Die Rotatorenmanschette: Grundlagen, Diagnostik und Therapie von Rotatorenmanschettendefekten 9783110468939, 9783110468021

This book presents the latest knowledge on the diagnosis and treatment of degenerative and traumatic defects in the rota

285 55 16MB

German Pages 295 [296] Year 2018

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Autorenverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen
1. Anatomie und Biomechanik
2. Die Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen
3. Klinische Untersuchungstechniken
4. Bildgebung
5. Klassifikationen
6. Konservative Therapie
7. Arthroskopische Versorgung von Rotatorenmanschettendefekten
8. Muskeltransferoperationen
9. Endoprothetik beim irreparablen Rotatorenmanschettendefekt und Defektarthropathie
10. Rehabilitation
11. Begutachtung der Rotatorenmanschettenruptur
12. Funktionsbeurteilung der Schulter: Scores
Sachverzeichnis
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Die Rotatorenmanschette: Grundlagen, Diagnostik und Therapie von Rotatorenmanschettendefekten
 9783110468939, 9783110468021

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Andreas Werner (Hrsg.) Die Rotatorenmanschette

Andreas Werner (Hrsg.)

Die Rotatoren­ manschette 

Grundlagen, Diagnostik und Therapie von ­Rotatorenmanschettendefekten

Herausgeber Priv.-Doz. Dr. Andreas Werner arGon Orthopädie Große Bleichen 5, 20354 Hamburg E-Mail: [email protected]

ISBN: 978-3-11-046802-1 e-ISBN (PDF): 978-3-11-046893-9 e-ISBN (EPUB): 978-3-11-046810-6 Library of Congress Cataloging-in-Publication data Names: Werner, Andreas (Orthopedic physician), editor. Title: Die Rotatorenmanschette : Grundlagen, Diagnostik, und Therapie von Rotatorenmanschettendefekten / edited by = Herausgegeben von Andreas Werner. Description: Berlin ; Boston : De Gruyter, [2018] | In German. Summary in English. | Includes bibliographical references and index. Identifiers: LCCN 2018023537 (print) | LCCN 2018024425 (ebook) | ISBN 9783110468939 (electronic Portable Document Format (pdf)) | ISBN 9783110468021 (print : alk. paper) | ISBN 9783110468106 (e-book epub) | ISBN 9783110468939 (e-book pdf) Subjects: LCSH: Shoulder joint--Rotator cuff. | Shoulder joint. | Shoulder. Classification: LCC RD686 (ebook) | LCC RD686 .R68 2018 (print) | DDC 617.5/72--dc23 LC record available at https://lccn.loc.gov/2018023537 © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen mit den Autoren große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe der Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Einbandabbildung: PASIEKA /Gettyimages Satz/Datenkonvertierung: L42 AG, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Das Schultergelenk als das beweglichste Gelenk im menschlichen Körper ist in seiner Funktion, ob bei den Aktivitäten des täglichen Lebens, im Beruf oder beim Sport, maßgeblich auf eine funktionsfähige Rotatorenmanschette angewiesen. Pathologien der Rotatorenmanschette stellen heute eine der häufigsten Beschwerdeursachen am Bewegungsapparat sowohl in der allgemein-medizinischen als auch in der orthopädisch-unfallchirurgischen Praxis dar. Auch die anhaltend hohe Zahl an wissenschaftlichen Arbeiten zu klinischen Fragestellungen und Grundlagen-Themen spiegelt die Relevanz dieser Strukturen wider. Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Rotatorenmanschettenruptur in all Ihren Facetten und Ausprägungen. Dank meiner engagierten Co-Autor(inn)en, allesamt ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der Schulterchirurgie mit langjähriger Erfahrung und hohem wissenschaftlichem Input, können wir Ihnen mit diesem Buch ein Nachschlagewerk an die Hand geben, dass alle relevanten Aspekte zu Grundlagen, Diagnostik und Therapie der verschiedenen Läsionen bis hin zur häufig schwierigen Begutachtung und der geeigneten Outcome-Analyse auf dem neuesten Stand aufarbeitet. Es eignet sich damit sowohl für operativ wie auch konservativ tätige Kolleginnen und Kollegen, die sich intensiver mit der Pathologie der Rotatorenmanschettenruptur beschäftigen wollen. Dank gilt auch dem Verlag Walter DeGruyter und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die maßgeblich zur Ausgestaltung des Buches inspiriert und beigetragen haben.

Hamburg, im Juli 2018

https://doi.org/10.1515/9783110468939-201

Andreas Werner

Inhalt Vorwort  V Autorenverzeichnis  XIII Verzeichnis der Abkürzungen  XV 1 Anatomie und Biomechanik  1 1.1 Histologie und Biomechanik  1 1.2 Subakromiale Gleitschicht  3 1.3 Sehneninsertion: Supra- und Infraspinatus  4 1.4 Muskulärer Aufbau  5 1.4.1 Gelenkkapsel / Insertion am Tuberculum majus  5 1.4.2 Subscapularis  6 1.5 Rotatorenintervall und lange Bizepssehne  6 1.6 Gefäßversorgung  10 1.7 Innervation  10 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5

Die Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen  15 Epidemiologie von Rotatorenmanschettenrupturen  15 Die Prävalenz von Rotatorenmanschettenrupturen  15 Die Inzidenz von Rotatorenmanschettenrupturen  16 Ursachen von Rotatorenmanschettenrupturen  16 Traumatische Rotatorenmanschettenrupturen  16 Risikofaktoren für eine chronische Rotatorenmanschettenläsion  17 Unterscheidung zwischen traumatischer und chronischer Rotatorenmanschettenruptur  18 Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen  20 Anatomische Variationen  20 Biologische Veränderungen nach Rotatorenmanschettenruptur  24 Biologische Prozesse in der Sehne  27 Entzündungsprozesse im Muskel  29 Muskeldegeneration in chronischen Rotatorenmanschettenrupturen  30

Klinische Untersuchungstechniken  33 3 3.1 Anamnese  33 3.2 Inspektion  34 3.3 Palpation  34 3.4 Bewegungsprüfung  35 3.5 Spezielle Untersuchungstests  35

VIII  Inhalt 3.5.1 Supraspinatus  35 3.5.2 Infraspinatus / Teres minor  36 3.5.3 Subscapularis  36 3.6 Impingement-Tests  38 3.6.1 Impingement-Test nach Neer  38 3.6.2 Impingement-Test nach Hawkins  38 3.7 Bizeps-Tests  39 3.7.1 Sulcus-Test nach De Palma  39 3.7.2 Speeds-Test  39 3.7.3 O’Brien-Test  39 3.7.4 Supine flexion resistance Test  39 3.8 HWS  40 3.9 Neurologie  40 4 Bildgebung  43 4.1 Röntgendiagnostik  43 4.1.1 Anterior-posteriore Aufnahme  43 4.1.2 Y-Aufnahme / Outlet View  43 4.2 Sonographie  46 4.3 MRT-Diagnostik  47 4.3.1 Subscapularis  51 4.3.2 Postoperative Bildgebung  52 5 Klassifikationen  55 5.1 Subacromialraum  55 5.1.1 Akromionmorphologie nach Bigliani  55 5.1.2 Klassifikation der Akromionmorphologie in der sagittalen Ebene der MRT nach Epstein  56 Typen des Os acromiale nach Liberson  56 5.1.3 5.1.4 Stadien des Outlet-Impingement nach Neer  57 5.1.5 Stadien des subacromialen Impingment bei Sportlern nach Jobe  58 5.2 Rotatorenmanschette  58 5.2.1 Klassifikationen der Tendinosis calcarea der Rotatorenmanschette  58 5.2.2 Klassifikationen der Sehnenrupturen der Rotatorenmanschette  60 5.3 Rotatorenintervall und lange Bizepssehne  73 5.3.1 Arthroskopische Klassifikation der Pulley-Läsion nach Habermeyer  73 Klassifikation der Instabilität der langen Bizepssehne 5.3.2 nach Walch  73 Klassifikation der Subluxation / Instabilität der 5.3.3 langen Bizepssehne  74

Inhalt  IX

5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4

Klassifikation der Defektarthropathie  75 Klassifikation der Defektarthropathie nach Hamada  75 Klassifikation der Defektarthropathie nach Seebauer  76 Klassifikation der Defektarthropathie nach Loew  77 Klassifikation der Glenoiderrosion bei Defektarthropathie nach Sirveaux  78

6 Konservative Therapie  83 6.1 Indikationsstellung zur konservativen Therapie  83 6.2 Medikamentöse Therapie und biologische Stimulation  84 6.2.1 Analgetika  84 6.2.2 Steroide  85 6.2.3 Hyaluronsäure  85 6.2.4 Biologische Stimulation  85 6.3 Physikalische Therapie  86 6.4 Physiotherapie und Eigentrainingsprogramme  86 6.5 Ergebnisse der konservativen Behandlung  90 6.6 Zusammenfassung  91 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten  95 7.1 Partialdefekte  95 7.1.1 Indikationsstellung zur operativen Behandlung  96 7.1.2 Operative Techniken  97 7.1.3 Ergebnisse  103 7.2 Komplette Defekte  106 7.2.1 Entwicklung und Biomechanik der operativen Rekonstruktionstechniken  106 7.2.2 Supra- / Infraspinatus  107 7.2.3 Subscapularis  112 7.2.4 Massenrupturen  116 7.2.5 Outcome-Analyse  117 7.2.6 Fazit für die Praxis  118 7.3 Massive Defekte: Salvage-Verfahren  122 7.3.1 Definition  122 7.3.2 Anamnese  122 7.3.3 Bildgebung  123 7.3.4 Reversed Arthroskopische Subacromiale Dekompression (Rev ASAD)  124 7.3.5 Partialrekonstruktion  126 Sehnen(partial)rekonstruktion mit Augmentation 7.3.6 durch Gewebepatch  129 7

X  Inhalt 7.3.7 Superiore Kapselrekonstruktion nach Mihata (SCR)  131 7.4 Versorgung der langen Bizepssehne  136 7.4.1 Anatomie  136 7.4.2 Funktion  137 7.4.3 Pathologien  137 7.4.4 Therapie  138 7.4.5 Nachbehandlung  144 7.5 Rekonstruktion der Supra- und Infraspinatusläsion – Mini-Open-Technik  147 7.5.1 Prinzip  147 7.5.2 Lagerung und Assistenz  147 7.5.3 Arthroskopische Operation  147 8 Muskeltransferoperationen  155 8.1 Einleitung  155 8.2 Latissimus-dorsi-Transfer  156 8.2.1 Einleitung  156 8.2.2 Indikation / Kontraindikation  157 8.2.3 Resultate  157 8.2.4 Prädiktive Faktoren  162 8.2.5 Operationstechnik  165 8.3 Pectoralis-major-Transfer  171 8.3.1 Einleitung  171 8.3.2 Indikation / Kontraindikation  171 8.3.3 Resultate  172 8.3.4 Prädiktive Faktoren  176 8.3.5 Operationstechnik  176 8.4 Weitere Muskeltransfers bei irreparablen Rotatorenmanschettenrupturen  178 8.5 Kombinierte Muskeltransfers  179 9

Endoprothetik beim irreparablen Rotatoren­manschettendefekt und Defektarthropathie  185 9.1 Definitionen  185 9.1.1 Rotatorenmanschettenmassendefekt  185 9.1.2 Irrreparabler Rotatorenmanschettendefekt  186 9.1.3 Defektarthropathie – Cuff-Tear-Arthropathie (CTA)  187 9.2 Pathogenese der Defektarthropathie  188 9.3 Pseudoparalyse  188 Indikation zum Gelenkersatz  189 9.4 Klinische Untersuchung  189 9.4.1 Bildgebende Diagnostik  190 9.4.2

Inhalt  XI

Anatomische Schulterprothese bei irreparablen Rotatorenmanschettendefekten  192 9.5.1 Indikationen und Kontraindikationen  192 9.5.2 Operative Technik  193 9.5.3 Nachbehandlung  199 9.5.4 Ergebnisse  199 9.5.5 Komplikationen  201 9.6 Inverse Schulterprothese bei irreparablen ­Rotatorenmanschettendefekten  202 9.6.1 Indikationen und Kontraindikationen  203 9.6.2 Operative Technik  204 9.6.3 Nachbehandlung  208 9.6.4 Ergebnisse nach inverser Schulterendoprothese  208 9.6.5 Komplikationen  209 9.5

10 Rehabilitation  215 10.1 Einleitung  215 10.2 Grundlagen der Behandlung  216 10.3 Phasen der funktionellen Schulterrehabilitation  217 10.3.1 Akute Phase  217 10.3.2 Rekonvaleszenzphase  218 10.3.3 Funktionelle Phase  219 10.4 Nachbehandlungsschemata  220 10.4.1 Rotatorenmanschettenrekonstruktion  220 10.4.2 Latissimus-dorsi- / Teres-major-Transfer  222 10.4.3 Inverse Schulterprothese  225 10.4.4 Evidenz  226 Begutachtung der Rotatorenmanschettenruptur  229 Epidemiologie degenerativer Rotatorenmanschettenläsionen  229 Ätiologie und Pathogenese degenerativer Rotatorenmanschettenläsionen  230 11.3 Biomechanische Grundlagen der traumatischen Rotatorenmanschettenruptur  231 11.4 Mögliche Verletzungsmechanismen  231 11.5 Kausalitätsbeurteilung  232 11.5.1 Vorgeschichte  233 11.5.2 Ereignisablauf  233 11.5.3 Primärbefund  233 11.5.4 Verlauf  235 11.5.5 Operationsbefund  236

11 11.1 11.2

XII  Inhalt 11.6 11.6.1 11.6.2

Chronische Rotatorenmanschettenläsion als Folge beruflicher Exposition  237 Biomechanische Grundlagen von Überlastungsschäden  238 Epidemiologie von Überlastungsschäden  238

12 Funktionsbeurteilung der Schulter: Scores  241 12.1 Constant Murley Score (CS)  243 12.2 Simple Shoulder Test (SST)  246 12.3 Subjectiv shoulder value (SSV)  247 12.4 Oxford Shoulder Score (OSS)  248 12.5 Shoulder pain and disability index (SPADI)  250 12.6 Rotator Cuff Quality-of-Life Measure (RC-QOL)  250 12.7 Western Ontario Rotator Cuff Index (WORC)  250 12.8 ASES-Score (American Shoulder and Elbow Surgeons Score)  252 12.9 DASH (Disabilities of Arm, Shoulder and Hand)  253 12.10 Quick-DASH  254 12.11 Zusammenfassung  254 12.12 Fragebögen  254 Sachverzeichnis  277

Autorenverzeichnis PD Dr. med. Dirk Böhm OrthoMainfranken Bismarckstr. 16 97080 Würzburg [email protected] Kapitel 7.5

Prof. Dr. med. Peter Habermeyer ATOS-Klinik München Effnerstraße 38 81925 München [email protected] Kapitel 10

Dr. med. Dorota Böhm OrthoMainfranken Bismarckstr. 16 97080 Würzburg [email protected] Kapitel 7.5, 12

PD Dr. med. Nael Hawi MH Medizinische Hochschule Hannover Klinik für Unfallchirurgie Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover [email protected] Kapitel 10

PD Dr. med. Sepp Braun Abt. Sportorthopädie der TU München Klinikum Rechts der Isar Ismaninger Str. 22 81675 München [email protected] Kapitel 7.4 Prof. Dr. med. Ulrich H. Brunner Krankenhaus Agatharied Norbert-Krekel Platz 83734 Hausham [email protected] Kapitel 9 Dr. Christina Garving Klinikum Harlaching Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie, Hand- & Wiederherstellungschirurgie Sanatoriumsplatz 2 81545 München Kapitel 9 Prof. Dr. med Frank Gohlke Rhön-Klinikum Salzburger Leite 1 97616 Bad Neustadt an der Saale [email protected] Kapitel 1

https://doi.org/10.1515/9783110468939-202

Prof. Dr. med. Bernhard Jost Klinik für orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates Kantonsspital St. Gallen CH 9007 St. Gallen [email protected] Kapitel 8 Dr. med. Michael Künzler Universität Zürich, Musculoskeletal Research Unit Winterthurerstr. 260 CH 8057 Zürich [email protected] Kapitel 2 Prof. Dr. med. Dennis Liem Klinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie Univ.-Klinikum Münster Albert-Schweitzer-Campus 1 48149 Münster [email protected] Kapitel 3 Dr. med. Sven Lichtenberg ATOS-Klinik Heidelberg Bismarckstr. 9-15 69115 Heidelberg [email protected] Kapitel 7.3

XIV  Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Markus Loew ATOS-Klinik Heidelberg Bismarckstr. 9-15 69115 Heidelberg [email protected] Kapitel 11 Dr. med. Petra Magosch ATOS-Klinik Heidelberg Bismarckstr. 9-15 69115 Heidelberg [email protected] Kapitel 5 Dr. med. Bettina Mauch Klinikum Stuttgart Krankenhaus Bad Cannstatt Prießnitzweg 24 70374 Stuttgart [email protected] Kapitel 4

Prof. Dr. med. Markus Scheibel Charité-Universitätsmedizin Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie CMSC Augustenburgerplatz 1 13353 Berlin [email protected] Kapitel 7.2 Prof. Dr. med. Mark Tauber ATOS-Klinik München Effnerstr. 38 81925 München [email protected] Kapitel 10 PD Dr. med. Andreas Werner arGon Orthopädie Große Bleichen 5 20354 Hamburg [email protected] Kapitel 6, 7.1

PD. Dr. med. Frieder Mauch Sportklinik Stuttgart Taubenheimstr. 8 70372 Stuttgart [email protected] Kapitel 4

Dr. med. Birgit Werner Rhön-Klinikum Salzburger Leite 1 97616 Bad Neustadt an der Saale [email protected] Kapitel 1

PD Dr. med. Stephan Pauly Charité-Universitätsmedizin Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie Augustenburgerplatz 1 13353 Berlin [email protected] Kapitel 7.2

Prof. Dr. med. Ernst Wiedemann OCM Orthopädische Chirurgie München Steinerstr. 6 81369 München [email protected] Kapitel 9

Dr. med. Gábor J. Puskás Klinik für orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates Kantonsspital St. Gallen CH 9007 St. Gallen [email protected] Kapitel 8 Dr. med. Carolin Rickert Klinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie Univ.-Klinikum Münster Albert-Schweitzer-Campus 1 48149 Münster [email protected] Kapitel 3

Prof. Dr. med. Matthias A. Zumstein Universitätsklinik für Orthopädische Chirurgie Inselspital Freiburgstr. 4 CH 3010 Bern [email protected] Kapitel 2

Verzeichnis der Abkürzungen AAE AAOS

Aktive anteriore Elevation American Academy of Orthopedic Surgeons ABER Abduction and External Rotation ADL Activities of Daily Living  AHA Acromiohumeralen Abstand AHI Akromiohumeraler Index AI Acromionindex ASES American Shoulder and Elbow Surgeons Score Bio-RSA Bone increased Offset Reversed Shoulder Arhroplasty BKV Berufskrankheitenverordnung CHL Coracohumerale Ligament CID Cncealed Intersititial Delamination COMSS Council of Musculoskeletal Specialty Societies CPM Continious Passive Motion CS Constant Murley Score CSA Critical Shoulder Angle CTA Cuff-Tear-Arthropathie DASH Disabilities of Arm, Shoulder and Hand DPROM Delayed Passive Range of Motion EPROM Early Passive Range of Motion ESSR European Society of Musculo Skeletal Radiology GA Glenoidfläche GH Proximalen Humerus HEP Hemiprothese LAA Lateraler Akromionwinkel LHB Lange Bizepssehne MCID Minimal Clinically Important Difference MMP Metalloproteinasen MRFs Myogenic Regulatory Factors

https://doi.org/10.1515/9783110468939-203

MSC MTT NF-κB NSAR OSS PASTA- Läsion PEMF

Mesenchymale Stammzellen Medizinische Trainingstherapie Nuclear Factor kappa B Nicht-steroidale Antiphlogistika Oxford Shoulder Score Partial articular supraspinatus tendon avulsion Pulsierende elektromagnetische Feldtherapie PRP Platelet Rich Plasma RC-QOL Rotator Cuff Quality-of-Life Measure Rev. ASAD Reversed Arthroskopische Subacromiale Dekompression RMMR Rotatorenmanschettenmassenruptur RMR Rotatorenmanschettenruptur SANE Single Assessment Numeric Evaluation SCB Substantial Clinical Benefit SFA French Arthroscopic Society SGHL Superiores glenohumerales Ligament SLAP Superior Labrum Anterior to Posterior SPADI Shoulder Pain and Disability Index SSC Subscapularissehne SSP Supraspinatussehne SST Simple Shoulder Test SSV Subjective Shoulder Value TENS Transkutane elektrische Nerven­ stimulation TEP Totalschulterendoprothese TM Tide Mark TNFα Tumor Necrosis Factor α VAS Visuelle Analogskala WORC Western Ontario Rotator Cuff Index 

1 Anatomie und Biomechanik Frank Gohlke, Birgit Werner Die Rotatorenmanschette ist eine komplexe anatomische und funktionelle Einheit. Sie wird aus vier zirkumferentiell am Humeruskopf inserierenden Sehnen-MuskelEinheiten gebildet [1,2]. Der ventrale Anteil wird durch den M. subscapularis gebildet, den Haupt-Innenrotator des Schultergelenkes. Der M. supraspinatus dient im Wesentlichen als Abduktions-Initiator und bildet den cranialen Anteil. Der dorsale Anteil besteht aus dem M. infraspinatus und M. teres minor. Diese post-axialen Muskeln agieren synergistisch als Haupt-Außenrotatoren des Oberarms. Alle vier Sehnen bilden mit der Gelenkkapsel eine gemeinsame Sehnenkappe. Jede einzelne Sehne besitzt eine individuelle Insertionszone („footprint“) am knöchernen Interface des Tuberculum majus und minus. Das Glenohumeralgelenk ist ein kraftschlüssiges Kugelgelenk, welches kapsuloligamentär und muskulär stabilisiert wird. Die Rotatorenmanschette fungiert als dynamischer Stabilisator und zentriert den Humeruskopf lageunabhängig in die Cavitas glenoidalis. Nach Burkhart et al. [19] werden ein horizontales (M. infraspinatus und M. subscapularis) und ein vertikales Kräftepaar (M. deltoideus, Rotatorenmanschette) unterschieden. Unter Mitbewegung der Scapula und des Schultergürtels wird ein erweiterter Bewegungsumfang ermöglicht, z. B. eine Elevation von 180° bei gleno­ humeral maximal 120°.

1.1 Histologie und Biomechanik Bereits bei makroskopischer Betrachtung im Längsschnitt der Rotatorenmanschette zeigen sich analog zu einer Untersuchung mit einem hochauflösenden SonografieSchallkopf [3] mindestens zwei Schichten, die je nach Lokalisation und Nähe zur Insertionszone voneinander abgrenzbar sind. Während im mittleren Bereich der Sehne (zwischen Glenoid und Insertionszone) das oberflächliche (bursale) Blatt überwiegend parallel zueinander ausgerichtete Sehnenfasern aufweist, lässt sich in der tiefen Schicht die wesentlich komplexere Orientierung der Kollagenfasern oft nur histologisch oder polarisationsoptisch darstellen [4]. Die Verflechtung beider Schichten lockert sich mit zunehmendem Alter vom Glenoidrand nach lateral hin auf, was die Tendenz zur intralaminären Aufspaltung degenerativer Rupturen und die Existenz intratendinöser Partialdefekte erklärt. Erste histologische Untersuchungen durch Clark et al. [5] haben bereits 1992 in der bursalseitigen Schicht der Rotatorenmanschette größtenteils längsverlaufenden Kollagenfasern mit einem breiten Durchmesser und in der artikularseitigen Schicht vorwiegend kleinere, oft quer verlaufenden Kollagenfasern beschrieben. 10–15 mm vor der Insertion am Tuberculum majus – im Bereich einer ringförmigen Verstärkung https://doi.org/10.1515/9783110468939-001

2  1 Anatomie und Biomechanik

der zirkulär verlaufenden Fasersysteme – kommt es zu einer Fusion der tiefen Schicht der Sehnenmanschette mit der superioren Gelenkkapsel. Aufgrund makroskopischer Befunde wurde bereits von Clark et al. [6] eine Beanspruchung der anterosuperioren Kapselanteile als depressorisch wirkende Schlinge zwischen den Mm. subscapularis und infraspinatus aufgefasst. Nach Burkhart et al. [7] verstärkt sich dieses Ringfaserbündel im höheren Lebensalter unter Einfluss der veränderten Belastungsverhältnisse zum „rotator cable“, während die eigentliche Sehne des M. supraspinatus ansatznah an Dicke abnimmt. Dadurch kann eine kleine Defektbildung von weniger als 10 × 25 mm noch biomechanisch kompensiert und ohne wesentliche Progression bleiben. Eigene polarisationsoptische Analysen bewiesen die 3-D-Orientierung im Zusammenhang mit den zirkulären Fasersystemen der gesamten Gelenkkapsel und die Verflechtung der Fasersysteme in einem 5-schichtigen Aufbau: 1. Bursa subacromialis, die zum Lig. coracohumerale hin mit einer dünnen, fibrösen Deckschicht verschmilzt (zwischen 0,4–2 mm Dicke). Diese dient als natürliches Reservoir für Stammzellen und enthält ein dichtes Netz an freien Gefäßen, freien Nervenendigungen und Mechanorezeptoren. 2. eigentliche Sehne mit parallelen Kollagenfaserbündeln (mindestens 3–4 mm dick, nahezu ⅔ der gesamten Dicke der Rotatorenmanschette) 3. dünne intermediäre Verflechtungszone zwischen Sehne und Gelenkkapsel, die zum Glenoidrand hin auflockert 0,5–2,5 mm). In den dorsalen Anteilen strahlen schräge Faserzüge des Infraspinatus ein. In dieser Schicht verlaufen die meisten Blutgefäße in der Sehne. 4. Gelenkkapsel (ca. 1,5–2,5 mm Dicke), in der zirkuläre und coracohumerale Faserbündel im Scherengitter verflochten sind. Direkt darunter adhärent ist eine ca. 150 µm dünne Grenzschicht zum Gelenk, die mit eingelagerten Knorpelzellen im engmaschigen Scherengitter ihrer kleinkalibrigen Kollagenfasern den Druck des Humeruskopfes aufnimmt. Korrespondierend zu diesem histologischen Aufbau, der die Krafteinleitung in das Bindegewebe der Rotatorenmanschette widerspiegelt, differieren auch die biomechanischen Eigenschaften der artikulären und bursalseitigen Schichten voneinander. Während das überwiegend aus parallel dicht gepackten Kollagenfasern aufgebaute bursalseitige Blatt eine höhere Zugfestigkeit und Dehnungsfähigkeit hauptsächlich im mittleren Anteil aufweist, ist bei der artikularseitigen Schicht eine höhere Steifigkeit und eher gleichmäßige Verlängerung zu beobachten [8]. Die Zugbelastung der Rotatorenmanschette in Abduktion soll sich danach auf den distalen Anteil der gelenkseitigen Sehneninsertionszone konzentrieren, was erklären soll, warum viele Rupturen von diesem Bereich ausgehen. Ein anderes Erklärungsmodell weist auf die strukturelle Besonderheit des gelenknahen Anteiles hin. Von Tillmann et al. [9] wurde hier eine faserknorpelähnliche Struktur beschrieben, die der besonderen funktionellen Beanspruchung der gelenknahen Schicht als „Gleitsehne“ entspricht [10].

1.2 Subakromiale Gleitschicht  3

Diese besondere Druckbelastung führt nach dem Wolff’schen Gesetz zur Struktur im Scherengitter mit eingelagerten Knorpelzellen. Die Aufgabe dieser Faserknorpelschicht besteht darin, die unterschiedlichen Elastizitätsmodule von Sehne und Knorpel / Knochen auszugleichen. Durch diese Besonderheit im anatomischen Aufbau wird auch die geringere Vaskularität der gelenknahen Schicht in Perfusionsstudien erklärt, die ursprünglich von Rathbun und McNab als wichtigste Ursache für die vorzeitige Degeneration postuliert wurde [11]. Finite-Elemente-Studien von Wakabayashi et al. [12] ergaben Belastungsspitzen insbesondere in mittlerer Abduktion unter gleichzeitiger Zug- und Druckbelastung der Sehne, die nicht nur die häufigste Lokalisation initialer Partialdefekte in der „critical zone“ von Codman (1931), sondern auch den beobachteten, oben beschriebenen, histologischen Aufbau erklären Die Insertionszone weist histologisch die charakteristische 4-Zonen-Architektur auf, wodurch mechanische Belastungsspitzen kompensiert werden. Die Sehne (Zone I) geht über unmineralisierten (Zone II) in zunehmend mineralisierten Faserknorpel (Zone III) über, welcher über Sharpeysche Fasern am Knochen (Zone IV) inseriert. Während in Zone I und IV vorwiegend Kollagen-I nachgewiesen werden kann, finden sich in den Zonen II und III auch kartilaginäre Komponenten und Proteoglykane. Diese faserknorpeligen Anteile ermöglichen ebenfalls eine Anpassung an Druckund Scherkräfte, welchen die Sehnen neben direktem Zug aufgrund der Rotation des Humeruskopfes im Glenohumeralgelenk ausgesetzt sind. Diese Scherkräfte können insbesondere in der Nähe des Bizepssehnen-Pulley die benachbarten Kollagenfaserbündel schwächen und im weiteren Verlauf zu progredienten Einrissen führen.

1.2 Subakromiale Gleitschicht Eine Besonderheit stellt die gegenüber Druckbelastungen exponierte Lage der Rotatorenmanschette zwischen dem glenohumeralen Hauptgelenk und dem subakromialen Nebengelenk dar. Die ständige Friktion unter dem Fornix humeri erfordert eine kontinuierliche Benetzung mit Hyaluronsäure und gleichzeitige Bereitstellung von ortsständigen Stammzellen, deren Proliferationsrate durch die Freisetzung sowohl von Neuropeptiden aus dem dichten Netzwerk terminaler Nervenfasern [13,14] sowie von Mediatoren aus dem dichten Gefäßnetz bei entzündlichen Reparaturmechanismen gesteuert wird. Dieser Reparaturmechanismus ist experimentell bei allen Versuchstieren außer bei älteren Primaten zu beobachten [15], weshalb eine spontane Heilung nach Durchtrennung der Sehne immer von der bursalen Schicht ausgeht [16,17]. Die Bildung von Adhäsionen im Gleitraum mit einer fibrosierenden Verdickung der Bursa kann daher als frustraner Heilungsversuch oder überschießende Reaktion einer an sich physiologischen Heilungsreaktion angesehen werden. Eigene Untersuchungen konnten nachweisen, dass die Stammzellen in der Bursa subacromialis im Vergleich zu denen aus dem Knochenmark ein zusätzliches Poten-

4  1 Anatomie und Biomechanik

(a)

(b)

(c)

Abb. 1.1: Footprint der Rotatorenmanschette. a) Ansicht auf die ventralen Anteile der Rotatorenmanschette mit Footprint des Subscapularis (blau), b) Blick von lateral auf den Ansatz des Supraspinatus (grün) und Infraspinatus (rot), c) Aufsicht auf die posterioren Anteile der Rotatorenmanschette mit Infraspinatus (rot) und Teres minor (schwarz) (aus Curtis et al. 2006 [30]).

tial insbesondere für die Regeneration der Produktion von Gleitsubstanzen und von neurogenen Strukturen aufweisen [18].

1.3 Sehneninsertion: Supra- und Infraspinatus Die Sehnen des M. supraspinatus und M. infraspinatus ziehen durch den unter dem Fornix humeri gelegenen Subakromialraum unter der Bursa subacromialis und inserieren am Tuberculum majus. Der M. supraspinatus zieht von seinem Ursprung in der Fossa supraspinata und dem Oberrand der Spina scapulae nach lateral. Der M. infraspinatus entspringt in der Fossa infraspinata und dem Unterrand der Spina scapulae und zieht nach superolateral. Die Insertionszone („footprint“) der Sehne des M. supraspinatus liegt hierbei an der antero-medialen Fläche, während die Sehne des M. infraspinatus weiter postero-lateral inseriert. Nach aktuellen Studien fusionieren beide Sehnen etwa 10 mm vor ihrem Ansatz, so dass es zu einer Überlappung beider Sehnen am Footprint kommt [20,21]. Der anteriore Sehnenanteil des M. infraspinatus bedeckt teilweise den posterolateralen Anteil des M. supraspinatus, wobei der anteriore Anteil des Infraspinatus im Vergleich zum posterioren Rand des Supraspinatus etwas prominenter ist. Die humerale Insertion der Sehne des M. supraspinatus an der superioren Facette des Tuberculum majus hat die Form eines gleichschenkligen Dreiecks, dessen Basis am Übergang zur Gelenkfläche liegt. Diese Lokalisation begünstigt ein Impingement der Supraspinatussehne und Bursa subacromialis zwischen Tuberculum majus und Akromion ab einer Abduktion von etwa 70°. Bei etwa 20 % aller Menschen reicht die Insertionszone der Supraspinatussehne in das Tuberculum minus hinein, wobei hier der ventralste Anteil der Supraspinatussehne den superioren Anteil des Sulcus bicipitalis bedeckt. Die Sehne des M. supraspinatus besteht aus in einer verstärkten anterioren Hälfte und einer kurzen dünnen posterioren Hälfte. Die meisten Muskelfasern des M. supraspinatus, insbesondere der oberflächlichen

1.4 Muskulärer Aufbau  5

Schicht, ziehen nach anterolateral zum anterioren Sehnenanteil, während die Faserzüge der tiefen Schicht nach lateral zur posterioren Sehneninsertion ziehen. Die Insertionszone der Sehne des M. infraspinatus bedeckt mehr als die Hälfte der superioren Facette des Tuberculum majus sowie die mittlere und den superioren Anteil der inferioren Facette. Der superiore Anteil der Sehne des M. teres minor hat einen rundovalen Ansatz inferior der Insertion des Infraspinatus, der inferiore Anteil eher einen linienförmigen Ansatz. Die Sehnen des M. infraspinatus und M. teres minor vereinigen sich vor ihren muskulotendinösen Übergängen.

1.4 Muskulärer Aufbau Es werden Variationen des anatomischen Aufbaus der einzelnen Muskeln beschrieben. Eine Zweiteilung des M. supraspinatus ist regelhaft zu beobachten, eine strangartige Verstärkung des ventralen Sehnenanteils ist häufig im MRT und intraoperativ zu beobachten. Der M. infraspinatus ist aus mehreren Anteilen aufgebaut, die sich entsprechend der Orientierung der Muskelfibrillen ergeben. Bacle et al. beschreiben eine oberflächliche craniale und caudale Gruppe, die partiell eine tiefe mediale Fasergruppe bedecken [22]. Kato et al. [1] beobachteten hingegen einen schräg- und einen querverlaufenden Anteil der Muskelzüge. Die Aufteilung des Muskelbauches und unterschiedliche Orientierung der Faserzüge kann die Hypothese stützen, dass jeder Anteil ein anderes biomechanisches Verhalten und eine andere Funktion erfüllt. Halder et al. [23] beobachteten signifikante Unterschiede in Elastizitätsmodul, Rigidität und Reißfestigkeit zwischen vier getrennten Sehnenbereichen entlang der Faserrichtung des Infraspinatus.

1.4.1 Gelenkkapsel / Insertion am Tuberculum majus Die superiore Gelenkkapsel weist histologische Unterschiede im Vergleich zur inferioren Gelenkkapsel auf. Eine scherengitterartige Durchflechtung mit einer zirkulären Ausrichtung der Faserbündel der Gelenkkapsel ist charakteristisch. Die fibröse Verstärkung des „rotator cable“ stellt die Fortsetzung des zirkulären Fasersystems der vorderen Gelenkkapsel, des Fasciculus obliquus (Delorme) dar. Diese Struktur strahlt in den Bizeps-Pulley ein und trägt zur Bildung dieser fibrösen Schlinge bei [24]. Sie setzt sich in ein zirkuläres Fasersystem der superioren Gelenkkapsel fort, das die Supraspinatussehne unterkreuzt und posterior zwischen M. infraspinatus und M. teres minor ausläuft. Die parallelen Kollagenfaserbündel sind rechtwinklig zur Verlaufsrichtung der Supraspinatussehne ausgerichtet wodurch eine kleine Defektbildung biomechanisch kompensiert werden kann. In den „Footprint“ des Tuberculum majus strahlen fast nur die parallelen Faserbündel der Sehnen des M. Supraspinatus, Infraspinatus und Teres minor ein, wo-

6  1 Anatomie und Biomechanik

bei diese insbesondere vom Infraspinatus schräg überlappend einkreuzen. An der Grenze des M. infraspinatus zum M. teres minor verschmilzt die dort einstrahlende Gelenkkapsel mit den Sehnenfasern.

1.4.2 Subscapularis Die Sehne des durch mehrere septenartige Kollagenfaserzügel gefiederten M. subscapularis inseriert in einem trapezoidalen Footprint am Tuberculum minus. Die Insertionszone ist cranial breiter und verjüngt sich zunehmend nach caudal. Der craniale tendinöse Anteil ist länger und dicker als alle anderen Anteile des Subscapularis. Die distalste Insertionszone ist durch sehr kurze Sehnenanteile und beinahe an den Knochen reichende Muskelfasern charakterisiert. Während die übrigen Anteile der Subscapularissehne an der antero-medialen Fläche des Tuberculum minus ansetzen, inseriert der craniale Anteil der Sehne am obersten Rand des Tuberculum minus. Zudem bildet der craniale Sehnenanteil einen antero-medialen Wall zur Stabilisierung der langen Bizepssehne. Interdigitierende Fasern der Supraspinatus- und Subscapularissehne bilden den Boden und das Dach der langen Bizepssehne.

1.5 Rotatorenintervall und lange Bizepssehne Das Rotatorenintervall bezeichnet den Übergang zwischen dem anterioren Rand der Supraspinatussehne und dem cranialen Rand der Subscapularissehne. Es wird durch das Lig. coracohumerale und Lig. glenohumerale superior verstärkt und bedeckt die lange Bizepssehne. Es ist Teil einer fibrösen Schlinge, die in das zirkuläre Fasersystem (Fasciculus obliquus) der kranialen und vorderen Gelenkkapsel integriert ist [4,25,26]. Diese fibröse Schlinge wurde bereits von Gagey [27,28] in anatomischen und später RT-Studien beschrieben und als wichtiger Stabilisator mit zentrierender Funktion bei Elevation des Armes angesehen. Die ligamentäre Verstärkung des Rotatorenintervalls limitiert in Adduktion die Translation nach kaudal und kranial. Mit zunehmender Außenrotation spannt sich der vordere und in Innenrotation der hintere Anteil dieses V-förmigen Fasersystems an und verriegelt das GH-Gelenk. Bei Abduktion entwickelt diese kraniale ligamentäre Aufhängung eine synergistische Funktion mit dem anteroinferioren Kapselkomplex, der ähnlich den Kreuzbändern im Knie bei endgradigen Rotationsbewegungen durch Verwindung um den Humeruskopf das GH-Gelenks zentriert [29], siehe Abb. 1.1, Abb. 1.2, Abb. 1.3, Abb. 1.4 und Abb. 1.5. Klinische Bedeutung bekommt diese Funktion durch die aktuell propagierte Rekonstruktion der antero-superioren Gelenkkapsel mittels Patch oder der langen Bizepssehne bei großen, irreparablen Defekten der Rotatorenmanschette, die über das Rotatorenintervall in den Subscapularis reichen. Allerdings müsste dafür sowohl der V-förmige Aufbau als auch die notwendige Gefäßversorgung wiederhergestellt werden.

1.5 Rotatorenintervall und lange Bizepssehne  7

SSP

Abb. 1.2: Verflechtung der Kollagenfaserbündel in der Rotatorenmanschette von intraartikulär gesehen. SSP = Supraspinatussehne.

Abb. 1.3: Unter der Bursa subdeltoidea sind die Sehnen der Mm. supra- und infraspinatus von einer dünnen fibrösen Schicht bedeckt, die mit fächerartigen Zügeln zwischen Korakoid und Humerus Ausläufer zum Rotatorenintervall aussendet. Diese können auch als Ausläufer des Lig. coracohumerale betrachtet werden, welches in seiner tiefen Schicht einen in seiner Ausprägung variablen, ca. 1 cm breiten Zügel zur Verstärkung der Kapsel – nahezu im rechten Winkel zur Verlaufsrichtung der Sehnenfasern – nach dorsal zu Supra- und Infraspinatussehne schickt [5,6]. Dieser mündet in das zirkuläre Fasersystem der kapsulären Schicht ein [29]. Hierdurch werden in Rotationspositionen des Gelenkes Querspannungen der Sehnen aufgefangen.

8  1 Anatomie und Biomechanik

SSP SGHL

LHB

Fasc. obliq.

Abb. 1.4: Aufbau des Rotatorenintervalls und des BizepsPulley. Querschnitt am Austritt der langen Bizepssehne aus dem Pulley (SSP: Supraspinatussehne, LHB: lange Bizeps­ sehne, SGHL: superiores glenohumerales Ligament, SSC: Subscapularissehne).

SSC

M. supraspinatus Rotatorenintervall

M. subscapularis

M. infraspinatus (a)

(c)

(b)

(d)

(e)

Abb. 1.5: Makroskopischer Aufbau der Rotatorenmanschette (a) und des sog. Rotatorenintervalls n. Clark et al. [6] und Gohlke et al. [4] (b). Aufsicht auf die Rotatorenmanschette von vorne-oben (die Spina ist zusammen mit dem Akromion zur besseren Übersicht in c-e nicht dargestellt). Entsprechend einer schichtweisen Präparation ist der Aufbau der kranialen Anteile der Rotatorenmanschette dargestellt. Nach Abtragung der oberflächlichen Anteile des Lig. coracohumerale, das wie eine Hülle den vorderen Rand des M. supraspinatus bedeckt, und distaler Anteile der Sehne des M. supraspinatus, lassen sich Ausläufer der Sehne des M. infraspinatus erkennen, die nach ventral in die kapsuläre Schicht einstrahlen und damit die zirkulären Faserbündel verstärken (c und d). Die Rotatorenmanschette lässt bereits makroskopisch einen schmaleren kapsulären und einen deutlich breiteren sehnigen Anteil erkennen (e). Beide haben auch histologisch einen unterschiedlichen Aufbau.

1.5 Rotatorenintervall und lange Bizepssehne  9

Das Lig. coracohumerale wirkt makroskopisch wie eine Falte, die ausgehend von der Basis und der posterolateralen Fläche des Processus coracoideus durch das Rotatorenintervall zwischen den oberen äußeren lateralen Rand des Subscapularis und die lange Bizepssehne zieht. Die oberflächliche Schicht des Ligamentes bedeckt die Oberfläche der Supra- und Subscapularissehne, die tiefe Schicht strahlt in die Gelenkkapsel ein und mündet in das zirkuläre Fasersystem. Das Lig. coracohumerale bildet somit eine Aufhängung für die Subscapularis- und Supraspinatussehne die in der Tiefe unregelmäßige, dünnen Fasern und viel Kollagen-III [31] neben einstrahlenden Gefäßen und Nerven enthält. Die fibröse Schlinge für die lange Bizepssehne besteht vor allem aus einer Verflechtung der superioren Gelenkkapsel mit dem Lig. glenohumerale superior, den Fasciculus obliquus und überkreuzenden Fasern der Supraspinatussehne [24], siehe Abb. 1.6. Fasciculus obliquus

SGHL

M. subscapularis

(a)

M. supraspinatus

Lig. coracohumerale M. subscapularis

(b)

(c)

Abb. 1.6: Aufbau des Rotatorenintervalls und der Bizepssehnenschlinge. (a) Schematische Darstellung der Kollagenfaserstruktur der Schichten; tiefe, gelenkseitige (b), bursalseitige oberflächliche Anteile (c). Die fibröse Schlinge für die lange Bizepssehne wird hauptsächlich von dem SGHL, dem Fasc. obliquus und den ventralen Ausläufern der Supraspinatussehne gebildet.

10  1 Anatomie und Biomechanik

Die lange Bizepssehne entspringt vom Tub. supraglenoidale und hinteren oberen Labrum glenoidale. Sie zieht intraartikulär auf einer Länge von 3,5–4 cm zum Sulcus bicipitalis. Vor dem Eintritt in den Sulcus weist die von einem dichten Gefäßnetz durchzogenen Sehne eine querovale Form auf. Im Sulcus ist die Sehne von einer Synovialschicht umgeben und weist aufgrund ihrer Beanspruchung als Gleitsehne im knochennahen Abschnitt eine fibrokartilaginäre Schicht auf. Die lange Bizepssehne hat eine schwach depressorische Wirkung auf den Humeruskopf.

1.6 Gefäßversorgung Die Gefäßversorgung der Rotatorenmanschette erfolgt über die aus der A. subclavia kommende A. suprascapularis, die oberhalb des Lig. transversum scapulae zur Fossa supraspinata und unterhalb des M. supraspinatus zieht, welchen sie mit 2 Muskel­ästen versorgt. In der Fossa infraspinata gibt die A. suprascapularis Äste zum M. infraspina­ tus und der Gelenkkapsel ab. Im weiteren Verlauf bildet sie aufgrund der Anastomosenbildung mit mehreren Ästen der A. circumflexa superior einen Kollateralkreislauf. Die sehr dicht vaskularisierte Bursa subacromiale wird ebenso wie die Sehnen im bursalseitigen Anteil der Rotatorenmanschette über ein dichtes Netz der A. thoraco­ acromiale, A. suprascapularis, sowie A. circumflexa humeri anterior und posterior versorgt. Die A. subcoracoidea versorgt das Rotatorenintervall nahe der caudalen Bursa [32]. Eine Durchtrennung dieser Gefäße bei der Mobilisierung retrahierter Sehnenanteile („anterior slide“) beeinträchtigt die Blutversorgung der Rotatorenmanschette und damit auch das Potential für eine Heilung nach Rekonstruktion. Aufgrund dieses Gefäßreichtums wurde das Rotatorenintervall in älteren anatomischen Lehrbüchern (Fick 1913) noch als „Lig. teres humeri“ bezeichnet. Klinische Bedeutung bekommt dieser Aspekt durch die begleitenden vegetativen Nervenfasern insbesondere in der Initialphase einer Schultersteife oder für eine persisitierende Tendinitis der LBS.

1.7 Innervation Der Plexus brachialis (C5-Th1) tritt durch die hintere Skalenuslücke und kann in einen Pars supraclavicularis (N. dorsalis scapulae, N. thoracicus longus, N. supra­ scapularis, Nn. subscapulares, N. thoracodorsalis und N. subclavius) sowie einen Pars infraclavicularis (Fasciculus lateralis, medialis und posterior) unterteilt werden. Die Mm. supra- und infraspinatus werden durch den N. suprascapularis (C4-6) versorgt, der M. subscapularis durch den N. subscapularis und akzessorische Fasern des N. axillaris und der M. teres minor über den N. axillaris (C4-6) und akzessorische Fasern des N. subscapularis.

1.7 Innervation  11

Tab. 1.1: Muskeln, Innervation und Funktion der Rotatorenmanschette. Muskel

Innervation

Funktion

M. subscapularis

N. subscapularis, meist mit zwei Ästen, wobei der untere Anteil als Variante Zuflüsse aus dem N. axillaris erhalten kann

Zentrierung des Glenohumeralgelenks, Innenrotation, oberer Anteil: Elevation des abduzierten Armes

M. supraspinatus

N. suprascapularis

Zentrierung des Glenohumeralgelenks, Abduktion, Elevation, Außenrotation des abduzierten Armes, Retroversion des abduzierten Armes

M. infraspinatus

N. suprascapularis

Zentrierung des Glenohumeralgelenks, Außenrotation, schwache Adduktion des hängenden Armes, schwache Abduktion des erhobenen Armes

M. teres minor

N. axillaris

Außenrotation, Adduktion

Der N. suprascapularis zieht unter dem M. trapezius am Oberrand der Scapula unterhalb des Lig. transversum scapulae in die Fossa supraspinata, wo sich zwei motorische Äste zur Versorgung des M. supraspinatus abzweigen. Der erste motorische Ast des N. suprascapularis kreuzt das Intervall zwischen Infraspinatus und Supraspinatus etwa 1,8 cm vom superioren Glenoidrand entfernt. Er zieht durch das Intervall zwischen M. infraspinatus und M. teres minor in einem Abstand von 2,8 cm vom oberen Glenoidrand. Die Innervation des Muskelbauchs des M. infraspinatus ist variabel mit 2 bis 4 Hauptästen des N. suprascapularis nach Eintritt in die Fossa infraspinata etwa 2,1 cm vom hinteren Glenoidrand entfernt [22]. Bei Rotatorenmanschettenrekonstruktionen ist die Mobilisation der retrahierten Sehne nach lateral durch den Verlauf der Gefäßnervenbahnen auf etwa 1–3 cm limitiert. Operative Zugänge mit Split des M. infraspinatus sollten etwa 1,5 cm vom Glenoidrand nicht überschreiten. Zwei oder mehrere Nn. subscapulares treten in Höhe des medialen Scapulahalses medial / kaudal des Proc. coracoideus in einem Bereich von 2,1–4,8 cm von der Coracoidbasis und etwa 4 cm vom Glenoidrand entfernt in den septierten M. subscapularis ein. Da die Muskeläste verschiedene Anteile des Muskels versorgen, ist anzunehmen, dass sie auch für unterschiedliche Aspekte der Funktion verantwortlich sind. Der kaudale Nervenast geht teilweise direkt aus dem N. axillaris oder N. thoracodorsalis ab. Eine Mobilisation des M. subscapularis von mehr als 1,4 cm vom medialen Glenoidrand gefährdet die motorischen Nervenäste, in Innenrotation verringert sich dieser Abstand auf 1 cm. Der N. axillaris zieht meist am Unterrand des M. subscapularis und unterhalb der Gelenkkapsel nach dorsal und tritt durch die laterale Achsellücke an der Unterfläche des M. deltoideus nach ventral. Er innerviert den M. teres minor und M. deltoideus. In Neutral-0-Stellung des Armes beträgt die Distanz des Nervs zum inferioren Glenoid-

12  1 Anatomie und Biomechanik

rand etwa 1–2,5 cm. Der Abstand des N. axillaris zum Akromion beträgt etwa 5,5–6 cm, wobei sich die Distanz bei Abduktion des Arms um etwa 2 cm verringert. Als „sichere Zone“ gilt ein Abstand von maximal 3 cm vom Akromion [33].

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2 Die Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen Michael Künzler, Matthias A. Zumstein

2.1 Epidemiologie von Rotatorenmanschettenrupturen Rotatorenmanschettenrupturen sind eine der häufigsten orthopädischen Erkrankungen in der allgemeinen Population. Durch die meist degenerative Genese der Ruptur ist sie eine Erkrankung, die eher ältere Patienten betrifft. Demzufolge treten die später genannten Komorbiditäten, welche die Heilung der operativen Versorgung ungünstig beeinflussen können, häufig auf. Die Erfassung von epidemiologischen Kennzahlen (Inzidenz und Prävalenz) ist schwierig, da viele Patienten eine asymptomatische Ruptur haben und die Diagnose aufwändige klinische und radiologische Untersuchungen benötigt. Es gibt jedoch verschiedene Studien, welche die Prävalenz und Inzidenz in unterschiedlichen Populationen untersucht haben.

