Die Vereinten Nationen [Reprint 2018 ed.] 9783486786187, 9783486229097

1995 wurde die UNO 50 Jahre alt. Dies war nur vordergründiger Anlass einer Gesamtdarstellung.

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German Pages 241 [244] Year 1994

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Inhaltsverzeichnis
Geleitwort
Vorwort
Kapitel 1. Der Wandel des internationalen Systems: Neue Chancen, neue Herausforderungen und neue Probleme für die Vereinten Nationen
Kapitel 2. Die Erweiterung der Rolle der UNO von der bloßen Friedenssicherung zur Konfliktfrüherkennung, Friedensstiftung und Friedenskonsolidierung: Chance oder Sackgasse
Kapitel 3. Abrüstung
Kapitel 4. Reform der Weltwirtschaftsordnung und die Koordination der multilateralen Entwicklungshilfe
Kapitel 5. Umweltprobleme
Kapitel 6. Menschenrechte
Ausblick: Braucht die UNO neue Strukturen?
Anhang
Literaturverzeichnis
Personenverzeichnis
Sachverzeichnis
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Die Vereinten Nationen [Reprint 2018 ed.]
 9783486786187, 9783486229097

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Die Vereinten Nationen Von

Dr. Helmut Völger

R. Oldenbourg Verlag München Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Volger, Helmut: Die Vereinten Nationen / von Helmut Volger. - München ; Wien : Oldenbourg, 1994 ISBN 3-486-22909-5

© 1994 R Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver­ wertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über­ setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektroni­ schen Systemen. Gesamtherstellung: R Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München

ISBN 3-486-22909-5

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort .................................................................................................... Vorwort............................................................................................................

VIII XI

Kapitel 1 Der Wandel des internationalen Systems: Neue Chancen, neue Her­ ausforderungen und neue Probleme für die Vereinten Nationen........... 1.1. Die ersten 40 Jahre: Die UNO unter den Bedingungen des Kalten Krieges................................................................................................. 1.2. Die UNO im Zeichen der Kooperation der Supermächte ................

1 1 5

Kapitel 2 Die Erweiterung der Rolle der UNO von der bloßen Friedenssicherung zur Konfliktfrüherkennung, Friedensstiftung und Friedens­ konsolidierung: Chance oder Sackgasse?.................................................... 11 2.1. Der Golf-Konflikt: Ein Sieg der Vereinten Nationen?...................... 11 2.1.1. Die Situation nach der Militäraktion der Alliierten Kuwaits . 11 2.1.2. Die Militäraktion in Kuwait und Irak: Aktion im Namen der UN oder eine Aktion kollektiver Selbstverteidigung?........... 15 2.1.3. Lehren aus der Golfkrise für die Friedenssicherung in den Vereinten Nationen.................................................................... 20 2.2. Der Fall Jugoslawien - Versagen des Krisenmanagements der Vereinten Nationen? ............................................................................ 32 2.3. Somalia: Friedenssicherung als Wiederaufbau der Demokratie? ... 49 2.3.1. Lehren aus dem Fall Somalia ................................................. 57 2.4. Der Fall Kambodscha: Das ehrgeizigste Projekt der Friedens­ sicherung der Vereinten Nationen....................................................... 60 2.5. Bilanz der übrigen Friedensmissionen................................................. 67 2.6. Die Rolle der Vereinten Nationen im Nahostkonflikt ...................... 76 2.7. Die Debatte über die deutsche Beteiligung an UN-Friedenstruppen . 78 2.7.1. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 .................................................................... 81 2.8. Friedenssicherung zwischen Großmachthegemonie und globaler Kooperation ......................................................................................... 84

VI 2.8.1. Neue Konzepte der Friedenssicherung der Vereinten Nationen 2.8.1.1. Das Aide-memoire der UdSSR von 1988 ........................ 2.8.1.2. Die Erklärung des Gipfeltreffens des Sicherheitsrats vom 31. Januar 1992 ................................................................ 2.8.1.3. Die „Agenda für den Frieden“ ........................................ 2.8.1.4. Multilaterale Friedenssicherung statt Unilateralismus ... 2.8.2. Die Friedenssicherung der Vereinten Nationen und die Fortentwicklung des Völkerrechts...........................................

87 87 89 91 96 98

Kapitel 3 Abrüstung ........................................................................................................ 102 3.1. Die Funktionen der Vereinten Nationen im Abrüstungsbereich . . . 106 3.2. Die Chemiewaffen-Konvention............................................................. 113 3.3. Das UN-Register für konventionelle Waffen........................................ 114 3.4. Das Atomteststop-Moratorium der fünf ständigen Sicherheitsrats­ mitglieder ................................................................................................ 117 3.5. Die Kontrolle der Abrüstung im Irak...................................................118 3.6. Der Atomwaffensperrvertrag................................................................ 118 Kapitel 4 Reform der Weltwirtschaftsordnung und die Koordination der multilateralen Entwicklungshilfe................................................................... 121 4.1. Die Organisationsstrukturen der Weltwirtschaft...................................121 4.1.1. Weltbank und Internationaler Währungsfonds...........................121 4.1.2. Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) .... 125 4.1.3. Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Ent­ wicklung (UNCTAD) ................................................................ 130 4.1.4. Die Rolle von UNIDO, UNCDF und UNDP in der multi­ lateralen Entwicklungshilfe der Vereinten Nationen ................ 131 4.2. Die Auseinandersetzung in der UNCTAD um die Neue Weltwirt­ schaftsordnung (NWWO)..................................................................... 136 4.3. Die ökonomische und soziale Situation der Dritten Welt Anfang der neunziger Jahre................................................................................ 145 4.4. Die Interessenlage der Industrieländer innerhalb der Weltwirtschaftsordnung: Dominanz oder Interdependenz...........................147

Kapitel 5 Umweltprobleme..............................................................................................194 5.1. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP ......................149 5.2. Umweltschutz, Entwicklungshilfe und Weltwirtschaftsordnung . 151 5.3. Der Schutz der Ozonschicht und die Frage der weltweiten Klimaveränderungen........................................................................ 154 5.4. Die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung UNOED 1992 . 156 5.4.1. Die Umsetzung der Beschlüsse von UNOED 1992 ................ 161 5.5. Die Koordination des internationalen Umweltschutzes durch die UNEP - Eine vorläufige Bilanz......................................................164 Kapitel 6 Menschenrechte................................................................................................ 170 6.1. Die Menschenrechts-Konventionen der Vereinten Nationen................ 171 6.2. Die Fortentwicklung der Menschenrechte ...........................................175 6.3. Das System des Menschenrechtsschutzes in den Vereinten Nationen 177 6.4. Die Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 ...................................... 181 6.5. Die Debatte um den Internationalen Strafgerichtshof........................... 185 6.5.1. Der Internationale Strafgerichtshof für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien........................................................ 186 Ausblick: Braucht die UNO neue Strukturen? ........................................... 188 Anhang Struktur des UN-Systems ..............................................................................193 Abkürzungsverzeichnis................................................................................... 194 Literaturverzeichnis........................................................................................ 198 Personenverzeichnis ........................................................................................223 Sachverzeichnis................................................................................................225

Geleitwort Nie zuvor haben die Vereinten Nationen so viel Aufmerksamkeit gewonnen, nie zuvor haben sich mit ihnen so viele Hoffnungen verbunden, nie zuvor haben sie aber auch so viel Enttäuschung und Kritik hervorgerufen, wie in den letzten Jahren. Gleichzeitig sind sie für die Öffentlichkeit nach wie vor ein weitgehend unbekanntes Wesen. Gerade in Deutschland bedarf es angesichts der verstärkten Orientierung der deutschen Außenpolitik auf die Vereinten Nationen dringlich einer der breiteren Öffentlichkeit vermittelbaren Klärung der Frage, was die Ver­ einten Nationen tatsächlich sind und was nicht, und was sie vielleicht werden können und was nicht. Dieser Frage geht Helmut Volger mit seiner eingehenden Analyse nach. Für die Befassung mit ihr dürfte es nützlich sein, sich vorab auf ein paar grundlegende Tatsachen zu besinnen. Als erstes gehört zu ihnen der Tatbestand, daß die Vereinten Nationen ein multilateraler Staatenverbund eigener Art sind. Und wie die Geschichte internationaler Beziehungen, einschließlich der Geschichte des Völkerbundes zwischen den beiden Weltkriegen, zeigt, sind sie eine Staa­ tenverbund neuer Art. Von Verbünden der traditionellen Art unterscheiden sie sich auf doppelte Weise. Einmal hatten und haben multilaterale Staatenverbünde immer ausschließlich oder teilweise den Zweck, die gemeinsamen Interessen der an ihnen teilnehmen­ den Staaten nach außen zu vertreten. Die Vereinten Nationen hingegen haben keine Außenwelt. Die in der UNO (“United Nations Organization”) vereinten Nationen bilden die Staatengemeinschaft der Welt. Existenz und Zweck der UNO sind somit universal bestimmt. Die UNO unterscheidet sich zudem von anderen multilateralen Staatenver­ bünden dadurch, daß ihr als universaler Organisation die den anderen Verbünden durch ihre gemeinsamen Interessen eigentümliche Homogenität und Tragfähigkeit zwangsläufig fehlt. Die UNO ist daher, obwohl aus Staaten gebildet, weniger eine Staatenorganisationen, sie ist mehr ein System. Es ermöglicht den Staaten der Welt, ihre Beziehungen untereinander besser als bisher zu gestalten und auch zu verbessern, und schließlich auch gemeinsame Lösungen für universale Probleme zu finden. Die UNO besteht seit einem halben Jahrhundert. Sie hat bisher manche der bei ihrer Gründung erhofften Möglichkeiten nicht nutzen können. Sie hat sich aber andererseits aber auch manche Möglichkeiten, an die bei ihrer Gründung niemand hatte denken können oder wollen, neu geschaffen. Für die heutige Beurteilung der UNO ist bedeutsam, daß trotz dieser Entwicklungen ihre völkerrechtliche Grund­ lage, die „Charta der Vereinten Nationen“, und ihre politische und Organisator!-

Geleitwort

IX

sehe Grundstruktur bis heute unverändert blieben. Und auch die für sie vorgese­ hene Aufgabenstellung hat sich nicht verändert, sondern nur beträchtlich erwei­ tert. Die UNO ist auf Einmaligkeit und auf Dauer angelegt. Es ist kaum vorstellbar, daß sich eine zweite Staatenorganisation solch universalen Zuschnitts anstelle oder neben der UNO entwickeln könnte. Keine auf universale Problemlösungen zielen­ de Politik wird daher heute und künftig ohne die UNO verwirklicht werden können. Und alles Bemühen um eine Verbesserung der Möglichkeiten zur Lösung globaler Probleme wird daher immer und in erster Linie auf eine Verbesserung der Möglichkeiten der UNO zielen müssen. Die UNO ist nicht für die heutige internationale Lage und für die sich in ihr stellenden Aufgaben geschaffen worden. Sie ist ein Produkt der Welt- und Inter­ essenlage am Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie entstand aus dem Geist eines angelsächsisch-freiheitlichen Idealismus und aus dem Willen der führenden Großmächte, die Welt so wiederherzustellen, wie sie vor 1939 gewesen war, und sie so sicher zu machen, daß sich eine Katastrophe wie der Zweite Weltkrieg nicht wiederholen könne. Die militärische Sicherheit ist das in der UNO-Charta am eingehendsten behandelte Thema. Die UNO war seit ihrer Gründung in den vier Jahrzehnten des Kalten Krieges zwischen den von den beiden Supermächten USA und Sowjetunion geführten Militärblöcken militärisch paralysiert und politisch stark eingeschränkt. Später wurde diese Auswirkung des Ost-West-Konflikts durch den zusätzlich entstande­ nen Nord-Süd-Konflikt verstärkt. Doch war die UNO in dieser Zeit gleichwohl auf vielen Gebieten durchaus erfolgreich. Durch den Kalten Krieg war eine von den beiden Supermächten und ihrem jeweiligen Anhang getragene bipolare Weltordnung entstanden. In ihr hatten alle Staaten, sei es innerhalb des Kalten Krieges, sei es ihm gegenüber, ihre festen Plätze bzw. Interessenlagen. Dadurch hatte die bipolare Weltordnung auf ihre Weise die machtpolitischen Zusammenhänge in der Weltpolitik auch einigermaßen stabilisiert. Seit dem Ende des Kalten Krieges und damit dieser Weltordnung ist nicht, wie dies teilweise angenommen oder erhofft worden war, eine neue Welt­ ordnung, sondern eine offene Situation entstanden. Offenkundig ist, daß sich in ihr weiterhin die wichtigen internationalen Proble­ me immer mehr globalisieren. Fragen wie etwa die der Ernährung, der Erhaltung der Lebensgrundlagen, der Friedenssicherung usw. werden immer mehr zu globa­ len Fragen, auf die globale Antworten gefunden werden müssen. Die sich globali­ sierende Welt-Problem-Lage präsentiert sich also, um einen geläufigen Begriff

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Geleitwort

aufzunehmen, als „weltinnenpolitisch44. Doch offenkundig ist auch, daß die auf der Welt für eine Lösung dieser Probleme vorhandenen Kompetenzen und Poten­ zen auch in der neuen Weltlage bisher mitnichten zu einer auch nur einigermaßen gemeinsamen „weltinnenpolitischen44 Kraft zusammenfinden. Vielmehr scheint sich nach dem Ende der Bipoiarität von zwei Staatenblöcken nun in der Staa­ tenwelt eine vielfältige Multipolarität zu entwickeln. Offenkundig ist ferner, daß seit dem Ende des Kalten Krieges die Anwendung von militärischer Gewalt immer häufiger zu einem Mittel der Politik wird. Und offenkundig ist zudem, daß dabei gerade diejenigen Staaten, die hierzu in der Lage und willens sind, die UNO weniger als eine Organisation sehen, die im Namen und im Interesse der Staatengemeinschaft als solcher handelt, sondern mehr als einen rechtlichen und organisatorischen Rahmen für eigenes Handeln gemäß eigenen Interessen. In der neuen offenen Weltlage ist auch die Zukunft der UNO offen. Versuche, die UNO in der neuen Weltlage neu einzuschätzen, fuhren gelegentlich zu Fehl­ einschätzungen. Dies zeigte sich in Deutschland z.B. bei der Auseinandersetzung über Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der UNO und bei der Diskussion über einen ständigen Sitz für Deutschland im UNO-Sicherheitsrat. Im ersten Falle zeigten sich überhöhte Einschätzungen der Bedeutung militärischer Aktionen für die deutsche Außenpolitik und im Blick auf den Gesamtbereich der Arbeit der UNO. Im zweiten Falle zeigte sich eine überhöhte Einschätzung der Möglichkei­ ten, innerhalb der UNO politisch-strukturelle Veränderungen herbeiführen zu können. Mehr denn je ist heute für den außenpolitischen Diskurs in Deutschland eine sachliche Beurteilung der gegenwärtigen Möglichkeiten der UNO und der eventu­ ellen Chancen, sie zu verbessern, erforderlich. Der Weg zu ihr kann nur über eine Analyse der Schwerpunkte der der UNO gestellten Aufgaben vor dem Hintergrund der Entwicklung der UNO seit dem Endes des Kalten Krieges füh­ ren. Diesen Weg geht Helmut Volger in seinem Buch mit großer Sachkenntnis, Umsicht und Sorgfalt. Hans Arnold

Botschafter a.D. Dr. Hans Arnold gehörte dem Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland von 1951 bis 1986 an, unter anderem als deutscher Vertreter bei der UNO in Genf. Er lebt heute als Publizist bei München und ist Mitglied des Präsidiums der „Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen“.

Vorwort „Mit dem Ende der bipolaren Ära wurde ein neues Kapitel der Geschichte eröffnet, und die Staaten sehen die Vereinten Nationen nunmehr wieder als ein Instrument zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Si­ cherheit, zur Förderung der Gerechtigkeit und der Menschenrechte und zur Verwirklichung ,des sozialen Fortschritts und eines besseren Lebensstandards in größerer Freiheit4, entsprechend dem Wortlaut der Charta ... So läßt sich zu Beginn meiner Amtszeit als Generalsekretär das Aufkeimen einer neuen Hoffnung unter den Nationen der Welt feststellen, einhergehend mit der Erkenntnis, daß sich hier eine ungeheure Chance bietet, die es zu nutzen gilt. Nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die Völker der Welt so hohe Erwartungen in die Fähigkeit der Vereinten Nationen gesetzt, von breiter Unterstützung getragene wirksame Maßnahmen zu ergreifen.441 UN-Generalsekretär Boutros-Ghali macht sich in seinen Reden und Vorträgen seit seinem Amtsantritt zum Fürsprecher der neuen Chancen und Aufgaben der Vereinten Nationen. Sind aber die Hoffnungen und Erwartungen nicht unrealistisch angesichts der Probleme der UN-Friedenstruppen in Jugoslawien? Es gilt Augenmaß bei der Beurteilung der UNO zu bewahren: Galt es früher, die UNO vor den Kritikern in Schutz zu nehmen, die der UNO ihre Macht- und Hilflosigkeit in der Friedenssicherung aufgrund der Blockierung des Sicherheits­ rats durch die Haltung der Großmächte bis zum Ende des Kalten Krieges vor­ warfen und dabei übersahen, daß die UNO in dieser Pattsituation dennoch viele Schlichtungn und Friedenssicherungsfunktionen erfüllen konnte, so gilt es jetzt vor übertriebenen Hoffnungen in der Friedenssicherung zu warnen, d.h. die Gren­ zen der UNO zu erkennen. Sie ist keine Weltregierung, der die Mitgliedstaaten wesentliche Souveränitätsanteile übertragen haben, sondern eine Versammlung von Delegierten der Re­ gierungen der 184 Mitgliedstaaten mit höchst unterschiedlichen Interessen. Die Mitgliedstaaten haben in der Charta dem UN-Sicherheitsrat für die Aufgabe der Friedenssicherung bestimmte Sanktionsmöglichkeiten eingeräumt und in den übri­ gen Bereichen internationaler Probleme, von der Weltwirtschaft über den Um­ weltschutz bis zur Abrüstung, ein dichtes Netzwerk internationaler Organisationen

1 Boutros Boutros-Ghali, Bericht des Generalsekretärs über die Tätigkeit der Vereinten Nationen an die 47. Generalversammlung, Offizielles Protokoll: Siebenundvierzigste Tagung, Beilage Nr. 1 (A/47/1), Vereinte Nationen, New York 1992 (Offizielle deutsche Übersetzung, Original in Englisch vom 11.9.1992), S. 1.

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Vorwort

innerhalb des Systems der Vereinten Nationen geschaffen, in welchem Ver­ handlungsmechanismen zu internationalen Verträgen fuhren. Die Probleme im Krisenmanagement und der Friedenssicherung, unter denen die UNO zur Zeit in Jugoslawien und anderen Einsatzgebieten leidet, bergen die Gefahr in sich, daß die öffentliche Meinung in den Staaten der Welt in einen un­ differenzierten UNO-Skeptizismus zurückfallt. Deshalb ist eine nüchterne Analyse der Starken und Schwächen, der Möglich­ keiten und Grenzen der UNO nützlich. Denn um wirksam arbeiten zu können, braucht die UNO die Unterstützung der öffentlichen Meinung in den Mitglied­ staaten. Ich danke den Professores Christian Tomuschat und Klaus Hüfner für ihre Anregungen und Kritik und meiner Frau Anna Volger für ihre Unterstützung beim Schreiben des Manuskripts.

Berlin, im Juli 1994

Helmut Volger

Kapitel 1 Der Wandel des internationalen Systems: Neue Chancen, neue Herausforderungen und neue Probleme für die Vereinten Nationen 1.1.

Die ersten 40 Jahre: Die UNO unter den Bedingungen des Kalten Krieges

Vierzig Jahre hatten die Vereinten Nationen unter relativ konstanten Bedingungen des internationalen Systems gearbeitet: die Bipolarität des Ost-West-Konflikts, daneben die Staaten der Dritten Welt, die sich zum Teil in das Ost-West-Kräfte­ verhältnis einbinden ließen oder als Teil der Bewegung der Blockfreien den mehr oder minder erfolgreichen Versuch machten, eine dritte, neutrale Position zwi­ schen beiden Machtblöcken einzunehmen. Bei Intra-Block-Konflikten wie dem Aufstand 1956 in Ungarn war sowohl wegen der Vetomacht der betroffenen Großmacht wie auch wegen des militäri­ schen Patts der Paktsysteme kein Eingreifen der UNO möglich. Auch bei Kon­ flikten außerhalb des Gebietes der beiden Paktsysteme Nato und Warschauer Pakt war die Friedenssicherungsfunktion des Sicherheitsrats - bis auf wenige Aus­ nahmen wie den Konflikt im Kongo oder den Nahostkonflikt - blockiert, obwohl es nach der Zählung der Friedensforschung über 150 militärische Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg gab.1 Aus dieser Lage heraus - der Blockade der in der UN-Charta vorgesehenen Friedenssicherung durch Maßnahmen der Streitschlichtung nach Kapitel VI und im Falle der akuten Friedensbedrohung oder eines völkerrechtswidrigen Angriffs durch wirtschaftliche und militärische Sanktionen nach Kapitel VII - entwickelte UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld pragmatisch die UN-Friedenstruppen, welche die unter den gegebenen Bedingungen einzig mögliche - sehr wichtige Aufgabe übernahmen, welche die Zustimmung des Sicherheitsrats und der betrof­ fenen Staaten fand, nämlich die Waffenstillstandslinien nach kriegerischen Kon­ flikten zu sichern, mit der Hoffnung, eine allmähliche Befriedung unter UN-

1 So ermittelten Klaus Jürgen Gantzel und Jörg Meyer-Stamer mit ihrer Arbeitsgruppe für Kriegs­ ursachenforschung für den Zeitraum von 1945 bis 1984 159 kriegerische Konflikte, davon 150 in Regionen der Dritten Welt; es handelte sich zu 60% um innerstaatliche Bürgerkriege, der Rest ver­ teilte sich auf internationale zwischenstaatliche Kriege und Dekolonisationskonflikte, neun der Kriege wurden in Europa ausgetragen, der Rest in der Dritten Welt; vgl. dazu Klaus Jürgen Gantzel/Jörg Meyer-Stamer (Hrsg.), Die Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende 1984, München/Köln/London 1986.

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Kapitel 1: Der Wandel des internationalen Systems

Vermittlung herbeiführen zu können. Zugleich machte die militärische und ideologische Patt-Situation die UNO für lange Zeit in einem weiteren Aufgabengebiet nahezu arbeitsunfähig, in der Abrü­ stung. Die Abrüstungsgremien der UNO mit wechselnden Namen und wechseln­ der Zusammensetzung waren lange Jahre der Ort endloser und fruchtloser Debat­ ten, sie wurden dann allerdings zunehmend - trotz der konkreten Macht- und Einflußlosigkeit in Bezug auf die Militärpolitik der Großmächte und Militärpakte eine Ideenfabrik und Teststation für die allmählich im Zuge der Entspannung ein­ setzenden bilateralen Verhandlungen über die nukleare Abrüstung zwischen den USA und der UdSSR. Nicht gelähmt durch den Ost-West-Konflikt, sondern z.T. sogar gefordert durch das Bemühen der Großmächte, die Staaten der Dritten Welt für ihre jeweiligen außenpolitischen Zwecke zu gewinnen, wurde der Ausbau des UN-Systems in Bezug auf entwicklungspolitische Zielsetzungen. Es kam zur Gründung einer Vielzahl von UN-Organisationen bzw. UN-Programme mit entwicklungspoliti­ schen Aufgaben. Allerdings führten die neugegründeten Organisationen - wie UNCTAD, UNDP, UNIDO, UNCDF - trotz der großen Hoffnungen, welche die Staaten der Dritten Welt in sie setzten, weil sie dort nach dem Prinzip „ein Land - eine Stimme44 als Block der Dritte-Welt-Länder eine solide Mehrheit gegenüber den westlichen Industrieländern besaßen, wegen des Widerstandes der westlichen Industrieländer gegen eine Veränderung der bestehenden Weltwirtschaftsordnung und wegen der Tatsache, daß sie in den finanzstarken Organisationen der Welt­ wirtschaft - Weltwährungsfonds und Weltbank - durch das Stimmrecht nach Kapi­ taleinlage über ein großes Stimmenübergewicht verfügten, zu keinen wirklichen Fortschritten in diesem Bereich, sondern die wirtschaftliche und soziale Kluft zwi­ schen Erster und Dritter Welt verbreiterte sich stetig. Versagte die UNO also während der ersten vierzig Jahre bei der Aufgabe, die Weltwirtschaft zugunsten der Entwicklungsländer umzustrukturieren, bestand ihre wichtige, nicht zu unterschätzende pragmatische Arbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet in der unmittelbaren Katastrophenhilfe, in der Erforschung wirt­ schaftlicher, medizinischer, sozialer und kultureller Mangelerscheinungen und Krisensymptome und in der Entwicklung strategischer Hilfsprogramme, die allerdings in ihrer Ausführung oft gebremst wurden durch den chronischen Geldmangel der UNO-Programme und Sonderorganisationen. Am ehesten sichtbar und wirksam war in diesen vier Dekaden die Arbeit der UNO auf dem Gebiet des Völkerrechts: Hier konnte sie eine Vielzahl von inter­ nationalen Konventionen auf den verschiedensten Sachgebieten wie z.B. Schiff-

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fahrt, Handelsrecht, Patentschutz erarbeiten. Noch wichtiger für die Weltgemein­ schaft war es, daß sie eine Reihe von Menschenrechtskonventionen verabschieden konnte, die neue Maßstäbe humanitären Völkerrechts für die Staatengemeinschaft setzten, wenn auch die Überwachung und Durchsetzung der Konventionen weitge­ hend den Staaten überlassen blieb, jedoch zunehmend durch die Arbeit von Menschenrechtsgremien der UNO wirksam ergänzt wurde, vor allem mit dem Instrument des politischen Drucks durch die öffentliche internationale Diskussion in den Menschenrechtsgremien und in der Generalversammlung der UNO. In Bezug auf die Organisationsstrukturen hatte das Patt des Ost-West-Konflikts und die taktische Rücksichtnahme der Großmächte auf die Staaten der Dritten Welt zu einer bürokratischen Aufblähung des UN-Systems geführt, welche die USA als Hauptbeitragszahler zu Beginn der 80er Jahre zu einer über Jahre fort­ gesetzten teilweisen Beitragsverweigerung veranlaßte, um die UNO zur Durch­ führung von Reformen im Bereich Personalstruktur und Haushaltswesen zu zwingen2, obwohl der Hauptgrund der Beitragsverweigerung die wachsende Unzufriedenheit konservativer politischer Kreise der USA war über Resolutionen der UN-Vollversammlung, wo der Westen mit seiner Stimmgruppe durch die Gruppe der Dritte-Welt-Länder immer häufiger Abstimmungsniederlagen erlitt, z.B. in Bezug auf Südafrika oder den Nahostkonflikt. Im Sicherheitsrat verhin­ derte die USA durch ihr Veto - oft unterstützt von Großbritannien - wiederholt die Verhängung von Sanktionen gegen die Republik Südafrika und die Verab­ schiedung von Resolutionen, welche die israelische Nahostpolitik kritisierten, aber auch die Kritik eigener militärischer Interventionen, z.B. in Panama, Grenada und Libyen.3

2 So beschloß der US-Kongreß 1985 das sog. Kassebaum-Amendment (US Public Law 99-93, Section 143), nach dem die USA statt des auf sie entfallenden Beitragsanteils am regulären UN-Haushalt von 25 % von 1987 an nur noch 20% zahlen durfte, solange nicht für Haushaltsentscheidungen in der UNO ein System der Stimmenwägung eingefühlt würde, welches das Stimmengewicht an die Beitrags­ leistung koppelt. Vgl. Christian Tomuschat, Die Krise der Vereinten Nationen, in: Europa-Archiv, Folge 4/1987, S. 97-106, S. 103. 1 So legten die USA zwischen 1946 und 1970 einmal ein Veto ein, zwischen 1970 und 1982 34 Vetos, zwischen 1983 und 1990 ebenfalls 34. Von den letzteren waren 16 Vetos zugunsten Israels, sieben Vetos verhinderten die Verhängung bindender Sanktionen nach Kap. VU der UN-Charta gegenüber Südafrika, die übrigen elf Vetos der USA dienten dem Schutz vor einer direkten namentlichen Verurteilung der USA im Sicherheitsrat in Zusammenhang mit Grenada, Nicaragua, Panama und Libyen. Vgl. dazu Volker Löwe, Die Vetos im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (1983-1990), in: Vereinte Nationen, H. 1/1991, S. 11-15.

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Kapitel 1: Der Wandel des internationalen Systems

Darüberhinaus traten die USA zum 31.12.1984 aus der UNESCO aus und zogen 1985, als eine Klage Nicaraguas gegen die USA vor dem Internationalen Ge­ richtshof (IGH) anhängig wurde, ihre Unterwerfungserklärung unter die obli­ gatorische Gerichtsbarkeit des IGH zurück. Ein ähnliches Verhalten gegenüber der UNO legte die UdSSR an den Tag. Ähnlich wie die USA setzten sie ihr Veto im Sicherheitsrat ein, wenn Resolutio­ nen nicht ihren Interessen entsprachen - allerdings seit den 70er Jahren erheblich seltener als die USA - 10 Vetos von 1970 bis 1990 im Vergleich zu 68 Vetos der USA im gleichen Zeitraum.4 Zugleich versuchte sie durch Unterstützung vieler Resolutionen der Dritten Welt in der Generalversammlung taktische Vorteile gegenüber dem Westen zu erreichen. Dennoch konnte sie ab 1979 wiederholte Verurteilungen ihrer Invasion in Afghanistan durch Resolutionen der Generalver­ sammlung nicht verhindern. Ebenso wie die USA betrieb die UdSSR eine Politik der Beitragskürzung zum UN-Haushalt: Sie kürzte ihre Pflichtbeiträge seit vielen Jahren um jene Beträge, die dem proportionalen Anteil an denjenigen UN-Aktivitäten entsprach, die sie nicht guthieß, leistete zu den meisten Peacekeeping Operations und vielen ent­ wicklungspolitischen Programmen keinen Finanzbeitrag5 und hatte die obligato­ rische Jurisdiktion des Internationalen Gerichtshofs nicht anerkannt. So befand sich die UNO Mitte der 80er Jahre in einer mehrfachen Krise: Sie litt unter einem Mangel an Glaubwürdigkeit gegenüber den Staaten der Dritten Welt, weil sie deren Hoffnungen auf eine neue Weltwirtschaftsordnung nicht erfüllt hatte6, einem Mangel an Anerkennung in der politischen Öffentlichkeit in den USA, die sie vorwiegend als Forum und Instrument der Dritten Welt zur Durchsetzung ihrer Gruppeninteressen ansah, einem Mangel an Effizienz und Koordination aufgrund ihres riesigen, schwerfälligen bürokratischen Apparats und sie stand vor dem finanziellen Kollaps aufgrund der großen Zahlungsrückstände der USA und der UdSSR, aber auch vieler kleiner Beitragszahler. Die offenkundigen Probleme und Mißstände in den Vereinten Nationen lösten eine große Zahl von Effizienzanalysen und Reformstudien sowohl innerhalb der

4 Vgl. ebd., S. 11. 5 Zu den Zahlungen der UdSSR an die Vereinten Nationen 1979-1990 vgl. die Übersichten in Joachim W. Müller, Reform of the United Nations, New York etc. 1992, Bd. 1, S. 548ff. 6 Vgl. Christian Tomuschat, Die Krise der Vereinten Nationen, a.a.O., S. 98f.

Kapitel 1: Der Wandel des internationalen Systems

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UNO7 als auch von den unterstützenden nationalen UN-Fördergesellschaften8 und von mit der UNO befaßten Forschem9 aus, welche vor allem die organisato­ rischen Mängel des UN-Systems analysierten und Reformvorschläge für deren Be­ seitigung machten, die bei ihrer Realisierung allerdings bestenfalls Haushaltsein­ sparungen und eine bessere Koordination des UN-Systems im wirtschaftlichen und sozialen Bereich erbracht hätten. Die beiden Hauptprobleme, die mit keinen Reformstudien zu lösen waren, bildeten jedoch die Beitragsverweigerung der USA und der UdSSR und die Blockade des Sicherheitsrats durch die Politik der Konfrontation der USA und der UdSSR, die viele Konfliktschlichtungs- und Friedenssicherungschancen der UN zunichte machte.10

1.2.

Die UNO im Zeichen der Kooperation der Supermächte

Erst eine tiefgreifende Veränderung der UN-Politik der UdSSR als ein Schlüssel­ element des außenpolitischen Konzepts von Gorbatschow ermöglichte eine Über­ windung der Blockade des Sicherheitsrats: Der Kurswechsel der UdSSR in bezug auf die UNO wurde zuerst in einem Prawda-Artikel Gorbatschows vom 17.9.1987 mit dem Titel „Realität und Garantien für eine sichere Welt - Vorschläge für ein effizienteres VN-System“11 angekündigt. Gorbatschow schlug vor, das UN-System

7 Vgl. A New United Nations Structure for Global Cooperation, UN Doc. A/AC.62/9 vom 28.5.1971; Restructuring of the United Nations and the United Nations System, GA Res. 32/197 und Annex vom 20.12.1977, UN GAOR 32nd Sess., Suppl. 45; Report of the Committee of Governmental Experts to Evaluate the Present Structure of the Secretariat in the Administrative, Finance and Personnel Areas, UN Doc. A/37/44 vom 3.11.1982; Some Reflections on Reform of the United Nations, UN Doc. JIU/REP/85/9 = UN Doc. A/40/988, 1985 (= „Bertrand-Berichl“); Reportes the Group of HighLevel Intergovernmental Experts to Review the Efficiency of the Administrative and Financial Functioning of the United Nations, UN GA Res. 41/213, UN GAOR 4Ist. Sess., Suppl. 49. 8 Vgl. z.B. United Nations Association of the USA, A Successor Vision: The United Nations of Tomorrow, Final Panel Report of the United Nations Management and Decision Making Project, New York 1987. 9 Vgl. z.B. Thomas M. Franck, Nation Against Nation: What Happened to the U.N. Dream and What the U.S. Can Do about It, New York 1985; Klaus Dicke/Klaus Hüfner, Die Leistungsfähigkeit des VN-SySterns: Politische Kritik und wissenschaftliche Analyse (DGVN-Texte 37), Bonn 1987; John P. Renninger, Improving the United Nations System, in: Journal of Development Planning, vol. 17 (1987), S. 143-163; David Steele, The Reform of the United Nations, London u.a. 1987. 10 Vgl. Christian Tomuschat, Die Krise, a.a.O., S. 98. 11 Vgl. Michail Gorbatschow, Realitäten und Garantien für eine sichere Welt - Vorschläge für ein effizienteres VN-System, in: Pravda, 27.9.1987, abdruckt auf Deutsch in: Neue Zeit, 39/1987, nach­ gedruckt in: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (Hrsg ), Zur Diskussion gestellt Nr. 14, April 1988.

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effizienter zu gestalten durch eine Stärkung des Sicherheitsrats. Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats sollten regelmäßig auf Außenministerebene tagen, ein multilaterales Krisenzentrum einrichten zum effektiven Krisenmanagement und eine Garantierolle für die Sicherheit in den einzelnen Weltregionen übernehmen. Die konfliktvorbeugende und ftiedenssichemde Aufgabe der UN-Friedenstruppen solle ausgebaut werden. Die Kompetenzen des Internationalen Gerichtshofs sollten gestärkt werden, indem die fünf ständigen Mitglieder dessen Rechtsprechung als verbindlich anerkennen. Weiter ausgeführt und ergänzt wurde Gorbatschows UNReformkonzept 1988 in einem Aide-memoire mit dem Titel „Umfassende Si­ cherheit durch die Verstärkung der Rolle der Vereinten Nationen4412: Der Autor des Aide-memoire, der Stellvertretende Außenminister der UdSSR Petrovsky, befürwortete eine Ausweitung der Peacekeeping Operations der UN, er schlug periodische Sitzungen des Sicherheitsrats auf Außenministerebene vor, die präven­ tive Entsendung von UN-Beobachtem in Konfliktregionen der Welt nach Ab­ sprache mit den dortigen Regionalorganisationen oder auf Antrag eines betroffe­ nen Staates, die Stärkung der Rolle des UN -Generalsekretärs durch Initiativrechte gegenüber dem Sicherheitsrat in Bezug auf die Prävention und friedliche Schlich­ tung von Konflikten, sowie eine Reform des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC).13 Im Dezember 1988 trug Gorbatschow das neue Konzept der sowjetischen UNPolitik persönlich auf der 43. UN-GeneralVersammlung vor: So schlug er die Überwachung der Waffenruhe in Afghanistan durch UN-Friedenstruppen und die Einberufung einer UN-Afghanistan-Konferenz vor14 und forderte die Stärkung der UN und eine „De-Ideologisienmg der Beziehungen zwischen den Staaten44. Er kritisierte die Erstarrung der UN im Kalten Krieg und betonte ihre neue Rolle: „Leider befand sie sich seit ihrer Gründung unter dem Druck des ,Kalten Krie­ ges4. Für lange Zeit wurde sie zum Austragungsort propagandistischer Schlachten und zur Stätte der Kultivierung politischer Konfrontation. Mögen die Historiker darüber streiten, wer daran mehr und wer weniger schuld hat. Die Politiker jedoch müssen heute die Lehren aus diesem Kapitel der Geschichte der Vereinten Nationen ziehen, das zum Wesen und zum Anliegen der UNO in Widerspruch steht. Eine der wichtigsten und bittersten Lehren ist die lange Liste vertaner

12 Toward comprehensive security through the enhancement of the role of the United Nations, UN Doc. A/43/629 (1988), UN GAOR 43rd Session, Annex, (Agenda Items 73,78 und 136). 13 Ebd. 14 Rede von Michail Gorbatschow vor der 43. UN-Generalversammlung am 7.12.1988 in New York, abgedruckt in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 2/1989, S. 234-250, S. 242.

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Möglichkeiten und - als Folge davon - das sinkende Ansehen der UNO in einer gewissen Etappe sowie die Ergebnislosigkeit vieler Versuche zu handeln ... Der UNO eröffnen sich neue Möglichkeiten in allen Bereichen, die natürlich in ihren Kompetenzbereich fallen: dem militärpolitischen, dem ökonomischen, dem wissenschaftlich-technischen, dem ökologischen und dem humanitären Bereich.“ 15 Im Februar 1989 informierte die UdSSR am 28.2.1989 in einem Brief ihres Außenministers den UN-Generalsekretär, daß sie sich in bezug auf sechs Men­ schenrechtskonventionen ohne Vorbehalte der obligatorischen Rechtsprechung des ICH unterwerfe.16 Desweiteren begann die UdSSR, ihre rückständigen Beiträge zum regulären UN-Haushalt und zu den Friedenssicherungsmissionen der UNFriedenstruppen zu bezahlen. Die USA reagierte auf das sowjetische Angebot zur Zusammenarbeit in der UNO zögernd. So betonte Präsident Reagan in seiner Stellungnahme zur Gorbat­ schow-Rede vor der UN-GeneralVersammlung im Dezember 1988, daß Vorsicht geboten sei, „die USA müssen bei ihrer Politik der Friedenssicherung durch Stärke bleiben, da die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den USA und den UdSSR weiter bestehen.“17 Erst als durch eine Reihe gemeinsamer Aktionen im Sicherheitsrat erfolgreich Konflikte geschlichtet wurden, war die USA bereit, ihre Haltung zu den Vereinten Nationen zu überdenken. Erster Ausdruck der neuen Zusammenarbeit innerhalb der Vereinten Nationen war die Verabschiedung der Resolution 598 im Juli 1987: In ihr forderte der Si­ cherheitsrat die Kriegsgegner des Golfkrieges Irak und Iran auf, mit sofortiger Wirkung das Feuer einzustellen, alle militärischen Aktionen zu beenden und ihre Truppen auf die international anerkannten Grenzen zurückzuziehen.18 Dieser ersten gemeinsamen Aktion folgten die miteinander abgestimmten ab­ schließenden Verhandlungen über den Afghanistan-Konflikt, die durch die Unter­ zeichnung des Afghanistan-Abkommens im April 1988 in Genf sowie eine Verein­ barung über einen sowjetischen Truppenabzug abgeschlossen wurden. Im August 1988 folgte der Abschluß des Waffenstillstandsabkommens zwischen Irak und Iran. Weitere gemeinsame Initiativen zur Lösung der Konflikte in Angola, Nami­ bia, der West-Sahara und Kambodscha kamen hinzu.

13 Ebd., S. 240. 16 Dazu gehören u.a. die Konvention zur Verhinderung und Bestrafung des Völkermordes, die Kon­ vention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und die Konvention gegen Folter; vgl. Financial Times, 10.3.1989, S. 1. 17 West welcomes Gorbachev’s plan to cut troops, in: Daily Telegraph, 8.12.1988. " SC Res. 598 (1989) vom 20.7.1989.

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Symbolischer Ausdruck der neuen Zusammenarbeit der USA und der UdSSR in der Weltgemeinschaft war ein gemeinsamer Resolutionsentwurf, den beide Groß­ mächte der UN-Generalversammlung vorlegten und der am 15. November 1989 als Resolution 44/21 ohne förmliche Abstimmung im Konsens von der Gene­ ralversammlung angenommen wurde: Die Resolution bekräftigt „den Wunsch, die Rolle und politische Wirksamkeit der Vereinten Nationen bei der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit auf der Grundlage einer uneinge­ schränkten und universellen Achtung der Charta der Vereinten Nationen und durch bessere internationale Zusammenarbeit bei der Lösung internationaler Probleme politischer, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder humanitärer Art weiter zu stärken“ und „fordert alle Staaten auf, ihre praktischen Bemühungen zu verstärken, die darauf gerichtet sind, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit unter allen Aspekten durch Mittel der Zusammenarbeit ... zu gewähr­ leisten“.19 Es handelt sich bei der Resolution 44/21 zwar um eine rechtlich unver­ bindliche politische Willenserklärung der Vereinten Nationen, sie macht jedoch mit ihrer engen Anlehnung an Artikel 1 der UN-Charta deutlich, daß nunmehr alle Mitgliedsländer gewillt sind, nach der Überwindung des Kalten Krieges der UN-Charta mehr Geltung zu verschaffen und eine größere Wirksamkeit zu verlei­ hen. Die Resolution war vor allem der Ausdruck des - aus unterschiedlichen Motiven gespeisten - Interesses der beiden Supermächte am Instrument der Vereinten Nationen zur Umsetzung ihrer nationalen Außenpolitik: Für die UdSSR bot sie die Möglichkeit, die innenpolitische Umgestaltung der Perestroika außenpolitisch mit geringeren Rüstungsaufwendungen abzusichern, wie der sowjetische Außenmini­ ster Kowaljow 1988 erläuterte: „Die Prioritäten der sowjetischen Außenpolitik werden durch die Prioritäten der Innenpolitik, das heißt durch die Aufgaben der Perestroika bestimmt... Die außenpolitische Tätigkeit muß einen immer größeren Beitrag zur Freisetzung der Ressourcen unseres Landes für den friedlichen Aufbau und die Umgestaltung leisten ...u20 An dieser Interessenlage hat sich auch nach Auflösung der UdSSR für Rußlands Position in den Vereinten Nationen nicht viel geändert: Auch Rußland ist zur ökonomischen Absicherung seiner Reformen auf die Unterstützung der westlichen Industrieländer angewiesen und braucht zudem, weil es über keine Mitgliedschaft in einem Militärbündnis verfügt, neben der KSZE die UN für die Wahrnehmung

19 UN Doc. Res/44/21 vom 15.11.1989.; deutsche Übersetzung in: Vereinte Nationen, H.2/1990, S. 76. 20 Anatoli Kowaljow, Das gemeinsame Haus, in: Süddeutsche Zeitung, 19.7.1988.

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ihrer außenpolitischen Interessen, sowohl in Bezug auf China als auch hinsichtlich der von ethnischen Krisen geschüttelten Nachbarstaaten der ehemaligen UdSSR und der ethnischen Konflikte innerhalb des eigenen Staatsgebiets. Allerdings muß Jelzin starker als Gorbatschow Rücksicht auf die konservativen Kräfte in Rußland nehmen, so daß die Zusammenarbeit mit dem Westen in der UNO schwieriger geworden ist. Für die USA bietet die „Rückkehr“ in die Vereinten Nationen die Möglichkeit, nach dem relativen Machtverlust der UdSSR bzw. Rußlands die Rolle als führen­ de Weltmacht trotz großer ökonomischer Probleme, die sie in gewissem Umfang zu Rüstungsbeschränkungen zwingen, weiterzuspielen. Deshalb betonte auch Präsident Bush - im deutlichen Kontrast zur heftigen Kritik seines Vorgängers Reagan an den Vereinten Nationen - bei seinem ersten Auftreten vor der UNGeneralversammlung im September 1989, „die Vereinten Nationen können große Dinge tun“ und bezeichnete als Hauptaufgaben der UNO die Abrüstung der chemischen Waffen, die Lösung der internationalen Verschuldungskrise, die Bekämpfung des Drogenhandels und den Umweltschutz. Er versprach, die USA werde wieder ihre vollen Beiträge zum regulären Haushalt der UN und für die Peacekeeping Operations entrichten sowie einen Teil ihrer Beitragsrückstände.21 Von den übrigen drei Sicherheitsratsmitgliedern unterstützen Großbritannien und Frankreich - aus gleichgelagerten ökonomischen und außenpolitischen Interessen heraus - die Position der USA, während China, das sich früher stark zum Für­ sprecher der Dritten Welt machte und damit oft in Widerspruch mit den USA im Sicherheitsrat geriet, ohne allerdings von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen, seit der militärischen Niederschlagung des Studentenaufstandes 1989 in Peking, um seine diplomatische Position in der Welt wieder zu verbessern und Wirt­ schaftshilfe der USA und der übrigen G-7 Staaten zu erhalten, in der Regel die russisch-amerikanischen Initiativen und Resolutionen im Sicherheitsrat nicht blockiert, sondern sich der Stimme enthält, wie es bei den meisten Sicherheits­ ratsresolutionen in der Golfkrise 1990/91 der Fall war. Damit haben die Vereinten Nationen seit 1987 durch die Kooperation der USA und der UdSSR bzw. Rußlands neue Handlungsmöglichkeiten erhalten. Inwieweit sie diesen Handlungsspielraum in ihren verschiedenen Aufgabenbereichen Friedenssicherung und Konfliktprävention, Abrüstung, Reform der Weltwirt­ schaftsordnung, Umweltschutz und Schutz der Menschenrechte - nutzen konnten,

21 Bush at UN: Speech Avoids the Cold Warrior Approach, in: International Herald Tribune, 27.9.1989, S. 2.

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welche anderen Rahmenbedingnngen - z.B. die außenpolitischen Interessen der übrigen Mitgliedsländer, die Finanzsituation der UNO - dabei eine Rolle spielten, wird Gegenstand der folgenden Kapitel sein, bevor in einem abschließenden Ka­ pitel der Versuch unternommen wird, eine vorläufige Bilanz aus den Erfolgen und Mißerfolgen der UN in den letzten Jahren zu ziehen, und schließlich die Frage diskutiert wird, ob man den Mißerfolgen bzw. Mängeln mit strukturellen Refor­ men der UN abhelfen muß und kann.

Kapitel 2 Die Erweiterung der Rolle der UNO von der bloßen FriedensSicherung zur Konfliktfrüherkennung, Friedensstiftung und Friedenskonsolidierung: Chance oder Sackgasse? 2.1. Der Golf-Konflikt: Ein Sieg der Vereinten Nationen? 2.1.1. Die Situation nach der Militäraktion der Alliierten Kuwaits

Mit der Annahme der Waffenstillstandsresolution des Weltsicherheitsrats 687 (1991) vom 3. April 1991' durch den Irak am 6. April 1991 und dem Inkraft­ treten des Waffenstillstandes am 11. April 1991 wurde zumindest militärisch die Krise am Golf beendet, nachdem der Aggressor Irak aus Kuwait durch die Mili­ täraktion der mit Kuwait verbündeten Staaten vertrieben worden war. Die Grenze zwischen Irak und Kuwait wird seitdem durch die Präsenz von 1440 UN-Soldaten der UNIKOM gesichert, außerdem garantiert der Sicherheitsrat die Unantast­ barkeit der Grenze, deren Verlauf entsprechend einer Vereinbarung beider Länder aus dem Jahr 1963 festgelegt werden soll. Der Irak hat sich mit der Annahme der Waffenstillstandsresolution des UN-Sicherheitsrats 687 verpflichtet, seine ge­ samten Giftgas- und bakteriologischen Waffen mit den dazu gehörenden Fabriken und Forschungsanlagen sowie alle Raketen mit einer Reichweite von über 150 Kilometern zu beseitigen, auf die Entwicklung von Kernwaffen zu verzichten und die Überwachung dieser Maßnahmen durch eine UN-Kommission zuzulassen. Die Handelssanktionen mit Ausnahme von Lebensmitteleinfuhren sollen nach Maßgabe der Einhaltung der Waffenstillstandsbedingungen in bestimmten Fristen überprüft werden, um zu entscheiden, ob sie gemildert oder aufgehoben werden können.2 Verfolgt man jedoch die Kontroversen um die Auffindung und Beseitigung der Nukleartechnologie im Irak, bleiben Zweifel an der Wirksamkeit der beschlosse­ nen Sanktionen: Es scheint unsicher, ob trotz geheimdienstlicher Aufklärungs­ arbeit der USA und ihrer Verbündeten genügend Informationen gesammelt wur­ den, um der UN-Kommission genügend Anhaltspunkte für die Inspektionsarbeit bei der Vernichtung des nuklearen, biologischen und chemischen Waffen- und Waffenproduktionspotentials zu geben. Dies vor allem, weil der Irak wiederholt den Versuch unternommen hat, den UN-Inspektoren nichtbekannte Anlagen und

SC Res. 687 (1991) vom 3.4.1991. Vgl. ebd., Ziffer 20 und 21.

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Geräte zu verbergen oder sogar bekannte Anlagen vor der Inspektion wegzu­ schaffen. In diesem Zusammenhang wird das Dilemma um die Aufhebung der UN-Wirtschaftssanktionen immer schwieriger: politisch ist es geboten, mit der Aufhebung zu warten, um den Irak zur vollständigen Erfüllung der Abrüstungsbedingungen zu bringen, aus humanitären Gründen wäre es dringend erforderlich, sie - zu­ mindest teilweise - aufzuheben, weil die Emähnmgs-, Gesundheits- und Woh­ nungsprobleme der irakischen Bevölkerung nach den Feststellungen des UNSonderbeauftragten Sadruddin Aga Khan immer noch größer zu werden scheinen. Die USA votieren gegen eine Aufhebung, vor allem deswegen, um nach dem Abzug ihrer Truppen aus dem Nordirak Druck auf den Irak zugunsten der Kurden ausüben zu können, zum anderen hegen sie wohl noch immer die Hoffnung, das Regime von Hussein destabilisieren zu können. Es ist schwer vorherzusagen, wann die Waffenstillstandsbedingungen so weit erfüllt sind, daß der Weltsicher­ heitsrat die Aufhebung der Sanktionen beschließt. So führten im November 1993 durchgeführte informelle Konsultationen des Sicherheitsrats zu keiner Überein­ stimmung hinsichtlich einer möglichen Erleichterung der mit Resolution 687 im April 1991 gegen Irak verhängten wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahmen.3 Am 23. November 1993 drückte der Sicherheitsrat in einer Erklärung des Rats­ präsidenten seine ernsthafte Besorgnis über Grenzverletzungen der irakisch-kuwaitischen Grenzen durch irakische Staatsangehörige aus4, die Generalversamm­ lung verurteilte am 20. Dezember 1993 mit 116:43:2 massive Menschenrechtsver­ letzungen im Irak.5 Die völkerrechtswidrige Invasion des Iraks in Kuwait wurde durch die Ver­ einten Nationen beendet, der Irak wird aber voraussichtlich noch Jahre unter „UN-Aufsicht“ stehen, was die Abrüstung und Überwachung des Waffenstill­ standes angeht; was geschehen soll zur Sicherung der Lage in der Region, wenn die UN-Truppen einmal abziehen sollten, ist noch nicht erkennbar. Eine beendete Invasion, aber ein schwelender Spannungsherd - ein Dilemma, dem sich die UN heute in vielen Spannungsgebieten gegenübersieht und das sie zwingt, ihre frie­ denserhaltenden (peacekeeping) bzw. Frieden herbeiführenden Missionen (peacemaking operations) zeitlich und personell stark auszudehnen. Eine wichtige völkerrechtliche Fortentwicklung innerhalb des UN-Systems ist die erstmalige Anwendung einer Kompensation^ bzw. Schadenersatzregelung für

3 Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 18.11.1993, UN Doc. S/26768. 4 Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 23.11.1993, UN Doc. S/26787. 3 GA Res. 48/144 vom 20.12.1993.

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diejenigen Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen, die durch die militärische Invasion Iraks, das irakische Besatzungsregime in Kuwait Schäden erlitten haben. Rechtsgrundlage bildet die Sicherheitsratsresolution 674 vom 29. Oktober 19990, in welcher der Sicherheitsrat Irak daran „erinnert... daß es nach dem Völkerrecht für alle Folgen der Invasion und der unrechtmäßigen Besetzung Kuwaits durch Irak verursachten Verluste, Schäden oder Beeinträchtigungen in bezug auf Kuwait und dritte Staaten sowie deren Staatsangehörige und Unternehmen haftet.“6 Das hier angewendete Prinzip der Staatenhaftung fußt auf Prinzipien des allgemeinen Völkerrechts, es war bisher jedoch in seinem konkreten Umfang und Ausge­ staltung trotz langjähriger Diskussion in der Völkerrechtskommission noch wenig völkerrechtlich verbindlich definiert worden.7 Umso bedeutsamer ist es, daß die Staatenverantwortlichkeit für völkerrechtswidriges Verhalten in diesem Fall konkret umgesetzt wird. Mit der Sicherheitsratsresolution 687 vom 3. April 1991 wurde die Grundlage für die Einrichtung einer Kompensations-Kommission geschaffen8, die ihre Arbeit im Juli 1991 aufnahm. Inzwischen sind bei der Kom­ mission ca. 150.000 Schadenersatzansprüche angemeldet worden, allerdings ist die Finanzierung, die durch irakische Ölverkäufe erfolgen soll, noch nicht gesi­ chert, da sich der Irak bisher weigert, Öl für diesen Zweck zu verkaufen. Dennoch bildet die Kommission allein durch ihre Tätigkeit einen wichtigen Präzedenzfall, der deutlich macht, daß Staaten, die einen Völkerrechtsbruch begehen, neben unmittelbaren Sanktionen nach Kapitel VII der Charta auch mit langfristigen wirtschaftlichen Folgen durch Schadenersatz zu rechnen haben. Nicht gelöst wurde dagegen das Problem der wirtschaftlichen Schäden durch Staaten, die sich an dem Wirtschaftsembargo beteiligt haben. Zwar können gemäß Art. 50 der UN-Charta die betroffenen Staaten, die „die Durchführung dieser Maßnahmen vor besondere wirtschaftliche Probleme stellt, den Sicherheitsrat zwecks Lösung dieser Probleme konsultieren“9, aber bisher hat der Rat keine konkreten Beschlüs­ se zur Unterstützung der betroffenen Länder gefaßt, obwohl sich am 22. März 1991 21 Staaten in einem Memorandum an den Präsidenten des Sicherheitsrats10

6 SC Res. 674 (1990) vom 29.19.1990. 7 Es liegt bisher lediglich ein Konventionsentwurf der Völkerrechtskommission - International Law Commission (ILC) - zur Staatenverantwortung vor, der im ILC diskutiert und überarbeitet wird. Vgl. Report of the International Law Commission on the work of its forty-fourth session, UN GAOR, 47th Sess., Supp. No. 10, para 104, UN Doc. A/47/10 (1992). 1 SC Res. 687 vom 3.4.1991, Ziffer 18. 9 UN-Charta, Art. 50., in: BGBl. II, Nr. 25 vom 29.6.1973, S.431-503. 10 UN Doc. S/22382 vom 22.3.1991.

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gewandt und sich angesichts ihrer besonderen wirtschaftlichen Probleme durch die Befolgung des Embargos gegen den Irak ausdrücklich auf Artikel 50 der Charta berufen hatten. Die Reaktion des Sicherheitsrats bestand lediglich in einer Erklä­ rung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 29. April 199111, die einen Appell der Sicherheitsratsmitglieder an die Finanzinstitutionen und die Organe der Vereinten Nationen enthielt, den betroffenen Staaten Hilfe zu leisten, sowie die Bereitschaft des Generalsekretärs, über den Verwaltungsausschuß für Koordinie­ rung der UNO - Administrative Committee on Coordination (ACC) - die Unter­ stützung innerhalb der UNO zu koordinieren. Außerdem hatten, so die Erklärung des Präsidenten, eine Reihe von Staaten, darunter Belgien, Dänemark, Frank­ reich, die Bundesrepublik Deutschland, Griechenland, Irland, Italien, Japan, die USA, Großbritannien, die Niederlande, Norwegen, die UdSSR, die Schweiz und Spanien, dem Sicherheitsrat über Hilfsmaßnahmen für einzelne der betroffenen Staaten berichtet. Das bedeutet, der Sicherheitsrat hat zwar das Problem erkannt, es gibt aber offensichtlich keinen Konsens über eine effiziente Finanzhilfe durch einen speziellen Fonds oder Mittel aus dem Topf der Peacekeeping Operations, sondern es bleibt vorerst bei bilateraler Hilfe einzelner Mitgliedstaaten. Eine vernünftige Regelung wäre aber notwendig, um auch in Zukunft die genügende Befolgung von Wirtschaftssanktionen, die ja dem Einsatz militärischer Sanktionen bei Friedensbrüchen vorangehen sollen und möglichst überflüssig machen sollen, sicherzustellen. Es mutet in diesem Zusammenhang geradezu unmoralisch an, daß zwar die wohlhabenden Industrieländer Japan und die Bun­ desrepublik Deutschland neben den arabischen Öl-Staaten den USA ihre Kosten der Militäraktion am Golf von 58 Milliarden US-Dollar erstattet haben, die relativ finanzschwachen Staaten wie Jordanien oder Syrien aber nicht für die Embargo­ folgen entschädigt wurden. Immerhin befaßt sich seit kurzem der „Sonderausschuß zur Charta der Ver­ einten Nationen und zur Stärkung der Rolle der Organisation44 mit dem Thema der Entschädigung der Boykott-Teilnehmer-Staaten: Mit Resolution 48/36 forderte die Generalversammlung den Charta-Ausschuß auf, sich mit Vorschlägen zu befassen, welche die Umsetzung der in Art. 50 der Charta erwähnten Möglich­ keit, sich bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch die Befolgung von Boykott­ maßnahmen an den Sicherheitsrat zu wenden, in konkrete wirtschaftliche Hilfs­ maßnahmen zum Ziel haben.12

" UN Doc. S/22548 vom 29.4.1991. 12 Zit. nach UN Chronicle, vol. 31, No. 1, March 1994, S. 92.

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2.1.2. Die Militäraktion in Kuwait und Irak: Aktion im Namen der UN oder eine Aktion kollektiver Selbstverteidigung?

Betrachtet man die Entscheidungen der Vereinten Nationen in der Golfkrise, so scheinen sie einen Erfolg des Systems kollektiver Sicherheit in den Vereinten Nationen darzustellen, das nach der Annäherung zwischen den USA und der UdSSR im Sicherheitsrat seine Funktionsfähigkeit erlangt hat: Nach der irakischen Invasion in Kuwait am 2. August 1990 wurde noch am selben Tag durch die Resolution 660 des Sicherheitsrats unter ausdrücklicher Berufung auf Art. 39 der UN-Charta13 festgestellt, daß die Invasion Kuwaits durch die Streitkräfte Iraks einen Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt und der Irak aufgefordert, seine Truppen unverzüglich und bedingungslos aus dem be­ setzten Land zurückzuziehen.14 Als der Irak dieser Forderung nicht nachkam, verhängte der Sicherheitsrat am 6. August ein umfassendes Wirtschafts- und Verkehrsembargo gegen den Irak.15 Außerdem stellte er in Resolution 674 vom 29. Oktober 1990 fest, daß der Irak die Haftung für alle auf Grund der Invasion entstandenen Schäden in bezug auf Kuwait und dritte Staaten übernehmen müsse.16 Am 29. November 1990 ermächtigte der Sicherheitsrat - bei zwei Gegenstim­ men (Jemen und Kuba) und einer Enthaltung (China) - in der Resolution 678 unter Berufung auf Kapitel VII der Charta „die Mitgliedstaaten, die mit der Regierung Kuwaits kooperieren, für den Fall, daß Irak die obengenannten Resolu­ tionen bis zum 15. Januar 1991 nicht... vollständig durchführt, ... alle erfor­ derlichen Mittel einzusetzen, um der Resolution 660 (1990) und allen dazu später verabschiedeten Resolutionen Geltung zu verschaffen und sie durchzuführen und den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in dem Gebiet wiederherzu­ stellen“. Der Sicherheitsrat „ersucht alle Staaten, die gemäß... dieser Resolution

15 Art. 39 UN-Charta lautet: „Der Sicherheitsrat stellt fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angrififshandlung vorliegt; er gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen auf Grund der Artikel 41 und 42 [nichtmilitärische bzw. militärische Sanktionen, der Vers.] zu treffen sind, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wie­ derherzustellen.“ 14 SC Res. 660 (1990) vom 2.8.1990. 13 SC Res. 661 (1990) vom 6.8.1990. 16 „Der Sicherheitsrat ... erinnert Irak daran, daß es nach dem Völkerrecht für alle als Folge der Invasion und unrechtmäßigen Besetzung Kuwaits durch Irak verursachten Verluste, Schäden oder Beeinträchtigungen in bezug auf Kuwait und dritte Staaten sowie deren Staatsangehörige und Unter­ nehmen haftet ..." (SC Res. 674 (1990) vom 29.10.1990, deutsche Fassung in: Resolutionen und Beschlüsse des Sicherheitsrats 1990, Sicherheitsrat, Offizielles Protokoll: Fünfundvierzigstes Jahr, Vereinte Nationen, New York 1992, UN Doc. S/INF/46, S. 30.

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ergriffenen Maßnahmen in geeigneter Weise zu unterstützen..*4, „ersucht alle in Betracht kommenden Staaten, den Sicherheitsrat regelmäßig über den Stand der von ihnen gemäß ... dieser Resolution ergriffenen Maßnahmen zu unterrichten ...** und „beschließt, mit der Angelegenheit befaßt zu bleiben.**17 Nach Ablauf der in der Resolution 678 genannten Frist (15. Januar 1991) begann am 16. Januar 1991 auf Entscheidung des Oberbefehlshabers der Streitkräfte der Kuwait-Koalitionsstaaten, US-Präsident Bush, der Luftkrieg gegen den Irak und am 24. Januar der Landkrieg durch die Alliierten Kuwaits, der am 28. Februar 1991 mit der Einstellung der Kampfhandlungen endete. Der Sicherheitsrat befaßte sich nach der Sitzung am 29. November 1990, auf welcher er das Ultimatum stellte, für mehrere Monate nicht mit der Situation in Kuwait. Nachdem Ende Januar ein Antrag des nichtständigen Ratsmitglieds Jemen, eine formelle Ratssitzung einzuberufen, von der Mehrheit der Ratsmit­ glieder abgelehnt worden war18, kam es am 13. Februar 1991, d.h. ca. vier Wo­ chen nach Beginn der Militäraktion der Kuwait-Koalition, auf Antrag von Kuba und Jemen zu einer formellen Ratssitzung: Der Sicherheitsrat trat zusammen und beriet hinter verschlossenen Türen.19 Anfang März konkretisierte der Sicherheitsrat erstmals seine Bedingungen für einen formellen Waffenstillstand in seiner Resolution 68620 und Anfang April legte der Sicherheitsrat mit Resolution 687 endgültig die Bedingungen für einen formellen Waffenstillstand zwischen Irak und den multilateralen Streitkräften am Golf fest.21 Am 6. April 1991 billigte die irakische Nationalversammlung die Bedingungen der Resolution 6S722 und am 11. April nahm der Sicherheitsrat „die unwiderrufliche und uneingeschränkte Annahme** seiner Entschließung formell zur Kenntnis.23

17 SC Res. 678 (1990) vom 29.11.1990; deutsche Fassung in: Resolutionen und Beschlüsse des Sicherheitsrats 1990, Sicherheitsrat, Offizielles Protokoll: Fünfundvierzigstes Jahr, Vereinte Nationen, New York 1992, UN Doc. S/INF/46, S. 32. 18 Vgl. UNO-Sicherheitsrat war erneut nicht zu formeller Sitzung bereit, in: Der Tagesspiegel, 27.1.1991. 19 Vgl. UNO-Sicherheitsrat tagte hinter verschlossenen Türen, in: Der Tagesspiegel, 16.2.1991, S. 6; vgl. auch: Jürgen Kramer, Golfkrise: UN bestimmen nicht das Gesetz des Handelns, in: Vereinte Nationen, H. 3/1991, S. 103. 20 SC Res. 686 (1991) vom 2.3.1991. 21 SC Res. 687 (1991) vom 3.4.1991. 22 Der Beschluß wurde dem Sicherheitsrat in einem Schreiben am 10.4.1991 übermittelt (UN Doc. S/22480 vom 10.4.1991). 23 UN Doc. S/22485 vom 11.4.1991.

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Ist diese schnelle und energische Reaktion auf einen Friedensbruch nicht ein Erfolg des Systems kollektiver Sicherheit? Was ist an diesem Ablauf der Ereig­ nisse problematisch? Generalsekretär Cuöllar brachte die Problematik im April 1991 zum Ausdruck, die für ihn in der mangelnde Kontrolle der Vereinten Na­ tionen über den Ablauf der militärischen Sanktionsmaßnahmen liegt: „Der Sieg der Alliierten beziehungsweise Koalitionsstaaten über Irak ist genaugenommen kein Sieg für die Vereinten Nationen, denn es war nicht ihr Krieg... Dieser Sieg ist das Resultat einer multilateralen Aktion, die von den Vereinten Nationen autorisiert und damit legitimiert war.“24 Cuctlar machte damit auf ein Dilemma in den Aktionen der Vereinten Nationen im Golf-Konflikt aufmerksam: Die ersten Maßnahmen des Sicherheitsrats nach der irakischen Invasion in Kuwait erfolgten zügig und in Übereinstimmung mit den Prinzipien der UN-Charta, nämlich die Feststellung und Verurteilung des Friedensbruchs gemäß Art. 39 der Charta und die Verhängung von wirtschaftli­ chen und anderen nichtmilitärischen Sanktionen gemäß Art. 41 der Charta. Sie wurden durch den Sicherheitsrat bzw. durch von ihm eingesetzte Ausschüsse25 kontinuierlich überwacht und in den Ratssitzungen ausführlich diskutiert. Statt jedoch genügend Zeit zur Auswirkung der Wirtschaftssanktionen zu lassen, legte der Sicherheitsrat bereits im November 1991, d.h. drei Monate nach der irakischen Invasion, einen Termin für ein Ultimatum fest, und zwar einen Termin drei Monate später, den 15. Januar 1991. Zugleich gab der Sicherheitsrat mit der Resolution 678 die weitere Kontrolle der Sanktionsmaßnahmen aus der Hand, wie die Formulierungen der Resolution deutlich machen: Er ermächtigt die Mitgliedstaaten, „alle erforderlichen Mittel einzusetzen“, ohne diese näher zu definieren, d.h. festzustellen, in welchem Fall militärische Sanktionen erforderlich sind, weil die ergriffenen nichtmilitärischen Sanktionen nicht ausreichen. Das gibt den Mitgliedern der Kuwait-Koalition die Befugnis, selber zu entscheiden, wann und in welchem Umfang sie zu militäri­ schen Sanktionen greifen. Dies ist eigentlich gegen den Sinn der Völkerrechtsprinzipien der UN-Charta: Sobald der Sicherheitsrat sich mit einem Friedensbruch befaßt hat, wird das Recht

24 Pörez de Cuöllar, Rede am 16.4.1991 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg, zitiert nach Jürgen Kramer, UN und Golfkrise: Zwischenbilanz, in: Vereinte Nationen, H. 3/1991, S. 102-106, S. 102. 25 So setzte er z.B. mit der Resolution 661 am 6. August 1990 zugleich mit der Verhängung des Wirtschaftsembargos gegen Irak einen Embargoausschuß ein, der die Durchführung des Embargos überwachen und dem Sicherheitsrat Bericht erstatten sollte (vgl. SC Res. 661 (1990) vom 6.8.1990, S. 22).

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des angegriffenen Staates auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung nach Art. 51 abgelöst durch das Recht des Sicherheitsrats, Maßnahmen gegen den Friedensbruch zu ergreifen. Art. 51 fuhrt dazu aus: „Die Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied keineswegs das naturgegebe­ ne Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis [Hervorhebung vom Verfasser] der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.44 Das bedeu­ tet, so die Auffassung der Mehrzahl der Völkerrechtler, daß nach Art. 51 das Selbstverteidigungsrecht nur solange ausgeübt werden darf, bis der Sicherheitsrat die entsprechenden Maßnahmen getroffen hat. Das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 soll nur „subsidiären Charakter44 haben.26 Der Sicherheitsrat hatte im Golf-Konflikt bereits gehandelt durch die Resolu­ tionen über die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen, sodaß ein Recht auf kol­ lektive Selbstverteidigung eigentlich nicht mehr bestand. Unter den Völkerrechtsjuristen ist nach wie vor umstritten, welche rechtliche Bedeutung der Resolution 678 zukommt, ob sie lediglich feststellt, daß Kuwait und die mit ihm verbündeten Staaten das Recht auf kollektive Selbstverteidigung nach Art. 51 der Charta ausüben dürfen oder ob der Sicherheitsrat die militä­ rischen Sanktionen als eigene Aktion der Vereinten Nationen im Sinne des Arti­ kels 42 der Charta beschlossen hat.27 Eigene militärische Maßnahmen nach Art. 42 mit Hilfe von dem Sicherheitsrat von den Mitgliedern gemäß Art. 43 zur Verfügung gestellten Truppenkontin­ genten hat der Sicherheitsrat mit der Resolution 687 jedenfalls nicht beschlossen. Es hätten ihm dafür auch die notwendigen Voraussetzungen gefehlt: Weder waren die dafür notwendigen Abkommen gemäß Art. 43 mit den Mitgliedsländern über die Bereitstellung von nationalen Truppenkontingenten abgeschlossen worden, noch hätte der Generalstabsausschuß der Stabschefs der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats die ihm nach Art. 47 der Charta zugewiesene Aufgabe der militäri­ schen Beratung des Sicherheitsrats übernehmen können, weil er in den über vierzig Jahren seines Bestehens - in den Zeiten des Kalten Krieges - nur formelle

26 Albrecht Randelzhofer, zu Art. 51, Rdn. 36, in: Bruno Simma (Hrsg.)» Charta der Vereinten Natio­ nen. Kommentar, München 1991, S. 634. 27 Vgl. dazu Christian Tomuschat, Die Zukunft der Vereinten Nationen, in: Europa-Archiv, Folge 2/1992, 25.1.1992, S. 42-50, S. 44; Ursula Heinz/Christiane Philipp/Rüdiger Wolfrum, Zweiter Golflaieg: Anwendungsfall von Kapitel VU der UN-Charta, in: Vereinte Nationen, H. 4/1991, S. 121128, S. 121 u. 125f.; Eugene V. Rostov, Until What? Enforcement Action or Collective Self-Defense? in: American Journal of International Law (AUL), vol. 85 (1991), H. 3, S. 506; Oscar Schächter, United Nations Law in The Gulf Conflict, in: AUL, vol. 85 (1991), H. 3, S. 452-473.

