Staatsoberhaupts nach Art. 7 (2) (a) die Bestimmung des Art. 46 VCLT: "A State may not invoke the fact that its consent to be bound by a treaty has been expressed in violation of a provision of its internallaw [ ... ] unless that violation was manifest and concerned a rule of its internal law of fundamental importance" . Wann die beiden letztgenannten Voraussetzungen allerdings erfüllt sein sollen, ist äußerst zweifelhaft (v gl. Doehring [Anm. 35], Rdnr.482 a. E.). 191 Dies ist nicht etwa infolge des heute nicht mehr in Zweifel gezogenen universellen Gewaltverbots, wie in Art. 2 Nr.4 UN-Charta zum Ausdruck kommend, "erloschen". Dennoch - vielleicht gerade deshalb - bleibt die Kriegserklärung ein völkerrechtlich relevanter Rechtsakt; vgl. Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, Berlin 1975, S. 211; schwankend Watts (Anm.56), 27. 192 Dies wiederum stellt sich als Spezialausprägung der Vertragsschließungskompetenz dar. 193 Vgl. Art. 59 Abs.l Satz 3 GG. 194 Als aus dem Rahmen fallende Besonderheit verdient in diesem Zusammenhang die Position Karls von Habsburg in Erinnerung gerufen zu werden, der nach dem Ersten Weltkrieg zwar als österreichischer Kaiser abdankte, von der ungarischen Regierung gegenüber dem Ausland aber seit 1921 (wieder) als Apostolischer König Ungarns notifiziert wurde. Die Schweiz, wo er seit Kriegsende im Exil lebte, sah ihn insoweit grundsätzlich als Staatsober-
11. Völkerrecht, Staatsoberhaupt und Immunität
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Unter Letzterem wird das umfassende Recht zur Vertretung ihrer Staaten gegen andere verstanden. Das Staatsoberhaupt ist - wie gesagt: völkerrechtlich - zuständig zur Vornahme aller Handlungen, die für den betreffenden Staat überhaupt vorgenommen werden können; sie gelten als Staatshandlungen, die den Staat als solchen berechtigen oder verpflichten, wenn sie vom Staatsoberhaupt vorgenommen worden sind. 196 Es stellt mithin eine Auffangkompetenz, eine internationale Generalklausel 197 dar, die ihrer Eigenschaft als Hauptrepräsentanten der Staaten in ihrer Gesamtheit 198 wegen bei den Staatsoberhäuptern angesiedelt ist, und darf nicht mit einem persönlichen (Vor-)Recht verwechselt werden.
c) Schutz und Privilegien Mit der dem Staatsoberhaupt vom Völkerrecht zugewiesenen zentralen Repräsentantenfunktion geht der Genuss besonderer Rechte einher. 199 Konkret bedeutet dies zunächst, dass jeder Staat verpflichtet ist, so wie seinen "Mit-Staaten" selbstzOO auch haupt - mit entsprechenden Vorrechten - an; hielt ihn jedoch, da die Alliierten sich seiner Rückkehr in sein früheres Herrschaftsgebiet entgegen stellten, nicht zur völkerrechtlichen Vertretung des ungarischen Staats befugt (Rep. suisse 111, p. 1411-1430). Bemerkenswert ist, dass der Kassationshof von Rom in einer von italienischen Adligen anhängig gemachten Zivilrechtsstreitigkeit auf diese ungewöhnliche Situation mit keinem Wort einging und Karl von Habsburg hinsichtlich der von ihm geltend gemachten Immunität - die jedoch nicht eingeräumt wurde - ausschließlich als nicht mehr regierenden österreichischen Kaiser behandelte; vgl. Nobili - Carlo d'Austria Este, Giur. it. 1921, I, 1, co1.471; für eine englische Zusammenfassung s. (1919-22) 1 Annual Dig. 136 (Case No. 90). Der Umstand, dass Karl von Habsburg ebenso wenig Wohnsitz oder regelmäßigen Aufenthalt in Italien hatte wie 50 Jahre zuvor sein Aszendent Franz V. (1. Abschn., Kap. 11. 3.) war für das Urteil gleichfalls unerheblich. 195 Als typisches internes Vorrecht des Staatsoberhaupts ist demgegenüber das Begnadigungsrecht anzuführen (Zippelius [Anm. 139], S. 166). 196 Vgl. Anzilotti (Anm.60); Bleckmann (Anm.191); HeffterlGeffcken (Anm.184); Heilborn (Anm.20), S. 143. Martens (Anm. 58), S. 310 und deBustamante, Droit international public I, Paris 1934, p. 354 gingen demgegenüber davon aus, dass sich der Umfang des völkerrechtlichen ius repraesentationis omnimodae von vornherein nach den vom innerstaatlichen Recht jeweils zugebilligten oder verweigerten Kompetenzen richte. Eine solche Einschränkung fand (und findet) indes weder Rückhalt in völkerrechtlichen Verträgen noch in der Staatenpraxis. Die stattdessen gegebene dogmatische Begründung, es hinge schließlich auch allein vom Staatsrecht ab, wer überhaupt Staatschef sei, ist nicht schlüssig; da diese Festlegung nur interne Wirkungen hat, die Vertretungs befugnis des einmal frei bestimmten Staatsoberhaupts dagegen externe. Sobald der als solcher allzuständige Staat nach außen aktiv wird, muss er sich eines Repräsentanten bedienen, der eben diese Allzuständigkeit widerspiegelt. 197 Watts (Anm. 59). 198 Vgl. Kap. I. 2., bei Anm. 51; DahmlDelbrücklWolfrum (Anm. 25), S. 251. 199 Vgl. ibid., und aus dem älteren Schrifttum Oppenheim, International Law I, London 1905, p.406; Phillimore (Anm. 70), p.134. 200 Vgl. Gloria (Anm. 163), Rdnr. 14; Kimminich (Anm.43), 162; Seidl-Hohenveldern (Anm. 133), Rdnr. 1540. - Das Staatengrundrecht der Ehre, auf "ideelle Selbstbehauptung", 8 Tangennann
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deren Oberhäuptern die ihrer Stellung angemessene Achtung entgegenzubringen. 201 Daraus fließt - gesteigert dann, wenn es sich im Ausland autbält - die sog. Unverletzlichkeit des fremden Staatsoberhaupts (quasi als negatives Kriterium)202 und (positiv) sein Anspruch auf Schutz203 , der regelmäßig durch innerstaatliche Strafvorschriften 204 garantiert wird. Daher sind die Staaten zunächst gehalten, den Schutz der Oberhäupter anderer vor tätlichen Angriffen auf ihre Person, Freiheit, ihr Eigentum oder die von ihnen genutzten Räumlichkeiten 205 sicherzustellen - sowie für derartige Handlungen rechtliche Sanktionen vorzusehen - und darüber hinaus insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass sie • nicht beleidigt oder verleumdet206.207, • mit ihrem üblichen und anerkannten Titel 208 bezeichnet, wurde früher besonders betont; hat aber interessanterweise keinen Eingang in die Friendly Relations-Deklaration (s.o. Anm.153) gefunden. Anerkannt wird es von der Staatengemeinschaft jedoch nach wie vor (vgl. das Urteil des BVerwG v. 8.9.1981 anlässlich einer Demonstration vor der chilenischen Botschaft [E64, 55, 63f.]). 201 Berber (Anm. 74); Jennings/Watts (Anm. 44), p. 1034; Martens (Anm. 58), S. 306; SeidlHohenveldern, a. a. O. 202 Vgl. de Bustamante (Anm. 196), p. 357. 203 Berber (Anm. 74); HoltzendorjJ, in: ders. (Anm.146), S. 66. Der Grundsatz des Schutzes der Würde fremdstaatlicher Repräsentanten kommt beispielsweise - Konsularbeamte betreffend - in Art. 40 VCCR zum Ausdruck; ebenso - allgemein auf völkerrechtlich geschützte Personen bezogen, auch auf Staatsoberhäupter (Art. 1 [I] [a]) - in Art. 2 (3) der sog. Diplomatenschutzkonvention (Anm. 135). 204 In der Bundesrepublik durch §§ 102f. StGB, jeweils Abs. 1, 1. Alt. - Ob allerdings die den Staaten durch das Völkerrecht insoweit auferlegte Schutzpflicht derart konkretisiert ist, dass eine Verpflichtung zum Erlass besonderer Strafbestimmungen (mit eigenen Tatbeständen und Strafrahmen) konstatiert werden muss - was u. a. von Ullmann (Anm. 69), S. 87 vertreten wurde - ist ungewiss (hierzu - ablehnend und m. E. zu Recht - Dahm/Delbrück/Wolfrum [Anrn. 198] m. w. N.; mehrdeutig Kimminich [Anm.43], 163 f., der nur darauf hinwies, dass jedenfalls - der gleichen Repräsentantenwürde wegen - ein unterschiedlicher Ehrenschutz bei frei gewählten Staatsoberhäuptern und Diktatoren nicht in Betracht komme. s. insoweit auch die Entscheidung im niederländischen Fall Public Prosecutor v. T.J., 211.L.R. 10). 205 So auch Art. 2 (1) der in Anm. 203 genannten Konvention. 206 Geschieht im diplomatischen oder politischen Verkehr dies von Seiten des Staats selbst, so dürfte der strafrechtliche Charakter des Verhaltens hinter den völkerdeliktsrechtlichen zurücktreten (HoltzendorjJ[Anm.203]); was sich auch daran zeigt, dass die strafrechtliche Ahndung von Injurien gegen fremde Staaten und ihre Organe in den meisten Ländern nur mit Ermächtigung der Staatsführung möglich ist (Simson, in: FS Heinitz, Berlin 1972, S.744): nicht anders in der Bundesrepublik, s. § l04a StGB. 207 Die Staaten pflegen in ihren (einschlägigen Gerichts-)Entscheidungen zwischen - hinnehmbarer - begründeter Kritik und Schrnähkritik zu differenzieren; vgl. ein den damaligen venezolanischen Präsidenten G6mez betreffendes spanisches Urteil, (1938-40) 9 Annual Dig.8 (Case No. 3) sowie den Fall J.A.M. v. Public Prosecutor (73 I.L.R. 387). Es sei in diesem Zusammenhang auch an die 1977 von Finnland - seinen Präsidenten Kekkonen betreffend - in Stockholm angemahnten und seitens der Schweiz 1987 zum Schutz des zairischen Staatsoberhaupts Mobutu ergriffenen Maßnahmen erinnert (R.G.D.I.P. 82 [1978], 893; 92 [1988], 730). 208 Vgl. das oben (Kap. 11.1. a), bei Anm.174) Gesagte.
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• vor dem Missbrauch 209 des eigenen Bilds, des Titels sowie der Zeichen ihrer Amtswürde 210 bewahrt und • rangmäßig mit den übrigen Staatsoberhäuptern gleichbehandelt werden. 21 I Die besagten Schutzansprüche erkennt man, wie schon angedeutet wurde, fremden Staatsoberhäuptern weniger (wenn überhaupt) aus Gründen der personalen Würde - d. h. im Hinblick auf die Person, die das Amt des Staatsoberhaupts bekleidet - zu, sondern vielmehr mittelbar in Ansehung des von ihm innegehabten völkerrechtlich unerlässlichen Amtes als solchem 2l2 , mehr noch (doch fraglos auch) als aus Respekt vor dem jeweils repräsentierten anderen Staat. Genießen die fremden Staatsoberhäupter ihren spezifischen Schutz allerdings wegen gerade dieses Amtes, ist die Frage nach Bestehen und Umfang der staatlichen Schutzpflicht für jene Fälle aufgeworfen, in denen sie zugleich noch eine oder mehrere weitere Funktionen ausüben und sich nun in dieser "anderen Eigenschaft" gegen sie gewendet wird. So fungieren nicht wenige Staatsoberhäupter gleichzeitig in einer parteipolitischen 213 oder religiösen 214 Stellung. Die Staatenpraxis ist diesbezüglich nicht einheitlich, tendiert jedoch dahin, eine derartige "Aufspaltung" als praktisch nicht überzeugend anzusehen 215 : Der Angriff auf ein Staatsoberhaupt "in dessen Eigenschaft als (partei)politischer Führer" lasse sich kaum auf diese beschränken, so dass diejenige als Oberhaupt des Staats davon unberührt bliebe. 216 209 Auch - und gerade - für kommerzielle Zwecke; s. die Entscheidung des RPA in JW 1936, 2110 (Werbung für [deutsche] "Prince of Wales"-Rasierklingen mit dem Konterfei des englischen Königs). 210 Z. B. seine Standarte oder sein Wappen. 211 In seltenen Fällen werden diese Verpflichtungen auch in bilateralen Verträgen garantiert; so von Italien zugunsten des Papstes in Art. 8 des Lateranvertrags (23 AJIL Supp.187 [1929]; FHIG III/2, S. 895). 212 So auch Watts (Anm.56), 42, 49. 213 Hier lassen sich u. a. der südafrikanische (Thabo Mbeki, zugleich ANC-Parteivorsitzender) und der vormalige jugoslawische Präsident (Slobodan Milosevi6 als Führer der Sozialistischen Partei Serbiens) anführen. 214 Man denke nur an den Papst, der als (im Wortsinne) Monarch den Vatikanstaat leitet, in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der römisch-katholischen - hierzu 0' Hair v. Wojtyla, 81 I. L. R. 607 - sowie an die britische Königin als Oberhaupt der anglikanischen bzw. presbyterianischen Kirche. Vor 1945 galt Entsprechendes, was schon im Titel zum Ausdruck kam, auch für den japanischen Tenno (1. Abschn., Kap. III [dort Anm.187]); dagegen nieht für den iranischen Faqih Khomeini und dessen Nachfolger (s. o. Anm. 39,78). 215 Die meisten Entscheidungen in diesem Bereich sind seinerzeit in Bezug auf Hitler ergangen. Dass die (Verbal-)Attacken nur gegen den NSDAP-Che! gerichtet gewesen seien, akzeptierte ein Maastrichter Gericht im Fall Publie Proseeutor v. G., (1935-37) 8 Annual Dig.24 (Case No. 11); ein Amheimer (ibid., 25) und ein Groninger Tribunal ([1919-42] 11 Annual Dig.13 [Case No. 5]) jedoch nicht. Vgl. auch den Fall T.J. (oben Anm.204). 216 Wieder anders könnten die Dinge liegen, wenn es sich bei der besagten anderen Funktion um eine öffentliche handelte, die das Staatsoberhaupt von A im (ihm ansonsten achtungs- und
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
Mit alledem ist freilich die Reichweite der fremden Staatsoberhäuptern zustehenden Schutzanspriiche nur teilweise umrissen. Immerhin stellen sich bei genauer Betrachtung die eingangs erwähnten diversen Abwehrrechte als deckungsgleich mit den Rechtspositionen heraus, die mittlerweile grundsätzlich jedem Menschen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder -stellung, zuerkannt werden. 217 Der dariiber hinausgehende, besondere Schutz eines fremden Staatsoberhaupts, welcher letztlich um des Schutzes des internationalen Verkehrs willen besteht, spiegelt sich daher auch in etwas anderem wider: Der Staatschef ist - ebenso wie nur partiell völkerrechtlich berechtigte Vertretungsorgane (Diplomaten und Konsuln)218 - im Unterschied zu anderen Personen, bei denen prinzipiell Eingriffe z. B. in ihre Freiheit oder Privatsphäre seitens der zuständigen staatlichen Stellen gerechtfertigt werden können, von gerade dieser Staatsgewalt exemt, wofür sich der - allerdings missliche - Begriff der "Exterritorialität" eingebürgert hat. 219 Dementsprechend ist der "Exterritoriale" - konkret also das fremde Staatsoberhaupt - zunächst keiner Polizeigewalt unterworfen 220; die Polizei darf weder mittelnoch unmittelbaren Zwang gegen ihn ausüben 221 • Andererseits ist sie nicht gehinschutzptlichtigen) Staat B innehätte, was das Völkerrecht, wie oben in Kap. 11. 1. a) dargelegt, nicht ausschließt. 217 Vgl. Stoerk (Anm. 146), S. 667: ,,[F]ür die civilisirten Staaten heute" müsse als "oberster Grundsatz" festgehalten werden, dass eben "nicht mehr nur die Person ausländischer Staatsoberhäupter oder Diplomaten, sondern ebenso jede andere Person unverletzbar und in dieser Unverletzlichkeit strafrechtlich geschützt sei". So hat der deutsche Bundesrat 1958 eine Regierungsinitiative verworfen, durch die speziell der Schutz fremder Staatsoberhäupter (und ihrer Familienangehörigen) verstärkt werden sollte (" lex Soraya ").
218 Die Vertretungsmacht der Genannten ist anders als die des Staatsoberhaupts in doppelter Hinsicht, und zwar sachlich und räumlich (d. h. auf konkrete Empfangsstaaten) beschränkt; s. Watts (Anm. 56),40, 53. 219 Vgl. Berber (Anm. 74); Bluntschli (Anm. 56), S. 121; Liszt (Anm.184). Wenig glücklich gewählt ist dieser (nach wie vor gebräuchliche, s. OGH JBI. 1964,567) Terminus deswegen, weil er die - irrige - Vorstellung erweckt, dass die privilegierten Personen als außerhalb des Staatsgebiets stehend anzusehen seien (DahmlDelbrücklWolfrum [Anm.25], S.252, 287f.; VerdrosslSimma [Anm. 153], S. 576). Zwar hat Verosta (in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts I, 2. Autl., Berlin 1960, S. 500) darauf hingewiesen, dass territorium mit dem mittelalterlichen Sprachgebrauch weniger räumlich denn als Reichweite der Rechtsordnung verstanden werden müsse. Diese Definition verschiebt die Unschärfe allerdings nur, da die Rechtsordnung eines Staates A - soweit dessen Hoheitsgebiet reicht - auch gegenüber dem Staatsoberhaupt von B uneingeschränkte Geltung beanspruchen darf. Lediglich die Durchsetzung dieser Rechtsordnung ist unter bestimmten Umständen aufgrund völkerrechtlicher Normen zurückgenommen (vgl. Stein, in: LdRNR, 2. Autl., Neuwied 1992, S.133). 220 HeffterlGeffcken (Anm.79), S. 126; Martens (Anm.58), S.315; Ullmann (Anm.69); S.86. 221 Insbesondere darf sie ihn nicht verhaften. Vgl. für Diplomaten die ausdrückliche vertragliche Regelung in Art. 29 VCDR; für Konsuln als "minderrangige" Organe des völkerrechtlichen Verkehrs nur eingeschränkt (Art.41 [1] VCCR).
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dert, die zur Unterbindung von die öffentliche Sicherheit gefährdenden Handlungen der exterritorialen Person, welche verpflichtet bleibt, die allgemeinen polizeilichen Anordnungen zu befolgen 222 und Einrichtungen anderer Staaten nicht zu stören 223 , unabweisbar nötigen Maßregeln zu ergreifen 224 • Als weiteres typisches, mit der sog. Exterritorialität verknüpftes Vorrecht ist die Steuer-, Zoll- und Abgabenfreiheit anerkannt 225 , die allerdings weniger weit reichend ist, als es zunächst den Anschein hat: Soweit ein Staat Gebühren für öffentliche Dienstleistungen 226 erhebt, ist auch ein fremdes Staatsoberhaupt oder ein anderer Exterritorialer, der diese Leistungen in Anspruch nimmt, nicht von Rechts wegen von der Entrichtung dieser Gebühren befreit. 227 Ein Gleiches gilt nach der Staatenpraxis in Bezug auf Gerichtsgebühren bei Prozessen, die der Exterritoriale führt oder führen lässtz 28 , sowie auf alle Steuern im Zusammenhang mit Immobilienverrnögen und Erbschaftsangelegenheiten. 229 Weiterhin darf einem fremden Staatsoberhaupt der ungehemmte und uneingeschränkte Verkehr mit seinem eigenen Staat - und folglich mit dem Ausland - nicht verwehrt werden. 230 Diese Kontakte kann es grundsätzlich auch dazu nutzen, Staats222 Namentlich sind dies bau- und feuerpolizeiliche Vorschriften, die auch für die Wohnungen von "Exterritorialen" gelten; Bluntschli (Anm. 219). 223 Mit der besonderen Privilegierung durch einen bestimmten Staat korrespondiert folglich eine besondere Rücksichtnahmepflicht auf diesen. So hat sich der Exterritoriale im Ausland, nicht nur was eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit anbelangt, sondern die inneren Angelegenheiten des jeweiligen Staats generell betrifft, eine besondere Zurückhaltung aufzuerlegen. Die VCDR statuiert dieses Prinzip für Diplomaten im zweiten Satz des Art. 41 (1); es gilt indes, wie die Praxis zeigt, auch für Staatsoberhäupter. So kam es 1967 bei einem offiziellen Aufenthalt des französischen Präsidenten de Gaulle in Kanada zu einem Eklat, als er eine Rede hielt, die als Unterstützungsversprechen für die Sezessionsbewegung in Quebec aufgefasst werden musste. Die kanadische Reaktion nötigte de Gaulle zum Abbruch seines Besuchs; R. G. D. I. P. 72 (1968), 164. Insoweit mit JenningslWatts (Anm. 44), p. 1035 ein allgemein-umfassendes völkerrechtliches Verbot des Missbrauchs der völkerrechtlichen Privilegien des Staatsoberhaupts zu konstatieren, ist sicherlich zutreffend; besagt aber noch nichts über die konkreten Folgen - Verlust der Vorrechte? - eines Verstoßes gegen diese Generalklausel. 224 Vgl. Feraud-Giraud (Anm. 86), p. 189 et s.; Martens (Anm. 220). 225 In Bayern (soweit ersichtlich) erfolgte die gesetzliche Anerkennung erstmals durch die ,,königlich Baierische Zollordnung" von 1811, die fremde "Souveräne" und ihre Gegenstände von Abgaben befreite; s. Schmelzing, Systematischer Grundriß des Völkerrechts I, Rudolstadt 1818, S.247. Vgl. in diesem Zusammenhang die Entscheidung des eidgenössischen Bundesrats betreffend den ungarischen König Karl IV., Rep. suisse III, p. 1427, zum Ganzen oben Anm. 194. s. a. DahmlDelbrücklWolfrum (Anm. 25), S. 253; HeffterlGeffcken (Anm. 220); Martens (Anm.220); Watts (Anm. 56),70 et seq. Für Diplomaten existiert in Art. 34,36 (1) VCDR eine entsprechende vertragliche Regelung. 226 Z. B. Post-, Eisenbahn- oder Straßenbenutzungsgebühren (Maut). 221 Bluntschli (Anm. 56), S. 122; Martens (Anm.220). 228 V gl. Bluntschli, a. a. O. 229 V gl. Watts (Anm. 56),70; Dahml DelbrücklWolfrum (Anm. 225), dort Fußnote 25 m. w. N. 230 Liszt (Anm. 70), S. 113; Watts (Anm. 56), 71. Hier handelt es sich keineswegs um ein elementares Menschenrecht.
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
geschäfte gleichsam "aus der Feme" zu betreiben23I , was vor Beginn der Telekommunikationsära schon praktisch nur sehr eingeschränkt möglich war. Die besagten Rechte der Exterritorialität erkennt das Völkerrecht Staatsoberhäuptern indes nicht bedingungslos, allein mit der Amtsträgereigenschaft verknüpft, sondern nur unter gewissen (Negativ-)Voraussetzungen zu. Als solche sind • das Nichtbestehen eines bewaffneten Konflikts mit dem von dem jeweiligen Staatsoberhaupt repräsentierten Staat232 , • die Tatsache, dass dem Staatschef der Eintritt in das für ihn fremde Hoheitsgebiet - vorausgesetzt, dass er sich dort aufhält 233 - nicht untersagt worden ist234.235 • sowie der Umstand, dass kein ausdrücklicher oder - durch einen Inkognito-Aufenthalt - impliziter Verziche36 auf das Recht der Exterritorialität vorliegt und • dass das fremde Staatsoberhaupt nicht in Diensten des Aufenthaltsstaats stehe3? 23\ Insoweit können prinzipiell sehr wohl durch das Staatsoberhaupt von A Hoheitsakte auf dem Gebiet von B gesetzt werden. Die Grenze zieht das Völkerrecht dort, wo solche Handlungen mit der territorialen Souveränität Bs in Konflikt geraten, insbesondere durch die Ausübung von Gerichtsbarkeit (s. o. 1. Abschn., Kap. I. 3.). Solange hingegen nur solche Akte vorgenommen werden, die Bs Zuständigkeiten nicht berühren und nur auf Interna von A bezogen bleiben, ist keine völkerrechtliche Verbotsnorm vorhanden. 232 Martens (Anrn. 70), Stoerk (Anm. 146), S. 658. - Das Recht der Exterritorialität ist ein spezifischer Bestandteil des Friedensvölkerrechts. Sollte sich das Staatsoberhaupt von A beim Ausbruch eines bewaffneten Konflikts mit B gerade dort aufhalten, wird man allerdings kaum annehmen können, dass seine Vorrechte plötzlich erlöschen; vielmehr zeigt ein argumentum a minori ad maius, dass diese in entsprechender Anwendung von Art. 39 (2) VCDR und 53 (3) VCCR bis zur Ausreise weiter bestehen bleiben dürften. An einer aussagekräftigen Staatenpraxis fehlt es. 233 Bereits Liszt (Anm.70), S. 112 hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Staatsoberhaupt Exemtion von der Herrschaftsgewalt des fremden Staats A nicht nur dann beanspruchen kann, wenn es dort weilt, sondern dies in gleicher Weise für das sich in einern Drittstaat oder seinem eigenen Land aufhaltende Staatsoberhaupt gilt. Allerdings taugt die Fiktion der Exterritorialität in solchen Fällen nicht, um die Befreiung von As Staatsgewalt bildlich darzustellen. 234 Bluntschli (Anrn. 69); Feraud-Giraud (Anm. 86), p. 180; Stoerk (Anm. 146), S. 659. 235 Auch ein Staatsoberhaupt hat - ungeachtet der völkerrechtlichen Notwendigkeit dieses Amtes - keinen Anspruch auf Einreise bzw. das Verweilen in fremde(n) Staatsgebiete(n). So wurde, wie oben sub Abschnitt 1, Kap. I. 3. erwähnt, im frühen 17. Jahrhundert dem Herzog von Savoyen jeder zukünftige Aufenthalt in Frankreich untersagt. Einen Sonderfall aus neuerer Zeit stellt die Behandlung des ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Waldheim durch die USA dar, dem seiner Rolle im Zweiten Weltkrieg wegen die Einreise nur in dessen Eigenschaft als Staatsoberhaupt gestattet, als Privatperson dagegen verwehrt war; AdG 1987, 31081. In gleicher Weise verfuhr die französische Regierung 1993 mit dem zairischen Diktator Mobutu (Watts [Anm. 56],73). 236 Martens (Anm. 220); Ullmann (Anm. 220). 237 Ibid., sowie Stoerk (Anm. 234). s. a. oben bei Kap. 11. 1. a) a. E.