2.1.1 Die Prävalenz von Rotatorenmanschettenrupturen Die Prävalenz von transmuralen degenerativen Rotatorenmanschetten-Läsionen, über die in älteren Studien berichtet wurde, wird in Studien jüngeren Datums klar nach unten korrigiert. Kadaverstudien zeigten eine Gesamt-Prävalenz der Rotatorenmanschettenruptur von bis zu 40 %, diese variiert dabei je nach untersuchter Population. Bei diesem Studientypus kann jedoch nicht zwischen symptomatischen und asymptomatischen Rupturen unterschieden werden. Eine sonographisch kontrollierte Querschnittstudie mit 664 Personen in einem japanischen Dorf fand in ungefähr einem Viertel aller Personen eine transmurale Rotatorenmanschettenruptur. Keine Rupturen traten bei Personen unter 40 Jahren auf. In der fünften Lebensdekade wurden nur bei 10 % der Personen eine Ruptur gefunden. Folglich nahm die Prävalenz linear bis 36 % bei Personen über 80 Jahren zu [1]. Im Gegensatz dazu fand eine sonographisch- und MRI kontrollierte Studie an 420 asymptomatischen Patienten eine transmurale Ruptur in lediglich 2, 6 und 15 % der Patienten in der Altersgruppe von 50–59, 60–69, und 70–79 Jahren [2]. Trotz der teilweise beträchtlichen Unterschiede in der Prävalenz ist diesen Studien gemein, dass es ab dem Alter von 50 Jahren zu einer linearen Zunahme der Prävalenz mit dem Alter kommt. Die Prävalenz variiert auch, wenn spezifische Populationen wie beispielsweise Überkopfsportler untersucht wurden. So wurden in aktiven Profihandballspielern bei über 40 % aller untersuchten Wurfschultern eine Partialruptur der Supraspinatussehne gefunden [3]. Generell sind Rotatorenmanschettenrupturen eine Pathologie von älteren Patienten über 60 Jahren. Jedoch sollte auch bei jüngehttps://doi.org/10.1515/9783110468939-002

16  2 Die Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen

ren Patienten mit den typischen Symptomen und einer spezifischen Präsdisposition (z. B. Überkopfsport und evtl. zusätzlicher Traumaanamnese) an eine Ruptur gedacht werden.

2.1.2 Die Inzidenz von Rotatorenmanschettenrupturen Zur Inzidenz existieren nur wenige Untersuchungen. In einer longitudinalen Kohortenstudie in einem Japanischen Bergdorf wurden in einem Zeitraum von 3,5 Jahren alle neu aufgetretenen Rotatorenmanschettenrupturen erfasst. In der Population mit einem mittleren Alter der untersuchten Personen von 67 Jahren wurde eine Inzidenz von 18/1.000 Personen / Jahr errechnet, was eine sehr hohe Inzidenz ist, jedoch durch das sehr hohe Durchschnittsalter der Studienpopulation erklärt werden kann [4].

2.2 Ursachen von Rotatorenmanschettenrupturen Die Ursache einer Rotatorenmanschettenruptur ist in den meisten Fällen multifaktoriell und kann im Falle einer chronischen Rotatorenmanschetten-Läsion nicht auf ein einzelnes traumatisches Ereignis zurückgeführt werden, sondern ist auf wiederkehrende Mikrotraumata im täglichen Leben zurückzuführen.

2.2.1 Traumatische Rotatorenmanschettenrupturen Es existieren nur wenige Studien, die den Mechanismus traumatischer Rotatorenmanschettenläsionen untersuchen. Am häufigsten kommt es zu einem Sturz auf den ausgestreckten Arm [5]. Außerdem können eine plötzliche Krafteinwirkung auf den gegen Wiederstand außenrotierten Arm, ein plötzlicher Zug beim Festhalten oder Heben schwerer Lasten, sowie eine Schulterluxation zu einer Rotatorenmanschettenruptur führen. Die folgenden Verletzungsmechanismen sind in Betracht zu ziehen: 2.2.1.1 Passiv erzwungene forcierte Außen- oder Innenrotation Beispiel für einen solchen Verletzungsmechanismus ist der Versuch, einen Sturz vom Gerüst oder der Treppe durch Festhalten aufzuhalten, wobei es zu einer massiven exzentrischen Überdrehung der Rotatorenmanschette in Innen- und Außenrotation kommt. Dies kann sowohl bei anliegendem als auch beim abgespreiztem Arm erfolgen. Weitere Mechanismen sind: –– Glenohumerale Schulterluxation: Insbesondere bei anteriorer Schulterluxation kann es bei eher älteren Patienten typischerweise zu einer Begleitruptur der Rotatorenmanschette kommen. So wurde in einem systematischen Literaturre-

2.2 Ursachen von Rotatorenmanschettenrupturen  17

view festgehalten, dass Patienten über 40 Jahren und Überkopfsportler vermehrt eine Rotatorenmanschettenruptur als Begleitverletzung einer anterioren Schulterluxation erleiden. –– Plötzliches Hoch- oder Rückwärtsreißen des Armes: Dies kommt insbesondere beim Hängenbleiben mit dem Arm bei erheblicher Beschleunigung des Körpers vor. –– Passive Traktionen nach kaudal, ventral oder medial: Bei diesen Verletzungen kommt es zu einer starken Zugbelastung auf den Arm und dabei zu einer Überdehnung der Rotatorenmanschette, wenn z. B. der Arm in eine laufende Maschine hineingezogen wird oder eine Last in die ausgebreiteten Arme fällt. –– Axiale Stauchung des Oberarmkopfes nach ventral oder ventro-kranial: Diese Verletzungsmechanismen kommen vor allem beim Sturz auf den nach hinten ausgestreckten Arm mit Aufprall auf die Hand oder den Ellenbogen vor.

2.2.2 Risikofaktoren für eine chronische Rotatorenmanschettenläsion Es wurden verschiedene Risikofaktoren identifiziert welche die Entwicklung einer Rotatorenmanschettenruptur begünstigen. Dies sind einerseits nicht beinflussbare patientenspezifische Faktoren, andererseits auch beeinflussbare Umweltfaktoren. 2.2.2.1 Patientenspezifische Risikofaktoren Alter: Das Patientenalter ist der wichtigste Risikofaktor für eine Rotatorenmanschettenruptur. Wie bereits beschrieben haben verschiedene epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Häufigkeit von Rupturen in der Population von über 60-jährigen Personen stark zunimmt und diese damit positiv mit einem höheren Alter korreliert. Anatomie: Variationen in der knöchernen Anatomie, insbesondere ein auslandendes Akromion oder eine starke Glenoidinklination können die Entwicklung von Rotatorenmanschettenrupturen begünstigen. Diese Faktoren werden später im Kapitel ausführlich diskutiert. 2.2.2.2 Umweltfaktoren Überkopfsportarten: Repetitive Überkopfbewegungen mit starker Beanspruchung der Schulter auf kompetitivem Level in Sportarten wie Handball, Baseball, Basketball, Volleyball und Tennis können zu einer frühzeitigen Degeneration der Rotatorenmanschettenmuskulatur führen. Rauchen: Rauchen hat einen ausgeprägten Effekt auf die Integrität der Rotatorenmanschette und beeinflusst die Entwicklung von Rotatorenmanschettenrupturen negativ. Rauchen führt nicht nur häufiger zu einer transmuralen Rotatorenmanschet-

18  2 Die Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen

tenruptur, sondern beeinflusst auch die Heilung nach der Reparatur. So kommt es durch Nikotin zu einer verlängerten Entzündungsreaktion und einer Verzögerung der Sehneneinheilung im Tiermodell. Dies korreliert mit klinischen Untersuchungen, die einen negativen Effekt auf die Integrität und das Outcome nach Rotatorenmanschettenrefixierung festgestellt haben [6]. Chronischer Alkoholkonsum: Ein chronischer Äthylabusus, insbesondere auch von Rotwein, kann die Entstehung einer Rotatorenmanschettenruptur begünstigen.

2.2.3 Unterscheidung zwischen traumatischer und chronischer Rotatorenmanschettenruptur Die Unterscheidung zwischen einer chronischen respektive degenerativen und einer traumatischen Rotatorenmanschettenruptur ist teilweise sehr subtil und im klinischen Alltag insofern von Bedeutung, als dass eine akute Läsion vor allem bei jüngeren Patienten einer schnellen Versorgung bedarf, um ein zufriedenstellendes funktionelles Ergebnis zu erzielen. Außerdem ist die Unterscheidung in Bezug auf versicherungstechnische Fragen, insbesondere bei noch arbeitstätigen Patienten, von Relevanz. So ist die Beurteilung ob eine akute oder chronische Läsion vorliegt für die Ansprüche des Patienten auf Krankentagegeld, Entschädigung, Wiedereingliederungsmaßnahmen, bis hin zur Rente von entscheidender Bedeutung und hat damit für den Patienten weitreichende Konsequenzen. Die Unterscheidung beruht auf anamnestischen Angaben des Patienten zum Schädigungsvorgang und auf radiologischen Unterscheidungsmerkmalen. Bei der Anamnese gibt es einige Hinweise, die vom Patienten erfragt werden sollten. Diese werden in Tab. 2.1 zusammengefasst. Röntgentechnisch kann in den Standartprojektionen kein Unterschied zwischen einer traumatischen und chronischen Ruptur festgestellt werden [7]. Nur im Falle einer Massenruptur und einer möglicherweise damit verbundenen Rotatorenmanschettenarthropathie kann ab dem Stadium II nach Hamada eine Veränderung der knöchernen Struktur und Alignement im Röntgen festgestellt werden, was nahezu beweisend für eine chronische Ruptur ist. Zusätzlich kann eine MRT-Untersuchung hilfreiche Informationen zum Aufschluss über die Genese der Ruptur geben. In den MRI Untersuchungen der Schulter können unterschiedliche Merkmale zur Differenzierung zwischen einer akuten und chronischen Rotatorenmanschettenruptur beigezogen werden. In einer Analyse durch Loew et al. [7] konnten anhand verschiedener charakteristischer Kriterien die Ursache der Rotatorenmanschettenruptur mit einer Sensitivität von 72 % und Spezifität von 64 % korrekt als traumatische oder chronische Ruptur zugeordnet werden. Dabei waren folgende Unterscheidungsmerkmale ausschlaggebend (Tab. 2.2): Für eine akute Ruptur sprechen ein Ödem in der Sehne und am intramuskulären Übergang wie dies in den T2-Wichtungen sichtbar ist

2.2 Ursachen von Rotatorenmanschettenrupturen  19

(Sensitivität: 96 %, Spezifität: 62,5 %), sowie das Aufkräuseln des Sehnenstumpfes mit einem gewellten, peripheren Ende des Muskels (engl. Kinking Sign) mit einer Spezifität von 68 % und Sensitivität von 64 %. Im Gegensatz dazu ist eine Atrophie des M. supraspinatus mit einem positiven Tangentenzeichen (engl. Tangent Sign, positiv wenn Tangente über der Fossa supraspinata den Muskel nicht mehr oder knapp überdeckt) häufiger in chronischen Rotatorenmanschettenrupturen. Die Unterscheidung, ob es sich um eine chronische oder traumatische Rotatorenmanschettenruptur handelt, beruht damit auf dem klinisch-radiologischen Gesamtbild im Zusammenzug mit einer sorgfältigen Anamnese, klinischer Untersuchung und MRI-Untersuchung der betroffenen Schulter. Tab. 2.1: Hilfreiche anamnestische Angaben und klinische Untersuchung zur Unterscheidung zwischen traumatischer und chronischer Rotatorenmanschettenruptur. Anamnese

–– Alter des Patienten –– Genauer Hergang der Schädigung (liegt ein adäquates Trauma vor?) –– Vorbestehendes Funktionsdefizit (vor dem Trauma) –– Frühere Traumen (z. B. Schulterluxation) –– Voroperationen in der Schulter –– Schädigung der Gegenseite –– Raucheranamnese –– Alkoholkonsum –– Sonstige systemische Erkrankungen

Klinische Untersuchung

–– Symmetrie des Schulterreliefs (Atrophie der Muskulatur?) –– Globale aktive Bewegungen –– Lag-Zeichen –– Jobe-Test –– Impingement-Zeichen –– Begleitpathologien der Schulter (AC-Gelenkarthrose, Instabilität)

Tab. 2.2: Radiologische Kriterien in der konventionellen Radiologie und MRI Untersuchung zur Unterscheidung zwischen traumatischer und chronischer Rotatorenmanschettenruptur. Röntgen

MRI

Traumatisch

Keine Anzeichen

Sehnenödem (T 2 Wichtung) Kingking sign

Chronisch

RM-Arthropathie Hamada Typ ≥ 2

–– Muskelatrophie und -verfettung (Grad II-IV) –– Positives Tangenten-Zeichen

Unspezifisch

–– Typ III Akromion (Bigliani) –– Sklerosierung des Tuberculum majus –– AC-Gelenksarthrose

–– Erguss im Gelenk oder Bursa –– Bone Bruise –– Degeneration des Tuberculum majus –– Sehnenstumpf ansatznah

20  2 Die Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen

2.3 Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen Wie bereits in Kap. 1 beschrieben, hat die Schulter eine einzigartige Anatomie mit dem großen Humeruskopf, der sich auf dem relativ kleinen Glenoid bewegt. Der Größenunterschied der beiden Gelenkskomponenten macht die dynamische Stabilisierung des Gelenkes durch die Rotatorenmanschette essentiell, da das Gelenk kaum durch die knöchernen Strukturen stabilisiert wird. Diese Stabilisierung wird durch die umliegenden Weichteile wie Labrum, Kapsel und in besonderem Maße durch die Rotatorenmanschettenmuskulatur in einem gut orchestrierten Zusammenspiel der verschiedenen Muskeln durch den gesamten Bewegungsumfang des Gelenkes geleistet. Variiert die knöcherne Anatomie von der idealen Form, wird das fein abgestimmte Zusammenspiel der Muskulatur gestört, was zu einem Ungleichgewicht der Kräfte führt. Dieses Kräfteungleichgewicht macht die Muskeln und Sehnen der Rotatorenmanschette anfällig für Mikrotraumen und Überlastungsreaktionen. Damit kann die knöcherne Anatomie einen wesentlichen Anteil an der Degeneration der Rotatorenmanschettenmuskulatur und -sehne haben.

2.3.1 Anatomische Variationen Anatomische Variationen die mit Rotatorenmanschettenrupturen assoziiert sind wurden in der Überdachung durch das Akromion, aber auch in der vertikalen Ausrichtung des Glenoids gefunden. Hier ist die Unterscheidung zwischen chronisch-degenerativen und akut-traumatischen Rotatorenmanschettenläsionen insofern wichtig, als dass anatomische Variationen vor allem in chronisch-degenerativen Läsionen gefunden werden können. Seit der Erstbeschreibung des Impingement-Syndroms durch Charles Neer et al. und der Einteilung der akromialen Morphologie durch Bigliani et al. [8] in drei verschiedene Subtypen (Typ I: flach, Typ II: gekrümmt und Typ III: hakenförmig), wurden verschiedene Methoden zur Beschreibung der Form des Akromions beschrieben, die mit dem vermehrten Auftreten von Rotatorenmanschettenrupturen assoziiert sind. Insbesondere die Klassifizierung der akromialen Morphologie nach Bigliani, aber auch andere Methoden wie die Messung des akromialen Neigungswinkels (acromial slope), der den Winkel der Krümmung des Akromions in der Neer-Projektion des Schulter-Röntgens misst, sowie der laterale Akromionwinkel (Engl. lateral acromion angle), der die Krümmung des Akromions relativ zur Gelenkfläche des Glenoids in den antero-posterioren Aufnahmen der Röntgenbilder misst, beschreiben allesamt die akromiale Morphologie in Relation zur skapulären Anatomie. Dabei wurde die Form des Akromions isoliert von den Relationen zum Humeruskopf betrachtet und damit die Dynamik des Gelenkes zu wenig beachtet. Wie Eingangs beschrieben wird das glenohumerale Gelenk durch den großen Bewegungsumfang dynamisch durch die Rotatorenmanschette und die umliegenden Weichteile stabilisiert. Damit sollte

2.3 Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen  21

unseres Erachtens für die Beschreibung der akromialen Morphologie die Relation zum glenohumeralen Gelenk und die Dynamik in die Betrachtung mit einbezogen werden. 2.3.1.1 Die Akromiale Überdachung Die knöcherne Überdachung des Glenohumeralgelenks und damit die laterale Ausbreitung des Akromions über den Humeruskopf wird durch den Akromionindex (AI) gemessen [9]. Dabei wird in den antero-posterioren Röntgenaufnahmen die Distanz von der Glenoidkavität zum äußeren Rand des Akromions (GA) in Relation zur Distanz von der Glenoidkavität zum äußeren Rand des Humeruskopfes gesetzt (GH). Der Quotient dieser beiden Messungen (GA / GH) ist in Patienten mit Rotatorenmanschettenruptur erhöht, was auf eine Erweiterung der lateralen Überdachung hindeutet. Dieser Effekt wird biomechanisch dadurch erklärt, als dass die erweiterte laterale Überdachung einen größeren, nach kranial gerichteten Kraftvektor des Deltamuskels während Abduktionsbewegungen zur Folge hat. Diese nach kranial gerichtete Kraft führt zu höheren Scherkräften, welche den Humeruskopf in die akromiale Überdachung pressen und damit zum Impingement des M. supraspinatus führen. Mit der damit verbundenen chronischen Überlastung des M. supraspinatus kommt es zu degenerativen Veränderungen in der Sehne und infolgedessen zur Ruptur. Weiter wurde ebenfalls eine verminderte Re-Rupturrate bei Patienten mit tiefem AI nach Rekonstruktionen der Rotatorenmanschette beobachtet. 2.3.1.2 Die Orientierung des Glenoids Die Messung der akromialen Überdachung durch den AI beschreibt die Richtung des Kraftvektors des Deltamuskels mit seiner Wirkung auf das Glenohumeralgelenk bei Abduktionsbewegungen. Dabei wird jedoch die Orientierung des Glenoids in der Skapulaebene außer Acht gelassen. Die Orientierung des Glenoids hat einen wesentlichen Einfluss auf die Verschiebbarkeit des Humeruskopfes. Bei einer senkrechten Orientierung des Glenoids in der normalen Schulter sind während der Abduktionsbewegung höhere Kräfte des Deltamuskels nötig, um den Humeruskopf nach kranial zu verschieben, als wenn das Glenoid nach kranial inkliniert ist. Durch eine Inklination des Glenoids sind kleinere Kräfte für die kraniale Translation des Humeruskopfes nötig, weil sich damit das Glenoid in Zugrichtung des Deltamuskels geneigt hat. Damit kann der Humeruskopf leichter in die akromiale Überdachung gepresst werden, was das bereits erwähnte Impingement und damit die degenerativen Veränderungen in der Rotatorenmanschette zur Folge hat. Im Gegensatz zur Inklination kommt es bei einer Retroversion des Glenoids zur Schädigung der anterioren Muskulatur durch die vergrößerte mechanische Beanspruchung bei Innenrotationsbewegungen. Entsprechend führt eine vermehrte Anteversion zur potentiellen Schädigung der posterioren Muskel-Sehnen-Einheit.

22  2 Die Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen 2.3.1.3 Der Kritische Schulterwinkel Da zwischen der lateralen Überdachung und der Orientierung des Glenoids eine gegenseitige Wechselwirkung besteht, können die beiden Faktoren nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Die Kombination aus der Glenoidinklination und der lateralen Überdachung wird durch den Kritischen Schulterwinkel (engl. critical shoulder angle, CSA) gemessen. Das Konzept wurde durch Moor et al. [10] entwickelt und misst den Winkel zwischen einer Linie, die den superioren und inferioren Rand des Glenoids verbindet und einer Linie vom inferioren Glenoidpol zum lateralen Rand des Akromions, siehe a. p.-Röntgenbilder der Schulter Abb. 2.1. Der CSA wird in drei Grade eingeteilt: Eine normale Schulter hat einen CSA von 30–35° (Grad 2). Abweichungen des CSA über 35° (Grad 3) sind mit einer erhöhten Inklination und lateralen Überdachung des Humeruskopfes verbunden und damit mit Rotatorenmanschettenrupturen assoziiert. Ein CSA unter 30° (Grad 1) ist mit dem gehäuften Auftreten von Omarthrose assoziiert. Der CSA korreliert mit den Messungen des Akromionindexes und Glenoidinklination, hat aber im Gegensatz dazu eine signifikant höhere Sensitivität und Spezifität für die Unterscheidung zwischen einer normalen Schulter und einer Schulter mit Rotatorenmanschettenruptur.

Abb. 2.1: Messung des Kritischen Schulterwinkels (CSA) im antero-posterioren Röntgenbild der Schulter. Der CSA ist der Winkel zwischen einer Linie die den superioren und inferioren Rand des Glenoids verbindet und einer Linie vom inferioren Glenoidpol zum lateralen Rand des Akromions in den a. p.-Röntgenbildern der Schulter.

2.3 Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen  23

2.3.1.4 Biomechanik des Kritischen Schulterwinkels Eine biomechanische Erklärung wieso Patienten mit einem erhöhten CSA häufiger Rotatorenmanschettenrupturen aufweisen geht auf das Konzept der Kompressionsund Scherkräfte im Glenohumeralgelenk zurück. In biomechanischen Computermodellen konnte nachgewiesen werden, dass es mit der kontinuierlichen Erhöhung des CSA zur kranialen Translation des Humeruskopfes kommt und der CSA positiv mit erhöhten, nach kranial gerichteten Scherkräften korreliert. In einem weiteren biomechanischen Modell wurde nachgewiesen, dass bei einem CSA > 35° das Glenohumeralgelenk destabilisiert wird und die kranialen Scherkräfte bei glenohumeralen Abduktionsbewegungen bis 80° signifikant zunehmen. Dieser Effekt konnte sowohl für die isolierte Erhöhung der lateralen Überdachung und der Glenoidinklination, als auch für die kombinierte Veränderung beider Faktoren gemessen werden [11]. Wenn die thorakohumerale Abduktion durch Mitbewegung der Skapula über 90° geht, kommt es bei einem CSA > 35° zur inferioren Translation des Humeruskopfes. Dieser Effekt beruht auf einem Hebeleffekt des Weichteilgewebes, das bei der Abduktion in die akromiale Überdachung gepresst wird. Mit einer erweiterten lateralen Ausbreitung des Akromions wird dieser Hebeleffekt multipliziert und der Humeruskopf macht eine Ausweichbewegung nach inferior. Erst bei einer manifesten Rotatorenmanschettenruptur ist dieser Hebeleffekt aufgehoben. Mathematische Berechnungen haben ergeben, dass bei einem CSA > 35° der M. supraspinatus in 60° Abduktion maximal 44 % mehr Kraft aufbringen muss, um den Scherkräften entgegenzuwirken, um damit das Glenohumeralgelenk zu stabilisieren und zu zentrieren. Eine signifikante Differenz dieser kranialen Scherkräfte ist zwischen 40° – 90° glenohumeraler Abduktion zu beobachten. Dieser Bewegungsbereich ist für praktisch sämtliche Armbewegungen des täglichen Lebens ausgesprochen wichtig. Bei einem CSA > 35° ist damit der M. supraspinatus im täglichen Leben einer chronischen Überbeanspruchung ausgesetzt. Diese führt zu repetitiven Mikrotraumata in der betroffenen Sehne und dadurch zu langsamer Degeneration, wie später in diesem Kapitel beschrieben. Damit sind nicht primär Überkopfbewegungen für eine Rotatorenmanschettenruptur verantwortlich, sondern alltägliche Bewegungen im tieferen Abduktionsbereich. Erst wenn es zur starken Beanspruchung bei Überkopfbewegungen kommt, wie dies in Sportlern in Überkopfsportarten und Arbeitern mit vielen Überkopfbewegungen der Fall ist, hat diese chronische Überbeanspruchung einen führenden Einfluss auf die Entstehung einer Rotatorenmanschettenruptur. 2.3.1.5 Klinische Verwendung des Kritischen Schulterwinkels Für den klinischen Routinegebrauch des Kritischen Schulterwinkels ist es von großer Bedeutung, dass die Röntgenbilder in der genauen antero-posterioren Richtung geschossen wurden. Denn mit zunehmender Abweichung von der exakten a. p.-Richtung nimmt die Genauigkeit der Messung ab. Sollte keine Röntgenaufnahme von genügender Qualität vorhanden sein, kann stattdessen die Messung auch auf CT-Scans

24  2 Die Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen

und MRI-Bildern vorgenommen werden. Auf den MRI Bildern ist jedoch die Genauigkeit der Messung ebenfalls vermindert. Der CSA ist ein guter Prädiktor für eine Rotatorenmanschettenruptur und höhere CSA Werte sind mit dem Riss von mehr als einem Muskel assoziiert. Mit dem CSA könnte auch erklärt werden, wieso sich Rotatorenmanschettenrupturen und Omarthrose üblicherweise gegenseitig ausschließen. Mit dem CSA existiert ein einfaches und verlässliches Instrument für die Messung der anatomischen Varianten, die zu Rotatorenmanschettenrupturen führen [12]. Es ist den Autoren jedoch bewusst, dass die Ursache der Problematik weit komplexer und zusätzlich auf drei-dimensionaler Ebene zu suchen ist.

2.3.2 Biologische Veränderungen nach Rotatorenmanschettenruptur Wie bereits vorangehend in diesem Kapitel beschrieben, führen anatomische Variationen in der Schulter zu repetitiven Mikrotraumata in der Schulter. Dadurch werden zelluläre und biologische Prozesse in Gang gesetzt, welche zur Degeneration der Muskulotendinösen Einheit der Rotatorenmanschette führen. Durch die Insertion am superioren Humeruskopf ist der M. supraspinatus dabei der exponierteste Muskel aller Rotatorenmanschettenmuskeln und damit auch der am häufigsten betroffene. Generell löst ein länger aktivierter externer Trigger eine chronische Tendinopathie in der betroffenen Muskel-Sehnen-Einheit aus. Wie bereits diskutiert sind solche Trigger üblicherweise mechanische Stimuli, die zur Überladung der Sehne und des SehnenKnochenüberganges, der sogenannten Enthese, führen (Abb. 2.2 zeigt eine normale und eine pathologisch veränderte Enthese). Dabei kommt es, im Gegensatz zu anderen Geweben, durch den tiefen Zellgehalt in der Sehne zu einer schwachen und meist chronischen Entzündungsreaktion. Im Rahmen dieser chronischen Tendinopathie infiltrieren Entzündungszellen in das Sehnengewebe und verursachen die weitere Degeneration der Extrazellulärmatrix welche zur Apoptose der lokalen Tenozyten führt. Sobald die Sehne komplett gerissen ist, kommt es durch den Verlust des mechanischen Zuges zu nachfolgenden Abbauprozessen im betroffenen Muskel. Auch im Muskel infiltrieren Entzündungszellen das Muskelgewebe und lösen den Abbau von Muskelfasern aus. Damit kommt es zur Atrophie des Muskels und dem Verlust von Sarkomeren in Serie mit einer Verminderung des Muskelfaserquerschnittes und der Muskelfaserlänge. Die Verminderung des Muskelvolumens führt zur Retraktion der Muskel-Sehnen-Einheit, was mit einer Vergrößerung des Fiederungswinkels im betroffenen Muskel und damit zu einer Erweiterung des inter- und intramyofibrillären Spaltes einhergeht. Dieser freie Raum wird im Folgenden mit Bindegewebe aufgefüllt und Adipozyten ersetzen die abgebauten Muskelfaserzellen. Der Ersatz der Muskelzellen durch Fettzellen markiert den irreversiblen Endpunkt der muskulotendinösen Degeneration. Die zellulären und biochemischen Prozesse in der Sehne und dem Muskel teilen einige gemeinsame Mechanismen, die je nach Gewebe unterschiedliche Effekte haben. Die exakten Abläufe der Prozesse sind bis jetzt erst teilweise verstanden.

2.3 Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen | 25

Abb. 2.2: Histologische Bilder einer normalen Enthese und einer Enthese nach Rotatorenmanschettenrefixierung im Rattenmodell. (a) Normale Enthese in der Übersicht und Detail. Es zeigt sich die typische Schichtung der Enthese mit der Sehne (T), welche in den weichen Faserknorpel (FC) übergeht. Dieser verkalkt nach dem Scheidepunkt (engl. tide mark, TM) und wird zum mineralisierten Faserknorpel, der sich nahtlos mit dem spongiösen Knochen des Humeruskopfes verbindet. (b) Pathologische Enthese in der Übersicht und Detail. Acht Wochen nach Refixierung der Rotatorenmanschette zeigt sich eine narbige Neo-Enthese, bestehend aus Narbengewebe (SC), weichem und mineralisiertem Faserknorpel (FC) und Neovaskularisierung (Pfeile), die sich in einem ungeordneten Muster mit dem Knochengewebe (B) verbindet. Eine klare Schichtung ist nicht erkennbar. Sichtbar ist zudem auch ein Loch, welches der Faden (S), der zur Refixierung verwendet wurde, hinterlassen hat.

2.3.2.1 Die Phasen der Entzündungsreaktion Es hat sich gezeigt, dass Entzündungsprozesse eine wichtige Rolle während der degenerativen Prozesse in der Sehne und dem Muskel spielen. Dabei können drei unterschiedliche Etappen unterschieden werden: Während der Entzündungsphase löst mechanischer Stress die erste Entzündungsreaktion aus und erhöht die Permeabilität der vaskulären Gewebeversorgung und ermöglichen damit den neutrophilen Granulozyten die Extravasation ins geschädigte Gewebe. Damit sind diese Zellen die Vorläufer der Entzündungsreaktion und locken durch die Freisetzung von verschiedenen Zytokinen Makrophagen an. Diese sogenannten M1 Makrophagen dringen ins Gewebe ein, bauen Zelldebris ab und regulieren die darauffolgenden Prozesse während der

26  2 Die Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen

proliferativen Phase. Während dieser Phase wird ein temporäres Narbengewebe gebildet, welches reich an unstrukturiertem Kollagen Typ III ist. Dieses Gewebe wird durch Fibroblasten geformt, welche durch Zytokine in den Ort der Läsion gelockt wurden. Diese temporäre Narbe fungiert als Vorlage für den darauffolgenden Umbau während der Umgestaltungsphase mit dem Aufbau von klar strukturiertem Kollagen Typ I. 2.3.2.2 Makrophagen regulieren die Entzündungsprozesse M1 Makrophagen dringen während der initialen Entzündungsreaktion ins geschädigte Gewebe ein und bauen Zelldebris und die geschädigte Extrazellulärmatrix ab. Sie sind außerdem pro-inflammatorische Zellen, welche unterschiedliche Zytokine freisetzen, insbesondere die pro-inflammatorischen Interleukin-1β (IL-1β) und Tumor Necrosis Factor α (TNFα). Diese Zytokine aktivieren spezifische intrazelluläre Kaskaden in den Sehnen- und Muskelzellen und locken Fibroblasten zum Ort der Schädigung. Auf der intrazellulären Ebene kommt es durch die Bindung von IL-1β und TNFα zur Hochregulierung von Nuclear Factor kappa B (NF-κB) und damit einer intrazellulären Entzündungskaskade. Die Aktivierung von NF-κB wird moduliert durch Poly-(ADP-ribose)-polymerase 1 (PARP-1), welche damit einen wesentlichen Einfluss auf die degenerativen Kaskaden im Muskel und der Sehne nach einem Trauma hat. Die Hemmung oder Ausschaltung von PARP-1 führt zu einer verminderten Entzündungsreaktion, was den Muskel von einer weiteren Schädigung schützt (Abb. 2.3). Inflammatorische Zytokine IL1-b, TNF-a PARP-1

Extrazellulär Intrazellulär

NFkB

Apoptose

Ubiquitinproteasom

TGF-β

MyoD

Zellverlust

Muskelproteolyse

Fibrose

Muskelregeneration

Abb. 2.3: Schema der extra- und intrazellulären Entzündungsvorgänge am Beispiel der Muskeldegeneration. Wie hier dargestellt hat der Nuklear Factor kappa B (NF-κB) einen zentralen Einfluss auf die degenerativen Veränderungen. Er wird dabei von der Poly-(ADP-Ribose) Polymerase 1 (PARP-1) beeinflusst und aktiviert. Dabei fördert PARP-1 die Transkription der Bestanteile von NF-κB. TGF-β: Tumor Growth Factor β, MyoD: Myogener Faktor 3.

2.3 Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen  27

Die Fibroblasten, welche durch die Zytokine angelockt wurden, sezernieren in der folgenden Phase ein unorganisiertes temporäres Kollagengerüst, das den Schaden überbrückt und das Gewebe mechanisch stabilisiert. In der darauffolgenden proliferativen Phase ändern die M1 Makrophagen ihren Phänotyp und werden zu alternativ aktivierten M2-Makrophagen. Bislang ist nicht abschließend geklärt, ob sich die unterschiedlichen Makrophagen Typen nur funktionell unterscheiden, oder ob es sich dabei um Subpopulationen unterschiedlicher Zelltypen handelt. Die M2Makrophagen haben ein großes Spektrum an Funktionen. Die für die Gewebeheilung herausragende Funktion ist die Freisetzung von anti-inflammatorischen Zytokinen, womit sie die Regeneration des Gewebes regulieren. In der Frühphase der Regeneration orchestrieren die regulatorischen M2 Makrophagen (M2reg) die Reorganisierung des temporären Narbengerüsts und sind damit für die Reetablierung der Gewebeintegrität und Homöostase verantwortlich. Damit haben diese Makrophagen eine entscheidende Funktion in der Wiedererstellung der Gewebeintegrität. In einem Zustand von repetitiver Retraumatisierung kommt es zu einer chronischen Entzündungsreaktion mit einem exzessiven Remodeling. Im Rahmen dieser chronischen Entzündungsreaktion wechseln die M2-Makrophagen in den M2a-Subtyp. Diese M2a-Makrophagen setzen Wachstumsfaktoren wie TGFβ-1 frei, die zu spezifischen Reaktionen in den Muskel- und Sehnenzellen führen und die Fibroblasten zur Sekretion von großen Mengen von Komponenten der Extrazellulärmatrix stimulieren. Mit der Anreicherung der Extrazellulärmatrix kommt es zur Fibrose im betroffenen Gewebe [13].

2.3.3 Biologische Prozesse in der Sehne Die Hochregulierung von NF-κB in Tenozyten während der initialen Entzündungsreaktion ist ein wichtiger aber potentiell schädlicher Schritt in der Reaktion der Zellen auf die pro-inflammatorischen Zytokine IL 1-β und TNFα. Damit wird während der initialen Entzündungsphase in einigen Zellen die Apoptose ausgelöst und in anderen die Freisetzung von Metalloproteinasen (MMP), welche die Extrazellulärmatrix abbauen und die Neubildung von Kollagen hemmen. Die Heilung des Gewebes kann bei adultem Gewebe nicht direkt mit der Neubildung von perfekt parallel geordneten Kollagenfibrillen folgen, sondern muss einem Umweg über eine temporäre, mechanisch instabile Narbe erfolgen. Dieser Umweg wird während der proliferativen Phase durch die M2reg Makrophagen reguliert. Diese Makrophagen lösen die Entzündungsreaktion auf und fördern die Geweberegeneration, indem sie Fibroblasten aus dem Epi- und Peritenon in die geschädigte Sehne locken [14]. Diese Fibroblasten sezernieren Kollagen Typ III und füllen damit den Defekt mit einem Netz aus ungeordneten Kollagenfibrillen auf. Dieses Netz ist mechanisch instabil und dient in der folgenden Zeit als Ankerpunkt für Zellen, die in der Remodeling-Phase die temporäre Narbe umbauen und reorganisieren. Dabei wird das mechanisch unstabile Typ III Kollagen

28  2 Die Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen

durch das parallel angeordnete und damit mechanisch stabile Typ-I Kollagen ersetzt und damit die mechanische Stabilität des Gewebes verbessert [15]. 2.3.3.1 Mechanische Beanspruchung der Sehne ist überlebenswichtig Die Umwandlung der mechanisch instabilen Narbenmatrix zu mechanisch stabilem Bindegewebe während der Remodeling-Phase setzt voraus, dass die Sehne mechanisch beansprucht wird. Denn ohne eine physiologische Belastung der Sehne können die Kollagenfibrillen nicht parallel angeordnet werden. Dabei spielen Integrine, welche das Zytoskelett der Zelle mit dem extrazellulären Bindegewebe verbinden, eine entscheidende Rolle. Die exakten Mechanismen dieser Mechanotransduktion, dem Prozess wie die mechanische Belastung in biochemische Signale umgewandelt wird, ist bislang jedoch noch nicht restlos geklärt. Ist die mechanische Kontinuität der Sehne durch eine Ruptur unterbrochen, kann kein Narbengewebe aufgebaut werden. Damit kommt es zur chronischen Tendinopathie mit dem Verlust von Sehnensubstanz. 2.3.3.2 Chronische Tendinopathie Bei chronischen Rotatorenmanschettenrupturen, wie dies zum Beispiel bei den besprochenen anatomischen Variationen auftritt, kommt es in der Sehne zu repetitiven Mikrotraumen. Diese schädigen die Sehne bevor der regenerative Prozess beendet wurde und es kommt zur repetitiven Retraumatisierung des Gewebes. In diesem chronischen Entzündungszustand kommt es zu einem langsamen, zunehmenden Zell- und Substanzverlust mit einer Umwandlung der Extrazellulärmatrix in mechanisch instabiles Gewebe, was als chronische Tendinopathie bezeichnet wird. Dabei wandeln sich die M2-Makrophagen zu profibrotischen M2a-Makrophagen. Diese M2a Makrophagen verursachen durch die Freisetzung von Wachstumsfaktoren wie VEGF und der Überexpression von TGF-β eine Neovaskularisierung und Umwandlung der Extrazellulärmatrix mit Ansammlung von Proteoglykanen und Glucosaminoglykan, sowie die Hyperzellularität mit Fibroblasten. In diesem Zustand der chronischen Schädigung reichen bereits kleine Traumen oder physiologische Belastungen, um die Sehne komplett zu reißen [14]. 2.3.3.3 TGF-ß in der Sehne In den genannten Entzündungs- und Regenerations-Prozessen spielt TGF-β eine wichtige Rolle. Die Sezernierung von TGF-β während der verschiedenen Phasen ist höchst variabel und hängt vom Schädigungsmechanismus und der darauffolgenden Reaktion des Gewebes ab. Hier sind die genauen Zusammenhänge bislang noch unbekannt. TGF-β führt zur Freisetzung von Typ I Kollagen aus den Fibroblasten und Tenozyten. Dabei ist TGF-β nicht nur in adulten Zellen als TGF-β1 ein wichtiger Faktor während der Regeneration nach einem Sehnenschaden, sondern es ist auch in der Unterform TGF-β3 ein elementarer Mediator während der neonatalen Sehnenent-

2.3 Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen  29

wicklung. Dabei ist sowohl die Konzentration aber auch die zeitliche Abstimmung mit anderen Prozessen von entscheidender Bedeutung, denn die Überexpression von TGF-β1 verursacht die Fibrosierung des Gewebes und Apoptose der Tenozyten. Damit kann TGF-β sowohl einen positiven als auch negativen Effekt auf das Gewebe haben.

2.3.4 Entzündungsprozesse im Muskel Muskelgewebe ist ein höchst flexibles Gewebe, in dem sich die Degeneration und Regeneration während der normalen Homöostase die Balance halten. Dies erlaubt es dem Muskel rasch auf Stimuli wie mechanische Beanspruchung oder Überladung mit einer Hypertrophie zu reagieren. Andererseits kommt es bei längerer Ruhe oder bei einem Verlust mechanischer Beanspruchung durch eine Sehnenruptur zu einem raschen Abbau von Muskelgewebe. Diese Prozesse beginnen ähnlich wie im Sehnengewebe mit der Infiltration von Entzündungszellen während der initialen Entzündungsreaktion. Mit der Freisetzung von IL-1β und TNFα wird NF-κB aktiviert. Im Muskelgewebe hat NF-κB einen wichtigen Einfluss auf die Degeneration (Abb. 2.3). Es reguliert die Sezernierung von proinflammatorischen Zytokinen, welche zu einer raschen Apoptose und Nekrose einiger Muskelfaserzellen, den Myozyten führt. Das dabei angesammelte Zelldebris wird durch die M1 Makrophagen phagozytiert. 2.3.4.1 NF-κB reguliert den Muskelfaserabbau im Ubiquitin-Proteasom-System In der Regel wird jedoch nur ein kleiner Teil der Myozyten durch Apoptose oder Nekrose abgebaut, und der große Anteil des Verlustes von Muskelvolumen geschieht durch eine streng regulierte Abbaukaskade. In dieser Kaskade hat NF-κB einen wesentlichen Einfluss und reguliert dabei den Abbau von Myozyten, die aus einem riesigen Konstrukt von hunderten Myofibrillen mit einem hohen Proteingehalt aufgebaut sind. Der Abbau von Myozyten geschieht über verschiedene proteolytische Systeme wie dem Calpain System und dem Ubiquitin-Proteasomen System. Dabei werden die einzelnen Sarkomere durch das Calpain System abgebaut und machen diese Proteine bereit für die Ubiquitinierung. Die polyubiquitinierten Proteine werden im Proteasomen mittels Proteolyse abgebaut. Das Ubiquitin-Proteasomen System besteht aus einer Kaskade von verschiedenen regulatorischen Proteinen und Effektoren [16]. Die Effektoren können durch NF-κB direkt aktiviert werden, womit es in der initialen Entzündungsreaktion zu einer direkten Aktivierung der Abbauprozesse durch NF-κB kommt und exzessives Muskelgewebe damit effizient wieder abgebaut werden kann. 2.3.4.2 NF-κB hemmt die Muskelregeneration Die Aktivierung von NF-κB im Muskel führt neben den bereits erwähnten Abbauprozessen zu einer Hemmung der regenerativen Prozesse, in dem die Expression der myogenen Regulationsfaktoren (engl. myogenic regulatory factors, MRFs) vermindert

30  2 Die Pathogenese von Rotatorenmanschettenrupturen

wird. Damit kippt durch die Aktivierung von NF-κB die Balance der normalen Muskelhomöostase in Richtung der degenerativen Prozesse. Die Hemmung der MRFs durch NF-κB und der damit verbundenen Hemmung der Regeneration ist reversibel und der Muskel behält sein außergewöhnliches Regenerationspotential in der darauffolgenden Zeit. 2.3.4.3 Die Muskelregeneration Nachdem der Zelldebris durch die M1 Makrophagen phagozytiert wurde, ändern sie ihren Phänotyp und werden M2reg Makrophagen die das antiinflammatorische Zytokin IL-10 freisetzen. Damit wird die Entzündungsreaktion aufgelöst und die Myogenese gefördert [17]. In dieser proliferativen Phase werden Satellitenzellen und mesenchymale Stammzellen (MSC) aus dem Endo- und Perimysium aktiviert. Diese proliferieren und differenzieren sich zu Myozyten und übernehmen damit die Funktionen der Muskelfasern, die während der initialen Entzündungsreaktion abgebaut wurden. Dieser Prozess wird durch ein komplexes Zusammenspiel der myogenen Regulationsfaktoren mit endokrinen Wachstumsfaktoren orchestriert und führt zur Entwicklung von reifen Myozyten aus den Vorläuferzellen.

2.3.5 Muskeldegeneration in chronischen Rotatorenmanschettenrupturen Durch den Verlust der mechanischen Beanspruchung bei chronischen Rotatorenmanschettenrupturen können die regenerativen Prozesse kein normales Muskelgewebe wiederherstellen. Dabei ändern die M2reg Makrophagen ihren Phänotyp und werden zu chronisch aktivierten M2a Makrophagen. Ähnlich wie in der Sehne führt ihre Aktivierung zur Sekretion von Wachstumsfaktoren. Im Muskel werden dadurch die Fibroblasten zur Sekretion von TGF-β und Myostatin angeregt. Myostatin gehört zur selben Protein-Superfamilie wie TGF-β und ist ein äußerst potenter Inhibitor der Muskelregeneration. Diese Hemmung der Regeneration lenkt die Prozesse während der Remodeling-Phase in Richtung Atrophie und Fibrose. Damit werden weitere degenerative Kaskaden angestoßen und die M2a Makrophagen-Aktivität kippt die Balance der Muskelhomöostase definitiv in Richtung Degeneration. Die Atrophie des Muskels schreitet fort, womit sich der Muskel verkürzt und fibrosiert. Letztendlich werden die Muskelfasern durch Fettvakuolen ersetzt und Adipozyten infiltrieren aus den umliegenden Gefäßen in den freien inter- und intramyofibrillären Raum. Die Regulation dieser fettigen Infiltration ist noch nicht vollständig verstanden, aber es hat sich gezeigt, dass sich die regenerativen und proadipogenen Wege gegenseitig hemmen und diese Interaktion durch PARP-1 beeinflusst wird. Hemmung oder Ausschaltung von PARP-1 lenkt die Balance in Richtung Regeneration [18]. Zusätzlich wird die Adipogenese durch Myostatin und TGF-β gehemmt, wodurch die Adipogenese und damit die fettige Infiltration während der Präsenz von M2a Makrophagen nicht oder erst

Literatur  31

verzögert stattfindet. Dies ist ein natürlicher Schutzmechanismus, der eine vorzeitige Verfettung des Muskels bei einer vorübergehenden Schädigung oder im Zustand der Atrophie verhindert. Muskeln haben die außergewöhnliche Fähigkeit rasch auf äußere Einflüsse zu reagieren und zeigen ein großes Potential zur Regeneration und damit Wiederherstellung der strukturellen Integrität des Muskels. Die Regulation der Muskelhomöostase und dessen Reaktion auf eine Schädigung ist ein komplexes Zusammenspiel von degenerativen und regenerativen Prozessen, die sich gegenseitig beeinflussen. Ist der Muskel jedoch durch eine Rotatorenmanschettenruptur dauerhaft von einer mechanischen Stimulation entkoppelt, so überwiegen die degenerativen Prozesse und führen im Endeffekt zu einem Verlust von Muskelfasern. die dann durch Fettzellen ersetzt werden. Diese fettige Infiltration ist der irreversible Endpunkt der degenerativen Prozesse [19].

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3 Klinische Untersuchungstechniken Dennis Liem, Carolin Rickert Rotatorenmanschettenrupturen gehören zu den häufigsten Ursachen für Schmerzen, Bewegungseinschränkung und Funktionsverlust der Schulter. Mit zunehmendem Alter steigt die Prävalenz für Rotatorenmanschettenrupturen auf über 80 % [1]. Für die Therapieentscheidung und eine prognostische Aussage über den Therapieerfolg bei Rotatorenmanschettenrupturen ist eine exakte Diagnosestellung unerlässlich.

3.1 Anamnese –– Akut vs. chronisch –– Alter –– Schmerzanamnese Im Rahmen einer strukturierten Anamnese sollte die Schmerzlokalisation, -intensität, sowie die Schmerzqualität evaluiert werden. Des Weiteren sollte der zeitliche Zusammenhang des Auftretens der Schmerzen zu bestimmten Tätigkeiten oder einem Trauma erfragt werden. Neben der Anamneseerhebung stellt die klinische Untersuchung einen wichtigen Bestandteil in der Diagnostik von Rotatorenmanschettenrupturen dar. Die Arbeitsdiagnose, welche durch eine standardisierte Untersuchung erstellt wurde, gilt es anschließend durch bildgebende Verfahren zu verifizieren. Die klinische Symptomatik von Rotatorenmanschettenrupturen hängt in der Regel von deren Lokalisation und Ausdehnung ab. Während kleinere Läsionen eher mit Schmerzen verbunden sind, kann es bei Massenrupturen zu Kraftverlust und Funktionseinbußen kommen. Häufig beobachtet man eine negative Korrelation zwischen Rupturgröße und Schmerzsymptomatik. Während Partialläsionen sehr schmerzhaft sein können, kann eine Massenruptur über mehrere Jahre klinisch unauffällig verlaufen. Ein standardisierter Untersuchungsgang unter Anwendung verschiedener diagnostischer Tests und klinischer Zeichen erlaubt bereits eine differenzierte Beurteilung einzelner Strukturen der Schulter. Merke Die klinische Untersuchung sollte immer beidseits erfolgen. Es sollte grundsätzlich an der gesunden Seite begonnen werden.

https://doi.org/10.1515/9783110468939-003

34  3 Klinische Untersuchungstechniken

3.2 Inspektion Im Rahmen der Inspektion gilt es Asymmetrien der Schulterregion zu erfassen. So weisen zum Beispiel Atrophien der Fossa supra- und infraspinata auf eine länger bestehende posterosuperiore Rotatorenmanschettenmassenruptur hin. Ein weiteres Augenmerk sollte auf die Position der Scapula in Ruhe und bei Bewegung des glenohumeralen Gelenks gelegt werden, um eine möglicherweise bestehende Störung des scapulothorakalen Rhythmus (Scapuladyskinesie) zu dokumentieren. Eine Störung der Koordination der exzentrischen Scapulastabilisatoren (Mm. serratus anterior, trapezius, rhomboidei, levator scapulae) kann Folge aber auch Ursache von Schultererkrankungen sein. Die Scapuladyskinesie kann behandlungsbedürftig sein, da die Stabilisierung der Scapula essentiell für einen physiologischen Bewegungsablauf ist und Beschwerden bei Rotatorenmanschettenläsionen vortäuschen kann.

3.3 Palpation Die Palpation beginnt medial mit dem Sternoklavikulargelenk (1), gefolgt von Clavicula (2), Acromioclaviculargelenk (3), Processus coracoideus (4), Gelenkspalt (5), Sulcus intertubercularis mit Tuberculum minus (6) und Tuberculum majus (7), siehe Abb. 3.1.

Abb. 3.1: Palpationspunkte.

3.5 Spezielle Untersuchungstests  35

3.4 Bewegungsprüfung Die aktive und passive Beweglichkeitsprüfung der Schulter wird im Seitenvergleich durchgeführt, und die Bewegungsumfänge werden entsprechend der Neutral-NullMethode für Flexion / Extension, Abduktion / Adduktion und Außen- / Innenrotation in Neutralstellung und 90°-Abduktionsstellung dokumentiert. Veränderungen des Bewegungsumfangs im Rahmen von Schultererkrankungen sind sehr vielfältig und daher immer unter Zusammenschau der gesamten Untersuchung und im Vergleich zur Gegenseite zu bewerten. Ausgeprägte Einschränkungen der aktiven Beweglichkeit bei passiv freiem Bewegungsumfang weisen nach Ausschluss einer neurologischen Komponente auf eine Rotatorenmanschettenmassenruptur hin (Pseudoparalyse). Die adhäsive Kapsulitis sollte als wichtige Differentialdiagnose in Betracht gezogen werden bei einer kombinierten Einschränkung der passiven und aktiven Beweglichkeit mit fest elastischem Endgefühl der Bewegung (positives Kapselmuster). Die dann folgende isometrische Kraftprüfung erlaubt eine gezielte Untersuchung der einzelnen muskulären Anteile der Rotatorenmanschette hinsichtlich Schmerz und Kraft.

3.5 Spezielle Untersuchungstests 3.5.1 Supraspinatus Die Integrität des Supraspinatus (SSP) wird mit dem 0°-Abduktionstest sowie durch den Jobe-Test (Abb. 3.2) in 90°-Abduktion und 30°-Horizontalflexion geprüft [2].

Abb. 3.2: Jobe-Test.

36  3 Klinische Untersuchungstechniken 3.5.2 Infraspinatus / Teres minor Grundsätzlich erfolgt eine grobe Kraftprüfung der posterioren Rotatorenmanschette durch Außenrotation gegen Widerstand (Abb. 3.3). Ausgedehnte Rupturen unter Einbeziehung der Sehne des M. infraspinatus (ISP) führen zu einem positiven Außenrotations-Lag-Zeichen. Hierfür bringt der Untersucher den im Ellenbogen 90° flektierten Arm in eine 20°-Abduktions- und submaximale Außenrotationsstellung. Der Test fällt positiv aus, wenn der Arm spontan in Innenrotation zurückfällt. Die Integrität des Teres minor lässt sich vor allem mit dem Hornblower-Zeichen beurteilen [3]. Dabei wird der Patient aufgefordert, die Hand an den Mund zu führen. Bei Vorliegen einer kompletten Insuffizienz der Außenrotatoren weicht der Arm in Innenrotation ab. Um die Hand am Mund halten zu können, muss der Patient den Ellenbogen höher heben als die Hand.