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Routinesitzungen ohne inhaltliche Planungen abgehalten hatte. Allerdings können nach dem Wortlaut von Art. 42 Satz 2 die Maßnahmen auch „Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, See- oder Land­ streitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nationen einschließen.44 Und nach Art. 48 Abs. 1 werden „die Maßnahmen, die für die Durchführung der Beschlüsse des Sicherheitsrats zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich sind, je nach dem Ermessen des Sicherheitsrats von allen oder von einigen Mitgliedern der Vereinten Nationen getroffen.44 So hat nach Auffassung vieler Völkerrechtler der Sicherheitsrat in der Reso­ lution 687 die etwas unklare Hilfskonstruktion gewählt, auf der Rechtsgrundlage von Art. 42, Satz 2 und Art. 48 Abs. 1 die UN-Mitgliedsländer mit der Durch­ führung der erforderlichen Sanktionsmaßnahmen zu beauftragen.28 Folgt man dieser Auffassung, daß es sich bei der Resolution 678 um eine Ermächtigung handelt, im Aufträge des Sicherheitsrats Maßnahmen nach Art. 42 durchzuführen, und es spricht vieles dafür29, dann verstößt eine so weitgehende Ermächtigung an die Mitgliedsländer, nach eigenem Ermessen zwischen nichtmili­ tärischen und militärischen Sanktionen zu wählen, gegen den Sinn der Art. 41 und 42» die ja gerade die Entscheidung für militärische Sanktionen an das Votum des Sicherheitsrats knüpfen wollen. Ebenso ist die in der Resolution eingebaute schwache Kontrolle des Sicherheits­ rats - die mit Kuwait kooperierenden Mitgliedsländer werden lediglich „ersucht, regelmäßig über den Stand der ... ergriffenen Maßnahmen zu berichten44 und der Sicherheitsrat bleibt „mit der Angelegenheit befaßt44 - im Verhältnis zur Bedeu­ tung der zu treffenden Sanktionsmaßnahmen bei weitem nicht ausreichend. Sieht man allerdings die Resolution als eine Bestätigung des kollektiven Selbst­ verteidigungsrechts nach Art. 51 an, wäre es tatsächlich in das Ermessen der Kuwait-Koalition gestellt gewesen, das Selbstverteidigungsrecht militärisch auszu­ üben, d.h. den bewaffneten Angriff militärisch abzuwehren, allerdings im Rah­ men der allgemeinen völkerrechtlichen Schranken, unter Beachtung des Proportio­ nalitätsprinzips, d.h. daß sich das Selbstverteidigungsrecht auf das Ziel der Ab­ wehr des Angriffs beschränkt und keine Vergeltungs- und Strafaktionen beinhal­ tet.30

29 Vgl. Ursula Heinz et al., a.a.O., S. 126. 29 Vgl. dazu Heinz/Philipp/Wolfrum, a.a.O., S. 126. 30 Vgl. dazu Randelzhofer, a.a.O., Rdn. 37, S. 634.

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Wenn man sich der Rechtsauffassung anschließt, es habe sich im Golfkrieg um kollektive Selbstverteidigung gehandelt, bleibt jedoch fraglich, ob der massive militärische Einsatz der Kuwait-Koalition bis weit in den Irak hinein sowie der Luftkrieg dem Proportionalitätsprinzip genügend Rechnung getragen hat. Daß das Verfahren der Ermächtigung bei Maßnahmen nach Kapitel VII gra­ vierende Probleme hinsichtlich der Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel auswerfen kann, ist auch für P6rez de Cuellar eine Lehre aus dem Golf-Konflikt: „Die im Zuge der Einsätze im Golf gemachten Erfahrungen legen ... nahe, daß es angebracht ist, gemeinschaftlich zu überlegen, wie von den Beftignissen, mit denen der Sicherheitsrat nach Kapitel VII ausgestattet ist, in Zukunft Gebrauch gemacht werden soll. Um jede Kontroverse von vornherein auszuschließen, sollten diese Überlegungen unter anderem der Frage gelten, durch welches Verfahren sich der Rat darüber Gewißheit verschaffen kann, daß die Verhältnis­ mäßigkeitsregel beim Einsatz der Waffengewalt beachtet wird und daß die in bewaffneten Konflikten anwendbaren Regeln des humanitären Rechts eingehalten werden. Darüber hinaus wird streng darauf geachtet werden müssen, daß nicht der Eindruck entsteht, die Maßnahmen nach Kapitel VII gingen zu weit. 4431

2.1.3. Lehren aus der Golfkrise für die Friedenssicherung in den Vereinten Nationen

Wie immer man die Resolution 678 und ihre Umsetzung völkerrechtlich inter­ pretiert, es bleibt festzuhalten, daß trotz der Tatsache, daß die Sanktionen gegen den Irak auf Grund seines flagranten Bruchs des Völkerrechts völkerrechtlich ausreichend legitimiert waren, im Golf-Konflikt deutliche Schwächen des Instru­ mentariums für kollektive Sicherheit erkennbar wurden, die grundsätzliche Proble­ me in den Vereinten Nationen widerspiegeln: Der Sicherheitsrat hat - wegen der fehlenden Voraussetzungen des Art. 43 und 47, aber auch wegen der starken Stellung der USA im Sicherheitsrat - mit der Resolution 678 frühzeitig die Zügel aus der Hand gegeben. Nach der Ermächtigung an die Kuwait-Koalition hätte nur durch einen erneuten Ratsbeschluß die Ermächtigung widerrufen werden können, was wegen des Vetorechts der USA wohl kaum möglich gewesen wäre. Da aber bis heute keine Abkommen nach Art. 43 vorliegen und der Generalstabsausschuß

31 Perez de Cuellar, Bericht des Generalsekretärs über die Tätigkeit der Vereinten Nationen an die 46. Generalversammlung, 13.9.1991, Generalversammlung, Offizielles Protokoll: Sechsundvierzigste Tagung, Beilage Nr. 1 (UN Doc. A/46/1), Vereinte Nationen, New York 1991, S. 4.

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bisher vom Sicherheitsrat nicht beauftragt wurde, entsprechende Planungen für die Leitung von UN-Blauhelm-Einsätzen vorzubereiten, bleibt bisher das System der Ermächtigung die einzige praktische Handlungsmöglichkeit. Das System der Ermächtigung birgt aber, wie der Golf-Konflikt zeigt, die Gefahr, daß die Durchführung der Sanktionsmaßnahmen eher nach nationalen außenpolitischen Entscheidungskriterien, in diesem Fall der USA und der anderen Staaten der Kuwait-Koalition, erfolgt und die Normen der Weltgemeinschaft zu wenig Beachtung finden, weil es an der erforderlichen Kontrolle über den Ablauf der Militäraktionen mangelt. Damit besteht die Gefahr, daß für eine - notwendige und legitimierte - Maßnahme gegen einen Akt völkerrechtlicher Aggression ein Teil ihrer Akzeptanz in der Weltöffentlichkeit verloren geht. Deshalb kritisierte UN-Generalsekretär P6rez de Cudllar nach der Militäraktion am Golf: „Die Art und Weise, in der diese Resolution (678) umgesetzt wurde, zeigt, daß es einen Bedarf gibt für einen verbesserten und stärker institutionali­ sierten Mechanismus, nach dem die betroffenen Staaten dem Rat Bericht erstatten. Der Sicherheitsrat muß sich selbst das Recht vorbehalten, Führung, Aufsicht und Kontrolle auszuüben in Hinblick auf die Aktionen, die er autorisiert hat.“32 Denn der Golf-Konflikt wirft angesichts der hohen Zahl an Opfern auf iraki­ scher Seite, vor allem unter den Zivilisten, und der sich durch die massiven Bombardements ergebenden Probleme in der Wasser-, Energie- und Nahrungs­ mittelversorgung Iraks, die durch die Fortdauer des Embargos wegen der schlep­ penden Abrüstung Iraks zur Zeit noch andauern, einige schwerwiegende Fragen auf, welche die UN für zukünftige Maßnahmen nach Kap. VII klären muß, wenn sie nicht die völkerrechtliche Legitimationsbasis ihres Eingreifens bei Friedens­ brüchen durch einen Mangel an Humanität in Frage stellen will: 1. Wer überprüft, inwieweit Maßnahmen nach Art. 41 (Wirtschaftssanktionen) zu unzumutbaren Härten bei der Bevölkerung des von dem Embargo betroffenen Staates - in diesem Fall des Iraks - führen, z.B. zu schweren Ernährungsstörun­ gen bei Kindern, Auftreten von epidemischen Krankheiten etc. Dies könnte eventuell eine Aufgabe für WHO, UNICEF und FAO sein. Damit sie im Kon­ fliktfall in das Land einreisen können, müßte dies grundsätzlich in einer Sicher­ heitsratsresolution oder besser noch in einer Konvention zur Durchführung von Maßnahmen nach Kap. VII der Charta festgehalten werden.

32 Perez de Cu611ar, Rede an den Universität Bordeaux am 22.4.191, zitiert nach Jürgen Kramer, a.a.O., S. 102.

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2. Wer kontrolliert während der Durchführung von Militäraktionen nach Kapitel VII die Einhaltung der humanitären Prinzipien des Völkerrechts? Nach Berichten vieler Journalisten ist vermutlich die hohe Zahl der Opfer unter den irakischen Soldaten auf die Luftangriffe vor dem Landkrieg zurückzuführen. Waren sie in dieser Form unvermeidlich? Diese Probleme werfen die Frage nach effizienten Kontrollmechanismen auf: Hätten nicht Vertreter des UN-Generalstabsausschusses, in welchem neben den Kuwait-Koalitionsstaaten USA, Großbritannien und Frankreich auch die UdSSR und China vertreten gewesen wären, kontrollierend und mäßigend wirken können? Im Fall der Verhängung der Seeblockade im Herbst 1990 hatte sich die USA durch die übrigen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats zu einer Abschwächung der geplanten Maßnahmen bewegen lassen und auch in der Frage, ob die USA überhaupt vor einer militärischen Aktion gegen den Irak den Sicherheitsrat ent­ scheiden lassen sollte, hatte gerade der Druck der UdSSR, Frankreichs und Großbritanniens zur UN-Lösung in Form der Resolution 678 geführt. Deshalb sollte der Sicherheitsrat für Entscheidungen über Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta Kontrollmechanismen einbauen, wenn er seine Legitima­ tionsbasis nicht in Frage stellen will. Gerade in einer Situation, wo der Sicher­ heitsrat nur auf ein Ermächtigungsverfahren nach Art. 42 und 48 zurückgreifen kann, ist eine genügende Berichtspflicht an und effektive Kontrolle durch den Sicherheitsrat unerläßlich. Daß die Frage der Einschaltung des Sicherheitsrats während der Militäraktion am Golf nicht unumstritten war, wenn sich die übrigen Ratsmitglieder auch letztendlich dem Einfluß und den Argumenten der USA, Großbritanniens und Frankreichs beugten, zeigen die beiden Kontroversen im Sicherheitsrat während der Militäraktion am Golf: Am 25. Januar 1991 hatte das Ratsmitglied Jemen, unterstützt von den Nichtratsmitgliedem Algerien, Libyen, Marokko, Maureta­ nien, Sudan und Tunesien, eine formelle öffentliche Sitzung des Sicherheitsrats gefordert. Diese Staaten wollten den Sicherheitsrat veranlassen, einen Aufruf zur Feuerpause am Golf zu verabschieden, um diplomatischen Initiativen eine Chance zu geben. Die USA, Großbritannien und die UdSSR waren jedoch gegen eine solche Initiative und sahen keine Notwendigkeit für eine öffentliche Sitzung des Rates zu diesem Thema. Der sowjetische UNO-Botschafter Woronzow sprach sich vor Beginn der nichtöffentlichen informellen Sitzung, die dann schließlich mehrheitlich die Einberufung einer öffentlichen Sitzung ablehnte, gegen eine formelle Sitzung des Rates aus, so lange es keinen Hinweis aus Bagdad gebe, daß

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der Irak bereit sei, Kuwait zu verlassen.33 Erneut verlangten Anfang Februar 1991 Kuba und Jemen als nichtständige Sicherheitsratsmitglieder eine öffentliche Sitzung des Sicherheitsrats, mit der Begründung, daß der Golfkrieg außer Kontrolle zu geraten drohe. Die USA, Großbritannien und Frankreich hatten jedoch mit dem Hinweis auf die möglichen negativen Auswirkungen auf die Kuwait-Koalition in einer informellen Sitzung am 13. Februar eine Mehrheit von neun Stimmen zusammengebracht, die eine öffentliche Sitzung ablehnte und beschloß, am darauffolgenden Tag, den 14. Februar, lediglich eine informelle, nichtöffentliche Sitzung zu dem Thema durch­ zuführen, in der erstmals Sorge und Kritik über die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung geäußert wurden: Ratsmitglieder äußerten hinterher gegenüber der Presse, die Vertreter Chinas und Österreichs hätten große Sorge über das Leiden der Zivilbevölkerung im Golfkrieg geäußert, ebenso der sowjeti­ sche UNO-Botschafiter Woronzow, der auch die Gefahr sah, daß Massenver­ nichtungswaffen eingesetzt werden könnten.34 Die Berichte von beiden informellen Sitzungen des Sicherheitsrats machen deutlich, daß es durchaus Kritik im Sicherheitsrat während der Militäraktion am Golf gab, daß allerdings die Mehrheit des Sicherheitsrats ihre Rolle als zentrales Organ in der internationalen Friedenssicherung nicht ernst genug genommen hat, um sich regelmäßiger und nachdrücklicher in das Geschehen einzuschalten. Gerade die - informell - geäußerte Sorge um die Auswirkungen auf die Zivilbe­ völkerung hätte eine stärkere Rolle des Sicherheitsrats erforderlich gemacht. Ebenso wären öffentliche Sitzungen erforderlich gewesen, um neben den völker­ rechtlichen und militärischen Aspekten der Weltöffentlichkeit auch die humanitä­ ren Folgen zu verdeutlichen, die notwendig bei politischen Entscheidungen mit zu berücksichtigen sind. Sie kamen in den Berichten der Medien über den GolfKonflikt leider häufig zu kurz. Alles in allem kann man von einer Selbstabdankung des Sicherheitsrats im GolfKonflikt nach der Resolution 678 sprechen, er hat in der entscheidenden Phase des Golf-Konflikts seine „Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“, wie sie ihm die Charta in Art. 20 zuschreibt, nur mangelhaft wahrgenommen.

33 Vgl. UNO-Sicherheitsrat war erneut nicht zu formeller Sitzung bereit, in: Der Tagesspiegel, 27.1.1991. 34 Vgl. UNO-Sicherheitsrat tagte hinter verschlossenen Türen, in: Der Tagesspiegel, 16.2.1991, S. 6.

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Aber es ist fraglich, ob die USA einer solchen Bindung ihrer Militäraktionen an den Sicherheitsrat zustimmen würden. Denn tatsächlich ist der Golf-Konflikt auch ein Beispiel dafür, daß nach Ende des Patts im Sicherheitsrat bzw. des Machtverlusts der UdSSR bzw. Rußlands und Chinas die Vereinten Nationen in der Gefahr sind, sich darauf zu beschränken, bereits vorher getroffenen außenpolitischen Ent­ scheidungen der USA eine nachträgliche völkerrechtliche Legitimation zu ver­ leihen: Die USA hatte es versäumt, den irakisch-kuwaitischen Konflikt rechtzei­ tig, d.h. im Juli 1990, vor den Sicherheitsrat zu bringen, sondern hatte bilateral mit Hussein über seine diplomatischen Kanäle Kontakt aufgenommen; als Be­ drohung des Weltfriedens hätte der Konflikt bereits zu diesem Zeitpunkt vor den Sicherheitsrat gehört.35 Nachdem der Sicherheitsrat nach der irakischen Invasion mit den Resolutionen 660 (Verurteilung des Friedensbruchs, Forderung nach Rückzug der irakischen Truppen, Aufforderung zu Verhandlungen an beide Seiten) am 2. August 1990 und 661 (Verhängung eines Handelsembargos über den Irak) am 6. August 1990 schnell und energisch reagierte, wich die USA dennoch wiederholt vom gemein­ samen Kurs des Sicherheitsrats ab und führte ohne Konsultation des Sicherheits­ rats weitere wichtige Schritte durch: Hatte Präsident Bush am 2. August noch angedeutet, daß er eine militärische Reaktion nicht in Betracht ziehen würde, hob er am 3. August hervor, daß seine Administration keine Option ausschließe.36 Am 4. August bereits, d. h. noch vor der Verhängung des Wirtschaftsembargos durch den Sicherheitsrat, entschied Bush nach Rücksprache mit seinen Beratern und trotz starker Bedenken der militärischen Führung der USA, daß das Pentagon alle Vorbereitungen für die Entsendung von Truppen nach Saudi-Arabien treffen solle.37 Am 7. August wurden die ersten Truppen nach Saudi-Arabien entsandt, ohne daß die USA vor ihrer Entscheidung den Sicherheitsrat konsultiert hatten. Ebenso war der Sicherheitsrat nicht konsultiert worden bei der Entscheidung der USA nach dem Sondergipfel der Arabischen Liga am 12. August 1990, der mit einer Verurteilung der irakischen Invasion mit 12 von 20 Stimmen geendet hatte,

33 Art. 34 der Charta der UN lautet: »Der Sicherheitsrat kann jede Streitigkeit sowie jede Situation, die zu internationalen Reibungen fuhren oder eine Streitigkeit hervorrufen könnte, untersuchen, ob die Fortdauer der Streitigkeit oder Situation die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicher­ heit gefährden könnte.“ 36 Vgl. Iraq Wams Against Intervention, in: International Herald Tribune, 3.8.1990, S. 1. 37 Vgl. Ann Devroy/Dan Balz, For Bush, Moment of Decision Came Saturday at Camp David, in: Washington Post, 9.8.1990, S. 31; Molly Moore, Pentagon Provides Bush with List of Options for Defending Saudis. No Major Deployment of U.S. Ground Forces Said Recommended, in: Washington Post, 4.8.1990, S. 17.

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zunächst 50.000, dann 250.000 Soldaten an den Golf zu entsenden, eine deutliche militärische Eskalation des Konflikts zu einem Zeitpunkt, als der Sicherheitsrat seine Hoffnungen zunächst auf nichtmilitärische Sanktionen, das Wirtschaftsem­ bargo, setzte.38 Noch deutlicher wurde der Konflikt zwischen den USA und dem Sicherheitsrat bei der Verhängung der „totalen Seeblockade64 am 17. August 1990 durch die USA. Ihr war die Entscheidung einzelner Staaten, darunter Frankreich, Nieder­ lande, Spanien, Belgien und Australien, vorausgegangen, nachdem die USA und Großbritannien bereits Flottenverbände in die Golfregion geschickt hatten, zur Ergänzung eigene Seestreitkräfte in den Golf zu entsenden, um das UN-Embargo in seiner Wirksamkeit zu erhöhen und die Entschlossenheit der mit Kuwait ko­ operierenden Staaten deutlich zu machen. Auch diese militärische Maßnahme, d.h. die Entsendung von Flotten verbänden weiterer Staaten, war wiederum nicht mit dem Sicherheitsrat abgesprochen und führte auch zu Streitigkeiten unter den Beteiligten über den Umfang ihres Auf­ trages im Rahmen der Resolution 661. Während die USA und Großbritannien da­ rauf bestanden, daß der Auftrag an die Seestreitkräfte auch die militärische Ge­ waltanwendung zur Durchsetzung des Embargos einschließe, betonten Frankreich und Spanien, daß die Seestreitkräfte nur die Einhaltung der Embargobestimmun­ gen beobachten und darüber dem Sanktionsausschuß des Sicherheitsrats, der gemäß Resolution 661 gebildet worden war, berichten könnten. Auch UN-Generalsekretär de Cuellar vertrat die Auffassung, daß die Ausdeh­ nung des Embargos auf eine Seeblockade von der Resolution 661 nicht gedeckt sei. Am 17. August beendete die USA die Auseinandersetzung über den Umfang des Embargos mit der Verhängung einer „totalen Seeblockade66 über den Irak.39 Die heftigen Proteste der Verbündeten Großbritannien und Frankreich sowie der UdSSR, die beklagten, daß die USA den gerade erst gefundenen Konsens der internationalen Staatengemeinschaft im Rahmen der UNO aufs Spiel setzen würde40, führten zu einer Korrektur der amerikanischen Politik. Die USA behal­ ten zwar nach wie vor darauf, notfalls das Embargo mit Waffengewalt durch­ zusetzen, waren aber nun bereit, durch Sondierungen im Weltsicherheitsrat zu prüfen, inwieweit diese Vorgehensweise durch die Vereinten Nationen legitimiert

38 Vgl. Hermann Weber, Die Rolle der Vereinten Nationen in der Golfkrise bis zum Ablauf des Ultimatums, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, H. 3/1991, S. 178-188, S. 181 ff. 39 Vgl. ebd., S. 183. 40 Vgl. Patrick Tyler/Al Kamen, 4 U.N. Members Fault Blockade, in: Washington Post, 14.8.1990, S. 1.

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werden könnte.41 Das Ergebnis dieser Sondierungen war ein Kompromiß, die Resolution 665 des Sicherheitsrats:42 Sie ermächtigte „diejenigen Mitgliedstaaten, die mit der Regie­ rung Kuwaits zusammenarbeiten ... unter der Weisungsbefugnis des Sicherheits­ rats die erforderlichen, den Umständen angemessenen Maßnahmen anzuwenden44, um die Seetransporte zu überprüfen, und bittet zur Umsetzung der Resolution um größtmögliche „Zuhilfenahme politischer und diplomatischer Maßnahmen44 und empfiehlt zur Koordination, auf das Instrumentarium des Generalstabsausschusses zurückzugreifen und „ersucht die betreffenden Staaten ... im Benehmen mit dem Generalsekretär dem Sicherheitsrat44 und seinem Sanktionsausschuß „Berichte vorzulegen44. Das heißt, die Resolution schließt die Anwendung militärischer Mittel zur Durchsetzung nicht aus - hier haben sich die USA durchgesetzt -, bindet aber im Gegensatz zur Resolution 678 die ermächtigten Staaten an die Weisungsbefugnis des Sicherheitsrats, empfiehlt die Benutzung des Generalstabs­ ausschusses des Sicherheitsrats und betont die Priorität diplomatischer Mittel, alles Punkte, die in der entscheidenden Resolution 678 vom November 1990, welche die Rechtsgrundlage für die Militäraktion gegen den Irak im Januar 1991 bildete, fehlen. Die Auseinandersetzungen um die Seeblockade sind ein Beleg für die Tendenz der USA zu außenpolitischen Alleingängen, aber auch für die Möglichkeit der anderen Großmächte, durch politischen Druck auf die USA eine Lösung unter Be­ teiligung des Sicherheitsrats zu erreichen. Allerdings hatte die Kooperationsbereitschaft der USA mit den Vereinten Na­ tionen im Golf-Konflikt von Anfang an relativ enge Grenzen: Sie lehnten am 15. August 1990 den sowjetischen Vorschlag ab, ein UN-Oberkommando für alle Streitkräfte im Golf-Gebiet zu bilden, und hielten sich auch nicht an die Aufforde­ rung der Resolution 665 vom 25. August 1990, den Generalstabsausschuß, den Sicherheitsrat und den Sanktionsausschuß zu beteiligen.43 Auch danach behielten sich die USA lange Zeit ein militärisches Vorgehen am Golf ohne Einbeziehung des Sicherheitsrats vor: So betonte Präsident Bush in einer Pressekonferenz am 8. November 1990, daß der Art. 51 der UN-Charta nach der Auffassung seiner Administration nach wie vor eine hinreichende recht­ liche Grundlage zum Einsatz militärischer Mittel bilde und daß eine weitere UN-

41 Vgl. Elaine Sciolino/Eric Pace, How U.S. Got U.N. Backing For Use of Force in the Gulf, in: New York Times, 30.8.1990, S. 1. 42 SC Res. 665 (1990) vom 25.8.1990. 43 Vgl. Hermann Weber, Die Rolle der Vereinten Nationen, a.a.O., S. 185.

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Resolution nicht notwendig sei.44 Die UdSSR, aber auch die westlichen Verbünde­ ten, drängten jedoch die USA, daß eine Entscheidung über Anwendung von Gewalt im Rahmen der Vereinten Nationen getroffen werden müsse45, was die USA schließlich akzeptierten. Der Verlauf der Golf-Krise macht also deutlich, daß in der jetzigen Situation des internationalen Systems die USA eine dominante Rolle spielen und damit die Vereinten Nationen vor ein Problem stellen: Zur Zeit fehlt den USA durch die wirtschaftliche und innenpolitische Schwächung Rußlands ein wirksamer Gegen­ spieler, der gründliche Güterabwägungen bei den Entscheidungen des Sicher­ heitsrats erzwingen könnte.46 China hält sich aufgrund seiner angeschlagenen außenpolitischen Position nach den Ereignissen in Peking im Sommer 1989 eben­ falls zurück und zeigt seine Kritik allenfalls durch Enthaltung bei den Schluß­ abstimmungen, die übrigen Sicherheitsratsmitglieder aus der Dritten Welt sind wegen ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage dringend auf die Unterstützung durch die USA, Großbritannien und Frankreich in der Weltbank-Gruppe bei der Vergabe von Krediten angewiesen und halten sich ebenfalls zurück. UN-Generalsekretär Cuctlar warnte deshalb 1991 vor einem Multilateralismus, der im Grunde nur ein „verkappter Unilateralismus44 sei: „Der Aufbau der Neuen Weltordnung, von der so viel die Rede ist, muß innerhalb des Rahmens der Vereinten Nationen stattfinden, und zwar von Vereinten Nationen,... deren Uberparteilichkeit Garant ihrer Glaubwürdigkeit ist.4447 Maßnahmen des Sicherheitsrats besitzen nur dann eine hohe Legitimität, wenn sie einen geglückten Interessenausgleich unterschiedlicher Interessen, vor allem auch der Dritten Welt, widerspiegeln. Die USA sollten also in ihrem eigenen Interesse in der gegenwärtigen Schwächeperiode Rußlands und Chinas behutsam mit dem Sicherheitsrat umgehen und nicht ihre eigene Stärke zu sehr ausnutzen, um nicht der Institution und damit sich selbst zu schaden.48 Weniger problematisch als die Dominanz der USA ist die von Generalsekretär Cuellar 1991 konstatierte Machtverschiebung vom Generalsekretär zum Sicher­ heitsrat zu sehen, die der Golfkonflikt ebenfalls augenfällig gemacht hat: Der

44 Transcript of a News Conference by U.S. President Bush, Washington D.C., 8.11.1990, in: U.S. Policy Informations and Texts, Nr. 154 vom 9.11.1990, S. 14. 45 Vgl. Thomas L. Friedman, U.S. Partners Want UN to Approve Any Strike in Gulf, in: Inter­ national Herald Tribune, 8.11.1990, S. 1. 46 Vgl. Albert Statz, Nachkriegszeit: Vereinte Nationen zwischen ziviler und militärischer Weltord­ nung, in: Vereinte Nationen, H. 8/1992, S. 129-134, v.a. S. 129f. 47 Zitiert nach Jürgen Kramer, UN und Golf-Krise, a.a.O., S. 103. 49 Vgl. Christian Tomuschat, Die Zukunft der Vereinten Nationen, a.a.O., S. 44.

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Sicherheitsrat ist nach dem Ende des Kalten Krieges in das Zentrum der Vereinten Nationen gerückt, wie es ursprünglich auch in der Charta vorgesehen war. In der Zeit der Blockierung durch den Kalten Krieg hatte der Generalsekretär mit Zustimmung der Generalversammlung, aber de facto auch mit Duldung des handlungsunfähigen Sicherheitsrats, seine Position zu Lasten des Sicherheitsrats ausgebaut und damit wichtige Aufgaben in der Konfliktschlichtung und Friedenssi­ cherung - z.B. bei der Entsendung von UN-Friedenstruppen - übernommen. Nun hat der Sicherheitsrat diese Befugnisse wieder ansichgezogen, was auch sinnvoll ist, da die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats diejenigen Großmächte sind, ohne deren Einverständnis keine weitreichenden Sanktionen in der Praxis durchführbar wären. Allerdings sollte diese besondere Stellung der ständigen Mitglieder innerhalb des jetzt wieder bedeutungsvollen und mächtigen Sicherheitsrats nicht zu einer „Geheimdiplomatie der Fünf44 fuhren, wie sie im Golfkonflikt erstmalig anzutref­ fen war und seitdem als ständige Tendenz zu beobachten ist, die zu Lasten der übrigen Mitglieder des Sicherheitsrats und des Generalsekretärs geht: Zuerst treffen sich die „P 3“ (P — Permanent Members), wie es in UNO-Kreisen heißt, nämlich die drei ständigen Mitglieder USA, Großbritannien und Frankreich, außerhalb des UN-Gebäudes in einer ihrer UN-Botschaften zur vertraulichen Beratung, dann treffen sich die „P 5“ (alle fünf ständigen Mitglieder, d.h. mit Rußland und China) vertraulich in einem speziellen Raum außerhalb des Sicher­ heitsratssaales, schließlich trifft sich der gesamte Sicherheitsrat vertraulich in einem Raum nahe des Sicherheitsratsaales, bevor schließlich die öffentliche Sitzung des Sicherheitsrats stattfindet, wo offizielle Erklärungen der Mitglieder des Sicherheitsrats zum jeweiligen Tagesordnungspunkt abgegeben werden und die formalen Anträge abgestimmt werden. Alle vorbereitenden Sitzungen - von „P 3“, „P 544 und vom gesamten Sicherheitsrat, sind nichtöffentlich und es wird kein Protokoll angefertigt.49 Es wird deutlich, daß bei diesem Verfahren den drei westlichen Sicherheitsratsmitgliedera eine Schlüsselrolle bei der Entscheidungsfindung zukommt, die al­ lerdings auch ihrem aktuellen Machtübergewicht gegen den wirtschaftlich und innenpolitisch geschwächten ständigen Mitgliedern Rußland und China entspricht. Die Gefahr dieses Verfahrens liegt darin, daß durch die späte Einschaltung der nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats vor allem die Interessen der Dritten

49 Vgl. Michael Reisman, The Constitutional Crisis In The United Nations, in: American Journal of International Uw, vol. 87 (1993), H. 1, S. 83-99, S.85f.

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Welt weitgehend ausgeblendet werden und ein fairer Interessenausgleich erschwert wird. Sie können zwar durch eine Mehrheit von sieben Gegenstimmen aus den Reihen der zehn nichtständigen Mitglieder einen Ratsbeschluß verhindern, eine solche Einigung unter den nichtständigen Mitgliedern setzt aber eine genügende und rechtzeitige Information über die Absichten der „P 5" und die Konsequenzen der von ihnen beabsichtigten Ratsentscheidungen voraus.50 Sollte die „Geheimdi­ plomatie44 der „P 3" und „P 544 zu sehr Umsichgreifen, würde das die Akzeptanz ihrer Entscheidungen in den Mitgliedsländern untergraben. Zum anderen hat dieses Verfahren auch den Nachteil, daß es zu Auslegungs­ streitigkeiten über getroffene Beschlüsse kommen kann, da wegen der fehlenden Protokolle der vertraulichen Sitzungen die ständigen Sicherheitsratsmitglieder sich auf unterschiedliche Zielsetzungen und Modalitäten berufen können, die man vorher vereinbart habe. Das erschwert eine verläßliche politische Zusammenarbeit in Konfliktsituationen. Ebenso stimmt der Mangel an demokratischer Öffentlich­ keit in diesem Verfahren bedenklich. Außerdem wird der Generalsekretär in seiner politischen Autorität als Mode­ rator in den langwierigen und schwierigen Konfliktschlichtungsverfahren her­ abgesetzt, wie Cu611ar kritisiert: „Wenn die Ständigen Mitglieder sich auf ein bestimmtes Vorgehen geeinigt haben, dem sich der Rat als Ganzes anschließen soll, dann üben sie eine enorme Macht aus, welche die Rolle der anderen Mit­ glieder des Rates und die anderer Organe der Vereinten Nationen überschatten kann, die des Generalsekretärs eingeschlossen, und die dazu führen kann, daß in der Öffentlichkeit die Vorstellung von den Vereinten Nationen als eines unpar­ teiischen Mittlers für den Frieden beeinträchtigt wird... Ein Ungleichgewicht in dieser Hinsicht könnte sich, so fürchte ich, künftig als gefährlich herausstellen. 4451 Deshalb sollte der Sicherheitsrat trotz seines gesteigerten Gewichts innerhalb der UNO darauf achten, den Generalsekretär genügend einzubeziehen, da viele Staaten der Dritten Welt im Amt des Generalsekretärs eine Barriere gegen eine zu große Dominanz des Sicherheitsrats und dessen Interessen sehen, zumal, wenn er selber aus einem Land der Dritten Welt stammt, eine Tatsache, auf die UNGeneralsekretär Cuällar in seinem Bericht an die 46. Generalversammlung am 6.

30 Aus diesem Grand schlägt Michael Reisman in seinem Beitrag im AJIL (Anm. 49) ein Konsulta­ tions-Komitee von 21 Mitgliedern der Generalversammlung vor, das der Sicherheitsrat in den Fällen hinzuziehen solle, wenn Maßnahmen nach Kap. VH der Charta geplant seien. Es solle vor der Entscheidung angehört werden und während der Durchführung von Sanktionsmaßnahmen weiter informiert und angehört werden. 51 Javier Perez de Cuellar, Bordeaux-Rede, 22.4.91, zitiert nach Jüigen Kramer, UN und Golf-Krise, a.a.O., S. 102.

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September 1991 mit für UN-Diplomaten ungewohnter Deutlichkeit hinwies: „Es gibt Nationen, die Grund haben, im Vertrauen auf die Dynamik der Macht oder der Wirtschaft mit dem Status quo zufrieden zu sein, und es gibt Nationen mit ernsten Beschwerdegründen politischer oder wirtschaftlicher Natur, die nach Abhilfe verlangen. Jede Anschauung, die hinsichtlich der Umsetzung der Grund­ sätze der Charta der Vereinten Nationen allein die Interessen einer Gruppe von Nationen zum Ausdruck bringt und dabei diejenigen anderer Gruppen unberück­ sichtigt läßt, sät zwangsläufig Zwietracht. In engem Zusammenhang damit steht die Frage, ob das in der Charta vorgesehene Gleichgewicht zwischen den Haupt­ organen, so insbesondere zwischen der Generalversammlung, dem Sicherheitsrat und dem Sekretariat, auch tatsächlich konsequent gewahrt wird. Das ... berührt unmittelbar die friedenswahrende Funktion der Vereinten Nationen.“52 Ohne fairen Interessenausgleich zwischen allen Ländergruppen bleibt der not­ wendigen Führungsrolle des Sicherheitsrats in internationalen Konflikten die erforderliche Legitimierung versagt und damit die Akzeptanz bei den Mitglied­ staaten. Hat der Golfkonflikt neben der Dominanz der USA und der ambivalenten Rolle des Sicherheitsrats auch ein Versagen der Konfliktfrüherkennungs- und Deeskala­ tionsmechanismen der Vereinten Nationen offenbart? Obwohl gutinformierte Beobachter der Probleme im Nahen Osten schon Monate vorher zunehmende Spannungen zwischen Irak und Kuwait festgestellt hatten, wurde die UNO nicht mit Vermittlungsdiensten oder Fact-Finding-Missionen aktiv. Generalsekretär Cuöllar führte, wie er in seinem Jahresbericht an die General­ versammlung im September 1991 ausführte, das Versagen des Frühwammechanismus auf Mängel im Informationssystem der Vereinten Nationen zurück, dem es an Vertretern in den Konfliktregionen wie auch an modernen technischen Medien fehlte: „Die Vereinten Nationen verfügen nicht über die Mittel, eine unparteiische und wirksame weltweite Überwachung potentieller oder sich anbahnender Kon­ fliktsituationen vornehmen zu können. Eine präventive Diplomatie setzt eine Frühwamfähigkeit voraus, für die wiederum eine verläßliche und unabhängig erworbene Datenbasis Vorbedingung ist. Derzeit ist der Bestand an Informatio­ nen, die dem Generalsekretär zur Verfügung stehen, völlig unzulänglich. Ohne den Zugang zu den technischen Mitteln, wie weltraumgestützten oder anderen

52 Bericht des Generalsekretärs über die Tätigkeit der Vereinten Nationen an die 46. Generalver­ sammlung, Übersetzung des Deutschen Übersetzungsdienstes der Vereinten Nationen der Vorabfas­ sung des UN Doc. A/46/1, nachgedruckt in: Vereinte Nationen, H. 6/1991, S. 196-204, S. 203.

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technischen Überwachungssystemen und ohne eine dem Bedarf entsprechende Vertretung vor Ort ist schwer vorstellbar, wie das Sekretariat potentielle Kon­ fliktsituationen von einer eindeutig unparteiischen Warte überwachen kann. 4453 Noch plastischer drückte er sein Problem in einem Spiegel-Interview aus: „Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat keine Satelliten. Besäße er einen, wäre mir nicht verborgen geblieben, daß 100 000 Soldaten an der Grenze zwi­ schen Irak und Kuwait stationiert worden waren, ehe Bagdad am 2. August einmarschierte. 4454 Das mag zwar für den direkten Angriff am 2. August zutreffen, die KuwaitKrise jedoch, die dem Überfall Iraks vorausging, ist eher ein Beispiel einer Kette von Fehleinschätzungen in der Krisendiplomatie der Großmächte, vor allem in den USA: Mitte Juli 1990 hatte der Irak Ersatz für Einnahmeausfalle in Milliar­ denhöhe durch eine angebliche kuwaitische Überproduktion über die vereinbarten OPEC-Förderquoten hinaus und für „gestohlenes44 Ol verlangt, das Kuwait durch Schrägbohrungen in dem im kuwaitisch-irakischen Grenzgebiet gelegenen Ölfeld von Rumaila aus irakischen Territorium gefordert habe.55 Diese ultimativ vor­ gebrachten Forderungen wurden durch einen massiven Aufmarsch irakischer Truppen an der Grenze zu Kuwait untermauert.56 Da diese Truppenverbände jedoch bis Ende Juni 1990 nicht über die für eine Invasion notwendige logistische Unterstützung verfügten, sahen die meisten Nachrichtendienste und Nahostexperten in dem Aufmarsch lediglich eine Drohge­ bärde, um Kuwait zur Zahlung zu bewegen.57 Diese Auffassung wurde dadurch unterstützt, daß sich andere Staaten der arabischen Liga, vor allem Saudi-Arabien und Ägypten vermittelnd einschalteten, und Ägyptens Präsident Mubarak von Hussein die Zusage erhielt, zur Lösung des Konflikts keine Waffengewalt einzusetzen.58 Die USA übermittelte Hussein in dieser Situation gemischte Signale: Einerseits warnte Verteidigungsminister Cheney am 24. Juli Hussein vor militärischen

53 Ebd., S. 198. 54 Interview mit Pdrez de Cutilar, in: Der Spiegel, Nr. 27/1991, 1.7.1991, S. 126-129, S. 128. 55 Vgl. Arnold Hottinger, Irakische Drohungen gegen Kuwait und die VAE, in: Neue Zürcher Zeitung, 20.7.1990, S. 3. 36 Vgl. Nora Boustany/Patrick Tyler, Iraq Masses Troops at Kuwait Vorder, in: Washington Post, 24.7.1990, S. 1; Caryle Murphy, Iraq Expands Force Near Kuwait Vorder, in: Washington Post, 31.7.1990, S. 16. 57 Vgl. Will Iraqis Attack? Unlikely, U.S. Officials Say, in: International Herald Tribune, 21./22.7.1990, S. 3. 59 Vgl. Viktor Kocher, Schwierige Vermittlung Mubaraks in Bagdad, in: Neue Zürcher Zeitung, 27.7.1990, S. 1.

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Schritten, andererseits reagierte die US-Botschafterin in Bagdad April Glaspie in einer Unterredung mit Hussein am 25. Juli 1990 auf dessen Ankündigung, er würde alle Mittel gegen Kuwait einsetzen, und auf seine Warnung, die USA möge sich nicht einmischen, mit der Bemerkung, daß die US-Regierung zum irakischkuwaitischen Konflikt „keine Meinung44 habe und Präsident Bush die Beziehungen zum Irak verbessern wolle.59 Erst am 29. Juli wurde durch nachrichtendienstliche Erkenntnisse deutlich, daß der Irak einen Angriff auf Kuwait vorbereitete. Insofern ist der Golfkonflikt weniger ein Beleg für das Versagen des Früh­ warnsystems der UNO, sondern für ein Versagen der Nachrichtendienste und der Diplomatie der Großmächte. Wenn sie - im Besitz aller Informationen - sich täuschen ließen und zudem keine eindeutige Deeskalations- und Schlichtungs­ bemühungen unternahmen, wie hätte dann die UNO schnell genug reagieren können, deren Apparat mit dem Zusammenspiel von Generalsekretariat und Sicherheitsrat nur viel langsamer reagieren kann. Damit ist aber nichts gegen die generelle Nützlichkeit von politischen Beobach­ termissionen und eigenen technischen Kontroll- und Kommunikationsmedien der UNO gesagt, die sicher in vielen Fällen Frühwamfunktionen übernehmen können.

2.2.

Der Fall Jugoslawien - Versagen des Krisenmanagements der Vereinten Nationen?

Kaum eine UN-Mission hat derartige Kontroversen in der öffentlichen Meinung ausgelöst wie die Mission im ehemaligen Jugoslawien, vor allem die Frage, wie man sich in Bosnien-Herzegowina verhalten soll. Tatsächlich scheint das UN-System der Friedenssicherung im ehemaligen Jugoslawien an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gekommen zu sein: relativ hilflos und frustriert versuchten Sicherheitsrat und Generalsekretär in Zusammen­ arbeit mit der EG und der KSZE bisher vergeblich, die Krise in Jugoslawien zu entschärfen, die kriegführenden Bürgerkriegsparteien dazu zu bringen, vereinbarte Waffenstillstände einzuhalten. Wenigstens gelingt den in Jugoslawien stationierten Friedenstruppen unter großer Gefahr für alle Beteiligten, Hilfskonvois mit Nah­ rungsmitteln und Medikamenten in von Serben belagerte bosnische Städte zu bringen und grobe Menschenrechtsverletzungen wenigstens, wie durch den Son-

39 Vgl. Jim Hoagland, Iraqi Wamed U.S. Against Interference, in: International Herald Tribune, 14.9.1990; Nora Boustany/Patrick Tyler, U.S. Pursues Diplomatie Solution In Persian Gulf Crisis, Wams Iraq, in: Washington Post, 25.7.1990, S. 17.

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derbeauftragten der Menschenrechtskommission, Tadeusz Mazowiecki, regi­ strieren und in der internationalen Öffentlichkeit anprangern zu lassen. Innerhalb der Vereinten Nationen ist das Engagement in Jugoslawien umstritten: Untergeneralsekretar Marrack Goulding, sprach 1992 angesichts der Hilflosigkeit der UN in Jugoslawien von einer „Demoralisierung“ im Generalsekretariat und kritisierte jene Regierungen - die er nicht namentlich nannte

die auf den Gene­

ralsekretär einen starken Druck ausgeübt hätten, damit die UNO sich in Jugosla­ wien engagierten und damit in einer Region, „in der nach dem Urteil des Sekre­ tariats die Voraussetzungen für einen Erfolg nicht existieren. u6° UN -Generalsekre­ tär Boutros-Ghali warf den Europäern und dem Sicherheitsrat vor, sich zu sehr auf Jugoslawien zu konzentrieren, Jugoslawien sei ein „Krieg der Reichen“, der den Konflikt in Somalia und andere Konflikte in der armen Welt des Südens in den Hintergrund gerückt habe.61 Wie kann und soll sich die UN in Jugoslawien engagieren? Ohne die Einzel­ heiten des Jugoslawienkonflikts hier darstellen zu können, die im übrigen in zahlreichen Publikationen abgehandelt werden, soll hier in Kürze die Verwicklung der UN in den Jugoslawienkonflikt, die Chancen und Grenzen ihres Krisenmana­ gements analysiert werden. Im Zuge der Umwälzungen in Osteuropa kamen Ende der achtziger Jahre in Slowenien und Kroatien Reformkommunisten an die Macht, daneben bildeten sich bürgerliche Parteien. In Serbien konnten dagegen die orthodoxen Kommunisten ihre Macht behaupten. Nachdem bei den ersten freien Wahlen 1990 in Slowenien, Kroatien und Bos­ nien-Herzegowina bürgerlich-nationale Parteien an die Macht gekommen waren, begannen ihre Regierungen Verhandlungen über die Zukunft Jugoslawiens, mit dem Ziel, die jugoslawische Föderation zu lockern, wogegen Serbien sich sperrte. Schließlich wurden in Slowenien und Kroatien Volksabstimmungen durchgeführt, die eine Mehrheit für die Unabhängigkeit beider Republiken ergaben. Im Juni 1991 erklärten daraufhin Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit, welche die jugoslawische Bundesregierung, die von den orthodoxen serbischen Kommunisten dominiert wurde, nicht anerkannte. Um die Sezession zu verhindern, führte die jugoslawische Bundesarmee gegen Slowenien und Kroatien Krieg, die EG ver­ suchte zu vermitteln und der KSZE-Mechanismus zur Streitschlichtung wurde in Gang gesetzt.

60 Zitiert nach Matthias Naß, Bange vor der großen Bürde, in: Die Zeit, Nr. 34, 14.8.1992, S. 5. 61 Vgl. Boutros Boutros-Ghali, Auf uns richten sich große Hoffnungen, Gespräch des Generalsekretärs mit Matthias Naß, in: Die Zeit, Nr. 33, 7.8.1992, S. 3.

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In Slowenien kam es relativ schnell zu einer Waffenstillstandsvereinbarung, weil es hier nur wenige serbische Minderheitsgruppen gab. Am 8. Juli 1991 schlossen Slowenien und die Republik Jugoslawien das Abkommen von Brioni, darauf zog sich die Bundesarmee aus Slowenien zurück. In Kroatien dagegen mit einer serbischen Minderheit von 12% weiteten sich nach der Unabhängigkeitserklärung die militärischen Konflikte aus, es kam zu Kämpfen zwischen den Milizen der in Kroatien lebenden Serben und kroatischen Polizei- und Armeeverbänden, in die sich die jugoslawische Bundesarmee zugun­ sten der Serben einmischte. Die EG erreichte zwar durch ihre Vermittlung zahl­ reiche Waffenstillstände, sie hielten jedoch alle nicht lange, sondern wurden nach kurzer Zeit wieder gebrochen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen reagierte auf die Situation in Jugo­ slawien sehr zögernd, was Maßnahmen nach Kapitel VI (Maßnahmen zur friedli­ chen Streitbeilegung) und Kapitel VII (Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens) anbetrifft: Erst drei Monate nach dem Krieg der serbischen Verbände der ehemaligen Bundesarmee gegen Slowenien und zwei Monate nach dem Einmarsch der Serben in Kroatien beschloß der Sicherheitsrat am 25.9.1991 mit seiner Resolution 713 (1991) einstimmig, an alle Streitparteien zu appellieren, „ihre Streitigkeiten auf friedlichem Wege und durch Verhandlungen ... beizule­ gen“. Um den Konflikt nach Möglichkeit zu deeskalieren, enthielt die Resolution außerdem den Beschluß „nach Kapitel VII der Charta“ ein „allgemeines und vollständiges Embargo“ gegen die Lieferung von Waffen und militärischen Aus­ rüstungen nach Jugoslawien zu verhängen. Alle Staaten wurden aufgefordert, „sich jeglicher Handlungen zu enthalten, die zur Erhöhung der Spannungen und zur Behinderung oder Verzögerung eines friedlichen und auf dem Verhandlungs­ wege herbeigeführten Ausgangs des Konflikts in Jugoslawien beitragen könn­ ten“.62 Das Zögern des Sicherheitsrats hatte mehrere Gründe: Zum einen wollte man erst den Ausgang der Schlichtungsbemühungen der Europäischen Union abwarten. Außerdem handelte es sich um einen Bürgerkrieg, bei dem man Rücksicht auf das Interventionsverbot in innere Angelegenheiten gemäß Artikel 2 Ziffer 7 der UNCharta nehmen mußte. So befaßte sich der Sicherheitsrat erst in dem Moment mit dem Konflikt, als die jugoslawische Regierung auf Drängen der blockfreien Mit­ glieder des Sicherheitsrats ihre Zustimmung gab (UN Doc. S/23069).63

62 SC Res. 713 (1991) vom 25.9.1991. Deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 5/1991, S. 175. 63 Vgl. Jürgen Kramer, Jugoslawien: Ein Staat zerfallt, in: Vereinte Nationen, H. 4/1992, S. 56-58, S. 56.

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Das Waffenembargo des Sicherheitsrats erwies sich als ein wirkungsloses Mittel zur Konfliktdämpfung, da die jugoslawischen Bürgerkriegsparteien durch Waffen­ schmuggel auf dem Wege über Ungarn, Rumänien und Griechenland genügend Nachschub bekamen. So sah sich im Mai 1992 der Vorsitzende des UNO-Ausschusses zur Überwachung des Embargos, Jos6 Ayala-Lasso, zu der Feststellung genötigt: „Das Embargo wurde nicht respektiert.“64 Während die Europäische Gemeinschaft durch ihren Vermittler Lord Carrington in den folgenden Monaten zahlreiche Waffenstillstandsvereinbarungen zwischen den Kriegsparteien zu Wege brachte, die jedoch stets nur für kurze Zeit hielten, griffen die Vereinten Nationen erst im Oktober 1991 wieder in die JugoslawienKrise ein, als Generalsekretär Cuellar den ehemaligen Außenminister der USA Cyrus Vance zum Sonderbeauftragten für Jugoslawien ernannte. Er erreichte am 23. November 1991 eine erste durch die UN vermittelte umfassende Waffenstill­ standsvereinbarung, welche die Präsidenten von Serbien und Kroatien, Milosevic und Tudjman, in Genf unterzeichneten, die aber nicht lange hielt.65 Der Sicher­ heitsrat hatte jedoch in seiner Resolution 721 vom 27. November 1991 die Ein­ haltung des Waffenstillstandes zur Voraussetzung für die Entsendung von UNFriedenstruppen gemacht.66 Während die Bemühungen der UN weitergingen, Serbien und Kroatien zur Ein­ haltung des Genfer Abkommens zu bewegen, um UN-Friedenstruppen nach Jugoslawien entsenden zu können, kam es im Dezember 1991 zu einer heftigen Kontroverse zwischen dem deutschen Außenminister Genscher und UN-Generalsekretär Cuctlar über die Frage der diplomatischen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens: Während Cuöllar vor einer verfrühten Anerkennung warnte, weil sie eine Gesamtlösung gefährde, sah Genscher in der Anerkennung einen Schutz für die Unabhängigkeit der Republiken, welche die serbische Armee von weiteren Eroberungsversuchen abhalten würde. Als Kompromiß beschloß die Europäische Gemeinschaft, die Anerkennung auf den 15. Januar 1992 zu vertagen.

64 Herbert Wulf, Mit einem laxen Embargo ist dem Bürgerkrieg nicht beizukommen, in: Der Tages­ spiegel, 6.8.1992, S. 5. 65 Vgl. im folgenden Jürgen Kramer, Jugoslawien: Ein Staat zerfallt, a.a.O. 66 „Der Sicherheitsrat... schließt sich der Erklärung des Persönlichen Abgesandten des Generalsekre­ tärs gegenüber den beteiligten Parteien an, wonach der Einsatz einer Friedensoperation der Vereinten Nationen nicht in Aussicht genommen werden kann, ohne daß unter anderem alle beteiligten Parteien die am 23. November 1991 in Genf unterzeichnete ... Vereinbarung voll einhalten;...“ (SC Res. 721 (1991) vom 27.11.1991; deutsche Fassung in: Vereinte Nationen. H. 2/1992, S. 73-74, S. 74).

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Am 2. Januar 1992 konnte Vance Serbien und Kroatien dazu bewegen, die Genfer Waffenstillstandsvereinbarung vom 23. November 1991 einzuhalten, die Waffen­ ruhe trat am 3. Januar 1992 in Kraft und erwies sich als so stabil, daß der neue Generalsekretär Boutros-Ghali in einem Bericht an den Sicherheitsrat vom 5. Januar 199267 den Vorschlag machte, etwa 50 Militärbeobachter der UN nach Jugoslawien zu entsenden, was der Sicherheitsrat mit der Resolution 727 vom 8.1.1992 billigte68, am 7. Februar 1992 stockte er mit Resolution 740 ihre Zahl auf 75 auf.69 Ende Februar entschloß sich Generalsekretär Boutros-Ghali, dem Sicherheitsrat zu empfehlen, UN-Friedenstruppen nach Jugoslawien zu schicken (UN Doc. S/23592), und zwar annähernd 14.000 Mann für zunächst ein Jahr. Der Sicher­ heitsrat stimmte mit Resolution 743 am 21. Februar 1992 dem Vorschlag BoutrosGhalis zu und beschloß die Einrichtung einer Friedenstruppe für das ehemalige Jugoslawien, der United Nations Protection Force (UNPROFOR).70 Am 7. April 1992 genehmigte er die Entsendung der UN-Truppe in ihr Einsatzgebiet.71 Seit­ dem sichert das Hauptkontingent der UNPROFOR den Waffenstillstand zwischen Serben und Kroaten in Kroatien. Während seither in Kroatien durch die Präsenz der UNPROFOR die Lage relativ stabil ist, stehen die Vereinten Nationen seit April 1992 vor einem Bür­ gerkrieg in Bosnien-Herzegowina. Auch dort war - wie in Slowenien und Kroatien - ein Referendum über die Loslösung der Republik von der Republik Jugoslawien durchgeführt worden. Es ergab eine Mehrheit für die Unabhängigkeit, die bosnischen Moslems und bosni­ schen Kroaten hatten für die Unabhängigkeit gestimmt, während die bosnischen Serben für einen Verbleib bei Rest-Jugoslawien votiert hatten. Am 15. Oktober 1991 erklärte die Republik Bosnien-Herzegowina ihre Unabhängigkeit. Bald darauf begannen die bosnischen Serben gegen die bosnischen Regierungsstreit­ kräfte zu kämpfen. Nach der internationalen Anerkennung Bosniens durch die EG am 6. April 1992 weitete sich der militärische Konflikt zu einem flächendekkenden Bürgerkrieg aus, an dem sich Einheiten der jugoslawischen Bundesarmee, bosnischen Regierungsstreitkräfte, Milizen der bosnischen Moslems und der bosnischen Kroaten und Einheiten der Republik Kroatien beteiligten.

67 68 69 70 71

Vgl. UN Doc. S/23363 mit Add. 1 vom 5.1.1992. SC Res. 727 (1992) vom 8.1.1992, deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 2/1992, S. 75. SC Res. 740 (1992) vom 7.2.1992, deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 2/1992, S. 75. SC Res. 743 (1992) vom 21.2.1992, einstimmig angenommen. SC Res. 749 (1992) vom 7.4.1992, einstimmig angenommen.

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Diesem Bürgerkrieg, dessen treibende Kraft die Serben sind, fällt zunehmend die Zivilbevölkerung in den Städten und Dörfern zum Opfer, er hat eine völlige Zer­ störung der Infrastruktur der Städte und Dörfer und eine massive Flüchtlingswelle von inzwischen über 3 Millionen Flüchtlingen, die in wachsender Zahl ins Ausland fliehen, zur Folge. Auch im Falle des Bürgerkrieges gegen Bosnien-Herzegowina erwiesen sich die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossenen Wirtschaftssanktionen als wirkungslos: Zwar beschloß der Sicherheitsrat am 30.5.1992 mit Resolution 757 (1992) ein umfassendes Handelsembargo gegen die „Föderative Republik Jugoslawien“ d.h. Serbien und Montenegro, die als Hauptverantwortliche für den Krieg in Bosnien angesehen werden.72 Serbien erhält jedoch weiter Erdöl aus Rußland via Rumänien und Warenlieferungen via Griechenland, das zudem Strom aus Bosnien über Serbien bezieht und dafür Leitungsgebühren bezahlt.73 Die Nichtbefolgung des Embargos war im Sommer 1992 so offenkundig, daß der deutsche Verteidigungsminister Rühe Griechenland öffentlich wegen seines Embargobruchs kritisierte: Am 20. August 1992 nannte er in einem Femsehinterview Athens Nichtbefolgung des Embargos „einen Skandal“.74 Um den internationalen Hilfsorganisationen die Versorgung der bosnischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten usw. zu ermöglichen, beschloß der Sicherheitsrat am 8. Juni 1992, Friedenstruppen der UNPROFOR in BosnienHerzegowina, vor allem auf dem Flughafen von Sarajewo und seiner näheren Umgebung „zur Gewährleistung der ungehinderten Lieferung humanitärer Güter“ zu stationieren75 und erhöhte die Zahl der UNPROFOR-Kräfte am 29. Juni 1992.76 Nachdem die Medien und die internationalen Menschenrechtsorganisationen über wachsende Menschenrechtsverletzungen in Jugoslawien berichtet hatten, befaßte sich eine Sonderkonferenz der Menschenrechtskommission am 13. und 14. August 1992 in Genf mit der Situation in Jugoslawien. Sie verurteilte die sogenannten „ethnischen Säuberungen“, d.h. die Vertreibung von bosnischen Moslems und Kroaten aus den von den bosnischen Serben be­ anspruchten Gebieten sowie zahlreiche weitere Menschenrechtsverletzungen in

72 SC Res. 757 (1992) vom 30.5.1992, deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 3/1992, S. 110-

112. 73 Vgl. Embargo wird umgangen. Rumänien und Griechenland unterlaufen UNO-Sanktionen, in: Süddeutsche Zeitung, 21.7.1992, S. 1. 74 Vgl. Rühe greift Athen wegen Bruchs des Embargos an, in: Der Tagesspiegel, 21.8.1992, S. 1. 73 SC Res. 758 (1992) vom 8.6.1992, deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 6/1992, S. 212f. 76 SC Res. 761 (1992) vom 29.6.1992, deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 6/1992, S. 213.

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Bosnien und Herzegowina.77 Die Menschenrechtskommission ernannte Tadeusz Mazowiecki zum Sonderbe­ auftragten zur Ermittlung der Menschenrechtssituation in Jugoslawien. In seinem Bericht an die Menschenrechtskommission am 3. September 199278 konstatierte er, daß „massive und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen“ überall in Bosnien-Herzegowina „von allen Konfliktparteien44 begangen würden, jedoch sei die Situation der moslemischen Bevölkerung „besonders tragisch44, sie sei „von der Vernichtung bedroht.4479 Er forderte in seinem Bericht, die Soldaten der UNPROFOR sollten das Recht zum direkten Eingreifen bei Menschenrechts­ verstößen und zum Schutz der Opfer erhalten.80 Frustriert von der Ergebnislosigkeit der Friedensbemühungen forderte die UNVollversammlung am 25. August 1992 in einer Resolution den Sicherheitsrat zu einem entschiedeneren Vorgehen im Bosnien-Konflikt auf. Dies könne militärische Schläge oder schärfere Sanktionen bedeuten, heißt es im Text der Resolution. 136 Staaten stimmten für die Resolution, lediglich die Republik Jugoslawien, aus Serbien und Montenegro bestehend, dagegen.81 Auch eine Friedenskonferenz unter Beteiligung aller Bürgerkriegsparteien, der UNO, der EG und der KSZE unter dem Vorsitz von UN-Generalsekretär Bou­ tros-Ghali und des britischen Premierministers Major in London am 27. August 1992 brachte keine wesentlichen Fortschritte. Deshalb wurde von vielen Kon­ ferenzteilnehmern eine Verstärkung der UN-Friedenstruppen in Bosnien und eine Ausweitung ihres Mandats gefordert. Boutros-Ghali wollte jedoch die zahlenmäßig umfangreiche UN-Präsenz im ehe­ maligen Jugoslawien - ca. 14000 UN-Soldaten in Kroatien zur Überwachung des dortigen Waffenstillstands und ca. 1000 in Bosnien-Herzegowina - wegen der hohen Kosten für die Vereinten Nationen nicht weiter erhöhen. Schließlich fand man einen Kompromiß: Man schuf eine neue Kategorie von UN-Friedenstruppen neben den regulären, aus den Umlagemitteln für Peacekeeping Operations fi­ nanzierten UN-Friedenstruppen: eigenfinanzierte UN-Friedenstruppen der Euro­ päer und der USA - etwa 6000 Mann82, eine Lösung, die der Sicherheitsrat billig­ te.

77 Zum Text der Resolution der Sondersitzung vgl. UN Doc. E/CN.4/Res. 1992/8-1/1. 78 Vgl. UN Doc. A/47/418-S/24516 vom 3.9.1992. 79 Vgl. ebd., Para. 51 ff. 80 Vgl. ebd., Ziffer 63: „UNPROFOR personnel should have the right to react directly to the human rights violations committed in their presence and to assist the victims ..." 81 Vgl. Transall über Sarajevo beschossen, in: Der Tagesspiegel, 26.8.1992, S. 1. 82 SC Res. 776 (1992) vom 14.9.1992.

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Um die humanitären Flüge nach Bosnien zu sichern und Luftangriffe der Serben auf die Zivilbevölkerung zu verhindern, wurde im Oktober 1992 durch den Sicherheitsrat ein Verbot von militärischen Flügen im Luftraum über BosnienHerzegowina verhängt83, das seitdem durch Aufklärungsflugzeuge der Nato über­ wacht wird. Die Londoner Konferenz beschloß als spezielles Verhandlungsgremium die Einrichtung einer Internationalen Konferenz in Genf für die Lösung der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien. In ihrem Rahmen arbeiten seitdem die Vermittler der EG - David Owen - und der UNO - bis April 1992 Cyrus Vance, nach dessen Rücktritt Thorvald Stoltenberg - Friedenspläne aus und versuchen in langwierigen Verhandlungen die Bürgerkriegsparteien zu deren Annahme zu bewegen. Um die Bürgerkriegsparteien von weiteren Menschenrechtsverletzungen ab­ zuhalten, beschloß der Sicherheitsrat im Oktober 1992 die Einsetzung einer Kommission von fünf Sachverständigen zur Untersuchung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts im ehemaligen Jugoslawien, die seitdem alle Berichte über Menschenrechtsverletzungen auswertet und - soweit möglich - durch In­ spektionsreisen vor Ort die Informationen über Menschenrechtsverletzungen überprüft.84 Bis Oktober 1993 stand sie unter der Leitung des Niederländers Fritz Kalshoven, den Cherif Bassiouni aus Ägypten ablöste. Am 22. Februar 1993 wurde die Kommission durch die Gründung eines Inter­ nationalen Gerichtshofs durch Beschluß des Sicherheitsrats ergänzt.85 Er hat den Auftrag, „diejenigen Personen zu verfolgen, die für die seit 1991 im Hoheits­ gebiet des ehemaligen Jugoslawiens begangenen schweren Verletzungen des hu­ manitären Völkerrechts verantwortlich sind.4486 Damit wollte man der Androhung Nachdruck verleihen, daß man die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen juristisch ahnden will, wenn auch viele völkerrechtliche Verfahrensfragen dabei noch ungeklärt sind. Am 15. August 1993 wählte die Generalversammlung auf Vorschlag des Sicher­ heitsrats87 die 11 Richter des Strafgerichts88, im Oktober 1993 ernannte der Sicherheitsrat auf Vorschlag von Generalsekretär Boutros-Ghali Ramon Escovar-

e3 SC Res. 781 (1992) vom 9.10.1992. 14 SC Res. 780 (1992) vom 6.10.1992. 15 SC Res. 808 (1993) vom 22.2.1993. Der Beschluß wurde am 25. Mai 1993 in Resolution 827 (1993) präzisiert und mit weiteren Detailregelungen versehen. * SC Res. 808 (1993) vom 22.2.1993, deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 2/1993, S. 71. r SC Res. 857 (1993) vom 20.8.1993. ” Vgl. General Assembly elects eight of eleven judges for International War Crimes Tribunal, United Nations Press Release GA/496, 15 September 1993.

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Salom zum Leiter der Anklagebehörde beim Internationalen Gericht.89 Boutros-Ghali betonte in seiner Grußbotschaft an das neue Gericht bei seiner ersten Sitzungsperiode im November 1993 den Präventionszweck des Gerichts: Das Gericht solle „in dem fortdauernden Konflikt“ im ehemaligen Jugoslawien „eine präventiven und abschreckenden Effekt“ haben.90 Das Gericht gab sich selbst den Namen „International Tribunal for Crimes in former Yugoslavia“ (Internationales Strafgericht für Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien), es wählte Antonio Cassese aus Italien zu seinem Präsidenten.91 Um der Isolation Serbiens bzw. der Verurteilung seiner Haltung im BosnienKonflikt deutlichen Ausdruck zu verleihen, beschloß die Generalversammlung am 22. September 1992 auf Antrag des Sicherheitsrats, die Mitgliedschaft der „So­ zialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ - sie umfaßt Serbien und Monte­ negro, da Mazedonien am 16. Dezember 1991 ebenfalls seine Unabhängigkeit er­ klärt hat, in den Vereinten Nationen quasi zu suspendieren92, d.h. die General­ versammlung ist der Auffassung, daß die „Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) nicht automatisch die Mitgliedschaft der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in den Vereinten Nationen fort­ fuhren kann“ und beschließt, daß sie „einen Antrag auf Aufnahme in die Ver­ einten Nationen stellen soll und nicht an der Arbeit der Generalversammlung teilnehmen wird.“ Das heißt, die Republik Jugoslawien behält ihre diplomatische Vertretung bei den Vereinten Nationen, kann weiter Texte zirkulieren lassen und in anderen UN-Organen mitarbeiten - ein Kompromiß zwischen voller Mitglied­ schaft und Ausschluß, weil Rußland nicht zur formellen Suspendierung oder gar zum Ausschluß der Republik Jugoslawien bereit war.93 Weil die Vereinten Nationen auch eine Ausweitung der Kampfhandlungen nach Mazedonien befürchteten, beschloß der Sicherheitsrat am 11. Dezember 1992 die Entsendung einer präventiven Schutztruppe nach Mazedonien.94 Seitdem sind dort ca. 500 UN-Blauhelme stationiert. Da immer wieder Angriffe serbischer Verbände auf Flüchtlinge gemeldet wurden, entschied der Sicherheitsrat im Mai 1993 95, Schutzzonen für bosnische Moslems und Flüchtlinge auszurufen, die er im Juni mit ausdrücklichem mili-

89 90 91 92 93 94 95

SC Res. 877 (1993) vom 21.10.1993. Zit. nach: Yugoslav Crisis, in: UN Chronicle, March 1994, S. 65. Vgl. ebd. GA Res. 47/1 vom 22.9.1992. Vgl. Jürgen Kramer, Jugoslawien, in: Vereinte Nationen, H. 6/1992, S. 208-211, S. 210. SC Res. 795 (1992) vom 11.12.1992. SC Res. 824 (1993) vom 6.5.1993.

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tärischen Schutz versah: Nach dem Wortlaut der Sicherheitsratsresolution S3696 dürfen die UN-Friedenstmppen in den Schutzzonen „die notwendigen Maßnah­ men, einschließlich des Einsatzes von Gewalt“ ergreifen, wenn sie angegriffen werden oder humanitäre Lieferungen behindert werden. Für den militärischen Schutz in den Schutzgebieten erhöhte der Sicherheitsrat am 18. Juni 1993 mit Resolution 844 die in Bosnien stationierten ca. 7000 UNFriedenstruppenverbände um 7.60097. Generalsekretär Boutros-Ghali kritisierte die Errichtung der Schutzzonen: Er befurchtet, sie könnten als Legitimierung der „ethnischen Säuberungen“ verstanden werden.” Am Verhandlungstisch gelang trotz ständiger Vermittlungsbemühungen des Gespanns EG-Vennittler/UN-Vemittier bisher kein entscheidender Fortschritt: Der von David Owen und Cyrus Vance Anfang 1993 in Verhandlungen mit den Bürgerkriegsparteien ausgearbeitete Friedensplan für Bosnien-Herzegowina schei­ terte nach längeren Verhandlungen im Juni 1993.” Er hatte unter dem Dach einer gemeinsamen Föderation die Aufteilung in 10 Provinzen vorgesehen, deren Einteilung sich weitgehend an dem Status quo der militärischen Lage in Bosnien orientierte, d.h. den Serben und den Kroaten Gebietszugewinne auf Kosten der Moslems gebracht hätte, aber sich noch an der bisherigen geographischen Ver­ teilung der Bevölkerungsgruppen grob orientierte. Da er aber die von Serben und Kroaten gewünschte direkte Verbindung mit den Republiken Serbien bzw. Kroa­ tien nicht hergestellt hätte, fand er nicht genügend Akzeptanz bei ihnen. Erst nachdem sich im Frühjahr die USA verstärkt in die Verhandlungen im Bosnien-Konflikt eingeschaltet hatte, kam es zu Teilerfolgen: Mitte März 1994 einigten sich zwei der drei Bürgerkriegsfraktionen in Bosnien-Herzegowina, die bosnischen Kroaten und die bosnische Regierung: Am 18. März unterzeichneten der bosnische Ministerpräsident Silajdzic, der bosnische Präsident Izetbegovic, der bosnische Kroatenfuhrer Zubak und der Staatschef Kroatiens, Tudjman, in Wa­ shington einen Vertrag100 über die Bildung eines Bundesstaats im überwiegend vom Moslems und von Kroaten bewohnten Gebiet, daß ca 50% Bosniens umfaßt. Der neue Bundesstaat soll in Kantone mit jeweils moslemischer bzw. kroatischer

96 SC Res. 836 (1993) vom 4.6.1993. 97 SC Res. 844 (1993) vom 18.6.1993. 98 Vgl. Auch Boutros Ghali lehnt Schutzzonen ab, in: Der Tagesspiegel, 29.5.1993, S. 1. 99 Vgl. Teilung Bosniens ist nicht aufzuhalten. Friedensplan endgültig gescheitert, in: Der Tages­ spiegel, 18.6.1993, S. 1. 100 Preliminary Agreement Conceming the Establishment of a Confederation Between The Federation of Bosnia and Herzegovina and the Republic of Croatia, March 18, 1994, in: International Legal Materials, vol. XXXffl, No. 3, May 1994, S. 605-619.

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Mehrheit gegliedert werden. Am 30. März 1994 stimmten die Abgeordneten des bosnischen Parlaments der Annahme der neuen, mit dem Abkommen von Wa­ shington beschlossenen Verfassung zu, die daraufhin am 1. April 1994 in Kraft trat.101 Schwachpunkt dieser Einigung ist die Ausklammenmg der Serben. Das Abkommen von Washington läßt sich nur verwirklichen, wenn die Serben bereit sind, einen Großteil der von ihnen besetzten Gebiete in Bosnien zu räumen und an den neuen Bundesstaat Bosnien abzutreten. Die Einigung mit den Serben steht jedoch nach wie vor aus. Doch welche Optionen hat die UNO - zusammen mit der EG - überhaupt, um die Serben zum Einlenken zu zwingen? Die weitreichendste Option wäre ein direktes militärisches Eingreifen durch Luftstreitkräfte und/oder Landstreitkräfte. Doch sie wirft zahlreiche Probleme auf: Welches Ziel sollte sie haben? Hier geht es nicht um die Vertreibung eines Aggressors wie in Kuwait, sondern um die Beendigung eines Bürgerkriegs zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb eines Landes. Will man nur gegen serbische Verbände in Bosnien oder auch gegen Serbien vorgehen? Will man die serbische Militärmacht völlig zerschlagen oder nur reduzieren? Wie will man Opfer unter der Zivilbevölkerung bei einer solch massiven Intervention verhindern? Was soll mit den Soldaten der Bürgerkriegs­ parteien geschehen, sollen sie alle entwaffnet und räumlich getrennt werden? Wie geht man mit dem Problem um, daß die Politiker vermutlich nach der Entwaff­ nung ihrer Truppen neue Verbände aus der Bevölkerung rekrutieren würden? Außerdem würden ohne einen von allen Seiten akzeptierten Friedensvertrag die Streitigkeiten sofort wieder ausbrechen, wenn die UN-Blauhelme das Land ver­ lassen würden, d.h. man müßte sie auf unabsehbare Zeit in großen Kontingenten stationieren, was kaum zu finanzieren wäre. Militärfachleute warnen daher vor dieser Option: Nicht nur wäre das politische Ergebnis außerordentlich unsicher angesichts der unklaren Zielsetzung, sondern auch das militärische Resultat. So warnte der kanadische Generalmajor Lewis Mackenzie, ein Kommandeur der UN-Friedenstruppen UNPROFOR, für den Konflikt gäbe es keine militärische Lösung, jede Intervention führe nur zu einer Eskalienmg der Kämpfe. Selbst bei einer Militäraktion mit dem Einsatz von einer Million Soldaten ließe sich nach Ansicht Mackenzies ein Erfolg nicht garantieren, weil das Gelände ideale Voraussetzungen für den Guerillakampf biete.102 Eine Militäraktion der UNO wäre deshalb höchstwahrscheinlich außerordentlich ver-

101 Vertrag über Föderation der bosnischen Moslems und Kroaten unterzeichnet, in: Der Tagesspiegel, 19.3.1994, S. lf. 102 Ebd.