11. Völkerrecht, Staatsoberhaupt und Immunität
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anzuführen. 238 Da aber nun auch die Jurisdiktion eine - sogar klassische - Ausprägung der Staatsgewalt darstellt, lässt sich folgende Hypothese fixieren: Nach den Grundsätzen über die sog. Exterritorialität darf ein Staatsoberhaupt nicht gegen seinen Willen fremder Gerichtsbarkeit unterworfen werden; genießt also Immunität. Etwas anderes kann folglich allenfalls dann gelten, wenn der Konsens dadurch gewahrt bleibt, dass sich das betreffende Staatsoberhaupt im konkreten Einzelfall (möglicherweise auch generell) der fremden Gerichtsbarkeit unterworfen hat oder rügelos auf eine Klage einlässt; bzw. bei Klagen, die sich auf im Gerichtsstaat belegene Immobilien oder Nachlässe beziehen, Umstände, die nur im Rahmen der Zivilgerichtsbarkeit relevant werden können. Da es sich insoweit um ein besonderes Vorrecht handelt, das die Staaten wechselseitig ihren Oberhäuptern ihrer Eigenschaft als zentralem Organ des völkerrechtlichen Verkehrs wegen zuerkennen, erlischt es mit dem Ende der Amtszeit. 2. Immunität - ein völkerrechtliches Grundprinzip Verglichen mit dem "erst" auf Grotius 239 zurückzuführenden Terminus der Exterritorialität ist die Immunität als Rechtsbegriff sehr viel älter; hat aber einen mehrfachen Bedeutungswechsel erfahren. "Immunität" (emunitas)240 bedeutete im spätrömischen Reich die Freiheit von öffentlichen Lasten (den munera) verschiedenster Art 241 • In fränkischer Zeit ist sie umfassender und enthält eine fast vollständige Befreiung von Eingriffen staatlicher Beamter, insbesondere der Grafen 242 - also den Trägem der Polizei-, aber auch richterlichen Gewalt. Die gemeinsame Idee, welche allen Formen der Immunität und ebenso dem im Rahmen dieser Untersuchung verwendeten Immunitätsbegriff243 zugrunde liegt, ist daher die Freiheit. 244 Inhaber der 238 Im älteren Schrifttum wurde darüber hinaus z. T. vertreten (so von Martens [Anm.70]; Ullmann [Anm. 236]), das Staatsoberhaupt müsse außerdem von dem Staat, von dessen Gewalt es Befreiung genießen wolle, auch "anerkannt" sein. Dass es für die "Anerkennung von Staatsoberhäuptern" (als solchen) im Unterschied zu der von Regierungen und mithin für diese Forderung in der Staatenpraxis keine Basis gibt, wurde schon in Kap. 11. 1. a) erörtert. Da allerdings im 19. Jahrhundert die Staatsoberhäupter typischerweise auch die Regierung führten, ist dieser Ansatz verständlich. 239 Ders., De iure belli ac pacis (1625), Liber 11, cap. XVIII, § IV, 5. 240 Vgl. Köbler, Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, München 1997, S.246; MitteislLieberich (Anm. 85), S. 85. Willoweit, HRG 11 (1978), S. 312 gibt demgegenüber die Form immunitas an. 241 "Immunität" konnte daher sowohl die Befreiung von Grund- und Kopfsteuern als auch von sog. munera sordida - insbesondere Frondienste - wie auch die Freistellung von der Pflicht zur Übernahme von munera personalia (Vormundschaft, Kriegsdienst) bedeuten; Willoweit, a. a. O. 242 MitteislLieberich (Anm. 240). 243 s. o. in Kap. I. 1. 244 Willoweit (Anm. 240). - Allerdings, wie bereits angedeutet wurde, nicht die "Freiheit an sich", sondern von etwas. Wie allein schon das Wort erkennen lässt, beschreibt die Immunität
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
Immunität, eines königlich gewährten Privilegs, sind im Mittelalter weltliche und geistliche Herren; was sich in der Folgezeit aber mehr und mehr auf Letztere beschränkt. 245
Völkerrechtlich kommt die Immunität, als Bestandteil internationaler Normen, erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, und zwar im Zusammenhang mit Diplomaten auf. 246 Bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts wird sie terminologisch auch im Kontext mit anderen staatlichen Repräsentanten resp. den Staaten selbst gebräuchlich. 247 Die gedanklichen Wurzeln des mit ihm umschriebenen Privilegs - der Freiheit von fremder Gerichtsbarkeit - reichen allerdings erheblich weiter zurück.
a) Wurzeln und Rechtsgrund des Immunitätskonzepts Auf der Suche nach den konzeptionellen Ursprüngen der Immunität(en)248 im Völkerrecht stößt man im Schrifttum - und desgleichen in der Praxis, bis hin zu einzelnen Lordrichter-Voten im Pinochet-Fall 249 - alsbald nach der Konstatierung staatlicher Gleichheie50 regelmäßig auf die bekannte Sentenz Bartolus' von SassoJerrato 251 : "Non enim una civitas pOfestJacere legem super alteram, quia par in parem non habet imperium252 "253. In der Tat findet sich hier eine (zeitlich verstanden) ein negatives Verhältnis (hier ein Nichtunterworfensein); s. Gmür, SchwJIR 7 (1950),10. Dies kommt selbst noch in der etymologisch jüngeren medizinischen Bedeutung des Begriffs zum Ausdruck, wonach immun frei von Krankheit trotz Infektion mit deren Erregern zu sein bedeutet. 245 Vgl. Willoweit (Anm. 240), S. 315. 246 So traf Art. 24(8) der Haager Konvention über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten v. 29.7.1899 (187 CTS 410 = Martens, NRG 2e ser. XXVI, p.920) die Entscheidung, dass die Mitglieder des Schiedsgerichtshofs außerhalb ihres Heimatstaats "jouissent des privileges et immunites diplomatiques", s.a. Menzel, Völkerrecht, MünchenlBerlin 1962, S.239f. Im völkerrechtlichen Schrifttum taucht der Immunitätsbegriff im Kontext mit Fragen des Diplomatenrechts, soweit ersichtlich, erstmals bei Bijnkershoek auf (De foro legatorum, Leiden 1721, cap. III, XIX). 247 Beispielhaft hierfür das Stichwortregister (immunity) in OppenheimlLauterpacht, International Law I, 81h ed., London 1955 im Verhältnis zur Auflage von 1920. 248 Schon an dieser Stelle sei betont, dass das Völkerrecht ein einheitliches Rechtsinstitut "Immunität" nicht kennt, s. a. Doehring (Anm. 35), Rdnr.656. 249 Vgl. [1999]2 AllE.R. 170 h (Lord MilIett). 250 V gl. nur Doehring (Anm. 35), Rdnr. 658; Trooboff, 200 RdC (1986-V), 252. 251 Ca. 1314-57. 252 Nicht, wie gelegentlich zu lesen ist, "iudicium" bzw. ,jurisdictionem" (so aber FolzlSoppe, NStZ 1996,577; Gloria [Anm.163], Rdnr.16; Boguslavskij, Staatliche Immunität, Berlin 1965, S. 24; außerdem das BVerfG im Botschaftskonto-Fall [E46, 355]), oder- so öfters im älteren Schrifttum - "potestatem" (Calvo, Le droit international I, 3e ed., Paris 1880, p. 574; Phillimore [Anm.70], p. 137) - wenngleich die Aussage dadurch freilich nicht verfälscht wird. 253 Tractatus represaliarum, 1354, qu.1I3, § 10. - Bartolus bezog sich konkret auf die mittelalterlichen italienischen Stadtrepubliken (Steinberger, State Immunity, EPIL 10 [1987], p.429).
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erste Erklärung für das Bestehen von - als bestehend allerdings bereits vorausgesetzten - Immunitäten im zwischenstaatlichen Verkehr, deren theoretischen Rechtsgrund Bartolus eben in der Gleichheit sieht. Für den Umstand als solchen, dass kein staatliches Gemeinwesen über ein anderes "zu Gericht zu sitzen" vermag, dass es nicht unbedingt der faktischen, wohl aber der Rechts- und Gerichtsmacht der übrigen Staaten entzogen ist, kann indes schon auf die berühmteste Passage der monumentalen Abhandlung des spätantiken Philosophen Augustinus über den "Gottesstaat"254 verwiesen werden: "Was anders sind also Reiche, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden? Sind doch auch Räuberbanden nichts anderes als kleine Reiche. Auch da ist eine Schar von Menschen, die unter Befehl eines Anführers 255 steht, sich durch Verabredung zu einer Gemeinschaft zusammenschließt [ ... ]. Wenn dies üble Gebilde durch Zuzug verkommener Menschen so ins Große wächst, dass Ortschaften besetzt, Niederlassungen gegründet, Städte erobert, Völker unterworfen werden, nimmt es ohne weiteres den Namen Reich an, den ihm offenkundig nicht etwa hingeschwundene Habgier, sondern erlangte Straflosigkeit erwirkt." 256
Demnach verhält es sich nur prima facie so, dass die fehlende Gerechtigkeit den Ausschlag für die Einordnung als Reich - im heutigen Sprachgebrauch einfach Staat - oder Räuberbande gibt: Für den Bischof von Hippo enthält die iustitia spezifisch christliche Anforderungen, die für die "Reiche" in der "politischen Wirklichkeit erfahrungsgemäß keine Rolle spie1en"257 - was nicht abwertend verstanden werden sollte, da sie diesen Anforderungen vermutlich auch nicht entsprechen können. Käme es daher wirklich auf die "Gerechtigkeit" an, existierten im Grunde überhaupt keine Staaten; alle sich diesen Namen beilegenden Verbände wären an sich als große bis übergroße Räuberbanden zu klassifizieren. 258 Dennoch ist es bereits für Augustinus eine politisch wie juristisch nicht zu leugnende Tatsache, dass es sehr wohl "Reiche" und Räuberbanden gibt. Ist es aber "Sprachschöpferisch" hat Bartolus sich, insoweit indes nicht betätigt; die par in parem-Maxime findet sich bereits anderthalb Jahrhunderte früher fast wortgleich in einer Anweisung Papst Innocenz' 111. an den Erzbischof von Canterbury, mit der Ersterer seine unbeschränkte, auch durch Gesetze pontifikaler Vorgänger nicht gebundene Legislativgewalt begründen wollte; Decretalium Gregorii IX., Liber 1/6, c. 20, eine deutsche Übersetzung des Schreibens findet sich im ersten Band der Sammlung von Schilling/Sintenis, S. 637 ff. 254 s. o. Anm. 28. Zitiert wird die deutsche Übersetzung von 19nor, in: Adomeit, Rechts- und Staatsphilosophie I, 2. Autl., Heidelberg 1992, S.183. 255 Der Originaltext nähert die Spitzen von Reich und Räuberbande auch insoweit aneinander an, als dort vorn princeps ("Fürst", womit zwar zumeist ein [adliger] Monarch assoziiert wird; man denke aber auch an die principes der altrömischen Republik) die Rede ist. 256 Hervorhebung vorn Verfasser. - Im Original lautet die Passage: ,,[. . .] evidentis regni nomen adsumit, quod ei iam in manifesto confert non dempta cupiditas, sed addita impunitas. " 257 19nor (Anm. 254), S.185. 258 lbid. - Was die "moralische Wertigkeit" der sog. Reiche, auch der meisten der heutigen Staatengemeinschaft anbetrifft, dürfte genau dies auch Augustinus' Einschätzung entsprechen.
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
nicht die metaphysische iustitia, muss an ihrer statt ein anderes, "greifbares" Kriterium für die Differenzierung zwischen Banden und Staaten, zwischen Bandenführern und Staatsoberhäuptern auffindbar sein. Augustinus nennt dieses Unterscheidungsmerkmal selbst beim Namen - es ist die "Stratlosigkeit", Stratlosigkeit im weltlich-rechtlichen Sinn, resultierend aus dem Umstand, dass ein Staat zwar im Krieg niedergekämpft, eventuell sogar ausgelöscht werden kann, jedoch keine irdische Gerichtsbarkeit über Staatswesen und deren Führer ausgeübt werden darf259 , was bei dem von Augustinus beispielhaft angeführten und dem makedonischen Imperator Alexander gegenübergestellten Seeräuberkapitän hingegen nicht zu bezweifeln war 260 . Das Bestehen völkerrechtlicher Immunitäten mit Bartolus notwendig aus der Staatengleichheit abzuleiten26I , erscheint wenig überzeugend: Deren Gleichheit wäre auch dann gewahrt, wenn jeder Staat in gleicher Weise wie andere über seinesgleichen zu Gericht sitzen könnte. 262 Und ebenso wenig könnte ein Staat eine Verletzung des Gleichheitsprinzips rügen, sobald der Forumstaat sich selbst im seIhen Umfang Klagen vor seinen eigenen Tribunalen zu stellen hätte. 263 Richtigerweise wird man davon auszugehen haben, dass ein Staat, der einen Immunitätseinwand erhebt, letztlich seine eigene Souveränität 264 geltend machtz65 ; diese Auffassung hat sich mittlerweile auch in der Völkerrechtskommission der UN durchgesetztz66 . 259 Unklar bleibt, ob Augustinus insoweit mehr als ein rechtliches Postulat - ein ideal gedachtes Recht verbiete die Ausübung von (jedenfalls Straf-)Gerichtsbarkeit über andere Staaten und deren Oberhäupter - aufstellen, also darüber hinaus auch zum Ausdruck bringen wollte, dergleichen widerspräche real allen Gepflogenheiten. Die römischen Rechtsquellen jedenfalls sind insoweit wenig ergiebig. Einerseits wurde die frühneuzeitliche Lehrmeinung, auch ein König sei außerhalb seines Landes nur Privatmann (Nachweise bei Gmür, Gerichtsbarkeit über fremde Staaten, Zürich 1948, S.12), auf die Digesten zurückgeführt - dabei bezieht sich D. I, 18, 3 überhaupt nicht auf den rex, sondern die Provinzstatthalter und somit innerstaatliche Funktionsträger; andererseits könnte man die par in parem-Maxime und mithin den Grundgedanken völkerrechtlicher Immunität unausgesprochen in D.4, 8,4 angelegt sehen, kein Magistrat könne einen anderen (gleichen Rangs) zwingen, eine übernommene Schiedsrichterpflicht zu erfüllen. 260 s. o. Anm. 28. 261 So Fastenrath, FAZ, Nr. 261 v. 10.11.1998, S. 6; KimminichlHobe (Anm. 107), S.292-296 und Alfred Verdross, der dies (in: Völkerrecht, 2. Aufl., Wien 1950, S. 260) dadurch zum Ausdruck brachte, dass er das die Immunitätsprob1ematik behandelnde Kapitel mit "Die Gleichheit der Staaten" überschrieb. 262 Wie hier: Dahm, in: FS Nikisch, Tübingen 1958, S. 155 (a. A. offenbar Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane, Bonn 1952, S. 288). 263 Vgl. Lauterpacht, 28 B. Y.I.L. (1951), 229; Badr, State Immunity, Den Haag/Boston 1984, pp. 89 et seq. 264 Könnten ausländische Gerichte einen Staat (resp. dessen wichtigste Organe) belangen, bliebe - jedenfalls wenn dies uneingeschränkt möglich wäre - dadurch weder dessen Verteidigungs- noch Rechtspolitik unberührt; die Erfüllung der Staatsaufgaben in Freiheit und Unabhängigkeit wäre fast zwangsläufig beeinträchtigt. 265 So RGZ 62,167; Engel, ZVgIRWiss 1988,38; Hess, Staatenimmunität, München 1992, S. 308 ff. m. w. N.
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Zunächst mag dies fragwürdig erscheinen, da über völkerrechtliche Immunitäten eine staatliche Kompetenz - die zur Rechtsprechung - und mithin der staatliche Souveränitätsbereich (in sachlicher Hinsicht) doch gerade Eingrenzungen erfahrt 267 • Diese Betrachtungsweise lässt indes die im Konsens erfolgende, die freiwillige und gegenseitige Gewährung von Immunitätsprivilegien außer Acht; jedem Staat verbleibt ungeschmälert die territoriale Jurisdiktion, d.h. die Rechtsmacht zur wirksamen Fällung jedes seiner Rechtsordnung entsprechenden Urteils - und insoweit seine Souveränität -, selbst wenn dadurch eine nach Völkerrecht zu beachtende Immunität oder sonstige internationale Norrnen 268 verletzt werden sollte. 269 Vor dem Hintergrund der Immunitätszuerkennung im Hinblick auf andere Staaten und bestimmte (als deren Vertreter angesehene) Personen zeigt sich die staatliche Souveränität aber gerade in dem freien Entschluss zur teilweisen Se1bstbeschränkung 270 , motiviert durch den Willen, Gleiches auch für sich selbst und seine eigenen Repräsentanten zu beanspruchen. 271 ,272 Zu bedenken ist überdies, dass das Gleichheitsargument zwar im Hinblick auf andere staatliche Tribunale, weniger aber auf ein durch die Vereinten Nationen eingerichtetes Rechtsprechungsorgan wie beispielsweise den ICTY taugt. (Im gleichen Sinne, ohne ein konkretes Beispiel zu nennen - d. h. nennen zu können -, MenzellIpsen, Völkerrecht, 2. Aufl., München 1979, S. 203.) Allerdings wäre es voreilig anzunehmen, dass die Immunitätsproblematik vor als "international" einzustufenden Tribunalen prinzipiell nicht auftauchen könne (s. u. Anm.272). 266 Vgl. Gloria (Anm. 252) m. w. N. 267 Vgl. Verdross/Simma (Anm. 153), S.762f. Auch Dahm/Delbrück/Wolfrum (Anm.25), S. 452 ff. besprechen diese Frage unter dem Hauptgliederungspunkt der "Grenzen staatlicher Gebietshoheit"; ähnlich Brownlie, Principles ofInternationai Law, 5th ed., Oxford 1998, pp.301 et seq., 325. 268 Dem Völkerrecht gemäß sind den Staaten zwar diverse und weit reichende Anknüpfungspunkte für die Ausübung ihrer Gerichtsbarkeit zugebilligt (namentlich das Territorialitäts-, aber ebenso z. B. das aktive oder passive Personalitätsprinzip), damit aber gleichzeitig auch, abgesehen von Fragen der Immunität, Grenzen gezogen - vgl. die "Lotus" -Entscheidung von 1927, P.C.U. Sero A No. 10 (mit Blick auf die Strafgerichtsbarkeit); Brownlie, op. eit., pp. 306-309. 269 Ausgangspunkt und damit Richtschnur für die Bewertung einer Ausübung von Gerichtsbarkeit als völkerrechtskonforrn oder -widrig ist dabei jedoch das alleinige und umfassende staatliche Recht zur Jurisdiktion innerhalb seines Hoheitsgebiets, was praktisch für Fragen der Darlegungs- und Beweislast im Verfahren bedeutsam wird (s. U. vor Kap. 11. 2. c». 270 Nach Bluntschli (Anm. 219) ehrt der Staat, der einem "fremden Souverän" Freiheit von seiner Gerichtsbarkeit gewährt, damit "einen Genossen seiner eigenen Souveränität". Das gilt nicht nur dann, wenn diese Freiheit aus bloßer Courtoisie, sondern auch als Ausdruck einer rechtlichen Verpflichtung gewährt wird: Wie bereits der StiGH im Wimbledon-Fall (P.C.U. Sero A No. 1 [1923],25) betont hat, ist die Inanspruchnahme der rechtlichen Fähigkeit, internationale Verbindlichkeiten einzugehen, eine Art der Ausübung staatlicher Souveränität, nicht deren (Teil-)Aufgabe; vgl. McNair, in: FS Verzijl, Den Haag 1958, pp. 223,226 et seq. 271 Es geht mithin darum, konkurrierende Souveränitäts- und Zuständigkeitsansprüche einzelner Staaten "voneinander abzugrenzen und miteinander in Einklang zu bringen" (Hess [Anm.265]); S. a. Lüke, Immunität staatlicher Funktionsträger, Berlin 2000, S. 206ff.; Schaumann, BDGV 8 (1968),15 a.E.
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
Neben der Verwirklichung der Souveränität im Sinne staatlicher Unabhängigkeit dient der Immunitätsschutz zahlreichen Entscheidungen aus der Gerichtspraxis zufolge gleichzeitig 273 der Wahrung der staatlichen Würde274.275 Dies geschieht hauptsächlich dadurch, dass eine Bewertung anderen Staaten zuzurechnender Handlungen verhindert wird; lässt sich aber auch unabhängig von solcherlei Sacherwägungen historisch - mit der persönlichen Würde des (monarchischen) Staatsoberhaupts - erklären: die Würdefunktion entstammt der Zeit, als zwischen ihm und "seinem" Staat noch nicht differenziert wurde und man einen Teil seiner Würde auch in fremden Gesandten, "seinen" Vertretern im Ausland verkörpert sah 276 • Hinzu kommt - eng zusammenhängend mit dem Schutz der Souveränität 277 - als dritter Zweck der Immunitätsregelungen im Völkerrecht der Schutz der politischen Beziehungen innerhalb der Staatengemeinschaft, was insbesondere und typischerweise im Bereich der diplomatischen Immunitäten von Bedeutung, doch nicht auf diesen beschränkt ist 278 • Signifikant ist die Feststellung von Chieflustice Marshall im Fall The Schooner Exchange v. M'Faddon; 11 U.S.(7 Cranch) 137, 6 AILC465: "This [ ... ] independence of sovereigns, and this common interest impelling them to mutual intercourse, and an interchange of good offices with each other, have given rise to a class of cases in which every sovereign is understood to waive the exercise of apart of that [ ... ] jurisdiction, which has been stated to be the attribute of every nation." Die Entscheidung hatte die Beschlagnahme eines amerikanischen Schiffs durch die napoleonische Marine zum Hintergrund (1812). Fortan wurde dieser Schoner als Kriegsschiff Balaou eingesetzt. Nachdem es einige Jahre später im Hafen von Philadelphia vor Anker gehen musste, klagten die amerikanischen Reeder auf Herausgabe. 272 An der vorgenannten Grundkonstellation - Immunität als Folge von Abgrenzung und Ausgleich miteinander konkurrierender Souveränitätsbereiche einzelner Staaten - ändert sich auch dann nichts, wenn (wie bei der Bildung des IMT Nürnberg geschehen) mehrere Staaten ihre jeweiligen vom allgemeinen Völkerrecht zugewiesenen Jurisdiktionsbefugnisse zusammenlegen und auf diese Weise ein internationales Gericht schaffen (v gl. Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, Frankfurt a.M./Berlin 1962, S.123f.). 273 Wenngleich, wie heute allgemein anerkannt wird, im Verhältnis zur Souveränität nachrangig; vgl. Hess (Anm. 265), S. 304 f. 214 Zurückgehend auf die Entscheidung des US-Supreme Court im The Schooner ExchangeFall: ,,[ ... ] being bound by obligations of the highest character not to degrade the dignity [ ... ] A foreign sovereign is not understood as intending to subject hirnself to a jurisdiction incompatible with his dignity, and the dignity ofhis nation [ ... ]". FundsteIlen wie Anm. 271. - In Bezug auf den Pinochet-Fall entsprechend u. a. Lord Phillips, [1999]2 AIIE.R. 186a. 215 Vgl. nur Dahm (Anm. 262), S. 168. 216 V gl. Buergenthal/Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl., Heidelberg 2000, Rdnr.462 a.E.; Henkin, 216 RdC (1989-IV), 316. 211 Vgl. Sucharitkul, 149 RdC (1976-1), 97; Wirth, Jura 2000, 71. 218 Anders offenbar Doehring (Anm. 35), Rdnr. 657, allerdings ohne nähere Begründung. Insoweit ist zu erwidern, dass ein gerichtliches Vorgehen gegen andere Repräsentanten fremder Staaten als Diplomaten - zumal wenn es sich um deren Oberhäupter handelte - die zwischenstaatlichen Beziehungen ebenso zu erschweren geeignet ist.
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b) Erscheinungsformen und Regelungsinhalte Die völkerrechtliche Literatur pflegt unter dem Stichwort "Immunitäten" im allgemeinen mit ihren beiden Haupterscheinungsformen zwei voneinander zu unterscheidende Rechtsinstitute 279 abzuhandeln: einmal die Immunität der Staaten als solcher vor fremden Gerichten, zum anderen diejenige der Diplomaten (und Konsuln)280. Neben diesen kennt die internationale Rechtsordnung zudem Immunitäten bestimmter staatlicher Funktionsträger281 und Einrichtungen (Truppenkontingente, Kriegsschiffe und Militärflugzeuge 282 ; im zivilen Sektor z. B. Kulturinstitute oder Zentralbanken 283 ) sowie für Internationale Organisationen 284 und - als Pendant zu denen der diplomatischen Vertreter - internationaler Funktionäre 285 und Richter 286 . Eine besondere Form der Freistellung von fremder Jurisdiktion genossen in früherer Zeit darüber hinaus die sich in "außerchristlichen" Ländern 287 aufhaltenden Bürger europäischer Staaten, später auch jene der USA. 279 Vgl. BVerfGE 96, 68 (Leitsatz 2), im Zusammenhang mit dem Fall des 1983 in einen Anschlag auf das (West-)Berliner Maison de France verwickelten damaligen syrischen Botschafters Soummak in der DDR. 280 Beide Rechtsgebiete sind hinlänglich wissenschaftlich aufgearbeitet; es sei nur aus dem Bereich neuerer Monographien auf Badr (Anm. 263), Bröhmer, State Immunity, Den Haag 1997 resp. McClanahan, Diplomatic Immunity, London 1989 und Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten, Frankfurt a. M. 1994 verwiesen. 281 Da die Staatsoberhäupter an dieser Stelle (noch) ausgeklammert seien, sind hier insbesondere die Regierungschefs und -mitglieder - v. a. die Außenminister, vgl. die US-amerikanische Entscheidung im Fall Chong Boon Kim v. Kim Yong Shik, 58 AJIL 186 (1964) - anzuführen. s. zum Ganzen Lüke (Anm. 271), passim; Watts (Anm. 56),97 et seq.; im Hinblick auf die Strafgerichtsbarkeit Bothe, ZaöRV 31 (1971),246. 282 Vgl. Stein (Anm.219); Gmür (Anm.259), S.134f. m. W.N. 283 s. insoweit Gramlich, RabelsZ 45 (1981), 545 m. w. N. 284 V gl. hierzu u. a. - mit der NATO als Beispiel- Bender, IPRax 1998, 1. Monographisch handeln diesen Themenkomplex Wenckstern in einem Teilband des Handbuchs des Internationalen Zivilverfahrensrechts (1994) sowie Michaels einer Studie von 1971 ab. Diese (neuere) Form der Immunität wurzelt begreiflicherweise nicht wie die mit den Staaten oder deren Vertretern zusammenhängenden in der Souveränität, sondern soll einer von staatlicher Einflussnahme freie satzungsgemäße Aufgabenwahrnehmung sicherstellen (Epping, in: Ipsen [Anm.25], § 31, Rdnr. 31). 285 Für Beamte der UNO gemäß Art. 18 der Convention on the Privileges and lmmunities 0/ the United Nations (1 UNTS 15). Vgl. hinsichtlich der Bediensteten einer regionalen internationalen Organisation anlässlich des In-Kraft-Tretens des Europol-Übereinkommens v.26.7.1995 Böse, NJW 1999,2416 und Hailbronner, JZ 1998,283. 286 s. nur Doehring (Anm. 35), Rdnr.n 685ff.; Verdross/Simma (Anm.153), S.170ff. 287 Die Betreffenden unterstanden stattdessen einer durch Konsuln ihres Staats ausgeübten Gerichtsbarkeit. Dieses System entwickelte sich insbesondere im Verhältnis zwischen den Staaten Europas und der Hohen Pforte - zunächst nicht, wie man annehmen könnte, aufgrund politischen Drucks; vielmehr deckte sich die Konzeption der Konsulargerichtsbarkeit durchaus mit den muslimischen Auffassungen über die Rechtsstellung der "Ungläubigen" - und war bis ins 20. Jahrhundert hinein in China von Bedeutung; vgl. de Heyking, L'exterritorialite, Paris 1926, p.139-154; Zourek, 106 RdC (1962-11), 379 et seq.