Abb. 3.3: Außenrotationskraftprüfung.

3.5.3 Subscapularis Eine vermehrte passive oder aktive Außenrotation oder eine aktiv eingeschränkte Innenrotation im Vergleich zur Gegenseite können Hinweis auf eine höhergradige Subscapularissehnen (SSC)-Läsion sein. Zur Überprüfung der Integrität der Sehne des SSC haben sich der Lift-off-Test und das Innenrotations-Lag-Zeichen mit einer hohen Sensitivität für eine komplette SSC-Ruptur bewährt [4,5]. Beim Lift-off-Test wird der Arm in Innenrotation auf den Rücken gebracht und der Patient aufgefordert, die Hand vom Körper abzuheben. Ist dies nicht möglich, muss von einer höhergradigen Läsion

3.5 Spezielle Untersuchungstests  37

(a)

(b)

Abb. 3.4: Innenrotations-Lag-Zeichen. (a) Passiv vorgegebene Innenrotation. (b) Positives IRO-LagZeichen: Die Hand fällt spontan zurück auf den Rücken.

(a)

(b)

Abb. 3.5: Belly-press-Test. (a) Ausgangsstellung, (b) positiver Test.

des SSC ausgegangen werden. Beim IRO-Lag-Zeichen wird der Arm vom Untersucher passiv in Extension und submaximale Innenrotation gebracht und der Patient aufgefordert diese Position zu halten (Abb. 3.4). Ist dies nicht möglich, beobachtet man ein Zurückfallen der Hand an den Rücken, was als positives Ergebnis gewertet wird. Aufgrund von Schmerzen sind diese beiden Tests jedoch bei einer Vielzahl der Patienten nicht durchführbar. Eine bessere Durchführbarkeit zeigt sich für den daraufhin entwickelten Belly-press-Test und das Belly-off-Test [6,7]. Beim Belly-press-Test drückt der Patient den im Ellenbogengelenk gebeugten Unterarm mit gestrecktem Handgelenk mit ganzer Kraft gegen den Bauch und versucht dabei, den Ellenbogen vorne zu halten (Abb. 3.5). Gelingt dies nicht, kommt es zu einer Flexion im Hand-

38  3 Klinische Untersuchungstechniken

Abb. 3.6: Bear-hug-Test 45°.

gelenk, was als positives Testergebnis gewertet wird. Für den Belly-off-Test wird der Patient passiv in die gleiche Ausgangsstellung wie für den Belly-press-Test gebracht. Dann wird der Patient aufgefordert, diese Position zu halten. Gelingt ihm dies nicht, hebt sich die Hand vom Bauch ab. Dies wird als positives Zeichen gewertet. Die höchste Sensitivität für Partialrupturen des SSC und eine einfache Durchführbarkeit zeigt sich bei dem erst kürzlich entwickelten Bear-hug-Test. Bei diesem erstmals von Barth et al. beschriebenen Test wird der Patient aufgefordert, die Hand mit gestreckten Fingern auf die Schulter der Gegenseite zu legen, wobei der Ellbogen vor dem Körper platziert ist [8]. Daraufhin soll der Patient diese Position halten, während der Untersucher versucht, die Hand durch eine achsengerechte Außenrotationsbewegung von der Schulter abzuheben. EMG Studien zeigen, dass es bei der Durchführung des Bear-hug-Testes in 90° Abduktion insbesondere zur Aktivierung der caudalen Fasern kommt, wohingegen in 45° die cranialen Fasern angesprochen werden (Abb. 3.6). Somit können Rückschlüsse auf das Ausmaß der SSC-Ruptur gezogen werden.

3.6 Impingement-Tests Ein subakromiales Impingement geht häufig mit einem schmerzhaften und / oder invers schmerzhaften Bogen („painful arc“) zwischen 60° und 120° einher. Bei aktiver Abduktion in der Frontalebene gibt der Patient typischerweise reproduzierbare Schmerzen zwischen 60° und 120° an. Die exzentrische Belastung beim Absenken des Arms stellt oft eine stärkere Provokation des subakromialen Konflikts dar als die konzentrische bei Armhebung.

3.7 Bizeps-Tests  39

3.6.1 Impingement-Test nach Neer Hierbei wird bei fixierter Scapula der leicht innenrotierte Arm forciert eleviert und damit ein mechanischer Konflikt zwischen Tuberculum majus und Fornix humeri provoziert.

3.6.2 Impingement-Test nach Hawkins Für diesen Test wird der Arm des Patienten flektiert und kraftvoll maximal innenrotiert. Neben einer subakromialen Enge kann dabei ein subcoracoidales Impingement provoziert werden. Bei diesem Manöver kommt es zu einem mechanischen Kontakt zwischen Pulley-System, artikularseitigen Anteilen der Rotatorenmanschette und anterosuperioren Glenoidrand [9,10].

3.7 Bizeps-Tests 3.7.1 Sulcus-Test nach De Palma Der Untersucher übt von hinten mit dem Zeige- und Mittelfinger Druck auf den Sulcus bicipitalis aus. Der Test ist positiv bei Schmerzangabe [11]. Eine Rotation nach innen und außen sind möglich als zusätzliche Schmerzprovokation.

3.7.2 Speeds-Test In 90° Flexion der Schulter wird der Ellbogen gestreckt gegen Widerstand des Untersuchers am Handgelenk [12]. Dabei sollte der Unterarm in Supination sein. Der Test ist positiv, wenn ein Schmerz im Sulcus bicipitalis angegeben wird. Es zeigt sich eine niedrige Sensitivität (30 %) mittlere Spezifität mit 75 % in der Literatur [13,14].

3.7.3 O’Brien-Test Der Untersucher steht hinter dem Patienten und bringt den Arm des Patienten mit im Ellenbogen gestreckten Arm in 90°-Flexion mit leichter Horizontaladduktion (10−15°) und fordert den Patienten auf, mit dem Daumen Richtung Boden zu zeigen (Abb. 3.7). Der Untersucher übt nun im Bereich des distalen Unterarms Druck nach unten aus gegen den Widerstand des Patienten. Anschließend dreht der Patient den Arm in maximale Außenrotation (Handinnenfläche zeigt zur Zimmerdecke). Der Test ist positiv, wenn beim ersten Teil des Tests Schmerzen im Schultergelenk auftreten, die

40  3 Klinische Untersuchungstechniken

(a)

(b)

Abb. 3.7: O’Brien-Test. (a) Oberarm in Innenrotation: Daumen zeigt nach unten. (b) Oberarm in Außenrotation: Daumen zeigt nach oben.

beim zweiten Teil des Tests in Außenrotation geringer ausgeprägt sind oder gar nicht auftreten. Treten die Schmerzen im AC-Gelenk auf, ist der Test ein Hinweis auf eine AC-Gelenk-Pathologie [15].

3.7.4 Supine flexion resistance Test Der Patient liegt auf dem Rücken und legt den maximal flektierten Arm mit zur Decke zeigender Handinnenfläche auf der Untersuchungsliege ab. Der Untersucher gibt nun dem Patienten Widerstand im Bereich des Ellenbogens in Richtung der Liege. Der Test ist positiv, wenn Schmerzen im Glenohumeralgelenk auftreten [16].

3.8 HWS Die klinische Untersuchung sollte immer mit einer orientierenden Untersuchung der Halswirbelsäule beginnen, um eine vertebragene Schmerzgenese zu erfassen. Neben der Überprüfung der Beweglichkeit haben sich als wegweisende Provokationstests der Kompressions- und Distraktions-Test bewährt [17]. Bei dem Verdacht auf ein neurovaskuläres Kompressionsphänomen als Ursache für Schulterschmerzen (z. B. Thoracic-outlet-Syndrom) können spezifische Provokationsmanöver (Adson-Test, Hyperabduktionstest) durchgeführt werden.

Literatur  41

3.9 Neurologie Abschließend sollte eine grob orientierende neurologische Untersuchung erfolgen. Neben der Kraftprüfung der Kennmuskeln sollte eine Überprüfung der Sensibilität erfolgen, sowie bei Bedarf auch die Prüfung der Muskeleigenreflexe.

Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9]

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4 Bildgebung Frieder Mauch, Bettina Mauch

4.1 Röntgendiagnostik Die Standardaufnahmen zur Beurteilung von Patienten mit klinisch suspekter Rotatorenmanschettenpathologie stellen die anterior-posteriore Aufnahme (true a. p.) sowie der Outlet- oder Y-View dar. Bei Verdacht auf eine begleitende Omarthrose kann eine zusätzliche axiale Aufnahme angefertigt werden.

4.1.1 Anterior-posteriore Aufnahme Für diese Aufnahme liegt das Schulterblatt der betroffenen Schulter an der Röntgenkassette flach an. Somit wird der Körper des Patienten gegenüber einer a. p.-Aufnahme in der Frontalebene des Körpers um ca. 30–45° zur Richtung der darzustellenden Schulter gedreht. In aller Regel steht der Patient, der gestreckte Arm hängt herunter, der Daumen zeigt nach vorne (Neutral-Null-Position), so dass das Tuberculum majus radiologisch randständig ist. Der Strahlenverlauf ist 20° nach caudal geneigt.

4.1.2 Y-Aufnahme / Outlet View Bei der lateralen Aufnahme wird die betroffene Seite des sitzenden Patienten 30° vom Stativ weggedreht, der Arm hängt herunter. Durch den tangential zum Schulterblatt gerichteten und einen 10–15° cranio-caudalen Strahlenverlauf wird die Scapula als Y dargestellt, in deren Zentrum das Glenoid steht. In der a. p.-Aufnahme wird die Akromionmorphologie bestimmt. Beschrieben sind hier der kritische Schulterwinkel (critical shoulder angle, CSA), der Akromionindex (AI) nach Nyffeler [1] und der laterale Akromionwinkel nach Banas. Der AI errechnet sich aus dem Verhältnis der Strecke zwischen Glenoidfläche (GA) und lateraler Akromionkante und der Strecke zwischen Glenoidfläche und lateraler Ausdehnung des proximalen Humerus (GH). Für den lateralen Akromionwinkel nach Banas [2] wird der Winkel zwischen Akromionunterfläche und Glenoidfläche gebildet (Abb. 4.1, Tab. 4.1). Glenoidinklination, Akromionindex und Kritischer Schulterwinkel zeigen in aktuellen Studien eine gute Korrelation und eine signifikante Erhöhung bei transmuralen Rotatorenmanschettenrupturen [3,4,5].

https://doi.org/10.1515/9783110468939-004

44  4 Bildgebung

GA

GH

(b)

(a)

(c) Abb. 4.1: (a) Akromiohumeraler Index (AHI), (b) Critical Shoulder Index (CSA), (c) Lateraler Akromionwinkel (LAA). Tab. 4.1: Werte im Röntgen bei Patienten mit Rotatorenmanschettenruptur nach Moor [4]. Akromiohumeraler Index

Critical Shoulder Angle (CSA) in Grad

Lateraler Akromionwinkel in Grad

0,74 (0,71-0,79)

38,2 (36,1-40,3)

80,3 (74,9-84,7)

Der im Outlet View bestimmte Typ des Akromions nach Bigliani hat offensichtlich keine Signifikanz bezüglich des Auftretens von Rotatorenmanschettenrupturen. Ein großer subakromialer Sporn ist jedoch mit Rupturen der Manschette assoziiert [5]. Bei

4.1 Röntgendiagnostik  45

Vorliegen einer Rotatorenmanschettenmassenruptur kann die Defektarthropathie in der a. p.-Aufnahme nach Hamada [6] sowie nach Seebauer eingeteilt werden [7] (Tab. 4.2, Tab. 4.3, Abb. 4.2). Ziel der Röntgendiagnostik sollte es sein, Risikofaktoren für das Vorliegen einer Rotatorenmanschette zu erkennen und eine Dezentrierung auszuschließen. Tab. 4.2: Einteilung der Cuffarthropathie nach Hamada. Grad I

akromiohumeraler Abstand (AHA) > 6mm

Grad II

AHA  ½ Sehnendicke (+ 6 mm)

Abb. 5.10: Arthroskopische Klassifikation der Rotatorenmanschettenpartialruptur nach Ellman.

transtendinösen Rupturen subsummiert. Das Ausmaß des Sehnenschadens wird mit Hilfe der Grade 0 bis 4 angegeben: Rupturlokalisation: –– A: artikularseitige Sehnenoberfläche –– B: bursalseitige Sehnenoberfläche –– C: komplette Ruptur Rupturausdehnung der Partialruptur (Schweregrade der Partialruptur): –– 0: normale Sehne mit Bursa- bzw. Synovia bedeckt –– I: minimale, oberflächliche bursale oder synoviale Reizung oder leichte kapsuläre Aufrauhung in einem kleinen umschriebenen Bereich, gewöhnlich  20 mm und  30 mm

4

Defektarthropathie

Defektarthropathie

5.2 Rotatorenmanschette  69

5.2.2.11 Klassifikation der Rotatorenmanschettenmassenruptur nach Collin Collin und Mitarbeiter teilen die Muster der Rotatorenmanschettenmassenruptur in 5 verschiedene Typen ein (Abb. 5.14), die sich hinsichtlich der Schulterfunktion, insbesondere aktiven Flexion signifikant voneinander unterscheiden. Typ A und D weisen in Ihrer durchschnittlichen aktiven Flexion keinen Verlust auf, wohingegen Typ B die signifikant schlechteste aktive Flexion verglichen mit allen anderen Typen aufweist [32]. –– Typ A: Ruptur der Supraspinatussehne und superiorer Anteil der Subscapularissehne –– Typ B: Ruptur der Supraspinatussehne und der kompletten Subscapularissehne –– Typ C: Ruptur der Supraspinatussehne, superiorer Anteil der Subscapularissehne und Infraspinatussehne –– Typ D: Ruptur der Supraspinatussehne und Infraspinatussehne –– Typ E: Ruptur der Supraspinatussehne, der Infraspinatussehne und der Teres minor Sehne

Typ A

Typ B

Typ C

Typ D

Typ E

Abb. 5.14: Klassifikation der Rotatorenmnaschettenmassenruptur nach Collin.

5.2.2.12 Klassifikation der Subscapularissehnenruptur nach Fox und Romeo Subscapularissehnenläsionen haben eine Sonderstellung unter den Rotatorenmanschettenläsionen. Im klinischen Alltag werden die Klassifikation von Fox und Romeo [33] sowie die etwas detailliertere Klassifikation nach Lafosse [34] häufig angewandt. Fox und Romeo unterscheiden in Relation zur Ausdehnung der Ruptur 4 verschiedene Typen: –– Typ 1: kraniale Partialruptur –– Typ 2: komplette Ruptur der cranialen 25 % der Sehne –– Typ 3: komplette Ruptur der cranialen 50 % der Sehne –– Typ 4: komplette Ruptur der ganzen Sehne 5.2.2.13 Klassifikation der Subscapularissehnenruptur nach Lafosse Ebenfalls in Relation zur Rupturausdehnung unterteilt Lafosse [35] die Subscapularissehnenläsion in 5 Typen und bezieht hierbei auch die Auswirkung der Ruptur auf die statisch-dynamische Position des Humeruskopfes mit ein:

70  5 Klassifikationen –– –– –– ––

Typ I: Partialläsion des cranialen Sehnendrittels Typ II: komplette Ablösung des cranialen Sehnendrittels Typ III: komplette Ablösung der cranialen ⅔ der Sehne Typ IV: komplette Ablösung der Sehne mit zentriertem Humeruskopf und fettiger Muskeldegeneration ≤ Grad III (klassifiziert im CT nach Goutallier) –– Typ V: komplette Ablösung der Sehne mit dezentriertem Humeruskopf und fettiger Muskeldegeneration ≥ Grad III (klassifiziert im CT nach Goutallier) 5.2.2.14 Arthroskopische Klassifikation der Subscapularissehnenläsion der French Arthroscopic Society (SFA) Anhand einer prospektiven Multicenterstudie mit 150 Patienten mit isolierten Subscapularissehnenläsionen wurden 4 verschiedene arthroskopische Läsionsmuster beobachtet [36]: –– Typ 1: normale anteriore Rotatorenintervall Schlinge mit partieller Ablösung der Subscapularissehne –– Typ 2: partielle Ablösung der Subscapularissehne vom Tuberculum minus kombiniert mit einer Partialruptur der anterioren Rotatorenintervall Schlinge –– Typ 3: komplette Subscapularissehnenablösung und komplette Ruptur der anterioren Rotatorenintervall Schlinge wobei die oberflächlichen Subscapularissehnenfasern im Verbund mit der Intervallschlinge verbleiben –– Typ 4: komplette Subscapularissehnenruptur mit kompletter humeraler Ablösung mit „freiliegender lateraler Kante“ am Humerus 5.2.2.15 Klassifikation der fettigen Muskeldegeneration im CT nach Goutallier Goutallier beschrieb 1989 eine heute häufig angewandte Klassifikation zur qualitativen Beurteilung der Muskulatur der Rotatorenmanschette im axialen CT mit Weichteilfenster, die mittlerweile auch für MRT-Untersuchungen in der T1-gewichteten Sequenz angewendet wird [37], obwohl nur eine ausreichende bis moderate Korrelation zwischen MRT und CT nachgewiesen wurde [38]. Der M. supraspinatus wird in der Schicht zwischen Spina scapulae und Schulterblatt, die MM subscapularis und infraspinatus wird in der Schicht caudal des lateralen Ansatzes der Spina scapulae und auch in der Schicht durch den caudalen Anteil des Glenohumeralgelenks beurteilt. Die fettige Muskelinfiltration wird in 5 Stadien eingeteilt: –– Stadium 0: normales Muskelgewebe ohne Fetteinlagerung –– Stadium 1: Muskelgewebe mit vereinzelten Fetteinlagerungen –– Stadium 2: deutliche Fetteinlagerung, jedoch noch mehr Muskel als Fetteinlagerung –– Stadium 3: gleich viel Muskel wie Fetteinlagerung –– Stadium 4: mehr Fetteinlagerung wie Muskelmasse vorhanden

5.2 Rotatorenmanschette  71

In der Literatur zeigt sich eine breite Streuung der Reliabilität dieser Klassifikation mit jedoch überwiegend mäßiger bis guter Interobserver und Intraobserver Übereinstimmung [39]. 5.2.2.16 Klassifikation der Atrophie des M. supraspinatus im MRT nach Thomazeau Die Bestimmung der Muskelatrophie des M. supraspinatus erfolgt nach Thomazeau in der schräg sagittalen Ebene in der T1-gewichteten Spin-Echo-Sequenz. Zur Bestimmung der Atrophie wird die Occupation Ratio (R) von der Fläche der Fossa-supraspinata (S2) zur Fläche des Muskelbauches des M. supraspinatus (S1) wie folgt berechnet: R = S1 / S2 (Abb. 5.15). Je nach Atrophie sind 3 Stadien definiert: –– Stadium 1: normal oder leicht atrophiert, Occupation Ratio zwischen 1,00 und 0,60 –– Stadium 2: moderate Atrophie: Occupation Ratio zwischen 0,60 und 0,40 –– Stadium 3: erhebliche oder schwere Atrophie: Occupation Ratio  6 mm –– Grad 2: AHA  6 mm –– Grad 2: AHA  50° und fehlende Impingementsymptomatik ein positives Prognostikum für eine erfolgreiche konservative Therapie dar. Nach Itoi [8] lassen sich in 73–80 % der Patienten mittelfristig gute Ergebnisse bei konservativer Therapie erzielen. Grundsätzlich sollte ein Partialdefekt bei allen Patienten sowie ein degenerativer Supraspinatussehnendefekt beim älteren Patienten > 70 Jahre ohne Anspruch an Maximalkraft und Überkopfbelastbarkeit, insbesondere wenn der Schmerz im Vordergrund der Symptomatik steht, zunächst konservativ behandelt werden. Auch massive Defekte ohne Aussicht auf primäre Rekonstruktionsfähigkeit stellen eine klare Indikation zur primär konservativen Therapie dar. Dagegen sollte ein traumatischer Sehnendefekt vor allem beim jüngeren Patienten sowie „akute“ 2- oder 3-Sehnendefekte auch bei aktiven älteren Patienten mit guter Sehnen- und Muskelqualität eher einer primär operativen Therapie zugeführt werden. Einen Algorithmus mit drei Gruppen haben Tashjian et al. [10] 2012 entwickelt, der von Edwards et al. [6] aufgegriffen wurde. Danach sollten Patienten über 60–65 Jahre mit einem transtendinösen Defekt („full thickness tear“), alle primär irreparablen Defekte sowie alle partiellen und kleinen ( 1 cm primär operativ behandelt werden. Die Dauer eines konservativen Therapieversuches wird in der Literatur in der Regel mit drei bis sechs Monaten angegeben. Wenn nach dieser Zeit kein ausreichender https://doi.org/10.1515/9783110468939-006

84  6 Konservative Therapie

Therapieerfolg eingetreten ist, sollte eine operative Behandlung erwogen werden. In einer großen Multicenterstudie [7] entschieden sich die meisten Patienten nach Beginn einer konservativen Therapie innerhalb von 12 Wochen zur Operation, später ließen sich nur noch wenige Patienten operieren. Problematisch bei der Indikationsstellung zur konservativen Therapie ist, dass bis heute keine sicheren Aussagen zur Prognose eines spezifischen Defektes getroffen werden können. So besteht die Gefahr, dass ein zum Zeitpunkt der Erstdiagnose noch rekonstruierbarer Sehnendefekt im Verlauf dann nicht mehr rekonstruierbar wird [11,12] bzw. dass eine (irreversible) Muskelveränderung im Sinne der fettigen Degeneration eintritt. Das Eintreten einer relevanten fettigen Degeneration wurde von Melis et al. [13] an einer großen Patientenzahl für die Supraspinatussehne nach 3 Jahren, für die Infraspinatus- und die Subscapularissehne bereits nach 2,5 Jahren beschrieben. Eine Größenzunahme tritt bei bis zu 50 % der Defekte schon in einem Zeitraum von zwei Jahren nach der Erstdiagnose auf [6,12,13]. Daher sollten Patienten auch unter bzw. nach konservativer Therapie in Abständen nachuntersucht werden, um eine objektive Befundverschlechterung bzw. die drohende Irreparabilität nicht zu übersehen. Insbesondere eine Schmerzzunahme gilt als Indikator für eine Größenzunahme [6,12,13,14].

6.2 Medikamentöse Therapie und biologische Stimulation 6.2.1 Analgetika Für die Schmerzbehandlung werden in der Regel entsprechend dem WHO-Stufenplan zunächst Nicht-Opiodanalgetika wie ASS, Paracetamol, Metamizol oder nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAR) wie Diclofenac, Ibuprofen oder Naproxen eingesetzt. Letztere verfügen über den Vorteil der zusätzlich entzündungshemmenden Wirkung bei Begleit-Bursitiden etc. Literaturdaten zum Einfluss von NSAR auf die Heilung von Sehnengewebe und die Sehnen-Knochen-Einheilung sind in ihrer klinischen Bedeutung bisher nicht eindeutig [15,16,17]. Untersuchungen in-vitro und an Tiermodellen sprechen für einen möglichen negativen Einfluss auf die Gewebsheilung von Sehnen und dem Sehnen-Knochen-Interface, eindeutige klinische Daten zu einem solchen negativem Einfluss durch NSAR liegen aber nicht vor. Da lediglich beim frischen (traumatischen) Partialdefekt der Rotatorenmanschette ein gewisses Heilungspotential vorliegt [18], scheint der Einsatz insbesondere beim chronischen, degenerativen Sehnenschaden unbedenklich. Sollte die analgetische Wirkung der Stufe 1 nicht ausreichen, können ergänzend entsprechend WHO Stufe 2 schwach wirksame Opiodanalgetika wie z. B. Tilidin oder Tramadol verabreicht werden. Stark wirksame Opioide der WHO Stufe 3 wie z. B. Morphin, Hydromorphin, Oxycodon oder Hydromorphin sind eher selten und wenn, nur kurzzeitig indiziert. Hier sollte die Indikationsstellung zurückhaltend erfolgen.

6.2 Medikamentöse Therapie und biologische Stimulation  85

6.2.2 Steroide Der schmerzlindernde Effekt von Steroidpräparaten beruht primär auf der entzündungshemmenden Wirkung auf die begleitenden Bursitiden und Synovitiden bei Rotatorenmanschettendefekten. Das am häufigsten verwendete Präparat ist Triamcinolon. Der Zusatz von Lokalanästhetika hat keinen direkten Einfluss auf die Wirkung. Die Injektion erfolgt in der Regel subakromial, wobei auch die intraartikuläre Applikation beschrieben ist. Nach einer Studie von Marder et al. [19] bietet eine Injektion von lateral mit 92 % oder von ventral mit 84 % intrabursaler Nadellage einen sichereren Zugang als die Injektion von dorsal mit nur 54 %. Mehrfache Injektionen bieten keinen Vorteil gegenüber der singulären Anwendung, haben aber einen möglichen negativen Effekt auf die Sehnenqualität und die Knochendichte des Tuberculum majus, was bei einer eventuell sekundär erfolgenden operativen Versorgung relevant ist [20,21]. Schon nach einer Injektion ist mit einer vorübergehenden Schwächung der verbliebenen Sehnen zu rechnen, so dass von Belastung in den ersten 2 Wochen nach einer Steroidinjektion abzuraten ist [20]. Generell ist eine Steroidinjektion nicht als Dauertherapie zu betrachten, über 3 Monate hinaus sahen Mohamedi et al. [22] und Gialanella et al. [23] keine Unterschiede mehr gegenüber einer Placebo-Injektion. Ferner fanden Bloom et al. [24] in einem Cochrane-Review 2012 keinen relevanten Vorteil einer Ultraschall- gegenüber einer Landmarken-geführten Injektion.

6.2.3 Hyaluronsäure Auch die Injektionsbehandlung mit Hyaluronsäure-Präparaten kann einen positiven Effekt beim Rotatorenmanschettendefekt haben. Die Wirkung basiert nach Kaux et al. [25] auf einer allgemeinen Schmerz- und Entzündungshemmung, sowie verbesserten Gleiteigenschaften bzw. einer anti-adhäsiven Wirkung. Histologisch führt die Applikation von Hyaluronsäure bei Tendopathien zu einer Verbesserung der Sehnenstruktur, was vor allem beim Partialdefekt von Bedeutung sein kann. Jedoch sind die klinischen Ergebnisse nach einer Studie von Shibata [26] mäßig.

6.2.4 Biologische Stimulation 6.2.4.1 Autologes Thrombozytenreiches (platelet rich) Plasma = PRP Die positiven in-vitro-Effekte von verschiedenen PRP-Produkten bzw. den darin konzentrierten Wachstumsfaktoren auf Sehnenzellen sind vielfach beschrieben [27,28]. Jedoch können diese bisher in der klinischen Anwendung im Rahmen einer konservativen Therapie nicht sicher reproduziert werden. Im Vergleich zu einem „dry needling“ als Kontrollgruppe schnitt die intra-tendinöse bzw. intra-läsionale, sonographisch gesteuerte PRP-Injektion nach 3 bis 6 Monaten bei Partialdefekten im „Shoulder Pain

86  6 Konservative Therapie

and Disability Index“ (SPADI) besser ab [29]. Shams et al. [30] beschrieben für die subakromiale Anwendung von PRP bei Partialdefekten aber vergleichbare Ergebnisse wie für Steroidinjektionen. Innerhalb eines Jahres fanden Kesikburun et al. [31] keinen Vorteil von subakromialer PRP-Injektion gegenüber Placebo. 6.2.4.2 Mesenchymale Stammzellen Der Einsatz mesenchymaler Stammzellen zur Regeneration degenerativer Sehnenund Muskelgewebe ist Gegenstand der Forschung. Neben den degenerativen Veränderungen im Sehnengewebe ist eine reduzierte Dichte mesenchymaler Stammzellen am Sehnen-Knochen-Übergang von Patienten mit symptomatischen Rotatorenmanschettendefekten nachgewiesen [32]. Ein Einsatz solcher Vorläuferzellen erscheint daher sinnvoll. Tierexperimentelle Daten existieren zum Einsatz von mesenchymalen Stammzellen (MSC) zur Behandlung einer akuten Rotatorenmanschettenruptur [33,34]. Beim Einsatz humaner umbilikaler MSCs kam es im Kaninchenmodell zur Ausheilung akuter Defekte [34]. Vergleichbare Daten zur humanen Anwendung fehlen. Auch Kombinationen aus Gentherapeutischen Ansätzen zusammen mit mesenchymalen Stammzellen verschiedener Herkunft werden experimentell überprüft. Erste positive Effekte sind in vitro nachgewiesen. Hier fehlen jedoch bisher Daten zur klinischen humanen Anwendung [35].

6.3 Physikalische Therapie Die Evidenz für eine Wirkung der im Allgemeinen unter physikalischer Therapie oder Elektrotherapie geführten Behandlungsverfahren beim Rotatorenmanschettendefekt ist gering [36]. Angewendet werden Kryo-oder Wärmetherapie, Ultraschall einschließlich EWST, Niedrig-Energie-Laser, TENS, Iontophorese sowie pulsierende Magnetfeldtherapie (PEMF, pulsierende elektromagnetische Feldtherapie). Liu et al. [37] beschrieben in vitro eine Stimulation von Tenozyten und Myoblasten durch PEMF und postulieren einen möglichen positiven Effekt auf die Sehnenheilung auch beim akuten Rotatorenmanschettendefekt.

6.4 Physiotherapie und Eigentrainingsprogramme Im Rahmen eines Rotatorenmanschettendefektes kommt es zu unterschiedlich ausgeprägten Bewegungseinschränkungen durch Kontrakturen, Bewegungsschmerzen durch eine gestörte Kinematik mit subakromialem und ggf. retro-korakoidalem Impingement sowie Kraftverlust. Dabei entstehen Störungen nicht nur glenohumeral bzw. subakromial, sondern auch im skapulo-thorakalen Nebengelenk. Die physio-

6.4 Physiotherapie und Eigentrainingsprogramme  87

therapeutische Behandlung zielt daher auf die Herstellung der freien Beweglichkeit, Reduktion des Impingements durch verbesserte Zentrierung des Humeruskopfes, sowie Kräftigung kompensatorischer Muskelgruppen ab. Literaturdaten beziehen sich in der Regel [6,38,39] auf eine Behandlungsdauer von 8–12 Wochen, wobei zur Sicherung des Therapieeffektes ein Eigentraining auch über diesen Zeitraum langfristig fortgesetzt werden sollte. Basis der meisten in der Literatur angegebenen Therapieprogramme (Tab. 6.1) ist die Orthotherapie nach Rockwood und Wirth [40]. Diese wird in drei Phasen unterteilt. Ziel der Phase 1 ist die Herstellung einer vollen, schmerzfreien Beweglichkeit. Im Vordergrund stehen zunächst Pendelübungen, dann schmerz-adaptiertes Dehnen in Flexion, Abduktion, Extension und Rotation. Als Hilfsmittel werden z. B. Stäbe oder Seilzüge verwendet (Abb. 6.1). Die Dauer der Phase 1 wird von Wirth et al. [40] mit ca. 4–6 Wochen angegeben. Phase 2 bezieht sich auf die Kräftigung der verbliebenen Anteile der Rotatorenmanschette, der Skapula-führenden Muskulatur und des M. deltoideus. Hier wird zunächst aus einer Neutralstellung in Adduktion mit 90° flektiertem Ellenbogen eine 45°-Bewegung in den 5 Bewegungsgraden Flexion, Extension, Abduktion, Innen- und Außenrotation mit einem elastischen Band geübt. Alle 5 Übungen sollten zwei- bis dreimal am Tag mit jeweils 5 Wiederholungen und einer Haltedauer von ca. 5 Sekunden pro Übung durchgeführt werden (Abb. 6.2). Tab. 6.1: 3-Phasen-Programm nach Miller et al. [39]. Woche 1: Akutphase

Woche 2 und 3: ­Übergangsphase

Woche 4–6: ­ fortgeschrittene Phase

–– Passiv: –– ARO –– IRO –– Flexion im Liegen –– Extension im Stehen –– Assistiv: –– ARO im Liegen –– Flexion im Stand –– ABD im Stand –– „Wandklettern“ –– Extension im Stand –– Isometrisch: –– ARO in 0° –– IRO in 0° –– ARO in Seitlage –– Extension mit ARO in Bauchlage –– ABD in Skapulaebene –– Skapularetraktion –– Skapulabewegung gegen Widerstand

–– Dehnen: –– Horizontale ADD –– IRO –– Dorsale Kapsel in Seitlage „sleeper stretch“ –– ARO und IRO in 0° gegen elastischen Widerstand –– ARO in 90° gegen elastischen Widerstand –– Ruderübungen in Bauchlage –– Serratus Protraktion in Flexion –– Wandstütz –– Latissimus-Zug –– Bizeps curl –– Trizeps push

–– Weiterführung der Dehnund Kraftübungen aus der Übergangs-Phase –– PNF –– Mm. rhomboidei, –– M. pectoralis major –– M. deltoideus –– ADLs, sport-spezifische Aktivitäten

88  6 Konservative Therapie

(a)

(c)

(b)

Ausgangsposition

Endposition

Abb. 6.1: Dehn- und Mobilisationsübungen für die Rotatorenmanschette: (a) Pendeln mit leicht vorgeneigtem Oberkörper, (b) Dehnen der hinteren Kapsel- und Rotatorenmanschettenanteile, (c) Dehnen der vorderen Kapsel- und Rotatorenmanschettenanteile.

6.4 Physiotherapie und Eigentrainingsprogramme  89

(a)

(b) Ausgangsposition

Endposition

Endposition

(d)

(c) Ausgangsposition

(e)

Ausgangsposition

Endposition

Ausgangsposition

Endposition

Abb. 6.2: Kräftigungsübungen für die Rotatorenmanschette und den Schultergürtel: (a) Innenrotation gegen Widerstand mit einem elastischen Band, (b) Außenrotation gegen Widerstand mit einem elastischen Band in Adduktion, (c) Außenrotation gegen Widerstand mit einem elastischen Band in 90° Abduktion, (d) und (e) Kräftigung des M. trapezius und der Schulterblatt-stabilisierenden Muskulatur.

90  6 Konservative Therapie

Die Autoren betonen, dass die Übungen möglichst schmerzfrei sein sollten und die Belastung entsprechend anzupassen ist. Neben diesen Übungen zur Kräftigung der Restmanschette sollten zur Optimierung der Skapulaführung und damit Reduktion z. B. eines Impingement die Mm. serratus anterior, latissimus dorsi, trapezius und rhomboidei trainiert werden. Hierfür eignen sich „push-up“-Übungen, zunächst im Stand z. B. gegen eine Wand, dann aus den Knien und ggf. schließlich als klassische Liegestütz sowie „shoulder shrugs“ und „press-ups“. Für die Phase der Muskelkräftigung werden bis zu drei Monate veranschlagt. Phase 3 bezieht sich auf die Normalisierung der Aktivität in Alltag, Beruf und Sport bzw. Hobby. Verschiedene Autoren [38,39] konnten zeigen, dass es durch Übungsprogramme, die zunächst durch Physiotherapeuten überwacht und dann als Eigentrainingsprogramm weitergeführt wurden, zu einer signifikanten Verbesserung der gleno-humeralen Beweglichkeit, der Kinematik mit Stabilisierung des Drehzentrums sowie einer Kraftzunahme kommt. Ob der akromio-humerale Abstand auch in der Ruheposition vergrößert wird, ist fraglich. Klinisch konnte der Effekt eines Trainingsprogrammes an einer großen Patientenzahl in einer multizentrischen Studie gezeigt werden [7]. Auch hier sind die wichtigsten Elemente Dehnübungen, Rumpf-stabilisierende Haltungsübungen und Kräftigungsübungen des Schultergürtels. Allen Übungsprogrammen ist gemeinsam, dass Dehnübungen täglich, Kraftübungen dreimal pro Woche durchgeführt werden sollten.

6.5 Ergebnisse der konservativen Behandlung Publizierte Ergebnisse beziehen sich vor allem auf kleinere, isolierte Supraspinatussehnendefekte. Nach 3,5 Jahren fanden Fucentese et al. [2] einen relativen Constant score von 86 % und einen subjektiven Schulter-Wert (subjective shoulder value SSV) von 74 %. Patienten, die nach 3-monatiger konservativer Therapie ein gutes Ergebnis aufweisen, bleiben zu 90 % auch im follow up von 2 Jahren gut [41]. Selbst im Langzeit-Verlauf von 13 Jahren hatten in einer Studie 90 % der Patienten keine oder nur geringe Schmerzen, 70 % hatten keine Einschränkungen bei den ADL [42]. Auch bei mäßig symptomatischen massiven Defekte lassen sich durch eine konservative Behandlung im mittelfristigen Verlauf ein relativer Constant score von 83 % und ein subjektiver Schulterwert SSV von 68 % erzielen [43]. Jedoch besteht das Risiko der Progression eines primär noch reparablen Defektes zum irreparablen Defekt. Die Gefahr der Progression scheint bei älteren Patienten über 60 Jahren und bereits bestehender fettiger Degeneration höher [44], so dass diese Patienten entsprechend regelmäßig kontrolliert werden sollten. Im Vergleich zur operativen Behandlung beim isolierten Supraspinatusdefekt waren die Ergebnisse nach 2 Jahren bei rein konservativer Therapie denen der subakromialen Dekompression ohne oder mit Sehnenrekonstruktion gleich [45]. Im

Literatur  91

mittelfristigen Verlauf sind die bei isolierter Supraspinatussehnenläsion operativ behandelten Patienten in den Scores zwar besser, die Differenz klinisch aber kaum relevant [14].

6.6 Zusammenfassung Bis heute gibt es keine eindeutigen Kriterien zur Indikationsstellung einer konservativen oder operativen Behandlung beim Rotatorenmanschettendefekt. Die konservative Therapie beruht auf einer medikamentösen Schmerz- und Entzündungshemmung, sowie insbesondere auf der Wiederherstellung einer freien Beweglichkeit und muskulären Kompensation von Funktionsausfällen. Insbesondere bei isolierten Suprasinatussehnendefekten werden auch im mittelfristigen Verlauf zufriedenstellende subjektive und klinische Resultate erzielt. Physikalische Maßnahmen können unterstützend wirken. Injektionstherapien mit Gewebs-aktiven Substanzen wie PRP-Präparaten und Hyaluronsäure zeigen bisher keinen relevanten Effekt in vivo. Stammzell- und gentherapeutische Ansätze existieren derzeit nur in vitro. Da eine anatomische restitutio ad integrum bei konservativer Therapie nicht möglich ist und im Verlauf die Gefahr einer Größenzunahme des Defektes mit gleichzeitiger irreversibler Muskeldegeneration besteht, sollte im Rahmen einer konservativen Therapie in Abständen eine klinische und zumindest sonographische Verlaufskontrolle erfolgen.

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7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten 7.1 Partialdefekte Andreas Werner Partialdefekte der Rotatorenmanschette finden sich bevorzugt in der hypo- bis avaskulären „Crescent“-Zone der Supraspinatussehne, seltener in der Subscapularis- und Infraspinatussehne [1]. Sie können bursalseitig, gelenkseitig und intratendinös auftreten [2]. Die Prävalenz wird in der Literatur mit 13–32 % [1] angegeben, wobei nach Fukuda [2] die tatsächliche Inzidenz schwierig zu schätzen ist, da die intratendinösen Läsionen lediglich im MRT zu diagnostizieren sind und die meisten Literaturangaben auf Kadaver- oder offenen bzw. arthroskopischen Operationsbefunden basieren. In der Kadaver-Studie von Fukuda [2] fanden sich in insgesamt 13 % der Fälle Partialdefekte, davon 27 % gelenkseitig, 18 % bursalseitig und 55 % intratendinös. Ähnlich den kompletten Sehnendefekten steigt die Prävalenz mit dem Alter an. Jedoch wurden in einer Studie bei jungen Überkopfsportlern auf der dominanten Seite in 40 % Rotatorenmanschettendefekte gesehen [3]. Diese liegen als Folge eines „internen Impingements“ typischerweise etwas weiter dorsal am Intervall zwischen Supra- und Infraspinatus als beim älteren Patienten, wo sie bevorzugt nahe der Supraspinatusinsertion am Tuberculum majus auftreten [4]. Eine Sonderrolle durch die Beteiligung der langen Bizepssehne nehmen die „Pulleyläsionen“ ein. Die Möglichkeit zur Spontanheilung ist stark limitiert [2], durch veränderte Spannungsmuster im verbliebenen Sehnengewebe wird dies weiter geschädigt, so dass es im Verlauf in > 50 % zur Progression des Defektes kommt [4]. Nach einer Studie von Gerber et al. [5] können bereits ab einer Defekttiefe von 30 % dynamische Deformierungen der Muskel-Sehneneinheit vergleichbar mit kompletten Defekten auftreten. Zur Einteilung eines Partialdefektes liegen verschiedene Klassifikationen vor. Populär sind für Defekte der Supra- (und Infra-)spinatussehne die Klassifikationen von Ellman [6] und von Synder [7] , die sich auf die Defekttiefe und Lokalisation, nicht aber auf die Flächenausdehnung beziehen. Gelegentlich auftretende, meist bursale medio-laterale Längsrisse sind von diesen Einteilungen nicht erfasst. Für Defekte der Subscapularissehne sind die Klassifikationen von Fox und Romeo [8] bzw. von Lafosse [9] am weitesten verbreitet. Diese beziehen sich nicht explizit auf Partialdefekte und die Defekttiefe am Subscapularis-footprint. Die Klassifikationen werden im Kap. 5 ausführlich besprochen.

https://doi.org/10.1515/9783110468939-007

96  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten 7.1.1 Indikationsstellung zur operativen Behandlung Partialdefekte der Rotatorenmanschette werden in der Regel zunächst konservativ behandelt [1,2]. Bei Versagen der konservativen Therapie (s. Kap. 6, Konservative Therapie) wird nach 3 bis 6 Monaten die Indikation zur operativen Behandlung gestellt, bei jungen Patienten und traumatischen Defekten ggf. auch früher. Die Indikationsstellung ist dabei abhängig von Faktoren wie Alter, Beruf und Anspruch sowie Compliance des Patienten, vom Ausmaß des Defektes und z. B. bei jüngeren Überkopfsportlern mit einem internen Impingement auch von einer eventuellen Primärpathologie. Im Rahmen der operativen Therapie sollten alle Begleitpathologien wie ein Outlet-Impingement, eine ACG-Arthrose oder eine Bizepspathologie im Rahmen des Eingriffes saniert werden. Insbesondere sollte bei Überkopfsportlern mit einer internen Impingement-Läsion die zugrundeliegende Instabilität im Sinne einer Kapsel-LabrumRekonstruktion oder eines Kapselshifts bzw. eine dorsale Kapselverkürzung im Sinne eines GIRD-Syndrom („gleno-humerales Innenrotationsdefizit“) adressiert werden. Grundsätzlich kommen Verfahren ohne und mit Rekonstruktion des Sehnendefektes in Betracht. In der Literatur herrscht Konsens, dass bei einer Defekttiefe von > 50 % der Sehnendicke eine Rekonstruktion angezeigt ist, da ansonsten mit schlechteren Ergebnissen und einer späteren Defektprogression gerechnet werden muss [1,2,4,10]. Die meisten Algorithmen basieren auf der Basis von Literaturangaben, dass die Supraspinatussehne am footprint ca. 10–12 mm dick ist [11,12,13], somit ab einer Defekttiefe von ca. 5–6 mm oder Ellman Grad 3 eine Rekonstruktion angezeigt ist. Andere Autoren [14] geben die Breite der Supraspinatusinsertionszone dagegen mit nur 6,7 mm im Durchschnitt an, so dass eine rein mm-bezogene Indikationsstellung möglicherweise kritisch zu sehen ist. Bei Defekten vom Grad 1 ist ein Debridement angezeigt, bei Defekten vom Grad 2 (3–6 mm Tiefe) ist im Zweifel eine individuelle Entscheidung hinsichtlich der oben erwähnten patienteneigenen Kriterien notwendig. Wichtig ist der Hinweis, dass eine korrekte Beurteilung des Defektes erst nach Resektion der defekten Sehnenfasern und ggf. Debridement des footprint möglich ist [4] (Tab. 7.1). Tab. 7.1: Arthroskopische Therapieoptionen bei Partialdefekten der Rotatorenmanschette, modifiziert nach [4]. Isolierte Akromioplastik Debridement mit / ohne Akromioplastik Transtendinöse oder in-situ-Rekonstruktion + / – Akromioplastik Konversion in einen kompletten Defekt und anschließende ­Rekonstruktion + / – Akromioplastik Tenotomie / Tenodese der langen Bizepssehne

7.1 Partialdefekte  97

Für die Konversion in einen kompletten Defekt spricht die Annahme, dass auch das vermeintlich intakte, verbliebene Sehnengewebe bereits degenerativ verändert ist [4]. Nach Yamakado et al. [15] zeigen 90 % des makroskopisch intakten Restgewebes bei gelenkseitigen Supraspinatussehnen-Läsionen (PASTA-Läsion) eine moderate histopathologische Degeneration. Vorteil einer transtendinösen oder in-situ-Rekonstruktion ist der Erhalt intakten Sehnengewebes mit Reduktion des Re-Ruptur-Risikos. Im biomechanischen Vergleich zur Konversion kommt es bei der transtendinösen Rekonstruktion zu signifikant geringerer Lückenbildung bei höherer Versagenslast [16]. Ein möglicher Nachteil dieser Techniken ist, dass durch eine iatrogen bedingte unphysiologische Spannung („tension mismatch“) auf dem bursal-seitigen Sehnengewebe residuale Symptome verbleiben können [17] und dieses Gewebe durch rigide Nahtkonstrukte stranguliert werden könnte [18]. Die Integration der superioren Kapsel bei einer transtendinösen Rekonstruktion führt darüber hinaus zu einer möglichen Bewegungseinschränkung [19]. Hieraus folgte die Entwicklung von „all-inside“-Techniken, bei der nur die defekten Sehnenanteile refixiert werden [18,20]. Bei bursal-seitigen Defekten mit makroskopisch erhaltener gelenkseitiger Schicht sollte beachtet werden, dass diese physiologisch mehr Last übernimmt als die bursale Schicht und eine Ablösung und anschließende Refixation zur iatrogenen Schwächung führen kann. Diese Diskussion bezieht sich primär auf die Versorgung von Supraspinatussehnendefekten.

7.1.2 Operative Techniken 7.1.2.1 Konversion zum kompletten Defekt Die Ablösung der Restfasern sollte unmittelbar am footprint erfolgen, um den iatrogenen Gewebsverlust und eine unphysiologische Spannung auf der Rekonstruktion bestmöglich zu vermeiden. Entsprechend sind arthroskopische Scheren oder Skalpelle besser geeignet als Shaver oder Punches. Eine elektro-thermische Ablösung der Restsehne reduziert deren Heilungskapazität und sollte vermieden werden. 7.1.2.2 Transtendinöse Rekonstruktion gelenkseitiger Supra- oder ­Infraspinatussehnendefekte / PASTA-repair Vor einer transtendinösen Rekonstruktion eines gelenkseitigen Defektes empfiehlt sich eine subakromiale Bursektomie, befundabhängig in Verbindung mit einer Akromioplastik. Da bei dieser Technik das Fadenmanagement im Subakromialraum „blind“ erfolgt, besteht bei einer Bursektomie erst nach Platzieren der Fäden die Gefahr, dass diese durch den Shaver geschädigt werden oder nur schwer aufzufinden sind [21]. Die Kamera wird dann erneut in das posteriore Portal eingesetzt und ein anteriores Portal angelegt. Zum besseren Fadenmanagement empfiehlt sich eine Instrumentierkanüle. Meist ist ein Sehnendebridement und die Anfrischung des footprint bis zum blutenden Knochen von anterior her möglich. Anschließend wird von (antero-)

98  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten

lateral her die Mitte der Sehnenläsion bzw. des freien footprint mit einer Spinalnadel markiert und eine Stichinzision angelegt (Abb. 7.1a). Im Nadelbereich wird ein Portal angelegt. Die Sehne kann nun entweder entlang der Nadel faser-parallel auf wenige Millimeter mit dem Messer inzidiert werden oder stumpf mit dem entsprechenden Anker-Setzinstrument perforiert werden. Auf ausreichenden Abstand zur langen Bizepssehne sollte geachtet werden. Lo und Burkhart [22] empfahlen eine leichte Traktion am Arm zur einfacheren Ankerinsertion vor allem bei weit lateral ausladendem Akromion. Falls erforderlich, kann durch die Sehneninzision eine Nachbearbeitung des footprint mit Shaver oder Kurrette erfolgen. Je nach Defektgröße werden ein oder zwei einfach- oder doppelt beladene Fadenanker am medialen Rand des footprint knorpelnah eingesetzt, so dass ggf. eine 2. Sehneninzision notwendig ist. Ide et al. [23] und Shin et al. [18] empfehlen bis zu einer Defektbreite von 1,5 cm einen, darüber zwei Nahtanker. Jeweils ein Fadenschenkel pro Faden wird durch das anteriore Portal ausgeleitet. Mit einem Perforationsinstrument oder einem Nahtlasso wird dann über das antero-laterale Portal die Sehne perforiert (Abb. 7.1b). Eine zu weit mediale Perforation der gelenkseitigen Schicht sollte vermieden werden, um eine unphysiologische Spannung zu vermeiden [24]. Insbesondere bei Retraktion der gelenkseitigen Sehnenschicht kann diese von anterior her mit einer Fasszange eventuell vor der Perforation reponiert werden, um möglich physiologische Spannungsverhältnisse zwischen den Sehnenschichten zu erhalten. Ansonsten sollten die erhaltene und die defekte Sehnenschicht nacheinander aufgeladen und perforiert werden. Die Perforation sollte, je nach Defektgröße, 7–10 mm vor bzw. hinter dem Nahtanker erfolgen. Der oder die anterior ausgeleiteten Fadenenden werden dann mit dem Perforationsinstrument oder dem Nahtlasso retrograd durch die Sehne transportiert. Wahlweise kann der 2. Fadenschenkel dann analog durch die Sehne transportiert werden oder, vor allem bei doppelt beladenen Ankern, in der primären Sehneneröffnung belassen werden (Abb. 7.1c). Ein probeweises Anspannen der Fäden sollte zur Reposition der defekten Sehnenschicht an den footprint führen. Anschließend wird die Kamera nach subakromial umgesetzt und die Fadenpaare auf der intakten bursalen Sehnenschicht geknotet (Abb. 7.1d). Einige Autoren verwenden zusätzlich einen lateralen Anker, um die Fadenenden im Sinne einer modifizierten „suture-bridge“-Technik über den intakten bursalen Anteil hinweg lateral zu fixieren [24,25]. Bei der transtendinösen Technik werden somit beide Sehnenschichten durch die Nähte fixiert. Bei den sogenannten intra-artikulären oder „all-inside“-Techniken [4,18,19] werden nur die defekten gelenkseitigen Fasern am footprint refixiert. Sie sind technisch aufwändiger, reduzieren aber die genannten potentiellen Negativeffekte der klassischen transtendinösen Technik. Spencer [19] beschrieb ein Verfahren, bei dem ein gebogenes Perforationsinstrument (Nahtlasso) durch ein Portal im Rotatorenintervall eingebracht wird und die Fäden eines zuvor wie bei der transtendinösen Technik eingebrachten Nahtankers nur durch die abgelöste gelenkseitige Sehnenschicht geführt werden. Das Besondere an dieser Technik ist, dass der Knoten später intratendinös zwischen den Sehnenschichten zu liegen kommt, was ggf. aber die Sehnenheilung

7.1 Partialdefekte  99

(a)

(b)

(c)

(d)

Abb. 7.1 a–d: Versorgung einer gelenkseitigen Partialläsion: Setzen des Nahtankers nach Nadelmarkierung, Transport der Fäden durch die Sehne und Knoten auf der bursalen Sehnenoberfläche.

negativ beeinflusst. Die Technik von Shin et al. [18] ist der transtendinösen Standardtechnik ähnlich, jedoch werden die beiden Fadenenden nach Durchführung durch die defekte gelenkseitige Sehnenschicht unmittelbar tangential am footprint durch die bursale Schicht zurückgeführt und lateral verknotet, so dass keine Strangulation oder unphysiologischen Spannungsverhältnisse auftreten (Abb. 7.2 und Abb. 7.3). Analog zu gelenkseitigen oder kompletten Defekten erfolgt auch bei bursalen Teil-Defekten zunächst die vorsichtige Resektion defekten Sehnengewebes und die Anfrischung des footprint am Tuberculum majus. Sollte die verbleibende tiefe Sehnenschicht sehr dünn oder degenerativ verändert sein bzw. gleichzeitig ein gelenkseitiger Defekt vorliegen, ist eine Konversion zum durchgängigen Defekt mit entsprechender Versorgung sinnvoll. Gelegentlich findet man eher medio-lateral ausgerichtete, nur den sehnigen Anteil, nicht aber die knöcherne Insertion betreffende Defekte. Hier bietet sich eine reine Seit-zu-Seit-Naht an. Dabei sollte durch Kontrolle von intra-artikulär sichergestellt werden, dass bei der Nahtpassage z. B. mit einem Nahtlasso die lange Bizepssehne nicht versehentlich mitgefasst wird.