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lustreich: Der Generalstabschef des italienischen Heeres, Goffredo Canino, rechnet mit mindestens 500 000 Toten unter den UN-Friedenstruppenkontingenten und den serbischen Soldaten bei einer militärischen Intervention in Bosnien.103 UN-Generalsekretär Boutros-Ghali ist ebenfalls skeptisch gegenüber einer Militäroperation der UNO. Er furchtet bei weiterem militärischem Engagement der UNO eine „Art Vietnam für die Vereinten Nationen.“104 Auch US-Präsident Clinton ist gegen einen massiven Einsatz von Landstreit­ kräften in Bosnien, er sprach sich aber im Mai 1993 für begrenzte militärische Aktionen aus, die sowohl im Pentagon wie auch in den Kreisen der NATO-Part­ ner eher skeptisch beurteilt wurden. Die Verfechter begrenzter militärischer Aktionen schlagen die gezielte Aus­ schaltung der serbischen Luftstreitkräfte und serbischer Artilleriestellungen vor. Die Skeptiker bezweifeln, daß sich dies durch Luftangriffe erreichen ließe. Au­ ßerdem ist unklar, wie sich die Serben in dieser Situation gegenüber den in Bosnien stationierten UN-Friedenstruppen verhalten würden. Liefen sie nicht Gefahr, zu „Geiseln“ der Serben zu werden? US-Generalstabschef Colin Powell hatte bereits im Herbst 1992 in einem Inter­ view in der New York Times diese Bedenken unverblümt geäußert: „Sobald mir jemand sagt, es sei nur begrenzt, heißt das für mich: Ihm ist das Ergebnis egal.“ Die zivilen Strategen, die so lauthals nach militärischen Maßnahmen riefen, seien „dieselben, die uns auch früher in Situationen gebracht haben, die uns dann teuer zu stehen kamen“ - im Libanon und Vietnam. Und auf die Serben bezogen: „Ich habe keine Ahnung, wie begrenzte Bombenangriffe die Serben daran hindern sollen, ihre Eroberungen fortzusetzen.“105 Trotz dieser Bedenken billigte der Nato-Rat am 9. August 1993 die Option ei­ nes Luftangriffs auf serbische Stellungen. Es wurden Luftangriffe für den Fall angedroht, daß die bosnischen Serben die Blockade Sarajewos und der anderen Schutzzonen nicht einstellten und die humanitäre Versorgung der Bevölkerung weiter blockierten. Man war sich einig im Nato-Rat, daß ein Angriffsbefehl von UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali gegeben werden müsse.106

103 Vgl. Italienischer General: 500 000 Tote bei Landkrieg in Bosnien, in: Der Tagesspiegel, 10.5.1993,5. 1. 104 Ebd. 103 Colin Powell, Interview in: New York Times, ... Zitiert nach Christoph Bertram, Die Agonie der Generäle, in: Die Zeit, Nr. 19/1993, 7.5.1993, S. 7. 106 Vgl. Jürgen Kramer, Jugoslawien, in: Vereinte Nationen, H. 4/1993, S. 142-144, S. 144.

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Die Entscheidung, Serbien mit Luftangriffen zu drohen, stieß auf deutliche Kritik bei den UNO-Offizieren in Bosnien, sowohl der britische Generalstabschef der UNO-Tmppen in Bosnien, Brigadegeneral Hayes, wie auch der belgische UNOGeneral Briquemont übten scharfe Kritik an der Drohung mit Luftangriffen.107 Hayes wurde in der „New York Times“ mit dem Satz zitiert: „Was glaubt Präsident Clinton eigentlich, was er da macht? Mit Luft-Herrschaft kann man die Serben nicht schlagen.“ Briquemont äußerte sich im gleichen Sinn. Die heftige Kritik an der Politik der USA, mit Luftangriffen in Bosnien zu drohen, führte zu einem Protest der UNO-Botschafterin der USA Madeline Alb­ right bei UN-Generalsekretär Boutros-Ghali, die UNO-Militärs hätten „in unver­ antwortlicher Weise“ die Drohung der NATO, Luftangriffe gegen die Serben zu führen, herabgesetzt. Das britische Außenministerium distanzierte sich daraufhin von Hayes Äußerungen und erklärte, es teile nicht die Einschätzung von General Hayes, sondern wäre der Auffassung, die Drohung mit Luftangriffen habe sich als hilfreich erwiesen. Großbritannien werde sich, falls Luftangriffe erforderlich würden, an ihnen beteiligen. Die belgische Regierung stellte sich dagegen hinter General Briquemont und erklärte, es gäbe keine Differenzen zwischen Brüssel und Briquemont. Belgien halte weiter an dem NATO-Beschluß fest, eventuell Luft­ angriffe gegen serbische Stellungen zu fliegen. Allerdings, so der belgische Sprecher, würden Länder wie Belgien, die Soldaten in Bosnien stationiert hätten, sensibler an die Frage von Luftangriffen herangehen.108 Die Kontroverse macht die außerordentlich schwierige Lage der UNO im Jugoslawien-Konflikt deutlich, eine Güterabwägung zwischen dem verständlichen Wunsch nach humanitärer Hilfe und der Verhinderung militärischer Aggression und von weiteren Kriegsverbrechen auf der einen Seite und dem Schutz der UNOTruppen vor Ort und der Berücksichtigung ihrer begrenzten militärischen Mittel treffen zu müssen. Wenn die Option begrenzter militärischer Aktionen gegen serbische Stellungen mit großen Risiken und unklaren Erfolgsaussichten behaftet ist, welche Optionen verbleiben dann überhaupt noch? Die am häufigsten genannte Option ist die Aufhebung des UN-Waffenembargos gegen Bosnien, daß die islamischen Staaten seit langem fordern.109 Die 48. Gene­ ralversammlung machte sich am 20. Dezember 1993 mit 109:0:57 zum Fürspre-

107 Heftiger Konflikt zwischen UNO-Generalen und den USA, in: Der Tagesspiegel, 19.8.1993, S. 1. 108 Vgl. ebd. 109 Vgl. Islamische Staaten fordern: Embargo gegen Bosnien aufheben, in: Süddeutsche Zeitung, 6.11.1992, S. 8.

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eher einer Aufhebung des Waffenembargos gegenüber Bosnien-Herzegowina.110 Westliche Militärexperten sehen in der Aufhebung des Embargos keine Lösung: Zum einen stelle dies eine Gefährdung der humanitären Hilfe für Bosnien und der UN-Friedenstruppen dar. Die Moslems seien im übrigen, so meinte Frank Bamaby vom britischen Research Institute of Conflict and Terrorism, ausreichend bewaffnet, da sie von islamischen Staaten beliefert würden. Militärexperten der UNO sehen das Hauptproblem in dem Lieferweg der Waffen: Im Fall der Auf­ hebung würden die Serben den einzigen Flughafen, über den die Moslems Waffen auf dem Luftweg erhalten könnten, nämlich in Sarajevo, zerstören, damit wäre die Lieferung von Hilfsgütem auf dem Luftweg ebenfalls unmöglich. Eine Liefe­ rung auf dem Landweg müßte entweder serbisches oder kroatisches Territorium überqueren. Auch die Kroaten würden kaum Waffen durchlassen, die sich gegen sie selbst richten könnten. Selbst wenn Waffen zu den bosnischen Moslems gelangen würden, dann - so vermuten die Experten - würden sich die neugeliefer­ ten Waffen primär gegen die Kroaten und nicht gegen die Serben richten, da bei den Transportbedingungen nur leichte Waffen geliefert werden könnten, die gegen die schwere serbische Artillerie nichts ausrichten könnten.111 Überdies bestünde die Gefahr, daß sich der kriegerische Konflikt verlängert, weil auch die anderen Milizen Nachschub organisieren könnten. So sprach der Vizekommandeur der UNPROFOR, Thomberry, von einer „strategischen Gefahr44, wenn die bosni­ schen Moslems bewaffnet würden. Dies würde unweigerlich den Krieg auswei­ ten.112 Aus moralischen Gründen erscheint die Aufhebung des Embargos gerechtfertigt, denn den Moslems steht das Recht auf Selbstverteidigung zu, doch pragmatisch gesehen überwiegen die Risiken und Nachteile. Wenn man davon ausgeht, daß die Skeptiker mit ihren militärstrategischen Argumenten die Lage zutreffend beurteilen, was die militärischen Optionen anbetrifft, über welche anderen Optionen verfugt die UN dann im JugoslawienKonflikt? So bitter es klingen mag, im wesentlichen bleiben - wie in vielen anderen Bürgerkriegen, die unbeachtet oder vergessen von der Weltöffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten sich abgespielt haben - nur die Beibehaltung des Waffenem­ bargos und der Wirtschaftssanktionen sowie die Fortsetzung der Verhandlungen

1.0 GA Res. 48/88 vom 20.12.1993, zit. nach: UN Chronicle, March 1994, S. 63. 1.1 Vgl. Waffen für Moslems keine Lösung. Experten sehen kaum Chancen für Aufhebung des UNOEmbargos, in: Der Tagesspiegel, 24.6.1993, S. 2. 112 USA drohen mit härterer Gangart gegen die Serben, in: Der Tagesspiegel, 16.4.1993, S. 1.

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mit allen Beteiligten und der humanitären Hilfe. Dabei könnte man durchaus die Wirksamkeit der Maßnahmen steigern: 1. Die vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen könnten genauer als bisher überwacht werden, z.B. durch Stationierung von UN-Friedenstmppen an den Grenzen Rumäniens und Griechenlands. Dazu müßte die KSZE und die EG das politische Terrain vorbereiten, damit ein solcher Beschluß des Sicherheitsrats möglich und erfolgversprechend wird. Ein wirksames Embargo würde mittelfristig wegen Treibstoff- und Rüstungsengpässen den Krieg „austrocknen“ können. Allerdings müßte man, damit die Nachbarländer das Embargo besser einhalten, endlich die Frage der finanziellen Entschädigung der Nachbarländer für die ökonomischen Folgen des Embargos regeln, die indirekt in Art. 50 der Charta angesprochen wird, wenn dort von den Wirtschaftsproblemen der Drittstaaten bei Embargos die Rede ist. Ad hoc könnten der Sicherheitsrat und die Generalver­ sammlung einen Embargo-Fonds schaffen, in den alle solventen Staaten einzahlen sollten. 2. Die Vermittlungsbemühungen sollte man konsequent fortsetzen und dabei vor allem den Druck der Großmächte auf Serbien erhöhen - hier kommt Rußland eine wichtige Rolle zu. Das Abkommen von Washington bietet eine gute Verhand­ lungsgrundlage, weil bosnische Kroaten und bosnische Moslems sich darin bereits geeinigt haben. Es gilt, nun auch die Serben davon zu überzeugen, daß eine Einigung eine bessere Lösung für sie ist als die Fortsetzung des Krieges. Allerdings muß man sich darüber im klaren sein, daß eine Schlichtungs-Lösung für Bosnien kompliziert und für die Weltgemeinschaft aufwendig und teuer sein wird. Experten rechnen, daß allein für die Sicherung einer Teilungslösung in Bosnien 60 000 UN-Blauhelme, die auf Jahre dort die Teilungsgrenzen sichern müßten, erforderlich sind.113 3. Die Hilfskonvois könnten mit Friedenstruppen zahlenmäßig so deutlich gesi­ chert und einem so klaren Mandat durch den Sicherheitsrat ausgestattet werden, daß jeder potentielle Angreifer von einem relativ hohen Vergeltungsrisiko ausge­ hen muß. Dennoch bleibt bei dieser Option in jedem Fall ein hohes Eskalations­ risiko wegen der Vielzahl der in Bosnien operierenden militärischen Gruppen und Milizen.

113 Vgl. Jürgen Koar, Nicht überstürzt angreifen, a.a.O..

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Das Jugoslawienproblem wirft dramatisch und augenfällig die Frage nach den Grenzen der UN-Streitschlichtung und des Verfahrens, militärische Aggression durch die Weltgemeinschaft kollektiv zu sanktionieren, auf, die viele - geblendet durch die Vermittlungs-Erfolge der UN der letzten drei, vier Jahre in Bürger­ kriegen wie z.B. in El Salvador und in Angola - nicht mehr deutlich genug wahr­ genommen haben: 1. Die Lösungen dieser Konflikte wurden auf dem Verhandlungsweg erzielt, d.h. bei allen Beteiligten war ein Mindestmaß an Verhandlungsbereitschaft vorhanden, weil die militärische Situation sich in einem Patt befand und/oder eine oder mehrere Großmächte ihre militärische und/oder politische Unterstützung den Parteien entzogen hatten. 2. Die UN ist - zumindest im Augenblick noch - überfordert, wenn es darum geht, in einem Bürgerkrieg in einem Land im akuten Stadium direkt einzugreifen, die Bürgerkriegsgegner während des Kampfes zu trennen oder sogar direkt militärisch zu intervenieren. Zum einen wirft dies das Problem des Interventionsverbots nach Art. 2, Zif­ fer 7 der UN-Charta auf: Die UN sind nicht befugt, in Angelegenheiten ein­ zugreifen, „die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehö­ ren14. Bürgerkriege gehörten bisher nach dem Verständnis der Völkerrechtler zu sol­ chen inneren Angelegenheiten. Jedoch hat der Golf-Krieg einen bedeutsamen Präzedenzfall geschaffen durch die Resolution 688 (1991) des Sicherheitsrats vom 5.4.1991114 gegenüber Irak, in der sich der Sicherheitsrat mit einer inneren Ange­ legenheit Iraks, nämlich der Verfolgung der Kurden auf seinem Hoheitsgebiet, be­ faßt: Unter Hinweis auf die Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, die durch die massive Unterdrückung der Kurden und die damit verbundene Flüchtlingsbewegung über die Grenzen hinweg eingetreten sei, ver­ langt der Sicherheitsrat in der Resolution, daß der Irak humanitären Organisa­ tionen sofortigen Zugang zu den hilfsbedürftigen Personen gewährt. Damit wurde das Interventionsverbot nach Art 2» 7 relativiert bzw. neu interpretiert: bei massi­ ver Verfolgung von Minderheiten und/oder massenhaften Menschenrechtsver­ letzungen ist nach dieser Auslegung der Charta eine Intervention der UN wegen der Gefährdung des Weltfriedens zulässig.

1,4 SC Res. 688 (1991) vom 5.4.1991.

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Die Anwendung auf Jugoslawien macht aber im Gegensatz zum Irak, wo ein deutlich erkennbarer Aggressor eine bestimmte Minderheitsgruppe unter Bruch vitaler Menschenrechte verfolgte und ein Genocid drohte, die Probleme bei der Aufweichung des Interventionsverbots deutlich: Wer ist im Falle Jugoslawiens der Aggressor, der durch Bruch der Menschenrechte im Bürgerkrieg den Weltfrieden gefährdet und dem die Intervention gelten soll? Nur die Serben, oder auch die Kroaten, oder auch die bosnischen Milizen, die serbischen Milizen in Bosnien, die kroatischen Milizen in Bosnien, die bosnischen Moslems? Bei einer Mehrzahl von Aggressoren bleibt die Auswahl des Ziels der Inter­ vention willkürlich und kann langfristig mehr schaden als nützen, wenn größere Bevölkerungsgruppen die Auswahl als ungerecht erlebt, da UN -Interventionen nur Sinn machen, wenn Bevölkerungsmehrheiten im betroffenen Gebiet sie akzeptie­ ren. Zum anderen macht jede Intervention im Gegensatz zur Sicherung von Waf­ fenstillstandslinien, die bisher Hauptaufgabe der UN-Friedenstruppen war, eine viele größere Truppenstärke erforderlich, das bedeutet eine enorme finanzielle Belastung der UNO. Allein im Jahr 1992 haben nach Angaben von Boutros-Ghali die Friedenstruppen-Einsätze 3 Milliarden US-Dollar gekostet115. Auch die Ausbildung für bzw. die Vorbereitung der UN-Friedenstruppen auf derartige Einsätze müßte eine völlig andere sein. Sie müßten für die schwierige Gratwanderung zwischen Schlichtung einerseits, militärischer Sicherung von Hilfstransporten andererseits und deutlicher militärischer Reaktion auf direkte Angriffe auf UN-Soldaten oder Verletzung von Schutzzonen ausgebildet werden. Das Mandat des Sicherheitsrats müßte zudem so klar umrissen sein, daß keine Gefahr besteht, daß aus der Intervention zur Sicherung einer humanitären Schutz­ zone durch allmähliche Eskalation ein Krieg wird. Direkte militärische Interventionen aus humanitären Gründen und erst recht Aktionen nach Art. 42 der UN-Charta wie in Kuwait gegen den Irak müssen der Ausnahmefall - auch im Konzept der Friedenssicherung - bleiben, die massiven Brüchen des Völkerrechts, bei denen die Vernichtung einer ganzen Ethnie oder eines Volkes droht, vorbehalten bleiben, denn die Risiken - Selektives Vorgehen gegen einzelne Konfliktbeteiligte, Überschreiten des humanitären Ausgangsziels für die Sanktionen nach Art. 42 - sind groß und die humanitären, wirtschaftlichen

115 Vgl. Bericht des Generalsekretärs über die Tätigkeit der Vereinten Nationen an die 47. General­ versammlung, Übersetzung des Deutschen Übersetzungsdienstes der Vereinten Nationen der Vor­ abfassung des „ Berichts des Generalsekretärs über die Tätigkeit der Vereinten Nationen“ vom 11.9.1992, abgedruckt in: Vereinte Nationen, H. 6/1992, S. 193-207, S. 194.

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und politischen Folgen schwerwiegend. Deshalb sollte die UN-Intervention bei Bürgerkriegen die absolute Ausnahme und nicht der Regelfall bleiben und nur bei Voraussetzungen erfolgen, bei denen der erhoffte Nutzen für die Menschen, denen man helfen will, größer ist als der wahrscheinlich zu erwartende Schaden für alle Beteiligten, die UN-Friedenstruppen inklusive. Als Fazit läßt sich konstatieren, daß die Vereinten Nationen in Jugoslawien nicht „versagt“ haben, sondern gute Arbeit am Verhandlungstisch, im Sicherheitsrat und vor Ort mit den Blauhelmen leisten, aber angesichts der außerordentlichen schwierigen Bedingungen nicht mehr leisten können. Sie können in Jugoslawien nur vermitteln und schützen, sie können Waffenstillstandsvereinbarungen mit den Beteiligten aushandeln,jedoch nicht den Frieden herbeiführen. Er muß in einer Einigung zwischen allen Konfliktparteien gefunden werden, sie müssen alle bereit sein, den Krieg zu beenden - insofern ähnelt der Jugoslawien-Konflikt dem Nahost-Konflikt.

2.3. Somalia: Friedenssicherung als Wiederaufbau der Demokratie? Der UN-Einsatz in Somalia ist in mehrfacher Weise charakteristisch für die neue Art der Aufgabenstellung der UN-Friedenstruppen bei ihren Einsätzen: Es geht es bei den aktuellen Friedenstruppen-Einsätzen in der Regel nicht mehr um die Herstellung eines militärischen Waffenstillstandes, sondern um den kompletten Wiederaufbau eines Staates, seiner Verwaltung, seines politischen Systems und seiner Infrastruktur und die Reintegration einer desintegrierten Gesellschaft - eine immense Aufgabe. Warum wurden die UN-Friedenstruppen nach Somalia geschickt, was ist ihr Mandat? Zum Zeitpunkt des UN-Einsatzes befand sich Somalia in einem Zustand vollständiger politischer und wirtschaftlicher Desintegration durch eine Vielzahl sich gegenseitig bekämpfender Stammesmilizen. Begonnen hatte der Prozeß der Desintegration des Staates Somalia Ende der siebziger Jahre durch einen gescheiterten Putschversuch oppositioneller Gruppen gegen die Militärregierung des Staatspräsidenten Barre, der 1969 durch einen Putsch an die Macht gekommen war und ein Einparteiensystem etabliert hatte. Danach führten eine Vielzahl von Oppositionsgruppen einen bewaffneten Kampf gegen das Barre-Regime. Barre reagierte darauf mit einer Umwandlung des

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Staates in einen Polizei- und Uberwachungsstaat, mit systematischen Menschen­ rechtsverletzungen und Terror durch die Regierung. Zugleich verschärften sich die sozialen Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen einer parasitären, korrupten städtischen Machtelite und den verarmenden, entwurzelten ländlichen und städtischen Mittel- und Unterschichten.116 1988 griffen die Kämpfe vom Norden des Landes auf die Mitte und den Süden des Landes einschließlich der Hauptstadt Mogadischu über. Barre wurde gestürzt und eine Interimsregierung mit Regierungschef Omar Arteh Ghaleb und Staats­ präsident Ali Mahdi Mohamed im Oktober 1991 errichtet, sie brachte keine Stabilisierung der Situation, die Machtkämpfe um die Kontrolle des Staates gingen weiter. Im Mai 1991 trennte sich der Norden vom Staat Somalia und erklärte sich zur - von niemand anerkannten - Republik Somaliland. Im Laufe der Kampfhandlungen wurden zahlreiche Städte und Dörfer zerstört, Zehntausende getötet und Hundertausende im Lande entwurzelt oder zur Flucht ins Ausland, vor allem Äthiopien oder Kenia, getrieben. Mindestens 300.000 Menschen, meistens Kinder, starben kriegsbedingt den Hungertod. Der Staat und seine Verwaltung lösten sich weitgehend auf, die Wirtschaft war komplett zerrüt­ tet, die Infrastruktur in vielen Regionen zerstört. Ausländische Hilfsorganisatio­ nen, die sich mit Nahrungsmitteltransporten und medizinischer Hilfe um das Wohl der Zivilbevölkerung zu kümmern versuchten, wurden von den verschiedenen Milizen behindert.117 Die Vereinten Nationen schalteten sich erst relativ spät in den Konflikt in Somalia ein: Am 23. Januar 1992 richtete sie mit der Sicherheitsratsresolution 733118 einen Aufruf an alle Konfliktparteien, sofort die Feindseligkeiten einzustel­ len und einer Waffenruhe zuzustimmen. Außerdem enthielt die Resolution den Beschluß, nach Kapitel VII der Charta ein Waffenembargo über Somalia zu verhängen. Kurz darauf gelang es dem Sonderbeauftragten der UN für Somalia, James Jonah aus Sierra Leone durch Verhandlungen mit den Konfliktbeteiligten einen Waffenstillstand herbeizuführen. Er wurde allerdings nur in dem Gebiet um Mo­ gadischu eingehalten - und auch dort nur unzuverlässig - und hatte keine deeskalierende Wirkung im übrigen Somalia. Daraufhin entschloß sich der Sicherheitsrat im April 1992 zur Aufstellung einer

116 Vgl. Volker Matthies, Zwischen Rettungsaktion und Entmündigung. Das Engagement der Vereinten Nationen in Somalia, in: Vereinte Nationen, H. 2/1993, S. 45-51, S. 46. 1.7 Vgl. ebd. 1.8 SC Res. 733 (1992) vom 23.1.1992.

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UN-Friedenstrupppe für Somalia - UNOSOM - von 50 Militärbeobachtem zur Überwachung des Waffenstillstandes.1,9 Angesichts der schwierigen Lage in Somalia mit Dutzenden von Milizen mutet diese Zahl sehr gering an und sie trug der UN auch heftige Kritik ein, vor allem aus den afrikanischen Staaten. Auch Generalsekretär Boutros-Ghali warf dem Sicherheitsrat vor, er kümmere sich mehr um den „Krieg der Reichen“ in Jugoslawien als um den „Krieg der Armen“ in Somalia.120 Hauptbremser einer weiteren Aufstockung der UNOSOM waren die USA, die aus Budgetgründen und auf Grund anderer Prioritäten -im Vordergrund standen für die USA zu dieser Zeit der Irak und die Krise in Jugoslawien - zögerten, einer Ausweitung des UN -Engagements in Somalia zuzustimmen.121 Erst im August 1992 billigte der Sicherheitsrat122 eine Aufstockung der UNOSOM-Mission auf 3500 Mann. Ihre Entsendung nach Somalia begann schrittweise ab Oktober 1992, so daß Anfang Dezember 1992 die militärische Komponente der UNOSOM aus rund 550 UN-Soldaten bestand.123 Seit dem Sommer 1992 nahm jedoch in den USA durch eine detaillierte Be­ richterstattung der Medien der Druck der Öffentlichkeit auf die Regierung der USA zu, etwas zu unternehmen, um das Ausmaß der menschlichen Not in So­ malia zu lindem. Zwar brachten internationale Hilfsorganisationen mit Lufttrans­ porten Nahrungsmittel ins Land, sie konnten jedoch nur unter großen Schwie­ rigkeiten und unter Gefährdung für das Hilfspersonal an die Bedürftigen verteilt werden. Deshalb kam man sowohl bei den USA wie auch bei der UN im Spätherbst 1992 zur Einsicht, man müsse den Mitteleinsatz in Somalia massiv erhöhen, und eine großangelegte Militäraktion durchführen, um den Menschen zu helfen. Hauptargument war dabei die Verschlechterung der humanitären Situation und der militärischen Lage. In einem Bericht des Generalsekretärs Ende Oktober 1992 wurden die Aus­ wirkungen des Bürgerkrieges geschildert124: Mindestens 300.000 Menschen seien bereits verhungert, weitere eineinhalb bis zwei Millionen akut vom Hungertod be­ droht. Etwa viereinhalb der sechs Millionen Somalis seien von schwerwiegender

1,9 120 121 122 123 S. 124

SC Res. 751 (1992) vom 24.4.1992. Vgl. Boutros Boutros-Ghali, Auf uns richten sich große Hoffnungen, a.a.O.. Vgl. Volker Matthies, a.a.O., S. 47. SC Res. 775 (1992) vom 28.8.1992. Vgl. Operation Hope. UN-mandated force seeks to halt tragedy, in: UN Chronicle, March 1993, 13-16, S. 16. Vgl. UN Doc. A/47/553 vom 22.10.1992.

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Unterernährung und dadurch mitverursachten Krankheiten bedroht, etwa 700.000 Somalis wären in die Nachbarländer geflüchtet. Über 60 Prozent der Infrastruktur sei zerstört und 80% aller sozialen Dienste funktionsunfähig. Die Quote der Plünderungen der internationalen Nahrungsmittelhilfe betrage 70 bis 80%, wenn auch diese Zahlenangaben der US-Regiemng und der UN vom Roten Kreuz und anderen internationalen Hilfsorganisationen als zu hoch bezweifelt wurden125. Nachdem Generalsekretär Boutros-Ghali am 24. November 1992 vor dem Sicherheitsrat die Lage in Somalia erneut als dramatisch eingeschätzt hatte126, erklärte US-Außenministers Eagleburger gegenüber Boutros-Ghali, die USA seien bereit, bis zu 30.000 Soldaten nach Somalia zu entsenden. Auf Seiten der USA dürften dabei mehrere Motive für den Sinneswandel aus­ schlaggebend gewesen sein: Der schon erwähnte Druck der Öffentlichkeit auf­ grund der Femsehberichterstattung aus Somalia, verstärkt durch den Präsident­ schaftswahlkampf, in welchem der Herausforderer Clinton Präsident Bush man­ gelnde Aktivität in Somalia vorwarf, und die Chance, die Präsident Bush sah, demonstrieren zu können, wie die Führungsrolle der USA im Rahmen der vielbe­ schworenen „Neuen Weltordnung44 aussehen könne. Entscheidend war aber wohl die Ansicht der Militärführung der USA, eine größere Militäraktion in Somalia sei mit relativ geringem Risiko und guter Aussicht auf Erfolg durchführbar.127 Dabei dachte man an eine schnelle Aktion zur Herstellung geordneter Verhält­ nisse, um dann die eigenen Truppen abzuziehen und die Verantwortung der UN zu übergeben. Der Text der Resolution 794 vom 3. Dezember 1992128, mit welcher der Si­ cherheitsrat eine umfangreiche Intervention in Somalia beschloß, macht deutlich, daß es sich hier um eine neue Art der Intervention in einen Staat handelt, der sich von den bisherigen Fällen unterscheidet: Hier gab es keine Staatsführung mehr, der man massive Menschenrechtsverletzungen vorwerfen konnte, die durch die drohende Auslöschung ganzer Bevölkerungsgruppen ein Eingreifen der UN nach Kapitel VII der Charta rechtfertigen konnten, sondern eine diffuse, anarchische politische Situation. Deshalb betont die Resolution die „Einmaligkeit der derzeit in Somalia herr­ schenden Situation44 und hebt hervor, daß „ihre Verschlechterung, ihre Komple­ xität und ihr ungewöhnlicher Charakter eine sofortige und außergewöhnliche

125 126 127 128

Vgl. Matthies, a.a.O., S. 48. Vgl. UN Doc. S/24859 vom 24.11.1992. Vgl. Matthies, a.a.O., S. 48. SC Res. 794 (1992) vom 3.12.1992.

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Antwort erfordern.“ Die Intervention sei erforderlich, weil „das Ausmaß der durch den Konflikt in Somalia verursachten menschlichen Tragödie, die noch weiter verschärft wird durch die Hindernisse, die der Verteilung der humanitären Hilfsgüter in den Weg gelegt werden, eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationale Sicherheit darstellt“ und damit einen hinreichenden Interventions­ grund nach Kapitel VII der UN-Charta bietet. Zweck des Einsatzes ist es, „die erforderlichen Bedingungen für die Auslieferung humanitärer Hilfsgüter, wo sie benötigt werden, herzustellen“. Da aber keinerlei staatliche Ordnung mehr vor­ handen ist, ist es darüberhinaus Aufgabe des Einsatzes, „den Frieden, die Stabili­ tät sowie Recht und Ordnung wiederherzustellen, um den Prozeß einer politischen Regelung unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zu erleichtern, deren Ziel die nationale Aussöhnung in Somalia ist“. Generalsekretär Boutros-Ghali hatte eine genuine UN-Aktion, d.h. die Ent­ sendung von UN-Friedenstruppen gefordert. Auf Druck der USA, welche die politische und militärische Kontrolle über die Aktion nicht aus der Hand geben wollte, kam es nicht zu dieser Lösung, die eine direkte Unterstellung von USTruppen unter den Befehl von UN-Kommandeuren bedeutet hätte, sondern die über 30 000 Soldaten der United Task Force (UNITAF) aus 20 Ländern standen unter dem Oberkommando der USA. Damit jedoch eine gewisse Mitbestimmung der Vereinten Nationen ermöglicht wurde, forderte im Unterschied zur Regelung im Golfkrieg die Resolution die Mitgliedstaaten, die Truppen bereitstellen wollten, auf, „geeignete Mechanismen für die Koordinierung zwischen den Vereinten Nationen und ihren Streitkräften einzurichten“ und forderte den Generalsekretär auf, einen Verbindungsstab der UNOSOM (UNOSOM Liaison Staff) zum Ober­ kommando der UNITAF abzustellen. Außerdem enthielt die Resolution die Ernen­ nung einer Ad-hoc-Kommission (aus Mitgliedern des Sicherheitsrats) zur Über­ wachung der Durchführung der Resolution. Durchaus ein positiver Präzedenzfall für einen Koordinationsmechanismus, der die Probleme mangelnder Kontrolle bei Aktionen im Auftrag des Sicherheitsrats durch Truppen der Mitgliedstaaten, wie sie im Golfkonflikt deutlich wurden, verringern kann. Der UNITAF gelang es in den nachfolgenden Monaten, die Sicherheitslage soweit zu verbessern, daß dem Massensterben Einhalt geboten werden konnte und die Hilfsaktionen der internationalen Hilfsorganisationen wieder durchgeführt werden konnten. Die militärische Lage blieb jedoch instabil, es fanden wiederholt Übergriffe auf UNTAF-Angehörige statt. Aufgrund der instabilen militärischen Lage realisierte man sowohl bei der Regierung der USA als auch bei den Vereinten Nationen, daß eine längere Trup-

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penpräsenz erforderlich sein würde. Nun wuchs bei den USA das Bedürfnis, die Verantwortung starker auch auf andere UN-Mitgliedsländer im Rahmen eines ge­ nuinen Friedenstruppen-Einsatzes zu verteilen. Man einigte sich im Sicherheitsrat im März 1993 in Resolution 814129 auf die Präsenz von zahlenmäßig starken UNFriedenstruppen, die die UNITAF ablösen sollten, auf das Mandat für UNOSOM II. UNOSOM II bedeutete die Aufstockung der 3500 Mann starken UNOSOM I auf 28 000 Blauhelm-Soldaten. UNOSOM II umfaßte 8.000 US-Soldaten, jetzt aber als direkter Bestandteil der UN-Friedenstruppen. Man ernannte den US-General a.D. Jonathan Howe zum neuen UN-Sonderbeauftragten für Somalia und ei­ nen US-General zum Stellvertreter des türkischen Oberkommandierenden der UNOSOM II. Zugleich wurde das Mandat im Vergleich zu UNOSOM I erheblich erweitert: Die Truppen haben die Aufgabe, die Bürgerkriegsparteien zu entwaffnen, erfor­ derlichenfalls unter Anwendung militärischer Gewalt - ein neues Element der Friedenssicherung durch UN-Truppen, das sogenannte „peace enforcement44, wie es Boutros-Ghali in der „Agenda for Peace44130 nannte, die er im Auftrag des Si­ cherheitsrats im ersten Halbjahr 1992 als Grundsatzgutachten zur Friedenssiche­ rung erstellte, im Deutschen vom Übersetzungsdienst der UNO mit „Friedens­ durchsetzung44 übersetzt. Ähnlich wie bei der UN-Friedensmission in Kambodscha schließt das Mandat der UNOSOM II auch die Entsendung zivilen Personals sowie humanitäre und po­ litische Maßnahmen ein, so die Reparatur der Infrastruktur, die Wiedereinsetzung nationaler und regionaler Institutionen und der zivilen Verwaltung, den Wieder­ aufbau der somalischen Polizei, die Repatriierung der Flüchtlinge - alles Maßnah­ men des „peace-making44, wie es Boutros-Ghali in der „Agenda for Peace44 nennt, im Deutschen mit „Friedenskonsolidierung44 übersetzt.131 Ein anspruchsvolles Programm, bei dem man sich fragt, ob die Vereinten Nationen - zumindestens in ihrer bisherigen Struktur und Finanzausstattung dies leisten können, denn ein solches Programm bedeutet Präsenz vor Ort für die

129 SC Res. 814 (1993) vom 26.3.1993. 130 Vgl. Boutros Boutros-Ghali, An Agenda for Peace. Preventive Diplomacy, Peacemaking and Peacekeeping. Report of the Secretary-General pursuant to the Statement adopted by the Summit Meeting of the Security Council on 31 January 1992, United Nations, New York 1992 (UN Doc. S/24111A/47/277). Deutsche Übersetzung: Boutros Boutros-Ghali, Agenda für den Frieden. Vorbeugende Diplomatie, Friedensschafiung und Friedenssicherung. Inoffizielle Vorabübersetzung des Deutschen Übersetzungsdienstes bei den Vereinten Nationen in New York, abgedruckt in: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (Hrsg.), Zur Diskussion gestellt, Nr. 43, Juli 1992. 131 Vgl. ebd.

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Zivilisten der UNOSOM II auf Jahre. Auch der militärische Teil der UNOSOM II-Mission führte zu größeren Pro­ blemen. Die UNOSOM-Soldaten wurden bei dem Versuch, die Milizen zu ent­ waffnen, wiederholt in größere Gefechte mit den Milizen verwickelt, Luftangriffe von UNOSOM-Einheiten auf Waffenlager und Hauptquartiere von Milizkomman­ deuren, die Opfer unter den Zivilisten fordern, fuhren zu erheblichen Konflikten mit der Bevölkerung. Vor allem die Angriffe der UN-Friedenstruppen auf die Waffenlager von Milizgeneral Aidid machen das Problem der UNO-Mission in Somalia deutlich: Werden die UNO-Friedenstruppen zu Angreifern, die militärische Gewalt anwen­ den? US-Präsident Clinton verteidigte die Angriffe auf Aidids Waffenlager: „Wenn UN-Friedenstruppen mit Erfolg für Frieden und Stabilität in Somalia und anderswo sorgen wollen, müssen sie, wenn nötig, Gewalt anwenden können, um sich selbst zu verteidigen und ihr Ziel zu erreichen.“132 Auch Boutros-Ghali sprach von einem Erfolg und andere Vertreter der UNO in New York betonten, die UNO habe keine andere Wahl gehabt, der Herausforderung von Aidid mit militärischer Gewaltanwendung zu begegnen, wenn die Friedenstruppen nicht an Glaubwürdigkeit verlieren wollten.133 Andererseits birgt jede direkte militärische Intervention, die über eine Selbst­ verteidigung bei einem direkten Angriff hinausgeht - und die Aktionen gegen Aidids Waffenlager gingen über eine solche Selbstverteidigung hinaus, sie waren eine gezielte militärische Aktion gegen Aidid - die Gefahr einer militärischen Eskalation und vor allem die Gefahr, daß die UN-Friedenstruppen von der Be­ völkerung des Landes nicht mehr als neutrale Schiedsrichter und Helfer, sondern als eine Kriegspartei angesehen werden. Damit ginge aber eine wesentliche frie­ densstiftende Funktion der Friedenstruppen verloren, die gerade in der neutralen Position der Truppen besteht. So warnte denn auch ein Sprecher der in Somalia tätigen Hilfsorganisation „Save the children“ im Hinblick auf die Ereignisse in Mogadischu, die UNOTruppen würden immer mehr zu einer Kriegspartei, die nicht mehr neutral sei, und Italiens Verteidigungsminister Fabbri distanzierte sich im Juni 1993 vorsichtig von dem Vorgehen der UNOSOM II.134 Wegen der innenpolitischen Auseinandersetzungen um die verfassungsrecht-

132 Gegenschlag von Clinton. Die UN-Truppen in Somalia, in: Der Tagesspiegel, 14.6.1993, S. 3. 133 Vgl. ebd. 134 Vgl. UNO-Truppen greifen erneut Aidids Stellungen aus der Luft an, in: Der Tagesspiegel, 14.6.1993, S. 1.

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liehen Grundlagen des Einsatzes von Bundeswehrsoldaten im Rahmen von UNFriedenstruppenkontingenten beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland erst relativ spät mit einem Kontingent an UNOSOM II. Am 21. April faßte die Bun­ desregierung den Beschluß, ein Truppenkontingent für UNOSOM II zur Ver­ fügung zu stellen. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte daraufhin das Bundesverfassungsgericht angerufen mit einem Antrag auf Erlaß einer Einstweiligen Anordnung zur Unter­ sagung des Einsatzes von Bundeswehrtruppen im Rahmen von UNOSOM II, weil nach Auffassung der SPD ein solcher Einsatz ohne Verfassungsänderung nicht zulässig sei. Das Verfassungsgericht lehnte in seiner Entscheidung vom 23. Juni 1993 es ab, eine Einstweilige Anordnung zu erlassen und hielt einen zustim­ menden Beschluß des Bundestages mit einfacher Mehrheit für ausreichend.135 Am 2. Juli 1993 stimmte der Bundestag mit 337 gegen 185 Stimmen der Ent­ sendung eines Bundeswehr-Kontingentes im Rahmen von UNOSOM II zu. Im Juli 1993 begann dann der Einsatz von ca. 1700 Soldaten der Bundeswehr in Somalia, die nach dem Kabinettsbeschluß „bei Aufbau, Unterstützung und Sicherstellung der Verteilerorganisation für Hilfs- und Logistikgüter mitwirken44 sollte.136 Ihre Tätigkeit bestand in der medizinischen Betreuung der Bevölkerung von Belet Huen und dem Bau von Brunnen, weil die indische UN-Truppen-Einheit, welche das deutsche Kontingent ursprünglich als Nachschub- und Versorgungseinheit unterstützen sollte, nicht in Somalia eintraf. Nachdem die USA Ende März 1994 ihr UNOSOM-Truppenkontingent aus Somalia zurückzog, wurden auch die deutschen UN-Soldaten zu diesem Zeitpunkt aus Somalia zurückgezogen. Nach dem Abzug der USA und der deutschen Einheit sind nun überwiegend afrikanische und asiatische UN-Friedenstruppenkontingente in Somalia stationiert. Der Sicherheitsrat hat Anfang 1994 erneut das Mandat für UNOSOM II in Somalia verlängert, weil das Land noch immer weit von einer Befriedung entfernt ist und die UN-Truppen zum Schutz der Hilfsorganisationen erforderlich sind. Obwohl im Januar 1994 ein Waffenstillstandsabkommen und im März 1994 ein Abkommen über die Entwaffnung der Milizen in Addis Abeba zwischen den Konfliktbeteiligten ausgehandelt wurde, werden die Abkommen bisher nur unzu­ reichend eingehalten.137

135 Vgl. Karlsruhe läßt Somalia-Einsatz nur mit der Billigung des Bundestages zu, in: Der Tages­ spiegel, 24.6.1993, S. lf. 136 Zit. nach Volker Matthies, a.a.O., S. 46. 137 Vgl. Somalia, in: UN Chronicle, March 1994, S. 51-54, S. 52.

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Zwischen den verschiedenen Bürgerkriegsparteien besteht außerdem Uneinigkeit über die Rolle, welche die Vereinten Nationen beim nationalen Aussöhnungs­ prozeß spielen soll: Während die sogenannte „Gruppe der 12“ die UNO beteiligen möchte und eine weitere Präsenz von UNOSOM II in Somalia wünscht, möchten die Vertreter der Somalia National Alliance eine Lösung nur Beteiligung der Nachbarstaaten Somalias.138 Alles in allem scheint der Konflikt in Somalia noch weit von einer Lösung entfernt, wenn er auch durch den Einsatz von UNOSOM II in seiner Intensität gedämpft worden ist.

2.3.1. Lehren aus dem Fall Somalia

Der Fall Somalia macht meue Tendenzen in der Friedenssicherung der Vereinten Nationen deutlich und wirft zugleich einige grundsätzliche Fragen und Probleme auf: 1. Die Vereinten Nationen sehen - mit der ausdrücklichen Zustimmung der stän­ digen Mitglieder des Sicherheitsrats - die Aufgabe der Friedenssicherung um­ fassender als bisher nicht mehr nur in der Abwehr eines militärischen Friedens­ bruchs - wie in Kuwait - oder in der Verhinderung eines drohenden Genocids wie bei der Errichtung der Kurden-Schutzzone im Irak oder beim Eingreifen in Jugoslawien -, sondern auch in der Verhinderung des kompletten Zerfalls eines Staates in sich anarchisch bekämpfende Militärclans, wenn dies für einen großen Teil der Bevölkerung den Tod durch Seuchen und Hunger und/oder den Tod durch die Auswirkungen des landesweiten Bürgerkrieges bedeuten kann. Dieser Fall war bei der Schaffung der UN-Charta nicht vorhergesehen worden, der Sicherheitsrat mußte improvisieren, weil keine staatliche Instanz vorhanden war, die den Sicherheitsrat um Hilfe bitten und einer Entsendung von UN-Frie-

,se Vgl. ebd., S. 53.

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denstruppen zustimmen konnte.139 Bei seiner Entscheidung zum Eingreifen konnte sich deshalb der Sicherheitsrat nur allgemein auf Kapitel VII der Charta berufen, da “das Fortbestehen der Situation ... eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt“140 und die Maßnahmen des Sicherheitsrat Frieden und Stabilität in Somalia wiederherstellen sollen. 2. Dementsprechend erforderte das Eingreifen der UNO in Somalia ein weitge­ stecktes Mandat der UN-Friedenstruppen, das vor allem die Entwaffnung aller militärischen Verbände unter Androhung militärischer Gewalt beinhaltete. Dies ist ein neues Element der Friedenssicherung, das sogenannte „peace enforcement“ (Friedensdurchsetzung), das zur Konfliktlösung in vielen aktuellen Krisenherden der Welt unvermeidlich erscheint, aber zugleich neue Risiken birgt: Es besteht die Gefahr, daß wenn die Entwaffnung der verschiedenen Gruppen nicht zeitgleich und gleich wirksam erfolgt, dies von Teilen der Bevölkerung als Begünstigung und Parteinahme durch die UN angesehen wird. Die Entwaffnung wirkt nur bei gleichzeitiger effektiver Kontrolle des Waffenimportembargos. 3. Das größte Risiko liegt jedoch in der Tendenz zu einem direkten militärischen Eingreifen der Friedenstruppen: UNOSOM II in Somalia macht ebenso wie Jugoslawien deutlich, daß die erweiterten Handlungsmöglichkeiten im Sicher­ heitsrat, vor allem die Dominanz der USA, die Gefahr beinhalten können, daß sich die UNO wie eine Nation verhält, die direkt in einen Konflikt militärisch gegen eine Kriegspartei interveniert wie z.B. die Aidid-Miliz in Somalia oder die bosnischen Serben und/oder für eine andere Kriegspartei wie die bosnischen Moslems. Das kann zwar die militärisch dominierenden Bürgerkriegsparteien in

139 Dazu bemerkte Generalsekretär Boutros-Ghali im Juli 1993 auf einer Pressekonferenz: „For some while now, we have been witnessing a new phenomenon - the absence of govemment. It is happening in Somalia... If the goevmment disappears there is no longer a State, and then you get the new probiern we had to deal with in Somalia, where there was no longer any govemment, no army, no police, no courts, no water, no electricity, no anything. This is a new probiern not foreseen by the founders of the United Nations in 1945, the dissolution of a State. It is a phenomenon that may perhaps recur. The Security Council decided to intervene without the consent of the State, on the basis of Chapter VU which does not require it. Hence the Security Council may be entitled under the Charter to intervene if it decides to do so, provided it considers that the Situation poses a threat to peace and security and thus comes under Chapter VU." ( Press Conference held in Geneva on 1 July 1993 by Mr. Boutros Boutros-Ghali, Secretary-General of the United Nations, United Nations Press Release SG/SM/1459, 1 July 1993). 140 SC Res. 733 (1992) vom 23.1.1992; deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 2/1993, S. 61f.: „Der Sicherheitsrat,... besorgt darüber, daß das Fortbestehen dieser Situation, wie in dem Bericht des Generalsekretärs dargelegt, eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt, ... beschließt nach Kapitel VU der Charta der Vereinten Nationen, daß alle Staaten zum Zweck der Herstellung von Frieden und Stabilität in Somalia sofort ein allgemeines und vollständiges Embargo für alle Lieferungen von Waffen und militärischem Gerät nach Somalia verhängen werden, bis der Sicherheitsrat einen gegenteiligen Beschluß faßt.“

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ihrem Vormarsch stoppen und eventuell auch die Begehung von Kriegsverbrechen verhindern, bedeutet aber andererseits auch das Risiko, durch das eigene Ein­ greifen unbeteiligte Zivilisten in Mitleidenschaft zu ziehen und vor allem das Risiko, eine Einigung unter den Bürgerkriegsparteien weiter hinauszuschieben. Obwohl das große menschliche Leid der Zivilbevölkerung in beiden Konflikten ein direktes militärisches Eingreifen der UNO nahelegt und plausibel macht, liegen große Gefahren in dieser Entwicklung - solange wir es auf dieser Welt mit Nationalstaaten zu tun haben, sollte sich die UNO auf eine entschiedene und militärisch glaubwürdig durchgeführte Schiedsrichterrolle zwischen den Fronten, auf den Schutz von Hilfskonvois und Schutzzonen für Flüchtlinge und auf die Selbstverteidigung bei direkten Angriffen beschränken und möglichst keine eige­ nen militärischen Schritte unternehmen, sonst verlieren ihre Friedenstruppen ihren hohen moralischen Kredit als Neutrale, ihr Ansehen als ehrlicher Makler und Schlichter. 4. Da im Gegensatz zu der früheren Praxis der Stationierung der UN-Friedenstnippen, die bereits auf einem Konsens der Konfliktgegner beruhte, bei diesen Einsätzen kein Konsens der Konfliktparteien über die Stationierung von Friedens­ truppen und über die Einhaltung eines Waffenstillstandes besteht, sondern die Schlichtungsbemühungen erst mit dem Einsatz beginnen, müssen viel größere UN-Truppenkontingente für viel längere Zeit stationiert werden, was enorme Kosten bedeutet. 5. Die UNO übernimmt mit dieser Art des Mandats eine weitgehende Verant­ wortung für die politische und soziale Zukunft des Landes. Es ist fraglich, ob sie diese Erwartungen auch einlösen kann: Sinnvoll erscheint ein solches Konzept nur, wenn die gesamte Entwicklungshilfe der UNO auf eine neue Qualitätsstufe gehoben wird durch bessere Koordination und Mittelausstattung. 6. Generell scheinen die Vereinten Nationen eher als früher bereit, in einer der­ artigen Situation wie Somalia zu intervenieren, um humanitäre Hilfe für ein Volk zu ermöglichen, das beschwört aber für die Zukunft die Gefahr der Überforde­ rung der Vereinten Nationen herauf, sie kann sich nicht um alle Krisenherde der Welt gleichzeitig kümmern - hier sind vor allem die regionalen Organisationen wie z.B. die Organisation Afrikanischer Einheit gefragt, die mehr Verantwortung bei der Streitschlichtung in Bürgerkriegen übernehmen müssen.

60 2.4.

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Der Fall Kambodscha: Das ehrgeizigste Projekt der Friedenssicherung der Vereinten Nationen

Auch die UN-Friedensmission in Kambodscha ist ein Beispiel für das neue, anspruchsvolle Mandat der Vereinten Nationen, das sich nicht auf die Vermittlung und Sicherung von Waffenstillständen beschränkt, sondern den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau eines Landes zum Ziel hat. 1975 hatten die Guerilla-Truppen der Khmer Rouge nach einem Bürgerkrieg mit dem Militärregime des Generals Lon Nol die Macht erobert und nannten Kambodscha nun „Demokratisches Kampuchea“. Sie errichteten ein Regime, daß eine totale Umstrukturierung der kambodschanischen Gesellschaft anstrebte, die Transformation zu einer reinen Agrarwirtschaft auf Kommunebasis und die Abschottung vom Ausland. Die Regierung der Khmer Rouge unter Pol Pot war gekennzeichnet von massiven und systematischen Menschenrechtsverletzungen schlimmsten Ausmaßes. Hunderttausende von Kambodschanern wurden die Opfer von Hungersnöten, Seuchen und von Aktionen der Soldaten der Khmer Rouge. Ein bis zwei Millionen Menschen sind - so wird geschätzt - dem Pol-Pot-Regime zum Opfer gefallen. 1979 griff Vietnam - teilweise als Reaktion auf Grenzverletzungen durch das Pol-Pot-Regime - Kambodscha an, eroberte Pnom Penh und etablierte eine neue Regierung für Kambodscha, bzw. -wie sie den Staat nannten - der „Volksrepublik Kampuchea“ (People’s Republic of Kampuchea). Die Khmer Rouge kontrollierten das Gebiet an der Grenze zu Thailand. Beide Seiten, die Khmer Rouge und die von den Truppen Vietnams gestützte Regierung der Volksrepublik Kambodscha führten einen erbitterten Bürgerkrieg um die Kontrolle des Landes. Die Vereinten Nationen hatten in der Zeit des Pol-Pot-Regimes Kambodscha wenig Aufmerksamkeit gewidmet: Lediglich die Unterkommission der Menschen­ rechtskommission zur Verhinderung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten befaßte sich 1978 auf Initiative Großbritanniens und einiger weiterer Staaten mit der Menschenrechtssituation in Kambodscha. Die Kommission infor­ mierte die Pol-Pot-Regierang über die gegen sie erhobenen Vorwürfe und bat sie um eine Stellungnahme, welche die Regierung verweigerte.141 Darauf stellte der Vorsitzende der Unterkommission aus den vorhandenen Informationen einen

141 Question of the Violations of Human Rights and Fundamental Freedoms in Any Part of the World, with Particular Reference to Colonial and Other Dependent Countries and Territories, Note by the Secretary-General, UN Doc. E/CN.4/1295-E/CN.4/Sub.2/418 (1978) (containing note of April 22, 1978, from Ministry of Foreign Affaire of Democratic Kampuchea).

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Bericht für die Menschenrechtskommission zusammen.142 Auf ihrer Sitzung 1979 vertagte die Unterkommission dann jedoch die Befassung mit dem Bericht, weil in der Zwischenzeit das Pol-Pot-Regime von den Truppen Vietnams gestürzt worden war, sondern beschloß lediglich, die Situation weiter zu beobachten.143 Später untersuchte die Kommission dann Vorwürfe gegen das vietnamesische Besatzungsregime in Kambodscha. Nach dem Einmarsch Vietnams in Kambodscha befaßte sich im Januar 1979 erstmals der Sicherheitsrat mit der Situation. China brachte einen Resolutions­ entwurf144 ein, der Vietnam wegen seiner Intervention in Kambodscha verurteilte und zum sofortigen Rückzug seiner Truppen aufforderte. Der Entwurf fand jedoch keine Mehrheit. Stattdessen wurden ein von Kuwait eingebrachter und von mehreren blockfreien Staaten unterstützter Resolutionsentwurf angenommen, der lediglich in abgeschwächter Form - ohne Namensnennung - alle ausländischen Mächte aufforderte, die Kampfhandlungen in Kambodscha einzustellen und ihre Truppen zurückzuziehen. Da die UdSSR jedoch bei der Abstimmung von ihrem Veto-Recht Gebrauch machte, kam die Resolution nicht zustande.145 Vietnam bemühte sich in den Diskussionen im Sicherheitsrat, die Intervention als Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta) nach den Grenzübergriffen der Khmer Rouge und als eine humanitäre Intervention zugun­ sten des kambodschanischen Volkes darzustellen.146 Eine von China Mitte Februar 1979 durchgeführte zweiwöchige Angriffsaktion auf vietnamesisches Gebiet, die offensichtlich als Reaktion auf Vietnams Invasion in Kambodscha gedacht war, brachte den Einmarsch Vietnams in Kambodscha erneut auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats. Ein Resolutionsentwurf, der wiederum sehr allgemein - alle Beteiligten aufforderte, ihre Kampfhandlungen einzustellen und ihre Truppen zurückzuziehen, womit sowohl Vietnam als auch China gemeint sein konnten, fand zwar erneut eine klare Mehrheit im Rat, schei­ terte aber ebenso wie der vorangegangene am Veto der UdSSR.147 Nachdem der Sicherheitsrat mit seinen Konfliktlösungsinitiativen am sowjeti­ schen Veto gescheitert war, beantragten Indonesien, Malaysia, die Philippinen,

142 Analysis prepared on behalf of the Sub-Commission by its Chairman of Materials submitted to it and the Commission on Human Rights under decision 9 (XXXIV) of the Commission on Human Rights, UN Doc. E/CN.4/1335, Januar 30, 1979). 1,5 Res. 24 (XXXm) vom 12.9.1980, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/459, S. 80. UN Doc. 8/13022 vom 11.1.1979. 1,1 UN Doc. 8/13027 vom 15.1.1979, deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 1/1979, S. 35. '«UN Doc. 8/13011. 1,7 UN Doc. 8/13162 vom 13.3.1979.

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Singapur und Thailand, Kambodscha auf die Tagesordnung der 34. Tagung der Generalversammlung zu setzen.148 Die Generalversammlung verabschiedete nach mehrtägiger Debatte am 14. November 1979 eine Resolution, welche Vietnam zum sofortigen Rückzug seiner Truppen aufforderte.149 In den folgenden Jahren verabschiedete die Generalversammlung bis 1989 jedes Jahr inhaltsgleiche Reso­ lutionen.150 Mit Resolution 35/6 vom 22. Oktober 1980 beschloß die Generalversammlung, für 1981 eine Internationale Kambodscha-Konferenz einzuberufen, die eine um­ fassende friedliche Lösung des Kambodscha-Problems finden sollte. Teilnehmer der Konferenz, die vom 13. bis 17. Juli 1981 in New York stattfand, waren 79 der damals 154 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, Vietnam und die UdSSR verweigerten ihre Teilnahme, weil die Konferenz ihrer Meinung nach eine Ein­ mischung in die inneren Angelegenheiten Kambodschas darstellte. Die Konfe­ renzteilnehmer konnten sich jedoch auf keine konkreten Maßnahmen zur Kon­ fliktlösung einigen, vor allem blieb die Frage umstritten, ob die Khmer Rouge entwaffnet oder an der Neuordnung Kambodschas nach dem Rückzug der vietna­ mesischen Truppen beteiligt werden sollten. Man einigte sich schließlich auf eine Abschlußerklärung151, in welcher auf die Notwendigkeit einer nichtmilitärischen, politischen Lösung des Problems hingewiesen wurde und in der ein Waffenstill­ stand und ein Truppenabzug unter Kontrolle der Vereinten Nationen sowie die Abhaltung von freien Wahlen unter deren Kontrolle gefordert wurden - alles Punkte, die dann bei der tatsächlichen Einigung 1989 Bestandteil der Friedens­ regelung wurden. 1981 führte die Konferenz jedoch zu keinem konkreten Ergeb­ nissen, weil die UdSSR sich nicht beteiligte und deshalb auch Vietnam, das von der UdSSR unterstützt wurde, wenig verhandlungsbereit war. Erst nach Beginn der Zusammenarbeit der USA und der UdSSR gelang es den Vereinten Nationen Ende der achtziger Jahre, die Konfliktparteien an den Ver­ handlungstisch zu bekommen. Ausgangspunkt der Verhandlungen bildete ein Friedensplan des australischen Außenministers Evans, der eine UN-Friedenstruppe zur Überwachung der Waf­ fenruhe und zur Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien, international überwachte Wahlen für eine verfassungsgebende Nationalversammlung und die zeitweilige

,4g Vgl. Angela Rapp. Konflikte, Kambodscha/Kampuchea, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, a.a.O., S. 449-455, S. 453. 149 GA Res. 34/22 vom 14.11.1979. 150 Zuletzt GA Res. 43/19 vom 3.11.1988 und GA Res. 44/22 vom 16.11.1989. 131 UN Doc. A/CONF. 109/5, Annex 1 (1981).

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Übernahme der Verwaltung zum Wiederaufbau des Landes vorsah. 1989 kam es auf Einladung Frankreichs zu einer internationalen Kambodschakonferenz in Paris mit allen Konfliktbeteiligten, dem UN-Generalsekretär, den fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, den ASEAN-Staaten, Japan, Au­ stralien, Indien und Kanada. Den Vorsitz der Konferenz übernahmen die Außen­ minister Frankreichs und Indonesiens. Da man sich jedoch über die Hauptproble­ me, d.h. die Frage der Machtaufteilung zwischen den Bürgerkriegsparteien, den Abzug der vietnamesischen Truppen und die Rolle der Vereinten Nationen nicht einigen konnte, endete die erste Konferenzphase am 30. August 1989 durch Ver­ tagung ohne die Annahme eines Abkommenstextes.152 Nun folgte eine Phase intensiver bilateraler Konsultationen und zahlreicher Treffen der ständigen Ratsmitglieder während des Jahres 1990.153 Im August 1990 einigten sich die fünf ständigen Ratsmitglieder auf einen Rah­ menplan154, der vom Sicherheitsrat am 20. September 1990 einstimmig mit Reso­ lution 668 gebilligt wurde.155 Er sah die Einrichtung einer UN-Übergangsbehörde zur treuhänderischen Ver­ waltung Kambodschas - United Nations Transitional Authority in Cambodia (UNTAC) vor, die bis zu international kontrollierten Wahlen und der Schaffung einer neuen Verfassung die kambodschanische Exekutive kontrolliert, Gesetze und Anordnungen erlassen kann, die Justiz überwacht, Menschenrechtsverletzungen ahnden kann u.a.m. Außerdem enthielt er einen detaillierten Katalog von Maß­ nahmen, der die Herbeiführung des Waffenstillstandes, den Rückzug von Truppen und die Entwaffnung der Kriegsparteien betraf. Im November 1990 wurde der Rahmenplan bei einem weiteren Treffen der „P 5“ mit dem indonesischen Außenminister Ali Alatas weiter ausgearbeitet und im Dezember 1990 den kambodschanischen Konfliktparteien präsentiert.156

152 Vgl. New York Times, 31.8.1989, S. A12. 153 Vgl. Peter Bardehle, Kambodscha auf dem Weg zum Frieden. Ein Jahr vor der Wahl, in: EuropaArchiv, 47. Jg., Folge 12/1992, 25.6.1992, S. 345-352, S. 346f. 134 Statement of the Five Permanent Members of the Security Council of the United Nations on Cambodia, in Letter Dated 30 August 1990 from the Permanent Repräsentatives of China, France, the Union of Soviel Socialist Republics, the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and the United States of America to the United Nations Addressed to the Secretary-General, UN Doc. A/45/472-S/21689, Annex, Appendix (1990). 135 SC Res. 668 (1990) vom 20.9.1990. 136 Der Text des Kommuniques des Treffens ist abgedruckt in UN Doc. S/22059. Vgl. dazu auch: Peter Bardehle, a.a.O., S. 348f.

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Anfang Februar 1991 stellten die beiden Vorsitzenden der Pariser Konferenz den ausgearbeiteten Rahmenplan auf einer Asienreise den Regierungen von Thailand und Vietnam vor. Am 22. April 1991 riefen sie zusammen mit dem UN-Generalsekretär die Konfliktparteien zu einer freiwilligen Waffenruhe auf, die weitgehend eingehalten wurde.157 Auf Drängen von „P 5U, welche die Einrichtung eines Gremiums forderten, in dem alle Bürgerkriegsparteien vertreten waren, wurde der Oberste Nationalrat (Supreme National Council) entsprechend umgebildet. Bei seiner zweiten Sitzung in der neuen Zusammensetzung Ende August 1991, an der auch UN-Untergeneralsekretär Ahmed und Vertreter Frankreichs und Indonesiens teilnahmen, einigte sich der Nationalrat über einen Stufenplan zur Demobilisierung der Truppenver­ bände, über das geplante Wahlsystem und die Grundzüge der Machtverteilung in der Übergangszeit.158 So waren nun die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß in einer zweiten Plenumsphase die Pariser Kambodscha-Konferenz am 23. Oktober 1991 mit der Unterzeichnung von mehreren Abkommen abgeschlossen werden konnte, die der Sicherheitsrat am 31. Oktober mit Resolution 718159 bestätigte: - ein Abkommen über eine umfassende politische Konfliktregelung in Kambod­ scha mit Zusatzvereinbarungen über das Mandat für UNTAC (die UN-Übergangsbehörde für Kambodscha), militärische Fragen, über die Durchführung von Wahlen, über die Repatriierung von Flüchtlingen sowie über die Prinzipien der neuen Verfassung für Kambodscha; - ein Abkommen über die Souveränität, politische Unabhängigkeit, territoriale Integrität und nationale Einheit Kambodschas sowie seine Neutralität. Wie der Ablauf des Verhandlungsprozesses deutlich macht, war die in Paris 1991 erzielte Einigung im wesentlichen auf die ausdauernden Bemühungen der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder zurückzuführen. Diese Art der gemeinsamen Suche der „P 5U nach einer Friedenslösung ist ein Novum in der Geschichte der Friedenssicherung in den Vereinten Nationen. Unterstützt wurden sie dabei von den Staaten der Region, vor allem Australien und Indonesien sowie der Regional­ organisation ASEAN.

157 Vgl. Peter Bardehle, a.a.O., S. 348. 158 Vgl. Peter Bardehle, a.a.O., S. 348. 159 SC Res. 718 (1991) vom 31.10.1991

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Zur praktischen Umsetzung der Friedensabkommen von Paris wurde am 16. Oktober 1991 die bisher teuerste und aufwendigste UN-Friedensmission gestartet: Als Vorauskommando fuhr die UNAMIC - United Nations Advance Mission in Cambodia - nach Kambodscha und auf die Vorbereitung der UNAMIC schließlich die UNTAC. Die UNTAC umfaßte Mitte 1993 23 500 UN-Beauftragte aus 104 Staaten, dar­ unter 16 000 Soldaten aus 32 Ländern und 3600 Polizisten, der Rest sind zivile Verwaltungsexperten. Der Verlauf der Friedensmission offenbarte die Stärken, aber auch die Risiken einer derartigen großangelegten UN-Mission: Nach der Bildung der Übergangsre­ gierung unter der Präsidentschaft von Prinz Sihanouk und mit dem Premiermi­ nister Hun Sen durch alle Bürgerkriegsparteien im Obersten Nationalrat unter der Schirmherrschaft der UNTAC wurde die Repatriierung der kambodschanischen Flüchtlinge aus den Nachbarländern schrittweise durchgeführt und die Durch­ führung der Wahlen - mit 4,7 Millionen wahlberechtigten Kambodschanern - für das Jahr 1993 unter UN-Aufsicht vorbereitet. Probleme bereitete jedoch die Entwaffnung der Bürgerkriegsarmeen: Als die UNTAC jedoch im Frühsommer 1992 die Entwaffnung aller Bürgerkriegsarmeen - etwa 450 000 Mann - durchführen wollte, weigerten sich die Roten Khmer - sie umfaßten zu diesem Zeitpunkt etwa 300 000 Soldaten -, zum festgelegten Zeit­ punkt im Juni 1992 die Vertreter der UNTAC in das von ihr kontrollierte Gebiet zu lassen und ihre Waffen abzugeben160. Der Führer der Roten Khmer, Khieu Samphan, forderte ein größeres politisches Mitspracherecht und verlangte, die UN müsse sicherstellen, daß in Kambodscha keine vietnamesischen Truppen ver­ blieben. Der amtierende Präsident Kambodschas, Prinz Sihanouk, meinte daraufhin, das Friedensabkommen für Kambodscha sei gefährdet161. Der UN-Sicherheitsrat appellierte in einer Erklärung seines Präsidenten an die Roten Khmer, sich ent­ waffnen zu lassen und sprach davon, „daß jede Verzögerung den gesamten Frie-

160 Vgl. Rückschlag in Kambodscha, in: Der Tagesspiegel, 14.6.1992. 161 Vgl. Rote Khmer gefährden den Friedensprozeß in Kambodscha. 30 000 Mann starke Truppe verweigert Entwaffnung durch die UNO, in: Der Tagesspiegel, 15.6.1992.

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densprozeß gefährden könnte...*4.162 Dies traf zweifellos zu, weil sich nun auch die anderen Bürgerkriegsparteien weigerten, ihre Waffen abzugeben. Daraufhin übte China massiven politischen Druck auf die Khmer Rouge aus, sich an den von allen Bürgerkriegsparteien akzeptierten Plan zu halten und sich entwaffnen zu lassen.163 Die Khmer Rouge fuhren jedoch fort, zum Boykott der Wahlen aufzurufen und ihre militärischen Verbände weigerten sich nach wie vor, ihre Waffen abzuliefern. Daher ist es als Erfolg der UNTAC anzusehen, daß es ihr gelang, trotz der massiven Behinderungen und Angriffe der Khmer Rouge auf das UNTAC-Personal, das die Wählerregistrierung in dem von den Khmer Rouge kontrollierten Ge­ biet durchführte, die Wahlen im Mai 1993 überhaupt durchführen zu können und zwar auch in dem von den Khmer Rouge kontrollierten Gebiet, welche die Durch­ führung der Wahlen trotz ihrer früheren Boykottdrohungen und Schikanen nicht behinderten. Sie wies zudem eine hohe Wahlbeteiligung auf, etwa 88% der regi­ strierten Wähler, eine politische Niederlage der Khmer Rouge, die zum Wahlboy­ kott aufgerufen hatten.164 Am 24. September erfolgte die Verabschiedung der kambodschanischen Ver­ fassung durch das neugewählte Parlament. Die verfassungsgebende National­ versammlung konstituierte sich nun als reguläres Gesetzgebungsorgan im Rahmen der Verfassung. Kambodscha ist nun wieder eine Monarchie mit dem Titel „Königreich Kambodscha**, die Verfassung legt jedoch fest, daß das Königreich Kambodscha ein freiheitliches demokratisches Staatswesen mit einem Mehrpartei­ ensystem sein soll. Außerdem wurde die neue Regierung konstituiert und Prinz Norodom Sihanouk zum König von Kambodscha gewählt.165 Die UNTAC hat inzwischen ihre Arbeit beendet und der Sicherheitsrat in Reso­ lution 880 das Mandat für die einzelnen Untergruppen zeitlich abgestuft bis zum Ende des Jahres 1993 auslaufen lassen.166 Lediglich eine Gruppe von 20 Ver­ bindungsoffizieren der Vereinten Nationen bleibt noch für das erste Halbjahr 1994

162 Vgi UN Doc. S/24091 vom 12.6.1992 (Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats): „Nach Kenntnisnahme des Berichts des Generalsekretärs (S/240909 ist der Sicherheitsrat besorgt über die Schwierigkeiten, denen die Übergangsbehörde der Vereinten Nationen in Kambodscha (UNTAC) bei der Durchführung der Pariser Übereinkommen unmittelbar vor Eintritt in die zweite Phase der Waffenruhe begegnet... Der Rat ist der Auffassung, daß jede Verzögerung den gesamten Friedens­ prozeß gefährden könnte...“ 163 Vgl. Rote Khmer geraten zunehmend unter Druck, in: Der Tagesspiegel, 19.6.1992, S. 5. 164 Vgl. Über 88 Prozent Beteiligung bei der Wahl in Kambodscha, in: Der Tagesspiegel, 29.5.1993, S. 4. 165 Vgl. Cambodia, in: UN Chronicle, March 1994, S. 71. 166 SC Res. 880 (1993) vom 4.11.1993, deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 2/1994, S. 74f.

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in Pnom Penh stationiert, „mit dem Auftrag, über Fragen Bericht zu erstatten, welche die Sicherheit in Kambodscha betreffen, mit der Regierung Kambodschas Verbindung zu halten und der Regierung dabei behilflich zu sein, die noch offenen militärischen Fragen im Zusammenhang mit den Pariser Übereinkommen zu regeln.“ Dieser Passus der Resolution 880 deutet das noch immer nicht gelöste Problem in Kambodscha an, die Rolle der Khmer Rouge. Sie haben bisher noch nicht sich entwaffnen lassen und kontrollieren nach wie vor einen Teil Kambodschas. Hier liegt noch eine Menge Verhandlungsarbeit vor der kambodschanischen Regierung, den ASEAN-Staaten und dem UN-Sicherheitsrat. Dennoch ist die Lösung des Kambodscha-Konflikt als ein Erfolg der Vereinten Nationen anzusehen: Ein langandauerader militärischer Konflikt ist entschärft worden, ein demokratisches politisches System auf der Grundlage von Wahlen aufgebaut und die Infrastruktur des Landes gestärkt worden. Dabei hat sich beim Kambodscha-Problem das Modell der Zusammenarbeit der „P 5“ mit anderen Staaten bewährt: Auf eine Initiative der Bundesrepublik Deutschland hin bildete „P 5“ eine Arbeitsgruppe von 10 Staaten: außer den fünf ständigen Sicherheitsratsmitgliedem Australien, Indonesien, Kanada, Deutschland und Japan.167 Darüberhinaus könnte diese Arbeitsgruppe eine Interims-Lösung für die Zu­ sammenarbeit der Bundesrepublik und Japans mit dem Sicherheitsrat generell bilden, bis die Frage einer ständigen Mitgliedschaft eine einvemehmliche Lösung gefunden hat. Sie bietet beiden Staaten eine stärkere Mitwirkungsmöglichkeit in der konkreten Friedenssicherungsarbeit des Rats und motiviert sie, was für die Vereinten Nationen von großem Nutzen ist, sich finanziell und personell ange­ messen an den Friedensmissionen zu beteiligen.

2.5. Bilanz der übrigen Friedensmissionen So wie die bekanntesten Beispiele der Friedenssicherungsmissionen der Vereinten Nationen auf der einen Seite die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen und ihre Fähigkeit zu Krisenmanagement und zur Konfliktschlichtung unter Beweis ge­ stellt haben, aber auch die Risiken und Schwierigkeiten auf dem Weg dahin, weist

167 Vgl. Peter Bardehle, Kambodscha auf dem Weg zum Frieden, in: Europa-Archiv, Folge 12/1992, 25.6.1992, S. 345-352, S. 352.

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auch die Bilanz der übrigen Friedenssicherungsmissionen sowohl Plus als auch Minus auf: Auf der Plus-Seite steht zweifellos der Vermittlungs-Erfolg in Namibia, der zu einem friedlichen politischen Übergang zu einer Demokratie, in der Gleichbe­ rechtigung für alle Rassen herrscht, führte. Nachdem mehrere UN-Vermittlungsversuche am Widerstand der Republik Südafrika gescheitert waren, die sich weigerte, die von der UN-GeneralVersamm­ lung 1966 beschlossene Beendigung des südafrikanischen Mandats über Namibia168 anzuerkennen, bildete sich 1976 eine Arbeitsgruppe aus fünf Mitgliedern des Sicherheitsrats, die sogenannte „Kontaktgruppe44. Zu ihr gehörten Kanada, die USA, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Sie führten in der Folgezeit intensive Verhandlungen mit Südafrika, der südwest­ afrikanischen Befreiungsorganisation SWAPO und den Nachbarstaaten Angola, Botswana, Mozambique, Tansania und Sambia und hielten gleichzeitig engen Kontakt mit dem UN -Generalsekretär und Martti Ahtisaari, dem UN-Sonderbeauf­ tragten für Namibia zu diesem Zeitpunkt.169 Eine Konferenzrunde im Februar 1978 in New York erbrachte einen „Vor­ schlag für die Lösung der Situation in Namibia44, der am 10. April 1978 von der „Kontaktgruppe44 dem Präsidenten des Sicherheitsrats vorgelegt wurde.170 Er enthielt einen pragmatischen Verhandlungskompromiß unter Ausklammerung der unterschiedlichen Rechtsstandpunkte von Südafrika und den Vereinten Nationen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der südafrikanischen Präsenz in Namibia. Der Kern des Vorschlags war die Abhaltung von Wahlen in Namibia durch Südafrika, aber unter der Kontrolle des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, unter­ stützt von der „United Nations Transition Assistance Group44 (Unterstützungsein­ heit der Vereinten Nationen für die Übergangszeit). Außerdem enthielt der Vorschlag einen detaillierten Zeitplan über die Herbeiführung eines Waffenstill­ standes der Einheiten Südafrikas und der SWAPO, die Freilassung von Gefan­ genen und die Repatriierung namibischer Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten. Mit Resolution

431

billigte

der

Sicherheitsrat

den

Lösungsvorschlag

der

„Kontaktgruppe44 und forderte den UN -Generalsekretär auf, einen Sonderbeauf­ tragten für Namibia zu ernennen171, worauf dieser Martti Ahtisaari ernannte.