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
aa) Diplomatische Immunität Die diplomatische Immunität ist seit langem Bestandteil des Völkerrechts; sie dient, wie bereits erwähnt, den Beziehungen zwischen den Staaten schlechthin 288 , indem sie eine reibungslose und somit effiziente Tätigkeit der Missionen fördert, wenn nicht erst ermögliche89 : Die Immunität der Diplomaten wird als wesentliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung freundschaftlicher und friedlicher Beziehungen innerhalb der Staatengemeinschaft betrachtee90 • So erklärt sich, dass die Regeln über die Gesandten, eingeschlossen solche über deren Immunität, zu den ältesten internationalen Normen überhaupt zählen. 291 Ursprünglich dem durch lange Staatenpraxis entwickelten Gewohnheitsrecht angehörend, findet man über die VCDR bei Definition, Inhaltsbestimmung und Abgrenzung der Immunität heute praktisch universell kodifiziertes Völkerrecht vor. 292 Als Organe des völkerrechtlichen Verkehrs sind die diplomatischen Vertreter prinzipiell jeglicher 293 Jurisdiktion des Staats entzogen, bei dem sie akkreditiert sind 294 . Auch wenn sie strafbare Handlungen begehen, ja selbst ihre Stellung zu Straftaten gegen ihren Aufenthaltsstaat missbrauchen, kann dieser sie zwar zu personae non gratae 295 erklären, anklagen und aburteilen aber nur, wenn sie daraufhin nicht innerhalb angemessener Frist abberufen werden und im Land verweilen296.297 Einen Rest hiervon bildet die - bedingte, s. Art. 5 lit.l VCCR - Befugnis der Konsuln, in deren Zuständigkeits bereich ein Seehafen liegt, über an Bord eines Handelsschiffs eigener Flagge entstehender Streitigkeiten zu urteilen (Verdross/Simma, a. a. 0., S.565). 288 Folglich ist die Wahrung der diplomatischen Immunität nicht nur zwischen befreundeten, sondern auch im Verhältnis solcher Staaten untereinander von Wichtigkeit, zwischen denen ernsthafte Spannungen bestehen; vgl. Seidl-Hohenveldern (Anm. 133), Rdnr. 1008. 289 V gl. den vierten Absatz der VCDR-Präambel: ,,[ ... ] that the purpose of such privileges and immunities is not to benefit individuals but to ensure the efficient performance of the functions of diplomatie missions as representing States". 290 Vgl. de Heyking (Anm. 287), p.48. 291 Buergenthal/Doehring (Anm.276), Rdnr. 451. Allerdings war der (unverletzliche Sonder-)Status der Gesandten zunächst religiös begründet, nicht mit der Förderung friedlicher zwischenstaatlicher Beziehungen; Michaels, International Privileges, Den Haag 1971, p. 7; Young, 40 B. Y.I.L. (1964), 142. 292 2000 war die Wiener Diplomatenrechtskonvention von 179 Staaten ratifiziert. 293 V gl. das oben in Kap. I. 1. (bei Anm. 5-9) Gesagte. 294 Art. 31 VCDR. 295 Oder als "nicht genehm", wenn Mitglieder des nichtdiplomatischen Personals der Mission gemeint sind. - Vgl. das Urteil des IGH im Teheraner Geisel-Fall; I.C.J. Reports 1980,40 (para. 87). 296 Art. 9 (2) VCDR. 297 Damit nicht zu vereinbaren und im Widerspruch zur sonst einheitlichen Staatenpraxis war die Verurteilung des straffällig gewordenen Ersten Sekretärs der britischen Botschaft in Athen durch ein griechisches Gericht (20 LL.R. 378). Dieses vertrat, angelehnt an Bijnkershoek (Anm. 246), cap. XVIII die Auffassung, dass völkerrechtliche Immunitätsprinzipien in
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Wie schon im Zusammenhang mit der sog. Exterritorialität des Staatsoberhaupts erörtert 298 , bedeutet das nicht die substantielle Freistellung von den Rechtsnormen des Empfangsstaats 299 , sondern eine Zurücknahme der - in diesem Fall judikativen - Territorialgewalt 3OO . Allerdings erfährt die vorgenannte Grundregel sowohl Erweiterungen als auch Einschränkungen. Erweitert ist sie hinsichtlich der an der Gewährung von Immunität Beteiligten zum einen dadurch, dass auch die Familienmitglieder des Diplomaten - in vollem Umfang 301 - und zum anderen, (abgestuft) eingeschränkt, die Angehörigen des Verwaltungs- und technischen Personals, deren Familien 302 sowie Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals der Mission 303 an der diplomatischen Immunität partizipieren. 304 Zudem beschränkt sich trotz der grundsätzlichen Relativität diplomatischer Beziehungen 305 die Freiheit von der Gerichtsbarkeit nicht unter allen Umständen allein auf diejenige des Empfangsstaats; befindet sich der Diplomat - und ihn ggf. begleitende Familienangehörige auf - der (gestatteten 306) Durchreise zwischen seinem Posten und Heimatstaat in einem Drittland, so ist auch dieses zur Beachtung der Immunität verptlichtet 307 , da andernfalls die "Funktionsfähigkeit der internationalen Diplomatie in ihrer Gesamtheit [ ... ] erheblich beeinträchtigt"308 wäre. Die diesbezüglichen Ptlichten des "Durchgangslands" beschränken sich indes auf "such other immunities as may be required to ensure his transit or return"309 und bleiben so in ihrem Umfang hinter denen des EmpFällen schwerwiegender Delikte außerhalb der Dienstobliegenheiten nicht anwendbar seien; ein Ansatz, der auch im Pinochet-Fall aufgegriffen wurde. Zum selben Ergebnis kommt Doehring (Anm. 35), Rdnr. 684, der eine Verwirkung des Immunitätsprivilegs (bzw. des Rechts, es geltend zu machen) in Betracht zieht, wenn sich die Delinquenz des Diplomaten in der Verletzung zwingender Völkerrechtsnormen - namentlich im Bereich der Menschenrechte - zeigt. Auf eine entsprechende Norm der VCDR oder gefestigte Praxis verweist er indes nicht. V gl. zu dieser Sonderproblematik Barker, Abuse of Diplomatie Privileges and Immunities, Dartmouth 1996 und Higgins, 79 AJIL 641 (1985). 298 s. o. in Kap. Il.l.c); bei Anm. 219. 299 Deklaratorisch insoweit Art.41 (1) VCDR. Im Übrigen bleibt der durch die diplomatische Immunität Begünstigte sowohl dem Recht seines eigenen Staats (Art. 31 [4] VCDR) als auch dem Völkerrecht unterworfen. 300 Vgl. DahmlDelbrücklWolfrum (Anm. 25), S.277, 281; Denza, Diplomatie Agents, EPIL 9 (1986), p.96. 301 Art. 37 (1) VCDR. 302 Art. 37 (2) VCDR. 303 Art. 37 (3) VCDR. 304 V gl. Denza (Anm. 300), p. 98; Fischer, in: Ipsen (Anm.25), § 35, Rdnr.n 51, 54 ff. 305 Zwischen Entsende- und Empfangsstaat (vgl. Fischer, a. a. 0., Rdnr.79). 306 Einen "Transitanspruch" gewährt das Völkerrecht nicht; Seidenberger (Anm. 280), S.121f.m.w.N. 307 Denza (Anm. 300), p. 99. - Diese Voraussetzungen waren im Fall eines 1984 in den Niederlanden wegen Heroinschmuggels festgenommenen in Nairobi tätigen sambischen Botschafters nicht erfüllt (Public Prosecutor v. lBe, 94 I. L. R. 339). 308 Fischer (Anm. 305). 309 Art. 40 (1) VCDR.
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
fangs staats zurück 31O • Die Staatengemeinschaft zeigt dementsprechend weitestgehend Einigkeit darüber, dass zu besagten notwendigen Voraussetzungen, um die sichere Durchreise oder Rückkehr zu gewährleisten, eine Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit gehört. 311 Die Zuerkennung einer Immunität von der Zivil- 312 und Verwaltungsgerichtsbarkeit 313 wird unter diesem Gesichtspunkt hingegen nicht als unerlässlich erachtet. Von der Sonderkonstellation des Botschafters im Transit einmal abgesehen, entfaltet die diplomatische Immunität demnach keine "Drittwirkung". 314,315 Von vornherein eingeschränkt ist der Grundsatz diplomatischer Immunität derart, als für bestimmte - mit der persönlichen Lebensführung verbundene - Zivilprozesse, und zwar in • dinglichen Klagen in Bezug auf privates Immobilienvermögen (das der Diplomat nicht im Auftrag seines Staats für Zwecke der Mission in Besitz hat), • Klagen in Nachlasssachen, in denen der Diplomat in privater Eigenschaft beteiligt ist und • Klagen, die im Zusammenhang mit einem freien Beruf bzw. einer gewerblichen Tätigkeit, die er nebenamtlich ausübt, keine Freiheit von der Gerichtsbarkeit gewährt wird. 316 Insoweit sind im Unterliegensfall auch Vollstreckungsmaßnahmen möglich. 317 Die Immunität ist - seit langem anerkannt 318 - verzichtbar, jedoch primär nur durch eine ausdrückliche 3l9 Erklärung des Entsendestaats 32o • Implizit dagegen ist 310 Verdross/Simma (Anm, 153), S. 581 (dort Fußnote 75) weisen jedoch auf die Konvention von Havanna v. 20.2.1928 hin (22 AJIL Supp. 142), die gemäß Art. 23 auch den durchreisenden Diplomaten volle Immunität zubilligte. 311 Einen Ausnahmefall bildet die Verhaftung eines belgischen Diplomaten - der Botschaft in Bagdad angehörig -, der sich auf der Rückreise in den Irak befand und während einer Zwischenlandung in Athen seine Ehefrau erschossen hatte (R.G.D.I.P. 84 [1980],1079). Die griechische Regierung nahm den bereits oben in Anm. 297 skizzierten Standpunkt ein. 312 DahmlDelbrück/Woljrum (Anm. 25), S. 285. 313 Vgl. Fischer (Anm. 305). 314 Eine vertragliche Abweichung von dieser gewohnheitsrechtlichen Regel findet sich in Art. 12 Lateranvertrag (Anm. 211), wonach Italien zugesichert hat, den beim Heiligen Stuhl akkreditierten Gesandten alle Immunitäten zu gewähren, die die bei der italienischen Regierung akkreditierten auch genießen. 315 In der oben genannten BVerfG-Entscheidung E96, 68 kam diesem Aspekt (mit) die ausschlaggebende Rolle zu. 316 Art. 31 (1) (a-c) VCDR. 317 Dies aber nur unter der Voraussetzung, dass dabei die Unverletzlichkeit des Diplomaten oder seiner Wohnung nicht beeinträchtigt wird (Art.31 [3] VCDR). 318 Bereits vor dem In-Kraft-Treten der VCDR bestand hier eine gewohnheitsrechtliche Regelung. 319 Vgl. hierzu den sog. Gustavo-Fall (86 I.L.R. 517),
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dies auch durch den Diplomaten selbst möglich, denn sofern er selbst Verfahren vor Gerichten des Empfangsstaats anstrengt - wofür er keiner Genehmigung seiner Regierung bedarf321 - ist er vor konnexen Widerklagen, also solchen, die eine sachliche Verbundenheit mit dem Klagegrund 322 aufweisen, nicht geschützt. 323 Diese weit greifende Immunität kommt dem Diplomaten als Statusimmunität324 und infolgedessen nur solange und soweit zugute, wie ebendieser Status als Vertreter eines fremden Staats im völkerrechtlichen Verkehr besteht und nicht durch einen anderen "überlagert" wird resp. mit ihm konkurriert. So reduziert sich die Freiheit von der Gerichtsbarkeit nach Beendigung der diplomatischen Mission (zeitliche Komponente)325 und in den - nicht seltenen - Fällen, dass der Diplomat die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaats besitzt oder dauerhaft dort ansässig ist (sachliche Komponente)326 lediglich auf die in Bezug auf die in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Amtshandlungen 327 • 328
320 Art. 32 (1), (2) VCDR. Der Grund hierfür liegt darin, dass nach Überzeugung der Staatengemeinschaft der Schutz der Immunität letztlich eben dieser Gemeinschaft und nicht der Person des Diplomaten gilt (so auch das Gericht im Fall IBC [Anm. 307],340; ebenso das eidgenössische Außenministerium in einem Rechtsgutachten, SchwJIR 31 [1975],267). 321 Von Völkerrechts wegen. 322 "Klage" will in diesem Zusammenhang mit DahmlDelbrücklWoljrum (Anm.25, S.469 [dort Fußnote 34]) folglich als pars pro toto für alle Gesuche, Anträge u. Ä. zur In-Gang-Setzung gerichtlicher Prozedere verstanden sein. 323 Art. 32 (3) VCDR. - Fischer (Anm. 304), Rdnr.49 will insoweit keinen impliziten Immunitätsverzicht, sondern einen generellen Immunitätsausschluss annehmen, was m. E. dem systematischen Zusammenhang der Regelung widerspricht; wie hier dagegen BuergenthallDoehring (Anm.276), Rdnr.453; DahmlDelbrück/Woljrum (Anm.25), S.281. 324 In Realisierung des Grundsatzes "ne impediatur legatio" (D. 5,1,26). - Die gebräuchlichen Bezeichnungen "persönliche Immunität" oder "Immunität ratione personae" (s. nur Sucharitkul [Anm. 277],98) sind m. E. misslich, da sie, soweit sie auf ein persönliches Privileg hinweisen, Pleonasmen darstellen und im Übrigen - zu Unrecht, s. o. Anm. 289, 320 - indizieren, dass das Vorrecht der Immunität dem Begünstigten um seiner Person willen eingeräumt werde. Träfe dies zu, so wäre auch kein Grund ersichtlich, warum die Immunität nur durch den Entsendestaat, nicht aber seitens des Diplomaten selbst verzichtbar sein sollte. 325 Art. 39 (2) 2 VCDR. 326 Art. 38 (I) VCDR. 327 Im Widerspruch hierzu lehnen es einige Staaten ab, ihren Staatsangehörigen im Dienst fremder Mächte überhaupt Immunität zuzubilligen; vgl. Sen, A Diplomat's Handbook, 3rd ed., Dordrecht 1988, p. 188; ebenfalls zur Staatenpraxis vgl. Brown, 37 LC.L.Q. (1988), 67-71. 328 Die konsularische Immunität besteht demgegenüber im Unterschied zur diplomatischen auch als Statusimmunität von vornherein nur "in respect of acts performed in the exercise of consular functions" (Art. 43 [1] VCCR). Aus diesem Grund wurde in dem u.a. gegen den damaligen Präsidenten Mexikos gerichteten Verfahren Gerritsen v. de La Madrid and Others (819 F. 2nd 1511 [9 th Cir. 1987]), wo zunächst allen Beklagten Immunität zugestanden worden war, das Urteil hinsichtlich des mexikanischen Generalkonsuls aufgehoben (819 F. 2nd 1519). Vgl. Anm.283 im ersten Abschnitt, dort Kap. 111. 3. e).
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bb) Die Immunität der Staaten Im Gegensatz zur diplomatischen zeigt sich die Staatenimmunität erstens inhaltlich von weniger ausgeprägter Konstanz, das diesbezügliche Recht hat seit Ende des 19. Jahrhunderts eine wesentliche Veränderung erfahren; zweitens beruht es auch derzeit - räumlich betrachtet - weitgehend auf Gewohnheitsrecht und ist nur regional begrenzt kodifiziert 329 worden. Bei dem einzigen heute in Kraft befindlichen multilateralen Vertrag auf diesem Gebiet handelt es sich um das Europäische Übereinkommen über die Staatenimmunität (ECSI)330; andere Kodifikationsvorhaben33 1 - die in einzelnen Punkten erheblich voneinander bzw. von dem Europäischen Übereinkommen abweichen 332 - sind bislang nicht über das Entwurfsstadium hinausgelangt. Ursprünglich vom System der unbeschränkten oder absolut wirkenden Immunität 333 geprägt, anerkannte das ältere Völkerrecht die volle und uneingeschränkte Befreiung fremder Staaten von der Jurisdiktion anderer. Diese Norm entstand jedoch zu einer Zeit, in der die Staaten nur als Träger von Hoheitsrechten, sog. iure imperii, auftraten oder mit Auslandsberührung allenfalls solche privatrechtlichen Geschäfte vornahmen, die - wie beispielsweise der Kauf von Waffen - zumindest eng mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt verbunden waren334.335 Als die Staaten dann später in größerem Umfang an "normalen" Handelsgeschäften teilnehmen 336, beginnt sich die Staatenpraxis zu wandeln; indem zunächst belgische (seit 1879)337 dann italie329 Versteht sich: im völkerrechtlichen Sinn. Darüber hinaus wurde das Recht der Staatenimmunität in verschiedenen nationalen Gesetzen geregelt (s. u. Anm. 347,350). 330 European Convention on State Immunity, vom 16.5.1972; Text in BGBL 199011, S. 35; kommentiert u. a. von Sinclair, 22 I.C.L.Q. (1973), 254. Das Abkommen haben zurzeit acht Staaten ratifiziert (s. FundsteIlennachweis B 1999, S. 526). Für bestimmte Einzelgebiete finden sich allerdings auch in anderen völkerrechtlichen Verträgen Regelungen über die Staatenimmunität, so beispielsweise bereits 1926 in Art. 1-3 der Brüsseler Konvention über staatseigene Schiffe (176 LNTS 199), im sog. Bustamante Code (s. a. unten bei Anm. 342) oder in Art. X des Internationalen Übereinkommens über die zivilrechtliche Haftung bei Ölverschmutzungsschäden von 1969 (9 ILM 45 [1970]; BGBL 1975 11, S. 305). 331 Als deren bedeutendstes ist auf die Artikelentwürfe der UN-Völkerrechtskommission über die gerichtlichen Immunitäten der Staaten und ihres Eigentums hinzuweisen (wiedergegeben in YBILC 1991 11/2, 12), des Weiteren auf die Entwürfe der - staatenübergreifenden, aber privaten -International Law Association (ILA Report 1982,5; revidierte Fassung ILA Report 1994,488), der OAS (abgedruckt in 22 ILM 292 [1983]) sowie des Institut de droit international (lPRax 1991,430). 332 Vgl. Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, Berlin 1997, S.49. 333 Vgl. Hailbronner (Anm.31), Rdnr. 76; Sinclair, 167 RdC (1980-11),121 et seq.; Verdross/ Simma (Anm. 153), S. 763. 334 Vgl. die Argumentation im Türkische Kanonen-Fall (sub 1. Abschn., Kap. 11. 4.). 335 Vgl. Seidl-Hohenveldern (Anm. 133), Rdnr.486; Verdross/Simma (Anm. 333). 336 Vgl. Gloria (Anm.163), Rdnr.17. 337 Erstmals beschränkte das Appellationsgericht von Gent die Immunität fremder Staaten, indem es die Zuständigkeit belgischer Gerichte in Fällen bloßer actes de commerce - es ging um den Naturdüngerhandel der Republik Peru- bejahte (Clunet 8 [1881], 82):
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nische (seit 1886)338, und schließlich schweizerische Gerichte 339 und seit den 20erJahren die französische Rechtsprechung 340 unter rechtspolitischen Gesichtspunkten 341 allmählich zwischen hoheitlichen Handlungen (acta iure imperii) und der privatrechtlichen Tätigkeit ausländischer Staaten (acta iure gestionis) differenzieren und Letztere von der staatlichen Immunität ausnehmen. 342 Auch die österreichische Judikatur folgt bald dieser Einschränkung 343 ; die (west)deutsche tendenziell seit 1945 344 und einheitlich seit dem Beschluss des BVerfG im Iranischen BotschaftsFall 1963 345 • Die US-Gerichte halten länger an dem überkommenen Grundsatz absoluter Immunität fest und geben diesen Standpunkt im Gefolge des "Tate Letter 346" erst nach "Ce principe [souverainete des nations] peut valoir lorsqu 'un gouvernement, restant dans les limites de sa mission gouvernementale, prend des mesures dans I'interet de sa conversation ou pour des actes que lui dicte I' interet general, mais il ne peut plus en etre question alors que le gouvernement vend du guano, et [ ... ] passe des actes et des contrats qui, de tout temps et partout, ont ete consideres comme des contrats commerciaux soumis ala juridiction de tribunaux de commerce [ ... ]." Vgl. auch die Cour de eassation in Sachen Chemin defer litigois-limbourgois c. Etat neerlandais (Pasicrisie beige 1903, I, 294). 338 s. die Entscheidungen der Kassationsgerichtshöfe von Neapel, Florenz (Giur. it. 1886, I, I, co1.228, 486) und Rom (ibid., 1893, 1,1, coI.1213). 339 Beginnend mit der Entscheidung im (nicht mit der Affäre zu verwechselnden) DreyfusFall- BGE 44149 -, wo es um in der Schweiz gegebene österreichische Anleihen ging. S. aus der eidgenössischen Judikatur auch Republique Arabe Unie c. dame x., BGE 86 123 = 55 AJIL 167 (1961). 340 Nachweise und Anmerkungen hierzu bei Dunbar, 132 RdC (1971-1), 212 et seq. 34\ Se. Gläubigerschutz. 342 Sog. Grundsatz der "restriktiven Immunität"; Gloria (Anm. 336), Verdross/Simma (Anm. 153), S. 764. Die 15 -lateinamerikanischen - Vertrags staaten des hauptsächlich das internationale Privatrecht betreffenden Bustamante Code (86 LNTS 246) stellten sich im gleichen Zeitraum dieser Entwicklung noch entgegen; vgl. Sen (Anm. 327), p.441. 343 Vgl. OGR ÖZöR 1952,90. 344 Als grundlegende deutsche Judikate zur absoluten Staatenimmunität sind RGZ 62, 165 (Belgischer Eisenbahnfiskus) und 103, 274 (lee King-Fall) zu nennen. Zur Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg s. die Einzelnachweise in BVerfGE 16, 35. Die italienische Corte Suprema di Cassazione beispielsweise stellte schon bald nach Kriegsende fest, dass keine gewohnheitsrechtliche Verpflichtung mehr bestehe, fremden Staaten uneingeschränkte Immunität zu gewähren (Foro it. 1949, I, coI.460). 345 E 16,27 (Leitsatz 1): "Eine Regel des Völkerrechts, nach der die inländische Gerichtsbarkeit für Klagen gegen einen ausländischen Staat [auch] in bezug auf seine nicht-hoheitliche Tatigkeit ausgeschlossen ist, ist nicht Bestandteil des Bundesrechts" . Die Feststellung wurde im Rahmen eines Vorlageverfahrens gemäß Art. 100 Abs. 2 GG getroffen. 346 Die US-Gerichte neigen bis heute dazu, in Fragen der Immunität Vorschlägen der Exekutive (suggestions of immunity, s. o. 1. Abschn., Kap. IlI. 3. c» zu folgen; teilweise erachteten sie sich diesbezüglich sogar als bei der Urteilsfindung gebunden, so im Fall Noriega (vgl. 746 9*
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1970 au[347; noch beharrlicher fast die britischen Richter 348 - denen die Rechtsprechung in den Commonwealth-Staaten im allgemeinen folgt - die erst Ende 1975 auf die Linie der restriktiven Immunität "einschwenken" 349.350. Mit dem nahezu vollständigen Verschwinden der sozialistischen "Staatshandelsländer"351 spielt das absolute Immunitätsverständnis in der Staatenpraxis schließlich kaum mehr eine Rolle. 352 Da nunmehr die Unterscheidung zwischen Staatshandlungen iure imperii und solchen iure gestionis von ausschlaggebender Bedeutung ist 353 , stellt sich die Frage F. Supp. 1519 [S.D. Fla. 1990]). Die deutschen Rechtsprechungsorgane entscheiden demgegenüber in richterlicher Unabhängigkeit selbst darüber, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Immunität gegeben sind; LG und OLG Düsseldorf EuGRZ 1983, 159 und 160 (Fall Tabatabai); s. a. BVerfGE 96, 68, 82. In Österreich verhält es sich ebenso, vgl. EuGRZ 2001, 514. Im "Tate Letter" v.19.5.1952 (wiedergegeben in JIR 7 [1957],403) teilte das State Department dem US-Justizminister mit, dass es bei derartigen Vorschlägen künftig zum Prinzip der restriktiven Immunität übergehen werde. 347 Vgl. Alfred Dunhill of London v. The Republic of Cuba, 425 U. S. 628, 96 S. Ct. 1854 (1976); auch abgedruckt in 24 AILC 214. Im selben Jahr trat in den USA der Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA [eingegliedert in den US-Code 28 über Gerichte und Gerichtsverfahren], 15 ILM 1388 [1976]) in Kraft, der als allgemeines Prinzip die Immunität fremder Staaten festlegt, aber spezielle Ausnahmen regelt. Bemerkenswert ist, dass der FSIA sogar teilweise über das "klassische" restriktive Immunitätsprinzip hinausgeht, indem sec. 1605 (a)(5) für Schadensersatzklagen "against a foreign state for personal injury or death, or damage or loss of property, occurring in the United States" die US-Jurisdiktion auch bei hoheitlichen Handlungen begründet. 348 Als maßgebliche Entscheidung kann die durch Sir R. Phillimore in der Angelegenheit The Parlement Beige - ein im Eigentum des belgischen Königs stehendes Schiff, das im Paketdienst zwischen Calais und Dover eingesetzt war - gefallte gelten; so auch Bröhmer (Anm. 280), p. 16. FundsteIlen: (1879) L.R. 4 P.D. 129 und 3 B.LL.C. 305. 349 Vgl. die Entscheidung des Privy Council in Sachen The Philippine Admiral, [1977] A. C. 373 = 64 LL.R. 90. 350 1978 regelte auch Großbritannien das Recht der Staatenimmunität intern mittels des oben im 1. Abschn., Kap. IIL 4. a) erwähnten SIA; hierzu Mann, 50 B. Y.LL. (1979),43. Im weiteren Verlauf gingen auch die meisten Commonwealth-Staaten, vielfach verbunden mit dem Erlass von Immunitätsgesetzen, zur Anwendung einer restriktiven Immunität über, z. B. Kanada (21 ILM 798 [1982]) und Australien (25 ILM 715 [1986]); abweichend aber- nicht einen fremden Staat, sondern dessen Oberhaupt betreffend - das (malaysische) Gericht in dem Verfahren Vi/lage Holdings v. The Queen in Right ofCanada (Anm. 68). 351 Zu deren Rechtsauffassung, es sei nicht möglich, einen Staat im Hinblick auf seine Handlungen wie eine Privatperson zu behandeln, vgl. Boguslavskij (Anm. 252), passim. 352 Der restriktiven Staatenimmunität nach wie vor skeptisch gegenüber stehen die Länder der Dritten Welt; an der von Hess aufgezeigten Problematik (vgl. 4 EJIL [1993], 273) hat sich nichts geändert. Herdengens Auffassung (Völkerrecht, München 2000, §37, Rdnr.ll), das absolute Immunitätsverständnis sei nunmehr universell betrachtet reine (Rechts-)Geschichte, muss mit Zweifeln begegnet werden. 353 Zunächst mag es befremden, dass das Völkerrecht den Staaten selbst eine weniger umfangreiche Immunität - wie bei Konsuln (Anm. 328) nur auf hoheitliche Akte bezogen - gewähren soll als "ihren" Diplomaten. Plausibel wird dies bei funktionsbezogener Betrachtung, da die Gefahr latent ist, einen Diplomaten durch Nichtgewährung der Immunität im privaten Be-