100  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten

Abb. 7.2: Technik nach Shin.

Abb. 7.3: Alternativ-Techniken nach Koh et al.: Links vollschichtige Rekonstruktion, rechts Rekonstruktion nur der defekten bursalen Schicht.

Yoo et al. [26] beschrieben eine „small-window“-Technik zur Rekonstruktion bursalseitiger Partialdefekte. Bei dieser Technik wird das Nahtmaterial eines lateral eingesetzten einfach- oder doppelt beladenen Nahtankers auch durch die tiefe, noch intakte Sehnenschicht geshuttelt und dann auf der Sehne verknotet, so dass eine vollschichtige Sehnenrefixation („full layer repair“), analog einem PASTA-repair, resultiert. Die meisten Autoren beschreiben jedoch lediglich die Refixation der defekten bursalen Sehnenschicht. Diese kann, angepasst an den Defekt, als einfache Naht, modifizierte Mason-Allen-Naht mit doppelt- oder dreifach geladenen Nahtankern, als knotenlose, modifizierte „speed-bridge“-Technik oder als „klassische“ 2-reihige „suture-bridge“-Technik erfolgen [27,28] (Abb. 7.4).

7.1 Partialdefekte  101

2 1

3

(a)

(c)

(b)

Abb. 7.4: (a) Modifizierte Mason-Allen-Naht, (b) Modifikation nach Shin et al. [18], (c) Knotenlose, modifizierte „Speed-bridge“-Technik.

7.1.2.3 Rekonstruktion eines partiellen Subscapularissehnendefektes Partielle Defekte der Subscapularissehne im analogen Sinne zu denen der Supra- und Infraspinatussehne entsprechen den Läsionen Grad 1 + 2 nach Lafosse [9] bzw. Grad 1 nach Fox und Romeo [8], die Übergange zu transtendinösen, den oberen Bereich der Sehne betreffenden Läsionen sind hier fließend und technisch gleich zu behandeln. Für die korrekte Beurteilung der Subscapularis-Insertion ist eine Innenrotation und Flexion notwendig, da ansonsten gelenkseitige Partialdefekte übersehen werden können. Rein bursale Partial-Defekte der Subscapularissehne sind bisher in der Literatur nicht beschrieben. Grundsätzlich treten isolierte Defekte selten auf [29]. Die Refixation von isolierten Defekten Grad 1–2 nach Lafosse bzw. nach Fox und Romeo erfolgt über ein anteriores Portal, welches etwas weiter kranial als das Standardportal liegen sollte, um eine korrekte Anfrischung des footprint in Innenrotation zu ermöglichen. Da der anteriore subdeltoidale Raum im Vergleich zum Subakromialraum weniger Übersicht bietet, empfiehlt sich primär eine Weichteilresektion im Intervall und vor der Subscapularissehne mit dem Shaver. Denard und Burkhart [30] beschrieben eine 2-Portaltechnik mit einem antero-supero-lateralen Portal im Bereich des Rotatorenintervalls und einem weiter medial gelegenen, weiteren anterioren Portal. Eine solche 2-Portaltechnik eignet sich insbesondere bei gleichzeitiger Tenodese der langen Bizepssehne, die bei Subscapularisrekonstruktionen grundsätzlich großzügig indiziert werden sollte. Für eine knotenlose Technik wird ein Faden von ventral mit einem geeigneten Passageinstrument durch den lateralen oberen Sehnenrand geshuttelt, alternativ eine Fadenschlaufe als „cinch-Stich“, und einem geeigneten Fadenanker am Tuberculum minus fixiert (Abb. 7.5). Bei etwas größeren

102  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten

Defekten (Grad 2) sollte ein doppelt beladener Fadenanker verwendet werden. Die Fäden werden dann retrograd von ventral als Matrazen-Naht oder als mod. MasonAllen-Naht durch die Sehne geführt und ventral auf der Subscapularissehne geknotet (Abb. 7.6 a+b). Auch wenn für Subscapularisdefekte ein Zusammenhang mit einer retro-coracoidalen Stenose wahrscheinlich ist [31], ist die Coracoidplastik in praxi eine Ausnahme. Ein coraco-humeraler Abstand von  7 mm normal, gutes post-op Ergebnis wahrscheinlich –– 5–7 mm grenzwertig, schwieriger RM-Verschluss ––  90° sein, das ARO-lag-sign sollte negativ sein. 7.3.4.2 Kontraindikation –– Schmerzunabhängige Unfähigkeit einer aktiven anterioren Elevation > 90° –– Positives ARO-lag-sign 7.3.4.3 Inhalt / Ziel –– Entfernen aller schmerzauslösenden Veränderungen wie Synovialitis, Bursitis –– Tenotomie der langen Bizepssehne (LBS) –– Subacromiale Dekompression durch Tuberkuloplastik und nicht durch Acromioplastik 7.3.4.4 Technik In Beach-Chair-Lagerung wird über ein posteriores Portal zunächst die diagnostische Arthroskopie durchgeführt. Dann nach Anlage eines antero-lateralen und eines anterioren Portals zunächst die Bizepssehne basisnah durchtrennt. Man muss darauf achten, dass die Sehne aus dem Gelenk rutscht und sich im Sulcusbereich verklemmt. So kann eine mögliche Distalisierung des Muskelbauches eventuell verhindert werden. Mit dem Shaver und einer Elektrosonde werden dann alle entzündlichen Veränderungen der Gelenkschleimhaut und der Bursa entfernt und eine ausführliche Blutstillung vorgenommen. Es folgt ein Debridement der Sehnenränder ohne jedoch am Knochen ansetzende Sehnenanteile zu zerstören (Abb. 7.20).

Abb. 7.20: Tuberkuloplastik, mit einem Shaver oder einer Walzenfräse wird das Tuberculum majus partiell abgetragen und somit abgerundet, was zu einem störungsfreien Eintauchen unter das Akromion ermöglicht.

7.3 Massive Defekte: Salvage-Verfahren  125

(a)

(b)

Abb. 7.21: Prä-(a) und post-operatives (b) a. p.-Röntgenbild vor und nach einer Reversen subacro­ mialen Dekompression mit Tuberkuloplastik. Man erkennt gut wie das Tuberculum majus abgerundet wurde.

Anschließend wird das Tuberculum majus von Weichteilen freigelegt (auch hier gilt: keine Sehnenschäden verursachen) und dann der Knochen mit einer Walzenfräse abgerundet, sodass das Tuberculum bei passiver Abduktion kontaktfrei unter dem Acromion durchgleiten kann. Meist ist die knöcherne Resektion nur dosiert durchzuführen. Ein typisches Beispiel von prä- zu-postoperativ zeigt Abb. 7.21. 7.3.4.5 Ergebnisse Unsere eigenen Ergebnisse [9] zeigten bei 23 Patienten mit irreparablen RMMR eine Verbesserung des gewichteten Constant-Scores von prä-operativ 65 % auf post-operativ 90 %. Insbesondere die Schmerzreduktion war signifikant mit nur 2 Patienten, die nur eine geringe Schmerzreduktion erfuhren. Hinsichtlich der Beweglichkeit konnte eine Verbesserung der AAE von durchschnittlich 100° prä- zu 165° post-operativ erreicht werden. Bei einem Patienten zeigte sich keine Besserung der Symptome und bei rascher Progredienz der Beschwerden mit Entwicklung einer Defektarthropathie erfolgte 6 Monate post operationem die Implantation einer inversen Schultertotalprothese. In einer anderen Studie [12] konnten die Autoren bei 38 Patienten ebenfalls eine signifikante Verbesserung des relativen Constant-Scores erzielen (prä-op: 35 %; postop: 84 %). Am meisten profitierten die Patienten auch hier von der deutlichen und signifikanten Schmerzreduktion. 2 Patienten mussten sich einer Revision auf eine inverse Prothese nach 6 bzw. 10 Monaten unterziehen.

126  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten 7.3.4.6 Komplikationen Echte Komplikationen sind selten, da der Eingriff wenig invasiv ist. Infekte wurden nicht berichtet, auch wurden keine neurologischen Schäden festgestellt. Die berichteten Fehlschläge resultierten letztlich in der Implantation einer inversen Schulterprothese. Das Verfahren wird heute nur noch selten angewandt, da die Indikation bei der immer anspruchsvolleren Patientenklientel nur noch selten gestellt wird. Die Mehrzahl der Patienten wünscht heute wohl doch auch eine funktionelle Verbesserung.

7.3.5 Partialrekonstruktion Im Jahr 1996 hat Steven Burkhart [13] bereits über die biomechanischen Vorteile einer Partialrekonstruktion der Rotatorenmanschette berichtet. Er konnte zeigen, dass es eine einer Hängebrückenkonstruktion vergleichbare Struktur gibt, die für eine optimale Kraftübertragung der Muskeln der Rotatorenmanschette auf den Humeruskopf verantwortlich ist. Diese Struktur zieht im Sinne einer perpendikular zur eigentlichen Faserrichtung der Sehnen vom lateralen Tuberculum minus, dem Sulcuseingang und dem medialen Tuberculum minus zum posterioren Tuberculum majus. Er benannte sie als Rotatorenkabel und stellte fest, dass Schultern mit einem intakten Kabel biomechanisch als intakte Schultern anzusehen waren, auch wenn die distal des Kabels liegenden Sehnenanteile defekt waren. Er bezeichnete dies als einen funktionellen Sehnendefekt. Liegt jedoch eine Unterbrechung des Rotatorenkabels vor, handelt es sich um eine dysfunktionale Schädigung oder dekompensierte Ruptur mit Schwäche und der Tendenz, dass der Humeruskopf eine superiore Migration bei Abduktion und anteriorer Elevation durchläuft. Basierend auf diese Beobachtung entwickelte er das Konzept der Partialrekonstruktion. Ziel ist es das Rotatorenkabel zu rekonstruieren. Dies erreicht man durch Annäherung der anterioren und posterioren Rupturränder (margin convergence) und durch sichere Refixation der am Knochen ansetzenden Sehnenrändern am Knochen (edge stability). Zunächst wurde dies in einer offenen Technik durchgeführt bis die einzelnen Schritte auch arthroskopisch möglich waren. 7.3.5.1 Indikation Patienten mit irreparabler RMR und einem deutlichen Funktionsverlust mit AAE  3 cm 2 Jahre postoperativ eine strukturelle Heilungsrate von 85 % bei der Gruppe, die offen mit einem humanen Dermisgraft verstärkt wurde gegenüber 40 % bei den nicht verstärkten Rekonstruktionen [25]. Bei der Verwendung des Patches als Interposition, um den restlichen Defekt zu decken, fehlen hier Level-I-Studien und die bisher veröffentlichten Arbeiten können zwar eine Verbesserung der Scores zeigen, dies ist jedoch vor allem der Schmerzreduktion durch Debridement und Acromioplastik geschuldet [26,27]. Andere Autoren beschreiben keinen Unterschied zwischen der alleinigen Acromioplastik und der Patch-Interposition mit verschiedenen Grafts [28]. Somit ist eine regelmäßige Anwendung von Patches zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu empfehlen, sondern sollte zunächst einem ausgewählten Patientengut mit hoher Rerupturwahrscheinlichkeit und geschwächtem Sehnengewebe, aber hohem Funktionsanspruch vorbehalten bleiben [29,30]. 7.3.6.5 Komplikationen Bei dieser Technik können neben den oben beschriebenen Komplikationen mit Nekrosen und Infekte auch noch Fremdkörperreaktionen und mechanische Probleme durch den Patch auftreten, die sich letztlich ebenfalls in einer nicht erreichten Verbesserung der Gesamtsituation der Schulter und ihrer Funktion widerspiegeln.

7.3.7 Superiore Kapselrekonstruktion nach Mihata (SCR) Als Weiterentwicklung der Interpositions-Technik hat Mihata zunächst biomechanisch, dann auch klinisch einen Fascia lata-Autograft verwendet und diesen in den superioren Restdefekt mit Fixation medial am superioren Glenoidrand und lateral am Tuberculum majus eingenäht. Die posterioren und anterioren Ränder wurden dann mit der residuellen Rotatorenmanschette vernäht. Er konnte hierunter auch irreparable Sehnendefekte verschließen und zeigte sowohl klinisch funktionell wie auch strukturell-radiologisch gute Ergebnisse. Seiner Arbeit fehlte jedoch eine Kontrollgruppe und weitere Veröffentlichungen gibt es hierzu in peer-review Zeitschriften bisher nicht [11,31]. Es zeichnet sich ein Trend dahingehend ab, anstatt des Fascia lata-Streifens einen humanen oder porcinen dermalen Patch zu verwenden. So kann man den Patch arthroskopisch einbringen. Durch die Refixation des Patch am Glenoid und am lateralen Humerus sowie an der residuellen RM, vor allem nach dorsal in Richtung ISP, soll das Höhertreten des Humeruskopfes verhindert werden. Die langfristigen Ergebnisse bleiben abzuwarten. Nach Erstautoren- und anderer Chirurgen Meinung könnte diese Technik eine Alternative zur inversen Prothese bei irreparablen Rupturen ohne arthrotische Veränderungen darstellen.

132  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten 7.3.7.1 Ziel Durch das Vernähen des Patches am Glenoidrand medial und am Tuberculum majus lateral soll ein Höhertreten des Humeruskopfes bei der Elevation und Abduktion verhindert werden und somit eine bessere Zentrierung desselben möglich werden mit dem Resultat, den Arm wieder schmerzfrei über Schulterebene zu heben. 7.3.7.2 Indikationen –– Irreparable RM-Rupturen mit schlechtem Sehnengewebe, insbesondere nach fehlgeschlagener Vor-Operation –– Fehlende arthrotische Veränderungen –– Ablehnung einer inversen Prothese durch den Patienten 7.3.7.3 Kontraindikationen –– Schultersteife –– Infekt –– Defektarthropathie 7.3.7.4 Technik Folgende Portale werden in Beach-Chair-Lagerung angelegt: –– Dorsales Standardportal –– Anterolaterales Portal –– Posterolaterales Portal –– Antero-superiores Portal –– Neviaser-Portal Zunächst werden wie gewohnt die vorhandenen Sehnen mobilisiert und man strebt eine möglichst optimale Rekonstruktion bzw. Partialrekonstruktion an. Zuvor noch Durchführen von LBS-Behandlung und Acromioplastik. Hat man nun die Indikation zur SCR gestellt, wird primär der nicht mehr von Sehnengewebe bedeckte Glenoidrand debridiert und angefrischt. Über das Neviaser-Portal Einbringen von 2 SutureTac-Ankern, die jeweils mit 2 Fäden armiert sind. Je ein Fadenpaar eines Fadenankers (möglichst unterschiedlich in der Farbe) wird nach antero-lateral herausgezogen. Der Patch wird entsprechend der Defektgröße zugeschnitten. Man bringt ferner zwei knotenfreie mit je einem FiberTape armierte SwiveLock-Anker am osteochondralen Übergang ein. Die Fäden der medialen SutureTacs werden nach Ausmessen des Defekts und der Abstände der einzelnen Anker voneinander durch den medialen Anteil des Patches vorgelegt. Man kann dies mit einer Nahtzange oder einer normalen chirurgischen Nadel machen. Sodann wird je ein Fadenende eines jeden Ankers miteinander verknotet, sodass ein Pulley entsteht. An den freien, nicht geknoteten Fadenenden wird

7.3 Massive Defekte: Salvage-Verfahren  133

Abb. 7.23: Abschlusssitus nach superiorer Kapselrekonstruktion (SCR); Der Gewebepatch ist primär am oberen Glenoidrand fixiert worden, dann und über eine Doppelreihenkonstruktion nach lateral abgespannt worden. Der Patch kann zusätzlich über Seit-zu-Seit-Nähte gegen die Residuen des Infraspinatus vernäht werden.

nun so gezogen, dass der Patch durch eine ausreichend große Arbeitskanüle (Passportkanüle 10 mm, Fa. Arthrex, München) auf den Glenoidrand platziert wird. Die freien Fadenenden können dann ebenfalls auf den Patch geknotet werden. Das Perforieren des Patches mit den lateralen FiberTapes kann entweder noch extrakorporal vor dem Einziehen des Patches oder bereits im Subacromialraum liegend erfolgen, was technisch etwas kniffliger sein kann. Diese Alternative verringert aber das Risiko einer Fadenverwirrung. Lateral wird der Patch dann mit den FiberTapes im Sinne einer einfachen SpeedBridge mit zwei zusätzlichen SwiveLock-Ankern fixiert. Insbesondere nach dorsal sollten dann noch Seit-zu-Seit-Nähte angebracht werden. Nach ventral ist dies nicht erforderlich (Abb. 7.23). 7.3.7.5 Ergebnisse Der Inaugurator dieser Technik ist auch der einzige, der bisher klinische Ergebnisse in einer peer-review Zeitschrift darstellen konnte [11]. Die Verbesserung der Funktion und die Schmerzreduktion lassen erhoffen, dass diese Technik zunehmend zu einer guten Alternative insbesondere für junge Patienten mit irreparablen RM-Massenrupturen werden kann. Im eigenen Vorgehen wird die Indikation zu diesem Eingriff nach entsprechenden Überlegungen ebenfalls gestellt. Ist die Deckung des Defekt medial nicht über das Glenoid möglich, so wird diese Technik mit bisher guten Ergebnissen durchgeführt und einem Therapieversager von 15 durchgeführten Operationen. Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse ist aufgrund der kurzen Nachbeobachtungszeit jedoch noch nicht möglich. 7.3.7.6 Komplikationen Auch bei dieser Technik sind letztlich die gleichen Komplikationen wir bereits oben beschrieben zu erwarten.

134  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten

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136  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten

7.4 Versorgung der langen Bizepssehne Sepp Braun Die lange Bizepssehne ist ein wesentlicher Schmerzgenerator der Schulter. Dies wird insbesondere bei degenerativen Veränderungen und Pathologien deutlich. Deshalb sollte bei allen Schulterpatienten ein besonderes Augenmerk auf die Beurteilung und Therapie der langen Bizepssehne gelegt werden. Dies gilt im Besonderen für alle anterosuperioren Rotatorenmanschettendefekte, da diese in direkter Lagebeziegung zur langen Bizepssehne stehen.

7.4.1 Anatomie Die lange Bizepssehne inseriert in unterschiedlichen Variationen am Tuberculum supraglenoidale des Glenoids und dem superioren Labrum glenoidale. Die Gesamtlänge der Sehne beträgt im Schnitt ca. 7–9 cm. Im intraartikulären Verlauf ist die lange Bizepssehne bei einem Durchmesser von ca. 4–6 mm queroval abgeflacht. Beim Austritt aus dem Gelenk durch den sogenannten „Bizeps Pulley“ wird der Sehnenquerschnitt rund. Dieser „Bizeps Pulley“ bildet eine stabilisierende Schlinge, ventral-medial aus Fasern der Subscapularissehne (SSC) und des superioren glenohumeralen Ligaments, dorsal-lateral aus dem ventralen Rand der Supraspinatussehne (SSP) und kranial aus dem coracohumeralen Ligament und Fasern des Fasziculus obliquus [1]. Von der anatomischen Lagebeziehung her wird die lange Bizepssehne entsprechend dem vom Oberrand der Subscapularissehne und dem Vorderrand der Supraspinatussehne begrenzten Rotatorenintervall zugeordnet [2]. Bei Rotation und Flexion des Armes wird die lange Bizepssehne durch den Bizeps Pulley einerseits „umgelenkt“, um dann in den Sulcus gleiten zu können und andererseits im Sulcus gehalten. So entstehen hier neben Scherkräften nach medial (Richtung Subscapularis) und lateral (Richtung Supraspinatus) auch Reibekräfte durch das Gleiten der Sehne mit einer Amplitude von bis zu 2 cm. Der proximale intraartikuläre Teil weist eine hohen Dichte an Nozizeptoren auf [3]. Der einmalige anatomische Verlauf der langen Bizepssehne ohne Sehnenscheide durch das Gelenk und über den Humeruskopf, die sich aus der evolutionären Verlagerung der Scapula von seitlich (Vierbeiner) nach dorsal (Primat, Mensch) ergeben hat, macht diese ganz besonders anfällig für mechanisch bedingte degenerative Veränderungen [4,5,6].

7.4 Versorgung der langen Bizepssehne  137

7.4.2 Funktion Die Bedeutung der langen Bizepssehne hat sich im Laufe der Evolution insofern verändert, als sie nach dem aktuellen Wissensstand keine relevanten Auswirkungen auf die Kraft oder Funktion des Schultergelenkes oder auch des Ellenbogens ableiten lässt. Entgegen der bisherigen Annahme aus biomechanischen Laboruntersuchungen an Kadaverschultern konnte in-vivo keine zentrierende Funktion der durch das Gelenk verlaufenden langen Bizepssehne auf den Humeruskopf nachgewiesen werden [7]. Im Bereich des Ellenbogens hat die lange Bizepssehne nur eine untergeordnete Bedeutung für die Supinationskraft des Unterarmes und nahezu keine Auswirkung für die Flexion im Ellenbogengelenk [8].

7.4.3 Pathologien Traumatische Verletzungen der langen Bizepssehne treten zumeist am Ursprung im Bereich des Tuberculum supraglenoidale auf. Hier können sich akute oder degenerative sogenannte SLAP- Läsionen als Einrisse des Bizepssehnenankers manifestieren. Im intraartikulären Bereich werden vornehmlich degenerative Schäden der Sehne gesehen. Pathologien der Bizeps-Pulley Schlinge können sowohl traumatische als auch degenerative Ursachen haben. 7.4.3.1 Läsionen am Ursprung der langen Bizepssehne Die sogenannten SLAP Läsionen (Superior Labrum Anterior to Posterior) betrifft den Ursprung der langen Bizepssehne am Tuberculum supraglenoidale. Diese Schädigungen können sowohl durch Degeneration, wiederholte Überlastung („repetitives Mikrotrauma“) oder ein akutes (Makro-)Trauma entstehen. In Kombination mit Läsionen der Rotatorenmanschette finden sich zumeist degenerative Auffaserungen des Bizepssehnenankers (SLAP I) und nur relativ selten auch akut bedingte SLAP Verletzungen bei jungen Patienten im Rahmen eines traumatischen Rotatorenmanschetteneinrisses [9]. 7.4.3.2 Intraartikulärer Sehnenanteil Der intraartikuläre Anteil der langen Bizepssehne unterliegt zumeist degenerativen und entzündlichen Prozessen. Durch das in diesem Anteil der Sehne sehr dichte Netz an Nozizeptoren wird dessen Bedeutung für die Schmerzempfindung des Patienten verständlich [3]. Eine Sonderform der Pathologien der intraartikulären Portion ist der sogenannte Uhrglas-Bizeps. Dies ist eine spindelförmig aufgetriebene degenerative Tendinopathie, die das Gleiten der Sehne auf Höhe der Pulley-Schlinge verhindert und somit die Flexion, Rotation und Abduktion der Schulter bis hin zur Blockade behindern kann [10].

138  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten 7.4.3.3 Bizeps Pulley System Durch die Schlinge des Bizeps-Pulley Systems wird die lange Bizepssehne auf Höhe des Eintrittes in den Sulcus Bicipitalis stabilisiert. Die Verletzung dieser Bizeps-Pulley-Schlinge führt zu einer Destabilisierung der langen Bizepssehne, deren Ursachen degenerative oder traumatische Einrisse der Supraspinatus- oder Subscapularissehnen sein können [5,11,12,13]. Es wird allerdings auch die Möglichkeit des direkten Zerreißens des Pulley-Systems durch Traktion am SGHL / CHL Komplex [1,14] oder des Einreißens des Pulley durch einen „Sägemechanismus“ der langen Bizepssehne bzw. direkte Scherkraft des Bizeps beschrieben [6]. Damit wird die Bedeutung gerade der Pulley-Schlinge und der langen Bizepssehne im Kontext mit Verletzungen der Rotatorenmanschette offensichtlich. Bei Defekten des kranialen Anteils der Subscapularissehne oder des ventralen Anteils der Supraspinatussehne liegt nahezu immer auch eine Destabilisierung der langen Bizepssehne über eine Pulley-Läsion vor [5,15]. Bei größeren antero-superioren Sehnendefekten liegt die lange Bizepssehne meist frei und kommt bei zunehmender kranialer Dezentrierung in direkten Kontakt mit dem Schulterdach. Merke Läsionen des kranialen Anteils der Subscapularis- und des ventralen Anteils der Supraspinatussehne betreffen auch das Bizeps Pulley System und destabilisieren die lange Bizepssehne. Bei größeren Defekten liegt die lange Bizepssehne oft frei und kommt ggf. kranial in direkten Kontakt zum Schulterdach

7.4.4 Therapie 7.4.4.1 Konservative Behandlung Eine primär konservative Therapie von Pathologien der langen Bizepssehne ist vor allem bei frühen degenerativen oder entzündlichen Prozessen indiziert. Mit der temporären Einnahme von nicht steroidalen Antiphlogistika, ggf. auch sonographisch kontrollierten Injektionen in den Sulcus und schonender konzentrischer physiotherapeutischer Beübung können so positive Ergebnisse erzielt werden. Im Falle von weiterreichenden strukturellen Schäden ist jedoch eine rein konservative Therapie zumeist nicht langfristig zufriedenstellend. Im Gegenteil kann die Schmerzsymptomatik durch die lange Bizepssehne sogar eine erfolgreiche konservative Therapie z. B. von kleineren Rotatorenmanschettenpartialläsionen verhindern. 7.4.4.2 Rekonstruktive Eingriffe Bei Verletzungen des Bizepssehnenankers besteht prinzipiell die Möglichkeit der Refixation und damit die anatomische Wiederherstellung. Dieser arthroskopische Eingriff ist bei jungen Patienten durchaus sinnvoll, sofern die SLAP Läsion keine wesent-

7.4 Versorgung der langen Bizepssehne  139

lichen zugrundeliegenden degenerativen Ursachen hat. Bei der Refixation sollten die individuell unterschiedlichen anatomischen Verhältnisse des Bizepsankers bei der Positionierung der Fadenanker berücksichtigt werden. Die Fasern der Bizepssehne entspringen entweder eher von ventral, gleichmäßig ventral und dorsal oder überwiegend dorsal aus dem Tuberculum supraglenoidale und z. T. aus dem Labrum [16]. Insgesamt ist der Trend zur SLAP Rekonstruktion in den letzten Jahren eher rückläufig, da gerade bei Patienten über 30 Jahren die Ergebnisse nicht konsistent positiv zu bewerten sind [17,18]. Insgesamt sind SLAP Läsionen nur in seltenen traumatischen Rotatorenmanschettenverletzungen junger Patienten zu finden. Häufiger zeigen sich hier unfallbedingte Zerreißungen des Bizeps Pulley Systems, insbesondere bei Verletzungen der Subscapularissehne. Der Bizeps Pulley ist immer mit verletzt, wenn der kraniale Anteil der Subscapularissehne defekt ist oder wenn Supraspinatusläsionen bis in den ganz ventralen Anteil hineinreichen. Die Rekonstruktion des Bizeps Pulley Systems hat sich im klinischen Alltag nicht bewährt und hat letztlich keinen Stellenwert mehr [19,20]. In diesen Fällen ist es sinnvoll die instabile lange Bizepssehne aus dem Konfliktfeld zu entfernen, da sie im Rahmen ihrer Instabilität nach medial oder auch lateral eine etwaige Rekonstruktion der Rotatorenmanschette kompromittieren würde [1,5,6,12,13,15,19,21,22,23]. 7.4.4.3 Tenotomie Die reine Tenotomie ist die einfachste, schnellste und sicherste Möglichkeit die oben angeführten Pathologien der langen Bizepssehne zu behandeln. Allerdings kann bei der Tenotomie durch eine Distalisierung der langen Bizepssehne der Muskelbauch am Oberarm nach distal abrutschen und den sogenannten „Popeye Bizeps“ verursachen. Auch wenn dies rein funktionell keine relevanten Beeinträchtigungen mit sich bringt, kann für den körperbewussten Patienten eine kosmetisch störende Deformität auftreten. Zudem wird in seltenen Fällen von unangenehmen Muskelkrämpfen im Bizeps berichtet [22,24]. Allerdings kann es nach einer Tenotomie insbesondere beim Vorliegen einer intraartikulär verdickten langen Bizepssehne (sog. Uhrglas-Bizeps) auch durch das Verklemmen im Sulcus zu einer „Autotenodese“ kommen [10]. 7.4.4.4 Tenodese Um die oben genannten möglichen Nachteile einer Tenotomie zu vermeiden, kann die lange Bizepssehne nach dem Absetzen am Tuberculum supraglenoidale am Humerus wieder refixiert werden. Dazu stehen verschiedene Fixationsmöglichkeiten und drei im Allgemeinen übliche Höhen der Tenodese am Humerus zur Auswahl. In Zeiten der offenen Chirurgie der Rotatorenmanschette war zunächst noch die Schlüssellochtenodese weit verbreitet, bei der sich die geknotete Sehne in einem Schlitzloch im Humerus verkeilt. Dazu ist allerdings ein relativ ausgedehnter Zugang notwendig und die große Knochennute am Humerus birgt ein gewisses Risiko für Frakturen. Ein reines Vernähen der langen Bizepssehne mit den umliegenden Weich-

140  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten

teilstrukturen – sei es nun offen oder arthroskopisch – kann nur eine geringe Primärstabilität bieten und führt häufig zum sekundären Abrutschen des Bizepsbauches mit entsprechend unerwünschtem kosmetischen Effekt [26]. Auch der Transfer der langen auf die kurze Bizepssehne zur Tenodese hat sich im klinischen Alltag nicht durchgesetzt [27]. Generell werden deswegen die Methoden zur Fixation der Sehne an den Knochen des Humerus präferiert. Dies kann intra- oder epi-ossär und intra-artikulär bzw. oberhalb (= supra-pectoral) oder unter der Sehne des M. pectoralis major (= sub-pectoral) erfolgen. Hier unterscheiden sich die Schrauben-, Button- und Ankertenodesen zwar technisch, nicht aber in den klinischen Ergebnissen. Bei der Schraubentenodese wird der gekürzte Stumpf der Sehne in ein Bohrloch gesteckt und press-fit mit einer Tenodeseschraube fixiert. Für eine Ankertenodese bieten sich einfache Fadenanker an. Eine etwas neuere Möglichkeit sind die sogenannten „All-suture Anchor“ (z. B. FiberTak DR, Fa. Arthrex), die sich hinter einem dünnen Bohrloch mit einem Fadenkonvolut wie ein Hohlraumdübel im Markraum oder der Spongiosa verklemmen. Bei subpectoraler Fixation kann auch ein längliches Metall-Plättchen (z. B. Biceps Button, Fa. Arthrex) als intramedulläre Verankerung mit sehr hoher Primärstabilität dienen. Grundsätzlich ist für jede der beschriebenen Techniken oder Höhen der Tenodese eine adäquate Einstellung der Vorspannung der Sehne notwendig, um das gewünschte Ergebnis ohne distalisierten Muskelbauch zu erreichen. Für die arthroskopischen Techniken bietet es sich an, die Sehne an der geplanten Fixationsstelle vor der Tenotomie zu Markieren (mit einem Stift, einer Klemme, einer Kanülennadel oder einem Faden). Beim Fixieren in ein Bohrloch muss dessen Tiefe mitberücksichtigt werden. Wenn z. B. eine subpectorale Tenodese vorgenommen wird, gibt es gute anatomische Arbeiten zur Bemessung der korrekten Länge. So soll der muskulotendinöse Übergang 2 cm oberhalb des Unterrandes der Pectoralissehne fixiert sein. Bei einer Schraubentenodese wird dann also die Sehne 2 cm proximal des muskulotendinösen Überganges mit einem Faden armiert und diese Strecke dann in das 2 cm proximal der unteren Begrenzung der Pectoralissehne positionierte Bohrloch versenkt [28]. Analog kann die Fixierung mit einem Fadenanker unter Berücksichtigung der Länge der Armierung entsprechend proximaler erfolgen. Hinweis Die anatomisch korrekte Einstellung der Länge der Bizepssehne bei der Tenodese sichert den Erfolg des Eingriffes.

Intraartikuläre Tenodese Die intraartikuläre Tenodese ist ein rein arthroskopisch durchführbarer Eingriff. Die Tenodese erfolgt direkt am Eingang des Sulcus. So kann diese mitunter mit einer Rekonstruktion des kranialen Subscapularis oder des Supraspinatus-Vorderrandes in Konflikt geraten. Bei entsprechender Planung ist es aber auch möglich, einen Faden-

7.4 Versorgung der langen Bizepssehne  141

anker zusammen für die Tenodese und z. B. eine kleinere kraniale Subscapularissehnenläsion zu verwenden. Eine weit verbreitete Möglichkeit ist die sog. „Lasso-Loop“ Technik, siehe Abb. 7.24 [32,33]. Bei dieser Technik wird die lange Bizepssehne am Oberrand des Sulcus bicipitalis mit einem Perforationsinstrument in situ perforiert und ein Faden des bereits vorher am Sulcusoberrand einsetzen, möglichst mit zwei Fäden beladenen Nahtankers als kurze Schlaufe durch die LBS geführt. Das freie Ende des Schlaufenfadens wird

(a)

(b)

(c)

(d)

Abb. 7.24: Lasso-loop-Tenodese der LBS bei großem Rotatorenmanschettendefekt. (a) Vorlegen einer Fadenschlaufe unter oder neben der LBS. (b) Mit einem Perforationsinstrument Durchziehen der Schlaufe durch die LBS, etwa in der Mitte der Sehne. Die Länge der Schlaufe beträgt ca. 1–1,5 cm. (c) Das freie Ende des Schlaufenfadens wird durch die Schlaufe gezogen, dann die Schlaufe durch Zug an beiden Fadenenden fest auf der Sehne gespannt. Alternativ kann der 2. Fadenschenkel zuvor noch unter der LBS durchgezogen und um die herumgeführt werden. (d) Knoten auf der LBS, anschließend Tenotomie und Resektion des medialen Sehnenanteils.

142  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten

dann durch die Schlaufe gezogen, durch Zug an beiden Fadenenden legt sich die LBS dem Knochen stabil an. Die Fadenenden werden dann über der Sehne geknotet. Abschließend wird der mediale Sehnenanteil reseziert. Eine weitere Technik, die sich vor allem bei Läsionen eignet, bei denen eine kleinere Subscapularisläsion z. B. durch einen cinch-Stich mitversorgt werden soll, ist die knotenfreie Fadenankertechnik mit extra-korporaler Fadenarmierung [33]. Durch einen Split im Rotatorenintervall wird die LBS gegriffen, dann proximal durchtrennt und durch den Intervallsplit nach außen gezogen. Dort wird sie z. B. in einer „baseball-stich“-Technik armiert und dieser Armierungsfaden abschließend am Oberrand des Sulcus mit einem geeigneten Fadenanker fixiert. Beide Techniken erlauben durch die Referenz zum Sulcuseingang eine anatomische Längeneinstellung der Sehne. Ebenfalls kann die Tenodese durch eine Interferenzschraube am Sulcusoberrand intraartikulär erfolgen. Diese bietet eine sehr hohe Primärstabilität und ist besonders im spongiösen Knochen des Humeruskopfes geeignet. Ein diskutierter Nachteil ist, dass im Bereich des Sulcus Schmerzen verbleiben könnten, da der proximale Anteil der Sehne mit seinem dichten Netz an Schmerzrezeptoren verbleibt. Suprapectorale Tenodese Suprapectorale Tenodesen lassen sich sowohl arthroskopisch gestützt oder über einen kleinen offenen Zugang durchführen. Die lange Bizepssehne wird im Verlauf des Sulcus bicipitalis unter Verwendung einer der oben genannten Fixationstechniken tenodesiert. In diesem Bereich ist auch die reine Weichteiltenodese umsetzbar, da sich die Sehne mit dem Dach des Sulcus und dem variabel vorhandenen transversen humeralen Ligament, das den Sulcus als Normvariante überspannt, vernähen lässt. Zumeist werden auf dieser Höhe jedoch Tenodesen mit Fadenankern an den angefrischten Knochen oder Interferenzschrauben-Tenodesen mit einer intraossären Verankerung präferiert. Subpectorale Tenodese Bei der subpectoralen Tenodese wird die lange Bizepssehne am distalen Ende des Sulcus bicipitalis fixiert und von der Pectoralissehne bedeckt. Dazu wird der Bizeps zunächst arthroskopisch am Tuberculum supraglenoidale tenotomiert. Der Sehnenstumpf distalisiert sich in den Sulcus und behindert den weiteren Ablauf einer arthroskopischen Operation zunächst nicht mehr. Am Ende des arthroskopischen Eingriffes kann dann über eine ca. 2–3 cm lange Inzision auf Höhe des gut tastbaren Unterrandes der Pectoralissehne die lange Bizepssehne nach stumpfer Präparation herausgezogen und mit Faden armiert werden. Zur Fixation bieten sich hier, wie oben beschrieben, vor allem die Schrauben- oder Fadenanker- oder Buttontenodese an, siehe Abb. 7.25 [33,34]. Als Entscheidungshilfe für eine Tenotomie oder eine Tenodese konnten in einer jüngeren Studie 5 relevante Fragen herausgearbeitet werden: Bedenken wegen der

7.4 Versorgung der langen Bizepssehne  143

(a)

(b)

(c)

(d)

(e)

(f)

Abb. 7.25: Mini-offene sub-pectorale LBS-Tenodese. Exemplarischer Ablauf einer subpectoralen Tenodese mit einem All-suture-Fadenankersystem (FiberTak DR, Fa. Arthrex). Von oben links nach unten rechts: (a) Markierung des unteren Randes der Pecoralissehne und der Axillarfalte. (b) Über eine ca. 2–3 cm lange Inzision wird die lange Bizepssehne stumpf unter dem Pecoralis mobilisiert und herausgezogen. (c) Nach dem Anfrischen des unteren Sulcus bicipitalis und des Humerus im Verlauf caudal davon mit einem Raspatorium wird über eine Führungshülse eine monokortikale leicht nach cranial ansteigende Bohrung gesetzt und über die Führung der Fadenanker eingebracht. (d) Die lange Bizepssehne wird direkt am muskulötendinösen Übergang mit einer Krakow-Naht armiert. (e) Die proximale Sehne wird gekürzt. (f) Über den freien Fadenschenkel wird die Sehne an den Knochen herangezogen und sicher verknotet.

Kosmetik bei Distalisierung, verbleibende Schmerzen postoperativ, Schmerzintensität über dem vorderen Schulterbereich, längere Rehabilitationszeit bei Tenodese und den Einsatz von Implantaten [25].

144  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten

Wie jeder operative Eingriff birgt auch die Tenodese der langen Bizepssehne ein gewisses Risiko. Es sind allerdings vornehmlich minimale Komplikationen wie verzögerte Wundheilungsstörungen oder folgenlos behandelte lokale Wundinfekte beschrieben. Es kann natürlich auch zur sekundären Deformität des Bizeps kommen, insbesondere dann, wenn eine konsequente Vermeidung der Bizepsaktivität für die Rehabilitationsphase nicht eingehalten wird. Die schwerwiegenderen Komplikationen, wie z. B. Schädigungen des Plexus brachialis oder Humerusschaftfrakturen sind jedoch in der Literatur Einzelfälle [29,30,31].

7.4.5 Nachbehandlung Für die Nachbehandlung einer Tenotomie ist kein spezielles Schema notwendig. Die Rehabilitation orientiert sich an den zusätzlich durchgeführten operativen Prozeduren, wie zum Beispiel einer Rotatorenmanschettenrekonstruktion. Im Falle der Tenodese der langen Bizepssehne sollte die Belastung auf den Bizeps für 4–6 Wochen limitiert werden, um der am Humerus refixierten Sehne ausreichend Zeit zum festen Vernarben oder Einheilen an der Fixationsstelle zu geben. Die Extension im Ellenbogen ist frühzeitig nach der Operation freigegeben, die Flexion und Supination gegen Widerstand sollte aber für mindestens 6 Wochen vermieden werden. Die übrige Nachbehandlung orientiert sich auch hier an den anderen Operationsschritten.

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7.5 Rekonstruktion der Supra- und Infraspinatusläsion – ­Mini-Open-Technik  147

7.5 Rekonstruktion der Supra- und Infraspinatusläsion – ­ Mini-Open-Technik Dirk Böhm, Dorota Böhm 7.5.1 Prinzip Alle Techniken der mini-open Rotatorenmanschettenrekonstruktionen kombinieren die Vorteile der Arthroskopie, alle intraartikulären Pathologien diagnostisch zu erfassen und therapeutischen behandeln zu können mit der bekannten Sicherheit der offenen Sehnenrekonstruktion. Bei der Mini-open-Technik wird der Musculus deltoideus nicht vom Akromion abgelöst, sondern nur im Längsverlauf gespalten. Die ersten Ergebnisse wurden 1990 von Levy et al. präsentiert [1], die ihre Technik der arthroskopisch assistierten Rotatorenmanschettennaht publizierten. Nach der arthroskopischen Diagnosesicherung und arthroskopischen Dekompression legten sie Fäden in die Sehne vor, bevor sie über eine Erweiterung des lateralen Arthroskopieportals die Rotatorenmanschette dann offen rekonstruierten. Hier wird eine modifizierte Nahttechnik nach Mason-Allen vorgestellt [2,3].

7.5.2 Lagerung und Assistenz Zur Mini-Open-Technik hat sich die Beachchair-Lagerung bewährt. So kann auch jederzeit eine Ausdehnung des Eingriffs zum Beispiel auf einen Sehnentransfer, eine Osteosynthese eines Os akromiale oder einen zusätzlichen deltopektoralen Zugang erfolgen. Die Operation wird idealer Weise entweder mit 2 Assistenten (einer in Schulterhöhe auf jeder Seite des Patienten) oder mit einem Assistenten auf der OPSeite und einem feststellbaren Armhalter durchgeführt. Eine möglichst kontrollierte Zugspannung und Rotationseinstellung am Arm sind wichtige Bestandteile für eine erfolgreiche Rekonstruktion.

7.5.3 Arthroskopische Operation Alle arthroskopischen Techniken werden analog zur arthroskopischen Rotatorenmanschettennaht durchgeführt, nur die letztendliche Sehnenrekonstruktion und Bizepstenodese dann mini-open. Alle Portale sollten so inzidiert werden, dass man sie im Bedarfsfall in Faserverlaufsrichtung des M. deltoideus erweitern kann, wobei korrekt gelegte Standard-Portale nicht im antizipierten mini-offenen Zugangsweg liegen.

148  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten 7.5.3.1 Mini-offene Technik Nach Naht der Arthroskopieportale wird zunächst eine erneute Desinfektion des OPGebiets durchgeführt. Die Inzision erfolgt zwischen dem ventralen und lateralen Arthroskopieportal. Es wird die Raphe zwischen dem vorderen und mittleren Drittel des Deltoideus als Landmarke verwendet [4]. Dieser antero-laterale Zugang beginnt unterhalb des Akromionecks. Hierbei wird eine abgerundete Schere längs zwischen die Muskelfasern eingebracht und der Deltoideus längs eröffnet bis Kontakt zum Humerus hergestellt werden kann. Durch Drehung der Schere um 90° entsteht ein Fenster, durch das eine zweite abgerundete Schere eingeführt und die Bursa in Längsrichtung gespalten wird. Hierbei ist es wichtig den Rand der eingerissenen Rotatorenmanschette nicht mit der Schere zu verletzen. Danach werden zwei Roux-Haken eingesetzt um Deltoideus und Bursa wegzuhalten. Die Bursa sollte für eine Bursaplastik nach der Sehnenrekonstruktion erhalten bleiben. Nach Darstellung des Defektes und Resektion avitaler und zerfetzter Sehnenränder werden Halte- und Mobilisationsfäden u-förmig eingebracht. Hier sollen beide Fadenenden ca. 1 cm voneinander und ca. 1,5 cm vom Sehnenrand entfernt am Oberrand der Sehne herauskommen (Abb. 7.26a). Bei delaminierten Rissformen sollten, vor allem wenn das artikularseitige Blatt weiter retrahiert ist, die Delaminierungen bereits durch das gezielte Stechen der Haltefäden korrigiert werden. Pro 2 cm Defektbreite sollte ein Haltefaden gesetzt werden. Mit den Haltefäden wird dann die ideale Repositionsstellung gesucht (Abb. 7.26b). Wenn arthroskopisch das Ligamentum coracohumerale noch nicht durchtrennt wurde, sollte das nun mit der Schere erfolgen. Bei Wulstbildungen oder asymmetrischer Sehnenspannung sind ggf. Gleitinzisionen oder auch ein Umsetzten der Haltefäden notwendig.

(a)

(b)

Abb. 7.26: (a) Operativer Situs nach Deltasplit, die SSP-Sehne ist mit einem als U-Naht gestochenen Haltefaden angeschlungen (beide Fadenenden kommen an der Sehnenoberfläche heraus). (b) Durch Zug an den Haltefäden wird die Reposition der Sehne getestet.

7.5 Rekonstruktion der Supra- und Infraspinatusläsion – ­Mini-Open-Technik  149

Wenn die Mobilisation abgeschlossen ist, sollten die Delaminierungen versorgt werden. Hierzu wird der bursalseitige Sehnenanteil über den artikularseitigen Anteil gezogen und durch einfache Vicrylfäden der Stärke 1 so miteinander vernäht, dass das bursalseitige Ende das artikularseitige Ende etwas nach lateral überragt. Nachdem die Rekonstruierbarkeit ermittelt und die Rekonstruktionsstrategie festgelegt wurde, kann zunächst die Versorgung der langen Bizepssehne erfolgen. Der Autor bevorzugt hier eine Ankertenodese im tiefsten Punkt des Sulcus bicipitalis. Für die Mini-open Technik besteht bei großen, nicht komplett rekonstruierbaren Defekten die Möglichkeit den proximalen Teil der LBS medial der Tenodese stehen zu lassen und diesen als Interpositionsplastik mit in die Rekonstruktion einzubeziehen. Ein Verschluss des Sulcus mit resorbierbaren 2er Fäden über der Tenodese verhindert ein mögliches Sekundärimpingement durch Sehne oder Knoten. Um eine Reinsertion der SSP-Sehne auf dem gesamten Footprint zu erreichen, wird die mediale Reihe mit einem nicht resorbierbaren Faden in einer modifizierten Mason-Allen Technik gestochen [2,3]. Beide Fadenenden sollen am Unterrand der Sehne exakt da herauskommen, wo die Sehne später am medialen Footprint fixiert werden soll. Die Anzahl der nicht-resorbierbareren Fäden hängt von der Rissbreite ab, bis 3 cm wird ein Faden, ab 4 cm zwei Fäden und ab 6 cm drei Fäden verwendet. Oft sind Supra- und Infraspinatussehne als eine Einheit miteinander verbunden und müssen nicht voneinander getrennt werden. In Fällen, in denen eine Sehne weiter retrahiert ist und nur eine aufwulstende Naht möglich wäre, ist durch eine oder zwei Gleitinzisionen eine Separation der unterschiedlich angespannten Sehnen durchzuführen. Erst wenn die Refixationsstrategie feststeht, werden die Nahtfäden gestochen. Die modifizierte Mason-Allen-Naht beinhaltet folgende Schritte: –– Circa 1–1,5 cm vom lateralen Sehnenrand von kaudal eintretend wird der Faden schräg nach kranial gestochen, so dass er ca. 1,5–2 cm vom Sehnenende herauskommt. Genau die gegensätzliche Stichrichtung ca. 1 cm parallel zum lateralen Sehnenende versetzt führt den Faden wieder nach kaudal. Die entstehende kraniale Querbrücke sollte in 1,5 cm Abstand zum Rissrand parallel zu diesem und zum Muskel verlaufen (Abb. 7.27a). Die Fadenführung erfolgt dann vom Sehnenunterrand schräg nach hinten und oben, um die Fäden hinter der kranialen Querbrücke herauskommen zu lassen. Der Effekt des Verblockens des Fadens mit sich selbst wird erreicht, indem er schräg über die Querbrücke geführt und sofort lateral der Querbrücke wieder nach kaudal gestochen wird (Abb. 7.27b). Er soll 1 cm neben dem Einstichfaden in gleicher Entfernung vom Sehnenrand herauskommen. Beide Fadenenden der medialen Reihe kommen somit etwa 1 cm vom lateralen Ende und 1 cm voneinander entfernt an der Sehnenunterfläche heraus. –– Zur flächigen Fixierung auf dem gesamten Footprint wird pro 0,5 cm Defektbreite ein resorbierbarer 1er Faden als einfache Naht von unten so in die Sehne gestochen, dass sie mit etwa 1,5 cm Abstand zum lateralen Sehnenende kranial aus der Sehne austreten, ohne die Mason-Allen Nähte zu durchstechen. Ein Anklemmen der Fadenpaare erleichtert die Übersicht. Die perfekte Reposition der Sehne kann

150  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten

durch Zug an den eingebrachten Fäden nun gut simuliert werden (Abb. 7.28). Da die Stabilität der Rekonstruktion durch die Anzahl der Fäden signifikant erhöht wird [5], können jetzt ggf. noch weitere Fäden eingebracht werden. –– Um ein Einheilen der Sehne zu ermöglichen muss der gesamte freiliegende Footprint von Sehnenresten befreit und die Oberfläche dekortiziert werden. Mit einer Knochenahle (äquivalenter Radius zur Knochennadel) werden transossäre Faden-Kanäle entsprechend der Austrittsstellen der Mason-Allen-Nähte vorgelegt. Hierbei werden bei einem Mason-Allen Faden zwei Knochenkanäle und bei zwei Mason-Allen Fäden drei Knochenkanäle notwendig. Die beiden zueinander liegenden Schenkel der Mason-Allen Fäden werden zusammen durch den mittleren der drei Kanäle gezogen. Wenn die Sehnenspannung für eine anatomische Sehnenrekonstruktion zu groß erscheint, ist ggf. auch eine etwas medialisierte Rekonstruktion zu erwägen.