,6e GA Res. 2145 (XXI) vom 27.10.1966. 169 Vgl .The Blue Helmets. A Review of United Nations Peace-keeping, Second Edition, United Nations, New York 1990, United Nations Publication Sales No. E.90.I.18, S. 349. 170 UN Doc. 5/12636 vom 10.4.1978. 171 SC Res. 431 (1978) vom 27.7.1978.

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Die Umsetzung des Vorschlags verzögerte sich jedoch, weil Südafrika die Durch­ führung des Plans von dem gleichzeitigen Abzug der kubanischen Truppen aus Angola abhängig machte. Dadurch war es bis 1988 nicht möglich, weitere Fortschritte in der Lösung der Namibia-Frage zu erreichen. Erst 1988, nach der Annäherung der USA und der UdSSR in den Vereinten Nationen, führte eine Serie von Konferenzen zwischen Angola, Kuba und Südafrika unter der Vermittlung der USA und unter Beteili­ gung der UdSSR zu einer Gesamtlösung für das südwestliche Afrika. Die drei Konfliktparteien einigten sich auf „Prinzipien für eine friedliche Lösung im südwestlichen Afrika“172 sowie eine Serie einveroehmlicher Schritte zur Errei­ chung dieses Ziels, die im sogenannten „Genfer Protokoll“ vom 8. August 1988173 festgehalten wurden, das unter anderem eine Beendigung der Kampfhandlungen in diesem Gebiet ab 10. August 1988 vorsah. Die SWAPO, die nicht Vertrags­ partei war, informierte den UN-Generalsekretär174, daß sie diesem Übereinkom­ men zustimmte. Schließlich unterzeichneten nach weiteren Verhandlungen die drei Staaten Kuba, Südafrika und Angola am 22. Dezember 1988 in New York zwei Abkommen über die Beendigung der Feindseligkeiten und den Abzug der kubanischen Trup­ pen aus Angola. Zur Absicherung des Abkommens beschloß der Sicherheitsrat am 20. Dezember 1988 die Einrichtung der United Nations Angola Verification Mis­ sion (UNAVEM) - Überwachungsmission der Vereinten Nationen in Angola -,175 Damit war der Weg frei für die Umsetzung des Namibia-Plans der „KontaktGruppe“. Mit Resolution 629 legte der Sicherheitsrat am 16. Januar 1989 den Beginn des Übergangsprozesses zur Unabhängigkeit für Namibia auf den ersten April 1989 fest und beschloß, 4000 zivile und militärische Mitglieder der UN­ TAG nach Namibia zu entsenden, deren Zahl sich im Laufe der Zeit auf rund 8000 Mitglieder aus 120 Staaten erhöhte.176 Im November 1989 fanden unter der Aufsicht der UNTAG die Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung statt, welche bis Februar 1990 eine Verfassung ausarbeitete, die am 9. Februar 1990 verabschiedet wurde. Am 21. März 1990 erhielt Namibia daraufhin seine Unabhängigkeit, das Mandat der UNTAG war beendet.177

172 UN Doc. S/20412, Annex. 173 UN Doc. 8/20109. Annex. 174 UN Doc. 8/20129. 175 SC Res. 626 (1988) vom 20.12.1988. 176 Vgl. The Blue Helmets, a.a.O.,S. 354. 177 Vgl. Tobias Stoll, Namibia, in: Rüdiger Wolfrum (Hsrg.), Handbuch Vereinte Nationen, a.a.O., 8. 613-620, 8. 619.

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Schwieriger gestaltet sich noch immer die innenpolitische Stabilisierung Angolas. Die ersten Phasen der friedlichen Lösung der Probleme hatten sich nach der Unterzeichnung der Abkommen von New York 1988 planmäßig vollzogen, die kubanischen Truppen wurden abgezogen, die UN-Friedensmission UNAVEM überwachte den Truppenabzug. Im Mai 1991 unterzeichneten alle Konfliktbetei­ ligten sowie die USA und die UdSSR als Garantiegroßmächte in Lissabon ein Friedensabkommen für Angola, das die Beendigung der Kampfhandlungen zwi­ schen der MLPA-Regierung und der UNITA-Rebellen sowie die Abhaltung von Wahlen unter der Schirmherrschaft der UNAVEM vorsah.178 Nachdem die UNITA179 jedoch bei den Ende September 1992 unter UNOÜberwachung stattgefundenen Wahlen die UNITA verloren hatte - sie erzielte 40% der Stimmen, die MLPA (Movement for the Liberation of the People of Angola) des Präsidenten dos Santos 49,5% -, nahm die UNITA Ende Oktober ihren Guerilla-Kampf wieder gegen die MPLA-Regierung von dos Santos wieder auf. Die zu diesem Zeitpunkt zahlenmäßig geringe UN-Mission in Angola UNA­ VEM war nicht in der Lage, die militärische Aggression der UNITA zu verhin­ dern. Zwar gelang es im April 1993, unter dem Schirmherrschaft der USA, Portugals und Rußlands, die UNITA wieder an den Verhandlungstisch mit der Regierung von Angola zu bringen, doch gehen die Kampfhandlungen weiter und die UNITA weigert sich, ihre Truppen aus den seit Oktober eroberten Gebieten zurückzuziehen. Um den Druck auf die UNITA zu erhöhen, erkannte die USA im Mai 1993 die marxistische MLPA-Regierung von dos Santos diplomatisch an. Wenn es nicht schnell gelingt, einen Waffenstillstand herbeizuführen, droht nach Ansicht der UN-Sonderbeauftragten Margaret Anstee Angola eine ähnliche Kata­ strophe wie Somalia, zwei Millionen Angolaner hätten unter dem neuen Bürger­ krieg zu leiden, Hunger und Mangelernährung nähmen zu, seit die Hilfsorganisa­ tionen keine Transporte mit Nahrungsmitteln und Medikamenten ins Landesinnere mehr bringen könnten.180 Der Sicherheitsrat sah sich gezwungen, wegen der anhaltenden Kämpfe zwi­ schen UNITA und den angolanischen Regierungstruppen das Mandat der UNA­ VEM mehrere Male zu verlängern. In seiner Resolution 851 vom 15. Juli 1993181

178 Vgl. Robert von Lucius, Nach langen Kriegsjahren Frieden in Angola. Die Großmächte beenden den Konflikt im Südwesten Afrikas, in: Frankfurter Allgemeine, 1.6.1991. 179 UNITA — Uniao Nacional para Independencia total de Angola. 180 Helmut Opletal, Die „vergessene Tragödie“ Angolas fordert ihren Tribut, in: Der Tagesspiegel, 6.6.1993, S. 2. 1,1 SC Res. 851 (1993) vom 15.7.1993, deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 1/1994, S. 38f.

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verlangte er, daß die UNITA „die Ergebnisse der demokratischen Wahlen von 1992 vorbehaltlos akzeptiert44, verurteilte „die UNITA wegen der Fortsetzung ihrer militärischen Handlungen, die das Leid der Zivilbevölkerung Angolas vergrößern und der angolanischen Volkswirtschaft Schaden zufugt44 und verlangte die Einstellung der Kampfhandlungen der UNITA. Am 25. September 1993 verhängte der Sicherheitsrat mit Resolution 864 ein Waffen- und Erdölembargo gegen die UNITA. Nach ersten Gesprächskontakten zwischen der angolanischen Regierung und der UNITA in Lusaka im Oktober 1993 erklärten die Vertreter der UNITA im Dezember, daß sie die Gültigkeit der Friedensverträge von Lissabon und die Ergebnisse der Wahlen vom September 1992 akzeptierten. Am 27. Dezember 1993 gaben Portugal, Rußland und die USA als Garantiemächte der Friedensverträge von Lissabon eine gemeinsame Erklärung heraus, in welcher sie von „bedeutenden Fortschritten44 in den Verhandlungen in Lusaka sprachen. Dennoch gehen die Kämpfe zwischen UNITA und den Regierungstruppen weiter, wenn auch nach Feststellungen der UNAVEM mit verminderter Intensität.182 Der Fall Angola macht deutlich, daß mit einem Friedensvertrag und freien Wahlen allein ein Staat nicht sofort politisch stabilisiert ist, die konkreten Macht­ verhältnisse der früheren Kontrahenten, die Autorität der Regierung und ihrer Exekutive, die Stärke der nationalen Armee, die soziale Lage der Bevölkerung, die Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen haben einen Einfluß auf weitere Entwicklung. Im südwestlichen Afrika bewährte sich erneut die Bildung von Arbeitsgruppen der ständigen Sicherheitsratsmitglieder mit weiteren Staaten, wie sie schon in Kambodscha mit der „Zehnerarbeitsgruppe44 praktiziert wurde, hier in Form der „Kontaktgruppe44. Auch hier spielte der enge Kontakt mit den Nachbarstaaten eine wesentliche Rolle für die Friedenslösung. Auch im Westsahara-Konflikt gibt es zwar ein Übereinkommen zwischen den Konfliktbeteiligten, das Generalsekretär Pörez de Cuällar in Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU — Organi­ zation of African Unity) in Verhandlungen mit Marokko und der Frente Polisario, und den Anrainerstaaten Algerien und Mauretanien im August 1988 erzielte. Es wurde als UN-Friedensplan für die Westsahara am 27. Juni 1990 vom Sicher­ heitsrat mit Resolution 658 gebilligt. Es enthält die Einigung über ein Referendum in der Westsahara unter UN-Aufsicht in Zusammenarbeit mit der OAU. Dazu wurde am 29. April 1991 mit

,c Vgl. Angola, in: UN Chronicle, March 1994, S. 56.

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Resolution 690 eine UN-Überwachungsgruppe für die Westsahara, die Misiön de las Naciones Unidas para el Referendum del Sähara Occidental (MINURSO) gebildet. Anfang September 1991 entsandte UN-Generalsekretär Pärez de Cuöllar rund 300 Beobachter der MINURSO in das Konfliktgebiet. Sie haben die Auf­ gabe, den Waffenstillstand zwischen der Unabhängigkeitsbewegung Polisario und Marokko zu überwachen und die Volksabstimmung der Westsahara-Bewohner über ihre Unabhängigkeit von Marokko bzw. ihre Integration in den marokkani­ schen Staat vorzubereiten. Bei dieser Arbeit waren sie jedoch bisher wenig er­ folgreich, weil weiter Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der er­ zielten Einigung bei den Beteiligten bestehen. Zum einen scheint nach Berichten der UN-Beamten vor Ort die marokkanische Regierung die Wahlgrundlagen verfälschen zu wollen, indem sie Marokkaner per LKW in die Westsahara fährt, um sie dort als Saharauis in die Wählerlisten eintragen zu lassen. Marokko möchte zusätzlich zu den in der letzten Volkszählung als spanische Kolonie in der Westsahara ermittelten 73 000 Saharauis weitere 50 000 Personen als Wähler ein­ tragen lassen, die nach marokkanischer Darstellung während der spanischen Zeit aus der Westsahara geflohen seien oder spanischer Abstammung wären183. Ur­ sprünglich waren die Wahlen für Ende Januar 1992 vorgesehen, aber die Mei­ nungsverschiedenheiten über die Abstimmungsberechtigung in der Volksabstim­ mung in der Westsahara haben bisher ihre Durchführung verhindert. In einer Erklärung seines Präsidenten vom 6. Dezember 1993 unterstützte der Sicherheitsrat ausdrücklich das Ziel von Generalsekretär Boutros-Ghali, das Referendum bis spätestens Mitte 1994 durchzuführen.184 Das Beispiel Westsahara demonstriert, daß die UNO mattgesetzt wird, wenn nach erfolgter Schlichtung unter UNO-Schirmherrschaft Regierungen wie jene von Marokko demokratische Verfahren mit bürokratischen Mitteln zu blockieren suchen. Hier sollten die ständigen Sicherheitsratsmitglieder sich energischer ein­ schalten. Die Bilanz der Konfliktschlichtung in Lateinamerika sieht in der letzten Zeit relativ günstig aus: Auf der Habenseite steht die positive Rolle der UNO bei der Beilegung des Konflikts in Nicaragua. Erst die Einbeziehung der UNO hat neben der Initiative der Contadora-Staaten (Kolumbien, Mexiko, Panama und Venezuela) die Lösung des außenpolitisch schwierigen Nicaragua-Konflikts ermöglicht, nachdem Anfang der 80er Jahre durch die direkte Beteiligung der USA der UN-

183 Walter Haubrich, Marokko genießt nur wenig Sympathien unter den Saharauis, in: Frankfurter Allgemeine, 4.1.1993. 184 Vgl. Western Sahara, in: UN Chronicle, March 1994, S. 61.

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Sicherheitsrat in dieser Frage blockiert war. So rief im April 1984 Nicaragua nach der Verminung nicaraguanischer Häfen durch die USA den Sicherheitsrat an, der mit 13 von 15 Stimmen (Großbritannien enthielt sich) diesen Akt ver­ urteilte. Die USA verhinderte jedoch mit ihrem Veto die Verabschiedung einer entsprechenden Resolution185 Daraufhin wandte sich Nicaragua an den Internatio­ nalen Gerichtshof; als Reaktion darauf suspendierten die USA am 6.4.1984, drei Tage, bevor die Klage in Haag rechtsgängig wurde, ihre Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH, und nahmen nach der einstweiligen Anordnung des IGH vom 10.4.1984, in der die Maßnahmen der USA als Verletzung des internationa­ len Rechts eingestuft und die USA aufgefordert wurde, die nationale Souveränität Nicaraguas zu respektieren, ihre 1946 erklärte Unterwerfung unter die obligato­ rische Gerichtsbarkeit des IGH endgültig zurück.186 Obwohl der IGH diese ein­ seitige Entscheidung der USA nicht anerkannte und die USA in dem Urteil vom 27.6.1986 in fast allen Teilen der Klage für schuldig befand, unterstreicht dieser Fall die Grenzen der Konfliktregelung durch die internationale Gerichtsbarkeit des IGH: Da die internationale Gerichtsbarkeit über keine Instrumente zur Durch­ setzung von Urteilen verfügt, muß sie sich dem Gesetz des Faktischen, d.h. der Kräftekonstellation im internationalen System, beugen.187 Dies gilt umso mehr, wenn die internationalen Gremien von einem Hauptakteur - wie hier die USA - in ihrer Kompetenz nicht anerkannt werden. Dennoch hat die Haltung des IGH in diesem Streit zwischen David und Goliath „die moralische Autorität der Vereinten Nationen gestärkt, während es die Zuverlässigkeit der USA in der Erfüllung inter­ nationaler Rechtsnormen in Frage stellte“188 und damit mittelfristig einen nicht unbeträchtlichen politisch-moralischen Druck auf die USA ausübte189.

1.5 UN Doc. S/16463 v. 4.4.1984 1.6 Vgl. Wolf Grabendorff, Erfolgreiche Kleinarbeit. Die Rolle der Vereinten Nationen in Zentral­ amerika, in: Vereinte Nationen, vol. 38, 1990, H. 4, S. 121-126, S. 121. vgl. ebd., S. 122 Ebd., S. 122. 149 Wie bittere Ironie mutet es an, daß nach der Wahl von Violeta Barrios de Chamorro zur neuen Präsidentin Nicaraguas am 25. 2.1990 Nicaragua mit Schreiben vom 12.9.1991 an den IGH auf das Klagerecht im Fall betreffend militärische und paramilitärische Aktivitäten in und gegen Nicaragua (Nicaragua gegen die Vereinigten Staaten von Amerika) verzichtet und den Präsident des IGH ersucht, die Einstellung anzuordnen und die Absetzung von der Liste der anhängigen Verfahren zu veranlassen. Die Klagerücknahme betraf die von Nicaragua geltend gemachten Schadenersatzansprüche, nachdem das IGH im obenerwähnten Urteil die USA für schuldig befunden hatte, gegen das Interventions- und das Gewaltverbot verstoßen zu haben. Die Klagerücknahme steht offensichtlich in einem engen Zusammenhang mit der Aufhebung des seit 1985 bestehenden Handelsembargos der USA gegenüber Nicaragua und mit Entwicklungshilfemitteln, die die USA der neuen Regierung Nicaraguas gewährt haben (für 1990 und 1991 500 Mill. $ Soforthilfe). Zitiert nach: Michael Hempel, IGH: Rücknahme der Klage Managuas gegen Washington, in: Vereinte Nationen, H. 1/1992, S. 30.

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Das Beispiel macht deutlich, daß wirksame Konfliktschlichtungen durch die UNO ihre Akzeptanz durch alle Beteiligten voraussetzen: im Fall Nicaragua wurde die Einbeziehung der USA in den Schlichtungsprozeß durch die regionale Initiative der Präsidenten der zentralamerikanischen Staaten erreicht. Sie einigten sich im August 1989 in den Vereinbarungen von Tela (Honduras) auf die Errichtung einer Internationalen Unterstützungs- und Verifikationskommission (CIAV) durch die Generalsekretäre der OAS und der UNO zur politischen Begleitung der weiteren Friedensverhandlungen.190 Die UN-Generalversammlung unterstützte die Beteili­ gung des UN -Generalsekretärs an der CIAV durch eine entsprechende Resolu­ tion191 im Oktober 1989. Am 7. November 1989 beschloß der Sicherheitsrat einstimmig - d.h. mit der Stimme der USA - die Einrichtung der United Nations Oberserver Group in Central America (ONUCA).192 Die ONUCA wirkte bei der freiwilligen Demobi­ lisierung der Contra-Rebellen in Nicaragua mit und überwachte die Einhaltung der verschiedenen Friedensabkommen, die von Honduras, Guatemala, Nicaragua. Costa Rica und El Salvador abgeschlossen worden waren. Außerdem schickte die UNO im Juli 1989 auf Bitten der zentralamerikanischen Staaten geschlossen eine internationale Beobachterkommission zur Überwachung von Wahlen in Nicaragua, die Beobachtermission ONUVEN. Der Sicherheitsrat unterstützte ausdrücklich die Einrichtung der ONUVEN in seiner Resolution 637 vom 27.7.1989.193 Das Beispiel Nicaragua verdeutlicht die Chancen, die in der politischen In­ strumentalisierung der UN-Gremien liegen: einerseits die Möglichkeit, durch das Instrument breiter internationaler Überwachung und Verifikation auch konfliktbe­ teiligte Mittel- oder Großmächte zur Teilnahme am UN-Schlichtungsverfahren zu bewegen oder wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Andererseits - und dafür kann Nicaragua als Präzedenzfall angesehen werden - erhielten die Ver­ einten Nationen durch das Instrument der Wahlbeobachtung eine wichtige Legiti­ mationsfunktion in nationalen, innenpolitischen Krisensituationen194, eine Funk­ tion, die sie auch in Namibia ausüben konnten und die sie in Zukunft vermutlich verstärkt wahrnehmen werden: Der Untergeneralsekretär für Politische Angele­ genheiten James Jonah, der von Generalsekretär Boutros-Ghali im Frühjahr 1992 zum Koordinator für UN-Wahlhilfe (electoral assistance) ernannt wurde, berich-

190 191 192 193 194

Ebd., S. 122. Vgl. UN Doc. Res. A/44/10 vom 23.10.1989. SC Res. 644 (1989) vom 7.11.1989. SC Res. 637 (1989) vom 27.7.1989; vgl. Vereinte Nationen, H. 6/1989, S. 213. vgl. Grabendorfs, a.a.O., S. 124

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tete im April 1993, daß die UNO seit Schaffung seines Aufgabengebietes im April 1992 32 neue Anfragen für Wahlhilfe erhalten hat. Sie hat seither in 31 Mitglied­ staaten Wahlhilfe geleistet, in 24 Staaten in Afrika, in 2 in Asien, in 1 in Ost­ europa und in 4 in Lateinamerika.195 Wenig Erfolg zeitigten bisher die UN-Vermittlungsbemühungen in einem seit langem bestehenden Konfliktgebiet in Europa, nämlich auf Zypern. Bisher schei­ terten alle Friedenspläne der UN-Generalsekretäre an der Starrheit der Verhand­ lungspositionen beider Seiten: Die Griechen bestehen auf dem Truppenabzug der Türken von der Insel als Vorbedingung und auf einer internationalen Konferenz mit dem Ziel einer multilateralen Garantie für den Status der Insel. Sie verlangen, daß mit den türkischen Soldaten 60000 türkische Neusiedler die Insel verlassen sollen. Die Türken wollen nicht auf türkische Truppen auf der Insel verzichten, lehnen eine internationale Konferenz ab, sie wollen nur bilaterale Verhandlungen auf der Insel. Griechenland und die Türkei geben wenig nach, weil für sie mit der Zukunft der Insel viel innenpolitisches Prestige auf dem Spiel steht. Allerdings scheint in letzter Zeit Bewegung in die starren Fronten gekommen zu sein, Ende Juni 1992 fand nach zweijähriger Pause nach Vorbereitung durch und auf Ein­ ladung von UN-Generalsekretär Boutros-Ghali ein Gipfeltreffen zwischen dem Führer der griechischen Zyprioten, George Vassiliou, und dem Führer der türki­ schen Zyprioten, Rauf Denktasch, im UN-Hauptquartier in New York statt. Vorher hatte Boutros-Ghali separat mit beiden Seiten verhandelt. Die Verhandlun­ gen, die am 15. Juli wiederaufgenommen und dann auf Ende Oktober 1992 vertagt wurden, erhielten ihren Anstoß durch die Resolution 750 (1992) des Sicherheitsrats, in welcher er den Generalsekretär bittet, zwischen beiden Seiten zu vermitteln und nach zwei Monaten einen Bericht vorzulegen. Sollte der Gene­ ralsekretär keinen Erfolg haben, wolle der Sicherheitsrat selber die Initiative übernehmen. Im Erfolgsfalle solle eine internationale Konferenz auf hoher Ebene mit Beteiligung der beiden Volksgruppen, Griechenlands und der Türkei statt­ finden. Als Grundlage bietet die Resolution das Konzept einer bizonalen und bikommunalen Föderation bei einer Souveränität und einer Staatsangehörigkeit für ganz Zypern196. Der Sicherheitsrat hat Ende August 1992 in einer einstimmig an­ genommenen Resolution die griechische und türkische Bevölkerungsgruppe auf Zypern aufgefordert, ihre Streitigkeiten beizulegen, die auf den 26. Oktober 1992

195 Vgl. United Nations Informations Service - United Nations Office At Geneva, Press Release GA/491, 16.4.1993, S. 1. 196 Vgl. Hans Lohrmann, Viele Stolpersteine auf dem Weg zum Frieden für Zypern, in: Der Tages­ spiegel, 15.7.1992, S. 3.

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vertagten Gespräche in dieser Verhandlungsrunde zum Abschluß zu bringen und bis Ende des Jahres einen Vertrag über die Wiedervereinigung der Insel fertigzu­ stellen. Jedoch erbrachten weder diese noch eine weitere Verhandlungsrunde im Frühjahr 1993 substantielle Fortschritte. In seinem Bericht an den Sicherheitsrat im November 1993 kritisierte deshalb Generalsekretär Boutros-Ghali expressis verbis die mangelnde Verhandlungs­ bereitschaft der beiden Seiten: „Während UNFICYP erfolgreich den Frieden gesichert hat, haben die beiden Seiten nicht die sich bietenden Gelegenheiten sinnvoll genutzt, um eine Gesamtlösung zu erreichen.14197 Am 15. Dezember 1993 erklärte der Sicherheitsrat in seiner Resolution 889, in welcher er das Mandat für die Friedenstruppen auf Zypern (UNFICYP) bis Juni 1994 verlängerte, mit Nachdruck, daß der „Status quo inakzeptabel“198 sei und unterstützt die Vermittlungsversuche des Generalsekretärs. Im Zusammenhang mit Zypern kam es übrigens bisher zum einzigen „Krach“ im Sicherheitsrat nach der Annäherung der beiden Großmächte USA und UdSSR 1988 und zum ersten Veto der UdSSR bzw. seines Nachfolgers Rußlands seit 1984: Rußland brachte eine Entschließung zu Fall, mit der die bisherige freiwil­ lige Finanzierung der UN-Friedensmission auf Zypern auf eine neue Grundlage gestellt werden sollte. Von den Kosten, die sich auf 47 Millionen Dollar belaufen, wollten Griechenland und Zypern 25 Millionen Dollar übernehmen, die restlichen 22 Millionen Dollar sollten auf die anderen UN-Mitgliedsländer verteilt werden, auf Rußland wären 1,9 Millionen Dollar entfallen. Rußlands Vertreter Woronzow betonte jedoch: „Dies war ein einmaliges Veto und kein Präzedenzfall für andere Fragen der Friedenssicherung.“ Es gäbe dringlichere UN-Missionen, zum Bei­ spiel im ehemaligen Jugoslawien.199

2.6.

Die Rolle der Vereinten Nationen im Nahostkonflikt

Bei einem anderen Konflikt, der jahrzehntelang die UNO beschäftigte und gespal­ ten hatte, der Nahostkonflikt, finden die Friedensverhandlungen nicht im Rahmen der UNO statt, sondern in einem komplizierten Geflecht bi- und multilateraler

197 UN Doc. S/26777 vom 22.11.1993, zit. nach: UN Chronicle, March 1994, S. 67 (Übersetzung vom Vers.). 198 SC Res. 889 (1993) vom 15.12.1993, deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 2/1994, S. 85. 199 Rußland legt erstmals Veto im UNO-Sicherheitsrat ein. Gegen Beteiligung an Kosten des ZypernEngagements gestimmt, in: Der Tagesspiegel, 13.5.1993, S. 5.

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Verhandlungen unter Schirmherrschaft der USA. Das Problem der Friedensregelung für den Nahen Osten stellt sich für die Vereinten Nationen erst, wenn es um die Garantie und Durchführung der Frie­ densregelungen geht. Dabei weichen die Positionen der Großmächte und Israels in dieser Frage noch erheblich voneinander ab: Rußland möchte den Vereinten Nationen bei der Friedenssicherung eine wichtige Aufgabe übertragen, wie es der UN-Botschafter der UdSSR - und jetzt Rußlands -» Woronzow, im März 1991 formulierte:200 Ein zu schaffendes Sicherheitssystem für diese Region müßte, so Woronzow, mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verbunden sein. Die USA dagegen verhalten sich zurückhaltend, amerikanische Diplomaten „halten eine Rolle der Vereinten Nationen bei der Friedensregelung am Golf für wahr­ scheinlich. Wie groß diese Rolle sein soll, wie weit sie erwünscht ist, ist freilich eine offene Frage.“201 Israel schließlich wünscht derzeit noch keine Beteiligung der Vereinten Nationen am Friedensprozeß im Nahen Osten: So schloß der israelische Außenminister bei seinem Zusammentreffen mit dem luxemburgischen Außenminister Poos im Juni 1991 in Paris eine Rolle der UNO bei der Nahostkonferenz aus, sondern will sie nur über die erreichten Lösungen unterrichten.202 Die mangelnde Bereitschaft bzw. das Zögern, die Vereinten Nationen an der Friedenslösung im Nahen Osten angemessen zu beteiligen, legt Rückschlüsse auf die Dominanz nationaler außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischer Interessen der jeweiligen Akteure nahe: Die Mitwirkung der Vereinten Nationen hat tenden­ ziell einen breiteren Interessenausgleich zwischen militärisch und wirtschaftlich starken und schwachen Nationen zur Folge, diese Wirkung scheinen bisher einige Konferenzteilnehmer, vor allem die USA und Israel, noch zu scheuen, obwohl jener Interessenausgleich für stabile Lösungen unerläßlich ist. Ebenso werden das Know-How und die Finanzmittel vieler Organisationen der Vereinten Nationen, vor allem der FAO, WHO, UNCHR, UNEP und UNDP, benötigt werden, um die auf den obenerwähnten Fachkonferenzen im Grundsatz erörterten außenpolitisch außerordentlich brisanten Probleme, Wasserverteilung, Flüchtlinge, Rüstungskontrolle, Umweltprobleme und wirtschaftliche Entwicklung der Region, für welche man dort internationale politischen Rahmenlösungen durch entsprechende Abkommen, z.B. über die Verteilung des Trinkwassers der Region,

200 Vgl. Ulrich Schiller, Auch jetzt noch einig? Die Vereinten Nationen vor neuen Herausforderungen, in: Die Zeit, Nr. 11, 8.3.1991, S. 3. 201 Ulrich Schiller, a.a.O., S. 3. 202 Vgl. Der Tagesspiegel, 6.6.1991, S. 2

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sucht, anschließend pragmatische Problemlösungskonzepte zu erarbeiten und durch entsprechende Programme der UN-Organisationen umsetzen zu können. Denn die Lösung dieser „Randprobleme44 ist ebenso wie die politische Lösung der Sicherheits- und Souveränitätsprobleme aller Beteiligten zur dauerhaften Befrie­ dung der Region unerläßlich. Bisher gibt es in der Region nur eine unkoordinierte Entwicklungshilfe-Aktivität aus unterschiedlichen Töpfen, die nicht durch Studien oder genügende Datenerhebung gestützt sind: nach einer Zusammenstellung des United Kations Development Programme (UNDP) vom Frühjahr 1992 finanzieren 42 Geldgeber etwa 300 Projekte in den von Israel besetzten Gebieten.203 Dies demonstriert deutlich, daß die Koordinierungsfunktion der UNDP dringend benötigt wird, um die Entwicklungshilfe für die Region wirksam zu gestalten. Eine aktive Rolle der Vereinten Nationen im Nahostfriedensprozeß scheint aufgrund ihres fachlichen Know-Hows in den Sonderorganisationen, ihrer Erfah­ rung in langwierigen Prozessen der Konsensbildung auf den verschiedensten Sach­ gebieten und ihres Ansehens bei den Staaten der Dritten Welt unabdingbar.

2.7.

Die Debatte über die deutsche Beteiligung an UN-Friedenstruppen

„Blauhelme - und sonst nichts. Das Grundgesetz erlaubt Einsätze im UN-Kollektiv44 - Die Überschrift des Artikels von Hans Arnold, ehemaliger Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen in Genf, vom April 1991204 bringt den verfassungsrechtlichen Kern der außenpolitischen Debatte in der Bundesrepublik über eine deutsche Beteiligung an UN-Friedenstruppen in den letzten zwei, drei Jahren zum Ausdruck. Es bestand und besteht unter den deutschen Verfassungsjuristen kaum Zweifel, daß das Grundgesetz205 einen Einsatz der Bundeswehr als UN-Blauhelme erlaubt, das heißt sowohl bei den traditionell friedenssichemden Aufgaben - Sicherung von Waffenstillstandslinien - als auch bei den aktuellen Einsätzen mit erweitertem

203 Karen Söhler, Vision in allen Einzelheiten, in: Die Zeit, Nr. 22/1992, 22.5.1992, S. 35. 204 Vgl. Blauhelme - und sonst nichts. Das Grundgesetz erlaubt Einsätze im UN-Kollektiv, in: Die Zeit, 12.4.1991, S. 40. 205 Art. 87a GG sagt aus: (1) »Der Bund stellt Streilkräfte zur Verteidigung auf. ... (2) Außer zur Ver­ teidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.“ Art. 24 GG, der sich mit zwischenstaatlichen Einrichtungen befaßt, sagt in Absatz 2 aus: »Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.“

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Mandat, dem peace enforcement (Friedensdurchsetzung), das z.B. die Entwaff­ nung von Konfliktparteien oder direkte Kampfeinsätze gegen Friedensbrecher vor­ sieht. Der Völkerrechtsjurist Christian Tomuschat stellte 1992 fest: „Es bedarf ... keiner Verfassungsänderung, um zu ermöglichen, daß militärische Einheiten der Bundeswehr zur Eingliederung in eine Friedenstruppe an die Vereinten Nationen überlassen werden.44 Bei Transportausgaben reiche das Grundgesetz als Grundlage aus, allerdings müsse ein Verwaltungsabkommen mit den Vereinten Nationen die Stellung des Truppenkontingentes regeln. Bei Einsätzen von Bundeswehreinheiten als Friedenstruppe mit militärischen Aufgaben wäre dagegen ein formeller Vertrag mit den Vereinten Nationen erforderlich, und - so Tomuschat - es „bedarf ... sehr sorgfältiger Prüfung, ob nicht angesichts der politischen Bedeutung der Entschei­ dung ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz l206 erlassen werden muß.44207 Worum geht also der Streit in der Bundesrepublik? Zum einen geht es um den Umfang des für verfassungsrechtlich zulässig gehaltenen Engagements: Die SPD hielt und hält im Grunde nur die klassischen friedenssichemden und humanitäre Missionen für verfassungsgemäß. Außerdem verlangt sie als Grundlage für alle UN-Einsätze der Bundeswehr eine Verfassungsänderung, die jeden UN-Einsatz an eine vorherige Zustimmung des Bundestages bindet. Bei Einsätzen zur Friedens­ durchsetzung, d.h. Einsätzen, welche die direkte Anwendung militärischer Mittel in ihrem Mandat einschließen, hält sie einen Zustimmungsbeschluß mit einer Zweidrittelmehrheit, für erforderlich. Die FDP akzeptiert heute auch Einsätze zur Friedensdurchsetzung der Bundes­ wehr im Auftrag der UNO als verfassungsgemäß. Da sie aber Anfang 1993 noch der Auffassung war, für solche Einsätze bedürfe es zur rechtlichen Klarstellung einer Verfassungsänderung, rief sie ebenso wie die SPD das Bundesverfassungs­ gericht an. Beide Antragsteller beantragten den Erlaß einer Einstweiligen Ver­ fügung, welche die Beteiligung deutscher Soldaten an Aufklärungsflügen über Bosnien untersagen sollte, die aufgrund eines Beschlusses der Nato durchgeführt werden sollten, um das am 9. Oktober 1992 vom UN-Sicherheitsrat verhängte Flugverbot von militärischen Flügen der Serben über Bosnien-Herzegowina208 ab

206 Art. 59, Abs. 2 Satz 1 GG: „Vertrage, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mit­ wirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes.“ 207 Vgl. Christian Tomuschat, Deutscher Beitrag zu VN-Friedenstruppen, in: Außenpolitik (1985), S. 272-283, S. 282f. 208 SC Res. 781 vom 9.10.1992.

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11. April 1993 mit Waffengewalt durchzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht lehnte am 8. April 1993 den Erlaß der Einstweiligen Anordnung ab. Ebenso lehnte das Bundesverfassungsgericht im Juni 1993 den Erlaß einer Einstweiligen Anordnung ab, als es wegen des Beschlusses der Bundesregierung, 1700 Bundeswehrsoldaten im Rahmen der UN-Friedenstruppen UNOSOM II nach Somalia zu schicken, im Juni 1993 erneut von der SPD angerufen wurde. Es ent­ schied, die Bundeswehrsoldaten dürften am Einsatzort bleiben, „wenn und so­ weit“ das Parlament dies beschließe.209 Bis zur Entscheidung in der Hauptsache müßten die Bundesregierung und das Parlament die politische Verantwortung für den Einsatz gemeinsam tragen, dazu sei ein „konstitutiver Akt“ des Parlaments in Form der Zustimmung zur Entsendung notwendig.210 Die CDU/CSU-Fraktion sieht neben den klassischen UN-FriedenstruppenEinsätzen auch militärische Aktionen mit der Ermächtigung der Vereinten Natio­ nen nach Art. 42 und 48 der UN-Charta - wie im Golf-Konflikt - in Überein­ stimmung mit dem Grundgesetz. Darüberhinaus möchte sie militärische Einsätze der Bundeswehr „out of area“, d.h. außerhalb des Bündnisgebietes der Nato, in die Verfassungsänderung des Grundgesetzes in Bezug auf die Einsätze der Bun­ deswehr in UN-Friedenstruppen miteinbeziehen, wie sie es im Koalitionskom­ promißpapier vom Januar 1993 gegenüber der FDP durchsetzte: Danach sollen auch Einsätze der Bundeswehr „gemeinsam mit anderen Staaten im Rahmen von Bündnissen und regionalen Abmachungen“ auch dann möglich werden, wenn eine Entscheidung des Sicherheitsrats noch nicht vorliegt.211 Der Bundestag müßte, so

209 Dieser Auflage des Verfassungsgerichts kam der Bundestag am 2. Juli 1993 mit der Mehrheit der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP nach; der Bundestag billigte mit 337 gegen 185 Stimmen die Entsendung der Bundeswehrsoldaten nach Somalia als Teil der UNOSOM II-Friedensmission. Vgl. Bundestag billigt Somalia-Einsatz der Bundeswehr mit deutlicher Mehrheit, in: Der Tagesspiegel, 3.7.1993, S. 1. 210 Vgl. Karlsruhe läßt Somalia-Einsatz nur mit Billigung des Bundestages zu, in: Der Tagesspiegel, 24.6.1993, S. 1. 211 Vgl. Joachim Fritz-Vannahme, Lauter Brücken, die nicht tragen. Beim Streit um Blauhelme und Kampfeinsatze finden Regierung und Sozialdemokraten keinen Kompromiß, in: Die Zeit, Nr. 4/1993, 22.1.1993, S. 4.

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der CDU-Vorschlag, mit 2/3-Mehrheit jedem dieser Einsätze vorher zustim­ men.212

2.7.1. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 Am 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht in dem Parteienstreit über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Beteiligung von Bundeswehreinheiten an UN-Einsätzen entschieden. Das Verfassungsgericht hält die Beteiligung von Bundeswehreinheiten an militärischen Einsätzen der Vereinten Nationen, der WEU und der NATO für verfassungsgemäß. Es handele sich bei um Systeme kollektiver Sicherheit, an denen sich die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 24 GG beteiligen könne. Mit der Zustimmung des Gesetzgebers zu einem der­ artigen System kollektiver Sicherheit gilt diese Zustimmung auch für „die Einglie­ derung von Streitkräften in integrierte Verbände des Systems oder eine Beteili­ gung von Soldaten an militärischen Aktionen des Systems unter dessen militäri­ schen Kommando, soweit Eingliederung oder Beteiligung in Gründungsvertrag oder Satzung, die der Zustimmung unterlegen haben, bereits angelegt sind.“213 Das heißt, Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der UN, der NATO oder der WEU sind verfassungsgemäß, wenn sie sich im Rahmen der zugrundeliegenden Bündnisverträge bzw. der UN-Charta bewegen. Jedoch ist für jeden Einsatz der Streitkräfte, stellt das Verfassungsgericht fest „die - grundsätzlich vorherige - konstitutive Zustimmung des Deutschen Bun­ destages einzuholen“, wobei es Sache des Gesetzgebers ist, „Form und Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten“. Das Gericht hält eine einfache Mehrheit des Bundestages für ausreichend, das Parlament kann jedoch

212 Nach dem Koalitionsbeschlüssen von Januar und März des Jahres soll der Art. 24 GG um vier Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr erweitert werden: (1) bei „friedenserhaltenden“ Maßnahmen (Blauhelme) auf Beschluß des Sicherheitsrats oder im Rahmen von regionalen Abmachungen im Sinne der Charta der Vereinten Nationen, soweit ihnen die Bundesrepublik angehört; (2) bei „friedensherstellenden“ Maßnahmen gemäß Kap. VU und VUI der Charta aufgrund von Beschlüssen des Sicherheitsrats; (3) zur Hilfeleistung für mit der Bundesrepublik Deutschland verbündeten Staaten gemäß Bündnisverträgen; (4) in Ausübung des Rechts zur kollektiven Selbstverteidigung gern. Art. 51 der UN-Charta gemeinsam mit Partnern im Rahmen von Bündnissen und anderen regionalen Ab­ machungen, denen die Bundesrepublik Deutschland angehört. Die Einsätze bedürfen in den Fällen 1 und 2 der Zustimmung der einfachen Mehrheit, im Fall 4 der Zustimmung von 2/3 der Mitglieder des Bundestages; vgl. Frankfurter Rundschau, 14.1.1993, und Frankfurter Allgemeine, 5.3.1993. 215 Alle Zitate aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zit. nach: „Der Teilnahme steht nichts entgegen“. Die Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts zu internationalen Einsätzen der Bundeswehr, in: Der Tagesspiegel, 13.7.1994, S. 6.

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in einer gesetzlichen Regelung für die internationalen Einsätze der Bundeswehr eine qualifizierte Mehrheit beschließen. Damit hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtsauffassung der CDU/CSUFraktion bestätigt, sowohl Einsätze des Bundeswehr im Ausland im Rahmen der Vereinten Nationen als auch im Rahmen der NATO und der WEU sind zulässig, das Parlament muß lediglich vorher zustimmen, eine Verfassungsänderung ist nicht erforderlich. Die Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen sind damit rechtlich klar definiert. Unklar hinsichtlich ihrer verfassungsrechtlichen Grundlage bleiben lediglich die vom Koalitionspapier vom Januar 1993 erwähnten Einsätze „out of areau „im Rahmen von Bündnissen oder regionalen Abmachungen“, bevor der Sicherheitsrat entschieden hat. Ohne Entscheidung des Sicherheitsrats liegt keine Ermächtigung nach Art. 42 zu militärischen Aktionen gegen einen Aggressor vor und handelt es sich nicht um Aktionen im Rahmen der UNO. Nur die Selbstverteidigung des angegriffenen Staates - individuell oder im Rahmen eines Bündnisses - wäre nach Art. 51 der Charta zulässig, bis sich der Sicherheitsrat mit dem Friedensbruch befaßt hat. Das hieße, die von der CDU/CSU angesprochene Militäraktion „out of area“ wäre vor einer Entscheidung des Sicherheitsrats nur in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz und der UN-Charta, wenn die Bundesrepublik Vertragspartner des angegriffenen Staates in einem Militärpakt ist bzw. eines der Bündnissysteme, dem sie angehört beschließt, dem angegriffenen Staat militärische Hilfe zu leisten. Von dem Zeitpunkt an, an dem er sich mit dem Friedensbruch befaßt hat, ist der Sicherheitsrat allein für die Entscheidung über Sanktionsmaßnahmen zuständig und kann z.B. Mitgliedsländer ermächtigen, dem angegriffenen Staat zu Hilfe zu eilen. Es bleibt an dem Konzept der CDU/CSU jedoch unklar, warum die Bundes­ republik Deutschland sich an Einsätzen beteiligen sollte, bevor der Sicherheitsrat eine Entscheidung getroffen hat. Warum kann man die Entscheidung des Sicherheitsrats nicht abwarten? Der Sicherheitsrat entscheidet - wie der Golf-Konflikt gezeigt hat - innerhalb von Stunden über die Frage, ob ein Friedensbruch vorliegt. Wie verhalten sich die Teilnehmerstaaten an einer Militäraktion im Rahmen eines Bündnisses „out of area“, wenn während der Aktion oder nach erfolgtem Einsatz der Sicherheitsrat feststellt, es lag kein völkerrechtswidriger Angriff oder Friedensbruch nach Art. 39 UN-Charta vor?

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Deshalb bin ich der Auffassung, daß die Bundeswehr Einsätze im Ausland nur im Rahmen und mit Ermächtigung der Vereinten Nationen durchfuhren sollte, auch wenn Auslands-Einsätze im Rahmen der NATO und WEU verfassungsrechtlich zulässig sind. Hans Arnold formuliert es sehr deutlich: „....Geschichte und (alte oder neue) Verantwortung gebieten, daß sich die Deutschland konsequent gegen nationale Waffengänge stellt, mögen sie sich auch ,im Rahmen der Uno4 vollziehen. Die Bundesrepublik sollte sich rückhaltlos für eine Stärkung und einen Ausbau des kollektiven Sicherheitssystems der Uno einsetzen. Und dabei mit eigenem Beispiel vorangehen. Die anstehende Entscheidung für Einsätze der Bundeswehr außerhalb des Nato-Gebiets kann daher nur lauten: Blauhelme und sonst nichts. 44214 Die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik scheint im übrigen die Skepsis der SPD gegenüber UN-Friedenstruppeneinsätzen zur Friedensdurchsetzung mit militärischer Gewalt zu teilen: Nach einer Umfrage des Forsa-Instituts, die An­ fang Januar 1993 veröffentlicht wurde, sind nur 15% der Befragten für eine deutsche Beteiligung an derartigen Einsätzen, 29% sind für deutsche Blauhelm­ aktionen aus humanitären Gründen oder in Beobachterrollen, 44% der Befragten sagen, die Bundeswehr solle sich auf die Verteidigung der Bundesrepublik und des NATO-Gebietes beschränken.215 Japan, das sich in einer ähnlichen Situation wie die Bundesrepublik Deutschland befand, nämlich aufgefordert zu werden, sich an UN-Friedenstruppen zu beteili­ gen, verabschiedete im Sommer 1992 ein Gesetz über UN-Friedenstruppenkontingente, das wie das SPD-Modell jeglichen Friedenstruppen-Einsatz an eine aus­ drückliche Zustimmung des Parlaments bindet. Darüberhinaus hat Japan auch die Größe des Kontingents auf 2000 Soldaten begrenzt.216 Einsätze japanischer Sol­ daten bei Maßnahmen zur Friedensdurchsetzung nach Kapitel VII der UN-Charta hat das japanische Gesetz allerdings - mit Rücksicht auf die pazifistische Grundstimmung in seiner Bevölkerung - ausgeschlossen: Die Einheiten dürfen nur für friedenserhaltende Operationen und humanitäre Missionen eingesetzt werden. Ihr Einsatz darf „weder die Androhung noch die Anwendung von Gewalt zum Gegen-

214 Hans Arnold, a.a.O.. 213 Vgl. Bonn sucht Linie für UN-Einsätze, in: Der Tagesspiegel, 6.1.1993, S. 4. 216 Vgl. Government of Japan, Law Conceming Cooperation for United Nations Peace-Keeping Operations and Other Operations. Unofficial translation provided by the Embassy of Japan in Wa­ shington, reprinted in: International Legal Materials, vol. XXXII (1993), H. 1, January 1993, $. 217235. Article XVIII: »The total number of the personnel engaged in International Peace Cooperation Assignments shall not exceed two thousand.“ (a.a.O., S. 230)

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stand haben.442,7

2.8.

Friedenssicherung zwischen Großmachthegemonie und globaler Ko­ operation

Jahrzehntelang mußten sich die Vereinten Nationen in der Friedenssicherung wegen der Blockade im Sicherheitsrat auf die klassische Rolle des von beiden Seiten akzeptierten Schlichters und Schiedsrichters und des Grenzpolizisten, der die Grenzlinien zwischen den streitenden Staaten sichert, beschränken. Dabei leisteten sie, wie viele wissenschaftliche Untersuchungen über diese Epoche der Vereinten Nationen belegen, unter den gegebenen Umständen vorzügliche Arbeit, wenn man die vorhandenen Machtmittel, die gegenwärtigen völkerrechtlichen Rahmenbedingungen und die finanziellen Ressourcen berücksichtigt. Die Mißerfolge der UN-Friedenssicherung sind weniger auf ihr Versagen als auf den mangelnden Willen mancher Konfliktpartner in zwischenstaatlichen Kon­ flikten und Bürgerkriegen zurückzuführen, sich an die unter UN-Vermittlung er­ reichten Friedensverträge zu halten. Die Vereinten Nationen sind auf die Koope­ ration aller Konfliktbeteiligten nach wie vor angewiesen, sie können nicht überall zahlenmäßig so stark vertreten sein, daß die Einhaltung von Friedensverträgen erzwungen werden kann. Deshalb sollten es sich die regionalen Organisationen wie OAS, OAU usw. zur Aufgabe machen, durch ihren politischen Druck oder wirtschaftliche Boykottmaßnahmen die Konfliktpartner zur Einhaltung der Ver­ träge zu bewegen. Nun sind den Vereinten Nationen, wie die dargestellten Beispiele zeigen, durch die Kooperation im Sicherheitsrat neue Möglichkeiten in der Friedenssicherung in die Hand gegeben worden. Zugleich aber ist mit dem Ende des Kalten Krieges auch der Bedarf an effizientem multilateralen internationalen Krisenmanagement gestiegen. Von 1945, dem Gründungsjahr der UNO, bis 1988 gab es insgesamt 13 Peacekeeping-Einsätze, in den vier Jahren danach wurden 14 weitere beschlos-

2,7 Vgl. ebd., S. 217, Article II, No. 2: „The Implementation of International Peace Cooperation Assignments ... shall not be tantamount to the threat or use of force“ (Die Durchführung von Maßnah­ men im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit bei der Friedenssicherung darf nicht die An­ drohung oder die Anwendung von Gewalt beinhalten). 2IS Vgl. Winrich Kühne, Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen in einer Welt ethno-nationaler Konflikte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 15-16/93, 9.4.1993, S. 9-19, S. 10.

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Dabei markieren die Einsätze in Kambodscha - UNTAC

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im ehemaligen Ju­

goslawien - UNPROFOR und in Somalia - UNITAF/UNOSOM - eine neue Größenordnung, was personellen Aufwand, Kosten und Aufgabenstellung anbe­ trifft: Mehr als 80 000 Soldaten und Zivilisten waren bzw. sind an diesen drei Operationen beteiligt. Die Vereinten Nationen geraten hier schnell an eine Lei­ stungsgrenze, wenn sie weiter UN-Missionen dieser Größenordnung durchführen. An Krisenherden, die nach weiteren solchen Mammuteinsätzen verlangen, wird es auch in Zukunft nicht mangeln. Denn, darin ist man sich bei den Friedens- und Konfliktforschem, aber auch in den Planungsstäben der Außenministerien der Staaten einig, die Konflikte nehmen zu: Durch das Ende des Kalten Krieges und den Beginn der partiellen Zusammen­ arbeit der beiden Supermächte wächst die Tendenz zur Regionalisierung der Kon­ flikte: Konflikte, die bisher durch die mehr oder minder starke Einbindung in einen der beiden Blöcke „gezähmt“, d.h. gebündelt und zugleich gedämpft wor­ den waren, gelangen nun an die Oberfläche, und regionale Vormächte versuchen, ihr militärisches Potential zur Erweiterung ihrer Machtposition zu nutzen. Neben Grenzkonflikten und Kampf um Ressourcen zwischen souveränen Staaten treten zunehmend, wie wir gesehen haben, interne Konflikte in den Staaten, ethnisch und/oder sozial begründete Bürgerkriege mit der Tendenz zur Sezession vom Gesamtstaat. Die Konfliktneigung wird noch verstärkt durch umfangreiche Rüstungsexporte, durch das wachsende ökonomische und soziale Gefälle zwischen den Ländern des Nordens und der Dritten Welt, durch die zunehmende Knappheit der ökonomi­ schen Ressourcen, ökologische Katastrophen, unterschiedlich hohes Bevölkerungs­ wachstum und umfangreiche Migrationsbewegungen. Der langjährige Untergene­ ralsekretär für die Friedenstruppen Brian Urquhart spricht deshalb von einer „höchst unbeständigen und instabilen Phase der Weltgeschichte“, in der sich die Friedenssicherungskapazität der Vereinten Nationen bewähren müsse.219 Damit steht die Friedenssicherung, wie die akuten Krisenherde der Welt deut­ lich machen, vor einer schwierigen Herausforderung in den nächsten Jahrzehnten: Friedenssicherung kann nicht mehr auf die Schlichtung militärischer Konflikte und die Sicherung von Waffenstillstandsvereinbarungen bis zur endgültigen Befriedung eines Konfliktgebietes beschränkt werden, sondern muß angesichts der Kom­ plexität und Brisanz der Krisenherde Entwaffnung der Konfliktparteien, humanitä-

2,9 Vgl. Brian Urquhart, The role of the United Nations in die Iraq-Kuwait conflict in 1990, in: Stockholm International Peace Research Institute (Hrsg.), SIPRI-Yearbook 1991: World Armaments and Disarmament, S. 617-626, S. 623.

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re Hilfe, Wahlbeobachtung, Venvaltungsaufbau, Reparatur der Infrastruktur, Wirtschaftshilfe und Überwachung der Menschenrechtssituation umfassen, wie die Beispiele Somalia und Kambodscha belegen. Sie wird ein höchst komplexes Geschehen.220 Jetzt erweist sich in der Praxis, daß die Appelle der UN-Studien über Abrüstung und Entwicklung in den 70er und 80er Jahren221 sowie der Brandt- und PalmeKommissionen, die als unabhängige internationale Kommissionen Studien über Fragen der Abrüstung, Entwicklung und Sicherheit in der Welt verfaßten222, Frieden und Sicherheit nicht länger unter ausschließlich militärischen Aspekten zu betrachten, ihre Berechtigung hatten, wie es die Palme-Kommission bereits 1982 formulierte: „Im Zeitalter der Moderne kann Sicherheit nicht mehr unilateral erreicht werden. Wirtschaftlich, politisch, kulturell, und - was am wichtigsten ist - militärisch, leben wir in einer interdependenten Welt. Die Sicherheit einer Nation kann nicht auf Kosten von anderen erreicht werden...“223 Deshalb heißt Friedenssicherung vor allem, sich in den Konfliktzonen der Welt neben der Dämpfung der militärischen Konflikte an der Lösung der politischen, wirtschaft­ lichen, sozialen und ökologischen Probleme im Rahmen der Vereinten Nationen zu beteiligen. Wollen die Vereinten Nationen jedoch nicht bald an ihren Frie­ densmissionen bankrott gehen und personell ausgelaugt werden, müssen sie ihre Friedenssicherung umbauen von einem Apparat für Krisenfeuerwehrmissionen zu einem ganzheitlichen System der Friedenssicherung, das von der Früherkennung und Prävention von Konflikten über die eigentliche Konfliktschlichtung und Frie­ denswiederherstellung bis zur Konsolidierung des politischen Systems des Kri­ senstaates reicht, das durch spezielle Fonds solide finanziert und durch Verträge mit den Mitgliedsländern personell ausreichend ausgestattet ist. Weil dies nicht

220 Vgl. dazu: Boutros Boutros-Ghali, Friedenserhaltung durch die Vereinten Nationen: Eine neue Chance für den Weltfrieden, in: Europa-Archiv, Folge 5/1993, S. 123-131, S. 124f. 221 Vgl. z.B. United Nations - Department of Economic and Social Affairs, Disarmament and Deve­ lopment. Report of the Group of Experts on the Social and Economic Consequences of Disarmament, UN Doc. ST/ECA/174 (1972); United Nations - Department of Political and Security Council Affairs/United Nations Centre for Disarmament, The Relationship between Disarmament and Develop­ ment. Report of the Secretary-General, UN Doc. A/36/356 (1982); kommentiert in: Helmut Volger, Der Wandel der Perzeption von Abrüstung, Entwicklung und Konversion in der UNO, Frankfurt/M. 1987. 222 Willy Brandt u.a., Das Überleben sichern - Der Brandt-Report. Bericht der Unabhängigen Kom­ mission für Internationale Entwicklungsfragen (Nord-Süd-Kommission), Deutsche Taschenbuchaus­ gabe, Frankfurt/M. 1981; Common Security. A Programme for Disarmament. The Report of the Independent Commission on Disarmament and Security Issues under the Chairmanship of Olof Palme, London 1982. 223 Ebd., S. 12.

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unbeträchtliche zusätzliche Finanzbeiträge der Mitgliedsländer und eine Einschrän­ kung ihrer außenpolitischen Dispositionsfreiheit bedeuten würde, ist sowohl inner­ halb der UNO wie vor allem in der Öffentlichkeit der Mitgliedsländer eine breite Diskussion zu dieser Thematik notwendig, die den Bürgern deutlich macht, daß eine solche erweiterte und solider konstruierte Friedenssicherungskapazität der Vereinten Nationen eine absolute Notwendigkeit ist angesichts der schwierigen und unübersichtlichen weltpolitischen Situation. Zum anderen gilt es, Konzepte für ein derartiges ganzheitliches System der Friedenssicherung zu entwickeln.

2.8.1. Neue Konzepte der Friedenssicherung der Vereinten Nationen 2.8.1.1.

Das Aide-mänoire der UdSSR von 1988

Nachdem der Kalte Krieg vierzig Jahre lang die Vereinten Nationen durch die Blockade des Sicherheitsrats gezwungen hatte, durch Improvisation in den Grau­ zonen der UN-Charta kreativ das Beste aus einer schwierigen Situation zu ma­ chen, wie es das Beispiel der Schaffung der UN-Friedenstruppen durch General­ sekretär Dag Hammarskjöld verdeutlicht, stellt das schon erwähnte sowjetische Aide-memoire224 aus dem Jahr 1988 den ersten Versuch aus der Mitte der ständi­ gen Mitglieder des Sicherheitsrats dar, in einer grundsätzlichen Auseinanderset­ zung mit den geänderten Rahmenbedingungen des internationalen Systems nach dem Ende des Kalten Krieges durch strukturelle Reformen das System der Frie­ denssicherung der Vereinten Nationen in seiner Effizienz zu erhöhen. Das Aide-memoire ist das ausformulierte Reformkonzept für Michail Gorbat­ schows Vorschlag zur Schaffung eines umfassenden Systems internationaler Sicherheit im Rahmen der Vereinten Nationen, den er im September 1987 in einem Prawda-Artikel entwickelt hatte225 und den er in seinen Grundlinien in seiner Rede vor der 43. UN-GeneralVersammlung am 7. Dezember 1988 wie-

224 Toward comprehensive security through the enhancement of the role of the United Nations, UN Doc. A/43/629 (1988), UN GAOR 43rd Session, Annex, (Agenda Items 73,78 und 136). 225 Vgl. Michail Gorbatschow, Realitäten und Garantien für eine sichere Welt - Vorschläge für ein effizienteres VN-System, in: Pravda, 27.9.1987, abdruckt auf Deutsch in: Neue Zeit, 39/1987, nach­ gedruckt in: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (Hrsg.), Zur Diskussion gestellt Nr. 14, April 1988.

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derholte.226 Der Autor des Aide-memoire, der Stellvertretende Außenminister der UdSSR Petrovsky, will mit seinen Vorschlägen vor allem die präventive Kompetenz der UNO verbessern. Zur Konfliktprävention und -früherkennung solle der Sicher­ heitsrat - nach Absprache mit den betreffenden Regionalorganisationen Beobachtungs­ posten in Konfliktzonen der Welt einrichten; - UN-Beobachter an Grenzen stationieren in einem Gebiet, das sich gegen Inter­ ventionen von außen schützen möchte, auf Anforderung dieses Landes; - in Zusammenarbeit mit der Generalversammlung und mit Zustimmung des Staates/der Staaten Beobachtungsmissionen und Fact-Finding-Missionen (zivil, militärisch oder gemischt) in Staaten entsenden; - die Entsendung von militärischen Beobachtermissionen auf Initiative und Ent­ scheidung des Generalsekretärs hin mit Zustimmung des Sicherheitsrats zur Konfliktprävention beschließen; - die Entsendung von Sonderdelegationen aus Repräsentanten der Öffentlichkeit und Offiziellen in Erwägung ziehen; - Methoden engerer Kooperation im Sicherheitsrat entwickeln, z.B. häufigere informelle Sitzungen des Sicherheitsrats mit dem Generalsekretär und formelle, vertrauliche Sitzungen ohne Abschlußdokumente, um den Verhandlungsspiel­ raum zu erhöhen und sich mehr auf die Probleme konzentrieren zu können; - regelmäßig auf der Ebene der Außenminister tagen. Der Generalsekretär solle - regelmäßig den Sicherheitsrat - falls nötig vertraulich - über die Entwicklung in Konfliktgebieten oder über andere Friedensgefährdungen informieren; - dem Sicherheitsrat Maßnahmen zur Prävention und friedlichen Streitschlichtung und andere Probleme umfassender Sicherheit vorschlagen. Petrovskys Aide-memoire hatte aus mehreren Gründen eine große Bedeutung für die weitere Debatte um die Reform der Friedenssicherung: Erstens war es der erste Vorschlag aus dem zentral für die Friedenssicherung zuständigen Organ, dem Sicherheitsrat, selber, von einem der einflußreichen ständigen Mitglieder in­ itiiert. Zweitens war der Vorschlag pragmatisch orientiert, er erforderte keine

226 Vgl. Rede von Michail Gorbatschow vor der 43. UN-Generalversammlung am 7.12.1988 in New York, abgedruckt in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 2/1989, S. 234-250.

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Charta-Änderungen, sondern lediglich eine Ausschöpfung der vorhandenen Möglichkeiten.

2.8.1.2.

Die Erklärung des Gipfeltreffens des Sicherheitsrats vom 31. Januar 1992

Das erweiterte Konzept der Friedenssicherung, daß Maßnahmen von der Präven­ tion über die eigentliche Friedenswiederherstellung bis hin zur politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung des Landes umfaßt, ist auch Grundlage des im ersten Kapitel erwähnten gemeinsamen Resolutionsentwurfes beider Großmächte, den sie der UN-GeneralVersammlung vorlegten und der am 15. November 1989 als Resolution 44/21 ohne förmliche Abstimmung im Konsens von der Gene­ ralversammlung angenommen wurde: Sie bekräftigt „den Wunsch, die Rolle und politische Wirksamkeit der Vereinten Nationen bei der Wahrung des Weltfriedens und der internationale Sicherheit auf der Grundlage einer uneingeschränkten und universellen Achtung der Charta der Vereinten Nationen und durch bessere internationale Zusammenarbeit bei der Lösung internationaler Probleme politi­ scher, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder humanitärer Art weiter zu stär­ ken“ und „fordert alle Staaten auf, ihre praktischen Bemühungen zu verstärken, die darauf gerichtet sind, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit unter allen Aspekten durch Mittel der Zusammenarbeit ... zu gewährleisten“227. Diese Resolution, deren Aussagen über die notwendige Zusammenarbeit und den Zu­ sammenhang zwischen Friedenssicherung und der Lösung wirtschaftlicher, sozia­ ler, kultureller und humanitärer Probleme, nicht neu waren, sondern schon in vielen UN-Resolutionen zuvor formuliert worden waren, erhielt jedoch ihr beson­ deres Gewicht durch die Tatsache, daß sie von den beiden Großmächten USA und UdSSR zusammen erarbeitet worden war: Sie war so etwas wie ein Grundsatz­ programm der beiden Supermächte für die zukünftige UN-Politik. Daß es sich dabei nicht um einen rein deklamatorischen Akt, sondern um das Bemühen handelte, die Friedenssicherung der Vereinten Nationen zu reformieren, wurde an der Tatsache deutlich, daß am 31. Januar 1992 erstmals in der Ge­ schichte der Vereinten Nationen der Sicherheitsrat auf der Ebene der Staats- bzw. Regierungschefs tagte. Er beschloß eine Erklärung zur „Verantwortung des Sicherheitsrats im Hinblick

227 GA Res. 44/21 vom 15.11.1989, deutsche Übersetzung in: Vereinte Nationen, H. 2/1990, S. 76.

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auf die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“228, die Auf­ schlüsse über das neue Verständnis der Friedenssicherung im Sicherheitsrat ver­ mittelt. Die Erklärung begrüßt die Tatsache, daß die Vereinten Nationen bei „den Fort­ schritten zur Beilegung von seit langen bestehenden regionalen Streitigkeiten eine Rolle“ spielen konnten und konstatiert, daß die Aufgaben der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Friedenssicherung „zugenommen und eine beträchtliche Aus­ weitung erfahren haben: Die Überwachung von Wahlen, die Verifikation der Achtung der Menschenrechte und die Rückführung von Flüchtlingen waren ... integrale Bestandteile der Bemühungen des Sicherheitsrats um die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.“ Sie begründen die Ausweitung der Aufgaben der Friedenssicherung mit dem gewandelten Verständnis der Grundlagen von Frieden und Sicherheit: „Die Abwe­ senheit von Krieg und militärischen Konflikten zwischen den Staaten garantiert für sich allein noch nicht den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Die nichtmilitärischen Ursachen von Instabilität im wirtschaftlichen, sozialen, huma­ nitären und ökologischen Bereich sind zu Bedrohungen des Friedens und der Sicherheit geworden. Die Mitglieder der Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit müssen der Lösung dieser Aufgaben höchste Priorität beimessen und dabei unter Einschaltung der zuständigen Gremien vorgehen.“ Damit bekräftigt dieses gewichtige Sicherheitsratsdokument das Bemühen bei den UN-Friedensmissionen, massive wirtschaftliche, soziale und humanitäre Pro­ bleme in einer Region oder in einem Staat mit in die Verantwortung der UNFriedensmissionen einzubeziehen und für sie Experten und Finanzmittel bereitzu­ stellen. Das Gipfeltreffen des Sicherheitsrats gab Generalsekretär Boutros-Ghali den Auftrag, bis zum 1. Juli 1992 eine „Analyse sowie Empfehlungen zu der Frage auszuarbeiten, wie die Kapazität der Vereinten Nationen zur präventiven Diplo­ matie, zur Friedensstiftung und zur Friedenssicherung im Rahmen der Charta und ihrer Bestimmungen ausgebaut und effizienter gestaltet werden kann.“

228 Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 31. Januar 1992, UN Doc. S/23500, deutsche Fassung abgedruckt in: Vereinte Nationen, H. 2/1992, S. 66-67.

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2.8.I.Z. Die „Agenda für den Frieden“ Im Juni 1992 legte Boutros-Ghali einen entsprechenden Bericht mit dem Titel „Agenda für den Frieden44229 vor. In der „Agenda for Peace44 unterscheidet Boutros-Ghali zwischen vier miteinan­ der in engem Zusammenhang stehenden Aufgabenbereichen der Friedenssiche­ rung:230 a) vorbeugende Diplomatie (preventive diplomacy), d.h. „Maßnahmen mit dem Ziel, das Entstehen von Streitigkeiten zwischen einzelnen Parteien zu verhüten, die Eskalation bestehender Streitigkeiten zu Konflikten zu verhindern, und sofern es dazu kommen sollte, diese einzugrenzen44; b) Friedensschaffung (peacemaking), d.h. „Maßnahmen mit dem Ziel, feindliche Parteien zu einer Einigung zu bringen, im wesentlichen durch solche friedlichen Mittel, wie sie in Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen vorgesehen sind44; Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta bezeichnet der Generalsekretär als Friedensdurchsetzung (peace-enforcement); c) Friedenssicherung (peace-keeping), d.h. „die Errichtung einer Präsenz der Vereinten Nationen vor Ort, was bisher mit Zustimmung aller beteiligten Parteien geschah, im Regelfall unter Beteiligung von Militär- und/oder Polizeikräften der Vereinten Nationen und häufig auch von Zivilpersonal44 zur Durchführung einer Waffenstillstands- oder Friedensvereinbarung; d) Friedenskonsolidierung (post-conflict peace-building) nachdem ein Konflikt erfolgreich beendet ist, d.h. „Maßnahmen zur... Förderung von Strukturen, die geeignet sind, den Frieden zu festigen und zu konsolidieren, um das Wieder­ aufleben eines Konfliktes zu verhindern44. Dazu kann gehören: „die Entwaffnung der verfeindeten Parteien und die Wiederherstellung der Ordnung,... die Repatri­ ierung von Flüchtlingen, die Unterstützung der Sicherheitskräfte durch Beratung und Ausbildung, die Überwachung von Wahlen, die Förderung von Bemühungen zum Schutz der Menschenrechte, die Reform und Stärkung der staatlichen In­ stitutionen und die Förderung der formellen und informellen Prozesse der politi­ schen Mitwirkung.44231

229 Boutros Boutros-Ghali, Agenda for Peace, a.a.O.. 230 Ebd., S. 7. 231 Ebd., S. 20.

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An praktischen Maßnahmen zum Ausbau der Friedenssicherung schlägt der Gene­ ralsekretär vor: Im Bereich der vorbeugenden Diplomatie solle mehr vom In­ strument der Missionen zur Tatsachenermittlung (fact-fmding missions) Gebrauch gemacht werden, sowohl als informelle Missionen auf Initiative des Generalsekre­ tärs, des Sicherheitsrats oder der Generalversammlung als auch als formelle Entsendung einer dem Sicherheitsrat oder der Generalversammlung unterstellten Tatsachenermittlungs-M ission. Um sich Informationen vor Ort zu verschaffen und die Autorität der Vereinten Nationen in einem Krisengebiet zur Geltung zu bringen, konnte der Sicherheitsrat außerhalb des Amtssitzes in einem Konfliktgebiet zusammentreten.232 Das Frühwarnsystem der Vereinten Nationen, das sich auf Umweltgefahren, Nuklearunfalle, massenhafte Bevölkerungsverschiebungen, drohende Hungersnöte und die Ausbreitung von Krankheiten erstreckt und darin besteht, daß bei den verschiedenen Sonder- Organisationen der UN und Nebenorganen der General­ versammlung, wie der WHO, der FAO, dem UNHCR, der IAEA usw. jeweils auf ihrem Arbeitsgebiet Einzelinformationen über ein Krisengebiet gesammelt werden, sollte so erweitert und vernetzt werden, daß „eine Synthese aus den aus diesen Quellen stammenden Informationen und politischen Indikatoren vorgenom­ men werden kann, die es ermöglicht festzustellen, ob eine Bedrohung des Frie­ dens vorliegt und zu analysieren, welche Maßnahmen die Vereinten Nationen ergreifen können, um ihr entgegenzuwirken.44 Boutros-Ghali befürwortet für den Fall einer bedrohlichen Zuspitzung derartiger Krisen und Katastrophen auch die Einschaltung des Sicherheitsrats, der bisher mit solchen Problemen nicht befaßt wurde.233 Es sollten mehr vorbeugende Einsätze von Friedensmissionen der UN durch­ geführt werden, und zwar im Konsens oder auf Antrag einer Konfliktpartei: Im Falle einer innerstaatlichen Krise auf Antrag der betreffenden Regierung oder aller Konfliktparteien; bei zwischenstaatlichen Konflikten auf Antrag beider betroffenen Staaten auf beiden Seiten der gemeinsamen Grenze oder falls sich ein Land bedroht fühlt, auf seinen Antrag nur auf seiner Seite der Grenze.234 Auf dem Gebiet der friedlichen Schlichtung von Streitigkeiten möchte der Generalsekretär die Möglichkeiten des Internationalen Gerichtshofes (IGH) er­ weitern: Er empfiehlt, der Sicherheitsrat solle mehr als bisher von der Möglich­ keit Gebrauch machen, nach den Artikeln 36 und 37 der Charta den Mitgliedstaa-

232 Vgl. ebd., S. 9f. 233 Ebd., S. 10. 234 Vgl. ebd., S. 10f.

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ten zu empfehlen, ihre Streitigkeit dem Internationalen Gerichtshof, einem Schiedsverfahren oder anderen Mechanismen der Streitbeilegung zu unterbreiten. Der Generalsekretär solle von der Generalversammlung ermächtigt werden, Gutachten des IGH in Streitfällen einzuholen, und Generalversammlung und Sicherheitsrat, die dazu bereits ermächtigt sind, sollten mehr von der Möglichkeit mehr Gebrauch machen, ein Rechtsgutachten des IGH zur Streitschlichtung einzu­ holen. Darüberhinaus fordert der Generalsekretär, alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sollten sich bis zum Jahr 2000 der obligatorischen allgemeinen Gerichts­ barkeit des IGH unterwerfen oder zumindestens einer Liste von Angelegenheiten zustimmen, die sie bereit sind, dem IGH zu unterbreiten.235 Um die Befolgung von Embargos durch Drittländer im Falle der Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen nach Art. 41 der Charta zu erhöhen, sollte zusätzlich zu der bisherigen Möglichkeit, gemäß Artikel 50 der Charta den Sicherheitsrat hinsichtlich ihrer durch das Embargo verursachten wirtschaftlichen Probleme zu konsultieren, vom Sicherheitsrat ein Maßnahmenbündel ausgearbeitet werden unter Beteiligung der Finanzinstitutionen der UN -, um die Staaten gegen solche Schwierigkeiten abzusichern.236 Um die Glaubwürdigkeit der Androhung militärischer Gewalt gemäß Artikel 42 bei Friedensbrüchen zu erhöhen, empfiehlt der Generalsekretär, die Mitglied­ staaten sollten die in Artikel 43 der Charta vorgesehenen Sonderabkommen mit den Vereinten Nationen abschließen, in denen sich die Mitgliedsländer verpflich­ ten, für die in Artikel 42 genannten Zwecke den Vereinten Nationen Truppen­ kontingente zur Verfügung zu stellen. Weil der Generalsekretär annimmt, daß der Abschluß derartiger Abkommen erst mittelfristig zu verwirklichen sein wird, und bis dahin Aggressionen und Friedensbrüche wie bisher durch Streitkräfte der Mitgliedstaaten auf dem Wege der Ermächtigung durch den Sicherheitsrat nach Art. 42 UN-Charta abgewehrt werden müssen, schlägt er für den Fall des begrenzten Friedensbruchs, für die Verletzung von vereinbarten Waffenruhen, die Aufstellung von Einheiten zur Friedensdurchsetzung (peace enforcement) vor. Sie müßten ausdrücklich für diesen Zweck von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden, auf Abruf bereitstehen und schwerer bewaffnet sein als die friedenssicheraden UN-Friedenstruppen, die Waffenstillstände sichern. Die Entsendung dieser Truppen zur

233 Vgl. ebd., s. 14. 236 Vgl. ebd., S. 15.

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Friedensdurchsetzung (peace-enforcement) müßte aufgrund eines Beschlusses des Sicherheitsrats erfolgen, ihr Einsatzzweck wäre die Wiederherstellung der Waf­ fenruhe.237 In Bezug auf den zunehmenden Bedarf an Fachpersonal bei Friedensmissionen fordert Boutros-Ghali die Mitgliedstaaten auf, Abkommen über Art und Anzahl des für Einsätze zur Verfügung stehenden Fachpersonals, das die Staaten den Ver­ einten Nationen anzubieten bereit sind, mit dem Generalsekretariat zu schließen. Im Bereich der Friedenskonsolidierung (post-conflict peace-building) hebt Bou­ tros-Ghali die Bedeutung der Zusammenarbeit mehrerer Länder einer Konfliktre­ gion bei wirtschaftlichen und Infrastrukturprojekten hervor sowie die Bedeutung der technischen Hilfe im Bereich de Aufbaus bzw. der Konsolidierung demokrati­ scher Institutionen, d.h. Wahlhilfe und Wahlbeobachtung.238 Zur Ergänzung des bisherigen Finanzierungssystems der UN-Friedensmissionen, das durch die hohen Kosten der aktuellen Friedensmissionen kaum noch zur Finanzierung der laufenden Kosten der Missionen in der Lage ist, schlägt der Generalsekretär die Einrichtung eines Reservefonds von Umlaufmitteln für Frie­ denssicherungsmaßnahmen in der Höhe von 50 Millionen Dollar vor. Außerdem solle ein Einvernehmen darüber hergestellt werden, daß die Generalversammlung bereits ein Drittel der geschätzten Kosten jedes neuen Friedenseinsatzes bewilligt, sobald der Sicherheitsrat dessen Einrichtung beschlossen hat; dies würde eine ausreichende Liquidität sicherstellen, bis die restlichen Kosten im Rahmen eines regulären Budgets der Friedensmission durch die Generalversammlung bewilligt würden. Insgesamt ein schlüssiges Konzept einer integrierten Friedenssicherung mit einer deutlichen Stärkung der Konfliktfrüherkennung und Prävention, der friedlichen Schlichtung (IGH), der Verstärkung der Abschreckungswirkung der militärischen Sanktionen nach Art. 42 durch Abschluß der Sonderabkommen nach Art. 43 der Charta und einer verbesserten Finanzierung. Die Realisierungschancen vieler Elemente der „Agenda für den Frieden44 sind nicht schlecht, weil die notwendige Einigkeit im Sicherheitsrat und der politische Wille auch in der Generalversammlung vorhanden ist: So sind Fact-FindingMissionen sowie die vorbeugende Entsendung von UN-Friedenstruppen in Kri­ sengebiete durchaus realisierbar und sinnvoll. Vorstellbar erscheint auch - trotz der Ressortegoismen - eine Verknüpfung der Frühwarnsysteme der Sonderorga-

237 Vgl. ebd., S. 16. 238 Vgl. ebd., S. 21.

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nisationen in einer Art Frühwamzentrale beim Generalsekretär. Sehr sinnvoll und bei vorhandenem politischen Willen der G-7-Staaten durchaus durchführbar sind auch die Regelungen zur Unterstützung der Staaten, bei denen die Befolgung von Embargos wirtschaftliche Schäden hervorruft: Denkbar wären spezielle Kreditprogramme der Weltbank zu günstigen Konditionen zusammen mit nichtrückzahlbaren Zuschüssen aus einem zu schaffenden Embargo-Fonds. Dessen Existenz würde die Befolgung von wirtschaftlichen Sanktionen wahrscheinlicher machen und damit die Abschreckungswirkung wirtschaftlicher Sanktionen er­ höhen. Schwieriger dürfte es bei der stärkeren Einbeziehung des IGH werden. Zwar läßt sich ohne Schwierigkeiten die Empfehlung realisieren, durch den Sicher­ heitsrat und die Generalversammlung den IGH häufiger um Rechtsgutachten zu Streitfällen zu bitten, und vermutlich würde die Generalversammlung auch den Generalsekretär ermächtigen, dies zu tun. Sehr schwierig wird es aber bei der Anerkennung der obligatorischen Zuständigkeit des IGH durch alle Mitglieds­ länder. Bisher haben nur 46 Staaten die obligatorische Gerichtsbarkeit anerkannt und davon 25 nur mit dem Vorbehalt sofort wirksamer Kündigung239. Es fällt schwer, angesichts dieser Zahlen daran zu glauben, daß Boutros-Ghalis Vorstel­ lung, alle Staaten würden bis zum Jahr 2000 Unterwerfungserklärungen gegen­ über dem IGH abgeben, realistisch ist. Abzuwarten bleibt, ob Mitgliedstaaten zum Abschluß von Abkommen nach Artikel 43 der Charta über die Bereitstellung von Friedenstruppenkontingenten bereit sind; bei kleineren Staaten erscheint es vorstellbar, Großmächte wollen sich meistens nicht im vornherein festlegen lassen. Die UNOSOM II-Mission in Somalia hat jedoch gezeigt, daß auch die USA zur Unterstellung ihrer Einheiten unter ein UH-Oberkommando bereit sind; inwieweit sie dies aber vertraglich festschreiben würden in einem Abkommen, bleibt fraglich. Nicht systemkonform im Sinne einer Konfliktdeeskalation ist der Vorschlag des Generalsekretärs, besondere Einheiten zur Friedensdurchsetzung zu schaffen, die bei Verletzungen von vereinbarten Waffenruhen eingesetzt werden sollen, wenn die Friedensicherungseinheiten überfordert sind durch den Umfang der Probleme. Ihre Entsendung hätte bei wiederaufgeflammten Konflikt, wie es sich in der Verletzung der Waffenruhe spiegelt, eher eine eskalierende Wirkung. Gäbe es

239 Die Zahlenangaben beziehen sich auf den Stand von 1990, zitiert nach: Karin Oellers-Frahm, Die »obligatorische« Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs. Anmerkungen anläßlich der Zustän­ digkeitserklärung im Fall Nicaragua gegen USA, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Jg. 50 (1990), H. 4, S. 243-264, 8.260.