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nach den Kriterien für die Zuordnung zu der einen oder anderen Gruppe. Denkbar wäre einmal das Abstellen auf den (subjektiven) Zweck, den der betroffene ausländische Staat damit verfolgt. Dies würde besondere Differenzierungsbemühungen seitens eines Gerichts allerdings schon im Ansatz vereiteln, zum einen, weil dann jeder beklagte Staat durch entsprechende Erklärung über seine "Geschäftsmotive" vor Gericht beinahe nach Belieben seine Immunität zu begründen imstande wäre, zum anderen, da - so das BVerfG in der oben genannten Entscheidung 354 - in letzter Konsequenz ohnedies die "Tätigkeit eines Staates wenn nicht insgesamt, so doch zum weitaus größten Teil hoheitlichen Zwecken und Aufgaben dienen und mit ihnen in einem immer noch erkennbaren Zusammenhang stehen"
dürfte. Aus diesen Gründen wird in der Gerichtspraxis zahlreicher Staaten, darunter auch in der Judikatur des BVerfG, stattdessen die (objektive) Natur der Handlung oder des dadurch entstandenen Rechtsverhältnisses für maßgeblich gehalten 355 : Ist also der fremde Staat in Ausübung der ihm zustehenden Hoheitsgewalt, d. h. öffentlich-rechtlich, oder wie eine Privatperson - privatrechtlieh - aktiv geworden? Dies wiederum wirft das zentrale Problem im Bereich der Staatenimmunität auf, das der Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher "Natur"356, welches zwei Teilaspekte umfasst - zunächst die Fragestellung, welche Rechtsordnung der Abgrenzung zugrunde zu legen ist (Völker- oder nationales Recht? Und sollte Letzteres der Fall sein: das des beklagten oder des Gerichtsstaats?) und schließlich, wer die Zuordnung anhand der "richtigen" Rechtsordnung vornehmen soll. Die erste Frage ist dahin gehend zu beantworten, dass es für die Qualifikation der Staatstätigkeit als hoheitlich oder nichthoheitlich nach einheitlicher Gerichtspraxis grundsätzlich auf das nationale Recht des Staats, in dem verhandelt wird - die sog. lex lori - ankommt 357 ; die Antwort auf die zweite folgt zwanglos aus der ersten, da zur reich durch In-Gang-Setzung des (empfangs)staatlichen Vollzugs apparats unzulässig in der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit zu behindern (ne impediatur legatio). Bei einem Staat, der sich im Ausland fiskalisch betätigen will, dürfte diese Gefahr dagegen kaum gegeben sein. 354 E 16,61. 355 Vgl. nur ibid., 62 m. w. N. sowie den Fall S. c. Republique socialiste de Roumanie; BGE 113 la 172 = SchwJIR 44 (I988), 209. 356 V gl. Dahm (Anm. 262), S. 166; Doehring (Anm. 35), Rdnr. 662. 357 So auch die Auffassung des BVerfG (Anm. 354) - In der Wissenschaft ist dies auf Kritik gestoßen, insbesondere weil der Rückgriff auf die lex fori allein zu ungleicher Behandlung des Gleichartigen führen kann und folglich mit dem völkerrechtlichen Charakter der Immunitätsgewährung "schwerlich vereinbar" sei (Ress, ZaöRV 40 [1980], 258f.). Das ist nicht von der Hand zu weisen, ändert aber nichts an der entgegenstehenden Völkerrechtslage. Hinzu kommt, dass das Völkerrecht auch keine Kriterien für eine Abgrenzung von Handlungen hoheitlicher oder privater Natur bereithält; ein internationaler Standard spezifischer, typischer Staatsaufgaben (v gl. BDGV 8 [1968],284), der in Zweifelsfragen Aufschluss gegen könnte, dürfte sich wegen der teilweise erheblich divergierenden Ansichten der Staaten über ihren Aufgabenumfang nicht ermitteln lassen (s. Gloria [Anm. 163], Rdnr. 19. Sucharitkul [Anm. 277],210 schlug vor, rechtsvergleichende Durchschnittsauffassungen zum Maßstab zu nehmen). Im Übrigen ist auf die Auffassung des Gerichtsstaats nicht zuletzt deshalb abzustel-
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Anwendung des internen Rechts des Forumstaats niemand anders berufen ist als er selbst. 358 Dass der Staat auf seine Immunität auch verzichten kann - da es bei ihr darum geht, ob und inwieweit es möglich ist, ihn selbst gegen seinen Willen zur Prozesspartei in einem Rechtsstreit vor fremden Gerichten zu erklären 359 - wird heute nicht mehr bezweifelt360. Ebenso entspricht es der neueren Staatenpraxis, dass ein Staat, der auf dem Territorium des Forumstaats Grundeigentum besitzt, gegenüber dinglichen Klagen in Bezug darauf keine Immunität für sich in Anspruch nehmen kann 361 , und dass konnexe Widerklagen gegen den selbst als klagenden Staat ohne weiteres möglich sind362.363 Fraglich erscheint dagegen, ob das gegenwärtige Völkerrecht einen Staat durch Immunitätsgewährung vor Klagen schützt, wenn dieser direkt als für Verletzungen völkerrechtlich garantierter Menschenrechtspositionen verantwortliches Subjekt in Anspruch genommen werden soll. Seit Mitte der 80er-Jahre ist eben dies zunehmend häufig versucht worden. Vorausgegangen war 1980 eine Grundsatzentscheidung des US-Berufungsgerichts für den zweiten Circuit, nach der das amerikanische Recht auch auf Schadensersatzklagen von Menschenrechtsverletzungen betroffener Personen bzw. deren Hinterbliebenen gegen ausländische Amtsträger 364 Anwendung finde. 365 Da es nahe liegt, unter Berufung auf die ratio decidendi 366 len, da der fremde Staat dort nur mit dessen Zustimmung Privatrechtsgeschäfte tätigen kann (vgl. Seidl-Hohenveldern [Anm. 133], Rdnr. 1476). 358 Der Schutz der hoheitlichen Tätigkeit durch die restriktive Immunität wirkt sich nicht allein im Erkenntnis-, sondern ebenso im gerichtlichen Vollstreckungsverfahren aus (Verbot der Zwangsvollstreckung in die Güter eines fremden Staats, soweit sie einem hoheitlichen Bestimmungszweck dienen; vgl. den Botschaftskonto-Fall [BVerfGE 46, 342]). Zu diesem Themenkomplex s. Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, Berlin 1985. 359 Buergenthal/Doehring (Anm. 276), Rdnr.465. 360 Vgl. Art. 1-3 ECSI (Anm. 330). s. a. Dahm/Delbrück/Wolfrum (Anm. 25), S. 469 m. w. N.; Herdegen (Anm. 352), Rdnr.7; Gloria (Anm.163), Rdnr.24. Fraglich könnte allerdings sein, ob sich eine generelle Selbstunterwerfung eines Staats - wie auch seines Oberhaupts - unter die Jurisdiktion eines anderen, wie man es auf der Ebene internationaler Organisationen seit längerem kennt (Art. 36 [2] IGH-Statut, vor In-Kraft-Treten des 11. Zusatzprotokolls Art. 46 ECHR), mit der staatlichen Würde und Unabhängigkeit verträgt. Rivier (Anm. 79), S. 215 (dort Fußnote 4) und de Heyking (Anm. 287), p. 125 - Letzterer gerade in Bezug auf das Staatsoberhaupt - beispielsweise hielten beides für unvereinbar. 361 So schon das RG in den in Anm. 344 genannten Entscheidungen; vgl. Art. 9 ECSI und 14 (1) (a) des ILC-Entwurfs (Anm.331). 362 s. o. Anm. 322. 363 Art. 1 (2), (3) ECSI; Art. 10 des ILC-Entwurfs. s. a. Brownlie (Anm.267), p.509; Stein (Anm. 219), S. 135. 364 Ob dies ausnahmslos für alle Amtsträger bzw. Staatsorgane (und mithin auch für das Staatsoberhaupt) gelten sollte, wurde dabei offen gelassen. 365 Filtirtiga v. Pena Irala, 630 F. 2 nd 876 (2nd Cir. 1980), ebenfalls abgedruckt in 77 I. L. R. 169. In jenem Fall ging es um die Folterung und Ermordung eines 17-jährigen Schülers, Joelito Fihirtiga, der Sohn eines bekannten Gegners des Stroessner-Regimes in Paraguay war. Vater
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nicht allein das jeweilige ausführende Organ, sondern ebenso, wenn nicht vorrangig, den hinter diesem stehenden Staat "in die Pflicht" zu nehmen, kommt es folgerichtig alsbald zu entsprechenden Prozessen, denen jedoch oftmals kein Erfolg beschieden ist 367 • Stattgegeben wird allerdings zunächst im Letelier- und später im Liu-Fall den Klagen von Hinterbliebenen eines ermordeten chilenischen 368 resp. taiwanesischen 369 Exilpolitikers 370 sowie in einem weiteren Verfahren den Schadensund Bruder des Opfers machten den für die Tat verantwortlichen Polizei offizier Peiia später in Brooklyn ausfindig. Er wurde letztlich zu $ 10,4 Mio. Schadensersatz und punitive damages verurteilt; vgl. Hassan, 32I.C.L.Q. (1983), 250 et seq. 366 s. hierzu MacCormick, in: Goldstein, Precedent in Law, Oxford 1991, pp. 156 et seq. 367 Frolova v. U.S.S.R ., 761 F. 2 nd 270 (7 th Cir. 1985) = 851.L.R. 236-Ausreiseverbot für einen mit der klagenden Amerikanerin verheirateten Sowjetbürger; Persinger v. Islamic Republic of Iran, 729 F. 2nd 835 (D.C. Cir. 1984) = 90 I.L.R. 586 - hier klagte ein ehemaliges Mitglied des im Teheraner Geisel-Fall festgehaltenen US-Botschaftspersonals. In Tel-Oren v. LibyanArab Republic, 726 F. 2nd 774 (D.C. Cir. 1984) =771.L.R. 204 ging es um den Terroranschlag eines mutmaßlich von Libyen ausgerüsteten und trainierten PLO-Kommandos auf einen israelischen Reisebus; das Verfahren von Dardel v. U.S.S.R ., 736 F. Supp. I (D.D.C. 1990) = 77 I.L.R. 258 hatte die Entführung und Tötung des schwedischen Diplomaten Wallenberg in Budapest 1945; Nelson v. Saudi-Arabia, 113 S.Ct. 1471 (1993) = 100 I.L.R. 544 die Misshandlung eines "unbequemen" Arbeitnehmers durch die saudische Polizei zum Gegenstand. Smith v. Socialist People's Libyan Arab Jamahiriya, 101 F. 3n1 239 (2 nd Cir. 1996) = 1131.L.R. 534 betraf den Bombenanschlag auf den Pan Am-Flug 103 über Lockerbie. In dem Aufsehen erregenden Prozess (s. nur Reimann, 16 Mich. JIL 403 [1995]) Princz v. Federal Republic ofGermany, 26 F. 3,d 1166 (D.C.Cir. 1994) = 103 I.L.R. 604 klagte, in erster Instanz erfolgreich, ein Überlebender des Holocaust. 368 Letelier v. Republic of Chile et al., 488 F. Supp. 665 (D. D. C. 1980) = 3 AILC 2 nd 356, 63 I. L. R. 378: Der frühere Außenminister Orlando de Letelier war zusammen mit seinem Begleiter in Washington, D.C. mit einer Autobombe getötet worden. Die Hinterbliebenen machten Pinochets Geheimdienst für das Attentat verantwortlich und klagten sowohl gegen den chilenischen Staat als auch gegen mehrere Agenten und Gehilfen, darunter den seinerzeitigen Geheimdienstchef; Pinochet persönlich wurde damals nicht belangt. Chile machte seine Immunität als Staat geltend, bestritt aber vorsorglich jede Beteiligung an dem Anschlag. Das Gericht erkannte Chile keine Immunität zu, da es ein wesentlicher Grund für deren Gewährung sei, fremden Staatsorganen Spielraum für deren politische Beurteilungen und Entscheidungen zu geben: Es existiere aber kein Spielraum, Morde zu begehen oder auch nicht. Auf die Act of State-Doktrin könne Chile sich ebenfalls nicht berufen, da sie nur für Handlungen eines Staats auf seinem eigenen Territorium gelte. Die Republik Chile wurde zu ca. $ 3 Mio. Schadensersatz verurteilt; erst am 11.1.1992 konnten diese und die USA die Angelegenheit durch einen Schiedsspruch beilegen (881.L.R. 730; s.a. Hess, IPRax 1993, IlOff. m.w.N.). 369 Im Fall Liu v. Republic ofChina, 892 F. 2 nd 1419 (9 th Cir. 1989) = 7 AILC 2nd 286, 101 I.L.R. 519 folgte das Berufungsgericht wie auch schon die Vorinstanz (642 F. Supp. 297 [N. D. Cal. 1986]) der Letelier-Rechtsprechung. Es prüfte - übrigens nach kalifornischen, nicht nach völkerrechtlichen Zuordnungsregeln - , ob der beklagte ausländische Staat für die Handlungen der Attentäter einzustehen habe und bejahte dies. An der Eigenschaft Taiwans als eines - dem Grunde nach Immunität genießenden - foreign state äußert die Entscheidung übrigens an keiner Stelle Zweifel. Angesichts der Tatsachen, dass die US-Gerichte ansonsten der Anerkennungsfrage zentrale Bedeutung beimessen und die USA in den 70er-Jahren den Pekinger Standpunkt übernahmen, bei der Insel handele es sich um einen integralen Bestandteil der Volksrepublik China, erstaunt dieser Umstand.
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
ersatzanträgen von Opfern antisemitisch motivierter Verfolgung durch die argentinische Militärjunta 371 • Diesem Trend folgend, verurteilt 1997 ein griechisches Gericht 372 , was der Areopag 373 im Mai 2000 bestätigt, die Bundesrepublik Deutschland wegen des Distomo-Massakers 374 zur Leistung von umgerechnet DM 9,45 Mio. bzw. € 4,83 Mio. Schadensersatz an die Überlebenden und Erben der Getöteten. 375 Genügt dies, um die Entstehung einer die Immunität der Staaten eingrenzenden Ausnahmeregel konstatieren zu können? Augenfällig ist, dass es sich bei den bekannt gewordenen Judikaten im "Kollisionsfeld" zwischen überkommenen Staatsvor- und Menschenrechten zwar um eine beachtliche Anzahl, jedoch praktisch durchgängig um nach Maßgabe der innerstaatlichen Gesetze - nicht primär auf völkerrechtliche Kriterien abhebende - US-amerikanische Entscheidungen handelt 376 : was allerdings angesichts der weltpolitischen Machtposition der USA, dem Vorhandensein einer für derartige Rechtsstreitigkeiten Erfolg versprechenden materiellen (nationalen) Gesetzeslage 377 , insbesondere aber im Hinblick auf die generell äußerst klägerfreundlichen Prozessbedingungen378 370 371
454.
s. a. den ähnlich gelagerten Domingo-Fall (1. Abschn., Kap. III. 3. c) [dort Anm. 244]). Siderman de Blake v. Republic 01 Argentina, 965 F. 2nd 699 (9 th Cir. 1992) = 103 I.L.R.
Das Bezirksgericht von Livadia. "Areshügel". Im antiken Athen Versammlungsort des Alten Rats, dem u. a. die Überwachung der Beamten oblag; heute Bezeichnung des obersten Gerichtshofs Griechenlands. 374 Eine SS-Einheit hatte das Dorf am 10.6.1944 als Vergeltung für einen Partisanenüberfall besetzt und das Feuer auf die Einwohner eröffnet; 210 Zivilisten kamen dabei ums Leben. 375 Vgl. Ulrich, SZ v.13.7.2000, S. 2. - Das Urteil ist schon allein vor dem Hintergrund des deutsch-griechischen Entschädigungsabkommens v.18.3.1960 (BGBI.II, S.1597, 1681) fragwürdig. Ausweislich dessen Art. III wurden die Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger (DM 115 Mio.), die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren, abschließend geregelt. 376 Bei den von manchen Autoren, z. B. Bröhmer (Anm. 280, pp. 91-95), für gleichfalls einschlägig gehaltenen britischen Urteilen im bereits erwähnten Al-Adsani-Fall (107 I.L.R. 536) sowie in Sachen Kuwait Airways Corporation v. l.A.C. and the Republic ollraq, [1995] 3 AllE. R. 694 - hierzu Rensmann, IPRax 1998,44 - wird übersehen, dass die Klagen entweder nicht gegen einen fremden Staat als solchen gerichtet waren, oder zwar ein völkerrechtswidriges Verhalten (Requirierung von Flugzeugen einer in staatlichem Besitz befindlichen Luftfahrtgesellschaft), jedoch keine Menschenrechtsverletzung zum Gegenstand hatten. Anders verhielt es sich im oben genannten (Anm. 355) "Fall S.", wo es um den faktischen Zwang zur Abtretung des Vermögens an den Staat - da anders keine Ausreiseerlaubnis zu erlangen war - ging. Das BG stufte die rumänischen Handlungen insoweit gleichwohl als iure imperii ein und billigte Immunität zu. 377 28 U.S.c. sec. 1605 (a)(5); s. o. das in Anm. 347 Gesagte. - Im Übrigen werden Klagen gegen fremde Staaten in den USA nicht, wie sonst üblich, vor einer Jury verhandelt (sec. 1330 [a); da hier der [bis auf die Magna Charta zurückgehende] per legale iudicium parium suorumGedanke nicht greift), was eine Prognose über die Erfolgsaussichten wesentlich erleichtert. 378 Der britische Master 01 the RoUs Lord Denning umschrieb dies in einer seiner letzten Entscheidungen mit den Worten, prozessfreudige Personen strebten zu den US-Gerichten "wie die Motte zum Licht" ([1983] 2 AllE.R. 74g): Die Gerichtsgebühren sind gering, grundsätz372
373
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nicht weiter wundernimmt. Zwar mag man sich fragen, ob unter diesen - wenn auch besonderen und nachvollziehbaren - Umständen von einer "allgemeinen (als Recht akzeptierten) Übung" im Sinne von Art. 38 (1) (h) des IGH-Statuts 379 gesprochen werden kann; andererseits wäre es vorschnell, aus dem Fehlen entsprechender Gerichtsentscheidungen in anderen Staaten als den USA den Schluss zu ziehen, es erkläre sich eben dadurch, dass die (übrige) Staatengemeinschaft einer weitergehenden Einschränkung staatlicher Immunität zum Schutz der Menschenrechte mit schlichtem Desinteresse begegne 380 oder diesem Gedanken sogar offensichtlich ablehnend gegenüberstehe, ein Wandel der für die Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht ebenso notwendigen allgemeinen Rechtsüberzeugung38I infolgedessen nicht in Betracht komme. Gehen wir daher zunächst davon aus, es genüge grundsätzlich auch eine Übung vereinzelter Staaten, wenn diese nur von gewisser Dauer 382 und Einheitlichkeit 383 ist und von hinreichend vielen anderen konsentiert wird. 384 Wie bereits erwähnt, sind die meisten der vor Gerichten der Vereinigten Staaten verhandelten Klageanträge letztlich gescheitert. Dies liegt indes nicht an der Anlich trägt jede Partei ihre Kosten selbst; andererseits arbeiten zahlreiche Anwälte auf der Basis von Erfolgshonoraren. Mithin ist es mit kaum einem Risiko verbunden, jemanden zu verklagen. Im Obsiegensfall sprechen die Gerichte in Klagen auf Schadensersatz hohe Summen zu. Gäbe es in Verfahren gegen ausländische Staaten zudem die Möglichkeit, punitive damages zu erhalten (28 U.S.C. sec. 1606), läge die Zahl der Prozesse vermutlich noch höher. 379 "A general practice [accepted as law]"; die Notwendigkeit der allgemeinen Übung als eines der zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht erforderlichen Elemente hat der IGH in seiner "Nicaragua-Entscheidung" und in dem Gutachten über den Einsatz atomarer Waffen zum wiederholten Mal bestätigt; I.C.J. Reports 1986, 97 (para. 183); 1996 (I), 253 (para. 64). 380 Es gilt zu beachten, dass es sich hier um eine Materie handelt, die - anders als z. B. das Hochseerecht für Binnenländer (was nicht bedeuten soll, das diese an der Entwicklung diesbezüglichen Gewohnheitsrechts nicht teilhaben könnten) - für jeden Staat praxisrelevant ist. 381 Vgl. anlässlich der Nordsee-Festlandsockel-Fälle die I.C.J. Reports 1969,44 (para. 77). Im Nicaragua-Urteil wurde hierauf ebenfalls Bezug genommen (LC.J. Reports 1986, 108 [para. 207]). 382 Zu dieser "offenen" und für den Einzelfall zu bestimmenden Anforderung näher LC.J.Reports 1969,43 (para. 74). 383 s. insoweit die Feststellungen des IGH im Asyl- (I.C.J. Reports 1950,276) und Fischerei-Fall (Reports 1951, 131). 384 Vgl. P.C.I.J. Sero A No. 1 (1927),28 (Lotus-Fall); LC.J. Reports 1962,23 (Tempel von Preah Vihear), S. a. Akehurst, 47 B. Y.LL. (1974-75), 16, 38, 53; Heintschel V. Heinegg (Anm.55), § 16, Rdnr.n 19ff. m. w.N.; anders die Corte Suprema di Cassazione (Anm.344), die in jedem Fall zahlreiche sich gleichartig gerierende Staaten verlangt, ebenso KimminichlHobe (Anm. 107), S. 180. Die bekannte und kaum noch bestrittene persistent objector-Regel, wonach bereits die stillschweigende Hinnahme gesetzter Akte anderer Staaten - in der nicht notwendig eine "passive" Billigung liegen muss, wenngleich die Formel qui taeet eonsentire videtur si loqui debuisset ae potuisset (I. c.J. Reports, loe. cit.) dies konstruiert - gewohnheitsrechtIiche Bindungen hervorbringenkann (s. Charney, 56 B. y.1.L. [1985], 16) liegt auf einer anderen Ebene. Bei ihr geht es darum, ob und inwieweit solche Staaten, die an der Entstehung einer gewohnheitsrechtlichen Norm nicht selbst partizipiert haben, diese dennoch beachten müssen. Sie setzt deren Entstehung im Wege (von Rechtsüberzeugung getragener) allgemeiner Übung also bereits voraus.
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
wendung "gefestigter" Immunitätsnormen des Völkerrechts, sondern in dem Umstand begründet, dass die fraglichen Menschenrechtsverletzungen im Ausland385 und nicht im Forumstaat USA begangen wurden 386; die Abweichung hiervon im "argentinischen" Siderman-Fall 387 erklärt sich dadurch, dass der Neunte Circuit von einem impliziten Immunitätsverzicht der südamerikanischen Republik ausgegangen ist. 388 Muss aber nicht von einer Durchbrechung dieser Regel zumindest in den Konstellationen ausgegangen werden, wenn ganz besonders gravierende Menschenrechtsverletzungen, die sich als sog. ius cogens- Verstöße darstellen sollen, im Raum stehen? Das setzte zunächst voraus, dass das "zwingende Recht", jenes Art. 53 VCLT entstammende Tatbestandsmerkmal, nicht nur die Freiheit der Staaten und anderen Völkerrechtssubjekte, Verträge beliebigen Inhalts zu schließen, begrenzt 389 , sondern darüber hinaus die Schranken setzt, innerhalb derer sich die Staaten überhaupt als Souveräne bewegen können. 39O Dann ließe sich der Standpunkt einnehmen, Akte, die ein Staat unter dem Bruch von ius cogens setze, seien - schon objektiv betrachtet - keine Hoheitsakte (mehr), für die Immunität in Frage käme, insoweit handelte er gewissermaßen "ultra vires " ; jedenfalls könne der betreffende Staat sein Handeln nicht als ein solches iure imperii geltend machen, da er sein Immunitätsprivileg unter den gegebenen Umständen verwirke. 391 Weiterhin müsste die Rechtspflicht zur Achtung der elementaren Menschenrechte Bestandteil des ius cogens sein. Letzteres hat der IGH, wenngleich ohne diesen Terminus zu verwenden, in seiner berühmten Barcelona Traction-Entscheidung 392 bejaht, beispielhaft-kon385 Üblicherweise auf dem Territorium des beklagten Staats selbst, eine Ausnahme bildet z. B. der Smith-Prozess gegen Libyen (Anm. 367). Auch dem Pinochet-Regime wurde vorgeworfen, Menschenrechtsverletzungen nicht allein in Chile, sondern im Rahmen der sog. Operation Condor mit Billigung der Regierung in Buenos Aires zudem in Argentinien verübt zu haben; s. die spanischen Auslieferungsanträge v. 18.10. und 3.11.1998, in deutscher Übersetzung bei AhlbrechtlAmbos, Der Fall Pinochet(s), Baden-Baden 1999 als Dok. I, dort S. 26f. sowie Dok. III (S. 52f.) wiedergegeben. 386 Obgleich es nach dem Wortlaut des FSIA nur darauf ankommt, dass die Schadens/olgen in den USA entstehen, habe - so Scheffler (Anm. 332), S. 65 m. w. N. - der Kongress bei Erlass des Gesetzes nur an Inlandstaten gedacht. Dies verdeutlicht, dass der US-Gesetzgeber bei Schaffung dieser die Immunität zurückdrängenden Norm - jedenfalls in erster Linie - den Schutz ihrer territorialen Integrität, nicht etwa einen Beitrag zum Menschenrechtsschutz im Auge hatte. Eine Abweichung hiervon im Fall staatlich geförderter Terrorakte ist in der Praxis nicht nachweisbar (vgl. das Smith-Verfahren [Anm. 367]), insoweit zu pauschal Herdegen (Anm. 352), Rdnr.5. Die Erforderlichkeit einer "Binnenbeziehung" hob auch das BG im Fall S. c. Republique socialiste de Roumanie (Anm. 355) hervor, ohne dass diese für die konkrete Entscheidung ausschlaggebend gewesen wäre (v gl. Anm.376). 381 s. o. Anm. 371. 388 Vgl. 965 F. 2 nd 720, 723; zu dieser Problematik s.a. Bianchi, ÖZöRV 46 (1993/94), 214; Cohn, 34 B. Y.I.L. (1958), 260, passim. 389 So aber Mosler, SchwJIR 25 (1968),14, 22ff., 28. 390 Vgl. Fitzpatrick, 86th ASIL Proceedings 342 (1992); Paust, ibid., 327; s. a. HobelTiedje, 37 GYIL (1994), 409-414; Reimann (Anm.367), 420 et seq. 391 Vgl. Scheffler (Anm. 332), S. 87 m. w. N. 392 Belgium v. Spain, I.C.I. Reports 1970,3.