(a)

(b)

Abb. 7.27: (a) Querbrücke der Mason-Allen-Naht an der Sehnenoberfläche, (b) Locking-Stitch der Mason-Allen-Naht.

Abb. 7.28: Alle Rekonstruktionsfäden sind vorgelegt (Pfeil: mediale Fixation mit Mason-AllenNaht, Stern: Einzelknopfnähte zur flächenhaften Fixation der Sehne auf dem Footprint)

7.5 Rekonstruktion der Supra- und Infraspinatusläsion – ­Mini-Open-Technik  151

–– Die Einzelknopffäden werden dem am besten in der Zugrichtung liegenden Kanal zugeordnet. Die Knochenbrücken sollten seitlich unter dem Tuberculum majus in ventro-dorsaler Richtung mindestens 1 cm breit und in kranio-kaudaler Richtung mindestens 2 cm lang sein, um ein Durchschneiden oder Ausreißen der Fäden zu vermeiden. –– Alle einem Knochenkanal zugeordneten Fäden werden in die Knochennadel (Durchmesser zwischen 3,5 und 4,5 cm, mit Fädelöhr) eingefädelt und zusammen transossär ausgeleitet. Die korrespondierenden Fäden werden wieder mit den Klemmchen gesichert. Während der Assistent über die Zugfäden die Sehne anatomisch exakt reponiert, werden zuerst die Mason-Allen Fäden über der lateralen kortikalen Knochenbrücke verknotet, wobei mindestens sechs Knoten für die maximale Festigkeit notwendig sind [3]. Anschließend werden die Einzelknopfnähte lateral verknotet. Dies gewährleistet ein gleichmäßiges und flächenhaftes Anpressen der Sehne auf den Footprint (Abb. 7.29). –– Die dynamische Stabilität wird durch Rotation getestet. Gleitinzisionen werden nach der transossären Fixation mit Seit-zu-Seit-Einzelknopfnähten von der fadenführenden Sehne in die fadenfreie Sehne verschlossen (Abb. 7.30). Dies verhindert ein Durchstechen der einliegenden Fäden mit der neuen Naht. Aufwulstende Sehnenanteile sollten vor der Adaptationsnaht noch reseziert werden. –– Bei weit nach dorsal gehenden Rissen des ISP ist manchmal eine Fadenankerfixation sinnvoll, da bei einer transossären Naht in der beschriebenen Technik sich zu viele Fäden auf zu engem Raum treffen können. Das Verknoten der Fäden auf der Rotatorenmanschette führt hier nicht zu einem Fadenimpingement mit dem Akromion. Da eine anatomische Rekonstruktion des ISP nur durch die maximale

(a)

(b)

Abb. 7.29: Fertige Rekonstruktion (Pfeil: mediale Fixation mit Mason-Allen-Naht, Stern Einzelknopfnähte zur flächenhaften Fixation der Sehnen auf dem Footprint, Pfeilspitze: Seit-zu-Seit Nähte zwischen SSP und SSC), ventral zusätzlich LBS-Tenodese.

152  7 Arthroskopische Versorgung von ­Rotatorenmanschettendefekten

Abb. 7.30: Dorsale Seit-zu-Seit Nähte zw. SSP und ISP (Pfeil).

(a)

(b)

Abb. 7.31: Bursaplastik (a) die Bursablätter werden mit den Pinzetten gehalten und dann miteinander auf die Sehne aufgenäht, (b) fertige Bursaplastik.

Innenrotation des Armes möglich ist, müssen diese Fäden noch vor den transossären Fäden verknotet werden, um ein Ausreißen der transossären Fäden aus der SSP-Sehne zu vermeiden. –– Als lokale Stammzelltherapie für eine bessere Einheilung der Sehnen [6] empfiehlt es sich, noch eine Bursaplastik anzuschließen. Die unter den Roux-Haken geschützte Bursa muss hierfür in wesentlichen Anteilen erhalten sein. Sie wird unter den Roux-Haken hervorgeholt, präpariert, mobilisiert (Abb. 7.31a) und mit 2.0er resorbierbaren Fäden auf die rekonstruierte Rotatorenmanschette genäht (Abb. 7.31b). Hierbei ist wieder sorgfältig darauf zu achten, dass die Fäden der Rekonstruktion dabei mit der Nadel nicht beschädigt werden. Dies wird einer

Literatur  153

Applikation von PRP, ACP, Wachstumsfaktoren oder anderer potentiell heilungsverbessernden Substanzen oder Augmentationen mit autologen Transplantaten oder Patches vorgezogen. –– Ist eine Osteosynthese eines Os Akromiale oder einer offene AC-Resektion notwendig, können über eine Verlängerung der Inzision nach craniomedial das Akromion und das AC-Gelenk problemlos adressiert werden. –– Gering retrahierte und apikale Subskapularisrupturen können über diesen Zugang ebenfalls gut versorgt werden. Liegen jedoch weit retrahierte Defekte des SSC vor, ist ein zusätzlicher deltoideo-pectoraler Zugang sinnvoll. Nachbehandlung Großen und schwer mobilisierbaren Defekten, die in Adduktion noch unter Spannung stehen, werden über ein Postträgerkissen in Abduktion behandelt. Kleine, gut mobilisierbare Defekte, die in Adduktion spannungsfrei anliegen, werden mit einer Easy-Sling versorgt. Unabhängig vom Hilfsmittel wird für sechs Wochen streng passiv mit Physiotherapie und Einsatz einer Continious Passive Motion (CPM)-Schiene nachbehandelt. Ergebnisse Für die in diesem Kapitel eingesetzte Nahttechnik ohne Bursaplastik gibt es bei offenen Rekonstruktionen publizierte Ergebnisse [3] mit einem mittleren Constant-Score von 91 % und einer Rerupturrate von 18 %. Komplikationen Die Komplikationsmöglichkeiten entsprechen denen der arthroskopischen Techniken.

Literatur [1] [2] [3]

[4]

[5] [6]

Levy HJ, Uribe JW, Delaney LG. Arthroscopic assisted rotator cuff repair: preliminary results. Arthroscopy. 1990;6:55-60. Mason ML, Allen HS. The rate of healing tendons. Ann Surg. 1941;113:424–59. Boehm TD, Werner A, Radtke S, et al. The effect of suture materials and techniques on the outcome of repair of the rotator cuff: a prospective, randomised study. J Bone Joint Surg Br. 2015;87:819-23. Matsen FA 3rd, Lippitt SB. Procedure: rotator cuff repair. In: Matsen FA 3rd, Lippitt SB, DeBartolo SE (Hrsg). Shoulder surgery: principle and procedures. Philadelphia, USA, WB Saunders, 2004:347–377. Jost PW, Khair MM, Chen DX, et al. Suture number determines strength of rotator cuff repair. J Bone Joint Surg Am. 2012;94:e100. Steinert AF, Kunz M, Prager P, et al. Characterization of bursa subacromialis-derived mesenchymal stem cells. Stem Cell Res Ther. 2015;6:114.

8 Muskeltransferoperationen Gábor J. Puskás, Bernhard Jost

8.1 Einleitung Muskeltransferoperationen als Lappendeckung von Wunddefekten wurden schon sehr früh durchgeführt. Der in Pavia tätige italienische Chirurg Iginio Tansini hat 1896 und 1906 als Erster dafür die Verwendung des Latissimus dorsi beschrieben. Dabei verliert der Muskel jedoch seine Kontraktilität und damit seine eigentliche biomechanische Funktion als Motor des Bewegungsapparates. Funktionelle Muskeltransfers wurden als erstes für die Behandlung von motorischen Funktionsdefiziten bei Poliomyelitis oder nach geburtstraumatischen Armplexusparesen angewandt. Dabei wurden Muskelansätze, also im eigentlichen Sinne die Sehnen, funktionstüchtiger Muskeln abgelöst und an Muskelansätzen paretischer Muskeln reinseriert, respektive mit deren Sehnen vernäht. Das Ziel eines solchen Transfers ist es, dass die transferierte Muskelsehneneinheit die Funktion des gelähmten Muskels zumindest teilweise übernimmt und so den Funktionsausfall kompensiert. Der mehrheitlich in Innsbruck und Graz praktizierende Österreicher Carl Nicoladoni beschrieb als Erster 1881 den Transfer der Peronealsehnen auf die Achillessehne eines Sechzehnjährigen mit Poliomyelitis, wodurch der Junge wieder eine aktive Plantarflexion des Fußes erreichen konnte. Oskar Vulpius hat sich in Heidelberg Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts intensiv mit Transferoperationen bei Patienten mit Poliomyelitis auseinandergesetzt und diese vor allem an der unteren, aber auch an der oberen Extremität zum Erhalt einer funktionsfähigen Hand weiterentwickelt. An der Schulter wurde ein funktioneller Muskelsehnentransfer erstmals 1903 vom deutschen Chirurgen und Mitgründer der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Chirurgie Albert Hoffa beschrieben. Bekannter ist der 1934 beschriebene Muskelsehnen-Transfer von Joseph B. L’Episcopo aus Brooklyn, New York. L’Episcopo beobachtete bei Patienten mit geburtstraumatischer Plexusläsion eine muskuläre Inbalance zwischen den Innenrotatoren und den Außenrotatoren der Schulter. Die Schwäche der Außenrotatoren führt dabei zu einer Armhaltung in Innenrotation und zunehmend auch zu einer Innenrotationskontraktur. Sein Ziel war es, nach Lösen der Kontrakturen die Außenrotatoren zu stärken und die Innenrotatoren zu schwächen. Dazu verwendete er den Teres-major-Muskel, dessen Sehne er über einen posterioren Zugang an ihrem Ansatz ablöste, sie posterior um den Humerus herumzog und praktisch auf der gegenüberliegenden Seite ihres ursprünglichen Ansatzes wieder fixierte. So wechselte er die Rotationswirkung des Muskels und machte aus einem Innenrotator einen Außenrotator zur Unterstützung der paretischen Infraspinatus- und Teres-minor-Muskulatur. Dies ermöglichte dem Patienten wieder eine aktive Außenrotationskontrolle. Seither wurde das Operationsverfahren weiterentwickelt und modifiziert, mit zusätzlicher oder alleiniger Verwendung des Latissimus-dorsi-Muskels. Bei neurologisch https://doi.org/10.1515/9783110468939-008

156  8 Muskeltransferoperationen

bedingten motorischen Funktionsausfällen aufgrund einer geburtstraumatischen Plexusläsion oder peripherer Nervenläsionen mit unmöglicher oder ungenügender Nervenrekonstruktion bleiben Muskeltransferoperationen auch heute noch die einzige symptomatische Therapie, um einen Funktionsverlust zuverlässig aktiv zu kompensieren. Christian Gerber beschrieb 1988 als Erster den Latissimus-dorsi-Transfer zur Behandlung irreparabler Rotatorenmanschettenrupturen. Er realisierte, dass sich die Pseudoparese der Schulter bei Rotatorenmanschettenruptur und die neurologisch bedingte Parese im klinischen Bild sehr ähnlich präsentieren, und hat dies in der Originalpublikation illustrativ sehr schön dargestellt. Gerber schlussfolgerte, dass bei Irreparabiliät der Rotatorenmanschette eine Muskeltransferoperation den Funktionsverlust genauso wiederherstellen müsste wie bei Irreparabilität der neuromuskulären Einheit infolge einer Plexusparese. Aus rekonstruktiv handchirurgischen und später auch orthopädischen Studien sind die idealen Eigenschaften eines zu transferierenden Muskels bekannt. Er sollte Agonisten mit gleicher Funktion haben, damit der Patient nach erfolgtem Transfer nicht einen vollständigen Verlust seiner ursprünglichen Funktion erleidet. Der Kraftvektor sollte demjenigen des zu kompensierenden Muskels möglichst nahekommen, um dessen Funktion optimal zu übernehmen. Um mit dem Transfer die häufig längere Zugstrecke zu erreichen, ist eine weite Exkursion, eine gute Elastizität und eine große Kontraktionsamplitude der Muskelsehneneinheit wichtig. Zudem sollte der zu transferierende Muskel kräftig sein, da er nach erfolgtem Transfer im Mittel einen Polio-Kraftgrad verliert. Aus diesen Gründen eignet sich der Latissimus-dorsi-Muskel besonders gut für Transferoperationen. Er ist der größte und kräftigste Muskel der Schulter mit der größten Kontraktionsamplitude und der weitesten Exkursion, gefolgt vom Pectoralis major. So sind in der Schulterchirurgie der Latissimus-dorsi- und der Pectoralis-majorTransfer die am häufigsten untersuchten und wohl auch durchgeführten Transferoperationen zur Behandlung von irreparablen Rotatorenmanschettenrupturen. Auf diesen beiden Operationsverfahren soll denn auch das Augenmerk dieses Kapitels liegen.

8.2 Latissimus-dorsi-Transfer 8.2.1 Einleitung Gerber hat den Latissimus-dorsi-Transfer zur Behandlung von irreparablen Rotatorenmanschettenrupturen vor fast 30 Jahren eingeführt [1]. Er hat dabei eine Operationstechnik übernommen und weiterentwickelt, welche bereits für die Behandlung von Funktionsdefiziten der Schulter bei Kindern mit Paralyse des Nervus suprascapularis infolge einer geburtstraumatischen Plexusläsion bekannt war. Es ist sein Verdienst, dass er erkannt hat, dass sich die klinische Präsentation des Funktionsdefizites trotz verschiedener Ätiologien gleicht. Die Fallzahl war mit 14 Operationen noch relativ

8.2 Latissimus-dorsi-Transfer  157

gering, und nur vier Patienten hatten eine Nachkontrollzeit von über einem Jahr. Dennoch sind in dieser Publikation aus dem Jahre 1988 neben den klinischen Resultaten bereits praktisch alle wesentlichen Punkte betreffend Anatomie, Biomechanik und Elektrophysiologie untersucht oder diskutiert worden. Es dauerte zirka zehn Jahre bis auch andere Gruppen begannen, zu diesem Operationsverfahren Arbeiten zu veröffentlichen [2,3]. Im Laufe der Zeit wurden von zahlreichen Autoren die Resultate bestätigt, weiterführende anatomische, biomechanische und elektrophysiologische Studien durchgeführt sowie Modifikationen der Technik bis hin zu arthroskopischen Verfahren beschrieben. Die Indikation zum Latissimus-dorsi-Transfer hat sich seither kaum geändert. Dies trotz modernerer, präoperativer bildgebender Verfahren wie der Kernspinntomographie, welche eine bessere Beurteilbarkeit der Reparabilität einer Rotatorenmanschettenruptur erlaubt, und trotz verbesserter rekonstruktiver Operationstechniken.

8.2.2 Indikation / Kontraindikation Die Indikation für den klassischen Latissimus-dorsi-Transfer ist eine als irreparabel beurteilte posterosuperiore Rotatorenmanschettenruptur, welche die Supraspinatussehne und die Infraspinatussehne betrifft und eine für den Patienten schmerzhafte und im Alltag einschränkende Funktionseinbuße der Schulter bedingt. Diese äußert sich in einer verminderten Außenrotationskontrolle im Raum beziehungsweise in einer verminderten aktiven Außenrotation bei adduziertem (Lag-Zeichen) und vor allem auch bei abduziertem Arm (Hornblower-Zeichen), kombiniert mit einer kraftabgeschwächten Elevation, die aber aktiv noch über 90° (keine Pseudoparalyse) erhalten ist. Eine schmerzfreie, ausgeprägte Pseudoparalyse mit dynamischer anterosuperiorer Subluxation bei Abduktion oder Elevation von weniger als 30° wird als Kontraindikation für einen Latissimus-dorsi-Transfer gewertet [4], ebenso eine fortgeschrittene Omarthrose [5], eine komplette Nervus axillaris-Läsion [6] oder eine Deltoideus-Insuffizienz sowie eine ausgeprägte Schultersteife [7]. Eine zusätzliche Ruptur der Subskapularissehne wird als Kontraindikation kontrovers diskutiert, stellt aber zumindest einen negativ prädiktiven Faktor dar.

8.2.3 Resultate 8.2.3.1 Klinische Resultate In zwei Langzeitstudien von El-Azab und von Gerber mit einer minimalen Nachkontrollzeit von über sechs, respektive über zehn Jahren konnte anhand von 93 respektive 46 Fällen eine deutliche, signifikante und anhaltende Verbesserung der Schulterfunktion durch den Latissimus-dorsi-Transfer nachgewiesen werden. Der finale Constant Score lag bei etwas mehr als 60 Punkten, was in den beiden Patientenkollektiven

158  8 Muskeltransferoperationen

einem relativen Constant Score von 71 % respektive 80 % entspricht [8,9]. Mit dem Transfer wurde eine aktive Elevation von knapp über 130° und eine aktive Außenrotation von 30° erreicht. Die Abduktionskraft hat sich zwar nur gering, aber doch signifikant auf 3,4 respektive 2 Kilogramm verbessert. Auch der subjektive Schulterwert konnte signifikant auf 70 % gesteigert werden. Diese Resultate schließen allerdings 12 Patienten (10 %) der ursprünglich 115 Patienten von El-Azab aus, welche aufgrund einer Constant Score-Verschlechterung, einer unveränderten oder abnehmenden Schulterbeweglichkeit oder einer fehlenden Latissimus-dorsi-Kontraktion als klinische Versager gewertet wurden. Tab. 8.1: Resultatübersicht aktueller klinischer Studien zum Latissimus-dorsi-Transfer. Autor

Jahr

Petri­c­cio­li et al.

Technik

Anzahl

Alter [Jahre]

Nachkon­ trollzeit [Monate]

Constant Score (CS) prä / post

Subjektives Resultat; Subjek­ tiver Schulterwert prä / post [%]

2016 LD (arthro­ skopisch)

33 von 45

58 (31–69)

36 (12–60)

35/65

Castricini et al.

2016 LD (arthro­ skopisch)

86 von 107

59 (38–69)

36 (24–60)

36/70

44 % sehr zufrieden 47 % zufrieden

Grimberg et al.

2015 LD (arthro­ skopisch)

55

62 (31–75)

29 (24–42)

37/65 39/70 (primär) 36/61 ­(sekundär)

82 % sehr / zufrieden 26/71

El-Azab et al.

2015 LD (2 Inzisionen)

93 von 115

56 (40–72)

112 (79–140)

36/62 36/65 (primär) 35/57 ­(sekundär)

31 % sehr zufrieden 55 % zufrieden

Gerber et al.

2013 LD (2 Inzisionen)

46 von 57

56 (37–67)

147 47/64 (122–184)

29/70

8.2 Latissimus-dorsi-Transfer  159

Gerber seinerseits, hat bei seinen 46 nachkontrollierten Patienten in 30 % der Fälle das klinische Resultat als unbefriedigend gewertet, wenn der subjektive Schulterwert nicht um mehr als 30 Prozentpunkte gesteigert werden konnte [9]. Ein präoperativ vorhandener Außenrotations-Lag oder ein positives Hornblower-Zeichen können durch den Latissimus-dorsi-Transfer nicht immer vollständig rückgängig gemacht werden und persistieren je nach Patientenkollektiv postoperativ in 2–58 % [5,7,10,11,12]. Eine Resultatübersicht aktueller klinischer Studien zum Latissimus-dorsi-Transfer ist in der Tab. 8.1 dargestellt.

Schmerz prä / post [Punkte CS]

Flexion prä / post [Grad]

Abduk­ tion prä / post [Grad]

Außen­ rotation prä / post [Grad]

Positives AR-Lag Komplikationen oder Hornblower-­ Zeichen (HBZ) prä / post

5/1,4 (VAS)

138/168

7/34

–– 1 persistierende N. ulnaris Neuropathie –– 2 Infekte –– 1 Anker Dislokation / Ruptur des Transfers

1,1/13,7

/160

/43

–– Von 27 (Castricini 2014) –– 1 Infekt –– 2 transiente Dysesthesien

1,7/12,6

134/157

67/93

29/42

7,8/2,4 (VAS)

86/134

89/127

18/29

–– 4 revisions- / punktionsbedürftige Hämatome –– 1 transiente N. radialis Läsion –– 1 transiente N. axillaris Läsion –– 3 Deltoideus Insuffizienzen –– 2 sekundäre Schultersteifen

6,6/12,8

118/132

112/123

18/33

–– 1 Wunddehiszenz –– 2 Schultersteifen –– 1 traumatische Ruptur des Transfers –– 1 Ruptur Deltoideus –– 2 transiente Dysesthesisen N. ulnaris

15/2 % (HBZ)

–– 4 Frakturen des Tuberculum majus (Interferenzschraube) –– 4 Rupturen des Transfers –– 1 revisionsbedürftiges ­Häma­ tom –– 2 Infekte –– 1 Inverse Prothese bei schlechtem Resultat

160  8 Muskeltransferoperationen

Tab. 8.1: (fortgesetzt) Resultatübersicht aktueller klinischer Studien zum Latissimus-dorsi-Transfer. Autor

Jahr

Technik

Anzahl

Lichtenberg et al.

2012 LD + TM 17 (L’Episcopo) 17 LD gepaart (1 Inzision)

Lehmann et al.

2010 LD (1 Inzision)

26

Weening et al.

2010 LD (2 Inzisionen)

16 von 20

NovéJosserand et al.

2009 LD (2 Inzisionen)

Moursy et al.

2009 LD (1 Inzision)

Alter [Jahre]

Nachkon­ trollzeit [Monate]

57 (40–71) 61 (47–74)

Constant Score (CS) prä / post

Subjektives Resultat; Subjek­ tiver Schulterwert prä / post [%]

48/70 45/74 24 (12–41)

20/56

85 % zufrieden

60 (49–71)

26 (7–73)

39/63

26 von 30

56 (36–71)

34 (24–62)

50/74 /75 (primär) /64 ­(sekundär)

/68

42 von 47

58

47

42/69

/81

Buchmann 2009 Diverse et al. T­ echniken

17 prim. 17 sek. gepaart von 124

63 ± 7,3

28±7,6

45/64

56 ± 9,8

20±10

43/61

Zafra et al.

2009 LD (2 Inzisionen)

18

54 (37–62)

28 (12–58)

49/70

Birmingham et al.

2008 LD (2 Inzisionen)

18 von 19

60 (48–74)

25 (12–62)

43/61 (ASES) (sekundär)

Irlenbusch 2008 LD et al. (2 Inzisionen)

31 von 52

60 (42–74)

52 (46–57)

32/68 33/71 (primär) 31/60 ­(sekundär)

94 % zufrieden

8.2 Latissimus-dorsi-Transfer  161

Schmerz prä / post [Punkte CS]

Flexion prä / post [Grad]

Abduk­ tion prä / post [Grad]

Außen­ rotation prä / post [Grad]

Positives AR-Lag Komplikationen oder Hornblower-­ Zeichen (HBZ) prä / post

7,9/14,2

124/167

117/163

13/24

88/47 % AR-Lag

9,1/14,1

133/176

113/173

29/23

76/41 % AR-Lag

–– Keine Komplikationen bei diesen 34 Patienten

85/19 % AR–Lag 4,3/10

79/106

4,8/12,2

155/173

5,4/12,8

105/143

8,9/14,1 7,6/12,3

74/106

–– 1 Infekt –– 2 inverse Prothesen bei schlechtem Resultat 9/16

58/34 % (HBZ)

102/142

14/30

67/12 % (HBZ)

99/139 99/147

100/127 92/134

16/12 13/22

92/56 % AR-Lag 75/27 % AR-Lag postop HBZ: 8 % resp. 50 %

6/12,9

93/139

85/125

8/30

–– 1 revisionsbedürftiges Häma­ tom –– 1 Infekt –– 1 Ruptur Bizepssehne –– 1 Ruptur des Transfers

5,9/2,2 (VAS)

56/137

31/45

–– 1 Ruptur des Transfers

1,7/11,5 1,9/12,5 1,3/7,9

79/151 81/156 76/131

67/143 74/143 58/131

18/23 /24 /21

/58 % AR-Lag

–– 1 Ruptur des Transfers –– 2 transiente N. axillaris Läsionen –– 1 Algodystrophie (Patient mit transienter N. axillaris läsion)

–– Von n = 124: –– 3 Rupturen des Transfers –– 2 Infekte –– 1 N. ulnaris Läsion –– 2 Deltoideus Insuffizienzen

–– 1 Infekt –– 2 revisionsbedürftige Häma­ tome –– 1 transiente neurologische Lähmung

162  8 Muskeltransferoperationen 8.2.3.2 Radiologische Resultate In allen Studien wurde eine geringe, aber oft signifikante Zunahme der Omarthrose gemäß der Klassifikation nach Samilson und Prieto oder nach Hamada beobachtet. In den meisten Fällen nahm die Arthrose um lediglich einen Schweregrad zu, und die Zunahme korrelierte oft nicht mit dem klinischen Resultat [7,8,9,12,13]. Die ArthroseProgredienz kann also durch den Latissimus-dorsi-Transfer nicht aufgehalten werden. Es bleibt aber unklar, ob sie durch den Transfer beschleunigt oder verlangsamt wird. In einer biomechanischen Kadaverstudie wurde nach Latissimus-dorsi-Transfer je nach Schulterposition gar ein erhöhter glenohumeraler Gelenksdruck gemessen [14]. Die Abnahme der akromiohumeralen Distanz kann durch den Latissimus-dorsiTransfer auch nicht aufgehalten werden. Im Langzeitverlauf verminderte sie sich weiter um 1 bis 2,5 mm, ohne jedoch mit dem klinischen Resultat zu korrelieren [8,9]. Dies stellt die erwünschte Humeruskopf-Depressorwirkung des Latissimus-dorsi-Transfers in Frage. Lichtenberg hat in 37,5 % der Fälle eine Vergrößerung der akromiohumeralen Distanz und dadurch sogar eine Abnahme des Hamada-Stadiums beobachtet. Eine weitere Studie zeigte einerseits eine Abnahme in Neutral- und Außenrotation, aber andererseits eine Zunahme der akromiohumeralen Distanz bei innenrotiertem Arm, was mit der Depressorwirkung und dem Tenodese-Effekt des Transfers erklärt werden kann [7,12].

8.2.4 Prädiktive Faktoren 8.2.4.1 Demografische Daten Als patientenspezifische, negativ prädiktive Faktoren für das postoperative klinische Resultat werden höheres Alter [8] und, auf Grund allgemein schwächerer Muskelkraft, weibliches Geschlecht [15] angegeben, wobei zumindest zweites in Folgestudien mit größeren Patientenzahlen nicht bestätigt wurde [6,16]. 8.2.4.2 Voroperationen Bei Patienten mit Voroperationen an der betroffenen Schulter sind die Resultate nach Latissimus-dorsi-Transfer im Allgemeinen schlechter. Bereits Warner hat in seiner Neer Award prämierten Arbeit von 1999 gezeigt, dass 16 voroperierte Patienten, bei welchen der Latissimus-dorsi-Transfer aufgrund eines Versagens einer Rotatorenmanschettenrekonstruktion durchgeführt wurde, im Constant Score nach durchschnittlich 29 Monaten signifikant schlechtere klinische Resultate zeigten als 6 Patienten, bei welchen der Transfer bei irreparabler posterosuperiorer Rotatorenmanschettenruptur primär erfolgte [17]. Dies war vor allem durch eine bessere Elevation bedingt, bei praktisch gleicher Außenrotationsfähigkeit beider Gruppen. Präoperativ war der Constant Score bei beiden Gruppen gleich. Auch war die klinisch diagnostizierte Ruptur des transossär fixierten Transfers bei den Patienten mit Voroperationen

8.2 Latissimus-dorsi-Transfer  163

häufiger (44 % versus 17 %), was mit einer schlechteren Funktion einherging. Patienten mit einer Revisionsoperation hatten in dieser Arbeit allerdings präoperativ eine größere Ruptur und bereits eine weiter fortgeschrittene fettige Infiltration der Rotatorenmanschettenmuskulatur, sowie intraoperativ eine schlechtere Sehnenqualität und häufiger eine Insuffizienz der Deltoideus-Muskulatur. Schlechtere klinische Resultate bei Patienten mit Voroperationen hat später auch Gerber in einer klinischen Studie mit 69 Patienten gezeigt [4]. Allerdings hatten diese Patienten bereits präoperativ niedrigere Scores und erzielten durch den Latissimusdorsi-Transfer eine gleich gute Verbesserung wie primär operierte Patienten, einfach auf tieferem Niveau. Schlechtere Resultate bei gleichen präoperativen Werten zeigten hingegen Irlenbusch [11] und später El-Azab [8]. In einer gepaarten Studie mit je 17 Patienten und drei verschiedenen Operationstechniken berichtete Buchmann [10], dass Patienten mit Voroperation einen tieferen relativen Constant Score und häufiger ein postoperatives Hornblower-Zeichen hatten. In allen übrigen, subjektiven und objektiven Parametern unterschieden sie sich nicht. Auch Valenti fand keine signifikanten funktionellen Unterschiede zwischen primärem Latissimus-dorsi-Transfer und Transfer als Revisionsoperation, bis auf die subjektive Zufriedenheitsrate, welche bei Primäroperationen höher war [18]. 8.2.4.3 Klinischer Status Einige der oben genannten Studien zeigten, dass der präoperative klinische Status relevant ist für das postoperative Resultat. So hatten Patienten, die ein schlechteres postoperatives Resultat hatten, bereits präoperativ tiefere Scores. Dies lässt sich auch auf die Beweglichkeit übertragen. Patienten mit guten klinischen Resultaten hatten bereits präoperativ eine bessere aktive Beweglichkeit für Elevation und Außenrotation [15]. 8.2.4.4 Subskapularis In seiner zweiten Publikation zum Latissimus-dorsi-Transfer hat Gerber 1992 anhand von 16 Patienten gezeigt, dass 33 Monate postoperativ die vier Patienten mit einer zusätzlichen, irreparablen Ruptur der Subskapularissehne vom Latissimus-dorsi-Transfer funktionell nicht profitiert haben, im Gegensatz zu den übrigen Patienten, welche eine über 80 prozentige Schulterfunktion erreichten [19]. Die Relevanz einer intakten, respektive irreparablen Subskapularissehne wurde auch in späteren Studien und auch von anderen Autoren bestätigt, wobei im Gegensatz zur ersten Publikation von Gerber, Patienten mit einer präoperativen Subskapularisinsuffizienz zwar weniger, aber dennoch vom Latissimus-dorsi-Transfer profitieren konnten [4,9,11,20]. Es ist natürlich vor allem die postoperative Funktion des Subskapularis, welche das klinische Resultat nach Latissimus-dorsi-Transfer beeinflusst. Patienten mit einem schlechten postoperativen Resultat hatten häufiger klinisch eine Subskapularisinsuffizienz [9]. Auch in einer biomechanischen Studie konnte die Wichtigkeit der Subskapularis-

164  8 Muskeltransferoperationen

funktion zur Zentrierung des Humeruskopfes nach Latissimus-dorsi-Transfer nachgewiesen werden [21]. Die stabile Rekonstruktion einer allfälligen zusätzlichen Subskapularissehnenruptur ist also ein entscheidender Faktor. 8.2.4.5 Teres minor Der Teres minor beeinflusst das postoperative Resultat ebenfalls. Coustouros zeigte, dass Patienten mit ausgeprägter fettiger Infiltration vom Stadium 3 und mehr nach Goutallier signifikant schlechtere objektive und subjektive Scores erzielten und insbesondere auch eine geringere aktive Beweglichkeit für Elevation und Außenrotation erreichten im Vergleich zu Patienten, die präoperativ eine fettige Infiltration des Teresminor-Muskels von lediglich Stadium 2 oder weniger hatten. Allerdings war deren präoperative Ausgangslage schlechter und die Verbesserung der einzelnen Parameter zum Teil sogar größer. Ob gleichzeitig die Teres-minor-Sehne total oder partiell rupturiert oder intakt war, hat in dieser Arbeit das postoperative Resultat nicht beeinflusst [22]. 8.2.4.6 Kritischer Schulterwinkel Ein postoperativ Kritischer Schulterwinkel über 36° ging in der Langzeitstudie von Gerber mit signifikant schlechteren Constant-Score-Resultaten einher, bedingt vor allem durch die Score-Parameter für die Funktion bei gleicher Schmerzbesserung [9]. 8.2.4.7 Aktivität Latissimus-dorsi-Transfer Die postoperative Aktivität des transferierten Latissimus-dorsi-Muskels in seiner neuen Funktion wurde verschiedentlich untersucht, und es bleibt kontrovers diskutiert, ob er eine aktive Funktion als Außenrotator und Abduktor wahrnehmen kann oder allein einen Tenodese-Effekt darstellt. Mehrere vergleichende Studien zeigten allerdings zumindest bei einem Teil der Patienten eine klinische und auch elektrophysiologisch nachgewiesene Aktivität des transferierten Latissimus-dorsi-Muskels. Dieser Befund ging auch mit einem besseren klinischen Resultat einher. In der Originalpublikation von 1988 hat Gerber [4] über postoperative elektromyographische Untersuchungen berichtet, die bei einigen Patienten eine Aktivität des Latissimusdorsi-Muskels bei Außenrotation, sowie bei Flexion und Abduktion zeigten. Später berichtete Iannotti [15], dass jene fünf Patienten, welche nach Latissimus-dorsiTransfer ein schlechtes klinisches Resultat zeigten, allesamt in der postoperativen elekromyographischen Untersuchung wohl eine Aktivität bei Adduktion zeigten, bei Elevations- und Außenrotationsbewegungen jedoch keine Aktivität des Latissimusdorsi-Muskels nachzuweisen war. Dies im Gegensatz zu den neun Patienten mit gutem klinischen Resultat. Dass der Latissimus-dorsi nach Transfer die neue Funktion übernehmen kann, wurde in neueren Studien bestätigt. So konnte eine vermehrte elektromyographische Aktivität bei aktiver Außenrotation im Vergleich zur Innen-

8.2 Latissimus-dorsi-Transfer  165

rotation [7] und zur Außenrotation der Gegenseite [23,24] nachgewiesen werden, genauso wie für die Abduktion [25]. In einer neueren Studie hat Plath bestätigt, dass gute klinische Resultate mit einer guten Aktivierbarkeit des Transfers einhergehen [26]. Er hat dabei den Einfluss der Koaktivierung des Latissimus-dorsi-Muskels in seiner ursprünglichen Funktion, der Adduktion, auf die Außenrotation untersucht. Patienten die eine gute postoperative Außenrotationsfähigkeit hatten, zeigten bei Außenrotation spontan eine höhere elektromyographische Aktivität des Latissimus-dorsi-Muskels. Patienten mit schlechterer Außenrotation konnten mit bewusster Koaktivierung die elektromyographische Aktivität des Latissimus dorsi erhöhen und dadurch die Außenrotation vergrößern.

8.2.5 Operationstechnik In der Originalpublikation von 1988 beschreibt Gerber eine Operationstechnik in Seitenlage unter Verwendung von zwei Hautinzisionen. Über einen superolateralen Zugang wird der anteriore Anteil des Deltoideus mittels kleiner Knochenschuppe vom Akromion abgelöst, eine Akromioplastik und eine laterale Klavikularesektion durchgeführt sowie der Insertionsort des späteren Transfers vorbereitet. Falls möglich, erfolgt eine partielle Rotatorenmanschettenrekonstruktion. Über einen posterioren axillären Zugang wird die Latissimus-dorsi-Sehne direkt an ihrem humeralen Ansatz abgelöst und in die superolaterale Wunde transferiert, wo sie transossär am Tuberculum majus reinseriert und zusätzlich an der Restmanschette fixiert wird. 8.2.5.1 Bevorzugte Technik der Autoren Die Autoren verwenden eine leicht modifizierte Operationstechnik betreffend der Patientenlagerung, der Hautinzision und der Sehnenfixation; ansonsten folgen sie der Technik wie sie in der Originalpublikation beschrieben wurde. Der Patient wird halbsitzend (Beachchair) gelagert, und die Hautdesinfektion und die sterile Abdeckung erfolgen so, dass der Arm frei beweglich bleibt. Es muss darauf geachtet werden, dass auch die Axilla und der Latissimus-dorsi-Muskelbauch frei sind. Eine präoperative Antibiotikaprophylaxe mit einem Cephalosporin der zweiten Generation wird standardmäßig 30 Minuten vor dem Hautschnitt verabreicht. Als erstes erfolgt die Darstellung und Beurteilung der Rotatorenmanschettenruptur mit Mobilisation derselben zur definitiven Entscheidung, ob die Ruptur sinnvoll reparabel ist, oder ob ein Latissimus-dorsi-Transfer notwendig ist. Dafür verwenden wir je nach Voroperationen und bestehenden Narben einen Deltoideus-Split oder einen superolateralen Zugang mit partieller Ablösung des Deltoideus mittels Knochenschuppe. Gelegentlich bietet sich bei schlanken Patienten auch ein deltopectoraler Zugang an. Ist eine partielle Rotatorenmanschettenrekonstruktion der Teres-minorSehne und der Infraspinatussehne noch möglich, wird diese unter Verwendung von

166  8 Muskeltransferoperationen

Abb. 8.1: Vorbereiten der Transferpassage mit einer Klemme vom superolateralen Zugang her. (a) Deltoideus, (b) Teres minor.

Titan-Schraubankern durchgeführt. Eine allfällige Subskapularissehnenruptur wird immer rekonstruiert. Die lange Bizepssehne wird glenoidal abgelöst und je nach Patientenmorphologie und Patientenwunsch als Tenotomie belassen, oder es wird eine Weichteiltenodese durchgeführt. Narbengewebe und Restsehne werden vom Tuberculum majus debridiert und dieses leicht angefrischt als Vorbereitung für die spätere Transferfixation. Ein entscheidender Schritt vor dem Wechsel zum axillären Zugang ist die Vorbereitung der Transferpassage (Abb. 8.1). Dazu wird eine lange, grobe Klemme in der Tiefe des Deltoideus auf dem Teres minor und in dessen Verlaufsrichtung nach axillär gebracht und gespreizt. Dabei ist darauf zu achten, nicht zu sehr nach dorsal zu gelangen, sondern nach inferior zur Axilla hin zu zielen. Für den posterioren axillären Zugang wird der Arm flektiert und in Innenrotation gehalten. Die Hautinzision erfolgt longitudinal entlang des palpablen Latissimus-dorsi-Muskelbauches und der posterioren Achselfalte und wird proximal nach anterior abgewinkelt, direkt außerhalb des axillären Haaransatzes. Der erste Muskelbauch, auf den man nach der subkutanen Präparation trifft, ist meist der des Teres major. Der Latissimus-dorsi-Muskelbauch liegt noch etwas weiter medial oder anterior auf dem Teres major. Seine sichere Identifikation und Abgrenzung zum Teres-major-Muskel ist möglich, sobald nach proximal hin sein langer Sehnenspiegel dargestellt werden kann (Abb. 8.2). Die Latissimus-dorsi-Sehne ist mit 5,2–8,4 cm deutlich länger als die Teres-major-Sehne (0,9–1,5 cm) und mit 2,9–3,3 cm etwas schmaler [27,28,29]. Sie liegt somit dem Teres-major-Muskelbauch auf, und kann meist gut von ihm abgehoben werden, um so den Latissimus dorsi zu isolieren. Die Latissimus-dorsi-Sehne inseriert am Humerus anterior der Teres-major-Sehne und auch etwas proximaler. Gelegent-

8.2 Latissimus-dorsi-Transfer  167

Abb. 8.2: Darstellen der Latissimus-dorsi-Sehne an ihrem humeralen Ansatz über den posterioren axillären Zugang. (c) Latissimus dorsi, (d) Teres major.

lich sind die beiden Sehnen leicht miteinander verbunden oder inserieren gemeinsam, was einen isolierten Latissimus-dorsi-Transfer erschwert [29,30]. Um eine möglichst lange Sehne für den Transfer zu erhalten, wird der Arm maximal flektiert und innenrotiert und so die Insertion am Humerus dargestellt. Die Latissimus-dorsi-Sehne kann nun unmittelbar am Humerus mittels Schere von proximal nach distal abgelöst werden. Diese Position des Armes bewirkt jedoch ein erhöhtes Risiko für intraoperative Nervenläsionen, da durch sie sowohl der Nervus axillaris, wie auch der Nervus radialis näher an der Latissimus-dorsi-Sehne zu liegen kommen, der Nervus axillaris proximal und der Nervus radialis distal der Sehne [31]. Die Latissimus-dorsi-Sehne wird nun mit zwei nichtresorbierbaren Fäden der Stärke 2 an ihrer superioren und inferioren Seite mittels Krakow-Nähten augmentiert. Die beiden Fäden werden zur Unterscheidung markiert, da der superiore Faden später für die mediale und der inferiore Faden für die laterale Ankerfixation verwendet werden. Um die längere Distanz zum Tuberculum majus zu ermöglichen, erfolgt die Präparation des Latissimus-dorsi-Muskelbauches mit Lösen von Weichteiladhärenzen zum Teres major und insbesondere lateral zur Subkutis hin. Medial kann der Muskelbauch bis hin zum neurovaskulären Bündel mobilisiert werden, welches zirka 11–13 cm entfernt von der Sehneninsertion medial in den Muskel eingeht [28,29]. Der nächste Schritt besteht nun darin, die Transferpassage von axillär her darzustellen (Abb. 8.3). Entscheidend dafür ist die sorgfältige Präparation und klare Identifikation folgender Muskelbäuche: Der Teres major ist durch die Transferentnahme bereits dargestellt. Er bildet für die weitere Präparation den medialen und distalen Ursprung. Lateral und proximal von ihm folgt der lange Trizepskopf, welcher vom inferioren Glenoid her nach distal zieht. Er ist somit auch aufgrund seiner ent-

168  8 Muskeltransferoperationen

Abb. 8.3: Präparation der Transferpassage von axillär her. (a) Deltoideus, (b) Teres minor, (c) Latissimus dorsi, (d) Teres major, (e) Trizeps.

gegengesetzten Verlaufsrichtung klar abgrenzbar und verläuft zwischen Teres major und Teres minor, welche er proximal in der Axilla trennt. Dadurch kann weiter proximal nun der Teres-minor-Muskelbauch identifiziert werden sowie lateral davon der Deltoideus, respektive die Transferpassage, das Intervall zwischen Teres minor und Deltoideus. Beim Eröffnen desselben entleert sich gelegentlich Blut aus der proximalen Wunde. Dies ist ein Zeichen für die korrekte Präparation, da nun die von supero­ lateral her begonnene Passage von axillär her komplettiert wurde. Mittels einer von proximal her eingebrachten Klemme werden die Fäden und somit die Latissimusdorsi-Sehne nach proximal gebracht. Dabei lässt sich das Gleiten der Sehne und des Muskelbauches beobachten (Abb. 8.4) und prüfen, ob mit der Sehne die gewünschte Insertionsstelle erreicht werden kann. So lässt sich beurteilen, ob allenfalls eine weitere Mobilisation des Muskels notwendig ist. Die Fixation des Transfers erfolgt flächig am Tuberculum majus am ursprünglichen Ansatz der Infraspinatussehne (Abb. 8.5). Dieser Insertionsort wurde in anatomisch-biomechanischen Studien wie auch im computerbasierten biomechanischen Simulationsmodell als beste Position bestätigt [32,33]. Die beiden Fäden werden durch je einen Anker gezogen, und diese Anker dann so platziert, dass die superiore Sehnenecke ventral medial und die inferiore Ecke ventral lateral zu liegen kommen. Ein zusätzlicher Anker wird vor dem Knüpfen der Fäden weiter posterior am Tuberculum majus eingebracht, um seine Fäden ebenfalls durch die Latissimus-dorsi-Sehne zu ziehen. So entsteht beim Festknüpfen aller Fäden eine flächige Dreipunktefixation, die bei Rotationsbewegungen in Abduktion ein Gleiten der Sehne über den Humeruskopf verhindert. Nach Wundverschluss und Anlegen eines üblichen Verbandes wird der operierte Arm in einer Schiene in Neutralrotation ruhiggestellt. Die Schiene wird für sechs Wochen getragen, wobei bereits unmittelbar

8.2 Latissimus-dorsi-Transfer  169

postoperativ physiotherapeutisch assistierte passive Mobilisationsübungen oberhalb des Schienenniveaus erfolgen. Ab der fünften postoperativen Woche wird die Transferaktivierung mit isometrischen Übungen begonnen. Nach sechs Wochen kann die Schulter passiv und aktiv frei mobilisiert werden, nach 12 Wochen erfolgt der Kraftaufbau.

Abb. 8.4: Prüfen der Gleitfähigkeit des Latissimus-dorsi-Muskelbauches nach Durchzug seiner Sehne nach proximal. (c) Latissimus dorsi, (d) Teres major.

Abb. 8.5: Fixation der Latissimus-dorsi-Sehne nach Transfer. (a) Deltoideus, (b) Teres minor, (c) Latissimus dorsi.

170  8 Muskeltransferoperationen 8.2.5.2 Alternative Techniken Diverse alternative Operationstechniken wurden beschrieben: Das Ablösen der Latissimus-dorsi-Sehne zusammen mit einem Knochenchip führte in einer Studie zur stabileren Fixation, ohne Ruptur des Transfers [34]. Eine andere posteriore Schnittführung wurde vorgeschlagen, die einerseits das Lösen der Latissimus-dorsi-Sehne erlaubt, wie auch deren Fixation am Tuberculum majus. Die Transferpassage bleibt dabei gleich [35]. Gemäß der ursprünglichen Technik nach L’Episcopo werden die Sehnen des Latissimus dorsi und des Teres major gemeinsam über eine einzige anteriore, deltopectorale Inzision transferiert. Die Sehnen werden allerdings nicht ans Tuberculum majus fixiert, sondern lediglich posterior um den Humerusschaft herumgeführt. Der deltopectorale Zugang erlaubt keine genügende Mobilisation der Muskeln, um mit beiden Sehnen das Tuberculum majus zu erreichen. Über zwei Inzisionen, wie oben beschrieben, wäre dies möglich [29,36], ebenso über einen singulären posterioren Zugang [5]. Mit dem kombinierten Transfer gleich zwei Innenrotatoren aufzugeben, scheint aber wenig sinnvoll, insbesondere wenn auch noch eine Subskapularisinsuffizienz vorliegt. Eine vergleichende Studie zwischen der L’EpiscopoTechnik und dem Latissimus-dorsi-Transfers, beide über einen singulären posterioren Zugang, zeigte dann auch eine bessere postoperative aktive Beweglichkeit nach Latissimus-dorsi-Transfer [7]. 8.2.5.3 Arthroskopische Techniken Gervasi hat 2007 als Erster eine arthroskopisch assistierte Technik des Latissimus-dorsi-Transfers beschrieben, wobei die Transferentnahme konventionell offen über eine posteriore axilläre Inzision erfolgte, und die subakromiale Präparation, die Vorbereitung des Insertionspunktes sowie die Fixation der Latissimus-dorsi-Sehne dann arthroskopisch durchgeführt wurde [37]. Im Folgenden wurden weitere arthroskopisch assistierte Varianten beschrieben, mit unterschiedlichen Fixationstechniken der flachen oder tubulierten Latissimus-dorsi-Sehne, mit Ankern, Interferenzschrauben oder transossär mittels Endobutton [38,39,40]. Resultate der arthroskopischen Techniken sind erst seit kurzem beschrieben und mit den offenen Verfahren vergleichbar [6,16,24,41]. Die Fixationstechnik mittels Interferenzschraube zeigte dabei eine hohe Versagerquote und eine hohe Komplikationsrate, unter anderem auch mit Brüchen des Tuberculum majus [6]. Während Jemolajevas bei seiner Technik die Latissimusdorsi-Sehne bereits arthroskopisch gelöst hatte, erfolgte die Mobilisation des Muskels und die Fadenarmierung noch offen [42]. Erst kürzlich hat Cutbush eine vollständig arthroskopische Technik beschrieben [43].

8.3 Pectoralis-major-Transfer  171

8.3 Pectoralis-major-Transfer 8.3.1 Einleitung Der Erstbeschrieb des Pectoralis-major-Transfers in der orthopädischen Literatur geht auf das Jahr 1997 zurück [44]. Wirth wandte ihn bei Patienten an, die an einer chronischen anterioren Schulterinstabilität litten, in Kombination mit einer irreparablen Subskapularissehnenruptur. Die meisten dieser Patienten hatten zwei oder mehr Voroperationen. Für die ersten fünf seiner 13 nachuntersuchten Patienten verwendete er den Pectoralis minor. Im sechsten Fall transferierte er beide PectoralisMuskeln zusammen, da ihm der Pectoralis minor alleine als zu schwach erschien. Die chirurgische Einfachheit des zusätzlichen Pectoralis-major-Transfers und die Größe der verwendbaren Muskelsehneneinheit überzeugten ihn, für die restlichen sieben Patienten den Pectoralis major alleine zu verwenden. Im Folgenden wurde der Pectoralis-major-Transfer von mehreren Autoren für irreparable Subskapularissehnenrupturen verschiedener zu Grunde liegender Pathologien und in unterschiedlichen Operationstechniken vorgestellt. Die Pectoralis-major-Sehne kann entweder anterior über die Conjoint tendon geführt oder posterior von ihr durchgezogen werden. Zudem kann die ganze Sehne oder nur ein Teil von ihr transferiert werden.

8.3.2 Indikation / Kontraindikation Initial wurde der Pectoralis-major-Transfer für chronische Schulterinstabilität mit irreparabler Subskapularissehnenruptur nach mehreren Voroperationen beschrieben [44]. Ebenso wurde er bei irreparablen Subskapularissehnenrupturen im Rahmen einer dynamischen anterosuperioren Instabilität [45], bei einer Rotatorenmanschettenmassenruptur oder nach gelenksprothetischer Versorgung angewendet [46]. Die beste Indikation stellt Schmerz und Funktionseinschränkung in Folge einer anterosuperioren Rotatorenmanschettenruptur dar, insbesondere die isolierte irreparable Subskapularissehnenruptur [47]. Eine biomechanische Studie hat gezeigt, dass der transferierte Pectoralis major bei fehlendem Subskapularis zu einer anterioren Subluxation des Humeruskopfes führen kann, was seine Wirksamkeit bei anterioren Instabilitäten zumindest kritisch hinterfragen lässt [48]. Als Kontraindikationen werden in der Literatur eine verhakte anteriore Luxation, eine anteriore Atrophie oder Insuffizienz der DeltoideusMuskulatur und eine fortgeschrittene Arthrose angegeben [49,50]. Ebenso wurde der Pectoralis-major-Transfer von gewissen Autoren bei über 60-jährigen und inaktiven Patienten, bei Schultersteife [51] oder bei zusätzlicher Infraspinatussehnenruptur [49] nicht durchgeführt.

172  8 Muskeltransferoperationen 8.3.3 Resultate 8.3.3.1 Klinische Resultate Die klinischen Resultate unterscheiden sich je nach zugrundeliegender Indikation und müssen auch entsprechend gewertet werden. Bei den Patienten der Originalpublikation von Wirth sowie auch jenen von Galatz und von Elhassan wurde der Pectoralis-major-Transfer als „salvage procedure“ mit „limited goals“ durchgeführt, und damit konnte immerhin in 43–84 % der Fälle ein zufriedenstellendes Resultat erreicht werden. Bei irreparablen anterosuperioren Rotatorenmanschettenrupturen kann mit dem Pectoralis-major-Transfer ein Constant Score von 50–69 Punkten erreicht werden [47,50,52,53]. Von diesen Patienten sind 75–80 % mit dem Resultat zufrieden und geben einen subjektiven Schulterwert von durchschnittlich 55–80 % an [47,50,52,54]. Die aktive Flexion kann durch den Transfer auf durchschnittlich 129–153° gesteigert werden [44,47,49,50,52]. Die Außenrotation, welche aufgrund der Subskapularis­ Tab. 8.2: Übersicht der klinischen Resultate verschiedener Studien. Autor

Jahr

Technik

Anzahl

Alter [Jahre]

Nachkon­ trollzeit [Monate]

Constant Score (CS) prä / post

Subjektives Resultat; Subjektiver Schulterwert prä / post [%]

Valenti 2015 et al.