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solche UN-Spezialeinheiten, wären sie möglicherweise nach Kambodscha ge­ schickt worden, als die Khmer Rouge sich im Juni 1992 weigerten, ihr Gebiet den Truppen der Vereinten Nationen zu öffnen und sich entwaffnen zu lassen. Das hätte leicht zu einem erneuten Krieg fuhren können. Stattdessen hat man in Kambodscha über zwölf Monate lang - wie es scheint, einigermaßen erfolgreich diplomatischen Druck auf die Khmer Rouge ausgeübt und trotz aller Behinde­ rungen die vereinbarten Wahlen abgehalten. Absolut notwendig ist die Umsetzung der Vorschläge zur finanziellen Sanie­ rung. Der Vorschlag zur Bildung eines Reservefonds wurde inzwischen bereits in die Tat umgesetzt: Während der 47. Tagung der Generalversammlung 1992 wurde beschlossen, einen solchen Fonds zu gründen, er umfaßt 150 Millionen US-Dollar.240

2.8.1.4.

Multilaterale Friedenssichenmg statt Umlateralismus

Obwohl sich die Möglichkeiten der Friedenssicherung im System der Vereinten Nationen in den letzten Jahren enorm erweitert haben und sich - im Rahmen des Konzepts der „Agenda for Peace4* - weiter ausbauen lassen, was angesichts der vielen Konfliktherde und Krisenrisiken auch erforderlich ist, bietet die momentane Kräftekonstellation in den Vereinten Nationen auch gewisse Risiken. Das Hauptproblem ist dabei zum einen die Dominanz der USA als führender Militärmacht: Nur wenn sie sich kontinuierlich in das System der Vereinten Nationen einordnet statt alleine den Weltpolizisten spielen zu wollen, kann es auf Dauer ein funktionierendes System der Friedenssicherung geben. Brian Urquhart, der ehemalige Untergeneralsekretär für UN-Friedenstruppen» sagt es deutlich: In der heutigen Situation der Weltpolitik „kann keine Nation allein, selbst nicht in einer Partnerschaft von zwei oder drei mächtigen Nationen, die Rolle eines Weltschlichters und -polizisten übernehmen, selbst wenn alle übrigen es akzeptieren würden.4*241 Doch auch in dem informellen Zirkel der „P 5“, der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, die in vertraulichen Runden die Sicherheitsratsentscheidungen vorbereiten, liegt die Gefahr, daß dies zur mangelnden Einbeziehung der übrigen

240 Vgl. Wolfgang Munch/Armin Plaga, Friedenssicherung: Vorschlag der „Agenda für den Frieden“ aufgegriffen, Reservefonds gegründet - Volumen 150 Mill. US-Dollar, in: Vereinte Nationen, H. 2/1993, S. 58-59. 241 Brian Urquhart, a.a.O., S. 623.

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Mitgliedstaaten fuhrt. Wenn die Vereinten Nationen das gewachsene Ansehen als internationale Schlichtungsinstanz behalten wollen, muß sich der Sicherheitsrat um eine mög­ lichst breite Unterstützung seiner Friedensaktivitäten unter den Mitgliedstaaten bemühen, um dem „Eindruck entgegenzuwirken, die Weltangelegenheiten würden von einem Direktorium geleitet“242, d.h. die kleineren und mittleren Staaten würden von den Hauptakteuren der Weltpolitik bevormundet. Wenn sie diesen Eindruck vermeiden wollen, sollten die ständigen Mitglieder in ihrer dominanten Rolle die übrigen Sicherheitsratsmitglieder ausreichend in den Konsultationsprozeß einbeziehen, damit diese in den Regionalgruppierungen innerhalb der UN um Unterstützung für die jeweilige UN-Mission werben und andererseits die Anre­ gungen und Kritik aus diesen Gruppierungen in den Sicherheitsrat einbringen können. Auch die Generalversammlung müßte in das Entscheidungsverfahren über wirtschaftliche und militärische Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta im Falle eines Friedensbruches einbezogen werden. Ein praktikabler Weg wäre die Bildung eines Konsultations-Ausschusses der Generalversammlung, der vom Sicherheitsrat angehört wird, bevor Entscheidungen getroffen werden, wie dies der amerikani­ sche Völkerrechtler Michael Reisman vorschlägt.243 Der Erfolg der Friedenssicherungsmaßnahmen des Sicherheitsrats, auf die die Weltgemeinschaft angesichts der instabilen Lage nach der Auflösung der Blöcke und der immensen sozioökonomisehen Spannungen in der Welt noch für lange Zeit angewiesen sein wird, hängt entscheidend davon ab, ob sie wirklich dem Konsens der Mehrzahl der UN-Mitglieder entsprechen und nicht nur Großmacht­ politik darstellen, so gut die Argumente auch sein mögen. Friedenssicherung kann häufig wirksamer durch die Lösung sozialer und öko­ nomischer Probleme bewirkt werden, wenn sie rechtzeitig einsetzen, als durch den Einsatz militärischer Mittel, die nur die ultima ratio sein dürfen. Daß diese Optionen der Friedenssicherung genügend Berücksichtigung finden, dafür kann, so zeigt die Erfahrung der Friedensmissionen der UN, nur eine breite internatio­ nale Basis sorgen, sowohl beim Entscheidungsverfahren wie auch bei der Zu­ sammensetzung der Missionen.

242 Ebd., S. 19. 243 Reisman schlagt die Bildung eines Konsultations-Komitees von 21 Mitgliedern der Generalver­ sammlung vor, das der Sicherheitsrat in den Fällen hinzuziehen solle, wenn Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta geplant seien. Es solle vor der Entscheidung angehört werden und während der Durchführung der Sanktionsmaßnahmen weiter informiert und angehört werden. Vgl. Michael Reisman, The Constiutional Crisis in the United Nalions, a.a.O. (vgl. Anm. 50).

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2.8.2. Die Friedenssichenmg der Vereinten Nationen und die Fortentwicklung des Völkerrechts

Die Friedensmissionen der letzten Jahre sind nicht nur Ausdruck der gewandelten Möglichkeiten im UN-Sicherheitsrat, sondern sind zugleich auch der Ausdruck eines gewandelten völkerrechtlichen Verständnisses grundlegender Begriffe der Charta, wobei dieser Wandel nicht sprunghaft erfolgt ist, sondern allmählich, sich aber erst kürzlich in konkreten Entscheidungen des Sicherheitsrats niedergeschla­ gen hat. Gemeint ist die Interpretation der Begriffe „Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ im Text der Charta, welche neben der direkten Angriffshandlung die völkerrechtliche Grundlage für das Handeln des Sicher­ heitsrats nach Kapitel VI (Friedliche Beilegung von Streitigkeiten) und VII der Charta (Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens oder bei Angriffs­ handlungen) bilden: Wenn sie bedroht sind, kann der Sicherheitsrat nach Art. 41 und 42 geeignete Maßnahmen „zur Wahrung oder Wiederherstellung des Welt­ friedens und der internationalen Sicherheit treffen.“ Während man früher davon ausging, daß eine Friedensbedrohung nur vorliegt, wenn eine über die Grenzen eines Staates hinausgehende Gewaltanwendung stattgefunden hat und die Gefahr weiterer militärischer Auseinandersetzungen besteht, wurde sowohl in der Resolution 688 des Sicherheitsrats zur Kurdenfrage im Irak vom 5.4.1991244 wie auch im Waffenembargobeschluß des Sicherheitsrats gegenüber Jugoslawien in der Resolution 713 vom 25.9.1991245 eine Bedrohung des Weltfriedens auch ohne eine solche Angriffshandlung auf einen anderen Staat allein in dem Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen gesehen. In der Resolution 688 stellt der Sicherheitsrat fest: „Der Sicherheitsrat ... [ist] ernsthaft besorgt über die Unterdrückung der irakischen Zivilbevölkerung in vielen Teilen Iraks, insbesondere auch in alleijüngster Zeit in den kurdischen Siedlungsgebieten, die zu einem massiven Flüchtlingsstrom zu den internationalen Grenzen und über diese hinweg sowie zu grenzüberschreitenden Einfällen geführt hat, die den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in der Region gefähr­ den“.246 Er stützte darauf sein Verlangen, der Irak solle den internationalen Hilfs­ organisationen Zugang zu den Hilfsbedürftigen gewähren. In der Resolution 713, in welcher ein Embargo gegen Jugoslawien verhängt wird, heißt es entsprechend: „Der Sicherheitsrat,... zutiefst besorgt über die

244 SC Res. 688 (1991) vom 5.4.1991. 243 SC Res. 713 (1991) vom 25.9.1991. 246 SC Res. 688 (1991) vom 5.4.1991.

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Kampfhandlungen in Jugoslawien, die schwere Verluste an Menschenleben und Sachschäden verursachen, und über die Auswirkungen dieser Kampfhandlungen auf die Länder der Region, insbesondere in den Grenzgebieten der Nachbarlän­ der,... beschließt nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, daß alle Staaten zur Herstellung von Frieden und Stabilität in Jugoslawien alle Lieferungen von Waffen und militärischen Ausrüstungen nach Jugoslawien mit einem all­ gemeinen und vollständigen Embargo belegen werden...“.247 In beiden Fällen bilden sowohl die Schwere der Menschenrechtsverletzungen als auch die Auswirkungen auf die Nachbarländer die völkerrechtliche Grundlage für den Eingriff in die Souveränität des Staates. Es war schon früher unter Völkerrechtlern nicht strittig, daß schwere Men­ schenrechtsverletzungen in einem Mitgliedstaat Interventionen der Vereinten Na­ tionen in Form von Resolutionen des Sicherheitsrats, der Generalversammlung oder der Menschenrechtskommission erlaubten, ohne daß sich der Staat auf das Interventionsverbot des Artikels 2 Abs. 7 der Charta berufen konnte, der ein Ein­ greifen der Vereinten Nationen „in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“ nicht gestattet. Es war jedoch vorherrschende Rechtsmeinung, daß abgesehen vom Fall des völ­ kerrechtswidrigen Angriffes auf einen anderen Staat, der dann Maßnahmen nach Kapitel VII für den Aggressor nachsichziehen könne, weil die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII ausdrücklich vom Interventionsverbot ausge­ nommen wird in Artikel 2 Absatz 7, bei kriegerischen Konflikten innerhalb eines Staates und/oder schweren Menschenrechtsverletzungen keine militärischen Maß­ nahmen nach Kapitel VII möglich wären, weil dies unter das Interventionsverbot fiele.248 Offenbar hat in den Vereinten Nationen diese enge Interpretation der Inter­ ventionsrechte einer weiteren Auslegung Platz gemacht, die bei schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte, die die Vernichtung ganzer Bevölkerungs­ gruppen zur Folge haben können, der Umfang dieses Verstoßes gegen die Men­ schenrechte - der drohende Genozid - ein Eingreifen rechtfertigt, weil dies den Weltfrieden bedroht, ebenso wie die Folgen der Menschenrechtsverletzungen für das Land und die Nachbarstaaten.

247 SC Res. 713 (1991) vom 25.9.1991. 249 Vgl. Jost Delbrück, Die internationale Gemeinschaft vor neuen Herausforderungen: Zur Neube­ stimmung der Reichweite des Interventionsverbotes der Charta der Vereinten Nationen. In: Wolfgang Heydrich u.a. (Hsrg.), Sicherheitspolitik Deutschlands: Neue Konstellationen, Risiken, Instrumente. (Stiftung Wissenschaft und Politik, Reihe Internationale Politik und Sicherheit Bd. 32), Baden-Baden 1992, S. 547-555, S. 548.

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Erste Beispiele dieser neuen Interpretation der massiven Menschenrechtsverlet­ zungen als Friedensbedrohung im Sinne von Artikel 39 der Charta waren die Beschlüsse des Sicherheitsrats über die Verhängung von Sanktionen gegen das Apartheidregime in Südafrika249 und das Ian-Smith-Regime in Südrhodesien250, dem heutigen Zimbabwe. In beiden Fällen hatte der Sicherheitsrat die menschen­ rechtsverletzenden Regime als Friedensbedrohung qualifiziert.251 Allerdings blieb damals die Anwendung auf diese beiden Staaten beschränkt. Wenn sich dieser völkerrechtliche Standpunkt in der Praxis der Vereinten Nationen durchsetzt, gibt dies dem Sicherheitsrat die Möglichkeit, bei schwer­ wiegenden Menschenrechtsverletzungen in einem Staat dort schützend einzugrei­ fen. Es gibt ihm aber zugleich eine große Verantwortung, weil die territoriale Integrität eines Staates ein schützenswertes Rechtsgut darstellt. Das Recht auf Eingreifen nach Kapitel VII der Charta kann deshalb, so argumentiert Jost Del­ brück, den Vereinten Nationen nicht generell bei schwerwiegenden Menschen­ rechtsverletzungen zustehen, sondern bei genozidartigen massiven und systemati­ schen Menschenrechtsverletzungen.252 Deshalb darf der Sicherheitsrat eine solche Intervention nur zur Verhinderung schwerer Menschenrechtsverletzungen beschließen. Es wäre zudem empfehlens­ wert, daß er in Form einer Sicherheitsratsresolution zu den Kriterien von Inter­ ventionen definiert, in welchen Fällen von Menschenrechtsverletzungen der

249 Obwohl das Apartheidregime wiederholt durch Resolutionen des Sicherheitsrats verurteilt wurde, wurde an nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen nach Art. 41 der Charta lediglich ein Waffenembargo verhängt, ln der Begründung des Boykottbeschlusses wird aber die Verletzung von Menschenrechten nicht direkt als Friedensbedrohung angesprochen, sondern sie werden verurteilt und dann werden die »Politik und die Gesetze der Regierung Südafrikas“ als Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit bezeichnet (SC Res. 418 vom 4.11.1977). 230 Als Rhodesien (heute Zimbabwe) 1965 einseitig seine Unabhängigkeit von Großbritannien erklärte, verurteilte der Sicherheitsrat das illegale Minderheitenregime der Weißen, das die Schwarzen dis­ kriminierte. Am 20.11.1965 stellte der Sicherheitsrat fest, daß eine Fortdauer des Regimes eine Bedro­ hung des Friedens sei (SC Res. 217 (1965) vom 20.11.1965). Am 9.4.1966 stellte der Sicherheitsrat fest, daß die Lage in Rhodesien (heute Zimbabwe) eine Be­ drohung des Friedens darstelle, und forderte die Regierung von Großbritannien auf, Schiffe mit für Rhodesien bestimmter Olladung den Zugang zum Hafen von Beira (Mosambik), nötigenfalls unter Anwendung von Gewalt zu verwehren (SC Res. 221 (1966) vom 9.4.1966). Am 29.5.1968 verhängte der Sicherheitsrat einen allgemeinen Wirtschaftsboykott nach Kapitel VII der Charta, erneut mit der Begründung die gegenwärtige Lage stelle »eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Si­ cherheit dar“ und unter ausführlicher Erwähnung der Verletzung der Menschenrechte in Rhodesien (SC Res. 253 (1968) vom 29.5.1968). 251 Vgl. ebd., S. 554. 252 Vgl. Jost Delbrück, a.a.O., S. 554.

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Sicherheitsrat eingreifen soll.253 Damit wäre gewährleistet, daß eine gründliche Güterabwägung zwischen Artikel 39 der Charta (Friedensbedrohung) und Art. 2 Abs. 7 (Interventionsverbot) getroffen wird.254

253 Vgl. zur Frage der Kriterien für eine Intervention des Sicherheitsrats: Richard B. Lillich, Humanitarian Intervention through the United Nations: Towards the Development of Criteria, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Jg. 53 (1993), H. 3, S. 557-575. 254 Vgl. Rüdiger Wolfrum, Die Aufgaben der Vereinten Nationen im Wandel. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/91, 30.8.1991, S. 3-13, S. 7.

Kapitel 3 Abrüstung Unter dem Eindruck der verheerenden Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges haben die Vereinten Nationen 1945 in ihrer Charta in der Präambel die Aufgabe festgehalten, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat"' durch internationale Zusammenarbeit bei der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit12 und zwar, wie Art. 26 der Charta präzisiert, auf einem möglichst geringen Rüstungsniveau: „Um die Herstellung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit so zu fördern, daß von den menschlichen und wirtschaftlichen Hilfsquellen der Welt möglichst wenig für Rüstungszwecke abgezweigt wird, ist der Sicherheitsrat beauftragt, mit Unter­ stützung des in Art. 47 vorgesehenen Generalstabsausschusses Pläne auszuarbei­ ten, die den Mitgliedern der Vereinten Nationen zwecks Errichtung eines Systems der Rüstungsregelung vorzulegen sind.“3 Zwar ist es wegen der Verschlechterung der internationalen Lage, vor allem aufgrund der gespannten Beziehungen zwischen den Großmächten im Kalten Krieg, dann nicht zur Errichtung eines solchen umfassenden internationalen Systems der Rüstungsregelung gekommen und hat auch der Generalstabsausschuß der ständigen Sicherheitsratsmitglieder aus dem gleichen Grund nicht die ihm zugedachte Initiativfunktion in der Rüstungsbegrenzung spielen können, dennoch haben die Vereinten Nationen immer wieder den Versuch unternommen, der Abrüstungsdebatte einen geeigneten organisatorischen und konzeptionellen Rah­ men zu geben: 1946 wurde von der Generalversammlung der neugegründeten Atomenergiekommission4 die Aufgabe übertragen, „Pläne zu entwerfen, die Gewähr bieten sollten, daß diese Energie ausschließlich zu friedlichen Zwecken genutzt werde“5 und 1947 schuf der Sicherheitsrat die Kommission für konventio­ nelle Rüstungen6 als weiteres Gremium für Abrüstungsverhandlungen mit dem Ziel, „jede Anstrengung zu unternehmen, um sicherzustellen, daß Waffenarsenale und Streitkräfte unter einem System internationaler Kontrolle reguliert und redu-

1 UN-Charta, a.a.O., Präambel 2 Ebd. 3 UN-Charta, a.a.O., Art. 26 4 GA Res. 1 (I) vom 24.6.1946. 5 Jan Martenson, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung. 40 Jahre Anstrengungen der Vereinten Nationen, in: Vereinte Nationen, H.5-6/1985, S. 158-162, S. 158 6 SC Res. 18 (1947) vom 13.2.1947.

Kapitel 3: Abrüstung

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ziert würden.“7 Beide Kommissionen erwiesen sich wegen der internationalen Lage als weitgehend handlungsunfähig. 1952 versuchte die Generalversammlung mit Resolution 520 (VI) vom 11.1.1952 durch die Vereinigung beider Gremien zu einer einzigen Abrüstungskommission (Disarmament Commission), die aus den Mitgliedern des Sicherheitsrats und Kanada bestand, den toten Punkt zu über­ winden.8 Wegen der großen Meinungsunterschiede zwischen den beiden Groß­ mächten, von deren Auseinandersetzungen auch dieses neue Gremium gekenn­ zeichnet war, war es ebensowenig arbeitsfähig wie seine Vorläufer.9 Inhaltlich verschob sich deshalb der Schwerpunkt der Bemühungen in diesem Gremium von der - wenig aussichtsreichen - Suche nach umfassenden Abrü­ stungsprogrammen in Richtung auf verschiedene Teilabrüstungsschritte, die man schon vor einer Einigung über einen solchen umfassenden Abrüstungsplan durch­ führen konnte und die eher Aussicht auf einen Konsens der Nuklearstaaten boten. 1958 wurde die Abrüstungskommission in ihrer Mitgliederzahl erweitert, d.h. auf alle Mitglieder der UNO ausgedehnt.10 Sie blieb weitgehend wirkungslos und trat 1965 zum letzten Mal zusammen*11, und führte einen langen Dornröschen­ schlaf, ehe sie 1978 im Schlußdokument der Sondertagung der Generalversamm­ lung über Abrüstung12 neugegründet wurde, ebenfalls mit allen UN-Mitgliedsnationen als Mitgliedern.13 Ebenso wie ihre Vorgängerin hat auch die neue Abrüstungskommission, das ergibt sich schon aus ihrer Zusammensetzung, keine Verhandlungsfunktion, sondern beschäftigt sich mit der Entwicklung von Abrüstungskonzepten, die sie in Form von Empfehlungen an die UN-General Versammlung leitet in Zusammen­ arbeit mit dem 1. Hauptausschuß, der ebenfalls Abrüstungsprobleme und Fragen der internationalen Sicherheit behandelt und eine Vielzahl von Resolutionen zum Abrüstungsproblem verabschiedet hat.14 Das eigentliche Verhandlungsmandat hatten stets Abrüstungsgremien außerhalb des UN-Systems unter der Federführung der USA und der UdSSR. 1959 einigten sich beide Staaten im Anschluß an die Genfer Außenministerkonferenz auf die

7 Jan Martenson, a.a.O., S. 158. ' Vgl. ebd. 9 Vgl. Otto Kimminich, Abrüstung, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. neubearb. Ausl., München 1991, S. 9-16, S. 10. 10 GA Res. 1252 D (Xm) vom 4.11.1958. 11 Vgl. Jan Martenson, a.a.O., S. 158. 12 GA Res. S-10/2 vom 1.1.1978. 13 Vgl. Otto Kimminich, Abrüstung, a.a.O., S. 11. 14 Vgl. Jan Martenson, a.a.O., S. 160.

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Einrichtung eines Zehn-Mächte-Abrüstungsausschusses (Ten-Nations Committee on Disarmament), in dem Ost und West mit je 5 Mitgliedern vertreten waren. Ende 1961 einigten sich die USA und die UdSSR auf die Umgestaltung des ZehnMächte-Abrüstungsauschusses zu einem Achtzehn-Mächte-Abrüstungsausschuß (Eighteen-Nation Committee on Disarmament — ENDC), wo zu den zehn ur­ sprünglichen blockgebundenen Mitgliedern acht blockfreie hinzukamen. 1969 wurde aus dem ENDC die Konferenz des Abrüstungsauschusses (Conference of the Committee on Disarmament - CCD) und ihre Mitgliederzahl auf 26 Staaten ausgedehnt15, 1974 ihre Mitgliederzahl um zwei auf 31 Mitglieder ausgedehnt. Jener Abrüstungsausschuß bzw. später jene Konferenz des Abrüstungsausschus­ ses war das einzige multilaterale Gremium, in dem neben den bilateralen Ver­ handlungen zwischen der USA und der UdSSR konkrete Abrüstungsverhand­ lungen geführt wurden. Obwohl dieser Ausschuß außerhalb des UN-Systems ent­ standen war und auch völkerrechtlich keinen Bestandteil des Systems der Ver­ einten Nationen bildete, hielt die UN -Generalversammlung dessenungeachtet an ihrer politischen Verantwortung für die Abrüstung fest und begleitete den Ver­ handlungsprozeß des Achtzehn-Mächte-Abrüstungsauschusses durch Resolutionen, welche die dort erzielten Verhandlungsergebnisse bewerteten, neue Zielvorgaben formulierten und im Falle fertiggestellter Konventionsentwürfe des Abrüstungs­ auschusses die Mitgliedsnationen der UNO zur Zeichnung der jeweiligen Kon­ vention aufforderten. Aus dem gleichen Grund veröffentlichte die UNO auch alle Papiere des Abrüstungsauschusses als UN-Dokumente.16 Diese kompliziert anmu­ tende Arbeitsteilung zwischen der konzeptionellen Diskussion innerhalb der UNO und den konkreten Verhandlungen außerhalb der UNO war politisch sinnvoll, da sich die großen Militärmächte in ihren Verhandlungen über lange Zeit nicht dem Risiko aussetzen wollten, durch Mehrheitsbeschlüsse der Vielzahl der kleinen Staaten unter Druck setzen zu lassen. Allerdings hatte dieser Abrüstungsausschuß bzw. diese Abrüstungskonferenz zwei gravierende Schönheitsfehler: die Nuklearmacht Frankreich nahm trotz Mitgliedschaft nicht an seinen Beratungen teil und die Volksrepublik China war kein Mitglied. Dies änderte sich erst, als 1978 als ein wichtiges Ergebnis der UNSondertagung über Abrüstung als Nachfolgegremium der Konferenz des Abrü­ stungsausschusses (Conference of the Committee on Disarmament - CCD) neben der schon erwähnten, allen UN-Mitgliedem offenstehenden Abrüstungskommis-

15 Vgl. ebd., S. 158. 16 Vgl. Otto Kimminich, Abrüstung, a.a.O., S. 10.

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sion (Disarmament Commission) ein 40 Mitglieder umfassender neuer Abrü­ stungsausschuß (Committee on Disarmament - CD) errichtet wurde17, der seit 1984 den Namen Abrüstungskonferenz (Conference on Disarmament) trägt. Die größere Nähe dieser neuen 40-Nationen-Abrüstungskonferenz zum UNSystem kommt in ihren Strukturen zum Ausdruck: Außer den 5 Nuklearwaffen­ staaten - d.h. auch Frankreich und China - nehmen 21 nichtblockgebundene Staaten teil und je 7 Staaten der osteuropäischen und der westlichen Staatengruppe in den Vereinten Nationen18. Der Vorsitz wechselt monatlich nach der alphabeti­ schen Reihenfolge der Mitgliedstaaten, der Sekretär der Abrüstungskonferenz wird vom UN-Generalsekretär ernannt und fungiert als dessen persönlicher Vertreter in der Abrüstungskonferenz. Angesichts dieses komplizierten und oft revidierten Institutionengeflechts im Abrüstungsbereich hat sich bei vielen Beobachtern der Eindruck aufgedrängt, die Beschäftigung der Vereinten Nationen mit Abrüstungsfragen beschränke sich auf die Gründung und Umstrukturierung von Ausschüssen und in folgenlosen Konzep­ tionsdebatten.19 Tatsächlich fanden weder die bilateralen Genfer Verhandlungen der USA und der UdSSR über die Nukleare Rüstung noch die Wiener Verhandlungen über konventionelle Truppenreduzierungen und vertrauensbildende Maßnahmen in Europa und die Konferenz über gegenseitige Inspektion durch Flugzeuge („Open Skies44) unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen statt.20 Sind die Ver­ einten Nationen also ein einflußloser, „unverbindlicher Debattierklub4421 in Bezug auf Abrüstung? Die Aufgabe der UNO konnte und kann nicht in konkreten Verhandlungen über Abrüstung bestehen, denn diese vollziehen sich in kleineren bilateralen und multilateralen Gremien, die von den beteiligten Staaten mit dem entsprechenden spezifischen Mandat ausgestattet sind und den Staaten im Gegensatz zum großen UN-Apparat und der Heterogenität und regionalen Streuung der Teilnehmer die Gewähr konkreter, völkerrechtlich hinreichend präziser und verbindlicher Ab­ sprachen über regionale und/oder waffentyp-spezifische Abrüstungsschritte bieten.

" Vgl. UN Doc. GA res. S-10/2. 11 Zur Zeit (1993) beträgt allerdings wegen der Vereinigung Deutschlands die Mitgliederzahl nur 39 und die Zahl der osteuropäischen Mitgliedsländer nur 6 im Vergleich zu 7 westlichen Mitgliedern. 19 Vgl. dazu Enno Barker, Rüstungskontrolle in den Vereinten Nationen: Cui bono? - Abrüstungs­ kommission vor neuen Herausforderungen - Potential der UN häufig unterschätzt, in: Vereinte Natio­ nen, H. 5/1990, S. 183-185, S. 183. 20 Vgl. ebd., S. 183. 21 Ebd., S. 184.

106 3.1.

Kapitel 3: Abrüstung

Die Funktionen der Vereinten Nationen im Abrüstungsbereich

Dennoch hatten und haben die Vereinten Nationen eine wichtige Funktion im Vorund Umfeld der konkreten Abrüstungsverhandlungen: Enno Barker aus der Abrüstungsabteilung des Auswärtigen Amtes unterscheidet fünf wesentliche Funktionen:22 1. Die „Darstellung nationaler Positionen“23: Sowohl die UN-GeneralVersamm­ lung als auch 1. Hauptausschuß bieten vor allem den kleineren Staaten, aber auch den Staaten des Westens und Osteuropas die Möglichkeit, ihre jeweilige nationale Abrüstungspolitik vor der Weltöffentlichkeit darzustellen und für sie zu werben und zugleich umfassend über die Abrüstungskonzepte der anderen Staaten infor­ miert zu werden. 2. Die „Artikulation von Vorgaben“ für Verhandlungen mit Appellcharakter24: So formulierte z.B. die Generalversammlung in einer Resolution bestimmte Erwar­ tungen zum Verhandlungsergebnis für die Genfer Verhandlungen über das Verbot chemischer Waffen in der 40-Nationen-Abrüstungskonferenz. Das war zwar nur ein Appell, er hatte aber - bei der heute üblichen Verabschiedung auf dem Kon­ sensweg - „das ganze Gewicht der Staatengemeinschaft. Ein solches »Signal aus New York4 läßt sich dann am Verhandlungstisch als zusätzliches Argument auf­ greifen und umsetzen.“ 3. „Heranführen von Staaten an zukünftige Verpflichtungen“25: Abrüstungsver­ handlungen müssen, um erfolgreich zu sein, einen begrenzten Teilnehmerkreis aufweisen, das macht es aber schwierig, die „Zaungäste später in die Pflicht zu nehmen.“26 Ein Beispiel dafür waren die Genfer Verhandlungen über ein weltweites Verbot aller Chemiewaffen: Die Verhandlungen wurden nicht zwischen allen Staaten der Welt geführt, sondern zwischen den 40 Mitgliedstaaten der Genfer Abrüstungs­ konferenz. Die vertraglichen Verbote sollten nach der Verabschiedung der Kon­ vention dann aber von möglichst vielen Staaten der Weltgemeinschaft akzeptiert werden. Die UN-General Versammlung übernahm die Funktion, über die laufenden

22 23 24 23 26

Vgl. ebd., S. 183f. Ebd., S. 183. Enno Barker, a.a.O., S. 183 Ebd. Ebd.

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Verhandlungen zu informieren und für den Beitritt zur Konvention zu werben.27 4. „Ausübung moralischen Drucks gegen Regel verletzet*“28 durch Resolutionen, die einen Bruch bestehender Abkommen verurteilen und zur Regeleinhaltung ermahnen: So verurteilte z.B. die UN-GeneralVersammlung 1988 in Resolution 43/74A den Einsatz chemischer Waffen im Golfkrieg zwischen Irak und Iran und rügte die Verletzung des Genfer Chemiewaffen-Protokolls von 1925.29 5. „Brainstorming, also die Entwicklung neuer Ansätze in der Abrüstung und Rüstungskontrolle“30: So wurden regelmäßig - gerade auch von kleineren Natio­ nen - in der UN -Generalversammlung neue Instrumente der Abrüstungspolitik vorgeschlagen, z.B. die Erhebung von Rüstungssteuem, die Bildung eines Ent­ wicklungsfonds aus frei werdenden Abrüstungsmitteln, die Standardisierung und Messung der Rüstungsausgaben im internationalen Vergleich, ein Register über den internationalen Rüstungsexport u.a.m. „Die typische Abfolge dabei ist: Erörterung im 1. Hauptausschuß, erste Resolution [der Generalversammlung, der Vers.] mit Prüfungsauftrag, Expertenstudie, Vorlage an die Generalversammlung und zweite Resolution, Beratung in der Abrüstungskommission mit Verabschie­ dung von Empfehlungen an die Generalversammlung, abschließende Erörterung und Beschlußfassung in der Generalversammlung.“31 Die Abrüstungsdebatte in den Gremien der Vereinten Nationen hat tatsächlich wiederholt wichtige Pionierarbeit geleistet: 1. Die drei Sondergeneralversammlungen über Abrüstung 1978, 1982 und 1988 mit ihrer großen Beteiligung (z.B. 1978 alle UN-Mitglieder, 1982 über 140 Staaten), ihren substantiellen Abschlußdokumenten, der großen Beteiligung von Non-Govemmental Organisation (NGOs) - 1982 z.B. mehr als 3000 Vertreter von 450 NGOs32 - und dem relativ breitem publizistischen Echo haben einen wichtigen Einfluß auf die öffentliche Diskussion der Rüstungsfolgen und Abrü-

27 „Hier kann die Beratung in den UN die erforderliche Klammer bilden, indem sie den Staaten der Welt über den Kreis der 40 sichtbar macht, welche Verpflichtungen auf sie zukommen“ (Enno Barker, a.a.O., S. 183). "Ebd. 29 „Die Generalversammlung, ... mit tiefer Bestürzung über den Einsatz chemischer Waffen in Verletzung des am 17. Juni 1925 in Genf unterzeichneten Protokolls ..., erneuert ihren Aufruf an alle Staaten, die Grundsätze und Ziele des Protokolls von 1925 ... strikt zu befolgen, und verurteilt entschieden alle Handlungen, die gegen diese Verpflichtung verstoßen.“ (GA Res. 43/74A vom 7.12.1988; deutsche Fassung in: Vereinte Nationen, H. 4/1989, S. 143-144, S. 143. 30 Ebd. " Ebd. 32 Vgl. Otto Kimminich, Abrüstung, a.a.O. S. 11.

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Kapitel 3: Abrüstung

stungschancen sowie Konversionsprobleme vor allem in den westlichen Industrie­ staaten ausgeübt.33 2. Die Vereinten Nationen haben die internationale Abrüstungsdiskussion argu­ mentativ untermauert und zugleich die systematische internationale Erforschung der sozialen, ökonomischen und politischen Rüstungsfolgen entscheidend angeregt durch eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien, die im Auftrag der UNO von internationalen Expertengruppen erstellt wurden.34 3. Besonders intensiv haben sie die Zusammenhänge zwischen Rüstung und Unterentwicklung bzw. Abrüstung und Entwicklung in das Zentrum ihrer Exper­ tenstudien gestellt35 und 1987 eine internationale Konferenz zu diesem Thema in New York abgehalten, weil v.a. die Entwicklungsländer hofften, die durch Abrü­ stung freiwerdenden ökonomischen Ressourcen der Industrieländer könnten ihnen als „Friedensdividende“ für die Entwicklungshilfe zufließen. Es ergaben sich viele wissenschaftliche Belege für die entwicklungsschädlichen Wirkung von Rüstung, andererseits bedeutet Rüstungsverzicht nicht automatisch Entwicklung.36 4. Ebenso hat die UNO für die Analyse der heutigen konkret anstehenden Kon­ versionsprobleme und -Chancen durch die Abrüstung wichtige Vorarbeiten gelei­ stet, d.h. für die Probleme bei der Umstellung von Rüstungsproduktionsanlagen auf Zivilproduktion, der Vernichtung von Waffenbeständen und der Umschulung von militärischem Personal.37

33 Vgl. dazu Hans-Joachim Schütz, Das internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrollregime nach der Abrüstungssondergeneralversammlung der Vereinten Nationen, in: Jost Delbrück (Hsrsg.), Völker­ recht und Kriegsverhütung, Berlin 1979, S. 295-305; Wilhelm Bruns, Der Beitrag der Vereinten Nationen zur Abrüstung, in: Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (Hrsg.), Das kontrollierte Chaos: Die Krise der Abrüstung (Friedensanalysen 13), Frankfurt/M. 1980, S. 135-156. 34 Vgl. Joachim Krause, Expertenwissen im Dienste der Abrüstung. Die Abrüstungsstudien der Vereinten Nationen, in: Vereinte Nationen, H. 1/1980, S. 13-18, S. 16. 33 Vgl. dazu: Lutz Köllner, Rüstung und Unterentwicklung. Bemerkungen aus makroökonomischer Sicht, in: Vereinte Nationen, H. 4/1987, S. 117-123; Helmut Volger, Der Wandel der Perzeption von Abrüstung, Entwicklung und Konversion in der UNO, a.a.O. 36 Vgl. Herbert Wulf, Die UNO-Konferenz „Abrüstung und Entwicklung“ - Konkrete Utopie oder utopische Erwartungen, in: Interdependenz, Entwicklung-Umwelt-Frieden, Heft 1/1988. 37 Vgl. Gerda Zellentin, Rüstungskonversion: Vermittlung zwischen Abrüstung und Entwicklung. Eine Einführung in den internationalen Stand der Diskussion, in: Vereinte Nationen, H. 1/1981, S. 15ff. Vgl. dazu auch die Beitrage in: Lutz Köllner/Burkhardt J. Huck (Hrsg.), Abrüstung und Konversion. Politische Voraussetzungen und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik Deutschland, Frank­ furt/M. 1990.

Kapitel 3: Abrüstung

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Zum Thema Rüstungskonversion hat die UNO 1990 in Moskau38, 1991 in Bejing und 1992 in Dortmund Konferenzen mit Beteiligung von Sachverständigen aus Wissenschaft und Industrie und Politikern abgehalten. So legte die in Dortmund vom 24.-27. 2.1992 vom Center for Science and Technology in the Service of Disarmament (CSTD) der UN unter Mitwirkung zahlreicher anderer UN-Organisationen (ILO, UNCTAD, IMF, UNESCO u.a.m) zusammen mit der Universität Dortmund veranstaltete Konferenz zum Thema „Konversion - Chancen für Entwicklung und Umwelt“ ihren Schwerpunkt auf die Möglichkeit, durch Abrü­ stung freiwerdende Ressourcen für Umweltschutzzwecke zu verwenden. Zu diesem Thema hatte bereits aufgrund eines Auftrags der Generalversamm­ lung39 der UN-Generalsekretär 1991 eine wissenschaftliche Studie40 vorgelegt. Dabei wurde deutlich, daß Konversion nicht allein die Abschaffung des Militärs mit ihren Folgen beinhalten kann, sondern, wenn sie gelingen soll, eine strategi­ sche Konversion sein muß, d.h. eine schrittweise Zuweisung neuer Aufgaben für die betroffenen Menschen und die Ressourcen beinhalten muß.41 Die „Friedens­ dividende“, so machen die ersten Abrüstungserfahrungen deutlich, wird (zu­ nächst) von den hohen Kosten der Konversion aufgezehrt, freie Ressourcen für die Dritte Welt werden wohl erst langfristig zu erwarten sein. Immerhin geht es um relativ große finanzielle Ressourcen: nach Aussagen des IMF-Vertreters in Dortmund könnten jährlich 140 Mrd. US-$ allein dadurch eingespart werden, daß die Länder mit überdurchschnittlichen Rüstungsausgaben ihre Ausgaben auf den Durchschnittswert aller Staaten reduzieren.42 Mehr als 1,5 Billionen US-$ - 1,2 Billionen in den Industrieländern und 279 Mrd. in den Entwicklungsländern würde nach Berechnungen des UNDP die „Friedensdividende“, d.h. die Ein­ sparung bei den Rüstungsausgaben betragen, wenn die Militärausgaben weltweit jährlich um 3 % reduziert würden.43

u Vgl. dazu die Konferenzbeitrage in: United Nations Department for Disarmament Affaire, (Konver­ sion: Economic Adjustments in an Era of Arms Reduction, United Nations, New York 1991, vol. I (UN Publication Sales No. E.91.IX.6) und vol. D (UN Publication Sales No. E.91.DC.7). ” GA Res. 45/58N vom 4.12.1990. 40 UN Doc. A/46/364 vom 17.9.1991. 41 Vgl. Hans-Peter Winkelmann, UN-Tagung in Dortmund, in: Vereinte Nationen, Jg. 40, H. 3/1992, S. 100-101, S. 100. 42 Vgl. Hans-Peter Winkelmann, a.a.O., S. 100. 43 Vgl. UNDP, Human Development Report 1992, New York/Oxford 1992, S. 86f.

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Kapitel 3: Abrüstung

Schon Anfang der achtiger Jahre hatten Leontief und Duchin44 in einer wissen­ schaftlichen Studie für die Vereinten Nationen berechnet, daß bei einer schritt­ weisen weltweiten Abrüstung bis zum Jahr 2000 eine Zunahme des Bruttosozial­ produkts (BSP) von 3% pro Jahr im tropischen Afrika zu verzeichnen wäre, Law­ rence Klein kam in einem Forschungsbeitrag für ein Sonderheft der Zeitschrift „Disarmament“ der Vereinten Nationen 1986 zu dem Ergebnis, daß im Durch­ schnitt aller Entwicklungsländer eine Senkung der Verteidigungsausgaben um 1 % ein Wachstum des BSP um 0,3 % zur Folge haben würde.45 Damit die Länder der Dritten Welt allerdings aus der Konversion wirklich sozial und ökonomisch einen Nutzen ziehen können, bedarf es der detaillierten Konversionsforschung und planung, die sinnvoll in im Rahmen der Vereinten Nationen, z.B. bei UNDP, geleistet werden könnte.46 Als wichtiges praktisches Ergebnis wurde auf der Konversions-Konferenz in Dortmunnd die Gründung eines Konversionszentrums in Bonn beschlossen zur Konversionsforschung, zum Datenaustausch und zur Umschulung von Rüstungs­ fachleuten usw. In die gleiche Richtung zielte die Ankündigung der Landesregie­ rung von Nordrhein-Westfalen, im zweiten Halbjahr 1992 unter der Schirmherr­ schaft der UNESCO ein Umschulungsprogramm für Rüstungsfachkräfte der GUSStaaten durchzuführen.47 5. Daneben hat die UNO das für die konkrete Abrüstung wichtige Problem der Standardisierung und Messung der Militärausgaben durch Experten-Studien48 vor­ bereitet: Die jahrzehntelange Vorbereitungsarbeit fand ihre Nutzanwendung bei den Wiener Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen im Rahmen der KSZE.49

44 Vgl. Wassily Leontief/Faye Duchin, Military Spending. Fact, Figures, Worldwide Implications and Future Outlook. Überarbeitete Version des Berichts fiir die UN-Gruppe von Regierungsexperten über den Zusammenhang zwischen Abrüstung und Entwicklung, New York 1983. 45 Lawrence R. Klein, Disarmament and Socio-Economic Development, in: Disarmament, vol. 9 (1986), H. 1, S. 49-69, S. 62. 46 Vgl. Helmut Volger, International vergleichende Aspekte von Abrüstung und Entwicklung - unter Berücksichtigung des Welthandels- und Weltwährungssystems und der Rüstung in der Dritten Welt, in: Lutz Köllner/Burkhardt J. Huck (Hrsg.), Abrüstung und Konversion, a.a.O., S. 235-270, S. 260fT. 47 Vgl. Winkelmann, a.a.O. 49 So z.B. 1974 ein Bericht der Vereinten Nationen über „Reduction of the military budgets of States permanent members of the Security Council by 10 per cenl and utilization of pari of the funds thus saved to provide assistance to developing countries“, United Nations New York 1975, UN Doc. A/9770/Rev. 1, mit einem Abschnitt über die Messung der Militarausgaben; 1977 der Bericht „Reduction of Military Budgets. Measurement and International Reporting of Military Expenditures: Report Prepared by a Group of Experts on the Reduction of Military Budgets“, United Nations, New York 1977, UN Doc. A/31/222. 49 Vgl. Enno Barker, a.a.O., S. 183.

6. Schließlich waren die Vereinten Nationen über diese wissenschaftliche und politische Vorbereitung hinaus in enger Zusammenarbeit mit den verhandlungsfuhrenden Staaten in den jeweiligen bilateralen bzw. multilateralen Verhand­ lungsgremien außerhalb des UN-Systems an dem Zustandekommen einer Reihe wichtiger internationaler Abkommen beteiligt, des Antarktis-Vertrages von 1959, der eine völlige Freihaltung dieses Gebiets von militärischen Einrichtungen und Manövern festlegt, des Weltraum-Vertrages von 1967, der die Stationierung von Massenvemichtungswaffen im Weltraum untersagt, des Meeresboden-Vertrages von 1970, der die Stationierung von Massenvemichtungswaffen auf dem Meeres­ boden außerhalb nationaler Küstenzonen untersagt, des Vertrages über das Verbot von Kernwaffenversuchen (Atomteststopp-Vertrag) - mit Ausnahme unterirdischer Versuche - von 1963, des Vertrages über das Verbot von Kernwaffen in Lateinamerika (Vertrag von Tlatelolco) von 1967, des Vertrages über die Nichtver­ breitung von Kernwaffen (Atomwaffensperrvertrag) von 1968, der ENMODKonvention über das Verbot der Verwendung umweltverändemder Techniken zu militärischen Zwecken (Environmental Modification Techniques — ENMOD) von 1976 und als vielleicht wichtigster Vertrag, an der Verabschiedung der Kon­ vention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen und ihre Vernichtung von 1971, das erste Abkommen, das wirkliche Abrüstung, d.h. die Vernichtung von Waffen vorsieht und insofern die erste echte Abrüstungsmaßnahme darstellt.50 Darüberhinaus haben die Vereinten Nationen fallweise auch selbst Abkommen herbeigeführt: so z.B. die Konvention zur Beschränkung des Einsatzes bestimmter - besonders grausamer - konventioneller Waffen, die 1980 von einer UN-Sonderkonferenz angenommen wurde und der bis Ende 1990 32 Staaten beigetreten und 26 weitere unterzeichnet haben.51 Insofern haben die Vereinten Nationen zweifellos eine wichtige Ergänzungs­ funktion zu den entscheidenden bilateralen Verhandlungen und Abkommen zwi­ schen den USA und der UdSSR über strategische Rüstung ausgeübt, wenn auch das Tempo der Rüstungsbegrenzung und Abrüstung letztendlich von den Super­ mächten bestimmt wurde und wird, wie dies erneut die Unterzeichnung des START II-Vertrages über die Abrüstung strategischer Waffen durch US-Präsident Bush und Rußlands Präsident Jelzin am 3. Januar 1993 in Moskau belegte, bei dem beide Seiten eine Reduzierung der nuklearen Sprengköpfe auf etwa 3000 bis

30 Vgl. Jan Martenson, a.a.O., S. 159. 51 Vgl. Enno Barker, a.a.O., S. 184.

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Kapitel 3: Abrüstung

3500 bis zum Jahr 2003 vereinbart haben. Diese Vereinbarung verringert damit die erst im Juli 1991 von Bush und dem damaligen Staatschef der UdSSR, Mi­ chail Gorbatschow, im START I-Vertrag festgelegte Obergrenze von jeweils rund 8500 Gefechtsköpfen beträchtlich und bedeutet eine Reduzierung des aktuellen Umfangs der Nukleararsenale beider Seiten von mehr als 20 000 Sprengköpfen um zwei Drittel. Die schweren landgestützen Interkontinentalraketen der USA und Rußlands sollen völlig abgeschafft werden.52 Aber die beiden Hauptakteure handeln nicht unabhängig von ihrem Umfeld und gerade die gut vorbereiteten und von den Medien breit publizierten Tagungen der Sondergeneralversammlungen über Abrüstung haben die öffentliche Meinung in Westeuropa und den USA stark beeinflußt und effektiven Druck auf die Verhand­ lungspartner ausgeübt. Insofern erscheint der Vorschlag Peröz de Cuellars, die Vereinten Nationen sollten stärker in die Überwachung von Abrüstungsverein­ barungen einbezogen werden und so die Teilnahme der Weltöffentlichkeit an Abrüstungsproblemen zu vergrößern53, durchaus realistisch. Andererseits müssen die Vereinten Nationen eine klare Aufgabenteilung mit den Verhandlungsgremien einhalten: die UNO kann nicht die Abrüstungsverhandlun­ gen in Genf und Wien ersetzen oder duplizieren, eine Multilateralisierung dieser Verhandlungen im Sinne der Beteiligung aller UN-Mitgliedstaaten würde die Verhandlungen enorm komplizieren und verschleppen. Außerdem sind vor allem die USA nicht zu einer solchen Ausweitung bereit.54 Die Vereinten Nationen haben jedoch, wie bereits angedeutet, wichtige ver­ handlungsvorbereitende und verhandlungsbegleitende Funktionen und wichtige Aufgaben bei der Implementierung der geschlossenen Vereinbarungen. Außenmi­ nister Genscher beschrieb 1988 auf der 3. Sondergeneralversammlung über Abrü­ stung und Entwicklung das anzustrebende Verhältnis zwischen Vereinten Nationen und verhandelnden Einzelstaaten in der Abrüstung als „konstruktiven Parallelis­ mus44, in dem die bilateralen Abrüstungsverhandlungen die Impulse der globalen Erörterung im UN-Rahmen aufgreifen und umsetzen könnten.55

52 Vgl. Die Abschaffung der Mehrfachsprengköpfe. START-U-Vertrag: Bis zum Jahr 2003 wollen die USA und Rußland zwei Drittel ihrer Atomwaffen vernichten, in: Der Tagesspiegel, 4.1.1993, S. 4. 53 Zitiert nach Jan Martenson, a.a.O., S. 162 34 Vgl. Enno Barker, a.a.O., S. 184. 35 Hans-Dietrich Genscher, Kooperative Sicherheitspolitik im weltweiten Rahmen. Rede des Bundes­ außenministers vor der 15. Sondergeneralversammlung (6. Juni 1988), in: Vereinte Nationen, H. 4/1988, S. 118ff.

Kapitel 3: Abrüstung

113

3,2, Die Chemiewaffen-Konvention

Einen konkreten Beleg für jenen „konstruktiven Parallelismus44 im Bereich der Abrüstung in den letzten Jahren bietet das Zustandekommen der Chemie-WaffenKonvention: Die 40-NationenAbrüstungskonferenz in Genf, jene obenerwähnte UN-nahe, jedoch unabhängige Abrüstungsinstitution hatte am 3. September 1992 nach über 20 Verhandlungsjahren einen Vertragsentwurf gebilligt, der Anfang November vom 1. Hauptausschuß der UN-General Versammlung und am 30. November von der Generalversammlung gebilligt wurde.56 Am 13. Januar 1993 fand in Paris die Konferenz zur Unterzeichnung der UN-Konvention über CWaffen statt, auf der mehr als 120 Staaten die Konvention unterzeichneten, so daß damit zu rechnen ist, daß sie Anfang 1995 in Kraft tritt.57 Die Chemiewaffen-Konvention ist ebenso wie die schon erwähnte Konvention über biologische Waffen eine echte multilaterale Abrüstungsvereinbarung, das heißt sie verbietet Produktion und Besitz von C-Waffen und macht die Vernich­ tung vorhandener Waffenbestände zur Pflicht (bei den Chemie-Waffen innerhalb von zehn Jahren nach Inkrafttreten, im frühestmöglichen Fall 1995, d.h. bis zum Jahr 2005), enthält aber im Gegensatz zu der B-Waffen-Konvention detaillierte Verifikationsmechanismen zur Kontrolle der Vertragseinhaltung durch die Ver­ tragsstaaten. Jeder Vertragsstaat kann Verdachtskontrollen beantragen, die Inspek­ tionsteams müssen spätestens 108 Stunden nach Information des zu kontrollieren­ den Staates an das Kontrollobjekt gelangen können. Wie wichtig und sinnvoll solche präzisen Regelungen für die Kontrolle von C-Waffen und ihrer späteren Vernichtung sind, haben die Vorgänge im Irak bei der Inspektion der dortigen Atom-, biologischen und chemischen Waffenproduktionsanlagen und -Vorräte im Rahmen der Waffenstillstandsresolution des UN-Sicherheitsrats gezeigt. Wie das Beispiel der C-Waffen-Konvention zeigt, ist dieser Abrüstungs-Vertrag zwar in einem kleineren multilateralen Gremium „am Rande der UNO44 entstan­ den, die UN-GeneralVersammlung gibt aber mit ihrer Zustimmung zur C-WaffenKonvention dem Vertrag eine breite politische Basis und motiviert damit die Mitgliedstaaten zur Unterzeichnung und Ratifizierung des Abkommens.

36 GA Res. 47/39 vom 30.11.1992. Die Resolution wurde ohne Abstimmung angenommen. 37 Die Konvention tritt 180 Tage nach Hinterlegung der 65. Ratifikationsurkunde in Kraft, jedoch nicht froher als zwei Jahre nach Eröffnung der Unterzeichnung, d.h. frühestens am 13. Januar 1995.

114 3.3.

Kapitel 3: Abrüstung

Das UN-Register für konventionelle Waffen

Der Sicherheitsrat scheint - neben seiner größeren Rolle in der Streitschlichtung und Friedenssicherung - sich auch starker um die Rüstungskontrolle kümmern zu wollen. Darauf deutet der erste konkrete Schritt des Sicherheitsrats in diese Rich­ tung hin, der aber sicherlich vorrangig durch die Aufdeckung der zahlreichen ille­ galen Rüstungsexporte in den Irak nach Verhängung des Waffenembargos bewirkt wurde: der Versuch, Einfluß auf die internationalen Waffenexporte zu nehmen. Anfang Juli 1991 trafen sich die fünf Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats in Paris, um einen Verhaltenskodex über Rüstungsexporte zu erarbeiten. Dahinter stand die Initiative der USA und Frankreichs, die ein Verbot geheimer Waffen­ lieferungen und die gegenseitige Information über Rüstungsgeschäfte erreichen wollten. Der Rüstungsexport aller 5 Staaten macht ca. 90% aller Rüstungsexporte aus. Die Konferenz litt aber unter ausgeprägten Interessendivergenzen: die USA wollten nur den Waffenverkauf in den Nahen und Mittleren Osten einschränken, den übrigen Markt aber unkontrolliert lassen, Frankreich wollte zwar eine welt­ weite Vereinbarung über Rüstungsexporte, lehnte aber ein Exportverbot von Atom-, Satelliten- und Raketentechnologie in die Dritte Welt ab, weil diese Exporte wirtschaftlich und strategisch für Frankreich wichtig seien, China nahm überhaupt nur als Konferenzbeobachter teil.58 So war es nicht verwunderlich, daß keine Ergebnisse hinsichtlich einer Beschränkung des Rüstungsexports erreicht werden konnten. Immerhin konnten jedoch der Druck der übrigen UN-Mitgliedsländer59, vor allem der beharrliche Druck der Bundesrepublik und eine gemeinsame Initiative der Staaten der Europäischen Gemeinschaft und Japans erreichen, daß mit Reso­ lution 46/36 L der Generalversammlung am 9. Dezember 199160 mit Wirkung

58 Vgl. Konferenz über Rüstungskontrolle von Konflikten gekennzeichnet. Die fünf Ständigen Mit­ glieder des UNO-Sicherheitsrates tagen in Paris, in: Der Tagesspiegel, 9.7.1991. 39 So hatte die Bundesrepublik Deutschland seit 1980 wiederholt den Vorschlag gemacht, ein Rü­ stungsexport-Register bei der UN einzuführen, so z.B. Außenminister Genscher am 27. September 1989 in seiner Rede vor der 44. Generalversammlung, vor der 45. Generalversammlung am 26. September 1990 und am 25. September 1991 vor der 46. Generalversammlung: „Für die Einschrän­ kung der Rüstungsexporte ist größere Transparenz ein erster notwendiger Schritt. Seit 1980 habe ich deshalb die Einrichtung eines UN-Registers für Waffentransfers gefordert. Dieser nun von der Europäischen Gemeinschaft insgesamt unterbreitete Vorschlag sollte in der Generalversammlung endlich breite Unterstützung finden.“ Zitiert nach: Rede des deutschen Außenministers vor der 46. UN-Generalversammlung (25. September 1991), in: Vereinte Nationen, H. 5/1991, S. 168-171, S. 170. 60 GA Res. 46/36 L vom 9.12.1991.

Kapitel 3: Abrüstung

115

vom 1. Januar 1992 ein UN-Register für konventionelle Waffen geschaffen wur­ de, das am UN-Sitz in New York geführt wird und den Export und Import von Kampfpanzem und gepanzerten Kampffahrzeugen, großkalibrigen Artilleriesy­ stemen, Kampfflugzeugen, Kampfhubschraubern, Kriegsschiffen und Raketen umfaßt. Bis zum 30. April eines jeden Jahres sollen die UN-Mitgliedstaaten ihre Waffenimporte und -exporte des abgelaufenen Kalenderjahres dem Generalsekre­ tär für das Waffenregister melden, erstmalig für 1992 bis zum 30. April 1993. Der Generalsekretär stellt aus den Daten jährlich einen zusammenfassenden Bericht zusammen. Damit man den Stellenwert des Rüstungstransfers besser ein­ schätzen kann, werden die Mitgliedsländer in der Resolution auch gebeten („invited“), statistische Daten über die Waffenbestände der nationalen Armeen und die Beschaffung aus der nationalen Produktion dem Register zu melden. Bis zum 11. Juni 1993, so berichtet Herbert Wulf, wissenschaftlicher Berater für Fragen der Abrüstung bei den Vereinten Nationen in einem Zeitungsartikel61, hatten 62 von 183 UNO-Mitgliedem ihren Bericht abgegeben. Von den 20 größ­ ten Exporteuren der Welt hatten lediglich vier Länder nicht gemeldet: Rußland, Nordkorea, Israel und Südafrika.62 Damit waren zu diesem Zeitpunkt rund 85 Prozent aller Exporte der zu meldenden Großwaffensysteme bei den Vereinten Nationen registriert. Besonders befriedigt nahm das Abrüstungsbüro der UNO den Bericht Chinas entgegen; denn die chinesische Regierung hatte sich ursprünglich deutlich gegen das Waffenregister ausgesprochen und der entscheidenden Resolution in der Gene­ ralversammlung nicht zugestimmt. Die Bundesrepublik Deutschland exportierte nach ihrem Bericht an das UNRegister 1992 Waffen in elf Länder, durch die große Zahl von Waffenexporten aus den Beständen der aufgelösten Nationalen Volksarmee ist die Bundesrepublik zur Zeit drittgrößter Rüstungsexporteur der Welt hinter den USA und Rußland, vor Frankreich und Großbritannien. Weniger Informationen enthalten die Berichte über Importe der Mitgliedstaaten. Nach den Statistiken des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI impor­ tierten 1992 rund 50 Länder Waffen, die unter die Kriterien des UNO-Registers fallen, aber nur 26 Regierungen berichteten über Importe an die UNO: Von den

61 Vgl. Herbert Wulf, Das Ziel: die Transparenz des internationalen Waffenhandels. Das Waffenregi­ ster der UNO entstand aus der Erfahrung des Golfkriegs. Erste Berichte der Mitgliedstaaten liegen vor, in: Der Tagesspiegel, 17.6.1993, S. 4. 62 Rußland und Israel haben, so Wulf, angedeutet, daß sie ihre Berichte nach abgeben werden, damit wären jene Länder, die für 97 Prozent des Waffenexportes verantwortlich sind, bei der UNO regi­ striert.

116

Kapitel 3: Abrüstung

15 größten Waffenimporteuren der Industrieländer gingen von allen Berichte ein, von den 15 größten Importeuren aus der Gruppe der Entwicklungsländer fehlten im Juni 1993 elf Länder: Saudi-Arabien, Syrien, Ägypten, Kuwait, Iran, Israel, Indien, Pakistan, Bangladesh, Thailand und Taiwan. Aus dieser Ländergruppe berichteten nur China, Südkorea, Chile und Argentinien. Insider in der UNO vermuten, daß der Eingang weiterer Meldungen aus dem Nahen Osten vom Fortschritt der Friedensgespräche in Washington abhängt63. Mit Sorge wird das Ausbleiben der Berichte aus Südasien bei der UNO zur Kenntnis genommen, weil dies eine Region ist, in der „im Gegensatz zu vielen anderen noch kräftig gerüstet wird“.64 Die ausführlichen Berichte der Länder schaffen gute Voraussetzungen für die Verwirklichung einer zweiten Stufe des Registers, mit deren Vorbereitung sich eine UNO-Expertengmppe seit Frühjahr 1994 befaßt65, nämlich die Zahlen über die inländische Produktion für die Beschaffung der eigenen Streitkräfte und über den Waffenbestand in den Streitkräften selbst hinzuzunehmen, was man bisher den Länder anheimgestellt hatte - man hatte sie „eingeladen14, die Zahlen mitzuliefem. Sollte dieser Erweiterungsstufe zugestimmt werden, hätte man erstmals einen amtlichen Bericht über die weltweit produzierten, gehandelten und in den Streitkräften vorhandenen Großwaffen, das würde ein wesentlicher Fortschritt im Prozeß der Abrüstung konventioneller Waffen bedeuten und in Konfliktzonen vertrauensbildend wirken. Doch gibt es noch viele Widerstände bei den UN-Mitgliedstaaten gegen die Erweiterung des Registers zu überwinden.66 Das Waffenregister demonstriert aber schon in seiner heutigen Form die wich­ tige Rolle, die inzwischen - sowohl aufgrund der Einigkeit der ständigen Mit­ glieder des Sicherheitsrats als auch wegen der Einsichten vieler anderer Mitglied­ staaten, die sie in den aktuellen Konflikten gewonnen haben, - die Vereinten Nationen in der Abrüstung spielen: Sie sind zunehmend vom Diskussionsforum und „Notar14 von Vereinbarungen zum „Motor“ von Abrüstungsschritten gewor­ den.

63 Vgl. ebd. 64 Ebd. 65 Diese Ergänzung des Registers war schon in der Resolution GA 46/36 L über die Schaffung des Waffenexportregisters in Ziffer 11 b vorgesehen. 66 Vgl. Herbert Wulf, Das Ziel, a.a.O.

Kapitel 3: Abrüstung

117

3.4. Das Atomteststop-Moratorium der fünf ständigen Sicherheitsrats­ mitglieder Ebenfalls durch eine Einigung der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder über einen Verzicht auf unterirdische Atomtests scheint nach Pressemeldungen im Juli 1993 ein Abkommen über einen umfassenden Atomteststopp, d.h. auch für die bisher ausgenommenen unterirdischen Versuche, in naher Zukunft realisierbar: Präsident Clinton verlängerte Anfang Juli 1993 den vorläufigen Teststop für Atomversuche bis September 1994, damit bleibt auch das russische Moratorium weiter in Kraft, Frankreich hat sich der US-Regienmg bereits mit einem eigenen Verzicht angeschlossen, nachdem es bereits 1992 einen vorläufigen Verzicht verkündet hatte, Großbritannien ist über seine Nutzung der Anlagen der USA an deren Entscheidung gebunden, China hat zwar kein Moratorium verkündet, hat aber seit 1992 keine Versuche mehr unternommen.67 Bedeutsam ist vor allem der Testverzicht von Frankreich und China, da beide das Teilweise Teststoppabkommen (Partial Test Ban Treaty - PTBT) von 1963, das oberirdische Atomtests untersagt, nicht unterzeichnet haben und bis 1974 (Frankreich) und 1980 (China) oberirdische Atomtests durchführten. Seitdem führten sie ebenso wie die USA, die UdSSR und Großbritannien unterirdische Tests durch. Der Atomteststop ist neben dem Schutz der Umwelt vor radioaktiver Belastung ein wichtiger Schritt in Richtung Rüstungsstop, weil er die Entwicklung neuer Waffengenerationen verhindert und den nuklearen Schwellenländem den Zugang zu Kernwaffen erschwert. In diesem Zusammenhang ist der Verzicht ein wichti­ ges Signal, weil 1995 auch der Vertrag über die Nichtweitergabe von Atomwaffen (Nuclear Non-Proliferation Treaty), in Kurzform Atomwaffensperrvertrag ge­ nannt, ausläuft und entweder verlängert werden müßte oder vielleicht sogar erweitert und in seiner Wirksamkeit verbessert werden könnte.

67 Vgl. Peter Becker, Clinton setzt Zeichen in Richtung nukleare Abrüstung, in: Der Tagesspiegel, 5.7.1993, 5.5.

118 3.5.

Kapitel 3: Abrüstung

Die Kontrolle der Abrüstung im Irak

Ein Präzedenzfall für eine neue Aufgabe, nämlich die komplette Abrüstung atomarer, biologischer und chemischer Waffen sowie der Mittelstreckenraketen eines Landes unter Kontrolle der UNO, wurde durch die Waffenstillstandsbedin­ gungen im Golfkonflikt in der Sicherheitsratsresolution 687 (1991) vom 3. April 199168 geschaffen, welche der Irak am 6. April 1991 schriftlich akzeptierte.69 Für diesen Zweck wurde auf der Grundlage der Resolution 687 vom General­ sekretär eine Sonderkommission mit 21 Mitgliedern unter der Leitung des Schwe­ den Rolf Eköus berufen, welche die vorhandenen Produktionsanlagen und Waren­ bestände an ABC-Waffen auffinden und zerstören soll. Diese Aufgabe bietet die Chance, neue Technologien zur Entsorgung von ABC-Waffen zu entwickeln, die später bei der Umsetzung von UN-Abrüstungs-Konventionen von Nutzen sein können. Völkerrechtlich problematisch ist die über die konkrete Abrüstung Iraks hin­ ausgehende - zeitlich bisher unbefristete - Rüstungskontrolle des Irak durch die Sonderkommission, die mit Resolution 715 (1991) vom 11. Oktober 199170 geschaffen wurde; sie schränkt die wirtschaftliche Handlungsfreiheit so weit ein, daß man von einer weitgehenden Souveränitätseinschränkung sprechen kann. Abrüstungspolitisch ist der Fall Irak sicherlich kein Modellfall, weil die er­ zwungene Teil-Abrüstung eines einzelnen Staates in einer Region mit Hochrü­ stung, wie sie hier unter dem Druck der Großmächte erfolgt, Instabilitäten in der betreffenden Region hervorruft; sinnvoll kann die Abrüstung Iraks nur sein, wenn auch die anderen Staaten der Region, einschließlich Israels und Ägyptens, ABCwaffenfrei gemacht werden. Ein Vertrag über eine ABC-waffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten, verbunden mit einer Sicherheitsorganisation nach dem Modell der KSZE und unterstützt durch eine Garantie der ständigen Sicher­ heitsratsmitglieder, wäre die richtige Konsequenz aus dem Golfkonflikt und ein großer Fortschritt im Abrüstungsbereich.

3.6.

Der Atomwaffensperrvertrag

Ein großes Problem, mit dem sich sowohl der Sicherheitsrat als auch die Ge-

68 SC Res. 687 (1991) vom 3.4.1991. 69 Vgl. UN Doc. 8/22456 (1991) vom 6.4.1991. 70 SC Res. 715 (1991) vom 11.10.1991.

Kapitel 3: Abrüstung

119

neralversammlung beschäftigen müssen, ist die steigende Zahl von Staaten, die in naher Zukunft in der Lage sein werden, Atomwaffen zu produzieren. Zu den nuklearen Schwellenländem zählen Argentinien, Brasilien, Indien, Israel, Pakistan und Südafrika; über Teile der Technologie und des Know-Hows verfugen darüberhinaus wohl der Irak, Libyen und Nordkorea. Wie die Ereignisse der letzten Zeit beweisen, reichen offensichtlich die Me­ chanismen des Atomwaffensperrvertrags, der in den Vertragstaaten die Inspektion aller nuklearen Anlagen durch die Internationale Atomenergiebehörde (Interna­ tional Atomic Energy Agency - IAEA) ermöglicht, wovon etwa 95 % aller Nukle­ aranlagen außerhalb der fünf Kemwaffenstaaten erfaßt sind, nicht aus, um in Staaten wie Irak oder Nordkorea die Produktion von Kernwaffen oder zumindestens die Errichtung von Anlagen, die dies ermöglichen, zu verhindern. Neben dem Irak lieferte dafür unlängst Nordkorea einen Beleg, als es sich im Frühjahr 1993 weigerte, seine Nuklearanlagen inspizieren zu lassen, wozu es als Mitglied des Atomwaffensperrvertrages verpflichtet gewesen wäre und stattdessen im März seinen Austritt aus dem Vertrag erklärte. Der UN-Sicherheitsrat forderte daraufhin Nordkorea auf, die Kündigung zurückzunehmen und die Inspektion seiner Nuklearanlagen zuzulassen.71 Immerhin hat Nordkorea daraufhin mit den USA Verhandlungen aufgenommen über die internationale Inspektion der Anlagen und seine Ankündigung zurückgenommen, sich nicht mehr an den Atomwaffen­ sperrvertrag zu halten.72 Bis Juli 1994 hat Nordkorea jedoch in den Verhandlun­ gen mit den USA in bezug auf die internationale Inspektion seiner Atomanalagen nicht nachgegeben.73 Offensichtlich ist der Atomwaffensperrvertrag in seinen Kontrollmechanismen revisionsbedürftig und muß der politische Druck der Weltöffentlichkeit auf die Vertragsverletzer, ihre Produktion von Atomwaffen einzustellen, erhöht werden. Die Vereinten Nationen stehen in dieser Frage, einer der schwierigsten im Bereich der Abrüstung, vor einer harten Bewährungsprobe: Geht es doch darum, die regionalen Mittelmächte, die Atomwaffen anstreben, zum Verzicht auf diese Option zu bewegen, womit sie die Vorrangstellung der bisherigen Kemwaffen­ staaten akzeptieren müßten. Ohne umfassende Sicherheitsorganisationen für die Weltregionen wird dies kaum zu erreichen sein.