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kret jedoch nur das Verbot des Völkermords und den Schutz vor Sklaverei und Rassendiskriminierung angeführt. 393 Welche Individualrechte darüber hinaus zum ius cogens-Kanon gezählt werden müssten, bleibt interpretationsfahig, ebenso wie der Punkt, welche Verhaltensmaßstäbe sich für die Staaten aus der unbestrittenen Pflicht zur Beachtung elementarer Menschenrechte ergeben. Erschöpfen sich die völkerrechtlichen Obliegenheiten in einem reinen Unterlassen von Menschenrechtsverletzungen, oder trifft die Staaten eine (und wie weit reichende) aktive Schutz- und Gewährleistungspflicht? Allerdings können diese Fragen vor dem Hintergrund der hier interessierenden Problematik, sc .. der Auswirkung staatlicher Zuwiderhandlungen gegen zwingend zu achtende Menschenrechte auf die Immunität jener Staaten, auch offen bleiben, da sich bislang als Rechtsfolge eines menschenrechtsbezogenen ius cogens- Verstoßes weder die" ultra vires" - noch die Verwirkungstheorie in der Staatenpraxis durchgesetzt hat. 394 Auch US-Gerichte ziehen diese Ansätze nicht durchgängig, vielmehr bloß in seltenen Fällen in Erwägung. 395 393Ibid., p. 32 (para. 34). Schon im Korfu-Kanal-Fall, auf den später im Urteil in Sachen Nicaragua v. USA mehrfach abgehoben wurde (Reports 1986, pp. 112 [para. 215], 114 [para. 218]) wies der IGH darauf hin, dass "elementary considerations of humanity" für die Staaten Rechtspflichten zu begründen imstande wären (Reports 1949, p.22), allerdings ohne abschließend zu klären, welche dies konkret sein sollten. In der Barcelona Traction-Entscheidung sprach der IGH bekanntlich statt vom ius cogens von Verpflichtungen erga omnes. Beides ist nicht dasselbe (so aber Brähmer [Anm. 280], p. 75); eine Verletzung von Regeln des universellen Völkerrechts mag sich als Rechtsverletzung gegenüber allen Staaten darstellen (s. hierzu unten Anm.405), unabhängig davon, ob diese Regel zwingend gilt oder dispositiv ist. Dessen ungeachtet ist erkennbar, dass der IGH den von ihm genannten Rechtssätzen zwingenden Charakter beilegte (s. a. Brownlie [Anm. 267], pp. 515 et seq.; Frowein, in: FS Mosler, BeriinINew York 1983, S.243; Elias, Law ofTreaties, New York 1974, p. 185). 394 Die Zurückdrängung der Staats immunität als gedanklich notwendige Folge aus der Nichtbeachtung der Menschenrechte ergibt sich auch dann nicht, wenn im Anschluss an die Terminologie des IGH anstelle des "zwingenden" der erga omnes-Charakter der Beachtungspflicht hervorgehoben wird. Zwar erweitert diese Eigenschaft den Kreis der durch Verstöße gegen sie verletzten und mithin der zu Reaktionen befugten Völkerrechtssubjekte, damit ist indes noch nichts über das für solche Reaktionen zur Verfügung stehende Instrumentarium ausgesagt; mit anderen Worten, erga omnes-Normen haben quantitative, nicht qualitative Folgen. 395 So der Neunte Circuit im vorerwähnten Siderman-Fall (965 F. 2 nd 714-719 [9th Cir. 1992]) und Richter Sporkin in seiner vom Washingtoner Berufungsgericht zu Recht aufgehobenen - s. o. Anm. 367 - erstinstanzlichen Entscheidung in Sachen Princz v. Federal Republic 01 Germany, 813 F. Supp. 22 (D.D.C. 1992); wenngleich dieser letzten Endes mehr Gewicht auf die - für den FSIA an sich irrelevante - Tatsache legte, dass es sich bei dem HolocaustÜberlebenden Hugo Princz um ein amerikanisches Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen handelte; vgl. 813 F. Supp. 25 (note 6), 26. Richter Wald nahm in seinem Sondervotum anlässlich des Berufungsurteils im Princz-Fall übrigens den oben erwähnten Standpunkt einer Immunitätsverwirkung ein ([Anm.367], 1179-1185). In dem ähnlich gelagerten Verfahren Wolfv. Germany, wo ein gebürtiger Tschechoslowake und erst in den 50er-Jahren naturalisierter US-Bürger - vergeblich - klagte, war von die Staatenimmunität derogierenden ius cogens- Verletzungen keine Rede mehr; 95 F. 3,d 536 (7 th Cir. 1996) = 2 AILC 3,d 593 (1996).
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
Somit verbleibt als Präjudizienmaterial vor dem Distomo-Urteil nur noch die USamerikanische Letelier-Rechtsprechung mit ihrem spezifischen, für Menschenrechtsverletzungen untypischen Hintergrund. 396 Selbst diese jedoch ist überwiegend kritisch aufgenommen worden - mit erheblichen Befürchtungen der lateinamerikanischen 397 und noch ablehnender von Seiten osteuropäischer Staaten 398 • 399 Lediglich die Vertragsparteien der ECSI 400 haben - für ihr Verhältnis untereinander, also ohne Drittstaaten begünstigen zu wollen - in Art. 11 eine Regelung getroffen, die Schadensersatzklagen gegen einen Staat, dem deliktisches Handeln auf fremdem Territorium zurechenbar ist, vor den Gerichten des Tatortstaats ohne Rücksicht auf die ggf. hoheitliche Natur der Handlung ermöglicht. 401 Das rechtspolitische "Umfeld" der Staatenimmunität ausgangs des 20. Jahrhunderts weist fraglos deutliche Parallelen zu der Entwicklung in seinen ersten Dekaden auf. Wie sich das absolute Immunitätsverständnis in einer Zeit herausbildete, da die Staaten auf internationaler Ebene ganz oder nahezu ausschließlich hoheitlich handelnd in Erscheinung traten und nachdem sich dies geändert hatte, zu einem restriktiven relativierte, so entstand eben dieses restriktive Immunitätsverständnis deutlich bevor sich im Gefolge des Zweiten Weltkriegs und der Gründung der Vereinten Nationen völkerrechtliche Menschenrechtsgarantien verfestigten 402 und ihre heutige Verbreitung fanden. 403 Es 396 Das neueste französische (von 1998, den Klägern Recht gebende) Judikat im Zusammenhang staatlich geförderter Verbrechen - es betraf einen Anschlag des libyschen Geheimdienstes, bei dem 171 Menschen ums Leben karnen - ist vorliegend nicht einschlägig: Zwar trat Libyen nach der Verurteilung der Tater in deren finanzielle Wiedergutmachungsverpflichtungen ein, überwies mehrere Millionen Dollar nach Frankreich und räumte so mittelbar die Verantwortlichkeit für den Anschlag ein, war in dem Verfahren aber nicht selbst die beklagte Partei gewesen (FAZ, Nr. 245 v. 21.10.2000, S. 7). 397 Hess (Anm.265), S. 265f. weist- m.E. zu Recht- auf einen Ausdruck dieser Vorbehalte in der Ausgestaltung des DAS-Entwurfs zur Staatenimmunität (s. o. Anm. 331) hin, wonach - Art. 61it. e i. V. mit Art. 5 - zwar deliktische Klagen gegen einen anderen Staat, indes nur solche im Zusammenhang mit dessen wirtschaftlicher Tatigkeit, wie im Fall der Produkthaftung, möglich sein sollen. 398 Vgl. YBILC 1983 I, 80 (Stellungnahme von N. Ushakov). 399 Auch im völkerrechtlichen Schrifttum fand die Letelier-Rechtsprechung ein geteiltes Echo; zustimmend äußerten sich Crawjord, 8 AustrYIL (1983), 89 et seq.; Hess (Anm. 265), S. 385; ders. (Anm.368), 113 und TroobojJ(Anm. 250), 361; Letzterer allerdings ohne zu verhehlen, dass "such suits can be settled more effectively at the diplomatic level"; ablehnend dagegen u. a. Steinberger (Anm. 253), p. 440. 400 Abgesehen von der Bundesrepublik sind dies die Benelux-Staaten, Großbritannien, Österreich, die Schweiz und Zypern. 401 Vgl. Steinberger (Anm. 253), p. 439. - Von dem deliktischen Verhalten gemäß Art. 11 ECSI ist die Verletzung elementarer Menschenrechte selbstverständlich mit umfasst; besonderen Bezug darauf nimmt die Konvention nicht. Ebenso wie im internen Recht der USA steht hier der Territorialschutz im Vordergrund (v gl. Anm. 386): Die Vertragsstaaten der ECSI nehmen es nicht hin, dass ihre Gebietshoheit durch deliktische Handlungsweisen, stehe auch ein anderer Staat dahinter, verletzt wird. 402 Vgl. Haedrich, JA 1999, 25lf.; JenningslWatts (Anm.44), pp. 988 et seq.; Khol, Staat und Weltstaat, Wien 1969, S. 2 f. m. w. N. 403 Ähnlich Heidbrink, Alien Tort Claims Act, München 1989, S. 86.
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ist in der Tat unbestreitbar, dass die Staaten in der Phase des Übergangs von absoluter zu restriktiver Immunitätsgewährung einen nicht allein ihnen, sondern auch der Völkergemeinschaft übertragenen Menschenrechtsschutz nicht bereits (mit) berücksichtigen konnten. Nur rechtfertigt dies im Zusammenhang mit der Frage nach den heutigen Grenzen der Staatenimmunität keine (Völker)Rechtsfindung durch Lückenschließung. Dass die nicht allein moral philosophisch fraglos gebotene Beachtung der Menschenrechte die Immunität der Staaten "auszuhebeln" in der Lage ist, diese gar generell nachrangig wäre, muss vom gegenwärtigen Stand des Völkerrechts aus nach alledem indes als Wunschdenken bezeichnet werden. 404 cc) Deduktion Die diplomatische und die Staatenimmunität, von denen im Vorhergehenden die Rede war, weisen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf und ließen sich grafisch wie zwei sich - allerdings nur teilweise - überschneidende Körper darstellen.405 Im Staatsoberhaupt berühren sich heide Problemkreise, was Kimminich 406 folgendermaßen herausgestellt hat: "Einerseits macht das Staatsoberhaupt den souveränen Staat im völkerrechtlichen Bereich gegenständlich und repräsentiert ihn damit im echten Sinn. Andererseits ist das Staatsoberhaupt [wie der Diplomat auch] Organ des völkerrechtlichen Verkehrs." 404 Dem optimistisch(er)en Standpunkt Bianchis (Anm.388), 203, 205, 229 vermag ich mich nicht anzuschließen. MacKusick vertritt, sich allerdings mehr vom US-intemen als vom Völkerrecht her dem Ganzen nähernd, eine im Vergleich zu Bianchi etwas variierte Auffassung; er sieht eine weitere Restriktion der Staatenimmunität jedenfalls in den Fällen, wo sich die Menschenrechtsverletzungen als "Staatsterrorismus" darstellen (Human Rights vs. Sovereign Rights, nur unter verfÜgbar;dieserpUnktsPielteaUChimPinochet_FalleineRolle.s.I.AbSchn .• Kap.III. 4. c) [dort Anm. 376]). 405 Was den Umfang der Immunität anbelangt, geht die diplomatische Immunität weiter als die der Staaten, denen - wie gezeigt - Immunität nur mehr für deren acta iure imperii zugestanden wird, wohingegen der Diplomat auch für die meisten seiner Privathandlungen Immunität genießt; umgekehrt geht die Exemtion der Staaten von der Territorialhoheit anderer grundsätzlich betrachtet insoweit "tiefer", als das Völkerrechtssubjekt Staat nach wie vor fremden nationalen Rechtsordnungen nicht unterworfen ist, der Diplomat aber sehr wohl, wenn auch diesem gegenüber die Vollziehung der Normen des Empfangs- und ggf. Transitlandes gehemmt ist (Art.41 [1] VCDR). Das Letztgenannte verdeutlicht, dass die Immunität des Staats auch geographisch betrachtet eine größere Reichweite hat, da sie von jedem anderen Staat beachtet werden muss; s. a. bei Anm. 314. Um eine echte erga omnes-Pflicht handelt es sich entgegen dem ersten Anschein gleichwohl nicht (so aber das BVerfG im Fall des ehemaligen syrischen Botschafters in OstBerlin [Anm. 279]; E 96,90): Eine Verletzung der Immunität des Staats A durch Gerichte von B verletzt nur Ersteren in seinen Rechten, nicht auch C oder D. Letztere haben keinen eigenen Anspruch darauf, dass die Staatenimmunität generell unangetastet bleibt - so wie sie, typisch für erga omnes, beanspruchen dürfen, dass Brüche des Weltfriedens oder Genozidhandlungen überhaupt unterbleiben -, sondern nur auf Wahrung ihrer jeweiligen Immunitätsprivilegien. 406 Ders. (Anm.43), 159f.
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
So erklärt sich, dass diverse nationale Rechtsordnungen 407 hinsichtlich der Staatsoberhäupter und auch die völkerrechtliche Literatur z. T. 408 an die diplomatische Immunität anknüpfen, obgleich das Staatsoberhaupt nach den begrifflichen Festlegungen von Art. 1 VCDR weder Missionschef noch sonstiger Diplomat ist. In der Tat gehen die Aufgaben und Kompetenzen des Staatsoberhaupts im zwischenstaatlichen Verkehr nach Völkerrecht noch weiter als die in Art. 3 VCDR erwähnten diplomatischer Vertreter. 409 Die Immunität des Staatsoberhaupts kann, so gesehen, mutatis mutandis nicht hinter der diplomatischen zurückbleiben41O.411; andererseits wäre es unlogisch, reichte sie über die des gegenständlich gemachten Völkerrechts sub407 So z. B. der britische SIA von 1978 (vgl. das oben bei Abschnitt 1, Kap. III. 4. a) anlässlich des Pinochet-Falls Gesagte); auch der australische Foreign States lmmunities Ac! 1985 (Anm.350) stellt in sec. 36 (l)(a) das Staatsoberhaupt mit einem akkreditierten Missionschef gleich. 408 Vgl. nur Berber (Anm. 74). 409 Watts (Anm. 56), 40: ,,[ ... ) Head of State's representative capacity is both qualitatively greater than an ambassador's, and more extensive in subject-matter, time and geographical spread." 410 FJiihere Autoren zweifelten dies, ausgehend von der zu ihrer Zeit wesentlich anderen Staatsrechtslage, z. T. an. Nach Bijnkershoek (Anm. 246), cap. III, XVIII war es durchaus denkbar, wenn nicht gar geboten, den Diplomaten weitergehende Immunitäten als den regierenden Fürsten einzuräumen. Zunächst bestünde ein größeres praktisches Bedürfnis hierfür, da sich Erstere zwangsläufig zumeist in fremden Machtbereichen aufhielten, Letztere dagegen in Friedenszeiten kaum einmal. Mittlerweile ist diese Annahme nur noch bedingt zutreffend. Vor allem aber habe der Gesandte immer noch einen "Herrn über sich", vor dem er verklagt werden könne (heute: Bindung an das Recht des Entsendestaats, Art.31 [4) VCDR), was bei dem Souverän selbst, in dessen Person sich alle Staatsgewalt vereinigte, nicht der Fall wäre - dieser unterstünde in seiner Heimat nicht einer Gerichtsbarkeit, die schließlich als Teil seiner eigenen Herrschaftsmacht angesehen werden müsste. (So hat Maria Stuart vor den Commissioners die Position eingenommen, auch in Schottland könnte man sie nicht richten, da alle Rechtsinstitutionen von ihr als Souverän, die sie eingesetzt habe, abhingen.) Würde dem Fürsten somit völkerrechtlich Immunität zuzubilligen sein, hieße dies, dass er für Rechtsverstöße, derer er sich im Ausland schuldig machte, überhaupt nicht zur Rechenschaft gezogen werden könnte - ein Ergebnis, das Bijnkershoek untragbar erschien. Auch insoweit besteht heute, da das Staatsoberhaupt als (eines der) Staatsorgan(e) verstanden wird und der Satz vom princeps legibus solutus (D.l,3,31) von kaum einer Rechtsordnung noch anerkannt sein dürfte, eine andere Prämisse. 411 Ob die Immunität eines Staatsoberhaupts dem Völkerrecht nach stattdessen vielleicht weiter reicht als die eines Diplomaten - was wegen der nahezu absoluten diplomatischen Immunität während der Amtszeit erst bei ehemaligen Staatsoberhäuptern interessant wird -lässt sich dagegen theoretisch nicht ermitteln. Im ersten Pinochet-Prozess tauchte dieser Gedanke zwar auf, wurde jedoch sogleich wieder verworfen; s. [1998) 4 All E.R. 939 h-j (Lord Nicholls), 946 g (Lord Steyn). Auch das schweizerische Bundesgericht hat sich in einem ein Rechtshilfeersuchen in Strafsachen betreffenden Fall (Ferdinand Marcos gegen das EJPD, BGE 115 Ib 496) mit dieser Frage befasst - und sie verneint: Die VCDR und insbesondere deren Art. 39 (2) - Fortwirkung der Immunität nur hinsichtlich solcher Handlungen, welche die Gerichte des Forumstaats als dienstlich einstufen - gelte für Staatsoberhäupter entsprechend. Eine BegJiindung hierfür gab das BG freilich nicht.
11. Völkerrecht, Staatsoberhaupt und Immunität
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jekts selbst hinaus. 412 Dies bestätigt grundsätzlich die Kap. 11.1. abschließende Hypothese, die jedoch vierfach zu modifizieren resp. zu ergänzen ist: Wenn auch die Vorrechte des Staatsoberhaupts an dessen Amtsfunktion geknüpft sind und daher prinzipiell mit dieser erlöschen, so muss die Immunität doch in Bezug auf in eben diesem Amt begangene hoheitliche Handlungen fortwirken. Seinerseits fremde Gerichte in Anspruch zu nehmen, ist einem Staatsoberhaupt nach Völkerrecht nicht versagt; allerdings dürfte es dann keine Privilegien für das Verfahren genießen, geradeso wenig wie eine Befreiung von der Gerichtsbarkeit gegenüber einer Widerklage, sofern diese engen Zusammenhang mit dem Gegenstand der ursprünglichen Klage aufweist. Ebenso wie es bei Diplomaten der Fall ist, müssten auch die nächsten Familienmitglieder des Staatsoberhaupts an dessen Immunität teilhaben. Eine sachliche Grenze der Immunität angesichts der Verletzung von Menschenrechten, die sich hinsichtlich der Staaten selbst bislang nicht herausgebildet hat, bleibt für deren Oberhäupter weiterhin denkbar. Im Bereich der Verfahrenspraxis gilt es im Übrigen zu beachten, dass Immunitätsprivilegien besondere (hier: völkerrechtlich begründete) Abweichungen von der aus der Souveränität herrührenden und daher, wofür eine grundsätzliche Vermutung spricht, umfassenden lurisdiktionsmacht des Forumstaats darstellen . Folglich hätte im Konfliktfall nicht dieser darzutun, dass es nach Völkerrecht statthaft wäre, seine Rechtsprechung auszuüben, sondern die sich auf die Existenz eines Vorrechts der Immunität berufende Partei, dass ein völkerrechtliches Verbot der lurisdiktionsausübung bestünde. Unklar bleibt hingegen, ob ein etwaiger völkerrechtlich wirksamer Verzicht auf die Immunität 413 wie bei Diplomaten nur durch den Staat oder aber durch das Staatsoberhaupt selbst erfolgen kann. Da jedoch der Staat nach außen gerade durch sein Oberhaupt repräsentiert wird, gewinnt dieser Punkt allerdings erst nach dem Ausscheiden eines Staatsoberhaupts aus dieser Funktion praktische Bedeutung.414 Zudem ist fraglich, was bezüglich nicht als hoheitlich anzuerkennender Handlungen eines noch amtierenden Staatsoberhaupts zu prognostizieren wäre: Nach den für die diplomatische Immunität maßgeblichen Grundsätzen gilt die Exemtion von der Gerichtsbarkeit auch in diesen Fällen. Anders verhielte es sich, wenn stattdessen die - mittlerweile - das Recht der Staatenimmunität beherrschenden Prinzipien, die eine Freistellung von der Gerichtsbarkeit überhaupt nur in Ansehung von hoheitlich gesetzten Akten gewähren, zugrunde lägen 415 bzw. den Ausschlag gäben. 416 Ähnlich auch Mallory, 86 Co!. L. Rev. 170 (1986). Nicht: innerstaatlich zulässiger. 414 Ebenso Watts (Anm. 56),67. 415 Nach dem ILC-Entwurf zur Staatenimmunität- s. o. in Anm. 331 -, dessen Art.2(1)(b) den Staatsbegriff auch auf ..(i) various organs of government, [... ] (v) representatives of the state acting in that capacity" und mithin Staatsoberhäupter ausdehnte, sollte für den Umfang der Immunität die Unterscheidung zwischen Akten iure imperii und iure gestionis zwar grundsätzlich ebenfalls maßgeblich sein; doch andererseits stipulierte Art. 3 (2) dieses Entwurfs zugleich, dass etwa entgegenstehendes Völkergewohnheitsrecht unberührt bleibe. 412
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
c) Abgrenzungen aa) Staatenimmunität und Act 0/ State-Doktrin Staatlich-hoheitlich vorgenommene Handlungen werden in der Gerichtspraxis nicht allein im Zusammenhang mit der Immunität von Staaten oder ehemaligen Diplomaten entscheidungserheblich, sondern stattdessen bzw. überdies 417 auch mit der bereits im vorhergehenden Abschnitt angesprochenen 418 sog. Act 0/ State-Doktrin, deren zentraler Inhalt erstmals Ende des 19. Jahrhunderts durch den Obersten Gerichtshof der USA 419 in der richtungsweisenden Entscheidung Underhill v. Hernandez 420 formuliert wird: "Every sovereign state is bound to respect the independence of every other sovereign state, and the courts of one country will not sit in judgment on the acts of [ ... ] another [ ... ]."421
Dieser Grundsatz zeitigt zwar insoweit die gleichen Effekte wie die Staatenimmunität, als in beiden Fällen ein Urteil zuungunsten eines am Prozess beteiligten fremden Staats, sofern sich das Verfahren auf von diesem gesetzte acts bezieht, nicht möglich ist 422 , weshalb beides fälschlicherweise nicht selten vermengt und 416 Eng hiermit verknüpft ist ein praktisches Problem, das darüber hinaus auch im Zusammenhang mit nicht mehr amtierenden Staatsoberhäuptern - deren Immunität nach dem oben Gesagten für im Amt begangene hoheitliche Handlungen fortwirken dürfte - virulent wird, nämlich dass es für die (immunitäts)entscheidende Frage nach den "als hoheitlich anzuerkennenden Handlungen" an einem objektiven Maßstab fehlt, sie aber gleichwohl nicht offen gelassen werden kann - quis iudicabit? 417 Im Pinochet-Fall wurde sowohl auf die Frage der Fortwirkung einer Immunität als auch auf dieAct olState-Doktrin Bezug genommen, vgl. [1998]4 AllE.R. 918 c (Lord Slynn), 9371 (Lord Nicholls); im zweiten Urteil u. a. durch Lord Phillips [1999]2 AllE.R. 186g. 418 Erstmals dort in Kap. III. 3. c) (Anm. 233 und zugehöriger Text). 419 Großbritannien kannte bereits wesentlich früher eine gefestigte Rechtsprechung zu Acts 01 State, die allerdings in einem anderen Zusammenhang stand: dabei ging es um die Freiheit der britischen Krone von der eigenen Gerichtsbarkeit in bestimmten Fällen mit Auslandsbeziehung; s. Fonteyne, Acts of State, EPIL 10 (1987), p.2. 420 168 U.S. 250 (1897). - Die Auffassung Garners, 14 AJIL 92 (1920), der Beklagte Jose Hernandez habe sich unmittelbar vor den der Klage zugrunde liegenden Ereignissen selbst zum venezolanischen Staatsoberhaupt gemacht (und als solchem wäre ihm fortwirkende Immunität zugebilligt worden), ist unzutreffend; vielmehr handelte es sich um einen lokalen Militärführer im Gefolge des putschenden General Crespos, mit dessen Regierung auch Washington bald in formellen Kontakt trat. 421 168 U.S. 252 (Chiellustice Fuller). 422 Wenn auch die Anwendung der Act olState-Doktrin gleichartige Ergebnisse bedingt wie die Zugrundelegung der Immunität, so lässt sich dieses Verhältnis jedoch nicht ohne weiteres umkehren, worauf bereits Gerhard Hoffmann (Anm.272, S. 134 a. E.) zu Recht hingewiesen hat: Sehr wohl ist eine dahingehende rechtliche Situation vorstellbar, dass "ein Staatsakt (,Act of State') durch die Gerichte eines anderen Staates oder durch ein völkerrechtliches Gericht (z. B. den IGH) auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden darf (also justiziabel ist), das handelnde Spitzenorgan jedoch wegen seiner Stellung z. B. als Staatsoberhaupt [oder auch der Staat als solcher, der Verfasser] Immunität genießt."