Klavikulärer Anteil (8) sternaler Anteil (7) Unter Conjoint tendon

15

57 (37–66)

24 (12–50)

36/69

60 % sehr ­zufrieden 20 % zufrieden

Lederer 2011 et al.

Proximale 2/3 Unter Conjoint tendon

54 von 62

63 (48–81)

35 (12–78)

39/64

/80 

Gavri­ ilidis et al.

Proximale 2/3 Unter Conjoint tendon

15

62±6,5

37

52/68

2010

8.3 Pectoralis-major-Transfer  173

sehnenruptur häufig pathologisch vergrößert ist, nimmt meistens postoperativ ab auf 30–50° [44,47,50,52], die Innenrotation hingegen zu auf durchschnittlich 7 Punkte im Constant Score, was zwischen dem dritten Lendenwirbel und dem zwölften Thorakalwirbel liegt [47,50]. Die Abduktionskraft kann auf 2–3,6 Kilogramm gesteigert werden [47,50,52]. Schmerzen verbessern sich auf durchschnittlich 9–14 Punkte im Constant Score, doch nicht alle Patienten werden schmerzfrei [47]. Auch ein präoperativ positiver Lift-off oder Belly-press-Test kann durch den Transfer nicht in allen Fällen wiederhergestellt werden und bleibt in 35 bis 100 % der Fälle positiv [47,51,52,54], was aber nicht mit dem klinischen Score-Resultat korreliert [54]. Tab. 8.2 zeigt eine Übersicht der klinischen Resultate verschiedener Studien.

Schmerz prä / post [Punkte CS]

Flexion Abduktion Außen­ Innen­ prä / post prä / post rotation rotation [Grad] [Grad] prä / prä / post post [Punkte CS] [Grad]

Positiver Komplikationen Lift-off oder Belly­ press Test prä / post

3/15

140/150

/4 (VAS 1–15)

/143

/137

8/14

45/149

127/135

36/42

3/7

15/4 Lift-off

–– 1 Infekt/Ruptur des Transfers –– 1 Anteriore ­Instabilität

/49

/6

54/21 Lift-off

–– 4 Rupturen des Transfers –– 3 narbige Veränderungen des Transfers

77°/78°

–– 2 Hämatome, punk­ tionsbedürftig –– 1 Ruptur des Transfers –– 1 unvollständige Ruptur des Transfers –– 1 Rotatoren­ manschetten-­ Arthropathie

174  8 Muskeltransferoperationen

Tab. 8.2: (fortgesetzt) Übersicht der klinischen Resultate verschiedener Studien. Autor

Jahr

El­ 2008 hassan et al.

Technik

Anzahl

Über Conjoint tendon

30 von 36 –– 11 bei Instabilität –– 8 nach Prothetik –– 11 bei RMRuptur

Alter [Jahre]

Nachkon­ trollzeit [Monate]

Constant Score (CS) prä / post

Subjektives Resultat; Subjektiver Schulterwert prä / post [%]

–– 37 (18–499

–– 49 (25–68)

–– 41/61

–– 55 (33–74)

–– 53 (25–80)

–– 58 (45–77)

–– 57 (44–82)

–– 29/52

–– 63 % mit subjektiver Besserung –– 13 % mit subjektiver Besserung –– 45 % mit subjektiver Besserung

19

35/68

–– 33/42

Hackl et al.

2007

Proximale 23 von 25 Hälfte bis ⅔ Unter Conjoint tendon

Jost et al.

2003

Über Conjoint tendon

30

53 (35–67)

32 (24–70)

42/62

46 % sehr ­zufrieden 33 % zufrieden 23/55

Galatz et al.

2003

Unter Conjoint tendon

14 von 23

68 (40–80)

18 (12–31)

27/48 (ASES)

64 % zufrieden 5,7 (ZufriedenheitsSkala 0–10)

Resch et al.

2000

Unter Conjoint tendon

12

65 (49–81)

28 (24–54)

23/54

75 % sehr / zufrieden 20/63

Vidil et al.

2000

Klavikulärer Anteil Über Conjoint tendon

5

54 (45–71)

19 (6–42)

28/50

8.3 Pectoralis-major-Transfer  175

Schmerz prä / post [Punkte CS]

Flexion Abduktion Außen­ Innen­ prä / post prä / post rotation rotation [Grad] [Grad] prä / prä / post post [Punkte CS] [Grad]

Positiver Komplikationen Lift-off oder Belly­ press Test prä / post

–– 8/4 (VAS)

–– 3 Rupturen des Transfers mit anteriorer Subluxation –– 6 Rupturen des Transfers –– 1 Infekt –– 4 Rupturen des Transfers mit einmal anteriorer Subluxation

–– 8/6 (VAS)

–– 8/4 (VAS)

23/23 Bellypress 5/9

119/132

108/126

66/50

6,9/3,2 (VAS)

28/60

1.7/9.6

93/129

85/113

55/30

4/10,4

90/101

77/98

35/45

5/7

30/23 Lift-off

–– 1 Infekt –– 2 Rupturen des Transfers –– 1 Reruptur Supra / Infraspinatus –– 1 Korakoidaler ­Konflikt –– 1 Thrombose V. axillaris

14/8 Bellypress

–– 1 transiente Neuropraxie des N. musculocutaneus –– 1 Ruptur des Transfers

2,3/4,5

/6 Bellypress

–– Keine Komplikationen bis auf einmal asymmetrischer anteriorer Deltoideus

4/4

Lift-off negativ bei 4 Getesteten

32/28 (passiv)

176  8 Muskeltransferoperationen 8.3.3.2 Radiologische Resultate Betreffend der radiologischen Arthrosezeichen und der akromiohumeralen Distanz kam es nach einer mittleren Beobachtungszeit von über 30 Monaten zu keiner Veränderung [47,54]. Eine anteriore Subluxation wurde in 17 % beschrieben, ohne Korrelation mit dem klinischen Resultat [47]. In einer Studie wurde bei einem Patienten (7 %) die Entwicklung einer Rotatorenmanschetten-Arthropathie beschrieben [49].

8.3.4 Prädiktive Faktoren Betrachtet man nur die Patienten, bei welchen der Pectoralis-major-Transfer aufgrund einer Rotatorenmanschettenruptur durchgeführt wurde, so zeigen jene mit isolierter Subskapularissehnenruptur die besseren postoperativen klinischen Resultate [47,53]. Besteht eine zusätzlich Supraspinatussehnenruptur mit intraoperativ noch guter Qualität der Muskelsehnen-Einheit und somit guter Reparabilität, können ähnlich gute Resultate erwartet werden [47].

8.3.5 Operationstechnik In der Originalpublikation von 1997 hat Wirth die obersten 2,5–3 cm der Pectoralismajor-Sehne scharf an ihrem Ansatz an der Crista tuberculi majoris abgelöst und nach proximal über den Sulkus bizipitalis gezogen und lateral davon im distalen Anteil des Tuberculum majus in einer zuvor kreierten 5 × 25 mm großen Knochennut mit 3–4 transossären Nähten fixiert. 8.3.5.1 Bevorzugte Technik der Autoren Zur Operation wird der Patient halbsitzend gelagert und eine perioperative intravenöse Antibiotikaprophylaxe mit einem Cephalosporin der 2. Generation 30 Minuten vor Hautschnitt verabreicht. Die Hautdesinfektion und die sterile Abdeckung erfolgen so, dass der Arm frei beweglich bleibt. Der deltopectorale Zugang wird verwendet und zur vollständigen Darstellung der Pectoralis-major-Sehne nach distal verlängert. Die Pectoralis-major-Sehne besteht aus einem sternalen und klavikulären Anteil, entsprechend der dazugehörigen Muskulatur, welche vom Sternum, respektive von der Klavikula entspringt. Die beiden Anteile verdrehen sich spiralig um 180°, wobei der sternale Anteil von medial inferior hinter dem klavikulären Anteil nach lateral superior zieht. Er inseriert am Humerus als posteriore Lamina in einer Dicke von ca. 1,4 mm. Die posteriore Lamina kann vor allem im oberen Bereich von der anterioren Lamina abgegrenzt werden, welche etwas weiter inferior liegt und die ca. 0,9 mm dicke Insertion des klavikulären Anteils darstellt [55,56]. Die Sehne ist an ihrem Ansatz aufgefächert und durchschnittlich 5,7 cm breit, abgelöst dann aber nur noch

8.3 Pectoralis-major-Transfer  177

etwa 4 cm [56]. Nach vollständigem, scharfem Ablösen unmittelbar an ihrem Ansatz am Humerus wird die Pectoralis-major-Sehne nun mit Haltefäden armiert, um den Muskelbauch mobilisieren zu können. Dies ist bei vollständiger Sehnenentnahme problemlos möglich, da die muskelversorgenden Nervenäste der Nn. pectorales lateralis und medialis erst etwa 9–15 cm medial der Sehneninsertion aus der Tiefe in den Muskel eintreten [56]. Der Pectoralis-major-Muskel hat so eine genügende Exkursion, und seine Sehne kann im Durchschnitt bis zu 2,6 cm über den Sulkus bizipitalis nach lateral gebracht werden [56]. Eine noch vorhandene lange Bizepssehne wird immer supraglenoidal abgelöst und entweder tenotomiert belassen oder zum Schluss der Operation subpektoral an die Weichteile tenodesiert. Falls die Subskapularissehne abgrenzbar ist, wird sie ebenfalls dargestellt und ihr Muskelbauch mobilisiert, um die Möglichkeit einer partiellen Rekonstruktion abzuschätzen, und diese allenfalls sogleich durchzuführen. Eine partielle Rekonstruktion des Subscapularis sollte mindestens in 0° Außenrotation erfolgen. Dazu werden im Tuberculum minus platzierte Titan-Schraub­anker verwendet. Nun wird der Fixationsort des Transfers lateral des Sulkus bizipitalis am inferioren Anteil des Tuberculum majus debridiert und angefrischt und danach vier Fadenanker der Stärke 2 in einer Reihe von proximal nach distal eingebracht. Jeweils ein Fadenschenkel pro Fadenpaar wird in modifizierter Mason-Allen-NahtTechnik durch die Sehne geführt. Durch das Festknüpfen aller Fäden kommt es zu einer flächigen und stabilen Fixation der transferierten Pectoralis-major-Sehne. Die Wunde wird mit einer einfachen Intrakutannaht und einem adhäsiven Pflasterverband verschlossen. Der Arm wird mittels Schlinge für sechs Wochen ruhiggestellt und geschont, wobei bereits am ersten postoperativen Tag mit der passiven physiotherapeutischen Beübung begonnen wird, ohne Außenrotation über die Neutralposition hinaus und ohne Innenrotation hinter den Körper. Nach sechs Wochen wird mit freier passiver und aktiver Mobilisation begonnen, nach 12 Wochen mit Kraftaufbau. 8.3.5.2 Alternative Techniken Häufig wird nur der obere Anteil bzw. die Hälfte bis zwei Drittel der Sehne für den Transfer verwendet [44,46,49,51,52,54]. Dies bringt den kosmetischen Vorteil, dass der inferiore Anteil am Humerus bestehen bleibt, und sich somit die vordere Achselfalte nicht nach proximal mitverschiebt. Allerdings muss dann zur Mobilisation neben der Sehne auch der dazugehörige Muskelanteil in der Faserverlaufsrichtung gespalten werden. Diesbezüglich ist man nach medial hin nicht nur durch die Nervenäste limitiert, sondern auch durch die A. thoracodorsalis, welche bei etwa 8,5 cm medial des Sehnenansatzes in den inferioren Muskelanteil übergeht [55]. Von vielen Autoren wird der Transfer posterior der Conjoint tendon hindurchgezogen [49,50,51,52,54]. Biomechanischen Untersuchungen zufolge ist diese Technik zu favorisieren, da dadurch der Kraftvektor des Transfers in der Horizontalebene jenem des Subskapularismuskels näherkommt [57]. Es bleibt aber zu bedenken, dass der Transfer unter dem

178  8 Muskeltransferoperationen

Conjoint tendon zwar umgelenkt wird, aber dennoch nicht den Kraftvektor des Subskapularis erreicht, da er weiterhin von anterior und nicht von posterior herkommt. Das dürfte der Grund dafür sein, dass auch bei dieser Technik die Funktion hinter dem Rücken, im Sinne eines negativen Lift-off-Tests, nicht zuverlässig wiederhergestellt werden kann. Der Raum hinter der Conjoint tendon ist begrenzt, nach proximal durch das Korakoid und nach distal durch den N. musculocutaneus, welcher im Durchschnitt 5,4 cm distal der Korakoidspitze aus der Tiefe in den Muskelbauch eintritt, mit einer Varianz von 1,7–15,6 cm. Die transferierte Pectoralis-major-Sehne hat auf Höhe der Conjoint tendon eine Breite von durchschnittlich 3 cm (1,7–4,3). In 30 % der Fälle kommt es so zum Kontakt der transferierten Sehne mit dem Nerv und in 21 % mit dem Nerv und dem Korakoid, was einen Pectoralis-major-Transfer ohne Nervenmobilisation unmöglich macht [56,58]. Wird nur die Hälfte der Pectoralis-major-Sehne verwendet ist ein Transfer ohne Kontakt in 90 % möglich [56]. Wird nur ein Teil des Pectoralis major transferiert, wird die Sehne jeweils von proximal her abgelöst und dabei der ster­nale und klavikuläre Anteil häufig nicht klar getrennt, da sich deren Ansätze auch auf 2,7 cm überschneiden [55]. Nur den sternalen Teil zu verwenden scheint aufgrund des besseren Kraftvektors biomechanisch sinnvoll zu sein und ein isoliertes Ablösen der posterioren Lamina ist technisch auch machbar. Im klinischen Resultat konnte bisher aber kein Unterschied festgestellt werden [55,59]. Eine arthroskopisch assistierte Technik mit Transfer posterior der Conjoint tendon, mit zuvor offener Transferentnahme und Mobilisation, wurde anhand einer Kadaverstudie beschrieben [60]. Die Autoren selbst haben den Pectoralis-major-Transfer vereinzelt (in 4 Fällen) auch vollständig arthroskopisch durchgeführt. Dabei wird von subakromial-subdeltoidal die Pectoralis-major-Sehne, wie bei der oben beschriebenen offenen Technik, vollständig von ihrer Insertion am Humerus gelöst und als Ganzes nach proximal lateral zum Tuberculum majus hin gebracht, wo sie analog einer Rekonstruktion der Rotatorenmanschette mit Ankern fixiert wird.

8.4 Weitere Muskeltransfers bei irreparablen Rotatorenmanschettenrupturen Als Alternative für die chirurgische Behandlung von irreparablen posterosuperioren Rotatorenmanschettenrupturen wurde der alleinige Transfer des Teres majors beschrieben mit vergleichbaren postoperativen Resultaten [61,62]. Der Transfer des inferioren Anteils des Trapezius, augmentiert mit einem Achillessehnen-Allograft, wurde von Elhassan initial bei Patienten mit einer Plexus-brachialis-Läsion und später ebenfalls für irreparable posterosuperiore Rotatorenmanschettenrupturen publiziert [63]. Eine biomechanische Studie zeigte, dass dieser Transfer die Gelenkkinematik im Kadavermodell besser wiederherzustellen vermag als der Latissimus-dorsi-Transfer [64].

8.5 Kombinierte Muskeltransfers  179

Alternativ zum Pectoralis-major-Transfer für irreparable anterosuperiore Rotatorenmanschettenrupturen wurde der Pectoralis-minor-Transfer wieder aufgenommen [65], welcher bereits Wirth anfänglich verwendet und dann wieder verlassen hatte. Zusätzlich kommt der superiore Anteil des Trapezius als Transfer in Frage. Allerdings ist dazu eine Akromion-Osteotomie notwendig [66]. In einer anatomischen Kadaverstudie wurde zudem die Durchführbarkeit des Latissimus-dorsi- und Teres-majorTransfers zur Rekonstruktion einer Subskapularissehnenruptur gezeigt [67]. Dazu wurde von einer anderen Gruppe kürzlich auch eine arthroskopisch assistierte Operationstechnik mit Kurzzeitresultaten von fünf Patienten vorgestellt [68].

8.5 Kombinierte Muskeltransfers Für irreparable massive Rupturen, welche sowohl die anterosuperiore wie auch die posterosuperiore Rotatorenmanschette betreffen, wurde für Patienten unter 60 Jahren der kombinierte Pectoralis- und Latissimus-dorsi-Transfer als „salvage procedure“ mit entsprechend limitiertem funktionellen Resultat vorgeschlagen [69] (s. Kap. 7.3). Muskeltransferoperationen werden bei bestimmten Pathologien auch in Kombination mit Schulterprothesen angewendet, entweder als eine gemeinsame Operation, oder bei bereits vorhandener Prothese. Auch dafür ist die Datenlage für den Pectoralis-major-Transfer [45,46,53] und vor allem für den Latissimus-dorsi-Transfer [70,71,72,73,74] am breitesten. Bei kombinierter Pseudoparalyse für Elevation und Außenrotation werden mit dem primären Latissimus-dorsi-Transfer, welcher gleichzeitig mit der Implantation einer inversen Schultertotalprothese kombiniert wird, über fünf Jahre hinaus sehr gute subjektive und objektive Resultate erreicht mit einer aktiven Elevation, die sogar größer ist als sie bei alleiniger inverser Schulterprothese erwartet werden kann [72]. Der Refixationsort der Latissimus-dorsi-Sehne unterscheidet sich zu jenem bei alleinigem Transfer und kommt etwas weiter distal zu liegen. Die Komplikationsrate dieser kombinierten und komplexeren Operation ist nicht höher als jene bei alleiniger Prothesenimplantation. Der sekundäre Latissimus-dorsi-Transfer kann bei ausgewählten Patienten, die nach Implantation einer inversen Schultertotalprothese ein schlechtes funktionelles Resultat haben, die Beweglichkeit verbessern, die Funktion bleibt aber limitiert [73].

180  8 Muskeltransferoperationen

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9 Endoprothetik beim irreparablen Rotatoren­ manschettendefekt und Defektarthropathie Christina Garving, Ernst Wiedemann, Ulrich H. Brunner

9.1 Definitionen 9.1.1 Rotatorenmanschettenmassendefekt Die Definition und Klassifikation des Rotatorenmanschettenmassendefekts ist bis heute in der Literatur uneinheitlich. Er wird von Cofield [1] als ein Defekt von über 5 cm, von Gerber [2] bei mehr als 2 komplett rupturierten Sehnen der Rotatorenmanschette beschrieben. Auch Rupturen mit einem Funktionsverlust aufgrund des gestörten Kräftepaares aus M. subscapularis und M. infraspinatus bzw. M. teres minor („force couple“) werden zu den Massenrupturen gezählt [3]. Meist entstehen diese im Rahmen einer kompensierten antero- oder posterosuperioren Zwei-Sehnen-Ruptur, die durch eine weitere Ruptur dekompensieren. Davidson und Burkhart definierten die Defekte an Hand der Rissmorphologie [4], um so therapeutische Konsequenzen ableiten zu können. Hier wird eine Massenruptur im MRT ab einer coronaren Länge und sagittalen Breite über 2 cm beschrieben. Bei der MRT-Diagnostik ist auch zu beachten, dass ein Muskel- und Weichteilödem z. B. nach akuten Ereignissen oder Verletzungen nicht als fettige Muskelatrophie fehlinterpretiert wird. In der Klassifikation nach Patte [5], bei der die Retraktion des Sehnenstumpfes zwischen Tuberculum majus und Glenoidrand beschrieben wird, sind Stadium III (Retraktion bis vor das Glenoid) oder Stadium IV (Retraktion bis hinter das Glenoid) prognostisch ungünstig im Sinne der Massenruptur. Collin et al. [6] haben die Rotatorenmanschette in fünf Anteile (Supraspinatus, oberer Anteil des Subscapularis, unterer Anteil des Subscapularis, Infraspinatus und Teres minor) eingeteilt und dabei fünf Risskonstellationen unterschieden. Anhand dieser Einteilung können die Massenrupturen nicht nur klassifiziert, sondern auch ein Funktionsverlust bzw. Pseudoparalyse diesen Konstellationen zugeordnet werden. In 20–30 % der Massenrupturen ist die posterosuperiore, in 5–20 % die anterosuperiore Rotatorenmanschette betroffen [7]. Klassifikation des Rotatorenmanschettendefekts anhand der betroffenen Sehnen [6]: –– Typ A: Supraspinatus und oberer Anteil des Subscapularis –– Typ B: Supraspinatus und gesamter Subscapularis –– Typ C: Supraspinatus, oberer Anteil des Subscapularis und Infraspinatus –– Typ D: Supraspinatus und Infraspinatus –– Typ E: Supraspinatus, Infraspinatus und Teres minor

https://doi.org/10.1515/9783110468939-009

186  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten 9.1.2 Irrreparabler Rotatorenmanschettendefekt Die Fortschritte in der operativen und insbesondere der arthroskopischen Versorgung sowie das bessere Verständnis der Pathologien haben den Begriff der irreparablen Rotatorenmanschettenruptur gewandelt. Eine einheitliche Definition besteht jedoch weiterhin nicht. So galt ein Rotatorenmanschettendefekt nach Geber als irreparabel, wenn die Sehne nicht in mediolateraler Richtung bei 50° Abduktionsstellung des Armes am Tuberculum majus refixiert werden konnte. Heute gelten weniger die Defektgröße in mediolateraler Ausdehnung, sondern eher die Kriterien des Muskelstatus oder die dynamische bzw. statische Dezentrierung des Oberarmkopfes als relevant. So gilt ein Defekt als irreparabel, wenn der akromiohumerale Abstand (AHA) im a. p.-Röntgenbild am hängenden Arm kleiner als 5 mm ist und eine statische Migration des Humeruskopfes vorliegt [8]. Ebenso bei einer Muskelatrophie größer Grad 2 bzw. bei einer fettigen Infiltration Grad 3 und 4 nach Goutailler [9]. Mit der Zunahme der fettigen Infiltration nimmt die Elastizität ab und die intraoperative Mobilisation wird erschwert. Gleichzeitig wird bei zunehmender Defektgröße und fettiger Degeneration eine höhere Rerupturate beschrieben. Ursprünglich erfolgte die Analyse der Muskulatur von Goutailler über die gesamte Länge des Muskels in der axialen Schichtung der Computertomographie (CT). Diese Klassifikation wurde von Fuchs et al. auf die T1-gewichteten Sequenzen des MRT übertragen [10]. Hier verläuft die Schnittebene senkrecht zur Scapula durch die mediale Begrenzung des Processus coracoideus und stellt die Fossa supraspinata („Y-shaped position“) dar. Bei isolierter Betrachtung nur einer Schnittebene kann allerdings ein retrahierter Muskel als fettig infiltriert bewertet werden, der dann, nach operativer Versorgung und Streckung, geringer infiltriert erscheint. Als Zeichen einer fortgeschrittenen statischen Dezentrierung und als Hinweis einer Irreparabilität der Rotatorenmanschette gilt der endgradige Humeruskopf Hochstand (Abb. 9.1) mit Arrosion des Acromions.

Abb. 9.1: Konventionell radiologisches Bild in true a. p. Defektarthropathie bei Rotatorenmanschettenmassenruptur und fortgeschrittener statischen Dezentrierung mit Arosion des Akromions.

9.1 Definitionen  187

(a)

(b)

Abb. 9.2: Defektarthropathie mit Rotatorenmanschettenmassenruptur. (a) Magnetresonanztomographische Darstellung (T2) in coronarer Schnittebene mit Retraktion der Supraspintaussehne bis hinter den Glenoidrand (Sehnenretraktion Grad 3 nach Patte [5]). (b) Magnetresonanztomographische Darstellung (T2) in parasagittaler Schnittebene mit schwerer Muskelatrophie (Grad III nach Thomazeau) und vermehrte fettiger Degeneration (Grad IV) im Vergleich zur Muskelmasse [10].

Die Retraktion der Sehne im MRT bis präglenoidal muss zusätzlich in der sagittalen Ausdehnung bewertet werden (Abb. 9.2). Eine weite Retraktion in nur wenigen Schichten anterosuperior kann z. B. bei einer reversed L-Läsion vorliegen und eine Irreparabilität vortäuschen. Die Arthroskopie hat mit der Weiterentwicklung der Rekonstruktionstechniken wie z. B. der Partialrekonstruktion die Möglichkeiten zur Rekonstruktion erweitert. Trotz dieser Fortschritte dürfen die verminderte biologische Potenz der Sehnenränder in Abhängigkeit der Defektgröße und damit das Risiko einer erhöhten Rerupturrate nicht unbeachtet bleiben. 9.1.3 Defektarthropathie – Cuff-Tear-Arthropathie (CTA) Die Defektarthropathie wurde erstmals von Neer beschrieben [11]. Die Kombination aus massivem Defekt der Rotatorenmanschette, degenerativen Veränderungen des Glenohumeralgelenks und Instabilität mit kranialer Migration des Humeruskopfes gehören zur kardinalen Trias der CTA. Als Auslöser werden mechanische sowie nutritive Faktoren vermutet.

188  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten

9.2 Pathogenese der Defektarthropathie Eine ausgeprägte Rotatorenmanschettenläsion scheint die Voraussetzung für die Entstehung einer Defektarthropathie zu sein. Dennoch entwickeln diese nur wenige Patienten mit Patholgien der Rotatorenmanschette und veränderter Biomechanik des Schultergelenks [12]. Einige Patienten mit typischen Veränderungen der Defektarthropathie und Destruktionen im Röntgenbild zeigen dennoch eine kompensierte Beweglichkeit mit, in manchen Fällen, freier aktiver Elevation. Halverson et al. beschrieben das „Milwaukee shoulder syndrome“, und dabei ursächlich eine inflammatorisch, durch Hydroxylapatit Kristalle induzierte Phagozytendegeneration in der Rotatorenmanschette und dem Gelenkknorpel [13]. Die Phagozytose dieser Kristalle bedingt den Untergang des Weichteilgewebes, damit eine weitere Freisetzung von Kristallen und so einen Zyklus von degenerativen Gelenkveränderungen. Bei dieser Theorie handelt es sich um einen physiologischen degenerativen Prozess und nicht um eine Theorie mit Auslösung durch eine Rotatorenmanschettenruptur. Im Gegensatz dazu beschrieb Neer et al. 1983 die massive Rotatorenmanschettenruptur als auslösendes Ereignis für die Entwicklung der Defektarthropathie [13]. Neer ging davon aus, dass biomechanische und nutritive Faktoren zum zunehmenden Gelenkverschleiß führen. Bei einem Massendefekt der Rotatorenmanschette geht der Kraftschluss des Gelenks verloren, der Humeruskopf steigt nach cranial mit ungerichteten Kräften innerhalb des Gelenks und kann zur Erosion des superioren Glenoids oder der Acromionunterfläche führen. Außerdem tritt ohne Unterdruck im Glenohumeralgelenk qualitativ verminderte Synovialflüssigkeit in das umliegende Gewebe aus. Damit einhergehend vermindern sich nutritive Faktoren, die den Gelenkknorpel versorgen. Zusätzlich bedingt die schmerzgetriggerte Einschränkung der Schulterbeweglichkeit eine weitere Reduktion der synovialen Nährstoffe und begünstigt so die Knorpeldegeneration und Osteopenie [14]. Eine Kombination aus beiden Theorien wird von Collins und Harryman postuliert [15]: Die Migration des Humeruskopfes nach anteriosuperior entlang des Defekts der Rotatorenmanschette mit Anstoßen am Acromion führt zu einer mechanischen Irritation des Humeruskopfes und löst eine Knorpelzersetzung und einen Abrieb einzelner Partikel aus. Diese Partikel induzieren eine enzymatische Antwort, die einen weiteren Knorpelschaden bedingt. Der durch diese Prozesse entstehende Schmerz und die Immobilität führen zu einem weiteren Niedergang der Gelenkfläche.

9.3 Pseudoparalyse Die Pseudoparalyse ist definiert als Verlust bzw. Einschränkung der aktiven Elevation auf weniger als 90° bei Erhalt der passiven Elevation des Arms [5]. Es handelt sich um eine strukturell bedingte und nicht um eine schmerzinduzierte Limitation. Ana-

9.4 Indikation zum Gelenkersatz  189

tomisch liegt dabei zumindest eine Teilruptur des Rotatorenkabels vor. Das Risiko eine Pseudoparalyse zu entwickeln hängt von der Lokalisation der Ruptur ab und ist nach Collin am höchsten bei kompletter Subscapularis- und Supraspinatusruptur (80 %) bzw. bei einer Kombination von Defekten des Supraspinatus, Infraspinatus und des oberen Subscapularis (45 %) [6].

9.4 Indikation zum Gelenkersatz Ein evidenzbasierter Algorithmus zur Behandlung von Rotatorenmanschettenmassendefekten ist anhand der Literatur nicht verfügbar. Die Behandlungsoptionen reichen von konservativer Therapie über arthroskopisches Debridement und Partialrekonstruktion, Interposition eines subacromialen Spacers, superiorer Kapselrekonstruktion oder Muskeltransfer bis hin zur endoprothetischen Versorgung. Die Behandlung findet patientenspezifisch, in Abhängigkeit von der Pathologie und der Erfahrung des Operateurs statt. Multiple Faktoren müssen Berücksichtigung finden. Dabei spielen unter anderem Faktoren wie das Patientenalter und der individuelle Anspruch, vorangegangene Operationen, Komorbiditäten und die Gelenkstabilität eine Rolle. Im Vordergrund steht das Beschwerdebild des Patienten mit Schmerz, Bewegungseinschränkung, Kraftverlust und der subjektiven Wahrnehmung. In der Bildgebung sind die mechanischen und biologischen Bedingungen für eine Rekonstruktion bzw. einen Ersatz zu bestimmen.

9.4.1 Klinische Untersuchung Bei der klinischen Untersuchung steht die Prüfung der aktiven und passiven Schultergelenkbeweglichkeit im Vordergrund. Bei der Bewegungsprüfung geben Krepitationen Hinweis auf eine CTA. Die CTA grenzt sich dabei durch eine meist noch gut erhaltene passive Beweglichkeit von der primären Omarthrose ab, bei der die Steifigkeit mit Einschränkung der Rotation im Vordergrund steht. Eine Pseudoparalyse besteht, wenn die passive Gelenkbeweglichkeit frei ist, der Patient den Arm jedoch weniger als 90° aktiv heben kann. Defekte des Mm. infraspinatus und M. teres minor führen zu einem Verlust der aktiven Außenrotation, während ein Defekt des M. subscapularis durch eine Schwäche der Innenrotation charakterisiert ist. Das positive Hornblower Zeichen weist auf eine Insuffizienz des M. teres minor hin. Eine präoperativ passive Bewegungseinschränkung ist ein ungünstiges Kriterium für das postoperative funktionelle Ergebnis, ebenso wie ein präoperatives Lag-Zeichen. Wichtig ist die klinische Beurteilung der Fähigkeit zur aktiven Zentrierung des Humeruskopfes. Diese beruht insbesondere auf dem Gleichgewicht aus den erhaltenen Anteilen des M. subscapularis und M. infraspinatus bzw. M. teres minor und Anteilen des anterioren Rotatorenkabels.

190  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten 9.4.2 Bildgebende Diagnostik Bei der Indikationsstellung spielen sowohl die Befunde der klinischen als auch diejenigen der radiologischen Untersuchung eine entscheidende Rolle. Obligat ist die konventionelle Bildgebung in mindestens 2 Ebenen mit true-a. p.-Aufnahme am hängenden Arm. Im MRT erfolgt ist die Analyse der Sehnen- und Muskelqualität mit dem Ausmaß der Atrophie und fettigen Degeneration nach Thomazeau [16] und eine Evaluation der Läsionsqualität und -morphologie. Die CT-Untersuchung ermöglicht unter anderem die Beurteilung der Knochenqualität, eine Analyse des Pfannentyps und der Kopfsubluxation. Sie ermöglicht auch eine 3D-Prothesenplanung (Abb. 9.3). Im a. p.-Röntgenbild werden unter anderem analysiert: –– Gelenkspaltverschmälerung –– Zentrierung des Humeruskopfes zur Pfanne –– Akromiohumeraler Abstand –– Inklinationstyp nach Habermeyer –– Ausmaß der medialen Pfannenprotusion –– Kraniale Pfannenerosion nach Favard –– Humerales Offset –– Osteophytäre Anbauten –– Entrundung des Humeruskopfes mit enthesiopathischer Abflachung des Tuberculum majus –– Spornbildungen am Akromion –– AC-Arthrose Das axiale Röntgenbild hilft bei der Beurteilung von: –– Glenoidmorphologie nach Walch –– Abflachung des Humeruskopfes

Abb. 9.3: Softwareplanung: 2D-CT-Darstellung der axialen und frontalen Schnittbilder und daraus 3D-Berechnung der Skapula als erster Schritt zur Bestimmung der Positionierung der Glenoidkomponente.

9.4 Indikation zum Gelenkersatz  191

–– Ausmaß des Pfannenverbrauchs –– Gelenkspaltverschmälerung –– Os acromiale Im a. p.-Röntgenbild erfolgt die morphologisch-deskriptive Klassifikation der Defektarthropathie nach Hamada [17] in Abhängigkeit des akromiohumeralen Abstands (AHA) bzw. der glenoidalen Beteiligung. Diese Einteilung wurde 2004 von Sirveaux und Favard (Abb. 5.21) ergänzt [18]. Die pathomechanische Klassifikation von Seebauer lässt zusätzlich funktionelle und biomechanische Faktoren einfließen. Sie unterscheidet zwischen stabilen und instabilen Typen und lässt anhand der konventionellen Röntgenbilder Rückschlüsse auf die Indikation zum prothetischen Gelenkersatz zu [19]. Dabei werden in Abhängigkeit von Position und Stabilität des glenohumeralen Drehzentrums vier Typen unterschieden. –– Typ Ia: –– Stabiles Glenohumeralgelenk durch Azetabularisierung des Fornix humeri –– Keine superiore Migration des Drehzentrums –– Typ Ib: –– Medialisierung des Drehzentrums mit ausgeprägter medialer Glenoiderosion –– Keine superiore Migration des Drehzentrums –– Typ IIa: –– Grenzwertig stabile Gelenksituation mit residualer Stabilisierung durch den Fornix humeri –– superiore Migration des Drehzentrums –– Typ IIb: –– Anterosuperiore Gelenkinstabilität –– superiore Migration des Drehzentrums Eine strukturell funktionelle Einteilung der Defektarthropathie wurde zusätzlich durch Loew beschrieben [20]. Dabei wird der stabile, arthrotische Typ I von dem instabilen, areaktiven Typ II und dem nekrotisch, destruktiven Typ III unterschieden. Für die Prothesenplanung ist die genaue Analyse der Pfannenmorphologie unerlässlich. Die Einteilung der Pfannentypen nach Walch [21] wurde 2016 von Bercik et al um einen Typ B3 sowie Typ D ergänzt. Das B3 Glenoid ist monokonkav mit einem pathologischen Retroversionswinkel von mindestens 15° oder einer Subluxation von 70 % oder beidem. Das D Glenoid ist definiert durch eine glenoidale Anteversion oder eine anteriore Humeruskopfsubluxation [22].

192  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten

9.5 Anatomische Schulterprothese bei irreparablen Rotatorenmanschettendefekten 9.5.1 Indikationen und Kontraindikationen Heute spielt die anatomische Hemiprothese bei irreparablen Rotatorenmanschettendefekten aufgrund der zunehmend guten Ergebnisse und abnehmender Komplikationsraten bei inverser Prothese eher eine untergeordnete Rolle. Dennoch gibt es weiterhin Argumente für deren Einsatz und Indikationen. Aufgrund der ungünstigeren Langzeitergebnisse sollte eine inverse Prothese nicht vor dem 70. Lebensjahr eingesetzt werden. So besteht die Indikation für einen anatomischen Humeruskopfersatz bei der frühen CTA im Stadium 1A nach Seebauer beim jungen Patienten. Bei inverser Prothese findet sich häufig eine eingeschränkte Innenrotation im Gegensatz zur anatomischen Prothese mit guter Rotation. Aus hygienischen Gründen muss der Patient zumindest auf einer Seite nach sakral bzw. an den Rücken greifen können. Daher besteht bei beidseitiger Defektarthropathie und eingeschränkter Innenrotation nach inverser Prothese die Indikation zur anatomischen Prothese auf der Gegenseite. –– Biologisch junge Patienten oder Patienten mit hohem Aktivitätsniveau / Anspruch und noch erhaltener Elevation –– Stadium IA und IIA nach Seebauer –– Stadium I und II nach Hamada –– Keine mediale Pfannenprotusion –– Intakter M. subscapularis –– Keine anterosuperiore Dezentrierung des Humeruskopfes Eine Palliativindikation besteht beim hoch senilen Patienten mit Osteoporose und schwer deformierter bzw. aufgebrauchter Pfanne, um OP Komplikationen zu vermeiden und rasche Schmerzfreiheit zu erzielen. Beim alten Patienten und bei Revisionen besteht eine Indikation als Rückzug und bei acromialen Stressfrakturen. Anatomische Prothesen mit vergrößertem und nach oben abgerundetem Oberflächenkopfdesign (CTA-Köpfe) artikulieren sowohl mit dem Glenoid als auch mit dem Acromion. Sie sind indiziert bei Defektarthropathie ohne ausgedehnten Pfannendefekt, sind jedoch heute weitestgehend durch die inverse Prothese abgelöst. Voraussetzung für die Funktion und Stabilität einer anatomischen Prothese ist ein erhaltener Fornix humeri. Die Humeruskopfprothese artikuliert bei kranialer Dezentrierung mit dem erhaltenen korakoacromialen Bogen und dem im superioren Anteil arrodierten Glenoid. Die Vorspannung des Deltamuskels bleibt dabei unverändert zur präoperativen Situation. Ohne den Fornix humeri wandert die Prothese zunehmend nach anterosuperior mit nachfolgender Subluxation des Humeruskopfes und erhöhtem glenoidalem Abrieb. Daher sollte der Fornix humeri zum Erhalt der Stabilität einer Hemiarthroplastik belassen werden [23,24].

9.5 Anatomische Schulterprothese bei irreparablen Rotatorenmanschettendefekten   193

In sehr seltenen Fällen kann zusätzlich die Indikation zum Glenoidersatz bestehen. Voraussetzung ist eine ausreichende Zentrierung durch die restliche Rotatorenmanschette um einen Schaukelstuhleffekt zu vermeiden. Bei fehlender Zentrierung besteht ein erhöhtes Risiko der frühen Pfannenlockerung. Bei exzentrischer Pfanne und bei Subluxation wurden allerdings auch bei Hemiprothesen schlechtere Ergebnisse berichtet. Darüber hinaus sollte auch bei zentrierter und erosiver Omarthrose mit unspezifischer Synovialitis und Ergussbildung ein Pfannenersatz durchgeführt werden. Hier sind sonst eine Schmerzprogression und durch den inflammatorischen Prozess eine beschleunigte sekundäre Pfannenarrosion zu erwarten. Vorteil der anatomischen Prothese ist die geringere Komplikationsrate im Vergleich zur inversen Prothese und die bessere Außenrotationsfähigkeit [25]. Die anatomische Hemi- oder Totalprothese sind kontraindiziert, wenn das Gleichgewicht der Kraftvektoren gestört ist und eine damit einhergehende glenohumerale Dezentrierung nach ventral, dorsal oder anterosuperior besteht. Weitere allgemein geltende Kontraindikationen zur Implantation einer Prothese sind Plexusläsionen mit Atrophie der Muskulatur, Funktionsstörungen des Deltamuskels, akute und chronische Infektionen, fehlende Compliance des Patienten, Alkoholismus und Krampfleiden.

9.5.2 Operative Technik 9.5.2.1 Prothesenplanung Anhand der vorliegenden Untersuchungen wird der zu implantierende Prothesentyp definiert. Die Prothesengröße und Lage kann im größennormierten Röntgenbild mit Schablonen geplant werden. Die 3D-CT gestützte Planung mit spezieller Software ermöglicht heute neben der Planung der Prothesengröße und -lage die dynamische Überprüfung der Funktion, bei der inversen Prothese auch die Bestimmung der Bewegungsfreiheit und möglicher Notchingkonflikte. Darüber hinaus wird die Pfanneninklination, Retro- bzw. Anteversion sowie die Humeruskopfsubluxation 3-dimensional berechnet. In der Planung wird das Rotationszentrum der Prothese festgelegt mit möglichst geringem Knochenverlust und Ausgleich der Inklination und Subluxation. Die Pfanne sollte dabei so nahe wie möglich an der Senkrechten zur Skapulaebene platziert werden [26]. Die Auflagefläche der Pfanne sollte > 80 % der Glenoidfläche betragen. Bei der Präparation des Glenoids ist nach Möglichkeit die subchondrale Schicht zu erhalten, so dass nur ein geringer Knochenverlust entsteht. Dies entscheidet auch ob noch eine anatomische- oder eine inverse Prothese erforderlich ist. Walch formulierte als Zielkriterien, die noch eine anatomische Prothesenimplantation erlauben, eine superiore Neigung und dorsale Inklination der Pfanne unter 10° sowie eine posteriore Subluxation des Oberarmkopfes unter 80 %. Pfannendefekte werden mit augmentierten Glenoiden bzw. Basisplatten oder mit Knochenaufbau korrigiert.

194  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten

Patientenspezifische Instrumente ermöglichen dann die Reproduktion der Planung in situ. 9.5.2.2 Lagerung Der Eingriff wird in Intubationsnarkose und ggf. zusätzlicher regionaler Plexusbrachialis-Anästhesie durchgeführt. Präoperativ erfolgt eine Antibiotikaprophylaxe, sofern keine Kontraindikationen bestehen. Der Patient wird in einer flachen „beach chair“ Position gelagert, mit dem Oberkörper ca. 40° aufgerichtet und am Rande des Tisches, um eine freie Beweglichkeit mit Hyperextension und Adduktion zu ermöglichen (Abb. 9.4). Nun erfolgt die Narkoseuntersuchung mit Erhebung des passiven Bewegungsausmaßes. Nur so können Weichteilkontrakturen sicher beurteilt und entsprechende Korrekturen wie Kapsel- und Subscapularis-Release geplant werden. Die sterile Abdeckung wird durch eine Inzisionsfolie ergänzt. Ein Bestelltisch zur Ablage des Armes oder ein Armhalter haben sich bewährt.

Abb. 9.4: Flache beachchair Lagerung mit BV-Positionierung.

9.5.2.3 Zugang und Weichteilrelease Im eigenen Verfahren wird standardmäßig der deltopectorale Zugang verwendet. Der Hautschnitt erfolgt vom Korakoid beginnend in Richtung des Ansatzes des M. deltoideus ca. 10–15 cm nach kaudal ziehend (Abb. 9.5a). Bei einem kräftigen Weichteilmantel empfiehlt sich die Schnittführung entsprechend länger zu wählen. Subkutanes Präparieren und Eingehen durch den Sulcus deltoideo-pectoralis (Abb. 9.5b). Die Vena cephalica findet sich in der Mohrenheim-Grube und wird in der Regel nach

9.5 Anatomische Schulterprothese bei irreparablen Rotatorenmanschettendefekten   195

(a)

(b)

Abb. 9.5: Deltopectoraler Zugang. (a) Schnittführung (b) Eingehen in den Sulcus deltoideo-­ pectoralis.

lateral gehalten. Spaltung der clavipectoralen Faszie und Darstellung des Ansatzes des M. pectoralis major. Dieser kann kurzstreckig eingekerbt werden, um die Glenoidexposition zu verbessern, sollte jedoch am Ende wieder an der Crista humeri fixiert werden. Dann erfolgt die Präparation nach cranial bis zum Ligamentum coracoacromiale (LCA) mit Darstellung des ventralen Blattes der coracobrachialen Muskulatur (Mm. biceps brachii caput breve und coracobrachalis) und des Processus coracoideus. Das LCA kann bei sehr kontrakten Verhältnissen leicht eingekerbt werden. Jetzt erfolgt die Mobilisation um den Kopf, stets knochennahe. Ziel ist die langstreckige Mobilisation des M. deltoideus von seiner Insertion an der Tuberositas bis zum Acromion. Die Präparation in Abduktionsstellung entspannt den M. deltoideus und erleichtert die Präparation. Der N. axillaris mit seinen Begleitgefäßen, der ca. 5 cm unterhalb des Acromions auf der Innenfläche verläuft, ist dabei zu schonen. Die lange Bizepssehne (LBS) kann unter dem Pectoralisblatt aufgesucht und der Sulcus dann im Verlauf ertastet werden. Es erfolgt eine subpektorale Tenodese und spätere intraartikuläre Exzision des Ansatzes, der meist degenerativ oder entzündlich veränderten Sehne. Die Mobilisation erfolgt dann nach kranial bis unter den Fornix humeri sowie nach dorsal entlang der hinteren Rotatorenmanschette im Sinne der extraartikulären Arthrolyse. Der Fornix humeri sollte bei der Präparation unbedingt erhalten werden. In Adduktionsstellung wird die Grenze zwischen Mm. coracobrachialis und subscapularis aufgesucht. Der N. axillaris ebenso wie seine Abgänge zum M. subscapularis verlaufen medial des Vorderrandes des M. coracobrachialis bzw. unter einer Weichteilbrücke. Zur Schonung der Nerven wird der N. axillaris allenfalls getastet und nicht dargestellt. Die Rotatorenmanschette kann jetzt sicher evaluiert werden, eventuell doch zu rekonstruierende Defekte werden erst am Ende der Operation adressiert. Auf dem M. subscapularis werden die A. und Vv. circumflexa humeri anterior („three sisters“) ligiert und durchtrennt. Jetzt wird das coracohumerale

196  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten

Ligament (CHL) inzidiert, dabei entleert sich häufig ein seröser Reizerguss. Nun wird der M. subscapularis abgelöst. Dies geschieht entweder über –– eine L-förmige Tenotomie, bei der die Subscapularissehne ca. 5 mm medial des Ansatzes am Tuberculum minus durchtrennt wird. Der lateral verbleibende Sehnenstumpf dient der späteren Refixierung. –– die „Peel-off“-Technik, eventuell ergänzt mit medialisierender Sehnenverlagerung nach Matsen. Bei dieser Technik erfolgt eine komplette periostale Ablösung des Subscapularisansatz vom Tuberculum minus. –– eine flache Osteotomie am Tuberculum minus, um die spätere Einheilung zu verstärken. Im eigenen Verfahren verwenden wir ein „peel off“ mit Ablösen des Subscapularis und Einbringen von Haltefäden knapp medial des Sulcus bizipitalis bis in den muskulären Bereich zur Oberkante des Latissimus dorsi unter Schonung des N. axillaris (Abb. 9.6). Anschließend wird der Humeruskopf zwischen Hohmannhebeln unter Außenrotation, Adduktion und Extension dargestellt. Dabei wird die inferiore Kapsel am Humerus semizirkulär am Calcar abgelöst. Nach Abtragen der Ostephyten wird der anatomische Hals dargestellt. Eine Resektionslehre wird anhand der Unterarmachse ausgerichtet, um die Retroversion und Inklination zu definieren. Anschließend erfolgt die Osteotomie entlang des anatomischen Halses bzw. entlang der Resektionslehre exakt bis zur Insertionskante des M. supraspinatus (Abb. 9.7). Die Orientierung an der Insertionszone des M. supraspinatus verhindert, dass Teile der Kalotte stehen bleiben und die Prothese varisch eingebracht wird.

Abb. 9.6: Armierung der Subscapularissehne mit Haltefäden.

9.5 Anatomische Schulterprothese bei irreparablen Rotatorenmanschettendefekten   197

(a)

(b)

Abb. 9.7: Resektion des Humeruskopfes. (a) Osteotomie entlang des anatomischen Halses, (b) resezierter Humeruskopf unter Beachtung der Insertionskante des M. supraspinatus.

9.5.2.4 Präparation des Humerus Jetzt wird die Markhöhle orthograd unter strenger Ausrichtung der Humerusschaftachse eröffnet. Eine Penetration der Kortikalis soll unbedingt vermieden werden. In Abhängigkeit des verwendeten Implantats stehen nun weitere Markraumraspeln zur Verfügung. Je nach Verfahren, zementiert oder unzementiert, Kurz- oder Langschaft wird das definitive Implantat bestimmt. Nach Aufsetzen eines Schutzdeckels auf den Probeschaft erfolgt die Glenoidpräparation. 9.5.2.5 Glenoidpräparation Auch bei der Hemiendoprothetik wird ein adäquates Weichteilrelease durchgeführt. Bei intaktem Knorpel und zentrierter Prothese wird das Labrum belassen. Die Pfanne wird mit 3 Hohmann Hebeln exponiert (Abb. 9.8a). Zunächst erfolgt die Mobilisation des M. subscapularis mit Resektion der Bursa subcoracoidea, Durchtrennung des MGHL, und Resektion von Teilen der Kapsel bzw. des Labrums am ventralen Glenoidrand. Der M. subscapularis wird nun medial am Glenoidhals nach außen mobilisiert. Ventral soll die Innervation über die Rami subscapularis geschont werden. Zur Mobilisation wird die Pfanne schrittweise mit dem elektrischen Messer umschnitten. Die Pfannenmitte wird elektrisch angezeichnet, der korrekte Eintritt des Führungsdrahtes durch Tasten des Massenpunkts überprüft (Abb. 9.8b). Bei der Fräsung für zementierte Pfannen sollte die subchondrale Schicht erhalten bleiben. Zur Zementierung der Pfanne, muss das Pfannenlager möglichst bluttrocken sein, zur Aushärtung ein

198  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten

(a)

(b)

Abb. 9.8: Darstellung des Glenoids (a) und Einzeichnen des Fadenkreuzes (b).

konstanter, gleichmäßig verteilter Druck auf die Pfanne gegeben werden. Nach dem Aushärten nochmalige Exposition des Schaftes. 9.5.2.6 Definitives Einbringen des Prothese- und Wundverschluss Zur Refixation des M. subscapularis, werden vier doppelte FiberWire Fäden der Stärke 2 transossär über Bohrkanäle am Tuberculum minus vorgelegt. Einbringen der definitiven Prothese in der zuvor bestimmten Position. Anschließend Aufsetzen des Probekopfes. Der Kalottendurchmesser sollte mit dem a. p.-Durchmesser der Resektionsfläche übereinstimmen. Bei der Probereposition sollte eine Verschieblichkeit des Kopfes um eine halbe Glenoidbreite erreicht werden. Nach Einbringen der definitiven Prothese und Reposition erfolgt die Refixation des M. subscapularis mit den zuvor vorgelegten Nähten in Mason-Allen-Technik, im eigenen Vorgehen zweireihig mit Fixation gegen die peripheren Weichteile und die Bizepssehne. Das periphere Rotatorenintervall wird verschlossen, der mittlere und zentrale Anteil bleiben frei. Refixation des M. pectoralis an der Crista humeri, dann nochmalige Prüfung der Beweglichkeit. Auf einen Verschluss des deltopectoralen Intervalls verzichten wir. Abschließender schichtweiser Wundverschluss und Röntgenkontrolle in 2 Ebenen.