71 SC Res. 825 (1993) vom 11.5.1993. Die Resolution wurde mit 13 Stimmen bei Enthaltung Chinas und Pakistans angenommen. 72 Vgl. Gespräche Nordkoreas mit den USA am 14. Juli, in: Der Tagesspiegel, 29.6.1993, S. 5. 73 Vgl. Carter übermittelt aus Nordkorea Vorschlag zur Konfliktlösung, in: Der Tagesspiegel, 20.6.1994, S. 1.

120

Kapitel 3: Abrüstung

Viele Staaten der Dritten Welt möchten die Frage der Atomwaffenproduktion dadurch lösen, daß sie ein vertragliches Verbot jeglicher Anwendung von Atom­ waffen anstreben. Sie erreichten mit ihrer Mehrheit die Annahme einer Resolu­ tion74 in der Generalversammlung 1993, welche die Abrüstungskonferenz auffor­ dert, Verhandlungen über eine Konvention aufzunehmen, welche den Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen verbietet. Die Resolution wurde mit 120:23 bei 24 Enthaltungen angenommen, unter den Gegenstimmen waren die meisten Staaten des Westens. Noch klingt das Vorhaben utopisch, aber angesichts der Veränderung der außenpolitischen und militärischen Situation seit Ende der achtziger Jahre scheint es sinnvoll und machbar, mittelfristig ein solches Anwen­ dungsverbot anzustreben.

74 GA Res. 48/76 B, zit. nach: UN Chronicle, March 1994, S. 75.

Kapitel 4 Reform der Weltwirtschaftsordnung und die Koordination der multilateralen Entwicklungshilfe 4.1. Die Organisationsstrakturen der Weltwirtschaft

Nach dem Zusammenbruch des politischen und wirtschaftlichen Gefüges der Vor­ kriegszeit wurde von den USA und Großbritannien eine liberale, marktorientierte Weltwirtschaftsordnung konzipiert, „die einen möglichst freien internationalen Wirtschaftsaustausch und die Nutzung komparativer Kostenvorteile durch Arbeits­ teilung4*1 ermöglichen sollte mit drei internationalen Institutionen für die drei Bereiche Währung, Kapitalhilfe und Handel: für den Währungsbereich den Inter­ nationalen Währungsfonds IWF (International Monetary Fund - IMF), für den Be­ reich der Kapitalhilfe die Weltbankgruppe (World Bank Group) und für den Handelsbereich die Internationale Handelsorganisation - International Trade Organisation (ITO).

4.1.1. Weltbank und Internationaler Währungsfonds

Der Internationale Währungsfonds und die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (International Bank for Reconstruction and Development BRD), im Deutschen oft abgekürzt Weltbank2 genannt, wurden 1944 in Bretton Woods/USA durch internationale Abkommen gegründet und durch die Indu­ strieländer mit dem notwendigen Kapital ausgestattet. Das Stimmrecht wurde - im Gegensatz zu den meisten anderen UN-Organisationen - nach der jeweiligen Kapi­ taleinlage gewichtet. Die Kapitaleinlagen wiederum erfolgten nach in Bretton Woods festgelegten Quoten, die das wirtschaftspolitische Gewicht der Länder

1 So Uwe Andersen in: Neue Weltwirtschaftsordnung - von alten Konzepten zu neuen Realitäten, in: politische Bildung, H. 1/1991, S. 31-42, S. 31. 2 Zur Weltbankgruppe oder „Weltbank* im Sinne des jährlichen Weltbankberichts zählen außer der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die meistens als Weltbank bezeichnet wird, ihre Schwestergesellschaften, die Internationale Entwicklungsorganisation (International Development Association - IDA) und die Internationale Finanz-Korporation (International Finance Corporation IFC).

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Kapitel 4: Reform der Weltwirtschaftsordnung

widerspiegeln sollten.3 Dabei hat das Fernbleiben der UdSSR und das davon beeinflußte Ausscheiden Polens und der CSSR Anfang der 50er Jahre die Position der westlichen Industrieländer gegenüber der Dritten Welt noch verstärkt.4 Aufgrund späterer Quotenerhöhungen und des Beitritts weiterer Mitglieder haben sich diese Relationen etwas verändert, die Größenordnungsverhältnisse sind jedoch gleich geblieben: Die reichen westlichen Industrieländer dominieren mit ihrem Stimmgewicht die beiden Institutionen. Dem IWF kommt in diesem Verbund die Aufgabe zu, die freie Austauschbar­ keit und die Stabilität der Währungen zu sichern und dabei mit seinen Fonds­ mitteln regelnd auf die Wechselkurse Einfluß zu nehmen, um zu große Schwan­ kungen trotz des Systems freier Wechselkurse zu vermeiden, und bei größeren Zahlungsbilanzdefiziten, welche die Stabilität von Währungen gefährden, durch Vergabe von Kredithilfen an die betreffenden Mitgliedstaaten zu helfen. Die Weltbank auf der anderen Seite vergibt langfristige Kredite zur Entwicklungshilfe. Beide Institutionen, IWF und Weltbank, sind außerdem eng miteinander ver­ zahnt - nachdem ursprünglich im amerikanischen Konzept des damaligen Unterstaatssekretärs im Finanzministerium White beide Aufgaben - die kurz- bis mit­ telfristige Währungshilfe und die Vergabe langfristiger Investitionskredite - von einer Institution wahrgenommen werden sollten5: Der Beitritt zum IWF ist Vor­ aussetzung zur Mitgliedschaft in der Weltbank. Beide Institutionen sind Sonder­ organisationen der UN, die Vereinten Nationen verfugen jedoch über keinerlei Weisungsrecht gegenüber beiden Finanzinstitutionen. Die Weltbank vergibt Kredite aus dem eingezahlten Kapital an Regierungsinsti­ tutionen oder private Unternehmen der Dritten Welt, sofern die jeweilige Regie­ rung für den Kredit bürgt, wobei die gesamtwirtschaftliche Situation des Landes und das Projekt genau geprüft werden. Sie ist die wichtigste internationale Or­ ganisation für Kapitalhilfe an die Entwicklungsländer mit einer Mitgliederzahl von rund 160 Staaten (1992 161 Mitglieder, darunter Rußland und China6), einem Ka­ pitalstock (gezeichnetes Kapital) von 139 Milliarden US-Dollar (1991), Bruttokre-

3 Die Quoten wurden nach einer Formel festgelegt, die das Volkseinkommen, die Gold- und Devi­ senreserven, die Größe des Außenhandels und die Exportabhängigkeit berücksichtigte; zitiert nach: Uwe Andersen, Internationaler Währungsfonds, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch Inter­ nationale Politik, 3. Ausl., Opladen 1986, S. 265-271, S. 265. 4 Vgl. Uwe Andersen, Internationaler Währungsfonds, in: Wichard Woyke, a.a.O., S. 267. 5 Vgl. Uwe Andersen, Weltbankgruppe, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik, a.a.O., S. 492-497, S. 492. 6 Zahlenangaben nach: Ministry of Extemal Relations and Trade of New Zealand, United Nations Handbook 1992, Wellington 1992, S. 263f.

Kapitel 4: Reform der Wehwirtschaftsordnung

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ditauszahlungen von ca. 12 Mrd. Dollar (1991) und ausstehenden Darlehen von 90 Milliarden Dollar (1991).7 * 1960 wurde die Weltbank durch eine Tochtergesellschaft bzw. Tochterbank, die Internationale Entwicklungsorganisation (International Development Association IDA) ergänzt, als Ende der 50er Jahre die Auslandsverschuldung vieler Entwick­ lungsländer „bereits ein Ausmaß angenommen hatte, das weitere Kreditaufnahmen dieser Länder zu kommerziellen Bedingungen nicht mehr tragbar erscheinen ließ.448 Die IDA, die sich durch freiwillige Beitragszahlungen ihrer Mitglieds­ länder finanziert, die immer wiederholt werden - bis Mitte 1991 erfolgten neun Wiederauffüllungen des Finanztopfs9 10 -, vergibt Kapitalhilfe zu „weichen44, „d.h. zu wesentlich günstigeren Bedingungen als sie von einer sich bankmäßig refinan­ zierenden Organisation wie der Weltbank angeboten werden kann.4410 Für IDA-Kredite kommen nur Länder mit einem sehr niedrigen Pro-KopfEinkommen in Frage (1988 max. 790 $), in der Praxis werden die IDA-Mittel zu 90% an Länder mit weniger als 400 $ Pro-Kopf-Einkommen vergeben.11 Al­ lerdings wird die IDA in den letzten Jahren im Verhältnis zu der wachsenden Ar­ mut und Verschuldung der LLDCs nicht genügend mit neuen Mitteln ausgestattet, für die nächsten drei Jahre bekommt sie 18 Mrd. Dollar12, das ist der gleiche Auffüllungssatz wie vorher und angesichts der Inflationsrate und der wachsenden Probleme ein Rückschritt. Der IWF, der ursprünglich nur die Aufgabe der Währungsabsicherung über­ nehmen sollte, besaß von Anfang an eine Besonderheit, die später Anlaß zu heftiger Kritik der Dritten Welt wurde: Im Gegensatz zur Weltbank, die nur die Rentabilität eines Projekts und die technisch-wissenschaftlichen und betriebswirt­ schaftlichen Voraussetzungen prüft, vergibt der IWF seine Kredite, die in der Regel Devisenkredite gegen Hinterlegung eigener Währung darstellen, nur gegen spezielle Bedingungen. Damit wollten die USA bei der Gründung des IWF ver­ hindern, daß IWF-Kredite für langfristige Entwicklungsvorhaben - aus ihrer Sicht

7 Vgl. Weltbank, Jahresbericht 1991, Washington 1991, S. 11 ff. * Rainer Tetzlaff, Internationale Entwicklungsorganisation IDA, in: Dieter Noblen (Hrsg.), Lexikon Dritte Welt, überarb. Neuausgabe, Reinbek 1989, S. 308-309, S. 308. 9 Die Kapitaleinzahlungen machten bis zum 15. Juli 1991 insgesamt 68,9 Milliarden Dollar aus, die ausstehenden Darlehen für Entwicklungszwecke beliefen sich auf 45,5 Milliarden Dollar. Zahlen­ angaben nach: United Nations Handbook 1992, a.a.O., S. 265. 10 Rainer Tetzlaff, a.a.O. " Vgl. ebd. 12 Vgl. Rolf Obertreis, Kaum Hoffnung für die Armen. Von den Versprechen auf dem Gipfel von Rio ist fast nichts geblieben, in: Der Tagesspiegel, 10.1.1993, S. 33.

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Kapitel 4: Reform der Weltwirtschaftsordnung

- „zweckentfremdet44 werden konnten.13 Das ermöglichte dem IWF über seine „ Konditionalsten“, d.h. Bedingungen, Einfluß auf die Binnenwirtschaftspolitik des kreditnehmenden Landes, z.B. Geldschöpfung, Haushaltspolitik, Lohn- und Preispolitik, zu nehmen. Diese Möglichkeit der weitgehenden Einflußnahme gewann vor allem durch die sich verschärfende Verschuldungskrise Ende der 70er Jahre und Anfang der 80er Jahre enorm an Bedeutung, weil in dieser Situation der IWF eine zentrale Funk­ tion als Krisenmanager übernahm: Er setzte in Einzel-Abkommen mit den betref­ fenden verschuldeten Ländern harte wirtschaftspolitische Anpassungsmaßnahmen durch. Diese wirtschaftspolitischen Auflagen, wie Reduzierung der Haushalts­ defizite durch Kürzungen im Sozialbereich, Lohnstopps, Subventionsabbau für Lebensrnittel usw., riefen z.T. vehemente innenpolitische Proteste in den betrof­ fenen Ländern hervor. Notwendigkeit und Folgen dieser Auflagen sind nach wie vor Gegenstand heftiger Kontroversen in allen Wirtschaftsorganisationen der Vereinten Nationen und in den politischen Entscheidungsgremien der Industrie­ länder.14 Forderungen der Entwicklungsländer nach einem höheren Quoten- und Stimm­ anteil sind von den Industrieländern bisher ebenso zurückgewiesen worden wie eine Funktionsausweitung des IWF, z.B. Finanzhilfen bei Exportausfällen zu leisten oder die Finanzausstattung von Rohstoff-Fonds zu übernehmen. Auch der Wunsch der Entwicklungsländer nach einer Koppelung von Währungskrediten mit Entwicklungshilfekrediten fand bisher keine Zustimmung der westlichen Industrie­ länder. Die Entscheidungsstrukturen innerhalb der Weltbankgruppe sollten aber wegen der enormen innen- und sozialpolitischen Auswirkungen ihrer Kreditauflagen für die Länder der Dritten Welt zugunsten der Länder der Dritten Welt geändert werden, d.h. die Länder der Dritten Welt müßten mit einem größeren Stimm­ gewicht in den Gremien der Weltbankgruppe versehen werden: Das würde die Akzeptanz der Kreditpolitik der Weltbank in den betroffenen Regionen und eine bessere Abstimmung zwischen Entwicklungshilfe und Währungspolitik fördern.

13 Vgl. Uwe Andersen, Internationaler Währungsfonds, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik, a.a.O., S. 267. 14 Vgl. zur Haltung des Deutschen Bundestages zur Verschuldungskrise und zur Rolle des IWF: Uwe Holtz (Hrsg.), Verschuldungskrise der Entwicklungsländer. Anhörung im Deutschen Bundestag. Positionen der Fraktionen, Baden-Baden 1988.

Kapitel 4: Reform der Weltwirtschaftsordnung

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Es ist eine kurzsichtige Politik der G-7-Staaten, in den Weltbankgremien alle Veränderungen in dieser Richtung zu blockieren: Wenn man ernsthaft die globa­ len Probleme wie Umweltverschmutzung, Massenmigration und Unterernährung lösen will, welche die Stabilität und das Überleben der ganzen Welt in Frage stellen, dann geht das nur auf dem Wege der Zusammenarbeit und nicht durch Überstimmung der Dritten Welt in den Weltbank-Gremien. Entwicklungshilfe und Währungs- und Kreditpolitik müssen in naher Zukunft sinnvoll organisatorisch miteinander verknüpft werden, d.h. UNDP, UNCTAD, GATT und Weltbank-Gruppe müssen zu einer wirksamen Zusammenarbeit finden, sonst werden viele Gelder der UN-Programme und der Entwicklungshilfepro­ gramme der einzelnen Staaten weiter fehlgesteuert und verschwendet werden, weil sie nicht aufeinander abgestimmt sind. Diese Verknüpfung und Integration der Entwicklungshilfe in der Praxis erscheint mir wichtiger bei der Reform des Wirtschafts- und Sozialbereichs der Vereinten Nationen als z.B. eine Änderung der Zusammensetzung und Tagungsweise des Wirtschafts- und Sozialrats, der besten­ falls ein Diskussionsforum und Analyse-Zentrum für diesen Bereich ist. Die praktische Entwicklungspolitik wird vor Ort, in den Sonderorganisationen der UNO gemacht, ihre Arbeit muß wirksamer koordiniert werden.

4.1.2. Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) Das dritte Standbein der Nachkriegsweltwirtschaftsordnung in der Konzeption der USA und Großbritanniens, die Welthandelsorganisation ITO, fand keine Ver­ wirklichung: Zwar kam es noch zu dem Entwurf einer Welthandels-Charta, in der die Grundgedanken und Ziele der Welthandelsorganisation festgehalten wurden, die - nach diversen Modifikationen - von einer internationalen Konferenz in Havanna im März 1948 angenommen und unterzeichnet wurde, die HavannaCharta.15 Parallel zu den Vorarbeiten der Havanna-Konferenz waren bereits konkrete Verhandlungen über eine Reduzierung von Zöllen und anderen Handels­ hemmnissen geführt worden: Das Ergebnis dieser Verhandlungen wurde als das „Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen“ (General Agreement on Tariffs and Trade - GATT) am 30. Oktober 1947 von 23 Staaten in Genf unterzeichnet und trat am 1.1.1948 vorläufig in Kraft.16

15 Vgl. Siegfried Schultz, Die laufende Uruguay-Runde des GATT und ihre Bedeutung für die Entwicklungsländer, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B. 30-31/90, 20.7.1990, S. 11-23, S. 11. 16 Vgl. ebd.

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Ursprünglich sollte das GATT nur die Aufgabe haben, die bereits erzielten Handelserleichterungen vertraglich abzusichern und in die Charta der geplanten internationalen Handelsorganisation ITO einzubringen. Nachdem aber wegen der ablehnenden Haltung im US-Kongreß Präsident Truman darauf verzichtete, die Havanna-Charta zur Ratifizierung dem Kongreß vorzulegen, war die ITO ge­ scheitert.17 Das GATT, nur als Vorgriff auf die ITO konzipiert, blieb ein Torso ohne ei­ gene Rechtspersönlichkeit, ein Vertrag. Dies auch deshalb, weil Handelsverträge, im Gegensatz zur Gründung internationaler Organisationen, von der US-Regierung ohne Zustimmung des Kongresses abgeschlossen werden konnten18. Das GATT ist nach wie vor ein provisorisches Handelsabkommen, das von den Ver­ tragspartnern nur „vorläufig44 angewendet wird - das aber nun schon über vierzig Jahre. De jure ein Handelsabkommen, hat sich GATT de facto zu einer Organisation entwickelt mit den entsprechenden Arbeitsformen und Verwaltungsstrukturen, allerdings mit sehr schwachen supranationalen Kompetenzen: Nach dem zum GATT gehörenden Protokoll über dessen Anwendung verpflichten sich die Unter­ zeichner, „die GATT-Artikel nur anzuwenden, wenn sie mit ihren innerstaatlichen Regeln vereinbar sind44.19 Geltende nationale Gesetze bleiben also in Kraft, auch wenn sie mit GATT-Regeln kollidieren. Trotz dieser institutionellen Schwäche ist das GATT, vor allem auch wegen der machtpolitischen Schwächen der übrigen Weltwirtschaftsorganisationen im Rah­ men der Vereinten Nationen, wovon noch im folgenden die Rede sein wird, ein wesentliches Verhandlungsforum für die Gestaltung der Weltwirtschaft, das in einer Reihe von Verhandlungs-Runden allgemeine Zollsenkungen und die Beseiti­ gung anderer Handelshemmnisse vereinbart hat. Seine Hauptprinzipien sind die Nichtdiskriminierung von Handelspartnern durch Gewährung der Meistbegünstigung, das Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozizät) der eingeräumten Zollkonzessionen, das Verbot mengenmäßiger Ein- und Aus­ fuhrbeschränkungen. Als Ausnahmen gewährt das GATT seinen Mitgliedern das Recht auf einen Zusammenschluß zu Freihandelszonen, obwohl sie die Nichtmit­ glieder zollmäßig diskriminieren, und auf zeitweilige Einfuhrbeschränkungen zum

17 Vgl. ebd., S. 12. 18 Vgl. Siegfried Schultz, a.a.O., S. 11. 19 Ebd., S. 12.

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Schutz der Zahlungsbilanz und bei sektoralen Marktstörungen.20 Die bisher sieben Verhandlungsrunden im GATT führten zum deutlichen Abbau der Importzölle im Durchschnitt, in den Industrieländern betrugen sie nach Ab­ schluß der Tokio-Runde 1979, die eine durchschnittliche Senkung der Zölle für gewerbliche Produkte um ca. 30% vorsah, nur noch ca. 3,5% des Importwertes, in den Entwicklungsländern, denen man Zollzugeständnisse zum Schutz ihrer Wirtschaft gemacht hatte, ca. 11 % des Importwertes.21 Zwar haben die Industrieländer trotz der generell niedrigen Zollschranken gegen Exporte versucht, durch Staffelung der Zölle nach Verarbeitungsgrad und durch gezielte höhere Zollsätze bei den Hauptexportprodukten der Entwicklungsländer die Anbieter aus den Entwicklungsländern von ihren Märkten fernzuhalten, „insgesamt können aber konkurrenzfähige Anbieter aus der Dritten Welt mit den bestehenden Zollsätzen allein nicht mehr abgewehrt werden. Daraus erklärt sich... die Vermehrung sog. nicht-tarifärer Handelshemmnisse“22 Das sind Einfuhrab­ schöpfungen, Preissubventionen, Mengenquotierungen, freiwillige Exportbe­ schränkungen des Lieferlandes nach bilateralen Verhandlungen, um weiterge­ henden Restriktionen des Importlandes vorzubeugen, sowie gezielte Verände­ rungen technischer Normen, von Verpackungs- oder Kennzeichnungsvorschriften oder von Vorschriften über zulässige Inhaltsstoffe. Ein typisches Beispiel für diese andere Form der Handelshemmnisse ist das Multifaserabkommen, das 90% des Welttextilhandels abdeckt und ca. 3000 Pro­ dukt- und Länderquoten enthält. Es soll zwar seinem Anspruch nach den Entwick­ lungsländern einen wachsenden Absatz in den Industrieländern sichern, ist aber „zu einem reinen und ständig verschärften Schutzinstrument der bedrängten Textilindustrie der Industrieländer geworden.“23 Nach Berechnungen der UNDP verursacht das Multifaserabkommen den Entwicklungsländern Mindereinnahmen in Höhe von 24 Milliarden Dollar.24 Man spricht in Zusammenhang mit der wachsenden Flut nicht-tarifärer Handels­ hemmnisse der Industrieländer von einem „Neuen Protektionismus“25, mit dem sich das GATT in seiner laufenden Uruguay-Runde seit 1986 auseinandersetzen

20 Vgl. Joachim Betz, Welthandel, GATT, Protektionismus und die Entwicklungsländer, in: Jahrbuch Dritte Welt 1987, München 1987, S. 62-68, S. 63. 21 Vgl. Joachim Betz, a.a.O., S. 63. 22 Ebd., S. 63. 23 Ebd., S. 65. 24 Vgl. United Nations Development Programme (UNDP), Human Development Report 1992, New York/Oxford 1992, S. 66f. 23 Siegfried Schultz, a.a.O., S. 18.

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muß. Nach der ursprünglichen Planung sollte die Uruguay-Runde 1990 beendet sein, verzögerte sich aber durch einen anhaltenden Disput zwischen der USA und der EG um die Höhe von Agrarsubventionen. Erst nach zweijährigen schwierigen bilateralen Verhandlungen zwischen den USA und der Europäischen Gemeinschaft gelang es, einen Kompromiß in der Frage der Agrarsubventionen zu finden. Im Mai 1994 konnte in Marrakesch die Urugay-Runde durch die Unterzeichnung der Abschlußdokumente beendet wer­ den. Sie umfassen weitere Zollsenkungen bzw. andere Handelserleichterungen im Warenverkehr, Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, über die handelsbezogenen Aspekte von Patent- und anderen Eigentumsrechten an geistigen Produkten, Abkommen über die Regelung von Streitfragen im internationalen Handel sowie - als wohl wichtigsten Baustein - ein Abkommen über die Gründung einer Welthandelsorganisation, der World Trade Organization (WTO), jener Organisation, die 1948 am Widerstand des Senats der USA gescheitert war. Nach über vierzig Jahren ist nun das Provisorium im Handelsbereich beendet. Der Welthandel wird in Zukunft nicht mehr in der lockeren Form der GATT-Kon­ ferenzen geregelt werden, sondern in einer strukturierten Organisation mit einem Generalrat, einer im zweijährigen Abstand tagenden Ministerkonferenz und Komitees für Handel und Entwicklung und Zahlungsbilanzprobleme. Mit dem Aufbau der WTO soll nach den Abkommen von Marrakesch Anfang 1995 be­ gonnen werden.26 Für die Dritte Welt weist das Ergebnis der Uruguay-Runde des GATT Eins­ und Minus-Punkte auf: Einerseits haben sie durch die neuen Abkommen verbes­ serte Zugangsmöglichkeiten zu den Märkten der Industrieländer erhalten, wobei allerdings offen bleibt, wie genau sich die Industrieländer an den Text der GATTAbkommen halten werden. Trotz der Hoffnung auf verbesserten Marktzugang durch den Abbau der Agrar­ importbarrieren in der EG im Zuge des Abschlusses der Uruguay-Runde des GATT im Mai 1994 fürchten die Entwicklungsländer, in anderen Wirtschafts­ sektoren in neue ökonomische Abhängigkeiten von den Industrieländern zu geraten: Sie fürchten, daß sie die Zugeständnisse der Industrieländer beim bes­ seren Marktzugang für die Exportgüter der Entwicklungsländer zu teuer mit Kon­ zessionen bei den Dienstleistungen erkauft haben.

26 Vgl. General Agreement on Tarifiss and Trade - Multilateral Trade Negotiations (The Uruguay Round): Final Act Embodying the Results of the Uruguay Round of Trade Negotiations. in: Inter­ national Legal Materials, vol. XXXIII, H. 1 (January 1994), S. 1-152.

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Die Industrieländer, allen voran die USA, haben nämlich die Einbeziehung der Dienstleistungen, eines schnell wachsenden Sektors der Wirtschaft der Industrie­ länder, in die laufende GATT-Runde durchgesetzt.27 Zu den Dienstleistungen zählen Bankwesen, Versicherungen, Verkehr, Inge­ nieurleistungen, Telekommunikation, grenzüberschreitender Datenverkehr, Tou­ rismus. In den USA beträgt der Anteil der Dienstleistungen an der Wirtschaftslei­ stung bereits über 60% und sichert 3/4 der Arbeitsplätze.28 Von daher wird das Interesse der USA und der anderen ähnlich strukturierten Industrieländer an Regelungen im Dienstleistungsbereich verständlich. Im dem selben Abkommenspaket mit den Dienstleistungen befinden sich auch die außenhandelsbezogenen Investitionsmaßnahmen - TRIMs (Trade-Related Investment Measures) - und die handelsbezogenen Aspekte geistigen Eigentums TRIPs (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights). Auch hier zeigen einige statistische Daten die Bedeutung dieser Bereiche: die USA haben zur Zeit (1991) ca. 400 Mrd. US-$ im Ausland investiert und haben daraus 1989 Einnah­ men in Höhe von 54 Mrd. US-$ erzielt, im Bereich der TRIPs ging den USA durch unzureichenden internationalen Patentschutz usw. bis zum Jahr 1991 ca. 60 Mrd. US-$ verloren.29 Die Entwicklungsländer müssen realistischerweise davon ausgehen, daß die Industrieländer weitgehend die Dienstleistungsstrukturen der Entwicklungsländer bestimmen werden und damit zum einen große Gewinne machen und zweitens wichtige Strukturen für die weitere sozioökonomische Entwicklung vorgeben. Andererseits kann man ein stärkeres Engagement der Industrieländer im In­ frastrukturbereich der Entwicklungsländer auch als Motor für weiteres Wirt­ schaftswachstum ansehen - entscheidend dürfte die Gestaltung der Mitbestimmung der Entwicklungsländer bei der Projektdurchführung und beim Kapitaltransfer sein. Positiv könnte sich auch die Umwandlung der GATT-Konferenz in die Welt­ handelsorganisation WTO für die Entwicklungsländer auswirken, weil in einem solchen strukturierten Rahmen einer Organisation des UN-Systems mit regelmä­ ßigen Konferenzen - alle zwei Jahre - die Chancen für eine bessere Interessen­ artikulation der Dritten Welt und für die erfolgreiche Schlichtung von Handels­ streitigkeiten steigen. Ob dies allerdings tatsächlich zum Nutzen der Dritten Welt sein wird, bleibt abzuwarten.

27 Vgl. Siegfried Schultz, Die laufende Uruguay-Runde des GATT, a.a.O., S. 20. 21 Vgl. Louis Murphy, Unterhändler der Uruguayrunde, a.a.O., S. 1. 29 Vgl. ebd., S. 2.

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4.1.3. Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) Der Gründungszweck des GATT, die Liberalisierung des Handels mit Industrie­ gütern, vernachlässigte das vorrangige Interesse der Entwicklungsländer an Rohstoffabkommen, d.h. über die Preisstabilisierung beim Rohstoffexport in die Industrieländer.30 Nachdem die Entwicklungsländer infolge der Dekolonisierungswelle die UNMehrheit Anfang der 60er Jahre bildeten, erzwangen sie in der UN-GeneralVer­ sammlung mit Unterstützung der Länder des Rates für Gegenseitige Wirtschafts­ hilfe und gegen den Widerstand der Länder des OECD, d.h. der westlichen Indu­ strieländer, nach der Durchführung einer ersten Handels- und Entwicklungskon­ ferenz der Vereinten Nationen in Genf im Frühjahr 1964 im Dezember desselben Jahres die Einrichtung eines gleichnamigen Organs der Vereinten Nationen, der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (United Nations Conference on Trade and Development - UNCTAD).31 Die Sitzungen der Konferenz werden jeweils im Abstand von einigen Jahren ab­ gehalten - bisher 1968 (New Delhi), 1972 (Santiago), 1976 (Nairobi), 1978 (Manila), 1983(Belgrad), 1987 (Genf) und 1992 (Cartagena). Die UNCTAD ist im Kern Ausdruck der Unzufriedenheit der Entwicklungs­ länder mit den bestehenden Institutionen im ökonomischen Bereich und der Ver­ such, das numerische Übergewicht der Dritten Welt im ökonomischen Bereich umzusetzen in einer auf ihre Interessen ausgerichteten Organisation, weil man IWF, Weltbank und GATT eine einseitige Ausrichtung an den Interessen der westlichen Industrieländer vorwarf32: „Ihre Sponsoren verstanden die neue Or­ ganisation als Kokurrenzorganisation zu den von den OECD-Ländem dominierten ,rich men’s clubs4 (also GATT, IWF und Weltbank) und siedelten sie im Grenz­ bereich zwischen einem ,politischen Organ4, in dem das UN-Gleichheits- und Mehrheitsprinzip galt, und einer Spezialorganisation an44.33 Sie erhielt den Status eines Organs der UN-GeneralVersammlung und wird

30 Vgl. Franz Nuscheler, UNCTAD: Ein Beispiel für die Ohnmacht politischer Institutionen, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Deutsche und internationale Entwicklungspolitik. Zur Rolle staatlicher, supranationaler und nicht-regierungsabhängiger Organisationen im Entwicklungsprozeß der Dritten Welt, Opladen 1990, S. 103-120, S. 105. 31 Vgl. Franz Nuscheler, UNCTAD, a.a.O., S. 105. 32 Uwe Andersen, UNCTAD, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik, a.a.O., S. 465-469, S. 465. 33 Franz Nuscheler, UNCTAD, a.a.O., S. 105.

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daher auch aus den allgemeinen Etatmitteln der UN finanziert. Die OECD-Länder waren gegen eine Institutionalisierung der Policy-Bereiche Handel und Entwick­ lung außerhalb der schon bestehenden internationalen Organisationen: „Nachdem sie ihre Gründung nicht verhindern konnten, versuchten sie, die UNCTAD-Konferenz zu einem bloßen Beratungsorgan abzuwerten und ihren Zuständigkeits­ bereich auf Rohstoffprobleme einzugrenzen, das UNCTAD-Sekretariat auf eine Stabsfunktion zu beschränken und für Beschlüsse in wesentlichen Fragen Sperrmi­ noritäten einzuführen.“34 Um diesen Versuch abzuwehren, die UNCTAD herunterzustufen, schlossen sich auf der Genfer Gründungskonferenz die Entwicklungsländer in der UNCTAD zur „Gruppe der 77“ zusammen - sie umfaßten damals 77 Staaten -, heute gehören dieser Gruppierung etwa 130 Staaten an. Für die Dritte Welt bildete die UNCTAD „von Anfang an ein Forum für die umfassende Behandlung entwicklungspolitischer Themen... und ein institutionelles Zentrum für Verhandlungen über die Forderungen der Entwicklungsländer an die Industrieländer“35, die Forderungen nach einer Reform der bestehenden Weltwirt­ schaftsordnung, nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung.

4.1.4. Die Rolle von UNIDO, UNCDF und UNDP in der multilateralen Ent­ wicklungshilfe der Vereinten Nationen In dem Bemühen, ihre Verhandlungen in der UNCTAD um eine Reform der Weltwirtschaftordnung durch weitere multilaterale Verhandlungsgremien zu unterstützen, setzte die UN-Mehrheit der Dritten Welt in der Generalversammlung die Gründung weiterer Unterorganisationen im Entwicklungshilfebereich durch, die in der Regel formal der Generalversammlung unterstellt wurden, in der Hoffnung, damit für einzelne Bereiche und Zwecke weitere Finanzmittel der Indu­ strieländer über die Vereinten Nationen in die Dritte Welt leiten zu können und auf der jeweiligen Fachebene zu internationalen Abkommen zu gelangen. Die wichtigsten drei aus dieser Gruppe von UN-Organisationen sind die UNI­ DO, das UNCDF und das UNDP:

34 Ebd., S. 106. 35 Uwe Andersen, UNCTAD, a.a.O., S. 465.

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1. Die UNIDO, die UN-Sonderorganisation für industrielle Entwicklung (United Nations Industrial Development Organization) wurde 1966 als Umsetzung einer der ersten Forderungen der UNCTAD gegründet, um die Industrialisierung der Entwicklungsländer voranzutreiben.36 Die Entwicklungsländer konnten sich 1966 noch nicht mit ihrer Forderung nach einer völligen Gleichstellung der UNIDO mit anderen UN-Sonderorganisationen durchsetzen, sie blieb organisatorisch, personell und finanziell von der General­ versammlung abhängig. Erst 1975 beschloß die 2. Generalkonferenz der UNIDO, die UNIDO in eine echte UN-Sonderorganisation mit eigenständigem Mandat, voller Budget- und Per­ sonalhoheit und eigener Organisationsverantwortung umzuwandeln, 1979 wurde das Statut der UNIDO verabschiedet, 1985 nach dessen Inkrafttreten wurde das nun gemäß Art. 57 der Charta erforderliche Sonderabkommen mit den Vereinten Nationen zur Regelung der Beziehungen der UNIDO zur UNO geschlossen, das 1986 in Kraft trat.37 Diese Entstehungsgeschichte der UNIDO spiegelt den Kampf der Industrie- und Entwicklungsländer um die Kontrolle und Finanzierung der Entwicklungshilfeor­ ganisationen im System der Vereinten Nationen wider: Die Entwicklungsländer strebten mit der vollen Unabhängigkeit auch eine Befreiung von der Bevormun­ dung der Industrieländer an. Auf ihrer 2. Konferenz 1975 in Lima beschloß die UNIDO das bekannte „Li­ ma-Ziel“, das besagte, daß die Entwicklungsländer bis zum Jahr 2000 ihren Anteil an der Weltindustrieproduktion von bis dahin 9 auf 25% steigern sollten. Diesem Ziel ist man immerhin etwas nähergekommen: 1988 konstatierte der UNIDO-Bericht „Industry and Development 1989/90“38 einen Anteil der Entwick­ lungsländer (China ausgenommen) an der Weltindustrieproduktion von 13,8 % und prognostizierte für das Jahr 2000 17,2%. Die UNIDO leidet aber wie die anderen UNCTAD-Geschwister unter der man­ gelnden Finanzausstattung durch die westlichen Industrieländer und unter deren Zurückhaltung bei der Festlegung auf inhaltliche Ziele.

36 Die UNIDO wurde am 17.11.1966 auf Beschluß der Generalversammlung durch Umwandlung des UN-Zentrums für industrielle Entwicklung als autonome Unterorganisation der Vereinten Nationen gegründet (GA Res. 2152 (XXI) vom 17.11.966. 37 Vgl. Bianca L. Rau-Mentzen/Georg von Koppenfels, UNIDO - Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, a.a.O., S. 939-944, S. 940. 38 Vgl. United Nations Industrial Development Organization, Industry and Development. Global Report 1989/90, UN Doc. ID/364, UNIDO-Publ. E.89.UI.E.5, Wien 1989, S. 11.

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2. Der UN-Kapitalentwicklungsfonds UNCDF (United Nations Capital Develop­ ment Fund), 1966 als Instrument der Kapitalhilfe von der UN-Generalversammlung als ein autonomes Organ der Generalversammlung mit den Stimmen der Dritten Welt gegründet39, war er gedacht „als Alternative zu den von den Kapitalgeberländem, den westlichen Industrieländern beherrschten, internationalen Finanzierungsinstituten Weltbank und IWF“40, als Investitionsinstrument des UNDP. Er sollte unter den Kontrolle der UN-Generalversammlung den Entwick­ lungsländern Zuschüsse und Kredite zu günstigen Bedingungen gewähren. Das Konzept war lange Zeit nicht realisierbar, weil die westlichen Industrielän­ der den Beitragsaufbringungskonferenzen fernblieben, so verfugte der Fonds 1987 nur über 18 Mill. US-$.41 Inzwischen kommen jedoch in wachsendem Maß UNCDF-Mittel aus den OECD-Ländem; so haben sich die jährlichen Mittel des UNCDF im Vergleich zu 1987 1990 verdreifacht. Die Beiträge stammen vor al­ lem aus den skandinavischen Ländern (1990: 12 Mill. US-$), aber auch seit neuestem aus Frankreich, Italien, und seit 1990 aus Japan und den USA.42 Sie haben erkannt, daß UNCDF die Lücke zwischen der technischen Hilfe - durch die UNDP - und die großvolumige multilaterale Kapitalhilfe der Weltbank füllt, indem sie als multilaterale Finanzierungsagentur für Kleinprojekte in den am wenigsten entwickelten Ländern, den LLDCs, grundbedürfnisorientierte Basispro­ jekte im ländlichen Bereich fördert.43 Die Bundesrepublik weigerte sich im Jahr 1990 allerdings, in den UNCDF weitere Mittel einzuzahlen, mit dem Argument, ihre Finanzmittel auf „bewährte multilaterale Kanäle44 - sprich die Weltbank konzentrieren zu wollen, wie Dr. Fischer vom Bundesministerium für Wirtschaft­ liche Zusammenarbeit 1990 in einem Interview ausführte44, obwohl die Förderung von Basisprojekten ja eigentlich ein erklärtes Ziel der Entwicklungspolitik der Bundesrepublik ist. Die eigentliche Motivation für den Beitragsboykott der Bun­ desrepublik gegenüber dem UNCDF nennt Dr. Fischer ebenfalls in dem Inter­ view: „UNCDF ist in den 60er Jahren gegründet worden - auf sehr starken Druck der Entwicklungsländer, gegen sehr großen Widerstand der meisten Industrielän-

39 Gegründet durch Resolution GA Res. 2186 (XXI) im Jahr 1996. 40 Dieter Noblen, UNCDF, in: Dieter Noblen, Lexikon Dritte Welt, überarb. Neuausgabe, Reinbek 1989, S. 676. 41 Vgl. ebd., S. 676. 42 Vgl. Ulrich Keller, Diese Politik schrankt ein, Interview mit Dr. Fritz Fischer vom Bundesmini­ sterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, in: UNDP-Informationsdienst, hrsgg. von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Nr. 42, August 1990, S. 4-5, S. 4. 43 Vgl. ebd. 44 Vgl. ebd.

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der. Solche Konstruktionen stoßen - wenn nicht die Hauptgeber mit voller Über­ zeugung dahinter stehen - von Anfang an auf Schwierigkeiten und entfalten sich selten zu voll wirksamen Instrumenten.“45 Mit anderen Worten, aufgrund der Ent­ stehungsgeschichte des UNCDF will die Bundesregierung dort nicht einzahlen, obwohl andere westliche Industrieländer - die wohl pragmatischer handeln - den besonderen Stellenwert des UNCDF in den letzten Jahren erkannt haben. 3. Als wichtige Ergänzung zur UNCTAD im Bereich der Entwicklungshilfe wurde 1965 das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme - UNDP) als Spezialorgan der UNO gegründet.46 Es sollte ein zentrales Finanzierungs- und Koordinierungsgremium für die Entwicklungshilfe innerhalb der UN werden, stieß jedoch von Anfang an in seiner Steuerungs- und Koordinierungsrolle auf den Widerstand der UN-Sonderorganisationen, wie FAO, ILO, UNESCO etc., die lieber in ihrem jeweiligen Bereich selbständig und finanziell unabhängig operieren wollten.47 Erst nachdem eine von der UNDP in Auftrag gegebene Studie über die Lei­ stungsfähigkeit des UNDP, die eine Expertengruppe unter Leitung des Australiers Robert Jackson 1969 erstellte, gravierende Mängel in der Koordinationsfunktion des UNDP aufgedeckt hatte, verabschiedete die Generalversammlung im Dezem­ ber 1970 in der sog. „Konsensus-Resolution“48 ein Regelwerk für die Zusammen­ arbeit von UNDP und den Sonderorganisationen und schuf für die Koordination vor Ort in den Entwicklungsländern den „Resident Representative“. Seitdem bildet das UNDP tatsächlich die Koordinationsstelle für die Planung und Finanzierung der Entwicklungshilfe im Bereich Technische Hilfe innerhalb des Systems der Vereinten Nationen. Relativ gut mit Finanzmitteln der westlichen Industrieländer, die 90% der Mittel aufbringen, ausgestattet, plant und unterstützt das UNDP über 7.000 Projekte in mehr als 150 Staaten, die in der Regel nicht von ihm selber, sondern zu über 90% von den übrigen UN-Sonderorganisationen wie FAO, UNESCO, ILO usw. im Auftrag von UNDP durchgeführt werden. Der Akzent liegt, weil Kapitalhilfe vom Weltbanksystem geleistet wird, auf Technischer Hilfe, d.h. Schaffung der Voraussetzungen für wirtschaftliche Ent­ wicklung durch Erschließung von Ressourcen, Ausbildung von Fachleuten, Ver-

45 Ebd. 46 GA Res. 2029 (XX) vom 22.11.1965. 47 Vgl. Herbert Sahlmann, UNDP - Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, a.a.O., S. 895-900, S. 895. " GA Res. 2688 (XXV) vom 11.12.1970.

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Besserung der öffentlichen Verwaltung, Ausbau des Gesundheitswesens usw.49 Die Arbeit des UNDP, seine hohe Qualität ihrer fachlichen Planungen und pragmatische Vorgehen ihrer Mitarbeiter, verschaffte ihm - im Gegensatz zu vielen der anderen UNCTAD-„Geschwister44 - eine kontinuierliche Unterstützung im Westen und ein hohes Ansehen in der Dritten Welt. Das UNDP praktiziert ein Vergabeverfahren, das dem Empfängerland einen großen Einfluß auf die Mittelvergabe einräumt: Nach einer globalen Aufteilung der zu erwartenden Finanzmittel des UNDP auf die Entwicklungsländer nach Kriterien der Bedürftigkeit und der Bevölkerungsgröße für einen 5-Jahres-Zeitraum können die einzelnen Entwicklungsländer weitgehend selbst entscheiden, in welchen Bereichen sie die Mittel einsetzen wollen. Sie erarbeiten zusammen mit dem UNDP-Vertreter vor Ort und unter sektoraler Beratung der UN-Sonderorganisationen ein sogenanntes Länderprogramm, das dem UNDP-Verwaltungsrat zur Bewilligung vorgelegt wird. Dieses sehr demokratische Verfahren fuhrt jedoch in seiner Konsequenz dazu, daß der Einfluß der Geberländer zurückgegangen ist, was nicht deren ungeteilten Beifall fand und dazu geführt hat, daß die Industrieländer schrittweise wesentlich mehr Mittel an die Weltbankgruppe geben, weil dort der Gebereinfluß durch Mehrheitsentscheidungen der Hauptkapitalgeber wesentlich mehr ausgeprägt ist.50 Dies ist bedauerlich, weil der Weg über UNDP, das heißt mit größerer Betei­ ligung der Empfängerländer zwar eventuell größere Risiken und Frustrationen für die Geberländer bedeutet, die häufig andere Schwerpunkte setzen würden, ande­ rerseits aber die Mitbestimmung der Empfängerländer deren Eigenverantwortung beim Aufbau ihrer Wirtschaft fördert statt sie in der Position von Almosenempfängem festzuhalten. Um auf die Interessen der Geberländer bis zu einem gewissen Umfang Rück­ sicht zu nehmen, praktiziert der UNDP-Verwaltungsrat das Konsens-Beschlußverfahren, das den Geberländern größeren Einfluß als Mehrheitsentscheidungen einräumt, weil erst bei Einigung bzw. Einmütigkeit die Entscheidung getroffen wird. Dies geschieht vor allem mit Rücksicht auf die USA, die häufig in der UN ihre zugesagten Leistungen verweigert hatte, wenn diese gegen ihren Willen in Mehrheitsentscheidungen zustande gekommen waren.51

49 Vgl. Herbert Sahlmann, a.a.O., S. 8955. 30 Vgl. Herbert Sahlmann, a.a.O., S. 899. 31 Vgl. ebd.

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Es ist zu hoffen, daß die G-7-Länder so viel politische Vernunft aufbringen, die UNDP als effektives Instrument der Entwicklungshilfe in der UNO genügend mit Finanzmitteln auszustatten, statt ihre Entwicklungshilfe-Gelder der WeltbankGruppe verstärkt zuzuleiten. Die Entwicklungsländer schätzen wegen ihres relativ großen Einflusses UNDP sehr, weil sie das UNDP nutzen können, um Finanzierungslücken in Programm­ bereichen zu füllen, welche die Kapitalgeber aus den Industrieländer innerhalb anderer Entwicklungshilfeorganisationen nicht zu finanzieren bereit sind.

4.2.

Die Auseinandersetzung in der UNCTAD um die Neue Weltwirtschafts­ ordnung (NWWO)

Seit Anfang der 70er Jahre war die Neue Weltwirtschaftsordnung eine zentrale Forderung der Dritten Welt. In dem Begriff kommt die Ablehnung der bestehen­ den Weltwirtschaftsordnung zum Ausdruck, welche die Entwicklungsländer als Instrument einer strukturellen Ausbeutung durch die Industrieländer durch unge­ rechte Austauschverhältnisse auf den Weltmärkten und behinderten Zugang zu den Märkten der Industrieländer ansehen. 1974 wurde auf Initiative der „Gruppe der 77“ eine Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen über Fragen der Weltwirtschaft abgehalten, die 6. Son­ dertagung der UN-Generalversammlung. Sie verabschiedete am 1. Mai 1974 im Konsensverfahren eine „Erklärung über die Errichtung einer neuen Weltwirt­ schaftsordnung4452, verbunden mit einem Aktionsprogramm53, das ein Soforthilfeprogramm für die am stärksten von Wirtschaftsproblemen betroffenen Entwick­ lungsländer enthielt. Die Erklärung wurde ergänzt durch eine als Ergänzung zur Charta der Menschenrechte konzipierte „Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten44, die als Resolution der 29. UN-Generalversammlung am 12. Dezember 1974 verabschiedet wurde, mit Gegenstimmen der USA, Groß­ britanniens und der Bundesrepublik.54

52 GA Res. 3201 (S-VI) vom 1.5.1974. 33 GA Res. 3202 (S-VI) vom 1.5.1974. 34 GA Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974. Vgl. Uwe Andersen, Neue Weltwirtschaftsordnung - von alten Konzepten zu neuen Realitäten, a.a.O., S. 35.

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Zu den Programmpunkten der NWWO zählen u.a.:55 - die Anerkennung der Entwicklungsländer (EL) als vollwertige und gleichberech­ tigte Partner der internationalen Gemeinschaft; - gerechte und faire Preisrelationen für die EL; - eine Vorzugsbehandlung (Präferenz) der EL, wo immer möglich, ohne ent­ sprechende Gegenleistung (z.B. bei Zöllen); - die schrittweise Beseitigung von tarifaren und nichttarifären Handelshemm­ nissen, um den EL für Halb- und Fertigwaren den Zugang zu den Märkten der Industrieländer (IL) zu erleichtern; - die Förderung der Diversifizierung der Produktionsstruktur und der Industria­ lisierung der EL; - ein auf die Bedürfnisse der EL abgestimmter Verhaltenskodex beim Techno­ logietransfer und ein Verhaltenskodex für multinationale Unternehmen; - vermehrte und stetige öffentliche Entwicklungshilfeleistungen bei verbesserten Konditionen durch die gesamte internationale Gemeinschaft ohne politische und militärische Bedingungen; - Maßnahmen gegen die Auslandsverschuldung der EL, u.a. die Prüfung eines Schuldenerlasses für die am wenigsten entwickelten EL (LLDCs); - die volle Souveränität eines jeden Staates über seine natürlichen Hilfsquellen und seine Wirtschaftstätigkeit, einschließlich des Rechtes auf Enteignung aus­ ländischen Vermögens und der Regelung der Entschädigung nach inländischem Recht; - eine größere Rolle der Vereinten Nationen bei der Gestaltung der internatio­ nalen Wirtschaftsbeziehungen, verstärkte Berücksichtigung der Entwicklungs­ bedürfnisse in allen Teilorganisationen, u.a. bei der Reform des internationalen Währungssystems; - die gleichberechtigte Teilnahme aller Länder an der Lösung der Weltwirt­ schaftsprobleme, größere Teilhaberrechte der EL im IWF und Weltbank; - die Förderung von Produzentenvereinigungen und eine Reihe weiterer rohstoffpolitischer Maßnahmen zugunsten der EL. Den letzten Punkt, die Rohstoffpolitik, machte die Gruppe der 77 in der UN CTAD zum Kernpunkt ihrer Forderungen in den Verhandlungen mit den Industrieländern. Ihre Forderungen in bezug auf die Rohstoffpolitik wurden in

55 Vgl. Uwe Andersen, Neue Weltwirtschaftsordnung, in: Wichard Woyke, Handwörterbuch Inter­ nationale Politik, a.a.O., S. 360-363, S. 361 f.

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einem „Integrierten Rohstoffprogramm44 in einer Resolution der LJNCTAD IV 1976 zusammengefaßt und ausgeführt: Das „Integrierte Rohstoffprogramm4456 sah die gleichzeitige Aushandlung von internationalen Rohstoffabkommen für 18 Roh­ stoffe vor. Vorgesehen wurde die Fortführung oder Schaffung von Abkommen für folgende Rohstoffe: Bananen, Bauxit, Kaffee, Kakao, Kupfer, Baumwolle, Hartfa­ sern, Eisenerz, Jute, Mangan, Rindfleisch, Phosphat, Kautschuk, Zucker, Tee, Tropenholz, Zinn und Pflanzenöle.57 Es hatte geringere Preisschwankungen und höhere Erlöse für die Entwicklungs­ länder beim Rohstoffexport zum Ziel: In Form von Vereinbarungen mit den Im­ portländern über den Rohstoffimport, den sogenannten Rohstoffabkommen, sollten eine Vielzahl von Instrumenten eingesetzt werden: Vereinbarungen über RohstoffPreise in Zusammenhang mit den Preisen für Importe aus den Industrieländern und mit den Devisen-Wechselkursen in Form einer Preis-Indexierung, multilate­ rale Liefer- und Abnahmeverpflichtungen, Ausgleichslager für eine zeitweilige Überproduktion und ein „Gemeinsamer Fonds44, u.a. zur Finanzierung dieser La­ ger, Ausgleichsfinanzierungen bei Erlösschwankungen, Verbesserung des Ver­ marktung^ und Transportwesens in den rohstoffexportierenden Ländern durch Gelder aus dem Gemeinsamen Fonds.58 Die Finanzierung des gesamten Pro­ gramms sollten im wesentlichen die Industrieländer übernehmen. Weil die Gruppe der 77 in der UNCTAD sich aufgrund der politischen Solidari­ sierung der Dritten Welt zu dieser Zeit und aufgrund der damaligen Stärke des OPEC-Kartells auf dem Höhepunkt ihres Einflusses befand, gelang es ihr, in den UNCTAD-Konferenzen 1976 und 1979 eine Reihe ihrer Forderungen durchzuset­ zen, indem sie sich bei beiden Konferenzen auf das Integrierte Rohstoffprogramm konzentrierte:59 Nach einer Einigung auf UNCTAD V 1979 in Manila wurde der „Gemeinsame Fonds44 wurde 1980 gegründet, der mit 750 Millionen Dollar ausgestattet werden sollte. Allerdings erfolgte die Ratifizierung des Abkommens so langsam, daß der Gemeinsame Fonds erst 1989 in Kraft trat.

36 UNCTAD Res. 93 (IV) vom 30.5.1976. 57 Vgl. Rüdiger Wolfrum, Rohstoffabkommen/Rohstoffonds, in: Rüdiger Wolfmm (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, a.a.O., S. 707-713, S. 710. 58 Vgl. Uwe Andersen, Entwicklungspolitik und »neue Weltwirtschaftsordnung“ in der Kontroverse, in: Politische Bildung, Materialien für den Unterricht für Heft 1/1978 der Politischen Bildung, S. 80fif. 39 Vgl. Franz Nuscheler, UNCTAD: Ein Beispiel für die Ohnmacht politischer Institutionen, a.a.O., S. 106.

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Allerdings ist es nur in wenigen Fällen bei der Verhandlung der Rohstoffab­ kommen gelungen, die Forderungen der Dritten Welt durchzusetzen: Nur zwei Rohstoffabkommen (Kakao und Kautschuk) sind mit einem Warenausgleichslager versehen, das Abkommen über tropische Hölzer enthält statt eines Warenaus­ gleichslagers zur Preisstabilisierung nur Vermarktungshilfen. Rüdiger Wolfrum äußert sich skeptisch über die Aussichten weiterer Rohstoffabkommen: „Die Neuverhandlung weiterer Rohstoffabkommen hat sich als außerordentlich schwie­ rig erwiesen. 4460 Insgesamt muß man bei einer nüchternen Bilanz eher von einem Scheitern des Integrierten Rohstoffprogramms und - weil das Rohstoffprogramm den Kern der NWWO bildete - wohl auch des Kampfes um die Durchsetzung der Neuen Weltwirtschaftsordnung.61 Das Scheitern dieses Kampfes der Dritten Welt zeichnete sich in seinen An­ fängen schon Ende der siebziger Jahre ab, als die Dritte Welt sich mit ihrer Forderung, „Globalverhandlungen44 in einem Verhandlungsorgan über alle Fragen der Weltwirtschaft mit den Industrieländern zu fuhren, nicht durchsetzen konnten. Die westlichen Industrieländer bestanden auf getrennten Verhandlungen in den vorhandenen Gremien Weltbank, IWF, GATT und UNCTAD.62 Noch deutlicher wurde das Scheitern auf den UNCTAD-Konferenzen 1983 und 1987, wo statt konzeptioneller Verhandlungen es nur noch um konkrete Hilfsmaßnahmen für die Dritte Welt ging. Uwe Andersen sieht in UNCTAD VI 1983 und UNCTAD VII 1987 den Wendepunkt im Kampf der Dritten Welt um die NWWO: „Die UNCTAD VI 1983 in Belgrad markiert insofern einen Wendepunkt, als die Dritte Welt auch im Rahmen der UNCTAD die Verhandlungen über die Realisierung der NWWO praktisch aufgegeben und statt konzeptioneller Fragen unmittelbare Hilfsmaßnahmen zum Zentrum der Diskussion gemacht hat, eine Entwicklung, die auch durch UNCTAD VII in Genf bestätigt wurde.4463 Weil sie ihre Forderungen nicht politisch durchsetzen konnten und außerdem bei der Wirtschaftspolitik in ihren Staaten die Erfahrung machten, daß pragmatische Wirtschaftspolitik im Detail besser funktionierte als entwicklungspolitische Kon­ zepte im Weltmaßstab, revidierten die Mehrheit der Staaten der Dritten Welt ihre Konzepte über die Gestaltung des Weltwirtschaftssystems, der Einsatz marktwirt-

60 Rüdiger Wolfrum, Rohslöffabkommen, a.a.O., S. 713. 61 Uwe Andersen, Neue Weltwirtschaftsordnung - von alten Konzepten zu neuen Realitäten, a.a.O., S. 37. 62 Vgl. Uwe Andersen, Neue Weltwirtschaftsordnung - von alten Konzepten zu neuen Realitäten, a.a.O., S. 37. 63 Vgl. ebd., S. 37-38.

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schaftlicher Elemente wird mit Forderungen nach fairen Austauschbeziehungen im Welthandel verbunden. So kommt bezeichnenderweise in der Schlußakte von UNCTAD VII64 der Begriff „Neue Weltwirtschaftsordnung44 nicht mehr vor, und der Text konstatiert, daß sowohl äußere wie innere Faktoren als Ursachen für die wirtschaftliche Lage der Entwicklungsländer herangezogen werden, nur noch ihr jeweiliges Gewicht ist kontrovers: „The roles of extemal economic environment and of domestic policies and structural factors are recognized as contributory elements to the diversity of experiences of developing countries, but judgements differ with respect to the relative weights of these elements.4465 Die Entwicklungsländer heben die Bedeutung der eigenen nationalen Wirt­ schaftspolitik für die Förderung der sozialen und ökonomischen Entwicklung und nennen als wirtschaftspolitische Leitlinie die Entwicklung flexibler Anreizsysteme für die sich verändernden Produktionsressourcen und die Ausweitung der Mög­ lichkeit für unternehmerische Initiative66 - eine Umorientierung in Richtung auf marktwirtschaftliche Konzepte. Selbst in Bezug auf das Welthandelssystem betont zwar der Text die Interde­ pendenz aller Länder in der Weltwirtschaft und beschreibt die Zahlungsbilanzprobleme der Entwicklungsländer und den wachsenden Protektionismus, jedoch ohne bestimmte Ländergruppen dafür verantwortlich zu machen: Entsprechend fordert der Text auch keine grundlegende Umstrukturierung des Welthandels, sondern ein „offenes multilaterales Handelssystem44, das durch den offenen Marktzugang den Entwicklungsländern Entwicklungschancen und Exportmöglich­ keiten einräumt67 - ebenfalls ein klassisches Konzept des internationalen Freihan­ dels. So ist es nur konsequent, daß auch Kenneth Dadzie, der UNGTAD-General­ sekretär in seinem Beitrag zur Einschätzung von UNCTAD VII im Anhang der Schlußakte die „konstruktive Atmosphäre44 der Konferenz, „die internationale Kooperation44 und die „Balance und Ausgewogenheit44 der Schlußakte lobt68 und sich für eine enge Zusammenarbeit mit der GATT, dem klassischen Vertreter marktwirtschaftlicher Ordnungsvorstellungen im Welthandel, wegen „ihrer Kom-

64 UNCTAD, Final Act of UNCTAD VU, Geneva 9 July - 3 August 1987, UN Doc. UNCTADA TD/350. 65 Ebd., para. 8, S. 4. 66 Ebd., para. 14, S. 5. 67 Ebd., para.23, S. 7. 68 Kenneth K.S. Dadzie, A First Evaluation of UNCTAD VII, Adapted from the Statement by Mr. K.K.S. Dadzie, Secretary-General of UNCTAD, at the closure of UNCTAD VII, 3 August 1987. Abgedruckt zusammen mit der Schlußakte von UNCTAD VII, a.a.O., S. 49-50., S. 49.

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plementarität in ihren Bemühungen um die Förderung des Welthandels44 aus­ spricht.69 Noch starker als die Vorgängerkonferenzen war UNCTAD VIII, die vom 8. bis 25. Februar 1992 in Cartagena (Kolumbien) stattfand, geprägt von der Tatsache des drastisch gesunkenen Gewichts der Entwicklungsländer aufgrund der welt­ politischen Veränderungen70, d.h. dem Ende des Kalten Krieges. Sie konnten keines ihrer Verhandlungsziele durchsetzen. Die „Gruppe der 77u forderte auf der ersten Konferenz der UNCTAD nach dem Ende des Kalten Krieges, daß die Industrieländer ihnen eine „Friedensdivi­ dende44 aus den durch die Abrüstungsmaßnahmen in den Industrieländern freiwer­ denden Ressourcen in Form erhöhter Entwicklungshilfe überlassen sollten.71 Die Industrieländer des Westens waren dagegen vor allem daran interessiert, die rezessive Konjunktur in ihren Ländern wieder anzukurbeln. Der eingetretene Wandel der weltpolitischen Strukturen begünstigte dabei die Durchsetzung der Interessen der Industrieländer: Das bis dahin bestehende Grup­ pensystem (A-Gnippe: afro asiatische Staaten, B-Gruppe: westliche Industrielän­ der, C-Gnippe: lateinamerikanische Staaten, D-Gruppe: ehemalige sozialistische Staaten Osteuropas) lockerte sich als Folge der Auflösung der D-Gruppe ins­ gesamt auf, es traten nicht mehr nur die Gruppensprecher in den Verhandlungen auf, sondern eine Vielzahl von Ländervertretem ergriff das Wort in der Plenardebatte. Diese Gruppenauflösung ging vor allem zu Lasten der Entwicklungsländer, zumal innerhalb der Entwicklungsländer deutliche Interessendifferenzen sichtbar wurden: Während zahlreiche lateinamerikanische Staaten die Strukturreform-Vor­ schläge der Industrieländer unterstützten, wehrte sich ein Großteil der afro-asiatischen Staaten gegen die Bestrebung, die UNCTAD zu einem Dialog- und Analy­ seforum zu machen, aus der - nicht unbegründeten - Furcht, die UNCTAD könne dadurch gänzlich zur politischen Bedeutungslosigkeit herabsinken.72

69 Ebd., S. 50. 70 Vgl. Volker Löwe, UNCTAD VM: Auflösung des Gruppensystems, in: Vereinte Nationen, H. 2/1992, S. 59-61, S. 59. 71 Eine Zusammenfassung ihrer Forderungen ist enthalten in den Abschlußdokumenten der 7. Mini­ sterkonferenz der Gruppe der 77 vom November 1991 in Teheran, die auf UNCTAD VHI vorgelegt wurden. Sie umfassen die * Erklärung von Teheran“ , die „ Plattform der Gruppe der 77 für Inter­ nationale Zusammenarbeit“ und ein „Statement der Minister über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsländern“ (United Nations Conference on Trade and Development, Eighth session, Cartagena de Indias, 8 February 1992, UN Doc. TD/356, 29 November 1991). 72 Vgl. Volker Löwe, a.a.O., S. 59.

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Im großen und ganzen konnten sich die Industrieländer mit ihrem Konzept durch­ setzen, wie der Text der Abschlußdokuments von UNCTAD VIII sowie die Resolution zur Strukturreform deutlich machen: Mit Resolution 1995 (XIX) be­ schloß UNCTAD VIII die organisatorische Straffung der UNCTAD.73 Die beste­ henden Ausschüsse wurden bis auf zwei (Ausschuß für Präferenzen und Ausschuß über restriktive Handelspraktiken) aufgelöst und durch nur vier neue Ausschüsse ersetzt, welche die Themen Rohstoffe, Armutsbekämpfung, die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Entwicklungsländer untereinander und Dienstleistungen ab­ decken. Als Ergänzung zu den sechs Ausschüssen erhält das Trade and Deve­ lopment Board der UNCTAD (TDB) - das Lenkungsgremium der UNCTAD zwischen den Konferenzen - zeitlich begrenzte Ad-hoc-Ausschüsse zu den Be­ reichen Finanzströme, Handelseffektivierung, Privatisierung, Handelsausweitung sowie Beziehungen zwischen Investitionen und Technologietransfer.74 Konkrete Verhandlungen über die Wirtschaftsprobleme der Entwicklungsländer, wie sie die afro asiatischen Staaten forderten, sollen - so der Konsens im Ab­ schlußdokument - nur in Einzel fallen erfolgen. So wurde z.B. das Projekt einer Weltrohstoffkonferenz, wie es die afro-asiatischen Länder gefordert hatten, um das Problem der niedrigen Rohstoffpreise auf den Weltmärkten erneut zu verhan­ deln, auf die lange Bank geschoben: In einer im Konsens verabschiedeten Resolu­ tion wird das TDB beauftragt, nach weiteren Vorprüfungen über die Einberufung zu entscheiden.75 Die Rolle der UNCTAD bleibt - trotz gegenteiliger Wünsche der Dritten Welt im Verschuldungsbereich auf analytische Arbeiten - beschränkt, statt ein Ver­ handlungsforum abzugeben. Die westlichen Industrieländer sind mehr an bilatera­ len Verhandlungen zwischen dem einzelnen Schuldnerstaat und den entsprechen­ den Finanzgremien (Pariser Club der G-7-Staaten, Weltbank usw.) interessiert. Das Abschlußdokument enthält keine Zusicherung, die öffentliche Entwick­ lungshilfe um 15 % zu steigern, wie es die am wenigsten entwickelten Staaten, die LLDCs, gefordert hatten. Hinsichtlich der alten Forderung der G-77-Staaten, den Entwicklungsländern neue Sonderziehungsrechte des IWF zuzuteilen, enthält das Abschlußdokument nur die nichtssagende Formel, daß die IWF-Mitglieder diese Frage weiter verfolgen sollten.

73 UNCTAD Res. 1995 (XIX). 74 Vgl. Volker Lowe, a.a.O., S. 60. 75 Vgl. ebd., S. 59.

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Ebensowenig gelang es den Entwicklungsländern, bei den fünf Sektorthemen Ressourcen, Handel, Technologie, Dienstleistungen und Rohstoffe, wesentliche Elemente der vorbereitenden G-77-Ministerkonferenz in Teheran vom November 1991 in dem Abschlußdokument unterzubringen. Im Handelsbereich z.B. räumten die Industrieländer der UN CTAD nicht - wie von den Entwicklungsländern gewünscht - ein Verhandlungsrecht ein, sondern nur die Aufgabe der „Analyse und Diskussion von Handelsfragen44.76 Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, daß die weitgehende konzeptionelle Anpassung der Dritten Welt an das Marktwirtschaftskonzept der Industrieländer ein Ergebnis der Verhandlungstaktik der Entwicklungsländer darstellt, die bei ge­ schwächter Verhandlungsmacht um ihr wirtschaftliches und soziales Überleben kämpfen und deshalb den Forderungen der Industrieländer nachgegeben haben. Damit wird verdeckt, daß trotz der kompromißgefarbten UNCTAD-Dokumente, die einen gewachsenen Realismus der Wirtschaftspolitiker der Dritten Welt wider­ spiegeln, dennoch zwischen Entwicklung^ und Industrieländern große Meinungs­ unterschiede weiterbestehen, weil das marktwirtschaftliche System in der Welt­ wirtschaft die Industriestaaten - bisher zumindest - begünstigt und die Entwick­ lungsländer benachteiligt. Was sind die tieferen Ursachen für das Scheitern der Entwicklungsländer, mit dem Instrument der UNCTAD eine durchgreifende Strukturreform der Weltwirt­ schaft zugunsten der Dritten Welt - ausgedrückt im Konzept der NWWO, das auf Marktregulierung, strukturelle Veränderungen der internationalen Arbeitsteilung und eine Umverteilung der finanziellen Ressourcen abzielte - durchzusetzen? Wie ist dieser Mißerfolg zu erklären? Eine strukturelle Schwachstelle der UNCTAD war zum einen ihre finanzielle Abhängigkeit vom allgemeinen UN-Haushalt. Hier konnten die westlichen Indu­ strieländer als größte Beitragszahler die Drohung mit Beitragsverweigerung für den UN-Haushalt Druck auf die Entwicklungsländer bei den UNCTAD-Verhand­ lungen ausüben.77 Ein weiteres Organisationsdefizit lag darin begründet, daß die UNCTAD anders als IWF, Weltbank und GATT - über keinen eigenen Implementation- und Kontrollmechanismus verfugt: Sie mußte also ihre mageren Verhandlungsergeb­ nisse - z.B. die wenigen Rohstoffabkommen und den Gemeinsamen Fonds anderen Organisationen zur Durchführung überlassen.78

76 Zit. nach Volker Löwe, a.a.O., S. 60. 77 Vgl. Franz Nuscheler, UNCTAD, a.a.O., S. 108. ” Vgl. ebd., S. 108.

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Die Verhandlungstaktik der Gruppe der 77 in der UNCTAD war nicht auf Kon­ sens, sondern auf Pressionen durch Mehrheiten angelegt; das führte bei den westlichen Industrieländern nicht zu wesentlichen Zugeständnissen, sondern zu „einer Verzögerungstaktik und einer Mischung aus Nachgiebigkeit in Teilbe­ reichen, die nicht viel kostete..., und andererseits... Unnachgiebigkeit in ord­ nungspolitischen Grundsatzfragen*479. Auf Seiten der OECD-Länder bestand zwar Interesse an einer „minimalen Koordination konfligierender Interessen**80 und einer Entschärfung des Nord-Süd-Konflikts, um politischen Gewinnen der UdSSR vorzubeugen, aber zugleich eine Aversion gegen marktregulierende Regime mit Umverteilungsmechanismen.81 Die Gruppe der 77 zog keine Lehren für ihre Verhandlungstaktik aus den wenigen zeitweilig funktionierenden Rohstoffabkom­ men (für Kaffee, Kakao, Zucker und Kautschuk), die nur deshalb zustande kamen, weil ein Interessenausgleich zwischen Export- und Importländern gefun­ den wurde.82 Die Verhandlungsmacht der Gruppe der 77 in der UNCTAD wurde auch von der Verschiedenartigkeit und partiellen Gegensätzlichkeit der in ihr vereinigten Interessen geschwächt: während die LLDCs vor allem mehr bi- und multilaterale Entwicklungshilfe wollten, drängten die rohstoffreichen Länder vor allem auf höhere Rohstoffpreise und stabilere Exporterlöse und die Schwellenländer auf den Abbau tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse. Diese Unterschiede zu­ sammen mit einer regionalen Auseinanderentwicklung - die Verarmung Afrikas bei gleichzeitigem Wachstumsschüben in Ost- und Südostasien - boten dem We­ sten Ansätze für ein Aufbrechen der gemeinsamen Verhandlungsfront der Gruppe der 77.83 Die Resolutionen der UNCTAD-Konferenzen konnten keine verbindlichen völkerrechtlichen Normen schaffen84, dazu hätte es internationaler Verträge mit Ratifizierungsverfahren bedurft, die dann aber auch nur für die Beitrittstaaten gegolten hätten, doch wären sicher die OECD-Staaten einem solchen NWWOVertrag nicht beigetreten, so daß die Dritte-Welt-Länder auch so ihr Ziel nicht erreichen konnten. Die Resolutionen kann man als einen Versuch ansehen, dieses Dilemma zu umgehen, indem man auf dem Wege des „soft international law** das

79 Dieter Kebschull u.a., Handels- und Entwicklungspolitik im Nord-Süd-Dialog. Rückblick und Ausblick nach UNCTAD VI, Hamburg 1985, S. 357. *> Vgl. Franz Nuscheler, UNCTAD, a.a.O., S. 110. " Vgl. ebd., S. 110. 82 Vgl. ebd., S. 110. 83 Vgl. ebd., S. 114. 84 Vgl. ebd., S. 110.

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Völkerrecht weiterentwickelt. Dies ist sicherlich zum Teil gelungen, aber es entstanden bisher daraus keine allgemein anerkannten völkerrechtlichen Normen, weil ein Teil der Akteure, die westlichen Industrieländer, die Normen und Ver­ fahren der Neuen Weltwirtschaftsordnung ablehnen. Vor diesem Hintergrund ist es positiv zu werten, daß auf der Wiener Men­ schenrechtskonferenz 1993 das Schlußdokument, die „Wiener Erklärung“, nicht nur das Recht auf Entwicklung bekräftigt als „einem allgemeingültigen und unver­ äußerlichen Recht und als einem integralen Bestandteil der grundlegenden Men­ schenrechte“, sondern darüberhinaus die Weltkonferenz die internationale Ge­ meinschaft aufruft, „alle Anstrengungen zu unternehmen, um zur Verringerung der Auslandsschuldenbelastung der Entwicklungsländer beizutragen, um so die eigenen Bemühungen der Regierungen dieser Länder um die volle Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ihrer Bürger zu unterstützen. ... Das Bestehen weitverbreiteter extremer Armut behindert die volle und wirksa­ me Durchsetzung der Menschenrechte; ihre sofortige Linderung und längerfristige Beseitigung muß nach wie vor für die internationale Gemeinschaft hohe Priorität haben.“85 Damit wurde nicht nur erstmals in einem UN-Menschenrechtsdokument das Recht auf Entwicklung als grundlegendes Menschenrecht bezeichnet, sondern zu­ gleich festgehalten, daß Armut den Genuß der Menschenrechte verhindert und da­ mit die Bekämpfung der Armut zu einer völkerrechtlichen Pflicht der Vereinten Nationen wird, weil andernfalls grundlegende Menschenrechte verletzt werden.