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verwechselt wurde 423 • Im Einzelnen unterscheiden sichAct oJState-Doktrin und Immunität jedoch in vierfaeher Hinsicht• ihrem Anknüpfungspunkt und • der prozessualen Wirkung nach, • bezüglich einer räumlichen Anwendungsvoraussetzung sowie • insbesondere im Hinblick auf die Rechtsordnung, der sie angehören. 424 So knüpft die Act oJ State- Doktrin, anders als die das Vorrecht einer bestimmten juristischen oder natürlichen Person425 kennzeichnende Immunität, losgelöst von einzelnen Personen bzw. Personengruppen - auch wenn diese mittelbar durch die Doktrin begünstigt werden - an bestimmte Sachverhalte an. Ihr Rechtsgrund ist demnach ausschließlich ratione materiae. 426 In der prozessualen Wirkung ist die Act oJ State-Doktrin weniger weit reichend: Da ihr zufolge einzelne Sachlagen, eben jene, die (fremd)staatlich-hoheitliche Akte darstellen, für die Gerichte (des Forumstaats ) nicht justiziabel sind, begrenzt sie so die Wahrheitsfindung auf dem Weg zum Urteil, ein Teil des Tatsachenmaterials - regelmäßig das ergebnisrelevante - bleibt unberücksichtigt; wohingegen die Immunität eines Prozesssubjekts ein Sachurteil, soweit dieser allein betroffen ist 427 , von vornherein verhindert. DieAct oJState-Doktrin wirkt sich also (erst) auf die Begründetheit einer Klage aus, führt aber nicht - wie die Immunität - bereits zu deren Unzulässigkeit 428 • Als ein den Anwendungsbereich dieser Doktrin einschränkendes Element ist des Weiteren von Bedeutung, dass sie nur solche hoheitlichen Handlungen von richterlicher Kontrolle und rechtlicher Bewertung ausnimmt, die auf dem eigenen Territorium des fremden Staats 429 gesetzt worden sind. 430 So beispielsweise von Glueck, 59 Harv. L. Rev.422 et seq. (1946). Zum Ganzen vgl. Panhuys, 13I.C.L.Q. (1964),1195-1203. 425 Wie dem Staat selbst oder z. B. einern ehemaligen Missionschef. 426 Vgl. Hili, RabelsZ 46 (1982), 120. 427 Sollte von zwei in einern Verfahren Be- oder Angeklagten nur einern Immunität zuzuerkennen sein, steht dies einern Sachurteil hinsichtlich des anderen selbstverständlich nicht entgegen. 428 s. nur Hailbronner (Anrn. 31), Rdnr.75. 429 Bei den acta iure imperii im Rahmen der Staatenimmunität ist dies zwar regelmäßig ebenso der Fall, doch keine Voraussetzung für die Immunitätszuerkennung. Bei Diplomaten und Konsuln dagegen verhält es sich schon typischerweise so, dass deren über die Immunität geschützte dienstliche Handlungen (s. o. Anm. 328 und zugehöriger Text) nicht im Entsendestaat vorgenommen werden. 430 s.o. Anm.421; vgl. auch Tayhar, 86 Col. L. Rev. 594 (1986). - Aus diesem Grund konnte die Act 0/ State-Doktrin zwar in dem ersten Prozess Hilao et al. v. Marcos zur Anwendung gelangen, nicht aber im u. a. ebenfalls gegen Marcos gerichteten Domingo-Verfahren (1. Abschn., Kap. III. 3.c) [dort Anm. 230,244]). Im Henry-Fall (I. Abschn., Kap. III.l.) betonte der Angeklagte daher ebenfalls nicht allein seine vermeintliche Eigenschaft als fremdes Staatsoberhaupt, sondern ebenso den Umstand, dass die inkriminierten Handlungen in der "Hauptstadt der RNA" vorgenommen worden seien. 423
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
Ihrem "Standort" in der Rechtsordnung nach schließlich ist die Doktrin ("Lehrsatz"), was den wesentlichen Unterschied zur Immunität ausmacht, Bestandteil ursprünglich des US-amerikanischen resp. britischen431 - und mittlerweile auch des französischen 432 - Rechts; eine Regel des innerstaatlichen Prozessrechts auf der Basis verfassungsrechtlicher Erwägungen, betreffend "die Abgrenzung der auswärtigen von der richterlichen Gewalt"433.434 Als Satz des Völkerrechts ist die Act of State-Doktrin als solche dagegen zurzeit435 nicht nachweisbar. 436 Insoweit trifft keinen Staat die Pflicht, fremde Hoheitsakte anlässlich von Entscheidungen seiner eigenen Gerichte, gleichsam unhinterfragt, ohne Prüfung ihrer Völkerrechtskonformität oder der Vereinbarkeit mit dem nationalen ordre public "stehen zu lassen".437.438 bb) Staaten- und Staatsoberhäupterimmunität In früheren Epochen warf die Frage nach der völkerrechtlichen Immunität der Staatsoberhäupter in ihrem Verhältnis zu jener der Staaten praktisch kaum Probleme auf; und solange (und soweit) beide als untrennbare Einheit betrachtet wurden, das Für Nachweise aus der Judikatur s. Fonteyne (Anm. 419). Im französischen Rechtskreis entspricht der Act 01 State-Doktrin die Konstruktion des acte de La lonction resp. der incompetence d' attribution; sie wurde erst in der Nachkriegszeit entwickelt (vgl. Lüke [Anm. 271], S. 67f. m. w. N.; s. aber Christidis c. Consorts Verissi, Clunet 26 [1899], 369). In französischen Verfahren gegen amtierende oder ehemalige Staatsoberhäupter wurde sie bislang nicht entscheidungserheblich. 433 Stein (Anm.219), S.136. 434 Hier kommt es zur Überschneidung mit der (ebenfalls US-amerikanischen) political question doctrine. Nach ihr haben die Gerichte die Beantwortung der "politischen Frage", ob es opportun sei, über Handlungen ausländischer Staaten selbst zu urteilen oder die von ihnen gesetzten Akte dem Urteil vielmehr unüberprüft zugrunde zu legen, der Exekutive zu überlassen; s. Folz, Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen, Baden-Baden 1975, S. 129, 174, 185 ff.; Zuck, JZ 1974, 362f. 435 Derartige Doktrinen können jedoch durchaus zur Bildung einer entsprechenden neuen Völkerrechtsnorm beitragen; das bedeutendste Beispiel hierfür dürfte der von Grotius in seiner Schrift vom "mare libero" (1609) postulierte Grundsatz der Freiheit der Meere sein, der später zunächst Gewohnheits- und im 20. Jahrhundert auch Vertragsvölkerrecht wurde. 436 Ebenso (statt vieler): Brownlie (Anm. 267), p. 509; Herdegen (Anm. 352), Rdnr. 11. 437 Vgl. Stein (Anm.433). 438 Seit dem Fihirtiga-Urteil (s. o. Anm.365) wird jedoch auch von den Gerichten der USA ein Zurücktreten der Act 01 State-Doktrin für den Fall in Betracht gezogen, wo das prozessrelevante staatlich-hoheitliche Handeln mit der Verletzung universellen Völkerrechts einhergeht; 630 F. 2nd 889. An gleicher Stelle hatte Circuit Judge Kaufman im Übrigen darauf abgehoben, dass die sich in der Doktrin widerspiegelnde Respektierung der fremden Rechtsordnungen seitens der Vereinigten Staaten dann nicht angezeigt sein könne, wenn sich der fragliche act schon vor dem Hintergrund der betreffenden fremdstaatlichen Verfassungsordnung selbst evident nicht rechtfertigen lasse. - Dieses Argument wurde auch in der Berufungsentscheidung gegen den vormaligen bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadzic verwandt; 70 F. 3 n1 250 (2nd Cir. 1995). 431
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11. Völkerrecht, Staatsoberhaupt und Immunität
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Völkerrecht die Beziehungen zwischen souveränen Fürsten zum Regelungsgegenstand hatte 439 , waren normative Differenzen auch der Theorie nach ausgeschlossen. 440 "L'Etat, c 'est moi", konnte Ludwig XlV. sagen 441 ; folgerichtig hatte, was für das Staatsoberhaupt galt, grundsätzlich ebenso für "dessen" Staat Bedeutung. 442 Übertragen auf die hier interessierende Problematik ergibt sich daraus ein "Gleichlauf' der Immunität des Staats selbst und desjenigen, für den sich erst im Verlauf der Aufklärung die Benennung als Staats(ober)haupt443 durchsetzt 444 •445 Deutlich zum Ausdruck kommt dieser Zusammenhang nicht zuletzt dadurch, dass bis ins 19. Jahrhundert hinein sowohl in der Gerichtspraxis 446 als auch im Schrifttum 447 einheitlich von der Immunität "des Souveräns" (Sovereign lmmunity, Immunire des Souverains) gesprochen wird, gleichviel ob nun ein fremder Staat als solcher oder dessen Oberhaupt Prozesspartei ist. 448 Inhaltlich kann es sich daher bei der Immunität des Staatsoberhaupts ursprünglich auch kaum um eine andere als (ebenfalls) absolute 449 gehandelt haben. Historisch betrachtet stellt die heute vorfindbare Immunität des Staats (als Völkerrechts- und Prozesssubjekt) einen Ausfluss der älteren persönlichen Unverletzlichkeit 450 des Monarchen dar; sie resultierte folglich aus Rechtspositionen des Staatsoberhaupts - nicht etwa umgekehrt. 451 Gleichwohl vermag dieser Befund nicht die Möglichkeit auszuschließen, dass sich eben diese Umkehrung im Verhält439 Vgl. Grewe, Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984, S. 232ff.; Ipsen (Anm.50); KimminichlHobe (Anm.107), S.41 f. 440 Bass, 97 YaleL.J. 300 (1987); Mal/ory (Anm.412), 174. 441 Im Sinne von: hätte zutreffend sagen können; ob dies dem "Sonnenkönig" stets zugeschriebene Zitat wirklich authentisch ist, lässt sich nicht sicher ermitteln, s. Kimminich (Anm.80). 442 "Untrennbare Einheit" ist nicht zu verwechseln mit Identität. Auch der Staat des (voraufgeklärten) Absolutismus wurde durchaus bereits als juristische Person begriffen, wenngleich er in der Praxis hinter die Person seines jeweiligen Beherrschers völlig zurücktrat (Gmür [Anm. 259], S. 7). 443 V gl. das oben in Anm. 20 Gesagte. 444 Als Beleg für die Begrifflichkeit (und auch für die gedankliche Trennung [Anm.442]) sei Teil 11/13, § 1 ALR - "Alle Rechte und Pflichten des Staats [ ... ] vereinigen sich in dem Oberhaupte desselben" - angeführt; deutlicher noch § 5: "Die Vertheidigung des Staats gegen auswärtige Feinde anzuordnen [ ... ]; Bündnisse und Verträge mit fremden Staaten zu errichten, kommt allein dem Oberhaupte des Staats zu." 445 Vgl. Buergenthal/Doehring (Anm.276), Rdnr.461. 446 s. die im ersten Abschnitt, Kap. 11. 1. bis 4 angeführten Entscheidungen. 447 Statt vieler vgl. nur Phillimore (Anm. 70), p. 133; weitere Nachweise bei Loening (Anm. 94), S. 307. 448 Vgl. Watts (Anm. 56),35. 449 Anm. 333 und zugehöriger Text. 450 s. o. in Kap. 11. 1. c). 451 So auch Buergenthal/Doehring (Anm.445). Lord Browne-Wilkinsons Überlegungen in Pinochet No.3 gingen, obschon er sich nicht festlegen wollte, in dieselbe Richtung ([1999]2 AIIE.R. 111).
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
nis von Staaten- und Staatsoberhäupterimmunität mittlerweile vollzogen hat. Mit anderen Worten: Nun, da die Rechtspersönlichkeit Staat schon seit längerem nicht mehr allenfalls im Hintergrund der Person ihres Oberhaupts wahrnehmbar wird - sondern dieses vielmehr "nur" den Staat als Ganzes gegenüber dritten Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten sichtbar macht452 -, könnte zwar ein grundlegender Wechsel in der Beziehung der beiden Immunitätsformen zu konstatieren sein. Da deren ursprünglich enger Zusammenhang jedoch nach wie vor bestehe, würde nunmehr Letztere als spezielle Ausprägung der Staatenimmunität dieser folgen 453 • Beispielhaft zeigt sich dies an den Vorarbeiten des American Law Institute zum bereits erwähnten 454 Foreign Sovereign Immunities Act; dort wurde zunächst ins Auge gefasst, hinsichtlich fremder Staatsoberhäupter eine auf die für ausländische Staaten geltenden Regeln 455 bezogene Verweisungsnorm zu schaffen 456 • Letztendlich ist dies zwar nicht verwirklicht worden. 457 Die Unterlassung erklärt sich allerdings nicht mit dem Aufkommen von Zweifeln am zuvor angenommenen Sachzusammenhang zwischen Staaten- und Staatsoberhäupterimmunität, sondern vielmehr mit der fragwürdigen Vorstellung eines im 20. Jahrhundert fehlenden praktischen Bedürfnisses für die Schaffung von Normen über die Rechtspositionen speziell der Staatschefs. Ist also auch die Immunität der Staatsoberhäupter gewissermaßen simultan mit derjenigen ihrer Staaten zu einer relativen, nur hoheitliche Handlungen schützenden abgesunken? Die These von der Erstreckung der Staatenimmunität auf deren Oberhäupter wird des Öfteren mit dem Hinweis auf eine grundsätzliche völkerrechtliche "Staatsorganimmunität" oder materielle Staatenimmunität458 zu untermauern versucht. Der Hintergrund dabei ist folgender: Das die Immunität genießende Rechtssubjekt kann als solches nicht wirklich selbst agieren - und dementsprechend auch keine acta iure imperii setzen -; vielmehr vermögen dies immer nur konkrete natürliche Personen, o. das in Kap. I. 2. Gesagte (bei Anm. 50f.). Eben diesen Standpunkt nahm die Republik Chile im Pinochet-Verfahren ein; vgl. das Zitat in [1999]2 AllE.R. 155 e-f. 454 Kap. 11. 2. b)bb) (dort Anm. 347). 455 Gemeint waren hierbei nicht (die) der Völkerrechtsordnung angehörende Regeln über die Immunität, sondern jene, die nach dem Willen des FSIA für fremde Staaten gelten sollten. 456 Restatement (2 nd ) of Foreign Relations Law (1965), sec. 66: "The immunity of a foreign state [ ... ] extends to [ ... ] its head of state and the any person designated by hirn as a member of his official party [ ... ]". Zitiert nach Mal/ory (Anm.412), 172. 457 Vgl. Bass (Anm.440), note 3; Mal/ory, {oe. eit. - In Kraft trat dagegen der kanadische State Immunity Act (Anm. 350), dessen sec. 2(3) bestimmt, dass "in this act, [ ... ] ,foreign state' includes any sovereign or other head of the foreign state". Wie es im vorgenannten US-Entwurf auch der Fall war, bestimmt sich der Umfang der Staatenimmunität (und in deren Folge die Immunität fremder Staatsoberhäupter) allerdings nach dem nationalen Immunitätsgesetz, nicht nach Völkerrecht. 458 Bzw. durch die Gebotenheit einer "funktionalen Anwendung der Regeln der Staatenimmunität" (Lüke [Anm. 271], S. 145). 452 S. 453
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deren Verhalten dem Staat als eigenes zugerechnet werden muss. Würden nun diese tatsächlich Handelnden gerichtlich verfolgt - gegen "ihren" Staat wäre, seiner Immunität wegen, keine Klage zulässig -, so käme dies in der Wirkung einem prozessualen Vorgehen gegen den fremden Staat selbst gleich 459 bzw. würde die Staatenimmunität rechtsmissbräuchlich ausgehöhlt 460 • Mithin müsse auch jedem Amtswalter, jedem, der einmal - unabhängig von Rang oder Funktion - eine hoheitliche Handlung vorgenommen habe, in gleicher Weise Befreiung von fremdstaatlicher Gerichtsbarkeit beanspruchen können wie der Staat, dem dieser Akt zuzurechnen sei 461 ; zumindest soweit keine spezielleren völkerrechtlichen Regelungen entgegenstünden 462 oder bestimmte, die Ausübung der Jurisdiktion rechtfertigende Ausnahmesituationen 463 - die dann aber auch für Amtsträger aller Art gleich seien - vorlägen. Diese Argumentation ist fraglos "stimmig" und die aus ihr gezogene Schlussfolgerung in der völkerrechtlichen Literatur weit verbreitet. Ob ihre Vertreter durchweg zu "the most highly qualified publicists of the various nations" zu zählen wären, bleibe dahingestellt; der für die (Völker-)Rechtserkenntnis - auch außerhalb von Verfahren vor dem IGH - maßgebliche Art. 38 (1) (d) des Statuts weist jedenfalls auch deren Lehrmeinungen die Stellung bloßer Hilfsmittel ZU 464 • Die Frage, ob ein 459 So Dahm (Anm. 262), S. 167; Verdross/Simma (Anm.153), S. 773; ähnlich auch Scheffler (Anm. 332), S. 101: Umgehung der Staatenimmunität bei ihrer formaler Beachtung. Dieser Konflikt setzt freilich zivilprozessuale Vorgehensweisen voraus; da ein Strafverfahren gegen einen fremden Staat - als nicht natürliche Person - auch unabhängig von Fragen der Immunität ohnedies nicht durchführbar wäre, braucht und kann hier nichts umgangen (zu) werden. 460 Vgl. Steinberger (Anm. 253), p. 428; dem folgend Wirth (Anm. 277), 72. 461 Vgl. Gornig, NJ 1992, 13. - Entsprechendes trugen im Pinochet-Fall z. B. die Lords Browne-Wilkinson und Millett vor ([1999] 2 All E. R. 114j, 171 h-j). 462 Im Hinblick auf den nach der VCDR Immunität genießenden Personenkreis soll dies nach den - insoweit m. E. überzeugenden - Ausführungen des BVerfG (Anm. 279) der Fall sein; Umfang und Grenzen seiner Immunitäten infolgedessen ausschließlich nach der Diplomatenrechtskonvention als einem self contained regime (lGH im Teheraner Geisel-Fall [Anm. 295]) und nicht nach "materieller Staatenimmunität" zu beurteilen sein; a.A. Doehring/ Ress, AVR 37 (1999), 68. 463 So ist es evident, dass die Staaten es z. B. bis heute als rechtens erachten - und entsprechend handeln -, Spione ohne Rücksicht auf deren Eigenschaft als Amtsträger eines fremden, souveränen Staats abzuurteilen (s. nur BGHSt 18, 87, 92 ff. [Staschinsky-Fall]; Ex parte Quirin, 317 U. S. 1 [1942]). Nicht gesichert dagegen erscheint die Antwort auf die Frage, ob der Staatenpraxis nach selbst (grob) völkerrechtswidrige Akte dem von den jeweiligen Amtswaltern vertretenen Völkerrechtssubjekt zuzurechnen seien; bejahend Bothe (Anm. 281), 254f.; a. A. Dahm (Anm. 262), S. 170. 464 Anzumerken ist im Übrigen, dass heute, anders als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs - das IGH-Statut hat mit Art. 38 (1) (d) nur eine Regelung des StIGH-Statuts übernommen - nicht mehr nur eine kleine Zahl von Lehrwerken und diese oft von weltweit hoher Reputation existiert. Stattdessen steht mittlerweile eine Flut völkerrechtlicher Lehrbücher - sich sämtlich mit Fragen der Immunität, kaum noch mit den Staatsoberhäuptern befassend - zur Verfügung, die nicht selten mehr interessengeleitet als an der Staatenpraxis orientiert erscheinen (s. a. Scheffler [Anm. 332], S. 184). Da diese Praxis inzwischen glücklicherweise weit bes-
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Völkerrechts satz des Inhalts existiert, dass sämtlichen staatlichen Bediensteten im weitesten Sinne - dann selbstverständlich auch den Staatsoberhäuptern - Immunität insoweit zukommt, als sie acta iure imperii vornehmen, muss infolgedessen anhand anerkannter Quellen, was in diesem Fall anhand des Völkergewohnheitsrechts bedeutet 465 , beantwortet werden. Hier bemüht man regelmäßig 466 den berühmten McLeod-FaIl 467 , der indes als Beleg für eine dahin gehende (auch nur erste) Praxis und diese tragende opinio iuris wenig geeignet ist: Die amerikanischen Behörden und Gerichte haben dem Betreffenden - entgegen den Forderungen seines Heimatstaats - gerade keine Immunität zugestanden 468 • Gerichtsentscheidungen aus späteser zugänglich ist als noch ein Jahrhundert zuvor, sind Zweifel darüber, ob das IGH-Statut - müsste es heute entworfen werden - wohllit. d enthielte, durchaus angebracht. 465 Umfassende vertragliche Regelungen sind nicht vorhanden. Für bestimmte ,,[ ... ] typische Bereiche, in denen staatliche Bedienstete hoheitliche Tätigkeiten auf fremdem Territorium ausüben, sind [zwar] Verträge formuliert worden", worauf Lüke (Anm. 271), S. 137 f. m. w. N. zutreffend hinweist; derartige Konstellationen finden sich v. a. im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Nachbarstaaten. Allerdings pflegen in diesem "typischen Bereich" typischerweise nicht beliebige Personen, sondern bestimmte, genau fixierbare Amtsträger (Polizeibeamte ) für den Staat tätig zu werden. 466 Vgl. allein für den deutschen Sprachraum u. a. Bothe (Anm. 281), 247; Scheffler (Anm.459), dort Fußnote 17; Wirth (Anm. 460), dort Fußnote 38. 467 People v. McLeod, 37 Am.Dec. (N. Y.S.Ct. 1841) = 18 AILC 263. Bei A1exander McLeod handelte es sich um den britischen Staatsangehörigen, der 1837 in Niagara Falls den Überfall auf das amerikanische Insurgentenschiff Caroline geleitet hatte. 468 McLeod wurde, nachdem man ihn anlässlich einer späteren Reise nach New York festgenommen hatte, unter Mordanklage gestellt - der Angriff auf die Caroline hatte einem Amerikaner das Leben gekostet. Großbritannien beanspruchte "Staatenimmunität" für ihn, da McLeod im Einvernehmen mit der britischen Regierung im Rahmen staatlicher Selbstbehauptung gehandelt habe. US-Außenminister Webster gab dem britischen Botschafter Fox insoweit Recht, als er in diesem Umstand durchaus ein rechtserhebliches Verteidigungsargument (wesentlich für die Schuldfrage und einen Freispruch indizierend) erblickte, der Einleitung und Durchführung eines Prozesses stehe er aber nicht im Weg, da ein Tatbestand vorliege, der die Zuständigkeit der New Yorker Strafgerichte begründe (a. A. Bothe [Anm.466]; differenzierend Bar, Internationales Privatrecht 11,2. Aufl., Hannover 1889, S. 664 [dort Fußnote 6]. Auszugsweise Wiedergabe der Noten bei Jennings, 32 AJIL 94 et seq. [1938]). Großbritannien akzeptierte diese Lösung nicht und verlangte McLeods Freilassung nicht nach einem wie auch immer durchgeführten Verfahren, sondern unmittelbar infolge eines Eingreifens der US-Regierung oder dadurch, dass das mit der Sache befasste Tribunal selbst die Angelegenheit als außerhalb seiner Jurisdiktionsbefugnis bezeichnen werde; die USA blieben jedoch selbst gegenüber britischen Kriegsdrohungen standhaft. Der Supreme Court von New York hielt die Anklage ebenfalls für zulässig; McLeod wurde - nach 12-monatiger Untersuchungshaft - schließlich von einer Jury zwar freigesprochen, was indes "lediglich" aufgrund eines Alibibeweises geschah. Die Act of State-Doktrin vermochte McLeod keinen Schutz zu vermitteln, da sie zum einen dem US-Recht zu jener Zeit noch nicht angehörte, zum anderen aber ohnedies nur solche acts als nicht justiziabel kennzeichnet, die auf dem Territorium des fremden Staats, keinesfalls aber auf dem der USA gesetzt werden (s. o. Anm. 430 und zugehöriger Text). Nach McLeods Entlassung entschuldigte Webs-
11. Völkerrecht, Staatsoberhaupt und Immunität
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rer Zeit, bei denen es nicht zur Verurteilung der hoheitlich Handelnden kam und deswegen in diesem Zusammenhang oft angeführt werden, stammen entweder469 zum weit überwiegenden Teil aus dem anglo-amerikanischen Raum, und sind tatsächlich - was sich im Ergebnis nicht bemerkbar macht - Anwendungsfälle der Act 01 State-Doktrin 470 , die auch im Bewusstsein ihrer Eigenschaft als nationales Recht, nicht als völkerrechtlich "geschuldetes" Privileg angewandt wird, oder es zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass fraglichen Personen häufig keineswegs beliebige Amtswalter, sondern z. B. Außenminister471 oder Konsul 472 waren. Eine Abweichung stellt die Entscheidung des Tribunal de commerce Rouen dar, das im Avensdaw-Fall ohne weitere Einschränkungen ,,[ ... ] il est de jurisprudence qu'un Etat etranger ne peut etre assigne devant un Tribunal fran~ais, meme en la personne de ses agents" 473 konstatierte. Auch in Deutschland weitet eine gefestigte Rechtsprechung die Immunität ausländischer Staaten auf die für ihn handelnden natürlichen Personen aus. 474 Dass der in Rede stehende Satz 475 von daher wirklich als Bestandteil (universellen) Völkergewohnheitsrechts 476 nachzuweisen wäre, darf mit einem ter sich zwar einerseits bei Lord Ashburton, erklärte aber andererseits: "Persons arrested on charges of high crimes can only be discharged by some judicial proceedings". Bothe (a. a. 0.,248 [dort Fußnote 3]) gibt weiterhin an, die USA hätten daraufhin mit einer Gesetzesinitiative dafür gesorgt, dem britischen Rechtsstandpunkt jedenfalls für die Zukunft Geltung zu verschaffen. Dies ist nur bedingt zutreffend. Die vorn Kongress am 29.8.1842 angenommene und auf Situationen wie im McLeod-Fall zugeschnittene Vorlage bewirkte lediglich, dass in diesen Konstellationen künftig stets die Bundesgerichte zuständig sein sollten, nicht aber einen Ausschluss der amerikanischen Gerichtsbarkeit schlechthin (Nachweise bei Jennings, loc. eit., 96). 469 In seltenen Fällen ist beides kumulativ gegeben. 470 Im vorhergehenden Unterkapitel Anm.427 und zugehöriger Text. 471 Vgl. oben Anm. 281 und zugehöriger Text. 472 So in dem von Dahm (Anm. 10, S. 237 [dort Fußnote 4]) zu Unrecht als Präjudiz angeführten Lund-Fall, (1929-30) 5 Annual Dig.321 (Case No. 211). 47) R.I.D.M. 34 (1922),1074. Hervorhebung vorn Verfasser. 474 s. hierzu die zivilrechtliche Entscheidung des BGH in NJW 1979, 1101: Ein Beamter des New Scotland Yard hatte auf entsprechendes Ersuchen einen (tendenziell negativen) Bericht über das Gebaren der Seientology-"Kirche" an das BKA übersandt. Der deutsche Ableger dieser Vereinigung verklagte den Beamten, in allen Instanzen erfolglos, auf Widerruf seiner Beschuldigungen. Der Senat hob hervor: "Solche Organhandlungen stellen sich als unmittelbares staatliches Handeln dar und können dem zum Handeln Berufenen nicht als private Tätigkeit zugerechnet werden. Es bedeutete eine Aushöhlung der uneingeschränkten Immunität souveräner Staaten im Bereich hoheitlicher Betätigung, wollte man staatliches Handeln durch Zugriff auf das handelnde ausländische Organ der deutschen Gerichtsbarkeit unterwerfen." Auch das BVerfG hat im Fall des syrischen Exbotschafters Soummak (Anm.279) keine Zweifel daran gehabt, dass die Immunität der Staaten funktional anzuwenden sei. Andererseits sah sich der Ermittlungsrichter am BGH im Zusammenhang mit dem Berliner Mykonos-Prozess nicht aus Immunitätsgründen gehindert, einen Haftbefehl gegen den iranischen Minister Ali Fallahian zu erlassen, s. AdG 1996,40912. 475 Über die "materielle Staatenimmunität" als Amtswalterimmunität. 476 Anm. 379 und zugehöriger Text.
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
Fragezeichen versehen werden. Allerdings kann dieser Punkt vorliegend unschädlich offenbleiben; die Existenz der angenommenen Völkerrechtsnorm unterstellt, ergebe sich aus ihr nicht notwendig, dass die Staatenimmunität auch mit ihrem negativen Aussagegehalt - nämlich nur für hoheitliche, nicht aber sonstige Handlungsweisen gewährt zu werden - auf die Organe des Staats ausstrahlt; sie entfaltete, mit anderen Worten, nicht zwingend eine "Sperrwirkung" hinsichtlich etwaiger weiter reichender Immunitäten zugunsten bestimmter Staatsorgane, jedenfalls solange wie diese die betreffende Organfunktion innehaben 477 • Die notwendige sichere Erkenntnis über den Umfang - und die Grenzen - der Immunität von Staatsorganen, hier genauer: des Staatsoberhaupts, lässt sich so nicht gewinnen. Im Übrigen wäre vor der übereilten Feststellung eines "Junktims" der Immunität von Staatsoberhäuptern mit der nurmehr relativen Staatenimmunität daran zu erinnern, dass sich der sukzessive Abbau der ursprünglich absoluten Staatenimmunität durch die internationale Gerichtspraxis infolge praktischer Notwendigkeiten - d. h. als Reaktion auf die zunehmenden grenzüberschreitenden privatrechtlichen Aktivitäten der Staaten - und folglich vor dem Hintergrund von Umständen vollzog, die auf die Oberhäupter dieser Staaten nicht ohne weiteres übertragbar sind. 478 Welche Antwort auf die Frage nach der völkerrechtlichen Immunität gerade des Staatsoberhaupts ergibt sich also aus den von der Staatengemeinschaft anerkannten Rechtsquellen, zuvorderst dem Vertragsvölkerrecht?
III. Stellung der Staatsoberhäupterimmunität im Vertragsvölkerrecht Nach konkreten völkerrechtlichen Anordnungen über die Immunität der Staatsoberhäupter sucht man zumeist vergebens. 479 Nur vereinzelt sind im 20. Jahrhundert diesbezügliche Regelungen getroffen worden, deren Inhalte zudem durchaus differieren.
477 Vgl. Wirth (Anm. 460). - Sollte allerdings, wie (nicht nur) dieser Autor meint, eine eigenständige Staatsoberhäupterimmunität allenfalls für amtierende Staatschefs in Betracht kommen - und sobald sie nicht mehr "aktiv" seien, sich eine etwaige Immunität allein nach den funktional angewandten Regeln über die Staatenimmunität bemessen -, so wäre nicht erklärbar, warum Gerichte in Verfahren gegen frühere Potentaten deren vormalige Stellung als Staatsoberhäupter überhaupt näher geprüft haben (so z. B. im Fall Noriegas, s. o. 1. Abschn., Kap. 111. 3.d) und 2. Abschn., Kap. 1.2. b)aa». Wegen der Evidenz der Tatsache, dass sie zum Prozesszeitpunkt keine Oberhäupter fremder Staaten waren, hätte man das Augenmerk von Anfang an allein darauf zu richten gehabt, ob die gerichtlich zu beurteilende(n) Handlung(en) als Akt(e) iure imperii gewertet werden müssten. 478 s. a. Watts (Anm. 56), 36. 479 Nicht generell, wie Kimminich ([Anm. 43], 160) meinte.