9.5 Anatomische Schulterprothese bei irreparablen Rotatorenmanschettendefekten   199

9.5.3 Nachbehandlung Die Ruhigstellung erfolgt für eine Woche im Gilchristverband mit einer frühfunktionellen Nachbehandlung ab dem ersten postoperativen Tag z. B. mit dem Bewegungsstuhl. Zum Schutz der reinserierten Subscapularissehne erfolgt die Beübung für die ersten sechs Wochen aktiv assistiert, eine forcierte Belastung ist kontraindiziert. In der Regel findet nach drei Wochen eine stationäre Rehamaßnahme statt. Ab diesem Zeitraum ist auch die Beübung des Schultergelenks im Bewegungsbad erlaubt. Bis zur 6. Woche sollen Übungen gegen Widerstand vermieden und ein Schwerpunkt auf Bewegungen am kurzen Hebel gelegt werden. Die aktiv-assistive Bewegung sollte nicht über 90° hinausgehen. Außenrotation über 20° sind in den ersten sechs Wochen zu meiden. Zusätzlich erfolgt die Beübung der Skapulastabilisatoren. Ab der 7. Wochen ist eine schmerzadaptierte freie Gelenkbeweglichkeit erlaubt, die Muskulatur der Rotatorenmanschette und der Deltamuskel werden konzentrisch trainiert. Grundsätzlich gelten die Zeitangaben und Bewegungsausmaße als Richtwerte. Maßgebend für die Bewegungsübungen sind die individuellen Möglichkeiten des Patienten sowie die Schmerzfreiheit bei der Therapie.

9.5.4 Ergebnisse 9.5.4.1 Ergebnisse nach anatomischer Hemiprothese (HEP) Die Studien stammen meist aus der Zeit vor der Einführung der inversen Prothese. William und Rockwood berichten bei 21 Patienten mit reduzierten Anforderungen an das Gelenk und einem niedrigen Aktivitätsniveau nach HEP bei Rotatorenmanschettendefekt von 86 % zufriedenstellenden Ergebnissen 48 Monate postoperativ [27]. Revisionen waren nicht erforderlich. Der Schmerzscore (Skala 0 bis 3) verbesserte sich von 2,9 präoperativ auf 0,6 postoperativ. Die aktive Flexion stieg von 70° auf 120° an. Über ähnliche Ergebnisse berichten Zuckerman et al. bei 15 Patienten nach HEP bei CTA. Sie fanden bei 87 % ein zufriedenstellendes Outcome bei einem mittleren follow-up von 28 Monaten [28]. Die mittlere Elevation stieg von 69° auf 86° an, die aktive Außenrotation verbesserte sich von 15° auf 29°. Eine der fallzahlstärksten Studien wurde 2008 von Goldberg et al durchgeführt [25]. Die Autoren untersuchten 34 Schultern nach Implantation einer HEP, davon 31 bei Defektarthropathie. Das mittlere Follow-up betrug 3,7 Jahre. Die Elevation verbesserte sich durchschnittlich von 78° auf 111°, die aktive Außenrotation von 15° auf 38°. Zusätzlich wurden potentielle prognostische Faktoren wie Alter, Geschlecht, präoperative Elevation und das Ausmaß des Rotatorenmanschettendefekts mit dem postoperativen Outcome korreliert. Nur eine präoperative Elevation > 90° konnte mit einem höheren postoperativen American Shoulder and Elbow Surgeons Score (ASES) in Zusammenhang gebracht werden. Urita et al. [29] beschreiben die Ergebnisse von Patienten mit Defektarthropathie und Hemiarthroplastik mit partiellem Subscapularistransfer in einer modifizierten

200  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten

Technik nach Cofield [3] bei 30 Patienten und einen Follow-up von 24–60 Monaten. Hier zeigt sich eine Verbesserung der Elevation auf durchschnittlich 136°. Durch die exzentrische glenoidale Belastung bei Rotatorenmanschettendefekten ist das Risiko für eine exzentrische Pfannenerosion nach HEP deutlich erhöht, insbesondere bei anterosuperiorer Instabilität nach Akromioplastik und LCA Resektion. So beschreibt Sanchez-Sotelo [23] bei 7 von 31 Patienten mit Defektarthropathie eine anteriorsuperiore Instabilität nach Implantation einer HEP und bei nur 67 % der Eingriffe nach einem 5 Jahres follow-up zufriedenstellende Ergebnisse. Bei 27 % der Patienten bestand anhaltend ein moderates Schmerzniveau oder Schmerzen bei der Gelenkbewegung. Die mittlere aktive Elevation verbesserte sich von 72° auf nur 91° (p = 0,008). Die Hemiprothese stellt daher eine mögliche Option für die Behandlung von Rotatorenmanschettendefekten dar, wenn die aktive Gelenkbeweglichkeit erhalten ist. Bei dezentrierten Gelenken und fehlender Elevation ist keine wesentliche Verbesserung der Elevation zu erwarten. 9.5.4.2 Ergebnisse nach Totalschulterendoprothese (TEP) Die schlechteren Ergebnisse nach TEP gegenüber HEP bei RM Massenruptur bzw. Defektarthopathie sind den veränderten Kraftvektoren und somit abnormalen Kontaktkräften auf den superioren Aspekt der Glenoidkomponente und der damit verbundenen erhöhten Lockerungsrate geschuldet. 1991 analysierten Lohr et al. [31] 22 Patienten mit Defektarthropathie und verglichen die Patienten in Abhängigkeit des implantierten Prothesentypens. Es zeigte sich, dass für die Patienten mit einer Hemiprothese deutlich schlechtere Ergebnisse hinsichtlich der Schmerzreduktion erzielt wurden, dass aber in der Gruppe der Totalendoprothesen bereits nach weniger als 5 Jahren eine erhöhte klinische und radiologische Lockerungsrate der Glenoidkomponente festgestellt wurde [32]. Dabei korreliert die Lockerungsrate mit dem Ausmaß der Humeruskopfmigration [33]. Bereits 1982 beschrieb Neer bei 30 % der Glenoidkomponenten radiolucent lines, eine Lockerung wurde jedoch nicht beobachtet [11]. Franklin et al. [33] analysierten retrospektiv 14 Patienten nach TEP bei vorliegender CTA und fanden in 50 % bei einer mittleren Nachuntersuchungszeit von 37 Monaten eine Glenoidlockerung, 30 % benötigten eine Revisionsoperation. Darüber hinaus beklagten 46 % der Patienten anhaltende Schmerzen und in 15 % der Fälle lag eine Instabilität vor. Nwakama et al. beschrieben in ihrer Untersuchung nur bei 14 % der Fälle zufriedenstellende Ergebnisse [34]. Zusammenfassend spielt die Implantation einer Totalendoprothese bei vorliegender Defektarthropathie aufgrund der hohen Versagens- und Komplikationsraten eher eine historische Rolle. 9.5.4.3 Ergebnisse nach bipolarer Schulterprothese Die bipolare Schulterprothese ist eine Hemiprothese mit doppelt gelagertem Kopf als innere Gleitpaarung vergleichbar mit der Duokopfprothese an der Hüfte. Sie wurde

9.5 Anatomische Schulterprothese bei irreparablen Rotatorenmanschettendefekten   201

1975 als Alternative zur Neer Hemiprothese entwickelt [35]. Das bipolare Implantat besteht aus einem Standardschaft mit multiplen Kopflängen- und Größen. Der potenzielle Vorteil dieses Prothesentypen ist eine erhöhte Schulterstabilität im Vergleich zur normalen Hemiarthroplastik. Zusätzlich sorgt ein größeres laterales offset für eine Erhöhung des Drehmoments des Deltamuskels sowie der Zahl der rekrutierten Muskelfasern [23]. Als positiv gilt nach bipolaren Schulterprothese eine gute Schmerzbefreiung, als negativ eine eingeschränkte Rotation bei einem relativ großen Implantat. Swansons et al. [35] berichteten von 35 Schultern, die mit einer bipolaren Schulterprothese versorgt wurden, davon 20 Patienten mit rheumatoider Arthritis und 15 mit Defektarthropathie. Nach einem mittleren follow-up von 63 Monaten waren Schmerz und Beweglichkeit signifikant verbessert, auch wenn die durchschnittliche postoperative Abduktion bei nur 68° lag. Eine superiore Subluxation des Implantats bei Rheumapatienten zeigte keine schlechtere Beweglichkeit. Sarris et al. untersuchten 2003 14 Patienten nach Implantation einer bipolaren Prothese bei Defektarthropathie. Hier zeigten sich nach 28 Monaten eine verbesserte Flexion bis auf 88° sowie ein signifikanter Anstieg des ASES Scores von 25 auf 80 Punkte [36]. Eine der letzten Studien zeigte nach einem Follow-up von 6, 7 Jahren bei 49 Patienten mit Defektarthropathie eine verbesserte Beweglichkeit mit einer Flexion von 45° präoperativ auf 80° postoperativ. Anhand ihrer Ergebnisse schlussfolgerten die Autoren, dass die bipolare Prothese eine effektive Lösung zur Behandlung der höhergradigen Defektarthropathie darstellt und dass die Ergebnisse ähnlich zu denen nach anatomischer Hemiprothese sind [37]. In der Literatur begrenzt sich die Erfahrung auf wenige Studien. Dieser Prothesentyp findet heute keine Anwendung mehr und wurde vollständig durch die inverse Prothese abgelöst.

9.5.5 Komplikationen Die Komplikationsraten sind allgemeiner Art und beziehen sich nicht spezifisch auf die Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten. Zu den intraoperativen Komplikationen zählen –– Bei Schaftprothesen die Fraktur des Humerus. Diese werden mit einer Häufigkeit von 1,9 % beschrieben [38] und treten vor allem durch Rotation bei der Schaftpräparation oder Überdimensionieren des Schafts bei unzementierten Schäften auf. –– Neurologische Komplikationen z. B. durch unvorsichtiges Ansetzen von Wundhaken am Skapulahals oder unzureichende Präparation des M. subscapularis (N. axillaris) werden bei ca. 4 % der Fälle beschrieben [39] und sind in nahezu zwei Drittel reversibel.

202  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten

Postoperativ werden –– das Auftreten einer Lungenembolie mit einer Prävalenz von 0,2 bis 0,54 % beschrieben [40]. –– die venöse Thromboembolie tritt mit einem Risiko von 1,2 bis 16 % auf [41] und führt zu einer schmerzhaften, lividen Weichteilschwellung. –– Wundinfektionen werden in den meisten Fällen durch Staphylokokken oder Proprionibakterien ausgelöst. In Langzeitstudien lag die Infektrate nach 20 Jahren bei 2,8 % [38], wobei insbesondere vorausgegangene Operationen das Risiko erhöhen. –– Eine postoperative Instabilität mit Insuffizienz der glenohumeralen Zentrierung wird in der Literatur mit Inzidenzen von 4,6 % beschrieben [38]. Als spezifische Komplikationen der Humeruskomponente gilt die Schaftlockerung mit insgesamt 6 % [38], dabei wird eine höhere Inzidenz von Lockerungen für die unzementierten als für die zementierten Humerusschäfte beschrieben. Postoperative periprothetische Humerusfrakturen werden von der gleichen Arbeitsgruppe beschrieben. Gonzales et al fanden bei 15,7 % Komplikationen der Pfannenimplantate, davon überwiegend Lockerungen [38]. Langzeitergebnisse zeigen, dass die Revisionsrate bei HEP bei 33,3 % gegenüber 17,1 % bei der TEP liegt [42].

9.6 Inverse Schulterprothese bei irreparablen ­Rotatorenmanschettendefekten Auch wenn schon seit mehr als 20 Jahren Erfahrungen mit dem inversen Gelenkersatz bestehen, gewinnt dieses Implantat weiter zunehmend an Bedeutung. Der Einsatz bei Defektarthropathie und Rotatorenmanschettendefekt ist die klassische Indikation und stellt eine gute Möglichkeit dar, die Schultergelenkbeweglichkeit und -kraft und damit die Lebensqualität zu verbessern. Bei der inversen Prothese entsteht durch die formschlüssige Umkehr der Gelenkflächen im Sinne eines Scharniergelenks ein neues, medialisiertes und fixiertes Rotationszentrum (Abb. 9.9). Dies führt zu einer Verlängerung des Arms und einer veränderten Kontur der Weichteile, auf der anderen Seite aber auch zu einer Wiederherstellung der Beweglichkeit. Das Rotationszentrum wird, abhängig vom Prothesenmodell, medialisiert, kaudalisiert und liegt beim klassischen Design mit 155° Inklination und StandardGlenoid in der Basisplatte auf der Pfannenebene. Die Hebelkraft des Deltamuskels wird dadurch wiederhergestellt [43]. Dies begünstigt vor allem die Abduktion und in geringerem Ausmaß die Rotation. Noch erhaltene Anteile der Rotatorenmanschette, insbesondere der Außenrotatoren und des M. teres minor sind daher wichtig für das Ausmaß der postoperativen Rotation. Neuere Entwicklungen im Prothesendesign ermöglichen eine Lateralisation sowohl auf der humeralen wie auf der glenoidalen Sei-

9.6 Inverse Schulterprothese bei irreparablen ­Rotatorenmanschettendefekten   203

Rotationszentrum

Rotationszentrum

Hebelarm

Kaudalisierung

Hebelarm

Medialisierung

Abb. 9.9: Kaudalisierung des Humerus und Medialisierung des Rotationszentrums durch Implantation einer inversen Prothese.

te sowie die bessere Anpassung der Weichteilspannung. Diese Designmodifikationen haben Einfluss auf die Beweglichkeit, die Stabilität und ein eventuelles notching. 9.6.1 Indikationen und Kontraindikationen Die Indikation zur Implantation einer inversen Prothese besteht bei –– Defektarthropathie. Während die Indikation zunächst nur für Defektarthropathien vom Typ Hamada IV-V gesehen wurde, hat sich die Implantation in den letzten Jahren auch für Fälle vom Typ Hamada I–III vor allem bei Pseudoparalyse bewährt [17]. –– Omarthrose mit Rotatorenmanschettendefekten. Solange das Kräftepaar aus M. subscapularis und M. infraspinatus intakt ist, bleibt die Zentrierung des Humeruskopfes in der Bewegung erhalten. Eine isolierte Ruptur des M. supraspinatus stellt daher keine absolute Indikation zur inversen Prothese dar [44]. –– Rotatorenmanschettendefekten mit fortgeschrittener Atrophie der Muskulatur und einer chronischen Pseudoparalyse. –– Versagen nach Revision einer Rotatorenmanschettenrekonstruktion [45]. Kontraindikationen bzw. Grenzindikation bestehen bei –– akuten Infekten –– Funktionsstörung des Deltamuskels (Schaden des N. axillaris),

204  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten –– ausgedehnten knöchernen glenoidalen Defekten, die keine ausreichende Verankerung der Glenosphäre erlauben, –– Implantation vor dem 70. Lebensjahr unter Berücksichtigung der Langzeitergebnisse, –– Spina scapulae- oder Acromionfrakturen

9.6.2 Operative Technik 9.6.2.1 Planung und Lagerung Bei der Planung der inversen Prothese ist die Wiederherstellung der Pfannenebene zu berücksichtigen. Schlüsselkriterien sind hier: –– Auffüllen von Knochendefekten –– Senkrechtes Platzieren der Basisplatte zur Skapulaachse –– Vermeidung eines kranialen Tilts –– Knochenkontakt der Basisplatte zur Pfanne bzw. dem Transplantat –– Bündiges Abschließen der Basisplatte mit dem unteren Glenoidpol –– Aufbau von ausreichender Muskelspannung Bei Defekten muss diese durch Knochenersatz oder augmentierte Basisplatten wiederhergestellt werden. Beim Fräsen mit Ausgleich einer Fehlneigung muss die Medialisierung des Rotationszentrums und die damit einhergehende Verkürzung des Skapulahalses bedacht werden. Die Platzierung des Führungsdrahts und damit der Basisplatte ist von zentraler Bedeutung für die Stabilität der Basisplatte und für die Beweglichkeit. Die Basisplatte sollte bündig mit dem kaudalen Anteil des Glenoids abschließen, um ein inferiores notching zu verhindern. Bei unzureichender Kaudalisierung können zum Ausgleich exzentrische Glenosphären verwendet werden. Die Basisplatte soll auch hier senkrecht zur Skapulaachse stehen. Ebenso ist ein kranialer Tilt unbedingt zu vermeiden, da dieser zu einer Instabilität der Prothese führt. Kraniale Glenoiddefekte sind ebenso auszugleichen. Ziel ist die Implantation der Basisplatte mit einem Ausgleich der Retroversion und einer Inklination von 0°. Bei fortgeschrittener Medialisierung kann ein knöcherner Aufbau mittels Bio-RSA (Bone increased offset Reversed Shoulder Arhroplasty) mit autologer Humeruskopfspongiosa oder mit Beckenkammspan durchgeführt werden (Abb. 9.10). Bei geringem Knochendefekt genügt in einigen Fällen auch die Verwendung einer lateralisierenden Glenosphäre, um eine ausreichende Muskelspannung und das „wrapping“ (funktionelle Verbesserung des humeralen Deltaansatzes) zu erzielen. Größere Glenosphären erhöhen die Stabilität und Beweglichkeit der Prothese. Bei Männern sollte eine 42 mm Glenosphäre verwendet werden. Bei der Planung der Humeruskomponente müssen Stabilität, Spannung und Bewegungsumfang beachtet werden. Eine verminderte Stabilität entsteht durch Medialisierung des Rotationszentrums, zu geringes Offset oder falsche Neigung der Gleno-

9.6 Inverse Schulterprothese bei irreparablen ­Rotatorenmanschettendefekten   205

Abb. 9.10: Glenoidaufbau durch Bio-RSA.

sphäre. Die Spannung wird neben dem lateralen Offset maßgeblich durch die Höhe des Schaftes und die Spannung des Deltamuskels bestimmt. Hier gilt es neben zu wenig Spannung einen erhöhten Zug mit Traktionsschäden am Deltamuskel sowie dem Armplexus zu vermeiden. Die Retroversion des Schaftes wird heute häufig der natürlichen Retroversion angepasst. Die gewählte Inklination bestimmt auch die notwendige Resektionshöhe. Lagerung und Zugang erfolgen analog derjenigen bei der anatomische Prothese. 9.6.2.2 Zugang Beim Zugang und der Präparation sind einige Besonderheiten zu beachten: –– Bei ausgedünnter oder fehlender Rotatorenmanschette und Pseudobursa mit reichlich Erguss ist die Präparation erschwert. –– Bei Humeruskopfhochstand sind auch die Gefäß-Nerven-Strukturen nach kranial verzogen. Die Darstellung des N. axillaris ist besonders bei fehlendem M. subscapularis erschwert. Die vorderen Zirkumflexa Gefäße sollten dargestellt und ligiert werden, um ein späteres Ausreißen mit konsekutiver Blutung zu verhindern. –– Restliche Stümpfe der Rotatorenmanschette sind zu begradigen, um eine spätere Interposition zu verhindern. –– Die Deformation des Oberarmkopfes erschwert die Bestimmung der Resektionshöhe. –– Im eigenen Verfahren wird ein noch vorhandener M. subscapularis am Tub. minus elektrisch abgelöst und später refixiert. –– Bei intakter Rotatorenmanschette wird der Erhalt der Supraspinatussehne diskutiert.

206  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten 9.6.2.3 Implantation des Humerusschafts Nach der Exposition des Humeruskopfes zwischen Hohmannhebeln in Außenrotation Adduktion und Hyperextension werden Osteophyten abgetragen um den anatomischen Hals freizulegen. Die Verwendung einer Resektionslehre ist hier obligat um die gewünschte Inklination zu erreichen. Die Resektionshöhe richtet sich nach dem gewählten Inklinationswinkel. Bei einem Inklinationswinkel um 135° kann die Resektionsebene auf Höhe des M. supraspinatus festgelegt werden, bei einer Inklination von 155° wird eine Resektion kurz unterhalb der Insertion empfohlen, um eine zu starke Kaudalisierung mit vermehrter Spannung für den Deltamuskel zu vermeiden. Die Insertionen von Mm. infraspinatus und teres minor dürfen jedoch nicht verletzt werden, da dadurch die Außenrotation affektiert werden würde. Eine korrekte Weichteilspannung ist erreicht, wenn der untere Glenoidpol knapp unterhalb des humeralen Resektionsrandes steht. Ist dies nicht der Fall, ist ein weiteres Weichteilrelease erforderlich. Im Anschluss wird der Markraum präpariert. 9.6.2.4 Exposition der Pfanne Zur Exposition der Pfanne und für ein ausreichend glenoidales Release ist das Labrum und der Kapselansatz zirkulär zu resezieren. Anschließend wird die Muskulatur vom Pfannenhals mobilisiert. Mit einer Inzision der Kapsel innerhalb des Subscapularis erlangt man eine deutliche Verlängerung des M. subscapularis, die in einigen Fällen zur Muskelrefixation erforderlich ist. Die Kapsel im Rezessus axillaris kann, falls eine weitere Verlängerung oder Lateralisation erforderlich ist, entfernt werden. Zusätzlich kann das Caput longum des Trizeps durchtrennt werden. Eine weitere Mobilisation gelingt durch komplettes Ablösen der humeralen Kaspelinsertion. Das Glenoid wird nun entknorpelt und die Knochenqualität (insbesondere hinsichtlich möglicher zystischer Defekte) sowie die Inklination der Pfanne beurteilt. Jetzt wird elektrisch durch Einzeichnen eines Fadenkreuzes die Pfannenmitte markiert und der Führungsspin über ein Zielgerät zur späteren Platzierung der Basisplatte orthograd eingebracht (Abb. 9.11). Die orthograde Ausrichtung ist essentiell, um die Stabilität der Basisplatte zu gewährleisten. Knochendefekte können mit einer Spongiosaplastik oder einem Knochenspan korrigiert werden. Es ist darauf zu achten, dass das Zielgerät mit dem unteren Pfannenrand abschließt, um ein inferiores Notching zu verhindern und die Stabilität der Prothese zu gewährleisten. Anschließend wird die Pfanne nur bis zur Subchondralschicht abgeschliffen, um die Stabilität nicht zu gefährden (Abb. 9.12). Zur Verankerung der Basisplatte stehen unterschiedliche winkelstabile und polyaxiale Schraubensysteme zur Verfügung, eine sichere Verankerung der kaudalen Schraube in der Margo lateralis der Skapula ist einer der entscheidenden Voraussetzungen für die spätere Stabilität. Die kraniale Schraube wird in Richtung des Processus coracoideus eingebracht. Abschließend wird die Glenosphäre auf die Basisplatte aufgesetzt. Wird eine kaudal exzentrische Glenosphäre gewählt, sollte diese nicht streng kaudal, sondern posterokaudal abschließend, um auch ein posteriores Notching zu vermeiden.

9.6 Inverse Schulterprothese bei irreparablen ­Rotatorenmanschettendefekten   207

Abb. 9.11: Platzierung des Führungsdrahts.

Abb. 9.12: Pfannenfräsung unter Erhalt der subchondalen Schicht.

9.6.2.5 Definitives Einbringen des Prothese- und Wundverschluss Dann erfolgt wiederum die Exposition des Schaftes. Aufsetzen der Probekomponenten und Probereposition unter leicht axialem Zug, Flexion und Innenrotation. Jetzt muss neben der Weichteilspannung die Stabilität der Prothese beurteilt werden. Bei zu hoher Spannung wird zunächst das Weichteilrelease erweitert, im weiteren Schritt kann auch eine humeralseitige Nachresektion erforderlich werden. Bei zu wenig Spannung besteht die Möglichkeit, eine größere Glenosphäre bzw. ein höheres Inlay zu wählen, zusätzlich stehen auch lateralisierende Humeruskomponenten zur Verfügung. Es erfolgt dann die Rekonstruktion, soweit möglich, des M. subscapularis am Tub. minus sowie des M. pectoralis. Im OP-Bericht müssen die verwendeten Komponenten und die erreichte Stabilität und Beweglichkeit dokumentiert werden. Abschließende Bildwandlerkontrolle und Anlage eines 15°-Thoraxabduktionskissens.

208  9 Endoprothetik bei Rotatorenmanschettendefekten 9.6.3 Nachbehandlung Ruhigstellung der Schulter im Thoraxabduktionskissen für insgesamt 3 Wochen. Ab dem ersten Tag wird eine passive Mobilisation, z. B. mit der Motorschiene und Lymphdrainage durchgeführt. Aktiv geführte Bewegungen dürfen bis 60° in der Elevation und Abduktion stattfinden. Die Innenrotation ist vor dem Körper frei, keine Retroversion oder Außenrotation über 20° in den ersten Wochen. Das Abstützen nach hinten beim Aufsetzen oder Aufstehen aus dem Bett ist zu meiden. Von der vierten bis zur sechsten Woche beginnen aktive Bewegungen bis 90° mit isometrischer Rotation in Innenrotationsstellung. Ab der 6. Woche postoperativ kann dann die Erarbeitung der freien Gelenkbeweglichkeit mit Kräftigung der Rotatorenmanschette erfolgen.

9.6.4 Ergebnisse nach inverser Schulterendoprothese Die Ergebnisse von Favard zeigen bei Patienten mit Defektarthropathie sieben Jahren nach Implantation eine Überlebensrate der inversen Prothese von 89% [46]. In der Nachuntersuchung sieht man bei fast allen Patienten radiologische Lysesäume, sowie ein scapuläres Notching, was jedoch in den meisten Fällen nicht klinisch relevant war. In über 80 % wird eine Schmerzfreiheit bzw. signifikante Reduktion des Schmerzes auf ein Minimum beschrieben [47]. Zusätzlich hat sich das funktionelle Outcome für Patienten mit einer Defektarthropathie mehr als verdoppelt. Sirveaux et al beschrieben Ergebnisse der inversen Prothesen bei 80 Patienten mit Defektarthropathie. Der mittlere Constant Score betrug 44 Monate postoperativ durchschnittlich 65,6 Punkte, 96 % gaben wenig oder keine Schmerzen an [18]. Young et al. fanden postoperativ bei 89 % gute oder exzellente Ergebnisse bei einem mittleren Nachuntersuchungszeitraum von 38 Monaten [44]. Frankle et al. beschrieben in einem Review von 60 Patienten signifikante Verbesserungen für den ASES von 34,3 auf 68,2 Punkte, eine Zunahme der Anteversion von 55 auf 105° und eine Verbesserung der Abduktion von 41,4 auf 101,8° [48]. In einem systematischen Review 2017 beschreibt Petrillo eine signifikante postoperative Verbesserung aller klinischen Scores sowie der Beweglichkeit nach Implantation einer inversen Prothese bei Patienten mit irreparablen Rotatorenmanschettendefekten [49]. Der Grad der Retroversion des implantierten Schafts beeinflusste dabei die Beweglichkeit nicht signifikant. Das bestätigen auch unsere eigenen Untersuchungen [50]. Komplikationen wurden in 17,4 % der Fälle nachgewiesen, davon mit 6,6 % führend heterotope Ossifikationen. Revisionen waren bei 7,3 % der Patienten erforderlich. Die aktuelle Studienlage zeigt eine deutlich verbesserte aktive Elevation, die Ergebnisse für die Außenrotationskraft sind hingegen stark variabel. Je nach Status der Rotatorenmanschette erfolgt nicht regelhaft eine postoperative Verbesserung der aktiven Außen- und Innenrotation. Diese ist vor allem durch den präoperativen Funktionsstatus von M. subscapularis, M. infraspinatus und M. teres minor prädis-

9.6 Inverse Schulterprothese bei irreparablen ­Rotatorenmanschettendefekten   209

poniert [51,52]. Ein Erhalt dieser Anteile der Rotatorenmanschette ist somit unbedingt sinnvoll.

9.6.5 Komplikationen Neben dem Erfolg dieses Prothesentyps dürfen auch die hohen Komplikationsraten und Revisionen nicht ungeachtet bleiben. Dabei stehen vor allem die Instabilität und Infektionen im Vordergrund [53]. Die Revisionsraten und Komplikationsraten werden in Studien mit einem mittleren bis Langzeit follow-up insgesamt zwischen 7 % und 26 % beschrieben [18,53]. Komplikationen sind vor allem das Scapular Notching, das Anschlagen der inversen Prothese an den unteren und hinteren Rand des Skapulahalses. Bislang konnte keine Korrelation zwischen dem radiologischen Notching und der klinischen Schulterfunktion gefunden werden. In der Literatur wird dieses Phänomen mit einer Häufigkeit von bis zu 96 % angegeben [18,53]. Zu den intraoperativen Komplikationen gehören ferner Nervenläsionen, die nach inverser Prothese mit einem 11-fach erhöhten Risiko verglichen mit der anatomischen Prothese auftreten [54]. Als Ursache gilt die Anspannung des Plexus brachialis durch die Verlängerung des Arms. Anhaltende Nervenschädigungen sind jedoch selten. Darüber hinaus werden intraoperative Frakturen beschrieben. Auf der Glenoidseite stellt dabei das „Reaming“ der Pfanne die größte Gefahr dar. Postoperativ stellen Instabilitäten und Luxationen häufige Komplikationen dar [18,48]. Dabei gilt die ungenügende Vorspannung der Weichteile bei der Primärimplantation als einer der Hauptursachen. Eine objektive intraoperative Messung ist nicht möglich, sondern hängt von der Erfahrung des Operateurs ab. Infektionen treten nach aktuellen Studien mit einer Häufigkeit von 3,8 % nach inverser Prothese auf und sind damit häufiger als nach anatomischen Prothesen [55]. Die Ursachen sind multifaktoriell, bedingt durch Voroperationen, Hämatome und einen vergrößerten Totraum. Darüber hinaus wird die Lockerung einzelner Komponenten beschrieben, so eine unvollständige Verankerung der Glenosphäre in der Basisplatte mit bis zu 3,2 % [56]. Auch Acromionfrakturen oder Frakturen der Spina scapulae treten postoperativ mit einer Häufigkeit von 1–7 % auf [57]. Hierbei handelt sich um Ermüdungsfrakturen durch den vermehrten Zug des Deltamuskels. Nur bei stark dislozierten Frakturen kann eine operative Versorgung angedacht werden, ansonsten erfolgt die konservative Therapie. Meist ist eine funktionelle Verschlechterung die Folge.

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10 Rehabilitation Mark Tauber, Peter Habermeyer, Nael Hawi

10.1 Einleitung Das rehabilitative Ziel der Nachbehandlung ist die Wiederherstellung der Schulterfunktion. Hierbei ist es essentiell, dass der Patient über die vorliegende Pathologie und die durchgeführte Therapie aufgeklärt ist, um so Verständnis für die jeweiligen rehabilitativen Phasen aufbringen zu können. Neben der Compliance des Patienten tragen die Motivation und die Qualität der Behandlung wesentlich zum Therapieerfolg bei. Hier fließt sowohl die Arbeit des Chirurgen, als auch die des Therapeuten mit ein. Zudem muss das Ziel in Abhängigkeit der vorbestehenden Pathologie und Therapieform klar und realistisch definiert und auf den Patienten individuell abgestimmt sein. Gerade an der Schulter ist häufig mit einem längeren Verlauf der Rehabilitation zu rechnen, was von Anfang an dem Patienten gegenüber unmissverständlich kommuniziert werden muss. Dadurch kann den persönlichen und beruflichen Bedürfnissen entsprechend zeitlich geplant werden. Grundregel für eine erfolgreiche adaptierte Rehabilitation ist unter anderem, dass Frühwarnsignale des Körpers (Schmerz, Unbehagen) erkannt und respektiert werden. Zeigen sich solche Symptome, so muss das rehabilitative Programm in Bezug auf Intensität, Umfang und Positionierung reevaluiert und angepasst oder ggf. pausiert werden. Im Zweifel sollte hier eine Konsultation seitens des Operateurs erfolgen. Merke Im Verlauf der gesamten Behandlung ist eine enge Führung des Patienten mit Unterstützung, Motivation und Betreuung erforderlich.

Die Ziele der Behandlung können wie folgt zusammengefasst werden [1]: –– Motivation des Patienten –– Schmerzreduktion und Entzündungshemmung –– Förderung der Gewebeheilung durch mildes initiales Stretching –– Verbesserung des Bewegungsausmaßes –– Kräftigung der Muskel-Sehnen Einheit mit neuromuskulärer Stabilisierung und Kontrolle –– Optimierung der Propriozeption mit Erlernen eines korrekten Muskelpatterns –– Optimierung von Kraft und Ausdauer

https://doi.org/10.1515/9783110468939-010

216  10 Rehabilitation

10.2 Grundlagen der Behandlung Im Vergleich zu anderen Gelenken ist die Schulter ein überwiegend weichteilstabilisiertes Gelenk. Daher erfordert die Behandlung eine höhere Behandlungsintensität und -dauer in Kombination mit selbstständig durchgeführten Übungen. Hierbei empfiehlt sich eine regelmäßige Verlaufskontrolle mit Festhalten des Therapiefortschrittes in festen Zeitintervallen. Dies dient zum einen Dokumentationszwecken, zum anderen aber auch der Motivation des Patienten. Das Durchführen der Schulterrehabilitation soll in der kinetischen Kette von proximal nach distal erfolgen [2]. Das Voranschreiten findet von proximal nach distal und von statisch geschlossen zu dynamisch offen statt. Hierbei ist zu beachten, dass der Schultergürtel nur einen Teil der kinetischen Kette darstellt. Circa 50 % der Energie und Kraft der oberen Extremität werden aus den Beinen und dem Rumpf generiert [3]. Wesentliche Vorteile der kinetischen Kette sind eine gesteigerte skapuläre und glenohumerale Muskelaktivität sowie Förderung funktioneller Bewegungsmuster. Durch das Durchführen von Rehabilitationsprogrammen in der geschlossenen Kette (Hand in fixierter Position) werden die proximalen Abschnitte des Körpers durch axiale Belastung aktiviert, die skapuläre und glenohumerale Muskelaktivität gesteigert und die komplette funktionelle Wiederherstellung gefördert [2]. Beruhend auf den Behandlungskonzepten von Rubin und Kibler bzw. Hodges beginnt die Rehabilitation mit dem Training der Rumpfstabilität (proximale Stabilität) und der Skapulastabilisatoren [3,4]. Das Funktionieren dieser Einheit stellt die Basis für eine normale Schulterfunktion dar und ist maßgebend für den weiteren Therapieverlauf. Hierfür können folgende Richtlinien zusammengefasst werden [1]: –– Der Verlauf der Rehabilitation richtet sich nach der Belastbarkeit der schwächsten Struktur. –– Primär steht die Behandlung der proximalen Stabilität vor der Behandlung der distalen Mobilität. –– Generell soll die Behandlung in einem schmerzfreien Rahmen durchgeführt und Frühwarnsignale des Körpers erkannt und respektiert werden. –– Ein stetiger und gleichmäßiger Fortschritt ist wichtiger als sich an feste Terminvorgaben zu klammern. –– Qualität der Behandlung steht vor Quantität. –– Primär isoliertes Training und Anbahnung, erst dann Maximierung der kinematischen Kette. –– Muskelkräftigung beginnt mit isometrischem Training und geht dann über in dynamisch konzentrisches und exzentrisches, vom eindimensionalen zum dreidimensionalen, vom langsamen zum schnellen, und schließlich weiter bis zum reaktiven und sportartspezifischen Training. –– Übungen sollten generell unabhängig vom Zyklus bis zum Ermüden der Muskulatur durchgeführt werden.

10.3 Phasen der funktionellen Schulterrehabilitation  217

–– Ein Voranschreiten von submaximaler zu maximaler Belastung ist wünschenswert. –– Übungen im geschlossenen System stehen vor Übungen im offenen System. –– Bei Hinzukommen neuer Übungen sollen einfachere weggelassen werden.

10.3 Phasen der funktionellen Schulterrehabilitation Die Schulterrehabilitation gliedert sich in folgende Phasen [3,4,5]: 1. Akute Phase 2. Rekonvaleszenzphase (unterteilt in frühe und späte) 3. Funktionelle Phase Die Zeitspanne der einzelnen Phasen ist hierbei nicht streng vorgegeben, sondern ist abhängig von der vorliegenden Pathologie und der durchgeführten Versorgung.

10.3.1 Akute Phase Diese Phase umfasst die erste Zeit nach der operativen Versorgung und dauert in etwa 3 Wochen an. In dieser Phase soll das Augenmerk auf die Schmerz- und Entzündungskontrolle gelegt werden. Wichtig ist dabei auch eine ausreichende, individualisierte begleitende analgetische Therapie. Das erlaubte Bewegungsausmaß richtet sich nach der Pathologie und der Therapie und sollte vom Operateur klar vorgegeben werden. Prinzipiell finden die Beübungen in dieser Phase in der Skapulaebene statt. Dieser Bereich ist definiert als der Bereich bei Abduktion zwischen 20° und 50° und 30° Flexion des Oberarmes. Die Skapula stellt die Grundlage der Schulterbewegung dar und nimmt hier eine Schlüsselrolle ein [6]. Deshalb beginnt die Schulterrehabilitation mit der korrekten Positionierung der Skapula und der Anbahnung der stabilisierenden Muskulatur, die in einer Depression und einer Retraktion stattfindet (Pars ascendens des M. trapezius, M. serratus anterior). Begleitend werden niedrig intensive, isometrische, gelenkzentrierende Co-Kontraktionen der Rotatorenmanschette durchgeführt. In Abhängigkeit der Pathologie und des Eingriffes kann mit passiven oder assistiven glenohumeralen Bewegungen in der Skapulaebene begonnen werden, vor allem auch als Prophylaxe von Kontrakturen und Adhäsionen [7,8]. Einen weiteren Aspekt der akuten Phase stellen die Behandlung von Weichteilproblemen bzw. die Mobilisation der verkürzten Muskulatur dar. Beispielsweise kann ein verkürzter M. pectoralis minor zu einem anterioren Tilt der Skapula mit konsekutiver Skapuladyskinesie führen und somit ein funktionelles Impingement begünstigen [9]. Auch der M. pectoralis major muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Grundsätzlich wird nach Eingriffen an der Schulter zur adäquaten Immobilisierung eine Orthese verordnet. Die Art und Tragedauer wird vom Operateur vorgegeben

218  10 Rehabilitation

und richtet sich nach dem durchgeführten Eingriff und in manchen Fällen nach individuellen Aspekten. Entscheidend aber für alle Orthesen ist eine korrekte Anlage, die bereits im OP durch den Operateur selbst zu erfolgen hat. Wichtig dabei sind ein hoher Tragekomfort, was die Compliance des Patienten steigert, sowie die entlastende Einstellung an der immobilisierten Extremität. Vermeidung von Druckstellen und entspannte Lagerung haben dabei oberste Priorität. Auch ist die unmittelbare Instruktion des Patienten über Handhabung der Orthese und Umgang im Alltag entscheidend, um Sicherheit und Motivation sowie Selbständigkeit zu steigern. Des Weiteren soll Augenmerk sowohl auf die Rumpf- und Beckenstabilität als auch auf die benachbarten Gelenke gelegt werden. Hier ist ggf. eine Haltungskorrektur und additives Training erforderlich. Zudem können Kälte- und milde Wärmeapplikationen vor und nach der Therapie zur Schmerzkontrolle eingesetzt werden. Auch können verschiedene Arten an Elektrotherapien eingesetzt werden [10,11,12]. Diese können zur Schmerzreduktion, Verbesserung der Vaskularisation und Reduktion des Muskeltonus beitragen. In dieser Phase hat die Lymphdrainage als entstauende Maßnahme ebenfalls ihren festen Stellenwert. Der Übergang in die frühe Rekonvaleszenzphase stellt sich durch nur noch minimalen Bewegungsschmerz, zeitgerechte Wundheilung und adäquate Skapulakontrolle bei suffizienter glenohumeraler Zentrierung dar.

10.3.2 Rekonvaleszenzphase 10.3.2.1 Frühe Rekonvaleszenzphase Der Zeitraum dieser Phase beinhaltet in etwa die 3. bis 6. postoperative Woche. Jedoch ist auch dies abhängig von der Pathologie und Therapie. Ziel dieser Phase ist eine Verbesserung des Bewegungsausmaßes und das Erreichen von mehr Flexibilität und Elastizität des Gelenks durch passive Mobilisation. Auch findet hier der Übergang zur aktiv-assistierten und aktiven Mobilisation statt. Der skapulothorakale Rhythmus wird gebahnt mit dem Ziel, eine normale kinematische Bewegung des Schultergürtels wiederherzustellen. Der Übergang in die späte Rekonvaleszenzphase zeichnet sich durch eine im erlaubten Ausmaß schmerzfreie Beweglichkeit und die stabile Kontrolle der Skapula und des Rumpfes aus. 10.3.2.2 Späte Rekonvaleszenzphase Dieser Teilabschnitt beinhaltet gewöhnlich den Zeitraum zwischen der 7. und 12. postoperativen Woche. In dieser Phase sollen eine Wiederherstellung der freien Schulterbeweglichkeit und die Steigerung von Kraft und Ausdauer durch spezielle Übungen erreicht werden. Diese Übungen zielen auf die Kräftigung der Rotatorenmanschette, der Skapulastabilisatoren und die Koordination der gesamten Schultergürtelmuskulatur und des Rumpfes ab. Zur Schulterstabilisierung werden isotonische, konzen-

10.3 Phasen der funktionellen Schulterrehabilitation  219

trische / exzentrische Übungen und das propriozeptive Training unter Einbeziehung von Rumpf und unterer Extremität weitergeführt. Zusätzlich erfolgt die Mobilisation zur Verbesserung der aktiven und passiven Beweglichkeit und Trainieren der Aktivitäten des täglichen Lebens (activities of daily living – ADL) [13]. In diese Phase fällt auch weiterhin die Optimierung des skapulothorakalen Rhythmus [14]: Er wird in verschiedenen Ausgangstellungen sowohl in geschlossener als auch offener Kette trainiert. –– M. serratus anterior über Flexion + Protraktion + Depression –– Pars ascendens des M. trapezius über Depression + Retraktion [15] Der Übergang in die nächste Phase zeichnet sich durch ein freies Bewegungsausmaß mit normaler Gelenkkinematik und nahezu 75 % der normalen Kraft und Ausdauer aus.

10.3.3 Funktionelle Phase Diese Phase beginnt circa 3 Monate nach dem Eingriff. Zu Anfang dieser Phase ist der Patient nahezu beschwerdefrei, kann seinen Arm ohne Probleme aktiv über 90° führen, die Beweglichkeit ist automatisiert und kann gehalten werden, isotonische Belastungen können bis zur vollen Belastung gesteigert werden. Bei Erreichen von 80 % der freien Beweglichkeit und Freigabe seitens der rekonstruierten Strukturen, beginnt das medizinische Aufbautraining. Ziele [1]: –– Rehabilitation alltagsspezifischer / sportspezifischer Bewegungsabläufe –– Steigerung von Kraft und Ausdauer –– Wiederherstellung von Koordination, Geschwindigkeit und Schnelligkeit –– Automatisieren von Bewegungsmustern In dem Trainingsprogramm kann hierfür beispielsweise das neuromuskuläre Training verstärkt werden, plyometrische Trainingseinheiten eingebaut werden, progressives Ausdauer- und Krafttraining des gesamten Schultergürtels und Gesamtkörpertraining durchgeführt werden. Am Ende sollen eine optimale Kinematik der oberen Extremität, ein volles Bewegungsausmaß und Flexibilität für alltägliche und sportspezifische Aktivitäten, circa 90 % der normalen Kraft und eine symptomfreie Aktivität auch beim sportspezifischen Training erreicht werden. Hierbei haben Bewegungsbäder und medizinische Trainingstherapie in adaptierter Form, abhängig von vorliegender Pathologie, Therapie und postoperativem Intervall, bereits in der Frühphase der Rehabilitation ihren Stellenwert. Insgesamt möchten die Autoren aber an dieser Stelle nochmals anmerken, dass diese Phasen sehr individuelle zeitliche Unterschiede aufweisen können. Eine optimale chirurgische Versorgung vorausgesetzt, bestimmen biologische und therapeutische Fähigkeiten wesentlich den postoperativen Verlauf. Vor allem das Auftreten einer

220  10 Rehabilitation

postoperativen adhäsiven Kapsulitis in der frühen Rekonvaleszenzphase sollte rechtzeitig erkannt werden. Plötzlich wieder auftretende Schmerzen, v. a. auch nachts, welche sich während der Therapieeinheiten verschlimmern, müssen den dringenden Verdacht aufkommen lassen und sollten Anlass für eine ärztliche Kontrolle sein. Eine unverzügliche Therapiepause hinsichtlich der glenohumeralen Mobilisierung sowie ggf. die medikamentöse Behandlung können ein Fortschreiten der Entzündung verhindern und den weiteren Therapieverlauf nur unwesentlich verzögern.

10.4 Nachbehandlungsschemata 10.4.1 Rotatorenmanschettenrekonstruktion Generelle Behandlungskriterien nach Rotatorenmanschettenrekonstruktion bis Ende der 6. postoperativen Woche: Keine Aktivität und Dehnung der rekonstruierten Strukturen. Die Extension und horizontale Abduktion sind generell zu vermeiden. Allgemein gilt: Nichts heben, nicht den Arm hinter den Rücken führen, Hand bleibt immer im Gesichtsfeld, nicht ruckartig bewegen, nicht mit Körpergewicht stützen. Daneben gelten folgende absolute Einschränkungen für: –– Supraspinatusrekonstruktion: Keine horizontale Adduktion, Innenrotation nur bis zum weichen Stopp, maximal 70° –– Subscapularisrekonstruktion: Außenrotation nur bis zum weichen Stopp, max. 10° –– Infraspinatusrekonstruktion: Innenrotation nur bis zum weichen Stopp, max. 45° –– LBS-Tenodese: Keine Bizepssehnenaktivität bis einschließlich 6. postoperativer Woche, insbesondere keine Hyperextension im Ellenbogen Hinweis Ruhigstellung postoperativ für 3 Wochen in einem Abduktionskissen.

10.4.1.1 Phase 1: 1.–6. postoperative Woche Schwerpunkt: Schmerzreduktion, passive Mobilisation und Lagerung. 1.–3. Woche: Lagerung des Arms in der Schulterorthese Tag und Nacht bis Ende der 3. postoperativen Woche. Tagsüber kurzzeitige Lagerung in aktueller Ruhestellung auf Kissen möglich, wenn dadurch Schmerzreduktion und bessere muskuläre Entspannung erreicht wird. Herunterhängen des Arms sowie leichte Pendelübungen sind erlaubt. 1. Woche: Aktive Bewegung von Hand und Ellenbogen instruieren. Passive Mobilisation in alle Bewegungsrichtungen schmerzfrei bis zum weichen Stopp, max. 60° Abduktion, 60° Flexion, 10° Außenrotation.

10.4 Nachbehandlungsschemata  221

Assistive Skapulamobilisation, detonisierende Maßnahmen der Schulter-Nacken-Region. Bilaterale passive Flexion aus der Rückenlage; Anleitung zu kontrollierten Pendelübungen mit vorgeneigtem Oberkörper im Stand; Haltungskorrektur mit Skapulakontrolle; Instruktion zur Automobilisation (Betgriff und Pendelübung). ADL-Schulung (Aufstehen, Anziehen, Waschen, Anlegen der Schulterorthese mit weitestgehender Schonung der operierten Extremität). Nach Bedarf: Lymphdrainage, Eis, Wärme, Elektrotherapie. 2. Woche: minimale gelenknahe isometrische Zentrierungsübungen in verschiedenen Ausgangsstellungen, passive Übungen für Flexion im Stehen / Sitzen (Rollenzug oder Stab) als Heimprogramm; schmerzfreie, aktive Skapula-Mobilisation. 3. Woche: Passive Mobilisation in allen Bewegungsrichtungen schmerzfrei bis zum weichen Stopp, (Patient denkt Bewegungen mit), max. 80° Abduktion, 110° Flexion, 30 °Außenrotation (bei Subscapularis-OP max. 10° ARO). Übergang zu assistiver Mobilisation; leichte Isometrie für die nicht betroffene Schultermuskulatur, leichte Kräftigung der Skapulafixatoren. Ab der 4. Woche stundenweises Entwöhnen der Schulterorthese innerhalb des Hauses. 4.–6 Woche: Passive Mobilisation in alle Bewegungsrichtungen schmerzfrei bis zum weichen Stopp, max. 90° Abduktion, 145° Flexion, 45°Außenrotation (bei Subscapularis-OP max. 30° Außenrotation). 10.4.1.2 Phase 2: 7.–12. Woche Schwerpunkt: aktive Mobilisation, Koordinationsschulung, leichte Kräftigung. Schmerzabhängige passive und aktive Mobilisation ohne Bewegungslimit. Verbesserung des scapulo-humeralen Rhythmus, Koordinations- und Stabilisationsübungen für die Skapula (insbes. Rekrutierungsschulung des M. serratus anterior und des unteren Trapezius). Glenohumerale Zentrierung und Stabilisation mit leichter isometrischer / dynamischer Aktivität der operierten Muskulatur. Kontrolliertes Bewegungsbad (noch kein intensives Aquajogging). Autofahren i. d. R. möglich. Ab 9. Woche: Dynamisches Training der Rotatorenmanschette konzentrisch und exzentrisch in der Skapulaebene mit Thera-Band (gelb-rot) und leichten Gewichten (max. 1 kg) mit koordinativem Schwerpunkt. Aktivierung der Schultermuskulatur über Stützaktivität mit ca. 30 % des Körpergewichts, später auch in Überkopf-Position („Wischübung“) mit geringer Intensität, leichte Hebeübungen. Kontrolliertes Aquajogging möglich. Wiederaufnahme beruflicher Tätigkeit mit geringer Schulterbelastung. 10.4.1.3 Phase 3: ab 12. Woche Schwerpunkt: Kräftigung und ADL-Schulung. Stabilisierung in der geschlossenen Bewegungskette / Stützaktivität mit höherer Intensität. Dynamische Stabilisation mit steigender Belastung unter Berücksichti-

222  10 Rehabilitation

gung der Rumpfstabilität. Intensivierung der muskulären Kräftigung auch mit Geräten (MTT, medizinische Trainingstherapie), insbesondere spezifische progressive Widerstandsübungen für die Rotatorenmanschette (v. a. exzentrisch). Reaktive Übungen mit geringer Intensität unterhalb Schulterhöhe. Üben von Alltagsaktivitäten und sportartspezifischen Bewegungen (z. B. Tennisaufschlag). Wiederaufnahme beruflicher Tätigkeiten mit höherer Schulterbelastung. 10.4.1.4 Phase 4: ab 21. Woche Wiederaufnahme des Sports und anderer hochbelastender Schulteraktivitäten. Steigerung der Intensität der MTT, Schnellkrafttraining, reaktive Übungen auch über Schulterhöhe. Eigenständiges sportliches Training mit gelegentlicher Kontrolle durch den Therapeuten. Auch in den späten Reha-Phasen kann es noch zu Überlastungsreaktionen kommen, deswegen ist weiterhin eine exakte, symptomabhängige Belastungssteuerung notwendig. Mit dem Ausgleich aller Defizite ist i. d. R. nicht vor Ablauf des 6. bis 9. postoperativen Monats zu rechnen. Hinweis Ruhigstellung postoperativ für 6 Wochen.

In Abhängigkeit der Rupturgröße (2- oder 3-Sehnenriss) und intraoperativen Spannungsverhältnisse an der rekonstruierten Manschette kann eine komplette Ruhigstellung für die ersten 6 postoperativen Wochen erforderlich sein. In den ersten 3 Wochen sollten lediglich Lymphdrainage und detonisierende Maßnahmen erfolgen. Eine Mobilisierung des Glenohumeralgelenks selbst sollte ausbleiben. Herabhängen des Arms sowie vorsichtige Pendelübungen sind erlaubt. Mit Beginn der 4. Woche gelten dieselben Vorgaben wie bei der dreiwöchigen Immobilisierung.