4.3. Die ökonomische und soziale Situation der Dritten Welt Anfang der neunziger Jahre

Es bleibt zu fragen, ob die erfolgreiche „Abwehr“ der NWWO durch die west­ lichen Industrieländer nicht ein verheerender Pyrrhus-Sieg ist, wenn man sich die rasante Verschlechterung der sozialen und ökonomischen Situation in vielen Teilen der Dritten Welt vor Augen hält, die die Entwicklungspolitiker in der UN

M World Conference on Human Rights, The Vienna Declaration and Programme of Action, Adopted 25 June 1993 by the World Conference on Human Rights, Published by the UN Department of Public Information, New York 1993, United Nations Publication Sales No. DPI/1394-39399-August 199320M; deutsche Übersetzung des englischen Originaltexts vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland, veröffemtlicht in: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (Hrsg ), Gleiche Menschenrechte für alle. Dokumente zur Menschenrechtsweltkonferenz der Vereinten Nationen in Wien 1993. DGVN-Texte 43. Bonn 1994, S. 13-46, S. 17f.

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von der 80er Jahren als einem „verlorenen Jahrzehnt44 für die Dritte Welt spre­ chen läßt, wobei die Feststellung vor allem für Afrika südlich der Sahara zutrifft, denn Wirtschaftswachstum, Anteil am Welthandel und Pro-Kopf-Einkommen sind regional sehr ungleich verteilt. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts pro Kopf betrug zwar zwischen 1980 und 1989 für alle Entwicklungsländer insgesamt 3,4%, aber das Wachstum war regional sehr ungleich verteilt: in Südostasien betrug die Wachstumsrate 2,9%, in Ost- und Südostasien (ohne China) 3,3,%, in den arabischen Staaten 0,5%, Lateinamerika wies ebenso wie Afrika südlich der Sahara einen Rückgang des Bruttosozialpro­ dukts pro Kopf auf - um 0,4% bzw. 1,7% jährlich. Während insgesamt der Anteil der Entwicklungsländer am Welthandel von 1970 bis 1989 auf einem niedrigen Niveau annähernd gleich blieb - 18,9% 1970 im Vergleich zu 19,4% 1989, nahm der Anteil Afrikas südlich der Sahara drastisch ab von 3,8% auf 1 %, der Anteil an ausländischen Privatinvestionen für diese Region fiel von 24,8% auf 15%.86 Technologische Entwicklungen haben den Rohstoffbedarf der Industriepro­ duktion weiter gesenkt, so daß sich der Preisverfall für die meisten Rohstoffe fortgesetzt hat. Hinzu kommt eine Überproduktion durch großen Devisenbedarf für den Import aus Industrieländern. Die Entwicklungen im Rohstoffbereich waren und sind wiederum eine Haupt­ ursache der Verschuldungskrise vieler Entwicklungsländer, d.h. sie verschlechtern ihre Möglichkeiten, durch Exporterlöse Gelder für den Schuldendienst auszubrin­ gen.87 Ein Gläubigerkartell der Dritten Welt, das den Schuldendienst mit mehr Aus­ sicht auf Erfolg verweigern könnte, weil es einen größeren Druck auf das private Bankensystem ausüben könnte, ist nicht zustande gekommen: zum einen wegen der sehr unterschiedlichen Schuldensituation, zum anderen, weil die Regierungen der westlichen Industrieländer mit Kreditsperren für diesen Fall gedroht haben.88 Zwar haben IWF und Weltbank im Verbund mit den Wirtschafts- und Finanzmi­ nistem des G-10-Klubs (der 10 größten westlichen Industrieländer) einen großen internationalen Finanzkrach durch mehrere Umschuldungs- und Schuldenkür­ zungsaktionen verhindert, eine grundlegende Sanierung ist jedoch nicht in Sicht, im Gegenteil, in vielen Entwicklungsländern wächst die Schuldenbelastung noch.

86 Vgl. UNDP, Human Development Report 1992, a.a.O., S. 35ff. 87 Vgl. ebd., S. 39. ” Vgl. Uwe Andersen, Neue Weltwirtschaftsordnung - von alten Konzepten zu neuen Realitäten, a.a.O., S. 39.

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Allein von 1990 bis 1992 stiegen die Gesamtschulden der Entwicklungsländer bei Regierungen, privaten Banken und internationalen Organisationen von 135089 auf rund 1700 Milliarden Dollar90, eine Steigerung um 25 Prozent. Zwar haben einzelne hochverschuldete Länder Lateinamerikas wie Argentinien, Mexiko oder Venezuela zum Beispiel durch Umschuldungsabkommen mit den privaten Banken wieder Zugang zu den Finanzmärkten, sodaß von den 134 Mrd. Dollar, die 1992 nach Angaben der Weltbank in den Süden fließen, über die Hälfte an Mexiko, Brasilien und Argentinien geht, jedoch bleibt für sie wie für alle anderen hoch­ verschuldeten Staaten die wirtschaftliche und soziale Lage äußerst instabil. Am meisten leiden die Länder Schwarzafrikas unter der Verschuldung. Zwar sind die Schulden Schwarzafrikas mit 183 Milliarden Dollar insgesamt im Ver­ gleich zur Verschuldung mancher lateinamerikanischer Länder - Brasilien weist 1992 eine Verschuldung von 116,5 Milliarden Dollar auf - relativ gering, aber für die Wirtschaftskraft dieser Länder sind sie viel zu hoch. Sie betragen knapp über 100 Prozent ihres Bruttosozialprodukts - in Lateinamerika machen sie 50 Prozent des Bruttosozialprodukts aus.91 Wenn wir an Umwelt- und Flüchtlingsprobleme denken und an die Interde­ pendenz aller sozioökonomi sehen Prozesse in weltweitem Maßstab, dann war es nicht nur ein „verlorenes Jahrzehnt44 für die Entwicklungsländer, sondern für die ganze Welt.

4.4. Die Interessenlage der Industrieländer innerhalb der Weltwirtschaftsordnung: Dominanz oder Interdependenz

Für die Industrieländer des Westens liegt es nahe, die für sie günstige weltwirt­ schaftliche Situation in den Wirtschaftsorganisationen der Vereinten Nationen ausnutzen, d.h. weiter ihre Verzögerungstaktik anzuwenden, was größere Finanz­ hilfen für hochverschuldete Länder und die Steigerung der Entwicklungshilfe sowohl bi- wie multilateral - anbetrifft, da die Entwicklungsländer - wie oben ausgeführt - z.Zt. kaum über eine nennenswerte Verhandlungsmacht verfügen. Das wäre jedoch mittel- und langfristig sehr unklug, da Fortschritte in anderen Bereichen des internationalen Systems - im Abrüstungsbereich oder bei den wel-

” Zahlenangabe aus: UNDP, Human Development Report 1992, a.a.O., S. 45. 90 Zahlenangabe nach: Schuldenkrise für Banken weitgehend vorüber, in: Der Tagesspiegel, 17.12.1992, S. 26. 91 Vgl. UNDP, Human Development Report 1992, a.a.O., S. 45.

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tweiten Umweltproblemen - davon abhängen, ob die Entwicklungsländer über die erforderlichen sozialen und ökonomischen Ressourcen verfugen, um hier Maß­ nahmen anpacken zu können: Abrüstung in der Dritten Welt setzt z.B. ausrei­ chende materielle Lebensbedingungen für die Bevölkerungsmehrheit voraus, sonst ist das Konfliktpotential der Gesellschaft zu hoch; Armut trägt zu einem starken Bevölkerungswachstum bei, das wiederum Migrations-, Flüchtlings- und Um­ weltprobleme verstärkt, auch hier sind finanzielle Hilfen die Voraussetzung für Fortschritte. Außerdem würden bei einer sozialen, wirtschaftliche und finanziellen Entwick­ lung der Dritten Welt die Industrieländer einen wirtschaftlichen Nutzen durch wachsenden Export im Rahmen eines stärkeren Handels mit den Entwicklungs­ ländern haben. Hier sind umfassende Konzepte der Industrieländer für die Lösung der Schul­ den-, Umwelt- und Bevölkerungsprobleme gefragt, welche die Interdependenzen der Probleme im Entwicklungsland, aber auch im Weltwirtschaftssystem berück­ sichtigen. Vielleicht können die Organisationen im System der Vereinten Natio­ nen, z.B. UNIDO, UNDP, UNEP, UNCTAD zur Entwicklung solcher neuen, den jetzigen Bedingungen angepaßten Konzepte Hilfestellung leisten.

Kapitel 5 Umweltprobleme 5.1. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP

Erstaunlicherweise haben die Vereinten Nationen das Problem des internationalen Umweltschutzes lange Zeit ignoriert, obwohl Schadstoffemissionen in ihren Aus­ wirkungen nicht vor Grenzen haltmachen und im Falle der Meeresverschmutzung nur internationale Lösungen überhaupt durchführbar sind wegen des internationa­ len Charakters der Meere außerhalb der nationalen Hoheitszonen. Einerseits spielten wohl die komplizierten Souveränitätsfragen eine Rolle bei dem Zögern, sich mit dieser Frage zu beschäftigen, z.B. die Frage, ob und falls ja, in welchem Maße ein Staat dafür haftet, daß ein Bürger seines Landes eine Schadstoffemis­ sion verursacht, welche die Bürger des Nachbarstaates schädigt oder ob sich die Betroffenen zivilrechtlich auf dem Wege eines individuellen Gerichtsverfahren darüber auseinandersetzen müssen. Außerdem wurden bis in die siebziger Jahre hinein auch innerhalb der Staaten Umweltprobleme kaum wahrgenommen und in den politischen Gremien behandelt. Erst Ende der sechziger Jahre begann die Diskussion von Umweltproblemen in den Vereinten Nationen. Ausgangspunkt war eine Resolution der UN-Generalversammlung von 1968, die zum Ausdruck brachte, „daß Maßnahmen auf natio­ naler, regionaler und internationaler Ebene notwendig seien, um die Schädigung der Umwelt der Menschen zu begrenzen und seine natürliche Umgebung zu verbessern.“1 Die Generalversammlung beschloß, für 1972 eine Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen, die United Nations Confe­ rence on the Human Environment (UNCHE), einzuberufen. Im Juni 1972 fand die erste Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen (UN-Umweltkonferenz) in Stockholm statt, an der sich 1200 StaatenVertreter aus 113 Ländern und Vertreter von 400 nationalen Einrichtungen beteiligten. Sie verabschiedete einen Umweltschutz-Aktionsplan2: Er enthält eine allgemeine Deklaration, 26 Prinzipien und den eigentlichen Arbeitsplan, der 109 Empfeh­ lungen mit einzelnen Planzielen umfaßt. Sie bildeten das Fundament für die inzwi­ schen stark angewachsene Sammlung völkerrechtlicher Texte zum Umweltschutz

' GA Res. 2398 (XXIII) vom 3.12.1968. 2 United Nations Conference on Human Environment, Final Report, UN Doc. A/CONF.48/14/Rev. 1.

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unterschiedlicher Rechtsqualität - Resolutionen, Deklarationen und rechtlich verbindliche Konventionen. Die Grundlage der weiteren Arbeit der Vereinten Nationen im internationalen Umweltschutz bildete die Gründung des UN-Umweltprogrammes (United Nations Environment Programme - UNEP), die auf der Stockholmer Konferenz beschlos­ sen wurde. Auf der Grundlage der Empfehlungen der Stockholmer Konferenz schuf die UN-General Versammlung im Dezember 1972 das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP).3 Seine Aufgabe sollte darin bestehen, die Umweltaktivitäten der verschiedenen Organisationen im UN-System zu kooridinieren sowie eigene Umweltüberwachungs- und Umweltschutzprogramme zu entwickeln. UNEP nahm im Frühjahr 1973 seine Arbeit auf. Das UNEP-Sekretariat hat seinen Sitz in Nairobi und damit als erste Unterorganisation der Vereinten Nationen in einem Entwicklungsland. UNEP ist eine in seiner Struktur dem UN-Entwicklungprogramm UNDP äh­ nelnde, verhältnismäßig unabhängige, aber nicht mit eigener Personal- und Bud­ gethoheit ausgestattete Organisationseinheit der UN mit einem angegliederten Fonds.4 Zum Programm von UNEP gehört „Earthwatch“, ein internationales Überwa­ chungssystem mit drei wesentlichen Bestandteilen: einem globalen Umweltüber­ wachungssystem, das ausgewählte veränderliche Größen überprüft, um den Regie­ rungen ausreichende Informationen über Veränderungen in der Umwelt für Um­ weltprognosen und für die Entwicklung von Gegenmaßnahmen gegen die Umwelt­ schäden liefern zu können, einem computergesteuerten Informationsdienst - Infoterra -, der Fragen nach Umweltproblemen an 20.000 Stellen in 100 Ländern weiterleitet, und einem Verzeichnis von potentiell giftigen Chemikalien, das mittels eines Netzes von Mitarbeitern in den Mitgliedsnationen wissenschaftliche Informationen über die Handhabung dieser Chemikalien liefert.5 Eine wichtiger Bestandteil der Arbeit von UNEP ist der Aktionsplan zur Be­ kämpfung des Vordringens der Wüste in der Sudan-Sahel-Zone Afrikas, der 1977 von der Konferenz der Vereinten Nationen über das Vordringen der Wüste in

3 GA Res. 2997 (XXVII) vom 15.12.1972. 4 Vgl. Michael Kilian, UNEP - Umweltprogramm der Vereinten Nationen, a.a.O., S. 909. Die laufenden Verwaltungskosten von UNEP werden aus dem allgemeinen Haushalt der UNO finanziert, UNEP hat also kein eigenes Budget. Die Programmaktivitaten werden aus dem Umweltfonds bestrit­ ten, der von den UN-Mitgliedstaaten aus freiwilligen Beiträgen gespeist wird, die im Vergleich zu anderen UN-Programmen und Organisationen relativ klein sind: 1986 gingen 28 Mill. US-$ als freiwillige Beitrage ein, UNDP flössen im selben Jahr 782 Mill. US-S zu. 3 Vgl. Michael Kilian, UNEP, a.a.O., S. 910.

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Nairobi angenommen wurde: er umfaßt integrierte nationale und internationale Programme zur Landneugewinnung und -bewirtschaftung.6 Ebenso kümmert sich UNEP um den Schutz des Süßwassers und die Wasserversorgung in Dürregebie­ ten. Auf dem Gebiet der Meeresbodenverschmutzung koordiniert UNEP Anti-Meeresverschmutzungsprogramme für den Persischen Golf, das Rote Meer und den Golf von Aden, die Karibik, Ost-, West- und Zentralafrika, die ostasiatischen Meere und den Südpazifik und unterstützt die Erarbeitung von regionalen Kon­ ventionen zum Schutz der Meere.7 Für die nationale Umweltgesetzgebung hat die UNEP Richtlinien und Grundsätze für die Nutzung gemeinsamer Ressourcen von Staaten und des Tiefseebergbaus vor den Küsten entwickelt.8

5.2. Umweltschutz, Entwicklungshilfe und Weltwirtschaftsordnung

Die Probleme des internationalen Umweltschutzes sind nur in Zusammenhang mit der Gestaltung der wirtschaftlichen Strukturen der Staaten, mit der Frage nach dem Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Umwelt zu lösen. Deshalb legten UNEP, FAO und UNESCO in enger Zusammenarbeit mit den NGOs World Wildlife Fund (WWF) und der International Union for the Conser­ vation of Nature and Natural Resources (IUCN) 1980 die „World Conservation Strategy“ vor mit ihrer Forderung nach „sustainable growth“ (dauerhafte, tragfä­ hige Entwicklung)9, die Wirtschaftswachstum mit Natur- und Umweltverträglich­ keit zu verbinden suchte.10 Auf dieser Grundlage basierte auch die „World Char­ ter for Nature*4, die von der UN-GeneralVersammlung am 28.10.1982 angenom­ men wurde. 1983 wurde dann auf Vorschlag der UNEP die World Commission on Environment and Development (WCED), nach ihren Vorsitzenden, der norwe-

6 Vgl. Informationsdienst der Vereinten Nationen (Hrsg.), Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Aufbau, Arbeitsgebiete, deutsche überarbeitete Ausgabe der UN-Publikation DPI/915, herausgegeben vom Informationsdienst der Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen und der Österreichischen Liga für die Vereinten Nationen, Wien 1989, S. 93. 7 Vgl. Informationsdienst der Vereinten Nationen, a.a.O., S. 94. B Vgl. ebd., S. 94. 9 IUCN/UNEP/WWF (Hrsg.), World Conservation Strategy - Living Resource Conservations for Sustainable Development, Gland/Schweiz 1980; Deutsche Ausgabe: IUCN, Weltstrategie für die Erhaltung der Natur, hrsgg. vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Bonn 1980. 10 Vgl. Hartmut Schumann, Schuldenkrise und Umweltschutz. Eine neue Aufgabe für private Umwelt­ schutzorganisationen, in: Europa-Archiv, H. 1/1991, S. 17-26, S. 21.

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gischen Ministerpräsidentin Gro Hartem Bnmdtland, auch Brundtland-Kommission genannt, gebildet. Der 1987 vorgelegte Abschlußbericht „Unsere gemeinsa­ me Zukunft4411 definiert nachhaltige oder dauerhafte Entwicklung („sustainable development44) als einen Weg zum Fortschritt, der den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu gefähr­ den, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Das setze ein Wachstum voraus, das ökologische Grenzen respektiert und die Ressourcen schonend nutzt. Die UNGeneralversammlung nahm dieses Konzept in die Entwicklungsstrategie der Vereinten Nationen auf. Es ist heute unbestritten, daß die Entscheidung für nationale Entwicklungsstrate­ gien und Ressourcennutzungen mit ihren umweltpolitischen Konsequenzen stark von weltwirtschaftlichen Strukturen mitgeprägt werden: Die ungünstige Situation der meisten Entwicklungsländer auf den Weltmärkten hat in ihrer Konsequenz zur internationalen Verschuldungskrise geführt, die neben internen Faktoren die ungünstige Entwicklung der Einkommenssituation für die Bevölkerungsmehrheiten in den Entwicklungsländern und ein starkes Anwachsen absoluter Armut zur Folge hatte, die wiederum die Übernutzung natürlicher Ressourcen nach sich zieht. Diesen elementaren Zusammenhang zwischen Armut und Umweltproblemen hob auch die Resolution hervor12, mit welcher die UN-Generalversammlung am 22. März 1990 eine Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Ent­ wicklung für das Jahr 1992 einberief, die UNCED-Konferenz in Rio de Janeiro. Sie betonte, „daß Armut und Umweltverschlechterung eng miteinander verknüpft sind und daß Umweltschutz in Entwicklungsländern in diesem Zusammenhang als integraler Bestandteil des Entwicklungsprozesses angesehen werden muß, den man nicht isoliert [von dem Entwicklungsprozeß] betrachten kann.44 Auf der im Mai 1990 abgehaltenen Konferenz der schon erwähnten Weltkom­ mission über Umwelt und Entwicklung wurden diese Zusammenhänge erneut in den Statements der Konferenzteilnehmer verdeutlicht: Das starke Bevölkerungs­ wachstum der Entwicklungsländer, das vorwiegend durch absolute Armut bedingt ist, führt zu fortschreitender Umweltschädigung zugunsten der Befriedigung elementarer Bedürfnisse, z.B. durch Rodung für Ackerflächen und Abholzung für Heiz- und Kochzwecke, Überweidung durch Tierhaltung, und damit zur fort­ schreitenden Verschlechterung der Lebensbedingungen. Armut ist also zugleich

11 Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Unsere gemeinsame Zukunft. Der BrundtlandBericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Hrsg. Volker Hauff, Greven 1987. 12 GA Res. 44/228 vom 22.3.1990.

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Ursache und Folge der Umweltverschlechterung.13 Hierbei kommen dem IWF und der Weltbank eine wichtige Rolle zu, die beide in den letzten Jahren angefangen haben, auch den Aspekten des Umweltschutzes bei ihrer Kreditvergabe Rechnung zu tragen, nachdem sie noch 1988 im Vorfeld der Berliner Tagung von IWF und Weltbank wegen der ökologischen Auswir­ kungen ihrer Anpassungsprogramme (IWF) bzw. Entwicklungsvorhaben (Welt­ bank) von Umweltschutzorganisationen heftig kritisiert wurden:14 Nach neueren Veröffentlichungen scheint der IWF nunmehr auch den sozialen und ökologischen Folgen seiner Anpassungsprogramme stärker Rechnung zu tragen.15 Die Weltbank wandelte ihr bisheriges Umweltbüro in eine zentrale Umweltabteilung um, fuhrt seit 1989 Umweltverträglichkeitsprüfimgen für die von ihr geförderten Projekte durch und unterstützt die Länder der Dritten Welt bei der Entwicklung nationaler Umweltschutzpläne, sog. Environment Actions Plans (EAPs).16 Auch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT) beschäftigt sich zunehmend mit Umweltschutzfragen. In einer wachsenden Zahl internationaler Streitbeilegungsverfahren im GATT muß der GATT-Rat entscheiden, ob um­ weltpolitisch motivierte Einfuhr- und Ausfuhrverbote und Pruduktionssubventionen gegen die GATT-Regeln verstoßen. Dabei muß der GATT-Rat eine Güter­ abwägung vornehmen zwischen dem Prinzip eines möglichst ungehinderten inter­ nationalen Handels und dem Recht eines Staates, aus Umweltschutzgründen die Einfuhr von belasteten oder umweltschädigend produzierten Waren zu unter­ sagen.17 Es ist überlegenswert, ob die GATT-Regeln in Bezug auf handelspolitische Umweltschutzmaßnahmen nicht in GATT-Verhandlungen ausgeweitet werden sollten, um weitere Umweltschutzmaßnahmen nicht durch GATT-Regeln zu behindern. Eine vom GATT-Rat 1971 eingesetzte, aber erst 1991 erstmals ein-

13 Vgl. Hartmut Schumann, Schuldenkrise und Umweltschutz. Eine neue Aufgabe für private Umwelt­ schutzorganisationen, in: Europa-Archiv, H. 1/1991, S. 17-26, S. 18. Vgl. dazu auch United Nations Environment Programme (Hrsg.), The State of the World Environment 1989, Washington 1990. 14 Vgl. Hartmut Schumann, a.a.O., S. 19. Vgl. dazu auch die Kritik bei der Anhörung durch den amerikanischen Kongreß: Hearings betöre the Subcommittee on International Development Institutions and Finance of the Committee on Banking, Finance and Urban Affaire, Environmental Impact of Multilateral Development Bank-funded Projects, 98th Congress, Ist session, June 28,1983, in: Congressional Record, Bd. 129, Nr. 92, Washington 1983 (Zitiert nach: Hartmut Schumann, a.a.O., S. 26). 15 Vgl. Heller et al., The Implications of Fund-Supported Adjustment Programs for Poverty, Inter­ national Monetary Fund (Hrsg.), Occasional Paper Nr. 58, Washington 1988. 16 Vgl. Hartmut Schumann, Schuldenkrise und Umweltschutz, a.a.O., S. 20. 17 Vgl. Emst-Ulrich Peteremann, Umweltschutz und Welthandelsordnung im GATT-, OECD- und EWG-Rahmen, in: Europa-Archiv, Folge 9/1992, S. 257-266, S. 258ff.

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berufene „Gruppe über Umwellschutzmaßnahmen und internationalen Handel“ äußerte unterschiedliche Ansichten darüber, ob die GATT-Regeln für einen wirksamen Umweltschutz ausreichen.18 Manche GAU-Diplomaten plädieren dafür, Art. 20 des GAU-Abkommens, der zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen nichtdiskriminierende Einfuhrverbote für zulässig erklärt, zu einem Umweltschutzartikel auszuweiten.19

5.3.

Der Schutz der Ozonschicht und die Frage der weltweiten Klimaver­ änderungen

Die wichtigste Arbeitsbereich der UNEP in den letzten Jahren war der Schutz der Ozonschicht vor den Auswirkungen der Fluorkohlenwasserstoffe und die Frage der Auswirkungen der C02-Emissionen auf die Atmosphäre und das Klima: 1985 wurde auf einer internationalen Konferenz in Wien die Internationale Konvention zum Schutz der Ozonschicht verabschiedet, die im September 1988 in Kraft trat: Sie verpflichtet die Vertragsstaaten zum Schutz der Ozonschicht nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel und entsprechend ihren Fähigkeiten - eine relativ weiche , wirtschaftspolitisch motivierte, Formulierung der Schutzpflicht.20 Am 1. Januar 1989 trat das Zusatzprotokoll zum Wiener Übereinkommen in Kraft, das geregelte Abbaufristen für Produktion und Verbrauch von FCKWs und Halogen-Kohlenwasserstoffen enthält, und eine Halbierung von Produktion und Verbrauch dieser Stoffe bis 1999 im Vergleich zum Niveau von 1986 vorsieht.21 Zu den Fragen der Kohlendioxid-Emission und dem Schutz der tropischen Regenwälder führte die UNEP nach einem Intergovemmental Panel on Climatic Change (IPCC), das im Oktober 1990 stattgefunden hat, im November 1990 die Zweite Weltklimakonferenz durch.

" Vgl. ebd., S. 263. 19 Vgl. Das GATT befaßt sich nun auch mit grünen Handelshürden. Umwellpolitik verlangt neue Regeln, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.5.1991. 20 Vgl. BGBl 1988 II, S. 901. 21 Vgl. BGBl 1988 II, S. 1014.

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Für die Welt-Umwelt-Konferenz „Umwelt und Entwicklung44 (United Nations Conference on Environment and Development, UNCED) in Brasilien 1992, welche die UNEP vorbereitete22, war die Unterzeichnung einer Rahmenkonven­ tion über die Klimaveränderungen geplant. Deshalb beschloß im Dezember 1990 die UN-General Versammlung zur Ausarbeitung der Klima-Konvention die Einrich­ tung eines „Intergovemmental Committee Negotiating a Framework Convention of Climatic Change44 (INC)23, das in sechs Verhandlungsrunden mit Unterstützung der UNEP und der World Meteorological Organization (WMO) bis zum Kon­ ferenzbeginn der UNCED einen Entwurf für die internationale Rahmenkonvention über Klimaveränderungen ausarbeitete.24 Schon hier zeigten sich die Umrisse jener Interessenkonflikte, die auch die im nächsten Abschnitt erörterte UNCED-Konferenz 1992 in Rio prägten sollten: auf dem schon erwähnten ersten Treffen des Intergovemmental Committee zur Aus­ arbeitung der Klima-Konvention im Februar 1991 gab es Meinungsverschieden­ heiten v.a. in zwei Punkten: Der indische Vertreter forderte - gegen den Wider­ stand der USA - daß die Entwicklungsländer für ihren umweltschonenden Res­ sourcenverzicht ausreichend finanziell entschädigt werden sollen; erst in letzter Minute gelang es, eine Kompromißformel zwischen beiden Standpunkten zu finden. Viele Entwicklungsländer kritisierten, daß sich eine Reihe von Schlüsselindustrieländern weigern, einen präzisen Plan für die Reduzierung der C02-Emission zu akzeptieren.25 Auf dem Weltwirtschaftsgipfel im Juli 1991 legten sich die Regierungschefs der westlichen Industrieländer zwar fest, daß sie bis zur UN­ CED-Konferenz in Brasilien ein wirksames Rahmenabkommen über die Klimaver­ änderung erreichen wollten sowie Verpflichtungen aller Beteiligten zur Begren­ zung der Netto-Emissionswerte für Treibhausgase. Ebenso wollten sie ein Rah­ menabkommen über die Eihaltung und umweltverträgliche Nutzung von Wäldern erreichen.26 Von Modalitäten der Finanzierung war aber im Schlußkommunique nicht die Rede, ein Punkt, der die Einigung mit den Entwicklungsländern bei der UNCED dann auch maßgeblich erschwerte.

22 Einzelheiten der Konferenzvorbereitung sind in einem UNGeneralsekretars enthalten: Preparatory Process For The U.N. Conference On Environment And Development, Report Of The SecretaryGeneral, U.N. Doc. A/CONF. 151ZPC/2 (1990). 23 GA Res. 45/212 vom 21.12.1990. Vgl. dazu: Intergovemmental Committee Negotiating a Frame­ work Convention of Climatic Change, in: Development Forum, vol. 19, H. 2 (April/May 1991), S. 9. 24 Vgl. Martina Palm-Risse, Noch Chancen für den blauen Planeten. Der Schutz des Weltklimas mittels des UN-Rahmenabkommens, in: Vereinte Nationen, Jg. 40, H. 4/1992, S. 122-126, S. 122. 23 Vgl. Intergovemmental Committee, a.a.O., S. 9. 26 Vgl. Für weltweite Partnerschaft. Die wirtschaftspolitische Erklärung der Londoner Gipfelkon­ ferenz, in: Der Tagesspiegel, 18.7.1991, S. 5.

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5.4.

Die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung UNCED 1992

Wie kaum eine UN-Konferenz vorher wurde die Konferenz über Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development UNCED) in Rio vom 3. - 14. Juni 1992 durch detaillierte und umfangreiche wissenschaftliche Studien, zahlreiche Aktionen und Vorbereitungstreffen der Umweltschutzorganisationen und viele Berichte in den Massenmedien und Fach­ zeitschriften schon vor der Konferenz vorbereitet. Sie wurde in der Öffentlichkeit der Industrieländer mit großen Erwartungen begleitet. Auch in bezug auf die Präsenz der Politiker war sie die erste wirklich globale Konferenz der Vereinten Nationen - statt wie üblich UN-Delegierte oder Experten nahmen an ihr über 100 Staats- und Regierungschefs teil - wenn man ihre ein­ drucksvolle Präsenz jedoch mit den Ergebnissen der Konferenz vergleicht, muß man von einem Schaupiel für die Medien sprechen, denn von über 100 Spitzenpo­ litikern hätte man mehr staatsmännische Vernunft erwarten können. Im Vorfeld der UNCED hatten die führenden Politiker die große Bedeutung der Rio-Konferenz betont und sich auf konkrete Ziele festgelegt. So hatte sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, wie Umweltminister Töpfer ankün­ digte, für die Konferenz in Brasilien 1992 anspruchsvolle Ziele gesetzt27: a) die Verschärfung des Montrealer Protokolls zum Schutz der Ozonschicht, mit dem Ziel, bis 1995 die Produktion und Verwendung von FCKW einzustellen; b) die Verabschiedung eines Protokolls zur Begrenzung der C02-Emissionen; c) die Verabschiedung eines Protokolls zum Schutz der Wälder; d) die Verab­ schiedung einer völkerrechtlichen Rahmenkonvention zum Schutz des Klimas auf internationaler Ebene als Rahmen für die vorhandenen Protokolle und weitere zu vereinbarende Protokolle zur Begrenzung von Schadstoffemissio­ nen. Ein Teil dieser Ziel wurde erreicht, ein Teil verfehlt: 1. Anstelle einer geplanten völkerrechtlich verbindlichen „Erd-Charta“ über den Umweltschutz, die dann durch die UN-Mitgliedsländer unterzeichnet und ratifi­ ziert hätte werden müssen, für die aber kein genügender Konsens schon im Vorfeld der UNCED erreicht werden konnte, kam eine „Erklärung von Rio über Umwelt und Entwicklung“ heraus: Sie enthält 27 Prinzipien, nennt Rechte darunter das Recht auf Entwicklung und auf demokratische Beteiligung an Ent-

27 Vgl. Klaus Töpfer, Der Beitrag der Bundesregierung zur Weltökologie, a.a.O., S. 5.

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Scheidungsprozessen - und Pflichten (Einführung einer umfassenden Umweltge­ setzgebung, Anwendung des Verursacherprinzips), die als Richtlinien für die Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd dienen können, sowie Grundsätze für die Wirtschafts- und Umweltpolitik. Bestenfalls also ein programmatisches Doku­ ment als Maßstab für weitere Umwelt- und Weltwirtschafts-Konferenzen, nicht mehr. Die Verabschiedung der Erd-Charta wurde auf 1995 vertagt.28 2. Hilfreicher und praktisch bedeutsamer ist da schon die „Agenda 21u29, ein etwa 800 Seiten starkes Aktionsprogramm für die Weltgemeinschaft, daß neben fundierten wissenschaftlichen Analysen zu Umweltproblemen ausgearbeitete Aktionspläne und finanzielle Kostenberechnungen enthält. Ein umweltpolitisch brauchbares Kompendium für nationale Regierungen, regionale und weltweite Umweltmaßnahmen, jedoch mit Auslassungen und Schwächen aufgrund von Interessenkonflikten: bestimmte Themen wie Biotechnologie, Meeresverschmut­ zung, Müllexport wurden entweder verwässert oder ganz herausgelassen. Im übrigen richtet sich das Maßnahmenpaket der Agenda 21 überwiegend an die Länder der Dritten Welt. Empfehlungen und Maßnahmen für die erforderliche ökologische Strukturanpassung des Nordens fehlen. Zudem stehen und fallen die in Agenda 21 angesprochenen konkreten Um­ weltschutzmaßnahmen mit ihrer Finanzierung. Das UNCED-Sekretariat hat den jährlichen Finanzbedarf für die Länder des Südens bis zum Jahr 2000 auf 600 Mrd. US-$ errechnet, davon soll der Norden 125 Mrd. $ ausbringen. Es ist schwer vorstellbar, wie dieses Finanzierungskonzept umgesetzt werden soll. Der Süden dürfte in der derzeitigen ökonomischen Situation kaum in der Lage sein, 475 Mrd. $ auszubringen, und der Norden zeigt keine Bereitschaft, 125 Mrd. $ zu zahlen. Barbara Unmüßig zitierte in ihrem Bericht über die UNCED den Malaysier Martin Khor, Mitglied eines NGOs, der die mangelnde finanzielle Bereitschaft des Westens als „die größte Enttäuschung des Rio-Gipfels“ bezeichnete. „Ohne Zusagen der industrialisierten Länder, die alle wichtigen Hebel der Weltwirtschaft und der politischen Macht in den Händen halten44, so führte er weiter aus, „wird es schwierig, wenn nicht unmöglich werden, die Ur­ sachen der Entwicklung^ und Umweltprobleme anzugehen. 4430

2e Vgl. Barbara Unmäßig, Zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED), in: Vereinte Nationen, H. 4/1992, S. 117-122, S. 118. 29 Vgl. im folgenden Barbara Unmüßig, a.a.O. 30 Zitiert nach Barbara Unmüßig, a.a.O., S. 118.

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Die Industrieländer haben in Rio lediglich zugesagt, so bald wie möglich das 20 Jahre alte Versprechen einzulösen, nämlich 0,7 % ihres Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe bereitzustellen. Die Bundesrepublik Deutschland weigerte sich allerdings - mit Verweis auf die Kosten der deutschen Einheit und des Aufbaus der osteuropäischen Länder - eine Zeitzusage für die Erfüllung des 0,7 A-Ziels zu geben. Ebenso konnten sich die westlichen Länder mit ihrem Wunsch durchsetzen, statt eines von der Dritten Welt gewünschten neuen UN-Umwelt-Fonds die von der Weltbank kontrollierte Globale Umweltfazilität (Global Environmental Facility GEF) zum vorläufigen Finanzierungsinstrument der Klimaschutz- und Artenviel­ falt-Konvention und anderer Umweltschutz-Abkommen zu machen. Sie ist ein Kreditprogramm im Rahmen der Weltbank, das 1990 gegründet wurde, von der Weltbank zusammen mit dem UNEP und dem UNDP verwaltet wird und Kredite an Entwicklungsländer vergibt, um sie bei der Lösung ihrer Umweltprobleme zu unterstützen. Allerdings erreichte die Gruppe der 77 und China, daß in der Klimaschutz­ konvention demokratische Entscheidungsstrukturen durch paritätische Vertretung der Geber- und Nehmerländer für die GEF festgeschrieben wurden - ein Teil­ erfolg für den Süden. Zusagen des Westens über einen Schuldenerlaß für öffentliche Schulden, eine wichtige Vorraussetzung für die wirtschaftliche Gesundung vieler Entwicklungs­ länder, die sich sonst Umweltschutz nicht leisten können, blieben auf der UNCED-Konferenz aus. Damit fehlte eine wichtiger Baustein einer sinnvollen in­ ternationalen Umweltpolitik. Völkerrechtlich bindend für die Vertragstaaten ist dagegen die Klima-Konven­ tion und mit konkreten Vertragsbestimmungen in dem Bereich, in dem es um die Erfassung und die gegenseitige Information über die klimaschädlichen Treib­ hausgase geht, allerdings - vor allem wegen der beharrlichen Weigerung der USA - ohne feste zeitliche Grenzen für die Reduzierung der Treibhausgase auf das Ni­ veau von 1990. Die EG hatte ursprünglich das Jahr 2000 als Zeitgrenze angestrebt - dement­ sprechend erklärten die EG-Staaten in Rio nach dem Scheitern ihrer Bemühungen um eine entsprechende Festlegung in der Klima-Konvention offiziell, bis zum Jahr 2000 die Reduzierung auf den Stand von 1990 erreichen zu wollen.

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Die Bundesrepublik Deutschland hat sich noch weitergehend festgelegt, sie will die C02-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25 bis 30% reduzieren.31 Zu ihrer Schutzwirkung bedarf die Klima-Konvention dringend ergänzender Protokolle in weiteren Verhandlungsrunden, um zeitliche Grenzen einfügen zu können. Bisher stellt sie mehr eine „Rahmenkonvention44 dar. Ein weiteren bindenden Völkerrechtsvertrag stellt die Artenschutz-Konvention dar. Sie ist das Ergebnis einer Kompromißbildung zwischen den wirtschaftlichen Interessen der biotechnologischen Industrie und dem Recht auf Erhaltung der biologischen Vielfalt. Vorbildcharakter hat sie insofern, als sie im Ansatz eine Beteiligung des Südens an dem ökonomischen Nutzen der Biotechnologie vorsieht. Beeinträchtigt wird ihre Wirksamkeit jedoch durch die Tatsache, daß wirksame Kontroll- und Sank­ tionsinstrumente in der Konvention fehlen. Am wenigsten ist beim Waldschutz auf der UNCED-Konferenz herausgekom­ men: Die geplante Waldschutz-Konvention fand keine Mehrheit auf der Kon­ ferenz, lediglich eine Grundsatzerklärung über die Bewirtschaftung, Bewahrung und die nachhaltige Entwicklung (sustainable development) aller Arten von Wäldern konnte verabschiedet werden. Der Süden forderte als Ausgleich für seine Bereitschaft, die Waldnutzung einzuschränken, Finanzhilfen für seine Wirtschaft und gerechtere Welthandelsstrukturen, der Norden war nicht bereit, auf diese Forderungen einzugehen. So tiefgehend waren die Meinungsverschiedenheiten, daß - entgegen der ursprünglichen Absicht - kein Konsens über einen Auftrag an die UN-GeneralVersammlung erzielt werden konnte, die Verhandlung einer Wald­ schutzkonvention in Angriff zu nehmen. Positiv war die große öffentliche Aufmerksamkeit, die der Umweltschutz durch die Rio-Konferenz - in der Vorbereitungsphase und während der Konferenz bekam, die intensive wissenschaftliche Erforschung der Umweltprobleme im Vor­ feld der UN GED und vor allem die starke Präsenz der vielen nationalen und in­ ternationalen Umweltorganisationen, Non-govemmental Organisation (NGOs)32, die eine eigene Parallelkonferenz in Rio abhielten.

31 Beschlüsse des Bundeskabinetts vom 13.6. und 7.11.1990, zitiert nach Martina Palm-Risse, a.a.O., S. 126. 32 So heißen gemäß Art. 71 UN-Charta die privaten Interessenverbände und Fachgesellschaften, die sich bei genügender internationaler Basis und regelmäßiger Aktivität unter bestimmten Voraussetzun­ gen beim Wirtschafts- und Sozialrat der UNO registrieren lassen können und dann vom ECOSOC, der Menschenrechtskommission oder anderen UN-Gremien zu einzelnen Themen angehört werden.

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Das Haupthindernis für einen Durchbruch bei der UNCED waren trotz eindeuti­ ger wissenschaftlicher Belege für die Umweltprobleme und ihre Ursachen und konsensfähiger Konventionsentwürfe für die Bereiche Waldschutz, Klimaschutz und Schutz der Artenvielfalt die fortbestehenden Interessenkonflikte und nationa­ len Egoismen, die sich schon bei den Vorbereitungskonferenzen offenbart hatten und auch während der UNCED nicht in genügend Maße überwunden werden konnten: Die USA, deren Präsident bezeichnenderweise lange gezögert hatte, an der UNCED teilzunehmen, zeigte in allen wichtigen Punkten keine Kompromiß­ bereitschaft. Sie verwässerten die Klima-Konvention entscheidend, was die Festlegung auf Zeiträume und Schadstoffgrenzwerte betraf, und sie unterzeichne­ ten die Artenschutzkonvention nicht. Sie sei, so Präsident Bush auf der UNCED,

für die USA unannehmbar, weil sie die Biotechnologie behindere und den Schutz der Ideen ausholen könne. Präsident Bush verteidigte in der gleichen Rede die Umweltpolitik seines Landes vehement: Die Bilanz Amerikas im Umweltschutz stehe anderen Ländern in nichts nach. Manchmal erfordere Führerschaft auch, daß man sich mit seinen Prinzipien allein wiederfinde.33 Die übrigen westlichen Industrieländer zeigten sich zwar verhandlungsbereiter, was die Klima-Konvention anbetraf, ließen es aber sowohl an dem nötigen Druck auf die USA fehlen, deren mangelnde Verhandlungsbereitschaft ihnen vielleicht als Alibi für eigenes Zögern nicht unwillkommen war, ebenso wie an der nötigen Kompromißbereitschaft bei den finanziellen Forderungen der Entwicklungsländer zum Kosten-Ausgleich für eine umweltschonende Wirtschaftspolitik, z.B. in Bezug auf Waldnutzung und die Produktion von Treibhausgasen. Die Entwicklungsländer überschätzten offensichtlich ihre Verhandlungsposition: Sie versuchten, Reformen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und eine substantielle Erhöhung der Entwicklungshilfe mit dem Hebel der Umweltprobleme zu erreichen, d.h. durch eigene Zugeständnisse bei der Nutzung des tropischen Regenwaldes entsprechenden Reformmaßnahmen und Finanzhilfen zu erkaufen. Diese Maximalstrategie der Dritten Welt, die aufgrund der desolaten Lage vieler Entwicklungsländer sehr verständlich ist, scheiterte, weil die Industrieländer trotz der großen Umweltprobleme unnachgiebig blieben - vielleicht wieder einmal ein Pyrrhus-Sieg des Westens zu Lasten der ganzen Welt.

33 Vgl. Die Staatschefs unterstreichen in Rio: Umweltschutz ist eine globale Aufgabe, in: Der Tages­ spiegel, 14.6.1992, S. 1.

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Es gelang keine wirksame Einschränkung der nationalen Souveränität zugunsten von wirksamen supranationalen Kompetenzen im Umweltschutz, nach wie vor werden in den zentralen Dokumenten der UNCED Wirtschaftswachstum, freier Welthandel, Technologie- und Finanztransfer als Allheilmittel auch für ökologi­ sche Probleme angesehen. 5.4.1. Die Umsetzung der Beschlüsse von UNCED 1992

Als vielleicht wichtigster Schritt zur Umsetzung der Beschlüsse von Rio wurde die UN-Kommission für dauerhafte Entwicklung (Commission on Sustainable Development - CSD), die die Umsetzung des umfangreichen Umwelt-Aktions­ programms „Agenda 2144 überwachen soll, durch Beschluß der UN-GeneralVer­ sammlung am 22. Dezember 199234 gegründet. Sie umfaßt 53 Mitglieder und wird vom UN-Botschafter Malaysias Razali Ismail geleitet, der eine aktive Rolle bei der Vorbereitung des Erdgipfels spielte. Neben der Kontrolle der Umsetzung der relevanten Umweltschutz-Konventionen der UN soll die CSD mit der Globalen Umweltfazilität (GEF) zusammenarbeiten. Außerdem soll die CSD kontrollieren, inwieweit die Industrieländer ihre Zusage von der Rio-Konferenz einhalten, 0,7 % ihres BSP für Entwicklungshilfe bereitzu­ stellen. Zur der Unterstützung ihrer Arbeit wurde ihr ein Beratergremium von 20 international anerkannten Persönlichkeiten zur Seite gestellt. 1995 soll in Berlin die geplante Folgekonferenz zur Klima-Konvention statt­ finden. Auf dieser Folgekonferenz sollen die in der Konvention noch fehlenden Zeit- und Mengenvorstellungen für eine Senkung des CG2-Ausstoßes festgelegt werden.35 Was die in Rio beschlossene Senkung der C02-Emissionen anbetrifft, haben seit Rio offensichtlich viele EG-Staaten, die dort noch in einer gemeinsamen Erklä­ rung der EG eine Stabilisierung der C02-Emissionen bis zum Jahr 2000 zugesagt hatten, kalte Füße bekommen. Bundesumweltminister Klaus Töpfer nannte im Juni 1993 die „Stabilisierungs­ bereitschaft auf EG-Ebene sehr gering.4436 Einzig die Niederlande, Belgien und Dänemark wären wie die Bundesrepublik bereit - wenn auch in geringerem Maße - die C02-Emissionen zu senken, die anderen EG-Staaten melden stattdessen

34 GA Res. 47/191 vom 22.12.1992 33 Vgl. Ingrid Müller, Den hehren Worten folgten nur zaghafte Taten. Ein Jahr nach dem Erdgipfel von Rio sieht die Bilanz der Industrienationen dürftig aus, in: Der Tagesspiegel, 13.6.1993, S. 5. 36 Zitiert nach Ingrid Müller, Den hehren Worten, a.a.O.

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Emissions-Zuwächse. Was ist aus der Zusage von Bundeskanzler Kohl geworden, so bald wie möglich 0,7 Prozent des deutschen BSP für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen? 1991 machte der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit 0,41 Prozent aus, 1992 sank er auf 0,35 Prozent. Aus den Zahlen wird deutlich, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, dieses Versprechen der Industrie­ länder einzulösen, das die Entwicklungsländer finanziell in die Lage versetzen soll, Umweltschutzmaßnahmen durchzuführen. Entwicklungshilfeminister Spranger löste das Problem in einer Pressekonferenz im Mai 1993 zur Rio-Konferenz auf seine Weise: Die Bundesregierung bekenne sich nach wie vor zu dem Ziel, 0,7 Prozent des deutschen BSP für die Entwick­ lungshilfe einzusetzen, könne aber einen verbindlichen Zeitrehmen nicht akzeptie­ ren. Er fügte hinzu, die Bundesregierung habe sich dafür eingesetzt, die Mittel der Weltbank für Umweltprojekte aufzustocken und auch der von der Regierung praktizierte Schuldenerlaß, der inzwischen 9 Milliarden DM erreicht habe, sei ein indirekter Beitrag zur Erhaltung der Umwelt in der Dritten Welt. Er bezifferte die Ausgaben im Rahmen der deutschen Entwicklungshilfe für Umwelt- und Ressour­ censchutz für das Jahr 1993 auf rund eine Milliarde DM, das sei ein Viertel aller Zusagen. Allein 300 Millionen gäbe die Bundesregierung pro Jahr für den Schutz der Tropenwälder aus. Außerdem würden den Entwicklungsländern zusätzlich zu normalen Programmhilfen Mittel für Sofortmaßnahmen zum Klimaschutz und der Erhaltung der Arten zur Verfügung gestellt, vor allem für Analysen und Bestands­ aufnahmen.37 Immerhin kam es auf der in Kopenhagen Ende November 1992 tagenden Kon­ ferenz der UNO im Rahmen der Internationalen Konvention zum Schutz der Ozonschicht zu einer Verbesserung des Schutzes der Ozonschicht gegenüber den 1990 in London vereinbarten Fristen. Die Delegierten aus 91 Ländern einigten sich, den Einsatz von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) sowie des in Desinfektionsmitteln gebrauchten Tetrachlorkohlenwasserstoffes bis Ende 1995 einzustellen. Das ist vier Jahre früher als bisher geplant. Die Produktion von FCKW soll nach 1996 auf dem vorhandenen Stand „eingefroren“ und bis 2020 verboten werden. Sechs Jahre früher als bisher soll bis 1994 der Einsatz von Halonen verboten werden, sowie neun Jahre früher der Einsatz von Methyl-

37 Vgl. Sprenger zieht positive Bilanz bei Umsetzung der Rio-Konferenz. Eine Milliarde DM Ent­ wicklungshilfe für Umweltprojekte aufgewendet, in: Der Tagesspiegel, 29.5.1993, S. 4.

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Chloroform, zum Beispiel in der Trockenreinigung.38 Außerdem vereinbarten die Delegierten die Gründung eines Fonds, um die Dritte Welt in die Lage zu ver­ setzen, auf ozonschädigende Stoffe zu verzichten. Mit den Fondsgeldem soll die Umstellung auf für die Ozonschicht weniger gefährliche Stoffe erleichtert werden. Mit dem Fonds wurde eine Lösung für den Ozonschutz geschaffen, die so meinte der indische Umweltminister Kamal Nath, „beispielhaft [ist] auch für die Lösung anderer weltweiter Umweltprobleme.“39 Insgesamt macht die Bilanz zwei Jahre nach Rio deutlich, daß die Industrie­ länder trotz gewisser Fortschritte im Ozonschutz nur sehr langsam und unvoll­ ständig ihre Rio-Versprechen einlösen, sowohl im Bereich der Ausfüllung und Durchführung der Klima- und Artenschutz-Konvention als auch bei der Finanzie­ rung der „Agenda 21“. Ähnlich wie der nationale Umweltschutz bewegt sich auch der internationale Umweltschutz nur im Schneckentempo. Dabei ist Eile geboten: Das UNO-Umweltprogramm UNEP warnte im Dezem­ ber 1992 bei der Vorstellung seines Umweltberichtes „Die weltweite Umwelt 1972-1992“ vor einem Umweltkollaps. Trotz einiger Fortschritte im Kampf gegen die Verschmutzung von Luft und Wasser werde der Zustand der Erde kritischer. Deshalb müßten umfangreiche und mit Zeitvorganben versehene Programme in allernächster Zeit auf den Weg gebracht werden, schreibt der scheidende UNEPExekutivdirektor Mostafa Tolba in dem Bericht. UNEP schlägt ein Bündel kon­ kreter Maßnahmen vor, um den Öko-Kollaps zu verhindern: Bis 1995 müsse eine globale Vereinbarung für die Wiederaufforstung erarbeitet sein, mit festgelegten Zielen für jedes Jahrzehnt des kommenden 21. Jahrhunderts. Außerdem sollte ein weltweites Programm dafür sorgen, die in die Weltmeere eingeleiteten Schad­ stoffe von 1995 an bis zum Jahr 2000 auf das Niveau von 1990 abzusenken und nach dem Jahr 2000 weiter deutlich zu verringern. Ebenso müßte bis 1995 eine internationale Übereinkunft über das Verbot von Giftmüllexporten und über die Verringerung der Erzeugung von Giftmüll erzielt werden. Um die Einhaltung der bestehenden Umweltabkommen zu verbessern, müßte der Technologietransfer von den Industrieländern in die Dritte Welt und die Kontrolle der Umweltabkommen gestärkt und koordiniert werden.40

” Vgl. Neue Ausstiegsfristen zum Schutz der Ozonschicht beschlossen, in: Der Tagesspiegel, 26.11.1992,8. 7. 39 Streit bei UNO-Ozonkonferenz über Hilfe an die Dritte Welt, in: Der Tagesspiegel, 24.11.1992,

S. 1. 40 Vgl. UNO-Report warnt vor weltweitem Ökokollaps, in: Der Tagesspiegel, 10.12.1992, S. 39.

164 5.5.

Kapitel 5: Umweltprobleme

Die Koordination des internationalen Umweltschutzes durch die UNEP - Eine vorläufige Bilanz

Die bisherige Bilanz der Arbeit des Umweltprogramms der Vereinten Nationen weist auf eine Reihe von positiven Ergebnissen, aber auch auf Schwachstellen der UNEP hin: Die UNEP hat zweifellos dazu beigetragen, daß im internationalen Umweltschutz in Form internationaler Konventionen viele Normen und Standards entwickelt wurden, die Voraussetzung für wirksamen internationalen Umwelt­ schutz sind. Jedoch sind die damit verbundenen Pflichten und Auflagen in den in­ ternationalen Verträgen häufig sehr allgemein gehalten. Das Problem bleibt vor allem die Durchsetzung der Normen, da dies bisher an die Schranke nationaler Souveränität stößt: Umweltpolitik in der Praxis ist in der Regel Sache der einzel­ nen Staaten. An diesem Punkt scheint allerdings in letzter Zeit ein Umdenken stattzufinden, die Nationen sind allmählich bereit, die grenzüberschreitende Verantwortung im Umweltschutz anzuerkennen: Im Februar 1991 kam es in Espoo (Finnland) zur Unterzeichnung einer UN-Konvention über die Berücksichtigung von grenzüber­ schreitenden Auswirkungen von Aktivitäten auf die Umwelt (Convention on Environmental Impact Assessment in a Transboundary Context).41 Artikel 2 verpflichtet alle Vertragsstaaten, „entweder individuell oder gemeinsam alle geeigneten und wirksamen Maßnahmen zu unternehmen, um erhebliche ungün­ stige grenzüberschreitende Umweltauswirkungen von geplanten Aktivitäten zu verhindern, zu reduzieren und zu kontrollieren.“42 Die Staaten sind bei jeder der in einer Liste in der Konvention erfaßten Maßnahmen, wie z.B. den Bau von Ölraffinerien, thermischen und atomaren Kraftwerken, großer Chemieanlagen, Autobahnen, Ölpipelines, Erzbergwerken, verpflichtet, darüber alle möglicher­ weise von den Maßnahmen betroffenen anderen Staaten frühzeitig zu informieren und ein Verfahren zur Einschätzung der Umweltauswirkungen durchzuführen, an dem sich die betroffenen Staaten beteiligen können. Damit liegt zwar die Ent­ scheidung über die möglicherweise umweltschädigende Maßnahme nach wie vor bei den Behörden des Staates, auf dessen Gebiet sich der Bau bzw. Betrieb der Anlage vollzieht, jedoch gibt es für die Vertragsstaaten erstmalig ein geregeltes

41 Bis Juni 1991 hatten 26 Staaten die Konvention unterzeichnet, darunter die USA, die UdSSR, Großbritannien, Frankreich, Kanada, die skandinavischen Staaten, die Benelux-Staaten, Polen, Rumä­ nien, Bulgarien, Weißrußland, Ukraine, Ungarn, Italien, Portugal und Spanien (Zitiert nach Inter­ national Legal Materials, vol. XXX, H. 3, May 1991, S. 800). 42 International Legal Materials, a.a.O., S. 803.

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Verfahren einer internationalen Information über mögliche Umweltauswirkungen von Industrieanlagen bzw. Baumaßnahmen und einer Umweltverträglichkeits­ prüfung mit internationaler Beteiligung. Das ist ein deutlicher Fortschritt gegen­ über der bisherigen völkerrechtlichen Situation. Der Stellenwert des Umweltschutzes im System der Vereinten Nationen ist nicht zuletzt durch die Arbeit von UNEP - gewachsen. Allmählich - so konsta­ tierte Hans-Jürgen Karpe auf einem Symposium im August 1990 in Berlin über die UN in der 90er Jahren - haben auch die anderen Organisationen im System der Vereinten Nationen, wie das UNDP oder die Weltbank die Umweltverträg­ lichkeitsprüfung in ihre Programmplanung aufgenommen.43 Andererseits - so ergab die Diskussion seines Referates über das UNEP machen die einzelnen Sonderorganisationen in eigenen Umweltabteilungen weiter ihre eigenen Umweltanstrengungen, d.h. eine ineffiziente Dezentralisierung und Aufsplitterung der Umweltbemühungen ist nach wie vor in den Vereinten Natio­ nen zu konstatieren.44 UNEP müßte ein erheblich größeres Budget bekommen und mehr Koordinationskompetenz für die Umweltaktivitäten der Organisationen der Vereinten Nationen.45 Durch die Schaffung der CSD ist aber das UNEP vermutlich in seiner Koor­ dinierungsfähigkeit eher beschränkt worden, denn beide Organe haben zum Teil sich überschneidende oder sogar parallele Aufgaben. Hier müßte schnell Klarheit geschaffen werden, damit die Umweltarbeit in den Vereinten Nationen nicht darunter leidet: Es ist verständlich, daß aus der intensiven Vorbereitung der RioKonferenz und der Arbeit auf der Konferenz das Bedürfnis bei den Beteiligten gewachsen ist, die Arbeit fortzusetzen, und es ist auch gut, wenn frische Kräfte in das mühselige Geschäft des internationalen Umweltschutzes kommen. Doch sollte man UNEP nicht verdrängen, sondern seine zwanzigjährige Erfahrung nutzen und gemeinsam arbeiten. Es wird aber ein Problem sein, genügend Gelder

43 Hans-Jürgen Karpe: Regional and Global Environment Policies within the Framework of the UN System, in: Zur Diskussion gestellt, Nr. 34 (Januar 1991), hrsgg. von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen» Bonn: Ergebnisse des Deutsch-Japanischen Symposiums in Berlin vom 27.31.8.1990 «Die Rolle der Vereinten Nationen in den 90er Jahren“, zusammengefaßt von Jens Nau­ mann, S. 38-41, S. 39. 44 Vgl. Hans-Jürgen Karpe: Regional and Global Environment Policies within the Framework of the UN System, in: Zur Diskussion gestellt, Nr. 34 (Januar 1991), hrsgg. von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Bonn: Ergebnisse des Deutsch-Japanischen Symposiums in Berlin vom 27.-31.8.1990 «Die Rolle der Vereinten Nationen in den 90er Jahren“, zusammengefaßt von Jens Naumann, S. 38-41, S. 39. 45 Klaus Dicke, Diskussionsbemerkung auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen vom 9.-11. November 1990 in Schmöckwitz.

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für beide, UNEP und CSD auf Dauer in den Vereinten Nationen zu beschaffen. Was die Erarbeitung völkerrechtlicher Konventionen im Umweltbereich anbe­ trifft, mangelt es, bei allen Fortschritten im Detail, an wirksamen umfassenden internationalen Konventionen für die Luft- und Wasserverschmutzung und andere ökologische Bereiche, die alle relevanten Schadstoffemissionen erfassen und regeln, fehlt es vor allem an einem kohärenten Gesamtprogramm: Auf dem schon erwähnten deutsch-japanischen Symposium stellte Klaus Dicke fest, daß die UNEP es bisher nicht geschafft hat, ein internationales Umweltregime zu schaf­ fen. Er schrieb der UNCED-Konferenz in Brasilien deshalb vor allem die Auf­ gabe zu, zu prüfen, welche Institutionen und Verträge die Staaten im Umweltbe­ reich zu errichten willens und in der Lage sind.46 Dieser Aufgabe ist aber, wie wir oben dargestellt haben, die UNCED kaum nachgekommen, die „Agenda 21“ enthält nicht genügend Substanz für die Umrisse eines zu errichtenden inter­ nationalen Umweltregimes, sondern blieb Flickwerk. Hier bleibt für die UNEP die dringende Aufgabe, Modelle für ein solches Institutionengefüge zu entwerfen, damit nicht jede neue Konvention neue Gremien schafft, was zu Geldverschwen­ dung und Doppelarbeit führt. Der Umweltschutz braucht dringend eine mit Kompetenz und Autorität ausge­ stattete internationale Behörde: Angesichts der Dringlichkeit der Umweltprobleme - so schlägt Christian Tomuschat vor - sollten die Vereinten Nationen eine eigene, mit Kompetenzen ausgestattete Behörde für Umweltfragen errichten.47 Ähnliche Forderungen hatte schon 1987 im Brundtland-Bericht die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung erhoben: sie forderte den UN-Generalsekretär auf, „unter seinem Vorsitz einen besonderen UNO-Ausschuß für dauerhafte Entwick­ lung einzurichten44, der die Koordination der Arbeit der UNO-Organisationen in den Bereichen Umweltschutz und Entwicklungshilfe leisten sollte.48 Die juristi­ schen Experten der Brundtland-Kommission schlugen in einem Zusatzbericht zum Brundtland-Bericht mit dem Titel „Legal Principles for Environmental Protection and Sustainable Development4449, der ebenfalls 1987 veröffentlicht wurde, die Ein­ richtung eines Hochkommissars für Umwelt vor, der individuelle Umweltbe-

46 Vgl. Klaus Dicke, Diskussionsbemerkung zu Hans-Jürgen Karpe: Regional and Global Environment Policies within the Framework of the UN System, a.a.O., S. 40. 47 Vgl. Christian Tomuschat, Diskussionsbemerkung auf einem Seminar der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen vom 9.-11. November 1990 in Schmöckwitz. 4S Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Unsere gemeinsame Zukunft. Der BrundtlandBericht, a.a.O., S. 313. 49 Experts Group On Environmental Law Of the World Commission On Environment and Develop­ ment, Legal Principles for Environmental Protection and Sustainable Development, Dordrecht 1987.

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schwerden annehmen, bearbeiten und Berichte darüber abfassen solle, sowie einer Kommission für Umwelt, die das gleiche mit den Staatenbeschwerden im Um­ weltbereich machen sollte.50 Beschränken sich diese Konzepte auf eine Stärkung der Koordinationsfunktion sowie auf die Einrichtung einer Beschwerdeinstanz, so geht der Vorschlag des International Panel des U.N. Management and Decision-Making Project, einem Forschungsprojekt der United Nations Association of the USA, in seinem Ab­ schlußbericht „A Successor Vision: The United Nation of Tomorrow“51 einen Schritt weiter, zu einem Gremium mit politischem Beratungs- und Initiativrecht: das Panel schlägt die Einrichtung eines 25-köpfigen Ministerausschusses innerhalb des Wirtschafts- und Sozialrates der UN vor, der alle problematischen Entwick­ lungen im gesamten wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereich frühzeitig wahrnehmen und darüber beraten und in Kontakten mit den betroffenen Ländern und den zuständigen UN-Organisationen und dem UN -Generalsekretär Lösungen vorbereiten soll, ein Organisationsmodell, das dem Zusammenhang von sozioökonomisehen und ökologischen Problemen durch die gemeinsame Zuständigkeit des Ministerausschusses Rechnung trägt.52 Tomuschat geht noch einen Schritt weiter, er schlägt die Einschaltung des Sicherheitsrats bei wichtigen globalen Umweltproblemen vor. Er plädiert dabei für eine neue Interpretation der UN-Charta in dem Sinne, daß der Weltfrieden und die Sicherheit auch durch Umweltbedrohungen gefährdet werden können; deshalb sollte sich auch der Sicherheitsrat um Umweltfragen kümmern.53 In die gleiche Richtung zielt der Vorschlag, den Umweltminister Töpfer in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung im November 1992 machte. Er schlug vor, bei den Vereinten Nationen eine Einsatztruppe von Experten aus den verschiedensten Ländern für Umweltunfalle und -katastrophen zu bilden: „Wir brauchen Grün­ helme als schnell verfügbare Einsatztruppe von freiwilligen Experten - vergleich­ bar den Blauhelmen der Vereinten Nationen bei der Friedenssicherung.“54

30 Vgl. ebd. 51 Vgl. United Nations Association of the United States of America, A Successor Vision: The United Nations Of Tomorrow, Final Panel Report of the International Panel of the United Nations Manage­ ment & Decision Making Project, New York 1987. 32 Vgl. A Successor Vision, a.a.O., S. 82ff. 33 Vgl. Christian Tomuschat, Diskussionsbemerkung auf einem Seminar der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen vom 9.-11. November 1990 in Schmöckwitz. 54 Rede des deutschen Umweltministers Klaus Töpfer, über globale Umweltpartnerschaft für Frieden und Entwicklung, gehalten vor der 47. Generalversammlung der Vereinten Nationen am 2. November 1992 in New York, in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Nr. 119, 5.11.1992.

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Auch die neueren Entwicklungen im Völkerrecht lassen eine Einschränkung der nationalen Hoheitsrechte im Umweltbereich und die Übertragung von Kompeten­ zen auf UH-Organe, z.B. den Sicherheitsrat, möglich erscheinen: Die Völker­ rechtskommission der Vereinten Nationen ILC (International Law Commission) vertritt einem Textentwurf für eine Konvention zur Staatenverantwortlichkeit (Draft Articles on State Responsibility) die Auffassung, daß massive Umweltver­ schmutzungen innerhalb eines Staates eine Verletzung jener internationaler völker­ rechtlicher Verpflichtungen darstellen, deren Einhaltung „so wesentlich ist für den Schutz fundamentaler Interessen der internationalen Gemeinschaft, daß ihre Ver­ letzung als ein Verbrechen von der Gemeinschaft als ganzer angesehen wird“, als „internationales Verbrechen“, für das der Staat, der diese Regeln verletzt, vor der Staatengemeinschaft verantwortlich ist.55 Indem sie die Umweltverschmutzung als eines der Beispiele für derartige grundlegende internationale Vergehen im zitierten Art. 19 des Entwurfs anführt - „Ein internationales Verbrechen kann ... sich ergeben aus einer schwerwiegender Verletzung einer internationalen Verpflichtung von grundlegender Bedeutung für den Schutz und die Erhaltung der menschlichen Umwelt wie zum Beispiel jener Regeln, die eine massive Verschmutzung der At­ mosphäre und des Meeres verbieten“56 -, vertritt sie die Auffassung, daß die Umweltverschmutzung eines solchen Ausmaßes, daß daraus Folgen für die gesam­ te Biosphäre erwachsen, eine Bedrohung für die gesamte internationale Gemein­ schaft darstellt und nicht mehr von der staatlichen Souveränität geschützt ist, sondern der Staat international dafür zur Verantwortung gezogen werden kann. Ebenso hat die Völkerrechtskommission in ihren Entwurf über den „Code of Crimes Against the Peace and Security of Mankind“, den sie in erster Lesung im Sommer 1991 verabschiedet hat und der - unabhängig von nationaler Gesetzge­ bung - bestimmte Verbrechen, die von Personen in ihren Staaten begangen wer­ den, als internationale Verbrechen definiert, auch Umweltverbrechen aufgenom­ men. Artikel 26 des Entwurfs lautet „Eine Person die vorsätzlich der natürlichen Umwelt einen ausgedehnten, langfristigen und schwerwiegenden Schaden zufügt

35 Yearbook of the International Law Commission 1980 II (Part 2), S. 32. Der Text lautet im engli­ schen Original: „An international!^ wrongful act which results from the breach by a State of an international Obligation so essential for the protection of fundamental interests of the international Com­ munity that its breach is recognized as a crime by that Community as a whole constitutes an inter­ national crime.“ 36 Yearbook of the International Law Commission 1980 II (Part 2), S. 32. Der Text lautet im engli­ schen Original: „...an international crime may result... from a serious breach of an international Obli­ gation of essential importance for the safeguarding and preservation of the human environment such as those prohibiting massive pollution of the atmosphere and the sea.“

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oder jemand veranlaßt, dies zu tun, soll, wenn er der Tat überfuhrt ist, verurteilt werden [zu...]44.57 Dies ist eine weitere Bestätigung, daß die Völkerrechtskom­ mission den Standpunkt vertritt, daß Umweltverbrechen in massiver Form zu den schwerwiegenden Verbrechen zählen, deren Auswirkungen das Leben, den Frie­ den und die Sicherheit auf der Welt bedrohen. Es ist zu hoffen, daß sich aus diesen Entwürfen der ILC in absehbarer Zeit internationale Konventionen erge­ ben, die für alle Vertragsstaaten verbindliches Umweltrahmenrecht schaffen. Auch für die strukturellen Änderungen des UN-Systems in Bezug auf den Umweltschutz bleibt nicht viel Zeit angesichts der wachsenden Umweltprobleme. Allerdings steht zu befürchten, daß die ökonomischen Interessengegensätze der Industrie- und Entwicklungsländer eine ökologisch rationale Lösung weiter verzö­ gern. Die Industrieländer mit dem höheren Anteil am Primärenergieverbrauch und Schadstoffemissionen und mit den größeren ökonomischen und finanziellen Ressourcen im Vergleich zu den Entwicklungsländern haben dabei die größere Verantwortung, die sie endlich wahrnehmen müssen.

57 Report of the International Law Commission on the work of its forty-third session, 29 April - 19 July 1991, UN Doc. A/46/10, in: UN GAOR 46th Session, Supplement No. 10, S. 250. Art. 26 lautet im englischen Original: „An individual who willfully causes or ordere the causing of widespread, long-term and severe damage to the natural environment, shall on conviction thereof, be sentenced [to ...1.“

Kapitel 6 Menschenrechte Die Gründungskonfenz der Vereinten Nationen gab 1945 neben der Wahrung des Weltfriedens und der Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Völkern der Sicherung der Menschenrechte in der Charta einen hohen Stellen­ wert: Sowohl die Präambel als auch Art. 1 der UN-Charta bezeichnen die Wah­ rung der Menschenrechte als Grundziel der Vereinten Nationen. In der Präambel heißt es, daß „wir, die Völker der Vereinten Nationen" fest entschlossen sind, „unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau ... erneut zu bekräftigen“.1 Art. 1 nennt als Ziele der Vereinten Nationen nach der Wahrung des Weltfrie­ dens und der internationalen Sicherheit und der Entwicklung freundschaftlicher, gleichberechtigter Beziehungen zwischen den Nationen als ausdrückliches Ziel der internationalen Zusammenarbeit neben der Lösung der internationalen wirtschaftli­ chen, sozialen, kulturellen und humanitären Probleme die Förderung und Festi­ gung der „Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion".2 Was die institutionelle Ausgestaltung des Menschenrechtsschutzes anbetrifft, beschränkt sich die Charta auf die in Art. 68 festgehaltene Regelung, daß der Wirtschafts- und Sozialrat der UN (ECOSOC) außer Kommissionen für wirt­ schaftliche und soziale Fragen auch eine Kommission „für die Förderung der Menschenrechte"3 einsetzt. Weder die Generalversammlung noch der Sicherheitsrat noch der Internationale Gerichtshof werden in der Charta ausdrücklich damit betraut, den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. Damit steht einem hohen Stellenwert des Menschenrechtsschutzes in der Charta eine relativ schwache Verankerung im Institutionengefüge der Vereinten Nationen gegenüber.

1 Charta der Vereinten Nationen, a.a.O.. 2 Ebd., Art. I. 1 Ebd., Art. 68.

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6.1. Die Menschenrechts-Konventionen der Vereinten Nationen

Grundlage der Arbeit der Vereinten Nationen im Bereich des Menschenrechts­ schutzes sind die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, der Pakt über die bürgerlichen und politische Rechte (Zivilpakt) und der Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (Sozialpakt) von 1996, die 1976 in Kraft traten sowie die Konventionen zur Beseitigung der Rassendiskriminierung (1965), zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (1948), zur Beseitigung der Sklaverei (1953 und 1956)), gegen Folter (1984), zur Beseitigung der Dis­ kriminierung der Frauen (1979), über die Rechte des Kindes (1989), zur Rege­ lung der Rechtsstellung von Flüchtlingen (1951 und 1967) und Staatenlosen (1954 und 1961), zum Schutz der Wanderarbeiter4 (1990) und eine Vielzahl von Resolu­ tionen.5 Die 1988 von den Vereinten Nationen herausgegebene Auflage der Übersicht „Human Rights - A Compilation of International Instruments“6 listet nicht weni­ ger als 67 Menschenrechtsinstrumente auf, die von den Vereinten Nationen bis zu diesem Zeitpunkt verabschiedet wurden, wozu allerdings viele Resolutionen der Generalversammlung mit empfehlenden Charakter zahlen. Die Allgemeine Er­ klärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Generalver­ sammlung der Vereinten Nationen mit Resolution 217 A (III) angenommen wurde, das erste internationale Menschenrechtsdokument, bildet so etwas wie die „Charta der Menschenrechte“, das heißt ein Grundsatzdokument von weitreichen­ der Bedeutung, eine „Magna Carta der anerkannten bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte aller Menschen“, wie es der Untergeneralsekretär für Menschenrechtsfragen Jan Martenson 1990 formulierte.7 Sie hat zwar nur deklaratorischen und keinen rechtsverbindlichen Charakter, stellte aber zum ersten Mal von der Völkergemeinschaft mehrheitlich anerkannte internationale Normen für Menschenrechte auf. Sie bildet den Interpretationshin-

4 GA Res. 45/158. 5 Vgl. Martina Palm-Risse, Internationaler Menschenrechtsschutz. Übersicht über die wichtigsten Vertrage, in: Das Parlament, Nr. 50/1988, 9.12.1988, S. 11-12. 6 Vgl. United Nations, Human Rights - A Compilation of International Instruments, New York 1988, United Nations Publication Sales No. E.88.XIV.1. 7 So der zuständige Untergeneralsekretar für Menschenrechtsfragen in einer Rede 1990 in Bonn: Jan Martenson, The United Nations and New Perspectives in Human Rights. Address at the Deutsche Gesellschaft für Vereinte Nationen on 10 January 1990, in: Zur Diskussion gestellt, Nr. 26, Januar 1990, hrsgg. von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen Bonn, S. 9.