III. Staatsoberhäupterimmunität im Vertragsvölkerrecht
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1. Vorläufer - die Statuten der Tribunale von Nürnberg und Tokyo Die bekanntesten Beispiele für völkerrechtliche Verträge, in welche die Frage der Staatsoberhäupterimmunität Eingang gefunden hat 480 , beziehen sich auf zwei zur juristischen Aufarbeitung bereits beendeter Sachverhalte geschlossener und mittlerweile außer Kraft getretener Instrumentarien. So gehen die vier Hauptsiegerrnächte 481 unmittelbar nach Beendigung des letzten Potsdamer Gipfeltreffens das Londoner Abkommen über die Verfolgung und Bestrafung der Kriegsverbrecher der europäischen Achsenmächte ein, dem noch vor Beendigung des ersten Nürnberger Prozesses 19 weitere Staaten beitreten. 482 Dem Abkommen ist - im Anhang, doch als Vertragsbestandteil- das Statut eines eigens errichteten Internationalen Militärtribunals 483 beigefügt, in dessen Art. 7 es heißt: "The official position of defendants, whether as Heads of State or responsible officials in Government Departments, shall not be considered as freeing them from responsibility or mitigating punishment."484 480 Im Sinne einer grundsätzlich-abstrakten Regelung; die im Versailler Vertrag enthaltene Einzelfallbestimmung - Art. 227 (oben 1. Abschn., Kap. 11. 5.) - bleibt zunächst außer Betracht. 481 Frankreich, Großbritannien, Sowjetunion und USA (v. 8.8.1945, Text: 39 AJIL Supp. 257; in deutscher Übersetzung: IMT 1, 7). Die Letzteren hatten schon in der Moskauer Dreimächteerklärung v. 1.11.1943 über die "deutschen Grausamkeiten in Europa" ihre Absicht zur Bestrafung der für diese Taten Verantwortlichen - der Reichs-, Partei- und Wehrmachtsführung - angekündigt (38 AJIL Supp. 3 [1944]; FHIG III/2, S. 1289); US-Präsident Roosevelt und Premierminister Churchill erstmals sogar bereits in einem Kommunique v.25.11.1941 (s. Mangoldt, JIR 2/3 [1948],283 m. w. N.). 482 Vgl. im Einzelnen IMT 1, 8. - Art. 5 des Londoner Abkommens hatte diese Möglichkeit eröffnet. Das - als Völkerrechtssubjekt weiterbestehende, wenngleich seiner eigenen Handlungsfahigkeit beraubte - Deutsche Reich wurde hingegen zu keinem Zeitpunkt Vertragspartei, auch nicht, wie sich denken ließe, vertreten durch den Alliierten Kontrollrat. Das Londoner Abkommen war insofern ein Vertrag zu Lasten Dritter, was jedoch seine Rechtswirksamkeit nicht beseitigte (vgl. die heutigen - damals schon gewohnheitsrechtlich anerkannten - Regelungen der VCLT [Art. 34, 35, 46-53]). 483 Das IMT Nürnberg mit KimminichlHobe (Anm. 107), S. 241 f. als interalliiertes (Besatzungs-)Gericht zu kennzeichnen ist zwar korrekt - der amerikanische Chefankläger tat es ebenso (s. Jackson, International Conference, Washington, D.C. 1949, pp. 126, 150) -, nicht aber der oft hieraus gezogene Schluss, eben deswegen habe es sich um kein internationales, d. h. kein völkerrechtliches Tribunal gehandelt. Aus welcher Rechtsordnung die Entscheidungen des IMT ihre Rechtsverbindlichkeit empfingen und welcher Rechtsordnung es damit angehörte, hat mit den Punkten, ob beispielsweise Deutschland Partei des Londoner Abkommens hätte sein müssen oder einzelne Bestimmungen des Statuts mit dem Völkerrecht möglicherweise nicht vereinbar waren, nichts zu tun; wenngleich nicht daran zu zweifeln ist, dass das IMT den Vorstellungen, die man gemeinhin mit internationalen Gerichten - wie dem IGH oder dem jetzt konstituierten Internationalen Strafgerichtshof - verknüpft, wenig entsprach. 484 Die Aufnahme des - evident auf Hitler gemünzten - Passus "Heads of State" erklärt sich dadurch, dass jenes deutsche Staatsoberhaupt zur Zeit der Formulierung von Art. 7 noch lebte und bei Unterzeichnung des Abkommens sein Tod nicht sicher feststand. Damit war Art. 7, 1. Alt. für den Nürnberger Prozess irrelevant geworden. Das 23-tägige Intermezzo des Großadmirals Karl Dönitz als Reichspräsident im Mai 1945 taucht als lapidare
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
Danach soll die Berufung auf eine kraft Völkerrechts zu achtende Immunität als Staatsoberhaupt vor dem Hintergrund der im Statut genannten Tatbestände völkerrechtlicher Verbrechen 485 nicht in Frage kommen. 486 Demgegenüber enthält das nur wenige Monate jüngere Pendant des Nürnberger Statuts, die Satzung des in Tokyo tagenden Internationalen Militärgerichtshofs für den Femen Osten 487 , zwar eine Feststellung in einem Satz des Urteils auf (IMT 1,350) und spielte darüber hinaus nicht mehr die geringste Rolle: verständlich, denn alle Dönitz vorgeworfenen Taten standen sachlich in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in der Marine - insbesondere die U-Boot-Kriegsführung - und waren zeitlich weit vor dem Antritt der Hitler-Nachfolge einzuordnen. (Eine entsprechende Situation war - den Untergang der DDR unberücksichtigt gelassen - in dem Berliner Prozess gegen den letzten, kurzzeitigen Staatsratsvorsitzenden Krenz gegeben; die seiner Verurteilung zugrunde liegenden Handlungen [Mitverantwortung für das "Grenzregime"] wiesen ebenfalls keinen Bezugspunkt zu dieser Funktion auf, die er erst erheblich später übernahm.) 485 Aufgelistet waren: a. Verbrechen gegen den Frieden, b. Kriegsverbrechen, c. Verbrechen gegen die Menschlichkeit. An dieser Stelle nicht (nochmals) diskutiert zu werden braucht die Frage, ob die Tatbestände (treffender: Tatbestandsoberbegriffe) a und c überhaupt existierten oder nicht erst durch das Statut geschaffen wurden, und welche Folgen dies für die völkerrechtliche Beurteilung mit sich bringt; hierzu s. Jescheck (Anm.262), S. 178-184; Hoffmann (Anm. 272), S. 139-147. 486 Auch der "Plan d'un Code repressif mondiai" , den Vespasien Pella 1935 vorlegte und der den weiteren Arbeiten der mit der Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs befassten International Law Association als Grundlage diente, sah in Titel 11/2 bereits einen Immunitätsausschluss bei der Begehung völkerrechtlicher (nicht etwa jedweder) Verbrechen durch Staatsoberhäupter vor; vgl. Pella, La guerre-crime, Genf/paris 1946, p. 145 et s. 487 Originalwortlaut JIR 2/3 (1948), 395. - Dass das Statut des IMTFE dem Vertragsvölkerrecht zuzuordnen ist, lässt sich anders als bei dem des Nürnberger Gerichtshofs zwar schwerer erkennen, aber doch letztlich nicht leugnen. Die Schwierigkeiten rühren daher, dass die Bestimmungen über die Errichtung des Tokyoter Tribunals sowie dessen Statut v. 19.1.1946 durch den Alliierten Oberbefehlshaber, Douglas MacArthur, erlassen wurden, wohingegen die entsprechenden Instrumente für das IMT Nürnberg direkt in einem zwischen Staaten - wenngleich nur den Siegerstaaten - geschlossenen Vertrag enthalten waren (s.o.). Andererseits hatten die Alliierten bereits unter Ziffer 10 der sog. Potsdamer Proklamation (26.7.1945; JIR 2/3 [1948],424) "stern justice [ ... ] to all war criminals" angekündigt. Diese Selbstverpflichtung der USA, Großbritanniens und Chinas - der sich die UdSSR in der Folge anschloss - inkorporierte man schließlich der Kapitulationsurkunde (2.9.1945; a.a. 0., S. 428), die zum einen von Vertretern der Staaten der Potsdamer Proklamation sowie Australiens, Kanadas, Frankreichs, Neuseelands und der Niederlande, zum anderen "by Command and in behalf of the Emperor of Japan and the Japanese Government" unterzeichnet wurde. Deren Art. 6 enthielt nun eine ausdrückliche Ermächtigung für den Supreme Commander General MacArthur - eine Position, in die diesen auch nur der Konsens der gegen Japan Krieg führenden Staaten berufen hatte - zum Erlass der für die Durchführung aller "Potsdamer Punkte" notwendigen näheren Bestimmungen (wie es schon in einer Note v. 11.8.1945 [a. a. 0., S.426] in Aussicht gestellt worden war). Dass hierzu wiederum sachlich u. a. ein nach festen Regeln operierendes Gericht gehörte, damit von "justice" überhaupt die Rede sein konnte, und dass die involvierten Staaten sich dessen bewusst waren, dürfte nicht in Zweifel gezogen werden können. Japan hat zudem hinsichtlich von Art. 6 keinen Vorbehalt angebracht (was auch sinnlos gewesen wäre). Mithin war der jeweilige alliierte Supreme Commander nach der Übereinkunft von zehn Völkerrechtssubjekten (einschließlich Japans) als das zum Erlass des IMTFE-Statuts zuständige Organ anzusehen, welches insoweit nicht ultra vires gehandelt hat.
III. Staatsoberhäupterimmunität im Vertragsvölkerrecht
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weitestgehend gleiche Vorschrift (Art. 6), die jedoch die explizite Einbeziehung des Staatsoberhaupts interessanterweise vennissen lässt und unbestimmter ,,[n]either the official position, at any time, of an accused [ ... ] shall, of itself, be sufficient to free such accused from responsibility for any crime with which he is charged, but such circumstances may be considered in mitigation of punishment if the Tribunal determines that justice so requires"
lautet. Im Ergebnis freilich ist dies ohne Belang; auch das Staatsoberhaupt übt eine solche "amtliche Stellung" aus, wie es gerade ein Vergleich mit dem Nürnberger Statut - welches die official position als übergeordneten Allgemeinbegriff für (nicht nur, aber insbesondere) Staatsoberhäupter und Regierungsbeamte verwendet hat - deutlich macht. Dementsprechend ist das Staatsoberhaupt vom Immunitätsausschluss mit umfasst 488 : Der Verzicht auf seine (nochmalige 489 ) ausdrückliche Erwähnung in Art. 6 lässt sich nicht in eine Ausnahmeregel zugunsten des japanischen Kaisers Hirohito uminterpretieren. Dies widerspräche überdies dem erklärten Willen der Siegerstaaten. 490 Auch ist zu keinem Zeitpunkt eine Sondervereinbarung Die von Ahlbrecht (Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, Baden-Baden 1999, S. 105) geäußerte Kritik an der völkerrechtlichen Legitimation MacArthurs erscheint mir nicht begründet. 488 So auch Watts (Anm. 56),83. Offenbar a. A. Hoffmann (Anm. 272), S. 166 (dort Fußnote 7), jedoch ohne nähere Erläuterung. 489 Vor dem Hintergrund des bei Erlass des IMTFE-Statuts bereits vorliegenden Nürnberger IMT-Statuts. - Ausgearbeitet wurde das eine wie das andere durch die 1943 von den USA, Großbritannien, China, dem französischen Befreiungskomitee und Vertretern der europäischen Exilregierungen gegründete United Nations War Crimes Commission. 490 Namentlich Australien, das im Ostasienkrieg eine Hauptlast zu tragen gehabt hatte, setzte sich vehement für einen Prozess gegen Hirohito ein und versuchte entsprechenden Einfluss auf die zuständige Anklagebehörde zu nehmen (Brackman, The Other Nuremberg, London 1989, p. 96). Im Spätherbst 1945 erhielt General MacArthur eine barsche Erinnerung seitens der Vereinigten Stabschefs, die zuvor ergangene Anordnung, Beweismaterial gegen den Kaiser zu sammeln, ernst zu nehmen, da die USA "den Standpunkt [verträten], dass Hirohito vor einer Verhaftung, einem Gerichtsprozess und einer Bestrafung als Kriegsverbrecher nicht immun" sei. Ende 1945 sprach sich auch der US-Kongress einmütig dafür aus, den Tenno vor das - noch zu errichtende - Tokyoter Tribunal zu stellen. Als dann am 13.4.1946 die Vertreter der Sowjetunion beim IMTFE in Japan eintrafen, forderten diese in Übereinstimmung mit der Moskauer Linie, überhaupt die gesamte kaiserliche Familie vor Gericht zu bringen und anschließend hinzurichten (vgl. Seagrave/Seagrave [Anm.50], S.289, 287, 295 [jeweils m. w. N.]). Im Übrigen war sich auch MacArthur - dessen Interventionen bei der Anklagebehörde letzt1ich dafür sorgten, dass Hirohito unbehelligt blieb - selbst darüber im Klaren, dass das IMTFE-Statut die Immunität des japanischen Staatsoberhaupts negierte. Wäre dem nicht so gewesen, hätte er weder ein Druckmittel in der Hand gehabt, den Tenno im Hinblick auf die "westliche Umgestaltung" Japans zur Kooperation zu nötigen (Seagrave/Seagrave, a. a. 0., S. 23,283) noch seine Vorgesetzten im Generalstab mit dubiosen Begründungen von der Inopportunität eines Prozesses - der angeblich eine erhebliche Erschütterung unter der japanischen Bevölkerung, bis hin zu Chaos und Guerillakrieg, befürchten ließe - gegen den Kaiser zu überzeugen brauchen (State Department, Foreign Relations 1946 VIII, pp. 395 et seq.). Für die von Niehojf, Internationale Strafgerichtshöfe, Frankfurt a.M. 1999, S.45 aufgestellte These, man habe gleichsam keinen hinreichenden Tatverdacht gesehen, da die Kompetenzen des Tenno
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
zwischen Japan und den alliierten Mächten geschlossen worden, die der Anwendbar- oder Vollziehbarkeit des Art. 6 IMTFE-Statuts hinsichtlich des Tenno entgegenstünde. 491 Festzuhalten bleibt daher, dass nach dieser Regelung selbst ein Staatsoberhaupt von der Strafverfolgung nicht ausgenommen ist 492 - ebenso wie gemäß Art. 7 des Statuts von Nürnberg -, obschon das IMTFE-Statut die strafgerichtliche Verantwortlichkeit mit Blick auf deren Rechtsfolgen insoweit etwas abschwächt, als es die fakultative Strafmilderungsklausel, welche die Nürnberger Regelung - für Subalterne - bei Handeln auf Befehl bereitgehalten hat493 , auch für die Befehlsgeber in "amtlicher Stellung" anwendbar erklärt. Mit Anklage und Aburteilung der Hauptkriegsverbrecher ist diese Vorschrift des Tokyoter Statuts - und ebenso jene in dem von Nürnberg enthaltene - indes gegenstandslos geworden und außer Kraft getreten, wie auch beide Gerichtshöfe nicht mehr bestehen. 494 "als vorrangig repräsentativer Natur angesehen wurden" - was objektiv wie subjektiv nicht zutraf -, gibt es keine Anhaltspunkte. 491 Oft wird angenommen, Japan habe bei Annahme der Potsdamer Bedingungen die Unantastbarkeit des Kaisers zur Voraussetzung gemacht (so u. a. Ahlbrecht [Anm.487], S. 119). Richtig daran ist, dass während des Kriegs Gespräche zwischen amerikanischen Regierungsvertretern und dem japanischen Botschafter in der Schweiz geführt worden waren, in denen man zugesichert hatte, Hirohito nicht gerichtlich zu verfolgen (Seagrave/Seagrave, a. a. 0., S. 280 m. w. N.) und dass Japan in seinem ersten Kapitulationsangebot v. 10.8.1945 die Potsdamer Proklamation so interpretierte, "that the said declaration does not comprise any demand which prejudices the prerogatives of His Majesty as a Sovereign Ruler" (abgedruckt in JIR 2/3 [1948],426). Dabei bezog Japan sich jedoch nicht auf frühere Vereinbarungen, so dass nicht hinreichend klar ist, ob insoweit die verfassungs- oder die völkerrechtlichen Privilegien des Kaisers gemeint waren. Darauf kommt es allerdings auch nicht entscheidend an, da die USA - Ziffer 5 der Potsdamer Proklamation hatte die Nichtverhandelbarkeit der einzelnen Bedingungen herausgestellt - in ihrer Antwort betonten, vom Augenblick der Kapitulation an sei der Kaiser in jeder Hinsicht dem Alliierten Oberbefehlshaber unterworfen. Japan nahm daraufhin am 14.8.1945 die Potsdamer Proklamation in allen Punkten an (a. a. 0., S.427) und brachte auch bei Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde keinerlei Vorbehalte mehr ein. 492 Dies war nicht zuletzt der Standpunkt des IMTFE selbst; s.ln re Hirota and Others, (1948) 15 Annual Dig. 374 (Case No. 118). 493 Art. 8 IMT-Statut. 494 Hoffmann (Anm. 272), S. 168. - Nichts vermag an dieser Beurteilung der Umstand zu ändern, dass die UN-Generalversammlung durch Res. 95 (I) v. 11.12.1946 die - von ihr - sog. Nürnberger Prinzipien pauschal "bestätigte" und ein Jahr darauf mit Res. 177 (11) die (zugleich geschaffene) International Law Commission beauftragte, selbige erst einmal genau zu formulieren. Zwar legte die ILC am 12.4.1950 diese Formulierungen vor (UNYB 1950,852), deren - hier allein interessierendes - Prinzip III "The fact that a person who committed an act which constitutes a crime under international law acted as a Head of State [ ... ] does not relieve hirn from responsibility under international law" lautete, wobei die Inhalte der "völkerrechtlichen Verbrechen" dem IMT-Statut entsprachen (s. o. Anm.485); allerdings haben die "Prinzipien" in Ermangelung eines entsprechenden Rechtsetzungsakts keinen Eingang in das Vertragsvölkerrecht gefunden. Ebenso verhält es sich mit dem nach jahrzehntelanger Bemühungen (s. Ahlbrecht [Anm.487], S. 135 ff., 211 ff.) zustande gekommenen Draft Code ofCrimes against the Peace and Security ofMankind (YBILC
III. Staatsoberhäupterimmunität im Vertragsvölkerrecht
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2. Aktuell geltendes Völkerrecht War die Frage der Staatsoberhäupterimmunität in den beiden IMT-Statuten von Nuancenabweichungen abgesehen noch gleichartig geregelt, weichen die Bestimmungen des aktuell geltenden, schriftlich niedergelegten Völkerrechts teilweise deutlich voneinander ab. Zunächst lassen sich die sieben gegenwärtig in Kraft befindlichen, die Immunität (auch) der Staatsoberhäupter aufgreifenden Instrumente dergestalt unterteilen, dass ihrer drei die Immunität des Staatsoberhaupts gewährleisten; vier eben dieser im Gegenteil eine Grenze setzen. 495 So schreibt der in zahlreichen mittel- und südamerikanischen Ländern geltende Bustamante Code in seinem Art. 297 496 vor, dass ,,[t]he Head of each of the contracting States [ ... ] exempt from the penallaws of the others when he is in the territory ofthe latter"497 sein soll. Diese umfassende Befreiung findet allerdings nur auf aktive Staatsoberhäupter Anwendung. 498 Einerseits enger - was den Prozess gegenstand angeht, für den die Freistellung von der nationalen (Straf-)Gerichtsbarkeit gewährt wird, andererseits weiter - deren hoheitliche Handlungen betreffend auch die vormaligen Staatsoberhäupter schützend, ist insoweit Art. IX der lnter-American 1991 II/2, 94; revidierte Fassung YBILC 1995 II/2, 18), der in Art. 13 das besagte "Nürnberger Prinzip" aufgreift. 495 Überhaupt keine die Immunität eines - sei es aktiven oder ehemaligen - Staatsoberhaupts betreffende Regelung, obgleich man dies erwarten könnte, enthalten die ECSI, die UNCAT und die vier Genfer Abkommen, von denen im Vorhergehenden jeweils bereits die Rede war. So sind mit den "entities/entites" eines Staats im Sinne von Art. 27 (l) ECSI keine Staatsorgane, sondern rechtlich selbständige körperschaftliche Zusammenschlüsse im Staat umschrieben, die an dessen Immunität nicht teilhaben. Entsprechend hatte in Deutschland schon das RG judiziert (RGZ 110,315 [polnischer Landkreis]; desgleichen der BGH (BGHZ 18, 1,9 [tschechoslowakische Nationalgesellschaft]). Weiterhin enthalten zwar alle vier Genfer Abkommen von 1949 Strafbestimmungen in Bezug auf bestimmte Kriegsverbrechen ("grave breaches") und erlegen den Vertrags staaten eine weitreichende Verfolgungspflicht für ihr Land auf, die die Anklage eigener Staatsorgane, sollte dies notwendig werden, mit einschließt (vgl. Ahlbrecht, a. a. 0., S. 148 m. w. N.). Dadurch haben sich die Vertragsparteien jedoch nicht mit der Strafverfolgung der eigenen Organe - zumal ihres Oberhaupts - durch andere Staaten einverstanden erklärt: Die Befugnis - und Pflicht - zur Ausübung der Strafgerichtsbarkeit gemäß den Genfer Abkommen erlaubt keine Differenzierung nach der Nationalität der Beschuldigten, sehr wohl aber nach deren völkerrechtlichen Stellung. Hinsichtlich der UNCAT kann auf das im 1. Abschn., Kap. III.4. c) Gesagte verwiesen werden. 496 86 LNTS 246. - Die fragliche Vereinbarung wurde anlässlich der 6. OAS-Konferenz in Havanna 1928 getroffen; sie ist seit dem 1.1.1935 in Kraft. 497 Der englische Wortlaut ist authentisch. 498 Daher stand Art. 297 dem gegen Pinochet gerichteten argentinischen Auslieferungsbegehren - obschon sowohl Argentinien als auch Chile Vertrags staaten des Bustamante Code sind - in der "Mordsache Prats" nicht entgegen (hierzu vgl. Karnofsky, SZ v. 30.10.2000, S.lO).
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
Convention on the Forced Disappearance 0/ Persons 499 • Die völkerrechtliche Immunität des fremden Staatsoberhaupts, nun auch von der Zivilgerichtsbarkeit, bestätigt ebenfalls Art. 21 (l) der am 8.12.1969 mit einer UN -Generalversammlungsresolution 5OO beschlossenen Convention on Special Missions (CSM)50I, der jedoch ein eine Sondermission leitendes, amtierendes Staatsoberhaupt voraussetzt 502 und darüber hinaus den Umfang der diesem zukommenden Immunität - die im Übrigen nicht allein der Empfangsstaat zu gewähren hat -lediglich und wenig erhellend nach der für Staatsoberhäupter auf offiziellen Besuchen allgemein geltenden (Völkergewohnheits-)Rechtslage bestimmt. 503 499 Unterzeichnet in Belem, 9.6.1994; wiedergegeben in 33 ILM 1529; in Kraft seit 28.3.1996 (). Die Fassung des Art. IX ruft leicht Missverständnisse hervor, da er es den Vertragsparteien zunächst zur Pflicht macht, alle für das "Verschwindenlassen" von Personen (s. o. 1. Abschn., Kap. III. 4. [dort Anm. 325 und zugehöriger Text]) Verantwortlichen abzuurteilen und im dritten Absatz feststellt, dass ,,[p ]rivileges, immunities or special dispensations shall not be admitted in such trials", dann aber sogleich einen Vorbehalt zugunsten staatlicher Repräsentanten (nach Maßgabe der VCDR) erklärt. Folglich ergibt sich aus Art. IX die Selbstverpflichtung der Vertragsstaaten, die Gehilfen ihrer eigenen (früheren) Machthaber und auch diese selbst vor Gericht zu stellen, und die Prozesse nicht durch die Gewährung innerstaatlich wirksamer Vorrechte - Amnestien, Abgeordnetenimmunitäten - zu blockieren; im Hinblick auf Drittstaaten stellt die Vorschrift aber eine Immunitätsbestätigung für fremde Machthaber dar, was (u. a.) Scheffler (Anm. 332, S. 102) übersieht. Für den Pinochet-Fall waren die besagten Regelungen irrelevant, da Chile dieses Übereinkommen zwar unterzeichnet, aber bis heute nicht ratifiziert hat. Grundsätzlich wirft eine Konstellation wie in der "Verschwundenenkonvention" oder dem l.-IY. Genfer Abkommen (s. o. Anm. 495) - Bestrafungspflichten aus Völkerrecht ohne Klärung der völkerrechtlichen Immunitäten - jedoch die Frage auf, was für den nicht seltenen Fall zu gelten hat, dass ein Staat seiner vertraglichen Verfolgungs-, Aburteilungs- und ggf. Vollstreckungspflicht (die auch seine ehemaligen Spitzenorgane umfasst) nicht in der gebotenen Weise nachzukommen gewillt ist. Verletzt dies die Rechtsposition der übrigen Vertragsstaaten? Gewiss, aber könnten sie - im nationalen Alleingang oder im Zusammenwirken mit anderen - nun gleichsam im Wege völkerrechtlicher "Ersatzvornahme" den aktiven Regierungschef, das frühere Oberhaupt des "säumigen Staats" selbst anklagen, um so dem völkerrechtlichen Anspruch, bestimmte Menschenrechtsverletzungen nicht unsanktioniert zu lassen, Geltung zu verschaffen (offen gelassen von Ambos, AVR 37 [1999], 318)? Dogmatisch "sauber" ließe sich dieses Ergebnis begründen, sei es - mit Blick auf die handelnden Staaten -, dass man die quasi stellvertretende Ausübung der rechtsfehlerhaft unterlassenen Jurisdiktion als zulässige Repressalie wertet, sei es - mit Blick auf den seine Organe schützenden Staat - über eine Verwirkung des Rechts zur Geltendmachung der Immunität. Für die V6lkerrechtskonforrnität entscheidend wäre allerdings weniger die logische Überzeugungskraft der jeweiligen Rechtfertigung als vielmehr der nüchterne Umstand, dass eine derartigen Vorgehensweisen entsprechende allgemeine, von opinio iuris getragene Staatenpraxis nachweisbar sein müsste. 500 UN GA 2530 (XXIV); abgedruckt in AVR 16 (1973-75), 60 und 9 ILM 127 (1970). 501 1400 UNTS 231,13 Signatare; in Kraft seit 21.6.1985. 502 Im Pinochet -Fall stand kurzfristig ebenfalls eine Sonderrnissions-Immunität des Generals (freilich nicht gemäß Art.21 [1], da Pinochet nicht mehr chilenischer Präsident war) im Raum, nachdem eine englische Zeitung - was sich als falsch erwies - kolportiert hatte, er habe einer Kommission angehört, die auf Einladung des britischen Verteidigungsministeriums militärisches Gerät einkaufen sollte (vgl. Fastenrath [Anm. 261]); die medizinische Heilbehandlung sei gleichsam nur "Nebeneffekt" des Aufenthalts in England gewesen.
III. Staatsoberhäupterimmunität im Vertragsvölkerrecht
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Demgegenüber erkennt Art. IV der Genozidkonvention s04 angesichts von Völkermord oder diesem gleich(un)wertiger Handlungen keine strafrechtliche Immunität der StaatsoberhäupterSOs an - selbst bei amtierenden nicht. Ebenso verhält es sich mit der zunächst 1973 von der Generalversammlung angenommenen s06 /nternational Convention on the Suppression and Punishment ofthe Crime of Apartheid s07 , die den typischen Anwendungsfall der Verbrechen gegen die Menschlichkeit - den Völkermord - auf rassisch begründete Ungleichbehandlung im gesellschaftlichen und politischen Bereich ausdehntSOS und in Art. III fordert, dass ,,[i]nternational criminal responsibility shall apply, irrespective of the motive involved, to [ ... ] members of [ ... ] institutions and representatives of the State, whether residing in the territory of the State in which the acts are perpetrated or in some other State".