10.4.2 Latissimus-dorsi- / Teres-major-Transfer Diese Muskel-Ersatzplastiken werden bei irreparabler Ruptur der posterosuperioren Rotatorenmanschette durchgeführt. Im Prinzip handelt es sich auch hier vergleichbar mit der Rotatorenmanschettenrekonstruktion um eine Sehnen-Knochen-Naht mit denselben biologischen und biomechanischen Eigenschaften und Besonderheiten. Der transferierte Muskel wird in seiner Funktion vom Innen- zum Außenrotator, dem in der Nachbehandlung Rechnung getragen werden muss. Ansonsten gelten sehr ähnliche Aspekte wie bei einer Rekonstruktion der dorsalen Rotatorenmanschette. Ein Ausgleich aller Defizite ist nicht immer möglich. Oberstes Ziel ist Schmerzreduktion / -freiheit, die Wiederherstellung des Bewegungsumfangs, sowie einer Außenrotation mit Kontrolle des Arms im Raum (hohe Außenrotation). Ein gewisses Kraftdefizit gerade in der Abduktion und Außenrotation bleibt häufig bestehen. Da-

10.4 Nachbehandlungsschemata  223

rüber muss der Patient auch ausführlich bereits präoperativ, aber auch während der Rehabilitation informiert werden, um ein realistisches Bild von dem zu erwartenden Ergebnis aufzuzeigen. Allgemein gilt: –– Tragen des Abduktionskissens für 4 Wochen. Der Arm befindet sich dabei in Neutralrotation glenohumeral. –– Keine Aktivität und Dehnung der rekonstruierten Strukturen. Die Extension und horizontale Abduktion sind generell zu vermeiden. –– Nichts heben, nicht den Arm hinter den Rücken führen. Hand bleibt immer im Gesichtsfeld, nicht ruckartig bewegen. Nicht mit Körpergewicht stützen. Daneben gelten folgende absolute Einschränkungen: –– Keine horizontale Adduktion, –– Außenrotation nur bis zum weichen Stopp, maximal 30°. –– Innenrotation nur bis zum weichen Stopp, maximal 30°. 10.4.2.1 Phase 1: 1.–6. postoperative Woche Schwerpunkt: Schmerzreduktion, passive Mobilisation und Lagerung. 1.–4. Woche: Lagerung des Armes in einer Schulterorthese Tag und Nacht bis Ende der 4. postop. Woche. Tagsüber kurzzeitige Lagerung in aktueller Ruhestellung auf Kissen möglich, wenn dadurch Schmerzreduktion und bessere muskuläre Entspannung erreicht wird. 1. Woche: Aktive Bewegung von Hand und Ellenbogen instruieren. Passive Mobilisation in alle Bewegungsrichtungen schmerzfrei bis zum weichen Stopp, max. 60° Abduktion, 60° Flexion, 10° Außenrotation. Assistive Skapulamobilisation, detonisierende Maßnahmen Schulter-Nacken. Bilaterale passive Flexion aus Rückenlage. Anleitung zu kontrollierten Pendelübungen mit vorgeneigtem Oberkörper im Stand. Haltungskorrektur mit Skapulakontrolle. Instruktion zur Automobilisation (Betgriff und Pendelübung). ADL-Schulung (Aufstehen, Anziehen, Waschen, Anlegen der Schulterorthese) mit weitestgehender Schonung der OP-Seite. Nach Bedarf: Lymphdrainage, Eis, Wärme, Elektrotherapie. 2. Woche: Minimale gelenknahe isometrische Zentrierungsübungen in verschiedenen Ausgangsstellungen, passive Übungen für Flexion im Stehen / Sitzen (Rollenzug oder Stab) als Heimprogramm; schmerzfreie aktive Skapula-Mobilisation. 3.–4. Woche: Passive Mobilisation in allen Bewegungsrichtungen schmerzfrei bis zum weichen Stopp, (Pat. denkt Bewegung mit), max. 80° Abduktion, 90° Flexion, 30° Außenrotation, Innenrotation bis 45°). Übergang zu assistiver Mobilisation; leichte Isometrie für die nicht betroffene Schultermuskulatur, leichte Kräftigung der Skapulafixatoren. 5.–7. Woche: ggf. Verlegung in eine Reha-Klinik. Passive Mobilisation in alle Bewegungsrichtungen schmerzfrei bis zum weichen Stopp (Pat. denkt Bewegungen mit), max. 90 °Abduktion, 145° Flexion, 45°Außen-

224  10 Rehabilitation

rotation, 70° Innenrotation vor der Oberkörperlängsachse. Ab der 4. Woche: Bewegungsbäder möglich, jedoch ohne Wasserwiderstände. Neben der rein manualtherapeutischen Therapie Übungen auf der Motorschiene. 10.4.2.2 Phase 2: 7.–12. Woche Schwerpunkt: aktive Mobilisation, Koordinationsschulung, leichte Kräftigung. Schmerzabhängige passive und aktive Mobilisation ohne Limit; Verbesserung des skapulo-humeralen Rhythmus, Koordinations- und Stabilisationsübungen für die Skapula (insbes. Rekrutierungsschulung des M. serratus anterior und des unteren Trapezius). Glenohumerale Zentrierung und Stabilisation mit noch leichter isometrischer / dynamischer Aktivität der operierten Muskulatur. Kontrolliertes Bewegungsbad (jedoch immer noch kein intensives Aquajogging). Autofahren i. d. R. möglich. Ab 9. Woche: Dynamisches Training des transferierten Muskels (Latissimus / Teres major) konzentrisch und exzentrisch in der Skapulaebene mit Thera-Band (gelbrot) und leichten Gewichten (max. 1–2 kg) mit koordinativem Schwerpunkt. Aktivierung der Schultermuskulatur über Stützaktivität mit ca. 30 % des Körpergewichts, später auch in Über-Kopf-Position mit geringer Intensität, leichte Hebeübungen. Kontrolliertes Aquajogging möglich. Wiederaufnahme beruflicher Tätigkeit mit geringer Schulterbelastung. 10.4.2.3 Phase 3: ab 12. Woche Schwerpunkt: Kräftigung und ADL-Schulung. Stabilisierung in der geschlossenen Bewegungskette / Stützaktivität mit höherer Intensität. Dynamische Stabilisation mit steigender Belastung unter Berücksichtigung der Rumpfstabilität. Intensivierung der muskulären Kräftigung auch mit Geräten (MTT), insbesondere spezifische progressive Widerstandsübungen für die Rotatorenmanschette, (v. a. exzentrisch). Reaktive Übungen mit geringer Intensität unterhalb der Schulterhöhe. Üben von Alltagsaktivitäten und sportartspezifischen Bewegungen. Wiederaufnahme beruflicher Tätigkeiten mit höherer Schulterbelastung. 10.4.2.4 Phase 4: ab 25. Woche Wiederaufnahme des Sports und anderer hochbelastender Schulteraktivitäten. Steigerung der Intensität der MTT, Schnellkrafttraining, reaktive Übungen auch über Schulterhöhe. Eigenständiges sportliches Training mit gelegentlicher Kontrolle durch den Therapeuten. Auch in den späten Reha-Phasen kann es noch zu Überlastungsreaktionen kommen, deswegen ist weiterhin eine exakte, symptomabhängige Belastungssteuerung notwendig.

10.4 Nachbehandlungsschemata  225

10.4.3 Inverse Schulterprothese Die Nachbehandlung nach Implantation einer inversen Schulterprothese kann in Abhängigkeit einzelner Faktoren noch Modifikationen erfordern. Grundsätzlich handelt es sich bei der inversen Prothese um ein kraftschlüssiges System mit zentripetaler Krafteinleitung auf die Glenosphäre. Bei adäquaten Spannungsverhältnissen der Weichteile, sowie korrekt eingebrachtem Implantat hinsichtlich Höhe und Torsion liegen stabile Verhältnisse vor. Bei posttraumatischen Folgezuständen, sowie bei irreparabler Situation am Subscapularis kann es gerade in den ersten beiden Phasen zu einer Luxation der Prothese kommen (in der Regel nach antero-superior). Daher ist in dieser Zeitspanne besonders Vorsicht geboten (z. B. absolutes Aufstützverbot!). 10.4.3.1 Phase 1: 1.–3. postoperative Woche 3 Wochen konsequente Ruhigstellung in einer Schulterorthese. In dieser Zeit nur Eisbehandlung, Lymphdrainage und Isometrie der angrenzenden Gelenke. Detonisierung der Nackenmuskulatur. Einüben des Skapulapatterns. Merke In den ersten 3 Wochen besteht Prothesenluxationsgefahr!

Bei Rekonstruktion des M. subscapularis darf in dieser Phase eine Außenrotation von 10° nicht überschritten werden. Bei irreparabler Subscapularissituation kann allerdings schon frühzeitig aktiv-assistiv in die Flexion und Abduktion gearbeitet werden. 10.4.3.2 Phase 2: 4.–6. postoperative Woche Schwerpunkt: Mobilisation und Koordinationsschulung. Ggf. Verlegung in eine Reha-Klinik. Schulterorthese kann sukzessive abtrainiert werden. Beginn der assistiv-aktiven Manualtherapie mit 30° Außenrotation, 60° Innenrotation vor der Oberkörperlängsachse, 90°Abduktion, 90° Flexion. Immer die Schmerzgrenze beachten. Die Außenrotation von 30° darf nicht überschritten werden. Die Innenrotation wird freigegeben. Ab der 4. Woche Beginn mit Bewegungsbädern, jedoch keinerlei Wasserwiderstände. 10.4.3.3 Phase 3: 7.–8. Woche Schwerpunkt: Aktive Mobilisation, Koordinationsschulung und Kräftigung. Freigabe der Armbewegung über die Horizontale und Erarbeiten des freien Bewegungsausmaßes. Primäres Erarbeiten der freien Flexion. Aktives isometrisches Training der Skapulastabilisatoren sowie des Deltamuskels. Bizeps-und Trizepstraining.

226  10 Rehabilitation 10.4.3.4 Phase 4: 9.–12. Woche Nach Erreichen der freien Flexion Steigerung des aktiven Trainings von Deltamuskel und Skapulastabilisatoren. Spezielles Auftrainieren der dorsalen langen Skapulaund Oberarmstabilisatoren: Konzentrisches und exzentrisches Training von Latissimus dorsi und Pectoralis. Symmetrisches Auftrainieren von Pars ascendens und descendens des Trapezius. Beachten der Detonisierung für Rhomboidei und Serratus. 10.4.3.5 Phase 5: Ab der 12. Woche Schwerpunkt: Kräftigung, Integration in den Alltag. Beginn mit Eigentraining mit Thera-Band und kleinen bis mittleren Gewichten (5–10 kg), Einsatz von Zugsystemen. Langsamer Beginn von schulterfreundlichen Sportarten (Schwimmen, Radfahren, Nordic Walking), schulterbelastende Aktivitäten (z. B. Golf) erst ab der 20. Woche.

10.4.4 Evidenz Standardisierte Nachbehandlungsprotokolle mit hoher wissenschaftlicher Evidenz sind in der Orthopädie auf vielen Gebieten leider noch nicht etabliert und verfügbar, so auch in der Schulterchirurgie. Aktuelle Bestrebungen auch in den Fachgesellschaften widmen sich dieser Thematik und arbeiten evidenzbasierte Richtlinien für die Nachsorge aus. Gerade nach Rotatorenmanschettenrekonstruktionen differieren die Vorgaben der Operateure sehr. Aufgrund der zum Teil sehr hohen Re-Rupturrate hat man sich mit möglichen Ursachen näher auseinandergesetzt. Neben demographischen Faktoren (Alter, weibliches Geschlecht) beeinflussen klinische Faktoren (geringere Knochendichte, Diabetes mellitus, geringere sportliche Aktivität, kleinerer präoperativer Bewegungsradius, Adipositas), rissbezogene Faktoren (größere sagittale Ausdehnung, höherer Retraktionsgrad, höhere fettige Infiltration, Beteiligung mehrerer Sehnen) sowie OP-bezogene Faktoren (Adressierung der langen Bizepssehne oder des AC-Gelenks) negativ das Ergebnis nach arthroskopischer Rotatorenmanschettenrekonstruktion [16]. Auch die Art der Nachbehandlung stand gerade in letzter Zeit im Fokus der Wissenschaft. Dabei wurde das Konzept der frühen passiven Bewegungstherapie (early passive range of motion EPROM) dem verzögerten (delayed passive range of motion DPROM) gegenübergestellt. Die Datenlage (Tab. 10.1) zeigt, dass die EPROM einen etwas schnelleren Anstieg der Beweglichkeit und Funktion ermöglicht, aber nach einem Jahr dieser Unterschied sich wieder ausgleicht. Die Re-Rupturrate unterscheidet sich bei kleinen und mittleren Rissen nicht, zeigt aber einen Trend zu einer höheren Rate bei ausgedehnten Rissen. Entscheidend ist aber, die Dauer und Intensität der Nachbehandlung an die jeweiligen individuellen Erfordernisse des Patienten anzupassen.

Literatur  227

Es liegt auch hier im Ermessen des Operateurs, welche Form der Rehabilitation das OP-Ergebnis am effizientesten erreichen lässt. Tab. 10.1: Übersicht aktueller Studien zur frühen und verzögerten passiven Nachbehandlung nach arthroskopischer Rotatorenmanschettenrekonstruktion (EBM = evidence based medicine, RR = Re-Rupturrate, ROM = range of motion / Bewegungsumfang, „=“ kein statistisch signifikanter Unterschied, ARO = Außenrotation, „s“ = signifikant) Autor

EBM-Level

Eingeschlossene Studien

Unterschied

Shen C et al. 2014 [17]

II

3 Studien, 265 Patienten Systematischer Review von Level-I- und II-Studien

RR ROM Funktion

= = = 

Chan K et al. 2014 [18]

II

4 Studien (3 Level I, 1 Level II)

RR Flexion ARO

= s = 

Riboh JC, ­Garniques GE. 2014 [19]

II

5 Studien (alle Level II)

RR ROM

= = 

Gallagher BP et al. 2015 [20]

II

6 Studien

RR ROM (nur 1 Studie zeigte auch bei der Letztuntersuchung ein besseres ROM)

= = 

Kluczynski et al. 2015 [21]

II

28 Studien, 1729 Patienten

RR (Level-I-Studien) RR (für transossär versorgte Risse  5 cm)

= s

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11 Begutachtung der Rotatorenmanschettenruptur Markus Loew Der Schultergürtel als die mobilste Gelenkkette des menschlichen Körpers ist im Alltagsleben besonderen Belastungen ausgesetzt und vor allem bei äußerer Gewalteinwirkung ausgesprochen verletzungsgefährdet. Von den Überlastungsschäden aber auch von Verletzungen ist die Rotatorenmanschette (RM) besonders häufig betroffen. Die Ätiologie von Rotatorenmanschettenläsion (RM-Läsion) ist multifaktoriell. Es spielen extrinsische Faktoren wie das Impingement [1], die Form des Akromions [2] und dessen laterale Ausdehnung [3] ebenso eine Rolle wie intrinsische Faktoren, z. B. durchblutungsbedingte Veränderungen und andere Tendinopathien. Bei der hohen Inzidenz alterungs- und verschleißbedingter Läsionen der RM ist die Abgrenzung gegenüber traumatischen Schäden und Unfallfolgen im Einzelfall komplex. In der Begutachtung wird nicht selten die Möglichkeit einer ausschließlich traumatisch verursachten Sehnenruptur ohne eine substanzielle Schwächung durch vorbestehende Verschleißveränderungen in Frage gestellt. Tatsächlich ist in vielen Fällen auch nach äußerer Gewalteinwirkung die Mitwirkung degenerativer Vorschäden in der Entstehung einer RM-Läsion anzunehmen [4]. Der Zusammenhangsbegutachtung muss daher eine sorgfältige Analyse der im Einzelfall vorliegenden Fakten unter Berücksichtigung des aktuellen Fachwissens über Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese der Sehnenläsion zugrunde gelegt werden.

11.1 Epidemiologie degenerativer Rotatorenmanschettenläsionen Die Häufigkeit transmuraler Defekte der RM im Rahmen degenerativer Veränderungen wird in der Literatur kontrovers dargestellt. Jenseits des 60sten Lebensjahres liegt ihre Inzidenz in klinischen und autoptischen Studien zwischen 10 und 30 % [5,6,7]. Über die Prävalenz von RM-Läsion vor dem 50sten Lebensjahr gibt es nur wenige Studien. Eine japanische Serienuntersuchung von Bewohnern in einem Bergdorf, bei der 1.366 Schultern klinisch untersucht und mit Ultraschall diagnostiziert wurden, führte im 5. Lebensjahrzehnt zur Entdeckung von 6,7 % partiellen oder transmuralen RM-Läsionen [8]. Allerdings wurden in diese Studie auch Probanden mit einem Schultertrauma in der Vorgeschichte einbezogen. Unstrittig selten ist das Vorkommen einer kompletten RM-Ruptur vor dem 40sten Lebensjahr [29]. In dieser Altersgruppe wird in den meisten Fällen ein Trauma als Ursache für den Sehnenriss angenommen. In der Literatur wird vereinzelt über isolierte Rupturen der RM nach Sport- und Verkehrsunfällen bei Jugendlichen berichtet [9,10]. Bereits im Alter von 14 Jahren wurde nach einer Schulterluxation eine ansatznahe Zerreißung der Supraspinatus- und Subskapularissehne diagnostiziert [32]. Der isolierte Abriss der Subskapularissehne ist in den meisten Fällen eindeutig einem Trauma zuzuordnen [11,12]. Die Inzidenz von RMhttps://doi.org/10.1515/9783110468939-011

230  11 Begutachtung der Rotatorenmanschettenruptur

Rupturen als Begleitverletzung einer Schulterluxation nimmt mit dem Lebensalter zu. Bei über 60jährigen Patienten beträgt sie bis zu 70 % [13]. Die sehnige oder knöcherne Abscherverletzung des Supra- oder Infraspinatusansatzes stellt in diesen Fällen das Weichteiläquivalent zur Hill-Sachs-Läsion dar.

11.2 Ätiologie und Pathogenese degenerativer Rotatorenmanschettenläsionen Unter dem Aspekt ihrer Entstehung werden intrinsische von extrinsischen Tendopathien der RM unterschieden. Intrinsische Schäden beruhen auf einer Veränderung der Sehnenarchitektur, hervorgerufen durch Durchblutungsstörungen in der „kritischen Zone“ und physiologische Alterungsprozesse. Extrinsische RM-Läsionen werden durch Druck und Friktion von außen, z. B. bei einer subakromialen Einengung unter der Vorderkante des Akromion oder von innen, z. B. bei einem posterioren Glenoidimpingement, verursacht. Der Defekt der Supraspinatussehne stellt nach Neer und Bigliani die charakteristische Läsion eines subakromialen Impingement im Stadium III dar. Das instabile Os acromiale korreliert ebenfalls häufig mit einer Schädigung der Rotatorenmanschette. Demgegenüber ist eine Arthrose im Akromioklavikulargelenk eine ab dem vierten Lebensjahrzehnt häufig zu beobachtende, vor allem radiologisch beschriebene, alterstypische Veränderung, der für die Entstehung einer RM-Läsion keine Bedeutung zukommt [14]. Es ist bekannt, dass vor allem degenerative RM-Läsionen über lange Zeit weitgehend asymptomatisch verlaufen können. Während kleinere transmurale Schäden über einen Ventilmechanismus durch den Austritt von Gelenkflüssigkeit zu einer chronischen, schmerzhaften Bursitis führen, bleiben größere Defekte in Ruhe häufig schmerzarm. Insbesondere kinematisch balancierte Defekte können funktionell häufig über lange Zeit weitgehend kompensiert werden. Ist eine vollständige Kontinuitätsunterbrechung der RM vorhanden, so entwickelt sich in über der Hälfte der Fälle innerhalb von 20 Monaten eine signifikante Vergrößerung des Sehnendefektes. Dabei treten im Verlauf in den meisten Fällen ohne zusätzliche äußere Einwirkungen Symptome in Form von Ruhe- und Belastungsschmerzen sowie Bewegungsstörungen auf [15,16]. Eine äußere Gewalteinwirkung kann allerdings, bei einer vorbestehenden asymptomatischen Läsion, zu einer Vergrößerung des vorbestehenden Defektes und damit zu einer funktionellen Verschlechterung mit Erstmanifestation von Beschwerden führen (acute on chronic). In diesen Fällen kann eine theoretisch nicht adäquate Gewalteinwirkung zum erstmaligen Auftreten von Symptomen, von Schmerzen bis hin zu einer Aufhebung der aktiven Beweglichkeit, führen. In diesem Fall wird in der Begutachtung häufig kontrovers diskutiert, ob es sich bei dem Ereignis um ein Anlassgeschehen oder um ein verursachendes Ereignis handelt.

11.4 Mögliche Verletzungsmechanismen  231

11.3 Biomechanische Grundlagen der traumatischen Rotatorenmanschettenruptur Untersuchungen zur Zugfestigkeit der Supraspinatussehne an Kadaverpräparaten zeigen altersabhängige Werte ihrer Dehnbarkeit und Steifigkeit [17]. Die Maximalwerte der Reißfestigkeit (ca. 1.850 Newton bei Jugendlichen) und die Steifigkeit der Sehnen nehmen signifikant mit dem Lebensalter ab. Im 7ten Lebensjahrzehnt beträgt die mittlere Zugbelastbarkeit ca. 750 Newton. Bereits bei einer Längenzunahme der Sehne um 4 mm werden ¾ der maximalen Zugbelastbarkeit erreicht. Bei einer posttraumatischen Schadensanalyse muss darüber hinaus berücksichtigt werden, dass von außen auf das Schultergelenk einwirkende Kräfte umso stärker wirksam werden, je weiter peripher sie am Arm ansetzen. So kann zum Beispiel eine Last, die mit 5 kg an der ausgestreckten Hand einwirkt, ohne reflektorische Gegenspannung eine Hebelkraft von 1.500 N auf den Ansatz der RM entfalten.

11.4 Mögliche Verletzungsmechanismen Neben der Luxation des Glenohumeralgelenks sind verschiedene Verletzungsmechanismen denkbar, die zu einer unphysiologischen und exzentrischen Belastung der Sehnenansätze mit der Folge ihrer Zusammenhangstrennung führen können [18,9]. Aus biomechanischer Sicht ergeben sich dafür zwei grundsätzlich unterschiedliche Schädigungsabläufe: 1. eine exzentrische Belastung von Anteilen der RM führt bei Überschreiten des physiologischen Dehnungsvermögens zum Zerreißen der Sehnen, v. a. wenn diese durch aktive Muskelkontraktion vorgespannt sind. Dies ist theoretisch anzunehmen –– bei einer indirekten Gewalteinwirkung, die zu einer Verlagerung des Humeruskopfes nach vorn oder vorn-oben führt. –– bei passiv erzwungener, gewaltsamer Außen- oder Innenrotation im Schultergelenk bei anliegendem oder abgespreiztem Arm. 2. ein inneres Impingement führt zum Abscheren der RM, wenn der maximal zulässige Rotationswinkel des Schultergelenkes überschritten wird und dabei die Ansätze der Sehnen mit dem Pfannenrand in Konflikt geraten. Beispiel: „posterior mechanism“ bei der anterioren Schulterluxation. Nach diesen Erkenntnissen können nicht nur Stürze, sondern auch verschiedene überfallartige, ungeplante und passiv erzwungene Bewegungen des Armes zu einer Schädigung der RM führen. Zu den potenziell „geeigneten“ Ereignisabläufen sind demnach die folgenden Ereignisabläufe zu rechnen:

232  11 Begutachtung der Rotatorenmanschettenruptur –– Passive Traktion des Armes nach kaudal, ventral oder medial. Beispiel: Ungeplantes Auffangen eines schweren stürzenden Gegenstandes; Einzug des Armes in eine laufende Maschine. –– Axiale Stauchung des Oberarmkopfes nach ventral oder ventro-kranial. Beispiel: Ausrutschen mit den Beinen nach vorn oder Sturz aus dem Stand oder aus dem Laufen auf den reflektorisch zur Seite oder nach hinten ausgestreckten Arm, Ellenbogen oder auf die Hand. –– Passive gewaltsame Außen- oder Innenrotation des Armes im Schultergelenk. Beispiel: Sturz von Gerüst oder Treppe mit dem Versuch, den Fall durch Festhalten abzufangen. Demgegenüber gibt es aber auch Verletzungsmechanismen und Ereignisabläufe, die unter theoretischen, biomechanischen und empirischen Gesichtspunkten nicht zu einer strukturellen Schädigung der RM führen können. Dies sind vor allem direkte Anprallverletzungen ohne Sturz, d. h. das einfache Anstoßen beim Gehen oder Laufen. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass experimentelle Untersuchungen zu den tatsächlichen Ereignisabläufen fehlen. Dies gilt vor allem für den häufig als nicht geeignet bezeichneten Sturz nach vorn auf den ausgestreckten Arm oder auch für den Sturz direkt auf die Schulter. Die tatsächliche Form und Richtung der Gewalteinwirkung auf das Schultergelenk und die umgebenden Band-, Muskel- und Sehnenstrukturen konnte auch bei diesen Ereignisabläufen bisher „in vivo“, d. h. in der Lebenswirklichkeit nachgestellter Situation, nicht analysiert werden. Darüber hinaus ist der Ereignisablauf durch den Verletzten häufig bereits unmittelbar nach dem Geschehen nicht in der für eine verbindliche Analyse erforderlichen Genauigkeit reproduzierbar. Außerdem sind wichtige individuelle Faktoren während des Unfallablaufes (Aufmerksamkeit und Ablenkung, Wucht des Aufpralls etc.) auch in Kenntnis des Hergangs nicht exakt definierbar. Nur wenn kein Unfall im Sinne der Versicherungsbestimmungen vorliegt, ist es statthaft, einen Ereigniszusammenhang a priori abzulehnen. Dies gilt vor allem bei geplanten, nicht außergewöhnlichen Kraftanstrengungen ohne Ablenkung, d. h. beim Anheben oder Verschieben normaler Lasten

11.5 Kausalitätsbeurteilung Die Komplexität der Unterscheidung traumatischer von eventuell vorbestehenden, anlage- und verschleißbedingten Veränderungen des Schultergürtels macht deutlich, dass eine Zusammenhangsbeurteilung in vielen Fällen schwierig sein kann. In vielen Gutachten wird die Entscheidung, ob ein Schaden als Unfallfolge anzuerkennen ist, ausschließlich davon abhängig gemacht, ob der Verletzungsmechanismus theoretisch geeignet oder ungeeignet erscheint, den festgestellten Körperschaden hervorzurufen. Diese eindimensionale Beurteilung lässt viele individuelle Faktoren

11.5 Kausalitätsbeurteilung  233

unberücksichtigt. Es sich daher bewährt, die Zusammenhangsbegutachtung auf die Grundlage von vier Erkenntnis- und Argumentationskomplexen zu gründen, deren synoptische Auswertung eine Kausalitätsbeurteilung ermöglicht (Vier-Säulen-Konzept) [19]: –– Vorgeschichte –– Ereignisablauf, –– Primärbefund und –– im zeitlichen Verlauf objektivierte, apparativ oder invasiv gesicherte pathomorphologische Befunde

11.5.1 Vorgeschichte In allen Fällen der Kausalitätsbeurteilung ist neben der genauen Erhebung der Anamnese die Einholung eines Vorerkrankungsverzeichnisses der gesetzlichen oder privaten Krankenkassen unverzichtbar. Hinweise auf eine degenerative Genese sind dokumentierte Erkrankungen und Funktionsstörungen des betroffenen Schultergelenkes und Armes (Vorschaden!). Ein vorbestehender Riss der langen Bizepssehne oder eine bekannte RM-Läsion der Gegenseite sprechen ebenfalls für eine degenerative Vorschädigung der RM.

11.5.2 Ereignisablauf Nur bei einem nach den vorstehenden Argumenten eindeutig nicht geeignetem Verletzungsmechanismus, d. h. bei einem einfachen Anprall oder einer geplanten tätigkeitsüblichen Kraftanstrengung kann ein Zusammenhang a priori als unwahrscheinlich bezeichnet werden. Auch in diesem Fall sind allerdings die übrigen Argumente zu berücksichtigen, die in den meisten Fällen auch zu einer negativen synoptischen Bewertung führen.

11.5.3 Primärbefund 11.5.3.1 Klinik Äußere Verletzungszeichen sind: –– diffuse Schwellung der Schulterweichteile –– lokale Druckschmerzhaftigkeit –– innerhalb weniger Tage auftretende, lokale und in Bizepsloge und Pektoralregion fortgeleitete Hämatomverfärbung (Abb. 11.1).

234  11 Begutachtung der Rotatorenmanschettenruptur

Abb. 11.1: Posttraumatisches Hämatom in den Bizeps- und Pectoralisloge.

Allerdings werden diese Verletzungszeichen auch bei eindeutig traumatischer Entstehung, d. h. auch bei einer Abrissfraktur des Tuberculum majus, nicht regelmäßig beobachtet. Bei einer zeitnah erlittenen RM-Ruptur werden sie in etwa ¼ der Fälle beschrieben [20]. Die akut aufgetretene Pseudoparalyse des Armes (Drop-Arm-Zeichen), bei der der Arm nicht in Schulterhöhe stabilisiert werden kann spricht für eine zeitnahe RM-Ruptur. Demgegenüber ist der Kraftverlust in den isometrischen Funktionstests der RM (Supraspinatustest, Außen- und Innenrotationsstress, Lag-Zeichen) ein unspezifisches Symptom, das auch bei degenerativen RM-Läsionen beobachtet wird. Allerdings ist ein aktiv freies Bewegungsausmaß innerhalb von 6 Wochen nach der Gewalteinwirkung mit einer frischen Ruptur kaum vereinbar. Eindeutige Zeichen einer älteren Läsion sind die sichtbare Atrophie von Supra- und Infraspinatus oder Deltoideus. 11.5.3.2 Röntgen Röntgenaufnahmen in „true a. p.“ und axialer Projektion weisen innerhalb der ersten 3 Monate nach einer RM-Ruptur keine charakteristischen Veränderungen auf. Eine Dezentrierung des Humeruskopfes mit Kranialisation und Verringerung der akromiohumeralen Distanz entwickelt sich erst innerhalb einiger Monate [21]. Allerdings finden sich Sekundärveränderungen, wie eine Hypersklerose und zystische Veränderungen am Tuberculum majus in annähernd gleicher Häufigkeit bei degenerativen wie traumatischen RM-Läsionen. Ein ausgeprägter Akromionsporn (Typ III nach Bigliani) kann allenfalls als Schadensanlage bewertet werden. Subkortikale zystische Veränderungen weisen auf eine vorbestehende Enthesiopathie, nicht aber eine chronische RM-Läsion hin [20].

11.5 Kausalitätsbeurteilung  235

11.5.3.3 Sonographie Typische Zeichen einer RM-Läsion sind Konturumkehr und -unterbrechung der akromionseitigen Faszie und ein Sehnendefekt. In der Frühphase bis zu 3 Wochen nach einer traumatischen Schädigung ist eine echoarme Zone im Subakromialraum typisch für einen blutigen Bursaerguss – später ist differentialdiagnostisch zwischen Hämatobursa und chronischer Bursitis zu unterscheiden.

11.5.4 Verlauf 11.5.4.1 Klinik Die traumatische Zerreißung einer vorher intakten RM führt zu einem charakteristischen zeitlichen Erkrankungsverlauf. Nach wenigen Tagen bildet sich der initiale Schmerz in vielen Fällen zurück; der Verletzte leidet dann unter einer persistierenden aktiven Bewegungseinschränkung und Kraftminderung. In der Regel können Patienten nach traumatischer RM-Läsion für einen Zeitraum von 1–3 Monaten den Arm aktiv nicht über die Schulterhöhe anheben [20]. Der Kraftverlust kann im Gegensatz zu einer degenerativen Schädigung in der Regel auch im weiteren Heilverlauf nicht vollständig kompensiert werden. 11.5.4.2 Magnetresonanztomographie Hämarthros und Hämatobursa weisen innerhalb von 3 Wochen auf eine verletzungsbedingte Schädigung hin, sind allerdings unspezifisch und können nicht sicher von einem Reizerguss unterschieden werden. Immer wieder wird in der Begutachtung ein Knochenmarködem im Oberarmkopf (sogenanntes Bone Bruise) als Zeichen einer traumatischen RM-Läsion gefordert. Dieses Phänomen ist allerdings immer Folge einer direkten Gewalteinwirkung und wird im Rahmen klinischer Studien weder bei chronischen noch bei akuten Läsionen der Rotatorenmanschette gefunden [20,30]. Charakteristisch für eine zeitnahe traumatische Läsion der Rotatorenmanschette sind demgegenüber eine Schlängelung des proximalen Sehnenstumpfes (so genanntes Kinking) (Abb. 11.2) und ein Ödem im Muskel- Sehnenübergang des betroffenen Muskels (Abb. 11.3). Eine strukturelle Läsion der Subskapularissehne ist in der Regel traumatisch bedingt [11,20,12]. Eine leichte Atrophie der betroffenen Muskelbäuche (Grad I–II nach Thomazeau [27,34]) kann innerhalb von 6 Monaten nach einer RM-Ruptur eintreten. Eine fettige Infiltration der Muskulatur wird erst nach einer 1–2 Jahre vorbestehenden RM-Läsion beobachtet [19,31].

236  11 Begutachtung der Rotatorenmanschettenruptur

Abb. 11.2: Schlängelung (Kinking) der Supraspinatussehne nach einem zeitnahen Riss.

Abb. 11.3: Ödem im Muskel- Sehnen- Übergang des Infraspinatur 7 Tage nach traumatischer Läsion.

11.5.5 Operationsbefund Hämarthros und blutiger Bursaerguss sowie aufgefaserte und blutig imbibierte Sehnenränder innerhalb von 6 Wochen sprechen für eine zeitnahe verletzungsbedingte Sehnenruptur [22,20], ebenso ein am Tuberculum verbliebener, aufgefaserter Sehnenstumpf (Abb. 11.4). Dagegen sind weißliche, abgerundete und verhärtete Sehnenränder sowie exostotische und chondromalazische Veränderungen im Sehnenansatzbereich Zeichen einer älteren Läsion. 11.5.5.1 Histologie Die routinemäßig vorgenommene histologische Untersuchung resezierter Sehnenränder führt in der Regel nicht zu einer sicheren Unterscheidung traumatischer von degenerativen RM-Läsionen. Fast regelmäßig werden traumatypische Veränderungen

11.6 Chronische Rotatorenmanschettenläsion als Folge beruflicher Exposition   237

Abb. 11.4: Aufgefaserte und eingeblutete Sehnen­ränder und ein zerfaserter Sehnenstumpf am Tuberculum majus 5 Wochen nach traumatischer RM-Läsion.

(frisches Granulationsgewebe, Hämosiderineinlagerungen) neben degenerativen Morphologien (reparative Fibroblastenproliferate, chondroide Metaplasie) beschrieben [20]. 11.5.5.2 Befund zur Begutachtung Auch der Befund zum Zeitpunkt der Begutachtung kann in die Kausalitätsbeurteilung einbezogen werden. Rasch zunehmende radiologische Sekundärveränderungen sprechen für einen kausalen Zusammenhang. Demgegenüber spricht eine eindeutige Pathologie der gegenseitigen Rotatorenmanschette eher gegen eine Kausalität, da degenerative Läsionen in fast der Hälfte der Betroffenen beidseitig auftreten [16] während traumatischen naturgemäß nur die verletzte Seite betreffen.

11.6 Chronische Rotatorenmanschettenläsion als Folge beruflicher Exposition Die Berufskrankheit nach Ziff. 2101 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) umfasst „Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen haben“. Voraussetzung für eine Anerkennung als Berufskrankheit ist, dass zwischen beruflicher Tätigkeit und der Erkrankung ein wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang besteht [28]. Im Bereich der Schulter betreffen diese Veränderungen unter pathologisch-anatomischen Gesichtspunkten nur Reizungen und Entzündungen der Rotatorenmanschettenansätze und des umgebenden Gleitgewebes. Die transmurale RM-Läsion ist hingegen bisher nach der BKV nicht als Gesundheitsschaden im Rahmen einer Berufskrankheit anerkannt, wenn es auch empirische und epidemiologische Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Belastung und Schaden an der Rotatorenmanschette gibt.

238  11 Begutachtung der Rotatorenmanschettenruptur 11.6.1 Biomechanische Grundlagen von Überlastungsschäden Die Sehnen der RM sind komplexen Zug- und Kompressionsbelastungen ausgesetzt. Exzentrische Zugbelastungen entstehen, wenn die Kraft in einer anderen als der Zugrichtung des Muskels wirkt. Die Kompressionsbelastung steigt an, wenn durch eine nach oben gerichtete Kraft die Sehne zwischen dem Humeruskopf und dem coracoacromialen Bogen eingeklemmt wird. Der Druck im Subakromialraum steigt mit zunehmender Flexion und Abduktion an. Er beträgt 56 mmHg, wenn der Arm in elevierter Position mit 1 kg Gewicht in der Hand gehalten wird [23].

11.6.2 Epidemiologie von Überlastungsschäden Chronische Überbelastung der Schultergelenke, z.B. im Hochleistungssport führen eindeutig zu einem erhöhten Risiko einer Rotatorenmanschettenläsion [33]. Es ist auch bekannt, dass Handwerker, die ihren Arm regelmäßig und monoton in diesen kritischen Positionen einsetzen, vermehrt an Schulterbeschwerden leiden [35]. Unter 733 Arbeitern, die unterschiedlichen chronischen Überkopfbelastungen ausgesetzt waren wiesen 7,5 % ein „Rotator Cuff Syndrom“ auf [24], ohne dass die Untersuchung strukturelle Schäden der Rotatorenmanschette adressierte. In einer Studie an 136 Maschinisten, Kraftfahrzeugmechanikern und Malern im Alter zwischen 40 und 50 Jahren wurde ein MRT der dominanten rechten Schulter durchgeführt. In dieser Untersuchung wurden an der Supraspinatussehne in 35,3 % der Fälle fokale Degenerationen und Teilläsionen, in 2,9 % der Fälle transmurale und komplette Sehnenrupturen festgestellt [25]. Eine aktuelle vergleichende Querschnittstudie [26] an 100 Malern und Gerüstbauern und einer gleich großen Kontrollgruppe kam zu den folgenden Ergebnissen: In der Gruppe der Maler, die im Durchschnitt über 21 Jahre in diesem Beruf tätig waren und in dieser Zeit überwiegend handwerkliche Tätigkeiten mit Einsatz des Armes oberhalb der Hüfthöhe ausgeführt hatten, war es mit der Zeit bei 75 % der Männer zu Beschwerden in der dominanten Schulter gekommen, mehr als die Hälfte der Betroffenen war deswegen medizinisch behandelt worden. Die aktive und passive Beweglichkeit im Schultergelenk war bei den Malern im Vergleich zur Normalbevölkerung in allen Freiheitsgraden eingeschränkt und in mehr als der Hälfte der Fälle schmerzhaft. Etwa die Hälfte der Handwerker wies eine Impingementsymptomatik auf und der Constant Score war insgesamt und in allen Kategorien signifikant niedriger als in der Vergleichsgruppe. Im MRT ließen sich bei den Malern in 10 % transmurale und in 42 % partielle RM-Läsionen nachweisen. Die Inzidenz von RM-Läsionen war in dieser Untersuchung bei Malern signifikant höher als bei der Kontrollgruppe und auch als sie im historischen Vergleich mit den bekannten epidemiologischen Untersuchungen in der Altersgruppe zu erwarten wäre.

Literatur  239

Ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von RM-Läsionen und einer langjährigen, regelmäßigen Belastung des Armes oberhalb der Hüfthöhe ist nach diesen Ergebnissen wahrscheinlich. Wenn auch eine Anerkennung nach der Berufskrankheitenverordnung aussteht ist bei einer entsprechenden langjährigen Exposition ein Zusammenhang zwischen Belastung und Körperschaden im Einzelfall doch zu begründen.

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12 Funktionsbeurteilung der Schulter: Scores Dorota Böhm, Dirk Böhm Ein Gelenk mit so vielfältigen und hochkomplexen Funktionen wie die Schulter stellt jeden Untersucher und Gutachter vor die Problematik der Wertung und Gewichtung eben dieser Funktionen. Wichtig ist es dabei das Alter des Patienten, seine berufliche Situation, die sportlichen Aktivitäten und die Ansprüche an die Schulter zu beachten. Unter einer guten Schulterfunktion versteht ein 25-jähriger Mann, der körperlich arbeitet und Sport betreibt etwas ganz anderes als eine 75-jährige Dame. Zur Vergleichbarkeit der Auswirkungen von Schultererkrankungen oder Verletzungen auf die Funktion der Schulter werden Scores erhoben, welche die Schulterfunktion schon vor einer Therapie vergleichbar machen und dadurch auch die Effizienz verschiedener Therapieverfahren aufzeigen können. Wichtige Teilaspekte der Schulterfunktion wie Schmerz, Beweglichkeit, Kraft und Aktivitäten des täglichen Lebens werden hierbei unterschiedlich erfasst und auch unterschiedlich gewichtet. Natürlich müssen Scores gut reproduzierbar sein, das Untersuchte genau und zuverlässig erfassen und Veränderungen empfindlich abbilden. Man unterscheidet subjektive Scores, die rein das Empfinden des Patienten wiedergeben, von objektiven Scores, die vom Arzt / Therapeuten bei einer Untersuchung erhoben werden. Einige Scores kombinieren subjektive und objektive Kriterien. Die Selbst-Einschätzungen der Beweglichkeit durch den Patienten korreliert oft nur schlecht mit den Überprüfungen durch eine ärztliche Untersuchung [1], somit wäre die initiale Score-Erhebung durch einen Untersucher mit Erklärungen für den Patienten sicher hilfreich, um die Verlässlichkeit der vom Patienten im Follow-up angegebenen Werte zu verbessern. Die subjektiven Scores werden in der Regel mit Hilfe von Fragebögen erfasst und können daher auch über die Post oder das Internet abgefragt werden. Das spart sowohl dem Arzt / Therapeuten als auch dem Patienten Zeit und Kosten. Dies kann die Bereitschaft an einer Studie teilzunehmen deutlich steigern. Während eine klinische Untersuchung und weitgefasste Datenerfassung für eine wissenschaftliche Studie am Beginn einer Behandlung meist gerne vom Patienten akzeptiert wird, sind gerade regelmäßige Verlaufskontrollen mit einem persönlichen Arzt / Patientenkontakt zu Studienzwecken zunehmend problematisch. Durch Fragebögen kann eine weite Anreise vermieden werden, doch können manche Funktionen wie die Kraft und die genauen Bewegungsausmaße nur schwer darüber erfasst werden. Die wesentlich einfachere Handhabung der subjektiven Scores wird auch ein wichtiger Grund dafür sein, dass die neueren Scores fast ausschließlich auf Fragebögen basiert sind. Für einige der Scores, die in ihrer ursprünglichen Version eine Untersuchung des Arztes notwendig machten, wurden daher auch Fragebögen Versionen erstellt und validiert. Vielleicht können in Zukunft moderne Multimedia-Techniken über das Internet zur verbesserten Erhebung von Scores ohne direkten Arzt / Therapeuten Kontakt einhttps://doi.org/10.1515/9783110468939-012

242  12 Funktionsbeurteilung der Schulter: Scores

gesetzt werden, auch um vom Gesetzgeber zunehmend geforderte evidenz-basierte Behandlungsergebnisse durch Untersuchungen an großen Behandlungskollektiven besser abzubilden. Ein idealer Schulter-Score sollte folgende Forderungen erfüllen: –– Unabhängigkeit von Diagnose, –– klar definierte Terminologie und Durchführbarkeitsmethode, –– leichte Verständlichkeit für Patienten, –– Kombination von subjektiven (Zufriedenheit, Schmerz) und objektiven Kriterien, –– exklusives Erfassen der Schulterfunktion mit möglichst geringer Beeinflussung durch Erkrankungen von HWS, Ellbogen oder Hand, –– einfache und schnelle Handhabung, –– gute Reproduzierbarkeit.  Bis heute gibt es aber für die Schulter leider keinen Score, der all diese Kriterien vereint. Daher werden für die meisten Publikationen mehrere Scores erhoben. Die am häufigsten zur Beurteilung der Rotatorenmanschette eingesetzten Scores werden in diesem Kapitel beschrieben und hinsichtlich ihrer Einsetzbarkeit bewertet. Daher wird auf einige der historisch wichtigen, aber inzwischen kaum noch eingesetzten Scores wie den Neer-Score [2] und den UCLA-Score [3] nicht mehr eingegangen. Ob statistisch signifikante Verbesserungen eines Score-Wertes für den Patienten auch eine relevante Verbesserung darstellen und ab welcher Veränderung des ScoreWertes er auch eine für ihn relevante Veränderung verspürt, werden zunehmend in der Forschung untersucht. Man kann MCID (Minimal Clinically Important Difference) [4,5] und SCB (Substantial Clinical Benefit) [4] unterscheiden. MCID bedeutet die Veränderung im Score, ab welcher der Patient eine Veränderung durch die Behandlung verspürt, SCB die Veränderung im Score, ab welcher der Patient eine für sich relevante Verbesserung sieht. Tashjian et al. [6] stellten fest, dass die MCID im Allgemeinen etwa 15–20 % des Maximal-Scores betragen. Kukkonen et al. [7] haben die MCID im Constant-MurelyScore (CS) bei Patienten nach Rotatorenmanschettenrekonstruktion untersucht und sind bei der Evaluation von 5 verschiedenen statistischen Erhebungsverfahren auf einen durchschnittlichen Wert von 10 gekommen. Jedoch wurden je nach angewandtem statistischem Verfahren Werte von 2 bis 16 gefunden. Dies große Streubreite zeigt, dass hier noch Forschungsbedarf besteht und das am besten geeignete Verfahren noch gefunden werden muss, da es offensichtlich nicht nur vom Score, sondern auch von der zugrundeliegenden Pathologie abhängt. Bereits publizierte Werte werden bei den einzelnen Scores mit erläutert.

12.1 Constant Murley Score (CS)  243

12.1 Constant Murley Score (CS) Der Constant Murley Score [8] wurde 1987 entwickelt und ist bei einer Pubmed Abfrage der in der Schulterchirurgie am häufigsten eingesetzte Score. Er hat für viele Schultererkrankungen eine hohe Aussagekraft [9], ist jedoch bei Patienten mit Schulterinstabilität nicht ausreichend empfindlich [10]. Für Erkrankungen der Rotatorenmanschette wird er gerne als Referenz für die Validierung neuer Scores eingesetzt. Er setzt sich zu 35 % aus subjektiven und zu 65 % aus objektiven Parametern zusammen. Maximal können 100 Punkten erreicht werden. Es werden vier bedeutsame funktionelle Bereiche der Schulterfunktion erfasst. Der Patient bewertet seine Schmerzen und Einschränkungen der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL), der Arzt / Therapeut misst die schmerzfreie Beweglichkeit und die Schulterabduktionskraft. Der höchste Wert kann nur durch junge gesunde Menschen erreicht werden [11].  Der empfundene Schmerz wird mit Hilfe einer visuellen Analogskala (VAS) von 0 Punkten bei stärksten Beschwerden und 15 Punkten bei Schmerzfreiheit über einen Zeitraum von 24 Stunden dokumentiert [11]. Für ADL werden jeweils 4 Punkte für die uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit und Freizeitaktivität, sowie 2 Punkte für den ungestörten Schlaf vergeben. Zusätzlich wird noch die Arbeitshöhe der Hand von 0 Punkten unterhalb der Taille bis zu 10 Punkten bei freier Überkopfarbeit bewertet [11]. Insgesamt können für ADL maximal 20 Punkte erreicht werden. Die Beurteilung der Schulterbeweglichkeit erfolgt ausschließlich im schmerzfreien Bewegungsumfang. Die problemlose Anteversion oder Flexion über 150° ergeben jeweils 10 Punkte, im Gegensatz dazu werden 0 Punkte vergeben, wenn ein Bewegungsgrad zwischen 0° und 30° vorliegt (siehe auch Abbildungen Fragebogen 1). Zur Beschreibung der Außen- und Innenrotation werden unterschiedliche Positionen der Hand und Ellenbogen bzw. der Handrücken auf anatomischen Landmarken, wie der Hinterkopf oder bestimmte Bezirke der Wirbelsäule genutzt und dafür zwischen 0 und 10 Punkte erteilt. Der maximal erreichbare Wert bei schmerzfreiem vollem Bewegungsumfang beträgt 40 Punkte. Leider existiert keine genaue Definition für die Durchführung der Kraftmessung i. S. der Beschreibung der genauen Position des Armes, Lokalisation des Widerstandes, sowie Dauer und Anzahl der Wiederholungen der Messungen. Die Kraftmessung kann entweder am sitzenden oder am stehenden Patienten vorgenommen werden, wobei wir die sitzende Position bevorzugen, da so Erkrankungen der unteren Extremitäten durch eine Beeinträchtigung des Standes weniger Einfluss nehmen können. Der gestreckte Arm wird in der Skapulaebene (bei 30° Anteversion) bis 90° abduziert, die Handfläche zeigt zum Boden und die Messvorrichtung wird direkt unter dem Handgelenk angebracht. Wenn Patienten diese Position des Armes nicht erreichen können, wird die Kraftmessung mit 0 Punkten bewertet [11]. Als Messgerät wurde von Constant primär eine Federwaage verwendet. Inzwischen wird jedoch die elektronische Messung mit Kraftanalysegeräten z. B. ISOBEX® (Cursor AG, Bern, Schweiz) [12] oder dem Nachfolgemodel IsoForceControl® emp-

244  12 Funktionsbeurteilung der Schulter: Scores

fohlen. Es werden drei Messungen im Abstand von einer Minute durchgeführt und das beste Ergebnis wird dokumentiert. Da immer beide Seiten im Wechsel gemessen werden sollen, kann sich jede Seite ausreichend erholen. Pro 0,5 kg erreichter Abduktionskraft wird 1 Punkt vergeben. Maximal sind 25 Punkte bei 12,5 kg erreichbar. Die beiden Messtechniken wurden durch Adolfsson und Johansson et al. 2005 [13] verglichen und zeigten nahezu gleiche Ergebnisse. Alle Untersuchungen zeigen, dass die Kraftmessung der eigentliche Schwachpunkt des CS ist, da unterschiedliche Stellen am Arm als Messpunkt verwendet werden und auch ein deutlicher Unterschied in der Kraftentwicklung abhängig von Alter und Geschlecht der Patienten besteht. Böhm et al. [14] haben in ihrer Studie bewiesen, dass selbst bei 25-jährigen Frauen mit normaler Schulterfunktion nie die volle Punktzahl bei Kraftmessung erreicht werden konnte. Zusätzlich wurde nachgewiesen, dass in beiden Geschlechtern die Kraft signifikant mit dem Alter abnimmt. Zur gleichen Schlussfolgerung kamen Gerber und Mitarbeiter. Es wurde an einem Kollektiv von 1.620 Probanden ein alters- und geschlechtsadaptierter Constant Score ermittelt [15] (Tab. 12.1). Tab. 12.1: Alters- und geschlechtsnormierter Constant-Score nach Gerber (Yian et al. 2005). Alter (Jahre)

Männer

Frauen

21–30

94

86

31–40

94

86

41–50

93

85

51–60

91

83

61–70

90

82

71–80

86

81

Die von Gerber gefundenen Werte erscheinen am ehesten passend zur wissenschaftlichen Anwendung. Der alters- und geschlechts-adaptierte CS muss in Prozent angegeben werden. Zur Berechnung des alters- und geschlechtsadaptierten CS wird der gemessene Rohwert durch den Wert aus der Tabelle dividiert = alters- und geschlechts-adaptierter CS%. Ein Beispiel: bei einer 75-jährigen Dame nach Schulter TEP wird ein Rohwert von 73 ermittelt. Der Normwert für eine Frau dieses Alters wäre laut Tabelle 81. Somit ergibt sich ein alters- und geschlechtsadaptierter CS von 73/81 also 90 %. Die Korrelation von Alter und CS wird mit r = 0,582 (p