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tergnmd für die auf einzelne Schutzbereiche bezogenen Konventionen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte enthält sowohl die liberalen Abwehrrechte8 - Art. 1 bis 21, u.a. Recht auf Gleichheit, Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person, Freiheit von Sklaverei, Schutz vor willkürli­ cher Verhaftung, Internierung und Exilierung, Freiheit der Bewegung und Wohn­ sitznahme, Meinungsfreiheit, Recht auf Besitz, als auch in Art. 22 bis 27 die „für seine Würde und die freie Entwicklung der Persönlichkeit unentbehrlichen wirt­ schaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte449, die ihm ebenso wie die politischen und bürgerlichen Rechte zu eigen sind, und durch „innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit4410 eingelöst werden sollen, allerdings nur „un­ ter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates4411, d.h. abhängig von dem Stand der Infrastruktur und den Ressourcen des Landes. Die in den Artikeln 22 bis 27 ausgeführten Rechte enthalten u.a. das Recht auf freien Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 21), das Recht auf soziale Sicherheit (Art. 22), das Recht auf Arbeit (Art. 23, 1), das Recht auf gleiche Bezahlung für glei­ che Arbeit (Art. 23,2), das Recht auf einen „für die Gesundheit und das Wohl­ ergehen für sich und seiner Familie angemessenen Lebensstandard, einschließlich ausreichender Bekleidung, Wohnung, ärztlicher Versorgung und notwendiger sozialer Leistungen, sowie ferner das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeits­ losigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder von anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände44 (Art. 25)12 und das Recht auf Bildung (Art. 26). Damit geht der Begriff der Menschenrechte in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte über den klassisch liberalen Begriffsumfang hinaus und erweitert ihn zu einem umfassenden Anspruch des Menschen auf eine menschenwürdige politische, aber auch soziale und kulturelle Existenz. Diese Erweiterung blieb nicht unumstritten, die westlichen Industrieländer opponierten und opponieren z.T. noch immer gegen die Ausweitung der Menschenrechte: Sie waren und sind „der Überzeugung, daß ein liberaler, marktwirtschaftlicher verfaßter Rechtsstaat schwerlich die tatsächlichen, vor allem wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine

8 Vgl. Ludger Kühnhardt, Die Allgemeine Erklräung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49/88, 2.12.1988, S. 3-13, S. 5. 9 Artikel 22 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, deutscher Text in: Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.), Menschenrechte - Internationale Dokumente, zusammen­ gestellt und bearbeitet von Wilhelm Bertram, Bonn 1980, S. 48-54, S. 52. 10 Ebd., Art. 22, S. 52. 11 Ebd., S. 53. 12 Ebd., Art. 25, S. 53.

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möglichst unmittelbare Wirksamkeit der meisten sozialen Grundrechte erfüllen kann ...[und] soziale, wirtschaftliche und kulturelle Menschenrechte immer noch weitgehend im Vorfeld liberaler Freiheitsverbürgungen wirken. ... In der Dritten Welt steht dagegen die Sicherung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (wie auch die Berücksichtigung der engen Wechselbeziehungen zwischen diesen Rechten und den bürgerlichen und politischen Menschenrechten) ... im Mittelpunkt nationaler wie internationaler Entwicklungsanstrengungen,4413 während die osteuropäischen Staaten heute allmählich im Zeichen der politischen Liberali­ sierung den Vorrang sozialer vor individuellen Menschenrechte langsam abmil­ dern und sich westlichen Menschenrechtskonzeptionen annähern. Die 1966 von der UN-GeneralVersammlung verabschiedeten grundlegenden Menschenrechtskonventionen, der Zivilpakt und der Sozialpakt sind Ausdruck dieser Kontroverse über den Umfang der Menschenrechte bzw. über den Grad der Rechtsverbindlichkeit von bürgerlichen und politischen Rechten einerseits und wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten andererseits. Ursprünglich sollte nur eine Konvention verabschiedet werden, so wurden es zwei, um dem unterschiedlichen Rechtscharakter, den die beiden Gruppen von Menschenrechten nach der Auffassung der Mehrheit der Staaten, die die beiden Pakte in der UNGeneralversammlung billigten, aufwiesen. Im Gegensatz zu dem deklaratorischen Charakter der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 sind Zivil- und Sozialpakt rechtlich verbindlich für alle Staaten, die sie ratifiziert haben, bei beiden zur Zeit etwa 120 Vertragsstaa­ ten, d.h. etwa 65% der UN-Mitgliedsländer.14 Der Zivilpakt umfaßt diejenigen Rechte, welche der Sicherung menschlicher Existenz dienen (Recht auf Leben, Folterverbot, Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit, Verbot willkürlicher Freiheitsentziehung, Recht auf angemessene Behandlung bei Freiheitsentzug), jene, die die Entfaltungsfreiheit des Menschen in der Gesellschaft schützen (Freizügigkeit, Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Recht zu politischer Mitwirkung - d.h.aktives und passives

13 Bruno Simma, Der Ausschuß für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR). Ein neues Menschenrechtsgremium der Vereinten Nationen, in: Vereinte Nationen, H. 6/1989, S. 191-196, S. 191. 14 Nach den Angaben des Generalsekretärs in seinem Bericht an die 48. Tagung der UN-Generalversammlung (UN Doc. A/48/1 vom 10.9.1993) hatten zu diesem Zeitpunkt den Zivilpakt 123 Staaten ratifiziert, den Sozialpakt 125 Staaten. Die USA hat nach Billigung des Senats am 8.6.1992 die Ratifikationsurkunde für den Zivilpakt hinterlegt, sie sind jedoch nach wie vor nicht Mitgliedstaat im Sozialpakt.

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Wahlrecht und unbehinderter Zugang zum öffentlichen Dienst -) sowie das Selbstbestimmungsrecht für soziale Gruppierungen (Verbot der Diskriminierung und Recht der Minderheiten zur Pflege ihrer eigenen Kultur). Jeder Vertragsstaat hat die im Zivilpakt niedergelegten Rechte seinen Bürgern zu gewährleisten: der Pakt verpflichtet alle Vertragsstaaten, „im Einklang mit seinem verfassungsmäßigen Verfahren... die erforderlichen Schritte zu unter­ nehmen, um die gesetzgeberischen oder sonstigen Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um den in diesem Pakt anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen“15, d.h. durch eigene Gesetze die Menschenrechte des Zivilpaktes zu gewährleisten. Dementsprechend muß der Vertragsstaat auch jedem Betroffenen, der in diesen Menschenrechten verletzt worden ist, die Möglichkeit einräumen, „wirksame Beschwerde einzulegen“16 und dafür Sorge zu tragen, daß der Be­ schwerdeführer „sein Recht durch das zuständige Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzgebungsorgan... feststellen lassen kann“17 Im Gegensatz zum Zivilpakt, dessen Menschenrechte jeder Vertragsstaat seinen Bürgern gewährleisten muß, handelt es sich bei den im Sozialpakt enthaltenen Menschenrechten um „ZielVerpflichtungen, die von den Staaten angemessene Bemühungen, jedoch nicht das Erreichen des Ziels verlangen.“18 Artikel 2 des Sozialpakts bringt diese Ziel Verpflichtung zum Ausdruck: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich ... einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit, insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art, unter Aus­ schöpfung aller seiner Möglichkeiten, Maßnahmen zu treffen» um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen.“19 Der Sozialpakt umfaßt die Rechte zur Sicherung des menschlichen Überlebens (Recht auf ausreichende Ernährung, Bekleidung und Wohnung, Recht auf ausrei­ chende Gesundheitsfürsorge), die Rechte in der Arbeitswelt (Recht auf Arbeit, ge­ rechte Arbeitsbedingungen und Bildung von Gewerkschaften), und die kulturellen Rechte (Recht auf Bildung und auf Teilnahme am kulturellen Leben). Weil es sich beim Sozialpakt nicht um konkrete Rechte, sondern um Zielverpflichtungen des

15 Zivilpakt, Art. 2, Abs. 2, in: Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.), Menschenrechte, a.a.O., S. 132-152, S.134. 16 Zivilpakt, Art. 2, Abs. 3 a, a.a.O., S. 134. 17 Zivilpakt, Art. 2, Abs. 3 b, a.a.O., S. 134. 11 Christian Tomuschat, Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte, in: Aus Politik und Zeitge­ schichte, B 49/1988, 2.12.1988, S. 14-24, S. 18. 19 Sozialpakt, Art. 2, Abs. 1, in: Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.), Menschenrechte, a.a.O., S. 121-132, S. 123.

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Staates handelt, enthält er kein festgelegtes Recht auf innerstaatliche Beschwerde bei Rechtsverletzungen wie der Zivilpakt. War in früheren Jahren von der Bundesregierung - in Übereinstimmung mit den Standpunkten der Regierungen der meisten westlichen Industrieländer - der deklaratorische Charakter der Menschenrechte des Sozialpakts betont worden - , so scheint sich die Position des Auswärtigen Amtes zur Frage des Zusammen­ hanges und der gleichzeitigen Realisierbarkeit beider Pakte in der letzten Zeit geändert zu haben. So betonte Außenminister Genscher vor der UN-GeneralVer­ sammlung am 26.9.1990: „Eine globale Ordnung des Friedens und der Zusam­ menarbeit, der Freiheit und der Menschenrechte verlangt vor allem soziale Ge­ rechtigkeit. Wirklicher Frieden ist nur dort, wo alle Menschenrechte geachtet werden. Die beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen zur Sicherung der politischen sowie der wirtschaftlichen und sozialen Rechte müssen zusam­ mengesehen werden, sie dürfen nirgendwo nur leere Forderungen bleiben, sie bedürfen der Verwirklichung für alle.20

6.2. Die Fortentwicklung der Menschenrechte

Seit Beginn der achtziger Jahre gibt es in den Vereinten Nationen eine intensive Diskussion darüber, ob neben den individuellen bürgerlichen Menschenrechten, auch „Menschenrechte der ersten Generation“ genannt, und den „Menschen­ rechten der zweiten Generation“, den kollektiven sozialen und wirtschaftlichen Rechten, „Menschenrechte der dritten Generation“ geschützt bzw. gewährleistet werden sollten. Gemeint sind damit Rechte, die für die Bürger in den einzelnen Staaten nur gesichert werden können durch gemeinsame Anstrengungen auf inter­ nationaler Ebene. Es sind umfassende kollektive politische und soziale Rechte, de­ ren Erfüllung aber im Grunde genommen die Voraussetzung für den Genuß der Menschenrechte der ersten und zweiten Generation sind: Das Recht auf Frieden, das Recht auf Entwicklung, das Recht auf eine intakte Umwelt, auf ausreichende Ernährung.21 1984 erklärte die UN-Generalversammlung in der Resolution 39/11 vom 12. November 1984 das Recht der Völker auf Frieden und im Jahr 1986 das

20 Hans-Dietrich Genscher, Rede des Bundesaußenministers vor der 45. UN-Generalversammlung am 26. September 1990, in: Vereinte Nationen, H. 6/1990, S. 211-214, S. 213. 21 Vgl. Final Report of UNESCO Expert Meeting on Human Rights, Human Needs and the Estab­ lishment of a New International Economic Order, Paris, 19-23 June 1978, UNESCO Doc. S78/CONF.630/12.

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Recht auf Entwicklung.22 Die Wiener Menschenrechtskonferenz der Vereinten Na­ tionen bestätigte 1992 erneut das Recht auf Entwicklung. Die politische und moralische Berechtigung, für jeden Staat und jeden Bürger aller Staaten ein Recht auf Frieden und auf Entwicklung zu proklamieren, ist unbestritten. Umstritten ist innerhalb der Vereinten Nationen, wie sinnvoll es ist, diesen Anspruch als Menschenrechte in Grundsatzdokumenten festzuhalten. Was das Recht auf eine intakte Umwelt anbetrifft, wäre dagegen durchaus eine Umweltkonvention vorstellbar als Rahmenkonvention für die wachsende Zahl internationaler Abkommen über Umweltfragen vorstellbar, die einen verbindlichen Rahmen für die Verwirklichung dieses Menschenrechtes schafft23, indem die Grundsätze der internationalen Zusammenarbeit im Umweltschutz zur verbind­ lichen Rechtspflicht der Mitgliedstaaten gemacht werden. So rief 1987 die Welt­ kommission für Umwelt und Entwicklung, in ihrem Brundtland-Bericht „Unsere Gemeinsame Zukunft“ dazu auf, eine internationale Konvention über Umwelt­ schutz und dauerhafte Entwicklung zu schaffen, welche „die Hoheitsrechte und die gegenseitigen Verantwortlichkeiten aller Staaten im Hinblick auf Umwelt­ schutz und dauerhafte Entwicklung“ regelt.24 Hans-Dietrich Genscher hat die Notwendigkeit, angesichts der ökologischen Probleme zu einer Fortentwicklung des Völkerrechts durch die Vereinten Na­ tionen zu kommen, 1990 in seiner Rede vor der 45. UN-Generalversammlung ausdrücklich hervorgehoben: „Ein menschenwürdiges Dasein verlangt auch eine unbeschädigte Umwelt, es verlangt die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundla­ gen. Die Sicherung des Friedens verlangt nicht nur das Ende des Krieges der Menschen gegen die Menschen, sie verlangt das Ende der wirtschaftlichen Aus­ beutung, sie verlangt auch das Ende des Krieges der Menschen gegen die Natur. Ein dritter Menschenrechtspakt sollte dem Schutz der natürlichen Lebensgrund­ lagen dienen. Aufgabe der Vereinten Nationen in dieser Dekade ist die Weiter­ entwicklung des internationalen Rechtssystems, um das Überleben der Menschheit

22 GA Res. 41/128 vom 4.12.1986. 23 Erst wenige Völkerrechtler vertreten diese Position, so z.B. Cathenne Tinker, Environmental Planet Management by the United Nations: An Idea Whose Time Has Not Yet Come?, in: Journal of International Law and Politics, vol. 22 (1990), No. 4, S. 793-830; Ho, U.N. Recognition of the Human Right to Environmental Protection, in: Earth Law Journal, H. 2/1976, S. 225-254; Uibopuu, The International!)^ Guaranteed Right of an Individual to a Clean Environment, in: Comparative Law Yearbook, H. 1/1977, S. 101-120; generell zum Problem Umweltschutz und Menschenrecht: W. Gormley, Human Rights and Environment: The Need for International Cooperation, 1976. 24 Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Unsere gemeinsame Zukunft (Englische Original­ ausgabe: Our Common Future, Oxford 1987), Deutsche Ausgabe hrsgg. von Volker Hauff, Greven 1987, S. 326-327.

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zu sichern. 4425 Dieser Verpflichtung zur Fortentwicklung des internationalen Rechtssystems in Richtung auf einen „dritten Menschenrechtspakt“ist die Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 nachgekommen. In ihrer Schlußerklärung, der „Wiener Erklärung“26, bestätigt sie das „Recht auf Entwicklung als universelles und unveräußerliches Recht und als integralen Bestandteil der menschlichen Grundrechte“ und stellt es in einen engen Zusammenhang mit der Umweltver­ träglichkeit der Entwicklung, indem sie fordert, „das Recht auf Entwicklung sollte so verwirklicht werden, daß die entwicklungsmäßigen und umweltbezogenen Erfordernisse der gegenwärtigen und künftigen Generationen gleichmäßig erfüllt werden.“ Damit wird in einem Menschenrechtsdokument der Vereinten Nationen auch die Zukunftsdimension der Menschenrechte angesprochen. Außerdem nimmt die „Wiener Erklärung“ auch zu der Kontroverse um das Verhältnis zwischen den liberalen Freiheitsrechten und den wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechten Stellung, indem sie in der Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte des Menschen eine Voraussetzung für den Genuß der liberalen Freiheitsrechte sieht: „Verbreitete extreme Armut behindert den vollen Genuß der Menschenrechte; ihre umgehende Verringerung und ihre Beseitigung als Endziel müssen für die internationale Gemeinschaft hohe Priorität behalten.“27

6.3. Das System des Menschenrechtsschutzes in den Vereinten Nationen

Die Mehrzahl der internationalen Konventionen im Menschenrechtsbereich sehen als Kontrollinstrument Ausschüsse aus unabhängigen Sachverständigen vor, welche die Berichte über die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen überprü­ fen, die ihnen die Vertragsstaaten in regelmäßigen Abständen vorlegen müssen. Sachverstand und Engagement reichen jedoch zur wirksamen Kontrolle von Menschenrechtsverletzungen nicht aus: Die Effektivität eines solchen Kontroll­ verfahrens hängt, so urteilt Theodoor van Boven aus seiner langjährigen Erfah­ rung, „zum großen Teil vom Kooperationswillen der betreffenden Regierungen, von ihrer Vertrauenswürdigkeit und von ihrer Bereitschaft ab, einen echten Dialog zu beginnen, wie auch von... der Zuverlässigkeit der Vorarbeiten des UN-Sekre-

25 Hans-Dietrich Genscher, Rede des Bundesaußenministers vor der 45. UN-Generalversammlung am 26.9.1990, in: Vereinte Nationen, H. 6/1990, S. 211-214, S. 213. 26 The Vienna Declaration, a.a.O. 27 Ebd.

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tariats.“28 Christian Tomuschat weist auf die Mängel des Berichtsprüfungsverfahrens hin:29 „Viele Berichte sind äußerst knapp. Positive Entwicklungen werden gebührend herausgestrichen, Fehler und Versäumnisse hingegen verschwiegen. Meist gehen die Berichte nur auf die normative Seite der Probleme ein. Die Ausschüsse werden über die Gesetzestexte ... informiert, aber man verliert kein Wort dar­ über, ob diese Bestimmungen auch die lebendige Wirklichkeit des Landes prä­ gen.“30 Nur wenn die Ausschußmitglieder aus anderen Informationnsquellen über weitere Informationen verfugen, kann die Wirksamkeit der Berichtsprüfung erhöht werden. Hier leisten NGOs wie Amnesty International und die Internationale Juristenkommission gute Dienste durch Materialzusammenstellungen über Men­ schenrechtsverletzungen in dem betreffenden Staat. Die Wirksamkeit des Berichtsprüfungsverfahrens beruht darin, daß die Staaten vor einer größeren Offemtlichkeit, den Vertretern anderer Staaten in den UNMenschenrechtsgremien Rede und Antwort stehen müssen und die Tatsache, daß sie sich verantworten müssen, öffentlich bekannt ist. Dadurch kann durchaus ein erheblicher politischer Druck auf ein Land, das Menschenrechtsverletzungen begeht, ausgeübt werden, der seine Wirkung nicht verfehlt, allerdings häufig erst nach längerer Zeit. Die Staatenberichtsprüfungen werden durch das Instrument des Beschwerdever­ fahrens ergänzt, und zwar der Staaten- und der individuellen Beschwerde. Beide Beschwerdeverfahren gelten nicht automatisch für alle Vertragsstaaten der Men­ schenrechtskonventionen, sondern setzen besondere Erklärungen der Vertragsstaa­ ten voraus, so z.B. für die Staatenbeschwerde beim Zivilpakt nach Art. 41:31 „Ein Vertragsstaat kann auf Grund dieses Artikels jederzeit erklären, daß er die Zu­ ständigkeit des Ausschusses [des Menschenrechtsausschusses, der Vers.] zur Ent­ gegennahme und Prüfung von Mitteilungen anerkennt, in denen ein Vertragsstaat geltend macht, ein anderer Vertragsstaat komme seinen Verpflichtungen aus diesem Pakt nicht nach. Mitteilungen auf Grund dieses Artikels können nur entgegengenommen und geprüft werden, wenn sie von einem Vertragsstaat eingereicht werden, der für sich selbst die Zuständigkeit des Ausschusses durch

29 29 30 31

Theodoor C. van Boven, a.a.O., S. 187. Christian Tomuschat, Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte, a.a.O., S. 22. Ebd. Zivilpakt, Art. 41, Abs. 1, a.a.O., S. 147.

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eine Erklärung anerkannt hat.“32 Vom Staatenbeschwerdeverfahren wird jedoch wenig Gebrauch gemacht. Dagegen wird vom Individualbeschwerdeverfahren stärker Gebrauch gemacht. Beim Zivilpakt unterwirft sich ein Staat dem Individualbeschwerdeverfahren, indem er einem besonderen Zusatz zum Zivilpakt, dem Fakultativprotokoll ge­ sondert beitritt. Bis Ende 1991 hatten immerhin ca. 500 Personen eine Beschwer­ de an den Menschenrechtsausschuß gerichtet.33 Der weitaus wichtigste und am häufigsten von Beschwerdeführern genutzte Beschwerdeweg ist das Beschwerdeverfahren auf der Grundlage der Resolution 1503 des ECOSOC vom 27. Mai 1970: Die Beschwerden werden entweder an den Generalsekretär der Vereinten Nationen gerichtet, der sie vertraulich an die Menschenrechtskommission des ECOSOC weiterleitet oder direkt an die Men­ schenrechtskommission. Die letztere gibt die Beschwerden dann zur Prüfung an eine aus 26 Experten bestehende Unterkommission der Menschenrechtskommis­ sion zur Verhütung der Diskriminierung und zum Schutz der Minderheiten. Die beschuldigten Mitgliedstaaten werden über die Beschwerden informiert und um eine Stellungnahme gebeten. Wenn die Unterkommission aufgrund einer großen Zahl überprüfter Beschwerden der Auffassung ist, daß es sich sich um massive, systematische und schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte in einem Land handelt, kann sie den Fall der Menschenrechtskommission zur Behandlung vorlegen. Diese kann dann beschließen, einen Bericht über die Lage in diesem Land durchführen zu lassen oder einen Ad-hoc-Ausschuß für weitere Nachfor­ schungen einzusetzen. Das gesamte „1503-Verfahren“ geschieht vertraulich in nicht-öffentlichen Sitzungen. Dieses Verfahren wird intensiv in Anspruch genommen: Der damalige Unterge­ neralsekretär für Menschenrechtsfragen, Jan Martenson berichtete von über 300 000 Beschwerden, die allein 1989 nach diesem Verfahren aufgrund der Resolution 1503 des ECOSOC von der Menschenrechtskommission behandelt wurden.34

32 Nach dem Bericht des Menschenrechtsausschusses des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte 1988 an die 43. UN-Generalversammlung, Offizielles Protokoll der Generalver­ sammlung, Beilage Nr. 40 (U.N. Doc. A/43/40), New York 1988, para. 1, S. 1, und Anhang I, S. 188ff., haben 22 Staaten eine solche Erklärung nach Art. 41 des Pakts abgegeben, darunter die skandinavischen Staaten, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland (die allerdings nur bis zum 27.3.1991 gültig ist), z.B. Frankreich, die USA und die osteuropäischen Staaten fehlen. 33 Zitiert nach Christian Tomuschat, Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte, a.a.O., S. 23, sowie schriftl. Mitteilung vom 13.11.1991 an den Verfasser. 34 Jan Martenson, The United Nations and New Perspectives in Human Rights. Address at the Deutsche Gesellschaft für Vereinte Nationen on 10 January 1990, in: Zur Diskussion gestellt, Nr. 26, Januar 1990, hrsgg. von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen Bonn, S. 9.

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Ein weiteres Instrument des Menschenrechtsschutzes sind Ad-hoc-Arbeitsgrappen von Experten zur Untersuchung der Menschenrechtssituation in einem Land oder einzelne Länderberichterstatter, welche die Menschenrechtskommission einsetzt.35 Sie haben sich als sehr wirksam erwiesen, weil sie vor Ort Tatsachen ermitteln, vorausgesetzt» das betreffende Land läßt sie einreisen: „Sind einmal die Fakten bekannt, kann der betroffene Staat sich nicht mehr durch Ableugnung oder Be­ schwichtigung aus der Affäre ziehen.“36 Die Berichte über einzelne Länder, aber auch über bestimmte Bereiche von Menschenrechtsverstößen in mehreren Ländern, haben sowohl Auswirkungen auf die Zahl der Menschenrechtsverstöße als auch - im Laufe der Jahre - auf die Reform der entsprechenden Gesetze der untersuchten Länder:37 „Mit solchen Informationen aus erster Hand verfugt die Weltorganisation über eine verläßliche Basis für ihr weiteres Vorgehen. Der jeweils untersuchte Staat wird einem erheb­ lichen Druck ausgesetzt ... Häufig, leider nicht immer, genügt allein schon das Aufzeigen der Mängel, um die verantwortlichen Regierungsstellen zur Umkehr und Abhilfe zu veranlassen.“38 Darüberhinaus interveniert der Generalsekretär oft im Rahmen seiner Vermitt­ lertätigkeit direkt bei den Regierungen: Diese Interventionen erweisen sich oft als schnell wirksam, weil sie mit dem Prestige des Generalsekretärs verbunden sind.39 Wenn man eine Bilanz der Wirksamkeit des Menschenrechtsschutzes der Ver­ einten Nationen zum jetzigen Zeitpunkt zu ziegen versucht, stehen Teilerfolge neben Schwächen: wenig Wirksamkeit der Berichtsprüfungsverfahren, größere Wirksamkeit der Länder- und Themenberichterstatter, die Möglichkeit, durch eine Vielzahl von Beschwerden nach dem „1503-Verfahren“ die Aufmerksamkeit der Menschenrechtskommission auf ein Land zu lenken. Grundsätzlich wirken alle Schutzverfahren langsam, sie können massive Menschenrechtsverstöße nicht sofort verhindern, sondern ihre Fortsetzung in der Zukunft weniger wahrschein­ lich machen. Solange der Menschenrechtsschutz der Vereinten Nationen noch immer gra­ vierende Schwächen aufweist, kommt der Haltung der einflußreichen Mitglieds­ länder in Fragen der Menschenrechtsverletzungen in bilateralen Beziehungen bzw.

33 Jan Martenson, The United Nations, a.a.O., S. 8. 36 Christian Tomuschat, Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte, a.a.O., S. 23. 37 Jan Martenson, a.a.O., S. 9. 38 Christian Tomuschat, Bewahrung, Stärkung, Ausgestaltung. Zur künftigen Menschenrechtspolitik Deutschlands in der Weltorganisation, in: Vereinte Nationen, H. 1/1991, S. 6-10, S. 7. 39 Vgl. sowohl Jan Martenson, a.a.O., S. 9 als auch Informationsdienst der Vereinten Nationen, Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Aufbau, Arbeitsgebiete, a.a.O., S. 126.

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Verhandlungen große Bedeutung zu. Positiv zu werten ist in diesem Zusammen­ hang die Tendenz der westlichen Industrieländer, bei der Vergabe von Entwick­ lungshilfemitteln auch die Menschenrechtssituation in dem betreffenden Land zu berücksichtigen.40 Diese Praxis hat im Falle der ASEAN-Staaten schon zu förmli­ chen Protesten der ASEAN-Außenminister Indonesiens, Thailands, Singapurs, Malaysias und Bruneis auf ihrer Jahrestagung im Juli 1991 geführt, die sich über „wachsende Tendenzen44 ihrer führenden westlichen Handelspartner EG und USA beklagten, Menschenrechtsfragen mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit zu kop­ peln, nachdem die gleiche Frage bereits beim Treffen der EG-Außenminister mit ihren ASEAN-Kollegen im Juni 1991 in Brüssel Unstimmigkeiten ausgelöst hatte.41

6.4. Die Wiener Menschenrechtskonferenz 1993

1989 diskutierte die UH -Generalversammlung erstmals den Vorschlag, eine Welt­ menschenrechtskonferenz zur Bilanzierung und Fortentwicklung des Menschen­ rechtsschutzes abzuhalten, der zweiten Menschenrechtskonferenz nach der Teheraner Menschenrechtskonferenz 1968. Ein Jahr später, im Dezember 1990, be­ schloß die Generalversammlung die Einberufung der Konferenz für Juni 1993 und legte sechs Aufgaben für die Konferenz fest:42 1. eine Bestandsaufnahme und Bewertung der Fortschritte auf dem Gebiet der Menschenrechte seit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Men­ schenrechte im Jahr 1948;

40 So führte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam­ menarbeit, Hans-Peter Repnik in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“, das am 25.4.1991 ver­ öffentlicht wurde, auf die Frage des Interviewers nach den Rahmenbedingungen, an welche die Bundesregierung in Zukunft ihre Entwicklungshilfe knüpfen wolle, aus: „Demokratie, oder zumindest demokratische Ansätze, dazu gehören Menschenrechte, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pluralis­ mus, sind ganz wichtige Voraussetzungen. Wir werden stärker darauf achten, ob die Eliten sich nur um ihr Wohl oder um das der ihnen anvertrauten Menschen kümmern... Wir müssen uns zum Wohl der Bevölkerung stärker in die inneren Angelegenheiten unserer Partnerländer einmischen.“ (Interview von Erwin Northoff und Ingrid Müller mit Hans-Peter Repnik, in: Der Tagesspiegel, 25.4.1991, S. 6). 41 Sie betonten in einem gemeinsamen Kommunique, diese Frage sollte nicht zur Bedingung für Entwicklungshilfe gemacht werden. Die internationale Anwendung der Menschenrechte dürfe weder selektiv sein noch die Souveränität von Nationen verletzen. Vielmehr sollte die Anwendung dieser Rechte der Verantwortung jedes Landes überlassen bleiben. (Zitiert nach: Klagen der ASEAN-Staaten über Auflagen bei Entwicklungshilfe, in: Der Tagesspiegel, 21.7.1991). 42 Vgl. Andreas Zumach, Vor der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien: Die Chancen für konkrete Ergebnisse sind gleich Null, in: Das Parlament, Nr. 17/93, 23.4.1993, S. 16.

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2. die Analyse von Wegen, um Hindernisse beim weiteren Fortschritt zu über­ winden; 3. die Untersuchung des Zusammenhanges zwischen Entwicklung und der uni­ versellen Ausübung der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen und politischen Rechte; 4. die Erörterung von Wegen zur besseren Umsetzung von Menschenrechtsstan­ dards und -konventionen; 5. die Entwicklung von Wegen zur Stärkung der UN-Überwachungs- und Unter­ stützungsinstrumente im Menschenrechtsbereich; 6. die Entwicklung von Empfehlungen zur Sicherung angemessener finanzieller und anderer Ressourcen für die Menschenrechtsarbeit der UN. Diese anspruchsvolle Aufgabenstellung konnte die Wiener Konferenz nicht erfül­ len, dafür waren schon im Vorfeld der Konferenz, auf den vier Vorbereitungs­ Tagungen der Konferenz in Genf sowie auf den regionalen Vorbereitungstagungen in Tunis, San Jos6 und Bangkok die Meinungsunterschiede zu groß, die sich vor allem auf die Frage der Allgemeingültigkeit der Menschenrechte bezogen. Eine größere Gruppe von Staaten der Dritten Welt hatte argumentiert, man könne Menschenrechte nicht universell definieren, sondern müsse sie je nach kulturellen, religiösen und sozialen Traditionen für die einzelnen Gesellschaften unterschied­ lich definieren.43 Der Vorsitzende der Vorbereitungskonferenz Ibrahima Fail be­ stätigte am Schluß der letzten Vorbereitungstagung der Konferenz im Mai 1993, daß an mehreren Stellen eine tiefer Nord-Süd-Graben nicht habe überbrückt werden können.44 Deshalb befürchteten viele UN-Diplomaten und Menschen­ rechtsorganisationen nach den Kontroversen im Vorfeld ein Scheitern der gesam­ ten Konferenz. Das Scheitern der Konferenz konnte verhindert werden und am Schluß ist sogar ein tragbarer Kompromiß herausgekommen. Die „Wiener Erklärung“, das Ab­ schlußdokument enthält als Kemelemente die Bestätigung der Universalität der Menschenrechte, die Bekräftigung des Rechts auf Entwicklung sowie die Darstel­ lung des Zusammenhanges zwischen Demokratisierung, Entwicklung und dem Schutz der Menschenrechte.

43 Vgl. Ansgar Skriver. Wellkonferenz über Menschenrechte, in: Vereinte Nationen, H. 4/1993, S. 146-148, S. 147. 44 Vgl. Nord-Süd-Konnikt über Menschenrechte. USA bestehen auf Einsetzung eines UNO-Hochkommissars. Dritte Welt furchtet Einmischung, in: Süddeutsche Zeitung» 10.5.1993.

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Nach langen, schwierigen Verhandlungen mit den Staaten, die das Prinzip der Universalität der Menschenrechte relativieren wollten, gelang es, das Prinzip der Universalität in der Schlußerklärung unterzubringen.45 Die „Wiener Erklärung44 bekräftigt ausdrücklich:46 „Alle Menschenrechte sind allgemeingültig, unteilbar, bedingen einander und bilden einen Sinnzusammenhang. Die internationale Ge­ meinschaft muß die Menschenrechte weltweit in fairer und gleicher Weise, auf der selben Basis und mit dem selben Nachdruck behandeln. Zwar ist die Bedeu­ tung nationaler und regionaler Besonderheiten und unterschiedlicher historischer, kultureller und religiöser Voraussetzungen im Auge zu behalten, aber es ist die Pflicht der Staaten, ohne Rücksicht auf ihr jeweiliges politisches, wirtschaftliches und kulturelles System alle Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fordern und zu schützen.44 Im Gegenzug hat der Westen das von der Dritten Welt geforderte Recht auf Entwicklung als Menschenrecht anerkannt. Dazu heißt es in der „Wiener Er­ klärung44: „Die Weltkonferenz über die Menschenrechte bekennt sich zum Recht auf Entwicklung, wie es in der Erklärung über das Recht auf Entwicklung ver­ ankert wurde, als einem allgemeingültigen und unveräußerlichen Recht und als einem integralen Bestandteil der grundlegenden Menschenrechte.44 In einer für ein Menschenrechtsdokument ungewohnt klaren sozioökonomischen Argumentation wird mit der Forderung nach dem Abbau der Verschuldung der Entwicklungs­ länder verknüpft: „Die Weltkonferenz fordert die internationale Gemeinschaft auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um zur Verringerung der Auslandsschulden­ belastung der Entwicklungsländer beizutragen, um so die eigenen Bemühungen der Regierungen dieser Länder um die volle Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ihrer Bürger zu unterstützen.44 Wiederum auf Wunsch des Westens wurde der Zusammenhang von Demo­ kratisierung, Entwicklung und Achtung der Menschenrechte in die Erklärung betont: „Demokratie, Entwicklung und Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten bedingen und stärken einander.44 Ein wichtiger Erfolg für den Menschenrechtsschutz ist auch die Tatsache, daß allerdings ohne Namensnennung - die massiven Menschenrechtsverletzungen in Jugoslawien angeprangert wurden: „Die Weltkonferenz über die Menschenrechte bringt ihren Abscheu angesichts der massiven Verletzungen der Menschenrechte,

45 Vgl. Matthias Naß, Schützende Worte. Wiener Menschenrechtskonferenz: Fortschritt für Frauen, in: Die Zeit, 2.7.1993, S. 6. 46 Alle Auszüge aus der „Wiener Erklärung“ im folgenden sind zitiert nach: The Vienna Declaration, deutsche Übersetzung des Auswärtigen Amtes, a.a.O..

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vor allem in Form von Genozid, “ethnischen Säuberungen* und systematischen Vergewaltigungen von Frauen in Kriegssituationen zum Ausdruck, wodurch ein Massenexodus von Flüchtlingen und Vertriebenen entsteht. Die Weltkonferenz verurteilt solche abscheulichen Praktiken mit größter Schärfe und wiederholt gleichzeitig die Forderung, daß die Urheber solcher Verbrechen bestraft und diese Praktiken sofort eingestellt werden müssen.“ Nicht mehrheitsfahig war die Forderung der westlichen Staaten nach der Grün­ dung eines Internationalen Menschenrechtsgerichtshofs der Vereinten Nationen. Empfohlen wurde der UN-General Versammlung die Schaffung eines Menschen­ rechts-Hochkommissariat. Dementsprechend hat die Generalversammlung im Dezember 1993 beschlossen, ein solches Amt zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte zu schaffen.47 Am 14. Februar 1994 bestätigte die UN-Generalversammlung die Ernennung von Josö Ayala Lasso aus Ecuador zum Hochkom­ missar für Menschenrechte.48 Insgesamt also stellt die Erklärung nicht den befürchteten Rückschritt dar, son­ dern bringt Fortschritte durch den breiten völkerrechtlichen Konsens, bei dem keine Seite ihr Menschenrechtskonzept einseitig durchgesetzt hat, sondern sowohl die universelle Gültigkeit der Menschenrechte bestätigt und der Zusammenhang von politischen,sozialen, wirtschaftlichen, und kulturellen Menschenrechten betont wurde. Modellcharakter hatte - hoffentlich - auch die breite Beteiligung der NGOs direkt an der Konferenz als Beobachter - in Rio saßen sie noch vor der Tür -, denn ohne die NGOs wäre die Arbeit der Vereinten Nationen in vielen Bereichen nahezu lahmgelegt. Zwar wurde eine ursprünglich geplante direkte Mitwirkung an der Wiener Konferenz durch einige Hardlinerstaaten verhindert49, dennoch nah­ men sie großen Einfluß auf den Konferenzverlauf. Der deutsche Delegationsleiter in Wien, Gerhart Baum, sieht in der Präsenz der NGOs den wichtigsten Grund für den Erfolg der Konferenz: „Letztlich konnten sich auch die Hardliner der Dynamik des Konferenzverlaufs und der wirkungsvollen Anwesenheit der etwa dreitausend Vertreter von rund eintausend Menschenrechtsorganisationen in Wien nicht entziehen.“50

47 GA Res. 48/141 vom 20.12.1993. 48 Vgl. Human Rights, in: UN Chronicle, March 1994, S. 84. 49 Vgl. Gerhart R. Baum, Die Allegemeingültigkeit der Menschenrechte bleibt gewahrt, in: E + Z, 34. Jg. (1993), H. 8, S. 196-197, S. 197. 30 Gerhart R. Baum, a.a.O., S. 197.

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6.5. Die Debatte um den Internationalen Strafgerichtshof

Seit einiger Zeit befaßt man sich in den Vereinten Nationen mit dem Versuch, Grundlagen für ein internationales Strafrecht, ein Völkerstrafrecht zu schaffen und die Voraussetzungen für einen Internationalen Strafgerichtshof zu prüfen. Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen hat sich im Juli 1991 auf einen Entwurf für einen Kodex internationaler Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit (Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind) geeinigt51, der als Grundlage für ein internationales Straf­ recht dienen könnte, das in Form einer internationalen Konvention von den Staaten angenommen und ratifiziert werden könnte. Ebenso hat sich die Völker­ rechtskommission aufgrund eines Auftrages der UN-GeneralVersammlung vom Dezember 1991 mit den Voraussetzungen für die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs beschäftigt. In seinem Bericht52 an den Sechsten Ausschuß der UN-General Versammlung während der 47. Tagung 1992 legte der Vorsitzende der Völkerrechtskommission Christian Tomuschat Überlegungen zur Errichtung des Gerichtshof einer Arbeitsgruppe der Völkerrechtskommission vor: Der Gerichts­ hof sollte durch ein Statut gegründet werden in Form eines Vertrages zwischen den Staaten. In seiner ersten Phase solle der Gerichtshof nur seine Jurisdiktion über Privatpersonen ausüben und noch nicht über Staaten. Die Jurisdiktion des Gerichtshof sollte sich auf spezifizierte internationale, rechtskräftige Verträge be­ schränken, die internationale Verbrechen definieren.53 Bis aus dieser Vorbereitungsarbeit der Völkerrechtskommission völkerrechtlich verbindliche Konventionen über den Kodex internationaler Verbrechen und über das Statut für einen Internationalen Gerichtshof werden, können noch Jahre vergehen. Auch dann hätte der Internationale Strafgerichtshof nur gegenüber Staaten Kompetenzen, welche die Konventionen ratifiziert haben. Wenn man sich die geringe Zahl derjenigen Staaten vor Augen hält, die sich der obligatorischen Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen haben - 1993 waren es 46

51 Vgl. Report of the International Law Commission on the work of its forty-third session (29 April 19 July 1991), in: UN GAOR 46th sess. Suppl. 10 (A/46/10). 32 Ebd. 53 Vgl. Virginia Morris/Christiane Bourloyannis, The Work of the Sixth Committee at the FortySeventh Session of the UN General Assembly, in: American Journal of International Law, vol. 87 (1993), H. 2, S. 306-323, S. 313f.

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muß man skeptisch bleiben hinsichtlich der Zahl der Staaten, die sich

dem Internationalen Strafgerichtshof als Staat und für ihre Bürger unterwerfen würden, die dann auch unmittelbar von der Rechtsprechung des Gerichts betroffen sein könnten. Für den Schutz der Menschenrechte würde der Gerichtshof sicherlich eine Stärkung bedeuten55, denn gerade die massiven Menschenrechtsverletzungen in Bürgerkriegen sind es, die viele in den Vereinten Nationen motivieren, sich für die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofs einzusetzen.

6.5.1. Der Internationale Strafgerichtshof für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien Während die Diskussion über die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichts­ hofs als allgemeine Instituion der Vereinten Nationen weitergeht, hat der Sicher­ heitsrat im Fall Fall Jugoslawien gehandelt, nämlich einen besonderen Strafge­ richtshof für die dort begangenen Kriegsverbrechen geschaffen: Er beschloß am 22. Februar 1993 mit Resolution 808, einen internationalen Gerichtshof zu schaf­ fen, der diejenigen Personen strafrechtlich verfolgen soll, die seit 1991 im Ho­ heitsgebiet des ehemaligen Jugoslawiens schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen haben.56 Am 15. August 1993 wurden die 11 Richter des Internationalen Strafgerichtshofs für die Kriegsverbrechen in Jugoslawien von der Generalversammlung auf Vorschlag des Sicherheitsrats gewählt57, im Oktober 1993 ernannte der Sicherheitsrat auf Vorschlag von Generalsekretär Boutros-Ghali Ramon Escovar-Salom zum Leiter der Anklagebehörde beim Internationalen Straf­ gerichtshof.58 So verständlich der Wunsch vieler Staaten ist, die Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien zu ahnden, die gefundene Lösung bleibt problematisch: Das recht­ liche Verfahren, daß der Sicherheitsrat aus seiner Kompetenz einen Gerichtshof

34 Zit. nach Karin Oellers-Frahm, Die „obligatorische*4 Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichts­ hofs, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Jg. 50 (1990), H. 4, S. 243264, S. 260. 35 Vgl. M. Cherif Bassiouni/Christopher L. Blakesley, The Need for an International Criminal Court in the New International World Order, in: Vanderbilt Journal of Transnational Law, vol. 25 (1992), H. 2, S. 151-182. 36 SC Res. 808 (1993) vom 22.2.1993. 37 Vgl. General Assembly elects eight of eleven judges for International War Crimes Tribunal, United Nations Press Release GA/496, 15 September 1993. 38 SC Res. 877 (1993) vom 21.10.1993.

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schafft, ist zum einen in der UN-Charta nicht vorgesehen. Es heißt lediglich in Art. 29: „Der Sicherheitsrat kann Nebenorgane einsetzen, soweit er dies zur Wahrnehmung seiner Aufgaben für erforderlich halt.- Es ist fraglich, ob sich diese Ermächtigung zur Schaffung von Nebenorganen auch auf die Schaffung von Gerichtsinsitutionen bezieht, oder ob die Schaffung eines neuen Gerichtshofs der Vereinten Nationen nicht auf dem Wege einer Charta-Änderung erfolgen müßte. Ein Zwischenschritt auf dem Weg zum globalen Menschenrechtsschutz durch Gerichte, der sich auch bereits abzeichnet, wäre die Herausbildung regionaler Menschenrechtsschutzsysteme mit eigenen Menschenrechtsgerichtshöfen nach dem europäischen Modell in den einzelnen Weltregionen, weil hier sowohl Ansätze zu regionalen politischen Zusammenschlüssen als auch eine größere Konvergenz der Weitvorstellungen und Normen als auf UN-Ebene vorhanden sind.

Ausblick: Braucht die UNO neue Strukturen? Die Aufmerksamkeit, welche die Vereinten Nationen seit ihrer „Renaissance“ 1988 in der Weltöffentlichkeit findet, und die Brisanz und Komplexität der globa­ len Probleme, zu deren Lösung sie maßgeblich beitragen soll, hat bei den Po­ litikern, in den Medien und in der Wissenschaft die Diskussion über die Frage erneut in Gang gebracht, ob man die Vereinten Nationen reformieren solle und könne. Ich möchte an dieser Stelle weder den Versuch unternehmen, diese gegenwärtig sehr breit und kontrovers geführte Diskussion zusammenzufassen und zu kom­ mentieren, denn das wäre genügend Stoff für ein Buch zu diesem Thema, sondern möchte mich hier auf einige grundsätzliche Bemerkungen zu der Reformfähigkeit und -notwendigkeit beschränken, nachdem ich in den vorangegangenen Kapiteln bei der Diskussion der Rolle der Vereinten Nationen in den Bereichen Friedens­ sicherung, Abrüstung, Weltwirtschaftsordnung und Schutz der Menschenrechte die Analyse der Situation mit der Diskussion konkreter Reformvorschläge in dem jeweiligen Arbeitsfeld der Vereinten Nationen verbunden habe. Wenn man die Reformdiskussion in den Vereinten Nationen in den letzten Jahrzehnten verfolgt hat, fällt auf, daß eine Reihe immer wiederkehrender Kritik­ punkte - z.B. die mangelnde Bereitschaft des Sicherheitsrats sich mit akuten politischen Krisen zu befassen, die mangelnde Kommunikation zwischen den ständigen Sicherheitsratsmitgliedern, die zu geringe Ausstattung der UN-Friedenstruppen mit Finanzmitteln - in dem Moment abgestellt bzw. gelöst wurden, wo die Mitgliedstaaten, vor allem die mächtigsten unter ihnen, ein Interesse an der Lösung dieser Fragen hatten. So ist jetzt der früher regelmäßig gemachte Vorschlag, der Generalsekretär solle von sich aus mehr von der Möglichkeit Gebrauch machen, den Sicherheitsrat gemäß Art. 99 der UN-Charta auf Krisenherde in der Welt aufmerksam zu ma­ chen, überflüssig geworden: Der Sicherheitsrat befaßt sich schnell und intensiv mit den Krisenherden, macht reichlich von der Möglichkeit zu informellen Sitzun­ gen Gebrauch. Für die Finanznot der UN-Friedenstruppen wird auf einmal ohne größere Probleme der lange vorgeschlagene Reservefonds geschaffen und wenn die Mittel dennoch nicht reichen, erreicht der Generalsekretär in Verhandlungen, daß die Staaten, die Truppen zur Verfügung stellen, diese auch selbst gleich bezahlen, so geschah es z.B. in Jugoslawien bei der Aufstockung der UNPROFOR - zwar keine ideale Lösung, aber eine praktische.

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Das beste Beispiel für die immanente Reformfähigkeit der Vereinten Nationen, die sie immer dann, wenn die Mitglieder es wollen oder zumindest die Entwick­ lungen dulden, an den Tag legt, sind die UN-Friedenstruppen. Sie waren in der UN-Charta nicht vorgesehen, sondern wurden von Generalsekretär Dag Hammarskjöld quasi „improvisiert“, um in den akuten Krisenherden der Welt mit dem Einverständnis beider Seiten Waffenstillstandslinien zu sichern. Heute kann sich kaum jemand die Vereinten Nationen ohne die UN-Friedenstruppen vorstellen und sie wurden verdientermaßen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Mit anderen Worten, bei den Vereinten Nationen sind nicht die Strukturen ent­ scheidend, sondern die jeweiligen Interessen und Wünsche der Mitgliedstaaten, die Frage, wieweit sie konvergieren oder divergieren, wieweit nationale Interessen dominieren oder das Prinzip multilateraler Kooperation. Denn die Vereinten Nationen sind keine Weltregierung, sondern eine multilaterale Krisenerkennungs­ und Problemlösungsorganisation mit erfahrenen Spezialisten, eine Organisation, mit deren Hilfe die Staaten der Welt zum Teil versuchen, Probleme gemeinsam zu lösen - wie zur Zeit in der Friedenssicherung-. In anderen Bereichen - wie in der Weltwirtschaft - mangelt es an dieser Bereit­ schaft, weil nationale Interessen dominieren, darum ist dort die UN macht- und hilflos, daran könnten auch Strukturreformen nichts ändern, ganz abgesehen davon, daß in Bereichen, wo die Interessen divergieren, die Bereitschaft, Refor­ men zuzustimmen, fehlen dürfte. Die Debatte um die Reform des Welthandelssystems mit UNCTAD, GATT und Weltbankgruppe bietet ein deutliches Beispiel dafür. Andererseits haben auch alle diese Organisationen ihr gewachsenes Profil, eine eigene Geschichte, und sie hätten sicherlich - angesichts der chronischen Geldknappheit in der UNO - längst kein Geld mehr bekommen, wenn ihre Arbeit so schlecht wäre, wie oft von Kritikern behauptet wird. Verbesserungsfähig ist allerdings ihre Zusammenarbeit, hier sind neue Ideen für effiziente Koordination - vor allem im UN-Generalsekretariat - gefragt. Allerdings wird es in einem derartigen komplizierten Netzwerk von internationalen Sonder­ organisationen im Verbund mit der UNO, wie es das System der Vereinten Nationen darstellt, immer Koordinationsprobleme geben. Dafür ist das System aber, wie die Geschichte der Vereinten Nationen beweist, belastungsfähig, kreativ und fair in dem Sinne, daß es allen Staaten die Möglichkeit zur Interessenar­ tikulation und Mitwirkung einräumt.

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Man sollte also bei Reformdiskussionen über die Vereinten Nationen erst einmal klären, ob die Probleme durch die Strukturen verursacht werden und sich durch Änderung der Strukturen lösen lassen oder ob eher politische Aufklärung und Überzeugungsarbeit in den Mitgliedstaaten notwendig ist, um die Haltung der Staatenvertreter in den entsprechenden UN-Gremien zu ändern. So ist z.B. im Menschenrechtsschutz der Vereinten Nationen durch den Druck der öffentlichen Meinung in den Mitgliedsländern und durch die Arbeit von NGOs wie Amnesty International mehr erreicht worden als durch alle Strukturdebatten. Dafür hat gerade die Menschenrechtskonferenz in Wien Anschauungsmaterial geliefert. Nicht weil die Strukturen in diesem Bereich so effizient sind, sondern weil die öf­ fentliche Meinung in vielen Mitgliedsländern sensibilisiert ist und die NGOs seit langem vorzügliche Informationen in das UN-System hinein vermitteln, ist die Arbeit in diesem Bereich gut und erfolgreich. Wo Arbeitsweisen und Koordinationsmechanismen verbessert werden müssen, wie zum Beispiel in der Koordination im Entwicklungshilfebereich oder im Ta­ gungsmodus des Wirtschafts- und Sozialrats, sollten sich die Reformbefürworter von der Vorstellung trennen, dazu wären Charta-Änderungen erforderlich und sinnvoll. Wie die Praxis der UNO zeigt, reichen in der Regel Resolutionen der zustän­ digen Organe aus, um Verfahrensweisen zu ändern oder sich neue Hilfsorgane zu schaffen: Der ECOSOC hat seinen Tagungsmodus durch Resolutionen geändert, der Sicherheitsrat seine Beratungsverfahren informell ohne formale Beschlüsse in der Praxis geändert. Dieses Verfahren ist zudem viel flexibler und schneller als Charta-Revisionen, die Zweidrittelmehrheiten in der Generalversammlung benöti­ gen und anschließend von zwei Dritteln aller Mitglieder einschließlich aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrat ratifiziert werden müssen. Dies ist auch der Grund dafür, daß die Charta bisher nur ganz selten geändert wurde, nämlich bei der Revision der Art. 23, 27 und 61, in denen die Mitglie­ derzahl im ECOSOC zweimal erhöht wurde, einmal von 18 auf 27, dann von 27 auf 54, und die Zusammensetzung des Sicherheitsrats geändert wurde, nämlich die Zahl seiner nichtständigen Mitglieder von sechs auf zehn erhöht wurde. Von grundlegenden Charta-Revisionen ist abzuraten, weil sie die Frage der Machtverteilung in den Vereinten Nationen, die in der Charta in einem kunst­ vollen und durchaus funktionierenden Kompromiß geregelt wurden, neu aufrollen und es nicht sicher ist, daß die neue Lösung besser funktioniert als die alte.

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Was die deutschen und japanischen Wünsche nach einem ständigen Sitz im Si­ cherheitsrat anbetrifft, kann diese Frage, wenn die angestrebte Änderung in der UN-Generalversammlung mehrheitsfahig sein soll, nicht isoliert gelöst werden. Wenn Japan und die Bundesrepublik Deutschland einen ständigen Sitz eingeräumt bekommen, werden größere Staaten der Dritten Welt wie Indien oder Brasilien ebenfalls ihre Wünsche geltend machen und das zu Recht, weil zwei ständige Sitze nur für Japan und die Bundesrepublik die Gewichte im Sicherheitsrat zu­ gunsten des Westens verschieben würden. Eine realistische Änderung, die fünf neue ständige Mitglieder umfassen würde - also z.B. außer den beiden noch Indien, Brasilien und Nigeria - würde den Sicherheitsrat auf zwanzig Mitglieder vergrößern. Es fragt sich, ob durch die gewachsene Größe nicht seine Arbeits­ fähigkeit verschlechtert wird. Außerdem würden die jetzigen ständigen Mitglieder den neuen ständigen Mitgliedern sicher kein Vetorecht einräumen, was auch der realen Machtverteilung in der Weltpolitik - zumindest militärisch noch, wirtschaft­ lich haben sich die Gewichte verschoben - entspricht. Sicher ließen sich auch andere Wege unterhalb der Schwelle der Chartaände­ rung finden, um Japan und die Bundesrepublik stärker in die Arbeit des Sicher­ heitsrats einzubeziehen, z.B. durch einen beratenden Ausschuß für Friedenssiche­ rung ähnlich jenem, wie er bei den Kambodscha-Verhandlungen aus den ständigen Sicherheitsratsmitgliedero und fünf weiteren Staaten, darunter Japan und die Bun­ desrepublik, gebildet wurde. Dies könnte durch eine einfache Resolution des Sicherheitsrats geschehen und ließe sich zudem viel schneller durchführen als eine entsprechende Chartaänderung. Meines Erachtens konzentriert sich die deutsche UN-Diskussion zu oft auf die Frage des Sicherheitsratssitzes. Um die Ansprüche der Bundesrepublik auf mehr Vertretung plausibel und berechtigt erscheinen zu lassen, sollten erst einmal die deutschen Zahlungen für die Vereinten Nationen deutlich erhöht werden, vor al­ lem bei den UN-Friedenstruppen und im Entwicklungshilfebereich könnte die Bundesrepublik damit manche große Lücke stopfen. Zum anderen kann man die Arbeit der Vereinten Nationen von der Bundes­ republik Deutschland aus auch dadurch unterstützen, daß man mehr als bisher hochrangige Experten und fähige Diplomaten in Spitzenfunktionen bei den Verein­ ten Nationen entsendet, statt zu oft diese Posten desinteressiert anderen Staaten zu überlassen. Um es auf den Punkt zu bringen: Das Problem der Vereinten Nationen sind nicht ihre Strukturen, sondern das Geld: Es ist kaum glaublich, daß die wichtigste multilaterale Organisation der Welt mit einem Jahresetat auskommen muß - weni-

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ger als zwei Milliarden Dollar pro Jahr der geringer ist als der Etat der Feuer­ wehr von New York und daß die wichtigen Friedensmissionen der jüngsten Zeit, die 1992 alleine 3 Milliarden Dollar gekostet haben und nicht aus dem regulären Haushalt bezahlt werden, sondern aus speziellen Beiträgen der Staaten, kaum noch finanziert werden können. Wer die Arbeit der UNO also verbessern möchte, der soll sich dafür einsetzen, daß sie mehr Geld bekommt, sie hat es verdient, denn trotz aller Mängel und Probleme ist ihre Arbeit gut und unverzichtbar. Konzeptionell hat Generalsekretär Boutros-Ghali mit seiner „Agenda für den Frieden“ für den Bereich der Friedenssicherung Möglichkeiten aufgezeigt, durch ein umfassendes System von der Prävention über die Schlichtung bis zur Stabili­ sierung der sozi©ökonomischen und politischen Strukturen die Arbeit der Ver­ einten Nationen zu verbessern, und dies alles ohne Chartaänderungen, sondern allein durch die Ausschöpfung der Möglichkeiten, die in der Charta stecken, aufbauend auf den Interessen der Mitgliedstaaten, die zu einer Erweiterung des Arbeitsfeldes bereit sind. Die Vereinten Nationen sind in allen Phasen ihrer Geschichte ein Ausdruck für die Fähigkeit der Nationen zur multilateralen Kooperation gewesen und sind es auch heute, der Fähigkeit, auch dann im Interesse höherer Rechtsgüter und menschlicher Werte Entscheidungen mitzutragen, wenn sie gegen die erklärten eigenen nationalen Interessen gehen. Das Ausmaß dieser Fähigkeit zur Koopera­ tion hat gewechselt in der Geschichte der Vereinten Nationen und dementspre­ chend waren die Vereinten Nationen entweder relativ einflußreich und nützlich oder relativ macht- und hilflos. Strukturreformen können, wenn sie realistisch sind, dabei helfen, die Arbeit der Vereinten Nationen zu verbessern, entscheidend ist jedoch der politische Wille der Nationen, die internationalen Probleme durch Zusammenarbeit zu lösen.

H- O O Q Q Q

Die Struktur des UN Systems

I (/)

< K 5 lL

2 0 0

Abkürzungsverzeichnis ACC Add. Art. Ausl. BGBL CCD CD CSD DPI DC ECOSOC FAO

GA GATT GEF GG IAEA IAEO IBRD

ICJ IDA IFC IGH ILC ILO IMF

Adminstrative Committee on Coordination/Verwaltungsausschuß für Koordinierung Addendum Artikel Auflage Bundesgesetzblatt Conference of the Committee on Disarmament/Konferenz des Abrüstungsausschusses Committee on Disarmament/Abrüstungsausschuß Commission on Sustainable Development Department of Public Information/Abteilung Presse und Infor­ mation Disarmament Commission/Abrüstungskommission Economic and Social Council/Wirtschafts- und Sozialrat Food and Agriculture Organization of the United Nations/Emährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Ver­ einten Nationen General Assembly/Generalversammlung General Agreement on Tariffs and Trade/Allgemeines Zollund Handelsabkommen Globale Umwelt-Fazilität Grundgesetz International Atomic Energy Agency Internationale Atomenergie-Organisation International Bank for Reconstruction and Development (World Bank)/Intemationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank) International Court of Justice/Interoationaler Gerichtshof International Development Association/Intemationale Ent­ wicklungsorganisation International Finance Corporation/Intemationale Finanzkorpo­ ration Internationaler Gerichtshof International Law Commission/Völkerrechtskommission International Labour Organization/Intemationale Arbeitsorga­ nisation International Monetary Fund

Anhang

IWF LDC LLDC MINURSO

NGO NIEO NWWO OAS OAU OECD OPEC ONUCA PLO Res. SALT SC START SG TDB UNAVEM UNCDF UNCED UNCHE UNCTAD

UN Doc.

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Internationaler Währungsfonds Less developed Countries Least developed Countries Misiön de las Naciones Unidas para el Referendum del Sahara Occidental/Mission der Vereinten Nationen für das Referen­ dum in der Westsahara Non-Govemmental Organization/Nicht-Regierungsorganisation New International Economic Order Neue Weltwirtschaftsordnung Organization of American States/Organisation Amerikanischer Staaten Organization of Afirican Unity/Organisation der Afrikanischen Einheit Organization for Economic Cooperation and Development Organization of Petroleum Exporting Countries/Organisation erdölexportierender Länder United Nations Observer Group in Central America Palestine Liberation Organization/Palästinensische Befreiungs­ organisation Resolution Strategie Arms Limitation Talks Security Council/Sicherheitsrat Strategie Arms Reduction Talks Secretary-General/Generalsekretär Trade and Development Board/Handels- und Entwicklungsrat United Nations Angola Verification Mission United Nations Capital Development Fund/Kapitalentwick­ lungsfonds der Vereinten Nationen United Nations Conference on Environment and Development (Rio, 1992) United Nations Conference on the Human Environment (Stockholm, 1972) United Nations Conference on Trade and Develop­ ment/Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Na­ tionen (Welthandelskonferenz) United Nations Document

196 UNDP UNDRO UNEF UNEP UNESCO

UNFICYP UNFPA

UNGOMAP UNHCR

UNICEF UNIDIR UNIDO

UNIFIL UNIKOM UNIMOG UNITA UNITAF UNITAR UNRWA

Anhang

United Nations Development Programme/Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen Office of the United Nations Disaster Relief Coordinator/Amt des Koordinators der Vereinten Nationen für Katastrophenhilfe United Nations Emergency Force/Notstandsstreitkräfte der Vereinten Nationen (Nahost) United Nations Environment Programme/Umweltprogramm der Vereinten Nationen United Nations Educational, Scientific and Cultural Organiza­ tion/Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wis­ senschaft und Kultur United Nations Peace-keeping Force in Cyprus United Nations Fund for Population Activities/Fonds der Ver­ einten Nationen für Bevölkerungsfragen (UN-Bevölkerungsfonds) United Nations Good Offices Mission in Afghanistan and Pa­ kistan (Office of the) United Nations High Commissioner for Refugees/Der Hohe (bzw. Hoher) Kommissar der Vereinten Na­ tionen für Flüchtlinge United Nations Children‘s Fund/Kinderhilfswerk der Verein­ ten Nationen United Nations Institute for Disarmament Research/Institut der Vereinten Nationen für Abrüstungsfragen United Nations Industrial Development Organiza­ tion/Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Ent­ wicklung United Nations Interim Force in Lebanon United Nations Iraq-Kuwait Observer Mission United Nations Iran-Iraq Military Observer Group Uniao Nacional para Independencia total de Angola United Task Force (in Somalia) United Nations Institute for Training and Research/Ausbil­ dung^ und Forschungsinstitut der Vereinten Nationen United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East/Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten

Anhang

UNOSOM UNOSOM II UNPROFOR UNSCOP UNTAC UNTAG UNTSO UNU UPU UNYOM WCP WFC WFP WHO WMO

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United Nations Operation in Somalia United Nations Operation in Somalia II United Nations Protection Force (Croatia; Bosnia and Herzegovina; and Macedonia) United Nations Special committee on Palestine United Nations Transitional Authority in Cambodia United Nations Transition Assistance Group in Namibia United Nations Truce Supervision Organization in Palestine United Nations University/Universität der Vereinten Nationen Universal Postal Union United Nations Yemen Observation Mission World Climate Programme/Weltklimaprogramm World Food Council/Weltemährungsrat World Food Programme/Weltemährungsprogramm World Health Organization/Weltgesundheitsorganisation World Meteorological Organization/Weltorganisation für Me­ teorologie

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Personenverzeichnis Aidid 55, 58 Anstee 70 Arnold 31, 78, 83, 198 Baum 184 Boutros-Ghali IX, 33, 36, 38-41, 43, 44, 48, 51-55, 58, 72, 74-76, 86, 90, 91, 92, 94, 186, 192, 199, 209 Boven 177, 178, 199, 200 Briquemont 44 Bnmdtland 152, 166, 176, 221 Bush 9, 16, 24, 26, 27, 32, 52, 111, 112, 160 Canino 43 Carrington 35 Christopher 186, 198, 205 Clinton 43, 44, 52, 55, 117 Delbrück 99, 100, 108, 201 Denktasch 75 Fail 182 Genscher 35, 112, 114, 175-177, 204 Gorbatschow 5-7, 9, 87, 88, 112, 204 Goulding 33 Hayes 44 Howe 54 Ismail 161 Izetbegovic 41 Jonah 50, 74 Lie 210 MacKenzie 42 Major 24, 38 Martenson 102, 103, 111, 112, 171, 179, 180, 211 Mazowiecki 33, 38 Milosevic 35 Owen 39, 41, 213 Petrovsky 6, 88, 214 Pol Pot 60 Powell 43 Reagan 7, 9, 207 Stoltenberg 39

224

Personenverzekhms

Thomberry 45 Tomuschat XI, 3-5, 18, 27, 79, 166, 167, 174, 178-180, 185, 218, 219 Tudjman 35, 41 U Thant 218 Urquhart 85, 96, 204, 219, 220 Vance 35, 36, 39, 41 Vassiliou 75 Waldheim 221 Woronzow 22, 23, 76, 77

Sachverzeichnis 1503-Verfehren 179, 180 Abrüstung VI, XI, 2, 9, 12, 21, 86, 102-105, 107-113, 115-119, 148, 188, 200, 208, 209, 211, 220-222 Abrüstungskommission 103-105, 107, 194, 198 ACC 14, 194 Agenda 21 157, 161, 163, 166 Agenda für den Frieden VI, X, 54, 91, 94, 96, 192, 199 Aggression 21, 44, 47, 70, 205 Aggressor 11, 48, 82, 99 Art. 41 17, 19, 21, 93, 98, 100, 178, 179 Art. 42 18, 19, 22, 48, 80, 82, 93, 94 Art. 43 18, 20, 94 Atomteststop-Moratorium VI, 117 Atomwaffensperrvertrag VI, 111, 117-119 Bundesverfassungsgericht 56, 79-82 CCD 104, 194 CD 105, 194 Chartaänderung 191 Chemiewaffen-Konvention VI, 113 CIAV 74 C02-Emissionen 154, 156, 159, 161 CSD 161, 165, 166, 194 Dritte Welt 109, 114, 123, 127, 128, 131, 133, 139, 146, 163, 182 EG 32-34, 36, 38, 39, 41, 42, 46, 128, 158, 161, 181, 213 ENDC 104 Entwicklungshilfe VI, VH, 59, 78, 108, 121, 122, 124, 125, 131, 134, 136, 141, 142, 144, 147, 151, 158, 160-162, 166, 181, 208 Erd-Charta 156, 157 Fakultativprotokoll 179 FCKW 156, 162 Friedensbroch 17, 18, 82 Friedensdividende 108, 109, 141 Friedensdurchsetzung 54, 58, 79, 83, 91, 93-95 Friedenskonsolidierung V, 11, 54, 91, 94 Friedaisschaffung 54, 91, 199 Friedaissicherung V, VI, X, XI, 1, 7, 9, 11, 20, 23, 28, 32, 48, 49, 54, 57, 58, 60, 64, 76, 77, 84-92, 94, 96-98, 114, 167, 188, 189, 191, 192,

199, 201, 202, 209 Friedenstruppen V, 1, 6, 7, 28. 32, 35-38, 41-43, 45, 46, 48, 49, 53-55, 58, 59, 76, 78-80, 83, 85, 87, 93, 94, 96, 188, 189, 191, 218 Frühwammechanismus 30 0-7 XI, 9, 95, 125, 136, 142 GATT VI, 125-130, 139, 140, 143, 153, 154, 189, 194, 205, 206, 210, 213, 214, 216 GEF 158, 161, 194 Genocid 48 Globalverhandlungen 139 Golf-Konflikt V, 11, 17, 18, 20, 21, 23, 24, 26, 80, 82 Golf-Krise 27,29 Golfkrieg 18, 20, 23, 53, 107, 200, 205, 209 Gruppe der 77 131, 136-138, 141, 144, 158 Gute Dienste 178 Handelsembargo 37 Haushalt der UN 9 IBRD 194 IDA 121, 123, 194 IGH 4, 7, 73, 92-95, 185, 194 ILC 13, 168, 169, 194 Integrierte Rohstoffprogramm 138 Interventionsverbot 34, 47, 99, 101, 216 Invasion 4, 12, 13, 15, 17, 24, 31, 61, 205 IPCC 154 IWF 121-124, 130, 133, 137, 139, 142, 143, 146, 153, 195, 209 Kapitel VI 1, 34, 91, 98 Kapitel VII 1, 13, 15, 18, 20, 22, 34, 50, 52, 53, 58. 83, 91, 97, 99, 100, 205 Klima-Konvention 155, 158-161 Klimaveränderung 155 kollektive Selbstverteidigung 18, 20 Kompensations-Kommission 13 Konfliktschlichtung XI, 28, 67, 72, 86 Konversion 86, 108-110, 220 KSZE 8, 32, 33, 38, 46, 110, 118 Kuwait-Koalitionsstaaten 16, 22

Menschairechte VH, X, XI, 9, 48, 90, 91, 99, 100, 136, 145, 170-184, 186, 188, 199, 200, 202, 206, 208, 209, 213, 219 Menschenrechts-Hochkommissariat 184 Maischenrechtskommission 33, 37, 38, 60, 61, 99, 159, 179, 180 Menschenrechtskonferenz VH, 145, 176, 177, 181, 183, 190 Menschenrechtskonventionen 3, 7, 173, 178 Menschenrechtsschutz 171, 180, 183, 187, 190 Menschenrechtsverletzungen 12, 32, 37-39, 47, 50, 52, 60, 63, 98-100, 177, 178, 180, 183, 186 Menschenrechtsweltkonferenz 145, 202 militärische Sanktionoi 1, 15, 17, 19 Minderheitenschutz 202 MINURSO 72, 195 MLPA 70 Multilateralisierung 112 Nahostkonflikt V, 1, 3, 76, 200 NATO 1, 39, 43, 44, 79-83 Neue Weltwirtschaftsordnung VI, 4, 121, 136-140, 146, 195, 198 NGO 195 NWWO VI, 136, 137, 139, 143-145, 195 OAS 74, 84, 195 ONUCA 74, 195 ONUVEN 74 Ost-West-Konflikt 1, 2, 227 Ozonschicht VII, 154, 156, 162, 163, 204 P 3 28,29 P 5 28. 29. 63. 64. 67. 96 Peacekeeping Operations 4, 6, 9, 14, 38, 202 Perestroika 8 Prävention 6, 86, 88, 89, 94, 192 Reform VI, XII, 4-6, 9, 88, 91, 121, 125, 131, 137, 180, 189, 199, 201, 202, 206-208, 210-212, 217, 218, 220, 222 Rüstung 105, 108, 110, 111, 209, 220 Rüstungskonversion 108, 109 Sanktionen 1, 3, 11-15, 17-20, 25, 28, 37, 38, 46, 48, 93-95, 100, 203, 227 Schadenersatz 13 Seeblockade 22, 25, 26

Selbstverteidigungsrecht 18, 19 Sicherheitsrat X, XI, XH, 3, 4, 6, 7, 9, 11-30, 32-41, 46, 47, 49-52, 54, 56, 57, 58, 61, 63-77, 79. 82. 84, 88-90, 92-95, 97, 98, 100-102, 114, 118, 119, 167, 168, 170, 186-188, 190, 191, 195, 200, 201, 203, 206, 216, 227 Sozialpakt 171, 173, 174 START I 112 START H 111 Supermächte V, X, 5, 8, 85, 89 Umweltschutz VII, XI, 9, 149-154, 156, 158-161, 163, 164, 166, 169, 176 200, 214 UN-Blauhelme 40, 42, 46, 78 UN-Charta XI, 1, 3, 8, 13, 15, 17, 18, 26, 34, 47, 48, 53, 57, 61, 80-83, 87, 93, 102, 159, 167, 170, 187-189, 205, 227 UN-Friedenstruppen V, 1, 6, 7, 28, 35, 36, 38, 41-43, 45, 46, 48, 49, 53, 54, 55, 58, 59, 78, 80, 83, 87, 93, 94, 96, 188, 189, 191 UN-Generalversammlung 6-9, 68, 74, 87-89, 103, 104, 106, 107, 113, 114 130, 133, 136, 149-152, 155, 159, 161, 167, 173, 175-177, 179, 181, 184, 185, 191, 204 UN-Haushalt 3, 4, 7, 143 UN-Truppen 12, 54-56 UN-Wirtschaftssanktionen 12 UNAMIC 65 UNAVEM 69-71, 195 UNCDF VI, 131, 133, 134, 195 UNCED VII, 152, 155-161, 166, 195, 205, 219 UNCHE 149, 195 UNCTAD VI, 2, 109, 125, 130-132, 134-144, 148, 189, 195, 205, 206, 208, 210, 212, 215, 221 UNDP VI, 2, 77, 78, 109, 110, 125, 127, 131, 133-136, 146-148, 150, 158, 165, 196, 207 UNEF 196 UNEP VII, 77, 148-151, 154, 155, 158, 163-166, 196 UNESCO 4, 109, 110, 134, 151, 172, 174, 175, 196 UNFICYP 76, 196, 202 UNICEF 21, 196 UNIDO VI, 2, 131, 132, 148, 196

Unilateralismus VI, 27, 96 UNITA 70, 71, 196 UNITAF 53, 54, 85. 196 UNOSOM 51, 53-58, 80, 85, 95, 197 UNOSOM II 54-58, 80, 95, 197 UNPROFOR 36-38, 42, 45, 85, 188, 197 UNTAC 63-66, 85, 197 UNTAG 69, 197 Uruguay-Runde 125, 127-129, 216, 221 Veto 3, 4, 61, 73, 76 Völkerrecht 13, 15, 95, 101, 108, 145, 168, 186, 199, 200, 203, 205, 210, 212, 215 Volksabstimmungen 33 Waffenembargo 35, 50, 100 Waffenstillstand 16, 36, 50, 62, 70, 72 Waffenstillstandsabkommen 56 Waffenstillstandsvereinbarung 34-36 Weltwirtschaftsordnung VI, VII, XI, 2, 4, 9, 121, 131, 136-140, 145-147, 151, 188, 195, 198, 209, 227 Zivilpakt 171, 173-175, 178, 179