Auch das Statut des Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawienso9 postuliert eine individuelle Verantwortlichkeit selbst staatlicher Spitzenorgane bei schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht: Art. 21 (1) CSM: "The head of asending State, when he leads a special mission, shall enjoy in the receiving State or in a third State the facilities, privileges and immunities accorded by international law to Heads of State on an official visit." Im Karadzic-Fall (1. Abschn., Kap. III. 3. f) haben sich beide Instanzen nicht mit dessen etwaiger Immunität als eine Sondermission leitender Staatschef nach Maßgabe der CSM auseinander gesetzt - schon allein deswegen zu Recht, als die USA die in Rede stehende Konvention nicht unterzeichnet haben. 504 78 UNTS 277; BGBI. 1954 11, S.730. Wortlaut der Vorschrift im ersten Abschnitt, Kap. I1I.4.c) (dort Anm.401). 505 Der Terminus "constitutionally responsible rulers" darf nicht zu der Annahme verleiten, Art. IV habe allein die (innerstaatlich) verfassungsrechtskonform in ihre Position gelangten Herrscher im Blick, oder solche, die nach der jeweiligen Staatsverfassung einem anderen Staatsorgan (i. d. R. dem Parlament) verantwortlich sind. Vielmehr zielt diese Vorschrift auf jede Art Machthaber ab. Dies ergibt sich einmal aus dem sachlogischen Einwand, dass nach Festigung seiner Herrschaft auch z. B. der Putschgeneral nach der dann effektiven, neuen Verfassung das rechtmäßige Oberhaupt des Staats darstellt, zum anderen aus einem "erst rechtSchluss" - da Art. IV nicht einmal das amtierende und rechtmäßig amtierende, innerstaatlich verantwortliche Staatsoberhaupt von der strafgerichtlichen Unterworfenheit freigestellt sehen will, wenn es um Genozidtaten geht. 506 Res. UN GA 3068 (XXVIII); UNYB 1973,97. 507 1015 UNTS 243, 32 Signatare (vornehmlich afrikanische Staaten); Zeitpunkt des InKraft-Tretens: 18.7.1976. Die weltweit erheblich verbreitetere Konvention über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierungen (660 UNTS 195; BGBI. 196911, S. 961) enthält keine Bestimmung über die völkerrechtliche Immunität von Staatsorganen. 508 Vgl. Ahlbrecht (Anm.487), S.191 m. W.N. 509 Wie schon beim IMTFE-Statut ist die Statthaftigkeit der Zuordnung der ICTY-Grundlagen zum Vertragsvölkerrecht nicht offenkundig, da dieses Tribunal nach einer Vielzahl seit Juni 1991 - nach den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens - im Jugoslawienkonflikt vorangegangener fruchtloser Resolutionen des Sicherheitsrats durch eine ebensolche weitere errichtet wurde (UN Doc. S/RES/827 [1993] v. 25.5.1993). Exakt als Sekundärrecht einer Internationalen Organisation zu bezeichnen, sind die "Maßnahmenormen" des Statuts doch unzweifelhaft direkt auf dem Vertragsvölkerrecht angehörende Einsetzungsnormen, konkret die Art.41, 42 UN-Charta rückführbar. 503
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2. Abschnitt: Die Grundlagen
"The official position of any accused person, whether as Head of State or Government [ ... ] shall not relieve such person from criminal responsibility nor mitigate punishment",
heißt es in Art. 7 (2), der als Grundlage des Vorgehens gegen den früheren bosnischen Serbenführer Karadzi(:510 und den zum Zeitpunkt der Anklage ebenfalls noch herrschenden jugoslawischen Präsidenten Milosevi(:511 gedient hat. 512 Art. 6 (2) des SIO Vgl. oben I. Abschn., Kap. III. 3. t) (dort Anm. 320). Gegenwärtig kommt Art. 7 (2) des Statuts - wenn auch nicht, wie bei dem letztendlich doch ausgelieferten Siobodan MiloSevic, hinsichtlich der Eigenschaft gerade als Staatsoberhaupt - in dem Verfahren gegen Biljana Plavsic zum Tragen, die sich Anfang Januar 2001 überraschend dem Haager Tribunal gestellt hatte (Case No. IT-00-40-1); s. Küppers , SZ v. 11.1.2001, S. I. Zwar handelt es sich bei ihr im Unterschied zu Karadzic fraglos um das vormalige Oberhaupt eines immerhin partiell völkerrechtsfähigen Staats - sie wurde im September 1996, nach In-Kraft-Treten des Daytoner Abkommens, Karadzics Nachfolgerin im Präsidentenamt-, die Anklage bezieht sich indes auf den Zeitraum 1991/92, als sie zu KaradZics Beraterstab gehörte. SI I Einführungsabschnitt, Kap. I (Anm. 17 und zugehöriger Text). Auf der Basis des Art. 7 (2) geriet - annähernd zeitgleich mit Milosevic - auch dessen mittlerweile verstorbener kroatischer Amtskollege Franjo Tudjman ins Visier der ICTY-Ankläger; s. DER SPIEGEL, Nr. 33/1999 v.16.8.1999, S.121. SI2 Auf einem anderen Blatt steht, ob der Immunitätsausschluss des Art. 7 (2) als solcher geltendem Völkerrecht entsprach und dieses widerspiegelte, oder ob insoweit eine neue Regel postuliert wurde. Der damalige UN-Generalsekretär Boutros-Ghali ging jedenfalls von Ersterem aus (vgl. seinen Bericht v. 3.5.1993 rUN Doc. S/25704, para. 29]). Mehr als fraglich ist auch, ob die Anklage gegen Milosevic überhaupt vom ICTY-Statut gedeckt war, da sie im Zusammenhang mit der Kosovo-Krise zur juristischen Flankierung der NATO-Strategie erfolgte. Bedenken hieran hat Milosevics Nachfolger Kostunica mehrfach erhoben; vgl. DER SPIEGEL, Nr. I/200l v. 1.1.2oo1, S.109. Die zeitweilig erwogene, dann aber unterbliebene Anklage gegen den damals ebenfalls noch amtierenden Präsidenten Kroatiens (Anm. 511) bezog sich hingegen auf die Verantwortlichkeit für Vertreibungen von Serben und Muslimen aus von den Kroaten eroberten Gebieten Bosniens. Zwar ist es zutreffend, dass der sachliche (schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht) und örtliche Zuständigkeitsbereich (Hoheitsgebiet der ehemaligen SFRJ) des ICTY eröffnet war und dass das Statut - anders als das des Ruandatribunals - nur ein Anfangs(1.1.1991), aber kein Enddatum für die "zeitliche Zuständigkeit" nennt. Dies ändert aber nichts daran, dass der Jugoslawiengerichtshof im Zuge friedenssichernder Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta errichtet wurde (weswegen man auf eine ratifikationsbedürftige [besondere] Vertragsgrundlage und die Beteiligung der einzelnen Staaten nicht mehr angewiesen war) und der Konflikt, vor dessen Hintergrund der Sicherheitsrat handelte - handeln durfte -, mit dem In-Kraft-Treten des Bosnien-Friedensabkommens (1 . Abschn., Kap. 111. 3. t) [dort Anm. 320]) endgültig beigelegt war. Im Kosovo brach 1998 ein neuer Konflikt aus, der nichts mehr mit dem Auseinanderfallen des "alten" Jugoslawien, sondern mit der Wahrung der Integrität des serbischen Gliedstaats zu tun hatte. Der Sicherheitsrat ist jedoch nicht durch die Zustimmung der UN-Mitglieder zur Charta ermächtigt, für einen bestimmten Teil der Erdoberfläche eine obligatorische Strafgerichtsbarkeit einzurichten, was Ahlbrecht (Anm. 487, S.280) scheinbar anders sieht (vgl. dagegen Hillgruber, in: Recht und Rechtswissenschaft. Ringvorlesung, Heidelberg 2000, S. 130 [dort Fußnote 32]). Zweifellos wäre es möglich gewesen, einen Internationalen Kosovo-Gerichtshof zu schaffen und diesen ggf. organisatorisch dem ICTY anzugliedern, was indes nicht geschehen ist. Der UN-Sicherheitsrat hat durch Res. 1160 (1998) v. 31.3.1998 die Haager Jugoslawien-Anklagebehörde lediglich aufgefordert, Informationsmaterial "related to the violence that may fall under its jurisdiction" (Hervorhebung vom Verfasser) zusammenzutragen und in der Prä-
111. Staatsoberhäupterimmunität im Vertragsvölkerrecht
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Statuts des anderthalb Jahre später errichteten 513 Strafgerichtshofs für die Verfolgung der Verantwortlichen für die im Hoheitsgebiet Ruandas oder von ruandischen Bürgern in benachbarten Staaten begangenen Völkerrechtsverstöße entspricht dieser Regelung wörtlich. 514 Beide Regelungen sind indes rein strafrechtlich von Belang, beseitigen also nicht die Immunität vor (deliktsrechtlichen) Schadensersatzbegehren. Zudem sind besagte Vorschriften in ihrem "Wirkungsgrad" von vornherein durch die Tatsache beschränkt, nur vor zwei speziellen, internationalen Gerichten zur unmittelbaren Anwendung zu kommen. Ohne einen Rückgriff auf das Völkergewohnheitsrecht und mithin eine Analyse der Staatenpraxis lässt sich die Ausgangsfrage dieser Arbeit, ob und ggf. inwieweit ein Staatsoberhaupt oder wenigstens ein ehemaliges Staatsoberhaupt nach derzeit geltendem Völkerrecht für seine Handlungen persönlich gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden kann 515 , nicht klären. Diesem Punkt widmet sich der folgende Abschnitt.
ambel zu Res. 1199 (1998) v. 23.9.1998 repetiert, dass die Chefanklägerin vor den in der sog. Kontaktgruppe vertretenen Ministern ihre persönliche Zuständigkeitsüberzeugung zum Ausdruck gebracht habe. Dieser Standpunkt ist dem vorstehend Gesagten zufolge jedoch nicht haltbar. Nach der nunmehrigen Beilegung der Kosovo-Krise ist eine Heilung dieses Mangels durch "nachholendes" Handeln gemäß Kapitel VII nicht mehr möglich. Diese Erkenntnis hat sich nach Milo~evics Festnahme in Belgrad (31.3.2001) offensichtlich auch in der Haager Anklagebehörde Raum verschafft; jedenfalls lässt sich anders kaum erklären, warum die Hauptanklägerin Carla dei Ponte sechs Jahre nach "Dayton" überraschend nach Anhaltspunkten für Verbrechen Milo~evics im Bosnien-Krieg zu suchen begann (s. Ulrich, SZ v. 2.4.2001, S.2). 513 Durch Res. 955 (1994) des Sicherheitsrats. 514 Statuten, Verfahrensregeln und -stände beider Tribunale sind "online" unter bzw. abrufbar. 515 s. o. Kap. 11 des Einführungsabschnitts. II Tangermann
Dritter Abschnitt
Im Licht der Staatenpraxis Wenn die (völkergewohnheits-)rechtserzeugende Staatenpraxis sich seit etwa 1945 auch mehr und mehr zu einer "Verlautbarungspraxis" gewandelt hat I, so wird sie dennoch ebenso nach wie vor - und wurde früher ausschließlich - durch "something happening out there in the real world, after diplomats and delegates have had their say"2 ausgemacht. Was sich nun im Verlauf der Jahrhunderte "draußen in der Wirklichkeit" der Gerichtssäle hinsichtlich der Ausübung von Jurisdiktion über fremde (amtierende oder vormalige) Staatsoberhäupter abgespielt hat 3, ist bereits in den vorhergehenden Abschnitten erörtert worden. Aber vor dem Hintergrund welcher Überzeugung(en) geschah dies, und welche Reaktionen zeitigte es?
I. Die Entwicklung der Staatenpraxis bis zum achtzehnten Jahrhundert 1. Strafrechtliche Präjudizien Nachdem ihm 1552 sein langjähriger Feind - Khan Ediger von Kazan - in die Hände gefallen war, soll der für alles andere als Skrupelhaftigkeit bekannte Zar Iwan IV. 4 auf die Frage, wie mit jenem zu verfahren sei, geantwortet haben, dass es dem Herrscher unter keinen Umständen anstehe, den (auch nur ehemals) Gleichrangigen zu töten 5 • Tatsächlich blieb der entmachtete Fürst nicht nur am Leben, sondern von der russischen Strafjustiz überhaupt unbehelligt. Ob sich Iwan zu derartiger Zurückhaltung allerdings aus (Völker- oder Natur-)Rechtsgründen verpflichtet fühlte oder der - aller brutalen Exzesse ungeachtet - von seiner christlichen Vorstellungswelt umfangene Zar 6 nur dem Wunsch folgte, es dem israelitischen König Ahab in dessen Milde dem Syrerfürsten Benhadad7 gegenüber gleichzutun, ließ und I Vgl. Alston/Simma, 12 AustrYIL (1992), 89. 2lbid. 3 Dass das zur Verfügung stehende Präjudizienmaterial, die Anzahl von Verfahren, die gegen fremde Staatsoberhäupter angestrengt wurden, keineswegs so gering ist wie z. B. Sucharitkul annahm (YBILC 198011/1,207), ist wohl hinlänglich deutlich geworden. 4 "Der Schreckliche" (im Russischen bedeutet der Beiname Grosnyj allerdings eher "der Strenge"). 5 Vgl. Neumann-Hoditz, Iwan, Hamburg 1990, S.58. 6 Vgl. ibid., S. 79,86, 123. 7 I. Könige 20, 32-34.
I. Die Entwicklung der frühen Staatenpraxis
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lässt Raum für Spekulationen. 34 Jahre später jedenfalls beruft sich Königin Elisabeth I. von England - im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Maria Stuart 8 -, um zu unterstreichen, dass das Völkerrecht einer Unterwerfung von Souveränen unter fremdstaatliche Gerichtsbarkeit nicht (stets) entgegenstehe, mit den Worten ,,[i]t was no unjust thing for a king to be guilty and put to death for a capitall crime, though not usuall"9 auf die zu Beginn des ersten Abschnitts genannten Fälle 10. a) Praxis und Rechtsüberzeugung bis zum Maria Stuart-Prozess Schätzt Königin Elisabeth die Ende des 16. Jahrhunderts bestehende Völkergewohnheitsrechtslage richtig ein? Dass - und warum - der von ihr neben anderen angeführte Fall Konradins als Beispiel nicht taugt, hat sich bereits gezeigt 11. Mit Bernhard von Italien andererseits wird 818 zwar ein - im heutigen Sinne - fremdes Staatsoberhaupt l2 vor ein Sondertribunal gestellt und schuldig gesprochen. Doch Kaiser Ludwig I. wird hinsichtlich seines Vorgehens gegen Bernhard von Zeitgenossen scharf kritisiert 13; er muss deswegen - in Attigny - öffentlich Abbitte leisten 14: "Das ganze Verfahren war ungerecht und gewaltsam, Ludwig bereute dasselbe auch [ ... ] Obgleich er dadurch einen Beweis seiner frommen Gesinnung gab, so war es doch offenbare Schwäche, daß er über diese That auf einem im August 822 gehaltenen Reichstag ein öffentliches Geständniß seines Fehlers ablegte und sich einer kirchlichen Buße l5 unterwarf s. o. 1. Abschn., Kap. I. 2. Zitiert nach: Walker, History of the Law of Nations I, Cambridge 1899, pp. 172 et seq. 10 Die ebenfalls bemühte Inhaftierung des englischen Königs Richard I. auf Betreiben Kaiser Heinrichs VI. (1192-94) gehört nicht in diese Reihe, da sie ohne jede gerichtliche Beteiligung erfolgte und zudem in erster Linie auf die Gewinnung von Lösegeld zielte; vgl. die Biographien von Gillingham, Düsseldorf 1981, S. 245f., 258 und Obermeier, München/Wien 1982, S. 228, 232 ff. Hier handelte es sich tatsächlich um Raubritterturn größten Stils, was von den Zeitgenossen, insbesondere in England, auch als solches angesehen wurde. 11 V gl. die Ausführungen im 2. Abschn., Kap. I. 2. (Anm. 83-90 und zugehöriger Text). 12 Zu Zeiten Ludwigs des Frommen war Italien noch kein bloßes Nebenland des (fränkischen, später deutschen König-)Reichs, dieses auch nicht der Suzerän; vielmehr herrschte zeitweilig - so unter Karl dem Großen - eine reine Personalunion. Die Anfügung des alten langobardischen Königreichs mit der Hauptstadt Pavia vollzog erst Otto I. (952); vgl. MitteislLieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 19. Aufl., München 1992, S.168. 13 Vgl. Hlawitschka, in: Auty!Bautier, Lexikon des Mittelalters I, München/Zürich 1980, S.1983 m. W.N. 14 Randa, Handbuch der Weltgeschichte 11, Freiburg i. Br. 1956, Sp. 1279. 15 Diese besondere Form von Schuldeingeständnis und gleichzeitiger Sühne ist im Mittelalter durchaus des Öfteren anzutreffen; ein bekanntes Beispiel ist das des englischen Königs Heinrich 11. Plantagenet, der im Juli 1174 nach Canterbury pilgern musste, um am Grabmal Thomas Beckets Buße zu tun (vgl. Romberg , Die Richter Ihrer Majestät, Stuttgart!Berlin 1965, S.16l). Den frühesten nachweisbaren Fall einer solchen "Herrscherbuße" stellt der des Kaisers Theodosius I. wegen des Massakers von Thessaloniki im Jahr 390 dar, s. Schieffer, DA 28 (1972), 339 f. Dabei knüpfte der Mailänder Bischof Ambrosius, der dem Kaiser die Buße auferlegte, vermutlich an 2. Samuelll-12 - König David und die Ermordung Urias - an. Dort 8
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3. Abschnitt: Im Licht der Staatenpraxis
[ ... ] Schon vorher (821) hatte Ludwig den Anhängern Bemhard's ihre Freiheit und ihre Güter wiedergegeben"16,
nach Ansicht zahlreicher Historiker in dem "Wunsch, das was er gefehlt, wieder gut zu machen".l? In jedem Fall deutet das Verhalten Ludwigs eher auf Unrechtsbewusstsein denn Rechtsüberzeugung hin. Freilich ist damit noch nichts darüber gesagt, was konkret als unrechtmäßig angesehen wird. Die strafrechtliche Verurteilung eines fremden Fürsten als solche - und allein dies wäre im Rahmen der hier zu untersuchenden Problematik von Interesse - kommt dabei nur neben mehreren anderen Möglichkeiten in Frage, insbesondere der Täuschung Bemhards vor dessen Festnahme. Ins Auge gefasst werden muss darüber hinaus eine Unverhältnismäßigkeit der Strafe l8 , eventuell auch die enge Verwandtschaft Ludwigs mit dem getäuschten und abgeurteilten König. Hinsichtlich der Ausgangsfrage - wie ist es um Übung und opinio iuris bei der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über fremde Monarchen bestellt? - kann aber zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass das Beispiel Bemhards von Italien keinen rechtfertigenden Präzedenzfall abgibt und stattdessen als eine der vielen "Untaten des Mittelalters"l9 einzustufen ist. Hingegen bestehen keine Zweifel daran, dass Heinrich VII., der 1313 König Robert von Neapel den Prozess machen lässt, zutiefst davon überzeugt ist, dabei im Ganzen rechtskonfonn zu handeln. Mehrere Gutachten, um die Heinrich - in der Absicht, jede Parteilichkeit auszuschließen - u. a. die Juristische Fakultät von Bologna ersucht haeo, bestätigen seinen Standpunkt, von dem er auch später nicht abrückt. Dies erstaunt nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass der Rechtsgrundsatz "par in parem non habet imperium" zu Beginn des 14. Jahrhunderts bereits fonnuliert ist 2l . Man mag den Eindruck gewinnen, er könne sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig durchgesetzt haben: ein trügerischer Eindruck, denn Kaiser Heinrich VII., wie auch sein Gerichtshof, erkennt das par in pa rem-Prinzip durchaus als dürfte der Gedanke, dass auch der Monarch "echter" Unrechtshandlungen fähig ist - und hierfür bereits zu Lebzeiten einer Sanktion unterworfen werden kann, was aber notwendig religiös legitimiert werden musste (s. o. im 2. Abschn., Kap. 11. 2. a) [bei Anm. 259]) -, seinen christlich-theologischen Ursprung haben. 16 Schlosser's Weltgeschichte V, Frankfurt a. M. 1846, S.414. 17 Jbid., S. 415. - Von diesen "Folgenbeseitigungsmaßnahmen" Kaiser Ludwigs I. blieben König Bemhards Söhne indes ausgenommen; Semmler, in: Beumann, Kaisergestalten, München 1984, S. 37. 18 Anders als heute (s. nur die Präambeln der UNCAT und des 2. Fakultativprotokolls zum CCPR) wäre im Mittelalter niemand darauf verfallen, allgegenwärtige Methoden des Strafvollzugs wie Todesstrafe bzw. Blendung generell als grausam oder unverhältnismäßig zu bezeichnen, durchaus aber deren Anwendung auf bestimmte Personen, d.h. solche fürstlichen Geblüts. 19 HeffterlGeffcken, Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart, 8. Aufl., Berlin 1888, S.125. 20 Vgl. nur Schneider, Kaiser Heinrich VII., Greiz/Leipzig 1928, S.288. 21 1. Abschn., Kap. 11. 2. a) (dort Anm. 253). - Robert von Neapel hatte diese Sentenz wörtlich zitiert; Gmür, Gerichtsbarkeit über fremde Staaten, Zürich 1948, S. 12 (dort Fußnote 9); Loening, in: FS Fitting, Halle/Saale 1903, S.174 m. w.N.
I. Die Entwicklung der frühen Staatenpraxis
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geltendes Recht an. Eben deswegen will Heinrich sein gesamtes Vorgehen gegen Robert 1., militärisch wie strafrechtlich, gerade nicht als Krieg - oder Maßnahmen in einem solchen - zwischen zwei gleichgestellten Mächten, sondern als Exekution eines kaiserlichen Rechtsspruchs gegen einen Rebellen verstanden wissen. 22 Bei objektiver Nichtgültigkeit - oder der subjektiven Auffassung hiervon - des Grundsatzes, dass Gleichen untereinander keine Rechtsrnacht zur Herrschaft zukommt, bedürfte es keiner dezidierten Herausarbeitung von Ungleichheit und Subordination. Die rechtliche Unterordnung König Roberts im Verhältnis zu Heinrich VII. lässt sich auf drei verschiedene Weisen begründen, zunächst mit der Vasallität als Lehnsmann hinsichtlich der Provence, für die Robert die Huldigung stets schuldig geblieben isr2 3; darüber hinaus seinen besonderen Treuepflichten als Reichsvikar 24 der Toskana 25 - mithin als Inhaber eines hohen Reichsamts -, die er durch seine Konspiration mit den Räten von Florenz, Lucca und Siena verletzt habe 26 ; im Übrigen aber, und dies betonen die Urkunden besonders, mit dem imperialen Superioritätsanspruch 27 , der Robert von Neapel- ebenso wie jeden Fürsten - anlässlich der Krö22 V gl. Boockmann, Stauferzeit und spätes Mittelalter, Berlin 1987, S. 210; Grundmann, in: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte 5, Stuttgart 1999, S.153; Schneider (Anm. 20), S. 281, 291. Die Reichsgesetze, die Heinrich VII. im Zusammenhang mit König Robert erließ, haben große Bedeutung erlangt; es waren die letzten kaiserlichen Verordnungen die im CIC, dem Rechtsbuch des Imperium Romanum überhaupt Aufnahme gefunden haben (s. Ullmann, 64 E.H.R. [1949],3,10). Die Vorschriften in Bezug auf "Reichsrebellion" und "Majestätsverbrechen" wurden 321 Jahre später gegen Albrecht von Wallenstein angewandt. 23 Vgl. Dieckmann, Weltkaisertum und "Districtus imperii" bei Heinrich VII., Göttingen 1956, S. 90 f., 100; Grundmann, a. a. O. 24 So auch Schneider (Anm. 20), S.284; Schlosser' s Weltgeschichte VIII, Frankfurt a. M. 1847, S. 119. Das Vikariat "in Italien für alle dem römischen Reich gehörigen Länder" - mit Ausnahme Genuas - war den Anjou 1268 zugefallen (s. Herde, Karll., StuttgartlBerlin 1979, S.57, 64) und wurde ihnen durch eine päpstliche Entscheidung vom 14.3.1314 bestätigt; Const. IV/2, Nr. 1164. Mit Blick auf Roberts Sonderstellung als Vasall und Reichsvikar geißelt ihn der Urteilstext (Const. IV/2, Nr. 946) wörtlich: "Gemästet vom Fette des Römischen Reiches, dem er als Lehnsträger in Demut gehorchen sollte, hat er in elender Undankbarkeit den Stachel des Aufruhrs erhoben, wie es ein Skorpion tut [ ... ]." (Übersetzung von Schneider, a. a. 0., S. 287). 25 Das Vikariat - bei Thronvakanz - für die deutschen Reichsterritorien übte der Pfalzgraf bei Rhein aus, wie Rudolf von Habsburg schon 1276/81 erklärt hatte; Const. III, Nr. 121. 26 Unter diesem Gesichtspunkt wäre auf der Basis des damaligen Reichsrechts überhaupt kein gerichtsförmiges Verfahren notwendig gewesen; Schneider (Anm. 20), S. 285 f. 27 Vgl. hierzu nur Zippelius, Kleine deutsche Verfassungsgeschichte, 5. Aufl., München 1999, S. 36ff. Auch der fälschlich als Urheber der par in parem-Maxime geltende Bartolus von Sassoferrato (2. Abschn., Kap. 11. 2. a) [dort Anm. 253]) hatte klargestellt, dass der Kaiser im Verhältnis zu anderen Monarchen eben kein Gleicher unter Gleichen - abgesehen vom französischen König-, sondern "dominus totius mundi", Herrscher über die ganze Welt sei (FHIG I, S. 343). Ein anderer Zeitgenosse, der Dichter Dante Alighieri, ging noch einen Schritt weiter: Nicht allein, dass Vorherrschaftsanspruch und Gerichtsgewalt Kaiser Heinrichs VII. mit der par in parem-
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3. Abschnitt: Im Licht der Staatenpraxis
nung in Rom zum Beistand statt Aufstand verpflichtet hätte 28 . Die Vorstellung eines Vorrangs des Kaisers und legitimer kaiserlicher Herrschaft über andere Fürsten bekämpft der Anjou jedoch gerade. 29 Der gerichtlichen Ladung Folge zu leisten, wäre auf die Anerkennung eines Rechtsstandpunkts hinausgelaufen, dem Robert von Neapel sich beharrlich widersetzt. In Denkschrift von 1314 rechtfertigt er sich: "Die Wurzel des Übels ist, daß der Kaiser, sobald er gekrönt ist, über alle Fürsten und Völker gestellt zu sein, [ ... ] nicht nur gleich, sondern überlegen zu sein glaubt. "30
Dies ist im 14. Jahrhundert, worauf Robert zutreffend hinweist, nicht mehr allgemein konsentiert 3! ("Aber die Zeiten haben sich geändert"32); um etwaige Zweifel in Bezug auf ein von Heinrich VII. behauptetes imperiales Vormachtsrecht abzuwehren, hat beispielsweise Philipp IV. von Frankreich erst ein Jahr vor dem Prozess gegen Robert von Neapel erklärt, dass sein Königtum keine ihm übergeordnete weltliche Gewalt anerkenne: "Nullum temporalem superiorem cognoscens aut habens·